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Karl Marx
Das Kapital
Kritik der politischen Okonomie
Buch 1:
Der ProduktionsprozeB des Kapitals
Vorwort zur ersten Auflage 1
l."Das Kapital" ist das Hauptwerk von Karl Marx, an dem er vier Jahrzehnte seines Lebens arbeitete.
»Nachdem Marx erkannt hatte, dafi die okonomische Struktur die Basis ist, worauf sich der politische
Uberbau erhebt, wandte er seine Aufmerksamkeit vor allem dem Studium dieser okonomischen Struktur
zu.« (W.I. Lenin, Werke, Band 19, Berlin 1962, S.5.)
2.Mit dem systematischen Studium der politischen Okonomie begann Marx Ende 1843 in Paris. Er setzte
sich das Ziel, eine umfassende Arbeit zu schreiben, die die Kritik der bestehenden Ordnung und der
biirgerlichen politischen Okonomie enthalten sollte. Seine ersten Forschungen auf diesem Gebiete
widerspiegelten sich in solchen Arbeiten wie: "Okonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre
1844", "Die deutsche Ideologie", "Das Elend der Philosophie", "Lohnarbeit und Kapital", "Manifest der
Kommunistischen Partei" und anderen. Schon in diesen Arbeiten wurden die Grundlagen der
kapitalistischen Ausbeutung, der unversohnliche Gegensatz der Interessen der Kapitalisten und der
Lohnarbeiter, der antagonistische und vergangliche Charakter aller okonomischen Verhaltnisse des
Kapitalismus aufgedeckt.
3.Nach einer Unterbrechung, hervorgerufen durch die stiirmischen Ereignisse der Revolution von 1848/49,
setzte Marx seine okonomischen Forschungen in London fort, wohin er im August 1849 emigrieren muBte.
Hier studierte er griindlich und allseitig die Geschichte der Okonomie und die derzeitige Wirtschaft in den
verschiedenen Landern, insbesondere in England, dem damals klassischen Land des Kapitalismus. Ihn
interessierten in dieser Periode die Geschichte des Grundeigentums und die Theorie der Grundrente, die
Geschichte und die Theorie des Geldumlaufs und der Preise, die Wirtschaftskrisen, die Geschichte der
Technik und der Technologie und die Fragen der Agronomie und der Agrochemie.
4. Marx arbeitete unter unwahrscheinlich schwierigen Bedingungen. Er muBte standig gegen die Not
kampfen und sich nicht selten vom Studium losreiBen, um den Lebensunterhalt zu verdienen. Die lang
dauernde Uberanstrengung seiner Krafte unter materiellen Entbehrungen blieb nicht ohne Folgen - Marx
erkrankte ernstlich. Dennoch waren bis 1857 die umfangreichen Vorbereitungsarbeiten so weit gediehen,
daB er mit der Systematisierung und Verallgemeinerung der gesammelten Materialien beginnen konnte.
5. Von August 1857 bis Juni 1858 schrieb Marx ein Manuskript von etwa 50 Druckbogen, das
gewissermaBen den Entwurf des kiinftigen "Kapitals" darstellte. Diese Arbeit wurde erstmalig 1939-1941
vorn Institut fur Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU in der Originalsprache unter dem Titel
"Grundrisse der Kritik der politischen Okonomie" veroffentlicht. Im November 1857 entwarf Marx einen
Plan seines Werkes, der spater detailliert und wesentlich prazisiert wurde. Seine wissenschaftliche Arbeit,
die der Kritik der okonomischen Kategorien gewidmet ist, gliederte er in sechs Biicher: 1. Vom Kapital; 2.
Vom Grundeigentum; 3. Von der Lohnarbeit; 4. Vom Staat; 5. Internationaler Handel; 6. Weltmarkt. Fiir das
erste Buch sah Marx vier Abschnitte vor: a) Das Kapital im allgemeinen; b) Die Konkurrenz oder die
Aktion der vielen Kapitalien aufeinander; c) Kredit; d) Das Aktienkapital. Der erste Abschnitt sollte aus
drei Kapiteln bestehen: 1. Wert, 2. Geld und 3. Kapital. Das dritte Kapitel sollte sich wiederum in drei
Abteilungen aufgliedern: ProduktionsprozeB des Kapitals, ZirkulationsprozeB des Kapitals; Einheit von
beiden oder Kapital und Profit, Zins. Diese letzte spezielle Gliederung bildete spater die Grundlage fiir die
Einteilung des ganzen Werks in die drei Bande des "Kapitals". Die Kritik und Geschichte der politischen
Okonomie und des Sozialismus sollten Gegenstand einer andren Arbeit sein.
6.Marx nahm sich vor, das von ihm geschaffene Werk in aufeinanderfolgenden Heften herauszugeben,
wobei die erste Lieferung unbedingt ein relatives Ganzes und die Grundlage der gesamten Arbeit bilden
muBte. In ihr sollten die Abteilungen 1. Die Ware, 2. Das Geld oder die einfache Zirkulation und 3. Das
Kapital enthalten sein. Aus politischen Griinden wurde jedoch in die endgiiltige Fassung der ersten
Veroffentlichung in das Buch "Zur Kritik der Politischen Okonomie" - die dritte Abteilung nicht
aufgenommen. Marx wies darauf hin, daB gerade mit dieser Abteilung » die eigentliche Schlacht beginnt«
und es bei dem Bestehen der offiziellen Zensur, der polizeilichen Verfolgungen und der Hetze jeder Art
gegen Autoren, die den herrschenden Klassen un erwiinscht sind, nicht ratsam ware, ein derartiges Kapitel
gleich zu Beginn zu veroffentlichen, noch bevor die breite Offentlichkeit etwas uber das neue Werk erfahrt.
Fiir die erste Veroffentlichung schrieb Marx speziell das Kapitel uber die Ware und uberarbeitete griindlich
das Kapitel iiber das Geld aus dem Manuskript von 1857/1858.
7."Zur Kritik der Politischen Oekonomie" erschien 1859. Es war beabsichtigt, bald danach auch das nachste
Heft herauszubringen, d.h. die erwahnte Abteilung iiber das Kapital, die den Hauptinhalt des Manuskripts
von 1857/1858 bildet. Marx nahm seine systematischen Forschungen iiber politische Okonomie im
Britischen Museum wieder auf. Er muBte jedoch bald diese Arbeit fiir eineinhalb Jahre unterbrechen, um
die verleumderischen Angriffe des bonapartistischen Agenten Karl Vogt zu entlarven und andere dringende
Arbeiten in Druck zu geben. Erst im August 1861 begann Marx wieder mit der Niederschrift des
umfangreichen Manuskripts und beendete es gegen Mitte des Jahres 1863. Das Manuskript, das aus 23
Heften besteht und einen Gesamtumfang von etwa 200 Druckbogen hat, ist die Fortsetzung des 1859
erschienenen ersten Heftes "Zur Krjtik der Politischen Okonomie" und tragt den gleichen Titel. Der
iiberwiegende Teil dieses Manuskripts (die Hefte VI-XV und XVIII) behandelt die Geschichte der
okonomischen Lehren. Er wurde zu Lebzeiten von Marx und Engels nicht veroffentlicht. Das Institut fiir
Marxismus-Leninismus beim ZK der SED gab diesen unter dem Titel "Theorien iiber den Mehrwert
(Vierter Band des Kapitals)", 3 Teile, heraus. In den ersten fiinf Heften und teilweise in den Heften XIX-
XXIII werden die Themen des ersten Bandes des "Kapitals" behandelt. Hier analysiert Marx die
Verwandlung von Geld in Kapital, entwickelt die Mehrwerttheorie und beriihrt eine Reihe anderer Fragen.
Insbesondere ist in den Heften XIX und XX eine solide Grundlage fiir das 13. Kapitel des ersten Bandes
"Maschinerie und groGe Industrie" gelegt; in ihnen wird ein iiberaus reiches Material zur Geschichte der
Technik angefuhrt und eine griindliche okonomische Analyse der Anwendung von Maschinen in der
kapitalistischen Industrie gegeben. In den Heften XXI-XXIII werden einzelne Fragen beleuchtet, die sich
auf verschiedene Themen des "Kapitals" beziehen, darunter solche des zweiten Bandes. Den Problemen des
dritten Bandes sind die Hefte XVI und XVII gewidmet. Auf diese Weise beriihrt das Manuskript von 1861-
1863 in groBerem oder geringerem MaBe die Probleme aller vier Bande des "Kapitals".
8.1m Verlaufe der weiteren Arbeit entschloB sich Marx, sein ganzes Werk nach ienem Plane aufzubauen,
den er friiher fur den Abschnitt "Das Kapital im allgemeinen" mit seinen drei Abteilungen ausgearbeitet
hatte. Der historisch-kritische Teil des Manuskripts sollte das vierte, abschlieBende Glied bilden. »Das
ganze Werk«, schrieb Marx in seinem Briefe an Kugelmann vom 13.0ktober 1866, »zerfallt ndmlich in
folgende Telle. Buch 1) Produktionsprozefi des Kapitals. Buch II) Zirkulatlonsprozefi des Kapitals.
Buch III) Gestaltungen des Gesamtprozesses. Buch TV) Zur Geschichteder Theorie.« Marx ging auch von
dem friiheren Plan ab, das Werk in aufeinanderfolgenden Heften herauszubringen, und nahm sich vor, die
Arbeit im ganzen fertigzustellen und sie erst dann herauszugeben.
9. Marx setzte die Arbeit an seinem Werk intensiv fort, besonders an den Teilen, die im Manuskript von
1861-1863 noch nicht geniigend entwickelt worden waren. Er studierte zusatzlich eine groBe Menge
okonomischer und technischer Literatur, darunter iiber die Landwirtschaft, iiber Fragen des Kredits und des
Geldumlaufs, er studierte statistische Materialien, parlamentarische Dokumente, offizielle Berichte iiber
die Kinderarbeit in der Industrie, iiber die Lebensbedingungen des englischen Proletariats usw. Unmittelbar
danach schuf Marx im Laufe von zweieinhalb Jahren (vom August 1863 bis Ende 1865) ein neues,
umfangreiches Manuskript, das die erste, bis ins einzelne ausgearbeitete Variante der drei theoretischen
Bande des "Kapitals" ist. Erst nachdem die ganze Arbeit geschrieben war (im Januar 1866), ging Marx an
die endgiiltige Bearbeitung fur den Druck. Hierbei folgte er dem Rat von Engels, nicht das ganze Werk auf
einmal zum Druck vorzubereiten, sondern zuniichst nur den ersten Band. Diese endgiiltige Bearbeitung
fiihrte Marx mit groBer Sorgfalt aus. Sie war im Grunde genommen eine nochmalige Uberarbeitung des
ganzen ersten Bandes. Im Interesse der Geschlossenheit, Vollstandigkeit und Klarheit der Darstellung hielt
es Marx fiir notwendig, den Inhalt seiner 1859 herausgegebenen Schrift "Zur Kritik der Politischen
Okonomie" am Anfang des ersten Bandes des "Kapitals" zu resiimieren.
lO.Bei der Vorbereitung von Neuauflagen in deutscher Sprache und bei der Herausgabe in anderen
Sprachen nahm Marx weitere Verbesserungen am ersten Band des "Kapitals" vor. So trug er bei der zweiten
Auflage (1872) zahlreiche Veranderungen ein, gab im Zusammenhang mit der russischen Ausgabe, der
ersten Ubersetzung des "Kapitals" in eine fremde Sprache, die 1872 in St. Petersburg erschien, wesentliche
Hinweise, uberarbeitete und redigierte in betrachtlichem Umfange die franzosische Ubersetzung, die von
1872 bis 1875 in aufeinanderfolgenden Heften erschien.
1 1 .Unermiidlich arbeitete Marx nach dem Erscheinen des ersten Bandes an den folgenden Banden weiter,
da er beabsichtigte, das ganze Werk rasch zu beenden. Das war ihm jedoch nicht vergonnt. Die vielseitige
Tatigkeit im Generaltat der Internationalen Arbeiterassoziation forderte viel Zeit. Immer haufiger muBte er
die Arbeit wegen seines schlechten Gesundheitszustandes unterbrechen. Marx' auBergewohnliche
wissenschaftliche Genauigkeit und peinliche Gewissenhaftigkeit, jene strenge Selbstkritik, mit der er
strebte, wie Engels sagte, »seine grofien okonomischen Entdeckungen bis zur iiufiersten Vollendung
auszuarbeiten, ehe er sie veroffentlichte« , veranlaBten ihn bei der Ausarbeitung oder Uberpriifung des
einen oder anderen Problems zu stets neuen Studien.
12.Nach dem Tode von Marx wurden die beiden folgenden Bande des "Kapitals" von Engels zum Druck
vorbereitet und veroffentlicht. Der zweite Band erschien 1885 und der dritte 1894. Damit leistete Engels
einen nicht hoch genug einzuschatzenden Beitrag zum Wissensschatz des wissenschaftlichen
Kommunismus.
13. Engels redigierte auch die Ubersetzung des ersten Bandes des "Kapitals" in die englische Sprache
(erschienen 1887), bereitete die dritte (1883) und die vierte (1890) Auflage des ersten Bandes des
"Kapitals" in deutscher Sprache vor. AuBerdem erschienen nach dem Tode von Marx, aber noch zu
Lebzeiten von Engels, folgende Ausgaben des ersten Bandes des "Kapitals": drei Ausgaben in englischer
Sprache in London (1888, 1889 und 1891), drei Ausgaben in englischer Sprache in New York (1887, 1889
und 1890), die Ausgabe in franzosischer Sprache in Paris (1885), in danischer Sprache in Kopenhagen
(1885), in spanischer Sprache in Madrid (1886), in italienischer Sprache in Turin (1886), in polnischer
Sprache in Leipzig (1884-1889), in hollandischer Sprache in Amsterdam (1894) sowie eine ganze Reihe
anderer, unvollstandiger Ausgaben.
14. Bei der vierten Ausgabe des ersten Bandes des "Kapitals" (1890) nahm Engels auf Grund von Marx'
Hinweisen die endgiiltige Redaktion des Textes und der FuBnoten vor. Diese Fassung liegt auch unserer
Ausgabe des ersten Bandes des "Kapitals" zugrunde.
l.Marx bezieht sich hier auf das erste Kapitel der ersten Auflage (1867), das die Uberschrift "Ware
und Geld" trug. Fur die zweite Auflage uberarbeitete Marx den Band und anderte seinen Aufbau. Er
unterteilte das fruhere erste Kapitel in drei selbstandige Kapitel, die nun unter der gleichen Uberschrift den
ersten Abschnitt bilden.
l.Es schien dies um so notiger, als selbst der Abschnitt von F. Lassalles Schrift gegen Schulze-
Delitzsch, worin er "die geistige Quintessenz" meiner Entwicklung iiber jene Themata zu geben erklart,
bedeutende MiBverstandnisse enthalt. En passant. Wenn F. Lassalle die samtlichen allgemeinen
theoretischen Satze seiner okonomischen Arbeiten, z.B. iiber den historischen Charakter des Kapitals, iiber
den Zusammenhang zwischen Produktionsverhaltnissen und Produktionsweise usw. usw. fast wortlich, bis
auf die von mir geschaffene Terminologie hinab, aus meinen Schriften entlehnt hat, und zwar ohne
Quellenangabe, so war dies Verfahren wohl durch Propagandariicksichten bestimmt. Ich spreche natiirlich
nicht von seinen Detailausfuhrungen und Nutzanwendungen, mit denen ich nichts zu tun habe.
l.»De te fabula narratur!« (Uber dich wird hier berichtet!) - aus den Satiren des Horaz, Buch 1,
Satire 1.
l.Der Tote packt den Lebenden!
l.kleine Siinde
2.Blaubucher (Blue Books) - allgemeine Bezeichnung der Publikationen von Materialien des
englischen Parlaments und diplomatischen Dokumenten des AuBenministeriums. Die Blaubiicher, so
benannt nach ihren blauen Umschlagen, werden in England seit dem 17Jahrhundert herausgegeben und sind
die wichtigste offizielle Quelle zur Geschichte der Wirtschaft und Diplomatic dieses Landes.
l.Segui il tuo corso, e lascia dir le genti! (Geh deinen Weg, und laB die Leute reden!) -
abgewandeltes Zitat aus Dante, "Die gottliche Komodie", "Das Fegefeuer", 5. Gesang.
Das Werk, dessen ersten Band ich dem Publikum ubergebe, bildet die
Fortsetzung meiner 1859 veroffentlichten Schrift: "Zur Kritik der
Politischen Okonomie". Die lange Pause zwischen Anfang und
Fortsetzung ist einer langjahrigen Krankheit geschuldet, die meine Arbeit
wieder und wieder unterbrach.
Der Inhalt jener friiheren Schrift ist resumiert im ersten Kapitel dieses
Bandes. 2 Es geschah dies nicht nur des Zusammenhangs und der
Vollstandigkeit wegen. Die Darstellung ist verbessert. Soweit es der
Sachverhalt irgendwie erlaubte, sind viele friiher nur angedeuteten Punkte
hier weiter entwickelt, wahrend umgekehrt dort ausfiihrlich Entwickeltes
hier nur angedeutet wird. Die Abschnitte iiber die Geschichte der Wert-
und Geldtheorie fallen jetzt nattirlich ganz weg. Jedoch findet der Leser der
friiheren Schrift in den Noten zum ersten Kapitel neue Quellen zur
Geschichte jener Theorie eroffnet.
Aller Anfang ist schwer, gilt in jeder Wissenschaft. Das Verstandnis des
ersten Kapitels, namentlich des Abschnitts, der die Analyse der Ware
enthalt, wird daher die meiste Schwierigkeit machen. Was nun naher die
Analyse der Wertsubstanz und der WertgroBe betrifft, so habe ich sie
moglichst popularisiert. 3 Die Wertform, deren fertige Gestalt die Geldform,
ist sehr inhaltslos und einfach. Dennoch hat der Menschengeist sie seit
mehr als 2000 Jahren vergeblich zu ergriinden gesucht, wahrend
andrerseits die Analyse viel inhaltsvollerer und komplizierterer Formen
wenigstens annahernd gelang. Warum? Weil der ausgebildete Korper
leichter zu studieren ist als die Korperzelle. Bei der Analyse der
okonomischen Formen kann auBerdem weder das Mikroskop dienen noch
chemische Reagentien. Die Abstraktionskraft muB beide ersetzen. Fur die
burgerliche Gesellschaft ist aber die Warenform des Arbeitsprodukts oder
die Wertform der Ware die okonomische Zellenform. Dem Ungebildeten
scheint sich ihre Analyse in bloBen Spitzfindigkeiten herumzutreiben. Es
handelt sich dabei in der Tat um Spitzfindigkeiten, aber nur so, wie es sich
in der mikrologischen Anatomie darum handelt.
Mit Ausnahme des Abschnitts iiber die Wertform wird man daher dies
Buch nicht wegen Schwerverstandlichkeit anklagen konnen. Ich unterstelle
naturlich Leser, die etwas Neues lernen, also auch selbst denken wollen.
Der Physiker beobachtet Naturprozesse entweder dort, wo sie in der
pragnantesten Form und von storenden Einfliissen mindest getriibt
erscheinen, oder, wo moglich, macht er Experimente unter Bedingungen,
welche den reinen Vorgang des Prozesses sichern. Was ich in diesem
Werk zu erforschen habe, ist die kapitalistische Produktionsweise und die
ihr entsprechenden Produktions- und Verkehrsverhaltnisse. Ihre klassische
Statte ist bis jetzt England. Dies der Grand, waram es zur Hauptillustration
meiner theoretischen Entwicklung dient. Sollte jedoch der deutsche Leser
pharisaisch die Achseln zucken iiber die Zustande der englischen
Industrie- und Ackerbauarbeiter oder sich optimistisch dabei berahigen,
daB in Deutschland die Sachen noch lange nicht so schlimm stehn, so muB
ich ihm zurafen: De te fabula narratur! 4
An und fiir sich handelt es sich nicht um den hoheren oder niedrigeren
Entwicklungsgrad der gesellschaftlichen Antagonismen, welche aus den
Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion entspringen. Es handelt sich
um diese Gesetze selbst, um diese mit eherner Notwendigkeit wirkenden
und sich durchsetzenden Tendenzen. Das industriell entwickeltere Land
zeigt dem minder entwickelten nur das Bild der eignen Zukunft.
Aber abgesehn hiervon. Wo die kapitalistische Produktion vollig bei uns
eingeburgert ist, z.B. in den eigentlichen Fabriken, sind die Zustande viel
schlechter als in England, weil das Gegengewicht der Fabrikgesetze fehlt.
In alien andren Spharen qualt uns, gleich dem ganzen ubrigen
kontinentalen Westeuropa, nicht nur die Entwicklung der kapitalistischen
Produktion, sondern auch der Mangel ihrer Entwicklung. Neben den
modernen Notstanden driickt uns eine ganze Reihe vererbter Notstande,
entspringend aus der Fortvegetation altertiimlicher, iiberlebter
Produktionsweisen, mit ihrem Gefolg von zeitwidrigen gesellschaftlichen
und politischen Verhaltnissen. Wir leiden nicht nur von den Lebenden,
sondern auch von den Toten. Le mort saisit le vif! 5
Im Vergleich zur englischen ist die soziale Statistik Deutschlands und des
ubrigen kontinentalen Westeuropas elend. Dennoch luftet sie den Schleier
grade genug, um hinter demselben ein Medusenhaupt ahnen zu lassen.
Wir wiirden vor unsren eignen Zustanden erschrecken, wenn unsre
Regierangen und Parlamente, wie in England, periodische
Untersuchungskommissionen iiber die okonomischen Verhaltnisse
bestallten, wenn diese Kommissionen mit derselben
Machtvollkommenheit, wie in England, zur Erforschung der Wahrheit
ausgeriistet wurden, wenn es gelange, zu diesem Behuf ebenso
sachverstandige, unparteiische und riicksichtslose Manner zu finden, wie
die Fabrikinspektoren Englands sind, seine arztlichen Berichterstatter iiber
"Public Health" (Offentliche Gesundheit), seine
Untersuchungskommissare iiber die Exploitation der Weiber und Kinder,
iiber Wohnungs- und Nahrungszustande usw. Perseus brauchte eine
Nebelkappe zur Verfolgung von Ungeheuern. Wir Ziehen die Nebelkappe
tief iiber Aug' und Ohr, um die Existenz der Ungeheuer wegleugnen zu
konnen.
Man muB sich nicht dariiber tauschen. Wie der amerikanische
Unabhangigkeitskrieg des 18Jahrhunderts die Sturmglocke fur die
europaische Mittelklasse lautete, so der amerikanische Burgerkrieg des 19.
Jahrhunderts fiir die europaische Arbeiterklasse. In England ist der
UmwalzungsprozeB mit Handen greifbar. Auf einem gewissen Hohepunkt
muB er auf den Kontinent riickschlagen. Dort wird er sich in brutaleren
oder humaneren Formen bewegen, ie nach dem Entwicklungsgrad der
Arbeiterklasse selbst. Von hoheren Motiven abgesehn, gebietet also den
jetzt herrschenden Klassen ihr eigenstes Interesse die Wegraumung aller
gesetzlich kontrollierbaren Hindernisse, welche die Entwicklung der
Arbeiterklasse hemmen. Ich habe deswegen u.a. der Geschichte, dem
Inhalt und den Resultaten der englischen Fabrikgesetzgebung einen so
ausfuhrlichen Platz in diesem Bande eingeraumt. Eine Nation soil und
kann von der andern lernen. Auch wenn eine Gesellschaft dem
Naturgesetz ihrer Bewegung auf die Spur gekommen ist - und es ist der
letzte Endzweck dieses Werks, das okonomische Bewegungsgesetz der
modernen Gesellschaft zu enthullen -, kann sie naturgemaBe
Entwicklungsphasen weder uberspringen noch wegdekretieren. Aber sie
kann die Geburtswehen abkiirzen und mildern.
Zur Vermeidung moglicher MiBverstandnisse ein Wort. Die Gestalten von
Kapitalist und Grundeigentiimer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht.
Aber es handelt sich hier um die Personen nur, soweit sie die
Personifikation okonomischer Kategorien sind, Trager von bestimmten
Klassenverhaltnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein
Standpunkt, der die Entwicklung der okonomischen
Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen ProzeB auffaBt, den
einzelnen verantwortlich machen fiir Verhaltnisse, deren Geschopf er
sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv iiber sie erheben mag.
Auf dem Gebiete der politischen Okonomie begegnet die freie
wissenschaftliche Forschung nicht nur demselben Feinde wie auf alien
anderen Gebieten. Die eigentumliche Natur des Stoffes, den sie behandelt,
raft wider sie die heftigsten, kleinlichsten und gehassigsten Leidenschaften
der menschlichen Brast, die Furien des Privatinteresses, auf den
Kampfplatz. Die englische Hochkirche z.B. verzeiht eher den Angriff auf
38 von ihren 39 Glaubensartikeln als auf V39. ihres Geldeinkommens.
Heutzutage ist der Atheismus selbst eine culpa levis 6 , verglichen mit der
Kritik iiberlieferter Eigentumsverhaltnisse. Jedoch ist hier ein Fortschritt
unverkennbar. Ich verweise z.B. auf das in den letzten Wochen
veroffentlichte Blaubuch 7 : "Correspondence with Her Majesty's Missions
Abroad, regarding Industrial Questions and Trades Unions". Die
auswartigen Vertreter der englischen Krone sprechen es hier mit durren
Worten aus, daB in Deutschland, Frankreich, kurz alien Kulturstaaten des
europaischen Kontinents, eine Umwandlung der bestehenden Verhaltnisse
von Kapital und Arbeit ebenso fuhlbar und ebenso unvermeidlich ist als in
England. Gleichzeitig erklarte jenseits des Atlantischen Ozeans Herr Wade,
Vizeprasident der Vereinigten Staaten von Nordamerika, in offentlichen
Meetings: Nach Beseitigung der Sklaverei trete die Umwandlung der
Kapital- und Grandeigentumsverhaltnisse auf die Tagesordnung! Es sind
dies Zeichen der Zeit, die sich nicht verstecken lassen durch Purpurmantel
oder schwarze Kutten. Sie bedeuten nicht, daB morgen Wunder geschehen
werden. Sie zeigen, wie selbst in den herrschenden Klassen die Ahnung
aufdammert, daB die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall, sondern ein
umwandlungsfahiger und bestandig im ProzeB der Umwandlung
begriffener Organismus ist.
Der zweite Band dieser Schrift wird den ZirkulationsprozeB des Kapitals
(Buch II) und die Gestaltungen des Gesamtprozesses (Buch III), der
abschlieBende dritte (Buch IV) die Geschichte der Theorie behandeln.
Jedes Urteil wissenschaftlicher Kritik ist mir willkommen. Gegeniiber den
Vorarteilen der sog. offentlichen Meinung, der ich nie Konzessionen
gemacht habe, gilt mir nach wie voir der Wahlspruch des groBen
Florentiners: Segui il tuo corso, e lascia dir le genti! 8 London, 25. Juli 1867
Karl Marx
Nachwort zur zweiten Auflage 9
l.In der vierten Auflage des ersten Bandes des "Kapitals" (1890) wurden die ersten vier Absatze
dieses Vorwortes weggelassen. Im vorliegenden Band wird das Vorwort vollstandig veroffentlicht.
1.3. und 4.Auflage: hoffnungslose
l.Siehe meine Schrift "Zur Kritik etc.", P. 39. (Siehe Band 13 unserer Ausgabe, S.46)
1. Anti-Corn-Law League (Anti-Korngesetz-Liga) - eine freihandlerische Vereinigung, die 1838
von den Fabrikanten Cobden und Bright in Manchester gegriindet wurde. Die sogenannten Korngesetze, die
die Einschrankung bzw. das Verbot der Getreideeinfuhr aus dem Ausland zum Ziele hatten, waren in
England im Jahre 1815 im Interesse der dortigen GroBgrundbesitzer, der Landlords, eingefiihrt worden.
Die Liga erhob die Forderung nach volliger Handelsfreiheit und kampfte ftir die Abschaffung der
Korngesetze mit dem Ziel, die Lohne der Arbeiter zu senken und die okonomischen und politischen
Positionen der Grundaristokratie zu schwachen. In ihrem Kampf gegen die Gruiidbesitzer versuchte die
Liga, die Arbeitermassen auszunutzen. Aber gerade zu dieser Zeit schlugen die fortgeschrittensten Arbeiter
Englands den Weg einer selbstandigen politisch ausgepragten Arbeiterbewegung (Chartismus) ein. Der
Kampf zwischen der industriellen Bourgeoisie und der Grundaristokratie endete 1846 mit der Annahme der
Bill iiber die Abschaffung der Korngesetze. Danach loste sich die Liga auf.
l.Der Artikel von J.Dietzgen "Das Kapital. Kritik der politischen Oekonomie von Karl Marx.
Hamburg 1867" wurde 1868 im "Demokratischen Wochenblatt" Nr. 31, 34, 35 und 36 veroffentlicht. Von
1869 bis 1876 erschien diese Zeitung unter dem Titel "Der Volksstaat".
2. Die breimauligen Faselhanse der deutschen Vulgarokonomie schelten Stil und Darstellung
meiner Schrift. Niemand kann die literarischen Mangel des "Kapital" strenger beurteilen als ich selbst.
Dennoch will ich, zu Nutz und Freud dieser Herren und ihres Publikums, hier ein englisches und ein
russisches Urteil zitieren. Die meinen Ansichten durchaus feindliche 'Saturday Review' sagte in ihrer
Anzeige der ersten deutschen Ausgabe: Die Darstellung »verleiht auch den trockensten okonomischen
Fragen einen eignen Reiz (charm)«. Die 'St.-Petersburger Zeitung' bemerkt in ihrer Nummer vom 20.
April 1872 u.a.: »Die Darstellung mit Ausnahme weniger zu spezieller Telle zeichnet sich aus durch
Allgemeinverstandlichkeit, Klarheit und, trotz der wissenschaftlichen Hohe des Gegenstands,
ungewohnliche Lebendigkeit. In dieser Hinsicht gleicht der Verfasser ... auch nicht von fern der
Mehrzahl deutscher Gelehrten, die ... ihre Biicher in so verfinsterter und trockner Sprache schreiben,
dafi gewohnlichen Sterblichen der Kopf davon kracht.« Den Lesern der zeitlaufigen deutsch-national-
liberalen Professoralliteratur kracht jedoch etwas ganz andres als der Kopf.
1. "La Philosophie Positive. Revue" - Zeitschrift, die von 1867 bis 1883 in Paris erschien. In Nr. 3
vom November/Dezember 1868 veroffentlichte sie eine kurze Rezension iiber den ersten Band des
"Kapitals" aus der Feder von De Roberty, einem Anhanger des positivistischen Philosophen Auguste
Comte.
l.»Durch dieses Werk reiht sich Herr Marx unter die bedeutendsten analytischen Denker ein.«
1.1. 1. Kaufman
1. siehe Band 13 MEW, S.8-10
I.Marx meint hier die deutschen biirgerlichen Philosophen Biich ner, Lange, Diihring, Fechner
und andere.
l.siehe "Das Kapital" 1. Band, S. 19-28.
l.Die franzosische Ausgabe des ersten Bandes des "Kapitals" erschien in aufeinanderfolgenden
Heften von 1 872 bis 1 875 in Paris .
l."neue Zweidrittel" - eine Silbermiinze im Werte von 2/3 Talern, die von Ende des 17. bis Mitte
Den Lesern der ersten Ausgabe habe ich zunachst Ausweis zu geben
liber die in der zweiten Ausgabe gemachten Veranderungen. Die
ubersichtlichere Einteilung des Buchs spingt ins Auge. Zusatzliche Noten
sind liberal! als Noten zur zweiten Ausgabe bezeichnet. Mit Bezug auf den
Text selbst ist das Wichtigste:
Kapitel I, 1 ist die Ableitung des Werts durch Analyse der Gleichungen,
worin sich jeder Tauschwert ausdrlickt, wissenschaftlich strenger
durchgeflihrt, ebenso der in der ersten Ausgabe nur angedeutete
Zusammenhang zwischen der Wertsubstanz und der Bestimmung der
WertgroBe durch gesellschaftlich-notwendige Arbeitszeit ausdrlicklich
hervorgehoben. Kapitel I, 3 (Die Wertform) ist ganzlich umgearbeitet, was
schon die doppelte Darstellung der ersten Ausgabe gebot. - Im Vorbeigehn
bemerke ich, daB jene doppelte Darstellung durch meinen Freund, Dr. L.
Kugelmann in Hannover, veranlaBt ward. Ich befand mich bei ihm zum
Besuch im Fruhling 1867, als die ersten Probebogen von Hamburg
ankamen, und er uberzeugte mich, daB fur die meisten Leser eine
nachtragliche, mehr didaktische Auseinandersetzung der Wertform notig
sei. - Der letzte Abschnitt des ersten Kapitels, "Der Fetischcharakter der
Ware etc.", ist groBenteils verandert. Kapitel III, 1 (MaB der Werte) ist
sorgfaltig revidiert, weil dieser Abschnitt in der ersten Ausgabe, mit
Hinweis auf die "Zur Kritik der Polit[ischen] Ok[onomie]", Berlin 1859,
bereits gegebne Auseinandersetzung, nachlassig behandelt war. Kapitel
VII, besonders Teil 2, ist bedeutend umgearbeitet.
Es ware nutzlos, auf die stellenweisen Textanderungen, oft nur stihstisch,
im einzelnen einzugehn. Sie erstrecken sich iiber das ganze Buch.
Dennoch finde ich jetzt bei Revision der zu Paris erscheinenden
franzosischen Ubersetzung, daB manche Teile des deutschen Originals hier
mehr durchgreifende Umarbeitung, dort groBere stihstische Korrektur oder
auch sorgfaltigere Beseitigung gelegentlicher Versehn erheischt hatten. Es
fehlte dazu die Zeit, indem ich erst im Herbst 1871, mitten unter andren
dringenden Arbeiten die Nachricht erhielt, daB das Buch vergriffen sei, der
Druck der zweiten Ausgabe aber bereits im Januar 1872 beginnen sollte.
Das Verstandnis, welches "Das Kapital" rasch in weiten Kreisen der
deutschen Arbeiterklasse fand, ist der beste Lohn meiner Arbeit. Ein
Mann, okonomisch auf dem Bourgeoisstandpunkt, Herr Mayer, Wiener
Fabrikant, tat in einer wahrend des deutsch-franzosischen Kriegs
veroffentlichten Broschiire treffend dar, daB der groBe theoretische Sinn,
der als deutsches Erbgut gait, den sog. gebildeten Klassen Deutschlands
durchaus abhanden gekommen ist, dagegen in seiner Arbeiterklasse neu
auflebt.
Die politische Okonomie blieb in Deutschland bis zu dieser Stunde eine
auslandische Wissenschaft. Gustav von Giilich hat in "Geschichtliche
Darstellung des Handels, der Gewerbe usw.", namentlich in den 1830
herausgegebnen zwei ersten Banden seines Werkes, groBenteils schon die
historischen Umstande erortert, weiche die Entwicklung der
kapitalistischen Produktionsweise bei uns hemmten, daher auch den
Aufbau der modernen burgerlichen Gesellschaft. Es fehlte also der
lebendige Boden der polltischen Okonomie. Sie ward als fertige Ware
importiert aus England und Frankreich; ihre deutschen Professoren blieben
Schiiler. Der theoretische Ausdruck einer fremden Wirklichkeit
verwandelte sich unter ihrer Hand in eine Dogmensammlung, von ihnen
gedeutet im Sinn der sie umgebenden kleinbiirgerhchen Welt, also
miBdeutet. Das nicht ganz unterdriickbare Gefiihl wissenschaftlicher
Ohnmacht und das unheimliche Gewissen, auf einem in der Tat
fremdartigen Gebiet schulmeistern zu miissen, suchte man zu verstecken
unter dem Prank literarhistorischer Gelehrsamkeit oder durch Beimischung
fremden Stoffes, entlehnt den sog. Kameralwissenschaften, einem
Mischmasch von Kenntnissen, deren Fegfeuer der hoffnungsvolle 10
Kandidat deutscher Burokratie zu bestehn hat.
Seit 1848 hat sich die kapitalistische Produktion rasch in Deutschland
entwickelt und treibt heutzutage bereits ihre Schwindelblute. Aber unsren
Fachleuten blieb das Geschick gleich abhold. Solange sie politische
Okonomie unbefangen treiben konnten, fehlten die modernen
okonomischen Verhaltnisse in der deutschen Wirklichkeit. Sobald diese
Verhaltnisse ins Leben traten, geschah es unter Umstanden, weiche ihr
unbefangenes Studium innerhalb des biirgerlichen Gesichtskreises nicht
langer zulassen. Soweit sie burgerlich ist, d.h. die kapitalistische Ordnung
statt als geschichtlich voriibergehende Entwicklungsstufe, umgekehrt als
absolute und letzte Gestalt der gesellschaftlichen Produktion auffaBt,
kann die politische Okonomie nur Wissenschaft bleiben, solange der
Klassenkampf latent bleibt oder sich in nur vereinzelten Erscheinungen
offenbart.
Nehmen wir England. Seine klassische politische Okonomie fallt in die
Periode des unentwickelten Klassenkampfs. Ihr letzter groBer
Reprasentant, Ricardo, macht endlich bewuBt den Gegensatz der
Klasseninteressen, des Arbeitslohns und des Profits, des Profits und der
Grundrente, zum Springpunkt seiner Forschungen, indem er diesen
Gegensatz naiv als gesellschaftliches Naturgesetz auffaBt. Damit war aber
auch die burgerliche Wissenschaft der Okonomie bei ihrer
unuberschreitbaren Schranke angelangt. Noch bei Lebzeiten Ricardos und
im Gegensatz zu ihm trat ihr in der Person Sismondis die Kritik
gegenuber. 11
Die nachfolgende Zeit von 1820-1830 zeichnet sich in England aus durch
wissenschaftliche Lebendigkeit auf dem Gebiet der politischen Okonomie.
Es war die Periode wie der Vulgarisierung und Ausbreitung der
Ricardoschen Theorie, so ihres Kampfes mit der alten Schule. Es wurden
glanzende Turniere gefeiert. Was damals geleistet worden, ist dem
europaischen Kontinent wenig bekannt, da die Polemik groBenteils in
Revueartikeln, Gelegenheitsschriften und Pamphlets zerstreut ist. Der
unbefangne Charakter dieser Polemik - obgleich die Ricardo sche Theorie
ausnahmsweise auch schon als Angriffswaffe wider die burgerliche
Wirtschaft dient - erklart sich aus den Zeitumstanden. Einerseits trat die
groBe Industrie selbst nur aus ihrem Kindheitsalter heraus, wie schon
dadurch bewiesen ist, daB sie erst mit der Krise von 1825 den periodischen
Kreislauf ihres modernen Lebens eroffnet. Andrerseits bheb der
Klassenkampf zwischen Kapital und Arbeit in den Hintergrund gedrangt,
politisch durch den Zwist zwischen den um die Heilige Allianz gescharten
Regierungen und Feudalen und der von der Bourgeoisie gefuhrten
Volksmasse, okonomisch durch den Hader des industriellen Kapitals mit
dem aristokratischen Grandeigentum, der sich in Frankreich hinter dem
Gegensatz von Parzelleneigentum und groBem Grandbesitz verbarg, in
England seit den Korngesetzen offen ausbrach. Die Literatur der
politischen Okonomie in England erinnert wahrend dieser Periode an die
okonomische Sturm- und Drangperiode in Frankreich nach Dr. Quesnays
Tod, aber nur wie ein Altweibersommer an den Fruhling erinnert. Mit dem
Jahr 1830 trat die ein fur allemal entscheidende Krise ein.
Die Bourgeoisie hatte in Frankreich und England politische Macht erobert.
Von da an gewann der Klassenkampf, praktisch und theoretisch, mehr und
mehr ausgesprochne und drohende Formen. Er lautete die Totenglocke der
wissenschaftlichen burgerlichen Okonomie. Es handelte sich jetzt nicht
mehr darum, ob dies oder jenes Theorem wahr sei, sondern ob es dem
Kapital nutzlich oder schadlich, bequem oder unbequem, ob polizeiwidrig
oder nicht. An die Stelle uneigennutziger Forschung trat bezahlte
Klopffechterei, an die Stelle unbefangner wissenschaftlicher Untersuchung
das bose Gewissen und die schlechte Absicht der Apologetik. Indes selbst
die zudringlichen Traktatchen, welche die Anti-Corn-Law League 12 , mit
den Fabrikanten Cobden und Bright an der Spitze, in die Welt schleuderte,
boten, wenn kein wissenschaftliches, doch ein historisches Interesse durch
ihre Polemik gegen die grundeigentumliche Aristokratie. Auch diesen
letzten Stachel zog die Freihandelsgesetzgebung seit Sir Robert Peel der
Vulgarokonomie aus.
Die kontinentale Revolution von 1848 schlug auch auf England zuriick.
Manner, die noch wissenschaftliche Bedeutung beanspruchten und mehr
sein wollten als bloBe Sophisten und Sykophanten der herrschenden
Klassen, suchten die politische Okonomie des Kapitals in Einklang zu
setzen mit den jetzt nicht langer zu ignorienden Anspriichen des
Proletariats. Daher ein geistloser Synkretismus, wie ihn John Stuart Mill
am besten reprasentiert. Es ist eine Bankrotterklarung der "biirgerlichen"
Okonomie, welche der groBe russische Gelehrteund Kritiker
N.Tschernyschewski in seinem Werk . "Umrisse der politischen Okonomie
nach Mill" bereits meisterhaft beleuchtet hat.
In Deutschland kam also die kapitalistische Produktionsweise zur Reife,
nachdem ihr antagonistischer Charakter sich in Frankreich und England
schon durch geschichtliche Kampfe gerauschvoll offenbart hatte, wahrend
das deutsche Proletariat bereits ein viel entschiedneres theoretisches
KlassenbewuBtsein besaB als die deutsche Bourgeoisie. Sobald eine
biirgerliche Wissenschaft der politischen Okonomie hier moglich zu
werden schien, war sie daher wieder unmoglich geworden.
Unter diesen Umstanden teilten sich ihre Wortfiihrer in zwei Reihen. Die
einen, kluge, erwerbslustige, praktische Leute, schiirten sich um die Fahne
Bastiats, des flachsten und daher gelungensten Vertreters vulgar-
okonomischer Apologetik; die andren, stolz auf die Professoralwiirde ihrer
Wissenschaft, folgten J.St. Mill in dem Versuch, Unversohnbares zu
versohnen. Wie zur klassischen Zeit der burgerlichen Okonomie bheben
die Deutschen auch zur Zeit ihres Verfalls bloBe Schiiler, Nachbeter und
Nachtreter, Kleinhausierer des auslandischen GroBgeschafts.
Die eigentumliche historische Entwicklung der deutschen Gesellschaft
schloB hier also jede originelle Fortbildung der "biirgerlichen" Okonomie
aus, aber nicht deren - Kritik. Soweit solche Kritik uberhaupt eine Klasse
vertritt, kann sie nur die Klasse vertreten, deren geschichtlicher Beruf die
Umwalzung der kapitalistischen Produktionsweise und die schlieBliche
Abschaffung der Klassen ist - das Proletariat.
Die gelehrten und ungelehrten Wortfiihrer der deutschen Bourgeoisie
haben "Das Kapital" zunachst totzuschweigen versucht, wie ihnen das mit
meinen friihem Schriften gelungen war. Sobald diese Taktik nicht langer
den Zeitverhaltnissen entsprach, schrieben sie, unter dem Vorwand, mein
Buch zu kritisieren, Anweise "Zur Beruhigung des biirgerhchen
BewuBtseins", fanden aber in der Arbeiterpresse - sieh z.B. Joseph
Dietzgens Aufsatze im Volksstaat" 13 - iiberlegene Kampen, denen sie die
Antwort bis heute schuldig. 14
Eine treffliche russische Ubersetzung des "Kapitals" erschien im Fruhling
1872 zu Petersburg. Die Auflage von 3000 Exemplaren ist jetzt schon
beinahe vergriffen. Bereits 1871 hatte Herr N. Sieber, Professor der
politischen Okonomie an der Universitat zu Kiew, in seiner Schrift: "D.
Ricardos Theorie des Werts und des Kapitals etc." meine Theorie des
Werts, des Geldes und des Kapitals in ihren Grandziigen als notwendige
Fortbildung der Smith-Ricardoschen Lehre nachgewiesen. Was den
Westeuropaer beim Lesen seines gediegnen Buchs iiberrascht, ist das
konsequente Festhalten des rein theoretischen Standpunkts.
Die im "Kapital" angewandte Methode ist wenig verstanden worden, wie
schon die einander widersprechenden Auffassungen derselben beweisen.
So wirft mir die Pariser 'Revue Positiviste' 1 vor, einerseits, ich behandle
die Okonomie metaphysisch, andrerseits - man rate! -, ich beschranke
mich auf bloB kritische Zergliederung des Gegebnen, statt Rezepte
(comtistische?) fur die Garkuche der Zukunft zu verschreiben. Gegen den
Vorwurf der Metaphysik bemerkt Prof. Sieber:
»Soweit es sich um die eigentliche Theorie handelt, ist die Methode
von Marx die deduktive Methode der ganzen englischen Schule, deren
Mangel und Vorziige den besten theoretischen Okonomisten gemein
sind.« [10]
Herr M.Block - "Les Theoriciens du Socialisme en Allemagne.
Extrait du Journal des Economistes, juillet et aout 1872" - entdeckt, daB
meine Methode analytisch ist, und sagt u.a.:
»Par cet ouvrage M. Marx se classe parmi les esprits analytiques les
plus eminents.« lf>
Die deutschen Rezensenten schreien naturlich iiber Hegelsche Sophistik.
Der Petersburger Europaische Bote', in einem Artikel, der ausschlieBlich
die Methode des "Kapital" behandelt (Mainummer 1872, p. 427-436), findet
meine Forschungsmethode streng realistisch, die Darstellungsmethode
aber ungliicldicherweise deutsch-dialektisch. Er sagt:
»Auf den ersten Blick, wenn man nach der aufiern Form der
Darstellung urteilt, ist Marx der griifite Idealphilosoph, und zwar im
deutschen, d.h. schlechten Sinn des Wortes. In der Tat aber ist er
unendlich mehr Realist als alle seine Vorganger im Geschaft der
okonomischen Kritik ... Man kann ihn in keiner Weise einen Idealisten
nennen.«
Ich kann dem Herrn Verfasser 17 nicht besser antworten als durch einige
Ausziige aus seiner eignen Kritik, die zudem manchen meiner Leser, dem
das russische Original unzuganglich ist, interessieren mogen.
Nach einem Zitat aus meiner Vorrede zur "Kritik der Politischen
Okonomie" Berlin 1859, p. IV- VII 18 , wo ich die materialistische Grundlage
meiner Methode erortert habe, fahrt der Herr Verfasser fort:
» Fur Marx ist nur eins wichtig: das Gesetz der Phanomene zu finden,
mit deren Untersuchung er sich beschaftigt. Und ihm ist nicht nur das
Gesetz wichtig, das sie beherrscht, soweit sie eine fertige Form haben
und in einem Zusammenhang stehn. wie er in einer gegebnen
Zeitperiode beobachtet wird. Fur ihn ist noch vor allem wichtig das
Gesetz ihrer Veranderung, ihrer Entwicklung, d.h. der Ubergang aus
einer Form in die andre, aus einer Ordnung des Zusammenhangs in
eine andre. Sobald er einmal dies Gesetz entdeckt hat, untersucht er im
Detail die Folgen, worin es sich im gesellschaftlichen Leben kundgibt...
Demzufolge bemiiht sich Marx nur um eins: durch genaue
wissenschaftliche Untersuchung die Notwendigkeit bestimmter
Ordnungen der gesellschaftlichen Verhaltnisse nachzuweisen und
soviet als moglich untadelhaft die Tatsachen zu konstatieren, die ihm
zu Ausgangs- und Stiitzpunkten dienen. Hierzu ist vollstandig
hinreichend, wenn er mit der Notwendigkeit der gegenwartigen
Ordnung zugleich die Notwendigkeit einer andren Ordnung nachweist,
worin die erste unvermeidlich iibergehn mufi, ganz gleichgiiltig, ob die
Menschen das glauben oder nicht glauben, ob sie sich dessen bewufit
oder nicht bewufit sind. Marx betrachtet die gesellschaftliche
Bewegung als einen naturgeschichtlichen Prozefi, den Gesetze lenken,
die nicht nur von dem Willen, dem Bewufitsein und der Absicht der
Menschen unabhangig sind, sondern vielmehr umgekehrt deren Wollen,
Bewufitsein und Absichten bestimmen... Wenn das bewufite Element in
der Kulturgeschichte eine so untergeordnete Rolle spielt, dann versteht
es sich von selbst, dafi die Kritik, deren Gegenstand die Kultur selbst
ist, weniger als irgend etwas andres, irgendeine Form oder irgendein
Resultat des Bewufitseins zur Grundlage haben kann. Das heifit, nicht
die Idee, sondern nur die aufiere Erscheinung kann ihr als
Ausgangspunkt dienen. Die Kritik wird sich beschrdnken auf die
Vergleichung und Konfrontierung einer Tatsache, nicht mit der Idee,
sondern mit der andren Tatsache. Fur sie ist es nur wichtig, dafi beide
Tatsachen moglichst genau untersucht werden und wirklich die eine
gegeniiber der andren verschiedne Entwicklungsmomente bilden, vor
allem aber wichtig, dafi nicht minder genau die Serie der Ordnungen
erforscht wird, die Aufeinanderfolge und Verbindung, worin die
Entwicklungsstufen erscheinen. Aber, wird man sagen, die allgemeinen
Gesetze des okonomischen Lebens sind ein und dieselben; ganz
gleichgiilt, ob man sie auf Gegenwart oder Vergangenheit anwendet.
Grade das leugnet Marx. Nach ihm existieren solche abstrakte Gesetze
nicht... Nach seiner Meinung besitzt im Gegenteil jede historische
Periode ihre eignen Gesetze... Sobald das Leben eine gegebene
Entwicklungsperiode uberlebt hat, aus einem gegebnen Stadium in ein
andres ubertritt, beginnt es auch durch andre Gesetze gelenkt zu
werden. Mit einem Wort, das okonomische Leben bietet uns eine der
Entwicklungsgeschichte auf andren Gebieten der Biologie analoge
Erscheinung... Die alten Okonomen verkannten die Natur
okonomischer Gesetze, als sie dieselben mit den Gesetzen der Physik
und Chemie verglichen... Eine tiefere Analyse der Erscheinungen
bewies, dafi soziale Organismen sich voneinander ebenso griindlich
unterscheiden als Pflanzen- und Tierorganismen... ja, eine und dieselbe
Erscheinung unterliegt ganz und gar verschiednen Gesetzen infolge
des verschiednen Gesamtbaus jener Organismen, der Abweichung
ihrer einzelnen Organe, des Unterschieds der Bedingungen, worin sie
funktionieren usw. Marx leugnet z.B., dafi das Bevolkerungsgesetz
dasselbe ist zu alien Zeiten und an alien Orten. Er versichert im
Gegenteil, dafi jede Entwicklungsstufe ihr eignes Bevolkerungsgesetz
hat... Mit der verschiednen Entwicklung der Produktivkraft dndern sich
die Verhaltnisse und die sie regelnden Gesetze. Indem sich Marx das
Ziel stellt, von diesem Gesichtspunkt aus die kapitalistische
Wirtschaftsordnung zu erforschen und zu erklaren formuliert er nur
streng wissenschaftlich das Ziel, welches jede genaue Untersuchung
des okonomischen Lebens haben mufi... Der wissenschaftliche Wert
soldier Forschung liegt in der Aufklarung der besondren Gesetze,
welche Entstehung, Existenz, Entwicklung, Tod eines gegebenen
gesellschaftlichen Organismus und seinen Ersatz durch einen andren,
hoheren regeln. Und diesen Wert hat in der Tat das Buch von Marx.«
Indem der Herr Verfasser das, was er meine wirkliche Methode nennt, so
treffend und, soweit meine personliche Anwendung derselben in Betracht
kommt, so wohlwollend schildert, was andres hat er geschildert als die
dialektische Methode?
Allerdings muB sich die Darstellungsweise formell von der
Forschungsweise unterscheiden. Die Forschung hat den Stoff sich im
Detail anzueignen, seine verschiednen Entwicklungsformen zu analysieren
und deren innres Band aufzuspuren. Erst nachdem diese Arbeit vollbracht,
kann die wirkliche Bewegung entsprechend dargestellt werden.Gelingt dies
und spiegelt sich nun das Leben des Staffs ideell wider, so mag es
aussehn, als habe man es mit einer Konstruktion a priori zu tun.
Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen
nicht nur verschieden, sondern hir direktes Gegenteil. Fur Hegel ist der
DenkprozeB, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbstandiges
Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine auBere
Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts andres als das
im Menschenkopf umgesetzte und ubersetzte Materielle.
Die mystifizierende Seite der Hegelschen Dialektik habe ich vor beinah 30
Jahren, zu einer Zeit kritisiert, wo sie noch Tagesmode war. Aber grade als
ich den ersten Band des "Kapital" ausarbeitete, gefiel sich das
verdrieBliche, anmaBliche und mittelmaBige Epigonentum 19 , welches jetzt
im gebildeten Deutschland das groBe Wort fuhrt, darin, Hegel zu
behandeln, wie der brave Moses Mendelssohn zu Lessings Zeit den
Spinoza behandelt hat, namlich als "to ten Hund". Ich bekannte mich daher
off en als Schuler jenes groBen Denkers und kokettierte sogar hier und da
im Kapitel iiber die Werttheorie mit der ihm eigentiimUchen
Ausdrucksweise.
Die Mystifikation, welche die Dialektik in Hegels Handen erleidet,
verhindert in keiner Weise, daB er ihre allgemeinen Bewegungsformen
zuerst in umfassender und bewuBter Weise dargestellt hat. Sie steht bei
ihm auf dem Kopf. Man muB sie umstiilpen, um den rationellen Kern in
der mystischen Hiille zu entdecken.
In ihrer mystifizierten Form ward die Dialektik deutsche Mode, weil sie das
Bestehende zu verklaren schien. In Ihrer rationellen Gestalt ist sie dem
Burgertum und seinen doktrinaren Wortfiihrern ein Argernis und ein
Greuel, weil sie in dem positiven Verstandnis des Bestehenden zugleich
auch das Verstandnis seiner Negation, seines notwendigen Untergangs
einschlieBt, jede gewordne Form im Flusse der Bewegung, also auch nach
ihrer verganglichen Seite auffaBt, sich durch nichts imponieren laBt, ihrem
Wesen nach kritisch und revolutionar ist.
Die widerspruchsvolle Bewegung der kapitalistischen Gesellschaft macht
sich dem praktischen Bourgeois am schlagendsten fuhlbar in den
Wech self alien des periodischen Zyklus, den die moderne Industrie
durchlauft, und deren Gipfelpunkt - die allgemeine Krise. Sie ist wieder im
Anmarsch, obgleich noch begriffen in den Vorstadien, und wird durch die
Allseitigkeit ihres Schauplatzes, wie die Intensitat ihrer Wirkung, selbst den
Gluckspilzen des neuen heihgen, preuBisch-deutschen Reichs Dialektik
einpauken.
London, 24. Januar 1873
Karl Marx
Vor- und Nachwort zur franzosischen Ausgabe
London, 18 Marz 1872
An den Burger Maurice La Chatre
Werter Burger!
Ich begriiBe Ihre Idee, die Ubersetzung des "Kapitals" in periodischen
Lieferungen herauszubringen. In dieser Form wird das Werk der
Arbeiterklasse leichter zuganglich sein, und diese Erwagung ist fur mich
wichtiger als alle anderen.
Das ist die Vorderseite Ihrer Medaille, aber hier ist auch die Kehrseite:
Die Untersuchungsmethode, deren ich mich bedient habe und die auf
okonomische Probleme noch nicht angewandt wurde, macht die Lekture
der ersten Kapitel ziemlich schwierig, und es ist zu befurchten, daB das
franzosische Publikum, stets ungeduldig nach dem Ergebnis und begierig,
den Zusammenhang zwischen den allgemeinen Grundsatzen und den
Fragen zu erkennen, die es unmittelbar bewegen, sich abschrecken laBt,
weil es nicht sofort weiter vordringen kann.
Das ist ein Nachteil, gegen den ich nichts weiter unternehmen kann, als
die nach Wahrheit strebenden Leser von vornherein darauf hinzuweisen
und gefaBt zu machen. Es gibt keine LandstraBe fur die Wissenschaft, und
nur diejenigen haben Aussicht, ihre lichten Hohen zu erreichen, die die
Miihe nicht scheuen, ihre steilen Pfade zu erklimmen.
Karl Marx
An den Leser
Herr J.Roy hat es unternommen, eine so genaue und selbst wortliche
Ubersetzung wie moglich zu geben; er hat seine Aufgabe peinlich genau
erfullt. Aber gerade seine peinliche Genauigkeit hat mich gezwungen, die
Fassung zu andern, um sie dem Leser zuganglicher zu machen. Diese
Anderungen, die von Tag zu Tag gemacht wurden, da das Buch in
Lieferungen erschien, sind mit ungleicher Sorgfalt ausgefuhrt worden und
muBten Stilungleichheiten hervorrufen.
Nachdem ich mich dieser Revisionsarbeit einmal unterzogen hatte, bin ich
dazu gekommen, sie auch auf den zugrunde gelegten Originaltext
anzuwenden (die zweite deutsche Ausgabe), einige Erorterungen zu
vereinfachen, andre zu vervollstandigen, erganzendes historisches oder
statistisches Material zu geben, kritische Bemerkungen hinzuzufugen etc.
Welches auch die literarischen Mangel dieser franzosischen Ausgabe sein
mogen, sie besitzt einen wissenschaftlichen Wert unabhangig vom Original
und sollte selbst von Lesern herangezogen werden, die der deutschen
Sprache machtig sind.
Ich gebe weiter unten die Stellen des Nachworts zur zweiten deutschen
Ausgabe, die sich mit der Entwicklung der politischen Okonomie in
Deutschland und der in diesem Werk angewandten Methode befassen. 20
London, 28. April 1875
Karl Marx
Zur dritten Auflage
Es war Marx nicht vergonnt, diese dritte Auflage selbst druckfertig zu
machen. Der gewaltige Denker, vor dessen GroBe sich jetzt auch die
Gegner neigen, starb am 14. Marz 1883.
Auf mich, der ich in ihm den vierzigjahrigen, besten, unverbriichlichsten
Freund verlor, den Freund, dem ich mehr verdanke, als sich mit Worten
sagen laBt, auf mich fiel nun die Pflicht, die Herausgabe sowohl dieser
dritten Auflage wie des handschriftlich hinterlassenen zweiten Bandes zu
besorgen. Wie ich den ersten Teil dieser Pflicht erfullt, dariiber bin ich dem
Leser hier Rechenschaft schuldig.
Marx hatte anfangs vor, den Text des ersten Bandes groBenteils
umzuarbeiten, manche theoretischen Punkte scharfer zu fassen, neue
einzufugen, das geschichtliche und statistische Material bis auf die neueste
Zeit zu erganzen. Sein Krankheitszu stand und der Drang, zur
SchluBredaktion des zweiten Bandes zu kommen, lieBen ihn hierauf
verzichten. Nur das Notigste sollte geandert, nur die Zusatze eingefugt
werden, die die inzwischen erschienene franzosische Ausgabe ("Le
Capital. Par Karl Marx", Paris, Lachatre 1873 2 ') schon enthielt.
Im NachlaB fand sich denn auch ein deutsches Exemplar, das von ihm
stellenweise koigiert und mit Hinweisen auf die franzosische Ausgabe
versehen war; ebenso ein franzosisches, worin er die zu benutzenden
Stellen genau bezeichnet hatte. Diese Anderungen und Zusatze
beschranken sich, mit wenigen Ausnahmen, auf den letzten Teil des
Buchs, den Abschnitt: Der AkkurnulationsprozeB des Kapitals. Hier folgte
der bisherige Text mehr als sonst dem urspriinglichen Entwurf, wahrend
die friiheren Abschnitte griindlicher iiberarbeitet waren. Der Stil war daher
lebendiger, mehr aus einem GuB, aber auch nachlassiger, mit Anglizismen
versetzt, stellenweise undeutlich; der Entwicklungsgang bot hier und da
Liicken, indem einzelne wichtige Momente nur angedeutet waren.
Was den Stil betrifft, so hatte Marx mehrere Unterabschnitte selbst
griindlich revidiert und mir darin, sowie in haufigen mundlichen
Andeutungen, das MaB gegeben, wie weit ich gehn durfte in der
Entfernung englischer technischer Ausdriicke und sonstiger Anglizismen.
Die Zusatze und Erganzungen hatte Marx jedenfalls noch iiberarbeitet und
das glatte Franzosisch durch sein eignes gedrungenes Deutsch ersetzt; ich
muBte mich begniigen, sie unter moglichstem AnschluB an den
urspriinglichen Text zu ubertragen.
Es ist also in dieser dritten Auflage kein Wort geandert, von dem ich
nicht bestimmt weiB, daB der Verfasser selbst es geandert hatte. Es konnte
mir nicht in den Sinn kommen, in das "Kapital" den landlaufigen Jargon
einzufiihren, in welchem deutsche Okonomen sich auszudriicken pflegen,
jenes Kauderwelsch, worin z.B. derjenige, der sich fur bare Zahlung von
andern ihre Arbeit geben laBt, der Arbeitgeber heiBt, und Arbeitnehmer
derjenige, dessen Arbeit ihm fiir Lohn abgenommen wird. Auch im
Franzosischen wird travail im gewohnlichen Leben im Sinn von
"Beschaftigung" gebraucht. Mit Recht aber wiirden die Franzosen den
Okonomen fiir verriickt halten, der den Kapitalisten donneur de travail,
und den Arbeiter receveur de travail nennen wo lite.
Ebensowenig habe ich mir erlaubt, das im Text durchweg gebrauchte
englische Geld, MaB und Gewicht auf seine neudeutschen Aquivalente zu
reduzieren. Als die erste Auflage erschien, gab es in Deutschland so viel
Arten von MaB und Gewicht wie Tage im Jahr, dazu zweierlei Mark (die
Reichsmark gait damals nur im Kopf Soetbeers, der sie Ende der dreiBiger
Jahre erfunden), zweierlei Gulden und mindestens dreierlei Taler, darunter
einer, dessen Einheit das neue Zweidrittel" 22 war. In der Naturwissenschaft
herrschte metrisches, auf dem Weltmarkt englisches MaB und Gewicht.
Unter solchen Umstanden waren englische MaBeinheiten
selbstverstandlich fiir ein Buch, das seine tatsachlichen Belege fast
ausschlieBlich aus englischen industriellen Verhaltnissen zu nehmen
genotigt war. Und dieser letzte Grand bleibt auch noch heute
entscheidend, um so mehr, als die bezuglichen Verhaltnisse auf dem
Weltmarkt sich kaum geandert haben und namentlich fiir die
ausschlaggebenden Industrien - Eisen und Baumwolle - englisches MaB
und Gewicht noch heute fast ausschlieBlich herrscht.
SchlieBlich noch ein Wort iiber Marx' wenig verstandne Art zu zitieren.
Bei rein tatsachlichen Angaben und Schilderungen dienen die Zitate, z.B.
aus den englischen Blaubiichern, selbstredend als einfache Belegstellen.
Anders aber da, wo theoretische Ansichten andrer Okononen zitiert
werden. Hier soil das Zitat nur feststellen, wo, wann und von wem ein im
Lauf der Entwicklung sich ergebender okonomischer Gedanke zuerst klar
ausgesprochen ist. Wobei es nur darauf ankommt, daB die fragliche
okonomische Vorstellung fiir die Geschichte der Wissenschaft Bedeutung
hat, daB sie der mehr oder weniger adaquate theoretische Ausdruck der
okonomischen Lage ihrer Zeit ist. Ob aber diese Vorstellung fiir den
Standpunkt des Verfassers noch absolute oder relative Geltung hat, oder
ob sie bereits ganz der Geschichte verfallen, darauf kommt es ganz und gar
nicht an. Diese Zitate bilden also nur einen der Geschichte der
okonomischen Wissenschaft entlehnten laufenden Kommentar zum Text
und stellen die einzelnen wichtigeren Fortschritte der okonomischen
Theorie nach Datum und Urheber fest. Und das war sehr notig in einer
Wissenschaft, deren Geschichtschreiber bisher nur durch tendenziose, fast
streberhafte Unwissenheit sich auszeichnen. - Man wird es nun auch
begreiflich finden, weshalb Marx, im Einklang mit dem Nachwort zur
zweiten Ausgabe, nur ganz ausnahmsweis deutsche Okonomen
anzufuhren in den Fall kommt.
Der zweite Band wird hoffentlich im Laufe des Jahres 1884 erscheinen
konnen.
London, 7 November 1883 Friedrich
Engels
Vorwort zur englischen Ausgabe
Die Veroffentlichung einer englischen Ausgabe des "Kapital" bedarf
keiner Rechtfertigung. Im Gegenteil, es kann eine Erklarung dariiber
erwartet werden, waram diese englische Ausgabe bis jetzt verzogert
worden ist, wenn man sieht, daB seit einigen Jahren die in diesem Buch
vertretenen Theorien in der periodischen Presse und Tagesliteratur sowohl
England s wie Amerikas standig erwahnt, angegriffen und verteidigt, erklart
und miBdeutet wurden.
Als es, bald nach dem Tode des Verfassers im Jahre 1883, klar wurde,
daB eine englische Ausgabe des Werkes wirklich benotigt wurde, erklarte
sich Herr Samuel Moore, ein langjahriger Freund Marx' und des Schreibers
dieser Zeilen, und mit dem Buch selbst vertrauter vielleicht als irgend
jemand, dazu bereit, die Ubersetzung zu ubernehmen, die es die
literarischen Testamentsvollstrecker von Marx drangte, der Offentlichkeit
vorzulegen. Es wurde vereinbart, daB ich das Manuskript mit dem Original
vergleichen und solche Anderungen vorschlagen sollte, die ich fur ratsam
hielte. Als es sich nach und nach herausstellte, daB seine beruflichen
Beschaftigungen Herrn Moore hinderten, die Ubersetzung so schnell
fertigzustellen, wie war alle wunschten, nahmen wir freudig das Angebot
Dr. Avelings an, einen Teil der Arbeit zu ubernehmen; Gleichzeitig erbot
sich Frau Aveling, Marx' jungste Tochter, die Zitate zu kontrollieren und
den Originaltext der zahlreichen, enghschen Autoren und Blaubuchern
entnommenen und von Marx ins Deutsche ubersetzten Stellen
wiederherzustellen. Das ist durchgangig geschehen bis auf einige
unvermeidbare Ausnahmen.
Folgende Teile des Buches sind von Dr. Aveling uberetzt worden: 1. Die
Kapitel X (Der Arbeitstag) und XI (Rate und Masse des Mehrwerts); 2. der
Abschnitt VI (Der Arbeitslohn, umfassend die Kapitel XIX bis XXII); 3.
von Kapitel XXIV, Abteilung 4 (Umstande, welche usw.) bis zum Ende
des Buches, umfassend den letzten Teil von Kapitel XXIV, Kapitel XXV
und den ganzen Abschnitt VIII (die Kapitel XXVI bis XXXIII); 4. die zwei
Vorworte des Verfassers. Der iibrige Teil des Buches ist von Herrn Moore
iibersetzt worden. 23 Wahrend so jeder der Ubersetzer fiir seinen An teil an
l.Die Numerierung der Kapitel der englischen Ausgabe des ersten Bandes des "Kapitals" stimmt
nicht mit der Numerierung in den deutschen Ausgaben uberein.
l."Le Capital. Par Karl Marx", Ubersetzung von M.J. Roy, vom Autor vollig durchgesehen, Paris,
Lachatre. Diese Ubersetzung enthalt besonders im letzten Teil des Buchs betrachtliche Veranderungen und
Erganzungen zum Text der zweiten deutschen Ausgabe.
l.Bei der Vierteljahrversammlung der Handelskammer von Manchester, die heute nachmittag
abgehalten wurde, fand eine lebhafte Diskussion aber die Freihandelsfrage statt. Eine Resolution wurde
eingebracht in dem Sinne, daB "man 40 Jahre vergebens darauf gewartet hat, daB andre Nationen dem von
England gegebenen Beispiel des Freihandels folgen, und die Kammer nun die Zeit fur gekommen halt,
diesen Standpunkt zu andern". Die Resolution wurde mit nur einer Stimme Mehrheit abgelehnt, bei dem
StimmenverhaTtnis von 21 fur und 22 dagegen. ('Evening Standard', 1. Nov. 1886.)
2."proslavery rebellion" (Rebellion fiir die Sklaverei) - ein Aufruhr, den die Sklavenhalter des
Siidens der USA auslosten und der zum Burgerkrieg 1861-1865 fiihrte.
l.Siehe Kapital, Band 1 S.130, 517-519, 610-613, 655-657, 660
2.Siehe Kapital, Band 1, S.519-525
l.Im Kapital, Band 1 in geschweiften Klammern { ) und mit F.E. bezeichnet.
30 l.Siehe Kapital, 1. Bd., S.625
l.Mit der Entlarvung wiederholter verleumderischer Angriffe seitens der Vertreter der
Bourgeoisie, die Marx vorwarfen, er habe bewuBt ein Zitat aus einer Rede Gladstones vom 16. April 1863
verfalscht, beschaftigte sich Engels in einer speziellen Arbeit: »In Sachen Brentano contra Marx wegen
angeblicher Citatsfalschung. Geschichtserzdhlung und Dokumente«. Diese Arbeit erschien 1891 in
Hamburg. (Siehe MEw, Band 22.)
l.siehe MEW, Band 16, S.3-13
2.siehe Kapital, 1. Bd., S. 680/681
l.»So steht's mit dem Reichtum dieses Landes. Ich fiir meinen Teil wurde beinahe mit Besorgnis
und mit Pein auf diese berauschende Vermehrung von Reichtum und Macht blicken, wenn ich sie auf
die wohlhabenden Klassen beschrdnkt glaubte. Es ist hier gar keine Notiz genommen von der
arbeitenden Bevolkerung. Die Vermehrung, die ich beschrieben habe, ist ganz und gar beschrdnkt auf
Eigentumsklassen. «
l.Erfindung des Laskerchen contra Bebel - In der Reichstagssitzung vom 8. November 1871
erklarte der nationalliberale Abgeordnete Lasker in einer Polemik gegen Bebel, wenn die deutschen
Arbeiter sich einfallen lieBen, dem Beispiel der Pariser Kommunarden nachzueifern, so wiirde »der
redliche und besitzende Burger sie mit Kniippeln totschlagen«. Der Redner entschloB sich jedoch nicht,
diese Formulierung zu veroffentlichen, und bereits im stenografischen Bericht standen statt »sie mit
Kniippeln totschlagen« die Worte »mit eigener Macht sie niederhalten«. Diese Verfalschung deckte
Bebel auf. Lasker wurde zum Gegenstand des Spottes unter den Arbeitern. Wegen seines kleinen Wuchses
gab man ihm den Spitznamen "Laskerchen".
1. Engels wandelt hier die Worte des Prahlhans' und Feiglings Falstaff ab, der erzahlt, wie er allein
gegen fiinfzig Personen gekampft habe. (Shakespeare, "Konig Heinrich der Vierte", 1. Teil, 2. Aufzug, 4.
Szene.)
l.Siehe vorl. Band, S. 682
I.Karl Marx: "Zur Kritik der Politischen Okonomie", Berlin 1859, pag. 3. (Band 13 MEW)
l.»Verlangen schliefit Bedurfnis ein; es ist der Appetit des Geistes, und so naturlich wie
Hunger fiir den Korper... die meisten (Dinge) haben ihren Wert daher, dafS sie die Bedurfnisse des
Geistes befriedigen.« (Nicholas Barbon: "A Discourse on coining the new money lighter. In answer to Mr.
Locke's Considerations etc.", London 1696, p. 2,3.)
der Arbeit allein verantwortlich ist, trage ich eine Gesamtverantwortung fur
das Ganze.
Die dritte deutsche Ausgabe, die durchweg zur Grundlage unserer Arbeit
genommen wurde, ist von mir 1883 vorbereitet worden unter
Zuhilfenahme der vom Verfasser hinterlassenen Notizen, die jene Stellen
der zweiten Ausgabe angeben, welche durch bezeichnete Stellen des 1873
veroffentlichten franzosischen Textes ersetzt werden sollten. 24 Die so im
Text der zweiten Ausgabe zustande gekommenen Veranderungen
stimmten im allgemeinen mit den Anderungen iiberein, die Marx in einer
Reihe von handschriftlichen Anweisungen fiir eine englische Ubersetzung
vorgeschrieben hat, die vor zehn Jahren in Amerika geplant war, aber
hauptsachlich aus Mangel an einem tiichtigen und geeigneten Ubersetzer
aufgegeben wurde. Dies Manuskript wurde uns von unserem alten Freund,
Herrn FA. Sorge in Hoboken, N[ew] J[ersey], zur Verfiigung gestellt. Es
bezeichnet noch einige weitere Einschaltungen aus der franzosischen
Ausgabe; aber da es so viele Jahre alter ist als die letzten Anweisungen fiir
die dritte Ausgabe, habe ich mich nicht fiir befugt gehalten, anders davon
Gebrauch zu machen als ausnahmsweise und besonders in Fallen, in
denen es uns iiber Schwierigkeiten hinweghalf. Ebenso ist der franzosische
Text bei den meisten schwierigen Stellen herangezogen worden als
Anhaltspunkt dafur, was der Verfasser selbst zu opfern bereit war, wo
immer etwas von der ganzen Bedeutung des Originals in der Ubersetzung
geopfert werden muBte.
Eine Schwierigkeit besteht dennoch, die wir dem Leser nicht ersparen
konnten: die Benutzung von gewissen Ausdriicken in einem nicht nur vom
Sprachgebrauch des taglichen Lebens, sondern auch dem der
gewohnlichen politischen Okonomie verschiednen Sinne. Doch dies war
unvermeidlich. Jede neue Auffassung einer Wissenschaft schlieBt eine
Revolution in den Fachausdriicken dieser Wissenschaft ein. Dies beweist
am besten die Chemie, in der die gesamte Terminologie ungefahr alle
zwanzig Jahre radikal geandert wird und wo man kaum eine organische
Vezbindung finden wifd, die nicht eine ganze Reihe von verschiednen
Namen durchgemacht hat. Die politische Okonomie hat sich im
allgemeinen damit zufriedengegeben, die Ausdriicke des kommerziellen
und industriellen Lebens, so wie sie waren, zu nehmen und mit ihnen zu
operieren, wobei sie vollkommen iibersehen hat, daB sie sich dadurch auf
den engen Kreis der durch diese Worte ausgedriickten Ideen beschrankte.
So ist selbst die klassische politische Okonomie, obgleich sie sich
vollkommen bewuBt war, daB sowohl Profit wie Rente nur
Unterabtellungen, Stucke jenes unbezahlten Teils des Produkts sind, das
der Arbeiter seinem Unternehmer (dessen erstem Aneigner, obgleich nicht
letztem, ausschlieBlichem Beitzer) liefern muB, doch niemals iiber die
iiblichen Begriffe von Profit und Rente hinausgegangen, hat sie niemals
diesen unbezahlten Teil des Produkts (von Marx Mehrprodukt genannt) in
seiner Gesamtheit als ein Ganzes untersucht und ist deshalb niemals zu
einem klaren Verstandnis gekommen weder seines Ursprungs und seiner
Natur noch auch der Gesetze, die die nachtragliche Veirteilung seines
Werts regeln. Ahnlich wird alle Industrie, soweit nicht Landwirtschaft oder
Handwerk, unterschiedlos in dem Ausdruck Manufaktur zusammengefaBt
und dadurch die Unterscheidung zwischen zwei groBen und wesentlich
verschiednen Perioden der okonomischen Geschichte ausgeloscht: der
Periode der eigentlichen Manufaktur, die auf der Teilung der Handarbeit,
und der Periode der modernen Industrie, die auf der Maschinerie beruht.
Es ist indessen selbstverstandlich, daB eine Theorie, die die moderne
kapitalistische Produktion als eine bloBe Entwicklungsstufe der
okonomischen Geschichte der Menschheit ansieht, andre Ausdriicke
gebrauchen muB als die jenen Schriftstellern gewohnten, welche diese
Produktionsweise als unverganglich und endgultig ansehn.
Ein Wort iiber die Methode des Verfassers zu zitieren, mag nicht
unangebracht sein. In der Mehrzahl der Falle dienen die Zitate in der
ublichen Weise als dokumentarische Belege ftir im Text aufgestellte
Behauptungen. Aber in vielen Fallen werden Stellen aus okonomischen
Schriftstellern angefuhrt, um aufzuzeigen, wann, wo und von wem eine
bestimmte Ansieht zum erstenmal klar ausgesprochen wurde. Das
geschieht in solchen Fallen, wo die angefuhrte Meinung von Wichtigkeit
ist als mehr oder weniger adaquater Ausdruck der zu einer gewissen Zeit
vorherrschenden Bedingungen der gesellschaftlichen Produktion und des
Austauschs, und ganz unabhangig davon, ob sie Marx anerkennt oder ob
sie allgemein gultig. Diese Zitate versehen daher den Text mit einem der
Geschichte der Wissenschaft entlehnten laufenden Kommentar.
Unsere Ubersetzung umfaBt nur das erste Buch des Werkes. Aber dieses
erste Buch ist in hohem MaBe ein Ganzes in sich selbst und hat zwanzig
Jahre lang ftir ein selbstandiges Werk gegolten. Das zweite Buch, das ich
1885 in deutscher Sprache herausgegeben habe, ist entschieden
unvollstandig ohne das dritte, das nicht vor Ende 1887 veroffentlicht
werden kann. Wenn Buch III im deutschen Original herausgebracht ist,
wird es friih genug sein, an die Vorbereitung einer englischen Ausgabe von
beiden zu denken.
"Das Kapital" wird auf dem Kontinent oft "die Bibel der Arbeiterklasse"
genannt. DaB die in diesem Werk gewonnenen SchluBfolgerungen taglich
mehr und mehr zu den grundlegenden Prinzipien der groBen Bewegung
der Arbeiterklasse werden, nicht nur in Deutschland und der Schweiz,
sondern auch in Frankreich, in Holland und Belgien, in Amerika und selbst
in Italien und Spanien; daB uberall die Arbeiterklasse in diesen
SchluBfolgerungen mehr und mehr den angemessensten Ausdruck ihrer
Lage und ihrer Bestrebungen anerkennt, das wird niemand leugnen, der
mit dieser Bewegung vertraut ist. Und auch in England iiben die Theorien
von Marx gerade in diesem Augenblick einen machtvollen EinfluB auf die
sozialistische Bewegung aus, die sich in den Reihen der "Gebildeten" nicht
weniger ausbreitet als in den Reihen der Arbeiterklasse. Aber das ist nicht
alles. Die Zeit riickt schnell heran, wo eine griindliche Untersuchung der
okonomischen Lage Englands sich aufzwingen wird als eine
unwiderstehliche nationale Notwendigkeit. Der Gang des industriellen
Systems Englands, der unmoglich ist ohne eine standige und schnelle
Ausdehnung der Produktion und daher der Markte, ist zum Stillstand
gekommen. Der Freihandel hat seine Hilfsquellen erschopft; selbst
Manchester zweifelt an diesem seinem ehemaligen okonomischen
Evangelium. 25 Die sich schnell entwickelnde auslandische Industrie starrt
der englischen Produktion uberall ins Gesicht, nicht nur auf
zollgeschutzten, sondern auch auf neutralen Markten und sogar diesseits
des Kanals. Wahrend die Produktivkraft in geometrischer Reihe wachst,
schreitet die Ausdehnung der Markte bestenfalls in einer arithmetischen
Reihe fort. Der zehnjahrige Zyklus von Stagnation, Prosperitat,
Uberproduktion und Krise, der von 1825 bis 1867 immer wiederkehrte,
scheint allerdings abgelaufen zu sein; aber nur um uns im Sumpf der
Verzweiflung einer dauernden und chronischen Depression landen zu
lassen. Die ersehnte Periode der Prosperitat will nicht kommen; sooft wir
die sie ankundigenden Symptome zu erblicken glauben, sooft
verschwinden sie wieder in der Luft. Inzwischen stellt jeder folgende
Winter erneut die Frage: "Was tun mit den Arbeitslosen?" Aber wahrend
die Zahl der Arbeitslosen von Jahr zu Jahr anschwillt, ist niemand da, um
diese Frage zu bean two rten; und wir konnen den Zeitpunkt beinahe
berechnen, wo die Arbeitslosen die Geduld verlieren und ihr Schicksal in
ihre eignen Hande nehmen werden. In einem solchen Moment sollte
sicherlich die Stimme eines Mannes gehort werden, dessen ganze Theorie
das Ergebnis eines lebenslangen Studiums der okonomischen Geschichte
und Lage Englands ist und den dieses Studium zu dem SchluB gefuhrt hat,
daB, zumindest in Europa, England das einzige Land ist, wo die
unvermeidliche soziale Revolution ganzlich mit friedlichen und
gesetzlichen Mitteln durchgefuhrt werden konnte. GewiB hat er nie
vergessen hinzuzufugen, daB er kaum erwarte, die herrschenden Klassen
Englands wiirden sich ohne "proslavery rebellion" 26 dieser friedlichen und
gesetzlichen Revolution unterwerfen.
5. November 1886 Friedrich
Engels
Zur vierten Auflage
Die vierte Auflage forderte von mir eine moglichst endgiiltige
Feststellung des Textes sowohl wie der Anmerkungen. Wie ich dieser
Anforderung nachgekommen, dariiber kurz folgendes.
Nach nochmaliger Vergleichung der franzosischen Ausgabe und der
handschriftlichen Notizen von Marx habe ich aus jener noch einige
Zusatze in den deutschen Text aufgenommen. Sie finden sich auf S.80
(dritte Auflage, S.88), S.458-460 (dritte, S.509-510), S.547-551 (dritte,
S.600), S.591-593 (dritte, S.644) und S.596 (dritte, S.648) in der Note 79 27 .
Ebenso habe ich nach Vorgang der franzosischen und englischen Ausgabe
die lange Anmerkung iiber die Bergwerksarbeiter (dritte Aufl., S. 509 - 515)
in den Text gesetzt (vierte Aufl., S.461-467) 28 . Sonstige kleine Anderungen
sind rein technischer Natur.
Ferner habe ich noch einige erlauternde Zusatznoten gemacht,
namentlich da, wo veranderte geschichtliche Umstande dies zu erfordern
schienen. Alle diese Zusatznoten sind in eckige Klammern gesetzt und mit
meinen Anfangsbuchstaben oder mit "D.H." bezeichnet. 29
Eine vollstandige Revision der zahlreichen Zitate war notwendig
geworden durch die inzwischen erschienene englische Ausgabe. Fiir diese
hatte Marx' jungste Tochter Eleanor sich der Miihe unterzogen, samtliche
angefuhrte Stellen mit den Originalen zu vergleichen, so daB in den bei
weitem vorwiegenden Zitaten aus englischen Quellen dort keine
Ruckubersetzung aus dem Deutschen, sondern der englische Originaltext
selbst erscheint. Es lag mir also ob, diesen Text bei der vierten Auflage zu
Rate zu ziehn. Es fanden sich dabei mancherlei kleine Ungenauigkeiten.
Hinweise auf unrichtige Seitenzahlen, teils beim Kopieren aus den Heften
verschrieben, teils im Verlauf von drei Auflagen gehaufte Druckfehler.
Unrichtig gesetzte Anfiihrungszeichen oder Luckenpunkte, wie dies bei
massenhaftem Zitieren aus Auszugsheften unvermeidhch. Hier und da ein
weniger gliicklich gewahltes Ubersetzungswort. Einzelne Stellen zitiert aus
den alten Pariser Heften 1843-1845, wo Marx noch kein Englisch verstand
und englische Okonomen in franzosischer Ubersetzung las; wo denn der
doppelten Ubersetzung eine leichte Anderung der Klangfarbe entsprach,
z.B. bei Steuart, Ure u.a. - wo jetzt der englische Text zu benutzen war.
Und was dergleichen kleine Ungenauigkeiten und Nachlassigkeiten mehr
sind. Wenn man nun die vierte Auflage mit den vorigen vergleicht, so wird
man sich uberzeugen, daB dieser ganze muhsame BerichtigungsprozeB an
dem Buch aber auch nicht das geringste geandert hat, das der Rede wert
ist. Nur ein einziges Zitat hat nicht gefunden werden konnen, das aus
Richard Jones (4. Aufl., S.562, Note 47 30 ); Marx hat sich wahrscheinlich
im Titel des Buches verschrieben. Alle andern behalten ihre voile
Beweiskraft oder verstarken sie in der jetzigen exakten Form.
Hier aber bin ich genotigt, auf eine alte Geschichte zuruckzukommen.
Es ist mir namlich nur ein Fall bekannt, wo die Richtigkeit eines
Marxschen Zitats in Zweifel gezogen worden. Da dieser aber bis iiber
Marx' Tod hinaus gespielt hat, kann ich inn hier nicht gut ubergehn. 31
In der Berliner 'Concordia', dem Organ des deutschen
Fabrikantenbundes, erschien am 7. Marz 1872 ein anonymer Artikel: "Wie
Karl Marx citiert." Hier wurde mit iiberreichlichem Aufwand von sittlicher
Entriistung und von unparlamentarischen Ausdriicken behauptet, das Zitat
aus Gladstones Budgetrede vom 16. April 1863 (in der Inauguraladresse
der Internationalen Arbeiterassoziation von 1864 32 und wiederholt im
"Kapital", I, S.617, vierte AufL, Seite 670-671, dritte Aufl. 33 ) sei gefalscht.
Der Satz: »Diese berauschende Vermehrung von Reichtum und Macht ...
ist ganz und gar aufdie besitzenden Klassen beschrankt« , stehe mit
keinem Wort im (quasioffiziellen) stenographischen Bericht von Hansard.
»Dieser Satz befindet sich aber nirgends in der Gladstoneschen Rede.
Gerade das Gegenteil ist in derselben gesagt.« (Mit fetter Schrift) »Marx
hat den Satzformell und materiell hinzugelogen!«
Marx, dem diese Nr. der 'Concordia' im folgenden Mai zugesandt wurde,
antwortete dem Anonymus im 'Volksstaat' vom 1. Juni. Da er sich nicht
mehr erinnerte, nach welchem Zeitungsreferat er zitierte, beschrankte er
sich darauf, das gleichlautende Zitat zunachst in zwei englischen Schriften
nachzuweisen, und sodann das Referat der 'Times' zu zitieren, wonach
Gladstone sagt:
»That is the state of the case as regards the wealth of this country. I
must say for one, I should look almost with apprehension and with
pain upon this intoxicating augmentation of wealth and power, if it
were my belief that it was confined to classes who are in easy
circumstances. This takes no cognizance at all of the condition of the
labouring population. The augmentation I have described and which is
founded, I think, upon accurate returns, is an augmentation entirely
confined to classes of property. « 34
Also Gladstone sagt hier, es wiirde ihm leid tun, wenn dem so ware,
aber es sei so: Diese berauschende Vermehrung vom Macht und Reichtum
sei ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschrankt. Und was den
quasioffiziellen Hansard betrifft, so sagt Marx weiter: »In seiner hier
nachtrdglich zurechtgestumperten Ausgabe war Herr Gladstone so
gescheit, die im Munde eines englischen Schatzkanzlers allerdings
kompromittierliche Stelle wegzupfuschen. Es ist dies ubrigens
herkommlicher englischer Parlamentsbrauch, und keineswegs eine
Erfindung des Laskerchen contra Bebel 35 .«
Der Anonymus wird immer erboster. Die Quellen zweiter Hand in
seiner Antwort, 'Concordia', 4. Juli, beiseite schiebend, deutet er schamhaft
an, es sei "Sitte", Parlamentsreden nach dem stenographischen Bericht zu
zitieren; aber auch der Bericht der 'Times' (worin der "hinzugelogene" Satz
steht) und der von Hansard (worin er fehlt) »stimmen materiell vollig
Uberein«, und ebenso enthalte der 'Times'-Bericht »das direkte Gegenteil
jener beruchtigten Stelle der Inauguraladresse« , wobei der Mann
sorgsam verschweigt, daB er neben diesem angeblichen "Gegenteil" gerade
»jene beriichtigte Stelle« ausdriicklich enthalt! Trotz alledem fiihlt der
Anonymus, daB er festsitzt und daB nur ein neuer Winkelzug inn retten
kann. Wahrend er also seinen, wie soeben nachgewiesen, von »frecher
Verlogenheit« strotzenden Artikel mit erbaulichen Schimpfereien spickt,
als da sind: »malafides«, »Unehrlichkeit«, »liigenhafte Angabe«, »jenes
liigenhafte Zitat«, »freche Verio genheit«, »ein Zitat, das vollig gefalscht
war«, »diese Falschung«, »einfach infam«, usw., findet er es fur notig, die
Streitfrage auf ein andres Gebiet uberzuspielen, und verspricht daher, »in
einem zweiten Artikel auseinanderzusetzen, welche Bedeutung wir [der
nicht "liigenhafte" Anonymus] dem Inhalt der Gladstones chen Worte
beilegen«. Als ob diese seine unmaBgebliche Meinung das geringste mit
der Sache zu tun habe! Dieser zweite Artikel steht in der 'Concordia' vom
11. Juli.
Marx antwortete noch einmal im 'Volksstaat' vom 7. August, indem er
nun auch die Referate der betreffenden Stelle aus dem 'Morning Star' und
dem 'Morning Advertiser' vom 17. April 1863 brachte. Nach beiden sagt
Gladstone, er wiirde mit Besorgnis usw. auf diese berauschende
Vermehrung von Reichtum und Macht blicken, wenn er sie auf die
wirklich wohlhabenden Klassen (classes in easy circumstances) beschrankt
glaubte. Aber diese Vermehrung sei beschrankt auf Klassen, die Eigentum
besitzen (entirely confined to classes possessed of property). Also auch
diese Referate bringen den angeblich "hinzugelogenen" Satz wortlich.
Ferner stellte er nochmals fest, durch Vergleichung der Texte der 'Times'
und Hansards, daB der durch drei am nachsten Morgen erschienene,
voneinander unabhangige, gleichlautende Zeitungsreferate als wirklich
gesprochen konstatierte Satz in dem nach bekannter "Sitte"
durchgesehenen Referat von Hansard fehlt, das Gladstone inn in Marx'
Worten »nachtraglich wegstipitzt hat«, und erklart schlieBlich, er habe
keine Zeit, mit dem Anonymus weiter zu verkehren. Dieser scheint auch
genug gehabt zu haben, wenigstens erhielt Marx keine ferneren Nummern
der 'Concordia' zugeschickt.
Damit schien die Sache tot und begraben. Allerdings kamen uns seitdem
ein- oder zweimal von Leuten, die mit der Universitat Cambridge in
Verkehr standen, geheimnisvolle Geriichte zu iiber ein unsagbares
literarisches Verbrechen, das Marx im "Kapital" begangen haben sollte;
abertrotz aller Nachforschungen war absolut nichts Bestimmteres zu
erfahren. Da, am 29. November 1883, acht Monate nach Marx' Tod,
erschien in der 'Times' ein Brief, datiert Trinity College, Cambridge, und
unterzeichnet Sedley Taylor, worin bei eincr vom Zaun gebrochnen
Gelegenheit dies in zahmster Genossenschafterei machende Mannlein uns
endlich Aufklarung verschaffte, nicht nur iiber die Munkeleien von
Cambridge, sondern auch iiber den Anonymus der 'Concordia'.
»Was aufierst sonde rbar er scheint «, sagt das Mannlein von Trinity
Collage, »ist, dafi es dem Professor Brentano (damals in Breslau, jetzt in
StraBburg) vorbehalten war ... die mala fides zu enthiillen, welche
augenscheinlich das Zitat aus Gladstones Rede in der [Inaugural-]
Adresse diktiert hatte. Herr Karl Marx, der ... das Zitat zu verteidigen
suchte, hatte die Verwegenheit, in den Todeswindungen [deadly shifts],
auf die Brentanos meisterhaft gefiihrte Angriffe ihn schleunigst
herunterbrachten, zu behaupten, Herr Gladstone habe den Bericht
seiner Rede in der Times' vom 17. April 1863 zurechtgestiimpert, ehe
er in Hansard erschien, um eine Stelle wegzupfuschen, die allerdings
fur einen englischen Schatzkanzler kompromittierlich sei. Als
Brentano, durch eine ins einzelne gehende Textvergleichung, bewies,
dafi die Berichte der Times' und von Hansard ubereinstimmten in
absolutem Ausschlufi des Sinnes, den pfiffig-isolierte Zitierung den
Gladstoneschen Worten untergeschoben hatte, da zog Marx sich
zuriick unter dem Vorwand des Zeitmangels!«
Das also war des Pudels Kern! Und so glorios reflektierte sich in der
produktivgenossenschaftlichen Phantasie von Cambridge die anonyme
Kampagne Herrn Brentanos in der 'Concordia'! So lag er, und so fiihrt' er
seine Klinge 36 , in »meisterhaft gefuhrtem Angriff« , dieser Sankt Georg des
deutschen Fabrikantenbundes, wahrend der Hollendrache Marx zu seinen
FuBen »schleunigst in Todeswindungen« verrochelt!
Jedennoch dient diese ganze ariostische Kampfschilderung nur dazu, die
Winkelzuge unsres Sankt Georg zu ver-decken. Hier ist schon nicht mehr
die Rede von »Hinzuliigen«, »von Falschung«, sondern von »pfiffig
isolierter Zitierung« (cyaftily isolated quotation). Die ganze Frage war
verschoben, und Sankt Georg und sein Cambridger Schildknappe wuBten
sehr genau weshalb.
Eleanor Marx antwortete, da die 'Times' die Aufnahme verweigerte, in
der Monatsschrift 'To-Day', Februar 1884, indem sie die Debatte auf den
einzigen Punkt zuruckfuhrte, um welchen es sich gehandelt hatte: Hat
Marx jenen Satz "hinzugelogen" oder nicht? Darauf erwidert Herr Sedley
Taylor:
»Die Frage, ob ein gewisser Satz in Herrn Gladstones Rede
vorgekommen sei oder nicht «, sei nach seiner Ansicht »von sehr
untergeordneter Bedeutung gewesen« im Streit zwischen Marx und
Brentano, »verglichen mit der Frage, ob das Zitat gemacht worden sei in
der Absicht, Gladstones Sinn wiederzugeben oder zu entstellen.«
Und dann gibt er zu, daB der 'Times'-Bericht »in der Tat einen
Widerspruch in den Worten enthalt«; aber, aber, der ubrige
Zusammenhang richtig, d.h. im liberal-gladstoneschen Sinn erklart, zeige
an, was Herr Gladstone habe sagen wollen. ('To-Day', Marz 1884.) Das
Komischste dabei ist, daB unser Mannlein von Cambridge nun darauf
besteht, die Rede nicht nach Hansard zu zitieren, wie es nach dem
anonymen Brentano "Sitte" ist, sondern nach dem von demselben
Brentano als »notwendig stumperhaft« bezeichneten Bericht der 'Times'.
Naturlich, der fatale Satz fehlt ja im Hansard!
Eleanor Marx hatte es leicht, diese Argumentation in derselben Nummer
von 'To-Day' in Dunst aufzulosen. Entweder hatte Herr Taylor die
Kontro verse von 1872 gelesen. Dann hatte er jetzt "gelogen", nicht nur
"hinzu", sondern auch "hinweg". Oder er hatte sie nicht gelesen. Dann war
er verpflichtet, den Mund zu halten. Jedenfalls stand fest, daB er die
Anklage seines Freundes Brentano, Marx habe "hinzugelogen", keinen
Augenblick aufrechtzuerhalten wagte. Im Gegenteil, Marx sol nun nicht
hinzugelogen, sondern einen wichtigen Satz unterschlagen haben. Aber
dieser selbe Satz ist zitiert auf S.5 der Inauguraladresse, wenige Zellen vor
dem angeblich "hinzugelogenen". Und was den "Widerspruch" in
Gladstones Rede angeht, ist es nicht gerade Marx, der im "Kapital", S.618
(3.Aufl., S.672), Note 105 37 von den »fortlaufenden, schreienden
Widerspruchen in Gladstones Budgetreden von 1863 und 1864« spricht!
Nur daB er sich nicht a la Sedley Taylor unterfangt, sie in liberalem
Wohlgefallen aufzulosen. Und das SchluBresume in E. Marx' Antwort
lautet dann: »Im Gegenteil, Marx hat weder etwas Anfiihrenswertes
unterdriickt noch das geringste hinzugelogen. Aber er hat
wiederhergestellt und der Vergessenheit entzogen einen gewissen Satz
einer Gladstoneschen Rede, der unzweifelhaft ausgesprochen worden,
der aber, so oder so, seinen Weg gefunden hat - aus Hansard hinaus.«
Damit hatte Herr Sedley Taylor denn auch genug, und das Resultat des
ganzen, durch zwei Jahrzehnte und iiber zwei groBe Lander
fortgesponnenen Professorenklungels war, daB man nicht mehr gewagt
hat, Marx' literarische Gewissenhaftigkeit anzutasten, daB aber seitdem
Herr Sedley Taylor wohl ebensowenig Vertrauen setzen wird in die
literarischen Schlachtbulletins des Herrn Brentano wie Herr Brentano in
die papstliche Unfehlbarkeit von Hansard.
London, 25. Juni 1890
F. Engels
Erster Abschnitt
Ware und Geld
Erstes K apitel
D ie W are
1. Die zwei Faktoren der Ware: Gebrauchswert und Wert (Wertsubstanz,
Wertgrofie)
Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische
Produktionsweise herrscht, erscheint als eine »ungeheure
Warensammlung« 3S , die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere
Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.
Die Ware ist zunachst ein auBerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine
Eigenschaften menschliche Bediirfnisse irgendeiner Art befriedigt. Die
Natur dieser Bediirfnisse, ob sie z.B. dem Magen oder der Phantasie
entspringen, andert nichts an der Sache. 39 Es handelt sich hier auch nicht
darum, wie die Sache das menschliche Bedurfnis befriedigt, ob unmittelbar
als Lebensmittel, d.h. als Gegenstand des Genusses, oder auf einem
Umweg, als Produktionsmittel.
Jedes nutzliche Ding, wie Eisen, Papier usw., ist unter doppeltem
Gesichtspunkt zu betrachten, nach Qualitat und Quantitat. Jedes solches
Ding ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach
verschiedenen Seiten nutzlich sein. Diese verschiedenen Seiten und daher
die mannigfachen Gebrauchsweisen der Dinge zu entdecken ist
geschichtliche Tat. 40 So die Findung gesellschaftlicher MaBe fiir die
l.»Dinge haben einen intrinsick vertue« (dies bei Barbon die spezifische Bezeichnung fiir
Quantitat der nutzlichen Dinge. Die Verschiedenheit der WarenmaBe
entspringt teils aus der verschiederen Natur der zu messenden
Gegenstande, teils aus Konvention.
Die Nutzlichkeit eines Dings macht es zum Gebrauchswert. 41 Aber diese
Nutzlichkeit schwebt nicht in der Luft. Durch die Eigenschaften des
Warenkorpers bedingt, existiert sie nicht ohne denselben. Der
Warenkorper selbst, wie Eisen, Weizen, Diamant usw-, ist daher ein
Gebrauchswert oder Gut. Dieser sein Charakter hangt nicht davon ab, ob
die Aneignung seiner Gebrauchseigenschaften dem Menschen viel oder
wenig Arbeit kostet. Bei Betrachtung der Gebrauchswerte wird stets ihre
quantitative Bestimmtheit vorausgesetzt, wie Dutzend Uhren, Elle
Leinwand, Tonne Eisen usw. Die Gebrauchswerte der Waren liefern das
Material einer eignen Disziplin, der Warenkunde. 42 Der Gebrauchswert
Gebrauchswert), »der iiberall gleich ist, so wie der des Magnets, Eisen anzuz'ehen« (I.e. p. 6). Die
Eigenschaft des Magnets, Eisen anzuziehn, wurde erst niitzlich, sobald man vermittelst derselben die
magnetische Polaritat entdeckt hatte.
l.»Der natiirliche worth jedes Dinges besteht in seiner Eignung, die notwendigen Bedurfnisse
zu befriedigen oder den Annehmlichkeiten des menschlichen Lebens zu dienen.« (John Locke: "Some
Considerations on the Consequences of the Lowering of Interest", 1691, in "Works", edit. Lond. 1777, v.II,
p. 28.) Im 17. Jahrhundert finden wir noch haufig bei englischen Schriftstellern "Worth" fiir Gebrauchswert
und"Value" fiir Tauschwert, ganz im Geist einer Sprache, die es liebt, die unmittelbare Sache germanisch
und die reflektierte Sache romanisch auszudriicken.
2. In der burgerlichen Gesellschaft herrscht die fictio juris, daB jeder Mensch als Warenkaufer eine
enzyklopadische Warenkenntnis besitzt.
l.»Der Wert besteht in dem Tauschverhdltnis, das zwischen einem Ding und einem anderen,
zwischen der Menge eines Erzeugnisses und der eines anderen besteht. « (Le Trosne: "De l'Interet
Social", [in] "Physiocrates", ed. Daire, Paris 1846 P. 889.)
2.»Nichts kann einen inneren Tauschwert haben« (N.Barbon, I.e. P. 6), oder wie Butler sagt:
verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerte
bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine
gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden
Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Trager des -
Tauschwerts.
Der Tauschwert erscheint zunachst als das quantitative Verhaltnis, die
Proportion, worin sich Gebrauchswerte einer Art gegen Gebrauchswerte
anderer Art austauschen 43 , ein Verhaltnis, das bestandig mit Zeit und Ort
wechselt. Der Tauschwert scheint daher etwas Zufalliges und rein
Relatives, ein der Ware innerlicher, immanenter Tauschwert (valeur
intrinseque) also eine contradictio in adjecto 44 . Betrachten wir die Sache
naher.
Eine gewisse Ware, ein Quarter Weizen z.B. tauscht, sich mit x
Stiefelwichse oder mit y Seide oder mit z Gold usw., kurz mit andern
Waren in den verschiedensten Proportionen. Mannigfache Tauschwerte
also hat der Weizen statt eines einzigen. Aber da x Stiefelwichse, ebenso y
Seide, ebenso z Gold usw. der Tauschwert von einem Quarter Weizen ist,
miissen x Stiefelwichse, y Seide, z Gold usw. durch einander ersetzbare
oder einander gleich groBe Tauschwerte sein. Es folgt daher erstens: Die
gultigen Tauschwerte derselben Ware driicken ein Gleiches aus. Zweitens
aber: Der Tauschwert kann uberhaupt nur die Ausdrucksweise, die
Erscheinungsform eines von ihm unterscheidbaren Gehalts sein.
Nehmen wir ferner zwei Waren, z.B. Weizen und Eisen. Welches immer
ihr Austauschverhaltnis, es ist stets darstellbar in einer Gleichung, worin
ein gegebenes Quantum Weizen irgendeinem Quantum Eisen gleichgesetzt
wird, z.B. 1 Quarter Weizen = a Ztr. Eisen. Was besagt diese Gleichung?
DaB ein Gemeinsames von derselben GroBe in zwei verschiednen Dingen
existiert, in 1 Quarter Weizen und ebenfalls in a Ztr. Eisen. Beide sind also
gleich einem Dritten, das an und fur sich weder das eine noch das andere
ist. Jedes der beiden, soweit es Tauschwert, muB also auf dies Dritte
reduzierbar sein.
Ein einfaches geometrisches Beispiel veranschauliche dies. Um den
Flacheninhalt aller gradlinigen Figuren zu bestimmen und zu vergleichen,
lost man sie in Dreiecke auf. Das Dreieck selbst reduziert man auf einen
von seiner sichtbaren Figur ganz verschiednen Ausdruck - das halbe
Produkt seiner Grundlinie mit seiner Hone. Ebenso sind die Tauschwerte
der Waren zu reduzieren auf ein Gemeinsames, wovon sie ein Mehr oder
Minder darstellen.
Dies Gemeinsame kann nicht eine geometrische, physikalische, chemische
oder sonstige naturliche Eigenschaft der Waren sein. Ihre korperlichen
Eigenschaften kommen iiberhaupt nur in Betracht, soweit selbe sie nutzbar
machen, also zu Gebrauchswerten. Andererseits aber ist es grade die
Abstraktion von ihren Gebrauchswerten, was das Austauschverhaltnis der
Waren augenscheinlich charakterisiert. Innerhalb desselben gilt ein
Gebrauchswert grade so viel wie jeder andre, wenn er nur in gehoriger
Proportion vorhanden ist. Oder, wie der alte Barbon sagt:
»Die eine Warensorte ist so gut wie die andre, wenn ihr Tauschwert
gleich grofi ist. Da existiert keine Verschiedenheit oder
Unterscheidbarkeit zwischen Dingen von gleich grofiem
Tauschwert.« 45
l.»One sort of wares are as good as another, if the value be equal. There is no difference or
distinction in things of equal value... One hundred pounds worth of lead or iron, is of as great a value
as one hundred pounds worth of silver and gold.« (TV. Barbon, I.e. p. 53 u. 7.) (»...Blei oder Eisen im
Werte von einhundert Pfund Sterling haben gleich grofien Tauschwert wie Silber und Gold im Werte
von einhundert Pfund Sterling. «)
l.Note zur 2. Ausg. »The value of them (the necessaries of life) when they are exchanged the one
for another, is regulated by the quantity of labour necessarily required, and commonly taken in
producing them.« »Der Wert von Gebrauchsgegenstanden, sobald sie gegeneinander ausgetauscht
werden, ist bestimmt durch das Quantum der zu ihrer Produktion notwendig erheischten und
gewohnlich angewandten Arbeit. « (»Some Thoughts on the Interest of Money in general, and
particularly in the Public Funds etc.«, London, p. 36, 37.) Diese merkwiirdige anonyme Schrift des
vorigen Jahrhunderts tragt kein Datum. Es geht jedoch aus ihrem Inhalt hervor, daB sie unter Georg II., etwa
1739 oder 1740, erschienen ist.
2.»Alle Erzeugnisse der gleichen Art bilden eigentlich nur eine Masse, deren Preis allgemein
und ohne Rucksicht auf die besonderen Umstande bestimmt wird,« (Le Trosne, l.c.p. 893.)
3.K.Marx, I.e. p.6. (Siehe Band 13, MEW, S. 18)
I.William Jacob, "An historical inquiry into the production and consumption of the precious
metals", London 1831.
2.1. Auflage folgt: Wir kennen jetzt die Substanz des Werts. Es ist die Arbeit. Wir kennen sein
GroBenmaB. Es ist die Arbeitszeit. Seine Form, die den Wert eben zum Tausch-Wert stempelt, bleibt zu
analysieren. Vorher jedoch sind die bereits gefundenen Bestimmungen etwas naherzu entwickeln.
l.Note zur 4. Aufl. - Ich schiebe das Eingeklammerte ein, weil durch dessen Weglassung sehr
haufig das MiBverstandnis entstanden, jedes Produkt, das von einem andern als dem Produzenten
Als Gebrauchswerte sind die Waren vor allem verschiedner Qualitat, als
Tauschwerte konnen sie nur verschiednen Quantitat sein, enthalten also
kein Atom Gebrauchswert.
Sieht man nun vom Gebrauchswert der Warenkorper ab, so bleibt ihnen
nur noch eine Eigenschaft, die von Arbeitsprodukten. jedoch ist uns auch
das Arbeitsprodukt bereits in der Hand verwandelt. Abstrahieren wir von
seinem Gebrauchswert, so abstrahieren wir auch von den korperlichen
Bestandteilen und Formen, die es zum Gebrauchswert machen. Es ist nicht
langer Tisch oder Haus oder Garn oder sonst ein niitzlich Ding. Alle seine
sinnlichen Beschaffenheiten sind ausgeloscht. Es ist auch nicht langer das
Produkt der Tischlerarbeit oder der Bauarbeit oder der Spinnarbeit oder
sonst einer bestimmten produktiven Arbeit. Mit dem nutzlichen Charakter
der Arbeitsprodukte verschwindet der nutzliche Charakter der in ihnen
dargestellten Arbeiten, es verschwinden also auch die verschiedenen
konkreten Formen dieser Arbeiten, sie unterscheiden sich nicht langer,
sondern sind allzusamt reduziert auf gleiche menschhche Arbeit, abstrakt
menschliche Arbeit.
Betrachten wir nun das Residuum der Arbeitsprodukte. Es ist nichts von
ihnen ubriggeblieben als dieselbe gespenstige Gegenstandlichkeit, eine
bloBe Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit, d.h. der
Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ohne Riicksicht auf die Form
ihrer Verausgabung. Diese Dinge stellen nur noch dar, daB in ihrer
Produktion menschhche Arbeitskraft verausgabt, menschhche Arbeit
aufgehauft ist. Als Kristalle dieser ihnen gemeinschafthchen
gesellschaftlichen Substanz sind sie Werte - Warenwerte.
Im Austauschverhaltnis der Waren selbst erschien uns ihr Tauschwert als
etwas von ihren Gebrauchswerten durchaus Unabhangiges. Abstrahiert
man nun wirklich vom Gebrauchswert der Arbeitsprodukte, so erhalt man
ihren Wert, wie er eben bestimmt ward. Das Gemeinsame, was sich im
Austauschverhaltnis oder Tauschwert der Ware darstellt, ist also ihr Wert.
Der Fortgang der Untersuchung wird uns zuruckfiihren zum Tauschwert
als der notwendigen Ausdrucksweise oder Erscheinungsform des Werts,
welcher zunachst jedoch unabhangig von dieser Form zu betrachten ist.
Ein Gebrauchswert oder Gut hat also nur einen Wert, weil abstrakt
menschliche Arbeit in ihm vergegenstandlicht oder materialisiert ist. Wie
nun die GroBe seines Werts messen? Durch das Quantum der in ihm
enthaltenen "wertbildenden Substanz", der Arbeit. Die Quantitat der Arbeit
selbst miBt sich an ihrer Zeitdauer, und die Arbeitszeit besitzt wieder ihren
MaBstab an bestimmten Zeitteilen, wie Stunde, Tag usw.
Es konnte scheinen, daB, wenn der Wert einer Ware durch das wahrend
ihrer Produktion verausgabte Arbeitsquantum bestimmt ist, je fauler oder
ungeschickter ein Mann, desto wertvoller seine Ware, weil er desto mehr
Zeit zu ihrer Verfertigung braucht. Die Arbeit jedoch, welche die Substanz
der Werte bildet, ist gleiche menschliche Arbeit, Verausgabung derselben
menschlichen Arbeitskraft. Die gesamte Arbeitskraft der Gesellschaft, die
sich in den Werten der Warenwelt darstellt, gilt hier als eine und dieselbe
menschliche Arbeitskraft, obgleich sie aus zahllosen individuellen
Arbeitskraften besteht. Jede dieser individuellen Arbeitskrafte ist dieselbe
menschliche Arbeitskraft wie die andere, soweit sie den Charakter einer
gesellschaftlichen Durchschnitts-Arbeitskraft besitzt und als solche
gesellschaftliche Durchschnitts-Arbeitskraft wirkt, also in der Produktion
einer Ware auch nur die im Durchschnitt notwendige oder gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit braucht. Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist
Arbeitszeit, erheischt, um irgendeinen Gebrauchswert mit den
vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem
gesellschaftlichen Durch schnittsgrad von Geschick und Intensitat der
Arbeit darzustellen. Nach der Einfuhrung des Dampfwebstuhls in England
z.B. geniigte vielleicht halb so viel Arbeit als vorher, um ein gegebenes
Quantum Garn in Gewebe zu verwandeln. Der englische Handweber
brauchte zu dieser Verwandlung in der Tat nach wie vor dieselbe
Arbeitszeit, aber das Produkt seiner individuellen Arbeitsstunde stellte jetzt
nur noch eine halbe gesellschaftliche Arbeitsstunde dar und fiel daher auf
die Halfte seines friihern Werts.
Es ist also nur das Quantum gesellschaftlich notwendiger Arbeit oder die
zur Herstellung eines Gebrauchswerts gesellschaftlich notwendige
Arbeitszeit, welche seine WertgroBe bestimmt. 46 Die einzelne Ware gilt
hier uberhaupt als Durchschnittsexemplar ihrer Art. 47 Waren, worin gleich
groBe Arbeitsquanta enthalten sind oder die in derselben Arbeitszeit
hergestellt werden konnen, haben daher dieselbe WertgroBe. Der Wert
einer Ware verhalt sich zum Wert jeder andren Ware wie die zur
Produktion der einen notwendigen Arbeitszeit zu der fur die Produktion
der andren notwendigen Arbeitszeit. »Als Werte sind alle Waren nur
bestimmte Mafie festgeronnener Arbeitszeit.« u
Die WertgroBe einer Ware bliebe daher konstant, ware die zu ihrer
Produktion erheischte Arbeitszeit konstant. Letztere wechselt aber mit
jedem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit. Die Produktivkraft der
Arbeit ist durch mannigfache Umstande bestimmt, unter anderen durch
den Durch schnittsgrad des Geschickes der Arbeiter, die Entwicklungsstufe
der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die
gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und
die Wirkungsfahigkeit der Produktionsmittel, und durch Naturverhaltnisse.
Dasselbe Quantum Arbeit stellt sich z.B. mit gunstiger Jahreszeit in 8
Bushel Weizen dar, mit ungunstiger in nur 4. Dasselbe Quantum Arbeit
liefert mehr Metalle in reichhaltigen als in armen Minen usw. Diamanten
kommen selten in der Erdrinde vor, und ihre Findung kostet daher im
Durchschnitt viel Arbeitszeit. Folglich stellen sie in wenig Volumen viel
Arbeit dar. Jacob bezweifelt, daB Gold jemals seinen vollen Wert bezahlt
hat. 49 Noch mehr gilt dies vom Diamant. Nach Eschwege hatte 1823 die
achtzigjahrige Gesamtausbeute der brasilischen Diamantgruben noch nicht
den Preis des IV2 jahrigen Durchschnittsprodukts der brasilischen Zucker-
oder Kaffeepflanzungen erreicht, obgleich sie viel mehr Arbeit darstellte,
also mehr Wert. Mit reichhaltigeren Gruben wiirde dasselbe
Arbeitsquantum sich in mehr Diamanten darstellen und ihr Wert sinken.
Gelingt es, mit wenig Arbeit Kohle in Diamant zu verwandeln, so kann
sein Wert unter den von Ziegelsteinen fallen. Allgemein: Je groBer die
Produktivkraft der Arbeit, desto kleiner die zur Herstellung eines Artikels
erheischte Arbeitszeit, desto kleiner die in ihm kristallisierte Arbeitsmasse,
desto kleiner sein Wert. Umgekehrt, je kleiner die Produktivkraft der
Arbeit, desto groBer die zur Herstellung eines Artikels notwendige
Arbeitszeit, desto groBer sein Wert. Die WertgroBe einer Ware wechselt
also direkt wie das Quantum und umgekehrt wie die Produktivkraft der
sich in ihr verwirklichenden Arbeit. 50
Ein Ding kann Gebrauchswert sein, ohne Wert zu sein. Es ist dies der Fall,
wenn sein Nutzen fur den Menschen nicht durch Arbeit vermittelt ist. So
Luft, jungfraulicher Boden, naturliche Wiesen, wildwachsendes Holz usw.
Ein Ding kann nutzlich und Produkt menschlicher Arbeit sein, ohne Ware
zu sein. Wer durch sein Produkt sein eigenes Bedurfnis befriedigt, schafft
zwar Gebrauchswert, aber nicht Ware. Um Ware zu produzieren, muB er
nicht nur Gebrauchswert produzieren, sondern Gebrauchswert fur andre,
gesellschaftlichen Gebrauchswert. {Und nicht nur fur andre schlechthin.
Der mittelalterliche Bauer produzierte das Zinskorn fur den Feudalherrn,
das Zehntkorn fur den Pfaffen. Aber weder Zinskorn noch Zehntkorn
wurden dadurch Ware, daB sie fur andre produziert waren. Um Ware zu
werden, muB das Produkt dem andern, dem es als Gebrauchswert dient,
durch den Austausch ubertragen werden.} 51 Endlich kann kein Ding Wert
sein, ohne Gebrauchsgegenstand zu sein. Ist es nutzlos, so ist auch die in
ihm enthaltene Arbeit nutzlos, zahlt nicht als Arbeit und bildet daher
keinen Wert.
2. Doppelcharakter der in den Waren dargestellten Arbeit
Urspriinglich erschien uns die Ware als ein Zwieschlachtiges,
Gebrauchswert und Tauschwert. Spater zeigte sich, daB auch die Arbeit,
soweit sie im Wert ausgedriickt ist, nicht mehr dieselben Merkmale besitzt,
die ihr als Erzeugerin von Gebrauchswerten zukommen. Diese
zwieschlachtige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit ist zuerst von
mir kritisch nachgewiesen worden. 52 Da dieser Punkt der Springpunkt ist,
l.l.c.p. 12, 13 und passim. (Siehe Band 13 MEW, S.22, 23 und pass.)
l.»Alle Erscheinungen des Weltalls, seien sie hervorgerufen von der Hand des Menschen oder
durch die allgemeinen Gesetze der Physik, sind nicht tatsdchliche Neuschopfungen, sondern lediglich
eine Umformung des Stoffes. Zusammensetzen und Trennen sind die einzigen Elemente, die der
menschliche Geist immer wieder bei der Analyse der Vorstellung der Reproduktion findet; und ebenso
um den sich das Verstandnis der politischen Okonomie dreht, soil er hier
naher beleuchtet werden.
Nehmen wir zwei Waren, etwa einen Rock und 10 Ellen Leinwand. Der
erstere habe den zweifachen Wert der letzteren, so daB, wenn 10 Ellen
Leinwand = W, der Rock = 2 W.
Der Rock ist ein Gebrauchswert, der ein besonderes Bediirfnis befriedigt.
Um inn hervorzubringen, bedarf es einer bestimmten Art produktiver
Tatigkeit. Sie ist bestimmt durch ihren Zweck, Operationsweise,
Gegenstand, Mittel und Resultat. Die Arbeit, deren Nutzlichkeit sich so im
Gebrauchswert ihres Produkts oder darin darstellt, daB ihr Produkt ein
Gebrauchswert ist, nennen wir kurzweg nutzliche Arbeit. Unter diesem
Gesichtspunkt wird sie stets betrachtet mit Bezug auf ihren Nutzeffekt.
Wie Rock und Leinwand qualitativ verschiedne Gebrauchswerte, so sind
die ihr Dasein vermittelnden Arbeiten qualitativ verschieden - Schneiderei
und Weberei. Waren jene Dinge nicht qualitativ verschiedne
Gebrauchswerte und daher Produkte qualitativ verschiedner nutzlicher
Arbeiten, so konnten sie sich uberhaupt nicht als Waren gegenubertreten.
Rock tauscht sich nicht aus gegen Rock, derselbe Gebrauchswert nicht
gegen denselben Gebrauchswert.
In der Gesamtheit der verschiedenartigen Gebrauchswerte oder
Warenkorper erscheint eine Gesamtheit ebenso mannigfaltiger, nach
Gattung, Art, Familie, Unterart, Varietat verschiedner niitzhcher Arbeiten -
eine gesellschaftliche Teilung der Arbeit. Sie ist Existenzbedingung der
Warenproduktion, obgleich Warenproduktion nicht umgekehrt die
Existenzbedingung gesellschaftlicher Arbeitsteilung. In der altindischen
Gemeinde ist die Arbeit gesellschaftlich geteilt, ohne daB die Produkte zu
Waren werden. Oder, ein naher liegendes Beispiel, in jeder Fabrik ist die
Arbeit systematisch geteilt, aber diese Teilung nicht dadurch vermittelt,
daB die Arbeiter ihre individuellen Produkte austauschen. Nur Produkte
selbstandiger und voneinander unabhangiger Privatarbeiten treten einander
als Waren gegeniiber.
Man hat also gesehn: in dem Gebrauchswert jeder Ware steckt eine
bestimmte zweckmaBig produktive Tatigkeit oder nutzliche Arbeit.
Gebrauchswerte konnen sich nicht als Waren gegeniibertreten, wenn nicht
qualitativ verschiedne nutzliche Arbeiten in ihnen stecken. In einer
Gesellschaft, deren Produkte allgemein die Form der Ware annehmen, d.h.
in einer Gesellschaft von Warenproduzenten, entwickelt sich dieser
qualitative Unterschied der nutzlichen Arbeiten, welche unabhangig
voneinander als Privatgeschafte selbstandiger Produzenten betrieben
werden, zu einem vielgliedrigen System, zu einer gesellschafthchen
Teilung der Arbeit.
Dem Rock ist es ubrigens gleichgiiltig, ob er vom Schneider oder vom
Kunden des Schneiders getragen wird. In beiden Fallen wirkt er als
Gebrauchswert. Ebensowenig ist das Verhaltnis zwischen dem Rock und
der ihn produzierenden Arbeit an und fur sich dadurch verandert, daB die
Schneiderei besondre Profession wird, selbstandiges Glied der
gesellschafthchen Teilung der Arbeit. Wo ihn das Kleidungsbedurfnis
zwang, hat der Mensch jahrtausendelang geschneidert, bevor aus einem
Menschen ein Schneider ward. Aber das Dasein von Rock, Leinwand,
jedem nicht von Natur vorhandnen Element des stofflichen Reichtums,
muBte immer vermittelt sein durch eine spezielle, zweckmaBig produktive
Tatigkeit, die besondere Naturstoffe besondren menschlichen Bedurfnissen
assimihert. Als Bildnerin von Gebrauchswerten, als niitzhche Arbeit, ist die
Arbeit daher eine von alien Gesellschaftsformen unabhangige
Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den
Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu
vermitteln.
Die Gebrauchswerte Rock, Leinwand usw., kurz die Warenkorper, sind
Verbindungen von zwei Elementen, Naturstoff und Arbeit. Zieht man die
Gesamtsumme aller verschiednen niitzhchen Arbeiten ab, die in Rock,
Leinwand usw. stecken, so bleibt stets ein materielles Substrat zuriick, das
ohne Zutun des Menschen von Natur vorhanden ist. Der Mensch kann in
seiner Produktion nur verfahren, wie die Natur selbst, d.h. nur die Formen
der Stoffe andern. 53 Noch mehr. In dieser Arbeit der Formung selbst wird
er bestandig unterstutzt von Naturkraften. Arbeit ist also nicht die einzige
Quelle der von ihr produzierten Gebrauchswerte, des stofflichen
Reichtums. Die Arbeit ist sein Vater, wie William Petty sagt, und die Erde
seine Mutter. 54
2. [W .Petty,] "A treatise of taxes and contributions", London 1667, S.47.
l.Vgl. Hegel, "Philosophic des Rechts", Berlin 1840, p.250, 190.
2. Der Leser muB aufmerken, daB hier nicht vom Lohn oder Wert die Rede ist, den der Arbeiter fur
etwa einen Arbeitstag erhalt, sondern vom Warenwert, worin sich sein Arbeitstag vergegenstandlicht. Die
Kategorie des Arbeitslohns existiert uberhaupt noch nicht auf dieser Stufe unsrer Darstellung.
l.Note zur 2Ausg: Um zu beweisen, »dafi die Arbeit allein das endgiiltige und reale Mafi ist,
woran der Wert aller Waren zu alien Zeiten geschatzt und verglichen werden kann«, sagt A.Smith:
»Gleiche Quantitaten Arbeit mtissen zu alien Zeiten und an alien Orten fiir den Arbeiter selbst
denselben Wert haben. In seinem normalen Zustand von Gesundheit, Kraft und Tdtigkeit und mit dem
Durchschnittsgrad von Geschicklichkeit, die er besitzen mag, mufi er immer die ndmliche Portion
seiner Ruhe, seiner Freiheit und seines Gliicks hingeben.« ("Wealth of Nations", b.I, ch.V, [p. 104/105].)
Einerseits verwechselt A.Smith hier (nicht uberall) die Bestimmung des Werts durch das in der Produktion
der Ware verausgabte Arbeitsquantum mit der Bestimmung der Warenwerte durch den Wert der Arbeit und
sucht daher nachzuweisen, daB gleiche Quantitaten Arbeit stets denselben Wert haben. Andrerseits ahnt er,
daB die Arbeit, soweit sie sich im Wert der Waren darstellt, nur als Verausgabung von Arbeitskraft gilt, faBt
diese Verausgabung aber wieder bloB als Opfer von Ruhe, Freiheit und Gliick, nicht auch als normale
Lebensbetatigung. Allerdings hat er den modernen Lohnarbeiter vor Augen. - Viel treffender sagt der Note
9 zitierte anonyme Vorganger von A.Smith: »Ein Mann hat eine Woche auf die Herstellung dieses
Bedarfsgegenstandes verwandt ... und der, welcher ihm einen anderen Gegenstand im Austausch gibt,
kann nicht richtiger abschatzen, was wirklich gleichwertig ist, als durch die Berechnung, was ihm
ebensoviel labour und Zeit kostet. Das bedeutet in der Tat den Austausch der labour, die ein Mensch in
einer bestimmten Zeit auf einen Gegenstand verwandt hat, gegen die labour eines andren, in der
gleichen Zeit auf einen anderen Gegenstand verwandt. « (»Some Thoughts on the Interest of Money in
general etc.«, p. 39.) - {Zur 4. Auflage: Die englische Sprache hat den Vorzug, zwei verschiedne Worte fur
diese zwei verschiednen Aspekte der Arbeit zu haben. Die Arbeit, die Gebrauchswerte schafft und qualitativ
bestimmt ist, heiBt work, im Gegensatz zu labour; die Arbeit, die Wert schafft und nur quantitativ gemessen
wird, heiBt labour, im Gegensatz zu work. Siehe Note zur engl. Ubersetzung, p. 14. - F.E.)
1. Shakespeare, "Konig Heinrich der Vierte", 1. Teil, 3. Aufzug, 3. Szene.
l.Die wenigen Okonomen, die sich, wie S. Bailey, mit der Analyse der Wertform beschaftigt haben,
konnten zu keinem Resultat kommen, einmal, weil sie Wertform und Wert verwechseln, zweitens, weil sie,
unter dem rohen EinfluB des praktischen Burgers, von vornherein ausschlieBlich die quantitative
Bestimmtheit ins Auge fassen. »Die Verfiigung iiber die Quantitat ... macht den Wert.« ("Money and its
Vicissitudes", Lond. 1837, p. 11.) Verfasser S. Bailey.
l.Note zur 2. Ausgabe. Einer der ersten Okonomen, der nach William Petty die Natur des Werts
durchschaut hat, der beriihmte Franklin, sagt: »Da der Handel uberhaupt nichts ist als der Austausch
einer Arbeit gegen and re Arbeit, wird der Wert aller Dinge am richtigsten geschatzt in Arbeit. « ("The
Works of B. Franklin etc.", edited by Sparks, Boston 1836, v. II, P. 267.) Franklin ist sich nicht bewuBt, daB,
indem er den Wert aller Dinge "in Arbeit" schatzt, er von der Verschiedenheit der ausgetauschten Arbeiten
abstrahiert - und sie so auf gleiche menschliche Arbeit reduziert. Was er nicht weiB, sagt er jedoch. Er
spricht erst von »der einen Arbeit«, dann »von der andren Arbeit«, schlieBlich von »Arbeit« ohne weitere
Bezeichnung als Substanz des Werts aller Dinge.
1. Paris vaut bien une messe (Paris ist schon eine Messe wert) soil Heinrich IV. 1593 gesagt
haben, als er im Interesse einer nationalen Politik zum Katholizismus iibertrat.
Gehn wir nun von der Ware, soweit sie Gebrauchsgegenstand, iiber zum
Waren-Wert.
Nach unsrer Unterstellung hat der Rock den doppelten Wert der
Leinwand. Dies ist aber nur ein quantitativer Unterschied, der uns zunachst
noch nicht interessiert. Wir erinnern daher, daB, wenn der Wert eines
Rockes doppelt so groB als der von 10 Ellen Leinwand, 20 Ellen Leinwand
dieselbe WertgroBe haben wie ein Rock. Als Werte sind Rock und
Leinwand Dinge von gleicher Substanz, objektive Ausdriicke gleichartiger
Arbeit. Aber Schneiderei und Weberei sind qualitativ verschiedne
Arbeiten. Es gibt jedoch Gesellschaftszustande, worin derselbe Mensch
abwechselnd schneidert und webt, diese beiden verschiednen
Arbeitsweisen daher nur Modifikationen der Arbeit desselben Individuums
und noch nicht besondre feste Funktionen verschiedner Individuen sind,
ganz wie der Rock, den unser Schneider heute, und die Hosen, die er
morgen macht, nur Variationen derselben individuellen Arbeit
voraussetzen. Der Augenschein lehrt ferner, daB in unsrer kapitalistischen
Gesellschaft, je nach der wechselnden Richtung der Arbeitsnachfrage, eine
gegebene Portion menschlicher Arbeit abwechselnd in der Form von
Schneiderei oder in der Form von Weberei zugefuhrt wird. Dieser
Formwechsel der Arbeit mag nicht ohne Friktion abgehn, aber er muB
gehn. Sieht man ab von der Bestimmtheit der produktiven Tatigkeit und
daher vom nutzlichen Charakter der Arbeit, so bleibt das an ihr, daB sie
eine Verausgabung menschlicher Arbeitskraft ist. Schneiderei und
Weberei, obgleich qualitativ verschiedne produktive Tatigkeiten, sind beide
produktive Verausgabung von menschlichem Hirn, Muskel, Nerv, Hand
usw., und in diesem Sinn beide menschliche Arbeit. Es sind nur zwei ver-
schiedne Formen, menschliche Arbeitskraft zu verausgaben. Allerdings
muB die menschliche Arbeitskraft selbst mehr oder minder entwickelt sein,
um in dieser oder jener Form verausgabt zu werden. Der Wert der Ware
aber stellt menschliche Arbeit schlechthin dar, Verausgabung menschlicher
Arbeit uberhaupt. Wie nun in der burgerlichen Gesellschaft ein General
oder Bankier eine groBe, der Mensch schlechthin dagegen eine sehr
schabige Rolle spielt 55 , so steht es auch hier mit der menschlichen Arbeit.
Sie ist Verausgabung einfacher Arbeitskraft, die im Durchschnitt jeder
gewohnliche Mensch, ohne besondere Entwickiung, in seinem leiblichen
Organismus besitzt. Die einfache Durchschnittsarbeit selbst wechselt
zwar in verschiednen Landern und Kulturepochen ihren Charakter, ist aber
in einer vorhandnen Gesellschaft gegeben. Kompliziertere Arbeit gilt nur
als potenzierte oder vielmehr multiplizierte einfache Arbeit, so daB ein
kleineres Quantum komplizierter Arbeit gleich einem groBeren Quantum
einfacher Arbeit. DaB diese Reduktion bestandig vorgeht, zeigt die
Erfahrung. Eine Ware mag das Produkt der kompliziertesten Arbeit sein,
ihr Wert setzt sie dem Produkt einfacher Arbeit gleich und stellt daher
selbst nur ein bestimmtes Quantum einfacher Arbeit dar. 6 Die
verschiednen Proportionen, worin verschiedne Arbeitsarten auf einfache
Arbeit als ihre MaBeinheit reduziert sind, werden durch einen
gesellschaftlichen ProzeB hinter dem Riicken der Produzenten festgesetzt
und scheinen ihnen daher durch das Herkommen gegeben. Der
Vefeinfachung halber gilt uns im Folgenden jede Art Arbeitskraft
unmittelbar fur einfache Arbeitskraft, wodurch nur die Miihe der
Reduktion erspart wird.
Wie also in den Werten Rock und Leinwand von dem Unterschied ihrer
Gebrauchswerte abstrahiert ist, so in den Arbeiten, die sich in diesen
Werten darstellen, von dem Unterschied ihrer nutzlichen Formen, der
Schneiderei und Weberei. Wie die Gebrauchswerte Rock und Leinwand
Verbindungen zweckbestimmter, produktiver Tatigkeiten mit Tuch und
Garn sind, die Werte Rock und Leinwand dagegen bloBe gleichartige
Arbeitsgallerten, so gelten auch die in diesen Werten enthaltenen Arbeiten
nicht durch ihr produktives Verhalten zu Tuch und Garn, sondern nur als
Verausgabungen menschlicher Arbeitskraft. Bildungselemente der
Gebrauchswerte Rock und Leinwand sind Schneiderei und Weberei eben
durch ihre verschiednen Qualitaten; Substanz des Rockwerts und
Leinwandwerts sind sie nur, soweit von ihrer besondren Qualitat
abstrahiert wird und beide gleiche Qualitat besitzen, die Qualitat
menschlicher Arbeit.
Rock und Leinwand sind aber nicht nur Werte iiberhaupt, sondern Werte
von bestimmter GroBe, und nach unsrer Unterstellung ist der Rock doppelt
soviel wert als 10 Ellen Leinwand. Woher diese Verschiedenheit ihrer
WertgroBen? Daher, daB die Leinwand nur halb soviel Arbeit enthalt als
der Rock, so daB zur Produktion des letzteren die Arbeitskraft wahrend
doppelt soviel Zeit verausgabt werden muB als zur Produktion der erstern.
Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswert die in der Ware enthaltene
Arbeit nur qualitativ gilt, gilt sie mit Bezug auf die WertgroBe nur
quantitativ, nachdem sie bereits auf menschliche Arbeit ohne weitere
Qualitat reduziert ist. Dort handelt es sich um das Wie und Was der Arbeit,
hier um ihr Wieviel, ihre Zeitdauer. Da die WertgroBe einer Ware nur das
Quantum der in ihr enthaltenen Arbeit darstellt, mussen Waren in gewisser
Proportion stets gleich groBe Werte sein.
Bleibt die Produktivkraft, sage aller zur Produktion eines Rocks
erheischten nutzlichen Arbeiten unverandert, so steigt die WertgroBe der
Rocke mit ihrer eignen Quantitat. Wenn 1 Rock x, stellen 2 Rocke 2 x
Arbeitstage dar usw. Nimm aber an, die zur Produktion eines Rocks
notwendige Arbeit steige auf das Doppelte oder falle um die Halfte. Im
ersten Fall hat ein Rock soviel Wert als vorher zwei Rocke, im letztern Fall
haben zwei Rocke nur soviel Wert als vorher einer, obgleich in beiden
Fallen ein Rock nach wie vor dieselben Dienste leistet und die in ihm
enthaltene nutzliche Arbeit nach wie vor von derselben Giite bleibt. Aber
das in seiner Produktion verausgabte Arbeitsquantum hat sich verandert.
Ein groBres Quantum Gebrauchswert bildet an und fur sich groBten
stofflichen Reichtum, zwei Rocke mehr als einer. Mit zwei Rocken kann
man zwei Menschen kleiden, mit einem Rock nur einen Menschen usw.
Dennoch kann der steigenden Masse des stofflichen Reichtums ein
gleichzeitiger Fall seiner WertgroBe entsprechen. Diese gegensatzliche
Bewegung entspringt aus dem zwieschlachtigen Charakter der Arbeit.
Produktivkraft ist naturlich stets Produktivkraft nutzlicher, konkreter Arbeit
und bestimmt in der Tat nur den Wirkungsgrad zweckmaBiger produktiver
Tatigkeit in gegebnem Zeitraum. Die nutzliche Arbeit wird daher reichere
oder durftigere Produktenquelle im direkten Verhaltnis zum Steigen oder
Fallen ihrer Produktivkraft. Dagegen trifft ein Wechsel der Produktivkraft
die im Wert dargestellte Arbeit an und fiir sich gar nicht. Da die
Produktivkraft der konkreten nutzlichen Form der Arbeit angehort, kann
sie naturlich die Arbeit nicht mehr beriihren, sobald von ihrer konkreten
nutzlichen Form abstrahlert wird. Dieselbe Arbeit ergibt daher in
denselben Zeitraumen stets dieselbe WertgroBe, wie immer die
Produktivkraft wechsle. Aber sie liefert in demselben Zeitraum
verschiedene Quanta Gebrauchswerte, mehr, wenn die Produktivkraft
steigt, weniger, wenn sie sinkt. Derselbe Wechsel der Produktivkraft, der
die Fruchtbarkeit der Arbeit und daher die Masse der von ihr gelieferten
Gebrauchswerte vermehrt, vermindert also die WertgroBe dieser
vermehrten Gesamtmasse, wenn er die Summe der zu ihrer Produktion
notwendigen Arbeitszeit abkurzt. Ebenso umgekehrt.
Alle Arbeit ist einerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im
physiologischen Sinn, und in dieser Eigenschaft gleicher menschlicher
oder abstrakt menschlicher Arbeit bildet sie den Wairenwert. Alle Arbeit ist
andrerseits Verausgabung menschlicher Arbeitskraft in besondrer
zweckbestimmter Form, und in dieser Eigenschaft konkreter nutzlicher
Arbeit produziert sie Gebrauchswerte. 57
3. Die Wertform oder der Tauschwert
Waren kommen zur Welt in der Form von Gebrauchswerten oder
Warenkorpern, als Eisen, Leinwand, Weizen usw. Es ist dies ihre
hausbackene Naturalform. Sie sind jedoch nur Waren, weil Doppeltes,
Gebrauchsgegenstande und zugleich Werttrager. Sie erscheinen daher nur
als Waren oder besitzen nur die Form von Waren, sofern sie Doppelform
besitzen, Naturalform und Wertform.
Die Wertgegenstandlichkeit der Waren unterscheidet sich dadurch
von der Wittib Hurtig, daB man nicht weiB, wo sie zu haben ist. 58 Im
graden Gegenteil zur sinnlich groben Gegenstandlichkeit der Warenkorper
geht kein Atom Naturstoff in ihre Wertgegenstandlichkeit ein. Man mag
daher eine einzelne Ware drehen und wenden, wie man will, sie bleibt
unfaBbar als Wertding. Erinnern wir uns jedoch, daB die Waren nur
Wertgegenstandlichkeit besitzen, sofern sie Ausdriicke derselben
gesellschaftlichen Einheit, menschlicher Arbeit, sind, daB ihre
Wertgegenstandlichkeit also rein gesellschaftlich ist, so versteht sich auch
von selbst, daB sie nur im gesellschaftlichen Verhaltnis von Ware zu Ware
erscheinen kann. Wir gingen in der Tat vom Tauschwert oder
Austauschverhaltnis der Waren aus, um ihrem darin versteckten Wert auf
die Spur zu kommen. Wir mussen jetzt zu dieser Erscheinungsform des
Wertes zuriickkehren.
Jedermann weiB, wenn er auch sonst nichts weiB, daB die Waren eine
mit den bunten Naturalformen ihrer Gebrauchswerte hochst frappant
kontrastierende, gemeinsame Wertform besitzen - die Geldform. Hier gilt
es jedoch zu leisten, was von der burgerlichen Okonomie nicht einmal
versucht ward, namlich die Genesis dieser Geldform nachzuweisen, also
die Entwicklung des im Wertverhaltnis der Waren enthaltenen
Wertausdrucks von seiner einfachsten unscheinbarsten Gestalt bis zur
blendenden Geldform zu verfolgen. Damit verschwindet zugleich das
Geldratsel.
Das einfachste Wertverhaltnis ist offenbar das Wertverhaltnis einer Ware
zu einer einzigen verschiedenartigen Ware, gleichgiiltig welcher. Das
Wertverhaltnis zweier Waren liefert daher den einfachsten Wertausdruck
fur eine Ware.
A) Einfache, einzelne oder zufallige Wertform
x Ware A = y Ware B oder: x Ware A ist y Ware B wert.
(20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind 1 Rock wert.)
1. Die beiden Pole des Wertausdrucks: Relative Wertform und Aquivalentform
Das Geheimnis aller Wertform steckt in dieser einfachen Wertform. Ihre
Analyse bietet daher die eigentliche Schwierigkeit.
Es spielen hier zwei verschiedenartige Waren A und B, in unsrem Beispiel
Leinwand und Rock, offenbar zwei verschiedene Rollen. Die Leinwand
driickt ihren Wert aus im Rock, der Rock dient zum Material dieses
Wertausdrucks. Die erste Ware spielt eine aktive, die zweite eine passive
Rolle. Der Wert der ersten Ware ist als relativer Wert dargestellt, oder sie
befindet sich in relativer Wertform. Die zweite Ware funktioniert als
Aquivalent oder befindet sich in Aquivalentform.
Relative Wertform und Aquivalentform sind zueinander gehorige, sich
wechselseitig bedingende, unzertrennliche Momente, aber zugleich
einander ausschlieBende oder entgegengesetzte Extreme, d.h. Pole
desselben Wertausdrucks; sie verteilen sich stets auf die verschiedenen
Waren, die der Wertausdruck aufeinander bezieht. Ich kann z.B. den Wert
der Leinwand nicht in Leinwand ausdriicken. 20 Ellen Leinwand = 20
Ellen Leinwand ist kein Wertausdruck. Die Gleichung sagt vielmehr
umgekehrt: 20 Ellen Leinwand sind nichts andres als 20 Ellen Leinwand,
ein bestimmtes Quantum des Gebrauchsgegenstandes Leinwand. Der
Wert der Leinwand kann also nur relativ ausgedriickt werden, d.h. in
andrer Ware. Die relative Wertform der Leinwand unterstellt daher, daB
irgendeine andre Ware sich ihr gegenuber in der Aquivalentform befindet.
Andrerseits, diese andre Ware, die als Aquivalent figur-iert, kann sich nicht
gleichzeitig in relativer Wertform befinden. Nicht sie driickt ihren Wert
aus. Sie liefert nur dem Wertausdruck andrer Ware das Material.
Allerdings schlieBt det Ausdruck: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder 20
Ellen Leinwand sind 1 Rock wert, auch die Ruckbeziehungen ein: 1 Rock
= 20 Ellen Leinwand oder 1 Rock ist 20 Ellen Leinwand wert. Aber so muB
ich doch die Gleichung umkehren, um den Wert des Rocks relativ
auszudriicken, und sobald ich das tue, wird die Leinwand Aquivalent statt
des Rockes. Deselbe Ware kann also in demselben Wertausdruck nicht
gleichzeitig in beiden Formen auftreten. Diese schlieBen sich vielmehr
polarisch aus.
Ob eine Ware sich nun in relativer Wertform befindet oder in der
entgegengesetzten Aquivalentform, hangt ausschlieBlich ab von ihrer
jedesmaligen Stelle im Wertausdruck, d.h. davon, ob sie die Ware ist,
deren Wert, oder aber die Ware, worin Wert ausgedriickt wird.
2. Die relative Wertform
a) Gehalt der relativen Wertform
Um herauszufinden, wie der einfache Wertausdruck einer Ware im
Wertverhaltnis zweier Waren steckt, muB man letzteres zunachst ganz
unabhangig von seiner quantitativen Seite betrachten. Man verfahrt meist
grade umgekehrt und sieht im Wertverhaltnis nur die Proportion, worin
bestimmte Quanta zweier Warensorten einander gleichgelten. Man
iibersieht, daB die GroBen verschiedner Dinge erst quantitativ vergleichbar
werden nach ihrer Reduktion auf dieselbe Einheit. Nur als Ausdriicke
derselben Einheit sind sie gleichnamige, daher kommensurable GroBen. 59
Ob 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 20 oder = x Rocke, d.h., ob ein
gegebenes Quantum Leinwand viele oder wenige Rocke wert ist, jede
solche Proportion schlieBt stets ein, daB Leinwand und Rocke als
WertgroBen Ausdriicke derselben Einheit, Dinge von derselben Natur sind.
Leinwand = Rock ist die Grundlage der Gleichung.
Aber die zwei qualitativ gleichgesetzten Waren spielen nicht dieselbe
Rolle. Nur der Wert der Leinwand wird ausgedriickt. Und wie? Durch ihre
Beziehung auf den Rock als ihr "Aquivalent" oder mit ihr
'Austauschbares". In diesem Verhaltnis gilt der Rock als Existenzform von
Wert, als Wertding, denn nur als solches ist er dasselbe wie die Leinwand.
Andrer seits kommt das eigne Wertsein der Leinwand zum Vorschein oder
erhalt einen selbstandigen Ausdruck, denn nur als Wert ist sie auf den
Rock als Gleichwertiges oder mit ihr Austauschbares bezuglich. So ist die
Buttersaure ein vom Propylformat verschiedner Korper. Beide bestehn
jedoch aus denselben chemischen Substanzen - Kohlenstoff (C),
Wasserstoff (H) und Sauerstoff (O), und zwar in gleicher prozentiger
Zusammensetzung, namlich C4H8O2. Wiirde nun der Buttersaure das
Propylformat gleichgesetzt, so galte in diesem Verhaltnis erstens das
Propylformat bloB als Existenzform von C4H8O2 und zweitens ware
gesagt, daB auch die Buttersaure aus C4H8O2 besteht. Durch die
Gleichsetzung des Propylformats mit der Buttersaure ware also ihre
chemische Substanz im Unterschied von ihrer Korperform ausgedriickt.
Sagen win als Werte sind die Waren bloBe Gallerten menschlicher Arbeit,
so reduziert unsre Analyse dieselben auf die Wertabstraktion, gibt ihnen
aber keine von ihren Naturalformen verschiedne Wertform. Anders im
Wertverhaltnis einer Ware zur andern. Ihr Wertcharakter tritt hier hervor
durch ihre eigne Beziehung zu der andern Ware.
Indem z. B. der Rock als Wertding der Leinwand gleichgesetzt wird, wird
die in ihm steckende Arbeit der in ihr steckenden Arbeit gleichgesetzt. Nun
ist zwar die Schneiderei, die den Rock macht, eine von der Weberei, die
die Leinwand macht, verschiedenartige konkrete Arbeit. Aber die
Gleichsetzung mit der Weberei reduziert die Schneiderei tatsachlich auf
das in beiden Arbeiten wirklich Gleiche, auf ihren gemeinsamen Charakter
menschlicher Arbeit. Auf diesem Umweg ist dann gesagt, daB auch die
Weberei, sofern sie Wert webt, keine Unterscheidungsmerkmale von der
Schneiderei besitzt, also abstrakt menschliche Arbeit ist. Nur der
Aquivalenzausdruck verschiedenartiger Waren bringt den spezifischen
Charakter der wertbildenden Arbeit zum Vorschein, indem er die in den
verschiedenartigen Waren steckenden, verschiedenartigen Arbeiten
tatsachlich auf ihr Gemeinsames reduziert, auf menschliche Arbeit
iiberhaupt 60
Es geniigt indes nicht, den spezifischen Charakter der Arbeit
auszudriicken, woraus der Wert der Leinwand besteht. Menschliche
Arbeitskraft im fliissigen Zustand oder menschliche Arbeit bildet Wert,
aber ist nicht Wert. Sie wird Wert in geronnenem Zustand, in
gegenstandlicher Form. Um den Leinwandwert als Gallerte menschlicher
Arbeit auszudriicken, muB er als eine "Gegenstandlichkeit' ausgedriickt
werden, welche von der Leinwand selbst dinglich verschieden und ihr
zugleich mit andrer Ware gemeinsam ist. Die Aufgabe ist bereits gelost.
Im Wertverhaltnis der Leinwand gilt der Rock als ihr qualitativ Gleiches,
als Ding von derselben Natur, weil er ein Wert ist. Er gilt hier daher als ein
Ding, worin Wert erscheint oder welches in seiner handgreiflichen
Naturalform Wert darstellt. Nun ist zwar der Rock, der Korper der
Rockware, ein bloBer Gebrauchswert. Ein Rock driickt ebensowenig Wert
aus als das erste beste Stuck Leinwand. Dies beweist nur, daB er innerhalb
des Wertverhaltnisses zur Leinwand mehr bedeutet als auBerhalb
desselben, wie so mancher Mensch innerhalb eines galonierten Rockes
mehr bedeutet als auBerhalb desselben.
In der Produktion des Rockes ist tatsachlich, unter der Form der
Schneiderei, menschliche Arbeitskraft verausgabt worden. Es ist also
menschliche Arbeit in ihm aufgehauft. Nach dieser Seite hin ist der Rock
"Trager von Wert", obgleich diese seine Eigenschaft selbst durch seine
groBte Fadenscheinigkeit nicht durchblickt. Und im Wertverhaltnis der
Leinwand gilt er nur nach dieser Seite, daher als verkorperter Wert, als
Wertkorper. Trotz seiner zugeknopften Erscheinung hat die Leinwand in
ihm die stammverwandte schone Wertseele erkannt. Der Rock kann ihr
gegeniiber jedoch nicht Wert darstellen, ohne daB fiir sie gleichzeitig der
Wert die Form eines Rockes annimmt. So kann sich das Individuum A
nicht zum Individuum B als einer Majestat verhalten, ohne daB fiir A die
Majestat zugleich die Leibesgestalt von B annimmt und daher
Gesichtsziige, Haare und manches andre noch mit dem jedesmaligen
Landesvater wechselt.
Im Wertverhaltnis, worin der Rock das Aquivalent der Leinwand bildet,
gilt also die Rockform als Wertform. Der Wert der Ware Leinwand wird
daher ausgedriickt im Korper der Ware Rock, der Wert einer Ware im
Gebrauchswert der andren. Als Gebrauchswert ist die Leinwand ein vom
Rock sinnlich verschiednes Ding, als Wert ist sie "Rockgleiches" und sieht
daher aus wie ein Rock. So erhalt sie eine von ihrer Naturalform
verschiedne Wertform. Ihr Wertsein erscheint in ihrer Gleichheit mit dem
Rock wie die Schafsnatur des Christen in seiner Gleichheit mit dem Lamm
Gottes.
Man sieht, alles, was uns die Analyse des Warenwerts vorher sagte, sagt
die Leinwand selbst, sobald sie in Umgang mit andrer Ware, dem Rock,
tritt. Nur verrat sie ihre Gedanken in der ihr allein gelaufigen Sprache, der
Warensprache. Um zu sagen, daB die Arbeit in der abstrakten Eigenschaft
menschlicher Arbeit ihren eignen Wert bildet, sagt sie, daB der Rock,
soweit er ihr gleichgilt, also Wert ist, aus derselben Arbeit be-steht wie die
Leinwand. Um zu sagen, daB ihre sublime Wertgegenstandlichkeit von
ihrem steifleinenen Korper verschieden ist, sagt sie, daB Wert aussieht wie
ein Rock und daher sie selbst als Wertding dem Rock gleicht wie ein Ei
dem andern. Nebenbei bemerkt, hat auch die Warensprache, auBer dem
Hebraischen, noch viele andre mehr oder minder korrekte Mundarten. Das
deutsche 'Wertsein" driickt z. B. minder schlagend aus als das romanische
Zeitwort valere, valer, valoir, daB die Gleichsetzung der Ware B mit der
Ware A der eigne Wertausdruck der Ware A ist. Paris vaut bien une
messe! 61
Vermittelst des Wertverhaltnisses wird also die Naturalform der Ware B
zur Wertform der Ware A oder der Korper der Ware B zum Wertspiegel
der Ware A. 62 Indem sich die Ware A auf die Ware B als Wertkorper
bezieht, als Materiatur menschlicher Arbeit, macht sie den Gebrauchswert
B zum Material ihres eignen Wertausdrucks. Der Wert der Ware A, so
ausgedriickt im Gebrauchswert der Ware B, besitzt die Form des relativen
Wert.
b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Wertform
Jede Ware, deren Wert ausgedriickt werden soil, ist ein
Gebrauchsgegen stand von gegebnem Quantum, 15 Scheffel Weizen, 100
Pfd. Kaffee usw. Dieses gegebne Warenquantum enthalt ein bestimmtes
Quantum menschlicher Arbeit. Die Wertform hat also nicht nur Wert
uberhaupt, sondern quantitativ bestimmten Wert oder WertgroBe
auszudriicken. Im Wertverhaltnis der Ware A zur Ware B, der Leinwand
zum Rocke, wird daher die Warenart Rock nicht nur als Wertkorper
uberhaupt der Leinwand qualitativ gleichgesetzt, sondern einem
l.In gewisser Art geht's dem Menschen wie der Ware. Da er weder mit einem Spiegel auf die Welt
kommt noch als Fichtescher Philosoph: Ich bin ich, bespiegelt sich der Mensch zuerst in einem andren
Menschen. Erst durch die Beziehung auf den Menschen Paul als seinesgleichen bezieht sich der Mensch
Peter auf sich selbst als Mensch. Damit gilt ihm aber auch der Paul mit Haut und Haaren, in seiner
paulinischen Leiblichkeit, als Erscheinungsform des Genus Mensch.
l.Der Ausdruck "Wert" wird hier, wie beilaufig schon fruher steflenweis geschah, fiir quantitativ
bestimmten Wert, also fur WertgroBe gebraucht.
l.Note zur 2. Ausg.: Diese Inkongruenz zwischen der WertgroBe und ihrem relativen Ausdruck ist
von der Vulgarokonomie mit gewohntem Scharfsinn ausgebeutet worden. Z.B.: »Gebt einmal zu, dafi A
fallt, well B, womit es ausgetauscht wird, steigt, obgleich unterdessen nicht weniger Arbeit auf A
verausgabt wird, und euer allgemeines Wertprinzip fallt zu Boden... Wenn zugegeben wird, dafi, well
der Wert von A relativ zu B steigt, der Wert von B relativ zu A fallt, ist der Grund unter den Fiifien
weggeschnitten, worauf Ricardo seinen grofien Satz aufstellt, dafi der Wert einer Ware stets bestimmt
ist durch das Quantum der ihr einverleibten Arbeit; denn wenn ein Wechsel in den Kosten von A nicht
nur seinen eignen Wert im Verhdltnis zu B, womit es ausgetauscht wird, verandert, sondern auch den
Wert von B relativ zu dem von A, obgleich kein Wechsel stattgefunden hat in dem zur Produktion von B
erheischten Arbeitsquantum, dann fallt nicht nur die Doktrin zu Boden, die versichert, dafi die auf
einen Artikel verausgabte Quantitat Arbeit seinen Wert reguliert, sondern auch die Doktrin, dafi die
Produktionskosten eines Artikels seinen Wert regulieren.« (J. Broadhurst, "Political Economy", London
1842, p. 11, 14.)
bestimmten Leinwandquantum, z. B. 20 Ellen Leinwand, ein bestimmtes
Quantum des Wertkorpers oder Aquivalents, z.B. 1 Rock.
Die Gleichung: "20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder: 20 Ellen Leinwand sind
1 Rock wert" setzt voraus, daB in 1 Rock gerade so viel Wertsubstanz
steckt als in 20 Ellen Leinwand, daB beide Warenquanta also gleich viel
Arbeit kosten oder gleich groBe Arbeitszeit. Die zur Produktion von 20
Ellen Leinwand oder 1 Rock notwendige Arbeitszeit wechselt aber mit
jedem Wechsel in der Produktivkraft der Weberei oder der Schneiderei.
Der EinfluB solcher Wechsel auf den relativen Ausdruck der WertgroBe
soil nun naher untersucht werden.
I. Der Wert der Leinwand wechsle 63 , wahrend der Rockwert konstant
bleibt. Verdoppelt sich die zur Produktion der Leinwand notwendige
Arbeitszeit, etwa infolge zunehmender Unfruchtbarkeit des
flachstragenden Bodens, so verdoppelt sich ihr Wert. Statt 20 Ellen
Leinwand = 1 Rock hatten wir 20 Ellen Leinwand = 2 Rocke, da 1 Rock
jetzt nur halb so viel Arbeitszeit enthalt als 20 Ellen Leinwand. Nimmt
dagegen die zur Produktion der Leinwand notwendige Arbeitszeit um die
Halfte ab, etwa infolge verbesserter Webstuhle, so sinkt der Leinwandwert
um die Halfte. DemgemaB jetzt: 20 Ellen Leinwand = Vi Rock. Der relative
Wert der Ware A, d.h. ihr Wert ausgedriickt in der Ware B, steigt und fallt
also direkt wie der Wert der Ware A, bei gleichbleibendem Wert der Ware
B.
II. Der Wert der Leinwand bleibe konstant, wahrend der Rockwert
wechsle. Verdoppelt sich unter diesen Umstanden die zur Produktion des
Rockes notwendige Arbeitszeit, etwa infolge ungunstiger Wollschur, so
haben wir statt 20 Ellen Leinwand = 1 Rock jetzt: 20 Ellen Leinwand = Vi
Rock. Fallt dagegen der Wert des Rockes um die Halfte, so 20 Ellen
Leinwand = 2 Rocke. Bei gleichbleibendem Wert der Ware A fallt oder
steigt daher ihr relativer, in der Ware B ausgedriickter Wert im
umgekehrten Verhaltnis zum Wertwechsel von B.
Vergleicht man die verschiednen Falle sub I und II, so ergibt sich, daB
derselbe GroBenwechsel des relativen Werts aus ganz entgegengesetzten
Ursachen entspringen kann. So wird aus 20 Ellen Leinwand = 1 Rock: 1.
die Gleichung 20 Ellen Leinwand = 2 Rocke, entweder weil der Wert der
Leinwand sich verdoppelt oder der Wert der Rocke urn die Halfte fallt, und
2. die Gleichung 20 Ellen Leinwand = Vi Rock, entweder weil der Wert der
Leinwand um die Halfte sinkt oder der Wert des Rockes auf das Doppelte
steigt.
III. Die zur Produktion von Leinwand und Rock notwendigen
Arbeitsquanta mogen gleichzeitig, in derselben Richtung und derselben
Proportion wechseln. In diesem Falle nach wie vor 20 Ellen Leinwand = 1
Rock, wie immer ihre Werte verandert seien. Man entdeckt ihren
Wertwechsel, sobald man sie mit einer dritten Ware vergleicht, deren Wert
konstant blieb. Stiegen oder fielen die Werte aller Waren gleichzeitig und
in derselben Proportion, so wiirden ihre relativen Werte unverandert
bleiben. Ihren wirklichen Wertwechsel ersahe man daraus, daB in
derselben Arbeitszeit nun allgemein ein groBeres oder kleineres
Warenquantum als vorher geliefert wiirde.
IV. Die zur Produktion von Leinwand und Rock resp. notwendigen
Arbeitszeiten, und daher ihre Werte, mogen gleichzeitig in derselben
Richtung wechseln, aber in ungleichem Grad, oder in entgegengesetzter
Richtung usw. Der EinfluB aller moglichen derartigen Kombinationen auf
den relativen Wert einer Ware ergibt sich einfach durch Anwendung der
Falle 1,11 und III.
Wirkliche Wechsel der WertgroBe spiegeln sich also weder unzweideutig
noch erschopfend wider in ihrem relativen Ausdruck oder in der GroBe des
relativen Werts. Der relative Wert einer Ware kann wechseln, obgleich ihr
Wert konstant bleibt. Ihr relativer Wert kann konstant bleiben, obgleich ihr
Wert wechselt, und endlich brauchen gleichzeitige Wechsel in ihrer
WertgroBe und im relativen Ausdruck dieser WertgroBe sich keineswegs
zu decken. 64
3. Die Aquivalentform
Man hat gesehn: Indem eine Ware A (die Leinwand) ihren Wert im
Gebrauchswert einer verschiedenartigen Ware B (dem Rock) ausdriickt,
driickt sie letzterer selbst eine eigentumliche Wertform auf, die des
Aquivalents. Die Leinwandware bringt ihr eignes Wertsein dadurch zum
Vorschein, daB ihr der Rock, ohne Annahme einer von seiner Korperform
verschiednen Wertform, gleichgilt. Die Leinwand driickt also in der Tat ihr
eignes Wertsein dadurch aus, daB der Rock unmittelbar mit ihr
austauschbar ist. Die Aquivalentform einer Ware ist folglich die Form ihrer
unmittelbaren Austauschbarkeit mit anderer Ware.
Wenn eine Warenart, wie Rocke, einer andren Warenart, wie Leinwand,
zum Aquivalent dient, Rocke daher die charakteristische Eigenschaft
erhalten, sich in unmittelbar austauschbarer Form mit Leinwand zu
befinden, so ist damit in keiner Weise die Proportion gegeben, worin
Rocke und Leinwand austauschbar sind. Sie hangt, da die WertgroBe der
Leinwand gegeben ist, von der WertgroBe der Rocke ab. Ob der Rock als
Aquivalent und die Leinwand als relativer Wert oder umgekehrt die
Leinwand als Aquivalent und der Rock als relativer Wert ausgedriickt sei,
seine WertgroBe bleibt nach wie vor durch die zu seiner Produktion
notwendige Arbeitszeit, also unabhangig von seiner Wertform bestimmt.
Aber sobald die Warenart Rock im Wertausdruck die Stelle des
Aquivalents einnimmt, erhalt ihre WertgroBe keinen Ausdruck als
WertgroBe. Sie figuriert in der Wertgleichung vielmehr nur als bestimmtes
Quantum einer Sache.
Z.B.: 40 Ellen Leinwand sind "wert" - was? 2 Rocke. Weil die Warenart
Rock hier die Rolle des Aquivalents spielt, der Gebrauchswert Rock der
Leinwand gegeniiber als Wertkorper gilt, geniigt auch ein bestimmtes
Quantum Rocke, um ein bestimmtes Wertquantum Leinwand
auszudriicken. Zwei Rocke konnen daher die WertgroBe von 40 Ellen
Leinwand, aber sie konnen nie ihre eigne WertgroBe, die WertgroBe von
Rocken, ausdriicken. Die oberflachliche Auffassung dieser Tatsache, daB
das Aquivalent in der Wertgleichung stets nur die Form eines einfachen
Quantums einer Sache, eines Gebrauchswertes, besitzt, hat Bailey, wie
viele seiner Vorganger und Nachfolger, verleitet, im Wertausdruck ein nur
quantitatives Verhaltnis zu sehn. Die Aquivalentform einer Ware enthalt
vielmehr keine quantitative Wertbestimmung.
Die erste Eigentiimlichkeit, die bei Betrachtung der Aquivalentform
auffallt, ist diese: Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform seines
Gegenteils, des Werts.
Die Naturalform der Ware wird zur Wertform. Aber, notabene, dies
Quidproquo ereignet sich fur eine Ware B (Rock oder Weizen oder Eisen
usw.) nur innerhalb des Wertverhaltnisses, worin eine beliebige andre
Ware A (Leinwand etc.) zu ihr tritt, nur innerhalb dieser Beziehung. Da
keine Ware sich auf sich selbst als Aquivalent beziehn, also auch nicht ihre
eigne Naturalhaut zum Ausdruck ihres eignen Werts machen kann, muB
sie sich auf andre Ware als Aquivalent beziehn oder die Naturalhaut einer
andren Ware zu ihrer eignen Wertform machen.
Dies veranschauliche uns das Beispiel eines MaBes, welches den
Warenkorpern als Warenkorpern zukommt, d.h. als Gebrauchswerten. Ein
Zuckerhut, weil Korper, ist schwer und hat daher Gewicht, aber man kann
keinem Zuckerhut sein Gewicht ansehn oder anfuhlen. Wir nehmen nun
verschiedne Stiicke Eisen, deren Gewicht vorher bestimmt ist. Die
Korperform des Eisens, fur sich betrachtet, ist ebensowenig
Erscheinungsform der Schwere als die des Zuckerhuts. Dennoch, um den
Zuckerhut als Schwere auszudriicken, setzen wir ihn in ein
Gewichtsverhaltnis zum Eisen. In diesem Verhaltnis gilt das Eisen als ein
Korper, der nichts darstellt auBer Schwere. Eisenquanta dienen daher zum
GewichtsmaB des Zuckers und reprasentieren dem Zuckerkorper
gegenuber bloBe Schwergestalt, Erscheinungsform von Schwere. Diese
Rolle spielt das Eisen nur innerhalb dieses Verhaltnisses, worin der Zucker
oder irgendein anderer Korper, dessen Gewicht gefunden werden soil, zu
ihm tritt. Waren beide Dinge nicht schwer, so konnten sie nicht in dieses
Verhaltnis treten und das eine daher nicht zum Ausdruck der Schwere des
andren dienen. Werfen wir beide auf die Waagschale, so sehn wir in der
Tat, daB sie als Schwere dasselbe, und daher in bestimmter Proportion
auch von demselben Gewicht sind. Wie der Eisenkorper als GewichtsmaB
dem Zuckerhut gegenuber nur Schwere, so vertritt in unsrem
Wertausdruck der Rockkorper der Leinwand gegenuber nur Wert.
Hier hort Jedoch die Analogie auf. Das Eisen vertritt im Gewichtsausdruck
des Zuckerhuts eine beiden Korpern gemeinsame Natureigengchaft, ihre
Schwere, wahrend der Rock im Wertausdruck der Leinwand eine
iibernatiirliche Eigenschaft beider Dinge vertritt: ihren Wert, etwas rein
Gesellschaftliches.
Indem die relative Wertform einer Ware, z.B. der Leinwand, ihr Wertsein
als etwas von ihrem Korper und seinen Eigenschaften durchaus
Unterschiedenes ausdriickt, z.B. als Rockgleiches, deutet dieser Ausdruck
selbst an, daB er ein gesellschaftliches Verhaltnis verbirgt. Umgekehrt mit
der Aquivalentform. Sie besteht ja gerade darin, daB ein Warenkorper, wie
der Rock, dies Ding wie es geht und steht, Wert ausdriickt, also von Natur
Wertform besitzt. Zwar gilt dies nur innerhalb des Wertverhaltnisses, worin
die Leinwandware auf die Rockware als Aquivalent bezogen ist. 65 Da aber
Eigenschaften eines Dings nicht aus seinem Verhaltnis zu andern Dingen
entspringen, sich vielmehr in solchem Verhaltnis nur betatigen, scheint
auch der Rock seine Aquivalentform, seine Eigenschaft unmittelbarer
Austauschbarkeit, ebensosehr von Natur zu besitzen wie seine
Eigenschaft, schwer zu sein oder warm zu halten. Daher das Ratselhafte
der Aquivalentform, das den burgerlich rohen Blick des politischen
Okonomen erst schlagt, sobald diese Form ihm fertig gegeniibertritt im
Geld. Dann sucht er den mystischen Charakter von Gold und Silber
wegzuklaren, indem er ihnen minder blendende Waren unterschiebt und
mit stets erneutem Vergniigen den Katalog all des Warenpobels ableiert,
der seinerzeit die Rolle des Waren Equivalents gespielt hat. Er ahnt nicht,
daB schon der einfachste Wertausdruck, wie 20 Ellen Leinwand = 1 Rock,
das Ratsel der Aquivalentform zu losen gibt.
l.Es ist mit solchen Reflexionsbestimmungen uberhaupt ein eigenes Ding. Dieser Mensch ist z.B.
nur Konig, weil sich andre Menschen als Untertanen zu ihm verhalten. Sie glauben umgekehrt Untertanen zu
sein, weil er Konig ist.
l.Marx zitiert hier das Werk des Aristoteles "Ethica Nicomachea" aus "Aristotelis opera ex
recensione Immanuelis Bekkeri", Bd.9, Oxonii 1837, S.99, 100.
l.Note zur 2.Ausg. F.L.A. Ferrier (sous-inspecteur des douanes *), »Du Gouvernement considere
dans ses rapports avec le commerce«, Paris 1805, und Charles Ganilh, "Des Systemes d'Economie
Politique", 2eme ed., Paris 1821.
Der Korper der Ware, die zum Aquivalent dient, gilt stets als Verkorperung
abstrakt menschlicher Arbeit und ist stets das Produkt einer bestimmten
niitzlichen, konkreten Arbeit. Diese konkrete Arbeit wird also zum
Ausdruck abstrakt menschlicher Arbeit. Gilt der Rock z.B. als bloBe
Verwirklichung, so die Schneiderei, die sich tatsachlich in ihm verwirklicht,
als bloBe Verwirldichungsform abstrakt menschlicher Arbeit. Im
Wertausdruck der Leinwand besteht die Niitzlichkeit der Schneiderei nicht
darin, daB sie Kleider, also auch Leute, sondern daB sie einen Korper
macht, dem man es ansieht, daB er Wert ist, also Gallerte von Arbeit, die
sich durchaus nicht unterscheidet von der im Leinwandwert
vergegenstandlichten Arbeit. Um solch einen Wertspiegel zu machen, muB
die Schneiderei selbst nichts widerspiegeln auBer ihrer abstrakten
Eigenschaft, menschliche Arbeit zu sein.
In der Form der Schneiderei wie in der Form der Weberei wird
menschliche Arbeitskraft verausgabt. Beide besitzen daher die allgemeine
Eigenschaft menschlicher Arbeit und mogen daher in bestimmten Fallen,
z.B. bei der Wertproduktion, nur unter diesem Gesichtspunkt in Betracht
kommen. All das ist nicht mysterios. Aber im Wertausdruck der Ware wird
die Sache verdreht. Um z.B. auszudriicken, daB das Weben nicht in seiner
konkreten Form als Weben, sondern in seiner allgemeinen Eigenschaft als
menschliche Arbeit den Leinwandwert bildet, wird ihm die Schneideirei,
die konkrete Arbeit, die das Leinwand-Aquivalent produziert,
gegenubergestellt als die handgreifliche Verwirldichungsform abstrakt
menschlicher Arbeit.
Es ist also eine zweite Eigentumlichkeit der Aquivalentform, daB konkrete
Arbeit zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher
Arbeit wird.
Indem aber diese konkrete Arbeit, die Schneiderei, als bloBer Ausdruck
unterschiedsloser menschlicher Arbeit gilt, besitzt sie die Form der
Gleichheit mit andrer Arbeit, der in der Leinwand steckenden Arbeit, und
ist daher, obgleich Privatarbeit, wie alle andre, Waren produzierende
Arbeit, dennoch Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form.
Ebendeshalb stellt sie sich dar in einem Produkt, das unmittelbar
austauschbar mit andrer Ware ist. Es ist also eine dritte Eigentumlichkeit
der Aquivalentfoirm, daB Privatarbeit zur Form ihres Gegenteils wird, zu
Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form.
Die beiden zuletzt entwickelten Eigentumlichkeiten der Aquivalentform
werden noch faBbarer, wenn wir zu dem groBen Forscher zuriickgehn, der
die Wertform, wie so viele Denkformen, Gesellschaftsformen und
Naturformen zuerst analysiert hat. Es ist dies Aristo teles.
Zunachst spricht Aristoteles klar aus, daB die Geldform der Ware nur die
weiter entwickelte Gestalt der einfachen Wertform ist, d.h. des Ausdrucks
des Werts einer Ware in irgendeiner beliebigen andren Ware, denn er sagt:
»5 Polster = 1 Haus«
»unterscheidet sich nicht« von:
»5 Polster = soundso viel Geld«
Er sieht ferner ein, daB das Wertverhaltnis, worin dieser Wertausdruck
steckt, seinerseits bedingt, daB das Haus dem Polster qualitativ
gleichgesetzt wird und daB diese sinnlich verschiednen Dinge ohne solche
Wesensgleichheit nicht als kommensurable GroBen aufeinander beziehbar
waren. Der »Austausch« , sagt er, »kann nicht s ein ohne die Gleichheit,
die Gleichheit aber nicht ohne die Kommensurabilitat« . Hier aber stutzt
er und gibt die weitere Analyse der Wertform auf. »Es ist aber in
Wahrheit unmoglich, dafi so verschiedenartige Dinge kommensurabel« ,
d.h. qualitativ gleich seien. Diese Gleichsetzung kann nur etwas der wahren
Natur der Dinge Fremdes sein, also nur »Notbehelffur das praktische
Bediirfnis« , 66
Aristoteles sagt uns also selbst, woran seine weitere Analyse scheitert,
namlich am Mangel des Wertbegriffs. Was ist das Gleiche, d.h. die
gemeinschaftliche Substanz, die das Haus fur den Polster im Wertausdruck
des Polsters vorstellt? So etwas kann »in Wahrheit nicht existieren«, sagt
Aristoteles. Warum? Das Haus stellt dem Polster gegeniiber ein Gleiches
vor, soweit es das in beiden, dem Polster und dem Haus, wirklich Gleiche
vorstellt. Und das ist - menschliche Arbeit.
DaB aber in der Form der Waren werte alle Arbeiten als gleiche
menschliche Arbeit und daher als gleichgeltend ausgedriickt sind, konnte
Aristoteles nicht aus der Wertform selbst herauslesen, weil die griechische
Gesellschaft auf der Sklavenarbeit berahte, daher die Ungleichheit der
Menschen und ihrer Arbeitskrafte zur Naturbasis hatte. Das Geheimnis des
Wertausdrucks, die Gleichheit und gleiche Gultigkeit aller Arbeiten, weil
und insofern sie menschliche Arbeit iiberhaupt sind, kann nur entziffert
werden, sobald der Begriff der menschlichen Gleichheit bereits die
Festigkeit eines Volksvorurteils besitzt. Das ist aber erst moglich in einer
Gesellschaft, worin die Warenform die allgemeine Form des
Arbeitsprodukts, also auch das Verhaltnis der Menschen zueinander als
Warenbesitzer das herrschende gesellschafthche Verhaltnis ist. Das Genie
des Aristoteles glanzt grade darin, daB er im Wertausdruck der Waren ein
Gleichheitsverhaltnis entdeckt. Nur die historische Schranke der
Gesellschaft, worin er lebte, verhindert ihn herauszufinden, worin denn "in
Wahrheit" dies Gleichheitsverhaltnis besteht.
4. Das Ganze der einfachen Wertform
Die einfache Wertform einer Ware ist enthalten in ihrem Wertverhaltnis
zu einer verschiedenartigen Ware oder im Austauschverhaltnis mit
derselben. Der Wert der Ware A wird qualitativ ausgedriickt durch die
unmittelbare Austauschbarkeit der Ware B mit der Ware A. Er wird
quantitativ ausgedriickt durch die Austauschbarkeit eines bestimmten
Quantums der Ware B mit dem gegebenen Quantum der Ware A. In
andren Worten: Der Wert einer Ware ist selbstandig ausgedriickt durch
seine Darstellung als "Tauschwert". Wenn es im Eingang dieses Kapitels in
der gang und gaben Manier hieB: Die Ware ist Gebrauchswert und
Tauschwert, so war dies, genau gesprochen, falsch. Die Ware ist
Gebrauchswert oder Gebrauchsgegenstand und 'Wert". Sie stellt sich dar
als dies Doppelte, was sie ist, sobald ihr Wert eine eigne, von ihrer
Naturalform verschiedene Erscheinungsform besitzt, die des Tauschwerts,
und sie besitzt diese Form niemals isoliert betrachtet, sondern stets nur im
Wert- oder Austauschverhaltnis zu einer zweiten, verschiedenartigen
Ware. WeiB man das jedoch einmal, so tut jene Sprechweise keinen Harm,
sondern dient zur Abkurzung.
Unsere Analyse bewies, daB die Wertform oder der Wertausdruck der
Ware aus der Natur des Warenwerts entspringt, nicht umgekehrt Wert und
WertgroBe aus ihrer Ausdrucksweise als Tauschwert. Dies ist jedoch der
Wahn sowohl der Merkantilisten und ihrer modernen Aufwarmer, wie
Ferrier, Ganilh usw. 67 , als auch ihrer Antipoden, der modernen
Freihandels-Commis-Voyageurs, wie Bastiat und Konsorten. Die
Merkantilisten legen das Hauptgewicht auf die qualitative Seite des
Wertausdrucks, daher auf die Aquivalentform der Ware, die im Geld ihre
fertige Gestalt besitzt - die modernen Freihandelshausierer dagegen, die
ihre Ware um jeden Preis losschlagen mussen, auf die quantitative Seite
der relativen Wertform. Fur sie existiert folglich weder Wert noch
WertgroBe der Ware auBer in dem Ausdruck durch das
Austauschverhaltnis, daher nur im Zettel des taglichen Preiskurants. Der
Schotte Macleod, in seiner Funktion, die kreuzverwirrten Vorstellungen
von Lombardstreet 68 moglichst gelehrt herauszuputzen, bildet die
3.Lombardstreet - StraBe in der Londoner City, in der sich die bedeutendsten Bank- und
Handelsunternehmungen Englands befinden.
l.Note zur 2. Aufl. Z.B. bei Homer wird der Wert eines Dings in einer Reihe verschiedner Dinge
ausgedruckt.
l.Man spricht deshalb vom Rockwert der Leinwand, wenn man ihren Wert in Rocken, von ihrem
Kornwert, wenn man ihn in Korn darstellt etc. Jeder solche Ausdruck besagt, daB es ihr Wert ist, der in den
Gebrauchswerten Rock, Korn usw. erscheint. »Da der Wert jeder Ware ihr Verhdltnis im Austausch
bezeichnet, konnen wir ihn bezeichnen als ... Kornwert, Tuchwert, je nach der Ware, mit der sie
verglichen wird; und daher gibt es tausend verschiedene Arten von Werten, so viele, wie Waren
vorhanden sind, und alle sind gleich real und gleich nominell.« ("A Critical Dissertation on the Nature,
Measures, and Causes of Value, chiefly in reference to the writings of Mr. Ricardo and his followers. By
the Author of Essays on the Formation etc. of Opinions", London 1825, p. 39.) S.Bailey, der Verfasser
dieser anonymen Schrift, die ihrer Zeit viel Larm in England machte, wahnt durch diesen Hinweis auf die
kunterbunten relativen Ausdriicke desselben Warenwerts alle Begriffsbestimmung des Werts vernichtet zu
haben. DaB er iibrigens, trotz eigner Borniertheit, wunde Flecken der Ricardoschen Theorie sondiert hatte,
bewies die Gereiztheit, womit die Ricardosche Schule ihn angriff, z.B. in der Westminster Review'.
l.Man sieht es der Form allgemeiner unmittelbarer Austauschbarkeit in der Tat keineswegs an,
daB sie eine gegensatzliche Warenform ist, von der Form nicht unmittelbarer Austauschbarkeit ebenso
unzertrennlich wie die Positivitat eines Magnetpols von der Negativitat des andren. Man mag sich daher
einbilden, man konne alien Waren zugleich den Stempel unmittelbarer Austauschbarkeit aufdriicken, wie
man sich einbilden mag, man konne alle Katholiken zu Papsten machen. Fur den Kleinbiirger, der in der
Warenproduktion das nee plus ultra [den Gipfel] menschlicher Freiheit und individueller Unabhangigkeit
erblickt, ware es natiirlich sehr wiinschenswert, der mit dieser Form verbundnen MiBstande iiberhoben zu
sein, namentlich auch der nicht unmittelbaren Austauschbarkeit der Waren. Die Ausmalung dieser
Philisterutopie bildet Proudhons Sozialismus, der, wie ich anderswo gezeigt*, nicht einmal das Verdienst
der Originalitat besitzt, vielmehr lange vor ihm von Gray, Bray und andern weit besser entwickelt wurde.
gelungene Synthese zwischen den aberglaubigen Merkantilisten und den
aufgeklarten Freihandelshausierern.
Die nahere Betrachtung des im Wertverhaltnis zur Ware B enthaltenen
Wertausdrucks der Ware A hat gezeigt, daB innerhalb desselben die
Naturalform der Ware A nur als Gestalt von Gebrauchswert, die
Naturalform der Ware B nur als Wertform oder Wertgestalt gilt. Der in der
Ware eingehullte innere Gegensatz von Gebrauchswert und Wert wird also
dargestellt durch einen auBeren Gegensatz, d.h. durch das Verhaltnis
zweier Waren, worin die eine Ware, deren Wert ausgedriickt werden soil,
unmittelbar nur als Gebrauchswert, die andre Ware hingegen, worin Wert
ausgedriickt wird, unmittelbar nur als Tauschwert gilt. Die einfache
Wertform einer Ware ist also die einfache Erscheinungsform des in ihr
enthaltenen Gegensatzes von Gebrauchswert und Wert.
Das Arbeitsprodukt ist in alien gesellschaftlichen Zustanden
Gebrauchsgegenstand, aber nur eine historisch bestimmte
Entwicklungsepoche, welche die in der Produktion eines Gebrauchsdings
verausgabte Arbeit als seine "gegenstandliche" Eigenschaft darstellt, d.h.
als seinen Wert, verwandelt das Arbeitsprodukt in Ware. Es folgt daher,
daB die einfache Wertform der Ware zugleich die einfache Warenform des
Arbeitsprodukts ist, daB also auch die Entwicklung der Warenform mit der
Entwicklung der Wertform zusammenfallt.
Der erste Blick zeigt das Unzulangliche der einfachen Wertform, dieser
Keimform, die erst durch eine Reihe von Metamorphosen zur Preisform
heranreift.
Der Ausdruck in irgendwelcher Ware B unterscheidet den Wert der Ware
A nur von ihrem eignen Gebrauchswert und setzt sie daher auch nur in ein
Austauschverhaltnis zu irgendeiner einzelnen von ihr selbst verschiednen
Warenart, statt ihre qualitative Gleichheit und quantitative Proportionalitat
mit alien andren Waren darzustellen. Der einfachen relativen Wertform
einer Ware entspricht die einzelne Aquivalentform einer andren Ware. So
besitzt der Rock, im relativen Wertausdruck der Leinwand, nur
Aquivalentform oder Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit Bezug auf
diese einzelne Warenart Leinwand.
Indes geht die einzelne Wertform von selbst in eine vollstandigere Form
iiber. Vermittelst derselben wird der Wert einer Ware A zwar in nur einer
Ware von andrer Art ausgedriickt. Welcher Art aber diese zweite Ware, ob
Rock, ob Eisen, ob Weizen usw., ist durchaus gleichgiiltig. Je nachdem sie
also zu dieser oder jener andren Warenart in ein Wertverhaltnis tritt,
entstehn verschiedne einfache Wertausdriicke einer und derselben Ware 69 .
Die Anzahl ihrer moglichen Wertausdriicke ist nur beschrankt durch die
Anzahl von ihr verschiedner Warenarten. Ihr vereinzelter Wertausdruck
verwandelt sich daher in die stets verlangerbare Reihe ihrer verschiednen
einfachen Wertausdriicke.
B) Totale oder entfaltete Wertform
z Ware A = u Ware B oder = v Ware C oder = w Ware D oder = x Ware E
oder = etc.
(20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Tee oder = 40 Pfd. Kaffee
oder 1 Quarter Weizen oder = 2 Unzen Gold oder = Vi Tonne Eisen oder =
etc.)
1. Die entfaltete relative Wertform
Der Wert einer Ware, der Leinwand z.B., ist jetzt ausgedriickt in
zahllosen andren Elementen der Warenwelt. Jeder andre Warenkorper
wird zum Spiegel des Leinwandwerts. 70 So erscheint dieser Wert selbst
erst wahrhaft als Gallerte unterschiedsloser menschlicher Arbeit. Denn die
inn bildende Arbeit ist nun ausdriicklich als Arbeit dargestellt, der jede
andre menschliche Arbeit gleichgilt, welche Naturalform sie immer besitze
und ob sie sich daher in Rock oder Weizen oder Eisen oder Gold usw.
vergegenstandliche. Durch ihre Wertform steht die Leinwand daher jetzt
auch in gesellschaftlichem Verhaltnis nicht mehr zu nur einer einzelnen
andren Warenart, sondern zur Warenwelt. Als Ware ist sie Burger dieser
Welt. Zugleich liegt in der endlosen Reihe seiner Ausdriicke, daB der
Warenwert gleichgiiltig ist gegen die besondre Form des Gebrauchswerts,
worin er erscheint.
In der ersten Form: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock kann es zufallige
Tatsache sein, daB diese zwei Waren in einem bestimmten quantitativen
Verhaltnisse austauschbar sind. In der zweiten Form leuchtet dagegen
sofort ein von der zufalligen Erscheinung wesentlich unterschiedner und
sie bestimmender Hintergrund durch. Der Wert der Leinwand bleibt gleich
groB, ob in Rock oder Kaffee oder Eisen etc. dargestellt, in zahllos
verschiednen Waren, den verschiedensten Besitzern angehorig. Das
zufallige Verhaltnis zweier individueller Warenbesitzer fallt fort. Es wird
offenbar, daB nicht der Austausch die WertgroBe der Ware, sondern
umgekehrt die WertgroBe der Ware ihre Austauschverhaltnisse reguliert.
2. Die besondre Aquivalentform
Jede Ware, Rock, Tee, Weizen, Eisen usw., gilt im Wertausdruck der
Leinwand als Aquivalent und daher als Wertkorper. Die bestimmte
Naturalform jeder dieser Waren ist jetzt eine besondre Aquivalentform
neben vielen andren. Ebenso gelten die mannigfaltigen in den
verschiedenen Warenkorpern enthaltenen bestimmten, konkreten,
nutzlichen Arbeitsarten jetzt als ebenso viele besondre Verwirklichungs-
oder Erscheinungsformen menschlicher Arbeit schlechthin.
3. Mangel der totalen oder entfalteten Wertform
Erstens ist der relative Wertausdruck der Ware unfertig, weil seine
Darstellungsreihe nie abschlieBt. Die Kette, worin eine Wertgleichung sich
zur andern fiigt, bleibt fortwahrend verlangerbar durch jede neu
auftretende Warenart, welche das Material eines neuen Wertausdrucks
liefert. Zweitens bildet sie eine bunte Mosaik auseinanderfallender und
verschiedenartiger Wertausdriicke. Wird endlich, wie dies geschehn muB,
der relative Wert jeder Ware in dieser entfalteten Form ausgedriickt, so ist
die relative Wertform jeder Ware eine von der relativen Wertform jeder
andren Ware verschiedne endlose Reihe von Wertausdriicken. - Die
Mangel der entfalteten relativen Wertform spiegeln sich wider in der ihr
entsprechenden Aquivalentform. Da die Naturalform jeder einzelnen
Warenart hier eine besondre Aquivalentform neben unzahligen andren
besondren Aquivalentformen ist, existieren uberhaupt nur beschrankte
Aquivalentformen, von denen jede die andre ausschlieBt. Ebenso ist die in
jedem besondren Warenaquivalent enthaltene bestimmte, konkrete,
niitzliche Arbeitsart nur besondre, also nicht erschopfende
Erscheinungsforai der menschlichen Arbeit. Diese besitzt ihre vollstandige
oder to tale Erscheinungsform zwar in dem Gesamtumkreis jener
besondren Erscheinungsformen. Aber so besitzt sie keine einheitliche
Erscheinungsform.
Die entfaltete relative Wertform besteht jedoch nur aus einer Summe
einfacher relativer Wertausdriicke oder Gleichungen der ersten Form, wie:
20 Ellen Leinwand = 1 Rock
20 Ellen Leinwand =10 Pfd, Tee usw.
Jede dieser Gleichungen enthalt aber ruckbeziiglich auch die identische
Gleichung:
1 Rock = 20 Ellen Leinwand
10 Pfd. Tee = 20 Ellen Leinwand usw.
In der Tat: Wenn ein Mann seine Leinwand mit vielen andren Waren
austauscht und daher ihren Wert in einer Reihe von andren Waren
ausdriickt, so mussen notwendig auch die vielen andren Warenbesitzer
ihre Waren mit Leinwand austauschen und daher die Werte ihrer
verschiednen Waren in derselben dritten Ware ausdriicken, in Leinwand. -
Kehren wir also die Reihe: 20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Tee
oder = usw. um, d.h., driicken wir die der Sache nach schon in der Reihe
enthaltene Ruckbeziehung aus, so erhalten wir:
C) Allgemeine Wertform
1. Verdnderter Charakter der Wertform
Die Waren stellen ihre Werte jetzt 1. einfach dar, weil in einer einzigen
Ware und 2. einheitlich, weil in derselben Ware. Ihre Wertform ist einfach
und gemeinscliaftlich, daher allgemein.
Die Formen I und II kamen beide nur dazu, den Wert einer Ware als
etwas von ihrem eignen Gebrauchswert oder ihrem Warenkorper
Unterschiedenes auszudriicken.
Die erste Form ergab Wertgleichungen wie: 1 Rock = 20 Ellen Leinwand,
10 Pfd. Tee = Vi Tonne Eisen usw. Der Rockwert wird als
Leinwandgleiches, der Teewert als Eisengleiches usw. ausgedriickt, aber
Leinwandgleiches und Eisengleiches, diese Wertausdriicke von Rock und
Tee, sind ebenso verschieden wie Leinwand und Eisen. Diese Form
kommt offenbar praktisch nur vor in den ersten Anfangen, wo
Arbeitsprodukte durch zufalligen und gelegentlichen Austausch in Waren
verwandelt werden.
Die zweite Form unterscheidet vollstandiger als die erste den Wert einer
Ware von ihrem eignen Gebrauchswert, denn der Wert des Rocks z. B. tritt
jetzt seiner Naturalform in alien moglichen Formen gegenuber, als
Leinwandgleiches, Eisengleiches, Teegleiches usw., alles andre, nur nicht
Rockgleiches. Andrerseits ist hier jeder gemeinsame Wertausdruck der
Waren direkt ausgeschlossen, denn im Wertausdruck je einer Ware
erscheinen jetzt alle andren Waren nur in der Form von Aquivalenten. Die
entfaltete Wertform kommt zuerst tatsachlich vor, sobald ein
Arbeitsprodukt, Vieh z. B., nicht mehr ausnahmsweise, sondern schon
gewohnheitsmaBig mit verschiednen andren Waren ausgetauscht wird.
Die neugewonnene Form driickt die Werte der Warenwelt in einer und
derselben von ihr abgesonderten Warenart aus, z.B. in Leinwand, und stellt
so die Werte aller Waren dar durch ihre Gleichheit mit Leinwand. Als
Leinwandgleiches ist der Wert jeder Ware jetzt nicht nur von ihrem eignen
Gebrauchswert unterschieden, sondern von allem Gebrauchswert, und
ebendadurch als das ihr mit alien Waren Gemeinsame ausgedriickt. Erst
diese Form bezieht daher wirklich die Waren aufeinander als Werte oder
laBt sie einander als Tauschwerte erscheinen.
Die beiden friiheren Formen driicken den Wert je einer Ware, sei es in
einer einzigen verschiedenartigen Ware, sei es in einer Reihe vieler von ihr
verschiednen Waren aus. Beidemal ist es sozusagen das Privatgeschaft der
einzelnen Ware, sich eine Wertform zu geben, und sie vollbringt es ohne
Zutun der andren Waren. Diese spielen ihr gegenuber die bloB passive
Rolle des Aquivalents. Die allgemeine Wertforai entsteht dagegen nur als
gemeinsames Werk der Warenwelt. Eine Ware gewinnt nur allgemeinen
Wertausdruck, weil gleichzeitig alle andren Waren ihren Wert in
demselben Aquivalent ausdriicken, und jede neu auftretende Warenart
muB das nachmachen. Es kommt damit zum Vorschein, daB die
Wertgegenstandlichkeit der Waren, weil sie das bloB "gesellschaftliche
Dasein" dieser Dinge ist, auch nur durch ihre allseitige gesellschaftliche
Beziehung ausgedriickt werden kann, ihre Wertform daher gesellschaftlich
giiltige Form sein muB.
In der Form von Leinwandgleichen erscheinen jetzt alle Waren nicht nur
als qualitativ Gleiche, Werte iiberhaupt, sondern zugleich als quantitativ
vergleichbare WertgroBen. Weil sie ihre WertgroBen in einem und
demselben Material, in Leinwand bespiegeln, spiegeln sich diese
WertgroBen wechselseitig wider. Z. B. 10 Pfd. Tee = 20 Ellen Leinwand,
und 40 Pfd. Kaffee = 20 Ellen Leinwand. Also 10 Pfd. Tee = 40 Pfd.
Kaffee. Oder in 1 Pfd. Kaffee steckt nur l A soviel Wertsubstanz, Arbeit, als
in 1 Pfd. Tee.
Die allgemeine relative Wertform der Warenwelt driickt der von ihr
ausgeschlossenen Aquivalentware, der Leinwand, den Charakter des
allgemeinen Aquivalents auf. Ihre eigne Naturalform ist die gemeinsame
Wertgestalt dieser Welt, die Leinwand daher mit alien andren Waren
unmittelbar austauschbar. Ihre Korperform gilt als die sichtbare
Inkarnation, die allgemeine gesellschaftliche Verpuppung aller
menschlichen Arbeit. Die Weberei, die Privatarbeit, welche Leinwand
produziert, befindet sich zugleich in allgemein gesellschaftlicher Form, der
Form der Gleichheit mit alien andren Arbeiten. Die zahllosen Gleichungen,
woraus die allgemeine Wertform besteht, setzen der Reihe nach die in der
Leinwand verwirklichte Arbeit jeder in andrer Ware enthaltenen Arbeit
gleich und machen dadurch die Weberei zur allgemeinen
Erscheinungsform menschlicher Arbeit iiberhaupt. So ist die im
Warenwert vergegenstandlichte Arbeit nicht nur negativ dargestellt als
Arbeit, worin von alien konkreten Formen und nutzlichen Eigenschaften
der wirklichen Arbeiten abstrahiert wird. Ihre eigne positive Natur tritt
ausdriicklich hervor. Sie ist die Reduktion aller wirklichen Arbeiten auf den
ihnen gemeinsamen Charakter menschlicher Arbeit, auf die Verausgabung
menschlicher Arbeitskraft.
Die allgemeine Wertform, welche die Arbeitsprodukte als bloBe Gallerten
unterschiedsloser menschlicher Arbeit darstellt, zeigt durch ihr eignes
Geriiste, daB sie der gesellschaftliche Ausdruck der Warenwelt ist. So
offenbart sie, daB innerhalb dieser Welt der allgemein menschliche
Charakter der Arbeit ihren spefizisch gesellschaftlichen Charakter bildet.
2. Entwicklungsverhaltnis von relativer Wertform und Aquivalentform
Dem Entwicklungsgrad der relativen Wertform entspricht der
Entwicklungsgrad der Aquivalentform. Aber, und dies ist wohl zu merken,
die Entwicklung der Aquivalentform ist nur Ausdruck und Resultat der
Entwicklung der relativen Wertform.
Die einfache oder vereinzelte relative Wertform einer Ware macht eine
andre Ware zum einzelnen Aquivalent. Die entfaltete Form des relativen
Werts, dieser Ausdruck des Werts einer Ware in alien andren Waren, pragt
ihnen die Form verschiedenartiger besonderer Aquivalente auf. Endlich
erhalt eine besondre Warenart die allgemeine Aquivalentform, weil alle
andren Waren sie zum Material ihrer einheitlichen, allgemeinen Wertform
machen.
In demselben Grad aber, worin sich die Wertform uberhaupt entwickelt,
entwickelt sich auch der Gegensatz zwischen ihren beiden Polen, der
relativen Wertform und Aquivalentform.
Schon die erste Form - 20 Ellen Leinwand = 1 Rock - enthalt diesen
Gegensatz, fixiert ihn aber nicht. Je nachdem dieselbe Gleichung vorwarts
oder riickwarts gelesen wird, befindet sich jedes der beiden Warenextreme,
wie Leinwand und Rock, gleichmaBig bald in der relativen Wertform, bald
in der Aquivalentform. Es kostet hier noch Miihe, den polarischen
Gegensatz festzuhalten.
In der Form II kann immer nur je eine Warenart ihren relativen Wert total
entfalten oder besitzt sie selbst nur entfaltete relative Wertform, weil und
sofern alle andren Waren sich ihr gegenuber in der Aquivalentform
befinden. Hier kann man nicht mehr die zwei Seiten der Wertgleichung wie
20 Ellen Leinwand = 1 Rock oder = 10 Pfd. Tee oder = 1 Qrtr. Weizen etc.
- umsetzen, ohne ihren Gesamtcharakter zu verandern und sie aus der
totalen in die allgemeine Wcrtform zu verwandeln.
Die letztere Form, Form III, endlich gibt der Warenwelt
allgemeingesellschaftliche relative Wertform, weil und sofern, mit einer
einzigen Ausnahme, alle ihr angehorigen Waren von der allgemeinen
Aquivalentform ausgeschlossen sind. Eine Ware, die Leinwand, befindet
sich daher in der Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit alien andren
Waren oder in unmittelbar gesellschaftlicher Form, weil und sofern alle
andren Waren sich nicht darin befinden. 71
Umgekehrt ist die Ware, die als allgemeines Aquivalent figuriert, von der
einheitlichen und daher allgemeinen relativen Wertform der Warenwelt
ausgeschlossen. Sollte die Leinwand, d.h. irgendeine in allgemeiner
Aquivalentform befindliche Ware, auch zugleich an der allgemeinen
relativen Wertform teilnehmen, so muBte sie sich selbst zum Aquivalent
dienen. Wir erhielten dann: 20 Ellen Leinwand = 20 Ellen Leinwand, eine
Tautologie, worin weder Wert noch WertgroBe ausgedriickt ist. Um den
relativen Wert des allgemeinen Aquivalents auszudriicken, mussen wir
vielmehr die Form III umkehren. Es besitzt keine mit den andren Waren
gemeinschaftliche relative Wertform, sondern sein Wert driickt sich relativ
aus in der endlosen Reihe aller andren Warenkorper. So erscheint jetzt die
entfaltete relative Wertform oder Form II als die spezifische relative
Wertform der Aquivalentware.
3. Ubergang aus der allgemeinen Wertform zur Geldform
Die allgemeine Aquivalentform ist eine Form des Werts uberhaupt. Sie
kann also jeder Ware zukommen. Andrerseits befindet sich eine Ware nur
in allgemeiner Aquivalentform (Form III), weil und sofern sie durch alle
andren Waren als Aquivalent ausgeschlossen wird. Und erst vom
Augenblick, wo diese AusschlieBung sich endgultig auf eine spezifische
Warenart beschrankt, hat die einheitliche relative Wertform der Warenwelt
objektive Festigkeit und allgemein gesellschaftliche Gultigkeit gewonnen.
Die spezifische Warenart nun, mit deren Naturalform die Aquivalentform
gesellschaftlich verwachst, wird zur Geldware oder funktioniert als Geld.
Es wird ihre spezifisch gesellschaftliche Funktion, und daher ihr
gesellschaftliches Monopol, innerhalb der Warenwelt die Rolle des
allgemeinen Aquivalents zu spielen. Diesen bevorzugten Platz hat unter
den
Waren, welche in Form II als besondre Aquivalente der Leinwand
figurieren und in Form III ihren relativen Wert gemeinsam in Leinwand
ausdriicken eine bestimmte Ware historisch erobert, das Gold. Setzen wir
daher in Form III die Ware Gold an die Stelle der Ware Leinwand, so
erhalten wir:
D) Geldform
Es finden wesentliche Veranderungen statt beim Ubergang von Form I
zu Form II, von Form II zu Form III. Dagegen unterscheidet Form IV sich
durch nichts von Form III, auBer daB jetzt statt Leinwand Gold die
allgemeine Aquivalentform besitzt. Gold bleibt in Form IV, was die
Leinwand in Form III war - allgemeines Aquivalent. Der Fortschritt besteht
nur darin, daB die Form unmittelbarer allgemeiner Austauschbarkeit oder
die allgemeine Aquivalentform jetzt durch gesellschaftliche Gewohnheit
endgultig mit der spezifischen Naturalform der Ware Gold verwachsen ist.
Gold tritt den andren Waren nur als Geld gegenuber, weil es ihnen
bereits zuvor als Ware gegenuberstand. Gleich alien andren Waren
funktionierte es auch als Aquivalent, sei es als einzelnes Aquivalent in
vereinzelten Austauschakten, sei es als besondres Aquivalent neben
andren Warenaquivalenten. Nach und nach funktionierte es in engeren
oder weiteren Kreisen als allgemeines Aquivalent. Sobald es das Monopol
dieser Stelle im Wertausdruck der Warenwelt erobert hat, wird es
Geldware, und erst von dem Augenblick, wo es bereits Geldware
geworden ist, unterscheidet sich Form IV von Form III, oder ist die
allgemeine Wertform verwandelt in die Geldform.
Der einfache relative Wertausdruck einer Ware, z.B. der Leinwand, in der
bereits als Geldware funktionierenden Ware, z.B. dem Gold, ist Preisform.
Die "Preisform" der Leinwand daher:
20 Ellen Leinwand = 2 Unzen Gold
oder, wenn 2 Pfd.st. der Munname von 2 Unzen Gold,
20 Ellen Leinwand = 2 Pfd.st.
Die Schwierigkeit im Begriff der Geldform beschrankt sich auf das
Begreifen der allgemeinen Aquivalentform, also der allgemeinen Wertform
iiberhaupt, der Form III. Form III lost sich ruckbeziiglich auf in Form II,
die entfaltete Wertform, und ihr konstituirendes Element ist Form I: 20
Ellen Leinwand = 1 Rock oder x Ware A = y Ware B. Die einfache
Warenform ist daher der Keim der Geldform.
4. Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis
Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverstandliches,
triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daB sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll
metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie
Gebrauchswert, ist nichts Mysterioses an ihr, ob ich sie nun unter dem
Gesichtspunkt betrachte, daB sie durch ihre Eigenschaften menschliche
Bedurfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt
menschlicher Arbeit erhalt. Es ist sinnenklar, daB der Mensch durch seine
Tatigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nutzlichen Weise
verandert. Die Form des Holzes z. B. wird verandert, wenn man aus ihm
einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinares
sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein
sinnlich iibersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen FuBen auf dem
Boden, sondern er stellt sich alien andren Waren gegeniiber auf den Kopf
und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er
aus freien Stucken zu tanzen beganne. 72
l.Man erinnert sich, daB China und die Tische zu tanzen anfingen, als alle ubrige Welt still zu stehn
schien - pour encourager les autres*
pour encourager les autres (um die andern zu ermutigen) - Nach der Niederlage der Revolutionen
von 1848/49 trat in Europa eine Periode finsterster politischer Reaktion ein. Wahrend man sich um diese
Zeit in den aristokratischen und auch biirgerlichen Kreisen Europas fiir den Spiritismus, besonders fiir das
Tischriicken begeisterte, entfaltete sich in China eine machtige antifeudale Befreiungsbewegung
insbesondere unter den Bauern, die als Taiping-Revolution in die Geschichte eingegangen ist.
Der mystische Charakter der Ware entspringt also nicht aus ihrem
Gebrauchswert. Er entspringt ebensowenig aus dem Inhalt der
Wertbestimmungen. Denn erstens, wie verschieden die niitzlichen
Arbeiten oder produktiven Tatigkeiten sein mogen, es ist
einephysiologische Wahrheit, daB sie Funktionen des menschlichen
Organismus sind und daB jede solche Funktion, welches immer ihr Inhalt
und ihre Form, wesentlich Verausgabung von menschhchem Hirn, Nerv,
Muskel, Sinnesorgan usw. ist. Was zweitens der Bestimmung der
WertgroBe zugrunde liegt, die Zeitdauer jener Verausgabung oder die
Quantitat der Arbeit, so ist die Quantitat sogar sinnfallig von der Qualitat
der Arbeit unterscheidbar. In alien Zustanden muBte die Arbeitszeit,
welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Menschen
interessieren, obgleich nicht gleichmaBig auf verschiedenen
Entwicklungsstufen. 73 Endlich, sobald die Menschen in irgendeiner Weise
fureinander arbeiten, erhalt ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form.
l.Note zur 2.Ausg. Bei den alten Germanen wurde die GroBe eines Morgens Land nach der Arbeit
eines Tages berechnet und daher der Morgen Tagwerk (auch Tagwanne) (jurnale oder jurnalis, terra jurnalis,
jornalis oder diurnalis), Mannwerk, Mannskraft, Mannsmaad, Mannshauet usf. benannt. Sieh Georg Ludwig
von Maurer, "Einleitung zur Geschichte der Mark-, Hof-, usw. Verfassung", Munchen 1854, p. 129 sq.
l.vollig
l.Note zur 2. Ausg. Wenn daher Galiani sagt: Der Wert ist ein Verhaltnis zwischen Personen - »La
Ricchezia e una ragione tra due persone« -, so hatte er hinzusetzen miissen: unter dinglicher Hiille
verstecktes Verhaltnis. (Galiani", Delia Moneta", p. 221, t.III von Custodis Sammlung der "Scrittori Classici
Italiani di Economia Politica", Parte Moderna, Milano 1803.)
l.»Was soil man von einem Gesetze denken, das sich nur durch periodische Revolutionen
durchsetzen kann? Es ist eben ein Naturgesetz, das auf der BewufJtlosigkeit der Beteiligten beruht.«
(Friedrich Engels: "Umrisse zu einer Kritik der Nationalokonomie" in 'Deutsch-Franzosische Jahrbucher'
herausg. von Arnold Ruge und Karl Marx, Paris 1844. [Siehe Band 1, MEW, S. 515]
l.Note zur 2. Ausgabe. Auch Ricardo ist nicht ohne seine Robinsonade. »Den Urfischer und den
Urjager lafst er sofort als Warenbesitzer Fisch und Wild austauschen, im Verhaltnis der in diesen
Tauschwerten vergegenstandlichten Arbeitszeit. Bei dieser Gelegenheit fallt er in den Anachronismus,
dafi Urfischer und Urjager zur Berechnung ihrer Arbeitsinstrumente die 1817 auf der Londoner Borse
gangbaren Annuitdtentabellen zu Rate ziehn. Die Parallelogramme des Herrn Owen* scheinen die
einzige Gesellschaftsform, die er auBer der burgerlichen kannte.« (Karl Marx: "Zur Kritik etc. p. 38, 39
[MEW, Bd. 13, S.46])
Woher entspringt also der ratselhafte Charakter des Arbeitsprodukts,
sobald es Warenform annimmt? Offenbar aus dieser Form selbst. Die
Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhalt die sachliche Form der
gleichen Wertgegenstandlichkeit der Arbeitsprodukte, das MaB der
Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhalt die
Form der WertgroBe der Arbeitsprodukte, endlich die Verhaltnisse der
Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten
betatigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhaltnisses
der Arbeitsprodukte.
Das Geheimnisvolle der Warenform besteht also einfach darin, daB sie
den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als
gegenstandliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als
gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge zuriickspiegelt, daher
auch das gesellschaftliche Verhaltnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als
ein auBer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhaltnis von
Gegenstanden. Durch dies Quidproquo werden die Arbeitsprodukte
Waren, sinnlich iibersinnliche oder gesellschaftliche Dinge. So stellt sich
der Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als subjektiver Reiz
des Sehnervs selbst, sondern als gegenstandliche Form eines Dings
auBerhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirldich Licht von einem
Ding, dem auBeren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge, geworfen.
Es ist ein physisches Verhaltnis zwischen physischen Dingen. Dagegen hat
die Warenform und das Wertverhaltnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich
darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden
dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das
bestimmte gesellschaftliche Verhaltnis der Menschen selbst, welches hier
fur sie die phantasmagorische Form eines Verhaltnisses von Dingen
annimmt. Um daher eine Analogie zu finden, miissen wir in die
Nebelregion der religiosen Welt fluchten. Hier scheinen die Produkte des
menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit
den Menschen in Verhaltnis stehende selbstandige Gestalten. So in der
Warenwelt die Produkte der menschlichen Hand. Dies nenne ich den
Fetischismus, der den Arbeitsprodukten anklebt, sobald sie als Waren
produziert werden, und der daher von der Warenproduktion unzertrennlich
ist.
Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt, wie die vorhergehende
Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigentumlichen gesellschaftlachen
Charakter der Arbeit, welche Waren produziert.
Gebrauchsgegenstande werden iiberhaupt nur Waren, weil sie Produkte
voneinander unabhangig betriebner Privatarbeiten sind. Der Komplex
dieser Privatarbeiten bildet die gesellschaftliche Gesamtarbeit. Da die
Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch
ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen
Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die
Privatarbeiten betatigen sich in der Tat erst als Glieder der
gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der
Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten
versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen
Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als
unmittelbar gesellschaftliche Verhaltnisse der Personen in ihren Arbeiten
selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhaltnisse der Personen und
gesellschaftliche Verhaltnisse der Sachen.
Erst innerhalb ihres Austauschs erhalten die Arbeitsprodukte eine von
ihrer sinnlich verschiednen Gebrauchsgegenstandlichkeit getrennte,
gesellschaftlich gleiche Wertgegenstandlichkeit. Diese Spaltung des
Arbeitsprodukts in nutzliches Ding und Wertding betatigt sich nur
praktisch, sobald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und
Wichtigkeit gewonnen hat, damit nutzliche Dinge fiir den Austausch
produziert werden, der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer
Produktion selbst in Betracht kommt. Von diesem Augenblick erhalten die
Privatarbeiten der Produzenten tatsachlich einen doppelten
gesellschaftlichen Charakter. Sie mussen einerseits als bestimmte niitzliche
Arbeiten ein bestimmtes gesellschafthches Bediirfnis befriedigen und sich
so als Glieder der Gesamtarbeit, des naturwuchsigen Systems der
gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, bewahren. Sie befriedigen andrerseits
nur die mannigfachen Bedurfnisse ihrer eignen Produzenten, sofern jede
besondre nutzliche Privatarbeit mit jeder andren nutzlichen Art Privatarbeit
austauschbar ist, also ihr gleichgilt. Die Gleichheit toto coelo 74
verschiedner Arbeiten kann nur in einer Abstraktion von ihrer wirklichen
Ungleichheit bestehn, in der Reduktion auf den gemeinsamen Charakter,
den sie als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, abstrakt menschliche
Arbeit, besitzen. Das Gehirn der Privatproduzenten spiegelt diesen
doppelten gesellschaftlichen Charakter ihrer Privatarbeiten nur wider in
den Formen, welche im praktischen Verkehr, im Produktenaustausch
erscheinen - den gesellschaftlich niitzlichen Charakter ihrer Privatarbeiten
also in der Form, daB das Arbeitsprodukt niitzlich sein muB, und zwar fur
andre - den gesellschaftlichen Charakter der Gleichheit der
verschiedenartigen Arbeiten in der Form des gemeinsamen Wertcharakters
dieser materiell verschiednen Dinge, der Arbeitsprodukte.
Die Menschen beziehen also ihre Arbeitsprodukte nicht aufeinander als
Werte, weil diese Sachen ihnen als bloB sachliche Hiillen gleichartig
menschlicher Arbeit gelten. Umgekehrt. Indem sie ihre verschiedenartigen
Produkte einander im Austausch als Werte gleichsetzen, setzen sie ihre
verschiednen Arbeiten einander als menschliche Arbeit gleich. Sie wissen
das nicht, aber sie tun es. 75 Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn
geschrieben, was er ist. Der Wert verwandelt vielmehr jedes
Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche Hieroglyphe. Spater suchen die
Menschen den Sinn der Hieroglyphe zu entziffern, hinter das Geheimnis
ihres eignen gesellschaftlichen Produkts zu kommen, denn die
Bestimmung der Gebrauchs, Gegenstande als Werte ist ihr
gesellschaftliches Produkt so gut wie die Sprache. Die spate
wissenschaftliche Entdeckung, daB die Arbeitsprodukte, soweit sie Werte,
bloB sachliche Ausdriicke der in ihrer Produktion verausgabten
menschlichen Arbeit sind, macht Epoche in der Entwicklungsgeschichte
der Menschheit, aber verscheucht keineswegs den gegenstandlichen
Schein der gesellschaftlichen Charaktere der Arbeit. Was nur fur diese
besondre Produktionsform, die Warenproduktion, gultig ist, daB namlich
der spezifisch gesellschaftliche Charakter der voneinander unabhangigen
Privatarbeiten in ihrer Gleichheit als menschliche Arbeit besteht und die
Form des Wertcharakters der Arbeitsprodukte annimmt, erscheint, vor wie
nach jener Entdeckung, den in den Verhaltnissen der Waienproduktion
Befangenen ebenso endgultig, als daB die wissenschaftliche Zersetzung der
Luft in ihre Elemente die Luftform als eine physikalische Korperform
fortbestehn laBt.
Was die Produktenaustauscher zunachst praktisch interessiert, ist die
Frage, wieviel fremde Produkte sie fur das eigne Produkt erhalten, in
weichen Proportionen sich also die Produkte austauschen. Sobald diese
Proportionen zu einer gewissen gewohnheitsmaBigen Festigkeit
herangereift sind, scheinen sie aus der Natur der Arbeitsprodukte zu
entspringen, so daB z.B. eine Tonne Eisen und 2 Unzen Gold gleichwertig,
wie ein Pfund Gold und ein Pfund Eisen trotz ihrer verschiednen
physikalischen und chemischen Eigenschaften gleich schwer sind. In der
Tat befestigt sich der Wertcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre
Betatigung als WertgroBen. Die letzteren wechseln bestandig, unabhangig
vom Willen, Vorwissen und Tun der Austauschenden. Ihre eigne
gesellschaftliche Bewegung besitzt fur sie die Form einer Bewegung von
Sachen, unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren. Es
bedarf vollstandig entwickelter Warenproduktion, bevor aus der Erfahrung
selbst die wissenschaftliche Einsicht herauswachst, daB die unabhangig
voneinander betriebenen, aber als naturwiichsige Glieder der
gesellschaftlichen Teilung der Arbeit allseitig voneinander abhangigen
Privatarbeiten fortwahrend auf ihr gesellschaftlich proportionelles MaB
reduziert werden, weil sich in den zufalligen und stets schwankenden
Austauschverhaltnissen ihrer Produkte die zu deren Produktion
gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit als regelndes Naturgesetz
gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das
Haus iiber dem Kopf zusammenpurzelt. 76 Die Bestimmung der WertgroBe
durch die Arbeitszeit ist daher ein unter den erscheinenden Bewegungen
der relativen Warenwerte verstecktes Geheimnis. Seine Entdeckung hebt
den Schein der bloB zufalligen Bestimmung der WertgroBen der
Arbeitsprodukte auf, aber keineswegs ihre sachliche Form.
Das Nachdenken iiber die Formen des menschlichen Lebens, also auch
ihre wissenschaftliche Analyse, schlagt iiberhaupt einen der wirklichen
Entwicklung entgegengesetzten Weg ein. Es beginnt post festum und
daher mit den fertigen Resultaten des Entwicklungsprozesses. Die Formen,
welche Arbeitsprodukte zu Waren stempeln und daher der
Warenzirkulation vor-ausgesetzt sind, besitzen bereits die Festigkeit von
Naturformen des gesellschaftlichen Lebens, bevor die Menschen sich
Rechenschaft zu geben suchen nicht iiber den historischen Charakter
dieser Formen, die ihnen vielmehr bereits als unwandelbar gelten, sondern
liber deren Gehalt. So war es nur die Analyse der Warenpreise, die zur
Bestimmung der WertgroBe, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der
Waren, der zur Fixierung ihres Wertcharakters fiihrte. Es ist aber ebendiese
fertige Form - die Geldform - der Warenwelt, welche den
gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die
gesellschaftlichen Verhaltnisse der Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt
sie zu offenbaren. Wenn ich sage, Rock, Stiefel usw. beziehen sich auf
Leinwand als die allgemeine Verkorperung abstrakter menschlicher Arbeit,
so springt die Verriicktheit dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die
Produzenten von Rock, Stiefel usw. diese Waren auf Leinwand - oder auf
Gold und Silber, was nichts an der Sache andert als allgemeines
Aquivalent beziehn, erscheint ihnen die Beziehung ihrer Privatarbeiten zu
der gesellschaftlichen Gesamtarbeit genau in dieser verriickten Form.
Derartige Formen bilden eben die Kategorien der biirgerhchen
Okonomie. Es sind gesellschaftlich giiltige, also objektive
Gedankenformen fiir die Produktionsverhaltnisse dieser historisch
bestimmten gesellschafthchen Produktionsweise, der Warenproduktion.
Aller Mystizismus der Warenwelt, all der Zauber und Spuk, weicher
Arbeitsprodukte auf Grundlage der Warenproduktion umnebeit,
verschwindet daher sofort, sobald wir zu andren Produktionsformen
fliichten.
Da die pohtische Okonomie Robinsonaden Uebt 77 , erscheine zuerst
Robinson auf seiner Insel. Bescheiden, wie er von Haus aus ist, hat er doch
verschiedenartige Bedurfnisse zu befriedigen und muB daher nutzliche
Arbeiten verschiedner Art verrichten, Werkzeuge machen, Mobel
fabrizieren, Lama zahmen, fischen, jagen usw. Vom Beten u. dgl. sprechen
wir hier nicht, da unser Robinson daran sein Vergnugen findet und
derartige Tatigkeit als Erholung betrachtet. Trotz der Verschiedenheit
seiner produktiven Funktionen weiB er, daB sie nur verschiedne
Betatigungsformen desselben Robinson, also nur verschiedne Weisen
menschlicher Arbeit sind. Die Not selbst zwingt ihn, seine Zeit genau
zwischen seinen verschiednen Funktionen zu verteilen. Ob die eine mehr,
die andre weniger Raum in seiner Gesamttatigkeit einnimmt, hangt ab von
der groBeren oder geringeren Schwierigkeit, die zur Erzielung des
bezweckten Nutzeffekts zu uberwinden ist. Die Erfahrung lehrt ihn das,
und unser Robinson, der Uhr, Hauptbuch, Tinte und Feder aus dem
Schiffbruch gerettet, beginnt als guter Englander bald Buch iiber sich
selbst zu fuhren. Sein Inventarium enthalt ein Verzeichnis der
Gebrauchsgegenstande, die er besitzt, der verschiednen Vorrichtungen, die
zu ihrer Produktion erheischt sind, endlich der Arbeitszeit, die ihm
bestimmte Quanta dieser verschiednen Produkte im Durchschnitt kosten.
Alle Beziehungen zwischen Robinson und den Dingen, die seinen
selbstgeschaffnen Reichtum bilden, sind hier so einfach und durchsichtig,
daB selbst Herr M.Wirth sie ohne besondre Geistesanstrengung verstehn
durfte. Und dennoch sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des
Werts enthalten.
Versetzen wir uns nun von Robinsons lichten Insel in das finstre
europaische Mittelalter. Statt des unabhangigen Mannes finden wir hier
jedermann abhangig - Leibeigne und Grundherrn, Vasallen und
Lehnsgeber, Laien und Pfaffen. Personliche Abhangigkeit charakterisiert
ebensosehr die gesellschaftlichen Verhaltnisse der materiellen Produktion
als die auf ihr aufgebauten Lebensspharen. Aber eben weil personliche
Abhangigkeitsverhaltnisse die gegebne gesellschaftliche Grundlage bilden,
brauchen Arbeiten und Produkte nicht eine von ihrer Realitat verschiedne
phantastische Gestalt anzunehmen. Sie gehn als Naturaldienste und
Naturalleistungen in das gesellschaftliche Getriebe ein. Die Naturalform
der Arbeit, ihre Besonderheit, und nicht, wie auf Grundlage der
Warenproduktion, ihre Allgemeinheit, ist hier ihre unmittelbar
gesellschaftliche Forai. Die Fronarbeit ist ebensogut durch die Zeit
gemessen wie die Waren produzierende Arbeit, aber jeder Leibeigne weiB,
daB es ein bestimmtes Quantum seiner personlichen Arbeitskraft ist, die er
im Dienst seines Herrn verausgabt. Der dem Pfaffen zu leistende Zehnten
ist klarer als der Segen des Pfaffen. Wie man daher immer die
Charak termasken beurteilen mag, worin sich die Menschen hier
gegenubertreten, die gesellschaftlichen Verhaltnisse der Personen in ihren
Arbeiten erscheinen jedenfalls als ihre eignen personlichen Verhaltnisse
und sind nicht verkleidet in gesellschafthche Verhaltnisse der Sachen, der
Arbeitsprodukte.
Fur die Betrachtung gemeinsamer, d.h. unmittelbar vergesellschafteter
Arbeit brauchen wir nicht zuriickzugehn zu der naturwiichsigen Form
derselben, welche uns an der Geschichtsschwelle aller Kulturvolker
begegnet. 78 Ein naherliegendes Beispiel bildet die landlich patriarchalische
l.Note zur 2. Ausgabe. »Es ist ein lacherliches Vorurteil in neuester Zeit verbreitet, dafi die
Form des naturwiichsigen Gemeineigentums spezifisch slawische, sogar ausschliefilich russische Form
sei. Sie ist die Urform, die wir bei Romern, Germanen, Kelten nachweisen konnen, von der aber eine
game Musterkarte mit mannigfachen Proben sich noch immer, wenn auch zum Teil ruinenweise, bei
den Indiern vorfindet. Ein genaueres Studium der asiatischen, speziell der indischen
Gemeineigentumsformen wiirde nachweisen, wie aus den verschiednen Formen des naturwiichsigen
Gemeineigentums sich verschiedne Formen seiner Auflosung ergeben. So lassen sich z-B. die
verschiednen Originaltypen von romischem und germanischem Privateigentum aus verschiednen
Formen des indischen Gemeineigentums ableiten.« (Karl Marx, "Zur Kritik etc. ", p. 10. [MEW, Band 13,
S.21])
l.Epikurs Gotter - Nach Ansicht des altgriechischen Philosophen Epikur existieren die Gotter in
den Intermundien, den Zwischenraumen der Welten; sie haben weder auf die Entwicklung des Weltalls noch
auf das Leben des Menschen irgendwelchen EinfluB.
l.Das Unzulangliche in Ricardos Analyse der WertgtoBe - und es ist die beste wird man aus dem
dritten und vierten Buch dieser Schrift ersehn. Was aber den Wert uberhaupt betrifft, so unterscheidet die
klassische politische Okonomie nirgendwo ausdriicklich und mit klarem BewuBtsein die Arbeit, wie sie
sich im Wert, von derselben Arbeit, soweit sie sich im Gebrauchswert ihres Produkts darstellt. Sie macht
natiirlich den Unterschied tatsachlich, da sie die Arbeit das einemal quantitativ, das andremal qualitativ
betrachtet. Aber es fallt ihr nicht ein, daB bloB quantitativer Unterschied der Arbeiten ihre quantative
Einheit oder Gleichheit voraussetzt, also ihre Reduktion auf abstrakt menschliche Arbeit. Ricardo z.B.
erklart sich einverstanden mit Destutt de Tracy, wenn dieser sagt: »Da es sicher ist, dafi unsere
korperlichen und geistigen Fdhigkeiten allein unser urspriinglicher Reichtum sind, ist der Gebrauch
dieser Fdhigkeiten, eine gewisse Art Arbeit, unser urspriinglicher Schatz; es ist immer dieser
Gebrauch, welche r alle jene Dinge schafft, die wir Reichtum nennen ... Zudem ist es gewifi, dafi alle
jene Dinge nur die Arbeit darstellen, die sie geschaffen hat, und wenn sie einen Wert haben, oder
sogar zwei unterschiedliche Werte, so konnen sie dies doch nur haben aus dem [dem Wert] der Arbeit,
Industrie einer Bauernfamilie, die fiir den eignen Bedarf Korn, Vieh, Garn,
Leinwand, Kleidungsstiicke usw. produziert. Diese verschiednen Dinge
treten der Famine als verschiedne Produkte ihrer Familienarbeit gegeniiber,
aber nicht sich selbst wechselseitig als Waren. Die verschiednen Arbeiten,
welche diese Produkte erzeugen, Ackerbau, Viehzucht, Spinnen, Weben,
Schneiderei usw. sind in ihrer Naturalform gesellschaftliche Funktionen,
weil Funktionen der Familie, die ihre eigne, naturwuchsige Teilung der
Arbeit besitzt so gut wie die Warenproduktion. Geschlechts- und
Altersunterschiede wie die mit dem Wechsel der Jahreszeit wechselnden
Naturbedingungen der Arbeit regeln ihre Verteilung unter die Familie und
die Arbeitszeit der einzelnen Familienglieder. Die durch die Zeitdauer
gemeBne Verausgabung der individuellen Arbeitskrafte erscheint hier aber
von Haus aus als gesellschaftliche Bestimmung der Arbeiten selbst, weil
die individuellen Arbeitskrafte von Haus aus nur als Organe der
gemeinsamen Arbeitskraft der Familie wirken.
Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen
vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre
vielen individuellen Arbeitskrafte selbstbewuBt als eine gesellschaftliche
Arbeitskraft verausgaben. Alle Bestimmungen von Robinsons Arbeit
wiederholen sich hier, nur gesellschaftlich statt individuell. Alle Produkte
Robinsons waren sein ausschlieBlich personliches Produkt und daher
unmittelbar Gebrauchsgegenstande fiir ihn. Das Gesamtprodukt des
Verein s ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient
wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer
Teil wird als Lebensmittel von den Verein sgliedern verzehrt. Er muB daher
unter sie verteilt werden. Die Art dieser Verteilung wird wechseln mit der
besondren Art des gesellschaftlichen Produktionsorganismus selbst und
der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshohe der Produzenten.
Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil
jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine
Arbeitszeit. Die Arbeitszeit wiirde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre
gesellschaftlich planmaBige Verteilung regelt die richtige Proportion der
verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedurfnissen.
Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als MaB des individuellen Anteils
des Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell
verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen
Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten
bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der
Distribution.
Fur eine Gesellschaft von Warenproduzenten, deren allgemein
gesellschaftliches Produktionsverhaltnis darin besteht, sich zu ihren
Produkten als Waren, also als Werten, zu verhalten und in dieser
sachlichen Form ihre Privatarbeiten aufeinander zu beziehn als gleiche
menschliche Arbeit, ist das Christentum mit seinem Kultus des abstrakten
Menschen, namentlich in seiner burgerlichen Entwicklung, dem
Protestantismus, Deismus usw., die entsprechendste Religionsform. In den
altasiatischen, antiken usw. Produktionsweisen spielt die Verwandlung des
Produkts in Ware, und daher das Dasein der Menschen als
Warenproduzenten, eine untergeordnete Rolle, die jedoch um so
bedeutender wird, je mehr die Gemeinwesen in das Stadium ihres
Untergangs treten. Eigentliche Handelsvolker existieren nur in den
Intermundien der alten Welt, wie Epikurs Gotter 79 oder wie Juden in den
Poren der polnischen Gesellschaft. Jene alten gesellschaftlichen
Produktionsorganismen sind auBerordentlich viel einfacher und
durchsichtiger als der burgerliche, aber sie beruhen entweder auf der
Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur des
naturlichen Gattungszusammenhangs mit andren noch nicht losgerissen
hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhaltnissen.
Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkrafte
der Arbeit und entsprechend befangene Verhaltnisse der Menschen
innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher zueinander
und zur Natur.
Diese wirkliche Befangenheit spiegelt sich ideell wider in den alten
Natur- und Volksreligionen. Der religiose Widerschein der wirldichen Welt
kann iiberhaupt nur verschwinden, sobald die Verhaltnisse des praktischen
Werkeltagslebens den Menschen tagtaglich durchsichtig vernunftige
Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen. Die Gestalt des
gesellschaftlichen Lebensprozesses, d.h. des materiellen
Piroduktionsprozesses, streift nur ihren mystischen Nebelschleier ab,
sobald sie als Produkt frei vergesellschafteter Menschen unter deren
bewuBter planmaBiger Kontrolle steht. Dazu ist jedoch eine materielle
Grundlage der Gesellschaft erheischt oder eine Reihe materieller
Existenzbedingungen, welche selbst wieder das naturwuchsige Produkt
einer langen und qualvollen Entwicklungsgeschichte sind.
Die politische Okonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen 80
Wert und WertgroBe analysiert und den in diesen Formen versteckten
Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser
Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das
MaB der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der WertgroBe des Arbeitsprodukts
darstellt? 81 Formeln, denen es auf der Stirn geschrieben steht, daB sie einer
3.Es ist einer der Grundmangel der klassischen politischen Okonomie, daB es ihr nie gelang, aus
der Analyse der Ware und spezieller des Warenwerts die Form des Werts, die ihn eben zum Tauschwert
macht, herauszufinden. Grade in ihren besten Reprasentanten, wie A. Smith und Ricardo, behandelt sie die
Wertform als etwas ganz Gleichgultiges oder der Natur der Ware selbst AuBerliches. Der Grund ist nicht
allein, daB die Analyse der WertgroBe ihre Aufmerksamkeit ganz absorbiert. Er liegt tiefer. Die Wertform
des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste aber auch allgemeinste Form der biirgerlichen Produktionsweise,
die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich historisch
charakterisiert wird. Versieht man sie daher fur die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so
iibersieht man notwendig auch das Spezifische der Wertform, also der Warenform, weiter entwickelt der
Geldform, Kapitalform usw. Man findet daher bei Okonomen, welche iiber das MaB der WertgroBe durch
Arbeitszeit durchaus iibereinstimmen, die kunterbuntesten und widersprechendsten Vorstellungen von
Geld, d.h. der fertigen Gestalt des allgemeinen Aquivalents. Dies tritt schlagend hervor z.B. bei der
Behandlung des Bankwesens, wo mit den gemeinplatzlichen Definitionen des Geldes nicht mehr
ausgereicht wird. Im Gegensatz entsprang daher ein restauriertes Merkantilsystem (Ganilh usw.), welches
im Wert nur die gesellschaftliche Form sieht oder vielmehr nur ihren substanzlosen Schein. - Um es ein ffir
allemal zu bemerken, verstehe ich unter klassischer politischer Okonomie alle Okonomie seit W. Petty, die
den innern Zusammenhang der biirgerlichen Produktionsverhaltnisse erforscht im Gegensatz zur
Vulgarokonomie, die sich nur innerhalb des scheinbaren Zusammenhangs herumtreibt, fur eine plausible
Verstandlichmachung der sozusagen grobsten Phanomene und den biirgerlichen Hausbedarf das von der
wissenschaftlichen Okonomie langst gelieferte Material stets von neuem wiederkaut, im iibrigen aber sich
darauf beschrankt, die banalen und selbstgefalligen Vorstellungen der biirgerlichen Produktionsagenten von
ihrer eignen besten Welt zu systematisieren, pedantisieren und als ewige Wahrheiten zu proklamieren.
4.»Die Okonomen verfahren auf eine sonderbare Art. Es gibt fiir sie nur zwei Arten von
Institutionen, kunstliche und natiirliche. Die Institutionen des Feudalismus sind kunstliche
Institutionen, die der Bourgeoisie natiirliche. Sie gleichen darin den Theologen, die auch zwei Arten
von Religionen unterscheiden. Jede Religion, die nicht die ihre ist, ist eine Erfindung der Menschen,
Gesellschaftsformation angehoren, worin der ProduktionsprozeB die
Menschen, der Mensch noch nicht den ProduktionsprozeB bemeistert,
gelten ihrem burgerlichen BewuBtsein fiir ebenso selbstverstandliche
Naturnotwendigkeit als die produktive Arbeit selbst. Vorburgerliche
Formen des gesellschaftlichen Produktionsorganismus werden daher von
ihr behandelt wie etwa von den Kirchenvatern vorchristliche Religionen. 82
wahrend ihre eigene Religion eine Offenbarung Gottes ist. - Somit hat es eine Geschichte gegeben,
aber es gibt keine mehr.« (Karl Marx: "Misere de la Philosophie. Reponse a laphilosophie de la Misere de
M.Proudhon", 1847, p.113. [MEW, Band 4, S. 139]) Wahrhaft drollig ist Herr Bastiat, der sich einbildet,
die alten Griechen und Romer hatten nur von Raub gelebt. Wenn man aber viele Jahrhunderte durch von
Raub lebt, muB doch bestandig etwas zu rauben da sein oder der Gegenstand des Raubes sich fortwahrend
reproduzieren. Es scheint daher, daB auch Griechen und Romer einen ProduktionsprozeB hatten, also eine
Okonomie, welche ganz so die materielle Grundlage ihrer Welt bildete wie die burgerliche Okonomie die
der heutigen Welt. Oder meint Bastiat etwa, daB eine Produktionsweise, die auf der Sklavenarbeit beruht,
auf einem Raubsystem ruht? Er stellt sich dann auf gefahrlichen Boden. Wenn ein Denkriese wie
Aristoteles in seiner Wurdigung der Sklavenarbeit irrte, warum sollte ein Zwergokonom, wie Bastiat, in
seiner Wurdigung der Lohnarbeit richtig gehn? Ich ergreife diese Gelegenheit, um einen Einwand, der mir
beim Erscheinen meiner Schrift "Zur Kritik der Pol. Oekonomie", 1859, von einem deutsch-
amerikanischen Blatte gemacht wurde, kurz abzuweisen. Es sagte, meine Ansicht, daB die bestimmte
Produktionsweise und die ihr jedesmal entsprechenden Produktionsverhaltnisse, kurz »die okonomische
Struktur der Gesellschaft die reale Basis sei, worauf sich ein juristischer und politischer Uberbau
erhebe und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewufitseinsformen entsprachen«, daB »die
Produktionsweise des materiellen Lebens den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozefi
uberhaupt bedinge« [MEW, Band 13, S.8/9], - alles dies sei zwar richtig fiir die heutige Welt, wo die
materiellen Interessen, aber weder fiir das Mittelalter, wo der Katholizismus, noch fiir Athen und Rom, wo
die Politik herrschte. Zunachst ist es befremdlich, daB jemand vorauszusetzen beliebt, diese weltbekannten
Redensarten fiber Mittelalter und antike Welt seien irgend jemand unbekannt gebliegen. Soviel ist klar, daB
das Mittelalter nicht vom Katholizismus und die antike Welt nicht von der Politik leben konnte. Die Art
und Weise, wie sie ihr Leben gewannen, erklart umgekehrt, warum dort die Politik, hier der Katholizismus
die Hauptrolle spielte. Es gehort iibrigens wenig Bekanntschaft z.B. mit der Geschichte der romischen
Republik dazu, um zu wissen, daB die Geschichte des Grundeigentums ihre Geheimgeschichte bildet.
Andrerseits hat schon Don Quixote den Irrtum gebiiBt, daB er die fahrende Ritterschaft mit alien
okonomischen Formen der Gesellschaft gleich vertraglich wahnte.
l.»Value is a property of things, riches of man. Value, in this sense, necessarily implies
exchanges, riches do not.« ("Observations on some verbal disputes in Pol, Econ., particularly relating to
value, and to supply and demand", Lond. 1821, p. 16.)
2.»Riches are the attribute of man, value is the attribute of commodities. A man or a community
is rich, a pearl or a diamond is valuable ... A pearl or a diamond is valuable as a pearl or diamond. «
(S.Bailey, I.e. p. 165 sq.)
1. Shakespeare, "Viel Larm um nichts", 3. Aufzug, 3. Szene.
l.Der Verfasser der 'Observations' und S.Bailey beschuldigen Ricardo, er habe den Tauschwert aus
einem nur Relativen in etwas Absolutes verwancklt. Umgekehrt. Er hat die Scheinrelativitat, die diese
Dinge, Diamant und Perlen z.B., als Tauschwerte besitzen, auf das hinter dem Schein verborgene wahre
Verhaltnis reduziert, auf ihre Relativitat als bloBe Ausdriicke menschlicher Arbeit. Wenn die Ricardianer
dem Bailey grob, aber nicht schlagend antworten, so nur, weil sie bei Ricardo selbst keinen AufschluB iiber
den inneren Zusammenhang zwischen Wert und Wertform oder Tauschwert fanden.
Wie sehr ein Teil der Okonomen von dem der Warenwelt anklebenden
Fetischisrnus oder dem gegenstandlichen Schein der gesellschaftlichen
Arbeitsbestimmungen getauscht wird, beweist u.a. der langweilig
abgeschmackte Zank iiber die Rolle der Natur in der Bildung des
Tauschwerts. Da Tauschwert eine bestimmte gesellschaftliche Manier ist,
die auf ein Ding verwandte Arbeit auszudriicken, kann er nicht mehr
Naturstoff enthalten als etwa der Wechselkurs.
Da die Warenform die allgemeinste und unentwickeltste Form der
biirgerlichen Produktion ist, weswegen sie friih auftritt, obgleich nicht in
derselben herrschenden, also charakteristischen Weise wie heutzutag,
scheint ihr Fetischcharakter noch relativ leicht zu durchschauen. Bei
konkreteren Formen verschwindet selbst dieser Schein der Einfachheit.
Woher die Illusionen des Monetarsystems? Es sah dem Gold und Silber
nicht an, daB sie als Geld ein gesellschaftliches Produktionsverhaltnis
darstellen, aber in der Form von Naturdingen mit sonderbar
gesellschaftlichen Eigenschaften. Und die moderne Okonomie, die
vornehm auf das Monetarsystem herabgrinst, wird ihr Fetischisrnus nicht
handgreiflich, sobald sie das Kapital behandelt? Seit wie lange ist die
physiokratische Illusion verschwunden, daB die Grundrente aus der Erde
wachst, nicht aus der Gesellschaft?
Um jedoch nicht vorzugreifen, geniige hier noch ein Beispiel bezuglich
der Warenform selbst. Konnten die Waren sprechen, so wiirden sie sagen,
unser Gebrauchswert mag den Menschen interessieren. Er kommt uns
nicht als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukommt, ist unser Wert.
Unser eigner Verkehr als Warendinge beweist das. Wir beziehn uns nur als
Tauschwerte aufeinander. Man hore nun, wie der Okonom aus der
Warenseele heraus spricht:
»Wert [Tauschwert] ist Eigenschaft der Dinge, Reichtum
[Gebrauchswert] des Menschen. Wert in diesem Sinn schliefit
notwendig Austausch ein, Reichtum nicht.« &3 »Reichtum
[Gebrauchswert] ist ein Attribut des Menschen, Wert ein Attribut der
Waren. Ein Mensch oder ein Gemeinwesen ist reich; eine Perle oder
ein Diamant ist wertvoll ... Eine Perle oder ein Diamant hat Wert als
Perle oder Diamant.« M
Bisher hat noch kein Chemiker Tauschwert in Perle oder Diamant
entdeckt. Die okonomischen Entdecker dieser chemischen Substanz, die
besondren Anspruch auf kritische Tiefe machen, finden aber, daB der
Gebrauchswert der Sachen unabhangig von ihren sachlichen
Eigenschaften, dagegen ihr Wert ihnen als Sachen zukommt. Was sie
hierin bestatigt, ist der sonderbare Umstand, daB der Gebrauchswert der
Dinge sich fur den Menschen ohne Austausch realisiert, also im
unmittelbaren Verhaltnis zwischen Ding und Mensch, ihr Wert umgekehrt
nur im Austausch, d.h. in einem gesellschaftlichen ProzeB. Wer erinnert
sich hier nicht des guten Dogberry, der den Nachtwachter Seacoal
belehrt 85 :
»Ein gut aussehender Mann zu sein ist eine Gabe der Umstande, aber
lesen und schreiben zu konnen kommt von Natur.« %(l
Zweites Kapitel
Der AustauschprozeB
Die Waren konnen nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst
austauschen. Wir mussen uns also nach ihren Hutern umsehn, den
Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen
den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren
Worten, sie nehmen. 87 Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn,
l.Im 12., durch seine Frommigkeit so berufenen Jahrhundert, kommen unter diesen Waren oft sehr
zarte Dinge vor. So zahlt ein franzosischer Dichter jener Zeit unter den Waren, die sich auf dem Markt von
Landit* einfanden, neben Kleidungsstoffen, Schuhen, Leder, Ackergeraten, Hauten usw. auch "femmes
folles de leur corps"["Frauen mit feurigem Korper"] auf.
2. * Landit - Ortschaft in der Nahe von Paris, wo vom 12. bis zum 19. Jahrhundert alljahrlich ein groBer
Markt abgehalten wurde.
3.Proudhon schopft erst sein Ideal der Gerechtigkeit, der justice eternelle [ewigen Gerechtigkeit],
aus den der Warenproduktion entsprechenden Rechtsverhaltnissen, wodurch, nebenbei bemerkt, auch der
fiir alle SpieBbiirger so trostliche Beweis geliefert wird, daB die Form der Warenproduktion ebenso ewig
ist wie die Gerechtigkeit. Dann umgekehrt will er die wirkliche Warenproduktion und das ihr
entsprechende wirkliche Recht diesem Ideal gemaB ummodeln. Was wiirde man von einem Chemiker
denken, der, statt die wirklichen Gesetze des Stoffwechsels zu studieren und auf Basis derselben bestimmte
Aufgaben zu losen, den Stoffwechsel durch die "ewigen Ideen" der naturalite" ["Natiirlichkeit"] und der
miissen die Warenhuter sich zueinander als Personen verhalten, deren
Willen in jenen Dingen haust, so daB der eine nur mit dem Willen des
andren, also ieder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts
sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne verauBert. Sie miissen
sich daher wechselseitig als Privateigentumer anerkennen. Dies
Rechtsverhaltnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder
nicht, ist ein Willensverhaltnis, worin sich das okonomische Verhaltnis
widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhaltnisses ist durch
das okonomische Verhaltnis selbst gegeben. 88 Die Personen existieren hier
nur fureinander als Reprasentanten von Ware und daher als Warenbesitzer.
Wir werden uberhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daB die
okonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen
der okonomischen Verhaltnisse sind, als deren Trager sie sich
gegenubertreten .
Was den Warenbesitzer namentlich von der Ware unterscheidet, ist der
Umstand, daB ihr jeder andre Warenkorper nur als Erscheinungsform ihres
"affinite" ["Verwandtschaft"] ummodeln wollte? WeiB man etwa mehr iiber den "Wucher", wenn man sagt, er
widerspreche der "justice eternelle" und der "equite eternelle" ["ewigen Billigkeit"] und der "mutualite
eternelle" ["ewigen Gegenseitigkeit"] und andren "verites eternelles" ["ewigen Wahrheiten"], als die
Kirchenvater wuBten, wenn sie sagten, er widerspreche der "grace eternelle", der "foi eternelle", der
"volonte eternelle de dieu" ["ewigen Gnade", dem "ewigen Glauben", dem "ewigen Willen Gottes"]?
l.»Denn zweifach ist der Gebrauch jedes Guts. - Der eine ist dem Ding als solchem eigen, der
andre nicht, wie einer Sandale, zur Beschuhung zu dienen und austauschbar zu sein. Beides sind
Gebrauchswerte der Sandale, denn auch wer die Sandale mit dem ihm Mangelnden, z.B. der Nahrung
austauscht, benutzt die Sandale als Sandale. Aber nicht in ihrer natiirlichen Gebrauchsweise. Denn sie
ist nicht da des Austausches wegen.« (Arisoteles: "DeRep", I.I, c.9.)
l.»Die haben eine Meinung und werden ihre Kraft und Macht geben dem Tier, dafi niemand
kaufen oder verkaufen kann, er habe denn das Malzeichen, namlich den Namen des Tiers oder die Zahl
seines Namens. «
2.Apokalypse - ein Werk der friihen christlichen Literatur, das als Offenbarung des Johannes in das
Neue Testament aufgenommen wurde; die Urheberschaft wird meist dem Apostel Johannes zugeschrieben.
Sie enthalt mystische Voraussagen vom "Ende der Welt" und von einer "Wiederkehr Christi", die im
Mittelalter oft zu ketzerischen Volksbewegungen fuhrten. Spater hat die Kirche die Prophezeiungen der
Apokalypse zur Einschiichterung der Volksmassen benutzt.
eignen Werts gilt. Geborner Leveller und Zyniker, steht sie daher stets auf
dem Sprang, mit jeder andren Ware, sei selbe auch ausgestattet mit mehr
Unannehmlichkeiten als Maritorne, nicht nur die Seele, sondern den Leib
zu wechseln. Diesen der Ware mangelnden Sinn fur das Konkrete des
Warenkorpers erganzt der Warenbesitzer durch seine eignen fiinf und
mehr Sinne. Seine Ware hat fiir ihn keinen unmittelbaren Gebrauchswert.
Sonst fiihrte er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswert fiir andre. Fiir
ihn hat sie unmittelbar nur den Gebrauchswert, Trager von Tauschwert
und so Tauschmittel zu sein. 89 Daram will er sie verauBern fiir Ware, deren
Gebrauchswert ihm Geniige tut. Alle Waren sind Nicht-Gebrauchswerte
fiir ihre Besitzer, Gebrauchswerte fiir ihre Nicht-Besitzer. Sie miissen also
allseitig die Hande wechseln. Aber dieser Handewechsel bildet ihren
Austausch, und ihr Austausch bezieht sie als Werte aufeinander und
realisiert sie als Werte. Die Waren miissen sich daher als Werte realisieren,
bevor sie sich als Gebrauchswerte realisieren konnen.
Andrerseits miissen sie sich als Gebrauchswerte bewahren, bevor sie sich
als Werte realisieren konnen. Denn die auf sie verausgabte menschliche
Arbeit zahlt nur, soweit sie in einer fiir andre nutzlichen Form verausgabt
ist. Ob sie andren nutzlich, ihr Produkt daher fremde Bediirfnisse
befriedigt, kann aber nur ihr Austausch beweisen.
Jeder Warenbesitzer will seine Ware nur verauBern gegen andre Ware,
deren Gebrauchswert sein Bediirfnis befriedigt. Sofern ist der Austausch
fiir ihn nur individueller ProzeB. Andrerseits will er seine Ware als Wert
realisieren, also in jeder ihm beliebigen andren Ware von demselben Wert,
ob seine eigne Ware nun fiir den Besitzer der andren Ware Gebrauchswert
habe oder nicht. Sofern ist der Austausch fiir ihn allgemein
gesellschaftlicher ProzeB. Aber derselbe ProzeB kann nicht gleichzeitig fiir
alle Warenbesitzer nur individuell und zugleich nur allgemein
gesellschaftlich sein.
Sehn wir naher zu, so gilt jedem Warenbesitzer jede fremde Ware als
besondres Aquivalent seiner Ware, seine Ware daher als allgemeines
Aquivalent aller andren Waren. Da aber alle Warenbesitzer dasselbe tun,
ist keine Ware allgemeines Aquivalent und besitzen die Waren daher auch
keine allgemeine relative Wertform, worin sie sich als Werte gleichsetzen
und als WertgroBen vergleichen. Sie stehn sich daher iiberhaupt nicht
gegenuber als Waren, sondern nur als Produkte oder Gebrauchswerte.
In ihrer Verlegenheit denken unsre Warenbesitzer wie Faust. Im Anfang
war die Tat. Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben.
Die Gesetze der Warennatur betatigten sich im Naturinstinkt der
Warenbesitzer. Sie konnen ihre Waren nur als Werte und darum nur als
Waren aufeinander beziehn, indem sie dieselben gegensatzlich auf
irgendeine andre Ware als allgemeines Aquivalent beziehn. Das ergab die
Analyse der Ware. Aber nur die gesellschaftliche Tat kann eine bestimmte
Ware zum allgemeinen Aquivalent machen. Die gesellschaftliche Aktion
aller andren Waren schlieBt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie
allseitig ihre Werte darstellen. Dadurch wird die Naturalform dieser Ware
gesellschaftlich giiltige Aquivalentform. Allgemeines Aquivalent zu sein
wird durch den gesellschaftlichen ProzeB zur spezifisch gesellschaftlichen
Funktion der ausgeschlossenen Ware. So Wird sie - Geld.
»IUi unum consilium habent et virtutem et potestatem suam bestiae
tradunt. Et ne quis possit emere aut vendere, nisi qui habet
characterem aut nomen bestiae, aut numerum nominis ejus.« 90
(Apokalypse. 91 )
Der Geldkristall ist ein notwendiges Produkt des Austauschprozesses,
worin verschiedenartige Arbeitsprodukte einander tatsachlich gleichgesetzt
und daher tatsachlich in Waren verwandelt werden. Die historische
Ausweitung und Vertiefung des Austausches entwickelt den in der
Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert und Wert.
Das Bedurfnis, diesen Gegensatz fur den Verkehr auBerlich darzustellen,
treibt zu einer selbstandigen Form des Waren werts und ruht und rastet
nicht, bis sie endgultig erzielt ist durch die Verdopplung der Ware in Ware
und Geld. In demselben MaBe daher, worin sich die Verwandlung der
Arbeitsprodukte in Waren, vollzieht sich die Verwandlung von Ware in
Geld n
l.Danach beurteile man die Pfiffigkeit des kleinbiirgerlichen Sozialismus, der die
Warenproduktion verewigen und zugleich den "Gegensatz von Geld und Ware", also das Geld selbst, denn es
Der unmittelbare Produktenaustausch hat einerseits die Form des
einfachen Wertausdrucks und hat sie andrerseits noch nicht. Jene Form
war x Ware A = y Ware B. Die Form des unmittelbaren
Produktenaustausches ist: x Gebrauchsgegenstand A = y
Gebrauchsgegen stand B. 93 Die Dinge A und B sind hier nicht Waren vor
ist nur in diesem Gegensatze, abschaffen will. Ebensowohl konnte man den Papst abschaffen und den
Katholizismus bestehen lassen. Das Nahere hieriiber sieh in meiner Schrift "Zur Kritik der Pol.
Oekonomie", p.61 sqq. [MEW, Bd. 13, S.66ff.]
l.Solange noch nicht zwei verschiedne Gebrauchsgegenstande ausgetauscht, sondern, wie wir das
bei Wilden oft finden, eine chaotische Masse von Dingen als Aquivalent fur ein Drittes angeboten wird,
steht der unmittelbare Produktenaustausch selbst erst in seiner Vorhalle.
2.1nkastaat - Sklavenhalterstaat mit bedeutenden Uberresten der Urgesellschaft. Die Grundlage
der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Organisation war die Sippe oder Bauerngemeinde (Aylla), die
Boden und Vieh gemeinsam besaB. Seine Bliitezeit erlebte der Inkastaat vom Ende des 15. Jahrbunderts bis
zur spanischen Eroberung und seiner volligen Vernichtung in den dreiBiger Jahren des 16. Jahrhunderts;
damals dehnte er sich liber die Gebiete des heutigen Peru, Ecuador, Bolivien und Nordchile aus.
l.Karl Marx, l.c.p.135. [Siehe MEW, Bd. 13, S.131] »Die Metalle ... sind von Natur Geld.«
(Galiani, "Delia Moneta" in Custodis Sammlung, Parte Moderna. till, p. 137.)
2. Das Nahere dariiber in meiner eben zitierten Schrift, Abschnitt: "Die edlen Metalle".
l.»Das Geld ist die allgemeine Ware.« (Verri, l.c.p.16.)
l.»Silber und Gold an sich, die wir mit dem allgemeinen Namen Edelmetall bezeichnen konnen,
sind im ... Werte ... steigende und fallende ... Waren ... Dem Edelmetall kann man dann einen hoheren
Wert zuerkennen, wenn ein geringeres Gewicht davon eine grofiere Menge des Produkts oder
Fabrikats des Landes etc. kauft.« ([S.Clement,] "A Discourse of the General Notions of Money, Trade,
and Exchange, as they stand in relations to each other. By a Merchant", Lond. 1695, p. 7.) »Silber und Gold,
gemunzt oder ungemiinzt, werden zwar als Mafistab fiir alle anderen Dinge gebraucht, sind aber nicht
weniger eine Ware als Wein, Ol, Tabak, Tuch oder Stoffe.« ([J. Child,] "A Discourse concerning Trade,
and that in particular of the East-Indies etc.", London 1689, p.2.) »Vermogen und Reichtum des
Konigreiches konnen genaugenommen nicht auf Geld beschrankt, noch konnen Gold und Silber als
Waren ausgeschlossen werden. « ([Th-Papillon,] "The East India Trade a most Profitable Trade", London
1677, P.4.)
2.»Gold und Silber haben Wert als Metalle, bevor sie Geld sind.« (Galiani, I.e. [p. 72.]) Locke
sagt: »Die allgemeine Ubereinstimmung der Menschen legte dem Silber, wegen seiner Oualitaten, die
es zum Geld geeignet machten, einen imaginaren Wert bei. « * Dagegen Law: » Wie konnten verschiedne
Nationen irgendeiner Sache einen imaginaren Wert geben ... oder wie hatte sich dieser imaginare Wert
erhalten konnen? « Wie wenig er selbst aber von der Sache verstand: »Das Silber tauschte sich aus nach
dem Gebrauchswert, den es hatte, also nach seinem wirklichen Wert; durch seine Bestimmung als Geld
erhielt es einen zuschiissigen Wert (une valeur additionnelle).« (lean Law, "Considerations sur le
numeraire et le commerce" in E.Daires Edit, der "Economistes Financiers du XVIII. siecle", p. 469, 470.)
dem Austausch, sondern werden es erst durch denselben. Die erste Weise,
worin ein Gebrauchsgegenstand der Moglichkeit nach Tauschwert ist, ist
sein Dasein als Nicht-Gebrauchswert, als die unmittelbaren Bedefnisse
seines Besitzers uberschieBendes Quantum von Gebrauchswert. Dinge
sind an und fiir sich dem Menschen auBerlich und daher verauBerlich.
Damit diese VerauBerung wechselseitig, brauchen Menschen nur
stillschweigend sich als Privateigen turner jener verauBerlichen Dinge und
eben dadurch als voneinander unabhangige Personen gegeniiberzutreten.
Solch ein Verhaltnis wechselseitiger Fremdheit existiert jedoch nicht fiir
die Glieder eines naturwuchsigen Gemeinwesens, habe es nun die Form
einer patriarchalischen Famihe, einer altindischen Gemeinde, eines
Inkastaates 94 usw. Der Warenaustausch beginnt, wo die Gemeinwesen
enden, an den Punkten ihres Kontakts mit fremden Gemeinwesen oder
Gliedern fremder Gemeinwesen. Sobald Dinge aber einmal im
auswartigen, werden sie auch riickschlagend im innern Gemeinleben zu
Waren. Ihr quantitatives Austauschverhaltnis ist zunachst ganz zufallig.
Austauschbar sind sie durch den Willensakt ihrer Besitzer, sie
wechselseitig zu verauBern. Indes setzt sich das Bedurfnis fiir fremde
Gebrauchsgegenstande allmahlich fest. Die bestandige Wiederholung des
Austausches macht ihn zu einem regelmaBigen gesellschafthchen ProzeB.
Im Laufe der Zeit muB daher wenigstens ein Teil der Arbeitsprodukte
absichtlich zum Behuf des Austausches produziert werden. Von diesem
Augenblick befestigt sich einerseits die Scheidung zwischen der
Nutzlichkeit der Dinge fiir den unmittelbaren Bedarf und ihrer Nutzlichkeit
zum Austausch. Ihr Gebrauchswert scheidet sich von ihrem Tauschwerte.
Andrerseits wird das quantitative Verhaltnis, worin sie sich austauschen,
von ihrer Produktion selbst abhangig. Die Gewohnheit fixiert sie als
WertgroBen.
Im unmittelbaren Produktenaustausch ist jedeWare unmittelbar
Tauschmittel fiir ihren Besitzer, Aquivalent fiir ihren Nichtbesitzer, jedoch
nur soweit sie Gebrauchswert fiir ihn. Der Tauschartikel erhalt also noch
keine von seinem eignen Gebrauchswert oder dem individuellen Bedurfnis
der Austauscher unabhangige Wertform. Die Notwendigkeit dieser Form
entwickelt sich mit der wachsenden Anzahl und Mannigfaltigkeit der in
den AustauschprozeB eintretenden Waren. Die Aufgabe entspringt
gleichzeitig mit den Mitteln ihrer Losung. Ein Verkehr, worin
Warenbesitzer ihre eignen Artikel mit verschiednen andren Artikeln
austauschen und vergleichen, findet niemals statt, ohne daB verschiedne
Waren von verschiednen Warenbesitzern innerhalb ihres Verkehrs mit
einer und derselben dritten Warenart ausgetauscht und als Werte
verglichen werden. Solche dritte Ware, indem sie Aquivalent fur
verschiedne andre Waren wird, erhalt unmittelbar, wenn auch in engen
Grenzen, allgemeine oder gesellschaftliche Aquivalentform. Diese
allgemeine Aquivalentform entsteht und vergeht mit dem augenblicklichen
gesellschaftlichen Kontakt, der sie ins Leben rief. Abwechselnd und
fliichtig kommt sie dieser oder jener Ware zu. Mit der Entwicklung des
Warenaustausches heftet sie sich aber ausschlieBlich fest an besondere
Warenarten oder kristallisiert zur Geldform. An welcher Warenart sie
kleben bleibt, ist zunachst zufallig. Jedoch entscheiden im groBen und
ganzen zwei Umstande. Geldform heftet sich entweder an die wichtigsten
Eintauschartikel aus der Fremde, welche in der Tat naturwuchsige
Erscheinungsformen des Tauschwerts der einheimischen Produkte sind,
oder an den Gebrauchsgegenstand, weicher das Hauptelement des
einheimischen verauBerlichen Besitztums bildet, wie z.B. Vieh.
Nomadenvolker entwickeln zuerst die Geldform, weil all ihr Hab und Gut
sich in beweglicher, daher unmittelbar verauBerlicher Form befindet, und
weil ihre Lebensweise sie bestandig mit fremden Gemeinwesen in Kontakt
bringt, daher zum Produktenaustausch sollizitiert. Die Menschen haben oft
den Menschen selbst in der Gestalt des Sklaven zum urspriinglichen
Geldmaterial gemacht, aber niemals den Grand und Boden. Solche Idee
konnte nur in bereits ausgebildeter burgerlicher Gesellschaft aufkommen.
Sie datiert vom letzten Dritteil des 17Jahrhunderts, und ihre Ausfiihrang,
auf nationalem MaBstab, wurde erst ein Jahrhundert spater in der
burgerlichen Revolution der Franzosen versucht.
In demselben Verhaltnis, worin der Warenaustausch seine nur lokalen
Bande sprengt, der Warenwert sich daher zur Materiatur menschlicher
Arbeit iiberhaupt ausweitet, geht die Geldform auf Waren iiber, die von
Natur zur gesellschaftlichen Funktion eines allgemeinen Aquivalents
taugen, auf die edlen Metalle.
DaB nun, »obgleich Gold und Silber nicht von Natur Geld, Geld von
Natur Gold und Silber ist«, 95 zeigt die Kongruenz ihrer
Natureigenschaften mit seinen Funktionen. 96 Bisher kennen wir aber nur
die eine Funktion des Geldes, als Erscheinungsform des Warenwerts zu
dienen oder als das Material, worm die WertgroBen der Waren sich
gesellschaftlich ausdriicken. Adaquate Erscheinungsform von Wert oder
Materiatur abstrakter und daher gleicher menschlicher Arbeit kann nur eine
Materie sein, deren samtliche Exemplare dieselbe gleichformige Qualitat
besitzen. Andrerseits, da der Unterschied der WertgroBen rein quantitativ
ist, muB die Geldware rein quantitativer Unterschiede fahig, also nach
Willkur teilbar und aus ihren Teilen wieder zusammensetzbar sein. Gold
und Silber besitzen aber diese Eigenschaften von Natur.
Der Gebrauchswert der Geldware verdoppelt sich. Neben ihrem
besondren Gebrauchswert als Ware, wie Gold z.B. zum Ausstopfen hohler
Zahne, Rohmaterial von Luxusartikeln usw. dient, erhalt sie einen
formalen Gebrauchswert, der aus ihren spezifischen gesellschafthchen
Funktionen entspringt.
Da alle andren Waren nur besondre Aquivalente des Geldes, das Geld ihr
allgemeines Aquivalent, verhalten sie sich als besondre Waren zum Geld
als der allgemeinen Ware. 97
Man hat gesehn, daB die Geldform nur der an einer Ware fest haftende
Reflex der Beziehungen aller andren Waren. DaB Geld Ware ist 98 ist also
nur eine Entdeckung fur den, der von seiner fertigen Gestalt ausgeht, um
sie hinterher zu analysieren. Der AustauschprozeB gibt der Ware, die er in
Geld verwandelt, nicht ihren Wert, sondern ihre spezifische Wertform. Die
Verwechslung beider Bestimmungen verleitete dazu, den Wert von Gold
und Silber fur imaginar zu halten." Weil Geld in bestimmten Funktionen
durch bloBe Zeichen seiner selbst ersetzt werden kann, entsprang der andre
Irrtum, es sei ein bloBes Zeichen. Andrerseits lag darin die Ahnung, daB
die Geldform des Dings ihm selbst auBerlich und bloBe Erscheinungsform
dahinter versteckter menschlicher Verhaltnisse. In diesem Sinn ware jede
Ware ein Zeichen, weil als Wert nur sachliche Hiille der auf sie
verausgabten menschlichen Arbeit. 10 ° Indem man aber die
4.»Das Geld ist ihr« (der Waren) »Zeichen.« (V. de Forbonnais, "Elements du Commerce", Nouv.
Edit. Leyde 1766, t.II, p. 143.) »Als Zeichen wird es von den Waren angezogen.« (I.e. p. 155.) »Das Geld
ist Zeichen fiir eine Sache and vertritt sie.« (Montesquieu, "Esprit des Lois", Oeuvres, Lond. 1767, t.II,
p. 3.) »Das Geld ist nicht blofies Zeichen, denn es ist selbst Reichtum, es vertritt nicht die Werte, es ist
ihr Aquivalent.« (Le Trosne, l.c.p.910.) »Betrachtet man den Begriff des Werts, so wird die Sache selbst
nur als ein Zeichen angesehn, und sie gilt nicht als sie selber, sondern als was sie wert ist.« (Hegel,
l.c.p. 100.) Lange vor den Okonomen brachten die luristen die Vorstellung von Geld als bloBem Zeichen
und dem nur imaginaren Wert der edlen Metalle in Schwung, im Sykophantendienst der koniglichen Gewalt,
deren Munzverfalschungsrecht sie das ganze Mittelalter hindurch auf die Traditionen des romischen
Kaiserreichs und die Geldbegriffe derPandekten* stiitzten. »Niemand kann und darfZweifel hegen«, sagt
ihr gelehriger Schiller, Philipp von Valois, in einem Dekret von 1346, »dafi nur Uns und Unserer
koniglichen Majestdt zukommt ... das Munzgeschaft, die Herstellung, die Beschaffenheit, der Vorrat
und alle die Miinzen betreffenden Verordnungen, sie so und zu solchem Preis in Umlaufzu setzen, wie
es Uns gefdllt und gutdunkt.« Es war romisches Rechtsdogma, daB der Kaiser den Geldwert dekretiert. Es
war ausdriicklich verboten, das Geld als Ware zu behandeln. »Geld jedoch zu kaufen soil niemand
gestattet sein, denn zum allgemeinen Gebrauch geschaffen, darf es nicht Ware sein.« Gute
Auseinandersetzung hieriiber von G.F.Pagnini, "Saggio sopra il giusto pregio delle cose", 1751, bei Custodi,
Parte Moderna, t.II. Namentlich im zweiten Teil der Schrift polemisiert Pagnini gegen die Herren Juristen.
* Pandekten (griech.) oder Digmien (lat.) - Hauptteil des romischen Zivilrechts (Corpus juris
civilis). Die Pandekten waren eine Zusammenstellung von Ausziigen aus den Werken romischer
Rechtsgelehrter, die den Interessen der Sklavenhalter entsprachen. Sie wurden im Auftrage des
byzantischen Kaisers Justinianus 1. angefertigt und im lahre 533 als Gesetz verkiindet.
l.»Wenn jemand eine Unze Silber aus dem Innern der Erde Perus in derselben Zeit nach
London bringen kann, die er zur Produktion eines Bushel Korn brauchen wiirde, dann ist das eine der
natiirliche Preis des anderen; wenn er nun durch Abbau neuer und ergiebigerer Bergwerke statt der
einen zwei Unzen Silber mit dem gleichen Aufwand gewinnen kann, wird das Korn bei einem Preis von
10 Shilling pro Bushel ebenso billig sein wie vorher bei einem Preis von 5 Shilling, caeteris paribus
[Unter sonst gleichen Umstanden].« (William Petty, "A Treatise of Taxes and Contributions", Lond. 1667,
p. 31 .)
2.Nachdem Herr Professor Roscher uns belehrt: »Die falschen Definitionen von Geld lassen
sich in zwei Hauptgruppen teilen: solche, die esfiir mehr, und solche, die esfiir weniger halten als eine
Ware«, folgt ein kunterbunter Katalog von Schriften iiber das Geldwesen, wodurch auch nicht die
entfernteste Einsicht in die wirkliche Geschichte der Theorie durchschimmert, und dann die Moral: »Zu
leugnen ist ubrigens nicht, dafi die meisten neueren Nationalokonomen die Eigentumlichkeiten, welche
das Geld von andren Waren unterscheiden« (also doch mehr oder weniger als Ware?), »nicht genug im
Auge behalten haben ... Insofern ist die halbmerkantilistische Reaktion von Ganilh etc. nicht ganz
unbegriindet.« (Wilhelm Roscher, "Die Grundlagen der Nationalokonomie", 3.Aufl, 1858, p. 207-210.)
Mehr - weniger - nicht genug - insofern - nicht ganz! Welche Begriff sbestimmungen ! Und dergleichen
eklektische Professoralfaselei tauft Herr Roscher bescheiden »die anatomisch-physiologische Methode«
der politischen Okonomie! Eine Entdeckung ist ihm jedoch geschuldet, namlich, daB Geld »eine
angenehme Ware« ist.
l.Die Frage, warum das Geld nicht unmittelbar die Arbeitszeit selbst reprasentiert, so daB z. B. eine
Papiernote x Arbeitsstunden vorstellt, kommt ganz einfach auf die Frage heraus, warum auf Grundlage der
Warenproduktion die Arbeitsprodukte sich als Waren darstellen mussen, denn die Darstellung der Ware
gesellschaftlichen Charaktere, welche Sachen, oder die sachlichen
Charaktere, welche gesellschaftliche Bestimmungen der Arbeit auf
Grandlage einer bestimmten Produktionsweise erhalten, fiir bloBe Zeichen,
erklart man sie zugleich fiir willkiirliches Reflexionsprodukt der Menschen.
Es war dies beliebte Aufklarungsmanier des 18. Jahrhunderts, um den
ratselhaften Gestalten menschlicher Verhaltnisse, deren
EntstehungsprozeB man noch nicht entziffern konnte, wenigstens vorlaufig
den Schein der Fremdheit abzustreifen.
Es ward vorhin bemerkt, daB die Aquivalentform einer Ware die
quantitative Bestimmung ihrer WertgroBe nicht einschlieBt. WeiB man, daB
Gold Geld, daher mit alien andren Waren unmittelbar austauschbar ist, so
weiB man deswegen nicht, wieviel z.B. 10 Pfund Gold wert sind. Wie jede
Ware kann das Geld seine eigne WertgroBe nur relativ in andren Waren
ausdriicken. Sein eigner Wert ist bestimmt durch die zu seiner Produktion
erheischte Arbeitszeit und driickt sich in dem Quantum jeder andren Ware
aus, worin gleichviel Arbeitszeit geronnen ist. 101 Diese Festsetzung seiner
relativen WertgroBe findet statt an seiner Produktionsquelle in
unmittelbarem Tauschhandel. Sobald es als Geld in die Zirkulation eintritt,
ist sein Wert bereits gegeben. Wenn es schon in den letzten Dezennien des
17. Jahrhunderts weit uberschrittner Anfang der Geldanalyse, zu wissen,
daB Geld Ware ist, so aber auch nur der Anfang. Die Schwierigkeit liegt
nicht darin zu begreifen, daB Geld Ware, sondern wie, warum, wodurch
Ware Geld ist. 102
Wir sahen, wie schon in dem einfachsten Wertausdruck, x Ware A = y
Ware B, das Ding, worin die WertgroBe eines andren Dings dargestellt
wird, seine Aquivalentform unabhangig von dieser Beziehung als
gesellschaftliche Natureigenschaft zu besitzen scheint. Wir verfolgten die
Befestigung dieses falschen Scheins. Er ist vollendet, sobald die allgemeine
Aquivalentform mit der Naturalform einer besondren Warenart
verwachsen oder zur Geldform kristallisiert ist. Eine Ware scheint nicht
erst Geld zu werden, weil die andren Waren allseitig ihre Werte in ihr
darstellen, sondern sie scheinen umgekehrt allgemein ihre Werte in ihr
darzustellen, weil sie Geld ist. Die vermittelnde Bewegung verschwindet in
ihrem eignen Resultat und laBt keine Spur zuriick. Ohne ihr Zutun finden
die Waren ihre eigne Wertgestalt fertig vor als einen auBer und neben
ihnen existierenden Warenkorper. Diese Dinge, Gold und Silber, wie sie
aus den Eingeweiden der Erde herauskommen, sind zugleich die
unmittelbare Inkarnation aller menschlichen Arbeit. Daher die Magie des
Geldes. Das bloB atomistische Verhalten der Menschen in ihrem
gesellschaftlichen ProduktionsprozeB und daher die von ihrer Kontrolle
und ihrem bewuBten individuellen Tun unabhangige, sachliche Gestalt
ihrer eignen Produktionsverhaltnisse erscheinen zunachst darin, daB ihre
Arbeitsprodukte allgemein die Warenform annehmen. Das Ratsel des
Geldfetischs ist daher nur das sichtbar gewordne, die Augen blendende
Ratsei des Warenfetischs.
Drittes Kapitel
Das Geld oder die Warenzirkulation
1. Mafi der Werte
Ich setze liberal! in dieser Schrift, der Vereinfachung halber, Gold als die
Geldware voraus.
Die erste Funktion des Goldes besteht darin, der Warenwelt das Material
ihres Wertausdrucks zu liefern oder die Warenwerte als gleichnamige
GroBen, qualitativ gleiche und quantitativ vergleichbare, darzustellen. So
funktioniert es als allgemeines MaB der Werte, und nur durch diese
Funktion wird Gold, die spezifische Aquivalentware, zunachst Geld.
Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel. Umgekehrt.
Weil alle Waren als Werte vergegenstandlichte menschliche Arbeit, daher
an und fur sich kommensurabel sind, konnen sie ihre Werte
gemeinschaftlich in derselben spezifischen Ware messen und diese
dadurch in ihr gemeinschaftliches WertmaB oder Geld verwandeln. Geld
als WertmaB ist notwendige Erscheinungsform des immanenten
WertmaBes der Waren, der Arbeitszeit. 103
Der Wertausdruck einer Ware in Gold - x Ware A = y Geldware ist ihre
Geldform oder ihr Preis. Eine vereinzelte Gleichung, wie 1 Tonne Eisen = 2
Unzen Gold, geniigt jetzt, um den Eisenwert gesellschaftlich giiltig
darzustellen. Die Gleichung braucht nicht langer in Reih und Glied mit den
Wertgleichungen der andren Waren aufzumarschieren, weil die
Aquivalentware, das Gold, bereits den Charakter von Geld besitzt. Die
allgemeine relative Wertform der Waren hat daher jetzt wieder die Gestalt
ihrer urspriinglichen, einfachen oder einzelnen relativen Wertform.
Andrerseits wird der entfaltete relative Wertausdruck oder die endlose
Reihe relativer Wertausdriicke zur spezifisch irelativen Wertform der
Geldware. Diese Reihe ist aber jetzt schon gesellschaftlich gegeben in den
Warenpreisen. Man lese die Quotationen eines Preiskurants riickwarts und
man findet die WertgroBe des Geldes in alien moglichen Waren dargestellt.
Geld hat dagegen keinen Preis. Um an dieser einheitlichen relativen
Wertform der andren Waren teilzunehmen, miiBte es auf sich selbst als
sein eignes Aquivalent bezogen werden.
Der Preis oder die Geldform der Waren ist, wie ihre Wertform uberhaupt,
eine von ihrer handgreiflich reellen Korperform unterschiedne, also nur
ideelle oder vorgestellte Form. Der Wert von Eisen, Leinwand, Weizen
usw. existiert, obgleich unsichtbar, in diesen Dingen selbst; er wird
vorgestellt durch ihre Gleichheit mit Gold, eine Beziehung zum Gold, die
Sozusagen nur in ihren Kopfen spukt. Der Warenhiiter muB daher seine
Zunge in ihren Kopf stecken oder ihnen Papierzettel umhangen, um ihre
Preise der AuBenwelt mitzuteilen. 104 Da der Ausdruck der Warenwerte in
1. Der Wilde oder Halbwilde braucht die Zunge anders. Kapitan Parry bemerkt z.B. von den
Bewohnern an der Westkiiste der Baffinsbay: »In diesern Falle« (beim Produktenaustausch) »... beleckten
sie es« (das ihnen Angebotene) »zweimal mit der Zunge, wonach sie das Geschdft als zur Zufriedenheit
abgeschlossen zu betrachten schienen.« [[W.E.Pany,] "Journal of a voyage for the discovery of a north-
west passage from the Atlantic to the Pacific; performed in the years 1819-20. in His Majesty's ships
Hecla and Griper, under the orders of William Edward Parry", 2. Ausg., London 1821, S. 277/278.] Ebenso
beleckte bei den ostlichen Eskimos der Eintauscher jedesmal den Artikel beim Empfang desselben. Wenn
die Zunge so im Norden als Organ der Aneignung, ist es kein Wunder, daB der Bauch im Siiden als Organ
des akkumulierten Eigentums gilt und der Kaffer den Reichtum eines Mannes nach seinem Fettwanst
schatzt. Die Kaffern sind grundgescheute Kerle, denn wahrend der offizielle britische Gesundheitsbericht
von 1864 den Mangel eines groBen Teils der Arbeiterklasse an fettbildenden Substanzen beklagt, machte
ein Dr.Harvey, der jedoch nicht die Blutzirkulation erfunden hat, in demselben Jahre sein Gliick durch Puff-
Rezepte, die der Bourgeoisie und Aristokratie Fettuberflusseslast abzutreiben versprachen.
2.Siehe Karl Marx, "Zur Kritik etc.", "Theorien von der MaBeinheit des Geldes", p. 53 sqq. [MEW,
Bd. 13, S.59ff.
l.Note zur 2. Ausg. »Wo Gold und Silber gesetzlich als Geld, d.h. als Wertmafi nebeneinander
bestehen, ist stets der vergebliche Versuch gemacht worden, sie als eine und dieselbe Materie zu
behandeln. Unterstellt man, dafi dieselbe Arbeitszeit sich unveranderlich in derselben Proportion von
Silber und Gold vergegenstandlichen mufi, so unterstellt man in der Tat, dafi Silber und Gold dieselbe
Materie sind und dafi eine bestimmte Masse des minder wertvollen Metalls, des Silbers, den
unveranderlichen Bruchteil einer bestimmten Goldmasse bildet. Von der Regierung Edwards III. bis
zur Zeit von Georg II. verlauft sich die Geschichte des englischen Geldwesens in eine fortlaufende
Reihe von Storungen, hervorgehend aus der Kollision zwischen der gesetzlichen Festsetzung des
Wertverhaltnisses von Gold und Silber und ihren wirklichen Wertschwankungen. Bald war Gold zu
hoch geschatzt, bald Silber. Das zu niedrig geschatzte Metall wurde der Zirkulation entzogen,
umgeschmolzen und exportiert. Das Wertverhdltnis beider Metalle wurde dann wieder gesetzlich
verandert, aber der neue Nominalwert trat bald mit dem wirklichen Wertverhdltnis in denselben
Konflikt wie der alte. - In unserer eigenen Zeit hat der sehr schwache und vorubergehende Fall im
Wert von Gold gegen Silber, infolge der indisch-chinesischen Silbernachfrage, dasselbe Phanomen auf
der grofiten Stufenleiter in Frankreich erzeugt, Ausfuhr von Silber und seine Vertreibung aus der
Zirkulation durch Gold. Wahrend der Jahre 1855, 1856, 1857 betrug der Uberschufi der Goldeinfuhr
in Frankreich iiber die Goldausfuhr aus Frank, reich 41.580.000 Pfd.St., wahrend der Uberschufi der
Silberausfuhr ttber die Silbereinfuhr 34.704.000 [2. bis 4. Auflage: 14.704.000] Pfd.St. betrug. In der
Tat, in Ldndern, wo beide Metalle gesetzliche Wertmafie sind, daher beide in Zahlung angenommen
werden miissen, jeder aber beliebig in Silber oder Gold zahlen kann, trdgt das im Wert steigende
Metall ein Agio und mifit wie jede andere Ware seinen Preis in dem uberschatzten Metall, wahrend
letzteres allein als Wertmafi dient. Alle geschichtliche Erfahrung in diesem Gebiet reduziert sich
einfach darauf, dafi, wo gesetzlich zwei Waren die Funktion des Wertmafies versehen, faktisch immer
nur eine als solches den Platz behauptet.« (Karl Marx, I.e. p. 52, 53. [siehe MEW, Band 13, S. 58/59])
l.Note zur 2. Ausg. Die Sonderbarkeit, daB die Unze Gold in England als Einheit des GeldmaBstabs
nicht in aliquote Teile abgeteilt ist, erklart sich wie folgt: »Unser Miinzwesen war urspriinglich nur der
Gold ideell ist, ist zu dieser Operation auch nur vorgestelltes oder ideelles
Gold anwendbar. Jeder Warenhuter weiB, daB er seine Waren noch lange
nicht vergoldet, wenn er ihrem Wert die Form des Preises oder vorgestellte
Goldform gibt, und daB er kein Quentchen wirkliches Gold braucht, urn
Millionen Waren werte in Gold zu schatzen. In seiner Funktion des
WertmaBes dient das Geld daher - als nur vorgestelltes oder ideelles Geld.
Dieser Umstand hat die tollsten Theorien veranlaBt 105 Obgleich nur
vorgestelltes Geld zur Funktion des WertmaBes dient, hangt der Preis ganz
vom reellen Geldmaterial ab. Der Wert, d.h. das Quantum menschlicher
Arbeit, das z. B. in einer Tonne Eisen enthalten ist, wird ausgedriickt in
einem vorgestellten Quantum der Geldware, welches gleich viel Arbeit
enthalt. Je nachdem also Gold, Silber oder Kupfer zum WertmaB dienen,
erhalt der Wert der Tonne Eisen ganz verschiedne Preisausdriicke oder
wird in ganz verschiednen Quantitaten Gold, Silber oder Kupfer
vorgestellt.
Dienen daher zwei verschiedne Waren, z.B. Gold und Silber, gleichzeitig
als WertmaBe, so besitzen alle Waren zweierlei verschiedne
Preisausdriicke, Goldpreise und Silberpreise, die ruhig nebeneinander
laufen, solange das Wertverhaltnis von Silber zu Gold unverandert bleibt,
z.B. = 1 : 15. Jede Veranderung dieses Wertverhaltnisses stort aber das
Verhaltnis zwischen den Goldpreisen und den Silberpreisen der Waren
und beweist so tatsachlich, daB die Verdopplung des WertmaBes seiner
Funktion widerspricht. 106
Die preisbestimmten Waren stellen sich alle dar in der Form: a Ware A =
x Gold, b Ware B = z Gold, c Ware C = y Gold usw., wo a, b, c bestimmte
Massen der Warenarten A, B, C vorstellen, x, z, y bestimmte Massen des
Goldes. Die Waren werte sind daher verwandelt in vorgestellte Goldquanta
von verschiedner GroBe, also, trotz der wirren Buntheit der Warenkorper,
in gleichnamige GroBen, GoldgroBen. Als solche verschiedne Goldquanta
vergleichen und messen sie sich untereinander, und es entwickelt sich
technisch die Notwendigkeit, sie auf ein fixiertes Quantum Gold als ihre
MaBeinheit zu beziehn. Diese MaBeinheit selbst wird durch weitere
Einteilung in aliquote Teile zum MaBstab fortentwickelt. Vor ihrer
Geldwerdung besitzen Gold, Silber, Kupfer bereits solche MaBstabe in
ihren Metallgewichten, so daB z.B. ein Pfund als MaBeinheit dient und
nach der einen Seite wieder in Unzen usw. abgeteilt, nach der andren in
Zentner usw. zusammenaddiert wird. 107 Bei aller metallischen Zirkulation
bilden daher die vorgefundenen Namen des GewichtsmaB stabs auch die
urspriinglichen Namen des GeldmaBstabs oder MaBstabs der Preise.
Als MaB der Werte und als MaBstab der Preise verrichtet das Geld zwei
ganz verschiedne Funktionen. MaB der Werte ist es als die gesellschaftliche
Inkarnation der menschlichen Arbeit, MaBstab der Preise als ein
festgesetztes Metallgewicht. Als WertmaB dient es dazu, die Werte der
bunt verschiednen Waren in Preise zu verwandeln, in vorgestellte
Goldquanta; als MaBstab der Preise miBt es diese Goldquanta. Am MaB
der Werte messen sich die Waren als Werte, der MaBstab der Preise miBt
dagegen Goldquanta an einem Goldquantum, nicht den Wert eines
Goldquantums am Gewicht des andren. Fur den MaBstab der Preise muB
ein bestimmtes Goldgewicht als MaBeinheit fixiert werden. Hier, wie in
alien andren MaBbestimmungen gleichnamiger GroBen, wird die Festigkeit
der MaBverhaltnisse entscheidend. Der MaBstab der Preise erfullt daher
seine Funktion um so besser, je unveranderlicher ein und dasselbe
Quantum Gold als MaBeinheit dient. Als MaB der Werte kann Gold nur
dienen, weil es selbst Arbeitsprodukt, also der Moglichkeit nach ein
veranderlicher Wert ist. 108
Es ist zunachst klar, daB ein Wertwechsel des Goldes seine Funktion als
MaBstab der Preise in keiner Weise beeintrachtigt. Wie auch der Goldwert
wechsle, verschiedne Goldquanta bleiben stets in selbem Wertverhaltnis
zueinander. Fiele der Goldwert um 1000%, so wiirden nach wie vor 12
Unzen Gold 12mal mehr Wert besitzen als eine Unze Gold, und in den
Preisen handelt es sich nur um das Verhaltnis verschiedner Goldquanta
l.Note zur 2.Ausg. In englischen Schriften ist die Konfusion uber MaB der Werte (measure of
value) und MaBstab der Preise (standard of value) unsaglich. Die Funktionen und daher ihre Namen werden
bestandig verwechselt.
1 .poetische Chronologie - In der antiken Mythologie wurde die Geschichte der Menschheit in
fiinf Abschnitte gegliedert. Im goldenen Zeitalter lebten die Menschen am gliicklichsten und ohne
Kummernisse; die Erde war ihr gemeinsames Eigentum und brachte alles Lebensnotwendige hervor.
Diesem vollkommenen Zustand folgte jedoch eine stufenweise Verschlechterung der Welt, dargestellt als
silbernes, ehernes, heroisches und eisernes Zeitalter. Dieser letzte Abschnitt war gekennzeichnet durch
muhsame Arbeit auf ertragsarmem Boden; das Leben war voller Ungerechtigkeiten, Gewalttaten und
Morden. - Die Legende von den fiinf Zeitaltern wird in den Werken des griechischen Epikers Hesiod und
spater von dem romischen Lyriker Ovid wieder aufgenommen.
2.Sie ist iibrigens auch nicht von allgemein historisher Giiltigkeit.
3. Note zur 2Ausg. So bezeichnet das englische Pfund weniger als ein Drittel seines ursprunglichen
Gewichts, das schottische Pfund vor der Union* nur noch /jg der franzosische Livre franzosische Livre
'74, der spanische Maravedi weniger als /j qqq, der portugiesische Rei eine noch viel kleinere
Proportion.
zueinander. Da andrerseits eine Unze Gold mit dem Fallen oder Steigen
ihres Werts keineswegs ihr Gewicht verandert, verandert sich ehensowenig
das ihrer aliquoten Teile, und so tut das Gold als fixer MaBstab der Preise
stets denselben Dienst, wie immer sein Wert wechsle.
Der Wertwechsel des Goldes verhindert auch nicht seine Funktion als
WertmaB. Er trifft alle Waren gleichzeitig, laBt also catteris paribus ihre
wechselseitigen relativen Werte unverandert, obgleich sie sich nun alle in
hoheren oder niedrigeren Goldpreisen als zuvor ausdriicken.
Wie bei der Darstellung des Werts einer Ware im Gebrauchswert
irgendeiner andren Ware, ist auch bei der Schatzung der Waren in Gold
nur vorausgesetzt, daB zur gegebnen Zeit die Produktion eines bestimmten
Goldquantums ein gegebnes Quantum Arbeit kostet. In bezug auf die
Bewegung der Warenpreise uberhaupt gelten die fruher entwickelten
Gesetze des einfachen relativen Wertausdrucks.
Die Warenpreise konnen nur allgemein steigen, bei gleichbleibendem
Geldwert, wenn die Waren werte steigen; bei gleichbleibenden
Warenwerten, wenn der Geldwert fallt. Umgekehrt. Die Warenpreise
konnen nur allgemein fallen; bei gleichbleibenden Warenwerten, wenn der
Geldwert steigt. Es folgt daher keineswegs, daB steigender Geldwert
proportionelles Sinken der Warenpreise und fallender Geldwert
proportionelles Steigen der Warenpreise bedingt. Dieses gilt nur fur Waren
von unverandertem Wert. Solche Waren z.B., deren Wert gleichmaBig und
gleichzeitig steigt mit dem Geldwert, behalten dieselben Preise. Steigt ihr
Wert langsamer oder rascher als der Geldwert, so wird der Fall oder das
Steigen ihrer Preise bestimmt durch die Differenz zwischen ihrer
Wertbewegung und der des Geldes usw.
Kehren wir nun zur Betrachtung der Preisform zuriick.
Die Geldnamen der Metallgewichte trennen sich nach und nach von
ihren urspriinglichen Gewichtnamen aus verschiednen Griinden, darunter
historisch entscheidend: 1. Einfuhrung fremden Geldes bei minder
entwickelten Volkern, wie z.B. im alten Rom Silber- und Goldmunzen
zuerst als auslandische Waren zirkulierten. Die Namen dieses fremden
Geldes sind von den einheimischen Gewichtnamen verschieden. 2. Mit der
Entwicklung des Reichtums wird das minder edle Metall durch das edlere
aus der Funktion des WertmaBes verdrangt. Kupfer durch Silber, Silber
durch Gold, sosehr diese Reihenfolge aller poetischen Chronologie 109
widersprechen mag. "° Pfund war nun z.B. Geldname fur ein wirkhches
Pfund Silber. Sobald Gold das Silber als WertmaB verdrangt, hangt sich
derselbe Name vielleiclit an V15 usw. Pfund Gold, je nach dem
Wertverhaltnis von Gold und Silber. Pfund als Geldname und als
gewohnlicher Gewichtname des Goldes sind jetzt getrennt. 111 3. Die
Jahrhunderte fortgesetzte Geldfalschung der Fursten, welche vom
urspriinglichen Gewicht der Geldmunzen in der Tat nur den Namen
zurucklieB. 112
5. Note zur 2.Ausg. »Die Mtinzen, deren Namen heute nur noch ideell sind, sind bei alien
Nationen die dltesten; sie alle waren einst real, und eben well sie real waren, hat man mit ihnen
gerechnet.« (Galiani, "Delia Moneta", l.c.p. 153.)
l.Note zur 2.Ausg. Herr David Urquhart bemerkt in seinen "Familiar Words" iiber das
Ungeheuerliche (!), daB heutzutage ein Pfund (£ St.), die Einheit des eriglischen GeldmaBstabs, gleich
ungefahr 'A Unze Gold ist: »Das ist Falschung eines Mafies und nicht Festsetzung eines Mafistabs.« [p.
105] Er findet in dieser "falschen Benennung" des Goldgewichts wie uberall sonst die falschende Hand der
Zivilisation.
l.Note zur 2.Ausg. »Als man den Anacharsis fragte, wozu die Hellenen das Geld brauchen,
antwortet er: zum Rechnen.« (Athen[aeus], "Deipn.", 1. IV, 49, v.2 [p. 120], ed. Schweighauser, 1802.)
l.Note zur 2.Ausg. »Weil das Gold [2. bis 4. Auflage: Geld] als Mafistab der Preise in denselben
Rechennamen erscheint wie die Warenpreise, also z-B. eine Unze Gold ebensowohl wie der Wert einer
Tonne Eisen in 3 Pfd.St. 17 sh. 10'h d. ausgedriickt wird, hat man diese seine Rechennamen seinen
Miinzpreis genannt. Die wunderliche Vorstellung entstand daher, als ob das Gold (resp. Silber) in
seinem eignen Material geschatzt werde und im Unterschied von alien Waren von Staats wegen einen
fixen Preis erhalte. Man versah die Fixierung von Rechennamen betimmter Goldgewichte fiir
Fixierung des Werts dieser Gewichte.e (Karl Marx, l.c.p. 52. [siehe MEW, Band 13, S.58])
2.Vgl. "Theorien von der MaBeinheit des Geldes" in "Zur Kritik der Pol. Okon. etc.", p. 53 sqq.
[ebenda, S. 59 ff.] Die Phantasien iiber Erhohung oder Erniedrigung des "Miinzpreises", die darin besteht,
die gesetzlichen Geldnamen fur gesetzlich fixierte Gewichtteile Gold oder Silber auf groBere oder
kleinere Gewichtteile von Staats wegen zu iibertragen und demgemaB auch etwa Vt Unze Gold statt in 20
kiinftig in 40 sh. zu pragen - diese Phantasien, soweit sie nicht ungeschickte Finanzoperationen gegen
Staats- und Privatglaubiger, sondern okonomische "Wunderkuren" bezwecken, hat Petty so erschopfend
behandelt in »Quantulumcunque concerning Money. To the Lord Marquis of Halifax, 1682«, daB schon
seine unmittelbaren Nachfolger, Sir Dudley North und John Locke, von spateren gar nicht zu reden, ihn nur
verfluchen konnten. Wenn der Reichtum einer Nation sagt er u.a., »durch eine Verordnung verzehnfacht
werden konnte, ware es eigenartig, dafi unsere Regierungen nicht schon langst derartige
Verordnungen erlassen haben.« (l.c.p. 36.)
l.»Oder man mufi schon zugeben, dafi eine Million in Geld mehr wert ist als ein gleicher Wert
in Waren« (Le Trosne, 1. c. p. 919), also »dafi ein Wert mehr wert ist als ein gleicher anderer.«
l.Wenn Hieronymus in seiner Jugend viel mit dem materiellen Fleisch zu ringen hatte, wie sein
Wiistenkampf mit schonen Frauenbildern zeigt, so im Alter mit dem geistigen Fleisch. »lch glaubte mich«,
Diese historischen Prozesse machen die Trennung des Geldnamens der
Metallgewichte von ihrem gewohnlichen Gewichtsnamen zur
Volksgewohnheit. Da der GeldmaBstab einerseits rein konventionell ist,
andrerseits allgemeiner Gultigkeit bedarf, wird er zuletzt gesetzlich
reguliert. Ein bestimm ter Gewichtsteil des edlen Metalls, z.B. eine Unze
Gold, wird offiziell abgeteilt in aliquote Teile, die legale Taufnamen
erhalten, wie Pfund, Taler usw. Solcher aliquote Teil, der dann als die
eigentliche MaBeinheit des Geldes gilt, wird untergeteilt in andre aliquote
Teile mit gesetzlichen Taufnamen, wie Shilling, Penny etc. 113 Nach wie vor
bleiben bestimmte Metallgewichte MaBstab des Metallgeldes. Was sich
geandert, ist Einteilung und Namengebung.
Die Preise, oder die Goldquanta, worin die Werte der Waren ideell
verwandelt sind, werden jetzt also ausgedriickt in den Geldnarnen oder
gesetzlich giiltigen Rechennamen des GoldmaBstabs. Statt also zu sagen,
der Quarter Weizen ist gleich einer Unze Gold, wiirde man in England
sagen, er ist gleich 3 Pfd.St. 17 sh. IOI/2 d. Die Waren sagen sich so in
ihren Geldnarnen, was sie wert sind, und das Geld dient als Rechengeld,
sooft es gilt, eine Sache als Wert und daher in Geldform zu fixieren. 114
Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz auBerlich. Ich weiB nichts
vom Menschen, wenn ich weiB, daB ein Mensch Jacobus heiBt. Ebenso
verschwindet in den Geldnarnen Pfund, Taler, Franc, Dukat usw. jede Spur
des Wertverhaltnisses. Die Wine iiber den Geheimsinn dieser
kabbalistischen Zeichen ist um so groBer, als die Geldnarnen den Wert der
Waren und zugleich aliquote Teile eines Metallgewichts, des
GeldmaBstabs, ausdriicken. 115 Andrerseits ist es notwendig, daB der Wert
im Unterschied von den bunten Korpern der Warenwelt sich zu dieser
begriffslos sachlichen, aber auch einfach gesellschaftlichen Form
fortentwickle. 116
Der Preis ist der Geldname der in der Ware vergegenstandlichten Arbeit.
Die Aquivalenz der Ware und des Geldquantums, dessen Name ihr Preis
ist, ist daher eine Tautologie' ' 7 , wie ja uberhaupt der relative Wertausdruck
einer Ware stets der Ausdruck der Aquivalenz zweier Waren ist. Wenn
aber der Preis als Exponent der WertgroBe der Ware Exponent ihres
Austauschverhaltnisses mit Geld, so folgt nicht umgekehrt, daB der
Exponent ihres Austauschverhaltnisses mit Geld notwendig der Exponent
ihrer WertgroBe ist. Gesellschaftlich notwendige Arbeit von gleicher GroBe
stelle sich in 1 Quarter Weizen und in 2 Pfd.st. (ungefahr Vi Unze Gold)
dar. Die 2 Pfd.st. sind Geldausdruck der WertgroBe des Quarter Weizens,
oder sein Preis. Erlauben nun die Umstande, ihn zu 3 Pfd.st., oder zwingen
sie, ihn zu 1 Pfd.st. zu notieren, so sind 1 Pfd.st. und 3 Pfd.st. als
Ausdriicke der WertgroBe des Weizens zu klein oder zu groB, aber sie sind
dennoch Preise desselben, denn erstens sind sie seine Wertform, Geld, und
zweitens Exponenten seines Austauschverhaltnisses mit Geld. Bei
gleichbleibenden Produktionsbedingungen oder gleichbleibender
Produktivkraft der Arbeit muB nach wie vor zur Reproduktion des Quartier
Weizen gleich viel gesellschaftliche Arbeitszeit verausgabt werden. Dieser
Umstand hangt vom Willen weder des Weizenproduzenten noch der
andren Warenbesitzer ab. Die WertgroBe der Ware driickt also ein
notwendiges, ihrem BildungsprozeB immanentes Verhaltnis zur
gesellschaftlichen Arbeitszeit aus. Mit der Verwandlung der WertgroBe in
Preis erscheint dies notwendige Verhaltnis als Austauschverhaltnis einer
Ware mit der auBer ihr existierenden Geldware. In diesem Verhaltnis kann
sich aber ebensowohl die WertgroBe der Ware ausdriicken, als das Mehr
oder Minder, worin sie unter gegebnen Umstanden verauBerlich ist. Die
Moglichkeit quantitativer Inkongruenz zwischen Preis und WertgroBe,
oder die Abweichung des Preises von der WertgroBe, liegt also in der
Preisform selbst. Es ist dies kein Mangel dieser Form, sondern macht sie
umgekehrt zur adaquaten Form einer Produktionsweise, worin sich die
Regel nur als blindwirkendes Durchschnittsgesetz der Regellosigkeit
durchsetzen kann.
Die Preisform laBt jedoch nicht nur die Moglichkeit quantitativer
Inkongruenz zwischen WertgroBe und Preis, d.h. zwischen der WertgroBe
und ihrem eignen Geldausdruck zu, sondern kann einen qualitativen
Widerspruch beherbergen, so daB der Preis uberhaupt aufhort,
Wertausdruck zu sein, obgleich Geld nur die Wertform der Waren ist.
Dinge, die an und fur sich keine Waren sind, z.B. Gewissen. Ehre usw.,
konnen ihren Besitzern fiir Geld fell sein und so durch ihren Preis die
Warenform erhalten. Ein Ding kann daher formell einen Preis haben, ohne
einen Wert zu haben. Der Preisausdruck wird hier imaginar wie gewisse
GroBen der Mathematik. Andrerseits kann auch die imaginare Preisform,
wie z.B. der Preis des unkultivierten Bodens, der keinen Wert hat, weil
keine menschliche Arbeit in ihm vergegenstandlicht ist, ein wirkliches
Wertverhaltnis oder von ihm abgeleitete Beziehung verbergen.
Wie die relative Wertform uberhaupt, driickt der Preis den Wert einer
Ware, z.B. einer Tonne Eisen, dadurch aus, daB ein bestimmtes Quantum
Aquivalent, z.B. eine Unze Gold, unmittelbar austauschbar mit Eisen, aber
keineswegs umgekehrt, daB seinerseits das Eisen unmittelbar austauschbar
mit Gold ist. Um also praktisch die Wirkung eines Tauschwerts auszuiiben,
muB die Ware ihren naturlichen Leib abstreifen, sich aus nur vorgestelltem
Gold in wirkliches Gold verwandeln, obgleich diese Transsubstantiation ihr
"saurer" ankommen mag als dem Hegelschen Begriff der Ubergang aus der
Notwendigkeit in die Freiheit oder einem Hummer das Sprengen seiner
Schale oder dem Kirchenvater Hieronymus das Abstreifen des alten
Adam. 118 Neben ihrer reellen Gestalt, Eisen z.B., kann die Ware im Preise
ideelle Wertgestalt oder vorgestellte Goldgestalt besitzen, aber sie kann
nicht zugleich wirklich Eisen und wirklich Gold sein. Fiir ihre Preisgebung
genugt es, vorgestelltes Gold ihr gleichzusetzen. Durch Gold ist sie zu
ersetzen, damit sie ihrem Besitzer den Dienst eines allgemeinen
Aquivalents leiste. Trate der Besitzer des Eisens z. B. dem Besitzer einer
weltlustigen Ware gegeniiber und verwiese ihn auf den Eisenpreis, der
Geldform sei, so wurde der Weltlustige antworten, wie im Himmel der
heilige Petrus dem Dante, der ihm die Glaubensformel hergesagt 1 ' 9 :
3.Dante, "Die gottliche Komodie", "Das Paradies", 24. Gesang. Deutsche Ubersetzung nach
Philaletes, LAipzig 1871.
l.»Garwohl durchgangen Ist jetzo Schrot und Korn schon jener
Miinze, Dock sprich, ob du sie hast in deiner Borse. «
l.»Aus dem ... Feuer aber wird Alles, sagte Heraklit, und Feuer aus Allem, gleich wie aus Gold
Giiter und aus Giitern Gold.« (F. Lassalle, "Die Philosophie Herakleitos des Dunkeln", Berlin 1858, Bd.
1, p. 222.) Lassalles Note zu dieser Stelle, p. 224, n.3, erklart das Geld unrichtig fiir bloBes Wertzeichen.
l.SieheMEW, Band 13, S.71
2. In einem Brief vom 28. November 1878 an N.F. Danielson, den russischen Ubersetzer des
"Kapitals", andert Marx den letzten Satz wie folgt: »Und in der Tat ist der Wertjeder individuellen Elleja
auch nur die Materiatur eines Teils des im Gesamtquantum der Ellen verausgabten gesellschaftlichen
Arbeitsquantums.« Die gleiche Korrektur befindet sich auch in Marx' personlichem Exemplar der zweiten
deutschen Ausgebe des l.Bandes des "Kapitals", jedoch nicht von seiner Hand.
l.»the course of true love never does run smooth« (»der Weg wahrer Liebe ist niemals eben«) -
Shakespeare, "Ein Sommernachtstraum", 1. Aufzug, 1. Szene.
l.»Jeder Verkauf ist Kauf« (Dr. Quesnay, "Dialogues sur le Commerce et les Travaux des
Artisans", [in] "Physiocrates", ed. Daire, l.Partie, Paris 1846, p. 170), oder, wie Quesnay in seinen
"Maximes Generales" sagt: »Verkaufen ist kaufen.«*
»Assai bene e trascorsa
Die Preisform schlieBt die VerauBerlichkeit der Waren gegen Geld und
die Notwendigkeit dieser VerauBerung ein. Andrerseits funktioniert Gold
nur als ideelles WertmaB, weil es sich bereits im AustauschprozeB als
Geldware umtreibt. Im ideellen MaB der Werte lauert daher das harte Geld.
2. Zirkulationsmittel
a) Die Metamorphose der Waren
Man sah, daB der AustauschprozeB der Waren widersprechende und
einander ausschlieBende Beziehungen einschlieBt. Die Entwicklung der
Ware hebt diese Widerspriiche nicht auf, schafft aber die Form, worin sie
sich bewegen konnen. Dies ist uberhaupt die Methode, wodurch sich
wirkliche Widerspriiche losen. Es ist z.B. ein Widerspruch, daB ein Korper
bestandig in einen andren fallt und ebenso bestandig von ihm wegflieht.
Die Ellipse ist eine der Bewegungsformen, worin dieser Widerspruch sich
ebensosehr verwirklicht als lost.
Soweit der AustauschprozeB Waren aus der Hand, worin sie Nicht-
Gebrauchswerte, in die Hand ubertragt, worin sie Gebrauchswerte, ist er
gesellschaftlicher Stoffwechsel. Das Produkt einer niitzhchen Arbeitsweise
ersetzt das der andren. Einmal angelangt zur Stelle, wo sie als
Gebrauchswert dient, fallt die Ware in die Sphare der Konsumtion aus der
Sphare des Warenaustauschs. Letztre allein interessiert uns hier. Wir haben
also den ganzen ProzeB nach der Formseite zu betrachten, also nur den
Formwechsel oder die Metamorphose der Waren, welche den
gesellschaftlichen Stoffwechsel vermittelt.
Die durchaus mangelhafte Auffassung dieses Formwechsels ist,
abgesehn von Unklarheit iiber den Wertbegriff selbst, dem Umstand
geschuldet, daB jeder Formwechsel einer Ware sich vollzieht im Austausch
zweier Waren, einer gemeinen Ware und der Geldware. Halt man an
diesem stofflichen Moment, dem Austausch von Ware mit Gold, allein
fest, so ubersieht man grade, was man sehn soil, namlich was sich mit der
Form zutragt. Man ubersieht, daB Gold als bloBe Ware nicht Geld ist und
daB die andren Waren sich selbst in ihren Preisen auf Gold als ihre eigne
Geldgestalt beziehn.
Die Waren gehn zunachst unvergoldet, unverzuckert, wie der Kamm
ihnen gewachsen ist, in den AustauschprozeB ein. Er produziert eine
Verdopplung der Ware in Ware und Geld, einen auBeren Gegensatz, worin
sie ihren immanenten Gegensatz von Gebrauchswert und Wert darstellen.
In diesem Gegensatz treten die Waren als Gebrauchswerte dem Geld als
Tauschwert gegeniiber. Andrerseits sind beide Seiten des Gegensatzes
Waren, also Einheiten von Gebrauchswert und Wert. Aber diese Einheit
von Unterschieden stellt sich auf jedem der beiden Pole umgekehrt dar und
stellt dadurch zugleich deren Wechselbeziehung dar. Die Ware ist reell
Gebrauchswert, ihr Wertsein erscheint nur ideell im Preis, der sie auf das
gegenuberstehende Gold als ihre reelle Wertgestalt bezieht. Umgekehrt gilt
das Goldmaterial nur als Wertmateriatur, Geld. Es ist reell daher
Tauschwert. Sein Gebrauchswert erscheint nur noch ideell in der Reihe der
relativen Wertausdriicke, worin es sich auf die gegenuberstehenden Waren
als den Umkreis seiner reellen Gebrauchsgestalten bezieht. Diese
gegensatzlichen Formen der Waren sind die wirklichen Bewegungsformen
ihres Austauschprozesses.
Begleiten wir nun irgendeinen Warenbesitzer, unsren altbekannten
Leinweber z.B., zur Szene des Austauschprozesses, dem Warenmarkt.
Seine Ware, 20 Ellen Leinwand, ist preisbestimmt. Ihr Preis ist 2 Pfd.st. Er
tauscht sie aus gegen 2 Pfd.st. und, Mann von altem Schrot und Korn,
tauscht die 2 Pfd.st. wieder aus gegen eine Familienbibel vom selben Preis.
Die Leinwand, fur ihn nur Ware, Werttrager, wird entauBert gegen Gold,
ihre Wertgestalt, und aus dieser Gestalt riickverauBert gegen eine andre
Ware, die Bibel, die aber als Gebrauchsgegenstand ins Weberhaus
wandern und dort Erbauungsbedurfnisse befriedigen soil. Der
AustauschprozeB der Ware vollzieht sich also in zwei entgegengesetzten
und einander erganzenden Metamorphosen - Verwandlung der Ware in
Geld und ihre Ruckverwandlung aus Geld in Ware. 121 Die Momente der
Warenmeta morphose sind zugleich Handel des Warenbesitzers -
Verkauf, Austausch der Ware mit Geld; Kauf, Austausch des Gelds mit
Ware, und Einheit beider Akte: verkaufen, um zu kaufen.
Besieht sich der Leinweber nun das Endresultat des Handels, so besitzt
er Bibel statt Leinwand, statt seiner urspriinglichen Ware eine andre vom
selben Wert, aber verschiedner Nutzlichkeit. In gleicher Weise eignet er
sich seine andren Lebens- und Produktionsmittel an. Von seinem
Standpunkt vermittelt der ganze ProzeB nur den Austausch seines
Arbeitsprodukts mit fremdem Arbeitsprodukt, den Produktenaustausch.
Der AustauschprozeB der Ware vollzieht sich also in folgendem
Formwechsel:
Ware - Geld - Ware.
W-G-W.
Nach ihrem stofflichen Inhalt ist die Bewegung W - W, Austausch von
Ware gegen Ware, Stoffwechsel der gesellschaftlichen Arbeit, in dessen
Resultat der ProzeB selbst erlischt.
W - G. Erste Metamorphose der Ware oder Verkauf. Das Uberspringen
des Warenwerts aus dem Warenleib in den Goldleib ist, wie ich es
anderswo bezeichnet 122 , der Salto mortale der Ware. MiBlingt er, so ist
zwar nicht die Ware geprellt, wohl aber der Warenbesitzer. Die
gesellschaftliche Teilung der Arbeit macht seine Arbeit ebenso einseitig als
seine Bedurfnisse vielseitig. Ebendeswegen dient ihm sein Produkt nur als
Tauschwert. Allgemeine gesellschafthch giiltige Aquivalentform erhalt es
aber nur im Geld, und das Geld befindet sich in fremder Tasche. Um es
herauszuziehn, muB die Ware vor allem Gebrauchswert fur den
Geldbesitzer sein, die auf sie verausgabte Arbeit also in gesellschafthch
nutzlicher Form verausgabt sein oder sich als Glied der gesellschaftlichen
Teilung der Arbeit bewahren. Aber die Teilung der Arbeit ist ein
naturwuchsiger Produktionsorganismus, dessen Faden hinter dem Rucken
der Warenproduzenten gewebt wurden und sich fortweben. Vielleicht ist
die Ware Produkt einer neuen Arbeitsweise, die ein neu aufgekommenes
Bedurfnis zu befriedigen vorgibt oder auf eigne Faust ein Bedurfnis erst
hervorrufen will. Gestern noch eine Funktion unter den vielen Funktionen
eines und desselben Warenproduzenten, reiBt sich eine besondre
Arbeitsverrichtung heute vielleicht los von diesem Zusammenhang,
verselbstandigt sich und schickt ebendeswegen ihr Teilprodukt als
selbstandige Ware zu Markt. Die Umstande mogen reif oder unreif sein fur
diesen ScheidungsprozeB. Das Produkt befriedigt heute ein
gesellschaftliches Bedurfnis. Morgen wird es vielleicht ganz oder teilweise
von einer ahnlichen Produktenart aus seinem Platze verdrangt. 1st auch die
Arbeit, wie die unsres Leinwebers, patentiertes Glied der gesellschaftlichen
Arbeitsteilung, so ist damit noch keineswegs der Gebrauchswert grade
seiner 20 Ellen Leinwand garantiert. Wenn das gesellschaftliche Bedurfnis
fur Leinwand, und es hat sein MaB wie alles andre, bereits durch
nebenbuhlerische Leinweber gesattigt ist, wird das Produkt unsres
Freundes uberschussig, iiberflussig und damit nutzlos. Einem geschenkten
Gaul sieht man nicht ins Maul, aber er beschreitet nicht den Markt, um
Prasente zu machen. Gesetzt aber, der Gebrauchswert seines Produkts
bewahre sich und Geld werde daher angezogen von der Ware. Aber nun
fragt sich's, wieviel Geld? Die Antwort ist allerdings schon antzipiert im
Preis der Ware, dem Exponenten ihrer WertgroBe. Wir sehn ab von
etwaigen rein subjektiven Rechenfehlern des Warenbesitzers, die auf dem
Markt sofort objektiv korrigiert werden. Er soil auf sein Produkt nur den
gesellschaftlich notwendigen Durchschnitt von Arbeitszeit verausgabt
haben. Der Preis der Ware ist also nur Geldname des in ihr
vergegenstandlichten Quantums gesellschaftlicher Arbeit. Aber ohne
Erlaubnis und hinter dem Rucken unsres Leinwebers gerieten die
altverbiirgten Produktionsbedingungen der Leinweberei in Garung. Was
gestern zweifelsohne gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur
Produktion einer Elle Leinwand war, hort heute auf, es zu sein, wie der
Geldbesitzer eifrigst demonstriert aus den Preisquotationen verschiedner
Nebenbuhler unsres Freundes. Zu seinem Ungluck gibt's viele Weber auf
der Welt. Gesetzt endlich, jedes auf dem Markt vorhandne Stuck
Leinwand enthalte nur gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Trotzdem
kann die Gesamtsumme dieser Stucke iiberflussig verausgabte Arbeitszeit
enthalten. Vermag der Marktmagen das Gesamtquantum Leinwand, zum
Normalpreis von 2 sh. per Elle, nicht zu absorbieren, so beweist das, daB
ein zu groBer Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeitszeit in der Form der
Leinweberei verausgabt wurde. Die Wirkung ist dieselbe, als hatte jeder
einzelne Leinweber mehr als die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit
auf sein individuelles Produkt verwandt. Hier heiBt's: Mitgefangen,
mitgehangen. Alle Leinwand auf dem Markt gilt nur als ein Handelsartikel,
jedes Stiick nur als aliquoter Teil. Und in der Tat ist der Wert jeder
individuellen Elle ja auch nur die Materiatur desselben gesellschaftlich
bestimmten Quan turns gleichartiger menschlicher Arbeit. 123
Man sieht, die Ware liebt das Geld, aber "the course of true love never
does run smooth" 124 Ebenso naturwuchsig zufallig wie die qualitative ist
die quantitative Gliederung des gesellschaftlichen Produktionsorganismus,
der seine membra disjecta im System der Teilung der Arbeit darstellt.
Unsre Warenbesitzer entdecken daher, daB dieselbe Teilung der Arbeit, die
sie zu unabhangigen Privatproduzenten, den gesellschaftlichen
ProduktionsprozeB und ihre Verhaltnisse in diesem ProzeB von ihnen
selbst unabhangig macht, daB die Unabhangigkeit der Personen
voneinander sich in einem System allseitiger sachlicher Abhangigkeit
erganzt.
Die Teilung der Arbeit verwandelt das Arbeitsprodukt in Ware und
macht dadurch seine Verwandlung in Geld notwendig. Sie macht es
zugleich zufallig, ob diese Transsubstantlation gelingt. Hier ist jedoch das
Phanomen rein zu betrachten, sein normaler Vorgang also vorauszusetzen.
Wenn es ubrigens uberhaupt vorgeht, die Ware also nicht unverkauflich
ist, findet stets ihr Formwechsel statt, obgleich abnormal in diesem
Formwechsel Substanz - WertgroBe - eingebuBt oder zugesetzt werden
mag.
Dem einen Warenbesitzer ersetzt Gold seine Ware und dem andren
Ware sein Gold. Das sinnfallige Phanomen ist der Hande- oder
Stellenwechsel von Ware und Gold, von 20 Ellen Leinwand und 2 Pfd.st.,
d.h. ihr Austausch. Aber womit tauscht sich die Ware aus? Mit ihrer
eignen allgemeinen Wertgestalt. Und womit das Gold? Mit einer
besondren Gestalt seines Gebrauchswerts. Warum tritt Gold der Leinwand
als Geld gegenuber? Weil ihr Preis von 2 Pfd.st. oder ihr Geldname sie
bereits auf Gold als Geld bezieht. Die EntauBerung der urspriinglichen
Warenform vollzieht sich durch die VerauBerung der Ware, d.h. in dem
Augenblicke, wo ihr Gebrauchswert das in ihrem Preis nur vorgestellte
Gold wirklich anzieht. Die Realisierang des Preises oder der nur ideellen
Wertform der Ware ist daher zugleich umgekehrt Realisierang des nur
ideellen Gebrauchswerts des Geldes, die Verwandlung von Ware in Geld
zugleich Verwandlung von Geld in Ware. Der eine ProzeB ist zweiseitiger
ProzeB, vom Pol des Warenbesitzers Verkauf, vom Gegenpol des
Geldbesitzers Kauf. Oder Verkauf ist Kauf, W- G zugleich G - W. 125
Wir kennen bisher kein okonomisches Verhaltnis der Menschen auBer
dem von Warenbesitzern, ein Verhaltnis, worin sie fremdes Arbeitsprodukt
nur aneignen, indem sie eignes entfremden. Einem Warenbesitzer kann der
andre daher nur als Geldbesitzer gegenubertreten, entweder weil sein
Arbeitsprodukt von Natur die Geldform besitzt, also Geldmaterial ist, Gold
usw., oder weil seine eigne Ware sich bereits gehautet und ihre
urspriingliche Gebrauchsform abgestreift hat. Um als Geld zu
funktionieren, muB das Gold naturlich an irgendeinem Punkt in den
Warenmarkt eintreten. Dieser Punkt liegt an seiner Produktionsquelle, wo
es sich als unmittelbares Arbeitsprodukt mit andrem Arbeitsprodukt von
demselben Wert austauscht. Aber von diesem Augenblick stellt es
bestandig realisierte Warenpreise vor. 126 Abgesehn vom Austausch des
l.»Der Preis einer Ware kann nur mit dem Preis einer anderen Ware bezahlt werden.«
(Mercier de la Riviere, "L'Ordre naturel et essentiel des societes politiques", [in] "Physlocrates", ed. Daire,
ILPartie, p.554.)
2.»Um dieses Geld zu haben, mufi man verkauft haben.« (1. c. p. 543.)
3.Ausnahme, wie vorher bemerkt, bildet der Gold- resp. Silberproduzent, der sein Produkt
austauscht, ohne es vorher verkauft zu haben.
l.Non olet (Es stinkt nicht) - sagte der romische Kaiser Vespasian (69-79) vom Gelde, als ihm sein
Sohn die Besteuerung der Bediirfnisanstalten vorwarf.
2.»Wenn das Geld unserer Hand die Dinge darstellt, die wir zu kaufen wiinschen konnen, so
stellt es auch die Dinge dar, die wir fitr dieses Geld verkauft haben. « (Mercier de la Riviere, I.e. P.
586.)
l.handelnde Personen
2.»Demnach gibt es vier Endpunkte und drei Vertragspartner, von denen einer zweimal
eingreift.« (Le Trosne, I.e. P. 909.)
l.Note zur 2.Ausg.: So handgreiflich dies Phanomen ist, wird es dennoch von politisclien
Okonomen meist ubersehen, namentlich vom Freihandler vulgaris.
1 .umgekehrt
LVergleiche meine Bemerkungen iiber James Mill, "Zur Kritik etc.", p. 74-76 [Siehe MEW, Band
13, S. 77-79]. Zwei Punkte sind hier charakteristisch fur die Methode der okonomistischen Apologetik.
Erstens die Identifizierung von Warenzirkulation und unmittelbarem Produktenaustausch durch einfache
Golds mit Ware an seiner Produktionsquelle, ist das Gold in der Hand
jedes Warenbesitzers die entauBerte Gestalt seiner verauBerten Ware,
Produkt des Verkaufs oder der ersten Warenmetamorphose W- G. 127
Ideelles Geld oder WertmaB wurde das Gold, weil alle Waren ihre Werte in
ihm maBen und es so zum vorgestellten Gegenteil ihrer Gebrauchsgestalt,
zu ihrer Wertgestalt machten. Relies Geld wird es, weil die Waren durch
ihre allseitige VerauBerung es zu ihrer wirklich entauBerten oder
verwandelten Gebrauchsgestalt und daher zu ihrer wirklichen Wertgestalt
machen. In ihrer Wertgestalt streift die Ware jede Spur ihres
naturwuchsigen Gebrauchswerts und der besondren nutzlichen Arbeit ab,
welcher sie den Ursprung verdankt, um sich in die gleichformige
gesellschaftliche Materiatur unterschiedsloser menschlicher Arbeit zu
verpuppen. Man sieht dem Geld daher nicht an, welchen Schlags die in es
verwandelte Ware. Eine sieht in ihrer Geldform grade aus wie die andre.
Geld mag daher Dreck sein, obgleich Dreck nicht Geld ist. Wir wollen
annehmen, daB die zwei Goldfuchse, wogegen unser Leinweber seine
Ware verauBert, die verwandelte Gestalt eines Quarters Weizen sind. Der
Verkauf der Leinwand, W - G, ist zugleich ihr Kauf, G - W. Aber als
Verkauf der Leinwand beginnt dieser ProzeB eine Bewegung, die mit
seinem Gegenteil endet, mit dem Kauf der Bibel; als Kauf der Leinwand
endet er eine Bewegung, die mit seinem Gegenteil begann, mit dem
Verkauf des Weizens. W - G (Leinwand - Geld), diese erste Phase von W-
G -W (Leinwand - Geld - Bibel), ist zugleich G -W (Geld - Leinwand), die
letzte Phase einer andren Bewegung W- G - W (Weizen - Geld Leinwand).
Die erste Metamorphose einer Ware, ihre Verwandlung aus der
Warenform in Geld, ist stets zugleich zweite entgegengesetzte
Metamorphose einer andren Ware, ihre Ruckverwandlung aus der
Geldform in Ware. 128
G - W. Zweite oder SchluBmetamorphose der Ware: Kauf. - Weil die
entauBerte Gestalt aller andren Waren oder das Produkt ihrer allgemeinen
VerauBerung, ist Geld die absolut verauBerliche Ware. Es liest alle Preise
riickwarts und spiegelt sich so in alien Warenleibern als dem hingebenden
Material seiner eignen Warenwerdung. Zugleich zeigen die Preise, die
Liebesaugen, womit ihm die Waren winken, die Schranke seiner
Verwandlungsfahigkeit, namlich seine eigne Quantitat. Da die Ware in
ihrer Geldwerdung verschwindet, sieht man dem Geld nicht an, wie es in
die Hande seines Besitzers gelangt oder was in es verwandelt ist. Non
olet 129 , wessen Ursprangs auch immer. Wenn es einerseits verkaufte Ware
reprasentiert, so andrerseits kaufbare Waren. 130
G - W, der Kauf ist zugleich Verkauf, W - G; die letzte Metamorphose
einer Ware daher zugleich die erste Metamorphose einer andren Ware. Fur
unsren Leinweber schlieBt der Lebenslauf seiner Ware mit der Bibel, worin
er die 2 Pfd.st. riickverwandelt hat. Aber der Bibelverkaufer setzt die vom
Leinweber gelosten 2 Pfd.st. in Kornbranntwein um. G - W, die
SchluBphase von W - G - W (Leinwand - Geld - Bibel), ist zugleich W- G,
die erste Phase von W - G - W (Bibel - Geld - Kornbranntwein). Da der
Warenproduzent nur ein einseitiges Produkt liefert, verkauft er es oft in
groBeren Massen, wahrend seine vielseitigen Bedurfnisse ihn zwingen, den
realisierten Preis oder die geloste Geldsumme bestandig in zahlreiche
Kaufe zu zersplittern. Ein Verkauf mundet daher in viele Kaufe
verschiedner Waren. Die SchluBmetamorphose einer Ware bildet so eine
Summe von ersten Metamorphosen andrer Waren.
Betrachten wir nun die Gesamtmetamorphose einer Ware, z.B. der
Leinwand, so sehn wir zunachst, daB sie aus zwei entgegengesetzten und
einander erganzenden Bewegungen besteht, W- G und G -W. Diese zwei
entgegengesetzten Wandlungen der Ware vollziehn sich in zwei
entgegengesetzten gesellschaftlichen Prozessen des Warenbesitzers und
reflektieren sich in zwei entgegengesetzten okonomischen Charakteren
desselben. Als Agent des Verkaufs wird er Verkaufer, als Agent des Kaufs
Kaufer. Wie aber in jeder Wandlung der Ware ihre beiden Formen,
Warenform und Geldform, gleichzeitig existieren, nur auf
entgegengesetzten Polen, so steht demselben Warenbesitzer als Verkaufer
ein andrer Kaufer und als Kaufer ein andrer Verkaufer gegenuber. Wie
dieselbe Ware die zwei umgekehrten Wandlungen sukzessiv durchlauft,
aus Ware Geld und aus Geld Ware wird, so wechselt derselbe
Warenbesitzer die Rollen von Verkaufer und Kaufer. Es sind dies also
keine festen, sondern innerhalb der Warenzirkulation bestandig die
Personen wechselnden Charaktere.
Die Gesamtmetamorphose einer Ware unterstellt, in ihrer einfachsten
Form, vier Extreme und drei personae dramatisi 131 . Erst tritt der Ware das
Geld als ihre Wert-Gestalt gegeniiber, die jenseits, in fremder Tasche
sachlich harte Realitat besitzt. So tritt dem Warenbesitzer ein Geldbesitzer
gegeniiber. Sobald die Ware nun in Geld verwandelt, wird letztres zu ihrer
verschwindenden Aquivalentform, deren Gebrauchswert oder Inhalt dieser
seits in andren Warenkorpern existiert. Als Endpunkt der ersten
Warenwandlung ist das Geld zugleich Ausgangspunkt der zweiten. So
wird der Verkaufer des ersten Akts Kaufer im zweiten, wo ihm ein dritter
Warenbesitzer als Verkaufer gegenubertritt. 132
Die beiden umgekehrten Bewegungsphasen der Warenmetamorphose
bilden einen Kreislauf: Warenform, Abstreifung der Warenform, Riickkehr
zur Warenform. Allerdings ist die Ware selbst hier gegensatzlich bestimmt.
Am Ausgangspunkt ist sie Nicht-Gebrauchswert, am Endpunkt
Gebrauchswert fur ihren Besitzer. So erscheint das Geld erst als der feste
Wertkristall, worin sich die Ware verwandelt, um hinterher als ihre bloBe
Aquivalentform zu zerrinnen.
Die zwei Metamorphosen, die den Kreislauf einer Ware, bilden zugleich
die umgekehrten Teilmetamorphosen zweier andren Waren. Dieselbe Ware
(Leinwand) eroffnet die Reihe ihrer eignen Metamorphosen und schlieBt
die Gesamtmetamorphose einer andren Ware (des Weizens). Wahrend
ihrer ersten Wandlung, dem Verkauf, spielt sie diese zwei Rollen in eigner
Person. Als Goldchrysalide dagegen, worin sie selbst den Weg alles
Fleisches wandert, endet sie zugleich die erste Metamorphose einer dritten
Ware. Der Kreislauf, den die Metamorphosenreihe jeder Ware beschreibt,
verschlingt sich also unentwirrbar mit den Kreislaufen andrer Waren. Der
GesamtprozeB stellt sich dar als Warenzirkulation.
Die Warenzirkulation ist nicht nur formell, sondern wesentlich vom
unmittelbaren Produktenaustausch unterschieden. Man werfe nur einen
Riickblick auf den Vorgang. Der Leinweber hat unbedingt Leinwand mit
Bibel vertauscht, eigne Ware mit fremder. Aber dies Phanomen ist nur
wahr fiir ihn. Der Bibelagent, der dem Kuhlen HeiBes vorzieht, dachte
nicht daran, Leinwand fiir Bibel einzutauschen, wie der Leinweber nicht
davon weiB, daB Weizen gegen seine Leinwand eingetauscht worden ist
usw. Die Ware des B ersetzt die Ware des A, aber A und B tauschen nicht
wechselseitig ihre Waren aus. Es kann in der Tat vorkommen, daB A und B
wechselweis voneinander kaufen, aber solche besondre Beziehung ist
keineswegs durch die allgemeinen Verhaltnisse der Warenzirkulation
bedingt. Einerseits sieht man hier, wie der Warenaustausch die
individuellen und lokalen Schranken des unmittelbaren
Produktenaustausches durchbricht und den Stoffwechsel der
menschlichen Arbeit entwickelt. Andrerseits entwickelt sich ein ganzer
Kreis von den handelnden Personen unkontrollierbarer, gesellschaftlicher
Naturzusammenhange. Der Weber kann nur Leinwand verkaufen, weil der
Bauer Weizen, HeiBsporn nur die Bibel, weil der Weber Leinwand, der
Destillateur nur gebranntes Wasser, weil der andre das Wasser des ewigen
Lebens bereits verkauft hat usw.
Der ZirkulationsprozeB erlischt deswegen auch nicht, wie der
unmittelbare Produktenaustausch, in dem Stellen- oder Handewechsel der
Gebrauchswerte. Das Geld verschwindet nicht, weil es schlieBlich aus der
Metamorphosenreihe einer Ware herausfallt. Es schlagt immer weder auf
eine durch die Waren geraumte Zirkulationsstelle. Z.B. in der
Gesamtmetamorphose der Leinwand: Leinwand - Geld - Bibel fallt erst die
Leinwand aus der Zirkulation, Geld tritt an ihre Stelle, fallt dann die Bibel
aus deir Zirkulation, Geld tritt an ihre Stelle. Der Ersatz von Ware durch
Ware laBt zugleich an dritter Hand die Geldware hangen. 133 Die Zirkulation
schwitzt bestandig Geld aus.
Nichts kann alberner sein als das Dogma, die Warenzirkulation bedinge
ein notwendiges Gleichgewicht der Verkaufe und Kaufe, weil jeder
Verkauf Kauf und vice versa 134 . Meint dies, daB die Zahl der wirklich
vollzogenen Verkaufe gleich derselben Zahl von Kaufen, so ist es platte
Tautologie. Aber es soil beweisen, daB der Verkaufer seinen eignen Kaufer
zu Markt fuhrt. Verkauf und Kauf sind ein identischer Akt als
Wechselbeziehung zwischen zwei polarisch entgegengesetzten Personen,
dem Warenbesitzer und dem Geldbesitzer. Sie bilden zwei polarisch
entgegengesetzte Akte als Handlungen derselben Person. Die Identitat von
Verkauf und Kauf schlieBt daher ein, daB die Ware nutzlos wird, wenn sie,
in die alchimistische Retorte der Zirkulation geworfen, nicht als Geld
herauskommt, nicht vom Warenbesitzer verkauft, also vom Geldbesitzer
gekauft wird. Jene Identitat enthalt ferner, daB der ProzeB, wenn er gelingt,
einen Ruhepunkt, einen Lebensabschnitt der Ware bildet, der langer oder
kiirzer wahren kann. Da die erste Metamorphose der Ware zugleich
Verkauf und Kauf, ist dieser TeilprozeB zugleich selbstandiger ProzeB. Der
Kaufer hat die Ware, der Verkaufer hat das Geld, d.h. eine Ware, die
zirkulationsfahige Form bewahrt, ob sie friiher oder spater wieder auf dem
Markt erscheine. Keiner kann verkaufen, ohne daB ein andrer kauft. Aber
keiner braucht unmittelbar zu kaufen, weil er selbst verkauft hat. Die
Zirkulation sprengt die zeitlichen, ortlichen und individuellen Schranken
des Produktenaustausches ebendadurch, daB sie die hier vorhandne
unmittelbare Identitat zwischen dem Austausch des eignen und dem
Eintausch des fremden Arbeitsprodukts in den Gegensatz von Verkauf
und Kauf spaltet. DaB die selbstandig einander gegenubertretenden
Prozesse eine innere Einheit bilden, heiBt ebensosehr, daB ihre innere
Einheit sich in auBeren Gegensatzen bewegt. Geht die auBerliche
Verselbstandigung der innerlich Unselbstandigen, weil einander
erganzenden, bis zu einem gewissen Punkt fort, so macht sich die Einheit
gewaltsam geltend durch eine - Krise. Der der Ware immanente Gegensatz
von Gebrauchswert und Wert, von Privatarbeit, die sich zugleich als
unmittelbar gesellschaftliche Arbeit darstellen muB, von besondrer
konkreter Arbeit, die zugleich nur als abstrakt allgemeine Arbeit gilt, von
Personifizierung der Sache und Versachhchung der Personen - dieser
immanente Widerspruch erhalt in den Gegensatzen der
Warenmetamorphose seine entwickelten Bewegungsformen. Diese
Formen schlieBen daher die Moglichkeit, aber auch nur die Moglichkeit der
Krisen ein. Die Entwicklung dieser Moglichkeit zur Wirldichkeit erfordert
einen ganzen Umkreis von Verhaltnissen, die vom Standpunkt der
einfachen Warenzirkulation noch gar nicht existieren. 135
Als Vermittler der Warenzirkulation erhalt das Geld die Funktion des
Zirkulation smittels .
b) Der Umlauf des Geldes
Der Formwechsel, worin sich der Stoffwechsel der Arbeitsprodukte
vollzieht, W- G -W, bedingt, daB derselbe Wert als Ware den
Ausgangspunkt des Prozesses bildet und zu demselben Punkt zuriickkehrt
als Ware. Diese Bewegung der Waren ist daher Kreislauf. andrerseits
schlieBt dieselbe Form den Kreislauf des Geldes aus. Ihr Resultat ist
bestandige Entfernung des Geldes von seinem Ausgangspunkt, nicht
Riickkehr zu demselben.
Solange der Verkaufer die verwandelte Gestalt seiner Ware festhalt, das
Geld, befindet sich die Ware im Stadium der ersten Metamorphose oder
hat nur ihre erste Zirkulationshalfte zuriickgelegt. Ist der ProzeB, verkaufen
um zu kaufen, vervollstandigt, so ist auch das Geld wieder aus der Hand
seines urspriinglichen Besitzers entfernt. Allerdings, wenn der Leinweber,
nachdem er die Bibel gekauft, von neuem Leinwand verkauft, kehrt auch
das Geld in seine Hand zuriick. Aber es kehrt nicht zuriick durch die
Zirkulation der ersten 20 Ellen Leinwand, wodurch es vielmehr aus den
Handen des Leinwebers in die des Bibelverkaufers entfernt ist. Es kehrt
nur zuriick durch die Erneuerung oder Wiederholung desselben
Zirkulationsprozesses fur neue Ware und endet hier wie dort mit
demselben Resultat. Die dem Geld durch die Warenzirkulation unmittelbar
erteilte Bewegungsform ist daher seine bestandige Entfernung vom
Ausgangspunkt, sein Lauf aus der Hand eines Warenbesitzers in die eines
andren, oder sein Umlauf (currency, cours de la monnaie).
Der Umlauf des Geldes zeigt bestandige, eintonige Wiederholung
desselben Prozesses. Die Ware steht stets auf Seite des Verkaufers, das
Geld stets auf Seite des Kaufers, als Kaufmittel. Es funktiorniert als
Kaufmittel, indem es den Preis der Ware realisiert. Indem es ihn realisiert,
ubertragt es die Ware aus der Hand des Verkaufers in die Hand des
Kaufers, wahrend es sich gleichzeitig aus der Hand des Kaufers in die des
Verkaufers entfernt, um denselben ProzeB mit einer andren Ware zu
wiederholen. DaB diese einseitige Form der Geldbewegung aus der
doppelseitigen Formbewegung der Ware entspringt, ist verhullt. Die Natur
der Warenzirkulation selbst erzeugt den entgegengesetzten Schein. Die
erste Metamorphose der Ware ist nicht nur als Bewegung des Geldes,
sondern als ihre eigne Bewegung sichtbar, aber ihre zweite Metamorphose
ist nur als Bewegung des Geldes sichtbar. In ihrer ersten Zirkulationshalfte
wechselt die Ware den Platz mit dem Geld. Damit fallt zugleich ihre
Gebrauchsgestalt aus der Zirkulation heraus, in die Konsumtion. 136 Ihre
l.Selbst wenn die Ware wieder und wieder verkauft wird, ein Phanomen, das hier noch nicht fur uns
existiert, fallt sie mit dem letzten definitiven Verkauf aus der Sphare der Zirkulation in die der
Konsumtion, um hier als Lebensmittel oder als Produktionsmittel zu dienen.
2.»Es« (das Geld) »hat keine andere Bewegung als die, die ihm durch die Produkte verliehen
wird.« (Le Trosne, I.e. p. 885.)
l.»Die Produkte sind es, die es« (das Geld) »in Bewegung setzen und es zirkulieren machen...
Durch die Geschwindigkeit seiner« (d.h. des Geldes) »Bewegung wird seine Quantitdt ergdnzt. Wenn
notwendig, gleitet es nur von einer Hand in die andre, ohne sich einen Augenblick aufzuhalten. « (Le
Trosne, l.c.p.915, 916.)
l.»Weil Geld ... das allgemeine Mafi fiir Kauf und Verkauf darstellt, ist jeder, der etwas zu
verkaufen hat, aber keinen Kdufer finden kann, sofort geneigt, zu denken, dafi Mangel an Geld im
Kingdom oder im Lande schuld sei, wenn seine Waren keinen Absatz finden; daher allenthalben das
Geschrei tiber den Mangel an Geld, was jedoch ein grofier Irrtum ist ... Was brauchen diese Leute, die
nach Geld schreien? ... Der Pachter klagt ... er denkt, wenn mehr Geld im Lande ware, konnte er einen
Pre is fiir seine Giiter bekommen ... Also fehlt ihm anscheinend nicht Geld, sondern ein Pre is fiir sein
Korn und sein Vieh, das er verkaufen mochte, aber nicht kann ... Warum kann er keinen Preis erzielen?
... 1. Entweder es gibt zu viel Korn und Vieh im Land, so dafi den meisten, die aufden Markt kommen,
ebenso wie ihm das Verkaufen not tut, das Kaufen aber nur wenigen, oder 2. der gewohnliche Absatz
durch Ausfuhr stockt oder 3. der Konsum wird geringer, wenn z.B. die Leute infolge Armut nicht mehr
soviel fiir ihren Haushalt ausgeben wie friiher. Deshalb ist es nicht die Vermehrung von Geld
schlechthin, die sich giinstig auf die Giiter des Pachters auswirken wiirde, sondern die Beseitigung
einer dieser drei Ursachen, die wirklich den Markt niederhalten ... Kaufmann und Kramer brauchen in
gleicher Weise Geld, d.h., well die Mdrkte stocken, fehlt ihnen der Absatz der Giiter, mit denen sie
handeln ... Eine Nation gedeiht niemals besser, als wenn die Reichtiimer schnell von Hand zu Hand
gehen.« (Sir Dudley North, "Discourses upon Trade", Lond., 1691, p. 11-15 passim.) Herrenschwands
Schwindeleien kommen alle darauf hinaus, daB die aus der Natur der Ware entspringenden und daher in der
Warenzirkulation erscheinenden Widerspriiche durch Vermehrung der Zirkulationsmittel beseitigt werden
konnen. Aus der Volksillusion, welche Stockungen des Produktions- und Zirkulationsprozesses einem
Mangel an Zirkulationsmitteln zuschreibt, folgt ubrigens keineswegs umgekehrt, daB wirklicher Mangel an
Zirkulationsmitteln, z.B. infolge offizieller Pfuschereien mit der "regulation of currency" [Regulierung des
Geldumlaufs] nicht seinerseits Stockungen hervorrufen kann.
l.»Es gibt ein bestimmtes Mafi und Verhdltnis des Geldes, das erforderlich ist, um den Handel
einer Nation in Gang zu halten; ein Mehr oder Weniger wiirde ihm Abbruch tun. Geradeso wie in
einem kleinen Detailgeschdft eine bestimmte Menge von Farthings notwendig ist, um die Silbermiinzen
zu wechseln und solche Zahlungen zu leisten, die mit den kleinsten Silbermiinzen nicht geleistet
werden konnen ... Ebenso wie nun das zahlenmdfiige Verhdltnis der im Handel notwendigen Farthings
von der Zahl der Kdufer, der Haufigkeit ihrer Kdufe und vor allem auch von dem Wert der kleinsten
Silbermunze abhangig ist, so ist in ahnlicher Weise das Verhdltnis des fiir unseren Handel
notwendigen Geldes (Gold- und Silbermiinzen) bestimmt durch die Haufigkeit der Tauschvorgange und
die Hohe der Zahlungen. « (William Petty: "A Treatise on Taxes and Contributions", Lond. 1667, p. 17.)
Die Humesche Theorie ward gegen J.Steuart u.a. verteidigt von A.Young in seiner "Political Arithmetic",
Wertgestalt oder Geldlarve tritt an ihre Stelle. Die zweite Zirkulationshalfte
durchlauft sie nicht mehr in ihrer eignen Naturalhaut, sondern in ihrer
Goldhaut. Die Kontinuitat der Bewegung fallt damit ganz auf die Seite des
Geldes und dieselbe Bewegung, die fur die Ware zwei entgegengesetzte
Prozesse einschlieBt, schlieBt als eigne Bewegung des Geldes stets
denselben ProzeB ein, seinen Stellenwechsel mit stets andrer Ware. Das
Resultat der Warenzirkulation, Ersatz von Ware durch andre Ware,
erscheint daher nicht durch ihren eignen Formwechsel vermittelt, sondern
durch die Funktion des Geldes als Zirkulationsmittel, welches die an und
fiir sich bewegungslosen Waren zirkuliert, sie aus der Hand, worin sie
Nicht-Gebrauchswerte, in die Hand ubertragt, worin sie Gebrauchswerte,
stets in entgegengesetzter Richtung zu seinem eignen Lauf. Es entfernt die
Waren bestandig aus der Zirkulationssphare, indem es bestandig an ihre
Zirkulationsstelle tritt und sich damit von seinem eignen Ausgangspunkt
entfernt. Obgleich daher die Geldbewegung nur Ausdruck der
Warenzirkulation, erscheint umgekehrt die Warenzirkulation nur als
Resultat der Geldbewegung. 137
Andrerseits kommt dem Geld nur die Funktion des Zirkulationsmittels
zu, weil es der verselbstandigte Wert der Waren ist. Seine Bewegung als
Zirkulationsmittel ist daher in der Tat nur ihre eigne Formbewegung. Diese
muB sich daher auch sinnlich im Umlauf des Geldes widerspiegeln. So
verwandelt z.B. die Leinwand zuerst ihre Warenform in ihre Geldform.
Das letzte Extrem ihrer ersten Metamorphose W - G, die Geldform, wird
dann das erste Extrem ihrer letzten Metamorphose G - W, ihrer
Ruckverwandlung in die Bibel. Aber jeder dieser zwei Formwechsel
vollzieht sich durch einen Austausch zwischen Ware und Geld, durch
ihren gegenseitigen Stellenwechsel. Dieselben Geldstiicke kommen als
entauBerte Gestalt der Ware in die Hand des Verkaufers und verlassen sie
als absolut verauBerliche Gestalt der Ware. Sie wechseln zweimal die
Stelle. Die erste Metamorphose der Leinwand bringt diese Geldstiicke in
die Tasche des Webers, die zweite holt sie wieder heraus. Die beiden
entgegengesetzten Formwechsel derselben Ware spiegeln sich also wider
im zweimaligen Stellenwechsel des Geldes in entgegengesetzter Richtung.
Finden dagegen nur einseitige Warenmetamorphosen statt, bloBe Verkaufe oder bloBe
Kaufe, wie man will, so wechselt dasselbe Geld auch nur einmal den Platz. Sein zweiter
Stellenwechsel driickt stets die zweite Metamorphose der Ware aus, ihre
Ruckverwandlung aus Geld. In der haufigen Wiederholung des Stellenwechsels derselben
Geldstiicke spiegelt sich wider nicht nur die Metamorphosenreihe einer einzigen Ware,
sondern auch die Verschlingung der zahllosen Metamorphosen der Warenwelt iiberhaupt.
Es versteht sich iibrigens ganz von selbst, daB alles dies nur fur die hier betrachtete Form
der einfachen Warenzirkulation gilt.
Jede Ware, bei ihrem ersten Schritt in die Zirkulation, bei ihrem ersten Formwechsel,
fallt aus der Zirkulation heraus, in welche stets neue Ware eintritt. Das Geld dagegen als
Zirkulationsmittel haust bestandig in der Zirkulationssphare und treibt sich bestandig in ihr
um. Es entsteht also die Frage, wieviel Geld diese Sphare bestandig absorbiert.
In einem Lande gehn jeden Tag zahlreiche, gleichzeitige und daher raumlich
nebeneinander laufende einseitige Warenmetamorphosen vor, oder in andren Worten,
bloBe Verkaufe von der einen Seite, bloBe Kaufe von der andren. In ihren Preisen sind die
Waren bereits bestimmten vorgestellten Geldquantis gleichgesetzt. Da nun die hier
betrachtete, unmittelbare Zirkulationsform Ware und Geld einander stets leiblich
gegeniiberstellt, die eine auf den Pol des Verkaufs, das andre auf den Gegenpol des Kaufs,
ist die fur den ZirkulationsprozeB der Warenwelt erheischte Masse von Zirkulationsmitteln
bereits durch die Preissumme der Waren bestimmt. In der Tat stellt das Geld nur reell die
in der Preissumme der Waren bereits ideell ausgedriickte Goldsumme dar. Die Gleichheit
dieser Summen versteht sich daher von selbst. Wir wissen jedoch, daB bei gleichbleibenden
Werten der Waren ihre Preise mit dem Werte des Goldes (des Geldmaterials) selbst
wechseln, verhaltnismaBig steigen, wenn er fallt, und fallen, wenn er steigt. Ob die
Preissumme der Waren so steige oder falle, die Masse des zirkulierenden Geldes muB
gleichmaBig steigen oder fallen. Der Wechsel in der Masse der Zirkulationsmittel
entspringt hier allerdings aus dem Geld selbst, aber nicht aus seiner Funktion als
Zirkulationsmittel, sondern aus seiner Funktion als WertmaB. Der Preis der Waren
wechselt erst umgekehrt wie der Wert des Geldes, und dann wechselt die Masse der
Zirkulationsmittel direkt wie der Preis der Waren. Ganz dasselbe Phanomen wiirde sich
ereignen, wenn z. B. nicht der Wert des Goldes sanke, sondern Silber es als WertmaB
ersetzte, oder nicht der Wert des Silbers stiege, sondern Gold es aus der Funktion des
WertmaBes verdrangte. In dem einen Fall muBte mehr Silber zirkulieren als vorher Gold,
in dem andren weniger Gold als vorher Silber. In beiden Fallen hatte sich der Wert des
Geldmaterials verandert, d.h. der Ware, die als MaB der Werte funktioniert, daher der
Preisausdruck der Warenwerte, daher die Masse des zirkulierenden Geldes, das zur
Realisierung dieser Preige dient. Man hat gesehn, daB die Zirkulationssphare der Waren ein
Loch hat, wodurch Gold (Silber, kurz das Geldmaterial) in sie eintritt als Ware von
gegebnem Wert. Dieser Wert ist vorausgesetzt bei der Funktion des Geldes als WertmaB,
also bei der Preisbestimmung. Sinkt nun z.B. der Wert des WertmaBes selbst, so erscheint
dies zunachst im Preiswechsel der Waren, die unmittelbar an den Produktionsquellen der
edlen Metalle mit ihnen als Waren ausgetauscht werden. Namentlich in minder
entwickelten Zustanden der burgerlichen Gesellschaft wird ein groBer Teil der andren
Waren noch langere Zeit in dem nun illusorisch gewordnen, veralteten Wert des
WertmaBes geschatzt werden. Indes steckt die eine Ware die andre an durch ihr
Wertverhaltnis zu derselben, die Gold- oder Silberpreise der Waren gleichen sich
allmahlich aus in den durch ihre Werte selbst bestimmten Proportionen, bis schlieBlich alle
Warenwerte dem neuen Wert des Geldmetalles entsprechend geschatzt werden. Dieser
AusgleichungsprozeB ist begleitet von dem fortwahrenden Wachstum der edlen Metalle,
welche im Ersatz fur die direkt mit ihnen ausgetauschten Waren einstromen. In demselben
MaB daher, worin die berichtigte Preisgebung der Waren sich verallgemeinert, oder ihre
Werte dem neuen, gesunkenen und bis zu einem gewissen Punkt fortsinkenden Wert des
Metalls gemaB geschatzt werden, ist auch bereits seine zu ihrer Realisierung notwendige
Mehrmasse vorhanden. Einseitige Beobachtung der Tatsachen, welche der Entdeckung der
neuen Gold- und Silberquellen folgten, verleitete im 17. und namentlich im 18.
Jahrhundert zum TrugschluB, die Warenpreise seien gestiegen, weil mehr Gold und Silber
als Zirkulationsmittel funktion ierten. Im folgenden wird der Wert des Goldes als gegeben
vorausgesetzt, wie er in der Tat im Augenblick der Preisschatzung gegeben ist.
Unter dieser Voraussetzung also ist die Masse der Zirkulationsmittel durch die zu
realisierende Preissumme der Waren bestimmt. Setzen wir nun ferner den Preis jeder
Warenart als gegeben voraus, so hangt die Preissumme der Waren offenbar von der in
Zirkulation befindlichen Warenmasse ab. Es gehort wenig Kopfbrechens dazu, um zu
begreifen, daB, wenn 1 Quarter Weizen 2 Pfd.st., 100 Quarter 200 Pfd.st, 200 Quartier
400 Pfd.st. usw. kosten, mit der Masse des Weizens daher die Geldmasse wachsen muB,
die beim Verkauf den Platz mit ihm wechselt.
Die Warenmasse als gegeben vorausgesetzt, flutet die Masse des zirkulierenden Geldes
auf und ab mit den Preisschwankungen der Waren. Sie steigt und fallt, weil die
Preissumme der Waren infolge ihres Preiswechsels zu- oder abnimmt. Dazu ist
keineswegs notig, daB die Preise aller Waren gleichzeitig steigen oder fallen. Die
Preissteigerung einer gewissen Anzahl leitender Artikel in dem einen oder ihre
Preissenkung in dem andren Fall reicht hin, um die zu realisierende Preissumme aller
zirkulierenden Waren zu erhohn oder zu senken, also auch mehr oder weniger Geld in
Zirkulation zu setzen. Ob der Preiswechsel der Waren wirkliche Wertwechsel
widerspiegelt oder bloBe Schwankungen der Marktpreise, die Wirkung auf die Masse der
Zirkulationsmittel bleibt dieselbe.
Es sei gegeben eine Anzahl zusammenhangsloser, gleichzeitiger und daher raumlich
nebeneinander laufender Verkaufe oder Teilmetamorphosen, z. B. von 1 Quarter Weizen,
20 Ellen Leinwand, 1 Bibel, 4 Gallons Kornbranntwein. Wenn der Preis jedes Artikels 2
Pfd.st., die zu realisierende Preissumme daher 8 Pfd.st., so muB eine Geldrnasse von 8
Pfd.st. in die Zirkulation eingehn. Bilden dieselben Waren dagegen Glieder der uns
bekannten Metamorphosenreihe: 1 Quarter Weizen - 2 Pfd.st. - 20 Ellen Leinwand - 2
Pfd.st. - 1 Bibel - 2 Pfd.st. - 4 Gallons Kornbranntwein 2 Pfd.st., so machen 2 Pfd.st. die
verschiednen Waren der Reihe nach zirkulleren, indem sie deren Preise der Reihe nach,
also auch die Preissumme von 8 Pfd.st., realisieren, um schlieBlich in der Hand des
Destillateurs auszuruhn. Sie vollbringen vier Umlaufe. Dieser wiederholte Stellenwechsel
derselben Geldstiicke stellt den doppelten Formwechsel der Ware dar, ihre Bewegung
durch zwei entgegengesetzte Zirkulationsstadien und die Verschlingung der
1 TO
Metamorphosen verschiedner Waren. Die gegensatzlichen und einander erganzenden
Phasen, wodurch dieser ProzeB verlauft, konnen nicht raumlich nebeneinander fallen,
sondern nur zeitlich aufeinander folgen. Zeitabschnitte bilden daher das MaB seiner Dauer,
oder die Anzahl der Umlaufe derselben Geldstiicke in gegebner Zeit miBt die
Geschwindigkeit des Geldumlaufs. Der ZirkulationsprozeB jener vier Waren dauere z.B.
einen Tag. So betragt die zu realisierende Preissumme: 8 Pfd.st., die Anzahl der Umlaufe
derselben Geldstiicke wahrend des Tags: 4 und die Masse des zirkulierenden Geldes: 2
Pfd.St., oder fur einen gegebnen Zeitabschnitt des Zirkulationsprozesses:
= Masse des als Zirkulations mit tel funktionierenden Geldes. Dies
Gesetz gilt allgemein. Der ZirkulationsprozeB eines Landes in einem gegebnen
Zeitabschnitt umfaBt zwar einerseits viele zersplitterte, gleichzeitige und raumlich
nebeneinander fallende Verkaufe (resp. Kaufe) oder Teilmetamorphosen, worin dieselben
Geldstiicke nur einmal die S telle wechseln oder, nur einen Umlauf vollziehn, andrerseits
viele teils nebeneinander herlaufende, teils sich ineinander verschlingende mehr oder
minder gliederreiche Metamorphosenreihen, worin dieselben Geldstiicke mehr oder
minder zahlreiche Umlaufe zuriicklegen. Die Gesamtzahl der Umlaufe aller in Zirkulation
befindlichen gleichnamigen Geldstiicke ergibt jedoch die Durchschnittsanzahl der Umlaufe
des einzelnen Geldstiicks oder die Durchschnittsgeschwindigkeit des Geldumlaufs. Die
Geldmasse, die bei Beginn z.B. des taglichen Zirkulationsprozesses in ihn hineingeworfen
wird, ist natiirlich bestimmt durch die Preissumme der gleichzeitig und raumlich
nebeneinander zirkulierenden Waren. Aber innerhalb des Prozesses wird ein Geldstiick
sozusagen fur das andre verantwortlich gemacht. Beschleunigt das eine seine
Umlaufsgeschwindigkeit, so erlahmt die des andren, oder es fliegt ganz aus der
Zirkulationssphare heraus, da diese nur eine Goldmasse absorbieren kann, welche,
multipliziert Mit der mittlern Umlaufsanzahl ihres einzelnen Elements, gleich der zu
realisierenden Preissumme ist. Wachst daher die Anzahl der Umlaufe der Geldstiicke, so
nimmt ihre zirkulierende Masse ab. Nimmt die Anzahl ihrer Umlaufe ab, so wachst ihre
Masse. Weil die Masse des Geldes, die als Zirkulationsmittel funktionieren kann, bei
gegebner Durchschnittsgeschwindigkeit gegeben ist, hat man daher z.B. nur eine
bestimmte Quantitat von Ein-Pfund-Noten in die Zirkulation hineinzuwerfen, um ebenso
viele Sovereigns hinauszuwerfen, ein alien Banken wohlbekanntes Kunststiick.
Wie im Geldumlauf iiberhaupt nur der ZirkulationsprozeB der Waren, d.h. ihr Kreislauf
durch entgegengesetzte Metamorphosen erscheint, so in der Geschwindigkeit des
Geldumlaufs die Geschwindigkeit ihres Formwechsels, das kontinuierliche
Ineinandergreifen der Metamorphosenreihen, die Hast des Stoffwechsels, das rasche
Verschwinden der Waren aus der Zirkulationssphare und ihr ebenso rascher Ersatz durch
neue Waren. In der Geschwindigkeit des Geldumlaufs erscheint also die fliissige Einheit
der entgegengesetzten und sich erganzenden Phasen, Verwandlung der Gebrauchsgestalt in
Wertgestalt und Riickverwandlung der Wertgestalt in Gebrauchsgestalt, oder der beiden
Prozesse des Verkaufs und Kaufs. Umgekehrt erscheint in der Verlangsamung des
Geldumlaufs die Trennung und gegensatzliche Verselbstandigung dieser Prozesse, die
Stockung des Formwechsels und daher des Stoffwechsels. Woher diese Stockung
entspringt, ist natiirlich der Zirkulation selbst nicht anzusehn. Sie zeigt nur das Phanomen
selbst. Der popularen Anschauung, welche mit verlangsamtem Geldumlauf das Geld
minder haufig auf alien Punkten der Zirkulationsperipherie erscheinen und verschwinden
sieht, liegt es nah, das Phanomen aus mangelnder Quantitat der Zirkulationsmittel zu
139
deuten.
Das Gesamtquantum des in jedem Zeitabschnitt als Zirkulationsmittel funktionierenden
Geldes ist also bestimmt einerseits durch die Preissumme der zirkulierenden Warenwelt,
andrerseits durch den langsameren oder rascheren FluB ihrer gegensatzlichen
Zirkulationsprozesse, von dem es abhangt, der wievielte Teil jener Preissumme durch
dieselben Geldstiicke realisiert werden kann. Die Preissumme der Waren hangt aber ab
sowohl von der Masse als den Preisen jeder Warenart. Die drei Faktoren: die
Preisbewegung, die zirkulierende Warenmasse und endlich die Umlaufsgeschwindigkeit
des Geldes, konnen aber in verschiedner Richtung und verschiednen Verhaltnissen
wechseln, die zu realisierende Preissumme, daher die durch sie bedingte Masse der
Zirkulationsmittel, also sehr zahlreiche Kombinationen durchmachen. Wir zahlen hier nur
die in der Geschichte der Warenpreise wichtigsten auf.
Bei gleichbleibenden Warenpreisen kann die Masse der Zirkulationsmittel wachsen, weil
die Masse der zirkulierenden Waren zunimmt oder die Umlaufsgeschwindigkeit des
Geldes abnimmt oder beides zusammenwirkt. Die Masse der Zirkulationsmittel kann
umgekehrt abnehmen mit abnehmender Warenmasse oder zunehmender
Zirkulationsgeschwindigkeit.
Bei allgemein steigenden Warenpreisen kann die Masse der Zirkulationsmittel
gleichbleiben, wenn die Masse der zirkulierenden Waren in demselben Verhaltnis
abnimmt, worin ihr Preis zunimmt, oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes ebenso
rasch zunimmt als die Preiserhohung, wahrend die zirkulierende Warenmasse konstant
bleibt. Die Masse der Zirkulationsmittel kann fallen, weil die Warenmasse rascher ab- oder
die Umlaufsgeschwindigkeit rascher zunimmt als die Preise.
Bei allgemein fallenden Warenpreisen kann die Masse der Zirkulationsmittel
gleichbleiben, wenn die Warenmasse in demselben Verhaltnis wachst, worin ihr Preis fallt,
oder die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes in demselben Verhaltnis abnimmt wie die
Preise. Sie kann wachsen, wenn die Warenmasse rascher wachst oder die
Zirkulationsgeschwindigkeit rascher abnimmt, als die Warenpreise fallen.
Die Variationen der verschiednen Faktoren konnen sich wechselseitig kompensieren, so
daB ihrer bestandigen Unstiitigkeit zum Trotz die zu realisierende Gesamtsumme der
Warenpreise konstant bleibt, also auch die zirkulierende Geldmasse. Man findet daher,
namentlich bei Betrachtung etwas langerer Perioden, ein viel konstanteres
Durchschnittsniveau der in iedem Lande zirkulierenden Geldmasse und, mit Ausnahme
starker Perturbationen, die periodisch aus den Produktions- und Handelskrisen, seltner aus
einem Wechsel im Geldwert selbst entspringen, viel geringere Abweichungen von diesem
Durchschnittsniveau, als man nach dem Augenschein erwarten sollte.
Das Gesetz, daB die Quantitat der Zirkulationsmittel bestimmt ist durch die Preissumme
der zirkulierenden Waren und die Durchschnittsgeschwindigkeit des Geldumlaufs , kann
auch so ausgedriickt werden, daB bei gegebner Wertsumme der Waren und gegebner
Durchschnittsgeschwindigkeit ihrer Metamorphosen, die Quantitat des umlaufenden
Geldes oder des Geldmaterials von seinem eignen Wert abhangt. Die Illusion, daB
umgekehrt die Warenpreise durch die Masse der Zirkulationsmittel und letztre ihrerseits
durch die Masse des in einem Lande befindlichen Geldmaterials bestimmt werden
2.»Die Preise der Dinge werden sicherlich in jedem Lande so steigen, wie die Menge an Gold
und Silber unter den Leuten anwdchst; folglich miissen auch, wenn in einem Lande Gold und Silber
sich vermindern, die Preise aller Waren einer solchen Verminderung des Geldes entsprechend fallen.«
(Jacob Vanderlint, "Money answers all Things", Lond. 1734, p. 5.) Nahere Vergleichung zwischen Vanderlint
und Humes "Essays" laBt mir nicht den geringsten Zweifel, daB Hume V.'s ubrigens bedeutende Schrift
kannte und benutzte. Die Ansicht, daB die Masse der Zirkulationsmittel die Preise bestimmt, auch bei
Barbon und noch viel alteren Schrittstellern. »Keine Ungelegenheit«, sagt Vanderlint, »kann durch
ungehinderten Handel entstehen, sondern nur sehr grofier Nutzen, denn wenn die Bargeldmenge der
Nation durch ihn verringert wird, was ja die Prohibitionsmafinahmen verhindern sollen, so werden die
Nationen, denen das Bargeld zufliefit, sicker feststellen, dafi alle Dinge in dem Mafie im Preise steigen,
wie die Bargeldmenge bei ihnen anwachst. Und ... unsere Manufakturprodukte und alle anderen
Waren werden bald so billig, dafi sich die Handelsbilanz wieder zu unseren Gunsten wendet, und
infolgedessen das Geld zu uns zuriickfliefit.« (I.e. p. 43, 44.)
3.DaB jede einzelne Warenart durch ihren Preis ein Element der Preissumme aller zirkulierenden
Waren bildet, ist selbstverstandlich. Wie aber untereinander inkommensurable Gebrauchswerte sich en
masse mit der in einem Land befindlichen Gold, oder Silbermasse austauschen sollen, ist vollig
unbegreiflich. Verschwindelt man die Warenwelt in eine einzige Gesamtware, wovon jede Ware nur einen
aliquoten Teil bildet, so kommt das schone Rechenexempel heraus: Gesamtware = x Ztr. Gold. Ware A =
aliquoter Teil der Gesamtware = derselbe aliquote Teil von x Ztr. Gold. Dies ehrlich heraus bei
Montesquieu: »Wenn man die Masse des aufder Welt vorhandenen Goldes und Silbers mit der Summe
der vorhandenen Waren vergleicht, so kann man gewifi jedes einzelne Erzeugnis bzw. Ware mit einer
bestimmten Menge des Geldes vergleichen. Unterstellen wir einmal, dafi es nur ein einziges Erzeugnis
bzw. eine einzige Ware aufder Welt gibt oder dafi nur eine gekauft wird und dafi sie ebenso teilbar ist
wie das Geld: ein gewisser Teil dieser Ware wird dann einem Teil der Geldmasse entsprechen; die
Halfte der Gesamtheit der Waren der Halfte der gesamten Geldmasse usw. ... die Bestimmung der
Warenpreise hangt im Grunde genommen stets vom Verhaltnis der Gesamtmenge der Waren zur
Gesamtmenge der Geldzeichen ab.« (Montesquieu, 1. c, t.III, p. 12, 13.) Uber die Weiterentwicklung
dieser Theorie durch Ricardo, seinen Schiiler James Mill, Lord Overstone usw. vgl."Zur Kritik etc.", p. 140-
146, und p. 150 sqq. [Siehe MEW, Band 13, S. 134-140 und S. 143 ff.] Herr J.St.Mill versteht es, mit der
ihm gelaufigen eklektischen Logik, der Ansicht seines Vaters J. Mill und zugleich der entgegengesetzten zu
sein. Vergleicht man den Text seines Kompendiums: "Princ. of Pol. Econ.", mit der Vorrede (erste
Ausgabe), worin er sich selbst als Adam Smith der Gegenwart ankiindet, so weiB man nicht, was mehr
bewundern, die Naivitat des Mannes oder die des Publikums, das ihn auf Treu und Glauben in den Kauf
nahm als Adam Smith, zu dem er sich etwa verhalt wie General Williams Kars von Kars zum Herzog von
Wellington. Die weder umfangreichen noch gehaltreichen Originalforschungen des Herrn J.St. Mill im
Gebiet der Pol. Ok. findet man alle in Reih' und Glied aufmarschiert in seinem 1844 erschienenen
Schriftchen: "Some Unsettled Questions of Political Economy." Locke spricht direkt den Zusammenhang
zwischen der Wertlosigkeit von Gold und Silber und der Bestimmung ihres Werts durch Quantitat aus. »Da
die Menschen iibereingekommen sind, Gold und Silber einen imaginaren Wert zu verleihen ... ist der
innere Wert, den man in diesen Metallen erblickt, nichts als ihre Quantitat. « ("Some Considerations
etc.", 1691, [in] "Works", ed. 1777, vol. 11, p. 15.)
l.Es liegt natiirlich ganz jenseits meines Zwecks, Details wie Schlagschatz u. dgl. zu behandeln.
Gegeniiber dem romantischen Sykophanten Adam Muller jedoch, der »die grofiartige Liberalitat«
bewundert, womit die »englische Regierung unentgeltlich miinzt« [A. H. Muller: "Die Elemente der
Staatskunst", 2. Theil, Berlin 1809, S. 280.], folgendes Urteil Sir Dudley Norths: »Silber und Gold haben
wie andere Waren ihre Ebbe und Flut. Wenn eine Ladung aus Spanien ankommt,... wird sie in den
Tower gebracht und ausgemiinzt. Nicht lange danach entsteht Nachfrage nach Barren fiir die Ausfuhr.
Wenn nun keine vorhanden sind, sondern zufallig alles gemiinzt ist, was dann? Man wird es wieder
einschmelzen; dies bedeutet keinen Verlust, da das Miinzen den Eigentiimer nichts kostet. Aber die
Nation hat den Schaden, denn sie zahlt dafiir, dafi Stroh, mit dem man Esel fiittert, vorher geflochten
wird. Wenn der Kaufmann« (North war selbst einer der groBten Kaufleute zu Charles II. Zeit) »einen
Preis fiir das Miinzen zu zahlen hatte, wiirde er nicht, ohne zu iiberlegen, sein Silber in den Tower
schicken, und gemtinztes Geld wiirde dann stets einen hoheren Wert haben als ungemiinztes Silber. «
(North, I.e. p. 18.)
l.»Wenn nie mehr Silbergeld vorhanden ist, als man fiir die kleineren Zahlungen benotigt,
kann es nicht in fiir grofiere Zahlungen ausreichenden Mengen angesammelt werden ... Die
Verwendung von Gold fiir grofie Zahlungen schliefit notwendig auch seine Verwendung im
wurzelt bei ihren urspriinglichen Vertretern in der abgeschmeckten Hypothese, daB Waren
ohne Preis und Geld ohne Wert in den ZirkulationsprozeB eingehn, wo sich dann ein
aliquoter Teil des Warenbreis mit einem aliquoten Teil des Metallbergs austausche.
c) Die Miinze. Das Wertzeichen
Aus der Funktion des Geldes als Zirkulationsmittel entspringt seine Miinzgestalt. Der in
dem Preise oder Geldnamen der Waren vorgestellte Gewichtstell Gold muB ihnen in der
Zirkulation als gleichnamiges Goldstiick oder Miinze gegeniibertreten. Wie die
Feststellung des MaBstabs der Preise, fallt das Geschaft der Miinzung dem Staat anheim. In
den verschiednen Nationaluniformen, die Gold und Silber als Miinzen tragen, auf dem
Weltmarkt aber wieder ausziehn, erscheint die Scheidung zwischen den innern oder
nationalen Spharen der Warenzirkulation und ihrer allgemeinen Weltmarktssphare.
Goldmiinze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus aus nur durch die Figur,
und das Gold ist bestandig aus einer Form in die andre verwandelbar. Der Weg aus der
Miinze ist aber zugleich der Gang zum Schmelztiegel. Im Umlauf verschleiBen namlich die
Goldmiinzen, die eine mehr, die andre weniger. Goldtitel und Goldsubstanz,
Nominalgehalt und Realgehalt beginnen ihren ScheidungsprozeB. Gleichnamige
Goldmiinzen werden von ungleichem Wert, weil verschiednem Gewicht. Das Gold als
Zirkulationsmittel weicht ab vom Gold als MaBstab der Preise und hort damit auch auf,
wirkliches Aquivalent der Waren zu sein, deren Preise es realisiert. Die Geschichte dieser
Wirren bildet die Miinzgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit bis ins 18. Jahrhundert.
Die naturwiichsige Tendenz des Ziykulationsprozesses, das Goldsein der Miinze in
Goldschein oder die Miinze in ein Symbol ihres offiziellen Metallgehalts zu verwandeln,
ist selbst anerkannt durch die modernsten Gesetze iiber den Grad des Metallverlustes, der
ein Goldstiick kursunfahig macht oder demonetisiert.
Wenn der Geldumlauf selbst den Realgehalt vom Nominalgehalt der Miinze scheidet, ihr
Metalldasein von ihrem funktionellen Dasein, so enthalt er die Moglichkeit latent, das
Metallgeld in seiner Miinzfunktion durch Marken aus andrern Material oder Symbole zu
ersetzen. Die technischen Hindernisse der Miinzung ganz diminutiver Gewichtstelle des
Goldes resp. Silbers und der Umstand, daB niedrigere Metalle urspriinglich statt der
edleren, Silber statt des Goldes, Kupfer statt des Silbers, zum WertmaB dienen und daher
als Geld zirkulieren im Augenblick, wo das edlere Metall sie entthront, erklaren historisch
die Rolle von Silber- und Kupfermarken als Substituten der Goldmiinze. Sie ersetzen das
Gold in den Kreisen der Warenzirkulation, worin die Miinze am schnellsten zirkuliert und
sich daher am schnellsten abnutzt, d.h., wo Kaufe und Verkaufe unaufhorlich im kleinsten
MaBstab erneuert werden. Um die Festsetzung dieser Trabanten an der Stelle des Goldes
selbst zu verhindern, werden gesetzlich die sehr niedrigen Proportionen bestimmt, worin
sie allein an Zahlungs Statt fur Gold angenommen werden miissen. Die besondren Kreise,
worin die verschiednen Miinzsorten umlaufen, laufen natiirlich ineinander. Die
Scheidemiinze erscheint neben dem Gold zur Zahlung von Bruchteilen der kleinsten
Goldmiinze; das Gold tritt bestandig in die Detailzirkulation ein, wird aber durch
Auswechslung mit Scheidemiinze ebenso bestandig herausgeworfen.
Der Metallgehalt der Silber- oder Kupfermarken ist wiUkurlich durch das Gesetz
bestimmt. Im Umlauf verschleiBen sie noch rascher als die Goldmiinze. Hire Miinzfunktion
wird daher faktisch durchaus unabhangig von ihrem Gewicht, d.h. von allem Wert. Das
Miinzdasein des Goldes scheidet sich vollig von seiner Wertsubstanz. Relativ wertlose
Dinge, Papierzettel, konnen also an seiner Statt als Miinze funktionieren. In den
metallischen Geldmarken ist der rein symbolische Charakter noch einigermaBen versteckt.
Im Papiergeld tritt er augenscheinlich hervor. Man sieht: Ce n'est que le premier pas qui
~. 145
coute
Es handelt sich hier nur von Staatspapiergeld mit Zwangskurs. Es wachst unmittelbar aus
der metallischen Zirkulation heraus. Kreditgeld unterstellt dagegen Verhaltnisse, die uns
vom Standpunkt der einfachen Warenzirkulation noch durchaus unbekannt sind. Im
Vorbeigehn seijedoch bemerkt, daB, wie eigentliches Papiergeld aus derFunktion des
Geldes als Zirkulationsmittel entspringt, das Kreditgeld in der Funktion des Geldes als
Zahlungsmittel seine naturwiichsige Wurzel besitzt.
l.Es kommt nur auf den ersten Schritt an
l.Der Finanzmandarin Wan-mao-in lieB sich beigehn, dem Sohn des Himmels ein Projekt zu
unterbreiten, welches versteckt auf Verwandlung der chinesischen Reichsassignaten in konvertible
Banknoten hinzielte. Im Bericht des Assignaten-Komitees vom April 1854 erhalt er gehorig den Kopf
gewaschen. Ob er auch die obligate Tracht Bambushiebe erhielt, wird nicht gemeldet. »Das Komitee«,
lautet es am SchluB des Berichts, »hat sein Projekt aufmerksam erwogen und findet, dafS alles in ihm auf
den Vorteil der Kaufleute ausgeht und nichts fitr die Krone vorteilhaft ist.« ("Arbeiten der Kaiserlich
Russischen Gesandtschaft zu Peldng iiber China." Aus dem Russischen von Dr.K. Abel und F.A.
Mecklenburg. Erster Band, Berlin 1858, p. 54.) Uber die bestandige Entmetallung der Goldmiinze durch
ihren Umlauf sagt ein "Governor" der Bank of England als Zeuge vor dem "House of Lord's Committee"
(iiber "Bankacts"): »Jedes Jahr wird eine frische Klasse von Souverainen« (dies nicht politisch, sondern
der Sovereign ist Name des Pfd.st.*) »zu leicht. Die Klasse, welche das eine Jahr als vollwichtig passiert,
verliert durch den VerschleiB hinreichend, um das nachste Jahr die Waagschale gegen sich zu drehn." (H. o.
Lords' Committee 1848, n. 429.)
Ein Wortspiel: "Sovereign" bedeutet "Souveran", "Monarch"; gleichzeitig ist "Sovereign" die
Bezeichnung einer englischen Goldmiinze (1 Pfd.St).
l.Note zur 2Ausgabe. Wie unklar selbst die besten Schriftsteller iiber Geldwesen die verschiednen
Funktionen des Geldes auffassen, zeigt z.B. folgende Stelle aus Fullarton: »Was unseren inlandischen
Austausch betrifft, konnen alle Geldfunktionen, die gewohnlich von Gold- oder Silbermiinzen erfiillt
werden, ebenso wirksam durch eine Zirkulation von nicht einlosbaren Noten erfiillt werden, die keinen
anderen Wert haben als diesen kiinstlichen und auf Ubereinkunft beruhenden Wert, den sie durch
Gesetz erhalten haben - eine Tatsache, die, denke ich, nicht geleugnet werden kann. Ein Wert dieser
Art konnte all den Zwecken eines inneren Wertes dienstbar gemacht werden und sogar die
Notwendigkeit eines WertmafSstabs uberflussig machen, sofern nur die Quantitat seiner Ausgaben in
den gehorigen Schranken gebalten wird.« (Fullarton, "Regulation of Currencies", 2. ed., London 1845,
p. 21.) Also weil die Geldware durch bloBe Wertzeichen in der Zirkulation ersetzt werden kann, ist sie als
MaB der Werte und MaBstab der Preise uberflussig!
l.Daraus, daB Gold und Silber als Miinze oder in der ausschlieBlichen Funktion als
Zirkulationsmittel zu Zeichen ihrer selbst werden, leitet Nicholas Barbon das Recht der Regierungen her,
»to raise money« [»den Geldwert zu erhohen«], d.h., z.B. einem Quantum Silber, das Groschen hiefS, den
Namen eines grofieren Silberquantums, wie Taler, zu geben und so den Glaubigern Groschen statt
Taler zuruckzuzahlen. »Geld verbraucht sich und wird leichter durch vielfaches Auszdhlen ... Es ist die
Benennung und der Kurs des Geldes, was die Eeute im Handel beachten, und nicht die Menge des
Silbers ... Es ist die Staatsautoritat, die das Metall zum Gelde macht.« (N. Barbon, I.e. p.29, 30, 25.)
l."aus meuble in immeuble" (aus Beweglichem in Unbewegliches) - Boisguillebert, "Le detail de
Papierzettel, denen Geldnamen, wie 1 Pfd.st, 5 Pfd.st. usw. aufgedruckt sind, werden
vom Staat auBerlich in den ZirkulationsprozeB hineingeworfen. Soweit sie wirklich an der
Stelle der gleichnamigen Goldsumme zirkulieren, spiegeln sich in ihrer Bewegung nur die
Gesetze des Geldumlaufs selbst wider. Ein spezifisches Gesetz der Papierzirkulation kann
nur aus ihrem Representations verhaltnis zum Gold entspringen. Und dies Gesetz ist
einfach dies, daB die Ausgabe des Papiergelds auf die Quantitat zu beschranken ist, worin
das von ihm symbolisch dargestellte Gold (resp. Silber) wirklich zirkulieren iniiBte. Nun
schwankt zwar das Goldquantum, welches die Zirkulationssphare absorbieren kann,
bestandig iiber oder unter ein gewisses Durchschnittsniveau. Jedoch sinkt die Masse des
zirkulierenden Mediums in einem gegebnen Land nie unter ein gewisses Minimum, das
sich erfahrungsmaBig feststellt. DaB diese Minimalmasse fortwahrend ihre Bestandteile
wechselt, d.h. aus stets andren Goldstiicken besteht, andert natiirlich nichts an ihrem
Umfang und ihrem konstanten Umtrieb in der Zirkulationssphare. Sie kann daher durch
Papiersymbole ersetzt werden. Werden dagegen heute alle Zirkulationskanale zum vollen
Grad ihrer Geldabsorptionsfahigkeit mit Papiergeld gefullt, so konnen sie infolge der
Schwankungen der Warenzirkulation morgen iibervoll sein. Alles MaB geht verloren.
Uberschreitet aber das Papier sein MaB, d.h. die Quantitat von Goldmunze gleicher
Denomination, welche zirkulieren konnte, so stellt es, von der Gefahr allgemeiner
Diskreditierung abgesehn, innerhalb der Warenwelt dennoch nur die durch ihre
immanenten Gesetze bestimmte, also auch allein reprasentlerbare Goldquantitat vor. Stellt
die Papierzettelmasse z.B. je 2 Unzen Gold statt je 1 Unze dar, so wird faktisch 1 Pfd.st.
z.B. zum Geldnamen sage etwa von Vg Unze statt von V4 Unze. Die Wirkung ist
dieselbe, als ware das Gold in seiner Funktion als MaB der Preise verandert worden.
Dieselben Werte, die sich daher vorher im Preise von 1 Pfd.st., driicken sich jetzt im Preise
von 2 Pfd.st. aus.
Das Papiergeld ist Goldzeichen oder Geldzeichen. Sein Verhaltnis zu den Warenwerten
besteht nur darin, daB sie ideell in denselben Goldquantis ausgedriickt sind, welche vom
Papier symbolisch sinnlich dargestellt werden. Nur sofern das Papiergeld Goldquanta
147
reprasentiert, die, wie alle andren Warenquanta, auch Wertquanta, ist es Wertzeichen.
Es fragt sich schlieBlich, warum das Gold durch bloBe wertlose Zeichen seiner selbst
ersetzt werden kann? Es ist aber, wie man gesehn, nur so ersetzbar, soweit es in seiner
Funktion als Miinze oder Zirkulationsmittel isoliert oder verselbstandigt wird. Nun findet
die Verselbstandigung dieser Funktion zwar nicht fur die einzelnen Goldmiinzen statt,
obgleich sie in dem Fortzirkulieren verschlissener Goldstiicke erscheint. BloBe Miinze
oder Zirkulationsmittel sind die Goldstiicke grade nur, solang sie sich wirklich im Umlauf
befinden.Was aber nicht fur die einzelne Goldmiinze, gilt fur die vom Papiergeld
ersetzbare Minimalmasse Gold. Sie haust bestandig in der Zirkulationssphare, funktioniert
fortwahrend als Zirkulationsmittel und existiert daher ausschlieBlich als Trager dieser
Funktion. Ihre Bewegung stellt also nur das fortwahrende Ineinanderumschlagen der
entgegengesetzten Prozesse der Warenmetamorphose W - G - W dar, worin der Ware ihre
Wertgestalt nur gegeniibertritt, um sofort wieder zu verschwinden. Die selbstandige
Darstellung des Tauschwerts der Ware ist hier nur fliichtiges Moment. Sofort wird sie
wieder durch andre Ware ersetzt. Daher geniigt auch die bloB symbolische Existenz des
Geldes in einem ProzeB, der es bestandig aus einer Hand in die andre entfernt. Sein
funkitionelles Dasein absorbiert sozusagen sein materielles. Verschwindend objektivierter
Reflex der Warenpreise, funktioniert es nur noch als Zeichen seiner selbst und kann daher
148 —
auch durch Zeichen ersetzt werden. Nur bedarf das Zeichen des Geldes seiner eignen
objektiv geseUschaftlichen Giiltigkeit, und diese erhalt das Papiersymbol durch den
Zwangskurs. Nur innerhalb der von den Grenzen eines Gemeinwesens umschriebnen oder
innern Zirkulationssphare gilt dieser Staatszwang, aber auch nur hier geht das Geld vollig
auf in seine Funktion als Zirkulationsmittel oder Miinze und kann daher irn Papiergeld
eine von seiner Metallsubstanz auBerlich getrennte und bloB funktionelle Existenzweise
erhalten.
3. Geld
Die Ware, welche als WertmaB und daher auch, leiblich oder durch Stellvertreter, als
Zirkulationsmittel funktioniert, ist Geld. Gold (resp. Silber) ist daher Geld. Als Geld
funktioniert es, einerseits wo es in seiner goldnen (resp. silbernen) Leiblichkeit erscheinen
muB, daher als Geldware, also weder bloB ideell, wie im WertmaB, noch
reprasentationsfahig, wie im Zirkulationsmittel; andrerseits wo seine Funktion, ob es selbe
nun in eignen Person oder durch Stellvertreter vollziehe, es als alleinige Wertgestalt oder
allein adaquates Dasein des Tauschwerts alien andren Waren als bloBen Gebrauchswerten
gegeniiber fixiert.
a) Schatzbildung
Der kontinuierliche Kreislauf der zwei entgegengesetzten Warenmetamorphosen oder der
fliissige Umschlag von Verkauf und Kauf erscheint im rastlosen Umlauf des Geldes oder
seiner Funktion als perpetuum mobile der Zirkulation. Es wird immobilisiert, oder
149
verwandelt sich, wie Boisguillebert sagt, aus meuble in immeuble , aus Miinze in Geld,
sobald die Metamorphosenreihe unterbrochen, der Verkauf nicht durch nachfolgenden
Kauf erganzt wird.
Mit der ersten Entwicklung der Warenzirkulation selbst entwickelt sich die Notwendigkeit
und die Leidenschaft, das Produkt der ersten Metamorphose, die verwandelte Gestalt der
Ware oder ihre Goldpuppe festzuhalten. Ware wird verkauft, nicht um Ware zu kaufen,
sondern um Warenform durch Geldform zu ersetzen. Aus bloBer Vermittlung des
Stoffwechsels wird dieser Formwechsel zum Selbstzweck. Die entauBerte Gestalt der
Ware wird verhindert, als ihre absolut verauBerliche Gestalt oder nur verschwindende
Geldform zu funktionieren. Das Geld versteinert damit zum Schatz, und der
Warenverkaufer wird Schatzbildner.
Grade in den Anfangen der Warenzirkulation verwandelt sich nur der UberschuB an
Gebrauchswerten in Geld. Gold und Silber werden so von selbst zu gesellschaftlichen
Ausdriicken des Uberflusses oder des Reichtums. Diese naive Form der Schatzbildung
verewigt sich bei Volkern, wo der traditionellen und auf Selbstbedarf gerichteten
Produktionsweise ein fest abgeschloBner Kreis von Bedurfnissen entspricht. So bei den
Asiaten, namentlich den Indern. Vanderlint, der die Warenpreise durch die Masse des in
einem Land befindlichen Goldes und Silbers bestimmt wahnt, fragt sich, warum die
indischen Waren so wohlfeil? Antwort: Weil die Inder das Geld vergraben. Von 1602-
1734, bemerkt er, vergruben sie 150 Millionen Pfd.st. Silber, die ursprunglich von
Amerika nach Europa kamen. Von 1856-1866, also in 10 Jahren, exportierte England
Reichtum an Erzeugnissen, die in Geld verwandelt
worden sind.« (Mercier de la Riviere, I.e. p. 573.) »Ein Wert in Form von Erzeugnissen hat nur die Form
gewechselt.« (ib., p. 486.)
l.»Durch diese Mafinahme halten sie all ihre Giiter und Fabrikate so niedrig im Preis.«
(Vanderlint, I.e. p.95, 96.)
l.»Geld ist ein Pfand.e (John Bellers, "Essays about the Poor, Manufactures, Trade, Plantations,
and Immorality", Lond. 1699, p. 13.)
2. Kauf im kategorischen Sinn unterstellt namlich Gold oder Silber schon als verwandelte Gestalt
der Ware oder als Produkt des Verkaufs.
l.geheiligte Dinge, auBerhalb des Handels der Menschen
2.Heinrich III., allerchristlichster Konig von Frankreich, raubt Klostern usw. ihre Reliquien, um sie
zu versilbern. Man weiB, welche Rolle der Raub der delphischen Tempelschatze durch die Phokaer in der
griechischen Geschichte spielt. Dem Gott der Waren dienten bei den Alten bekanntlich die Tempel zum
Wohnsitz. Sie waren "heilige Banken". Den Phoniziern, einem Handelsvolke par excellence, gait Geld als
die entauBerte Gestalt aller Dinge. Es war daher in der Ordnung, daB die Jungfrauen, die sich an den Festen
der Liebesgottin den Fremden hingaben, das zum Lohn empfangene Geldstiick der Gattin opferten.
3.»Gold! kostbar, flimmernd, rotes Gold!
Ha! dies lockt Euch den Priester vorn Altar;
Er macht den Aussatz lieblich; ehrt den Dieb,
...Verdammt Metall,
nach Indien und China (das nach China exportierte Metall flieGt groBenteils wieder nach
Indien) 120 MlUionen Pfd.st. in Silber, welches vorher gegen australisches Geld
eingewechselt wurde.
Mit mehr entwickelter Warenproduktion muB jeder Warenproduzent sich den nervus
152
reram, das "gesellschaftliche Faustpfand" sichern. Seine Bediirfnisse erneuern sich
unaufhorlich und gebieten unaufhorlichen Kauf fremder Ware, wahrend Produktion und
Verkauf seiner eignen Ware Zeit kosten und von Zufallen abhangen. Um zu kaufen, ohne
zu verkaufen, muB er vorher verkauft haben, ohne zu kaufen. Diese Operation, auf
allgemeiner Stufenleiter ausgefuhrt, scheint sich selbst zu widersprechen. An ihren
Produktionsquellen jedoch tauschen sich die edlen Metalle direkt mit andren Waren aus.
Es findet hier Verkauf (auf Seite der Warenbesitzer) ohne Kauf (auf Seite der Gold- und
153
Silberbesitzer) statt. Und spatere Verkaufe ohne nachfolgende Kaufe vermitteln bloB
die weitere Verteilung der edlen Metalle unter alle Warenbesitzer. So entstehn auf alien
Punkten des Verkehrs Gold- und Silberschatze vom verschiedensten Umfang. Mit der
Moglichkeit, die Ware als Tauschwert oder den Tauschwert als Ware festzuhalten, erwacht
die Goldgier. Mit der Ausdehnung der Warenzirkulation wachst die Macht des Geldes, der
stets schlagfertigen, absolut gesellschaftlichen Form des Reichtums.
»Gold ist ein wunderbares Ding! Wer dasselbe besitzt, ist Herr von allem, was er
wiinscht. Durch Gold kann man sogar Seelen in das Paradies gelangen lassen.«
(Columbus, im Brief aus Jamaica, 1503.)
Da dem Geld nicht anzusehn, was in es verwandelt ist, verwandelt sich alles, Ware oder
nicht, in Geld. Alles wird verkauflich und kaufbar. Die Zirkulation wird die groBe
gesellschaftliche Retorte, worin alles hineinfliegt, um als Geldkristall wieder
herauszukommen. Dieser Alchimie widerstehn nicht einmal Heiligenknochen und noch
viel weniger minder grobe res sacrosanctae, extra commercium hominum . Wie im
Geld aller qualitative Unterschied der Waren ausgeloscht ist, loscht es seinerseits als
radikaler Leveller alle Unterschiede aus. Das Geld ist aber selbst Ware, ein auBerlich
Ding, das Privateigentum eines jeden werden kann. Die gesellschaftliche Macht wird so
zur Privatmacht der Privatperson. Die an tike Gesellschaft denunziert es daher als die
Scheidemunze ihrer okonomischen und sittlichen Ordnung. Die moderne Gesellschaft,
5.»Denn kein so schmahlich Ubel, wie des Geldes Wert, Erwuchs
den Menschen: dies vermag die Stadte selbst Zu brechen, dies treibt Manner aus von Hof
und Herd; Dies unterweiset und verkehrt den edlen Sinn
Rechtschaffner Manner, nachzugeh'n ruchloser Tat, Zeigt an die Wege boser List den
Sterblichen, Und bildet sie zu jedem gottverhaBten Werk.«
(Sophokles, "Antigone".)
6.»Der Geiz hofft Pluton selbst aus dem Innern der Erde zu Ziehen. « (Athen[aeus], "Deipnos".)
l.»Die Zahl der Verkaufe r jeder Ware soweit wie moglich zu vermehren, die Zahl der Kaufe r
soweit wie moglich zu vermindern, das sind die Angelpunkte, um die sich alle Mafinahmen der
politischen Okonomie drehen.e (Verri, I.e. p. 52, 53.)
l.»Lafit uns reich sein oder reich erscheinen.«
die schon in ihren Kinderjahren den Plutus an den Haaren aus den Eingeweiden der Erde
herauszieht , begriiBt im Goldgral die glanzende Inkamation ihres eigensten
Lebensprinzips.
Die Ware als Gebrauchswert befriedigt ein besondres Bediirfnis und bildet ein besondres
Element des stofflichen Reich turns. Aber der Wert der Ware miBt den Grad ihrer
Attraktionskraft auf alle Elemente des stofflichen Reichtums, daher den gesellschaftlichen
Reichtum ihres Besitzers. Dem barbarisch einfachen Warenbesitzer, selbst einem
westeuropaischen Bauer, ist der Wert unzertrennlich von der Wertform, Vermehrung des
Gold- und Silberschatzes daher Wertvermehrung. Allerdings wechselt der Wert des
Geldes, sei es infolge seines eignen Wertwechsels, sei es des Wertwechsels der Waren.
Dies verhindert aber einerseits nicht, daB 200 Unzen Gold nach wie vor mehr Wert
enthalten als 100, 300 mehr als 200 usw., noch andrerseits, daB die metallne Naturalform
dieses Dings die allgemeine Aquivalentform aller Waren bleibt, die unmittelbar
gesellschaftliche Inkamation aller menschlichen Arbeit. Der Trieb der Schatzbildung ist
von Natur maBlos. Qualitativ oder seiner Form nach ist das Geld schrankenlos, d.h.
allgemeiner Reprasentant des stofflichen Reichtums, weil in iede Ware unmittelbar
umsetzbar. Aber zugleich ist jede wirkliche Geldsumme quantitativ beschrankt, daher auch
nur Kaufmittel von beschrankter Wirkung. Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen
Schranke und der qualitativen Schrankenlosigkeit des Geldes treibt den Schatzbildner stets
zuriick zur Sisyphusarbeit der Akkumulation. Es geht ihm wie dem Welteroberer, der mit
jedem neuen Land nur eine neue Grenze erobert.
Um das Gold als Geld festzuhalten und daher als Element der Schatzbildung, muB es
verhindert werden zu zirkulieren oder als Kaufmittel sich in GenuBmittel aufzulosen. Der
Schatzbildner opfert daher dem Goldfetisch seine Fleischeslust. Er macht Ernst mit dem
Evangelium der Entsagung. Andrerseits kann er der Zirkulation nur in Geld entziehn, was
er ihr in Ware gibt. Je mehr er produziert, desto mehr kann er verkaufen. Arbeitsamkeit,
Sparsamkeit und Geiz bilden daher seine Kardinaltugenden, viel verkaufen, wenig kaufen,
159
die Summe seiner politischen Okonomie.
Neben der unmittelbaren Form des Schatzes lauft seine asthetische Form, der Besitz von
Gold- und Silberwaren. Er wachst mit dem Reichtum der biirgerlichen Gesellschaft.
»Soyons riches ou paraissons riches.« (Diderot.) Es bildet sich so teils ein stets
ausgedehnterer Markt fur Gold und Silber, unabhangig von ihren Geldfunktionen, teils
eine latente Zufuhrquelle des Geldes, die namentlich in gesellschaftlichen Sturmperioden
flieBt.
Die Schatzbildung erfullt verschiedne Funktionen in der Okonomie der metallischen
zirkulation. Die nachste Funktion entspringt aus den Umlaufsbedingungen der Gold- oder
Silbermunze. Man hat gesehn, wie mit den bestandigen Schwankungen der
Warenzirkulation in Umfang, Preisen und Geschwindigkeit die Umlaufsmasse des Geldes
rastlos ebbt und tutet. Sie muB also der Kontraktion und Expansion fahig sein. Bald muB
Geld als Miinze attrahiert, bald Miinze als Geld repelliert werden. Damit die wirklich
umlaufende Geldmasse dem Sattigungsgrad der Zirkulationssphare stets entspreche, muB
das in einem Lande befindliche Gold- oder Silberquantum groBer sein als das in
Miinzfunktion begriffene. Diese Bedingung wird erfullt durch die Schatzform des Geldes.
Die Schatzreservoirs dienen zugleich als Abfuhr- und Zufuhrkanale des zirkulierenden
Geldes, welches seine Umlaufskanale daher nie uberfullt.
l.»Um Handel zu treiben, bedarf jede Nation einer bestimmten Summe von specif ick money
[Metallgeld], die wechselt und manchmal grofier, manchmal kleiner ist, so wie es die Verhdltnisse
fordern... Diese Ebben und Fluten des Geldes regeln sich selbst ohne jede Hilfe der Politiker... Die
Eimer arbeiten abwechselnd: wenn das Geld knapp ist, werden Barren gemiinzt; sind Barren knapp,
werden Miinzen eingeschmolzen.« (Sir D. North, I.e. [Postscript,] p. 3.) John Stuart Mill, lange Zeit
Beamter der Ostindischen Kompanie*, bestatigt, daB in Indien immer noch der Silberschmuck unmittelbar
als Schatz funktioniert. Die »silbernen Schmuckstucke werden zum Ausmiinzen gebracht, wenn ein
holier Zinssatz besteht; sie wandern zuriick, wenn der Zinssatz fdllt« . (J.St. Mills Evidence [in] "Repts.
on Bankacts", 1857, n. 2084, 2101.) Nach einem parlamentarischen Dokument von 1864 uber Gold- und
Silberimport und -export in Indien ["East India (Bullion). Return to an addres of the Honourable the House
of Commons, dated 8 February 1864".] uberstieg 1863 der Import von Gold und Silber den Export um
19.367.764 Pfd.St. In den letzten 8 Jahren vor 1864 betrug der Excess des Imports iiber den Export der
edlen Metalle 109.652.917 Pfd.St. Wahrend dieses Jahrhunderts wurden weit Uber 200.000.000 Pfd.St. in
Indien gemiinzt.
Ostindische Kompanie - englische Handelsgesellschaft, die von 1600 bis 1858 bestand. Sie war
ein Werkzeug der rauberischen Kolonialpolltik Englands in Indien. China und anderen asiatischen Landern.
Mit ihrer Hilfe gelang den englischen Kolonisatoren die allmahliche Eroberung Indiens. Die Ostindische
Kompanie verfugte lange Zeit uber das Handelsmonopol mit Indien und hatte die wichtigsten
Verwaltungsfunktionen in diesem Lande in der Hand. Der nationale Befreiungsaufstand in Indien (1857-
1859) zwang die Englander, die Formen ihrer Kolonialherrschaft zu andern; die Ostindische Kompanie
wurde aufgelost und Indien zum Besitz der britischen Krone erklart.
1. Luther unterscheidet zwischen Geld als Kaufmittel und Zahlungsmittel. »Machest mir einen
b) Zahlungsmittel
In der bisher betrachteten unmittelbaren Form der Warenzirkulation war dieselbe
WertgroBe stets doppelt vorhanden, Ware auf dem einen Pol, Geld auf dem Gegenpol. Die
Warenbesitzer traten daher nur in Kontakt als Reprasentanten wechseiseitig vorhandner
Aquivalente. Mit der Entwicklung der Warenzirkulation entwickeln sich jedoch
Verhaltnisse, wo. durch die VerauBerung der Ware von der Realisierung ihres Preises
zeitlich getrennt wird. Es geniigt, die einfachsten dieser Verhaltnisse hier anzudeuten. Die
eine Warenart erheischt langere, die andere kurzere Zeitdauer zu ihrer Produktion. Die
Produktion verschiedner Waren ist an verschiedne Jahreszeiten gekniipft. Die eine Ware
wird auf ihrem Marktplatz geboren, die andre muB zu entferntem Markt reisen. Der eine
Warenbesitzer kann daher als Verkaufer auftreten, bevor der andre als Kaufer. Bei steter
Wiederkehr derselben Transaktionen unter denselben Personen regeln sich die
Verkaufsbedingungen der Waren nach ihren Produktionsbedingungen. Andrerseits wird die
Benutzung gewisser Warenarten, z.B. eines Hauses, fur einen bestimmten Zeitraum
verkauft. Erst nach Ablauf des Termins hat der Kaufer den Gebrauchswert der Ware
wirklich erhalten. Er kauft sie daher, bevor er sie zahlt. Der eine Warenbesitzer verkauft
vorhandne Ware, der andre kauft als bloBer Reprasentant von Geld oder als Reprasentant
von kunftigem Gelde. Der Verkaufer wird Glaubiger, der Kaufer Schuldner. Da die
Metamorphose der Ware oder die Entwicklung ihrer Wertform sich hier verandert, erhalt
auch das Geld eine andre Funktion. Es wird Zahlungsmittel.
Zwilling aus dem Schadewacht, das ich hie nicht bezalen und dort nicht kauffen kann.« (Martin Luther,
"An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen", Wittenberg 1540.)
2.Das Zitat von Luther bringen wir nach der 4. Auflage des "Kapitals".
l.Uber die Schuldner- und Glaubigerverhaltnisse unter den englischen Handelsleuten Anfang des
18Jahrhunderts: »Unter den Handelsleuten herrscht hier in England ein solcher Geist der
Grausamkeit, wie er in keiner anderen menschlichen Gesellschaft und in keinem anderen Land der
Welt anzutreffen ist.« ('An Essay on Credit and the Bankrupt Act", Lond. 1707, p.2.)
l.Note zur 2Ausg. Aus folgendem, meiner 1859 erschienenen Schrift entlehnten Zitat wird man
sehn, warum ich im Text keine Rucksicht nehme auf eine entgegengesetzte Form: »Umgekehrt kann im
Prozefi G - W das Geld als wirkliches Kaufinittel entaufiert und der Preis der Ware so realisiert
werden, ehe der Gebrauchswert des Geldes realisiert oder die Ware verdufiert wird. Dies findet z.B.
statt in der alltaglichen Form der Prdnumeration. Oder in der Form, worin die englische Regierung
das Opium der Ryots in Indien ... kauft. So wirkt jedoch das Geld nur in der schon bekannten Form des
Kaufmittels ... Kapital wird natiirlich auch in der Form des Geldes avanciert ... Dieser Gesichtspunkt
fallt aber nicht in den Horizont der einfachenZirkulation.« ("Zur Kritik etc.", p. 119, 120. [Siehe MEW,
Band 13, S. 117])
l.Die Geldkrise, wie im Text bestimmt als besondre Phase jeder allgemeinen Produktions- und
Handelskrise, ist wohl zu unterscheiden von der speziellen Sorte der Krise, die man auch Geldkrise nennt,
die aber selbstandig auftreten kann, so daB sie auf Industrie und Handel nur riickschlagend wirkt. Es sind
dies Krisen, deren Bewegungszentrum das Geld-Kapital ist, und daher Bank, Borse, Finanz ihre
unmittelbare Sphare. (Note von M. zur 3.Aufl.)
2.»Dieses plotzliche Umschlagen aus dem Kreditsystem in das Monetarsystem ftigt den
theoretischen Schrecken zum praktischen Panik: und die Zirkulationsagenten schaudern vor dem
undurchdringlichen Geheimnis ihrer eignen Verhaltnisse. « (Karl Marx, 1. c. p. 126. [Siehe MEW, Band
Der Charakter von Glaubiger oder Schuldner entspringt hier aus der einfachen
Warenzirkulation. Ihre Formveranderung driickt dem Verkaufer und Kaufer diese neuen
Stempel auf. Zunachst also sind es ebenso verschwindende und wechselweis von denselben
Zirlkulationsagenten gespielte Rollen wie die von Verkaufer und Kaufer. Jedoch sieht der
Gegensatz jetzt von Haus aus minder gemutlich aus und ist groBerer Kristallisation
fahig. Dieselben Charaktere konnen aber auch von der Warenzirkulation unabhangig
auftreten. Der Klassenkampf der antiken Welt z.B. bewegt sich hauptsachlich in der Form
eines Kampfes zwischen Glaubiger und Schuldner und endet in Rom mit dem Untergang
des plebejischen Schuldners, der durch den Sklaven ersetzt wird. Im Mittelalter endet der
Kampf mit dem Untergang des feudalen Schuldners, der seine politische Macht mit ihrer
okonomischen Basis einbiiBt. Indes spiegelt die Geldform - und das Verhaltnis von
Glaubiger und Schuldner besitzt die Form eines Geldverhaltnisses - hier nur den
Antagonismus tiefer liegender okonomischer Lebensbedingungen wider.
Kehren wir zur Sphare der Warenzirkulation zuriick. Die gleichzeitige Erscheinung der
Aquivalente Ware und Geld auf den beiden Polen des Verkaufsprozesses hat aufgehort.
Das Geld funktioniert jetzt erstens als WertmaB in der Preisbestimmung der verkauften
Ware. Hir kontraktlich festgesetzter Preis miBt die Obligation des Kaufers, d.h. die
Geldsumme, die er an bestimmtem Zeittermin schuldet. Es funktioniert zweitens als
ideelles Kaufmittel. Obgleich es nur im Geldversprechen des Kaufers existiert, bewirkt es
den Handewechsel der Ware. Erst am falligen Zahlungstermin tritt das Zahlungsmittel
wirklich n Zirkulation, d.h. geht aus der Hand des Kaufers in die des Verkaufers iiber. Das
Zirkulationsmittel verwandelte sich in Schatz, weil der ZirkulationsprozeB mit der ersten
Phase abbrach oder die verwandelte Gestalt der Ware der Zirkulation entzogen wurde. Das
Zahlungsmittel tritt in die Zirkulation hinein, aber nachdem die Ware bereits aus ihr
ausgetreten ist. Das Geld vermittelt nicht mehr den ProzeB. Es schlieBt ihn selbstandig ab,
als absolutes Dasein des Tauschwerts oder allgemeine Ware. Der Verkaufer verwandelte
Ware in Geld, um ein Bediirfnis durch das Geld zu befriedigen, der Schatzbildner, um die
Ware in Geldform zu praservieren, der schuldige Kaufer, um zahlen zu konnen. Zahlt er
nicht, so finden Zwangsverkaufe seiner Habe statt. Die Wertgestalt der Ware, Geld, wird
also jetzt zum Selbstzweck des Verkaufs durch eine den Verhaltnissen des
Zirkulationsprozesses selbst entspringende, gesellschaftliche Notwendigkeit.
Der Kaufer verwandelt Geld zuriick in Ware, bevor er Ware in Geld verwandelt hat,
oder vollzieht die zweite Warenmetamorphose vor der ersten. Die Ware des Verkaufers
zirkuliert, realisiert ihren Preis aber nur in einem privatrechtlichen Titel auf Geld. Sie
verwandelt sich in Gebrauchswert, bevor sie sich in Geld verwandelt hat. Die Vollziehung
ihrer ersten Metamorphose folgt erst nachtraglich.
In jedem bestimmten Zeitabschnitt des Zirkulationsprozesses reprasentieren die falligen
Obligationen die Preissumme der Waren, deren Verkauf sie hervorrief. Die zur
Realisierung dieser Preissumme notige Geldmasse hangt zunachst ab von der
Urnlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel. Sie ist bedingt durch zwei Umstande: die
Verkettung der Verhaltnisse von Glaubiger und Schuldner, so daB A, der Geld von seinem
Schuldner B erhalt, es an seinen Glaubiger C fortzahlt usw. - und die Zeitlange zwischen
den verschiednen Zahlungsterminen. Die prozessierende Kette von Zahlungen oder
nachtraglichen ersten Metamorphosen unterscheidet sich wesentlich von der friiher
betrachteten Verschlingung der Metamorphosenreihen. Im Umlauf des Zirkulationsmittels
wird der Zusammenhang zwischen Verkaufern und Kaufern nicht nur ausgedriickt. Der
Zusammenhang selbst entsteht erst in und mit dem Geldumlauf. Dagegen driickt die
Bewegung des Zahlungsmittels einen schon vor ihr fertig vorhandnen gesellschaftlichen
Zusammenhang aus.
Gleichzeitigkeit und Nebeneinander der Verkaufe beschranken den Ersatz der
Munzmasse durch Umlaufsgeschwindigkeit. Sie bilden umgekehrt einen neuen Hebel in
der Okonomie der Zahlungsmittel. Mit der Konzentration der Zahlungen an demselben
Platz entwickeln sich naturwiichsig eigne Anstalten und Methoden ihrer Ausgleichung. So
z.B. die Virements im mittelaltrigen Lyon. Die Schuldforderungen von A an B, B an C, C
an A usw. brauchen bloB konfrontiert zu werden, um sich wechselseitig bis zu einem
gewissen Belauf als positive und negative GroBen aufzuheben. So bleibt nur eine
Schuldbilanz zu saldieren. Je massenhafter die Konzentration der Zahlungen, desto kleiner
relativ die Bilanz, also die Masse der zirkulierenden Zahlungsmittel.
Die Funktion des Geldes als Zahlungsmittel schlieBt einen unvermittelten Widerspruch
ein. Soweit sich die Zahlungen ausgleichen, funktioniert es nur ideell als Rechengeld oder
MaB der Werte. Soweit wirkliche Zahlung zu verrichten, tritt es nicht als
Zirkulationsmittel auf, als nur verschwindende und vermittelnde Form des Stoffwechsels,
sondern als die individuelle Inkarnation der gesellschaftlichen Arbeit, selbstandiges Dasein
des Tauschwerts, absolute Ware. Dieser Widerspruch eklatiert in dem Moment der
Produktions. und Handelskrisen, der Geldkrise heiBt. Sie ereignet sich nur, wo die
prozessierende Kette der Zahlungen und ein kunstliches System ihrer Ausgleichung vollig
entwickelt sind. Mit allgemeineren Storungen dieses Mechanismus, woher sie immer
entspringen mogen, schlagt das Geld plotzlich und unvermittelt um aus der nur ideellen
Gestalt des Rechengeldes in hartes Geld. Es wird unersetzlich durch profane Waren. Der
Gebrauchswert der Ware wird wertlos, und ihr Wert verschwindet vor seiner eignen
Wertform. Eben noch erklarte der Burger in prosperitatstrunknem Aufklarungsdiinkel das
Geld fur leeren Wahn. Nur die Ware ist Geld. Nur das Geld ist Ware! gellt's ietzt liber den
Weltmarkt. Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit seine Seele nach Geld,
dem einzigen Reichtum. In der Krise wird der Gegensatz zwischen der Ware und ihrer
Wertgestalt, dem Geld, bis zum absoluten Widerspruch gesteigert. Die Erscheinungsform
des Geldes ist hier daher auch gleichgiiltig. Die Geldhungersnot bleibt dieselbe, ob in Gold
oder Kreditgeld, Banknoten etwa, zu zahlen ist.
3.Wie solche Momente von den "amis du commerce" ["Freunden des Handels"] ausgebeutet werden:
»Bei einer Gelegenheit« (1839) »hob ein alter habsiichtiger Bankier« (der City) »in seinem
Privatzimmer den Deckel des Schreibtisches, an dem er safi, und breitete vor einem Freunde Biindel
von Banknoten aus; mit innigem Vergnugen sagte er, das seien 600.000 Pfd.St., die zuriickgehalten
worden waren, um das Geld knapp zu machen, und die alle in den Verkehr gebracht wiirden nach 3
Uhr desselben Tages.« ([H. Roy,] "The Theory of the Exchanges. The Bank Charter Act of 1844", Lond.
1864, p. 81.) Das halboffizielle Organ, 'The Observer', bemerkt am 24. April 1864: »Einige sehr
eigenartige Geriichte sind im Umlauf iiber die Mittel, die in der Absicht, eine Knappheit in Banknoten
herbeizufuhren, angewendet worden sind ... So fragwiirdig es auch scheinen mag anzunehmen, dafi
irgenwelche derartige Tricks angewendet werden konnten, so war die Nachricht daruber doch so weit
verbreitet, dafi man sie in der Tat erwahnen mufi. «
l.»Der Umfang der Verkaufe oder Vert rage, die wahrend eines bestimmten Tages
Betrachten wir nun die Gesamtsumme des in einem gegebnen Zeitabschnitt umlaufenden
Geldes, so ist sie, bei gegebner Umlaufgeschwindigkeit der Zirkulations- und
Zahlungsmittel, gleich der Summe der zu realisierenden Warenpreise plus der Summe der
falligen Zahlungen, minus der sich ausgleichenden Zahlungen, minus endlich der Anzahl
Umlaufe, worin dasselbe Geldstiick abwechselnd bald als Zirkulations-, bald als
Zahlungsmittel funktioniert. Z.B. der Bauer verkauft sein Getreide fur 2 Pfd.St., die so als
Zirkulationsmittel dienen. Am Verfalltag zahlt er damit Leinwand, die ihm der Weber
geliefert hat. Dieselben 2 Pfd.St. funktionieren jetzt als Zahlungsmittel. Der Weber kauft
nun eine Bibel gegen bar - sie funktionieren von neuem als Zirkulationsmittel - usw.
Selbst Preise, Geschwindigkeit des Geldumlaufs und Okonomie der Zahlungen gegeben,
decken sich daher nicht langer die wahrend einer Periode, eines Tags z.B., umlaufende
Geldmasse und zirkulierende Warenmasse. Es lauft Geld um, das der Zirkulation langst
entzogne Waren reprasentiert. Es laufen Waren um, deren Geldaquivalent erst in der
Zukunft erscheint. Andrerseits sind die jeden Tag kontrahierten und die denselben Tag
falligen Zahlungen durchaus inkommensurable GroBen.
Das Kreditgeld entspringt unmittelbar aus der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel,
indem Schuldzertifikate fur die verkauften Waren selbst wieder zur Ubertragung der
Schuldforderungen zirkulieren. Andrerseits, wie sich das Kreditwesen ausdehnt, so die
Funktion des Geldes als Zahlungsmittel. Als solches erhalt es eigne Existenzformen, worin
es die Sphare der groBen Handelstransaktionen behaust, wahrend die Gold- oder
169
Silbermunze hauptsachlich in die Sphare des Kleinhandels zuriickgedrangt wird.
abgeschlossen werden, beeinflufit nicht die Geldmenge, die an diesem Tage umlauft, aber in der
grofien Mehrzahl der Falle wird sie sich auflosen in mannigfaltiges Ziehen von Wechseln auf die
Geldmenge, die an spateren, mehr oder weniger fernen Tagen im Umlauf sein mag ... Die heute
gewahrten Wechsel oder eroffneten Kredite brauchen weder in der Zahl noch in der Hohe noch in der
Laufzeit irgendeine Ahnlichkeit zu haben mil denen, die auf morgen oder ubermorgen gewahrt oder
aufgenommen wurden; vielmehr decken sich viele der heutigen Wechsel und Kredite, wenn fallig, mit
einer Menge von Verbindlichkeiten, deren Ursprung sich Uber eine Reihe fruherer, vollig
unbestimmter Daten verteilt. Wechsel mit 12, 6, 3 oder 1 Monat Laufzeit treffen oft so zusammen, dafi
sie die an einem bestimmten Tage falligen Verbindlichkeiten besonders anwachsen lassen ... « ("The
Currency neory Reviewed; a letter to the Scotch people. By a Banker in England", Edinburgh 1845, p. 29,
30 passim.)
l.Als Beispiel, wie wenig reelles Geld in die eigentlichen Handelsoperationen eingeht, folgt hier
das Schema eines der groBten Londoner Handelshauser (Morrison, Dillon & Co.) uber seine jahrlichen
Geldeinnahmen und Zahlungen. Seine Transaktionen im Jahr 1856, die viele Millionen Pfd.st. umfassen,
sind auf den MaBstab einer Million verkiirzt.
2.Einahmen Pfd.st. Ausgaben Pfd.St.
Wechsel von Bankiers und Wechsel nach Datum zahlbar 302.674
Kaufleuten nach Datum Cheques auf Londoner
3.zahlbar 553.596 Bankiers 663.672
Cheques von Bankiers etc. bei Noten der Bank von England .... 22.743
Sicht zahlbar 357.715 Gold 9.427
Landbank-Noten 9.627 Silber und Kupfer 1.484
Noten der Bank von England. 68554
Gold 28.089
Silber und Kupfer 1.486
Post Offiee Orders [Postanweisungen] .. 933
4.
5. Totalsumme: 1.000.000 Totalsumme: 1.000.000
6. ("Report from the Select Committee on the Bankacts", July 1858, P. LXXI.)
l.»Der Charakter des Geschdftsverkehrs hat sich derartig gewandelt, dafi statt Tausch von
Giitern gegen Giiter oder statt Lieferung und Abnahme, jetzt Verkauf und Bezahlung stattfindet und
alle Geschafte . .. sich nunmehr als reine Geldgeschdfte darstellen.« ([D. Defoe,] "An Essay upon
Publick Credit", 3. ed„ Lond. 171 0, p.8.)
2.»Das Geld ist der Henker aller Dinge geworden.« Die Finanzkunst ist »die Retorte, in der eine
schreckenerregende Menge von Giitern und Waren verdampft warden ist, um diesen unheilvollen
Extrakt zu gewinnen« . »Das Geld erklart dem ganzen Menschengeschlecht den Krieg.« (Boisguillebert,
"Dissertation sur la nature des richesses, de l'argent et des tributs", edit. Daire, "Economistes financiers",
Paris 1843, t.I, p. 413, 419, 417, 418.)
3.3. und 4. Auflage: Goldrente
1 . »Pfingstmontag 1824«, erzahlt Herr Craig dem parlamentarischen Untersuchungskomitee von
1826, »war eine solche ungeheure Nachfrage fur Banknoten in Edinburgh, dafi wir um 11 Uhr keine
einzige Note mehr in unsrem Verwahrsam hatten. Wir sandten der Reihe nach zu den verschiednen
Banken, um welche zu borgen, konnten aber keine erhalten, und viele Transaktionen konnten nur
durch slips of paper [Zettel] berichtigt werden. Um 3 Uhr nachmittags jedoch Waren bereits siimtliche
Noten returniert zu den Banken, von denen sie ausliefen. Sie hatten nur die Hdnde gewechselt.«
Obgleich die effektive Durchschnittszirkulation der Banknoten in Schottland weniger als 3 Mill. Pfd.St.
betragt, wird dennoch, an verschiednen Zahlungsterminen im Jahr, jede im Besitz der Bankiers befindliche
Note, alles in allem ungefahr 7 Mill. Pfd.St., in Aktivitat gerufen. Bei diesen Gelegenheiten haben die
Noten eine einzige und spezifische Funktion zu vollziehen, und sobald sie vollzogen, flieBen sie zu den
respektiven Banken zuriick, von denen sie ausliefen. (John Fullarton, "Regulation of Currencies", 2nd. ed.
Lond. 1845, p. 86, Nte.) Zum Verstandnis ist hinzuzufugen, daB in Schottland zur Zeit von Fullartons Schrift
nicht cheques, sondern nur Noten fiir die Deposits ausgegeben wurden.
1.1. bis 4.Auflage: umgekehrtem
2.Auf die Frage, »ob, wenn die Notwendigkeit bestande. 40 Millionen im Jahre umzusetzen,
dieselben 6 Millionen« (Gold) »fiir die sich ergebenden Umlaufe und Kreislaufe geniigen wurden, die
der Handel erfordere?« antwortet Petty mit seiner gewohnten Meisterschaft: »Ich antworte ja: fiir den
Betrag von 40 Millionen wurden schon '52 von ^ Million ausreichen, wenn die Umlaufe so
kurzfristige, d.h. wochentliche waren, wie das unter armen Handwerkern und Arbeitern geschieht, die
jeden Sonnabend erhalten und zahlen; wenn jedoch die Termine vierteljahrlich sind, wie bei uns
iiblicherweise Pacht gezahlt und Steuern erhoben werden, dann benotigt man 10 Millionen. Wenn wir
also annehmen, dafi im allgemeinen die Zahlungen zu verschiedenen Terminen zwischen 1 und 13
Wochen erfolgen, mufi man 10 Millionen zu '52 a ddieren, wovon die Halfte ca. 5 V2 Millionen
betragt, so dafi also 5 V2 Millionen ausreichen wurden.« (William Petty, "Political Anatomy of Ireland.
1672", edit. Lond. 1691, p. 13, 14 [50])
l.Daher die Abgeschmacktheit jeder Gesetzgebung, die den Nationalbanken vorschreibt, nur das
edle Metall aufzuschatzen, das im Innern des Landes als Geld funktioniert. Die so selbstgeschaffnen
"holden Hndernisse" der Bank von England z.B. sind bekannt. Uber die groBen historischen Epochen des
relativen Wertwechsels von Gold und Silber sieh Karl Marx, I.e. p. 136sq. [Siehe MEW, Band 13, S. 131
f.] - Zusatz zur 2. Ausgabe: Sir Robert Peel suchte in seinem Bankact von 1844 dem MiBstand dadurch
abzuhelfen, daB er der Bank von England erlaubte, Noten auf Silberbullion auszugeben, so daB jedoch der
Bei gewissem Hohegrad und Umfang der Warenproduktion greift die Funktion des
Geldes als Zahlungsmittel iiber die Sphare der Warenzirkulation hinaus. Es wird die
170
allgemeine Ware der Kontrakte. Renten, Steuern usw. verwandeln sich aus
Naturallieferungen in Geldzahlungen. Wie sehr diese Umwandlung durch die
Gesamtgestalt des Produktionsprozesses bedingt wird, beweist z.B. der zweimal
gescheiterte Versuch des romischen Kaiserreichs, alle Abgaben in Geld zu erheben. Das
ungeheure Elend des franzosischen Landvolks unter Ludwig XIV., das Boisguillebert,
Marschall Vauban usw. so beredt denunzieren, war nicht nur der Steuerhohe geschuldet,
171
sondern auch der Verwandlung von Naturalsteuer in Geldsteuer. Wenn andrerseits die
Naturalform der Grundrente, in Asien zugleich das Hauptelement der Staatssteuer, dort
auf Pfoduktionsverhaltnissen beruht, welche sich mit der Unwandelbarkeit von
Naturverhaltnissen reproduzieren, erhalt jene Zahlungsform riickwirkend die alte
Produktionsform. Sie bildet eines der Selbsterhaltungsgeheimnisse des tiirkischen Reichs.
Zieht der durch Europa aufoktroyierte auswartige Handel in Japan die Verwandlung von
1 72
Naturalrente in Geldrente nach sich, so ist es um seine musterhafte Agrikultur
geschehn. Ihre engen okonomischen Existenzbedingungen werden sich auflosen.
In jedem Land setzen sich gewisse allgemeine Zahlungstermine fest. Sie beruhn teilweis,
von andren Zirkellaufen der Reproduktion abgesehn, auf den an Wechsel der Jahreszeit
gebundnen Naturbedingungen der Produktion. Sie regeln ebenso Zahlungen, die nicht
direkt der Warenzirkulation entspringen, wie Steuern, Renten usw. Die Geldmasse, die zu
diesen iiber die ganze Oberflache der Gesellschaft zersplitterten Zahlungen an gewissen
Tagen des Jahres erheischt ist, verursacht periodische, aber ganz oberflachliche
173
Perturbationen in der Okonomie der Zahlungsmittel.
Aus dem Gesetz iiber die Umlaufsgeschwindigkeit der Zahlungsmittel folgt, daB fur alle
periodischen Zahlungen, welches immer ihre Quelle, die notwendige Masse der
Zahlungsmittel in geradem Verhaltnis zur Lange der Zahlungsperioden steht.
Die Entwicklung des Geldes als Zahlungsmittel ernotigt Geldakkumulationen fur die
Verfalltermine der geschuldeten Summen. Wiihrend die Schatzbildung als selbstandige
Bereicherungsform verschwindet mit dem Fortschritt der biirgerlichen Gesellschaft,
wachst sie umgekehrt mit demselben in der Form von Reservefonds der Zahlungsmittel.
C) Weltgeld
Mit dem Austritt aus der innern Zirkulationssphare streift das Geld die dort
aufschieBenden Lokalformen von MaBstab der Preise, Miinze, Scheidemiinze und
Wertzeichen, wieder ab und fallt in die urspriingliche Barrenform der edlen Metalle
zuriick. Im Welthandel entfalten die Waren ihren Wert universell. Ihre selbstandige
Wertgestalt tritt ihnen daher hier auch gegeniiber als Weltgeld. Erst auf dem Weltmarkt
funktioniert das Geld in vollem Umfang als die Ware, deren Naturalform zugleich
unmittelbar gesellschaftliche Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit in abstracto
ist. Seine Daseinsweise wird seinem Begriff adaquat.
In der innern Zirkulationssphare kann nur eine Ware zum WertmaB und daher als Geld
dienen. Auf dem Weltmarkt herrscht doppeltes WertmaB, Gold und Silber.
Das Weltgeld funktioniert als allgemeines Zahlungsmittel, allgemeines Kaufmittel und
absolut gesellschaftliche Materiatur des Reichtums iiberhaupt (universal wealth). Die
Funktion als Zahlungsmittel, zur Ausgleichung internationaler Bilanzen, herrscht vor.
177
Daher das Losungswort des Merkantilsy stems - HandelsbUanz! Zum internationalen
l.Die Gegner des Merkantilsystems, welches die Saldierung uberschiissiger Handelsbilanz durch
Gold und Silber als Zweck des Welthandels behandelte, verkannten ihrerseits durchaus die Funktion des
Weltgeldes. Wie die falsche Auffassung der Gesetze, welche die Masse der Zirkulationsmittel regeln, sich
in der falschen Auffassung der internationalen Bewegung der edlen Metalle nur widerspiegelt, habe ich
ausfuhrlich an Ricardo nachgewiesen (I.e. p. 150sqq. [Siehe MEW, Band 13, S. 143fl.]). Sein falsches
Dogma: »Eine ungiinstige Handelsbilanz kann nie anders als durch eine Uberfiille von
Zirkulationsmitteln entstehen... Die Ausfuhr von Miinzen ist ihrer Billigkeit geschuldet, und ist nicht
die Folge, sondern die Ursache einer ungiinstigen Bilanz« * findet man daher schon bei Barbon: »Die
Handelsbilanz, wenn es eine solche gibt, ist nicht die Ursache dafiir, dafi das Geld aus einem Lande
ausgefiihrt wird. Die Ausfuhr ergibt sich vielmehr aus dem Wertunterschied der Edelmetalle in jedem
Land.« (N. Barbon, I.e. P. 59.) MacCulloch in "TheLiterature of Political Economy: a classified Catalogue",
Lond. 1845, belobt Barbon ftir diese Antizipation, vermeidet aber wohlweislich die naiven Formen, worin
bei B. die absurden Voraussetzungen des "currency principle" ["currency principle" - eine in der ersten
Halfte des 19. Jahrhunderts in England weit verbreitete Geldtheorie, die von der Quantitatstheorie des
Geldes ausging. Die Vertreter der Quantitatstheorie behaupten, daB die Preise der Waren durch die Menge
des in Umlauf befindlichen Geldes bestimmt wiirden. Die Vertreter des currency principle wollten die
Gesetze der Metallzirkulation nachahmen. Zur Currency (den Zirkulationsmitteln) rechneten sie auBer dem
Metallgeld auch die Banknoten. Sie glaubten einen stabilen Geldumlauf durch voile Golddeckung der
Banknoten zu erreichen; die Emission sollte entsprechend dem Edelmetallimport und -export reguliert
werden. Die Versuche der englischen Regierung (Bankgesetz von 1844), sich auf diese Theorie zu stiitzen,
hatten keinerlei Erfolg und bestatigten nur ihre wissenschaftliche Unhaltbarkeit und ihre vollige
Untauglichkeit ftir praktische Zwecke. (Siehe auch Band 13 unserer Ausgabe, S. 156-159.)] noch erscheinen,
auch nur zu erwahnen. Die Kritiklosigkeit und selbst Unehrlichkeit jenes Katalogs gipfeln in den
Abschnitten iiber die Geschichte der Geldtheorie, weil MacCulloch hier als Sykophant des Lord Overstone
(ex-banker Loyd), den er "facile princeps argentariorum" ["den anerkannten Konig der Geldleute"] nennt,
schwanzwedelt.
* Marx zitiert hier das Buch von D. Ricardo: "The high price of bullion a proof of the depreciation of
banknotes", 4. Ausg., London 1811.
3.Z.B. bei Subsidien, Geldanleihen zur Kriegfiihrung oder zur Wiederaufnahme der Barzahlungen
von Banken usw. kann Wert grade in der Geldform erheischt sein.
l.Note zur 2. Ausgabe: »Tatsachlich konnte ich mir keinen uberzeugenderen Beweis dafiir
wiinschen, dafi der Mechanismus der Schatzbildung in Landern mit Metallwahrung imstande ist, jede
notwendige Funktion bei Begleichung internationaler Verbindlichkeiten zu erfiillen, und zwar ohne
wahrnehmbare Unterstiitzung durch die allgemeine Zirkulation, als die Leichtigkeit, mit der
Frankreich, das erst im Begriffe war, sich von der Erschtitterung durch eine zerstorende feindliche
Invasion zu erholen, in einem Zeitraum von 27 Monaten die Zahlung der ihm auferlegten
Kriegsentschadigung von fast 20 Millionen an die verbiindeten Machte leistete, und zwar einen
betrachtlichen Teil dieser Summe in Metallgeld, ohne merkbare Einschrdnkung oder Storung des
inlandischen Geldumlaufs oder irgendwelche alarmierende Schwankungen seines Wechselkurses.«
(Fullarton, l.c.p.141.) (Zur 4. Auflage. - Ein noch schlagenderes Beispiel haben wir in der Leichtigkeit,
womit dasselbe Frankreich 1871-1873 in 30 Monaten eine mehr als zehnfach groBere
Kriegsentschadigung, ebenfalls zum bedeutenden Teil in Metallgeld, abzutragen imstande war. - F.E.)
2.Weltgeld
l.»Das Geld verteilt sich auf die Nationen nach ihren Bediirfnissen ... indem es immer durch die
Produkte angezogen wird.« (Le Trosne, I.e. p. 916.) »Die Minen, die fortwahrend Gold und Silber
lief em, sind ergiebig genug, um jeder Nation dieses notwendige Quantum zu liefern.« (J. Vanderlint,
Kaufmittel dienen Gold und Silber wesentlich, sooft das herkommliche Gleichgewicht des
Stoffwechsels zwischen verschiednen Nationen plotzlich gestort wird. Endlich als absolut
gesellschaftliche Materiatur des Reichtums, wo es sich weder um Kauf noch Zahlung
handelt, sondern um Ubertragung des Reichtums von einem Land zum andren, und wo
diese Ubertragung in Warenform entweder durch die Konjunkturen des Warenmarkts oder
— 1 78
den zu erfiillenden Zweck selbst ausgeschlossen wird.
Wie fur seine innere Zirkulation, braucht jedes Land fur die Weltmarktszirkulation einen
Reservefonds. Die Funktionen der Schatze entspringen also teils aus der Funktion des
Geldes als inneres Zirkulations- und Zahlungsmittel, teils aus seiner Funktion als
179
Weltgeld. In der letzteren Rolle ist stets die wirkliche Geldware, leibhaftes Gold und
Silber, erheischt, weswegen James Steuart Gold und Silber, im Unterschied von ihren nur
lokalen Stellvertretern, ausdriicklich als money of the world charakterisiert.
Die Bewegung des Gold- und Silberstroms ist eine doppelte. Einerseits walzt er sich von
seinen Quellen iiber den ganzen Weltmarkt, wo er von den verschiednen nationalen
Zirkulationsspharen in verschiednem Umfang abgefangen wird, um in ihre inneren
Umlaufskanale einzugehn, verschlissene Gold- und Silbermiinzen zu ersetzen, das
Material von Luxuswaren zu liefern und zu Schatzen zu erstarren. Diese erste
Bewegung ist vermittelt durch direkten Austausch der in Waren realisierten
Nationalarbeiten mit der in edlen Metallen realisierten Arbeit der Gold und Silber
produzierenden Lander. Andrerseits laufen Gold und Silber fortwahrend hin und her
zwischen den verschiednen nationalen Zirkulationsspharen, eine Bewegung, die den
1 82
unaufhorlichen Oszillationen des Wechselkurses folgt.
2.»Die Wechselkurse steigen und fallen in jeder Woche, sie steigen zu bestimmten Zeiten des
Jahres zuungunsten einer Nation in die Holie und erreichen zu anderen Zeiten die gleiche Holie zu
deren Vorteil.« (N. Barbon, I.e. p. 39.)
1. Diese verschiednen Funktionen konnen in gefahrlichen Konflikt geraten, sobald die Funktion
eines Konversionsfonds fiir Banknoten hinzutritt.
2.»Was an Geld mehr vorhanden ist, als fiir den inlandischen Handel unbedingt notwendig,
stellt totes Kapital dar, und bringt dem Lande, das es besitzt, keinen Gewinn, aufier wenn es selbst
exportiert bzw. importiert wird.« (John Bellers, "Essays etc." p. 13.) »Was aber, wenn wir nun zuviel
gemunztes Geld haben? Wir konnen dann das vollwichtigste einschmelzen und es zu prdchtigem
Tischgerat, zu GefafSen und Hausrat aus Gold und Silber umarbeiten; oder es als Ware dorthin
schicken, wo Bedarf und Nachfrage danach besteht, oder es dort auf Zins ausleihen, wo man einen
hohen Zinssatz zahlt.« (W Petty, "Quantulumcunque", p. 39.) »Geld ist nur das Fett des Staatskorpers,
weshalb zuviel davon ebenso seine Beweglichkeit behindert, wie zu wenig ihn krank macht ... wie Fett
die Bewegung der Muskeln geschmeidig macht, fehlende Nahrungsmittel ersetzt, Unebenheiten ausfullt
und den Korper verschont, so erleichtert das Geld die Bewegungen des Staates, bringt, wenn Teuerung
im Inlande, vom Auslande Lebensmittel herein, begleicht Schuldenrechnungen ... und verschont das
Ganze; allerdings«, ironisch abschlieBend, »ganz besonders die einzelnen Personen, die viel davon
haben. « (W .Petty, "Political anatomy of Ireland", p. 14, 15. [Marx zitiert hier Pettys Arbeit "Verbum
sapienti", die als Beilage in dem Werk "The political anatomy of Ireland" erschien.)
l.Der Gegensatz zwischen der auf personlichen Knechtschafts- und Herrschaftsverhaltnissen
beruhenden Macht des Grundeigentums und der unpersonlichen Macht des Geldes ist klar gefaBt in den
zwei franzosischen Sprichworten. »Nulle terre sans seigneur. « [»Kein Land ohne Grundherrn.«] »L'argent
n'apas de maitre.« [»Geld hat keinen Herrn.«]
l.»Mit Geld kauft man Waren, und mit Waren kauft man Geld.« (Mercier de la Riviere, "L'ordre
naturel et essentiel des societes politiques", p. 543.)
1. » Wenn ein Ding gekauft wird, um wieder verkauft zu werden, nennt man die hierzu
verwendete Summe vorgeschossenes Geld; wird es gekauft, um nicht wieder verkauft zu werden, so
kann man sie als verausgabt bezeichnen.« (James Steuart, "Works etc.", edited by General Sir James
Lander entwickelter burgerlicher Produktion beschranken die in Bankreservoirs
massenhaft konzentrierten Schatze auf das zu ihren spezifischen Funktionen erheischte
Minimum. Mit gewisser Ausnahme zeigt auffallendes UberfMen der Schatzreservoirs
iiber ihr Durchschnittsniveau Stockung der Warenzirkulation an oder unterbrochenen FluB
der Warenmetamorphose.
Zweiter Abschnitt
Die Verwandlung von Geld in Kapital
Viertes Kapitel
Verwandlung von Geld in Kapital
1. Die allgemeine Formel des Kapitals
Die Warenzirkulation ist der Ausgangspunkt des Kapitals. W arenproduktion und
entwickelte Warenzirkulation, Handel, bilden die historischen Voraussetzungen, unter
denen es entsteht. Welthandel und Weltmarkt eroffnen im 16. Jahrhundert die moderne
Lebensgeschichte des Kapitals.
Sehn wir ab vom stofflichen Inhalt der Warenzirkulation, vom Austausch der
verschiednen Gebrauchswerte, und betrachten wir nur die okonomischen Formen, die
dieser ProzeG erzeugt, so finden wir als sein letztes Produkt das Geld. Dies letzte Produkt
der W arenzirkulation ist die ersteErschei nungs form des Kapitals.
Historisch tritt das Kapital dem Grundeigentum iiberall zunachst in der Form von Geld
1 9tS
gegeniiber, als Geldvermogen, Kaufmannskapital und Wucherkapital. Jedoch bedarf es
nicht des Riickblicks auf die Entstehungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine
erste Erscheinungsform zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt taglich vor unsren Augen.
Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Biihne, d.h. den Markt, Warenmarkt,
Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das sich durch bestimmte
Prozesse in Kapital verwandeln soil.
Geld als Geld und Geld als Kapital unterscheiden sich zunachst nur durch ihre
verschiedne Zirkulationsform.
Die unmittelbare Form der Warenzirkulation ist W- G -W, Verwandlung von Ware in
Geld und Riickverwandlung von Geld in Ware, verkaufen, um zu kaufen. Neben dieser
Form finden wir aber eine zweite, spezifisch unterschiedne vor, die Form G - W - G,
Verwandlung von Geld in Ware und Riickverwandlung von Ware in Geld, kaufen, um zu
verkaufen. Geld, das in seiner Bewegung diese letztre Zirkulation beschreibt, verwandelt
sich in Kapital, wird Kapital und ist schon seiner Bestimmung nach Kapital.
Sehn wir uns die Zirkulation G - W - G naher an. Sie durchlauft, gleich der einfachen
Warenzirkulation, zwei entgegengesetzte Phasen. In der ersten Phase, G - W, Kauf, wird
das Geld in Ware verwandelt. In der zweiten Phase, W - G, Verkauf, wird die Ware in Geld
riickverwandelt. Die Einheit beider Phasen aber ist die Gesamtbewegung, welche Geld
gegen Ware und dieselbe Ware wieder gegen Geld austauscht, Ware kauft, um sie zu
verkaufen, oder wenn man die formellen Unterschiede von Kauf und Verkauf
vernachlassigt, mit dem Geld Ware und mit der Ware Geld kauft. Das Resultat, worin
der ganze ProzeB erlischt, ist Austausch von Geld gegen Geld, G - G. Wenn ich fur 100
Pfd.St. 2.000 Pfd. BaumwoUe kaufe und die 2.000 Pfd. BaumwoUe wieder fur 110
Pfd.St. verkaufe, so habe ich schlieBlich 100 Pfd.St. gegen 110 Pfd.St. ausgetauscht, Geld
gegen Geld.
Es ist nun zwar augenscheinlich, daB der ZirkulationsprozeB G - W - G abgeschmackt
und inhaltslos ware, wollte man vermittelst seines Umwegs denselben Geldwert gegen
denselben Geldwert, also z.B. 100 Pfd.St. gegen 100 Pfd.St. austauschen. Ungleich
einfacher und sichrer bliebe die Methode des Schatzbildners, der seine 100 Pfd.St. festhalt,
statt sie der Zirkulationsgefahr preiszugeben. Andrerseits, ob der Kaufmann die mit 100
Pfd.St. gekaufte BaumwoUe wieder verkauft zu 110 Pfd.St., oder ob er sie zu 100 Pfd.St.
und selbst zu 50 Pfd.St. losschlagen muB, unter alien Umstanden hat sein Geld eine
eigentiimliche und originelle Bewegung beschrieben, durchaus andrer Art als in der
einfachen Warenzirkulation, z.B. in der Hand des Bauern, der Korn verkauft und mit dem
so gelosten Geld Kleider kauft. Es gilt also zunachst die Charakteristik der
Formunterschiede zwischen den Kreislaufen G -W- G und W- G -W. Damit wird sich
zugleich der inhaltliche Unterschied ergeben, der hinter diesen Formunterschieden lauert.
Sehn wir zunachst, was beiden Formen gemeinsam.
Beide Kreislaufe zerfallen in dieselben zwei entgegengesetzten Phasen, W - G, Verkauf,
und G - W, Kauf. In jeder der beiden Phasen stehn sich dieselben zwei sachlichen Elemente
gegenuber, Ware und Geld - und zwei Personen in denselben okonomischen
Charaktermasken, ein Kaufer und ein Verkaufer. Jeder der beiden Kreislaufe ist die
Einheit derselben entgegengesetzten Phasen, und beidemal wird diese Einheit vermittelt
durch das Auftreten von drei Kontrahenten, wovon der eine nur verkauft, der andre nur
kauft, der dritte aber abwechselnd kauft und verkauft.
Was jedoch die beiden Kreislaufe W - G -W und G -W- G von vornherein scheidet, ist
die umgekehrte Reihenfolge derselben entgegengesetzten Zirkulationsphasen. Die einfache
Warenzirkulation beginnt mit dem Verkauf und endet mit dem Kauf, die Zirkulation des
Geldes als Kapital beginnt mit dem Kauf und endet mit dem Verkauf. Dort bildet die
Ware, hier das Geld den Ausgangspunkt und SchluBpunkt der Bewegung. In der ersten
Form vermittelt das Geld, in der andren umgekehrt die Ware den Gesamtverlauf.
In der Zirkulation W - G - W wird das Geld schlieBlich in Ware verwandelt, die als
Gebrauchswert dient. Das Geld ist also definitiv ausgegeben. In der umgekehrten Form G -
W- G gibt der Kaufer dagegen Geld aus, um als Verkaufer Geld einzunehmen. Er wirft
beim Kauf der Ware Geld in die Zirkulation, um es ihr wieder zu entziehn durch den
Verkauf derselben Ware. Er entlaBt das Geld nur mit der hinterlistigen Absicht, seiner
1 87
wieder habhaft zu werden. Es wird daher nur vorgeschossen.
In der Form W - G - W wechselt dasselbe Geldstiick zweimal die Stelle. Der Verkaufer
erhalt es vom Kaufer und zahlt es weg an einen andren Verkaufer. Der GesamtprozeB, der
mit der Einnahme von Geld fur Ware beginnt, schlieBt ab mit der Weggabe von Geld fur
Ware. Umgekehrt in der Form G - W - G. Nicht dasselbe Geldstiick wechselt hier zweimal
die Stelle, sondern dieselbe Ware. Der Kaufer erhalt sie aus der Hand des Verkaufers und
gibt sie weg in die Hand eines andren Kaufers. Wie in der einfachen Warenzirkulation der
zweimalige Stellenwechsel desselben Geldstiicks sein definitives Ubergehn aus einer Hand
in die andre bewirkt, so hier der zweimalige Stellenwechsel derselben Ware den RiickfluB
des Geldes zu seinem ersten Ausgangspunkt.
Der RiickfluB des Geldes zu seinem Ausgangspunkt hangt nicht davon ab, ob die Ware
teurer verkauft wird, als sie gekauft war. Dieser Umstand beeinfluBt nur die GroBe der
riickflieBenden Geldsumme. Das Phanomen des Riickflusses selbst findet statt, sobald die
gekaufte Ware wieder verkauft, also der Kreislauf G - W - G vollstandig beschrieben wird.
Es ist dies also ein sinnlich wahrnehmbarer Unterschied zwischen der Zirkulation des
Geldes als Kapital und seiner Zirkulation als bloBem Geld.
Der Kreislauf W - G - W ist vollstandig zuriickgelegt, sobald der Verkauf einer Ware
Geld bringt, welches der Kauf andrer Ware wieder entzieht. Erfolgt dennoch RiickfluB des
Geldes zu seinem Ausgangspunkt, so nur durch die Erneuerung oder Wiederholung des
ganzen Kursus. Wenn ich ein Quarter Korn verkaufe fur 3 Pfd.St. und mit diesen 3 Pfd.St.
Kleider kaufe, sind die 3 Pfd.St. fur mich definitiv verausgabt. Ich habe nichts mehr mit
ihnen zu schaffen. Sie sind des Kleiderhandlers. Verkaufe ich nun ein zweites Quarter
Korn, so flieBt Geld zu mir zuriick, aber nicht infolge der ersten Transaktion, sondern nur
infolge ihrer Wiederholung. Es entfernt sich wieder von mir, sobald ich die zweite
Transaktion zu Ende fiihre und von neuem kaufe. In der Zirkulation W - G - W hat also die
Verausgabung des Geldes nichts mit seinem RiickfluB zu schaffen. In G - W - G dagegen
ist der RiickfluB des Geldes durch die Art seiner Verausgabung selbst bedingt. Ohne diesen
RiickfluB ist die Operation miBgliickt oder der ProzeB unterbrochen und noch nicht fertig,
weil seine zweite Phase, der den Kauf erganzende und abschlieBende Verkauf, fehlt.
Der Kreislauf W - G - W geht aus von dem Extrem einer Ware und schlieBt ab mit dem
Extrem einer andren Ware, die aus der Zirkulation heraus und der Konsumtion
anheimfallt. Konsumtion, Befriedigung von Bediirfnissen, mit einem Wort,
Gebrauchswert ist daher sein Endzweck. Der Kreislauf G - W - G geht dagegen aus von
dem Extrem des Geldes und kehrt schlieBlich zuriick zu demselben Extrem. Sein
treibendes Motiv und bestimmender Zweck ist daher der Tauschwert selbst.
In der einfachen Warenzirkulation haben beide Extreme dieselbe okonomische Form.
Sie sind beide Ware. Sie sind auch Waren von derselben WertgroBe. Aber sie sind
qualitativ verschiedne Gebrauchswerte, z.B. Korn und Kleider. Der Produktenaustausch,
der Wechsel der verschiednen Stoffe, worin sich die gesellschaftliche Arbeit darstellt,
bildet hier den Inhalt der Bewegung. Anders in der Zirkulation G -W- G. Sie scheint auf
den ersten Blick inhaltslos, weil tautologisch. Beide Extreme haben dieselbe okonomische
Form. Sie sind beide Geld, also keine qualitativ unterschiedne Gebrauchswerte, denn Geld
ist eben die verwandelte Gestalt der Waren, worin ihre besondren Gebrauchswerte
ausgeloscht sind. Erst 100 Pfd.St. gegen Baumwolle und dann wieder dieselbe Baumwolle
gegen 100 Pfd.St. austauschen, also auf einem Umweg Geld gegen Geld, dasselbe gegen
1 88
dasselbe, scheint eine ebenso zwecklose als abgeschmackte Operation. Eine
l.»Man tauscht nicht Geld gegen Geld aus«, ruft Mercier de la Riviere den Merkantilisten zu.
(I.e. p. 486.) In einem Werke, welches ex professo vom "Handel" und der "Spekulation" handelt, liest man:
»Aller Handel besteht im Austausch von Dingen verschiednen Art; und der Vorteil« (fur den
Kaufmann?) »entspringt eben aus dieser Verschiedenheit. Ein Pfund Brot gegen ein Pfund Brot
austauschen ware ohne alien Vorteil ... daher der vorteilhafte Kontrast zwischen Handel und Spiel,
welches nur Austausch von Geld gegen Geld ist.« (Th. Corbet, "An Inquiry into the Causes and Modes of
the Wealth of Individuals; or the Principles of Trade and Speculation explained", London 1841, P. 5.)
Obgleich Corbet nicht sieht, daB G - G, Geld gegen Geld austauschen, die charakteristische
Zirkulationsform, nicht nur des Handelskapitals, sondern alles Kapitals ist, gibt er wenigstens zu, daB diese
Form einer Art des Handels, der Spekulation, mit dem Spiel gemein sei, aber dann kommt MacCulloch und
findet, daB Kaufen, um zu verkaufen, Spekulieren ist, und der Unterschied zwischen Spekulation und Handel
also wegfallt. »Jedes Geschdft, bei dem eine Person ein Erzeugnis kauft, um es wieder zu verkaufen, ist
tatsachlich eine Spekulation. « (MacCulloch, "A Dictionary, practical etc. of Commerce", London 1847, p.
1009.) Ungleich naiver Pinto, der Pindar der Amsterdamer Borse: »Der Handel ist ein Spiel« (dieser Satz
entlehnt aus Locke), »und an Bettlern kann man nichts gewinnen. Wenn man lange Zeit hindurch alien
alles abgenommen hatte, so mtifite man in giitlichem Ubereinkommen den grofiten Teil des Gewinns
wieder zuruckgeben, um das Spiel von neuem anzufangen.« (Pinto, "Traite de la Circulation et du
Credit", Amsterdam 1771, p.231.)
l.»Das Kapital teilt sich ... in das ursprungliche Kapital und den Gewinn, den Zuwachs des
Kapitals ... obwohl die Praxis selbst diesen Gewinn sogleich wieder zum Kapital schlagt und mit
diesem in Flufi setzt.« (F. Engels, "Umrisse zu einer Kritik der Nationalokonomie" in 'Deutsch-
Franzosische Jahrbiicher', herausgegeben von Arnold Ruge und Karl Marx, Paris 1844, p. 99. [Siehe MEW,
Band 1, S. 511])
2Aristoteles stellt der Chrematistik die Okonomik entgegen. Er geht von der Okonomik aus.
Soweit sie Erwerbskunst, beschrankt sie sich auf die Verschaffung der zum Leben notwendigen und fur das
Haus oder den Staat niitzlichen Giiter. »Der wahre Reichtum besteht aus solchen Gebrauchswerten; denn
das zum guten Leben genugende Mafi dieser Art von Besitz ist nicht unbegrenzt. Es gibt aber eine
zweite Erwerbskunst, die vorzugsweise und mit Recht Chrematistik heifit, infolgle deren keine Grenze
des Reichtums und Besitzes zu existieren scheint. Der Warenhandel (Altgriechisch heiBt wortlich
Kramhandel, und Aristoteles nimmt diese Form, weil in ihr der Gebrauchswert vorherrscht) »gehort von
Natur nicht zur Chrematistik, denn hier bezieht sich der Austausch nur auf das fur sie selbst (Kaufer
und Verkaufer) Notige.« Daher, entwickelt er weiter, war auch die ursprungliche Form des Warenhandels
der Tauschhandel, aber mit seiner Ausdehnung entstand notwendig das Geld. Mit der Erfindung des Geldes
muBte sich der Tauschhandel notwendig zum Warenhandel entwickeln, und dieser, im Widerspruch zu
seiner urspriinglichen Tendenz, bildete sich zur Chrematistik aus, zur Kunst, Geld zu machen. Die
Chrematistik nun unterscheidet sich von der Okonomik dadurch, daB »fiir sie die Zirkulation die Quelle
des Reichtums ist. Und um das Geld scheint sie sich zu drehen, denn das Geld ist der Anfang und das
Ende dieser Art von Austausch. Daher ist auch der Reichtum, wie ihn die Chrematistik anstrebt,
unbegrenzt. Wie namlich jede Kunst, der ihr Ziel nicht als Mittel, sondern als letzter Endzweck gilt,
unbegrenzt in ihrem Streben ist, denn sie sucht sich ihm stets mehr zu nahern, wdhrend die Ktinste, die
nur Mittel zum Zwecke verfolgen, nicht unbegrenzt sind, da der Zweck selbst ihnen die Grenze setzt, so
gibt es auch fiir diese Chrematistik keine Schranke ihres Ziels, sondern ihr Ziel ist absolute
Bereicherung. Die Okonomik, nicht die Chrematistik, hat eine Grenze... die erstere bezweckt ein vom
Gelde selbst Verschiednes, die andere seine Vermehrung... Die Verwechslung beider Formen, die
ineinander uberspielen, veranlafit einige, die Erhaltung und Vermehrung des Geldes ins Unendliche
als Endziel der Okonomik zubetrachten.« (Atistoteles, De Rep.", edit. Bekker, lib. 1, c.8 und 9 passim.)
l.»Waren« (hier im Sinn von Gebrauchswerten) »sind nicht der Endzweck des handeltreibenden
Kapitalisten ... sein Endzweck ist Geld.« (Th. Chalmers, "On Politic. Econ. etc.", 2nd edit., Glasgow 1832,
p. 165, 166.)
2.»Wenn der Kaufmann den bereits erzielten Gewinn auch nicht geringschatzt, so ist sein Blick
doch immer auf den zukiinftigen Gewinn gerichtet.« (A. Genovesi, "Lezioni di Economia Civile" (1765),
Geldsumme kann sich von der andren Geldsumme iiberhaupt nur durch ihre GroBe
unterscheiden. Der ProzeB G - W - G schuldet seinen Inhalt daher keinem qualitativen
Unterschied seiner Extreme, denn sie sind beide Geld, sondern nur ihrer quantitativen
Verschiedenheit. SchlieBlich wird der Zirkulation mehr Geld entzogen, als anfangs
hineingeworfen ward. Die zu 100 Pfd.St. gekaufte Baumwolle wird z.B. wieder verkauft
zu 100 +10 Pfd.St. oder 110 Pfd.st. Die vollstandige Form dieses Prozesses ist daher G -
W - G, wo G = G + A G, d.h. gleich der ursprunglich vorgeschossenen Geldsumme plus
einem Inkrement. Dieses Inkrement oder den UberschuB iiber den urspriinglichen Wert
nenne ich - Mehrwert (surplus value). Der ursprunglich vorgeschoBne Wert erhalt sich
daher nicht nur in der Zirkulation, sondern in ihr verandert er seine WertgroBe, setzt einen
Mehrwert zu oder verwertet sich. Und diese Bewegung verwandelt ihn in Kapital.
Es ist zwar auch moglich, daB in W - G -W die beiden Extreme W, W, z.B. Korn und
Kleider, quantitativ verschiedne WertgroBen sind. Der Bauer kann sein Korn iiber dem
Wert verkaufen oder die Kleider unter ihrem Wert kaufen. Er kann seinerseits vom
Kleiderhandler geprellt werden. Solche Wertverschiedenheit bleibt jedoch fur diese
Zirkulationsform selbst rein zufallig. Sinn und Verstand verliert sie nicht schier, wie der
ProzeB G -W- G, menn die beiden Extreme, Korn und Kleider z.B., Aquivalente sind. Ihr
Gleich wert ist hier vielmehr Bedingung des normalen Verlaufs.
Die Wiederholung oder Erneuerung des Verkaufs, um zu kaufen, findet, wie dieser
ProzeB selbst, MaB und Ziel an einem auBer ihm liegenden Endzwecke, der Konsumtion,
der Befriedigung bestimmter Bediirfnisse. Im Kauf fur den Verkauf dagegen sind Anfang
und Ende dasselbe, Geld, Tauschwert, und schon dadurch ist die Bewegung endlos.
Allerdings ist aus G, G + AG geworden, aus den 100 Pfd.St., 100 + 10. Aber bloB
qualitativ betrachtet, sind 110 Pfd.St. dasselbe wie 100 Pfd.St., namlich Geld. Und
quantitativ betrachtet, sind 110 Pfd.St. eine beschrankte Wertsumme wie 100 Pfd.St.
Wiirden die 110 Pfd.st. als Geld verausgabt, so fielen sie aus ihrer Rolle. Sie horten auf,
Kapital zu sein. Der Zirkulation entzogen, versteinern sie zum Schatz, und kein Farthing
wachst ihnen an, ob sie bis zum jiingsten Tage fortlagern. Handelt es sich also einmal um
Verwertung des Werts, so besteht dasselbe Bediirfnis fiir die Verwertung von 1 10 Pfd.St.
wie fiir die von 100 Pfd.St., da beide beschrankte Ausdriicke des Tauschwerts sind, beide
also denselben Beruf haben, sich dem Reichtum schlechthin durch GroBenausdehnung
anzunahern. Zwar unterscheidet sich fiir einen Augenblick der ursprunglich
vorgeschossene Wert 100 Pfd.st. von dem in der Zirkulation ihm zuwachsenden Mehrwert
von 10 Pfd.St., aber dieser Unterschied zerflieBt sofort wieder. Es kommt am Ende des
Prozesses nicht auf der einen Seite der Originalwert von 100 Pfd.st. und auf der andren
Seite der Mehrwert von 10 Pfd.St. heraus. Was herauskommt, ist ein Wert von 110
Pfd.St., der sich ganz in derselben entsprechenden Form befindet, um den
VerwertungsprozeB zu beginnen, wie die urspriinglichen 100 Pfd. St.Geld kommt am
189
Ende der Bewegung wieder als ihr Anfang heraus. Das Ende jedes einzelnen Kreislaufs,
worm sich der Kauf fur den Verkauf vollzieht, bildet daher von selbst den Anfang eines
neuen Kreislaufs. Die einfache Warenzirkulation - der Verkauf fur den Kauf - dient zum
Mittel fur einen auBerhalb der Zirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von
Gebrauchswerten, die Befriedigung von Bediirfnissen. Die Zirkulation des Geldes als
Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb
190
dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maBlos.
Als bewuBter Trager dieser Bewegung wird der Geldbesitzer Kapitalist. Seine Person,
oder vielmehr seine Tasche, ist der Ausgangspunkt und der Riickkehrpunkt des Geldes.
Der objektive Inhalt jener Zirkulation - die Verwertung des Werts - ist sein subjektiver
Zweck, und nur soweit wachsende Aneignung des abstrakten Reichtums das allein
treibende Motiv seiner Operationen, funktioniert er als Kapitalist oder personifiziertes, mit
Willen und BewuBtsein begabtes Kapital. Der Gebrauchswert ist also nie als unmittelbarer
191
Zweck des Kapitalisten zu behandeln . Auch nicht der einzelne Gewinn, sondern nur die
192
rastlose Bewegung des Gewinnens. Dieser absolute Bereicherungstrieb, diese
193
leidenschaftliche Jagd auf den Wert ist dem Kapitalisten mit dem Schatzbildner gemein,
3.»Die unausloschliche Leidenschaft fiir den Gewinn, die auri sacra famesi [der verfluchte
Hunger nach Gold] bestimmt stets den Kapitalisten. « (MacCulloch, "The Principles of Polit. Econ.",
London 1830, p. 179.) Diese Einsicht verhindert denselben MacCulloch und Konsorten natiirlich nicht, in
theoretischen Verlegenheiten, z.B. bei Behandlung der Uberproduktion, denselben Kapitalisten in einen
guten Burger zu verwandeln, dem es sich nur um den Gebrauchswert handelt und der sogar einen wahren
WerwolfsheiBhunger entwickelt fiir Stiefel, Hiite, Eier, Kattune und andere hochst familiare Sorten von
Gebrauchswert.
4."Retten" ist einer der charakteristischen Ausdriicke der Griechen fiir das Schatzbilden. Ebenso
bedeutet "to save" zugleich retten und sparen.
5.»Das Unendliche, das die Dinge im Fortschreiten nicht haben, haben sie im Kreislauf.« (Galiani,
[l.c.p.156].)
l.»Nicht der Staff bildet das Kapital, sondern der Wert dieser Stoffe.« (J.B.Say, "Traite d Econ.
Polit.", 3eme ed„ Paris 1817, t.II, p.429.)
2.»Das Zirkulationsmittel (!), das zu produktiven Zwecken verwendet wird, ist Kapital. «
(Macleod" ,The Theory and Practice of Banking", London 1855, v.l, c.l, P. 55.) »Kapital ist gleich
Waren.« (James Mill, "Elements of Pol. Econ. ", Lond. 1821, p.74.)
l.»Kapital ... permanenter sich vervielfaltigender Wert.« (Sismondi, "Nouveaux Principes
d'Econ. Polit.", t.I, p.89.)
l.»L'echange est une transaction admirable [wunderbare Transaktion] dans laquelle les deux
contractants gagnent - toujours [immerfort] (!).« (Destutt de Tracy, "Traite de la Volonte et de ses effets"
Paris 1826, p. 68.) Dasselbe Buch erschien auch als "Traite d'Ec. Pol."
l.Mercier de la Riviere, I.e. p. 544.
l.»Ob einer dieser beiden Werte Geld ist oder beide gewohnliche Waren sind, nichts kann an
sich gleichgultiger sein.« (Mercier de la Riviere, I.e. p. 543.)
2.»Uber den Wert entscheiden nicht die Vertragspartner; er steht schon vor der Ubereinkunft
fest.« (LeTrosne, I.e. p. 906.)
l.»Dove e egualita non e lucro.« (Galiani: "Delia Moneta", in Custodi, Parte Moderna, t. IV,
p.244.)
2.»Der Austausch wird fiir eine der beiden Parteien ungiinstig, wenn irgendein fremder
aber wahrend der Schatzbildner nur der verriickte Kapitalist, ist der Kapitalist der
rationelle Schatzbildner. Die rastlose Vermehrung des Werts, die der Schatzbildner
194
anstrebt, indem er das Geld vor der Zirkulation zu retten sucht , erreicht der kliigere
195
Kapitalist, indem er es stets von neuem der Zirkulation preisgibt.
Die selbstandigen Formen, die Geldformen, weiche der Wert der Waren in der einfachen
Zirkulation annimmt, vermitteln nur den Warenaustausch und verschwinden im
Endresultat der Bewegung. In der Zirkulation G - W - G funktionieren dagegen beide,
Ware und Geld, nur als verschiedne Existenzweisen des Werts selbst, das Geld seine
196
allgemeine, die Ware seine besondre, sozusagen nur verkleidete Existenzweise. Er geht
bestandig aus der einen Form in die andre iiber, ohne sich in dieser Bewegung zu verlieren,
und verwandelt sich so in ein automatisches Subjekt. Fixiert man die besondren
Erscheinungsformen, weiche der sich verwertende Wert im Kreislauf seines Lebens
abwechselnd annimmt, so erhalt man die Erklarungen: Kapital ist Geld, Kapital ist
1 97
Ware. In der Tat aber wird der Wert hier das Subiekt eines Prozesses, worin er unter
dem bestandigen Wechsel der Formen von Geld und Ware seine GroBe selbst verandert,
sich als Mehrwert von sich selbst als ursprunglichem Wert abstoBt, sich selbst verwertet.
Denn die Bewegung, worin er Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine
Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualitat erhalten, Wert zu setzen,
weil er Wert ist. Er wirft lebendige junge oder legt wenigstens goldne Eier.
Als das iibergreifende Subjekt eines solchen Prozesses, worin er Geldform und
Warenform bald annimmt, bald abstreift, sich aber in diesem Wechsel erhalt und ausreckt,
bedarf der Wert vor allem einer selbstandigen Form, wodurch seine Identitat mit sich
selbst konstatiert wird. Und diese Form besitzt er nur im Gelde. Dies bildet daher
Ausgangspunkt und SchluBpunkt jedes Verwertungsprozesses. Er war 100 Pfd.st., er ist
jetzt 1 10 Pfd.St. usw. Aber das Geld selbst gilt hier nur als eine Form des Werts, denn er
hat deren zwei. Ohne die Annahme der Warenform wird das Geld nicht Kapital. Das Geld
tritt hier also nicht polemisch gegen die Ware auf, wie in der Schatzbildung. Der Kapitalist
weiB, daB alle Waren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen,
im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittne Juden sind und zudem
wundertatige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen.
Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenuber
hochstens die selbstandige Form des Geldes erhalt, so stellt er sich hier plotzlich dar als
eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, fur weiche Ware und Geld beide
bloBe Formen. Aber noch mehr. Statt Warenverhaltnisse darzustellen, tritt er jetzt
sozusagen in ein Privatverhaltnis zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprunglicher
Wert von sich selbst als Mehrwert, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide
sind vom selben Alter und bilden in der Tat nur eine Person, denn nur durch den Mehrwert
von 10 Pfd.St. werden die vorgeschossenen 100 Pfd.St. Kapital, und sobald sie dies
geworden, sobald der Sohn und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr
Unterschied wieder und sind beide Eins, 101 Pfd.St.
Der Wert wird also prozessierender Wert, prozessierendes Geld und als solches Kapital.
Er kommt aus der Zirkulation her, geht wieder in sie ein, erhalt und vervielfaltigt sich in
ihr, kehrt vergroBert aus ihr zuriick und beginnt denselben Kreislauf stets wieder von
1 98
neuem. G - G, geldheckendes Geld - money which begets money - lautet die
Beschreibung des Kapitals im Munde seiner ersten Dolmetscher, der Merkantilisten.
Kaufen, um zu verkaufen, oder vollstandiger, kaufen, um teurer zu verkaufen, G - W -
G', scheint zwar nur einer Art des Kapitals, dem Kaufmannskapital, eigentiimliche Form.
Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich in Ware verwandelt und durch den
Verkauf der Ware in mehr Geld riickverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und
dem Verkaufe, auBerhalb der Zirkulationssphare, vorgehn, andern nichts an dieser Form
der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Zirkulation G - W - G
abgekiirzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermittlung, sozusagen im Lapidarstil, als G -
G, Geld, das gleich mehr Geld, Wert, der groBer als er selbst ist.
In der Tat also ist G - W - G die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in
der Zirkulationssphare erscheint.
2. Widerspruche der allgemeinen Formel
Die Zirkulationsform, worin sich das Geld zum Kapital entpuppt, widerspricht alien
friiher entwickelten Gesetzen iiber die Natur der Ware, des Werts, des Geldes und der
Zirkulation selbst. Was sie von der einfachen Warenzirkulation unterscheidet, ist die
umgekehrte Reihenfolge derselben zwei entgegengesetzten Prozesse, Verkauf und Kauf.
Und wie sollte solcher rein formelle Unterschied die Natur dieser Prozesse umzaubern?
Noch mehr. Diese Umkehrung existiert nur fur einen der drei Geschaftsfreunde, die
miteinander handeln. Als Kapitalist kaufe ich Ware von A und verkaufe sie wieder an B,
wahrend ich als einfacher Warenbesitzer Ware an B verkaufe und dann Ware von A kaufe.
Fur die Geschaftsfreunde A und B existiert dieser Unterschied nicht. Sie treten nur als
Kaufer oder Verkaufer von Waren auf. Ich selbst stehe ihnen jedesmal gegenuber als
einfacher Geldbesitzer oder Warenbesitzer, Kaufer oder Verkaufer, und zwar trete ich in
beiden Reihenfolgen der einen Person nur als Kaufer und der andren nur als Verkaufer
gegenuber, der einen als nur Geld, der andren als nur Ware, keiner von beiden als Kapital
oder Kapitalist oder Reprasentant von irgend etwas, das mehr als Geld oder Ware ware
oder eine andre Wirkung auBer der des Geldes oder der Ware ausiiben konnte. Fur mich
bilden Kauf von A und Verkauf an B eine Reihenfolge. Aber der Zusamrnenhang zwischen
diesen beiden Akten existiert nur fur mich. A schert sich nicht um meine Transaktion mit
B, und B nicht um meine Transaktion mit A. Wollte ich ihnen etwa das besondre Verdienst
klarmachen, das ich mir durch die Umkehrung der Reihenfolge erwerbe, so wiirden sie mir
beweisen, daB ich mich in der Reihenfolge selbst irre und daB die Gesamttransaktion nicht
mit einen Kauf begann und einem Verkauf endete, sondern umgekehrt mit einem Verkauf
begann und mit einem Kauf abschloB. In der Tat, nein erster Akt, der Kauf, war von A's
Standpunkt ein Verkauf, und mein zweiter Akt, der Verkauf, war von B's Standpunkt ein
Kauf. Nicht zufrieden damit, werden A und B erklaren, daB die ganze Reihenfolge
iiberfliissig und Hokuspokus war. A wird die Ware direkt an B verkaufen und B sie direkt
von A kaufen. Damit verschrumpft die ganze Transaktion in einen einseitigen Akt der
gewohnlichen Warenzirkulation, vom Standpunkt A's bloBer Verkauf und vorn Standpunkt
B's bloBer Kauf. Wir sind also durch die Umkehrung der Reihenfolge nicht iiber die
Sphare der einfachen Warenzirkulation hinausgekommen und miissen vielmehr zusehn, ob
sie ihrer Natur nach Verwertung der in sie eingehenden Werte und daher Bildung von
Mehrwert gestattet.
Nehmen wir den ZirkulationsprozeB in einer Fonn, worin er sich als bloBer
Warenaustausch darstellt. Dies ist stets der Fall, wenn beide Warenbesitzer Waren
voneinander kaufen und die Bilanz ihrer wechselseitigen Geldforderungen sich am
Zahlungstag ausgleicht. Das Geld dient hier als Rechengeld, um die Werte der Waren in
ihren Preisen auszudriicken, tritt aber nicht den Waren selbst dinglich gegenuber. Soweit
es sich um den Gebrauchswert handelt, ist es klar, daB beide Austauscher gewinnen
konnen. Beide verauBern Waren, die ihnen als Gebrauchswert nutzlos, und erhalten Waren,
deren sie zum Gebrauch bedurfen. Und dieser Nutzen mag nicht der einzige sein. A, der
Wein verkauft und Getreide kauft, produziert vielleicht mehr Wein, als Getreidebauer B in
derselben Arbeitszeit produzieren konnte, und Getreidebauer B in derselben Arbeitszeit
mehr Getreide, als Weinbauer A produzieren konnte. A erhalt also fur denselben
Tauschwert mehr Getreide und B mehr Wein, als wenn jeder von den beiden, ohne
Austausch, Wein und Getreide fur sich selbst produzieren muBte. Mit Bezug auf den
Gebrauchswert also kann gesagt werden, daB »der Austausch eine Transaktion ist, worin
199
beide Seiten gewinnen« . Anders mit dem Tauschwert.
»Ein Mann, der viel Wein und kein Getreide besitzt, handelt mit einem Mann, der viel
Getreide und keinen Wein besitzt, und zwischen ihnen wird ausgetauscht Weizen zum
Wert von 50 gegen einen Wert von 50 in Wein. Dieser Austausch ist keine Vermehrung
des Tauschwerts weder fur den einen noch fur den andren; denn bereits vor dem
Austausch besafi jeder von ihnen einen Wert gleich dem, den er sich vermittelst dieser
Operation verschafft hat.«
Es andert nichts an der Sache, wenn das Geld als Zirkulationsmittel zwischen die Waren
20 1
tritt und die Akte des Kaufs und Verkaufs sinnlich auseinanderfallen. Der Wert der
Waren ist in ihren Preisen dargestellt, bevor sie in die Zifkulation treten, also
202
Voraussetzung und nicht Resultat derselben.
Abstrakt betrachtet, d.h. abgesehn von Umstanden, die nicht aus den immanenten
Gesetzen der einfachen Warenzirkulation hervorflieBen, geht auBer dem Ersatz eines
Gebrauch swerts durch einen andren nichts in ihr vor als eine Metamorphose, ein bloBer
Formwechsel der Ware. Derselbe Wert, d.h. dasselbe Quantum vergegenstandlichter
gesellschaftlicher Arbeit, bleibt in der Hand desselben Warenbesitzers in Gestalt erst seiner
Ware, dann des Geldes, worin sie sich verwandelt, endlich der Ware, worin sich dies Geld
ruckverwandelt. Dieser Formwechsel schlieBt keine Anderung der WertgroBe ein. Der
Wechsel aber, den der Wert der Ware selbst in diesem ProzeB durchlauft, beschrankt sich
auf einen Wechsel seiner Geldform. Sie existiert erst als Preis der zum Verkauf
angebotenen Ware, dann als eine Geldsumme, die aber schon im Preise ausgedrtickt war,
endlich als der Preis einer aquivalenten Ware. Dieser Formwechsel schlieBt an und fur sich
ebensowenig eine Anderung der WertgroBe ein wie das Auswechseln einer Funfpfundnote
gegen Sovereigns, halbe Sovereigns und Schillinge.
Sofern also die Zirkulation der Ware nur einen Fonnwechsel ihres Werts bedingt,
bedingt sie, wenn das Phanonen rein vorgeht, Austausch von Aquivalenten. Die
Vulgarokonomie selbst, so wenig sie ahnt, was der Wert ist, unterstellt daher, sooft sie in
ihrer Art das Phanomen rein betrachten will, daB Nachfrage und Zufuhr sich decken, d.h -,
daB ihre Wirkung iiberhaupt aufhort. Wenn also mit Bezug auf den Gebrauchswert beide
Austauscher gewinnen konnen, konnen sie nicht beide gewinnen an Tauschwert. Hier heiBt
203
es vielmehr: »Wo Gleichheit ist, ist kein Gewinn.« Waren konnen zwar zu Preisen
verkauft werden, die von ihren Werten abweichen, aber diese Abweichung erscheint als
204
Verletzung des Gesetzes des Warenaustausches. In seiner reinen Gestalt ist er ein
205
Austausch von Aquivalenten, also kein Mittel, sich an Wert zu bereichern.
3.»Der Austausch ist seiner Natur nach ein Vertrag, der auf Gleichheit aufbaut, d.h. zwischen
zwei gleichen Werten zustande kommt. Er ist also kein Mittel, sich zu bereichern, da man ebensoviel
gibt wie empfdngt.« (Le Trosne, I.e. p. 903, 904.)
l.Condillac, "Le Commerce et le Gouvernement" (1776), Edit. Daire et Molinari in den "Melanges
d'Economie Politique", Paris 1847, p. 267, 291.
l.Le Trosne antwortet daher seinem Freunde Condillac sehr richtig: »In der entwickelten
Gesellschaft gibt es iiberhaupt nichts Uberfliissiges.« Zugleich neckt er ihn mit der Glosse, daB, »wenn
beide Austauscher gleich viel mehr fiir gleich viel weniger erhalten, sie beide gleich viel erhalten«.
Weil Condillac noch nicht die geringste Ahnung von der Natur des Tauschwerts besitzt, ist er der passende
Gewahrsmann des Herrn Prof. Wilhelm Roscher fur seine eignen Kinderbegriffe. Sieh dessen: "Die
Grundlagen der Nationalokonomie", Dritte Auflage, 1858.
l.S.P. Newman, "Elements of Polit. Econ.", Andover and New York 1835. p. 175.
l.»Durch die Heraufsetzung des nominellen Werts des Produkts ... werden die Verkdufer nicht
reicher ... da sie genau das, was sie als Verkdufer gewinnen, in ihrer Eigenschaft als Kdufer wieder
ausgeben.« ([J. Gray ] "The Essential Principles of the Wealth of Nations etc.", London 1797, P. 66.)
l.»Wenn man fiir 18 Livres eine Menge eines bestimmten Erzeugnisses verkaufen mufi, die 24
Livres wert ist, wird man, wenn man die gleiche Geldsumme zum Kauf verwendet, fiir 18 Livres
ebenfalls so viel wie fiir 24 Livres erhalten.« (Le Trosne, I.e. p. 897.)
l.»Kein Verkdufer kann daher gewohnlich seine Waren im Preis heraufsetzen,
ohne ebenso die Waren der anderen Verkdufer teurer bezahlen zu miissen; und aus
dem gleichen Grunde kann kein Verbraucher gewohnlich billiger einkaufen, ohne
ebenso die Waren, die er verkauft, im Preise herabsetzen zu miissen.« (Mercier de la
Riviere, I.e. p. 555.)
l.R.Torrens, "An Essay on the Production of Wealth", London 182 1, p. 349.
l.»Der Gedanke, dafi die Profile von den Konsumenten gezahlt werden, ist sicher vdllig
absurd. Wer sind die Konsumenten?« (G. Ramsay, "An Essay on the Distribution of Wealth", Edinburgh
1836, p. 183.)
l.»Wenn es jemand an Nachfrage mangelt, rat ihm dann Herr Malthus, eine andre Person zu
bezahlen, damit diese Ihm seine Waren abnehme? '« fragt ein entriisteter Ricardianer den Malthus, der wie
sein Schiiler, der Pfaffe Chalmers, die Klasse von bloBen Kaufern oder Konsumenten okonomisch
verherrlicht. Sieh: »An Inquiry into those principles, respecting the Nature of Demand and the Necessity
of Consumption, lately advocated by Mr. Malthus etc.«, London 1821, p. 55.
l.Destutt de Tracy, obgleich - vielleicht weil - Membre de l'lnstitut*, war umgekehrter Ansicht. Die
Hinter den Versuchen, die Warenzirkulation als Quelle von Mehrwert darzustellen,
lauert daher meist ein Quidproquo, eine Verwechslung von Gebrauchswert und
Tauschwert. So z.B. bei Condillac:
»Es ist falsch, dafi man im Warenaustausch gleichen Wert gegen gleichen Wert
austauscht. Umgekehrt. Jeder der beiden Kontrahenten gibt immer einen kleineren fur
einen grofieren Wert ... Tauschte man in der Tat immer gleiche Werte aus, so ware
kein Gewinn zu machenfiir irgendeinen Kontrahenten. Aber alle beide gewinnen oder
sollten doch gewinnen. Warum? Der Wert der Dinge besteht blofi in ihrer Beziehung
auf unsre Bediirfnisse. Was fur den einen mehr, ist fiir den andren weniger, und
umgekehrt ... Man setzt nicht voraus, dafi wir fiir unsre Konsumtion unentbehrliche
Dinge zum Verkauf ausbieten ... Wir wollen eine uns nutzlose Sache weggeben, um
eine uns notwendige zu erhalten; wir wollen weniger fiir mehr geben ... Es war
natiirlich, zu urteilen, dafi man im Austausch gleichen Wert fiir gleichen Wert gebe,
sooft jedes der ausgetauschten Dinge an Wert demselben Quantum Geld gleich war ...
Aber eine andre Betrachtung mufi noch in die Rechnung eingehn; esfragt sich, ob wir
beide einen Uberflufi gegen etwas Notwendiges austauschen.«
Man sieht, wie CondlUac nicht nur Gebrauchswert und Tauschwert durcheinanderwirft,
sondern wahrhaft kindlich einer Gesellschaft mit entwickelten Warenproduktion einen
Zustand unterschiebt, worm der Produzent seine Subsistenzmittel selbst produziert und
207
nur den UberschuB iiber den eignen Bedarf, den UberfluB, in die Zirkulation wirft.
Dennoch wird CondiHacs Argument haufig bei modernen Okonomen wiederholt,
namentlich wenn es gilt, die entwickelte Gestalt des Warenaustausches, den Handel, als
produktiv von Mehrwert darzustellen.
»Der Handel« heiBt es z.B. »fugt den Produkten Wert zu, denn dieselben Produkte
haben mehr Wert in den Handen des Konsumenten als in den Handen des
Produzenten, und er mufi daher wortlich (strictly) als Produktionsakt betrachtet
, 208
werden.«
Aber man zahlt die Waren nicht doppelt, das eine Mai ihren Gebrauchswert und das
andre Mai ihren Wert. Und wenn der Gebrauchswert der Ware dem Kaufer niitzlicher als
dem Verkaufer, ist ihre Geldform dem Verkaufer niitzlicher als dem Kaufer. Wiirde er sie
sonst verkaufen? Und so konnte ebensowohl gesagt werden, daB der Kaufer wortlich
(strictly) einen "Produktionsakt" vollbringt, indem er z.B. die Strumpfe des Kaufmanns in
Geld verwandelt.
Werden Waren oder Waren und Geld von gleichem Tauschwert, also Aquivalente
ausgetauscht, so zieht offenbar keiner mehr Wert aus der Zirkulation heraus, als er in sie
hineinwirft. Es findet dann keine Bildung von Mehrwert statt. In seiner reinen Form aber
bedingt der ZirkulationsprozeB der Waren Austausch von Aquivalenten. Jedoch gehn die
Dinge in der Wirklichkeit nicht rein zu. Unterstellen wir daher Austausch von Nicht-
Aquivalenten.
Jedenfalls steht auf dem Warenmarkt nur Warenbesitzer dem Warenbesitzer gegeniiber,
und die Macht, die diese Personen iiber einander ausiiben, ist nur die Macht ihrer Waren.
Die stoffliche Verschiedenheit der die Warenbesitzer wechselseitig voneinander abhangig,
indem keiner von ihnen den Gegenstand seines eignen Bediirfnisses und jeder von ihnen
den Gegenstand des Bediirfnisses des andren in seiner Hand halt. AuBer dieser stofflichen
Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerte besteht nur noch ein Unterschied unter den Waren,
der Unterschied zwischen ihrer Naturalform und ihrer verwandelten Form, zwischen Ware
und Geld. Und so unterscheiden sich die Warenbesitzer nur als Verkaufer, Besitzer von
Ware, und als Kaufer, Besitzer von Geld.
Gesetzt nun, es sei durch irgendein unerklarliches Privilegium dem Verkauf er gegeben,
die Ware iiber ihrem Werte zu verkaufen, zu 1 10, wenn sie 100 wert ist, also mit einem
nominellen Preisaufschlage von 10%. Der Verkaufer kassiert also einen Mehrwert von 10
ein. Aber nachdem er Verkaufer war, wird er Kaufer. Ein dritter Warenbesitzer begegnet
ihm jetzt als Verkaufer und genieBt seinerseits das Privilegium, die Ware 10% zu teuer zu
209
verkaufen. Unser Mann hat als Verkaufer 10 gewonnen, um als Kaufer 10 zu verlieren.
Das Ganze kommt in der Tat darauf hinaus, daB alle Warenbesitzer ihre Waren einander
10% iiber dem Wert verkaufen, was durchaus dasselbe ist, als ob sie die Waren zu ihren
Werten verkauften. Ein solcher allgemeiner nomineller Preisaufschlag der Waren bringt
dieselbe Wirkung hervor, als ob die Warenwerte z.B. in Silber statt in Golf geschatzt
wiirden. Die Geldnamen, d.h. die Preise der Waren wiirden anschwellen, aber ihre
Wertverhaltnisse unverandert bleiben.
Unterstellen wir umgekehrt, es sei das Privilegium des Kaufers, die Waren unter ihrem
Wert zu kaufen. Hier ist es nicht einmal notig zu erinnern, daB der Kaufer wieder
Verkaufer wird. Er war Verkaufer, bevor er Kaufer ward. Er hat bereits 10% als
210
Verkaufer verloren, bevor er 10% als Kaufer gewinnt. Alles bleibt wieder beim alten.
Die Bildung von Mehrwert und daher die Verwandlung von Geld in Kapital, kann also
weder dadurch erklart werden, daB die Verkaufer die Waren liber ihrem Werte verkaufen,
211
noch dadurch, daB die Kaufer sie unter ihrem Werte kaufen.
Das Problem wird in keiner Weise dadurch vereinfacht, daB man fremde Beziehungen
einschmuggelt, also etwa mit Oberst Torrens sagt:
"Die effektive Nachfrage besteht in clem Vermogen und der Neigung (!) der
Konsumenten, sei es durch unmittelbaren oder vermittelten Austausch, fur Waren eine
gewisse grofiere Portion von alien Ingredienzien des Kapitals zu geben, als ihre
212
Produktion kostet.«
In der Zirkulation stehn sich Produzenten und Konsumenten nur als Verkaufer und
Kaufer gegenuber. Behaupten, der Mehrwert fur den Procluzenten entspringe daraus, daB
die Konsumenten die Ware liber den Wert zahlen, heiBt nur den einfachen Satz maskieren:
Der Warenbesitzer besitzt als Verkaufer das Privilegium, zu teuer zu verkaufen. Der
Verkaufer hat die Ware selbst produziert oder vertritt ihren Produzenten, aber der Kaufer
hat nicht minder die in seinem Gelde dargestellte Ware selbst produziert oder vertritt ihren
Produzenten. Es steht also Produzent dem Produzenten gegenuber. Was sie unterscheidet,
ist, daB der eine kauft und der andre verkauft. Es bringt uns keinen Schritt weiter, daB der
Warenbesitzer unter dem Namen Produzent die Ware liber ihrem Werte verkauft und unter
213
dem Namen Konsument sie zu teuer zahlt.
Die konsequenten Vertreter der Illusion, daB der Mehrwert aus einem nominellen
Pireiszuschlag entspringt oder aus dem Privilegium des Verkaufers, die Ware zu teuer zu
verkaufen, unterstellen daher eine Klasse, die nur kauft, ohne zu verkaufen, also auch nur
konsumiert ohne zu produzieren. Die Existenz einer solchen Klasse ist von unsrem bisher
erreichten Standpunkt, dem der einfachen zirkulation, noch unerklarlich. Aber greifen wir
vor. Das Geld, womit eine solche Klasse bestandig kauft, muB ihr bestandig, ohne
Austausch, umsonst, auf beliebige Rechts- und Gewaltstitel hin, von den Warenbesitzern
selbst zuflieBen. Dieser Klasse die Waren liber dem Wert verkaufen, heiBt nur, umsonst
weggegebenes Geld sich zum Teil wieder zuriickschwindeln. So zahlten die
kleinasiatischen Stadte jahrlichen Geldtribut an das alte Rom. Mit diesem Geld kaufte
Rom Waren von ihnen und kaufte sie zu teuer. Die Kleinasiaten prellten die Romer, indem
sie den Eroberern einen Teil des Tributs wieder abluchsten auf dem Wege des Handels.
Aber dennoch blieben die Kleinasiaten die Geprellten. Ihre Waren wurden ihnen nach wie
vor mit ihrem eignen Gelde gezahlt. Es ist dies keine Methode der Bereicherung oder der
Bildung von Mehrwert.
Halten wir uns also innerhalb der Schranken des Warenaus tausches, wo Verkaufer
Kaufer und Kaufer Verkaufer sind. Unsre Verlegenheit stammt vielleicht daher, daB wir
die Personen nur als personifizierte Kategorien, nicht individuell, gefaBt haben.
Warenbesitzer A mag so pfiffig sein, seine Kollegen B oder C iibers Ohr zu hauen,
wahrend sie trotz des besten WiUens die Revanche schuldig bleiben. A verkauft Wein zum
Wert von 40 Pfd.St. an B und erwirbt im Austausch Getreide zum Wert von 50 Pfd.St. A
hat seine 40 Pfd.St. in 50 Pfd.St. verwandelt, mehr Geld aus weniger Geld gemacht und
seine Ware in Kapital verwandelt. Sehn wir naher zu. Vor dem Austausch hatten wir fur
40 Pfd.St. Wein in der Hand von A und fur 50 Pfd.St. Getreide in der Hand von B,
Gesamtwert von 90 Pfd.St. Nach dem Austausch haben wir denselben Gesamtwert von 90
Pfd.St. Der zirkulierende Wert hat sich um kein Atom vergroBert, seine Verteilung
zwischen A und B hat sich verandert. Auf der einen Seite erscheint als Mehrwert, was auf
der andren Minderwert ist, auf der einen Seite als Plus, was auf der andren als Minus.
Derselbe Wechsel hatte sich ereignet, wenn A, ohne die verhullende Form des
Austausches, dem B 10 Pfd.St. direkt gestohlen hatte. Die Summe der zirkulierenden
Werte kann offenbar durch keinen Wechsel in ihrer Verteilung vermehrt werden, sowenig
wie ein Jude die Masse der edlen Metalle in einem Lande dadurch vermehrt, daB er einen
Farthing aus der Zeit der Konigin Anna fur eine Guinee verkauft. Die Gesamtheit der
215
Kapitalistenklasse eines Landes kann sich nicht selbst ubervorteilen.
Man mag sich also drehen und wenden, wie man will, das Fazit bleibt dasselbe. Werden
Aquivalente ausgetauscht, so entsteht kein Mehrwert, und werden Nicht-Aquivalente
ausgetauscht, so entsteht auch kein Mehrwert. Die Zirkulation oder der Warenaustausch
217
schafft keinen Wert.
1 .»Der Austausch von zwei gleichen Werten vermehrt weder die Masse der in der Gesellschaft
vorhandenen Werte, noch vermindert er sie. Der Austausch zweier ungleicher Werte ... andert
ebenfalls nichts an der Summe der gesellschaftlichen Werte, da er dem Vermogen des einen zufiigt, was
er dem Vermogen des anderen wegnimmt.« (J.B. Say, I.e., t.II, p. 443, 444.) Say, naturlich unbekiimmert
um die Konsequenzen dieses Satzes, entlehnt ihn ziemlich wortlich den Physiokraten. Die Art, wie er ihre
zu seiner Zeit verschollenen Schriften zur Vermehrung seines eigenen "Wertes" ausgebeutet hat, zeige
folgendes Beispiel. Der "beruhmteste" Satz des Monsieur Say: »Man kann Produkte nur mit Produkten
kaufen« (I.e., t.II, p. 438), lautet im physiokratischen Original: »Erzeugnisse lassen sich nur mit
Erzeugnissen bezahlen.« (Le Trosne, I.e. p. 899.)
2.»Der Austausch ubertragt keinerlei Wert auf die Produkte. « (F.Wayland, "The Elements of
Pol. Econ.", Boston 1843, p. 168.)
l.»Unter der Herrschaft unveranderlicher Aquivalente wiirde der Handel unmoglich sein.«
(G.Opdyke, "A Treatise on polit. Economy", New York 1851, p. 66 bis 69.) »Dem Unterschiede zwischen
Realwert und Tauschwert liegt eine Tatsache zum Grunde - namlich dafi der Wert einer Sache
verschieden ist von dem im Handel fiir sie gegebenen sogenannten Aquivalent, d.h., dafi dies
Aquivalent kein Aquivalent ist.« (F. Engels, I.e. p. 95, 96.[Siehe MEW, Band 1, S. 508])
2. Benjamin Franklin, "Works", vol.11, edit. Sparks in "Positions to be examined concerning National
Wealth", [P-376.]
Man versteht daher, warum in unsrer Analyse der Grundform des Kapitals, der Form,
worin es die okonomische Organisation der modernen Gesellschaft bestimmt, seine
popularen und sozusagen antediluvianischen Gestalten, Handelskapital und
Wucherkapital, zunachst ganzlich unberiicksichtigt bleiben.
Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G - W - G, kaufen, um teurer zu
verkaufen, am reinsten. Andrerseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der
Zirkulationssphare vor. Da es aber unmoglich ist, aus der Zirkulation selbst die
Verwandlung von Geld in Kapital, die Bildung von Mehrwert zu erklaren, erscheint das
218
Handelskapital unmoglich, sobald Aquivalente ausgetauscht werden , daher nur
ableitbar aus der doppelseitigen Ubervorteilung der kaufenden und verkaufenden
Warenproduzenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann. In
219
diesem Sinn sagt Franklin: »Krieg ist Raub, Handel ist Prellerei.« Soil die Verwertung
des Handelskapitals nicht aus bloBer Prellerei der Wa ren produzenten erklart werden,
so gehort dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern, die hier, wo die Warenzirkulation und
ihre einfachen Momente unsre einzige Voraussetzung bilden, noch ganzlich fehlt.
Was vom Handelskapital, gilt noch mehr vom Wucherkapital. Im Handelskapital sind
die Extreme, das Geld, das auf den Markt geworfen, und das vermehrte Geld, das dem
Markt entzogen wird, wenigstens vermittelt durch Kauf und Verkauf, durch die Bewegung
der Zirkulation. Im Wucherkapital ist die Form G - W - G abgekiirzt auf die
unvermittelten Extreme G - G, Geld, das sich gegen mehr Geld austauscht, eine der Natur
des Geldes widersprechende und daher vom Standpunkt des Warenaustausches
unerklarliche Form. Daher Aristoteles:
»Da die Chrematistik eine doppelte ist, die eine zum Handel, die andre zur Okonomik
gehorig, die letztere notwendig und lobenswert, die erstete auf die Zirkulation
gegriindet und mit Recht getadelt (denn sie beruht nicht auf der Natur, sondern auf
wechselseitiger Prellerei), so ist der Wucher mit vollstem Recht verhajit, weil das Geld
selbst hier die Quelle des Erwerbs und nicht dazu gebraucht wird, wozu es erfunden
ward. Denn fiir den Warenaustausch entstand es, der Zins aber macht aus Geld mehr
Geld. Daher auch sein Name« (Zins und Geborenes). »Denn die Geborenen sind den
Erzeugern ahnlich. Der Zins aber ist Geld von Geld, so dafi von alien
220
Erwerbszweigen dieser der naturwidrigste.«
l.Arist[oteles], I.e., c.10, [p. 17].
l.»Unter den ublichen Bedingungen des Marktes wird Profit nicht durch Austausch gemacht.
Ware er nicht vorher vorhanden gewesen, so konnte er es auch nach dieser Transaktion nicht sein.«
(Ramsey, I.e. p. 184.)
2.3. und 4. Auflage: Warenbeziehungen
l.Nach der gegebenen Auseinandersetzung versteht der Leser, daB dies nur heiBt: Die
Kapitalbildung muB moglich sein, auch wenn der Warenpreis gleich dem Warenwert. Sie kann nicht aus der
Abweichung der Warenpreise von den Warenwerten erklart werden. Weichen die Preise von den Werten
wirklich ab, so muB man sie erst auf die letzteren reduzieren, d.h. von diesem Umstande als einem
zufalligen absehn, um das Phanomen der Kapitalbildung auf Grundlage des Warenaustauschs rein vor sich
zu haben und in seiner Beobachtung nicht durch storende und dem eigentlichen Verlauf fremde
Nebenumstande verwirrt zu werden. Man weiB iibrigens, daB diese Reduktion keineswegs eine bloB
wissenschaftliche Prozedur ist. Die bestandigen Oszillationen der Marktpreise, ihr Steigen und Sinken,
kompensieren sich, heben sich wechselseitig auf und reduzieren sich selbst zum Durchschnittspreis als
ihrer inneren Regel. Diese bildet den Leitstern z.B. des Kaufmanns oder des Industriellen in jeder
Unternehmung, die langeren Zeitraum umfaBt. Er weiB also, daB, eine langere Periode im ganzen
betrachtet, die Waren wirklich weder unter noch liber, sondern zu ihrem Durchschnittspreis verkauft
werden. Ware interesseloses Denken also uberhaupt sein Interesse, so miiBte er sich das Problem der
Kapitalbildung so stellen: Wie kann Kapital entstehn bei der Regelung der Preise durch den
Durchschnittspreis, d.h. in letzter Instanz durch den Wert der Ware? Ich sage »in letzter Instanz«, weil die
Durchschnittspreise nicht direkt mit den WertgroBen der Waren zusammenfallen, wie A.Smith, Ricardo
usw. glauben.
Wie das Handelskapital werden wir das zinstragende Kapital im Verlauf unsrer
Untersuchung als abgeleitete Formen vorfinden und zugleich sehn, waram sie historisch
vor der modernen Grundform des Kapitals erscheinen.
Es hat sich gezeigt, daB der Mehrwert nicht aus der Zirkulation entspringen kann, bei
seiner Bildung also etwas hinter ihrem Riicken vorgehn muB, das in ihr selbst unsichtbar
221
ist. Kann aber der Mehrwert anders. woher entspringen als aus der Zirkulation? Die
222
Zirkulation ist die Summe aller Wechselbeziehungen. der Warenbesitzer. AuBerhalb
derselben steht der Warenbesitzer nur noch in Beziehung zu seiner eignen Ware. Was ihren
Wert angeht, beschrankt sich das Verhaltnis darauf, daB sie ein nach bestimmten
gesellschaftlichen Gesetzen gemessenes Quantum seiner eignen Arbeit enthalt. Dies
Quantum Arbeit driickt sich aus in der WertgroBe seiner Ware, und, da sich WertgroBe in
Rechengeld darstellt, in einem Preise von z. B. 10 Pfd.St. Aber seine Arbeit stellt sich
nicht dar im Werte der Ware und einem UberschuB iiber ihrem eignen Wert, nicht in einem
Preise von 10, der zugleich ein Preis von 11, nicht in einem Wert, der groBer als er selbst
ist. Der Warenbesitzer kann durch seine Arbeit Werte bilden, aber keine sich verwertenden
Werte. Er kann den Wert einer Ware erhohn, indem er vorhandnem Wert neuen Wert durch
neue Arbeit zusetzt, z.B. aus Leder Stiefel macht. Derselbe Stoff hat jetzt mehr Wert, weil
er ein groBeres Arbeitsquantum enthalt. Der Stiefel hat daher mehr Wert als das Leder,
aber der Wert des Leders ist geblieben, was er war. Er hat sich nicht verwertet, nicht
wahrend der Stiefelfabrikation einen Mehrwert angesetzt. Es ist also unmoglich, daB der
Warenproduzent auBerhalb der Zirkulationssphare, ohne mit andren Warenbesitzern in
Beriihrung zu treten, Wert verwerte und daher Geld oder Ware in Kapital verwandle.
Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebensowenig aus
der Zirkulation nicht entspringen. Es muB zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen.
Ein doppeltes Resultat hat sich also ergeben.
Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Warenaustausch
immanenter Gesetze zu entwickeln, so daB der Austausch von Aquivalenten als
223
Ausgangspunkt gilt. Unser nur noch als Kapitalistenraupe vorhandner Geldbesitzer muB
die Waren zu ihrem Wert kaufen, zu ihrem Wert verkaufen und dennoch am Ende des
Prozesses mehr Wert herausziehn, als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muB
in der Zirkulationssphare und muB nicht in der Zirkulationssphare vorgehn. Dies sind die
224
Bedingungen des Problems. Hie Rhodus, hie salta!
2. Hie Rhodus, hie salta! - aus einer Fabel Asops, in der ein Prahler behauptet, er habe einst in
Rhodos einen gewaltigen Sprung getan. Ihm wurde erwidert: Hier ist Rhodos, hier springet!
l.»In der Form von Geld ... erzeugt das Kapital keinen Profit. « (Ricardo: "Princ. of Pol. Econ.",
P.267.)
l.In Realenzyklopadien des klassischen Altertums kann man den Unsinn lesen, daB in der antiken
Welt das Kapital vollig entwickelt war, »au6er daB der freie Arbeiter und das Kreditwesen fehlten«. Auch
Herr Mommsen in seiner "Romischen Geschichte" begeht ein Quidproquo iiber das andre.
2.Verschiedne Gesetzgebungen setzen daher ein Maximum fur den Arbeitskontrakt fest. Alle
Gesetzbiicher bei Volkern freier Arbeit regeln Kundigungsbedingungen des Kontrakts. In verschiednen
Landern, namentlich in Mexiko (vor dem Amerikanischen Burgerkrieg auch in den von Mexiko
losgerissenen Territorien, und der Sache nach bis zu Kusas Umwalzung* in den Donauprovinzen), ist die
Sklaverei unter der Form von Peonage versteckt. Durch Vorschusse, die in Arbeit abzutragen und sich von
Generation zu Generation fortwalzen, wird nicht nur der einzelne Arbeiter, sondern seine Familie
tatsachlich das Eigentum andrer Personen und ihrer Familien. Juarez hatte die Peonage abgeschafft. Der
sogenannte Kaiser Maximilian fuhrte sie wieder ein durch ein Dekret, das im Reprasentantenhaus zu
Washington treffend als Dekret zur Wiedereinfiihrung der Sklaverei in Mexiko denunziert ward. »Von
meinen besondren korperlichen und geistigen Geschicklichkeiten und Moglichkeiten der Tatigkeit
3. Kaufund Verkauf der Arbeitskraft
Die Wertveranderung des Geldes, das sich in Kapital verwandeln soil, kann nicht an
diesem Geld selbst vorgehn, denn als Kaufmittel und als Zahlungsmittel realisiert es nur
den Preis der Ware, die es kauft oder zahlt, wahlend es, in seiner eignen Form verharrend,
225
zum Petrefakt von gleichbleibender WertgroBe erstarrt. Ebensowenig kann die
Veranderung aus dem zweiten Zirkulationsakt, dem Wiederverkauf der Ware, entspringen,
denn dieser Akt verwandelt die Ware bloB aus der Naturalform zuriick in die Geldform.
Die Veranderung muB sich also zutragen mit der Ware, die im ersten Akt G - W gekauft
wird, aber nicht mit ihrem Wert, denn es werden Aquivalente ausgetauscht, die Ware wird
zu ihrem Werte bezahlt. Die Veranderung kann also nur entspringen aus ihrem
Gebrauchswert als solchem, d.h. aus ihrem Verbrauch. Um aus dem Verbrauch einer Ware
Wert herauszuziehn, iniiBte unser Geldbesitzer so gliicklich sein, innerhalb der
Zirkulationssphare, auf dem Markt, eine Ware zu entdecken, deren Gebrauchswert selbst
die eigentiimliche Beschaffenheit besaBe, Quelle von Wert zu sein, deren wirklicher
Verbrauch also selbst Vergegenstandlichung von Arbeit ware, daher Wertschopfung. Und
der Geldbesitzer findet auf dem Markt eine solche spezifische Ware vor - das
Arbeitsvermogen oder die Arbeitskraft.
Unter Arbeitskraft oder Arbeitsvermogen verstehen wir den Inbegriff der physischen und
geistigen Fahigkeiten, die in der Leiblichkeit, der lebendigen Personlichkeit eines
Menschen existieren und die er in Bewegung setzt, sooft er Gebrauchs werte irgendeiner
Art produziert.
Damit jedoch der Geldbesitzer die Arbeitskraft als Ware auf dem Markt vorfinde,
miissen verschiedne Bedingungen erfullt sein. Der Warenaustausch schlieBt an und fur
sich keine andren Abhangigkeitsverhaltnisse ein als die aus seiner eignen Natur
entspringenden. Unter dieser Voraussetzung kann die Arbeitskraft als Ware nur auf dem
Markt erscheinen, sofern und weil sie von ihrem eignen Besitzer, der Person, deren
Arbeitskraft sie ist, als Ware feilgeboten oder verkauft wird. Damit ihr Besitzer sie als
Ware verkaufe, muB er liber sie verfiigen konnen, also freier Eigentiimer seines
Arbeitsvermogens, seiner Person sein. Er und der Geldbesitzer begegnen sich auf dem
Markt und treten in Verhaltnis zueinander als ebenbiirtige Warenbesitzer, nur dadurch
unterschieden, daB der eine Kaufer, der andre Verkaufer, beide also juristisch gleiche
Personen sind. Die Fortdauer dieses Verhaltnisses erheischt, daB der Eigentiimer der
Arbeitskraft sie stets nur fur bestimmte Zeit verkaufe, denn verkauft er sie in Bausch und
Bogen, ein fur allemal, so verkauft er sich selbst, verwandelt sich aus einem Freien in
einen Sklaven, aus einem Warenbesitzer in eine Ware. Er als Person muB sich bestandig zu
seiner Arbeitskraft als seinem Eigentum und daher seiner eignen Ware verhalten, und das
kann er nur, soweit er sie dem Kaufer stets nur voriibergehend, fur einen bestimmten
Zeittermin, zur Verfugung stellt, zum Verbrauch uberlaBt, also durch ihre VerauBerung
227
nicht auf sein Eigentum an ihr verzichtet.
Die zweite wesentliche Bedingung, damit der Geldbesitzer die Arbeitskraft auf dem
Markt als Ware vorfinde, ist die, daB ihr Besitzer, statt Waren verkaufen zu konnen, worin
sich seine Arbeit vergegenstandlicht hat, vielmehr seine Arbeitskraft selbst, die nur in
seiner lebendigen Leiblichkeit existiert, als Ware feilbieten muB.
Damit jemand von seiner Arbeitskraft unterschiedne Waren verkaufe, muB er natiirlich
Produktionsmittel besitzen, z.B. Rohstoffe, Arbeitsinstrumente usw. Er kann keine Stiefel
machen ohne Leder. Er bedarf auBerdem Lebensmittel. Niemand, selbst kein
Zukunftsmusikant, kann von Produkten der Zukunft zehren, also auch nicht von
Gebrauchswerten, deren Produktion noch unfertig, und wie am ersten Tage seiner
Erscheinung auf der Erdbuhne, muB der Mensch noch jeden Tag konsumieren, bevor und
wahrend er produziert. Werden die Produkte als Waren produziert, so miissen sie verkauft
werden, nachdem sie produziert sind, und konnen die Bedurfnisse des Produzenten erst
nach dem Verkauf befriedigen. Zur Produktionszeit kommt die fur den Verkauf notige
Zeit hinzu.
Zur Verwandlung von Geld in Kapital muB der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf
dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daB er als freie Person iiber seine
Arbeitskraft als seine Ware verfugt, daB er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat,
los und ledig, frei ist von alien zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft notigen Sachen.
Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Zirkulationssphare gegenubertritt,
interessiert den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondre Abteilung des
Warenmarkts vorfindet. Und einstweilen interessiert sie uns ebensowenig. Wir halten
theoretisch an der Tatsache fest, wie der Geldbesitzer praktisch. Eins jedoch ist klar. Die
Natur produziert nicht auf der einen Seite Geld- oder Warenbesitzer und auf der andren
bloBe Besitzer der eignen Arbeitskrafte. Dies Verhaltnis ist kein naturgeschichtliches und
ebensowenig ein gesellschaftliches, das alien Geschichtsperioden gemein ware. Es ist
offenbar selbst das Resultat einer vorhergegangenen historischen Entwicklung, das
Produkt vieler okonomischen Umwalzungen, des Untergangs einer ganzen Reihe alterer
Formationen der gesellschaftlichen Produktion.
Auch die okonomischen Kategorien, die wir friiher betrachtet, tragen ihre geschichtliche
Spur. Im Dasein des Produkts als Ware sind bestimmte historische Bedingungen
eingehiillt. Um Ware zu werden, darf das Produkt nicht als unmittelbares Subsistenzmittel
fur den Produzenten selbst produziert werden. Hatten wir weiter geforscht: Unter welchen
Umstanden nehmen alle oder nimmt auch nur die Mehrzahl der Produkte die Form der
Ware an, so hatte sich gefunden, daB dies nur auf Grundlage einer ganz spezifischen, der
kapitalistischen Produktionsweise, geschieht. Eine solche Untersuchung lag jedoch der
Analyse der Ware fern. Warenproduktion und Warenzirkulation konnen stattfinden,
obgleich die weit iiberwiegende Produktenmasse, unmittelbar auf den Selbstbedarf
gerichtet, sich nicht in Ware verwandelt, der gesellschaftliche ProduktionsprozeB also
noch lange nicht in seiner ganzen Breite und Tiefe vom Tauschwert beherrscht ist. Die
Darstellung des Produkts als Ware bedingt eine so weit entwickelte Teilung der Arbeit
innerhalb der Gesellschaft, daB die Scheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert,
die im unmittelbaren Tauschhandel erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine solche
Entwicklungsstufe ist aber den geschichtlich verschiedensten okonomischen
Gesellschaftsformationen gemein.
Oder betrachten wir das Geld, so setzt es eine gewisse Hohe des Warenaustausches
voraus. Die besondren Geldformen, bloBes Warenaquivalent oder Zirkulationsmittel oder
Zahlungsmittel, Schatz und Weltgeld, deuten, je nach dem verschiednen Umfang und dem
relativen Vorwiegen einer oder der andren Funktion, auf sehr verschiedne Stufen des
gesellschaftlichen Produktionsprozesses. Dennoch geniigt erfahrungsmaBig eine relativ
schwach entwickelte Warenzirkulation zur Bildung aller dieser Formen. Anders mit dem
Kapital. Seine historischen Existenzbedingungen sind durchaus nicht da mit der Waren-
und Geldzirkulation. Es entsteht nur, wo der Besitzer von Produktions- und Lebensmitteln
den freien Arbeiter als Verkaufer seiner Arbeitskraft auf dem Markt vorfindet, und diese
eine historische Bedingung umschlieBt eine Weltgeschichte. Das Kapital kundigt daher
228
von vornherein eine Epoche des gesellschaftlichen Produktionsprozesses an.
l.Was also die kapitalistische Epoche charakterisiert, ist, daB die Arbeitskraft fiir den Arbeiter
selbst die Form einer ihm gehorigen Ware, seine Arbeit daher die Form der Lohnarbeit erhalt. Andrerseits
verallgemeinert sich erst von diesem Augenblick die Warenform der Arbeitsprodukte.
l.»Der Wert eines Mannes ist wie der aller anderen Dinge gleich seinem Preis: das will
besagen, so viel, wie fiir den Gebrauch seiner Kraft gezahlt wird.« (Th.Hobbes, "Leviathan", in "Works",
edit. Molesworth, London 1839-1844, v. Ill, p.76.)
l.Der altromische villicus, als Wirtschafter an der Spitze der Ackerbausklaven, empfing daher,
»weil er leichtere Arbeit hat als die Knechte, knapperes Mafi als diese«. (Th.Mommsen, "Rom.
Geschichte", 1856, p.810.)
2.Vgl. "Over-Population and its Remedy", London 1846, von W.Th.Thornton.
Diese eigentiimliche Ware, die Arbeitskraft, ist nun naher zu betrachten. Gleich alien
229
andren Waren besitzt sie einen Wert. Wie wird er bestimmt?
Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder andren Ware, ist bestimmt durch die zur
Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit.
Soweit sie Wert, reprasentiert die Arbeitskraft selbst nur ein bestimmtes Quantum in ihr
vergegenstandlichter gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit. Die Arbeitskraft existiert nur
als Anlage des lebendigen Individuums. Hire Produktion setzt also seine Existenz voraus.
Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner
eignen Reproduktion oder Erhaltung. Zu seiner Erhaltung bedarf das lebendige
Individuum einer gewissen Summe von Lebensmitteln. Die zur Produktion der
Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit lost sich also auf in die zur Produktion dieser
Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur
Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel. Die Arbeitskraft verwirklicht sich
jedoch nur durch ihre AuBerung, betatigt sich nur in der Arbeit. Durch ihre Betatigung, die
Arbeit, wird aber ein bestimmtes Quantum von menschlichem Muskel, Nerv, Hirn usw.
verausgabt, das wieder ersetzt werden muB. Diese vermehrte Ausgabe bedingt eine
230
vermehrte Einnahme. Wenn der Eigentumer der Arbeitskraft heute gearbeitet hat, muB
er denselben ProzeB morgen unter denselben Bedingungen von Kraft und Gesundheit
wiederholen konnen. Die Summe der Lebensmittel muB also hinreichen, das arbeitende
Individuum als arbeitendes Individuum in seinem normalen Lebenszustand zu erhalten.
Die natiirlichen Bedurfnisse selbst, wie Nahrung, Kleidung, Heizung, Wohnung usw., sind
verschiedene nach den klimatischen und andren natiirlichen Eigentiimlichkeiten eines
Landes. Andrerseits ist der Umfang sog. notwendiger Bedurfnisse, wie die Art ihrer
Befriedigung, selbst ein historisches Produkt und hangt daher groBenteils von der
Kulturstufe eines Landes, unter andrem auch wesentlich davon ab, unter welchen
Bedingungen, und daher mit welchen Gewohnheiten und Lebensansprtichen die Klasse der
23 1
freien Arbeiter sich gebildet hat. Im Gegensatz zu den andren Waren enthalt also die
Wertbestimmung der Arbeitskraft ein historisches und moralisches Element. Fur ein
bestimmtes Land, zu einer bestimmten Periode jedoch, ist der Durchschnitts-Umkreis der
notwendigen Lebensmittel gegeben.
Der Eigentumer der Arbeitskraft ist sterblich. Soil also seine Erscheinung auf dem
Markt eine kontinuierliche sein, wie die kontinuierliche Verwandlung von Geld in Kapital
voraussetzt, so muB der Verkaufer der Arbeitskraft sich verewigen, »wie jedes lebendige
232
Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung« . Die durch Abnutzung und Tod dem
1. Petty.
2.»Ihr« (der Arbeit) »natiirlicher Preis ... besteht in einer solchen Menge von Subsistenzmitteln
und Dingen der Bequemlichkeit, wie sie entsprechend dem Klima und den Gewohnheiten eines Landes
notwendiggind, um den Arbeiter zu erhalten und es ihm zu ermoglichen, eine Familie aufzuziehen, die
auf dem Markt ein unvermindertes Angebot von Arbeit zu sichern vermag.« (R.Torrens, "An Essay on
the external Corn Trade", London 1815, p. 62.) Das Wort Arbeit steht hier falschlich fiir Arbeitskraft.
l.Rossi, "Cours d'Econ. Polit.", Bruxelles 1843, p.370, 371.
l.Sismondi, "Nouv. Princ. etc.", t.l, p. 113.
l.»Alle Arbeit wird bezahlt, nachdem sie beendet ist.« ("An Inquiry into those Principles,
Markt entzogenen Arbeitskrafte miissen zum allermindesten durch eine gleiche Zahl neuer
Arbeitskrafte bestandig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft
notwendigen Lebensmittel schlieBt also die Lebensmittel der Ersatzmanner ein, d.h. der
Kinder der Arbeiter, so daB sich diese Race eigentiimlicher Warenbesitzer auf dem
233
Warenmarkte verewigt.
Um die allgemein menschliche Natur so zu modifizieren, daB sie Geschick und
Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig erlangt, entwickelte und spezifische
Arbeitskraft wird, bedarf es einer bestimmten Bildung oder Erziehung, welche ihrerseits
eine groBere oder geringere Summe von Warenaquivalenten kostet. Je nach dem mehr oder
minder vermittelten Charakter der Arbeitskraft sind ihre Bildungskosten verschieden.
Diese Erlernungskosten, verschwindend klein fur die gewohnliche Arbeitskraft, gehn also
ein in den Umkreis der zu ihrer Produktion verausgabten Werte.
Der Wert der Arbeitskraft lost sich auf in den Wert einer bestimmten Summe von
Lebensmitteln. Er wechselt daher auch mit dem Wert dieser Lebensmittel, d.h. der GroBe
der zu ihrer Produktion erheischten Arbeitszeit.
Ein Teil der Lebensmittel, z.B. Nahrungsmittel, Heizungsmittel usw., werden taglich
neu verzehrt und miissen taglich neu ersetzt werden. Andre Lebensmittel, wie Kleider,
Mobel usw., verbrauchen sich in langeren Zeitraumen und sind daher nur in langeren
Zeitraumen zu ersetzen. Waren einer Art miissen taglich, andre wochentlich, vierteljahrlich
usf. gekauft oder gezahlt werden. Wie sich die Summe dieser Ausgaben aber immer
wahrend eines Jahres z.B. verteilen moge, sie muB gedeckt sein durch die
Durchschnittseinnahme tagein, tagaus. Ware die Masse der taglich zur Produktion der
Arbeitskraft erheischten Waren = A, die der wochentlich erheischten = B, die der
vierteljahrlich erheischten = C usw., so ware der tagliche Durchschnitt dieser Waren = .
Gesetzt, in dieser fur den Durchschnittstag notigen Warenmasse steckten 6 Stunden
gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenstandlicht sich in der Arbeitskraft taglich ein halber
Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur taglichen
Produktion der Arbeitskraft erheischt. Dies zu ihrer taglichen Produktion erheischte
Arbeitsquantum bildet den Tageswert der Arbeitskraft oder den Wert der taglich
reproduzierten Arb-eitskraft. Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher
Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem Taler darstellt, so
ist ein Taler der dem Tageswert der Arbeitskraft entsprechende Pre is. Bietet der Besitzer
der Arbeitskraft sie feil fur einen Taler taglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert
und, nach unsrer Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Taler in Kapital
erpichte Geldbesitzer diesen Wert.
Die letzte Grenze oder Minimalgrenze des Werts der Arbeitskraft wird gebildet durch
den Wert einer Warenmasse, ohne deren tagliche Zufuhr der Trager der Arbeitskraft, der
Mensch, seinen LebensprozeB nicht erneuern kann, also durch den Wert der physisch
unentbehrlichen Lebensmittel. Sinkt der Preis der Arbeitskraft auf dieses Minimum, so
sinkt er unter ihren Wert, denn sie kann sich so nur in verkummerter Form erhalten und
entwickeln. Der Wert jeder Ware ist aber bestimmt durch die Arbeitszeit, erfordert, um sie
in normaler Giite zu liefern.
Es ist eine auBerordentlich wohlfeile Sentimentalitat, diege aus der Natur der Sache
flieBende Wertbestimmung der Arbeitskraft grob zu finden und etwa mit Rossi zu
jammern:
»Das Arbeitsvermogen (puissance de travail) begreifen. wahrend man von den
Subsistenzmitteln der Arbeit wahrend des Produktionsprozesses abstrahiert, heijit ein
Hirngespinst (etre de raison) begreifen. Wer Arbeit sagt, wer Arbeitsvermogen sagt,
234
sagt zugleich Arbeiter und Subsistenzmittel, Arbeiter und Arbeitslohn.«
Wer Arbeitsvermogen sagt, sagt nicht Arbeit, so wenig als wer Verdauungsvermogen
sagt, Verdauen sagt. Zum letztren ProzeB ist bekanntlich mehr als ein guter Magen
erfordert. Wer Arbeitsvermogen sagt, abstrahiert mehr als ein guter Magen erfordert. Wer
Arbeitsvermogen sagt, abstrahiert nicht von den zu seiner Subsistenz notwendigen
Lebensmitteln. Ihr Wert ist vielmehr ausgedriickt in seinem Wert. Wird es nicht verkauft,
so niitzt es dem Arbeiter nichts, so empfindet er es vielmehr als eine grausame
Naturnotwendigkeit, daB sein Arbeitsvermogen ein bestimmtes Quantum Subsistenzmittel
zu seiner Produktion erheischt hat und stets wieder von neuem zu seiner Reproduktion
erheischt. Er entdeckt dann mit Sismondi: »Das Arbeitsvermogen ... ist nichts, wenn es
235
nicht verkauft wird«
Die eigentiimliche Natur dieser spezifischen Ware, der Arbeitskraft, bringt es mit sich,
daB mit der AbschlieBung des Kontrakts zwischen Kaufer und Verkaufer ihr
Gebrauchswert noch nicht wirklich in die Hand des Kaufers iibergegangen ist. Ihr Wert,
gleich dem jeder andren Ware, war bestimmt, bevor sie in die Zirkulation trat, denn ein
bestimmtes Quantum ge sellschaftlicher Arbeit ward zur Produktion der Arbeitskraft
verausgabt, aber ihr Gebrauchswert besteht erst in der nach traglichen KraftauBerung. Die
VerauBerung der Kraft und ihre wirkliche AuBerung, d.h. ihr Dasein als Gebrauchswert,
fallen daher der Zeit nach auseinander. Bei solchen Waren aber , wo die formelle
VerauBerung des Gebrauchswerts durch den Verkauf und seine wirkliche Uberlassung an
den Kaufer der Zeit nach auseinanderfallen, funktioniert das Geld des Kaufers meist als
Zahlungsmittel. In alien Landern kapitalistischer Produktionsweise wird die Arbeitskraft
erst gezahlt, nachdem sie bereits wahrend des im Kaufkontrakt festgesetzten Termins
funktioniert hat, z.B. am Ende jeder Woche. Uberall schieBt daher der Arbeiter dem
Kapitalisten den Gebrauchswert der Arbeitskraft vor; er laBt sie vom Kaufer konsumieren,
bevor er ihren Preis bezahlt erhalt, uberall kreditiert daher der Arbeiter dem Kapitalisten.
DaB dies Kreditieiren kein leerer Wahn ist, zeigt nicht nur der gelegentliche Verlust des
237
kreditierten Lohns beim Bankrott des Kapitalisten , sondern auch eine Reihe mehr
2.»Der Arbeiter leiht seinen Fleifi«, aber, setzt Storch schlau hinzu: er »riskiert nichts«, auBer
»seinen Lohn zu verlieren ... der Arbeiter iibertrdgt nichts Materielles« . (Storch, "Cours d'Econ. Polit",
Petersbourg 1815, t.II, p.36, 37.)
3. Ein Beispiel. In London existieren zweierlei Sorten von Backern, die »full priced«, die das Brot
zu seinem vollen Werte verkaufen, und die »undersellers« , die es unter diesem Werte verkaufen. Letztere
Klasse bildet iiber I ^ der Gesamtzahl der Backer (p. XXXII im "Report" des Regierungskommissars H.S.
Tremenheere iiber die "Grievances complained of by the journeymen bakers etc.", London 1862). Diese
undersellers verkaufen, fast ausnahmslos, Brot, das verfalscht ist durch Beimischung von Alaun, Seife,
Perlasche, Kalk, Derbyshire-Steinmehl und ahnlichen angenehmen, nahrhaften und gesunden Ingredienzien.
(Sieh das oben zitierte Blaubuch, ebenso den Bericht des "Committee of 1855 on the Adulteration of
nachhaltiger Wirkungen. Indes andert es an der Natur des Warenaustausches selbst
nichts, ob das Geld als Kaufmittel oder als Zahlungsmittel funktioniert. Der Preis der
Bread" unci Dr.Hassalls, "Adulterations Detected", 2nd. edit., London 1861.) Sir John Gordon erklarte vor
dem Komitee von 1855, daB »infolge dieser Fdlschungen der Anne, der von zwei Pfund Brot taglich
lebt, jetzt nicht den vierten Teil des Nahrungsstoffes wirklich erhdlt, abgesehn von den schddlichen
Wirkungen auf seine Gesundheit« . Als Grund, warum »ein sehr grofier Teil der Arbeiterklasse«,
obgleich wohl unterrichtet iiber die Falschungen, dennoch Alaun, Steinmehl etc. mit in den Kauf nimmt,
fflhrt Tremenheere (I.e. p.XLVIII) an, daB es fiir sie »ein Ding der Notwendigkeit ist, von ihrem Backer
oder dem chandler's shop [Kramladen] das Brot zu nehmen, wie man es ihnen zu geben beliebt«. Da sie
erst Ende der Arbeitswoche bezahlt werden, konnen sie auch »das wdhrend der Woche von ihren
Familienverzehrte Brot erst Ende der Woche zahlen«\ und, fiigt Tremenheere mit Anfuhrung der
Zeugenaussagen hinzu: »Es ist notorisch, dafi mit solchen Mixturen bereitetes Brot exprefi fiir diese Art
Kunden gemacht wird.« (»It is notorious that bread composed of those mixtures, is made expressly for
sale in this manner. «) »In vielen englischen Agrikulturdistrikten« (aber noch mehr in schottischen)
»wird der Arbeitslohn vierzehntagig und selbst monatlich gezahlt. Mit diesen langen Zahlungsfristen
mufi der Agrikulturarbeiter seine Waren auf Kredit kaufen... Er hat hohere Preise zu zahlen und ist
tatsdchlich an die Boutique gebunden, die ihm pumpt. So kostet ihm z.B. zu Horningsham in Wilts, wo
die Lohnung monatlich, dasselbe Mehl 2 sh. 4 d. per stone, das er sonstwo mit 1 sh. 10 d. zahlt.« ("Sixth
Report" on "Public Health" by "The Medical Officer of the Privy Council etc.', 1864, P. 264.) »Die Kattun-
Handdrucker von Paisley und Kilmarnock« (Westschottland) »erzwangen 1853 durch einen strike
[Streik] die Herabsetzung des Zahlungstermins von einem Monat auf 14 Tage.« ("Reports of the
Inspectors of Factories for 31st Oct. 1853", p. 34.) Als eine weitere artige Entwicklung des Kredits, den der
Arbeiter dem Kapitalisten gibt, kann man die Methode vieler englischer Kohlenbergwerksbesitzer
betrachten, wonach der Arbeiter erst Ende des Monats bezahlt wird und in der Zwischenzeit Vorschiisse
vom Kapitalisten erhalt, oft in Waren, die er iiber ihren Marktpreis zahlen muB (Trucksystem). »Es ist eine
iibliche Praxis der Kohlenherren, einmal im Monat auszuzahlen und ihren Arbeitern am Ende jeder
dazwischenliegenden Woche VorschufJ zu geben. Dieser VorschufJ wird im Laden gegeben« (namlich
dem tommy-shop oder dem Meister selbst gehorigen Kramladen). »Die Manner nehmen ihn auf der
einen Seite des Ladens in Empfang und geben ihn auf der anderen wieder aus.« ("Children's
Employment Commission, III. Report", Lond. 1864, p. 38, n.192.)
l.tatsachlich
2. dem Vermogen nach
l.»Die naturwuchsigen Erzeugnisse der Erde, die in geringen Mengen und ganz unabhangig
vom Menschen vorkommen, scheinen von der Natur in der gleichen Art gegeben zu sein, wie man einem
jungen Mann eine knappe Summe gibt, um ihn auf den Weg des Fleifies und des Reichwerdens zu
fiihren.« (James Steuart, "Principles of Polit. Econ.", edit. Dublin 1770, v. I, p. 116.)
l.»Die Vernunft ist ebenso listig als machtig. Die List besteht uberhaupt in der vermittelnden
Tdtigkeit, welche, indem sie die Objekte ihrer eigenen Natur gemafJ auf, einander einwirken und sich
aneinander abarbeiten lafJt, ohne sich unmittelbar in diesen Prozefi einzumischen, gleichwohl nur
ihren Zweck zur Ausfuhrung bringt.« (Hegel, "Enzyklopadie", Erster Teil, "Die Logik", Berlin 1840,
p. 382.)
2.1n der sonst elenden Schrift. "Theorie de l'Econ. Polit.", Paris 1815, zahlt Ganilh den
Physiokraten gegeniiber treffend die groBe Reihe von Arbeitsprozessen auf, welche die Voraussetzung der
eigentlichen Agrikultur bilden.
3. In den "Reflexions sur la Formation et la Distribution des Richesses" (1766) entwickelt Turgot
gut die Wichtigkeit des gezahmten Tiers fiir die Anfange der Kultur.
4.Von alien Waren sind eigentliche Luxuswaren die unbedeutendsten fur die technologische
Vergleichung verschiedner Produktionsepochen.
Arbeitskraft ist kontraktlich festgesetzt, obgleich er erst hinterher realisiert wird, wie der
Mietpreis eines Hauses. Die Arbeitskraft ist verkauft, obgleich sie erst hinterher bezahlt
wird. Fur die reine Auffassung des Verhaltnisses ist es jedoch niitzlich, einstweilen
vorauszusetzen, daB der Besitzer der Arbeitskraft mit ihrem Verkauf jedesmal auch
sogleich den kontraktlich stipulierten Preis erhalt.
Wir kennen nun die Art und Weise der Bestimmung des Werts, welcher dem Besitzer
dieser eigentiimlichen Ware, der Arbeitskraft, vom Geldbesitzer gezahlt wird. Der
Gebrauchswert, den letztrer seinerseits im Austausch erhalt, zeigt sich erst im wirklichen
Verbrauch, im KonsumtionsprozeB der Arbeitskraft. Alle zu diesem ProzeB notigen Dinge,
wie Rohmaterial usw., kauft der Geldbesitzer auf dem Warenmarkt und zahlt sie zum
vollen Preis. Der KonsumtionsprozeB der Arbeitskraft ist zugleich der ProduktionsprozeB
von Ware und von Mehrwert. Die Konsumtion der Arbeitskraft, gleich der Konsumtion
jeder andren Ware, vollzieht sich auBerhalb des Markts oder der Zirkulationssphare. Diese
gerauschvolle, auf der Oberflache hausende und aller Augen zugangliche Sphare verlassen
wir daher, zusammen mit Geldbesitzer und Arbeitskraftbesitzer, um beiden nachzufolgen
in die verborgne Statte der Produktion, an deren Schwelle zu lesen steht. No admittance
except on business. [Eintritt nur in Geschaftsangelegenheiten] Hier wird sich zeigen, nicht
nur wie das Kapital produziert, sondern auch wie man es selbst produziert, das Kapital.
Das Geheimnis der Plusmacherei muB sich endlich enthullen.
Die Sphare der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf
und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen
Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham.
Freiheit! Denn Kaufer und Verkaufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch
ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenburtige Personen.
Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen
Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer
aufeinander und tauschen Aquivalent fur Aquivalent. Eigentum! Denn jeder verfugt nur
iiber das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die
einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhaltnis bringt, ist die ihres Eigennutzes,
ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen. Und eben weil so jeder nur fur sich und keiner
fur den andren kehrt, vollbringen alle, infolge einer prastabilierten Harmonie der Dinge
oder unter den Auspizien einer allpfiffigen Vorsehung, nur das Werk ihres wechselseitigen
Vorteils, des Gemeinnutzens, des Gesamtinteresses.
Beim Scheiden von dieser Sphare der einfachen zirkulation oder des Warenaustausches,
woraus der Freihandler vulgaris Anschauungen, Begriffe und MaBstab fur sein Urteil iiber
die Gesellschaft des Kapitals und der Lohnarbeit entlehnt, verwandelt sich, so scheint es,
schon in etwas die Physiognomie unsrer dramatis personae. Der ehemalige Geldbesitzer
schreitet voran als Kapitalist, der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach als sein Arbeiter; der
eine bedeutungsvoll schmunzelnd und geschaftseifrig, der andre scheu, widerstrebsam, wie
jemand, der seine eigne Haut zu Markt getragen und nun nichts andres zu erwarten hat als
die - Gerberei.
Dritter Abschnitt
Die Produktion des absoluten Mehrwerts
Fiinftes Kapitel
ArbeitsprozeB und VerwertungsprozeB
1. Arbeitsprozefi
Der Gebrauch der Arbeitskraft ist die Arbeit selbst. Der Kaufer der Arbeitskraft
239
konsumiert sie, indem er ihren Verkaufer arbeiten Mt. Letztrer wird hierdurch actu
sich betatigende Arbeitskraft, Arbeiter, was er friiher nur potentia war. Um seine Arbeit
in Waren darzustellen, muB er sie vor allem in Gebrauchswerten darstellen, Sachen, die zur
Befriedigung von Bediirfnissen irgendeiner Art dienen. Es ist also ein besondrer
Gebrauchswert, ein bestimmter Artikel, den der Kapitalist vom Arbeiter anfertigen laBt.
Die Produktion von Gebrauchswerten oder Giitern andert ihre allgemeine Natur nicht
dadurch, daB sie fur den Kapitalisten und unter seiner Kontrolle vorgeht. Der
ArbeitsprozeB ist daher zunachst unabhangig von jeder bestimmten gesellschaftlichen
Form zu betrachten.
Die Arbeit ist zunachst ein ProzeB zwischen Mensch und Natur, ein ProzeB, worin der
Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und
kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegeniiber. Die seiner
Leiblichkeit angehorigen Naturkrafte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in
Bewegung, um sich den Naturstoff in einer fur sein eignes Leben brauchbaren Form
anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur auBer ihm wirkt und sie
verandert, verandert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden
Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Krafte seiner eignen BotmaBigkeit. Wir haben es
hier nicht mit den ersten tierartig instinktmaBigen Formen der Arbeit zu tun. Dem Zustand,
worin der Arbeiter als Verkaufer seiner eignen Arbeitskraft auf dem Warenmarkt auftritt,
ist in urzeitlichen Hintergrund der Zustand entriickt, worin die menschliche Arbeit ihre
erste instinktartige Form noch nicht abgestreift hatte. Wir unterstellen die Arbeit in einer
Form, worin sie dem Menschen ausschlieBlich angehort. Eine Spinne verrichtet
Operationen, die denen des Webers ahneln, und eine Biene beschamt durch den Bau ihrer
Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den
schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daB er die Zelle in seinem
Kopf gebaut hat, bevor er siein Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein
Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also
schon ideell vorhanden war. Nicht daB er nur eine Formveranderung des Natiirlichen
bewirkt; er vewirklicht im Natiirlichen zugleich seinen Zweck, den er weiB, der die Art und
Weise seines Tuns als Gesetz bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muB. Und
diese Unterordnung ist kein vereinzelter Akt. AuBer der Anstrengung der Organe, die
arbeiten, ist der zweckmaBige Wille, der sich als Aufmerksamkeit auBert, fur die ganze
Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die
Art und Weise ihrer Ausfiihrung den Arbeiter mit sich fortreiBt, je weniger er sie daher als
Spiel seiner eignen korperlichen und geistigen Krafte genieBt.
Die einfachen Momente des Arbeitsprozesses sind die zweckmaBige Tatigkeit oder die
Arbeit selbst, ihr Gegenstand und ihr Mittel.
Die Erde (worunter okonomisch auch das Wasser einbegriffen), wie sie den Menschen
urspriinglich mit Proviant, fertigen Lebensmitteln ausriistet , findet sich ohne sein Zutun
als der allgemeine Gegenstand der menschlichen Arbeit vor. Alle Dinge, welche die Arbeit
nur von ihrem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erdganzen loslost, sind von Natur
vorgefundne Arbeitsgegenstande. So der Fisch, der von seinem Lebenselement, dem
Wasser, getrennt, gefangen wird, das Holz, das im Urwald gefallt, das Erz, das aus seiner
Ader losgebrochen wird. Ist der Arbeitsgegenstand dagegen selbst schon sozusagen durch
friihere Arbeit filtriert, so nennen wir ihn Rohmaterial. Z.B. das bereits losgebrochene Erz,
das nun ausgewaschen wird. Alles Rohmaterial ist Arbeitsgegenstand, aber nicht jeder
Arbeitsgegenstand ist Rohmaterial. Rohmaterial ist der Arbeitsgegenstand nur, sobald er
bereits eine durch Arbeit vermittelte Veranderung erfahren hat.
Das Arbeitsmittel ist ein Ding oder ein Komplex von Dingen, die der Arbeiter zwischen
sich und den Arbeitsgegenstand schiebt und die ihm als Leiter seiner Tatigkeit auf diesen
Gegenstand dienen. Er benutzt die mechanischen, physikalischen, cheemischen
Eigenschaften der Dinge, um sie als Machtmittel auf andre Dinge, seinem Zweck gemaB,
wirken zu lassen. Der Gegenstand, dessen sich der Arbeiter unmittelbar bemachtigt -
abgesehn von der Ergreifung fertiger Lebensmittel, der Friichte z.B., wobei seine eignen
Leibesorgane allein als Arbeitsmittel dienen - ist nicht der Arbeitsgegenstand, sondern das
Arbeitsmittel. So wird das Natiirliche selbst zum Organ seiner Tatigkeit, ein Organ, das er
seinen eignen Leibesorganen hinzufiigt, seine natiirliche Gestalt verlangernd, trotz der
Bibel. Wie die Erde seine urspriingliche Proviantkammer, ist sie sein urspriingliches
Arsenal von Arbeitsmitteln. Sie liefert ihm z.B. den Stein, womit er wirft, reibt, driickt,
schneidet usw. Die Erde selbst ist ein Arbeitsmittel, setzt jedoch zu ihrem Dienst als
Arbeitsmittel in der Agrikultur wieder eine ganze Reihe andrer Arbeitsmittel und eine
243
schon relativ hohe Entwicklung der Arbeitskraft voraus. Sobald iiberhaupt der
ArbeitsprozeB nur einigermaBen entwickelt ist, bedarf er bereits bearbeiteter Arbeitsmittel.
In den altesten Menschenhohlen finden wir Steinwerkzeuge und Steinwaffen. Neben
bearbeitetem Stein, Holz, Knochen und Muscheln spielt im Anfang der
Menschengeschichte das gezahmte, also selbst schon durch Arbeit veranderte, geziichtete
Tier die Hauptrolle als Arbeitsmittel. Der Gebrauch und die Schopfung von
Arbeitsmitteln, obgleich im Keim schon gewissen Tierarten eigen, charakterisieren den
spezifisch menschlichen ArbeitsprozeB, und Franklin definiert daher den Menschen als "a
toolmaking animal", ein Werkzeuge fabrizierendes Tier. Dieselbe Wichtigkeit, welche der
Bau von Knochenreliquien fur die Erkenntnis der Organisation untergegangner
Tiergeschlechter, haben Reliquien von Arbeitsmitteln fur die Beurteilung untergegangner
okonomischer Gesellschaftsformationen. Nicht was gemacht wird, sondern wie, mit
welch en Arbeitsmitteln gemacht wird, unterscheidet die okonomischen Epochen. Die
Arbeitsmittel sind nicht nur Gradmesser der Entwicklung der menschlichen Arbeitskraft,
sondern auch Anzeiger der gesellschaftlichen Verhaltnisse, worin gearbeitet wird. Unter
den Arbeitsmitteln selbst bieten die mechanischen Arbeitsmittel, deren Gesamtheit man das
Knochen und Muskelsystem der Produktion nennen kann, viel entscheidendere
Charaktermerkmale einer gesellschaftlichen Produktionsepoche als solche Arbeitsmittel,
die nur zu Behaltern des Arbeitsgegenstandes dienen und deren Gesamtheit ganz allgemein
als das GefaBsystem der Produktion bezeichnet werden kann, wie z. B. Rohren, Fasser,
Korbe, Kriige usw. Erst in der chemischen Fabrication spielen sie eine bedeutungsvolle
ID 11 246
Rolle.
5. Note zur 2.Ausg. So wenig die bisherige Geschichtsschreibung die Entwicklung der materiellen
Produktion, also die Grundlage alles gesellschaftlichen Lebens und daher aller wirklichen Geschichte
kennt, hat man wenigstens die vorhistorische Zeit auf Grundlage naturwissenschaftlicher, nicht sog.
historischer Forschungen nach dem Material der Werkzeuge und Waffen in Steinalter, Bronzealter und
Eisenalter abgeteilt.
l.Standort
l.Es scheint paradox, z.B. den Fisch, der noch nicht gefangen ist, ein Produktionsmittel fiir den
Fischfang zu nennen. Bisher ist aber noch nicht die Kunst erfunden, Fische in Gewassern zu fangen, in
denen sie sich nicht vorfinden.
2.Diese Bestimmung produktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen
Arbeitsprozesses ergibt, reicht keineswegs hin fur den kapitalistischen ProduktionsprozeB.
l.Storch unterscheidet das eigentliche Rohmaterial als "matiere" von den Hilfsstoffen als
"materiaux" [Henri Storch, "Cours d'economie politique, ou exposition des principes qui determinent la
prosperite des nations", Bd. 1, St.-Petersbourg 1815, S.228.]; Cherbuliez bezeichnet die Hilfsstoffe als
"matieres instrumentales" [A. Cherbuliez, "Richesse ou pauvretBe. Exposition des causes et des effets de la
distribution actuelle des richesses sociales", Paris 1841, S. 14.].
1.4. Auflage: dieses Produkts
l.Morgen
2.Aus diesem hochst logischen Grund entdeckt wohl Oberst Torrens in dem Stein des Wilden - den
Ursprung des Kapitals. »In dem ersten Stein, den der Wilde auf die Bestie wirft, die er verfolgt, in dem
ersten Stock, den er ergreift, um die Frucht niederzuziehn, die er nicht mit den Hdnden fassen kann,
sehn wir die Aneignung eines Artikels zum Zweck der Erwerbung eines andren und entdecken so - den
Ursprung des Kapitals. « (R.Torrens, "An Essay on the Production of Wealth etc.", p.70, 71.) Aus jenem
ersten Stock ist wahrscheinlich auch zu erklaren, warum stock im Englischen synonym mit Kapital ist.
l.»Die Produkte sind appropriiert, bevor sie in Kapital verwandelt werden; diese
Verwandlung entzieht sie nicht jener Appropriation. « (Cherbuliez, "Richesse ou Pauvrete", edit. Paris
1841, P. 54.) »Indem der Proletarier seine Arbeit gegen ein bestimmtes Quantum Lebensmittel
Im weiteren Sinn zahlt der ArbeitsprozeB unter seine Mittel auBer den Dingen, welche
die Wirkung der Arbeit auf ihren Gegenstand vermitteln und daher in einer oder der andren
Weise als Leiter der Tatigkeit dienen, alle gegenstandlichen Bedingungen, die iiberhaupt
erheischt sind, damit der ProzeB stattfinde. Sie gehn nicht direkt in ihn ein, aber er kann
ohne sie gar nicht oder nur unvollkommen vorgehn. Das allgemeine Arbeitsmittel dieser
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Art ist wieder die Erde selbst, denn sie gibt dem Arbeiter den locus standi 1* und
seinem ProzeB den Wirkungsraum (field of employment). Durch die Arbeit schon
vermittelte Arbeitsmittel dieser Art sind z.B. Arbeitsgebaude, Kanale, StraBen usw.
Im ArbeitsprozeB bewirkt also die Tatigkeit des Menschen durch das Arbeitsmittel eine
von vornherein bezweckte Veranderung des Arbeitsgegenstandes. Der ProzeB erlischt im
Produkt. Sein Produkt ist ein Gebrauchswert, ein durch Formveranderung menschhchen
Bediirfnissen angeeigneter Naturstoff. Die Arbeit hat sich mit ihrem Gegenstand
verbunden. Sie ist vergegenstandlicht, und der Gegenstand ist verarbeitet. Was auf seiten
des Arbeiters in der Form der Unruhe erschien, erscheint nun als gesponnen, und das
Produkt ist ein Gespinst. Betrachtet man den ganzen ProzeB vom Standpunkt seines
Resultats, des Produkts, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, als
Produktionsmittel und die Arbeit selbst als produktive Arbeit
Wenn ein Gebrauchswert als Produkt aus dem ArbeitsprozeB herauskommt, gehn andre
Gebrauchswerte, Produkte fruhrer Arbeitsprozesse, als Produktionsmittel in ihn ein.
Derselbe Gebrauchswert, der das Produkt dieser, bildet das Produktionsmittel jener Arbeit.
Produkte sind daher nicht nur Resultat, sondern zugleich Bedingung des Arbeitsprozesses.
Mit Ausnahme der extraktiven Industrie, die ihren Arbeitsgegenstand von Natur
vorfindet, wie Bergbau, Jagd, Fischfang usw. (der Ackerbau nur, soweit er in erster Instanz
die jungfrauliche Erde selbst aufbricht), behandeln alle Industriezweige einen Gegenstand,
der Rohmaterial, d.h. bereits durch die Arbeit filtrierter Arbeitsgegenstand, selbst schon
Arbeitsprodukt ist. So z.B. der Samen in der Agrikultur. Tiere und Pflanzen, die man als
Naturprodukte zu betrachten pflegt, sind nicht nur Produkte vielleicht der Arbeit vom
vorigen Jahr, sondern, in ihren jetzigen Formen, Produkte einer durch viele Generationen
unter menschlicher Kontrolle, vermittelst menschlicher Arbeit, fortgesetzten
Umwandlung. Was aber die Arbeitsmittel insbesondre betrifft, so zeigt ihre ungeheure
Mehrzahl dem oberflachlichsten Blick die Spur vergangner Arbeit.
Das Rohmaterial kann die Hauptsubstanz eines Produkts bilden oder nur als Hilfsstoff
in seine Bildung eingehn. Der Hilfsstoff wird vom Arbeitsmittel konsumiert, wie Kohle
von der Dampfmaschine, Ol vom Rade, Heu vom Zugpferd, oder dem Rohmaterial
zugesetzt, um darin eine stoffliche Veranderung zu bewirken, wie Chlor zur ungebleichten
Leinwand, Kohle zum Eisen, Farbe zur Wolle, oder er unterstiitzt die Verrichtung der
Arbeit selbst, wie z.B. zur Beleuchtung und Heizung des Arbeitslokals verwandte Stoffe.
Der Unterschied zwischen Hauptstoff und Hilfsstoff verschwimmt in der eigentlich
chemischen Fabrikation, weil keines der angewandten Rohmaterialien als die Substanz des
250
Produkts wieder erscheint.
Da jedes Ding vielerlei Eigenschaften besitzt und daher verschiedner Nutzanwendung
fahig ist, kann dasselbe Produkt das Rohmaterial sehr verschiedner Arbeitsprozesse bilden.
Korn z.B. ist Rohmaterial fur Miiller, Starkefabrikant, Destillateur, Viehziichter usw. Es
wird Rohmaterial seiner eignen Produktion als Samen. So geht die Kohle als Produkt aus
der Minenindustrie hervor und als Produktionsmittel in sie ein.
Dasselbe Produkt mag in demselben ArbeitsprozeB als Arbeitsmittel und Rohmaterial
dienen. Bei der Viehmast z.B., wo das Vieh, das bearbeitete Rohmaterial, zugleich Mittel
der Diingerbereitung ist.
Ein Produkt, das in einer fiir die Konsumtion fertigen Form existiert, kann von neuem
zum Rohmaterial eines andren Produkts werden, wie die Traube zum Rohmaterial des
Weins. Oder die Arbeit entlaBt ihr Produkt in Formen, worin es nur wieder als
Rohmaterial brauchbar ist. Rohmaterial in diesem Zustand heiBt Halbfabrikat und hieBe
besser Stufenfabrikat, wie z.B. Baumwolle, Faden, Garn usw. Obgleich selbst schon
Produkt, mag das ursprungliche Rohmaterial eine ganze Staffel verschiedner Prozesse zu
durchlaufen haben, worin es in stets veranderter Gestalt stets von neuem als Rohmaterial
funktioniert bis zum letzten ArbeitsprozeB, der es als fertiges Lebensmittel oder fertiges
Arbeitsmittel von sich abstoBt.
Man sieht: Ob ein Gebrauchswert als Rohmaterial, Arbeitsmittel oder Produkt erscheint,
hangt ganz und gar ab von seiner bestimmten Funktion im Arbeitsprozesse, von der Stelle,
die er in ihm einnimmt, und mit dem Wechsel dieser Stelle wechseln jene Bestimmungen.
Durch ihren Eintritt als Produktionsmittel in neue Arbeitsprozesse verlieren Produkte
daher den Charakter des Produkts. Sie funktionieren nur noch als gegenstandliche
Faktoren der lebendigen Arbeit. Der Spinner behandelt die Spindel nur als Mittel, womit,
den Flachs nur als Gegenstand, den er spinnt. AUerdings kann man nicht spinnen ohne
251
Spinnmaterial und Spindel. Das Vorhandensein dieser Produkte ist daher vorausgesetzt
beim Beginn des Spinnens. In diesem ProzeB selbst aber ist es ebenso gleichgiiltig, daB
Flachs und Spindel Produkte vergangner Arbeit sind, wie es im Akt der Ernahrung
gleichgiiltig ist, daB Brot das Produkt des vergangnen Arbeiten von Bauer, Miiller, Backer
usw. Umgekehrt. Machen Produktionsmittel im ArbeitsprozeB ihren Charakter als
Produkte vergangner Arbeit geltend, so durch ihre Mangel. Ein Messer, das nicht
schneidet, Garn, das bestandig zerreiBt usw., erinnern lebhaft an Messerschmied A und
Garnwichser E. Im gelungnen Produkt ist die Vermittlung seiner Gebrauchseigenschaften
durch vergangne Arbeit ausgeloscht.
Eine Maschine, die nicht im ArbeitsprozeB dient, ist nutzlos. AuBerdem verfallt sie der
zerstorenden Gewalt des natiirlichen Stoffwechsels. Das Eisen verrostet, das Holz verfault.
Garn, das nicht verwebt oder verstrickt wird, ist verdorbne Baumwolle. Die lebendige
Arbeit muB diese Dinge ergreifen, sie von den Toten erwecken, sie aus nur moglichen in
wirkliche und wirkende Gebrauchswerte verwandeln. Vom Feuer der Arbeit beleckt, als
Leiber derselben angeeignet, zu ihren begriffs- und berufsmaBigen Funktionen im ProzeB
begeistet, werden sie zwar auch verzehrt, aber zweckvoll, als Bildungselemente neuer
Gebrauchswerte, neuer Produkte, die fahig sind, als Lebensmittel in die individuelle
Konsumtion oder als Produktionsmittel in neuen ArbeitsprozeB einzugehn.
Wenn also vorhandne Produkte nicht nur Resultate, sondern auch Existenzbedingungen
des Arbeitsprozesses sind, ist andrerseits ihr Hineinwerfen in ihn, also ihr Kontakt mit
lebendiger Arbeit, das einzige Mittel, um diese Produkte vergangner Arbeit als
Gebrauchswerte zu erhalten und zu verwirklichen.
Die Arbeit verbraucht ihre stofflichen Elemente, ihren Gegenstand und ihr Mittel,
verspeist dieselben und ist also KonsumtionsprozeB. Diese produktive Konsumtion
unterscheidet sich dadurch von der individuellen Konsumtion, daB letztere die Produkte
als Lebensmittel des lebendigen Individuums, erstere sie als Lebensmittel der Arbeit, seiner
sich betatigenden Arbeitskraft, verzehrt. Das Produkt der individuellen Konsumtion ist
daher der Konsument selbst, das Resultat der produktiven Konsumtion ein vom
Konsumenten unterschiednes Produkt.
Sofern ihr Mittel und ihr Gegenstand selbst schon Produkte sind, verzehrt die Arbeit
Produkte, um Produkte zu schaffen, oder vernutzt Produkte als Produktionsmittel von
Produkten. Wie der ArbeitsprozeB aber urspriinglich nur zwischen dem Menschen und der
ohne sein Zutun vorhandnen Erde vorgeht, dienen in ihm immer noch auch solche
Produktionsmittel, die von Natur vorhanden, keine Verbindung von Naturstoff und
menschlicher Arbeit darstellen.
Der ArbeitsprozeB, wie wir ihn in seinen einfachen und abstrakten Momenten dargestellt
haben, ist zweckmaBige Tatigkeit zur Herstellung von Gebrauchswerten, Aneignung des
Natiirlichen fur menschliche Bediirfnisse, allgemeine Bedingung des Stoffwechsels
zwischen Mensch und Natur, ewige Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher
unabhangig von jeder Form dieses Lebens, vielmehr alien seinen Gesellschaftsformen
gleich gemeinsam. Wir hatten daher nicht notig, den Arbeiter im Verhaltnis zu andren
Arbeitern darzustellen. Der Mensch und seine Arbeit auf der einen, die Natur und ihre
Stoffe auf der andren Seite geniigten. So wenig man dem Weizen anschmeckt, wer ihn
gebaut hat, so wenig sieht man diesem ProzeB an, unter welchen Bedingungen er vorgeht,
ob unter der brutalen Peitsche des Sklavenaufsehers oder unter dem angstlichen Auge des
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Kapitalisten, ob Cincinnatus ihn verrichtet in der Bestellung seiner paar jugera oder der
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Wilde, der mit einem Stein eine Bestie erlegt.
Kehren wir zu unsrem Kapitalisten in spe zuriick. Wir verlieBen ihn, nachdem er auf
dem Warenmarkt alle zu einem ArbeitsprozeB notwendigen Faktoren gekauft hatte, die
gegenstandlichen Faktoren oder die Produktionsmittel, den personlichen Faktor oder die
Arbeitskraft. Er hat mit schlauem Kennerblick die fur sein besondres Geschaft, Spinnerei,
Stiefelfabrikation usw., passenden Produktionsmittel und Arbeitskrafte ausgewahlt. Unser
Kapitalist setzt sich also daran, die von ihm gekaufte Ware, die Arbeitskraft, zu
konsumieren, d.h., er laBt den Trager der Arbeitskraft, den Arbeiter, die Produktionsmittel
durch seine Arbeit konsumieren. Die allgemeine Natur des Arbeitsprozesses andert sich
natiirlich nicht dadurch, daB der Arbeiter ihn fur den Kapitalisten, statt fur sich selbst
verrichtet. Aber auch die bestimmte Art und Weise, wie man Stiefel macht oder Garn
spinnt, kann sich zunachst nicht andern durch die Dazwischenkunft des Kapitalisten. Er
muB die Arbeitskraft zunachst nehmen, wie er sie auf dem Markt vorfindet, also auch ihre
Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, wo es noch keine Kapitalisten gab. Die
Verwandlung der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das
Kapital kann sich erst spater ereignen und ist daher erst spater zu betrachten.
Der ArbeitsprozeB, wie er als KonsumtionsprozeB der Arbeitskraft durch den
Kapitalisten vorgeht, zeigt nun zwei eigentiimliche Phanomene.
Der Arbeiter arbeitet unter der Kontrolle des Kapitalisten, dem seine Arbeit gehort. Der
Kapitalist paBt auf, daB die Arbeit ordentlich vonstatten geht und die Produktionsmittel
zweckmaBig verwandt werden, also kein Rohmaterial vergeudet und das Arbeits instrument
geschont, d.h. nur so weit zerstort wird, als sein Gebrauch in der Arbeit ernotigt.
Zweitens aber: Das Produkt ist Eigentum des Kapitalisten, nicht des unmittelbaren
Produzenten, des Arbeiters. Der Kap-talist zahlt z.B. den Tageswert der Arbeitskraft. Hir
Gebrauch, wie der jeder andren Ware, z. B. eines Pferdes, das er fur einen Tag gemietet,
gehort ihm also fur den Tag. Dem Kaufer der Ware gehort der Gebrauch der Ware, und der
Besitzer der Arbeitskraft gibt in der Tat nur den von ihm verkauften Gebrauch swert, indem
er seine Arbeit gibt. Von dem Augenblicke, wo er in die Werkstatte des Kapitalisten trat,
gehorte der Gebrauchswert seiner Arbeitskraft, also ihr Gebrauch, die Arbeit, dem
Kapitalisten. Der Kapitalist hat durch den Kauf der Arbeitskraft die Arbeit selbst als
lebendigen Garungsstoff den toten ihm gleichfalls gehorigen Bildungselementen des
Produkts einverleibt. Von seinem Standpunkt ist der ArbeitsprozeB nur die Konsumtion
der von ihm gekauften Ware Arbeitskraft, die er jedoch nur konsumieren kann, indem er
ihr Produktionsmittel zusetzt. Der ArbeitsprozeB ist ein ProzeB zwi schen Dingen, die der
Kapitalist gekauft hat, zwischen ihm gehorigen Dingen. Das Produkt dieses Prozesses
gehort ihm daher ganz ebensosehr als das Produkt des Garungsprozesses in seinem
Weinkeller.
2. Verwertungsprozefi
Das Produkt - das Eigentum des Kapitalisten - ist ein Gebrauchswert, Garn, Stiefel usw.
Aber obgleich Stiefel z.B. gewissermaBen die Basis des gesellschaftlichen Fortschritts
bilden und unser Kapitalist ein entschiedner Fortschrittsmann ist, fabriziert er die Stiefel
nicht ihrer selbst wegen. Der Gebrauchswert ist iiberhaupt nicht das Ding qu'on aime pour
255
lui-meme in der Warenproduktion. Gebrauchswerte werden hier iiberhaupt nur
l.das man um seiner selbst willen liebt
l.»Nicht nur die auf Waren unmittelbar angewandte Arbeit beeinflufit ihren Wert, sondern
auch die Arbeit, die auf Gerdte, Werkzeuge und Gebaude verwendet worden ist, welche die unmittelbar
verausgabte Arbeit unterstiitzen.« (Ricardo, I.e. p. 16.)
l.Die Zahlen hier sind ganz willkiirlich.
l.Dies ist der Fundamentalsatz, worauf die Lehre der Physiokraten von der Unproduktivitat aller
nicht agrikolen Arbeit beruht, und er ist unumstoBlich fur den Okonomen - von Fach. »Diese Art, einem
einzigen Gegenstand den Wert mehrerer anderer zuzurechnene (z.B. dem Flachs den Lebensunterhalt
des Leinewebers), also sozusagen verschiedene Werte schichtweise auf einen einzigen aufzuhaufen,
bewirkt, dafi dieser in gleichem Umfang anwachst ... Der Ausdruck Addition bezeichnet sehr gut die
Art, wie der Preis der handwerklichen Erzeugnisse gebildet wird; dieser Preis ist nur die
Gesamtsumme mehrerer verbrauchter und zusammengezdhlter Werte; addieren jedoch bedeutet nicht
multiplizieren.« (Mercier de la Riviere, I.e. p. 599.)
l.So z.B. entzog er 1844-1847 [einen] Teil seines Kapitals dem produktiven Geschaft, um es in
Eisenbahnaktien zu verspekulieren, So, zur Zeit des amerikanischen Burgerkriegs, schloB er die Fabrik und
produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Trager des Tauschwerts sind. Und
unsrem Kapitalisten handelt es sich um zweierlei. Erstens will er einen Gebrauchswert
produzieren, der einen Tauschwert hat, einen zum Verkauf bestimmten Artikel, eine Ware.
Und zweitens will er eine Ware produzieren, deren Wert hoher als die Wertsumme der zu
ihrer Produktion erheischten Waren, der Produktionsmittel und der Arbeitskraft, fur die er
sein gutes Geld auf dem Warenmarkt vorschoB. Er will nicht nur einen Gebrauchswert
produzieren, sondern eine Ware, nicht nur Gebrauchswert, sondern Wert, und nicht nur
Wert, sondern auch Mehrwert.
In der Tat, da es sich hier um Warenproduktion handelt, haben wir bisher offenbar nur
eine Seite des Prozesses betrachtet. Wie die Ware selbst Einheit von Gebrauchswert und
Wert, muB ihr Produktion sprozeB Einheit von ArbeitsprozeB und WertbildungsprozeB
sein.
Betrachten wir den Produktion sprozeB nun auch als WertbildungsprozeB.
Wir wissen, daB der Wert jeder Ware bestimmt ist durch das Quantum der in ihrem
Gebrauchswert materialisierten Arbeit, durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit. Dies gilt auch fur das Produkt, das sich unsrem Kapitalisten als
Resultat des Arbeitsprozesses ergab. Es ist also zunachst die in diesem Produkt
vergegenstandlichte Arbeit zu berechnen.
Es sei z.B. Garn.
Zur Herstellung des Garns war zuerst sein Rohmaterial notig, z.B. 10 Pfund
Baumwolle. Was der Wert der Baumwolle, ist nicht erst zu untersuchen, denn der
Kapitalist hat sie auf dem Markt zu ihrem Wert, z.B. zu 10 sh. gekauft. In dem Preise der
Baumwolle ist die zu ihrer Produktion erheischte Arbeit schon als allgemein
gesellschaftliche Arbeit dargestellt. Wir wollen ferner annehmen, daB die in der
Verarbeitung der Baumwolle verzehrte Spindelmasse, die uns alle andren aufgewandten
Arbeitsmittel reprasentiert, einen Wert von 2 sh. besitzt. Ist eine Goldmasse von 12 sh. das
Produkt von 24 Arbeitsstunden oder zwei Arbeitstagen, so folgt zunachst, daB im Garn
zwei Arbeitstage vergegenstandlicht sind.
Der Umstand, daB die Baumwolle ihre Form verandert hat und die auf, gezehrte
Spindelmasse ganz verschwunden ist, darf nicht beirren. Nach dem allgemeinen Wertgesetz
sind z.B. 10 Pfund Garn ein Aquivalent fur 10 Pfund Baumwolle und x k Spindel, wenn der
Wert von 40 Pfund Garn = dem Wert von 40 Pfund Baumwolle + dem Wert einer ganzen
Spindel, d.h., wenn dieselbe Arbeitszeit erfordert ist, um beide Seiten dieser Gleichung zu
produzieren. In diesem Fall stellt sich dieselbe Arbeitszeit das eine Mai in dem
Gebrauchswert Garn, das andre Mai in den Gebrauchswerten Baumwolle und Spindel dar.
Der Wert ist also gleichgiiltig dagegen, ob er in Garn, Spindel oder Baumwolle erscheint.
DaB Spindel und Baumwolle, statt ruhig nebeneinander zu liegen, im Spinnprozesse eine
Verbindung eingehn, welche ihre Gebrauchsformen verandert, sie in Garn verwandelt,
beriihrt ihren Wert ebensowenig, als wenn sie durch einfachen Austausch gegen ein
Aquivalent von Garn umgesetzt worden waren.
Die zur Produktion der Baumwolle erheischte Arbeitszeit ist Teil der zur Produktion
des Garns, dessen Rohmaterial sie bildet, erheischten Arbeitszeit und deshalb im Garn
enthalten. Ebenso verhalt es sich mit der Arbeitszeit, die zur Produktion der Spindelmasse
erheischt ist, ohne deren VerschleiB oder Konsum die Baumwolle nicht versponnen
werden kann.
Soweit also der Wert des Garns, die zu seiner Herstellung erheischte Arbeitszeit, in
Betrachtung kommt, konnen die verschiednen besondren, der Zeit und dem Raum nach
getrennten Arbeitsprozesse, die durchlaufen werden miissen, um die Baumwolle selbst und
die vernutzte Spindelmasse zu produzieren, endlich aus Baumwolle und Spindel Garn zu
machen, als verschiedne aufeinander folgende Phasen eines und desselben
Arbeitsprozesses betrachtet werden. Alle im Garn enthaltne Arbeit ist vergangne Arbeit.
DaB die zur Produktion seiner Bildungselemente erheischte Arbeitszeit friiher vergangen
ist, im Plusquamperfektum steht, dagegen die zum SchluBprozeB, dem Spinnen,
unmittelbar verwandte Arbeit dem Prasens naher, im Perfektum steht, ist ein durchaus
gleichgiiltiger Umstand. Ist eine bestimmte Masse Arbeit, z.B. von 30 Arbeitstagen, zum
Bau eines Hauses notig, so andert es nichts am Gesamtquantum der dem Hause
einverleibten Arbeitszeit, daB der 30. Arbeitstag 29 Tage spater in die Produktion einging
als der erste Arbeitstag. Und so kann die im Arbeitsmaterial und Arbeitsmittel enthaltne
Arbeitszeit ganz so betrachtet werden, als ware sie nur in einem fruheren Stadium des
Spinnprozesses verausgabt worden, vor der zuletzt unter der Form des Spinnens
zugesetzten Arbeit.
Die Werte der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel, ausgedriickt in dem
Preise von 12 sh., bilden also Bestandteile des Garnwerts oder des Werts des Produkts.
Nur sind zwei Bedingungen zu erfullen. Einmal miissen Baumwolle und Spindel
wirklich zur Produktion eines Gebrauchswerts gedient haben. Es muB in unsrem Fall Garn
aus ihnen geworden sein. Welcher Gebrauchswert ihn tragt, ist dem Wert gleichgiiltig, aber
ein Gebrauchswert muB ihn tragen. Zweitens ist vorausgesetzt, daB nur die unter den
gegebnen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen notwendige Arbeitszeit verwandt
wurde. Ware also nur 1 Pfund Baumwolle notig, um 1 Pfund Garn zu spinnen, so darf nur
1 Pfund Baumwolle verzehrt sein in der Bildung von 1 Pfund Garn. Ebenso verhalt es sich
mit der Spindel. Hat der Kapitalist die Phantasie, goldne statt eiserner Spindeln
anzuwenden, so zahlt im Garnwert dennoch nur die gesellschaftlich notwendige Arbeit,
d.h. die zur Produktion eiserner Spindeln notwendige Arbeitszeit.
Wir wissen jetzt, welchen Teil des Garnwerts die Produktionsmittel, Baumwolle und
Spindel, bilden. Er ist gleich 12 sh. oder die Materiatur von zwei Arbeitstagen. Es handelt
sich also nun um den Wertteil, welchen die Arbeit des Spinners selbst der Baumwolle
zusetzt.
Wir haben diese Arbeit jetzt von einem ganz andren Gesichtspunkte zu betrachten, als
wahrend des Arbeitsprozesses. Dort handelte es sich um die zweckmaBige Tatigkeit,
Baumwolle in Garn zu verwandeln. Je zweckmaBiger die Arbeit, desto besser das Garn,
alle andren Umstande als gleichbleibend vorausgesetzt. Die Arbeit des Spinners war
spezifisch verschieden von andren produktiven Arbeiten, und die Verschiedenheit
offenbarte sich subjektiv und objektiv, im besondren Zweck des Spinnens, seiner
besondren Operationsweise, der besondren Natur seiner Produktionsmittel, dem besondren
Gebrauchswert seines Produkts. Baumwolle und Spin del dienen als Lebensmittel der
Spinnarbeit, aber man kann mit ihnen keine gezogenen Kanonen machen. Sofern die Arbeit
des Spinners dagegen wertbildend ist, d.h. Wertquelle, ist sie durchaus nicht verschieden
von der Arbeit des Kanonenbohrers, oder, was uns hier naher liegt, von den in den
Produktionsmitteln des Garns verwirklichten Arbeiten des Baurnwollpflanzers und des
Spindelmachers. Nur wegen dieser Identitat konnen Baumwollpflanzen, Spindelmachen
und Spinnen bloB quantitativ verschiedne Teile desselben Gesamtwerts, des Garnwerts,
bilden. Es handelt sich hier nicht mehr um die Qualitat, die Beschaffenheit und den Inhalt
der Arbeit, sondern nur noch um ihre Quantitat. Diese ist einfach zu zahlen. Wir nehmen
an, daB die Spinnarbeit einfache Arbeit, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit ist. Man wird
spater sehn, daB die gegenteilige Annahme nichts an der Sache andert.
Wahrend des Arbeitsprozesses setzt sich die Arbeit bestandig aus der Form der Unruhe
in die des Seins, aus der Form der Bewegung in die der Gegenstandlichkeit um. Am Ende
einer Stunde ist die Spinnbewegung in einem gewissen Quantum Garn dargestellt, also ein
bestimmtes Quantum Arbeit, eine Arbeitsstunde, in der Baumwolle vergegenstandlicht.
Wir sagen Arbeitsstunde, d.h. die Verausgabung der Lebenskraft des Spinners wahrend
einer Stunde, denn die Spinnarbeit gilt hier nur, soweit sie Verausgabung von Arbeitskraft,
nicht soweit sie die spezifische Arbeit des Spinnens ist.
Es ist nun entscheidend wichtig, daB wahrend der Dauer des Prozesses, d.h. der
Verwandlung von Baumwolle in Garn, nur die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit
verzehrt wird. Miissen unter normalen, d.h. durchschnittlichen gesellschaftlichen
Produktionsbedingungen, a Pfund Baumwolle wahrend einer Arbeitsstunde in b Pfund
Garn verwandelt sein, so gilt nur der Arbeitstag als Arbeitstag von 12 Stunden, der 12 x a
Pfund Baumwolle in 12 x b Pfund Garn verwandelt. Denn nur die gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit zahlt als wertbildend.
Wie die Arbeit selbst, so erscheint hier auch Rohmaterial und Produkt in einem ganz
andren Licht als vom Standpunkt des eigentlichen Arbeitsprozesses. Das Rohmaterial gilt
hier nur als Aufsauger eines bestimmten Quantums Arbeit. Durch diese Aufsaugung
verwandelt es sich in der Tat in Garn, weil die Arbeitskraft in der Form der Spinnerei
verausgabt und ihm zugesetzt wurde. Aber das Produkt, das Garn, ist jetzt nur noch
Gradmesser der von der Baumwolle eingesaugten Arbeit. Wird in einer Stunde W3 Pfund
Baumwolle versponnen oder in W3 Pfund Garn verwandelt, so zeigen 10 Pfund Garn 6
eingesaugte Arbeitsstunden an. Bestimmte und erfahrungsmaBig festgestellte Quanta
Produkt stellen jetzt nichts dar als bestimmte Quanta Arbeit, bestimmte Masse
festgeronnener Arbeitszeit. Sie sind nur noch Materiatur von einer Stunde, zwei Stunden,
einem Tag gesellschaftlicher Arbeit.
DaB die Arbeit grade Spinnarbeit, ihr Material Baumwolle und ihr Produkt Garn, wird
hier ebenso gleichgiiltig, als daB der Arbeitsgegen stand selbst schon Produkt, also
Rohmaterial ist. Ware der Arbeiter, statt in der Spinnerei, in der Kohlengrube beschaftigt,
so ware der Arbeitsgegenstand, die Kohle, von Natur vorhanden. Dennoch stellte ein
bestimmtes Quantum aus dem Bett losgebrochener Kohle, z.B. ein Zentner, ein
bestimmtes Quantum aufgesaugter Arbeit dar.
Beim Verkauf der Arbeitskraft ward unterstellt, daB ihr Tageswert 3 sh., und in den
letztren 6 Arbeitsstunden verkorpert sind, dies Arbeitsquantum also erheischt ist, um die
Durchschnittssumme der taglichen Lebensmittel des Arbeiters zu produzieren. Verwandelt
unser Spinner nun wahrend einer Arbeitsstunde 1 2/g Pfund Baumwolle in 1 ^/^ Pfund
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Garn , so in 6 Stunden 10 Pfund Baumwolle in 10 Pfund Garn. Wahrend der Dauer des
Spinnprozesses saugt die Baumwolle also 6 Arbeitsstunden ein. Dieselbe Arbeitszeit stellt
sich in einem Goldquantum von 3 sh. dar. Der Baumwolle wird also durch das Spinnen
selbst ein Wert von 3 sh. zugesetzt.
Sehn wir uns nun den Gesamtwert des Produkts, der 10 Pfund Garn, an. In ihnen sind
2Vi Arbeitstage vergegenstandlicht, 2 Tage enthalten in Baumwolle und Spindelmasse, l /i
Tag Arbeit eingesaugt wahrend des Spinnprozesses. Dieselbe Arbeitszeit stellt sich in einer
Goldmasse von 15 sh. dar. Der dem Wert der 10 Pfund Garn adaquate Preis betragt also
15 sh., der Preis eines Pfundes Garn 1 sh. 6 d.
Unser Kapitalist stutzt. Der Wert des Produkts ist gleich dem Wert des vorgeschossenen
Kapitals. Der vorgeschossene Wert hat sich nicht verwertet, keinen Mehrwert erzeugt,
Geld sich also nicht in Kapital verwandelt. Der Preis der 10 Pfund Garn ist 15 sh., und 15
sh. wurden verausgabt auf dem Warenmarkt fur die Bildungselemente des Produkts oder,
was dasselbe, die Faktoren des Arbeitsprozesses: 10 sh. fur Baumwolle, 2 sh. fur die
verzehrte Spindelmasse und 3 sh. fur Arbeitskraft. Der aufgeschwollne Wert des Garns
hilft nichts, denn sein Wert ist nur die Summe der fruher auf Baumwolle, Spindel und
Arbeitskraft verteilten Werte, und aus einer solchen bloBen Addition vorhandner Werte
kann nun und nimmermehr ein Mehrwert entspringen. Diese Werte sind jetzt alle auf
ein Ding konzentriert, aber so waren sie in der Geldsumme von 15 sh., bevor diese sich
durch drei Warenkaufe zersplitterte.
An und fur sich ist dies Resultat nicht befremdlich. Der Wert eines Pfund Garn ist 1 sh.
6 d., und fur 10 Pfund Garn muBte unser Kapitalist daher auf dem Warenmarkt 15 sh.
zahlen. Ob er sein Privathaus fertig auf dem Markt kauft oder es selbst bauen laBt, keine
dieser Operationen wird das im Erwerb des Hauses ausgelegte Geld vermehren.
Der Kapitalist, der in der Vulgarokonomie Bescheid weiB, sagt vielleicht, er habe sein
Geld mit der Absicht vorgeschossen, mehr Geld daraus zu machen. Der Weg zur Holle ist
jedoch mit guten Absichten gepflastert, und er konnte ebensogut der Absicht sein, Geld zu
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machen, ohne zu produzieren. Er droht. Man werde ihn nicht wieder ertappen. Kiinftig
werde er die Ware fertig auf dem Markt kaufen, statt sie selbst zu fabrizieren. Wenn aber
alle seine Briider Kapitalisten desgleichen tun, wo soil er Ware auf dem Markt finden?
Und Geld kann er nicht essen. Er katechisiert. Man soil seine Abstinenz bedenken. Er
konnte seine 15 sh. verprassen. Statt dessen hat er sie produktiv konsumiert und Garn
daraus gemacht. Aber dafur ist er ja im Besitz von Garn statt von Gewissensbissen. Er
muB beileibe nicht in die Rolle des Schatzbildners zuriickfallen, der uns zeigte, was bei der
Asketik herauskommt. AuBerdem, wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.
Welches immer das Verdienst seiner Entsagung, es ist nichts da, um sie extra zu zahlen, da
der Wert des Produkts, der aus dem ProzeB herauskommt, nur gleich der Summe der
hineingeworfenen Warenwerte. Er beruhige sich also dabei, daB Tugend der Tugend Lohn.
Statt dessen wird er zudringlich. Das Garn ist ihm unniitz. Er hat es fur den Verkauf
produziert. So verkaufe er es, oder, noch einfacher, produziere in Zukunft nur Dinge fiir
seinen eignen Bedarf, ein Rezept, das ihm bereits sein Hausarzt MacCulloch als probates
Mittel gegen die Epidemie der Uberproduktion verschrieben hat. Er stellt sich tratzig auf
die Hinterbeine. Sollte der Arbeiter mit seinen eignen GliedmaBen in der blauen Luft
Arbeitsgebilde schaffen, Waren produzieren? Gab er ihm nicht den Stoff, womit und worin
er allein seine Arbeit verleiblichen kann? Da nun der groBte Teil der Gesellschaft aus
solchen Habenichtsen besteht, hat er nicht der Gesellschaft durch seine Produktionsmittel,
seine Baumwolle und seine Spindel, einen unermeBlichen Dienst erwiesen, nicht dem
Arbeiter selbst, den er obendrein noch mit Lebensmitteln versah? Und soil er den Dienst
nicht berechnen? Hat der Arbeiter ihm aber nicht den Gegendienst erwiesen, Baumwolle
und Spindel in Garn zu verwandeln? AuBerdem handelt es sich hier nicht um Dienste.
2.»Las du rhtimen, schmiicken und putzen...Wer aber mehr oder besseres nimpt« (als er gibt),
»das ist Wucher, und heisst, nicht Dienst, sondern Schaden gethan seinem Nehesten, als mit stelen und
rauben geschieht. Es ist nicht alles Dienst und wolgethan dem Nehesten, was man heisst, Dienst und
wolgethan. Denn eine Ehebrecherin und Ehebrecher thun einander grossen Dienst und wolgefallen.
Ein Reuter thut einem Mordbrenner grossen reuterdienst, das er im hilfft auff der strassen rauben,
Land und Leute bevehden. Die Papisten thun den unsern grossen Dienst, das sie nicht alle ertrenken,
verbrennen, ermorden, im Gefengnis verfaulen lassen, sondern lassen doch etliche leben, und
verjagen sie, oder nemen jnen was sie haben. Der Teuffel thut selber seinen Dienern grossen,
unernnesslichen Dienst ... Summa, die Welt ist vol grosser, trefflicher teglicher Dienst und
wohlthaten.« (Martin Luther, "An die Pfarrherrn, wider den Wucher zu predigen etc.", Wittenberg 1540.)
3.1ch bemerke dariiber in "Zur Kritik der Pol. Oek.", p. 14 u.a.: »Man begreift, welchen "Dienst" die
Kategorie "Dienst" (service) einer Sorte Okonomen wie J.B. Say und F. Bastiat leisten mu6.« [Siehe MEW,
Band 13, S.24]
4.Aufseher
l.Kasus, der ihn lachen macht - abgewandeltes Zitat aus Goethes "Faust", 1 Teil, "Studierzimmer".
l.»Tout pour le mieux dans le meilleur des mondes possibles« (»Alles ist aufs Beste bestellt in
der besten der moglichen Welten«) - Aphorismus aus Voltaires satirischem Roman "Candide, ou
l'optimisme".
l.als hdtt' es Lieb' im Leibe - abgewandeltes Zitat aus Goethes "Faust", 1 .Teil, "Auerbachs Keller in
Leipzig".
l.ein eignes Strafgesetzbuch
2. Dies ist einer der Umstande, die auf Sklaverei gegriindete Produktion verteuern. Der Arbeiter
soil sich hier, nach dem treffenden Ausdruck der Alten, nur als instrumentum vocale [sprachbegabtes
Werkzeug] von dem Tier als instrumentum semivocale [stimmbegabtem Werkzeug] und dem toten
Arbeitszeug als instrumentum mutum [stummem Werkzeug] unterscheiden. Er selbst aber laBt Tier und
Arbeitszeug fuhlen, daB er nicht ihresgleichen, sondern ein Mensch ist. Er verschafft sich das Selbstgefuhl
seines Unterschieds von ihnen, indem er sie miBhandelt und con amore verwiistet. Es gilt daher als
okonomisches Prinzip in dieser Produktionsweise, nur die rohesten, schwerfalligsten, aber grade wegen
Ein Dienst ist nichts als die nutzliche Wirkung eines Gebrauchswerts, sei es der Ware, sei
es der Arbeit. Hier aber gilt's den Tauschwert. Er zahlte dem Arbeiter den Wert von 3
sh. Der Arbeiter gab ihm ein exaktes Aquivalent zuriick in dem der Baumwolle
zugesetzten Wert von 3 sh. Wert fur Wert. Unser Freund, eben noch so kapitalubermiitig,
nimmt plotzlich die anspruchslose Haltung seines eignen Arbeiters an. Hat er nicht selbst
gearbeitet? nicht die Arbeit der Uberwachung, der Oberaufsicht iiber den Spinner
verrichtet? Bildet diese seine Arbeit nicht auch Wert? Sein eigner overlooker und sein
Manager zucken die Achseln. Unterdes hat er aber bereits mit heitrem Lacheln seine alte
Physiognomie wieder angenommen. Er foppte uns mit der ganzen Litanei. Er gibt keinen
Deut darum. Er uberlaBt diese und ahnliche faule Ausfliichte und hohle Flausen den dafur
eigens bezahlten Professoren der politischen Okonomie. Er selbst ist ein praktischer Mann,
der zwar nicht immer bedenkt, was er auBerhalb des Geschafts sagt, aber stets weiB, was er
im Geschaft tut.
Sehn wir naher zu. Der Tageswert der Arbeitskraft betrug 3 sh., weil in ihr selbst ein
halber Arbeitstag vergegenstandlicht ist, d.h. weil die taglich zur Produktion der
Arbeitskraft notigen Lebensmittel einen halben Arbeitstag kosten. Aber die vergangne
Arbeit, die in der Arbeitskraft steckt, und die lebendige Arbeit, die sie leisten kann, ihre
taglichen Erhaltungskosten und ihre tagliche Verausgabung, sind zwei ganz verschiedne
GroBen. Die erstere bestimmt ihren Tauschwert, die andre bildet ihren Gebrauchswert. DaB
ein halber Arbeitstag notig, um ihn wahrend 24 Stunden am Leben zu erhalten, hindert den
Arbeiter keineswegs, einen ganzen Tag zu arbeiten. Der Wert der Arbeitskraft und ihre
Verwertung im ArbeitsprozeB sind also zwei verschiedne GroBen. Diese Wertdifferenz
hatte der Kapitalist im Auge, als er die Arbeitskraft kaufte. Dire niitzliche Eigenschaft,
Garn oder Stiefel zu machen, war nur eine conditio sine qua non, weil Arbeit in niitzlicher
Form verausgabt werden muB, um Wert zu bilden. Was aber entschied, war der spezifische
Gebrauchswert dieser Ware, Quelle von Wert zu sein und von mehr Wert, als sie selbst
hat. Dies ist der spezifische Dienst, den der Kapitalist von ihr erwartet. Und er verfahrt
dabei den ewigen Gesetzen des Warenaustausches gemaB. In der Tat, der Verkaufer der
Arbeitskraft, wie der Verkaufer jeder andren Ware, realisiert ihren Tauschwert und
verauBert ihren Gebrauchswert. Er kann den einen nicht erhalten, ohne den andren
wegzugeben. Der Gebrauchswert der Arbeitskraft, die Arbeit selbst, gehort ebensowenig
ihrem Verkaufer, wie der Gebrauchswert des verkauften Ols dem Olhandler. Der
Geldbesitzer hat den Tageswert der Arbeitskraft gezahlt; ihm gehort daher ihr Gebrauch
wahrend des Tages, die tagelange Arbeit. Der Umstand, daB die tagliche Erhaltung der
Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskfaft einen ganzen Tag
wirken, arbeiten kann, daB daher der Wert, den ihr Gebrauch wahrend eines Tags schafft,
doppelt so groB ist als ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Gliick fur den Kaufer, aber
durchaus kein Unrecht gegen den Verkaufer.
Unser Kapitalist hat den Kasus, der ihn lachen macht , vorgesehn. Der Arbeiter findet
daher in der Werkstatte die notigen Produktionsmittel nicht nur fur einen sechsstiindigen,
sondern fur einen zwolfstiindigen ArbeitsprozeB. Saugten 10 Pfund Baumwolle 6
Arbeitsstunden ein und verwandelten sich in 10 Pfund Garn, so werden 20 Pfund
Baumwolle 12 Arbeitsstunden einsaugen und in 20 Pfund Garn verwandelt. Betrachten
wir das Produkt des verlangerten Arbeitsprozesses. In den 20 Pfund Gam sind jetzt 5
Arbeitstage vergegenstandlicht, 4 in der verzehrten Baumwoll, und Spindelmasse, 1 von
der Baumwolle eingesaugt wahrend des Spinnprozesses. Der Goldausdruck von 5
Arbeitstagen ist aber 30 sh. oder 1 Pfd.st. 1 Osh. Dies also der Preis der 20 Pfund Garn.
Das Pfund Garn kostet nach wie vor 1 sh. 6 d. Aber die Wertsumme der in den ProzeB
geworfenen Waren betrug 27 sh. Der Wert des Garns betragt 30 sh. Der Wert des Produkts
ist um V9 gewachsen liber den zu seiner Produktion vor, geschoBnen Wert. So haben sich
27 sh. in 30 sh. verwandelt. Sie haben einen Mehrwert von 3 sh. gesetzt. Das Kunststiick
ist endlich gelungen. Geld ist in Kapital verwandelt.
AUe Bedingungen des Problems sind gelost und die Gesetze des Warenaustausches in
keiner Weise verletzt. Aquivalent wurde gegen Aquivalent ausgetauscht. Der Kapitalist
zahlte als Kaufer jede Ware zu ihrem Wert, Baumwolle, Spindelmasse, Arbeitskraft. Er tat
dann, was jeder andre Kaufer von Waren tut. Er konsumierte ihren Gebrauchswert. Der
KonsumtionsprozeB der Arbeitskraft, der zugleich ProduktionsprozeB der Ware, ergab ein
Produkt von 20 Pfund Garn mit einem Wert von 30 sh. Der Kapitalist kehrt nun zum
Markt zuriick und verkauft Ware, nachdem er Ware gekauft hat. Er verkauft das Pfund
Garn zu 1 sh. 6 d., keinen Deut liber oder unter seinem Wert. Und doch zieht er 3 sh. mehr
aus der Zirkulation heraus, als er urspriinglich in sie hineinwarf. Dieser ganze Verlauf, die
Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulationssphare vor und geht nicht in
ihr vor. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der
Arbeitskraft auf dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den
VerwertungsprozeB ein, der sich in der Produktionssphare zutragt. Und so ist »tout pour
le mieux dans le meilleur des mondes possibles«
Indem der Kapitalist Geld in Waren verwandelt, die als Stoffbildner eines neuen
Produkts oder als Faktoren des Arbeitsprozesses dienen, indem er ihrer toten
Gegenstandlichkeit lebendige Arbeitskraft einverleibt, verwandelt er Wert, vergangne,
vergegenstandlichte, tote Arbeit in Kapital, sich selbst verwertenden Wert, ein beseeltes
Ungeheuer, das zu arbeiten beginnt, als hatt' es Lieb' im Leibe
Vergleichen wir nun WertbildungsprozeB und VerwertungsprozeB, so ist der
VerwertungsprozeB nichts als ein liber einen gewissen Punkt hinaus verlangerter
WertbildungsprozeB. Dauert der letztre nur bis zu dem Punkt, wo der vom Kapital
gezahlte Wert der Arbeitskraft durch ein neues Aquivalent ersetzt ist, so ist er einfacher
WertbildungsprozeB. Dauert der WertbildungsprozeB liber diesen Punkt hinaus, so wird er
VerwertungsprozeB .
Vergleichen wir ferner den WertbildungsprozeB mit dem ArbeitsprozeB, so besteht der
letztre in der niitzlichen Arbeit, die Gebrauchswerte produziert. Die Bewegung wird hier
qualitativ betrachtet, in ihrer besondren Art und Weise, nach Zweck und Inhalt. Derselbe
ArbeitsprozeB stellt sich im WertbildungsprozeB nur von seiner quantitativen Seite dar. Es
handelt sich nur noch um die Zeit, welche die Arbeit zu ihrer Operation braucht, oder um
die Dauer, wahrend deren die Arbeitskraft niitzlich verausgabt wird. Hier gelten auch die
Waren, die in den ArbeitsprozeB eingehn, nicht mehr als funktionell bestimmte, stoffliche
Faktoren der zweckmaBig wirkenden Arbeitskraft. Sie zahlen nur noch als bestimmte
Quanta vergegenstandlichter Arbeit. Ob in den Produktionsmitteln enthalten oder durch
die Arbeitskraft zugesetzt, die Arbeit zahlt nur noch nach ihrem ZeitmaB. Sie betragt so
viel Stunden, Tage usw.
Sie zahlt jedoch nur, soweit die zur Produktion des Gebrauchswerts verbrauchte Zeit
gesellschaftlich notwendig ist. Es umfaBt dies Verschiednes. Die Arbeitskraft muB unter
normalen Bedingungen funktionieren. Ist die Spinnmaschine das gesellschaftlich
herrschende Arbeitsmittel fur die Spinnerei, so darf dem Arbeiter nicht ein Spinnrad in die
Hand gegeben werden. Statt Baumwolle von normaler Giite muB er nicht Schund erhalten,
der jeden Augenblick reiBt. In beiden Fallen wiirde er mehr als die gesellschaftlich
notwendige Arbeitszeit zur Produktion eines Pfundes Garn verbrauchen, diese
iiberschussige Zeit aber nicht Wert oder Geld bilden. Der normale Charakter der
gegenstandlichen Arbeitsfaktoren hangt jedoch nicht vom Arbeiter, sondern vom
Kapitalisten ab. Fernere Bedingung ist der normale Charakter der Arbeitskraft selbst. In
dem Fach, worin sie verwandt wird, muB sie das herrschende DurchschnittsmaB von
Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen. Aber unser Kapitalist kaufte auf dem
Arbeitsmarkt Arbeitskraft von normaler Giite. Diese Kraft muB in dem gewohnlichen
DurchschnittsmaB der Anstrengung, mit dem gesellschaftlich iiblichen Grad von Intensitat
verausgabt werden. Dariiber wacht der Kapitalist ebenso angstlich, als daB keine Zeit ohne
Arbeit vergeudet wird. Er hat die Arbeitskraft fur bestimmte Zeitfrist gekauft. Er halt
darauf, das Seine zu haben. Er will nicht bestohlen sein. Endlich - und hierfur hat derselbe
Heir einen eignen code penal - darf kein zweckwidriger Konsum von Rohmaterial und
Arbeitsmitteln stattfinden, weil vergeudetes Material oder Arbeitsmittel uberfliissig
verausgabte Quanta vergegenstandlichter Arbeit darstellen, also nicht zahlen und nicht in
das Produkt der Wertbildung eingehn.
Man sieht: der fruher aus der Analyse der Ware gewonnene Unterschied zwischen der
Arbeit, soweit sie Gebrauchswert, und derselben Arbeit, soweit sie Wert schafft, hat sich
jetzt als Unterscheidung der verschiednen Seiten des Produktionsprozesses dargestellt.
Als Einheit von ArbeitsprozeB und WertbildungsprozeB ist der ProduktionsprozeB
Produktion sprozeB von Waren; als Einheit von ArbeitsprozeB und VerwertungsprozeB ist
er kapitalistischer ProduktionsprozeB, kapitalistische Form der Warenproduktion.
Es wurde fruher bemerkt, daB es fur den VerwertungsprozeB durchaus gleichgiiltig, ob
die vom Kapitalisten angeeignete Arbeit einfache, gesellschaftliche Durchschnittsarbeit
oder kompliziertere Arbeit, Arbeit von hoherem spezifischen Gewicht ist. Die Arbeit, die
als hohere, kompliziertere Arbeit gegenuber der gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit gilt,
ist die AuBerung einer Arbeitskraft, worin hohere Bildungskosten eingehn, deren
Produktion mehr Arbeitszeit kostet und die daher einen hohren Wert hat als die einfache
Arbeitskraft. Ist der Wert dieser Kraft hoher, so auBert sie sich daher auch in hoherer
Arbeit und vergegenstandlicht sich daher, in denselben Zeitraumen, in verhaltnismaBig
hoheren Werten. Welches jedoch immer der Gradunterschied zwischen Spinnarbeit und
Juwelierarbeit, die Portion Arbeit, wodurch der Juwelenarbeiter nur den Wert seiner
eignen Arbeitskraft ersetzt, unterscheidet sich qualitativ in keiner Weise von der
zusatzlichen Portion Arbeit, wodurch er Mehrwert schafft. Nach wie vor kommt der
Mehrwert nur heraus durch einen quantitativen UberschuB von Arbeit, durch die
verlangerte Dauer desselben Arbeitsprozesses, in dem einen Fall ProzeB der
268
Garnproduktion, in dem andren Fall ProzeB der Juwelenproduktion.
l.Der Unterschied zwischen hoherer und einfacher Arbeit, "skilled" und "unskilled labour", beruht
zum Teil auf bloBen Illusionen oder wenigstens Unterschieden, die langst aufgehort haben, reell zu sein,
und nur noch in traditioneller Konvention fortleben; zum Teil auf der hilfloseren Lage gewisser Schichten
der Arbeiterklasse, die ihnen minder als andren erlaubt, den Wert ihrer Arbeitskraft zu ertrotzen. Zufallige
Umstande spielen dabei so groBe Rolle, daB dieselben Arbeitsarten den Platz wechseln. Wo z.B. die
physische Substanz der Arbeiterklasse abgeschwacht und relativ erschopft ist, wie in alien Landern
entwickelter kapitalistischer Produktion, verkehren sich im allgemeinen brutale Arbeiten, die viel
Muskelkraft erfordern, in hohere gegeniiber viel feineren Arbeiten, die auf die Stufe einfacher Arbeit
herabsinken, wie z.B. die Arbeit eines bricklayer (Maurer) in England eine viel hohere Stufe einnimmt als
die eines Damastwirkers. Auf der andren Seite figuriert die Arbeit eines fustian cutter
(Baumwollsamtscherers), obgleich sie viel korperliche Anstrengung kostet und obendrein sehr ungesund
ist, als "einfache" Arbeit. Ubrigens muB man sich nicht einbilden, daB die sogenannte "skilled labour" einen
quantitativ bedeutenden Umfang in der Nationalarbeit einnimmt. Laing rechnet, daB in England (und Wales)
die Existenz von iiber 11 Millionen auf einfacher Arbeit beruht. Nach Abzug einer Million von Aristokraten
und anderthalb Millionen Paupers, Vagabunden, Verbrecher, Prostituierte usw. von den 18 Millionen der
Bevolkerungszahl, zur Zeit seiner Schrift, bleiben 4.650.000 Mittelklasse mit EinschluB kleinerer Rentner,
Beamten, Schriftsteller, Kiinstler, Schulmeister usw. Um diese 4 /j Millionen herauszubekommen, zahlt
er zum arbeitenden Teil der Mittelklasse, auBer Bankiers usw., alle besser bezahlten "Fabrikarbeiter" ! Auch
die bricklayers fehlen nicht unter den "potenzierten Arbeitern". Bleiben ihm dann die besagten 11
Millionen. (S. Laing, "National Distress etc.", London 1844, [p. 49-52 passim].) »Die grofie Klasse, die fiir
Nahrung nichts zu geben vermag als gewohnliche Arbeit, ist die grofie Masse des Volkes.« (James Mill
in Art. "Colony". "Supplement to the Encyclop. Brit.", 1831.)
l.»Wo von Arbeit als Mafistab des Wertes gesprochen wird, versteht man darunter
notwendigerweise Arbeit einer bestimmten Art ... das Verhaltnis, in dem die andren Arten von Arbeit zu
ihr stehen, ist leicht zu ermittteln.e ([J. Cazenove,] "Outlines of Polit. Economy", London 1832, p. 22, 23.)
l.»Arbeit ergibt eine neue Schopfung an Stelle einer vernichteten.« ("An Essay on the Polit.
Econ - of Nations", London 1821, p. 13.)
l.Es handelt sich hier nicht um Reparaturen der Arbeitsmittel, Maschinen, Baulichkeiten usw. Eine
Maschine, die repariert wird, funktioniert nicht als Arbeitsmittel, sondern als Arbeitsmaterial. Es wird nicht
mit ihr gearbeitet, sondern sie selbst wird bearbeitet, um ihren Gebrauchswert zu flicken. Solche
Reparaturarbeiten kann man fur unsren Zweck immer eingeschlossen denken in die zur Produktion des
Arbeitsmittels erheischte Arbeit. Im Text handelt es sich um den VerschleiB, den kein Doktor kurieren
kann und der allmahlich den Tod herbeifuhrt, um »jene Art der Abnutzung, die nicht von Zeit zu Zeit
ersetzt werden kann und die beispielsweise ein Messer schliefilich in einen solchen Zustand versetzt,
dafi der Messerschmied sagt, es sei keine neue Klinge mehr wert«. Man hat im Text gesehn, daB eine
Maschine z.B. ganz in jeden einzelnen ArbeitsprozeB, aber nur stiickweis in den gleichzeitigen
VerwertungsprozeB eingeht. Danach zu beurteilen die folgende Begriffsverwechslung: »Ricardo spricht
von der beim Bau einer Strumpfwirkmaschine verausgabten Arbeitsmenge eines Maschinenbauers« ,
als z.B. enthalten in dem Wert von ein paar Strumpfen. »Jedoch die ganze Arbeit, die jedes einzelne Paar
Striimpfe hergestellt hat ... schliefit die ganze Arbeit des Maschinenbauers ein und nicht nur einen Teil;
denn eine Maschine macht zwar viele Paare, aber keines dieser Paare hatte unter Verzicht auf
irgendeinen Teil der Maschine angefertigt werden konnen.« ("Observations on certain verbal disputes in
Andrerseits muB in jedem WertbildungsprozeB die hohere Arbeit stets auf
gesellschaftliche Durchschnittsarbeit reduziert werden, z.B. ein Tag hoherer Arbeit auf x
269
Tage einfacher Arbeit. Man erspart also eine uberflussige Operation und vereinfacht die
Analyse durch die Annahme, daB der vom Kapital verwandte Arbeiter einfache
geseilschaftliche Durchschnitts arbeit verrichtet.
Sechstes Kapitel
Konstantes Kapital und variables Kapital
Die verschiednen Faktoren des Arbeitsprozesses nehmen verschiednen Anteil an der
Bildung des Produkten-W erts.
Der Arbeiter setzt dem Arbeitsgegenstand neuen W ert zu durch Zusatz eines bestimmten
Quantums von Arbeit, abgesehn vom bestimmten Inhalt, Zweck und technischen Charakter
seiner Arbeit. Andrerseits finden wir die Werte der verzehrten Produktionsmittel wieder
als Bestandteile des Pro dukten-W erts, z.B. die Werte von Baumwolle und Spindel im
Garnwert. Der W ert der Produktionsm ittel wird also erhalten durch seine tlbertragung auf
das Produkt. Dies Ubertragen geschieht wahrend der Verwandlung der Produktionsmittel
in Produkt, im ArbeitsprozeB. Es ist vermittelt durch die Arbeit. Aber wie?
Der Arbeiter arbeitet nicht doppelt in derselben Zeit, nicht einmal, um der Baumwolle
durch seine Arbeit einen Wert zuzusetzen, und das andremal, um ihren alten Wert zu
erhalten, oder, was dasselbe, um den Wert der Baumwolle, die er verarbeitet, und der
Spindel, womit er arbeitet, auf das Produkt, das Garn, zu ubertragen. Sondern durch bloBes
Zusetzen von neuem W ert erhalt er den alten W ert. Da aber der Zusatz von neuem W ert
zum Arbeitsgegenstand und die Erhaltung der alten Werte im Produkt zwei ganz
verschiedne Resultate sind, die der Arbeiter in derselben Zeit hervorbringt, obgleich er nur
einmal in derselben Zeit arbeitet, kann diese Doppelseitigkeit des Resultats offenbar nur
aus der Doppelseitigkeit seiner Arbeit selbst erklart werden. In demselben Zeitpunkt muB
sie in einer Eigenschaft W ert schaffen und in einer andren Eigenschaft W ert erhalten oder
ubertragen.
Wie setzt je der Arbeiter Arbeitszeit und daher W ert zu? Immer nur in der Form seiner
eigentumlich produktiven Arbeitsweise. Der Spinner setzt nur Arbeitszeit zu, indem er
spinnt, der Weber, indem er webt, der Schmied, indem er schmiedet. Durch die
zweckbestimmte Form aber, worin sie Arbeit iiberhaupt zusetzen und daher Neuwert,
durch das Spinnen, Weben, Schmieden werden die Produktionsmittel, Baumwolle und
Spindel, Garn und Webstuhl, Eisen und AmboB, zu Bildungselementen eines Produkts,
270
eines neuen Gebrauchswerts. Die alte Form ihres Gebrauchswerts vergeht, aber nur um
in einer neuen Form von Gebrauchswert aufzugehn. Bei Betrachtung des
Wertbildungsprozesses ergab sich aber, daB, soweit ein Gebrauchswert zweckgemaB
vernutzt wird zur Produktion eines neuen Gebrauchswerts, die zur Herstellung des
vernutzten Gebrauchswerts notwendige Arbeitszeit einen Teil der zur Herstellung des
neuen Gebrauchswerts notwendigen Arbeitszeit bildet, also Arbeitszeit ist, die vom
vernutzten Produktionsmittel auf das neue Produkt ubertragen wird. Der Arbeiter erhalt
also die Werte der vernutzten Produktionsmittel oder ubertragt sie als Wertbestandteile
auf das Produkt, nicht durch sein Zusetzen von Arbeit iiberhaupt, sondern durch den
besondren niitzlichen Charakter, durch die spezifisch produktive Form dieser zusatzlichen
Arbeit. Als solche zweckgemaBe produktive Tatigkeit, Spinnen, Weben, Schmieden,
erweckt die Arbeit durch ihren bloBen Kontakt die Produktionsmittel von den Toten,
begeistet sie zu Faktoren des Arbeitsprozesses und verbindet sich mit ihnen zu Produkten.
Ware die spezifische produktive Arbeit des Arbeiters nicht Spinnen, so wiirde er die
Baumwolle nicht in Garn verwandeln, also auch die Werte von Baumwolle und Spindel
nicht auf das Garn iibertragen. Wechselt dagegen derselbe Arbeiter das Metier und wird
Tischler, so wird er nach wie vor durch einen Arbeitstag seinem Material Wert zusetzen.
Er setzt ihn also zu durch seine Arbeit, nicht soweit sie Spinnarbeit oder Tischlerarbeit,
sondern soweit sie abstrakte, gesellschaftliche Arbeit iiberhaupt, und er setzt eine
bestimmte WertgroBe zu, nicht weil seine Arbeit einen besondren niitzlichen Inhalt hat,
sondern weil sie eine bestimmte Zeit dauert. In ihrer abstrakten, allgemeinen Eigenschaft
also, als Verausgabung menschlicher Arbeitskraft, setzt die Arbeit des Spinners den
Werten von Baumwolle und Spindel Neuwert zu, und in ihrer konkreten, besondren,
niitzlichen Eigenschaft als SpinnprozeB, iibertragt sie den Wert dieser Produktionsmittel
auf das Produkt und erhalt so ihren Wert im Produkt. Daher die Doppelseitigkeit ihres
Resultats in demselben Zeitpunkt.
Durch das bloB quantitative Zusetzen von Arbeit wird neuer Wert zugesetzt, durch die
Qualitat der zugesetzten Arbeit werden die alten Werte der Produktionsmittel im Produkt
erhalten. Diese doppelseitige Wirkung derselben Arbeit infolge des doppelseitigen
Charakters zeigt sich handgreiflich an verschiednen Erscheinungen.
Nimm an, irgendeine Erfindung befahige den Spinner, in 6 Stunden so viel Baumwolle
zu verspinnen wie friiher in 36 Stunden. Als zweckmaBig niitzliche, produktive Tatigkeit
hat seine Arbeit ihre Kraft versechsfacht. Hir Produkt ist ein sechsfaches, 36 statt 6 Pfund
Garn. Aber die 36 Pfund Baumwolle saugen jetzt nur so viel Arbeitszeit ein als friiher 6
Pfund. Sechmal weniger neue Arbeit wird ihnen zugesetzt als mit der alten Methode, daher
nur noch ein Sechstel des fruheren Werts. Andrerseits existiert jetzt der sechsfache Wert
von Baumwolle im Produkt, den 36 Pfund Garn. In den 6 Spinnstunden wird ein sechsmal
groBerer Wert von Rohmaterial erhalten und auf das Produkt iibertragen, obgleich
demselben Rohmaterial ein sechsmal kleinerer Neuwert zugesetzt wird. Dies zeigt, wie die
Eigenschaft, worin die Arbeit wahrend desselben unteilbaren Prozesses Werte erhalt,
wesentlich unterschieden ist von der Eigenschaft, worin sie Wert schafft. Je mehr
notwendige Arbeitszeit wahrend der Spinnoperation auf dasselbe Quantum Baumwolle
geht, desto groBer der Neuwert, der der Baumwolle zugesetzt wird, aber je mehr Pfunde
Baumwolle in derselben Arbeitszeit versponnen werden, desto groBer der alte Wert, der im
Produkt erhalten wird.
Nimm umgekehrt an, die Produktivitat der Spinnarbeit bleibe unverandert, der Spinner
brauche also nach wie vor gleich viel Zeit, um ein Pfund Baumwolle in Garn zu
verwandeln. Aber der Tauschwert der Baumwolle selbst wechsle, ein Pfund Baumwolle
steige oder falle um das Sechsfache seines Preises. In beiden Fallen fahrt der Spinner fort,
demselben Quantum Baumwolle dieselbe Arbeitszeit zuzusetzen, also denselben Wert,
und in beiden Fallen produziert er in gleich er Zeit gleich viel Garn. Dennoch ist der Wert,
den er von der Baumwolle auf das Gam, das Produkt, ubertragt, das eine Mai sechsmal
kleiner, das andre Mai sechsmal groBer als zuvor. Ebenso wenn die Arbeitsmittel sich
verteuern oder verwohlfellern, aber stets denselben Dienst im ArbeitsprozeB leisten.
Bleiben die technischen Bedingungen des Spinnprozesses unverandert und geht
gleichfalls kein Wertwechsel mit seinen Produktionsmitteln vor, so verbraucht der Spinner
nach wie vor in gleichen Arbeitszeiten gleiche Quanta Rohmaterial und Maschinerie von
gleichbleibenden Werten. Der Wert, den er im Produkt erhalt, steht dann in direktem
Verhaltnis zu dem Neuwert, den er zusetzt. In zwei Wochen setzt er zweimal mehr Arbeit
zu als in einer Woche, also zweimal mehr Wert, und zugleich vernutzt er zweimal mehr
Material von zweimal mehr Wert, und verschleiBt zweimal mehr Maschinerie von zweimal
mehr Wert, erhalt also im Produkt von zwei Wochen zweimal mehr Wert als im Produkt
einer Woche. Unter gegebnen gleichbleibenden Produktionsbedingungen erhalt der
Arbeiter um so mehr Wert, je mehr Wert er zusetzt, aber er erhalt nicht mehr Wert, weil er
mehr Wert zusetzt, sondern weil er ihn unter gleichbleibenden und von seiner eignen
Arbeit unabhangigen Bedingungen zusetzt.
AUerdings kann in einem relativen Sinn gesagt werden, daB der Arbeiter stets in
derselben Proportion alte Werte erhalt, worin er Neuwert zusetzt. Ob die Baumwolle von
1 sh. auf 2 sh. steige oder auf 6 d. falle, er erhalt in dem Produkt einer Stunde stets nur
halb soviel Baumwolfwert, wie der auch wechsle, als in dem Produkt von zwei Stunden.
Wechselt ferner die Produktivitat seiner eignen Arbeit, sie steige oder falle, so wird er z.B.
in einer Arbeitsstunde mehr oder weniger Baumwolle verspinnen als fruher, und
dementsprechend mehr oder weniger Baumwollwert im Produkt einer Arbeitsstunde
erhalten. Mit alledem wird er in zwei Arbeitsstunden zweimal mehr Wert erhalten als in
einer Arbeitsstunde.
Wert, von seiner nur symbolischen Darstellung im Wertzeichen abgesehn, existiert nur
in einem Gebrauchswert, einem Ding. (Der Mensch selbst, als bloBes Dasein von
Arbeitskraft betrachtet, ist ein Naturgegenstand, ein Ding, wenn auch lebendiges,
selbstbewuBtes Ding, und die Arbeit selbst ist dingliche AuBerung jener Kraft.) Geht daher
der Gebrauchswert verloren, so geht auch der Wert verloren. Die Produktionsmittel
verlieren mit ihrem Gebrauchswert nicht zugleich ihren Wert, weil sie durch den
ArbeitsprozeB die urspriingliche Gestalt ihres Gebrauchswerts in der Tat nur verlieren, um
im Produkt die Gestalt eines andren Gebrauchswerts zu gewinnen. So wichtig es aber fur
den Wert ist, in irgendeinem Gebrauchs. wert zu existieren, so gleichgiiltig ist es, in
welchem er existiert, wie die Metamorphose der Waren zeigt. Es folgt hieraus, daB im
ArbeitsprozeB Wert vom Produktionsmittel auf das Produkt nur iibergeht, soweit das
Produktionsmittel mit seinem selbstandigen Gebrauchswert auch seinen Tauschwert
verliert. Es gibt nur den Wert an das Produkt ab, den es als Produktionsmittel verliert. Die
gegenstandlichen Faktoren des Arbeitsprozesses verhalten sich aber in dieser Hinsicht
verschieden.
Die Kohle, womit die Maschine geheizt wird, verschwindet spurlos, ebenso das Ol,
womit man die Achse des Rades schmiert usw. Farbe und andre Hilfsstoffe verschwinden,
zeigen sich aber in den Eigenschaften des Produkts. Das Rohmaterial bildet die Substanz
des Produkts, hat aber seine Form verandert. Rohmaterial und Hilfsstoffe verlieren also
die selbstandige Gestalt, womit sie in den ArbeitsprozeB als Gebrauchswerte eintraten.
Anders mit den eigentlichen Arbeitsmitteln. Ein Instrument, eine Maschine, ein
Fabrikgebaude, ein GefaB usw. dienen im ArbeitsprozeB nur, solange sie ihre
urspriingliche Gestalt bewahren und morgen wieder in ebenderselben Form in den
ArbeitsprozeB eingehn wie gestern. Wie sie wahrend ihres Lebens, des Arbeitsprozesses,
ihre selbstandige Gestalt dem Produkt gegeniiber bewahren, so auch nach ihrem Tode. Die
Leichen von Maschinen, Werkzeugen, Arbeitsgebauden usw. existieren immer noch
getrennt von den Produkten, die sie bilden halfen. Betrachten wir nun die ganze Periode,
wahrend deren ein solches Arbeitsmittel dient, von dem Tag seines Eintritts in die
Werkstatte bis zum Tage seiner Verbannung in die Rumpelkammer, so ist wahrend dieser
Periode sein Gebrauchswert von der Arbeit vollstandig verzehrt worden und sein
Tauschwert daher vollstandig auf das Produkt iibergegangen. Hat eine Spinnmaschine z.B.
in 10 Jahren ausgelebt, so ist wahrend des zehnjahrigen Arbeitsprozesses ihr Gesamtwert
auf das zehnjahrige Produkt iibergegangen. Die Lebensperiode eines Arbeitsmittels
umfangt also eine groBere oder kleinere Anzahl stets von neuem mit ihm wiederholter
Arbeitsprozesse. Und es geht dem Arbeitsmittel wie dem Menschen. Jeder Mensch stirbt
taglich um 24 Stunden ab. Man sieht aber keinem Menschen genau an, wieviel Tage er
bereits verstorben ist. Dies verhindert Lebensversicherungsgesellschaften jedoch nicht, aus
dem Durchschnittsleben der Menschen sehr sichre, und was noch viel mehr ist, sehr
profitliche Schliisse zu ziehn. So mit dem Arbeitsmittel. Man weiB aus der Erfahrung, wie
lang ein Arbeitsmittel, z.B. eine Maschine von gewisser Art, durchschnittlich vorhalt.
Gesetzt, sein Gebrauchswert im ArbeitsprozeB daure nur 6 Tage. So verliert es im
Durchschnitt jeden Arbeitstag Vg seines Gebrauchswerts und gibt daher Vg seines Werts
an das tagliche Produkt ab. In dieser Art wird der VerschleiB aller Arbeitsmittel berechnet,
also z.B. ihr taglicher Verlust an Gebrauchswert und ihre entsprechende tagliche
Wertabgabe an das Produkt.
Es zeigt sich so schlagend, daB ein Produktionsmittel nie mehr Wert an das Produkt
abgibt, als es im ArbeitsprozeB durch Vernichtung seines eignen Gebrauchswerts verliert.
Hatte es keinen Wert zu verlieren, d.h. ware es nicht selbst Produkt menschlicher Arbeit,
so wiirde es keinen Wert an das Produkt abgeben. Es diente als Bildner von
Gebrauchswert, ohne als Bildner von Tauschwert zu dienen. Dies ist daher der Fall mit
alien Produktionsmitteln, die von Natur, ohne menschliches Zutun, vorhanden sind, mit
Erde, Wind, Wasser, dem Eisen in der Erzader, dem Holze des Urwaldes usw.
Ein andres interessantes Phanomen tritt uns hier entgegen. Eine Maschine sei z.B. 1.000
Pfd.St. wert und schleiBe sich in 1.000 Tagen ab. In diesem Fall geht taglich /i000 ^ es
Werts der Maschine von ihr selbst auf ihr tagliches Produkt iiber. Zugleich, wenn auch mit
abnehmender Lebenskraft, wirkt stets die Gesamtmaschine im ArbeitsprozeB. Es zeigt sich
also, daB ein Faktor des Arbeitsprozesses, ein Produktionsmittel, ganz in den
ArbeitsprozeB, aber nur zum Teil in den VerwertungsprozeB eingeht. Der Unterschied von
ArbeitsprozeB und VerwertungsprozeB reflektiert sich hier an ihren gegenstandlichen
Faktoren, indem dasselbe Produktionsmittel als Element des Arbeitsprozesses ganz und als
271
Element der Wertbildung nur stiickweise in demselben ProduktionsprozeB zahlt.
Andrerseits kann umgekehrt ein Produktionsmittel ganz in den VerwertungsprozeB
eingehn, obgleich nur stiickweis in den ArbeitsprozeB. Nimm an, beim Verspinnen der
Baumwolle fielen taglich auf 115 Pfund 15 Pfund ab, die kein Garn, sondern nur devil's
272
dust bilden. Dennoch, wenn dieser Abfall von 15 Pfund normal, von der
1 .Baumwollstaub
l.Man begreift daher die Abgeschmacktheit des faden J.B. Say, der den Mehrwert (Zins, Profit,
Rente) aus den "services productifs" ["produktiven Diensten"] ableiten will, welche die Produktionsmittel,
Erde, Instrumente, Leder usw., durch ihre Gebrauchswerte im Arbeitsprozesse leisten. Herr Wilhelm
Roscher, der es nicht leicht laBt, artige apologetische Einfalle schwarz auf weiB zu registrieren, ruft aus:
»Sehr richtig bemerkt J.B. Say, "Traite", t.I, ch.4: der durch eine Olmiihle nach Abzug aller Kosten
hervorgebrachte Wert sei doch etwas Neues, von der Arbeit, wodurch die Olmiihle selbst geschaffen
worden, wesentlich Verschiednes.« (I.e. p. 82, Note.) Sehr richtig! Das von der Olmiihle hervorgebrachte
"Ol" ist etwas sehr Verschiednes von der Arbeit, welche der Bau der Miihle kostet. Und unter "Wert"
versteht Herr Roscher solches Zeug wie "Ol", da "Ol" Wert hat, "in der Natur" aber sich Steinol vorfindet,
wenn auch relativ nicht "sehr viel", worauf wohl seine andre Bemerkung abzielt: »Tauschwerte bringt sie«
(die Natur!) »fast gar nicht hervor.« [I.e. p. 79.] Es geht der Roscherschen Natur mit dem Tauschwert wie
der torichten Jungfrau mit dem Kind, das nur "ganz klein war". Derselbe "Gelehrte" ("savant serieux")
bemerkt noch bei oben erwahnter Gelegenheit: »Die Schule Ricardos pflegt auch das Kapital unter den
Be griff Arbeit zu subsumieren als "aufgesparte Arbeit". Dies ist ungeschickt (!), weil (!) ja (!) der
Kapitalbesitzer doch (!) mehr (!) getan hat als die blofie (?!) Hervorbringung (?) und (??) Erhaltung
desselben (wesselbigen?): eben (?!?) die Enthaltung vom eignen Genusse, woftir er z.B. (!!!) Zinsen
verlangt.« (I.e. [p. 82]) Wie "geschickt"! diese "anatomisch-physiologische Methode" der politischen
Okonomie, die aus bloBem "Verlangen" ja doch eben "Wert" entwickelt.
l.»Von alien Hilfsmitteln in der Landwirtschaft ist die Arbeit des Menschen ... dasjenige, auf
das der Farmer am meisten zum Ersatz seines Kapitals angewiesen ist. Die beiden anderen - der
Bestand an Arbeitsvieh und die ... Karren, Pfliige, Spaten usw. - sind gar nichts ohne eine gewisse
Menge des ersten.« (Edmund Burke, "Thoughts and Details on Scarcity, originally presented to the Rt.
Hon. W. Pitt in the Month of November 1795", edit. London 1800, p.10.)
2. In der "Times" vom 26. Nov. 1862 jammert ein Fabrikant, dessen Spinnerei 800 Arbeiter
beschaftigt und wochentlich im Durchschnitt 150 Ballen ostindischer oder ungefahr 130 Ballen
amerikanischer Baumwolle verzehrt, dem Publikum die jahrlichen Stillstandskosten seiner Fabrik vor. Er
schlagt sie auf 6.000 Pfd.St. an. Unter diesen Unkosten befinden sich viele Posten, die uns hier nichts
angehn, wie Grundrente, Steuern, Versichrungspramien, Salaire ftir jahrlich engagierte Arbeiter, Manager,
Buchhalter, Ingenieur usw. Dann aber berechnet er fur 150 Pfd.St. Kohlen, um die Fabrik von Zeit zu Zeit
zu warmen und die Dampfmaschine gelegentlich in Gang zu setzen, auBerdem Lohne fur Arbeiter, die durch
gelegentliche Arbeit die Maschinerie "flussig" erhalten. Endlich 1.200 Pfd.St. fur Verschlechterung der
Maschinerie, da »das Wetter und die natiirlichen Ursachen des Verfalls ihr Wirken nicht deshalb
einstellen, weil die Dampfmaschine aufhort, sich zu drehen«. Er bemerkt ausdriicklich, diese Summe von
1.200 Pfd.St. sei so gering angeschlagen, weil sich die Maschinerie bereits in sehr abgenutztem Zustande
befinde.
l.»Produktive Konsumtion: wo die Konsumtion einer Ware Teil des Produktionsprozesses ist...
In diesen Fallen findet keine Konsumtion von Wert statt.« (S.P. Newman, 1. c. p. 296.)
2. In einem nordamerikanischen Kompendium, das vielleicht 20 Auflagen erlebt hat, liest man. »Es
ist nicht von Bedeutung, in welcher Form das Kapital wiedererscheint.« Nach einer redseligen
Durchschnittsverarbeitung der Baumwolle unzertrennlich ist, geht der Wert der 15 Pfund
Baumwolle, die kein Element des Garns, ganz ebensosehr in den Garnwert ein, wie der
Wert der 100 Pfund, die seine Substanz bilden. Der Gebrauchswert von 15 Pfund
Baumwolle muB verstauben, um 100 Pfund Garn zu machen. Der Untergang dieser
Baumwolle ist also eine Produktionsbedingung des Garns. Ebendeswegen gibt sie ihren
Wert an das Garn ab. Dies gilt von alien Exkrementen des Arbeitsprozesses, in dem Grad
wenigstens, worin diese Exkremente nicht wieder neue Produktionsmittel und daher neue
selbstandige Gebrauchswerte bilden. So sieht man in den groBen Maschinenfabriken zu
Manchester Berge von Eisenabfallen, durch zyklopische Maschinen gleich Hobelspanen
abgeschalt, am Abend auf groBen Wagen aus der Fabrik in die EisengieBerei wandern, um
den andren Tag wieder als massives Eisen aus der EisengieBerei in die Fabrik
zuriickzu wandern .
Nur soweit Produktionsmittel wahrend des Arbeitsprozesses Wert in der
Gestalt ihrer alten Gebrauchswerte verlieren, iibertragen sie Wert auf die
neue Gestalt des Produkts. Das Maximum des Wertverlustes, den sie im
ArbeitsprozeB erleiden konnen, ist offenbar beschrankt durch die
ursprungliche WertgroBe, womit sie in den ArbeitsprozeB eintreten, oder
durch die zu ihrer eignen Produktion erheischte Arbeitszeit.
Produktionsmittel konnen dem Produkt daher nie mehr Wert zusetzen, als
sie unabhangig vom ArbeitsprozeB, dem sie dienen, besitzen. Wie nutzlich
auch ein Arbeitsmaterial, eine Maschine, ein Produktionsmittel: wenn es
150 Pfd.St., sage 500 Arbeitstage, kostet, setzt es dem Gesamtprodukt, zu
dessen Bildung es dient, nie mehr als 150 Pfd.St. zu. Sein Wert ist
bestimmt nicht durch den ArbeitsprozeB, worin es als Produktionsmittel
eingeht, sondern durch den ArbeitsprozeB, woraus es als Produkt
herauskommt. In dem ArbeitsprozeB dient es nur als Gebrauchswert, als
Ding mit nutzlichen Eigenschaften, und gabe es daher keinen Wert an das
Produkt ab, hatte es nicht Wert besessen vor seinem Eintritt in den
ProzeB. 273
Indem die produktive Arbeit Produktionsmittel in Bildungselemente
eines neuen Produkts verwandelt, geht mit deren Wert eine
Seelenwandrung vor. Er geht aus dem verzehrten Leib in den neu
gestalteten Leib iiber. Aber diese Seelenwandrung ereignet sich gleichsam
hinter dem Riicken der wirklichen Arbeit. Der Arbeiter kann neue Arbeit
nicht zusetzen, also nicht neuen Wert schaffen, ohne alte Werte zu
erhalten, denn er muB die Arbeit immer in bestimmter niitzlicher Form
zusetzen, und er kann sie nicht in nutzlicher Form zusetzen, ohne Produkte
zu Produktionsmitteln eines neuen Produkts zu machen und dadurch ihren
Wert auf das neue Produkt zu ubertragen. Es ist also eine Naturgabe der
sich betatigenden Arbeitskraft, der lebendigen Arbeit, Wert zu erhalten,
indem sie Wert zusetzt, eine Naturgabe, die dem Arbeiter nichts kostet,
aber dem Kapitalisten viel einbringt, die Erhaltung des vorhandnen
Kapitalwerts. 274 Solange das Geschaft flott geht, ist der Kapitalist zu sehr in
die Plusmacherei vertieft, um diese Gratisgabe der Arbeit zu sehn.
Gewaltsame Unterbrechungen des Arbeitsprozesses, Krisen, machen sie
ihm empfindlich bemerksam. 275
Was uberhaupt an den Produktionsmitteln verzehrt wird, ist ihr
Gebrauchswert, durch dessen Konsumtion die Arbeit Produkte bildet. Ihr
Wert wird in der Tat nicht konsumiert 276 , kann also auch nicht reproduziert
werden. Er wird erhalten, aber nicht weil eine Operation mit ihm selbst im
ArbeitsprozeB vorgeht, sondern weil der Gebrauchswert, worin er
urspriinglich existiert, zwar verschwindet, aber nur in einem andren
Gebrauchswert verschwindet. Der Wert der Produktionsmittel erscheint
daher wieder im Wert des Produkts, aber er wird, genau gesprochen, nicht
reproduziert. Was produziert wird, ist der neue Gebrauchswert, worin der
alte Tauschwert wieder erscheint. 277
Anders mit dem subjektiven Faktor des Arbeitsprozesses, der sich
betatigenden Arbeitskraft. Wahrend die Arbeit durch ihre zweckmaBige
Form den Wert der Produktionsmittel auf das Produkt ubertragt und erhalt,
bildet jedes Moment ihrer Bewegung zusatzlichen Wert, Neuwert. Gesetzt,
der ProduktionsprozeB breche ab beim Punkt, wo der Arbeiter ein
Aquivalent fur den Wert seiner eignen Arbeitskraft produziert, durch
sechsstundige Arbeit z.B. einen Wert von 3 sh. zugesetzt hat. Dieser Wert
bildet den UberschuB des Produktenwerts iiber seine dem Wert der
Produktionsmittel geschuldeten Bestandteile. Er ist der einzige
Originalwert, der innerhalb dieses Prozesses entstand, der einzige Wertteil
des Produkts, der durch den ProzeB selbst produziert ist. Allerdings ersetzt
er nur das vom Kapitalisten beim Kauf der Arbeitskraft vorgeschoBne,
vom Arbeiter selbst in Lebensmitteln verausgabte Geld. Mit Bezug auf die
verausgabten 3 sh. erscheint der Neuwert von 3 sh. nur als Reproduktion.
Aber er ist wirklich reproduziert, nicht nur scheinbar, wie der Wert der
Produktionsmittel. Der Ersatz eines Werts durch den andren ist hier
vermittelt durch neue Wertschopfung.
Wir wissen jedoch bereits, daB der ArbeitsprozeB iiber den Punkt hinaus
fortdauert, wo ein bloBes Aquivalent fiir den Wert der Arbeitskraft
reproduziert und dem Arbeitsgegen stand zugesetzt ware. Statt der 6
Stunden, die hierzu geniigen, wahrt der ProzeB z.B. 12 Stunden. Durch die
Betatigung der Arbeitskraft wird also nicht nur ihr eigner Wert
reproduziert, sondern ein uberschussiger Wert produziert. Dieser
Mehrwert bildet den UberschuB des Produktenwerts iiber den Wert der
verzehrten Produktbildner, d.h. der Produktionsmittel und der Arbeitskraft.
Indem wir die verschiednen Rollen dargestellt, welche die verschiednen
Faktoren des Arbeitsprozesses in der Bildung des Produktenwerts spielen,
haben wir in der Tat die Funktionen der verschiednen Bestandteile des
Kapitals in seinem eignen VerwertungsprozeB charakterisiert. Der
UberschuB des Gesamtwerts des Produkts iiber die Wertsumme seiner
Bildungselemente ist der UberschuB des verwerteten Kapitals iiber den
urspriinglich vorgeschoBnen Kapitalwert. Produktionsmittel auf der einen
Seite, Arbeitskraft auf der andren sind nur die verschiednen
Existenzformen, die der urspriingliche Kapitalwert annahm bei
Abstreifung seiner Geldform und seiner Verwandlung in die Faktoren des
Arbeitsprozesses.
Der Teil des Kapitals also, der sich in Produktionsmittel, d.h. in
Rohmaterial, Hilfsstoffe und Arbeitsmittel umsetzt, verandert seine
WertgroBe nicht im ProduktionsprozeB. Ich nenne ihn daher konstanten
Kapitalteil, oder kiirzer: konstantes Kap-tal.
Der in Arbeitskraft umgesetzte Teil des Kapitals verandert dagegen seinen
Wert im ProduktionsprozeB. Er reproduziertsein eignes Aquivalent und
einen UberschuB dariiber, Mehrwert, der selbst wechseln, groBer oder
kleiner sein kann. Aus einer konstanten GroBe verwandelt sich dieser Teil
des Kapitals fortwahrend in eine variable. Ich nenne ihn daher variablen
Kapitalteil, oder kiirzer: variables Kapital. Dieselben Kapitalbestandteile,
die sich vom Standpunkt des Arbeitspr-ozesses als objektive und
subjektive Faktoren, als Produktionsmittel und Arbeitskraft unterscheiden,
unterscheiden sich vom Standpunkt des Verwertungsprozesses als
konstantes Kapital und variables Kapital.
Der Begriff des konstanten Kapitals schlieBt eine Wertrevolution seiner
Bestandteile in keiner Weise aus. Nimm an, das Pfund Baumwolle koste
heute 6 d. und steige morgen, infolge eines Ausfalls der Baumwollernte,
auf 1 sh. Die alte Baumwolle, die fortfahrt, verarbeitet zu werden, ist zum
Wert von 6 d. gekauft, fiigt aber jetzt dem Produkt einen Wertteil von 1 sh.
zu. Und die bereits versponnene, vielleicht schon als Garn auf dem Markt
zirkulierende Baumwolle fiigt dem Produkt ebenfalls das Doppelte ihres
urspriinglichen Werts zu. Man sieht jedoch, daB diese Wertwechsel
unabhangig sind von der Verwertung der Baumwolle im SpinnprozeB
selbst. Ware die alte Baumwolle noch gar nicht in den ArbeitsprozeB
eingegangen, so konnte sie jetzt zu 1 sh. statt zu 6 d. wieder verkauft
werden. Umgekehrt: je weniger Arbeitsprozesse sie noch durchlaufen hat,
desto sichrer ist dies Resultat. Es ist daher Gesetz der Spekulation, bei
solchen Wertrevolutionen auf das Rohmaterial in seiner mindest
verarbeiteten Form zu spekulieren, also eher auf Garn als auf Gewebe und
eher auf die Baumwolle selbst als auf das Garn. Die Wertanderung
entspringt hier in dem ProzeB, der Baumwolle produziert, nicht in dem
ProzeB, worin sie als Produktionsmittel und daher als konstantes Kapital
funktioniert. Der Wert einer Ware ist zwar bestimmt durch das Quantum
der in ihr enthaltnen Arbeit, aber dies Quantum selbst ist gesellschaftlich
bestimmt. Hat sich die gesellschaftlich zu ihrer Produktion erheischte
Arbeitszeit verandert - und dasselbe Quantum Baumwolle z.B. stellt in
ungunstigen Ernten groBeres Quantum Arbeit dar, als in gunstigen -, so
findet eine Riickwirkung auf die alte Ware statt, die immer nur als
einzelnes Exemplar ihrer Gattung gilt 278 , deren Wert stets durch
gesellschaftlich notwendige, also auch stets unter gegenwartigen
gesellschaftlichen Bedingungen notwendige Arbeit gemessen wird.
Wie der Wert des Rohmaterials, mag der Wert bereits im
ProduktionsprozeB dienender Arbeitsmittel, der Maschinerie usw.,
wechseln, also auch der Wertteil, den sie dem Produkt abgeben. Wird z.B.
infolge einer neuen Erfindung Maschinerie derselben Art mit verminderter
Ausgabe von Arbeit repr-oduziert, so entwertet die alte Maschinerie mehr
oder minder und ubertragt daher auch verhaltnismaBig weniger Wert auf
das Produkt. Aber auch hier entspringt der Wertwechsel auBerhalb des
Produktionsprozesses, worin die Maschine als Produktionsmittel
funktioniert. In diesem ProzeB gibt sie nie mehr Wert ab, als sie
unabhangig von diesem ProzeB besitzt. Wie ein Wechsel im Wert der
Produktionsmittel, ob auch riickwirkend nach ihrem bereits erfolgten
Eintritt in den ProzeB, ihren Charakter als konstantes Kapital nicht
verandert, ebensowenig beriihrt ein Wechsel in der Proportion zwischen
konstantem und variablem Kapital ihren funktionellen Unterschied. Die
technischen Bedingungen des Arbeitsprozesses mogen z. B. so umgestaltet
werden, daB, wo fruher 10 Arbeiter mit 10 Werkzeugen von geringem
Wert eine verhaltnismaBig kleine Masse von Rohmaterial verarbeiteten,
jetzt 1 Arbeiter mit einer teuren Maschine das hundertfache Rohmaterial
verarbeitet. In diesem Fall ware das konstante Kapital, d.h. die Wertmasse
der angewandten Produktionsmittel, sehr gewachsen und der variable Teil
des Kapitals, der in Arbeitskraft vorgeschoBne, sehr gefallen. Dieser
l.»Alle Erzeugnisse der gleichen Art bilden eigentlich nur eine Masse, deren Preis allgemein
und ohne Riicksicht auf die besonderen Umstande bestimmt wird.« (Le Trosne, I.e. p. 893.)
l.»Wenn wir den Wert des angewandten fixen Kapitals als Teil des vorgeschossenen Kapitals
rechnen, miissen wir am Ende des Jahres den verbliebenen Wert dieses Kapitals als einen Teil der
Jahreseinnahe rechnen.« (Malthus: "Princ. of Pol. Econ.", 2nd ed., London 1836, p. 269.)
l.Note zur 2. Ausg.: Es versteht sich von selbst mit Lucretius "nil posse creari de nihilo". Aus
nichts wird nichts. * "Wertschopfung" ist Umsatz von Arbeitskraft in Arbeit. Ihrerseits ist die Arbeitskraft
vor allem in menschlichen Organismus umgesetzter Naturstoff.
Wechsel andert jedoch nur das GroBenverhaltnis zwischen konstantem
und variablem Kapital oder die Proportion, worin das Gesamtkapital in
konstante und variable Bestandteile zerfallt, beriihrt dagegen nicht den
Unterschied von konstant und variabel.
Siebentes Kapitel
Die Rate des Mehrwerts
1. Der Exploitationsgrad der Arbeitskraft
Der Mehrwert, den das vorgeschoBne Kapital C im ProduktionsprozeB
erzeugt hat, oder die Verwertung des vorgeschoBnen Kapitalwerts C stellt
sich zunachst dar als UberschuB des Werts des Produkts iiber die
Wertsumme seiner Produktionselemente.
Das Kapital C zerfallt in zwei Teile, eine Geldsumme c, die fur
Produktionsmittel, und eine andre Geldsumme v, die fur Arbeitskraft
verausgabt wird; c stellt den in konstantes, v den in variables Kapital
verwandelten Wertteil vor. Urspriinglich ist also C = c + v, z.B. das
vorgeschoBne Kapital von 500 Pfd.St. = 410 Pfd.St. (c) + 90 Pfd.St. (v).
Am Ende des Produktionsprozesses kommt Ware heraus, deren Wert = c
+ v + m, wo m der Mehrwert, z.B. 410 Pfd.st. (c) + 90 Pfd.St. (v) + 90
Pfd.St. (m). Das urspriingliche Kapital C hat sich in C verwandelt, aus 500
Pfd.St. in 590 Pfd.st. Die Differenz zwischen beiden ist = m, einem
Mehrwert von 90. Da der Wert der Produktionselemente gleich dem Wert
des vorgeschoBnen Kapitals, so ist es in der Tat eine Tautologie, daB der
UberschuB des Produktenwerts iiber den Wert seiner Produktionselemente
gleich der Verwertung des vorgeschoBnen Kapitals oder gleich dem
produzierten Mehrwert.
Indes erfordert diese Tautologie eine nahere Bestimmung. Was mit dem
Produktenwert verglichen wird, ist der Wert der in seiner Bildung
aufgezehrten Produktionselemente. Nun haben wir aber gesehn, daB der
aus Arbeitsmitteln bestehende Teil des angewandten konstanten Kapitals
nur ein Stuck seines Werts an das Produkt abgibt, wahrend ein andres
Stuck in seiner alten Existenzform fortdauert. Da das letztre keine Rolle in
der Wertbildung spielt, ist hier davon zu abstrahieren. Sein Hineinziehen in
die Rechnung wiirde nichts andern. Nimm an, c = 410 Pfd.St. bestehe aus
Rohmaterial zu 312 Pfd.St., Hilfsstoffen zu 44 Pfd.St. und im ProzeB
verschleiBender Maschinerie von 54 Pfd.st., der Wert der wirklich
angewandten Maschinerie betrage aber 1.054 Pfd.st. Als vorgeschossen zur
Erzeugung des Produktenwerts berechnen wir nur den Wert von 54 Pfd.st.,
den die Maschinerie durch ihre Funktion verliert und daher dem Produkt
abgibt. Rechneten wir die 1.000 Pfd.St. mit, die in ihrer alten Form
fortexistieren als Dampfmaschine usw., so miiBten wir sie auf beiden
Seiten mitrechnen, auf Seite des vorgeschoBnen Werts und auf Seite des
Produktenwerts 279 , und erhielten so resp. 1.500 Pfd.St. und 1.590 Pfd.St.
Die Differenz oder der Mehrwert ware nach wie vor 90 Pfd.St. Unter dem
zur Wertproduktion vorgeschoBnen konstanten Kapital verstehn wir daher,
wo das Gegenteil nicht aus dem Zusammenhang erhellt, stets nur den Wert
der in der Produktion verzehrten Produktionsmittel. Dies vorausgesetzt,
kehren wir zuriick zur Formel C = c + v, die sich inC' = c + v + m und
eben dadurch C in C verwandelt. Man weiB, daB der Wert des konstanten
Kapitals im Produkt nur wieder erscheint. Das im ProzeB wirklich neu
erzeugte Wertprodukt ist also verschieden von dem aus dem ProzeB
erhaltnen Produktenwert, daher nicht, wie es auf den ersten Blick scheint, c
+ v + m oder 410 Pfd.St. (c) + 90 Pfd.St. (v) + 90 (m), sondern v + m oder
90 Pfd.St. (v) + 90 Pfd.St. (m), nicht 590 Pfd.St., sondern 180 Pfd.St. Ware
c, das konstante Kapital, = 0, in andren Worten, gabe es Industriezweige,
worin der Kapitalist keine produzierten Produktionsmittel, weder
Rohmaterial noch Hilfsstoffe, noch Arbeitsinstrumente, sondern nur von
Natur vorhandne Stoffe und Arbeitskraft anzuwenden hatte, so ware kein
konstanter Wertteil auf das Produkt zu ubertragen. Dies Element des
Produktenwerts, in unsrem Beispiel 410 Pfd.St., fiele fort, aber das
Wertprodukt von 180 Pfd.St., welches 90 Pfd.St. Mehrwert enthalt, bliebe
ganz ebenso groB, als ob c die groBte Wertsumme darstellte. Wir hatten C
= + v = v, und C, das verwertete Kapital, = v + m, C - C nach wie vor =
m. Ware umgekehrt m = 0, in andren Worten, hatte die Arbeitskraft, deren
Wert im variablen Kapital vorgeschossen wird, nur ein Aquivalent
produziert, so C = c + v, und C (der Produktenwert) = c + v + 0, daher C =
C. Das vorgeschoBne Kapital hatte sich nicht verwertet.
Wir wissen in der Tat bereits, daB der Mehrwert bloB Folge der
Wertveranderung ist, die mit v, dem in Arbeitskraft umgesetzten Kapitalteil
vorgeht, daB also v + m = v + Av(v plus Inkrement von v) ist. Aber die
wirkliche Wertveranderung und das Verhaltnis, worin sich der Wert
andert, werden dadurch verdunkelt, daB infolge des Wachstums seines
variierenden Bestandteils auch das vorgeschoBne Gesamtkapital wachst.
Es war 500, und es wird 590. Die reine Analyse des Prozesses erheischt
also von dem Teil des Produktenwerts, worin nur konstanter Kapitalwert
wieder erscheint, ganz zu abstrahieren, also das konstante Kapital c = zu
setzen, und damit ein Gesetz der Mathematik anzuwenden, wo sie mit
variablen und konstanten GroBen operiert und die konstante GroBe nur
durch Addition oder Subtraktion mit der variablen verbunden ist.
Eine andre Schwierigkeit entspringt aus der urspriinglichen Form des
variablen Kapitals. So im obigen Beispiel ist C = 410 Pfd.St. konstantes
Kapital + 90 Pfd.St. variables Kapital + 90 Pfd.st. Mehrwert. Neunzig
Pfd.St. sind aber eine gegebne, also konstante GroBe, und es scheint v
daher ungereimt, sie als variable GroBe zu behandeln. Aber 90 Pfd.St. (v)
oder 90 Pfd.St. variables Kapital ist hier in der Tat nur Symbol fur den
ProzeB, den dieser Wert durchlauft. Der im Ankauf der Arbeitskraft
vorgeschoBne Kapitalteil ist ein bestimmtes Quantum vergegenstandlichter
Arbeit, also konstante WertgroBe, wie der Wert der gekauften Arbeitskraft.
Im ProduktionsprozeB selbst aber tritt an die Stelle der vorgeschoBnen 90
Pfd.St. die sich betatigende Arbeitskraft, an die Stelle toter, lebendige
Arbeit, an die Stelle einer ruhenden eine flieBende GroBe, an die Stelle
einer konstanten eine variable. Das Resultat ist die Reproduktion von v
plus Inkrement von v. Vom Standpunkt der kapitalistischen Produktion ist
dieser ganze Verlauf Selbstbewegung des in Arbeitskraft umgesetzten,
urspriinglich konstanten Werts. Ihm wird der ProzeB und sein Resultat
zu gut geschrieben. Erscheint die Formel 90 Pfd.St. variables Kapital oder
sich verwertender Wert daher widerspruchsvoll, so driickt sie nur einen der
kapitalistischen Produktion immanenten Widerspruch aus.
Die Gleichsetzung des konstanten Kapitals mit befremdet auf den ersten
Blick. Indes vollzieht man sie bestandig im Alltagsleben. Will jemand z.B.
Englands Gewinn an der Baumwollindustrie berechnen, so zieht er vor
allem den an die Vereinigten Staaten, Indien, Agypten usw. gezahlten
Baumwollpreis ab; d.h., er setzt im Produktenwert nur
wiedererscheinenden Kapitalwert = 0.
Allerdings hat das Verhaltnis des Mehrwerts nicht nur zum Kapitalteil,
woraus er unmittelbar entspringt und dessen Wertverandrung er darstellt,
sondern auch zum vorgeschoBnen Gesamtkapital seine groBe
okonomische Bedeutung. Wir behandeln dies Verhaltnis daher ausfuhrlich
im dritten Buch. Um einen Teil des Kapitals durch seinen Umsatz in
Arbeitskraft zu verwerten, muB ein andrer Teil des Kapitals in
Produktionsmittel verwandelt werden. Damit das variable Kapital
funktioniere, muB konstantes Kapital in entsprechenden Proportionen, je
nach dem bestimmten technischen Charakter des Arbeitsprozesses,
vorgeschossen werden. Der Umstand jedoch, daB man zu einem
chemischen ProzeB Retorten und andre GefaBe braucht, verhindert nicht,
bei der Analyse von der Retorte selbst zu abstrahieren. Sofern
Wertschopfung und Wertverandrung fiir sich selbst, d.h. rein betrachtet
werden, liefern die Produktionsmittel, diese stofflichen Gestalten des
konstanten Kapitals, nur den Stoff, worin sich die flussige, wertbildende
Kraft frxieren soil. Die Natur dieses Stoffes ist daher auch gleichgultig, ob
Baumwolle oder Eisen. Auch der Wert dieses Stoffes ist gleichgultig. Er
muB nur in hinreichender Masse vorhanden sein, um das wahrend des
Produktionsprozesses zu verausgabende Arbeitsquantum einsaugen zu
konnen. Diese Masse gegeben, mag ihr Wert steigen oder fallen, oder sie
mag wertlos sein, wie Erde und Meer, der ProzeB der Wertschopfung und
Wertverandrung wird nicht davon beriihrt , 280
Wir setzen also zunachst den konstanten Kapitalteil gleich Null. Das
vorgeschoBne Kapital reduziert sich daher von c + v auf v, und der
Produktenwert c + v + m auf das Wertprodukt v + m. Gegeben das
Wertprodukt =180 Pfd.St., worin sich die wahrend der ganzen Dauer des
Produktionsprozesses flieBende Arbeit darstellt, so haben wir den Wert des
variablen Kapitals = 90 Pfd.St. abzuziehn, um den Mehrwert = 90 Pfd.St.
zu erhalten. Die Zahl 90 Pfd.St. = m driickt hier die absolute GroBe des
produzierten Mehrwerts aus. Seine proportionelle GroBe aber, also das
Verhaltnis, worin das variable Kapital sich verwertet hat, ist offenbar
bestimmt durch das Verhaltnis des Mehrwerts zum variablen Kapital oder
ist ausgedriickt in m / v . Im obigen Beispiel also in ^O/qq = 100%. Diese
verhaltnismaBige Verwertung des variablen Kapitals oder die
verhaltnismaBige GroBe des Mehrwerts nenne ich Rate des Mehrwerts. 281
Wir haben gesehn, daB der Arbeiter wahrend eines Abschnitts des
Arbeitsprozesses nur den Wert seiner Arbeitskraft produziert, d.h. den
Wert seiner notwendigen Lebensmittel. Da er in einem auf
gesellschaftlicher Teilung der Arbeit beruhenden Zustand produziert,
produziert er seine Lebensmittel nicht direkt, sondern in Form einer
besondren Ware, des Garns z.B., einen Wert gleich dem Wert seiner
Lebensmittel oder dem Geld, womit er sie kauft. Der Teil seines
Arbeitstags, den er hierzu verbraucht, ist groBer oder kleiner, je nach dem
Wert seiner durch schnittlichen taglichen Lebensmittel, also je nach der zu
ihrer Produktion erheischten durch schnittlichen taglichen Arbeitszeit.
Wenn der Wert seiner taglichen Lebensmittel im Durchschnitt 6
vergegenstandlichte Arbeitsstunden darstellt, so muB der Arbeiter im
Durchschnitt taglich 6 Stunden arbeiten, um ihn zu produzieren. Arbeitete
er nicht fur den Kapitalisten, sondern fur sich selbst, unabhangig, so muBte
er, unter sonst gleichbleibenden Umstanden, nach wie vor im Durchschnitt
denselben aliquoten Teil des Tags arbeiten, um den Wert seiner
Arbeiltskraft zu produzieren, und dadurch die zu seiner eignen Erhaltung
oder bestandigen Reproduktion notigen Lebensmittel zu gewinnen. Da er
aber in dem Teil des Arbeitstags, worin er den Tageswert der Arbeitskraft,
sage 3 sh., produziert, nur ein Aquivalent fur ihren vom Kapitalisten bereits
l.In derselben Weise, wie der Englander "rate of profits", "rate of interest", usw. braucht. Man wird
aus Buch III sehen, daB die Profitrate leicht zu begreifen, sobald man die Gesetze des Mehrwerts kennt. Auf
dem umgekehrten Weg begreift man ni l'un, ni l'autre [weder das eine, noch das andere].
l.jNote zur 3.Aufl.: Der Verfasser gebraucht hier die Iandlaufige okonomische Sprache. Man
erinnert sich, daB auf S. 137* nachgewiesen, wie in Wirklichkeit nicht der Kapitalist dem Arbeiter, sondern
der Arbeiter dem Kapitalisten "vorschieBt'. - F.E.)
gezahlten 282 Wert produziert, also durch den neu geschaffnen Wert nur
den vorgeschoBnen variablen Kapitalwert ersetzt, erscheint diese
Produktion von Wert als bloBe Reproduktion. Den Teil des Arbeitstags
also, worin diese Reproduktion vorgeht, nenne ich notwendige Arbeitszeit,
die wahrend derselben verausgabte Arbeit notwendige Arbeit. 28
Notwendig fur den Arbeiter, weil unabhangig von der gesellschaftlichen
Form seiner Arbeit. Notwendig fur das Kapital und seine Welt, weil das
bestandige Dasein des Arbeiters ihre Basis.
Die zweite Periode des Arbeitsprozesses, die der Arbeiter iiber die
Grenzen der notwendigen Arbeit hinaus schanzt, kostet ihm zwar Arbeit,
Verausgabung von Arbeitskraft, bildet aber keinen Wert fiir ihn. Sie bildet
Mehrwert, der den Kapitalisten mit allem Reiz einer Schopfung aus Nichts
anlacht. Diesen Teil des Arbeitstags nenne ich Surplusarbeitszeit, und die
in ihr verausgabte Arbeit: Mehrarbeit (surplus labour) So entscheidend es
fiir die Erkenntnis des Werts uberhaupt, ihn als bloBe Gerinnung von
Arbeitszeit, als bloB vergegenstandlichte Arbeit, so entscheidend ist es fiir
die Erkenntnis des Mehrwerts, ihn als bloBe Gerinnung von
Surplusarbeitszeit, als bloB vergegenstandlichte Mehrarbeit zu begreifen.
Nur die Form, worin diese Mehrarbeit dem unmittelbaren Produzenten,
dem Arbeiter, abgepreBt wird, unterscheidet die okonomischen
3.Wir haben bisher in dieser Schrift das Wort "notwendige Arbeitszeit" angewandt fiir die zur
Produktion einer Ware uberhaupt gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Wir brauchen es von jetzt ab
auch fiir die zur Produktion der spezifischen Ware Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit. Der Gebrauch
derselben termini technici in verschiednem Sinn ist miBlich, aber in keiner Wissenschaft ganz zu
vermeiden. Man vergleiche z.B. die hoheren und niedren Teile der Mathematik.
l.Mit wahrhaft Gottschedscher Genialitat* entdeckt HerrWilhelm Thukydides Roscher [Marx
nennt Wilhelm Roscher ironisch Wilhelm Thukydides Roscher, weil sich dieser in der Vorrede zur ersten
Auflage seines Buches "Die Grundlagen der Nationalokonomie", wie Marx sagt, »bescheidnerweise als
Thukydides der politischen Okonomie angekiindigt hat«. (Siehe Karl Marx: "Theorien iiber den
Mehrwert" [Vierter Band des "Kapitals"'], 3. Teil, Berlin 1962, S.499.)], daB, wenn die Bildung von
Mehrwert oder Mehrprodukt, und die damit verbundne Akkumulation, heurigen Tags der »Sparsamkeit«
des Kapitalisten geschuldet, derdafiir »z.B. Zins verlangt« ... dagegen »auf den niedrigsten Kulturstufen
... die Schwacheren von den Stdrkeren zur Sparsamkeit gezwungen werden«. (I.e. p. 82, 78.) Zur
Ersparung von Arbeit? oder nicht vorhandner uberschussiger Produkte? Neben wirklicher Ignoranz ist es
apologetische Scheu vor gewissenhafter Analyse des Werts und Mehrwerts, und etwa verfanglich-
polizeiwidrigem Resultat, die einen Roscher und Kons, zwingt, die mehr oder minder plausiblen
Rechtfertigungsgriinde des Kapitalisten fiir seine Aneignung vorhandner Mehrwerte in Entstehungsgriinde
des Mehrwerts zu verdrehen.
Gesellschaftsformationen, z.B. die Gesellschaft der Sklaverei von der der
Lohnarbeit. 284
Da der Wert des variablen Kapitals = Wert der von ihm gekauften
Arbeitskraft, da der Wert dieser Arbeitskraft den notwendigen Teil des
Arbeitstags bestimmt, der Mehrwert seinerseits aber bestimmt ist durch
den iiberschiissigen Teil des Arbeitstags, so folgt: Der Mehrwert verhalt
sich zum variablen Kapital, wie die Mehrarbeit zur notwendigen, oder die
Rate des Mehrwerts m / v = . Beide Proportionen driicken dasselbe
Verhaltnis in verschiedner Form aus, das eine Mai in der Form
vergegenstandlichter, das anre Mai in der Form flussiger Arbeit. Die Rate
des Mehrwerts ist daher der exakte Ausdruck fur den Exploitationsgrad
der Arbeitskraft durch das Kapital oder des Arbeiters durch den
Kapitalisten. 285
1.30a Note zur 2.Ausg: Obgleich exakter Ausdruck fur den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, ist
die Rate des Mehrwerts kein Ausdruck fiir die absolute GroBe der Exploitation. Z.B. wenn die notwendige
Arbeit = 5Stunden und die Mehrarbeit 5 Stunden, ist der Exploitationsgrad = 100%. Die GroBe der
Exploitation ist hier gemessen durch 5 Stunden. Ist dagegen die notwendige Arbeit = 6 Stunden und die
Mehrarbeit = 6 Stunden, so bleibt der Exploitationsgrad von 100% unverandert, wahrend die GroBe der
Exploitation um 20% wachst, von 5 auf 6 Stunden.
l.Note zur 2.Ausg: Das in der ersten Ausgabe gegebne Beispiel einer Spinnerei fiir das Jahr 1860
enthielt einige faktische Irrtumer. Die im Text gegebnen durchaus genauen Daten sind mir von einem
Manchester Fabrikanten geliefert. - Es ist zu bemerken, daB in England die alte Pferdekraft nach dem
Durchschnitt des Zylinders berechnet wurde, die neue nach der wirklichen Kraft zahlt, die der Indikator
anzeigt.
1. William Jacob: M A letter to Samuel Withbread, being a sequel to considerations on the protection
required by British agriculture", London 1815, S.33.
l.Die gegebnen Rechnungen gelten nur als Illustration. Es wird namlich unterstellt, daB die Preise
= den Werten. Man wird in Buch III sehen, daB diese Gleichsetzung, selbst fiir die Durchschnittspreise,
sich nicht in dieser einfachen Weise macht.
1. Factory Act - hier: englisches Fabrikgesetz von 1833. (Siehe dariiber MEW Band 23, S.289, 295-
298.)
2."noch tiichtigen Schliff brauchte"
1. Senior, I.e. p. 12, 13. Wir gehn auf die fiir unsren Zweck gleichgiiltigen Kuriosa nicht ein, z.B. die
Behauptung, daB die Fabrikanten den Ersatz der verschliBnen Maschinerie usw., also eines
Kapitalbestandteils, zum Gewinn, Brutto oder Netto, schmutzig oder rein, rechnen. Auch nicht auf die
Richtigkeit oder Falschheit der Zahlenangaben. DaB sie nicht mehr wert sind als die sogenannte "Analyse",
bewies Leonard Horner in "A Letter to Mr. Senior etc", London 1837. Leonard Horner, einer der Factory
inquiry Commissioners [Kommissare zur Untersuchung der Fabrikverhaltnisse] von 1833 und
Fabrikinspektor, in der Tat Fabrikzensor, bis 1859, hat unsterbliche Verdienste um die englische
Arbeiterklasse gewonnen. AuBer mit den erbitterten Fabrikanten fiihrte er einen lebenslangen Kampf mit
den Ministern, fur die es ungleich wichtiger war, die "Stimmen" der Fabrikherrn im Unterhaus als die
Arbeitsstunden der "Hande" in der Fabrik zu zahlen.
Nach unsrer Annahme war der Wert des Produkts = 410 Pfd.St. (c) + 90
Pfd.St. (v) + 90 (m), das vorgeschoBne Kapital = 500 Pfd.St. Da der
Mehrwert = 90 und das vorgeschoBne Kapital = 500, wiirde man nach der
gewohnlichen Art der Berechnung herausbekommen, daB die Rate des
Mehr werts (die man mit der Profitrate verwechselt) = 18%, eine
Verhaltniszahl, deren Niedrigkeit Herrn Carey und andre Harmoniker
riihren mochte. In der Tat aber ist die Rate des Mehrwerts nicht = m /c
oder m / c + v , sondern = m / Vj also nicht ^/500' sondern 90/qq = 100%,
mehr als das Funffache des scheinbaren Exploitationsgrads. Obgleich wir
nun im gegebnen Fall die absolute GroBe des Arbeitstags nicht kennen,
auch nicht die Periode des Arbeitsprozesses (Tag, Woche usw.), endlich
nicht die Anzahl der Arbeiter, die das variable Kapital von 90 Pfd.St.
gleichzeitig in Bewegung setzt, zeigt uns die Rate des Mehrwerts m / v
durch ihre Konvertibilitat in genau das Verhaltnis der zwei Bestandteile
des Arbeitstages zueinander. Es ist 100%. Also arbeitete der Arbeiter die
eine Halfte des Tags fur sich und die andre fur den Kapitalisten.
Die Methode zur Berechnung der Rate des Mehrwerts ist also kurz.
gefaBt diese: Wir nehmen den ganzen Produktenwert und setzen den darin
nur wiedererscheinenden konstanten Kapitalwert gleich Null. Die
ubrigbleibende Wertsumme ist das einzige im BildungsprozeB der Ware
wirklich erzeugte Wertprodukt. Ist der Mehrwert gegeben, so ziehn wir ihn
von diesem Wertprodukt ab, um das variable Kapital zu finden.
Umgekehrt, wenn letztres gegeben und wir den Mehrwert suchen. Sind
beide gegeben, so ist nur noch die SchluBoperation zu verrichten, das
Verhaltnis des Mehrwerts zum variablen Kapital, m / v , zu berechnen.
So einfach die Methode, scheint es doch passend, den Leser in die ihr zu
Grande liegende und ihm ungewohnte Anschauungsweise durch einige
Beispiele einzuexerzieren.
Zunachst das Beispiel einer Spinnerei von 10.000 Mulespindeln, die Nr. 32
Garn aus amerikanischer Baumwolle spinnt und 1 Pfund Garn wochentlich
per Spindel produziert. Der Abfall ist 6%. Also werden 10.600 Pfund
Baumwolle wochentlich in 10.000 Pfund Garn und 600 Pfund Abfall
verarbeitet. Im April 1871 kostet diese Baumwolle 7^/4 d. per Pfund, also
fur 10.600 Pfund rund 342 Pfd.St. Die 10.000 Spindeln, inklusive
Vorspinnmaschinerie und Dampfmaschine, kosten 1 Pfd.St. per Spindel,
also 10.000 Pfd.St. Ihr VerschleiB betragt 10% = 1.000 Pfd.St. oder
wochentlich 20 Pfd.St. Die Miete des Fabrikgebaudes ist 300 Pfd.St. oder 6
Pfd.St. per Woche. Kohlen (4 Pfund per Stunde und Pferdekraft, auf 100
Pferdekraft (Indikator), und 60 Stunden per Woche inklusive Heizung des
Gebaudes) 11 tons per Woche, zu 8 sh. 6 d. die Tonne, kosten rund 4Vi
Pfd.St. per Woche; Gas 1 Pfd.St. per Woche, OlAYi Pfd.St. per Woche,
also alle Hilfsstoffe 10 Pfd.St. per Woche. Also ist der konstante Wertteil
378 Pfd.St. per Woche. Der Arbeitslohn betragt 52 Pfd.St. per Woche. Der
Garnpreis ist 12V4 d. per Pfund oder 10.000 Pfd. = 510 Pfd. St., der
Mehrwert also 510 - 430 = 80 Pfd.St. Wir setzen den konstanten Wertteil
von 378 Pfd.St. = 0, da er in der wochentlichen Wertbildung nicht
mitspielt. Bleibt das wochentliche Wertprodukt von 132 = 52 (v) + 80
Pfd.St. (m). Die Rate des Mehrwerts also = 80 /52 = 153 n /i3%. Bei
zehnstundigem durchschnittlichem Arbeitstag ergibt dies: Notwendige
Arbeit = 3 31 /33 Stunden und Mehrarbeit = 6 2 /33 Stunden. 286
Jacob gibt fur das Jahr 1815, bei Annahme eines Weizenpreises von 80 sh.
per Quarter und eines Durchschnittsertrags von 22 Bushels per acre, so
daB der acre 11 Pfd.St. einbringt, folgende durch vorherige Kompensation
verschiedner Posten sehr mangelhafte, aber fur unsren Zweck genugende
Rechnung. 287
Wertproduktion per acre
Samen (Weizen) 1 Pfd.St. 9 sh. Zehnten, Rates, Taxes... 1
Pfd.St. lsh.
Dunger 2 Pfd.St. 10 sh. Rente
1 Pfd.St. 8sh.
Arbeitslohn 3 Pfd.St. 10 sh. Pachters Profit u. Zins 1 P
Summa: 7 Pfd.St. 9 sh. Summa: 3 Pfd.St. 11
sh.
Der Mehrwert, stets unter der Voraussetzung, daB Preis des Produkts =
seinem Wert, wird hier unter die verschiednen Rubriken, Profit, Zins,
Zehnten usw. verteilt. Diese Rubriken sind uns gleichgiiltig. Wir addieren
sie zusammen und erhalten einen Mehrwert von 3 Pfd.St. 11 sh. Die 3
Pfd.St. 19 sh. fur Samen und Dunger setzen wir als konstanten Kapitalteil
gleich Null. Bleibt vorgeschoBnes variables Kapital von 3 Pfd.St. 10 sh., an
dessen Stelle ein Neuwert von produziert worden ist. Also betragt m / v =
mehr als 100%. Der Arbeiter verwendet mehr als die Halfte seines
Arbeitstags zur Produktion eines Mehrwerts, den verschiedne Personen
auf verschiedne Vorwande hin unter sich verteilen. 288
2. Darstellung des Produktenwerts in proportionellen Teilen des
Kehren wir nun zum Beispiel zuriick, das uns zeigte, wie der Kapitalist aus
Geld Kapital macht. Die notwendige Arbeit seines Spinners betrug 6
Stunden, die Mehrarbeit desgleichen, der Exploitationsgrad der
Arbeitskraft daher 100%.
Das Produkt des zwolfsttindigen Arbeitstags sind 20 Pfd. Garn zum Wert
von 30 sh. Nicht weniger als fy\Q dieses Garnwerts (24 sh.) sind gebildet
durch den nur wieder erscheinenden Wert der verzehrten
Produktionsmittel (20 Pfd. Baumwolle zu 20 sh., Spindel usw. zu 4 sh.)
oder bestehn aus konstantem Kapital. Die ubrigen ^/\q sind der wahrend
des Spinnprozesses entstandne Neuwert von 6 sh., wovon eine Halfte den
vorgeschoBnen Tageswert der Arbeitskraft ersetzt oder das variable Kapital
und die andre Halfte einen Mehrwert von 3 sh. bildet. Der Gesamtwert der
20 Pfd. Garn ist also folgendermaBen zusammengesetzt:
Garnwert von 30 sh. = 24 sh. (c) + 3 sh. (v) + 3 sh. (m).
Da dieser Gesamtwert sich in dem Gesamtprodukt von 20 Pfd. Gam
darstellt, miissen auch die verschiednen Wertelemente in proportionellen
Teilen des Produkts darstellbar sein.
Existiert ein Garnwert von 30 sh. in 20 Pfd. Garn, so fy\Q dieses Werts,
oder sein konstanter Teil von 24 sh. in °/\q des Produkts, oder in 16 Pfd.
Garn. Davon stellen 13 V3 Pfd. den Wert des Rohmaterials dar, der
versponnenen Baumwolle zu 20 sh. und 2^/3 Pfd. den Wert der verzehrten
Hilfsstoffe und Arbeitsmittel, Spindelusw. zu 4 sh.
13 V3 Pfund Garn stellen also alle im Gesamtprodukt von 20 Pfd. Gam
versponnene Baumwolle vor, das Rohmaterial des Gesamtprodukts, aber
auch weiter nichts. In ihnen stecken zwar nur 13 V3 Pfd. Baumwolle zum
Wert von 13 V3 sh., aber ihr zusatzlicher Wert von 6^/3 sh. bildet ein
Aquivalent fiir die in den andren 6^/3 Pfd. Gam versponnene Baumwolle.
Es ist, als ob letztren die Wolle ausgerupft und alle Wolle des
Gesamtprodukts in 13 V3 Pfd. Gam zusammengestopft ware. Sie enthalten
dagegen jetzt kein Atom des Werts der verbrauchten Hilfsstoffe und
Arbeitsmittel noch des im SpinnprozeB geschaffnen Neu werts.
Ebenso stellen weitre 2^/3 Pfd. Gam, worin der Rest des konstanten
Kapitals (= 4 sh.) steckt, nichts dar auBer dem Wert der im Gesamtprodukt
von 20 Pfd. Gam vemutzten Hilfsstoffe und Arbeitsmittel.
Acht Zehntel des Produkts, oder 16 Pfd. Gam, obgleich leiblich, als
Gebrauchswert betrachtet, als Gam, ebensosehr Gebilde der Spinnarbeit
wie die restierenden Produktteile, enthalten daher in diesem
Zusammenhang keine Spinnarbeit, keine wahrend des Spinnprozesses
selbst eingesaugte Arbeit. Es ist, als ob sie sich ohne Spinnen in Gam
verwandelt hatten und als ware ihre Gamgestalt reiner Lug und Trug. In
der Tat, wenn der Kapitalist sie verkauft zu 24 sh. und damit seine
Produktionsmittel zuriickkauft, zeigt sich, daB 16 Pfd. Garn - nur
verkleidete Baumwolle, Spindel, Kohle usw. sind.
Umgekehrt stellen die iibrigbleibenden 2/\q des Produkts oder 4 Pfd.
Garn jetzt nichts dar auBer dem im zwolfstiindigen SpinnprozeB
produzierten Neuwert von 6 sh. Was vom Wert der vernutzten
Rohmaterialien und Arbeitsmittel in ihnen steckte, ward bereits
ausgeweidet und den ersten 16 Pfd. Garn einverleibt. Die in 20 Pfd. Garn
verkorperte Spinnarbeit ist konzentriert auf V\q des Produkts. Es ist, als ob
der Spinner 4 Pfd. Garn in der Luft gewirkt oder in Baumwolle und mit
Spindeln, die ohne Zutat menschlicher Arbeit, von Natur vorhanden, dem
Produkt keinen Wert zusetzen.
Von den 4 Pfd. Garn, worin so das ganze Wertprodukt des taglichen
Spinnprozesses existiert, stellt die eine Halfte nur den Ersatzwert der
vernutzten Arbeitskraft dar, also das variable Kapital von 3 sh., die andren
2 Pfd. Garn nur den Mehrwert von 3 sh.
Da 12 Arbeitsstunden des Spinners sich in 6 sh. vergegenstandlichen, sind
im Garnwert von 30 sh. 60 Arbeitsstunden vergegenstandlicht. Sie
existieren in 20 Pfd. Garn, wovon %/\q oder 16 Pfd. die Materiatur von 48
vor dem SpinnprozeB vergangnen Arbeitsstunden sind, namlich der in den
Produktionsmitteln des Garns vergegenstandlichten Arbeit, ^/\q oder 4
Pfd. dagegen die Materiatur der im SpinnprozeB selbst verausgabten 12
Arbeitsstunden.
Fruher sahen wir, daB der Garnwert gleich der Summe des in seiner
Produktion erzeugten Neuwerts plus der bereits in seinen
Produktionsmitteln praexistierenden Werte ist. Jetzt hat sich gezeigt, wie
die funktionell oder begrifflich verschiednen Bestandteile des
Produktenwerts in proportionellen Teilen des Produkts selbst darstellbar
sind.
Diese Zerfallung des Produkts - des Resultats des Produktionsprozesses in
ein Quantum Produkt, das nur die in den Produktionsmitteln enthaltne
Arbeit oder den konstanten Kapitalteil, ein andres Quantum, das nur die im
ProduktionsprozeB zugesetzte notwendige Arbeit oder den variablen
Kapitalteil, und ein letztes Quantum Produkt, das nur die im selben ProzeB
zugesetzte Melirarbeit oder den Mehrwert darstellt, ist ebenso einfach als
wichtig, wie ihre spatre Anwendung auf verwickelte und noch ungeloste
Probleme zeigen wird.
Wir betrachteten eben das Gesamtprodukt als fertiges Resultat des
zwolfsttindigen Arbeitstags. Wir konnen es aber auch in seinem
EntstehungsprozeB begleiten und dennoch die Teilprodukte als funktionell
unterschiedne Produktenteile darstellen.
Der Spinner produziert in 12 Stunden 20 Pfd. Garn, daher in einer
Stunde 1^/3 und in 8 Stunden 13 V3 Pfd., also ein Teilprodukt vom
Gesamtwert der Baumwolle, die wahrend des ganzen Arbeitstags
versponnen wird. In derselben Art und Weise ist das Teilprodukt der
folgenden Stunde und 36 Minuten = 2^/3 Pfd. Garn und stellt daher den
Wert der wahrend der 12 Arbeitsstunden vernutzten Arbeitsmittel dar.
Ebenso produziert der Spinner in der folgenden Stunde und 12 Minuten 2
Pfd. Garn = 3 sh., ein Produktenwert gleich dem ganzen Wertprodukt, das
er in 6 Stunden notwendiger Arbeit schafft. Endlich produziert er in den
letzten 6/5 Stunden ebenfalls 2 Pfd. Garn, deren Wert gleich dem durch
seine halbtagige Mehrarbeit erzeugten Mehrwert. Diese Art Berechnung
dient dem englischen Fabrikanten zum Hausgebrauch, und er wird z.B.
sagen, daB er in den ersten 8 Stunden oder 2/3 des Arbeitstags seine
Baumwolle herausschlagt usw. Man sieht, die Formel ist richtig, in der Tat
nur die erste Formel, ubersetzt aus dem Raum, wo die Teile des Produkts
fertig nebeneinander liegen, in die Zeit, wo sie aufeinander folgen. Die
Formel kann aber auch von sehr barbarischen Vorstellungen begleitet sein,
namentlich in Kopfen, die ebenso praktisch im Ver-wertungsprozeB
interessiert sind, als sie ein Interesse haben, inn theoretisch miBzuverstehn.
So kann sich eingebildet werden, daB unser Spinner z.B. in den ersten 8
Stunden seines Arbeitstags den Wert der Baumwolle, in der folgenden
Stunde und 36 Minuten den Wert der verzehrten Arbeitsmittel, in der
folgenden Stunde und 12 Minuten den Wert des Arbeitslohns produziert
oder ersetzt, und nur die vielberiihmte "letzte Stunde" dem Fabrikherrn,
der Produktion von Mehrwert widmet. Dem Spinner wird so das doppelte
Wunder aufgebiirdet, Baumwolle, Spindel, Dampfmaschine, Kohle, 01
usw. in demselben Augenblick zu produzieren, wo er mit ihnen spinnt,
und aus einem Arbeitstag von gegebnem Intensitatsgrad fiinf solcher Tage
zu machen. In unsrem Fall namlich erfordert die Produktion des
Rohmaterials und der Arbeitsmittel 24/g = 4 zwolfstiindige Arbeitstage
und ihre Verwandlung in Garn einen andren zwolfstiindigen Arbeitstag.
DaB die Raubgier solche Wunder glaubt und nie den doktrinaren
Sykophanten miBt, der sie beweist, zeige nun ein Beispiel von historischer
Beruhmtheit.
3. Seniors "Letzte Stunde"
An einem schonen Morgen des Jahres 1836 wurde der wegen seiner
okonomischen Wissenschaft und seines schonen Stils berufene Nassau W.
Senior, gewissermaBen der Clauren unter den englischen Okonomen, von
Oxford nach Manchester zitiert, um hier politische Okonomie zu lernen,
statt sie in Oxford zu lehren. Die Fabrikanten erkoren ihn zum Preisfechter
gegen den neulich erlaBnen Factory Act 289 und die dariiber noch
hinausstrebende Zehnstundenagitation. Mit gewohntem praktischen
Scharfsinn hatten sie erkannt, daB der Herr Professor "wanted a good deal
of finishing" 290 . Sie verschrieben inn daher nach Manchester. Der Herr
Professor seinerseits hat die zu Manchester von den Fabrikanten erhaltne
Lektion stilisiert in dem Pamphlet: "Letters on the Factory Act, as it affects
the cotton manufacture", London 1837. Hier kann man u.a. folgendes
Erbauliche lesen:
»Unter dem gegenwartigen Gesetz kann keine Fabrik, die Personen
unter 18 Jahren beschaftigt, langer als 11 ¥2 Stunden tdglich arbeiten,
d.h. 12 Stunden wahrend der ersten 5 Tage und 9 Stunden am
Sonnabend. Die folgende Analyse (!) zeigt nun, dafi in einer solchen
Fabrik der game Reingewinn von der letzten Stunde abgeleitet ist. Ein
Fabrikant legt 100.000 Pfd.St. aus - 80.000 Pfd.St. in Fabrikgebdude
und Maschinen, 20.000 in Rohmaterial und Arbeitslohn. Der jahrliche
Umsatz der Fabrik, vorausgesetzt, das Kapital schlage jahrlich einmal
um und der Bruttogewinn betrage 15%, mufi sich aufWaren zum Wert
von 115.000 Pfd.St. belaufen ... Von diesen 115.000 Pfd. St. produziert
jede der 23 halben Arbeits stunden tdglich -V//5 oder */23 Von diesen
^23> die das Ganze der 115.000 Pfd.St. bilden (constituting the whole
115.000 Pfd.St.), ersetzen 20 /23 21 /23> d.h. 100.000 von den 115.000,
nur das Kapital; */23 oder 5.000 Pfd.St. von den 15.000 Brutto-
Gewinn (!) ersetzen die Abnutzung der Fabrik und Maschinerie. Die
ubrigbleibenden 2 /23, d.h. die beiden letzten halben Stunden jedes
Tages produzieren den Reingewinn von 10%. Wenn daher bei
gleichbleibenden Preisen die Fabrik 13 Stunden statt IIV2 arbeiten
diirfte, so wiirde, mit einer Zulage von ungefahr 2.600 Pfd.St. zum
zirkulierenden Kapital, der Reingewinn mehr als verdoppelt werden.
Andrerseits, wenn die Arbeitsstunden tdglich um 1 Stunde reduziert
wiirden, wiirde der Reingewinn verschwinden, wenn um IV2 Stunden,
audi der Bruttogewinn.« 291
Und das nennt der Herr Professor eine "Analyse" ! Glaubte er den
Fabrikantenjammer, daB die Arbeiter die beste Zeit des Tags in der
Produktion, daher der Reproduktion oder dem Ersatz des Werts von
Baulichkeiten, Maschinen, Baumwolle, Kohle usw. vergeuden, so war jede
Analyse uberfliissig. Er hatte einfach zu antworten: Meine Herren! Wenn
ihr 10 Stunden arbeiten laBt statt 1 IV2, wird, unter sonst gleichbleibenden
Umstanden, der tagliche Verzehr von Baumwolle, Maschinerie usw. um
IV2 Stunden abnehmen. Ihr gewinnt also grade so viel, als ihr verliert. Eure
Arbeiter werden in Zukunft IV2 Stunden weniger fur Reproduktion oder
Ersatz des vorgeschoBnen Kapitalwerts vergeuden. Glaubte er ihnen nicht
aufs Wort, sondern hielt als Sachverstandiger eine Analyse fur notig, so
muBte er vor allem, in einer Frage, die sich ausschlieBlich um das
Verhaltnis des Reingewinns zur GroBe des Arbeitstags dreht, die Herren
Fabrikanten ersuchen, Maschinerie und Fabrikgebaude, Rohmaterial und
Arbeit nicht kunterbunt durcheinanderzuwirren, sondern gefalligst das in
Fabrikgebaude, Maschinerie, Rohmaterial usw. enthaltne konstante Kapital
auf die eine, das in Arbeitslohn vorgeschoBne Kapital auf die andre Seite
zu stellen. Ergab sich dann etwa, daB nach der Fabrikantenrechnung der
Arbeiter in ^2 Arbeitsstunden, oder in einer Stunde, den Arbeitslohn
reproduziert oder ersetzt, so hatte der Analytiker fortzufahren:
Nach eurer Angabe produziert der Arbeiter in der vorletzten Stunde
seinen Arbeitslohn und in der letzten euren Mehrwert oder den
Reingewinn. Da er in gleichen Zeitraumen gleiche Werte produziert, hat
das Produkt der vorletzten Stunde denselben Wert wie das der letzten. Er
produziert ferner nur Wert, soweit er Arbeit verausgabt, und das Quantum
seiner Arbeit ist gemessen durch seine Arbeitszeit. Diese betragt nach eurer
Angabe 1 IV2 Stunden per Tag. Einen Teil dieser 1 IV2 Stunden verbraucht
er zur Produktion oder zum Ersatz seines Arbeitslohns, den andren zur
Produktion eures Reingewinns. Weiter tut er nichts wahrend des
Arbeitstags. Da aber, nach Angabe, sein Lohn und der von ihm gelieferte
Mehrwert gleich groBe Werte sind, produziert er offenbar seinen
Arbeitslohn in 5^/4 Stunden und euren Reingewinn in andren 5^/4
Stunden. Da ferner der Wert des zweistundigen Garnprodukts gleich der
Wertsumme seines Arbeitslohns plus eures Reingewinns ist, muB dieser
Garnwert durch 1 IV2 Arbeitsstunden gemessen sein, das Produkt der
vorletzten Stunde durch 5^/4 Arbeitsstunden, das der letzten ditto. Wir
kommen jetzt zu einem haklichen Punkt. Also aufgepaBt! Die vorletzte
Arbeitsstunde ist eine gewohnliche Arbeitsstunde wie die erste. Ni plus, ni
moins. 292 Wie kann der Spinner daher in einer Arbeitsstunde einen
1 .Nicht mehr, nicht weniger.
2. Die Chiliasten (griech.: chilioi - tausend) predigten die religios-mystische Uhre vom zweiten
Erscheinen Christi und der Errichtung des "Tausendjahrigen Reiches" auf Erden, eines Reiches der
Gerechtigkeit, der allgemeinen Gleichheit und des Wohlstands. Der chiliastische Glaube entstand wahrend
des Zerfalls der Sklavenhalterordnung infolge des unertraglichen Jochs und der Leiden der werktatigen
Menschen, die in phantastischen Traumen der Erlosung einen Ausweg suchten. Dieser Glaube war weit
verbreitet und kehrte spater in den Lehren verschiedener mittelalterlicher Sekten standig wieder.
3."lauter Unsinn"
4.Wenn Senior bewies, daB an "der letzten Arbeksstunde" der Reingewinn der Fabrikanten, die
Existenz der englischen Baumwollindustrie, Englands WeltmarktgroBe hangen, bewies dahin wiederum Dr.
Andrew Ure [A. Ure: "The philosophy of manufactures". London 1835, S. 406.] in den Kauf, daB
Fabrikkinder und junge Personen unter 18 Jahren, welche man nicht voile 12 Stunden in die warme und
reine Moralluft der Fabrikstube bannt, sondern "eine Stunde" friiher in die gemiitskalte und frivole
AuBenwelt verstoBt, von MuBiggang und Laster um ihr Seelen, heil geprellt werden. Seit 1848 werden die
Fabrikinspektoren nicht miide, in ihren halbjahrlichen "Reports" die Fabrikanten mit "der letzten", der
"verhangnisvollen Stunde" zu necken. So sagt Herr Howell in seinem Fabrikbericht vom 31. Mai 1855:
»Ware die folgende scharfsinnige Berechnung [er zitiert Senior] richtig, so hdtte jede Baumwollfabrik
im Ver. Konigreich seit 1850 mit Verlust gearbeitet.e ("Reports of the Insp. of Fact, for the half year
ending 30th April 1855", p. 19, 20.) Als im Jahr 1848 die Zehn-stundenbill durchs Parlament ging,
Garnwert produzieren, der 5^/4 Arbeitsstunden darstellt? Er verrichtet in
der Tat kein solches Wunder. Was er in einer Arbeitsstunde an
Gebrauchswert produziert, ist ein bestimmtes Quantum Garn. Der Wert
dieses Garns ist gemessen durch 5^/4 Arbeitsstunden, wovon 4-V4 ohne
sein Zutun in den sttindlich verzehrten Produktionsmitteln stecken, in
Baumwolle, Maschinerie usw., ^4 oder eine Stunde von ihm selbst
zugesetzt ist. Da also sein Arbeitslohn in 5^/4 Stunden produziert wird und
das Garnprodukt einer Spinnstunde ebenfalls 5^/4 Arbeitsstunden enthalt,
ist es durchaus keine Hexerei, daB das Wertprodukt seiner 5^/4
Spinnstunden gleich dem Produktenwert einer Spinnstunde. Ihr seid aber
durchaus auf dem Holzweg, wenn ihr meint, er verliere ein einziges
Zeitatom seines Arbeitstags mit der Reproduktion oder dem "Ersatz" der
Werte von Baumwolle, Maschinerie usw. Dadurch, daB seine Arbeit aus
Baumwolle und Spindel Garn macht, dadurch, daB er spinnt, geht der Wert
von Baumwolle und Spindel von selbst auf das Garn iiber. Es ist dies der
Qualitat seiner Arbeit geschuldet, nicht ihrer Quantitat. Allerdings wird er
in einer Stunde mehr Baumwollwert usw. auf Garn ubertragen als in Vi
Stunde, aber nur weil er in 1 Stunde mehr Baumwolle verspinnt als in Vi.
Ihr begreift also: Euer Ausdruck, der Arbeiter produziert in der vorletzten
Stunde den Wert seines Arbeitslohns und in der letzten den Reingewinn,
heiBt weiter nichts, als daB in dem Garnprodukt von zwei Stunden seines
Arbeitstags, ob sie vorn oder hinten stehen, 1 IV2 Arbeitsstunden verkorpert
sind, grade so viel Stunden, als sein ganzer Arbeitstag zahlt. Und der
Ausdruck, daB er in den ersten 5^/4 Stunden seinen Arbeitslohn und in
den letzten 5^/4 Stunden euren Reingewinn produziert, heiBt wieder
nichts, als daB ihr die ersten 5^/4 Stunden zahlt und die letzten 5^/4
Stunden nicht zahlt. Ich spreche von Zahlung der Arbeit, statt der
Arbeitskraft, um euren slang zu reden. Vergleicht ihr Herren nun das
Verhaltnis der Arbeitszeit, die ihr zahlt, zur Arbeitszeit, die ihr nicht zahlt,
so werdet ihr finden, daB es halber Tag zu halbem Tag ist, also 100%, was
allerdings ein artiger Prozentsatz. Es unterliegt auch nicht dem geringsten
Zweifel, daB, wenn ihr eure "Hande" statt IIV2 Stunden 13 abschanzt und,
was euch so ahnlich sieht wie ein Ei dem andren, die uberschussigen IV2
Stunden zur bloBen Mehrarbeit schlagt, letztre von 5^/4 Stunden auf 7V4
Stunden wachsen wird, die Rate des Mehrwerts daher von 100% auf
1262/23%. Dagegen seid ihr gar zu to lie Sanguiniker, wenn ihr hofft, sie
werde durch den Zusatz von IV2 Stunden von 100 auf 200 % und gar mehr
als 200% steigen, d.h. sich "mehr als verdoppeln". Andrerseits - des
Menschen Herz ist ein wunderlich Ding, namentlich wenn der Mensch sein
Herz im Beutel tragt - seid ihr gar zu verriickte Pessimisten, wenn ihr
furchtet, mit der Reduktion des Arbeitstags von 1 IV2 auf IOV2 Stunden
werde euer ganzer Reingewinn in die Briiche gehn. Belleibe nicht. Alle
andren Umstande als gleichbleibend vorausgesetzt, wird die Mehrarbeit
von 5^/4 auf 4^/4 Stunden fallen, was immer noch eine ganz erklecldiche
Rate des Mehrwerts gibt, namlich 8214/23%. Die verhangnisvolle "letzte
Stunde" aber, von der ihr mehr gefabelt habt als die Chiliasten 293 vom
Weltuntergang, ist "all bosh" 294 . Ihr Verlust wird weder euch den
"Reingewinn" noch den von euch verarbeiteten Kindern beiderlei
Geschlechts die "Seelenreinheit" kosten. 295
Wenn einmal euer "letztes Stundlein" wirklich schlagt, denkt an den
Professor von Oxford. Und nun: In einer beBren Welt wunsch' ich mir
mehr von eurem werten Umgang. Addio! 296 Das Signal der von Senior
l.Indes hatte der Herr Professor doch etwas bei seinem Manchester Ausflug profitiert! In den
"Letters on the Factory Act" hangt der ganze Reingewinn, "Profit" und "Zins" und sogar "something more"
[etwas mehr] an einer unbezahlten Arbeitsstunde des Arbeiters! Ein Jahr zuvor, in seinen zum
1836 entdeckten "letzten Stunde" ward am 15. April 1848, polemisch
gegen das Zehnstundengesetz, von James Wilson, einem der
okonomischen Hauptmandarine, im "London Economist" von neuem
geblasen.
4. Das Mehrprodukt
Den Teil des Produkts (Viq von 20 Pfd. Garn oder 2 Pfd. Garn in dem
Beispiel sub 2), worin sich der Mehrwert darstellt, nennen wir
Mehrprodukt (surplus produce, produit net). Wie die Rate des Mehrwerts
durch sein Verhaltnis nicht zur Gesamtsumme, sondern zum variablen
Bestandteil des Kapitals bestimmt wird, so die Hohe des Mehrprodukts
durch sein Verhaltnis nicht zum Rest des Gesamtprodukts, sondern zum
Produktteil, worin sich die notwendige Arbeit darstellt. Wie die Produktion
von Mehrwert der bestimmende Zweck der kapitalistischen Produktion, so
miBt nicht die absolute GroBe des Produkts, sondern die relative GroBe des
Mehrprodukts den Hohegrad des Reichtums. 297
Gemeinbesten Oxforder Studenten und gebildeter Philister verfaBten "Outlines of Political Economy" hatte
er noch gegeniiber Ricardos Wertbestimmung durch die Arbeitszeit "entdeckt", daB der Profit aus der
Arbeit des Kapitalisten und der Zins aus seiner Asketik, seiner "Abstinenz" herstamme. Die Flause selbst
war alt, aber das Wort "Abstinenz" neu. Herr Roscher verdeutscht es richtig durch "Enthaltung". Seine
minder mit Latein beschlagnen Kompatrioten, Wirte, Schulzen und andre Michels, haben es in "Entsagung"
vermoncht.
l.»Fiir ein Individuum mit einem Kapital von 20.000 Pfd. St., dessen Profite 2.000 Pfd.St.
jahrlich betragen, ware es ein durchaus gleichgiiltig Ding, ob sein Kapital 100 oder 1.000 Arbeiter
beschaftigt, ob die produzierten Waren sich zu 10.000 oder 20.000 Pfd.St. verkaufen, immer
vorausgesetzt, dafi seine Profite in alien Fallen nicht unter 2.000 Pfd.St. fallen. 1st das reale Interesse
einer Nation nicht dasselbe? Vorausgesetzt, ihr reales Nettoeinkommen, ihre Renten und Profite
bleiben dieselben, so ist es nicht von der geringsten Wichtigkeit, ob die Nation aus 10 oder 12
Millionen Einwohnern besteht.« (Ricardo, I.e. p. 416.) Lange vor Ricardo sagte der Fanatiker des
Mehrprodukts, Arthur Young, ein ubrigens schwatzschweifiger, kritikloser Schriftsteller, dessen Ruf in
umgekehrtem Verhaltnis zu seinem Verdienst steht, u.a.: »Von welchem Nutzen wurde in einem modernen
Konigreich eine ganze Provinz sein, deren Boden in altromischer Manier, von kleinen, unabhangigen
Bauern, meinetwegen noch so gut bebaut wiirde ? Von welchem Zwecke, aufier dem einzigen, Menschen
zu erzeugen (the mere purpose of breeding men), was an und fiir sich gar keinen Zweck hat (is a most
useless purpose)«. (Arthur Young: "Political Arithmetic etc.", London 1774, p. 47.)
2.Zusatz zu Note 34: Sonderbar ist »die starke Neigung, das Reineinkommen als vorteilhaft fiir die
arbeitende Klasse hinzustellen,... dabei ist aber offensichtlich, dafi dieses nicht deshalb vorteilhaft ist,
Die Summe der notwenchgen Arbeit und der Mehrarbeit, der
Zeitabschnitte, worin der Arbeiter den Ersatzwert seiner Arbeitskraft und
den Mehrwert produziert, bildet die absolute GroBe seiner Arbeitszeit - den
Arbeitstag (working day).
Achtes Kapitel
Der Arbeitstag
1. Die Grenzen des Arbeitstags
Wir gingen von der Voraussetzung aus, daB die Arbeitskraft zu ihrem
Werte gekauft und verkauft wird. Ihr Wert, wie der jeder andren Ware,
wird bestimmt durch die zu ihrer Produktion notige Arbeitszeit. Erheischt
also die Produktion der durchschnittlichen taglichen Lebensmittel des
Arbeiters 6 Stunden, so muB er im Durchschnitt 6 Stunden per Tag
arbeiten, um seine Arbeitskraft taglich zu produzieren oder den in ihrem
Verkauf erhaltnen Wert zu reproduzieren. Der notwendige Teil seines
Arbeitstags betragt dann 6 Stunden und ist daher, unter sonst
gleichbleibenden Umstanden, eine gegebne GroBe. Aber damit ist die
GroBe des Arbeitstags selbst noch nicht gegeben.
Nehmen wir an, die Linie a b stelle die Dauer oder Lange der
notwendigen Arbeitszeit vor, sage 6 Stunden. Je nachdem die Arbeit iiber
a b um 1, 3 oder 6 Stunden usw. verlangert wird, erhalten wir die 3
verschiednen Linien:
Arbeitstag I Arbeitstag II
a b — c, a b c,
Arbeitstag III
well es rein ist«. (Th. Hopkins, "On Rent of Land etc.", London 1828, p. 126.)
l.»Ein Arbeitstag ist eine unbestimmte GroBe, er kann lang oder kurz sein.« ("An Essay on Trade
and Commerce, containing Observations on Taxation etc.", London 1770, p. 73.)
l.Diese Frage ist unendlich wichtiger als die beriihmte Frage Sir Robert Peels an die Birminghamer
Handelskammer: "What is a pound?" ["Was ist ein Pfund?"] eine Frage, die nur gestellt werden konnte, weil
Peel iiber die Natur des Geldes ebenso unklar war als die "little shilling men"* von Birmingham.
die drei verschiedne Arbeitstage von 7, 9 und 12 Stunden vorstellen. Die
Verlangrungslinie b c stellt die lange der Mehrarbeit vor. Da der Arbeitstag
= a b + b c oder a c ist, variiert er mit der variablen GroBe b c. Da a b
gegeben ist, kann das Verhaltnis von b c zu a b stets gemessen werden. Es
betragt in Arbeitstag I 1/6 in Arbeitstag II -Vg und in Arbeitstag III 6/g von
a b. Da ferner die Proportion die Rate des Mehrwerts bestimmt, ist letztre
gegeben durch jenes Verhaltnis. Sie betragt in den drei verschiednen
Arbeitstagen respektive 16^/3, 50 und 100%. Umgekehrt wiirde die Rate
des Mehrwerts allein uns nicht die GroBe des Arbeitstags geben. Ware sie
z.B. gleich 100 %, so konnte der Arbeitstag 8-, 10-, 12stundig usw. sein.
Sie wiirde anzeigen, daB die zwei Bestandteile des Arbeitstags, notwendige
Arbeit und Mehrarbeit, gleich groB sind, aber nicht, wie groB jeder dieser
Teile.
Der Arbeitstag ist also keine konstante, sondern eine variable GroBe. Einer
seiner Teile ist zwar bestimmt durch die zur bestandigen Reproduktion des
Arbeiters selbst erheischte Arbeitszeit, aber seine GesamtgroBe wechselt
mit der Lange oder Dauer der Mehrarbeit. Der Arbeitstag ist daher
bestimmbar, aber an und fur s'ch unbestimmt. 298
Obgleich nun der Arbeitstag kein, feste, sondern eine flieBende GroBe ist,
kann er andrerseits nur innerhalb gewisser Schranken variieren. Seine
Minimalschranke ist jedoch unbestimmbar. Allerdings, setzen wir die
Verlangerungslinie b c, oder die Mehrarbeit, = 0, so erhalten wir eine
Minimalschranke, namlich den Teil des Tags, den der Arbeiter notwendig
zu seiner Selbsterhaltung arbeiten muB. Auf Grundlage der kapitalistischen
Produktionsweise kann die notwendige Arbeit aber immer nur einen Teil
seines Arbeitstages bilden, der Arbeitstag sich also nie auf dies Minimum
verkiirzen. Dagegen besitzt der Arbeitstag eine Maximalschranke. Er ist
iiber eine gewisse Grenze hinaus nicht verlangerbar. Diese
Maximalschranke ist doppelt bestimmt. Einmal durch die physische
Schranke der Arbeitskraft. Ein Mensch kann wahrend des naturlichen Tags
von 24 Stunden nur ein bestimmtes Quantum Lebenskraft verausgaben.
So kann ein Pferd tagaus, tagein nur 8 Stunden arbeiten. Wahrend eines
Teils des Tags muB die Kraft ruhen, schlafen, wahrend eines andren Teils
hat der Mensch andre physische Bedurfnisse zu befriedigen, sich zu
nahren, reinigen, kleiden usw. AuBer dieser rein physischen Schranke stoBt
die Verlangrung des Arbeitstags auf moralische Schranken. Der Arbeiter
braucht Zeit zur Befriedigung geistiger und sozialer Bedurfnisse, deren
Umfang und Zahl durch den allgemeinen Kulturzustand bestimmt sind.
Die Variation des Arbeitstags bewegt sich daher innerhalb physischer und
sozialer Schranken. Beide Schranken sind aber sehr elastischer Natur und
erlauben den groBten Spielraum. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12,
14; 16, 18 Stunden, also von der verschiedensten Lange.
Der Kapitalist hat die Arbeitskraft zu ihrem Tageswert gekauft. Ihm gehort
ihr Gebrauchswert wahrend eines Arbeitstags. Er hat also das Recht
erlangt, den Arbeiter wahrend eines Tags fur sich arbeiten zu lassen. Aber
was ist ein Arbeitstag? 2 " Jedenfalls weniger als ein naturlicher Lebenstag.
Um wieviel? Der Kapitalist hat seine eigne Ansicht iiber dies ultima Thule,
die notwendige Schranke des Arbeitstags. Als Kapitalist ist er nur
personifiziertes Kapital. Seine Seele ist die Kapitalseele. Das Kapital hat
aber einen einzigen Lebenstrieb, den Trieb, sich zu verwerten, Mehrwert zu
schaffen, mit seinem konstanten Teil, den Produktionsmitteln, die
groBtmogliche Masse Mehrarbeit einzusaugen. 300 Das Kapital ist
4.»Es ist die Aufgabe des Kapitalisten, mit dem verausgabten Kapital die grofitmogliche
Summe Arbeit herauszuschlagen.« ("D'obtenir du capital depense la plus forte somme de travail
possible.") (J.-G. Courcelle-Seneuil: "Traite theorique et pratique des entreprises industrielles", 2eme edit.,
Paris 1857, p.62.)
5.»Der Verlust einer Arbeitsstunde pro Tag stellt einen aufierordentlich grofien Schaden fitr
einen Handelsstaat dar.« »Der Konsum von Luxusgiitern unter den arbeitenden Armen dieses
Konigsreichs ist sehr grofi, besonders unter dem Manufakturpobel: dabei konsumieren sie aber auch
ihre Zeit, ein Verbrauch, verhangnisvoller als jeder andre. « ("An Essay on Trade and Commerce etc.",
p.47u. 153.)
6.»Wenn sich der freie Tagelohner einen Augenblick ausruht, behauptet die schmutzige
Okonomie, die ihn mit unruhigen Augen verfolgt, dafi er sie bestehle.« (N.Linguet: "Therie des Loix
Civiles etc.", London 1767, til, p.466.)
1. Wahrend des groBen strike [Streiks] der London builders [Londoner Bauarbeiter], 1860-1861,
zur Reduktion des Arbeitstags auf 9 Stunden, veroffentlichte ihr Komitee eine Erklarung, die halb und halb
auf das Plaidoyer unsres Arbeiters hinauslauft. Die Erklarung spielt nicht ohne Ironie darauf an, daB der
Profitwiitigste der building masters [Bauunternehmer] - ein gewisser Sir M.Peto - im "Geruch der
Heiligkeit" stehe. (Derselbe Peto kam nach 1867 zu einem Ende mit - Strousberg!)
l.»Diejenigen, die arbeiten..., ernahren in Wirklichkeit sowohl die Pensionare, genannt die
Reichen, als auch sich selbst.« (Edmund Burke, I.e. p.2, 3.)
2.romischer Burger
verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmaBig belebt durch Einsaugung
lebendiger Arbeit und urn so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt. Die
Zeit, wahrend deren der Arbeiter arbeitet, ist die Zeit, wahrend deren der
Kapitalist die von ihm gekaufte Arbeitskraft konsumiert. 301 Konsumiert der
Arbeiter seine disponible Zeit fur sich selbst, so bestiehlt er den
Kapitalisten. 302 Der Kapitalist beruft sich also auf das Gesetz des
Warenaustausches. Er, wie jeder andre Kaufer, sucht den groBtmoglichen
Nutzen aus dem Gebrauchswert seiner Ware herauszuschlagen. Plotzlich
aber erhebt sich die Stimme des Arbeiters, die im Sturm und Drang des
Produktionsprozesses verstummt war:
Die Ware, die ich dir verkauft habe, unterscheidet sich von dem andren
Warenpobel dadurch, daB ihr Gebrauch Wert schafft und groBten Wert, als
sie selbst kostet. Dies war der Grand, waram du sie kauftest. Was auf
deiner Seite als Verwertung von Kapital erscheint, ist auf meiner Seite
uberschussige Verausgabung von Arbeitskraft. Du und ich kennen auf
dem Marktplatz nur ein Gesetz, das des Warenaustausches. Und der
Konsum der Ware gehort nicht dem Verkaufer, der sie verauBert, sondern
dem Kaufer, der sie erwirbt. Dir gehort daher der Gebrauch meiner
taglichen Arbeitskraft. Aber vermittelst ihres taglichen Verkaufspreises
muB ich sie taglich reproduzieren und daher von neuem verkaufen konnen.
Abgesehn von dem naturlichen VerschleiB durch Alter usw., muB ich fahig
sein, morgen mit demselben Normalzustand von Kraft, Gesundheit und
Frische zu arbeiten, wie heute. Du predigst mir bestandig das Evangelium
der "Sparsamkeit" und 'Enthaltung". Nun gut! Ich will wie ein
vernunftiger, sparsamer Wirt mein einziges Vermogen, die Arbeitskraft,
haushalten und mich jeder tollen Verschwendung derselben enthalten. Ich
will taglich nur soviel von ihr flussig machen, in Bewegung, in Arbeit
umsetzen, als sich mit ihrer Normaldauer und gesunden Entwicklung
vertragt. Durch maBlose Verlangrang des Arbeitstags kannst du in einem
Tage ein groBtes Quantum meiner Arbeitskraft flussig machen, als ich in
drei Tagen ersetzen kann. Was du so an Arbeit gewinnst, verliere ich an
Arbeitssubstanz. Die Benutzung meiner Arbeitskraft und die Beraubung
derselben sind ganz verschiedne Dinge. Wenn die Durchschnittsperiode,
die ein Durchschnittsarbeiter bei vernunftigem ArbeitsmaB leben kann, 30
Jahre betragt, ist der Wert meiner Arbeitskraft, den du mir einen Tag in den
andren zahlst, ^355 x 30 oder V1 0.950 ih res Gesamtwerts. Konsumierst
du sie aber in 10 Jahren, so zahlst du mir taglich V1 0.950 statt ^3.650 ^ res
Gesamtwerts, also nur V3 ihres Tageswerts, und stiehlst mir daher taglich
2/3 des Werts meiner Ware. Du zahlst mir eintagige Arbeitskraft, wo du
dreitagige verbrauchst. Das ist wider unsren Vertrag und das Gesetz des
Warenaustausches. Ich verlange also einen Arbeitstag von normaler Lange,
und ich verlange inn ohne Appell an dein Herz, denn in Geldsachen hort
die Gemiitlichkeit auf. Du magst ein Musterbiirger sein, vielleicht Mitglied
des Vereins zur Abschaffung der Tierqualerei und obendrein im Geruch
der Heiligkeit stehn, aber dem Ding, das du mir gegeniiber reprasentierst,
schlagt kein Herz in seiner Brust. Was darin zu pochen scheint, ist mein
eigner Herzschlag. Ich verlange den Normalarbeitstag, weil ich den Wert
meiner Ware verlange, wie jeder andre Verkaufer. 303
Man sieht: Von ganz elastischen Schranken abgesehn, ergibt sich aus der
Natur des Warenaustausches selbst keine Grenze des Arbeitstags, also
keine Grenze der Mehrarbeit. Der Kapitalist behauptet sein Recht als
Kaufer, wenn er den Arbeitstag so lang als moglich und womoglich aus
einem Arbeitstag zwei zu machen sucht. Andrerseits schlieBt die
spezifische Natur der verkauften Ware eine Schranke ihres Konsums durch
den Kaufer ein, und der Arbeiter behauptet sein Recht als Verkaufer, wenn
er den Arbeitstag auf eine bestimmte NormalgroBe beschranken will. Es
findet hier also eine Antinomie statt, Recht wider Recht, beide gleichmaBig
durch das Gesetz des Warenaustausches besiegelt. Zwischen gleichen
Rechten entscheidet die Gewalt. Und so stellt sich in der Geschichte der
kapitalistischen Produktion die Normierung des Arbeitstags als Kampf um
die Schranken des Arbeitstags dar - ein Kampf zwischen dem
Gesamtkapitalisten, d.h. derKlassederKapitalisten, und dem
Gesamtarbeiter, oder der Arbeiterklasse.
2. Der HeiBhunger nach Mehrarbeit. Fabrikant und Bojar
Das Kapital hat die Mehrarbeit nicht erfunden. Uberall, wo ein Teil der
Gesellschaft das Monopol der Produktionsmittel besitzt, muB der Arbeiter,
frei oder unfrei, der zu seiner Selbsterhaltung notwendigen Arbeitszeit
uberschussige Arbeitszeit zusetzen, um die Lebensmittel fur den Eigner
der Produktionsmittel zu produzieren 304 , sei dieser Eigentumer nun
atheniensischer Aristokrat , etruskischer Theokrat, civis romanus 305 ,
normannischer Baron, amerikanischer Sklavenhalter, walachischer Bojar,
moderner Landlord oder Kapitalist. 306 Indes ist klar, daB wenn in einer
3.Sehr naiv bemerkt Niebuhr in seiner "Romischen Geschichte": »Man kann sich nicht verhehlen,
dafi Werke wie die etruskischen, die in ihren Triimmern erstaunen, in kleinen (!) Staaten Fronherrn
und Knechte voraussetzen.« Viel tiefer sagte Sismondi, daB "Briisseler Spitzen" Lohnherrn und
Lohndiener voraussetzen.
4.»Man kann diese Ungliicklichen« (in den Goldbergwerken zwischen Agypten, Athiopien und
Arabien), »die nicht einmal ihren Korper reinlich halten noch ihre Blofie decken konnen, nicht ansehn,
ohne ihr jammervolles Schicksal zu beklagen. Denn dafindet keine Nachsicht und keine Schonung statt
fiir Kranke, fitr Gebrechliche, fur Greise, fur die weibliche Schwachheit. Alle mtissen, durch Schlage
gezwungen, fortarbeiten, bis der Tod ihren Qualen und ihrer Not ein Ende macht.« (Diod. Sic.,
"Historische Bibliothek", Buch 3, c.13, [p.260].)
l.Das Nachfolgende bezieht sich auf die Zustande der rumanischen Provinzen, wie sie sich vor der
Umwalzung seit dem Krimkrieg gestaltet hatten.
l.jNote zur 3. Aufl. - Dies gilt ebenfalls fur Deutschland und speziell fiir das ostelbische PreuBen.
Im 15. Jahrhundert war der deutsche Bauer fast uberall ein gewissen Leistungen in Produkt und Arbeit
unterworfener, aber sonst wenigstens faktisch freier Mann. Die deutschen Kolonisten in Brandenburg,
Pommern, Schlesien und OstpreuBen waren sogar rechtlich als Freie anerkannt. Der Sieg des Adels im
Bauernkrieg machte dem ein Ende. Nicht nur die besiegten siiddeutschen Bauern wurden wieder leibeigen.
Schon seit Mitte des 16. Jahrhunderts werden die ostpreuBischen, brandenburgischen, pommerschen und
schlesischen, und bald darauf auch die schleswig-holsteinischen freien Bauern zu Leibeignen erniedrigt.
(Maurer: "Fronhofe", IV. Bd. - Meitzen, "Der Boden des Pr. Staats". - Hanssen, "Leibeigenschaft in
Schleswig-Holstein".) - F.E.)
1 .Reglement organique von 1831 - die erste Verfassung der Donaufurstentiimer (Moldau und
Walachei), die von russischen Truppen auf Grand des Friedensvearages von Adrianopel vom 14. September
1829, der den Russisch-Turkischen Krieg von 1828/1829 beendete, besetzt waren. P.D. Kisselew, das
Oberhaupt der Verwaltung dieser Furstentiimer, hatte das Projekt fiir diese Verfassung ausgearbeitet. Nach
dem Reglement wurde die gesetzgebende Gewalt in jedem Furstentum der Versammlung, die von den
Gutsbesitzern gewahlt wurde, eingeraumt und die ausfuhrende Gewalt den Hospodaren ubertragen, die auf
Lebenszeit von den Vertretern der Gutsbesitzer, der Geistlichkeit und der Stadte gewahlt wurden. Die
friihere Feudalordnung, darunter auch die Fron, wurde beibehalten. Die politische Macht konzentrierte sich
in den Handen der Gutsbesitzer. Gleichzeitig fiihrte das Reglement eine Reihe biirgerlicher Reformen ein.
die inneren Zollschranken wurden abgeschafft, die Handelsfreiheit eingefiihrt, das Gericht von der
Verwaltung getrennt; den Bauern wurde gestattet, den Gutsherrn zu wechseln, und die Folter wurde
abgeschafft. Wahrend der Revolution von 1848 wurde das Reglement organique beseitigt.
l.Weitere Details findet man in E. Regnault, "Histoire politique et sociale des Principautes
Danubiennes", Paris 1855, [p. 304 sqq.].
l.»Im allgemeinen spricht innerhalb gewisser Grenzen fur das Gedeihen organischer Wesen
das Uberschreiten des Mittelmafies ihrer Art Fiir den Menschen verkle inert sich sein Korpermafi, wenn
sein Gedeihen beeintriichtigt ist, sei es durch physische oder soziale Verhdltnisse. In alien
europaischen Ldndern, wo Konskription besteht, hat seit Einfuhrung derselben das mittlere
Korpermafi der erwachsenen Minner und im ganzen ihre Tauglichkeit zum Kriegsdienst abgenommen.
Vor der Revolution (1 789) war das Minimum fiir den Infanteristen in Frankreich 165 Zentimeter; 1818
(Gesetz vom 10. Marz) 157, nach dem Gesetz vom 21. Miirz 1832, 156 Zentimeter; durchschnittlich in
Frankreich wegen mangelnder Grofie und Gebrechen iiber die Hdlfte ausgemustert. Das Militdrmafi
war in Sachsen 1 780: 1 78 Zentimeter, jetzt 155. In Preufien ist es 157. Nach Angabe in der Bayrischen
Zeitung vom 9. Mai 1862 von Dr. Meyer stellt sich nach einem 9jdhrigen Durchschnitt heraus, dafi in
Preufien von 1.000 Konskribierten 716 untauglich zum Militdrdienst: 317 wegen Mindermafi und 399
okonomischen Gesellschaftsformation nicht der Tauschwert, sondern der
Gebrauchswert des Produkts vorwiegt, die Mehrarbeit durch einen engern
oder weitern Kreis von Bedurfnissen beschrankt ist, aber kein
schrankenloses Bedurfnis nach Mehrarbeit aus dem Charakter der
Produktion selbst entspringt. Entsetzlich zeigt sich daher im Altertum die
Uberarbeit, wo es gilt, den Tauschwert in seiner selbstandigen Geldgestalt
zu gewinnen, in der Produktion von Gold und Silber. Gewaltsames zu Tod
arbeiten ist hier die offizielle Form der Uberarbeit. Man lese nur den
Diodorus Siculus. 307 Doch sind dies Ausnahmen in der alten Welt. Sobald
aber Volker, deren Produktion sich noch in den niedrigren Formen der
Sklavenarbeit, Fronarbeit usw. bewegt, hineingezogen werden in einen
durch die kapitalistische Produktionsweise beherrschten Weltmarkt, der
den Verkauf ihrer Produkte ins Ausland zum vorwiegenden Interesse
entwickelt, wird den barbarischen Greueln der Sklaverei, Leibeigenschaft
usw. der zivilisierte Greuel der Uberarbeit aufgepfropft. Daher bewahrte
die Negerarbeit in den sudlichen Staaten der amerikanischen Union einen
gemaBigt patriarchalischen Charakter, solange die Produktion
hauptsachlich auf den unmittelbaren Selbstbedarf gerichtet war. In dem
Grade aber, wie der Baumwollexport zum Lebensinteresse jener Staaten,
ward die Uberarbeitung des Negers, hier und da die Konsumtion seines
Lebens in sieben Arbeitsjahren, Faktor eines berechneten und
berechnenden Systems. Es gait nicht mehr, eine gewisse Masse nutzlicher
Produkte aus ihm herauszuschlagen. Es gait nun der Produktion des
Mehrwerts selbst. Ahnlich mit der Fronarbeit, z.B. in den
Donaufurstentumern.
Die Vergleichung des HeiBhungers nach Mehrarbeit in den
Donaufurstentumern mit demselben HeiBhunger in englischen Fabriken
bietet ein besondres Interesse, weil die Mehrarbeit in der Fronarbeit eine
selbstandige, sinnlich wahrnehmbare Form besitzt.
Gesetzt, der Arbeitstag zahle 6 Stunden notwendiger Arbeit und 6
Stunden Mehrarbeit. So liefert der freie Arbeiter dem Kapitalisten
wochentlich 6x6 oder 36 Stunden Mehrarbeit. Es ist dasselbe, als arbeite
er 3 Tage in der Woche fur sich und 3 Tage in der Woche umsonst fur den
Kapitalisten. Aber dies ist nicht sichtbar. Mehrarbeit und notwendige
Arbeit Verschwimmen ineinander. Ich kann daher dasselbe Verhaltnis z.B.
auch so ausdriicken, daB der Arbeiter in jeder Minute 30 Sekunden fur sich
und 30 Sekunden fur den Kapitalisten arbeitet usw. Anders mit der
Fronarbeit. Die notwendige Arbeit, die z.B. der walachische Bauer zu
seiner Selbsterhaltung verrichtet, ist raumlich getrennt von seiner
Mehrarbeit fur den Bojaren. Die eine verrichtet er auf seinem eignen Felde,
die andre auf dem herrschaftlichen Gut. Beide Teile der Arbeitszeit
existieren daher selbstandig nebeneinander. In der Form der Fronarbeit ist
die Mehrarbeit genau abgeschieden von der notwendigen Arbeit. An dem
quantitativen Verhaltnis von Mehrarbeit und notwendiger Arbeit andert
diese verschiedne Erscheinungsform offenbar nichts. Drei Tage Mehrarbeit
in der Woche bleiben drei Tage Arbeit, die kein Aquivalent fur den
Arbeiter selbst bildet, ob sie Fronarbeit heiBe oder Lohnarbeit. Bei dem
Kapitalisten jedoch erscheint der HeiBhunger nach Mehrarbeit im Drang
zu maBloser Verlangrung des Arbeitstags, bei dem Bojaren einfacher in
unmittelbarer Jagd auf Frontage. 308
Die Fronarbeit war in den Donaufurstentiimern verkniipft mit
Naturalrenten und sonstigem Zubehor von Leibeigenschaft, bildete aber
den entscheidenden Tribut an die herrschende Klasse. Wo dies der Fall,
entsprang die Fronarbeit selten aus der Leibeigenschaft, Leibeigenschaft
vielmehr meist umgekehrt aus der Fronarbeit. 309 So in den rumanischen
Provinzen. Hire urspriingliche Produktionsweise war auf Gemeineigentum
gegriindet, aber nicht auf Gemeineigentum in slawischer oder gar indischer
Form. Ein Teil der Landereien wurde als freies Privateigentum von den
Mitgliedern der Gemeinde selbstandig bewirtschaftet, ein andrer Teil - der
ager publicus - gemeinsam von ihnen bestellt. Die Produkte dieser
gemeinsamen Arbeit dienten teils als Reservefonds fur MiBernten und
andre Zufalle, teils als Staatsschatz zur Deckung fur die Kosten von Krieg,
Religion und andre Gemeindeausgaben. Im Laufe der Zeit usurpierten
kriegerische und kirchliche Wiirdentrager mit dem Gemeineigentum die
Leistungen fur dasselbe. Die Arbeit der freien Bauern auf ihrem
Gemeindeland verwandelte sich in Fronarbeit fur die Diebe des
Gemeindelandes. Damit entwickelten sich zugleich Leibei gen schafts-
Ve haltnisse, jedoch nur tatsachlich, nicht gesetzlich, bis das
weitbefreiende RuBland unter dem Vorwand, die Leibeigenschaft
abzuschaffen, sie zum Gesetz erhob. Der Kodex der Fronarbeit, den der
russische General Kisselew 1831 proklamierte, war naturlich von den
Bojaren selbst diktiert. RuBland eroberte so mit einem Schlag die
Magnaten der Donaufurstentumer und den Beifallsklatsch der liberalen
Kretins von ganz Europa.
Nach dem "Reglement organique" 310 , so heiBt jener Kodex der
Fronarbeit, schuldet jeder walachische Bauer, auBer einer Masse
detaillierter Naturalabgaben, dem sog. Grundeigen turner 1. zwolf
Arbeitstage iiberhaupt, 2. einen Tag Feldarbeit und 3. einen Tag Holzfuhre.
Summa summarum 14 Tage im Jahre. Mit tiefer Einsicht in die politische
Okonomie wird jedoch der Arbeitstag nicht in seinem ordinaren Sinn
genommen, sondern der zur Herstellung ernes taglichen
Durchschnittsprodukts notwendige Arbeitstag, aber das tagliche
Durchschnittsprodukt ist pfiffigerweise so bestimmt, daB kern Zyklope in
24 Stunden damit fertig wiirde. In den durren Worten echt russischer
Ironie erklart daher das "Reglement" selbst, unter 12 Arbeitstagen sei das
Produkt einer Handarbeit von 36 Tagen zu verstehn, unter einem Tag
Feldarbeit drei Tage, und unter einem Tag Holzfuhr ebenfalls das
Dreifache. Summa: 42 Frontage. Es kommt aber hinzu die sog. Jobagie,
Dienstleistungen, die dem Grundherrn fur auBerordentliche
Produktionsbedurfnisse gebuhren. Im Verhaltnis zur GroBe seiner
Bevolkerung hat jedes Dorf jahrlich ein bestimmtes Kontingent zur
Jobagie zu stellen. Diese zusatzliche Fronarbeit wird fur jeden
walachischen Bauer auf 14 Tage geschatzt. So betragt die vorgeschriebne
Fronarbeit 56 Arbeitstage jahrlich. Das Ackerbaujahr zahlt aber in der
Walachei wegen des schlechten Klimas nur 210 Tage, wo von 40 fur Sonn-
und Feiertage, 30 durchschnittlich fiir Unwetter, zusammen 70 Tage
ausfallen. Bleiben 140 Arbeitstage. Das Verhaltnis der Fronarbeit zur
notwendigen Arbeit, ^"/84 oder 66^/3 Prozent, driickt eine viel kleinere
Rate des Mehrwerts aus als die, welche die Arbeit des englischen
Agrikulturoder Fabrikarbeiters reguliert. Dies ist jedoch nur die gesetzlich
vorgeschriebne Fronarbeit. Und in noch "liberalerem" Geist als die
englische Fabrikgesetzgebung hat das "Reglement organique" seine eigne
Umgehung zu erleichtern gewuBt. Nachdem es aus 12 Tagen 54 gemacht,
wird das nominelle Tagwerk jedes der 54 Frontage wieder so bestimmt,
daB eine ZubuBe auf die folgenden Tage fallen muB. In einem Tag z.B. soil
eine Landstrecke ausgejatet werden, die zu dieser Operation, namentlich
auf den Maispflanzungen, doppelt so viel Zeit erheischt. Das gesetzliche
Tagwerk fur einzelne Agrikulturarbeiten ist so auslegbar, daB der Tag im
Monat Mai anfangt und im Monat Oktober aufhort. Fiir die Moldau sind
die Bestimmungen noch harter.
»Die zwolf Frontage des Reglement organique«, rief ein siegtrankner
Bojar, »belaufen sich auf365 Tage im Jahrl« 311
War das Reglement organique der Donaufursten turner ein positiver
Ausdruck des HeiBhungers nach Mehrarbeit, den jeder Paragraph
legalisiert, so sind die englischen Factory-Acts negative Ausdriicke
desselben HeiBhungers. Diese Gesetze zugeln den Drang des Kapitals nach
maBloser Aussaugung der Arbeitskraft durch gewaltsame Beschrankung
des Arbeitstags von Staats wegen, und zwar von seiten eines Staats, den
Kapitalist und Landlord beherrschen. Von einer taglich bedrohlicher
anschwellenden Arbeiterbewegung abgesehn, war die Beschrankung der
Fabrikarbeit diktiert durch dieselbe Notwendigkeit, welche den Guano auf
die englischen Felder ausgoB. Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen
Fall die Erde erschopft, hatte in dem andren die Lebenskraft der Nation an
der Wurzel ergriffen. Periodische Epidemien sprachen hier ebenso deutlich
als das abnehmende SoldatenmaB in Deutschland und Frankreich. 312
Der jetzt (1867) geltende Factory- Act von 1850 erlaubt fiir den
durch schnittlichen Wochentag 10 Stunden, namlich fiir die ersten 5
Wochentage 12 Stunden, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, wovon
aber Vi Stunde fiir Friihstuck und eine Stunde fiir Mittagessen gesetzlich
abgehn, also IOV2 Arbeitsstunden bleiben, und 8 Stunden fiir den Samstag,
von 6 Uhr morgens bis 2 Uhr nachmittags, wovon V2 Stunde fiir Friihstuck
abgeht. Bleiben 60 Arbeitsstunden, IOV2 fiir die ersten fiinf Wochentage,
IVi fiir den letzten Wochentag. 313 Es sind eigne Wachter des Gesetzes
l.Die Geschichte des Fabrikakts von 1850 folgt im Verlauf dieses Kapitels.
l.Auf die Periode vom Beginn der groBen Industrie in England bis 1845 gehe ich nur hier und da
ein und verweise den Leser dariiber auf "Die Lage der arbeitenden Klasse in England" von Friedrich Engels,
Leipzig 1845 [Siehe MEW, Band 2]. Wie tief Engels den Geist der kapitalistischen Produktionsweise
begriff, zeigen die Factory Reports, Reports on Mines usw., die seit 1845 erschienen sind, und wie
bewundrungswiirdig er die Zustande im Detad malte, zeigt der oberflachlichste Vergleich seiner Schrift mit
den 18 bis 20 Jahre spater veroffentlichten offiziellen Reports der Children's Employment Commission
(1863-1867). Diese handeln namlich von Industriezweigen, worin die Fabrikgesetzgebung bis 1862 noch
nicht eingefuhrt war, zum Teil noch nicht eingefuhrt ist. Hier wurde also den von Engels geschilderten
Zustanden mehr oder minder groBe Andrung nicht von auBen aufgeherrscht. Meine Beispiele entlehne ich
bestellt, die dem Ministerium des Innern direkt untergeordneten
Fabrikinspektoren, deren Berichte halbjahrlich von Parlaments wegen
veroffentlicht werden. Sie liefern also eine fortlaufende und offizielle
Statistik iiber den KapitalistenheiBhunger nach Mehrarbeit.
Horen wir einen Augenblick die Fabrikinspektoren. 314
»Der betriigerische Fabrikant beginnt die Arbeit eine Viertelstunde,
manchmal friiher, manchmal spdter, vor 6 Uhr morgens und schliefit sie
eine Viertelstunde, manchmal friiher, manchmal spdter, nach 6 Uhr
hauptsachlich der Freihandelsperiode nach 1848, iener paradiesischen Zeit, wovon ebenso groBmaulige als
wissenschaftlich verwahrloste Freihandelshausierburschen den Deutschen so fabelhaft viel vorfauchen. -
Ubrigens figuriert England hier nur im Vordergrund, weil es die kapitalistische Produktion klassisch
reprasentiert und allein eine offiziell fortlaufende Statistik der behandelten Gegenstande besitzt.
1. "Suggestions etc. by Mr. L.Horner, Inspector of Factories", im "Factories Regulation Act.
Ordered by the House of Commons to be printed 9. Aug. 1859", p. 4, 5.
1. "Reports of the Insp. of Fact, for the half year, Oct. 1856", p. 35.
2."Report etc. 30th April 1858", p.9.
1. "Reports etc.", I.e. p. 10.
2. "Reports etc.", I.e. p. 25.
1. "Reports etc. for the half year ending 30th April 1861." Sieh Appendix Nr.2; "Reports etc. 31st
Octob. 1862", p. 7, 52, 53. Die Uberschreitungen werden wieder zahlreicher mit dem letzten Halbjahr 1863.
Vgl. "Reports etc. ending 31st Oct. 1863", p. 7.
1. "Reports etc. 31st Oct. 1860", p. 23. Mit welchem Fanatismus, nach gerichtlichen Aussagen der
Fabrikanten, ihre Fabrikhande sich jeder Unterbrechung der Fabrikarbeit widersetzen, zeige folgendes
Kuriosum: Anfang Juni 1836 gingen den Magistrates von Dewsbury (Yorkshire) Denunziationen zu,
wonach die Eigner von 8 groBen Fabriken in der Nahe von Batley den Fabrikakt verletzt hatten. Ein Teil
dieser Herren war angeklagt, 5 Knaben zwischen 12 und 15 Jahren von 6 Uhr morgens des Freitags bis 4
Uhr nachmittags des folgenden Samstags abgearbeitet zu haben, ohne irgendeine Erholung zu gestatten,
auBer fur Mahlzeiten und eine Stunde Schlaf um Mitternacht. Und diese Kinder hatten die rastlose,
30stiindige Arbeit zu verrichten in dem "shoddyhole", wie die Hohle heiBt, worin Wollenlumpen
aufgerissen werden und wo ein Luftmeer von Staub, Abfallen usw. selbst den erwachsnen Arbeiter zwingt,
den Mund bestandig mit Schnupftiichern zu verbinden, zum Schutz seiner Lunge! Die Herren Angeklagten
versicherten an Eides Statt - als Quaker waren sie zu skrupulos religiose Manner, einen Eid zu leisten -, sie
hatten in ihrer groBen Barmherzigkeit den elenden Kindern 4 Stunden Schlaf erlaubt, aber die Starrkopfe
von Kindern wollten durchaus nicht zu Bett gehn! Die Herrn Quaker wurden zu 20 Pfd.St. GeldbuBe
verurteilt. Dryden ahnte diese Quaker:
nachmittags. Er nimmt 5 Minuten weg vom Anfang und Ende der
nominell fur das Friihstiick anberaumten halben Stunde, und knappt 10
Minuten ab zu Anfang und Ende der fiir Mittagessen anberaumten
Stunde. Samstag arbeitet er eine Viertelstunde, manchmal mehr,
manchmal weniger, nach 2 Uhr nachmittags. So betragt sein Gewinn:
Vor 6 Uhr morgens 15 Minuten
tt
60 Minuten
An Samstagen
Oder 5 Stunden 40 Minuten wochentlich, was mit 50 Arbeitswochen
multipliziert, nach Abzug von 2 Wochen fiir Feiertage oder gelegentliche
Unterbrechungen, 27 Arbeitstage gibt.« 315
»Wird der Arbeitstag taglich 5 Minuten iiber die Normaldauer
verlangert, so gibt das 2V2 Produktionstage im Jahr.« 316 »Eine
zusatzliche Stunde taglich, dadurch gewonnen, dafi bald hier ein
Stuckchen Zeit erhascht wird, bald dort ein andres Stiickchen, macht
aus den 12 Monaten des Jahres 13.« il1
Krisen, worin die Produktion unterbrochen und nur "kurze Zeit", nur
wahrend einiger Tage in der Woche, gearbeitet wixd, andern naturlich
nichts an dem Trieb nach Verlangrang des Arbeitstags. Je weniger
Geschafte gemacht werden, desto groBer soil der Gewinn auf das
gemachte Geschaft sein. Je weniger Zeit gearbeitet werden kann, desto
mehr Surplusarbeitszeit soil gearbeitet werden. So berichten die
Fabrikinspektoren iiber die Periode der Krise von 1857 bis 1858:
»Man mag esfilr eine Inkonsequenz halten, dafi irgendwelche
Uberarbeit zu einer Zeit stattfinde, wo der Handel so schlecht geht, aber
sein schlechter Zustand spornt riicksichtslose Leute zu
Uberschreitungen; sie sichern sich so einen Extraprofit...« »Zur selben
Zeit«, sagt Leonard Horner, »wo 122 Fabriken in meinem Distrikt ganz
aufgegeben sind, 143 stillstehn und alle andren kurze Zeit arbeiten, wird
die Uberarbeit iiber die gesetzlich bestimmte Zeit fortgesetzt.« 31s
»Obgleich«, sagt Herr Howell, »in den meisten Fabriken des schlechten
Geschaftsstands wegen nur halbe Zeit gearbeitet wird, erhalte ich nach
wie vor dieselbe Anzahl von Klagen, dafi eine halbe Stunde oder -V^
Stunden taglich den Arbeitern weggeschnappt (snatched) werden durch
Eingriffe in die ihnen gesetzlich gesicherten Fristen fur Mahlzeit und
Erholung.^^
Dasselbe Phanomen wiederholt sich auf kleinerer Stufenleiter wahrend der
furchtbaren Baumwollkrise von 1861 bis 1865. 320
»Es wird zuweilen vorgeschiitzt, wenn wir Arbeiter wahrend der
Speisestunden oder sonst zu ungesetzlicher Zeit am Werk ertappen,
dafi sie die Fabrik durchaus nicht verlassen wollen und dafi es des
Zwangs bedarf, um ihre ArbeiH (Reinigen der Maschinen usw.) »zu
unterbrechen, namentlich Samstag nachmittags. Aber wenn die
"Hande" nach Stillsetzung der Maschinerie in der Fabrik bleiben,
geschieht es nur, well ihnen zwischen 6 Uhr morgens und 6 Uhr
abends, in den gesetzlich bestimmten Arbeitsstunden, keine Frist zur
Vorrichtung solcher Geschafte gestattet worden ist.« i21
»Der durch Uberarbeit iiber die gesetzliche Zeit zu machende
Extraprofit scheintfur viele Fabrikanten eine zu grofie Versuchung, um
ihr widerstehn zu konnen. Sie rechnen auf die Chance, nicht
ausgefunden zu werden, und berechnen, dafi selbst im Fall der
Entdeckung die Geringfugigkeit der Geldstrafen und Gerichtskosten
ihnen immer noch eine Gewinnbilanz sichert.« 322 »Wo die zusatzliche
Zeit durch Multiplikation kleiner Diebstdhle (a multiplication of small
l."Rep. etc. 31st Oct. 1856", p. 34.
2.1.c. p.35.
l.l.c. p.48.
2.1.c.
3.»knabbern und knapsen an den Essenspausen«
4.1.c.
l.l.c. p.48.
2.»Moments are the elements of profit. « ("Rep. of the Insp. etc. 30th April 1860", p. 56.)
l.Der Ausdruck hat offizielles Biirgerrecht, wie in der Fabrik, so in den Fabrikberichten.
l.»Die Habgier der Fabrikbesitzer, deren Grausamkeiten bei der Jagd nach Gewinn kaum von
denjenigen iibertroffen warden, die die Spanier bei der Eroberung Amerikas, bei der Jagd nach dem
Golde veriibten.« (John Wade, "History of the Middle and Working Classes", 3rd ed. Lond. 1835, p. 114.)
Der theoretische Teil dieses Buchs, eine Art GrundriB der politischen Okonomie, enthalt fur seine Zeit
einiges Originelle, z.B. iiber Handelskrisen. Der historische Ted leidet an schamlosem Plagiarismus aus Sir
M.Edens, "The State of the Poot", London 1797.
1. London 'Daily Telegraph' vom 17Januar 1860.
1. Privy Council (Geheimer Rat) - ein spezielles Organ beim Konig von England, das aus Ministern
und anderen Amtspersonen sowie geistlichen Wurdentragern besteht. Der Geheime Rat wurde im 13.
Jahrhundert gebildet. Er besaB lange Zeit gesetzgeberische Rechte und war nur dem Konig, nicht aber dem
Parlament verantwortlich. Im 18. und 19. Jahrhundert sank die Bedeutung des Geheimen Rats erheblich.
Heute hat der Geheime Rat in England keinerlei praktische Bedeutung.
2.Vgl. Engels, "Lage etc.", p.249 -25 [Siehe MEW, Bd, 2, S.423-425]
1. "Children's Employment Commission, First Report etc. 1863", Appendix, p. 16, 19, 18.
1. "Public Health, 3rd Report etc.", p.103, 105.
1 . Anstaltsarzt
1. "Children's Employm. Commission, 1863", p. 24, 22 u. XL
l.l.c. p.XLVII.
l.l.c. p.LIV.
l.Ecce iterum Crispinus - so beginnt die vierte Satire des Juvenal, in deren erstem Teil Crispinus,
ein Hofling des romischen Kaisers Domitian, gegeiBelt wird. Im ubertragenen Sinne bedeuten diese Worte:
"wieder die gleiche Person" oder "wieder dasselbe".
2. Dies ist nicht in unsrem Sinn der Surplusarbeitszeit zu nehmen. Diese Herrn betrachten die
lOVistundige Arbeit als Normalarbeitstag, der also auch die normale Mehrarbeit einschlieBt. Dann beginnt
"die Uberzeit", die etwas besser bezahlt wird. Man wird bei einer spatren Gelegenheit sehn, daB die
Verwendung der Arbeitskraft wahrend des sogenannten Normaltages unter dem Werte bezahlt wird, so daB
die "Uberzeit" ein bloBer Kapitalistenpfiff ist, um mehr "Mehrarbeit" auszupressen, was es ubrigens selbst
dann bleibt, wenn die wahrend des "Normaltages" verwandte Arbeitskraft wirklich voll bezahlt wird.
l.l.c, Appendix, p.123, 124, 125, 140 u. LXIV.
l.Alaun, fein gerieben oder mit Salz gemischt, ist ein normaler Handelsartikel, der den
bezeichnenden Namen "baker's stuff" ["Backerstoff"] fiihrt.
2."zur Verhinderung der Verfalschung von Lebensmitteln und Getranken"
3."einen ehrlichen Penny zu machen"
4.RuB ist bekanntlich eine sehr energische Form des Kohlenstoffs und bildet ein Diingmittel, das
kapitalistische Schornsteinfeger an englische Pachter verkaufen. Es hatte nun 1862 der britische "Juryman"
["Geschworene"] in einem ProzeB zu entscheiden, ob RuB, welchem ohne Wissen des Kaufers 90% Staub
und Sand beigernischt sind, "wirklicher" RuB im "kommerziellen" Sinn oder "gefalschter" RuB im
thefts) im Laufe des Tages gewonnen wird, stehn den Inspektoren fast
uniiberwindliche Schwierigkeiten der Beweisfuhrung im Weg.« 323
Diese "kleinen Diebstahle" des Kapitals an der Mahlzeit und Erholungszeit
der Arbeiter bezeichnen die Fabrikinspektoren auch als »petty pilferings of
minutes«, Mauserelen von Minuten 324 »snatching a few minutes«,
Wegschnappen von Minuten 325 , oder wie die Arbeiter es technisch heiBen,
»nibbling and cribbling at meal times« 326 . 327
Man sieht, in dieser Atmosphare ist die Bildung des Mehrwerts durch die
Mehrarbeit kein Geheimnis.
» "Wenn Sie mir erlauben ", sagte mir ein sehr respektabler Fabrikherr,
"taglich nur 10 Minuten Uberzeit arbeiten zu lassen, stecken Sie jahrlich
1.000 Pfd.St. in meine Tasche. "« 328 »Zeitatome sind die Elemente des
Gewinns.« i29
Nichts ist in dieser Hinsicht charakteristischer als die Bezeichnung der
Arbeiter, die voile Zeit arbeiten, durch »full times« und die der Kinder
unter 13 Jahren, die nur 6 Stunden arbeiten durfen, als »half times« 330 .
Der Arbeiter ist hier nichts mehr als personifizierte Arbeitszeit. Alle
individuellen Unterschiede losen sich auf in die von "Vollzeitler" und
"Halbzeitler".
3. Englische Industriezweige ohne legale Schranke der Exploitation
Den Trieb nach Verlangrung des Arbeitstags, den WerwolfsheiBhunger fur
Mehrarbeit, beobachteten wir bisher auf einem Gebiet, wo maBlose
Ausschreitungen, nicht ubergipfelt, so sagt ein burgerlicher englischer
Okonom, von den Grausamkeiten der Spanier gegen die Rothaute
Amerikas 331 , das Kapital endlich an die Kette gesetzlicher Regulation
gelegt haben. Werfen wir jetzt den Blick auf einige Produktionszweige, wo
die Aussaugung der Arbeitskraft entweder noch heute fesselfrei ist oder es
gestern noch war.
»Herr Broughton, ein County Magistrate, erklarte als Prasident eines
Meetings, abgehalten in der Stadthalle von Nottingham, am 14. Januar
1860, dafi in dem mit der Spitzenfabrikation beschaftigten Teile der
stadtischen Bevolkerung ein der ubrigen zivilisierten Welt unbekannter
Grad von Leid und Entbehrung vorherrscht... Um 2, 3, 4 Uhr des
Morgens werden Kinder von 9 bis 10 Jahren ihren schmutzigen Betten
entrissen und gezwungen, filr die nackte Subsistenz bis 10, 11, 12 Uhr
nachts zu arbeiten, wahrend ihre Glieder wegschwinden, ihre Gestalt
zusammenschrumpft, ihre Gesichtszuge abstumpfen und ihr
menschliches Wesen ganz und gar meinem steindhnlichen Torpor
erstarrt, dessen blofier Anblick schauderhaft ist. Wir sind nicht
uberrascht, dafi Herr Mallett und andre Fabrikanten auftraten, um
Protest gegenjede Diskussion einzulegen... Das System, wie der Rev.
Montages Valpy es beschrieb, ist ein System unbeschrdnkter Sklaverei,
Sklaverei in sozialer, physischer, moralischer und intellektueller
Beziehung... Was soil man denken von einer Stadt, die ein offentliches
Meeting abhalt, um zu petitionieren, dafi die Arbeitszeit filr Manner
taglich auf 18 Stunden beschrankt werden sollel... Wir deklamieren gegen
die virginischen und karolinischen Pflanzen. Istjedoch ihrNegermarkt,
mit alien Schrecken der Peitsche und dem Schacher in Menschenfleisch,
abscheulicher als diese langsame Menschenabschlachtung, die vor sich
geht, damit Schleier und Kragen zum Vorteil von Kapitalisten fabriziert
werden?« 332
Die Topferei (Pottery) von Staffordshire hat wahrend der letzten 22 Jahre
den Gegenstand dreier parlamentarischen Untersuchungen gebildet. Die
Resultate sind niedergelegt im Bericht des Herrn Scriven von 1841 an die
"Children's Employment Commissioners", im Bericht des Dr.Greenhow
von 1860, veroffentlicht auf Befehl des arztlichen Beam ten des Privy
Council 333 ("Public Health, 3rd Report", I, 102-113), endlich im Bericht des
Herrn Longe von 1863, in "First Report of the Children's Employment
Commission" vom 13Juni 1863. Fur meine Aufgabe geniigt es, den
Berichten von 1860 und 1863 einige Zeugenaussagen der exploitierten
Kinder selbst zu entlehnen. Von den andern mag man auf die
Erwachsenen schlieBen, namentlich Madchen und Frauen, und zwar in
einem Industriezweig, woneben Baumwollspinnerei u.dgl. als ein sehr
angenehmes und gesundes Geschaft erscheint. 334
Wilhelm Wood, neunjahrig, »war 7 Jahre 10 Monate alt, als er zu
arbeiten begann«. Er »ran moulds« (trug die fertig geformte Ware in die
Trockenstube, um nachher die leere Form zuriickzubringen) von Anfang
an. Er kommt jeden Tag in der Woche um 6 Uhr morgens und hort auf
ungefahr 9 Uhr abends. »Ich arbeite bis 9 Uhr abends jeden Tag in der
Woche. So z.B. wahrend der letzten 7-8 Wochen.« Also funfzehnstiindige
Arbeit fur ein siebeniahriges Kind! J. Murray, ein zwolfjahriger Knabe,
sagt aus:
»Irun moulds and turn jigger (drehe das Rad). Ich komme um 6 Uhr,
manchmal um 4 Uhr morgens. Ich habe wahrend der ganzen letzten
Nacht bis diesen Morgen 6 Uhr gearbeitet. Ich war nicht im Bett seit der
letzten Nacht. Aufier mir arbeiteten 8 oder 9 andre Knaben die letzte
Nacht durch. Alle aufier einem sind diesen Morgen wieder gekommen.
Ich bekomme wochentlich 3 sh. 6 d.« (1 Taler 5 Groschen). »Ich bekomme
nicht mehr, wenn ich die ganze Nacht durcharbeite. Ich habe in der
letzten Woche zwei Nachte durchgearbeitet.«
Fernyhough, ein zehnjahriger Knabe:
»Ich habe nicht immer eine ganze Stunde fur das Mittagessen; oft nur
eine halbe Stunde; jeden Donnerstag, Freitag und Samstag.« 335
Dr. Greenhow erklart die Lebenszeit in den Topferdistrikten von Stoke-
upon-Trent und Wolstanton fur auBerordentlich kurz. Obgleich im Distrikt
Stoke nur 36,6% und in Wolstanton nur 30,4% der mannlichen
Bevolkerung iiber 20 Jahre in den Topfereien beschaftigt sind, fallt unter
Mannern dieser Kategorie im ersten Distrikt mehr als die Halfte, im
zweiten ungefahr 2/g der Todesfalle infolge von Brustkrankheiten auf die
Topfer. Dr. Boothroyd, praktischer Arzt zu Hanley, sagt aus:
»Jede sukzessive Generation der Topfer ist zwerghafter und schwacher
als die vorhergehende.«
Ebenso ein andren Arzt, Herr McBean:
»Seit ich vor 25 Jahren meine Praxis unter den Topfern begann, hat sich
die auffallende Entartung dieser Klasse fortschreitend in Abnahme von
Gestalt und Gewicht gezeigt.«
Diese Aussagen sind dem Bericht des Dr. Greenhow von 1860
entnommen. 336
Aus dem Bericht der Kommissare von 1863 folgendes: Dr. J.T. Arledge,
Oberarzt des North Staffordshire Krankenhauses, sagt:
»Als eine Klasse reprdsentieren die Tdpfer, Manner und Frauen .... eine
entartete Bevolkerung, physisch und moralisch. Sie sind in der Regel
verzwergt, schlecht gebaut, und oft an der Brust verwachsen. Sie altern
vorzeitig und sind kurzlebig; phlegmatisch und blutlos, verraten sie die
Schwache ihrer Konstitution durch hartnackige Anfalle von Dyspepsie,
Leber- und Nierenstorungen und Rheumatismus. Vor allem aber sind sie
Brustkrankheiten unterworfen, der Pneumonie, Phthisis, Bronchitis und
dem Asthma. Eine Form des letztren ist ihnen eigentiimlich und bekannt
unter dem Namen des Topfer-Asthma oder der Topfer-Schwindsucht.
Skrophulose, die Mandeln, Knochen oder andre Korperteile angreift, ist
eine Krankheit von mehr als zwei Dritteln der Tdpfer. Dafi die Entartung
(degenerescence) der Bevolkerung dieses Distrikts nicht noch viel grofier
ist, verdankt sie ausschliefilich der Rekrutierung aus den umliegenden
Landdistrikten und den Zwischenheiraten mit gesundren Racen.«
Herr Charles Parsons, vor kurzem noch House Surgeon 337 derselben
Krankenanstalt, schreibt in einem Briefe an den Kommissar Longe u.a.:
»Ich kann nur aus personlicher Beobachtung, nicht statistisch sprechen,
aber ich stehe nicht an zu versichern, dafi meine Emporung wieder und
wieder aufkochte bei dem Anblick dieser armen Kinder, deren
Gesundheit geopfert wurde, um der Habgier ihrer Eltern und
Arbeitgeber zu fronen.«
Er zahlt die Ursachen der Topferkrankheiten auf und schlieBt sie
kulminierend ab mit "long hours" ("langen Arbeitsstunden"). Der
Kommissionsbericht hofft, daB
"eine Manufaktur von so hervorragender Stellung in den Augen der Welt
nicht lange mehr den Makel tragen wird, dafi ihr grofier Erfolg begleitet
ist von physischer Entartung, vielverzweigten korperlichen Leiden und
friihem Tode der Arbeiterbevolkerung, durch deren Arbeit und Geschick
so grofie Resultate erzielt worden sind.« m
Was von den Topfereien in England, gilt von denen in Schottland ."'''
Die Manufaktur von Zundholzern datiert von 1833, von der Erfindung, den
Phosphor auf die Zundrute selbst anzubringen. Seit 1845 hat sie sich rasch
in England entwickelt und von den dicht bevolkerten Teilen London s
namentlich auch nach Manchester, Birrmngham, Liverpool, Bristol,
Norwich, Newcastle, Glasgow verbreitet, mit ihr die Mundsperre, die ein
Wiener Arzt schon 1845 als eigentumliche Krankheit der Zundholzmacher
entdeckte. Die Halfte der Arbeiter sind Kinder unter 13 und junge
Personen unter 18 Jahren. Die Manufaktur ist wegen ihrer Ungesundheit
und Widerwartigkeit so verrufen, daB nur der verkommenste Teil der
Arbeiterklasse, halbverhungerte Witwen usw., Kinder fur Sie hergibt,
»zerlumpte, halb verhungerte, ganz verwahrloste und unerzogne
Kinder. « 340 Von den Zeugen, die Kommissar White (1863) verhorte,
waren 270 unter 18 Jahren, 40 unter 10 Jahren, 10 nur 8 und 5 nur 6 Jahre
alt. Wechsel des Arbeitstags von 12 auf 14 und 15 Stunden, Nachtarbeit,
unregelmaBige Mahlzeiten, meist in den Arbeitsraumen selbst, die vom
Phosphor verpestet sind. Dante wird in dieser Manufaktur seine
grausamsten Hollenphantasien ubertroffen finden.
In der Tapetenfabrik werden die groberen Sorten mit Maschinen, die
feineren mit der Hand (block printing) gedruckt. Die lebhaftesten
Geschaftsmonate fallen zwischen Anfang Oktober und Ende April.
Wahrend dieser Periode dauert diese Arbeit haufig und fast ohne
Unterbrechung von 6 Uhr vormittags bis 10 Uhr abends und tiefer in die
Nacht.
J. Leach sagt aus:
»Letzten Winter« (1862) »blieben von 19 Mddchen 6 weg infolge durch
Uberarbeitung zugezogner Krankheiten. Um sie wach zu halten, mufi ich
sie anschreien.« W.Duffy: »Die Kinder konnten oft vor Mudigkeit die
Augen nicht aufhalten, in der Tat, wir selbst konnenes oft kaum.« J.
Lightbourne: »lch bin 13 Jahre alt ... Wir arbeiteten letzten Winter bis 9
Uhr abends und den Winter vorher bis 10 Uhr. Ichpflegte letzten Winter
fastjeden Abend vom Schmerz wunder Fiifie zu schreien.« G. Aspden:
»Diesen meinen jungen pflegte ich, als er 7 Jahre alt war, auf meinem
Riicken hin und her tiber den Schnee zu tragen, und er pflegte 16 Stunden
zu arbeiten! ... Ich habe oft niedergekniet, um ihn zufuttern, wahrend er
an der Maschine stand, denn er durfte sie nicht verlassen oder
stillsetzen.« Smith, der geschaftsfuhrende Associe einer Manchester
Fabrik: »Wir« (er meint seine "Hande", die fiir "uns") »arbeiten ohne
Unterbrechung fur Mahlzeiten, so dafi die Tagesarbeit von IOY2 Stunden
um 4V2 Uhr nachmittags fertig ist, und alles spate re ist Uberzeit.« 341 (Ob
dieser Herr Smith wohl keine Mahlzeit wahrend IOV2 Stunden zu sich
nimmt?) »Wir« (derselbe Smith) »horen selten aufvor 6 Uhr abends« (er
meint mit der Konsumtion »unsrer« Arbeitskraftmaschinen), »so dafi wir«
(iterum Crispinus 342 ) »in der Tat das game Jahr durch Uberzeit arbeiten
... Die Kinder und Erwachsnen (152 Kinder undjunge Personen unter 18
Jahr en und 140 Erwachsne) haben gleichmafiig wahrend der letzten 18
Monate im Durchschnitt allermindestens 7 Tage und 5 Stunden in der
Woche gearbeitet oder 78'/2 Stunden wochentlich. Fiir die 6 Wochen,
endend am 2. Mai dieses Jahres« (1863), »war der Durchschnitt hoher -
8 Tage oder 84 Stunden in der Woche!«
Doch fiigt derselbe Herr Smith, der dem pluralis majestatis so sehr ergeben
ist, schmunzelnd hinzu: »Maschinenarbeit ist leicht.« Und so sagen die
Anwender des block printing: »Handarbeit ist gesunder als
Maschinenarbeit.« Im ganzen erklaren sich die Herrn Fabrikanten mit
Entriistung gegen den Vorschlag, »die Maschinen wenigstens wahrend
der Mahlzeiten stillzusetzen«.
»Ein Gesetz«, sagt Herr Ottley, der Manager einer Tapetenfabrik im
Borough (in London), »das Arbeitsstunden von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr
abends erlaubte, wiirde uns (!) sehr wohl zusagen, aber die Stunden des
Factory Act von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends passen uns (!) nicht...
Unsre Maschine wird wahrend des Mittagessens« (welche GroBmut)
»stillgesetzt. Das Stillsetzen verursacht keinen nennenswerten Ver lust an
Papier und Farbe.« »Aber«, fiigt er sympathetisch hinzu, »ich kann
verstehn, dafi der damit verbundne Verlust nicht geliebt wird.«
Der Kommissionsbericht meint naiv, die Furcht einiger »leitenden
Firmen«, Zeit, d.h. Aneignungszeit fremder Arbeit, und dadurch »Profit zu
verlieren«, seikein »hinreichender Grund«, um Kinder unter 13 und
junge Personen unter 18 Jahren wahrend 12-16 Stunden ihr Mittagsmahl
»verlieren zu lassen« oder es ihnen zuzusetzen, wie man der
Dampfmaschine Kohle und Wasser, der Wolle Seife, dem Rad 01 usw.
zusetzt - wahrend des Produktionsprozesses selbst, als bloBen Hilfsstoff
des Arbeitsmittels. 343
Kein Industriezweig in England - (wir sehn von dem erst neuerdings sich
Bahn brechenden Maschinenbrot ab) - hat so altertumliche, ja, wie man
aus den Dichtern der romischen Kaiserzeit ersehn kann, vorchristliche
Produktionsweise bis heute beibehalten als die Backerei. Aber das Kapital,
wie friiher bemerkt, ist zunachst gleichgiiltig gegen den technischen
Charakter des Arbeitsprozesses, dessen es sich bemachtigt. Es nimmt ihn
zunachst, wie es ihn vorfindet.
Die unglaubliche Brotverfalschung, namentlich in London, wurde zuerst
enthullt durch das Komitee des Unterhauses "iiber die Verfalschung von
Nahrungsmitteln" (1855-1856) und Dr. Hassalls Schrift 'Adulterations
detected" 344 Die Folge dieser Enthullungen war das Gesetz vom 6. August
1860: "for preventing the adulteration of articles of food and drink" 345 , ein
wirkungsloses Gesetz, da es naturlich die hochste Delikatesse gegen jeden
freetrader beobachtet, der sich vornimmt, durch Kauf und Verkauf
gefalschter Waren »to turn an honest penny « Ui , 347 Das Komitee selbst
formulierte mehr oder minder naiv seine Uberzeugung, daB Freihandel
wesentlich den Handel mit gefalschten, oder wie der Englander es witzig
nennt, »sophistizierten Stoffen« bedeute. In der Tat, diese Art "Sophistik"
versteht es besser als Protagoras, schwarz aus weiB und weiB aus schwarz
zu machen, und besser als die Eleaten 348 , den bloBen Schein alles Realen
ad oculos zu demonstrieren. 349
5. Eleaten - idealistische Richtung in der altgriechischen Philosophie des 6. und 5Jahrhunderts v. u.
Z. Ihre bedeutendsten Vertreter waren Xenophanes, Parmenides und Zenon. Die Eleaten suchten unter
anderem zu beweisen, daB die Bewegung und die Vielfalt der Erscheinungen nicht in der Wirklichkeit,
sondern nur im Denken bestehen.
6.Der franzosische Chemiker Chevallier, in einer Abhandlung iiber die "sophistications"
["Verfalschungen"] der Waren, zahlt unter 600 und einigen Artikeln, die er Revue passieren laBt, fur viele
derselben 10, 20, 30 verschiedne Methoden der Falschung auf. Er fiigt hinzu, er kenne nicht alle Methoden
und erwahne nicht alle, die er kenne. Fiir den Zucker gibt er 6 Falschungsarten, 9 fur das Olivenol, 10 fur
die Butter, 12 fur das Salz, 19 fiir die Milch, 20 fiir das Brot, 23 fiir den Branntwein, 24 fiir Mehl, 28 fiir
Schokolade, 30 fiir Wein, 32 fiir Kaffee etc. Selbst der Hebe Herrgott entgeht diesem Schicksal nicht. Sieh
Rouard de Card, "De la falsification des substances sacramentelles", Paris 1856.
1. "Report etc. relating to the Grievances complained of by the Journeymen Bakers etc.", London
1862, und "Second Report etc.", London 1863.
1. Fahrenheit
Jedenfalls hatte das Komitee die Augen des Publikums auf sein "tagliches
Brot" und damit auf die Backerei gelenkt. Gleichzeitig erscholl in
olffentlichen Meetings und Petitionen an das Parlament der Schrei der
Londoner Backergesellen iiber Uberarbeitung usw. Der Schrei wurde so
dringend, daB Herr H.S. Tremenheere, auch Mitglied der mehrerwahnten
Kommission von 1863, zum koniglichen Untersuchungskommissar bestallt
wurde. Sein Bericht 350 , samt Zeugenaussagen, regte das Publikum auf,
nicht sein Herz, sondern seinen Magen. Der bibelfeste Englander wuBte
zwar, daB der Mensch, wenn nicht durch Gnadenwahl Kapitalist oder
Landlord oder Sinukurist, dazu berufen ist, sein Brot im SchweiBe seines
Angesichts zu essen, aber er wuBte nicht, daB er in seinem Brote taglich
ein gewisses Quantum MenschenschweiB essen muB, getrankt mit
Eiterbeulenausleerung, Spinnweb, Schaben-Leichnamen und fauler
deutscher Hefe, abgesehn von Alaun, Sandstein und sonstigen
angenehmen mineralischen Ingredienzien. Ohne alle Riicksicht auf seine
Heiligkeit, den "Freetrade", wurde daher die anhero "freie" Backerei der
Aufsicht von Staatsinspektoren unterworfen (Ende der Parlamentssitzung
1863) und durch denselben Parlamentsakt die Arbeitszeit von 9 Uhr
abends bis 5 Uhr morgens fur Backergesellen unter 18 Jahren verboten.
Die letztre Klausel spricht Bande iiber die Uberarbeitung in diesem uns so
altvaterisch anheimelnden Geschaftszweig.
»Die Arbeit eines Londoner Backergesellen beginnt in derRegel um 11
Uhr nachts. Zu dieser Stunde macht er den Teig, ein sehr muhsamer
Prozefi, der V2 bis -V^ Stunden wdhrt, je nach der Grofie des Gebdcks
und seiner Feinheit. Er legt sich dann nieder aufdas Knetbrett, das
zugleich als Deckel des Trogs dient, worin der Teig gemacht wird, und
schldft ein paar Stunden mit einem Mehlsack unter dem Kopfund einem
andren Mehlsack aufdem Leib. Dann beginnt eine rasche und
ununterbrochne Arbeit von 5 Stunden, Werfen, Wagen, Formen, in den
Ofen schieben, aus dem Ofen holen usw. des Teiges. Die Temperatur
eines Backhauses betrdgt von 75 bis 90 Grad 351 und in den kleinen
Backhausern eher mehr als weniger. Wenn das Geschaft, Brot, Wecken
usw. zu machen, vollbracht ist, beginnt die Verteilung des Brots, und ein
betrachtlicher Teil der Taglohner, nachdem er die beschriebne harte
Nachtarbeit vollbracht, tragt wahrend des Tags das Brot in Korben, oder
schiebt es in Karren von Haus zu Haus und operiert dazwischen auch
manchmal im Backhaus. Je nach der Jahreszeit und dem Umfang des
Geschafts endet die Arbeit zwischen 1 und 6 Uhr nachmittags, wahrend
ein andrer Teil der Gesellen bis spat nachmittags im Backhaus
beschaftigt ist.« 352 »Wahrend der Londoner Saison beginnen die
Gesellen der Backer zu "vollen " Brotpreisen im Westend regelmafiig um
11 Uhr nachts und sind mit dem Brotbacken, unterbrochen durch einen
oder zwei oft sehr kurze Zwischenraume, bis 8 Uhr des nachsten
Morgens beschaftigt. Sie werden dann bis 4, 5, 6, ja 7 Uhr zur
Brotherumtragerei vernutzt oder manchmal mit Biskuitbacken im
Backhaus. Nach vollbrachtem Werk geniefien sie einen Schlafvon 6, oft
nur von 5 und 4 Stunden. Freitags beginnt die Arbeit stets friiher, sage
abends 10 Uhr, und dauert ohne Unterlafi, sei es in der Zubereitung, sei
2.1.c. "First Report etc." p.VI/VII.
3.1.c.p.LXXI.
1. George Read: "The History of Baking", London 1848, p. 16.
1. "Report (First) etc. Evidence." Aussage des "full priced baker" Cheesman, p. 108.
1. George Read, I.e. Ende des 17. und anfangs des 18. Jahrhunderts wurden die in alle moglichen
Gewerbe sich eindrangenden Factors (Agenten) noch offiziell als "Public Nuisances" ["Anstifter
offentlichen Unfugs"] denunziert. So erlieB z.B. die Grand Jury * bei der vierteljahrigen
Friedensrichtersitzung in der Grafschaft Somerset, ein "presentment" [eine "Denkschrift"] an das Unterhaus,
worin es u.a. heiBt: »dafi diese Agenten von Blackwell Hall ein offentlicher Unfug sind und dem
Tuchgewerbe Abbruch tun und als Schadlinge unterdruckt werden sollten«. ("The Case of our English
Wool etc.", London 1685, p.6, 7.)
es in der Kolportierung des Brots, bis den folgenden Samstag abend 8
Uhr, aber meist bis 4 oder 5 Uhr in Sonntag nacht hinein. Auch in den
vornehmen Bdckereien, die das Brot zum "vollen Preise" verkaufen, mufi
wieder 4 bis 5 Stunden am Sonntag vorbereitende Arbeit fur den
ndchsten Tag verrichtet werden ... Die Backergesellen der "underselling
masters "« (die das Brot unter dem vollen Preise verkaufen), »und diese
betragen, wie friiher bemerkt, uber^/4 der Londoner Backer, haben noch
langere Arb eitsstunden, aber ihre Arbeit istfast ganz aufdas Backhaus
beschrankt, da ihre Meister, die Lieferung an kleine Kramladen
ausgenommen, nur in der eignen Boutique verkaufen. Gegen Ende der
Woche ... d.h. am Donnerstag, beginnt hier die Arbeit um 10 Uhr in der
Nacht und dauert mit nur geringer Unterbrechung bis tiefin Sonntag
nacht hinein.« 353
Von den "underselling masters" begreift selbst der burgerliche Standpunkt:
»die unbezahlte Arbeit der Gesellen (the unpaid labour of the men) bildet
die Grundlage ihrer Konkurrenz.« iU Und der "full priced baker"
denunziert seine "underselling" Konkurrenten der
Untersuchungskommission als Diebe fremder Arbeit und Falscher.
»Sie reussieren nur durch den Betrug des Publikums und dadurch, dafi
sie 18 Stunden aus ihren Gesellen fur einen Lohn von 12 Stunden
herausschlagen. « 3 5 5
Die Brotfalschung und die Bildung einer Backerklasse, die das Brot unter
dem vollen Preis verkauft, entwickelten sich in England seit Anfang des 18.
Jahrhunderts, sobald der Zunftcharakter des Gewerbe verfiel und der
Kapitalist in der Gestalt von Muller oder Mehlfaktor hinter den nominellen
Backermeister trat. 356 Damit war die Grundlage zur kapitalistischen
Produktion, zur maBlosen Verlangrung des Arbeitstages und Nachtarbeit
gelegt, obgleich letztre selbst in London erst 1824 ernsthaft FuB faBte. 357
3. "First Report etc.", p. VIII.
1. "Report of Committee on the Baking Trade in Ireland for 1861."
l.l.c.
l.Offentliches Meeting der Agrikulturarbeiter in Lasswade, bei Glasgow, vom 5. Jan. 1866. (Sieh
"Workman's Advocate" vom 13. Jan. 1866.) Die Bildung, seit Ende 1865, einer Trade's Union unter den
Agrikulturarbeitern, zunachst in Schottland, ist ein historisches Ereignis. In einem der unterdriicktesten
Agrikulturdistrikte Englands, in Buckinghamshire, machten die Lohnarbeiter Marz 1867 einen groBen
Man wird nach dem Vorhergehenden verstehn, daB der
Kommissionsbericht die Backergesellen zu den kurzlebigen Arbeitern
zahlt, die, nachdem sie der unter alien Teilen der Arbeiterklasse normalen
Kinderdezimation gliicklich entwischt sind, selten das 42. Lebensjahr
erreichen. Nichtsdestoweniger ist das Backergewerbe stets mit Kandidaten
uberfullt. Die Zufuhrquellen dieser "Arbeitskrafte" fiir London sind
Schottland, die westlichen Agrikulturdistrikte Englands und - Deutschland.
In den Jahren 1858-1860 organisierten die Backergesellen in Irland auf ihre
eignen Kosten groBe Meetings zur Agitation gegen die Nacht- und
Sonntagsarbeit. Das Publikum, z.B. auf dem Maimeeting zu Dublin, 1860,
ergriff mit irischer Warme Partei fiir sie. AusschlieBliche Tagarbeit wurde
durch diese Bewegung in der Tat erfolgreich durchgesetzt zu Wexford,
Kilkenny, Clonmel, Waterford usw.
»Zu Limerick, wo die Qualen der Lohngesellen bekanntermafien alles
Mafi uberstiegen, scheiterte diese Bewegung an der Opposition der
Bdckermeister, namentlich der Backer -Miiller. Das Beispiel Limericks
fiihrte zum Rucks chritt in Ennis und Tipperary. Zu Cork, wo der
offentliche Unwille sich in der lebhaftesten Form kundgab, vereitelten die
Meister die Bewegung durch den Gebrauch ihrer Macht, die Gesellen an
die Luft zu setzen. Zu Dublin leisteten die Meister den entschiedensten
Widerstand und zwangen durch Verfolgung der Gesellen, die an der
Spitze der Agitation standen, den Rest zum Nachgeben, zur Fiigung in
die Nacht- und Sonntagsarbeit.« 35S
Die Kommission der in Irland bis an die Zahne gewaffneten englischen
Regierung remonstriert leichenbitterlich gegen die unerbittlichen
Backermeister von Dublin, Limerick, Cork usw.:
»Das Komitee glaubt, dafi die Arbeitsstunden durch Naturgesetze
beschrdnkt sind, die nicht ungestraft verletzt werden. Indem die Meister
durch die Drohung, sie fortzujagen, ihre Arbeiter zur Verletzung ihrer
religiosen Uberzeugung, zum Ungehorsam gegen das Landesgesetz und
die Verachtung der ojfentlichen Meinung zwingen [dies letztre bezieht
sich alles auf die Sonntagsarbeit], setzen sie boses Blut zwischen Kapital
und Arbeit und geben ein Beispiel, gefdhrlich fur Religion, Moralitdt und
ojfentliche Ordnung ... Das Komitee glaubt, dafi die Verlangrung des
Arbeitstags tiber 12 Stunden ein usurpatorischer Eingriffin das
hausliche und Privatleben des Arbeiters ist und zu unheilvollen
moralischen Resultaten fiihrt, durch Einmischung in die Hauslichkeit
eines Mannes und die Erftillung seiner Familienpflichten als Sohn,
Bruder, Gatte und Vater. Arbeit tiber 12 Stunden hat die Tendenz, die
Gesundheit des Arbeiters zu untergraben, fiihrt zu vorzeitiger Alterung
und frtihem Tod und daher zum Ungltick der Arbeiterfamilien, die der
Vorsorge und der Sttitze des Familienhaupts grade im notwendigsten
Augenblick beraubt werden« (»are deprived*). 359
Wir waren eben in Irland. Auf der andren Seite des Kanals, in Schottland,
denunziert der Ackerbauarbeiter, der Mann des Pfluges, seine 13- bis
14stundige Arbeit, im rauhsten Klima, mit viersttindiger Zusatzarbeit fur
den Sonntag (in diesem Lande der Sabbat-Heiligen!) 360 , wahrend vor einer
Londoner Grand Jury gleichzeitig drei Eisenbahnarbeiter stehn, ein
Personenkondukteur, ein Lokomotivfuhrer und ein Signalgeber. Ein
groBes Eisenbahnungluck hat Hunderte von Passagieren in die andre Welt
expediert. Die Nachlassigkeit der Eisenbahnarbeiter ist die Ursache des
Unglucke. Sie erklaren vor den Geschwornen einstimmig, vor 10 bis 12
Jahren habe ihre Arbeit nur 8 Stunden taglich gedauert. Wahrend der
letzten 5-6 Jahre habe man sie auf 14, 18 und 20 Stunden aufgeschraubt
und bei besonders lebhaftem Zudrang der Reiselustigen, wie in den
Perioden der Exkursionszuge, wahre sie oft ununterbrochen 40-50
Stunden. Sie seien gewohnliche Menschen und keine Zyklopen. Auf einem
gegebnen Punkt versage ihre Arbeitskraft. Torpor ergreife sie. Ihr Hirn hore
auf zu denken und ihr Auge zu sehn. Der ganz und gar "respectable British
Juryman" 361 antwortet durch ein Verdikt, das sie wegen "manslaughter"
(Totschlag) vor die Assisen schickt und in einem milden Anhang den
frommen Wunsch auBert, die Herren Kapitalmagnaten der Eisenbahn
mochten doch in Zukunft verschwenderischer im Ankauf der notigen
Anzahl von "Arbeitskraften" und "enthaltsamer" oder "entsagender" oder
"sparsamer" in der Aussaugung der bezahlten Arbeitskraft sein. 36 '
2.ehrenwerte britische Geschworene
3. "Reynolds' Paper", [21.] Jan. 1866. Woche fiir Woche bringt dasselbe Wochenblatt gleich darauf,
unter den "sensational headings": "Fearful and fatal accidents", "Appalling tragedies"* usw., eine ganze Liste
neuer Eisenbahnkatastrophen. Darauf antwortet ein Arbeiter von der North Staffordlinie: »Jedermann
kennt die Folgen, wenn die Aufmerksamkeit von Lokomotivenfiihrer und Heizer einen Augenblick
erlahmt. Und wie ist es anders moglich bei mafiloser Verldngerung der Arbeit, im rauhsten Wetter,
ohne Pause und Erholung? Nehmt als ein Beispiel, wie es tdglich vorkommt, folgenden Fall. Letzten
Montag begann ein Heizer sehr friih morgens sein Tagewerk. Er endete es nach 14 Stunden 50
Minuten. Bevor er auch nur die Zeit hatte, seinen Tee zu nehmen, riefman ihn von neuem an die Arbeit.
Er hatte also 29 Stunden 15 Minuten ununterbrochen durchzuschanzen. Der Rest seines Wochenwerks
aufgemacht wie folgt: Mittwoch 15 Stunden; Donnerstag 15 Stunden 35 Minuten; Freitag 14'A
Stunden; Sonnabend 14 Stunden 10 Minuten; zusammen fur die Woche 88 Stunden 30 Minuten. Und
nun denkt euch sein Erstaunen, als er nur Zahlung fiir 6 Arbeitstage erhielt. Der Mann war ein Neuling
und fragte, was man unter einem Tagewerk verstehe. Antwort; 13 Stunden, also 78 Stunden per Woche.
Aber wie mit der Zahlung fiir die uberschussigen 10 Stunden 30 Minuten? Nach langem Hader erhielt
er eine Vergutung von 10 d.« (noch nicht 10 Silbergroschen). (I.e., Nr. vom 4. Februar 1866.)
4.* "sensationellen Uberschriften": "Furchtbare und todliche Unfalle". "Entsetzliche Tragodien"
1 . Vgl. F.Engels, 1 ,c. P.253, 254. [Siehe MEW, Band 2, S . 426/427]
2.Dr.Letheby, beim Board of Health [Gesundheitsamt] funktionierender Arzt, erklart damals: »Das
Minimum fiir die Erwachsnen sollte in einem Schlafzimmer 300 Kubikfufi und in einem Wohnzimmer
500 Kubikfufi Luft sein.e Dr. Richardson, Oberarzt eines Londoner Hospitals: »Ndherinnen aller Art,
Putzmacherinnen, Kleidermacherinnen und gewohnliche Naherinnen leiden an dreifachem Fiend -
Uberarbeit, Luftmangel und Mangel an Nahrung oder Mangel an Verdauung. Im ganzen pafit diese Art
Arbeit unter alien Umstdnden besser fiir Weiber als fiir Manner. Aber es ist das Unheil des Geschafts,
dafi es, namentlich in der Hauptstadt, von einigen 26 Kapitalisten monopolisiert wird, die durch
Machtmittel, welche dem Kapital entspringen (that spring from capital), Okonomie aus der Arbeit
herauszwingen (force economy out of labour; er meint, Auslagen okonomisieren durch Verschwendung
der Arbeitskraft). Ihre Macht wird im Bereich dieser ganzen Klasse von Arbeiterinnen gefiihlt. Kann
eine Kleidermacherin einen kleinen Kreis von Kunden gewinnen, so zwingt die Konkurrenz sie, sich zu
Hause totzuarbeiten, um ihn zu erhalten, und mit derselben Uberarbeit mufi sie notwendig ihre
Gehilfinnen heimsuchen. Mifilingt ihr Geschaft oder kann sie sich nicht selbstandig etablieren, so
wendet sie sich an ein Etablissement, wo die Arbeit nicht geringer, aber die Zahlung sicher ist. So
gestellt, wird sie eine reine Sklavin, hin und her geschleudert vonjeder Flutung der Gesellschaft; bald
zu Hause in einem kleinen Zimmer verhungernd, oder nahe so; dann wieder von 24 Stunden 15, 16 ja
18 Stunden beschdftigt in kaum ertraglicher Luft und mit einer Nahrung, die, selbst wenn gut, wegen
Aus dem buntscheckigen Haufen der Arbeiter von alien Professionen,
Altern, Geschlechtern, die eifriger auf uns andrangen als die Seelen der
Erschlagnen auf den Odysseus und denen man, ohne die Blaubucher unter
ihren Armen, auf den ersten Blick die Uberarbeit ansieht, greifen wir noch
zwei Figuren heraus, deren frappanter Kontrast beweist, daB vor dem
Kapital alle Menschen gleich sind - eine Putzmacherin und einen
Grobschmied.
In den letzten Wochen vom Juni 1863 brachten alle Londoner Tagesb latter
einen Paragraph mit dem "sensational" Aushangeschild. "Death from
simple Overwork" (Tod von einfacher Uberarbeit). Es handelte sich um
den Tod der Putzmacherin Mary Anne Walkley, zwanzigjahrig, beschaftigt
in einer sehr respektablen Hofputzmanufaktur, exploitiert von einer Dame
mit dem gemutlichen Namen Elise. Die alte oft erzahlte Geschichte ward
nun neu entdeckt 363 , daB diese Madchen durchschnitthch I6V2 Stunden,
wahrend der Saison aber oft 30 Stunden ununterbrochen arbeiten, indem
ihre versagende "Arbeitskraft" durch gelegentliche Zufuhr von Sherry,
Portwein oder Kaffee flussig erhalten wird. Und es war grade die Hohe der
Saison. Es gait, die Prachtkleider edler Ladies fur den Huldigungsball bei
der frisch importierten Prinzessin von Wales im Umsehn fertigzuzaubern.
Mary Anne Walkley hatte 26V2 Stunden ohne UnterlaB gearbeitet
zusammen mit 60 andren Madchen, je 30 in einem Zimmer, das kaum V3
der notigen Kubikzolle Luft gewahrte, wahrend sie nachts zwei zu zwei ein
Bett teilten in einem der Sticklocher, worin ein Schlafzimmer durch
verschiedne Bretterwande abgepfercht ist. 364 Und dies war erne der
besseren Putzmachereien Londons. Mary Anne Walkley erkrankte am
Freitag und starb am Sonntag, ohne, zum Erstaunen von Frau Elise, auch
nur vorher das letzte Putzstuck fertigzumachen. Der zu spat ans Sterbebett
gerufne Arzt, Herr Keys, bezeugte vor der "Coroner's Jury" 365 in durren
Worten:
»Mary Anne Walkley sei gestorben an langen Arbeitsstunden in einem
uberfullten Arbeitszimmer und uberengem, schlechtventiliertem
Schlafgemach. «
Um dem Arzt erne Lektion in guter Lebensart zu geben, erklarte dagegen
die "Coroner's Jury":
3."Totenschaukommission"
1. 'Morning Star', 23.Juni 1863. Die 'Times' benutzte den Vorfall zur Verteidigung der
amerikanischen Sklavenhalter gegen Bright usw. »Sehr viele von uns«, sagt sie, »meinen, dafi, solange
wir unsre eignen jungen Frauenzimmer zu Tode arbeiten mit der Geifiel des Hungers statt dem Knall
der Peitsche, wir kaum das Recht haben, Feuer und Schwert auf Familien zu hetzen, die als
Sklavenhalter geboren waren und ihre Sklaven mindestens gut ndhren und mdfiig arbeiten lassen.«
(Times', 2Juli 1863.) In derselben Weise kanzelte der 'Standard', ein Toryblatt, den Rev. Newman Hall ab:
»Er exkommuniziere die Sklavenhalter, bete aber mit den braven Leuten, die Kutscher und
Omnibusfuhrer von London usw. nur 16 Stunden taglichfur einen Hundelohn arbeiten liefien.« Endlich
sprach das Orakel, Herr Thomas Carlyle, von dem ich schon 1850 drucken lieB *: »Zum Teufel ist der
Genius, der Kultus ist geblieben.« In einer kurzen Parabel reduziert er das einzig groBartige Ereignis der
Zeitgeschichte, den Amerikanischen Burgerkrieg, darauf, daB der Peter vom Norden dem Paul vom Suden
mit aller Gewalt den Hirnschadel einschlagen will, weil der Peter vom Norden seinen Arbeiter »tdglich«
und der Paul vom Siiden ihn fur »Lebzeit mietet«. ('Macmillan's Magazine'. Ilias Americana in nuce.
Augustheft 1863.) So ist endlich die Schaumblase der Torysympathie fiir den stadtischen - beileibe nicht
den landlichen! - Lohnarbeiter geplatzt. Der Kern heiBt - Sklaverei!
»Die Hingeschiedne sei gestorben an der Apoplexie, aber es sei Grund,
zu fiirchten, dafi ihr Tod durch Uberarbeit in einer Uberfullten Werkstatt
usw. beschleunigt worden sei.«
Unsre »weiJ3en Sklaven«, rief der 'Morning Star', das Organ der
Freihandelsherrn Cobden und Bright, »unsere weifien Sklaven werden in
das Grab hineingearbeitet und verderben und sterben ohne Sang und
Klang'.« 366
»Zu Tod arbeiten ist die Tagesordnung, nicht nur in der Werkstatte der
Putzmacherinnen, sondern in tausend Platzen, ja an jedem Platz, wo das
Geschaft im Zug ist ... Lafit uns den Grobschmied als Beispiel nehmen.
Wenn man den Dichtern glauben darf, gibt es keinen so lebenskraftigen,
lustigen Mann als den Grobschmied. Er erhebt sichfriih und schlagt
Funken vor der Sonne; er ifit und trinkt und schlaft wie kein anderer
Mensch. Rein physisch betrachtet, befindet er sich, bei mafiiger Arbeit,
in der Tat in einer der besten menschlichen Stellungen. Aber wirfolgen
ihm in die Stadt und sehn die Arbeitslast, die aufden starken Mann
gewalzt wird, und welchen Rang nimmt er ein in den Sterblichkeitslisten
unsres Landes? In Marylebone [einem der groBten Stadtviertel Londons]
sterben Grobschmiede in dem Verhaltnis von 31 per 1 .000 jahrlich, oder
1 1 iiber der Durchschnittssterblichkeit erwachsner Manner in England.
Die Beschaftigung, eine fast instinktive Kunst der Menschheit, an und
fur sich tadellos, wird durch blofie Ubertreibung der Arbeit der Zerstorer
des Mannes. Er kann so viel Hammerschlage taglich schlagen, so viel
Schritte gehn, so viel Atemziige holen, so viel Werk verrichten, und
durchschnittlich sage 50 Jahre leben. Man zwingt ihn, so viel mehr
Schlage zu schlagen, so viel mehr Schritte zu gehn, so viel ofter des Tags
zu atmen, und alles zusammen seine Lebensausgabe taglich um ein
Viertel zu vermehren. Er macht den Versuch, und das Resultat ist, dafi er
fiir eine beschrankte Periode ein Viertel mehr Werk verrichtet und im 37.
Jahre statt im 50. stirbt.« if>1
l.Dr.Richardson, I.e.
1. "Children's Employment Commission. Third Report", London 1864, p. IV, V, VI.
2.»In Staffordshire wie auch in Sud-Wales werden junge Madchen und Frauen in
Kohlengruben und auf Kokshalden beschdftigt, nicht nur bei Tag, sondern auch bei Nacht. In den dem
4. Tag- und Nachtarbeit. Das Ablosungssystem
Das konstante Kapital, die Produktionsmittel, sind, vom Standpunkt des
Verwertungsprozesses betrachtet, nur da, um Arbeit und mit jedem
Tropfen Arbeit ein proportionelles Quantum Mehrarbeit einzusaugen.
Soweit sie das nicht tun, bildet ihre bloBe Existenz einen negativen Verlust
fur den Kapitalisten, denn sie reprasentieren wahrend der Zeit, wo sie
brachliegen, nutzlosen KapitalvorschuB, und dieser Verlust wird positiv,
sobald die Unterbrechung zusatzliche Auslagen notig macht fiir den
Wiederbeginn des Werks. Die Verlangrung des Arbeitstags iiber die
Grenzen des naturlichen Tags in die Nacht hinein wirkt nur als Palliativ,
stillt nur annahernd den Vampyrdurst nach lebendigem Arbeitsblut. Arbeit
wahrend aller 24 Stunden des Tags anzueignen ist daher der immanente
Trieb der kapitalistischen Produktion. Da dies aber physisch unmoglich,
wiirden dieselben Arbeitskrafte Tag und Nacht fortwahrend ausgesaugt, so
bedarf es, zur Uberwindung des physischen Hindernisses, der
Abwechslung zwischen den bei Tag und Nacht verspeisten Arbeitskraften,
eine Abwechslung, die verschiedne Methoden zulaBt, z.B. so geordnet sein
kann, daB ein Teil des Arbeiterpersonals eine Woche Tagdienst,
Nachtdienst die andre Woche versieht usw. Man weiB, daB dies
Ablosungssystem, diese Wechselwirtschaft, in der vollbliitigen
Jugendperiode der englischen Baumwollindustrie usw. vorherrschte und
u.a. gegenwartig in den Baumwollspinnereien des Gouvernements Moskau
bluht. Als System existiert dieser 24stundige ProduktionsprozeB heute
noch in vielen bis jetzt "freien" Industriezweigen GroBbritanniens, u.a. in
den Hochofen, Schmieden, Walzwerken und andren Metallmanufakturen
von England, Wales und Schottland, Der ArbeitsprozeB umfaBt hier auBer
den 24 Stunden der 6 Werkeltage groBenteils auch die 24 Stunden des
Sonntags. Die Arbeiter bestehen aus Mannern und Weibern, Erwachsnen
und Kindern beiderlei Geschlechts. Das Alter der Kinder und jungen
Personen durchlauft alle Zwischen stuf en vom 8. (in einigen Fallen vom 6.)
bis zum 18. Jahr. 368 In einigen Branchen arbeiten auch die Madchen und
Weiber des Nachts zusammen mit dem mannlichen Personal. 369
Parlament erstatteten Berichten wurde dies oft erwdhnt als eine Praxis, die mit grofSen und
Von den allgemeinen schadlichen Wirkungen der Nachtarbeit abgesehn 370 ,
bietet die ununterbrochne, vierundzwanzigstiindige Dauer des
offenkundigen Ubeln verbunden sei. Diese mit den Mdnnern zusammenarbeitenden und sich von ihnen
in der Kleidung kaum unterscheidenden, mit Schmutz und Rauch beschmierten Frauen sind der
charakterlichen Entartung ausgesetzt, well sie ihre Selbstachtung verlieren, was die fast
unvermeidliche Folge ihrer unweiblichen Beschaftigung ist.« (I.e. 194, p.XXVI. Vgl. "Fourth Report"
(1865) 61, p.Xlll.) Ebenso in Glasfabriken.
l.»Es scheint natiirlich«, bemerkte ein Stahlfabrikant, der Kinder zur Nachtarbeit verwendet, »dafi
die Jungen, die nachts arbeiten, bei Tag nicht schlafen und keine ordentliche Ruhe finden konnen,
sondern rastlos am ndchsten Tag herumlaufen.« (I.e., "Fourth Rep.", 63, p.XIII.) Uber die Wichtigkeit
des Sonnenlichts zur Erhaltung und Entwicklung des Korpers bemerkt ein Arzt u.a.: »Licht wirkt auch
direkt auf die Gewebe des Leibes, denen es Harte und Elastizitdt gibt. Die Muskeln von Tieren, denen
man das normale Quantum Licht vorenthdlt, werden schwammig und unelastisch, die Nervenkraft
verliert ihren Ton [Ihr Spannkraft] durch Mangel an Stimulierung, und die Ausarbeitung von allem, was
im Wachstum begriffen ist, wird verktimmert... Im Fall von Kindern ist bestdndiger Zutritt von
reichlichem Tageslicht und der direkten Sonnenstrahlen wdhrend eines Teils des Tags durchaus
wesentlich fur die Gesundheit. Licht hilft die Speisen zu gutem plastischen Blut verarbeiten und hdrtet
die Fiber, nachdem sie gebildet ist. Es wirkt ebenso als Reizmittel auf die Sehorgane und ruft
hierdurch grofiere Tatigkeit in verschiednen Hirnfunktionen hervor.« Herr W. Strange, Oberarzt des
Worcester "General Hospital", aus dessen Schrift uber "Gesundheit" (1864)* diese Stelle entlehnt ist,
schreibt in einem Brief an einen der Untersuchungskommissare, Herrn White: »Ich habe friiher in
Lancashire Gelegenheit gehabt, die Wirkungen der Nachtarbeit auf Fabrikkinder zu beobachten, und
im Widerspruch zu der beliebten Versicherung einiger Arbeitgeber erklare ich mit Entschiedenheit,
dafi die Gesundheit der Kinder bald davon litt.« ("Children's Employment Commission. Fourth Report",
284, p. 55.) DaB solche Dinge iiberhaupt den Gegenstand ernsthafter Kontroversen bilden, zeigt am besten,
wie die kapitalistische Produktion auf die "Gehirnfunktionen" der Kapitalisten und ihrer retainers [Vasallen]
wirkt.
* W. Strange: "The seven sources of health", London 1864, S.84.
3.1.C 57,p.XII.
l.l.c. ("4th Rep.", 1865), 58, p.XII.
1.1. c.
l.l.c. p.XIII. Die Bildungsstufe dieser "Arbeitskrafte " muB naturlich so sein, wie sie in folgenden
Dialogen mit einem der Untersuchungskommissare erscheint! Jeremiah Haynes, 12 Jahre alt: »...Viermal
vier ist acht, aber vier Vierer (4 fours) sind 16... Ein Konig ist ihm, der alles Geld und Gold hat. (A king
is him that has all the money and gold.) Wir haben einen Konig, man sagt, er ist eine Konigin, sie
nennen sie Prinzessin Alexandra. Man sagt, sie heiratete der Konigin Sohn. Eine Prinzessin ist ein
Mann.« Wm. Turner, zwolfjahrig: »Lebe nicht in England. Denke, es gibt solch ein Land, wufite nichts
davon zuvor.« John Morris, vierzehnjahrig: »Habe sagen horen, dafi Gott die Welt gemacht und dafi
alles Volk ersoff aufier einem; habe gehort, dafi der eine ein kleiner Vogel war.« William Smith,
fiinfzehnjahrig: »Gott machte den Mann; der Mann machte das Weib.« Edward Taylor, funfzehnjahrig-
»Weif> nichts von London. « Henry Matthewman, siebzehnjahrig: »Geh' manchmal in die Kirche ... Ein
Name, woruber sie predigen, war ein gewisser Jesus Christ, aber ich kann keine andren Namen
nennen, und ich kann auch nichts uber ihn sagen. Er wurde nicht gemordet, sondern starb wie andre
Leute. Er war nicht so wie andre Leute in gewisser Art, well er religios war in gewisser Art, und andre
ist es nicht. (He was not the same as other people in some ways, because he was religious in some ways,
and others isn't. )« (I.e. 74, p. XV.) »Der Teufel ist eine gute Person. Ich weifi nicht, wo er lebt. Christus
Produktionsprozesses hochst willkommne Gelegenheit, die Grenze des
nominellen Arbeitstags zu uberschreiten. Z.B. in den vorhin erwahnten,
sehr anstrengenden Industriezweigen betragt der offizielle Arbeitstag fiir
ieden Arbeiter meist 12 Stunden, Nachtstunden oder Tagstunden. Aber die
Uberarbeit iiber diese Grenze hinaus ist in vielen Fallen, um die Worte des
englischen offiziellen Berichts zu brauchen, "wirklich schauderhaft" ("truly
fearful"). 371
»Kein menschliches Gemut«, heiBt es, »kann die Arbeitsmasse, die nach
den Zeugenaussagen durch Knaben von 9 bis 12 Jahren verricht wird,
iiberdenken, ohne unwiderstelilich zum Schlufi zu kommen, dafi dieser
Machtmifibrauch der Eltern und Arbeitgeber nicht langer erlaubt werden
darf« 372
»Die Methode, Knaben iiberhaupt abwechselnd Tag und Nacht arbeiten
zu lassen, ftihrt, sowohl wahrend des Geschaftsdranges als wahrend des
gewohnlichen Verlaufs der Dinge, zu schmdhlicher Verlangrung des
Arbeitstags. Diese Verlangrung ist in vielen Fallen nicht nur graus am,
sondern gradezu unglaublich. Es kann nicht fehlen, dafi aus einer oder
der andren Ursache ein Ablosungsknabe hier und da wegbleibt. Einer
oder mehrere der anwesenden Knaben, die ihren Arbeitstag bereits
vollbracht, miissen dann den Ausfall gutmachen. Dies System ist so
allgemein bekannt, dafi der Manager eines Walzwerks aufmeine Frage,
wie die Stelle der abwesenden Ersatzknaben ausgefiillt wiirde,
antwortete: Ich weifi wohl, dafi Sie das ebenso gut wissen als ich, und er
nahm keinen Anstand, die Tatsache zu gestehn.« 313
»In einem Walzwerke, wo der nominelle Arbeitstag von 6 Uhr morgens
bis 5'/2 Uhr abends dauerte, arbeitete einjunge 4 Ndchte jede Woche
bis mindestens 8V2 Uhr abends des ndchstens Tags ... und dies wahrend
6 Monaten.« »Ein andrer arbeitete im Alter von 9 Jahren manchmal
drei zwolfstiindige Arb eitsschichten nacheinander und im Alter von 10
Jahren zwei Tage und zwei Ndchte nacheinander. « »Ein dritter, jetzt
10 Jahre, arbeitete von morgens 6 Uhr bis 12 Uhr in die Nacht drei
Ndchte durch und bis 9 Uhr abends wahrend der andren Ndchte. « »Ein
vierter, jetzt 13 Jahre, arbeitete von 6 Uhr nachmittags bis den andren
Tag 12 Uhr mittags wahrend einer ganzen Woche, und manchmal drei
Schichten nacheinander, z.B. von Montag morgen bis Dienstag nacht. «
»Ein fiinfter, jetzt 12 Jahre, arbeitete in einer Eisengiefierei zu Stavely
von 6 Uhr morgens bis 12 Uhr nachts wahrend 14 Tagen, ist unfahig,
es langer zu tun.« George Allinsworth, neunjahrig: »lch kam hierhin
letzten Freitag. Nachsten Tag hatten wir um 3 Uhr morgens
anzufangen. Ich blieb daher die ganze Nacht hier. Wohne 5 Meilen von
hier. Schlief auf der Flur mit einem Schurzfell unter mir und einer
kleinen Jacke iiber mir. Die zwei andren Tage war ich hier um 6 Uhr
morgens. ja! dies ist ein heifier Platz! Bevor ich herkam, arbeitete ich
ebenfalls wdhrend eines ganzen Jahres in einem Hochofen. Es war ein
sehr grofies Werk aufdem Lande. Begann auch samstags morgens um 3
Uhr, aber ich konnte wenigstens nach Hause schlafen gehn, weil es nah
war. An andren Tagen fing ich 6 Uhr morgens an und endete 6 oder 7
Uhr abends« usw. 374
LaBt uns nun horen, wie das Kapital selbst dies
Vierundzwanzigstundensystem auffaBt. Die Ubertreibungen des Systems,
seinen MiBbrauch zur "grausamen und unglaub lichen" Verlangrung des
Arbeitstags, ubergeht es naturlich mit Stillschweigen. Es spricht nur von
dem System in seiner "normalen" Form.
Die Herren Naylor und Vickers, Stahlfabrikanten, die zwischen 600 und
700 Personen anwenden, und darunter nur 10% unter 18 Jahren, und
hiervon wieder nur 20 Knaben zum Nachtpersonal, auBern sich wie folgt:
»Die Knaben leiden durchaus nicht von der Hitze. Die Temperatur ist
wahrscheinlich 86° b's 90° ... In den Schmiede- und Walzwerken arbeiten
die Hdnde Tag und Nacht ablosungsweise, aber dahingegen ist auch
alles andre Werk Tagwerk, von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends. In der
Schmiede wird von 12 Uhr bis 12 Uhr gearbeitet. Einige Hdnde arbeiten
fortwahrend des Nachts ohne Wechsel zwischen Tag- und Nachtzeit ...
Wirfinden nicht, dafi Tag- oder Nachtarbeit irgendeinen Unterschied in
der GesundheiH (der Herren Naylor und Vickers?) »macht, und
wahrscheinlich schlafen Leute besser, wenn sie dieselbe Ruheperiode
geriefien, als wenn sie wechselt... Ungefahr zwanzig Knaben unter 18
Jahren arbeiten mit der Nachtmannschaft ... Wir konnten 's nicht recht
tun (not well do), ohne die Nachtarbeit von Jungen unter 18 Jahren.
Unser Einwurf ist - die Vermehrung der Produktionskosten. Geschickte
Hdnde und Haupter von Departements sind schwer zu haben, aber
Jungens kriegt man, soviel man will ... Naturlich, in Anbetracht der
geringen Proportion von Jungen, die wir verwenden, waren
Beschrdnkungen der Nachtarbeit von wenig Wichtigkeit oder Interesse
fiir uns.« 315
1. "Fourth Report etc.", 1865, 79, p.XVI.
l.l.c. 80, p.XVI, XVII.
l.l.c.82,p.XVII.
l.»In unsrer reflexionsreichen und rdsonierenden Zeit mufi es einer noch nicht weit gebracht
haben, der nicht fiir alles, auch das Schlechteste und Verkehrteste, einen guten Grund anzugeben weiji.
Alles, was in der Welt verdorben worden ist, das ist aus guten Griinden verdorben worden. « (Hegel,
I.e. p.249.)
1. "Children's Employment Commission. Fourth Report", 1865, 85, p.XVII. Auf ahnliches zartes
Bedenken des Herrn Glasfabrikanten, daB »regelmafiige Mahlzeiten« der Kinder unmoglich sind, weil
dadurch ein bestimmtes Quantum Hitze, das die Ofen ausstrahlen, »reiner Verlust« ware oder »verwustet«
wiirde, antwortet Untersuchungskommissar White, durchaus nicht gleich Ure, Senior etc. und ihren
schmalen deutschen Nachklaffern, wie Roscher etc-, geriihrt von der »Enthaltsamkeit« , »Entsagung« und
»Sparsamkeit« der Kapitalisten in Verausgabung ihres Geldes und ihrer Timur-Tamerlanschen
»Verschwendung« von Menschenleben: »Ein gewisses Quantum Hitze mag iiber das jetzige Mafi hinaus
verwiistet werden infolge von Sicherung regularer Mahlzeiten, aber selbst in Geldwert ist es nichts,
verglichen mit der Verwustung von Lebenskraft (the waste of animal power), die jetzt dem Konigreich
daraus erwachst, dafi in den Glashutten beschdftigte und im Wachstum begriffene Kinder nicht einmal
die Mufie finden, ihre Speisen bequem einzunehmen und zu verdauen.« (I.e. p.XLV.) Und das im
»Fortschrittsjahr« 1865! Abgesehn von der Kraftausgabe im Heben und Tragen, marschiert ein solches
Kind in den Hiitten, die Flaschen und Flintglas machen, wahrend der kontinuierlichen Vorrichtung seiner
Arbeit, 15 bis 20 (englische) Meilen in 6 Stunden! Und die Arbeit dauert oft 14 bis 15 Stunden! In vielen
dieser Glashutten herrscht, wie in den Spinnereien von Moskau, das System sechsstiindiger Ablosungen.
»Wahrend der Arbeitszeit der Woche sind sechs Stunden die dufierste ununterbrochene Rastperiode,
und davon geht ab die Zeit, zur und von der Fabrik zu gehn, Waschen, Kleiden, Speisen, was alles Zeit
kostet. So bleibt in der Tat nur die kiirzeste Ruhezeit. Keine Zeit Spiel und frische Luft, aufier auf
Kosten des Schlafs, so unentbehrlich fiir Kinder, die in solch heifier Atmosphdre solch anstrengendes
Werk verrichten... Selbst der kurze Schlaf ist dadurch unterbrochen, dafi das Kind sich selbst wecken
mufi bei Nacht oder bei Tag vom Aufienlarm geweckt wird.« Herr White gibt Falle, wo ein junge 36
Stunden nacheinander arbeitete; andre, wo Knaben von 12 Jahren bis 2 Uhr nachts schanzen und dann in der
Hutte schlafen bis 5 Uhr morgens (3 Stunden!), um das Tagwerk von neuem zu beginnen! »Die Masse
Arbeit«, sagen die Redakteure des allgemeinen Berichts, Tremenheere und Tufnell, »die Knaben,
Madchen und Weiber im Lauf ihres taglichen oder nachtlichen Arbeitsbanns (spell of labour)
verrichten, ist fabelhaft.« (I.e. p.XLIII und XLIV.) Unterdes wankt vielleicht eines Abends spate das
"entsagungsvolle" Glaskapital, portweinduslig, aus dem Klub nach Haus, idiotisch vor sich hersummend:
"Britons never, never shall be slaves!" ["Briten werden nie und nimmer Sklaven sein!"]
l.In England z.B. wird immer noch hier und da auf dem Lande ein Arbeiter zu Gefangnisstrafe
verurteilt wegen Entheiligung des Sabbats durch Arbeit auf dem Gartchen vor seinem Hause. Derselbe
Arbeiter wird wegen Kontraktbruches bestraft, bleibt er des Sonntags, sei es selbst aus religiosen Mucken,
vom Metall-, Papier- oder Glaswerk weg. Das orthodoxe Parlament hat kein Ohr fiir Sabbatentheiligung,
wenn sie im "VerwertungsprozeB" des Kapitals vorgeht. In einer Denkschrift (August 1863), worin die
Londoner Taglohner in Fisch- und Gefliigelladen Abschaffung der Sonntagsarbeit verlangen, heifit es, ihre
Arbeit daure wahrend der ersten 6 Wochentage durchschnittlich 15 Stunden taglich und am Sonntag 8 bis
10 Stunden. Man entnimmt zugleich aus dieser Denkschrift, daB namentlich die kitzlige Gourmandise der
aristokratischen Mucker von Exeter Hall* diese "Sonntagsarbeit" ermutigt. Diese "Heiligen so eifrig "in
cute curanda" ["in der Sorge um ihr leibliches Wohlergehen"], bewahren ihr Christentum durch die
Ergebung, womit sie die Uberarbeit, die Entbehrungen und den Hunger dritter Personen ertragen.
Herr J. Ellis, von der Firma der Herren John Brown et Co., Stahl - und
Eisenwerke, die 3.000 Manner und Jungen anwenden, und zwar fur [einen]
Teil der schweren Stahl- und Eisenarbeit »Tag und Nacht, in Ablosungen«,
erklart, daB in den schweren Stahlwerken ein oder zwei Jungen auf zwei
Manner kommen. Ihr Geschaft zahlt 500 Jungen unter 18 Jahren und
davon ungefahr V3, oder 170, unter 13 Jahren. Mit Bezug auf die
vorgeschlagne Gesetzanderung meint Herr Ellis:
»Ich glaube nicht, dafi es sehr tadelhaft (very objectionable) ware, keine
Person unter 18 Jahren iiber 12 Stunden aus den 24 arbeiten zu lassen.
Aber ich glaube nicht, dafi man irgendeine Linie ziehen kannfiir die
Entbehrlichkeit von Jungen iiber 12 Jahren fur die Nachtarbeit. Wir
wiirden sogar eher ein Gesetz annehmen, iiberhaupt keine Jungen unter
13 Jahren oder selbst unter 15 Jahren zu verwenden, als ein Verbot, die
Jungen, die wir einmal haben, wahrend der Nacht zu brauchen. Die
Jungen, die in der Tagesreihe, mtissen wechselweis auch in der
Nachtreihe arbeiten, well die Manner nicht unaufhorlich Nachtarbeit
verrichten konnen; es wiirde ihre Gesundheit ruinieren. Wir glauben
jedoch, dafi Nachtarbeit, wenn die Woche dafiir wechselt, keinen
Schaden tut.«
(Die Herren Naylor und Vickers glaubten, ubereinstimmend mit dem
Besten ihres Geschafts, umgekehrt, daB statt der fortwahrenden grade die
periodisch wechselnde Nachtarbeit moglicherweise Schaden anrichtet.)
»Wir finden die Leute, die die alternierende Nachtarbeit verrichten,
grade so gesund als die, die nur am Tage arbeiten... Unsre Einwiirfe
gegen die Nichtanwendung von Jungen unter 18 Jahren zur Nachtarbeit
wiirden gemacht werden von we gen Vermehrung der Auslage, aber dies
ist auch der einzige Grund. [Wie zynisch naiv!] Wir glauben, dafi diese
Vermehrung grofier ware, als das Geschaft (the trade) mit schuldiger
Riicksicht auf seine erfolgreiche Ausfuhrung billigerweise tragen konnte.
(As the trade with due regard to etc. could fairly bear!) [Welche
breimaulige Phraseologie!] Arbeit ist hier rar und konnte unzureichend
werden unter einer solchen Regulation«
(d.h., Ellis, Brown et Co. konnten in die fatale Verlegenheit kommen, den
Wert der Arbeitskraft voll zahlen zu miissen). 376
Die "Cyklops Stahl- und Eisenwerke" der Herren Cammell et Co. werden
auf derselben groBen Stufenleiter ausgefiihrt wie die des besagten John
Brown et Co. Der geschaftsfuhrende Direktor hatte dem
Regierungskommissar White seine Zeugenaussage schriftlich eingehandigt,
fand es aber spater passend, das zur Revision ihm wieder zuriickgestellte
Manuskript zu unterschlagen. Jedoch Herr White hat ein nachhaltig
Gedachtnis. Er erinnert sich ganz genau, daB fur diese Herrn Zyklopen das
Verbot der Nachtarbeit von Kindern und jungen Personen »ein Ding der
Unmoglichkeit; es ware dasselbe, als setzte man ihre Werke still«, und
dennoch zahlt ihr Geschaft wenig mehr als 6% Jungen unter 18 und nur
l%unter 13 Jahren! 377
Uber denselben Gegenstand erklart Herr E.F. Sanderson, von der Firma
Sanderson, Bros, et Co., Stahl-, Walz-, und Schmiedewerke, in Attercliffe:
»Grofie Schwierigkeiten wiirden entspringen aus dem Verbot, Jungen
unter 18 Jahren des Nachts arbeiten zu lassen, die Hauptschwierigkeit
aus der Vermehrung der Kosten, welche ein Ersatz der Knabenarbeit
durch Mannerarbeit notwendig nach sich zoge. Wieviel das betragen
wiirde, kann ich nicht sagen, aber wahrscheinlich ware es nicht so viel,
dafi der Fabrikant den Stahlpreis erhohen konnte, und folglich fiele der
Verlust aufihn, da die Manner [welch querkopfig Volk!] [sich] natiirlich
weigern wiirden, ihn zu tragen.«
Herr Sanderson weiB nicht, wieviel er den Kindern zahlt, aber
»vielleicht betragt es 4 bis 5 sh. per Kopfdie Woche ... Die Knabenarbeit
ist von einer Art, wofiir im allgemeinen ["generally", natiirlich nicht
immer "im Besondern"] die Kraft der Jungen grade ausreicht, und
folglich wiirde kein Gewinn aus der grofiten Kraft der Manner fliefien,
um den Verlust zu kompensieren, oder doch nur in den wenigen Fallen,
wo das Metall sehr schwer ist. Die Manner wiirden es auch minder
lieben, keine Knaben unter sich zu haben, da Manner minder gehorsam
sind. Aufierdem miissen die Jungen jung anfangen, um das Geschaft zu
lernen. Die Beschrdnkung der Jungen aufblofie Tagarbeit wiirde diesen
Zweck nicht erfiillen.«
Und warum nicht? Warum konnen jungen ihr Handwerk nicht bei Tag
lernen? Deinen Grand?
»Weil dadurch die Manner, die in Wechselwochen bald den Tag, bald die
Nacht arbeiten, von den Jungen ihrer Reihe wahrend derselben Zeit
getrennt, halb den Profit verlieren wiirden, den sie aus ihnen
herausschlagen. Die Anleitung, die sie den Jungen geben, wird namlich
als Teil des Arbeitslohnes dieser Jungen berechnet und befahigt die
Manner daher, die Jungenarbeit wohlfeiler zu bekommen. Jeder Mann
wiirde seinen halben Profit verlieren. «
In andren Worten, die Herren Sanderson muBten einen Teil des
Arbeitslohnes der erwachsnen Manner aus eigner Tasche statt mit der
Nachtarbeit der jungen zahlen. Der Profit der Herren Sanderson wiirde bei
dieser Gelegenheit etwas fallen, und dies ist der Sandersonsche gute
Grand, warum Jungen ihr Handwerk nicht bei Tag lernen konnen. 378
AuBerdem wiirde dies regulare Nachtarbeit auf die Manner werfen, die nun
von den Jungen abgelost werden, und sie wiirden das nicht aushalten.
Kurz und gut, die Schwierigkeiten waren so groB, daB sie wahrscheinlich
zur ganzlichen Unterdriickung der Nachtarbeit fuhren wiirden. » Was die
Produktion von Stahl selbst angeht«, sagt E.F. Sanderson, »wiirde es
nicht den geringsten Unterschied machen, aber!« Aber die Herren
Sanderson haben mehr zu tun, als Stahl zu machen. Die Stahlmacherei ist
bloBer Vorwand der Plusmacherei. Die Schmelzofen, Walzwerke usw., die
Baulichkeiten, die Maschinerle, das Eisen, die Kohle usw. haben mehr zu
tun, als sich in Stahl zu verwandeln. Sie sind da, um Mehrarbeit
einzusaugen, und saugen naturlich mehr in 24 Stunden als in 12. Sie geben
in der Tat von Gottes und Rechts wegen den Sandersons eine Anweisung
auf die Arbeitszeit einer gewissen Anzahl von Handen fur voile 24 Stunden
des Tags und verlieren ihren Kapitalcharakter, sind daher fur die
Sandersons reiner Verlust, sobald ihre Funktion der Arbeitseinsaugung
unterbrochen wird.
»Aber dann ware da der Verlust an so viel kostspieliger Maschinerie,
welche die halbe Zeit brachlage, undfiir eine solche Produktenmasse, wie
wirfahig sind, sie bei dem gegenwartigen System zu leisten, miifiten wir
Raumlichkeiten und Maschinenwerke verdoppeln, was die Auslage
verdoppeln wiirde.«
Aber warum beanspruchen grade diese Sandersons ein Privilegium vor den
andren Kapitalisten, die nur bei Tag arbeiten lassen diirfen und deren
Baulichkeiten, Maschinerie, Rohmaterial daher bei Nacht "brach" liegen?
»Es ist wahr«, antwortet E.F. Sanderson im Namen aller Sandersons, »es
ist wahr, dafi dieser Verlust von brachlie gender Maschinerie alle
Manufakturen trifft, worin nur bei Tag gearbeitet wird. Aber der
Gebrauch der Schmelzofen wiirde in unsrem Fall einen Extraverlust
verursachen. Halt man sie im Gang, so wird Brennmaterial verwiister
[statt daB jetzt das Lebensmaterial der Arbeiter verwustet wird], und halt
man sie nicht im Gang, so setzt das Zeitverlust im Wiederanlegen des
Feuers und zur Gewinnung des notigen Hitzegrads [wahrend der Verlust,
selbst Achtjahriger, an Schlafzeit Gewinn von Arbeitszeit fur die
Sandersonsippe], und die Of en selbst wiirden vom Temperaturwechsel
leiden« (wahrend doch dieselbigen Of en nichts leiden vom Tag- und
Nachtwechsel der Arbeit.) 379
5. Der Kampf um den Normalarbeitstag.
Zwangsgesetze zur Verlangerung des Arbeitstags von der Mitte des 14. bis
zu Ende des 17Jahrhunderts
"Was ist ein Arbeitstag?" Wie groB ist die Zeit, wahrend deren das Kapital
die Arbeitskraft, deren Tageswert es zahlt, konsumieren darf? Wie weit
kann der Arbeitstag verlangert werden iiber die zur Reproduktion der
Arbeitskraft selbst notwendige Arbeitszeit? Auf diese Fragen, man hat es
gesehn, antwortet das Kapital: Der Arbeitstag zahlt taglich voile 24
Stundden nach Abzug der wenigen Ruhestunden, ohne welche die
Arbeitskraft ihren erneuerten Dienst absolut versagt. Es versteht sich
zunachst von selbst, daB der Arbeiter seinen ganzen Lebenstag durch
nichts ist auBer Arbeitskraft, daB daher alle seine disponible Zeit von Natur
und Rechts wegen Arbeitszeit ist, also der Selbstverwertung des Kapitals
angehort. Zeit zu menschlicher Bildung, zu geistiger Entwicklung, zur
Erfiillung sozialer Funktionen, zu geselligem Verkehr, zum freien Spiel der
physischen und geistigen Lebenskrafte, selbst die Feierzeit des Sonntags -
und ware es im Lande der Sabbatheiligen 380 - reiner Firlefanz! Aber in
seinem maBlos blinden Trieb, seinem Werwolfs-HeiBhunger nach
Mehrarbeit, iiberrennt das Kapital nicht nur die moralischen, sondern auch
die rein physischen Maximalschranken des Arbeitstags. Es usurpiert die
Zeit fiir Wachstum, Entwicklung und gesunde Erhaltung des Korpers. Es
raubt die Zeit, erheischt zum Verzehr von freier Luft und Sonnenlicht. Es
knickert ab an der Mahlzeit und einverleibt sie womoglich dem
ProduktionsprozeB selbst, so daB dem Arbeiter als bloBem
Produktionsmittel Speisen zugesetzt werden wie dem Dampfkessel Kohle
und der Maschinerie Talg oder 01. Den gesunden Schlaf zur Sammlung,
Erneurung und Erfrischung der Lebenskraft reduziert es auf so viel
Stunden Erstarrung, als die Wiederbelebung eines absolut erschopften
Organismus unentbehrlich macht. Statt daB die normale Erhaltung der
Arbeitskraft hier die Schranke des Arbeitstags, bestimmt umgekehrt die
groBte taglich mogliche Verausgabung der Arbeitskraft, wie krankhaft
gewaltsam und peinlich auch immer, die Schranke fiir die Rastzeit des
Arbeiters. Das Kapital fragt nicht nach der Lebensdauer der Arbeitskraft.
Was es interessiert, ist einzig und allein das Maximum von Arbeitskraft,
das in einem Arbeitstag flussig gemacht werden kann. Es exreicht dies Ziel
durch Verkurzung der Dauer der Arbeitskraft, wie ein habgieriger Landwirt
gesteigerten Bodenertrag durch Beraubung der Bodenfruchtbarkeit
erreicht.
Die kapitalistische Produktion, die wesenthch Produktion von Mehrwert,
Einsaugung von Mehrarbeit ist, produziert also mit der Verlangrung des
Arbeitstags nicht nur die Verkummerung der menschlichen Arbeitskraft,
welche ihrer normalen moralischen und physischen Entwicklungsund
Betatigungsbedingungen beraubt wird. Sie produziert die vorzeitige
Erschopfung und Abtotung der Arbeitskraft selbst. 381 Sie verlangert die
l.»ln unseren friiheren Berichten haben wir die Feststellungen verschiedner erfahrener
Fabrikanten wiedergegeben, die besagen, dafi Uberstunden ... sicher die Gefahr in sich bergen, die
Arbeitskraft des Menschen vorzeitig zu erschopfen.« (I.e. 64, p. XIII.)
l.Cairnes, I.e. p. 110, 111.
l.Mutato nomine de te fabula narratur! (Unter anderem Namen wird hier iiber dich berichtet!) -
aus den Satiren des Horaz, Buch 1, Satire 1.
2. John Ward: "History of the Borough of Stoke-upon-Trent etc.", London 1843, p. 42.
l.Ferrands Rede im "House of Commons" vom 27 .April 1863.
l.Kommissaren der Armenbehorde
2.»That the manufacturers would absorb it and use it up. Those were the very words used by
the cotton manufacturers. « (I.e.)
l.der Armenbehorde
2.Arbeitshausern
3. I.e. Villiers, trotz bestem Willen, war "gesetzlich" in der Lage, das Fabrikantenanliegen
abschlagen zu miissen. Die Herren erreichten jedoch ihre Zwecke durch die Willfahrigkeit der lokalen
Armenverwaltungen. Herr A. Redgrave, Fabrikinspektor, versichert, daB diesmal das System, wonach die
Waisen und Paupers Kinder "gesetzlich" als apprentices (Lehrlinge) gelten, »nicht begleitet war von den
alten Mifistanden« -1 (iiber diese "MiBstande vgl. Engels, I.e.) -, obgleich allerdings in einem Fall
»Mifibrauch mit dem System getrieben warden ist, in bezug auf Madchen und junge Weiber, die von
den Agrikulturdistrikten Schottlands nach Lancashire und Cheshire gebracht wurden«. In diesem
"System" schlieBt der Fabrikant einen Kontrakt mit den Behorden der Armenhauser fur bestimmte
Perioden. Er nahrt, kleidet und logiert die Kinder und gibt ihnen einen kleinen ZuschuB in Geld. Sonderbar
klingt folgende Bemerkung des Herrn Redgrave, namentlich wenn man bedenkt, daB selbst unter den
Prosperitatsjahren der englischen Baumwollindustrie das Jahr 1860 einzig dasteht und die Arbeitslohne
auBerdem hoch standen, weil die auBerordentliche Arbeitsnachfrage auf Entvolkerung in Irland stieB, auf
beispiellose Auswanderung aus englischen und schottischen Agrikulturdistrikten nach Australien und
Amerika, auf positive Abnahme der Bevolkerung in einigen englischen Agrikulturdistrikten infolge teils
gliicklich erzielten Bruchs der Lebenskraft, teils des fruheren Abschopfens der disponiblen Bevolkrung
durch die Handler in Menschenfleisch. Und trotz alledem sagt Herr Redgrave: »Diese Art Arbeit [der
Armenhauskinder] wird jedoch nur gesucht, wenn keine andre gefunden werden kann, denn es ist teure
Arbeit (high-priced labour). Der gewohnliche Arbeitslohn fiir einen Jungen von 13 Jahren ist ungefahr
4 sh. wochentlich; aber 50 oder 100 solcher Jungen logieren, kleiden, nahren, mit arztlicher
Hilfsleistung und passender Oberaufsicht versehn und ihnen obendrein eine kleine Zubufie in Geld
geben, ist untubar fiir 4 sh. per Kopf wochentlich. « ("Rep. of the Insp. of Factories for 30th April 1860",
p. 27.) Herr Redgrave vergiBt zu sagen, wie der Arbeiter selbst dies alles seinen Jungen fiir ihre 4 sh.
Arbeitslohn leisten kann, wenn es der Fabrikant nicht kann fiir 50 oder 100 Jungen, die gemeinsam logiert,
bekostigt und beaufsichtigt werden. Zur Abwehr falscher SchluBfolgerungen aus dem Text muB ich hier
noch bemerken, daB die englische Baumwollindustrie, seit ihrer Unterwerfung unter den Factory Act von
1850 mit seiner Reglung der Arbeitszeit usw., als die englische Musterindustrie betrachtet werden muB.
Der englische Baumwollarbeiter steht in jeder Hinsicht hoher als sein kontinentaler Schicksalsgenosse.
»Der preufiische Fabrikarbeiter arbeitet mindestens 10 Stunden mehr per Woche als sein englischer
Rival, und wenn er an seinem eignen Webstuhl zu Hause beschdftigt wird, fallt selbst diese Schranke
seiner zusatzlichen Arbeitsstunden weg.« ("Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1855" ' p. 103.) Der
obenerwahnte Fabrikinspektor Redgrave reiste nach der Industrieausstellung von 1851 auf dem Kontinent,
speziell in Frankreich und PreuBen, um die dortigen Fabrikzustande zu untersuchen. Er sagt von dem
preu Bischen Fabrikarbeiter: »Er erhalt einen Lohn, ausreichend zur Verschaffung einfacher Kost und
der des wenigen Komforts, woran er gewohnt und womit er zufrieden ist ... Er lebt schlechter und
arbeitet harter als sein englischer Rivale.« ("Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1853", p. 85.)
l.»Die Uberarbeiteten sterben mit befremdlicher Raschheit; aber die Platze derer, die
untergehn, sind sofort wieder ausgefullt, und ein hdufiger Wechsel der Personen bringt keine
Anderung auf der Biihne hervor.« "England and America", London 1833, t.I, p. 55. (Verfasser E.G.
Produktionszeit des Arbeiters wahrend eines gegebenen Termins durch
Verkiirzung seiner Lebenszeit.
Der Wert der Arbeitskraft schlieBt aber den Wert der Waren ein, welche
zur Reproduktion des Arbeiters oder zur Fortpflanzung der Arbeiterklasse
erheischt sind. Wenn also die naturwidrige Verlangrung des Arbeitstags,
die das Kapital in seinem maBlosen Trieb nach Selbstverwertung
notwendig anstrebt, die Lebensperiode der einzelnen Arbeiter und damit
die Dauer ihrer Arbeitskraft verkiirzt, wird rascherer Ersatz der
verschlissenen notig, also das Eingehen groBerer VerschleiBkosten in die
Reproduktion der Arbeitskraft, ganz wie der taglich zu reproduzierende
Wertteil einer Maschine um so groBer ist, je rascher sie verschleiBt. Das
Kapital scheint daher durch sein eignes Interesse auf einen
Normalarbeitstag hinge wiesen.
Der Sklavenhalter kauft seinen Arbeiter, wie er sein Pferd kauft. Mit dem
Sklaven verliert er ein Kapital, das durch neue Auslage auf dem
Sklavenmarkt ersetzt werden muB. Aber
»die Reisfelder von Georgien und die Siimpfe des Mississippi mogen
fatalistisch zerstorend auf die menschliche Konstitution wirken;
dennoch ist diese Verwiistung von menschlichem Leben nicht so grofi,
dafi sie nicht gutgemacht werden konnte aus den strotzenden Gehegen
von Virginien und Kentucky. Okonomische Rucksichten, die eine Art
Sicherheit fur die menschliche Behandlung des Sklaven bieten konnten,
sofern sie das Interesse des Herrn mit der Erhaltung des Sklaven
identifizieren, verwandeln sich, nach Einfuhrung des Sklavenhandels,
umgekehrt in Grilnde der extremsten Zugrunderichtung des Sklaven,
denn sobald sein Platz einmal durch Zufuhr aus fremden Negergehegen
ausgefullt werden kann, wird die Dauer seines Lebens minder wichtig
als dessen Produktivitat, solange es dauert. Es ist daher eine Maxime
der Sklavenwirtschaft in Ldndern der Sklaveneinfuhr, dafi die
wirksamste Okonomie darin besteht, die grofitmoglichste Masse
Leistung in moglichst kurzer Zeit dem Menschenvieh (human chattle)
auszupressen. Grade in tropischer Kultur, wo die jahr lichen Profite oft
dem Gesamtkapital der Pflanzungen gleich sind, wird das Negerleben
am rucksichtslosesten geopfert. Es ist die Agrikultur Westindiens, seit
Jahrhunderten die Wiege fabelhaften Reichtums, die Millionen der
afrikanischen Race verschlungen hat. Es ist heutzutage in Kuba,
dessen Revenuen nach Millionen zahlen, und dessen Pflanzen Fursten
sind, wo wir bei der Sklavenklasse aufier der grobsten Nahrung, der
erschopfendsten und unablassigsten Plackerei einen grofien Teil durch
die langsame Tortur von Uberarbeit und Mangel an Schlafund
Erholung jahrlich direkt zerstort sehn.« 3S2
Mutato nomine de te fabula narratur! 383 Lies statt Sklavenhandel
Arbeitsmarkt, statt Kentucky und Virginien Irland und die
Agrikulturdistrikte von England, Schottland und Wales, statt Afrika
Deutschland! Wir horten, wie die Uberarbeit mit den Backern in London
aufraumt, und dennoch ist der Londoner Arbeitsmarkt stets uberfullt mit
deutschen urd andren Todeskandidaten fur die Backerei. Die Topferei, wie
wir sahen, ist einer der kurzlebigsten Industriezweige. Fehlt es deswegen
an Topfern? Josiah Wedgwood, der Erfinder der modernen Topferei, von
Haus selbst ein gewohnlicher Arbeiter, erklarte 1785 vor dem Hause der
Gemeinen, daB die ganze Manufaktur 15.000 bis 20.000 Personen
beschaftige. 384 Im Jahr 1861 betrug die Bevolkerung allein der stadtischen
Sitze dieser Industrie in GroBbritannien 101.302.
»Die Baumwollindustrie zahlt 90 Jahre ... In drei Generationen der
englischen Race hat sie neun Generationen von Baumwollarbeitern
verspeist.« ni
Allerdings, in einzelnen Epochen fieberhaften Aufschwungs zeigte der
Arbeitsmarkt bedenkliche Lucken. So z.B. 1834. Aber die Herren
Fabrikanten schlugen nun den Poor Law Commissioners 386 vor, die
"Ubervolkerung" der Ackerbaudistrikte nach dem Norden zu schicken, mit
der Erklarung, daB »die Fabrikanten sie absorbieren und konsumieren
wiirden«. Dies waren ihre eigensten Worte. 387
»Agenten wurden zu Manchester bestallt mit Einwilligung der Poor
Law Commissioners. Agrikultur arbeiterlisten wurden ausgefertigt und
diesen Agenten iibermacht. Die Fabrikanten liefen in die Biiros, und
nachdemsie, was ihnen pafite, aus-gewahlt, wurden die Familien vom
Siiden Englands verschickt. Diese Menschenpakete wurden geliefert
mit Etiketten gleich so viel Guterballen, aufKanal und Lastwagen -
einige strolchten zu Fufi nach, und viele irrten verloren und halb
verhungert in den Manufakturdistrikten umher. Dies entwickelte sich
zu einem wahren Handelszweig. Das Haus der Gemeinen wird es kaum
glauben. Dieser regelmafiige Handel, dieser Schacher in
Menschenfleisch dauerte fort, und diese Leute wurden gekauft und
verkauft von den Manchester Agenten an die Manchester Fabrikanten,
ganz so regelmafiig wie Neger an die Baumwollpflanzer der siidlichen
Staaten ... Das Jahr 1860 bezeichnet das Zenit der
Baumwollindustrie... Esfehlte wieder an Handen. Die Fabrikanten
wandten sich wieder an die Fleischagenten ... und diese durchstob erten
die Diinen von Dorset, die Hiigel von Devon und die Ebnen von Wilts,
aber die Ubervolkerung war bereits verspeist.«
Der "Bury Guardian" jammerte, daB 10.000 zusatzliche Hande nach
AbschluB des englisch-franzosischen Handelsvertrags absorbiert werden
konnten und bald an 30.000 oder 40.000 mehr notig sein wurden.
Nachdem die Agenten und Subagenten des Fleischhandels die
Agrikulturdistrikte 1860 ziemlich resultatlos durchgefegt,
»wandte sich eine Fabrikantendeputation an Herrn Villiers,
Prdsidenten des Poor Law Board™, mit dem Gesuch, die Zufuhr der
Armen- und Waisenkinder aus den Workhouses 389 wieder zu
erlauben« 390 .
Was die Erfahrung dem Kapitalisten im allgemeinen zeigt, ist eine
bestandige Ubervolkerung, d.h. Ubervolkerung im Verhaltnis zum
augenblicklichen Verwertungsbedurfnis des Kapitals, obgleich sie aus
verkummerten, schnell hinlebenden, sich rasch verdrangenden, sozusagen
unreif gepfluckten Menschengenerationen ihren Strom bildet. 391 Allerdings
zeigt die Erfahrung dem verstandigen Beobachter auf der andren Seite, wie
rasch und tief die kapitalistische Produktion, die, geschichtlich gesprochen,
kaum von gestern datiert, die Volkskraft an der Lebenswurzel ergriffen hat,
wie die Degeneration der industriellen Bevolkrung nur durch bestandige
Absorption naturwuchsiger Lebenselemente vom Lande verlangsamt wird
und wie selbst die landlichen Arbeiter, trotz freier Luft und des unter ihnen
so allmachtig waltenden principle of natural selection 392 , das nur die
kraftigsten Individuen aufkommen laBt, schon abzuleben beginnen. 393 Das
2.Prinzips der natiirlichen Auslese
3.Siehe "Public Health. Sixth Report of the Medical Officer of the Privy Council. 1863".
Veroffentlicht London 1864. Dieser Report handelt namentlich von den Agikulturarbeitern. »Man hat die
Grafschaft Sutherland ah eine sehr verbesserte Grafschaft dargestellt, aber eine neuerliche
Untersuchung hat entdeckt, dafi hier in Distrikten, einst so beruhmt wegen schoner Manner und
tapfrer Soldaten, die Einwohner degeneriert sind zu einer magren und verkummerten Race. In den
gesundesten Lagen, auf Hugelabhangen im Angesicht des Meeres, sind die Gesichter ihrer Kinder so
diinn und blafi, wie sie nur in der faulen Atmosphiire einer Londoner Winkelgasse sein konnen. «
(Thornton, I.e. p. 74, 75.) Sie gleichen in der Tat den 30.000 "gallant Highlanders" [ritterlichen
Hochlandern], die Glasgow in seinen wynds und closes [Gassen und Hofen] mit Prostituierten und Dieben
zusammenbettet.
4.Apres nous le deluge! (Nach uns die Sintflut!) - diese Worte soil die Marquise de Pompadour
geauBert haben, als jemand bei Hofe zu bedenken gab, die standigen uppigen Gelage und Festlichkeiten
wiirden ein starkes Anwachsen der Staatsschuld Frankreichs zur Folge haben.
5.»Obgleich die Gesundheit der Bevolkerung ein so wichtiges Element des nationalen Kapitals
ist, furchten wir, gestehn zu mtissen, dafi die Kapitalisten durchaus nicht bei der Hand sind, diesen
Schatz zu erhalten und wert zu achten ... Die Rucksicht auf die Gesundheit der Arbeiter wurde den
Fabrikanten aufgezwungen.« ("Times", 5. Novbr. 1861.) »Die Manner des West Riding wurden die
Tuchmacher der Menschheit ... die Gesundheit des Arbeitervolks wurde geopfert, und in ein paar
Generationen ware die Race degeneriert, aber eine Reaktion trat ein. Die Stunden der Kinderarbeit
wurden beschrankt usw.« ("Twenty-second annual Report of the Registrar-General", 1861.)
6.Goethe, "An Suleika".
7. Wir finden daher z.B., daB Anfang 1863 26 Firmen, welche ausgedehnte Topfereien in
Staffordshire besitzen, darunter auch J. Wedgwood und Sonne, in einer Dankschrift "um gewaltsame
Einmischung des Staats" petitionieren. »Die Konkurrenz mit andren Kapitalisten« erlaube ihnen keine
»freiwillige« Beschrankung der Arbeitszeit der Kinder usw. »Sosehr wir daher die oben erwahnten Ubel
beklagen, wiirde es unmoglich sein, sie durch irgendeine Art Ubereinkunft unter den Fabrikanten zu
verhindern ... In Anbetracht aller dieser Punkte, sind wir zur Uberzeugung gelangt, daB ein Zwangsgesetz
notig ist.« ("Children's Emp. Comm., Rep. 1", 1863, p. 322.)
Kapital, das so "gute Grande" hat, die Leiden der es umgebenden
Arbeitergeneration zu leugnen, wird in seiner praktischen Bewegung durch
die Aussicht auf zukiinftige Verfaulung der Menschheit und schlieBlich
doch unaufhaltsame Entvolkerung so wenig und so viel bestimmt als
durch den moglichen Fall der Erde in die Sonne. In jeder
Aktienschwindelei weiB jeder, daB das Unwetter einmal einschlagen muB,
aber jeder hofft, daB es das Haupt seines Nachsten trifft, nachdem er selbst
den Goldregen aufge fangen und in Sicherheit gebracht hat. Apres moi le
deluge! 394 ] ist der Wahlruf jedes Kapitalisten und jeder Kapitalistennation.
Das Kapital ist daher riicksichtslos gegen Gesundheit und Lebensdauer des
Arbeiters, wo es nicht durch die Gesellschaft zur Rucksicht gezwungen
wird. 395 Der Klage iiber physische und geistige Verkummrung, vorzeitigen
Tod, Tortur der Uberarbeit, antwortet es: Sollte diese Qual uns qualen, da
sie unsre Lust (den Profit) vermehrt? 396 Im groBen und ganzen hangt dies
aber auch nicht vorn guten oder bosen Willen des einzelnen Kapitalisten
ab. Die freie Konkurrenz macht die immanenten Gesetze der
kapitalistischen Produktion dem einzelnen Kapitalisten gegenuber als
auBerliches Zwangsgesetz geltend. 397
Die Festsetzung eines normalen Arbeitstags ist das Resultat eines
vielhundertjahrigen Kampfes zwischen Kapitalist und Arbeiter. Doch zeigt
die Geschichte dieses Kampfes zwei entgegengesetzte Stromungen. Man
vergleiche z.B. die englische Fabrikgesetzgebung unsrer Zeit mit den
englischen Arbeitsstatuten vom 14. bis tief in die Mitte des 18.
Jahrhunderts. 398 Wahrend das moderne Fabrikgesetz den Arbeitstag
1. Diese Arbeiterstatute, die man gleichzeitig auch in Frankreich, den Niederlanden usw. findet,
wurden in England erst 1813 formell aufgehoben, nachdem sie langst von den Produktionsverhaltnissen
beseitigt waren.
2.»Kein Kind unter 12 Jahren darf in einem Fabrikbetrieb langer als 10 Stunden tdglich
beschdftigt werden.« ("General Statutes of Massachusetts", ch.60, § 3. Die Ordonnanzen wurden erlassen
1836 bis 1858.) »Arbeit, die in einem Zeitraum von 10 Stunden tdglich in alien Baumwoll-, Woll-,
Seiden-, Papier-, Glas, und Flachsfabriken oder in eisen- und anderen rnetallverarbeitenden
Betrieben ausgefiihrt wird, soil als Tagewerk im Sinne des Gesetze s angesehen werden. Es sei ferner
gesetzlich festgelegt, dafi kiinftig kein Minderjahriger, der in irgendeiner Fabrik beschdftigt wird,
angehalten oder aufgefordert werden darf, rnehr als 10 Stunden tdglich oder 60 Stunden wochentlich
zu arbeiten; welter, dafi in Zukunft kein Minderjahriger unter 10 Jahren als Arbeiter in einer Fabrik
innerhalb des Gebietes dieses Staates beschdftigt werden darf.« ("State of New Jersey. An act to limit
the hours of labour etc.", § 1 und 2. Gesetz vom 18. Marz 1851.) »Kein Minderjahriger zwischen 12 und
gewaltsam abkurzt, suchen ihn jene Statute gewaltsam zu verlangern.
Allerdings erscheinen die Anspriiche des Kapitals im Embryozustand, wo
es erst wird, also noch nicht durch bloBe Gewalt der okonomischen
Verhaltnisse, sondern auch durch Hilfe der Staatsmacht sein
Einsaugungsrecht eines geniigenden Quantums Mehrarbeit sichert, ganz
und gar bescheiden, vergleicht man sie mit den Konzessionen, die es in
seinem Mannesalter knurrend und widerstrebig machen muB. Es kostet
Jahrhunderte, bis der "freie" Arbeiter infolge entwickelter kapitalistischer
Produktionsweise sich freiwillig dazu versteht, d.h. gesellschaftlich
gezwungen ist, fur den Preis seiner gewohnheitsmaBigen Lebensmittel
seine ganze aktive Lebenszeit, ja seine Arbeitsfahigkeit selbst, seine
Erstgeburt fiir ein Gericht Linsen zu verkaufen. Es ist daher nattirlich, daB
die Verlangrung des Arbeitstags, die das Kapital von Mitte des 14. bis
Ende des 17Jahrhunderts staatsgewaltig den volljahrigen Arbeitern
aufzudringen sucht, ungefahr mit der Schranke der Arbeitszeit
zusammenfallt, die in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts der
Verwandlung von Kinderblut in Kapital hier und da von Staats wegen
gezogen wird. Was heute, z.B. im Staate Massachusetts, bis jungst dem
freisten Staate der nordamerikanischen Republik, als Staatsschranke der
Arbeit von Kindern unter 12 Jahren proklamiert ist, war in England noch
Mitte des 17. Jahrhunderts der normale Arbeitstag vollblutiger
Handwerker, robuster Ackerknechte und riesenhafter Grobschmiede. 399
15 Jahren darf in irgendeinem Fabrikbetrieb mehr als tdglich 11 Stunden oder vor 5 Uhr morgens
oder nach 7'h Uhr abends beschdftigt werden.« ("Revised Statutes of the State of Rhode Island etc.", ch.
139, §23, 1st July 1857.
l."Arbeiterstatut"
2.grofie Pest - furchtbare Pestepidemie, auch Schwarzer Tod benannt, wiitete von 1347 bis 1350 in
Westeuropa. An dieser Seuche starben etwa 25 Millionen Menschen, d.h. ein Viertel der gesamten
damaligen europaischen Bevofkerung.
3.[J.B.Byles,] "Sophisms of Free Trade", 7th edit., Lond. 1850, p. 205. Derselbe Tory gibt ubrigens
zu: »Parlamentsakte, die die Arbeitslohne gegen die Arbeiter zugunsten der Arbeitsanwender
regulierten, wdhrten fiir die lange Periode von 464 Jahren. Die Bevolkrung wuchs. Diese Gesetze
wurden nun uberfliissig und lastig.« (I.e. p. 206.)
4. J. Wade bemerkt mit Recht in bezug auf dies Statut: »Aus dem Statut von 1496 geht hervor, dafJ
die Nahrung als Aquivalent fiir Vj des Einkommens eines Handwerkers und V2 des Einkommens eines
Agrikulturarbeiters gait, und dies zeigt eine grofiere Stufe von Unabhangigkeit unter den Arbeitern
an, als jetzt vorherrscht, wo die Nahrung der Arbeiter in Agrikultur und Manufaktur ein viel hoheres
Verhaltnis zu ihren Lohnen bildet.« (J. Wade, I.e. p. 24, 25 und 577.) Die Meinung, als sei diese Differenz
Das erste "Statute of Labourers" 400 (23 Eduard III. 1349) fand seinen
unmittelbarenVorwand (nicht seine Ursache, denn die Gesetzgebung
dieser Art dauert Jahrhunderte fort ohne den Vorwand) in der groBen
Pest 401 , welche die Bevolkerung dezimierte, so daB, wie ein Tory-
Schriftsteller sagt, »die Schwierigkeit, Arbeiter zu rdsonablen Preisen«
(d.h. zu Preisen, die ihren Anwendern ein rasonables Quantum Mehrarbeit
lieBen) »an die Arbeit zu setzen, in der Tat unertrdglich wurde« m .
Rasonable Arbeitslohne wurden daher zwangsgesetzlich diktiert, ebenso
wie die Grenze des Arbeitstags. Der letztre Punkt, der uns hier allein
interessiert, ist wiederholt in dem Statut von 1496 (unter Henry VII.). Der
Arbeitstag fur alle Handwerker (artificers) und Ackerbauarbeiter vom Marz
bis September sollte damals, was jedoch nie durchgesetzt wurde, dauern
von 5 Uhr morgens bis zwischen 7 und 8 Uhr abends, aber die Stunden fur
Mahlzeiten betragen 1 Stunde fur Friihstiick, IV2 Stunden fur Mittagessen
und Vi Stunde fur Vieruhrbrot, also grade doppelt soviel als nach dem jetzt
gultigen Fabrikakt. 403 Im Winter sollte gearbeitet werden von 5 Uhr
morgens bis zum Dunkeln, mit denselben Unterbrechungen. Ein Statut der
Elisabeth von 1562 fur alle Arbeiter »gedungen fiir Lohn per Tag oder
Woche«, laBt die Lange des Arbeitstags unberiihrt, sucht aber die
Zwischenraume zu beschranken auf 2« Stunden fiir den Sommer und 2 fiir
den Winter. Das Mittagessen soil nur eine Stunde dauern und der
»Nachmittagsschlaf von V2 Stunde« nur zwischen Mitte Mai und Mitte
August erlaubt sein. Fiir jede Stunde Abwesenheit soil 1 d. (etwa 8
Pfennige) vom Lohn abgehn. In der Praxis jedoch war das Verhaltnis den
Arbeitern viel giinstiger als im Statutenbuch. Der Vater der politischen
Okonomie und gewissermaBen der Erfinder der Statistik, William Petty,
sagt in einer Schrift, die er im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts
veroffentlichte:
»Arbeiter« (labouring men, eigentlich damals Ackerbauarbeiter)
»arbeiten 10 Stunden tdglich und nehmen wochentlich 20 Mahlzeiten
ein, ndmlich an Arbeitstagen tdglich drei und an Sonntagen zwei;
woraus man klarlich sieht, dafi, wenn sie an Freitagbenden fasten
wollten und in anderthalb Stunden zu Mittag speisen wollten, wahrend
sie jetzt zu dieser Mahlzeit zwei Stunden brauchen, von 11 bis 1 Uhr
morgens, wenn sie also */20 mehr arbeiteten und */20 weniger
verzehrten, das Zehntel der oben erwahnten Steuer aufbringbar
404
ware. «
l.W.Petty: "Political Anatomy of Ireland 1672", edit. 1691, p. 10
l."A Discourse on the Necessity of Encouraging Mechanick Industry", London 1690, p. 13.
Macaulay, der die englische Geschichte im Whig- und Bourgeoisinteresse zurechtgefalscht hat, deklamiert,
wie folgt: »Die Praxis, Kinder vorzeitig an die Arbeit zu setzen, herrschte im 17 J ahrhundert in einem
fitr den damaligen Zustand der Industrie fast unglaublichen Grad vor. Zu Norwich, dem Hauptsitz der
Wollindustrie, wurde ein Kind von 6 Jahrenfiir arbeitsfdhig gehalten. Verschiedne Schriftsteller jener
Zeit und darunter manche, die als aufierordentlich wohlgesinnt betrachtet wurden, erwdhnen mit
"Exultation " (Entziicken) die Tatsache, dafi in dieser Stadt allein Knaben und Madchen einen Reichtum
schaffen, der iiber ihren eignen Unterhalt hinaus 12.000 Pfd.St. in einem Jahr betrug. je genauer wir
die Geschichte der Vergangenlieit untersuchen, desto mehr Grund finden wir, die Ansicht derer zu
verwerfen, die unser Zeitalter fur fruchtbar an neuen sozialen Ubeln halten. Das, was neu ist, ist die
Intelligenz, die die libel entdeckt, und die Humanitat, die sie heilt.« ("History of England", v.l, p.417.)
Macaulay hatte weiter berichten konnen, daB »aufierordentlich wohlgesinntee amis du commerce im 17.
Jahrhundert mit "Exultation" erzahlen, wie in einem Armenhaus in Holland ein Kind von 4 Jahren
beschaftigt wurde, und daB dies Beispiel der "vertu mise en pratique" [angewandten Tugend] in alien
Schriften von Humanitaren a la Macaulay Muster passiert bis zur Zeit A. Smiths. Es ist richtig, daB mit dem
Aufkommen der Manufaktur, im Unterschied zum Handwerk, sich Spuren der Kinderexploitation zeigen,
die von jeher bis zu einem gewissen Grad bei den Bauern existiert und um so entwickelter, je harter das
Joch, das auf dem Landmann lastet. Die Tendenz des Kapitals ist unverkennbar, aber die Tatsachen selbst
stehn noch so vereinzelt wie die Erscheinung zweikopfiger Kinder. Sie wurden daher mit "Exultation", als
besonders merkwiirdig und bewundernswert, von ahnungsvollen "amis du commerce" fur Mit- und Nachwelt
aufgezeichnet und zur Nachahmung empfohlen. Derselbe schottische Sykophant und Schonredner Macaulay
sagt: »Man hore heute nur von Riickschritt und sehe nur Fortschritt.« Was fur Augen und namentlich was
ftir Ohren !
l.Unter den Anklagern der Arbeiter ist der grimmigste der im Text erwahnte anonyme Verfasser
von: "An Essay on Trade and Commerce: containing Observations on Taxation etc.", London 1770. Schon
fruher in seiner Schrift "Consideration on Taxes", London 1765. Auch Polonius Arthur Young, der
unsagliche statistische Schwatzer, folgt in derselben Linie. Unter den Verteidigern der Arbeiter stehn oben
an: Jacob Vanderlint in "Money answers all things", London 1734, Rev. Nathaniel Forster, D. D. in "An
Enquiry into the Causes of the Present [High] Price of Provisions", London 1767, Dr.Price, und namentlich
auch Postlethwayt, sowohl in einem Supplement zu seinem "Universal Dictionary of Trade and Commerce"
als in "Great-Britain's Commercial Interest explained and improved", 2nd edit., Lond. 1759. Die Tatsachen
selbst findet man bei vielen andren gleichzeitigen Schriftstellern konstatiert, u.a. bei Josiah Tucker.
1. Postlethwayt, I.e., "First Preliminary Discourse", p. 14.
l."An Essay etc." Er selbst erzahlt p. 96, worin schon 1770 "das Gliick" der englischen
Agrikulturarbeiter bestand. »Ihre Arbeitskrafte (their working powers) sind stets auf das aufierste
angespannt (on the stretch); sie konnen nicht schlechter leben, als sie tun (they cannot live cheaper
than they do), noch harter arbeiten (nor work harder).«
2. Der Protestantismus spielt schon durch seine Verwandlung fast aller traditionellen Feiertage in
Werktage eine wichtige Rolle in der Genesis des Kapitals.
3."An Essay etc.", p.41, 15, 96, 97, 55, 56, 57.
4.1. c. p. 69. Jacob Vanderlint erklarte schon 1734, das Geheimnis der Kapitalistenklage iiber die
Faulenzerei des Arbeitervolks sei einfach, daB sie ftir denselben Lohn 6 statt 4 Arbeitstage beanspruchten.
1. "An Essay etc.", p. 242, 243: »Such ideal workhouse must be made a "House of Terror", und nicht
zu einem Asyl fur die Armen, wo sie reichlich zu essen bekommen, warm und anstandig gekleidet werden
sollen und sie nur wenig arbeiten.
Hatte Dr. Andrew Ure nicht recht, die Zwolfstundenbill von 1833 als
Ruckgang in die Zeiten der Finsternis zu verschreien? Allerdings gelten die
in den Statuten und von Petty erwahnten Bestimmungen auch fur
"apprentices" (Lehrlinge). Wie es aber noch Ende des 17. Jahrhunderts mit
der Kinderarbeit stand, ersieht man aus folgender Klage:
»Unsere Jugend, hier in England, treibt gar nichts bis zu der Zeit, wo
sie Lehrlinge werden, und dann brauchen sie natiirlich lange Zeit -
sieben Jahre -, umsich zu vollkommnen Handwerkern zu bilden.«
Deutschland wird dagegen geriihmt, weil dort die Kinder von der Wiege
auf wenigstens zu »ein bifichen Beschaftigung erzogen werden« 40 .
Noch wahrend des groBten Teils des 18. Jahrhunderts, bis zur Epoche der
groBen Industrie, war es dem Kapital in England nicht gelungen, durch
Zahlung des wochentlichen Werts der Arbeitskraft sich der ganzen Woche
des Arbeiters, Ausnahme bilden jedoch die Agrikulturarbeiter, zu
bemachtigen. Der Umstand, daB sie eine ganze Woche mit dem Lohn von
4 Tagen leben konnten, schien den Arbeitern kein hinreichender Grand,
auch die andren zwei Tage fur den Kapitalisten zu arbeiten. Eine Seite der
englischen Okonomen denunzierte im Dienst des Kapitals diesen
Eigensinn aufs wutendste, eine andre Seite verteidigte die Arbeiter. Horen
wir z.B. die Polemik zwischen Postlethwayt, dessen Handels-Diktionar
damals denselben Ruf genoB wie heutzutage ahnliche Schriften von
MacCulloch und MacGregor, und dem fruher zitierten Verfasser des
"Essay on Trade and Commerce" 406 .
Postlethwayt sagt u.a.:
»Ich kann diese wenigen Bemerkungen nicht abschliefien, ohne Notiz
zu nehmen von der trivialen Redensart in dem Munde zu vieler, dafi,
wenn der Arbeiter (industrious poor) in 5 Tagen genug erhalten kann,
um zu leben, er nicht voile 6 Tage arbeiten will. Daher schliefien sie auf
die Notwendigkeit, selbst die notwendigen Lebensmittel durch Steuern
oder irgendwelche andre Mittel zu verteuern, um den Handwerker und
Manufaktutarbeiter zu unausgesetzter sechstagiger Arbeit in der
Woche zu zwingen. Ich mufi um die Erlaubnis bitten, andrer Meinung
zu sein als diese grofien Politiker, welche fur die bestandige Sklaverei
der Arbeiterbevolkerung dieses Konigreichs (the perpetual slavery of
the working people) die Lanze einlegen; sie vergessen das Sprichwort
"all work and no play" (nur Arbeit und kein Spiel) macht dumm.
Briisten sich die Englander nicht mit der Genialitat und Gewandtheit
ihrer Handwerker und Manufaktur -arbeiter, die bisher den britischen
Waren allgemeinen Kredit und Rufverschafft haben? Welchem
Umstand war dies geschuldet? Wahrscheinlich keinem andren als der
Art und Weise, wie unser Arbeitsvolk, eigenlaunig, sich zu zerstreuen
weifi. Waren sie gezwungen, das ganze Jahr durchzuarbeiten, alle sechs
Tage in der Woche, in steter Wiederholung desselben Werkes, wiirde
das nicht ihre Genialitdt abstumpfen und sie dumm-trdg statt munter
und gewandt machen; und wiirden unsre Arbeiter infolge soldier
ewigen Sklaverei ihren Ruf nicht verlieren statt erhalten ? ... Weiche Art
Kunstgeschick konnten wir erwarten von soldi hart geplackten Tieren
(hard driven animals)? ... Viele von ihnen verrichten soviel Arbeit in 4
Tagen als ein Franzose in 5 oder 6. Aber wenn Engldnder ewige
Schanzarbeiter sein sollen, so steht zu fiirchten, dafi sie noch unter die
Franzosen entarten (degenerate) werden. Wenn unser Volk wegen
seiner Tapferkeit im Krieg beruhmt ist, sagen wir nicht, dafi dies
einerseits dem guten englischen Roastbeefund Pudding - in seinem
Leibe, andrerseits nicht minder unsrem konstitutionellen Geiste der
Freiheit geschuldet ist? Und warum sollte die grofiere Genialitdt,
Energie und Gewandtheit unsrer Handwerker und Manufaktur arbeiter
nicht der Freiheit geschuldet sein, womit sie sich in ihrer eignen Art
und Weise zerstreuen? Ich hoffe, sie werden nie wieder diese
Privilegien verlieren, noch das gute Leben, woraus ihre
Arbeitstiichtigkeit und ihr Mut gleichmdfiig herstammen!« 401
Darauf antwortet der Verfasser des "Essay on Trade and Commerce":
»Wenn esfiir eine gottliche Einrichtung gilt, den siebenten Tag der
Woche zufeiern, so schliefit dies ein, dafi die andren Wochentage der
Arbeit [er meint dem Kapital, wie man gleich sehen wird] angehoren,
und es kann nicht grausam gescholten werden, dies Gebot Gottes zu
erzwingen... Dafi die Menschheit im allgemeinen von Natur zur
Bequemlichkeit und Tragheit neigt, davon machen wir diefatale
Erfahrung im Betragen unsres Manufakturpobels, der durchschnittlich
nicht iiber 4 Tage die Woche arbeitet, aufier im Fall einer Teuerung der
Lebensmittel ... Gesetzt, ein Bushel Weizen reprasentiere alle
Lebensmittel des Arbeiters, koste 5 sh., und der Arbeiter verdiene einen
Schilling taglich durch seine Arbeit. Dann braucht er blofi 5 Tage in
der Woche zu arbeiten; nur 4, wenn der Bushel 4 sh. betragt ... Da aber
der Arb eitslohn in diesem Konigreich viel hoher steht, verglichen mit
demPreise der Lebensmittel, so besitzt der Manufaktur arbeiter, der 4
Tage arbeitet, einen Geldiiberschufi, womit er wahrend des Rests der
Woche miifiig lebt ... Ich hoffe, ich habe genug gesagt, um
klarzumachen, dafi mafiige Arbeit wahrend 6 Tagen in der Woche keine
Sklaverei ist. Unsre Agrikulturarbeiter tun dies und, allem Anscheine
nach, sind sie die Glucklichsten unter den Arbeitern (labouring
poor) 408 , aber die Hollander tun es in den Manufakturen und scheinen
ein sehr gliickliches Volk. Die Franzosen tun es, soweit nicht die vielen
Feiertage dazwischenkommen 409 ... Aber unser Pobel hat sich die fixe
Idee in den Kopf gesetzt, dafi ihm als Englander durch das Recht der
Geburt das Privilegium zukommt, freier und unabhangiger zu sein als
[das Arbeitervolk) in irgendeinem andren Lande von Europa. Nun,
diese Idee, soweit sie aufdie Tapferkeit unsrer Soldaten einwirkt, mag
von einigem Nutzen sein; aber je weniger die Manufakturarbeiter
davon haben, desto besserfur sie selbst und den Staat. Arbeiter sollten
sich nie fiir unabhangig von ihren Vorgesetzten (independent of their
superiors) halten ... Es ist aufierordentlich gefahrlich, mobs in einem
kommerziellen Staat, wie dem unsrigen, zu encouragieren, wo vielleicht
7 Telle von den 8 der Gesamtbevo Ike rung Leute mit wenig oder keinem
Eigentum sind ua ... Die Kur wird nicht vollstandig sein, bis unsre
industriellen Armen sich bescheiden, 6 Tagefiir dieselbe Summe zu
arbeiten, die sie nun in 4 Tagen verdienen.« 4n
Zu diesem Zwecke, wie zur »Ausrottung der Faulenzerei, Ausschweifung
und romantischen Freiheitsduselei« , ditto »zur Minderung der
Armentaxe, Forderung des Geistes der Industrie und Herabdruckung des
Arbeitspreises in den Manufaktuten« , schlagt unser treuer Eckart des
Kapitals das probate Mittel vor, solche Arbeiter, die der offentlichen
Wohltatigkeit anheimf alien, in einem Wort, Paupers, einzusperren in ein
»ideales Arbeitshaus« (an ideal Workhouse). »Ein solches Haus mufi zu
einem Hause des Schreckens (House of Terror) gemacht werden.« n In
diesem »Hause des Schreckens«, diesem »Ideal von einem Workhouse«,
soil gearbeitet werden »14 Stunden taglich mit Einb e griff je do ch der
passenden Mahlzeiten, so dafi voile 12 Arbeits stunden ubrigbleiben« {l ' .
2.»In this ideal workhouse the poor shall work 14 hours in a day, allowing proper time for
meals, in such manner that there shall remain 12 hours of neat labour. « (I.e. [p. 260.]) »Die Franzosen«
sagt er, Aachen iiber unsre enthusiastischen Ideen von Freiheit.« (I.e. p. 78.)
414 1.3.und4.Auflage:Volk
2.»Sie widersetzten sich besonders deshalb einer Arbeit von mehr als den 12 Stunden taglich,
well das Gesetz, das diese Stundenzahl festsetzte, das einzige Gut ist, was ihnen von der Gesetzgebung
der Republik iibrigbleibt.« ("Rep. of Insp. of Fact. 31st Octob. 1855", p. 80.) Das franzosische
Zwolfstundengesetz vom 5. September 1850, eine verbiirgerlichte Ausgabe des Dekrets der provisorischen
Regierung vom 7. Marz 1848, erstreckt sich auf alle Ateliers ohne Unterschied. Vor diesem Gesetz war der
Arbeitstag in Frankreich unbeschrankt. Er wahrte in den Fabriken 14, 15 und mehr Stunden. Siehe "Des
classes ouvrieres en France, pendant l'annee 1848. Par M.Blanqui". Herr Blanqui, der Okonom, nicht der
Revolutionar, war von Regierungs wegen mit der Enquete iiber die Arbeiterzustande betraut.
3.Belgien bewahrt sich auch mit Bezug auf die Regulation des Arbeitstags als burgerlicher
Musterstaat. Lord Howard de Walden, englischer Bevollmachtigter in Brussel, berichtet dem Foreign
Office [Auswartigen Amt] d. d. 12. Mai 1862: »Der Minister Rogier erkldrte tnir, dafi weder ein
allgemeines Gesetz noch Lokalregulationen die Kinderarbeit irgendwie beschrdnken; dafi die
Regierung sich wdhrend der letzten 3 Jahre injeder Sitzung mit dem Gedanken trug, den Kammern ein
Gesetz iiber den Gegenstand vorzulegen, dafi sie aber stets ein uniiberwindliches Hindernis fand an
der eifersiichtigen Angst gegen irgendwelche Gesetzgebung im Widerspruch mit dem Prinzip
vollkommner Freiheit der Arbeit « !
l.»Es ist sicher sehr bedauerlich, dafi irgendeine Klasse von Personen 12 Stunden taglich sich
abplacken mufi. Rechnet man die Mahlzeiten zu und die Zeit, um zu und von der Werkstatt zu gehn, so
betrdgt dies in der Tat 14 von den 24 Tagesstunden ... Abgesehn von der Gesundheit, wird niemand,
ich hoffe, anstehn zuzugeben, dafi vom moralischen Gesichtspunkt eine so ganzliche Absorption der
Zeit der arbeitenden Klassen, ohne Unterlafi, vom friihen Alter von 13 Jahren, und in den "freien"
Industriezweigen selbst von viel fruhrem Alter an, aufierordentlich schddlich und ein furchtbares Ubel
ist... Im Interesse der offentlichen Moral, fur die Aufziehung einer tuchtigen Bevolkerung, und um der
grofien Masse des Volks einen vernunftigen Lebensgenufi zu verschaffen, mufi darauf gedrungen
werden, dafi in alien Geschdftszweigen ein Teil jedes Arbeitstags reserviert werde fiir Erholung und
Mufie.« (Leonard Horner in "Reports of Insp. of Fact. 31st Dec. 1841".)
2.Sieh "Judgment of Mr. J.H. Otway, Belfast, Hilary Sessions, County Antrim 1860".
l.Sehr charakteristisch ist es fiir das Regime Louis-Philippes, des roi bourgeois [Burgerkonigs],
daB das einzige unter ihm erlassene Fabrikgesetz vom 22.Marz 1841 niemals durchgefiihrt worden ist. Und
dies Gesetz betrifft nur Kinderarbeit. Es setzt 8 Stunden fiir Kinder zwischen 8 und 12, zwolf Stunden fiir
Kinder zwischen 12 und 16 Jahren usw. fest, mit vielen Ausnahmen, welche die Nachtarbeit selbst fiir
Achtjahrige erlauben. Uberwachung und Erzwingung des Gesetzes blieben in einem Lande, wo jede Maus
polizeilich administriert wird, dem guten Willen der "amis du commerce" iiberlassen. Erst seit 1853 gibt es
in einem einzigen Departement, dem Departement du Nord, einen bezahlten Regierungsinspektor. Nicht
minder charakteristisch fiir die Entwicklung der franzosischen Gesellschaft iiberhaupt ist es, daB Louis-
Philippes Gesetz bis zur Revolution von 1848 einzig dastand in der alles umspinnenden franzosischen
Gesetzfabrik!
l."Rep. of Insp. of Fact. 30th April 1860", P.50.
1. "Factories inquiry commission. First report of the central board of His Maiesty,s commissioners.
Ordered, by the House of Commons, to be printed, 28 June 1833", S.53.
l.Arzte und Wundarzte
2."Periculum in mora" ("Gefahr im Verzug") - aus dem Werk des romischen Geschichtsschreibers
Titus Livius "Ab urbe condita", Buch 38, Kap. 25, Vers 13
l.»Legislation is equally necessary for the prevention of death, in any form in which it can be
prematurely inflicted, and certainly this must be viewed as a most cruel mode of inflicting it. ["Report from
the committee on the 'Bill to regulate the labour of children in the mills and factories of the United
Kingdom': with the minutes of evidence. Ordered, by the House of Commons, to be printed, 8 August
Zwolf Arbeitsstunden taglich im "Ideal- Workhouse", im Hause des
Schreckens von 1770! Dreiundsechzig Jahre spater, 1833, als das englische
Parlament in vier Fabrikzweigen den Arbeitstag fiir Kinder von 13 bis 18
Jahren auf 12 voile Arbeitsstunden herabsetzte, schien der jungste Tag der
englischen Industrie angebrochen! 1852, als L.Bonaparte burgerlich FuB zu
fassen suchte durch Rutteln am gesetzlichen Arbeitstag, schrie das
franzosische Arbeitervolk 414 aus einem Munde: »Das Gesetz, das den
Arbeitstag auf 12 Stunden verkiirzt, ist das einzige Gut, das uns von der
Gesetzgebung der Republik blieb!« 415 In Zurich ist die Arbeit von Kindern
iiber 10 Jahren auf 12 Stunden beschrankt; im Aargau wurde 1862 die
Arbeit von Kindern zwischen 13 und 16 Jahren von 12V2, auf 12 Stunden
reduziert, in Ostreich 1860 fur Kinder zwischen 14 und 16 Jahren ditto auf
12 Stunden. 416 Welch ein "Fortschritt seit 1770", wiirde Macaulay "mit
Exultation" auflauchzen!
Das "Haus des Schreckens" fiir Paupers, wovon die Kapitalseele 1770
noch traumte, erhob sich wenige Jahre spater als riesiges "Arbeitshaus" fiir
die Manufakturarbeiter selbst. Es hieB Fabrik. Und diesmal erblaBte das
Ideal vor der Wirklichkeit.
6. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Zwangsgesetzliche Beschrankung
der Arbeitszeit. Die enghsche Fabrikgesetzgebung von 1833-1864
Nachdem das Kapital Jahrhunderte gebraucht, um den Arbeitstag bis zu
seinen normalen Maximalgrenzen und dann iiber diese hinaus, bis zu den
Grenzen des naturlichen Tags von 12 Stunden zu verlangern 4 ' 7 , erfolgte
nun, seit der Geburt der groBen Industrie im letzten Drittel des 18.
Jahrhunderts, eine lawinenartig gewaltsame und maBlose Ubersturzung.
Jede Schranke von Sitte und Natur, Alter und Geschlecht, Tag und Nacht,
wurde zertrummert. Selbst die Begriffe von Tag und Nacht, bauerlich
einfach in den alten Statuten, verschwammen so sehr, daB ein englischer
Richter noch 1860 wahrhaft talmudistischen Scharfsinn aufbieten muBte,
um "urteilskraftig" zu erklaren, was Tag und Nacht sei. 418 Das Kapital
feierte seine Orgien.
Sobald die vom Produktionslarm ubertolpelte Arbeiterklasse wieder
einigermaBen zur Besinnung kam, begann ihr Widerstand, zunachst im
Geburtsland der groBen Industrie, in England. Wahrend drei Dezennien
jedoch blieben die von ihr ertrotzten Konzessionen rein nominell. Das
Parlament erlieB 5 Arbeite-Akte von 1802 bis 1833, war aber so schlau,
keinen Pfennig fiir ihre zwangsmaBige Ausfiihrung, das notige
Beamtenpersonal usw. zu votieren. 419 Sie blieben ein toter Buchstabe.
»Die Tatsache ist, dafi vor demAkt von 1833 Kinder undjunge Personen
abgearbeitet wurden (were worked) die game Nacht, den ganzen Tag,
oder beide ad libitum.« 420
Erst seit dem Fabrikakt von 1833 - umfassend Baumwoll-, Wolle-, Flachs-
und Seidenfabriken - datiert fur die moderne Industrie ein
Normalarbeitstag. Nichts charakterisiert den Geist des Kapitals besser als
die Geschichte der englischen Fabrikgesetzgebung von 1833 bis 1864!
Das Gesetz von 1833 erklart, der gewohnliche Fabrikarbeitstag solle
beginnen um halb 6 Uhr morgens und enden halb 9 Uhr abends, und
innererhalb dieser Schranken, einer Periode von 15 Stunden, solle es
gesetzlich sein, junge Personen (d.h. Personen zwischen 13 und 18 Jahren)
zu irgendeiner Zeit des Tags anzuwenden, immer vorausgesetzt, daB ein
und dieselbe junge Person nicht mehr als 12 Stunden innerhalb eines Tags
arbeite, mit Ausnahme gewisser speziell vorgeschner Falle. Die 6. Sektion
des Akts bestimmt, »dafi im Laufe jedes Tags jeder solchen Person von
beschrankter Arbeitszeit mindestens IV2 Stunden fiir Mahlzeiten
eingeraumt werden sollen«. Die Anwendung von Kindern unter 9 Jahren,
mit spater zu erwahnender Ausnahme, ward verboten, die Arbeit der
Kinder von 9 bis 13 Jahren auf 8 Stunden taglich beschrankt. Nachtarbeit,
d.h. nach diesem Gesetz, Arbeit zwischen halb 9 Uhr abends und halb 6
Uhr morgens, ward verboten fiir alle Personen zwischen 9 und 18 Jahren.
Die Gesetzgeber waren so weit entfernt, die Freiheit des Kapitals in
Aussaugung der erwachsnen Arbeitskraft oder, wie sie es nannten, "die
Freiheit der Arbeit" antasten zu wollen, daB sie ein eignes Sytem
ausheckten, um solcher haarstraubenden Konsequenz des Fabrikakts
vorzubeugen.
»Das grofie Ubel des Fabriksy stems, wie es gegenwartig eingerichtet
ist«, heiBt es im ersten Bericht des Zentralrats der Kommission vom 25.
Juni 1833, »besteht darin, dafi es die Notwendigkeit schafft, die
Kinderarbeit zur aufiersten Ldnge des Arbeitstags der Erwachsnen
auszudehnen. Das einzige Heilmittel fur dies Ubel, ohne Beschrankung
der Arbeit der Erwachsnen, woraus ein Ubel entspringen wiirde,
grofier als das, dem vorgebeugt werden soil, scheint der Plan, doppelte
Reihen von Kindern zu verwenden« 421
Unter dem Namen Relaissystem ("System of Relays"; Relay heiBt im
Englischen wie im Franzosischen: das Wechseln der Postpferde auf
verschiednen Stationen) wurde daher dieser "Plan" ausgefiihrt, so daB z.B.
von halb 6 Uhr morgens bis halb 2 Uhr nachmittags eine Reihe von
Kindern zwischen 9 und 13 Jahren, von halb 2 Uhr nachmittags bis halb 9
Uhr abends eine andre Reihe vorgespannt wird usw.
Zur Belohnung dafiir, daB die Herren Fabrikanten alle wahrend der letzten
22 Jahre erlaBnen Gesetze iiber Kinderarbeit aufs frechste ignoriert hatten,
ward ihnen jetzt aber auch die Pille vergoldet. Das Parlament bestimmte,
daB nach dem 1. Marz 1834 kein Kind unter 11 Jahren, nach dem 1. Marz
1835 kein Kind unter 12 Jahren und nach dem 1. Marz 1836 kein Kind
unter 13 Jahren iiber 8 Stunden in einer Fabrik arbeiten solle! Dieser fur
das "Kapital" so schonungsvolle Liberalismus war um so
anerkennenswerter, als Dr. Farre, Sir A. Carlisle, Sir B. Brodie, Sir C. Bell,
Mr. Guthrie usw., kurz die bedeutendsten physicians und surgeons 422
Londons in ihren Zeugenaussagen vor dem Unterhaus erklart hatten, daB
periculum in mora! 423 Dr. Farre driickte sich noch etwas grober dahin aus:
»Gesetzgebung ist gleich notwendig filr die Vorbeugung des Tods in
alien Formen, worin er vorzeitig angetan werden kann, und sicker
dieser [der Fabrikmodus] mufi als eine der grausamsten Methoden, ihn
anzutun, betrachtet werden.^ 24
Dasselbe "reformierte" Parlament, das aus Zartsinn fur die Herrn
Fabrikanten Kinder unter 13 Jahren noch jahrelang in die Ho lie
72stiindiger Fabrikarbeit per Woche festbannte, verbot dagegen in dem
Emanzipationsakt, der auch die Freiheit tropfenweise eingab, von
vornherein den Pflanzern, irgendeinen Negersklaven langer als 45 Stunden
per Woche abzuarbeiten!
Aber keineswegs gesiihnt, eroffnete das Kapital jetzt eine mehrjahrige und
gerauschvolle Agitation. Sie drehte sich hauptsachlich um das Alter der
Kategorien, die unter dem Namen Kinder auf 8stiindige Arbeit beschrankt
und einem gewissen Schulzwang unterworfen worden waren. Nach der
kapitalistischen Anthropologie horte das Kindesalter im 10. oder, wenn es
hoch ging, im 11. Jahre auf. Je naher der Teraiin der vollen Ausfiihrung
des Fabrikakts, das verhangnisvolle Jahr 1836 riickte, um so wilder raste
der Fabrikantenmob. Es gelang ihm in der Tat, die Regierung so weit
einzuschuchtern, daB sie 1835 den Termin des Kindesalters von 13 auf 12
Jahre herabzusetzen vorschlug. Indes wuchs die pressure from without 425
l.der Druck von auBen
2. Juggernaut (Dschagannat) - eine der Gestalten des Gottes Wischnu, eines der hochsten
hinduistischen Gotter. Der Juggernaut-Kult zeichnete sich durch ein besonders prunkvolles Ritual und
durch auBersten religiosen Fanatismus aus, der in Selbstkasteiungen und Selbstopferungen der Glaubigen
seinen Ausdruck fand. An groBen Feiertagen warfen sich Glaubige unter den Wagen, auf dem sich ein
Bildnis des Wischnu-Juggernaut befand.
l."Rep. of Insp. of Fact, 31st October 1849", p.6.
2.Volks-Charte (people's charter) - ein Dokument, das die Forderungen der Chartisten enthielt; es
wurde am 8. Mai 1838 als Gesetzentwurf, der im Parlament eingebracht werden sollte, veroffentlicht. Die
Forderungen waren: 1. allgemeines Wahlrecht (fur Manner iiber 21 Jahre), 2. jahrliche Parlamentswahlen,
3. geheime Abstimmung, 4. Ausgleichung der Wahlkreise, 5. Abschaffung des Vermogenszensus fur die
Kandidaten zu den Parlamentswahlen, 6. Diaten fur die Parlamentsmitglieder.
3.Verdopplung des Laibes Brot - Die Anhanger der Anti-Corn-Law League versuchten in
demagogischer Weise den Arbeitern einzureden, mit der Einfuhrung des Freihandels steige ihr Reallohn
und verdopple sich der Laib Brot ("big loaf"). Dabei trugen sie als Anschauungsmittel zwei Brotlaibe - einen
groBen und einen kleinen - mit entsprechenden Aufschruften durch die StraBen. Die Wirklichkeit bewies
die Verlogenheit dieser Versprechungen. Das Industriekapital Englands, das sich durch die Aufhebung der
Korngesetze festigte, verstarkte seine Angriffe auf die Lebensinteressen der Arbeiterklasse.
4."Rep. of Insp. of Fact. 31st October 1848", p.98.
5.Ubrigens braucht Leonard Horner den Ausdruck "nefarious practices" offiziell. ("Reports of Insp.
of Fact. 31st October 1859", p.7.)
1. "Rep. etc. for 30th Sept. 1844", p. 15.
l.Der Akt erlaubt, Kinder 10 Stunden anzuwenden, wenn sie nicht Tag nach Tag, sondern nur einen
Tag uber den andren arbeiten. Im ganzen blieb diese Klausel wirkungslos.
l.»Da eine Herabsetzung ihrer Arbeitszeit zur Einstellung einer grofien Anzahl [von Kindern]
ftihren wiirde, dachte man, dafi die zusatzliche Zufuhr von Kindern im Alter von 8 und 9 Jahren die
vermehrte Nachfrage decken wiirde. « (I.e. p. 13.)
l."Rep. of Insp. of Fact. 31st Oct. 1848", p.16.
l.»Ichfand, dafi man Leuten, die 10 sh. wochentlich erhalten hatten, 1 sh. abzog auf Rechnung
der allgemeinen Lohnherabsetzung von 10% und weitre 1 sh. 6 d.fiir die Zeitverkiirzung, zusammen 2
sh. 6 d., und trotz alledem hielt die Mehrzahl fest an der Zehnstundenbill.« (I.e.)
2.»Als ich die Petition unterzeichnete, erkldrte ich zugleich, ich tue damit etwas Schlechtes. -
Warum habt ihrsie denn unterzeichnet? - Weil man mich im Weigerungsfalle auf das Pflaster geworfen
hatte. - Der Bittsteller fiihlte sich in der Tat "unterdrtickt", aber nicht grade durch den Fabrikakt.« (I.e.
p.102.)
3.Konventskommissare nannte man wahrend der Franzosischen Revolution die mit
Sondervollmachten ausgestatteten Vertreter des Nationalkonvents in den Departements und in den
Truppenteilen.
4. I.e. p. 17. In Herrn Homers Distrikt wurden so 10.270 erwachsne mannliche Arbeiter in 181
Fabriken verhort. Man findet ihre Aussagen im Appendix des Fabrikreports fiir das Halbjahr endend
drohend an. Der Mut versagte dem Unterhause. Es verweigerte,
Dreizehnjahrige langer als 8 Stunden taglich unter das Juggernaut-Rad 426
des Kapitals zu werfen, und der Akt von 1833 trat in voile Wirkung. Er
blieb unverandert bis Juni 1844.
Wahrend des Dezenniums, worin er erst teilweise, dann ganz die
Fabrikarbeit regulierte, strotzen die offiziellen Berichte der
Fabrikinspektoren von Klagen iiber die Unmoglichkeit seiner Ausfiihrung.
Da das Gesetz von 1833 es namlich den Herrn vom Kapital freistellte, in
der fiinfzehnstiindigen Periode von halb 6 Uhr morgens bis halb 9 Uhr
abends jede "junge Person" und jedes "Kind" zu irgend beliebiger Zeit die
zwolf-, respektive die achtstundige Arbeit beginnen, unterbrechen, enden
zu lassen, und ebenso den verschiednen Personen verschiedne Stunden
der Mahlzeiten anzuweisen, fanden die Herrn bald ein neues
"Relaissystem" aus, wonach die Arbeitspferde nicht an bestimmten
Stationen gewechselt, sondern an wechselnden Stationen stets wieder von
neuem vorgespannt werden. Wir verweilen nicht weiter bei der Schonheit
dieses Systems, da wir spater darauf zuruckkommen miissen. So viel ist
aber auf den ersten Blick klar, daB es den ganzen Fabrikakt nicht nur
seinem Geist, sondern auch seinem Buchstaben nach aufhob. Wie sollten
die Fabrikinspektoren bei dieser komplizierten Buchfuhrung iiber jedes
einzelne Kind und jede junge Person die gesetzlich bestimmte Arbeitszeit
und die Gewahrung der gesetzhchen Mahlzeiten erzwingen? In einem
groBen Teil der Fabriken bliihte der alte brutale Unfug bald wieder
ungestraft auf. In einer Zusammenkunft mit dem Minister des Innern
(1844) bewiesen die Fabrikinspektoren die Unmoglichkeit jeder Kontrolle
unter dem neuausgeheckten Relaissystem. 427 Unterdes hatten sich aber die
Umstande sehr geandert. Die Fabrikarbeiter, namentlich seit 1838, hatten
die Zehnstundenbill zu ihrem okonomischen, wie die Charter 428 , zu ihrem
politischen Wahlaufruf gemacht. Ein Teiil der Fabrikanten selbst, der den
Fabrikbetrieb dem Akt von 1833 gemaB geregelt hatte, iiberwarf das
Parlament mit Denkschriften iiber die unsittliche "Konkurrenz" der
"falschen Briider", denen groBere Frechheit oder gliicldichere
Lokalumstande den Gesetzesbruch erlaubten. Zudem, wie sehr immerhin
der einzelne Fabrikant der alten Raubgier den Ziigel frei schieBen lassen
mochte, die Wortfiihrer und politischen Leiter der Fabrikantenklasse
geboten eine veranderte Haltung und veranderte Sprache gegeniiber den
Arbeitern. Sie hatten den Feldzug zur Abschaffung der Korngesetze
eroffnet und bedurften der Hilfe der Arbeiter zum Siegel Sie versprachen
daher nicht nur Verdopplung des Laibes Brot 429 , sondern Annahme der
Zehnstundenbill unter dem tausendjahrigen Reich des Free Trade. 430 Sie
durften also urn so weniger eine MaBregel bekampfen, die nur den Akt von
1833 zur Wahrheit machen sollte. In ihrem heiligsten Interesse, der
Grundrente, bedroht, donnerten endlich die Tories entriistet
philanthropisch iiber die "infamen Praktiken" 431 ihrer Feinde.
So kam der zusatzliche Fabrikakt vom 7. Juni 1844 zustande. Er trat am 10.
September 1844 in Wirkung. Er gruppiert eine neue Kategorie von
Arbeitern unter die Beschutzten, namlich die Frauenzimmer iiber 18 Jahre.
Sie wurden in jeder Rucksicht den jungen Personen gleichgesetzt, ihre
Arbeitszeit auf 12 Stunden beschrankt, Nachtarbeit ihnen untersagt usw.
Zum erstenmal sah sich die Gesetzgebung also gezwungen, auch die
Arbeit Volljahriger direkt und offiziell zu kontrollieren. In dem
Fabrikbericht von 1844/1845 heiBt es ironisch:
»Es ist kein einziger Fall zu unsrer Kenntnis gekommen, wo erwachsne
Weiber sich iiber diesen Eingriffin ihre Rechte beschwert hatten.«" 2
Die Arbeit von Kindern unter 13 Jahren wurde auf 6V2 und, unter gewissen
Bedingungen, 7 Stunden taglich reduziert. 433
Um die MiBbrauche des falschen "Relaissystems" zu beseitigen, traf das
Gesetz u.a. folgende wichtige Detailbestimmungen:
»Der Arbeitstag fur Kinder undjunge Personen ist von der Zeit an zu
zahlen, wo irgendein Kind oder eine junge Person des Morgens in der
Fabrik zu arbeiten anfangt.«
So daB, wenn A z.B. um 8 Uhr morgens die Arbeit beginnt und B um 10
Uhr, der Arbeitstag dennoch fur B zur selben Stunde enden muB wie fur
A. Der Anfang des Arbeitstags soil angezeigt werden durch eine
offentliche Uhr, z.B. die nachste Eisenbahnuhr, wonach die Fabrikglocke
zu richten. Der Fabrikant hat eine groBgedruckte Notiz in der Fabrik
aufzuhangen, worin Anfang, Ende, Pausen des Arbeitstags angegeben
sind. Kinder, die ihre Arbeit des Vormittags vor 12 Uhr beginnen, durfen
nicht wieder nach 1 Uhr mittags verwandt werden. Die Nachmittagsreihe
muB also aus andren Kindern bestehn als die Vormittagsreihe. Die IV2
Stunden fiir Mahlzeit miissen alien beschiitzten Arbeitern zu denselben
Tagesperioden eingeraumt werden, eine Stunde wenigstens vor 3 Uhr
nachmittags. Kinder oder junge Personen diirfen nicht langer als 5 Stunden
vor 1 Uhr mittags verwandt werden, ohne eine mindestens halbsttindige
Pause fiir Mahlzeit. Kinder, junge Personen oder Frauenzimmer diirfen
wahrend keiner Mahlzeit in einer Fabrikstube bleiben, worin irgendein
ArbeitsprozeB vorgeht usw.
Man hat gesehn: Diese minutiosen Bestimmungen, welche die Periode,
Grenzen, Pausen der Arbeit so militarisch uniform nach dem
Glockenschlag regeln, waren keineswegs Produkte parlamentarischer
Hirnweberei. Sie entwickelten sich allmahlich aus den Verhaltnissen
heraus, als Naturgesetze der modernen Produktionsweise. Ihre
Formulierung, offizielle Anerkennung und staatliche Proklamation waren
Ergebnis langwieriger Klassenkampfe. Eine ihrer nachsten Folgen war, daB
die Praxis auch den Arbeitstag der erwachsenen mannlichen Fabrikarbeiter
denselben Schranken unterwarf, da in den meisten Produktionsprozessen
die Kooperation der Kinder, jungen Personen und Frauenzimmer
unentbehrlich. Im groBen und ganzen gait daher wahrend der Periode von
1844-1847 der zwolfsttindige Arbeitstag allgemein und uniform in alien der
Fabrikgesetzgebung unterworfenen Industriezweigen.
Die Fabrikanten erlaubten diesen "Fortschritt" jedoch nicht ohne einen
kompensierenden "Riickschritt". Auf ihren Antrieb reduzierte das
Unterhaus das Minimalalter der zu verarbeitenden Kinder von 9 Jahren auf
8, zur Sicherung der dem Kapital von Gott und Rechts wegen
geschuldeten "additionellen Fabrikkinderzufuhr" 434 .
Die Jahre 1846/1847 machen Epoche in der okonomischen Geschichte
Englands. Widerruf der Korngesetze, die Einfuhrzolle auf Baumwolle und
andre Rohmaterialien abgeschafft, der Freihandel zum Leitstern der
Gesetzgebung erklart! Kurz, das tausendjahrige Reich brach an.
Andrerseits erreichten in denselben Jahren Chartistenbewegung und
Zehnstundenagitation ihren Hohepunkt. Sie fanden Bundesgenossen in
den racheschnaubenden Tories. Trotz des fanatischen Widerstands des
wortbriichigen Freihandelsheers mit Bright und Cobden an der Spitze ging
die so lang erstrebte Zehnstundenbill durch das Parlament
Der neue Fabrikakt vom 8. Juni 1847 setzte fest, daB am 1. Juli 1847 eine
vorlaufige Verkiirzung des Arbeitstags der "jungen Personen" (von 13 bis
18 Jahren) und aller Arbeiterinnen auf 11 Stunden, am 1. Mai 1848 aber die
definitive Beschrankung auf 10 Stunden eintreten solle. Im iibrigen war der
Akt nur ein amendierender Zusatz der Gesetze von 1833 und 1844.
Das Kapital unternahm einen vorlaufigen Feldzug, um die voile
Ausfuhrung des Akts am l.Mai 1848 zu verhindern. Und zwar sollten die
Arbeiter selbst, angeblich durch die Erfahrung gewitzigt, ihr eignes Werk
wieder zerstoren helfen. Der Augenbhck war geschickt gewahlt.
»Man mufi sich erinnern, dafi infolge derfurchtbaren Krise von
1846/1847 grofies Leid unter den Fabrikarbeitern vorherrschte, da
viele Fabriken nur fur kurze Zeit gearbeitet, andre ganz stillgestanden
hatten. Eine betrdchtliche Anzahl der Arbeiter befand sich daher in
driickendster Lage, viele in Schulden. Man konnte daher mit ziemlicher
Gewifiheit annehmen, dafi sie die langere Arbeitszeit vorziehn wiirden,
um die vergangnen Verluste gutzumachen, vielleicht Schulden
abzuzahlen oder ihre Mobel aus dem Pfandhaus zu holen oder
verkaufte Habseligkeiten zu ersetzen oder neue Kleidungsstiicke sich
selbst und ihren Familien zu verschaffen. « 435
Die Herrn Fabrikanten suchten die naturliche Wirkung dieser Umstande zu
steigern durch eine allgemeine Lohnherabsetzung von 10%. Dies geschah
sozusagen zur Einweihungsfeier der neuen Freihandelsara. Dann folgte
weitre Herabsetzung um 8^/3%, sobald der Arbeitstag auf 11, und um das
Doppelte, sobald er definitiv auf 10 Stunden verkiirzt wurde. Wo es daher
irgendwie die Verhaltnisse zulieBen, fand eine Lohnherabsetzung von
wenigstens 25% statt. 436 Unter so gunstig vorbereiteten Chancen begann
man die Agitation unter den Arbeitern fur Widerruf des Akts von 1847.
Kein Mittel des Betrugs, der Verfuhrung und der Drohung wurde dabei
verschmaht, aber alles umsonst. Mit Bezug auf das halbe Dutzend
Petitionen, worin die Arbeiter klagen muBten iiber "ihre Unterdriickung
durch den Akt", erklarten die Bittsteller selbst, bei miindlichem Verhor,
ihre Unterschriften seien abgenotigt worden. »Sie seien unterdriickt, aber
von jemand anders als dem Fabrikakt.« 431 Wenn es aber den Fabrikanten
nicht gelang, die Arbeiter in ihrein Sinn sprechen zu machen, schrien sie
selbst nur um so lauter in Presse und Parlament im Namen der Arbeiter.
Sie denunzierten die Fabrikinspektoren als eine Art
Konventskommissare 438 , die ihrer Weltverbesserungsgrille den
unglucklichen Arbeiter unbarmherzig aufopferten. Auch dies Manover
schlug fehl. Fabrikinspektor Leonard Horner stellte in eigner Person und
durch seine Unterinspektoren zahlreiche Zeugenverhore in den Fabriken
Lancashires an. Ungefahr 70% der verhorten Arbeiter erklarten sich fiir 10
Stunden, eine viel geringere Prozentzahl fiir 1 1 und eine ganz
unbedeutende Minoritat fiir die alten 12 Stunden. 439
Ein andres "gutliches" Manover war, die erwachsnen mannlichen Arbeiter
12 bis 15 Stunden arbeiten zu lassen und dann diese Tatsache fiir den
besten Ausdruck der proletarischen Herzenswunsche zu erklaren. Aber der
"unbarmherzige" Fabrikinspektor Leonard Horner war wieder an Ort und
Stelle. Die meisten "Uberstundigen" sagten aus,
»sie wiirden es bei weitem vorziehn, 10 Stunden fur geringren
Arbeitslohn zu arbeiten, aber sie hatten keine Wahl; so viele von ihnen
seien arbeitslos, so viele Spinner gezwungen, als blofiepiecers'^ zu
2. I.e. Siehe die von Leonard Horner selbst gesammelten Aussagen Nr. 69, 70, 71, 72, 92, 93 und
die von Subinspektor A. gesammelten Nr. 51, 52, 58, 59, 62, 70 des "Appendix 1 . Ein Fabrikant schenkte
selbst klaren Wein ein. Siehe Nr. 14 nach Nr. 265 I.e.
l.loi des suspects (Gesetz iiber die Verdachtigen) - Gesetz iiber MaBnahmen zur allgemeinen
Sicherheit, das vom Corps le6gislatif am 19. Februar 1858 beschlossen wurde. Das Gesetz gab dem Kaiser
und seiner Regierung das uneingeschrankte Recht, alle Personen, die einer feindlichen Haltung zum
Zweiten Kaiserreich verdachtigt wurden, ins Gefangnis zu werfen oder nach verschiedenen Orten
Frankreichs und Algeriens zu verbannen oder vollig vom franzosischen Territorium auszuweisen.
1. "Reports etc. for 31st October 1848", p.133, 134.
1. "Reports etc. for 30th April 1848", p.47.
1. "Reports etc. for 31st Oct" p. 130.
1. "Reports etc.", I.e. p. 142.
1. Shakespeare: "Der Kaufmann von Venedig", 4.Aufzug, l.Szene.
l."Reports etc. for 31st Oct. 1850", p.5, 6.
l.Die Natur des Kapitals bleibt dieselbe, in seinen unentwickelten, wie in seinen entwickelten
Formen. In dem Gesetzbuch, das der EinfluB der Sklavenhalter kurz vor Ausbruch des Amerikanischen
arbeiten dafi, wenn sie die langre Arbeitszeit verweigerten, andre
sofort ihre Stellen einnehmen wiirden, so dafi die Frage so fur sie
stehe: entweder die langre Zeit arbeiten oder aufdem Pflaster
,-441
hegen.«
Der vorlaufige Feldzug des Kapitals war miBgluckt, und das
Zehnstundengesetz trat am 1. Mai 1848 in Kraft. Unterdes hatte jedoch das
Fiasko der Chartistenpartei, deren Fiihrer eingekerkert und deren
Organisation zersprengt, bereits das Selbstvertrauen der englischen
Arbeiterklasse erschuttert. Bald darauf vereinigte die Pariser Juni-
In sur rektion und ihre blutige Erstickung, wie im kontinentalen Europa
so in England, alle Fraktionen der herrschenden Klassen, Grundeigentiimer
und Kapitalisten, Borsenwolfe und Kramer, Protektionisten und
Freihandler, Regierung und Opposition, Pfaffen und Freigeister, junge
Huren und alte Nonnen, unter dem gemeinschaftlichen Ruf zur Rettung
des Eigen turns, der Religion, der Familie, der Gesellschaft! Die
Arbeiterklasse wurde liberal! verfemt, in den Bann getan, unter das "loi des
suspects" 442 gestellt. Die Herrn Fabrikanten brauchten sich also nicht zu
genieren. Sie brachen in offne Revolte aus nicht nur wider das
Zehnstundengesetz, sondern wider die ganze Gesetzgebung, welche seit
1833 die "freie" Aussaugung der Arbeitskraft einiger, maBen zu zugeln
suchte. Es war eine Proslavery Rebellion, in Miniatur, wahrend mehr als
zwei Jahren durchgefuhrt mit zynischer Rucksichtslosigkeit, mit
terroristischer Energie, beide um so wohlfeiler, als der rebellische Kapitalist
nichts riskierte auBer der Haut seiner Arbeiter.
Zum Verstandnis des Nachfolgenden muB man sich erinnern, daB die
Fabrikakte von 1833, 1844 und 1847 alle drei in Rechtskraft, soweit der
eine nicht den andren amendiert; daB keiner derselben den Arbeitstag des
mannlichen Arbeiters iiber 18 Jahre beschrankt und daB seit 1833 die
funfzehnstundige Periode von halb 6 Uhr morgens bis halb 9 Uhr abends
der gesetzliche "Tag" blieb, innerhalb dessen erst die zwolf-, spater die
zehnstiindige Arbeit der jungen Personen und Frauenzimmer unter den
vorgeschriebnen Bedingungen zu verrichten war.
Die Fabrikanten begannen hie und da mit Entlassung eines Teils,
manchmal der Halfte, der von ihnen beschaftigten jungen Personen und
Arbeiterinnen und stellten dagegen die fast verschollne Nachtarbeit unter
den erwachsnen mannlichen Arbeitern wieder her. Das
Zehnstundengesetz, riefen sie, lasse ihnen keine andre Alternative! 443
Der zweite Schritt bezog sich auf die gesetzlichen Pausen fiir Mahlzeiten.
Horen wir die Fabrikinspektoren.
»Seit der Beschrankung der Arbeitsstunden auf 10 behaupten die
Fabrikanten, obgleich sie praktisch ihre Ansicht noch rilcht bis zur
letzten Konsequenz durchfiihren, dafi, wenn z.B. von 9 Uhr morgens bis
7 Uhr abends gearbeitet wird, sie den gesetzlichen Vorschriften genug
tun, indent sie eine Stunde fur Mahlzeit vor 9 Uhr morgens und eine
halbe Stunde nach 7 Uhr abends, also Wi Stunden fiir Mahlzeiten
geben. In einigen Fallen erlauben siejetzt eine halbe oder ganze
Stunde fiir Mittagessen, bestehn aber zugleich darauf sie seien
durchaus nicht verpflichtet, irgendeinen Teil der Stunden im Laufdes
zehnstiindigen Arbeitstags einzurdumen.« 444
Die Herrn Fabrikanten behaupteten also, die peinlich genauen
Bestimmungen des Akts von 1844 iiber Mahlzeiten gaben den Arbeitern
nur die Erlaubnis, vor ihrem Eintritt in die Fabrik und nach ihrem Austritt
aus der Fabrik, also bei sich zu Hause, zu essen und zu trinken! Und
warum sollten die Arbeiter auch nicht vor 9 Uhr morgens ihr Mittagessen
einnehmen? Die Kronjuristen entschieden jedoch, daB die
vorgeschriebenen Mahlzeiten
»in Pausen wdhrend des wirklichen Arbeitstages gegeben werden
mtissen und dafi es ungesetzlich, 10 Stunden nacheinander von 9 Uhr
morgens bis 7 Uhr abends ohne Unterbrechung arbeiten zu lassen« Ui
Nach diesen gemutlichen Demonstrationen leitete das Kapital seine
Revolte ein durch einen Schritt, der dem Buchstaben des Gesetzes von
1844 entsprach, also legal war.
Das Gesetz von 1844 verbot allerdings, Kinder von 8 bis 13 Jahren, die vor
12 Uhr vormittags beschaftigt wiirden, wieder nach 1 Uhr mittags zu
beschaftigen. Aber es regelte in keiner Weise die 6V2Stundige Arbeit der
Kinder, deren Arbeitszeit um 12 Uhr vormittags oder spater begann!
Achtjahrige Kinder konnten daher, wenn sie die Arbeit um 12 Uhr
vormittags begannen, von 12 bis 1 Uhr verwandt werden, 1 Stunde; von 2
Uhr bis 4 Uhr nachmittags, 2 Stunden, und von 5 Uhr bis halb 9 Uhr
abends, 3Vi Stunden; alles in allem die gesetzlichen 6V2 Stunden! Oder
noch besser. Um ihre Verwendung der Arbeit erwachsner mannlicher
Arbeiter bis halb 9 Uhr abends anzupassen, brauchten ihnen die
Fabrikanten kein Werk zu geben vor 2 Uhr nachmittags und konnten sie
dann ununterbrochen in der Fabrik halten bis halb 9 Uhr abends!
»Und es wirdjetzt ausdrucklich zugestanden, dafi neuerdings infolge
der Fabrikantengier, ihre Maschinerie langer als 10 Stunden laufen zu
lassen, sich die Praxis in England eingeschlichen hat, acht- bis
dreizenjahrige Kinder beiderlei Geschlechts nach Entfernung alter
jungen Personen und Weiber aus der Fabrik allein mit den erwachsnen
Mdnnern bis halb 9 Uhr abends arbeiten zu lassen.«^ k
Arbeiter und Fabrikinspektoren protestierten aus hygienischen und
moralischen Griinden. Aber das Kapital antwortete:
»Meine Taten aufmein Haupt! Mein Recht verlang' ich!
Die Bufie und Verpfdndung meines Scheins!« 447
In der Tat waren nach statistischer Vorlage an das Unterhaus vom 26. Juli
1850, trotz aller Pro teste, am 15. Juli 1850 3742 Kinder in 257 Fabriken
dieser "Praxis" unterworfen. 448 Noch nicht genug! Das Luchsauge des
Kapitals entdeckte, daB der Akt von 1844 funfstundige Arbeit des
Vormittags nicht ohne Pause von wenigstens 30 Minuten fur Erfrischung
erlaubt, aber nichts der Art fur die Nachmittagsarbeit vorschreibt. Es
verlangte und ertrotzte daher den GenuB, achtjahrige Arbeiterkinder
unausgesetzt von 2 bis halb 9 Uhr abends nicht nur schanzen, sondern
auch hungern zu las sen!
»Ja, die Brust,
SosagtderSchein.« 449 Ml
Dies Shylocksche Festklammern am Buchstaben des Gesetzes von 1844,
soweit es die Kinderarbeit regelt, so lite jedoch nur die offne Revolte gegen
dasselbe Gesetz vermitteln, soweit es die Arbeit von »jungen Personen
und Frauenzimmern« regelt. Man erinnert sich, daB die Abschaffung des
"falschen Relaissystems" Hauptzweck und Hauptinhaltjenes Gesetzes
bildet. Die Fabrikanten eroffneten ihre Revolte mit der einfachen
Erklarung, die Sektionen des Akts von 1844, welche beliebigen NieBbrauch
der jungen Personen und Frauenzimmer in beliebigen kiirzeren
Abschnitten des funfzehnstundigen Fabriktags verbieten, seien
»vergleichungsweise harmlose (comparatively harmless) geblieben,
solange die Arbeitszeit auf 12 Stunden eingeschrankt war. Unter dem
Zehnstundengesetz seien sie eine unertrdgliche Unbill (hardship)^ 50 .
1. "Reports etc. for 31 st Oct. 1848", p. 133.
l.So unter andren Philanthrop Ashworth in einem quakerhaft widrigen Brief an Leonard Horner.
("Rep. Apr. 1849", p.4.)
l.Reports etc. for 3 1 st Oct. 1848 ", p.138.
2.1.c.p.l40.
l.Diese "county magistrates", die "great unpaid" ["groBen Unbezahlten"], wie W.Cobbett sie nennt,
sind eine Art unbezahlter Friedensrichter, aus den Honoratioren der Grafschaften gebildet. Sie bilden in der
Tat die Patrimonialgerichte der herrschenden Klassen.
Sie zeigten daher den Inspektoren in der kuhlsten Weise an, daB sie sich
iiber den Buchstaben des Gesetzes hinwegsetzen und das alte System auf
eigne Faust wieder einfuhren wiirden. 451 Es geschehe im Interesse der
ubelberatnen Arbeiter selbst,
»um ihnen hohre Lohne zahlen zu konnen«. »Es sei der einzig mogliche
Plan, um unter dem Zehnstundengesetz die industrielle Suprematie
Grofibritanniens zu erhalten.«. 452 »Es moge etwas schwer sein,
Unregelmdfiigkeiten unter dem Relaissystem zu entdecken, aber was
heifie das? (what of that?) Soil das grofie Fabrikinteresse dieses
Landes als ein sekundares Ding behandelt werden, um den
Fabrikinspektoren und Subinspektoren ein bifichen mehr Miihe (some
little trouble) zu sparen?« 453
Alle diese Flausen halfen naturlich nichts. Die Fabrikinspektoren schritten
gerichtlich ein. Bald aber uberschuttete eine solche Staubwolke von
Fabrikantenpetitionen den Minister des Innern, Sir George Grey, daB er in
einem Zirkular vom 5. August 1848 die Inspektoren anwies,
»im allgemeinen nicht einzuschreiten we gen Verletzung des
Buchstabens des Akts, sooft das Relaissystem nicht erwiesenermafien
mifibraucht werde, umjunge Personen und Frauenzimmer tiber 10
Stunden arbeiten zu lassen«.
Hierauf erlaubte Fabrikinspektor J.Stuart das sogenannte
Ablosungssystem wahrend der funfzehnstundigen Periode des Fabriktags
in ganz Schottland, wo es bald wieder in alter Weise aufbluhte. Die
englischen Fabrikinspektoren dagegen erklarten, der Minister besitze keine
diktatorische Gewalt zur Suspension der Gesetze, und fuhren mit
gerichtlicher Prozedur wider die Proslavery-Rebellen fort.
Wozu jedoch alle Ladung vors Gericht, sobald die Gerichte, die county
magistrates 454 , freisprachen? In diesen Gerichten saBen die Herrn
Fabrikanten tiber sich selbst zu Gericht. Ein Beispiel. Ein gewisser
Eskrigge, Baumwollspinner von der Firma Kershaw, Leese et Co., hatte
dem Fabrikinspektor seines Distrikts das Schema eines fur seine Fabrik
bestimmten Relaissystems vorgelegt. Abschlagig beschieden, verhielt er
sich zunachst passiv. Wenige Monate spater stand ein Individuum namens
Robinson, ebenfalls Baumwollspinner, und wenn nicht der Freitag, so
jedenfalls der Verwandte des Eskrigge, vor den Borough Justices 455 zu
2.stadtischen Friedensrichtern
3. "Reports etc. for 30th April 1849", p.21, 22. Vgl. ahnliche Beispiele, ibid., p. 4,5.
Stockport, wegen Einfuhrung des identischen, von Eskrigge ausgeheckten
Relaisplans. Es saBen 4 Richter, daranter 3 Baumwollspinner, an ihrer
Spitze derselbe unvermeidliche Eskrigge. Eskrigge sprach den Robinson
frei und erklarte nun, was dem Robinson recht, sei dem Eskrigge billig.
Auf seine eigne rechtskraftige Entscheidung gestiitzt, fiihrte er sofort das
System in seiner eignen Fabrik ein. 456 Allerdings war schon die
Zusammensetzung dieser Gerichte eine offne Verletzung des Gesetzes. 457
4.Durch 1 und 2 W[illia]m iV., c.29, s.10, bekannt als Sir John Hobhouse's Factory Act, wird
verboten, daB irgendein Besitzer einer Baumwollspinnerei oder Weberei oder Vater, Sohn und Bruder
eines solchen Besitzers in Fragen, die den Factory Act betreffen, als Friedensrichterfunktionieren.
1. "Reports etc. for 30th April 1849" [p.22],
l."Reports etc. for 30th April 1849", p.5.
l."Rep. etc. for 31st Oct. 1849", p.6.
2.Rep. etc. fo 30th April 1849", p.21.
l."Rep. etc. 31 st Oct. 1848", p.95.
1. "courtes seances" ("kurze Sitzungen") - Fourier entwarf das Bild einer zukunftigen Gesellschaft,
in der der Mensch wahrend eines Arbeitstages verschiedene Arbeiten verrichtet, da der Arbeitstag aus
einigen courtes seances besteht, von der keine langer als eineinhalb bis zwei Stunden dauert. Dadurch
wiirde nach Fouriers Meinung die Produktivitat der Arbeit so ansteigen, daB der armste Arbeiter imstande
ware, alle seine Bediirfnisse vollstandiger zu befriedigen als jeder beliebige Kapitalist in fruheren Zeiten.
2.Siehe "Reports etc. for 30th April 1849", p.6, und die weitlaufige Auseinandersetzung des
"shifting system" ["Schichtsystems"] durch die Fabrikinspektoren Howell und Saunders in "Reports etc. for
31st Oct. 1848". Siehe auch die Petition der Geistlichkeit von Ashton und Nachbarschaft, Fruhling 1849, an
die Konigin [Victoria], gegen das "shift system".
3.Vgl. z.B. "The Factory Question and the Ten Hours Bill", von R.H. Greg, 1837.
l.F. Engels: "Die englische Zehnstundenbill" (in der von mir herausgegebenen "Neuen Rh. Zeitung.
Politisch-okonomische Revue", Aprilheft 1850, p. 13 [siehe MEW, Band 7, S.240]). Derselbe "hohe"
Gerichtshof entdeckte ebenfalls wahrend des amerikanischen Burgerkriegs eine Wortschraube, die das
Gesetz gegen Ausriistung von Piratenschiffen ins direkte Gegentiill verkehrt.
2."Rep. etc. for 30th April 1850."
l.Im Winter kann die Periode zwischen 7 Uhr morgens und 7 Uhr abends an die Stelle treten.
2.»Das gegenwartige Gesetz« (von 1850) »war ein Kompromifi, bei dem die Arbeiter auf den
Segen des Zehnstundengesetzes fur den Vorteil eines einheitlichen Arbeitsbeginns und
Arbeitsschlusses jener verzichteten, deren Arbeitszeit der Begrenzung unterliegt.« ("Reports etc. for
30th April 1852", p. 14.)
1. "Reports etc. for 30th Sept. 1844", p.13.
2.1.C
l.»The delicate texture of the fabric in which they were employed requiring a lightness of touch,
only to be acquired by their early introduction to these factories." ("Rep. etc. for 31st Oct. 1846", p. 20.)
l."Reports etc. for 31 st Oct. 1861", p.26.
l.l.c. p. 27. Im allgemeinen hat sich die dem Fabrikgesetz unterworfene Arbeiterbevolkerung
physisch sehr verbessert. Alle arztlichen Zeugnisse stimmen darin iiberein und eigne personliche
Anschauung zu verschiednen Perioden hat mich davon uberzeugt. Dennoch, und abgesehn von der
ungeheuren Sterblichkeitsrate der Kinder in den ersten Lebensjahren, zeigen die offiziellen Berichte des
»Diese Art gerichtlicher Farcen«, raft Inspektor Howell aus, »schreien
nach einem Heilmittel ... entweder pafit das Gesetz diesen
Urteilsspriichen an, oder lafit es verwalten durch ein minder fehlbares
Tribunal, das seine Entscheidungen dem Gesetz anpafit ... in alien
solchen Fallen. Wie sehnt man sich nach einem bezahlten Richter!« 45S
Die Kronjuristen erklarten die Fab rikan ten-Interpretation des Aktes von
1848 fur abgeschmackt, aber die Gesellschaftsretter lieBen sich nicht
beirren.
»Nachdem ich«, berichtet Leonard Horner, »durch 10 Verfolgungen in
7 verschiednen Gerichtsbezirken versucht habe, das Gesetz zu
erzwingen, und nur in einem Fall von den Magistraten unterstiitzt
wurde, ... halte ich weitere Verfolgung wegen Umgehung des Gesetzes
fur nutzlos. Der Teil des Akts, der verfafit wurde, um Uniformitat in den
Arbeitsstunden zu schaffen, ... existiert nicht mehr in Lancashire. Auch
besitze ich mit meinen Unteragenten durchaus kein Mittel, uns zu
versichern, dafi Fabriken, wo das sog. Relaissy stern herrscht, junge
Personen und Frauenzimmer nicht iiber 10 Stunden beschaftigen ...
Ende April 1849 arbeiteten schon 114 Fabriken in meinem Distrikt
nach dieser Methode, und ihre Anzahl nimmt in der letzten Zeit
reifiend zu. Im allgemeinen arbeiten siejetzt ISV2 Stunden, von 6 Uhr
morgens bis halb 8 Uhr abends; in einigen Fallen 15 Stunden, von halb
6 Uhr morgens bis halb 9 Uhr abends.« 459
Schon Dezember 1848 besaB Leonard Horner eine Liste von 65
Fabrikanten und 29 Fabrikaufsehern, die einstimmig erklarten, kein System
der Oberaufsicht konne unter diesem Relaissystem die extensivste
Uberarbeit verhindern. 460 Bald wurden dieselben Kinder und jungen
Personen aus der Spinnstube in die Webestube usw., bald, wahrend 15
Stunden, aus einer Fabrik in die andre geschoben (shifted). 461 Wie ein
System kontrollieren.
»welches das Wort Ablosung mifibraucht, umdie Hande in endloser
Mannigfaltigkeit wie Karten durcheinanderzumischen und die Stunden
der Arbeit und der Rast fiir die verschiednen Individuen taglich so zu
verschieben, dafi ein und dasselbe vollstandige Assortiment von
Handen niemals an demselben Platze zur selben Zeit
zusammenwirku^ 2
Aber ganz abgesehn von wirklicher Uberarbeitung, war dies sog.
Relaissystem eine Ausgeburt der Kapitalphantasie, wie sie Fourier in
seinen humoristischen Skizzen der "courtes seances" 463 nie ubertroffen hat,
nur daB die Attraktion der Arbeit verwandelt war in die Attraktion des
Kapitals. Man sehe sich jene Fabrikantenschemas an, welche die gute
Presse pries als Muster von dem, »was ein verniinftiger Grad von Sorgfalt
und Methode ausrichten kann« ("what a reasonable degree of care and
method can accomplish"). Das Arbeiterpersonal wurde manchmal in 12 bis
15 Kategorien verteilt, die selbst wieder ihre Bestandteile bestandig
wechselten. Wahrend der funfzehnstiindigen Periode des Fabriktags zog
das Kapital den Arbeiter jetzt fur 30 Minuten, jetzt fur eine Stunde an und
stieB ihn dann wieder ab, um ihn von neuem in die Fabrik zu ziehn und
aus der Fabrik zu stoBen, ihn hin und her hetzend in zerstreuten Zeitfetzen,
ohne je den Halt auf ihn zu verlieren, bis die zehnstundige Arbeit
vollgemacht. Wie auf der Buhne hatten dieselben Personen abwechselnd
in den verschiednen Szenen der verschiednen Akte aufzutreten. Aber wie
ein Schauspieler wahrend der ganzen Dauer des Dramas der Buhne gehort,
so gehorten die Arbeiter jetzt wahrend 15 Stunden der Fabrik, nicht
eingerechnet die Zeit, um von und zu ihr zu gehn. Die Stunden der Rast
verwandelten sich so in Stunden erzwungnen MuBiggangs, welche den
jungen Arbeiter in die Kneipe und die junge Arbeiterin in das Bordell
trieben. Bei jedem neuen Einfall, den der Kapitalist taglich ausheckte, um
seine Maschinerie ohne Vermehrung des Arbeiterpersonals 12 oder 15
Stunden im Gang zu halten, hatte der Arbeiter bald in diesem Stuck
Zeitabfall, bald in jenem seine Mahlzeit einzuschlucken. Zur Zeit der
Zehnstundenagitation schrien die Fabrikanten, das Arbeiterpack
petitioniere, in der Erwartung, zwolfstandigen Arbeitslohn fiir
zehnstundige Arbeit zu erhalten. Sie hatten jetzt die Medaille umgekehrt.
Sie zahlten zehnstundigen Arbeitslohn fiir zwolf- und funfzehnstundige
Verfiigung iiber die Arbeitskrafte! 464 Dies war des Pudels Kern, dies die
Fabrikantenausgabe des Zehnstundengesetzes! Es waren dieselben
salbungsvollen, Menschenliebe triefenden Freihandler, die den Arbeitern
10 voile Jahre, wahrend der Anti-Corn-Law- Agitation, auf Heller und
Pfennig vorgerechnet, daB bei freier Korneinfuhr eine zehnstundige Arbeit,
mit den Mitteln der englischen Industrie, vollstandig geniige, um die
Kapitalisten zu bereichern. 465
Die zweijahrige Kapitalre volte wurde endlich gekront durch den
Urteilsspruch eines der vier hochsten Gerichtshofe von England, des Court
of Exchequer, der in einem vor ihn gebrachten Fall am 8.Februar 1850
entschied, daB die Fabrikanten zwar wider den Sinn des Akts von 1844
handelten, dieser Akt selbst aber gewisse Worte enthalte, die inn sinnlos
machten. »Mit dieser Entscheidung war das Zehnstundengesetz
abgeschafft.« 466 Eine Masse Fabrikanten, die bisher noch das Relaissystem
fur junge Personen und Arbeiterinnen gescheut, griff en nun mit beiden
Handen zu. 467
Mit diesem scheinbar definitiven Sieg des Kapitals trat aber sofort ein
Umschlag ein. Die Arbeiter hatten bisher passiven, obgleich unbeugsamen
und taglich erneuten Widerstand geleistet. Sie protestierten jetzt in laut
drohenden Meetings in Lancashire und Yorkshire. Das angebliche
Zehnstundengesetz sei also bloBer Humbug, parlamentarische Prellerei,
und habe nie existiert! Die Fabrikinspektoren warnten dringend die
Regierung, der Klassenantagonismus sei zu einer unglaublichen Hohe
gespannt. Ein Teil der Fabrikanten selbst murrte:
»Durch die widersprechenden Entscheidungen der Magistrate herrsche
ein ganz abnormer und anarchischer Zustand. Ein andres Gesetz gelte
Yorkshire, ein anders in Lancashire, ein andres Gesetz in einer Pfarrei
von Lancashire, ein andres in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft. Der
Fabrikant in grofien Stadten konne das Gesetz umgehn, der in
Landflecken finde nicht das notige Personal fur das Relaissystem und
noch minder zur Verschiebung der Arbeiter aus einer Fabrik in die
andre usw.«
Und gleiche Exploitation der Arbeitskraft ist das erste Menschenrecht des
Kapitals.
Unter diesen Umstanden kam es zu einem KompromiB zwischen
Fabrikanten und Arbeitern, der in dem neuen zusatzlichen Fabrikakt vom
5August 1850 parlamentarisch besiegelt ist. Fur »junge Personen und
Frauenzimmer« wurde der Arbeitstag in den ersten 5 Wochentagen von 10
auf IOV2 Stunden erhoht, fur den Samstag auf IV2 Stunden beschrankt. Die
Arbeit muB in der Periode von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends
vorgehn 468 , mit Mstundigen Pausen fur Mahlzeiten, die gleichzeitig und
gemaB den Bestimmungen von 1844 einzuraumen sind usw. Damit war
dem Relaissystem ein fur allemal ein Ende gemacht. 469 Fiir die
Kinderarbeit blieb das Gesetz von 1844 in Kraft.
Eine Fabrikantenkategorie sicherte sich diesmal, wie friiher, besondere
Seigneurialrechte aut Proletarierkinder. Es waren dies die
Seidenfabrikanten. Im Jahr 1833 hatten sie drohend geheult, »wenn man
ihnen die Freiheit raube, Kinder jedes Alters tdglich 10 Stunden
abzurackern, setze man ihre Fabriken still« ("if the liberty of working
children of any age for 10 hours a day was taken away, it would stop their
works"). Es sei ihnen unmoglich, eine hinreichende Anzahl von Kindern
iiber 13 Jahren zu kaufen. Sie erpreBten das gewunschte Privilegium. Der
Vorwand stellte sich bei spatrer Untersuchung als bare Luge heraus 470 , was
sie jedoch nicht verhinderte, wahrend eines Dezenniums aus dem Blut
kleiner Kinder, die zur Vorrichtung ihrer Arbeit auf Stuhle gestellt werden
muBten, taglich 10 Stunden Seide zu spinnen. 471 Der Akt von 1844
"beraubte" sie zwar der "Freiheit', Kinder unter 1 1 Jahren langer als 6V2
Stunden, sicherte ihnen dagegen das Privilegium, Kinder zwischen 1 1 und
13 Jahren 10 Stunden taglich zu verarbeiten, und kassierte den fiir andre
Fabrikkinder vorgeschriebenen Schulzwang. Diesmal der Vorwand:
»Die Delikatesse des Gewebes erheische eine Fingerzartheit, die nur
durch friihen Eintritt in die Fabrik zu sichern.« 412
Der delikaten Finger wegen wurden die Kinder ganz geschlachtet, wie
Hornvieh in SudruBland wegen Haut und Talg. Endlich, 1850, wurde das
1844 eingeraumte Privilegium auf die Departements der Seidenzwirnerei
und Seidenhaspelei beschrankt, hier aber, zum Schadenersatz des seiner
"Freiheit" beraubten Kapitals, die Arbeitszeit fiir Kinder von 11 bis 13
Jahren von 10 auf IOV2 Stunden erhoht. Vorwand: »Die Arbeit sei leichter
in Seidenfabriken als in den andren Fabriken und in keiner Weise so
nachteilig fiir die Gesundheit.« 4n Offizielle arztliche Untersuchung
bewies hinterher, daB umgekehrt
»die durchschnittliche Sterblichkeitsrate in den Seidendistrikten
ausnahmsweise hoch und unter dem weiblichen Teil der Bevolkerung
selbst hoher ist als in den Baumwolldistrikten von Lancashire^ u .
Trotz der halbjahrlich wiederholten Pro teste der Fabrikinspektoren dauert
der Unfug bis zur Stunde fort. 475
1.
Man weiB, wie widerstrebend die englischen "Freihandler" dem Schutzzoll fur Seidenmanufaktur entsagten.
Statt des Schutzes gegen franzosische Einfuhr dient nun die Schutzlosigkeit englischer Fabrikkinder.
1. "Reports etc. for 30th April 1853", p.30.
2.Wahrend der Zenitjahre der englischen Baumwollindustrie, 1859 und 1860, versuchten einige
Fabrikanten durch die Lock angel hoher Arbeitslohne fiir Extrazeit, die erwachsnen mannlichen Spinner
usw. zur Verlangerung des Arbeitstags zu bestimmen. Die Hand-Mule Spinners und Self-Actor Minders
machten dem Experiment ein Ende durch eine Denkschrift an ihre Anwenden worin es u.a. heiBt: »Grad
herausgesprochen, unser Leben ist uns zur Last, und solange wir fast 2 Tage die Woche [20 Stunden]
longer an die Fabrik gekettet sind als die andren Arbeiter, fiihlen wir uns gleich Heloten im Lande und
werfen uns selbst vor, ein System zu verewigen, das uns selbst und unsre Nachkommen physisch und
moralisch beschadigt ... Daher geben wir hiermit respektvolle Notiz, dafJ wir von Neujahrstag an keine
Minute mehr als 60 Stunden wochentlich, von 6 Uhr bis 6 Uhr, mit Abzug der gesetzlichen Pausen von
l'A Stunden, arbeiten werden.e ("Reports etc. for 30th April 1860", p. 30.)
3.Uber die Mittel, die die Fassung dieses Gesetzes fiir seinen Bruch gewahrt, cf. den Parliamentary
Return "Factories Regulation Acts" (9. August 1859) und darin Leonard Homers "Suggestions for
Amending the Factory Acts to enable the Inspectors to prevent illegal working, now become very
prevalent".
l.»Kinder von 8 Jahren und daruber sind in der Tat von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends
wahrend des letzten Halbjahrs [1857] in meinem Distrikt abgerackert worden.« ("Reports etc. for 31st
Oct. 1857", p.39.)
2.»Das Gesetz iiber Kattundruckereien ist zugestandenermajien ein Fehlgriff sowohl in bezug
auf seine Erziehungs- als auch seine Schutzmajiregeln.« ("Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 52.)
l.So z.B. E.Potter in Brief an 'Times' vom 24.Marz 1863. Die 'Times' erinnert ihn an die
Fabrikantenrevolte gegen das Zehnstundengesetz.
2. So u.a. Herr W.Newmarch, Mitarbeiter an und Herausgeber von Tookes 'History of Prices'. Ist es
wissenschaftlicher Fortschritt, der offentlichen Meinung feige Konzessionen zu machen?
l.Der 1860 erlaBne Akt iiber Bleichereien und Farbereien bestimmt, daB der Arbeitstag am 1.
August 1861 vorlaufig auf 12, am 1. August 1862 definitiv auf 10 Stunden, d.h. 10'/2 fiir Werkeltage und IV2
fiir Samstage herabgesetzt werde. Als nun das bose Jahr 1862 anbrach, wiederholte sich die alte Farce. Die
Herrn Fabrikanten petitionierten das Parlament, nur noch fiir ein einziges Jahr langer die zwolfstundige
Beschaftigung von jungen Personen und Frauenzimmern zu dulden... »Beim gegenwdrtigen Zustand des
Geschdfts [zur Zeit der Baumwollnot] sei es ein grofier Vorteilfiir die Arbeiter, wenn man ihnen erlaubt,
12 Stunden taglich zu arbeiten und so viel Arbeitslohn als moglich herauszuschlagen ... Es war bereits
gelungen, eine Bill in diesem Sinn ins Unterhaus zu bringen. Sie fiel vor der Agitation der Arbeiter in
den Bleichereien Schottlands.« ("Reports etc. for 31 st Oct. 1862", p. 14, 15.) So geschlagen von den
Arbeitern selbst, in deren Namen es zu sprechen vorgab, entdeckte das Kapital nun, Mit Hilfe juristischer
Brillen, daB der Akt von 1860, gleich alien Parlamentsakten "zum Schutz der Arbeit", in sinnverwirrten
Wortschraubungen abgefaBt, einen Vorwand gebe, die "calenderers" und "finishers" ["Tuchpresser" und
"Appreteure"] von seiner Wirkung auszuschlieBen. Die englische Jurisdiktion, stets getreuer Knecht des
Kapitals, sanktionierte durch den Hof der "Common Pleas" ["Zivilgerichtshof"] die Rabulisterei. »Es hat
grofie Unzufriedenheit unter den Arbeitern erregt und ist sehr bedauerlich, dafJ die klare Absicht der
Gesetzgebung aufVorwand einer mangelhaften Wortdefinition vereitelt wird.« (I.e. p. 18.)
2. Die "Bleicher in offner Luft" hatten sich dem Gesetz von 1860 iiber "Bleicherei" durch die Luge
entzogen, daB sie keine Weiber des Nachts verarbeiteten. Die Luge wurde von den Fabrikinspektoren
aufgedeckt, zugleich aber das Parlament durch Arbeiterpetitionen seiner wiesenduftigkuhlen Vorstellungen
Das Gesetz von 1850 verwandelte nur "fur junge Personen und
Frauenzimmer" die funfzehnstiindige Periode von halb 6 Uhr morgens bis
halb 9 Uhr abends in die zwolfstiindige Periode von 6 Uhr morgens bis 6
Uhr abends. Also nicht fur Kinder, die immer noch eine halbe Stunde vor
und und 2Vi Stunden nach SchluB dieser Periode verwertbar blieben, wenn
auch die Gesamtdauer ihrer Arbeit 6V2 Stunden nicht uberschreiten durfte.
Wahrend der Diskussion des Gesetzes wurde dem Parlament von den
Fabrikinspektoren eine Statistik iiber die infamen MiBbrauche ener
Anomalie unterbreitet. Jedoch umsonst. Im Hintergrund lauerte die
Absicht, den Arbeitstag der erwachsnen Arbeiter mit Beihilfe der Kinder in
Prosperitatsjahren wieder auf 15 Stunden zu schrauben. Die Erfahrung der
folgenden 3 Jahre zeigte, daB solcher Versuch am Widerstand der
erwachsnen mannlichen Arbeiter scheitern miisse. 476 Der Akt von 1850
wurde daher 1853 endlich erganzt durch das Verbot, »Kinder des
Morgens vor und Abends nach den jungen Personen und Frauenzimmern
zu verwenden« . Von nun an regelte, mit wenigen Ausnahmen, der
Fabrikakt von 1850 in den ihm unterworfenen Industriezweigen den
Arbeitstag aller Arbeiter. 477 Seit dem ErlaB des ersten Fabrikakts war jetzt
ein halbes Jahrhundert verflossen. 478
Uber ihre urspriingliche Sphare griff die Gesetzgebung zuerst hinaus durch
den "Printworks' Act" (Gesetz liber Kattundruckereien usw.) von 1845. Die
Unlust, womit das Kapital diese neue "Extravaganz" zulieB, spricht aus
jeder Zeile des Akts ! Er beschrankt den Arbeitstag fur Kinder von 8-13
Jahren und fur Frauenzimmer auf 16 Stunden zwischen 6 Uhr morgens
und 10 Uhr abends, ohne irgendeine gesetzliche Pause fur Mahlzeiten. Er
erlaubt, mannliche Arbeiter iiber 13 Jahre Tag und Nacht hindurch beliebig
abzuarbeiten. 479 Er ist ein parlamentarischer Abort. 480
Dennoch hatte das Prinzip gesiegt mit seinem Sieg in den groBen
Industriezweigen, welche das eigenste Geschopf der modernen
Produktionsweise. Ihre wundervolle Entwicklung von 1853-1860, Hand in
Hand mit der physischen und moralischen Wiedergeburt der
Fabrikarbeiter, schlug das blodeste Auge. Die Fabrikanten selbst, denen die
gesetzliche Schranke und Regel des Arbeitstags durch halbhundertjahrigen
Burgerkrieg Schritt fiir Schritt abgetrotzt, wiesen prahlend auf den
Kontrast mit den noch "freien" Exploitationsgebieten hin. 481 Die Pharisaer
der "pohtischen Okonomie" proklamierten nun die Einsicht in die
Notwendigkeit eines gesetzhch geregelten Arbeitstags als charakteristische
Neuerrungenschaft ihrer "Wissenschaft". 482 Man versteht leicht, daB,
nachdem sich die Fabrikmagnaten in das Unvermeidliche gefiigt und mit
ihm ausgesohnt, die Wider stand skraft des Kapitals graduell abschwachte,
wahrend zugleich die Angriffskraft der Arbeiterklasse wuchs mit der Zahl
ihrer Verbundeten in den nicht unmittelbar interessierten
Gesellschaftsschichten. Daher vergleichungsweis rascher Fortschritt seit
1860.
Die Farbereien und Bleichereien 483 wurden 1860, die Spitzenfabriken und
Strumpfwirkerelen 1861 dem Fabrikakt von 1850 unterworfen. Infolge des
ersten Berichts der "Kommission iiber die Beschaftigung der Kinder"
(1863) teilten dasselbe Schicksal die Manufaktur aller Erdenwaren (nicht
nur Topfereien), der Ziindholzer, Ziindhiitchen, Patronen, Tapetenfabrik,
Baumwollsamt-Schererei (fustian cutting) und zahlreiche Prozesse, die
unter dem Ausdruck "finishing" (letzte Appretur) zusammengefaBt sind.
Im Jahre 1863 wurden die "Bleicherei in offner Luft" 484 und die Backerei
unter eigne Akte gestellt, wovon der erste u.a. die Arbeit von Kindern,
Jungen Personen und Weibern zur Nachtzeit (von 8 Uhr abends bis 6 Uhr
morgens) und der zweite die Anwendung von Backergesellen unter 18
Jahren zwischen 9 Uhr abends und 5 Uhr morgens verbietet. Auf die
spatren Vorschlage der erwahnten Kommission, welche, mit Ausnahme
des Ackerbaus, der Minen und des Transportwesens, alle wichtigen
englischen Industriezweige der "Freiheit" zu berauben drohen, kommen
wir zuriick. 485
3. Note zur 2. Ausg. Seit 1866, wo ich das im Text Befindliche schrieb, ist wieder eine Reaktion
eingetreten.
l.»Das Verhalten jeder dieser Klassen [Kapitalisten und Arbeiter] war das Ergebnis der
jeweiligen Situation, in die sie versetzt worden waren.« ("Reports etc. for 31st Oct. 1848", p. 113.)
2.»Die Verrichtungen, die unter die Einschrankung fielen, waren mit der Herstellung von
Textilerzeugnissen mit Hilfe von Dampf- oder Wasserkraft verbunden. Zwei Bedingungen mufite eine
Arbeitstatigkeit erfiillen, damit sie unter den Schutz der Fabrikinspektion fiel, namlich die Anwendung
von Dampf- oder Wasserkraft und die Verarbeitung bestimmter spezifizierter Faserstojfe.« ("Reports
etc. for 31st October 1864", p. 8.)
3.Uber den Zustand dieser sogenannten hauslichen Industrie auBerst reichhaltiges Material in den
letzten Berichten der "Children's Employment Commission"'.
4."Die Gesetze der letzten Sitzungsperiode" (1864) »... umfassen Beschaftigungszweige
verschiedner Art, in denen sehr verschiedne Gewohnheiten herrschen, und die Verwendung
mechanischer Kraft zum Antrieb der Maschinerie gehort nicht mehr, wie friiher, zu den notwendigen
Bedingungen, unter denen ein Betrieb im Sinne des Gesetzes als Fabrik galt.« ("Reports etc. for 31st
Oct. 1864", p.8.)
l.Belgien, das Paradies des kontinentalen Liberalismus, zeigt auch keine Spur dieser Bewegung.
Selbst in seinen Kohlengruben und Metalfminen werden Arbeiter beider Geschlechter und von jeder
Altersstufe mit vollkommner Freiheit" fiir jede Zeitdauer und Zeitperiode konsumiert. Auf je 1000 darin
beschaftigten Personen kommen 733 Manner, 88 Weiber, 135 Jungen und 44 Madchen unter 16 Jahren; in
den Hochofen usw. kommen auf je 1000: 668 Manner, 149 Weiber, 98 Jungen und 85 Madchen unter 16
Jahren. Kommt nun noch hinzu niedriger Arbeitslohn fiir enorme Ausbeutung reifer und unreifer
Arbeitskrafte, im Tagesdurchschnitt 2 sh. 8 d. fiir Manner, 1 sh. 8 d. fiir Weiber, 1 sh. 2Vi d. fur Jungen.
Dafiir hat Belgien aber auch 1863, verglichen mit 1850, Quantum und Wert seiner Ausfuhr von Kohlen,
Eisen usw. ziemlich verdoppelt.
2. Als Robert Owen kurz nach dem ersten Dezennium dieses Jahrhunderts die Notwendigkeit einer
Beschrankung des Arbeitstags nicht nur theoretisch vertrat, sondern den Zehnstundentag wirklich in seine
Fabrik zu New-Lanark einfuhrte, ward das als kommunistische Utopie verlacht, ganz so wie seine
7. Der Kampf um den Normalarbeitstag. Riickwirkung der englischen
Fabrikgesetzgebung auf andre Lander
Der Leser erinnert sich, daB die Produktion von Mehrwert oder die
Extraktion von Mehrarbeit den spezifischen Inhalt und Zweck der
kapitalistischen Produktion bildet, abgesehn von jedweder aus der
Unterordnung der Arbeit unter das Kapital etwa entspringenden
Umgestaltung der Produktionsweise selbst. Er erinnert sich, daB auf dem
bisher entwickelten Standpunkt nur der selbstandige und daher gesetzlich
mundige Arbeiter als Warenverkaufer mit dem Kapitalisten kontrahiert.
Wenn also in unsrer historischen Skizze einerseits die moderne Industrie
eine Hauptrolle spielt, andrerseits die Arbeit physisch und rechtlich
Unmiindiger, so gait uns die eine nur als besondre Sphare, die andre nur
als besonders schlagendes Beispiel der Arbeitsaussaugung. Ohne jedoch
der spatren Entwicklung vorzugreifen, folgt aus dem bloBen
Zusammenhang der geschichtlichen Tatsachen:
Erstens: In den durch Wasser, Dampf und Maschinerie zunachst
revolutionierten Industrien, in diesen ersten Schopfungen der modernen
Produktionsweise, den Baum wolle-, Wolle-, Flachs-, Seide-Spinnereien
und Webereien wird der Trieb des Kapitals nach maB- und riicksichtsloser
Verlangerung des Arbeitstags zuerst befriedigt. Die veranderte materielle
Produktionsweise und die ihr entsprechend veranderten sozialen
Verhaltnisse der Produzenten 486 schaffen erst die maBlose Ausschreitung
und rufen dann im Gegensatz die gesellschaftliche Kontrolle hervor,
welche den Arbeitstag mit seinen Pausen gesetzlich beschrankt, reguliert
und uniformiert. Diese Kontrolle erscheint daher wahrend der ersten Halfte
des 19. Jahrhunderts bloB als Ausnahmegesetzgebung. 487 Sobald sie das
Urgebiet der neuen Produktionsweise erobert hatte, fand sich, daB unterdes
nicht nur viele andre Produktionszweige in das eigentliche Fabrikregime
eingetreten, sondern daB Manufakturen mit mehr oder minder verjahrter
Betriebsweise, wie Topfereien, Glasereien usw., daB altmodische
Handwerke, wie die Backerei, und endlich selbst die zerstreute sog.
Hausarbeit, wie Nagelmacherei usw. 488 , seit lange der kapitalistischen
Exploitation ebensosehr verfallen waren als die Fabrik. Die Gesetzgebung
ward daher gezwungen, ihren Ausnahmecharakter allmahlich abzustreifen,
oder, wo sie romisch kasuistisch verfahrt, wie in England, irgendein Haus,
worin man arbeitet, nach Belieben fiir eine Fabrik (factory) zu erklaren. 489
Zweitens: Die Geschichte der Reglung des Arbeitstags in einigen
Produktionsweisen, in andren der noch fortdauernde Kampf um diese
Reglung, beweisen handgreiflich, daB der vereinzelte Arbeiter, der Arbeiter
als "freier" Verkaufer seiner Arbeitskraft, auf gewisser Reifestufe der
kapitalistischen Produktion, widerstandslos unterliegt. Die Schopfung
eines Normalarbeitstags ist daher das Produkt eines langwierigen, mehr
oder minder versteckten Burgerkriegs zwischen der Kapitalistenklasse und
der Arbeiterklasse. Wie der Kampf eroffnet wird im Umkreis der
modernen Industrie, so spielt er zuerst in ihrem Heimatland, England. 490
Die englischen Fabrikarbeiter waren die Preisfechter nicht nur der
englischen, sondern der modernen Arbeiterklasse uberhaupt, wie auch ihre
Theoretiker der Theorie des Kapitals zuerst den Fehdehandschuh
hinwarfen. 491 Der Fab rikphilo soph Ure denunziert es daher als
unausloschliche Schmach der englischen Arbeiterklasse, daB sie "die
Sklaverei der Fabrikakte" auf ihre Fahne schrieb gegeniiber dem Kapital,
das mannlich fiir "vollkommne Freiheit der Arbeit" stritt. 492
3.Ure (franz. Ubers.): "Philosophie des Manufactures", Paris 1836, t.II, p. 39, 40, 67, 77 etc.
l.In dem Compte Rendu [Bericht] des "Internationalen Statistischen Kongresses zu Paris, 1855",
heiBt es u.a,: »Das franzosische Gesetz, das die Dauer der tdglichen Arbeit in Fabriken und
Werkstatten auf 12 Stunden beschrankt, begrenzt diese Arbeit nicht innerhalb bestimmtet fixer Stunden
Frankreich hinkt langsam hinter England her. Es bedarf der
Febraarrevolution zur Geburt des Zwolfstundengesetzes 493 , das viel
[Zeitperioden], indem nur fiir die Kinderarbeit die Periode zwischen 5 Uhr vormittags und 9 Uhr
abends vorgeschrieben ist. Daher bedient sich ein Teil der Fabrikanten des Rechts, welches ihnen dies
verhangnisvolle Schweigen gibt, um tagaus, tagein, vielleicht mit Ausnahme der Sonntage, ohne
Unterbrechung arbeiten zu lassen. Sie wenden dazu zwei verschiedne Arbeiterreihen an, von denen
keine mehr als 12 Stunden in der Werkstcitte zubringt, aber das Werk des Etablissements dauert Tag
und Nacht. Das Gesetz ist befriedigt, aber ist es die Humanitat ebenfalls?« AuBer dem »zerstorenden
Einflufi der Nachtarbeit auf den menschlichen Organismus«, wird auch »der fatale Einflufi der
ndchtlichen Assoziation beider Geschlechter in denselben triib erleuchteten Werkstatten« betont.
2.»Z.B. in meinem Distrikt, in denselben Fabrikbaulichkeiten, ist derselbe Fabrikant Bleicher
und Farber unter dem "Bleicherei- und Farberei-Akt", Drucker unter dem Printworks' Act" und finisher
unter dem "Fabrikakt" ...« (Report of Mr. Baker in "Reports etc. for 31st Oct. 1861", p. 20.) Nach
Aufzahlung der verschiednen Bestimmungen dieser Akte und der daher folgenden Komplikation, sagt Herr
Baker: »Man sieht, wie schwer es sein mufi, die Vollziehung dieser 3 Parlamentsakte zu sichern, wenn
der Fabrikeigner das Gesetz zu umgehn beliebt.« [I.e. p.21.] Was aber den Herrn Juristen dadurch
gesichert ist, sind Prozesse.
3. So getrauen sich endlich die Fabrikinspektoren zu sagen: »Diese Einwande [des Kapitals gegen
legale Beschrankung der Arbeitszeit] miissen unterliegen vor dem grofien Grundsatz der Rechte der
Arbeit ... es gibt einen Zeitpunkt, an dem des Unternehmers Recht auf die Arbeit seines Arbeiters
aufhort und dieser selbst iiber seine Zeit verfugen kann, auch wenn er noch nicht erschopft ist.«
("Reports etc. for 31st Oct. 1862", p. 54.)
l.Der allgemeine Amerikanische ArbeiterkongreB zu Baltimore tagte vom 20. bis 25 .August 1866.
An dem KongreB nahmen 60 Delegierte teil, die iiber 60.000 in Trade-Unions vereinigte Arbeiter vertraten.
Der KongreB behandelte folgende Fragen: die gesetzliche Einfiihrung des Achtstundentages, die politische
Tiitigkeit der Arbeiter, die Kooperativgesellschaften, die Vereinigung aller Arbeiter in den Trade-Unions
und andere Fragen. Ferner wurde die Griindung der National Labor Union, einer politischen Organisation
der Arbeiterklasse, beschlossen.
l.»Wir, die Arbeiter von Dunkirk, erklaren, dafi die unter dem jetzigen System erheischte
Ldnge der Arbeitszeit zu grofi ist und dem Arbeiter keine Zeit fiir Erholung und Entwicklung lafit, ihn
vielmehr auf einen Zustand der Knechtschaft herabdruckt, der wenig besser als die Sklaverei ist (a
condition of servitude but little better than slavery). Deshalb beschlossen, dafi 8 Stunden fiir einen
Arbeitstag geniigen und legal als geniigend anerkannt werden miissen; dafi wir zu unsrem Beistand
die Presse anrufen, den gewaltigen Hebel ... und alle, die diesen Beistand ver sagen, als Feinde der
Arbeitsreform und Arbeiterrechte betrachten.« (Beschliisse der Arbeiter zu Dunkirk, Staat New York,
1866.)
l.Die hier zitierte Resolution des Genfer Kongresses der Internationalen Arbeiterassoziation
wurde auf Grund der von Karl Marx verfaBten "Instruktionen fiir die Delegierten des Provisorischen
Zentralrats zu den einzelnen Fragen" angenommen (siehe Band 16 unserer Ausgabe, S. 190-199).
1. "Reports etc. for 31st Oct. 1848", p. 112.
l.»Diese Machenschaften [die Manover des Kapitals z.B. 1848-1850] haben uberdies den
unwiderlegbaren Beweis erbracht, wie falsch die so oft vorgebrachte Behauptung ist, die Arbeiter
hdtten keinen Schutz notig, sondern miifiten angesehen werden als frei verfiigende Besitzer des
einzigen Eigentums, das sie haben, der Arbeit ihrer Hdnde und des Schweifies ihrer Stirn.« ("Reports
etc. for 30th April 1850", p. 45.) »Freie Arbeit, wenn sie uberhaupt so genannt werden kann, bedarf zu
ihrem Schutze selbst in einem freien Land des starken Armes des Gesetzes.« ("Reports etc. for 31st Oct.
1864", p. 34.) »Zu erlauben, was gleichbedeutend ist mit zwingen, ... 14 Stunden taglich mit oder ohne
Mahlzeiten zu arbeiten usw.« ("Reports etc. for 30th April 1863", p. 40.)
mangelhafter ist als sein englisches Original. Trotzdem macht die
franzosische revolutionare Methode auch ihre eigentiimlichen Vorzuge
geltend. Mit einem Schlag diktiert sie alien Ateliers und Fabriken ohne
Unterschied dieselbe Schranke des Arbeitstags, wahrend die englische
Gesetzgebung bald an diesem Punkt, bald an jenem, dem Druck der
Verhaltnisse widerwillig weicht und auf dem besten Weg ist, einen neuen
juristischen Rattenkonig auszubriiten. 494 Andrerseits proklamiert das
franzosische Gesetz prinzipiell, was in England nur im Namen von
Kindern, Unmiindigen und Frauenzimmern erkampft und erst neuerdings
als allgemeines Recht beansprucht wird. 495
In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbstandige
Arbeiterbewegung gelahmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik
verunstaltete. Die Arbeit in weiBer Haut kann sich nicht dort emanzipieren,
wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der
Sklaverei entsproB sofort ein neu verjiingtes Leben. Die erste Frucht des
Biirgerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln
der Lokomotive vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean ausschreitend,
von Neulengland bis nach Kalifornien. Der allgemeine ArbeiterkongreB zu
Baltimore 496 (Aug. 1866) erklart:
»Das erste und grofie Erheischnis der Gegenwart, um die Arbeit dieses
Landes von der kapitalistischen Sklaverei zu befreien, ist der Erlafi
eines Gesetzes, wodurch 8 Stunden den Normalarbeitstag in alien
Staaten der amerikanischen Union bilden sollen. Wir sind
entschlossen, alle unsre Macht aufzubieten, bis dies glorreiche Resultat
erreicht ist.« 491
Gleichzeitig (Anfang September 1866) beschloB der "Internationale
ArbeiterkongreB" zu Genf auf Vorschlag des Londoner Generalrats: »Wir
erklaren die Beschrankung des Arbeitstags fiir eine vorlaufige
Bedingung, ohne welche alle andren Bestrebungen nach Emanzipation
scheitern miissen... Wir s Mag en 8 Arbeitsstunden als legale Schranke
des Arbeitstags vor.« 4n
So besiegelt die auf beiden Seiten des Atlantischen Meers instinktiv aus
den Produktionsverhaltnissen selbst erwachsne Arbeiterbewegung den
Ausspruch des englischen Fabrikinspektors R. J. Saunders:
»Weitere Schritte zur Reform der Gesellschaft sind niemals mit
irgendeiner Aussicht auf Erfolg durchzufuhren, wenn nicht zuv or der
Arbeitstag beschrankt und seine vorgeschriebne Schranke strikt
erzwungen wird.«"
Man muB gestehn, daB unser Arbeiter anders aus dem ProduktionsprozeB
herauskommt, als er in inn eintrat. Auf dem Markt trat er als Besitzer der
Ware "Arbeitskraft' andren Warenbesitzern gegeniiber, Warenbesitzer dem
Warenbesitzer. Der Kontrakt, wodurch er dem Kapitalisten seine
Arbeitskraft verkaufte, bewies sozusagen schwarz auf weiB, daB er frei
iiber sich selbst verfiigt. Nach geschlossenem Handel wird entdeckt, daB er
"kein freier Agent" war, daB die Zeit, wofiir es ihm freisteht, seine
Arbeitskraft zu verkaufen, die Zeit ist, wofiir er gezwungen ist, sie zu
verkaufen 500 , daB in der Tat sein Sauger nicht loslaBt, »solange noch ein
Muskel, eine Sehne, ein Tropfen Bluts auszubeuten« iai . Zum "Schutz"
gegen die Schlange ihrer Qualen 502 miissen die Arbeiter ihre Kopfe
zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein
iibermachtiges gesellschaftliches Hindernis, das sie selbst verhindert, durch
freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und
Sklaverei zu verkaufen. 503 An die Stelle des prunkvollen Katalogs der
2. Friedrich Engels: "Die englische Zehnstundenbill", I.e. p. 5 [MEW Band 7, S. 233].
3. Schlange ihrer Qualen - abgewandelte Worte aus Heinrich Heines Zeitgedicht "Heinrich".
4.Die Zehnstundenbill hat in den ihr unterworfnen Industriezweigen »die Arbeiter vor ganzlicher
Degeneration gerettet und ihren physischen Zustand beschiitzt« . ("Reports etc. for 31st Oct. 1859",
p. 47.) »Das Kapital [in den Fabrrken] kann niemals die Maschinerie in Bewegung halten iiber eine
begrenzte Zeitperiode, ohne die beschdftigten Arbeiter an ihrer Gesundheit und ihrer Moral zu
beschadigen; und sie sind nicht in einer Lage, sich selbst zu schiitzen.« (I.e. p. 8.)
5. Magna Charta Libertatum - Urkunde, die dem englischen Konig Johann 1. ("ohne Land") von
den aufstandischen groBen Feudalherren, den Baronen und Kirchenfursten, unterstiitzt von der Ritterschaft
und den Stadten, aufgezwungen wurde. Die am 15. Juni 1215 unterzeichnete Charta schrankte die Rechte
des Konigs vor allem zugunsten der groBen Feudalherren ein und enthielt gewisse Zugestandnisse an die
Ritterschaft und die Stadte; der Hauptmasse der Bevolkerung, den leibeigenen Bauern, brachte die Charta
keinerlei Rechte.
"unverauBerlichen Menschenrechte" tritt die bescheidne Magna Charta 504
eines gesetzlich beschrankten Arbeitstags, die »endlich klarmacht, wann
die Zeit, die der Arbeiter verkauft, endet und wann die ihm selbst
gehorige Zeitbeginnt«^\ Quantum mutatus ab illo! 506
7.»Einen noch grofieren Vorteil bedeutet es, dafi endlich klar unterschieden wird zwischen der
Zeit, die dem Arbeiter selbst und der, die seinem Unternehmer gehort. Der Arbeiter weifi nun, wann die
Zeit, die er verkauft, beendet ist und seine eigne beginnt, und da er dies vorher genau weifi, kann er
iiber seine eignen Minuten fiir seine eignen Zwecke im voraus verfiigen.« (I.e. p. 52.) »lndem sie [die
Fabrikgesetze] sie zu Herrn ihrer eignen Zeit gemacht haben, haben sie ihnen eine moralische Energie
gegeben, die sie dahinfiihrt, moglicherweise die politische Macht in Besitz zu nehmen.« (I.e. p. 47.) Mit
verhaltner Ironie und in sehr vorsichtigen Ausdriicken deuten die Fabrikinspektoren an, daB das jetzige
Zehnstundengesetz auch den Kapitalisten einigermaBen von seiner naturwiichsigen Brutalitat als bloBer
Verkorperung des Kapitals befreit und ihm Zeit zu einiger "Bildung" gegeben habe. Vorher »hatte der
Unternehmer fiir nichts anderes als Geld, der Arbeiter fiir nichts andres als Arbeit Zeit«. (I.e. p. 48.)
8. Quantum mutatus ab illo (Welch groBe Veranderung) - aus Vergils Epos "Aeneis", Buch 2. Vers
274.
l.In der autorisierten franzosischen Ausgabe wurde der zweite Teil dieses Satzes wie folgt
wiedergegeben: "oder aber sie ist gleich dem Wert einer Arbeitskraft multipliziert mit dem Grad ihrer
Exploitation und multipliziert mit der Anzahl der gleichzeitig exploitierten Arbeitskrafte."
l.Dies Elementargesetz scheint den Herren von der Vulgarokonomie unbekannt die, umgekehrte
Archimedes, in der Bestimmung der Marktpreise der Arbeit durch Nachfrage und Zufuhr den Punkt
gefunden zu haben glauben, nicht um die Welt aus den Angeln zu heben, sondern um sie stillzusetzen.
l.Naheres dariiber im "Vierten Buch".
2.»Sie haben nichts gelernt und nichts vergessen«, auBerte Talleyrand iiber die nach der
Restauration der Bourbonenherrschaft im Jahre 1815 nach Frankreich zuriickgekehrten aristokratischen
Emigranten, die versuchten, ihren Grundbesitz zuriickzuerhalten und die Bauern wieder zur Ubernahme
ihrer Feudalverpflichtungen zu zwingen.
3.»Unwissenheit ist ein hinreichender Grund« - Im Anhang zum ersten Teil seines Werkes
"Ethik" spricht Spinoza davon, daB die Unwissenheit kein hinreichender Grund ist, und wendet sich damit
gegen die Vertreter der pfiiffisch-teleologischen Anschauung von der Natur, die den "Willen Gottes" als
Ursache der Ursachen aller Erscheinungen hinstellten und deren einziges Argument daftir die Berufung auf
die Unkenntnis anderer Ursachen blieb.
l.»Die Arbeit einer Gesellschaft, das ist die in der Wirtschaft verwandte Zeit, stellt eine
gegebene Grofie dar, sagen wir 10 Stunden taglich von einer Million Menschen oder 10 Millionen
Stunden ... Das Kapital ist in seinem Wachstum begrenzt. In jeder gegebenen Periode besteht diese
Grenze in dem wirklichen Ausmafi der in der Wirtschaft verwandten Zeit.« ("An Essay on the Political
Economy of Nations", London 1821, p. 47, 49.)
l.»Der Pachter darf nicht auf seiner eigenen Arbeit aufbauen; und wenn er es tut, so wird er
meiner Meinung nach dadurch verlieren. Seine Tatigkeit sollte in der Beaufsichtigung des Ganzen
bestehen: er mufi auf seinen Drescher achten, denn sonst wird bald der Lohn hinausgeworfen seinfiir
Getreide, das nicht ausgedroschen ist; ebenso miissen seine Maher, Schnitter usw. iiberwacht werden;
er mufi standig seine Zaune nachsehen; er mufi aufpassen, ob nichts vernachlassigt wird; das wurde
der Fall sein, wenn er sich auf einen Punkt beschranken wurde. « ([J.Arbuthnot,] "An Enquiry into the
Connection between the Price of Provisions, and the Size of Farms etc." By a Farmer, London 1773, p. 12.)
Diese Schrift ist sehr interessant. Man kann darin die Genesis des "capitalist farmer" oder "merchant
farmer" ["kapitalistischen Pachters" oder "kaufmiinnischen Pachters"], wie er ausdriicklich genannt wird,
studieren und seiner Selbstverhertlichung gegeniiber dem "small farmer" ["kleinen Pachter"], dem es
Neuntes Kapitel
Rate und Masse des Mehrwerts
Wie bisher wird in diesem Kapitel der Wert der Arbeitskraft, also der zur
Reproduktion oder Erhaltung der Arbeitskraft notwendige Teil des
Arbeitstags, als gegebne, konstante GroBe unterstellt. Dies also
vorausgesetzt, ist mit der Rate zugleich die Masse des Mehrwerts gegeben,
die der einzelne Arbeiter dem Kapitalisten in bestimmter Zeitperlode
liefert. Betragt z.B. die notwendige Arbeit taglich 6 Stunden, ausgedriickt
in einem Goldquantum von 3 sh. = 1 Taler, so ist der Taler der Tageswert
einer Arbeitskraft oder der im Ankauf einer Arbeitskraft vorgeschoBne
Kapitalwert. Ist ferner die Rate des Mehrwerts 100%, so produziert dies
variable Kapital von 1 Taler eine Masse Mehrwert von 1 Taler, oder der
Arbeiter liefert taglich eine Masse Mehrarbeit von 6 Stunden. Das variable
Kapital ist aber der Geldausdruck fur den Gesamtwert aller Arbeitskrafte,
die der Kapitalist gleichzeitig verwendet. Sein Wert ist also gleich dem
Durchschnittswert einer Arbeitskraft, multipliziert mit der Anzahl der
verwandten Arbeitskrafte. Bei gegebnem Wert der Arbeitskraft steht also
die GroBe des variablen Kapitals in direktem Verhaltnis zur Anzahl der
gleichzeitig beschaftigten Arbeiter. Ist der Tageswert einer Arbeitskraft - 1
Taler, so ist also ein Kapital vorzuschieBen von 100 Talern, um 100, von n
Talern, um n Arbeitskrafte taglich zu exploitieren.
Ebenso: Produziert ein variables Kapital von 1 Taler, der Tageswert einer
Arbeitskraft, einen taglichen Mehrwert von 1 Taler, so ein variables Kapital
von 100 Talern einen taglichen Mehrwert von 1 00, und eins von n Talern
einen taglichen Mehrwert von 1 Taler x n. Die Masse des produzierten
Mehrwerts ist also gleich dem Mehrwert, den der Arbeitstag des einzelnen
Arbeiters liefert, multipliziert mit der Anzahl der angewandten Arbeiter. Da
aber ferner die Masse Mehrwert, die der einzelne Arbeiter produziert, bei
gegebnem Wert der Arbeitskraft, durch die Rate des Mehrwerts bestimmt
ist, so folgt dies erste Gesetz: Die Masse des produzierten Mehrwerts ist
gleich der GroBe des vorgeschoBnen variablen Kapitals multipliziert mit
der Rate des Mehrwerts oder ist bestimmt durch das zusammengesetzte
Verhaltnis zwischen der Anzahl der von demselben Kapitalisten
gleichzeitig exploitierten Arbeitskrafte und dem Exploitationsgrad der
einzelnen Arbeitskraft. 507
Nennen wir also die Masse des Mehrwerts M, den vom einzelnen Arbeiter
im Tagesdurchschnitt gelieferten Mehrwert m, das im Ankauf der
einzelnen Arbeitskraft taglich vorgeschoBne variable Kapital v, die
Gesamtsumme des variablen Kapitals V, den Wert einer Durchschnitts-
Arbeitskraft k, ihren Exploitationsgrad a / a () und die Anzahl der
angewandten Arbeiter n, so erhalten wir:
Es wird fortwahrend unterstellt, nicht nur daB der Wert einer
Durchschnitts-Arbeitskraft konstant ist, sondern daB die von einem
Kapitalisten angewandten Arbeiter auf Durchschnitts- Arbeiter reduziert
sind. Es gibt Ausnahmefalle, wo der produzierte Mehrwert nicht
verhaltnismaBig zur Anzahl der exploitierten Arbeiter wachst, aber dann
bleibt auch der Wert der Arbeitskraft nicht konstant.
In der Produktion einer bestimmten Masse Mehrwert kann daher die
Abnahme des einen Faktors durch Zunahme des andren ersetzt werden.
Wird das variable Kapital vermindert und gleichzeitig in demselben Ver
haltnis die Rate des Mehrwerts erhoht, so bleibt die Masse des
produzierten Mehrwerts unverandert. MuB unter den friihern Annahmen
der Kapitalist 100 Taler vorschieBen, um 100 Arbeiter taglich zu
exploitieren, und betragt die Rate des Mehrwerts 50%, so wirft dies
variable Kapital von 100 einen Mehrwert von 50 Talern ab oder von 1 00 x
3 Arbeitsstunden. Wird die Rate des Mehrwerts verdoppelt, oder der
Arbeitstag, statt von 6 zu 9, von 6 zu 12 Stunden verlangert, so wirft das
um die Halfte verminderte variable Kapital von 50 Talern ebenfalls einen
Mehrwert von 50 Talern ab oder von 50 x 6 Arbeitsstunden. Verminderung
des variablen Kapitals ist also ausgleichbar durch proportionelle Erhohung
im Exploitationsgrad der Arbeitskraft oder die Abnahme in der Anzahl der
beschaftigten Arbeiter durch proportionelle Verlangerung des Arbeitstags.
Innerhalb gewisser Grenzen wird die vom Kapital erpreBbare Zufuhr der
Arbeit also unabhangig von der Arbeiterzufuhr. 508 Umgekehrt laBt
Abnahme in der Rate des Mehrwerts die Masse des produzierten
Mehrwerts unverandert, wenn proportionell die GroBe des variablen
Kapitals oder die Anzahl der beschaftigten Arbeiter wachst.
Indes hat der Ersatz von Arbeiteranzahl oder GroBe des variablen Kapitals
durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder Verlangerung des Arbeitstags
unuberspringbare Schranken. Welches immer der Wert der Arbeitskraft
sel, ob daher die zur Erhaltung des Arbeiters notwendige Arbeitszeit 2 oder
10 Stunden betrage, der Gesamtwert, den ein Arbeiter tagaus, tagein
produzieren kann, ist immer kleiner als der Wert, worin sich 24
Arbeitsstunden vergegenstandlichen, kleiner als 12 sh. oder 4 Taler, wenn
dies der Geldausdruck von 24 vergegenstandlichten Arbeitsstunden. Unter
unsrer friihem Annahme, wonach taglich 6 Arbeitsstunden erheischt, um
die Arbeitskraft selbst zu reproduzieren oder den in ihrem Ankauf
vorgeschoBnen Kapitalwert zu ersetzen, produziert ein variables Kapital
von 500 Talern, das 500 Arbeiter zur Mehrwertsrate von 100 % oder mit
zwolfstundigem Arbeitstag verwendet, taglich einen Mehrwert von 500
Talern oder 6 x 500 Arbeitsstunden. Ein Kapital von 100 Talern, das 100
Arbeiter taglich verwendet zur Mehrwertsrate von 200% oder mit
18stundigem Arbeitstag, produziert nur eine Mehrwertsmasse von 200
Talern oder 12 x 100 Arbeitsstunden. Und sein gesamtes Wertprodukt,
Aquivalent des vorgeschoBnen variablen Kapitals plus Mehrwert, kann
tagaus, tagein niemals die Summe von 400 Talern oder 24 x 100
Arbeitsstunden erreichen. Die absolute Schranke des durch schnittlichen
Arbeitstags, der von Natur immer kleiner ist als 24 Stunden, bildet eine
absolute Schranke fur den Ersatz von vermindertem variablen Kapital
durch gesteigerte Rate des Mehrwerts oder von verringerter exploitierten
Arbeiteranzahl durch erhohten Exploitationsgrad der Arbeitskraft. Dies
handgreifliche zweite Gesetz ist wichtig zur Erklarung vieler
Erscheinungen, entspringend aus der spater zu entwickelnden Tendenz des
Kapitals, die von ihm beschaftigte Arbeiteranzahl oder seinen variablen in
Arbeitskraft umgesetzten Bestandteil soviel als immer moglich zu
reduzieren, im Widerspruch zu seiner andren Tendenz, die moglichst groBe
Masse von Mehrwert zu produzieren. Umgekehrt. Wachst die Masse der
verwandten Arbeitskrafte oder die GroBe des variablen Kapitals, aber nicht
verhaltnismaBig zur Abnahme in der Rate des Mehrwerts, so sinkt die
Masse des produzierten Mehrwerts.
Ein drittes Gesetz ergibt sich aus der Bestimmung der Masse des
produzierten Mehrwerts durch die zwei Faktoren, Rate des Mehrwerts und
GroBe des vorgeschoBnen variablen Kapitals. Die Rate des Mehrwerts
oder den Exploitationsgrad der Arbeitskraft, und den Wert der Arbeitskraft
oder die GroBe der notwendigen Arbeitszeit gegeben, ist es
selbstverstandlich, daB, je groBer das variable Kapital, desto groBer die
Masse des produzierten Werts und Mehrwerts. Ist die Grenze des
Arbeitstags gegeben, ebenso die Grenze seines notwendigen Bestandteils,
so hangt die Masse von Wert und Mehrwert, die ein einzelner {Capitalist
produziert, offenbar ausschlieBlich ab von der Masse Arbeit, die er in
Bewegung setzt. Diese aber hangt, unter den gegebnen Annahmen, ab von
der Masse Arbeitskraft oder der Arbeiteranzahl, die er exploitiert, und
diese Anzahl ihrerseits ist bestimmt durch die GroBe des von ihm
vorgeschoBnen variablen Kapitals. Bei gegebner Rate des Mehrwerts und
gegebnem Wert der Arbeitskraft verhalten sich also die Massen des
produzierten Mehrwerts direkt wie die GroBen der vorgeschoBnen
variablen Kapitale. Nun weiB man aber, daB der Kapitalist sein Kapital in
zwei Teile teilt. Einen Teil legt er aus in Produktionsmitteln. Dies ist der
konstante Teil seines Kapitals. Den andren Teil setzt er um in lebendige
Arbeitskraft. Dieser Teil bildet sein variables Kapital. Auf Basis derselben
Produktionsweise findet in verschiednen Produktionszweigen verschiedne
Teilung des Kapitals in konstanten und variablen Bestandteil statt.
Innerhalb desselben Produktionszweigs wechselt dies Verhaltnis mit
wechselnder technischer Grundlage und gesellschaftlicher Kombination
des Produktionsprozesses. Wie aber ein gegebnes Kapital immer zerfalle in
konstanten und variablen Bestandteil, ob der letztre sich zum erstren
verhalte wie 1 : 2, 1 : 10 oder 1 : x, das eben aufgestellte Gesetz wird nicht
davon beriihrt, da friiherer Analyse gemaB der Wert des konstanten
Kapitals im Produktenwert zwar wiedererscheint, aber nicht in das
neugebildete Wertprodukt eingeht. Um 1000 Spinner zu verwenden, sind
natiirlich mehr Rohmaterialen, Spindeln usw. erheischt, als um 100 zu
verwenden. Der Wert dieser zuzusetzenden Produktionsmittel aber mag
steigen, fallen, unverandert bleiben, groB oder klein sein, er bleibt ohne
irgendeinen EinfluB auf den VerwertungsprozeB der sie bewegenden
Arbeitskrafte, Das oben konstatierte Gesetz nimmt also die Form an: Die
von verschiednen Kapitalen produzierten Massen von Wert und Mehrwert
verhalten sich bei gegebnem Wert und gleich groBem Exploitationsgrad
der Arbeitskraft direkt wie die GroBen der variablen Bestandteile dieser
Kapitale, d.h. ihrer in lebendige Arbeitskraft umgesetzten Bestandteile.
Dies Gesetz widerspricht offenbar aller auf den Augenschein gegriindeten
Erfahrung. Jedermann weiB, daB ein Baumwollspinner, der, die
Prozentteile des angewandten Gesamtkapitals berechnet, relativ viel
konstantes und wenig variables Kapital anwendet, deswegen keinen
kleinren Gewinn oder Mehrwert erbeutet als ein Backer, der relativ viel
variables und wenig konstantes Kapital in Bewegung setzt. Zur Losung
dieses scheinbaren Widerspruchs bedarf es noch vieler Mittelglieder, wie
es vom Standpunkt der elementaren Algebra vieler Mittelglieder bedarf,
um zu verstehn, daB 0/q eine wirkliche GroBe darstellen kann. Obgleich sie
das Gesetz nie formuliert hat, hangt die klassische Okonomie instinktiv
daran fest, weil es eine notwendige Konsequenz des Wertgesetzes
uberhaupt ist. Sie sucht es durch gewaltsame Abstraktion vor den
Widerspriichen der Erscheinung zu retten. Man wird spater 509 sehn, wie
die Ricardosche Schule an diesem Stein des AnstoBes gestolpert ist. Die
Vulgarokonornie, die »wirklich audi nichts gelernt hat« iia , pocht hier,
wie uberall, auf den Schein gegen das Gesetz der Erscheinung. Sie glaubt
im Gegensatz zu Spinoza, daB »die Unwissenheit ein hinreichender
Grund ist« in .
Die Arbeit, die vom Gesamtkapital einer Gesellschaft tagaus, tagein in
Bewegung gesetzt wird, kann als ein einziger Arbeitstag betrachtet werden.
Ist z.B. die Zahl der Arbeiter eine Million und betragt der
Durchschnittsarbeitstag eines Arbeiters 10 Stunden, so besteht der
gesellschaftliche Arbeitstag aus 10 Millionen Stunden. Bei gegebner Lange
dieses Arbeitstags, seien seine Grenzen physisch oder sozial gezogen, kann
die Masse des Mehrwerts nur vermehrt werden durch Vermehrung der
Arbeiteranzahl, d.h. der Arbeiterbevolkerung. Das Wachstum der
Bevolkrung bildet hier die mathematische Grenze fur Produktion des
Mehrwerts durch das gesellschaftliche Gesamtkapital. Umgekehrt. Bei
gegebner GroBe der Bevolkrung wird diese Grenze gebildet durch die
mogliche Verlangerung des Arbeitstags. 512 Man wird im folgenden Kapitel
sehn, daB dies Gesetz nur fur die bisher behandelte Form des Mehrwerts
gilt.
Aus der bisherigen Betrachtung der Produktion des Mehrwerts ergibt sich,
daB nicht jede beliebige Geld- oder Wertsumme in Kapital verwandelbar,
zu dieser Verwandlung vielmehr ein bestimmtes Minimum von Geld oder
Tauschwert in der Hand des einzelnen Geld- oder Warenbesitzers
vorausgesetzt ist. Das Minimum von variablem Kapital ist der Kostenpreis
einer einzelnen Arbeitskraft, die das ganze Jahr durch, tagaus, tagein, zur
Gewinnung von Mehrwert vernutzt wird. Ware dieser Arbeiter im Besitz
seiner eignen Produktionsmittel und begniigte er sich, als Arbeiter zu
leben, so geniigte ihm die zur Reproduktion seiner Lebensmittel
notwendige Arbeitszeit, sage von 8 Stunden taglich. Er brauchte also auch
nur Produktionsmittel fur 8 Arbeitsstunden. Der Kapitalist dagegen, der
ihn auBer diesen 8 Stunden sage 4 Stunden Mehrarbeit verrichten laBt,
bedarf einer zusatzlichen Geldsumme zur Beschaffung der zusatzlichen
Produktionsmittel. Unter unsrer Annahme jedoch muBte er schon zwei
Arbeiter anwenden, um von dem taglich angeeigneten Mehrwert wie ein
Arbeiter leben, d.h. seine notwendigen Bedurfnisse befriedigen zu konnen.
In diesem Fall ware bloBer Lebensunterhalt der Zweck seiner Produktion,
nicht Vermehrung des Reichtums, und das letztre ist unterstellt bei der
kapitalistischen Produktion. Damit er nur doppelt so gut lebe wie ein
gewohnlicher Arbeiter und die Halfte des produzierten Mehrwerts in
Kapital zuriickverwandle, muBte er zugleich mit der Arbeiterzahl das
Minimum des vorgeschoBnen Kapitals um das Achtfache steigern.
Allerdings kann er selbst, gleich seinem Arbeiter, unmittelbar Hand im
Produktionsprozesse anlegen, aber ist dann auch nur ein Mittelding
zwischen Kapitalist und Arbeiter, ein "kleiner Meister". Ein gewisser
Hohegrad der kapitalistischen Produktion bedingt, daB der Kapitalist die
ganze Zeit, wahrend deren er als Kapitalist, d.h. als peronifiziertes Kapital
funktioniert, zur Anergnung und daher Kontrolle fremder Arbeit und zum
Verkauf der Produkte dieser Arbeit verwenden konne. 513 Die Verwandlung
des Handwerksmeisters in den Kapitalisten suchte das Zunftwesen des
Mittelalters dadurch gewaltsam zu verhindern, daB es die Arbeiteranzahl,
die ein einzelner Meister beschaftigen durfte, auf ein sehr geringes
Maximum beschrankte. Der Geld- oder Warenbesitzer verwandelt sich erst
wirklich in einen Kapitalisten, wo die fur die Produktion vorgeschoBne
Minimalsumme weit iiber dem mittelaltrigen Maximum steht. Hier, wie in
der Naturwissenschaft, bewahrt sich die Richtigkeit des von Hegel in seiner
"Logik" entdeckten Gesetzes, daB bloB quantitative Verandrungen auf
einem gewissen Punkt in qualitative Unterschiede umschlagen. 514
2.Die in der modernen Chemie angewandte, von Laurent und Gerhardt zuerst wissenschaftlich
entwickelte Molekulartheorie beruht auf keinem andren Gesetze. [Zusatz zur 3.Ausg.) - Wir bemerken zur
Erklarung dieser fiir den Nichtchemiker ziemlich dunklen Anmerkung, daB der Verfasser hier von den von
C. Gerhardt 1843 zuerst so benannten "homologen Reihen" von Kohlenwasserstoffverbindungen spricht,
von denen jede eine eigne algebraische Zusammensetzungsformel hat. So die Reihe der Paraffine:
C n H2 n+ 2^ die der normalen Alkohole: C n H2 n+ 20' die der normalen festen Sauren: C n H2 n ,02 und viele
andre. In obigen Beispielen wird durch einfachen quantitativen Zusatz von CH2 zur Molekularforrnel
jedesmal ein qualitativ verschiedner Korper gebildet. Uber die, von Marx uberschatzte, Teilnahme Laurents
und Gerhardts an der Feststellung dieser wichtigen Tatsache vgl. Kopp, "Entwicklung der Chemie",
Miinchen 1873, S.709 und 716, und Schorlemmer, "Rise and Progress of Organic Chemistry", London
1879, p.54. -F.E.
l.»Die Gesellschaft Monopolia« nennt Martin Luther derartige Institute.
1. "Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1849", p.59.
1 . I.e. P. 60. Fabrikinspektor Stuart, selbst Schotte, und im Gegensatz zu den englischen
Fabrikinspektoren ganz in kapitalistischer Denkart befangen, bemerkt ausdriicklich, dieser Brief, den er
seinem Bericht einverleibt, »sei die allernutzlichste Mitteilung, die irgendeiner der Fabrikanten,
welche das Relaissystem anwenden, gemacht, und ganz besonders darauf berechnet, die Vorurteile und
Bedenken gegen jenes System zu beseitigen« .
l.Der Wert des taglichen Durchschnittslohns ist bestimmt durch das, was der Arbeiter braucht,
»um zu leben, zu arbeiten und sich fortzupflanzen«. (William Petty, "Political Anatomy of Ireland",
1672, p. 64.) »Der Preis der Arbeit wird immer vom Preis der notwendigen Lebensmittel bestimmt. « Der
Arbeiter erhalt nicht den entsprechenden Lohn, »wann immer ... der Lohn des Arbeiters nicht hinreicht,
eine so grofie Familie, wie sie das Los vieler von ihnen ist, entsprechend seinem niedrigen Stand und
als Arbeiter zu erndhren« . (J. Vanderlint, I.e. p. 15.) »Der einfache Arbeiter, der nichts als seine Arme
und seinen Fleifi besitzt, hat nichts, aufier wenn es ihm gelingt, seine Arbeit an andre zu verkaufen...
Bei jeder Art Arbeit mufi es dahin kommen, und kommt es in der Tat dahin, dafi der Lohn des Arbeiters
auf das begrenzt ist, was er notwendig zu seinem Lebensunterhalt braucht. « (Turgot, "Reflexions etc.",
"Oeuvres", ed. Daire, t.I, p. 10.) »Der Preis der Subsistenzmittel ist in der Tat gleich den Kosten der
Das Minimum der Wertsumme, woriiber der einzelne Geld- oder
Warenbesitzer verfugen muB, um sich in einen Kapitalisten zu entpuppen,
wechselt auf verschiednen Entwicklungsstufen der kapitalistischen
Produktion und ist, bei gegebner Entwicklungsstufe, verschieden in
verschiednen Produktionsspharen, je nach ihren besondren technischen
Bedingungen. Gewisse Produktionsspharen erheischen schon in den
Anfangen der kapitalistischen Produktion ein Minimum von Kapital, das
sich noch nicht in der Hand einzelner Individuen vorfindet. Dies veranlaBt
teils Staatssubsidien an solche Private, wie in Frankreich zur Zeit Colberts
und wie in manchen deutschen Staaten bis in unsre Epoche hinein, teils die
Bildung von Gesellschaften mit gesetzlichem Monopol fur den Betrieb
gewisser Industrie- und Handelszweige 515 - die Vorlaufer der modernen
Aktien gesellschaften .
Wir halten uns nicht beim Detail der Verandrungen auf, die das Verhaltnis
von Kapitalist und Lohnarbeiter im Verlaufe des Produktionsprozesses
erfuhr, also auch nicht bei den weitren Fortbestimmungen des Kapitals
selbst. Nur wenige Hauptpunkte seien hier betont.
Innerhalb des Produktionsprozesses entwickelte sich das Kapital zum
Kommando iiber die Arbeit, d.h. iiber die sich betatigende Arbeitskraft
oder den Arbeiter selbst. Das personifizierte Kapital, der Kapitalist, paBt
auf, daB der Arbeiter sein Werk ordentlich und mit dem gehorigen Grad
von Intensitat verrichte.
Das Kapital entwickelte sich ferner zu einem Zwangsverhaltnis, welches
die Arbeiterklasse notigt, mehr Arbeit zu verrichten, als der enge Umkreis
ihrer eignen Lebensbedurfnisse vorschrieb. Und als Produzent fremder
Arbeitsamkeit, als Auspumper von Mehrarbeit und Exploiteur von
Arbeitskraft ubergipfelt es an Energie, MaBlosigkeit und Wirksamkeit alle
friihern auf direkter Zwangsarbeit beruhenden Produktionssysteme.
Das Kapital ordnet sich zunachst die Arbeit unter mit den technischen
Bedingungen, worin es sie historisch vorfindet. Es verandert daher nicht
unmittelbar die Produktionsweise. Die Produktion von Mehrwert in der
bisher betrachteten Form, durch einfache Verlangrung des Arbeitstags,
erschien daher von jedem Wechsel der Produktionsweise selbst
unabhangig. Sie war in der altmodischen Backerei nicht minder wirksam
als in der modernen Baumwollspinnerei.
Betrachten wir den ProduktionsprozeB unter dem Gesichtspunkt des
Arbeitsprozesses, so verhielt sich der Arbeiter zu den Produktionsmitteln
nicht als Kapital, sondern als bloBem Mittel und Material seiner
zweckmaBigen produktiven Tatigkeit. In einer Gerberei z.B. behandelt er
die Felle als seinen bloBen Arbeitsgegenstand. Es ist nicht der Kapitalist,
dem er das Fell gerbt. Anders, sobald wir den ProduktionsprozeB unter
dem Gesichtspunkt des Verwertungsprozesses betrachteten. Die
Produktionsmittel verwandelten sich sofort in Mittel zur Einsaugung
fremder Arbeit. Es ist nicht mehr der Arbeiter, der die Produktionsmittel
anwendet, sondern es sind die Produktionsmittel, die den Arbeiter
anwenden. Statt von ihm als stoffliche Elemente seiner produktiven
Tatigkeit verzehrt zu werden, verzehren sie ihn als Ferment ihres eignen
Lebensprozesses, und der LebensprozeB des Kapitals besteht nur in seiner
Bewegung als sich selbst verwertender Wert. Schmelzofen und
Arbeitsgebaude, die des Nachts ruhn und keine lebendige Arbeit
einsaugen, sind "reiner Verlust' ("mere loss") fur den Kapitalisten. Darum
konstituieren Schmelzofen und Arbeitsgebaude einen "Anspruch auf die
Nachtarbeit" der Arbeitskrafte. Die bloBe Verwandlung des Geldes in
gegenstandliche Faktoren des Produktionsprozesses, in Produktionsmittel,
verwandelt letztre in Rechtstitel und Zwangstitel auf fremde Arbeit und
Mehrarbeit. Wie diese der kapitalistischen Produktion eigentumliche und
sie charakterisierende Vorkehrung, ja Verriickung des Verhaltnisses von
toter und lebendiger Arbeit, von Wert und wertschopferischer Kraft, sich
im BewuBtsein der Kapitalistenkopfe abspiegelt, zeige schlieBlich noch ein
BelspieLWahrend der englischen Fab rikantenre volte von 1848-1850
schrieb
»der Chef der Leinen- und Baumwollspinnerei zu Paisley, eirer der
dltesten und respektabelsten Firmen von Westschottland, der
Kompagnie Carlile, Sohne und Co., die seit 1 752 besteht und
Generation nach Generation von derselben Familie gefuhrt wird« -
dieser auBerst intelligente Gentleman also schrieb in die 'Glasgow Daily
Mail' vom 25. April 1849 einen Brief 516 unter dem Titel: "Das
Relaissystem", worin u.a. folgende grotesk naive Stelle unterlauft:
»LaJ3t uns nun die Ubel betrachten, die aus einer Reduktion der
Arbeitszeit von 12 auf 10 Stunden flieften... Sie "belaufen" sich auf die
alter ernsthafteste Beschddigung der Aussichten und des Eigentums des
Fabrikanten. Arbeitete er [d.h. seine "Hande"] 12 Stunden und wird er
auf 10 beschrankt, dann schrumpfen je 12 Maschinen oder Spindeln
seines Etablissements auf 10 zusammen (then every 12 machines or
spindles, in his establishment, shrink to 10), und wollte er seine Fabrik
verkaufen, so wiirden sie nur als 10 gewertschatzt werden, so dafi so
ein sechster Teil vom Wert einerjeden Fabrik im ganzen Lande
abgezogen wiirde.« 517
Diesem erbangestammten Kapitalhirn von Westschottland verschwimmt
der Wert der Produktionsmittel, Spindeln usw., so sehr mit ihrer
Kapitaleigenschaft, sich selbst zu verwerten oder taglich ein bestimmtes
Quantum fremder Gratisarbeit einzuschlucken, daB der Chef des Hauses
Carlile und Co. in der Tat wahnt, beim Verkauf seiner Fabrik werde ihm
nicht nur der Wert der Spindeln gezahlt, sondern obendrein ihre
Verwertung, nicht nur die Arbeit, die in ihnen steckt und zur Produktion
von Spindeln derselben Art notig ist, sondern auch die Mehrarbeit, die sie
taglich aus den braven Westschotten von Paisley auspumpen helfen, und
ebendeshalb, meint er, schrumpfe mit der Verkurzung des Arbeitstags um
zwei Stunden der Verkaufspreis von je 12 Spinnmaschinen auf den von je
10 zusammen!
Vierter Abschnitt
Die Produktion des relativen Mehrwerts
Zehntes Kapitel
Begriff des relativen Mehrwerts
Der Teil des Arbeitstags, der bloB ein Aquivalent fur den vom Kapital
gezahlten Wert der Arbeitskraft produziert, gait uns bisher als konstante
GroBe, was er in der Tat ist unter gegebnen Produktionsbedingungen, auf
einer vorhandnen okonomischen Entwicklungsstufe der Gesellschaft. Uber
diese seine notwendige Arbeitszeit hinaus konnte der Arbeiter 2, 3, 4, 6
usw. Stunden arbeiten. Von der GroBe dieser Verlangrung hingen Rate des
Mehrwerts und GroBe des Arbeitstags ab. War die notwendige Arbeitszeit
konstant, so dagegen der Gesamtarbeitstag variabel. Unterstelle jetzt einen
Arbeitstag, dessen GroBe und dessen Teilung in notwendige Arbeit und
Mehrarbeit gegeben sind. Die Linie a c, a b c, stelle
z.B. einen zwolfsttindigen Arbeitstag vor, das Stuck a b 10 Stunden
notwendige Arbeit, das Stuck b c 2 Stunden Mehrarbeit. Wie kann nun die
Produktion von Mehrwert vergroBert, d.h. die Mehrarbeit verlangert
werden, ohne jede weitere Verlangrung oder unabhangig von jeder
weiteren Verlangrung von a c?
Trotz gegebner Grenzen des Arbeitstags a c scheint b c verlangerbar, wenn
nicht durch Ausdehnung iiber seinen Endpunkt c, der zugleich der
Endpunkt des Arbeitstags a c ist, so durch Verschiebung seines
Anfangspunkts b in entgegengesetzter Richtung nach a hin. Nimm an, b' ~
— b in a b' b c seigleich der Halfte von b c
oder gleich einer Arbeitsstunde. Wird nun in dem zwolfsttindigen
Arbeitstag a c der Punkt b nach b' verriickt, so dehnt sich b c aus zu b' c,
d'e Mehrarbeit wachst um die Halfte, von 2 auf 3 Stunden, obgleich der
Arbeitstag nach nach wie vor nur 12 Stunden zahlt. Diese Ausdehnung der
Mehrarbeit von b c auf b' c, von 2 auf 3 Stunden, ist aber offenbar
unmoglich ohne gleichzeitige Zusammenziehung der notwendigen Arbeit
von a b auf a b', von 10 auf 9 Stunden. Der Verlangrung der Mehrarbeit
entsprache die Verkurzung der notwendigen Arbeit, oder ein Teil der
Arbeitszeit, die der Arbeiter bisher in der Tat fur sich selbst verbraucht,
verwandelt sich in Arbeitszeit fur den Kapitalisten. Was verandert, ware
nicht die Lange des Arbeitstags, sondern eine Teilung in notwendige
Arbeit und Mehrarbeit.
Andrerseits ist die GroBe der Mehrarbeit offenbar selbst gegeben mit
gegebner GroBe des Arbeitstags und gegebnem Wert der Arbeitskraft. Der
Wert der Arbeitskraft, d.h. die zu ihrer Produktion erheischte Arbeitszeit,
bestimmt die zur Reproduktion ihres Werts notwendige Arbeitszeit. Stellt
sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von einem halben Shilling
oder 6 d. dar, und betragt der Tageswert der Arbeitskraft 5 sh., so muB der
Arbeiter taglich 10 Stunden arbeiten, um den ihm vom Kapital gezahlten
Tageswert seiner Arbeitskraft zu ersetzen oder ein Aquivalent fur den Wert
seiner notwendigen taglichen Lebensmittel zu produzieren. Mit dem Wert
dieser Lebensmittel ist der Wert seiner Arbeitskrafti, mit dem Wert seiner
Arbeitskraft 518 ist die GroBe seiner notwendigen Arbeitszeit gegeben. Die
GroBe der Mehrarbeit aber wird erhalten durch Subtraktion der
notwendigen Arbeitszeit vom Gesamtarbeitstag. Zehn Stunden subtrahiert
von zwolf lassen zwei, und es ist nicht abzusehn, wie die Mehrarbeit unter
den gegebnem Bedingungen iiber zwei Stunden hinaus verlangert werden
kann. Allerdings mag der Kapitalist statt 5 sh. dem Arbeiter nur 4 sh. 6 d.
oder noch weniger zahlen. Zur Reproduktion dieses Werts von 4 sh. 6d.
wiirden 9 Arbeitsstunden geniigen, von dem zwolfstiindigen Arbeitstag
daher 3 statt 2 Stunden der Mehrarbeit anheimfallen und der Mehrwert
selbst von 1 sh. auf 1 sh. 6 d. steigen. Dies Resultat ware jedoch nur erzielt
durch Herabdriickung des Lohns des Arbeiters unter den Wert seiner
Arbeitskraft. Mit den 4 sh. 6 d., die er in 9 Stunden produziert, verfugt er
iiber weniger Lebensmittel als vorher, und so findet nur eine verkummerte
Reproduktion seiner Arbeitskraft statt. Die Mehrarbeit wiirde hier nur
verlangert durch Uberschreitung ihrer normalen Grenzen, ihre Domane nur
ausgedehnt durch usurpatorischen Abbruch von der Domane der
notwendigen Arbeitszeit. Trotz der wichtigen Rolle, welche diese Methode
in der wirklichen Bewegung des Arbeitslohnes spielt, ist sie hier
ausgeschlossen durch die Voraussetzung, daB die Waren, also auch die
Arbeitskraft, zu vollen Wert gekauft und verkauft werden. Dies einmal
unterstellt, kann die zur Produktion der Arbeitskraft oder zur Reproduktion
ihres Werts notwendige Arbeitszeit nicht abnehmen, weil der Lohn des
Arbeiters unter den Wert seiner Arbeitskraft, sondern nur wenn dieser
Wert selbst sinkt. Bei gegebner Lange des Arbeitstags muB die
Verlangerung der Mehrarbeit aus der Verkurzung der notwendigen
Arbeitszeit entspringen, nicht umgekehrt die Verkurzung der notwendigen
Arbeitszeit aus der Verlangrung der Mehrarbeit. In unsrem Beispiel muB
der Wert der Arbeitskraft wirklich um Vi q sinken, damit die notwendige
Arbeitszeit um Vi q abnehme, von 10 auf 9 Stunden, und daher die
Mehrarbeit sich von 2 auf 3 Stunden verlangre.
Eine solche Senkung des Werts der Arbeitskraft um Vi q bedingt aber
ihrerseits, daB dieselbe Masse Lebensmittel, die friiher in 10, jetzt in 9
Stunden produziert wird. Dies ist jedoch unmoglich ohne eine Erhohung
der Produktivkraft der Arbeit. Mit gegebnen Mitteln kann ein Schuster z.B.
ein Paar Stiefel in einem Arbeitstag von 12 Stunden machen. Soil er in
derselben Zeit zwei Paar Stiefel machen, so muB sich die Produktivkraft
seiner Arbeit verdoppeln, und sie kann sich nicht verdoppeln ohne eine
Anderung in seinen Arbeitsmitteln oder seiner Arbeitsmethode oder
beiden zugleich. Es muB daher eine Revolution in den
Produktionsbedingungen seiner Arbeit eintreten, d.h. in seiner
Produktionsweise und daher im ArbeitsprozeB selbst. Unter Erhohung der
Produktivkraft der Arbeit verstehn wir hier iiberhaupt eine Veranderung im
ArbeitsprozeB, wodurch die zur Produktion einer Ware gesellschaftlich
erheischte Arbeitszeit verkiirzt wird, ein kleinres Quantum Arbeit also die
Kraft erwirbt, ein groBres Quantum Gebrauchswert zu produzieren. 519
l.»Wenn die Gewerbe sich vervollkommnen, so bedeutet das nicht s andres als die Entdeckung
neuer Wege, auf denen ein Produkt mit weniger Menschen oder [was dasselbe ist] in kiirzrer Zeit als
vorher verfertigt werden kann.« (Galiani, I.e. p. 158, 159.) »Die Ersparnis an den Kosten der
Produktion kann nichts anderes sein als Ersparnis an der zur Produktion angewandten
Arbeitsmenge.« (Sismondi, "Etudes etc.", t.l, p.22.)
l.»Wenn der Fabrikant durch Verbesserung der Maschinerie seine Produkte verdoppelt ...
gewinnt er [schlieBlich] blofi, sofern er dadurch befdhigt wird, den Arbeiter wohlfeiler zu kleiden ...
und so ein kleinerer Teil des Gesamtertrags auf den Arbeiter fallt.« (Ramsay, I.e. p. 168, 169.)
l.»Der Profit eines Menschen hangt nicht ab von seinem Kommando iiber das Produkt der
Arbeit andrer, sondern von seinem Kommando iiber Arbeit selbst. Wenn er seine Waren zu einem
hohern Preis verkaufen kann, wdhrend die Lohne seiner Arbeiter unverdndert bleiben, so zieht er
augenscheinlich Gewinn daraus... Ein kleinerer Teil dessen, was er produziert, reicht hin, jene Arbeit
in Bewegung zu setzen, und demzufolge verbleibt ihm ein grofierer Teil.« ([J. Cazenove,] "Outlines of
Polit. Econ.", London 1832, p.49, 50.)
2.» Wenn mein Nachbar billig verkaufen kann, indem er mit wenig Arbeit viel herstellt, mufi ich
danach trachten, ebenso billig wie er zu verkaufen. So erzeugt jede Kunst, jedes Verfahren oder jede
Maschine, die mit der Arbeit von weniger Handen und infolgedessen billiger arbeitet, bei andren eine
Art Zwang und einen Wettbewerb, entweder dieselbe Kunst, dasselbe Verfahren oder dieselbe
Maschine anzuwenden, oder etwas Ahnliches zu erfinden, damit alle auf gleichem Stand seien und
keiner seinen Nachbar unterbieten konne.« ("The Advantages of the East-India Trade to England", Lond.
1720, p.67.)
l.»In welchem Verhaltnis immer die Ausgaben eines Arbeiters verringert werden, in gleichem
Verhaltnis wird auch sein Lohn verringert, wenn die Einschrdnkungen der Industrie gleichzeitig
aufgehoben werden.« ("Considerations concerning taking off the Bounty on Corn exported etc.", Lond.
1753, p. 7.) »Das Interesse der Industrie erfordert, dafi Korn und alle Lebensmittel so billig wie
moglich sind; was immer sie verteuert, mufi auch die Arbeit verteuern ... in alien Ldndern, in denen die
Industrie keinen Einschrdnkungen unterlegt, mufi der Preis der Lebensmittel auf den Preis der Arbeit
einwirken. Dieser wird stets herabgesetzt werden, wenn die notwendigen Lebensmittel billiger
werden. « (I.e. p. 3.) Die Lohne werden im selben Verhaltnis gesenkt, in dem die Produktionskrafte
anwachsen. Die Maschine verbilligt zwar die notwendigen Lebensmittel, aber sie verbilligt aufierdem
auch den Arbeiter. « ("A Prize Essay on the comparative merits of Competition and Cooperation", London
1834, p.27.)
Wahrend also bei der Produktion des Mehrwerts in der bisher betrachteten
Form die Produktionsweise als gegeben unterstellt war, geniigt es fur die
Produktion von Mehrwert durch Verwandlung notwendiger Arbeit in
Mehrarbeit keineswegs, daB das Kapital sich des Arbeitsprozesses in seiner
historisch uberlieferten oder vorhandnen Gestalt bemachtigt und nur seine
Dauer verlangert. Es muB die technischen und gesellschaftlichen
Bedingungen des Arbeitsprozesses, also die Produktionsweise selbst
umwalzen, um die Produktivkraft der Arbeit zu erhohn, durch die
Erhohung der Produktivkraft der Arbeit den Wert der Arbeitskraft zu
senken und so den zur Reproduktion dieses Werts notwendigen Teil des
Arbeitstags zu verkiirzen.
Durch Verlangrung des Arbeitstags produzierten Mehrwert nenne ich
absoluten Mehrwert; den Mehrwert dagegen, der aus Verkurzung der
notwendigen Arbeitszeit und entsprechender Verandrung im
GroBenverhaltnis der beiden Bestandteile des Arbeitstags entspringt -
relativen Mehrwert.
Um den Wert der Arbeitskraft zu senken, muB die Steigerung der
Produktivkraft Industriezweige ergreifen, deren Produkte den Wert der
Arbeitskraft bestimmen, also entweder dem Umkreis der
gewohnheitsmaBigen Lebensmittel angehoren oder sie ersetzen konnen.
Der Wert einer Ware ist aber nicht nur bestimmt durch das Quantum der
Arbeit, welche ihr die letzte Form gibt, sondern ebensowohl durch die in
ihren Produktionsmitteln enthaltne Arbeitsmasse. Z.B. der Wert eines
Stiefels nicht nur durch die Schusterarbeit, sondern auch durch den Wert
von Leder, Pech, Draht usw. Steigerung der Produktivkraft und
entsprechende Verwohlfeilerung der Waren in den Industrien, welche die
stofflichen Elemente des konstanten Kapitals, die Arbeitsmittel und das
Arbeitsmaterial, zur Erzeugung der notwendigen Lebensmittel liefern,
senken also ebenfalls den Wert der Arbeitskraft. In Produktionszweigen
dagegen, die weder notwendige Lebensmittel liefern noch
Produktionsmittel zu ihrer Herstellung, laBt die erhohte Produktivkraft den
Wert der Arbeitskraft unberiihrt.
Die verwohlfeilerte Ware senkt naturlich den Wert der Arbeitskraft nur pro
tanto, d.h. nur im Verhaltnis, worin sie in die Reproduktion der
Arbeitskraft eingeht. Hemden z.B. sind ein notwendiges Lebensmittel, aber
nur eins von vielen. Ihre Verwohlfeilerung vermindert bloB die Ausgabe
des Arbeiters fur Hemden. Die Gesamtsumme der notwendigen
Lebensmittel besteht jedoch nur aus verschiednen Waren, lauter
Produkten besondrer Industrien, und der Wert jeder solchen Ware bildet
stets einen aliquoten Teil vom Wert der Arbeitskraft. Dieser Wert nimmt
ab mit der zu seiner Reproduktion notwendigen Arbeitszeit, deren
Gesamtverkurzung gleich der Summe ihrer Verkurzungen in alien jenen
besondren Produktionszweigen ist. Wir behandeln dies allgemeine
Resultat hier so, als ware es unmittelbares Resultat und unmittelbarer
Zweck in jedem einzelnen Fall. Wenn ein einzelner Kapitalist durch
Steigerung der Produktivkraft der Arbeit z.B. Hemden verwohlfeilert,
schwebt ihm keineswegs notwendig der Zweck vor, den Wert der
Arbeitskraft und daher die notwendige Arbeitszeit pro tanto zu senken,
aber nur soweit er schlieBlich zu diesem Resultat beitragt, tragt er bei zur
Erhohung der allgemeinen Rate des Mehrwerts. 520 Die allgemeinen und
notwendigen Tendenzen des Kapitals sind zu unterscheiden von ihren
Erscheinungsformen.
Die Art und Weise, wie die immanenten Gesetze der kapitalistischen
Produktion in der auBern Bewegung der Kapitale erscheinen, sich als
Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen und daher als treibende
Motive dem individuellen Kapitalisten zum BewuBtsein kommen, ist nicht
zu betrachten, aber soviel erhellt von vornherein: Wissenschaftliche
Analyse der Konkurrenz ist nur moglich, sobald die innere Natur des
Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der
Himmelskorper nur dem verstandlich, der ihre wirkliche, aber sinnhch
nicht wahrnehmbare Bewegung kennt. Dennoch ist zum Verstandnis der
Produktion des relativen Mehrwerts und bloB auf Grundlage der bereits
gewonnenen Resultate folgendes zu bemerken.
Stellt sich eine Arbeitsstunde in einem Goldquantum von 6 d. oder V2 sh.
dar, so wird in zwolfstundigem Arbeitstag ein Wert von 6 sh. produziert.
Gesetzt, mit der gegebnen Produktivkraft der Arbeit wiirden 12 Stuck
Waren in diesen 12 Arbeitsstunden verfertigt. Der Wert der in jedem Stuck
vernutzten Produktionsmittel, Rohmaterial usw. sei 6 d. Unter diesen
Umstanden kostet die einzelne Ware 1 sh., namlich 6 d. fur den Wert der
Produktionsmittel, 6 d. fur den in ihrer Verarbeitung neu zugesetzten Wert.
Es gelinge nun einem Kapitalisten, die Produktivkraft der Arbeit zu
verdoppeln und daher 24 statt 12 Stuck dieser Warenart in dem
zwolfsttindigen Arbeitstag zu produzieren. Bei unverandertem Wert der
Produktionsmittel sinkt der Wert der einzelnen Ware jetzt auf 9 d., namlich
6 d. fur den Wert der Produktionsmittel, 3 d. fur den durch die letzte Arbeit
neu zugesetzten Wert. Trotz der verdoppelten Produktivkraft schafft der
Arbeitstag nach wie vor nur einen Neuwert von 6 sh., welcher sich jedoch
jetzt auf doppelt soviel Produkte verteilt. Auf jedes einzelne Produkt fallt
daher nur noch V24 Statt V1 2 dieses Gesamtwerts, 3 d. statt 6 d. oder, was
dasselbe ist, den Produktionsmitteln wird bei ihrer Verwandlung in
Produkt, jedes Stuck berechnet, jetzt nur noch eine halbe statt wie friiher
eine ganze Arbeitsstunde zugesetzt. Der individuelle Wert dieser Ware
steht nun unter ihrem gesellschaftlichen Wert, d.h., sie kostet weniger
Arbeitszeit als der groBe Haufen derselben Artikel, produziert unter den
gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen. Das Stuck kostet im
Durchschnitt 1 sh. oder stellt 2 Stunden gesellschaftlicher Arbeit dar; mit
der veranderten Produktionsweise kostet es nur 9 d. oder enthalt nur IV2
Arbeitsstunden. Der wirkliche Wert einer Ware ist aber nicht ihr
individueller, sondern ihr gesellschafthcher Wert, d.h., er wird nicht durch
die Arbeitszeit gemessen, die sie im einzelnen Fall dem Produzenten
tatsachlich kostet, sondern durch die gesellschaftlich zu ihrer Produktion
erheischte Arbeitszeit. Verkauft also der Kapitalist, der die neue Methode
anwendet, seine Ware zu ihrem gesellschaftlichen Wert von 1 sh., so
verkauft er sie 3 d. iiber ihrem individuellen Wert und realisiert so einen
Extramehrwert von 3 d. Andrerseits stelltn sich aber der zwolfsttindige
Arbeitstag jetzt fur ihn in 24 Stuck Ware dar statt friiher in 12. Um also das
Produkt eines Arbeitstags zu verkaufen, bedarf er doppelten Absatzes oder
eines zweifach groBern Markts. Unter sonst gleichbleibenden Umstanden
erobern seine Waren nur groBern Marktraum durch Kontraktion ihrer
Preise. Er wird sie daher iiber ihrem individuellen, aber unter ihrem
gesellschaftlichen Wert verkaufen, sage zu 10 d. das Stuck. So schlagt er
an jedem einzelnen Stiick immer noch einen Extramehrwert von 1 d.
heraus. Diese Steigerung des Mehrwerts findet fiir ihn statt, ob oder ob
nicht seine Ware dem Umkreis der notwendigen Lebensmittel an, gehort
und daher bestimmend in den allgemeinen Wert der Arbeitskraft eingeht.
Vom letztren Umstand abgesehn, existiert also fiir jeden einzelnen
Kapitalisten das Motiv, die Ware durch erhohte Produktivkraft der Arbeit
zu verwohlfeilern.
Indes entspringt selbst In diesem Fall die gesteigerte Produktion von
Mehrwert aus der Verkiirzung der notwendigen Arbeitszeit und
entsprechender Verlangrung der Mehrarbeit. 521 Die notwendige Arbeitszeit
betrage 10 Stunden oder der Tageswert der Arbeitskraft 5 sh., die
Mehrarbeit 2 Stunden, der taglich produzierte Mehrwert daher 1 sh. Unser
Kapitalist produziert aber jetzt 24 Stiick, die er zu 10 d. per Stiick oder
zusammen zu 20 sh. verkauft. Da der Wert der Produktionsmittel gleich 12
Schilling, ersetzen 14-2/g Stiick Ware nur das vorgeschoBne konstante
Kapital. Der zwolfstiindige Arbeitstag stellt sich in den iibrigbleibenden
9^/5 Stiick dar. Da der Preis der Arbeitskraft = 5 sh., stellt sich im Produkt
von 6 Stiick die notwendige Arbeitszeit dar und in 3^/5 Stiick die
Mehrarbeit. Das Verhaltnis der notwendigen Arbeit zur Mehrarbeit,
welches unter den gesellschaftlichen Durchschnittsbedingungen 5:1
betrug, betragt ietzt nur noch 5:3. Dasselbe Resultat erhalt man so: Der
Produktenwert des zwolfstiindigen Arbeitstags ist 20 sh. Davon gehoren
12 sh. dem nur wieder erscheinenden Wert der Produktionsmittel. Bleiben
also 8 sh. als Geldausdruck des Werts, worin sich der Arbeitstag darstellt.
Dieser Geldausdruck ist hoher als der Geldausdruck der gesellschaftlichen
Durchschnittsarbeit von derselben Sorte, wovon sich 12 Stunden nur in 6
sh. ausdriicken. Die Arbeit von ausnahmsweiser Produktivkraft wirkt als
potenzierte Arbeit oder schafft in gleichen Zeitraumen hohere Werte als die
gesellschaftliche Durchschnittsarbeit derselben Art. Aber unser Kapitalist
zahlt nach wie vor nur 5 sh. fiir den Tageswert der Arbeitskraft. Der
Arbeiter bedarf daher, statt friiher 10, jetzt nur noch IVi Stunden zur
Reproduktion dieses Werts. Seine Mehrarbeit wachst daher um 2Vi
Stunden, der von ihm produzierte Mehrwert von 1 auf 3 sh. Der Kapitalist,
der die verbesserte Produktionsweise anwendet, eignet sich daher einen
groBern Teil des Arbeitstags fur die Mehrarbeit an als die ubrigen
Kapitalisten in demselben Geschaft. Er tut im einzelnen, was das Kapital
bei der Produktion des relativen Mehrwerts im groBen und ganzen tut.
Andrerseits aber verschwindet jener Extramehrwert, sobald die neue
Produktionsweise sich verallgemeinert und damit die Differenz zwischen
dem individuellen Wert der wohlfeiler produzierten Waren und ihrem
gesellschaftlichen Wert verschwindet. Dasselbe Gesetz der
Wertbestimmung durch die Arbeitszeit, das dem Kapitalisten mit der
neuen Methode in der Form fuhlbar wird, daB er seine Ware unter ihrem
gesellschaftlichen Wert verkaufen muB, treibt seine Mitbewerber als
Zwangsgesetz der Konkurrenz zur Einfuhrung der neuen
Produktionsweise. 522 Die allgemeine Rate des Mehrwerts wird also durch
den ganzen ProzeB schlieBlich nur beruhrt, wenn die Erhohung der
Produktivkraft der Arbeit Produktionszweige ergriffen, also Waren
verwohlfeilert hat, die in den Kreis der notwendigen Lebensmittel eingehn,
daher Elemente des Werts der Arbeitskraft bilden.
Der Wert der Waren steht in umgekehrtem Verhaltnis zur Produktivkraft
der Arbeit. Ebenso, weil durch Warenwerte bestimmt, der Wert der
Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwert in direktem Verhaltnis
zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fallt mit
fallender Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag
von 12 Stunden, Geldwert als gleichbleibend vorausgesetzt, produziert
stets zwischen Aquivalent fur den Wert der Arbeitskraft und Mehrwert.
Fallt aber infolge gesteigerter Produktivkraft der Wert der taglichen
Lebensmittel und daher der Tageswert der Arbeitskraft von 5 sh. auf 3 sh.,
so wachst der Mehrwert von 1 sh. auf 3 sh. Um den Wert der Arbeitskraft
zu reproduzieren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Arbeitsstunden notig.
Vier Arbeitsstunden sind frei geworden und konnen der Domane der
Mehrarbeit annexiert werden. Es ist daher der immanente Trieb und die
bestandige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern,
urn die Ware und durch die Verwohlfeilerung der Ware den Arbeiter selbst
zu verwohlfeilern. 23
Der absolute Wert der Ware ist dem Kapitalisten, der sie produziert, an
und fur sich gleichgultig. Ihn interessiert nur der in ihr steckende und im
Verkauf realisierbare Mehrwert. Realisierung von Mehrwert schlieBt von
selbst Ersatz des vorgeschoBnen Werts ein. Da nun der relative Mehrwert
in direktem Verhaltnis zur Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit
wachst, wahrend der Wert der Waren in umgekehrtem Verhaltnis zur
selben Entwicklung fallt, da also derselbe identische ProzeB die Waren
verwohlfeilert und den in ihnen enthaltnen Mehrwert steigert, lost sich das
Ratsel, daB der Kapitalist, dem es nur um die Produktion von Tauschwert
zu tun ist, den Tauschwert der Waren bestandig zu senken strebt, ein
Widerspruch, womit einer der Grander der politischen Okonomie,
Quesnay, seine Gegner qualte und worauf sie ihm die Antwort schuldig
blieben.
»Ihr gebt zu«, sagt Quesnay, »dafi, je mehr man, ohne Nachteil fur die
Produktion, Kosten oder kostspielige Arbeiten in der Fabrikation
industrieller Produkte ersparen kann, desto vorteilhafter diese
Ersparung, weil sie den Preis des Machwerks vermindert. Und
trotzdem glaubt ihr, dafi die Produktion des Reichtums, der aus den
Arbeiten der Industriellen herkommt, in der Vermehrung des
Tauschwerts ihres Machwerks besteht.« n4
l.»Ils conviennent que plus on peut, sans prejudice, epargner de frais ou de travaux
dispendieux dans la fabrication des ouvrages des artisans, plus cette epargne est profitable par la
dimunition des prix de ces ouvrages. Cependant Us croient que la production de richesse qui resulte
des travaux des artisans consiste dans I'augmentation de la valeur venale de leurs ouvrages. «
(Quesnay: "Dialogues sur le Commerce et sur les Travaux des Artisans", p. 188, 189.)
l.»Diese Spekulanten, die so sehr sparen an der Arbeit der Arbeiter, die sie bezahlen miijiten.«
(J.N. Bidaut, "Du Monopole qui s'etablit dans les arts industriels et le commerce", Paris 1828, p. 13.) »Der
Unternehmer wird immer alles daransetzen, urn Zeit und Arbeit zu sparen. « (Dugald Stewart, "Works",
ed. by Sir W.Hamilton, v. VIII, Edinburg 1855, "Lectures on Polit. Econ.", p. 318.) »Sie [die Kapitalisten]
sind daran interessiert, dafi die Produktivkrafte der Arbeiter, die sie beschdftigen, so grofi wie moglich
seien. Diese Kraft zu steigern, daraufist ihre Aufmerksamkeit, und zwar fast ausschliefilich gerichtet.«
(R.Jones, I.e., Lecture III)
l.»Ohne Frage besteht ein betrachtlicher Unterschied zwischen dem Wert der Arbeit eines
Mannes und dem der Arbeit eines andren durch unterschiedliche Kraft, Geschicklichkeit und redlichen
Okonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit 525
bezweckt in der kapitalistischen Produktion also durchaus nicht
Verkiirzung des Artbeitstags. Sie bezweckt nur Verkiirzung der fur
Produktion eines bestimmten Warenquantums notwendigen Arbeitszeit.
DaB der Arbeiter bei gesteigerter Produktivkraft seiner Arbeit in einer
Stunde z.B. 10 mal mehr Ware als friiher produziert, also fiir jedes Stiick
Ware 10 mal weniger Arbeitszeit braucht, verhindert durchaus nicht, ihn
nach wie vor 12 Stunden arbeiten und in den 12 Stunden 1.200 statt friiher
120 Stiick produzieren zu lassen. Ja, sein Arbeitstag mag gleichzeitig
verlangert werden, so daB er jetzt in 14 Stunden 1.400 Stiick produziert
usw. Man kann daher bei Okonomen vom Schlag eines MacCulloch, Ure,
Senior und tutti quanti auf einer Seite lesen, daB der Arbeiter dem Kapital
fiir die Entwicklung der Produktivkrafte Dank schuldet, weil sie die
notwendige Arbeitszeit verkiirzt, und auf der nachsten Seite, daB er diesen
Dankbeweisen muB, indem er statt 10 kunftig 15 Stunden arbeitet. Die
Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen
Produktion, bezweckt, den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter fiir sich
selbst arbeiten muB, zu verkiirzen, um grade dadurch den andren Teil des
Arbeitstags, den er fur den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu
verlangern. Wieweit dies Resultat auch ohne Verwohlfeilerang der Waren
erreichbar, wird sich zeigen in den besondren Produktionsmethoden des
relativen Mehrwerts, zu deren Betrachtung wir jetzt ubergehn.
Elftes Kapitel
Kooperation
Die kapitalistische Produktion beginnt, wie wir sahen, in der Tat erst, wo
dasselbe individuelle Kapital eine groBere Anzahl Arbeiter gleichzeitig
beschaftigt, der ArbeitsprozeB also seinen Umfang erweitert und Produkt
auf groBrer quantitativer Stufenleiter liefert. Das Wirken einer groBern
Arbeiteranzahl zur selben Zeit, in demselben Raum (oder, wenn man will,
auf demselben Arbeitsfeld), zur Produktion derselben War-ensorte, unter
dem Kommando desselben Kapitalisten, bildet historisch und begrifflich
den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion. Mit Bezug auf die
Produktionsweise selbst unterscheidet sich z.B. die Manufaktur in ihren
Anfangen kaum anders von der zunftigen Handwerksindustrie als durch
die groBere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital beschaftigten
Arbeiter. Die Werkstatt des Zunftmeisters ist nur erweitert.
Der Unterschied ist also zunachst bloB quantitativ. Man sah, daB die Masse
des Mehrwerts, welche ein gegebnes Kapital produziert, gleich dem
Mehrwert, den der einzelne Arbeiter liefert, multipliziert mit der Anzahl der
gleichzeitig beschaftigten Arbeiter. Diese Anzahl andert an und fur sich
nichts an der Rate des Mehrwerts oder dem Exploitationsgrad der
Arbeitskraft, und mit Bezug auf die Produktion von Waren wert uberhaupt
scheint jede qualitative Verandrung des Arbeitsprozesses gleichgultig. Es
folgt dies aus der Natur des Werts. Vergegenstandlicht sich ein
zwolfsttindiger Arbeitstag in 6 sh., so 1.200 solcher Arbeitstage in 6 sh. x
1.200. In dem einen Fall haben sich 12 x 1.200, in dem andren 12
Arbeitsstunden den Produkten einverleibt. In der Wertproduktion zahlen
viele immer nur als viele einzelne. Fur die Wertproduktion macht es also
keinen Unterschied, ob 1.200 Arbeiter vereinzelt produzieren oder vereint
unter dem Kommando desselben Kapitals.
Indes findet doch innerhalb gewisser Grenzen eine Modifikation statt. In
Wert vergegenstandlichte Arbeit ist Arbeit von gesellschaftlicher
Durchschnittsqualitat, also die AuBerung einer durchschnittlichcn
Arbeitskraft. Eine DurchschnittsgroBe existiert aber immer nur als
Durchschnitt vieler verschiedner GroBenindividuen derselben Art. In
jedem Industriezweig weicht der individuelle Arbeiter, Peter oder Paul,
mehr oder minder vom Durchschnittsarbeiter ab. Diese individuellen
Abweichungen, welche mathematisch "Fehler" heiBen, kompensieren sich
und verschwinden, sobald man eine groBere Anzahl Arbeiter
zusammennimmt. Der beriihmte Sophist und Sykophant Edmund Burke
will aus seinen praktischen Erfahrungen als Pachter sogar wissen, daB
schon »fur ein so geringes Peloton« wie 5 Ackerknechte aller individuelle
Unterschied der Arbeit verschwindet, also die ersten besten im
Mannesalter befindlichen fiinf englischen Ackerknechte
zusammengenommen in derselben Zeit grad soviel Arbeit verrichten als
beliebige andre fiinf englische Ackerknechte. 526 Wie dem auch sei, es ist
klar, daB der Gesamtarbeitstag einer groBten Anzahl gleichzeitig
beschaftigter Arbeiter, dividiert durch die Anzahl der Arbeiter, an und fur
sich ein Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ist. Der Arbeitstag des
einzelnen sei z.B. zwolfstundig. So bildet der Arbeitstag von 12 gleichzeitig
beschaftigten Arbeitern einen Gesamtarbeitstag von 144 Stunden, und
obgleich die Arbeit eines jeden des Dutzend mehr oder minder von der
gesellschaftlichen Durchschnittsarbeit abweichen, der einzelne daher etwas
mehr oder weniger Zeit zu derselben Verrichtung brauchen mag, besitzt
der Arbeitstag jedes einzelnen als ein Zwolftel des Gesamtarbeitstags von
144 Stunden die gesellschaftliche Durchschnittsqualitat. Fur den
Kapitalisten aber, der ein Dutzend beschaftigt, existiert der Arbeitstag als
Gesamtarbeitstag des Dutzend. Der Arbeitstag jedes einzelnen existiert als
aliquoter Teil des Gesamtarbeitstags, ganz unabhangig davon, ob die zwolf
einander in die Hand arbeiten oder ob der ganze Zusammenhang ihrer
Arbeiten nur darin besteht, daB sie fur denselben Kapitalisten arbeiten.
Werden dagegen von den 12 Arbeitern je zwei von einem kleinen Meister
beschaftigt, so wird es zufallig, ob jeder einzelne Meister dieselbe
Wertmasse produziert und daher die allgemeine Rate des Mehrwerts
realisiert. Es fanden individuelle Abweichungen statt. Verbrauchte ein
Arbeiter bedeutend mehr Zeit in der Production einer Ware, als
gesellschaftlich erheischt ist, wiche die fur inn individuell notwendige
Arbeitszeit bedeutend ab von der gesellschaftlich notwendigen oder der
Durchschnittsarbeitszeit, so galte seine Arbeit nicht als
Durchschnittsarbeit, seine Arbeitskraft nicht als durchschnittliche
Arbeitskraft. Sie verkaufte sich gar nicht oder nur unter dem
Durchschnittswert der Arbeitskraft. Ein bestimmtes Minimum der
Arbeitsfertigkeit ist also vorausgesetzt, und wir werden spater sehn, daB
die kapitalistische Produktion Mittel findet, dies Minimum zu messen.
Nichtsdestoweniger weicht das Minimum vom Durchschnitt ab, obgleich
auf der andren Seite der Durchschnittswert der Arbeitskraft gezahlt werden
muB. Von den sechs Kleinmeistern wiirde der eine daher mehr, der andre
weniger als die allgemeine Rate des Mehrwerts herausschlagen. Die
Ungleichheiten wiirden sich fur die Gesellschaft kompensieren, aber nicht
fur den einzelnen Meister. Das Gesetz der Verwertung uberhaupt realisiert
sich also fur den einzelnen Produzenten erst vollstandig, sobald er als
Kapitalist produziert, viele Arbeiter gleichzeitig anwendet, also von
vornherein gesellschaftliche Durchschnittsarbeit in Bewegung setzt. 527
l.Herr Professor Rascher will entdeckt haben, daB eine Nahmamsell, die wahrend zwei Tagen von
der Frau Professorin beschaftigt wird, mehr Arbeit liefert, als zwei Nahmamsellen, welche die Frau
Professorin am selben Tage beschaft igt.* Der Herr Professor stelle seine Beobachtungen iiber den
kapitalistischen ProduktionsprozeB nicht in der Kinderstube an und nicht unter Umstanden, worin die
Hauptperson fehlt, der Kapitalist.
2* W. Roscher: "Die Grundlagen der Nationalokonomie", 3. Aufl., Stuttgart, Augsburg 1858, S. 88/89.
l."Concours de forces." (Destutt de Tracy, I.e. p. 80.)
l.»Es gibt zahlreiche Vorrichtungen von so einfacher Art, dafi sie keine Zerlegung in Telle
zulassen, die jedoch nur durch das Zusammenwirken vieler Paare von Hdnden ausgefuhrt werden
konnen. So das Heben eines grofien Baumstamms auf einen Wagen ... kurz, alles, was nicht getan
werden kann, ohne dafi sich eine grofie Zahl von Hdndepaaren gegenseitig und gleichzeitig bei
derselben ungeteilten Beschdftigung helfen.« (E.G. Wakefield, "A View of the Art of Colonization",
London 1849, p.168.)
2.»Wdhrend ein Mann nicht fahig ist, eine Tonnenlast zu heben, und 10 Mann sich dabei
anstrengen miissen, konnen es einhundert Mann aber mit der Kraft nur je eines ihrer Finger tun.«
(John Bellers, "Proposals for raising a colledge of industry", London 1696, p. 21.)
l.»Man hat auch [wenn dieselbe Arbeiterzahl von einem Pachter auf 300, statt von 10 Pachtern auf
je 30 acres angewandt wird] in der relativen Zahl der Knechte einen Vorteil, der nicht so leicht zu
erkennen ist, aufier von Mdnnern der Praxis. Man sagt natiirlich, dafi sich 1:4 wie 3 : 12 verhalt;
Auch bei gleichbleibender Arbeitsweise bewirkt die gleichzeitige
Anwendung einer groBten Arbeiteranzahl eine Revolution in den
gegenstandlichen Bedingungen des Arbeitsprozesses. Baulichkeiten, worin
viele arbeiten, Lager fiir Rohmaterial usw-, GefaBe, Instrumente, Apparate
usw., die vielen gleichzeitig oder abwechselnd dienen, kurz, ein Teil der
Produktionsmittel wird jetzt gemeinsam im ArbeitsprozeB konsumiert.
Einerseits wird der Tauschwert von Waren, also auch von
Produktionsmitteln, durchaus nicht erhoht durch irgendwelche erhohte
Ausbeutung ihres Gebrauchswerts. Andrerseits wachst der MaBstab der
gemeinsam gebrauchten Produktionsmittel- Ein Zimmer, worin 20 Weber
mit ihren 20 Webstuhlen arbeiten, muB weiter gestreckt sein als das
Zimmer eines unabhangigen Webers mit zwei Gesellen. Aber die
Produktion einer Werkstatt fiir 20 Personen kostet weniger Arbeit als die
von 10 Werkstatten fiir je zwei Personen, und so wachst ubhaupt der Wert
massenweise konzentrierter und gemeinsamer Produktionsmittel nicht
verhaltnismaBig mit ihrem Umfang und ihrem Nutzeffekt. Gemeinsam
vernutzte Produktionsmittel geben geringren Wertbestandteil an das
einzelne Produkt ab, teils weil der Gesamtwert, den sie abgeben, sich
gleichzeitig auf eine groBre Produktenmasse verteilt, teils weil sie, im
Vergleich zu vereinzelten Produktionsmitteln, zwar mit absolut groBtem,
aber, ihren Wirkungskreis betrachtet, mit relativ kleinrem Wert in den
ProduktionsprozeB eintreten. Damit sinkt ein Wertbestandteil des
konstanten Kapitals, also proportionell zu seiner GroBe auch der
Gesamtwert der Ware. Die Wirkung ist dieselbe, als ob die
Produktionsmittel der Ware wohlfeiler produziert wiirden. Diese
Okonomie in der Anwendung der Produktionsmittel entspringt nur aus
ihrem gemeinsamen Konsum im ArbeitsprozeB vieler. Und sie erhalten
diesen Charakter als Bedingungen gesellschaftlicher Arbeit oder
gesellschaftliche Bedingungen der Arbeit im Unterschied von den
zersplitterten und relativ kostspieligen Produktionsmitteln vereinzelter
selbstandiger Arbeiter oder Kleinmeister, selbst wenn die vielen nur
raumlich zusammen, nicht miteinander arbeiten. Ein Teil der Arbeitsmittel
erwirbt diesen gesellschaftlichen Charakter, bevor ihn der ArbeitsprozeB
selbst erwirbt.
Die Okonomie der Produktionsmittel ist iiberhaupt von doppeltem
Gesichtspunkt zu betrachten. Das eine Mai, soweit sie Waren
verwohlfeilert und dadurch den Wert der Arbeitskraft senkt. Das andre
Mai, soweit sie das Verhaltnis des Mehrwerts zum vorgeschoBnen
Gesamtkapital, d.h. zur Wertsumme seiner konstanten und variablen
Bestandteile verandert. Der letztre Punkt wird erst im ersten Abschnitt des
Dritten Buchs dieses Werks erortert, wohin wir des Zusammenhangs
wegen auch manches schon hierher Gehorige verweisen. Der Gang der
Analyse gebietet diese ZerreiBung des Gegenstands, die zugleich dem
Geist der kapitalistischen Produktion entspricht. Da hier namlich die
Arbeitsbedingungen dem Arbeiter selbstandig gegeniibertreten, erscheint
auch ihre Okonomie als eine besondre Operation, die ihn nichts angeht
und daher getrennt ist von den Methoden, welche seine personliche
Produktivitat erhohen.
Die Form der Arbeit vieler, die in demselben ProduktionsprozeB oder in
verschiednen, aber zusammenhangenden Produktionsprozessen
planmaBig neben- und miteinander arbeiten, heiBt Kooperation. 528
Wie die Angriffskraft einer Kavallerieschwadron oder die Widerstandskraft
eines Infanterieregiments wesentlich verschieden ist von der Summe der
von jedem Kavalleristen und lnfanteristen vereinzelt entwickelten Angriffs-
und Widerstandskrafte, so die mechanische Kraftsumme vereinzelter
Arbeiter von der gesellschaftlichen Kraftpotenz, die sich entwickelt, wenn
viele Hande gleichzeitig in derselben ungeteilten Operation
zusammenwirken, z.B. wenn es gilt, eine Last zu heben, eine Kurbel zu
drehn oder einen Widerstand aus dem Weg zu raumen. 529 Die Wirkung der
kombinierten Arbeit konnte hier von der vereinzelten gar nicht oder nur in
viel langren Zeitraumen oder nur auf einem ZwergmaBstab hervorgebracht
werden. Es handelt sich hier nicht nur um Erhohung der individuellen
Produktivkraft durch die Kooperation, sondern um die Schopfung einer
Produktivkraft, die an und fur sich Massenkraft sein muB. 530
Abgesehn von der neuen Kraftpotenz, die aus der Verschmelzung vieler
Krafte in eine Gesamtkraft entspringt, erzeugt bei den meisten produktiven
Arbeiten der bloBe gesellschaftliche Kontakt einen Wetteifer und eine
eigne Erregung der Lebensgeister (animal spirits), welche die individuelle
Leistungsfahigkeit der einzelnen erhohen, so daB ein Dutzend Personen
zusammen in einem gleichzeitigen Arbeitstag von 144 Stunden ein viel
groBres Gesamtprodukt liefern als zwolf vereinzelte Arbeiter, von denen
jeder 12 Stunden, oder als ein Arbeiter, der 12 Tage nacheinander
arbeitet. 531 Dies riihrt daher, daB der Mensch von Natur, wenn nicht, wie
Aristoteles meint, ein politisches 532 , jedenfalls ein gesellschaftliches Tier
ist.
2. Aristoteles' Definition ist eigentlich die, daB der Mensch von Natur Stadtbiirger. Sie ist fur das
klassische Altertum ebenso charakteristisch als Franklins Definition, daB der Mensch von Natur
Instrumentenmacher, fur das Yankeetum.
l.»Ferner mufi man feststellen, dafi diese partielle Arbeitsteilung auch da erfolgen kann, wo
die Arbeiter mit einer gleichen Verrichtung beschdftigt sind. Maurer z-B., die Ziegel von Hand zu Hand
zu einem hoheren Gertist wandern lassen, tun alle die gleiche Arbeit, und dennoch existiert unter
ihnen eine Art von Arbeitsteilung, die darin besteht, dafi jeder von ihnen den Ziegel ein bestimmtes
Stuck weiterwandern lafit und alle zusammen ihn viel schneller an den gegebnen Ort kommen lassen,
als wenn jeder von ihnen seinen Ziegel einzeln bis zum hoheren Geriist hinauftriige.e (F. Skarbek,
"Theorie des richesses sociales", 2eme ed., Paris 1839, t.I p. 97, 98.)
l.»Wenn es sich um die Ausfuhrung einer komplizierten Arbeit handelt, miissen verschiedene
Dinge gleichzeitig getan werden. Der eine macht das eine, wahrend der andere etwas andres macht,
und alle tragen zu einer Wirkung bei, die ein einzelner Mensch nicht hatte erzeugen konnen. Der eine
rudert, wahrend der andere steuert und ein drifter das Netz auswirft oder den Fisch harpuniert, und
der Fischfang hat einen Erfolg, der ohne diese Kooperation unmoglich ware.« (Destutt de Tracy, I.e.
p.78.)
l.»Ihre [der Arbeit in der Agrikultur] Ausfuhrung im entscheidenden Augenblick hat um so
grofiere Wirkung. « ([J. Arbuthnot,] "An Inquiry into the Connection between the present price etc.", p. 7.)
»ln der Agrikultur gibt es keinen wichtigeren Faktor als den Faktor der Zeit.« (Liebig, Uber Theorie
und Praxis in der Landwirthschaft", 1856, p. 23.)
2.»Das nachste Ubel, das man schwerlich in einem Lande zu finden erwartet, welches mehr
Arbeit exportiert als irgendein andres der Welt, abgesehen vielleicht von China und England, besteht
in der Unmoglichkeit, eine gentigende Anzahl von Handen zur Baumwollernte zu beschaffen.
Infolgedessen bleiben grofie Menge Baumwolle ungepfliickt, wahrend ein andrer Teil von der Erde
aufgesammelt wird, wenn er abgefallen und selbstverstandlich verfarbt und teilweise verfault ist, so
dafi wegen Arbeitermangels zur richtigen Jahreszeit der Pflanzer tatsachlich gezwungen ist, sich mtt
dem Verlust eines grofien Teils jener Baumwollernte abzufinden, auf die England so sehr wartet. «
("Bengal Hurkaru. Bi-Monthly Overland Summary of News", 22nd July 1861.)
l.»Beim Fortschritt in der Bodenbebauung wird alles Kapital und alle Arbeit, die frtiher
zerstreut auf 500 acres verwandt wurden, ja vielleicht noch mehr, jetzt auf die grundlichere
Bearbeitung von 100 acres konzentriert.« Obgleich »im Verhaltnis zum angewandten Betrage von
Kapital und Arbeit der Raum enger geworden ist, stellt er doch eine erweiterte Produktionssphare dar,
Obgleich viele dasselbe oder Gleichartiges gleichzeitig miteinander
verticil ten, kann die individuelle Arbeit eines jeden dennoch als Teil der
Gesamtarbeit verschiedne Phasen des Arbeitsprozesses selbst darstellen,
die der Arbeitsgegenstand, infolge der Kooperation, rascher durchlauft.
Z.B. wenn Maurer eine Reihe von Handen bilden, urn Bausteine vom FuB
eines Gestells bis zu seiner Spitze zu befordern, tut jeder von ihnen
dasselbe, aber dennoch bilden die einzelnen Vorrichtungen kontinuierliche
Teile einer Gesamtverrichtung, besondre Phasen, die jeder Baustein im
ArbeitsprozeB durchlaufen muB und wodurch ihn etwa die 24 Hande des
Gesamtarbeiters rascher fordern als die zwei Hande jedes einzelnen
Arbeiters, der das Geriist auf - und abstiege. 533 Der Arbeitsgegenstand
durchlauft denselben Raum in kiirzerer Zeit. Andrerseits findet
Kombination der Arbeit statt, wenn ein Bau z.13. von verschiednen Seiten
gleichzeitig angegriffen wird, obgleich die Kooperierenden dasselbe oder
Gleichartiges tun. Der kombinierte Arbeitstag von 144 Stunden, der den
Arbeitsgegenstand vielseitig im Raum angreift, weil der kombinierte
Arbeiter oder Gesamtarbeiter vorn und hinten Augen und Hande hat und
in gewissem Grad Allgegenwart besitzt, f ordert das Gesamtprodukt
rascher als 12 zwolfsttindige Arbeitstage mehr oder minder vereinzelter
Arbeiter, die ihr Werk einseitiger angreifen mussen. In derselben Zeit reifen
verschiedne Raumteile des Produkts.
Wir betonten, daB die vielen, die einander erganzen, dasselbe oder
Gleichartiges tun, weil diese einfachste Form gemeinsamer Arbeit auch in
der ausgebildetsten Gestalt der Kooperation eine groBe Rolle spielt. 1st der
ArbeitsprozeB kompliziert, so erlaubt die bloBe Masse der
Zusammenarbeitenden, die verschiednen Operationen unter verschiedne
Hande zu verteilen, daher gleichzeitig zu verrichten und dadurch die zur
Herstellung des Gesamtprodukts notige Arbeitszeit zu verkurzen. 534
In vielen Produktionszweigen gibt es kritische Momente, d.h. durch die
Natur des Arbeitsprozesses selbst bestimmte Zeitepochen, wahrend deren
bestimmte Arbeitsresultate erzielt werden mussen. Soil z.B. eine Herde
Schafe geschoren oder eine Morgenanzahl Kornland gemaht und
geherbstet werden, so hangt Quantitat und Qualitat des Produkts davon ab,
daB die Operation zu einer gewissen Zeit begonnen und zu einer gewissen
Zeit beendet wird. Der Zeitraum, den der ArbeitsprozeB einnehmen darf,
ist hier vorgeschrieben, wie etwa beim Heringsfang. Der einzelne kann aus
einem Tag nur einen Arbeitstag herausschneiden, sage von 12 Stunden,
aber die Kooperation von 100 z. B. erweitert einen zwolfsttindigen Tag zu
einem Arbeitstag von 1.200 Stunden. Die Kurze der Arbeitsfrist wird
kompensiert durch die GroBe der Arbeitsmasse, die im entscheidenden
Augenblick auf das Produktionsfeld geworfen wird. Die rechtzeitige
Wirkung hangt hier ab von der gleichzeitigen Anwendung vieler
kombinierten Arbeitstage, der Umfang des Nutzeffekts von der
Arbeiteranzahl, die jedoch stets kleiner bleibt als die Anzahl der Arbeiter,
die vereinzelt in demselben Zeitraum denselben Wirkungsraum ausfiillen
wiirden. 535 Es ist der Mangel dieser Kooperation, wodurch im Westen der
Vereinigten Staaten eine Masse Korn und in den Teilen Ostindiens, wo
englische Herrschaft das alte Gemeinwesen zerstort hat, eine Masse
Baumwolle jahrlich verwustet wird. 536
Auf der einen Seite erlaubt die Kooperation, die Raumsphare der Arbeit
auszurecken, und wird daher fur gewisse Arbeitsprozesse schon durch den
raumlichen Zusammenhang des Arbeitsgegenstandes erheischt, wie bei
Trockenlegung von Land, Eindammung, BewaBrung, Kanal-, StraBen-,
Eisenbahnbauten usw. Andrerseits ermoglicht sie, verhaltnismaBig zur
Stufenleiter der Produktion, raumliche Verengung des Produktionsgebiets.
Diese Beschrankung der Raumsphare der Arbeit bei gleichzeitiger
Ausdehnung ihrer Wirkungssphare, wodurch eine Masse falscher Kosten
(faux freis) erspart werden, entspringt aus der Konglomeration der
Arbeiter, dem Zusammenrucken verschiedner Arbeitsprozesse und der
Konzentration der Produktionsmittel. 537
Verglichen mit einer gleich groBen Summe vereinzelter individueller
Arbeitstage, produziert der kombinierte Arbeitstag groBte Massen von
Gebrauchswert und vermindert daher die zur Produktion eines bestimmten
Nutzeffekts notige Arbeitszeit. Ob er im gegebnen Fall diese gesteigerte
Produktivkraft erhalt, weil er die mechanische Kraftpotenz der Arbeit
erhoht oder ihre raumliche Wirkungssphare ausdehnt oder das raumliche
Produktionsfeld im Verhaltnis zur Stufenleiter der Produktion verengt oder
im kritischen Moment viel Arbeit in wenig Zeit flussig macht oder den
Wetteifer der einzelnen erregt und ihre Lebensgeister spannt oder den
gleichartigen Vorrichtungen vieler den Stempel der Kontinuitat und
Vielseitigkeit aufdriickt, oder verschiedne Operationen gleichzeitig
verrichtet oder die Produktionsmittel durch ihren gemeinschaftlichen
Gebrauch okonomisiert oder der individuellen Arbeit den Charakter
gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit verleiht, unter alien Umstanden ist
die spezifische Produktivkraft des kombinierten Arbeitstags
gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit oder Produktivkraft
gesellschaftlicher Arbeit. Sie entspringt aus der Kooperation selbst. Im
planmaBigen Zusammenwirken mit andern streift der Arbeiter seine
individuellen Schranken ab und entwickelt sein Gattungsvermogen. 38
Wenn Arbeiter iiberhaupt nicht unmittelbar zusammenwirken konnen,
ohne zusammen zu sein, ihre Konglomeration auf bestimmtem Raum
daher Bedingung ihrer Kooperation ist, konnen Lohnarbeiter nicht
kooperieren, ohne daB dasselbe Kapital, derselbe Kapitalist sie gleichzeitig
anwendet, also ihre Arbeitskrafte gleichzeitig kauft. Der Gesamtwert dieser
Arbeitskrafte oder die Lohnsumme der Arbeiter fiir den Tag, die Woche
usw., muB daher in der Tasche des Kapitalisten vereint sein, bevor die
Arbeitskrafte selbst im ProduktionsprozeB vereint werden. Zahlung von
300 Arbeitern auf einmal, auch nur fiir einen Tag, bedingt mehr
Kapitalauslage als Zahlung weniger Arbeiter Woche fiir Woche, wahrend
des ganzen Jahrs. Die Anzahl der kooperierenden Arbeiter, oder die
Stufenleiter der Kooperation, hangt also zunachst ab von der GroBe des
Kapitals, das der einzelne Kapitalist im Ankauf von Arbeitskraft auslegen
kann, d.h. von dem Umfang, worin je ein Kapitalist iiber die Lebensmittel
vieler Arbeiter verfugt.
Und wie mit dem variablen, verhalt es sich mit dem konstanten Kapital.
Die Auslage fiir Rohmaterial z.B. ist 30mal groBer fiir den einen
Kapitalisten, der 300, als fiir jeden der 30 Kapitalisten, der je 10 Arbeiter
beschaftigt. Wertumfang und Stoffmasse der gemeinsam benutzten
l.»Die Kraft des einzelnen Menschen ist ganz gering, aber die Vereinigung der ganz geringen
Krdfte ergibt eine Gesamtkraft, die grofier ist als die Summe alter Teilkrdfte, so dafi schon die blofie
Vereinigung der Krdfte die Zeit verringern und den Raum ihrer Wirkung vergrofiern kann.« (G.R.
Carli, Note zu P. Verri, I.e., t.XV, p. 196.)
l.»Profite ... sind der einzige Zweck des Geschdfts.« (J. Vanderlint, I.e. p. 11.)
2. Ein englisches Philisterblatt, der 'Spectator' vom 26. Mai 1866, berichtet, daB nach Einfuhrung
einer Art von Kompagniegeschaft zwischen Kapitalist und Arbeitern in der "wirework company of
Manchester" * : »das erste Ergebnis eine plbtzliche Abnahme der Materialverschwendung war, da die
Arbeiter nicht einsahen, weshalb sie mit ihrem Eigentum verschwenderischer umgehen sollten als mit
dem der Kapitalisten, und Materialverschwendung ist neben schlechten Aufienstanden vielleicht die
grofite Verlustquelle in den Fabriken« . Dasselbe Blatt entdeckt als Grundmangel der Rochdale
cooperative experiments * »They showed that associations of workmen could manage shops, mills, and
almost all forms of industry with success, and they immensely improved the condition of the men, but
then they did not leave a clear place for masters. « (»Sie bewiesen, dafi Arbeiterassoziationen
Boutiquen, Fabriken und beinahe alle Fonnen der Industrie mit Erfolg handhaben konnen, und sie
verbesserten aufierordentlich die Lage der Leute selbst, aber! aber, dann liefien sie keinen sichtbaren
Platzfiir Kapitalisten offen.« Quelle horreur! *)
Arbeitsmittel wachsen zwar nicht in demselben Grad wie die bechaftigte
Arbeiteranzahl, aber sie wachsen betrachtlich. Konzentration groBrer
Massen von Produktionsmitteln in der Hand einzelner Kapitalisten ist also
materielle Bedingung fiir die Kooperation von Lohnarbeitern, und der
Umfang der Kooperation, oder die Stufenleiter der Produktion, hangt ab
vom Umfang dieser Konzentration.
Urspriinglich erschien eine gewisse MinimalgroBe des individuellen
Kapitals notwendig, damit die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten
Arbeiter, daher die Masse des produzierten Mehrwerts hinreiche, den
Arbeitsanwender selbst von der Handarbeit zu entbinden, aus einem
Kleinmeister einen Kapitalisten zu machen und so das Kapitalverhaltnis
formell herzustellen. Sie erscheint jetzt als materielle Bedingung fiir die
Verwandlung vieler zersplitterter und voneinander unabhangiger
individueller Arbeitsprozesse in einen kombinierten gesellschaftlichen
ArbeitsprozeB.
Ebenso erschien urspriinglich das Kommando des Kapitals iiber die Arbeit
nur als formelle Folge davon, daB der Arbeiter statt fiir sich, fiir den
Kapitalisten und daher unter dem Kapitalisten arbeitet. Mit der
Kooperation vieler Lohnarbeiter entwickelt sich das Kommando des
Kapitals zum Erheischnis fiir die Ausfiihrung des Arbeitsprozesses selbst,
zu einer wirklichen Produktionsbedingung. Der Befehl des Kapitalisten auf
dem Produktionsfeld wird jetzt so unentbehrlich wie der Befehl des
Generals auf dem Schlachtfeld.
Alle unmittelbar gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Arbeit auf
groBtem MaBstab bedarf mehr oder minder einer Direktion, welche die
Harmonie der individuellen Tatigkeiten vermittelt und die allgemeinen
Funktionen vollzieht, die aus der Bewegung des produktiven
Gesamtkorpers im Unterschied von der Bewegung seiner selbstandigen
Organe entspringen. Ein einzelner Violinspieler dirigiert sich selbst, ein
Orchester bedarf des Musikdirektors. Diese Funktion der Leitung,
Uberwachung und Vermittlung, wird zur Funktion des Kapitals, sobald die
ihm untergeordnete Arbeit kooperativ wird. Als spezifische Funktion des
Kapitals erhalt die Funktion der Leitung spezifische Charaktermale.
Zunachst ist das treibende Motiv und der bestimmende Zweck des
kapitalistischen Produktionsprozesses moglichst groBe Selbstverwertung
des Kapitals 539 , d.h. moglichst groBe Produktion von Mehrwert, also
moglichst groBe Ausbeutung der Arbeitskraft durch den Kapitalisten. Mit
der Masse der gleichzeitig beschaftigten Arbeiter wachst ihr Widerstand
und damit notwendig der Druck des Kapitals zur Bewaltigung dieses
Widerstands. Die Leitung des Kapitalisten ist nicht nur eine aus der Natur
des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses entspringende und ihm angehorige
besondre Funktion, sie ist zugleich Funktion der Ausbeutung eines
gesellschaftlichen Arbeitsprozesses und daher bedingt durch den
unvermeidlichen Antagonismus zwischen dem Ausbeuter und dem
Rohmaterial seiner Ausbeutung. Ebenso wachst mit dem Umfang der
Produktionsmittel, die dem Lohnarbeiten als fremdes Eigentum
gegenuberstehn, die Notwendigkeit der Kontrolle iiber deren sachgemaBe
Verwendung. 540 Die Kooperation der Lohnarbeiter ist ferner bloBe
Wirkung des Kapitals, das sie gleichzeitig anwendet. Der Zusammenhang
ihrer Funktionen und ihre Einheit als produktiver Gesamtkorper liegen
auBer ihnen, im Kapital, das sie zusammenbringt und zusammenhalt. Der
Zusammenhang ihrer Arbeiten tritt ihnen daher ideell als Plan, praktisch als
Autoritat des Kapitalisten gegeniiber, als Macht eines fremden Willens, der
ihr Tun seinem Zweck unterwirft.
Wenn daher die kapitalistische Leitung dem Inhalt nach zwieschlachtig ist,
wegen der Zwieschlachtigkeit des zu leitenden Produktionsprozesses
selbst, welcher einerseits gesellschaftlicher ArbeitsprozeB zur Herstellung
eines Produkts, andrerseits VerwertungsprozeB des Kapitals, so ist sie der
Form nach despotisch. Mit der Entwicklung der Kooperation auf groBrem
MaBstab entwickelt dieser Despotismus seine eigentumlichen Formen.
Wie der Kapitalist zunachst entbunden wird von der Handarbeit, sobald
sein Kapital jene MinimalgroBe erreicht hat, womit die eigentlich
kapitalistische Produktion erst beginnt, so tritt er jetzt die Funktion
unmittelbarer und fortwahrender Beaufsichtigung der einzelnen Arbeiter
und Arbeitergruppen selbst wieder ab an eine besondre Sorte von
Lohnarbeitern. Wie eine Armee militarischer, bedarf eine unter dem
Kommando desselben Kapitals zusammenwirkende Arbeitermasse
industrieller Oberoffiziere (Diri gen ten, managers) und Unteroffiziere
(Arbeitsaufseher, foremen, overlookers, contre-maitres), die wahrend des
Arbeitsprozesses im Namen des Kapitals kommandieren. Die Arbeit der
Oberaufsicht befestigt sich zu ihrer ausschlieBlichen Funktion. Bei
Vergleichung der Produktionsweise unabhangiger Bauern oder
selbstandiger Handwerker mit der auf Sklaverei beruhenden
Plantagenwirtschaft zahlt der politische Okonom diese Arbeit der
Oberaufsicht zu den faux frais de production. 541 Bei Betrachtung der
l.Nachdem Professor Cairnes die "superintendence of labour * als einen Hauptcharakter der
Sklavenproduktion in den siidlichen Staaten von Nordamerika dargestellt hat, fahrt er fort: »Da der
bduerliche Eigentiimer [des Nordens] das ganze Produkt seines Bodens2* fur sich behalt, braucht er
keinen besonderen Ansporn zur Anstrengung. Uberwachung wird hier vollig unnotig.« (Cairnes, I.e.
p. 48, 49.) * "Uberwachung der Arbeit" - * bei Cairnes: Produkt seiner Arbeit
2. Sir James Steuart, uberhaupt ausgezeichnet durch offnes Auge fur die charakteristisch-
gesellschaftlichen Unterschiede verschiedner Produktionsweisen, bemerkt: »Warum vernichten grofie
Manufakturunternehmungen das Hausgewerbe, wenn nicht dadurch, dafi sie der Einfachheit der
Sklavenarbeit naher kommen?« ("Princ. of Pol. Econ.", London 1767, v. I, p. 167, 168.)
3.Auguste Comte und seine Schule hatten daher in derselben Art die ewige Notwendigkeit von
Feudalherrn beweisen konnen, wie sie dies fur die Kapitalherrn getan.
I.R. Jones, "Text-book of Lectures etc.", p. 77, 78. Die altassyrischen, agyptischen usw.
Sammlungen in London und andren europaischen Hauptstadten machen uns zu Augenzeugen jener
kooperativen Arbeitsprozesse.
l.Linguet in seiner "Theorie des Lois civiles" hat vielleicht nicht unrecht, wenn er die Jagd fur die
erste Form der Kooperation und Menscheniagd (Krieg) fur eine der ersten Formen der Jagd erklart.
2. Die kleine Bauernwirtschaft und der unabhangige Handwerksbetrieb, die beide teils die Basis der
feudalen Produktionsweise bilden, teils nach deren Auflosung neben dem kapitalistischen Betrieb
erscheinen, bilden zugleich die okonomische Grundlage der klassischen Gemeinwesen zu ihrer besten Zeit,
nachdem sich das ursprunglich orientalische Gemeineigentum aufgelost und bevor sich die Sklaverei der
Produktion ernsthaft bemachtigt hat.
l.»Ist nicht die Vereinigung von Geschicklichkeit, Fleifi und Wetteifer vieler zusammen am
selben Werk der Weg, es vorwdrts zu bringen? Und ware es sonst England moglich gewesen, seine
Wollmanufaktur zu einem solchen Grad der Vollendung zu bringen? « (Berkeley, "The Querist", Lond.
1750, p. 56, §521.)
l.Um ein mehr modernes Beispiel dieser Bildungsart der Manufaktur anzufuhren, folgendes Zitat.
Die Seidenspinnerei und Weberei von Lyon und Nimes »ist ganz patriarchalisch; sie beschaftigt viele
Frauen und Kinder, aber ohne sie zu ubermiiden oder zugrunde zu richten; sie lafit sie in ihren
schonen Talern der Drome, des Var, der here und von Vaucluse, um dort Seidenraupen zu zuchten,
und ihre Kokons abzuwickeln, sie wird niemals zu einem regelrechten Fabrikbetrieb. Um trotzdem in
so hohem Mafie angewandt zu werden ... nimmt hier das Prinzip der Arbeitsteilung eine besondere
Eigenart an. Es gibt zwar Hasplerinnen, Seidenzwirner, Farber, Kettenschlichter, ferner Weber; aber
sie sind nicht in derselben Werkstatt vereinigt, nicht von demselben Meister abhdngig; alle sind sie
unabhangig« (A.Blanqui, "Cours d'Econ. Industrielle", Recueilli par A. Blaise, Paris 1838-1839, p. 79.)
Seit Blanqui dies schrieb, sind die verschiednen unabhangigen Arbeiter zum Teil in Fabriken vereinigt
kaptalistischen Produktionsweise identifiziert er dagegen die Funktion der
Leitung, soweit sie aus der Natur des gemeinschaftlichen Arbeitsprozesses
entspringt, mit derselben Funktion, soweit sie durch den kapitalistischen
und daher antagonistischen Charakter dieses Prozesses bedingt wird. 542
Der Kapitalist ist nicht {Capitalist, weil er industrieller Leiter ist, sondern er
wird industrieller Befehlshaber, weil er Kapitalist ist. Der Oberbefehl in der
Industrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl in
Krieg und Gericht Attribut des Grundeigen turns war. 543
Eigentumer seiner Arbeitskraft ist der Arbeiter, solange er als Verkaufer
derselben mit dem Kapitalist marktet, und er kann nur verkaufen, was er
besitzt, seine individuelle, vereinzelte Arbeitskraft. Dies Verhaltnis wird in
keiner Weise dadurch verandert, daB der Kapitalist 100 Arbeitskrafte statt
einer kauft oder mit 100 voneinander unabhangigen Arbeitern Kontrakte
schlieBt statt mit einem einzelnen. Er kann die 100 Arbeiter anwenden,
ohne sie kooperieren zu lassen. Der Kapitalist zahlt daher den Wert der 100
selbstandigen Arbeitskrafte, aber er zahlt nicht die kombinierte Arbeitskraft
der Hundert. Als unabhangige Personen sind die Arbeiter Vereinzelte, die
in ein Verhaltnis zu demselben Kapital, aber nicht zueinander treten. Ihre
Kooperation beginnt erst im ArbeitsprozeB, aber im ArbeitsprozeB haben
sie bereits aufgehort, sich selbst zu gehoren. Mit dem Eintritt in denselben
sind sie dem Kapital einverleibt. Als Kooperierende, als Glieder eines
werktatigen Organismus, sind sie selbst nur eine besondre Existenzweise
des Kapitals. Die Produktivkraft, die der Arbeiter als gesellschaftlicher
Arbeiter entwickelt, ist daher Produktivkraft des Kapitals. Die
gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit entwickelt sich unentgeltlich,
sobald die Arbeiter unter bestimmten Bedingungen gestellt sind, und das
Kapital stellt sie unter diese Bedingungen. Weil die gesellschaftliche
Produktivkraft der Arbeit dem Kapital nichts kostet, weil sie andrerseits
nicht von dem Arbeiter entwickelt wird, bevor seine Arbeit selbst dem
Kapital gehort, erscheint sie als Produktivkraft, die das Kapital von Natur
besitzt, als seine immanente Produktivkraft.
Kolossal zeigt sich die Wirkung der einfachen Kooperation in den
Riesenwerken der alten Asiaten, Agypter, Etrusker usw.
»Es geschah in vergangnen Zeiten, dafi diese asiatischen Staaten nach
Besttattung ihrer Zivil- und Militdraus gab en sich imBesitz eines
Uberschusses von Lebensmitteln befanden, die sie fur Werke der Pracht
und des Nutzens verausgaben konnten. Ihr Kommando iiber die Hdnde
und Arme fast der ganzen nicht ackerbauenden Bevolkrung und die
ausschliefiliche Verfiigung des Monarchen und der Priesterschaft iiber
jenen Uberschufi boten ihnen die Mittel zur Errichtung jener
machtigen Monumente, womit sie das Land erfullten ... In der Beweg-
ung der kolossalen Statuen und der enormen Massen, deren Transport
Staunen erregt, wurde fast nur menschliche Arbeit verschwenderisch
angewandt. Die Zahl der Arbeiter und die Konzentration ihrer Miihen
geniigte. So sehn wir machtige Korallenrijfe aus den Tiefen des Ozeans
zu Inseln anschwellen undfestes Land bilden, obgleichjeder
individuelle Ablagerer (depositary) winzig, schwach und verachtlich
ist. Die nicht ackerbauenden Arbeiter einer asiatischen Monarchie
haben aufier ihren individuellen korperlichen Bemiihungen wenig zum
Werk zu bringen, aber ihre Zahl ist ihre Kraft, und die Macht der
Direktion iiber diese Massen gab jenen Riesenwerken den Ursprung.
Es war die Konzentration der Revenuen, wovon die Arbeiter leben, in
einer Hand oder wenigen Handen, welche solche Unternehmungen
moglich machte.« 544
Diese Macht asiatischer und agyptischer Konige oder etruskischer
Theokraten usw. ist in der modernen Gesellschaft auf den Kapitalisten
iibergeangen, ob er nun als vereinzelter {Capitalist auftritt, oder, wie bei
Aktiengesellschaften, als kombinierter Kapitalist.
Die Kooperation im ArbeitsprozeB, wie wir sie in den Kulturanfangen der
Menschheit, bei Jagervolkern 545 oder etwa in der Agrikultur indischer
Gemeinwesen vorherrschend finden, beruht einerseits auf dem
Gemeineigentum an den Produktionsbedingungen, andrerseits darauf, daB
das einzelne Individuum sich von der Nabelschnur des Stammes oder des
Gemeinwesens noch ebensowenig losgerissen hat wie das
Bienenindividuum vom Bienenstock. Beides unterscheidet sie von der
kapitalistischen Kooperation. Die sporadische Anwendung der
Kooperation auf groBern MaBstab in der antiken Welt, dem Mittelalter und
den modernen Kolonien beruht auf unmittelbaren Herrschafts- und
Knechtschaftsverhaltnissen, zumeist auf der Sklaverei. Die kapitalistische
Form setzt dagegen von vornherein den freien Lohnarbeiter voraus, der
seine Arbeitskraft dem Kapital verkauft. Histo risen jedoch entwickelt sie
sich im Gegensatz zur Bauernwirtschaft und zum unabhangigen
Handwerksbetrieb, ob dieser zunftige Form besitze oder nicht. 546 Ihnen
gegeniiber erscheint die kapitalistische Kooperation nicht als eine besondre
historische Form der Kooperation, sondern die Kooperation selbst als eine
dem kapitalistischen ProduktionsprozeB eigentiimliche und inn spezifisch
unterscheidende historische Form.
Wie die durch die Kooperation entwickelte gesellschaftliche Produktivkraft
der Arbeit als Produktivkraft des Kapitals erscheint, so die Kooperation
selbst als eine spezifische Form des kapitalistischen Produktionsprozesses
im Gegensatz zum ProduktionsprozeB vereinzelter unabhangiger Arbeiter
oder auch Kleinmeister. Es ist die erste Anderung, welche der wirkliche
ArbeitsprozeB durch seine Subsumtion unter das Kapital erfahrt. Diese
Anderung geht naturwuchsig vor sich. Ihre Voraussetzung, gleichzeitige
Beschaftigung einer groBten Anzahl von Lohnarbeitern in demselben
ArbeitsprozeB, bildet den Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktion.
Dieser fallt mit dem Dasein des Kapitals selbst zusammen. Wenn sich die
kapitalistische Produktionsweise daher einerseits als historische
Notwendigkeit fur die Verwandlung des Arbeitsprozesses in einen
gesellschaftlichen ProzeB darstellt, so andrerseits diese gesellschaftliche
Form des Arbeitsprozesses als eine vom Kapital angewandte Methode, um
ihn durch Steigerung seiner Produktivkraft profitlicher auszubeuten.
In ihrer bisher betrachteten einfachen Gestalt fallt die Kooperation
zusammen mit der Produktion auf groBter Stufenleiter, bildet aber keine
feste charakteristische Form einer besondren Entwicklungsepoche der
kapitalistischen Produktionsweise. Hochstens erscheint sie annahernd so in
den noch Manufaktur 547 und in jeder Art groBer handwerksmaBigen
Anfangen der Agrikultur, welche der Manufakturperiode entspricht und
sich wesentlich nur durch die Masse der gleichzeitig angewandten Arbeiter
und den Umfang der konzentrierten Produktionsmittel von der
Bauernwirtschaft unterscheidet. Die einfache Kooperation ist stets noch
vorherrschende Form solcher Produktionszweige, worin das Kapital auf
groBer Stufenleiter operiert, ohne daB Teilung der Arbeit oder Maschinerie
eine bedeutende Rolle spielte.
Die Kooperation bleibt die Grundform der kapitalistischen
Produktionsweise, obgleich ihre einfache Gestalt selbst als besondre Form
neben ihren weiterentwickelten Formen erscheint.
Zwolftes Kapitel
Teilung der Arbeit und Manufaktur
1. Doppelter Ursprung der Manufaktur
Die auf Teilung der Arbeit beruhende Kooperation schafft sich ihre
klassische Gestalt in der Manufaktur. Als charakteristische Form des
kapitalistischen Produktionsprozesses herrscht sie vor wahrend der
eigentlichen Manufakturperiode, die, rauh angeschlagen, von Mitte des 16.
Jahrhunderts bis zum letzten Drittel des achtzehnten wahrt.
Die Manufaktur entspringt auf doppelte Weise. Entweder werden Arbeiter
von verschiedenartigen, selbstandigen Handwerken, durch deren Hande
ein Produkt bis zu seiner letzten Reife laufen muB, in eine Werkstatt unter
dem Kommando desselben Kapitalisten vereinigt. Z.B. eine Kutsche war
das Gesamtprodukt der Arbeiten einer groBen Anzahl unabhangiger
Handwerker, wie Stellmacher, Sattler, Schneider, Schlosser, Gurtler,
Drechsler, Posamentierer, Glaser, Maler, Lackierer, Vergolder usw. Die
Kutschenmanufaktur vereinigt alle diese verschiednen Handwerker in ein
Arbeitshaus, wo sie einander gleichzeitig in die Hand arbeiten. Man kann
eine Kutsche zwar nicht vergolden, bevor sie gemacht ist. Werden aber
viele Kutschen gleichzeitig gemacht, so kann ein Teil bestandig vergoldet
werden, wahrend ein andrer Teil eine friihre Phase des
Produktionsprozesses durchlauft. Soweit stehn wir noch auf dem Boden
der einfachen Kooperation, die ihr Material an Menschen und Dingen
vorfindet. Indes tritt sehr bald eine wesentliche Veranderung ein. Der
Schneider, Schlosser, Gurtler usw., der nur im Kutschenmachen
beschaftigt ist, verliert nach und nach mit der Gewohnheit auch die
Fahigkeit, sein altes Handwerk in seiner ganzen Ausdehnung zu betreiben.
Andrerseits erhalt sein vereinseitigtes Tun jetzt die zweckmaBigste Form
fur die verengte Wirkungssphare. Urspriinglich erschien die
Kutschenmanufaktur als eine Kombination selbstandiger Handwerke. Sie
wird allmahlich Teilung der Kutschenproduktion in ihre verschiednen
Sonderoperationen, wovon jede einzelne zur ausschlieBlichen Funktion
eines Arbeiters kristallisiert und deren Gesamtheit vom Verein dieser
Teilarbeiter verrichtet wird. Ebenso entstand die Tuchmanufaktur und eine
ganze Reihe andrer Manufakturen aus der Kombination verschiedner
Handwerke unter dem Kommando desselben Kapitals. 548
Die Manufaktur entspringt aber auch auf entgegengesetztem Wege. Es
wurden viele Handwerker, die dasselbe oder Gleichartiges tun, z.B. Papier
oder Typen oder Nadeln machen, von demselben Kapital gleichzeitig in
derselben Werkstatt beschaftigt. Es ist dies Kooperation in der einfachsten
Form. Jeder dieser Handwerker (vielleicht mit einem oder zwei Gesellen)
macht die ganze Ware und vollbringt also die verschiednen, zu ihrer
Herstellung erheischten Operationen der Reihe nach. Er arbeitet in seiner
alten handwerksmaBigen Weise fort. Indes veranlassen bald auBere
Umstande, die Konzentration der Arbeiter in demselben Raum und die
Gleichzeitigkeit ihrer Arbeiten anders zu vernutzen. Es soil z.B. ein
groBeres Quantum fertiger Ware in einer bestimmten Zeitfrist geliefert
werden. Die Arbeit wird daher verteilt. Statt die verschiednen Operationen
von demselben Handwerker in einer zeitlichen Reihenfolge verrichten zu
lassen, werden sie voneinander losgelost, isoliert, raumlich nebeneinander
gestellt, jede derselben einem andren Handwerker zugewiesen und alle
zusammen von den Kooperierenden gleichzeitig ausgefuhrt. Diese
zufallige Verteilung wiederholt sich, zeigt ihre eigentumlichen Vorteile und
verknochert nach und nach zur systematischen Teilung der Arbeit. Aus
dem individuellen Produkt eines selbstandigen Handwerkers, der vielerlei
tut, verwandelt sich die Ware in das gesellschaftliche Produkt eines
Vereins von Handwerkern, von denen jeder fortwahrend nur eine und
dieselbe Teiloperation verrichtet. Dieselben Operationen, die ineinander
flossen als sukzessive Vorrichtungen des deutschen zunftigen
Papiermachers, verselbstandigten sich in der hollandischen
Papiermanufaktur zu nebeneinander laufenden Teiloperationen vieler
kooperierenden Arbeiter. Der zunftige Nadler von Nurnberg bildet das
Grundelement der englischen Nadelmanufaktur. Wahrend aber jener eine
Nadler eine Reihe von vielleicht 20 Operationen nacheinander durchlief,
verrichteten hier bald 20 Nadler nebeneinander, jeder nur eine der 20
Operationen, die infolge von Erfahrungen noch viel weiter gespaltet,
isoliert und zu ausschlieBlichen Funktionen einzelner Arbeiter
verselbstandigt wurden.
Die Ursprungsweise der Manufaktur, ihre Herausbildung aus dem
Handwerk ist also zwieschlachtig. Einerseits geht sie von der Kombination
verschiedenartiger, selbstandiger Handwerke aus, die bis zu dem Punkt
verunselbstandigt und vereinseitigt werden, wo sie nur noch einander
erganzende Teiloperationen im ProduktionsprozeB einer und derselben
Ware bilden. Andrerseits geht sie von der Kooperation gleichartiger
Handwerker aus, zersetzt dasselbe individuelle Handwerk in seine
verschiednen besondren Operationen und isoliert und verselbstandigt diese
bis zu dem Punkt, wo jede derselben zur ausschlieBlichen Funktion eines
besondren Arbeiters wird. Einerseits fuhrt daher die Manufaktur Teilung
der Arbeit in einen ProduktionsprozeB ein oder entwickelt sie weiter,
andrerseits kombiniert sie fruher geschiedne Handwerke. Welches aber
immer ihr besondrer Ausgangspunkt, ihre SchluBgestalt ist dieselbe - ein
Produktionsmechanismus, dessen Organe Menschen sind.
Zum richtigen Verstandnis der Teilung der Arbeit in der Manufaktur ist es
wesentlich, folgende Punkte festzuhalten: Zunachst fallt die Analyse des
Produktionsprozesses in seine besondren Phasen hier ganz und gar
zusammen mit der Zersetzung einer handwerksmaBigen Tatigkeit in ihre
verschiednen Teiloperationen. Zusammengesetzt oder einfach, die
Verrichtung bleibt handwerksmaBig und daher abhangig von Kraft,
Geschick, Schnelle, Sicherheit des Einzelarbeiters in Handhabung seines
Instruments. Das Handwerk bleibt die Basis. Diese enge technische Basis
schlieBt wirklich wissenschaftliche Analyse des Produktionsprozesses aus,
da jeder TeilprozeB, den das Produkt durchmacht, als handwerksmaBige
Teilarbeit ausfiihrbar sein muB. Eben weil das handwerksmaBige Geschick
so die Grundlage des Produktionsprozesses bleibt, wird jeder Arbeiter
ausschlieBlich einer Teilfunktion angeeignet und seine Arbeitskraft in das
lebenslangliche Organ dieser Teilfunktion verwandelt. Endlich ist diese
Teilung der Arbeit eine besondre Art der Kooperation, und manche ihrer
Vorteile entspringen aus dem allgemeinen Wesen, nicht aus dieser
besondren Form der Kooperation.
2. Der Teilarbeiter und scin Werkzeug
Gehn wir nun naher auf das einzelne ein, so ist zunachst klar, daB ein
Arbeiter, der lebenslang eine und dieselbe einfache Operation verrichtet,
seinen ganzen Korper in ihr automatisch einseitiges Organ verwandelt und
daher weniger Zeit dazu verbraucht als der Handwerker, der eine ganze
Reihe von Operationen abwechselnd ausfuhrt. Der kombinierte
Gesamtarbeiter, der den lebendigen Mechanismus der Manufaktur bildet,
besteht aber aus lauter solchen einseitigen Teilarbeitern. Im Vergleich zum
selbstandigen Handwerk wird daher mehr in weniger Zeit produziert oder
die Produktivkraft der Arbeit gesteigert. 549 Auch vervollkommnet sich die
l.»Je mehr eine Arbeit von grofier Mannigfaltigkeit gegliedert und verschiedenen
Teilarbeitern zugewiesen wird, um so mehr mufi sie notwendigerweise besser und schneller ausgefiihrt
werden, mit weniger Verlust an Zeit und Arbeit. « ("The Advantages of the East India Trade", Lond. 1720,
p.71.)
2.»Leicht von der Hand gehende Arbeit ist uberlieferte Geschicklichkeit.« (Th. Hodgskin:
"Popular Political Economy", p. 48.)
l.»Auch die Kiinste sind ... in Agypten zu dem gehorigen Grad von Vollkommenheit gediehn.
Denn in diesem Lande allein diirfen die Handwerker durchaus nicht in die Geschafte einer andren
Biirgerklasse eingreifen, sondern blofi den nach dem Gesetz ihrem Stamme erblich zugehorigen Beruf
treiben ... Bei andren Volkern findet man, dafi die Gewerbsleute ihre Aufmerksamkeit auf zu viele
Gegenstande verteilen ... Bald versuchen sie es mit dem Landbau, bald lassen sie sich in
Handelsgeschafte ein, bald befassen sie sich mit zwei oder drei Kunsten zugleich. In Freistaaten laufen
sie meist in die Volksversammlungen ... In Agypten dagegen verfallt jeder Handwerker in schwere
Strafen, wenn er sich in Staatsgeschdfte mischt oder mehrere Kiinste zugleich treibt. So kann nichts
ihren Berufsfleiji storen ... Zudem, wie sie von ihren Vorfahren viele Regeln haben, sind sie eifrig
darauf bedacht, noch neue Vorteile aufzufinden.« (Diodorus Siculus: "Historische Bibliothek", I.I, c.74.)
1. "Historical and descriptive Account of Brit. India etc." By Hugh Murray, James Wilson etc.,
Edinburgh 1832, v. II, p. 449, 450. Der indische Webstuhl ist hochschaftig, d.h., die Kette ist vertikal
aufgespannt.
I.Darwin bemerkt in seinem epochemachenden Werk "Uber die Entstehung der Arten" mit Bezug
auf die natiirlichen Organe der Pflanzen und Tiere: »Solange ein und dasselbe Organ verschiedne
Arbeiten zu verrichten hat, lafit sich ein Grund fitr seine Veranderlichkeit vielleicht darin finden, dafi
natiirliche ZUchtung jede kleine Abweichung der Form weniger sorgfaltig erhalt oder unterdruckt, als
wenn dasselbe Organ nur zu einem besondren Zwecke allein bestimmt ware. So mogen Messer, welche
allerlei Dinge zu schneiden bestimmt sind, im ganzen so ziemlich von einerlei Form sein, wahrend ein
nur zu einerlei Gebrauch bestimmtes Werkzeug filr jeden andren Gebrauch auch eine andre Form
haben mufi. «
l.Polierer des Gehauses
Methode der Teilarbeit, nachdem sie zur ausschlieBlichen Funktion einer
Person verselbstandigt ist. Die stete Wiederholung desselben beschrankten
Tuns und die Konzentration der Aufmerksamkeit auf dieses Beschrankte
lehren erfahrungsmaBig den bezweckten Nutzeffekt mit geringstem
Kraftaufwand erreichen. Da aber immer verschiedne Arbeitergenerationen
gleichzeitig zusammenleben und in denselben Manufakturen
zusammenwirken, befestigen, haufen und ubertragen sich bald die so
gewonnenen technischen Kunstgriffe. 550
Die Manufaktur produziert in der Tat die Virtuositat des Detailarbeiters,
indem sie die naturwiichsige Sonderang der Gewerbe, die sie in der
Gesellschaft vorfand, im Innern der Werkstatt reproduziert und
systematisch zum Extrem treibt. Andrerseits entspricht ihre Verwandlung
der Teilarbeit in den Lebensberuf eines Menschen dem Trieb friiherer
Gesellschaften, die Gewerbe erblich zu machen, sie in Kasten zu
versteinern oder in Ziinfte zu verknochern, falls bestimmte historische
Bedingungen dem Kastenwesen widersprechende Variability des
Individuums erzeugen. Kasten und Ziinfte entspringen aus demselben
Naturgesetz, welches die Sonderang von Pflanzen und Tieren in Arten und
Unterarten regelt, nur daB auf einem gewissen Entwicklungsgrad die
Erblichkeit der Kasten oder die AusschlieBlichkeit der Ziinfte als
gesellechaftliches Gesetz dekretiert wird . 551
»Die Muslim von Dakka sind an Feinheit, die Kattune und ndre Zeuge
von Koromandel an Pracht und Dauerhaftigkeit der Farben niemals
ubertroffen worden. Und dennoch werden sie produziert ohne Kapital,
Maschinerie, Teilung der Arbeit oder irgendeins der andren Mittel, die
der Fabrikation in Europa so viele Vorteile bieten. Der Weber ist ein
vereinzeltes individuurn, der das Gewebe auf Bestellung eines Kunden
verfertigt und mit einem Webstuhl von der einfachsten Konstruktion,
manchmal nur bestehend aus holzernen, roh zusammengefiigten
Stangen. Er besitzt nicht einmal einen Apparat zum Aufziehn der Kette,
der Webstuhl mufi daher in seiner ganzen Ldnge ausgestreckt bleiben
und wird so unformlich und weit, dafi er keinen Raumfindet in der
Hiitte das Produzenten, der seine Arbeit daher infreier Luft verrichten
mufi, wo sie durchjede W etterdndrung unterbrochen wird.« 55 ~
Es ist nur das von Generation auf Generation gehaufte und von Vater auf
Sohn vererbte Sondergeschick, das dem Hindu wie der Spinne diese
Virtuositat verleiht. Und dennoch verrichtet ein solcher indischer Weber
sehr komplizierte Arbeit, verglichen mit der Mehrzahl der
Manufakturarbeiter.
Ein Handwerker, der die verschiednen Teilprozesse in der Produktion eines
Machwerks nacheinander ausfuhrt, muB bald den Platz, bald die
Instrumente wechseln. Der Ubergang von einer Operation zur andren
unterbricht den FluB seiner Arbeit und bildet gewissermaBen Poren in
seinem Arbeitstag. Diese Poren verdichten sich, sobald er den ganzen Tag
eine und dieselbe Operation kontinuierlich verrichtet, oder sie
verschwinden in dem MaBe, wie der Wechsel seiner Operation abnimmt.
Die gesteigerte Produktivitat ist hier entweder der zunehmenden Ausgabe
von Arbeitskraft in einem gegehnen Zeitraum geschuldet, also wachsender
Intensitat der Arbeit oder einer Abnahme des unproduktiven Verzehre von
Arbeitskraft. Der UberschuB von Kraftaufwand namlich, den jeder
Ubergang aus der Ruhe in die Bewegung erheischt, kompensiert sich bei
langrer Fortdauer der einmal erreichten Normalgeschwindigkeit.
Andrerseits zerstort die Kontinuita gleichformiger Arbeit die Spann-
und Schwungkraft der Lebensgeister,die im Wechsel der Tatigkeit selbst
ihre Erholung und ihren Reiz finden.
Die Produktivitat der Arbeit hangt nicht nur von der Virtuositat des
Arbeiters ab, sondern auch von der Vollkommenheit seiner Werkzeuge.
Werkzeuge derselben Art, wie Schneide-, Bohr-, StoB-, Schlaginstrumente
usw., werden in verschiednen Arbeitsprozessen gebraucht, und in
demselben ArbeitsprozeB dient dasselbe Instrument zu verschiednen
Verrichtungen. Sobald jedoch die verschiednen Operationen eines
Arbeitsprozesses voneinander losgelost sind und jede Teiloperation in der
Hand des Teilarbeiters eine moglichst entsprechende und daher
ausschlieBliche Form gewinnt, werden Verandrungen der vorher zu
verschiednen Zwecken dienenden Werkzeuge notwendig. Die Richtung
ihres Formwechsels ergibt sich aus der Erfahrung der besondren
Schwierigkeiten, welche die unveranderte Form in den Weg legt. Die
Differenzierung der Arbeitsinstrumente, wodurch Instrumente derselben
Art besondre feste Formen fur jede besondre Nutzanwendung erhalten,
und ihre Spezialisierung, wodurch jedes solches Sonderinstrument nur in
der Hand spezifischer Teilarbeiter in seinem ganzen Umfang wirkt,
charakterisieren die Manufaktur. Zu Birmingham allein produziert man
etwa 500 Varietaten von Hammern, wo von jeder nicht nur fiir einen
besondren ProduktionsprozeB, sondern eine Anzahl Varietaten oft nur fiir
verschiedne Operationen in demselben ProzeB dient. Die
Manufakturperiode vereinfacht, verbessert und vermannigfacht die
Arbeitswerkzeuge durch deren Anpassung an die ausschlieBlichen
Sonderfunktionen der Teilarbeiter. 553 Sie schafft damit zugleich eine der
materiellen Bedingungen der Maschinerie, die aus einer Kombination
einfacher Instrumente besteht. Der Detailarbeiter und sein Instrument
bilden die einfachen Elemente der Manufaktur. Wenden wir uns jetzt zu
ihrer Gesamtgestalt.
3. Die beiden Grundformen der Manufaktur - heterogene Manulaktur und
organische Manufaktur
Die Gliederung der Manufaktur besitzt zwei Grundformen, die trotz
gelegentlicher Verschlingung zwei wesentlich verschiedne Arten bilden
und namentlich auch bei der spatren Verwandlung der Manufaktur in die
maschinenartig betriebne, groBe Industrie eine ganz verschiedne Rolle
spielen. Dieser Doppelcharakter entspringt aus der Natur des Machwerks
selbst. Es wird entweder gebildet durch bloB mechanische
Zusammensetzung selbstandiger Teilprodukte oder verdankt seine fertige
Gestalt einer Reihenfolge zusammenhangender Prozesse und
Manipulationen.
Eine Lokomotive z. B. besteht aus mehr als 5.000 selbstandigen Teilen. Sie
kann jedoch nicht als Beispiel der ersten Art der eigentlichen Manufaktur
gelten, weil sie ein Gebilde der groBen Industrie ist. Wohl aber die Uhr, an
welcher auch William Petty die manufakturmaBige Teilung der Arbeit
veranschaulicht. Aus dem individuellen Werk eines Niirnberger
Handwerkers verwandelte sich die Uhr in das gesellschaftliche Produkt
einer Unzahl von Teilarbeitern, wie Rohwerkmacher, Uhrfedermacher,
Zifferblattmacher, Spiralfedermacher, Steinloch- und Rubinhebelmacher,
Zeigermacher, Gehausemacher, Schraubenmacher, Vergolder mit vielen
Untei-abteilungen, wie z.B. Raderfabrikant (Messing- und Stahlrader
wieder geschieden), Triebmacher, Zeigerwerkmacher, acheveur de pignon
(befestigt die Rader auf den Trieben, poliert die facettes usw.),
Zapfenmacher, planteur de finissage (setzt verschiedne Rader und Triebe
in das Werk), finisseur de barillet (laBt Zahne einschneiden, macht die
Locher zur richtigen Weite, hartet Stellung und Gesperr),
Hemmungmacher, bei der Zylinderhemmung wieder Zylinderaiacher,
Steigradmacher, Unruhemacher, Requettemacher (das Riickwerk, woran
die Uhr reguliert wird), planteur d'echappement (eigentliche
Hemmungmacher); dann der repasseur de barillet (macht Federhaus und
Stellung ganz fertig), Stahlpolierer, Raderpolierer, Schraubenpolierer,
Zahlenmaler, Blattmacher (schmilzt das Email auf das Kupfer), fabricant
de pendants (macht bloB die Bugel des Gehauses), finisseur de charniere
(steckt den Messingstift in die Mitte des Gehauses etc.), faiseur de secret
(macht die Federn im Gehause, die den Deckel aufspringen machen),
graveur, ciseleur, polisseur de boite 554 usw., usw., endlich der repasseur,
der die ganze Uhr zusammensetzt und sie gehend abliefert. Nur wenige
Teile der Uhr laufen durch verschiedne Hande, und alle diese membra
disjecta sammeln sich erst in der Hand, die sie schlieBlich in ein
mechanisches Ganzes verbindet. Dies auBerliche Verhaltnis des fertigen
Produkts zu seinen verschiedenartigen Elementen laBt hier, wie bei
ahnlichem Machwerk, die Kombination der Teilarbeiter in derselben
Werkstatt zufallig. Die Teilarbeiten konnen selbst wieder als voneinander
unabhangige Handwerke betrieben werden, wie im Kanton Waadt und
Neuchatel, wahrend in Genf z.B. groBe Uhrenmanufakturen bestehn. d.h.
unmittelbare Kooperation der Teilarbeiter unter dem Kommando eines
Kapitals stattfindet. Auch im letztren Fall werden Zifferblatt, Feder und
Gehause selten in der Manufaktur selbst verfertigt. Der kombinierte
manufakturmaBige Betrieb ist hier nur unter ausnahmsweisen
Verhaltnissen profitlich, weil die Konkurrenz unter den Arbeitern, die zu
Hause arbeiten wollen, am groBten ist, die Zersplittrung der Produktion in
eine Masse heterogener Prozesse wenig Verwendung gemeinschaftlicher
Arbeitsmittel erlaubt und der Kapitalist bei der zerstreuten Fabrikation die
Auslage fur Arbeitsgebaude usw. erspart. 555 Indes ist auch die Stellung
2. Genf hat im Jahr 1854 80.000 Uhren produziert, noch nicht ein Funfteil der Uhrenproduktion des
Kantons Neuchatel. Chaux-de-Fonds, das man als eine einzige Uhrenmanufaktur betrachten kann, liefert
allein jahrlich doppelt soviel als Genf. Von 1850-1861 lieferte Genf 720.000 Uhren. Siehe "Report from
Geneva on the Watch Trade" in "Reports by H. M.'s Secretaries of Embassy and Legation on the
Manufactures, Commerce etc", Nr.6, 1863. Wenn die Zusammenhangslosigkeit der Prozesse, worin die
dieser Detailarbeiter, die zu Hause, aber fur einen Kapitalisten (Fabrikant,
etablisseur) arbeiten, ganz und gar verschieden von der des selbstandigen
Handwerkers, welcher fur seine eignen Kunden arbeitet. 556
Produktion nur zusammengesetzter Machwerke zerfallt, an und fiir sich die Verwandlung solcher
Manufakturen in den Maschinenbetrieb der groBen Industrie sehr erschwert, kommen bei der Uhr noch
zwei andre Hindernisse hinzu, die Kleinheit und Delikatesse ihrer Elemente und ihr Luxuscharakter, daher
ihre Varietal, so daB z.B. in den besten Londoner Hausern das ganze Jahr hindurch kaum ein Dutzend Uhren
gemacht werden, die sich ahnlich sehn. Die Uhrenfabrik von Vacheron & Constantin, die mit Erfolg
Maschinerie anwendet, liefert auch hochstens 3-4 verschiedne Varietaten von GroBe und Form.
3. In der Uhrmacherei, diesem klassischen Beispiel der heterogenen Manufaktur, kann man sehr
genau die oben erwahnte, aus der Zersetzung der handwerksmaBigen Tatigkeit entspringende
Differenzierung und Spezialisierung der Arbeitsinstrumente studieren.
l.»Wenn die Menschen so dicht nebeneinander arbeiten, mufi der Transport notwendigerweise
geringer sein.« ("The Advantages of the East India Trade", p. 106.)
2.»Die Vereinzelung der verschiedenen Produktionsstufen in der Manufaktur, die aus der
Verwendung von Handarbeit folgt, erhoht die Produktionskosten ungeheuer, wobei der Verlust in der
Hauptsache durch die blofie Beforderung von einem Arbeitsprozefi zum anderen entsteht.« ("The
Industry of Natrons", Lond. 1855, part II, p.200.)
l.»Sie [die Teilung der Arbeit] verursacht auch eine Zeitersparnis, indent sie die Arbeit in ihre
verschiedenen Zweige zerlegt, die alle im gleichen Augenblick ausgefuhrt werden konnen ... Durch die
gleichzeitige Durchfuhrung all der verschiedenen Arbeitsprozesse, die ein einzelner getrennt hatte
ausfiihren mtissen, wird es z.B. moglich, eine Menge Nadeln in derselben Zeit fertigzustellen, in der
eine einzelne Nadel sonst nur abgeschnitten oder zugespitzt worden ware.« (Dugald Stewart, I.e.
p.319.)
l.»Je mannigfaltiger die Spezialarbeiter in jeder Manufaktur, ... um so ordentlicher und
regelmiijiiger ist jede Arbeit; diese mufi notwendig in weniger Zeit getan werden. und die Arbeit mufi
sich vermindern.« ("The Advantages etc.", p. 68.)
2.1ndes erreicht der manufakturmaBige Betrieb dies Resultat in vielen Zweigen nur unvollkommen,
weil er die allgemeinen chemischen und physikalischen Bedingungen des Produktionsprozesses nicht mit
Sicherheit zu kontrollieren weiB.
l.»Wenn die Erfahrung, je nach der besondren Natur der Produkte jeder Manufaktur, sowohl
die vorteilhafteste Art, die Fabrikation in Teiloperationen zu spalten, als auch die fiir sie notige
Arbeiterzahl kennen gelehrt hat, werden alle Etablissements, die kein exaktes Multipel dieser Zahl
anwenden, mit mehr Kosten fabrizieren... Dies ist eine der Ursachen der kolossalen Ausdehnung
industrieller Etablissements. « (Ch. Babbage: "On the Economy of Machinery", Lond. 1832, ch. XXI,
p. 172, 173.)
l.In England ist der Schmelzofen getrennt vom Glasofen, an dem das Glas verarbeitet wird, in
Belgien z.B. dient derselbe Ofen zu beiden Prozessen.
2.Flaschenmacher oder Fertigmachen einem Blaser, einem Anfanger, einem Aufstapler oder
Absprenger und einem Abtrager
l.Man kann dies unter andren ersehn aus W. Petty, John Bellers, Andrew Yarrartton, "The
Advantages of the East-India Trade" und J. Vanderlint.
2. Noch gegen Ende des 16Jahrhunderts bedient sich Frankreich der Morser und Siebe zum Pochen
und Waschen der Erze.
3. Die ganze Entwicklungsgeschichte der Maschinerie laBt sich verfolgen an der Geschichte der
Getreidemuhlen. Die Fabrik heiBt im Englischen immer noch mill (Muhle)
Die zweite Art der Manufaktur, ihre vollendete Form, produziert
Machwerke, die zusammenhangende Entwicklungsphasen, eine
Reihenfolge von Stufenprozessen durchlaufen, wie z.B. der Draht in der
Nahnadelmanufaktur die Hande von 72 und selbst 92 spezifischen
Teilarbeitern durchlauft.
Soweit solche Manufaktur urspriinglich zerstreute Handwerke kombiniert,
vermindert sie die raumliche Trennung zwischen den besondren
Produktionsphasen des Machwerks. Die Zeit seines Ubergangs aus einem
Stadium in das andre wird verkiirzt, ebenso die Arbeit, welche diese
Ubergange vermittelt. 557 Im Vergleich zum Handwerk wird so
Produktivkraft gewonnen, und zwar entspringt dieser Gewinn aus dem
allgemeinen kooperativen Charakter der Manufaktur. Andrerseits bedingt
ihr eigentumliches Prinzip der Teilung der Arbeit eine Isolierung der
verschiednen Produktionsphasen, die als ebenso viele handwerksmaBige
Teilarbeiten gegeneinander verselbstandigt sind. Die Herstellung und
Erhaltung des Zusammenhangs zwischen den isolierten Funktionen
ernotigt bestandigen Transport des Machwerks aus einer Hand in die andre
und aus einem ProzeB in den andren. Vom Standpunkt der groBen
Industrie tritt dies als eine charakteristische, kostspiehge und dem Prinzip
der Manufaktur immanente Beschranktheit hervor. 558
Betrachtet man ein bestimmtes Quantum Rohmaterial, z.B. von Lumpen in
der Papiermanufaktur oder von Draht in der Nadelmanufaktur, so
durchlauft es in den Handen der verschiednen Teilarbeiter eine zeitliche
Stufenfolge von Produktionsphasen bis zu seiner SchluBgestalt. Betrachtet
man dagegen die Werkstatt als einen Gesamtmechanismus, so befindet
sich das Rohmaterial gleichzeitig in alien seinen Produktionsphasen auf
einmal. Mit einem Teil seiner vielen instrumentbewaffneten Hande zieht
der aus den Detailarbeitern kombinierte Gesamtarbeiter den Draht,
wahrend er gleichzeitig mit andren Handen und Werkzeugen ihn streckt,
mit andren schneidet, spitzt etc. Aus einem zeitlichen Nacheinander sind
die verschiednen Stufenprozesse in ein raumliches Nebeneinander
verwandelt. Daher Lieferung von mehr fertiger Ware in demselben
Zeitraum. 559 jene Gleichzeitigkeit entspringt zwar aus der allgemeinen
kooperativen Form des Gesamtprozesses, aber die Manufaktur findet nicht
nur die Bedingungen der Kooperation vor, sondern schafft sie teilweise
erst durch die Zerlegung det handwerksmaBigen Tatigkeit. Andrerseits
erreicht sie diese gesellschaftliche Organisation des Arbeitsprozesses nur
durch Festschmieden desselben Arbeiters an dasselbe Detail.
Da das Teilprodukt jedes Teilarbeiters zugleich nur eine besondre
Entwicklungsstufe desselben Machwerks ist, liefert ein Arbeiter dem
andren oder eine Arbeitergruppe der andern ihr Rohmaterial. Das
Arbeitsresultat des einen bildet den Ausgangspunkt fiir die Arbeit des
andren. Der eine Arbeiter beschaftigt daher hier unmittelbar den andren.
Die notwendige Arbeitszeit zur Erreichung des bezweckten Nutzeffekts in
jedem TeilprozeB wird erfahrungsmaBig festgestellt, und der
Gesamtmechanismus der Manufaktur beruht auf der Voraussetzung, daB
in gegebner Arbeitszeit ein gegebnes Resultat erzielt wird. Nur unter dieser
Voraussetzung konnen die verschiednen, einander erganzenden
Arbeitsprozesse ununterbrochen, gleichzeitig und raumlich nebeneinander
fortgehn. Es ist klar, daB diese unmittelbare Abhagkeit der Arbeiten und
daher der Arbeiter voneinander jeden einzelnen zwingt, nur die
notwendige Zeit zu seiner Funktion zu verwenden, und so eine ganz andre
Kontinuitat, Gleichformigkeit, RegelmaBigkeit, Ordnung 560 und namentlich
auch Intensitat der Arbeit erzeugt wird als im unabhangigen Handwerk
oder selbst der einfachen Kooperation. DaB auf eine Ware nur die zu ihrer
Herstellung gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit verwandt wird,
erscheint bei der Warenproduktion iiberhaupt als auBrer Zwang der
Konkurrenz, weil, oberflachlich ausgedriickt, jeder einzelne Produzent die
Ware zu ihrem Marktpreis verkaufen muB. Lieferung von gegebnem
Produktenquantum in gegebner Arbeitszeit wird dagegen in der
Manufaktur technisches Gesetz des Produktionsprozesses selbst. 561
Verschiedne Operationen bedurfen jedoch ungleicher Zeitlangen und
liefern daher in gleichen Zeitraumen ungleiche Quanta von Teilprodukten.
Soil also derselbe Arbeiter tagaus, tagein stets nur dieselbe Operation
verrichten, so mussen fiir verschiedne Operationen verschiedne
Verhaltnizahlen von Arbeitern verwandt werden, z.B. 4 GieBer und 2
Abbrecher auf einen Frottierer in einer Typenmanufaktur, wo der GieBer
stundlich 2.000 Typen gieBt, der Abbrecher 4.000 abbricht und der
Frottierer 8.000 blank reibt. Hier kehrt das Prinzip der Kooperation in
seiner einfachsten Form zuriick, gleichzeitige Beschaftigung vieler, die
Gleichartiges tun, aber jetzt als Ausdruck eines organischen Verhaltnisses.
Die manufakturmaBige Teilung der Arbeit vereinfacht und vermannigfacht
also nicht nur die qualitativ unterschiednen Organe des gesellschaftlichen
Gesamtarbeiters, sondern schafft auch ein mathematisch festes Verhaltnis
fiir den quantitativen Umfang dieser Organe, d.h. fur die relative
Arbeiterzahl oder relative GroBe der Arbeitergruppen in jeder
Sonderfunktion. Sie entwickelt mit der qualitativen Gliederung die
quantitative Regel und Proportionalitat des gesellschaftlichen
Arbeitsprozesses.
1st die passendste Verhaltniszahl der verschiednen Gruppen von
Teilarbeitern erfahrungsmaBig festgesetzt fiir eine bestimmte Stufenleiter
der Produktion, so kann man diese Stufenleiter nur ausdehnen, indem man
ein Multipel jeder besondren Arbeitergruppe verwendet. 562 Es kommt
hinzu, daB dasselbe Individuum gewisse Arbeiten ebensogut auf groBerer
als kleinerer Staffel ausfuhrt, z.B. die Arbeit der Oberaufsicht, den
Transport der Teilprodukte aus einer Produktionsphase in die andre usw.
Die Verselbstandigung dieser Funktionen oder ihre Zuweisung an
besondre Arbeiter wird also erst vorteilhaft mit VergroBrung der
beschaftigten Arbeiterzahl, aber diese VergroBrung muB sofort alle
Gruppen proportionell ergreifen.
Die einzelne Gruppe, eine Anzahl von Arbeitern, die dieselbe Teilfunktion
verrichten, besteht aus homogenen Elementen und bildet ein besondres
Organ des Gesamtmechanismus. In verschiednen Manufakturen jedoch ist
die Gruppe selbst ein gegliederter Arbeitskorper, wahrend der
Gesamtmechanismus durch die Wiederholung oder Vervielfaltigung dieser
produktiven Elementarorganismen gebildet wird. Nehmen wir z.B. die
Manufaktur von Glasflaschen. Sie zerfallt in drei wesentlich unterschiedne
Phasen. Erstens die vorbereitende Phase, wie Bereitung der
Glaskomposition, Mengung von Sand, Kalk usw. und Schmelzung dieser
Komposition zu einer fliissigen Glasmasse. 563 In der ersten Phase sind
verschiedne Teilarbeiter beschaftigt, ebenso in der SchluBphase, der
Entfernung der Flaschen aus den Trockenofen, ihrer Sortierung,
Verpackung usw. Zwischen beiden Phasen steht in der Mitte die
eigentliche Glasmacherei oder Verarbeitung der fliissigen Glasmasse. An
demselben Munde eines Glasofens arbeitet eine Gruppe, die in England
das "hole" (Loch) heiBt und aus einem bottle maker oder finisher, einem
blower, eiriem gatherer, einem putter up oder whetter off und einem taker
in 564 zusammengesetzt ist. Diese fiinf Teilarbeiter bilden ebenso viele
Sonderorgane eines einzigen Arbeitskorpers, der nur als Einheit, also nur
durch unmittelbare Kooperation der fiinf wirken kann. Fehlt ein Glied des
funftelligen Korpers, so ist er paralysiert. Derselbe Glasofen hat aber
verschiedne Offnungen, in England z.B. 4-6, deren jede einen irdenen
Schmelztiegel mit fliissigem Glas birgt und wovon jede eine eigne
Arbeitergruppe von derselben funfgliedrigen Form beschaftigt. Die
Gliederung jeder einzelnen Gruppe beruht hier unmittelbar auf der Teilung
der Arbeit, wahrend das Band zwischen den verschiednen gleichartigen
Gruppen einfache Kooperation ist, die eins der Produkionsmittel, hier den
Glasofen, durch gemeinsamen Konsum okonomischer verbraucht. Ein
solcher Glasofen mit seinen 4-6 Gruppen bildet eine Glashiitte, und eine
Glasmanufaktur umfaBt eine Mehrzahl solcher Hiitten, zugleich mit den
Vorrichtungen und Arbeitern fiir die einleitenden und abschlieBenden
Produktionsphasen.
Endlich kann die Manufaktur, wie sie teilweis aus der Kombination
verschiedner Handwerke entspringt, sich zu einer Kombination
verschiedner Manufakturen entwickeln. Die groBten enghschen Glashiitten
z.B. fabrizieren ihre irdenen Schmelztiegel selbst, weil von deren Giite das
Gelingen oder MiBlingen des Produkts wesenthch abhangt. Die
Manufaktur eines Produktionsmittels wird hier mit der Manufaktur des
Produkts verbunden. Umgekehrt kann die Manufaktur des Produkts
verbunden werden mit Manufakturen, worin es selbst wieder als
Rohmaterial dient oder mit deren Produkten es spater zusammengesetzt
wird. So findet man z.B. die Manufaktur von Flintglas kombiniert mit der
Glasschleiferei und der GelbgieBerei, letztre fur die metallische Einfassung
mannigfacher Glasartikel. Die verschiednen kombinierten Manufakturen
bilden dann mehr oder minder raumlich getrennte Departemente einer
Gesamtmanufaktur, zugleich voneinander unabhangige
Produktionsprozesse, jeder mit eignen Teilung der Arbeit. Trotz mancher
Vorteile, welche die kombinierte Manufaktur bietet, gewinnt sie, auf eigner
Grundlage, keine wirklich technische Einheit. Diese entsteht erst bei ihrer
Verwandlung in den maschinenmaBigen Betrieb.
Die Manufakturperiode, welche Verminderung der zur Warenproduktion
notwendigen Arbeitszeit bald als bewuBtes Prinzip ausspricht 565 ,
entwickelt sporadisch auch den Gebrauch von Maschinen, namentlich fur
gewisse einfache erste Prozesse, die massenhaft und mit groBem
Kraftaufwand auszufiihren sind. So wird z.B. bald in der Papiermanufaktur
das Zermalmen der Lumpen durch Papiermuhlen und in der Metallurgie
das ZerstoBen der Erze durch sogenannte Pochmuhlen verrichtet , 566 Die
elementarische Form aller Maschinerie hatte das romische Kaiserreich
iiberliefert in der Wassermiihle. 567 Die Handwerksperiode vermachte die
groBen Erfindungen des Kompasses, des Pulvers, der Buchdruckerei und
der automatischen Uhr. Im groBen und ganzen jedoch spielt die
Maschinerie jene Nebenrolle, die Adam Smith ihr neben der Teilung der
Arbeit anweist. 568 Sehr wichtig wurde die sporadische Anwendung der
5.Wie man aus clem Vierten Buch dieser Schrift naher sehn wird, hat A. Smith keinen einzigen
neuen Satz uber die Teilung der Arbeit aufgestellt. Was ihn aber als den zusammenfassenden politischen
Okonomen der Manufakturperiode charakterisiert, ist der Akzent, den er auf die Teilung der Arbeit legt.
Die untergeordnete Rolle, die er der Maschinerie anweist, rief im Beginn der groBen Industrie
Lauderdales, in einer weiterentwickelten Epoche Ures Polemik hervor. A. Smith verwechselt auch die
Differenzierung der Instrumente, wobei die Teilarbeiter der Manufaktur selbst sehr tatig waren, mit der
Maschinenerfindung. Es sind nicht Manufaktutarbeiter, sondern Gelehrte, Handwerker, selbst Bauern
(Brindley) usw., die hier eine Rolle spielen.
l.»Indem man das Machwerk in mehrere verschiedne Operationen teilt, derenjede verschiedne
Grade von Gewandtheit und Kraft erheischt, kann der Manufakturherr sich genau das jeder Operation
entsprechende Quantum von Kraft und Gewandtheit verschaffen. Ware dagegen das game Werk von
einem Arbeiter zu verrichten, so mttfite dasselbe Individuum genug Gewandtheit fiir die delikatesten
und genug Kraft fiir die miihseligsten Operationen besitzen.« (Ch. Babbage, I.e., ch.XIX.)
2. Z.B. einseitige Muskelentwicklung, Knochenverkriimmung usw.
3. Sehr richtig antwortet Herr Wm. Marshall, der general manager einer Glasmanufaktur, auf die
Frage des Untersuchungskommissars, wie die Arbeitsamkeit unter den beschaftigten jungen
aufrechterhalten werde: »Sie konnen ihre Arbeit gar nicht vernachldssigen; haben sie erst einmal zu
Maschinerie im 17. Jahrhundert, weil sie den groBen Mathematikern jener
Zeit praktische Anhaltspunkte und Reizmittel zur Schopfung der
modernen Mechanik darbot.
Die spezifische Maschinerie der Manufakturperiode bleibt der aus vielen
Teilarbeitern kombinierte Gesamtarbeiter selbst. Die verschiednen
Operationen, die der Produzent einer Ware abwechselnd verrichtet und die
sich im Ganzen seines Arbeitsprozesses verschlingen, nehmen inn
verschiedenartig in Anspruch. In der einen muB er mehr Kraft entwickeln,
in der andren mehr Gewandtheit, in der dritten mehr geistige Aufmerk
samkeit usw., und dasselbe Individuum besitzt diese Eigenschaften nicht
in gleichem Grad. Nach der Trennung, Verselbstandigung und Isolierung
der verschiednen Operationen werden die Arbeiter ihren vorwiegenden
Eigenschaften gemaB geteilt, klassifiziert und gruppiert. Bilden ihre Natur,
besonderheiten die Grundlage, worauf sich die Teilung der Arbeit pfropft,
so entwickelt die Manufaktur, einmal eingefuhrt, Arbeitskrafte, die von
Natur nur zu einseitiger Sonderfunktion taugen. Der Gesamtarbeiter besitzt
jetzt alle produktiven Eigenschaften in gleich hohem Grad der Virtuositat
und verausgabt sie zugleich aufs okonomischste, indem er alle seine
Organe, individualisiert in besondren Arbeitern oder Arbeitergruppen,
ausschlieBlich zu ihren spezifischen Funktionen verwendet. 569 Die
Einseitigkeit und selbst die Unvollkommenheit des Teilarbeiters
werden zu seiner Vollkommenheit als Glied des Gesamtarbeiters. 570 Die
Gewohnheit einer einseitigen Funktion verwandelt ihn in ihr naturgemaB
sicher wirkendes Organ, wahrend der Zusammenhang des
Gesamtmechanismus ihn zwingt, mit der RegelmaBigkeit eines
Maschinenteils zu wirken. 571
Da die verschiednen Funktionen des Gesamtarbeiters einfacher oder
zusammengesetzter, niedriger oder hoher, erheischen seine Organe, die
individuellen Arbeitskrafte, sehr verschiedne Grade der Ausbildung und
besitzen daher sehr verschiedne Werte. Die Manufaktur entwickelt also
eine Hierarchie der Arbeitskrafte, der eine Stufenleiter der Arbeitslohne
entspricht. Wird einerseits der individuelle Arbeiter einer einseitigen
Funktion angeeignet und lebenslang annexiert, so werden ebensosehr die
verschiednen Arbeitsverrichtungen jener Hierarchie der naturlichen und
erworbnen Geschicklichkeiten angepaBt. 572 Jeder ProduktionsprozeB
l.Dr. Ure in seiner Apotheose der groBen Industrie fiihlt die eigentumlichen Charaktere der
Manufaktur scharfer heraus als friihere Okonomen, die nicht sein polemisches Interesse hatten, und selbst
als seine Zeitgenossen, z.B. Babbage, der ihm zwar uberlegen ist als Mathematiker und Mechaniker, aber
dennoch die groBe Industrie eigentlich nur vom Standpunkt der Manufaktur auffaBt. Ure bemerkt: »Die
Aneignung der Arbeiter an jede Sonderoperation bildet das Wesen der Verteilung der Arbeiten.e
Andrerseits bezeichnet er diese Verteilung als »Anpassung der Arbeiten an die verschiednen
individuellen Fahigkeiten« und charakterisiert endlich das ganze Manufaktursystem als »ein System von
Gradationen nach dem Rang der Geschicklichkeit« , als »eine Teilung der Arbeit nach den veschiednen
Graden des Geschicks« usw. (Ure, "Philos. of Manuf.", p. 19-23 passim.)
l.»Jeder Handwerker, der ... instand gesetzt wurde, sich durch die Praxis in einer
Einzelverrichtung zu vervollkommnen ... wurde ein billigerer Arbeiter. « (Ure, I.e. p. 19.)
l.»Die Teilung der Arbeit geht von der Trennung der verschiedenartigsten Professionen fort
bis zu jener Teilung, wo mehrere Arbeiter sich in die Anfertigung eines und desselben Produkts teilen,
wie in der Manufaktur. « (Storch, "Cours d'Econ. Pol.", Pariser Ausgabe, t.I, p. 173.) »Wir begegnen bei
den Volkern, die eine gewisse Stufe der Zivilisation erreicht haben, drei Arten von Arbeitsteilung: die
erste, die wir die allgemeine nennen, ftihrt die Scheidung der Produzenten in Landwirte,
Gewerbetreibende und Kaufleute herbei, sie entspricht den drei Hauptzweigen der nationalen Arbeit;
die zweite, die man die besondere nennen konnte, ist die Teilung jedes Arbeitszweigs in Arten ... die
dritte Arbeitsteilung endlich, die man als Teilung der Arbeitsverrichtung oder als Arbeitsteilung im
eigentlichen Sinne bezeichnen sollte, ist diejenige, die sich in den einzelnen Handwerken und Berufen
herausbildet ... und in den meisten Manufakturen und Werkstiitten Fufifafit.« (Skarbek, I.e. p. 84, 85.)
l.{Note zur 3.Aufl. - Spatere sehr griindliche Studien der menschlichen Urzustande fuhrten den
Verfasser zum Ergebnis, daB urspriinglich nicht die Familie sich zum Stamm ausgebildet, sondern
umgekehrt, der Stamm die urspriingliche naturwuchsige Form der auf Blutsverwandtschaft beruhenden
menschlichen Vergesellschaftung war, so daB aus der beginnenden Auflosung der Stammesbande erst
spater die vielfach verschiednen Formen der Familie sich entwickelten. - F. E.)
bedingt indes gewisse einfache Hantierangen, deren jeder Mensch, wie er
geht und steht, fahig ist. Auch sie werden jetzt von ihrem fliissigen
Zusammenhang mit den inhaltvollern Momenten der Tatigkeit losgelost
und zu ausschlieBlichen Funktionen verknochert.
Die Manufaktur erzeugt daher in jedem Handwerk, das sie ergreift, eine
Klasse sogenannter ungeschickter Arbeiter, die der Handwerksbetrieb
streng ausschloB. Wenn sie die durchaus vereinseitigte Spezialitat auf
Kosten des ganzen Arbeitsvermogens zur Virtuositat entwickelt, beginnt
sie auch schon den Mangel aller Entwicklung zu einer Spezialitat zu
machen. Neben die hierarchische Abstufung tritt die einfache Scheidung
der Arbeiter in geschickte und ungeschickte. Fur letztre fallen die
Erlernungskosten ganz weg, fur erstre sinken sie, im Vergleich zum
Handwerker, infolge vereinfachter Funktion. In beiden Fallen sinkt der
Wert der Arbeitskraft. 573 Ausnahme findet statt, soweit die Zersetzung des
Arbeitsprozesses neue zusammenfassende Funktionen erzeugt, die im
Handwerksbetrieb gar nicht oder nicht in demselben Umfang vorkamen.
Die relative Entwertung der Arbeitskraft, die aus dem Wegfall oder der
Verminderung der Erlernungskosten entspringt, schlieBt unmittelbar
hohere Verwertung des Kapitals ein, denn alles, was die zur Reproduktion
der Arbeitskraft notwendige Zeit verkiirzt, verlangert die Domane der
Mehrarbeit.
4. Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur und Teilung der Arbeit
innerhalb der Gesellschaft
Wir betrachteten erst den Ursprung deir Manufaktur, dann ihre einfachen
Elemente, den Teilarbeiter und sein Werkzeug, endlich ihren
Gesamtmechanismus. Wir beriihren jetzt kurz das Verhaltnis zwischen der
manufakturmaBigen Teilung der Arbeit und der gesellschaftlichen Teilung
der Arbeit, welche die allgemeine Grundlage aller Warenproduktion bildet.
Halt man nur die Arbeit selbst im Auge, so kann man die Trennung der
gesellschaftlichen Produktion in ihre groBen Gattungen, wie Agrikultur,
Industrie usw., als Teilung der Arbeit im allgemeinen, die Sonderung dieser
Produktionsgattungen in Arten und Unterarten als Teilung der Arbeit im
besondren, und die Teilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt als
Teilung der Arbeit im einzelnen bezeichnen. 74
Die Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft und die entsprechende
Beschrankung der Individuen auf besondre Berufsspharen entwickelt sich,
wie die Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur, von
entgegengesetzten Ausgangspunkten. Innerhalb einer Familie 575 , weiter
entwickelt eines Stammes, entspringt eine naturwuchsige Teilung der
Arbeit aus den Geschlechts- und Alters verschiedenheiten, also auf rein
physio logischer Grundlage, die mit der Ausdehnung des Gemeinwesens,
der Zunahme der Bevolkerung und namentlich dem Konflikt zwischen
verschiednen Stammen und der Unterjochung eines Stamms durch den
andren ihr Material ausweitet. Andrerseits, wie ich friiher bemerkt 576 ,
2.Siehe Kapital, Band 1, S. 102
l.Sir James Steuert hat diesen Punkt am besten behandelt. Wie wenig sein Werk, welches 10 Jahre
vor dem "Wealth of Nations" erschien, heutzutage bekannt ist, sieht man u.a. daraus, daB die Bewundrer des
Malthus nicht einmal wissen, daB dieser in der ersten Ausgabe seiner Schrift iiber die "Population", vom
entspringt der Produktenaustausch an den Punkten, wo verschiedne
Familien, Stamme, Gemeinwesen in Kontakt kommen, denn nicht
Privatpersonen, sondern Familien, Stamme usw. treten sich in den
Anfangen der Kultur selbstandig gegeniiber. Verschiedne Gemeinwesen
finden verschiedne Produktionsmittel und verschiedne Lebensmittel in
ihrer Naturumgebun vor. Ihre Produktionsweise, Lebensweise und
Produkte sind daher verschieden. Es ist diese naturwiichsige
Verschiedenheit, die bei dem Kontakt der Gemeinwesen den Austausch
der wechselseitigen Produkte und daher die allmahhche Verwandlung
dieser Produkte in Waren hervorruft. Der Austausch schafft nicht den
Unterschied der Produktionsspharen, sondern setzt die unterschiednen in
Beziehung und verwandelt sie so in mehr oder minder voneinander
abhangige Zweige einer gesellschaftlichen Gesamtproduktion. Her entsteht
die gesellschaftliche Teilung der Arbeit durch den Austausch urspriinglich
verschiedner, aber voneinander unabhangiger Produktionsspharen. Dort,
wo die physiologische Teilung der Arbeit den Ausgangspunkt bildet, losen
sich die besondren Organe eines unmittelbar zusammengehorigen Ganzen
voneinander ab, zersetzen sich, zu welchem ZersetzungsprozeB der
Warenaustausch mit fremden Gemeinwesen den HauptanstoB gibt, und
verselbstandigen sich bis zu dem Punkt, wo der Zusammenhang der
verschiednen Arbeiten durch den Austausch der Produkte als Waren
vermittelt wird. Es ist in dem einen Fall Verunselbstandigung der friiher
Selbstandigen, in dem andren Verselbstandigung der friiher
Unselbstandigen.
Die Grundlage aller entwickelten und durch Warenaustausch vermittelten
Teilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und Land. 577 Man kann
rein deldamatorischen Teil abgesehn, neben den Pfaffen Wallace und Townsend fast nur den Steuert
abschreibt.
l.»Es gibt eine gewisse Bevolkerungsdichte, die zweckdienlich ist, sowohl fur den
gesellschaftlichen Verkehr als auch fiir jenes Zusammenwirken der Krdfte, durch das der Ertrag der
Arbeit gesteigert wird.« (James Mill, I.e. p. 50.) »Wenn die Zahl der Arbeiter wachst, steigt die
Produktivkraft der Gesellschaft im gleichen Verhaltnis zu diesem Wachstum, multipliziert mit der
Wirkung der Arbeitstellung.« (Th. Hodgskin, I.e. p. 120.)
2. Infolge der groBen Baurnwollnachfrage seit 1861 wurde in einigen sonst zahlreich bevolkerten
Distrikten Ostindiens die Baumwollproduktion auf Kosten der Reisproduktion ausgedehnt. Es entstand
daher partielle Hungersnot, weil wegen mangelnder Kommunikationsmittel und daher mangelnden
sagen, daB die ganze okonomische Geschichte der Gesellschaft sich in der
Bewegung dieses Gegensatzes resiimiert, auf den wir jedoch hier nicht
weiter eingehn.
Wie fur die Teilung der Arbeit innerhalb der Manufaktur eine gewisse
Anzahl gleichzeitig angewandter Arbeiter die materielle Voraussetzung
bildet, so fur die Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft die GroBe
der Bevolkerung und ihre Dichtigkeit, die hier an die Stelle der
Agglomeration in derselben Werkstatt tritt. 578 Indes ist diese Dichtigkeit
etwas Relatives. Ein relativ sparlich bevolkertes Land mit entwickelten
Kommunikationsmitteln besitzt eine dichtere Bevolkerung als ein mehr
bevolkertes Land mit unentwickelten Kommunikationsmitteln, und in
dieser Art sind z.B. die nordlichen Staaten der amerikanischen Union
dichter bevolkert als Indien. 579
Da Warenproduktion und Warenzirkulation die allgemeine Voraussetzung
der kapitalistischen Produktionsweise, erheischt manufakturmaBige
Teilung der Arbeit eine schon bis zu gewissem Entwicklungsgrad gereifte
Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. Umgekehrt entwickelt und
vervielfaltigt die manufakturmaBige Teilung der Arbeit riickwirkend jene
gesellschaftliche Teilung der Arbeit. Mit der Differenzierung der
Arbeitsinstrumente differenzieren sich mehr und mehr die Gewerbe,
welche diese Instrumente produzieren. 580 Ergreift der manufakturmaBige
l.So bildete die Fabrikation der Weberschiffchen schon wahrend des 17Jahrhunderts einen
besondren Industriezweig in Holland.
2.»Ist nicht die Wollmanufaktur Englands in verschiedene Telle oder Zweige geschieden, die
sich an besonderen Orten festgesetzt haben, wo sie allein oder hauptsachllch hergestellt werden; feine
Tuche in Somersetshire, grobe in Yorkshire, doppelbreite in Exeter, Seide in Sudbury, Krepps in
Norwich, Halbwollstoffe in Kendal, Decken in Whitney usw.!« (Berkeley: "The Querist", 1750, § 520.)
3. A. Ferguson: "History of Civil Society", Edinb. 1767, part IV, sect. II, p. 285.
1. In den eigentlichen Manufakturen, sagt er, scheint die Teilung der Arbeit groBer, weil »die in
jedem einzelnen Arbeitszwelg Beschaftigten oft in elnem Arbeitshaus zusammen sein und vom
Beobachter mit einem Blick ubersehen werden konnen. In jenen grofien Manufakturen [!] dagegen,
welche dazu bestlmmt sind, die Hauptbediirfnisse der grofien Masse der Bevolkerung zu befriedigen,
sind in jedem einzelnen Arbeitszwelg so viele Arbeiter beschaftigt, dafi man sie unmogllch In einem
Arbeitshaus zusammenbringen kann ... die Teilung ist nicht annahernd so offensichtlich.« (A. Smith,
"Wealth of Nations', b.I, ch.I.) Der beriihmte Passus in demselben Kapitel, der mit den Worten beginnt:
»Man betrachte die Habe des gewohnllchsten Handwerkers oder Tagelohners in einem zivilisierten
und bluhenden Lande usw.« und dann weiter ausmalt, wie zahllos mannigfaltige Gewerbe zur Befriedigung
der Bediirfnisse eines gewohnlichen Arbeiters zusammenwirken, ist ziemlich wortlich kopiert aus B. de
Mandevilles Remarks zu seiner "Fable of the Bees, or, Private Vices, Publick Benefits." (Erste Ausgabe
ohne Remarks 1705, mit den Remarks 1714.)
2.»Es gibt aber nichts mehr, was man als den natiirlichen Lohn der Arbeit eines einzelnen
bezeichnen konnte. Jeder Arbeiter erzeugt nur einen Teil eines Ganzen, und da jeder Teil fur sich
allein ohne Wert oder Nutzen ist, gibt es nichts, was der Arbeiter nehmen und wovon er sagen konnte:
Das ist mein Erzeugnis, das will ichfiir mich behalten.« ("Labour defended against the claims of Capital",
Lond. 1825, p. 25.) Der Verfasser dieser vorziiglichen Schrift ist der fruher zitierte Th. Hodgskin.
3. Note zur 2. Ausgabe: Dieser Unterschied zwischen gesellschaftlicher und manufakturmaBiger
Teilung der Arbeit wurde den Yankees praktisch illustriert. Eine der wahrend des Biirgerkriegs zu
Washington neu ausgeheckten Steuern war die Akzise von 6% auf »alle industriellen Produkte«. Frage:
Was ist ein industrielles Produkt? Antwort des Gesetzgebers: Ein Ding ist produziert, »wenn es gemacht
ist« (sehen it is made), und es ist gemacht, wenn fur den Verkauf fertig. Nun ein Beispiel aus vielen.
Betrieb ein Gewerb, das bisher als Haupt- odet Nebengewerb mit andren
zusammenhing und von demselben Produzenten ausgefiihrt wurde, so
findet sofort Scheidung und gegenseitige Verselbstandigung statt. Ergreift
er eine besondre Produktionsstufe einer Ware, so verwandeln sich ihre
verschiednen Produktionsstufen in verschiedne unabhangige Gewerbe. Es
ward bereits angedeutet, daB, wo das Machwerk ein bloB mechanisch
zusammengesetztes Ganze von Teilprodukten, die Teilarbeiten sich selbst
wieder zu eignen Handwerken verselbstandigen konnen. Um die Teilung
der Arbeit vollkommner innerhalb einer Manufaktur auszufiihren, wird
derselbe Produktionszweig, je nach der Verschiedenheit seiner Rohstoffe
oder der verschiednen Formen, die derselbe Rohstoff erhalten kann, in
verschiedne, zum Teil ganz neue Manufakturen gespaltet. So wurden
bereits in der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich allein iiber
100 verschiedenartige Seidenzeuge geweht, und in Avignon z.B. war es
Gesetz, daB »jeder Lehrling sich immer nur einer Fabrikationsart
widmen und nicht die Verfertigung mehrerer Zeugarten zugleich lernen
durfte«. Die territoriale Teilung der Arbeit, welche besondre
Produktionszweige an besondre Distrikte eines Landes bannt, erhalt neuen
AnstoB durch den manufakturmaBigen Betrieb, der alle Besonderheiten
ausbeutet. 581 Reiches Material zur Teilung der Arbeit innerhalb der
Gesellschaft liefert der Manufakturperiode die Erweiterung des Weltmarkts
und das Kolonialsystem, die zum Umkreis ihrer allgemeinen
Existenzbedingungen gehoren. Es ist hier nicht der Ort, weiter
nachzuweisen, wie sie neben der okonomischen jede andre Sphare der
Gesellschaft ergreift und iiberall die Grundlage zu jener Ausbildung des
Fachwesens, der Spezialitaten, und einer Parzellierung des Menschen legt,
die schon A. Ferguson, den Lehrer A. Smiths, in den Ausruf ausbrechen
lieB: » Wir machen eine Nation von Heloten, und es gibt keine Freien
unter uns.«
Trotz der zahlreichen Analogien jedoch und der Zusammenhange
zwischen der Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und der
Teilung innerhalb einer Werkstatt sind beide nicht nur graduell, sondern
wesentlich unterschieden. Am schlagendsten scheint die Analogie
unstreitig, wo ein innres Band verschiedne Geschaftszweige verschlingt.
Der Viehzuchter z.B. produziert Haute, der Gerber verwandelt die Haute in
Leder, der Schuster das Leder in Stiefel. jeder produziert hier ein
Stufenprodukt, und die letzte fertige Gestalt ist das kombinierte Produkt
ihrer Sonderarbeiten. Es kommen hinzu die mannigfachen Arbeitszweige,
die dem Viehzuchter, Gerber, Schuster Produktionsmittel liefern. Man
kann sich nun mit A. Smith einbilden, diese gesellschaftliche Teilung der
Arbeit unterscheide sich von der manufakturmaBigen nur subjektiv,
namlich fur den Beobachter, der hier die mannigfachen Teilarbeiten auf
einen Blick raumlich zusammensieht, wahrend dort ihre Zerstreuung iiber
groBe Flachen und die groBe Zahl der in jedem Sonderzweig Beschaftigten
den Zusammenhang verdunklen. 583 Was aber stellt den Zusammenhang
her zwischen den unabhangigen Arbeiten von Viehzuchter, Gerber,
Schuster? Das Dasein ihrer respektiven Produkte als Waren. Was
charakterisiert dagegen die manufakturmaBige Teilung der Arbeit? DaB der
Teilarbeiter keine Ware produziert. 584 Erst das gemeinsame Produkt der
Teilarbeiter verwandelt sich in Ware. 585 Die Teilung der Arbeit im Innern
der Gesellschaft ist vermittelt durch den Kauf und Verkauf der Produkte
verschiedner Arbeitszweige, der Zusammenhang der Teilarbeiten in der
Manufaktur durch den Verkauf verschiedner Arbeitskrafte an denselben
Kapitalisten, der sie als kombinierte Arbeitskraft verwendet. Die
manufakturmaBige Teilung der Arbeit unterstellt Konzentration der
Produktionsmittel in der Hand eines Kapitalisten, die gesellschaftliche
Teilung der Arbeit Zersplitterung der Produktionsmittel unter viele
voneinander unabhangige Warenproduzenten. Statt daB in der Manufaktur
das eherne Gesetz der Verhaltniszahl oder Proportionalitat bestimmte
Arbeitermassen unter bestimmte Funktionen subsumiert, treiben Zufall
und Willkiir ihr buntes Spiel in der Verteilung der Warenproduzenten und
ihrer Produktionsmittel unter die verschiednen gesellschaftlichen
Arbeitszweige. Zwar suchen sich die verschiednen Produktionsspharen
bestandig ins Gleichgewicht zu setzen, indem einerseits jeder
Warenproduzent einen Gebrauchswert produzieren, also ein besondres
gesellschaftliches Bediirfnis befriedigen muB, der Umfang dieser
Bedurfnisse aber quantitativ verschieden ist und ein innres Band die
verschiednen Bedurfnismassen zu einem naturwiichsigen System
verkettet; indem andrerseits das Wertgesetz der Waren bestimmt, wieviel
die Gesellschaft von ihrer ganzen disponiblen Arbeitszeit auf die
Produktion jeder besondren Warenart verausgaben kann. Aber diese
bestandige Tendenz der verschiednen Produktionsspharen, sich ins
Gleichgewicht zu setzen, betatigt sich nur als Reaktion gegen die
bestandige Aufhebung dieses Gleichgewichts. Die bei der Teilung der
Arbeit im Innern der Werkstatt a priori und planmaBig befolgte Regel wirkt
bei der Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft nur a posteriori als
innre, stumme, im Barometerwechsel der Marktpreise wahrnehmbare, die
regellose Willkiir der Warenproduzenten uberwaltigende
Naturnotwendigkeit. Die manufakturmaBige Teilung der Arbeit unter-stellt
die unbedingte Autoritat des Kapitalisten iiber Menschen, die bloBe
Glieder eines ihm gehorigen Gesamtmechanismus bilden; die
gesellschaftliche Teilung der Arbeit stellt unabhangige Warenproduzenten
einander gegeniiber, die keine andre Autoritat anerkennen als die der
Konkurrenz, den Zwang, den der Druck ihrer wechselseitigen Interessen
auf sie ausiibt, wie auch im Tierreich das bellum omnium contra omnes 586
4.Bellum omniun contra omnes (Der Krieg aller gegen alle) - Thomas Hobbes: "Leviathan".
l.»Man kann als allgemeine Regel aufstellen: Je weniger die Autoritat der Teilung der Arbeit
innerhalb der Gesellschaft vorsteht, desto mehr entwickelt sich die Arbeitsteilung im Innern der
Werkstatt und um so mehr ist sie der Autoritat eines einzelnen unterworfen. Danach steht die Autoritat
in der Werkstatt und die in der Gesellschaft, in bezug auf die Arbeitsteilung, im umgekehrten
Verhaltnis zueinander.« (Karl Marx, I.e. p.130, 131 [Siehe MEW, Band 4, S.151].)
l.Lieut. Col. Mark Wilks, "Historical Sketches of the South of India", Lond. 1810 bis 1817, v.I,
p. 118-120. Eine gute Zusammenstellung der verschiednen Formen des indischen Gemeinwesens findet
man in George Campbells "Modern India", London 1852.
2.»Unter dieser einfachen Form ... haben die Einwohner des Landes seit unvordenklichen
Zeiten gelebt. Die Grenzen der Dorfgebiete wurden nur selten geandert; und obgleich die Dorfer
wiederholt durch Krieg, Hungersnot und Seuchen heimgesucht, ja verwiistet wurden, haben derselbe
Name, dieselben Grenzen, dieselben Interessen und selbst dieselben Familien sich durch Generationen
fortgesetzt. Die Einwohnen liefien sich durch den Zusammenbruch und die Teilung von Konigreichen
nicht anfechten; solange das Dorf ungeteilt bleibt, ist es ihnen gleichgultig, an welche Macht es
abgetreten wird oder welchem Herrscher es zufallt. Seine innere Wirtschaft bleibt unverandert.« (Th.
Stamfort Raffles, late Lieut. Gov. of Java: "The History of Java", Lond. 1817, v.I, p. 285.)
l.»Es geniigt nicht, dafi das zur Unterabteilung der Handwerke notige Kapital [sollte heiBen,
die dazu notigen Lebens- und Produktionsmittel] sich in der Gesellschaft vorhanden vorfinde; es ist
aufierdem notig, dafi es in den Hdnden der Unternehmer in hinreichend betrdchtlichen Massen
akkumuliert sei, um sie zur Arbeit auf grofier Stufenleiter zu befahigen ... Je mehr die Teilung zunimmt,
erheischt die bestdndige Beschaftigung einer selben Zahl vonarbeitern immer betrachtlicheres Kapital
in Werkzeugen, Rohstoffen usw.« (Storch: "Cours d'Econ. Polit.", Pariser Ausg., t.I, p. 250,251.) »Die
Konzentration der Produktionsinstrumente und die Arbeitsteilung sind ebenso untrennbar
voneinander wie auf dem Gebiete der Politik die Zentralisation der offentlichen Gewalten und die
Teilung der Privatinteressen.« (Karl Marx, I.e. p. 134 [Siehe MEW, Band 4, S.153].)
l.Dugald Stewart nennt die Manufakturarbeiter »lebende Automaten ..., die fiir Teilarbeiten
verwandt werden«. (I.e. p. 318.)
2.Fabel des Menenius Agrippa - 494 v.u.Z. kam es zu einem ersten groBen ZusammenstoB
zwischen Patriziern und Plebejern. Nach der Sage gelang es dem Patrizier Menenius Agrippa, mit einer
Parabel die Plebejer zur Versohnung umzustimmen. Die Emporung der Plebejer ahnele einer Weigerung
der Glieder des menschlichen Korpers, dem Magen Nahrung zukommen zu lassen, was zur Folge hatte, daB
die Glieder selbst sehr stark abmagerten. Die Weigerung der Plebejer, ihre Pflichten zu erfullen, wiirde den
Untergang des romischen Staates herbeifuhren.
3.Bei den Korallen bildet jedes Individuum in der Tat den Magen fur die ganze Gruppe. Es fuhrt ihr
aber Nahrungsstoff zu, statt wie der romische Patrizier ihn wegzufuhren.
4.»Der Arbeiter, der ein ganzes Handwerk beherrscht, kann uberall arbeiten und seinen
Unterhalt finden: der andere [der Manufakturarbeiter] ist nur noch ein Zubehor und besitzt, von seinen
Arbeitskollegen getrennt, weder Befahigung noch Unabhangigkeit und ist deshalb gezwungen, das
Gesetz anzunehmen, das man fiir richtig halt, ihm aufzuerlegen.« (Storch, I.e., edit. Petersb. 1815, t.I,
p.204.)
LA. Ferguson, I.e. p. 281: »Der eine mag gewonnen haben, was der andere verloren hat.«
2.»Der Mann des Wissens und der produktive Arbeiter sind weit voneinander getrennt, und die
Wissenschaft, statt in der Hand des Arbeiters seine eignen Produktivkrafte fur ihn selbst zu vermehren,
hat sich fast Uberall ihm gegenubergestellt ... Kenntnis wird ein Instrument, fahig, von der Arbeit
getrennt und ihr entgegengesetzt zu werden.« (W. Thompson, "An Inquiry into the Principles of the
Distribution of Wealth", London 1824, p.274.)
LA. Ferguson, I.e. p. 280.
l.J.D. Tuckett: "A History of the Past and Present State of the Labouring Population", London
1846, v.I, p. 148.
die Existenzbedingungen aller Arten mehr oder minder erhalt. Dasselbe
biirgerliche BewuBtsein, das die manufakturmaBige Teilung der Arbeit, die
lebenslangliche Annexation des Arbeiters an eine Detailverrichtung und
die unbedingte Unterordnung der Tellarbeiten unter das Kapital als eine
Organisation der Arbeit feiert, welche ihre Produktivkraft steigre,
denunziert daher ebenso laut jede bewuBte gesellschaftliche Kontrolle und
Reglung des gesellschaftlichen Produktionsprozesses als einen Eingriiff in
die unverletzlichen Eigentumsrechte, Freiheit und sich selbst bestimmende
"Genialitat" des individuelien Kapitalisten. Es ist sehr charakteristisch, daB
die begeisterten Apologeten des Fabriksystems nichts Argres gegen jede
allgemeine Organisation der gesellschaftlichen Arbeit zu sagen wissen, als
daB sie die ganze Gesellschaft in eine Fabrik verwandeln wiirde.
Wenn die Anarchie der gesellschaftlichen und die Despotie der
manufakturmaBigen Arbeitsteilung einander in der Gesellschaft der
kapitalistischen Produktionsweise bedingen, bieten dagegen friihere
Gesellschaftsformen, worin die Besonderung der Gewerbe sich
naturwuchsig entwickelt, dann kristalhsiert und endlich gesetzlich befestigt
hat, einerseits das Bild einer plan- und autoritatsmaBigen Organisation der
gesellschaftlichen Arbeit, wahrend sie anderseits die Teilung der Arbeit
innerhalb der Werkstatt ganz ausschlieBen oder nur auf einem
ZwergmaBstab oder nur sporadisch und zufallig entwickeln. 587
Jene uraltertiimlichen, kleinen indischen Gemeinwesen z.B., die zum Teil
noch fortexistieren, beruhn auf gemeinschaftlichem Besitz des Grand und
Bodens, auf unmittelbarer Verbindung von Agrikultur und Handwerk und
auf einer festen Teilung der Arbeit, die bei Anlage neuer Gemeinwesen als
gegebner Plan und GrandriB dient. Sie bilden sich selbst geniigende
Produktionsganze, deren Produktionsgebiet von 100 bis auf einige 1.000
Acres wechselt. Die Hauptmasse der Produkte wird fur den unmittelbaren
Selbstbedarf der Gemeinde produziert, nicht als Ware, und die Produktion
selbst ist daher unabhangig von der durch Warenaustausch vermittelten
Teilung der Arbeit im groBen und ganzen der indischen Gesellschaft. Nur
der UberschuB der Produkte verwandelt sich in Ware, zum Teil selbst
wieder erst in der Hand des Staats, dem ein bestimmtes Quantum seit
undenklichen Zeiten als Naturalrente zuflieBt. Verschiedne Teile Indiens
besitzen verschiedne Formen des Gemeinwesens. In der einfachsten Form
bebaut die Gemeinde das Land gemeinschaftlich und verteilt seine
Produkte unter ihre Glieder, wahrend jede Familie Spinnen, Weben usw.
als hausliches Nebengewerb treibt. Neben dieser gleichartig beschaftigten
Masse finden wir den "Haupteinwohner", Richter, Polizei und
Steuereinnehmer in einer Person, den Buchhalter, der die Rechnung iiber
den Ackerbau fuhrt und alles darauf Bezugliche katastriert und registriert;
einen dritten Beamten, der Verbrecher verfolgt und fremde Reisende
beschutzt und von einem Dorf zum andren geleitet; den Grenzmann, der
die Grenzen der Gemeinde gegen die Nachbargemeinden bewacht; den
Wasseraufseher, der das Wasser aus den gemeinschaftlichen
Wasserbehaltern zu Ackerbauzwecken verteilt; den Braminen, der die
Funktionen des religiosen Kultus verrichtet; den Schulmeister, der die
Gemeindekinder im Sand schreiben und lesen lehrt; den
Kalenderbraminen, der als Astrolog die Zeiten fur Saat, Ernte und die
guten und bosen Stunden fur alle besondren Ackerbauarbeiten angibt;
einen Schmied und einen Zimmermann, welche alle Ackerbau werkzeuge
verfertigen und ausbessern; den Topfer, der alle GefaBe fiir das Dorf
macht; den Barbier, den Wascher fiir die Reinigung der Kleider, den
Silberschmied, hier und da den Poeten, der in einigen Gemeinden den
Silberschmied, in andren den Schulmeister ersetzt. Dies Dutzend Personen
wird auf Kosten der ganzen Gemeinde erhalten. Wachst die Bevolkerung,
so wird eine neue Gemeinde nach dem Muster der alten auf unbebautem
Boden angesiedelt. Der Gemeindemechanismus zeigt planmaBige Teilung
der Arbeit, aber ihre manufakturmaBige Teilung ist unmoglich, indem der
Markt fiir Schmied, Zimmermann usw. unverandert bleibt und hochstens,
je nach dem GroBenunterschied der Dorfer, statt eines Schmieds, Topfers
usw. ihrer zwei oder drei vorkommen. 588 Das Gesetz, das die Teilung der
Gemeindearbeit regelt, wirkt hier mit der unverbriichlichen Autoritat eines
Naturgesetzes, wahrend jeder besondre Handwerker, wie Schmied usw.,
nach uberlieferter Art, aber selbstandig und ohne Anerkennung irgendeiner
Autoritat in seiner Werkstatt, alle zu seinem Fach gehorigen Operationen
verrichtet. Der einfache produktive Organismus dieser selbstgeniigenden
Gemeindewesen, die sich bestandig in derselben Form reproduzieren und,
wenn zufallig zerstort, an demselben Ort, mit demselben Namen, wieder
aufbauen 589 , liefert den Schlussel zum Geheimnis der Unveranderlichkeit
asiatischer Gesellschaften, so auffallend kontrastiert durch die bestandige
Auflosung und Neubildung asiatischer Staaten und rastlosen
Dynastenwechsel. Die Struktur der okonomischen Grundelemente der
Gesellschaft bleibt von den Sturmen der politischen Wolkenregion
unberiihrt.
Die Zunftgesetze, wie schon friiher bemerkt, verhinderten planmaB, durch
auBerste Beschrankung der Gesellenzahl, die ein einzelner Zunftmeister
beschaftigen durfte, seine Verwandlung in einen Kapitalisten. Ebenso
konnte er Gesellen nur beschaftigen in dem ausschlieBlichen Handwerk,
worin er selbst Meister war. Die Zunft wehrte eifersiichtig jeden Ubergriff
des Kaufmannskapitals ab, der einzig freien Form des Kapitals, die ihr
gegeniiberstand. Der Kaufmann konnte alle Waren kaufen, nur nicht die
Arbeit als Ware. Er war nur geduldet als Verleger der Handwerksprodukte.
Riefen auBere Umstande eine fortschreitende Teilung der Arbeit hervor, so
zerspalteten sich bestehende Zunfte in Unterarten oder lagerten sich neue
Zunfte neben die alten hin, jedoch ohne Zusammenfassung verschiedner
Handwerke in einer Werkstatt. Die Zunftorganisation, sosehr ihre
Besondrung, Isolierung und Ausbildung der Gewerbe zu den materiellen
Existenzbedingungen der Manufakturperiode gehoren, schloB daher die
manufakturmaBige Teilung der Arbeit aus. Im groBen und ganzen blieben
der Arbeiter und seine Produktionsmittel miteinander verbunden wie die
Schnecke mit dem Schneckenhaus, und so fehlte die erste Grundlage der
Manufaktur, die Verselbstandigung der Produktionsmittel als Kapital
gegenuber dem Arbeiter.
Wahrend die Teilung der Arbeit im Ganzen einer Gesellschaft, ob
vermittelt oder unvermittelt durch den Warenaustausch, den
verschiedenartigsten okonomischen Gesellschaftsformationen angehort, ist
die manufakturmaBige Teilung der Arbeit eine ganz spezifische Schopfung
der kapitalistischen Produktionsweise.
5. Der kapitalistische Charakter der Manufaktur
Eine groBere Arbeiteranzahl unter dem Kommando desselben Kapitals
bildet den naturwuchsigen Ausgangspunkt, wie der Kooperation
uberhaupt, so der Manufaktur. Umgekehrt entwickelt die
manufakturmaBige Teilung der Arbeit das Wachstum der angewandten
Arbeiterzahl zur technischen Notwendigkeit. Das Arbeiterminimum, das
ein einzelner Kapitalist anwenden muB, ist ihm jetzt durch die vorhandne
Teilung der Arbeit vorgeschrieben. Andrerseits sind die Vorteile weitrer
Teilung bedingt durch weitre Vermehrung der Arbeiteranzahl, die nur noch
in Vielfachen ausfiihrbar. Mit dem variablen muB aber auch der konstante
Bestandteil des Kapitals wachsen, neben dem Umfang der gemeinsamen
Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten, Ofen usw., namenthch auch
und viel rascher als die Arbeiteranzahl, das Rohmaterial. Seine Masse,
verzehrt in gegebner Zeit durch gegebnes Arbeitsquantum, nimmt in
demselben Verhaltnis zu wie die Produktivkraft der Arbeit infolge ihrer
Teilung. Wachsender Minimalumfang von Kapital in der Hand der
einzelnen Kapitalisten der wachsende Verwandlung der gesellschaftlichen
Lebensmittel und Produktionsmittel in Kapital ist also ein aus dem
technischen Charakter der Manufaktur entspringendes Gesetz. 90
Wie in der einfachen Kooperation ist in der Manufaktur der
funktionierende Arbeitskorper eine Existenzform des Kapitals. Der aus
vielen individuellen Teilarbeitern zusammengesetzte gesellschaftliche
Produkionsmechanismus gehort dem Kapitalisten. Die aus der
Kombination der Arbeiten entspringende Produktivkraft erscheint daher
als Produktivkraft des Kapitals. Die eigentliche Manufaktur unterwirft
nicht nur den friiher selbstandigen Arbeiter dem Kommando und der
Disziplin des Kapitals, ondern schafft uberdem eine hierarchische
Gliederung unter den Arbeitern selbst. Wahrend die einfache Kooperation
die Arbeitsweise der einzelnen im groBen und ganzen unverandert laBt,
revolutioniert die Manufaktur sie von Grand aus und ergreift die
individuelle Arbeitskraft an ihrer Wurzel. Sie verkriippelt den Arbeiter in
eine Abnormitat, indem sie sein Detailgeschick treibhausmaBig fordert
durch Unterdriickung einer Welt von produktiven Trieben und Anlagen,
wie man in den La-Plata-Staaten ein ganzes Tier abschlachtet, um sein Fell
oder seinen Talg zu erbeuten. Die besondren Teilarbeiten werden nicht nur
unter verschiedne Individuen verteilt, sondern das Individuum selbst wird
geteilt, in das automatische Triebwerk einer Teilarbeit verwandelt 591 und
die abgeschmackte Fabel des Menenius Agrippa 592 verwirklicht, die einen
Menschen als bloBes Fragment seines eignen Korpers darstellt. 593 Wenn
der Arbeiter urspriinglich seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft, weil
ihm die materiellen Mittel zur Produktion einer Ware fehlen, versagt jetzt
seine individuelle Arbeitskraft selbst ihren Dienst, sobald sie nicht an das
Kapital verkauft wird. Sie funktioniert nur noch in einem Zusammenhang,
der erst nach ihrem Verkauf existiert, in der Werkstatt des Kapitalisten.
Seiner naturlichen Beschaffenheit nach veranfahigt, etwas Selbstandiges
zu machen, entwickelt der Manufakturarbeiter produktive Tatigkeit nur
noch als Zubehor zur Werkstatt des Kapitalisten. 594 Wie dem auserwahlten
Volk auf der Stirn geschrieben stand, daB es das Eigentum Jehovas, so
driickt die Teilung der Arbeit dem Manufakturarbeiter einen Stempel auf,
der ihn zum Eigentum des Kapitals brandmarkt.
Die Kenntnisse, die Einsicht und der Wille, die der selbstandige Bauer oder
Handwerker, wenn auch auf kleinem MaBstab, entwickelt, wie der Wilde
alle Kunst des Kriegs als personliche List ausiibt, sind jetzt nur noch fur
das Ganze der Werkstatt erheischt. Die geistigen Potenzen der Produktion
erweitern ihren MaBstab auf der einen Seite, weil sie auf vielen Seiten
verschwinden. Was die Teilarbeiter verlieren, konzentriert sich ihne
gegeniiber im Kapital. 595 Es ist ein Produkt der manufakturmaBigen
Teilung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen
Produktionsprozesses als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht
gegeniiberzustellen. Dieser ScheidungsprozeB beginnt in der einfachen
Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegeniiber die
Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskorpers vertritt. Er
entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter
verstiimmelt. Er vollendet sich in der groBen Industrie, welche die
Wissenschaft als selbstandige Produktionspotenz von der Arbeit trennt
und in den Dienst des Kapitals preBt. 596
In der Manufaktur ist die Bereicherung des Gesamtarbeiters und daher des
Kapitals an gesellschaftlicher Produktivkraft bedingt durch die Verarmung
des Arbeiters an individuellen Produktivkraften.
»Dle Unwissenheit ist die Mutter der Industrie wie des Aberglaubens.
Nachdenken und Einbildungskraft sind dem Irrtum unterworfen; aber
die Gewohnheit, den Fufi oder die Hand zu bewegen, hdngt weder von
dem einen noch von der andren ab. Manufakturen prosperieren also da
am meisten, wo man am meisten sich des Geistes entschldgt, in der Art,
dafi die Werkstatt als eine Maschine betrachtet werden kann, deren
Telle Menschen sind.« i91
In der Tat wandten einige Manufakturen in der Mitte des 18. Jahrhunderts
fur gewisse einfache Operationen, welche aber Fabrikgeheimnisse bildeten,
mit Vorliebe halbe Idioten an. 598
»Der Geist der grofien Mehrzahl der Menschen«, sagt A. Smith,
»entwickelt sich notwendlg aus und an Ihren Alltagsverrlchtungen. Ein
Mensch, der sein ganzes Leben in der Vorrichtung weniger einfacher
Operationen verausgabt ... hat keine Gelegenheit, seinen Verstand zu
iiben ... Er wird im allgemeinen so stupid und unwissend, wie esfiir
eine menschliche Kreatur moglich ist.«
Nachdem Smith den Stumpfsinn des Teilarbeiters geschildert, fahrt er fort:
»Die Einformigkeit seines stationdren Lebens verdirbt natiirlich auch
den Mut seines Geistes ... Sie zerstort selbst die Energie seines Korpers
und verunfdhigt ihn, seine Kraft schwunghaft und ausdauernd
anzuwenden, aufier in der Detailbeschaftigung, wozu er herangezogen
ist. Sein Geschick in seinem besondren Gewerke scheint so erworben
aufKosten seiner intellektuellen, sozialen und kriegerischen Tugenden.
Aber injeder industriellen und zivilisierten Gesellschaft ist dies der
Zustand, worin der arbeitende Arme (the labouring poor), d.h. die
grofie Masse des Volks notwendig verf alien mufi.« 599
l.A. Smith: "Wealth of Nations", b.V, ch.I, art. II. Als Schiiler A. Fergusons, der die nachteiligen
Folgen der Teilung der Arbeit entwickelt hatte, war A. Smith iiber diesen Punkt durchaus klar. Im Eingang
seines Werks, wo die Teilung der Arbeit ex professo gefeiert wird, deutet er sie nur voriibergehend als
Quelle der gesellschaftlichen Ungleichheiten an. Erst im 5.Buch iiber das Staatseinkommen reproduziert er
Ferguson. Ich habe in "Misere de la Philosophie" das Notige iiber das historische Verhaltnis von Ferguson,
A.Smith, Lemontey und Say in ihrer Kritik der Teilung der Arbeit gegeben und dort auch zuerst die
manufakturmaBige Teilung der Arbeit als spezifische Form der kapitalistischen Produktionsweise
dargestellt. (I.e. p. 122 sq. [Siehe MEW, Band 4, S. 145-147])
I.Ferguson sagt bereits J.c. p. 281: »Und das Denken selbst kann in diesem Zeitalter der
Arbeitsteilungen zu einem besonderen Gewerbe werden. «
2.G. Gamier, t.V seiner Ubersetzung, p.4-5.
l.Ramazzini, Professor der Praktischen Medizin zu Padua, veroffentlichte 1713 sein Werk "De
morbis artificum", 1777 ins Franzosische ubersetzt, wieder abgedruckt 1841 in der "Encyclopedie des
Sciences Medicales. 7me Div. Auteurs Classiques". Die Periode der groBen Industrie hat seinen Katalog
der Arbeiterkrankheiten natiirlich sehr vermehrt. Siehe u.a. "Hygiene physique et morale de l'ouvrier dans
les grandes villes en general, et dans la ville de Lyon en particulier". Pal le Dr. A.L. Fonteret, Paris 1858,
und [R.H. Rohatzsch,] "Die Krankheiten, welche verschiednen Standen, Altern und Geschlechtern
eigenthumlich sind", 6 Bande, Ulm 1840. Im Jahre 1854 ernannte die Society of Arts* eine
Untersuchungskommission iiber industrielle Pathologie. Die Liste der von dieser Kommission
gesammelten Dokumente findet man im Katalog des "Twickenham Economic Museum". Sehr wichtig die
offiziellen "Reports on Public Health". Sieh auch Eduard Reich, M.D., "Uber die Entartung des Menschen",
Erlangen 1868. * Society of Arts and Trades (Gesellschaft der Kiinste und Gewerke) - eine 1754
gegriindete philanthropische Gesellschaft, die der biirgerlichen Aufklarung nahestand. Wahrend der
funfziger Jahre des 19. Jahrhunderts fuhrte Prinz Albert diese Gesellschaft. Das von der Gesellschaft mit
groBem Larm verkiindete Ziel war »die Forderung der Kiinste, der Gewerke und des Handels« und die
Belohnung derjenigen, die mit dazu beitragen, »den Armen Beschdftigung zu geben, den Handel
auszudehnen, die Reichtiimer des Landes zu mehren usw.« In dem Bestreben, die Entwicklung der
Massenstreikbewegung in England zu hemmen, versuchte die Gesellschaft als Vermittler zwischen den
Arbeitern und den Unternehmern aufzutreten. Marx nannte diese Gesellschaft Society of Arts and Tricks
(Gesellschaft der Kiinste und Schliche).
l.»To subdivide a man is to execute him, if he deserves the sentence, to assassinate him, if he
does not ... the subdivision of labour is the assassination of a people. « (D. Urquhart, "Familiar Words",
London 1855, p. 119.) Hegel hatte sehr ketzerische Ansichten aber die Teilung der Arbeit. »Unter
gebildeten Menschen kann man zunachst solche verstehn, die alles machen konnen, was andre tun«,
sagt er in seiner Rechtsphilosophie.*
Um die aus der Teilung der Arbeit entspringende vollige Verkiimmerang
der Volksmasse zu verhindern, empfiehlt A. Smith Volksunterricht von
Staats wegen, wenn auch in vorsichtig homoopathischen Dosen.
Konsequent polemisiert dagegen sein franzosischer Ubersetzer und
Kommentator, G. Gamier, der sich unter dem ersten franzosischen
Kaisertum naturgemaB zum Senator entpuppte. Volksunterricht verstoBe
wider die ersten Gesetze der Teilung der Arbeit und mit demselben
»proskribiere man unser games Gesellschaftssystem« .
»Wie alle andren Teilungen der Arbeit« , sagte er, »wird die zwischen
Handarbeit und Verstandesarbeit 600 ausgesprochner und entschiedner
im Mafie, wie die Gesellschaft [er wendet richtig diesen Ausdruck an fur
das Kapital, das Grundeigentum und ihren Staat] reicher wird. Gleich
jeder andren ist diese Teilung der Arbeit eine Wirkung vergangner und
eine Ursache kiinftiger Fortschritte ... Darfdie Regierung denn dieser
Teilung der Arbeit entgegenwirken und sie in ihrem naturgemafien
Gang aufhalten? Darfsie einen Teil der Staats einnahme zum Versuch
verwenden, zwei Klassen von Arbeit, die ihre Teilung und Trennung
erstreben, zu vewirren und zu vermischen?« Ml
Eine gewisse geistige und korperliche Verkriippelung ist unzertrennlich
selbst von der Teilung der Arbeit im ganzen und groBen der Gesellschaft.
Da aber die Manufakturperiode diese gesellschaftliche Zerspaltung der
Arbeitszweige viel weiter fuhrt, andrerseits erst mit der ihr eigentumlichen
Teilung das Individuum an seiner Lebenswurzel ergreift, liefert sie auch
zuerst das Material und den AnstoB zur industriellen Pathologic 602
»Einen Menschen unterabteilen, heifit ihn hinrichten, wenn er das
Todesurteil verdient, ihn meuchelmorden, wenn er es nicht verdient.
Die Unterabteilung der Arbeit ist der Meuchelmord eines Volks.« 603
Die auf Teilung der Arbeit beruhende Kooperation oder die Manufaktur ist
in ihren Anfangen ein naturwuchsiges Gebild. Sobald sie einige Konsistenz
und Breite des Daseins gewonnen, wird sie zur bewuBten, planmaBigen
und systematischen Form der kapitalistischen Produktionsweise. Die
Geschichte der eigentlichen Manufaktur zeigt, wie die ihr eigentumliche
Teilung der Arbeit zunachst erfahrungsmaBig, gleichsam hinter dem
Riicken der handelnden Personen, die sachgemaBen Forrmen gewinnt,
dann aber, gleich dem zunftigen Handwerke, die einmal gefundne Form
traditionell festzuhalten strebt und in einzelnen Fallen jahrhundertlang
festhalt. Andert sich diese Form, so, auBer in Nebendingen, immer nur
infolge einer Revolution der Arbeitsinstrumente. Die moderne Manufaktur
- ich spreche hier nicht von der auf Maschinerie beruhenden groBen
Industrie - findet entweder, wie z.B. die Kleidermanufaktur, in den groBen
Stadten, wo sie entsteht, die disjecta membra poetae 604 bereits fertig vor
und hat sie nur aus ihrer Zerstreuung zu sammeln, oder das Prinzip der
Teilung liegt auf flacher Hand, indem einfach die verschiednen
Verrichtungen der handwerksmaBigen Produktion (z.B. beim Buchbinden)
besondren Arbeitern ausschlieBlich angeeignet werden. Es kostet noch
keine Woche Erfahrung, in solchen Fallen die Verhaltniszahl zwischen den
fiir jede Funktion notigen Handen zu finden. 605
1. "disjecta membra poetae" ("zerstreute Glieder des Dichters") - aus den Satiren des Horaz, Buch
1, Satire 4.
2. Der gemiitliche Glaube an das Erfindungsgenie, das der einzelne Kapitalist in der Teilung der
Arbeit a priori ausiibe, findet sich nur noch bei deutschen Professoren, wie Herrn Roscher z.B., der dem
Kapitalisten, aus dessen Jupiterhaupt die Teilung der Arbeit fertig hervorspringe, zum Dank "diverse
Arbeitslohne" widmet. Die groBte oder geringre Anwendung der Teilung der Arbeit hangt von der Lange der
Borse ab, nicht von der GroBe des Genies.
l.Mehr als A. Smith fixieren altere Schriftsteller, wie Petty, wie der anonyme Verfasser der
"Advantages of the East-India Trade" etc., den kapitalistischen Charakter der manufakturmaBigen Teilung
der Arbeit.
2.Ausnahme unter den Modernen bilden einige Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, die in bezug auf
Teilung der Arbeit fast nur den Alten nachsprechen, wie Beccaria und James Harris. So Beccaria: »Jedem
beweist seine eigne Erfahrung, dafi, wenn man Hand und Geist immer derselben Art von Arbeiten und
Produkten zuwendet, man diese leichter, reichlicher und besser herstellt, als wenn jeder einzeln fiir
sich das, was er benotigt, herstellen wiirde ... Auf diese Weise teilen sich die Menschen zum Nutzen der
Allgemeinheit und zu ihrem eignen Vorteil in verschiedne Klassen und Standee (Cesare Beccaria,
"Elementi di Econ. Publica", ed. Custodi, Part. Moderna, t.XI, p. 28.) James Harris, spater Earl of
Malmesbury, beruhmt durch die "Diaries" iiber seine Gesandtschaft in Petersburg, sagt selbst in einer Note
zu seinem "Dialogue concerning Happiness", London 1741*), spater wieder abgedruckt in "Three Treatises
etc.", 3.ed., Lond. 1772: »Der ganze Beweis dafiir, dafi die Gesellschaft etwas Naturliches ist [namlich
durch die "Teilung der Beschaftigungen"] ist dem zweiten Buch von Platos "Republik" entnommen.«
Die manufakturmaBige Teilung der Arbeit schafft durch Analyse der
handwerksmaBigen Tatigkeit, Spezifizierang der Arbeitsinstrumente,
Bildung der Teilarbeiter, ihre Gruppierung und Kombination in einem
Gesamtmechanismus die qualitative Gliederung und quantitative
Proportionalitat gesellschaftlicher Produktionsprozesse, also eine
bestimmte Organisation gesellschaftlicher Arbeit und entwickelt damit
zugleich neue, gesellschaftliche Produktivkraft der Arbeit. Als spezifisch
kapitalistische Form des gesellschaftlichen Produktionsprozesses - und auf
den vorgefundnen Grundlagen konnte sie sich nicht anders als in der
kapitalistischen Form entwickeln - ist sie nur eine besondre Methode,
relativen Mehrwert zu erzeugen oder die Selbstverwertung des Kapitals -
was man gesellschaftlichen Reichtum, "Wealth of Nations" usw. nennt -
auf Kosten der Arbeiter zu erhohn. Sie entwickelt die gesellschaftliche
Produktivkraft der Arbeit nicht nur fur den Kapitalisten, statt fur den
Arbeiter, sondern durch die Verkriipplung des individuellen Arbeiters. Sie
produziert neue Bedingungen der Herrschaft des Kapitals iiber die Arbeit.
Wenn sie daher einerseits als historischer Fortschritt und notwendiges
Entwicklungsmoment im okonomischen BildungsprozeB der Gesellschaft
erscheint, so andrerseits als ein Mittel zivihsierter und raffinierter
Exploitation.
Die politische Okonomie, die als eigne Wissenschaft erst in der
Manufakturperiode aufkommt, betrachtet die gesellschaftliche Teilung der
Arbeit uberhaupt nur vom Standpunkt der manufakturmaBigen Teilung der
Arbeit 606 , als Mittel, mit demselben Quantum Arbeit mehr Ware zu
produzieren, daher die Waren zu verwohlfeilern und die Akkumulation des
Kapi tals zu beschleunigen. Im strengsten Gegensatz zu dieser
Akzentuierung der Quantitat und des Tauschwerts halten sich die
Schriftsteller des klassischen Altertums ausschlieBlich an Qualitat und
Gebrauchswert. 607 Infolge der Scheidung der gesellschaftlichen
Produktionszweige werden die Waren besser gemacht, die verschiednen
Triebe und Talente der Menschen wahlen sich entsprechende
Wirkungsspharen 608 , und ohne Beschrankung ist nirgendwo Bedeutendes
4. So in der Odyssee, XIV, 228: »Denn ein andrer Mann ergotzt sich auch an andren Arbeiten«
zu leisten. 609 Also Produkt und Produzent werden verbessert durch die
Teilung der Arbeit. Wird gelegentlich auch das Wachstum der
und Archilochus beim Sextus Empiricus: »Jeder erquickt seinen Sinn bei andrer Arbeit. « [Marx fuhrt
diesen Ausdruck des Archilochus nach dem Werke des Sextus Empiricus, "Adversus mathematicos", Buch
11, 44 an.]
5.»noA.^.T|3ilOToeToep7a, xaXH^8T|JilOT;axo7iama« [»Viele Arbeiten konnt' er, doch alle
konnt' er schlecht.«] - Der Athenienser fiihlte sich als Warenproduzent dem Spartaner iiberlegen, weil
dieser im Krieg wohl iiber Menschen, nicht aber iiber Geld verfiigen konne, wie Thukydides den Perikles
sagen laBt in der Rede, worin er die Athenienser zum Peloponnesischen Krieg aufstachelt; »Mit ihren
Korpern Krieg zu fiihren sind die Selbstwirtschaftenden eher bereit als mit Geld.« (Thuk., I.I, c.141 .)
Dennoch blieb ihr Ideal, auch in der materiellen Produktion, die Ott)Tap%ia [Autarkic], die der Teilung der
Arbeit gegeniibersteht, »denn bei diesen gibt es Wohlstand, bei jenen aber auch die Unabhangigkeit«.
Man muB dabei erwagen, daB es noch zur Zeit des Sturzes der 30 Tyrannen* keine 5.000 Athener ohne
Grundeigentum gab.
6.* 30 Tyrannen - ein AusschuB, der nach Beendigung des Peloponnesischen Krieges (404 v.u.Z.) in
Athen eingesetzt worden war, um eine neue Verfassung auszuarbeiten. Diese Korperschaft jedoch riB in
kurzer Zeit alle Macht an sich und errichtete ein grausames Terrorregime. Nach achtmonatiger
Gewaltherrschaft wurden die 30 Tyrannen gestiirzt, und in Athen wurde wieder die Sklavenhalterdemokratie
errichtet.
7. Plato entwickelt die Teilung der Arbeit innerhalb des Gemeinwesens aus der Vielseitigkeit der
Bediirfnisse und der Einseitigkeit der Anlagen der Individuen. Hauptgesichtspunkt bei ihm, daB der Arbeiter
sich nach dem Werk richten musse, nicht das Werk nach dem Arbeiter, was unvermeidlich, wenn er
verschiedne Kiinste zugleich, also eine oder die andre als Nebenwerk treibe. »Denn die Arbeit will nicht
warten auf die freie Zeit dessen, der sie macht, sondern der Arbeiter mufi sich an die Arbeit halten,
aber nicht in leichtfertiger Weise. - Dies ist notwendig. - Daraus folgt also, dafi man mehr von allem
verfertigt und sowohl schoner als auch leichter, wenn einer nur eine Sache macht, seiner natiirlichen
Begabung gemafi und zur richtigen Zeit.frei von andern Geschaften.« ("De Republica", II, 2. ed., Baiter,
Orelli etc.) Ahnlich bei Thukydides, I.e. c.142: »Das Seewesen ist eine Kunst so sehr wie irgend etwas
andres und kann nicht bei etwa vorkommenden Fallen als Nebenwerk betrieben werden, sondern
vielmehr nichts andres neben ihm als Nebenwerk. « MuB das Werk, sagt Plato, auf den Arbeiter warten, so
wird oft der kritische Zeitpunkt der Produktion verpaBt und das Machwerk verdorben,
wepyot) %ocipcn) 8ioAAtoi« [die rechte Zeit fiir die Arbeit geht verloren]. Dieselbe platonische Idee findet
man wieder im Protest der englischen Bleichereibesitzer gegen die Klausel des Fabrikakts, die eine
bestimmte EBstunde fur alle Arbeiter festsetzt. Ihr Geschaft konne sich nicht nach den Arbeitern richten,
denn »von den verschiedenen Operationen des Absengens, Waschens, Bleichens, Mangelns, Pressens
und Farbens kann keine in einem bestimmten Augenblick ohne Gefahr der Schddigung abgebrochen
werden ... Das Erzwingen derselben Essensstunde fiir alle Arbeiter kann gelegentlich wertvolle Giiter
dadurch in Gefahr bringen, dafi der Arbeitsprozefi nicht beendet wird.« Le platonisme ou se nicher!
[Wo wird der Platonismus sich noch uberall einnisten !]
8.Xenophon erzahlt, es sei nicht nur ehrenvoll, Speisen von der Tafel des Perserkonigs zu erhalten,
sondern diese Speisen seien auch viel schmackhafter als andre. »Und dies ist nichts Wunderbares, denn
wie die ubrigen Kiinste in den grofien Stadten besonders vervollkommnet sind, ebenso werden die
koniglichen Speisen ganz eigens zubereitet. Denn in den kleinen Stadten macht derselbe Bettstelle,
Tiire, Pflug, Tisch; oft baut er obendrein noch Hauser und ist zufrieden, wenn er selbst so eine fiir
seinen Unterhalt ausreichende Kundschaft findet. Es ist rein unmoglich, dafi ein Mensch, der so
vielerlei treibt, alles gut mache. In den grofien Stadten aber, wo jeder einzelne viele Kdufer findet,
geniigt auch ein Handwerk, um seinen Mann zu nahren. Ja oft gehort dazu nicht einmal ein ganzes
Produktenmasse erwahnt, so nur mit Bezug auf die groBte Fiille des
Gebrauchswerts. Es wird mit keiner Silbe des Tauschwerts, der
Verwohlfellerung der Waren gedacht. Dieser Standpunkt des
Gebrauchswerts herrscht sowohl bei Plato 610 , der die Teilung der Arbeit als
Grundlage der gesellschaftlichen Scheidung der Stande behandelt, als bei
.611
Xenophon , der mit seinem charakteristisch biirgerlichen Instinkt schon
der Teilung der Arbeit innerhalb einer Werkstatt naher riickt. Plato s
Republik 6 ' 2 , soweit in ihr die Teilung der Arbeit als das gestaltende Prinzip
9.Platos Republik - der ideale Typ eines Sklavenhalterstaates, wie ihn der altgriechische Philosoph
Plato in seinem Werk beschreibt. Das Grundprinzip dieses Staatswesens sollte die strenge Arbeitsteilung
zwischen den Stadten der freien Burger sein. Den Philosophen wird die Regierungsfunktion zugewiesen;
eine von jeder Arbeitspflicht befreite Kriegerkaste hat Leben und Eigentum der Burger zu schiitzen,
wahrend Bauern, Handwerker und Kaufleute ausschlieBlich die materiellen Giiter erzeugen und sie dem
Volke zukommen lassen.
10.»Er [Busiris] teilte alle in besondere Kasten ... befahl, dafi immer die ndmlichen die gleichen
Geschdfte treiben sollten, weil er wufite, dafi die, welche mit ihren Beschaftigungen wechseln, in
keinem Geschdft griindlich werden; die aber, welche bestiindig bei denselben Beschaftigungen bleiben,
jedes aufs vollendetste zustande bringen. Wirklich werden wir auch finden, dafi sie in Beziehung auf
Kiinste und Gewerbe ihre Rivalen mehr iibertroffen haben als sonst der Meister den Stumper und in
Beziehung auf die Einrichtung, wodurch sie die Konigsherrschaft und iibrige Staatsverfassung
erhalten, so vortrefflich sind, dafi die beruhmten Philosophen, welche daruber zu sprechen
unternehmen, die Staatsverfassung Agyptens vor andren lobten.« (Isokr., "Busiris", c.8.)
11. cf. Diod. Sic.
1 .Lehrlingsgesetze
l.Ure, l.c.p.20.
l.Das im Text Gesagte gilt viel mehr fur England als fur Frankreich und mehr ftir Frankreich als
Holland.
l.A. Ure: "The philosophy of manufactures", London 1835, S. 21.
l.»It is questionable, if all the mechanical invetions yet made have lightened the day's toil of
any human being. « Mill hatte sagen sollen, » of any human being not fed by other people's labour« [
»irgendeines menschlichcn Wesens, das nicht von andrertidrcr Leute Arbeit Iebt«], denn die Maschinerie
hat unstreitig die Zahl der vornehmen MuBigganger sehr vermehrt.
l.Sieh z.B. Huttons "Course of Mathmatics".
2.»Von diesem Gesichtspunkt aus lafit sich denn auch eine schrfe Grenze zwischen Werkzeug
und Maschine ziehn: Spaten, Hammer, Meifiel usw., Hebel- und Schraubenwerke, fur welche, mogen sie
ubrigens noch so kunstlich sein, der Mensch die bewegende Kraft ist ... dies allesfdllt unter den Begriff
des Werkzeugs; wahrend der Pflug mit der ihn bewegenden Triebkraft, Wind- usw. Miihlen zu den
Maschinen zu zahlen sind.« (Wilhelm Schulz, "Die Bewegung der Produktion", Zurich 1843, p. 38.) Eine
in mancher Hinsicht lobenswerte Schrift.
3.Rundwebstuhl
4.Schon vor ihm wurde, wenn auch sehr unvollkommene, Maschinen zum Vorspinnen angewandt,
warscheinlich zuerst in Italien eine kritische Geschichte der Technologie wiirde uberhaupt nachweisen, wie
wenig irgendeine Erfindung des 18. Jahrhunderts einem einzelnen Individuum gehort. Bisher existiert kein
solches Werk. Darwin hat das Interesse auf die Geschichte der natiirlichen Technologie gelenkt, d.h. auf die
Bildung der Pflanzen- und Tierorgane als Produktionsinstrumente fur das Leben der Pflanzen und Tiere.
Verdient die Bildungsgeschichte der produktiven Organe des Gesellschaftsmenschen, der materiellen Basis
jeder besondren Gesellschaftsorganisation, nicht gleiche Aufmerksamkeit? Und ware sie nicht leichter zu
liefern, da, wie Vico sagt, die Menschengeschichte sich dadurch von der Naturgeschichte unterscheidet,
dafi wir die eine gemacht und die andre nicht gemacht haben? Die Technologie enthullt das aktive Verhalten
des Menschen zur Natur, den unmittelbaren ProduktionsprozeB seines Lebens, damit auch seiner
gesellschaftlichen Lebensverhaltnisse und der ihnen entquellenden geistigen Vorstellungen. Selbst alle
des Staats entwickelt wird, ist nur atheniensische Idealisierang des
agyptischen Kastenwesens, wie Agypten als industrielles Musterland auch
andren seiner Zeitgenos sen gilt, z.B. dem Isokrates 613 , und diese
Bedeutung selbst noch fur die Griechen der romischen Kaiserzeit
behielt. 614
Wahrend der eigentlichen Manufakturperiode, d.h. der Periode, worin die
Manufaktur die herrschende Form der kapitalistischen Produktionsweise,
stoBt die voile Ausfiihrung ihrer eignen Tendenzen auf vielseitige
Hindernisse. Obgleich sie, wie wir sahen, neben der hierarchischen
Gliederung der Arbeiter eine einfache Scheidung zwischen geschickten
und ungeschickten Arbeitern schafft, bleibt die Zahl der letztren durch den
uberwiegenden EinfluB der erstren sehr beschrankt. Obgleich sie die
Sonderoperationen dem verschiednen Grad von Reife, Kraft und
Entwicklung ihrer lebendigen Arbeitsorgane anpaBt und daher zu
produktiver Ausbeutung von Weibern und Kindern drangt, scheitert diese
Tendenz im groBen und ganzen an den Gewohnheiten und dem
Widerstand der mannlichen Arbeiter. Obgleich die Zersetzung der
handwerksmaBgen Tatigkeit die Bildungskosten und daher den Wert der
Arbeiter senkt, bleibt fur schwierigere Detailarbeit eine langre
Erlemungszeit notig und wird auch da, wo sie vom UberfluB, eifersiichtig
von den Arbeitern aufrechterhalten. Wir finden z.B. in England die laws of
apprenticeship! 6 ' 5 mit ihrer siebenjahrigen Lernzeit bis zum Ende der
Manufakturperiode in Vollkraft und erst von der groBen Industrie iiber
Haufen geworfen. Da das Handwerksgeschick die Grundlage der
Manufaktur bleibt und der in ihr funktionierende Gesamtmechanismus
kein von den Arbeitern selbst unabhangiges objektives Skelett besitzt, ringt
das Kapital bestandig mit der Insubordination der Arbeiter.
»Die Schwache der menschlichen Natur« raft Freund Ure aus, »ist so
grofi, dafi der Arbeiter, je geschickter, desto eigenwilliger und
schwieriger zu behandeln wird und folglich dem Gesamtmechanismus
durch seine rappelkopfigen Launen schweren Schaden zufiigt.^ 16
Durch die ganze Manufakturperiode lauft daher die Klage iiber den
Disziplinmangel der Arbeiter. 617 Und hatten wir nicht die Zeugnisse
gleichzeitiger Schriftsteller, die einfachen Tatsachen, daB es vom 16.
Jahrhundert bis zur Epoche der groBen Industrie dem Kapital miBlingt,
sich der ganzen disponiblen Arbeitszeit der Manufakturarbeiter zu
bemachtigen, daB die Manufakturen kurzlebig sind und mit der Ein- oder
Auswandrung der Arbeiter ihren Sitz in dem einen Land verlassen und in
dem andren aufschlagen, wiirden Bibliotheken sprechen. »Ordnung mufi
aufdie eine oder die andre Weise gestiftet werden«, raft 1770 der
wiederholt zitierte Verfasser des "Essay on Trade and Commerce".
Ordnung, hallt es 66 Jahre spater zuriick aus dem Mund des Dr. Andrew
Ure, »Ordnung« fehlte in der auf »dem scholastischen Dogma der
Teilung der Arbeit« berahenden Manufaktur, und »Arkwright schuf die
Ordnung« .
Zugleich konnte die Manufaktur die gesellschaftliche Produktion weder in
ihrem ganzen Umfang ergreifen noch in ihrer Tiefe umwalzen. Sie gipfelte
als okonomisches Kunstwerk auf der breiten Grandlage des stadtischen
Handwerks und der landlich hauslichen Industrie. Ihre eigne enge
technische Basis trat auf einem gewissen Entwicklungsgrad mit den von
ihr selbst geschaffnen Produktionsbedurfnissen in Widersprach. Eins ihrer
vollendetsten Gebilde war die Werkstatt zur Produktion der
Arbeitsinstramente selbst, und namentlich auch derbereits angewandten
komplizierteren mechanischen Apparate.
»Ein solches Atelier«, sagt Ure, »bot demAuge die Teilung der Arbeit in
ihren mannigfachen Abstufungen. Bohrer, Meifiel, Drechselbank hatten
jede ihre eignen Arbeiter, hierarchisch gegliedert nach dem Grad ihrer
Geschicklichkeit. « 618
Dies Produkt der manufakturmaBigen Teilung der Arbeit produzierte
seinerseits - Maschinen. Sie heben die handwerksmaBige Tatigkeit als das
regelnde Prinzip der gesellschaftlichen Produktion auf. So wird einerseits
der technische Grand der lebenslangen Annexation des Arbeiters an eine
Teilfunktion weggeraumt. Andrerseits fallen die Schranken, welche
dasselbe Prinzip der Herrschaft des Kapitals noch auferlegte.
Dreizehnts Kapitel
Maschinerie und groBe Industrie
1. Entwicklung der Maschinerie
John Stuart Mill sagt in seinen "Prinzipien der politischen Okonomie":
»Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmiihe
619
irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben.«
Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie.
Gleich jeder andren Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soil sie Waren
verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter fiir sich selbst braucht,
verkurzen, um den andren Teil seines Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt,
zu verlangern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert.
Die Umwalzung der Produktionsweise nimmt in der Manufaktur die Arbeitskraft zum
Ausgangspunkt, in der groBen Industrie das Arbeitsmittel. Es ist also zunachst zu
untersuchen, wodurch das Arbeitsmittel aus einem Werkzeug in eine Maschine verwandelt
wird oder wodurch sich die Maschine vom Handwerksinstrument unterscheidet. Es handelt
sich hier nur um groBe, allgemeine Charakterziige, denn abstrakt strenge Grenzlinien
scheiden ebensowenig die Epochen der Gesellschafts- wie die der Erdgeschichte.
Mathematiker und Mechaniker - und man findet dies hier und da von englischen
Okonomen wiederholt - erklaren das Werkzeug fiir eine einfache Maschine und die
Maschine fiir ein zusammengesetztes Werkzeg. Sie sehn hier keinen wesentlichen
Unterschied und nennen sogar die einfachen mechanischen Potenzen, wie Hebel, schiefe
Ebene, Schraube, Keil usw., Maschinen. In der Tat besteht jede Maschine aus jenen
einfachen Potenzen, wie immer verkleidet und kombiniert. Vom okonomischen
Standpunkt jedoch taugt die Erklarung nichts, denn ihr fehlt das historische Element.
Andrerseits sucht man den Unterschied zwischen Werkzeug und Maschine darin, daB beim
Werkzeug der Mensch die Bewegungskraft, bei der Maschine eine von der menschlichen
verschiedne Naturkraft, wie Tier, Wasser, Wind usw. Danach ware ein mit Ochsen
bespannter Pflug, der den verschiedensten Produktionsepochen angehort, eine Maschine,
Claussens Circular Loomi , der von der Hand eines einzigen Arbeiters bewegt, 96000
Maschen in einer Minute verfertigt, ein bloBes Werkzeug. Ja, derselbe loom ware
Werkzeug, wenn mit der Hand, und Maschine, wenn mit Dampf bewegt. Da die
Anwendung von Tierkraft eine der altesten Erfindungen der Menschheit, ginge in der Tat
die Ma schinenproduktion der Handwerksproduktion voraus. Als John Wyatt 1735 seine
Spinnmaschine und mit ihr die industrielle Revolution des 18Jahrhunderts ankiindigte,
erwahnte er mit keinem Wort, daB statt eines Menschen ein Esel die Maschine treibe, und
dennoch fiel diese Rolle dem Esel zu. Eine Maschine, "um ohne Finger zu spinnen",
lautete sein Programm.
Alle entwickelte Maschinerie besteht aus drei wesentlich verschiednen Teilen, der
Bewegungsmaschine, dem Transmissionsmechanismus, endlich der Werkzeugmaschine
oder Arbeitsmaschine. Die Bewegungsmaschine wirkt als Triebkraft des ganzen
Mechanismus. Sie erzeugt ihre eigne Bewegungskraft, wie die Dampfmaschine, kalorische
Maschine , elektro-magnetische Maschine usw., oder sie empfangt den AnstoB von einer
1 .kalorische Maschine - eine Maschine, der das Prinzip der Ausdehnung und Verringerung des
gewohnlichen Luftvolumens durch Erwiirmung und Abkiihlung zugrunde lag. Im Vergleich zur
Dampfmaschine war sie schwerfallig und hatte einen geringen Wirkungsgrad. Sie wurde Anfang des 19.
Jahrhunderts erfunden, aber schon Ende des Jahrhunderts verlor sie jede praktische Bedeutung.
l.Namentlich in der urspriinglichen Form des mechanischen Webstuhls erkennt man den alten
Webstuhl auf den ersten Blick wieder. Wesentlich verandert erscheint er in seiner modernen Form.
2. Erst seit ungefahr 1850 wird ein stets wachsender Teil der Werkzeuge der Arbeitsmaschinen
maschinenmaBig in England fabriziert, obgleich nicht von denselben Fabrikanten, welche die Maschinen
selbst machen. Maschinen zur Fabrikation solcher mechanischen Werkzeuge sind z.B. die automatic
bobbin-making engine, card-setting engine, Maschinen zum Machen der Weberlitzen, Maschinen zum
Schmieden von mule und throstle Spindeln.
3. Jenny - eine in den Jahren 1764-1767 von James Hargteaves erfundene und nach seiner Tochter
benannte Spinnmaschine.
1. Moses von Agypten sagt: »Du sollst dem Ochsen, der drischt, nicht das Maul verbinden.« [Die
Bibel, 5. Buch Mose, Kap. 25.] Die christlich germanischen Philanthropen legten dagegen dem Leibeignen,
den sie als Triebkraft zum Mahlen verwandten, eine groBe holzerne Scheibe um den Hals, damit er kein
Mehl mit der Hand zum Mund bringen konne.
2.Teils Mangel an lebendigem Wassergefall, teils Kampf gegen sonstigen WasseriiberfluB zwangen
die Hollander zur Anwendung des Winds als Triebkraft. Die Windmiihle selbst erhielten sie aus
Deutschland, wo diese Erfindung einen artigen Kampf zwischen Adel, Pfaffen und Kaiser hervorrief, wem
denn von den drei der Wind "gehore". Luft macht eigen, hieB es in Deutschland, wahrend der Wind Holland
frei machte. Was er hier eigen machte, war nicht der Hollander, sondern der Grund und Boden fur den
Hollaner. Noch 1836 wurden 12000 Windmuhlen von 6000 Pferdekraft in Holland verwandt, um zwei
Dritteile des Lands vor Riickverwandlung in Morast zu schiitzen.
3.Sie wurde zwar schon sehr verbessert durch Watts erste, sogenannte einfach wirkende
Dampfmaschine, blieb aber in dieser Form bloBe Hebemaschine fur Wasser und Salzsole.
l.»Die Vereinigung aller dieser einfachen Instrumente, durch einen einzigen Motor in
Bewegung gesetzt, bildet eine Maschine.« (Babbage, I.e. [p. 136.])
l.John C. Morton verlas Dezember 1859 in der Society of Arts einen Aufsatz iiber "die in der
Agrikultur angewandten Krafte". Es heiBt darin u.a.: »Jede Verbefirung, welche die Gleichformigkeit des
Bodens fordert, macht die Dampfmaschine zur Erzeugung rein mechanischer Kraft anwendbarer ...
Pferdekraft wird erheischt, wo krumme Hecken und andre Hindernisse gleichformige Aktion
verhindern. Diese Hindernisse schwinden taglich mehr. In Operationen, die mehr Ausubung des
Willens und weniger wirkliche Kraft erfordern, ist die durch den menschlichen Geist von Minute zu
Minute gelenkte Kraft, also Menschenkraft, allein anwendbar.« Herr Morton reduziert dann Dampfkraft,
Pferdekraft und Menschenkraft auf die bei Dampfmaschinen gewohnliche MaBeinheit, namlich die Kraft,
33.000 Pfund in der Minute um einen FuB zu heben, und berechnet die Kosten einer Dampfpferdekraft bei
der Dampfmaschine auf 3 d. und beim Pferde auf 5'/2d. per Stunde. Ferner kann das Pferd bei voller
Erhaltung seiner Gesundheit nur 8 Stunden tatlich angewandt werden. Durch Dampfkraft konnen mindestens
3 von je 7 Pferden auf bebautem Land wahrend des ganzen Jahrs erspart werden, zu einem Kostenpreis,
nicht groBer als dem der entlaBnen Pferde wahrend der 3 oder 4 Monate, wo sie allein wirklich vernutzt
werden. In den Agrikulturoperationen, worin die Dampfkraft angewandt werden kann, verbessert sie endlich,
verglichen mit der Pferdekraft, die Qualitat des Machwerks. Um das Werk der Dampfmaschine zu
verrichten, miiBten 66 Arbeiter per Stunde zu zusammen 15 sh., und um das der Pferde zu verrichten, 32
Mann zu zusammen 8 sh per Stunde angewandt werden.
2.Faulhaber, 1625; De Couis, 1688.
3. Die moderne Erfindung der Turbinen befreit die industrielle Ausbeutung der Wasserkraft von
vielen fruhem Schranken.
4.»ln der Fruhzeit der Textilmanufaktur war der Standort der Fabrik von der Existenz eines
Wasserlaufs abhdngig, der geniigend Gefdlle hatte, um ein Wasserrad zu drehen; und obwohl nun die
schon fertigen Naturkraft auBer ihr, wie das Wasserrad vom Wassergefall, der Windfliigel
vom Wind usw. Der Transmissionsmechanismus, zusammengesetzt aus Schwungradern,
Treibwellen, Zahnradern, Kreiselradern, Schaften, Schniiren, Riemen, Zwischengeschirr
und Vorgelege der verschiedensten Art, regelt die Bewegung, verwandelt, wo es notig, ihre
Form, z.B. aus einer perpendikularen in eine kreisformige, verteilt und iibertragt sie auf
die Werkzeugmaschinerie. Beide Teile des Mechanismus sind nur vorhanden, um der
Werkzeugmaschine die Bewegung mitzuteilen, wodurch sie den Arbeitsgegenstand
anpackt und zweckgemaB verandert. Dieser Teil der Maschinerie, die Werkzeugmaschine,
ist es, wovon die industrielle Revolution im 18Jahrhundert ausgeht. Sie bildet noch jeden
Tag von neuem den Ausgangspunkt, sooft Handwerksbetrieb oder Manufakturbetrieb in
Maschinenbetrieb iibergeht.
Sehn wir uns nun die Werkzeugmaschine oder eigentliche Arbeitsmaschine naher an, so
erscheinen im groBen und ganzen, wenn auch oft in sehr modifizierter Form, die Apparate
und Werkzeuge wieder, womit der Handwerker und Manufakturarbeiter arbeitet, aber statt
als Werkzeuge des Menschen jetzt als Werkzeuge eines Mechanismus oder als
mechanische. Entweder ist die ganze Maschine nur eine mehr oder minder veranderte
mechanische Ausgabe des alten Handwerksinstraments, wie bei dem mechanischen
Webstuhl , oder die am Geriist der Arbeitsmaschine angebrachten tatigen Organe sind
alte Bekannte, wie Spindeln bei der Spinnmaschine, Nadeln beim Strampfwirkerstuhl,
Sageblatter bei der Sagermaschine, Messer bei der Zerhackmaschine usw. Der Unterschied
dieser Werkzeuge von dem eigentlichen Korper der Arbeitsmaschine erstreckt sich bis auf
ihre Geburt. Sie werden namlich immer noch groBen teils handwerksmaBig oder
manufakturmaBig produziert und spater erst an den maschinenmaBig produzierten Korper
der Arbeitsmaschine befestigt. Die Werkzeugmaschine ist also ein Mechanismus, der
nach Mitteilung der entsprechenden Bewegung mit seinen Werkzeugen dieselben
Operationen verrichtet, welche friiher der Arbeiter mit ahnlichen Werkzeugen verrichtete.
Ob die Triebkraft nun vom Menschen ausgeht oder selbst wieder von einer Maschine,
andert am Wesen der Sache nichts. Nach Ubertragung des eigentlichen Werkzeugs vom
Menschen auf einen Mechanismus tritt eine Maschine an die Stelle eines bloBen
Werkzeugs. Der Unterschied springt sofort ins Auge, auch wenn der Mensch selbst noch
der erste Motor bleibt. Die Anzahl von Arbeitsinstrumenten, womit er gleichzeitig wirken
kann, ist durch die Anzahl seiner natiirlichen Produktionsinstrumente, seiner eignen
korperlichen Organe, beschrankt. Man versuchte in Deutschland erst einen Spinner zwei
Spinnrader treten, ihn also gleichzeitig mit zwei Handen und zwei FuBen arbeiten zu
lassen. Dies war zu anstrengend. Spater erfand man ein Tretspinnrad mit zwei Spindeln,
aber die Spinnvirtuosen, die zwei Faden gleichzeitig spinnen konnten, waren fast so selten
als zweikopfige Menschen. Die Jenny spinnt dagegen von vornherein mit 12-18
Spindeln, der S trump fwirkerstuhl strickt mit viel 1000 Nadeln auf einmal usw. Die Anzahl
der Werkzeuge, womit dieselbe Werkzeugmaschine gleichzeitig spielt, ist von vornherein
emanzipiert von der organischen Schranke, wodurch das Handwerkszeug eines Arbeiters
beengt wird.
An vielem Handwerkszeug besitzt der Unterschied zwischen dem Menschen als bloBer
Triebkraft und als Arbeiter mit dem eigentlichen Operateur eine sinnlich besonderte
Existenz. Z.B. beim Spinnrad wirkt der FuB nur als Triebkraft, wahrend die Hand, die an
der Spindel arbeitet, rupft und dreht, die eigentliche Spinnoperation verrichtet. Grade
diesen letzten Teil des Handwerksinstruments ergreift die industrielle Revolution zuerst
und uberlaBt dem Menschen, neben der neuen Arbeit die Maschine mit seinem Auge zu
iiberwachen und ihre Irrtumer mit seiner Hand zu verbessern, zunachst noch die rein
mechanische Rolle der Triebkraft. Werkzeuge dagegen, auf die der Mensch von vornherein
(S2fl
nur als einfache Triebkraft wirkt, wie z.B. beim Drehn der Kurbel einer Miihle , bei[m]
Pumpen, beim Auf- und Abbewegen der Arme eines Blasebalgs, beim StoBen eines
629
Morsers etc., rufen zwar zuerst die Anwendung von Tieren, Wasser, Wind als
Bewegungskraften hervor. Sie recken sich, teilweise innerhalb, sporadisch schon lange vor
der Manufakturperiode zu Maschinen, aber sie revolutionieren die Produktionsweise
nicht. DaB sie selbst in ihrer handwerksmaBigen Form bereits Maschinen sind, zeigt sich in
der groBen Priode der groBen Industrie. Die Pumpen z.B., womit die Hollander 1836/37
den See von Harlem auspumpten, waren nach dem Prinzip gewohnlicher Pumpen
konstruiert, nur daB zyklopische Dampfmaschinen statt der Menschenhande ihre Kolben
trieben. Der gewohnliche und sehr unvollkommne Blasebalg des Grobschmieds wird noch
zuweilen in England durch bloBe Verbindung seines Arms mit einer Dampfmaschine in
eine mechanische Luftpumpe verwandelt. Die Dampfmaschine selbst, wie sie Ende des 17.
Jahrhunderts wahrend der Manufakturperiode erfunden ward und bis zum Anfang der 80er
Jahre des 18 Jahrhunderts fortexistierte 630 rief keine industrielle Revolution
hervor. Es war vielmehr umgekehrt die Schopfung der
Werkzeugmaschinen, welche die revolutionierte Dampfmaschine
notwendig machte. Sobald der Mensch, statt mit dem Werkzeug auf den
Arbeitsgegenstand, nur noch als Triebkraft auf eine Werkzeugmaschine
wirkt, wird die Verkleidung der Triebkraft in menschliche Muskel zufallig
und kann Wind, Wasser, Dampf usw. an die Stelle treten. Dies schlieBt
naturlich nicht aus, daB solcher Wechsel oft groBe technische Anderungen
des urspriinglich fiir menschliche Triebkraft allein konstruierten
Mechanismus bedingt. Heutzutage werden alle Maschinen, die sich erst
Bahn brechen miissen, wie Nahmaschinen, Brotbereitungsmaschinen
usw., wenn sie den kleinen MaBstab nicht von vornherein durch ihre
Bestimmung ausschlieBen, fiir menschliche und rein mechanische
Triebkraft zugleich konstruiert.
Die Maschine, wo von die industrielle Revolution ausgeht, ersetzt den
Arbeiter, der ein einzelnes Werkzeug handhabt, durch einen Mechanismus,
der mit einer Masse derselben oder gleichartiger Werkzeuge auf einmal
operiert und von einer einzigen Triebkraft, welches immer ihre Form,
bewegt wird. 63 ' Hier haben wir die Maschine, aber erst als einfaches
Element der maschinenmaBigen Produktion.
Die Erweitrung des Umfangs der Arbeitsmaschine und der Zahl
gleichzeitig operierenden Werkzeuge bedingt einen massenhafteren
Bewegungsmechanismus, und dieser Mechanismus zur Uberwaltigung
seines eignen Widerstands eine machtigere Triebkraft als die menschliche,
abgesehn davon, daB der Mensch ein sehr unvollkommnes
Produktionsinstrument gleichformiger und kontinuierlicher Bewegung ist.
Vorausgesetzt, daB er nur noch als einfache Triebkraft wirkt, also an die
Stelle seines Werkzeugs eine Werkzeugmaschine getreten ist, konnen
Naturkrafte ihn jetzt auch als Trilebkraft ersetzen. Von alien aus der
Manufakturperiode uberlieferten groBen Bewegungskraften war die
Pferdekraft die schlechteste, teils weil ein Pferd seinen eignen Kopf hat,
teils wegen seiner Kostspieligkeit und des beschrankten Umfangs, worin es
in Fabriken allein anwendbar ist. 632 Dennoch wurde das Pferd haufig
wahrend der Kinderzeit der groBen Industrie angewandt, wie auBer dem
Jammer gleichzeitiger Agronomen schon der bis heute uberlieferte
Ausdruck der mechanischen Kraft in Pferdekraft bezeugt. Der Wind war
zu unstet und unkontrollierbar, und die Anwendung der Wasserkraft
iiberwog auBerdem in England, dem Geburtsort der groBen Industrie,
schon wahrend der Manufakturperiode. Man hatte bereits im
17Jahrhundert versucht, zwei Laufer und also auch zwei Mahlgange mit
einem Wasserrad in Bewegung zu setzen. Der geschwollne Umfang des
Transmissionsmechanismus geriet aber jetzt in Konflikt mit der nun
unzureichenden Wasserkraft, und dies ist einer der Umstande, der zur
genauem Untersuchung der Reibungsgesetze trieb. Ebenso fuhrte das
ungleichformige Wirken der Bewegungskraft bei Muhlen, die durch
StoBen und Ziehen mit Schwengeln in Bewegung gesetzt wurden, auf die
Theorie und Anwendung des Schwungrads 633 , das spater eine so wichtige
Rolle in der groBen Industrie spielt. In dieser Art entwickelte die
Manufakturperiode die ersten wissenschaftlichen und technischen
Elemente der groBen Industrie. Arkwrights Throstlesspinnerei wurde von
vornherein mit Wasser getrieben. Indes war auch der Gebrauch der
Wasserkraft als herrschender Triebkraft mit erschwerenden Umstanden
verbunden. Sie konnte nicht beliebig erhoht und ihrem Mangel nicht
abgeholfen werden, sie versagte zuweilen und war vor allem rein lokaler
Natur. 634 Erst mit Watts zweiter, sog. doppelt wirkender Dampfmaschine
war ein erster Motor gefunden, der seine Bewegungskraft selbst erzeugt
aus der Verspeisung von Kohlen und Wasser, dessen Kraftpotenz ganz
unter menschlicher Kontrolle steht, der mobil und ein Mittel der
Lokomotion, stadtisch und nicht gleich dem Wasserrad landlich, die
Konzentration der Produktion in Stadten eriaubt, statt sie wie das
Wasserrad iiber das Land zu zerstreuen 635 , universe!! in seiner
technologischen Anwendung, in seiner Residenz verhaltnismaBig wenig
durch lokale Umstande bedingt. Das groBe Genie Watts zeigt sich in der
Spezifikation des Patents, das er April 1784 nahm, und worin seine
Dampfmaschine nicht als eine Erfindung zu besondren Zwecken, sondern
als allgemeiner Agent der groBen Industrie geschildert wird. Er deutet hier
Anwendungen an, wovon manche, wie z.B. der Dampfhammer, mehr als
ein halbes Jahrhundert spater erst eingefuhrt wurden. Jedoch bezweifelte
er die Anwendbarkeit der Dampfmaschine auf Seeschiffahrt. Seine
Nachfolger, Boulton und Watt, stellten 1851 die kolossalste
Dampfmaschine fur Ocean steamers 636 auf der Londoner
Industrieausstellung aus.
5.0zeandampfer
l.Vom Standpunkt der manufakturmaBigen Teilung war Weben keine einfache, sondern vielmehr
eine komplizierte handwerksmaBige Arbeit, und so ist der mechanische Webstuhl eine Maschine, die sehr
Mannigfaltiges verrichtet. Es ist uberhaupt eine falsche Vorstellung, daB die moderne Maschinerie sich
urspriinglich solcher Operationen bemachtigt, welche die manufakturmaBige Teilung der Arbeit vereinfacht
hatte. Spinnen und Weben wurden wahrend der Manufakturperiode in neue Arten gesondert und ihre
Werkzeuge verbessert und variiert, aber der ArbeitsprozeB selbst, in keiner Weise geteilt, blieb
handwerksmaBig. Es ist nicht die Arbeit, sondern das Arbeitsmittel, wovon die Maschine ausgeht.
l.Vor der Epoche der groBen Industrie war die Wollmanufaktur die herrschende Manufaktur
Englands. In ihr wurden daher wahrend der ersten Halite des 18Jahrhunderts die meisten Experimente
gemacht. Der Baumwolle, deren mechanische Verarbeitung minder muhvolle Vorbereitungen erfordert,
kamen die an der Schafwolle gemachten Erfahrungen zugut, wie spater umgekehrt die mechanische
Wollindustrie sich auf Grundlage der mechanischen Baumwollspinnerei und Weberei entwickelt. Einzelne
Elemente der Wollmanufaktur sind erst seit den letzten Dezennien dem Fabriksystem einverleibt worden,
z.B. das Wollkammen. »Die Anwendung mechanischer Kraft auf den Prozefi des Wollkdmmens..., die
seit der Einfiihrung der "Kdmmaschine", speziell der Listerschen, in grofiem Ausmafi erfolgt ..., hatte
unzweifelhaft die Wirkung, dafi eine grofie Anzahl von Arbeitern aus der Arbeit geworfen wurde. Wolle
wurde vorher mit der Hand gekdmmt, zumeist in der Cottage des Kdmmers. Jetzt wird sie ganz
allgemein in der Fabrik gekdmmt, und Handarbeit ist, abgesehen von einigen besonderen Arten von
Arbeit, bei denen handgekammte Wolle noch vorgezogen wird, verdrangt worden. Viele von den
Handkammern fanden Arbeit in den Fabriken, aber das Arbeitsprodukt des Handkdmmers ist im
Verhaltnis zu dem der Maschine so klein, dafi eine sehr grofie Zahl von Kammern ohne Beschaftigung
geblieben ist.« ("Rep of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1856", p. 16.)
2.»Das Prinzip des Fabriksystems besteht also darin ... die Teilung des Arbeitsprozesses in
seine wesentlichen Bestandteile an die Stelle der Verteilung oder Abstufung der Arbeit unter die
einzelnen Handwerker zu setzen.« (Ure, I.e. P. 20.)
l.Der mechanische Webstuhl in seiner ersten Form besteht hauptsachlich aus Holz, der
verbesserte, moderne, aus Eisen. Wie sehr im Anfang die alte Form des Produktionsmittels seine neue
Form beherrscht, zeigt u.a. die oberflachlichste Vergleichung des modernen Dampfwebstuhls mit dem
alten, der modernen Blasinstrumente in EisengieBereien mit der ersten unbehilflichen mechanischen
Wiedergeburt des gewohnlichen Blasbalgs, und vielleicht schlagender als alles andre eine vor der Erfindung
der jetzigen Lokomotiven versuchte Lokomotive, die in der Tat zwei FiiBe hatte, welche sie abwechselnd
wie ein Pferd aufhob. Erst nach weitrer Entwicklung der Mechanik und gehaufter praktischer Erfahrung
wird die Form ganzlich durch das mechanische Prinzip bestimmt und daher ganzlich emanzipiert von der
iiberlieferten Korperform des Werk. zeugs, das sich zur Maschine entpuppt.
l.Des Yankee Eli Whitney cottongin war bis zur neuesten Zeit im wesentlichen weniger verandert
worden als irgendeine andre Maschine des 18. Jahrhunderts. Erst in den letzten Dezennien (vor 1867) hat
Nachdem erst die Werkzeuge aus Werkzeugen des menschlichen
Organismus in Werkzeuge eines mechanischen Apparats, der
Werkzeugmaschine, verwandelt, erhielt nun auch die Bewegungsmaschine
eine selbstandige, von den Schranken menschlicher Kraft vollig
emanzipierte Form. Damit sinkt die einzelne Werkzeugmaschine, die wir
bisher betrachtet, zu einem bloBen Element der maschinenmaBigen
Produktion herab. Eine Bewegungsmaschine konnte jetzt viele
Arbeitsmaschinen gleichzeitig treiben.
Mit der Anzahl der gleichzeitig bewegten Arbeitsmaschinen wachst die
Bewegungsmaschine und dehnt sich der Transmissionsmechanismus zu
einem weitlaufigen Apparat aus.
Es ist nun zweierlei zu unterscheiden, Kooperation vieler gleichartiger
Maschinen und Maschinen system.
In dem einen Fall wird das ganze Machwerk von derselben
Arbeitsmaschine verrichtet. Sie fiihrt alle die verschiednen Operationen
aus, welche ein Handwerker mit seinem Werkzeug, z.B. der Weber mit
seinem Webstuhl, verrichtete oder welche Handwerker mit verschiednen
Werkzeugen, sei es selbstandig oder als Glieder einer Manufaktur, der
Reihe nach ausfiihrten. 637 Z.B. in der modernen Manufaktur von
Briefkuverts faltete ein Arbeiter das Papier mit dem Falzbein, ein andrer
legte den Gummi auf, ein dritter schlug die Klappe urn, auf welche die
Devise aufgedriickt wird, ein vierter bossierte die Devise usw., und bei
jeder dieser Teiloperationen muBte jede einzelne Enveloppe die Hande
wechseln. Eine einzige Enveloppemaschine verrichtet alle diese
Operationen auf einen Schlag und macht 3.000 und mehr Enveloppes in
einer Stunde. Eine auf der Londoner Industrieausstellung von 1862
ausgestellte amerikanische Maschine zur Bereitung von Papiertuten
schneidet das Papier, kleistert, faltet und vollendet 300 Stiick per Minute.
Der innerhalb der Manufaktur geteilte und in einer Reihenfolge
ausgefuhrte GesamtprozeB wird hier von einer Arbeitsmaschine vollbracht,
die durch Kombination verschiedner Werkzeuge wirkt. Ob nun eine solche
Arbeitsmaschine nur mechanische Wiedergeburt eines komplizierteren
Handwerkszeuges sei oder Kombination verschiedenartiger,
manufakturmaBig partikularisierter einfacher Instrumente - in der Fabrik,
d.h. in der auf Maschinenbetrieb gegriindeten Werkstatt, erscheint
jedesmal die einfache Kooperation wieder, und zwar zunachst (wir sehn
hier vorn Arbeiter ab) als raumliche Konglomeration gleichartiger und
gleichzeitig zusammenwirkender Arbeitsmaschinen. So wird eine
Web fabrik durch das Nebeneinander vieler mechanischen Webstuhle und
eine Nahfabrik durch das Nebeneinander vieler Nahmaschinen in
demselben Arbeitsgebaude gebildet. Aber es existiert hier eine technische
Einheit, indem die vielen gleichartigen Arbeitsmaschinen gleichzeitig und
gleichmaBig ihren Impuls empfangen vom Herzschlag des gemeinsamen
ersten Motors, auf sie ubertragen durch den Transmissionsmechanismus,
der ihnen auch teilweis gemeinsam ist, indem sich nur besondre Auslaufe
davon fur jede einzelne Werkzeugmaschine verasteln. Ganz wie viele
Werkzeuge die Organe einer Arbeitsmaschine, bilden viele
Arbeitsmaschinen jetzt nur noch gleichartige Organe desselben
Bewegungsmechanismus.
Ein eigentliches Maschinensystem tritt aber erst an die Stelle der einzelnen
selbstandigen Maschine, wo der Arbeitsgegenstand eine
zusammenhangende Reihe verschiedner Stufenprozesse durchlauft, die
von einer Kette verschiedenartiger, aber einander erganzender
Werkzeugmaschinen ausgefiihrt werden. Hier erscheint die der
Manufaktur eigentumliche Kooperation durch Teilung der Arbeit wieder,
aber jetzt als Kombination von Teilarbeitsmaschinen. Die spezifischen
Werkzeuge der verschiednen Teilarbeiter, in der Wollmanufaktur z.B. der
Wollschlager, Wollkammer, Wollscherer, Wollspinner usw., verwandeln
sich jetzt in die Werkzeuge spezifizierter Arbeitsmaschinen, von denen
jede ein besondres Organ fur eine besondre Funktion im System des
kombinierten Werkzeugmechanismus bildet. Die Manufaktur selbst liefert
dem Maschinen system in den Zweigen, worin es zuerst eingefiihrt wird, im
groBen und ganzen die naturwuchsige Grundlage der Teilung und daher
der Organisation des Produktionsprozesses. 638 Indes tritt sofort ein
wesentlicher Unterschied ein. In der Mantifiktur miissen Arbeiter,
vereinzelt oder in Gruppen, jeden besondren TeilprozeB mit ihrem
Handwerkszeug ausfiihren. Wird der Arbeiter dem ProzeB angeeignet, so
ist aber auch vorher der ProzeB dem Arbeiter angepaBt. Dies subjektive
Prinzip der Teilung fallt weg fur die maschinenartige Produktion. Der
GesamtprozeB wird hier objektiv, an und fur sich betrachtet, in seine
konstituierenden Phasen analysiert, und das Problem, jeden TeilprozeB
auszufuhren und die verschiednen Teilprozesse zu verbinden, durch
technische Anwendung der Mechanik, Chemie usw. gelost 639 , wobei
naturlich nach wie vor die theoretische Konzeption durch gehaufte
praktische Erfahrung auf groBer Stufenleiter vervollkommnet werden muB.
Jede Teilmaschine liefert der zunachst folgenden ihr Rohmaterial, und da
sie alle gleichzeitig wirken, befindet sich das Produkt ebenso fortwahrend
auf den verschiednen Stufen seines Bildungsprozesses, wie im Ubergang
aus einer Produktionsphase in die andre. Wie in der Manufaktur die
unmittelbare Kooperation der Teilarbeiter bestimmte Verhaltniszahlen
zwischen den besondren Arbeitergruppen schafft, so in dem gegliederten
Maschinen system die bestandige Beschaftigung der Teilmaschinen durch
einander ein bestimmtes Verhaltnis zwischen ihrer Anzahl, ihrem Umfang
und ihrer Geschwindigkeit. Die kombinierte Arbeitsmaschine, jetzt ein
gegliedertes System von verschiedenartigen einzelnen Arbeitsmaschinen
und von Gruppen derselben, ist um so vollkommner, je kontinuierlicher ihr
GesamtprozeB, d.h. mit je weniger Unterbrechung das Rohmaterial von
seiner ersten Phase zu seiner letzten ubergeht, je mehr also statt der
Menschenhand der Mechanismus selbst es von einer Produktionsphase in
die andre fordert. Wenn in der Manufaktur die Isolierung der
Sonderprozesse ein durch die Teilung der Arbeit selbst gegebnes Prinzip
ist, so herrscht dagegen in der entwickelten Fabrik die Kontinuitat der
Sonderprozesse.
Ein System der Maschinerie, beruhe es nun auf bloBer Kooperation
gleichartiger Arbeitsmaschinen, wie in der Weberei, oder auf einer
Kombination verschiedenartiger, wie in der Spinnerei, bildet an und fur
sich einen groBen Automaten, sobald es von einem sich selbst
bewegenden ersten Motor getrieben wird. Indes kann das Gesamtsystem
z.B. von der Dampfmaschine getrieben werden, obgleich entweder
einzelne Werkzeugmaschinen fiir gewisse Bewegungen noch den Arbeiter
brauchen, wie die zum Einfahren der Mule notige Bewegung vor der
Einfuhrung der self-acting mule und immer noch bei Feinspinnerei, oder
aber bestimmte Teile der Maschine zur Verrichtung ihres Werks gleich
einem Werkzeug vom Arbeiter gelenkt werden miissen, wie beim
Maschinenbau vor der Verwandlung des slide rest (ein Drehapparat) in
einen selfactor. Sobald die Arbeitsmaschine alle zur Bearbeitung des
Rohstoffs notigen Bewegungen ohne menschhche Beihilfe verrichtet und
nur noch menschhcher Nachhilfe bedarf, haben wir ein automatisches
System der Maschinerie, das indes bestandiger Ausarbeitung im Detail
fahig ist. So sind z.B. der Apparat, der die Spinnmaschine von selbst
stillsetzt, sobald ein einzelner Faden reiBt, und der selfacting stop, der den
verbesserten Dampfwebstuhl stillsetzt, sobald der Spule des Weberschiffs
der Einschlagsfaden ausgeht, ganz moderne Erfindungen. Als ein Beispiel
sowohl der Kontinuitat der Produktion als der Durchfuhrung des
automatischen Prinzip s kann die moderne Papierfabrik gelten. An der
Papierproduktion kann uberhaupt der Unterschied verschiedner
Produktionsweisen, auf Basis verschiedner Produktionsmittel, wie der
Zusammenhang der gesellschaftlichen Produktionsverhaltnisse mit diesen
Produktionsweisen, im einzelnen vorteilhaft studiert werden, da uns die
altere deutsche Papiermacherei Muster der handwerksmaBigen Produktion,
Holland im 17. und Frankreich im 18Jahrhundert Muster der eigentlichen
Manufaktur und das moderne England Muster der automatischen
Fabrikation in diesem Zweig liefern, auBerdem in China und Indien noch
zwei verschiedne altasiatische Formen derselben Industrie existieren.
Als gegliedertes System von Arbeitsmaschinen, die ihre Bewegung nur
vermittelst der Transmissionsmaschinerie von einem zentralen Automaten
empfangen, besitzt der Maschinenbetrieb seine entwickeltste Gestalt. An
die Stelle der einzelnen Maschine tritt hier ein mechanisches Ungeheuer,
dessen Leib ganze Fabrikgebaude fullt und dessen damonische Kraft, erst
versteckt durch die fast feierlich gemeBne Bewegung seiner Riesenglieder,
im fieberhaft to lien Wirbeltanz seiner zahllosen eigentlichen Arbeitsorgane
ausbricht.
Es gab Mules, Dampfmaschinen usw., bevor es Arbeiter gab, deren
ausschlieBliches Geschaft es war, Dampfmaschinen, Mules usw. zu
machen, ganz wie der Mensch Kleider trug, bevor es Schneider gab. Die
Erfindungen von Vaucanson, Arkwright, Watt usw. waren jedoch nur
ausfuhrbar, weil jene Erfinder ein von der Manufakturperiode fertig
geliefertes und betrachtliches Quantum geschickter mechanischer Arbeiter
vorfanden. Ein Teil dieser Arbeiter bestand aus selbstandigen
Handwerkern verschiedner Profession, ein andrer Teil war in
Manufakturen vereinigt, worin, wie friiher erwahnt, die Teilung der Arbeit
mit besondren Strenge waltete. Mit der Zunahme der Erfindungen und der
wachsenden Nachfrage nach den neu erfundnen Maschinen entwickelte
sich mehr und mehr einerseits die Sondrung der Maschinenfabrikation in
mannigfaltige selbstandige Zweige, andrerseits die Teilung der Arbeit im
Innern der maschinenbauenden Manufakturen. Wir erblicken hier also in
der Manufaktur die unmittelbare technische Grundlage der groBen
Industrie. Jene produzierte die Maschinerie, womit diese in den
Produktionsspharen, die sie zunachst ergriff, den handwerks- und
manufakturmaBigen Betrieb aufhob. Der Maschinenbetrieb erhob sich also
naturwuchsig auf einer ihm unangemeBnen materiellen Grundlage. Auf
einem gewissen Entwicklungsgrad muBte er diese erst fertig vorgefundne
und dann in ihrer alten Form weiter ausgearbeitete Grundlage selbst
umwalzen und sich eine seiner eignen Produktionsweise entsprechende
neue Basis schaffen. Wie die einzelne Maschine zwergmaBig bleibt,
solange sie nur durch Menschen bewegt wird, wie das Maschinensystem
sich nicht frei entwickeln konnte, bevor an die Stelle der vorgefundnen
Triebkrafte - Tier, Wind und selbst Wasser - die Darnpfmaschine trat,
ebenso war die groBe Industrie in ihrer ganzen Entwicklung gelahmt,
solange ihr charakteristisches Produktionsmittel, die Maschine selbst,
personlicher Kraft und personlichem Geschick seine Existenz verdankte,
also abhing von der Muskelentwicklung, der Scharfe des Blicks und der
Virtuositat der Hand, womit der Teilarbeiter in der Manufaktur und der
Handwerker auBerhalb derselben ihr Zwerginstrument fuhrten. Abgesehn
von der Verteurung der Maschinen infolge dieser Urspungsweise - ein
Umstand, welcher das Kapital als bewuBtes Motiv beherrscht blieb so die
Ausdehnung der bereits maschinenmaBig betriebnen Industrie und das
Eindringen der Maschinerie in neue Produktionszweige rein bedingt durch
das Wachstum einer Arbeiterkategorie, die wegen der halbkunstlerischen
Natur ihres Geschafts nur allmahlich und nicht sprungweis vermehrt
werden konnte. Aber auf einer gewissen Entwicklungsstufe geriet die
groBe Industrie auch technisch in Widerstreit mit ihrer handwerks- und
manufakturmaBigen Unterlage. Ausreckung des Umfangs der
Bewegungsmaschinen, des Transmissionsmechanismus und der
Werkzeugmaschinen, groBere Komplikation, Mannigfaltigkeit und
strengere RegelmaBigkeit ihrer Bestandteile, im MaBe wie die
Werkzeugmaschine sich von dem handwerksmaBigen Modell, das ihren
Bau urspriinglich beherrscht, losriB und eine freie, nur durch ihre
mechanische Aufgabe bestimmte Gestalt erhielt 640 , Ausbildung des
automatischen Systems und stets unvermeidlichere Anwendung von
schwer zu bewaltigendem Material, z.B. Eisen statt Holz - die Losung aller
dieser naturwuchsig entspringenden Aufgaben stieB iiberall auf die
personlichen Schranken, die auch das in der Manufaktur kombinierte
Arbeiterpersonal nur dem Grad, nicht dem Wesen nach durchbricht.
Maschinen z.B. wie die moderne Druckerpresse, der moderne
Dampfwebstuhl und die moderne Kardiermaschine, konnten nicht von der
Manufaktur geliefert werden.
Die Umwalzung der Produktionsweise in einer Sphare der Industrie
bedingt ihre Umwalzung in der andren. Es gilt dies zunachst fiir solche
Industriezweige, welche zwar durch die gesellschaftliche Teilung der
Arbeit isoliert sind, so daB jeder derselben eine selbstandige Ware
produziert, sich aber dennoch als Phasen eines Gesamtprozesses
verschlingen. So machte die Maschinenspinnerei Maschinenweberei notig
und beide zusammen die mechanisch-chemische Revolution in der
Bleicherei, Druckerei und Farberei. So rief andrerseits die Revolution in der
Baumwollspinnerei die Erfindung des gin zur Trennung der Baumwollfaser
vom Samen hervor, womit erst die Baumwollproduktion auf dem nun
erheischten groBen MaBstab moglich ward. 641 Die Revolution in der
Produktionsweise der Industrie und Agrikultur ernotigte namentlich aber
auch eine Revolution in den allgemeinen Bedingungen des
gesellschaftlichen Produktionsprozesses, d.h. den Kommunika tions- und
Transportmitteln. Wie die Kommunikations- und Transportmittel einer
Gesellschaft, deren Pivot, um mich eines Ausdrucks Fouriers zu bedienen,
die kleine Agrikultur mit ihrer hauslichen Nebenindustrie und das
stadtische Handwerk waren, den Produktionsbediirfnissen der
Manufakturperiode mit ihrer erweiterten Teilung der gesellschaftlichen
Arbeit, ihrer Konzentration von Arbeitsmitteln und Arbeitern und ihren
Kolonialmarkten durchaus nicht mehr geniigen konnten, daher auch in der
Tat umgewalzt wurden, so verwandelten sich die von der
Manufakturperiode uberlieferten Transport- und Kommunikationsmittel
bald in unertragliche Hemmschuhe fiir die groBe Industrie mit ihrer
fieberhaften Geschwindigkeit der Produktion, ihrer massenhaften
Stufenleiter, ihrem bestandigen Werfen von Kapital- und Arbeitermassen
aus eineir Produktionssphare in die andre und ihren neugeschaffnen
weltmarktlichen Zusammenhangen. Abgesehn von ganz umgewalztem
Segelschiffbau, wurde das Kommunikations- und Transportwesen daher
allmahlich durch ein System von FluBdampfschiffen, Eisenbahnen,
ozeanischen Dampfschiffen und Telegraphen der Produktionsweise der
groBen Industrie angepaBt. Die furchtbaren Eisenmassen aber, die jetzt zu
Schmieden, zu schweiBen, zu schneiden, zu bohren und zu formen waren,
erforderten ihrerseits zyklopische Maschinen, deren Schopfung der
manufakturmaBige Maschinenbau versagte.
Die groBe Industrie muBte sich also ihres charakteristischen
Produktionsmittels, der Maschine selbst, bemachtigen und Maschinen
durch Maschinen produzieren. So erst schuf sie ihre adaquate technische
Unterlage und stellte sich auf ihre eignen FuBe. Mit dem wachsenden
Maschinenbetrieb in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts
bemachtigte sich die Maschinerie in der Tat allmahlich der Fabrikation der
Werkzeugmaschinen. Jedoch erst wahrend der letztverfloBnen Dezennien
riefen ungeheurer Eisenbahnbau und ozeanische Dampfschiffahrt die zur
Konstruktion von ersten Motoren angewandten zyklopischen Maschinen
ins Leben.
Die wesentlichste Produktionsbedingung fiir die Fabrikation von
Maschinen durch Maschinen war eine jeder Kraftpotenz fahige und doch
zugleich ganz kontrollierbare Bewegungsmaschine. Sie existierte bereits in
der Dampfmaschine. Aber es gait zugleich die fiir die einzelnen
Maschinenteile notigen streng geometrischen Formen wie Linie, Ebne,
Kreis, Zylinder, Kegel und Kugel maschinenmaBig zu produzieren. Dies
Problem loste Henry Maudslay im ersten Dezennium des 19Jahrhunderts
durch die Erfindung des slide-rest, der bald automatisch gemacht und in
modifizierter Form von der Drechselbank, wofur er zuerst bestimmt war,
auf andre Konstruktionsmaschinen ubertragen wurde. Diese mechanische
Vorrichtung ersetzt nicht irgendein besondres Werkzeug, sondern die
menschliche Hand selbst, die eine bestimmte Form hervorbringt, durch
Vorhalten, Anpassen und Richtung der Scharfe von Schneideinstrumenten
usw. gegen oder iiber das Arbeitsmaterial, z.B. Eisen. So gelang es, die
geometrischen Formen der einzelnen Maschinenteile
»mit einem Grad von Leichtigkeit, Genauigkeit und Raschheit zu
produzieren, den keine gehdufte Erfahrung der Hand des geschicktesten
Arbeiters verleihen konnte« 642
l.'The Industry of Nations", Lond. 1855, Part II, p. 239. Es heiBt ebendaselbst: »So einfach und
auBerlich unbedeutend, wie dieses Zubehor zur Drehbank erscheinen mag, glauben wir doch nicht zu viel zu
behaupten, wenn wir feststellen, daB sein EinfluB auf die bessere und ausgedehntere Verwendung von
Maschinen ebenso groB gewesen ist wie der, den Watts Verbesserungen der Dampfmaschine hervorgerufen
haben. Seine Einfuhrung hatte sofort eine Vervollkommnung und Verbilligung aller Maschinen zur Folge
und trieb zu weiteren Erfindungen und Verbesserungen. «
l.»Eine dieser Maschinen in London zum Schmieden von paddle-wheel shafts
[Schaufelradwellen] ftihrt den Namen Thor«. Sie schmiedet einen Schaft von I6V2 Tonnen Gewicht mit
derselben Leichtigkeit, wie der Schmied ein Hufeisen.
2.Die in Holz arbeitenden Maschinen, die auch auf kleinem MaBstab angewandt werden konnen,
sind meist amerikanische Erfindung.
l.Die Wissenschaft kostet dem Kapitalisten uberhaupt "nichts", was ihn durchaus nicht hindert, sie
zu exploitieren. Die "fremde" Wissenschaft wird dem Kapital einverleibt wie fremde Arbeit.
"Kapitalistische" Aneignung und "personliche" Aneignung, sei es von Wissenschaft, sei es von materillem
Reichtum, sind aber ganz und gar disparate Dinge. Dr. Ure selbst bejammerte die grobe Unbekanntschaft
seiner lieben, Maschinen exploitierenden Fabrikanten mit der Mechanik, und Liebig weiB von der
haarstraubenden Unwissenheit der englischen chemischen Fabrikanten in der Chemie zu erzahlen.
l.Ricardo faBt diese, ubrigens von ihm ebensowenig wie der allgemeine Unterschied zwischen
ArbeitsprozeB und VerwertungsprozeB entwickelte Wirkung der Maschinen manchmal so vorzugsweise ins
Auge, daB er gelegentlich den Wertbestandteil vergiBt, den Maschinen an das Produkt abgeben, und sie ganz
und gar mit den Naturkraften zusammenwirft. So z.B. »Adam Smith unterschatzt nirgends die Dienste, die
Naturkrdfte und Maschinerie uns leisten, aber er unterscheidet sehr richtig die Natur des Wertes, den
sie den Waren zusetzen ... da sie ihre Arbeit kostenlos tun, setzt ihr uns geleisteter Beistand dem
Tauschwert nichts zu«. (Ricardo, I.e. p. 336, 337.) Ricardos Bemerkung ist natiirlich richtig gegen J.B.Say,
der sich vorfaselt, die Maschinen leisteten den "Dienst", Wert zu schaffen, der Teil des "Profits" bilde.
l.(Note zur 3. Aufl. - Eine "Pferdekraft" ist gleich der Kraft von 33.000 FuBpfund in der Minute,
d.h. der Kraft, die 33.000 Pfund in der Minute um 1 FuB (englisch) hebt oder 1 Pfund um 33.000 FuB. Dies
ist die oben gemeinte Pferdekraft. In der gewohnlichen Geschaftssprache und auch hie und da in Zitaten
dieses Buchs wird aber unterschieden zwischen "nominellen" und "kommerziellen" oder "indizierten"
Pferdekraften derselben Maschine. Die alte oder nominelle Pferdekraft wird berechnet ausschlieBlich aus
Kolbenhub und Zylinderdurchmesser und laBt Dampfdruck und Kolbengeschwindigkeit ganz auBer
Beriicksichtigung. D.h., faktisch sagt sie aus: Diese Dampfmaschine hat z.B. 50 Pferdekraft, wenn sie mit
demselben schwachen Dampfdruck und derselben geringen Kolbengeschwindigkeit getrieben wird wie zur
Zeit von Boulton und Watt. Letztere beiden Faktoren sind aber seitdem enorm gewachsen. Um die von
einer Maschine heute wirklich gelieferte mechanische Kraft zu messen, wurde der Indikator erfunden, der
den Dampfdruck anzeigt. Die Kolbengeschwindigkeit laBt sich leicht feststellen. So ist das MaB der
"indizierten" oder "kommerziellen" Pferdekraft einer Maschine eine mathematische Formel, welche
Zylinderdurchmesser, Hohe des Kolbenhubs, Kolbengeschwindigkeit und Dampfdruck gleichzeitig
beriicksichtigt und damit anzeigt, wievielmal die Maschine in der Minute 33.000 FuBpfund wirklich leistet.
Eine nominelle Pferdekraft kann daher in Wirklichkeit drei, vier, selbst fiinf indizierte oder
wirklichePferdekrafte leisten. Dies zur Erklarung verschiedener spaterer Zitate. - F.E.)
2.Zoll Tuch
3.J.B. Baynes: "The cotton trade. Two lectures on the above subject, delivered before the members
of the Blackburn Literary, Scientific and Mechanics' Institution", Blackburn, London 1857, S.48.
Betrachten wir nun den Teil der zum Maschinenbau angewandten
Maschinerie, der die eigentliche Werkzeugmaschine bildet, so erscheint
das handwerksmaBige Instrament wieder, aber in zyklopischem Umfang.
Der Operateur der Bohrmaschine z.B. ist ein ungeheurer Bohrer, der durch
eine Dampfmaschine getrieben wird und ohne den umgekehrt die Zylinder
groBer Dampfmaschinen und hydraulischer Pressen nicht produziert
werden konnten. Die mechanische Drechselbank ist die zyklopische
Wiedergeburt der gewohnlichen FuBdrechselbank, die Hobelmaschine ein
eiserner Zimmermann, der mit denselben Werkzeugen in Eisen arbeitet,
womit der Zimmermann in Holz; das Werkzeug, welches in den Londoner
Schiffswerften das Furnierwerk schneidet, ist ein riesenartiges
Rasiermesser, das Werkzeug der Schermaschine, welche Eisen schneidet,
wie die Schneiderschere Tuch, eine Monstreschere, und der
Dampfhammer operiert mit einem gewohnlichen Hammerkopf, aber von
solchem Gewicht, daB Thor selbst ihn nicht schwingen konnte. 643 Einer
dieser Dampfhammer z.B., die eine Erfindung von Nasmyth sind, wiegt
tiber 6 Tonnen und stiirzt mit einem perpendikularen Fall von 7 FuB auf
einen AmboB von 36 Tonnen Gewicht. Er pulverisiert spielend einen
Granitblock und ist nicht minder fahig, einen Nagel in weiches Holz mit
einer Aufeinanderfolge leiser Schlage einzutreiben. 644
Als Maschinerie erhalt das Arbeitsmittel eine materielle Existenzweise,
welche Ersetzung der Menschenkraft durch Naturkrafte und
erfahrungsmaBiger Routine durch bewuBte Anwendung der
Naturwissenschaft bedingt. In der Manufaktur ist die Gliederung des
gesellschaftlichen Arbeitsprozesses rein subjektiv, Kombination von
Teilarbeitern; im Maschinensystem besitzt die groBe Industrie einen ganz
objektiven Produktionsorganismus, den der Arbeiter als fertige materielle
Produktionsbedingung vorfindet. In der einfachen und selbst in der durch
Teilung der Arbeit spezifizierten Kooperation erscheint die Verdrangung
des vereinzelten Arbeiters durch den vergesellschafteten immer noch mehr
oder minder zufallig. Die Maschinerie, mit einigen spater zu erwahnenden
Ausnahmen, funktioniert nur in der Hand unmittelbar vergesellschafteter
oder gemeinsamer Arbeit. Der kooperative Charakter des Arbeitsprozesses
wird jetzt also durch die Natur des Arbeitsmittels selbst diktierte
technische Notwendigkeit.
2. Wertabgabe der Maschinerie an das Produkt
Man sah, daB die aus Kooperation und Teilung der Arbeit entspringenden
Produktivkrafte dem Kapital nichts kosten. Sie sind Naturkrafte der
gesellschaftlichen Arbeit. Naturkrafte, wie Dampf, Wasser usw., die zu
produktiven Prozessen angeeignet werden, kosten ebenfalls nichts. Wie
aber der Mensch eine Lunge zum Atmen braucht, braucht er ein »Gebild
von Menschenhand«, um Naturkrafte produktiv zu konsumieren. Ein
Wasserrad ist notig, um die Bewegungskraft des Wassers, eine
Dampfmaschine, um die Elastizitat des Dampfs auszubeuten. Wie mit den
Naturkraften verhalt es sich mit der Wissenschaft. Einmal entdeckt, kostet
das Gesetz tiber die Abweichung der Magnetnadel im Wirkungskreise
eines elektrischen Stroms oder tiber Erzeugung von Magnetismus im
Eisen, um das ein elektrischer Strom kreist, keinen Deut. 645 Aber zur
Ausbeutung dieser Gesetze fur Telegraphie usw. bedarf es eines sehr
kostspieligen und weitlaufigen Apparats. Durch die Maschine wird, wie wir
sahen, das Werkzeug nicht verdrangt. Aus einem Zwergwerkzeug des
menschlichen Organismus reckt es sich in Umfang und Anzahl zum
Werkzeug eines vom Menschen geschaffnen Mechanismus. Statt mit dem
Handwerkszeug, laBt das Kapital den Arbeiter jetzt mit einer Maschine
arbeiten, die ihre Werkzeuge selbst fuhrt. Wenn es daher auf den ersten
Blick klar ist, daB die groBe Industrie durch Einverleibung ungeheurer
Naturkrafte und der Naturwissenschaft in den ProduktionsprozeB die
Produktivitat der Arbeit auBerordentlich steigern muB, ist es keineswegs
ebenso klar, daB diese gesteigerte Produktivkraft nicht durch vermehrte
Arbeitsausgabe auf der andren Seite erkauft wird. Gleich jedem andren
Bestandteil des konstanten Kapitals schafft die Maschinerie keinen Wert,
gibt aber ihren eignen Wert an das Produkt ab, zu dessen Erzeugung sie
dient. Soweit sie Wert hat und daher Wert auf das Produkt ubertragt, bildet
sie einen Wertbestandteil desselben. Statt es zu verwohlfeilern, verteuert
sie es im Verhaltnis zu ihrem eignen Wert. Und es ist handgreiflich, daB
Maschine und systematisch entwickelte Maschinerie, das charakteristische
Arbeitsmittel der groBen Industrie, unverhaltnismaBig an Wert schwillt,
verglichen mit den Arbeitsmitteln des Handwerks- und
Manufakturbetrieb s .
Es ist nun zunachst zu bemerken, daB die Maschinerie stets ganz in den
ArbeitsprozeB und immer nur teilweis in den VerwertungsprozeB eingeht.
Sie setzt nie mehr Wert zu, als sie im Durchschnitt durch ihre Abnutzung
verliert. Es findet also groBe Differenz statt zwischen dem Wert der
Maschine und dem periodisch von ihr auf das Produkt ubertragnen
Wertteil. Es findet eine groBe Differenz statt zwischen der Maschine als
wertbildendem und als produktbildendem Element. Je groBer die Periode,
wahrend welcher dieselbe Maschinerie wiederholt in demselben
ArbeitsprozeB dient, desto groBer jene Differenz. Allerdings haben wir
gesehn, daB jedes eigentliche Arbeitsmittel oder Produktionsinstrument
immer ganz in den ArbeitsprozeB und stets nur sttickweis, im Verhaltnis
zu seinem taglichen Durch schnittsverschleiB, in den VerwertungsprozeB
eingeht. Diese Differenz jedoch zwischen Benutzung und Abnutzung ist
viel groBer bei der Maschinerie als bei dem Werkzeug, weil sie, aus
dauerhafterem Material gebaut, langer lebt, weil ihre Anwendung, durch
streng wissenschaftliche Gesetze geregelt, groBre Okonomie in der
Verausgabung ihrer Bestandteile und ihrer Konsumtionsmittel ermoglicht,
und endlich, weil ihr Produktionsfeld unverhaltnismaBig groBer ist als das
des Werkzeugs. Ziehn wir von beiden, von Maschinerie und Werkzeug,
ihre taglichen Durch schnittskosten ab oder den Wertbestandteil, den sie
durch taglichen Durch schnittsverschleiB und den Konsum von
Hilfsstoffen, wie 01, Kohlen usw., dem Produkt zusetzen, so wirken sie
umsonst, ganz wie ohne Zutun menschlicher Arbeit vorhandne
Naturkrafte. Um so viel groBer der produktive Wirkungsumfang der
Maschinerie als der des Werkzeugs, um so viel groBer ist der Umfang ihres
unentgeltlichen Dienstes, verglichen mit dem des Werkzeugs. Erst in der
groBen Industrie lernt der Mensch, das Produkt seiner vergangnen, bereits
vergegenstandlichten Arbeit auf groBem MaBstab gleich einer Naturkraft
umsonst wirken zu lassen. 646
Es ergab sich bei Betrachtung der Kooperation und Manufaktur, daB
gewisse allgemeine Produktionsbedingungen, wie Baulichkeiten usw., im
Vergleich mit den zersplitterten Produktionsbedingungen vereinzelter
Arbeiter durch den gemeinsamen Konsum okonomisiert werden, daher
das Produkt weniger verteuern. Bei der Maschinerie wird nicht nur der
Korper einer Arbeitsmaschine von ihren vielen Werkzeugen, sondern
dieselbe Bewegungsmaschine nebst einem Teil des
Transmissionsmechanismus von vielen Arbeitsmaschinen gemeinsam
verbraucht.
Gegeben die Differenz zwischen dem Wert der Maschinerie und dem auf
ihr Tagesprodukt ubertragnen Wertteil, hangt der Grad, worm dieser
Wertteil das Produkt verteuert, zunachst vom Umfang des Produkts ab,
gleichsam von seiner Oberflache. Herr Baynes aus Blackburn schatzt in
einer 1857 veroffentlichten Vorlesung, daB »jede reale 641 mechanische
Pferdekraft 450 selfacting Mulespindeln nebst Vorgeschirr treibt oder
200 Throstlespindeln oder 15 Webstiihle fiir 40 inch cloth 64S nebst den
Vorrichtungen zum Aufziehn der Kette, Schlichten usw.« 649
Es ist im ersten Fall das Tagesprodukt von 450 Mulespindeln, im zweiten
von 200 Throstlespindeln, im dritten von 15 mechanischen Webstuhlen,
wo ruber sich die taglichen Kosten einer Dampfpferdekraft und der
VerschleiB der von ihr in Bewegung gesetzten Maschinerie verteilen, so
daB hierdurch auf eine Unze Garn oder eine Elle Geweb nur ein winziger
Wertteil iibertragen wird. Ebenso im obigen Beispiel mit dem
Dampfhammer. Da sich sein taglicher VerschleiB, Kohlenkonsum usw.
verteilen auf die furchtbaren Eisenmassen, die er taglich hammert, hangt
sich iedem Zentner Eisen nur ein geringer Wertteil an, der sehr groB ware,
sollte das zyklopische Instrument kleine Nagel eintreiben.
Den Wirkungskreis der Arbeitsmaschine, also die Anzahl ihrer Werkzeuge,
oder, wo es sich um Kraft handelt, deren Umfang gegeben, wird die
Produktenmasse von der Geschwindigkeit abhangen, womit sie operiert,
also z.B. von der Geschwindigkeit, womit sich die Spindel dreht, oder der
Anzahl Schlage, die der Hammer in einer Minute austeilt. Manche jener
kolossalen Hammer geben 70 Schlage, Ryders Schmiedepatentmaschine,
die Dampfhammer in kleineren Dimensionen zum Schmieden von
Spindeln anwendet, 700 Schlage in einer Minute.
Die Proportion gegeben, worin die Maschinerie Wert auf das Produkt
ubertragt, hangt die GroBe dieses Wertteils von ihrer eignen WertgroBe
ab. 650 Je weniger Arbeit sie selbst enthalt, desto weniger Wert setzt sie dem
l.Der in kapitalistischen Vorstellungen befangne Leser vermiBt hier naturlich den "Zins", den die
Maschine, pro rata ihres Kapitalwerts, dem Produkt zusetzt. Es ist jedoch leicht einzusehn, daB die
Maschine, da sie so wenig als irgendein andrer Bestandteil des konstanten Kapitals Neuwert erzeugt, keinen
solchen unter dem Namen "Zins" zusetzen kann. Es ist ferner klar, daB hier, wo es sich um die Produktion
des Mehrwerts handelt, kein Teil desselben unter dem Namen "Zins" a priori vorausgesetzt werden kann.
Die kapitalistische Rechnungs weise, die prima facie [dem ersten Anschein nach] abgeschmackt und den
Gesetzen der Wertbildung widersprechend scheint, findet im Dritten Buch dieser Schrift ihre Erklarung.
l.Dieser von der Maschine zugesetzte Wertbestandteil fallt absolut und relativ, wo sie Pferde
verdrangt, iiberhaupt Arbeitstiere, die nur als Bewegungskraft, nicht als Stoffwechselmaschinen benutzt
werden. Nebenbei bemerkt, Descartes mit seiner Definition der Tiere als bloBer Maschinen sieht mit den
Augen der Manufakturperiode im Unterschied zum Mittelalter, dem das Tier als Gehilfe des Menschen
gait, wie spater wieder dem Herrn v. Haller in seiner "Restauration der Staatswissenschaften". DaB
Descartes ebenso wie Baco eine veranderte Gestalt der Produktion und praktische Beherrschung der Natur
durch den Menschen als Resultat der veranderten Denkmethode betrachtete, zeigt sein "Discours de la
Produkt zu. Je weniger Wert abgebend, desto produktiver ist sie und desto
mehr nahert sich ihr Dienst dem der Naturkrafte. Die Produktion der
Maschinerie durch Maschinerie verringert aber ihren Wert, verhaltnismaBig
zu ihrer Ausdehnung und Wirkung.
Eine vergleichende Analyse der Preise handwerks- oder manufakturmaBig
produzierter Waren und der Preise derselben Waren als Maschinenprodukt
ergibt im allgemeinen das Resultat, daB beim Maschinenprodukt der dem
Arbeitsmittel geschuldete Wertbestandteil relativ wachst, aber absolut
abnimmt. Das heiBt, seine absolute GroBe nimmt ab, aber seine GroBe im
Verhaltnis zum Gesamtwert des Produkts, z.B. eines Pfundes in Garns,
nimmt zu. 651
Methode", wo es u.a. heiBt: »Es ist moglich [durch die von ihm in die Philosophie eingefuhrte Methode], zu
Kenntnissen zu gelangen, die fiir das Leben sehr niitzlich sind, und an Stelle jener spekulativen
Philosophie, die man in den Schulen lehrt, eine praktische Philosophie zu finden, durch die wir die
Krafte und die Wirksamkeit des Feuers, des Wassers, der Luft, der Gestirne und aller anderen uns
umgebenden Korper - indem wir sie ebenso genau kennen wie die verschiedenen Gewerbe unserer
Handwerker - auch ebenso zu all den Gebrauchszwecken verwenden konnten fur die sie geeignet sind,
und uns so zu Meistern und Besitzern der Natur machen konnen«, und so »zur Vervollkommnung des
menschlichen Lebens beitragen.« In der Vorrede zu Sir Dudley Norths, "Discourses upon Trade" (1691)
heiBt es, die Methode des Descartes, auf die politische Okonomie angewandt, habe sie von alten Marchen
und aberglaubischen Vorstellungen iiber Geld, Handel usw. zu befreien angefangen. Im Durchschnitt
schlieBen sich jedoch die englischen Okonomen der friihern Zeit an Baco und Hobbes als ihre Philosophen
an, wahrend Locke spater "der Philosoph" %ca' efy>%r\V [schlechthin] der politischen Okonomie fur
England, Frankreich und Italien ward.
l.Nach einem Jahresbericht der Handelskammer zu Essen (Okt. 1863) produzierte 1862 die
Kruppsche GuBstahlfabrik mittelst 161 Schmelz-, Gliih- und Zementofen, 32 Dampfmaschinen (im Jahr
1800 war das ungefahr die Gesamtzahl der in Manchester angewandten Dampfmaschinen) und 14
Dampfhammern, welche zusammen 1.236 Pferdekraft reprasentieren, 49 Schmiedeessen, 203
Werkzeugmaschinen und zirka 2.400 Arbeitern - 13 Millionen Pfund GuBstahl. Hier noch nicht 2 Arbeiter
auf 1 Pferdekraft.
2.Babbage berechnet, daB in Java 117% dem Baumwollwert fast nur durch die Spinnarbeit zugesetzt
werden. Zur selben Zeit (1832) betrug in England der Gesamtwert, den Maschinerie und Arbeit der
Baumwolle bei der Feinspinnerei zusetzten, ungefahr 33% auf den Wert des Rohmaterials. ("On the
Economy of Machinery", p. 165, 166.)
3. Beim Maschinendruck auBerdem Farbe erspart.
4.Vgl. "Paper read by Dr. Watson, Reporter on Products to the Government of India, before the
Society of Arts", 17. April 1860.
l.SieheKapital. Bd.l,S.397
2.»Diese stummen Agenten [die Maschinen] sind immer das Produkt von viel weniger Arbeit als
jene, die sie verdrangen, selbst dann, wenn sie gleichen Geldwert haben.« (Ricardo, I.e. p. 40.)
l. A Note zur 2.Ausgabe. In einer kommunistischen Gesellschaft hatte daher die Maschinerie einen ganz
andren Spielraum als in der biirgerlichen Gesellschaft.
2.»Die Anwender der Arbeit wollen nicht unnotig zwei Schichten von Kindern unter dreizehn in
Es ist klar, daB bloBes Deplacement der Arbeit stattfindet, also die
Gesamtsumme der zur Produktion einer Ware erheischten Arbeit nicht
vermindert oder die Produktivkraft der Arbeit nicht vermehrt wird, wenn
die Produktion einer Maschine so viel Arbeit kostet, als ihre Anwendung er
spart. Die Differenz jedoch zwischen der Arbeit, die sie kostet, und der
Arbeit, die sie erspart, oder der Grad ihrer Produktivitat hangt offenbar
nicht ab von der Differenz zwischen ihrem eignen Wert und dem Wert des
von ihr ersetzten Werkzeugs. Die Differenz dauert so lange, als die
Arbeitskosten der Maschine und daher der von ihr dem Produkt zugesetzte
Wertteil kleiner bleiben als der Wert, den der Arbeiter mit geinem
Werkzeug dem Arbeitsgegenstand zusetzen wurde. Die Produktivitat der
Maschine miBt sich daher an dem Grad, worin sie menschliche
Arbeitskraft ersetzt. Nach Herrn Baynes kommen auf 450 Mulespindeln
nebst Vormaschinerie, die von einer Dampfpferdekraft getrieben werden,
2V2 Arbeiter 652 und werden mit jeder selfacting mule spindle bei
zehnstundigem Arbeitstag 13 Unzen Garn (Durchschnitts nummer), also
wochentlich 365^/g Pfund Garn von 2V2 Arbeitern gesponnen. Bei ihrer
Verwandlung in Garn absorbieren ungefahr 366 Pfund Baumwolle (wir
sehn der Vereinfachung halber vom Abfall ab) also nur 150
Arbeitsstunden oder 15 zehnstundige Arbeitstage, wahrend mit dem
Spinnrad, wenn der Handspinner 13 Unzen Garn in 60 Stunden liefert,
dasselbe Quantum Baumwolle 2.700 Arbeitstage von 10 Stunden oder
27.000 Arbeitsstunden absorbieren wurde. 653 Wo die alte Methode des
blockprinting oder der Handkattundruckerei durch Maschinendruck
verdrangt ist, druckt eine einzige Maschine mit dem Beistand eines
Mannes oder jungen so viel vierfarbigen Kattun in einer Stunde wie friiher
200 Manner. 654 Bevor Ell Whitney 1793 den cottongin erfand, kostete die
Trennung eines Pfundes Baumwolle vom Samen einen
Durchschnittsarbeitstag. Infolge seiner Erfindung konnten taglich 100 Pfd.
Baumwolle von einer Negerin gewonnen werden und die Wirksamkeit des
gin ward seitdem noch bedeutend erhoht. Ein Pfund Baumwollfaser,
friiher zu 50 Cents produziert, wird spater mit groBrern Profit, d.h. mit
EinschluB von mehr unbezahlter Arbeit, zu 10 Cents verkauft. In Indien
wendet man zur Trennung der Faser vom Samen ein halbmaschinenartiges
Instrument an, die Churka, womit ein Mann und eine Frau taglich 28 Pfd.
reinigen. Mit der von Dr. Forbes vor einigen Jahren erfundnen Churka
produzieren 1 Mann und 1 Junge taglich 250 Pfd.; wo Ochsen, Dampf
oder Wasser als Triebkrafte gebraucht werden, sind nur wenige Jungen
und Madchen als feeders (Handlanger des Materials fur die Maschine)
erheischt. Sechzehn dieser Maschinen, mit Ochsen getrieben, verrichten
taglich das friihere Durchschnittstagewerk von 750 Leuten. 655
Wie bereits erwahnt 656 , verrichtet die Dampfmaschine, beim Dampfpflug,
in einer Stunde zu 3 d. oder l A sh. so viel Werk wie 66 Menschen zu 15 sh.
per Stunde. Ich komme auf dieses Beispiel zuriick gegen eine falsche
Vorstellung. Die 15 sh. sind namlich keineswegs der Ausdruck der
wahrend einer Stunde von den 66 Menschen zugefugten Arbeit. War das
Verhaltnis von Mehrarbeit zu notwendiger Arbeit 100%, so produzierten
diese 66 Arbeiter per Stunde einen Wert von 30 sh., obgleich sich nur 33
Stunden in einem Aquivalent fur sie selbst, d.h. im Arbeitslohn von 15 sh.
darstellen. Gesetzt also, eine Maschine koste ebensoviel als der Jahreslohn
von 150 durch sie verdrangten Arbeitern, sage 3.000 Pfd. St., so sind 3.000
Pfd. St. keineswegs der Geldausdruck der von 150 Arbeitern gelieferten
und dem Arbeitsgegenstand zugesetzten Arbeit, sondern nur des Teils
ihrer Jahresarbeit, der sich fur sie selbst in Arbeitslohn darstellt. Dagegen
driickt der Geldwert der Maschine von 3.000 Pfd. St. alle wahrend ihrer
Produktion verausgabte Arbeit aus, in welchem Verhaltnis immer diese
Arbeit Arbeitslohn fur den Arbeiter und Mehrwert fur den Kapitalisten
bilde. Kostet die Maschine also ebensoviel als die von ihr ersetzte
Arbeitskraft, so ist die in ihr selbst vergegenstandlichte Arbeit stets viel
kleiner als die von ihr ersetzte lebendige Arbeit. 657
AusschlieBlich als Mittel zur Verwohlfeilerung des Produkts betrachtet, ist
die Grenze fur den Gebrauch der Maschinerie darin gegeben, daB ihre
eigne Produktion weniger Arbeit kostet, als ihre Anwendung Arbeit ersetzt.
Fur das Kapital jedoch driickt sich diese Grenze enger aus. Da es nicht die
angewandte Arbeit zahlt, sondern den Wert der angewandten Arbeitskraft,
wird ihm der Maschinengebrauch begrenzt durch die Differenz zwischen
dem Maschinen wert und dem Wert der von ihr ersetzten Arbeitskraft. Da
die Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit in
verschiednen Landern verschieden ist, ebenso in demselben Lande zu
verschiednen Perioden oder wahrend derselben Periode in verschiednen
Geschaftszweigen; da ferner der wirkliche Lohn des Arbeiters bald unter
den Wert seiner Arbeitskraft sinkt, bald iiber ihn steigt, kann die Differenz
zwischen dem Preise der Maschinerie und dem Preise der von ihr zu
ersetzenden Arbeitskraft sehr variieren, wenn auch die Differenz zwischen
dem zur Produktion der Maschine notigen Arbeitsquantum und dem
Gesamtquantum der von ihr ersetzten Arbeit dieselbe bleibt. 658 Es ist aber
nur die erstere Differenz, welche die Produktionskosten der Ware fur den
Kapitalisten selbst bestimmt und ihn durch die Zwangsgesetze der
Konkurrenz beeinfluBt. Es werden daher heute Maschinen in England
erfunden, die nur in Nordamerika angewandt werden, wie Deutschland im
16. und 17Jahrhundert Maschinen erfand, die nur Holland anwandte, und
wie manche franzosische Erfindung des 18. Jahrhunderts nur in England
ausgebeutet ward. Die Maschine selbst produziert in alter entwickelten
Landern durch ihre Anwendung auf einige Geschaftszweige in andren
Zweigen solchen ArbeitsuberfluB (redundancy of labour, sagt Ricardo),
daB hier der Fall des Arbeitslohns unter den Wert der Arbeitskraft den
Gebrauch der Maschinerie verhindert und ihn vom Standpunkt des
Kapitals, dessen Gewinn ohnehin aus der Vermindrung nicht der
angewandten, sondern der bezahlten Arbeit entspringt, uberflussig, oft
unmoglich macht. In einigen Zweigen der englischen Wollmanufaktur ist
wahrend der letzten Jahre die Kinderarbeit sehr vermindert, hier und da
fast verdrangt worden. Warum? Der Fabrikakt ernotigte eine doppelte
Kinderreihe, von denen je eine 6, die andre 4 Stunden, oder jede nur 5
Stunden arbeitet. Die Eltern wollten aber die half-times (Halbzeitler) nicht
wohlfelier verkaufen als friiher die full- times (Vollzeitler). Daher Ersetzung
der half-times durch Maschinerie. 659 Vor dem Verbot der Arbeit von
Weibern und Kindern (unter 10 Jahren) in Minen fand das Kapital die
Methode, nackte Weiber und Madchen, oft mit Mannern
zusammengebunden in Kohlen- und andren Minen zu vernutzen, so
ubereinstimmend mit seinem Moralkodex und namentlich auch seinem
Hauptbuch, daB es erst nach dem Verbot zur Maschinerie griff. Die
Yankees haben Maschinen zum Steinklopfen erfunden. Die Englander
wenden sie nicht an, weil der "Elende" ("wretch" ist Kunstausdruck der
englischen politischen Okonomie fiir den Agrikulturarbeiter), der diese
Arbeit verrichtet, einen so geringen Teil seiner Arbeit bezahlt erhalt, daB
Maschinerie die Produktion fiir den Kapitalisten verteuern wiirde. 660 In
3.»Maschinerie ... kann haufig solange nicht verwendet werden, solange die Arbeit [er meint
Lohn] nicht steigt.« (Ricardo, I.e. p. 479.)
4.Sieh "Report of the Social Science Congress at Edinburgh. Octob. 1863".
l.Dr. Edward Smith wurde wahrend der den Amerikanischen Biirgerkrieg begleitenden
Baumwollkrise von der englischen Regierung nach Lancashire, Cheshire usw. geschickt, zur
Berichterstattung iiber den Gesundheitszustand der Baumwollarbeitet. Er berichtet u.a.: Hygienisch habe
die Krise, abgesehn von der Verbannung der Arbeiter aus der Fabrikatmosphare, vielerlei andre Vorteile.
Die Arbeiterfrauen finden jetztdie notige MuBe, ihren Kindern die Brust zu reichen, statt sie mitGodfrey's
Cordial (einem Opiat) zu vergiften. Sie hatten die Zeit gewonnen, kochen zu lernen. Ungliicklicherweise
fiel diese Kochkunst in einen Augenblick, wo sie nichts zu essen hatten. Aber man sieht, wie das Kapital die
fiir die Konsumtion notige Familienarbeit usurpiert hat zu seiner Selbstverwertung. Ebenso wurde die Krise
benutzt, um in eignen Schulen die Tochter der Arbeiter nahen zu lehren. Eine amerikanische Revolution und
eine Weltkrise erheischt, damit die Arbeitermadchen, die fiir die ganze Welt spinnen, nahen lernen!
l.»Die Zahl der Arbeiter hat sehr zugenommen, we'd man immer mehr Manner durch
Frauenarbeit und vor allem Erwachsenen- durch Kinderarbeit ersetzt. Drei Madchen im Alter von 13
Jahren mit Lohnen von 6 bis 8 sh. die Woche haben einen Mann reifen Alters mit einem Lohn von 18
bis 45 sh. verdrangt.« (Th. de Quincey: "The Logic of Politic. Econ.", Lond. 1844, Note zu p. 147.) Da
gewisse Funktionen der Familie, z.B. Warten und Saugen der Kinder usw., nicht ganz unterdriickt werden
konnen, miissen die vom Kapital konfiszierten Familienmiitter mehr oder minder Stellvertreter dingen. Die
Arbeiten, welche der Familienkonsum erheischt, wie Nahen, Flicken usw., miissen durch Kauf fertiger
Waren ersetzt werden. Der verminderten Ausgabe von hauslicher Arbeit entspricht also vermehrte
Geldausgabe. Die Produktionskosten der Arbeiterfamilie wachsen daher und gleichen die Mehreinnahme
aus. Es kommt hinzu, daB Okonomie und ZweckmaBigkeit in Vernutzung und Bereitung der Lebensmittel
unmoglich werden. Uber diese von der offiziellen politischen Okonomie verheimlichten Tatsachen findet
man reichliches Material in den "Reports" der Fabrikinspektoren, der "Children's Employment
Commission" und namentlich auch den "Reports on Public Health".
l.Im Kontrast zur groBen Tatsache, daB die Beschrankung der Weiber- und Kinderarbeit in den
englischen Fabriken von den erwachsnen mannlichen Arbeitern dem Kapital aberobert wurde, findet man
noch in den jiingsten Berichten der "Children's Employment Commission" wahrhaft emporende und
durchaus sklavenhandlerische Ziige der Arbeitereltern mit Bezug auf den Kinderschacher. Der
kapitalistische Pharisaer aber, wie man aus denselben "Reports" sehn kann, denunziert diese von ihm selbst
geschaffne, verewigte und exploitierte Bestialitat, die er sonst "Freiheit der Arbeit" tauft. »Arbeit von
kleinen Kindern wurde zu Hife genommen ... sogar umfiir ihr eigen tdglich Brot zu arbeiten. Ohne die
Kraft, eine so iiber alles Maft schwere Arbeit zu ertragen, ohne Belehrung, die ihrer kiinftigen
Lebensftihrung zustatten kdme, wurden sie in eine physisch und moralisch verseuchte Umgebung
hineingestofien. Der judische Historiker hat iiber die Zerstorung Jerusalems durch Titus die
Bemerkung gernacht, es sei kein Wunder gewesen, daft die Stadt vernichtet, ja so vollig vernichtet
worden sei, wenn eine unmenschliche Mutter ihren eigenen Sproftling opferte, um die Gier
hemmungslosen Hungers zu stillen.« ("Public Economy Concentrated Carlisle 1833, p. 66.)
LA. Redgrave in "Reports of Insp. of Fact, for 31st October 1858", p. 40, 41.
l."Children's Employment Commission, V. Report", London 1866, p. 81, n.31. {Zur 4.Aufl. - Die
Seidenindustrie von Bethnal Green ist jetzt fast vernichtet. - F.E.}
2. "Child. Employm. Comm., III.Report", Lond. 1864, p. 53, n.15.
3.I.C., "V. Report", p.XXII, n.137.
England werden gelegentlich statt der Pferde immer noch Weiber zum
Ziehn usw. bei den Kanalbooten verwandt 661 , weil die zur Produktion von
Pferden und Maschinen erheischte Arbeit ein mathematisch gegebenes
Quantum, die zur Erhaltung von Weibern der Surpluspopulation dagegen
unter aller Berechnung steht. Man findet daher nirgendwo schamlosere
Verschwendung von Menschenkraft fiir Lumpereien, als gerade in
England, dem Land der Maschinen.
3. Nachste Wirkungen des maschinenmaBigen Betriebs auf den
Den Ausgangspunkt der groBen Industrie bildet, wie gezeigt, die
Revolution des Arbeitsmittels, und das umgewalzte Arbeitsmittel erhalt
seine meist entwickelte Gestalt im gegliederten Maschinensystem der
Fabrik. Bevor wir zusehn, wie diesem objektiven Organismus
Menschenmaterial einverleibt wird, betrachten wir einige allgemeine
Riickwirkungen jener Revolution auf den Arbeiter selbst.
a) Aneignung zuschussiger Arbeitskrafte durch das Kapital.
Sofern die Maschinerie Muskelkraft entbehrlich macht, wird sie zum
Mittel, Arbeiter ohne Muskelkraft oder von unreifer Korperentwicklung,
aber groBter Geschmeidigkeit der Glieder anzuwenden. Weiber- und
Kinderarbeit war daher das erste Wort der kapitalistischen Anwendung der
Maschinerie! Dies gewaltige Ersatzmittel von Arbeit und Arbeitern
verwandelte sich damit sofort in ein Mittel, die Zahl der Lohnarbeiter zu
vermehren durch Einreihung aller Mitglieder der Arbeiterfamilie, ohne
Unterschied von Geschlecht und Alter, unter die unmittelbare
BotmaBigkeit des Kapitals. Die Zwangsarbeit fiir den Kapitalisten
usurpierte nicht nur die Stelle des Kinderspiels, sondern auch der freien
Arbeit im hauslichen Kreis, innerhalb sitthcher Schranke, fiir die Familie
selbst. 662
Der Wert der Arbeitskraft war bestimmt nicht nur durch die zur Erhaltung
des individuellen erwachsnen Arbeiters, sondern durch die zur Erhaltung
der Arbeiterfamilie notige Arbeitszeit. Indem die Maschinerie alle Glieder
der Arbeiterfamilie auf den Arbeitsmarkt wirft, verteilt sie den Wert der
Arbeitskraft des Mannes iiber seine ganze Farnille. Sie entwertet daher
seine Arbeitskraft. Der Ankauf der in 4 Arbeitskrafte z.B. parzellierten
Familie kostet vielleicht mehr als friiher der Ankauf der Arbeitskraft des
Familienhaupts, aber dafur treten 4 Arbeitstage an die Stelle von einem,
und ihr Preis fallt im Verhaltnis zum UberschuB der Mehrarbeit der vier
tiber die Mehrarbeit des einen. Vier miissen nun nicht nur Arbeit, sondern
Mehrarbeit fur das Kapital liefern, damit eine Familie lebe. So erweitert die
Maschinerie von vornherein mit dem menschlichen Exploitationsmaterial,
dem eigensten Ausbeutungsfeld des Kapitals 663 , zugleich den
Exploitationsgrad.
Sie revolutioniert ebenso von Grand aus die formelle Vermittlung des
Kapitalverhaltnisses, den Kontrakt zwischen Arbeiter und Kapitalist. Auf
Grandlage des Warenaustausches war es erste Voraussetzung, daB sich
Kapitalist und Arbeiter als freie Personen, als unabhangige Warenbesitzer,
der eine Besitzer von Geld und Produktionsmitteln, der andre Besitzer von
Arbeitskraft, gegeniibertraten. Aber jetzt kauft das Kapital Unmundige
oder Halbmundige. Der Arbeiter verkaufte fraher seine eigne Arbeitskraft,
woriiber er als formell freie Person verfugte. Er verkauft jetzt Weib und
Kind. Er wird Sklavenhandler. 664 Die Nachfrage nach Kinderarbeit gleicht
oft auch in der Form der Nachfrage nach Negersklaven, wie man sie in
arnerikanischen Zeitungsinseraten zu lesen gewohnt war.
»Meine Aufmerksamkeit« , sagt z.B. ein enghscher Fabrikinspektor,
»wurde gelenkt auf eine Annonce in dem Lokalblatt einer der
bedeutendsten Manufakturstddte meines Distrikts, wovon folgendes die
Kopie: Gebraucht 12 bis 20 Jungen, nicht jiinger, als was fur 13 Jahre
passieren kann. Lohn 4 sh. per Woche. Anzufragen etc.« 66
Die Phrase »wasfiir 13 Jahre passieren kann« bezieht sich darauf, daB
nach dem Factory Act Kinder unter 13 Jahren nur 6 Stunden arbeiten
durfen. Ein amtlich qualifizierter Arzt (certifying surgeon) muB das Alter
bescheinigen. Der Fabrikant verlangt also Jungen, die so aussehn, als ob
sie schon dreizehnjahrig. Die manchmal sprangweise Abnahme in der
Anzahl der von Fabrikanten beschaftigten Kinder unter 13 Jahren,
uberraschend in der englischen Statistik der letzten 20 Jahre, war nach
Aussage der Fabrikinspektoren selbst groBenteils das Werk von certifying
surgeons, welche das Kindesalter der Exploitationslust der Kapitalisten
und dem Schacherbedurfnis der Eltern gemaB verschoben. In dem
beruchtigten Londoner Distrikt von Bethnal Green wird jeden Montag und
Dienstag morgen offner Markt gehalten, worin Kinder beiderlei
Geschlechts vom 9. Jahre an sich selbst an die Londoner
Seidenmanufakturen vermieten. »Die gewohnlichen Bedingungen sind 1
sh. 8 d. die Woche (die den Eltern gehoren) und 2 d. fur mich selbst nebst
Tee.« Die Kontrakte gelten nur fur die Woche. Die Szenen und die
Sprache wahrend der Dauer dieses Markts sind wahrhaft emporend. 666 Es
kommt immer noch in England vor, daB Weiber »Jungen vom Workhouse
nehmen und siejedem beliebigen Kauferfiir 2 sh. 6 d. wochentlich
vermieten«. f,f ' 1 Trotz der Gesetzgebung werden immer noch mindestens
2.000 Jungen in GroBbritannien als lebendige Schornsteinfegermaschinen
(obgleich Maschinen zu ihrem Ersatz existieren) von ihren eigenen Eltern
verkauft. 668 Die von der Maschinerie bewirkte Revolution im
Rechtsverhaltnis zwischen Kaufer und Verkaufer der Arbeitskraft, so daB
die ganze Transaktion selbst den Schein eines Kontrakts zwischen freien
Personen verliert, bot dem englischen Parlament spater den juristischen
Entschuldigungsgrund fur Staats einmischung in das Fabrikwesen. Sooft
das Fabrikgesetz die Kinderarbeit in bisher unangefochtnen
Industriezweigen auf 6 Stunden beschrankt, ertont stets neu der
Fabrikantenjammer: ein Teil der Eltern entziehe die Kinder nun der
gemaBregelten Industrie, um sie in solche zu verkaufen, wo noch "Freiheit
der Arbeit" herrscht, d.h., wo Kinder unter 13 Jahren gezwungen werden,
wie Erwachsne zu arbeiten, also auch teurer loszuschlagen sind. Da aber
das Kapital von Natur ein Leveller ist, d.h. in alien Produktionsspharen
Gleichheit der Exploitationsbedingungen der Arbeit als sein angebornes
Menschenrecht verlangt, wird die legale Beschrankung der Kinderarbeit in
einem Industriezweig Ursache ihrer Beschrankung in dem andren.
Bereits friiher wurde der physische Verderb der Kinder und jungen
Personen angedeutet, wie der Arbeiterweiber, welche die Maschinerie erst
direkt in den auf ihrer Grundlage aufschieBenden Fabriken und dann
indirekt in alien ubrigen Industriezweigen der Exploitation des Kapitals
unterwirft. Hier verweilen wir daher nur bei einem Punkt, der ungeheuren
Sterblichkeit von Arbeiterkindern in ihren ersten Lebensjahren. In England
gibt es 16 Registrationsdistrikte, wo im jahrlichen Durchschnitt auf 100.000
lebende Kinder unter einem Jahr nur 9.085 Todesfalle (in einem Distrikt
nur 7.047) kommen, in 24 Distrikten iiber 10.000, aber unter 11.000, in 39
Distrikten iiber 11.000, aber unter 12.000, in 48 Distrikten iiber 12.000, aber
unter 13.000, in 22 Distrikten iiber 20.000, in 25 Distrikten iiber 21.000, in
17 iiber 22.000, in 11 iiber 23.000, in Hoo, Wolverhampton, Ashton-under-
Lyne und Preston iiber 24.000, in Nottingham, Stockport und Bradford
iiber 25.000, in Wisbeach 26.001 und in Manchester 26.125. 669 Wie eine
1. "Sixth Report on Public Health", Lond. 1864, p. 34.
2.3. und 4. Auflage: natiirliche
3.»Sie [die Untersuchung von 1861] ... zeigte uberdies, dafi, wahrend unter den beschriebenen
Umstanden die Kleinkinder an der Vernachldssigung und schlechten Behandlung zugrunde gehen, die
durch die Arbeit ihrer Mutter bedingt sind, die Mutter in erschreckendem Aufimafi die natiirlichen
Regungen gegenuber ihren Sprofilingen verlieren - gewohnlich kummert sie deren Tod nicht sehr, und
manchmal ... ergreifen sie direkte Mafinahmen, um ihn herbeizufiihren.« (I.e.)
4.1.c. -p.454.
5. I.e. P. 454-462. "Reports by Dr. Henry Julian Hunter on the excessive mortality of infants in
some rural districts of England."
l.l.c. p.35u.p.455, 456.
l.l.c.p.456.
l.Wie in den englischen Fabrikdistrikten, so dehnt sich auch in den Agrikulturdistrikten der
Opiumkonsum unter den etwachsnen Arbeitern und Arbeiterinnen taglich aus. »Den Verkauf von Opiaten
voranzutreiben ... ist das grofie Ziel einiger unternehmender Grofihdndler. Von Drogisten werden sie
als der gangbarste Artikel angesehen.« (I.e. p. 459.) Sauglinge, die Opiate empfingen, »verrumpelten in
kleine alte Mannchen oder verschrumpfen zu kleinen Affen«. (I.e. p. 460.) Man sieht, wie Indien und
China sich an England rachen.
l.l.c. p.37.
2. "Reports of Insp. of Fact, for 31 st Oct. 1862", p. 59. Dieser Fabrikinspektor war friiher Arzt.
l.SieheMEW, Band 2
1. Leonard Horner in "Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1857", p. 17.
l.id. in "Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855", p.18, 19.
l.Sir John Kincaid in "Reports of Insp. of Fact, for 31 st Oct. 1858", p. 31, 32.
2. Leonard Horner in "Reports etc. for 30th Apr. 1857", p. 17, 18.
l.Sir J. Kincaid [in] "Rep. Insp. Fact. 31 st Oct. 1856", p.66.
LA. Redgrave in "Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1857", p. 41 - 43. In den englischen
Industriezweigen, wo der eigentliche Fabrikakt (nicht der zuletzt im Text angefiihrte Print Work's Act) seit
langerer Zeit herrscht, sind die Hindernisse gegen die Erziehungsklauseln in den letzten Jahren
einigermaBen uberwaltigt worden. In den nicht dem Fabrikgesetz unterworfenen Industrien herrschen noch
sehr die Ansichten des Glasfabrikanten J. Geddes, der den Untersuchungskommissar White dahin belehrt:
»Soviel ich sehn kann, ist das grofite Quantum Erziehung, welches ein Teil der Arbeiterklasse seit den
letzten Jahren genofi, vom Ubel. Es ist gefdhrlich, indem es sie zu unabhangig macht.« ("Children's
Empl. Commission, IV. Report", London 1865, p. 253.)
l.»Herr E., ein Fabrikant, unteerichtete mich, dafi er ausschliefilich Weiber bei seinen
mechanischen Webstuhlen beschaftigt; er gebe verheirateten Weibern den Vorzug, besonders solchen
mit Familie zu Hause, die von ihnen fur den Unterhalt abhdngt, sie sind viel aufmerksamer und
gelehriger als unverheiratete und zur dufiersten Anstrengung ihrer Krafte gezwungen, um die
offizielle arztliche Untersuchung im Jahre 1861 nachwies, sind, von
Lokalumstanden abgesehn, die hohen Sterblichkeitsraten vorzugsweise der
auBerhauslichen Beschaftigung der Mutter geschuldet und der daher
entspringenden Vernachlassigung und MiBhandlung der Kinder, u.a.
unpassender Nahrung, Mangel an Nahrung, Flattening mit Opiaten usw.,
dazu die unnattirliche 670 Entfremdung der Mutter gegen ihre Kinder, im
Gefolge davon absichtliche Aushungerung und Vergiftung. 671 In solchen
Agrikulturdistrikten, »wo ein Minimum weiblicher Beschaftigung
existiert, ist dagegen die Sterblichkeitsrate am niedrigsten^ 11 . Die
Untersuchungskommission von 1861 ergab jedoch das unerwartete
Resultat, daB in einigen an der Nordsee gelegnen rein ackerbauenden
Distrikten die Sterblichkeitsrate von Kindern unter einem Jahr fast die der
verrufensten Fabrikdistrikte erreichte. Dr. Julian Hunter wurde daher
beauftragt, dies Phanomen an Ort und Stelle zu erforschen. Sein Bericht ist
dem "VI. Report on Public Health" einverleibt. 673 Man hatte bisher
vermutet, Malaria und andre, niedrig gelegnen und sumpfigen
Landstrichen eigentiimUche Krankheiten dezimierten die Kinder. Die
Untersuchung ergab das grade Gegegenteil, namlich,
»dafi dieselbe Ursache, welche die Malaria vertrieb, namlich die
Verwandlung des Bodens aus Morast im Winter und diirftiger Weide im
Sommer in fruchtbares Kornland, die aufierordentliche Todesrate der
Sauglinge schuf^ 14 .
Die 70 arztlichen Praktiker, die Dr. Hunter in jenen Distrikten verhorte,
waren »wunderbar einstimmig« iiber diesen Punkt. Mit der Revolution
der Bodenkultur wurde namlich das industrielle System eingefuhrt.
»Verheiratete Weiber, die in Banden mit Madchen und Jungen
zusammen arbeiten, werden dem Pachter von einem Manne, welcher der
"Gangmeister" heifit und die Banden im ganzen mietet,fiir eine
bestimmte Summe zur Verfiigung gestellt. Diese Banden wandern oft
viele Meilen von ihren Dorfern weg, man trifft sie morgens und abends
aufden Landstrafien, die Weiber bekleidet mit kurzen Unterrocken und
entsprechenden Rocken und Stiefeln und manchmal Hosen, sehr kraftig
und gesund von Aussehn, aber verdorben durch gewohnheitsmafiige
Liederlichkeit und rucksichtslos gegen die unheilvollen Folgen, welche
ihre Vorliebe fur diese tatige und unabhangige Lebensart aufihre
Sprofilinge walzt, die zu Haus verkummern.^ 1 ^
Alle Phanomene der Fabrikdistrikte reproduzieren sich hier, in noch
hoheren Grad versteckter Kindermord und Behandlung der Kinder mit
Opiaten. 676
»Meine Kenntnis der von ihr erzeugten Ubel«, sagt Dr. Simnon, der
arztliche Beamte des englischen Privy-Councill und Redakteur en chef
der Berichte iiber "Public Health", »mufi den tiefen Abscheu
entschuldigen, womit ichjede umfassende industrielle Beschdftigung
erwachsner Weiber betrachte.« 611 »Es wird«, raft Fabrikinspektor R.
Baker in einem offiziellen Bericht aus, »es wird in der Tat ein Gluckfur
die Manufakturdistrikte Englands sein, wenn jeder verheirateten Frau,
die Familie hat, verboten wird, in irgendeiner Fabrik zu arbeiten.« in
Die aus der kapitalistischen Exploitation der Weiber- und Kinderarbeit
entspringende moralische Verkummrang ist von F. Engels in seiner "Lage
der arbeitenden Klasse Englands" 679 und von andren Schriftstellern so
erschopfend dargestellt worden, daB ich hier nur daran erinnere. Die
intellektuelle Verodung aber, kunstlich produziert durch die Verwandlung
unreifer Menschen in bloBe Maschinen zur Fabrikation von Mehrwert und
sehr zu unterscheiden von jener naturwuchsigen Unwissenheit, welche den
Geist in Brache legt ohne Verderb seiner Entwicklungsfahigkeit, seiner
naturlichen Frachtbarkeit selbst, zwang endlich sogar das englische
Parlament in alien dem Fabrikgesetz unterworfnen Industrien, den
Elementaranterricht zur gesetzlichen Bedingung fiir den "produktiven"
Verbrauch von Kindern unter 14 Jahren zu machen. Der Geist der
kapitalistischen Produktion leuchtete hell aus der liederlichen Redaktion
der sog. Erziehungsklauseln der Fabrikakte, aus dem Mangel
administrativer Maschinerie, wodurch dieser Zwangsunterricht groBenteils
wieder illusorisch wird, aus der Fabrikantenopposition selbst gegen dies
Unterrichtsgesetz und aus ihren praktischen Kniffen und Schlichen zu
seiner Umgehung.
»Die Gesetzgebung allein ist zu tadeln, weil sie ein Truggesetz (delusive
law) erlassen hat, das unter dem Schein, fiir die Erziehung der Kinder zu
sorgen, keine einzige Bestimmung enthdlt, wodurch dieser vorgeschiitzte
Zweck gesichert werden kann. Es bestimmt nichts, aufier dafi die Kinder
fiir eine bestimmte Stundenzahl [3 Stunden] per Tag innerhalb der vier
Wande eines Platzes, Schule benamst, eingeschlossen werden sollen und
dafi der Anwender des Kindes hieruber wochentlich ein Zertifikat von
einer Person erhalten mufi, die sich als Schullehrer oder Schullehrerin
mit ihrem Namen unterzeichnet.« 6S0
Vor dem ErlaB des amendierten Fabrikakts von 1844 waren
Schulbesuchszertifikate nicht selten, die von Schulmeister oder
Schulmeisterin mit einem Kreuz unterzeichnet wurden, da letztre selbst
nicht schreiben konnten.
»Beim Besuch, den ich einer solchen Zertifikate ausstellenden Schule
abstattete, war ich so betrogen von der Unwissenheit des Schulmeisters,
dafi ich zu ihmsagte: "Bitte, mein Herr, konnen Sie les en?" Seine
Antwort war: "Ihjeh, Ebbes (summat)." Zu seiner Rechtfertigung ftigte er
hinzu: 'Jedenfalls stehe ich vor meinen Schulern. '«
Wahrend der Vorbereitung des Akts von 1844 denunzierten die
Fabrikinspektoren den schmahlichen Zustand der Platze, Schulen benamst,
deren Zertifikate sie als zu Gesetz vollgultig zulassen muBten. Alles was sie
durchsetzten, war, daB seit 1844
»die Zahlen im Schulzertifikat in der Handschrift des Schulmeisters
ausgefiillt, ditto sein Vor- und Zuname von ihm selbst unterschrieben
sein mussen« b%{
Sir John Kincaid, Fabrikinspektor fur Schottland, erzahlt von ahnlichen
amtlichen Erfahrungen.
»Die erste Schule, die wir besuchten, wurde von einer Mrs. Ann Killin
gehalten. Aufmeine Aufforderung, ihren Namen zu buchstabieren,
machte sie gleich einen Schnitzer, indem sie mit dem Buchstaben C
begann, aber sich sofort korrigierend sagte, ihr Name fange mit K an.
Bei Ansicht ihrer Unterschrift in den Schulzertifikatbuchern bemerkte
ichjedoch, dafi sie ihn verschiedenartig buchstabierte, wahrend die
Handschrift keinen Zweifel iiber ihre Lehrunfahigkeit liefi. Auch gab sie
selbst zu, sie konne das Register nicht fiihren... In einer zweiten Schule
fand ich das Schulzimmer 15 Fufi lang und 10 Fufi breit und zahlte in
diesemRaum 75 Kinder, die etmas Unverstandliches herquiekten.^ 11
»Es sind jedoch nicht nur solche Jammerhohlen, worin die Kinder
Schulzertifikate, aber keinen Unterricht erhalten, denn in vielen Schulen,
wo der Lehrer kompetent ist, scheitern seine Bemuhungen fast ganz an
dem sinnverwirrenden Knduel von Kindern aller Alter, aufwarts von
Dreijdhrigen. Sein Auskommen, elend im besten Fall, hdngt ganz von der
Zahl der Pence ab, empfangen von der grofiten Anzahl Kinder, die es
moglich ist, in ein Zimmer zu stopfen. Dazu kommt spdrliche
Schulmoblierung, Mangel an Biichern und andrem Lehrmaterial und die
niederschlagende Wirkung einer benauten und ekelhaften Luft aufdie
armen Kinder selbst. Ich war in vielen solchen Schulen, wo ich ganze
Reihen Kinder sah, die absolut nichts taten, und dies wird als
Schulbesuch bescheinigt, und solche Kinder figurieren in der offiziellen
Statistik als erzogen (educated).« 6S3
In Schottland suchen die Fabrikanten dem Schulbesuch unterworfne
Kinder moglichst auszuschlieBen.
»Dies geniigt, um die grofie Mifigunst der Fabrikanten gegen die
Erziehungsklauseln zu beweisen.« n4
Grotesk-entsetzlich erscheint dies in den Kattun- usw. Druckereien, die
durch ein eignes Fabrikgesetz geregelt sind. Nach den Bestimmungen des
Gesetzes
»mufi jedes Kind, bevor es in einer solchen Druckerei beschaftigt wird,
Schule besucht habenfiir mindesten 30 Tage und nicht weniger als 150
Stunden wahrend dez 6 Monate, die dem ersten Tag seiner
Beschaftigung unmittelbar vorhergehn. Wahrend der Fortdauer seiner
Beschaftigung in der Druckerei mufi es Schule besuchen ebenfalls fur
eine Periode von 30 Tagen und 150 Stunden wahrend jeder
Wechselperiode von 6 Monaten ... Der Schulbesuch mufi zwischen 8 Uhr
morgens und 6 Uhr nachmittags stattfinden. Kein Besuch von weniger
als 2Vi oder mehr als 5 Stunden an demselben Tag soil als Teil der 150
Stunden gezahlt werden. Unter gewohnlichen Umstanden besuchen die
Kinder die Schule vormittags und nachmittags fur 30 Tage, 5 Stunden
per Tag, und nach Ablauf der 30 Tage, wenn die statutenmdfiige
Gesamtsumme von 150 Stunden erreicht ist, wenn sie, in ihrer eignen
Sprache zu reden, ihr Buch abgemacht haben, kehren sie zur Druckerei
zuriick, wo sie wieder 6 Monate bleiben, bis ein andrer Abschlagstermin
des Schulbesuchs fallig wird, und dann bleiben sie wieder in der Schule,
bis das Buch wieder abgemacht ist ... Sehr viele Jungen, welche die
Schule wahrend der vorschriftsmafiigen 150 Stunden besuchen, sind bei
ihrer Riickkehr aus dem sechsmonatlichen Aufenthalt in der Druckerei
gradeso weit wie imAnfang... Sie haben natiirlich alles wieder verloren,
was sie durch den friiheren Schulbesuch gewonnen hatten. In andren
Kattundruckereien wird der Schulbesuch ganz und gar abhangig
gemacht von den Geschaftsbediirfnissen der Fabrik. Die erforderliche
Stundenzahl wird vollgemacht wahrend jeder sechsmonatlichen Periode
durch Abschlagszahlungen von 3 bis 5 Stunden auf einmal, die vielleicht
tiber 6 Monate zerstreut sind. Z.B. an einem Tage wird die Schule
besucht von 8 bis 11 Uhr morgens, an einem andren Tage von 1 bis 4
Uhr nachmittags, und nachdem das Kind dann wieder fiir eine Reihe
Tage weggeblieben, kommt es plotzlich wieder von 3 bis 6 Uhr
nachmittags; dann erscheint es vielleicht fiir 3 oder 4 Tage
hintereinander, oder fiir eine Woche, verschwindet dann wieder fiir 3
Wochen oder einen ganzen Monat und kehrt zuriick an einigen
Abfallstagen fiir einige Sparstunden, wenn seine Anwender seiner
zufallig nicht bediirfen; und so wird das Kind sozusagen hin und her
gepujft (buffeted) von der Schule in die Fabrik, von der Fabrik in die
Schule, bis die Summe der 150 Stunden abgezdhlt ist.« 6S5
Durch den uberwiegenden Zusatz von Kindern und Weibern zum
kombinierten Arbeitspersonal bricht die Maschinerie endlich den
Widerstand, den der mannliche Arbeiter in der Manufaktur der Despotie
des Kapitals noch entgegensetzte. 686
b) Verlangrung des Arbeitstags
Wenn die Maschinerie das gewaltigste Mittel ist, die Produktivitat der
Arbeit zu steigern, d.h. die zur Produktion einer Ware notige Arbeitszeit zu
verkiirzen, wird sie als Trager des Kapitals zunachst in den unmittelbar von
ihr ergriffnen Industrien zum gewaltigsten Mittel, den Arbeitstag tiber jede
naturgemaBe Schranke hinaus zu verlangern. Sie schafft einerseits neue
Bedingungen, welche das Kapital befahigen, dieser seiner bestandigen
Tendenz die Zugel frei schieBen zu lassen, andrerseits neue Motive zur
Wetzung seines HeiBhungers nach fremder Arbeit.
Zunachst verselbstandigt sich in der Maschinerie die Bewegung und
Werktatigkeit des Arbeitsmittels gegenuber dem Arbeiter. Es wird an und
fiir sich ein industrielles Perpetuum mobile, das ununterbrochen
fortproduzieren wiirde, stieBe es nicht auf gewisse Naturschranken in
seinen menschlichen Gehilfen: ihre Korperschwache und ihren
Eigenwillen. Als Kapital, und als solches besitzt der Automat im
Kapitalisten BewuBtsein und Willen, ist es daher mit dem Trieb begeistet,
die widerstrebende, aber elastische menschliche Naturschranke auf den
Minimalwiderstand einzuzwangen. 687 Dieser ist ohnehin vermindert durch
l.»Seit der allgemeinen Einfiihrung von kostspieligen Maschinen ist die menschliche Natur
weit iiber ihre durchschnittliche Kraft beansprucht worden.e (Robert Owen, "Observations on the effects
of the manufacturing system", 2nd ed., London 1817, [p. 16].)
2. Die Englander, die gern die erste empirische Erscheiungsform einer Sache als ihren Grund
betrachten, geben oft den groBen herodischen Kinderraub, den das Kapital in den Anfangen des
Fabriksystems an den Armen- und Waisenhausern veriibte und wodurch es sich ein ganz willenloses
Menschenmaterial einverleibte, als Grund der langen Arbeitszeit in den Fabriken an. So z.B. Fielden, selbst
englischer Fabrikant: »Es ist klar, dafi die lange Arbeitszeit durch den Umstand herbeigefiihrt wurde,
dafi man eine so grofie Anzahl verlassener Kinder aus verschiednen Teilen des Landes bekommen hat,
so dafi die Fabrikherren von den Arbeitern unabhangig waren und sie, nachdem sie erst einmal mit
Hilfe des auf diese Weise aufgetriebenen armseligen Menschenmaterials die lange Arbeitszeit zur
Gewohnheit gemacht hatten, diese auch ihren Nachbarn leichter aufzwingen konnten.« (J. Fielden, "The
Curse of the Factory System", Lond. 1836, p. 11.) Mit Bezug auf Weiberarbeit sagt Fabrikinspektor
Saunders im Fabrikbericht von 1844: »Unter den Arbeiterinnen gibt es Frauen, die hintereinander fiir
viele Wochen, mit Ausfall nur weniger Tage, von 6 Uhr morgens bis 12 Uhr nachts beschaftigt werden,
mit weniger als 2 Stunden fiir Mahlzeiten, so dafi ihnen fiir 5 Tage in der Woche von den 24
Tagesstunden nur 6 bleiben, um von und nach Haus zu gehnund im Bett auszuruhn. «
l.»Der Anlafi ... zur Schadigung der empfindlichen beweglichen Telle des metallenen
Mechanismus kann im Stillstand liegen.« (Ure, I.e. p. 281.)
l.Der schon friiher erwahnte "Manchester Spinner" ("Times", 26. Nov. 1862) zahlt unter den Kosten
der Maschinerie auf: »Er« (namlich der "Abzug fiir VerschleiB der Maschinerie") »hat auch den Zweck,
den Verlust zu decken, der fortgesetzt dadurch entsteht, dafi Maschinen, bevor sie verschllssen sind,
durch andre von neuer und besserer Konstruktion aufier Gebrauch gesetzt werden. «
2.»Man schatzt im grofien, dafi eine einzige Maschine nach einem neuen Modell zu
konstruieren funfmal soviel kostet als die Rekonstruktion derselben Maschine nach demselben
ModelU (Babbage, I.e. p.211, 212.)
3.»Seit einigen Jahren sind so bedeutende und zahlrelche Verbesserungen in der
Tullfabrikation gemacht worden, dafi eine gut erhaltne Maschine zum urspriinglichen Kostenpreis von
1.200 Pfd.St. einlge Jahre spater zu 60 Pfd.St. verkauft wurde ... Die Verbefirungen folgten sich mit
solcher Geschwindigkeit, dafi Maschinen unvollendet in der Hand ihrer Bauer blieben, well sie durch
gliicklichere Erfindungen bereits veraltet waren.« In dieser Sturm- und Drangperiode dehnten daher die
Tiillfabrikanten bald die ursprungliche Arbeitszeit von 8 Stunden mit doppelter Mannschaft auf 24 Stunden
aus. (I.e. p. 233.)
l.»Es ist selbstverstandlich, dafi mit der Ebbe und Flut des Marktes und dem abwechselnden
Wachsen und Schrumpfen der Nachfrage die Gelegenhelten stdndlg wlederkehren werden, wo der
die scheinbare Leichtigkeit der Arbeit an der Maschine und das fug- und
biegsamere Weiber- und Kinderelement. 688
Die Produktivitat der Maschinerie steht, wie wir sahen, in umgekehrtem
Verhaltnis zur GroBe des von ihr auf das Machwerk iibertragnen
Wertbestandteils. Je langer die Periode, worin sie funktioniert, desto groBer
die Produktenmasse, woriiber sich der von ihr zugesetzte Wert verteilt, und
desto kleiner der Wertteil, den sie der einzelnen Ware zufiigt. Die aktive
Lebensperiode der Maschinerie ist aber offenbar bestimmt durch die
Lange des Arbeitstags oder die Dauer des taglichen Arbeitsprozesses,
multipliziert mit der Anzahl Tage, worin er sich wiederholt.
Der MaschinenverschleiB entspricht keineswegs exakt mathematisch ihrer
Benutzungszeit. Und selbst dies vorausgesetzt, umfaBt eine Maschine, die
wahrend IVi Jahren taglich 16 Stunden dient, eine ebenso groBe
Produktionsperiode und setzt dem Gesamtprodukt nicht mehr Wert zu als
dieselbe Maschine, die wahrend 15 Jahren nur 8 Stunden taglich dient. Im
erstren Fall aber ware der Maschinenwert doppelt so rasch reproduziert als
im letztren und der Kapitalist hatte vermittelst derselben in IV2 Jahren so
viel Mehrarbeit eingeschluckt als sonst in 15.
Der materielle VerschleiB der Maschine ist doppelt. Der eine entspringt aus
ihrem Gebrauch, wie Geldstucke durch Zirkulation verschleiBen, der andre
aus ihrem Nichtgebrauch, wie ein untatig Schwert in der Scheide verrostet.
Es ist dies ihr Verzehr durch die Elemente. Der VerschleiB erster Art steht
mehr oder minder in direktem Verhaltnis, der letztre zu gewissem Grad in
umgekehrtem Verhaltnis zu ihrem Gebrauch. 689
Neben dem materiellen unterliegt die Maschine aber auch einem
sozusagen moralischen VerschleiB. Sie verliert Tauschwert im MaBe, worin
entweder Maschinen derselben Konstruktion wohlfeller reproduziert
werden konnen oder beBre Maschinen konkurrierend neben sie treten. 690
In beiden Fallen ist ihr Wert, so jung und lebenskraftig sie sonst noch sein
mag, nicht mehr bestimmt durch die tatsachlich in ihr selbst
vergegenstandlichte, sondern durch die zu ihrer eignen Reproduktion oder
zur Reproduktion der beBren Maschine notwendige Arbeitszeit. Sie ist
daher mehr oder minder entwertet. Je kiirzer die Periode, worin ihr
Gesamtwert reproduziert wird, desto geringer die Gefahr des moralischen
VerschleiBes, und je langer der Arbeitstag, um so kiirzer jene Periode. Bei
der ersten Einfiihrung der Maschlenlrie in irgendeinen Produktionszweig
folgen Schlag auf Schlag neue Methoden zu ihrer wohlfeilern
Reproduktion 691 und VerbeBrangen, die nicht nur einzelne Teile oder
Apparate, sondern ihre ganze Konstruktion ergreifen. In ihrer ersten
Lebensperiode wirkt daher dies besondre Motiv zur Verlangrung des
Arbeitstags am akutesten. 692
Unter sonst gleichbleibenden Umstanden und bei gegebnem Arbeitstag
erheischt Exploitation verdoppelter Arbeiteranzahl ebensowohl
Verdopplung des in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegten Teils des
konstanten Kapitals als des in Rohmaterial, Hilfsstoffen usw. ausgelegten.
Mit verlangertem Arbeitstag dehnt sich die Stufenleiter der Produktion,
wahrend der in Maschinerie und Baulichkeiten ausgelegte Kapitalteil
unverandert bleibt. 693 Nicht nur der Mehrwert wachst daher, sondern die
zur Ausbeutung desselben notwendigen Auslagen nehmen ab. Zwar findet
dies auch sonst mehr oder minder bei aller Verlangrung des Arbeitstags
statt, fallt aber hier entscheidender ins Gewicht, weil der in Arbeitsmittel
verwandelte Kapitalteil uberhaupt mehr ins Gewicht fallt. 694 Die
Entwicklung des Maschinenbetriebs bindet namlich einen stets
2. Der im Text erwahnte Umstand ist nur der Vollstandigkeit wegen erwahnt, da ich erst im Dritten
Buch die Profitrate, d.h. das Verhaltnis des Mehrwerts zum vorgeschoBnen Gesamtkapital, behandle.
l.»When a labourer«, said Mr. Ashworth, »lays down his spade, he renders useless, for that
period, a capital worth 18 d. When one of our people leaves the mill, he renders useless a capital that
has cost 100.000 pounds [bei Senior: 100 £].« (Senior, "Letters on the Factory Act", Lond. 1837, p. 14.)
l.»Das grofie Ubergewicht des fixen im Verhaltnis zum zirkulierenden Kapital ... macht lange
Arbeitszeit wiinschenswert.e Mit dem wachsenden Umfang der Maschinerie usw. »wird der Antrieb zur
Verldngerung der Arbeitszeit starker, da dies das einzige Mittel ist, eine grofie Masse fixen Kapitals
profitabel zu machen«. (I.e. p. 1 1-14.) »Es gibt verschiedne Auslagen bei einer Fabrik, welche konstant
bleiben, ob die Fabrik mehr oder weniger Zeit arbeite, z.B. Rente fiir die Bauliclikeitcn, lokale und
allgemeine Steuern, Feuerversicherung, Arbeitslohn fiir verschiedne permanente Arbeiter,
Verschlechtrung der Maschinerie nebst verschiednen andern Lasten, deren Proportion zum Profit im
selben Verhaltnis abnimmt, wie der Umfang der Produktion zunimmt. « ("Reports of the Insp. of Fact, for
31st Oct. 1862", p. 19.)
l.Warum dieser immanente Widerspruch dem einzelnen Kapitalisten und daher auch der in seinen
Anschauungen befangnen politischen Okonomie nicht zum BewuBtsein kommt, wird man aus den ersten
Abschnitten des Dritten Buchs ersehn.
l.Es ist eins der groBen Verdienste Ricardos, die Maschinerie nicht nur als Produktionsmittel von
Waren, sondern auch von "redundant population" ["uberschussiger Bevolkerung"] begriffen zu haben.
l.F. Biese, "Die Philosophic des Aristoteles", Zweiter Band, Berlin 1842, p. 408.
l.Ich gebe hier die Stolbergsche Ubersetzung des Gedichts, weil es ganz so wie die friiheren Zitate
liber Teilung der Arbeit den Gegensatz der antiken Anschauung zur modernen charakterisiert.
wachsenden Bestandteil des Kapitals in eine Form, worin es einerseits
fortwahrend verwertbar ist, andrerseits Gebrauchswert und Tauschwert
verliert, sobald sein Kontakt mit der lebendigen Arbeit unterbrochen wird.
» Wenn«, belehrte Herr Ashwort, ein englischer Baumwollmagnat, den
Professor Nassau W. Senior,
»wenn ein Ackersmann seinen Spaten niederlegt, macht erfiir diese
Periode ein Kapital von 18 d. nutzlos. Wenn einer von unsren Leuten
[d.h. den Fabrikarbeitern] die Fabrik verlafit, macht er ein Kapital
nutzlos, das 100.000 Pfd.St. gekostethat.« 695
Man denke nur! Ein Kapital, das 100.000 Pfd.St. gekostet hat, auch nur fur
einen Augenblick »nutzlos« zu machen! Es ist in der Tat himmelschreiend,
daB einer unsrer Leute iiberhaupt jemals die Fabrik verlaBt! Der
wachsende Umfang der Maschinerie macht, wie der von Ashworth
belehrte Senior einsieht, eine stets wachsende Verlangrung des Arbeitstags
» wiin schen s wert« . 6 9 6
Die Maschine produziert relativen Mehrwert, nicht nur, indem sie die
Arbeitskraft direkt entwertet und dieselbe indirekt durch Verwohlfeilerung
der in ihre Reproduktion eingehenden Waren verwohlfeilert, sondern auch,
indem sie bei ihrer ersten sporadischen Einfiihrung die vom
Maschinenbesitzer verwandte Arbeit in potenzierte Arbeit verwandelt, den
gesellschaftlichen Wert des Maschinenprodukts iiber seinen individuellen
Wert erhoht und den Kapitalisten so befahigt, mit geringrem Wertteil des
Tagesprodukts den Tageswert der Arbeitskraft zu ersetzen. Wahrend dieser
Ubergangsperiode, worin der Maschinenbetrieb eine Art Monopol bleibt,
sind daher die Gewinne auBerordentlich, und der Kapitalist sucht diese
"erste Zeit der jungen Liebe" griindlichst auszubeuten durch moglichste
Verlangrung des Arbeitstags. Die GroBe des Gewinns wetzt den
HeiBhunger nach mehr Gewinn.
Mit der Verallgemeinerung der Maschinerie im selben Produktionszweig
sinkt der gesellschaftliche Wert des Maschinenprodukts auf seinen
individuellen Wert und macht sich das Gesetz geltend, daB der Mehrwert
nicht aus den Arbeitskraften entspringt, welche der Kapitalist durch die
Maschine ersetzt hat, sondern umgekehrt aus den Arbeitskraften, welche er
an ihr beschaftigt. Der Mehrwert entspringt nur aus dem variablen Teil des
Kapitals, und wir sahen, daB die Masse des Mehrwerts durch zwei
Faktoren bestimmt ist, die Rate des Mehrwerts und die Anzahl der
gleichzeitig beschaftigten Arbeiter. Bei gegebner Lange des Arbeitstags
wird die Rate des Mehrwerts bestimmt durch das Verhaltnis, worin der
Arbeitstag in notwendige Arbeit und Mehrarbeit zerfallt. Die Anzahl der
gleichzeitig beschaftigten Arbeiter hangt ihrerseits ab von dem Verhaltnis
des variablen Kapitalteils zum konstanten. Es ist nun klar, daB der
Maschinenbetrieb, wie er immer durch Steigrung der Produktivkraft der
Arbeit die Mehrarbeit auf Kosten der notwendigen Arbeit ausdehne, dies
Resultat nur hervorbringt, indem er die Anzahl der von einem gegebnen
Kapital beschaftigten Arbeiter vermindert. Er verwandelt einen Teil des
Kapitals, der friiher variabel war, d.h. sich in lebendige Arbeitskraft
umsetzte, in Maschinerie, also in konstantes Kapital, das keinen Mehrwert
produziert. Es ist unmoglich, z.B. aus zwei Arbeitern so viel Mehrwert
auszupressen als aus 24. Wenn jeder der 24 Arbeiter auf 12 Stunden nur
eine Stunde Mehrarbeit liefern sie zusammen 24 Stunden Mehrarbeit,
wahrend die Gesamtarbeit der zwei Arbeiter nur 24 Stunden betragt. Es
liegt also in der Anwendung der Maschinerie zur Produktion von
Mehrwert ein immanenter Widerspruch, indem sie von den beiden
Faktoren des Mehrwerts, den ein Kapital von gegebner GroBe liefert, den
einen Faktor, die Rate des Mehrwerts, nur dadurch vergroBert, daB sie den
andren Faktor, die Arbeiterzahl, verkleinert. Dieser immanente
Widerspruch tritt hervor, sobald mit der Verallgemeinerung der
Maschinerie in einem Industriezweig der Wert der maschinenmaBig
produzierten Ware zum regelnden gesellschaftlichen Wert aller Waren
derselben Art wird, und es ist dieser Widerspruch, der wiederum das
Kapital, ohne daB es sich dessen bewuBt ware 697 , zur gewaltsamsten
Verlangrung des Arbeitstags treibt, um die Abnahme in der
verhaltnismaBigen Anzahl der exploitierten Arbeiter durch Zunahme nicht
nur der relativen, sondern auch der absoluten Mehrarbeit zu kompensieren.
Wenn also die kapitalistische Anwendung der Maschinerie einerseits neue
machtige Motive zur maBlosen Verlangrung des Arbeitstags schafft und
die Arbeitsweise selbst wie den Charakter des gesellschaftlichen
Arbeitskorpers in einer Art umwalzt, die den Widerstand gegen diese
Tendenz bricht, produziert sie andrerseits, teils durch Einstellung dem
Kapital friiher unzuganglicher Schichten der Arbeiterklasse, teils durch
Freisetzung der von der Maschine verdrangten Arbeiter, eine iiberfliissige
Arbeiterpopulation 698 , die sich das Gesetz vom Kapital diktieren lassen
muB. Daher das merkwurdige Phanomen in der Geschichte der modernen
Industrie, daB die Maschine alle sittlichen und naturlichen Schranken des
Arbeitstags iiber den Haufen wirft. Daher das okonomische Paradoxen,
daB das gewaltigste Mittel zur Verkurzung der Arbeitszeit in das
unfehlbarste Mittel umschlagt, alle Lebenszeit des Arbeiters und seiner
Familie in disponible Arbeitszeit fur die Verwertung des Kapitals zu
verwandeln. » Wenn«, traumte Aristoteles, der groBte Denker des
Altertums,
»wenn jedes Werkzeug auf Geheifi, oder audi vorausahnend, das ihm
zukommende Werk verrichten konnte, wie des Dadalus Kunstwerke sich
von selbst bewegten oder die Dreifufie des Hephastos aus eignem Antrieb
an die heilige Arbeit gingen, wenn so die Weberschiffe von selbst webten,
so bediirfte es wederfiir den Werkmeister der Gehilfen nochfiir die
Herrn der Sklaven.^ 99
Und Antipatros, ein griechischer Dichter aus der Zeit des Cicero, begriiBte
die Erfindung der Wassermuhle zum Mahlen des Getreides, diese
Elementarform aller produktiven Maschinerie, als Befreierin der
Sklavinnen und Herstellerin des goldnen Zeitalters! 700 »Die Heiden,ja die
Heiden!« Sie begriffen, wie der gescheite Bastiat entdeckt hat, und schon
vor ihm der noch klugre MacCulloch, nichts von politischer Okonomie
und Christentum. Sie begriffen u.a. nicht, daB die Maschine das probateste
Mittel zur Verlangerung des Arbeitstags ist. Sie entschuldigten etwa die
Sklaverei des einen als Mittel zur vollen menschlichen Entwicklung des
andren. Aber Sklaverei der Massen predigen, um einige rohe oder
halbgebildete Parvenus zu "eminent spinners", "extensive sausage makers"
und "influential shoe black dealers" 701 zu machen, dazu fehlte ihnen das
spezifisch christliche Organ.
c. Intensifikation der Arbeit
Die maBlose Verlangrung des Arbeitstags, welche die Maschinerie in der
Hand des Kapitals produziert, fiihrt, wie wir sahen, spater eine Reaktion
der in ihrer Lebenswurzel bedrohten Gesellschaft herbei und damit einen
11. "hervorragenden Spinnern", "groBen Wurstfabrikanten" und "einfluBreichen
Schuhwichshandlern"
l.Es finden natiirlich uberhaupt Unterschiede in der Intensitat der Arbeiten verschiedner
Produktionszweige statt. Diese kompensieren sich, wie schon A. Smith gezeigt hat, zum Teil durch jeder
Arbeitsart eigne Nebenumstande. Einwirkung auf die Arbeitszeit als WertmaB findet aber auch hier nur
statt, soweit intensive und extensive GroBe sich als entgegengesetzte und einander ausschlieBende
Ausdriicke desselben Arbeitsquantums darstellen.
1 .Namentlich durch den Stiicklohn, eine Form, die im sechsten Abschnitt entwickelt wird.
2.Siehe "Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1865".
1. "Reports of Insp. of Fact, for 1844 and the quarter ending 30th April 1845", p. 20, 21.
l.l.c. p. 19. Da der Stiicklohn derselbe blieb, hing die Hohe des Wochenlohns vom Quantum des
Produkts ab.
l.l.c. p.20.
l.l.c. p. 21. Das moralische Element spielte bedeutende Rolle in den oben erwahnten
Experimenten. »Wir«, erklarten die Arbeiter dem Fabrikinspektor, »wir arbeiten munterer, wir denken
stdndig an die Belohnung, abends friiher wegzukommen, und ein tatkrdftiger und freudiger Geist
durchdringt die game Fabrik, vom jungsten Anstucker bis zum dltesten Arbeiter, und wir konnen
einander viel bei der Arbeit helfen.« (I.e.)
l.John Fielden, I.e. p. 32.
1 .Docken
2.SchuBschlage
3. Lord Ashley, I.e. p. 6-9 passim.
1. "Reports of Insp. of Fact, to 30th April 1845", p.20.
l.l.c. p.22.
715 1.1.-4. Auflage: 1 / 5
2. "Reports of Insp. of Fact, for 31 st Oct. 1862", p. 62.
l.Dies hat sich geandert mit dem "Parliamentary Return" von 1862. Hier tritt die wirkliche
Dampfpferdekraft der modernen Dampfmaschinen und Wasserrader an die Stelle der nominellen [Siehe
MEW, Bd.23, S.410]. Auch sind die Dublierspindeln nicht mehr zusammengeworfen mit den eigentlichen
Spinnspindeln (wie in den "Returns" von 1839, 1850 und 1856); ferner ist fur die Wollfabriken die Zahl der
"gigs" ["Rauhmaschinen"] hinzugefugt, Scheidung eingefuhrt zwischen Jute- und Hanffabriken einerseits,
Flachsfabriken andrerseits, endlich zum ersten Mai die Strumpfwirkerei in den Bericht aufgenommen.
1. "Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1856", p. 14, 20.
l.l.c. p. 14, 15.
l.l.c. p.20.
2."Reports etc. for 31st Oct. 1858", p. 10. Vgl."Reports etc. for 30th April 1860", p,30 sqq.
l.In der 1. bis 4. Auflage lautet dieser Absatz: Wie die Bereicherung der Fabrikanten mit der
intensivren Ausbeutung der Arbeitskraft zunahm, beweist schon der eine Umstand, daB das
durchschnittliche proportionelle Wachstum der englischen Baumwollen- usw. Fabriken von 1838 bis 1850
32%, von 1850 bis 1856 dagegen 86% betrug.
gesetzlich beschrankten Normalarbeitstag. Auf Grandlage des letztren
entwickelt sich ein Phanomen, das uns schon friiher begegnete, zu
entscheidender Wichtigkeit - namlich die Intensifikation der Arbeit. Bei der
Analyse des absoluten Mehrwerts handelte es sich zunachst um die
extensive GroBe der Arbeit, wahrend der Grad ihrer Intensitat als gegeben
vorausgesetzt war. Wir haben jetzt den Umschlag der extensiven GroBe in
intensive oder GradgroBe zu betrachten
Es ist selbstverstandlich, daB mit dem Fortschritt des Maschinenwesens
und der gehauften Erfahrung einer eignen Klasse von Maschinenarbeitern
die Geschwindigkeit und damit die Intensitat der Arbeit naturwuchsig
zunehmen. So geht in England wahrend eines halben Jahrhunderts die
Verlangrung des Arbeitstags Hand in Hand mit der wachsenden Intensitat
der Fabrikarbeit. Indes begreift man, daB bei einer Arbeit, wo es sich nicht
um voriibergehende Paroxysmen handelt, sondern um tagaus, tagein
wiederholte, regelmaBige Gleichformigkeit, ein Knotenpunkt eintreten
muB, wo Ausdehnung des Arbeitstags und Intensitat der Arbeit einander
ausschlieBen, so daB die Verlangrung des Arbeitstags nur mit schwachrem
Intensitatsgrad der Arbeit und umgekehrt ein erhohter Intensitatsgrad nur
mit Verkiirzung des Arbetstags vertraglich bleibt. Sobald die allmahlich
anschwellende Emporung der Arbeiterklasse den Staat zwang, die
Arbeitszeit gewaltsam zu verkiirzen und zunachst der eigentlichen Fabrik
einen Normalarbeitstag zu diktieren, von diesem Augenbhck also, wo
gesteigerte Produktion von Mehrwert durch Verlangrung des Arbeitstags
ein fur allemal abgeschnitten war, warf sich das Kapital mit aller Macht
und vollem BewuBtsein auf die Produktion von relativem Mehrwert durch
beschleunigte Entwicklung des Maschinen systems. Gleichzeitig tritt eine
Anderung in dem Charakter des relativen Mehrwerts ein. Im allgemeinen
besteht die Produktionsmethode des relativen Mehrwerts darin, durch
gesteigerte Produktivkraft der Arbeit den Arbeiter zu befahigen, mit
derselben Arbeitsausgebe in derselben Zeit mehr zu produzieren. Dieselbe
Arbeitszeit setzt nach wie vor dem Gesamtprodukt denselben Wert zu,
obgleich dieser unveranderte Tauschwert sich jetzt in mehr
Gebrauchswerten darstellt und daher der Wert der einzelnen Ware sinkt.
Anders jedoch, sobald die gewaltsame Verkurzung des Arbeitstags mit
dem ungeheuren AnstoB, den sie der Entwicklung der Produktivkraft und
der Okonomisierung der Produktionsbedingungen gibt, zugleich
vergroBerte Arbeitsausgabe in derselben Zeit, erhohte Anspannung der
Arbeitskraft, dichtere Ausfiillung der Poren der Arbeitszeit, d.h.
Kondensation der Arbeit dem Arbeiter zu einem Grad aufzwingt, der nur
innerhalb des verkiirzten Arbeitstags erreichbar ist. Diese
Zusammenpressung einer groBten Masse Arbeit in eine gegebne
Zeitperiode zahlt jetzt als was sie ist, als groBres Arbeitsquantum. Neben
das MaB der Arbeitszeit als "ausgedehnter GroBe" tritt ietzt das MaB ihres
Verdichtungsgrads. 702 Die intensivere Stunde des zehnstiindigen
Arbeitstags enthalt jetzt so viel oder mehr Arbeit, d.h. verausgabte
Arbeitskraft, als die porosere Stunde des zwolfsttindigen Arbeitstags. Ihr
Produkt hat daher so viel oder mehr Wert als das der poroseren IV2
Stunden. Abgesehn von der Erhohung des relativen Mehrwerts durch die
gesteigerte Produktivkraft der Arbeit, liefern jetzt z.B. 3V3 Stunden
Mehrarbeit auf 6^/3 Stunden notwendiger Arbeit dem Kapitalisten dieselbe
Wertmasse wie vorher 4 Stunden Mehrarbeit auf 8 Stunden notwendiger
Arbeit.
Es fragt sich nun, wie wird die Arbeit intensifiziert?
Die erste Wirkung des verkiirzten Arbeitstags beruht auf dem
selbstverstandlichen Gesetz, daB die Wirkungsfahigkeit der Arbeitskraft im
umgekehrten Verhaltnis zu ihrer Wirkungszeit steht. Es wird daher,
innerhalb gewisser Grenzen, am Grad der KraftauBerung gewonnen, was
an ihrer Dauer verlorengeht. DaB der Arbeiter aber auch wirklich mehr
Arbeitskraft flussig macht, dafur sorgt das Kapital durch die Methode der
Zahlung. 703 In Manufakturen, der Topferei z.B., wo die Maschinerie keine
oder unbedeutende Rolle spielt, hat die Einfuhrung des Fabrikgesetzes
schlagend bewiesen, daB bloBe Verkurzung des Arbeitstags die
RegelmaBigkeit, Gleichformigkeit, Ordnung, Kontinuitat und Energie der
Arbeit wundervoll erhoht. 704 Diese Wirkung schien jedoch zweifelhaft in
der eigentlichen Fabrik, weil die Abhangigkeit des Arbeiters von der
kontinuierlichen und gleichformigen Bewegung der Maschine hier langst
die strengste Disziplin geschaffen hatte. Als daher 1844 die Herabsetzung
des Arbeitstags unter 12 Stunden verhandelt ward, erklarten die
Fabrikanten fast einstimmig,
»ihre Aufseher pafiten in den verschiednen Arbeitsrdumen auf dafi die
Hdnde keine Zeit verloren«, »der Grad der Wachsamkeit und
Aufmerksamkeit aufseiten der Arbeiter (the extent of vigilance and
attention on the part of the workmen) sei kaum steigrungsfahig« , und
alle andren Umstande, wie Gang der Maschinerie usw. als gleichbleibend
vorausgesetzt, »sei es daher Unsinn, in wohlgefiihrten Fabriken von der
gesteigerten Aufmerksamkeit usw. der Arbeiter irgendein erkleckliches
Resultat zu erwarten«. 705
Diese Behauptung ward durch Experimente widerlegt. Herr R. Gardner
lieB in seinen zwei groBen Fabriken zu Preston vom 20. April 184 anstatt
12 nur noch 1 1 Stunden per Tag arbeiten. Nach ungefahr Jahresfrist ergab
sich das Resultat, daB
»dasselbe Quantum Produkt zu denselben Kosten erhalten ward, und
sdmtliche Arbeiter in 11 Stunden ebensoviel Arbeitslohn verdienten, wie
friiher in 12«. nf>
Ich ubergehe hier die Experimente in den Spinn- und Kardierraumen, weil
sie mit Zunahme in der Geschwindigkeit der Maschinerie (um 2%)
verbunden waren. In dem Webedepartement dagegen, wo zudem sehr
verschiedne Sorten leichter, figurenhaltiger Phantasieartikel gewebt
wurden, fand durchaus keine Anderung in den objektiven
Produktionsbedingungen statt. Das Resultat war:
"Vom 6.Januar bis 20. April 1844, mit zwolfstiindigem Arbeitstag,
wochentlicher Durchschnittslohn jedes Arbeiters 10 sh. IV2 d., vom
20.April bis 29Juni 1844, mit elf stiindigem Arbeitstag, wochentlicher
Durchschnittslohn 10 sh. 3V2 d.« ni
Es wurde hier in 1 1 Stunden mehr produziert als friiher in 12,
ausschlieBlich infolge groBter gleichmaBiger Ausdauer der Arbeiter und
Okonomie ihrer Zeit. Wahrend sie denselben Lohn empfingen und 1
Stunde freie Zeit gewannen, erhielt der Kapitalist dieselbe Produktenmasse
und sparte Verausgabung von Kohle, Gas usw. fur eine Stunde. Ahnliche
Experimente wurden mit gleichem Erfolg in den Fabriken der Herren
Horrocks und Jacson ausgefiihrt. 708
Sobald die Verkurzung des Arbeitstags, welche zunachst die subjektive
Bedingung der Kondensation der Arbeit schafft, namlich die Fahigkeit des
Arbeiters, mehr Kraft in gegebner Zeit flussig zu machen,
zwangsgesetzlich wird, wird die Maschine in der Hand des Kapitals zum
objektiven und systematisch angewandten Mittel, mehr Arbeit in derselben
Zeit zu erpressen. Es geschieht dies in doppelter Weise: durch erhohte
Geschwindigkeit der Maschinen und erweiterten Umfang der von
demselben Arbeiter zu uberwachenden Maschinerie oder seines
Arbeitsfeldes. Verbesserte Konstruktion der Maschinerie ist teils
notwendig zur Ausiibung des groBren Drucks auf den Arbeiter, teils
begleitet sie von selbst die Intensifikation der Arbeit, weil die Schranke des
Arbeitstags den Kapitalisten zu strengstem Haushalt der
Produktionskosten zwingt. Die Verbesseruing der Dampfmaschine erhoht
die Anzahl ihrer Kolbenschlage in einer Minute und erlaubt zugleich,
durch groBere Kraftersparung einen umfangreichren Mechanismus mit
demselben Motor zu treiben, bei gleichbleibendem oder selbst fallendem
Kohlenverzehr. Die Verbesserung des Transmissionsmechanismus
vermindert die Reibung und, was die moderne Maschinerie so augenfallig
vor der altren auszeichnet, reduziert Durchmesser und Gewicht der groBen
und kleinen Wellenbaume auf ein stets fallendes Minimum. Die
Verbesserungen der Arbeitsmaschinerie endhch vermindern bei erhohter
Geschwindigkeit und ausgedehnterer Wirkung ihren Umfang, wie beim
modernen Dampfwebstuhl, oder vergroBern mit dem Rumpfumfang und
Zahl der von ihr gefuhrten Werkzeuge, wie bei der Spinnmaschine, oder
vermehren die Beweglichkeit dieser Werkzeuge durch unscheinbare
Detailveranderungen, wie derartig bei der selfacting mule in der Mitte der
funfziger Jahre die Geschwindigkeit der Spindeln um V5 gesteigert wurde.
Die Verkurzung des Arbeitstags auf 12 Stunden datiert in England von
1832. Schon 1836 erklarte ein enghscher Fabrikant:
»Verg lichen mitfruher ist die Arbeit, die in den Fabriken zu verrichten,
sehr gewachsen, infolge der grofiten Aufmerksamkeit und Tdtigkeit,
welche die bedeutend vermehrte Geschwindigkeit der Maschinerie vom
Arbeiter erheischt.« 109
Im Jahr 1844 machte Lord Ashley, jetzt Graf Shaftesbury, folgende
dokumentarisch belegte Aufstellungen im Hause der Gemeinen:
»Die Arbeit der in den Fabrikprozessen Beschaftigten ist jetzt dreimal so
grofi, als bei der Einfiihrung soldier Operationen. Die Maschinerie hat
zweifelsohne ein Werk verrichtet. welches die Sehnen und Muskeln von
Millionen Menschen ersetzt, aber sie hat auch erstaunlich (prodigiously)
die Arbeit der durch ihre furchtbare Bewegung beherrschten Menschen
vermehrt ... Die Arbeit, einem Paar Mules wahrend 12 Stunden aufund
ab zufolgen, zum Spinnen von Garn Nr. 40, schlofi im Jahre 1815 das
Durchlaufen einer Distanz von 8 Meilen ein. Im Jahre 1832 betrug die
im Gefolge eines Mulepaars, zum Spinnen derselben Nummer, wahrend
12 Stunden zu durchreisende Distanz 20 Meilen und oft mehr. Im Jahre
1825 hatte der Spinnen wahrend 12 Stunden 820 Auszuge an jeder Mule
zu machen, was eine Gesamtsumme von 1640 fur 12 Stunden ergab. Im
Jahre 1832 hatte der Spinner wahrend seines zwolfstiindigen Arbeitstags
an jeder Mule 2.200 Ausziige zu machen, zusammen 4.400, im Jahre
1844 an jeder Mule 2.400, zusammen 4.800: und in einigen Fallen ist die
erheischte Arbeitsmasse (amount of labour) noch grofier ... Ich habe hier
ein andres Dokument von 1842 in der Hand, worin nachgewiesen wird,
dafi die Arbeit pro gressiv zunimmt, nicht nur, well eine grofite
Entfernung zu durchreisen ist, sondern well die Quantitat der
produzierten War en sich vermehrt, wahrend die Handezahl proportionell
abnimmt; und ferner, well nun oft schlechtere Baumwolle gesponnen
wird, die mehr Arbeit erfordert... Im Kardierraum hat auch grofie
Zunahme der Arbeit stattgefunden. Eine Person tut jetzt die Arbeit, die
friiher zwischen zwei verteilt war... In der Weberei, worin eine grofie
Anzahl Personen, meist weiblichen Geschlechts, beschaftigt ist, ist die
Arbeit wahrend der letzten Jahre um voile 10% gewachsen, infolge der
vermehrten Geschwindigkeit der Maschinerie. Im Jahre 1838 war die
Zahl der hanks 1 ia , die wochentlich gesponnen wurde, 18.000, im Jahre
1843 belief sie sich auf 21.000. Im Jahr 1819 war die Zahl der picks 111
beim Dampfwebestuhl 60 per Minute, imJahre 1842 betrug sie 140, was
einen grofien Zuwachs von Arbeit anzeigt.« 112
Angesichts dieser merkwurdigen Intensitat, welche die Arbeit unter der
Herrschaft des Zwolfstundengesetzes bereits 1844 erreicht hatte, schien
damals die Erklarung der englischen Fabrikanten berechtigt, jeder weitere
Fortschritt in dieser Richtung sei unmoglich, daher jede weitere Abnahme
der Arbeitszeit identisch mit Abnahme der Produktion. Die scheinbare
Richtigkeit ihres Rasonnements wird am besten bewiesen durch folgende
gleichzeitige AuBerung ihres rastlosen Zensors, des Fabrikinspektors
Leonard Horner:
»Da die produzierte Quantitdt hauptsdchlich geregelt wird durch die
Geschwindigkeit der Maschinerie, mufi es das Interesse des Fabrikanten
sein, sie mit dem dufiersten Geschwindigkeitsgrad zu treiben, der mit
folgenden Bedingungen vereinbar ist: Bewahrung der Maschinerie vor
zu raschem Verderb, Erhaltung der Qualitat des fabrizierten Artikels,
und Fahigkeit des Arbeiters, der Bewegung zufolgen ohne grofite
Anstrengung, als er kontinuierlich leisten kann. Es ereignet sich oft, dafi
der Fabrikant in seiner Hast die Bewegung zu sehr beschleunigt. Briiche
und schlechtes Machwerk wiegen dann die Geschwindigkeit mehr als
auf, und er ist gezwungen, den Gang der Maschinerie zu mdfiigen. Da
ein aktiver und einsichtsv oiler Fabrikant das erreichbare Maximum
ausfindet, schlofi ich, dafi es unmoglich ist, in 11 Stunden so viel zu
produzieren als in 12. Ich nahm aufierdem an, dafi der per Stiicklohn
bezahlte Arbeiter sich aufs aufierste anstrengt, soweit er denselben
Arbeitsgrad kontinuierlich aushalten kann.« lu
Horner schloB daher, trotz der Experimente von Gardner usw., daB eine
weitre Herabsetzung des Arbeitstages unter 12 Stunden die Quantitat des
Produkts vermindern musse. 714 Er selbst zitiert 10 Jahre spater sein
Bedenken von 1845 zum Beweis, wie wenig er damals noch die Elastizitat
der Maschinerie und der menschlichen Arbeitskraft begriff, die beide
gleichmaBig durch die zwangsweise Verkurzung des Arbeitstags aufs
hochste gespannt werden.
Kommen wir nun zur Periode nach 1847, seit Einfiihrung des
Zehnstundengesetzes in die englischen Baumwoll-, Woll-, Seiden- und
Flachsfabriken.
»Die Geschwindigkeit der Spindeln ist aufThrortles um 500, auf Mules
um 1.000 Drehungen in einer Minute gewachsen, d.h. die
Geschwindigkeit der Throstlespindel, die 1839 4.500 Drehungen in einer
Minute zahlte, betrdgt nun [1862] 5.000, und die der Mulespindel, die
5000 zahlte, betrdgt jetzt 6.000 in der Minute; dies belduft sich im ersten
Fall aufl/jQ und im zweiten aufl/fi 115 zusatzlicher Geschwindigkeit.^ 16
Jas. Nasmyth, der beriihmte Zivilingenieur von Patricroft, bei Manchester,
setzte 1852 in einem Brief an Leonard Horner die von 1848-1852
gemachten Verbesserungen in der Dampfmaschine auseinander. Nachdem
er bemerkt, daB die Dampfpferdekraft, in der offiziellen Fabrikstatistik
fortwahrend geschatzt nach ihrer Wirkung im Jahr 1828 7 ' 7 , nur noch
nominell ist und nur als Index der wirklichen Kraft dienen kann, sagt er
u.a.:
»Es unterliegt keinem Zweifel, dafi Dampfmaschinerie von demselben
Gewicht, oft dieselben identischen Maschinen, an denen nur die
modernen Verbefirungen angebracht sind, im Durchschnitt 50% mehr
Werk als friiher verrichten und dafi in vielen Fallen dieselben identischen
Dampfmaschinen, die in den Tagen der beschrankten Geschwindigkeit
von 220 Fufi per Minute 50 Pferdekraft lieferten, heute, mit
vermindertem Kohlenkonsum, tiber 100 liefern ... Die moderne
Dampfmaschine von derselben nominellen Pferdekraft wird mit grofiter
Gewalt als friiher getrieben, infolge der Verbefirungen in ihrer
Konstruktion, vermindertem Umfang und Bau der Dampfkessel usw. ...
Obgleich daher dieselbe Handezahl wie friiher im Verhaltnis zur
nominellen Pferdekraft beschaftigt wird, werden weniger Hande
verwandt im Verhaltnis zur Arbeitsmaschinerie.« in
Im Jahre 1850 verwandten die Fabriken des Vereinigten Konigreichs
134.217 nominelle Pferdekraft zur Bewegung von 25.638.716 Spindeln und
301.445 Webstuhlen. Im Jahr 1856 betrug die Zahl der Spindeln und
Webstuhle respektive 33.503.580 und 369.205. Ware die erheischte
Pferdekraft dieselbe geblieben wie 1850, so waren 1856: 175.000
Pferdekraft notig. Sie betrug aber nach dem offiziellen Ausweis nur
161.435, also iiber 10.000 Pferdekraft weniger, als wenn man nach der
Basis von 1850 rechnet. 719
»Die durch den letzten Return von 1856 [offizielle Statistik] festgestellten
Tatsachen sind, dafi das Fabriksystem reifiend rasch um sich greift, die
Zahl der Hdnde im Verhdltnis zur Maschinerie abgenommen hat, die
Dampfmaschine durch Okonomie der Kraft und andre Methoden ein
grofites Maschinengewicht treibt und ein vermehrtes Quantum
Machwerk erzielt wird infolge verbesserter Arbeitsmaschinen,
verdnderter Methoden der Fabrikation, erhohter Geschwindigkeit der
Maschinerie und vieler andrer Ursachen.« in »Die grofien in Maschinen
jederArt eingefiihrten Verbefirungen haben der en Produktivkraft sehr
gesteigert. Ohne alien Zweifel gab die Verkiirzung des Arbeitstags ... den
Stachel zu diesen Verbefirungen. Letztre und die intensivre Anstrengung
des Arbeiters bewirkten, dafi wenigstens ebensoviel Machwerk in dem
[um zwei Stunden oder V5] verkiirzten Arbeitstag alsfriiher wahrend des
langren geliefert wird.« 12i
Wie die Bereicherung der Fabrikanten mit der intensivren Ausbeutung der
Arbeitskraft zunahm, beweist schon der eine Umstand, daB das
durch schnittliche Wachstum der englischen Baumwollen- usw. -Fabriken
von 1838 bis 1850 pro Jahr 32, von 1850 bis 1856 dagegen 86 jahrlich
betrug. 722
So groB in den 8 Jahren 1848 bis 1856, unter der Herrschaft des
zehnsttindigen Arbeitstags, der Fortschritt der englischen Industrie, wurde
er wieder weit uberflugelt in der folgenden sechsjahrigen Periode von 1856
bis 1862. In der Seidenfabrik z.B. 1856: Spindeln 1.093.799, 1862:
1.388.544; 1856: Webstuhle 9.260 und 1862: 10.709. Dagegen 1856:
Arbeiteranzahl 56.137 und 1862: 52.429. Dies ergibt Zunahme der
Spindelzahl 26,9% und der Webstuhle 15,6% mit gleichzeitiger Abnahme
der Arbeiteranzahl um 7%. Im Jahre 1850 wurden in der Worsted-Fabrik
angewandt 875.830 Spindeln, 1856: 1.324.549 (Zunahme von 51,2%) und
1862: 1.289.172 (Abnahme von 2,7%). Zahlt man aber die Dublierspindeln
ab, die in der Aufzahlung fur das Jahr 1856, aber nicht fur 1862 figurieren,
so blieb die Anzahl der Spindeln seit 1856 ziemlich stationar. Dagegen
ward seit 1850 in vielen Fallen die Geschwindigkeit der Spindeln und
Webstuhle verdoppelt. Die Zahl der Dampfwebstuhle in der Worsted-
Fabrik 1850: 32.617, 1856: 38.956 und 1862: 43.048. Es waren dabei
beschaftigt 1850: 79.737 Personen, 1856: 87.794 und 1862: 86.063, aber
davon Kinder unter 14 Jahren 1850: 9.956, 1856: 11.228 und 1862: 13.178.
Trotz sehr vermehrter Anzahl der Webstuhle, 1862 verglichen mit 1856,
nahm also die Gesamtzahl der beschaftigten Arbeiter ab, die der
exploitierten Kinder zu. 723
Am 27. April 1863 erklarte das Parlamentsmitglied Ferrand im Unterhause:
» Arbeiter dele gierte von 16 Distrikten von Lancashire und Cheshire, in
deren Auftrag ich spreche, haben mir mitgeteilt, dafi die Arbeit in den
Fabriken infolge der Verbefirung der Maschinerie bestandig wachse.
Statt dafifruher eine Person mit Gehilfen zwei Webstuhle bediente,
bedient siejetzt drei ohne Gehilfen, und es ist gar nichts
Ungewohnliches, dafi eine Person ihrer vier bedient usw. ZwolfStunden
Arbeit, wie aus den mitgeteilten Tatsachen hervorgeht, werden jetzt in
weniger als 10 Arbeitsstunden geprefit. Es ist daher selbstverstandlich,
in welchem ungeheuren Umfang die Miihen der Fabrikarbeiter sich seit
den letzten Jahren vermehrt haben.« 12i
1. "Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p.100, 103, 129, 130.
l.Mit dem modernen Dampfwebstuhl fabriziert ein Weber jetzt in 60 Stunden per Woche auf 2
Stiihlen 26 Stuck einer gewissen Art von bestimmter Lange und Breite, wovon er auf dem alten
Dampfwebstuhl nur 4 fabrizieren konnte. Die Webkosten eines solchen Stiicks waren schon Anfang der
1850er Jahre von 2 sh. 9 d. auf 5 /g d. gefallen.
2.Zusatz zur 2.Ausgabe: »Vor 30 Jahren [1841] verlangte man von einem Baumwollgarnspinner mit 3
Gehilfen nur die Uberwachung eines Mulepaars mit 300 bis 324 Spindeln. Mit 5 Gehilfen hat er jetzt
[Ende 1871] Mules zu uberwachen, deren Spindelzahl 2.200 betragt, und produziert mindestens
siebenmal mehr Gam als 1841. « (Alexander Redgrave, Fabrikinspektor, in 'Journal of the Soc. of Arts',
Jan. 5. 1872.)
1. "Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1861 ", p.25, 26.
l.Die Achtstundenagitation hat jetzt (1867) in Lancashire unter den Fabrikarbeitern begonnen.
2.Folgende wenige Zahlen zeigen den Fortschritt der eigentlichen "Factories" im U[nited] Kingd[om] seit
1848:
Obgleich daher die Fabrikinspektoren die gunstigen Resultate der
Fabrikgesetze von 1844 und 1850 uneraiiidlich und mit vollem Recht
lobpreisen, gestehn sie doch, daB die Verkiirzung des Arbeitstags bereits
eine die Gesundheit der Arbeiter, also die Arbeitskraft selbst zerstorende
Intensitat der Arbeit hervorgerufen habe.
»In den meisten Baumwoll-, Worsted- und Seidenfabriken scheint der
erschopfende Zustand von Aufregung, notigfiir die Arbeit an der
Maschinerie, deren Bewegung in den letzten Jahren so aufierordentlich
beschleunigt worden ist, eine der Ursachen des Uberschusses der
Sterblichkeit an Lungenkrankheiten, den Dr.Greenhow in seinem
jiingsten bewundernswerten Bericht nachgewiesen hat.« 12: "
Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daB die Tendenz des Kapitals,
sobald ihm Verlangrung des Arbeitstags ein fur allemal durch das Gesetz
abgeschnitten ist, sich durch systematische Steigerung des Intensitatsgrads
der Arbeit gutlich zu tun und jede VerbeBrung der Maschinerie in ein
Mittel zu groBter Aussaugung der Arbeitskraft zu verkehren, bald wieder
zu einem Wendepunkt treiben muB, wo abermalige Abnahme der
Arbeitsstunden unvermeidlich wird. 726 Andrerseits uberflugelt der
Sturmmarsch der englischen Industrie von 1848 bis zur Gegenwart, d.h.
wahrend der Periode des zehnstundigen Arbeitstags, noch weit mehr die
Zeit von 1833 bis 1837, d.h. die Periode des zwolfsttindigen Arbeitstags,
als letztre das halbe Jahrhundert seit Einfuhrung des Fabriksystems, d.h.
die Periode des unbeschrankten Arbeitstags. 727
4. Die Fabrik
Wir betrachteten im Beginn dieses Kapitels den Leib der Fabrik, die
Gliedrung des Maschinen systems. Wir sahen dann, wie die Maschinerie
das menschliche Exploitationsmaterial des Kapitals vermehrt durch
Aneignung der Weiber- und Kinderarbeit, wie sie die ganze Lebenszeit des
Arbeiters konfisziert durch maBlose Ausdehnung des Arbeitstags und wie
ihr Fortschritt, der ein ungeheuer wachsendes Produkt in stets kiirzrer Zeit
zu liefern erlaubt, endlich als systematisches Mittel dient, in jedem
Zeitmoment mehr Arbeit flussig zu machen oder die Arbeitskraft stets
intensiver auszubeuten. Wir wenden uns nun zum Fabrikganzen, und zwar
in seiner ausgebildetsten Gestalt.
Dr. Ure, der Pindar der automatischen Fabrik, beschreibt sie einerseits als
»Kooperation verschiedner Klassen von Arbeitern, erwachsnen und
nicht erwachsnen, die mit Gewandtheit und Fleifi ein System produktiver
Maschinerie uberwachen, das ununterbrochen durch eine Zentralkraft
(den ersten Motor) in Tatigkeit gesetzt wird«,
andrerseits als
»einen ungeheuren Automaten, zusammengesetzt aus zahllosen
mechanischen und selbstbewufiten Organen, die im Einverstandnis und
ohne Unterbrechung wirken, um einen und denselben Gegenstand zu
produzieren, so dafi alle diese Organe einer Bewegungskraft
untergeordnet sind, die sich von selbst bewegt«.
Diese beiden Ausdriicke sind keineswegs identisch. In dem einen erscheint
der kombinierte Gesamtarbeiter oder gesellschaftliche Arbeitskorper als
ubergreifendes Subjekt und der mechanische Automat als Objekt; in dem
andren ist der Automat selbst das Subjekt, und die Arbeiter sind nur als
bewuBte Organe seinen bewuBtlosen Organen beigeordnet und mit
denselben der zentralen Bewegungskraft untergeordnet. Der erstere
Ausdruck gilt von jeder moglichen Anwendung der Maschinerie im
groBen, der andre charakterisiert ihre kapitalistische Anwendung und daher
das moderne Fabriksystem. Ure liebt es daher auch, die Zentralmaschine,
von der die Bewegung ausgeht, nicht nur als Automat, sondern als
Autokrat darzustellen.
»In diesen grofien Werkstatten versammelt die wohltatige Macht des
Dampfes ihre Myriaden von Untertanen um sich.« 128
l.Ure, I.e. p. 18.
l.l.c. p.20. Vgl. KarlMarx, "Misere etc.", p. 140, 141. [MEW, Band 4, S, 156/157]
l.Es ist charakteristisch fur die Absicht des statistischen Betrugs, die auch sonst noch im Detail
nachweisbar ware, wenn die englische Fabrikgesetzgebung die zuletzt im Text erwahnten Arbeiter
ausdrucklich als Nicht-Fabrikarbeiter von ihrem Wirkungskreis ausschlieBt, andrerseits die vom Parlament
veroffentlichten "Returns" ebenso ausdrucklich nicht nur In-genieure, Mechaniker usw., sondern auch
Fabrikdirigenten, Kommis, Auslaufer, Lageraufseher, Verpacker usw., kurz alle Leute, mit AusschluB des
Fabrikeigentumers selbst, in die Kategorie der Fabrikarbeiter einschlieBen.
l.Ure gibt dies zu. Er sagt, daB die Arbeiter »im Notfall nach dem Willen des Dirigenten von
einer Maschine zur andren versetzt werden konnen «, und ruft triumphierend aus: »Dergleichen Wechsel
Mit dem Arbeitswerkzeug geht auch die Virtuositat in seiner Fiihrang vom
Arbeiter auf die Maschine iiber. Die Leistungsfahigkeit des Werkzeugs ist
emanzipiert von den personlichen Schranken menschlicher Arbeitskraft.
Damit ist die technische Grundlage aufgehoben, worauf die Teilung der
Arbeit in der Manufaktur beruht. An die Stelle der sie charakterisierenden
Hierarchie der spezialisierten Arbeiter tritt daher in der automatischen
Fabrik die Tendenz der Gleichmachung oder Nivellierung der Arbeiten,
welche die Gehilfen der Maschinerie zu verrichten haben 729 , an die Stelle
der kunstlich erzeugten Unterschiede der Teilarbeiter treten vorwiegend die
natiirlichen Unterschiede des Alters und Geschlechts.
Soweit in der automatischen Fabrik die Teilung der Arbeit wiedererscheint,
ist sie zunachst Verteilung von Arbeitern unter die spezialisierten
Maschinen und von Arbeitermassen, die jedoch keine gegliederten
Gruppen bilden, unter die verschiednen Departements der Fabrik, wo sie
an nebeneinander gereihten gleichartigen Werkzeugmaschinen arbeiten,
also nur einfache Kooperation unter ihnen stattfindet. Die gegliederte
Gruppe der Manufaktur ist ersetzt durch den Zusammenhang des
Hauptarbeiters mit wenigen Gehilfen. Die wesentliche Scheidung ist die
von Arbeitern, die wirklich an den Werkzeugmaschinen beschaftigt sind
(es kommen hiezu einige Arbeiter zur Bewachung, resp. Futtrung der
Bewegungsmaschine), und von bloBen Handlangern (fast ausschlieBlich
Kinder) dieser Maschinenarbeiter. Zu den Handlangern zahlen mehr oder
minder alle "Feeders" (die den Maschinen bloB Arbeitsstoff darreichen).
Neben diese Hauptklassen tritt ein numerisch unbedeutendes Personal, das
mit der Kontrolle der gesamten Maschinerie und ihrer bestandigen
Reparatur beschaftigt ist, wie Ingenieure, Mechaniker, Schreiner usw. Es
ist eine hohere, teils wissenschaftlich gebildete, teils handwerksmaBige
Arbeiterklasse, auBerhalb des Kreises der Fabrikarbeiter und ihnen nur
aggregiert. 730 Diese Teilung der Arbeit ist rein technisch.
Alle Arbeit an der Maschine erfordert friihzeitige Anlernung des Arbeiters,
damit er seine eigne Bewegung der gleichformig kontinuierlichen
Bewegung eines Automaten anpassen lerne. Soweit die
Gesamtmaschinerie selbst ein System mannigfacher, gleichzeitig wirkender
und kombinierter Maschinen bildet, erfordert auch die auf ihr beruhende
Kooperation eine Verteilung verschiedenart'ger Arbeitergruppen unter die
verschiedenartigen Maschinen. Aber der Maichinenbetrieb hebt die
Notwendigkeit auf, diese Verteilung manufakturmaBig zu befestigen durch
fortwahrende Aneignung derselben Arbeiter an dieselbe Funktion. 731 Da
die Gesamtbewegung der Fabrik nicht vom Arbeiter ausgeht, sondern von
der Maschine, kann fortwahrender Personenwechsel stattfinden ohne
Unterbrechung des Arbeitsprozesses. Den schlagendsten Beweis hierzu
liefert das wahrend der englischen Fabrikantenrevolte von 1848-1850 ins
Werk gesetzte Relaissystem. 732 Die Geschwindigkeit endlich, womit die
2.Siehe MEW, Bd. 23, S.305-309
3.Wenn Not an Mann ist, wie z.B. wahrend des Amerikanischen Burgerkriegs, wird der
Fabrikarbeiter ausnahmsweise vom Bourgeois zu den grobsten Arbeiten, wie StraBenbau usw., verwandt.
Die englischen "ateliers nationaux" ["Nationalwerkstatten"] des Jahres 1862 u. folg. fur die
beschaftigungslosen Baumwollarbeiter unterschieden sich dadurch von den franzosischen von 1848, daB in
diesen der Arbeit er auf Kosten des Staats unproduktive Arbeiten, in jenen zum Vorteil des Bourgeois
Produktive stadtische Arbeiten, und zwar wohlfeiler als die regelmaBigen Arbeiter, mit denen er so in
Konkurrenz geworfen ward, zu verrichten hatte. »Das korperliche Aussehen der Baumwollarbeiter ist
zweifellos besser geworden. Das fiihre ich .... soweit es sich um die Manner handelt, auf die
Beschaftigung im Freien bei offentlichen Arbeiten zuriick.« (Es handelt sich hier von den Preston-
Fabrikarbeitern, die am "Preston Moor" beschaftigt wurden.) ("Rep. of Insp. of Fact. Oct. 1863", p. 59.)
4.Beispiel: Die verschiednen mechanischen Apparate, die zum Ersatz von Kinderarbeit seit dem
Gesetz von 1844 in der Wollfabrik eingefiihrt wurden. Sobald die Kinder der Herren Fabrikanten selbst
"ihre Schule" als Handlanger der Fabrik durchzumachen haben, wird dies fast noch unangebaute Gebiet der
Mechanik bald einen merkwiirdigen Aufschwung nehmen. »Die self-acting mules sind vielleicht eine so
gefdhrliche Maschinerie als irgendeine andere. Die meisten Ungliicksfalle begegnen kleinen Kindern,
und zwar infolge ihres Kriechens unter die Mules, um den Boden zu fegen, wahrend die Mules in
Bewegung sind. Verschiedne "minders" [Arbeiter an der Mule] wurden [von den Fabrikinspektoren]
gerichtlich verfolgt und zu Geldstrafen verurteilt wegen dieses Vergehns, aber ohne irgendwelchen
allgemeinen Vorteil. Wenn Maschinenmacher nur einen Selbstfeger erfinden wollten, durch dessen
Gebrauch die Notwendigkeit fiir diese kleinen Kinder, unter die Maschinerie zu kriechen, wegfiele, so
ware das ein gliicklicher Beitrag zu unsren Protektionsmafiregeln.« ("Reports of Insp. of Factories for
31st October 1866", p.63.)
l.Man wiirdige daher den fabelhaften Einfall Proudhons, der die Maschinerie nicht als Synthese von
Arbeitsmitteln, sondern als Synthese von Teilarbeiten fur die Arbeiter selbst - "konstruiert". [Vgl. MEW,
Bd. 4, S.149]
l.F. Engels, "Lage etc.", p. 217 [siehe MEW, Band 2, S.398]. Selbst ein ganz ordinarer,
optimistischer Freihandler, Herr Molinari, bemerkt: »Ein Mann verbraucht sich schneller, wenn er
taglich fiinfzehn Stunden die gleichformige Bewegung eines Mechanismus uberwacht, als wenn er in
derselben Zeitspanne seine physische Kraft gebraucht. Diese Arbeit der Uberwachung, die vielleicht
als eine niitzliche Gymnastik fiir den Geist dienen konnte, wenn sie nicht zu lange ausgedehnt wiirde,
zerstort auf die Dauer, durch ihr Ubermafi, Geist und Korper zugleich. « (G. de Molinari, "Etudes
Economiques", Paris 1846, [p. 49].)
l.F.Engels, I.e. p.216 [MEW, Bd. 2, S.397/398],
l.»The factory operatives should keep in wholesome remembrance the fact that theirs is really
a low species of skilled labour; and that there is none which is more easily acquired or of its quality
more amply remunerated, or which, by a short training of the least expert can be more quickly as well
as abundantly acquired... The master's machinery really plays a far more important part in the
business of production than the labour and the skill of the operative, which six months' education can
teach, and a common labourer can learn. « ("The Master Spinners' and Manufacturers' Defence Fund.
Report of the Committee", Manchester 1854, p. 17.) Man wird spater sehn, daB der "Master" aus einem
andern Loch pfeift, sobald er mit Verlust seiner "lebendigen" Automaten bedroht ist.
l.Ure, I.e. p. 15. Wer Arkwrights Lebensgeschichte kennt, wird das Wort "edel" diesem genialen
Barbier nie an den Kopf werfen. Von alien groBen Erfindern des 18. Jahrhunderts war er unstreitig der
groBte Dieb fremder Erfindungen und der gemeinste Kerl.
l.»Die Sklaverei, in der die Bourgeoisie das Proletariat gefesselt halt, kommt nirgends
Arbeit an der Maschine im jugendlichen Alter erlernt wird, beseitigt ebenso
die Notwendigkeit, eine besondre Klasse Arbeiter ausschlieBlich zu
Maschinenarbeitern heranzuziehn. 733 Die Dienste der bloBen Handlanger
aber sind in der Fabrik teils durch Maschinen ersetzbar 734 , teils erlauben sie
wegen ihrer volligen Einfachheit raschen und bestandigen Wechsel der mit
dieser Plackerei belasteten Personen.
Obgleich nun die Maschinerie das alte System der Teilung der Arbeit
technisch iiber den Haufen wirft, schleppt es sich zunachst als Tradition
der Manufaktur gewohnheitsmaBig in der Fabrik fort, urn dann
systematisch vom Kapital als Exploitationsmittel der Arbeitskraft in noch
ekelhaftrer Form reproduziert und befestigt zu werden. Aus der
lebenslangen Spezialitat, ein Teilwerkzeug zu fiihren, wird die lebenslange
Spezialitat, einer Teilmaschine zu dienen. Die Maschinerie wird
miBbraucht, um den Arbeiter selbst von Kindesbeinen in den Teil einer
Teilmaschine zu verwandeln. 735 Nicht nur werden so die zu seiner eignen
Reproduktion notigen Kosten bedeutend vermindert, sondern zugleich
seine hilflose Abhangigkeit vom Fabrikganzen, also vom Kapitalisten,
vollendet. Hier wie iiberall muB man unterscheiden zwischen der groBten
Produktivitat, die der Entwicklung des gesellschaftlichen
Produktionsprozesses, und der groBten Produktivitat, die seiner
kapitalistischen Ausbeutung geschuldet ist.
In Manufaktur und Handwerk bedient sich der Arbeiter des Werkzeugs, in
der Fabrik dient er der Maschine. Dort geht von ihm die Bewegung des
Arbeitsmittels aus, dessen Bewegung er hier zu folgen hat. In der
Manufaktur bilden die Arbeiter Glieder eines lebendigen Mechanismus. In
der Fabrik existiert ein toter Mechanismus unabhangig von ihnen, und sie
werden ihm als lebendige Anhangsel einverleibt.
»Der triibselige Schlendrian einer endlosen Arbeitsqual, worin derselbe
mechanische Prozefi immer wieder durchgemacht wird, gleicht der
Arbeit des Sisyphus; die Last der Arbeit, gleich dem Felsen,fdllt immer
wieder aufden abgematteten Arbeiter zuruck.« nf>
Wahrend die Maschinenarbeit das Nervensystem aufs auBerste angreift,
unterdriickt sie das vielseitige Spiel der Muskeln und konfisziert alle freie
korperliche und geistige Tatigkeit. 737 Selbst die Erleichterung der Arbeit
wird zum Mittel der Tortur, indem die Maschine nicht den Arbeiter von der
Arbeit befreit, sondern seine Arbeit vom Inhalt. Aller kapitalistischen
Produktion, soweit sie nicht nur ArbeitsprozeB, sondern zugleich
VerwertungsprozeB des Kapitals, ist es gemeinsam, daB nicht der Arbeiter
die Arbeitsbedingung, sondern umgekehrt die Arbeitsbedingung den
Arbeiter anwendet, aber erst mit der Maschinerie erhalt diese Vorkehrung
technisch handgreifliche Wirklichkeit. Durch seine Verwandlung in einen
Automaten tritt das Arbeitsmittel wahrend des Arbeitsprozesses selbst
dem Arbeiter als Kapital gegenuber, als tote Arbeit, welche die lebendige
Arbeitskraft beherrscht und aussaugt. Die Scheidung der geistigen
Potenzen des Produktionsprozesses von der Handarbeit und die
Verwandlung derselben in Machte des Kapitals iiber die Arbeit vollendet
sich, wie bereits fruher angedeutet, in der auf Grundlage der Maschinerie
aufgebauten groBen Industrie. Das Detailgeschick des individuellen,
entleerten Maschinenarbeiters verschwindet als ein winzig Nebending vor
der Wissenschaft, den ungeheuren Naturkraften und der gesellschaftlichen
Massenarbeit, die im Maschinensystem verkorpert sind und mit ihm die
Macht des "Meisters" (master) bilden. Dieser Meister, in dessen Hirn die
Maschinerie und sein Monopol an dergelben unzertrennlich verwachsen
sind, raft daher in Kollisionsfallen den "Handen" verachtlich zu:
»Die Fabrikarbeiter sollten in heilsamer Erinnrung halten, dafi ihre
Arbeit in der Tat seine sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist; dafi
keine leichter aneigenbar und in Anbetracht ihrer Qualitat besser
belohnt ist, dafi keine durch kurze Unterweisung des mindest Erfahrnen
in so kurzer Zeit und in solchem Uberflufi zugefiihrt werden kann. Des
Meisters Maschinerie spielt in der Tat eine viel wichtigere Rolle in dem
Geschafte der Produktion als die Arbeit und das Geschick des Arbeiters,
die eine Erziehung von 6 Monaten lehren und jeder Bauernknecht lernen
kann.« 13S
Die technische Unterordnung des Arbeiters unter den gleichformigen Gang
des Arbeitsmittels und die eigentumliche Zusammensetzung des
Arbeitskorpers aus Individuen beider Geschlechter und verschiedenster
Altersstufen schaffen eine kasernenmaBige Disziplin, die sich zum
vollsstandigen Fabrikregime ausbildet und die schon fruher erwahnte
Arbeit der Oberaufsicht, also zugleich die Teilung der Arbeiter in
Handarbeiter und Arbeitsaufseher, in gemeine Industriesoldaten und
Industrieunteroffiziere, vollig entwickelt.
»Die Hauptschwierigkeit in der automatischen Fabrik bestand in der
notwendigen Disziplin, um die Menschen aufihre unregelmdfiigen
Gewohnheiten in der Arbeit verzichten zu machen und sie zu
identifizieren mit der unverdnderlichen Regelmdfiigkeit des grofien
Automaten. Aber einen den Bediirfnissen und der Geschwindikeit des
automatischen Systems entsprechenden Disziplinarkodex zu erfinden
und mit Erfolg auszufiihren war ein Unternehmen, des Herkules wiirdig,
das ist das edle Werk Arkwrights! Selbst heutzutage, wo das System in
seiner ganzen Vollendung organisiert ist, ist esfast unmoglich, unter
den Arbeitern, die das Alter der Mannbarkeit zuruckgelegt haben,
niitzliche Gehilfen fiir das automatische System zu finden.« 139
Der Fabrikkodex, worin das Kapital seine Autokratie iiber seine Arbeiter,
ohne die sonst vom Burgertum so beliebte Teilung der Gewalten und das
noch beliebtere Reprasentativsystem, privatgesetzlich und eigenherrlich
formuliert, ist nur die kapitalistische Karikatur der gesellschaftlichen
Reglung des Arbeitsprozesses, welche notig wird mit der Kooperation auf
groBer Stufenleiter und der Anwendung gemeinsamer Arbeitsmittel,
namentlich der Maschinerie. An die Stelle der Peitsche des Sklaventreibers
tritt das Strafbuch des Aufsehers. Alle Strafen 16 sen sich naturlich auf in
Geldstrafen und Lohnabzuge, und der gesetzgeberische Scharfsinn der
Fabrik-Lykurge macht ihnen die Verletzung ihrer Gesetze womoglich noch
einbringlicher als deren Befolgung. 740
Wir deuten nur hin auf die materiellen Bedingungen, unter denen die
Fabrikarbeit verrichtet wird. Alle Sinnesorgane werden gleichmaBig
verletzt durch die kunstlich gesteigerte Temperatur, die mit Abfallen des
Rohmaterials geschwangerte Atmosphare, den betaubenden Larm usw.,
abgesehn von der Lebensgefahr unter dicht gehaufter Maschinerie, die mit
der RegelmaBigkeit der Jahreszeiten ihre industriellen Schlachtbulletins
produziert. 741 Die Okonomisierung der gesellschaftlichen
l.Die Gesetze zum Schutz gegen gefahrliche Maschinerie haben wohltatig gewirkt. »Aber ... es
existieren jetzt neue Quellen von Ungliicksfallen, die vor 20 Jahren nicht existiert haben, namentlich
die vermehrte Geschwindigkeit der Maschinerie. Rdder, Walzen, Spindeln und Webstiihle werden jetzt
mit vermehrter und stets noch wachsender Gewalt getrieben; die Finger miissen rascher und sichrer
den gebrochnen Faden anpacken, denn wenn mit Zaudern oder Unvorsicht angelegt, sind sie geopfert
... Eine grofie Anzahl Unglucksfalle wird verursacht durch den Eifer der Arbeiter, ihr Werk rasch
auszufiihren. Man mufi sich erinnern, dafi esftir die Fabrikanten von der hochsten Wichtigkeit ist, ihre
Maschinerie ununterbrochen in Bewegung zu halten, d.h. Gam und Geweb zu produzieren. jeder
Stillstand von einer Minute ist nicht nur ein Verlust an Triebkraft, sondern an Produktion. Die Arbeiter
werden daher durch Arbeitsaufseher, interessiert in der Quantitdt des Machwerks, dazu gehetzt, die
Maschinerie in Bewegung zu halten; und es ist dies nicht minder wichtig fiir Arbeiter, die nach Gewicht
oder Stuck gezahlt werden. Obgleich es daher in den meisten Fabriken formell verboten ist,
Maschinerie wdhrend ihrer Bewegung zu reinigen, ist diese Praxis allgemein. Diese Ursache allein hat
wdhrend der letzten 6 Monate 906 Unglucksfalle produziert ... Obgleich das Reinigunsgeschdft tagaus,
tagein vorgeht, ist der Sonnabend jedoch meist fiir griindliches Reinigen der Maschinerie festgesetzt,
und das geschieht grofienteils wdhrend der Bewegung der Maschinerie ... Es ist eine unbezahlte
Operation, und die Arbeiter suchen daher so rasch als moglich damit fertig zu werden. Daher ist die
Anzahl der Unglucksfalle Freitags und ganz besonders Samstags viel grofier als an den ubrigen
Wochentagen. Freitags betrdgt der Uberschufi iiber die Durchschnittszahl der ersten 4 Wochentage
ungefdhr 12%, Sonnabends der Uberschufi von Unglucksfallen iiber den Durchschnitt der
vorhergehenden 5 Tage 25%; zieht man aber in Rechnung, dafi der Fabriktag Samstags nur 7'h
Stunden, an den ubrigen Wochentagen 10'h Stunden zdhlt - so steigt der Uberschufi um mehr als
65%. « ("Reports of Insp. of Factories for etc. 31st October 1866", London 1867, p. 9, 15, 16, 17.)
2.1m ersten Abschnitt des Dritten Buchs werde ich berichten iiber einen jiingster Zeit angehorigen
Feldzug der englischen Fabrikanten gegen die Klauseln des Fabrikakts zum Schutz der GliedmaBen der
"Hande" vor lebensgefahrlicher Maschinerie. Her geniige ein Zitat aus einem offiziellen Bericht des
Fabrikinspektors Leonard Horner: »Ich habe Fabrikanten mit unentschuldbarer Frivolitdt von einigen
der Unglucksfalle sprechen horen, z-B. der Verlust eines Fingers sei eine Kleinigkeit. Das Eeben und
die Aussichten eines Arbeiters hdngen so sehr von seinen Fingern ab, dafi ein solcher Verlust ein
dufierst ernstes Ereignis fiir ihn ist. Wenn ich solch gedankenlos Geschwdtz hore, stelle ich die Frage:
Unterstellt, Sie brauchen einen zusdtzlichen Arbeiter, und ihrer zwei meldeten sich, beide in jeder
andren Hinsicht gleich tiichtig, aber der eine ohne Daumen oder Vorfinger, welchen wtirden Sie
wdhlen? Sie zogerten nie einen Augenblick, fiir den Vollfingrigen zu entscheiden ... Diese Herrn
Fabrikanten haben falsche Vorurteile gegen das, was sie pseudo-philanthropische Gesetzgebung
nennen.« ("Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1855", [p. 6/7].) Diese Herrn sind "gescheite Leut"' und
schwarmen nicht umsonst fiir die Sklavenhalter-Rebellion!
3. In den Fabriken, die am langsten dem Fabrikakt mit seiner Zwangsbeschrankung der Arbeitszeit
und seinen sonstigen Regulationen unterworfen, sind manche friihre MiBstande verschwunden. Die
Verbesserung der Maschinerie selbst erheischt auf einem gewissen Punkt eine »verbesserte Konstruktion
der Fabrikgebdude«, die den Arbeitern zugut kommt. (cf. "Reports etc. for 31st Oct. 1863", p. 109.)
4. "gemilderte Bagnos" ("les bagnes mitiges") - nennt Fourier die Fabriken in dem Buch "La fausse
industrie morcelee, repugnante, mensongere, et l'antidote, l'industrie naturelle, combinee, attrayante,
veridique, donnant quadruple produit", Paris 1835, S.59.
l.Sieh u.a. John Houghton, "Husbandry and Trade improved", Lond. 1727. "The Advantages of the
Fast India Tirade", 1720. John Bellers, I.e. »Die Meister und die Arbeiter befinden sich
ungliicklicherweise in ewigem Kriegszustand miteinander. Jene haben das unverdnderliche Ziel, ihre
Arbeit so billig wie moglich getan zu erhalten; und sie zbgern nicht, zu diesem Zweck jede List
anzuwenden, wdhrend diese ebenso darauf bedacht sind, bei jeder Gelegenheit ihre Meister zur
Erfiillung ihrer hoheren Forderungen zu zwingen.« »An Inquiry into the causes of the Present High
Prices ofProvisions«, 1767, p. 61, 62. (Verf. Rev. Nathaniel Forster, ganz auf Seite der Arbeiter.)
l.Die Bandmiihle ward in Deutschland erfunden. Der italienische Abbe Lancellotti in einer Schrift,
Produktionsmittel, erst im Fabriksystem treibhausmaBig gereift, wird in der
Hand des Kapitals zugleich zum systematischen Raub an den
Lebensbedingungen des Arbeiters wahrend der Arbeit, an Raum, Luft,
Licht, und an personlichen Schutzmitteln wider lebensgefahrliche oder
gesundheitswidrige Umstande des Produktionsprozesses, von
Vorrichtungen zur Bequemlichkeit des Arbeiters gar nicht zu sprechen. 742
Nennt Fourier mit Unrecht die Fabriken "gemilderte Bagnos"
743/744
5. Kampf zwischen Arbeiter und Maschine
Der Kampf zwischen {Capitalist und Lohnarbeiter beginnt mit dem
Kapitalverhaltnis selbst. Er tobt fort wahrend der ganzen
Manufakturperiode. 745 Aber erst seit der Einfiihrung der Maschinerie
bekampft der Arbeiter das Arbeitsmittel selbst, die materielle
Existenzweise des Kapitals. Er revoltiert gegen diese bestimmte Form des
Produktionsmittels als die materielle Grundlage der kapitalistischen
Produktionsweise.
Ziemlich ganz Europa erlebte wahrend des 17Jahrhunderts
Arbeiterrevolten gegen die sog. Bandmuhle (auch Schnurmuhle oder
Miihlenstuhl genannt), eine Maschine zum Weben von Bandern und
Borten. 746 Ende des ersten Dritteils des 17. Jahrhunderts erlag eine
Windsagemuhle, von einem Hollander in der Nahe Londons angelegt, vor
Pobelexzessen. Noch Anfang des 18. Jahrhunderts uberwanden durch
Wasser getriebne Sagemaschinen in England nur muhsam den
parlamentarisch unterstiitzten Volkswiderstand. Als Everet 1758 die erste
vom Wasser getriebne Maschine zum Wollscheren erbaut hatte, wurde sie
von 100.000 auBer Arbeit gesetzten Menschen in Brand gesteckt. Gegen
die scribbling mills 747 und Kardiermaschinen Arkwrigths petitionierten
3.Krempelmiihlen
4.1n altmodischen Manufakturen wiederholt sich noch heute zuweilen die rohe Form der
Arbeiteremporungen gegen die Maschinerie. So z.B. im Feilenschleifen zu Sheffield 1865.
l.Sir James Steuart faBt auch die Wirkung der Maschinerie noch ganz in diesem Sinn. »Ich sehe
also die Maschinen als Mittel an, um (ihrer Wirkungsfdhigke it nach) die Zahl der tdtigen Menschen zu
erhohen, ohne dafi man deren mehr zu erniihren braucht ... Wodurch unterscheidet sich die Wirkung
einer Maschine von derjenigen neuer Einwohner?« (Fzs. Ubers., t.1, 1.1, ch.XIX.) Viel naiver Petty, der
sagt, daB sie die "Polygamic" ersetze. Dieser Gesichtspunkt paBt hochstens fiir einige Teile der Ver.
Staaten. Dagegen: »Maschinerie kann selten mit Erfolg dazu gebracht werden, die Arbeit eines
einzelnen zu vermindern: bei ihrer Konstruktion wiirde man mehr Xeit verlieren, als durch ihre
Anwendung ersparen. Sie ist nur wirklich niitzlich, wenn sie aufgrofie Massen wirkt, wenn eine einzige
Maschine die Arbeit von Tausenden unterstutzen kann. Maschinerie wird daher stets am meisten in den
dichtest bevolkerten Landern angewandt, wo es die meisten Arbeitslosen gibt ... Sie wird in Gebrauch
genommen nicht wegen Mangel an Arbeitern, sondern der Leichtigkeit wegen, mit der diese zur Arbeit
in Massen gebracht werden konnen.« (Piercy Ravenstone, "Thoughts on the Funding System and its
Effects", Lond. 1824, p.45.)
2.{Zur 4.Aufl. - Dies gilt auch fiir Deutschland. Wo bei uns groBe Agrikultur besteht, also
namentlich im Osten, ist sie erst moglich geworden durch das, seit dem 16. Jahrhundert, namentlich aber
seit 1648, eingerissene "Bauernlegen". - F.E.)
l.»Maschinerie und Arbeit sind in standiger Konkurrenz.« (Ricardo, I.e. p. 479.)
50.000 Arbeiter, die bisher vom Wollkratzen gelebt, beim Parlament. Die
massenhafte Zerstorang von Maschinen in den englischen
Manufakturdistrikten wahrend der ersten 15 Jahre des 19. Jahrhunderts,
namentlich infolge der Ausbeutung des Dampfwebstuhls, bot, unter dem
Namen der Ludditenbewegung, der Antijakobiner-Regierung eines
Sidmouth, Castlereagh usw. den Vorwand zu reaktionarsten
Gewaltschritten. Es bedarf Zeit und Erfahrung, bevor der Arbeiter die
Maschinerie von ihrer kapitalistischen Anwendung unterscheiden und
daher seine Angriffe vom materiellen Produktionsmittel selbst auf dessen
gesellschaftliche Exploitationsform ubertragen lernt. 748
Die Kampfe um den Arbeitslohn innerhalb der Manufaktur setzen die
Manufaktur voraus und sind keineswegs gegen ihre Existenz gerichtet.
Soweit die Bildung der Manufakturen bekampft wird, geschieht es von den
Zunftmeistern und privilegierten Stadten, nicht von den Lohnarbeitern. Bei
Schriftstellern der Manufakturperiode wird die Teilung der Arbeit daher
vorherrschend als Mittel aufgefaBt, virtuell Arbeiter zu ersetzen, aber nicht,
wirklich Arbeiter zu verdrangen. Dieser Unterschied ist selbstverstandlich.
Sagt man z.B., es wiirden 100 Millionen Menschen in England erheischt
sein, um mit dem alten Spinnrad die Baumwolle zu verspinnen, die jetzt
von 500.000 mit der Maschine versponnen wird, so heiBt das natiirlich
nicht, daB die Maschine den Platz dieser Millionen, die nie existiert haben,
einnahm. Es heiBt nur, daB viele Millionen Arbeiter erheischt waren, um
die Spinnmaschinerie zu ersetzen. Sagt man dagegen, daB der
Dampfwebstuhl in England 800.000 Weber auf das Pflaster warf, so
spricht man nicht von existierender Maschinerie, die durch eine bestimmte
Arbeiterzahl ersetzt werden miiBte, sondern von einer existierenden
Arbeiterzahl, die faktisch durch Maschinerie ersetzt oder verdrangt worden
ist. Wahrend der Manufakturperiode blieb der handwerksmaBige Betrieb,
wenn auch zerlegt, die Grundlage. Die neuen Kolonialmarkte konnten
durch die relativ schwache Anzahl der vom Mittelalter uberlieferten
stadtischen Arbeiter nicht befriedigt werden, und die eigentlichen
Manufakturen offneten zugleich dem mit Auflosung der Feudalitat von
Grand und Boden verjagten Landvolke neue Produktionsgebiete. Damals
trat also an der Teilung der Arbeit und der Kooperation in den Werkstatten
mehr die positive Seite hervor, daB sie beschaftigte Arbeiter produktiver
machen. 749 Kooperation und Kombination der Arbeitsmittel in den
Handen weniger rafen, auf die Agrikultur angewandt, zwar groBe,
plotzliche und gewaltsame Revolutionen der Produktionsweise und daher
der Lebensbedingungen und Bechaftigungsmittel der Landbevolkerung
hervor, in vielen Landern lang vor der Periode der groBen Industrie. Aber
dieser Kampf spielt urspriinglich mehr zwischen groBen und kleinen
Landeigentiimern als zwischen Kapital und Lohnarbeit; andrerseits, soweit
Arbeiter durch Arbeitsmittel, Schafe, Pferde usw. verdrangt werden, bilden
unmittelbare Gewaltakte hier in erster Instanz die Voraussetzung der
industriellen Revolution. Erst werden die Arbeiter vom Grand und Boden
verjagt, und dann kommen die Schafe. Der Landdiebstahl auf groBer
Stufenleiter, wie in England, schafft der groBen Agrikultur erst ihr
Anwendungsfeld. 750 In ihren Anfangen hat diese Umwalzung der
Agrikultur daher mehr den Schein einer politischen Revolution.
Als Maschine wird das Arbeitsmittel sofort zum Konkurrenten des
Arbeiters selbst. 751 Die Selbstverwertung des Kapitals durch die Maschine
steht im direkten Verhaltnis zur Arbeiterzahl, deren Existenzbedingungen
sie vernichtet. Das ganze System der kapitalistischen Produktion beraht
darauf, daB der Arbeiter seine Arbeitskraft als Ware verkauft. Die Teilung
der Arbeit vereinseitigt diese Arbeitskraft zum ganz partikularisierten
Geschick, ein Teilwerkzeug zu fiihren. Sobald die Fuhrang des Werkzeugs
der Maschine anheimfallt, erlischt mit dem Gebrauchswert der Tauschwert
der Arbeitskraft. Der Arbeiter wird unverkauflich, wie auBer Kurs gesetztes
Papiergeld. Der Teil der Arbeiterklasse, den die Maschinerie so in
uberflussige, d.h. nicht langer zur Selbstverwertung des Kapitals
unmittelbar notwendige Bevolkerang verwandelt, geht einerseits unter in
dem ungleichen Kampf des alten handwerksmaBigen und
manufakturmaBigen Betriebs wider den maschinenmaBigen, uberflutet
andrerseits alle leichter zuganglichen Industriezweige, uberfiillt den
Arbeitsmarkt und senkt daher den Preis der Arbeitskraft unter ihren Wert.
Ein groBer Trost fur die pauperisierten Arbeiter soil sein, daB ihre Leiden
teils nur "zeitlich" ("a temporary inconvenience"), teils daB die Maschinerie
sich nur allmahlich eines ganzen Produktionsfelds bemachtigt, wodurch
Umfang und Intensitat ihrer vernichtenden Wirkung gebrochen werde. Der
eine Trost schlagt den andren. Wo die Maschine allmahlich ein
Produktionsfeld ergreift, produziert sie chronisches Elend in der mit ihr
konkurrierenden Arbeiterschichte. Wo der Ubergang rasch, wirkt sie
massenhaft und akut. Die Weltgeschichte bietet kein entsetzlicheres
Schauspiel als den allmahlichen, iiber Dezennien verschleppten, endlich
1838 besiegelten Untergang der englischen Handbaumwollweber. Viele
von ihnen starben am Hungertod, viele vegetierten lange mit ihren
Familien auf 2Vi d. taglich. 752 Akut dagegen wirkte die englische
Baumwollmaschinerie auf Ostindien, dessen Generalgouverneur 1834/35
konstatierte:
»Das Elend findet kaum eine Parallele in der Geschichte des Handels.
Die Knochen der Baumwollweber bleichen die Ebenen von Indien.«
Allerdings, sofern diese Weber das Zeitliche segneten, bereitete ihnen die
Maschine nur "zeitliche MiBstande". Ubrigens ist die "zeitliche" Wirkung
der Maschinerie permanent, indem sie bestandig neue Produktionsgebiete
ergreift. Die verselbstandigte und entfremdete Gestalt, welche die
kapitalistische Produktionsweise iiberhaupt den Arbeitsbedingungen und
dem Arbeitsprodukt gegenuber dem Arbeiter gibt, entwickelt sich also mit
2.Die Konkurrenz zwischen Handgeweb und Maschinengeweb wurde in England vor der Einfuhrung
des Armengesetzes von 1834 dadurch verlangert, daB man die tief unter das Minimum gefallenen Lohne
durch Pfarreiunterstutzung erganzte. »Reverend Mr. Turner war 1827 Pfarrer in Wilmslow in Cheshire,
einein industriellen Distrikt. Die Fragen des Komitees fur Auswanderung und Mr. Turners Antworten
zeigen, wie der Wettbewerb der Handarbeit mit der Maschinerie aufrechterhalten wird. Frage: "Hat
nicht die Anwendung des Kraftwebstuhls die des Handwebstuhls verdrdngt?" Antwort: "Zweifellos, sie
wurde ihn noch mehr, als bereits geschehn, verdrdngt haben, wdren die Handweber nicht in den Stand
gesetzt worden, sich einer Lohnherabsetzung zu unterwerfen. " Frage: "Aber der Handweber hat doch
durch diese Unterwerfung sich mit einem Lohn zufriedengegeben, der fiir seinen Lebensunterhalt
unzureichend ist, und verlangt nach Pfarreizuschufj fur den Rest seines Lebensunterhalts?" Antwort:
"J a, und in der Tat wird der Wettbewerb zwischen dem Handwebstuhl und dem Kraftwebtuhl durch die
Armenunterstiitzung aufrechterhalten. " So ist also erniedrigender Pauperismus oder Auswanderung
der Vorteil, den die Einfuhrung der Maschinerie den Werktatigen gebracht hat, sie sind aus geachteten
und in gewissem Grade unabhdngigen Handwerkern zu kriecherischen Elenden herabgedriickt
worden, die das entwiirdigende Brot der Mildtdtigkeit essen. Das nennt man einen zeitlichen
MifJstand.« ("A Prize Essay on the co-parative merits of Competition and Co-operation", Lond. 1834,
p.29.)
l.»Die gleiche Ursache, die die Nettorevenue des Landes anwachsen liijit [d.h., wie Ricardo an
derselben Stelle erlautert, the revenues of landlords and capitalists, deren Wealth, okonomisch betrachtet,
iiberhaupt = Wealth of the Nation], kann gleichzeitig einen UberflufJ an Bevolkerung erzeugen und die
Lage des Arbeiters verschlechtern.« (Ricardo, I.e. p. 469.) »Der bestandige Zweck und die Tendenz
jeder Vervollkommnung des Mechanismus ist in der Tat, sich der Arbeit des Menschen ganz zu
entschlagen oder ihren Preis zu vermindern durch Substitution von Weiber- und Kinderarbeit fiir die
der erwachsnen mannlichen Arbeiter oder roher Arbeiter fiir geschickte.« (Ure, [I.e. p. 231.].)
1. "Reports of Insp. of Fact. 31st Oct. 1858", p.43.
2."Reports etc. 31 st Oct. 1856", p.15.
3. Ure, I.e. p. 19. »Der grojie Vorteil der im Ziegelbacken angewandten Maschinerie besteht
darin, den Anwenden ganz und gar von geschickten Arbeitern unabhangig zu machen.« ("Ch. Empl.
Comm., V. Report", Lond. 1866, p.130, n.46.)
der Maschinerie zum vollstandigen Gegensatz. 753 Daher mit ihr zum
erstenmal die brutale Revolte des Arbeiters gegen das Arbeitsmittel.
Das Arbeitsmittel erschlagt den Arbeiter. Dieser direkte Gegensatz
erscheint allerdings am handgreiflichsten, sooft neu eingefiihrte
Maschinerie konkurriert mit uberliefertem Handwerks- oder
Manufakturbetrieb. Aber innerhalb der groBen Industrie selbst wirkt
fortwahrende VerbeBrung der Maschinerie und Entwicklung des
automatischen Systems analog.
»Der bestdndige Zweck verbesserter Maschinerie ist, die Handarbeit zu
vermindern oder einen Ring in der Produktionskette der Fabrik durch
Substitution eiserner fiir menschliche Apparate zu vollenden.« 15<i »Die
Anwendung von Dampf- und Wasserkraft auf Maschinerie, die bisher mit
der Hand bewegt wurde, ist das Ereignis jedes Tages ... Die kleineren
Verbefirungen in der Maschinerie, welche Okonomie der
Bewegungskraft, Verbefirung des Machwerks, vermehrte Produktion in
derselben Zeit oder Verdrangung eines Kindes, eines Frauenzimmers
oder eines Mannes bezwecken, sind konstant, und obgleich scheinbar
nicht von grofiem Gewicht, haben sie dennoch wichtige Resultate.« 15 '
» Uberall, wo eine Operation viel Geschick und eine sichre Hand
verlangt, entzieht man sie so schnell als moglich den Armen des zu
geschickten und oft zu Unregelmdfiigkeiten alter Art geneigten Arbeiters,
um einen besondren Mechanismus damit zu betrauen, der so gut geregelt
ist, dafi ein Kind ihn uberwachen kann.« 156 »Im automatischen System
wird das Talent des Arbeiters progressiv verdrangt.« 151 »Die Verbefirung
5.Ure, l.c.p.20.
6.1.c.p.321.
7.1.c. p.23.
l.unsrer Geblaseabteilung
2.Spul- und Streckmaschinenraum
3."Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1863", p.l08sqq.
l.l.c. p. 109. Die rasche Verbesserung der Maschinerie wahrend der Baumwollkrise erlaubte den
englischen Fabrikanten gleich nach Beendigung des Amerikanischen Burgerkriegs, im Umsehen den
Weltmarkt wieder zu iiberfullen. Die Gewebe wurden schon wahrend der letzten 6 Monate von 1866 fast
unverkauflich. Damit fing die Konsignation der Waren nach China und Indien an, was den "glut" [die
"Uberfullung"] natiirlich noch intensiver machte. Anfang 1867 nahmen die Fabrikanten zu ihrem
gewohnlichen Ausfluchtsmittel Zuflucht, Herabsetzung des Arbeitslohns um 5%. Die Arbeiter widersetzten
sich und erklarten, theoretisch ganz richtig, das einzige Heilmittel sei, kurze Zeit, 4 Tage per Woche, zu
der Maschinerie erfordert nicht nur Vermindrung in der Anzahl der
beschdftigten erwachsnen Arbeiter zur Erzielung eines bestimmten
Resultats, sondern sie substituiert eine Klasse von Individuen einer
andren Klasse, eine minder geschickte einer geschickteren, Kinder den
Erwachsnen, Frauen den Mdnnern. Alle diese Wechsel verursachen
bestandige Fluktuationen in der Rate des Arbeitslohns.« 15S »Die
Maschinerie wirft unaufhorlich Erwachsne aus der Fabrik heraus.« 15 ''
Die auBerordentliche Elastizitat des Maschinenwesens infolge gehaufter
praktischer Erfahrang, des schon vorhandnen Umfangs mechanischer
Mittel und des bestandigen Fortschritts der Technik zeigte uns sein
Sturmmarsch unter dem Druck eines verkiirzten Arbeitstags. Aber wer
hatte 1860, im Zenitjahr der englischen Baumwollindustrie, die
galoppierenden Verbesserungen der Maschinerie und die entsprechende
Deplacierurig von Handarbeit geahnt, welche die drei folgenden Jahre
unter dem Stachel des Amerikanischen Burgerkriegs hervorriefen? Von
den offiziellen Anfiihrungen der englischen Fabrikinspektoren iiber diesen
Punkt geniigen hier ein paar Beispiele. Ein Manchester Fabrikant erklart:
»Statt 75 Kardiermaschinen brauchen wirjetzt nur 12, welche dieselbe
Quantitdt von ebenso guter, wenn nicht befirer Qualitdt liefern ... Die
Ersparung an Arbeitslohn betrdgt 10 Pfd.St. wdchentlich, die an
Baumwollabfall 10%.«
In einer Manchester Feinspinnerei wurde
»vermittelst beschleunigter Bewegung und Einfuhrung verschiedner self-
acting Prozesse in einem Departement 'A, in einem iiber V2 des
Arbeiterpersonals beseitigt, wahrend die Kammaschine an der Stelle der
zweiten Kardiermaschine die Zahl derfriiher im Kardierraum
beschdftigten Hande sehr vermindert hat«.
Eine andre Spinnfabrik schatzt ihre allgemeine Ersparung von "Handen"
auf 10%. Die Herren Gilmore, Spinner zu Manchester, erklaren:
»ln unsrem blowing departement 160 schatzten wir die infolge neuer
Maschinerie gemachte Ersparung an Handen und Arbeitslohn auf ein
voiles Drittel ... in dem jack frame und drawing frame room 161 ungefdhr
I/3 weniger in Auslage und Handen; im Spinnraum ungefdhr Vj
weniger in Auslage. Aber das ist nicht alles; wenn unser Garnjetzt zum
Weber geht, ist es so sehr verbessert durch die Anwendung der neuen
Maschinerie, dafi sie mehr und besseres Gewebe als mit dem alten
Maschinengarn produzieren.« 162
Fabrikinspektor A. Redgrave bemerkt hierzu:
»Die Verminderung der Arbeiter bei gesteigerter Produktion schreitet
rasch vorwarts; in den Wollfabriken begann kiirzlich eine neue Reduktion
der Hdnde, und sie dauertfort; vor wenigen Tagen sagte mir ein
Schulmeister, der bei Rochdale wohnt, die grofie Abnahme in den
Mddchenschulen sei nicht nur dem Druck der Krise geschuldet, sondern
audi den Anderungen in der Maschinerie der Wollfabrik, infolge deren
eine Durchschnittsreduktion von 70 Halbzeitlern stattgefunden.« 163
Das Gesamtresultat der dem Amerikanischen Burgerkrieg geschuldeten
mechanischen Verbesserungen in der englischen Baumwollindustrie zeigt
folgendeTabelle 764 :
l.Die Tabelle ist nach den Angaben der folgenden drei Parlamentsberichte, die den gemeinsamen
Titel "Factories" tragen, angefertigt: "Return to an address of the Honourable the House of Commons, dated
15 April 1856"; "Return to an address of the Honourable the House of Commons, dated 24 April 1861";
"Return to an address of the Honourable the House of Commons, dated 5 December 1867".
l.»Das Verhdltnis zwischen Meistern und Handen in den Flint- und Flaschenglas-Blasereien
ist ein chronischer strike. « Daher der Aufschwung der Manufaktur des gepreBten Glases, wo die
Hauptoperationen durch Maschinerie ausgefuhrt werden. Eine Firma bei Newcastle, die fruher jahrlich
350.000 Pfund geblasnes Flintglas produziert jetzt statt dessen 3.000.500 Pfund gepreBtes Glas. ("Ch.
Empl. Comm. IV. Rep.", 1865, p.262, 263.)
2.Gaskell, "The Manufacturing Population of England", Lond. 1833, p. 11, 12.
3.Einige sehr bedeutende Anwendungen von Maschinen zum Maschinenbau erfand Herr Fairbairn
infolge von strikes in seiner eignen Maschinenfabrik.
1. "Tenth report of the commissioners appointed to inquite into the organization and rules of Trades
Unions and other associations: together with minutes of evidence", London 1868, S. 63/64.
l.Ure, I.e. p.367-370.
l.Ure, I.e. p. 368, 7, 370, 280, 321, 281, 475.
l.Ricardo teilte urspriinglich diese Ansicht, widerrief sie aber spater ausdriicklich mit seiner
charakteristischen wissenschaftlichen Unbefangenheit und Wahrheitsliebe. Sieh I.e., ch.XXXI "On
Machinery".
l.NB, ich gebe die Illustration ganz in der Weise der obengenannten Okonomen.
l.Nominibus mollire licet mala (Es geziemt sich, das Bose mit Worten zu mildern) - Ovid, "Artis
Amatoriae", Buch 2, Vers 657.
l.Das ist alles.
l.Ein Ricardianer bemerkt hieriiber gegen die Fadaisen J.B. Says: »Bei entwickelter Teilung der
Arbeit ist das Geschick der Arbeiter nur in dem besondren Zweig anwendbar, worin sie angelernt
wurden; sie selbst sind eine Art von Maschinen. Es hilft daher absolut nichts, papageimafiig zu
plappern, dafi die Dinge eine Tendenz haben, ihr Niveau zufinden. Wir miissen um uns schauen und
sehn, dafi sie fiir lange Zeit ihr Niveau nicht finden konnen; dafi, wenn sie es finden, das Niveau
niedriger steht als beim Anfang des Prozesses.« ("An Inqiry into those Principles respecting the Nature
of Demand etc.", Lond. 1821, p72.)
l.Ein Virtuose in diesem anmaBlichen Kretinismus ist u.a. MacCulloch. »Wenn es vorteilhaft ist«,
sagt er z.B. mit der affektierten Naivitat eines Kindes von 8 Jahren, »das Geschick des Arbeiters mehr und
mehr zu entwickeln, so dafi er fahig wird, ein stets wachsendes Warenquantum mit demselben oder
geringerem Arbeitsquantum zu produzieren, so mufi es auch vorteilhaft sein, dafi er sich solcher
Maschinerie zu seinem Beistande bediene, wie sie ihn am wirksamsten in der Erreichung dieses
Resultats unterstutzt.« (MacCulloch, "Princ. of Pol. Econ.", Lond. 1830, p. 182.)
l.»Der Erfinder der Spinnmaschine hat Indien ruiniert, was uns indes wenig ruhrt.« (A. Thiers,
Zahl der Fabriken
1856 1861 1868
England und Wales 2.046 2.715 2.405
Schottland 152 163 131
Irland 12 9 13
Vereinigtes Konigreich 2.210 2.887 2.549
Anzahl der Dampfwebstuhle
England und Wales 275.590 367.125 344.719
Schottland 21.624 30.110 31.864
Irland 1.633 1.757 2.746
Vereinigtes Konigreich 298.847 399.992 379.329
Anzahl der Spindeln
England und Wales 25.818.576 28.352.12530.478.228
Schottland 2.041.129 1.915.398 1.397.546
Irland 150.512 119.944 124.240
Vereinigtes Konigreich 28.010.217 30.387.46732.000.014
Anzahl der beschaftigten Personen
England und Wales 341.170 407.598 357.052
Schottland 34.698 41.237 39.809
Irland 3.345 2.734 4.203
Vereinigtes Konigreich 379.213 451.569 401.064
Von 1861 bis 1868 verschwanden also 338 Baumwollfabriken; d.h.,
produktivere und groBartigere Maschinerie konzentrierte sich in den
Handen einer geringern Zahl von Kapitalisten. Die Zahl der
Dampfwebstuhle nahm ab um 20.663; aber ihr Produkt hatte sich
gleichzeitig vermehrt, so daB ein verbesserter Webstuhl jetzt mehr leistete
als ein alter. Endlich die Spindelzahl wuchs um 1.612.547, wahrend die
Zahl der beschaftigten Arbeiter um 50.505 abnahm. Das "zeitweilige"
Elend, womit die Baumwollkrise die Arbeiter erdriickte, wurde also
gesteigert und befestigt durch raschen und anhaltenden Fortschritt der
Maschinerie.
Die Maschinerie wirkt jedoch nicht nur als ubermachtiger Konkurrent,
stets auf dem Sprung, den Lohnarbeiter "uberflussig" zu machen. Als ihm
feindliche Potenz wird sie laut und tendenziell vom Kapital proklamiert
und gehandhabt. Sie wird das machtvollste Kriegsmittel zur
Niederschlagung der periodischen Arbeiteraufstande, strikes usw. wider
die Autokratie des Kapitals. 765 Nach Gaskeil war gleich die
Dampfmaschine ein Antagonist der "Menschenkraft", der den Kapitalisten
befahigte, die steigenden Anspriiche der Arbeiter niederzuschmettern, die
das beginnende Fabriksystem zur Krise zu treiben drohten. 766 Man konnte
eine ganze Geschichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloB als
Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiteremeuten ins Leben traten. Wir
erinnern vor allem an die selfacting mule, weil sie eine neue Epoche des
automatischen Systems eroffnet. 767
In seiner Aussage vor der Trades Unions Commission berichtet Nasmyth,
der Erfinder des Dampfhammers, wie folgt iiber die VerbeBrungen der
Maschinerie, die er einfuhrte infolge des groBen und langen strikes der
Maschinenarbeiter 1851:
»Der bezeichnende Zug unsrer modernen mechanischen Verbefirungen
ist die Einfiihrung selbsttdtiger Werkzeugmaschinen. Was jetzt ein
mechanischer Arbeiter zu tun hat, und was jeder Junge tun kann, ist
nicht, selbst zu arbeiten, sondern die schone Arbeit der Maschine zu
uberwachen. Die ganze von ihrer Geschicklichkeit ausschliefilich
abhdngende Klasse von Arbeitern ist jetzt beseitigt. Friiher beschaftigte
ich vier Jungen aufeinen Mechaniker. Dank diesen neuen mechanischen
Kombinationen habe ich die Zahl der erwachsenen Manner von 1.500
auf750 reduziert. Die Folge war eine bedeutende Vermehrung meines
Profits.« 168
Ure sagt von einer Maschine zum Farbendruck in den Kattundruckereien:
»Endlich suchten sich die Kapitalisten von dieser unertrag lichen
Sklaverei [namlich den ihnen lastigen Kontraktsbedingungen der Arbeiter]
zu befreien, indent sie die Hilfsquellen der Wissenschaft anriefen, und
bald waren sie reintegriert in ihre legitimen Rechte, die des Kopfes iiber
die andern Korperteile.«
Er sagt von einer Erfindung zum Kettenschlichten, deren unmittelbarer
AnlaB ein strike:
»Die Horde der Unzufriednen, die sich hinter den alten Linien der
Teilung der Arbeit unbesiegbar verschanzt wahnte, sah sich so in die
Flanke genommen und ihre Verteidigungsmittel vernichtet durch die
moderne mechanische Taktik. Sie mufiten sich aufGnade und Ungnade
ergeben.«
Er sagt von der Erfindung der selfacting mule:
»Sie war berufen, die Ordnung unter den industriellen Klassen
wiederherzustellen ... Diese Erfindung bestatigt die von uns bereits
entwickelte Doktrin, dafi das Kapital, indent es die Wissenschaft in
seinen Dienst prefit, stets die rebellische Hand der Arbeit zur
Gelehrigkeit zwingt.« n<>
Obgleich Ures Schrift 1835 erschien, also zur Zeit eines relativ noch
schwach entwickelten Fabriksy stems, bleibt sie der klassische Ausdruck
des Fabrikgeists, nicht nur wegen ihres offenherzigen Zynismus, sondern
auch wegen der Nalvetat, womit er die gedankenlosen Widersp niche des
Kapitalhirns ausplaudert. Nachdem er z.B. die "Doktrin" entwickelt, daB
das Kapital mit Hilfe der von ihm in Sold genommenen Wissenschaft
»stets die rebellische Hand der Arbeit zur Gelehrigkeit zwingt« , entriistet
er sich dariiber, »dafi man von gewisser Seite die mechanisch-physische
Wissenschaft anklagt, sich dent Despotismus reicher Kapitalisten zu
leihen und zum Unterdriickungsmittel der armen Klassen herzugeben«.
Nachdem er weit und breit gepredigt, wie vorteilhaft rasche Entwicklung
der Maschinerie den Arbeitern, warnt er sie, daB sie durch ihre
Widersetzlichkeit, strikes usw., die Entwicklung der Maschinerie
beschleunigen.
»Derartige gewaltsame Revolten«, sagt er, »zeigen die menschliche
Kurzsichtigkeit in ihrem verdchtlichsten Charakter, dem Charakter
eines Menschen, der sich zu seinem eignen Henker macht.«
Wenige Seiten vorher heiBt es umgekehrt:
»Ohne die heftigen Kollisionen und Unterbrechungen, verursacht durch
die irrigen Ansichten der Arbeiter, hdtte sich das Fabriksystem noch viel
rascher entwickelt und viel niitzlicher fiir alle interessierten Parteien.«
Dann raft er wieder aus:
»Zum Gluckfur die Bevolkerung der Fabrikbezirke Grofibritanniens
finden die Verbefirungen in der Mechanik nur allmdhllich statt.« »Mit
Unrecht«, sagt er, »klagt man die Maschinen an, dafi sie den Arbeitslohn
der Erwachsnen vermindern, indem sie einen Teil derselben verdrangen,
wodurch ihre Anzahl das Bedurfnis nach Arbeit ubersteigt. Aber sie
vermehren die Nachfrage nach Kinderarbeit und erhohen damit deren
Lohnrate.«
Derselbe Trostspender verteidigt andrerseits die Niedrigkeit der
Kinderlohne damit, daB »sie die Eltern abhalten, ihre Kinder zufriih in
die Fabriken zu schicken«. Sein ganzes Buch ist eine Apologie des
unbeschrankten Arbeitstags, und es erinnert seine liberale Seele an die
dunkelsten Zeiten des Mittelalters, wenn die Gesetzgebung verbietet,
Kinder von 13 Jahren mehr als 12 Stunden per Tag abzurackern. Dies halt
ihn nicht ab, die Fabrikarbeiter zu einem Dankgebet an die Vorsehung
aufzufordern, die ihnen durch die Maschinerie »die Mufie verschafft habe,
iiber ihre unsterblichen Interessen nachzudenken« , 770
6. Die Kompensationstheorie
bezuglich der durch Maschinerie verdrangten Arbeiter
Eine ganze Reihe burgerlicher Okonomen, wie James Mill, MacCulloch,
Torrens, Senior, J.St. Mill usw. behauptet, daB alle Maschinerie, die
Arbeiter verdrangt, stets gleichzeitig und notwendig ein adaquates Kapital
zur Beschaftigung derselben identischen Arbeiter freisetzt. 771
Man unterstelle, ein Kapitalist wende 100 Arbeiter an, z.B. in einer
Tapetenmanufaktur, den Mann zu 30 Pfd.St. jahrlich. Das von ihm jahrlich
ausgelegte variable Kapital betragt also 3.000 Pfd. St. Er entlasse 50
Arbeiter und beschaftige die ubrigbleibenden 50 mit einer Maschinerie die
ihm 1.500 Pfd.St. kostet. Der Vereinfachung halber wird von
Baulichkeiten, Kohlen usw. abgesehn. Man nimmt ferner an, das jahrlich
verzehrte Rohmaterial koste nach wie vor 3.000 Pfd.St. 772 1st durch diese
Metamorphose irgendein Kapital "freigesetzt"? In der alten Betriebsweise
bestand die ausgelegte Gesamtsumme von 6.000 Pfd.St. halb aus
konstantem und halb aus variablem Kapital. Sie besteht jetzt aus 4.500
Pfd.St. (3.000 Pfd.St. fur Rohmaterial und 1.500 Pfd.St. fur Maschinerie)
konstantem und 1.500 Pfd. St. variablem Kapital. Statt der Halfte bildet der
variable oder in lebendige Arbeitskraft umgesetzte Kapitalteil nur noch X A
des Gesamtkapitals. Statt der Freisetzung findet hier Bindung von Kapital
in einer Form statt, worin es aufhort, sich gegen Arbeitskraft
auszutauschen, d.h. Verwandlung von variablem in konstantes Kapital.
Das Kapital von 6.000 Pfd.St. kann, unter sonst gleichbleibenden
Umstanden, jetzt niemals mehr als 50 Arbeiter beschaftigen. Mit jeder
VerbeBrung der Maschinerie beschaftigt es weniger. Kostete die neu
eingefuhrte Maschinerie weniger als die Summe der von ihr verdrangten
Arbeitskraft und Arbeitswerkzeuge, also z.B. statt 1.500 nur 1.000 Pfd.St.,
so wurde ein variables Kapital von 1.000 Pfd.St. in konstantes verwandelt
oder gebunden, wahrend ein Kapital von 500 Pfd.St. freigesetzt wurde.
Letzteres, denselben Jahreslohn unterstellt, bildet einen
Beschaftigungsfonds fur ungefahr 16 Arbeiter, wahrend 50 entlassen sind,
ja fur viel weniger als 16 Arbeiter, da die 500 Pfd.St. zu ihrer Verwandlung
in Kapital wieder zum Teil in konstantes Kapital verwandelt werden
mussen, also auch nur zum Teil in Arbeitskraft umgesetzt werden konnen.
Indes, gesetzt auch, die Anfertigung der neuen Maschinerie beschaftige
eine groBte Anzahl Mechaniker; soil das eine Kompensation sein fur die
aufs Pflaster geworfnen Tapetenmacher? Im besten Fall beschaftigt ihre
Anfertigung weniger Arbeiter, als ihre Anwendung verdrangt. Die Summe
von 1.500 Pfd.St., die nur den Arbeitslohn der entlaBnen Tapetenmacher
darstellte, stellt jetzt, in der Gestalt von Maschinerie, dar: 1. den Wert der
ihrer Herstellung erforderlichen Produktionsmittel, 2. den Arbeitslohn der
sie anfertigenden Mechaniker, 3. den ihrem "Meister" zufallenden
Mehrwert. Ferner: einmal fertig, braucht die Maschine nicht erneuert zu
werden bis nach ihrem Tod. Um also die zusatzliche Anzahl Mechaniker
dauernd zu beschaftigen, muB ein Tapetenfabrikant nach dem andern
Arbeiter durch Maschinen verdrangen.
In der Tat meinen jene Apologeten auch nicht diese Art Freisetzung von
Kapital. Sie meinen die Lebensmittel der freigesetzten Arbeiter. Es kann
nicht geleugnet werden, daB im obigen Fall z.B. die Maschinerie nicht nur
50 Arbeiter freisetzt und dadurch "disponibel" macht, sondern zugleich
ihren Zusammenhang mit Lebensmitteln zum Wert von 1.500 Pfd.St.
aufhebt und so diese Lebensmittel "freisetzt". Die einfache und keineswegs
neue Tatsache, daB die Maschinerie den Arbeiter von Lebensmitteln
freisetzt, lautet also okonomisch, daB die Maschinerie Lebensmittel fur den
Arbeiter freisetzt oder in Kapital zu seiner Anwendung verwandelt. Man
sieht, es kommt alles auf die Ausdrucksweise an. Nominibus mollire
licet. 773
Nach dieser Theorie waren die Lebensmittel zum Wert von 150 Pfd.St. ein
durch die Arbeit der funfzig entlaBnen Tapetenarbeiter verwertetes Kapital.
Dies Kapital verliert folglich seine Beschaftigung, sobald die funfzig
Feiertag bekommen, und hat nicht Ruh noch Rast, bis es eine neue
"Anlage" gefunden, worin besagte funfzig es wieder produktiv
konsumieren konnen. Friiher oder spater miissen also Kapital und Arbeiter
sich wieder zusammenfinden, und dann ist die Kompensation da. Die
Leiden der durch die Maschinerie verdrangten Arbeiter sind also ebenso
verganglich wie die Reichtumer dieser Welt.
Die Lebensmittel zum Betrag von 1.500 Pfd.St - standen den entlaBnen
Arbeitem niemals als Kapital gegeniiber. Was ihnen als Kapital
gegeniiberstand, waren die jetzt in Maschinerie verwandelten 1.500 Pfd.St.
Naher betrachtet, reprasentierten diese 1.500 Pfd.St. nur einen Teil der
vermittelst der entlaBnen 50 Arbeiter jahrlich produzierten Tapeten, die sie
in Geldform statt in natura von ihrem Anwender zum Lohn erhielten. Mit
den in 1.500 Pfd.St. verwandelten Tapeten kauften sie Lebensmittel zu
demselben Betrag. Diese existierten fur sie daher nicht als Kapital, sondern
als Waren, und sie selbst existierten fur diese Waren nicht als
Lohnarbeiter, sondern als Kaufer. Der Umstand, daB die Maschinerie sie
von Kaufmitteln "freigesetzt" hat, verwandelt sie aus Kaufern in Nicht-
Kaufer. Daher verminderte Nachfrage fiir jene Waren. Voila tout. 774 Wird
diese verminderte Nachfrage nicht durch vermehrte Nachfrage von andrer
Seite kompensiert, so sinkt der Marktpreis der Waren. Dauert dies langer
und in groBrem Umfange, so erfolgt ein Deplacement der in der
Produktion jener Waren beschaftigten Arbeiter. Ein Teil des Kapitals, das
friiher notwendige Lebensmittel produzierte, wird in andrer Form
reproduziert. Wahrend des Falls der Marktpreise und des Deplacements
von Kapital werden auch die in der Produktion der notwendigen
Lebensmittel beschaftigten Arbeiter von einem Teil ihres Lohns
"freigesetzt". Statt also zu beweisen, daB die Maschinerie durch die
Freisetzung der Arbeiter von Lebensmitteln letztere gleichzeitig in Kapital
zur Anwendung der erstren verwandelt, beweist der Herr Apologet mit
dem probaten Gesetz von Nachfrage und Zufuhr umgekehrt, daB die
Maschinerie nicht nur in dem Produktionszweig, worin sie eingefuhrt,
sondern auch in den Produktionszweigen, worin sie nicht eingefuhrt
wird, Arbeiter aufs Pflaster wirft.
Die wirklichen, vom okonomischen Optimismus travestierten Tatsachen
sind diese: Die von der Maschinerie verdrangten Arbeiter werden aus der
Werkstatt hinaus auf den Arbeitsmarkt, geworfen und vermehren dort die
Zahl der schon fiir kapitalistische Ausbeutung disponiblen Arbeitskrafte.
Im siebenten Abschnitt wird sich zeigen, daB diese Wirkung der
Maschinerie, die uns hier als eine Kornpensation fiir die Arbeiterklasse
dargestellt wird, den Arbeiter im Gegenteil als furchtbarste GeiBel trifft.
Hier nur dies: Die aus einem Industriezweig hinausgeworfnen Arbeiter
konnen allerdings in irgendeinem andern Beschaftigung suchen. Finden sie
solche, und knupft sich damit das Band zwischen ihnen und den mit ihnen
freigesetzten Lebensmitteln wieder, so geschieht dies vermittelst eines
neuen, zuschiissigen Kapitals, das nach Anlage drangt, keineswegs aber
veraiittelst des schon friiher funktionierenden und jetzt in Maschinerie
verwandelten Kapitals. Und selbst dann, wie geringe Aussicht haben sie!
Verkruppelt durch die Teilung der Arbeit, sind diese armen Teufel
auBerhalb ihres alten Arbeitskreises so wenig wert, daB sie nur in wenigen
niedrigen und daher bestandig iiberfiillten und unterbezahlten
Arbeitszweigen Zugang finden. 775 Ferner attrahiert jeder Industriezweig
jahrlich einen neuen Menschenstrom, der ihm sein Kontingent zum
regelmaBigen Ersatz und Wachstum liefert. Sobald die Maschinerie einen
Teil der bisher in einem bestimmten Industriezweig beschaftigten Arbeiter
freisetzt, wird auch die Ersatzmannschaft neu verteilt und in andern
Arbeitszweigen absorbiert, wahrend die urspriinglichen Opfer in der
Ubergangszeit groBenteils verkommen und verkiimmern.
Es ist eine unzweifelhafte Tatsache, daB die Maschinerie an sich nicht
verantwortlich ist fur die "Freisetzung" der Arbeiter von Lebensmitteln. Sie
verwohlfeilert und vermehrt das Produkt in dem Zweig, den sie ergreift,
und laBt die in andren Industriezweigen produzierte Lebensmittel zunachst
unverandert. Nach wie vor ihrer Einfiihrung besitzt die Gesellschaft also
gleich viel oder mehr Lebensmittel fur die deplacierten Arbeiter, ganz
abgesehn von dem enormen Teil des jahrlichen Produkts, der von
Nichtarbeitem vergeudet wird. Und dies ist die Pointe der okonomischen
Apologetik! Die von der kapitalistischen Anwendung der Maschinerie
untrennbaren Widerspriiche und Antagonismen existieren nicht, weil sie
nicht aus der Maschinerie selbst erwachsen, sondern aus ihrer
kapitalistischen Anwendung! Da also die Maschinerie an sich betrachtet
die Arbeitszeit verkiirzt, wahrend sie kapitalistisch angewandt den
Arbeitstag verlangert, an sich die Arbeit erleichtert, kapitalistisch
angewandt ihre Intensitat steigert, an sich ein Sieg des Menschen iiber die
Naturkraft ist, kapitalistisch angewandt den Menschen durch die Naturkraft
unterjocht, an sich den Reichtum des Produzenten vermehrt, kapitalistisch
angewandt ihn verpaupert usw., erklart der biirgerliche Okonom einfach,
das Ansichbetrachten der Maschinerie beweise haarscharf, daB alle jene
handgreiflichen Widerspriiche bloBer Schein der gemeinen Wirklichkeit,
aber an sich, also auch in der Theorie gar nicht vorhanden sind. Er spart
sich so alles weitre Kopfzerbrechen und biirdet seinem Gegner
obendrein die Dummheit auf, nicht die kapitalistische Anwendung der
Maschinerie zu bekampfen, sondern die Maschinerie selbst.
Keineswegs leugnet der biirgerliche Okonom, daB dabei auch zeitweihge
Unannehmlichkeiten herauskommen; aber wo gabe es eine Medaille ohne
Kehrseite! Eine andre als die kapitalistische Ausnutzung der Maschinerie
ist fur ihn unmoglich. Ausbeutung des Arbeiters durch die Maschine ist
ihm also identisch mit Ausbeutung der Maschine durch den Arbeiter. Wer
also enthiillt, wie es um die kapitalistische Anwendung der Maschinerie in
Wirklichkeit bestellt ist, der will ihre Anwendung uberhaupt nicht, der ist
ein Gegner des sozialen Fortschritts! 776 Ganz das Rasonnement des
beriihmten Gurgelschneiders Bill Sikes:
»Meine Herren Geschkwornen, diesen Handlungsreisenden ist allerdings
die Gurgel abgeschnitten worden. Diese Tatsache aber ist nicht meine
Schuld, sie ist die Schuld des Messers. Sollen wir wegen soldier
zeitweiligen Unannehmlichkeiten den Gebrauch des Messers abschaffen?
Bedenken Sie ja! Wo ware Ackerbau und Handwerk ohne Messer? Ist es
nicht ebenso heilbringend in der Chirurgie wie gelehrt in der Anatomie?
Dazu williger Gehilfe bei frohlichem Mahl? Schaffen Sie das Messer ab -
Sie schleudern uns zuriick in die tiefste Barbarei.^ 1
Obwohl die Maschinerie notwendig Arbeiter verdrangt in den
Arbeitszweigen, wo sie eingefuhrt wird, so kann sie dennoch eine
Zunahme von Beschaftigung in andern Arbeitszweigen hervorrufen. Diese
Wirkung hat aber nichts gemein mit der sogenannten
Kompensationstheorie. Da jedes Maschinenprodukt, z.B. eine Eile
Maschinengeweb, wohlfeiler ist als das von ihm verdrangte gleichartige
Handprodukt, folgt als absolutes Gesetz: Bleibt das Gesamtquantum des
maschinenmaBig produzierten Artikels gleich dem Gesamtquantum des
von ihm ersetzten handwerks- oder manufakturmaBig produzierten
Artikels, so vermindert sich die Gesamtsumme der angewandten Arbeit.
Die etwa zur Produktion der Arbeitsmittel selbst, der Maschinerie, Kohle
usw., erheischte Arbeitszunahme muB kleiner sein als die durch
Anwendung der Maschinerie bewirkte Arbeitsabnahme. Das
Maschinenprodukt ware sonst ebenso teuer oder teurer als das
Handprodukt. Statt aber gleichzubleiben, wachst tatsachlich die
Gesamtmasse des von einer verminderten Arbeiteranzahl produzierten
Maschinenartikels weit iiber die Gesamtmasse des verdrangten
Handwerksartikels. Gesetzt, 400.000 Ellen Maschinengeweb wiirden von
weniger Arbeitern produziert als 100.000 Ellen Handgeweb. In dem
vervierfachten Produkt steckt viermal mehr Rohmaterial. Die Produktion
des Rohmaterials muB also vervierfacht werden. Was aber die verzehrten
Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten, Kohlen, Maschinen usw. betrifft, so
andert sich die Grenze, innerhalb deren die zu ihrer Produktion erheischte
zusatzliche Arbeit wachsen kann, mit der Differenz zwischen der Masse
des Maschinenprodukts und der Masse des von derselben Arbeiterzahl
herstellbaren Handprodukts.
Mit der Ausdehnung des Maschinenbetriebs in einem Industriezweig
steigert sich also zunachst die Produktion in den andren Zweigen, die ihm
seine Produktionsmittel liefern. Wieweit dadurch die beschaftigte
Arbeitermasse wachst, hangt, Lange des Arbeitstags und Intensitat der
Arbeit gegeben, von der Zusammensetzung der verwandten Kapitale ab,
d.h. vom Verhaltnis ihrer konstanten und variablen Betandteile. Dies
Verhaltnis seinerseits variiert sehr mit dem Umfang, worin die Maschinerie
jene Gewerbe selbst schon ergriffen hat oder ergreift. Die Anzahl zu
Kohlen- und Metallbergwerken verurteilter Menschen schwoll ungeheuer
mit dem Fortschritt des englischen Maschinenwesens, obgleich ihr
Anwachs in den letzten Dezennien durch Gebrauch neuer Maschinerie fur
den Bergbau verlangsamt wird. 778 Eine neue Arbeiterart springt mit der
l.Nach dem Zensus von 1861 (Vol. II, Lond. 1863) betrug die Zahl der in den Kohlenbergwerken
von England und Wales beschaftigten Arbeiter 246.613, wovon 73.546 unter und 173.067 iiber 20 Jahre.
Zur ersten Rubrik gehoren 835 fiinf- bis zehnjiihrige, 30.701 zehn- bis fiinfzehnjahrige, 42.010 funfzehn-
bis neunzehnjahrige. Die Zahl der in Eisen-, Kupfer-, Blei-, Zinn- und alien andren Metallminen
Beschaftigten: 319.222.
2. In England und Wales 1861 in der Produktion von Maschinerie beschaftigt: 60.807 Personen,
eingezahlt die Fabrikanten samt ihren Kommis usw., ditto alle Agenten und Handelsleute in diesem Fach.
Ausgeschlossen dagegen die Produzenten kleinerer Maschinen, wie Nahnaschinen usw., ebenso die
Maschine ins Leben, ihr Produzent. Wir wissen bereits, daB der
Maschinenbetrieb sich dieses Produktionszweigs selbst auf stets
massenhafterer Stufenleiter bernachtigt. 779 Was ferner das Rohmaterial
betrifft 780 , so unterliegt es z.B. keinem Zweifel, daB der Sturmmarsch der
Baumwollspinnerei den Baumwollbau der Vereinigten Staaten und mit
ihm nicht nur den afrikanischen Sklavenhandel treibhausmaBig forderte,
sondern zugleich die Negerzucht zum Hauptgeschaft der sogenannten
Grenz-Sklaven staaten machte. Als 1790 der erste Sklavenzensus in den
Vereinigten Staaten aufgenommen ward, betrug ihre Zahl 697.000,
Produzenten der Werkzeuge fur die Arbeitsmaschinen, wie Spindeln usw. Zahl samtlicher Zivilingenieure
betrag 3.329.
3. Da Eisen einer der wichtigsten Rohstoffe, so sei hier bemerkt, daB 1861 in England und Wales
125.771 EisengieBer, wovon 123.430 mannlich, 2.341 weiblich. Von den erstern 30.810 unter und 92.620
iiber 20 Jahre.
l.»Eine Familie von 4 erwachsnen Personen (Baurnwoll webern) mit zwei Kindern als winders
[Haspler] gewann Ende des letzten und Anfang des genwdrtigen Jahrhunderts 4 Pfd.St. per Woche bei
lOstiindiger Tagesarbeit; war die Arbeit sehr dringend, so konnten sie mehr verdienen ... Fruher
hatten sie immer gelitten von mangelnder Garnzufuhr.« (Gaskell, I.e. p. 34, 35.)
l.F. Engels in "Lage usw." [siehe MEW, Band 2] weist den jammerlichen Zustand eines groBen
Teils grade dieser Luxusarbeiter nach. Massenhafte neue Belege hierzu in den Berichten der "Child. Empl.
Comm."
2.1861 in England und Wales 94.665 in der Handelsmarine beschaftigte Seeleute.
l.Davon nur 177.596 mannlichen Geschlechts iiber 13 Jahre.
l.Davon weiblichen Geschlechts 30.501.
l.Davon mannlichen Geschlechts: 137.447. Ausgeschlossen von den 1.208.648 alles Personal, das
nicht in Privathiiusern dient.
dagegen 1861 ungefahr vier Millionen. Andrerseits ist es nicht minder
gewiB, daB das Aufbliihen der mechanischen Wollfabrik mit der
progressiven Verwandlung von Ackerland in Schafweide die massenhafte
Vertagung und "Uberzahligmachung" der Landarbeiter hervorrief. Irland
macht noch in diesem Augenblick den ProzeB durch, seine seit 1845
beinahe um die Halfte verminderte Bevolkerung noch weiter auf das dem
Bedurfnis seiner Landlords und der englischen Herrn Wollfabrikanten
exakt entsprechende MaB herabzudriicken.
Ergreift die Maschinerie Vor- oder Zwischenstufen, welche ein
Arbeitsgegenstand bis zu seiner letzten Form zu durchlaufen hat, so
vermehrt sich mit dem Arbeitsmaterial die Arbeitsnachfrage in den noch
handwerks- oder manufakturmaBig betriebnen Gewerken, worin das
Maschinenfabrikat eingeht. Die Maschinenspinnerei z.B. lieferte das Garn
so wohlfeil und so reichlich, daB die Handweber zunachst, ohne vermehrte
Auslage, voile Zeit arbeiten konnten. So stieg ihr Einkommen. 781 Daher
MenschenzufluB in die Baumwollweberei, bis schlieBlich die von Jenny,
Throstle und Mule in England z.B. ins Leben gerufnen 800.000
Baumwollweber wieder vom Dampfwebstuhl erschlagen wurden. So
wachst mit dem UberfluB der maschinenmaBig produzierten
Kleidungsstoffe die Zahl der Schneider, Kleidermacherinnen, Naherinnen
usw., bis die Nahmaschine erscheint.
Entsprechend der steigenden Masse von Rohstoffen, Halbfabrikaten,
Arbeitsinstrumenten usw., die der Maschinenbetrieb mit relativ geringer
Arbeiterzahl liefert, sondert sich die Bearbeitung dieser Rohstoffe und
Halbfabrikate in zahllose Unterarten, wachst also die Mannigfaltigkeit der
gesellschaftlichen Produktionszweige. Der Maschinenbetrieb treibt die
gesellschaftliche Teilung der Arbeit ungleich weiter als die Manufaktur,
weil er die Produktivkraft der von ihm ergriffnen Gewerbe in ungleich
hohrem Grad vermehrt.
Das nachste Resultat der Maschinerie ist, den Mehrwert und zugleich die
Produktenmasse, worin er sich darstellt, also mit der Substanz, wovon die
Kapitalistenklasse samt Anhang zehrt, diese Gesellschaftsschichten selbst
zu vergroBern. Ihr wachsender Reichtum und die relativ bestandig fallende
Anzahl der zur Produktion der ersten Lebensmittel erheischten Arbeiter
erzeugen mit neuem Luxusbediirfnis zugleich neue Mittel seiner
Befriedigung. Ein groBrer Teil des gesellschaftlichen Produkts verwandelt
sich in Surplusprodukt und ein groBter Teil des Surplusprodukts wird in
verfeinerten und vermannigfachten Formen reproduziert und verzehrt. Mit
andren Worten: Die Luxusproduktion wachst. 782 Die Verfeinerung und
Vermannigfachung der Produkte entspringt ebenso aus den neuen
weltmarktlichen Beziehungen, welche die groBe Industrie schafft. Es
werden nicht nur mehr auslandische GenuBmittel gegen das heimische
Produkt ausgetauscht, sondern es geht auch eine groBre Masse fremder
Rohstoffe, Ingredienzien, Halbfabrikate usw. als Produktionsmittel in die
heimische Industrie ein. Mit diesen weltmarktlichen Beziehungen steigt die
Arbeitsnachfrage in der Transportindustrie und spaltet sich letztre in
zahlreiche neue Unterarten. 783
Die Vermehrung von Produktions- und Lebensmitteln bei relativ
abnehmender Arbeiterzahl treibt zur Ausdehnung der Arbeit in
Industriezweigen, deren Produkte, wie Kanale, Warendocks, Tunnels,
Bracken usw., nur in fernrer Zukunft Friichte tragen. Es bilden sich,
entweder direkt auf der Grundlage der Maschinerie, oder doch der ihr
entsprechenden allgemeinen industriellen Umwalzung, ganz neue
Produktionszweige und daher neue Arbeitsfelder. Ihr Raumanteil an der
Gesamtproduktion ist jedoch selbst in den meistentwickelten Landern
keineswegs bedeutend. Die Anzahl der von ihnen beschaftigten Arbeiter
steigt im direkten Verhaltnis, worin die Notwendigkeit rohster Handarbeit
reproduziert wird. Als Hauptindustrien dieser Art kann man gegenwartig
Gaswerke, Telegraphie, Photographie, Dampfschiffahrt und
Eisenbahnwesen betrachten. DerZensus von 1861 (fur England und
Wales) ergibt in der Gasindustrie (Gaswerke, Produktion der
mechanischen Apparate, Agenten der Gaskompagnien usw.) 15.211
Personen, Telegraphie 2.399, Photographie 2.366, Dampfschiffdienst 3.570
und Eisenbahnen 70.599, woranter ungefahr 28.000 mehr oder minder
permanent beschaftigte "ungeschickte" Erdarbeiter nebst dem ganzen
adrninistrativen und kommerziellen Personal. Also Gesamtzahl der
Individuen in diesen fiinf neuen Industrien 94.145.
Endlich erlaubt die auBerordentlich erhohte Produktivkraft in den Spharen
der groBen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv
gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in alien ubrigen
Produktionsspharen, einen stets groBten Teil der Arbeiterklasse
unproduktiv zu verwenden und so namentlich die alten Haussklaven unter
dem Namen der "dienenden Klasse", wie Bediente, Magde, Lakaien usw.,
stets massenhafter zu reproduzieren. Nach dem Zensus von 1861 zahlte die
Gesamtbevolkerung von England und Wales 20.066.224 Personen, wovon
9.776.259 mannlich und 10.289.965 weiblich. Zieht man hiervon ab, was zu
alt oder zu jung zur Arbeit, alle "unproduktiven" Weiber, Jungen Personen
und Kinder, dann die "ideologischen" Stande, wie Regierung, Pfaffen,
Juristen, Militar usw., ferner alle, deren ausschlieBliches Geschaft der
Verzehr fremder Arbeit in der Form von Grundrente, Zins usw., endlich
Paupers, Vagabunden, Verbrecher usw., so bleiben in rauher Zahl 8
Millionen beiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, mit
EinschluB samtlicher irgendwie in der Produktion, dem Handel, der Finanz
usw. funktionierenden Kapitalisten. Von diesen 8 Millionen kommen auf:
Ackerbauarbeiter (mit EinschluB der Hirten
und bei
Pachtern wohnenden Ackersknechte und Magde) 1.098.261
Personen
Alle in Baumwoll-, Woll-, Worsted-, Flachs-,
Hanf-,
Seide-, Jutefabriken und in der
mechanischen
Strumpfwirkerei und Spitzenfabrikation Beschaftigten 642.607 784 '
Alle in Kohlen- und Metallbergwerken Beschaftigten 565.835
In samtlichen Metallwerken (Hochofen,
Walzwerke
usw.) und Metallmanufakturen aller Art Beschaftigten 396.998 785 "
Dienende Klasse 1.208.648 786 "
Rechnen wir die in alien textilen Fabriken Beschaftigten zusammen mit
dem Personal der Kohlen- und Metallbergwerke, so erhalten wir 1.208.442
rechnen wir sie zusammen mit dem Personal aller Metallwerke und
Manufakturen, so die Gesamtzahl 1.039.605, beidemal kleiner als die Zahl
der modernen Haussklaven. Welch erhebendes Resultat der kapitalistisch
exploitierten Maschinerie!
7. Repulsion und Attraktion von Arbeitern mit Entwicklung des
Maschinenbetriebs. Krisen der Baumwollindustrie
Alle zurechnungsfahigen Reprasentanten der politischen Okonomie
geben zu, daB neue Einfiihrung der Maschinerie pestartig wirkt auf die
Arbeiter in den uberlieferten Handwerken und Manufakturen, womit sie
zunachst konkurriert. Fast alle beachzen die Sklaverei des Fabrikarbeiters.
Und was ist der groBe Trumpf, den alle ausspielen? DaB die Maschinerie,
nach den Schrecken ihrer Einfuhrungs- und Entwicklungsperiode, die
Arbeitssklaven in letzter Instanz vermehrt, statt sie schlieBlich zu
vermindern! Ja, die politische Okonomie jubelt sich aus in dem
abscheulichen Theorem, abscheulich fur jeden "Philanthropen", der an die
ewige Natumotwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise glaubt,
daB selbst die bereits auf Maschinenbetrieb begriindete Fabrik, nach
bestimmter Periode des Wachstums, nach kiirzrer oder langrer
"Ubergangszeit", mehr Arbeiter abplackt, als sie urspriinglich aufs Pflaster
warf! 787 "
l.Ganilh betrachtet dagegen als SchluBresultat des Maschinenbetriebs absolut verminderte Anzahl
der Arbeitssklaven, auf deren Kosten dann eine vermehrte Anzahl der "gens honnetes" [ "anstandigen Leute"]
zehrt und ihre bekannte "perfectibilite perfectible" ["vervollkommnungsfahige
Vervollkommnungsfahigkeit"] entwickelt. So wenig er die Bewegung der Produktion versteht, fiihlt er
wenigstens, daB die Maschinerie eine sehr fatale Institution, wenn ihre Einfiihrung beschaftigte Arbeiter in
Paupers verwandelt, wahrend ihre Entwicklung mehr Arbeitssklaven ins Leben ruft, als sie erschlagen hat.
Den Kretinismus seines eignen Standpunkts kann man nur in seinen eignen Worten ausdriicken: »Die
Klassen, die dazu verdammt sind, zu produzieren und zu konsumieren, vermindern sich, und die
Klassen, die die Arbeit leiten, der ganzen Bevolkerung Linderung, Trost und Einsicht bringen,
vermehren sich ... und eignen sich alle Vorteile an, die sich aus der Verringerung der Arbeitskosten,
dem Uberflufi an Waren und dem niedrigen Preis der Konsumgiiter ergeben. Unter dieser Leitung
erhebt sich das Menschengeschlecht zu den hochsten Schopfungen des Genies, durchdringt die
geheimnisvollen Tiefen der Religion, stellt die heilsamen Grundsatze der Moral auf [die darin besteht
»sich alle Vorteile anzueignen usw.«\ die Gesetze zum Schutze der Freiheit [der Freiheit fiir »die
Klassen, die dazu verdammt sind, zu produzieren«l\ und der Macht, des Gehorsams und der
Gerechtigkeit, der Pflicht und der Menschlichkeit.« Dies Kauderwelsch in "Des Systemes d'Economie
Zwar zeigte sich schon an einigen Beispielen, z.B. den englischen Worsted-
und Seidenfabriken, daB auf einem gewissen Entwicklungsgrad
auBerordentliche Ausdehnung von Fabrikzweigen mit nicht nur relativer,
sondem absoluter Abnahme der angewandten Arbeiteranzahl verbunden
sein kann. 788 Im Jahr 1860, als ein Spezialzensus aller Fabriken des
Vereinigten Konigreichs auf Befehl des Parlaments aufgenommen ward,
zahlte die dem Fabrikinspektor R. Baker zugewiesne Abteilung der
Fabrikdistrikte von Lancashire, Cheshire und Yorkshire 652 Fabriken; von
diesen enthielten 570: Dampfwebstuhle 85.622, Spindeln (mit AusschluB
der Dublierspindeln) 6.819.146, Pferdekraft in Dampfmaschinen 27.439, in
Wasserradern 1.390, beschaftigte Personen 94.119. Im Jahr 1865 dagegen
enthielten dieselben Fabriken: Webstuhle 95.163, Spindeln 7.025.031,
Pferdekraft in Dampfmaschinen 28.925, in Wasserradern 1.445,
beschaftigte Personen 88.913. Von 1860 bis 1865 betrug also die Zunahme
dieser Fabriken an Dampfwebstuhlen 11 %, an Spindeln 3%, an
Dampfpferdekraft 5,5% wahrend gleichzeitig die Zahl der beschaftigten
Personen um 5,5% abnahm. 789 Zwischen 1852 und 1862 fand
betrachtliches Wachstum der englischen Wollfabrikation statt, wahrend die
Zahl der angewandten Arbeiter beinahe stationar blieb.
»Dies zeigt, in wie grofiem Mafie neu eingefuhrte Maschinerie die Arbeit
vorhergehender Perioden verdrdngt hatte.« 19{l
Politique etc." Par M.Ch. Ganilh, 2eme ed„ Paris 1821, t.I, p. 224, cf. ib p.212.
1 .siehe MEW, Band 23, S .438/439
2. "Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p. 58 sq. Gleichzeitig war aber auch schon die
materielle Grundlage fur Beschaftigung einer wachsenden Arbeiterzahl gegeben in 110 neuen Fabriken mit
11.625 Dampfwebstuhlen, 628.576 Spindeln, 2.695 Dampf- und Wasser-Pferdekraft. (I.e.)
l."Reports etc. for 31st Oct. 1862", p.79.
2.Zusatz zur 2. Ausg. Ende Dezember 1871 sagte Fabrikinspektor A. Redgrave in einem Vortrag, gehalten
zu Bradford, in der "New Mechanics' Institution": » Was rnich seit einiger Zeitfrappiert hat, war die
veranderte Erscheinung der Wollfabriken. Friiher waren sie mit Weibern und Kindern gefullt, jetzt
scheint die Maschinerie alles Werk zu tun. Auf Anfrage gab mir ein Fabrikant folgenden Aufschlufi:
Unter dem alten System beschaftigte ich 63 Personen; nach Einfiihrung verbesserter Maschinerie
reduzierte ich meine Hande auf 33, und jiingst, infolge neuer grofier Veranderungen war ich imstande,
sie von 33 auf 13 zu reduzieren.«
1. "Reports etc. for 3 1st Oct. 1856", p. 16.
l."Die Leiden der Handweber" (von Baumwolle und mit Baumwolle gemischten Stoffen) »waren
In empirisch gegebnen Fallen ist die Zunahme der beschaftigten
Fabrikarbeiter oft nur scheinbar, d.h. nicht der Ausdehnung der bereits auf
Maschinenbetrieb beruhenden Fabrik geschuldet, sondern der
allmahlichen Annexation von Nebenzweigen. Z.B. die Zunahme der
mechanischen Webstuhle und der durch sie beschaftigten Fabrikarbeiter
von 1838-1858 war in der (britischen) Baumwollfabrik einfach der
Ausdehnung dieses Geschaftszweigs geschuldet; in den andren Fabriken
dagegen der Neuanwendung von Dampfkraft auf den Teppich, Band-,
Leinenwebstuhl usw., die vorher durch menschliche Muskelkraft getrieben
wurden. 791 Die Zunahme dieser Fabrikarbeiter war also nur der Ausdruck
einer Abnahme in der Gesamtzahl der beschaftigten Arbeiter. Es wird hier
endlich ganz davon abgesehn, daB uberall, mit Ausnahme der
Metallfabriken, jugendliche Arbeiter (unter 18 Jahren), Weiber und Kinder
das weit vorwiegende Element des Fabrikpersonals bilden.
Man begreift jedoch, trotz der vom Maschinenbetrieb faktisch verdrangten
und virtuell ersetzten Arbeitermasse, wie mit seinem eignen Wachstum,
ausgedriickt in vermehrter Anzahl von Fabriken derselben Art oder den
erweiterten Dimensionen vorhandner Fabriken, die Fabrikarbeiter
schlieBlich zahlreicher sein konnen als die von ihnen verdrangten
Manufakturarbeiter oder Handwerker. Das wochentlich angewandte
Kapital von 500 Pfd.St. bestehe z.B. in der alten Betriebsweise aus 2/g
konstantem und 3/g variablem Bestandteil, d.h. 200 Pfd.St. seien in
Produktionsmitteln ausgelegt, 300 Pfd.St. in Arbeitskraft, sage 1 Pfd.St. per
Arbeiter. Mit dem Maschinenbetrieb verwandelt sich die
Zusammensetzung des Gesamtkapitals. Es zerfallt jetzt z. B. in 4/g
konstanten und V5 variablen Bestandteil, oder es werden nur noch 100
Pfd. St. in Arbeitskraft ausgelegt. Zwei Drittel der friiher beschaftigten
Arbeiter werden also entlassen. Dehnt sich dieser Fabrikbetrieb aus und
wachst bei sonst gleichbleibenden Produktionsbedingungen das
angewandte Gesamtkapital von 500 auf 1.500, so werden jetzt 300 Arbeiter
beschaftigt, so viele wie vor der industriellen Revolution. Wachst das
angewandte Kapital weiter auf 2.000, so werden 400 Arbeiter beschaftigt,
also V3 mehr als mit der alten Betfiebsweise. Absolut ist die angewandte
Arbeiterzahl um 100 gestiegen, relativ, d.h. im Verhaltnis zum
vorgeschoBnen Gesamtkapital, ist sie um 800 gefallen, denn das Kapital
von 2.000 Pfd. St. hatte in der alten Betriebsweise 1.200 statt 400 Arbeiter
beschaftigt. Relative Abnahme der beschaftigten Arbeiterzahl vertragt sich
also mit ihrer absoluten Zunahme. Es wurde oben angenommen, daB mit
dem Wachstum des Gesamtkapitals seine Zusammensetzung konstant
bleibt, weil die Produktionsbedingungen. Man weiB aber bereits, daB mit
jedem Fortschritt des Maschinenwesens der konstante, aus Maschinerie,
Rohmaterial usw. bestehende Kapitalteil wachst, wahrend der variable, in
Arbeitskraft ausgelegte fallt, und man weiB zugleich, daB in keiner andren
Betriebsweise die VerbeBrung so konstant, daher die Zusammensetzung
des Gesamtkapitals so variabel ist. Dieser bestandige Wechsel ist aber
ebenso bestandig unterbrochen durch Ruhepunkte und bloB quantitative
Ausdehnung auf gegebner technischer Grundlage. Damit wachst die
Anzahl der beschaftigten Arbeiter. So betrug die Anzahl aller Arbeiter in
den Baumwoll-, Woll-, Worsted-, Flachs- und Seidenfabriken des
Vereinigten Konigreichs 1835 nur 354.684, wahrend 1861 allein die Zahl
der Dampfweber (beiderlei Geschlechts und der verschiedensten
Altersstufen vom 8. Jahr an) 230.654 betrug. Allerdings erscheint dies
Wachstum minder groB, wenn man erwagt, daB die britischen
Handbaumwollweber mit den von ihnen selbst beschaftigten Famihen
1838 noch 800.000 zahlten 792 , ganz abgesehn von den in Asien und auf
dem europaischen Kontinent verdrangten.
In den wenigen Bemerkungen, die iiber diesen Punkt noch zu machen,
beriihren wir zum Teil rein tatsachlich Verhaltnisse, wozu unsre
theoretische Darstellung selbst noch nicht gefuhrt hat.
Solange sich der Maschinenbetrieb in einem Industriezweig auf Kosten des
iiberlieferten Handwerks oder der Manufaktur ausdehnt, sind seine Erfolge
so sicher, wie etwa der Erfolg einer mit dem Zundnadelgewehr
bewaffneten Armee gegen eine Armee von Bogenschiitzen ware. Diese
erste Periode, worin die Maschine erst ihren Wirkungskreis erobert, ist
entscheidend wichtig wegen der auBerordentlichen Profite, die sie
produzieren hilft. Diese bilden nicht nur an und fiir sich eine Quelle
beschleunigter Akkumulation, sondern Ziehen groBen Teil des bestandig
neugebildeten und nach neuer Anlage drangenden gesellschaftlichen
Zusatzkapitals in die begunstigte Produktionssphare. Die besondren
Vorteile der ersten Sturm- und Drangperiode wiederholen sich bestandig in
den Produktionszweigen, worin die Maschinerie neu eingefuhrt wird.
Sobald aber das Fabrikwesen eine gewisse Breite des Daseins und
bestimmten Reifegrad gewonnen hat, sobald namentlich seine eigne
technische Grundlage, die Maschinerie, selbst wieder durch Maschinen
produziert wird, sobald Kohlen- und Eisengewinnung wie die
Verarbeitung der Metalle und das Transportwesen revolutioniert,
iiberhaupt die der groBen Industrie entsprechenden allgemeinen
Produktionsbedingungen hergestellt sind, erwirbt diese Betriebsweise eine
Elastizitat, eine plotzliche sprungweise Ausdehnungsfahigkeit, die nur an
dem Rohmaterial und dem Absatzmarkt Schranken findet. Die
Maschinerie bewirkt einerseits direkte Vermehrung des Rohmaterials, wie
z.B. der cotton gin die Baumwollproduktion vermehrte. 793 Andrerseits sind
Wohlfeilheit des Maschinenprodukts und das umgewalzte Transport- und
Kommunikationswesen Waffen zur Erobrung fremder Markte. Durch den
Ruin ihres handwerksmaBigen Produkts verwandelt der Maschinenbetrieb
sie zwangsweise in Produktionsfelder seines Rohmaterials. So wurde
Ostindien zur Produktion von Baumwolle, Wolle, Hanf, Jute, Indigo usw.
fiir GroBbritannien gezwungen. m Die bestandige "Uberzahhgmachung"
1. Andre Methoden, wodurch die Maschinerie auf die Produktion des Rohmaterials einwirkt,
werden im Dritten Buch erwahnt.
2.Baumwollausfuhr von Ostindien nach GroBbritannien
3.1846 34.540.143 Pfd. 1860 204.141.168 Pfd. 1865 445.947.600 Pfd.
der Arbeiter in den Landern der groBen Industrie befordert
treibhausmaBige Auswandrung und Kolonisation fremder Lander, die sich
in Pflanzstatten fiir das Rohmaterial des Mutterlands verwandeln, wie
Australien z.B. in eine Pflanzstatte von Wolle. 795 Es wird eine neue, den
Hauptsitzen des Maschinenbetriebs entsprechende internationale Teilung
der Arbeit geschaffen, die einen Teil des Erdballs in vorzugsweis agrikoles
Produktionsfeld fiir den andern als vorzugsweis industrielles
Produktionsfeld umwandelt. Diese Revolution hangt zusammen mit
Umwalzungen in der Agrikultur, die hier noch nicht weiter zu erortern
sind. 796
4.Wollausfuhr von Ostindien nach GroBbritannien
5.1846 4.570.581 Pfd. 1860 20.214.173 Pfd. 1865 20.679.111
Pfd.
6.Wollausfuhr vom Kap der Guten Hoffnung nach GroBbritannien
7.1846 4.570.581 Pfd. 1860 20.214.173 Pfd. 1865 20.679.111 Pfd.
8.Wollausfuhr von Australien nach GroBbritannien
9.1846 21.789.346 Pfd. 1860 59.166.616 Pfd. 1865
109.734.261 Pfd.
lO.Die okonomische Entwicklung der Vereinigten Staaten ist selbst ein Produkt der europaischen,
naher englischen groBen Industrie. In ihrer jetzigen Gestalt (1866) miissen sie stets noch als Kolonialland
von Europa betrachtet werden. (Zur 4. Aufl. Seitdem haben sie sich zum zweiten Industrieland der Welt
entwickelt, ohne darum ihren Kolonialcharakter ganz eingebuBt zu haben. - F. E.)
12.Baumwollausfuhr der Vereinigten Staaten nach GroBbritannien (in Pfd.)
13.1846 401.949.393 1852 765.630.544
14.1859 961.707.264 1860 1.115.890.608
15.Ausfuhr von Korn usw. aus den Vereinigten Staaten nach GroBbritannien (1850 und 1862)
16.Weizen cwts 1850 16.202.312 1862 41.033.503
17.Gerste cwts 1850 3.669.653 1862 6.624.800
18.Hafer cwts 1850 3.174.801 1862 4.426.994
19.Roggen cwts 1850 388.749 1862 7.108
20.Weizenmehl cwts 1850 3.819.440 1862 7.207.113
21.Buchweizen cwts 1850 1.054 1862 19.571
22.Mais cwts 1850 5.473.161 1862 11.694.818
23.Bere oder Bigg
24.(bes. Gerstenart) cwts 1850 2.039 1862 7.675
25.Erbsen cwts 1850 811.620 1862 1.024.722
26.Bohnen cwts 1850 1.822.972 1862 2.037.137
27.Gesamteinfuhr cwts 1850 35.365.801 1862 74.083.441
l.Die Angaben entnahm Marx dem Parlamentsbericht "Corn, grain and meal. Return to an order of
the Honourable the House of Commons, dated 18 February 1867".
Auf Antrieb des Herrn Gladstone verordnete das Haus der Gemeinen am
18. Februar 1867 eine Statistik iiber samtliche von 1831-1866 in das
Vereinigte Konigreich eingefiihrte und ausgefiihrte Kornfrucht, Getreide
und Mehl aller Art. Ich gebe nachstehend das zusammenfassende Resultat.
Das Mehl ist auf Quarters Korn reduziert. 797 (S. Tabelle am Ende dieses
Unterkapitels 7.)
l.In einem Aufruf der von den Schuhfabrikanten zu Leicester durch einen "lock out" aufs Pflaster
geworfnen Arbeiter an die "Trade Societies of England", Juli 1866, heiBt es u.a.: »Seit etwa 20 Jahren
wurde die Schuhmacherei in Leicester umgewdlzt durch Einfuhrung des Nietens statt des Ndhens. Gute
Lohne konnten damals verdient werden. Bald dehnte sich dies neue Geschdft sehr aus. Grofie
Konkurrenz zeigte sich unter den verschiednen Firmen, welche den geschmackvollsten Artikel liefern
konne. Kurz nachher jedoch entsprang eine schlechtre Art Konkurrenz, ndmlich die, einander imMarkt
zu unterverkaufen (undersell). Die schadlichen Folgen offenbarten sich bald in Lohnherabsetzung, und
so reifiend schnell war der Fall im Preise der Arbeit, dafi viele Firmen jetzt nur noch die Halfte des
urspriinglichen Lohns zahlen. Und dennoch, obgleich die Lohne tiefer und tiefer sinken, scheinen die
Profite mit jeder Andrung des Arbeitstarifs zu wachsen.« - Selbst ungiinstige Perioden der Industrie
werden von den Fabrikanten benutzt, um durch ubertriebne Lohnherabsetzung, d.h. direkten Diebstahl an den
notwendigsten Lebensmitteln des Arbeiters, auBerordentliche Profite zu machen. Ein Beispiel. Es handelt
sich um die Krise in der Seidenweberei zu Coventry. »Aus Nachweisen, die ich sowohl von Fabrikanten als
Arbeitern erhielt, folgt zweifelsohne, daB die Lohne in einem groBten Umfang verkiirzt wurden, als die
Konkurrenz auslandischer Produzenten oder andre Umstande ernotigten. Die Majoritat der Weber arbeitet
zu einer Lohnherabsetzung von 30 bis 40%. Ein Stiick Band, wofiir der Weber fiinf Jahre fruher 6 oder 7 sh.
erhielt, bringt ihm jetzt nur 3 sh. 3 d. oder 3 sh. 6 d. ein; andre Arbeit, fruher zu 4 sh. und 4 sh. 3 d. bezahlt,
erhalt jetzt nur 2 sh. oder 2 sh. 3 d. Die Lohnherabsetzung ist groBer, als zum Stachel der Nachfrage
erheischt ist. In der Tat, bei vielen Arten von Band war die Lohnherabsetzung nicht einmal begleitet von
irgendeiner Herabsetzung im Preise des Artikels." (Bericht des Kommissars F.D. Longe in "Ch. Emp.
Coram, V. Rep. 1866", p.H4,n.l.)
1 .Koalitionsgesetze - In den Jahren 1799 und 1800 nahm das englische Parlament Gesetze an.,
denen zufolge die Griindung und Tatigkeit jeglicher Arbeiterorganisationen verboten wurden. Diese
Gesetze wurden 1824 vom Parlament wieder aufgehoben, jedoch schrankten auch danach die Behorden die
Tatigkeit der Arbeiterverbande stark ein. Insbesondere wurde die Agitation fur den Eintritt von Arbeitern in
eine Organisation und fur die Teilnahme an Streiks als "Notigung" und "Zwang" angesehen und wie ein
kriminelles Verbrechen bestraft.
l.Vgl. "Reports of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1862", p.30.
2.1.c.p.l8, 19.
3."Reports of Fact, for 31st. Oct. 1863". p.41-45, 51.
1. "Reports etc. 31st Oct. 1863", p.41, 42.
l.l.c.p.57.
2.Experimente an einem wertlosen Korper
l.l.c.p.50,51.
l.Krempel
l.l.c.p.62, 63.
l.Hemdenstoffe
2."Reports etc. 30th April 1864", p.27.
l.Aus Brief des Chief Constable [Polizeichefs] Harris von Bolton in "Reports of Insp. of Fact., 31st
Oct. 1865",p.61,62.
Die ungeheure, stoBweise Ausdehnbarkeit des Fabrikwesens und Seine
Abhangigkeit vom Weltmarkt erzeugen notwendig fieberhafte Produktion
und darauf folgende Uberfiillung der Markte, mit deren Kontraktion
Lahmung eintritt. Das Leben der Industrie verwandelt sich in eine
Reihenfolge von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Prosperitat,
Uberproduktion, Krise und Stagnation. Die Unsicherheit und Unstetigkeit,
denen der Maschinenbetrieb die Beschaftigung und damit die Lebesnslage
des Arbeiters unterwirft, werden normal mit diesem Periodenwechsel des
industriellen Zyklus. Die Zeiten der Prosperitat abgerechnet, rast zwischen
den Kapitalisten heftigster Kampf um ihren individuellen Raumanteil am
Markt. Dieser Anteil steht in direktem Verhaltnis zur Wohlfeilheit des
Produkts. AuBer der hierdurch erzeugten Rivalitat im Gebrauch
verbesserter, Arbeitskraft ersetzender Maschinerie und neuer
Produktionsmethoden tritt jedesmal ein Punkt ein, wo Verwohlfeilerung
der Ware durch gewaltsamen Druck des Arbeitslohnes unter den Wert der
Arbeitskraft erstrebt wird. 798
Wachstum in der Anzahl der Fabrikarbeiter ist also bedingt durch
proportionell viel raschres Wachstum des in den Fabriken angelegten
Gesamtkapitals. Dieser ProzeB vollzieht sich aber nur innerhalb der Ebb-
und Flutperioden des industriellen Zyklus. Er wird zudem stets
unterbrochen durch den technischen Fortschritt, der Arbeiter bald virtuell
ersetzt, bald faktisch verdrangt. Dieser qualitative Wechsel im
Maschinenbetrieb entfernt bestandig Arbeiter aus der Fabrik oder
verschlieBt ihr Tor dem neuen Rekrutenstrom, wahrend die bloB
quantitative Ausdehnung der Fabriken neben den Herausgeworfnen
frische Kontingente verschlingt. Die Arbeiter werden so fortwahrend
repelhert und attrahiert, hin- und hergeschleudert, und dies bei
bestandigem Wechsel in Geschlecht, Alter und Geschick der
Angeworbnen.
Die Schicksale des Fabrikarbeiters werden am besten veranschaulicht
durch raschen Uberblick der Schicksale der englischen Baumwollindustrie.
Von 1770 bis 1815 Baumwollindustrie gedriickt oder stagnant 5 Jahre.
Wahrend dieser ersten 45jahrigen Periode besaBen die enghschen
Fabrikanten das Monopol der Maschinerie und des Weltmarkts. 1815 bis
1821 gedriickt, 1822 und 1823 prosperierend, 1824 Aufhebung der
Koalitionsgesetze 799 , allgemeine groBe Ausdehnung der Fabriken, 1825
Krise; 1826 groBes Elend und Aufstande unter den Baumwollarbeitern;
1827 leise BeBrung, 1828 groBer Anwachs von Dampfwebstiihlen und
Ausfuhr; 1829 iibergipfelt die Ausfuhr, besonders nach Indien, alle friihren
Jahre; 1830 uberfullte Markte, groBer Notstand, 1831 bis 1833
fortdauernder Druck; der Handel nach Ostasien (Indien und China) wird
dem Monopol der Ostindischen Kompanie entzogen. 1834 groBes
Wachstum von Fabriken und Maschinerie, Mangel an Handen. Das neue
Armengesetz befordert die Wandrung der Landarbeiter in die
Fabrikdistrikte. Fegung der landlichen Grafschaften von Kindern. WeiBer
Sklavenhandel. 1835 groBe Prosperitat. Gleichzeitige Tothungrung der
Baumwollhandweber. 1836 groBe Prosperitat. 1837 und 1838 gedriickter
Zustand und Krise. 1839 Wiederaufleben. 1840 groBe Depression,
Aufstande, Einschreiten des Militars. 1841 und 1842 furchtbares Leiden
der Fabrikarbeiter. 1842 schlieBen die Fabrikanten die Hande von den
Fabriken aus, um den Widerruf der Korngesetze zu erzwingen. Die
Arbeiter stromen zu vielen Tausenden nach Yorkshire, vom Militar
zuriickgetrieben, ihre Fiihrer vor Gericht zu Lancaster gestellt. 1843 groBes
Elend. 1844 Wiederaufleben. 1845 groBe Prosperitat. 1846 erst
fortdauernder Aufschwung, dann Symptome der Reaktion. Widerruf der
Korngesetze. 1847 Krise. Allgemeine Herabsetzung der Lohne um 10 und
mehr Prozent zur Feier des "big loaf" 1848 fortdauernder Druck.
Manchester unter militarischem Schutz. 1849 Wiederaufleben. 1850
Pro speritat. 1851 fallende Warenpreise, niedrige Lohne, haufige strikes.
1852 beginnende VerbeBrung. Fortdauer der strikes, Fabrikanten drohn mit
Import fremder Arbeiter. 1853 steigende Ausfuhr. Achtmonatlicher strike
und groBes Elend zu Preston. 1854 Prosperitat, Uberfullung der Markte.
1855 Berichte von Bankerotten stromen ein aus den Vereinigten Staaten,
Kanada, ostasiatischen Markten. 1856 groBe Prosperitat. 1857 Krise. 1858
VerbeBrung. 1859 groBe Prosperitat, Zunahme der Fabriken. 1860 Zenit
der englischen Baumwollindustrie. Indische, australische und andre Markte
so uberfuhrt, daB sie noch 1863 kaum den ganzen Quark absorbiert haben.
Franzosischer Handelsvertrag. Enormes Wachstum von Fabriken und
Maschinerie. 1861 Aufschwung dauert Zeitlang fort, Reaktion,
Amerikanischer Biirgerkrieg, Baumwollnot. 1862 bis 1863 vollstandiger
Zusammenbruch.
Die Geschichte der Baumwollnot ist zu charakteristisch, um nicht einen
Augenblick dabei zu verweilen. Aus den Andeutungen der Zustande des
Weltmarkts 1860 bis 1861 ersieht man, daB die Baumwollnot den
Fabrikanten gelegen kam und zum Teil vorteilhaft war, eine Tatsache,
anerkannt in Berichten der Manchester Handelskammer, im Parlament
proklamiert von Palmerston und Derby, durch die Ereignisse bestatigt. 800
Allerdings gab es 1861 unter den 2.887 Baumwollfabriken des Vereinigten
Konigreichs viel kleine. Nach dem Bericht des Fabrikinspektors A.
Redgrave, dessen Verwaltungsbezirk von jenen 2.887 Fabriken 2.109
einschlieBt, wendeten von letztren 392 oder 19% nur unter 10 Dampf-
Pferdekraft an, 345 oder 16% 10 und unter 20, 1.372 dagegen 20 und mehr
Pferdekraft. 801 Die Mehrzahl der kleinen Fabriken waren Webereien,
wahrend der Prosperitatsperiode seit 1858 errichtet, meist durch
Spekulanten, wovon der eine das Garn, der andre die Maschinerie, der
dritte die Baulichkeit lieferte, unter dem Betrieb ehemaliger overlookers
oder andrer unbemittelter Leute. Diese kleinen Fabrikanten gingen meist
unter. Dasselbe Schicksal hatte ihnen die durch das Baumwollpech
verhinderte Handelskrise bereitet. Obgleich sie V3 der Fabrikantenzahl
bildeten, absorbierten ihre Fabriken einen ungleich geringeren Teil des in
der Baumwollindustrie angelegten Kapitals. Was den Umfang der
Lahmung betrifft, so standen nach den authentischen Schatzungen im
Oktober 1862 60,3% der Spindeln und 58% der Webstuhle still. Dies
bezieht sich auf den ganzen Industriezweig und war naturlich sehr
modifiziert in den einzelnen Distrikten. Nur sehr wenige Fabriken
arbeiteten voile Zeit (60 Stunden per Woche), die ubrigen mit
Unterbrechungen. Selbst fur die wenigen Arbeiter, die voile Zeit und zu
dem gewohnten Stucklohn beschaftigt, schmalerte sich notwendig der
Wochenlohn infolge der Ersetzung beBrer Baumwolle durch schlechtre,
der Sea Island durch agyptische (in Feinspinnereien), amerikanischer und
agyptischer durch Surat (ostindisch) und reiner Baumwolle durch
Mischungen von Baumwollabfall mit Surat. Die kiirzre Fiber der
Suratbaumwolle, ihre schmutzige Beschaffenheit, die groBre Briichigkeit
der Faden, der Ersatz des Mehls durch alle Art schwerer ingredienzien
beim Schlichten des Kettengarns usw. verminderten die Geschwindigkeit
der Maschinerie oder die Zahl der Webstuhle, die ein Weber uberwachen
konnte, vermehrten die Arbeit mit den Irrtumern der Maschine und
beschrankten mit der Produktenmasse den Stucklohn. Beim Gebrauch von
Surat und mit voller Beschaftigung belief sich der Verlust des Arbeiters auf
20, 30 und mehr Prozent. Die Mehrzahl der Fabrikanten setzte aber auch
die Rate des Stucklohns um 5, IVi und 10 Prozent herab. Man begreift
daher die Lage der nur 3, 3V2, 4 Tage wochentlich oder nur 6 Stunden per
Tag Beschaftigten. Nachdem schon eine relative VerbeBrung eingetreten
war, 1863, fur Weber, Splinner usw. Wochenlohne von 3 sh. 4 d., 3 sh. 10
d., 4 sh. 6 d., 5 sh. 1 d. usw. 802 Selbst unter diesen qualvollen Zustanden
stand der Erfindungsgeist des Fabrikanten in Lohnabzugen nicht still.
Diese wurden zum Teil verhangt als Strafe fur die seiner schlechten
Baumwolle, unpassenden Maschinerie usw. geschuldeten Fehler des
Machwerks. Wo der Fabrikant aber Eigen turner der cottages der Arbeiter,
vergutete er sich selbst fur Hausrente durch Abziige vom nominellen
Arbeitslohn. Fabrikinspektor Redgrave erzahlt von selfacting minders (sie
uberwachen ein Paar selfacting mules), die
»am Ende vierzehntagiger v oiler Arbeit 8 sh. 11 d. verdienten, und von
dieser Summe wurde die Hausrente abgezogen, wovon der Fabrikant
jedoch die Halfte als Geschenk zuruckgab, so dafi die minders voile 6 sh.
lid. nach House trugen. Der Wochenlohn der Weber rangierte von 2 sh.
6 d. aufwarts wahrend der Schlufizeit von 1862.« S03
Selbst dann wurde die Hausmiete von den Lohnen haufig abgezogen,
wenn die Hande nur kurze Zeit arbeiteten. 804 Kein Wunder, daB in einigen
Teilen Lancashires eine Art Hungerpest ausbrach! Charakteristischer als
alles dies aber war es, wie die Revolutionierung des Produktionsprozesses
auf Kosten des Arbeiters vor sich ging. Es waren formliche experimenta in
corpore vili 805 , wie die der Anatomen an Froschen.
»Obgleich ich«, sagt Fabrikinspektor Redgrave, »die wirklichen
Einnahmen der Arbeiter in vielen Fabriken gegeben habe, mufi man nicht
schliefien, dafi sie denselben Betrag Woche fur Woche beziehn. Die
Arbeiter erliegen den grofiten Schwankungen wegen des bestandigen
Experimentierens (experimentalizing) der Fabrikanten ... ihre Einkiinfte
steigen und fallen mit der Qualitat des Baumwollgemischs; bald nahern
sie sich um 15% ihren friihren Einnahmen, und die nachste oder
zweitfolgende Woche fallen sie um 50 bis 60% .« 806
Diese Experimente wurden nicht nur auf Kosten der Lebensmittel der
Arbeiter gemacht. Mit alien ihren fiinf Sinnen hatten sie zu buBen.
»Die im Offnen der Baumwolle Beschaftigten unterrichten mich, dafi der
unertragliche Gestank sie libel macht ... Den in den Misch-, Scribbling-
17 und Kardierraumen Angewandten irritiert der freigesetzte Staub und
Schmutz alle Kopfoffnungen, erregt Husten und Schwierigkeit des
Atmens ... Wegen der Kiirze der Fiber wird dem Garn beim Schlichten
eine grofie Menge Stoffzugesetzt, und zwar allerlei Substitute statt des
friiher gebrauchten Mehls. Daher Ubelkeit und Dyspepsie der Weber.
Bronchitis herrscht vor wegen des Staubs, ebenso Halsentziindung,
ferner eine Hautkrankheit infolge der Irritation der Haut durch den im
Surat enthaltnen Schmutz.«
Andrerseits waren die Substitute des Mehls ein Fortunatussackel fur die
Herrn Fabrikanten durch Vermehrung des Garngewichts. Sie machten »I5
Pfund Rohmaterial, wenn verwebt, 20 Pfund wiegen«. 80S In dem Bericht
der Fabrikinspektoren vom 30. April 1864 liest man:
»Die Industrie verwertet diese Hilfsquelle jetzt in wahrhaft
unanstdndigem Mafi. Ich weifi von guter Autoritdt, dafi achtpfiindiges
Geweb von 5V4 Pfund Baumwolle und 2^/4 Pfund Schlichte gernacht
wird. Ein andres 5'A pfundiges Geweb enthielt zwei Pfund Schlichte. Dies
waren ordindre Shirtings^ 9 fiir den Export. In andren Arten wurden
manchmal 50% Schlichte zugesetzt, so dafi Fabrikanten sich riihmen
konnen und sich auch wirklich riihmen, dafi sie reich werden durch den
Verkaufvon Geweb en fur weniger Geld, als das nominell in ihnen
enthaltne Garn kostet.« sw
Die Arbeiter aber hatten nicht nur unter den Experimenten der Fabrikanten
in den Fabriken, und der Munizipalitaten auBerhalb der Fabriken, nicht nur
von Lohnherabsetzung urd Arbeitslosigkeit, von Mangel und Almosen,
von den Lobreden der Lords und Unterhausler zu leiden.
»Ungliickliche Frauenzimmer, beschdftigungslos infolge der
Baumwollnot, wurden Auswiirflinge der Gesellschaft und blieben es ...
Die Zahl junger Prostituierten hat mehr zugenommen als seit den letzten
25 Jahren.« %u
Man findet also in den ersten 45 Jahren deir britischen Baumwollindustrie,
von 1770-1815, nur 5 Jahre der Krise und Stagnation, aber dies war die
Periode ihres Weltmonopols. Die zweite, 48iahrige Periode von 1815 bis
1863 zahlt nur 20 Jahre des Wiederauflebens und der Prosperitat auf 28
Jahre des Drucks und der Stagnation. Von 1815-1830 beginnt die
Konkurrenz mit dem kontinentalen Europa und den Vereinigten Staaten.
Seit 1833 wird Ausdehnung der asiatischen Markte erzwungen durch
»Zerstorung der Mens chenr ace « ? n Seit Widerruf der Korngesetze, von
1846 bis 1863, auf acht Jahre mittlerer Lebendigkeit und Prosperitat 9 Jahre
l.Marx weist auf die Intensitat hin, mit der die englischen Privatkaufleute nach der Abschaffung
des Monopols der Ostindischen Kompanie im Handel mit China (1833) den chinesischen Markt eroberten.
Dabei war ihnen jedes Mittel recht. Der erste Opiumkrieg (1839-1842), der ein Aggressionskrieg Englands
gegen China war, sollte dem englischen Handel den chinesischen Markt offnen. Mit ihm begann die
Umwandlung Chinas in ein halbkoloniales Land. England versuchte seit Beginn des vorigen Jahrhunderts
durch Schmuggel mit dem in Indien hergestellten Opium nach China, seine passive Handelsbilanz mit China
auszugleichen, stieB jedoch auf den Widerstand der chinesischen Behorden, die 1839 samtliche
Opiumvorrate an Bord der auslandischen Schiffe in Kanton beschlagnahmen und verbrennen lieBen. Das
war der AnlaB zum Krieg, in dem China unterlag. Die Englander nutzten diese Niederlage des feudalen
riickstandigen Chinas aus und diktierten ihm den rauberischen Friedensvertrag von Nanking (August 1842).
Der Vertrag von Nanking legt die Offnung fiinf chinesischer Hafen (Kanton, Amoy, Futschou, Ningpo und
Schanghai) fiir den englischen Handel fest, die Ubergabe Hongkongs "auf ewige Zeit" an England und die
Zahlung von hohen Kontributionen an England. Nach dem Zusatzprotokoll des Nankinger Vertrages muBte
China den Ausladern auch das Recht der Exterritorialitat zuerkennen.
2. In einem Aufruf der Baumwollarbeiter, Friihling 1863, zur Bildung einer Emigrationsgesellschaft
heiBt es u.a.: »Dafi eine grofie Emigration von Fabrikarbeitern jetzt absolut notwendig ist, werden nur
wenige leugnen. Dafi aber ein bestandiger Emigrationsstrom zu alien Zeiten erheischt und es ohne
denselben unmoglich ist, unsre Stellung unter gewohnlichen Umstanden zu behaupten, zeigen folgende
Tatsachen: Im Jahr 1814 betrug der offizielle Wert (der nur Index der Quantitat) der exportierten
Baumwollguter 17.665.378 Pfd.St., ihr wirklicher Marktwert 20.070.824 Pfd.St. Im Jahr 1858 betrug
der offizielle Wert der exportierten Baumwollguter 182.221.681 Pfd.St., ihr wirklicher Marktwert nur
43.001.322 Pfd.St., so dafi die Verzehnfachung der Quantitat wenig mehr als Verdopplung des
Aquivalents bewirkte. Dies fiir das Land uberhaupt und die Fabrikarbeiter im besondren so
unheilvolle Resultat ward durch verschiedne zusammenwirkende Ursachen hervorgebracht. Eine der
hervorstechendsten ist der bestdndige Uberflufi von Arbeit, unentbehrlich fur diesen Geschaftszweig,
der, unter Strafe der Vernichtung, bestandiger Expansion des Markts bedarf. Unsre Baumwollfabriken
konnen stillgesetzt werden durch die periodische Stagnation des Handels, welche, unter gegenwdrtiger
Einrichtung, so unvermeidlich ist, wie der Tod selbst. Aber deswegen steht der menschliche
Erfindungsgeist nicht still. Obgleich, niedrig angeschlagen, 6 Millionen dies Land wahrend der letzten
25 Jahre verlassen haben, befindet sich dennoch infolge fortwahrender Verdrangung der Arbeit, um
das Produkt zu verwohlfeilern, ein grofier Prozentsatz der erwachsnen Manner selbst in den Zeiten
hochster Prosperitat aufierstand, Beschaftigung irgendeiner Art auf irgendwelche Bedingungen in den
Fabriken zu finden.« ("Reports of Insp. of Fact., 30th April 1863", p. 51, 52.) Man wird in einem spatern
Kapitel sehn, wie die Herrn Fabrikanten wahrend der Baumwollkatastrophe die Emigration der
Fabrikarbeiter auf alle Art, selbst von Staats wegen, zu verhindern suchten.
l."Ch. Empl. Comm., III. Report", 1864, p.108, n.447.
2.1n den Vereinigten Staaten ist derartige Reproduktion des Handwerks auf Grundlage der
Maschinerie haufig. Die Konzentration, bei dem unvermeidlichen Ubergang in den Fabrikbetrieb, wird eben
deswegen, im Vergleich zu Europa und selbst zu England, dort mit Siebenmeilenstiefeln marschieren.
3.Maschinenhaus
4.Vgl. "Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p.64.
5.Herr Gillott errichtete zu Birmingham die erste Stahlfedermanufaktur auf groBer Stufenleiter.
Sie lieferte schon 1851 liber 180 Millionen Federn und verzehrte jahrlich 120 Tonnen Stahlblech.
Birmingham, das diese Industrie im Vereinigten Konigreich monopolisiert, produziert jetzt jahrlich
Milliarden von Stahlfedern. Die Zahl der beschaftigten Personen betrug nach dem Zensus von 1861: 1.428,
darunter 1.268 Arbeiterinnen, vom 5. Jahr an einrolliert.
Druck und Stagnation. Die Lage der erwachsnen mannlichen
Baumwollarbeiter, selbst wahrend der Prosperitatszeit, zu beurteilen aus
der beigefiigten Not 813
Fiinfjahrige Perioden und Jahr 1866
1831-35 1836-40 1841-45 1846-50 1851-55 1856-60 1861-65 1866
Jahrlicher Durchschnitt.
Import Qrs.1.096.373 2.389.729 2.843.865 8.776.552 8.345.237 10.913.612 15.009.871 16.457.340
Jahresdurchschnitt.
Export Qrs. 225.263 251.770 139.056 155.461 307.491 341.150 302.754 216.218
UberschuB von Import iiber Export der Durchschnittsjahre
871.110 2.137.959 2.704.809 8.621.091 8.037.746 10.572.462 14.707.117
16.241.122
Population.
Jahrliche Durchschnittszahl in jeder Periode
24.621.107 25.929.507 27.262.569 27.797.598 27.572.923 28.391.544 29.381.760
29.935.404
Durchschnittsquantum
von Korn etc. in Qrs., jahrlich verzehrt per Individuum, bei gleicher Teilung unter die Bevolkerung, im
UberschuB iiber die heimische Produktion
0,036 0,082 0,099 0,310 0,291 0,372
0,501 0,543
8. Revolutionierung von Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit durch die
groBe Industrie
a) Aufhebung der auf Handwerk und Teilung der Arbeit beruhenden
Kooperation
Man hat gesehn, wie die Maschinerie die auf dem Handwerk beruhende
Kooperation und die auf Teilung der handwerksmaBigen Arbeit beruhende
Manufaktur aufhebt. Ein Beispiel der ersten Art ist die Mahmaschine, sie
ersetzt die Kooperation von Mahern. Ein schlagendes Beispiel der zweiten
Art ist die Maschine zur Fabrikation von Nahnadeln. Nach Adam Smith
verfertigten zu seiner Zeit 10 Manner durch Teilung der Arbeit taglich iiber
48.000 Nahnadeln. Eine einzige Maschine liefert dagegen 145.000 in einem
Arbeitstag von 11 Stunden. Fine Frau oder ein Madchen uberwacht im
Durchschnitt 4 solche Maschinen und produziert daher mit der
Maschinerie taglich an 600 000, in der Woche iiber 3.000.000
Nahnadeln. 814 Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle der
Kooperation oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur
Grundlage handwerksmaBigen Betriebs werden. Indes bildet diese auf
Maschinerie beruhende Reproduktion des Handwerkbetriebs nur den
Ubergang zum Fabrikbetrieb, der in der Regel jedesmal eintritt, sobald
mechanische Triebkraft, Dampf oder Wasser, die menschlichen Muskeln
in der Bewegung der Maschine ersetzt. Sporadisch und ebenfalls nur
voriibergehend kann kleiner Betrieb sich verbinden mit mechanischer
Triebkraft durch Miete des Dampfs, wie in einigen Manufakturen
Birminghams, durch Gebrauch kleiner kalorischer Maschinen [114], wie in
gewissen Zweigen der Weberei usw. 815 In der Seidenweberei zu Coventry
entwickelte sich naturwuchsig das Experiment der "Cottage-Fabriken". In
der Mitte von Cottage-Reihen, quadratmaBig gebaut, wurde ein sog.
Engine House 816 errichtet fiir die Dampfmaschine und diese durch Schafte
mit den Webstuhlen in den cottages verbunden. In alien Fallen war der
Dampf gemietet, z.B. zu 2Vi sh. per Webstuhl. Diese Dampfrente war
wochentlich zahlbar, die Webstuhle mochten laufen oder nicht. Jede
cottage enthielt 2-6 Webstuhle, den Arbeitern gehorig, oder auf Kredit
gekauft, oder gemietet. Der Kampf zwischen der Cottage-Fabrik und der
eigentlichen Fabrik wahrte iiber 12 Jahre. Er hat geendet mit dem
ganzlichen Ruin der 300 cottage factories. 817 Wo die Natur des Prozesses
nicht von vornherein Produktion auf groBer Stufenleiter bedang,
durchliefen in der Regel die in den letzten Dezennien neu aufkommenden
Industrien, wie z.B. Briefkuvert-, Stahlfedermachen usw., erst den
Handwerksbetrieb und dann den Manufakturbetrieb als kurzlebige
Ubergangsphasen zum Fabrikbetrieb. Diese Metamorphose bleibt dort am
schwierigsten, wo die manufakturmaBige Produktion des Machwerks keine
Stufenfolge von Entwicklungsprozessen, sondern eine Vielheit disparater
Prozesse einschheBt. Dies bildete z.B. ein groBes Hindernis der
Stahlfederfabrik. Jedoch wurde schon vor ungefahr anderthalb Dezennien
ein Automat erfunden, der 6 disparate Prozesse auf einen Schlag verrichtet.
Das Handwerk lieferte die ersten 12 Dutzend Stahlfedern 1820 zu 7 Pfd. St.
4 sh., die Manufaktur lieferte sie 1830 zu 8 sh., und die Fabrik liefert sie
heute dem GroBhandel zu 2 bis 6 d. 818
b) Riickwirkung des Fabrikwesens auf Manufaktur und Hausarbeit
Mit der Entwicklung des Fabrikwesens und der sie begleitenden
Umwalzung der Agrikultur dehnt sich nicht nur die Produktionsleiter in
alien andren Industriezweigen aus, sondern verandert sich auch ihr
Charakter. Das Prinzip des Maschinenbetriebs, den ProduktionsprozeB in
seine konstituierenden Phasen zu analysieren und die so gegebnen
Probleme durch Anwendung der Mechanik, Chemie usw., kurz der
Naturwissenschaften zu losen, wird iiberallbestimmend. Maschinerie
drangt sich daher bald fur diesen, bald fur jenen TeilprozeB in die
Manufakturen. Die feste Kristallisation ihrer Gliederang, der alten Teilung
der Arbeit entstammend, lost sich damit auf und macht fortwahrendem
Wechsel Platz. Abgesehn hiervon wird die Zusammensetzung des
Gesamtarbeiters oder des kombinierten Arbeitspersonals von Grand aus
umgewalzt. Im Gegensatz zur Manufakturperiode griindet sich der Plan
der Arbeitsteilung jetzt auf Anwendung der Weiberarbeit, der Arbeit von
Kindern aller Altersstufen, ungeschickter Arbeiter, wo es immer tubar,
kurz der "cheap labour", wohlfeilen Arbeit, wie der Englander sie
charakteristisch nennt. Dies gilt nicht nur fur alle auf groBer Stufenleiter
kombinierte Produktion, ob sie Maschinerie anwende oder nicht, sondern
auch fur die sog. Hausindustrie, ob ausgeiibt in den Privatwohnungen der
Arbeiter oder in kleinen Werkstatten. Diese sog. moderne Hausindustrie
hat mit der altmodischen, die unabhangiges stadtisches Handwerk,
selbstandige Bauernwirtschaft und vor allem ein Haus der Arbeiterfamihe
voraussetzt, nichts gemein als den Namen. Sie ist jetzt verwandelt in das
auswartige Departement der Fabrik, der Manufaktur oder des
Warenmagazins. Neben den Fabrikarbeitern, Manufakturarbeitern und
Handwerkern, die es in groBen Massen raumlich konzentriert und direkt
kommandiert, bewegt das Kapital durch unsichtbare Faden eine andre
Armee in den groBen Stadten und iiber das flache Land zerstreuter
Hausarbeiter. Beispiel- die Hemdenfabrik der Herren Tillie zu
Londonderry, Irland, die 1.000 Fabrikarbeiter und 9.000 auf dem Land
zerstreute Hausarbeiter beschaftigt. 819
Die Exploitation wohlfeiler und unreifer Arbeitskrafte wird in der
modernen Manufaktur schamloser als in der eigentlichen Fabrik, weil die
hier existierende technische Grundlage, Ersatz der Muskelkraft durch
Maschinen und Leichtigkeit der Arbeit, dort groBenteils wegfallt, zugleich
l."Ch. Empl. Comm., II. Rep.", 1864, p.LXVIII, n.415.
l.Und nun gar Kinder im Feilenschleifen zu Sheffield!
2."Ch. Ernpl. Corntn-, V. Rep.", 1866, p.3, n.24; p.6, n.55,56; p.7, n.59,60.
3. I.e. p. 114, 115, n. 6-7. Der Kommissar bemerkt richtig, daB, wenn sonst die Maschine den
Menschen, hier der junge verbatim die Maschine ersetzt.
4.Sieh Bericht iiber den Lumpenhandel und zahlreiche Belege: "Public Health, VIII. Report", Lond.
1866. Appendix, p. 196-208.
1. "Child. Empl. Comm., V. Report", 1866, p.XVI-XVIII, n.86-97 und p. 130 bis 133, n.39-71. Vgl.
auch ib., III.Report, 1864, p.48, 56.
1. "Public Health, VI.Rep.", Lond. 1864, p.29, 31.
l.l.c. p. 30. Dr. Simon bemerkt, daB die Sterblichkeit der Londoner Schneider und Drucker vom 25.
- 35. Jahr in der Tat viel groBer ist, weil ihre Londoner Anwenden eine groBe Zahl junger Leute bis zum 30.
Jahr hinauf vom Land als "Lehrlinge" und "improvers" (die sich in Handwerk ausbilden wollen) erhalten.
Diese figurieren im Zensus als Londoner, sie schwellen die Kopfzahl, worauf die Londoner
Sterblichkeitsrate berechnet wird, ohne verhaltnismaBig zur Zahl der Londoner Todesfalle beizutragen.
GroBer Teil von ihnen kehrt namlich und ganz besonders in schweren Krankheitsfallen, zum Land zuriick.
(I.e.)
l.Es handelt sich hier um gehammerte Nagel im Unterschied von den maschinenmaBig fabrizierten
geschnittenen Nageln. Siehe "Child. Empl. Comm., III. Report", p. XI, p. XIX, n. 125-130; p. 52. n.ll; p.l 13-
114, n.487;p,137, n.674.
2. l.-4.Auflage: Manufakturbetrieb
l."Child. Empl. Comm., II. Report", p.XXI 1, n.166.
l."Child. Empl. Comm., II.Report", 1864, p.XIX, XX, XXI.
l.l.c. p.XXI, XXII.
l.l.c. pXXIX, XXX.
l.l.c. p.XL.XLI.
1. "Child. Empl. Comm., 1. Rep.", 1863, p.185.
1. Millinery bezieht sich eigentlich nur auf den Kopfputz, doch auch Damenmantel und Mantillen,
wahrend Dressmakers mit unsren Putzmacherinnen identisch sind.
l.Die englische millinery und das dressmaking werden meist in den Baulichkeiten der Anwender,
teils durch dort wohnhafte und engagierte Arbeiterinnen, teils durch auswarts wohnende Taglohnerinnen
betrieben.
2.1* auf Gnade und Barmherzigkeit ausgeliefert
3. Kommissar White besuchte eine Manufaktur fiir Militarkleider, die 1.000 bis 1.200 Personen,
fast alle weiblichen Geschlechts, beschaftigte, eine Schuhmanufaktur mit 1.300 Personen, wovon beinahe
die Halfte Kinder und junge Personen usw. ("Child. Empl. Comm., II.Rep.", p.XLVII, n.3 19.)
l.Ein Beispiel. Am 26.Februar 1864 enthalt der wochentliche Sterblichkeitsbericht des Registrar
General * 5 Falle von Hungertod. Am selben Tag berichtet die 'Times' einen neuen Fall von Hungertod.
Sechs Opfer des Hungertods in einer Woche!
der weibliche oder noch unreife Korper den Einfliissen giftiger Substanzen
usw. aufs gewissenloseste preisgegeben wird. Sie wird in der sog.
Hausarbeit schamloser als in der Manufaktur, weil die
Widerstandsfahigkeit der Arbeiter mit ihrer Zersplitterung abnimmt, eine
ganze Reihe rauberischer Parasiten sich zwischen den eigentlichen
Arbeitgeber und den Arbeiter drangt, die Hausarbeit uberall mit
Maschinen- oder wenigstens Manufakturbetrieb in demselben
Produktionszweig kampft, die Armut dem Arbeiter die notigsten
Arbeitsbedingungen, Raum, Licht, Ventilation usw. raubt, die
UnregelmaBigkeit der Beschaftigung wachst und endlich in diesen letzten
Zufluchtsstatten der durch die groBe Industrie und Agrikultur "iiberzahlig"
Gemachten die Arbeiterkonkurrenz notwendig ihr Maximum erreicht. Die
durch den Maschinenbetrieb erst systematisch ausgebildete
Okonomisierung der Produktionsmittel, von vornherein zugleich
riicksichtsloseste Verschwendung der Arbeitskraft und Raub an den
normalen Voraussetzungen der Arbeitsfunktion, kehrt jetzt diese ihre
antagonistische und menschenmorderische Seite um so mehr heraus, je
weniger in einem Industriezweig die gesellschaftliche Produktivkraft der
Arbeit und die technische Grundlage kombinierter Arbeitsprozesse
entwickelt sind.
c) Die moderne Manufaktur
Ich will nun an einigen Beispielen die oben aufgestellten Satze erlautern.
Der Leser kennt in der Tat schon massenhafte Belege aus dem Abschnitt
iiber den Arbeitstag. Die Metallmanufakturen in Birmingham und
Umgegend wenden groBenteils fur sehr schwere Arbeit 30.000 Kinder und
junge Personen nebst 10.000 Weibern an. Man findet sie hier in den
gesundheitswidrigen GelbgieBereien, Knopffabriken, Glasur-,
Galva ni sie rungs- und Lackierarbeiten. 820 Die Arbeitsexzesse fur
Erwachsne und Unerwachsne haben verschiednen Londoner Zeitungs-
und Buchdruckereien den riihmlichen Namen: "Das Schlachthaus"
gesichert. 821 Dieselben Exzesse, deren Schlachtopfer hier namentlich
Weiber, Madchen und Kinder, in der Buchbinderei. Schwere Arbeit ftir
Unerwachsne in den Seilereien, Nachtarbeit in Salzwerken, Lichter- und
andren chemischen Manufakturen; morderischer Verbrauch von Jungen in
Seidenwebereien, die nicht mechanisch betrieben werden, zum Drehen der
Webstuhle. 822 Eine der infamsten, schmutzigsten und schlechtbezahltesten
Arbeiten, wozu mit Vorliebe junge Madchen und Weiber verwandt
werden, ist das Sortieren der Lumpen. Man weiB, daB GroBbritannien,
abgesehn von seinen eignen unzahligen Lumpen, das Emporium fur den
Lumpenhandel der ganzen Welt bildet. Sie stromen dahin von Japan, den
entferntesten Staaten Sudamerikas und den kanarischen Inseln. Ihre
Hauptzufuhrquellen aber sind Deutschland, Frankreich, RuBland, Italien,
Agypten, Tiirkei, Belgien und Holland. Sie dienen zur Dungung,
Fabrikation von Flocken (fur Bettzeug), Shoddy (Kunstwolle) und als
Rohmaterial des Papiers. Die weib lichen Lumpensortierer dienen als
Medien, um Pocken und andre ansteckende Seuchen, deren erste Opfer sie
selbst sind, zu kolportieren. 823 Als klassisches Beispiel fur Uberarbeit,
schwere und unpassende Arbeit, und daher folgende Brutalisierung der
von Kindesbeinen an konsumierten Arbeiter kann, neben der Minen- und
Kohlenproduktion, die Ziegel- oder Backsteinmacherei gelten, wozu in
England die neuerfundene Maschine nur noch sporadisch angewandt wird
(1866). Zwischen Mai und September dauert die Arbeit von 5 Uhr morgens
bis 8 Uhr abends, und, wo Trocknung in freier Luft stattfindet, oft von 4
Uhr morgens bis 9 Uhr abends. Der Arbeitstag von 5 Uhr morgens bis 7
Uhr abends gilt fur "reduziert", "maBig". Kinder beiderlei Geschlechts
werden vom 6. und selbst vom 4. Jahr an verwandt. Sie arbeiten dieselbe
Stundenzahl, oft mehr als die Erwachsnen. Die Arbeit ist hart, und die
Sommerhitze steigert noch die Erschopfung. In einer Ziegelei zu Mosley
z.B. machte ein 24jahriges Madchen 2.000 Ziegel taglich, untersttitzt von
zwei unerwachsnen Madchen als Gehilfen, welche den Lehm trugen und
die Ziegelsteine aufhauften. Diese Madchen schleppten taglich 10 Tonnen
die schlupfrigen Seiten der Ziegelgrube von einer Tiefe von 30 FuB herauf
und iiber eine Entfernung von 210 FuB.
»Es ist unmoglichfiir ein Kind, durch das Fegfeuer einer Ziegelei zu
passieren ohne grofie moralische Degradation ... Die nichtswiirdige
Sprache, die sie vom zartesten Alter an zu horen bekommen, die
untdtigen, unanstdndigen und schamlosen Gewohnheiten, unter denen
sie unwissend und verwildert aufwachsen, machen siefiir die spdtre
Lebenszeit gesetzlos, verworfen, liederlich ... Eine furchtbare Quelle der
Demoralisation ist die Art der Wohnlichkeit. Jeder moulder (Former)
[der eigentlich geschickte Arbeiter und Chef einer Arbeitergruppe] liefert
seiner Bande von 7 Personen Logis und Tisch in seiner Hiitte oder
cottage. Ob zu seiner Familie gehorig odernicht, Manner, Jungen,
Madchen schlafen in der Hiitte. Diese besteht gewohnlich aus 2, nur
ausnahmsweis aus 3 Zimmern, alle aufdem Erdgeschofi, mit wenig
Ventilation. Die Korper sind so erschopft durch die grofie
Transpiration wahrend des Tags, dafi weder Gesundheitsregeln,
Reinlichkeit noch Anstand irgendwie beobachtet werden. Viele dieser
Hiitten sind wahre Modelle von Unordnung, Schmutz und Staub ... Das
grofite IJbel des Systems, welches junge Madchen zu dieser Art Arbeit
verwendet, besteht darin, dafi es sie in der Re gel von Kindheit an fur
ihr ganzes spatres Leben an das verworfenste Gesindel festkettet. Sie
werden rohe, bosmaulige Buben (rough, foulmouthed boys), bevor die
Natur sie gelehrt hat, dafi sie Weiber sind. Gekleidet in wenige
schmutzige Lumpen, die Beine weit iiber das Knie entblofit, Haar und
Gesicht mit Dreck beschmiert, lernen sie alle Gefiihle der Sittsamkeit
und der Scham mit Verachtung behandeln. Wahrend der Essenszeit
liegen sie aufden Feldern ausgestreckt oder gucken den Jungen zu, die
in einem benachbarten Kanal baden. Ist ihr schweres Tagewerk endlich
vollbracht, so ziehn sie befite Kleider an und begleiten die Manner in
Bierkneipen.«
DaB die groBte Versoffenheit von Kindesbeinen an in dieser ganzen Klasse
herrscht, ist nur naturgemaB.
»Das Schlimmste ist, dafi die Ziegelmacher an sich selbst verzweifeln. Sie
konnten, sagte einer der Bessern zum Kaplan von Southallfield,
ebensowohl versuchen, den Teufel zu erheben und zu bessern als einen
Ziegler, mein Herr!« (»You might as well try to raise and improve the
devil as a brickie, Sir!«) S24
Uber die kapitalistische Okonomisierung der Arbeitsbedingungen in der
modernen Manufaktur (Worunter hier alle Werkstatten auf groBer
Stufenleiter, auBer eigentlichen Fabriken, zu verstehn) findet man
offizielles und reichlichstes Material in dem IV. (1861) und VI. (1864)
"Public Health Report". Die Beschreibung der workshops
(Arbeits lokale), namentlich der Londoner Drucker und Schneider,
uberbietet die ekelhaftesten Phantasien unsrer Romanschreiber. Die
Wirkung auf den Gesundheitszustand der Arbeiter ist selbstverstandlich.
Dr. Simon, der oberste arztliche Beamte des Privy Council und offizielle
Herausgeber der "Public Health Reports", sagt u.a.:
»In meinemvierten Bericht [1861] zeigte ich, wie es fiir die Arbeiter
praktisch unmoglich ist, daraufzu bestehen, was ihr erstes
Gesundheitsrecht ist, das Recht, dafi, zu welchem Werk immer ihr
Anwenden sie versammelt, die Arbeit, soweit es von ihm abhangt, von
alien vermeidbaren gesundheitswidrigen Umstanden befreit sein soil.
Ich wies nach, dafi, wahrend die Arbeiter praktisch unfahig sind, sich
selbst diese Gesundheitsjustiz zu verschaffen, sie keinen wirksamen
Beistand von den bestellten Administrator en der Gesundheitspolizei
erlangen konnen ... Das Leben von Myriaden von Arbeitern und
Arbeiterinnen wirdjetzt nutzlos gefoltert und verkiirzt durch das
endlose physische Leiden, welches ihre blofie Beschaftigung
erzeugt.«
Zur Illustration des Einflusses der Arbeitslokale auf den
Gesundheitszustand gibt Dr. Simon folgende Sterblichkeitsliste:
Personenzahl aller Alters- Industrien ver- Sterblichkeitsrate auf
100.000
stufen in den resp. Indu- glichen in bezug Manner in den
resp. Industrien
strien angewandt auf Gesundheit zu den angegebenen
Alters stufen
25. bis 35. bis 45.
35.J. 45.J. 55.J.
Agrikult. in England
958.265 und Wales 743 805 1.145
22301 Manner
12.377 Weiber
13.803 Lond. Drucker 894 1.747
2.367 826
d) Die moderne Hausarbeit
Ich wende mich jetzt zur sog. Hausarbeit. Um sich eine Vorstellung von
dieser auf dem Hintergrund der groBen Industrie aufgebauten
Exploitationssphare des Kapitals und ihren Ungeheuerlichkeiten zu
machen, betrachte man z.B. die scheinbar ganz idyllische, in einigen
abgelegnen Dorfern Englands betriebne Nagelmacherei. 827 Hier geniigen
einige Beispiele aus den noch gar nicht maschinenmaBig betriebnen oder
mit Maschinen- und Manufakturbetrieb 828 konkurrierenden Zweigen der
Spitzenfabrik und Strohflechterei.
Von den 150.000 Personen, die in der englischen Spitzenproduktion
beschaftigt, fallen ungefahr 10.000 unter die BotmaBigkeit des Fabrikakts
von 1861. Die ungeheure Mehrzahl der ubrigbleibenden 140.000 sind
Weiber, junge Personen und Kinder beiderlei Geschlechts, obgleich das
mannliche Geschlecht nur schwach vertreten ist. Der Gesundheitszustand
dieses "wohlfeilen" Exploitationsmaterials ergibt sich aus folgender
Aufstellung des Dr. Trueman, Arzt beim General Dispensary von
Nottingham. Von je 686 Patienten, Spitzenmacherinnen, meist zwischen
dem 17. und 24Jahr, waren schwindsiichtig:
1852 1 auf 45, 1857 1 auf 13,
1853 1 auf 28, 1858 1 auf 15,
1854 1 auf 17, 1859 1 auf 9,
1855 1 auf 18, 1860 1 auf 8,
1856 1 auf 15, 1861 1 auf 8. 829
Dieser Fortschritt in der Rate der Schwindsucht muB dem optimistischsten
Fortschrittler und lugenfauchendsten deutschen
Freihandelshausierburschen geniigen.
Der Fabrikakt von 1861 regelt das eigentliche Machen der Spitzen, soweit
es durch Maschinerie geschieht, und dies ist die Regel in England. Die
Zweige, die wir hier kurz beriicksichtigen, und zwar nicht, soweit die
Arbeiter in Manufakturen, Warenhausern usw. konzentriert, sondern nur
sofern sie sog. Hausarbeiter sind, zerfallen 1. in das finishing Getztes
Zurechtmachen der maschinenmaBig fabrizierten Spitzen, eine Kategorie,
die wieder zahlreiche Unterabteilungen einschlieBt), 2. Spitzenkloppeln.
Das Lace finishing wird als Hausarbeit betrieben entweder in sog.
"Mistresses Houses" oder von Weibern, einzeln oder mit ihren Kindern, in
ihren Privatwohnungen. Die Weiber, welche die "Mistresses Houses"
halten, sind selbst arm. Das Arbeitslokal bildet Teil ihrer Privatwohnung.
Sie erhalten Auftrage von Fabrikanten, Besitzern von Warenmagazinen
usw. und wenden Weiber, Madchen und junge Kinder an, je nach dem
Umfang ihrer Zimmer und der fluktuierenden Nachfrage des Geschafts.
Die Zahl der beschaftigten Arbeiterinnen wechselt von 20 zu 40 in einigen,
von 10 zu 20 in andren dieser Lokale. Das durch schnittliche Minimalalter,
worin Kinder beginnen, ist 6 Jahre, manche jedoch unter 5 Jahren. Die
gewohnliche Arbeitszeit wahrt von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, mit
Wi Stunden fiir Mahlzeiten, die unregelmaBig und oft in den stinkigen
Arbeitslochern selbst genommen werden. Bei gutem Geschaft wahrt die
Arbeit oft von 8 Uhr (manchmal 6 Uhr) morgens bis 10, 1 1 oder 12 Uhr
nachts. In englischen Kasernen betragt der vorschriftsmaBige Raum fiir
eden Soldaten 500-600 KubikfuB, in den Militarlazaretten 1200. In jenen
Arbeitslochern kommen 67-100 KubikfuB auf jede Person. Gleichzeitig
verzehrt Gaslicht den Sauerstoff der Luft. Um die Spitzen rein zu halten,
miissen die Kinder oft die Schuhe ausziehn, auch im Winter, obgleich das
Estrich aus Pflaster oder Ziegeln besteht.
»Es ist nichts Ungewohnliches in Nottingham, 15 bis 20 Kinder in einem
kleinen Zimmer von vielleicht nicht mehr als 12 Fufi im Quadrat
zusammengepokelt zufinden, wahrend 15 Stunden aus 24 beschaftigt an
einer Arbeit, an sich selbst erschopfend durch Uberdrufi und Monotonie,
zudem unter alien nur moglichen gesundheitszerstorenden Umstanden
ausgeubt... Selbst die jiingsten Kinder arbeiten mit einer gespannten
Aufmerksamkeit und Geschwindigkeit, die erstaunlich sind, fast niemals
ihren Fingern Ruhe oder langsamre Bewegung gonnend. Richtet man
Fragen an sie, so erheben sie das Auge nicht von der Arbeit, aus Furcht,
einen Moment zu verlieren.«
Der "lange Stock" dient den "mistresses" als Anregungsmittel im
Verhaltnis, worin die Arbeitszeit verlangert wird.
»Die Kinder ermuden allmdhlich und werden so rastlos wie Vogel gegen
das Ende ihrer langen Gebundenheit an eine Beschaftigung, eintonig,
fur die Augen angreifend, erschopfend durch die Einformigkeit der
Korperhaltung. Es ist wahres Sklavenwerk.« (»Their work is like
slavery.«) S30
Wo Frauen mit ihren eignen Kindern zu Hause, d.h. im modernen Sinn, in
einem gemieteten Zimmer, haufig in einer Dachstube arbeiten, sind die
Zustande womoglich noch schlimmer. Diese Art Arbeit wird 80 Meilen im
Umkreis von Nottingham ausgegeben. Wenn das in den Warenhausern
beschaftigte Kind sie 9 oder 10 Uhr abends verlaBt, gibt man ihm oft noch
ein Biindel mit auf den Weg, um es zu Hause fertigzumachen. Der
kapitalistische Pharisaer, vertreten durch einen seiner Lohnknechte, tut das
natiirlich mit der salbungsvollen Phrase: »das sei fur Mutter«, weiB aber
sehr wohl, daB das arme Kind aufsitzen und helfen muB. 831
Die Industrie des Spitzenkloppelns wird hauptsachlich in zwei englischen
Agrikulturdistrikten betrieben, dem Honiton Spitzendistrikt, 20 bis 30
Meilen langs der Siidkiiste von Devonshire, mit EinschluB weniger Platze
von Nord-Devon, und einem andren Distrikt, der groBen Teil der
Grafschaften von Buckingham, Bedford, Northampton und die
benachbarten Teile von Oxfordshire und Huntingdonshire umfaBt. Die
cottages der Ackerbautaglohner bilden durch schnittlich die Arbeitslokale.
Manche Manufakturherrn wenden iiber 3.000 dieser Hausarbeiter an,
hauptsachlich Kinder und junge Personen, ausschlieBlich weib lichen
Geschlechts. Die beim Lace finishing beschriebnen Zustande wiederholen
sich. Nur treten an die Stelle der "mistresses houses" die sog. "lace
schools" (Spitzenschulen), gehalten von armen Weibern in ihren Hutten.
Vom 5. Jahr an, manchmalj linger, bis zum 12. oder 15. arbeiten die
Kinder in diesen Schulen, wahrend des ersten Jahres die jungsten von 4 bis
8 Stunden, spater von 6 Uhr morgens bis 8 und 10 Uhr abends.
»Die Zimmer sind im allgemeinen gewohnliche Wohnstuben kleiner
cottages, der Kamin zugestopft zur Abwehr von Luftzug, die Insassen
manchmal auch im Winter nur von ihrer eignen animalischen Warme
geheizt. In andren Fallen sind diese sog. Schulzimmer kleinen
Vorratskammern ahnliche Raume, ohne Feuerplatz... Die Uberfullung
dieser Lbcher und die dadurch bewirkte Luftverpestung sind oft extrem.
Dazu kommt die schadliche Wirkung von Gerinnen, Abtritten,
verwesenden Stoffen und andrem Unrat, gewohnlich in den Zugangen zu
kleinren cottages. «
Mit Bezug auf den Raum:
»In einer Spitzenschule 18 Madchen und Meisterin, 33 Kubikfufi fur jede
Person; in einer andren, wo unertraglicher Gestank, 18 Personen, per
Kopf24'/2 Kubikfufi. Man findet in dieser Industrie Kinder von 2 und 2'/2
Jahren verwandt.« S32
Wo das Spitzenkloppeln in den landlichen Grafschaften von
Buckingham und Bedford aufhort, beginnt die Strohflechterei. Sie erstreckt
sich iiber groBen Teil von Hertfordshire und die westlichen und nordlichen
Teile von Essex. Es waren 1861 beschaftigt im Strohflechten und
Strohhutmachen 48.043 Personen, 3.815 davon mannlichen Geschlechts
aller Altersstufen, die andren weiblichen Geschlechts, und zwar 14.913
unter 20 Jahren, davon an 7.000 Kinder. An die Stelle der Spitzenschulen
treten hier die "straw plait schools" (Strohflecht schulen). Die Kinder
beginnen hier den Untererricht im Strohflechten gewohnlich vom 4.,
manchmal zwischen dem 3. und 4. Jahr. Erziehung erhalten sie naturlich
keine. Die Kinder selbst nennen die Elementarschulen "natural schools"
(naturliche Schulen) im Unterschied zu diesen Blutaussaugungsanstalten,
worin sie einfach an der Arbeit gehalten werden, um das von ihren
halbverhungerten Muttern vorgeschriebne Machwerk, meist 30 Yards per
Tag, zu verfertigen. Diese Mutter lassen sie dann oft noch zu Haus bis 10,
11, 12 Uhr nachts arbeiten. Das Stroh schneidet ihnen Finger und Mund,
durch den sie es bestandig anfeuchten. Nach der von Dr. Ballard
resiimierten Gesamtansicht der medizinischen Beamten Londons bilden
300 KubikfuB den Minimalraum fiir jede Person in einem Schlaf- oder
Arbeitszimmer. In den Strohflechtschulen ist der Raum aber noch
sparlicher zugemessen als n den Spitzenschulen, 12^/3, 17, I8V2 und unter
22 KubikfuB fiir jede Person.
»Die kleinren dieser Zahlen« , sagt Kommissar White, »reprasentieren
weniger Raum als die Halfte von dem, den ein Kind einnehmen wiirde,
wenn verpackt in eine Schachtel von 3 Fufi nach alien Dimensionen.«
Dies der LebensgenuB der Kinder bis zum 12. oder 14. Jahr. Die elenden,
verkommenen Eltern sinnen nur darauf, aus den Kindern soviel als
moglich herauszuschlagen. Aufgewachsen fragen die Kinder natiirlich
keinen Deut nach den Eltern und verlassen sie.
»Es ist kein Wunder, dafi Unwissenheit und Laster iiberstromen in einer
so aufgezuchteten Bevolkerung... Hire Moral steht aufder niedrigsten
Stufe... Eine grofie Anzahl der Weiber hat illegitime Kinder und manche
in so unreif em Alter, dafi selbst die Vertrauten der Kriminalstatistik
daruber erstarren.« 833
Und das Heimatsland dieser Musterfamilien ist, so sagt der sicher im
Christentum kompetente Graf Montalembert , Europas christliches
Musterland!
Der Arbeitslohn, in den eben behandelten Industriezweigen iiberhaupt
jammerlich (der ausnahmsweise Maximallohn der Kinder in den
Strohflechtschulen 3 sh.), wird noch tief unter seinen Nominalbetrag
herabgedriickt durch das namentlich in den Spitzendistrikten allgemein
vorherrschende Trucksystem. 834
e) Ubergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit zur groBen
Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch Anwendung der
Fabrikgesetze auf jene Betriebsweisen
Die Verwohlfeilerung der Arbeitskraft durch bloBen MiBbrauch weiblicher
und unreifer Arbeitskrafte, bloBen Raub aller normalen Arbeits- und
Lebensbedingungen und bloBe Brutalitat der liber- und Nachtarbeit, stoBt
zuletzt auf gewisse nicht weiter iiberschreitbare Naturschranken, und mit
ihr auch die auf diesen Grundlagen beruhende Verwohlfeilerung der
Waren und kapitalistische Exploitation iiberhaupt. Sobald dieser Punkt
endlich erreicht ist, und es dauert lange, schlagt die Stunde fiir Einfiihrang
der Maschinerie und die nun rasche Verwandlung der zersplitterten
Hausarbeit (oder auch Manufaktur) in Fabrikbetrieb.
Das kolossalste Beispiel dieser Bewegung liefert die Produktion von
"Wearing Apparel" (zum Anzug gehorige Artikel). Nach der Klassifikation
der "Child. Empl. Comm." umfaBt diese Industrie Strohhut- und
Damenhutmacher, Kappenmacher, Schneider, milliners und
dressmakers 835 , Hemdenmacher und Naherinnen, Korsetten-, Handschuh-,
Schuhmacher, nebst vielen kleineren Zweigen, wie Fabrikation von
Halsbinden, Halskragen usw. Das in England und Wales in diesen
Industrien beschaftigte weibliche Personal betrug 1861: 586.298, wovon
mindestens 115.242 unter 20, 16.560 unter 15 Jahren. Zahl dieser
Arbeiterinnen im Vereinigten Konigreich (1861): 750.334. Die Zahl der
gleichzeitig in Hut-, Schuh-, Handschuhmacherei und Schneiderei
beschaftigten mannlichen Arbeiter in England und Wales: 437.969, wovon
14.964 unter 15 Jahren, 89.285 fiinf, zehn- bis zwanzigjahrig, 333.117 iiber
20 Jahren. Es fehlen in dieser Angabe viele hierher gehorige kleinere
Zweige. Nehmen wir aber die Zahlen, wie sie stehn, so ergibt sich fiir
England und Wales allein, nach dem Zensus von 1861, eine Summe von
1.024.267 Personen, also ungefahr so viel, wie Ackerbau und Viehzucht
absorbieren. Man fangt an zu verstehn, wozu die Maschinerie so
ungeheure Produktenmassen hervorzaubern und so ungeheure
Arbeitermassen "freisetzen" hilft.
Die Produktion des Wearing Apparel" wird betrieben durch
Manufakturen, welche in ihrem Innern nur die Teilung der Arbeit
reproduzierten, deren membra disjecta sie fertig vorfanden; durch kleinere
Handwerksmeister, die aber nicht wie fruher fiir individuelle
Konsumenten, sondern fiir Manufakturen und Warenmagazine arbeiten,
so daB oft ganze Stadte und Landstriche solche Zweige, wie Schusterei
usw., als Spezialitat ausiiben; endlich im groBten Umfang durch sog.
Hausarbeiter, welche das auswartige Departement der Manufakturen,
Warenmagazine und selbst der kleineren Meister bilden. 836 Die Massen des
Arbeitsstoffs, Rohstoffs, Halbfabrikate usw. liefert die groBe Industrie, die
Masse des wohlfeilen Menschenmaterials (taillable a merci et
misericorde 837 ) besteht aus den durch die groBe Industrie und Agrikultur
"Freigesetzten". Die Manufakturen dieser Sphare verdankten ihren
Ursprang hauptsachlich dem Bediirfnis des Kapitalisten, eine jeder
Bewegung der Nachfrage entsprechende schlagfertige Armee unter der
Hand zu haben. 838 Diese Manufakturen lieBen jedoch neben sich den
zerstreuten handwerksmaBigen und Hausbetrieb als breite Grundlage
fortbestehn. Die groBe Produktion von Mehrwert in diesen
Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven Verwohlfeilerung ihrer
Artikel, war und ist hauptsachlich geschuldet dem Minimum des zu
kummerlicher Vegetation notigen Arbeitslohns, verbunden mit dem
Maximum menschenmoglicher Arbeitszeit. Es war eben die Wohlfeilheit
des in Ware verwandelten MenschenschweiBes und Menschenbluts,
welche den Absatzmarkt bestandig erweiterte und taglich erweitert, fur
England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo iiberdem englische
Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt
ein. Die Grundlage der alten Methode, bloB brutale Ausbeutung des
Arbeitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch
entwickelter Arbeitsteilung, geniigte dem wachsenden Markt und der noch
rascher wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht langer. Die Stunde
der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionare Maschine, welche
die samtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphare, wie
Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Naherei, Hutmacherei usw.
gleichmaBig ergreift, ist - die Nahmaschine.
Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arbeiter ist ungefahr die aller
Maschinerie, welche in der Periode der groBen Industrie neue
Geschaftszweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der
Lohn der Maschinenarbeiter steigt verhaltnismaBig zu dem der
Hausarbeiter, wovon viele zu »den Armsten der Armen« (»the poorest of
the poor«) gehoren. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen
die Maschine konkurriert, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind
ausschlieBlich Madchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen
Kraft vernichten sie das Monopol der mannlichen Arbeit in schwererem
Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer
Kinder. Die ubermachtige Konkurrenz erschlagt die schwachsten
Handarbeiter. Das greuliche Wachstum des Hungertods (death from
starvation) in London wahrend des letzten Dezenniums lauft parallel mit
der Ausdehnung der Maschinennaherei. 839 Die neuen Arbeiterinnen der
Nahmaschine, welche von ihnen mit Hand und FuB oder mit der Hand
allein, sitzend und stehend, je nach Schwere, GroBe und Spezialitat der
Maschine, bewegt wird, verausgaben groBe Arbeitskraft. Ihre
Beschaftigung wird gesundheitswidrig durch die Dauer des Prozesses,
obgleich er meist kiirzer als im alten System. Uberall, wo die
Nahmaschine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen usw., ohnehin enge
und uberfullte Werkstatten heimsucht, vermehrt sie die
gesundheitswidrigen Einfliisse.
»Die Wirkung«, sagt Kommissar Lord, »beim Eintritt in niedrig
gestochne Arbeitslokale, wo 30 bis 40 Maschinenarbeiter
zusammenwirken, ist unertrdglich... Die Hitze, teilweis den Gasdfen
zur Wdrmung der Bugeleisen geschuldet, ist schrecklich... Wenn selbst
in solchen Lokalen sog. mafiige Arbeitsstunden, d.h. von 8 Uhr
morgens bis 6 Uhr abends, vorherrschen, fallen dennochjeden Tag 3
oder 4 Personen regelmdfiig in Ohnmacht« %w
1. "Child. Empl. Comm., II.Rep.", 1864, p.LXVII, n.406-409; p.84, n.124; p.LXXIII, n.441; p.68, n.6;
p.84, n.126; p.78, n.85; p.76, n.69; p.LXXII, n.438.
l.»Der Mietpreis der Arbeitslokale scheint der Faktor zu sein, der schliefilich den Ausschlag
gibt, und folglich hat sich in der Hauptstadt das alte System, Arbeit an kleine Unternehmer und
Familien auszugeben, am langsten erhalten und ist am ehesten wieder aufgenommen worden.« (I.e.
p. 83, n.123.) Der SchluBsatz bezieht sich ausschlieBlich auf Schusterei.«
2. In der Handschuhmacherei usw., wo die Lage der Arbeiter von der der Paupers kaum
unterscheidbar, kommt dies niclit vor.
3.1.c. p.83, n.122.
4. In der fur den GroBverkauf produzierenden Stiefel- und Schuhmacherei von Leicester allein
waren 1864 bereits 800 Nahmaschinen im Gebrauch.
5.1.c. p.84, n. 124.
6. So im Armee-Kleidungsdepot zu Pimlico, London, in der Hemdenfabrik von Tillie und
Henderson zu Londonderry, in der Kleiderfabrik der Firma Tait zu Limerick, die an 1 .200 "Hande" vernutzt.
7.»Die Tendenz zum Fabriksystem [I.e. p.LXVII.] Das ganze Gewerbe befindet sich jetzt in
einem Uber gangs stadium und macht die gleichen Veranderungen durch, die auch die Spitzenindustrie,
die Weberei usw., durchgemacht haben.« (I.e., n.405.) »Eine vollige Revolutions (I.e. p. XL VI, n.318.)
Die Umwalzung der gesellschaftlichen Betriebsweise, dies notwendige
Produkt der Umwandlung des Produktionsmittels, vollzieht sich in einem
bunten Wirrwarr von Ubergangsformen. Sie wechseln mit dem Umfang,
worin, und der Zeitlange, wahrend welcher die Nahmaschine den einen
oder andren Industriezweig bereits ergriffen hat; mit der vorgefundnen
Lage der Arbeiter, dem Ubergewicht des Manufaktur-, Hand werks- oder
Hausbetriebs, dem Mietpreisder Arbeitslokale 841 usw. In der Putzmacherei
z.B., wo die Arbeit meist schon organisiert war, hauptsachlich durch
einfache Kooperation, bildet die Nahmaschine zunachst nur einen neuen
Faktor des Manufakturbetriebs. In der Schneiderei, Hemdenmacherei,
Schusterei usw. durchkreuzen sich alle Formen. Hier eigentlicher
Fabrikbetrieb. Dort erhalten Zwischenanwender das Rohmaterial vom
Kapitalistenenchef und gruppieren in "Kammern" oder "Dachstuben" 10
bis 50 und noch mehr Lohnarbeiter um Nahmaschinen. Endlich wie bei
aller Maschinerie, die kein gegliedertes System bildet, und im Zwergformat
anwendbar ist, benutzen Handwerker oder Hausarbeiter, mit eigner Familie
oder Zuziehung weniger fremder Arbeiter, auch ihnen selbst gehorige
Nahmaschinen. 842 Tatsachlich uberwiegt jetzt in England das System, daB
der Kapitalist eine groBre Maschinenanzahl in seinen Baulichkeiten
konzentriert und dann das Maschinenprodukt zur weiteren Verarbeitung
unter die Armee der Hausarbeiter verteilt. 843 Die Buntheit der
ubergangsformen versteckt jedoch nicht die Tendenz zur Verwandlung in
eigentlichen Fabrikbetrieb. Diese Tendenz wird genahrt durch den
Charakter der Nahmaschine selbst, deren mannigfaltige Anwendbarkeit zur
Vereinigung fruher getrennter Geschaftszweige in derselben Baulichkeit
und unter dem Kommando desselben Kapitals drangt; durch den
Umstand, daB vorlaufiges Nadelwerk und einige andre Operationen am
geeignetsten am Sitz der Maschine verrichtet werden; endlich durch die
unvermeidliche Expropriation der Handwerker und Hausarbeiter, die mit
eignen Maschinen produzieren. Dies Fatum hat sie zum Teil schon jetzt
erreicht. Die stets wachsende Masse des in Nahmaschinen angelegten
Kapitals 844 spornt die Produktion und erzeugt Marktstockungen, welche
das Signal zum Verkauf der Nahmaschinen durch die Hausarbeiter lauten.
Die Uberproduktion von solchen Maschinen selbst zwingt ihre
absatzbedurftigen Produzenten, sie auf wochentliche Miete zu verleihn,
und schafft damit eine fur die kleinen Maschineneigner todliche
Konkurrenz. 845 Stets noch fortdauernde Konstruktionswechsel und
Verwohlfeilerung der Maschinen depreziieren ebenso bestandig ihre alten
Exemplare und lassen sie nur noch massenhaft, zu Spottpreisen gekauft, in
der Hand groBer Kapitalisten, profitlich anwenden. Endlich gibt die
Substitution der Dampfmaschine fur den Menschen, hier wie in alien
ahnlichen Umwalzungsprozessen, den Ausschlag. Die Anwendung der
Dampfkraft stoBt im Anfang auf rein technische Hindernisse, wie
Schutteln der Maschinen, Schwierigkeit in der Beherrschung ihrer
Geschwindigkeit, raschen Verderb der leichtem Maschinen usw., lauter
Hindernisse, welche die Erfahrung bald uberwinden lehrt. 846 Wenn
einerseits die Konzentration vieler Arbeitsmaschinen in groBren
Manufakturen zur Anwendung der Dampfkraft treibt, beschleunigt
andrerseits die Konkurrenz des Dampfes mit Men schenmu skein
Konzentration von Arbeitern und Arbeitsmaschinen in groBen Fabriken.
So erlebt England gegenwartig in der kolossalen Produktionssphare des
"Wearing Apparel", wie in den meisten ubrigen Gewerken, die Umwalzung
der Manufaktur, des Handwerks und der Hausarbeit in Fabrikbetrieb,
nachdem alle jene Formen, unter dem EinfluB der groBen Industrie
ganzlich verandert, zersetzt, entstellt, bereits langst alle
Ungeheuerlichkeiten des Fabriksystems ohne seine positiven
Entwicklungsmomente reproduziert und selbst iibertrieben hatten. 847
Diese naturwiichsig vorgehende industrielle Revolution wird kiinstlich
beschleunigt durch die Ausdehnung der Fabrikgesetze auf alle
Industriezweige, worin Weiber, junge Personen und Kinder arbeiten. Die
zwangsmaBige Regulation des Arbeitstags nach Lange, Pausen, Anfangs-
und Endpunkt, das System der Ablosung fiir Kinder, der AusschluB aller
Kinder unter einem gewissen Alter usw. ernotigen einerseits vermehrte
Maschinerie 848 und Ersatz von Muskeln durch Dampf als Tiriebkraft. 849
l.So z.B. in der Topferei berichtet die Firma Cochran von der "Britannia Pottery, Glasgow": »Um
unsere Produktionshohe aufrechtzuerhalten, verwenden wir jetzt in weitem Uinfang Maschinen, die
von ungelernten Arbeitern bedient werden, undjeder Tag iiberzeugt uns, dafi wir eine grofiere Menge
herstellen konnen als nach dem alten Verfahren.« ("Reports of Insp, of Fact., 31st Oct. 1865", p. 13.)
»Die Wirkung des Fabrikakts ist, zu weitrer Einfiihrung von Maschinerie zu treiben.« (I.e. p. 13, 14.)
2. So nach Einfuhrunlg des Fabrikakts in die Topferei groBe Zunahme der power jiggers statt der
handmoved jiggers [Drehscheiben mit Kraftantrieb statt der Drehscheiben mit Handantrieb].
l."Rep. Insp. Fact., 31st Oct. 1865", p.96 und 127.
l.Die Einfiihrung dieser und andrer Maschinerie in die Ziindholzfabrik hat in einem Departement
derselben 230 junge Personen durch 32 Jungen und Madchen von 14 bis 17 Jahren ersetzt. Diese Ersparung
von Arbeitern wurde 1865 weitergefuhrt durch Anwendung der Dampfkraft.
l."Child. Empl. Comm., II.Rep .", 1864, p.IX, n. 50.
1. "Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p.22.
Andrerseits, um im Raum zu gewinnen, was in der Zeit verlorengeht,
findet Streckung der gemeinschaftlich vernutzten Produktionsmittel statt,
der Ofen, Baulichkeiten usw., also in einem Wort groBre Konzentration der
Produktionsmittel und entsprechende groBre Konglomeration von
Arbeitern. Der leidenschaftlich wiederholte Haupteinwand jeder mit dem
Fabrikgesetz bedrohten Manufaktur ist in der Tat die Notwendigkeit
groBrer Kapitalauslage, um das Geschaft in seinem alten Umfang
fortzufuhren. Was aber die Zwischenformen zwischen Manufaktur und
Hausarbeit und letztre selbst betrifft, so versinkt ihr Boden mit der
Schranke des Arbeitstags und der Kinderarbeit. Schrankenlose
Ausbeutung wohlfeiler Arbeitskrafte bidet die einzige Grundlage ihrer
Konkurrenzfahigkeit.
Wesentliche Bedingung des Fabrikbetriebs, namentlich sobald er der
Regulation des Arbeitstags unterliegt, ist normale Sicherheit des Resultats,
d.h. Produktion eines bestimmten Quantums Ware oder eines bezweckten
Nutzeffekts in gegebnem Zeitraum. Die gesetzlichen Pausen des
regulierten Arbeitstags unterstellen ferner plotzlichen und periodischen
Stillstand der Arbeit ohne Schaden fur das im ProduktionsprozeB
befindliche Machwerk. Diese Sicherheit des Resultats und
Unterbrechungsfahigkeit der Arbeit sind natiirlich in rein mechanischen
Gewerken leichter erzielbar als dort, wo chemische und physikalische
Prozesse eine Rolle spielen, wie z.B. in Topferei, Bleicherei, Farberei,
Backerei, den meisten Metallmanufakturen. Mit dem Schlendrian des
unbeschrankten Arbeitstags, der Nachtarbeit und freier
Men schenverwu stung gilt jedes naturwuchsige Hindernis bald fur eine
ewige "Naturschranke" der Produktion. Kein Gift vertilgt Ungeziefer
sichrer als das Fabrikgesetz solche "Naturschranken". Niemand schrie
lauter iiber "Unmoglichkeiten" als die Herren von der Topferei. 1864 wurde
ihnen das Fabrikgesetz oktroyiert, und alle Unmoglichkeiten waren schon
16 Monate spater verschwunden. Die durch das Fabrikgesetz
hervofgerufne
»verbesserte Methode, Topferbrei (slip) durch Druck statt durch
Verdunstung zu machen, die neue Konstruktion der Ofen zum Trocknen
der ungebrannten Ware usw. sind Ereignisse von grofier Wichtigkeit in
der Kunst der Topferei und bezeichnen einen Fortschritt derselben, wie
ihn das letzte Jahrhundert nicht aufweisen kann ... Die Temperatur der
Ofen ist betrachtlich vermindert, bei betrachtlicher Abnahme im
Kohlenkonsum und raschrer Wirkung aufdie Ware.« 850
Trotz aller Prophezeiung stieg nicht der Kostenpreis des Erdenguts, wohl
aber die Produktenmasse, so daB die Ausfuhr der 12 Monate von
Dezember 1864 bis Dezember 1865 einen WertiiberschuB von 138.628
Pfd.St. iiber den Durchschnitt der drei vorigen Jahre ergab. In der
Fabrikation von Zundholzern gait es als Naturgesetz, daB Jungen, selbst
wahrend der Herunterwiirgung ihres Mittagsmahls, die Holzer in eine
warme Phosphorkomposition tunkten, deren giftiger Dampf ihnen in das
Gesicht stieg. Mit der Notwendigkeit, Zeit zu okonomisieren, erzwang der
Fabrikakt (1864) eine "dipping machine" (Eintauchungsmaschine), deren
Dampfe den Arbeiter nicht erreichen konnen. 85 ' So wird jetzt in den noch
nicht dem Fabrikgesetz unterworfnen Zweigen der Spitzenmanufaktur
behauptet, die Mahlzeiten konnten nicht regelmaBig sein, wegen der
verschiednen Zeitlangen, die verschiedne Spitzenmaterialien zur
Trocknung brauchen, und die von 3 Minuten auf eine Stunde und mehr
variieren. Hierauf antworten die Komrnissare der "Children's Employment
Comm.":
»Die Umstande sind dieselben wie in der Tapetendruckerei. Einige der
Hauptfabrikanten in diesem Zweig machten lebhaft geltend, die Natur
der verwandten Materialien und die Verschiedenartigkeit der Prozesse,
die sie durchlaufen, erlaubten ohne grofien Verlust keine plotzliche
Stillsetzung der Arbeit fur Mahlzeiten... Durch die 6. Klausel der 6.
Sektion des Factory Acts Extension Act [Gesetzes zur Ausdehnung der
Fabrikgesetze] [1864] ward ihnen eine achtzehnmonatliche Frist vom
Erlassungsdatum des Akts an eingeraumt, nach deren Ablaufsie sich den
durch den Fabrikakt spezifizierten Erfrischungspausen fiigen
mufiten.« %il
Kaum hatte das Gesetz parlamentarische Sanktion erhalten, als die Herrn
Fabrikanten auch entdeckten:
»Die Mifistande, die wir von der Einfiihrung des Fabrikgesetzes
erwarteten, sind nicht eingetreten. Wirfinden nicht, dafi die
Produktion irgendwie geldhmt ist. In der Tat, wir produzieren mehr in
derselben Zeit.« S53
Man sieht, das englische Parlament, dem sicher niemand Genialitat
vorwerfen wird, ist durch Erfahrung zur Einsicht gelangt, daB ein
Zwangsgesetz alle sog. Naturhindernisse der Produktion gegen
Beschrankung und Reglung des Arbeitstags einfach wegdiktieren kann. Bei
Einfiihrung des Fabrikakts in einem Industriezweig wird daher ein Termin
von 6 bis 18 Monaten gestellt, innerhalb dessen es Sache des Fabrikanten
ist, die technischen Hindernisse wegzuraumen. Mirabeaus impossible?
Ne me dites jamais ce bete de mot!«* u gilt namentlich fur die moderne
l.»Unmoglich? Kommt mir nie mit diesem dummen Wort!«
2.»Die notigen Verbesserungen ... konnen in vielen alten Manufakturen nicht eingefiihrt
werden, ohne Kapitalauslage tiber die Mittel vieler gegenwdrtiger Besitzer... Eine voriibergehende
Desorganisation begleitet notwendig die Einfiihrung der Fabrikakte. Der Umfang dieser
Desorganisation steht in direktem Verhdltnis zur Grofie der zu heilenden Mifistande. « (I.e. p. 96, 97.)
l.In den Hochofen z.B. »wird die Arbeitszeit gegen Ende der Woche im allgemeinen stark
ausgedehnt, infolge der Gewohnheit der Arbeiter, am Montag und gelegentlich, teilweise oder ganz,
auch am Dienstag zu feiern«. ("Child. Empl. Comm., III. Rep.", p.VL) »Die kleinen Meister haben im
allgemeinen eine sehr unregelmafiige Arbeitszeit. Sie verlieren 2 oder 3 Tage, und dann arbeiten sie
die ganze Nacht, um den Verlust aufzuholen... Sie beschdftigen immer ihre eignen Kinder, wenn sie
welche haben.« (I.e. p.VII.) »Der Mangel an Regelmafiigkeit beim Arbeitsanfang, der durch die
Moglichkeit und die Ubung, durch Uberarbeit den Verlust einzuholen, gefordert wird.« (I.e. p.XVlll.)
»Ungeheurer Zeitverlust in Birmingham ... indem sie einen Teil der Zeit bummeln und in der restlichen
Zeit sich abschuften.« (I.e. p.XI.)
1. "Child. Empl. Comm., IV. Rep.", p.XXXII. »Die Ausdehnung des Eisenbahnsystems soil diese
Gewohnheit, plotzliche Ordres zu erteilen, sehr gefordert haben; fiir die Arbeiter ergeben sich daraus
Hetztempo, Vernachldssigung der Essenszeiten und Uberstunden.« (I.e. p.XXXI.)
l."Child. Empl. Comm., IV.Rep.", p.XXXV, n.235 und 237.
2.1.c. p.127, n.56.
l.»Was den Verlust anbelangt, der dem Handel durch nicht rechtzeitiges Erfullen der Ordres
zur Verschiffung entsteht, so erinnere ich mich, dafi dies das Lieblingsargument der Fabrikherren
1832 und 1833 war. Nichts, was jetzt zu diesem Gegenstand angefiihrt werden kann, konnte soviel
Gewicht haben wie damals, als der Dampf noch nicht alle Entfernungen halbiert und neue Regelungen
des Verkehrs eingefiihrt hatte. Diese Behauptung erwies sich damals, als wirklich die Probe auts
Exempel gemacht wurde, als nicht stichhaltig und wiirde gewifi auch jetzt einer Nachprufung nicht
standhalten.« ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1862", p. 54, 55)
2."Child. Empl. Comm, III. Rep.". p.XVIII, n.235 und 237.
3. John Bellers bemerkt schon 1699: »Die Ungewifiheit der Mode vergrofiert die Zahl der
Technologie. Wenn aber das Fabrikgesetz so die zur Verwandlung des
Manufakturbetriebs in Fabrikbetrieb notwendigen materiellen Elemente
treibhausmaBig reift, beschleunigt es zugleich durch die Notwendigkeit
vergroBerter Kapitalauslage den Untergang der kleineren Meister und die
Konzentration des Kapitals. 855
Abgesehn von den rein technischen und technisch beseitbaren
Hinderrissen stoBt die Regulation des Arbeitstags auf unregelmaBige
Gewohnheiten der Arbeiter selbst, namentlich wo Stiicklohn vorherrscht
und Verbummlung der Zeit in einem Tages- oder Wochenabschnitt durch
nachtragliche Uberarbeit oder Nachtarbeit gutgemacht werden kann, eine
Methode, die den erwachsnen Arbeiter brutalisiert, seine unreifen und
weib lichen Genossen ruiniert. 856 Obgleich diese Regellosigkeit in
Verausgabung der Arbeitskraft eine naturwiichsige rohe Reaktion gegen
die Langweile monotoner Arbeitsplackerei ist, entspringt sie jedoch in
ungleich hoherem Grad aus der Anarchie der Produktion selbst, die
ihrerseits wieder ungeziigelte Exploitation der Arbeitskraft durch das
Kapital voraussetzt. Neben die allgemeinen periodischen Wechselfalle des
industriellen Zyklus und die besondren Marktschwankungen in jedem
Produktionszweig treten namentlich die sog. Saison, beruhe sie nun auf
Periodizitat der Schiffahrt gunstiger Jahreszeiten oder auf der Mode, und
die Plotzlichkeit groBer und in kiirzester Frist auszufuhrender Ordres. Die
Gewohnheit der letztern dehnt sich mit Eisenbahnen und Telegraphie aus.
»Die Ausdehnung des Eis enbahnsy 'stems •«, sagt z.B. ein Londoner
Fabrikant »durch das ganze Land hat die Gewohnheit kurzer Ordres
sehr gefordert. Kaufer kommen jetzt von Glasgow, Manchester und
Edinburgh einmal in 14 Tagen oder fur den Engroskauf zu den City-
Warenhausern, denen wir die Waren liefern. Sie geben Ordres, die
unmittelbar ausgefuhrt werden miissen, statt vom Lager zu kaufen, wie
es Gewohnheit war. Infruhren Jahren waren wir stets fahig, wahrend
der schlaffen Zeit fur die Nachfrage der nachsten Saison
vorauszuarbeiten, aber jetzt kann niemand vorhersagen, was dann in
Nachfrage sein wird.« %il
In den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfnen Fabriken und
Manufakturen herrscht periodisch die furchtbarste Uberarbeit wahrend der
sog. Saison, stoBweis infolge plotzlicher Ordres. Im auswartigen
Departement der Fabrik, der Manufaktur und des Warenmagazins, in der
Sphare der Hausarbeit, ohnehin durchaus unregelmaBig, fur ihr
Rohmaterial und ihre Ordres ganz abhangig von den Launen des
Kapitalisten, den hier keine Riicksicht auf Verwertung von Baulichkeiten,
Maschinen usw. bindet und der hier nichts riskiert als die Haut der Arbeiter
selbst, wird so systematisch eine stets disponible, industrielle
Reservearmee groBgeziichtet, dezimiert wahrend eines Teils des Jahrs
durch unmenschlichsten Arbeitszwang, wahrend des andren Teils
verlumpt durch Arbeitsmangel.
»Die Anwender«, sagt die "Child. Empl. Comm.", »exploitieren die
gewohnheitsmdfiige Unregelmafiigkeit der Hausarbeit, umsie in Zeiten,
wo Extrawerk notig, bis 11, 12, 2 Uhr nachts, in der Tat, wie die
stehende Phrase lautet, aufalle Stunden hinaufzuforcieren« , und dies in
Lokalen, »wo der Gestank hinreicht, euch niederzuschmettern (the
stench is enough to knock you down). Ihr geht vielleicht bis an die Tiir
und o'ffnet sie, aber schaudert zuriick von weitrem Vorgehn.« S5S »Es sind
komische Kauze, unsre Anwenden« , sagt einer der verhorten Zeugen, ein
Schuster, »sie glauben, es tue einem Jungen keinen Harm, wenn er
wahrend eines halben Jahrs totgerackert und wahrend der andren Halfte
fast gezwungen wird, herumzuludern.« m
Wie die technischen Hindernisse, so wurden und werden diese sog.
"Geschaftsgewohnheiten" ("usages which have grown with the growth of
trade") von in teres sierten Kapitalisten als "Naturschranken" der Produktion
behauptet, ein Lieblingsschrei dies der Baumwoll-Lords zur Zeit, als das
Fabrikgesetz sie zuerst bedrohte. Obgleich ihre Industrie mehr als jede
andre auf dem Weltmarkt und daher der Schiffahrt beruht, strafte die
Erfahrung sie Lugen. Seitdem wird jedes angebliche "Geschaftshindernis"
von den englischen Fabrikinspektoren als hohle Flause behandelt. 860 Die
griindlich gewissenhaften Untersuchungen der "Child. Empl. Comm."
beweisen in der Tat, daB in einigen Industrien die bereits angewandte
Arbeitsmasse nur gleichmaBiger iiber das ganze Jahr verteilt wiirde durch
die Regulation des Arbeitstags 861 , daB letztre der erste rationelle Zugel fur
die menschenmorderischen, inhaltlosen und an sich dem System der
groBen Industrie unangemeBnen Flatterlaunen der Mode 862 , daB die
Entwicklung der ozeanischen Schiffahrt und der Kommunikationsmittel
uberhaupt den eigentlich technischen Grand der Saisonarbeit aufgehoben
hat 863 , daB alle andren angeblich unkontrollierbaren Umstande weggeraumt
werden durch weitere Baulichkeiten, zusatzliche Maschinerie, vermehrte
4."Child. Empl. Comm., V. Rep.", p.171, n.34.
5. So heiBtes z.B. in den Zeugenaussagen von Bradforder Exporthandlern: »Unter diesen
Umstdnden ist es klar, dafi Jungen nicht longer als von 8 Uhr morgens bis 7 oder Th, Uhr abends in
den Warenhdusern beschdftigt zu werden brauchen. Es ist nur eine Frage von Extra-Auslage und
Extra-Handen. Die Jungen brauchten nicht so spat in die Nacht hinein zu arbeiten, wdren einige
Anwender nicht so profithungrig; eine Extramaschine kostet nur 16 oder 18 Pfd.St.... Alle
Schwierigkeiten entspringen aus ungeniigenden Vorrichtungen und Raummangel.« (I.e. p. 171, n.35, 36
u. 38.)
6. I.e. [p. 81, n.32.] Ein Londoner Fabrikant, der iibrigens die zwangsweise Regulation des
Arbeitstags als Schutzmittel der Arbeiter gegen die Fabrikanten und der Fabrikanten selbst gegen den
GroBhandel betrachtet, sagt aus: »Der Druck in unsrem Geschaft ist verursacht durch die Verschiffer, die
Z.B. Ware mit einem Segelschiff verschicken wollen, umfiir eine bestimmte Saison an Ort und Stelle zu
sein und zugleich die Frachtdifferenz zwischen Segelschiff und Dampfschiff einzustecken, oder von
zwei Dampfschiffen das friihere wahlen, um vor ihren Konkurrenten auf dem auswartigen Markt zu
erscheinen. «
7.»Dem konnte abgeholfen werden« sagt ein Fabrikant, »auf Kosten einer Erweiterung der
Werke unter dem Druck eines allgemeinen Parlamentsakts.« (I.e. p.X, n.38.)
l.l.c. p.XV, n.72sqq.
1. "Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p.127.
l.Man hat erfahrungsmaBig gefunden, daB ungefahr 25 Kubikzoll Luft bei jeder Atmung mittlerer
Intensitat von einem gesunden Durchschnittsindividuum konsumiert werden, und ungefahr 20 Atmungen per
Minute vorgehen. Der Luftkonsum eines Individuums in 24 Stunden ergabe danach ungefahr 720.000
Kubikzoll oder 416 KubikfuB. Man weiB aber, daB die einmal eingeatmete Luft nicht mehr zu demselben
ProzeB dienen kann, bevor sie in der groBen Werkstatte der Natur gereinigt wird. Nach den Experimenten
von Valentin und Brunnen scheint ein gesunder Mann ungefahr 1.300 Kubikzoll Kohlensaure per Stunde
auszuatmen; dies ergabe ungefahr 8 Unzen solider Kohle, von der Lunge in 24 Stunden abgeworfen. » Jeder
Mann sollte wenigstens 800 Kubikfufi haben.« (Huxley.)
l.Nach dem englischen Fabrikakt konnen die Eltern Kinder unter 14 Jahren nicht in die
"kontrollierten" Fabriken schicken, ohne ihnen zugleich Elementarunterricht erteilen zu lassen. Der
Fabrikant ist verantwortlich fur die Befolgung des Gesetzes. »Fabrikunterricht ist obligatorisch, und er
gehort zu den Arbeitsbedingungen.« ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p. 111.)
2.Uber die vorteilhaftesten Erfolge der Verbindung von Gymnastik (fur Jungen auch militarischer
Exerzitien) mit Zwangsunterricht der Fabrikkinder und Arrnenschiiler sieh die Rede von N.W. Senior im 7.
jahrlichen KongreB der "National Association for the Promotion of Social Science" in "Report of
Proceedings etc.", Lond. 1863, p. 63, 64, ebenso den Bericht der Fabrikinspektoren fiir 3LOkt. 1865,
p. 118, 119, 120, 126 sqq.
1. "Reports of Insp. of Fact.", I.e. p. 118, 119. Ein naiver Seidenfabrikant erklart den
Untersuchungskommissaren der "Child. Empl. Comm.": »Ich bin durchaus uberzeugt, dafi das wahre
Geheimnis der Produktion tiichtiger Arbeiter gefunden ist in der Vereinigung der Arbeit mit Unterricht
von der Periode der Kindheit an. Naturlich mufi die Arbeit weder zu anstrengend noch widerlich und
ungesund sein. Ich wiinschte, meine eignen Kinder hatten Arbeit und Spiel zur Abwechslung von der
Schule.« ("Child. Empl. Comm., V.Rep.", p. 82, n.36.)
1. Senior, I.e. p. 66. Wie die groBe Industrie auf einem gewissen Hohegrad durch die Umwalzung
der materiellen Produktionsweise und der gesellschaftlichen Produktionsverhaltnisse auch die Kopfe
umwalzt, zeigt schlagend ein Vergleich zwischen der Rede des N.W. Senior von 1863 und seiner Philippika
gegen das Fabrikgesetz von 1833 oder ein Vergleich der Ansichten des erwahnten Kongresses mit der
Anzahl der gleichzeitig beschaftigten Arbeiter 864 und von selbst folgenden
Riickschlag auf das System des GroBhandels. 865 Jedoch versteht sich das
Kapital, wie es wiederholt durch den Mund seiner Reprasentanten erklart,
zu solcher Umwalzung »nur unter dem Druck eines allgemeinen
Parlamentsakts« mb der den Arbeitstag zwangsgesetzlich reguliert.
9. Fabrikgesetzgebung. (Gesundheits- und Erziehungsklauseln.) Ihre
Verallgemeinerung in England
Die Fabrikgesetzgebung, diese erste bewuBte und planmaBige
Riickwirkung der Gesellschaft auf die naturwuchsige Gestalt ihres
Produktionsprozesses, ist, wie man gesehn, ebensosehr ein notwendiges
Produkt der groBen Industrie als Baumwollgarn, Selfactors und der
elektrische Telegraph. Bevor wir zu ihrer Verallgemeinerung in England
ubergehn, sind noch einige nicht auf die Stundenzahl des Arbeitstags
bezugliche Klauseln des englischen Fabrikakts kurz zu erwahnen.
Abgesehn von ihrer Redaktion, welche dem Kapitalisten ihre Umgehung
erleichtert, sind die Gesundheitsklauseln auBerst mager, in der Tat
beschrankt auf Vorschriften fiir WeiBen der Wande und einige sonstige
ReinlichkeitsmaBregeln, Ventilation und Schutz gegen gefahrliche
Maschinerie. Wir kommen im Dritten Buch auf den fanatischen Kamp der
Fabrikanten gegen die Klausel zuriick, die ihnen eine geringe Ausgabe zum
Schutz der GliedmaBen ihrer "Hande" aufoktroyiert. Hier bewahrt sich
wieder glanzend das Freihandelsdogma, daB in einer Gesellschaft
antagonistischer Interessen jeder das Gemeinwohl durch Verfolgung
seines Eigennutzes fordert. Ein Beispiel geniigt. Man weiB, daB sich
wahrend der letztverfloBnen zwanzgjahrigen Periode die Flachsindustrie
und mit ihr die scutching mills (Fabriken zum Schlagen und Brechen des
Flachses) in Inland sehr vermehrt haben. Es gab dort 1864 an 1.800 dieser
mills. Periodisch im Herbst und Winter werden hauptsachlich junge
Personen und Weiber, die Sonne, Tochter und Frauen der benachbarten
kleinen Pachter, lauter mit Maschinerie ganz unbekannte Leute, von der
Feldarbeit weggeholt, um die Walzwerke der scutching mills mit Flachs zu
futtern. Die Unfalle sind nach Umfang und Intensitat ganzlich beispiellos in
der Geschichte der Maschinerie. Eine einzige scutching mill zu Kildinan
(bei Cork) zahlte von 1852 bis 1856 sechs Todesfalle und 60 schwere
Verstummlungen, welchen alien durch die einfachsten Anstalten, zum
Preis von wenigen Schillingen, vorgebeugt werden konnte. Dr. W.White,
der certifying surgeon der Fabriken zu Downpatrick, erklart in einem
offiziellen Bericht vom 16. Dezember 1865:
»Die Unfalle in scutching mills sind furchtbarster Art. In vielen Fallen
wird ein Vierteil des Korpers vom Rumpfe gerissen. Tod oder eine
Zukunft elenden Unvermogens und Leidens sind gewohnliche Folgen der
Wunden. Die Zunahme der Fabriken in diesem Lande wird natiirlich
diese schauderhaften Resultate ausdehnen. Ich bin iiberzeugt, dafi durch
geeignete Staatsiiberwachung der scutching mills grofie Opfer von Leib
und Leben zu vermeiden sind.« mi
Was konnte die kapitalistische Produktiorisweise besser charakterisieren
als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die
einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?
»Der Fabrikakt von 1864 hat in den Topfereien iiber 200 Werkstatten
geweifit und gereinigt, nach zwanzigjahriger oder ganzlicher Enthaltung
vonjeder solchen Operation [dies ist die "Abstinenz" des Kapitals!], in
Platzen, wo 27.878 Arbeiter beschaftigt sind und bisher, wahrend
ubermafiiger Tages-, oft Nachtarbeit, eine mefitische Atmosphare
einatmeten, welche eine sonst vergleichungsweis harmlose
Beschaftigung mit Krankheit undTod schwangerte. Der Akt hat die
Ventilationsmittel sehr vermehrt.« M%
Zugleich zeigt dieser Zweig des Fabrikakts schlagend, wie die
kapitalistische Produktionsweise ihrem Wesen nach iiber einen gewissen
Punkt hinaus jede rationelle VerbeBrung ausschlieBt. Es ward wiederholt
bemerkt, daB die englischen Arzte aus einem Munde 500 KubikfuB
Luftraum per Person fur kaum genugendes Minimum bei fortgesetzter
Arbeit erklaren. Nun wohl! Wenn der Fabrikakt indirekt durch alle seine
ZwangsmaBregeln die Verwandlung kleinerer Werkstatten in Fabriken
beschleunigt, daher indirekt in das Eigentumsrecht der kleineren
Kapitalisten eingreift und den groBen das Monopol sichert, so wiirde die
gesetzliche Aufherrschung des notigen Luftraums fur jeden Arbeiter in der
Werkstatte Tausende von kleinen Kapitalisten mit einem Schlag direkt
expropriieren! Sie wiirde die Wurzel der kapitalistischen Produktionsweise
angreifen, d.h. die Selbstverwertung des Kapitals, ob groB oder klein,
durch "freien" Ankauf und Konsum der Arbeitskraft. Vor diesen 500
KubikfuB Luft geht daher der Fabrikgesetzgebung der Atem aus. Die
Gesundheitsbehorden, die industriellen Untersuchungskommissionen, die
Fabrikinspektoren wiederholen wieder und wieder die Notwendigkeit der
500 KubikfuB und die Unmoglichkeit, sie dem Kapital aufzuoktroyieren.
Sie erklaren so in der Tat Schwindsucht und andre Lungenkrankheiten der
Arbeit fur eine Lebensbedingung des Kapitals. 869
Armselig, wie die Erziehungsklauseln des Fabrikakts im ganzen
erscheinen, proklamieren sie den Elementarunterricht als
Zwangsbedingung der Arbeit. 870 Ihr Erfolg bewies zuerst die Moglichkeit
der Verbindung von Unterricht und Gymnastik 871 mit Handarbeit, also
auch von Handarbeit mit Unterricht und Gymnastik. Die Fabrikinspektoren
entdeckten bald aus den Zeugenverhoren der Schulmeister, daB die
Fabrikkinder, obgleich sie nur halb soviel Unterricht genieBen als die
regelmaBigen Tagesschuler, ebensoviel und oft mehr lernen.
»Die Sache ist einfach. Diejenigen, die sich nur einen halben Tag in der
Schule aufhalten, sind stets frisch und fast immer fahig und willig,
Unterricht zu empfangen. Das System halb er Arbeit und halber Schule
machtjede der beiden Beschaftigungen zur Ausruhung und Erholung
von der andren und folglich viel angemefiner filr das Kind als die
ununterbrochne Fortdauer einer von beiden. Ein Junge, der von morgens
friih in der Schule sitzt, und nun gar bei heifiem Wetter, kann unmoglich
mit einem andren wetteifern, der munter und aufgeweckt von seiner
Arbeit kommt. « %n
Weitere Belege findet man in Seniors Rede auf dem soziologischen
KongreB zu Edinburgh 1863. Er zeigt hier auch u.a. noch, wie der
einseitige unproduktive und verlangerte Schultag der Kinder der hohern
und mittlern Klassen die Arbeit der Lehrer nutzlos vermehrt, »wahrend er
Zeit, Gesundheit und Energie der Kinder nicht nurfruchtlos, sondern
absolut schddlich verwiistet« v \ Aus dem Fabriksystem, wie man im
Detail bei Robert Owen verfolgen kann, entsproB der Keim der Erziehung
der Zukunft, welche fur alle Kinder iiber einem gewissen Alter produktive
Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine
Methode zur Steigerang der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die
einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen.
Man hat gesehn, daB die groBe Industrie die manufakturmaBige Teilung
der Arbeit mit ihrer lebenslanglichen Annexion eines ganzen Menschen an
eine Detailoperation technisch aufhebt, wahrend zugleich die
kapitalistische Form der groBen Industrie jene Arbeitstellung noch
monstroser reproduziert, in der eigentlichen Fabrik durch Verwandlung
des Arbeiters in den selbstbewuBten Zubehor einer Teilmaschine, iiberall
sonst teils durch sporadischen Gebrauch der Maschinen und der
Maschinenarbeit 874 , teils durch Einfuhrung von Weiber-, Kinder- und
l.Wo handwerksmaBige Maschinen, durch Menschenkraft getrieben, direkt oder indirekt mit
entwickelter und daher mechanische Triebkraft voraussetzender Maschinerie konkurrieren, geht eine groBe
Umwandlung vor mit Bezug auf den Arbeiter, der die Maschine treibt. Urspriinglich ersetzte die
Dampfmaschine diesen Arbeiter, jetzt soil er die Dampfmaschine ersetzen. Die Spannung und
Verausgabung seiner Arbeitskraft wird daher monstros, und nun gar fur Unerwachsne, die zu dieser Tortur
verurteilt sind! So fand der Kommissar Longe in Coventry und Umgebung Jungen von 10 bis 15 Jahren zum
Drehn der Bandstiihle verwandt, abgesehn von jiingeren Kindern, die Stiihle von kleinerer Dimension zu
drehn hatten. »Es ist aufierordentlich miihsame Arbeit. Der Junge ist ein blofier Ersatz fiir Dampfkraft.«
("Child. Empl. Comm., V. Rep. 1866", p. 114, n.6.) Uber die morderischen Folgen »dieses Systems der
Sklaverei«, wie der offizielle Bericht es nennt, I.e. sq.
2.1.c.p.3, n.24.
l.l.c.p.7, n.60.
l.»In einigen Teilen von Hochschottland ... erschienen viele Schafhirten und cotters [Hdusler]
mit Frau und Kind, nach dem Statistical Account, in Schuhen, die sie selbst gemacht aus Leder, das sie
selbst gegerbt, in Kleidern, die keine Hand aufier ihrer eignen angetastet, deren Material sie selbst
von den Schafen geschoren oder wofiir sie den Flachs selbst gebaut hatten. In die Zubereitung der
Kleider ging kaum irgendein gekaufter Artikel ein, mit Ausnahme von Pfrieme, Nadel, Fingerhut und
sehr wenigen Teilen des im Weben angewandten Eisenwerks. Die Farben wurden von den Weibern
selbst von Baumen, Gestriiuchen und Krdutern gewonnen usw.« (Dugald Stewart, "Works", ed. Hamilton,
vol. VIII, p.327-328.)
2. In dem beriihmten "Livre des metiers" des Etienne Boileau wird unter andrem vorgeschrieben, daB
ein Geselle bei seiner Aufnahme unter die Meister einen Eid leiste, »seine Briider briiderlich zu lieben,
sie zu stutzen, jeder in seinem metier, nicht freiwillig die Gewerksgeheimnisse zu verraten und sogar
im Interesse der Gesamtheit nicht zur Empfehlung seiner eignen Ware den Kaufer auf die Fehler des
Machwerks von andren aufmerksam zu machen«.
3. Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die
Produktionsverhaltnisse, also samtliche gesellschaftlichen Verhaltnisse fortwahrend zu revolutionieren.
Unveranderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller
friiheren Klassen. Die fortwahrende Umwalzung der Produktion, die ununterbrochene Erschutterung aller
gesellschaftlichen Zustande, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnen die Bour geois epoche vor
alien friiheren aus. Alle festen, eingerosteten Verhaltnisse mit ihrem Gefolge von altehrwiirdigen
Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelost, alle neugebildeten veralten, ehe sie verknochern
ungeschickter Arbeit als neuer Grandlage der Arbeitsteilung. Der
Widerspruch zwischen der manufakturmaBigen Teilung der Arbeit und
dem Wesen der groBen Industrie macht sich gewaltsam geltend. Er
erscheint u.a. in der furchtbaren Tatsache, daB ein groBer Teil der in den
modernen Fabriken und Manufakturen beschaftigten Kinder, vom
zartesten Alter festgeschmiedet an die einfachsten Manipulationen,
jahrelang exploitiert wird, ohne Erlernung irgendeiner Arbeit, die sie spater
auch nur in derselben Manufaktur der Fabrik brauchbar machte. In den
englischen Buchdruckereien z.B. fand friiher ein dem System der alten
Manufaktur und des Handwerks entsprechender Ubergang der Lehrlinge
von leichtren zu inhaltsvoUren Arbeiten statt. Sie machten einen Lerngang
durch, bis sie fertige Drucker waren. Lesen und schreiben zu konnen war
ftir alle ein Handwerkserfordernis. Alles das anderte sich mit der
Druckmaschine. Sie verwendet zwei Sorten von Arbeitern, einen
erwachsnen Arbeiter, den Maschinenaufseher, und Maschinenjungen,
meist von 11-17 Jahren, deren Geschaft ausschlieBlich darin besteht, einen
Bogen Papier der Maschine zu unterbreiten oder ihr den gedruckten Bogen
zu entziehen. Sie verrichten, in London namentlich, diese Plackerei 14, 15,
16 Stunden ununterbrochen wahrend einiger Tage in der Woche und oft 36
Stunden nacheinander mit nur zwei Stunden Rast ftir Mahlzeit und
Schlaf! 875 Ein groBer Teil von ihnen kann nicht lesen, und sie sind in der
Regel ganz verwilderte, abnorme Geschopfe.
»Um sie zu ihrem Werk zu befdhigen, ist keine intellektuelle Ziehung
irgendeiner Art notig; sie haben wenig Gelegenheitfiir Geschick und
noch wenigerfur Urteil; ihr Lohn, obgleich gewissermafien hochfur
Jungen, wachst nicht verhaltnismafiig, wie sie selbst heranwachsen,
und die grofie Mehrzahl hat keine Aussicht aufden eintrdglicheren und
verantwortlicheren Posten des Maschinenaufsehers, weil aufjede
Mas chine nur ein Aufseher und oft 4 Jungen kommen.« S16
Sobald sie zu alt fur ihre kindische Arbeit werden, also wenigstens im 17.
Jahr, entlaBt man sie aus der Druckerei. Sie werden Rekruten des
Verbrechens. Einige Versuche, ihnen anderswo Beschaftigung zu
verschaffen, scheiterten an ihrer Unwissenheit, Roheit, korperlichen und
geistigen Verkommenheit.
Was von der manufakturmaBigen Teilung der Arbeit im Innern der
Werkstatt, gilt von der Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft.
Solange Handwerk und Manufaktur die allgemeine Grundlage der
gesellschaftlichen Produktion bilden, ist die Subsumtion des Produzenten
unter einen ausschlieBlichen Produktionszweig, die ZerreiBung der
urspriinglichen Mannigfaltigkeit seiner Beschaftigungen 877 , ein
notwendiges Entwicklungsmoment. Auf jener Grundlage findet jeder
besondre Produktionszweig empirisch die ihm entsprechende technische
Gestalt, vervollkommnet sie langsam und kristallisiert sie rasch, sobald ein
gewisser Reifegrad erlangt ist. Was hier und da Wechsel hervorruft, ist
auBer neuem Arbeitsstoff, den der Handel liefert, die allmahliche
Anderung des Arbeitsinstruments. Die erfahrungsmaBig entsprechende
Form einmal gewonnen, verknochert auch es, wie sein oft
jahrtausendlanger Ubergang aus der Hand einer Generation in die der
andren beweist. Es ist charakteristisch, daB bis ins 18Jahrhundert hinein
die besondren Gewerke mysteries (mysteres) 878 hieBen, in deren Dunkel
nur der empirisch und professionell Eingeweihte eindringen konnte. Die
groBe Industrie zerriB den Schleier, der den Menschen ihren eignen
gesellschaftlichen ProduktionsprozeB versteckte und die verschiednen
naturwuchsig besonderten Produktionszweige gegeneinander und sogar
dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Ratseln machte. Ihr Prinzip, jeden
ProduktionsprozeB, an und fiir sich und zunachst ohne alle Riicksicht auf
die menschliche Hand, in seine konstituierenden Elemente aufzulosen,
schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologic Die
buntscheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und verknocherten
Gestalten des gesellschaftlichen Produktionsprozesses losten sich auf in
bewuBt planmaBige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch
besonderte Anwendungen der Naturwissenschaft. Die Technologie
entdeckte ebenso die wenigen groBen Grandformen der Bewegung, worin
alles produktive Tun des menschlichen Korpers, trotz aller Mannigfaltigkeit
der angewandten Instrumente, notwendig vorgeht, ganz so wie die
Mechanik durch die groBte Komplikation der Maschinerie sich iiber die
bestandige Wiederholung der einfachen mechanischen Potenzen nicht
tauschen laBt. Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die
vorhandne Form eines Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre
technische Basis ist daher revolutionar, wahrend die aller friiheren
Produktionsweisen wesentlich konservativ war. 879 Durch Maschinerie,
chemische Prozesse und andre Methoden walzt sie bestandig mit der
technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die
gesellschaftlichen Kombinationen des Arbeitsprozesses um. Sie
revolutioniert damit ebenso bestandig die Teilung der Arbeit im Innern der
Gesellschaft und schleudert unaufhorlich Kapitalmassen und
Arbeitermassen aus einem Produktionszweig in den andern. Die Natur der
groBen Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, FluB der Funktion,
allseitige Beweghchkeit des Arbeiters. Andrerseits reproduziert sie in ihrer
kapitalistischen Form die alte Teilung der Arbeit mit ihren knochernen
Partikularitaten. Man hat gesehn, wie dieser absolute Widerspruch alle
Ruhe, Festigkeit, Sicherheit der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit
dem Arbeitsmittel bestandig das Lebensmittel aus der Hand zu schlagen 880
4.»Ihr nehmt mein Leben,
5.Wenn ihr die Mittel nehmt, wodurch ich lebe.« (Shakespeare)
6.Ein franzosischer Arbeiter schreibt bei seiner Ruckkehr von San Franzisko: »Ich hiitte nie
geglaubt, dafi ich fdhig ware, alle die Gewerbe auszuiiben, die ich in Kalifornien betrieben habe. Ich
warfest uberzeugt, dafi ich aufier zur Buchdruckerei zu nichts gut set ... Einmal in der Mitte dieser Welt
von Abenteurern, welche ihr Handwerk leichter wechseln als ihr Hernde, meiner Treu! ich tat wie die
andren. Da das Geschdft der Minenarbeit sich nicht eintrdglich genug auswies, verliefi ich es und zog
und mit seiner Teilfunktion ihn selbst uberflussig zu machen droht; wie
dieser Widerspruch im ununterbrochnen Opferfest der Arbeiterklasse,
maBlosester Vergeudung der Arbeitskrafte und den Verheerungen
gesellschaftlicher Anarchie sich austobt. Dies ist die negative Seite. Wenn
aber der Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als uberwaltigendes Naturgesetz
und mit der blind zerstorenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt,
das iiberall auf Hindernisse stoBt 881 , macht die groBe Industrie durch ihre
in die Stadt, wo ich der Reihe nach Typograph, Dachdecker, Bleigiefier usw. wurde. Infolge dieser
Erfahrung, zu alien Arbeiten tauglich zu sein, fuhle ich mich weniger als Molluske und mehr als
Mensch.« (A.Corbon, "De l'enseignement professional", 2eme ed. p. 50.)
7.Berufsschulen
8.»Ne sutor ultra crepidam« (»Schuster, bleib bei deinem Leisten«) - Mit diesen Worten wies
der altgriechische Maler Apelles die Kritik eines Schuhmachers an seinem Gemalde zuriick.
9. dieser Gipfel
lOJohn Bellers, ein wahres Phanomen in der Geschichte der politischen Okonomie, begriff schon
Ende des 17Jahrhunderts mit vollster Klarheit die notwendige Aufhebug der jetzigen Erziehung und
Arbeitseinteilung, welche Hypertrophie und Atrophie auf beiden Extremen der Gesellschaft, wenn auch in
entgegengesetzter Richtung, erzeugen. Er sagt u.a. schon: »Mufiig Lernen ist wenig besser als das Lernen
von Mufiiggang... Korperliche Arbeit hat Gott selbst ursprunglich eingerichtet... Arbeit ist so
notwendig fur die Gesundheit des Korpers, wie Essen fiir sein Leben; denn die Schmerzen, welche man
sich durch Mufiiggang erspart, wird man durch Krankheit bekommen... Arbeit tut Ol auf die Lampe des
Lebens, Denken aber entziindet sie... Eine kindisch dumme Beschaftigung [dies ahnungsvoll gegen die
Basedows und ihre modernen Nachstumper) liifit den Geist der Kinder dumm.« ("Proposals for raising a
Colledge of Industry of all useful Trades and Husbandry". Lond. 1696, p. 12, 14, 16, 18.)
l.Diese geht ubrigens groBenteils auch in kleineren Werkstatten vor, wie wir gesehn bei der
Spitzenmanufaktur und Strohflechterei [Siehe MEW, Bd. 23, S. 490-493], und wie namentlich auch an den
Metallmanufakturen in Sheffield, Birmingham usw. ausfuhrlicher gezeigt werden konnte.
2.vaterliche Gewalt
l."Child. Empl. Comm., V. Rep.", p.XXV, n.162 und II. Rep., p.XXXVIII n. 285, 289, p.XXV, XXVI,
n. 191.
l.»Fabrikarbeit kann genauso rein und vortrefflich sein wie Hausarbeit, ja vielleicht noch
mehr.« ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p. 129.)
l.l.c.p.27, 32.
2.Massenhafte Belege dazu in den "Rep. of Insp. of Fact.".
1. "Child. Empl. Comm., V. Rep.", p.X n.35.
1 .Kartonagenfabrikant
l.l.c.p.IX, n.28.
2. I.e. p.XXV, n. 165-167. Vgl. iiber die Vorziige des GroBbetriebes verglichen mit dem
Zwergbetrieb "Child. Empl. Comm., III.Rep.", p.13, n.144, p.25, n.121; p.26, n.125; p.27, n.140 usw.
l.Die zu maBregelnden Industriezweige sind. Spitzenmanufaktur, Strumpfwirkerei, Strohflechten,
Manufaktur von Wearing Apparel mit ihren zahlreichen Arten, kunstliche Blumenmacherei, Schuh-, Hut-
und Handschuhmacherei, Schneiderei, alle Metallfabriken, von den Hochofen bis zu den Nadelfabriken
usw., Papierfabrik, Glasmanufaktur, Tabaksmanufaktur, India-Rubber [Gummi] Werke, Litzenfabrikation
(fiir die Weberei), Handteppich-Weberei, Regenschirm- und Parasolmanufaktur, Fabrikation von Spindeln
und Spulen, Buchdruckerei, Buchbinderei, Schreibmaterialienhandel (Stationery, dazu gehorig Verfertigung
Katastrophen selbst es zur Frage von Leben oder Tod, den Wechsel der
Arbeiten und daher moglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als allgemeines
gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner normalen
Verwirklichung die Verhaltnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage
von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, fur das
wechselnde Exploitationsbediirfnis des Kapitals in Reserve gehaltenen,
disponiblen Arbeiterbevolkerung zu ersetzen durch die absolute
Disponibilitat des Menschen fur wechselnde Arbeitserfordernisse; das
Teilindividuum, den bloBen Trager einer gesellschaftlichen Detailfunktion,
durch das total entwickelte Individuum, fur welches verschiedne
gesellschaftliche Funktionen einander ablosende Betatigungsweisen sind.
Ein auf Grundlage der groBen Industrie naturwiichsig entwickeltes
Moment dieses Umwalzungsprozesses sind polytechnische und
agronomische Schulen, ein andres sind die "ecoles d'enseignement
professionnel" 882 , worin die Kinder der Arbeiter einigen Unterricht in der
Technologie und praktischen Handhabe der verschiednen
Produktionsinstrumente erhalten. Wenn die Fabrikgesetzgebung als erste,
dem Kapital notdurftig abgerangene Konzession nur Elementaranterricht
mit fabrikmaBiger Arbeit verbindet, unterliegt es keinem Zweifel, daB die
unvermeidliche Eroberang der politischen Gewalt durch die Arbeiterklasse
auch dem technologischen Unterricht, theoretisch und praktisch, seinen
Platz in den Arbeiterschulen erobern wird. Es unterliegt ebensowenig
einem Zweifel, daB die kapitalistische Form der Produktion und die ihr
entsprechenden okonomischen Arbeiterverhaltnisse im diametralsten
Widerspruch stehn mit solchen Umwalzungsfermenten und ihrem Ziel, der
Aufhebung der alten Teilung der Arbeit. Die Entwicklung der
Widerspriiche einer geschichtlichen Produktion sform ist jedoch der einzig
geschichtliche Weg ihrer Auf Losung und Neugestaltung. »Ne sutor ultra
crepidam« ! 883 , die nee plus ultra 884 handwerksmaBiger Weisheit, wurde
zur furchtbaren Narrheit von dem Moment, wo der Uhrmacher Watt die
Dampfmaschine, der Barbier Arkwright den Kettenstuhl, der
Juwelierarbeiter Fulton das Dampfschiff erfunden hatte. 88 '
Soweit die Fabrikgesetzgebung die Arbeit in Fabriken, Manufakturen
usw. reguliert, erscheint dies zunachst nur als Einmischung in die
Exploitationsrechte des Kapitals. jede Regulation der sog. Hausarbeit 886
stellt sich dagegen sofort als direkter Eingriff in die patria potestas 887 dar,
d.h. modern interpretiert, in die elterliche Autoritat, ein Schritt, wovor das
zartfiihlende englische Parlament lang zuriickzubeben affektierte. Die
Gewalt der Tatsachen zwang jedoch, endlich anzuerkennen, daB die groBe
Industrie mit der okonomischen Grundlage des alten Familienwesens und
der ihr entsprechenden Famillenarbeit auch die alten Familienverhaltnisse
selbst auflost. Das Recht der Kinder muBte proklamiert werden.
»Ungliicklicherweise«, heifit es im Schlufibericht der "Child. Empl.
Comm. " von 1866, »leuchtet aus der Gesamtheit der Zeugenaussagen
hervor, dafi die Kinder b eider lei Geschlechts gegen niemand so sehr des
Schutzes bediirfen als gegen ihre Eltern.« Das System der mafilosen
Exploitation der Kinderarbeit iiberhaupt und der Hausarbeit im
besonderen wird dadurch »erhalten, dafi die Eltern iiber ihre jungen und
zarten Sprofilinge eine willkurliche und heillose Gewalt ohne Ziigel oder
Kontrolle ausiiben... Eltern diirfen nicht die absolute Macht besitzen,
ihre Kinder zu reinen Maschinen zu machen, um soundso viel
wochentlichen Lohn herauszuschlagen... Kinder undjunge Personen
haben ein Recht aufden Schutz der Legislatur wider den Mifibrauch der
elterlichen Gewalt, der ihre physische Kraft vorzeitig bricht und sie
degradiert aufder Staffel moralischer und intellektueller Wesen.« 8SS
Es ist jedoch nicht der MiBbrauch der elterlichen Gewalt, der die direkte
oder indirekte Exploitation unreifer Arbeitskrafte durch das Kapital schuf,
sondern es ist umgekehrt die kapitalistische Exploitationsweise, welche die
elterliche Gewalt, durch Aufhebung der ihr entsprechenden okonomischen
Grundlage, zu einem MiBbrauch gemacht hat. So furchtbar und ekelhaft
nun die Auflosung des alten Familienwesens innerhalb des kapitalistischen
Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die groBe Industrie mit
der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und
Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten
Produktionsprozessen jenseits der Sphare des Hauswesens zuweist, die
neue okonomische Grundlage fur eine hohere Form der Familie und des
Verhaltnisses beider Geschlechter. Es ist naturlich ebenso albern, die
christlich germanische Form der Familie fur absolut zu halten als die
altromische Form, oder die altgriechische, oder die orientalische, die
ubrigens untereinander eine geschichtliche Entwicklungsreihe bilden.
Ebenso leuchtet ein, daB die Zusammensetzung des kombinierten
Arbeitspersonals aus Individuen beiderlei Geschlechts und der
verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwuchsig brutalen,
kapitalistischen Form, wo der Arbeiter fur den ProduktionsprozeB, nicht
der ProduktionsprozeB fur den Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs
und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhaltnissen umgekehrt zur
Quelle humaner Entwicklung umschlagen muB. 889
Die Notwendigkeit, das Fabrikgesetz aus einem Ausnahmegesetz fur
Spinnereien und Webereien, diese ersten Gebilde des Maschinenbetriebs,
in ein Gesetz aller gesellschaftlichen Produktion zu verallgemeinern,
entspringt, wie man sah, aus dem geschichtlichen Entwicklungsgang der
groBen Industrie, auf deren Hintergrand die uberlieferte Gestalt von
Manufaktur, Handwerk und Hausarbeit ganzlich umgewalzt wird, die
Manufaktur bestandig in die Fabrik, das Handwerk bestandig in die
Manufaktur umschlagt und endlich die Spharen des Handwerks und der
Hausarbeit sich in relativ wunderbar kurzer Zeit zu Jammerhohlen
gestalten, wo die tollsten Ungeheuerlichkeiten der kapitalistischen
Exploitation ihr freies Spiel treiben. Es sind zwei Umstande, welche zuletzt
den Ausschlag geben, erstens die stets neu wiederholte Erfahrung, daB das
Kapital, sobald es der Staatskontrolle nur auf einzelnen Punkten der
gesellschaftlichen Peripherie anheimfallt, sich um so maBloser auf den
andern Punkten entschadigt 890 , zweitens der Schrei der Kapitalisten selbst
nach Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, d.h. gleichen Schranken der
Arbeitsexploitation. 891 Horen wir hieriiber zwei HerzensstoBe. Die Herrn
W. Cooksley (Nagel-, Ketten- usw. Fabrikanten zu Bristol) fiihrten die
Fabrikregulation freiwillig in ihrem Geschaft ein.
»Da das alte, unregelmdfiige System in den benachbarten Werken
fortdauert, sind sie der Unbill ausgesetzt, ihre Arbeitsjungen zur
Fortsetzung der Arbeit anderswo nach 6 Uhr abends verlockt (enticed)
zu sein. "Dies", sagen sie natiirlich, "ist eine Ungerechtigkeit gegen uns
und ein Verlust, da es einen Teil der Kraft der Jungen erschopft, deren
voller Vorteil uns gebiihrt. "« 892
Herr J.Simpson (Paper-Box Bag maker 893 , London) erklart den
Kommissaren der "Children Empl. Comm.":
»Er wollejede Petition fur Einfuhrung der Fabrikakte unterzeichnen.
Wie es sei,fiihle er sich stets rastlos des Nachts (he always felt restless at
night), nach Schlufi seiner Werkstatt, bei dem Gedanken, dafi andre
langer arbeiten liefien und ihm Auftrage vor der Nase
wegschnappten.« i9i »Es ware ein Unrecht«, sagt die "Child. Empl.
Comm." zusammenfassend, »gegen die grofiten Arbeitsanwender, ihre
Fabriken der Regulation zu unterwerfen, wahrend in ihrem eignen
Geschaftszweig der Kleinbetrieb keiner gesetzlichen Beschrankung der
Arbeitszeit unterliegt. Zur Ungerechtigkeit ungleicher
Konkurrenzbedingungen in bezug auf die Arbeitsstunden bei Ausnahme
kleinerer Werkstatten kdme noch der andre Nachteil fur die grofiten
Fabrikanten hinzu, dafi ihre Zufuhr von jugendlicher und weiblicher
Arbeit abgelenkt wiirde nach den vom Gesetz verschonten Werkstatten.
Endlich gdbe dies Anstofi zur Vermehrung der kleineren Werkstatten, die
fast ausnahmslos die mindest giinstigen fur Gesundheit, Komfort,
Erziehung und allgemeine Verbesserung des Volks sind.« S95
In ihrem SchluBbericht schlagt die "Children's Employment Commission"
vor, tiber 1.400.000 Kinder, junge Personen und Weiber, wo von ungefahr
die Halfte vom Kleinbetrieb und der Hausarbeit exploidert wird, dem
Fabrikakt zu unterwerfen. 896
»Sollte«, sagt sie, »das Parlament unsren Vorschlag in seinem ganzen
Umfang annehmen, so ist es zweifellos, dafi solche Gesetzgebung den
wohltatigsten Einflufi ausiiben werde, nicht nur aufdie Jungen und
Schwachen, mit denen sie sich zundchst beschdftigt, sondern aufdie
noch grofire Masse von erwachsnen Arbeitern, die direkt [Weiber] und
indirekt [Manner] unter ihren Wirkungskreis fallen. Sie wiirde ihnen
regelmdfiige und ermdfiigte Arbeitsstunden aufzwingen; sie wiirde den
Vorrat physischer Kraft, wovon ihr eignes Wohlergehen und das des
Landes so sehr abhangt, haushalten und haufen; sie wiirde die
aufsprossende Generation vor der Uberanstrengung in friihem Alter
schiitzen, welche ihre Konstitution untergrabt und zu vorzeitigem Verfall
fiihrt; sie wiirde schliefilich, wenigstens bis zum 13. Jahr, die
Gelegenheit des Elementarunterrichts bieten und damit der
unglaublichen Unwissenheit ein Ende machen, die so treu in den
Kommissionsberichten geschildert ist und nur mit qualvollster
Empfindung und dem tiefen Gefiihl nationaler Erniedrigung betrachtet
werden kann.« i91
l.l.c.p.XXV, n.169.
l.Der Factory Acts Extension Act [Das Gesetz zur Ausdehnung der Fabrikgesetze] ging durch 12.
August 1867. Er reguliert alle Metall-GieBereien, -Schmieden und -Manufakturen, mit EinschluB der
Maschinenfabriken, ferner Glas-, Papier-, Guttapercha-, Kautschuk-, Tabakmanufakturen, Buchdruckereien,
Buchbindereien, endlich samtliche Werkstatten, worin mehr als 50 Personen beschaftigt sind. - Der Hours
of Labour Regulation Act [Das Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit], passiert 17. August 1867, reguliert
die kleinern Werkstatten und die sog. Hausarbeit. - Ich komme auf diese Gesetze, auf den neuen Mining
Act [das neue Bergwerksgesetz] von 1872 etc. im II. Band zuriick.
Das Toryministerium kundigte in der Thronrede vom 5. Febraar 1867 an,
daB es die Vorschlage 898 der industriellen Untersuchungskommission in
"Bills" formuliert habe. Dazu hatte es eines neuen zwanzigjahrigen
Experimentum in corpore vili 899 bedurft. Bereits im Jahre 1840 war eine
parlamentarische Kommission zur Untersuchung iiber Kinderarbeit
ernannt worden. Ihr Bericht von 1842 entrollte nach den Worten N.W.
Seniors
2. Experiments an einem wertlosen Korper
1. Senior, "Social Science Congress", p. 55-58.
l.Das Personal der Fabrikinspektion bestand aus 2 Inspekoren, 2 Hilfsinspektoren und 41
Subinspektoren. Acht fernere Subinspektoren wurden 1871 ernannt. Die Gesamtkosten der Vollstreckung
der Fabrikgesetze in England, Schottland und Irland beliefen sich 1871/72 auf nur 25.347 Pfd.St.,
einschlieBlich der Gerichtskosten bei Prozessen gegen Ubertretungen.
l.Kreuzverhore
l.Untersuchungen des Totenbeschauers
1. Robert Owen, der Vater der Kooperativfabriken und -boutiquen, der jedoch, wie friiher bemerkt,
die Illusionen seiner Nachtreter iiber die Tragweite dieser isolierten Umwandlungselemente keineswegs
teilte, ging nicht nur tatsachlich in seinen Versuchen vom Fabriksystem aus, sondern erklarte es auch
theoretisch fiir den Ausgangspunkt der sozialen Revolution. Herr Vissering, Professor der politischen
Okonomie an der Universitat zu Leyden, scheint so etwas zu ahnen, wenn er in seinem "Handboek van
Praktische Staathuishoudkunde", 1860-1862, welches die Plattheiten der Vulgarokonomie in
entsprechendster Form vortragt, fiir Handwerksbetrieb gegen groBe Industrie eifert. -
»das furchtbarste Gemdlde von Habsucht, Selbstsucht und
Grausamkeit der Kapitalisten und Eltern, von Elend, Degradation und
Zerstorung der Kinder und jungen Personen, das jemals das Auge der
Welt schlug... Man wdhnt vielleicht, der Bericht beschreibe die Greuel
eines vergangnen Zeitalters. Leider aber liegen Berichte vor, dafi diese
Greuel fortdauern, so intensiv wieje. Eine vor zwei Jahren von
Hardwicke verogentlichte Broschiire erklart, die 1842 geriigten
Mifibrauche stehen heutzutage [1863] in voller Bliite... Dieser Bericht
[von 1842] lag unbeachtet zwanzig Jahre lang, wahrend deren man
jenen Kindern, herangewachsen ohne die geringste Ahnung weder von
dem, was wir Moral nennen, noch von Schulbildung, Religion oder
natiirlicher Familienliebe - diesen Kindern erlaubte man, die Eltern der
jetzigen Generation zu werden.« 900
Inzwischen hatte die gesellschaftliche Lage sich geandert. Das Parlainent
wagte nicht, die Forderungen der Kommission von 1863 ebenso
zuriickzuweisen wie seinerzeit die von 1842. Daher wurden schon 1864, als
die Kommission erst einen Teil ihrer Berichte veroffentlicht hatte, die
Erdenwaren-Industrie (einschlieBlich der Topferei), die Fabrikation von
Tapeten, Zundholzern, Patronen und Zundhutchen so wie das Samtscheren
unter die fur Textilindustrie gultigen Gesetze gestellt. In der Thronrede
vom 5. Februar 1867 kiindigte das damalige Torykabinett weitere Bills an,
gegriindet auf die SchluBvorschlage der Kommission, die inzwischen 1866
ihr Werk vollendet hatte.
Am 15. August 1867 erhielt der Factory Acts Extension Act und am 21.
August der Workshops' Regulation Act die konigliche Bestatigung; der
erstre Akt regelt die groBen, der letztre die kleinen Geschaftszweige.
Der Factory Acts Extension Act reguliert die Hochofen, Eisen- und
Kupferwerke, GieBereien, Maschinenfabriken, Metallwerkstatten, Fabriken
fur Guttapercha, Papier, Glas, Tabak, ferner Druckereien und
Buchbindereien und uberhaupt alle industriellen Werkstatten dieser Art,
worin 50 oder mehr Personen gleichzeitig wahrend mindestens 100 Tagen
im Jahr beschaftigt werden.
Um eine Vorstellung zu geben von der Ausdehnung des von diesem
Gesetz umfaBten Gebiets, folgen hier einige der darin festgestellten
Definitionen:
»Handwerk soil [in diesem Gesetz] bedeuten: irgendwelche Handarbeit,
geschaftsmdfiig oder zum Erwerb betrieben bei, oder gelegentlich, der
Verfertigung, Verdnderung, Verzierung, Reparatur oder Fertigstellung
zum Verkauf irgendeines Artikels oder eines Teils davon.«
»Werkstatt soil bedeuten: irgendwelche Stube oder Ortlichkeit,
eingedeckt oder unter freiem Himmel, worin ein "Handwerk" betrieben
wird von irgendeinem Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer
und woruber derjenige, der solches Kind, jugendlichen Arbeiter oder
Frauenzimmer beschdftigt, das Recht des Zutritts und der Kontrolle
hat. «
»Beschaftigt soil bedeuten: tatig in einem "Handwerk", ob gegen Lohn
oder nicht, unter einem Meister oder einem der Eltern, wie unten naher
bestimmt.«
»Eltern soil bedeuten: Vater, Mutter, Vormund oder andre Person, die
die Vormundschaft oder Kontrolle iiber irgendein ... Kind oder einen
jugendlichen Arbeiter hat.«
Klausel 7, die Strafklausel fur Beschaftigung von Kindern, jugendlichen
Arbeitern und Frauenzimmern entgegen den Bestimmungen dieses
Gesetzes, setzt Geldstrafen fest, nicht nur fur den Inhaber der Werkstatt,
ob einer der Eltern oder nicht, sondern auch fur
»die Eltern oder andre Personen, die das Kind, den jugendlichen
Arbeiter oder das Frauenzimmer unter Obhut haben oder direkten
Vorteil aus dessen Arbeit ziehen«.
Der Factory Acts Extension Act, der die groBen Etablissements trifft, steht
zuriick gegen den Fabrikakt durch eine Menge elender
Ausnahmsbestimmungen und feiger Kompromisse mit den Kapitalisten.
Der Workshops' Regulation Act, erbarmlich in alien seinen Einzelheiten,
blieb ein toter Buchstabe in der Hand der mit seiner Ausfuhrung
beauftragten stadtischen und Lokalbehorden. Als das Parlament ihnen
1871 diese Vollmacht entzog, um sie den Fabrikinspektoren zu ubertragen,
deren Aufsichtsbezirk es so mit einem Schlage um mehr als 100.000
Werkstatten und allein 300 Ziegeleien vergroBerte, wurde ihr Personal
sorgsamlichst um nur acht Assistenten vermehrt, wo es doch schon bisher
viel zu schwach besetzt war. 901
Was also in dieser englischen Gesetzgebung von 1867 auffallt, ist einerseits
die dem Parlament der herrschenden Klassen aufgezwungne
Notwendigkeit, so auBerordentliche und ausgedehnte MaBregeln gegen die
Ubergriffe der kapitalistischen Exploitation im Prinzip anzunehmen,
andrerseits die Halbheit, der Widerwille und die mala fides, womit es diese
MaBregeln dann wirklich ins Leben rief.
Die Untersuchungskommission von 1862 schlug ebenfalls eine neue
Regulierung der Bergwerksindustrie vor, einer Industrie, die sich von alien
andern dadurch unterscheidet, daB bei ihr die Interessen von
Grundbesitzern und industriellen Kapitalisten Hand in Hand gehn. Der
Gegensatz dieser beiden Interessen hatte die Fabrikgesetzgebung
begunstigt, die Abwesenheit dieses Gegensatzes reicht hin, die
Verschleppung und Schikanen bei der Bergwerksgesetzgebung zu
erklaren.
Die Untersuchungskommission von 1840 hatte so schauderhafte und
emporende Enthullungen gemacht und einen solchen Skandal vor ganz
Europa hervorgerufen, daB das Parlament sein Gewissen salvieren muBte
durch den Mining Act von 1842, worin es sich darauf beschrankte, die
Arbeit unter Tag von Weibern und von Kindern unter 10 Jahren zu
verbieten.
Dann kam 1860 der Mines' Inspection Act, wonach Bergwerke von speziell
dazu ernannten offentlichen Beamten inspiziert werden, und Knaben
zwischen 10 und 12 Jahren nicht beschaftigt werden sollen, auBer wenn sie
im Besitz eines Schulzeugnisses sind oder eine gewisse Anzahl Stunden
die Schule besuchen. Dieser Akt blieb durchaus ein toter Buchstabe
infolge der lacherlich geringen Anzahl der ernannten Inspektoren, der
Winzigkeit ihrer Befugnisse und andrer Ursachen, die sich im Verlauf
naher ergeben werden.
Eins der neusten Blaubiicher iiber Bergwerke ist der "Report from the
Select Committee on Mines, together with... Evidence, 23 July 1866". Er ist
das Werk eines Ausschusses von Unterhausmitgliedern, bevollmachtigt,
Zeugen vorzuladen und zu verhoren; ein dicker Folioband, worin der
"Report" selbst nur fiinf Zeilen umfaBt, des Inhalts: daB der AusschuB
nichts zu sagen weiB und daB noch mehr Zeugen verhort werden mussen!
Die Art der Zeugenexamination erinnert an die cross examinations 902 vor
den englischen Gerichten, wo der Advokat durch unverschamte,
sinnverwirrende Kreuz- und Querfragen den Zeugen aus der Fassung zu
bringen und ihm die Worte im Mund zu verdrehn sucht. Die Advokaten
hier sind die parlamentarischen Examinatoren selbst, darunter Minen-
Eigner und Exploiteurs; die Zeugen Minenarbeiter, meist in
Kohlenbergwerken. Die ganze Farce ist zu charakteristisch fiir den Geist
des Kapitals, um hier nicht einige Ausziige zu geben. Zur leichteren
Ubersicht gebe ich die Resultate der Untersuchung usw. in Rubriken. Ich
erinnre, daB Frage und obligate Antwort in den englischen Blue Books
numeriert sind und daB die Zeugen, deren Aussagen hier zitiert werden,
Arbeiterin Kohlenberg, werken.
1. Beschaftigung der jungen vom 10. Jahr an in den Minen. Die Arbeit
nebst obligatem Gang von und zu den Bergwerken dauert in der Regel 14
bis 15 Stunden, ausnahmsweise langer, von 3, 4, 5 Uhr morgens bis 4 und
5 Uhr abends, (n.6, 452, 83.) Die erwachsnen Arbeiter arbeiten in zwei
Gangen oder 8 Stunden, aber kein solcher Wechsel fiir die Jungen, um die
Kosten zu sparen. (n.80, 203, 204.) Die jungen Kinder hauptsachlich
verwandt zum Offnen und SchlieBen der Zugturen in den verschiednen
Abteilungen des Bergwerks, die altern zu schwerer Arbeit, Kolentransport
usw. (n.122, 739, 740.) Die langen Arbeitsstunden unter der Erde dauern
bis zum 18. oder 22. Jahr, wann der Ubergang zur eigentlichen Minenarbeit
stattfindet. (n.161.) Die Kinder und jungen Personen werden heutzutag
harter abgeplackt als zu irgendeiner friiheren Periode. (n. 1663- 1667.) Die
Minenarbeiter verlangen fast einstimmig einen Parlamentsakt zum Verbot
der Minenarbeit bis zum 14. Jahr. Und nun fragt Hussey Vivian (selbst
Minenexploiteur) :
»Hangt dies Verlangen nicht von der grofieren oder geringeren Armut
der Eltern ab?« - Und Mr.Bruce: »Ware es nicht hart, wo der Vater tot
oder verstiimmelt usw., der Familie diese Ressource zu entziehn? Und es
mufi doch eine allgemeine Regel herrschen. Wollt Ihr in alien Fallen die
Beschaftigung der Kinder bis zum 14. Jahr unter der Erde verbieten?«
Antwort: »In alien Fallen.« (n. 107-110.) Vivian: »Wenn die Arbeit vor 14
Jahren in den Minen verboten, wiirden die Eltern die Kinder nicht in
Fabriken usw. schicken? - In der Regel, nein.« (n.174.) Arbeiter: »Das
Auf- und Zuschliefien der Tiiren sieht leicht aus. Es ist ein sehr qualvolles
Geschaft. Vom bestandigen Zug abgesehn, ist der Junge gefangengesetzt,
ganz so gut wie in einer dunklen Kerkerzelle.« Bourgeois Vivian: »Kann
der Junge nicht lesen wahrend der Turwacht, wenn er ein Licht hat? -
Erstens miifite er sich die Kerzen kaufen. Aber aufierdem wiirde es ihm
nicht erlaubt werden. Er ist da, um aufsein Geschaft aufzupassen, er hat
eine Pflicht zu erfiillen. Ich habe nie einen jungen in der Grube lesen
sehn.« (n.139, 141-160.)
2. Erziehung. Die Minenarbeiter verlangen Gesetz fur Zwangsunterricht
der Kinder, wie in den Fabriken. Sie erklaren die Klausel des Akts von
1860, wonach Erziehungszertifikat zur Verwendung der Jungen von 10-12
Jahren erfordert, fur rein illusorisch. Das "peinliche" Verhorverfahren der
kapitalistischen Instruktionsrichter wird hier wahrhaft drollig.
(n.115.) »lst der Akt mehr notig ge gen Anwendet oder Eltern? - Gegen
beide. (n.116.) »Mehr gegen den einen als den andern? - Wie soil ich
das beantworten?« (n.137.) »Zeigen die Anwender irgendein
Verlangen, die Arbeitsstunden dem Schulunterricht anzupassen? -
Niemals.« (n.211.) »Verbessern die Minenarbeiter hinterher ihre
Erziehung? - Sie verschlechtern sich im allgemeinen; sie nehmen bose
Gewohnheiten an; sie verlegen sich auf Trunk und Spiel und
dergleichen und werden ganz und gar schijfbriichig.« (n.454.) »Warum
nicht die Kinder in Abendschulen schicken? - In den meisten
Kohlendistrikten existieren keine. Aber die Hauptsache ist, von der
langen Uberarbeit sind sie so erschopft, dafi ihnen die Augen vor
Miidigkeit zuf alien. « »Also«, schlieBt der Bourgeois, »Ihr seid gegen
Erziehung? - Beileibe nicht, aber usw.« (n.443.) »Sind die
Minenbesitzer usw. nicht durch den Akt von 1860 gezwungen,
Schulzertifikate zu verlangen, wenn sie Kinder zwischen 10 und 12
Jahren anwenden? - Durch das Gesetz, ja, aber die Anwender tun es
nicht. « (n.444.) »Nach Eurer Ansicht ist diese Gesetzklausel nicht
allgemein ausgefuhrt? - Sie wird gar nicht ausgefuhrt.« (n.717.)
»Interessieren sich die Minenarb eiter sehrfiir die Erziehungsfrage? -
Die grofie Mehrzal.« (n.718.) »Sind sie angstlich fur Durchfiihrung des
Gesetzes? - Die grofie Mehrzal.« (n.720.) »Warum denn erzwingen sie
seine Durchfiihrung nicht? - Mancher Arbeiter wiinscht, Jungen ohne
Schulzertifikat zu verweigern, aber er wird ein gezeichneter Mann (a
marked man).« (n.721). »Gezeichnet durch wen? - Durch seinen
Anwender. « (n.722.) »Ihr glaubt doch nicht etwa, dafi die Anwender
einen Mann wegen Gehorsams gegen das Gesetz verfolgen wiirden? -
Ich glaube, sie wiirden es tun.« (n.723.) »Warum verweigern die
Arbeiter nicht, solche Jungen anzuwenden? - Es ist nicht ihrer Wahl
uberlassen.« (n.1634.) »Ihr verlangt Parlamentsintervention? - Wenn
irgend etwas Wirksames fiir die Erziehung der Kinder der
Grub enarb eiter geschehen soil, so mufi sie durch Parlamentsakt
zwangsmafiig gemacht werden.« (n.1636.) »Soll das fiir die Kinder aller
Arbeiter von Grofibritannien gelten oder nur fiir Grub enarb eiter? - Ich
bin hier, um imNamen der Grub enarb eiter zu sprechen.« (n.1638.)
»Warum Grub enkinder von andren unterscheiden? - Weil sie eine
Ausnahme von der Regel bilden.« (n.1639.) »In welcher Hinsicht? - In
physischer.« (n.1640.) »Warum sollte Erziehung fiir sie wertvoller sein
alsfiir Knaben von andern Klassen? - Ich sage nicht, dafi sie wertvoller
fur sie ist, aber wegen ihrer Uberarbeitung in den Minen haben sie
weniger Chancen fur Erziehung in Tags- und Sonntagsschulen.«
(n.1644.) »Nicht wahr, es ist unmoglich, Fragen dieser Art absolut zu
behandeln?« (n.1646.) »Sind genug Schulen in den Distrikten? - Nein.«
(n.1647.) »Wenn der Staat verlangte, dafijedes Kind zur Schule
geschickt, wo sollen denn die Schulen fiir alle die Kinder herkommen? -
Ich glaube, sobald es die Umstande gebieten, werden die Schulen von
selbst entspringen.« »Die grofie Mehrzahl nicht nur der Kinder,
sondern der erwachsnen Minenarbeiter kann weder schreiben noch
lesen.« (n.705, 726.)
3. Weiberarbeit. Arbeiterinnen werden zwar seit 1842 nicht mehr unter,
wohl aber iiber der Erde zum Aufladen der Kohlen usw., Schleppen der
Kufen zu den Kanalen und Eisenbahnwagen, Sortieren der Kohlen usw.
verbraucht. Ihre Anwendung hat sehr zugenommen in den letzten 3-4
Jahren. (n.1727.) Es sind meist Weiber, Tochter und Witwen von
Grubenarbeitern, vom 12. bis zum 50. und 60. Jahre. (n.647, 1779, 1781.)
(n.648.) »Was denken die Minenarbeiter von Beschdftiung von Weibern
bei Bergwerken? - Sie verdammen sie allgemein.« (n.649.) »Warum? - Sie
betrachten es erniedrigend fur das Geschlecht... Sie tragen eine Art von
Mannskleidern. In vielen Fallen wird alle Scham unterdruckt. Manche
Weiber rauchen. Die Arbeit ist so schmutzig wie die in den Gruben
selbst. Darunter sind viele verheiratete Frauen, die ihre hduslichen
Pflichten nicht erfullen konnen.« (n.651 sqq.,701.) (n.709.) »Konnen die
Witwen ein so eintragliches Geschaft (8-10 sh. wochentlich) anderswo
finden? - Ich kann daruber nichts sagen.« (n.710.) »Und dennoch [Herz
von Stein!] seid Ihr entschlossen, ihnen diesen Lebensunterhalt
abzuschneiden? - Sicher.« (n.1715.) »Woher diese Stimmung? - Wir,
Minenarbeiter, haben zu viel Respekt fur das schone Geschlecht, um es
zur Kohlengruhe verdammt zu sehn... Diese Arbeit ist grofienteils sehr
schwer. Viele dieser Madchen heben 10 Tonnen per Tag.« (n. 1732.)
»Glaubt Ihr, dafi die in den Bergwerken beschaftigten Arbeiterinnen
unmoralischer sind als die in den Fabriken beschaftigten? - Der
Prozentsatz der Schlechten ist grofier als unter den Fabrikmadchen.« (n.
1733.) »Aber Ihr seid auch mit dem Stand der Moralitat in den Fabriken
nicht zufrie den? - Nein.« (n.1734.) »Wollt Ihr denn auch die Weiberarbeit
in den Fabriken verbieten? - Nein, ich will nicht.« (n.1735.) »Warum
nicht? - Sie ist fur das weibliche Geschlecht ehrenvoller und passender.«
(n. 1736.) »Dennoch ist sie schadlich fur ihre Moralitat, meint Ihr? -
Nein, lange nicht so sehr als die Arbeit an der Grube. Ich spreche
iibrigens nicht nur aus moralischen, sondern auch aus physischen und
sozialen Griinden. Die soziale Degradation der Madchen ist jammervoll
und extrem. Wenn diese Madchen Frauen der Minenarbeiter werden,
leiden die Manner tiefunter dieser Degradation, und es treibt sie von
Haus und zum Soff.« (n.1737.) »Aber galte nicht dasselbe fur die bei
Eisenwerken beschaftigten Weiber? - Ich kann nicht fur andre
Geschaftszweige sprechen.« (n. 1740.) »Aber welcher Unterschied ist
denn zwischen den bei Eisenwerken und Bergwerken beschaftigten
Weibern? - Ich habe mich nicht mit dieser Frage beschaftigt.« (n.1741.)
»Konnt Ihr einen Unterschied zwischen der einen oder der andern
Klasse entdecken? - Ich habe nichts daruber vergewissert, kenne aber
durch Visite von Haus zu Haus den schmahlichen Zustand der Dinge in
unsrem Distrikt.« (n.1750.) »Hattet Ihr nicht grofie Lust,
Weiberbeschaftigung uberall abzuschajfen, wo sie degradierend ist? - ja
... die besten Gefiihle der Kinder miissen von mutterlicher Zucht
herkommen.« (n.1751.) »Aber das pafit ja auch auf agrikole
Beschaftigung der Weiber? - Die dauert nur zwei Saisons, bei uns
arbeiten sie alle vier Saisons durch, manchmal Tag und Nacht, nafi bis
auf die Haut, ihre Konstitution geschwacht, ihre Gesundheit
gebrochen.« (n.1753.) »Ihr habt die Frage [namlich der
Weiberbeschaftigung] nicht allgemein studiert? - Ich habe um mich her
geschaut und kann so viel sagen, dafi ich nirgendwo etwas der
weiblichen Beschaftigung an den Kohlengruben Paralleles gefunden
habe. [n.1793, 1794, 1808.] Es ist Mannsarbeit und Arbeit fur starke
Manner. Die befire Klasse der Minenarbeiter, die sich zu heben und zu
humanisieren sucht, statt irgend Stiitze an ihr en Weibern zufinden, wird
durch sie heruntergezerrt.«
Nachdem die Bourgeois noch weiter in die Kreuz und Quere gefragt,
kommt endlich das Geheimnis ihres "Mitleidens" fur Witwen, arme
Familien usw. heraus:
»Der Kohleneigentiimer ernennt gewisse Gentlemen zur Oberaufsicht
und deren Politik ist es, um Beifall zu ernten, alles auf den moglichst
okonomischen Fuji zu setzen und die beschaftigten Madchen erhalten 1
bis 1 sh. 6 d. taglich, wo ein Mann 2 sh. 6 d. erhalten muJ3te.« (n.1816.)
4.Totenschau-Juries.
(n.360.)»Mit Bezug aufdie coroner's inquests 9 ^ in Euren Distrikten, sind
die Arbeiter zufrieden mit dem Gerichtsverfahren, wenn Unfdlle
vorkommen? - Nein, sie sind es nicht.« (n. 361-375.) »Warum nicht? -
Namentlich weil man Leute zu Juries macht, die absolut nichts von
Minen wissen. Arbeiter werden nie zugezogen, aufier als Zeugen. Im
ganzen nimmt man Kramer aus der Nachbarschaft, welche unter dem
Einflufi der Minenbesitzer, ihrer Kunden, stehn und nicht einmal die
technischen Ausdrucke der Zeugen verstehn. Wir verlangen, dafi
Minenarbeiter einen Teil der Jury bilden. Im Durchschnitt steht der
Urteilsspruch im Widerspruch zu den Zeugenaus-sagen« (n.378.)
»Sollen Juries nicht unparteiisch sein? - Ja.« (n.379.) »Wurden die
Arbeiter es sein? - Ich sehe keine Motive, warum sie nicht unparteiisch
sein sollten. Sie haben Sachkenntnis« (n.380.) »Aber wiirden sie nicht
die Tendenz haben, im Inter esse der Arbeiter ungerecht harte Urteile
zu fallen? - Nein, ich glaube nicht.«
5. Falsches MaB und Gewicht usw. Die Arbeiter verlangen wochentliche
statt vierzehntagiger Zahlung, MaB nach Gewicht statt nach Kubikraum der
Kufen, Schutz gegen die Anwendung falschen Gewichts usw.
(n.1071.) »Wenn die Kufen fraudulent vergrofiert werden, so kann ein
Mannja die Mine verlassen nach 1 4tagiger Kundigung? - Aber, wenn er
zu einem andern Platz geht, findet er dasselbe.« (n. 1072.) »Aber er kann
den Platz doch verlassen, wo das Unrecht veriibt wird? - Es ist allgemein
herrschend.« (n.1073.) »Aber der Mann kann seinen jedesmaligen Platz
nach 1 4tagiger Kundigung verlassen? - Ja.«
Streusand drauf!
6. Mineninspektion. Die Arbeiter leiden nicht nur von den Zufallen durch
explodierende Gase.
(n.234sqq.) » Wir haben uns ebensosehr zu beklagen iiber die schlechte
Ventilation der Kohlengruben, so dafi die Leute kaum darin atmen
konnen; sie werden dadurch zu jeder Art Beschaftigung unfahig. So hat
z.B. grade jetzt in dem Teil der Mine, wo ich arbeite, die Pestluft viele
Leute fur Wochen aufs Krankenbett geworfen. Die Hauptgange sind
meist luftig genug, aber grade nicht die Platze, worin wir arbeiten.
Sendet ein Mann Klage iiber Ventilation an den Inspektor, so wird er
entlassen und ist ein "gezeichneter" Mann, der audi sonstwo keine
Beschaftigung findet. Der "Mining inspecting Act" von 1860 ist ein
reiner Papierlappen. Der Inspektor, und ihre Zahl ist viel zu klein, macht
vielleicht in 7 Jahren einmal eine formelle Visite. Unser Inspektor ist ein
ganz unfahiger, siebzigjahriger Mann, der mehr als 130
Kohlenbergwerken vorsteht. Neben mehr Inspektoren brauchen wir
Subinspektoren.« (n.280.) »Soll dann die Regierung solch eine Armee von
Inspektoren halten, dafi sie alles, was Ihr verlangt, ohne Information der
Arbeiter selbst tun konnen? - Das ist unmoglich, aber sie sollen sich die
Information in den Minen selbst holen kommen.« (n.285.) »Glaubt Ihr
nicht, dafi die Wirkung sein wiirde, die Verantwortlichkeit [!] fur die
Ventilation usw. von dem Minenbesitzer auf die Regierungsbeamten zu
walzen? - Keineswegs; es mufi ihr Geschaft sein, die Befolgung der
bereits bestehenden Gesetze zu erzwingen.« (n.294.) »Wenn Ihr von
Subinspektoren sprecht, meint Ihr Leute mit weniger Gehalt und von
niedrigerem Charakter als die gegenwartigen Inspektoren? - Ich
wiinsche sie keineswegs niedriger, wenn Ihr sie besser haben konnt.«
(n.295.) »Wollt Ihr mehr Inspektoren oder eine niedrigere Klasse von
Leuten als die Inspektoren? - Wir brauchen Leute, die sich in den Minen
selbst umtummeln, Leute, die keine Angst fur die eigne Haut haben. «
(n.297.) "Wenn man euren Wunsch nach Inspektoren von einer
schlechtren Sorte erfiillte, wiirde ihr Mangel an Geschick nicht Gefahren
erzeugen usw. ? Nein; es ist Sache der Regierung, passende Subjekte
anzustellen.«
Diese Art Examination wird endlich selbst dem Prasidenten des
Untersuchungskomitees zu toll.
»Ihr wollt«, fahrt er dazwischen, »praktische Leute, die sich in den
Minen selbst umsehn und an den Inspektor berichten, der dann seine
hohere Wissenschaft verwenden kann.« (n.531.) »WUrde die Ventilation
alter dieser alten Werke nicht viel Kosten verursachen? - J a, Unkosten
mochten erwachsen, aber Menschenleben wiirden beschiitzt.«
(n.581.) Ein Kohlenarbeiter protestiert gegen die 17. Sektion des Akts von
1860:
»Gegenwartig, wenn der Mineninspektor irgendeinen Teil der Mine in
nicht bearbeitsfdhigem Zustand findet, mufi er es an den Minenbesitzer
und den Minister des Innern berichten, Danach hat der Minenbesitzer
20 Tage Bedenkzeit; am Ende der 20 Tage kann erjede Veranderung
verweigern. Tut er das aber, so hat er an den Minister des Innern zu
schreiben und ihm 5 Bergwerksingenieure vorzuschlagen, worunter der
Minister die Schiedsrichter erwdhlen mufi. Wir ibehaupten, dafi in
diesem Fall der Minenbesitzer virtuell seine eignen Richter ernennt.«
(n.586.) Der Bourgeoisexaminator, selbst Minenbesitzer:
»Dies ist ein rein spekulativer Einwand.« (n.588.) »lhr habt also sehr
geringe Ansicht von der Redlichkeit der Bergwerksingenieure? - Ich
sage, es ist sehr unbillig und ungerecht.« (n.589.) »Besitzen
Bergwerksingenieure nicht eine Art von offentlichem Charakter, der ihre
Entscheidungen iiber die von Euch befiirchtete Parteilichkeit erhebt? -
Ich verweigre, Fragen iiber den personlichen Charakter dieser Leute zu
beantworten. Ich bin uberzeugt, dafi sie in vielen Fallen sehr part eiisch
handeln und dafi diese Macht ihnen genommen werden sollte, wo
Menschenleben aufdem Spiel stehn.«
Derselbe Bourgeois hat die Unverschamtheit, zu fragen:
»Glaubt Ihr nicht, dafi auch die Minenbesitzer Verluste bei den
Explosionen haben?«
Endlich(n.l042):
»Konnt Ihr Arbeiter Eure eignen Interessen nicht selbst wahrnehmen,
ohne die Hilfe der Regierung anzurufen? - Nein.«
Im Jahre 1865 gab es 3.217 Kohlenbergwerke in GroBbritannien und 12
Inspektoren. Ein Minenbesitzer von Yorkshire ('Times', 26Januar 1867)
berechnet selbst, daB abgesehn von ihren rein burokratischen Geschaften,
die ihre ganze Zeit absorbieren, jede Mine nur einmal in 10 Jahren
besichtigt werden konnte. Kein Wunder, daB die Katastrophen in den
letzten Jahren (namentlich auch 1866 und 1867) progressiv in Anzahl und
Umfarg (manchmal mit einem Opfer von 200-300 Arbeitern) zugenommen
haben. Dies sind die Schonheiten der "freien" kapitalistischen Produktion!
Jedenfalls ist der Akt von 1872, so mangelhaft er ist, der erste, der die
Arbeitsstunden der in Bergwerken beschaftigten Kinder regelt und die
Exploiteure und Grubenbesitzer in gewissem MaB ftir sogenannte Unfalle
verantwortlich macht.
Die konigliche Kommission von 1867 zur Untersuchung der Beschaftigung
von Kindern, jugendlichen Personen und Weibern in der Agrikultur hat
einige sehr wichtige Berichte veroffentlicht. Es sind verschiedne Versuche
gemacht worden, die Prinzipien der Fabrikgesetzgebung, in modifizierter
Form, auf die Agrikultur anzuwenden, aber bis jetzt schlugen sie alle total
fehl. Worauf ich hier aber aufmerksam zu machen habe, ist das Bestehn
einer unwiderstehlichen Tendenz zur allgemeinen Anwendung dieser
Prinzipien.
Wenn die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung als physisches und
geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse unvermeidlich geworden ist,
verallgemeinert und beschleunigt sie andrerseits, wie bereits angedeutet,
die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprozesse auf ZwergmaB stab in
kombinierte Arbeitsprozesse auf groBer, gesellschaftlicher Stufenleiter,
also die Konzentration des Kapitals und die Alleinherrschaft des
Fabrikregimes. Sie zerstort alle altertumlichen und Ubergangsformen,
wohinter sich die Herrschaft des Kapitals noch teilweise versteckt, und
ersetzt sie durch seine direkte, unverhiillte Herrschaft. Sie verallgemeinert
damit auch den direkten Kampf gegen diese Herrschaft. Wahrend sie in
den individuellen Werkstatten Gleichformigkeit, RegelmaBigkeit, Ordnung
und Okonomie erzwingt, vermehrt sie durch den ungeheuren Sporn, den
Schranke und Regel des Arbeitstags der Technik aufdriicken, die Anarchie
und Katastrophen der kapitalistischen Produktion im groBen und ganzen,
die Intensitat der Arbeit und die Konkurrenz der Maschinerie mit dem
Arbeiter. Mit den Spharen des Kleinbetriebs und der Hausarbeit vernichtet
sie die letzten Zufluchtsstatten der "Uberzahligen" und damit das bisherige
Sicherheitsventil des ganzen Gesellschaftsmechanismus. Mit den
materiellen Bedingungen und der gesellschafthchen Kombination des
Produktionsprozesses reift sie die Widerspriiche und Antagonismen seiner
kapitalistischen Form, daher gleichzeitig die Blidungselemente einer neuen
und die Umwalzungsmomente der alten Gesellschaft. 904
10. GroBe Industrie und Agrikultur
Die Revolution, welche die groBe Industrie im Ackerbau und den sozialen
Verhaltnissen seiner Produktionsagenten hervorruft, kann erst spater
dargestellt werden. Hier geniigt kurze Andeutung einiger
vorweggenommener Resultate. Wenn der Gebrauch der Maschinerie im
Ackerbau groBentelis frei ist von den physischen Nachtellen, die sie dem
Fabrikarbeiter zufiigt 905 , wirkt sie hier noch intensiver und ohne GegenstoB
l.Ausfiihrliche Darstellung der im englischen Ackerbau angewandten Maschinerie findet man in
"Die landwirthschaftlichen Gerathe und Maschinen Englands" von Dr. W. Hamm. 2. Aufl, 1856. In seiner
Skizze iiber den Entwicklungsgang der englischen Agrikultur folgt Herr Hamm zu kritiklos dem Herrn
Leonce de Lavergne. (Zur 4. Aufl. - jetzt natiirlich veraltet. - F.E. )
l.»Ihr teilt das Volk in zwei feindliche Lager, plumpe Bauern und verweichlichte Zwerge.
Lieber Himmel! Eine Nation, zerspalten in landwirtschaftliche und Handelsinteressen, nennt sich
gesund, ja halt sich fiir aufgeklart und zivilisiert, nicht nur trotz, sondern gerade zufolge dieser
ungeheuerlichen und unnatiirlichen Trennung.« (David Urquhart, I.e. p.l 19.) Diese Stelle zeigt zugleich
die Starke und die Schwache einer Art von Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht
zu begreifen weiB.
2.Vgl. Liebig, "Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie", 7. Auflage, 1862,
namentlich auch im Ersten Band die "Einleitung in die Naturgesetze des Feldbaus". Die Entwicklung der
negativen Seite der modernen Agrikultur, vom naturwissenschaftlichen Standpunkt, ist eins der
unsterblichen Verdienste Liebigs. Auch seine historischen Apercus iiber die Geschichte der Agrikultur,
obgleich nicht ohne grobe Irrtumer, enthalten Lchtblicke. Zu bedauern bleibt, daB er aufs Gratewohl
AuBerungen wagt, wie folgende: »Durch eine weiter getriebne Pulverisierung und hiiufigeres Pfliigen
wird der Luftwechsel im Innern poroser Erdteile befordert, und die Oberflache der Erdteile, auf
welche die Luft einwirken soil, vergrofiert und erneuert, aber es ist leicht verstandlih, dafi die
Mehrbetrage des Feldes nicht proportionell der auf das Feld verwandten Arbeit sein konnen, sondern
dafi sie in einem weit kleineren Verhaltnis steigen.« »Dieses Gesetz«, fiigt Liebig hinzu, »ist von J.St.
Mill zuerst in seinen "Princ. of Pol. Econ.", v. I, p. 17, in folgende r Weise ausgesprochen: "Dafi der
Ertrag des Bodens caeteris paribus in einem abnehmenden Verhaltnis wachst im Vergleich zum
Anwachsen der Zahl der beschaftigten Arbeiter"« (Herr Mill wiederholt sogar das Ricardosche
Schulgesetz in falscher Formel, denn da "the decrease of the labourers employed", die Abnahme der
angewandten Arbeiter, in England bestandig Schritt hielt mit dem Fortschritt der Agrikultur, fande das fiir
und in England erfundne Gesetz wenigstens in England keine Anwendung), » "ist das allgemeine Gesetz der
Landwirtschaft" , merkwiirdig genug, da ihm dessen Grund unbekannt war.« (Liebig. I.e., Bd. I, p. 143 u.
Note.) Abgesehn von irriger Deutung des Wortes "Arbeit", worunter Liebig etwas andres versteht als die
politische Okonomie, ist es jedenfalls »merkwurdig genug«, daB er Herrn J.St. Mill zum ersten Verkiinder
einer Theorie macht, die James Anderson zur Zeit A. Smiths zuerst veroffentlichte und in verschiedenen
Schriften bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein wiederholte, die Malthus, uberhaupt ein Meister
des Plagiats (seine ganze Bevolkerungstheorie ist ein schamloses Plagiat), sich 1815 annexierte, die West
zur gelben Zeit und unabhangig von Anderson entwickelte, die Ricardo 1817 in Zusammenhang mit der
allgemeinen Werttheorie brachte und die von da an unter dem Namen Ricardos die Runde der Welt
auf die "Uberzahligmachung" der Arbeiter, wie man spater im Detail sehn
wird. In den Grafschaften Cambridge und Suflolk z.B. hat sich das Areal
des bebauten Landes seit den letten zwanzig Jahren sehr ausgedehnt,
wahrend die Landbevolkerung in derselben Periode nicht nur relativ,
sondern absolut abnahm. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika
ersetzten Agrikultur-Maschinen einstweilen nur virtuell Arbeiter, d.h., sie
erlauben dem Produzenten Bebauung einer groBeren Flache, verjagen aber
nicht wirkhch beschaftigte Arbeiter. In England und Wales betrug 1861 die
Zahl der in der Fabrikation von Ackerbau-Maschinen beteihgten Personen
1.034, wahrend die Zahl der an Dampf- und Arbeitsmaschinen
beschaftigten Agrikulturarbeiter nur 1.205 betrug.
In der Sphare der Agrikultur wirkt die groBe Industrie insofern am
revolutionarsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den
"Bauer", und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die sozialen
Umwalzungsbediirfnisse und Gegensatze des Landes werden so mit denen
der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und
irrationellsten Betriebs tritt bewuBte, technologische Anwendung der
Wissenschaft. Die ZerreiBung des urspriinglichen Famihenbandes von
Agrikultur und Manufaktur, welches die kindhch unentwickelte Gestalt
beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise
vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer
neuen, hoheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf
Grundlage ihrer gegensatzlich ausgearbeiteten Gestalten. Mit dem stets
wachsenden Ubergewicht der stadtischen Bevolkerung, die sie in groBen
Zentren zusammenhauft, hauft die kapitalistische Produktion einerseits die
geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stort sie andrerseits den
Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d.h. die Ruckkehr der vom
Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten
Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder
Bodenfruchtbarkeit. Sie zerstort damit zugleich die physische Gesundheit
der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter. 906 Aber sie
zwingt zugleich durch die Zerstorung der bloB naturwiichsig entstandnen
Umstande jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der
gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menschlichen
Entwicklung adaquaten Form herzustellen. In der Agrikultur wie in der
Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des
Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das
Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und
Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der
Arbeitsprozesse als organisierte Unterdriickung seiner individuellen
Lebendigkeit, Freiheit und Selbstandigkeit. Die Zerstreuung der
Landarbeiter iiber groBte Flachen bricht zugleich ihre Widerstandskraft,
wahrend Konzentration die der stadtischen Arbeiter steigert. Wie in der
stadtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte
Produktivkraft und groBre Fliissigmachung der Arbeit erkauft durch
Verwiistung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt
der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den
Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder
Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit fur eine gegebne Zeitfrist
zugleich ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser
Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von
Nordamerika z.B., von der groBen Industrie als dem Hintergrund seiner
Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser ZerstorungsprozeB. 907 Die
kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und
Kombination des gesellschaftliclien Produktionsprozesses, iridem sie
zugleich die Springquellen alles Reichtums untergrabt: die Erde und den
Arbeiter.
Funfter Abschnitt
Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwerts
Vierzehntes Kapitel
Absoluter und relativer Mehrwert
Der ArbeitsprozeB wurde (sieh funftes Kapitel) zunachst abstrakt
betrachtet, unabhangig von seinen geschichtlichen Formen, als ProzeB
zwischen Mensch und Natur. Es hieB dort: »Betrachtet man den ganzen
Arbeitsprozefi vom Standpunkt seines Resultats, so erscheinen beide,
Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, als Produktionsmittel und die
Arbeit selbst als produktive Arbeit.« Und in Note 7 wurde erganzt: »Diese
Bestimmung produktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des
einfachen Arbeitsprozesses ergibt, reicht keineswegs hinfiir den
kapitalistischen Produktionsprozefi.« Dies ist hier weiter zu entwickeln.
Soweit der ArbeitsprozeB ein rein individueller, vereinigt derselbe Arbeiter
alle Funktionen, die sich spater trennen. In der individuellen Aneignung
von Naturgegenstanden zu seinen Lebenszwecken kontrolliert er sich
selbst. Spater wird er kontrolliert. Der einzelne Mensch kann nicht auf die
Natur wirken ohne Betatigung seiner eignen Muskeln unter Kontrolle
seines eignen Hirns. Wie im Natursystem Kopf und Hand
zusammengehoren, vereint der ArbeitsprozeB Kopfarbeit und Handarbeit.
Spater scheiden sie sich bis zum feindlichen Gegensatz. Das Produkt
verwandelt sich uberhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des
individuellen Produzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame
Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals,
dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes naher oder
ferner stehn. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst
erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und
ihres Tragers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es
nun nicht mehr notig, selbst Hand anzulegen; es geniigt, Organ des
Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehn.
Die obige urspriingliche Bestimmung der produktiven Arbeit, aus der
Natur der materiellen Produktion selbst abgeleitet, bleibt immer wahr fur
den Gesamtarbeiter, als Gesamtheit betrachtet. Aber sie gilt nicht mehr fur
jedes seiner Glieder, einzeln genommen.
Andrerseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Ar-beit. Die
kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von von Ware, sie ist
wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht fur
sich, sondern fur das Kapital. Es geniigt daher nicht langer, daB er
iiberhaup produziert. Er muB Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist
produktiv, der Mehrwert fur den Kapitalisten produziert oder zur
Selbstverwertung des Kapitals dient. Steht es frei, ein Beispiel auBerhalb
der Sphare der materiellen Produktion zu wahlen, so ist ein Schulmeister
produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderkopfe bearbeitet, sondern
sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. DaB letztrer sein
Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, andert
nichts an dem Verhaltnis. Der Begriff des produktiven Arbeiters schlieBt
daher keineswegs bloB ein Verhaltnis zwischen Tatigkeit und Nutzeffekt,
zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch
gesellschaftliches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhaltnis,
welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals
stempelt. Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Gluck, sondern ein
Pech. Im Vierten Buch dieser Schrift, welches die Geschichte der Theorie
behandelt, wird man naher sehn, daB die klassische Politische Okonomie
von eher die Produktion von Mehrwert zum entscheidenden Charakter des
produktiven Arbeiters machte. Mit ihrer Auffassung von der Natur des
Mehrwerts wechselt daher ihre Definition des prduktiven Arbeiters. So
erklaren die Physiokraten, nur die Ackerbauarbeit sei produktiv, weil sie
allein einen Mehrwert liefre. Fur die Physiokraten existiert Mehrwert aber
ausschlieBlich in der Form der Grundrente.
Die Verlangrung des Arbeitstags iiber den Punkt hinaus, wo der Arbeiter
nur ein Aquivalent fur den Wert seiner Arbeitskraft produziert hatte, und
die Aneignung dieser Mehrarbeit durch das Kapital - das ist die Produktion
des absoluten Mehrwerts. Sie bildet die allgemeine Grundlage des
kapitalistischen Systems und den Ausgangspunkt der Produktion des
relativen Mehrwerts. Bei dieser ist der Arbeitstag von vornherein in zwei
Stucke geteilt: notwendige Arbeit und Mehrarbeit. Um die Mehrarbeit zu
verlangern, wird die notwendige Arbeit verkiirzt durch Methoden,
vermittelst deren das Aquivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit
produziert wird. Die Produktion des absoluten Mehrwerts dreht sich nur
um die Lange des Arbeitstags; die Produktion des relativen Mehrwerts
revolutioniert durch und durch die technischen Prozesse der Arbeit und die
gesellschaftlichen Gruppierungen.
Sie unterstellt also eine spezifisch kapitalistische Produktionsweise, die mit ihren
Methoden, Mitteln und Bedingungen selbst erst auf Grundlage der fonnellen Subsumtion
der Arbeit unter das Kapital naturwiichsig entsteht und ausgebildet wird. An die Stelle der
fonnellen tritt die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital.
Es geniigt bloBer Hinweis auf Zwitterformen, worin die Mehrarbeit weder
durch direkten Zweng dem Produzenten ausgepumpt wird, noch auch
dessen formelle Unterordnung unter das Kapital eingetreten ist. Das
Kapital hat sich hier noch nicht unmittelbar des Arbeitsprozesses
bemachtigt. Neben die selbstandigen Produzenten, die in uberlieferter,
urvaterlicher Betriebsweise handwerkern oder ackerbauen, tritt der
Wucherer oder Kaufmann, das Wucherkapital oder das Handelskapital,
das sie parasitenmaBig aussaugt. Vorherrschaft dieser Exploitationsform in
einer Gesellschaft schlieBt die kapitalistische Produktionsweise aus, zu der
sie andrerseits, wie im spatren Mittelalter, den Ubergang bilden kann.
Endlich, wie das Beispiel der modernen Hausarbeit zeigt, werden gewisse
Zwitterformen auf dem Hintergrund der groBen Industrie stellenweis
reproduziert, wenn auch mit ganzlich veranderter Physiognomic
Wenn zur Produktion des absoluten Mehrwerts die bloB formelle
Subsumtion der Arbeit unter das Kapital geniigt, z.B. daB Handwerker, die
friiher fur sich selbst oder auch als Gesellen eines Zunftmeisters arbeiteten,
nun als Lohnarbeiter unter die direkte Kontrolle des Kapitalisten treten,
zeigte sich andrerseits, wie die Methoden zur Produktion des relativen
Mehrwerts zugleich Methoden zur Produktion des absoluten Mehrwerts
sind. Ja, die maBlose Verlangrung des Arbeitstags stellte sich als eigenstes
Produkt der groBen Industrie dar. Uberhaupt hort die spezifisch
kapitalistische Produktionsweise auf, bloBes Mittel zur Produktion des
relativen Mehrwerts zu sein, sobald sie sich eines ganzen
Produktionszweigs, und noch mehr, sobald sie sich aller entscheidenden
Produktionszweige bemachtigt hat. Sie wird jetzt allgemeine,
gesellschaftlich herrschende Form des Produktionsprozesses. Als besondre
Methode zur Produktion des relativen Mehrwerts wirkt sie nur noch,
erstens soweit sie dem Kapital bisher nur formell untergeordnete Industrie
ergreift, also in ihrer Propaganda. Zweitens, soweit ihr bereits
anheimgefallne Industrien fortwahrend revolutioniert werden durch
Wechsel der Produktionsmethoden.
Von gewissem Gesichtspunkt scheint der Unterschied zwischen absolutem
und relativen Mehrwert iiberhaupt illusorisch. Der relative Mehrwert ist
absolut, denn er bedingt absolute Verlangrung des Arbeitstags iiber die zur
Existenz des Arbeiters selbst notwendige Arbeitszeit. Der absolute
Mehrwert ist relativ, denn er bedingt eine Entwicklung der
Arbeitsproduktivitat, welche erlaubt, die notwendige Arbeitszeit auf einen
Teil des Arbeitstags zu beschranken. FaBt man aber die Bewegung des
Mehrwerts ins Auge, so verschwindet dieser Schein der Einerleiheit.
Sobald die kapitalistische Produktionsweise einmal hergestellt und
allgemeine Produktionsweise geworden, macht sich der Unterschied
zwischen absolutem und relativem Mehrwert fuhlbar, sobald es gilt, die
Rate des Mehrwerts iiberhaupt zu steigern. Vorausgesetzt, die Arbeitskraft
werde zu ihrem Wert bezahlt, stehn wir dann vor dieser Alternative. Die
Produktivkraft der Arbeit und ihren Normalgrad von Intensitat gegeben, ist
die Rate des Mehrwerts nur erhohbar durch absolute Verlangrung des
Arbeitstags; andrerseits, bei gegebner Grenze des Arbeitstags, ist die Rate
des Mehrwerts nur erhohbar durch relativen GroBenwechsel seiner
Bestandteile, der notwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, was seinerseits,
soil der Lohn nicht unter den Wert der Arbeitskraft sinken, Wechsel in der
Produktivitat oder Intensitat der Arbeit voraussetzt.
Braucht der Arbeiter alle seine Zeit, um die zur Erhaltung seiner selbst und
seiner Race notigen Lebensmittel zu produzieren, so bleibt ihm keine Zeit,
Um unentgeltlich fur dritte Personen zu arbeiten. Ohne einen gewissen
Piroduktivitatsgrad der Arbeit keine solche disponible Zeit fur den
Arbeiter, ohne solche uberschussige Zeit keine Mehrarbeit und daher keine
Kapitalisten, aber auch keine Sklavenhalter, keine Feudalbarone, in einem
Wort keine GroBbesitzerklasse. 908
l.»Das blofie Vorhandensein der zu Kapitalisten gewordenen Meister als besondere Klasse
hiingt ab von der Produktivitat der Arbeit. « (Ramsay, I.e. p. 206.) » Wenn die Arbeit jedes Mannes nur
geniigen wiirde, seine eigne Nahrung zu produzieren, konnte es kein Eigentum geben.« (Ravenstone,
I.e. p. 14.)
l.Nach einer kiirzlich gemachten Berechnung leben allein in den bereits erforschten Erdgegenden
So kann von einer Naturbasis des Mehrwerts gesprochen werden, aber nur
in dem ganz allgemeinen Sinn, daB kein absolutes Naturhindernis den
einen abhalt, die zu seiner eignen Existenz notige Arbeit von sich selbst ab
- und einem andern aufzuwalzen, z.B. ebensowenig wie absolute
Naturhindernis se die einen abhalten, das Fleisch der andern als Nahrung
zu verwenden. 909 Es sind durchaus nicht, wie es hier und da geschehn,
mindestens noch vier Millionen Kannibalen.
2.»Bei den wilden Indianern in Amerika gehort fast alles dem Arbeiter. 99 Tei hundert sind dem
Konto Arbeit zuzuschreiben. In England hat der Arbeiter vielleicht nicht einmal 2/3. « ("The Advantages
of the East India Trade etc.", p. 72, 73.)
LDiodor, I.e., 1.1, c.80.
l.»Da der erste [der natiirliche Reichtum] hochst nobel und vorteilhaft ist, macht er das Volk
sorglos, stolz und alien Ausschweifungen ergeben; der zweite dagegen erzwingt Sorgfalt,
Gelehrsamkeit, Kunstfertigkeit und Staatsklugheit.« ("Eng land's Treasure by Foreign Trade. Or the
Balance of our Foreign Trade is the Rule of our Treasure. Written by Thomas Mun, of London, Merchant,
and now published for the common good by his son John Mun", Lond. 1669, p. 181, 182.) »Auch kann ich
mir fiir die Gesamtheit eines Volkes keinen schlimmeren Fluch vorstellen, als auf einen Fleck Erde
gesetzt zu sein, auf dem die Erzeugung von Subsistenz- und Nahrungsmitteln zum grofien Teil
selbsttatig erfolgt und das Klima wenig Sorge fiir Kleidung und Obdach erfordert oder zulafit ...
moglich ist allerdings auch ein Extrem nach der andren Seite. Ein Boden, der trotz Arbeit keine
Fruchte hervorbringen kann, ist ebenso schlecht wie ein Boden, der ohne Arbeit reichlich Produkte
erzeugt.« ([N. Forster,] "An Inquiry into the Present High Price of Provisions", Lond. 1767, p. 10.)
2. Die Notwendigkeit, die Perioden der Nilbewegung zu berechnen, schuf die agyptische
Astronomie und mit ihr die Herrschaft der Priesterkaste als Leiterin der Agrikultur. »Die Sonnenwende ist
der Zeitpunkt des Jahres, an dem das Steigen des Nils beginnt und den daher die Agypter mit der
grofiten Sorgfalt beobachten mufiten ... Es war dieses Aquinoktialjahr, das sie festsetzen mufSten, um
sich in ihren agrikolen Operationen danach zu richten. Sie mufiten daher am Himmel ein sichtbares
Zeichen Wiederkehr suchen.« (Cuvier, "Discours sur les revolutions du globe", ed. Hoefer, Paris 1863,
p.141.)
3.Eine der materiellen Grundlagen der Staatsmacht fiber die zusammenhangslosen kleinen
Produktionsorganismen Indiens war Reglung der Wasserzufuhr. Die muhammedanischen Herrscher Indiens
verstanden dies besser als ihre englischen Nachfolger. Wir erinnern nur an die Hungersnot von 1866, die
mehr als einer Million Hindus in dem Distrikt von Orissa, Prasidentschaft Bengalen. das Leben kostete.
l.»Es gibt keine zwei Lander, die eine gleiche Zahl der notwendigen Lebensmittel in gleicher
Fiille und mit gleichem Aufwand an Arbeit liefern. Die Bediirfnisse der Menschen wachsen oder
vermindern sich mit der Strenge oder Milde des Klimas, in dem sie leben, und folglich kann das
verhaltnismafiige Ausmafi an Erwerbstdtigkeit, das die Bewohner der verschiednen Lander
notwendigerweise betreiben miissen, nicht gleich sein, noch lafit sich der Grad der Verschiedenheit
anders als nach den Hitze- und Kaltegraden erinitteln. Man kann daher allgemein schliefien, dafi die
Menge der fiir den Unterhalt einer gewissen Menschenzahl erforderlichen Arbeit in kalten Klimaten
am grofiten, in warmen am geringsten ist; in jenen brauchen die Menschen nicht nur mehr Kleidung,
sonde rn der Boden mufi auch besser bebaut werden als in diesen. « ("An Essay on the Governing Causes
of the Natural Rate of Interest", Lond. 1750, p. 59.) Der Verfasser dieser epochemachenden anonymen
Schrift ist J.Massie. Hume nahm daraus seine Zinstheorie.
2. » J ede Arbeit mufi [scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen {Rechten und Pflichten des
Burgers) zu gehoren] einen Uberschufi lassen.« (Proudhon) [P. -J. Proudhon, "Systeme des contradictions
mystische Vorstellungen mit dieser naturwuchsigen Produktivitat der
Arbeit zu verbinden. Nur sobald die Menschen sich aus ihren ersten
Tierzustanden herausgearbeitet, ihre Arbeit selbst also schon in gewissem
Grad vergesellschaftet ist, treten Verhaltnisse ein, worin die Mehrarbeit des
einen zur Existenzbedingung des andern wird. In den Kulturanfangen sind
die erworbnen Produktivkrafte der Arbeit gering, aber so sind die
Bedurfnisse, die sich mit und an den Mitteln ihrer Befriedigung entwickeln.
Ferner ist in jenen Anfangen die Proportion der Gesellschaftsteile, die von
fremder Arbeit leben, verschwindend klein gegen die Masse der
unmittelbaren Produzenten. Mit dem Fortschritt der gesellschaftlichen
Produktivkraft der Arbeit wachst diese Proportion absolut und reiativ. 910
Das Kapitalverhaltnis entspringt iibrigens auf einem okonomischen Boden,
der das Produkt eines langen Entwick lungs prozesses ist. Die
vorhandne Produktivitat der Arbeit, wovon es als Grundlage ausgeht, ist
nicht Gabe der Natur, sondern einer Geschichte, die Tausende von
Jahrhunderten umfaBt.
Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt der gesellschaftlichen
Produktion abgesehn, bleibt die Produktivitat der Arbeit an
Naturbedingebunden. Sie sind alle ruckfiihrbar auf die Natur des
Menschen selbst, wie Race usw., und die inn umgebende Natur. Die
auBeren Naturbedingungen zerfallen okonomisch in zwei groBe Klassen,
naturlichen Reichtum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit,
fischreiche Gewasser usw., und naturlichen Reichtum an Arbeitsmitteln,
wie lebendige Wassergefalle, schiffbare Fliisse, Holz, Metalle, Kohle usw.
In den Kulturanfangen gibt die erstere, auf hoherer Entwicklungsstufe die
zweite Art des naturlichen Reichtums den Ausschlag. Man vergleiche z.B.
England mit Indien oder, in der antiken Welt, Athen und Korinth mit den
Uferlandern des Schwarzen Meeres.
Je geringer die Zahl der absolut zu befriedigenden Naturbedurfnisse und je
groBer die naturliche Bodenfruchtbarkeit und Gunst des Klimas, desto
geringer die zur Erhaltung und Reproduktion des Produzenten notwendige
Arbeitszeit. Desto groBer kann also der UberschuB seiner Arbeit fur andere
iiber seine Arbeit fur sich selbst sein. So bemerkt schon Diodor iiber die
alten Agypter:
»Es ist ganz unglaublich, wie wenig Miihe und Kosten die Erziehung
ihrer Kinder ihnen verursacht. Sie kochen ihnen die ndchste beste
einfache Speise; auch geben sie ihnen von der Papierstaude den untern
Teil zu essen, soweit man ihn im Feuer rosten kann, und die Wurzeln und
Stengel der Sumpfgewachse, teils roh, teils gesotten und gebraten. Die
meisten Kinder gehn ohne Schuhe und unbekleidet, da die Luft so mild
ist. Daher kostet ein Kind seinen Eltern, bis es erwachsen ist, im ganzen
nicht iiber zwanzig Drachmen. Hieraus ist es hauptsdchlich zu erklaren,
dafi in Agypten die Bevolkerung so zahlreich ist und darum so viele
grofie Werke angelegt werden konnten.« 9n
Indes sind die groBen Bauwerke des alten Agyptens dem Umfang seiner
Bevolkerung weniger geschuldet, als der groBen Proportion, worin sie
disponibel war. Wie der individuelle Arbeiter urn so mehr Mehrarbeit
liefern kann, je geringer seine notwendige Arbeitszeit, so, je geringer der
zur Produktion der notwendigen Lebensmittel erheischte Teil der
Arbeiterbevolkerung, desto groBer ihr fiir andres Werk disponibler Teil.
Die kapitalistische Produktion einmal vorausgesetzt, wird, unter sonst
gleichbleibenden Umstanden und bei gegebner Lange des Arbeitstags, die
GroBe der Mehrarbeit mit den Naturbedingungen der Arbeit, namentlich
auch der Bodenfruchtbarkeit, variieren. Es folgt aber keineswegs
umgekehrt, daB der fruchtbarste Boden der geeignetste zum Wachstum der
kapitalistischen Produktionsweise. Sie unterstellt Herrschaft des Menschen
iiber die Natur. Eine zu verschwenderische Natur "halt ihn an ihrer Hand
wie ein Kind am Gangelband". Sie macht seine eigne Entwicklung nicht zu
einer Naturnotwendigkeit. 912 Nicht das tropische Klima mit seiner
iiberwuchernden Vegetation, sondern die gemaBigte Zone ist das
Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des
Bodens, sondern seine Differenzierung, die Mannigfaltigkeit seiner
naturlichen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen
Teilung der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der
Naturumstande, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner
eignen Bedurfnisse, Fahigkeiten, Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt.
Die Notwendigkeit, eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontrolheren, damit
hauszuhalten, sie durch Werke von Menschenhand auf groBem MaBstab
erst anzueignen oder zu zahmen, spielt die entscheidendste Rolle in der
Geschichte der Industrie. So z.B. die Wasserreglung in Agypten 913 ,
Lombardei, Holland usw. Oder in Indien, Persien usw., wo die
Uberrieslung durch kunstliche Kanale dem Boden nicht nur das
unentbehrliche Wasser, sondern mit dessen Geschlamme zugleich den
Mineraldunger von den Bergen zufuhrt. Das Geheimnis der Industriebliite
von Spanien und Sizihen unter arabischer Herrschaft war die
Kanahsation. 914
Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Moglichkeit,
niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerts oder des
Mehrprodukts. Die verschiednen Naturbedingungen der Arbeit bewirken,
daB dieselbe Quantitat Arbeit in verschiednen Landern verschiedne
Bediirfnismassen befriedigt 915 , daB also, unter sonst analogen Umstanden,
die notwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf die Mehrarbeit wirken sie
nur als Naturschranke, d.h. durch die Bestimmung des Punkts, wo die
Arbeit fur andre beginnen kann. In demselben MaB, worin die Industrie
vortritt, weicht diese Naturschranke zuriick. Mitten in der
westeuropaischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die Erlaubnis, fur seine
eigne Existenz zu arbeiten, nur durch Mehrarbeit erkauft, wird sich leicht
eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit eingeborne Qualitat, ein
Surplusprodukt zu liefern. 916 Man nehme aber z.B. den Einwohner der
ostlichen Inseln des asiatischen Archipelagus, wo der Sago wild im Walde
wachst.
»Wenn die Einwohner, indem sie ein Loch in den Baum bohren, sich
davon iiberzeugt haben, dafi das Mark reifist, so wird der Stamm
umgeschlagen und in mehrere Stiicke geteilt, das Mark wird
herausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht, es ist dann
vollkommen brauchbares Sagomehl. Ein Baum gibt gemeiniglich 300
Pfund und kann 500 bis 600 Pfund geben. Man geht dort also in den
Wald und schneidet sich sein Brot, wie man bei uns sein Brennholz
schlagt.« 911
Gesetzt, ein solcher ostasiatischer Brotschneider brauche 12
Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedurfnisse.
Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar gibt, ist viel MuBezeit. Damit er
diese produktiv fur sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe
geschichtlicher Umstande, damit er sie in Mehrarbeit fur fremde Personen
verausgabe, ist auBrer Zwang erheischt. Wurde kapitalistische Produktion
eingefuhrt, so muBte der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten, um
l.F. Schouw, "Die Erde, die Pflanze und der Mensch", 2.Aufl.. Leipzig 1854, p. 148.
l.In seinem Brief an N.F. Danielson vom 28. November 1878 schlag Marx Fassung dieses Absatzes
vor:
sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der Natur
erklart nicht, waram er jetzt 6 Tage in der Woche arbeitet oder warum er 5
Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklart nur, warum seine notwendige
Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschrankt ist. In keinem Fall aber
entsprange sein Mehrprodukt aus einer der menschlichen Arbeit
eingebornen, okkulten Qualitat.
Wie die geschichtlich entwickelten, gesellschaftlichen, so erscheinen die
naturbedingten Produktivkrafte der Arbeit als Produktivkrafte des Kapitals,
dem sie einverleibt wird.
Ricardo kiimmert sich nie urn den Ursprung des Mehrwerts. Er behandelt
ihn wie eine der kapitalistischen Produktionsweise, der in seinen Augen
natiirlichen Form der gesellschaftlichen Produktion, inharente Sache. Wo
er von der Produktivitat der Arbeit spricht, da sucht er in ihr nicht die
Ursache des Daseins von Mehrwert, sondern nur die Ursache, die seine
GroBe bestimmt. Dagegen hat seine Schule die Produktivkraft der Arbeit
laut proklamiert als die Entstehungsursache des Profits (des: Mehrwerts).
Jedenfalls ein Fortschritt gegeniiber den Merkantilisten, die den UberschuB
des Preises der Produkte iiber ihre Produktionskosten aus dem Austausch
herleiten, aus ihrem Verkauf iiber ihren Wert. Trotzdem hatte auch
Ricardos Schule das Problem bloB umgangen, nicht gelost. In der Tat
hatten diese burgerlichen Okonomen den richtigen Instinkt, es sei sehr
gefahrlich, die brennende Frage nach dem Ursprung des Mehrwerts zu tief
zu ergriinden. Was aber sagen, wenn ein halbes Jahrhundert nach Ricardo
Herr John Stuart Mill wiirdevoll seine Uberlegenheit iiber die
Merkantilisten konstatiert, indem er die faulen Ausfluchte der ersten
Verflacher Ricardos schlecht wiederholt?
Mill sagt:
»Die Ursache des Profits ist die, dafi die Arbeit mehr produziert, als fur
ihren Unterhalt erforderlich ist.«
Soweit nichts als die alte Leier; aber Mill will auch Eignes hinzutun:
»Oder um die Form des Satzes zu variieren: der Grund, weshalb das
Kapital einen Profit liefert, ist der, dafi Nahrung, Kleider, Rohstojfe und
Arbeitsmittel langere Zeit dauern, als zu ihrer Produktion erforderlich
ist. «
Mill verwechselt hier die Dauer der Arbeitszeit mit der Dauer ihrer
Produkte. Nach dieser Ansicht wiirde ein Backer, dessen Produkte nur
einen Tag dauern, aus seinen Lohnarbeitern nie denselben Profit Ziehen
konnen wie ein Maschinenbauer, dessen Produkte zwanzig Jahre und
langer dauern. Allerdings, wenn die Vogelnester nicht langere Zeit
vorhielten, als zu ihrem Bau erforderlich, so wiirden die Vogel sich ohne
Nester behelfen miissen. Diese Grundwahrheit einmal festgestellt, stellt
Mill seine Uberlegenheit iiber die Merkantilisten fest:
»Wir sehn also, dafi der Profit entsteht, nicht aus dem Zwischenfall dei
Austausclie, sondern aus der Produktivkraft der Arbeit; der
Gesamtprofit eines Landes ist immer bestimmt durch die Produktivkraft
der Arbeit, gleichviel ob Austausch stattfindet oder nicht. Bestande keine
Teilung der Beschaftigungen, so gabe es weder Kaufnoch Verkauf, aber
immer noch Profit. «
Hier sind also Austausch, Kauf und Verkauf, die allgemeinen Bedingungen
der kapitalistischen Produktion, ein purer Zwischenfall, und es gibt immer
noch Profit ohne Kauf und Verkauf der Arbeitskraft! Weiter:
»Produziert die Gesamtheit der Arbeiter eines Landes 20% iiber ihre
Lohnsumme, so werden die Profite 20% sein, was auch immer der Stand
der Warenpreise.«
Dies ist einerseits eine auBerst gelungne Tautologie, denn wenn Arbeiter
einen Mehrwert von 20% fur ihre Kapitalisten produzieren, so werden sich
die Profite zum Gesamtlohn der Arbeiter verhalten wie 20:100. Andrerseits
ist es absolut falsch, daB die Profite »20% sein werden«. Sie miissen
immer kleiner sein, weil Profite berechnet werden auf die Totalsumme des
vorgeschoBnen Kapitals. Der {Capitalist habe z.B. 500 Pfd.St.
vorgeschossen, davon 400 Pfd.St. in Produktionsmitteln, 100 Pfd.St. in
Arbeitslohn. Die Rate des Mehrwerts sei, wie angenommen, 20%, so wird
die Profitrate sein wie 20:500, d.h. 4% und nicht 20%.
Folgt eine glanzende Probe, wie Mill die verschiednen geschichtlichen
Formen der gesellschaftlichen Produktion behandelt:
»Ich setze uberall den gegenwartigen Stand der Dinge voraus, der bis
aufwenige Ausnahmen uberall herrscht, d.h. dafi der Kapitalist alle
Vorschiisse macht, die Bezahlung des Arbeiters einbe griff en. «
Seltsame optische Tauschung, uberall einen Zustand zu sehn, der bis jetzt
nur ausnahmsweise auf dem Erdball herrscht! Doch weiter. Mill ist gut
genug, zuzugeben, »es sei nicht eine absolute Notwendigkeit, dafi dem so
sei«. 91s Im Gegenteil.
»Der Arbeiter konnte, selbst mit seinem ganzen Lohnbetrage, die
Zahlung abwarten, bis die Arbeit vollstandig fertig ist, wenn er die zu
seiner Erhaltung in der Zwischenzeit notigen Mittel hatte. Aber in
diesem Falle ware er in gewissem Grade ein Kapitalist, der Kapital ins
Geschaft legte, und einen Teil der zu seiner Fortfiihrung notigen Fonds
lieferte.«
Ebensogut konnte Mill sagen, der Arbeiter, der sich selbst nicht nur die
Lebensmittel, sondern auch die Arbeitsmittel vorschieBt, sei in
Wirklichkeit sein eignen Lohnarbeiter. Oder der amerikarische Bauer sei
sein eigner Sklave, der nur fur sich selbst statt fur einen fremden Herrn
frondet.
Nachdem uns Mill derart klarlich erwiesen, daB die kapitalistische
Produktion, selbst wenn sie nicht existierte, dennoch immer existieren
wiirde, ist er nun kon sequent genug, zu bewei daB sie selbst dann nicht
existiert, wenn sie existiert:
»Und selbst im vorigen Fall [wenn der Kapitalist dem Lohnarbeiter seine
samtlichen Sub sistenzmittel vorschieBt] kann der Arbeiter unter
demselben Gesichtspunkt betrachtet werden [d.h. als ein Kapitalist]. Denn
indem er seine Arbeit unter dem Marktpreise [!] hergibt, kann er
angesehn werden, als schosse er die Differenz seinem Unternehmen vor
919
usw.«
l.J.St. Mill: "Principles of Political Economy", Lond. 1868, p. 252-253, passim. - (Obige Stellen
sind nach der franzosischen Ausgabe des "Kapital" ubersetzt. - F.E.}
l.Der S. 281 (MEW, Bd. 23) behandelte Fall ist hier natiirlich ebenfalls ausgeschlossen. {Note zur
3.Aufl. -F.E.)
l.Zu diesem dritten Gesetz hat MacCulloch u.a. den abgeschmackten Zusatz gemacht, daB der
Mehrwert ohne Fall im Wert der Arbeitskraft steigen kann durch Abschaffung von Steuern, die der
Kapitalist friiher zu zahlen hatte. Die Abschaffung solcher Steuern andert absolut nichts an dem Quantum
In der tatsachlichen Wirklichkeit schieBt der Arbeiter dem Kapitalisten
seine Arbeit wahrend einer Woche usw. umsonst vor, um am Ende der
Woche usw. ihren Mafktpreis zu erhalten; das macht ihn, nach Mill, zum
Kapitalisten! In der platten Ebene erscheinen auch Erdhaufen als Hiigel;
man messe die Plattheit unsrer heutigen Bourgeoisie am Kaliber ihrer
"groBen Geister".
Fiinfzehntes Kapitel
GroBenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert
Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert der
gewohnheitsmaBig notwendigen Lebensmittel des Durchschnittsarbeiters.
Die Masse dieser Lebensmittel, obgleich ihre Form wechseln mag, ist in
einer bestimmten Epoche einer bestimmten Gesellschaft gegeben und
daher als konstante GroBe zu behandeln. Was wechselt, ist der Wert dieser
Masse. Zwei andre Faktoren gehn in die Wertbestimmung der Arbeitskraft
ein. Einerseits ihre Entwicklungskosten, die sich mit der Produktionsweise
andern, andrerseits ihre Naturdifferenz, ob sie mannlich oder weiblich, reif
oder unreif . Der Verbrauch dieser differenten Arbeitskrafte, wieder bedingt
durch die Produktionsweise, macht groBen Unterschied in den
Reproduktionskosten der Arbeiterfamilie und dem Wert des erwachsnen
mannlichen Arbeiters. Beide Faktoren bleiben jedoch bei der folgenden
Untersuchung ausgeschlossen. 920
Wir unterstellen, 1. daB die Waren zu ihrem Wert verkauft werden, 2. daB
der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich iiber ihren Wert steigt, aber nie
unter ihn sinkt.
Dies einmal unterstellt, fand sich, daB die relativen GroBen von Preis der
Arbeitskraft und von Mehrwert durch drei Umstande bedingt sind: 1. die
Lange des Arbeitstags oder die extensive GroBe der Arbeit; 2. die normale
Intensitat der Arbeit oder ihre intensive GroBe, so daB ein bestimmtes
Arbeitsquantum in bestimmter Zeit verausgabt wird; 3. endlich die
Produktivkraft der Arbeit, so daB je nach dem Entwicklungsgrad der
Produktionsbedingungen dasselbe Quantum Arbeit in derselben Zeit ein
groBeres oder kleineres Quantum Produkt liefert. Sehr verschiedne
Kombinationen sind offenbar moglich, je nachdem einer der drei Faktoren
konstant und zwei variabel, oder zwei Faktoren konstant und einer
variabel, oder endlich alle drei gleichzeitig variabel sind. Diese
Kombinationen werden noch dadurch vermannigfacht, daB bei
gleichzeitiger Variation verschiedner Faktoren die GroBe und Richtung der
Variation verschieden sein konnen. Im folgenden sind nur die
Hauptkombinationen dargestellt.
I. GroBe des Arbeitstags und Intensitat der Arbeit konstant (gegeben),
Produktivkraft der Arbeit variabel
Unter dieser Voraussetzung sind Wert der Arbeitskraft und Mehrwert
durch drei Gesetze bestimmt.
Erstens: Der Arbeitstag von gegebner GroBe stellt sich stets in demselben
Wertprodukt dar, wie auch die Produktivitat der Arbeit, mit ihr die
Produktenmasse und daher der Preis der einzelnen Ware wechsle.
Das Wertprodukt eines zwolfsttindigen Arbeitstags ist 6 sh. z.B., obgleich
die Masse der produzierten Gebrauchswerte mit der Produktivkraft der
Arbeit wechselt, der Wert von 6 sh. sich also iiber mehr oder weniger
Waren verteilt.
Zweitens: Wert der Arbeitskraft und Mehrwert wechseln in umgekehrter
Richtung zueinander. Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, ihre
Zunahme oder Abnahme, wirkt in umgekehrter Richtung auf den Wert der
Arbeitskraft und in direkter auf den Mehrwert.
Das Wertprodukt des zwolfstiindigen Arbeitstags ist eine konstante GroBe,
z.B. 6 sh- Diese konstante GroBe ist gleich der Summe des Mehrwerts plus
dem Wert der Arbeitskraft, den der Arbeiter durch ein Aquivalent ersetzt.
Es ist selbstverstandlich, daB von zwei Teilen einer konstanten GroBe
keiner zunehmen kann, ohne daB der andre abnimmt. Der Wert der
Arbeitskraft kann nicht von 3 sh. auf 4 steigen, ohne daB der Mehrwert von
3 sh. auf 2 fallt, und der Mehrwert kann nicht von 3 auf 4 sh. steigen, ohne
daB der Wert der Arbeitskraft von 3 sh. auf 2 fallt - Unter diesen
Umstanden also ist kein Wechsel in der absoluten GroBe, sei es des Werts
der Arbeitskraft, sei es des Mehrwerts, moglich ohne gleichzeitigen
Wechsel ihrer relativen oder verhaltnismaBigen GroBen. Es ist unmoglich,
daB sie gleichzeitig fallen oder steigen.
Der Wert der Arbeitskraft kann ferner nicht fallen, also der Mehrwert nicht
steigen, ohne daB die Produktivkraft der Arbeit steigt, z.B. im obigen Fall
kann der Wert der Arbeitskraft nicht von 3 auf 2 sh. sinken, ohne daB
erhohte Produktivkraft der Arbeit erlaubt, in 4 Stunden dieselbe Masse
Lebensmittel zu produzieren, die vorher 6 Stunden zu ihrer Produktion
erheischten. Umgekehrt kann der Wert der Arbeitskraft nicht von 3 auf 4
sh. steigen, ohne daB die Produktivkraft der Arbeit fallt, also 8 Stunden zur
Produktion derselben Masse von Lebensmitteln erheischt sind, wozu
friiher 6 Stunden geniigten. Es folgt hieraus, daB die Zunahme in der
Produktivitat der Arbeit den Wert der Arbeitskraft senkt und damit den
Mehrwert steigert, wahrend umgekehrt die Abnahme der Produktivitat den
Wert der Arbeitskraft steigert und den Mehrwert senkt.
Bei Formulierung dieses Gesetzes ubersah Ricardo einen Umstand:
Obgleich der Wechsel in der GroBe des Mehrwerts oder der Mehrarbeit
einen umgekehrten Wechsel in der GroBe des Werts der Arbeitskraft oder
der notwendigen Arbeit bedingt, folgt keineswegs, daB sie in derselben
Proportion wechseln. Sie nehmen zu oder ab um dieselbe GroBe. Das
Verhaltnis aber, worin jeder Teil des Wertprodukts oder des Arbeitstags
zu- oder abnimmt, hangt von der urspriinglichen Teilung ab, die vor dem
Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit stattfand. War der Wert der
Arbeitskraft 4 sh. oder die notwendige Arbeitszeit 8 Stunden, der
Mehrwert 2 sh. oder die Mehrarbeit 4 Stunden und fallt, infolge erhohter
Produktivkraft der Arbeit, der Wert der Arbeitskraft auf 3 sh. oder die
notwendige Arbeit auf 6 Stunden, so steigt der Mehrwert auf 3 sh. oder die
Mehrarbeit auf 6 Stunden. Es ist dieselbe GroBe von 2 Stunden oder 1 sh.,
die dort zugefugt, hier weggenommen wird. Aber der proportionelle
GroBenwechsel ist auf beiden Seiten verschieden. Wahrend der Wert der
Arbeitskraft von 4 sh. auf 3, also um X A oder 25 % sinkt, steigt der
Mehrwert von 2 sh. auf 3, also um Vi oder 50%. Es folgt daher, daB die
proportionelle Zu- oder Abnahme des Mehrwerts, infolge eines gegebnen
Wechsels in der Produktkraft der Arbeit, um so groBer, je kleiner, und um
so kleiner, je groBer urspriinglich der Teil des Arbeitstags war, der sich in
Mehrwert darstellt.
Drittens: Zu- oder Abnahme des Mehrwerts ist stets Folge und nie Grand
der entsprechenden Ab- und Zunahme des Werts der Arbeitskraft. 921
Da der Arbeitstag von konstanter GroBe ist, sich in einer konstanten
WertgroBe darstellt, jedem GroBenwechsel des Mehrwerts ein umgekehrter
GroBenwechsel im Wert der Arbeitskraft entspricht und der Wert der
Arbeitskraft nur wechseln kann mit einem Wechsel in der Produktivkraft
der Arbeit, folgt unter diesen Bedingungen offenbar, daB jeder
GroBenwechsei des Mehrwerts aus einem umgekehrten GroBenwechsel im
Wert der Arbeitskraft entspringt. Wenn man daher gesehn, daB kein
absoluter GroBenwechsel im Wert der Arbeitskraft und des Mehrwerts
moglich ist ohne einen Wechsel ihrer relativen GroBen, so folgt jetzt, daB
kein Wechsel ihrer relativen WertgroBen moglich ist ohne einen Wechsel
in der absoluten WertgroBe der Arbeitskraft.
Nach dem dritten Gesetz unterstellt der GroBenwechsel des Mehrwerts
eine durch Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit verarsachte
Wertbewegung der Arbeitskraft. Die Grenze jenes Wechsels ist durch die
neue Wertgrenze der Arbeitskraft gegeben. Es konnen aber, auch wenn die
Umstande dem Gesetz zu wirken erlauben, Zwischenbewegungen
stattfinden. Fallt z. B. infolge erhohter Produktivkraft der Arbeit der Wert
der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3 oder die notwendige Arbeitszeit von 8
Stunden auf 6, so konnte der Preis der Arbeitskraft nur auf 3 sh. 8 d., 3 sh.
6 d., 3 sh. 2 d. usw. fallen, der Mehrwert daher nur auf 3 sh. 4 d., 3 sh. 6 d.,
3 sh. 1 d usw. steigen. Der Grad des Falls, dessen Minimalgrenze 3 sh.,
hangt von dem relativen Gewicht ab, das der Druck des Kapitals von der
einen Seite, der Widerstand der Arbeiter von der andern Seite in die
Waagschale wirft.
Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert eines bestimmten
Quantums von Lebensmitteln. Was mit der Produktivkraft der Arbeit
wechselt, ist der Wert dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse. Die Masse
selbst kann, bei steigender Produktivkraft der Arbeit, fur Arbeiter und
Kapitalist gleichzeitig und in demselben Verhaltnis wachsen ohne
irgendeinen GroBenwechsel zwischen Preis der Arbeitskraft und
Mehrwert. Ist der urspriingliche Wert der Arbeitskraft 3 sh. und betragt die
notwendige Arbeitszeit 6 Stunden, ist der Mehrwert ebenfalls 3 sh. oder
betragt die Mehrarbeit auch 6 Stunden, so wiirde eine Verdopplung in der
Produktivkraft der Arbeit, bei gleichbleibender Teilung des Arbeitstags,
Preis der Arbeitskraft und Mehrwert unverandert lassen. Nur stellte sich
jeder derselben in doppelt so vielen, aber verhaltnismaBig verwohlfeilerten
Gebrauchswerten dar. Obgleich der Preis der Arbeitskraft unverandert,
ware er iiber ihren Wert gestiegen. Fiele der Preis der Arbeitskraft, aber
nicht bis zu der durch ihren neuen Wert gegebnen Minimalgrenze von IV2
sh., sondern auf 2 sh. 10 d., 2 sh. 6 d. usw., so reprasentierte dieser fallende
Preis immer noch eine wachsende Masse von Lebensmitteln. Der Preis der
Arbeitskraft konnte so bei steigender Produktivkraft der Arbeit bestandig
fallen mit gleichzeitigem, fortwahrendem Wachstum der
Lebensmittelmasse des Arbeiters. Relativ aber, d.h. verglichen mit dem
Mehrwert, sanke der Wert der Arbeitskraft bestandig und erweiterte sich
also die Kluft zwischen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist. 922
l.»Wenn in der Produktivitdt der Industrie eine Anderung Platz greift, so dafi durch eine
gegebne Menge von Arbeit und Kapital mehr oder weniger erzeugt wird, kann der Lohnanteil sich
offensichtlich andern, wahrend die Menge, welche dieser Anted darstellt, die gleiche bleibt, oder die
Menge kann sich andern, wahrend der Anted unverandert bleibt. « ([J.Cazenove,] "Outlines of Political
Economy etc.", p. 67.)
1.4.Auflage: Fall ihres Werts
l.»Bei sonst gleichen Umstanden kann der englische Fabrikant in einer bestimmten Zeit eine
betrachtlich grofiere Menge von Arbeit herausbringen als ein ausldndischer Fabrikant, so viel, um den
Ricardo hat die oben aufgestellten drei Gesetze zuerst streng foraiuliert.
Die Mangel seiner Darstellung sind, 1. daB er die besondern Bedingungen,
innerhalb deren jene Gesetze gelten, fur die sich von selbst verstehenden,
allgemeinen und ausschlieBlichen Bedingungen der kapitalistischen
Produktion ansieht. Er kennt keinen Wechsel, weder in der Lange des
Arbeitstags noch in der Intensitat der Arbeit, so daB bei ihm die
Produktivitat der Arbeit von selbst zum einzigen variablen Faktor wird; - 2.
aber, und dies verfalscht seine Analyse in viel hoherem Grad, hat er
ebensowenig wie die andern Okonomen jemals den Mehrwert als solchen
untersucht, d.h. unabhangig von seinen besondern Formen, wie Profit,
Grundrente usw. Er wirft daher die Gesetze iiber die Rate des Mehrwerts
unmittelbar zusammen mit den Gesetzen der Profitrate. Wie schon gesagt,
ist die Profitrate das Verhaltnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen
Gesamtkapital, wahrend die Mehrwertsrate das Verhaltnis ist des
Mehrwerts zum bloB variablen Teil dieses Kapitals. Nimm an, ein Kapital
von 500 Pfd. St. (C) teile sich in Rohstoffe, Arbeitsmittel etc. fur
zusammen 400 Pfd. St. (c) und in 100 Pfd. St. Arbeitslohne (v); daB ferner
der Mehrwert = 100 Pfd. St. (m). Dann ist die Mehrwertsrate . Aber die
Profitrate . Es leuchtet auBerdem ein, daB die Profitrate abhangen kann von
Umstanden, die keineswegs auf die Mehrwertsrate einwirken. Ich werde
spater im Dritten Buch dieser Schrift beweisen, daB dieselbe Rate des
Mehrwerts sich in den verschiedensten Profitraten und verschiedne Raten
des Mehrwerts, unter bestimmten Umstanden, sich in derselben Profitrate
ausdriicken konnen.
II. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivkraft der Arbeit, Intensitat
der Arbeit variabel
Wachsende Intensitat der Arbeit unterstellt vermehrte Ausgabe von Arbeit
in demselben Zeitraum. Der intensivere Arbeitstag verkorpert sich daher in
mehr Produkten als der minder intensive von gleicher Stundenzahl. Mit
erhohter Produktivkraft liefert zwar auch derselbe Arbeitstag mehr
Produkte. Aber im letztem Fall sinkt der Wert des einzelnen Produkts, weil
es weniger Arbeit als vorher kostet, im erstern Fall bleibt er unverandert,
weil das Produkt nach wie vor gleich viel Arbeit kostet. Die Anzahl der
Produkte steigt hier ohne Fall ihres Preises. Mit ihrer Anzahl wachst ihre
Preissumme, wahrend dort dieselbe Wertsumme sich nur in vergroBerter
Produktenmasse darstellt. Bei gleichbleibender Stundenzahl verkorpert
sich also der intensivere Arbeitstag in hoherem Wertprodukt, also, bei
gleichbleibendem Wert des Geldes, in mehr Geld. Sein Wertprodukt
variiert mit den Abweichungen seiner Intensitat von dem gesellschaftlichen
Normalgrad. Derselbe Arbeitstag stellt sich also nicht wie vorher in einem
konstanten, sondern in einem variablen Wertprodukt dar, der intensivere,
zwolfsttindige Arbeitstag z.B. in 7 sh., 8 sh. usw. statt in 6 sh. wie der
zwolfsttindige Arbeitstag von gewohnlicher Intensitat- Es ist klar: Variiert
das Wertprodukt des Arbeitstags, etwa von 6 auf 8 sh., so konnen beide
Teile dieses Wertprodukts, Preis der Arbeitskraft und Mehrwert,
gleichzeitig wachsen, sei es in gleichem oder ungleichem Grad. Preis der
Arbeitskraft und Mehrwert konnen beide zur selben Zeit von 3 sh. auf 4
wachsen, wenn das Wertprodukt von 6 auf 8 steigt. Preiserhohung der
Arbeitskraft schlieBt hier nicht notwendig Steigerung ihres Preises iiber
ihren Wert ein. Sie kann umgekehrt von einem Fall unter ihren Wert 923
begleitet sein. Dies findet stets statt, wenn die Preiserhohung der
Arbeitskraft ihren beschleunigten VerschleiB nicht kompensiert.
Man weiB, daB mit voriibergehenden Ausnahmen ein Wechsel in der
Produktivitat der Arbeit nur dann einen Wechsel in der WertgroBe der
Arbeitskraft und daher in der GroBe des Mehrwerts bewirkt, wenn die
Produkte der betroffenen Industriezweige in den gewohnheitsmaBi
Konsum des Arbeiters eingehn. Diese Schranke fallt hier fort. Ob die
GroBe der Arbeit extensiv oder intensiv wechsle, ihrem GroBenwechsel
entspricht ein Wechsel in der GroBe ihres Wertprodukts, unabhangig von
der Natur des Artikels, worin sich dieser Wert darstellt.
Steigerte sich die Intensitat der Arbeit in alien Industriezweigen gleichzeitig
und gleichmaBig, so wtirde der neue hohere Intensitatsgrad zum
gewohnlichen gesellschafthchen Normalgrad und horte damit auf als
extensive GroBe zu zahlen. Indes blieben selbst dann die
durchschnittlichen Intensitatsgrade der Arbeit bei verschiednen Nationen
verschieden und modifizierten daher die Anwendung des Wertgesetzes auf
unterschiedne Nationalarbeitstage. Der intensivere Arbeitstag der einen
Nation stellt in hoherem Geldausdruck dar als der minder intensive der
andren. 924
III. Produktivkraft und Intensitat der Arbeit konstant, Arbeitstag variabel
Der Arbeitstag kann nach zwei Richtungen variieren. Er kann verkiirzt oder
verlangert werden.
1. Verkurzung des Arbeitstags unter den gegebenen Bedingungen, d.h.
gleichbleibender Produktivkraft und Intensitat der Arbeit, laBt den Wert
der Arbeitskraft und daher die notwendige Arbeitszeit unverandert. Sie
verkiirzt die Mehrarbeit und den Mehrwert. Mit der absoluten GroBe des
letztren fallt auch seine relative GroBe, d.h. seine GroBe im Verhaltnis zur
gleichbleibenden WertgroBe der Arbeitskraft. Nur durch Herabdriickung
ihres Preises unter ihren Wert konnte der Kapitalist sich schadlos halten.
Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkurzung des Arbeitstags
unterstellen, daB das Phanomen sich unter den hier vorausgesetzten
Umstanden ereignet, wahrend in der Wirklichkeit umgekehrt Wechsel in
der Produktivitat und Intensitat der Arbeit entweder der Verkurzung des
Arbeitstags vorhergehn oder ihr unmittelbar nachfolgen. 925
l.»Es gibt kompensierende Umstdnde ... die durch die Durchfuhrung des Zehnstundengesetzes
ans Licht gebracht worden sind.« ("Reports of Insp. of Fact, for 31st October 1848", p. 7.)
l.»Die Arbeitsmenge, die ein Mann im Laufe von 24 Stunden geleistet hat, kann annahernd
durch eine Untersuchung der chemischen Verdnderungen bestimmt werden, die in seinem Korper
stattgefunden haben, da veranderte Formen in der Materie die vorherige Anspannung von
Bewegungskraft anzeigen.« (Grove, "On the Correlation of Physical Forces", [p. 308, 309].)
l.»Korn und Arbeit stimmen selten vollkommen uberein; aber es gibt eine offensichtliche
Grenze, tiber die hinaus sie nicht getrennt werden konnen. Die aufiergewohnlichen Anstrengungen der
arbeitenden Klassen in Zeiten der Teuerung, die den Ruckgang der Lohne bewirken, von dem in den
Aussagen [namlich vor den parlamentarischen Untersuchungsausschiissen 1814/15] die Rede war,
gereichen den einzelnen sehr zum Verdienst und begiinstigen sicher das Anwachsen des Kapitals. Aber
kein human Empfindender kann wiinschen, dafi sie ungemindert und ununterbrochen vor sich gehen.
Sie sind hochst bewundernswert als zeitweilige Abhilfe; aber wenn sie immer stattfdnden, so wiirden
sie dhnlich wirken wie eine im Verhaltnis zu ihrer Subsistenz bis an die alleraufierste Grenze
getriebene Bevolkerung.« (Malthus, "Inquiry into the Nature and Progress of Rent", Lond. 1815, p. 48,
Note.) Es macht Malthus alle Ehre, daB er den Ton legt auf die auch an andrer Stelle in seinem Pamphlet
direkt besprochne Verlangerung des Arbeitstags, wahrend Ricardo und andre, im Angesicht der
schreiendsten Tatsachen, die konstante GroBe des Arbeitstags alien ihren Untersuchungen zugrund legten.
Aber die konservativen Interessen, deren Knecht Malthus war, hinderten ihn zu sehn, daB die maBlose
Verlangerung des Arbeitstags, zugleich mit auBerordentlicher Entwicklung der Maschinerie und der
2. Verlangerang des Arbeitstags: Die notwendige Arbeitszeit sei 6 Stunden
oder der Wert der Arbeitskraft 3 sh., ebenso Mehrarbeit 6 Stunden und
Mehrwert 3 sh. Der Gesamtarbeitstag betragt dann 12 Stunden und stellt
sich in einem Wertprodukt von 6 sh. dar. Wird der Arbeitstag um 2
Stunden verlangert und bleibt der Preis der Arbeitskraft unverandert, so
wachst mit der absoluten die relative GroBe des Mehrwerts. Obgleich die
WertgroBe der Arbeitskraft absolut unverandert bleibt, fallt sie relativ.
Unter den Bedingungen von I. konnte die relative WertgroBe der
Arbeitskraft nicht wechseln ohne einen Wechsel ihrer absoluten GroBe.
Hier, im Gegenteil, ist der relative GroBenwechsel im Wert der Arbeitskraft
das Resultat eines absoluten GroBenwechsels des Mehrwerts.
Da das Wertprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner eignen
Verlangerang wachst, konnen Preis der Arbeitskraft und Mehrwert
gleichzeitig wachsen, sei es um gleiches oder ungleiches Inkrement. Dies
gleichzeitige Wachstum ist also in zwei Fallen moglich, bei absoluter
Verlangerang des Arbeitstags und bei wachsender Intensitat der Arbeit
ohne solche Verlangerang.
Mit verlangertem Arbeitstag kann der Preis der Arbeitskraft unter ihren
Wert fallen, obgleich er nominell unverandert bleibt oder selbst steigt. Der
Tageswert der Arbeitskraft ist namlich, wie man sich erinnern wird,
geschatzt auf ihre normale Durchschnittsdauer oder die normale
Lebensperiode des Arbeiters und auf entsprechenden, normalen, der
Menschennatur angemessenen Umsatz von Lebenssubstanz in
Bewegung. 926 Bis zu einem gewissen Punkt kann der von Verlangerang
des Arbeitstags untrennbare groBere VerschleiB der Arbeitskraft durch
groBeren Ersatz kompensiert werden. Uber dieen Punkt hinaus wachst der
VerschleiB in geometrischer Progression und werden zugleich alle
normalen Reproduktions- und Betatigungsbedingungen der Arbeitskraft
zerstort. Der Preis der Arbeitskraft und ihr Exploitationsgrad horen auf,
miteinander kommensurable GroBen zu sein.
IV. Gleichzeitige Variationen in Dauer, Produktivkraft und Intensitat der
Arbeit
Es ist hier offenbar eine groBe Anzahl Kombinationen moglich. Je zwei
Faktoren konnen variieren und einer konstant bleiben, oder alle drei
konnen gleichzeitig variieren. Sie konnen in gleichem oder ungleichem
Grad variieren, in derselben oder entgegengesetzter Richtung, ihre
Variationen sich daher teilweis oder ganz aufheben. Indes ist die Analyse
aller Moglichen Falle nach den unter I, II und III gegebenen Aufschlussen
leicht. Man findet das Resultat jeder moglichen Kombination, indem man
der Reihe nach je einen Faktor als variabel und die andren zunachst als
konstant behandelt. Wir nehmen hier daher nur noch kurze Notiz von zwei
wichtigen Fallen.
1. Abnehmende Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger Verlangerung
des Arbeitstags:
Wenn wir hier von abnehmender Produktivkraft der Arbeit sprechen, so
handelt es sich von Arbeitszweigen, deren Produkte den Wert der
Arbeitskraft bestimmen, also z.B. von abnehmender Produktivkraft der
Arbeit infolge zunehmender Unfruchtbarkeit des Bodens und
entsprechender Verteurung der Bodenprodukte. Der Arbeitstag sei
zwolfsttindig, sein Wertprodukt 6 sh., wo von die Halfte den Wert der
Arbeitskraft ersetze, die andre Halfte Mehrwert bilde. Der Arbeitstag
zerfallt also in 6 Stunden notwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit.
Infolge der Verteurung der Bodenprodukte steige der Wert der Arbeitskraft
von 3 auf 4 sh., also die notwendige Arbeitszeit von 6 auf 8 Stunden.
Bleibt der Arbeitstag unverandert, so fallt die Mehrarbeit von 6 auf 4
Stunden, der Mehrwert von 3 auf 2 sh. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden
verlangert, also von 12 auf 14 Stunden, so bleibt die Mehrarbeit 6 Stunden,
der Mehrwert 3 sh., aber seine GroBe fallt im Vergleich zum Wert der
Arbeitskraft, gemessen durch die notwendige Arbeit. Wird der Arbeitstag
um 4 Stunden verlangert, von 12 auf 16 Stunden, so bleiben die
proportionellen GroBen von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft,
Mehrarbeit und notwendiger Arbeit unverandert, aber die absolute GroBe
des Mehrwerts wachst von 3 auf 4 sh., die der Mehrarbeit von 6 auf 8
Arbeitsstunden, also um V3 oder 33 1/3%. Bei abnehmender
Produktivkraft der Arbeit und gleichzeitiger Verlangerung des Arbeitstags
kann also die absolute GroBe des Mehrwerts unverandert bleiben, wahrend
seine proportionelle GroBe fallt; seine proportionelle GroBe kann
unverandert bleiben, wahrend seine absolute GroBe wachst, und, je nach
dem Grad der Verlangerung, konnen beide wachsen.
Im Zeitraume von 1799 bis 1815 fuhrten die steigenden Preise der
Lebensmittel in England eine nominelle Lohnsteigerung herbei, obwohl
die wirklichen, in Lebensmitteln ausgedriickten Arbeitslohne fielen.
Hieraus schlossen West und Ricardo, daB die Verminderung der
Produktivitat der Ackerbauarbeit ein Fallen der Mehrwertsrate verursacht
hatte, und machten diese nur in ihrer Phantasie gultige Annahme zum
Ausgangspunkt wichtiger Analysen iiber das relative GroBenverhaltnis von
Arbeitslohn, Profit und Grundrente. Dank der gesteigerten Intensitat der
Arbeit und der erzwungenen Verlangerung der Arbeitszeit war aber der
Mehrwert damals absolut und relativ gewachsen. Es war dies die Periode,
worin die maBlose Verlangerung des Arbeitstags sich das Burgerrecht
erwarb 927 , die Periode, speziell charakterisiert durch beschleunigte
Zunahme hier des Kapitals, dort des Pauperismus. 928
2.»Eine grundlegende Ursache des Anwachsens des Kapitals wahrend des Krieges lag in den
grofieren Anstrengungen und vielleicht auch den grofieren Entbehrungen der arbeitenden Klassen, die
injeder Gesellschaft die zahlreichsten sind. Durch die Diirftigkeit ihrer Lage wurden mehr Frauen und
Kinder genotigt, Arbeit zu nehmen; und jene, die schon friiher Arbeiter war en, war en aus demselben
Grunde gezwungen, einen grofieren Teil ihrer Zeit der Vermehrung der Produktion zu widmen.«
("Essays on Political Econ. in which are illustrated the Principal Causes of the Present National Distress",
London 1830, p.248.)
l.In der autorisierten franzosischen Ausgabe setzt Marx diese erste Formel in Klammern, »weil
sich der Begriff der Mehrarbeit in der biirgerlichen politischen Okonomie nicht klar ausgedruckt
findete.
2. Zunehmende Intensitat und Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger
Verkurzung des Arbeitstags:
Gesteigerte Produktivkraft der Arbeit und ihre wachsende Intensitat wirken
nach einer Seite hin gleichformig. Beide vermehren die in jedem
Zeitabschnitt erzielte Produktenmasse. Beide verkurzen also den Teil des
Arbeitstags, den der Arbeiter zur Produktion seiner Lebensmittel oder ihres
Aquivalents braucht. Die absolute Minimalgrenze des Arbeitstags wird
iiberhaupt gebildet durch diesen seinen notwendigen, aber kontraktiblen
Bestandteil. Schrumpfte darauf der ganze Arbeitstag zusammen, so
verschwande die Mehrarbeit, was unter dem Regime des Kapitals
unmoglich. Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt,
den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschranken. Jedoch wurde
die letztre, unter sonst gleichbleibenden Umstanden, ihren Raum
ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher
und seine Lebensanspriiche groBer. Andrerseits wiirde ein Teil der jetzigen
Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zahlen, namlich die zur Erzielung eines
gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds notige Arbeit.
Je mehr die Produktivkraft der Arbeit wachst, um so mehr kann der
Arbeitstag verkiirzt werden, und je mehr der Arbeitstag verkiirzt wird,
desto mehr kann die Intensitat der Arbeit wachsen. Gesellschaftlich
betrachtet, wachst die Produktivitat der Arbeit auch mit ihrer Okonomie.
Diese schlieBt nicht nur die Okonomisierung der Produktionsmittel ein,
sondern die Vermeidung aller nutzlosen Arbeit. Wahrend die
kapitalistische Produktionsweise in jedem individuellen Geschaft
Okonomie erzwingt, erzeugt ihr anarchisches System der Konkurrenz die
maBloseste Verschwendung der gesellschafthchen Produktionsmittel und
Arbeitskrafte, neben einer Unzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und fur
sich uberflussiger Funktionen.
Intensitat und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen
Produktion notwendige Teil des gesellschafthchen Arbeitstags um so
kiirzer, der fur freie, geistige und gesellschaftliche Betatigung der
Individuen eroberte Zeitteil also um so groBer, je gleichmaBiger die Arbeit
unter alle werkfahigen Glieder der Gesellschaft verteilt ist, je weniger eine
Gesellschaftsschichte die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst
ab- und einer andren Schichte zuwalzen kann. Die absolute Grenze fur die
Verkurzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der
Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit fur eine Klasse
produziert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit.
Sechzehntes Kapitel
Verschiedne Formeln fur die Rate des Mehrwerts
Man hat gesehn, daB die Rate des Mehrwerts sich darstellt in den Formeln:
I.
Die zwei ersten Formeln stellen als Verhaltnis von Werten dar, was die
dritte als Verhaltnis der Zeiten, worin diese Werte produziert werden.
Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich streng. Man findet sie
daher wohl der Sache nach, aber nicht bewuBt ausgearbeitet in der
klassischen politischen Okonomie. Hier begegnen wir dagegen den
folgenden abgeleiteten Formeln:
II. 929 ==.
Eine und dieselbe Proportion ist hier abwechselnd ausgedriickt in der
Form der Arbeitszeiten, der Werte, worin sie sich verkorpern, der
Produkte, worin diese Werte existieren. Es wird naturlich unterstellt, daB
unter Wert des Produkts nur das Wertprodukt des Arbeitstags zu verstehn,
der konstante Teil des Produktenwerts aber ausgeschlossen ist.
In alien diesen Formeln ist der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit oder
die Rate des Mehrwerts falsch ausgedriickt. Der Arbeitstag sei 12 Stunden.
Mit den andren Annahmen unsres friiheren Beispiels stellt sich in diesem
Fall der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit dar in den Proportionen:
= = 100%
Nach den Formeln II erhalten wir dagegen:
= = 50%
Diese abgeleiteten Formeln driicken in der Tat die Proportion aus, worin
der Arbeitstag oder sein Wertprodukt sich zwischen Kapitalist und
Arbeiter teilt. Gelten sie daher als unmittelbare Ausdriicke des
Selbstverwertungsgrades des Kapitals, so gilt das falsche Gesetz: Die
Mehrarbeit oder der Mehrwert kann nie 100% erreichen. 930 Da die
Mehrarbeit stets nur einen aliquoten Teil des Arbeitstags oder der
l.So z.B. in "Dritter Brief an v. Kirchmann von Rodbertus. Widerlegung der Ricardo'schen' Theorie
von der Grundrente und Begriindung einer neuen Rententheorie", Berlin 1851. Ich komme spater auf diese
Schrift zuriick, die trotz ihrer falschen Theorie von der Grundrente das Wesen der kapitalistischen
Produktion durchschaut. - {Zusatz zur 3. Aufl. - Man sieht hier, wie wohlwollend Marx seine Vorganger
beurteilte, sobald er bei ihnen einen wirklichen Fortschritt, einen richtigen neuen Gedanken fand.
Inzwischen hat die Veroffentlichung der Rodbertusschen Briefe an Rud. Meyer obige Anerkennung
einigermaBen eingeschrankt. Da heiBt es: »Man mufi das Kapital nicht blofi vor der Arbeit, sondern auch
vor sich selbst retten, und das geschieht in der Tat am besten, wenn man die Tdtigkeit des
Unternehmer-Kapitalisten als volks- und staatswirtschaftliche Funktionen auffafit, die ihm durch das
Kapitaleigentum delegiert sind, und seinen Gewinn als eine Gehaltsform, well wir noch keine andre
soziale Organisation kennen. Gehdlter diirfen aber geregelt werden und auch ermdfiigt, wenn sie dem
Lohn zu viel nehmen. So ist auch der Einbruch von Marx in die Gesellschaft - so mochte ich sein Buch
nennen - abzuwehren ... Uberhaupt ist das Marxsche Buch nicht sowohl eine Untersuchung iiber das
Kapital als eine Polemik gegen die heutige Kapitalform, die er mit dem Kapitalbegriff selbst
verwechselt, woraus eben seine Irrtiimer entstehn.« ("Briefe etc. von Dr. Rodbertus-Jagetzow", herausgg.
von Dr. Rud. Meyer, Berlin 1881, 1. Bd., p. Ill, 48. Brief von Rodbertus.) - In solchen ideologischen
Gemeinplatzen versanden die in der Tat kiihnen Anlaufe der R.'schen "Sozialen Briefe". - F. E.)
2. Der Teil des Produkts, der nur das ausgelegte konstante Kapital ersetzt, ist bei dieser Rechnung
selbstverstandlich abgezogen. - Herr L. de Lavergne, blinder Bewunderer Englands, gibt eher zu niedriges
als zu hohes Verhaltnis.
l.Da alle entwickelten Formen des kapitalistischen Produktionsprozesses Formen der Kooperation
sind, ist natiirlich nichts leichter, als von spezifisch antagonistischen Charakter zu abstrahieren und sie so in
freie Assoziationsformen umzufabeln, wie in des Grafen A. de Laborde, "De l'Esprit de TAssociation dans
tous les interets de la Communaute", Paris 1818. Der Yankee H. Carey bringt dies Kunststiick mit
demselben Erfolg gelegentlich selbst ftir die Verhaltnisse des Sklavensystems fertig.
l.Obgleich die Physiokraten das Geheimnis des Mehrwerts nicht durchschauten, war ihnen doch so
viel klar, daB er ein »unabhangiger und verfiigbarer Reichtum war ist, den er [der Besitzer davon] nicht
gekauft hat und den er verkauft«. (Turgot, "Reflexions sur la Formation et la Distribution des Richesses",
p.ll.)
l.»Ricardo, geistreich genug, vermeidet eine Schwierigkeit, die auf den ersten Blick seiner
Theorie entgegenzustehen scheint, daji ndnlich der Wert von der in der Produktion verwandten
Arbeitsmenge abhdngig ist, Halt man an diesem Prinzip streng fest, so folgt daraus, dafi der Wert der
Arbeit abhdngt von der zu ihrer Produktion aufgewandten Arbeitsmenge - was offenbar Unsinn ist.
Durch eine geschickte Wendung macht deshalb Ricardo den Wert der Arbeit abhdngig von der Menge
der Arbeit, die zur Produktion des Lohnes erforderlich ist; oder, um mit seinen eigenen Worten zu
sprechen, er behauptet, dafi der Wert der Arbeit nach der Arbeitsmenge zu schdtzen sei, die zur
Produktion des Lohnes benotigt wird; worunter er die Arbeitsmenge versteht, die zur Produktion des
Geldes oder der Ware notwendig ist, die dem Arbeiter gegeben werden. Gerade so gut konnte man
sagen, dafi der Wert von Tuch nicht nach der zu seiner Produkt ion verwandten Arbeitsmenge
geschdtzt werde, sondern nach der Arbeitsmenge, die zur Produktion des Silbers verwandt wurde,
gegen welches das Tuch eingetauscht wird.« ([S.Bailey,] "A Critical Dissertation on the Nature etc. of
Value", p.50, 51.)
l.»Wenn ihr Arbeit eine Ware nennt, so ist sie doch nicht einer Ware gleich, die zuerst zum
Zweck des Tausches produziert und dann auf den Markt gebracht wird, wo sie mit anderen Waren, die
grade auf dem Markte sind, in entsprechendem Verhaltnis ausgetauscht wird; Arbeit wird in dem
Augenblick geschaffen, in dem sie auf den Markt gebracht wird, ja sie wird auf den Markt gebracht,
Mehrwert stets nur einen aliquoten Teil des Wertprodukts bilden kann, ist
die Mehrarbeit notwendigerweise stets kleiner als der Arbeitstag oder der
Mehrwert stets kleiner als das Wertprodukt. Um sich zu verhalten wie ,
muBten sie aber gleich sein. Damit die Mehrarbeit den ganzen Arbeitstag
absorbiere (es handelt sich hier um den Durchschnittstag der
Arbeitswoche, des Arbeitsjahrs usw.), muBte die notwendige Arbeit auf
Null sinken. Verschwindet aber die notwendige Arbeit, so verschwindet
auch die Mehrarbeit, da letztre nur eine Funktion der erstern. Die
Proportion = kann also niemals die Grenze erreichen und noch weniger
auf steigen. Wohl aber die Rate des Mehrwerts oder der wirkliche
Exploitationsgrad der Arbeit. Nimm z.B. die Schatzung des Herrn L. de
Lavergne, wonach der englische Ackerbauarbeiter nur l A, der {Capitalist
(Pachter) dagegen 3/^ des Produkts 931 oder seines Werts erhalt, wie die
Beute sich immer zwischen Kapitalist und Grandeigentiimer usw.
nachtraglich weiter verteile. Die Mehrarbeit des englischen Landarbeiters
verhalt sich danach zu seiner notwendigen Arbeit = 3 : 1, ein Prozentsatz
der Exploitation von 300%.
Die Schulmethode, den Arbeitstag als konstante GroBe zu behandeln,
wurde durch Anwendung der Formeln II befestigt, weil man hier die
Mehrarbeit stets mit einem Arbeitstag von gegebner GroBe vergleicht.
Ebenso, wenn die Teilung des Wertprodukts ausschlieBlich ins Auge
gefaBt wird. Der Arbeitstag, der sich bereits in einem Wertprodukt
vergegenstandlicht hat, ist stets ein Arbeitstag von gegebenen Grenzen.
Die Darstellung von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft als Bruchteilen
des Wertprodukts - eine Darstellungsweise, die iibrigens aus der
kapitalistiischen Produktionsweise selbst erwachst und deren Bedeutung
isch spater erschlieBen wird - versteckt den spezifischen Charakter des
Kapitalverhaltnisses, namlich den Austausch des variablen Kapitals mit der
lebendigen Arbeitskraft und den entsprechenden AusschluB des Arbeiters
vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche Schein eines
Assoziationsverhaltnisses, worin Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach
dem Verhaltnis seiner verschiednen Bildungsfaktoren teilen. 932
Ubrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I riickverwandelbar.
Haben wir z.B. , so ist die notwendige Arbeitszeit = Arbeitstag von zwolf
Stunden minus Mehrarbeit von sechs Stunden, und so ergibt sich:
Eine dritte Formel, die ich gelegentlich schon antizipiert habe, ist:
III.
Das MiBverstandnis, wozu die Formel verleiten konnte, als zahle der
Kapitalist die Arbeit und nicht die Arbeitskraft, fallt nach der friiher
gegebenen Entwicklung fort, ist nur popularer Ausdruck fur . Der
Kapitalist zahlt den Wert, resp. davon abweichenden Preis der Arbeitskraft
und erhalt im Austausch die Verfugung iiber die lebendige Arbeitskraft
selbst. Seine NutznieBung dieser Arbeitskraft zerfallt in zwei Perioden.
Wahrend der einen Perlode produziert der Arbeiter nur einen Wert = Wert
seiner Arbeitskraft, also nur ein Aquivalent. Fur den vorgeschoBnen Preis
der Arbeitskraft erhalt so der Kapitalist ein Produkt vom selben Preis. Es
ist, als ob er das Produkt fertig auf dem Markt gekauft hatte. In der Periode
der Mehrarbeit dagegen bildet die NutznieBung der Arbeitskraft Wert fur
den Kapitalisten, ohne ihm einen Wertersatz zu kosten. 933 Er hat diese
Flussigmachung der Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn kann die
Mehrarbeit unbezahlte Arbeit heiBen.
Das Kapital ist also nicht nur Kommando iiber Arbeit, wie A. Smith sagt.
Es ist wesentlich Kommando iiber unbezahlte Arbeit. Aller Mehrwert, in
welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente usw. er sich spater
kristallisiere, ist seiner Substanz nach Materiatur unbezahlter Arbeitszeit.
Das Geheimnis von der Selbstverwertung des Kapitals lost sich auf in
seine Verfugung iiber ein bestimmtes Quantum unbezahlter fremder
Arbeit.
Sechster Abschnitt
Der Arbeitslohn
Siebzehntes Kapitel
Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn
Auf der Oberflache der burgerlichen Gesellschaft erscheint der Lohn des
Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das fur ein
bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird. Man spricht hier vom Wert der
Arbeit und nennt seinen Geldausdruck Ihren notwendigen oder naturlichen
Preis. Man sprecht andrerseits von Marktpreisen der Arbeit, d.h. iiber oder
unter ihrem notwendigen Preis oszillierenden Preisen.
Aber was ist der Wert einer Ware? Gegen standliche Form der in ihrer
Production verausgabten gesellschaftlichen Arbeit. Und wodurch messen
wir die GroBe ihres Werts? Durch die GroBe der in ihr enthaltnen Arbeit.
Wodurch ware also der Wert z.B. eines zwolfsttindigen Arbeitstags
bestimmt? Durch die in einem Arbeitstag von 12 Stunden enthaltnen 12
Arbeitsstunden, was eine abgeschmackte Tautologie ist. 934
Um als Ware auf dem Markt verkauft zu werden, muBte die Arbeit
jedenfalls existieren, bevor sie verkauft wird. Konnte der Arbeiter ihr aber
eine selbstandige Existenz geben, so wtirde er Ware verkaufen und nicht
Arbeit. 935
Von diesen Widerspriichen abgesehn, wtirde ein direkter Austausch von
Geld, d.h. vergegenstandlichter Arbeit, mit lebendiger Arbeit entweder das
Wertgesetz aufheben, welches sich grade erst auf Grundlage der
kapitalistischen Produktion frei entwickelt, oder die kapitalistische
Produktion selbst aufheben, welche grade auf der Lohnarbeit beruht. Der
Arbeitstag von 12 Stunden stellt sich z.B. in einem Geldwert von 6 sh. dar.
Entweder werden Aquivalente ausgetauscht, und dann erhalt der Arbeiter
fur zwolfsttindige Arbeit 6 sh. Der Preis seiner Arbeit ware gleich dem
Preis seines Produkts. In diesem Fall produzierte er keinen Mehrwert fur
den Kaufer seiner Arbeit, die 6 sh. verwandelten sich nicht in Kapital, die
Grundlage der kapitalistischen Produktion verschwande, aber grade auf
dieser Grundlage verkauft er seine Arbeit und ist seine Arbeit Lohnarbeit.
Oder er erhalt fur 12 Stunden Arbeit weniger als 6 sh., d.h. weniger als 12
Stunden Arbeit. Zwolf Stunden Arbeit tauschen sich aus gegen 10, 6 usw.
Stunden Arbeit. Diese Gleichsetzung ungleicher CroBen hebt nicht nur die
Wertbestimmung auf. Ein solcher sich selbst aufhebender Widerspruch
kann uberhaupt nicht als Gesetz auch nur ausgesprochen oder formuliert
werden. 936
l.»Wenn man Arbeit als eine Ware und Kapital, das Produkt von Arbeit, als eine andre
behandelt, dann wtirde sich, wenn die Werte jener beiden Waren durch gleiche Arbeitsmengen
bestimmt wtirden, eine gegebene Menge Arbeit ... gegen eine solche Menge Kapital austauschen, die
durch die gleiche Arbeitsmenge erzeugt worden ware; vergangene Arbeit wtirde ... gegen die gleiche
Menge eingetauscht wie gegenwartige. Aber der Wert der Arbeit, im Verhdltnis zu anderen Waren ...
wird eben nicht durch gleiche Arbeitsmengen bestimmt. « (E.G. Wakefield in s. Edit, von A. Smiths,
"Wealth of Nations", Lond. 1835, v. I, p.230, 231, Note.)
Es niitzt nichts, den Austausch von mehr gegen weniger Arbeit aus dem
Formunterschied herzuleiten, daB sie das eine Mai vergegenstandlicht, das
andre Mai lebendig ist. 937 Dies ist urn so abgeschmackter, als der Wert
l.»Man mufite vereinbaren [auch eine Ausgabe des "contrat social" {"Gesellschaftsvertrags"}]
dafi, wann immer geleistete Arbeit gegen zu leistende Arbeit ausgetauscht wird, der letztere [le
capitaliste {Der Kapitalist}] einen hoheren Wert erhalten mufite als der erstere« (le travailleur [Der
Arbeiter]). (Simonde (i.e. Sismondi) "De la Richesse Commerciale", Geneve 1803, t.I, p. 37.)
l.» Arbeit, der ausschliefiliche Mafistab des Wertes ... die Schopferin alien Reichtums, ist keine
Ware.« (Th.Hodgskin, l.c.p.186.)
l.Solche Ausdrucke dagegen fur bloBe licentia poetica { dichterische Freiheit] zu erklaren, zeigt
nur die Ohnmacht der Analyse. Gegen Proudhons Phrase: »Man sagt von der Arbeit, dafi sie einen Wert
hat, nicht als eigentliche Ware, sondern im Hinblick auf die Werte, welche man in ihr potentiell
enthalten annimmt. Der Wert der Arbeit ist ein figiirlicher Ausdruck etc.«, bemerke ich daher: »Er sieht
in der Ware Arbeit, die eine furchtbare Realitdt ist, nur eine grammatische Ellipse. Demgemafi ist die
ganze heutige, auf den Warencharakter der Arbeit begrundete Gesellschaft vonjetzt an eine poetische
Lizenz, auf einen figiirlichen Ausdruck begriindet. Will die Gesellschaft "alle Unzutraglichkeiten
ausmerzen ", unter denen sie zu leiden hat, nun, so merze sie die anstofiigen Ausdrucke aus, so andere
sie die Sprache, und sie braucht sich zu diesem Behufe nur an die Akademie zu wenden, um von ihr
eine neue Ausgabe ihres Worterbuchs zu verlangen.« (K. Marx, "Misere de la Philosophie", p. 34, 35
[Siehe MEW, Band 4, S. 87/88].) Noch bequemer ist es natiirlich, sich unter Wert gar nichts zu denken. Man
kann dann ohne Umstande alles unter diese Kategorie subsumieren. So z.B. J.B. Say. Was ist »valeur«
["Wert"]? Antwort: »Das, was eine Sache wert ist« und was ist »prix« [Preis]? Antwort: »Der Wert einer
Sache ausgedriickt in Geld.« Und warum hat »die Arbeit der Erde ... einen Wert? Weil man ihr einen
Preis zuerkennt« . Also Wert ist, was ein Ding wert ist, und die Erde hat einen »Wert«, weil man ihren
Wert »in Geld ausdriickt« . Dies ist jedenfalls eine sehr einfache Methode, sich iiber das why [Warum] und
wherefore [Weswegen] der Dinge zu verstandigen.
l.Vgl. "Zur Kritik der politischen Oekonomie", p. 40 [Siehe MEW, Band 13, S. 47], wo ich
ankundige, daB bei Betrachtung des Kapitals das Problem gelost werden soil: »Wie fiihrt Produktion auf
Basis des durch blofie Arbeitszeit bestimmten Tauschwerts zum Resultat, dafi der Tauschwert der Arbeit
kleiner ist als der Tauschwert ihres Produkts?«
l.Der 'Morning Star', ein bis zur Albernheit naives Londoner Freihandelsorgan, beteuerte wahrend
des Amerikanischen Burgerkriegs wieder und wieder mit aller menschenmoglichen moralischen
Entrustung, daB die Neger in den "Confederate States" * ganz umsonst arbeiteten. Es hatte gefalligst die
Tageskosten eines solchen Negers mit denen des freien Arbeiters in East End von London z.B. vergleichen
sollen.
einer Ware nicht durch das Quantum wirklich in inr vergegenstandlichter,
sondern durch das Quantum der zu ihrer Produktion notwendigen
lebendigen Arbeit bestimmt wird. Eine Ware stelle 6 Arbeitsstunden dar.
Werden Erfindungen gemacht, wodurch sie in 3 Stunden produziert
werden kann, sinkt der Wert auch der bereits produzierten Ware um die
Halfte. Sie stellt jetzt 3 statt friiher 6 Stunden notwendige gesellschaftliche
Arbeit dar. Es ist also das zu ihrer Produktion erheischte Quantum Arbeit,
nicht deren gegenstandliche Form, wodurch ihre WertgroBe bestimmt
wird.
Was dem Geldbesitzer auf dem Warenmarkt direkt gegenubertritt, ist in
der Tat nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist
seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits
aufgehort, ihm zu gehoren, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden.
Die Arbeit ist die Substanz und das immanente MaB der Werte, aber sie
selbst hat keinen Wert. 938
Im Ausdruck: 'Wert der Arbeit" ist der Wertbegriff nicht nur vollig
ausgeloscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Es ist ein imaginarer
Ausdruck, wie etwa Wert der Erde. Diese imaginaren Ausdriicke
entspringen jedoch aus den Produktionsverhaltnissen selbst. Sie sind
Kategorien fur Erscheinungsformen wesentlicher Verhaltnisse. DaB in der
Erscheinung die Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in alien
Wissenschaften bekannt, auBer in der politischen Okonomie. 93 '
Die klassische politische Okonomie entlehnte dem Alltagsleben ohne
weitere Kritik die Kategorie "Preis der Arbeit", um sich dann hinterher zu
fragen, wie wird dieser Preis bestimmt? Sie erkannte bald, daB der Wechsel
im Verhaltnis von Nachfrage und Angebot fur den Preis der Arbeit, wie fur
den jeder andren Ware, nichts erklart auBer seinem Wechsel, d.h. die
Schwankung der Marktpreise unter oder iiber eine gewisse GroBe. Decken
sich Nachfrage und Angebot, so hort, unter sonst gleichbleibenden
Umstanden, die Preisoszillation auf. Aber dann horen auch Nachfrage und
Angebot auf, irgend etwas zu erklaren. Der Preis der Arbeit, wenn
Nachfrage und Angebot sich decken, ist ihr vom Verhaltnis der Nachfrage
und Angebot unabhangig bestimmter, ihr naturlicher Preis, der so als der
eigentlich zu analysierende Gegenstand gefunden ward. Oder man nahm
eine langere Periode der Schwankungen des Marktpreises, z.B. ein Jahr,
und fand dann, daB sich ihr Auf und Ab ausgleicht zu einer mittlern
DurchschnittsgroBe, einer konstanten GroBe. Sie muBte natiirlich anders
bestimmt werden als die sich kompensierenden Abweichungen von ihr
selbst. Dieser iiber die zufalhgen Marktpreise der Arbeit ubergreifende und
sie regulierende Preis, der "notwendige Preis" (Physiokraten) oder
"natiirliche Preis" der Arbeit (Adam Smith) kann, wie bei andren Waren,
nur ihr in Geld ausgedriickter Wert sein. In dieser Art glaubte die politische
Okonomie durch die zufalhgen Preise der Arbeit zu ihrem Wert
vorzudringen. Wie bei den andren Waren wurde dieser Wert dann weiter
durch die Produktionskosten bestimmt. Aber was sind die
Produktionskosten - des Arbeiters, d.h. die Kosten, um den Arbeiter selbst
zu produzieren oder zu reproduzieren? Diese Frage schob sich der
politischen Okonomie bewuBtlos fur die urspriingliche unter, da sie mit
den Produktionskosten der Arbeit als solcher sich im Kreise drehte und
nicht vom Flecke kam. Was sie also Wert der Arbeit (value of labour)
nennt, ist in der Tat der Wert der Arbeitskraft, die in der Personlichkeit des
Arbeiters existiert und von ihrer Funktion, der Arbeit, ebenso verschieden
ist wie eine Maschine von ihren Operationen. Beschaftigt mit dem
Unterschied zwischen den Marktpreisen der Arbeit und ihrem sog. Wert,
mit dem Verhaltnis dieses Werts zur Profitrate, zu den vermittelst der
Arbeit produzierten Warenwerten usw., entdeckte man niemals, daB der
Gang der Analyse nicht nur von den Marktpreisen der Arbeit zu ihrem
vermeintlichen Wert, sondern dahin gefuhrt hatte, diesen Wert der Arbeit
selbst wieder aufzulosen in den Wert der Arbeitskraft. Die BewuBtlosigkeit
iiber dies Resultat ihrer eignen Analyse, die kritiklose Annahme der
Kategorien 'Wert der Arbeit", "naturlicher Preis der Arbeit" usw. als letzter
adaquater Ausdriicke des behandelten Wertverhaltnisses, verwickelte, wie
man spater sehn wird, die klassische politische Okonomie in unauflosbare
Wirren und Widerspriiche, wahrend sie der Vulgarokonomie eine sichere
Operationsbasis fur ihre prinzipiell nur dem Schein huldigende Flachheit
bot.
Sehn wir nun zunachst, wie Wert und Preise der Arbeitskraft sich in ihrer
verwandelten Form als Arbeitslohn darstellen.
Man weiB, daB der Tageswert der Arbeitskraft berechnet ist auf eine
gewisse Lebensdauer des Arbeiters, welcher eine gewisse Lange des
Arbeitstags entspricht. Nimm an, der gewohnheitsmaBige Arbeitstag
betrage 12 Stunden und der Tageswert der Arbeitskraft 3 sh., der
Geldausdruck eines Werts, worin sich 6 Arbeitsstunden darstellen. Erhalt
der Arbeiter 3 sh., so erhalt er den Wert seiner wahrend 12 Stunden
funktionierenden Arbeitskraft. Wird nun dieser Tageswert der Arbeitskraft
als Wert der Tagesarbeit ausgedriickt, so ergibt sich die Formel: Die
zwolfsttindige Arbeit hat einen Wert von 3 sh. Der Wert der Arbeitskraft
bestimmt so den Wert der Arbeit oder, in Geld ausgedriickt, ihren
notwendigen Preis. Weicht dagegen der Preis der Arbeitskraft von ihrem
Wert ab, so ebenfalls der Preis der Arbeit von ihrem sog. Wert.
Da der Wert der Arbeit nur ein irrationeller Ausdruck fur den Wert der
Arbeitskraft, ergibt sich von selbst, daB der Wert der Arbeit stets kleiner
sein muB als ihr Wertprodukt, denn der Kapitalist laBt die Arbeitskraft stets
langer funktionieren, als zur Reproduktion ihres eignen Werts notig ist. Im
obigen Beispiel ist der Wert der wahrend 12 Stunden funktionierenden
Arbeitskraft 3 sh., ein Wert, zu dessen Reproduktion sie 6 Stunden
braucht. Ihr Wertprodukt ist dagegen 6 sh-, weil sie in der Tat wahrend 12
Stunden funktioniert, und ihr Wertprodukt nicht von eignen Werte,
sondern von der Zeitdauer ihrer Funktion abhangt. Man erhalt so das auf
den ersten Blick abgeschmackte Resultat, daB Arbeit, die einen Wert von 6
sh. schafft, einen Wert von 3 sh. besitzt. 940
Man sieht ferner: Der Wert von 3 sh., worin sich der bezahlte Teil des
Arbeitstags, d.h. sechsstiindige Arbeit darstellt, erscheint als Wert oder
Preis des Gesamtarbeitstags von 12 Stunden, welcher 6 unbezahlte
Stunden enthalt. Die Form des Arbeitslohns loscht also jede Spur der
Teilung des Arbeitstags in notwendige Arbeit und Mehrarbeit, in bezahlte
und un-bezahlte Arbeit aus. Alle Arbeit erscheint als bezahlte Arbeit. Bei
der Fronarbeit unterscheiden sich raumlich und zeitlich, handgreiflich
sinnlich, die Arbeit des Froners fur sich selbst und seine Zwangsarbeit fur
den Grundherrn. Bei der Sklavenarbeit erscheint selbst der Teil des
Arbeitstags, worin der Sklave nur den Wert seiner eignen Lebensmittel
ersetzt, den er in der Tat also fur sich selbst arbeitet, als Arbeit fur seinen
Meister. Alle seine Arbeit erscheint als unbezahlte Arbeit. 941 Bei der
Lohnarbeit erscheint umgekehrt selbst die Mehrarbeit oder unbezahlte
Arbeit als bezahlt. Dort verbirgt das Eigentumsverhaltnis das
Fursichselbstarbeiten des Sklaven, hier das Geldverhaltnis das
Umsonstarbeiten des Lohnarbeiters. Man begreift daher die entscheidende
Wichtgkeit der Verwandlung von Wert und Preis der Arbeitskraft in die
Form des Arbeitslohns oder in Wert und Preis der Arbeit selbst. Auf dieser
Erscheinungsform, die das wirkliche Verhaltnis unsichtbar macht und
grade sein Gegenteil zeigt, beruhn alle Rechtsvorstellungen des Arbeiters
wie des Kapitalisten, alle Mystifikationen der kapitalistischen
Produktionsweise, alle ihre Freiheitsillusionen, alle apologetischen Flausen
der Vulgarokonomie.
Braucht die Weltgeschichte viele Zeit, um hinter das Geheimnis des
Arbeitslohns zu kommen, so ist dagegen nichts leichter zu verstehn als die
Notwendigkeit, die raisons d'etre 942 dieser Erscheinungsform.
l.Griinde des Daseins
l.Ich gebe, damit du gibst; ich gebe, damit du tust; ich tue, damit du gibst, und ich tue, damit due
tust.
l.A. Smith spielt nur zufallig auf die Variation des Arbeitstags an bei Gelegenheit des Stiicklohns.
l.Der Geldwert selbst wird hier immer als konstant vorausgesetzt.
2.»Der Preis der Arbeit ist die Summe, die fiir eine gegebene Menge Arbeit gezahlt wird.« (Sir
Edward West, "Price of Corn and Wages of Labour", Lond. 1826, p. 67.) West ist der Verfasser der in der
Geschichte der politischen Okonomie epochemachenden anonymen Schrift: "Essay on the Application of
Capital to Land. By a Fellow of Univ. Collage of Oxford", Lond. 1815.
l.»Die Arbeitslohne hdngen vom Preis der Arbeit und der Menge der geleisteten Arbeit ab...
Eine Erhohung der Arbeitslohne schliefit nicht notwendig eine Steigerung des Preises der Arbeit ein.
Bei langerer Beschdftigung und grofierer Anstrengung konnen die Arbeitslohne betrachtlich
anwachsen, wdhrend der Preis der Arbeit derselbe bleiben kann.« (West, I.e. p. 67, 68 u. 112.) Die
Hauptfrage: wie wird der "price of labour" bestimmt? fertigt West ubrigens mit banalen Redensarten ab.
2. Dies fiihlt der fanatischste Vertreter der industriellen Bourgeoisie des 18. Jahrhunderts, der oft
von uns zitierte Verfasser des "Essay on Trade and Commerce" richtig heraus, obgleich er die Sache konfus
darstellt: »Es ist die Menge der Arbeit und nicht der Preis [versteht darunter den nominellen Tages- oder
Wochenlohn), die durch den Preis der Nahrungsmittel und anderen lebensnotwendigen Dinge
bestimmt wird: setzt den Preis der lebensnotwendigen Dinge stark herab, so senkt ihr natiirlich
entsprechend die Menge der Arbeit ... Die Fabrikherren wissen, dafi es verschiedne Wege gibt, den
Preis der Arbeit zu heben oder zu senken, aufier der Anderung seines nominellen Betrags.e (I.e. p. 48 u.
61.) In seinen "Three Lectures on the Rate of Wages", Lond. 1830, worin N.W. Senior Wests Schrift
Der Austausch zwischen Kapital und Arbeit stellt sich der Wahrnehmung
zunachst ganz in derselben Art dar wie der Kauf und Verkauf aller andren
Waren. Der Kaufer gibt eine gewisse Geldsumme, der Verkaufer einen von
Geld verschiednen Artikel. Das RechtsbewuBtsein erkennt hier hochstens
einen stofflichen Unterschied, der sich ausdriickt in den rechtlich
aquivalenten Formeln: Do ut des, do ut facias, facio ut des, und facio ut
facias. 943
Ferner: Da Tauschwert und Gebrauchswert an und fiir sich
inkommensurable GroBen sind, so scheint der Ausdruck: "Wert der
Arbeit", "Preis der Arbeit" nicht irrationeller als der Ausdruck "Wert der
Baumwolle", "Preis der Baumwolle". Es kommt hinzu, daB der Arbeiter
gezahlt wird, nachdem er seine Arbeit geliefert hat. In seiner Funktion als
Zahlungsmittel realisiert das Geld aber nachtraglich den Wert oder Preis
des gelieferten Artikels, also im gegebnen Fall den Wert oder Preis der
gelieferten Arbeit. Endlich ist der "Gebrauchswert", den der Arbeiter dem
Kapitalisten liefert, in der Tat nicht seine Arbeitskraft, sondern ihre
Funktion, eine bestimmte niitzliche Arbeit, Schneiderarbeit, Schusterarbeit,
Spinnarbeit usw. DaB dieselbe Arbeit nach einer andren Seite hin
allgemeines wertbildendes Element ist, eine Eigenschaft, wodurch sie sich
von alien andren Waren unterscheidet, fallt auBerhalb des Bereichs des
gewohnlichen BewuBtseins.
Stellen wir uns auf den Standpunkt des Arbeiters, der fiir zwolfsttindige
Arbeit z.B. das Wertprodukt sechsstiindiger Arbeit erhalt, sage 3 sh., so ist
fiir ihn in der Tat seine zwolfsttindige Arbeit das Kaufmittel der 3 sh. Der
Wert seiner Arbeitskraft mag variieren mit dem Wert seiner
gewohnheitsmaBigen Lebensmittel von 3 auf 4 sh. oder von 3 auf 2 sh.,
oder bei gleichbleibendem Wert seiner Arbeitskraft mag ihr Preis, infolge
wechselnden Verhaltnisses von Nachfrage und Angebot, auf 4 sh. steigen
oder auf 2 sh. fallen, er gibt stets 12 Arbeitsstunden. Jeder Wechsel in der
GroBe des Aquivalents, das er erhalt, erscheint ihm daher notwendig als
Wechsel im Wert oder Preis seiner 12 Arbeitsstunden. Dieser Umstand
verleitete umgekehrt Adam Smith, der den Arbeitstag als eine konstante
GroBe behandelt 944 , zur Behauptung, der Wert der Arbeit sei konstant,
obgleich der Wert der Lebensmittel wechsle und derselbe Arbeitstag sich
daher in mehr oder weniger Geld fiir den Arbeiter darstelle.
Nehmen wir andrerseits den Kapitalisten, so will er zwar moglichst viel
Arbeit fiir moglichst wenig Geld erhalten. Praktisch interessiert ihn daher
nur die Differenz zwischen dem Preis der Arbeitskraft und dem Wert, den
ihre Funktion schafft. Aber er sucht alle Ware moglichst wohlfeil zu
kaufen und erklart sich iiberall seinen Profit aus der einfachen Prellerei,
dem Kauf unter und dem Verkauf iiber dem Wert. Er kommt daher nicht
zur Einsicht, daB, wenn so ein Ding wie Wert der Arbeit wirklich existierte,
und er diesen Wert wirklich zahlte, kein Kapital existieren, sein Geld sich
nicht in Kapital verwandeln wiirde.
Zudem zeigt die wirkliche Bewegung des Arbeitslohns Phanomene, die zu
beweisen scheinen, daB nicht der Wert der Arbeitskraft bezahlt wird,
sondern der Wert ihrer Funktion, der Arbeit selbst. Diese Phanomene
konnen wir auf zwei groBe Klassen zuriickfiihren. Erstens: Wechsel des
Arbeitslohns mit wechselnder Lange des Arbeitstags. Man konnte
ebensowohl schlieBen, daB nicht der Wert der Maschine, sondern der ihrer
Operation bezahlt wird, weil es mehr kostet, eine Maschine fur eine Woche
als fur einen Tag zu dingen. Zweitens: Der individuelle Unterschied in den
Arbeitslohnen verschiedner Arbeiter, welche dieselbe Funktion verrichten.
Diesen individuellen Unterschied findet man, aber ohne AnlaB zu
Illusionen, auch im System der Sklaverei, wo frank und frei, ohne
Schnorkel, die Arbeitskraft selbst verkauft wird. Nur fallt der Vorteil einer
Arbeitskraft, die iiber dem Durchschnitt, oder der Nachteil einer
Arbeitskraft, die unter dem Durchschnitt steht, im Sklavensystem dem
Sklaveneigner zu, im System der Lohnarbeit dem Arbeiter selbst, weil
seine Arbeitskraft in dem einen Fall von ihm selbst, in dem andern von
einer dritten Person verkauft wird.
Ubrigens gilt von der Erscheinungsform, 'Wert und Preis der Arbeit" oder
'Arbeitslohn", im Unterschied zum wesentliclien Verhaltnis, welches
erscheint, dem Wert und Preis der Arbeitskraft, dasselbe, was von alien
Erscheinungsformen und ihrem verborgnen Hintergrund. Die ersteren
reproduzieren sich unmittelbar spontan, als gang und gabe Denkformen,
der andre muB durch die Wissenschaft erst entdeckt werden. Die
klassische politische Okonomie stoBt annahernd auf den wahren
Sachverhalt, ohne ihn jedoch bewuBt zu formulieren. Sie kann das nicht,
solange sie in ihrer burgerlichen Haut steckt.
Achtzehntes Kapitel
Der Zeitlohn
Der Arbeitslohn nimmt selbst wieder sehr mannigfaltige Formen an, ein
Umstand, nicht erkennbar aus den okonomischen Kompendien, die in
ihrer brutalen In teres siertheit fiir den Stoff jeden Formunterschied
vernachlassigen. Eine Darstellung aller dieser Formen gehort jedoch in die
spezielle Lehre von der Lohnarbeit, also nicht in dieses Werk. Dagegen
sind die zwei herrschenden Grundformen hier kurz zu entwickeln.
Der Verkauf der Arbeitskraft findet, wie man sich erinnert, stets fiir
bestimmte Zeitperioden statt. Die verwandelte Form, worin der Tageswert,
Wochenwert usw. der Arbeitskraft sich unmittelbar darstellt, ist daher die
des "Zeitlohns", also Tageslohn usw.
Es ist nun zunachst zu bemerken, daB die im fiinfzehnten Kapitel
dargestellten Gesetze iiber den GroBenwechsel von Preis der Arbeitskraft
und Mehrwert sich durch einfache Formveranderung in Gesetze des
Arbeitslohns verwandeln. Ebenso erscheint der Unterschied zwischen dem
Tauschwert der Arbeitskraft und der Masse der Lebensmittel, worin sich
dieser Wert umsetzt, jetzt als Unterschied von nominellem und reellem
Arbeitslohn. Es ware nutzlos, in der Erscheinungsform zu wiederholen,
was in der wesentlichen Form bereits entwickelt. Wir beschranken uns
daher auf wenige, den Zeitlohn charakterisierende Punkte.
Die Geldsumme 945 , die der Arbeiter fiir seine Tagesarbeit, Wochenarbeit
usw. erhalt, bildet den Betrag seines nominellen oder dem Wert nach
geschatzten Arbeitslohns. Es ist aber klar, daB je nach der Lange des
Arbcltstags, also je nach der taglich von ihm gelieferten Quantitat Arbeit,
derselbe Tageslohn, Wochenlohn usw. einen sehr verschiednen Preis der
Arbeit, d.h. sehr verschiedne Geldsummen fiir dasselbe Quantum Arbeit
darstellen kann. 946 Man muB also bei dem Zeitlohn wieder unterscheiden
zwischen Gesamtbetrag des Arbeitslohns, Taglohns, Wochenlohns usw.
und Preis der Arbeit. Wie nun diesen Preis finden, d.h. den Geldwert eines
gegebnen Quantums Arbeit? Der durchschnittliche Preis der Arbeit ergibt
sich, indem man den durch schnittlichen Tageswert der Arbeitskraft durch
die Stundenzahl des durchschnittlichen Arbeitstags dividiert. Ist z.B. der
Tageswert der Arbeitskraft 3 sh., das Wertprodukt von 6 Arbeitsstunden,
und ist der Arbeitstag zwolfsttindig, so ist der Preis einer Arbeitsstunde =
= 3d. Der so gefundene Preis der Arbeitsstunde dient als EinheitsmaB fur
den Preis der Arbeit.
Es folgt daher, daB der Taglohn, Wochenlohn usw. derselbe bleiben kann,
obgleich der Preis der Arbeit fortwahrend sinkt. War z.B. der
gewohnheitsmaBige Arbeitstag 10 Stunden und der Tageswert der
Arbeitskraft 3 sh., so betrug der Preis der Arbeitsstunde 3^/5 d.; er sinkt
auf 3 d., sobald der Arbeitstag zu 12 Stunden, und 2^/5 d., sobald er zu 15
Stunden steigt. Tages- oder Wochenlohn bleiben trotzdem unverandert.
Umgekehrt kann der Taglohn oder Wochenlohn steigen, obgleich der Preis
der Arbeit konstant bleibt oder selbst sinkt. War z.B. der Arbeitstag
zehnsttindig und ist der Tageswert der Arbeitskraft 3 sh., so der Preis einer
Arbeitsstunde 3^/5 d. Arbeitet der Arbeiter infolge zunehmender
Beschaftigung und bei gleichbleibendem Preise der Arbeit 12 Stunden, so
steigt sein Tageslohn nun auf 3 sh. 7 V5 d. ohne Variation im Preise der
Arbeit. Dasselbe Resultat konnte herauskommen, wenn statt der
extensiven GroBe der Arbeit ihre intensive GroBe zunahme. 947 Steigen des
nominellen Tages- oder Wochenlohns mag daher begleitet sein von
gleichbleibendem oder sinkendem Preis der Arbeit. Dasselbe gilt von der
Einnahme der Arbeiterfamilie, sobald das vom Familienhaupt gelieferte
Arbeitsquantum durch die Arbeit der Familienglieder vermehrt wird. Es
gibt also von der Schmalerung des nominellen Tages- oder Wochenlohns
unbhangige Methoden zur Herabsetzung des Preises der Arbeit. 948
Als allgemeines Gesetz aber folgt: Ist die Quantitat der Tages-,
Wochenarbeit usw. gegeben, so hangt der Tages- oder Wochenlohn vom
Preise der Arbeit ab, der selbst variiert, entweder mit dem Wert der
Arbeitskraft oder den Abweichungen ihres Preises von ihrem Werte. Ist
dagegen der Preis der Arbeit gegeben, so hangt der Tages- oder
Wochenlohn von der Quantitat der Tages- oder Wochenarbeit ab.
Die MaBeinheit des Zeitlohns, der Preis der Arbeitsstunde, ist der Quotient
des Tageswerts der Arbeitskraft, dividiert durch die Stundenzahl des
gewohnheitsmaBigen Arbeitstages. Gesetzt, letzterer betrage 12 Stunden,
der Tageswert der Arbeitskraft 3 sh., das Wertprodukt von 6
Arbeitsstunden. Der Preis der Arbeitsstunde ist unter diesen Umstanden 3
d., ihr Wertprodukt 6 d. Wird der Arbeiter nun weniger als 12 Stunden
taglich (oder weniger als 6 Tage in der Woche) beschaftigt, z.B. nur 6 oder
8 Stunden, so erhalt er, bei diesem Preise der Arbeit, nur 2 oder IV2 sh.
Taglohn. 949 Da er nach der Voraussetzung im Durchschnitt 6 Stunden
l.Die Wirkung solcher anormalen Unterbeschaftigung ist durchaus verschieden von der einer
allgemeinen zwangsgesetzlichen Reduktion des Arbeitstags. Erstere hat mit der absoluten Lange des
Arbeitstags nichts zu schaffen und kann ebensowohl bei 15stundigem als bei 6stiindigem Arbeitstag
eintreten. Der normale Preis der Arbeit ist im ersten Fall darauf berechnet, daB der Arbeiter 15 Stunden, im
zweiten darauf, daB er 6 Stunden per Tag durchschnittlich arbeitet. Die Wirkung bleibt daher dieselbe, wenn
er in dem einen Fall nur IVi, in dem andren nur 3 Stunden beschaftigt wird.
l."normaler Arbeitstag", "Tagesarbeit", "regulare Arbeitszeit"
2.»Die Rate der Zahlung fiir Uberzeit [in der Spitzenmanufaktur] ist so klein, ¥2 d. usw. per
Stunde, dafi sie in peinlichem Kontrast steht zur massenhaften Unbill, die sie der Gesundheit und
Lebenskraft der Arbeiter antut... Der so gewonnene kleine Uberschufi mufi aufierdem oft in Extra-
Erfrischungsmitteln wieder verausgabt werden.« ("Child. Empl. Comm., II. Rep.", p.XVI, n.117.)
3. Z.B. in der Tapetendruckerei vor der neulichen Einfiihrung des Fabrikakts. »Wir arbeiteten ohne
Pause fiir Mahlzeiten, so dafi das Tageswerk von IOV2 Stunden um halb 5 Uhr nachmittags beendet ist,
und alles spatere ist Uberzeit, die selten vor 6 Uhr abends aufhort, so dafi wir in der Tat das ganze
Jahr durch Uberzeit arbeiten.« (Mr. Smiths Evidence in "Child. Empl. Comm., 1. Rep.", p. 125.)
4. Z.B. in den schottischen Bleichereien. »In einigen Teilen Schottlands wurde diese Industrie
[vor Einfiihrung des Fabrikakts 1862] nach dem System der Uberzeit betrieben, d.h. 10 Stunden galten
als normaler Arbeitstag. Dafiir erhielt der Mann 1 sh. 2 d. Hierzu kam aber taglich eine Uberzeit von 3
oder 4 Stunden, wofiir 3 d. per Stunde gezahlt wurde. Folge dieses Systems: Ein Mann, der nur die
Normalzeit arbeitete, konnte nur 8 sh. Wochenlohn verdienen. Ohne Uberzeit reichte der Lohn nicht
aus.« ("Reports of Insp. of Fact., 30th April 1863", p. 10.) Die »Extrazahlung fiir Uberzeit ist eine
Versuchung, der die Arbeiter nicht widerstehen konnen«. ("Rep. of Insp. of Fact., 30th April 1848", p. 5.)
Die Buchbinderei in der City von London verwendet sehr viele junge Madchen vom 14.-15. Jahr an, und
zwar unter dem Lehrlingskontrakt, der bestimmte Arbeitsstunden vorschreibt. Nichtsdestoweniger arbeiten
sie in der SchluBwoche jedes Monats bis 10, 11, 12 und 1 Uhr nachts, zusammen mit den alteren Arbeitern,
in sehr gemischter Gesellschaft. »Die Meister verlocken (tempt) sie durch Extralohn und Geld fiir ein
gutes Nachtessen«, das sie in benachbarten Kneipen zu sich nehmen. Die groBe Liederlichkeit, so unter
diesen "young immortals" ["jungen unsterblichen Seelen"] produziert ("Child. Empl. Comm., V. Rep.", p. 44,
n.191), findet ihre Kompensation darin, daB von ihnen unter andrem auch viele Bibeln und Erbauungsbiicher
gebunden werden.
5.Sieh "Reports of Insp. of Fact., 30th April 1863", I.e. Mit ganz richtiger Kritik des
Sachverhaltnisses erklarten die im Baufach beschaftigten Londoner Arbeiter wahrend des groBen strike und
lock-out [der Aussperrung] von 1860, den Stundenlohn nur annehmen zu wollen unter zwei Bedingungen: 1.
daB mit dem Preis der Arbeitsstunde ein Normalarbeitstag von resp. 9 und 10 Stunden festgesetzt werde
und der Preis fiir die Stunde des zehnstiindigen Arbeitstags groBer sei als fur die des neunstiindigen, 2. daB
jede Stunde iiber den Normaltag hinaus als Uberzeit verhaltnismaBig hoher bezahlt werde.
l.»Es ist zudem eine recht bemerkenswerte Tatsache, daB da, wo in der Regel die Arbeitszeit lang
ist, die Lohne gering sind.« ("Rep. of Insp. of Fact., 31st Oct. 1863", p. 9.) »Die Arbeit, die einen
Hungerlohn einbringt, ist meist iibermafiig lang.« ("Public Health, Sixth Rep. 1863 ", p. 15.)
2."Reports of Insp. of Fact., 30th April 1860". p.31, 32.
l.Die Hand-Nagelmacher in England haben z.B. wegen des niedrigen Arbeitspreises 15 Stunden
taglich zu arbeiten, um den kiimmerlichsten Wochenlohn herauszuschlagen. »Es sind viele, viele Stunden
des Tags, und wahrend aller der Zeit mufi er hart schanzen, um lid. oder 1 sh. herauszuschlagen, und
taglich arbeiten muB, um nur einen dem Wert seiner Arbeitskraft
entsprechenden Taglohn zu produzieren, da er nach derselben
Voraussetzung von jeder Stunde nur V2 fiir sich selbst, V2 aber fiir den
Kapitalisten arbeitet, so ist es klar, daB er das Wertprodukt von 6 Stunden
nicht herausschlagen kann, wenn er weniger als 12 Stunden beschaftigt
wird. Sah man friiher die zerstorenden Folgen der Uberarbeit, so entdeckt
man hier die Quellen der Leiden, die fiir den Arbeiter aus seiner
Unterbeschaftigung entspringen.
Wird der Stundenlohn in der Weise fixiert, daB der Kapitalist sich nicht zur
Zahlung eines Tages- oder Wochenlohns verpflichtet, sondern nur zur
Zahlung der Arbeitsstunden, wahrend deren es ihm behebt, den Arbeiter
zu beschaftigen, so kann er ihn unter der Zeit beschaftigen, die der
Schatzung des Stundenlohns oder der MaBeinheit fiir den Preis der Arbeit
urspriinglich zugrunde liegt. Da diese MaBeinheit bestimmt ist durch die
Proportion , verliert sie natiirlich alien Sinn, sobald der Arbeitstag aufhort,
eine bestimmte Stundenzahl zu zahlen. Der Zusammenhang zwischen der
bezahlten und unbezahlten Arbeit wird aufgehoben. Der Kapitalist kann
jetzt ein bestimmtes Quantum Mehrarbeit aus dem Arbeiter
herausschlagen, ohne ihm die zu seiner Selbsterhaltung notwendige
Arbeitszeit einzuraumen. Er kann jede RegelmaBigkeit der Beschaftigung
vernichten und ganz nach Bequemlichkeit, Willkiir und augenbhcldichem
Interesse die ungeheuerste Uberarbeit mit relativer oder ganzlicher
Arbeitslosigkeit abwechseln lassen. Er kann, unter dem Vorwand, den
"normalen Preis der Arbeit" zu zahlen, den Arbeitstag, ohne irgend
entsprechende Kompensation fiir den Arbeiter, anormal verlangern. Daher
der durchaus rationelle Aufstand (1860) der im Baufach beschaftigten
Londoner Arbeiter gegen den Versuch der Kapitalisten, diesen
Stundenlohn aufzuherrschen. Die gesetzliche Beschrankung des
Arbeitstags macht solchem Unfug ein Ende, obgleich natiirlich nicht der
aus Konkurrenz der Maschinerie, Wechsel in der Qualitat der angewandten
Arbeiter, partiellen und allgemeinen Krisen entspringenden
Unterbeschaftigung.
Bei wachsendem Tages- oder Wochenlohn kann der Preis der Arbeit
nominell konstant bleiben und dennoch unter sein normales Niveau
sinken. Dies findet jedesmal statt, sobald mit konstantem Preis der Arbeit,
resp. der Arbeitsstunde, der Arbeitstag iiber seine gewohnheitsmaBige
Dauer verlangert wird. Wenn in dem Bruch Tageswert der
Arbeitskraft/ Arbeitstag der Nenner wachst, wachst der Zahler noch
rascher. Der Wert der Arbeitskraft, weil ihr VerschleiB, wachst mit der
Dauer ihrer Funktion und in rascherer Proportion als das Inkrement ihrer
Funktionsdauer. In vielen Industriezweigen, wo Zeitlohn vorherrscht, ohne
gesetzliche Schranken der Arbeitszeit, hat sich daher naturwuchsig die
Gewohnheit herausgebildet, daB der Arbeitstag nur bis zu einem gewissen
Punkt, z.B. bis zum Ablauf der zehnten Stunde, als normal gilt ("normal
working day", "the day's work", the regular hours of work" 950 ). Jenseits
dieser Grenze bildet die Arbeitszeit Uberzeit (overtime) und wird, die
Stunde als MaBeinheit genommen, besser bezahlt (extra pay), obgleich oft
in lacherlich kleiner Proportion. 95 ' Der normale Arbeitstag existiert hier als
Bruchteil des wirklichen Arbeitstags, und der letztere wahrt oft wahrend
des ganzen Jahres langer als der erstere. 952 Das Wachstum im Preis der
Arbeit mit der Verlangerung des Arbeitstags iiber eine gewisse
Normalgrenze gestaltet sich in verschiednen britischen Industriezweigen
so, daB der niedrige Preis der Arbeit wahrend der sog. Normalzeit dem
Arbeiter die besser bezahlte Uberzeit aufzwingt, will er uberhaupt einen
genugenden Arbeitslohn herausschlagen , 953 Gesetzliche Beschrankung
des Arbeitstags macht diesem Vergnugen ein Ende. 954
Es ist allgemein bekannte Tatsache, daB, je langer der Arbeitstag in einem
Industriezweig, um so niedriger der Arbeitslohn. 955 Fabrikinspektor
A.Redgrave illustriert dies durch eine vergleichende Ubersicht der
zwanzigjahrigen Periode von 1839-1859, wonach der Arbeitslohn in den
dem Zehnstundengesetz unterworfenen Fabriken stieg, wahrend er fiel in
den Fabriken, wo 14 bis 15 Stunden taglich gearbeitet wird. 956
Zunachst folgt aus dem Gesetz: »Bei gegebnem Preis der Arbeit hdngt der
Tages- oder Wochenlohn von der Quantitdt der gelieferten Arbeit ab«,
daB, je niedriger der Preis der Arbeit, desto groBer das Arbeitsquantum
sein muB oder desto langer der Arbeitstag, damit der Arbeiter auch nur
einen kiimmerlichen Durchschnittslohn sichre. Die Niedrigkeit des
Arbeitspreises wirkt hier als Sporn zur Verlangerang der Arbeitszeit. 957
Umgekehrt aber produziert ihrerseits die Verlangerang der Arbeitszeit
einen Fall im Arbeitspreise und damit im Tages- oder Wochenlohn.
Die Bestimmung des Arbeitspreises durch
ergibt, daB bloBe Verlangerang des Arbeitstags den Arbeitspreis senkt,
wenn keine Kompensation eintritt. Aber dieselben Umstande, welche den
Kapitalisten befahigen, den Arbeitstag auf die Dauer zu verlangern,
befahigen ihn erst und zwingen ihn schlieBlich, den Arbeitspreis auch
nominell zu senken, bis der Gesamtpreis der vermehrten Stundenzahl
sinkt, also der Tages- oder Wochenlohn. Hinweis auf zwei Umstande
geniigt hier. Verrichtet ein Mann das Werk von IV2 oder 2 Mannern, so
wachst die Zufuhr der Arbeit, wenn auch die Zufuhr der auf dem Markt
befindlichen Arbeitskrafte konstant bleibt. Die so unter den Arbeitern
erzeugte Konkurrenz befahigt den Kapitalisten, den Preis der Arbeit
herabzudriicken, wahrend der fallende Preis der Arbeit ihn umgekehrt
befahigt, die Arbeitszeit noch weiter heraufzuschrauben. 958 Bald jedoch
l.Wenn ein Fabrikarbeiter z.B. verweigerte, die hergebrachte lange Stundenzahl zu arbeiten,
»wiirde er sehr schnell durch jemand ersetzt werden, der beliebig lang zu arbeiten gewillt ist, und
wilrde so arbeitslos werdene. ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1848", Evidence, p. 39, n.58.) »Wenn
ein Mann die Arbeit von zweien leistet ... wird im allgemeinen die Profitrate steigen.... da diese zusatzliche
Zufuhr von Arbeit ihren Preis herabgedriickt hat.« (Senior, I.e. p. 15.)
1. "Child. Ernpl. Cornm., III.Rep.", Evidence, p. 66, n.22.
1. "Report etc. relative to the Grievances complained of by the journeymen bakers", Lond. 1862,
p.LII und ib., Evidence, n.479, 359, 27. Indes lassen auch die fullpriced, wie friiher erwahnt und wie ihr
Wortfuhrer Bennet selbst zugesteht, ihre Leute » Arbeit beginnen um 11 Uhr abends oder friiher und
verlangern sie oft bis 7 Uhr des folgenden Abends«. (I.e. p. 22.)
l.»Das System der Stuckarbeit kennzeichnet eine Epoche in der Geschichte des Arbeiter s; es
steht in der Mitte zwischen der Stellung des einfachen Tagelohners, der vom Willen des Kapitalisten
abhdngig ist, und dem genossenschaftlichen Handwerker, der in nicht ferner Zukunft in seiner Person
den Handwerker und Kapitalisten zu vereinigen verspricht. Stuckarbeiter sind tatsachlich ihre eigenen
Meister, auch wenn sie am Kapital des Unternehmers arbeiten. « (John Watts, "Trade Societies and
Strikes, Machinery and Cooperative Societies", Manchester 1865, p. 52, 53.) Ich zitiere dies Schriftchen,
weil es eine wahre Gosse aller langst verfaulten, apologetischen Gemeinplatze. Derselbe Herr Watts
machte friiher in Owenismus und publizierte 1842 ein andres Schriftchen: "Facts and Fictions of Political
Econoiny", worin er u.a. Property fur Robbery [Eigentum fur Raub] erklart. Es ist schon lange her.
l.TJ. Dunning: "Trade's Unions and Strikes", Lond. 1860, p. 22.
wird diese Ve fiigung iiber anormale, d.h. das gesellschaftliche
Durchschnittsniveau iiberflieBende Quanta unbezahlter Arbeit zum
Konkurrenzmittel unter den Kapitalisten selbst. Ein Teil des Warenpreises
besteht aus dem Preis der Arbeit. Der nicht gezahlte Teil des Arbeitspreises
braucht nicht im Warenpreis zu rechnen. Er kann dem Warenkaufer
geschenkt werden. Dies ist der erste Schritt, wozu die Konkurrenz treibt.
Der zweite Schritt, wozu sie zwingt, ist, wenigstens einen Teil des durch
die Verlangerung des Arbeitstags erzeugten anormalen Mehrwerts
ebenfalls aus dem Verkaufspreis der Ware auszuschlieBen. In dieser Weise
bildet sich erst sporadisch und fixiert sich nach und nach ein anormal
niedriger Verkaufspreis der Ware, der von nun an zur konstanten
Grundlage kummerlichen Arbeitslohns bei ubermaBiger Arbeitszeit wird,
wie er ursprunglich das Produkt dieser Umstande war. Wir deuten diese
Bewegung bloB an, da die Analyse der Konkurrenz nicht hierhin gehort.
Doch mag fur einen Augenblick der Kapitalist selbst sprechen.
»In Birmingham ist die Konkurrenz unter den Meistern so grofi, dafi
mancher von uns gezwungen ist, als Arbeitsanwender zu tun, was er sich
schamen wiirde, sonst zu tun; und dennoch wird nicht mehr Geld
gemacht (and yet no more money is made), sondern das Publikum allein
hat den Vorteil davon. « 959
Man erinnert sich der zwei Sorten Londoner Backer, wo von die eine Brot
zum vollen Preise (the "fullpriced" bakers), die andre es unter seinem
normalen Preise verkauft ("the underpriced", "the undersellers"). Die
"fullpriced" denunzieren ihre Konkurrenten vor der parlamentarischen
Untersuchungskommission:
»Sie existieren nur, indem sie erstens das Publikum betragen [durch
Falschung der Ware] und zweitens 18 Arbeitsstunden aus ihren Leuten
fur den Lohn zwolfstiindiger Arbeit herausschinden... Die unbezahlte
Arbeit (the unpaid labour) der Arbeiter ist das Mittel, wodurch der
Konkurrenzkampf gefiihrt wird... Die Konkurrenz unter den
Backermeistern ist die Ursache der Schwierigkeit in Beseitigung der
Nachtarbeit. Ein Unterverkaufer, der sein Brot unter dem mit dem
Mehlpreis wechselnden Kostpreis verkauft, halt sich schadlos, indem er
mehr Arbeit aus seinen Leuten herausschlagt. Wenn ich nur 12 Stunden
Arbeit aus meinen Leuten herausschlage, mein Nachbar dagegen 18 oder
20, mufi er mich im Verkaufspreis schlagen. Konnten die Arbeiter auf
Zahlung fur Uberzeit bestehen, so ware es mit diesem Manover bald zu
Ende... Eine grofie Anzahl der von den Unterverkaufern Beschaftigten
sind Fremde, Jungen und andre, die fast mit jedem Arbeitslohn, den sie
kriegen konnen, vorlieb zu nehmen gezwungen sind.« 960
Diese Jeremiade ist auch deswegen interessant, weil sie zeigt, wie nur der
Schein der Produktionsverhaltnisse sich im Kapitalistenhirn widerspiegelt.
Der Kapitalist weiB nicht, daB auch der normale Preis der Arbeit ein
bestimmtes Quantum unbezahlter Arbeit einschlieBt und ebendiese
unbezahlte Arbeit die normale Quelle seines Gewinns ist. Die Kategorie
der Mehrarbeitszeit existiert uberhaupt nicht fur ihn, denn sie ist
eingeschlossen im normalen Arbeitstag, den er im Taglohn zu zahlen
glaubt. Wohl aber existiert fur ihn die Uberzeit, die Verlangerung des
Arbeitstags iiber die dem gewohnten Preis der Arbeit entsprechende
Schranke. Seinem unterverkaufenden Konkurrenten gegenuber besteht er
sogar auf Extrazahlung (extra pay) fur diese Uberzeit. Er weiB wieder
nicht, daB diese Extrazahlung ebensowohl unbezahlte Arbeit einschlieBt,
wie der Preis der gewohnlichen Arbeitsstunde. Z.B. der Preis einer Stunde
des zwolfstiindigen Arbeitstags ist 3 d., das Wertprodukt von V2
Arbeitsstunde, wahrend der Preis der uberzeitigen Arbeitsstunde 4 d., das
Wertprodukt von 2/g Arbeitsstunde. Im ersten Fall eignet sich der
Kapitalist von einer Arbeitsstunde die Halfte, im andern V3 ohne Zahlung
an.
Neunzehntes Kapitel
Der Stucklohn
Der Stucklohn ist nichts als verwandelte Form des Zeitlohns, wie der
Zeitlohn die verwandelte Form des Wertes oder Preises der Arbeitskraft.
Beim Stucklohn sieht es auf den ersten Blick aus, als ob der vom Arbeiter
verkaufte Gebrauchswert nicht die Funktion seiner Arbeitskraft sei,
lebendige Arbeit, sondern bereits im Produkt vergegenstandlichte Arbeit,
und als ob der Preis dieser Arbeit nicht wie beim Zeitlohn durch die
Bruchzahl sondern durch die Leistungsfahigkeit des Produzenten
bestimmt werde. 961
Zunachst muBte die Zuversicht, die an diesen Schein glaubt, bereits stark
erschuttert werden durch die Tatsache, daB beide Formen des Arbeitslohns
zur selben Zeit in denselben Geschaftszweigen nebeneinander bestehn.
Z.B.
»Die Setzer von London arbeiten in der Regel nach Stucklohn, wahrend
Zeitlohn bei ihnen die Ausnahme bildet. Umgekehrt bei den Setzern in
den Provinzen, wo der Zeitlohn die Regel und der Stucklohn die
Ausnahme. Die Schiffszimmerleute im Hafen von London werden nach
Stucklohn bezahlt, in alien andren englischen Hafen nach Zeitlohn.« 9f>2
In denselben Londoner Sattlerwerkstatten wird oft fur dieselbe Arbeit den
Franzosen Stucklohn und den Englandern Zeitlohn gezahlt. In den
eigentlichen Fabriken, wo Stucklohn allgemein vorherrscht, entziehn sich
einzelne Arbeitsfunktionen aus technischen Griinden dieser Messung und
werden daher nach Zeitlohn gezaht. 963 An und fur sich ist es jedoch klar,
l.Wie das gleichzeitige Nebeneinander dieser zwei Formen des Arbeitslohns
Fabrikantenprellereien begiinstigt. »Eine Fabrik beschdftigt 400 Leute, von welchen die Halfte im
Stucklohn arbeitet und ein unmittelbares Interesse daran hat, langer zu arbeiten. Die anderen 200
werden pro Tag bezahlt, arbeiten ebenso lang wie die anderen, aber erhalten kein Geld fiir die
Uberstunden... Die Arbeit dieser 200 Leute wahrend einer halben Stunde taglich ist gleich der Arbeit
einer Person wdhrend 50 Stunden oder /g der wochentlichen Arbeitsleistung einer Person und stellt
einen handgreiflichen Gewinn fitr den Unternehmer dar.« ("Reports of Insp. of Fact., 31st October
1860", p. 9.) »Uberstunden herrschen noch immer in betriichtlichem Umfange vor; und in den meisten
Fallen mit der Sicherheit gegen Entdeckung und Bestrafung, die das Gesetz selbst gewahrt. Ich habe in
vielen friiheren Berichten aufgezeigt ... welches Unrecht an alien Arbe item begangen wird, die nicht
Stiicklohn, sondern Wochenlohn erhalten.« (Leonard Horner in "Reports of lnsp. of Fact., 30th April
1859", p.8, 9.)
l.»Der Lohn kann aufzwei Arten gemessen werden; entweder an der Dauer der Arbeit oder an
ihrem Produkt« ("Abrege elementaire des principes de 1'Econ. Pol.", Paris 1796, p. 32.) Verfasser dieser
anonymen Schrift: G. Gamier.
l.»Es wird ihm (dem Spinner) ein bestimmtes Gewicht Baumwolle iibergeben, und er mufi dafiir
in einer gewissenzeit ein bestimmtes Gewicht an Twist oder Gam von einem gewissen Feinheitsgrad
liefern und erhdlt fur jedes so beschaffene Pfund soundso viel. 1st die Arbeit von mangelhafter
Qualitat, so wird er bestraft; ist das Quantum geringer als das fiir eine bestimmte Zeit festgesetzte
Minimum, so wird er entlassen und ein tiichtige re r Arbe iter eingestellt.« (Ure, I.e. p. 316, 317.)
l.»Wenn das Arbeitsprodukt durch viele Hande geht, auf die alle ein Teil des Profits kommt,
wdhrend nur das letzte Paar Hande die Arbeit verrichtet, dann geschieht es, dafS die Bezahlung, welche
schliefilich die Arbeiterin erreicht, jdmmerlich unangemessen ist.« ("Child. Empl. Comm. II.Rp.", p.LXX,
n.424.)
2. Selbst der apologetische Watts bemerkt: »Es ware eine grofie Verbesserung des
Stiicklohnsy stems, wenn alle an einem Stuck Arbeit Beschdftigten Teilhaber am Vertrag wdren, jeder
entsprechend seinen Fahigkeiten, statt dafi ein Mann daran interessiert ist, seine Kameraden fiir
seinen eigenen Vorteil abzurackern.« (I.e. p. 53.) Uber die Gemeinheiten dieses Systems vgl. "Child.
Empl. Comm. Rep. Ill", p.66, n.22; p.ll, n.124; p.XI, n.13, 53, 59 usw.
l.Diesem naturwiichsigen Resultat wird oft kunstlich unter die Arme gegriffen. Z.B. im
Engineering Trade [Maschinenbau] von London gilt es als herkommlicher trick, »dafi der Kapitalist einen
Mann von uberlegner physischer Kraft und Fertigkeit zum Chef einer Arbeiteranzahl auswahlt.
Er zahlt ihm vierteljahrlich oder in andren Terminen einen Zuschufilohn unter der Ubereinkunft, alles
mogliche aufzubieten, um seine Mitarbeiter, die nur den gewohnlichen Lohn erhalten, zur aufiersten
Nacheiferung anzustacheln... Ohne weiteren Kommentar erkldrt dies die Kapitalistenklage uber
Ldhmung der Tatigkeit oder uberlegener Geschicklichkeit und Arbeitskraft (stinting the action,
superior skill and working power) durch die Trade's Unions'. « (Dunning, I.e. p. 22, 23.) Da der Verfasser
selbst Arbeiter und Sekretar einer Trade's Union, konnte dies fiir Ubertreibung gelten. Aber man sehe z.B.
die "highly respectable" ["hochachtbare"] agronomische Cyklopadie von J.Ch. Morton, Art. "Labourer", wo
diese Methode den Pachtern als probat empfohlen wird.
2.»Alle, die im Stiicklohn bezahlt werden ... haben Vorteil von einer Uberschreitung der
gesetzlichen Grenzen der Arbeit. Diese Bereitschaft, Uberstunden zu machen, ist besonders bei den
Frauen zu beobachten, die als Weberinnen und Hasplerinnen beschaftigt sind.« ("Rep. of Insp. of Fact.,
30th April 1858", p. 9.) »Dies Stiicklohnsy stem, so vorteilhaft fiir den Kapitalisten ... strebt direkt, den
jungen Topfer zu grofier Uberarbeit zu ermuntern, wdhrend der 4 oder 5 Jahre, worin er per Stuck,
aber zu niedrigem Preis, bezahlt wird. Es ist dies eine der grofien Ursachen, denen die physische
Degeneration der Topfer zuzuschreiben ist.« ("Child. Empl. Comm. l.Rep.", p.XIII.)
l.» Wo die Arbeit in irgendeinein Gewerbe nach der Stiickzahl, zu soundso viel je Stuck bezahlt
wird ... konnen sich die Lohne dem Betrag nach sehr wesentlich voneinander unterscheiden... Aber fiir
Tagelohn besteht im allgemeinen ein einheitlichiir Satz ... der vom Unternehmer und vom Arbeiter als
Standardlohn fiir den Durchschnittsarbeiter an dem Gewebe anerkannt wird.« (Dunning, I.e. p. 17.)
2.»Die Arbeit der Handwerksgesellen regelt sich nach dem Tag oder nach dem Stuck (a la
journee ou a la piece)... Die Meister wissen ungefdhr, wieviel Werk die Arbeiter tdglich in jedem metier
[Gewebe] verrichten konnen, und zahlen sie daher oft im Verhdltnis zum Werk, das sie verrichten, so
daB die Formverschiedenheit in der Auszahlung des Arbeitslohns an
seinem Wesen nichts andert, obgleich die eine Form der Entwicklung der
kapitalistischen Produktion giinstiger sein mag als die andre.
Der gewohnliche Arbeitstag betrage 12 Stunden, wovon 6 bezahlt, 6
unbezahlt. Sein Wertprodukt sei 6 sh., das einer Arbeitsstunde daher 6 d.
Es stelle sich erfahrungsmaBig heraus, daB ein Arbeiter, der mit dem
Durchschnittsgrad von Intensitat und Geschick arbeitet, in der Tat also nur
die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Produktion ernes Artikels
verwendet, 24 Stiicke, ob diskret, oder meBbare Teile ernes
kontinuierlichen Machwerks, in 12 Stunden liefert. So ist der Wert dieser
24 Stiicke, nach Abzug des in ihnen enthaltnen konstanten Kapitalteils, 6
sh. und der Wert des einzelnen Stucks 3 d. Der Arbeiter erhalt per Stuck
IV2 d. und verdient so in 12 Stunden 3 sh. Wie es beim Zeitlohn
gleichgultig ist, ob man annimmt, daB der Arbeiter 6 Stunden fur sich und
6 fur den Kapitalisten, oder von jeder Stunde die eine Halfte fur sich und
die andre fur den Kapitalisten arbeitet, so auch hier, ob man sagt, jedes
einzelne Stuck sei halb bezahlt und halb unbezahlt, oder der Preis von 12
Stucken ersetze nur den Wert der Arbeitskraft, wahrend in den 12 andern
sich der Mehrwert verkorpere.
Die Form des Stucklohns ist ebenso irrationell als die des Zeitlohns.
Wahrend z.B. zwei Stuck Ware, nach Abzug des Werts der in ihnen
aufgezehrten Produktionsmittel, als Produkt einer Arbeitsstunde 6 d. wert
sind, erhalt der Arbeiter fur sie einen Preis von 3 d. Der Stucklohn driickt
unmittelbar in der Tat kern Wertverhaltnis aus. Es handelt sich nicht
darum, den Wert des Stucks durch die in ihm verkorperte Arbeitszeit zu
messen, sondern umgekehrt die vom Arbeiter verausgabte Arbeit durch die
Zahl der von ihm produzierten Stiicke. Beim Zeitlohn miBt sich die Arbeit
an ihrer unmittelbaren Zeitdauer, beim Stucklohn am Produktenquantum,
worin Arbeit wahrend bestimmter Zeitdauer verdichtet. 964 Der Preis der
Arbeitszeit selbst ist schlieBlich bestimmt durch die Gleichung: Wert der
Tagesarbeit = Tageswert der Arbeitskraft. Der Stucklohn ist also nur eine
modifizierte Form des Zeitlohns.
Betrachten wir nun etwas naher die charakteristischen Eigentiimlichkeiten
des Stiicklohns.
Die Qualitat der Arbeit ist hier durch das Werk selbst kontrolliert, das die
durch schnittliche Giite besitzen muB, soil der Stiickpreis voll bezahlt
werden. De Stucklohn wird nach dieser Seite hin zu fruchtbarster Quelle
von Lohnabziigen und kapitalistischer Prellerei.
Er bietet den Kapitalisten ein ganz bestimmtes MaB fiir die Intensitat der
Arbeit. Nur Arbeitszeit, die sich in einem vorher bestimmten und
erfahrungsmaBig festgesetzten Warenquantum verkorpert, gilt als
gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit und wird als solche bezahlt. In den
groBeren Schneiderwerkstatten Londons heiBt daher ein gewisses Stiick
Arbeit, z. B. eine Weste usw., Stunde, halbe Stunde usw., die Stunde zu 6
d. Aus der Praxis ist bekannt, wieviel das Durchschnittsprodukt einer
Stunde. Bei neuen Moden, Reparaturen usw. entsteht Streit zwischen
Anwender und Arbeiter, ob ein bestimmtes Arbeitsstuck = einer Stunde
usw., bis auch hier die Erfahrung entscheidet. Ahnlich in den Londoner
Mobelschreinereien usw. Besitzt der Arbeiter nicht die durch schnittliche
Leistungsfahigkeit, kann er daher ein bestimmtes Minimum vom Tagwerk
nicht liefern, so entlaBt man ihn. 965
Da Qualitat und Intensitat der Arbeit hier durch die Form des Arbeitslohns
selbst kontrolliert werden, macht sie groBen Teil der Arbeitsaufsicht
uberflussig. Sie bildet daher sowohl die Grundlage der fruher geschilderten
modernen Hausarbeit als eines hierarchisch gegliederten Systems der
Exploitation und Unterdriickung. Das letztere besitzt zwei Grundformen.
Der Stucklohn erleichtert einerseit das Zwischenschieben von Parasiten
zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter, Unterverpachtung der Arbeit
(subletting of labour). Der Gewinn der Zwischenpersonen flieBt
ausschlieBlich aus der Differenz zwischen dem Arbeitspreis, den der
Kapitalist zahlt, und dem Teil dieses Preises, den sie dem Arbeiter wirklich
zukommen lassen. 966 Dies System heiBt in England charakteristisch das
"Sweating-System" (AusschweiBungssystem). Andrerseits erlaubt der
Stucklohn dem Kapitalisten, mit dem Hauptarbeiter - in der Manufaktur
mit dem Chef einer Grappe, in den Minen mit dem Ausbrecher der Kohle
usw., in der Fabrik mit dem eigentlichen Maschinenarbeiter - einen
Kontrakt fiir soviel per Stuck zu schlieBen, zu einem Preis, wofiir der
Hauptarbeiter selbst die Anwerbung und Zahlung seiner Hilfsarbeiter
ubernimmt. Die Exploitation der Arbeiter durch das Kapital verwirklicht
sich hier vermittelst der Exploitation des Arbeiters durch den Arbeiter. 967
Den Stucklohn gegeben, ist es naturlich das personliche Interesse des
Arbeiters, seine Arbeitskraft moglichst intensiv anzuspannen, was dem
Kapitalisten eine Erhohung des Normalgrads der Intensitat erleichtert. 968
Es ist ebenso das personliche Interesse des Arbeiters, den Arbeitstag zu
verlangern, weil damit sein Tages- oder Wochenlohn steigt. 969 Es tritt damit
die beim Zeitlohn bereits geschilderte Reaktion ein, abgesehn davon, daB
die Verlangerung des Arbeitstags, selbst bei konstant bleibendem
Stucklohn, an und fiir sich eine Senkung im Preise der Arbeit einschlieBt.
Beim Zeitlohn herrscht mit wenigen Ausnahmen gleicher Arbeitslohn fiir
dieselben Funktionen, wahrend beim Stucklohn der Preis der Arbeitszeit
zwar durch ein bestimmtes Produktenquantum gemessen ist, der Tags-
oder Wochenlohn dagegen wechselt mit der individuellen Verschiedenheit
der Arbeiter, wo von der eine nur das Minimum des Produkts in einer
gegebnen Zeit liefert, der andre den Durchschnitt, der dritte mehr als den
Durchschnitt. In bezug auf die wirkliche Einnahme treten hier also groBe
Differenzen ein je nach dem verschiednen Geschick, Kraft, Energie,
Ausdauer usw. der individuellen Arbeiter. 970 Dies andert naturlich nichts
an dem allgemeinen Verhaltnis zwischen Kapital und Lohnarbeit. Erstens
gleichen sich die individuellen Unterschiede fiir die Gesamtwerkstatt aus,
so daB sie in einer bestimmten Arbeitszeit das Durchschnittsprodukt liefert
und der gezahlte Gesamtlohn der Durchschnittslohn des Geschaftszweigs
sein wird. Zweitens bleibt die Proportion zwischen Arbeitslohn und
Mehrwert unverandert, da dem individuellen Lohn des einzelnen Arbeiters
die von ihm individuell gelieferte Masse von Mehrwert entspricht. Aber der
groBere Spielraum, den der Stucklohn der Individualist bietet, strebt
einerseits dahin, die Individualitat und damit Freiheitsgefuhl,
Selbstandigkeit und Selbstkontrolle der Arbeiter zu entwickeln, andrerseits
ihre Konkurrenz unter- und gegeneinander. Er hat daher eine Tendenz, mit
der Erhebung individueller Arbeitslohne iiber das Durchschnittsniveau dies
Niveau selbst zu senken. Wo aber bestimmter Stucklohn sich seit lange
traditionell befestigt hatte und seine Herabsetzung daher besondre
Schwierigkeiten bot, fluchteten die Meister ausnahmsweise auch zu seiner
gewaltsamen Verwandlung in Zeitlohn. Hiergegen z.B. 1860 groBer strike
unter den Bandwebern von Coventry. 971 Der Stucklohn ist endlich eine
Hauptstutze des friiher geschilderten Stundensystems. 972
3.»Wie hdufig haben wir gesehen, dafi man in gewissen Werkstatten weit mehr Arbeiter
einst elite, als zur Arbeit wirklich benotigt wurden ? Oft nimmt man Arbeiter an in Erwartung einer noch
ungewissen, manchmal sogar nur eingebildeten Arbeit: da man im Stucklohn zahlt, sagt man sich, dafi
man nichts riskiert, da alle verlorene Zeit zu hasten der Unbeschdftigten geht.« (H. Gregoir, "Les
Typographes devant le Tribunal Correctionnel de Bruxelles", Bruxelles 1865, p. 9.)
1. "Remarks on the Commercial Policy of Great Britain", London 1815, p. 48.
l."A Defence of the Landowners and Farmers of Great Britain", Lond. 1814, p. 4, 5.
l.Malthus, "Inquiry into the Nature etc. of Rent", London 1815, [p. 49, Note].
l.»Die Arbeiter auf Stucklohn bilden wahrscheinlich /j aller Arbeiter in den Fabriken.«
("Reports of Insp. of Fact, for 30th April 1858", p.9.)
l.»Die Produktivkraft seiner Spinnmaschine wird genau gemessen und die Bezahlung fiir die
mit ihr geleistete Arbeit vermindert sich mit, wenn auch nicht entsprechend der Zunahme ihrer
Produktivkraft. « (Ure, I.e. p. 317.) Letztre apologetische Wendung hebt Ure selbst wieder auf. Er gibt zu,
daB bei einer Verlangrung der Mule z.B. eine zusatzliche Arbeit aus der Verlangrung entspringt. Die Arbeit
nimmt also nicht in dem MaBe ab, worin ihre Produktivitat wachst. Ferner: »Durch diese Verlangrung
wird die Produktivkraft der Maschine um ein Fiinftel gesteigert. Daraufhin wird der Spinner nicht
mehr zu demselben Satz fiir geleistete Arbeit bezahlt wie zuvor, aber well dieser Satz nicht im
Verhdltnis von einem Fiinftel vermindert wird, erhoht die Verbesserung seinen Geldverdienst fur iede
gegebene Zahl von Arbeitsstunden« - aber, aber - »die vorhergehende Feststellung erfordert eine
gewisse Einschrdnkung... der Spinner hat von seinem zusdtzlichen halben Schilling etwas fiir
zusatzliche jugendliche Hlfskrafte zu zahlen, und aufierdem werden Erwachsene verdrdngt« (I.e.
p. 320, 321), was keineswegs eine Tendenz zur Steigerung des Arbeitslohns hat.
l.H. Fawcett, "The Economic Position of the British Labourer", Cambridge and London 1865, p.
178.
1.3. und 4. Auflage: Ausspruch
2.1m Londoner 'Standard' vom 26. Oktober 1861 findet man Bericht iiber einen ProzeB der Firma
John Bright et Co. vor den Rochdale Magistrates [Friedersrichtern], »die Vertreter der Trade Union der
Teppichweber wegen Einschiichterung gerichtlich zu belangen. Die Teilhaber Brights hatten neue
Maschinerie eingefuhrt, die 240 Yards Teppich in der Zeit und mit der Arbeit [!] produzieren sollten,
die friiher zur Produktion von 160 Yards erforderlich waren. Die Arbeiter hatten keinerlei Anrecht, an
den Profiten teilzuhaben, die durch die Kapitalanlage ihrer Unternehmer in mechanischen
Verbesserungen gemacht worden waren. Daher schlugen die Herren Bright vor, den Lohn von l'/2 d.
pro Yard auf 1 d. zu senken, wodurch die Einkiinfte der Arbeiter fiir die gleiche Arbeit genau so
blieben wie vorher. Aber das war eine nominelle Herabsetzung, von der die Arbeiter, wie behauptet
Aus der bisherigen Darstellung ergibt sich, daB der Stiicklohn die der
kapitalistischen Produktionsweise entsprechendste Form des Arbeitslohns
ist. Obgleich keineswegs neu - er figuriert neben dem Zeitlohn offiziell u.a.
in den franzosischen und englischen Arbeiterstatuten des vierzehnten
Jahrhunderts -, gewinnt er doch erst groBten Spielraum wahrend der
eigentlichen Manufakturperiode. In der Sturm- und Drangperiode der
groBen Industrie, namentlich von 1797 bis 1815, dient er als Hebel zur
Verlangrung der Arbeitszeit und Herabsetzung des Arbeitslohns. Sehr
wichtiges Material fur die Bewegung des Arbeitslohns wahrend jener
Periode findet man in den Blaubuchern: "Report and Evidence from the
Select Committee on Petitions respecting the Corn Laws"
(Parlamentssession 1813/14) und "Reports from the Lords' Committee, on
the state of the Growth, Commerce, and Consumption of Grain, and all
Laws relating thereto". (Session 1814/15.) Man findet hier den
dokumentarischen Nachweis fur die fortwahrende Senkung des
Arbeitspreises seit dem Beginn des Antjakobinerkriegs. In der Weberei
z.B. war der Stiicklohn so gefallen, daB trotz des sehr verlangerten
Arbeitstags der Taglohn jetzt niedriger stand als vorher.
»Die reale Einnahme des Webers ist sehr viel weniger alsfriiher: seine
Superioritdt iiber den gewdhnlichen Arbeiter, die erst sehr grofi war, ist
fast ganz verschwunden. In der Tat, der Unterschied in den Lohnen
geschickter und gewohnlicher Arbeit ist jetzt viel unbedeutender als
wahrend irgendeiner friiheren Periode. « 913
Wie wenig die mit dem Stucklohn gesteigerte Intensitat und Ausdehnung
der Arbeit dem landlichen Proletariat fruchteten, zeige folgende einer
Parteischrift fur Landlords und Pachter entlehnte Stelle:
»Bei weitem der grofiere Teil der Agrikulturoperationen wird durch
Leute verrichtet, die fur den Tag oder auf Stiickwerk gedungen sind. Ihr
Wochenlohn betrdgt ungefdhr 12 sh.; und obgleich man voraussetzen
mag, dafi ein Mann bei Stucklohn, unter dem grofieren Arbeitssporn, 1
sh. oder vielleicht 2 sh. mehr verdient als beim Wochenlohn, sofindet
man dennoch, bei Schatzung seiner Gesamteinnahme, dafi sein Verlust
an Beschdftigung im Laufdes Jahrs diesen Zuschufi aufwiegt... Man
wird ferner im allgemeinen finden, dafi die Lohne dieser Manner ein
gewisses Verhaltnis zum Preis der notwendigen Lebensmittel haben, so
dafi ein Mann mit zwei Kindern fdhig ist, seine Familie ohne Zuflucht
zur Pfarreiunterstiitzung zu erhalten.« 914
Malthus bemerkte damals mit Bezug auf die vom Parlament
veroffentlichten Tatsachen:
»Ich gestehe, ich sehe mit Mifivergniigen die grofie Ausdehnung der
Praxis des Stiicklohns. Wirklich harte Arbeit wdhrend 12 oder 14
Stunden des Tags, fiir irgend langere Zeitperioden, ist zuviel fur ein
menschliches Wesen.« 91i
In den dem Fabrikgesetz unterworfenen Werkstatten wird Stucklohn
allgemeine Regel, weil das Kapital dort den Arbeitstag nur noch intensiv
ausweitenkann. 976
Mit der wechselnden Produktivitat der Arbeit stellt dasselbe
Produktenquantum wechselnde Arbeitszeit dar. Also wechselt auch der
Stucklohn, da er Preisausdruck einer bestimmten Arbeitszeit. In unserem
obigen Beispiel wurden in 12 Stunden 24 Stuck produziert, wahrend das
Wertprodukt der 12 Stunden 6 sh. war, der Tageswert der Arbeitskraft 3
sh., der Preis der Arbeitsstunde 3 d. und der Lohn fiir ein Stuck IV2 d. In
einem Stuck war Vi Arbeitsstunde eingesaugt. Liefert derselbe Arbeitstag
nun etwa infolge verdoppelter Produktivitat der Arbeit 48 Stuck statt 24,
und bleiben alle andern Umstande unvlrandert, so sinkt der Stucklohn von
IV2 d. auf 3/4 d., da jedes Stuck jetzt nur noch l A statt V2 Arbeitsstunde
darstellt. 24 x IV2 d. = 3 sh. und ebenso 48 x ?>Ia\ d. = 3 sh. In anderen
Worten: Der Stucklohn wird in demselben Verhaltnis herantergesetzt,
worin die Zahl der wahrend derselben Zeit produzierten Stiicke wachst 977 ,
also die auf dasselbe Stiick verwandte Arbeitszeit abnimmt. Dieser
Wechsel des Stiicklohns, soweit rein nominell, raft bestandige Kampfe
zwischen Kapitalist und Arbeiter hervor. Entweder, weil der Kapitalist den
Vorwand benutzt um wirklich den Preis der Arbeit herabzusetzen, oder
weil die gesteigerte Produktivkraft der Arbeit von gesteigerter Intensitat
derselben begleitet ist. Oder weil der Arbeiter den Schein des Stiicklohns,
als ob ihm sein Produkt gezahlt werde und nicht seine Arbeitskraft, ernst
nimmt und sich daher gegen eine Lohnherabsetzung straubt, welcher die
Herabsetzung im Verkaufspreis der Ware nicht entspricht.
»Die Arbeiter iiberwachen sorgfdltig den Preis des Rohmaterials und
den Preis der fabrizierten Giiter und sind sofdhig, die Profite ihrer
Meister genau zu veranschlagen.« 9n
Solchen Ansprach 979 fertigt das Kapital mit Recht als groben Irrtum iiber
die Natur der Lohnarbeit ab. 980 Es zetert iiber diese AnmaBung, Steuern
auf den Fortschritt der Industrie zu legen, und erklart randweg, daB die
Produktivitat der Arbeit 981 den Arbeiter iiberhaupt nichts angeht. 982
ral 3.4. Auflage: Arbeiter
4.»Trades Unions in ihrer Sucht, den Arbeitslohn aufrechtzuhalten, suchen an dem Profit
verbesserter Maschinerie teilzunehmen! (Quelle horreur! [Wie schrecklich!]) ... sie verlangen hoheren
Lohn, weil die Arbeit verkiirzt ist ... in anderen Worten, sie streben, eine Steuer auf industrielle
Verbesserungen zu legen. « ("On Combination of Trades", New Edit., Lond. 1834, p.42.)
l.»Es ist nicht richtig, zu sagen, dafi die Lohne (handelt sich hier von ihrem Preise) gestiegen
sind, weil man mit ihnen mehr von einem billigeren Artikel kaufen kann.« (David Buchanan in seiner
Ausgabe von A. Smiths "Wealth etc.", 1814, v.l, p.417, Note.)
l.An andrer Stelle werden wir untersuchen, welche Umstande, in Beziehung auf die Produktivitat,
dies Gesetz fur einzelne Produktionszweige modifizieren konnen.
I.James Anderson bemerkt in Polemik gegen A.Smith: »Es verdient gleicherweise bemerkt zu
werden, dafi, obgleich der Preis der Arbeit in armen Landern, wo die Feldfriichte, und besonders das
Getreide, billig sind, scheinbar gewohnlich niedriger ist, so ist er doch in der Tat dort meistens
wirklich hoher als in andern Landern. Denn nicht der Lohn, den ein Arbeiter pro Tag erhalt, stellt den
realen Preis der Arbeit dar, obgleich er ihr scheinbarer Preis ist. Der reale Preis ist das, was ein
bestimmtes Quantum geleisteter Arbeit den Unternehmer tatsdchlich kostet; und unter diesem
Gesichtswinkel ist Arbeit in fast alien Fallen in reichen Landern billiger als in drmeren, obwohl der
Preis des Getreides und anderer Lebensmittel gewohnlich in den letzteren weit niedriger ist als in den
ersteren... Arbeit im Taglohn ist viel niedriger in Schottland als in England... Arbeit iin Stucklohn ist im
allgemeinen billiger in England. « (James Anderson, "Observations on the means of exciting a spirit of
Zwanzigstes Kapitel
Nationale Verschiedenheit der Arbeitslohne
Im funfzehnten Kapitel beschaftigten uns die mannigfachen
Kombinationen, welche einen Wechsel in der absoluten oder relativen
(d.h. mit dem Mehrwert verglichenen) WertgroBe der Arbeitskraft
hervorbringen kann, wahrend andrerseits wieder das Quantum von
Lebensmitteln, worin der Preis der Arbeitskraft realisiert wird, von dem
Wechsel dieses Preises unabhangige 983 oder verschiedne Bewegungen
durchlaufen konnte. Wie bereits bemerkt, verwandeln sich durch einfache
Ubersetzung des Werts, resp. Preises der Arbeitskraft in die exoterische
Form des Arbeitslohns alle jene Gesetze in Gesetze der Bewegung des
Arbeitslohns. Was innerhalb dieser Bewegung als wechselnde
Kombination, kann fiir verschiedne Lander als gleichzeitige
Verschiedenheit nationaler Arbeitslohne erscheinen. Beim Vergleich
nationaler Arbeitslohne sind also alle den Wechsel in der WertgroBe der
Arbeitskraft bestimmende Momente zu erwagen, Preis und Umfang der
natiirlichen und historisch entwickelten ersten Lebensbediirfnisse,
Erziehungskosten des Arbeiters, Rolle der Weiber- und Kinderarbeit,
Produktivitat der Arbeit, ihre extensive und intensive GroBe. Selbst die
oberflachlichste Vergleichung erheischt, zunachst den Durchschnitts-
Taglohn fiir dieselben Gewerbe in verschiednen Landern auf gleich groBe
Arbeitstage zu reduzieren. Nach solcher Ausgleichung der Taglohne muB
der Zeitlohn wieder in Stucklohn ubersetzt werden, da nur der letztere ein
Gradmesser sowohl fiir die Produktivitat als die intensive GroBe der
Arbeit.
In jedem Lande gilt eine gewisse mittlere Intensitat der Arbeit, unter
welcher die Arbeit bei Produktion einer Ware mehr als die gesellschaftlich
notwendige Zeit verbraucht, und daher nicht als Arbeit von normaler
Qualitat zahlt. Nur ein iiber den nationalen Durch schnitt sich erhebender
Intensitatsgrad andert, in einem gegebnen Lande, das MaB des Werts
durch die bloBe Dauer der Arbeitszeit. Anders auf dem Weltmarkt, dessen
integrierende Teile die einzelnen Lander sind. Die mittlere Intensitat der
Arbeit wechselt von Land zu Land; sie ist hier groBer, dort kleiner. Diese
nationalen Durchschnitte bilden also eine Stufenleiter, deren MaBeinheit
die Durchschnittseinheit der universellen Arbeit ist. Verglichen mit der
weniger intensiven, produziert also die intensivere nationale Arbeit in
gleicher Zeit mehr Wert, der sich in mehr Geld ausdriickt.
Noch mehr aber wird das Wertgesetz in seiner internationalen Anwendung
dadurch modifiziert, daB auf dem Weltmarkt die produktivere nationale
Arbeit ebenfalls als intensivere zahlt, sooft die produktivere Nation nicht
durch die Konkurrenz gezwungen wird, den Verkaufspreis ihrer Ware auf
ihren Wert zu senken.
Im MaB, wie in einem Lande die kapitalistische Produktion entwickelt ist,
im gelben MaB erheben sich dort auch die nationale Intensitat und
Produktivitat der Arbeit iiber das internationale Niveau. 984 Die
verschiedenen Warenquanta derselben Art, die in verschiedenen Landern
in gleicher Arbeitszeit produziert werden, haben also ungleiche
internationale Werte, die sich in verschiedenen Preisen ausdriicken, d.h. in
je nach den internationalen Werten verschiednen Geldsummen. Der
relative Wert des Geldes wird also kleiner sein bei der Nation mit
entwickelterer kapitalistischer Produktionsweise als bei der mit wenig
entwickelter. Folgt also, daB der nominelle Arbeitslohn, das Aquivalent der
Arbeitskraft ausgedriickt in Geld, ebenfalls hoher sein wird bei der ersten
Nation als bei der zweiten; was keineswegs besagt, daB dies auch fur den
wirklichen Lohn gilt, d.h. fur die dem Arbeiter zur Verfugung gestellten
Lebensmittel.
Aber auch abgesehn von dieser relativen Verschiedenheit des Geldwerts in
verschiedenen Landern, wird man haufig finden, daB der Tages-, Wochen-,
etc. Lohn bei der ersteren Nation hoher ist als bei der zweiten, wahrend der
relative Arbeitspreis, d.h. der Arbeitspreis im Verhaltnis sowohl zum
Mehrwert wie zum Wert des Produkts, bei der zweiten Nation hoher steht
als bei der ersteren. 985
J.W. Cowell, Mitglied der Fabrikkommission von 1833, kam nach
sorgfaltiger Untersuchung der Spinnerei zum Ergebnis, daB
»in England die Lohne der Sache nach niedrigerfiir den Fabrikanten
sind als auf dem Kontinent, obwohl siefiir den Arbeiter hoher sein
mogen« (Ure, p. 314).
Der englische Fabrikinspektor Alexander Redgrave weist im Fabrikbericht
vom 31. Oktober 1866 durch vergleichende Statistik mit den
Kontinentalstaaten nach, daB trotz niedrigerem Lohn und viel langerer
Arbeitszeit die kontinentale Arbeit, verhaltnismaBig zum Produkt, teurer ist
als die englische. Ein englischer Direktor (manager) in einer
Baumwollfabrik in Oldenburg erklart, daB dort die Arbeitszeit von 5.30 Uhr
morgens bis 8 Uhr abends wahrt, samstags eingeschlossen, und daB die
dortigen Arbeiter, wenn unter englischen Arbeitsaufsehern, wahrend dieser
Zeit nicht ganz soviel Produkt liefern als Englander in 10 Stunden, unter
deutschen Arbeitsaufsehern aber noch viel weniger. Der Lohn stehe viel
tiefer als in England, in vielen Fallen um 50%, aber die Zahl der Hande im
Verhaltnis zur Maschinerie sei viel groBer, in verschiedenen Departements
im Verhaltnis von 5:3. Herr Redgrave gibt sehr genaue Details iiber die
russischen Baumwollfabriken. Die Data sind ihm geliefert durch einen dort
noch kiirzlich beschaftigten englischen manager. Auf diesem russischen
Boden, an alien Infamien so fruchtbar, stehn auch die alten Greuel aus der
Kindheitsperiode der englischen factories 986 in vollster Blute. Die
1 .Fabriken
1. "Essay on the Rate of Wages: with an Examination of the Causes of the Differences in the
Conditions of the Labouring Population throughout the World", Pliladelphia 1835.
2. von falschem Gehalt
l.»Die Reichen, welche die Produkte der Arbeit andrer verzehren, erhalten sie nur durch
Austauschakte (Warenkdufe). Sie scheinen daher einer baldigen Erschopfung ihrer Reservefonds
ausgesetzt... Aber in der gesellschaftlichen Ordnung hat der Reichtum die Kraft erhalten, sich durch
fremde Arbeit zu reproduzieren... Der Reichtum, wie die Arbeit und durch die Arbeit, liefert eine
jdhrliche Frucht, welche jedes Jahr vernichtet werden kann, ohne dafi der Reiche cirmer wird. Diese
Frucht ist die Revenue, die aus dem Kapital entspringt.« (Sismondi, "Nouv. Princ. d'Econ. Pol.", t.l, p. 81,
82.)
l.»L6hne wie auch Profite sind beide als ein Teil des fertigen Produkt s zu betrachten.«
(Ramsay, I.e. p. 142.) »Der Anted an dem Produkt, der dem Arbeiter unter der Form des Salairs
Zukommt.« (J. Mill, "Elements etc.", Ubers. von Parisot, Paris 1823, p. 33, 34.)
l.»Wenn Kapital verwandt wird, um dem Arbeiter seinen Lohn vorzuschiefien, ftigt es dem
Fonds zur Erhaltung der Arbeit nichts hinzu.« (Cazenove in Note zu seiner ed. von Malthus' "Definitions
in Polit. Econ.", London 1853, p. 22.)
2.»Die Subsistenzmittel der Arbeiter werden noch nicht auf einem Viertel der Erde den
Arbeitern durch Kapitalisten vorgeschossen.« (Richard Jones: "Textbook of Lectures on the Polit.
Economy of Natrons", Hertford 1852, p. 36.)
l.»Obgleich der manufacturer [i.e. Manufakturarbeiter] seinen Lohn vom Meister vorgeschossen
bekommt, verursacht er diesem in Wirklichkeit keine Kosten, da der Wert des Lohns zusammen mit
einem Profit gewohnlich in dem veredelten Wert des Gegenstands, auf den seine Arbeit verwandt
wurde, wiederhergestellt wird.« (A.Smith, I.e., Book II, ch.HI, p. 355.)
1.4. Auflage: Wertproduktion
l.»Das ist eine besonders merkwurdige Eigenschaft der produktiven Konsumtion. Was
produktiv konsumiert wird, ist Kapital, und es wird Kapital durch die Konsumtion. « (James Mill, I.e.
p. 242.) J. Mill ist jedoch dieser »besonders merkwiirdigen Eigenschaft« nicht auf die Spur gekommen.
2.»Es ist tatsdchlich wahr, dafi die erste Einfiihrung einer Manufaktur viele Arme beschaftigt,
aber sie bleiben arm, und die Fortdauer der Manufaktur erzeugt ihrer noch viele. « ("Reasons for a
limited Exportation of Wool", Lond. 1677, p. 19.) »Der Pachter versichert nun entgegen aller Vernunft,
dafi er die Annen erhalte. In Wirklichkeit werden sie im Elend erhalten. « ("Reasons for the late Increase
Dirigenten sind natiirlich Englander, da der eingeborene rassische
Kapitalist nicht fur das Fabrikgeschaft taugt. Trotz aller Uberarbeit,
fortlaufender Tag- und Nachtarbeit und schmahlichster Unterzahlung der
Arbeiter, vegetiert das rassische Fabrikat nur durch Prohibition des
auslandischen. - Ich gebe schlieBlich noch eine vergleichende Ubersicht
des Herrn Redgrave iiber die Durchschnitts-Spindelzahl per Fabrik und per
Spinner in verschiednen Landern Europas. Herr Redgrave bemerkt selbst,
daB er diese Zahlen vor einigen Jahren gesammelt hat und daB seit der Zeit
die GroBe der Fabrike und die Spindelzahl per Arbeiter in England
gewachsen seien. Er unterstellt aber verhaltnismaBig gleich groBen
Fortschritt in den aufgezahlten Kontinentallandern, so daB die
Zahlenangaben ihren komparativen Wert behalten hatten.
Durchschnittsanzahl von Spindeln Per Fabrik
In England Durch schnittszahl von Spindeln auf je eine Fabrik
12.600
InderSchweiz " " " " " " 8.000
InOstreich " " " " " " 7.000
InSachsen " " " " " " 4.500
InBelgien " " " " " " 4.000
In Frankreich " " " " " " 1.500
InPreuBen " 1.500
Durchschnittsanzahl von Spindeln Per Kopf
In Frankreich eine Person aufl4 Spindeln
In RuBland
In PreuBen
In Bayern
In Ostreich
In Belgien
In Sachsen
In den kleinern deutschen Staaten
28
37
46
49
50
50
55
In der Schweiz 55 "
In GroBbritannien 74
»Diese Vergleichung«, sagt Herr Redgrave, »ist, aufier andren Griinden,
besonders auch deswegenfiir Grofibritannien ungiinstig, weil dort eine
sehr grofie Zahl Fabriken existiert, worin die Maschinenweberei mit der
Spinnerei verbunden ist, wahrend die Rechnung keinen Kopffiir die
Webstiihle abzieht. Die auswartigen Fabriken sind dagegen meist blofie
Spinnereien. Konnten wir genau Gleiches mit Gleichem vergleichen, so
konnte ich viele Baumwollspinnereien in meinem Distrikt aufzahlen,
worin Mules mit 2.200 Spindeln von einem einzigen Mann (minder) und
zwei Handlangerinnen uberwacht und taglich 220 Pfund Garn, 400
(englische) Meilen in Ldnge, fabriziert werden.« ("Reports of Insp. of
Fact., 31st Oct. 1866", p.31-37 passim.)
Man weiB, daB in Osteuropa sowohl wie in Asien englische Kompanien
Eisenbahnen in Bau ubernommen haben und dabei neben einheimischen
auch eine gewisse Zahl englischer Arbeiter verwenden. Durch praktische
Notwendigkeit gezwungen, so den nationalen Unterschieden in der
Intensitat der Arbeit Rechnung zu tragen, hat ihnen das keinen Schaden
gebracht. Ihre Erfahrung lehrt, daB, wenn auch die Hohe des Lohnes mehr
oder weniger der mittleren Arbeitsintensitat entspricht, der relative
Arbeitspreis (Im Verhaltnis zum Produkt) sich im allgemeinen im
entgegengesetzten Sinn bewegt. In "Versuch iiber die Rate des
Arbeitslohns" 987 , einer seiner friihsten okonomischen Schriften, sucht H.
Carey nachzuweisen, daB die verschiednen nationalen Arbeitslohne sich
direkt verhalten wie die Produktivitatsgrade der nationalen Arbeits ta ge,
um aus diesem internationalen Verhaltnis den SchluB zu Ziehen, daB der
Arbeitslohn uberhaupt steigt und fallt wie die Produktivitat der Arbeit.
Unsre ganze Analyse der Produktion des Mehrwerts beweist die
Abgeschmacktheit dieser SchluBfolgerung, hatte Carey selbst seine
Prarnisse bewiesen, statt seiner Gewohnheit gemaB unkritisch und
oberflachlich zusammengerafftes statistisches Material kunterbunt
durcheinanderzuwurfeln. Das Beste ist, daB er nicht behauptet, die Sache
verhalte sich wirklich so, wie sie sich der Theorie nach verhalten sollte. Die
Staatseinmischung hat namlich das naturgemaBe okonomische Verhaltnis
verfalscht. Man muB daher die nationalen Arbeitslohne so berechnen, als
ob der Teil derselben, der dem Staat in der Form von Steuern zufallt, dem
Arbeiter selbst zufiele. Sollte Herr Carey nicht weiter dariiber nachdenken,
ob diese "Staatskosten" nicht auch "naturgemaBe Friichte" der
kapitalistischen Entwicklung sind? Das Rasonnement ist ganz des Mannes
wiirdig, der die kapitalistischen Produktionsverhaltnisse erst fiir ewige
Natur- und Vernunftsgesetze erklarte, deren frei harmonisches Spiel nur
durch die Staatseinmischung gestort werde, um hinterher zu entdecken,
daB Englands diabolischer EinfluB auf den Weltmarkt, ein EinfluB, der, wie
es scheint, nicht den Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion
entspringt, die Staatseinmischung no tig macht, namlich den Schutz jener
Natur- und Vernunftsgesetze durch den Staat, alias das Protektionssystem.
Er entdeckte ferner, daB die Theoreme Ricardos usw., worin existierende
gesellschaftliche Gegensatze und Widerspriiche formuhert sind, nicht das
ideale Produkt der wirklichen okonomischen Bewegung, sondern daB
umgekehrt die wirklichen Gegensatze der kapitalistiischen Produktion in
England und anderswo das Resultat der Ricardoschen usw. Theorie sind!
Er entdeckte schlieBlich, daB es in letzter Instanz der Handel ist, der die
eingebornen Schonheiten und Harmonien der kapitalistischen
Produktionsweise vernichtet. Noch einen Schritt weiter, und er entdeckt
vielleicht, daB der einzige MiB stand an der kapitalistischen Produktion das
Kapital selbst ist. Nur ein Mann von so entsetzlicher Kritiklosigkeit und
solcher Gelehrsamkeit de faux aloi 988 verdiente, trotz seiner
protektionistischen Ketzerei, die Geheimquelle der harmonischen Weisheit
eines Bastiat und aller andern freihandlerischen Optimisten der Gegenwart
zu werden.
Siebenter Abschnitt
Der AkkumulationsprozeB des Kapitals
Die Verwandlung einer Geldsumme in Produktionsmittel und Arbeitskraft
ist die erste Bewegung, die das Wertquantum durchmacht, das als Kapital
fungieren soil. Sie geht vor auf dem Markt, in der Sphare der Zirkulation.
Die zweite Phase der Bewegung, der ProduktionsprozeB, ist
abgeschlossen, sobald die Produktionsmittel verwandelt sind in Ware,
deren Wert den Wert ihrer Bestandteile ubertrifft, also das urspriinglich
vorgeschossene Kapital plus eines Mehrwerts enthalt. Diese Waren
mussen alsdann wiederum in die Sphare der Zirkulation geworfen werden.
Es gilt, sie zu verkaufen, ihren Wert in Geld zu realisieren, dies Geld aufs
neue in Kapital zu verwandeln, und so stets von neuem. Dieser immer
dieselben sukzessiven Phasen durchmachende Kreislauf bildet die
Zirkulation des Kapitals.
Die erste Bedingung der Akkumulation ist, daB der Kapitalist es
fertiggebracht hat, seine Waren zu verkaufen und den groBten Teil des so
erhaltenen Geldes in Kapital riickzu verwandeln. Im folgenden wird
vorausgesetzt, daB das Kapital seinen ZirkulationsprozeB in normaler
Weise durchlauft. Die nahere Analyse dieses Prozesses gehort ins Zweite
Buch.
Der Kapitalist, der den Mehrwert produziert, d.h. unbezahlte Arbeit
unmittelbar aus den Arbeitern auspumpt und in Waren fixiert, ist zwar der
erste Aneigner, aber keineswegs der letzte Eigentumer dieses Mehrwerts.
Er hat ihn hinterher zu teilen mit Kapitalisten, die andre Funktionen im
groBen und ganzen der gesellschaftlichen Produktion vollziehn, mit dem
Grundeigentumer usw. Der Mehrwert spaltet sich daher in verschiedne
Teile. Seine Bruchstucke fallen verschiednen Kategorien von Personen zu
und erhalten verschiedne, gegeneinander selbstandige Formen, wie Profit,
Zins, Handelsgewinn, Grundrente usw. Diese verwandelten Formen des
Mehrwerts konnen erst im Dritten Buch behandelt werden.
Wir unterstellen hier also einerseits, daB der Kapitalist, der die Ware
produziert, sie zu ihrem Wert verkauft, und verweilen nicht weiter bei
seiner Ruckkehr zum Warenmarkt, weder bei den neuen Formen, die dem
Kapital anschieBen in der Zirkulation ssphare, noch den darin eingehullten
konkreten Bedingungen der Reproduktion. Andrerseits gilt uns der
kapitalistische Produzent als Eigentumer des ganzen Mehrwerts oder,
wenn man will, als Reprasentant aller seiner Teilnehmer an der Beute. Wir
betrachten also zunachst die Akkumulation abstrakt, d.h. als bloBes
Moment des unmittelbaren Produktionsprozesses.
Soweit ubrigens Akkumulation stattfindet, gelingt dem Kapitalisten der
Verkauf der produzierten Ware und die Ruckverwandlung des aus ihr
gelosten Geldes in Kapital. Ferner: Der Bruch des Mehrwerts in
verschiedne Stucke andert nichts an seiner Natur noch an den
notwendigen Bedingungen, worin er zum Element der Akkumulation wird.
Welche Proportion des Mehrwerts der kapitalistische Produzent immer fur
sich selbst festhalte oder an andre abtrete, er eignet inn stets in erster Hand
an. Was also bei unsrer Darstellung der Akkumulation unterstellt wird, ist
bei ihrem wirklichen Vorgang unterstellt. Andrerseits verdunkeln die
Zerspaltung des Mehrwerts und die vermittelnde Bewegung der Zirkulation
die einfache Grundform des Akkumulationsprozesses. Seine reine Analyse
erheischt daher vorlaufiges Wegsehn von alien Phanomenen, welche das
innere Spiel seines Mechanismus verstecken.
Einundzwanzigstes Kapitel
Einfache Reproduktion
Welches immer die gesellschaftliche Form des Produktionsprozesses, er
muB kontinuierlich sein oder periodisch stets von neuem dieselben Stadien
durchlaufen. So wenig eine Gesellschaft aufhoren kann zu konsumieren,
so wenig kann sie aufhoren zu produzieren. In einem stetigen
Zusammenhang und dem bestandigen FluB seiner Erneuerung betrachtet,
ist jeder gesellschaftliche ProduktionsprozeB daher zugleich
ReproduktionsprozeB .
Die Bedingungen der Produktion sind zugleich die Bedingungen der
Reproduktion. Keine Gesellschaft kann fortwahrend produzieren, d.h.
reproduzieren, ohne fortwahrend einen Teil ihrer Produkte in
Produktionsmittel oder Elemente der Neuproduktion riickzuverwandeln.
Unter sonst gleichbleibenden Umstanden kann sie ihren Reichtum nur auf
derselben Stufenleiter reproduzieren oder erhalten, indem sie die, wahrend
des Jahres z.B., verbrauchten Produktionsmittel, d.h. Arbeitsmittel,
Rohmateriale und Hilfsstoffe, in natura durch ein gleiches Quantum neuer
Exemplare ersetzt, welches von der jahrlichen Produktenmasse
abgeschieden und von neuem dem ProduktionsprozeB einverleibt wird.
Ein bestimmtes Quantum des jahrlichen Produkts gehort also der
Produktion. Von Haus aus fur die produktive Konsumtion bestimmt,
existiert es groBenteils in Naturalformen, die von selbst die individuelle
Konsumtion ausschlieBen.
Hat die Produktion kapitalistische Form, so die Reproduktion. Wie in der
kapitalistischen Produktionsweise der ArbeitsprozeB nur als ein Mittel fur
den VerwertungsprozeB erscheint, so die Reproduktion nur als ein Mittel,
den vorgeschoBnen Wert als Kapital zu reproduzieren, d.h. als sich
verwertenden Wert. Die okonomische Charaktermaske des Kapitalisten
hangt nur dadurch an einem Menschen fest, daB sein Geld fortwahrend als
Kapital funktioniert. Hat z.B. die vorgeschoBne Geldsumme von 100
Pfd.St. sich dieses Jahr in Kapital verwandelt und einen Mehrwert von 20
Pfd.St. produziert, so muB sie das nachste Jahr usf. dieselbe Operation
wiederholen. Als periodisches Inkrement des Kapitalwerts, oder
periodische Frucht des prozessierenden Kapitals, erhalt der Mehrwert die
Form einer aus dem Kapital entspringenden Revenue. 989
Dient diese Revenue dem Kapitalisten nur als Konsumtionsfonds oder
wird sie ebenso periodisch verzehrt wie gewonnen, so findet, unter sonst
gleichbleibenden Umstanden, einfache Reproduktion statt. Obgleich
letztere nun bloBe Wiederholung des Produktionsprozesses auf derselben
Stufenleiter, driickt diese bloBe Wiederholung oder Kontinuitat dem
Prozesse gewisse neue Charaktere auf oder lost vielmehr die
Scheincharaktere seines nur vereinzelten Vorgangs auf.
Der ProduktionsprozeB wird eingeleitet mit dem Kauf der Arbeitskraft fur
eine bestimmte Zeit, und diese Einleitung erneuert sich bestandig, sobald
der Verkaufstermin der Arbeit fallig und damit eine bestimmte
Produktionsperiode, Woche, Monat usw., abgelaufen ist. Gezahlt wird der
Arbeiter aber erst, nachdem seine Arbeitskraft gewirkt und sowohl ihren
eignen Wert als den Mehrwert in Waren realisiert hat. Er hat also wie den
Mehrwert, den wir einstweilen nur als Konsumtionsfonds des Kapitalisten
betrachten, so den Fonds seiner eignen Zahlung, das variable Kapital,
produziert, bevor es ihm in der Form des Arbeitslohnes zuruckflieBt, und
er wird nur so lange beschaftigt, als er ihn bestandig reproduziert. Daher
die im sechzehnten Kapitel unter II. erwahnte Formel der Okonomen, die
das Salair als Anteil am Produkt selbst darstellt. 990 Es ist ein Teil des vom
Arbeiter selbst bestandig reproduzierten Produkts, das ihm in der Form des
Arbeitslohns bestandig zuruckflieBt. Der Kapitalist zahlt ihm den
Waren wert allerdings in Geld. Dies Geld ist aber nur die verwandelte Form
des Arbeitsprodukts. Wahrend der Arbeiter einen Teil der
Produktionsmittel in Produkt verwandelt, riickverwandelt sich ein Teil
seines friiheren Produkts in Geld. Es ist seine Arbeit von voriger Woche
oder vom letzten halben Jahre, womit seine Arbeit von heute oder vom
nachsten halben Jahr gezahlt wird. Die Illusion, welche die Geldform
erzeugt, verschwindet sofort, sobald statt des einzelnen Kapitalisten und
des einzelnen Arbeiters Kapitalistenklasse und Arbeiterklasse betrachtet
werden. Die Kapitalistenklasse gibt der Arbeiterklasse bestandig in
Geldform Anweisungen auf einen Teil des von der letzteren produzierten
und von der erstren angeeigneten Produkts. Diese Anweisungen gibt der
Arbeiter der Kapitalistenklasse ebenso bestandig zuriick und entzieht ihr
damit den ihm selbst zufallenden Teil seines eignen Produkts. Die
Warenform des Produkts und die Geldform der Ware verkleiden die
Transaktion.
Das variable Kapital ist also nur eine besondre historische
Erscheinungsforrn des Fonds von Lebensmitteln oder des Arbeitsfonds,
den der Arbeiter zu seiner Selbsterhaltung und Reproduktion bedarf und
den er in alien Systemen der gesellschaftlichen Produktion stets selbst
produzieren und reproduzieren muB. Der Arbeitsfonds flieBt ihm nur
bestandig in Form von Zahlungsmitteln seiner Arbeit zu, weil sein eignes
Produkt sich bestandig in der Form des Kapitals von ihm entfernt. Aber
diese Erscheinungsforrn des Arbeitsfonds andert nichts daran, daB dem
Arbeiter seine eigne vergegenstandlichte Arbeit vom Kapitalisten
vorgeschossen wird. 991 Nehmen wir einen Fronbauer. Er arbeitet mit
seinen eignen Produktionsrnitteln auf seinem eignen Acker z.B. 3 Tage in
der Woche. Die drei andren Wochentage verrichtet er Fronarbeit auf dem
herrschaftlichen Gut. Er reproduziert seinen eignen Arbeitsfonds
bestandig, und dieser erhalt ihm gegenuber nie die Form von einem Dritten
fur seine Arbeit vorgeschoBner Zahlungsmittel. Im Ersatz erhalt auch
niemals seine unbezahlte Zwangsarbeit die Form freiwilliger und bezahlter
Arbeit. Wenn morgen der Gutsherr den Acker, das Zugvieh, die Samen,
kurz die Produktionsmittel des Fronbauern sich selbst aneignet, so hat
dieser von nun an seine Arbeitskraft an den Fronherrn zu verkaufen. Unter
sonst gleichbleibenden Umstanden wird er nach wie vor 6 Tage in der
Woche arbeiten, 3 Tage fur sich selbst, 3 fur den Exfronherrn, der jetzt in
einen Lohnherrn verwandelt ist. Er wird nach wie vor die
Produktionsmittel als Produktionsmittel vernutzen und ihren Wert auf das
Produkt ubertragen. Nach wie vor wird ein bestimmter Teil des Produkts in
die Reproduktion eingehn. Wie aber die Fronarbeit die Form der
Lohnarbeit, nimmt der vom Fronbauer nach wie vor produzierte und
reproduzierte Arbeitsfonds die Form eines ihm vom Fronherrn
vorgeschoBnen Kapitals an. Der burgerliche Okonom, dessen beschranktes
Hirn die Erscheinungsform von dem, was darin erscheint, nicht trennen
kann, schlieBt die Augen vor der Tatsache, daB selbst noch heutzutag der
Arbeitsfonds nur ausnahmsweis auf dem Erdrund in der Form von Kapital
auftritt. 992
Allerdings verliert das variable Kapital nur den Sinn eines aus dem eignen
Fonds des Kapitalisten vorgeschoBnen Wertes 993 , sobald wir den
kapitalistischen ProduktionsprozeB im bestandigen FluB seiner Erneuerung
betrachten. Aber er muB doch irgendwo und irgendwann anfangen. Von
unsrem bisherigen Standpunkt ist es daher wahrscheinlich, daB der
Kapitalist irgendeinmal durch irgendeine, von unbezahlter fremder Arbeit
unabhangige, urspriingliche Akkumulation Geldbesitzer ward und daher
den Markt als Kaufer von Arbeitskraft beschreiten konnte. Indes bewirkt
die bloBe Kontinuitat des kapitalistischen Produktionsprozesses, oder die
einfache Reproduktion, noch andre sonderbare Wechsel, die nicht nur den
variablen Kapitalteil ergreifen, sondern das Gesamtkapital.
Betragt der mit einem Kapital von 1.000 Pfd.St. periodisch, z.B. jahrhch,
erzeugte Mehrwert 200 Pfd.St. und wird dieser Mehrwert jahrhch verzehrt,
so ist es klar, daB nach funfjahriger Wiederholung desselben Prozesses die
Summe des verzehrten Mehrwerts = 5 x 200 ist oder gleich dem
urspriinglich vorgeschoBnen Kapitalwert von 1.000 Pfd.St. Wurde der
jahrliche Mehrwert nur teilweis verzehrt, z.B. nur zur Halfte, so ergabe sich
dasselbe Resultat nach zehnjahriger Wiederholung des
Produktionsprozesses, denn 10 x 100 = 1.000. Allgemein: Der
vorgeschoBne Kapitalwert, dividiert durch den jahrhch verzehrten
Mehrwert, ergibt die Jahresanzahl oder die Anzahl von
Reproduktionsperioden, nach deren Ablauf das urspriinglich
vorgeschoBne Kapital vom Kapitalisten aufgezehrt und daher
verschwunden ist. Die Vorstellung des Kapitalisten, daB er das Produkt der
fremden unbezahlten Arbeit, den Mehrwert, verzehrt und den
urspriinglichen Kapitalwert erhalt, kann absolut nichts an der Tatsache
andern. Nach AbfluB einer gewissen Jahreszahl ist der von ihm geeignete
Kapitalwert gleich der Summe des wahrend derselben Jahreszahl ohne
Aquivalent angeeigneten Mehrwerts und die von ihm verzehrte
Wertsumme gleich dem urspriinglichen Kapitalwert. Allerdings behalt er in
der Hand ein Kapital, dessen GroBe sich nicht verandert hat, wovon ein
Teil, Gebaude, Maschinen usw., bereits vorhanden war, als er sein
Geschaft in Gang brachte. Aber hier handelt es sich vom Wert des Kapitals
und nicht von seinen materiellen Bestandteilen. Wenn jemand sein ganzes
Besitztum aufzehrt dadurch, daB er Schulden aufnimmt, die dem Wert
dieses Besitztums gleichkommen, so reprasentiert eben das ganze
Besitztum nur die Gesamtsumme seiner Schulden. Und ebenso, wenn der
Kapitalist das Aquivalent seines vorgeschoBnen Kapitals aufgezehrt hat,
reprasentiert der Wert dieses Kapitals nur noch die Gesamtsumme des von
ihm unentgeltlich angeeigneten Mehrwerts. Kein Wertatom seines alten
Kapitals existiert fort.
Ganz abgesehn von aller Akkumulation verwandelt also die bloBe
Kontinuitat des Produktionsprozesses, oder die einfache Reproduktion,
nach kiirzerer oder langerer Periode jedes Kapital notwendig in
akkumuliertes Kapital oder kapitalisierten Mehrwert. War es selbst bei
seinem Eintritt in den ProduktionsprozeB personlich erarbeitetes Eigentum
seines Anwenders, friiher oder spater wird es ohne Aquivalent
angeeigneter Wert oder Materiatur, ob in Geldform oder anders,
unbezahlter fremder Arbeit.
Wir sahen im vierten Kapitel: Um Geld in Kapital zu verwandeln, geniigte
nicht das Vorhandensein von Warenproduktion 994 und Warenzirkulation.
Es muBten erst, hier Besitzer von Wert oder Geld, dort Besitzer der
wertschaffenden Substanz; hier Besitzer von Produktions- und
Lebensmitteln, dort Besitzer von nichts als Arbeitskraft, einander als
Kaufer und Verkaufer gegeniibertreten. Scheidung zwischen dem
Arbeitsprodukt und der Arbeit selbst, zwischen den objektiven
Arbeitsbedingungen und der subjektiven Arbeitskraft, war also die
tatsachlich gegebne Grundlage, der Ausgangspunkt des kapitalistischen
Produktionsprozesses.
Was aber anfangs nur Ausgangspunkt war, wird vermittelst der bloBen
Kontinuitat des Prozesses, der einfachen Reproduktion, stets aufs neue
produziert und verewigt als eignes Resultat der kapitalistischen Produktion.
Einerseits verwandelt der ProduktionsprozeB fortwahrend den stofflichen
Reichtum in Kapital, in Verwertungs- und GenuBmittel fiir den
Kapitalisten. Andrerseits kommt der Arbeiter bestandig aus dem ProzeB
heraus, wie er in ihn eintrat - personliche Quelle des Reichtums, aber
entbloBt von alien Mitteln, diesen Reichtum fiir sich zu verwirklichen. Da
vor seinem Eintritt in den ProzeB seine eigne Arbeit ihm selbst entfremdet,
dem Kapitalisten angeeignet und dem Kapital einverleibt ist,
vergegenstandlicht sie sich wahrend des Prozesses bestandig in fremdem
Produkt. Da der ProduktionsprozeB zugleich der KonsumtionsprozeB der
Arbeitskraft durch den Kapitalisten, verwandelt sich das Produkt des
Arbeiters nicht nur fortwahrend in Ware, sondern in Kapital, Wert, der die
wertschopfende Kraft aussaugt, Lebensmittel, die Personen kaufen,
Produktionsmittel, die den Produzenten anwenden. 995 Der Arbeiter selbst
produziert daher bestandig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm
fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist
produziert ebenso bestandig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren
eignen Vergegenstandlichungs- und Verwirklichungsmittein getrennte,
abstrakte, in der bloBen Leiblichkeit des Arbeiters existierende
Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter. 996 Diese bestandige
Reproduktion oder Verewigung des Arbeiters ist das sine qua nom'" der
kapitalistischen Produktion.
3. die unerlaBliche Bedingung
1. Rossi wiirde nicht so emphatisch diesen Punkt verdeklamieren, ware er wirklich in das Geheimnis
der "productive consumption" eingedrungen.
l.»Die Arbeiter in den Bergwerken Siidamerikas, der en tdgliches Geschaft (das schwerste
vielleicht in der Welt) darin besteht, eine Last Erz, im Gewicht von 180 bis 200 Pfund, aus einer Tiefe
Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst
konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in
Produkte von hoherem Wert als dem des vorgeschoBnen Kapitals. Dies ist
seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner
Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andrerseits
verwendet der Arbeiter das fur den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in
Lebensmittel: dies ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und
die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In
der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehort dem
Kapitalisten; in der zweiten gehort er sich selbst und verrichtet
Lebensfunktionen auBerhalb des Produktionsprozesses. Das Resultat der
einen ist das Leben des Kapitalisten, das der andern ist das Leben des
Arbeiters selbst.
Bei Betrachtung des 'Arbeitstags" usw. zeigte sich gelegentlich, daB der
Arbeiter oft gezwungen ist, seine individuelle Konsumtion zu einem
bloBen Inzident des Produktionsprozesses zu machen. In diesem Fall setzt
er sich Lebensmittel zu, um seine Arbeitskraft im Gang zu halten, wie der
Dampfmaschine Kohle und Wasser, dem Rad 01 zugesetzt wird. Seine
Konsumtionsmittel sind dann bloB Konsumtionsmittel eines
Produktionsmittels, seine individuelle Konsumtion direkt produktive
Konsumtion. Dies erscheint jedoch als ein dem kapitalistischen
ProduktionsprozeB unwesentlicher MiBbrauch ." 8
Anders sieht die Sache aus, sobald wir nicht den einzelnen Kapitalisten
und den einzelnen Arbeiter betrachten, sondern die Kapitalistenklasse und
die Arbeiterklasse, nicht den vereinzelten ProduktionsprozeB der Ware,
sondern den kapitalistischen ProduktionsprozeB in seinem MuB und in
seinem gesellschaftlichen Umfang. - Wenn der Kapitalist einen Teil seines
Kapitals in Arbeitskraft umsetzt, verwertet er damit sein Gesamtkapital. Er
schlagt zwei Fliegen mit einer Klappe. Er profitiert nicht nur von dem, was
er vom Arbeiter empfangt, sondern auch von dem, was er ihm gibt. Das im
Austausch gegen Arbeitskraft verauBerte Kapital wird in Lebensmittel
verwandelt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel, Nerven, Knochen,
Hirn vorhandner Arbeiter zu reproduzieren und neue Arbeiter zu zeugen.
Innerhalb der Grenzen des absolut Notwendigen ist daher die individuelle
Konsumtion der Arbeiterklasse Ruckverwandlung der vom Kapital gegen
Arbeitskraft verauBerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploitierbare
Arbeitskraft. Sie ist Produktion und Reproduktion des dem Kapitalisten
unentbehrlichsten Produktionsmittels, des Arbeiters selbst. Die individuelle
Konsumtion des Arbeiters bleibt also ein Moment der Produktion und
Reproduktion des Kapitals, ob sie innerhalb oder auBerhalb der Werkstatt,
Fabrik usw., innerhalb oder auBerhalb des Arbeitsprozesses vorgeht, ganz
wie die Reinigung der Maschine, ob sie wahrend des Arbeitsprozesses
oder bestimmter Pausen desselben geschieht. Es tut nichts zur Sache, daB
der Arbeiter seine individuelle Konsumtion sich selbst und nicht dem
Kapitalisten zulieb vollzieht. So bleibt der Konsum des Lastviehs nicht
minder ein notwendiges Moment des Produktionsprozesses, weil das Vieh
selbst genieBt, was es frlBt. Die bestandige Erhaltung und Reproduktion
der Arbeiterklasse bleibt bestandige Bedingun fur die Reproduktion des
Kapitals. Der Kapitalist kann ihre Erfullung getrost dem Selbsterhaltungs-
und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter uberlassen. Er sorgt nur dafur, ihre
individuelle Konsumtion moglichst auf das Notwendige einzuschranken,
und ist himmelweit entfernt von jener sudamerikanischen Roheit, die den
Arbeiter zwingt, substantiellere statt weniger substantieller Nahrungsmittel
einzunehmen. 9 "
Daher betrachtet auch der Kapitalist und sein Ideolog, der politische
Okonom, nur den Teil der individuellen Konsumtion des Arbeiters als
produktiv, der zur Verewigung der Arbeiterklasse erheischt ist, also in der
Tat verzehrt werden muB, damit das Kapital die Arbeitskraft verzehre; Was
der Arbeiter auBerdem zu seinem Vergniigen verzehren mag, ist
unproduktive Konsumtion. 1000 Wiirde die Akkumulation des Kapitals eine
l.James Mill, I.e. p. 238 sqq.
2.»Stiege der Preis der Arbeit so hoch, dafi trotz des Zuwachses von Kapital nicht mehr Arbeit
angewandt werden konnte, so wiirde ich sagen, dafi solcher Zuwachs von Kapital unproduktiv
konsumiert wird.« (Ricardo, I.e. p. 163.)
3.»Die einzig produktive Konsumtion im eigentlichen Sinn ist die Konsumtion oder Zerstorung
von Reichtum [er meint den Verbrauch der Produktionsmittel] durch Kapitalisten zum Zwecke der
Reproduktion ... Der Arbeiter... ist ein produktiver Konsument fur die Person, die ihn anwendet, und
fitr den Staat, aber, genau gesprochen, nicht fur sich selbst.« (Malthus, "Definitions etc.", p. 30.)
l.»Das einzige Ding, wovon man sagen kann, dafi es aufgespeichert und vorher prapariert ist,
ist das Geschick des Arbeiters ... Die Akkumulation und Aufspeicherung geschickter Arbeit, diese
wichtigste Operation wird, was die grofie Masse der Arbeiter betrifft, ohne irgendwelches Kapital
vollbracht.« (Hodgskin, "Labour Defended etc.", p. 12, 13.)
2.»Dieser Brief kann als das Manifest der Fabrikanten angesehen werden.« (Ferrand, Motion
aber den cotton fainine [Antrag iiber die Baumwollnot], Sitzung des H. o. C. vom 27. April 1863.)
l.Man erinnert sich, dafi dasselbe Kapital aus einem andren Loch pfeift unter gewohnlichen
Umstanden, wenn es gilt, den Arbeitslohn herabzusetzen. Dann erklaren "die Meister" aus einem Munde
(sieh Vierter Abschnitt, Note 188, S.389 [Siehe MEW, Band 23, S.446]): »Fabrikarbeiter sollten in
heilsamer Erinnerung halten, dafi ihre Arbeit in der Tat eine sehr niedrige Sorte geschickter Arbeit ist,
dafi keine leichter aneigenbar und in Anbetracht ihrer Qualitdt besser belohnt ist, dafi keine durch
kurze Unterweisung des mindest Erfahrnen in so kurzer Zeit und in solchem Uberflufi zugefiihrt
werden kann. Des Meisters Maschinerie [die, wie wir jetzt horen, in 12 Monaten mit Vorteil und
verbessert ersetzt werden kann] spielt in der Tat eine viel wichtigere Rolle in dem Geschaft der
Produktion als die Arbeit und das Geschick des Arbeiters [die jetzt in 30 Jahren nicht ersetzbar sind], die
eine Erziehung von 6 Monaten lehren undjeder Bauernknecht lernen kann.«
l.Marx spielt hier auf das Benehmen des Hofmarschalls von Kalb in Schillers Trauerspiel "Kabale
und Liebe" an. In der 2. Szene des 3. Aktes weigert sich Kalb zunachst, an der Intrige teilzunehmen, die vom
Prasidenten am Hofe eines deutschen Fiirsten angezettelt wird. Daraufhin droht der President mit seinem
Riicktritt, der gleichzeitig den Fall des Hofmarschalls bedeuten wiirde: »Und ich? - Sie haben gut
schwatzen, Sie! Sie sind ein Studierter! Aber ich, - mon Dieu! was bin denn ich, wenn mich Seine
Durchlaucht entlassen?«
1. 'Times', 24.March 1863.
l.geistreiches Gedankenspiel
2. Das Parlament votierte keinen Farthing fur Emigration, sondern nur Gesetze, welche die
Munizipalitaten befahigten, die Arbeiter zwischen Leben und Sterben zu halten oder sie zu exploitieren,
ohne Zahlung von Normallohnen. Als dagegen drei Jahre spater die Rinderseuche ausbrach, durchbrach das
Parlament wild sogar die parlamentarische Etikette und votierte im Umsehn Millionen zur Schadloshaltung
der Millionare von Landlords, deren Pachter sich ohnehin durch Steigerung der Fleischpreise schadlos
hielten. Das bestiale Gebriill der Grundeigentiimer bei Eroffnung des Parlaments von 1866 bewies, daB
man nicht Hindu zu sein braucht, um die Kuh Sabala anzubeten, noch Jupiter, um sich in einen Ochsen zu
verwandeln.
Erhohung des Arbeitslohns und daher Vermehrung der
Konsumtionsmittel des Arbeiters verursachen ohne Konsum von mehr
Arbeitskraft durch das Kapital, so ware das zuschussige Kapital
unproduktiv konsumiert. 1001 In der Tat: die individuelle Konsumtion des
Arbeiters ist fur inn selbst unproduktiv, denn sie reproduziert nur das
bediirftige Individuum; sie ist produktiv fiir den Kapitalisten und den Staat,
denn sie ist Produktion der den fremden Reichtum produzierenden
Kraft. 1002
Von gesellschaftlichem Standpunkt ist also die Arbeiterklasse, auch
auBerhalb des unmittelbaren Arbeitsprozesses, ebensosehrZubehor des
Kapitals als das tote Arbeitsinstrument. Selbst ihre individuelle
Konsumtion ist innerhalb gewisser Grenzen nur ein Moment des
Reproduktionsprozesses des Kapitals. Der ProzeB aber sorgt dafiir, daB
diese selbstbewuBten Produktionsinstrumente nicht weglaufen, indem er
ihr Produkt bestandig von ihrem Pol zum Gegenpol des Kapitals entfernt.
Die individuelle Konsumtion sorgt einerseits fiir ihre eigne Erhaltung und
Reproduktion, andrerseits durch Vernichtung der Lebensmittel fiir ihr
bestandiges Wiedererscheinen auf dem Arbeitsmarkt. Der romische Sklave
war durch Ketten, der Lohnarbeiter ist durch unsichtbare Faden an seinen
Eigentiime, gebunden. Der Schein seiner Unabhangigkeit wird durch den
bestandigen Wechsel der individuellen Lohnherrn und die fictio juris des
Kontrakts aufrechterhalten.
Friiher machte das Kapital, wo es ihm notig schien, sein Eigentumsrecht
auf den freien Arbeiter durch Zwangsgesetz geltend. So war z.B. die
Emigration der Maschinenarbeiter in England bis 1815 bei schwerer Strafe
verboten.
Die Reproduktion der Arbeiterklasse schlieBt zugleich die Uberlieferung
und Haufung des Geschicks von einer Generation zur andren ein. 1003 Wie
sehr der Kapitalist das Dasein einer solchen geschickten Arbeiterklasse
unter die ihm zugehorigen Produktionsbedingungen zahlt, sie in der Tat als
die reale Existenz seines variablen Kapitals betrachtet, zeigt sich, sobald
eine Krise deren Verlust androht. Infolge des Amerikanischen Biirgerkriegs
und der ihn begleitenden Baumwollnot wurde bekanntlich die Mehrzahl
der Baumwollarbeiter in Lancashire usw. aufs Pflaster geworfen. Aus dem
SchoB der Arbeiterklasse selbst, wie andrer Gesellschaftsschichten, erhob
sich der Ruf nach Staatsunterstiitzung oder freiwilliger Nationalkollekte,
um die Emigration der "Uberfliissigen" in englische Kolonien oder die
Vereinigten Staaten zu ermoglichen. Damals veroffentlichte die 'Times' (24
Marz 1863) einen Brief von Edmund Potter, friiher President der
Manchester Handelskammer. Sein Brief ward mit Recht im Unterhaus als
"das Manifest der Fabrikanten" bezeichnet. 1004 Wir geben hier einige
charakteristische Stellen, worin der Eigentumstitel des Kapitals auf die
Arbeitskraft unverbliimt ausgesprochen wird.
»Den Baumwollarbeitern mag gesagt werden, dafi ihre Zufuhr zu grofi
ist ... Sie mtisse vielleicht um ein Dritteil reduziert werden, und dann
wiirde eine gesunde Nachfrage fur die ubrigen zwei Dritteile eintreten...
Die offentliche Meinung dringt auf Emigration... Der Meister [d.h. der
Baumwollfabrikant] kann nicht willig seine Arbeitszufuhr entfernt sehn;
er mag denken, dafi das ebenso ungerecht als unrichtig ist... Wenn die
Emigration aus offentlichen Fonds unterstiitzt wird, hat er ein Recht,
Gehor zu verlangen und vielleicht zu protestieren.«
Selbiger Potter setzt dann weiter auseinander, wie nutzlich die
Baumwollindustrie, wie »sie unzweifelhaft die Bevolkerung aus Irland
und den englischen Agrikulturdistrikten wegdrainiert hat«, wie
ungeheuer ihr Umfang, wie sie im Jahr 1860 5/i 3 des ganzen englischen
Exporthandels lieferte, wie sie nach wenigen Jahren sich wieder ausdehnen
werde durch Erweiterung des Markts, besonders Indiens, und durch
Erzwingung hinreichender »Baumwollzufuhr, zu 6 d. das Pfund«. Er fahrt
dann fort:
»Zeit - ein, zwei, drei Jahre vielleicht - wird die notige Quantitat
produzieren... Ich mochte dann die Frage stellen, ist diese Industrie
wert, sie festzuhalten, ist es der Miihe wert, die Maschinerie [namlich die
lebendigen Arbeitsmaschinen] in Ordnung zu halten, und ist es nicht die
grofite Narrheit, daran zu denken, sie aufzugeben! Ich glaube das. Ich
will zugeben, dafi die Arbeiter nicht Eigentum sind (I allow that the
workers are not a property), nicht das Eigentum Lancashires und der
Meister; aber sie sind die Starke beider; sie sind die geistige und
geschulte Kraft, die in einer Generation nicht ersetzt werden kann; die
andere Maschinerie dagegen, woran sie arbeiten (the mere machinery
which they work), konnte zum grofien Teil mit Vorteil ersetzt und
verbessert werden in zwolf Monaten. 1005 Ermuntert oder erlaubt [!] die
Emigration der Arbeitskraft, und was wird aus dem Kapitalisten?
(Encourage or allow the working power to emigrate, and what of the
capitalist? ')«
Dieser HerzensstoB erinnert an Hofmarschall Kalb. 1006
»... Nehmt den Rahm der Arbeiter weg, und das fixe Kapital wird in
hohem Grade entwertet und das zirkulierende Kapital wird sich nicht
dem Kampfmit schmaler Zufuhr einer niedrigeren Sorte von Arbeit
aussetzen... Man sagt uns, die Arbeiter selbst wiinschen die Emigration.
Es ist sehr natiirlich, dafi sie das tun... Reduziert, komprimiert das
Baumwollgeschaft durch Wegnahme seiner Arbeitskrafte (by taking away
its working power), durch Verminderung ihrer Lohnverausgabung sage
um 1/3 oder 5 Millionen, und was wird dann aus der nachsten Klasse
tiber ihnen, den Kleinkramern? Was aus den Grundrenten, was aus der
Miete der cottages? ... was aus dem kleinen Pachter, dem besseren
Hausbesitzer und dem Grundeigentumer? Und sagt nun, ob irgendein
Plan fur alle Klassen des Landes selbstmorderischer sein kann als dieser,
die Nation zu schwachen durch den Export ihrer besten Fabrikarbeiter
und die Entwertung eines Teils ihres produktivsten Kapitals und
Reichtums? '« »Ich rate zu einer Anleihe von 5 bis 6 Millionen, Uber2
oder 3 Jahre verteilt, administriert durch Spezialkommissare,
beigeordnet den Armenverwaltungen in den Baumwolldistrikten, unter
speziellen gesetzlichen Regulationen, mit gewisser Zwangsarbeit, um die
moralische Valuta der Almosenempfanger aufrechtzuerhalten... Kann es
irgend etwas Schlimmeres gebenfiir Grundeigentumer oder Meister (can
anything be worse for landowners or masters), als ihre besten Arbeiter
aufzugeben und die iibrigbleibenden zu demoralisieren und zu
verstimmen durch eine ausgedehnte entleerende Emigration und
Entleerung von Wert und Kapital in einer ganzen Provinz?«
Potter, das auserwahlte Organ der Baumwollfabrikanten, unterscheidet
doppelte "Maschinerie", deren jede dem Kapitalisten gehort und wovon
die eine in seiner Fabrik steht, die andre des Nachts und Sonntags
auswartig in cottages haust. Die eine ist tot, die andre lebendig. Die tote
Maschinerie verschlechtert und entwertet sich nicht nur jeden Tag, sondern
von existierenden Masse veraltet ein groBer Teil durch den steten
technischen Fortschritt bestandig so sehr, daB sie vorteilhaft und in
wenigen Monaten durch neuere Maschinerie ersetzbar. Die lebendige
Maschinerie verbessert sich umgekehrt, je langer sie wahrt, je mehr sie das
Geschick von Generationen in sich aufhauft. Die "Times" antwortete dem
Fabrikmagnaten u.a.:
»Herr E.Potter ist so impressioniert von der aufierordentlichen und
absoluten Wichtigkeit der Baumwollmeister, dafi er, um diese Klasse zu
erhalten und ihr Metier zu verewigen, eine halbe Million der
Arbeiterklasse wider ihren Willen in ein grofies moralisches Workhouse
einsperren will. Ist diese Industrie wert, sie festzuhalten? fragt Herr
Potter. Sicher, durch alle ehrbaren Mittel, antworten wir. Ist es der
Miihe wert, die Maschinerie in Ordnung zu halten? fragt wieder Herr
Potter. Hier stutzen wir. Unter der Maschinerie versteht Herr Potter die
menschliche Maschinerie, denn er beteuert, dafi er sie nicht als absolutes
Eigentum zu behandeln vorhat. Wir miissen gestehn, wir halten es nicht
"der Miihe wert" oder selbstfiir moglich, die menschliche Maschinerie in
Ordnung zu halten, d.h. sie einzusperren und einzuolen, bis man ihrer
bedarf. Menschliche Maschinerie hat die Eigenschaft, wahrend der
Untatigkeit zu verrosten, ihr mogt noch soviel dran olen oder reiben.
Zudem ist menschliche Maschinerie, wie der Augenschein uns eben lehrt,
imstand, von eignen Stiicken den Damp f anzulas sen und zu platzen oder
einen Veitstanz in unsren grofien Stadten zu tollen. Es mag, wie Herr
Potter sagt, langer e Zeit zur Reproduktion der Arbeiter erheischt sein,
aber mit Maschinisten und Geld zur Hand werden wir stets betriebsame,
harte, industrielle Manner finden, um daraus mehr Fabrikmeister zu
fabrizieren, als wir je verbrauchen konnen... Herr Potter plaudert von
einer Wiederbelebung der Industrie in 1, 2, 3 Jahren und verlangt von
uns, die Emigration der Arbeitskraft nicht zu ermuntern oder nicht zu
erlauben! Er sagt, es sei natiirlich, dafi die Arbeiter zu emigrieren
wiinschen, aber er meint, dafi die Nation diese halbe Million Arbeiter mit
den 700.000, die an ihnen hangen, ihr em Verlangen zum Trotz in die
Baumwolldistrikte einsperren und, eine notwendige Konsequenz, ihr
Mifivergniigen durch Gewalt niederschlagen und sie selbst durch
Almosen fristen mufi, alles das aufdie Chance hin, dafi die
Baurnwollmeister ihrer an einem beliebigen Tag wieder bediirfen
mogen... Die Zeit ist gekommen, wo die grofie offentliche Meinung dieser
Eilande etwas tun mufi, um "diese Arbeitskraft" vor denen zu retten, die
sie behandeln wollen, wie sie Kohle, Eisen und Baumwolle behandeln (to
save this "working power" from those who would deal with it as they deal
with iron, coal and cotton).« 1001
Der 'Times'-Artikel war nur ein jeu d'esprit 1008 . Die »grofie offentliche
Meinung« war in der Tat der Meinung des Herrn Potter, daB die
Fabrikarbeiter Mobiliarzubehor der Fabriken. Ihre Emigration wurde
verhindert. 1009 Man sperrte sie in das »moralische Workhouse« der
Baumwolldistrikte, und sie bilden nach wie vor »die Starke (the strength)
der Baurnwollmeister von Lancashire«
Der kapitalistische ProduktionsprozeB reproduziert also durch seinen
eignen Vorgang die Scheidung zwischen Arbeitskraft und
Arbeitsbedingungen. Er reproduziert und verewigt dann die
Exploitationsbedingungen des Arbeiters. Er zwingt bestandig den Arbeiter
zum Verkauf seiner Arbeitskraft, um zu leben, und befahigt bestandig den
Kapitalisten zu ihrem Kauf, um sich zu bereichern. 1010 Es ist nicht mehr
l.»Der Arbeiter forderte Unterhaltsmittel, um zu leben, der Chef forderte Arbeit, um zu
verdienen.« (Sismondi, I.e. p. 91.)
2. Eine bauerlich plumpe Form dieser Horigkeit existiert in der Grafschaft Durham. Es ist dies eine
der wenigen Grafschaften, worin die Verhaltnisse dem Pachter nicht unbestrittnen Eigentumstitel auf die
Ackerbautaglohner sichern. Die Bergwerkindustrie erlaubt letzteren eine Wahl. Der Pachter, im Gegensatz
zur Regel, iibernimmt hier daher nur Pacht von Landereien, worauf sich cottages fur die Arbeiter befinden.
Der Mietpreis der cottages bildet Teil des Arbeitslohns. Diese cottages heiBen "hind's houses"
["Landarbeiterhauser"]. Sie werden den Arbeitern unter gewissen Feudalverpflichtungen vermietet, unter
einem Vertrag, der "bondage" (Horigkeit) heiBt und den Arbeiter z.B. bindet, fur die Zeit, wahrend deren er
anderswo beschaftigt ist, seine Tochter usw. zu stellen. Der Arbeiter selbst heiBt bondsman, Horiger. Dies
Verhaltnis zeigt auch die individuelle Konsumtion des Arbeiters als Konsumtion fur das Kapital oder
produktive Konsumtion - von einer ganz neuen Seite: »Es ist merkwurdig zu beobachten, wie selbst der
Kot dieses bondsman zu den Sporteln an seinen kalkulierenden Gebieter zahlt... Der Pachter erlaubt in
der ganzen Nachbarschaft keinen Abtritt aufier seinem eignen und duldet in dieser Beziehung keinen
Abschlag von seinen Suzerainrechten.« ("Public Health. VII. Rep. 1864", p. 188.)
3. Man erinnert sich, daB bei der Arbeit der Kinder usw. selbst die Formalitat des Selbstverkaufs
verschwindet.
der Zufall, welcher Kapitalist und Arbeiter als Kaufer und Verkaufer
einander auf dem Warenmarkt gegeniiberstellt. Es ist die Zwickmuhle des
Prozesses selbst, die den einen stets als Verkaufer seiner Arbeitskraft auf
den Warenmarkt zuriickschleudert und sein eignes Produkt stets in das
Kaufmittel des andren verwandelt. In der Tat gehort der Arbeiter dem
Kapital, bevor er sich dem Kapitalisten verkauft. Seine okonomische
Horigkeit 1011 ist zugleich vermittelt und zugleich versteckt durch die
periodische Erneurung seines Selbstverkaufs, den Wechsel seiner
individuellen Lohnherrn und die Oszillation im Marktpreise der Arbeit. 1012
l.»Das Kapital setzt die Lohnarbeit, die Lohnarbeit setzt das Kapital voraus. Sie bedingen sich
wechselseitig, sie bringen sich wechselseitig hervor. Ein Arbeiter in einer Baumwollfabrik, produziert
er nur Baumwollstoffe ? Nein, er produziert Kapital. Er produziert Werte, die von neuem dazu dienen,
seine Arbeit zu kommandieren und vermittelst derselben neue Werte zu schaffen.« (Karl Marx,
"Lohnarbeit und Kapital" in 'N[eue] Rh[einische] Z[eitung]' Nr.266, 7. April 1849.) Die unter diesem Titel
in der 'N.Rh.Z.' veroffentlichten Artikel sind Bruchstucke der Vorlelesungen, die ich iiber jenes Thema
1847 im deutschen Arbeiterverein in Briissel* hielt und deren Druck durch die Februarrevolution
unterbrochen wurde. [Siehe MEW, Band 6, S.410]
Der kapitalistische ProduktionsprozeB, im Zusammenhang betrachtet oder
als ReproduktionsprozeB, produziert also nicht nur Ware, nicht nur
Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhaltnis selbst, auf
der einen Seite den Kapitalisten, auf der andren den Lohnarbeiter. 1013
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Verwandlung von Mehrwert in Kapital
1. Kapitalistischer ProduktionsprozeB auf erweiterter Stufenleiter.
Umschlag der Eigentumsgesetze der Warenproduktion in Gesetze
der kapitalistischen Aneignung
Friiher hatten wir zu betrachten, wie der Mehrwert aus dem Kapital, jetzt
wie das Kapital aus dem Mehrwert entspringt. Anwendung von Mehrwert
als Kapital oder Ruckverwandlung von Mehrwert in Kapital heiBt
Akkumulation des Kapitals. 1014
l."Akkumulation des Kapitals: die Verwendung eines Teiles der Revenue als Kapital." (Malthus,
"Definitions etc.", ed. Cazenove, p. 11.) "Verwandlung von Revenue in Kapital." (Malthus, "Princ. of Pol.
Econ.", 2nd ed., Lond. 1836, p. 320.)
l.Es wird hier abstrahiert vom Ausfuhrhandel, vermittelst dessen eine Nation Luxusartikel in
Produktions- oder Lebensmittel umsetzen kann und umgekehrt. Um den Gegenstand der Untersuchung in
seiner Reinheit, frei von storenden Nebenumstanden aufzufassen, mussen wir hier die gesamte Handelswelt
als eine Nation ansehn und voraussetzen, daB die kapitalistische Produktion sich iiberall festgesetzt und
sich aller Industriezweige bemachtigt hat.
l.Sismondis Analyse der Akkumulation hat den groBen Fehler, daB er sich zu sehr mit der Phrase:
"Umsetzung von Revenue in Kapital" begniigt, ohne die materiellen Bedingungen dieser Operation zu
ergriinden. [Simonde de Sismondi, "Nouveaux principes d'economie politique", Bd.l, Paris 1819, S.l 19.]
1 .Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob usw. - Das Matthaus-Evangelium berichtet im ersten
Kapitel davon, wie die Nachkommenschaft Abrahams, des Urvaters der Israeliten, allmahlich wuchs und aus
ihr schlieBlich das ganze jiidische Volk hervorging.
l.»Die urspriingliche Arbeit, der sein Kapital seine Entstehung schuldete.« (Sismondi, I.e., ed.
Paris, t.I, p. 109.)
l.»Die Arbeit schafft das Kapital, bevor das Kapital die Arbeit anwendet.« (»Labour creates
capital, before capital employs labour. «) (E.C. Wakefield, "England and America", London 1833, v.II,
p.110.)
l.Das Eigentum des Kapitalisten an dem fremden Arbeitsprodukt »ist strenge Konsequenz des
Gesetzes der Aneignung, dessen Fundamentalprinzip umgekehrt der ausschliefiliche Eigentumstitel
jedes Arbeiters am Produkt seiner eignen Arbeit war«. (Cherbuliez: "Richesse ou Pauvrete", Paris 1841,
p. 58, wo jedoch dieser dialektische Umschlag nicht richtig entwickelt wird.)
l.»Mehrere aufeinander folgende Tauschakte machen aus dem letzten nur den Reprasentanten des
ersten. «
l.»Von denen, die sich in das nationale Einkommen teilen, erwerben die einen [die Arbeiter]
jedes Jahr durch neue Arbeit ein neues Recht darauf, die andren [die Kapitalisten] haben bereits
vorher durch eine urspriingliche Arbeit ein dauerndes Recht darauf erworben. «
l.»Alle beide gewannen noch; der Arbeiter, well man ihm die Fruchte seiner Arbeit
Betrachten wir diesen Vorgang zunachst vom Standpunkt des einzelnen
Kapitalisten. Ein Spinner z.B. habe ein Kapital von 10.000 Pfd.St.
vorgeschossen, wovon vier Funftel in Baumwolle, Maschinen etc., das
letzte Funftel in Arbeitslohn. Er produziere jahrlich 240.000 Pfd. Garn zum
Wert von 12.000 Pfd.St. Bei einer Rate des Mehrwerts von 100% steckt der
Mehrwert im Mehrprodukt oder Nettoprodukt von 40.000 Pfd. Garn,
einem Sechstel des Bruttoprodukts, zum Wert von 2.000 Pfd. Sterling, den
der Verkauf realisieren wird. Eine Wertsumme von 2.000 Pfd. St. ist eine
Wertsumme von 2.000 Pfd. St. Man riecht und sieht diesem Gelde nicht
an, daB es Mehrwert ist. Der Charakter eines Werts als Mehrwert zeigt, wie
er zu seinem Eigner kam, andert aber nichts an der Natur des Werts oder
des Geldes.
Um die neu hinzugekommne Summe von 2.000 Pfd.St. in Kapital zu
verwandeln, wird also der Spinner, alle andern Umstande gleichbleibend,
vier Funftel davon vorschieBen im Ankauf von Baumwolle usw. und ein
Funftel im Ankauf neuer Spinnarbeiter, die auf dem Markte die
Lebensmittel finden werden, deren Wert er ihnen vorgeschossen hat. Dann
fungiert das neue Kapital von 2.000 Pfd.St. in der Spinnerei und bringt
seinerseits einen Mehrwert von 400 Pfd. ein.
Der Kapitalwert war urspriinglich vorgeschossen in Geldform; der
Mehrwert dagegen existiert von vornherein als Wert eines bestimmten
Teils des Bruttoprodukts. Wird dieses verkauft, in Geld verwandelt, so
gewinnt der Kapitalwert seine urspriingliche Form wieder, aber der
Mehrwert verwandelt seine urspriingliche Daseinsweise. Von diesem
Augenblick an sind jedoch Kapitalwert und Mehrwert beides
Geldsummen, und ihre Wiederverwandlung in Kapital vollzieht sich auf
ganz dieselbe Weise. Die eine wie die andre legt der Kapitalist an im
Ankauf der Waren, die ihn instand setzen, die Verfertigung seines Artikels
von neuem zu beginnen, und zwar diesmal auf erweiterter Stufenleiter. Um
aber diese Waren zu kaufen, muB er sie auf dem Markte vorfinden.
Seine eignen Game zirkulieren nur, weil er sein Jahresprodukt auf den
Markt bringt, wie das alle andem Kapitalisten mit ihren Waren ebenfalls
tun. Aber ehe sie auf den Markt kamen, hatten sie sich schon befunden im
jahrlichen Produktionsfonds, d.h. der Gesamtmasse der Gegenstande aller
Art, worin die Gesamtsumme der Einzelkapitale oder das gesellschaftliche
Gesamtkapital im Laufe des Jahres sich verwandelt und wovon jeder
Einzelkapitalist nur einen aliquoten Teil in Handen hat. Die Vorgange auf
dem Markt bewerkstelligen nur den Umsatz der einzelnen Bestandteile der
Jahresproduktion, schicken sie von einer Hand in die andre, aber sie
konnen weder die Gesamt- Jahresproduktion vergroBern noch die Natur
der produzierten Gegenstande andern. Welcher Gebrauch also von dem
jahrlichen Gesamtprodukt gemacht werden kann, das hangt ab von seiner
eignen Zusammensetzung, keineswegs aber von der Zirkulation.
Zunachst muB die Jahresproduktion alle die Gegenstande
(Gebrauch swerte) liefern, aus denen die im Lauf des Jahres verbrauchten
sachlichen Bestandteile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser
bleibt das Netto- oder Mehrprodukt, worin der Mehrwert steckt. Und
woraus besteht dies Mehrprodukt? Vielleicht in Dingen, bestimmt zur
Befriedigung der Bediirfnisse und Geliiste der Kapitalistenklasse, die also
in ihren Konsumtionsfonds eingehn? Ware das alles, so wiirde der
Mehrwert verjubelt bis auf die Hefen, und es fande bloB einfache
Reproduktion statt.
Um zu akkumulieren, muB man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital
verwandeln. Aber, ohne Wunder zu tun, kann man nur solche Dinge in
Kapital verwandeln, die im ArbeitsprozeB verwendbar sind, d.h.
Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich
erhalten kann, d.h. Lebensmittel. Folglich muB ein Teil der jahrlichen
Mehrarbeit verwandt worden sein zur Herstellung zusatzlicher
Produktions- und Lebensmittel, im UberschuB iiber das Quantum, das
zum Ersatz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem
Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das
Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile ernes
neuen Kapitals enthalt. 1015
Um nun diese Bestandteile tatsachlich als Kapital fungieren zu lassen,
bedarf die Kapitalistenklasse ernes Zuschusses von Arbeit, Soil nicht die
Ausbeutung der schon beschaftigten Arbeiter extensiv oder intensiv
wachsen, so miissen zusatzliche Arbeitskrafte eingestellt werden. Dafiir hat
der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt,
indem er die Arbeiterklasse reproduziert als vom Arbeitslohn abhangige
Klasse, deren gewohnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu
sichern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese, ihm durch die
Arbeiterklasse auf verschiednen Altersstufen jahrlich gelieferten,
zuschiissigen Arbeitskrafte braucht das Kapital nur noch den in der
Jahresproduktion schon enthaltnen zuschiissigen Produktionsmitteln
einzuverleiben, und die Verwandlung des Mehrwerts in Kapital ist fertig.
Konkret betrachtet, lost sich die Akkumulation auf in Reproduktion des
Kapitals auf progressiver Stufenleiter. Der Kreislauf der einfachen
Reproduktion verandert sich und verwandelt sich, nach Sismondis
Ausdruck, in eine Spirale. 1016
Kehren wir jetzt zu unserm Beispiel zuriick. Es ist die alte Geschichte:
Abraham zeugte Isaak, Isaak zeugte Jakob usw. ll)17 Das urspriingliche
Kapital von 10.000 Pfd.St. bringt einen Mehrwert von 2.000 Pfd.St., der
kapitalisiert wird. Das neue Kapital von 2.000 Pfd.St. bringt einen
Mehrwert von 400 Pfd.St.; dieser, wiederum kapitalisiert, also in ein
zweites zusatzliches Kapital verwandelt, bringt einen neuen Mehrwert von
80 Pfd. St., usw.
Wir sehen hier ab von dem vom Kapitalisten verzehrten Teil des
Mehrwerts. Ebensowenig interessiert es uns fur den Augenblick, ob die
Zusatzkapitale zum urspriinglichen Kapital geschlagen oder von ihm zu
selbstandiger Verwertung getrennt werden; ob derselbe Kapitalist sie
ausnutzt, der sie akkumuliert hat, oder ob er sie andern ubertragt. Nur
durfen wir nicht vergessen, daB neben den neugebildeten Kapitalen das
urspriingliche Kapital fortfahrt sich zu reproduzieren und Mehrwert zu
produzieren, und daB dasselbe gilt von jedem akkumulierten Kapital in
Beziehung auf das von ihm erzeugte Zusatzkapital.
Das urspriingliche Kapital bildete sich durch den VorschuB von 10.000
Pfd.St. Woher hat sie ihr Besitzer? Durch seine eigne Arbeit und die seiner
Vorfahren! antworten uns einstimmig die Wortfuhrer der politischen
Okonomie 1018 , und ihre Annahme scheint in der Tat die einzige die zu den
Gesetzen der Warenproduktion stimmt.
Ganz anders verhalt es sich mit dem Zusatzkapital von 2.000 Pfd.St.
Seinen EntstehungsprozeB kennen wir ganz genau. Es ist kapitalisierter
Mehrwert. Von Ursprang an enthalt er nicht ein einziges Wertatom, das
nicht aus unbezahlter fremder Arbeit herstammt. Die Produktionsmittel,
denen die zuschiissige Arbeitskraft einverleibt wird, wie die Lebensmittel,
von denen diese sich erhalt, sind nichts als integrierende Bestandteile des
Mehrprodukts, des der Arbeiterklasse jahrlich durch die Kapitalistenklasse
entrissenen Tributs. Wenn diese mit einem Teil des Tributs von jener
zusatzliche Arbeitskraft kauft, selbst zum vollen Preise, so daB Aquivalent
sich austauscht gegen Aquivalent - es bleibt immer das alte Verfahren des
Eroberers, der den Besiegten Waren abkauft mit ihrem eignen, geraubten
Geld.
Wenn das Zusatzkapital seinen eignen Produzenten beschaftigt, so muB
dieser erstens fortfahren, das urspriingliche Kapital zu verwerten, und
zudem den Ertrag seiner friiheren Arbeit zuriickkaufen mit mehr Arbeit, als
er gekostet hat. Als Transaktion zwischen der Kapitalistenklasse und der
Arbeiterklasse betrachtet, andert es nichts an der Sache, wenn mit der
unbezahlten Arbeit der bisher beschaftigten Arbeiter zuschiissige Arbeiter
beschaftigt werden. Der Kapitalist verwandelt vielleicht auch das
Zusatzkapital in eine Maschine, die den Produzenten des Zusatzkapitals
aufs Pflaster wirft und durch ein paar Kinder ersetzt. In alien Fallen hat die
Arbeiterklasse durch ihre diesjahrige Mehrarbeit das Kapital geschaffen,
das im nachsten Jahr zuschiissige Arbeit beschaftigen wird. 1019 Das ist es,
was man nennt: Kapital durch Kapital erzeugen.
Die Voraussetzung der Akkumulation des ersten Zusatzkapitals von 2.000
Pfd.St. war eine vom Kapitalisten vorgeschoBne, ihm kraft seiner
"urspriinglichen Arbeit" gehorige Wertsumme von 10.000 Pfd.St. Die
Voraussetzung des zweiten Zusatzkapitals von 400Pfd.St. dagegen ist
nichts andres als die vorhergegangne Akkumulation des ersten, der 2.000
Pfd.St., dessen kapitalisierter Mehrwert es ist. Eigentum an vergangner
unbezahlter Arbeit erscheint jetzt als die einzige Bedingung fur
gegenwartige Aneignung lebendiger unbezahlter Arbeit in stets
wachsendem Umfang. Je mehr der Kapitalist akkumuliert hat, desto mehr
kann er akkumulieren.
Insofern der Mehrwert, woraus Zusatzkapital Nr. I besteht, das Resultat
des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Teil des Originalkapitals war, ein
Kauf, der den Gesetzen des Warenaustausches entsprach, und, juris tisch
betrachtet, nichts voraussetzt als freie Verfiigung auf seiten des Arbeiters
iiber seine eignen Fahigkeiten, auf seiten des Geld- oder Warenbesitzers
iiber ihm gehorige Werte; sofern Zusatzkapital Nr. II usw. bloB Resultat
von Zusatzkapital Nr. I, also Konsequenz jenes ersten Verhaltnisses;
sofern jede einzelne Transaktion fortwahrend dem Gesetz des
Warenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft, der
Arbeiter sie stets verkauft, und wir wo lien annehmen selbst zu ihrem
wirklichen Wert, schlagt offenbar das auf Warenproduktion und
Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des
Privateigen turns durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein
direktes Gegenteil um. Der Austausch von Aquivalenten, der als die
urspriingliche Operation erschien, hat sich so gedreht, daB nur zum Schein
ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte
Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Aquivalent angeeigneten fremden
Arbeitsproduktes ist und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter,
nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muB. Das
Verhaltnis des Austausches zwischen Kapitalist und Arbeiter wird also nur
ein dem ZirkulationsprozeB angehoriger Schein, bloBe Form, die dem
Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert. Der bestandige Kauf und
Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, daB der Kapitalist
einen Teil der bereits vergegenstandlichten fremden Arbeit, die er sich
unaufhorlich ohne Aquivalent aneignet, stets wieder gegen groBeres
Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Urspriinglich erschien uns
das Eigentumsrecht gegriindet auf eigne Arbeit. Wenigstens muBte diese
Annahme gelten, da sich nur gleichberechtigte Warenbesitzer
gegeniiberstehn, das Mittel zur Aneignung fremder Ware aber nur die
VerauBerung der eignen Ware, und letztere nur durch Arbeit herstellbar ist.
Eigentum erscheint jetzt auf Seite des Kapitalisten als das Recht, fremde
unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters als
Unmoglichkeit, sich sein eignes Produkt anzueignen. Die Scheidung
zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines
Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identitat ausging. 1020
Sosehr die kapitalistische Aneignungsweise also den urspriinglichen
Gesetzen der Warenproduktion ins Gesicht zu schlagen scheint, so
entspringt sie doch keineswegs aus der Verletzung, sondern im Gegenteil
aus der Anwendung dieser Gesetze. Ein kurzer Ruckblick auf die
Reihenfolge der Bewegungsphasen, deren SchluBpunkt die kapitalistische
Akkumulation ist, stelle dies nochmals klar.
Zuerst haben wir gesehn, daB die urspriingliche Verwandlung einer
Wertsumme in Kapital sich durchaus gemaB den Gesetzen des
Austausches vollzog. Der eine Kontrahent verkauft seine Arbeitskraft, der
andre kauft sie. Der erstre empfangt den Wert seiner Ware, deren
Gebrauchswert die Arbeit - damit an den zweiten verauBert ist. Dieser
verwandelt nunmehr ihm bereits gehorende Produktionsmittel mit Hilfe
von ihm ebenfalls gehorender Arbeit in ein neues Produkt, das ihm
ebenfalls von Rechts wegen gehort.
Der Wert dieses Produkts schlieBt ein: erstens den Wert der verbrauchten
Produktionsmittel. Die nutzliche Arbeit kann diese Produktionsmittel nicht
verbrauchen, ohne ihren Wert auf das neue Produkt zu ubertragen; um
aber verkauflich zu sein, muB die Arbeitskraft imstande sein, in dem
Industriezweig, wo sie verwandt werden soil, nutzliche Arbeit zu liefern.
Der Wert des neuen Produkts schlieBt ferner ein: das Aquivalent des Werts
der Arbeitskraft und einen Mehrwert. Und zwar deshalb, weil die fur einen
bestimmten Zeitraum, Tag, Woche etc., verkaufte Arbeitskraft weniger
Wert besitzt, als ihr Gebrauch wahrend dieser Zeit schafft. Der Arbeiter
aber hat den Tauschwert seiner Arbeitskraft bezahlt erhalten und hat damit
ihren Gebrauchswert verauBert - wie das beijedem Kauf und Verkauf der
Fall.
DaB diese besondre Ware Arbeitskraft den eigentumlichen Gebrauchswert
hat, Arbeit zu liefern, also Wert zu schaffen, das kann das allgemeine
Gesetz der Warenproduktion nicht beriihren. Wenn also die in Arbeitslohn
vorgeschoBne Wertsumme sich in Produkt nicht bloB einfach wieder
vorfindet, sondern urn einen Mehrwert vermehrt vorfindet, so riihrt dies
nicht her aus einer Ubervorteilung des Verkaufers, der ja den Wert seiner
Ware erhalten, sondern nur aus dem Verbrauch dieser Ware durch den
Kaufer.
Das Gesetz des Austausches bedingt Gleichheit nur fur die Tauschwerte
der gegeneinander weggegebenen Waren. Es bedingt sogar von vornherein
Verschiedenheit ihrer Gebrauchswerte und hat absolut nichts zu schalten
mit ihrem Verbrauch, der erst nach geschloBnem und vollzognem Handel
beginnt.
Die urspriingliche Verwandlung des Geldes in Kapital vollzieht sich also
im genauesten Einklang mit den okonomischen Gesetzen der
Warenproduktion und mit dem daraus sich ableitenden Eigentumsrecht.
Trotzdem aber hat sie zum Ergebnis:
1. daB das Produkt dem Kapitalisten gehort und nicht dem Arbeiter;
2. daB der Wert dieses Produkts, auBer dem Wert des vorgeschoBnen
Kapitals, einen Mehrwert einschlieBt, der dem Arbeiter Arbeit, dem
Kapitalisten aber nichts gekostet hat und der dennoch das rechtmaBige
Eigentum des Kapitalisten wird;
3. daB der Arbeiter seine Arbeitskraft forterhalten hat und sie aufs neue
verkaufen kann, wenn er einen Kaufer findet.
Die einfache Reproduktion ist nur die periodische Wiederholung dieser
ersten Operationi jedesmal wird, stets von neuem, Geld in Kapital
verwandelt. Das Gesetz wird also nicht gebrochen, im Gegentell es erhalt
nur Gelegenheit, sich dauernd zu betatigen.
»Plusieurs echanges successifs n'ontfait du dernier que le representant
du premier.« 1021 (Sismondi, I.e. P.70.)
Und dennoch haben wir gesehn, daB die einfache Reproduktion hinreicht,
um dieser ersten Operation - soweit sie als isolierter Vorgang gefaBt war -
einen total veranderten Charakter aufzupragen.
»Parmi ceux qui se partagent le revenu national, les uns [die Arbeiter] y
acquierent chaque anee un nouveau droit par un nouveau travail, les
autres [die Kapitalisten] y ont acquis anterieurement un droit permanent
par un travail primitif.« 1022 (Sismondi, I.e. p. 110, 111.)
Das Gebiet der Arbeit ist bekanntlich nicht das einzige, wo die Erstgeburt
Wunder tut.
Es verschlagt auch nichts, wenn die einfache Reproduktion ersetzt wird
durch die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter, durch die
Akkumulation. Bei jener vermobelt der Kapitalist den gesamten Mehrwert,
bei dieser beweist er seine Burgertugend durch Verzehrung nur eines Teils,
und Verwandlung des Restes in Geld.
Der Mehrwert ist sein Eigentum, er hat nie einem andern gehort. SchieBt er
ihn zur Produktion vor, so macht er, ganz wie am Tag, wo er zuerst den
Markt beschritt, Vorschusse aus seinem eignen Fonds. DaB dieser Fonds
diesmal aus der unbezahlten Arbeit seiner Arbeiter stammt, tut absolut
nichts zur Sache. Wird Arbeiter B beschaftigt mit dem Mehrwert, den
Arbeiter A produziert hat, so hat erstens A diesen Mehrwert geliefert, ohne
daB man ihm den gerechten Preis seiner Ware um einen Heller verkiirzt
hat, und zweitens geht dies Geschaft den B uberhaupt nichts an. Was B
verlangt und das Recht hat zu verlangen, ist, daB der Kapitalist ihm den
Wert seiner Arbeitskraft zahle.
»Tous deux gagnaient encore; Vouvrier parce qu'on lui avangait les
fruits de son travail [soil heiBen: du travail gratuit d'autres ouvriers] avant
qu'ilfutfait; [soil heiBen: avant que le sien ait porte de fruit] le maitre,
parce que le travail de cet ouvrier valaitplus que le salaire« (soil heiBen:
produisait plus de valeur que celle de son salaire). 1023 (Sismondi, I.e.
p.135.)
Allerdings sieht die Sache ganz anders aus, wenn wir die kapitalistische
Produktion im ununterbrochnen FluB ihrer Erneuerung betrachten und
statt des einzelnen Kapitalisten und des einzelnen Arbeiters die
Gesamtheit, die Kapitalistenklasse und ihr gegeniiber die Arbeiterklasse ins
Auge fassen. Damit aber wiirden wir einen MaBstab anlegen, der der
Warenproduktion total fremd ist.
In der Warenproduktion stehn sich nur, voneinander unabhangig,
Verkaufer und Kaufer gegeniiber. Ihre gegenseitigen Beziehungen sind zu
Ende mit dem Verfalltag des zwischen ihnen abgeschloBnen Vertrags.
Wiederholt sich das Geschaft, dann 1024 infolge eines neuen Vertrags, der
1.4. Auflage: denn
l.Man bewundere daher die Pfiffigkeit Proudhons, der das kapitalistische Eigentum abschaffen
will, indem er ihm gegenuber - die ewigen Eigentumsgesetze der Warenproduktion geltend macht!
l.»Kapital ist akkumulierter Reichtum, angewandt, um Profit zu erzielen.« (Malthus, I.e.
[p. 262].) »Kapital ... besteht aus Reichtum, von der Revenue erspart und zur Erzielung von Profit
gebraucht.« (R. Jones, "Text-book of lectures on the Political Economy of Nations", Hertford 1852, p. 16.)
2.»Die Besitzer des Mehrprodukts oder Kapitals.« ("The Source and Remedy of the National
Difficulties. A Letter to Lord John Russell", Lond. 1821, [p.4.])
3.»Kapital, mit dem Zinseszins aufjeden Teil des gesparten Kapitals, reifit alles so sehr an
sich, dafi der ganze Reichtum auf der Welt, von dem Einkommen bezogen wird, schon vor langem
Kapitalzins geworden ist.« (London "Economist". 19. July 1851.)
1. Hegel: "Grundlinien der Philosophic des Rechts, oder Naturrecht und Staatswissenschaft in
Grundrisse", Berlin 1840, § 203, Zusatz 614
2.»Kein politischer Okonom der heutigen Zeit kann unter Sparen nur Schatzbildung verstehen:
und abgesehen von diesem abgekurzten und ungeniigenden Verfahren, kann man sich keinen andren
Gebrauch dieses Ausdrucks im Hinblick auf den nationalen Reichtum vorstellen als jenen, der aus der
verschiedenen Verwendung des Ersparten hervorgehen mufi und auf einer wirklichen Unterscheidung
zwischen den verschiedenen Arten von Arbeit basiert, die davon erhalten werden.« (Malthus, I.e. p. 38,
39.)
3. So ist bei Balzac, der alle Schattierungen des Geizes so griindlich studiert hatte, der alte
Wucherer Gobseck schon verkindischt, als er anfangt, sich einen Schatz aus aufgehauften Waren zu bilden.
4.»Akkumulation von Kapitalien ... Aufhoren des Austausches ... Uberproduktion.« (Th. Corbet,
I.e. p. 104.)
l.Ricardo, I.e. p. 163, Note.
l.Trotz seiner "Logik" kommt Herr J.St. Mill nirgendswo auch nur solcher fehlerhaften Analyse
seiner Vorganger auf die Sprunge, welche selbst innerhalb des biirgerlichen Horizonts, vom reinen
Fachstandpunkt aus, nach Berichtigung schreit. Uberall registriert er mit schulermaBigem Dogmatismus die
Gedankenwirren seiner Meister. Auch hier: »Aufdie Dauer gesehen, lost sich das Kapital selbst vollig in
Lohn auf, und wenn es durch den Verkauf des Produkts ersetzt wird, so wird es wieder zu Lohn.«
l.Tableau economique - Der Physiokrat Quesnay unternahm in seiner Schrift "Tableau
economique" 1758 zum ersten Mai den Versuch einer schematischen Darstellung der Reproduktion und
Zirkulation des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Marx benutzte die Ausgabe: F. Quesnay, "Analyse du
Tableau economique" (1766) in "Physiocrates..." par Eugene Daire, 1 .Teil, Paris 1846. Ausfiihrlicher
behandelt Marx das Tableau economique in den "Theorien iiber den Mehrwert", 1. Teil, Kap. 6, in dem von
ihm verfaBten Kapitel 10 des zweiten Abschnitts von Engels "Anti-Diihring" und im "Kapital", Bd. 2, Kap.
19.
2. A. Smith hat in der Darstellung des Reproduktionsprozesses, daher auch der Akkumulation, nach
mancher Seite hin nicht nur keine Fortschritte, sondern entschiedene Riickschritte gemacht im Vergleich
zu seinen Vorgangern, namentlich den Physiokraten. Mit seiner im Text erwahnten Illusion hangt das
ebenfalls von ihm der politischen Okonornie vererbte, wahrhaft fabelhafte Dogma zusammen, daB der Preis
der Waren aus Arbeitslohn, Profit (Zins) und Grundrente, also bloB aus Arbeitslohn und Mehrwert
zusammengesetzt ist. Von dieser Basis ausgehend, gesteht wenigstens Storch naiv: »Es ist unmoglich, den
notwendigen Preis in seine einfachsten Elemente aufzulosen.« (Storch, I.e., Petersb., Edit. 1815, t.II,
p. 141, Note.) Eine schone okonomische Wissenschaft, die es fiir unmoglich erklart, den Preis der Waren
in seine einfachsten Elemente aufzulosen! Das Nahere hieriiber wird man erortert finden im 3. Abschn. des
Zweiten und im 7. Abschn. des Dritten Buchs.
mit dem vorhergehenden nichts zu tun hat und bei dem nur ein Zufall
denselben Kaufer mit demselben Verkaufer wieder zusammenbringt.
Soil also die Warenproduktion oder ein ihr angehoriger Vorgang nach
ihren eignen okonomischen Gesetzen beurteilt werden, so miissen wir
jeden Austauschakt fiir sich betrachten, auBerhalb alles Zusammenhangs
mit dem Austauschakt, der ihm vorherging, wie mit dem, der ihm
nachfolgt. Und da Kaufe und Verkaufe nur zwischen einzelnen Individuen
abgeschlossen werden, so ist es unzulassig, Beziehungen zwischen ganzen
Gesellschaftsklassen darin zu suchen.
Wie lang auch die Reihenfolge der periodischen Reproduktionen und
vorhergegangnen Akkumulationen, die das heute funktionierende Kapital
durchgemacht hat, es bewahrt immer seine urspriinghche Jungfraulichkeit.
Solange bei jedem Austauschakt - einzeln genommen - die Gesetze des
Austausches eingehalten werden, kann die Aneignungsweise eine totale
Umwalzung erfahren, ohne das, der Warenproduktion gemaBe,
Eigentumsrecht irgendwie zu beriihren. Dieses selbe Recht steht in Kraft
wie am Anfang, wo das Produkt dem Produzenten gehort und wo dieser,
Aquivalent gegen Aquivalent austauschend, sich nur durch eigne Arbeit
bereichern kann, so auch in der kapitalistischen Periode, wo der
gesellschaftliche Reichtum in stets steigendem MaB das Eigentum derer
wird, die in der Lage sind, sich stets aufs neue die unbezahlte Arbeit andrer
anzueignen.
Dies Resultat wird unvermeidlich, sobald die Arbeitskraft durch den
Arbeiter selbst als Ware frei verkauft wird. Aber auch erst von da an
verallgemeinert sich die Warenproduktion und wird sie typische
Produktionsform; erst von da an wird jedes Produkt von vornherein fiir
den Verkauf produziert und geht aller produzierte Reichtum durch die
Zirkulation hindurch. Erst da, wo die Lohnarbeit ihre Basis, zwingt die
Warenproduktion sich der gesamten Gesellschaf; aufi aber auch erst da
entfaltet sie alle ihre verborgnen Potenzen. Sagen, daB die
Dazwischenkunft der Lohnarbeit die Warenproduktion falscht, heiBt
sagen, daB die Warenproduktion, will sie unverfalscht bleiben, sich nicht
entwickeln darf. Im selben MaB, wie sie nach ihren eignen immanenten
Gesetzen sich zur kapitalistischen Produktion fortbildet, in demselben MaB
schlagen die Eigentumsgesetze der Warenproduktion um in Gesetze der
kapitalistischen Aneignung. 1025
Man sah, daB selbst bei einfacher Reproduktion alles vorgeschoBne
Kapital, wie immer urspriinglich erworben, sich in akkumuliertes Kapital
oder kapitalisierten Mehrwert verwandelt. Aber im Strom der Produktion
wird iiberhaupt alles urspriinglich vorgeschoBne Kapital eine
verschwindende GroBe (magnitudo evanescens im mathematischen Sinn),
verglichen mit dem direkt akkumulierten Kapital, d.h. dem in Kapital
riickverwandelten Mehrwert oder Mehrprodukt, ob nun funktionierend in
der Hand, die akkumuliert hat, oder in fremder Hand. Die politische
Okonomie stellt das Kapital daher iiberhaupt dar als »akkumulierten
Reichtum [verwandelten Mehrwert oder Revenue], der von neuem zur
Produktion von Mehrwert verwandt wird« inf> , oder auch den Kapitalisten
als »Besitzer des Mehrprodukts« ini . Dieselbe Anschauungsweise besitzt
nur andre Form in dem Ausdruck, daB alles vorhandne Kapital
akkumulierter oder kapitalisierter Zins sei, denn der Zins ist ein bloBes
Bruch stuck des Mehrwerts. 1028
2. Irrige Auffassung der Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter sei-
Bevor wir nun auf einige nahere Bestimmungen der Akkumulation oder
der Riickverwandlung von Mehrwert in Kapital eingehn, ist eine von der
klassischen Okonomie ausgeheckte Zweideutigkeit zu beseitigen.
So wenig die Waren, die der Kapitalist mit einem Teil des Mehrwerts fur
seine eigne Konsumtion kauft, ihm als Produktions- und
Verwertungsmittel dienen, so wenig ist die Arbeit, die er zur Befriedigung
seiner naturlichen und sozialen Bediirfnisse kauft, produktive Arbeit. Statt
durch den Kauf jener Waren und Arbeit den Mehrwert in Kapital zu
verwandeln, verzehrt oder verausgabt er ihn umgekehrt als Revenue.
Gegeniiber der altadligen Gesinnung, die, wie Hegel richtig sagt, »im
Verzehren des Vorhandenen besteht« in9 und namentlich auch im Luxus
personlicher Dienste sich breitmacht, war es fur die burgerliche Okonomie
entscheidend wichtig, die Akkumulation des Kapitals als erste
Biirgerpflicht zu verkiinden und unermiidlich zu predigen: man kann
nicht akkumulieren, wenn man seine ganze Revenue aufiBt, statt einen
guten Teil davon zu verausgaben in Werbung zuschussiger produktiver
Arbeiter, die mehr einbringen, als sie kosten. Andrerseits hatte sie gegen
das Volksvorurteil zu polemisieren, welches die kapitalistische Produktion
mit der Schatzbildung verwechselt 1030 und daher wahnt, akkumulierter
Reichtum sei Reichtum, welcher der Zerstorung in seiner vorhandnen
Naturalform, also dem Verbrauch entzogen oder auch vor der Zirkulation
gerettet werde. VerschluB des Geldes gegen die Zirkulation ware grade das
Gegenteil seiner Verwertung als Kapitel und Warenakkumulation im
schatzbildnerischen Sinn reine Narrheit. 1031 Akkumulation von Waren in
groBen Massen ist Resultat einer Zirkulationsstockung oder der
Uberproduktion. 1032 Allerdings lauft in der Volksvorstellung einerseits das
Bild der im Konsumtionsfonds der Reichen gehauften, langsam sich
verzehrenden Guter unter, andrerseits die Vorratbildung, ein Phanomen,
das alien Produktionsweisen angehort und wobei wir einen Augenblick in
der Analyse des Zirkulationsprozesses verweilen werden.
Soweit also ist die klassische Okonomie im Recht, wenn sie den Verzehr
von Mehrprodukt durch produktive Arbeiter statt durch unproduktive als
charakteristisches Moment des Akkumulationsprozesses betont. Aber hier
beginnt auch ihr Irrtum. A. Smith hat es zur Mode gemacht, die
Akkumulation bloB als Konsumtion des Mehrprodukts durch produktive
Arbeiter oder die Kapitalisierung des Mehrwerts als dessen bloBen Umsatz
in Arbeitskraft darzustellen. Horen wir z. B. Ricardo:
»Man mufi verstehn, dafi alle Produkte eines Landes konsumiert werden;
aber es macht den grofiten Unterschied, den man denken kann, ob sie
konsumiert werden durch solche, die einen andren Wert reproduzieren,
oder durch solche, die ihn nicht reproduzieren. Wenn wir sagen, dafi
Revenue erspart und zum Kapital geschlagen wird, so meinen wir, dafi
der Teil der Revenue, von dem es heifit, er sei zum Kapital geschlagen,
durch produktive statt durch unproduktive Arbeiter verzehrt wird. Es
gibt keinen grofiern Irrtum, als zu unterstellen, dafi Kapital durch Nicht-
Konsum vermehrt w/r<i.« 1()33
Es gibt keinen groBern Irrtum als der dem A. Smith von Ricardo und alien
spateren nachgeplauderte, daB
»der Teil der Revenue, von dem es heifit, er sei zum Kapital geschlagen,
von produktiven Arbeitern verzehrt wird«.
Nach dieser Vorstellung wiirde aller Mehrwert, der in Kapital verwandelt
wird, zu variablem Kapital. Er teilt sich vielmehr, wie der urspriinglich
vorgeschoBne Wert, in konstantes Kapital und variables Kapital, in
Produktionsmittel und Arbeitskraft. Arbeitskraft ist die Form, worin das
variable Kapital innerhalb des Produktionsprozesses existiert. In diesem
ProzeB wird sie selbst vom Kapitalisten verzehrt. Sie verzehrt durch ihre
Funktion - die Arbeit - Produktionsmittel. Zugleich verwandelt sich das im
Ankauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel, die nicht von der
"produktiven Arbeit", sondern vom "produktiven Arbeiter" verzehrt
werden. A. Smith gelangt durch eine grundverkehrte Analyse zu dem
abgeschmackten Resultat, daB, wenn auch jedes individuelle Kapital sich
in konstanten und variablen Bestandteil teilt, das gesellschaftliche Kapital
sich in nur variables Kapital auflost oder nur in Zahlung von Arbeitslohn
verausgabt wird. Z.B. ein Tuchfabrikant verwandle 2.000 Pfd.St. in Kapital.
Er legt einen Teil des Geldes im Ankauf von Webern aus, den andern Teil
in Wollengarn, Wollenmaschinerie usw. Aber die Leute, von denen er das
Garn und die Maschinerie kauft, zahlen wieder mit einem Teil davon
Arbeit usw., bis die ganzen 2.000 Pfd.St. in Zahlung von Arbeitslohn
verausgabt sind oder das ganze durch die 2.000 Pfd.St. reprasentierte
Produkt durch produktive Arbeiter verzehrt ist. Man sieht: die ganze
Wucht dieses Arguments liegt in dem Wort "usw.", das uns von Pontius
zu Pilatus schickt. In der Tat, A. Smith bricht die Untersuchung grade da
ab, wo ihre Schwierigkeit beginnt. 1034
Solange man nur den Fonds der Gesamt-Jahresproduktion ins Auge faBt,
ist der jahrliche ReproduktionsprozeB leicht verstandlich. Aber alle
Bestandteile der Jahresproduktion mussen auf den Warenmarkt gebracht
werden, und da beginnt die Schwierigkeit. Die Bewegungen der
Einzelkapitale und personlichen Revenuen kreuzen, vermengen, verlieren
sich in einem allgemeinen Stellenwechsel - der Zirkulation des
gesellschaftlichen Reichtums -, der den Blick verwirrt und der
Untersuchung sehr verwickelte Aufgaben zu 16 sen gibt. Im dritten
Abschnitt des Zweiten Buches werde ich die Analyse des wirklichen
Zusammenhanges geben. Es ist das groBe Verdienst der Physiokraten, in
ihrem Tableau economique 1035 zum ersten Mai den Versuch gemacht zu
haben, ein Bild der Jahresproduktion zu geben in der Gestalt, in welcher
sie aus der Zirkulation hervorgeht. 1036
Es versteht sich ubrigens von selbst, daB die politische Okonomie nicht
verfehlt hat, im Interesse der Kapitalistenklasse A. Smiths Satz
auszubeuten: daB der ganze in Kapital verwandelte Teil des Nettoprodukts
von der Arbeiterklasse verzehrt wird.
3. Teilung des Mehrwerts in Kapital und Revenue.
Die Abstinenztheorie
Im vorigen Kapitel betrachteten wir den Mehrwert, resp. das Mehrprodukt,
nur als individuellen Konsumtionsfonds des Kapitalisten, in diesem
Kapitel bisher nur als einen Akkumulationsfonds. Er ist aber weder nur das
eine noch das andre, sondern beides zugleich. Ein Teil des Mehrwerts wird
vom Kapitalisten als Revenue verzehrt 1037 , ein andrer Teil als Kapital
angewandt oder akkumuliert.
l.Der Leser wird bemerken, daB das Wort Revenue doppelt gebraucht wird, erstens um den
Mehrwert als periodisch aus dem Kapital entspringende Frucht, zweitens um den Teil dieser Frucht zu
bezeichnen, der vom Kapitalisten periodisch verzehrt oder zu seinem Konsumtionsfonds geschlagen wird.
Ich behalte diesen Doppeisinn bei, weil er mit dem Sprachgebrauch der englischen und franzosischen
Okonomen harmoniert.
l.keinen Datum nicht hat - Der reaktionare schlesische GroBgrundbesitzer Lichnowski ergrill am
31. August 1848 in der Frankfurter Nationalversammlung das Wort und sprach sich gegen das historische
Recht Polens auf selbstandige Existenz aus. Dabei benutzte er mehrmals die oben zitierten Worte, worauf
die Anwesenden jedesmal mit groBem Gelachter antworteten. Diese heitere Szene ist seinerzeit von Marx
und Engels in der 'Neuen Rheinischen Zeitung' wiedergegeben worden (siehe MEW, Band 5, S. 350-353).
l.In der altmodischen, wenn auch stets erneuten, Form des Kapitalisten, im Wucherer,
veranschaulicht Luther sehr gut die Herrschsucht als Element des Bereicherungstriebs. »Die Heiden
haben konnen aus der Vernunfft rechnen, dass ein Wucherer, sey ein vierfaltiger Dieb und Morder.
Wir Christen aber halten sie in solchen ehren, das wir sie schier anbeten umb ihres Geldes willen...
Wer einem andern seine Narung aussauget, raubet und stilet, der thut eben so grossen Mord (so viel
an im ligt) als der einen Hungers sterbet und zu Grunde verterbet. Solches thut aber ein Wucherer, und
sitzet die weil auf seinem Stuel sicher, so er billicher hangen solt am Galgen, und von soviet Raben
gefressen werden, als er gulden gestolen hatte, wo anders so viel fleisches an jm were, das so viel
Raben sich drein stiicken und teilen kundten. Dieweil hanget man die kleinen Diebe... Kleine Diebe
ligen in Stocken gefangen, grosse Diebe gehn in gold und seiden prangen... Also ist auch kein grosser
Bei gegebner Masse des Mehrwerts wird der eine dieser Teile um so groBer
sein, je kleiner der andre ist. Alle andern Umstande als gleichbleibend
genommen, bestimmt das Verhaltnis, worin diese Teilung sich vollzieht,
die GroBe der Akkumulation. Wer aber diese Teilung vornimmt, das ist der
Eigentiimer des Mehrwerts, der Kapitalist. Sie ist also sein Willensakt. Von
dem Teil des von ihm erhobnen Tributs, den er akkumuliert, sagt man, er
spare inn, weil er inn nicht aufiBt, d.h., weil er seine Funktion als Kapitalist
ausiibt, namlich die Funktion, sich zu bereichern.
Nur soweit der Kapitalist personifiziertes Kapital ist, hat er einen
historischen Wert und jenes historische Existenzrecht, das, wie der
geistreiche Lichnowski sagt, keinen Datum nicht hat. 1038 Nur soweit steckt
seine eigne transitorische Notwendigkeit in der transitorischen
Notwendigkeit der kapitalistischen Produktionsweise. Aber soweit sind
auch nicht Gebrauchswert und GenuB, sondern Tauschwert und dessen
Vermehrang sein treibendes Motiv. Als Fanatiker der Verwertung des
Werts zwingt er riicksichtslos die Menschheit zur Produktion urn der
Produktion willen, daher zu einer Entwicklung der gesellschaftlichen
Produktivkrafte und zur Schopfung von materiellen
Produktionsbedingungen, welche allein die reale Basis einer hoheren
Gesellschaftsform bilden konnen, deren Grundprinzip die voile und freie
Entwicklung jedes Individuums ist. Nur als Personifikation des Kapitals ist
der Kapitalist respektabel. Als solche teilt er mit dem Schatzbildner den
absoluten Bereicherungstrieb. Was aber bei diesem als individuelle Manie
erscheint, ist beim Kapitalisten Wirkung des gesellschaftlichen
Mechanismus, worin er nur ein Triebrad ist. AuBerdem macht die
Entwicklung der kapitalistischen Produktion eine fortwahrende Steigerung
des in einem industriellen Unternehmen angelegten Kapitals zur
Notwendigkeit, und die Konkurrenz herrscht jedem individuellen
Kapitalisten die immanenten Gesetze der kapitalistischen
Produktionsweise als auBere Zwangsgesetze auf. Sie zwingt ihn, sein
Kapital fortwahrend auszudehnen, um es zu erhalten, und ausdehnen kann
er es nur vermittelst progressiver Akkumulation.
Soweit daher sein Tun und Lassen nur Funktion des in ihm mit Willen und
BewuBtsein begabten Kapitals, gilt ihm sein eigner Privatkonsum als ein
Raub an der Akkumulation seines Kapitals, wie in der italienischen
Buchhaltung Privatausgaben auf der Debetseite des Kapitalisten gegen das
Kapital figurieren. Die Akkumulation ist Eroberung der Welt des
gesellschaftl chen Reichtums. Sie dehnt mit der Masse des exploitierten
Menschenmaterials zugleich die direkte und indirekte Herrschaft des
Kapitalisten aus. 1039
Aber die Erbsiinde wirkt iiberall. Mit der Entwicklung der kapitalistischen
Produktionsweise, der Akkumulation und des Reichtums, hort der
Kapitalist auf, bloBe Inkarnation des Kapitals zu sein. Er fuhlt ein
»menschliches Ruhren« 1040 ftir seinen eignen Adam und wird so gebildet,
die Schwarmerei ftir Askese als Vorarteil des altmodischen Schatzbildners
zu belacheln. Wahrend der klassische Kapitalist den individuellen Konsum
als Siinde gegen seine Funktion und "Enthaltung" von der Akkumulation
brandmarkt, ist der modernisierte Kapitalist imstande, die Akkumulation
als »Entsagung« seines GenuBtriebs aufzufassen. »Zwei Seelen wohnen,
ach! in seiner Brust, die eine will sich von der andren trennen« l0U
1. Schiller, "Die Biirgschaft".
2.Abgewandeltes Zitat aus Goethes "Faust", 1. Teil, "Vor clem Tor".
l.Dr. Aikin, "Description of the Country from 30 to 40 miles round Manchester", Lond. 1795,
p.[181], 182 sqq., [188].
l.Das ist Moses und die Propheten! - Nach der altchristlichen Legende wurden von Moses und
einer Vielzahl von Propheten die Biicher des Alten Testaments der Bibel verfaBt. Inb-esondere bilden die
fiinf Biicher Moses in der jiidischen Religion das Gesetz. Marx verwendet diesen Ausdruck hier in dem
Sinne: Das ist die Hauptsache! Das ist das wichtigste Gebot!
2.A. Smith, I.e., b.II, ch.III, [p.367].
3.Selbst J.B.Say sagt: »Die Ersparnisse der Reichen werden auf Kosten der Armen gemacht.«
[J.-B.Say, "Tralte d'economie politique", 5.Ausg., Bd.I, Paris 1826, S. 130/131.] »Der romische Proletarier
lebte fast ganz auf Kosten der Gesellschaft... Man konnte fast sagen, dafi die moderne Gesellschaft auf
Kosten der Proletarier lebt, von dem Teil, den sie auf Belohnung der Arbeit ihnen entzieht.« (Sismondi,
"Etudes etc.", t.I, p.24.)
4.Malthus, l.c.p.319, 320.
l.»An Inquiry into those principles respecting the Nature of Demand etc.«, p. 67.
l.l.c. p.59.
1. Senior, "Principes fondamentaux de l'Econ. Pol." trad. Arrivabene, Paris 1836, p. 309. Dies war
den Anhangern der alten klassischen Schule doch etwas zu toll. »Herr Senior schiebt dem Ausdruck Arbeit
und Kapital den Ausdruck Arbeit und Abstinenz unter... Abstinenz ist eine blofie Negation. Es ist nicht
die Abstinenz, sondern der Gebrauch des produktiv verwandten Kapitals, welcher die Quelle des
Profits bildet.« (John Cazenove, I.e. p. 130, Note.) Herr John St. Mill exzerpiert dagegen auf der einen
Seite Ricardos Profittheorie und annexiert auf der andren Seniors "remuneration of abstinence"
["Belohnung ftir Enthaltung"]. So fremd ihm der Hegelsche "Widerspruch", die Springquelle aller Dialektik,
so heimisch ist er in platten Widerspriichen.
In den historischen Anfangen der kapitalistischen Produktionsweise und
jeder kapitalistische Parvenu macht dies historische Stadium individuell
durch - herrschen Bereicherangstrieb und Geiz als absolute Leidenschaften
vor. Aber der Fortschritt der kapitalistischen Produktion schafft nicht nur
eine Welt von Geniissen. Er offnet mit der Spekulation und dem
Kreditwesen tausend Quellen plotzlicher Bereicherung. Auf einer gewissen
Entwicklungshohe wird ein konventioneller Grad von Verschwendung, die
zugleich Schaustellung des Reichtums und daher Kreditmittel ist, sogar zu
einer Geschaftsnotwendigkeit des "ungliicklichen" Kapitalisten. Der Luxus
geht in die Reprasentationskosten des Kapitals ein. Ohnehin bereichert
sich der Kapitalist nicht, gleich dem Schatzbildner, im Verhaltnis seiner
personlichen Arbeit und seines personlichen Nichtkonsums, sondern im
MaB, worin er fremde Arbeitskraft aussaugt und dem Arbeiter Entsagung
aller Lebensgeniisse aufzwingt. Obgleich daher die Verschwendung des
Kapitalisten nie den bona fide Charakter der Verschwendung des flotten
Feudalherrn besitzt, in ihrem Hintergrund vielmehr stets schmutzigster
Geiz und angstlichste Berechnung lauern, wachst dennoch seine
Verschwendung mit seiner Akkumulation, ohne daB die eine die andre zu
beabbruchen braucht. Damit entwickelt sich gleichzeitig in der Hochbrust
des Kapitalindividuums ein faustischer Konflikt zwischen Akkumulations-
und GenuBtrieb.
»Die Industrie von Manchester, heiBt es in einer Schrift, die Dr. Aikin
1795 veroffentlichte, »kann in vier Perioden geteilt werden. In der ersten
waren die Fabrikanten gezwungen, hart fur ihren Lebensunterhalt zu
arbeiten.«
Sie bereicherten sich besonders durch Bestellung der Eltern, die ihnen
Jungen als apprentices (Lehrlinge) zuwiesen und dafur schwer brechen
muBten, wahrend die Lehrlinge ausgehungert wurden. Andrerseits waren
die Durchschnittsprofite niedrig, und die Akkumulation verlangte groBe
Sparsamkeit. Sie lebten wie Schatzbildner und verzehrten bei weitem nicht
einmal die Zinsen ihres Kapitals.
»In der zweiten Periode hatten sie begonnen, kleine Vermogen zu
erwerben, arbeiteten aber ebenso hart als zuvor«, denn die unmittelbare
Exploitation der Arbeit kostet Arbeit, wie jeder Sklaventreiber weiB, »Und
lebten nach wie vor in demselben frugalen Stil... In der dritten Periode
begann der Luxus, und das Geschaft wurde ausgedehnt durch
Aussendung von Reitern [berittenen Commis voyageurs)/wr Ordres in
jeder Marktstadt des Konigreichs. Es ist wahrscheinlich, dafi wenige
oder keine Kapitale von 3.000 bis 4.000 Pfd.St., in der Industrie
erworben, vor 1690 existierten. Um diese Zeitjedoch oder etwas spdter
hatten die Industriellen schon Geld akkumuliert und begannen steinerne
Hduser statt der von Holz und Mortel aufzufiihren... Noch in den ersten
Dezennien des 18. Jahrhunderts setzte sich ein Manchester Fabrikant,
der eine Pint fremden Weins seinen Gdsten vorsetzte, den Glossen und
dem Kopfschiitteln alter seiner Nachbarn aus.«
Vor dem Aufkommen der Maschinerie betrug der abendliche Konsum der
Fabrikanten in den Kneipen, wo sie zusammenkamen, nie mehr als 6 d. fur
ein Glas Punsch und 1 d. fur eine Rolle Tabak. Erst 1758, und dies macht
Epoche, sah man »eine im Geschaft wirklich engagierte Person mit
eigner Equipage !« »Die vierte Perlode«, das letzte Drittel des 18.
Jahrhunderts, »ist die von grofiem Luxus und Verschwendung, unterstiitzt
durch die Ausdehnung des Geschafts.« 1042 Was wurde der gute Dr. Aikin
sagen, wenn er heutzutag in Manchester auferstande!
Akkumuliert, Akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten! 1043 »Die
Industrie liefert das Material, welches die Sparsamkeit akkumuliert. « 1044
Also spart, spart, d.h., riickverwandelt moglichst groBen Teil des
Mehrwerts oder Mehrprodukts in Kapital! Akkumulation um der
Akkumulation, Produktion um der Produktion willen, in dieser Formel
sprach die klassische Okonomie den historischen Beruf der
Bourgeoisperiode aus. Sie tauschte sich keinen Augenblick iiber die
Geburtswehn des Reichtums 1045 , aber was niitzt der Jammer iiber
historische Notwendigkeit? Wenn der klassischen Okonomie der
Proletarier nur als Maschine zur Produktion von Mehrwert, gilt ihr aber
auch der Kapitalist nur als Maschine zur Verwandlung dieses Mehrwerts in
Mehrkapital. Sie nimmt seine historische Funktion in bitterm Ernst. Um
seinen Busen vor dem unheilvollen Konflikt zwischen GenuBtrieb und
Bereicherungstrieb zu feien, verteidigte Malthus, im Anfang der zwanziger
Jahre dieses Jahrhunderts, eine Teilung der Arbeit, welche dem wirklich in
der Produktion begriffenen Kapitalisten das Geschaft der Akkumulation,
den andren Teilnehmern am Mehrwert, der Landaristokratie, Staats-,
Kirchenpfriindnern usw., das Geschaft der Verschwendung zuweist. Es ist
von der hochsten Wichtigkeit, sagt er, »die Leidenschaft fur Ausgabe und
die Leidenschaft fiir Akkumulation (the passion for expenditure and the
passion for accumulation) getrennt zu halten« 1046 . Die Herrn Kapitalisten,
seit lange in Lebe- und Weltmanner verwandelt, schrien auf. Was, rief
einer ihrer Wortfiihrer, ein Ricardianer, Herr Malthus predigt hohe
Grundrenten, hohe Steuern usw., um dem Industriellen einen
fortwahrenden Stacheldurch unproduktive Konsumenten aufzudriicken!
Allerdings Produktion, Produktion auf stets erweiterter Stufenleiter, lautet
das Schlbboleth, aber
»Produktion wird durch einen solchen Prozefi weit mehr gehemmt als
gefordert. Auch ist es nicht ganz billig (nor is it quite fair), eine Anzahl
Personen so im Mufiiggang zu erhalten, nur um andre zu kneipen, aus
deren Charakter man schliefien darf(who are tikely,from their
characters), dafi, wenn ihr sie zu funktionieren zwingen konnt, sie mit
Erfolg funktionieren. « ' ° 4 7
So unbillig er es findet, den industriellen Kapitalisten zur Akkumulation zu
stacheln, indem man ihm das Fett von der Suppe wegschopft, so
notwendig diinkt ihm, den Arbeiter moglichst auf den Minimallohn zu
beschranken, »um ihn arbeitsam zu erhalten«. Auch verheimlicht er
keinen Augenblick, daB Aneignung unbezahlter Arbeit das Geheimnis der
Plusmacherei ist.
»Vermehrte Nachfrage von Seite der Arbeiter meint durchaus nichts als
ihre Geneigtheit, weniger von ihrem eignen Produkt fiir sich selbst zu
nehmen und einen grofiten Teil davon ihren Anwendern zu iiberlassen;
und wenn man sagt, dafi dies, durch Verminderung der Konsumtion«
[auf seiten der Arbeiter] glut [Marktuberfullung, Uberproduktion] erzeugt,
so kann ich nur antworten, dafi glut synonym mit hohem Profit ist.« iaa
Der gelehrte Zank, wie die dem Arbeiter ausgepumpte Beute forderlichst
fur die Akkumulation zu verteilen sei zwischen industriellem Kapitalist und
muBigem Grandeigentiimer usw., verstummte vor der Julirevolution. Kurz
nachher lautete das stadtische Proletariat die Sturmglocke zu Lyon und
lieB das Landproletariat den roten Hahn in England fliegen. Diesseits des
Kanals grassierte der Owenismus, jenseits St.-Simonismus und
Fourierismus. Die Stunde der Vulgarokonomie hatte geschlagen. Grade ein
Jahr, bevor Nassau W. Senior zu Manchester ausfand, daB der Profit (inkl.
Zins) des Kapitals das Produkt der unbezahlten »letzten zwolften
Arbeits stunde « ist, hatte er der Welt eine andre Entdeckung angekundigt.
»Ich«, sagte er feierlich, »ich ersetze das Wort Kapital, als
Produktionsinstrument betrachtet, durch das Wort Abstinenz
(Enthaltung ).« 1049 Ein unubertroffenes Muster dies von den
"Entdeckungen" der Vulgarokonomie! Sie ersetzt eine okonomische
Kategorie durch eine sykophantische Phrase. Voila tout. 1050 »Wenn der
Wilde«, doziert Senior, »Bogen fabriziert, so iibt er eine Industrie aus,
aber er praktiziert nicht die Abstinenz.« Dies erklart uns, wie und warum
in friiheren Gesellschaftszustanden »ohne die Abstinenz« des Kapitalisten
Arbeitsmittel fabriziert wurden. »Je mehr die Gesellschaft fortschreitet,
umso mehr Abstinenz erfordert sie« l<>il , namlich von denen, welche die
Industrie ausiiben, sich die fremde Industrie und ihr Produkt anzueignen.
Alle Bedingungen des Arbeitsprozesses verwandeln sich von nun in
ebenso viele Abstinenzpraktiken des Kapitalisten. DaB Korn nicht nur
gegessen, sondern auch gesat wird, Abstinenz des Kapitalisten! DaB der
4. Das ist alles.
5. Senior, I.e. p.342, 343.
6.»Kein Mensch ... wird z.B. seinen Weizen aussden und ihn ein Jahr im Boden liegen oder
seinen We in jahrelang im Keller lassen, statt diese Dinge oder Hire Aquivalente sofort zu konsumieren
... wenn er nicht erwartete, zusatzlichen Wert zu erhalten etc.« (Scrope, "Polit. Econ.", edit, von A.Potter,
New York 1841, p. 133.)*
Wein die Zeit erhalt, auszugaren, Abstinenz des Kapitalisten! 1052 Der
Kapitalist beraubt seinen eignen Adam, wenn er die
»Produktionsinstrumente demArbeiter leiht« (!), alias sie durch
Einverleibung der Arbeitskraft als Kapital verwertet, statt
Dampfmaschinen, Baumwolle, Eisenbahnen, Diinger, Zugpferde usf.
aufzuessen oder, wie der Vulgarokonom sich das kindlich vorstellt, »ihren
Wert« in Luxus und andren Konsumtionsmitteln zu verprassen. 1053 Wie
8.»Die Entbehrung, die sich der Kapitalist auferlegt, indem er seine Produktionsmittel an den
Arbeiter verleiht« (dieser Euphemismus gebraucht, um nach probater vulgarokonomischer Manier den
vom industriellen Kapitalisten exploitierten Lohnarbeiter mit dem industriellen Kapitalisten selbst zu
identifizieren, welcher vom Geld verleihenden Kapitalisten pumpt!), »statt ihren Wert seinem eignen
Gebrauch zu widmen, indem er sie in nutzliche oder angenehme Gegenstande verwandelt.« (G. de
Molinari, I.e. p. 36.)
9.»La conservation d'un capital exige ... un effort ... constant pour resister a la tentation de le
consommer.« (Courcelle-Seneuil, I.e. p. 20.)
l.»Die besonderen Einkommensklassen, die am reichlichsten zum Fortschritt des nationalen
Kapitals beitragen, andern sich auf verschiedenen Stufen ihrer Entwicklung und sind infolgedessen
gdnzlich verschieden bei Nationen, die verschiedene Positionen in dieser Entwicklung einnehmen ...
Profite ... eine unwichtige Quelle der Akkumulation, im Vergleich zu Lohnen und Renten, auf den
friiheren Stufen der Gesellschaft... Wenn ein betrachtliches Anwachsen in den Kraften der nationalen
Industrie tatsachlich stattgefunden hat, erlangen die Profite eine vergleichsweise grofiere Wichtigkeit
als Quelle der Akkumulation. « (Richard Jones: "Textbook etc.", p. 16, 21.)
l.l.c. p. 36 sq. {Zur 4. Aufl. - MuB ein Versehen sein, die Stelle ist nicht gefunden worden. - F. E.)
l.»Ricardo sagt: "In verschiednen Stadien der Gesellschaft ist die Akkumulation des Kapitals
oder der Mittel, Arbeit anzuwenden" (sc. zu exploitieren) ",mehr oder weniger rasch und mufi in alien
Fallen von den Produktivkraften der Arbeit abhdngen. Die Produktivkrdfte der Arbeit sind im
allgemeinen am grofiten, wo Uberflufi von fruchtbarem Boden existiert." Bedeuten in diesem Satz die
Produktivkrdfte der Arbeit die Kleinheit des aliquoten Teils jedes Produkts, der denen zufallt, deren
Handarbeit es produziert, so ist der Satz tautologisch, well der iibrigbleibende Teil der Fonds ist,
woraus, wenn es seinem Eigner beliebt (if the owner pleases), Kapital akkumuliert werden kann. Aber
dies ist meistens nicht der Fall, wo das Land am fruchtbarsten ist.« ("Observations on certain verbal
disputes etc.", p. 74.)
l.J.St. Mill, "Essays on some unsettled Questions of Polit. Economy", Lond. 1844, p. 90, 91.
l."An Essay on Trade and Commerce", Lond. 1770, p. 44. Ahnlich brachte die 'Times' vom
Dezember 1866 und Januar 1867 HerzensergieBungen englischer Minenbesitzer, worin der gliickliche
Zustand der belgischen Minenarbeiter geschildert ward, die nicht mehr verlangten und nicht mehr erhielten,
als strikt notig, um fur ihre "masters" zu leben. Die belgischen Arbeiter dulden viel, aber als
Musterarbeiterin der 'Times' zu figurieren! Anfang Februar 1867 antwortete der mit Pulver und Blei
unterdriickte Strike der belgischen Minenarbeiter (bei Marchienne).
l.l.c. p.44, 46.
l.Der Fabrikant von Northamptonshire begeht eine im Herzensdrang entschuldbare pia fraus [einen
entschuldbaren frommen Betrug], Er vergleicht angeblich das Leben englischer und franzosischer
Manufakturarbeiter, schildert aber, wie er spater in seiner Verdadderung selbst gesteht, mit den eben
zitierten Worten franzosische Agrikulturarbeiter!
2. I.e. p. 70, 71. Note zur dritten Auflage. Heute sind wir, dank der seitdem hergestellten
die Kapitalistenklasse das anstellen soil, ist ein von der Vulgarokonomie
bisher hartnackig bewahrtes Geheimnis. Genug, die Welt lebt nur noch
von der Selbstkasteiung dieses modernen BiiBers des Wischnu, des
Kapitalisten. Nicht nur die Akkumulation, die einfache »Erhaltung eines
Kapitals erheischt bestdndige Kraftanstrengung, um der Versuchung zu
widerstehn, es aufzuessen«. 1054 Die einfache Humanitat gebeut also
offenbar, den Kapitalisten von Martyrtum und Versuchung zu erlosen, in
derselben Weise, wie der georgische Sklavenhalter jiingst durch
Abschaffung der Sklaverei von dem schmerzlichen Dilemma erlost ward,
ob das dem Negersklaven ausgepeitschte Mehrprodukt ganz in
Champagner zu verjubeln oder auch teilweis in mehr Neger und mehr
Land riickzuverwandeln.
In den verschiedensten okonomischen Gesellschaftsformationen findet
nicht nur einfache Reproduktion statt, sondern, obgleich auf verschiednem
MaBstab, Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter. Es wird progressiv
mehr produziert und mehr konsumiert, also auch mehr Produkt in
Produktionsmittel verwandelt. Dieser ProzeB erscheint aber nicht als
Akkumulation von Kapital und daher auch nicht als Funktion des
Kapitalisten, solange dem Arbeiter seine Produktionsmittel, daher auch
sein Produkt und seine Lebensmittel, noch nicht in der Form von Kapital
gegenuberstehn . 1 055
Der vor einigen Jahren verstorbene Richard Jones, Nachfolger von
Malthus auf dem Lehrstuhl der politischen Okonomie am ostindischen
College zu Haileybury, erortert dies gut an zwei groBen Tatsachen. Da der
zahlreichste Teil des indischen Volks selbstwirtschaftende Bauern, existiert
ihr Produkt, ihre Arbeits- und Lebensmittel, auch nie »in der Form (in the
shape) eines Fonds, der aus fremder Revenue erspart wird (saved from
Revenue) und daher einen vorlaufigen Prozefi der Akkumulation (a
previous process of accumulation) durchlauf en hat« ° 6 . Andrerseits
werden die nicht-agrikolen Arbeiter in den Provinzen, wo die englische
Herrschaft das alte System am wenigsten aufgelost hat, direkt von den
GroBen beschaftigt, denen eine Portion des landlichen Mehrprodukts als
Tribut oder Grundrente zuflieBt. Ein Teil dieses Produkts wird in
Naturalform von den GroBen verzehrt, ein andrer Teil fur sie von den
Arbeitern in Luxus und sonstige Konsumtionsmittel verwandelt, wahrend
der Rest den Lohn der Arbeiter bildet, die Eigentumer ihrer
Arbeitsinstrumente sind. Produktion und Reproduktion auf erweiterter
Stufenleiter gehn hier ihren Gang ohne alle Dazwischenkunft jenes
wunderlichen Heiligen, jenes Ritters von der traurigen Gestalt, des
"entsagenden" Kapitalisten.
4. Umstande, welche unabhangig von der proportionellen Teilung des
Mehrwerts in Kapital und Revenue den Umfang der Akkumulation
bestimmen: Exploitationsgrad der Arbeitskraft - Produktivkraft der Arbeit -
Wachsende Differenz zwischen angewandtem und konsumiertem Kapital -
GroBe des vorgeschoBnen Kapitals
Das Verhaltnis, wonach der Mehrwert sich in Kapital und Revenue spaltet,
als gegeben vorausgesetzt, richtet sich die GroBe des akkumulierten
Kapitals offenbar nach der absoluten GroBe des Mehrwerts.
Angenommen, 80% wiirden kapitalisiert und 20% aufgegessen, so wird
das akkumulierte Kapital 2.400 Pfd.St. oder 1.200 Pfd.St. betragen, je
nachdem der Gesamt-Mehrwert sich auf 3.000 oder auf 1.500 Pfd.St.
belaufen hat. Demnach wirken bei Bestimmung der GroBe der
Akkumulation alle die Umstande mit, die die Masse des Mehrwerts
bestimmen. Wir fassen sie hier nochmals zusammen, aber nur insofern sie
mit Bezug auf die Akkumulation neue Gesichtspunkte bieten.
Man erinnert sich, daB die Rate des Mehrwerts in erster Instanz abhangt
vom Fxploitationsgrad der Arbeitskraft. Die politische Okonomie wiirdigt
diese Rolle so sehr, daB sie gelegentlich die Beschleunigung der
Akkumulation durch erhohte Produktionskraft der Arbeit identifiziert mit
ihrer Beschleunigung durch erhohte Exploitation des Arbeiters. 1057 In den
Abschnitten iiber die Produktion des Mehrwerts ward bestandig unterstellt,
daB der Arbeitslohn wenigstens gleich dem Wert der Arbeitskraft ist. Die
gewaltsame Herabsetzung des Arbeitslohns unter diesen Wert spielt
jedoch in der praktischen Bewegung eine zu wichtige Rolle, um uns nicht
einen Augenblick dabei aufzuhalten. Sie verwandelt faktisch, innerhalb
gewisser Grenzen, den notwendigen Konsumtionsfonds des Arbeiters in
einen Akkumulationsfonds von Kapital.
»Arbeitslohne«, sagt J.St.Mill, »haben keine Produktivkraft; sie sind der
Preis einer Produktivkraft; Arbeitslohne tragen nicht, neb en der Arbeit
selbst, zur Warenproduktion bei, so wenig als der Preis der Maschinerie
selbst. Konnte Arbeit ohne Kauf gehabt werden, so waren Arbeitslohne
uberflussig. « 1058
Wenn aber die Arbeiter von der Luft leben konnten, so waren sie auch urn
keinen Preis zu kauf en. Ihr Nichtkosten ist also eine Grenze im
mathematischen Sinn, stets unerreichbar, obgleich stets annaherbar. Es ist
die bestandige Tendenz des Kapitals, sie auf diesen nihilistischen
Standpunkt herabzudriicken. Ein oft von mir zitierter Schriftsteller des 18.
Jahrhunderts, der Verfasser des "Essay on Trade and Commerce", verrat
nur das innerste Seelengeheimnis des englischen Kapitals, wenn er es fur
die historische Lebensaufgabe Englands erklart, den englischen
Arbeitslohn auf das franzosische und hollandische Niveau
herabzudriicken. 1059 Er sagt u.a. naiv:
»Wenn aber unsre Armen [Kunstausdruck fur Arbeiter] luxurios leben
wollen... mufi ihre Arbeit natiirlich teuer sein... Man betrachte nur die
haarstraubende Masse von Uberfliissigkeiten (heap of superfluities), die
unsre Manufaktur arbeiter verzehren, als da sind Branntwein, Gin, Tee,
Zucker, fremde Friichte, starkes Bier, gedruckte Leinwand, Schnupf- und
Rauchtabak e?c.« 1060
Er zitiert die Schrift eines Fabrikanten von Northamptonshire, der mit
himmelwarts schielendem Blick jammert:
»Arbeit ist ein games Dritteil wohlfeiler in Frankreich als in England:
denn die franzosischen Armen arbeiten hart und fahren hart an Nahrung
und Kleidung, und ihr Hauptkonsum sind Brot, Friichte, Krauter,
Wurzeln und getrockneter Fisch; denn sie essen sehr selten Fleisch, und
wenn der Weizen teuer ist, sehr wenig Brot.« l<>f ' 1 »Wozu«, fahrt der
Essayist fort, »wozu noch kommt, dafi ihr Getrank aus Wasser besteht
oder ahnlichen schwachen Likoren, so dafi sie in der Tat erstaunlich
wenig Geld ausgeben... Ein derartiger Zustand der Dinge ist sicherlich
schwer herbeizufiihren, aber er ist nicht unerreichbar, wie seine Existenz
sowohl in Frankreich als Holland schlagend beweist.« ni>1
Zwei Jahrzehnte spater verfolgte ein amerikanischer Humbug, der
baronisierte Yankee Benjamin Thompson (alias Graf Rumford), dieselbe
Philanthropielinie mit groBem Wohlgefallen vor Gott und den Menschen.
Seine "Essays" sind ein Kochbuch mit Rezepten aller Art, um Surrogate an
die Stelle der teuren Normalspeisen des Arbeiters zu setzen. Ein besonders
gelungnes Rezept dieses wunderlichen "Philosophen" ist folgendes:
»Funf Pfund Gerste, fiinf Pfund Mais, fur 3 d. Heringe, 1 d. Salz, 1 d.
Essig, 2 d. Pfeffer und Krduter - Summa von 20^/4 d. gibt eine Suppefur
64 Menschen, ja mit den Durchschnittspreisen von Korn kann die Kost
auf V4 d. per Kopf[noch nicht 3 Pfennige] herabgedriickt werden.« 1063
1. Benjamin Thompson: "Essays, political, economical, and philosophical etc.", 3 vol., Lond. 1796-
1802, vol.1, p. 294. In seinem "The State of the Poor, or an History of the Labouring Classes in England
etc.", empfiehlt Sir F.M. Eden die Rumfordsche Bettelsuppe bestens den Vorstehern von Workhouses und
mahnt die englischen Arbeiter vorwurfsvoll, daB »es bei den Schotten viele Familien gibt, die statt von
Weizen, Roggen und Fleisch, monatelang von Hafergriitze und Gerstenmehl, nur mit Salz und Wasser
gemischt, leben und das obendrein noch sehr komfortabel (and that very comfortably too)«. (I.e., v. I,
b.II, ch.II, p. 503.) Ahnliche "Fingerzeige" im 19. Jahrhundert. »Die englischen Ackerbauarbeiter«, heiBt es
z.B., »wollen keine Mischungen niederer Kornarten essen. In Schottland, wo die Erziehung besser ist,
ist dies Vorurteil wahrscheinlich unbekannt.« (Charles H.Parry M.D.: "The Question of the Necessity of
the existing Cornlaws considered", Lond. 1816, p. 69.) Derselbe Parry klagt jedoch, daB der englische
Arbeiter jetzt (1815) sehr heruntergekommen sei, verglichen mit Edens Zeit (1797).
l.Aus den Berichten der letzten parlamentarischen Untersuchungskommission iiber Falschung von
Lebensmitteln sieht man, daB selbst die Falschung der Arzneistoffe in England nicht Ausnahme, sondern
Regel bildet. Z.B. die Examination von 34 Proben von Opium, gekauft in ebensoviel verschiednen
Londoner Apotheken, ergab, daB 31 verfalscht waren mit Mohnkapsel, Weizenmehl, Gummischleim, Ton,
Sand usw. Viele enthielten kein Atom Morphin.
l.G. L. Newnham (barrister at law): "A Review of the Evidence before the Committees of the two
Houses of Parliament on the Cornlaws", Lond. 1815, p. 20, Note.
1. I.e. p. 19, 20.
2. Ch. H.Parry, I.e. p. 77, 69. Die Herrn Landlords ihrerseits "indemnifizierten" sich nicht nur ftir den
Antijakobinerkrieg, den sie im Namen Englands fiihrten, sondern bereicherten sich enorm. »Ihre Renten
verdoppelten, verdreifachten, vervierfachten und, in Ausnahmsfallen, versechsfachten sich in 18
Jahren.« (I.e. p. 100, 101.)
l.Friedrich Engels: "Lage der arbeitenden Klasse in England", p. 20. [Siehe MEW, Band 2, S.244]
2. Die klassische Okonomie hat wegen mangelhafter Analyse des Arbeits- und
Verwertungsprozesses dies wichtige Moment der Reproduktion nie ordentlich begriffen, wie man z.B. bei
Ricardo sehn kann. Er sagt z.B.: Welches immer der Wechsel der Produktivkraft, »eine Million Menschen
produziert in den Fabriken stets denselben Wert«. Dies richtig, wenn Extension und Intensivgrad ihrer
Arbeit gegeben. Es verhindert aber nicht, und Ricardo ubersieht dies in gewissen SchluBfolgerungen, daB
eine Million Menschen sehr verschiedne Massen von Produktionsmitteln, bei verschiedner Produktivkraft
ihrer Arbeit, in Produkt verwandelt, daher sehr verschiedne Wertmassen in ihrem Produkt erhalt, die von
ihr gelieferten Produktenwerte also sehr verschieden sind. Ricardo hat, nebenbei bemerkt, an jenem
Beispiel umsonst versucht, dem J.B. Say den Unterschied zwischen Gebrauchswert (den er hier wealth
nennt, stofflichen Reichtum) und Tauschwert klarzumachen. Say antwortet: »Was die Schwierigkeit
anbelangt, die Ricardo hervorhebt, wenn er sagt, dafi bei besseren Verfahren eine Million Menschen
zwei, bis dreimal soviet Reichtiimer hervorbringen kann, ohne mehr Wert erzeugen, so verschwindet
diese Schwierigkeit, wenn man, wie erforderlich, die Produktion als einen Austausch ansieht, bei dem
man die produktiven Dienste seiner Arbeit, seiner Erde und seiner Kapitalien hergibt, um Produkte zu
Mit dem Fortschritt der kapitalistischen Produktion hat die
Warenfalschung Thompsons Ideale uberflussig gemacht. 1064
Ende des 18. und wahrend der ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts
erzwangen die englischen Pachter und Landlords das absolute
Minimalsalair, indem sie den Ackerbautaglohnern weniger als das
Minimum in der Form des Arbeitslohns, den Rest aber in der Form von
Pfarreiunterstutzung auszahlten. Ein Beispiel der PossenreiBerei, womit die
englischen Dogberries in ihrer "legalen" Festsetzung des Lohntarifs
verfuhren:
»Als die Squires die Arbeitslohne fur Speenhamland 1795 festsetzten,
hatten sie zu Mittag gespeist, dachten aber offenbar, dafi die Arbeiter
nicht desgleichen notig hatten... Sie entschieden, der Wochenlohn solle 3
sh. per Mann sein, wenn der Laib Brot von 8 Pfund 11 Unzen aufl sh.
stiinde, und er solle regelmafiig wachsen, bis der Laib 1 sh. 5 d. koste.
Sobald er aber diesen Preis stiege, sollte der Lohn proportionell
abnehmen, bis der Preis des Laibes 2 sh. erreicht hatte; und dann sollte
die Nahrung des Mannes V5 weniger als vorher sein.« 1065
Vor dem Untersuchungskomitee des House of Lords, 1814, wird ein
gewisser A. Bennett, groBer Pachter, Magistrat, Armenhausverwalter und
Lohnregulator, gefragt:
»Wird irgendeine Proportion zwischen dem Wert der Tagesarbeit und
der Pfarreiunterstutzung der Arbeiter beobachtet? « Antwort: »Ja. Das
wochentliche Einkommen jeder Familie wird iiber ihren Nominallohn
hinaus voll gemacht bis zum Gallonlaib Brot (8 Pf 11 Unzen) und 3 d.
per Kopf... Wir unterstellen den Gallonlaib hinreichend fur die Erhaltung
jeder Person in der Familie wahrend der Woche; und die 3 d. sindfiir
Kleider; und wenn es der Pfarrei beliebt, die Kleider selbst zu stellen,
werden die 3 d. abgezogen. Diese Praxis herrscht nicht nur im ganzen
Westen von Wiltshire, sondern, wie ich glaube, im ganzen Land.^"^
»So«, raft ein Bourgeoisschriftsteller jener Zeit, »haben die Pachter
jahrelang eine respektable Klasse ihrer Landsleute degradiert, indem sie
dieselben zwangen, zum Workhouse ihre Zuflucht zu nehmen... Der
Pachter hat seine eignen Gewinne vermehrt, indem er selbst die
Akkumulation des unentb ehrlichsten Konsumfonds aufSeite der Arbeiter
verhinderte.« l{lil
Welche Rolle heutzutag der direkte Raub am notwendigen
Konsumtionsfonds des Arbeiters in der Bildung des Mehrwerts iind daher
des Akkumulationsfonds des Kapitals spielt, hat beispielsweis die sog.
Hausarbeit (s. Kap.XV, 8, c.) gezeigt. Weitere Tatsachen im Verlauf dieses
Abschnitts.
Obschon in alien Industriezweigen der aus Arbeitsmitteln bestehende Teil
des konstanten Kapitals geniigen muB fiir eine gewisse, durch die GroBe
der Anlage bestimmte Anzahl Arbeiter, so braucht er doch keineswegs
immer in demselben Verhaltnis zu wachsen wie die beschaftigte
Arbeitsmenge. In einer Fabrikanlage mogen hundert Arbeiter bei
achtstiindiger Arbeit 800 Arbeitsstunden liefern. Will der Kapitalist diese
Summe urn die Halfte steigern, so kann er 50 neue Arbeiter anstellen; dann
muB er aber auch ein neues Kapital vorschieBen, nicht nur fiir Lohne,
sondern auch fiir Arbeitsmittel. Er kann aber auch die alten 100 Arbeiter 12
Stunden arbeiten lassen statt 8, und dann geniigen die schon vorhandnen
Arbeitsmittel, die sich dann bloB rascher verschleiBen. So kann durch
hohere Anspannung der Arbeitskraft erzeugte, zusatzliche Arbeit das
Mehrprodukt und den Mehrwert, die Substanz der Akkumulation, steigern
ohne verhaltnismaBige Steigerung des konstanten Kapitalteils.
In der extraktiven Industrie, den Bergwerken z.B., bilden die Rohstoffe
keinen Bestandteil des Kapitalvorschusses. Der Arbeitsgegenstand ist hier
nicht Produkt vorhergegangner Arbeit, sondern von der Natur gratis
geschenkt. So Metallerz, Minerale, Steinkohlen, Steine etc. Hier besteht
das konstante Kapital fast ausschlieBlich in Arbeitsmitteln, die ein
vermehrtes Arbeitsquantum sehr gut vertragen konnen (Tag- und
Nachtschicht von Arbeitern z.B.). Alle andern Umstande gleichgesetzt,
wird aber Masse und Wert des Produkts steigen in direktem Verhaltnis der
angewandten Arbeit. Wie am ersten Tag der Produktion, gehn hier die
urspriinglichen Produktbildner, daher auch die Bildner der stofflichen
Elemente des Kapitals, Mensch und Natur, zusammen. Dank der Elastizitat
der Arbeitskraft hat sich das Gebiet der Akkumulation erweitert ohne
vorherige VergroBerung des konstanten Kapitals.
In der Agrikultur kann man das bebaute Land nicht ausdehnen ohne
VorschuB von zusatzlichem Samen und Diinger. Aber dieser VorschuB
einmal gemacht, iibt selbst die rein mechanische Bearbeitung des Bodens
eine wundertatige Wirkung auf die Massenhaftigkeit des Produkts. Eine
groBere Arbeitsmenge, geleistet von der bisherigen Anzahl Arbeiter,
steigert so die Fruchtbarkeit, ohne neuen VorschuB an Arbeitsmitteln zu
erfordern. Es ist wieder direkte Wirkung des Menschen auf die Natur,
welche zur unmittelbaren Quelle gesteigerter Akkumulation wird, ohne
Dazwischenkunft eines neuen Kapitals.
Endlich in der eigentlichen Industrie setzt jede zusatzliche Ausgabe an
Arbeit eine entsprechende Zusatzausgabe an Rohstoffen voraus, aber nicht
notwendig auch an Arbeitsmitteln. Und da die extraktive Industrie und
Agrikultur der fabrizierenden Industrie ihre eignen Rohstoffe und die ihrer
Arbeitsmittel liefern, kommt dieser auch der ProduktenzuschuB zugute,
den jene ohne zusatzlichen KapitalzuschuB erzeugt haben.
Allgemeines Resultat: Indem das Kapital sich die beiden Urbildner des
Reichtums, Arbeitskraft und Erde, einverleibt, erwirbt es eine
Expansionskraft, die ihm erlaubt, die Elemente seiner Akkumulation
auszudehnen jenseits der scheinbar durch seine eigne GroBe gesteckten
Grenzen, gesteckt durch den Wert und die Masse der bereits produzierten
Produktionsmittel, in denen es sein Dasein hat.
Ein andrer wichtiger Faktor in der Akkumulation des Kapitals ist der
Produktivitatsgrad der gesellschaftlichen Arbeit.
Mit der Produktivkraft der Arbeit wachst die Produktenmasse, worin solch
ein bestimmter Wert, also auch Mehrwert von gegebner GroBe, darstellt.
Bei gleichbleibender und selbst bei fallender Rate des Mehrwerts, sofern
sie nur langsamer fallt, als die Produktivkraft der Arbeit steigt, wachst die
Masse des Mehrprodukts. Bei gleichbleibender Teilung desselben in
Revenue und Zusatzkapital kann daher die Konsumtion des Kapitalisten
wachsen ohne Abnahme des Akkumulationsfonds. Die proportionelle
GroBe des Akkumulationsfonds kann selbst auf Kosten des
Konsumtionsfonds wachsen, wahrend die Verwohlfeilerung der Waren
dem Kapitalisten ebenso viele oder mehr GenuBmittel als vorher zur
Verfiigung stellt. Aber mit der wachsenden Produktivitat der Arbeit geht,
wie man gesehn, die Verwohlfeilerung des Arbeiters, also wachsende Rate
des Mehrwerts, Hand in Hand, selbst wenn der reelle Arbeitslohn steigt. Er
steigt nie verhaltnismaBig mit der Produktivitat der Arbeit. Derselbe
variable Kapitalwert setzt also mehr Arbeitskraft und daher mehr Arbeit in
Bewegung. Derselbe konstante Kapitalwert stellt sich in mehr
Produktionsmitteln, d.h. mehr Arbeitsmitteln, Arbeitsmaterial und
Hilfsstoffen dar, liefert also sowohl mehr Produktbildner als Wertbildner
oder Arbeitseinsauger. Bei gleichbleibendem und selbst abnehmendem
Wert des Zusatzkapitals findet daher beschleunigte Akkumulation statt.
Nicht nur erweitert sich die Stufenleiter der Reproduktion stofflich,
sondern die Produktion des Mehrwerts wachst schneller als der Wert des
Zusatzkapitals.
Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit reagiert auch auf das
Originalkapital oder das bereits im ProduktionsprozeB befindliche Kapital.
Ein Teil des funktionierenden konstanten Kapitals besteht aus
Arbeitsmitteln, wie Maschinerie usw., die nur in langeren Perioden
konsumiert und daher reproduziert oder durch neue Exemplare derselben
Art ersetzt werden. Aber jedes Jahr stirbt ein Teil dieser Arbeitsmittel ab
oder erreicht das Endziel seiner produktiven Funktion. Er befindet sich
daher jedes Jahr im Stadium seiner periodischen Reproduktion oder seines
Ersatzes durch neue Exemplare derselben Art. Hat die Produktivkraft der
Arbeit sich in der Geburtsstatte dieser Arbeitsmittel erweitert, und sie
entwickelt sich fortwahrend mit dem ununterbrochenen FluB der
Wissenschaft und der Technik, so tritt wirkungsvollere und, ihren
Leistungsumfang betrachtet, wohlfeilere Maschine, Werkzeug, Apparat
usw. an die Stelle der alten. Das alte Kapital wird in einer produktiveren
Form reproduziert, abgesehn von der fortwahrenden Detailveranderung an
den vorhandnen Arbeitsmitteln. Der andre Teil des konstanten Kapitals,
Rohmaterial und Hilfsstoffe, wird fortwahrend innerhalb des Jahrs, der der
Agrikultur entstammende meist jahrlich reproduziert. Jede Einfiihrung
beBrer Methoden usw. wirkt hier also fast gleichzeitig auf ZuschuBkapital
und bereits in Funktion begriffnes Kapital. Jeder Fortschritt der Chemie
vermannigfacht nicht nur die Zahl der nutzlichen Stoffe und die
Nutzanwendungen der schon bekannten, und dehnt daher mit dem
Wachstum des Kapitals seine Anlagespharen aus. Er lehrt zugleich die
Exkremente des Produktions- und Konsumtionsprozesses in den Kreislauf
des Reproduktionsprozesses zuriickschleudern, schafft also ohne
vorherige Kapitalauslage neuen Kapitalstoff. Gleich vermehrter
Ausbeutung des Naturreichtums durch bloB hohere Spannung der
Arbeitskraft, bilden Wissenschaft und Technik eine von der gegebnen
GroBe des funktionierenden Kapitals unabhangige Potenz seiner
Expansion. Sie reagiert zugleich auf den in sein Erneuerungsstadium
eingetretenen Teil des Originalkapitals. In seine neue Form einverleibt es
gratis den hinter dem Rucken seiner alten Form vollzogenen
gesellschaftlichen Fortschritt. Allerdings ist diese Entwicklung der
Produktivkraft zugleich begleitet von teilweiser Depreziation
funktionierender Kapitale. Soweit diese Depreziation sich durch die
Konkurrenz akut fiihlbar macht, fallt die Hauptwucht auf den Arbeiter, in
dessen gesteigerter Exploitation der Kapitalist Schadenersatz sucht.
Die Arbeit ubertragt auf das Produkt den Wert der von ihr konsumierten
Produktionsmittel. Andrerseits wachst Wert und Masse der durch gegebne
Arbeitsmenge in Bewegung gesetzten Produktionsmittel im Verhaltnis, wie
die Arbeit produktiver wird. Setzt also auch dieselbe Arbeitsmenge ihren
Produkten immer nur dieselbe Summe Neuwert zu, so wachst doch der
alte Kapitalwert, den sie ihnen gleichzeitig ubertragt, mit steigender
Produktivitat der Arbeit.
Ein englischer und ein chinesischer Spinner z.B. mogen dieselbe
Stundenzahl mit derselben Intensitat arbeiten, so werden beide in einer
Woche gleiche Werte erzeugen. Trotz dieser Gleichheit besteht ein
ungeheurer Unterschied zwischen dem Wert des Wochenprodukts des
Englanders, der mit einem gewaltigen Automaten arbeitet, und des
Chinesen, der nur ein Spinnrad hat. In derselben Zeit, wo der Chinese ein
Pfund Baumwolle, verspinnt der Englander mehrere hundert Pfund. Eine
um mehrere hundert Mai groBere Summe alter Werte schwellt den Wert
seines Produkts an, in welchem sie in neuer nutzbarer Form erhalten
werden und so von neuem als Kapital funktionieren konnen. »1782«,
belehrt uns F. Engels, »lag die ganze Wollernte der vorhergehenden drei
Jahre [in England] aus Mangel an Arbeitern noch unverarbeitet da und
hatte liegenbleiben miissen, wenn nicht die neuerfundne Maschinerie zu
Hilfe gekommen ware und sie versponnen hatte.« w 8 Die in der Form von
Maschinerie vergegenstandlichte Arbeit stampfte nattirlich unmittelbar
keinen Menschen aus dem Boden, aber sie erlaubte einer geringen
Arbeiteranzahl durch Zusatz von relativ wenig lebendiger Arbeit nicht nur
die Wolle produktiv zu konsumieren und ihr Neuwert zuzusetzen, sondern
in der Form von Garn usw. ihren alten Wert zu erhalten. Sie lieferte damit
zugleich Mittel und Sporn zur erweiterten Reproduktion von Wolle. Es ist
die Naturgabe der lebendigen Arbeit, alten Wert zu erhalten, wahrend sie
Neuwert schafft. Mit dem Wachstum von Wirksamkeit, Umfang und Wert
ihrer Produktionsmittel, also mit der die Entwicklung ihrer Produktivkraft
begleitenden Akkumulation erhalt und verewigt die Arbeit daher in stets
neuer Form einen stets schwellenden Kapitalwert. 1069 Diese Naturkraft der
Arbeit erscheint als Selbsterhaltungskraft des Kapitals, dem sie einverleibt
ist, ganz wie ihre gesellschaftlichen Produktivkrafte als seine
Eigenschaften, und wie die bestandige Aneignung der Mehrarbeit durch
den Kapitalisten als bestandige Selbstverwertung des Kapitals. Alle Krafte
der Arbeit projektieren sich als Krafte des Kapitals, wie alle Wertformen
der Ware als Formen des Geldes.
Mit dem Wachstum des Kapitals wachst die Differenz zwischen
angewandtem und konsumiertem Kapital. In andren Worten: Es wachst
die Wert- und Stoffmasse der Arbeitsmittel, wie Baulichkeiten,
Maschinerie, Drainierungsrohren, Arbeitsvieh, Apparate jeder Art, die
wahrend langerer oder kiirzerer Periode, in bestandig wiederholten
Produktionsprozessen, ihrem ganzen Umfang nach funktionieren oder zur
Erzielung bestimmter Nutzeffekte dienen, wahrend sie nur allmahlich
verschleiBen, daher ihren Wert nur sttickweis verlieren, also auch nur
sttickweis auf das Produkt tibertragen. Im Verhaltnis, worin diese
Arbeitsmittel als Produktbildner dienen, ohne dem Produkt Wert
zuzusetzen, also ganz angewandt, aber nur teilweis konsumiert werden,
leisten sie, wie friiher erwahnt, denselben Gratisdienst wie Naturkrafte,
Wasser, Dampf, Luft, Elektrizitat usw. Dieser Gratisdienst der vergangnen
Arbeit, wenn ergriffen und beseelt von der lebendigen Arbeit, akkumuliert
mit der wachsenden Stufenleiter der Akkumulation.
Da die vergangne Arbeit sich stets in Kapital verkleidet, d.h. das Passivum
der Arbeit von A, B, C usw. in das Aktivum des Nichtarbeiters X, sind
Burger und politische Okonomen voll des Lobes fur die Verdienste der
vergangnen Arbeit, welche nach dem schottischen Genie MacCulloch
sogar einen eignen Sold (Zins, Profit usw.) beziehn muB. 1070 Das stets
wachsende Gewicht der im lebendigen ArbeitsprozeB unter der Form von
Produktionsmitteln mitwirkenden vergangnen Arbeit wird also ihrer dem
Arbeiter selbst, dessen vergangne und unbezahlte Arbeit sie ist,
entfremdeten Gestalt zugeschrieben, ihrer Kapitalgestalt. Die praktischen
Agenten der kapitalistischen Produktion und ihre ideologischen
Zungendrescher sind ebenso unfahig, das Produktionsmittel von der
antagonistischen gesellschaftlichen Charaktermaske, die ihm heutzutag
anklebt, getrennt zu denken, als ein Sklavenhalter den Arbeiter selbst von
seinem Charakter als Sklave.
1. MacCulloch loste das Patent auf "wages of past labour" lange bevor Senior [den Lohn fiir
Enthaltung] das Patent auf die "wages of abstinence" ["Lohn fur vergangene Arbeit"].
l.Vgl. u.a.: J.Bentham, "Theorie des Peines et des Recompenses", trad. Et.Dumont, 3eme ed., Paris
1826, t.II, I.IV, ch.ll.
2Jeremias Bentham ist ein rein englisches Phanomen. Selbst unsern Philosophen Christian Wolf
nicht ausgenommen, hat zu keiner Zeit und in keinem Land der hausbackenste Gemeinplatz sich jemals so
selbstgefallig breitgemacht. Das Nutzlichkeitsprinzip war keine Erfindung Benthams. Er reproduzierte nur
geistlos, was Helvetius und andere Franzosen des 18. Jahrhunderts geistreich gesagt hatten. Wenn man z.B.
wissen will, was ist einem Hunde niitzlich?, so muB man die Hundenatur ergriinden. Diese Natur selbst ist
nicht aus dem "Nutzlichkeitsprinzip" zu konstruieren. Auf den Menschen angewandt, wenn man alle
menschliche Tat, Bewegung, Verhaltnisse usw. nach dem Nutzlichkeitsprinzip beurteilen will, handelt es
sich erst um die menschliche Natur im allgemeinen und dann um die in jeder Epoche historisch
modifizierte Menschennatur. Bentham macht kein Federlesens. Mit der naivsten Trockenheit unterstellt er
den modernen SpieBbiirger, speziell den englischen SpieBbtirger, als den Normalmenschen. Was diesem
Kauz von Normalmensch und seiner Welt niitzlich, ist an und fur sich niitzlich. An diesem MaBstab
beurteilt er dann Vergangenheit. Gegenwart und Zukunft. Z.B. die christliche Religion ist "niitzlich', weil sie
dieselben Missetaten religios verpont, die der Strafkodex juristisch verdammt. Kunstkritik ist "schiidlich",
weil sie ehrbare Leute in ihrem GenuB an Martin Tupper stort usw. Mit solchem Schund hat der brave
Mann, dessen Devise: "nulla dies sine linea"*, Berge von Biichern gefiillt. Wenn ich die Courage meines
Freundes H. Heine hatte, wiirde ich Herrn Jeremias ein Genie in der biirgerlichen Dummheit nennen.
Bei gegebnem Exploitationsgrad der Arbeitskraft ist die Masse des
Mehrwerts bestimmt durch die Anzahl der gleichzeitig ausgebeuteten
Arbeiter, und diese entspricht, obgleich in wechselndem Verhaltnis, der
GroBe des Kapitals. Je mehr also das Kapital vermittelst sukzessiver
Akkumulationen wachst, desto mehr wachst auch die Wertsumme, die
sich in Konsumtionsfonds und Akkumulationsfonds spaltet. Der Kapitalist
kann daher flotter leben und zugleich mehr "entsagen". Und schlieBlich
spielen alle Springfedern der Produktion um so energischer, je mehr ihre
Stufenleiter sich erweitert mit der Masse des vorgeschossenen Kapitals.
5. Der sogenannte Arbeitsfonds
Es ergab sich im Verlauf dieser Untersuchung, daB das Kapital keine fixe
GroBe ist, sondern ein elastischer und mit der Teilung des Mehrwerts in
Revenue und Zusatzkapital bestandig fluktuierender Teil des
gesellschaftlichen Reichtums. Man sah ferner, daB selbst bei gegebner
GroBe des funktionierenden Kapitals die ihm einverleibte Arbeitskraft,
Wissenschaft und Erde (worunter okonomisch alle ohne Zutat des
Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstande zu verstehn sind)
elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Grenzen
einen von seiner eignen GroBe unabhangigen Spielraum gestatten. Es
wurde dabei von alien Verhaltnissen des Zirkulationsprozesses abgesehn,
die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapitalmasse verursachen.
Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Produktion
voraussetzen, also eine rein naturwiichsige Gestalt des gesellschaftlichen
Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen
Produktionsmitteln und Arbeitskraften unmittelbar und planmaBig
bewirkbaren rationelleren Kombination. Die klassische Okonomie Uebte es
von jeher, das gesellschaftliche Kapital als eine fixe GroBe von fixem
Wirkungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurteil ward erst zum Dogma
befestigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, dies nuchtern
pedantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Biirgerverstandes des
19Jahrhunderts. 1071 Bentham ist unter den Philosophen, was Martin
Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabrizierbar. 1072
Mit seinem Dogma werden die gewohnlichsten Erscheinungen des
Produktionsprozesses, wie z.B. dessen plotzliche Expansionen und
Kontraktionen, ja sogar die Akkumulation, vollig unbegreifbar. 1073 Das
Dogma wurde sowohl von Bentham selbst als von Malthus, James Mill,
MacCulloch usw. zu apologetischen Zwecken vernutzt, namentlich um
einen Teil des Kapitals, das variable oder in Arbeitskraft umsetzbare
Kapital als eine fixe GroBe darzustellen. Die stoffliche Existenz des
variablen Kapitals, d.h. die Masse der Lebensmittel, die es fur den Arbeiter
reprasentiert, oder der sog. Arbeitsfonds, wurde in einem durch
Naturketten abgeringten und unuberschreitbaren Sonderteil des
gesellschaftlichen Reichtums verfabelt. Um den Teil des gesellschaftlichen
Reichtums, der als konstantes Kapital oder, stofflich ausgedriickt, als
4.»Politische Okonomen sind zu geneigt, eine bestimmte Quantitat von Kapital und eine
bestimmte Anzahl Arbeiter als Produktionsinstrumente von gleichformiger Kraft und als mit einer
gewissen gleichformigen Intensitat wirkend zu behandeln... Diejenigen, die behaupten, dafi Waren die
einzigen Agenten der Produktion sind, beweisen, dafi die Produktion iiberhaupt nicht erweitert werden
kann, denn zu einer solchen Erweiterung miifiten Lebensmittel, Rohmaterialien und Werkzeuge vorher
vermehrt werden, was in der Tat darauf hinauskommt, dafi kein Wachstum der Produktion ohne ihr
vorheriges Wachstum stattfinden kann oder, in andren Worten, dafi jedes Wachstum unmoglich ist.« (S.
Bailey, "Money and its Vicissitudes", p. 58 u. 70.) Bailey kritisiert das Dogma hauptsachlich voin
Standpunkt des Zirkulationsprozesses.
5. J. St. Mill sagt in seinen "Principles of Polit. Economy" [b.II, ch.I, §3]: »Das Produkt der Arbeit
wird heutzutag verteilt im umgekehrten Verhdltnis zur Arbeit der grofite Teil an die, die niemals
arbeiten, der nachstgrofite an die, deren Arbeit fast nur nominell ist, und so, auf absteigender Skala,
schrumpft die Belohnung zusammen, im Mafie wie die Arbeit harter und unangenehmer wird, bis die
ermiidendste und erschopfendste korperliche Arbeit nicht mit Sicherheit auch nur auf Gewinnung der
Lebensbediirfnisse rechnen kann.« Zur Vermeidung von MiBverstandnis bemerke ich, daB, wenn Manner
wie J.St. Mill usw. wegen des Widerspruchs ihrer altokonomischen Dogmen und ihrer modernen
Tendenzen zu riigen sind, es durchaus unrecht ware, sie mit dem TroB der vulgarokonomischen Apologeten
zusammenzuwerfen.
l.H. Fawcett, Prof, of Polit. Econ. at Cambridge: "The Economic Position of the British Labourer",
Lond. 1865, p.120.
2. Ich erinnere hier den Leser, daB die Kategorien: variables und konstantes Kapital von mir zuerst
gebraucht werden. Die politische Okonomie seit A. Smith wirft die darin enthaltenen Bestimmungen mit
den aus dem ZirkulationsprozeB entspringenden Formunterschieden von fixem und zirkulierendem Kapital
kunterbunt zusammen. Das Nahere dariiber im Zweiten Buch, zweiter Abschnitt.
l.Fawcett, I.e. p. 123, 122.
l.Man konnte sagen, daB nicht nur Kapital, sondern auch Arbeiter, in Form der Emigration, jahrlich
aus England exportiert werden. Im Text ist jedoch gar nicht die Rede vom Peculium * der Auswanderer, die
zum groBen Teil keine Arbeiter sind. Die Pachterssohne liefern groBe Portion. Das jahrlich zur Verzinsung
ins Auland versandte englische Zusatzkapital steht in ungleich groBerem Verhaltnis zur jahrlichen
Akkumulation als die jahrliche Auswanderang zum jahrlichen Zuwachs der Bevolkerang.
Produktionsmittel funktionieren soil, in Bewegung zu setzen, ist eine
bestimmte Masse lebendiger Arbeit erheischt. Diese ist technologisch
gegeben. Aber weder ist die Anzahl der Arbeiter gegeben, erheischt, um
diese Arbeitsmasse flussig zu machen, denn das wechselt mit dem
Exploitationsgrad der individuellen Arbeitskraft, noch der Preis dieser
Arbeitskraft, sondern nur seine zudem sehr elastische Minimalschranke.
Die Tatsachen, die dem Dogma zu Grand liegen, sind die: Einerseits hat
der Arbeiter nicht mitzusprechen bei der Teilung des gesellschaftlichen
Reichtums in GenuBmittel der Nichtarbeiter und in Produktionsmittel.
Andrerseits kann er nur in gunstigen Ausnahmsfallen den sog.
'Arbeitsfonds" auf Kosten der "Revenue" des Reichen erweitern. 1074
Zu welch abgeschmackter Tautologie es fuhrt, die kapitalistische Schranke
des Arbeitsfonds in seine gesellschaftliche Naturschranke umzudichten,
zeige u.a. Professor Fawcett:
»Das zirkulierende Kapital iaii eines Landes«, sagt er, »lst seln
Arbeitsfonds. Um daher den durchschnittlichen Geldlohn, denjeder
Arbeiter erhdlt, zu berechnen, haben wir nur einfach dies Kapital durch
die Anzahl der Arbelterbevolkerung zu dividieren.« iau
D.h. also, erst rechnen wir die wirklich gezahlten individuellen
Arbeitslohne in eine Summe zusammen, dann behaupten wir, daB diese
Addition die Wertsumme des von Gott und Natur oktroyierten
"Arbeitsfonds" bildet. Endlich dividieren wir die so erhaltne Summe durch
die Kopfzahl der Arbeiter, um hinwiederam zu entdecken, wieviel jedem
Arbeiter individuell im Durchschnitt zufallen kann. Eine ungemein pfiffige
Prozedur dies. Sie verhindert Herrn Fawcett nicht, im gelben Atemzug zu
sagen:
»Der in England jdhrlich akkumulierte Gesamtreichtum wird in zwei
Telle geteilt. Ein Tell wird in England zur Erhaltung unsrer eignen
Industrie verwandt. Ein andrer Tell wird In andre Lander exportiert...
Der in unsrer Industrie angewandte Tell bildet kelne bedeutende Portion
des jdhrlich In dies em Land akkumulierten Reichtums. « 107
Der groBere Teil des jahrlich zuwachsenden Mehrprodukts, dem
englischen Arbeiter ohne Aquivalent entwandt, wird also nicht in England,
sondern in fremden Lander verkapitalisiert. Aber mit dem so exportierten
Zusatzkapital wird ja auch ein Teil des von Gott und Bentham erfundnen
"Arbeitsfonds" exportiert. 1078
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Das allgemeine Gesetz
der kapitalistischen Akkurnulation
1 Wachsende Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkurnulation, bei
gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals
Wir behandeln in diesem Kapitel den EinfluB, den das Wachstum des
Kapitals auf das Geschick der Arbeiterklasse ausiibt. Der wichtigste Faktor
bei dieser Untersuchung ist die Zusammensetzung des Kapitals und die
Veranderungen, die sie im Verlauf des Akkumulationsprozesses
durchmacht.
Die Zusammensetzung des Kapitals ist in zweifachem Sinn zu
fassen. Nach der Seite des Werts bestimmt sie sich durch das Verhaltnis,
worin es sich teilt in konstantes Kapital oder Wert der Produktionsmittel
und variables Kapital oder Wert der Arbeitskraft, Gesamtsumme der
Arbeitslohne. Nach der Seite des Staffs, wie er im ProduktionsprozeB
fungiert, teilt sich jedes Kapital in Produktionsmittel und lebendige
Arbeitskraft; diese Zusammensetzung bestimmt sich durch das Verhaltnis
zwischen der Masse der angewandten Produktionsm'ttel einerseits und der
zu ihrer Anwendung erforderlichen Arbeitsmenge andrerseits. Ich nenne
die erstere die Wertzusammensetzung, die zweite die technische
Zusammensetzung des Kapitals. Zwischen beiden besteht enge
Wechselbeziehung. Um diese auszudriicken, nenne ich die
Wertzusammensetzung des Kapitals, insofern sie durch seine technische
Zusammensetzung bestimmt wird und deren Anderungen widerspiegelt:
die organische Zusammensetzung des Kapitals. Wo von der
Zusammensetzung des Kapitals kurzweg die Rede ist, ist stets seine
organische Zusammensetzung zu verstehn.
Die zahlreichen in einem bestimmten Produktionszweig angelegten
Einzelkapitale haben unter sich mehr oder weniger verschiedne
Zusammensetzung. Der Durchschnitt ihrer Einzelzusammensetzungen
ergibt uns die Zusammensetzung des Gesamtkapitals dieses
Produktionszweigs. Endlich ergibt uns der Gesamtdurchschnitt der
Durchschnittszusammensetzungen samtlicher Produktionszweige die
Zusammensetzung des gesellschaftlichen Kapitals eines Landes, und von
dieser allein in letzter Instanz ist im folgenden die Rede.
Wachstum des Kapitals schlieBt Wachstum seines variablen oder in
Arbeitskraft umgesetzten Bestandteils ein. Ein Teil des in Zusatzkapital
verwandelten Mehrwerts muB stets riickverwandelt werden in variables
Kapital oder zuschussigen Arbeitsfonds. Unterstellen wir, daB, nebst sonst
gleichbleibenden Umstanden, die Zusammensetzung des Kapitals
unverandert bleibt, d.h. eine bestimmte Masse Produktionsmittel oder
konstantes Kapital stets dieselbe Masse Arbeitskraft erheischt, um in
Bewegung gesetzt zu werden, so wachst offenbar die Nachfrage nach
Arbeit und der Subsistenzfonds der Arbeiter verhaltnismaBig mit dem
Kapital und um so rascher, je rascher das Kapital wachst. Da das Kapital
jahrlich einen Mehrwert produziert, wo von ein Teil jahrlich zum
Originalkapital geschlagen wird, da dies Inkrement selbst jahrlich wachst
mit dem zunehmenden Umfang des bereits in Funktion begriffenen
Kapitals und da endlich, unter besondrem Sporn des Bereicherungstriebs,
wie z.B. Offnung neuer Markte, neuer Spharen der Kapitalanlage infolge
neu entwickelter gesellschaftlicher Bediirfnisse usw., die Stufenleiter der
Akkumulation plotzlich ausdehnbar ist durch bloB veranderte Teilung des
Mehrwerts oder Mehrprodukts in Kapital und Revenue, konnen die
Akkumulationsbedurfnisse des Kapitals das Wachstum der Arbeitskraft
oder der Arbeiteranzahl, die Nachfrage nach Arbeitern ihre Zufuhr
uberfliigeln und daher die Arbeitslohne steigen. Dies muB sogar schlieBlich
der Fall sein bei unveranderter Fortdauer obiger Voraussetzung. Da in
jedem Jahr mehr Arbeiter beschaftigt werden als im vorhergehenden, so
muB friiher oder spater der Punkt eintreten, wo die Bediirfnisse der
Akkumulation anfangen, iiber die gewohnliche Zufuhr von Arbeit
hinauszuwachsen, wo also Lohnsteigerung eintritt. Klage hieriiber ertont in
England wahrend des ganzen fiinfzehnten und der ersten Halfte des
achtzehnten Jahrhunderts. Die mehr oder minder gunstigen Umstande,
worin sich die Lohnarbeiter erhalten und vermehren, andern jedoch nichts
am Grundcharakter der kapitalistischen Produktion. Wie die einfache
Reproduktion fortwahrend das Kapitalverhaltnis selbst reproduziert,
Kapitalisten auf der einen Seite, Lohnarbeiter auf der andren, so
reproduziert die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter oder die
Akkumulation das Kapitalverhaltnis auf erweiterter Stufenleiter, mehr
Kapitalisten oder groBere Kapitalisten auf diesem Pol, mehr Lohnarbeiter
auf jenem. Die Reproduktion der Arbeitskraft, die sich dem Kapital
unaufhorlich als Verwertungsmittel einverleiben muB, nicht von ihm
loskommen kann und deren Horigkeit zum Kapital nur versteckt wird
durch den Wechsel der individuellen Kapitalisten, woran sie sich verkauft,
bildet in der Tat ein Moment der Reproduktion des Kapitals selbst.
Akkumulation des Kapitals ist also Vermehrung des Proletariats. 1079
Die klassische Okonomie begriff diesen Satz so wohl, daB A. Smith,
Ricardo usw., wie friiher erwahnt, die Akkumulation sogar falschlich
identifizieren mit Konsum des ganzen kapitalisierten Teils des
l.Karl Marx, l.c.[Siehe MEW, Band 6, S.410] - »Bei gleicher Unterdruckung der Massen ist ein
Land um so reicher, je mehr Proletarier es hat.« (Colins, "LEconomie Politique, Source des Revolutions
et des Utopies pretendues Socialistes", Paris 1857, t.III, p. 331.) Unter "Proletarier" ist okonomisch nichts
zu verstehn als der Lohnarbeiter, der "Kapital" produziert und verwertet und aufs Pilaster geworfen wird,
sobald er fur die Verwertungsbedurfnisse des "Monsieur Kapital", wie Pecqueur diese Person nennt,
uberflussig ist. »Der krdnkliche Proletarier des Urwalds« ist ein artiges Roschersches Phantom. Der
Urwaldler ist Eigentiimer des Urwalds und behandelt den Urwald, ganz so ungeniert wie der Orang-Utang,
als sein Eigentum. Er ist also nicht Proletarier. Dies ware nur der Fall, wenn der Urwald ihn, statt er den
Urwald exploitierte. Was seinen Gesundheitszustand betrifft, steht solcher wohl den Vergleich aus nicht
nur mit dem des modernen Proletariers, sondern auch dem der syphilitischen und skrofulosen "Ehrbarkeit".
Doch versteht Herr Wilhelm Roscher unter Urwald wahrscheidch die stammverwandte Luneburger Heide.
l.»As the Labourers make men rich, so the more Labourers, there will be the more rich men ...
the Labour of the Poor being the Mines of the Rich.« (John Bellers, I.e. p. 2.)
l.B. de Mandeville, ("The Fable of the Bees", 5th ed., Lond. 1728, Remarks, p.212, 213, 328.) -
»Mdfiiges Leben und bestdndige Arbeit sindfur den Armen der Weg zum materiellen Gliicke [worunter
er moglichst langen Arbeitstag und moglichst wenig Lebensmittel versteht] und zum Reichtum filr den
Staat« (namlich Grundeigentiimer, Kapitalisten und ihre politischen Wiirdetrager und Agenten). ('An Essay
on Trade and Commerce", Lond. 1770, p. 54.)
I.Eden hatte fragen sollen, wessen Kreatur sind denn »die burgerlichen Institutionen«? Vom
Standpunkt der juristischen Illusion betrachtet er nicht das Gesetz als Produkt der materiellen
Produktionsverhaltnisse, sondern umgekehrt die Produktionsverhaltnisse als Produkt des Gesetzes.
Linguet* warf Montesquieus ilfusorischen "Esprit des Lois" ["Geist der Gesetze"] mit dem einen Wort iiber
den Haufen: "L'esprit des lois, e'est la propriete".["Der Geist der Gesetze ist das Eigentum."]
Mehrprodukts durch produktive Arbeiter oder mit seiner Verwandlung in
zuschiissige Lohnarbeiter. Schon 1696 sagt John Bellers:
»Wenn jemand 100.000 Acres hdtte und ebenso viele Pfunde Geld und
ebensoviel Vieh, was ware der reiche Mann ohne den Arbeiter aufier
selbst ein Arbeiter? Und wie die Arbeiter Leute reich machen, so desto
mehr Arbeiter, desto mehr Reiche... Die Arbeit des Armen ist die Mine
des Reichen.« 10S0
So Bernard de Mandeville im Anfang des 18. Jahrhunderts:
» Wo das Eigentum hinreichend geschiitzt ist, ware es leichter, ohne Geld
zu leben als ohne Arme, denn wer wiirde die Arbeit tun?... Wie die
Arbeiter vor Aushungerung zu bewahren sind, so sollten sie nichts
erhalten, was der Ersparung wert ist. Wenn hier und da einer aus der
untersten Klasse durch ungewohnlichen Fleifi und Bauchkneipen sich
iiber die Lage erhebt, worin er aufgewachsen war, so mufi ihn keiner
daran hindern: ja es ist unleugbar der weiseste Plan fur jede
Privatperson, fur jede Privatfamilie in der Gesellschaft, frugal zu sein;
aber es ist das Interesse aller reichen Nationen, dafi der grofite Teil der
Armen nie untdtig sei und sie dennoch stets verausgaben, was sie
einnehmen... Diejenigen, die ihr Leben durch ihre tag liche Arbeit
gewinnen, haben nichts, was sie anstachelt, dienstlich zu sein aufier
ihren Bediirfnissen, welche es Klugheit ist zu lindern, aber Narrheit ware
zu kurieren. Das einzige Ding, das den arbeitenden Mann fleifiig machen
kann, ist ein mdfiiger Arbeitslohn. Ein zu geringer macht ihn je nach
seinem Temperament kleinmiitig oder verzweifelt, ein zu grofier insolent
undfaul... Aus dem bisher Entwickelten folgt, dafi in einer freien Nation,
wo Sklaven nicht erlaubt sind, der sicherste Reichtum aus einer Menge
arbeitsamer Armen besteht. Aufierdem, dafi sie die nie versagende
Zufuhrquelle fur Flotte und Arme e, gabe es ohne sie keinen Genufi und
ware das Produkt keines Landes verwertbar. Um die Gesellschaft [die
nattirlich aus den Nichtarbeitern besteht] gliicklich und das Volk selbst in
kiimmerlichen Zustanden zufrieden zu machen, ist es notig, dafi die
grofie Majoritat sowohl unwissend als arm bleibt. Kenntnis erweitert
und vervielfacht unsere Wunsche, undje weniger ein Mann wiinscht,
desto leichter konnen seine Bediirfnisse befriedigt werden.« 10S1
Was Mandeville, ein ehrlicher Mann und heller Kopf, noch nicht begreift,
ist, daB der Mechanismus des Akkumulationsprozesses seit dem Kapital
die Masse der "arbeitsamen Armen" vermehrt, d.h. der Lohnarbeiter, die
ihre Arbeitskraft in wachsende Verwertungskraft des wachsenden Kapitals
verwandeln und ebendadurch ihr Abhangigkeitsverhaltnis von ihrem
eignen, im Kapitalisten personifizierten Produkt verewigen mussen. Mit
Bezug auf dies Abhangigkeitsverhaltnis bemerkt Sir F.M. Eden in seiner
"Lage der Armen, oder Geschichte der arbeitenden Klasse Englands":
»Unsere Zone erfordert Arbeit zur Befriedigung der Bediirfnisse, und
deshalb mufi wenigstens ein Teil der Gesellschaft unermiidet arbeiten...
Einige, die nicht arbeiten, haben dennoch die Produkte des Fleifies zu
ihrer Verfiigung. Das verdanken diese Eigentiimer aber nur der
Zivilisation und Ordnung; sie sind reine Kreatuten der biirgerlichen
Institutionen. I082 Denn diese haben es anerkannt, dafi man die Friichte
der Arbeit auch anders als durch Arbeit sich aneignen kann. Die Leute
von unabhangigem Vermogen verdanken ihr Vermo gen fast ganz der
Arbeit andrer, nicht eignen Fahigkeit, die durchaus nicht besser ist als
die der andren; es ist nicht der Besitz von Land und Geld, sondern das
Kommando iiber Arbeit (the command of labour), das die Reichen von
den Armen unterscheidet... Was dem Armen zusagt, ist nicht eine
verworfene oder servile Lage, sondern ein bequemes und liberales
Abhangigkeitsverhaltnis (a state of easy and liberal dependence), und fur
die Leute von Eigentum hinreichender Einflufi und Autoritat iiber die,
die fur sie arbeiten... Ein solches Abhangigkeitsverhaltnis ist, wie jeder
Kenner der menschlichen Natur weifi, notwendig fur den Komfort der
Arbeiter selbst.« 10S3
3.74 Eden, I.e., v.1,1.1, ch.I, p.l, 2 und Preface, p.XX.
l.Sollte der Leser an Malthus erinnern, dessen "Essay on Population" 1798 erschien, so erinnere
ich, daB diese Schrift in ihrer ersten Form nichts als ein schiilerhaft oberflachliches und pfaffisch
verdeklamiertes Plagiat aus Defoe, Sir James Steuert, Townsend, Franklin, Wallace usw. ist und nicht einen
einzigen selbstgedachten Satz enthalt. Das groBe Aufsehn, das dies Pamphlet erregte, entsprang lediglich
Parteiinteressen. Die Franzosische Revolution hatte im britischen Konigreich Ieldenschaftliche
Verteidiger gefunden; das "Populationsprinzip", langsam im 18. Jahrhundert herausgearbeitet, dann mitten
Sir F. M. Eden, beilaufig bemerkt, ist der einzige Schuler Adam Smiths,
der wahrend des achtzehnten Jahrhunderts etwas Bedeutendes geleistet
hat. 1084
in einer groBen sozialen Krisis mit Pauken unci Trompeten verkiindet als das unfehlbare Gegengift gegen
die Lehren von Condercet u.a., wurde jubelnd begriiBt von der englischen Oligarchie als der groBe Austilger
aller Geriiste nach menschlicher Fortentwicklung. Malthus, iiber seinen Erfolg hocherstaunt , gab sich dann
daran, oberflachlich kompiliertes Material in das alte Schema zu stopfen und neues, aber nicht von Malthus
entdecktes, sondern nur annexiertes, zuzufugen. Nebenbei bemerkt. Obgleich Malthus Pfaffe der
englischen Hochkirche, hatte er das Monchsgeliibde des Zolibats abgelegt. Dies ist namlich eine der
Bedingungen der fellowship [Mitgliedschaft] der protestantischen Universitat zu Cambridge. »Dafi die
Mitglieder der Kollegien verheiratet sind, gestatten wir nicht, sondern sobald jemand eine Frau
nimmt, hort er damit auf Mitglied des Kollegiums zu sein.« ("Reports of Cambridge University
Commission", p. 172.) Dieser Umstand unterscheidet Malthus vorteilhaft von den andren protestantischen
Pfaffen, die das katholische Gebot des Priesterzolibats von sich selbst abgeschuttelt und das "Seid
fruchtbar und mehret euch" in solchem MaB als ihre spezifisch biblische Mission vindiziert haben, daB sie
iiberall in wahrhaft unanstandigem Grad zur Vermehrung der Bevolkerung beitragen, wahrend sie
gleichzeitig den Arbeitern das "Populationsprinzip" predigen. Es ist charakteristisch, daB der okonomische
travestierte Sundenfall, der Adamsapfel, der "urgent appetite", "the checks which tend to blunt the shafts of
Cupid" [die "dringliche Begierde", "die Hemmnisse, die die Pfeile Cupidos abzustumpfen suchen"], wie
Pfaff Townsend munter sagt, daB dieser kitzlige Punkt von den Herrn von der protestantischen Theologie
oder vielmehr Kirche monopolisiert ward und wird. Mit Ausnahme des venetianischen Monches Ortes,
eines originellen und geistreichen Schriftstellers, sind die meisten Populationslehrer protestantische
Pfaffen. So Bruckner: "Theorie du Systeme animal", Leyde 1767, worin die ganze moderne
Bevolkerungstheorie erschopft ist und wozu der voriibergehende Zank zwischen Quesnay und seinem
Schuler Mirabeau pere [der Altere] iiber dasselbe Thema Ideen lieferte, dann Pfaffe Wallace, Pfaffe
Townsend, Pfaffe Malthus und sein Schuler, der Erzpfaff Th. Chalmers, von kleineren pfaffischen
Skribenten in this line [dieser Art] gar nicht zu reden. Ursprunglich ward die politische Okonomie betrieben
von Philosophen, wie Hobbes. Locke, Hume, Geschafts- und Staatsleuten, wie Thomas Morus, Temple,
Sully, de Witt, North, Law, Vanderlint, Cantillon, Franklin, und theoretisch namentlich, und mit dem
groBten Erfolg, von Medizinern, wie Petty, Barbon, Mandeville, Quesnay. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts
entschuldigt sich Rev. Mr.Tucker, ein bedeutender Okonom fur seine Zeit, daB er sich mit dem Mammon
beschaftigte. Spater, und zwar mit dem "Bevolkerungsprinzip" schlug die Stunde der protestantischen
Pfaffen. Als ob er diese Geschaftsverpfuschung geahnt, sagt Petty, der die Population als Basis des
Reichtums behandelt und, gleich Adam Smith, abgesagter Pfaffenfeind: »Die Religion bliiht am besten,
wenn die Priester am meisten kasteit werden, wie das Recht am besten, wo die Advokaten verhungern. «
Er rat daher den protestantischen Pfaffen, wenn sie einmal dem Apostel Paulus nicht folgen und sich nicht
durch das Zolibat »abtoten« wollen, »doch ja nicht mehr Pfaffen zu hecken (not to breed more
Churchmen) als die vorhandenen Pfriinden (benefices) absorbieren konnen; d.h. wenn es nur 12.000
Pfriinden in England und Wales gibt, ist es unweis, 24.000 Pfaffen zu hecken (it will not be safe to
breed 24.000 ministers), denn die 12.000 Unversorgten werden stets einen Lebensunterhalt zu
gewinnen suchen, und wie konnten sie das leichter tun, als indem sie unter das Volk gehn und es
iiberreden, die 12.000 Pfriindner vergifteten die Seelen, und hungerten selbige Seelen aus, und zeigten
ihnen den Holzweg zum Himmel?« (Petty, "A Treatise on Taxes and Contributions", Lond. 1667, p. 57.)
Adam Smiths Stellung zum protestantischen Pfaffentum seiner Zeit ist durch folgendes charakterisiert. In
"A Letter to A. Smith, L L. D. On the Life, Death and Philosophy of his Friend David Hume. By One of the
People called Christians", 4th ed., Oxford 1784, kanzelt Dr. Home, hochkirchlicher Bischof von Norwich,
den A. Smith ab, weil er in einem offentlichen Sendschreiben an Herrn Strahan seinen »Freund David«
[sc.Hume] einbalsamiere«, weil er dem Publikum erzahle, wie »Hume auf seinem Sterbebett sich mit
Lukian und Whist amiisierte«, und sogar die Frechheit hatte, zu schreiben: »Ich habe Hume stets, sowohl
wdhrend seines Lebens wie nach seinem Tode so nahe dem Ideal eines vollkommen weisen und
tugendhaften Mannes betrachtet, als die Schwdche der menschlichen Natur erlaubt.« Der Bischof ruft
entriistet: »Ist es recht von ihnen, mein Herr, uns als vollkommen weise und tugendhaft den Charakter
und Lebenswandel eines Menschen zu schildern, der von einer unheilbaren Antipathie besessen war
wider alles, was Religion heifit, und der jeden Nerv anspannte, um, so viel an ihm, selbst ihren Namen
aus dem Gedachtnis der Menschen zu loschen?« (I.e. p. 8.) »Aber lafit euch nicht entmutigen, Liebhaber
der Wahrheit, der Atheismus ist kurzlebig.« (p. 17.) Adam Smith »hat die graBliche Ruchlosigkeit (the
atrocious wickedness), den Atheismus durch das Land zu propagandieren« (namlich durch seine "Theory
of moral sentiments"). »... Wir kennen Eure Schliche, Herr Doktor! Ihr meint's gut, rechnet aber diesmal
ohne den Wirt. Ihr wollt uns durch das Beispiel von David Hume, Esq., weismachen, dafi Atheismus der
einzige Schnaps (cordial) fiir ein niedergeschlagnes Gemiit und das einzige Gegengift wider
Todesfurcht ist... Lacht nur iiber Babylon in Ruinen und begluckwunscht nur den verharteten Bosewicht
Pharao!« (I.e. p. 21, 22.) Ein orthodoxer Kopf unter A. Smiths Kollegienbesuchern schreibt nach dessen
Tod: »Smiths Freundschaft fiir Hume verhinderte ihn, ein Christ zu sein... Er glaubte Hume alles aufs
Wort. Wenn Hume ihm gesagt, der Mond sei ein griiner Kds, er hatt's geglaubt. Er glaubte ihm daher
auch, dafi es keinen Gott und keine Wunder gebe... In seinen politischen Prinzipien streifte er an
Republikanismus.« ("The Bee" by James Anderson, 18 vis., Edinb. 1791-1793, vol.3, p. 166, 165.) Pfaff Th.
Chalmers hat A. Smith in Verdacht, dafi er aus reiner Malice die Kategorie der "unproduktiven Arbeiter"
eigens fiir die protestantischen Pfaffen erfand, trotz ihrer gesegneten Arbeit im Weinberg des Herrn.
l.den kennzeichnenden Unterschied
2. Note zur 2.Ausgabe. »Die Grenze jedoch der Beschaftigung von industriellen wie von
landlichen Arbeitern ist dieselbe: namlich die Moglichkeit fiir den Unternehmer, einen Profit aus
ihrem Arbeitsprodukt herauszuschlagen. Steigt die Rate des Arbeitslohns so hoch, dafi der Gewinn des
Meisters unter den Durchschnittsprofit fallt, so hort er auf, sie zu beschaftigen, oder beschaftigt sie
nur unter der Bedingung, dafi sie eine Herabsetzung des Arbeitslohns zulassen.« (John Wade, I.e.
p.240.)
1.3. und 4. Auflage: bei hohen Preisen zu wenig, bei niedrigen zu viel Geld zirkuliert.
2.Vgl. Karl Marx, "Zur Kritik der Politischen Oekonomie", p. 165 sqq.2 [siehe MEW, Band 13, S.
154ff.]
l.»Gehen wir aber nun aufunsere erste Untersuchung zuriick, wo nachgewiesen ist ... dafi das
Kapital selbst nur das Erzeugnis menschlicher Arbeit ist ... so scheint es ganz unbegreiflich, dafi der
Mensch unter die Herrschaft seines eigenen Produkts - das Kapital - geraten und diesem
untergeordnetwerden konne; und da dies in derwirklichkeit doch unleugbar der Fall ist, so drangt sich
unwillkiirlich die Frage auf - wie hat der Arbeiter aus dem Beherrscher des Kapitals - als Schopfen
desselben - zum Sklaven des Kapitals werden konnen ?« (Von Thunen, "Der isolierte Staat", Zweiter Teil,
Zweite Abtheilung, Rostock 1863, p. 5, 6.) Es ist das Verdienst Thiinens, gefragt zu haben. Seine Antwort
ist einfach kindisch.
I.Adam Smith: "An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations", Bd.l, Edinburgh
1814, S. 142.
1. unter sonst gleichen Umstanden
l.jZur 4.Aufl. - Die neuesten englischen und amerikanischen "Trusts" streben dies Ziel bereits an,
indem sie versuchen, wenigstens samtliche GroBbetriebe eines Geschaftszweigs zu einer groBen
Aktiengesellschaft mit praktischem Monopol zu vereinigen. - F.E. )
l.{Note zur 3.Auflage. - In Marx' Handexemplar steht hierdie Randbemerkung: »Hier fiir Spateres
zu bemerken: Ist die Erweiterung nur quantitativ, so verhalten sich bei groBerem und kleinerem Kapital in
demselben Geschaftszweig die Profite wie die GroBen der vorgeschossenen Kapitale. Wirkt die
quantitative Erweiterung qualitativ, so steigt zugleich die Rate des Profits fiir das groBte Kapital.« - F.E.)
Unter den bisher unterstellten, den Arbeitern gunstigsten
Akkumulationsbedingungen kleidet sich ihr Abhangigkeitsverhaltnis vom
Kapital in ertragliche oder, wie Eden sagt, »bequeme und liberale«
Formen. Statt intensiver zu werden mit dem Wachstum des Kapitals, wird
es nur extensiver, d.h. die Exploitations- und Herrschaftssphare des
Kapitals dehnt sich nur aus mit seiner eigenen Dimension und der Anzahl
seiner Untertanen. Von ihrem eignen anschwellenden und schwellend in
Zusatzkapital verwandelten Mehrprodukt stromt ihnen ein groBerer Teil in
der Form von Zahlungsmitteln zuriick, so daB sie den Kreis ihrer Geniisse
erweitern, ihren Konsumtionsfonds von Kleidern, Mobeln usw. besser
ausstatten und kleine Reservefonds von Geld bilden konnen. So wenig
aber bessere Kleidung, Nahrung, Behandlung und ein groBeres Peculium
das Abhangigkeitsverhaltnis und die Exploitation des Sklaven aufheben, so
wenig die des Lohnarbeiters. Steigender Preis der Arbeit infolge der
Akkumulation des Kapitals besagt in der Tat nur, daB der Umfang und die
Wucht der goldnen Kette, die der Lohnarbeiter sich selbst bereits
geschmiedet hat, ihre losere Spannung erlauben. In den Kontroversen iiber
diesen Gegenstand hat man meist die Hauptsache ubersehn, namlich die
differentia specifica 1085 der kapitalistischen Produktion. Arbeitskraft wird
hier gekauft, nicht um durch ihren Dienst oder ihr Produkt die
personlichen Bediirfnisse des Kaufers zu befriedigen. Sein Zweck ist
Verwertung seines Kapitals, Produktion von Waren, die mehr Arbeit
enthalten, als er zahlt, also einen Wertteil enthalten, der ihm nichts kostet
und dennoch durch den Waren verkauf realisiert wird. Produktion von
Mehrwert oder Plusmacherei ist das absolute Gesetz dieser
Produktionsweise. Nur soweit sie die Produktionsmittel als Kapital erhalt,
ihren eignen Wert als Kapital reproduziert und in unbezahlter Arbeit eine
Quelle von ZuschuBkapital liefert, ist die Arbeitskraft verkaufbar. 1086 Die
Bedingungen ihres Verkaufs, ob mehr oder minder gunstig fiir den
Arbeiter, schlieBen also die Notwendigkeit ihres steten Wiederverkaufs
und die stets erweiterte Reproduktion des Reichtums als Kapital ein. Der
Arbeitslohn, wie man gesehn, bedingt seiner Natur nach stets Lieferung
eines bestimmten Quantums unbezahlter Arbeit auf seiten des Arbeiters.
Ganz abgesehn vom Steigen des Arbeitslohns mit sinkendem Preis der
Arbeit usw., besagt seine Zunahme im besten Fall nur quantitative
Abnahme der unbezahlten Arbeit, die der Arbeiter leisten muB. Diese
Abnahme kann nie bis zum Punkt fortgehn, wo sie das System selbst
bedrohen wurde. Abgesehn von gewaltsamen Konflikten iiber die Rate des
Arbeitslohns, und Adam Smith hat bereits gezeigt, daB im groBen und
ganzen in solchem Konflikt der Meister stets Meister bleibt, unterstellt ein
aus Akkumulation des Kapitals entspringendes Steigen des Arbeits preises
folgende Alternative.
Entweder fahrt der Preis der Arbeit fort zu steigen, weil seine Erhohung
den Fortschritt der Akkumulation nicht stort, es liegt darin nichts
Wunderbares, denn, sagt A. Smith,
»selbst bei gesunknem Profit vermehren sich die Kapitale dennoch; sie
wachsen selbst rascher als vorher... Ein grofies Kapital wachst selbst bei
kleinerem Profit im allgemeinen rascher als ein kleines Kapital bei
grofiem Profit.« (I.e. I,p.l89.)
In diesem Falle ist es augenscheinlich, daB eine Verminderung der
unbezahlten Arbeit die Ausdehnung der Kapitalherrschaft keineswegs
beeintrachtigt. - Oder, das ist die andre Seite der Alternative, die
Akkumulation erschlafft infolge des steigenden Arbeitspreises, weil der
Stachel des Gewinns abstumpft. Die Akkumulation nimmt ab. Aber mit
ihrer Abnahme verschwindet die Ursache ihrer Abnahme, namlich die
Disproportion zwischen Kapital und exploitabler Arbeitskraft. Der
Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses beseitigt also
selbst die Hindernisse, die er voriibergehend schafft. Der Arbeitspreis fallt
wieder auf ein den Verwertungsbedurfnissen des Kapitals entsprechendes
Niveau, ob dieses nun unter, iiber oder gleich mit dem Niveau, welches vor
Eintritt des Lohnzuwachses als normal gait. Man sieht: Im ersten Fall ist es
nicht die Abnahme im absoluten oder proportionellen Wachstum der
Arbeitskraft oder Arbeiterbevolkerung, welche das Kapital uberschussig,
sondern umgekehrt die Zunahme des Kapitals, welche die exploitable
Arbeitskraft unzureichend macht. Im zweiten Fall ist es nicht die Zunahme
im absoluten oder proportionellen Wachstum der Arbeitskraft oder der
Arbeiterbevolkerung, welche das Kapital unzureichend, sondern
umgekehrt die Abnahme des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft,
oder vielmehr ihren Preis, uberschussig macht. Es sind diese absoluten
Bewegungen in der Akkumulation des Kapitals, welche sich als relative
Bewegungen in der Masse der exploitablen Arbeitskraft widerspiegeln und
daher der eignen Bewegung der letztren geschuldet scheinen. Um
mathematischen Ausdruck anzuwenden: die GroBe der Akkumulation ist
die unabhangige Variable, die LohngroBe die abhangige, nicht umgekehrt.
So driickt sich in der Krisenphase des industriellen Zyklus der allgemeine
Fall der Warenpreise als Steigen des relativen Geldwerts, und in der
Prosperitatsphase das allgemeine Steigen der Warenpreise als Fall des
relativen Geldwerts aus. Die sog. Currency-Schule [52] schlieBt daraus,
daB bei hohen Preisen zu viel, bei niedrigen zu wenig Geld zirkuliert. 1087
Ihre Ignoranz und vollige Verkennung der Tatsachen 1088 finden wiirdige
Parallele in den Okonomen, welche jene Phanomene der Akkumulation
dahin deuten, daB das eine Mai zu wenig und das andre Mai zu viel
Lohnarbeiter existieren.
Das Gesetz der kapitalistischen Produktion, das dem angeblichen
"naturlichen Populationsgesetz" zugrunde liegt, kommt einfach auf dies
heraus: Das Verhaltnis zwischen Kapital, Akkumulation und Lohnrate ist
nichts als das Verhaltnis zwischen der unbezahlten, in Kapital
verwandelten Arbeit und der zur Bewegung des Zusatzkapitals
erforderhchen zuschiissigen Arbeit. Es ist also keineswegs ein Verhaltnis
zweier voneinander unabhangigen GroBen, einerseits der GroBe des
Kapitals, andrerseits der Zahl der Arbeiterbevolkerung, es ist vielmehr in
letzter Instanz nur das Verhaltnis zwischen der unbezahlten und der
bezahlten Arbeit derselben Arbeiterbevolkerung. Wachst die Menge der
von der Arbeiterklasse gelieferten und von der Kapitalistenklasse
akkumulierten, unbezahlten Arbeit rasch genug, um nur durch einen
auBergewohnlichen ZuschuB bezahlter Arbeit sich in Kapital verwandeln
zu konnen, so steigt der Lohn, und alles andre gleichgesetzt, nimmt die
unbezahlte Arbeit im Verhaltnis
ab. Sobald aber diese Abnahme den Punkt beriihrt, wo die das Kapital
ernahrende Mehrarbeit nicht mehr in normaler Menge angeboten wird, so
tritt eine Reaktion ein: ein geringerer Teil der Revenue wird kapitalisiert, die
Akkumulation erlahmt, und die steigende Lohnbewegung empfangt einen
Gegenschlag. Die Erhohung des Arbeitspreises bleibt also eingebannt in
Grenzen, die die Grundlagen des kapitalistischen Systems nicht nur
unangetastet lassen, sondern auch seine Reproduktion auf wachsender
Stufenleiter sichern. Das in ein Naturgesetz mystifizierte Gesetz der
kapitalistischen Akkumulation driickt also in der Tat nur aus, daB ihre
Natur jede solche Abnahme im Exploitationsgrad der Arbeit oder jede
solche Steigerung des Arbeitspreises ausschlieBt, welche die stetige
Reproduktion des Kapitalverhaltnisses und seine Reproduktion auf stets
erweiterter Stufenleiter ernsthaft gefahrden konnte. Es kann nicht anders
sein in einer Produktionsweise, worin der Arbeiter fiir die
Verwertungsbediirfnisse vorhandner Werte, statt umgekehrt der
gegenstandliche Reichtum fiir die Entwicklungsbedurfnisse des Arbeiters
da ist. Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eignen
Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk
seiner eignen Hand beherrscht. 1089
2. Relative Abnahme des variablen Kapitalleils im Fortgang der
Akkumulation und der sie begleitenden Konzentration
Nach den Okonomen selbst ist es weder der vorhandne Umfang des
gesellschaftlichen Reichtums noch die GroBe des bereits erworbnen
Kapjtals, die eine Lohnerhohung herbeifiihren, sondern lediglich das
fortgesetzte Wachsen der Akkumulation und der Geschwindigkeitsgrad
ihres Wachstums (A. Smith, Buch 1, Kap. 8). Bisher haben wir nur eine
besondre Phase dieses Prozesses betrachtet, diejenige, in der der
Kapitalzuwachs stattfindet bei gleichbleibender technischer
Zusammensetzung des Kapitals. Aber der ProzeB schreitet iiber diese
Phase hinaus.
Die allgemeinen Grundlagen des kapitalistischen Systems einmal gegeben,
tritt im Verlauf der Akkumulation jedesmal ein Punkt ein, wo die
Entwicklung der Produktivitat der gesellschaftlichen Arbeit der machtigste
Hebel der Akkumulation wird.
»Dieselbe Ursache«, sagt A.Smith, »die die Lohne erhoht, ndmlich die
Zunahme des Kapitals, treibt zur Steigerung der produktiven
Fahigkeiten der Arbeit und setzt eine kleinere Arbeitsmenge instand,
eine grofiere Menge von Produkten zu erzeugen.« 1090
Abgesehn von Naturbedingungen, wie Fruchtbarkeit des Bodens usw.,
und vom Geschick unabhangiger und isoliert arbeitender Produzenten, das
sich jedoch mehr qualltativ in der Giite als quantitativ in der Masse des
Machwerks bewahrt, driickt sich der gesellschaftliche Produktivgrad der
Arbeit aus im relativen GroBenumfang der Produktionsmittel, welche ein
Arbeiter, wahrend gegebner Zeit, mit derselben Anspannung von
Arbeitskraft, in Produkt verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel,
womit er funktioniert, wachst mit der Produktivitat seiner Arbeit. Diese
Produktionsmittel spielen dabei eine doppelte Rolle. Das Wachstum der
einen ist Folge, das der andren Bedingung der wachsenden Produktivitat
der Arbeit. Z.B. mit der manufakturmaBigen Teilung der Arbeit und der
Anwendung von Maschinerie wird in derselben Zeit mehr Rohmaterial
verarbeitet, tritt also groBere Masse von Rohmaterial und Hilfsstoffen in
den ArbeitsprozeB ein. Das ist die Folge der wachsenden Produktivitat der
Arbeit. Andrerseits ist die Masse der angewandten Maschinerie,
Arbeitsviehs, mineralischen Dungers, Drainierangsrohren usw. Bedingung
der wachsenden Produktivitat der Arbeit. Ebenso die Masse der in
Baulichkeiten, Riesenofen, Transportmitteln usw. konzentrierten
Produktionsmittel. Ob aber Bedingung oder Folge, der wachsende
GroBenumfang der Produktionsmittel im Vergleich zu der ihnen
einverleibten Arbeitskraft driickt die wachsende Produktivitat der Arbeit
aus. Die Zunahme der letzteren erscheint also in der Abnahme der
Arbeitsmasse verhaltnismaBig zu der von ihr bewegten Masse von
Produktionsmitteln oder in der GroBenabnahme des subjektiven Faktors
des Arbeitsprozesses, verglichen mit seinen objektiven Faktoren.
Diese Veranderung in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, das
Wachstum in der Masse der Produktionsmittel, verglichen mit der Masse
der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt sich wider in seiner
Wertzusammensetzung, in der Zunahme des konstanten Bestandteils des
Kapitalwerts auf Kosten seines variablen Bestandteils. Es werden z.B. von
einem Kapital, prozentweis berechnet, urspriinglich je 50% in
Produktionsmitteln und je 50% in Arbeitskraft ausgelegt, spater, mit der
Entwicklung des Produktivgrads der Arbeit, je 80% in Produktionsmitteln
und je 20% in Arbeitskraft usw. Dies Gesetz des steigenden Wachstums
des konstanten Kapitalteils im Verhaltnis zum variablen wird auf jedem
Schritt bestatigt (wie schon oben entwickelt) durch die vergleichende
Analyse der Warenpreise, gleichviel ob wir verschiedne okonomische
Epochen bei einer einzigen Nation vergleichen oder verschiedne Nationen
in derselben Epoche. Die relative GroBe des Preiselements, welches nur
den Wert der verzehrten Produktionsmittel oder den konstanten Kapitalteil
vertritt, wird in direktem, die relative GroBe des andern, die Arbeit
bezahlenden oder den variablen Kapitalteil vertretenden Preiselements,
wird im allgemeinen in umgekehrtem Verhaltnis stehn zum Fortschritt der
Akkumulation.
Die Abnahme des variablen Kapitalteils gegenuber dem konstanten oder
die veranderte Zusammensetzung des Kapitalwerts zeigt jedoch nur
annahernd den Wechsel in der Zusammensetzung seiner stofflichen
Bestandteile an. Wenn z.B. heute der in der Spinnerei angelegte
Kapitalwert zu 7/g konstant und Vg variabel ist, wahrend er Anfang des
18. Jahrhunderts Vi konstant und Vi variabel war, so ist dagegen die Masse
von Rohstoff, Arbeitsmitteln usw., die ein bestimmtes Quantum
Spinnarbeit heute produktiv konsumiert, vielhundertmal groBer als im
Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Grand ist einfach der, daB mit der
wachsenden Produktivitat der Arbeit nicht nur der Umfang der von ihr
vernutzten Produktionsmittel steigt, sondern deren Wert, verglichen mit
ihrem Umfang, sinkt. Ihr Wert steigt also absolut, aber nicht proportionell
mit ihrem Umfang. Das Wachstum der Differenz zwischen konstantem
und variablem Kapital ist daher viel kleiner als das der Differenz zwischen
der Masse der Produktionsmittel, worin das konstante, und der Masse
Arbeitskraft, worin das variable Kapital umgesetzt wird. Die erstere
Differenz nimmt zu mit der letzteren, aber in geringerem Grad.
Ubrigens, wenn der Fortschritt der Akkumulation die relative GroBe des
variablen Kapitalteils vermindert, schheBt er damit die Steigerung ihrer
absoluten GroBe keineswegs aus. Gesetzt, ein Kapitalwert spalte sich
anfangs in 50% konstantes und 50% variables Kapital, spater in 80%
konstantes und 20% variables. Ist inzwischen das urspriingliche Kapital,
sage 6.000 Pfd.St., gewachsen auf 18.000 Pfd.St., so ist sein variabler
Bestandteil auch um V5 gewachsen. Er war 3.000 Pfd.St., er betragt jetzt
3.600 Pfd.St. Wo aber friiher ein Kapitalzuwachs von 20% geniigt hatte,
die Nachfrage nach Arbeit um 20% zu steigern, erfordert das jetzt
Verdreifachung des urspriinglichen Kapitals.
Im vierten Abschnitt wurde gezeigt, wie die Entwicklung der
gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit Kooperation auf groBer
Stufenleiter voraussetzt, wie nur unter dieser Voraussetzung Teilung und
Kombination der Arbeit organisiert, Produktionsmittel durch massenhafte
Konzentration okonomisiert, schon stofflich nur gemeinsam anwendbare
Arbeitsmittel, z.B. System der Maschinerie usw., ins Leben gerufen,
ungeheure Naturkrafte in den Dienst der Produktion gepreBt und die
Verwandlung des Produktionsprozesses in technologische Anwendung der
Wissenschaft vollzogen werden konnen. Auf Grundlage der
Warenproduktion, wo die Produktionsmittel Eigentum von Privatpersonen
sind, wo der Handarbeiter daher entweder isoliert und selbstandig Waren
produziert oder seine Arbeitskraft als Ware verkauft, weil ihm die Mittel
zum Selbstbetrieb fehlen, realisiert sich jene Voraussetzung nur durch das
Wachstum der individuellen Kapitale oder im MaBe, worin die
gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmittel in das Privateigentum
von Kapitalisten verwandelt werden. Der Boden der Warenproduktion
kann die Produktion auf groBer Stufenleiter nur in kapitalistischer Form
tragen. Eine gewisse Akkumulation von Kapital in den Handen
individueller Warenproduzenten bildet daher die Voraussetzung der
spezifisch kapitalistischen Produktionsweise. Wir muBten sie deshalb
unterstellen bei dem Ubergang aus dem Handwerk in den kapitalistischen
Betrieb. Sie mag die urspriingliche Akkumulation heiBen, weil sie statt
historisches Resultat historische Grundlage der spezifisch kapitalistischen
Produktion ist. Wie sie selbst entspringt, brauchen wir hier noch nicht zu
untersuchen. Genug, sie bildet den Ausgangspunkt. Aber alle Methoden
zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit, die auf
dieser Gmdlage erwachsen, sind zugleich Methoden der gesteigerten
Produktion des Mehrwerts oder Mehrprodukts, weiches seinerseits das
Bildungselement der Akkumulation. Sie sind also zugleich Methoden der
Produktion von Kapital durch Kapital oder Methoden seiner
beschleunigten Akkumulation. Die kontinuierliche Ruckverwandlung von
Mehrwert in Kapital stellt sich dar als wachsende GroBe des in den
ProduktionsprozeB eingehenden Kapitals. Diese wird ihrerseits Grundlage
einer erweiterten Stufenleiter der Produktion, der sie begleitenden
Methoden zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit und beschleunigter
Produktion von Mehrwert. Wenn also ein gewisser Grad der
Akkumulation als Bedingung der spezifisch kapitalistischen
Produktionsweise erscheint, verursacht die letztere riickschlagend eine
beschleunigte Akkumulation des Kapitals. Mit der Akkumulation des
Kapitals entwickelt sich daher die spezifisch kapitalistische
Produktionsweise und mit der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise
die Akkumulation des Kapitals. Diese beiden okonomischen Faktoren
erzeugen, nach dem zusammengesetzten Verhaltnis des AnstoBes, den sie
sich gegenseitig erteilen, den Wechsel in der technischen
Zusammensetzung des Kapitals, durch welchen der variable Bestandteil
immer kleiner und kleiner wird, verglichen mit dem konstanten.
Jedes individuelle Kapital ist eine groBere oder kleinere Konzentration von
Produktionsmitteln mit entsprechendem Kommando iiber eine groBere
oder kleinere Arbeiterarmee. Jede Akkumulation wird das Mittel neuer
Akkumulation. Sie erweitert mit der vermehrten Masse des als Kapital
funktionierenden Reichtums seine Konzentration in den Handen
individueller Kapitalisten, daher die Grundlage der Produktion auf groBer
Stufenleiten und der spezifisch kapitalistischen Produktionsmethoden. Das
Wachstum des gesellschaftlichen Kapitals vollzieht sich im Wachstum
vieler individuellen Kapitale. Alle andren Umstande als gleichbleibend
vorausgesetzt, wachsen die individuellen Kapitale, und mit ihnen die
Konzentration der Produktionsmittel, im Verhaltnis, worin sie aliquote
Teile des gesellschafthchen Gesamtkapitals bilden. Zugleich reiBen sich
Ableger von den Originalkapitalen los und funktionieren als neue
selbstandige Kapitale. Eine groBe Rolle spielt dabei unter anderm die
Teilung des Vermogens in Kapitalistenfamilien. Mit der Akkumulation des
Kapitals wachst daher auch mehr oder minder die Anzahl der Kapitalisten.
Zwei Punkte charakterisieren diese Art Konzentration, welche unmittelbar
auf der Akkumulation beruht oder vielmehr mit ihr identisch ist. Erstens:
Die wachsende Konzentration der gesellschafthchen Produktionsinittel in
den Handen individueller Kapitalisten ist, unter sonst gleichbleibenden
Umstanden, beschrankt durch den Wachstumsgrad des gesellschafthchen
Reichtums. Zweitens: Der in jederbesondren Produktionssphare ansassige
Teil des gesellschaftlichen Kapitals ist verteilt unter viele Kapitalisten,
welche einander als unabhangige und miteinander konkurrierende
Warenproduzenten gegenuberstehn. Die Akkumulation und die sie
begleitende Konzentration sind also nicht nur auf viele Punkte zersplittert,
sondern das Wachstum der funktionierenden Kapitale ist durchkreuzt
durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale. Stellt sich die
Akkumulation daher einerseits dar als wachsende Konzentration der
Produktionsmittel und des Kommandos iiber Arbeit, so andrerseits als
Repulsion vieler individueller Kapitale voneinander.
Dieser Zersplitterung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals in viele
individuelle Kapitale oder der Repulsion seiner Bruchteile voneinander
wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist dies nicht mehr einfache, mit der
Akkumulation identische Konzentration von Produktionsmitteln und
Kommando iiber Arbeit. Es ist Konzentration bereits gebildeter Kapitale,
Aufhebung ihrer individuellen Selbstandigkeit, Expropriation von
Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleineren in weniger
groBere Kapitale. Dieser ProzeB unterscheidet sich von dem ersten
dadurch, daB er nur veranderte Verteilung der bereits vorhandnen und
funktionierenden Kapitale voraussetzt, sein Spielraum also durch das
absolute Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums oder die absoluten
Grenzen der Akkumulation nicht beschrankt ist. Das Kapital schwillt hier
in einer Hand zu groBen Massen, weil es dort in vielen Handen
verlorengeht. Es ist die eigentliche Zentralisation im Unterschied zur
Akkumulation und Konzentration.
Die Gesetze dieser Zentralisation der Kapitale oder der Attraktion von
Kapital durch Kapital konnen hier nicht entwickelt werden. Kurze
tatsachliche Andeutung genugt. Der Konkurrenzkampf wird durch
Verwohlfeilerung der Waren gefiihrt. Die Wohlfeilheit der Waren hangt,
caeteris paribus 1091 , von der Produktivitat der Arbeit, diese aber von der
Stufenleiter der Produktion ab. Die groBeren Kapitale schlagen daher die
kleineren. Man erinnert sich ferner, daB mit der Entwicklung der
kapitalistischen Produktionsweise der Minimalumfang des individuellen
Kapitals wachst, das erheischt ist, um ein Geschaft unter seinen normalen
Bedingungen zu betreiben. Die kleineren Kapitale drangen sich daher in
Produktionsspharen, deren sich die groBe Industrie nur noch sporadisch
oder unvollkommen bemachtigt hat. Die Konkurrenz rast hier im direkten
Verhaltnis zur Anzahl und im umgekehrten Verhaltnis zur GroBe der
rivalisierenden Kapitale. Sie endet stets mit Untergang vieler kleineren
Kapitalisten, deren Kapitale teils in die Hand des Siegers ubergehn, teils
untergehn. Abgesehn hiervon bildet sich mit der kapitalistischen
Produktion eine ganz neue Macht, das Kreditwesen, das in seinen
Anfangen verstohlen, als bescheidne Beihilfe der Akkumulation, sich
einschleicht, durch unsichtbare Faden die iiber die Oberflache der
Gesellschaft in groBern oder kleinern Massen zersplitterten Geldmittel in
die Hande individueller oder assoziierter Kapitalisten zieht, aber bald eine
neue und furchtbare Waffe im Konkurrenzkampf wird und sich schlieBlich
in einen ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentralisation der Kapitale
verwandelt.
Im MaB wie die kapitalistische Produktion und Akkumulation, im selben
MaB entwickeln sich Konkurrenz und Kredit, die beiden machtigsten
Hebel der Zentralisation. Daneben vermehrt der Fortschritt der
Akkumulation den zentralisierbaren Stoff, d.h. die Einzelkapitale, wahrend
die Ausweitung der kapitalistischen Produktion, hier das gesellschaftliche
Bediirfnis, dort die technischen Mittel jener gewaltigen industriellen
Unternehmungen schafft, deren Durchfiihrung an eine vorgangige
Zentralisation des Kapitals gebunden ist. Heutzutage ist also die
gegenseitige Attraktionskraft der Einzelkapitale und die Tendenz zur
Zentralisation starker als ie zuvor. Wenn aber auch die relative
Ausdehnung und Energie der zentralisierenden Bewegung in gewissem
Grad bestimmt ist durch die schon erreichte GroBe des kapitalistischen
Reichtums und die Uberlegenheit des okonomischen Mechanismus, so
hangt doch der Fortschritt der Zentralisation keineswegs ab von dem
positiven GroBenwachstum des gesellschaftlichen Kapitals. Und dies
speziell unterscheidet die Zentralisation von der Konzentration, die nur ein
andren Ausdruck fur die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter ist. Die
Zentralisation kann erfolgen durch bloBe veranderte Verteilung schon
bestehender Kapitale, durch einfache Veranderung der quantitativen
Gruppierung der Bestandteile des gesellschafthchen Kapitals. Das Kapital
kann hier zu gewaltigen Massen in einer Hand anwachsen, weil es dort
vielen einzelnen Handen entzogen wird. In einem gegebnen
Geschaftszweig hatte die Zentralisation ihre auBerste Grenze erreicht, wenn
alle darin angelegten Kapitale zu einem Einzelkapital verschmolzen
waren. 1092 In einer gegebnen Gesellschaft ware diese Grenze erreicht erst in
dem Augenblick, wo das gesamte gesellschaftliche Kapital vereinigt ware
in der Hand, sei es eines einzelnen Kapitalisten, sei es einer einzigen
Kapitalistengesellschaft.
Die Zentralisation erganzt das Werk der Akkumulation, indem sie die
industriellen Kapitalisten instand setzt, die Stufenleiter ihrer Operationen
auszudehnen. Sei dies letztre Resultat nun Folge der Akkumulation oder
der Zentralisation; vollziehe sich die Zentralisation auf dem gewaltsamen
Weg der Annexion - wo gewisse Kapitale so uberwiegende
Gravitationszentren fur andre werden, daB sie deren individuelle Kohasion
brechen und dann die vereinzelten Bruchstucke an sich ziehn - oder
geschehe die Verschmelzung einer Menge bereits gebildeter, resp. in der
Bildung begriffner Kapitale vermittelst des glatteren Verfahrens der
Bildung von Aktiengesellschaften - die okonomische Wirkung bleibt
dieselbe. Die gewachsne Ausdehnung der industriellen Etablissements
bildet uberall den Ausgangspunkt fiir eine umfassendere Organisation der
Gesamtarbeit vieler, fiir eine breitre Entwicklung ihrer materiellen
Triebkrafte, d.h. fiir die fortschreitende Umwandlung vereinzelter und
gewohnheitsmaBig betriebner Produktionsprozesse in gesellschaftlich
kombinierte und wissenschaftlich disponierte Produktionsprozesse.
Es ist aber klar, daB die Akkumulation, die allmahliche Vermehrung des
Kapitals durch die aus der Kreisform in die Spirale iibergehende
Reproduktion ein gar langsames Verfahren ist, im Vergleich mit der
Zentralisation, die nur die quantitative Gruppierung der integrierenden
Teile des gesellschaftlichen Kapitals zu andern braucht. Die Welt ware
noch ohne Eisenbahnen, hatte sie solange warten mussen, bis die
Akkumulation einige Einzelkapitale dahin gebracht hatte, dem Bau einer
Eisenbahn gewachsen zu sein. Die Zentralisation dagegen hat dies,
vermittelst der Aktiengesellschaften, im Handumdrehn fertiggebracht. Und
wahrend die Zentralisation so die Wirkungen der Akkumulation steigert
und beschleunigt, erweitert und beschleunigt sie gleichzeitig die
Umwalzungen in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, die
dessen konstanten Teil vermehren auf Kosten seines variablen Teils und
damit die relative Nachfrage nach Arbeit vermindern.
Die durch die Zentralisation iiber Nacht zusammengeschweiBten
Kapitalmassen reproduzieren und vermehren sich wie die andren, nur
rascher, und werden damit zu neuen machtigen Hebeln der
gesellschaftlichen Akkumulation. Spricht man also vom Fortschritt der
gesellschaftlichen Akkumulation, so sind darin - heutzutage - die
Wirkungen der Zentralisation stillschweigend einbegriffen.
Die im Lauf der normalen Akkumulation gebildeten Zusatzkapitale (s.
Kap. XXII, 1) dienen vorzugsweise als Vehikel zur Exploitation neuer
Erfindungen und Entdeckungen, uberhaupt industrieller
Vervollkommnungen. Aber auch das alte Kapital erreicht mit der Zeit den
Moment seiner Erneuerung an Haupt und Gliedern, wo es sich hautet und
ebenfalls wiedergeboren wird in der vervollkommneten technischen
Gestalt, worin eine geringere Masse Arbeit geniigte, eine groBere Masse
Maschinerie und Rohstoffe in Bewegung zu setzen. Die hieraus notwendig
folgende absolute Abnahme der Nachfrage nach Arbeit wird selbstredend
um so groBer, je mehr die diesen ErneuerungsprozeB durchmachenden
Kapitale bereits zu Massen angehauft sind vermoge der zentralisierenden
Bewegung.
Einerseits attrahiert also das im Fortgang der Akkumulation gebildete
ZuschuBkapital, verhaltnismaBig zu seiner GroBe, weniger und weniger
Arbeiter. Andrerseits repelliert das periodisch in neuer Zusammensetzung
reproduzierte alte Kapital mehr und mehr fruher von ihm beschaftigte
Arbeiter.
3. Progressive Produktion einer relativen Ubervolkerung oder industriellen
Reservearmee
Die Akkumulation des Kapitals, welche urspriinglich nur als seine
quantitative Erweiterung erschien, vollzieht sich, wie wir gesehn, in
fortwahrendem qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in
bestandiger Zunahme seines konstanten auf Kosten seines variablen
Bestandteils. 1093
Die spezifisch kapitalistische Produktionsweise, die ihr entsprechende
Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, der dadurch verursachte
Wechsel in der organischen Zusammensetzung des Kapitals halten nicht
nur Schritt mit dem Fortschritt der Akkumulation oder dem Wachstum des
gesellschaftlichen Reichtums. Sie schneiten ungleich schneller, weil die
einfache Akkumulation oder die absolute Ausdehnung des Gesamtkapitals
von der Zentralisation seiner individuellen Elemente, und die technische
Umwalzung des Zusatzkapitals von technischer Umwalzung des
Originalkapitals begleitet sind. Mit dem Fortgang der Akkumulation
wandelt sich also das Verhaltnis von konstantem zu variablem Kapitalteil,
wenn urspriinglich 1 : 1, in 2 : 1, 3 : 1, 4 : 1, 5 : 1, 7 : 1 usw., so daB, wie das
Kapital wachst, statt Vi seines Gesamtwerts progressiv nur V3, V4,
1/5,1/6,1/8 usw. in Arbeitskraft, dagegen 2/3,3/4,4/<^5/^7/g usw - m
Produktionsmittel umgesetzt wird. Da die Nachfrage nach Arbeit nicht
durch den Umfang des Gesamtkapitals, sondern durch den seines
variablen Bestandteils bestimmt ist, fallt sie also progressiv mit dem
Wachstum des Gesamtkapitals, statt, wie vorhin unterstellt,
verhaltnismaBig mit ihm zu wachsen. Sie fallt relativ zur groBe des
Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachstum
dieser GroBe. Mit dem Wachstum des Gesamtkapitals wachst zwar auch
sein variabler Bestandteil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft, aber in
bestandig abnehmender Proportion. Die Zwischenpausen, worin die
Akkumulation als bloBe Erweiterung der Produktion auf gegebner
technischen Grundlage wirkt, verkiirzen sich. Nicht nur wird eine in
wachsender Progression beschleunigte Akkumulation des Gesamtkapitals
erheischt, um eine zusatzliche Arbeiterzahl von gegebner GroBe zu
absorbieren oder selbst, wegen der bestandigen Metamorphose des alten
Kapitals, die bereits funktionierende zu beschaftigen. Ihrerseits schlagt
diese wachsende Akkumulation und Zentralisation selbst wieder um in
eine Quelle neuer Wechsel der Zusammensetzung des Kapitals oder
abermalig beschleunigter Abnahme seines variablen Bestandteils,
verglichen mit dem konstanten. Diese mit dem Wachstum des
Gesamtkapitals beschleunigte und rascher als sein eignes Wachstum
beschleunigte relative Abnahme seines variablen Bestandteils scheint auf
der andren Seite umgekehrt stets rascheres absolutes Wachstum der
Arbeiterbevolkerung als das des variablen Kapitals oder ihrer
Beschaftigungsmittel. Die kapitalistische Akkumulation produziert
vielmehr, und zwar im Verhaltnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang,
bestandig eine relative, d.h. fur die mittleren Verwertungsbedurfnisse des
Kapitals uberschussige, daher iiberfliissige oder ZuschuB-
Arbeiterbevolkerang.
Das gesellschaftliche Gesamtkapital betrachtet, raft die Bewegung seiner
Akkumulation bald periodischen Wechsel hervor, bald verteilen sich ihre
Momente gleichzeitig iiber die verschiednen Produktionsspharen. In
einigen Spharen findet Wechsel in der Zusammensetzung des Kapitals
statt ohne Wachstum seiner absoluten GroBe, infolge bloBer
Konzentration 1094 ; in andren ist das absolute Wachstum des Kapitals mit
absoluter Abnahme seines variablen Bestandteils oder der von ihm
absorbierten Arbeitskraft verbunden; in andren wachst das Kapital bald auf
seiner gegebnen technischen Grandlage fort und attrahiert zuschiissige
Arbeitskraft im Verhaltnis seines Wachstums, bald tritt organischer
Wechsel ein und kontrahiert sich sein variabler Bestandteil; in alien
Spharen ist das Wachstum des variablen Kapitalteils und daher der
beschaftigten Arbeiterzahl stets verbunden mit heftigen Fluktuationen und
voriibergehender Produktion von Ubervolkerang, ob diese nun die
auffallendere Form von Repulsion bereits beschaftigter Arbeiter annimmt
oder die mehr unscheinbare, aber nicht minder wirksame, erschwerter
Absorption der zuschiissigen Arbeiterbevolkerang in ihre gewohnten
Abzugskanale. 1095 Mit der GroBe des bereits funktionierenden
1.3. Auflage: Zentralisation
2. Der Zensus fur England und Wales zeigt u.a.:
3.Alle in der Agrikultur beschaftigten Personen (Eigentumer, Pachter, Gartner, Hirten usw.
eingeschlossen) - 1851: 2.011.447, 1861: 1.924.110, Abnahme - 87.337. Worsted Manufaktur
[Kammgarnweberei] - 1851: 102.714 Personen, 1861: 79.242; Seidenfabrik - 1851: 111.940, 1861:
101.678; Kattundrucker - 1851: 12.098, 1861: 12.556, welche geringe Zunahme trotz des enorm
ausgedehnten Geschafts groBe proportionelle Abnahme in der Zahl der beschaftigten Arbeiter bedingt.
Hutmacher - 1851- 15.957, 1861: 13.814; Strohhut- und Bonnetmacher - 1851: 20.393, 1861: 18.176;
Malzer - 1851: 10.566, 1861: 10.677; LichtgieBer - 1851: 4.949, 1861: 4.686. Diese Abnahme ist u.a. der
Zunahme der Gasbeleuchtung geschuldet. Kammacher - 1851: 2.038, 1861: 1.478; Holzsager - 1851:
30.552, 1861: 31.647, geringe Zunahme infolge des Aufschwungs von Sagemaschinen; Nagelmacher -
1851: 26.940, 1861: 26.130, Abnahme infolge der Maschinenkonkurrenz; Arbeiter in Zinn- und
Kupferbergwerken - 1851: 31.360, 1861: 32.041. Dagegen: Baumwollspinnereien und Webereien - 1851:
371.777, 1861: 456.646; Kohlenbergwerke - 1851: 183.389, 1861: 246.613. «Die Zunahme von
Arbeitern ist im allgemeinen am grofiten seit 1851 in solchen Zweigen, worin die Maschinerie bisher
noch nicht mit Erfolg angewandt worden.« ("Census of England and Wales for 1861", vol. Ill, Lond. 1863,
p. 35-39.)
4. Das Gesetz der progressiven Abnahme der relativen GroBe des variablen Kapitals, nebst seinen
Wirkungen auf die Lage der Lohnarbeiterklasse, ist von einigen ausgezeichneten Okonomen der
klassischen Schule mehr geahnt als begriffen worden. Das groBte Verdienst hierin gebiihrt John Barton,
obwohl er, wie alle anderen, das konstante Kapital mit dem fixen, das variable mit dem zirkulierenden
zusammenwirft. Er sagt: »Die Nachfrage nach Arbeit hangt von der Vermehrung des zirkulierenden und
nicht des fixen Kapitals ab. Wenn es stimmte, dafi das Verhdltnis zwischen diesen beiden Arten des
Kapitals zu alien Zeiten und unter alien Umstanden dasselbe ist, dannfolgt allerdings daraus, dafi die
Anzahl der beschaftigten Arbeiter sich nach dem Reichtum des Staates richtet. Aber eine solche
Behauptung hat nicht den Anschein von Wahrscheinlichkeit. In dem Mafie, wie die Naturwissenschaften
gepflegt werden und die Zivilisation sich ausbreitet, wdchst das fixe Kapital im Verhdltnis zum
zirkulierenden immer mehr und mehr an. Die Summe des bei der Produktion eines Stuckes britischen
Musselins verwendeten fixen Kapitals ist wenigstens hundertmal, wahrscheinlich aber tausendmal
grofier als jene, die zur Erzeugung eines ahnlichen Stuckes indischen Musselins verwendet wird. Und
der Anteil des zirkulierenden Kapitals ist hundert- oder tausendmal kleiner... Wenn die Gesamtheit der
jdhrlichen Ersparnisse dem fixen Kapital zugeschlagen wtirde, so wtirden sie sich nicht in einer
erhohten Nachfrage nach Arbeit auswirken.« (John Barton, "Observations on the circumstances which
influence the Condition of the Labouring Classes of Society", Lond. 1817, p. 16,17.) »Die gleiche
Ursache, die die Nettorevenue des Landes anwachsen lafit, kann gleichzeitig einen Uberflufi an
Bevolkerung erzeugen und die Lage des Arbeiters verschlechtern.« (Ricardo, I.e. p. 469.) Mit der
Zunahme des Kapitals »wird die Nachfrage [nach Arbeit] verhdltnismdfiig abnehmen«. (I.e. p. 480,
Note.) »Der Betrag des Kapitals, der zur Erhaltung von Arbeit bestimmt ist, kann sich andern,
unabhdngig von irgendwelchen Verdnderungen im Gesamtbetrag des Kapitals... Grofie Schwankungen
im Ausmafi der Beschaftigung und grofie Not konnen hdufiger werden in dem Mafie, wie das Kapital
selbst reichlicher wird.« (Richard Jones, "An Introductory Lecture on Pol. Econ.", Lond. 1833, p. 12.)
»Nachfrage [nach Arbeit] wird steigen... nicht im Verhdltnis zur Akkumulation des Gesamtkapitals...
Jede Vermehrung des zur Reproduktion bestimmten nationalen Kapitals wird deshalb im Laufe des
gesellschaftlichen Fortschritts einen stets geringeren Einflufi auf die Lage des Arbeiters haben.«
(Ramsay, l.c.p.90,9 1.)
l.In der autorisierten franzosischen Ausgabe findet sich an dieser Stelle folgende Einschaltung:
»Aber erst von der Zeit an, als die mechanische Industrie so tiefe Wurzeln geschlagen hatte, daB sie auf die
ganze nationale Produktion einen iiberwiegenden EinfluB ausiibte; als durch sie der AuBenhandel dem
Binnenhandel den Rang abzulaufen begann; als sich der Weitmarkt sukzessive ausgedehnter Gebiete in der
neuen Welt, in Asien und in Australien bemachtigte; als schlieBlich die industriellen Nationen, die auf die
Arena traten, zahlreich genug geworden waren - erst von dieser Zeit an datierten jene sich stets
wiedererzeugenden Zyklen, deren aufeinanderfolgende Phasen Jahre umfassen und die immer hinauslaufen
auf eine allgemeine Krise, die Ende eines Zyklus und Ausgangspunkt eines neuen ist. Bis jetzt ist die
periodische Dauer solcher Zyklen zehn oder elf Jahre, aber es gibt keinerlei Grund, diese Zahl als konstant
zu betrachten. Im Gegenteil, aus den Gesetzen der kapitalistischen Produktion, wie wir sie eben entwickelt
haben, muB man schlieBen, daB sie variabel ist und daB die Periode der Zyklen sich stufenweise verkiirzen
wird.«
1.1H. Merivale, "Lectures on Colonization and Colonies", Lond. 1841 and 1842, v. I, p. 146.
l.»Prudential habits with regard to marriage, carried to a considerable extent among the
labouring class of a country mainly depending upon manufactures and commerce, might injure it...
From the nature of a population, an increase of labourers cannot be brought into market, in
consequence of a particular demand, till after the lapse of 16 or 18 years, and the conversion of
revenue into capital, by saving, may take place much more rapidly; a country is always liable to an
Gesellschaftskapitals und dem Grad seines Wachstums, mit der
Ausdehnung der Produktionsleiter und der Masse der in Bewegung
gesetzten Arbeiter, mit der Entwicklung der Produktivkraft ihrer Arbeit, mit
dem breiteren und volleren Strom aller Springquellen des Reichtums dehnt
sich auch die Stufenleiter, worin groBere Attraktion der Arbeiter durch das
Kapital mit groBerer Repulsion derselben verbunden ist, nimmt die
Raschheit der Wechsel in der organischen Zusammensetzung des Kapitals
und seiner technischen Form zu, und schwillt der Umkreis der
Produktionsspharen, die bald gleichzeitig, bald abwechselnd davon
ergriffen werden. Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des
Kapitals produziert die Arbeiterbevolkerung also in wachsendem Umfang
die Mittel ihrer eignen relativen Uberzahligmachung. 1096 Es ist dies ein der
kapitalistischen Produktionsweise eigentiimliches Populationsgesetz, wie
in der Tat jede besondre historische Produktionsweise ihre besondren,
historisch giiltigen Populationsgesetze hat. Ein abstraktes
Populationsgesetz existiert nur fiir Pflanze und Tier, soweit der Mensch
nicht geschichtlich eingreift.
Wenn aber eine Surplusarbeiterpopulation notwendiges Produkt der
Akkumulation oder der Entwicklung des Reichtums auf kapitalistischer
Grundlage ist, wird diese Ubervolkerung umgekehrt zum Hebel der
kapitalistischen Akkumulation, j a zu einer Existenzbedingung der
kapitalistischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible industrielle
Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehort, als ob es sie auf
seine eignen Kosten groBgeziichtet hatte. Sie schafft fiir seine wechselnden
Verwertungsbediirfnisse das stets bereite exploitable Menschenmaterial,
unabhangig von den Schranken der wirklichen Bevolkerungszunahme. Mit
der Akkumulation und der sie begleitenden Entwcklung der Produktivkraft
der Arbeit wachst die plotzliche Expansionskraft des Kapitals, nicht nur,
weil die Elastizitat des funktionierenden Kapitals wachst, und der absolute
Reichtum, wovon das Kapital nur einen elastischen Teil bildet, nicht nur,
weil der Kredit, unter jedem besondren Reiz, im Umsehn ungewohnlichen
Teil dieses Reichtums der Produktion als Zusatzkapital zur Verfiigung
stellt. Die technischen Bedingungen des Produktionsprozesses selbst,
Maschinerie, Transportmittel usw. ermoglichen, auf groBter Stufenleiter,
die rascheste Verwandlung von Mehrprodukt in zuschiissige
Produktionsmittel. Die mit dem Fortschritt der Akkumulation
iiberschwellende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des
gesellschaftlichen Reichtums drangt sich mit Frenesie in alte
Produktionszweige, deren Markt sich plotzlich erweitert, oder in neu
eroffnete, wie Eisenbahnen usw., deren Bediirfnis aus der Entwicklung der
alten entspringt. In alien solchen Fallen miissen groBe Menschenmassen
plotzlich und ohne Abbruch der Produktionsleiter in andren Spharen auf
die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Ubervolkerung liefert sie. Der
charakteristische Lebenslauf der modernen Industrie, die Form eines durch
kleinere Schwankungen unterbrochnen zehnjahrigen Zyklus von Perioden
mittlerer Lebendigkeit, Produktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation,
beraht auf der bestandigen Bildung, groBern oder geringern Absorption
und Wiederbildung der industriellen Reservearmee oder Ubervolkerung.
Ihrerseits rekrutieren die Wechselfalle des industriellen Zyklus die
Ubervolkerung und werden zu einem ihrer energischsten
Reproduktionsagentien.
Dieser eigentiimliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in
keinem friihern Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der
Kindheitsperiode der kapitalistischen Produktion unmoglich. Die
Zusammensetzung des Kapitals veranderte sich nur sehr allmahlich. Seiner
Akkumulation entsprach also im Ganzen verhaltnismaBiges Wachstum der
Arbeitsnachfrage. Langsam wie der Fortschritt seiner Akkumulation,
verglichen mit der modernen Epoche, stieB er auf Naturschranken der
exploitablen Arbeiterbevolkerung, welche nur durch spater zu
erwahnende Gewaltmittel wegraumbar waren. Die plotzliche und
ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer
plotzlichen Kontraktion; letztere raft wieder die erstere hervor, aber die
erstere ist unmoglich ohne disponibles Menschenmaterial, ohne erne vom
absoluten Wachstum der Bevolkerang unabhangige Vermehrung von
Arbeitem. Sie wird geschaffen durch den einfachen ProzeB, der einen Teil
der Arbeiter bestandig "freisetzt", durch Methoden, welche die Anzahl der
beschaftigten Arbeiter im Verhaltnis zur vermehrten Produktion
vermindern. Die ganze Bewegungsform der modernen Industrie erwachst
also aus der bestandigen Verwandlung ernes Teils der Arbeiterbevolkerung
in unbeschaftigte oder halbbeschaftigte Hande. Die Oberflachlichkeit der
politischen Okonomie zeigt sich u.a. darin, daB sie die Expansion und
Kontraktion des Kredits, das bloBe Symptom der Wechselperioden des
industriellen Zyklus, zu deren Ursache macht. Ganz wie Himmelskorper,
einmal in erne bestimmte Bewegung geschleudert, dieselbe stets
wiederholen, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal in jene
Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist.
Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen, und die Wechselfalle des
ganzen Prozesses, der seine eignen Bedingungen stets reproduziert,
nehmen die Form der Perlodizitat an. 1097 1st letztere einmal konsolidiert, so
begreift selbst die politische Okonomie die Produktion einer relativen, d.h.
mit Bezug auf das mittlere Verwertungsbediirfnis des Kapitals
iiberschiissigen Bevolkerung als Lebensbedingung der modernen
Industrie.
»Gesetzt«, sagt H. Merivale, friiher Professor der politischen Okonomie zu
Oxford, spater Beamter des englischen Kolonialministeriums, »gesetzt, bei
Gelegenheit einer Krise raffe die Nation sich zu einer Kraftanstrengung
auf. um durch Emigration einige 100.000 uberflussige Arme
loszuwerden, was wiirde die Folge sein? Dafi bei der ersten Wiederkehr
der Arbeitsnachj rage ein Mangel vorhanden ware. Wie rasch immer die
Reproduktion von Menschen sein mag, sie braucht jedenfalls den
Zwischenraum einer Generation zum Ersatz erwachsner Arbeiter. Nun
hangen die Profite unsrer Fabrikanten hauptsachlich von der Macht ab,
den giinstigen Moment lebhafter Nachfrage zu exploitieren und sich so
fur die Periode der Erlahmung schadlos zu halten. Diese Macht ist ihnen
nur gesichert durch Kommando iiber Maschinerie und Handarbeit. Sie
miissen disponible Hande vorfinden; sie mussenfahig sein, die Aktivitat
ihrer Operationen wenn notig hoher zu spannen oder abzuspannen, je
nach dem Stand des Markts, oder sie konnen platterdings nicht in der
Hetzjagd der Konkurrenz das Ubergewicht behaupten, auf das der
Reichtum dieses Landes gegriindet ist.« ian
Selbst Malthus erkennt in der Ubervolkerung, die er, nach seiner bornierten
Weise, aus absolutem Uberwuchs der Arbeiterbevolkerung, nicht aus ihrer
relativen Uberzahligmachung deutet, eine Notwendigkeit der modernen
Industrie. Er sagt:
»Weise Gewohnheiten in bezug auf die Ehe, wenn zu einer gewissen
Hohe getrieben unter der Arbeiterklasse eines Landes, das hauptsachlich
von Manufaktur und Handel abhangt, wiirden ihm schadlich sein... Der
Natur der Bevolkerung gemafi kann ein Zuwachs von Arbeitern nicht zu
Markt geliefert werden, infolge besondren Nachfrage, bis nach Verlauf
von 16 oder 18 Jahren, und die Verwandlung von Revenue in Kapital
durch Ersparung kann sehr viel rascher Platz greifen; ein Land ist stets
dem ausgesetzt, dafi sein Arbeitsfonds rascher wachst als die
Bevolkerung. « 10 "
Nachdem die politische Okonornie so die bestandige Produktion einer
relativen Ubervolkerang von Arbeitern fur eine Notwendigkeit der
kapitalistischen Akkumulation erklart hat, legt sie, und zwar adaquat in der
Figur einer alten Jungfer, dem "beau ideal"" 00 ihres Kapitalisten folgende
l."schonen Ideal"
1. Harriet Martineau: "The Manchester Strike", 1832, p. 101.
l.Selbst wahrend der Baumwollnot von 1863 findet man in einem Pamphlet der Baumwollspinner
von Blackburn heftige Denunziation gegen die Uberarbeit, die kraft des Fabrikgesetzes naturlich nur
erwachsne mannliche Arbeiter traf. »Man verlange in dieser Fabrik von den erwachsenen Arbeitern
eine zwolf- bis dreizehnstundige Arbeit tdglich, obwohl es Hunderte gibt, die zum Miifiiggang
gezwungen sind, aber gem einen Teil der Arbeitszeit arbeiten mochten, um ihre Familien erhalten zu
konnen und ihre Arbeitsbriider vor einem vorzeitigen Tode infolge Uberarbeit zu bewahren.« »Wir«,
heiBt es weiter, »mochten fragen, ob diese Praxis, Uberzeit zu arbeiten, irgendwie ertragliche
Verhaltnisse zwischen Meistern und "Dienern" moglich macht? Die Opfer der Uberarbeit fiihlen die
Unbill ebensosehr als die dadurch zu erzwungnem Miifiiggang Verdammten (condemned to forced
idleness). In diesem Distrikt reicht das zu verrichtende Werk hin, um alle teilweise zu beschaftigen,
wiirde die Arbeit billig verteilt. Wir verlangen nur ein Recht, indem wir die Meister auffordern,
allgemein nur kurze Zeit zu arbeiten, wenigstens solange derjetzige Stand der Dinge wahrt, statt einen
Teil zu iiberarbeiten, wahrend der andre durch Arbeitsmangel gezwungen wird, von der Wohltatigkeit
seine Existenz zu fristen.« ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1863", p. 8.) - Die Wirkung einer relativen
Ubervolkerang auf die beschaftigten Arbeiter begreift der Verfasser des "Essay on Trade and Commerce"
mit seinem gewohnten unfehlbaren Bourgeoisinstinkt. »Eine andre Ursache der Faulenzerei (idleness) in
diesem Konigreich ist der Mangel einer hinreichenden Anzahl arbeitender Hande. Sooft durch
irgendeine ungewohnliche Nachfrage fiir Fabrikate die Arbeitsmasse ungenugend wird, fiihlen die
Arbeiter ihre eigne Wichtigkeit und wollen sie ihren meistern ebenfalls fiihlbar machen, es ist
erstaunlich; aber so depraviert ist die Gesinnung dieser Kerle, dafi in solchen Fallen Gruppen von
Arbeitern sich kombiniert haben, um ihre Meister dadurch in Verlegenheit zu setzen, dafi sie einen
ganzen Tag durch faulenzten.« ("Essay etc.", p. 27, 28.) Die Kerle verlangten namlich Lohnerhohung.
l.Zwischen 1849 und 1859 nahm England an mehreren Kriegen teil: am Krimkrieg (1853 bis
1856), am Krieg gegen China (1856-1858 und 1859/1860) und gegen Persien (1856 bis 1857). AuBerdem
beendete England 1849 die Eroberung Indiens, und in den Jahren 1857-1859 wurden seine Trappen zur
Unterdruckung des indischen nationalen Befreiungsaufstands eingesetzt.
2. 'Economist', Jan. 21, 1860.
3.»einer allgemeinen und betrachtlichen Erhohung«
l.Die Wurfel sind gefalscht.
1. Wahrend im letzten Halbjahr von 1866 80.000 - 90.000 Arbeiter in London auBer Arbeit
geworfen wurden, heiBt es im Fabrikbericht uber dasselbe Halbjahr: »Es scheint nicht absolut richtig zu
sein, wenn man sagt, dafi Nachfrage stets grade in dem Augenblick Zufuhr hervorbringt, da es notig
ist. Auf Arbeit traf das nicht zu, denn viel Maschinerie mufite im letzten Jahre aus Mangel an
Arbeitskraften stillstehn.« ("Report of Insp. of Fact, for 31st Oct. 1866", p. 81 .)
l.Eroffnungsrede der sanitaren Konferenz, Birminghan, 14Jan. 1875, von J. Chamberlain, damals
Mayor der Stadt, jetzt ( 1 883) Handelsminister.
l.»781 Stadte« sind aufgezahlt im Zensus von 1861 fur England und Wales »mit 10.960.998
Einwohnern, wahrend die Dorfer und Landkirchspiele nur 9.105.226 zahlen... Im Jahr 1851 figurierten
Worte an die durch ihre eigne Schopfung von Zusatzkapital aufs Pflaster
geworfnen "Uberzahligen" in den Mund:
» Wir Fabrikanten tun fur euch, was wir konnen, indem wir das Kapital
vermehren, von dem ihr subsistieren miifit; und ihr miifit das iibrige tun,
indem ihr eure Zahl den Subsistenzmitteln anpafit.« lim
Der kapitalistischen Produktion geniigt keineswegs das Quantum
disponibler Arbeitskraft, welches der naturliche Zuwachs der Bevolkerung
liefert. Sie bedarf zu ihrem freien Spiel einer von dieser Naturschranke
unabhangigen industriellen Reservearmee.
Bisher wurde unterstellt, daB der Zu- oder Abnahme des variablen Kapitals
genau die Zu- oder Abnahme der beschaftigten Arbeiterzahl entspricht.
Bei gleichbleibender oder selbst verminderter Zahl der von ihm
kommandierten Arbeiter wachst jedoch das variable Kapital, wenn der
individuelle Arbeiter mehr Arbeit liefert und daher sein Arbeitslohn
wachst, obgleich der Arbeitspreis gleichbleibt oder selbst sinkt, nur
langsamer, als die Arbeitsmasse steigt. Der Zuwachs des variablen Kapitals
wird dann Index von mehr Arbeit, aber nicht von mehr beschaftigten
Arbeitem. Jeder Kapitalist hat das absolute Interesse, ein bestimmtes
Arbeitsquantum aus kleinerer, statt ebenso wohlfeil oder selbst wohlfeiler
aus groBerer Arbeiterzahl auszupressen. In dem letzten Fall wachst die
Auslage von konstantem Kapital verhaltnismaBig zur Masse der in FluB
gesetzten Arbeit, im ersten Fall viel langsamer. Je groBer die Stufenleiter
der Produktion, desto entscheidender dies Motiv. Seine Wucht wachst mit
der Akkumulation des Kapitals.
Man hat gesehn, daB die Entwicklung der kapitalistischen
Produktionsweise und Produktivkraft der Arbeit - zugleich Ursache und
Wirkung der Akkumulation - den Kapitalisten befahigt, mit derselben
Auslage von variablem Kapital mehr Arbeit durch groBere extensive oder
intensive Exploitation der individuellen Arbeitskrafte flussig zu machen.
Man hat ferner gesehn, daB er mit demselben Kapitalwert mehr
Arbeitskrafte kauft, indem er progressiv geschicktere Arbeiter durch
ungeschicktere, reife durch unreife, mannliche durch weibliche, erwachsne
Arbeitskraft durch jugendliche oder kindliche verdrangt.
Einerseits macht also, im Fortgang der Akkumulation, groBeres variables
Kapital mehr Arbeit flussig, ohne mehr Arbeiter zu werben, andrerseits
macht variables Kapital von derselben GroBe mehr Arbeit mit derselben
Masse Arbeitskraft flussig und endlich mehr niedere Arbeitskrafte durch
Verdrangung hoherer.
Die Produktion einer relativen Ubervolkerang oder die Freisetzung von
Arbeitern geht daher noch rascher voran als die ohnehin mit dem
Fortschritt der Akkumulation beschleunigte technische Umwalzung des
Produktionsprozesses und die entsprechende proportionelle Abnahme des
variablen Kapitalteils gegen den konstanten. Wenn die Produktionsmittel,
wie sie an Umfang und Wirkungskraft zunehmen, in geringerem Grad
Beschaftigungsmittel der Arbeiter werden, wird dies Verhaltnis selbst
wieder dadurch modifiziert, daB im MaB, wie die Produktivkraft der Arbeit
wachst, das Kapital seine Zufuhr von Arbeit rascher steigert als seine
Nachfrage nach Arbeitern. Die Uberarbeit des beschaftigten Teils der
Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, wahrend umgekehrt der
vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere
ausiibt, diese zur Uberarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des
Kapiitals zwingt. Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu
erzwungnem MuBiggang durch Uberarbeit des andren Teils und
umgekehrt, und Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitahsten 1102 und
beschleunigt zugleich die Produktion der industriellen Reservearmee auf
einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation
entsprechenden MaB stab. Wie wichtig dies Moment in der Bildung der
relativen Ubervolkerang, beweist z.B. England. Seine technischen Mittel
zur "Ersparang" von Arbeit sind kolossal. Dennoch, wurde morgen
allgemein die Arbeit auf ein rationelles MaB beschrankt und fur die
verschiednen Schichten der Arbeiterklasse wieder entsprechend nach Alter
und Geschlecht abgestuft, so ware die vorhandne Arbeiterbevolkerang
absolut unzureichend zur Fortfuhrang der nationalen Produktion auf ihrer
jetzigen Stufenleiter. Die groBe Mehrheit der jetzt "unproduktiven"
Arbeiter miiBte in "produktive" verwandelt werden.
Im groBen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeitslohns
ausschlieBlich reguliert durch die Expansion und Kontraktion der
industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen
Zyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die Bewegung der
absoluten Anzahl der Arbeiterbevolkerang, sondern durch das wechselnde
Verhaltnis, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und Reservearmee
zerfallt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der
Ubervolkerung, durch den Grad, worin sie bald absorbiert, bald wieder
freigesetzt wird. Fiir die moderne Industrie mit ihrem zehnjahrigen Zyklus
und seinen periodischen Phasen, die auBerdem im Fortgang der
Akkumulation durch stets rascher aufeinander folgende unregelmaBige
Oszillationen durchkreuzt werden, ware es in der Tat ein schones Gesetz,
welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion
und Kontraktion des Kapitals, also nach seinen jedesmaligen
Verwertungsbedurfnissen regelte, so daB der Arbeitsmarkt bald relativ
untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandiert, bald wieder iibervoll,
weil es sich kontrahiert, sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals
von der absoluten Bewegung der Bevolkerungsmenge abhangig machte.
Dies jedoch ist das okonomische Dogma. Nach demselben steigt infolge
der Kapitalakkumulation der Arbeitslohn. Der erhohte Arbeitslohn spornt
zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevolkerung, und diese dauert fort,
bis der Arbeitsmarkt uberfullt, also das Kapital relativ zur Arbeiterzufuhr
unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und nun die Kehrseite
der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird die
Arbeiterbevolkerung nach und nach dezimiert, so daB ihr gegenuber das
Kapital wieder uberschussig wird, oder auch, wie andre es erklaren, der
fallende Arbeitslohn und die entsprechende erhohte Exploitation des
Arbeiters beschleunigt wieder die Akkumulation, wahrend gleichzeitig der
niedere Lohn das Wachstum der Arbeiterklasse in Schach halt. So tritt
wieder das Verhaltnis ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die
Arbeitsnachfrage, der Lohn steigt usw. Eine schone Bewegungsmethode
dies fiir die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor infolge der
Lohnerhohung irgendein positives Wachstum der wirklich arbeitsfahigen
Bevolkerung eintreten konnte, ware die Frist aber und abermal abgelaufen,
worin der industrielle Feldzug gefiihrt, die Schlacht geschlagen und
entschieden sein muB.
Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen, eine
praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhohung in den englischen
Agrikulturdistrikten ein, z.B. in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7 auf 8
sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. usw. Es war dies Folge des
iibergewohnlichen Abflusses der agrikolen Ubervolkerung, verursacht
durch Kriegsnachfrage 1103 massenhafte Ausdehnung der Eisenbahnbauten,
Fabriken, Bergwerke etc. Je niedriger der Arbeitslohn, desto hoher driickt
sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben in Prozentzahlen aus.
1st der Wochenlohn z.B. 20 sh. und steigt er auf 22, so um 10%; ist er
dagegen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um 28^/7%. was sehr erklecklich
klingt. Jedenfalls heulten die Pachter und schwatzte sogar der 'London
Economist' 1 104 ganz ernsthaft von »a general and substantial
advance« uai mit Bezug auf diese Hungerlohne. Was taten nun die
Pachter? Warteten sie, bis die Landarbeiter sich infolge dieser brillanten
Zahlung so vermehrt hatten, daB ihr Lohn wieder fallen muBte, wie die
Sache sich im dogmatisch okonomischen Hirn zutragt? Sie fiihrten mehr
Maschinerie ein, und im Umsehn waren die Arbeiter wieder "uberzahlig" in
einem selbst den Pachtern geniigenden Verhaltnis. Es war ietzt "mehr
Kapital" in der Agrikultur angelegt als vorher und in einer produktiveren
Form. Damit fiel die Nachfrage nach Arbeit nicht nur relativ, sondern
absolut.
Jene okonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die allgemeine
Bewegung des Arbeitslohns oder das Verhaltnis zwischen Arbeiterklasse,
d.h. Gesamtarbeitskraft und gesellschaftlichem Gesamtkapital regeln, mit
den Gesetzen, welche die Arbeiterbevolkerung unter die besondren
Produktionsspharen verteilen. Wenn z.B. infolge gunstiger Konjunktur die
Akkumulation in einer bestimmten Produktionssphare besonders lebhaft,
die Profite hier groBer als die Durchschnittsprofite, ZuschuBkapital dahin
drangt, so steigt natiirlich Arbeitsnachfrage und Arbeitslohn. Der hohere
Arbeitslohn zieht einen groBeren Teil der Arbeiterbevolkerung in die
begunstigte Sphare, bis sie mit Arbeitskraft gesattigt ist und der Lohn auf
die Dauer weder auf sein friiheres Durch schnittsniveau oder unter dasselbe
fallt, falls der Zudrang zu groB war. Dann hort nicht nur die Einwanderung
von Arbeitern in den fraglichen Geschaftszweig auf, sie macht sogar ihrer
Auswanderung Platz. Hier glaubt der politische Okonom zu sehn, "wo und
wie", mit Zunahme des Lohns eine absolute Zunahme von Arbeitern, und
mit der absoluten Zunahme der Arbeiter eine Abnahme des Lohns, aber er
sieht in der Tat nur die lokale Oszillation des Arbeitsmarkts einer
besondren Produktionssphare, er sieht nur Phanomene der Verteilung der
Arbeiterbevolkerung in die verschiednen Anlagespharen des Kapitals, je
nach seinen wechselnden Bediirfnissen.
Die industrielle Reservearmee driickt wahrend der Perioden der Stagnation
und mittleren Prosperitat auf die aktive Arbeiterarmee und halt ihre
Anspriiche wahrend der Periode der Uberproduktion und des Paroxysmus
im Zaum. Die relative Ubervolkerung ist also der Hintergrund, worauf das
Gesetz der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt. Sie zwangt den
Spielraum dieses Gesetzes in die der Exploitationsgier und Herrschsucht
des Kapitals absolut zusagenden Schranken ein. Es ist hier der Ort, auf
eine der GroBtaten der okonomischen Apologetik zuruckzukommen. Man
erinnert sich, daB, wenn durch Einfuhrung neuer oder Ausdehnung alter
Maschinerie ein Stiick variables Kapital in konstantes verwandelt wird, der
okonomische Apologet diese Operation, welche Kapital "bindet" und
ebendadurch Arbeiter "freisetzt", umgekehrt so deutet, daB sie Kapital fur
den Arbeiter freisetzt. Erst jetzt kann man die Unverschamtheit des
Apologeten vollstandig wiirdigen. Was freigesetzt wird, sind nicht nur die
unmittelbar durch die Maschine verdrangten Arbeiter, sondern ebenso ihre
Ersatzmannschaft und das, bei gewohnter Ausdehnung des Geschafts auf
seiner alten Basis, regelmaBig absorbierte ZuschuBkontingent. Sie sind
jetzt alle "freigesetzt" und jedes neue funktionslustige Kapital kann iiber
sie verfugen. Ob es sie oder andre attrahiert, die Wirkung auf die
allgemeine Arbeitsnachfrage wird Null sein, solange dies Kapital gerade
hinreicht, um den Markt von ebenso viel Arbeitern zu befreien, als die
Maschinen auf ihn geworfen. Beschaftigt es eine geringere Zahl, so wachst
die Menge der Uberzahligen; beschaftigt es eine groBere, so wachst die
allgemeine Arbeitsnachfrage nur um den UberschuB der Beschaftigten
iiber die "Freigesetzten". Der Aufschwung, den Anlage suchende
Zusatzkapitale sonst der allgemeinen Arbeitsnachfrage gegeben hatten, ist
also in jedem Fall insoweit neutralisiert, wie die von der Maschine aufs
Pflaster geworfnen Arbeiter reichen. D.h. also, der Mechanismus der
kapitalistischen Produktion sorgt dafiir, daB der absolute Zuwachs von
Kapital von keiner entsprechenden Steigerang der allgemeinen
Arbeitsnachfrage begleitet ist. Und dies nennt der Apologet eine
Kompensation fur das Elend, die Leiden und den moglichen Untergang
der deplacierten Arbeiter wahrend der Ubergangsperiode, welche sie in die
industrielle Reservearmee bannt! Die Nachfrage nach Arbeit ist nicht
identisch mit Wachstum des Kapitals, die Zufuhr der Arbeit nicht mit dem
Wachstum der Arbeiterklasse, so daB zwei voneinander unabhangige
Potenzen aufeinander einwirkten. Les des sont pipes. 1106 Das Kapital agiert
auf beiden Seiten zugleich. Wenn seine Akkumulation einerseits die
Nachfrage nach Arbeit vermehrt, vermehrt sie andrerseits die Zufuhr von
Arbeitern durch deren "Freisetzung", wahrend zugleich der Druck der
Unbeschaftigten die Beschaftigten zur Flussigmachung von mehr Arbeit
zwingt, also in gewissem Grad die Arbeitszufuhr von der Zufuhr von
Arbeitern unabhangig macht. Die Bewegung des Gesetzes der Nachfrage
und Zufuhr von Arbeit auf dieser Basis vollendet die Despotie des
Kapitals. Sobald daher die Arbeiter hinter das Geheimnis kommen, wie es
angeht, daB im selben MaB, wie sie mehr arbeiten, mehr fremden
Reichtum produzieren und die Produktivkraft ihrer Arbeit wachst, sogar
ihre Funktion als Verwertungsmittel des Kapitals immer prekarer fur sie
wird; sobald sie daher durch Trade's Unions usw. eine planmaBige
Zusammenwirkung zwischen den Beschaftigten und Unbeschaftigten zu
organisieren suchen, um die ruinierenden Folgen jenes Naturgesetzes der
kapitalistischen Produktion auf ihre Klasse zu brechen oder zu schwachen,
zetert das Kapital und sein Sykophant, der politische Okonom, iiber
Verletzung des "ewigen" und sozusagen "heiligen" Gesetzes der Nachfrage
und Zufuhr. Jeder Zusammenhalt zwischen den Beschaftigten und
Unbeschaftigten stort namlich das "reine" Spiel jenes Gesetzes. Sobald
andrerseits, in den Kolonien z.B., widrige Umstande die Schopfung der
industriellen Reservearmee und mit ihr die absolute Abhangigkeit der
Arbeiterklasse von der Kapitalistenklasse verhindern, rebelhert das Kapital,
samt seinem gemeinplatzlichen Sancho Pansa, gegen das "heilige" Gesetz
der Nachfrage und Zufuhr und sucht ihm durch Zwangsmittel unter die
Arme zu greifen.
4. Verschiedne Existenzformen der relativen Ubervo lkerung. Das
Die relative Ubervo lkerung existiert in alien moglichen Schattierungen.
Jeder Arbeiter gehort ihr an wahrend der Zeit, wo er halb oder gar nicht
beschaftigt ist. Abgesehn von den groBen, periodisch wiederkehrenden
Formen, welche der Phasenwechsel des industriellen Zyklus ihr aufpragt,
so daB sie bald akut in den Krisen erscheint, bald chronisch in den Zeiten
flauen Geschafts, besitzt sie fortwahrend drei Formen: fliissige, latente und
stockende.
In den Zentren der modernen Industrie - Fabriken, Manufakturen, Hutten
und Bergwerken usw. - werden Arbeiter bald repelliert, bald in groBerem
Umfang wieder attrahiert, so daB im groBen und ganzen die Zahl der
Beschaftigten zunimmt, wenn auch in stets abnehmendem Verhaltnis zur
Produktionsleiter. Die Ubervolkerung existiert hier in flieBender Form.
Sowohl in den eigentlichen Fabriken wie in alien groBen Werkstatten, wo
Maschinerie als Faktor eingeht oder auch nur die moderne Teilung der
Arbeit durchgefiihrt ist, braucht man massenhaft mannliche Arbeiter bis
zur Zuriicklegung des Jugendalters. Dieser Termin einmal erreicht, bleibt
nur eine sehr geringe Anzahl in denselben Geschaftszweigen verwendbar,
wahrend die Mehrzahl regelmaBig entlassen wird. Sie bildet ein Element
der flieBenden Ubervolkerung, das mit dem Umfang der Industrie wachst.
Ein Teil davon wandert aus und reist in der Tat nur dem auswandernden
Kapital nach. Eine der Folgen ist, daB die weibliche Bevo lkerung rascher
wachst als die mannliche, teste England. DaB der naturliche Zuwachs der
Arbeitermasse die Akkumulationsbedurfnisse des Kapitals nicht sattigt
und sie dennoch zugleich uberschreitet, ist ein Widerspruch seiner
Bewegung selbst. Es braucht groBere Massen Arbeiter im friiheren Alter,
geringere im mannlichen. Der Widerspruch ist nicht schreiender als der
andre, daB iiber Mangel an Handen geklagt wird zur selben Zeit, wo viele
Tausende auf dem Pflaster liegen, weil die Teilung der Arbeit sie an einen
bestimmten Geschaftszweig kettet. 1107 Der Konsum der Arbeitskraft durch
das Kapital ist zudem so rasch, daB der Arbeiter von mittlerem Alter sich
meist schon mehr oder minder uberlebt hat. Er fallt in die Reihen der
Uberzahligen oder wird von einer hoheren auf eine niedrigere Staffel
hinabgedrangt. Gerade bei den Arbeitern der groBen Industrie stoBen wir
auf die die kurzeste Lebensdauer.
»Dr. Lee, der Gesundheitsbeamte von Manchester, hat festgestellt, dafi
injener Stadt die mittlere Lebensdauer der wohlhabenden Klasse 38, die
der Arbeiterklasse nur 1 7 Jahre ist. In Liverpool betragt sie 35 Jahrefiir
die erstere, 15 fur die zweite. Esfolgt also, dafi die privilegierte Klasse
eine Anweisung aufs Leben hat (have a lease of life) mehr als doppelt so
grofi als die ihrer weniger begiinstigten Mitbiirger.« lws
Unter diesen Umstanden erheischt das absolute Wachstum dieser Fraktion
des Proletariats eine Form, welche ihre Zahl schwellt, obgleich ihre
Elemente sich schnell abnutzen. Also rasche Ab 16 sung der
Arbeitergenerationen. (Dasselbe Gesetz gilt nicht fur die ubrigen Klassen
der Bevolkerung.) Dies gesellschaftliche Bedurfnis wird befriedigt durch
friihe Ehen, notwendige Folge der Verhaltnisse, worin die Arbeiter der
groBen Industrie leben, und durch die Pramie, welche die Exploitation der
Arbeiterkinder auf ihre Produktion setzt.
Sobald sich die kapitalistische Produktion der Agrikultur, oder im Grad,
worin sie sich derselben bemachtigt hat, nimmt mit der Akkumulation des
hier funktionierenden Kapitals die Nachfrage fur die landliche
Arbeiterbevolkerung absolut ab, ohne daB ihre Repulsion, wie in der nicht
agrikolen Industrie, durch groBere Attraktion erganzt ware. Ein Teil der
Landbevolkerung befindet sich daher fortwahrend auf dem Sprung, in
stadtisches oder Manufakturproletariat iiberzugehn, und in der Lauer auf
dieser Verwandlung giinstige Umstande. (Manufaktur hier im Sinn aller
nicht, agrikolen Industrie.) ' 109 Diese Quelle der relativen Ubervolkerung
flieBt also bestandig. Aber ihr bestandiger FluB nach den Stadten setzt auf
dem Lande selbst eine fortwahrend latente Ubervolkerung voraus, deren
Umfang nur sichtbar wird, sobald sich die Abzugskanale ausnahmsweise
weit offnen. Der Landarbeiter wird daher auf das Minimum des Salairs
herabgedriickt und steht mit einem FuB stets im Sumpf des Pauperismus.
Die dritte Kategorie der relativen Ubervolkerung, die stockende, bildet
einen Teil der aktiven Arbeiterarmee, aber, mit durchaus unregelmaBiger
Beschaftigung. Sie bietet so dem Kapital einen unerschopflichen Behalter
disponibler Arbeitskraft. Ihre Lebenslage sinkt unter das durchschnittliche
Normalniveau der arbeitenden Klasse, und grade dies macht sie zur breiten
Grundlage eigner Exploitationszweige des Kapitals. Maximum der
Arbeitszeit und Minimum des Salairs charakterisieren sie. Wir haben unter
der Rubrik der Hausarbeit ihre Hauptgestalt bereits kennengelernt. Sie
rekrutiert sich fortwahrend aus den Uberzahligen der groBen Industrie und
Agrikultur und namentlich auch aus untergehenden Industriezweigen, wo
der Handwerksbetrieb dem Manufakturbetrieb, letztrer dem
Maschinenbetrieb erliegt. Ihr Umfang dehnt sich, wie mit Umfang und
Energie der Akkumulation die "Uberzahligmachung" fortschreitet. Aber sie
bildet zugleich ein sich selbst reproduzierendes und verewigendes Element
der Arbeiterklasse, das verhaltnismaBig groBeren Anteil am
Gesamtwachstum derselben nimmt als die ubrigen Eemente. In der Tat
steht nicht nur die Masse der Geburten und Todesfalle, sondern die
absolute GroBe der Famihen in umgekehrtem Verhaltnis zur Hohe des
Arbeitslohns, also zur Masse der Lebensmittel, woriiber die verschiednen
Arbeiterkategorien verfugen. Dies Gesetz der kapitalistischen Gesellschaft
klange unsinnig unter Wilden oder selbst zivihsierten Kolonisten. Es
erinnert an die massenhafte Reproduktion individuell schwacher und
vielgehetzter Tierarten. 1110
l.»Armut scheint die Fortpflanzung zu begiinstigen.« (Adam Smith: "An inquiry into the nature
and causes of the wealth of nations", Buch 1, Kap.8, Ausg. Wakefield, Bd.l, London 1835, S.195..) Dies ist
sogar eine besonders weise Einrichtung Gottes nach dem galanten und geistreichen Abbe Gallani: »Gott
hat es gefiigt, dafi die Menschen, die die nutzlichsten Berufe ausiiben, iiberreichlich geboren werden. «
(Galiani, I.e. p. 78.) »Elend, bis zum aufiersten Grad von Hungersnot und Pestilenz, vermehrt eher das
Wachstum der Bevolkerung, statt es zu hemmen.« (S. Laing, "National Distress", 1844, p. 69.) Nachden
Laing dies statistisch illustriert, fahrt er fort: »Befdnde sich alle Welt in bequemen Umstanden, so ware
die Welt bald entvolkert.« (»If the people were all in easy circumstances, the world would soon be
depopulated. «)
l.»Von Tag zu Tag wird es somit klarer, dafi die Produktionsverhdltnisse. in denen sich die
Bourgeoisie bewegt, nicht einen einheitlichen, einfachen Charakter haben, sondern einen
zwieschldchtigen; dafi in denselben Verhdltnissen, in denen der Reichtum produziert wird, auch das
Elend produziert wird; dafi in denselben Verhdltnissen, in denen die Entwicklung der Produktivkrdfte
vor sich geht, sich eine Repressionskraft entwickelt; dafi diese Verhdltnisse den burgerlichen
Der tiefste Niederschlag der relativen Ubervolkerung endlich behaust die
Sphare des Pauperismus. Abgesehn von Vagabunden, Verbrechern,
Prostituierten, kurz dem eigentlichen Lumpenproletariat, besteht diese
Gesellschaftsschichte aus drei Kategorien. Erstens Arbeitsfahige. Man
braucht die Statistik des englischen Pauperismus nur oberflachlich
anzusehn, und man findet, daB seine Masse mit jeder Krise schwillt und
mit jeder Wiederbelebung des Geschafts abnimmt. Zweitens: Waisen- und
Pauperkinder. Sie sind Kandidaten der industriellen Reservearmee und
werden in Zeiten groBen Aufschwungs, wie 1860 z.B., rasch und
massenhaft in die aktive Arbeiterarmee einrolliert. Drittens: Verkommene,
Verlumpte, Arbeitsunfahige. Es sind namentlich Individuen, die an ihrer
durch die Teilung der Arbeit verursachten Unbeweglichkeit untergehn,
solche, die iiber das Normalalter eines Arbeiters hinausleben, endlich die
Opfer der Industrie, deren Zahl m't gefahrlicher Maschinerie,
Bergwerksbau, chemischen Fabriken etc. wachst, Verstiimmelte,
Verkrankte, Witwen etc. Der Pauperimus bildet das Invalidenhaus der
aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht der industriellen
Reservearmee. Seine Produktion ist eingeschlossen in der Produktion der
relativen Ubervolkerung, seine Notwendigkeit in ihrer Notwendigkeit, mit
ihr bildet er eine Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion und
Entwicklung des Reichtums. Er gehort zu den faux frais der
kapitalistischen Produktion, die das Kapital jedoch groBenteils von sich
selbst ab auf die Schultern der Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse
zu walzen weiB.
Je groBer der gesellschaftliche Reichtum, das funktion-ierende Kapital,
Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute GroBe des
Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto groBer die
industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch
dieselben Ursachen entwickelt wie die Expansivkraft des Kapitals. Die
verhaltnismaBige GroBe der industriellen Reservearmee wachst also mit
den Potenzen des Reichtums. Je groBer aber diese Reservearmee im
Verhaltnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte
Ubervolkerung, deren Elend im umgekehrten Verhaltnis zu ihrer
Arbeitsqual steht. Je groBer endlich die Lazarasschichte der Arbeiterklasse
und die Industrielle Reservearmee, desto groBer der offizielle Pauperismus.
Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen
Akkumulation. Es wird gleich alien andren Gesetzen in seiner
Verwirklichung durch mannigfache Umstande modifiziert, deren Analyse
nicht hierher gehort.
Man begreift die Narrheit der okonomischen Weisheit, die den Arbeitern
predigt, ihre Zahl den Verwertungsbediirfnissen des Kapitals anzupassen.
Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Akkumulation paBt
diese Zahl bestandig diesen Verwertungsbediirfnissen an. Erstes Wort
dieser Anpassung ist die Schopfung einer relativen Ubervolkerung oder
industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender
Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht des
Pauperismus.
Das Gesetz, wonach eine immer wachsende Masse von
Produktionsmitteln, dank dem Fortschritt in der Produktivitat der
gesellschaftlichen Arbeit, mit einer progressiv abnehmenden Ausgabe von
Menschenkraft in Bewegung gesetzt werden kann - dies Gesetz driickt sich
auf kapitalistischer Grundlage, wo nicht der Arbeiter die Arbeitsmittel,
sondern die Arbeitsmittel den Arbeiter anwenden, darin aus, daB, je hoher
die Produktivkraft der Arbeit, desto groBer der Druck der Arbeiter auf ihre
Beschaftigungsmittel, desto prekarer also ihre Existenzbedingung: Verkauf
der eignen Kraft zur Vermehrung des fremden Reichtums oder zur
Selbstverwertung des Kapitals. Rascheres Wachstum der
Produktionsmittel und der Produktivitat der Arbeit als der produktiven
Bevolkerung driickt sich kapitalistisch also umgekehrt darin aus, daB die
Arbeiterbevolkerung stets rascher wachst als das Verwertungsbedurfnis
des Kapitals.
Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen
Mehrwerts: innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle
Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit
auf Kosten des individuellen Arbeiters, alle Mittel zur Entwicklunsz der
Produktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des
Produzenten, verstiimmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen,
entwurdigen ihn zum Anhangsel der Maschine, vernichten mit der Qual
seiner Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des
Arbeitsprozesses im selben MaBe, worin letzterem die Wissenschaft als
selbstandige Potenz einverleibt wird; sie verunstalten die Bedingungen,
innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn wahrend des Arbeitsprozesses
der kleinlichst gehassigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in
Arbeitszeit, schleudern sein Weib und Kind unter das Juggernaut-Rad des
Kapitals. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerts sind zugleich
Methoden der Akkumulation, und jede Ausdehnung der Akkumulation
wird umgekehrt Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher,
daB im MaBe wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches
immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muB. Das
Gesetz endlich, welches die relative Ubervolkerung oder industrielle
Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in
Gleichgewicht halt, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den
Prometheus die Kelle des Hephastos an den Felsen. Es bedingt eine der
Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die
Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich
Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit,
Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf
Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.
Dieser antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation 1111 ist
in verschiednen Formen von politischen Okonomen ausgesprochen,
obgleich sie zum Teil zwar analoge, aber dennoch wesentlich verschiedene
Erscheinungen vorkapitalistischer Produktionsweisen damit
zusammenwerfen.
Der venetianische Monch Ortes, einer der groBen okonomischen
Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, faBt den Antagonismus der
kapitalistischen Produktion als allgemeines Naturgesetz des
gesellschaftlichen Reichtums.
»Das okonomisch Gute und okonomisch Bose halten sich in einer Nation
stets das Gleichgewicht (il bene ed il male economico in una nazione
sempre all'istessa misura), die Fiille der Guterfur einige ist immer gleich
dem Mangel derselbenfiir andre (la copia del beni in alcuni sempre
eguale alia mancanza di essi in altri). Grofier Reichtum von einigen ist
stets begleitet von absoluter Beraubung des Notwendigen bei viel mehr
andren. Der Reichtum einer Nation entspricht ihrer Bevolkerung, und
ihr Elend entspricht ihrem Reichtum. Die Arb eitsamkeit in einigen
erzwingt den Mufiiggang in andren. Die Armen und Mufiigen sind eine
notwendige Frucht der Reichen und Tatigen« usw. 1112
l.G.Ortes: "Delia Economia Nazionale libri sei 1774", bei Custodi, Parte Moderna, t. XXI, p. 6, 9,
22, 25 etc. Ortes sagt I.e. p. 32: »Statt unnutze Systeme fur das Gliick der Volker aufzustellen, will ich
mich darauf beschranken, die Griinde ihres Ungliicks zu untersuchen.«
l."A Dissertation on the Poor Laws. By a Wellwisher of Mankind (The Rev. Mr. J.Townsend),
1786", republished Lond. 1817, p. 15, 39, 41. Dieser "delikate" Pfaffe, dessen eben angefiihrte Schrift,
nebst seiner Reise durch Spanien, Malthus oft seitenlang abschreibt, entlehnte den groBten Teil seiner
Doktrin aus Sir J. Steuart, den er jedoch verdreht. Z.B. wenn Steuart sagt: »Hier, in der Sklaverei,
existierte eine gewaltsame Methode, die Menschheit arbeitsam [fiir die Nichtarbeiter] zu machen ... Die
Menschen wurden damals zur Arbeit [d.h. zur Gratisarbeit fur andere] gezwungen, well sie Sklaven von
andren waren; die Menschen sind jetzt zur Arbeit [d.h. zur Gratisarbeit fiir Nichtarbeiter] gezwungen,
well sie die Sklaven ihrer eignen Bedurfnisse sind« [James Steuart: "An inquiry into the principles of
political oeconomy", Bd.l, Dublin 1770, S.39, 40.], so schlieBt er deswegen nicht, wie der fette Pfriindner,
daB - die Lohnarbeiter stets am Hungertuch nagen sollen. Er will umgekehrt ihre Bedurfnisse vermehren
und die wachsende Zahl ihrer Bedurfnisse zugleich zum Sporn ihrer Arbeit fiir "die Delikateren" machen.
l.das ist gut!
2.Storch, I.e., t.III, p.223.
l.Sismondi, I.e., t.I, p.79, 80, 85.
l.Destutt de Tracy, I.e. p.231. "Les nations pauvres, e'est la oil le peuple est a son aise; et'les
nations riches, e'est la oil il est ordinairement pauvre."
1. "Tenth Report of the Commissioners of H.M's Inland Revenue", Lond. 1866, p. 38.
1. ibidem.
l.Diese Zahlen sind hinreichend fiir die Vergleichung, aber, absolut betrachtet, falsch, da vielleicht
100 Millionen Pfd.St. Einkommen jahrlich "verschwiegen" werden. Die Klage der Commissioners of Inland
Revenue iiber systematischen Betrug, namentlich von kommerzieller und industrieller Seite, wiederholt
sich in jedem ihrer Berichte. So heiBt es z.B.: »Eine Aktiengesellschaft gab ihre besteuerbaren Profite
auf 60.000 Pfd.St. an, der Taxator veranschlagte sie zu 88.000 Pfd.St., und fiir diese Summe ward
schliefilich die Steuer gezahlt. Eine andre Kompagnie gab 190.000 Pfd.St. an, sie ward gezwungen, zu
gestehn, dafS der wirkliche Betrag 250.000 Pfd.St. « (ibid. p. 42.)
1. "Census etc.", I.e. p. 29. John Brights Behauptung, daB 150 Grundherren die Halfte des
englischen und 12 die Halfte des schottischen Bodens eignen, ist nicht widerlegt worden.
2. "Fourth Report etc. of Inland Revenue", Lond. 1860, p. 17.
3.Es sind dies die Reineinkommen, also nach gewissen gesetzlich giiltigen Abziigen.
l.In diesem Augenblick, Marz 1867, ist der indisch-chinesische Markt durch die Konsignationen
der britischen Baumwollfabrikanten schon wieder vollig uberfuhrt. Lohnherabsetzung um 5% begann unter
In ganz grober Weise verherrlichte ungefahr 10 Jahre nach Ortes der
hochkirchliche protestantische Pfaffe Townsend die Armut als notwendige
Bedingung des Reichtums.
»Gesetzlicher Zwang zur Arbeit ist verbunden mit zuviel Miihe,
Gewaltsamkeit und Gerdusch, wdhrend der Hunger nicht nur ein
friedlicher, schweigsamer, unaufhorlicher Druck, sondern als
natiirlichstes Motiv zur Industrie und Arbeit die machtvollste
Anstrengung hervorruft.«
Alles kommt also darauf an, den Hunger unter der Arbeiterklasse
permanent zu machen, und dafur sorgt, nach Townsend, das
Bevolkerungsprinzip, das besonders unter den Armen tatig ist.
»Es scheint ein Naturgesetz, dafi die Armen zu einem gewissen Grad
leichtsinnig (improvident) sind [namlich so leichtsinnig, auf die Welt zu
kommen ohne goldne Loffel im Mund], so dafi stets welche da sind (that
there always may be some) zur Erfiillung der servilsten, schmutzigsten
und gemeinsten Funktionen des Gemeinwesens. Der Fonds von
menschlichem Gliick (the fund of human happiness) wird dadurch sehr
vermehrt, die Delikateren (the more delicate) sind von der Plackerei
befreit und konnen hoherem Berufusw. ungestort nachgehn... Das
Armengesetz hat die Tendenz, die Harmonie und Schonheit, die
Symmetrie und Ordnung dieses Systems, welches Gott und die Natur in
der Welt errichtet haben, zu zerstoren.« 1113
Fand der venetianische Monch in dem SchicksalsschluB, der das Elend
verewigt, die Existenzberechtigung der christlichen Wohltatigkeit, des
Zolibats, der Kloster und frommen Stiftungen, so findet im Gegenteil der
protestantische Pfriindner darin den Vorwand, die Gesetze zu verdammen,
kraft deren der Arme ein Recht auf kargliche offentliche Unterstiitzung
besaB.
»Der Fortschritt des gesellschaftlichen Reichtums«, sagt Storch, »erzeugt
jene niltzliche Klasse der Gesellschaft... welche die langweiligsten,
gemeinsten und ekelhaftesten Beschdftigungen ausilbt, in einem Wort
alles, was das Leben Unangenehmes und Knechtendes hat, aufihre
Schultern nimmt und ebendadurch den andren Klassen die Zeit, die
Heiterkeit des Geistes und die konventionelle« (c'est bon! 1114 )
» Charakterwiirde verschafft etc.« llli
Storch fragt sich, welches denn eigentlich der Vorzug dieser
kapitalistischen Zivllisation mit ihrem Elend und ihrer Degradation der
Massen vor der Barbarei? Er findet nur eine Antwort - die Sicherheit!
»Durch den Fortschritt der Industrie und Wissenschaft-, sagt Sismondi,
kann jeder Arbeiter jeden Tag viel mehr produzieren, als er zu seinem
Konsum braucht. Aber zu gleicher Zeit, wahrend seine Arbeit den
Reichtum produziert, wiirde der Reichtum, ware er berufen, ihn selbst zu
konsumieren, ihn wenig geeignet zur Arbeit machen.« Nach ihm »wiirden
die Menschen [d.h. die Nichtarbeiter] wahrscheinlich aufalle
Vervollkommnungen der Kiinste verzichten wie aufalle Geniisse, die die
Industrie uns verschafft, miifiten sie diese durch anhaltende Arbeit, wie
die des Arbeiters, erkaufen... Die Anstrengungen sind heute geschieden
von ihrer Belohnung; es ist nicht derselbe Mensch, der erst arbeitet und
sich dann ausruht: im Gegenteil, eben well der eine arbeitet, mufi der
andre sich ausruhn... Die endlose Vervielfaltigung der Produktivkrdfte
der Arbeit kann also kein andres Resultat haben als die Zunahme des
Luxus und der Geniisse der mufiigen Reichen.« 1116
Destutt de Tracy endlich, der fischblutige Bourgeoisdoktrinar, spricht es
brutal aus:
»Die armen Nationen sind die, wo das Volk gut dran ist, und die reichen
Nationen sind die, wo es gewohnlich arm ist.« ini
5. Illustration des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen
Keine Periode der modernen Gesellschaft ist so gunstig fur das Studium
der kapitalistischen Akkumulation als die Periode der letztverflossenen 20
Jahre. Es ist, als ob sie den Fortunatussackel gefunden hatte. Von alien
Landern aber bietet England wieder das klassische Beispiel, weil es den
ersten Rang auf dem Weltmarkt behauptet, die kapitalistische
Produktionsweise hier allein vollig entwickelt ist, und endlich die
Einfuhrung des Tausendjahrigen Reichs des Freihandels seit 1846 der
Vulgarokonomie den letzten Schlupfwinkel abgeschnitten hat. Der
titanische Fortschritt der Produktion, so daB die letzte Halfte der
zwanzigjahrigen Periode die erste wieder weit uberflugelt, ward bereits im
vierten Abschnitt hinreichend angedeutet.
Obgleich das absolute Wachstum der englischen Bevolkerung im letzten
halben Jahrhundert sehr groB war, fiel das verhaltnismaBige Wachstum
oder die Rate des Zuwachses fortwahrend, wie folgende dem offiziellen
Zensus entlehnte Tabelle zeigt:
Jahrlicher prozentmaBiger Zuwachs der Bevolkerung von England und
Wales in Dezimalzahlen
1811-1821 1,533%
1821-1831 1,446%
1831-1841 1,326%
1841-1851 1,216%
1851-1861 1,141%
Betrachten wir nun andrerseits das Wachstum des Reichtums. Den
sichersten Anhaltspunkt bietet hier die Bewegung der der
Einkommensteuer unterworfenen Profite, Grundrenten usw. Der Zuwachs
der steuerpflichtigen Profite (Pachter und einige andre Rubriken nicht
eingeschlossen) betrug fiir GroBbritannien von 1853 bis 1864 50,47% (oder
4,58% im jahrlichen Durchschnitt) 1 ' ' 8 , der der Bevolkerung wahrend
derselben Periode ungefahr 12%. Die Zunahme der besteuerbaren Renten
von Land (Hauser, Eisenbahnen, Minen, Fischereien usw. eingeschlossen)
betrag von 1853 bis 1864 38% oder 2Plyf/c jahrlich, woran folgende
Rubriken den starksten Anteil nahmen:
UberschuB des jahr-
Von Hausern: 38,60% 3,50%
Steinbriichen:... 84,76% 7,70%
Minen: 68,85% 6,26%
Eisenhiitten:.... 39,92% 3,63%
Fischereien:.... 57,37% 5,21%
Gaswerken:.... 126,02% 11,45%
Eisenbahnen... 83,29% 7,57% 1119
Vergleicht man je vier Jahre der Periode von 1853-1864, so wachst der
Zunahmegrad der Einkommen fortwahrend. Er ist z.B. fiir die aus Profit
stammenden von 1853-1 857 jahrlich 1,73%, 1857-1861 jahrlich 2,74%, und
9,30% jahrlich fiir 1861-1864. Die Gesamtsumme der der
Einkommensteuer unterworfenen Einkommen des Vereinigten
Konigreiches betrag 1856: 307.068.898 Pfd.St, 1859: 328.127.416 Pfd.St.,
1862: 351.745.241 Pfd.St, 1863: 359.142.897 Pfd.St., 1864: 362.462.279
Pfd.St, 1865. 385.530.020 Pfd.St 1120
Die Akkumulation des Kapitals war zugleich von seiner Konzentration und
Zentralisation begleitet. Obgleich keine offizielle Agrikulturstatistik fiir
England (wohl aber fiir Irland) existierte, ward sie von 10 Grafschaften
freiwillig geliefert Sie ergab hier das Resultat, daB von 1851 bis 1861 die
Pachten unter 100 Acres von 31.583 auf 26.567 vermindert, also 5.016 mit
groBeren Pachten zusammengeschlagen waren. 1121 Von 1815 bis 1825 fiel
kein Mobiliarvermogen iiber 1 Million Pfd.St. unter die Erbschaftssteuer,
von 1825 bis 1855 dagegen 8, von 1855 bis Juni 1859, d.h. in Wi Jahren,
4. 1122 Die Zentralisation wird man jedoch am besten ersehn aus einer
kurzen Analyse der Einkommensteuer fiir Rubrik D (Profite mit AusschluB
von Pachtern usw.) in den Jahren 1864 und 1865. Ich bemerke vorher, daB
Einkommen aus dieser Quelle bis zu 60 Pfd.St. hinab Income Tax zahlen.
Diese steuerpflichtigen Einkommen betragen in England, Wales und
Schottland 1864: 95.844.222 Pfd.St. und 1865: 105.435.787 Pfd.St 1123 , die
Zahl der Besteuerten 1864: 308.416 Personen auf eine Gesamtbevolkerurg
von 23.891.009, 1865: 332.431 Personen auf Gesamtbevolkerung von
24.127.003. Uber die Verteilung dieser Einkommen in beiden Jahren
folgende Tabelle:
Jahr, endend 5. Apritl864 Jahr, endend
5. April 1865
Einkommen Personen Einkommen
Personen von Profit von
Profit
Gesamteinkommen: Pfd.St. 95.844.222 308.416 Pfd.St.
105.435.787 332.431
davon: " 57.028.290 22.334 " 64.554.297 24.075
davon: " 36.415.225 3.619 " 42.535.576 4.021
davon " 22.809.781 822 " 27.555.313 973
davon: " 8.744.762 91 " 11.077.238 107
Es wurden im Vereinigten Konigreich 1855 produziert 61.453.079 Tonnen
Kohlen zum Wert von 16.113.267 Pfd.St, 1864: 92.787.873 Tonnen zum
Wert von 23.197.968 Pfd.St., 1855: 3.218.154 Tonnen Roheisen zum Wert
von 8.045.385 Pfd.St, 1864: 4.767.951 Tonnen zum Wert von 11.919.877
Pfd.St. 1854 betrug die Lange der im Vereinigten Konigreich im Betrieb
befindlichen Eisenbahnen 8.054 Meilen, mit eingezahltem Kapital von
286.068.794 Pfd.St., 1864 die Meilenlange 12.789 mit aufgezahltem Kapital
von 425.719.613 Pfd.St. 1854 betrug Gesamtexport und Import des
Vereinigten Konigreichs 268.210.145 Pfd.St., 1865: 489.923.285. Folgende
Tabelle zeigt die Bewegung des Exports:
Pfd.St.
58.842.377
63.596.052
115.826.948
135.842.817
165.862.402
188.917.563
1124
Man begreift nach diesen wenigen Angaben den Triumphschrei des
Generalregistrators des brit. Volks:
»Rasch wie die Bevolkerung anwuchs, hat sie nicht Schritt gehalten mit
dem Fortschritt der Industrie und des Reichtums.« 1125
Wenden wir uns jetzt zu den unmittelbaren Agenten dieser Industrie oder
den Produzenten dieses Reichtums, zur Arbeiterklasse.
»Es ist einer der melancholischsten Charakterziige im sozialen Zustand
des Landes«, sagt Gladstone, »dafi mit einer Abnahme in der
Konsumtionsmacht des Volks und einer Zunahme in den Entbehrungen
und dem Elend der arbeitenden Klasse gleichzeitig eine bestdndige
Akkumulation von Reichtum in den hohern Klassen und ein bestdndiger
Anwachs von Kapital stattfinden.« liu
1. "Census etc.", I.e. p. 11.
I.Gladstone im Hause der Gemeinen, 13. Feb. 1843: »It is one of the most melancholy features
in the social state of this country that we see, beyond the possibility of denial, that while there is at this
moment a decrease in the consuming powers of the people, an increase of the pressure of privations
and distress; there is at the same time a constant accumulation of wealth in the upper classes, an
increase in the luxuriousness of their habits, and of their means of enjoyment. « (Times', 14. Feb. 1843.
- Hansard, 13. Febr.)
1.4. Auflage: verandert
2.»From 1842 to 1852 the taxable income of the country increased by 6 per cent... In the 8
years from 1853 to 1861, it had increased from the basis taken in 1853, 20 per cent! The fact is so
astonishing as to be almost incredible ... this intoxicating augmentation of wealth and power ... entirely
confined to classes of property... must be of indirect benefit to the labouring population, because it
cheapens the commodities of general consumption - while the rich have been growing richer, the poor
have been growing less poor! at any rate, whether the extremes ofpovertyare less, I do not presume to
say.« (Gladstone im H. o. C. 16. April 1863. 'Morning Star', 17. April.)
l.Londoner Waisenhauses
2.Sieh die offiziellen Angaben in dem Blaubuch: "Miscellaneous Statistics of the Un. Kingdom.
Part VI", Lond. 1866, p. 260-273 passim. Statt der Statistik der Waisenanstalten usw. konnten auch die
Deklamationen ministerieller Journale zur Bevorwortung der Aussteuer der Kinder des koniglichen Hauses
als Beleg dienen. Die Teurung der Lebensmittel wird nie darin vergessen.
l.»Think of those who are on the border of that region [pauperism], wages ... in others not
increased ... human life is but, in nine cases out often, a struggl for existence. « (Gladstone, H.o.C, 7.
April 1864.) Die Version bei Hansard lautet: » Again; and yet more at large, what is human life but, in
the majority of cases, a struggle for existences - Die fortlaufenden, schreienden Widerspriiche in
Gladstones Budgetreden von 1863 und 1864 charakterisiert ein englischer Schriftsteller durch folgendes
Zitat aus Boileau [1.-4. Auflage: Moliere]:
So sprach dieser salbungsvolle Minister im Hause der Gemeinen am 13.
Februar 1843. Am 16. April 1863, zwanzig Jahre spater, in der Rede, worin
er sein Budget vorlegt:
»Von 1842 bis 1852 wuchs das besteuerbare Einkommen dieses Landes
um 6% ... In den 8 Jahren von 1853 bis 1861 wuchs es, wenn wir von der
Basis von 1853 ausgehn, um20%. Die Tatsache ist so erstaunlich, dafi
sie beinahe unglaublich ist... Diese berauschende Vermehrung von
Reichtum und Macht ... ist ganz und gar aufdie besitzenden Klassen
beschrankt, aber ... aber, sie mufi von indirektem Vorteilfiir die
Arbeiterbevolkerung sein, weil sie die Artikel der allgemeinen
Konsumtion verwohlfeilert wahrend die Reichen reicher, sind die Armen
jedenfalls weniger arm geworden. Dafi die Extreme der Armut sich
1 1 ti 1 1 ^s
vermindert haben, wage ich nicht zu sagen.«
Welch lahmer Antiklimax! Wenn die Arbeiterklasse »arm« geblieben ist,
nur »weniger arm« im Verhaltnis, worin sie eine »berauschende
Vermehrung von Reichtum und Macht« fur die Klasse des Eigentums
produzierte, so ist sie relativ gleich arm geblieben. Wenn die Extreme der
Armut sich nicht vermindert haben, haben sie sich vermehrt, weil die
Extreme des Reichtums. Was die Verwohlfeilerung der Lebensmittel
betrifft, so zeigt die offizielle Statistik, z.B. die Angaben des London
Orphan Asylum 1 ' 29 , eine Verteurung von 20% fur den Durchschnitt der
drei Jahre von 1860 bis 1862, verglichen mit 1851-1853. In den folgenden 3
Jahren 1863-1865 progressive Verteuerung von Fleisch, Butter, Milch,
Zucker, Salz, Kohlen und einer Masse andrer notwendiger
Lebensmittel. 1130 Gladstones folgende Budgetrede, vom 7. April 1864, ist
ein pindarischer Dithyrambus auf den Fortschritt der Plusmacherei und
das durch »Armut« gemaBigte Gluck des Volks. Er spricht von Massen
»amRand des Pauperismus«, von den Geschaftszweigen, »worin der
Lohn nicht gestiegen« und faBt schlieBlich das Gluck der Arbeiterklasse
zusammen in den Worten:
»Das menschliche Leben ist in neun Fallen von zehn ein blofier Kampf
um die Existenz. « ' ' 3 '
Professor Fawcett, nicht wie Gladstone durch offizielle Rucksicht
gebunden, erklart rundheraus:
»lch leugne natiirlich nicht, dafi der Geldlohn mit dieser Vermehrung des
Kapitals [in den letzten Dezennien] gestiegen ist, aber dieser scheinbare
Vorteil geht in grofiem Umfang wieder verloren, weil viele
Lebensbediirfnisse bestdndig teurer werden [er glaubt, wegen Wertfall der
edlen Metalle] .... Die Reichen werden rasch reicher [the rich grow rapidly
richer], wdhrend keine Zunahne im Komfort der arbeitenden Klassen
wahrnehmbar ist... Die Arbeiter werden fast Sklaven der Kramer, der en
Schuldner sie sind.« 1132
l.H. Fawcett, I.e. p. 67, 82. Was die wachsende Abhangigkeit der Arbeiter von dem Kramer betrifft,
so ist sie Folge der zunehmenden Schwankungen und Unterbrechungen ihrer Beschaftigung.
l.In England ist immer Wales eingeschlossen, in GroBbritannien England, Wales und Schottland,
im Vereinigten Konigreich jene drei Lander und Irland.
2.Hinweis auf die Arbeit von Friedrich Engels "Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Nach
eigner Anschauung und authentischen Quellen", Leipzig 1845 (siehe MEW, Band 2).
3.Es wirft ein eignes Licht auf den seit A. Smith zuriickgelegten Fortschritt, daB ihm das Wort
workhouse gelegentlich noch gleichwertig mit manufactory. Z.B. Eingang seines Kapitels iiber Teilung der
Arbeit: »Diejenigen, die in den verschiedenen Zweigen der Arbeit beschaftigt sind, konnen oft in
demselben Arbeitshaus (workhouse) zusammengefafit werden.« [Adam Smith, "An inquiry into the nature
and causes of the wealth of nations", Bd.l, Edinburgh 1814, S.6.]
L'Tublic Health. Sixth Report etc. for 1863", Lond. 1864, p. 13.
l.l.c.p.17.
2.1.c. p.13.
l.l.c, Appendix, p. 232.
" 40 l.l.c.p.232, 233.
l.l.c. p. 14, 15.
l.»Nirgendwo sind so off en und so schamlos die Rechte der Person dem Recht des Eigentums
geopfert worden als in den Wohnungsverhdltnissen der arbeitenden Klasse. Jede grofJe Stadt ist eine
Statte des Menschenopfers, ein Altar, worauf Tausende jahrlich dem Moloch der Habsucht
geschlachtet werden. « (S. Laing, I.e. p. 150.)
1. "Public Health. Eight Report", Lond. 1866, p. 14, Note.
l.l.c. p. 89. Mit Bezug auf die Kinder in diesen Kolonien sagt Dr. Hunter: »Wir wissen nicht, wie
Kinder vor diesem Zeitalter dichter Agglomeration der Armen aufgebracht worden, und er ware ein
kuhner Prophet, der vorhersagen wollte, welches Betragen zu erwarten von Kindern, die unter
Zustanden ohne Parallele in diesem Land jetzt ihre Erziehung fiir kunftige Praxis als gefahrliche
Klassen durchmachen, indem sie die halbe Nacht aufsitzen mit Personen jeden Alters, trunken, obszon
und zanksiichtig.« (I.e. p. 56.)
2.1.C p.62.
1 ."Report of the Officer of Health of St. Martin's in the Fields, 1865."
l."Maklern"
L'Tublic Health. Eighth Report", Lond. 1866, p.91.
l.l.c. p.88.
l.l.c. p.89.
In den Abschnitten iiber den Arbeitstag und die Maschinerie enthiillten
sich die Umstande, unter welchen die britische Arbeiterklasse eine
»berauschende Vermehrung von Reichtum und Macht« fur die
besitzenden Klassen schuf. Jedoch beschaftigte uns damals vorzugsweise
der Arbeiter wahrend seiner gesellschaftlichen Funktion. Zur vollen
Beleuchtung der Gesetze der Akkumulation ist auch seine Lage auBerhalb
der Werkstatt ins Auge zu fassen, sein Nahrungs- und Wohnungszustand.
Die Grenze dieses Buchs gebietet uns, hier vor allem den schlechtest
bezahlten Teil des industriellen Proletariats und der Ackerbauarbeiter zu
beriicksichtigen, d.h. die Majoritat der Arbeiterklasse.
Vorher noch ein Wort iiber den offiziellen Pauperismus oder den Teil der
Arbeiterklasse, der seine Existenzbedingung, Verkauf der Arbeitskraft,
eingebiiBt hat und von offentlichen Almosen vegetiert. Die offizielle
Pauperliste zahlte in England Personen, 1133 1855: 851.369 Personen, 1856:
877.767, 1865: 971.433. Infolge der Baumwollnot schwoll sie in den Jahren
1863 und 1864 zu 1.079.382 und 1.014.978. Die Krise von 1866, die
London am schwersten traf, schuf in diesem Sitz des Weltmarkts,
einwohnerreicher als das Konigreich Schottland, fur 1866 einen
Pauperzuwachs von 19,5%, verglichen mit 1865, und von 24,4%,
verglichen mit 1864, einen noch groBeren Zuwachs fur die ersten Monate
von 1867, verglichen mit 1866. Bei Analyse der Pauperstatistik sind zwei
Punkte hervorzuheben. Einerseits spiegelt die Bewegung im Ab und Zu der
Paupermasse die periodischen Wechselfalle des industriellen Zyklus wider.
Andrerseits triigt die offizielle Statistik mehr und mehr iiber den wirklichen
Umfang des Pauperismus im Grad, worin mit der Akkumulation des
Kapitals der Klassenkampf und daher das Selbstgefuhl der Arbeiter sich
entwickeln. Z.B. die Barbarei in der Behandlung der Paupers, woriiber die
englische Presse (Times', 'Pall Mall Gazette' etc.) wahrend der letzten zwei
Jahre so laut schrie, ist alten Datums. F. Engels konstatiert 1844 ganz
dieselben Greuel und ganz dasselbe voriibergehende, scheinheilige zur
"Sensationsliteratur" gehorige Gezeter. 1134 Aber die furchtbare Zunahme
des Hungertods ("deaths by starvation") in London, wahrend des letzten
Dezenniums, beweist unbedingt den zunehmenden Abscheu der Arbeiter
vor der Sklaverei des Workhouse' ' 3 5 , dieser Strafanstalt des Elends.
b) Die schlechtbezahlten Schichten der britischen industriellen
Arbeiterklasse
Wenden wir uns jetzt zu den schlechtbezahlten Schichten der industriellen
Arbeiterklasse. Wahrend der Baumwollnot, 1862, wurde Dr. Smith vom
Privy Council mit einer Untersuchung iiber den Nahrungsstand der
verkummerten Baumwollarbeiter in Lancashire und Cheshire beauftragt
Langjahrige friihere Beobachtung hatte ihn zum Resultat gefiihrt, daB, »um
Hungerkrankheiten (starvation diseases) zu vermeiden«, die tagliche
Nahrung eines Durchschnitts-Frauenzimmers mindestens 3.900 Gran
Kohlenstoff mit 180 Gran Stickstoff enthalten miisse, die tagliche Nahrung
eines Durchschnitts-Mannes mindestens 4.300 Gran Kohlenstoff mit 200
Gran Stickstoff, fur die Frauenzimmer ungefahr soviel Nahrungsstoff als in
zwei Pfund gutem Weizenbrot enthalten ist, fur Manner V9 mehr, fur den
Wochendurchschnitt von weiblichen und mannlichen Erwachsnen
mindestens 28.600 Gran Kohlenstoff und 1.330 Gran Stickstoff. Seine
Berechnung ward praktisch in uberraschender Weise bestatigt durch ihre
Ubereinstimmung mit der kummerlichen Nahrungsmenge, worauf der
Notstand die Konsumtion der Baumwollarbeiter herabgedriickt hatte. Sie
erhielten im Dezember 1862: 29.211 Gran Kohlenstoff und 1.295 Gran
Stickstoff wochentlich.
Im Jahre 1863 verordnete der Privy Council eine Untersuchung iiber den
Notstand des schlechtestgenahrten Teils der englischen Arbeiterklasse. Dr.
Simon, der arztliche Beamte des Privy Council, erkor zu dieser Arbeit den
obenerwahnten Dr. Smith. Seine Untersuchung erstreckt sich auf die
Agrikulturarbeiter einerseits, andrerseits auf Seidenweber, Nahterinnen,
Lederhandschuhmacher, Strumpfwirker, Handschuhweber und Schuster.
Die letzteren Kategorien sind, mit Ausnahme der Strumpfwirker,
ausschlieBlich stadtisch. Es wurde zur Regel der Untersuchung gemacht,
die gesundesten und relativ bestgestellten Familien in jeder Kategorie
auszuwahlen.
Als allgemeines Resultat ergab sich, daB
»nur in einer der untersuchten Klassen der stddtischen Arbeiter die
Zufuhr von Stickstoff das absolute Minimalmafi, unter welchem
Hungerkrankheiten eintreten, ein wenig iiberschritt, dafi in zwei Klassen
Mangel, und zwar in der einen sehr grofier Mangel, an der Zufuhr von
sowohl stickstoff- wie kohlenstoffhaltiger Nahrung stattfand, dafi von
den untersuchten Ackerbaufamilien mehr als ein Funfteil weniger als die
unentbehrliche Zufuhr von kohlenstoffhaltiger Nahrung erhielt, mehr als
1/3 weniger als die unentbehrliche Zufuhr stickstoffhaltiger Nahrung
und dafi in drei Grafschaften (Berkshire, Oxfordshire und
Somersetshire) Mangel an dem Minimum der stickstoffhaltigen Nahrung
durchschnittlich herrschte. « 1136
Unter den Agrikulturarbeitern waren die von England, dem reichsten Teile
des Vereinigten Konigreichs, die schlechtestgenahrten. 1137 Die
Unternahrung fiel unter den Landarbeitern uberhaupt hauptsachlich auf
Frau und Kinder, denn »der Mann mufi essen, um sein Werk zu
verrichten« . Noch groBerer Mangel wiitete unter den untersuchten
stadtischen Arbeiterkategorien. »Sie sind so schlecht gendhrt, dafi viele
Fdlle grausamer und gesundheitsruinierender Entbehrung«
["Entsagung" des Kapitalisten alles dies! namlich Entsagung auf Zahlung
der zur bloBen Vegetation seiner Hande unentbehrlichen Lebensmittel!]
vorkommen miissen.« 113S
Folgende Tabelle zeigt das Verhaltnis des Nahrangsstandes der oben
erwahnten rein stadtischen Arbeiterkategorien zu dem von Dr. Smith
angenommenen MinimalmaB und zum NahrungsmaB der
Baumwollarbeiter wahrend der Zeit ihrer groBten Not:
Wochen
Wochen-
Beide Geschlechter durchschnitt an
durchschnitt an
Kohlenstoff Stickstoff
Fiinf stadtische Geschaftszweige 28.876 1.192
Arbeitslose Lancashire Fab rikarbeiter 29.211 1.295
Minimalquantum, vorgeschlagen fur die Lar
Eine Halfte, "*-Vi 25> der untersuchten industriellen Arbeiterkategorien
erhielt absolut kein Bier, 28% keine Milch. Der Wochendurchschnitt der
flussigen Nahrungsmittel in den Familien schwankte von 7 Unzen bei den
Nahterinnen auf 24^/4 Unzen bei Strumpfwirkern. Die Mehrzahl derer, die
keine Milch erhielten, bestand aus den Nahterinnen von London. Die
Quantitat der wochentlich konsumierten Brotstoffe wechselte von 7^/4
Pfund bei den Nahterinnen zu 1 1 V4 Pfund bei den Schustern und ergab
einen Totaldurchschnitt von 9,9 Pfund wochentlich auf den Erwachsnen.
Zucker (Sirup etc.) wechselte von 4 Unzen wochentlich fur die
Lederhandschuhmacher auf 1 1 Unzen fur Strumpfwirker; der
Totaldurchschnitt per Woche fur alle Kategorien, per Erwachsnen, 8
Unzen. Gesamter Wochendurchschnitt von Butter (Fett usw.) 5 Unzen per
Erwachsnen. Der Wochendurchschnitt von Fleisch (Speck usw.)
schwankte, per Erwachsnen, von 7V4 Unzen bei den Seidenwebern auf
18 V4 Unzen bei den Lederhandschuhmachern; Gesamtdurchschnitt fur
die verschiednen Kategorien 13,6 Unzen. Die wochentliche Kost fur
Nahrung per Erwachsnen ergab folgende allgemeine Durchschnittszahlen:
Seidenweber 2 sh. 2Vi d., Nahterinnen 2 sh. 7 d., Lederhandschuhmacher 2
sh. 9Vi d., Schuster 2 sh. 7^/4 d., Strumpfwirker 2 sh. 614 d. Fiir die
Seidenweber von Macclesfield betrug der Wochendurchschnitt nur 1 sh.
8V2 d. Die schlechtestgenahrten Kategorien waren die Nahterinnen, die
Seidenweber und die Lederhandschuhmacher. 1140
Dr. Simon sagt in seinem allgemeinen Gesundheitsbericht iiber diesen
Nahrungszustand:
»Dafi die Falle zahllos sind, worin Nahrungsmangel Krankheiten erzeugt
oder verscharft, wirdjeder bestdtigen, der mit medizinischer
Armenpraxis oder mit den Patienten der Spitdler, seien sie Insassen oder
aufierhalb wohnend, vertraut ist... Jedoch kommt hier vom sanitdren
Standpunkt noch ein andrer, sehr entscheidender Umstand hinzu... Man
mufi sich erinnern, dafi Beraubung an Nahrungsmitteln nur sehr
widerstrebend ertragen wird und dafi in der Regel grofie Durftigkeit der
Diatnur im Gefolge andrer, vorhergegangner Entbehrungen nachhinkt.
Lange bevor der Nahrungsmangel hygienisch ins Gewicht fallt, lange
bevor der Physiolog daran denkt, die Grane Stickstoff und Kohlenstoff zu
zahlen, zwischen denen Leben und Hungertod schwebt, wird der
Haushalt von allem materiellen Komfort ganz und gar entblofit sein.
Kleidung und Heizung werden noch diirftiger gewesen sein als die
Speise. Kein hinreichender Schutz wider die Harte des Wetters;
Abknappung des Wohnraums zu einem Grad, der Krankheiten erzeugt
oder verscharft; kaum eine Spur von Hausgerat oder Mobeln, die
Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder schwierig geworden sein.
Werden noch aus Selbstachtung Versuche gemacht, sie
aufrechtzuerhalten, so reprasentiert jeder solcher Versuch zuschiissige
Hungerpein. Die Hauslichkeit wird dort sein, wo Obdach am
wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren, wo die Gesundheitspolizei die
geringste Frucht tragi, das jammerlichste Gerinne, wenigster Verkehr,
der meiste offentliche Unrat, kiimmerlichste oder schlechteste
Wasserzufuhr und, in Stddten, grofiter Mangel an Licht und Luft. Dies
sind die Gesundheitsgefahren, denen die Armut unvermeidlich
ausgesetzt ist, wenn diese Armut Nahrungsmangel einschliefit. Wenn die
Summe dieser Ubel von furchtbarer Grofiefiir das Leben ist, so ist der
blofie Nahrungsmangel an sich selbst entsetzlich... Dies sind qualvolle
Gedanken, namentlich wenn man sich erinnert, dafi die Armut, wovon es
sich handelt, nicht die selbstverschuldete Armut des Mufiiggangs ist. Es
ist die Armut von Arbeitern. Ja, mit Bezug aufdie stddtischen Arbeiter
ist die Arbeit, wodurch der knappe Bissen Nahrung erkauft wird, meist
tiber alles Mafi verlangert. Und dennoch kann man nur in sehr bedingtem
Sinn sagen, dafi diese Arbeit selbsterhaltend ist... Aufsehr grofiem
Mafistab kann der nominelle Selbsterhalt nur in kiirzerer oder langerer
Umweg zum Pauperismus sein.« lul
Der innere Zusammenhang zwischen Hungerpein der fleiBigsten
Arbeiterschichten und auf kapitalistischer Akkumulation begriindetem,
grobem oder raffiniertem Verschwendungskonsum der Reichen enthullt
sich nur mit Kenntnis der okonomischen Gesetze. Anders mit dem
Wohnungszustand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, daB je
massenhafter die Zentralisation der Produktionsmittel, desto groBer die
entsprechende Anhaufung von Arbeitern auf demselben Raum, daB daher,
je rascher die kapitalistische Akkumulation, desto elender der
Wohnungszustand der Arbeiter. Die den Fortschritt des Reichtums
begleitende "Verbesserung" (improvements) der Stadte durch NiederreiBen
schlecht gebauter Viertel, Errichtung von Palasten fur Banken,
Warenhauser usw., Streckung der StraBen fur Geschaftsverkehr und
Luxuskarossen, Einfuhrung von Pferdebahnen usw. verjagt
augenscheinlich die Armen in stets schlechtere und dichter gefullte
Schlupfwinkel. Andrerseits weiB jeder, ieder, daB die Teuerkeit der
Wohnungen im umgekehrten Verhaltnis Zu ihrer Giite steht und daB die
Minen des Elends von Hauserspekulanten mit mehr Profit und weniger
Kosten ausgebeutet werden als jemals die Minen von Potosi. Der
antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation und daher der
kapitalistischen Eigentumsverhaltnisse iiberhaupt 1142 wird hier so
handgreifbar, daB selbst die offiziellen englischen Berichte iiber diesen
Gegenstand wimmeln von heterodoxen Ausfallen auf das "Eigentum und
seine Rechte". Das Ubel hielt solchen Schritt mit der Entwicklung der
Industrie, der Akkumulation des Kapitals, dem Wachstum und der
"Verschonerung" der Stadte, daB die bloBe Furcht vor ansteckenden
Krankheiten, welche auch der "Ehrbarkeit" nicht schonen, von 1847 bis
1864 nicht weniger als 10 gesundheitspolizeiliche Parlamentsakte ins
Leben rief und die erschreckte Burgerschaft in einigen Stadten, wie
Liverpool, Glasgow usw., durch ihre Munizipalitat eingriff. Dennoch, raft
Dr. Simon in seinem Bericht von 1865: »Allgemein zu sprechen, sind die
Ubelstande in England unkontrolliert.« Auf Befehl des Privy Council
fand 1864 Untersuchung iiber die Wohnungsverhaltnisse der Landarbeiter,
1865 iiber die der armeren Klassen in den Stadten statt. Die meisterhaften
Arbeiten des Dr. Julian Hunter findet man im siebenten lund achten
Bericht iiber "Public Health". Auf die Landarbeiter komme ich spater. Fur
den stadtischen Wohnungszustand schicke ich eine allgemeine Bemerkung
des Dr. Simon voraus:
»Obgleich mein offizieller Gesichtspunkt« , sagt er, »ausschliefilich
arztlich ist, erlaubt die gewohnlichste Humanitdt nicht, die andre Seite
dieses Ubels zu ignorieren. In seinem hoheren Grad bedingt esfast
notwendig eine solche Verleugnung alter Delikatesse, so schmutzige
Konfusion von Korpern und korperlichen Vorrichtungen, solche
Blofistellung geschlechtlicher Nacktheit, die bestial, nicht menschlich
sind. Diesen Einflussen unterworfen zu sein ist eine Erniedrigung, die
sich vertieft, je langer sie fortwirkt. Fur die Kinder, die unter diesem
Fluch geboren sind, ist er Taufe in Infamie (baptism into infamy). Und
iiber alles Mafi hoflnungslos ist der Wunsch, dafi unter solche Umstande
gestellte Personen in andren Hinsichten nach jener Atmosphare der
Zivilisation aufstreben sollten, deren Wesen in physischer und
moralischer Reinheit besteht.« 11 ^
Den ersten Rang in uberfullten oder auch fur menschliche Behausung
absolut unmoglichen Wohnlichkeiten nimmt London ein.
»Zwei Punkte«, sagt Dr. Hunter, »sind sicher; erstens gibt es ungefdhr 20
grofie Kolonien in London, jede ungefdhr 10.000 Personen stark, deren
elende Lage alles ubersteigt, was jemals anderswo in England gesehen
worden ist, und sie istfast ganz das Resultat ihrer schlechten
Hausakkommodation; zweitens, der uberfiillte und verfallne Zustand der
Hauser dieser Kolonien ist viel schlechter als 20 Jahre zuvor.« 1144 »Es ist
nicht zuviel zu sagen, dafi das Leben in vielen Teilen von London und
Newcastle hollisch ist.« n45
Auch der bessergestellte Teil der Arbeiterklasse, zusamt Kleinkramern und
andren Elementen der kleinen Mittelklasse, fallt in London mehr und mehr
unter den Fluch dieser nichtswurdigen Behausungsverhaltnisse, im MaBe,
wie die "Verbesserungen" und mit ihnen die NiederreiBung alter StraBen
und Hauser fortschreiten, wie Fabriken und Menschenzustrom in der
Metropole wachsen, endlich die Hausmieten mit der stadtischen
Grundrente steigen.
»Die Hausmieten sind so iibermdfiig geworden, dafi wenige Arbeiter
mehr als ein Zimmer zahlen konnen.« lUi
Es gibt fast kein Londoner Hauseigentum, das nicht mit einer Unzahl von
"middlemen" 1 147 belastet ware. Der Preis des Bodens in London steht
namlich stets sehr hoch m Vergleich zu seinen jahrlichen Einkunften,
indem jeder Kaufer darauf spekuliert, inn fruher oder spater zu einem Jury
Price (durch Geschworene festgesetzte Taxe bei Expropriationen) wieder
loszuschlagen oder durch Nahe irgendeines groBen Unternehmens
auBerordentliche Werterhohung zu erschwindeln. Folge davon ist ein
regelmaBiger Handel im Ankauf von Mietkontrakten, die ihrem Verfall
nahen.
» Von den Gentlemen in diesem Geschaft kann man erwarten, dafi sie
handeln, wie sie handeln, so viel wie moglich aus den Hausbewohnern
herausschlagen und das Haus selbst in so elendem Zustand wie moglich
ihren Nachfolgern iiberlassen.« un
Die Mieten sind wochentlich, und die Herren laufen kein Risiko. Infolge
der Eisenbahnbauten innerhalb der Stadt
»sah man kiirzlich im Osten Londons eine Anzahl aus ihren alten
Wohnungen verjagter Familien umherwandern eines Samstags abends
mit ihren wenigen weltlichen Habseligkeiten auf dem Riicken, ohne
irgendeinen Haltplatz aufier dem Workhouse« 1149 .
Die Workhouses sind bereits uberfiillt, und die vom Parlament bereits
bewilligten "Verbesserungen" sind erst im Beginn ihrer Ausfuhrung.
Werden die Arbeiter verjagt durch Zerstorung ihrer alten Hauser, so
verlassen sie nicht ihr Kirchspiel oder siedeln sich hochstens an seiner
Grenze, im nachsten fest.
»Sie suchen natiirlich moglichst in der Nahe ihrer Arbeitslokale zu
hausen. Folge, dafi an der Stelle von zwei Zimmern, eins die Familie
aufnehmen mufi. Selbst zu erhohter Miete wird die Wohnlichkeit
schlechter als die schlechte, woraus man sie verjagt. Die Halfte der
Arbeiter im Strand braucht bereits zwei Meilen Reise zum Arbeitslokal.«
Dieser Strand, dessen HauptstraBe auf den Fremden einen imposanten
Eindruck vom Reichtum Londons macht, kann als Beispiel der Londoner
Menschenverpackung dienen. In einer Pfarrei desselben zahlte der
Gesundheitsbeamte 581 Personen auf den Acre, obgleich die Halfte der
Themse mit eingemessen war. Es versteht sich von selbst, daB jede
gesundheitspolizeiliche MaBregel, die, wie das bisher in London der Fall,
durch Niederschleifen untauglicher Hauser die Arbeiter aus einem Viertel
verjagt, nur dazu dient, sie in ein andres desto dichter
zusammenzudrangen.
»Entweder« , sagt Dr. Hunter, »mufi die ganze Prozedur als eine
Abgeschmacktheit notwendig zum Stillstand kommen, oder die
ojfentliche Sympathie [!] mufi erwachen fur das, was man jetzt ohne
Ubertreibung eine nationale Pflicht nennen kann, ndmlich Obdach fur
Leute zu verschaffen, welche aus Mangel an Kapital sich selbst keins
verschaffen, wohl aber durch periodische Zahlung die Vermieter
entschddigen konnen. « ' ' 5 °
Man bewundre die kapitalistische Justiz! Der Grundeigen turner,
Hauseigner, Geschaftsmann, wenn expropriiert durch "improvements" 1151 ,
1. "Verbesserungen"
wie Eisenbahnen, Neubau der StraBen usw., erhalt nicht nur voile
Entschadigung. Er muB fiir seine erzwungne "Entsagung" von Gott und
Rechts wegen noch obendrein durch einen erklecklichen Profit getrostet
werden. Der Arbeiter wird mit Frau und Kind und Habe aufs Pflaster
geworfen und - wenn er zu massenhaft nach Stadtvierteln drangt, wo die
Munizipalltat auf Anstand halt, gesundheitspolizeilich verfolgt!
AuBer London gab es Anfang des 19. Jahrhunderts keine einzige Stadt in
England, die 100.000 Einwohner zahlte. Nur fiinf zahlten mehr als 50.000.
Jetzt existieren 28 Stadte mit mehr als 50.000 Einwohnern.
»Das Resultat dieses Wechsels war nicht nur enormer Zuwachs der
stddtischen Bevdlkerung, sondern die alten dichtgepackten kleinen
Stadte sind nun Zentra, die von alien Seiten umbaut sind, nirgendwo mit
freiem Luftzutritt. Da sie fur die Reichen nicht langer angenehm sind,
werden sie von ihnenfiir die amiisanteren Vorstadte verlassen. Die
Nachfolger dieser Reichen beziehn die grofieren Hauser, eine Familie,
oft noch mit Untermietern, fiir jedes Zimmer. So ward eine Bevdlkerung
gedrangt in Hauser, nicht fiir sie bestimmt, und wofiir sie durchaus
unpassend, mit einer Umgebung, die wahrhaft erniedrigend fiir die
Erwachsnen und ruinier end fiir die Kinder ist.« 1152
Je rascher das Kapital in einer industriellen oder kommerziellen Stadt
akkumuliert, um so rascher der Zustrom des exploitablen
Menschenmaterials, um so elender die improvisierten Wohnlichkeiten der
Arbeiter. Newcastle-upon-Tyne, als Zentrum eines fortwahrend
ergiebigeren Kohlen- und Bergbaudistrikts, behauptet daher nach London
die zweite Stelle in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als 34.000
Menschen hausen dort in Einzelkammern. Infolge absoluter
Gemeinschadlichkeit sind kurzlich in Newcastle und Gateshead Hauser in
l.l.c.p.56.
l.l.c.p.149.
l.l.c. p.50.
l.Liste des Agenten einer Arbeiter-Assektiranzgeselischaft zu Bradford
bedeu tender Anzahl von Polizei wegen zerstort worden. Der Bau der
neuen Hauser geht sehr langsam voran, das Geschaft sehr rasch. Die Stadt
war daher 1865 uberfiillter als je zuvor. Kaum eine einzelne Kammer war
zu vermieten. Dr. Embleton vom Newcastle Fieberhospital sagt:
»Ohne alien Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des
Typhus in der Uberhdufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit
ihrer Wohnungen. Die Hauser, worin die Arbeiter haufig leben, liegen in
abgeschlofinen Winkelgassen und Hofen. Sie sind mit Bezug aufLicht,
Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und
Ungesundheit, eine Schmach fur jedes zivilisierte Land. Dort liegen
Manner, Weiber und Kinder des Nachts zusammengehudelt. Was die
Manner angeht, folgt die Nachtschicht der Tagesschicht in
ununterbrochnem Strom, so dafi die Betten kaum Zeit zur Abkiihlung
finden. Die Hauser sind schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit
Abtritten, untdtig, unventiliert, pestilenzialisch.« 1153
Der Wochenpreis solcher Locher steigt von 8 d. zu 3 sh.
»Newcastle-upon-Tyne« , sagt Dr. Hunter, »bietet das Beispiel eines der
schonsten Stamme unsrer Landsleute, der durch die dufiern Umstdnde
von Behausung und Strafie oft in eine beinah wilde Entartung versunken
ist.« im
Infolge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit mag der
Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute ertraglich sein, morgen
wird er abscheulich. Oder die stadtische Adilitat mag endlich sich
aufgerafft haben zur Beseitigung der argsten MiBstande. Morgen wandert
ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Islandern oder verkommenen
englischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und
Speicher oder verwandelt das fruher respektable Arbeiterhaus in ein Logis,
worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartierung wahrend des
DreiBigjahrigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Munizipalphilister
eben mit Stadtreform beschaftigt. Zudem gab es daselbst 1861 noch 1751
unbewohnte Hauser. Aber nun das gute Geschaft, woriiber der sanft
liberale Herr Forster, der Negerfreund, jungst so artig gekraht hat. Mit dem
guten Geschaft natutlich Uberflutung durch die Wellen der stets wogenden
"Reservearmee" oder "relativen Ubervolkerung". Die scheuBlichen
Kellerwohnungen und Kammern, registriert in der Liste (Note 1155 ), die Dr.
Hunter vom Agenten einer Assekuranzgesellschaft erhielt, waren meist
von gutbezahlten Arbeitern bewohnt. Sie erklarten, sie wiirden gern
bessere Wohnungen zahlen, wenn sie zu haben waren. Unterdes
verlumpen und verkranken sie mit Mann und Maus, wahrend der
sanftliberale Forster, M.P., Tranen vergieBt iiber die Segnungen des
Freihandels und die Profite der eminenten Bradforder Kopfe, die in
Worsted 1156 machen. Im Bericht vom 5. September 1865 erklart Dr. Bell,
28.Kammgarn
1. I.e. p. 114
l.l.c. p.50.
1. "Public Health. Seventh Report", Lond. 1865, p.18.
2.1.c.p.l65.
3.Gesundheitspolizeilichen Komitees
l.l.c. p. 18, Note. Der Armenpileger der Chapel-en-le-Frith-Union berichtet an den Registrar
General: »Zu Doveholes hat man eine Anzahl kleiner Aushohlungen in einem grofien Htigel von
Kalkasche gemacht. Diese Hohlen dienen den Erd- und andren am Eisenbahnbau beschaftigten
Arbeitern zur Wohnung. Die Hohlen sind eng, feucht, ohne Abzug fiir Unreinigkeiten und ohne
Abtritte. Sie entbehren alter Ventilationsmittel, mit Ausnahme eines Lochs durch die Wolbung, das
zugleich als Schornstein dient. Die Pocken wtiten und haben schon verschiedne Todesfalle [unter den
Troglodyten] verursacht.« (I.e., Note 2.)
l.Die auf S.460ff. [Siehe MEW, Band 23, S. 519-525] gegebnen Einzelheiten beziehn sich
namentlich auf Arbeiter in Kohlenbergwerken. Uber den noch schlechteren Zustand in den Metallminen
vgl. den gewissenhaften Bericht der Royal Commission von 1864.
l.l.c. p. 180, 182.
2.H6rigkeit
3.1.c.p.515, 517.
l.l.c. p.16.
l.»Massenhafte Verhungerung der Londoner Armen! (Whole sale starvation of the London
Poor!) ... Wahrend der letzten Tage waren die Mauern Londons iiberklebt mit grofien Plakaten, die
folgende merkwiirdige Anzeige bringen: Fette Ochsen, verhungernde Menschen! Die fetten Ochsen
haben ihre Glaspalaste verlassen, um die Reichen in ihren Luxusgemachern zu masten, wahrend die
verhungernden Menschen in ihren Jammerhohlen verderben und sterben. Die Plakate mit dieser
unheilkiindenden Inschrift werden bestandig erneuert. Kaum ist eine Partie ausgemerzt und iiberklebt,
wenn sofort eine neue Partie an demselben oder einem gleich offentlichen Platz wiedereischeint... Das
erinnert an die omina, die das franzosische Volk auf die Ereignisse von 1789 vorbereiteten ... In
diesem Augenblick, wahrend englische Arbeiter, mit Weib und Kind an Kcilte und Hunger sterben,
werden Millionen von englischem Geld, dem Produkt englischer Arbeit, in russischen, spanischen,
italienischen und anderen fremden Anleihen angelegt.« ('Reynolds' Newspaper', 20. Jan. 1867.)
l.Ducpetiaux, I.e. p.151. 154 155, 156.
1. James E.Th. Rogers (Prof, of Polit. Econ. in the University of Oxford), "A History of Agriculture
and Prices in England", Oxford 1866, v. I, p. 690. Dies fleiBig gearbeitete Werk umfaBt in den bisher
erschienenen zwei ersten Banden nur noch die Periode von 1259-1400. Der zweite Band enthalt bloB
einer der Armenarzte von Bradford, die furchtbare Sterblichkeit der
Fieberkranken seines Bezirks aus ihren Wohnungsverhaltnissen:
»In einem Keller von 1.500 Kubikfufi wohnen 10 Personen ... Die
Vincentstrafie, Green Air Place und the Leys bergen 223 Hduser mit
1.450 Einwohnern, 435 Betten und 36 Abtritten... Die Betten, und
darunter verstehe ichjede Rolle von schmutzigen Lumpen oder Handvoll
von Hobelspdnen, halten jedes im Durchschnitt 3,3 Personen, manches 4
und 6 Personen. Viele schlafen ohne Bett aufnacktem Boden in ihren
Kleidern, junge Manner und Weiber, verheiratet und unverheiratet, alles
kunterbunt durcheinander. 1st es notig hinzuzufiigen, dafi diese
Hausungen meist dunkle, feuchte, schmutzige Stinkhohlen sind, ganz und
gar unpassend fur menschliche Wohnung? Es sind die Zentra, wovon
Krankheit und Tod ausgehn und ihre Opfer auch unter den Gutgestellten
(of good circumstances) packen, welche diesen Pestbeulen erlaubt haben,
in unsrer Mitte zu eitern.« n51
Bristol behauptet den dritten Rang nach London im Wohnungselend.
»Hier, in einer der reichsten Stddte Europas, grofiter Uberflufi an
barster Armut (blank poverty) und hauslichem Elend.« 115S
c.) Das Wandervolk
Wir wenden uns nun zu einer Volksschicht, deren Ursprung landlich,
deren Beschaftigung groBenteils industriell ist. Sie bildet die leichte
Infanterie des Kapitals, die es je nach seinem Bediirfnis bald auf diesen
Punkt wirft, bald auf jenen. Wenn nicht auf dem Marsch, "kampiert" sie.
Die Wanderarbeit wird verbraucht fur verschiedne Bau- und
Drainierungsoperationen, Backsteinmachen, Kalkbrennen, Eisenbahnbau
usw. Eine wandelnde Saule der Pestilenz, importiert sie in die Orte, in
deren Nachbarschalt sie ihr Lager aufschlagt, Pocken, Typhus, Cholera,
Scharlachfieber usw." 59 In Unternehmen von bedeutender Kapitalauslage,
wie Eisenbahnbau usw., liefert meist der Unternehmer selbst seiner Armee
Holzhiitten oder dergl, improvisierte Dorfer ohne alle
Gesundheitsvorkehrung, jenseits der Kontrolle der Lokalbehorden, sehr
profitlich fur den Herrn Kontraktor, der die Arbeiter doppelt ausbeutet, als
Industriesoldaten und als Mieter. Je nachdem die Holzhutte 1, 2 oder 3
Locher enthalt, hat ihr Insasse, Erdarbeiter usw., 2, 3, 4sh. wochentlich zu
zahlen." 60 Ein Beispiel geniige. Im September 1864, berichtet Dr. Simon,
ging dem Minister des Innern, Sir George Grey, folgende Denunziation
seitens des Vorstehers des Nuisance Removal Committee 1 161 der Pfarrei
von Sevenoaks zu:
»Pocken waren dieser Pfarrei ganz unbekannt bis etwa vor 12 Monaten.
Kurz vor dieser Zeit wurden Arbeitenfiir eine Eisenbahn von Lewisham
nach Tunbridge eroffnet. Aufierdem, dafi die Hauptarbeiten in der
unmittelbaren Nachbarschaft dieser Stadt ausgefiihrt wurden, ward hier
audi das Hauptdepot des ganzen Werks errichtet. Grofie Personenzahl
daher hier beschdftigt. Da es unmoglich war, sie alle in Cottages
unterzubringen, liefi der Kontraktor, Herr Jay, langs der Linie der Bahn
auf verschiednen Punkten Hiitten aufschlagen zur Behausung der
Arbeiter. Diese Hiitten besafien weder Ventilation noch Abzugsgerinne
und waren aufierdem notwendig uberfullt, weiljeder Mieter andre
Logierer aufnehmen mufite, wle zahlreich immer seine eigne Familie,
und obgleichjede Hiitte nur zweizimmrig. Nach dem arztlichen Bericht,
den wir erhielten, war die Folge, dafi diese armen Leute zur Nachtzeit
alle Qualen der Erstickung zu erdulden hatten, zur Vermeidung der
pestilenzialischen Dtinste von dem schmutzigen stehenden Wasser und
den Abtritten dicht unter den Fenstern. Endlich wurden unsrem Komitee
Klagen eingehdndigt von einemArzte, der Gelegenheit hatte, diese
Hutten zu besuchen. Er sprach tiber den Zustand dieser sog.
Wohnlichkeiten in den bittersten Ausdriicken und befurchtete sehr
ernsthafte Folgen, falls nicht einige Gesundheitsvorkehrungen getroffen
wurden. Ungefdhr vor einem Jahr verpflichtete sich p.p. Jay, ein Haus
einzurichten, worin die von ihm beschaftigten Personen, beimAusbruch
ansteckender Krankheiten, sofort entfernt werden sollten. Er wiederholte
dies Versprechen Ende letzten Julis, tat aber nie den geringsten Schritt
zur Ausfiihrung, obgleich seit diesem Datum verschiedne Fdlle von
Pocken und infolge davon zwei Todesfdlle vorkamen. Am 9. September
berichtete mir Arzt Kelson welter e Pockenfdlle In denselben Hutten und
beschrleb Ihren Zustand als entsetzlich. Zu Hirer [des Ministers],
Information mufi Ich hinzufiigen, dafi unsere Pfarrel ein isoliertes Haus
besltzt, das sog. Pestbaus, wo die Pfarrelgenossen, die von ansteckenden
Krankheiten lelden, verpflegt werden. Dies Haus istjetzt seit Monaten
fortwdhrend mlt Patlenten uberfullt. In einer Familie starben fiinf Kinder
an Pocken und Fieber. Vom 1. April bis 1. September dieses Jahres
kamen nicht weniger als 10 Todesfdlle an Pocken vor, 4 in den besagten
Hutten, den Pestquellen. Es 1st unmoglich, die Zahl der Krankheitsfalle
anzugeben, da die heimgesuchten Familien sie so geheim als moglich
halten« 1162
Die Arbeiter in Kohlen- und anderen Bergwerken gehoren zu den
bestbezahlten Kategorien des britischen Proletariats. Zu welchem Preis sie
ihren Lohn erkaufen, wurde an einer friiheren Stelle gezeigt. 1 163 Ich werfe
hier einen raschen Blick auf ihre Wohnlichkeitsverhaltnisse. In der Regel
errichtet der Exploiteur des Bergwerks, ob Eigentumer oder Mieter
desselben, eine Anzahl Cottages fur seine Hande. Sie erhalten Cottages
und Kohlen zur Feuerang "umsonst", d.h., letztre bilden einen in natura
gelieferten Teil des Lohns. Die nicht in dieser Art Unterbringbaren erhalten
zum Ersatz 4 Pfd.St. per Jahr. Die Bergwerksdistrikte ziehn rasch eine
groBe Bevolkerung an, zusammengesetzt aus der Minenbevolkerung selbst
und den Handwerkern, Kramern usw., die sich um sie gruppieren. Wie
iiberall, wo die Bevolkerung dicht, ist die Bodenrente hier hoch. Der
Bergbauunternehmer sucht daher auf moglichst engem Bauplatz am Mund
der Gruben so viel Cottages aufzuwerfen, als grade notig sind, um seine
Hande und ihre Familien zusammenzupacken. Werden neue Gruben in der
Nahe eroffnet oder alte wieder in Angriff genommen, so wachst das
Gedrange. Bei der Konstruktion der Cottages waltet nur ein Gesichtspunkt,
"Entsagung" des Kapitalisten auf alle nicht absolut unvermeidliche
Ausgabe von Barem.
»Die Wohnungen der Gruben- und andrer Arbeiter, die mit den
Bergwerken von Northumberland und Durham verknupft sind«, sagt Dr.
Julian Hunter, »Sind vielleicht im Durchschnitt das Schlechteste und
Teuerste, was England auf grofier Stufenleiter in dieser Art bietet, mit
Ausnahme jedoch ahnlicher Distrikte in Monmouthshire. Die extreme
Schlechtigkeit liegt in der hohen Menschenzahl, die ein Zimmer fiillt, in
der Enge des Bauplatzes, worauf eine grofie Hausermasse geworfen
wird, im Wassermangel und Abwesenheit von Abtritten, in der haufig
angewandten Methode, ein Haus iiber ein andres zu stellen oder sie in
flats [so daB die verschiednen Cottages vertikal ubereinander liegende
Stockwerke bilden] zu verteilen... Der Unternehmer behandelt die ganze
Kolonie, als ob sie nur kampiere, nicht residiere.« 1164 »In Ausfiihrung
meiner Instruktionen« , sagt Dr. Stevens, »habe ich die meisten grofien
Bergwerksdorfer der Durham Union besucht... Mit sehr wenigen
Ausnahmen gilt von alien, dafijedes Mittel zur Sicherung der Gesundheit
der Einwohner vernachlassigt wird... Alle Grubenarbeiter sind an den
Pachter (lessee) oder Eigentiimer des Bergwerks fur 12 Monate
gebunden ["bound", Ausdruck, der wie bondage 1 165 aus der Zeit der
Leibeigenschaft stammt]. Wenn sie ihrer Unzufriedenheit Luft machen
oder in irgendeiner Art den Aufseher (viewer) belastigen, so setzt er eine
Marke oder ein Memorandum hinter ihre Namen im Aufsichtsbuch und
entlafit sie bei der jahrlichen Neubindung... Es scheint mir, dafi kein Teil
des Trucksysterns schlechter sein kann als das in diesen dichtbevolkerten
Distrikten herrschende. Der Arbeiter ist gezwungen, als Teil seines
Lohns ein mit pestilenzialischen Einflussen umgebnes Haus zu
empfangen. Er kann sich nicht selbst helfen. Er ist in jeder Riicksicht ein
Leibeigner (he is to all intents and purposes a serf). Es scheint fraglich,
Objemand sonst ihm helfen kann aufier seinem Eigentumer, und dieser
Eigentumer zieht vor allem sein Bilanzkonto zu Rat, und das Resultat ist
ziemlich unfehlbar. Der Arbeiter erhalt von dem Eigentumer auch seine
Zufuhr an Wasser. Es sei gut oder schlecht, es werde geliefert oder
zuruckgehalten, er mufi dafiir zahlen oder sich vielmehr einen Lohnabzug
gef alien lassen.« 1166
Im Konflikt mit der "offentlichen Meinung" oder auch der
Gesundheitspolizei geniert sich das Kapital durchaus nicht, die teils
gefahrlichen, teils entwurdigenden Bedingungen, worin es Funktion und
Hauslichkeit des Arbeiters bannt, damit zu "rechtfertigen", das sei notig,
um ihn profitlicher auszubeuten. So, wenn es entsagt auf Vorrichtungen
zum Schutz gegen gefahrliche Maschinerie in der Fabrik, auf Ventilations-
und Sicherheitsmittel in den Minen usw. So hier mit der Behausung der
Minenarbeiter.
»Als Entschuldigung« , sagt Dr. Simon, der arztliche Beamte des Privy
Council, in seinem offiziellen Bericht, »als Entschuldigung fiir die
nichtswiirdige Hauseinrichtung wird angefiihrt, dafi Minen gewohnlich
pachtweise exploitiert werden, dafi die Dauer des Pachtkontrakts (in
Kohlenwerken meist 21 Jahrejzu kurz ist, damit der Minenpachter es
der Miihe wert halte, gute Hauseinrichtung fiir das Arbeitsvolk und die
Gewerbsleute usw. zu liefern, welche die Unternehmung anzieht; hatte er
selbst die Absicht, nach dieser Seite hin liberal zu verfahren, so wiirde
sie vereitelt werden durch den Grundeigentiimer. Der habe namlich die
Tendenz, sofort exorbitante Zuschufirente zu verlangenfiir das
Privilegium, ein anstandiges und komfortables Dorf auf der
Grundoberflache zu errichten zur Behausung der Bearbeiter des
unterirdischen Eigentums. Dieser prohibitorische Preis, wenn nicht
direkte Prohibition, schrecke ebenfalls andre ab, welche sonst wohl
bauen mochten ... Ich will den Wert dieser Entschuldigung nicht welter
untersuchen, auch nicht, aufwen denn In letzter Hand die zuschilssige
Ausgabe fur anstdndlge Wohnlichkeit fallen wiirde, aufden Grundherrn,
den Minenpachter, die Arbeiter oder das Publikum ... Aber angesichts
solcher schmdhlichen Tatsachen, wie die beigefiigten Berichte [des Dr.
Hunter, Stevens usw.] sie enthiillen, mufi ein Heilmittel angewandt
werden ... Grundeigentumstitel werden so benutzt, um ein grofies
ojfentliches Unrecht zu begehn. In seiner Eigenschaft als Mineneigner
ladet der Grundherr eine industrielle Kolonie zur Arbeit auf seiner
Domdne ein und macht dann, in seiner Eigenschaft als Eigentiimer der
Grundoberflache, den von ihm versammelten Arbeitern unmoglich, die zu
ihremLeben unentbehrliche, geeignete Wohnlichkeit zu finden. Der
Minenpachter [der kapitalistische Exploiteur] hatkein Geldinteresse,
dieser Teilung des Handels zu widerstehn, da er wohl weifi, dafi, wenn
die letztem Anspruche exorbitant sind, die Folgen nicht auf ihn fallen,
dafi die Arbeiter, auf die sie fallen, zu unerzogen sind, um ihre
Gesundheitsrechte zu kennen, und dafi weder obszonste Wohnlichkeit
nochfaulstes Trinkwasser jemals Anlafi zu einem Strike liefern.« n61
d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Teil der Arbeiterklasse
Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern ubergehe, soil an einem
Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst aufden bestbezahlten
Teil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man erinnert sich: das
Jahr 1857 brachte eine der groBen Krisen, womit der industrielle Zyklus
jedesmal abschlieBt. Der nachste Termin wurde 1866 fallig. Bereits
diskontiert in den eigentlichen Fabrikdistrikten durch die Baumwollnot,
welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphare zu den groBen
Zentralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise diesmal einen
vorwiegend finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866 wurde
signalisiert durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der
Zusammensturz zahlloser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem
FuB nachfolgte. Einer der groBen Londoner Geschaftszweige, welche die
Katastrophe traf, war der eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses
Geschafts hatten wahrend der Schwindelzeit nicht nur maBlos
iiberproduziert, sondern zudem enorme Lieferungskontrakte iibernornmer,
auf die Spekulation hin, daB die Kreditquelle gleich reichlich fortflieBen
werde. Jetzt trat eine furchtbare Reaktion ein, die auch in andren Londoner
Industrien 1168 bis zur Stunde, Ende Marz 1867, fortdauert. Zur
Charakteristik der Lage der Arbeiter folgende Stelle aus dem ausfiihrlichen
Bericht eines Korrespondenten des 'Morning Star', welcher Anfang 1867
die Hauptsitze des Leidens besuchte.
»Im Osten von London, den Distrikten von Poplar, Millwall, Greenwich,
Deptford, Limehouse und Canning Town befinden sich mindestens
15.000 Arbeiter samt Familien in einem Zustand aufierster Not, darunter
iiber 3.000 geschickte Mechaniker. Ihre Reservefonds sind erschopft
infolge seeks- oder achtmonatiger Arbeitslosigkeit... Ich hatte grofie
Miihe, zum Tor des Workhouse (von Poplar) vorzudringen, denn es war
belagert von einem ausgehungerten Haufen. Er wartete auf Brotbilletts,
aber die Zeit zur Verteilung war noch nicht gekommen. Der Hof bildete
ein grofies Quadrat Mit einem Pultdach, das rings um seine Mauern
lauft. Dichte Schneehaufen bedeckten die Pflastersteine in der Mitte des
Hofes. Hier waren gewisse kleine Platze mit Weidengeflecht
abgeschlossen, gleich Schafhiirden, worin die Manner bei besserem
Wetter arbeiten. Am Tage meines Besuchs waren die Hiirden so
verschneit, dafi niemand in ihnen sitzen konnte. Die Manner waren
jedoch unter dem Schutz der Dachvorsprunge mit Makadamisierung von
Pflastersteinen beschaftigt. Jeder hatte einen dicken Pflasterstein zum
Sitz und klopfte mit schwerem Hammer auf den frostbedeckten Granit,
bis er 5 Bushel davon abgehauen hatte. Dann war sein Tagewerk
verrichtet und erhielt er 3 d. [2 Silbergroechen, 6 Pfennige] und ein Billett
fur Brot. In einem andren Teil des Hofes stand ein rachitisches kleines
Holzhaus. Beim Offnen der Tiir fanden wir es gefiillt mit Mannern,
Schulter an Schulter gedrangt, um einander warm zu halten. Sie zupften
Schijfstau und stritten miteinander, wer von ihnen mit einem Minimum
von Nahrung am langsten arbeiten konne, denn Ausdauer war der point
d'honneur. In diesem einen Workhouse allein erhielten 7.000
Unterstutzung, darunter viele Hunderte, die 6 oder 8 Monate zuvor die
hochsten Lohne geschickter Arbeit in diesem Land verdienten. Ihre Zahl
ware doppelt so grofi gewesen, gabe es nicht so viele, welche nach
Erschopfung ihrer ganzen Geldreserve dennoch vor Zuflucht zur Pfarrei
zuruckbeben, solange sie noch irgend etwas zu versetzen haben ...
DasWorkhouse verlassend, machte ich einen Gang durch die Strafien
von meist einstockigen Hausern, die in Poplar so zahlreich. Mein Fiihrer
war Mitg lied des Komitees fur die Arbeitslosen. Das erste Haus, worin
wir eintraten, war das eines Eisenarbeiters, seit 27 Wochen aufier
Beschaftigung. Ichfand den Mann mit seiner ganzen Familie in einem
Hinterzimmer sitzend. Das Zimmer war noch nicht ganz von Mobeln
entblofit, und es war Feuer darin. Dies war notig, um die nackten Fiifie
der jungen Kinder vor Frost zu schiitzen, denn es war ein grimmig kalter
Tag. Auf einem Teller gegeniiber dem Feuer lag ein Quantum Werg,
welches Frau und Kinder zupften in Erstattung des Brots vom
Workhouse. Der Mann arbeitete in einem der oben beschriebenen Hofe
fur ein Brotbillett und 3 d. per Tag. Er kamjetzt nach Haus zum
Mittagessen, sehr hungrig, wie er ans mit einem bittern Lacheln sagte,
und sein Mittagessen bestand aus einigen Brotschnitten mit Schmalz
und einer Tasse milchlosen Tees... Die nachste Tiir, an der wir
anklopften, wurde geoffnet durch ein Frauenzimmer mittleren Alters, die,
ohne ein Wort zu Sagen, uns in ein kleines Hinterzimmer fiihrte, wo ihre
ganze Familie safi, schweigend, die Augen auf ein rasch ersterbendes
Feuer geheftet. Solche Verodung, solche Hoffnungslosigkeit hing um
diese Leute und ihr kleines Zimmer, dafi ich nicht wiinsche, je eine
ahnliche Szene wieder zu sehn. "Nichts haben sie verdient, mein Herr",
sagte die Frau, auf ihre Jungen zeigend, "nichts fur 26 Wochen, und all
unser Geld ist hingegangen, alles Geld, das ich und der Vater in den
befiren Zeiten zurucklegten, in dem Wahn, einen Ruckhalt wahrend
schlechten Geschafts zu sichern. Sehn Sie es", schrie sie fast wild, indem
sie ein Bankbuch hervorholte mit alien seinen regelmafiigen Nachweisen
iiber eingezahltes und ruckerhaltnes Geld, so dafi wir sehn konnten, wie
das kleine Vermogen begonnen hatte mit dem ersten Deposit von 5
Shilling,wie es nach und nach zu 20 Pfd.St. aufwuchs und dann wieder
zusammenschmolz, von Pfunden zu Shillingen, bis der letzte Eintrag das
Buch so wertlos machte wie ein leeres Stuck Papier. Diese Familie erhielt
ein notdiirftiges Mahl taglich vom Workhouse... Unsere folgende Visite
war zur Frau eines Irlanders, der an den Schiffswerften gearbeitet hatte.
Wir fanden sie krank von Nahrungsmangel, in ihren Kleidern aufeine
Matratze gestreckt, knapp bedeckt mit einem Stuck Teppich, denn alles
Bettzeug war im Pfandhaus. Die elenden Kinder warteten sie und sahen
aus, als bediirften sie umgekehrt der miitterlichen Pflege. Neunzehn
Wochen erzwungnen Mufiiggangs hatten sie so weit heruntergebracht,
und wahrend sie die Geschichte der bittern Vergangenheit erzahlte,
stohnte sie, als ob alle Hoffnung aufeine bessere Zukunft verloren ware...
Beim Austritt aus dem Hause rannte ein junger Mann aufuns zu und bat
uns, in sein Haus zu gehn und zu sehn, ob irgend etwas fur ihn
geschehen konne. Einjunges Weib, zwei hiibsche Kinder, ein Kluster von
Pfandzetteln und ein ganz kahles Zimmer war alles, was er zu zeigen
hatte. «
Uber die Nachwehen der Krise von 1866 folgender Auszug aus einer
torystischen Zeitung. Man muB nicht vergessen, daB der Ostteil Londons,
urn den es sich hier handelt, nicht nur Sitz der im Text des Kapitels
erwahnten eisernen Schiffsbauer, sondern auch einer stets unter dem
Minimum bezahlten sog. "Hausarbeit" ist.
»Ein entsetzliches Schauspiel entrollte sich gestern in einem Teil der
Metropole. Obgleich die arbeitslosen Tausende des Ostendes mit
schwarzen Trauerflaggen nicht in Masse paradierten, war der
Menschenstrom imposant genug. Erinnern wir uns, was diese
Bevolkerung leidet. Sie stirbt vor Hunger. Das ist die einfache und
furchtbare Tatsache. Es sind ihrer 40.000... In unsrer Gegenwart, in
einem Viertel dieser wundervollen Metropole, dicht neben der enormsten
Akkumulation von Reichtum, welche die Weltje sah, dicht dabei 40.000
hilflos verhungernd! Diese Tausende brechen jetzt ein in die andren
Viertel; sie, in alien Zeiten halbverhungert, schreien uns ihr Weh ins
Ohr, sie schreien es zum Himmel, sie erzahlen uns von ihren
elendgeschlagnen Wohnungen, dafi es unmoglich fiir sie, Arbeit zu
finden, und nutzlos zu betteln. Die lokalen Armensteuerpflichtigen sind
durch die Forderungen der Pfarreien selbst an den Rand des
Pauperismus getrieben.« ("Standard", 5.April 1867.)
Da es Mode unter den englischen Kapitalisten ist, Belgien als das Paradies
des Arbeiters zu schildern, weil "die Freiheit der Arbeit" oder, was dasselbe
ist, "die Freiheit des Kapitals" dort weder durch den Despotismus der
Trades' Unions noch durch Fabrikgesetze verkummert sei, hier ein paar
Worte iiber das "Gluck" des belgischen Arbeiters. Sicher war niemand
tiefer eingeweiht in die Hysterien dieses Glucks als der verstorbene Herr
Ducpetiaux, Generalinspektor der belgischen Gefangnisse und
Wohltatigkeitsanstalten und Mitglied der Zentralkommission fiir belgische
Statistik. Nehmen wir sein Werk: "Budgets economiques des classes
ouvrieres en Beigique", Br-uxelles 1855. Hier finden wir u.a. eine belgische
Normalarbeiterfamilie, deren jahrliche Ausgaben und Einnahmen nach
sehr genauen Daten berechnet, und deren Nahrungsverhaltnisse dann mit
denen des Soldaten, des Flottenmatrosen und des Gefangnen verglichen
werden. Die Familie »besteht aus Vater, Mutter und vier Kindern«. Von
diesen sechs Personen »konnen vier das ganze Jahr durch niitzlich
beschaftigt werden«; es wird vorausgesetzt, »dafi es weder Kranke noch
Arbeitsunfahige darunter gibt« noch »Ausgaben fur religiose,
moralische und intellektuelle Zwecke, ausgenommen ein sehr Geringes
fiir Kirchenstiihle« , noch Beitrage zu Sparkassen oder
Altersversorgungskassen noch »Luxus- oder sonstige uberflussige
Ausgaben«. Doch sollen der Vater und der alteste Sohn Tabak rauchen
und sonntags das Wirtshaus besuchen durfen, wofur ihnen ganze 86
Centimen die Woche ausgesetzt sind.
»Aus der Gesamtzusammenstellung der den Arbeitern der verschiednen
Geschaftszweige bewilligten Lohne folgt ... dafi der hochste Durchschnitt
des taglichen Lohns ist: 1 fr. 56 c. fiir Manner, 89 c. fur Frauen, 56 c.fiir
Knaben und 55 c. fiir Madchen. Hiernach berechnet, wiirden sich die
Einkiinfte der Familie allerhochstens auf 1 .068 fr. jahrlich belaufen... In
0,89
" 267,-
0,56
" 168,-
0,55
" 165.-
der als typisch angenommenen Haushaltung haben wir alle moglichen
Einkiinfte zusammengerechnet. Wenn wir aber der Muter einen
Arbeitslohn anrechnen, entziehen wir dadurch die Haushaltung ihrer
Leitung; wer besorgt das Haus, wer die kleinen Kinder? Wer soil kochen.
waschen, flicken? Dies Dilemma trittjeden Tag vor die Arbeiter.«
Der Budget der Familie ist demnach:
derVater 300 Arbeitstage zu fr. 1,56 fr 468,-
die Mutter
der Junge
das Madchen
Total fr. 1.068,-
Die Jahresausgabe der Familie und ihr Defizit wurden ausmachen, falls der
Arbeiter die Nahrung hatte:
des Flottenmatrosen fr. 1.828,- Defizit fr. 760,-
des Soldaten " 1.473,- " 405,-
des Gefangenen " 1.112,- " 44,-
»Man sieht, dafi wenig Abeiterfamilien sich die Nahrung verschaffen
konnen, nicht etwa des Matrosen oder des Soldaten, sondern selbst des
Gefangnen. Im Durchschnitt hatjeder Gefangne 1847-1849 in Belgien
63 c. taglich gekostet, was gegen die taglichen Unterhaltungskosten des
Arbeiters einen Unterschied von 13 c. ergibt. Die Verwaltungs- und
Uberwachungskosten gleichen sich aus dagegen, dafi der Gefangne keine
Miete zahlt... Wie aber geht es zu, dafi eine grofie Zahl, wir konnten
sagen, die grofie Mehrzahl der Arbeiter in noch sparsameren
Verhaltnissen lebt? Nur indem sie zu Notbehelfen fliichtet, wovon der
Arbeiter allein das Geheimnis hat; indem sie an der taglichen Ration
abknappt; Roggenbrot statt Weizenbrot ifit; weniger oder gar kein
Fleisch ifit, ebenso mit Butter und Gewiirzen; indem sie die Familie in
eine oder zwei Kammern packt, wo Madchen und Jungen zusammen
schlafen, oft aufdemselben Strohsack; indem sie an der Kleidung spart,
der Wasche, den Reinigungsmitteln; indem sie den
Sonntagsvergniigungen entsagt, kurz, sich zu den schmerzlichsten
Entbehrungen entschliefit. Einmal bei dieser letzten Grenze angelangt,
vermehrt der geringste Preisaufschlag der Lebensmittel, eine
Arbeitsstockung, eine Krankheit das Elend des Arbeiters und ruiniert ihn
vollstdndig. Die Schulden hdufen sich, der Kredit wird versagt, die
Kleider, die notwendigsten Mobel wandern ins Pfandhaus, und
schliefilich bittet die Familie um Einschreibung in die Armenliste.« n69
In der Tat folgt in diesem "Paradiese der Kapitalisten" auf die geringste
Anderung im Preise der notwendigsten Lebensmittel eine Anderung in der
Zahl der Todesfalle und Verbrechen! (Sieh "Manifest der Maatschappij : De
Vlamingen Vooruit!", Briissel 1860, p. 12.) Ganz Belgien zahlt 930.000
Familien, davon nach offizieller Statistik: 90.000 Reiche (Wahler) =
450.000 Personen; 390.000 Familien der kleinen Mittelklasse, in Stadt und
Dorf, groBer Teil davon stets ins Proletariat fallend = 1.950.000 Personen.
Endlich 450.000 Arbeiterfamilien = 2.250.000 Personen, von welchen die
Musterfamilien das durch Ducpetiaux geschilderte Gliick genieBen. Unter
den 450.000 Arbeiterfamilien iiber 200.000 auf der Armenliste!
e) Das britische Ackerbauproletariat
Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Produktion und
Akkumulation bewahrt sich nirgendwo brutaler als in dem Fortschritt des
englischen Landbaus (Viehzucht eingeschlossen) und dem Riickschritt des
englischen Landarbeiters. Bevor ich zu seiner gegenwartigen Lage
iibergehe, ein rascher Riickblick. Die moderne Agrikultur datiert in
England von der Mitte des 18Jahrhunderts, obgleich die Umwalzung der
Grundeigentumsverhaltnisse, wovon die veranderte Produktionsweise als
Grundlage ausgeht, viel friiheren Datums.
Nehmen wir Arthur Youngs, eines genauen Beobachters, obgleich
oberflachlichen Denkers, Angaben iiber den Landarbeiter von 1771, so
spielt letztrer eine sehr elende Rolle, verglichen mit seinem Vorganger
Ende des 14. Jahrhunderts, »wo er in Fiille leben und Reichtum
akkumulieren konnte« 70 , gar nicht zu sprechen vom 15. Jahrhundert,
»dem goldnen Zeitalter der englischen Arbeiter in Stadt und Land«. Wir
brauchen jedoch nicht so weit zuriickzugehn. In einer sehr gehaltreichen
Schrift von 1777 liest man:
»Der grofie Pdchter hat sich beinahe erhoben zum Niveau des
Gentleman, wahrend der arme Landarb eiter fast zu Boden gedriickt ist.
Seine ungliickliche Lage zeigt sich klar durch eine vergleichende
Ubersicht seiner Verhaltnisse von heute und von 40 Jahrfruher...
Grundeigentumer und Pdchter wirken Hand in Hand zur Unterdruckung
des Arbeiters« 1 m
1. "Reasons for the late Increase of the Poor-Rates: or, a comparative view of the price of labour
and provisions", Lond. 1777, p. 5, 11.
l.Dr. Richard Price: "Observations on Reversionary Payments", 6. ed. By W. Morgan, Lond. 1803,
v.ll, p. 158, 159. Price bemerkt p. 159: »Der nominelle Preis fiir die Arbeit des Tagelohners ist
augenblicklich nicht mehr als vier- oder hochstens fiinfmal holier, als es im Jahre 1514 der Fall war.
Aber der Kornpreis ist siebenmal, der fiir Fleisch und Kleidung ungefdhr fiinfzehnmal so hoch. Der
Preis der Arbeit ist daher so sehr hinter dem Anwachsen der Lebenshaltungskosten zuriickgeblieben,
dafJ erjetzt im Verhdltnis zu diesen Kosten nicht einmal die Halfte von dem zu betragen scheint, was er
friiher bet rug. «
1. Barton, I.e. p. 26. FurEnde des 18. Jahrhunderts vgl. Eden, I.e.
l.Parry, l.c.p.80.
2.id., p.213.
3.sprachbegabte Werkzeug
1 .Swing-Aufstande - eine Bewegung englischer Landarbeiter in den Jahren 1830-1833 gegen die
Verwendung von Dreschmaschinen und um Zahlung hoherer Lohne, ihre Ziele versuchten sie zu erreichen
durch Drohbriefe, die sie im Namen eines fingierten "Captain Swing" an Farmer und Grundbesitzer
verschickten, sowie durch Niederbrennen von Getreideschobern und Zerstorung von Dreschmaschinen.
2.S. Laing, I.e. p. 62.
1. "England and America", Lond. 1833, v.l, p. 47.
l."low church" ("Niedere Kirche") - eine Richtung der anglikanischen Kirche, die hauptsachlich
unter der Bourgeoisie und der niederen Geistlichkeit verbreitet war; sie legte ihr Hauptaugenmerk auf die
Propaganda der burgerlich, christlichen Moral und philanthropische Betatigung, die immer einen
frommlerisch-heuchlerischen Charakter hatte. Earl Shaftesbury (Lord Ashley) hatte dank dieser Tatigkeit
bedeutenden EinfluB in den Kreisen der low church, darum nennt ihn Marx ironisch "Papst" dieser Kirche.
1. "London Economist", 29.Marz 1845, p.290.
l.Die Grundaristokratie schoB sich selbst zu diesem Zweck Fonds, natiirlich per Parlament, aus der
Staatskasse vor zu sehr niedrigem Zins, welchen die Pachter ihr doppelt zu erstatten haben.
2. Die Abnahme der mittleren Pachter ersieht man namentlich aus den Rubriken des Zensus:
»Pdchters Sohn, Enkel, Bruder, Neffe, Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte«, kurz der vom Pachter
beschaftigten Glieder seiner eignen Familie. Diese Rubriken zahlten 1851: 216.851 Personen, 1861 nur
176.151. Von 1851 bis 1871 haben in England die Pachthofe von unter 20 Acres sich um mehr als 900
verringert; die zwischen 50 und 75 Acres sind von 8.253 auf 6.370 gefallen; ahnlich bei alien andern
Pachthofen unter 100 Acres. Dagegen hat sich wahrend derselben 20 Jahre die Zahl der groBen Pachthofe
vermehrt; die von 300-500 Acres sind gestiegen von 7.771 auf 8.410, die von mehr als 500 Acres von
2.755 auf 3.914, die von mehr als 1.000 Acres von 492 auf 582.
3. Die Zahl der Schafhirten wuchs von 12.517 auf 25.559.
4."Census etc.", I.e. p. 36.
5.nach so vielen Wendepunkten der Lage
6.den Regeln der Kunst nach
1. Rogers, I.e. p. 693. »The peasant has again become a serf.« I.e. p. 10. Herr Rogers gehort zur
Es wird dann im Detail nachgewiesen, daB der reelle Arbeitslohn auf dem
Lande von 1737 bis 1777 um beinahe l A oder 25% gefallen ist.
»Die moderne Politik«, sagt gleichzeitig Dr. Richard Price, »begiinstigt
die hoheren Volksklassen; die Folge wird sein, dafifriiher oder spdter
das ganze Konigreich nur aus Gentlemen und Bettlern, aus Griinden und
Sklaven besteht.« n12
Dennoch ist die Lage des englischen Landarbeiters von 1770 bis 1780,
sowohl was seine Nahrungs- und Wohnlichkeitszustande, als sein
Selbstgefiihl, Belustigungen usw. betrifft, ein spater nie wieder eneichtes
Ideal. In Pints Weizen ausgedriickt betrag sein Durchschnittslohn 1770 bis
1771 90 Pints, zu Edens Zeit (1797) nur noch 65, 1808 aber 60. 1173
Der Zustand der Landarbeiter Ende des Antijakobinerkriegs, wahrend
dessen Grandaristokraten, Pachter, Fabrikanten, Kaufleute, Bankiers,
Borsenritter, Armeelieferanten usw. sich so auBerordentlich bereichert,
ward bereits friiher angedeutet. Der nominelle Lohn stieg infolge teils der
Banknoten-Depreziation, teils einer hiervon unabhangigen Zunahme im
Preis der ersten Lebensmittel. Die wirkliche Lohnbewegung ist aber auf
sehr einfache Art zu konstatieren, ohne Zuflucht zu hier unzulassigen
Details. Das Armengesetz und seine Administration waren 1795 und 1814
dieselben. Man erinnert sich, wie dies Gesetz auf dem Land gehandhabt
wurde: in der Gestalt von Almosen erganzte die Pfarrei den Nominallohn
bis zu der fur bloBe Vegetation des Arbeiters erheischten Nominalsumme.
Das Verhaltnis zwischen dem vom Pachter gezahlten Lohn und dem von
der Pfarrei gutgemachten Lohndefizit zeigt uns zweierlei, erstens die
Senkung des Arbeitslohns unter sein Minimum, zweitens den Grad, worin
der Landarbeiter aus Lohnarbeiter und Pauper zusammengesetzt war, oder
den Grad, worin man ihn in einen Leibeignen seiner Pfarrei verwandelt
hatte. Wir wahlen eine Grafschaft, die das Durchschnittsverhaltnis in alien
andren Grafschaften reprasentiert. 1795 betrug der durchschnittliche
Wochenlohn in Northamptonshire 7 sh. 6 d., die jahrliche Totalausgabe
einer Famihe von 6 Personen 36 Pfd.St. 12 sh. 5 d., ihre Totaleinnahme 29
Pfd.St. 18 sh., das von der Pfarrei gutgemachte Defizit: 6 Pfd.St. 14 sh. 5 d.
In derselben Grafschaft betrug 1814 der Wochenlohn 12 sh. 2 d., die
jahrliche Totalausgabe einer Famihe von 5 Personen 54 Pfd.St. 18 sh. 4 d.,
ihre Totaleinnahme 36 Pfd.St., 2 sh., das von der Pfarrei gutgemachte
Defizit: 18 Pfd.St. 6 sh. 4 d. 1 m , 1795 betrug das Defizit weniger als Va des
Arbeitslohns, 1814 mehr als die Halfte. Es versteht sich von selbst, daB
unter diesen Umstanden die geringen Komforts, die Eden noch in der
Cottage des Landarbeiters fand, 1814 verschwunden waren. 1175 Unter alien
Tieren, die der Pachter halt, blieb von nun an der Arbeiter, das
instrumentum vocale 1176 , das meist geplackte, schlechtest gefutterte und
brutalst behandelte.
Derselbe Zustand der Dinge dauerte rahig fort, bis
»die Swing-Aufstdnde 1111 1830 uns [d.h. den herrschenden Klassen] beim
Uchtflammen der Kornschober enthilllten, dafi Elend und dunkle
aufriihrerische Unzufriedenheit ebenso wild unter der Oberfldche des
agrikolen als des industriellen Englands lodre« m
Sadler taufte damals im Unterhaus die Landarbeiter "weiBe Sklaven"
("white slaves"), ein Bischof halite das Epithet im Oberhaus wider. Der
bedeutendste politische Okonom jener Periode, E. G. Wakefield, sagt:
»Der Landarbeiter Sudenglands ist kein Sklave, er ist keinfreier Mann,
er ist ein Pauper.« lll>
Die Zeit unmittelbar vor der Aufhebung der Korngesetze warf neues Licht
auf die Lage der Landarbeiter. Einerseits lag es im Interesse der
burgerlichen Agitatoren, nachzuweisen, wie wenig jene Schutzgesetze den
wirldichen Kornproduzenten beschiitzten. Andrerseits schaumte die
industrielle Bourgeoisie auf von Ingrimm iiber die Denunziation der
Fabrikzustande seitens der Grundaristokraten, iiber die affektierte
Sympathie dieser grundverdorbnen, herzlosen und vornehmen
MuBigganger mit den Leiden des Fabrikarbeiters und ihren
"diplomatischen Eifer" fur Fabrikgesetzgebung. Es ist ein altes englisches
Sprichwort, daB, wenn zwei Diebe sich in die Haare fallen, immer etwas
Nutzliches geschieht. Und in der Tat, der gerauschvolle, leidenschaftliche
Zank zwischen den zwei Fraktionen der herrschenden Klasse iiber die
Frage, welche von beiden den Arbeiter am schamlosesten ausbeute, wurde
rechts und links Geburtshelfer der Wahrheit. Graf Shaftesbury, alias Lord
Ashley, war Vorkampfer im aristokratischen
Antifabrikphilanthropiefeldlzug. Er bildet daher 1844 bis 1845 ein
Lieblingsthema in den Enthullungen des 'Morning Chronicle' iiber die
Zustande der Agrikulturarbeiter. Jenes Blatt, damals das bedeutendste
liberale Organ, schickte in die Landdistrikte eigne Kommissare, welche
sich keineswegs mit allgemeiner Schilderung und Statistik begniigten,
sondern die Namen sowohl der untersuchten Arbeiterfamilien als ihrer
Grandherrn veroffentlichten. Die folgende Liste gibt Lohne, gezahlt auf
drei Dorfern, in der Nachbarschaft von Blanford, Wimbourne und Poole.
Die Dorfer sind Eigentum des Mr. G. Bankes und des Graf en von
Shaftesbury. Man wird bemerken, daB dieser Papst der "low church", 1180
dies Haupt der englischen Pietisten, ebenso wie p.p. Bankes von den
Hundelohnen der Arbeiter wieder einen bedeutenden Teil unter dem
Vorwand von Hausrente einsteckt.
Gesamt-
Zahlder
Wochent-
Wochen
t-
Wochent-
Wochent-
wochenlohn
Wochen
Kinder
Familien-
licher Ar-
licher Kinder-
nahme der
liche Haus
nach Abzug
lohn per
glieder
beitslohn
lohn
Gesamt-
miete
der Haus-
Kopf
a
b
C
d
e
f
g
h
Erstes Dorf
sh.
sh.
d.
sh. d.
sh. d.
sh. d.
sh. d.
2
4
8
-
-
8 -
2 -
6 -
1 6
3
5
8
-
-
8 -
3Vi
1 6
6 6
1
2
4
8
-
-
8 -
1 -
7 -
1 9
2
4
8
-
-
8 -
1 -
7 -
1 9
6
8
7
1
6
10 6
3 / 4
2 -
8 6
1
3
5
7
2
~
7 -
1 4
5 8
1
Zweites Dorf
sh.
sh.
d.
sh. d.
sh. d.
sh. d.
sh. d.
6
8
7
1
6
10 -
1 6
8 6
1
3 / 4
6
8
7
1 6
7 -
SVi
1 3Vi
5
8
10
7
-
-
7 -
1 3Vi
5 %Vi
- 7
4
6
7
-
-
7 -
1 6V 2
5 5Vi
- 11
-3
5
7
-
-
7 -
1 &/2
5 5Vi
1 1
Drittes Dorf
sh. sh. d. sh. d. sh. d. sh. d. sh. d.
4 6 7 -- 7-1- 6-1-
3 5 7 2 - 11 6 - 10 10 8 2
Wi
2 5 26 5-1- 4-2-
1181
Die Abschaffung der Korngesetze gab dem englischen Landbau einen
ungeheuren Ruck. Drainierang auf der groBten Stufenleiter" 82 , neues
System der Stallfiitterung und des Anbaus der kiinstlichen Futterkrauter,
Einfuhrung mechanischer Diingapparate, neue Behandlung der Tonerde,
gesteigerter Gebrauch mineralischer Dungmittel, Anwendung der
Dampfmaschine und aller Art neuer Arbeitsmaschinerie usw., intensivere
Kultur iiberhaupt charakterisieren diese Epoche. Der President der
koniglichen Gesellschaft fiir Agrikultur, Herr Pusey, behauptet, daB die
(relativen) Wirtschaftskosten durch die neu eingefuhrte Maschinerie
beinahe um die Halfte verringert worden sind. Andrerseits ward der
positive Bodenertrag rasch erhoht. GroBere Kapitalauslage per Acre, also
auch beschleunigte Konzentration der Pachten, war Grundbedingung der
neuen Methode. 1 183 Zugleich dehnte sich das Areal der Bebauung von
1846 bis 1856 um 464 119 Acres aus, nicht zu sprechen von den groBen
Flachen der ostlichen Grafschaften, welche aus Kaninchengeheg und
armer Viehweide in uppige Kornfelder umgezaubert wurden. Man weiB
bereits, daB gleichzeitig die Gesamtzahl der in der Agrikultur beteiligten
Personen abnahm. Was die eigentlichen Ackerbauer, beiderlei Geschlechts
und aller Altersstufen, betrifft, so sank ihre Zahl von 1.241.269 im Jahr
1851 auf 1.163.217 im Jahr 1861. 1184 Wenn der englische Generalregistrator
daher mit Recht bemerkt: »Der Zuwachs von Pdchtern und Landarbeitern
seit 1801 steht in gar keinem Verhdltnis zum Zuwachs des agrikolen
Produkts« l ' 83 , so gilt dies MiBverhaltnis noch viel mehr von der letzten
Periode, wo positive Abnahme der landlichen Arbeiterbevolkerung Hand
in Hand ging mit Ausdehnung des bebauten Areals, intensiverer Kultur,
unerhorter Akkumulation des dem Boden einverleibten und des seiner
Bearbeitung gewidmeten Kapitals, Steigerung des Bodenprodukts ohne
Parallele in der Geschichte der englischen Agronomie, strotzenden
Rentrollen der Grundeigentumer und schwellendem Reichtum der
kapitalistischen Pachter. Nimmt man dies zusammen mit der
ununterbrochnen raschen Erweiterung des stadtischen Absatzmarkts und
der Herrschaft des Freihandels, so war der Landarbeiter post tot discrimina
rerum 1186 endlich in Verhaltnisse gestellt, die ihn, secundum artem 1187
gliickstoll machen muBten.
Professor Rogers gelangt dagegen zum Resultat, daB der englische
Landarbeiter heutigentags, gar nicht zu sprechen von seinem Vorganger in
der letzten Halfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert, sondern
nur verglichen mit seinem Vorganger aus der Periode 1770-1780, seine
Lage auBerordentlich verschlechtert hat, daB »er wieder ein Leibeigner
geworden ist«, und zwar schlecht gefutterter und behauster Leibeigner. 1 188
Dr. Julian Hunter, in seinem epochemachenden Bericht iiber die
Wohnlichkeit der Landarbeiter, sagt:
»Die Existenzkosten des hind [der Zeit der Leibeigenschaft angehoriger
Name fur den Landarbeiter] sind fixiert zu dem moglichst niedrigen
Betrag, womit er leben kann ... sein Lohn und Obdach sind nicht
berechnet aufden aus ihm herauszuschlagenden Profit. Er ist eine Null
in den Berechnungen des Pdchters 11 ^ ... Seine Subsistenzmittel werden
1. "Public Health. Seventh Report", Lond. 1865, p. 242. »The cost of the hind is fixed at the lowest
possible amount on which he can live... the supplies of wages or shelter are not calculated on the profit
to be derived from him. He is a zero in farming calculations. « Es ist daher nichts Ungewohnliches, daB
entweder der Hausvermieter die Miete fur einen Arbeiter erhoht, sobald er hort, daB derselbe etwas mehr
verdient, oder daB der Pachter den Lohn des Arbeiters heruntersetzt, »weil dessen Frau Beschaftigung
gefunden hat«. (I.e.)
2.I.C. p.135.
3.1ch habe nichts, mich kummert nichts
4.I.C. p.134.
1. "Report of the Commissioners ... relating to Transportation and Penal Servitude", Lond. 1863,
p.42, Nr.50.
2. I.e. p.77. "Memorandum by the Lord Chief Justice."
l.I.c, v.II, Evidence.
2. I.e., v.l, Appendix, p.280.
l.I.c. p.274, 275.
l.'Tublic Health. Sixth Report, 1863", p.238, 249, 261, 262.
stets als einefixe Quantitdt behandelt. 1190 Was irgendeine weitere
Reduktion seines Einkommens angeht, so kann er sagen: nihil habeo,
nihil euro 1191 . Er hat keine Furchtfiir die Zukunft, weil er iiber nichts
verfugt aufier dem, was zu seiner Existenz absolut unentbehrlich ist. Er
hat den Gefrierpunkt erreicht, von dem die Berechnungen des Pachters
als Datum ausgehn. Komme, was wolle, er hat keinen Anteil an Gliick
oder Ungliick.« 1192
Im Jahre 1863 fand eine offizielle Untersuchung iiber die Verpflegungs-
und Beschaftigungszustande der zu Transportation und offentlicher
Zwangsarbeit verurteilten Verbrecher statt. Die Resultate sind in zwei
dickleibigen Blaubuchern niedergelegt.
»Eine sorgfaltige Vergleichung«, heiBt es unter anderem, »zwischen der
Diat der Verbrecher in den Gefangnissen von England und der der
Paupers in Workhouses und derfreien Landarbeiter desselben Landes
zeigt unstreitig, dafi die erstern viel besser genahrt sind als irgendeine
derbeiden andren Klassen« u9i , wahrend »die Arbeitsmasse, die von
einemzu offentlicher Zwangsarbeit Verurteilten verlangt wird, ungefahr
die Halfte der vom gewohnlichen Landarbeiter verrichteten betragt.« u ' ) ' i
Einige wenige charakteristische Zeugenaussagen: John Smith, Direktor des
Gefangnisses zu Edinburgh, verhort.
Nr. 5056: »Die Diat in den englischen Gefangnissen ist viel besser als die
der gewohnlichen Landarbeiter. « Nr. 5057: »Es ist Tatsache, dafi die
gewohnlichen Agrikulturarbeiter Schottlands sehr selten irgendwelches
Fleisch erhalten.« Nr. 3047. »Kennen Sie irgendeinen Grundfiir die
Notwendigkeit, die Verbrecher viel besser (much better) zu nahren als
gewohnliche Landarbeiter? - Sicher nicht.« Nr. 3048: »Halten Sie esfiir
angemessen, weitere Experimente zu machen, um die Diat zu offentlichen
Zwangsarbeiten verurteilter Gefangenen der Diatfreier Landarbeiter
nahe zu bringen?« n<>i ... »Der Landarbeiter ■« , heiBt es, »konnte sagen:
Ich arbeite hart und habe nicht genug zu essen. Als ich im Gefangnis
war, arbeitete ich nicht so hart und hatte Essen in Fiille, und darum ist
es besser fiir mich, im Gefangnis als im Freien zu sein.« ' 196
Aus den dem ersten Band des Berichts angehangten Tabellen ist eine
vergleichende Ubersicht zusammengestellt.
Wochentlicher Nahrungsbetrag 1197
Stickstoff- Stickstoff-
haltige Be- freie Be-
standteile standteile
Unzen Unzen
Verbrecher im Gefangnis von
Portland 28,95
Soldat 25,55
Kutschenmacher (Arbeiter) 24,53
Setzer 21,24
Mineralische
Bestandteile
Unzen
Gesamt-
summe
Unzen
50,06
4,68
183
14,49
3,94
143
62,06
4,23
190
00,83
3,12
125
Das allgemeine Resultat der arztlichen Untersuchunskommission von 1863
iiber den Nahrungszustand der schlechter genahrten Volksklassen ist dem
Leser bereits bekannt. Er erinnert sich, daB die Diat eines groBen Teils der
Landarbeiterfamilien unter dem MinimalmaB »zur Abwehr von
Hungerkrankheiten« steht. Es ist dies namentlich der Fall in alien rein
agrikolen Distrikten von Cornwall, Devon, Somerset, Wilts, Stafford,
Oxford, Berks und Herts.
»Die Nahrung, die der Landarbeiter erhalt«, sagt Dr. Smith, »ist grofier,
als das Durchschnitts quantum anzeigt, da er selbst einen viel grofieren,
fur seine Arbeit unentbehrlichen Teil der Lebensmittel erhalt als seine
ubrigen Familienglieder, in den armeren Distrikten fast alles Fleisch
oder Speck. Das Quantum Nahrung, das der Frau zufallt und ebenso den
Kindern in ihrer Periode raschen Wachstums, ist in vielen Fallen, und
zwar in fastallen Grafschaften, mangelhaft, hauptsachlich an
Stickstoff. « nn
Die bei den Pachtern selbst wohnenden Knechte und Magde werden
reichlich genahrt. Ihre Zahl fiel von 288.277 im Jahre 1851 auf 204.962 im
Jahr 1861.
»Die Arbeit der Weiber auffreiem Feld«, sagt Dr. Smith, »von welchen
sonstigen Nachteilen auch immer begleitet, ist unter gegenwartigen
Umstanden von grofiem Vorteilfiir die Familie, denn sie liefert derselben
Mittelfiir Beschuhung, Kleidung, Zahlung der Hausrente, und befdhigt
sie so, besser zu essen.« n "
Eins der merkwurdigsten Resultate dieser Untersuchung war, daB der
Landarbeiter in England bei weitem schlechter genahrt ist als in den andren
Teilen des Vereinigten Konigreichs (»is considerably the worst fed«), wie
die Tabelle zeigt.
Wochentlicher Konsum von Kohlenstoff und Stickstoff
l.l.c.p.262.
l.l.c. p. 17. Der englische Landarbeiter erhalt nur l A so viel Milch und nur Vi so viel Brotstoff als
der irische. Den besseren Nahrungsstand der letzteren bemerkte schon A.Young in seiner "Tour through
Ireland" Anfang dieses Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, daB der arme irische Pachter ungleich
humaner ist als der reiche englische. Mit Bezug auf Wales gilt die Textangabe nicht fur seinen Siidwesten.
»Alle dortigen Arzte stimmen iiberein, dafi die Zunahme der Sterblichke its rate durch Tuberkulose,
Skrofeln etc. an Intensitdt wdchst mit der Verschlechterung des physischen Zustandes der Bevolkerung,
und alle schreiben diese Verschlechterung der Armut zu. Der tagliche Unterhalt des Landarbeiters
wird dort auf 5 d. veranschlagt, in vielen Distrikten zahlt der Pachter [selbst elend] weniger. Ein
Bissen gesalznes Fleisch, getrocknet zur Harte von Mahagoni und kaum wert des schwierigen
Prozesses der Verdauung, oder Speck dient zur Wiirze einer grofien Quantitdt von Brtihe, von Mehl
und Lauch, oder Haferbrei, und Tag nach Tag ist dies das Mittagsmahl des Landarbeiters... Der
Fortschritt der Industrie hatte die Folge fiir ihn, in diesem harten und feuchten Klima, das solide
hausgesponnene Tuch durch wohlfeile Baumwollzeuge zu verdrdngen und stdrkere Getranke durch
"nominellen" Tee... Nach langstiindiger Aussetzung an Wind und Regen kehrt der Ackerbauer zuriick
zu seiner Cottage, um niederzusitzen bei einem Feuer von Torf oder Batten, die aus Lehm und
Kohlenabfall zusammengesetzt sind und Wolken von Kohlen- und Schwefelsdure ausqualmen. Die
Wdnde der Hiitte bestehn aus Lehm und Steinen, das Estrich aus der nackten Erde, welche da war vor
Erbauung der Hiitte, das Dach ist eine Masse losen und aufgedunsenen Strohs. Jeder Spalt ist
verstopft zur Erhaltung der Warme, und in einer Atmosphdre von diabolischem Gestank, einen
Schlammboden unter sich, oft mit seinen einzigen Kleidern trocknend auf s einem Leibe, nimmt er sein
Abendbrot mit Weib und Kindern. Geburtshelfer, gezwungen, einen Teil der Nacht in diesen Hiitten
zuzubringen, haben beschrieben, wie ihre Fiifie im Schlamm des FufSbodens versanken, und wie sie
gezwungen waren, leichte Arbeit!, ein Loch durch die Wand zu bohren, um sich eine kleine
Privatrespiration zu verschaffen. Zahlreiche Zeugen von verschiednem Rang bezeugen, dafi der
untergenahrte (underfed) Bauer diesen und andren gesundheitswidrigen Einfliissen jede Nacht
ausgesetzt ist, und fiir das Resultat, ein geschwachtes und skrofuloses Volk, fehlt es wahrhaftig nicht
an Beweisen ... Die Mittellungen der Pfarreibeamten von Caermarthenshire und Cardiganshire zeigen
schlagend denselben Zustand der Dinge. Es kommt hinzu eine noch grofiere Pest, das Umsichgreifen
des Idiotismus. Nun noch die klimatischen Verhdltnisse. Heftige Siidwestwinde durchblasen das ganze
Land wahrend 8 bis 9 Monaten im Jahr, in ihrem Gefolg Regen-Sturzbdche, die sich hauptsachlich auf
die westlichen Abhange der Hiigel entladen. Baume sind selten, aufier in gedeckten Ptatzen; wo
unbeschutzt, werden sie aus alter Form zerblasen. Die Hiitten kriechen unter irgendeine Bergterrasse,
oft auch in eine Schlucht oder einen Steinbruch, nur die winzigsten Schafe und einheimisches Hornvieh
konnen auf den Weiden leben... Die jungen Leute wandern nach dem ostlichen Minendistrikte von
Glamorgan und Monmouth... Caermarthenshire ist die Pflanzschule der Minenbevolkerung und ihr
Invalidenhaus... Die Bevolkerung erhalt ihre Zahl nur miihsam. So in Cardinganshire:
durch den landlichen Durchschnittsarbeiter
Kohlenstoff Stickstoff
England 40.673 1.594
Wales 48.354 2.031
Schottland... 48.980 2.348
Irland 43.366 2.434 1200
»
Jede Seite von Dr. Hunters Bericht«, sagt Dr. Simon in seinem
offiziellen Gesundheitsbericht, »gibt Zeugnis von der unzureichenden
Quantitdt und elenden Qualitdt der Wohnlichkeit unsres Landarbeiters.
Und seit vielen Jahren hat sich sein Zustand progressiv in dieser
Hinsicht verschlechterte Es istjetzt viel schwerer fiir ihn, Hausraum zu
finden, und, wenn gefunden, ist er seinen Bediirfnissen viel weniger
entsprechend, als vielleicht seit Jahrhunderten der Fall war. Besonders
innerhalb der letzten 30 oder 20 Jahre ist das Ubel in raschem Wachstum
begrijfen, und die Wohnlichkeitsverhaltnisse des Landmanns sindjetzt m
hochsten Grad klaglich. Aufier soweit diejenigen, die seine Arbeit
bereichert, es der Miihe wert halten, ihn mit einer Art von mitleidiger
Nachsicht zu behandeln, ist er ganz hilflos in der Sache. Ob er
Behausung findet aufdem Land, welches er bebaut, ob sie menschlich
oder schweinisch ist, ob mit kleinem Garten, der den Druck der Armut so
sehr erleichtert, alles das hdngt nicht von seiner Bereitheit oder
Fahigkeit zur Zahlung einer angemefinen Miete ab, sondern von dem
Gebrauch, den andre von "dem Recht, mit ihrem Eigentum zu tun, was
sie wollen ", zu machen belieben. Eine Pachtung mag noch so grofi sein,
es existiert kein Gesetz, dafi aufihr eine bestimmte Anzahl von
Arbeiterwohnungen, und nun gar anstandigen, stehen mufi; ebensowenig
behalt das Gesetz demArbeiter auch nur das kleinste Recht aufden
Boden vor, fiir welchen seine Arbeit so notwendig ist wie Regen und
Sonnenschein... Ein notorischer Umstand wirft noch ein schweres
Gewicht in die Waagschale gegen ihn..., der Einflufl des Armengesetzes
mit seinen Bestimmungen iiber Niederlassung und Belastung zur
Armensteuer. 1201 Untcr seinem Einflufi hat jede Pfarrei ein Geldinteresse,
1.1865 ist dies Gesetz etwas verbessert worden. Man wird bald durch Erfahrung lernen, daB
dergleichen Pfuscherei nichts hilft.
2.Zum Verstandnis des folgenden: Close Villages (geschloBne Dorfer) heiBen die, deren
Grundeigentiimer ein oder ein paar groBe Landlords; Open Villages (offne Dorfer) die, deren Boden vielen
kleineren Eigentiimern gehort. Es sind die letzteren Orte, wo Bauspekulanten Cottages und Logierhauser
errichten konnen.
3. Ein solches Schaudorf sieht sehr nett aus, aber es ist so unreal wie die Dorfer, welche Katharina
II. auf der Reise nach der Krim sah. In der letzteren Zeit wird auch der Schafhirt haufig aus diesen show-
villages verbannt. Z.B. bei Market Harborough ist eine Schaferei von ungefahr 500 Acres, die nur die Arbeit
eines Mannes erheischt. Zur Verminderung der langen Marsche liber diese weiten Flachen, die schonen
Weiden von Leicester und Northampton, pflegte der Hirt eine Cottage auf der Meierei zu erhalten. Jetzt
gibt man ihm einen dreizehnten Schilling fiir Logis, das er weitab in dem offnen Dorf suchen muB.
4.»Die Hduser der Arbeiter [in den offnen Ortschaften, die natiirlich stets uberfullt sind] sind
gewohnlich in Reihen gebaut, mit dem Riicken auf der dufiersten Kante des Bodenfetzens, den der
Bauspekulant sein nennt. Sie sind daher ohne Zutritt von Licht und Luft, aufier von der Frontseite.«
(Dr. Hunters Report, I.e. p. 135.) »Sehr oft ist der Bierwirt oder Kramer des Dorfs zugleich
Hausvermieter. In diesem Fallfindet der Landarbeiter in ihm einen zweiten Herrn neben dem Pachter.
Er mufi zugleich sein Kunde sein. Mit 10 sh. per Woche, minus einer jdhrlichen Rente von 4 Pfd.St., ist
er verpflichtet, sein modicum [Weniges] von Tee, Tucker, Mehl, Seife, Kerzen und Bier zu den vom
Kramer beliebten Preisen zu kaufen.« (I.e. p. 132.) Diese offnen Dorfschaften bilden in der Tat die
"Strafkolonien" des englischen Ackerbauproletariats. Viele der Cottages sind reine Logierhauser, wo alles
vagabundierende Gesindel der Umgegend durchpassiert. Der Landmann und seine Familie, die oft wahrhaft
wunderbar in den schmutzigsten Verhaltnissen Tuchtigkeit und Reinheit des Charakters bewahrt hatten,
gehn hier platterdings zum Teufel. Es ist natiirlich Mode unter den vornehmen Shylocks, liber die
Bauspekulanten und die kleinen Eigentiimer und die offnen Orte pharisaisch die Achsel zu zucken. Sie
wissen sehr wohl, daB ihre »geschlofinen Dorfer und Schaudorfer« die Geburtsstatten der »offnen Orte«
sind und ohne dieselben nicht existieren konnten. »Ohne die kleinen Eigentiimer der offnen Orte miifite
der groftte Teil der Landarbeiter unter den Bdumen der Giiter schlafen, worauf sie arbeiten.« (I.e.
p. 135.) Das System der "offnen" und "geschloBnen" Dorfer herrscht in alien Midlands [Grafschaften
Mittelenglands], und im ganzen Osten Englands.
5.»Der Hausvermieter [der Pachter oder Landlord] bereichert sich direkt oder indirekt durch die
Arbeit eines Mannes, dem er 10 sh. per Woche zahlt, und zwackt dann wieder von diesem armen Teufel
4 oder 5 Pfd.St. jdhrliche Miete fiir Hduser ab, die keine 20 Pfd.St. auf offnem Markt wert sind, aber
auf ihrem kiinstlichen Preis erhalten werden durch die Macht des Eigentumers, zu sagen: Nimm mein
Haus oder pack dich und suche anderswo ein Unterkommen, ohne Arbeitszeugnis von mir. Wiinscht ein
Mann sich zu verbessern und als Schienenleger zu einer Eisenbahn zu gehn oder einem Steinbruch,
wieder ist dieselbe Macht bereit mit einem: "Arbeite fiir mich zu diesem niedrigen Arbeitslohn oder
pack dich auf eine Woche Kiindigung; nimm dein Schwein mit dir, wenn du eins hast, und schau zu, was
du aus den Kartoffeln herausschldgst, die in deinem Garten wachsen. " Steht jedoch das Inter esse nach
der andren Seite, so zieht in solchen Fallen der Eigentiimer [resp. Pachter] manchmal eine erhohte
Hausmiete vor als Strafe fiir die Desertion aus seinem Dienst.« (Dr. Hunter, I.e. p. 132)
6. » Jung verheiratete Paare sind kein erbauliches Studium fiir erwachsne Briider und
Schwestern in derselben Schlafstube; und obgleich Beispiele nicht registriert werden dtirfen, liegen
hinreichende Data vor, um die Bemerkung zu rechtfertigen, daft groftes Leid und oft der Tod das Los
der weiblichen Teilnehmer am Verbrechen der Blutschande ist.« (Dr. Hunter, I.e. p. 137.) Ein landlicher
Polizeibeamter, der viele Jahre durch als Detektiv in den schlechtesten Vierteln von London funktioniert
hatte, sagt von den Madchen seines Dorfs aus: »Ihre grobe Immoralitat im friihen Alter, ihre Frechheit
und Schamlosigkeit habe ich niemals wdhrend meines Polizeilebens in den schlechtesten Teilen von
London erreicht gesehn... Sie leben wie Schweine, grofte Jungen und Madchen, Mutter und Vdter, alles
schlaft zusammen in derselben Stube.« ("Child. Empl. Comm.. Sixth Report", Lond. 1867, Appendix, p. 77,
die Zahl ihrer residierenden Landarbeiter aufein Minimum zu
beschrdnken; denn ungliicklicherweise fiihrt die Landarbeit, statt sichre
und permanente Unabhdngigkeit dem hartschanzenden Arbeiter und
seiner Familie zu verbiirgen, meist nur aufldngerem oder kiirzerem
Umweg zum Pauperismus, einem Pauperismus, der wdhrend des ganzen
Wegs so nahe ist, dafijede Krankheit oder irgendein vorubergehender
Mangel an Beschaftigung unmittelbar die Zuflucht zur Pfarreihilfe
ernotigt; und daher ist alle Ansassigkeit einer Ackerbaubevolkerung in
einer Pfarrei augenscheinlich ein Zuschufi zu ihrer Armensteuer... Grofie
Grundeigentiimer 1202 haben nur zu beschliefien, dafi keine
Arbeiterwohnungen aufihren Giltern stehn sollen, und sie befreien sich
sofort von der Halfte ihrer Verantwortlichkeit fur die Armen. Wieweit die
englische Konstitution und das Gesetz diese Art unbedingtes
Grundeigentum beabsichtigten, welches einen Landlord, der "mit seinem
Eignen tut, was er will", befahigt, die Bebauen des Bodens wie Fremde zu
behandeln und sie von seinem Territorium zu verjagen, ist eine Frage,
deren Diskussion nicht in meinen Bereichfallt... Diese Macht der
Eviktion ist keine blofie Theorie. Sie wird praktisch auf der grofiten
Stufenleiter geltend gemacht. Sie ist einer der Umstande, welche die
Wohnlichkeitsverhaltnisse des Landarbeiters beherrschen... Den Umfang
des Ubels mag man aus dem letzten Zensus beurteilen, wonach die
Zerstorung von Hausern, trotz vermehrter lokaler Nachfrage fur
dieselben, wahrend der letzten 10 Jahre, in 821 verschiednen Distrikten
von England fortschritt, so dafi, abgesehn von den Personen, die
gezwungen wurden, Nichtresidierende [namlich in dem Kirchspiel, worin
sie arbeiten] zu werden, 1861 verglichen mit 1851 eine um 5* /j% grofiere
Bevolkerung in einen um 4'/2% kleineren Hausraum gedrangt wurde ...
Sobald der Entvolkerungsprozefi sein Ziel erreicht hat, ist das Resultat,
sagt Dr. Hunter, ein Schaudorf (show-village), wo die Cottages auf
wenige reuziert sind und wo niemand leben darf aufier Schafhirten,
Gartnern und Wildhutern, regulare Bediente, welche die in ihrer Masse
gewohnheitsmafiige gute Behandlung von der gnadigen Herrschaft
erhalten. 1203 Aber das Land bedarfder Bebauung, und man wird finden,
dafi die darauf beschaftigten Arbeiter keine Haussassen des
Grundeigentiimers sind, sondern von einem offnen Dorf herkommen,
vielleicht 3 Meilen weit entfernt, wo eine zahlreiche kleine
Hauseigentiimerschaft sie aufnahm, nach Zerstorung ihrer Cottages in
den geschlofinen Dorfern. Wo die Dinge diesem Resultat zustreben,
bezeugen die Cottages meist durch ihr elendes Aussehn das Schicksal, zu
dem sie verdammt sind. Man findet sie auf den verschiednen Stufen
natiirlichen Verfalls. Solange das Obdach zusammenhalt, wird dem
Arbeiter erlaubt, Rente dafiir zu zahlen, und er ist oft sehrfroh, dies tun
zu diirfen, selbst wenn er den Preis einer guten Wohnung zu zahlen hat.
Aber keine Reparatur, keine Ausbesserung, aufier die der pfennig lose
Inhaber leisten kann. Wird es endlich zuletzt ganz unbewohnbar, so ist es
nur eine zerstorte Cottage mehr und so viel kunftige Armensteuer
weniger. Wdhrend die grofien Eigentiimer die Armensteuer so von sich
abwdlzen durch Entvolkerung des von ihnen kontrollierten Grund und
Bodens, nimmt das nachste Landstadtchen oder offne Ortschaft die
hinausgeworfnen Arbeiter auf; die nachste, sage ich, aber dies "nachste"
mag 3 oder 4 Meilen vom Pachthof sein, wo der Arbeiter sich taglich
abzuplacken hat. So wird seinem Tageswerk, als ob es gar nichts sei, die
Notwendigkeit eines taglichen Marsches von 6 oder 8 Meilen zur
Verdienung seines taglichen Brotes hinzugefiigt. Alle von seiner Frau
und seinen Kindern verrichtete Landarbeit gehtjetzt unter denselben
erschwerenden Umstanden vor. Und dies ist nicht das ganze Ubel,
welches ihm die Entfernung verursacht. In der ojfnen Ortschaft kaufen
Bauspekulanten Bodenfetzen, welche sie so dicht wie moglich mit den
wohlfeilsten aller moglichen Spelunken besaen. Und in diesen elenden
Wohnlichkeiten, die sogar, wenn sie auf das offne Land miinden, die
ungeheuerlichsten Charakterziige der schlechtesten Stadtwohnungen
teilen, hocken die Ackerbauarbeiter Englands 1204 ... Andrerseits mufi man
sich nur nicht einbilden, dafi selbst der auf dem Grund und Boden, den er
bebaut, behauste Arbeiter eine Wohnlichkeit findet, wie sie sein Leben
produktiver Industrie verdient. Selbst auf den furstlichsten Giitern ist
seine Cottage oft von der allerjammerlichsten Art. Es gibt Landlords, die
einen Stall gut genugfiir ihre Arbeiter und der en Familien glauben und
die es dennoch nicht verschmahn, aus ihrer Miete so viel Bares als
moglich herauszuschlagen. 1205 Es mag nur eine verfallende Hiitte mit
einer Schlafstube sein, ohne Feuerherd, ohne Abtritt, ohne offenbare
Fenster, ohne Wasserzufuhr aufier dem Graben, ohne Garten, der
Arbeiter ist hilflos gegen die Unbill. Und unsre gesundheitspolizeilichen
Gesetze (The Nuisances Removal Acts) sind ein toter Buchstabe. Ihre
Ausfuhrung istja grade den Eigentumern anvertraut, welche solche
Locher vermieten... Man mufi sich durch ausnahmsweise lichtvollere
Szenen nicht blenden lassen iiber das erdruckende Ubergewicht der
Tatsachen, die ein Schandfleck der englischen Zivilisation sind.
Schauderhaft mufi in der Tat die Uge der Dinge sein, wenn, trotz der
augenfdlligen Ungeheuerlichkeit der gegenwdrtigen Behausung,
kompetente Beobachter einstimmig zu dem Schlufiresultat gelangen, dafi
selbst die allgemeine Nichtswiirdigkeit der Wohnungen noch ein
unendlich minder driickendes Ubel ist als ihr blofi numerischer Mangel.
Seit Jahren war die Uberstopfung der Wohnungen der Landarbeiter ein
Gegenstand tiefen Kummers nicht nur fur Personen, die auf Gesundheit,
sondern fur alle, die auf anstdndiges und moralisches Leben halten.
Denn, wieder und wieder, in Ausdrucken so gleichformig, dafi sie
stereotypiert zu sein scheinen, denunzieren die Berichterstatter iiber die
Verbreitung epidemischer Krankheiten in den landlichen Distrikten
Hausiiberfullung als eine Ursache, die jeden Versuch, den Fortschritt
einer einmal eingefuhrten Epidemie aufzuhalten, durchaus vereitelt. Und
wieder und wieder ward nachgewiesen, dafi den vielen gesunden
Einfliissen des Landlebens zum Trotz die Agglomeration, welche das
Umsichgreifen ansteckender Krankheiten so sehr beschleunigt, auch die
Entstehung nicht ansteckender Krankheiten fordert. Und die Personen,
welche diesen Zustand denunziert haben, verschweigen weitres Unheil
nicht. Selbst wo ihr ursprungliches Thema nur die Gesundheitspflege
betraf waren sie beinahe gezwungen, auf die andren Seiten des
Gegenstandes einzugehn. Indem sie nachwiesen, wie haufig es sich
ereignet, dafi erwachsne Personen beiderlei Geschlechts, verheiratet und
unverheiratet, zusammengehudelt (huddled) werden in engen
Schlafstuben, mufiten ihre Berichte die Uberzeugung hervorrufen, dafi
unter den beschriebenen Umstanden Scham- und Anstandsgefiihl aufs
grobste verletzt und alle Moralitdt fast notwendig ruiniert wird 1206 ...
Z.B. in Appendix meines letzten Berichts erwdhnt Dr. Ord, in seinem
Bericht iiber den Fieberausbruch zu Wing in Buckinghamshire, wie ein
junger Mann von Wingrave mit Fieber dorthin kam. In den ersten Tagen
seiner Krankheit schliefer mit 9 andren Personen in einem Gemach
zusammen. In zwei Wochen wurden verschiedne Personen ergriffen, im
Verlaufweniger Wochen verfielen 5 von den 9 Personen dem Fieber, und
eine starb! Gleichzeitig berichtete mir Dr. Harvey von St. Georges
Spital, der Wing wahrend der Epidemiezeit in Angelegenheiten seiner
Privatpraxis besuchte, in demselben Sinne: "Ein junges, fieberkrankes
Frauenzimmer schlief nachts in derselben Stube mit Vater, Mutter, ihrem
Bastardkind, zwei jungen Mdnnern, ihren Brudern, und ihren zwei
Schwestern, jede mit einem Bastard, in allem 10 Personen. Wenige
Wochen vorher schlief en 13 Kinder in demselben Raume.« nm
Dr. Hunter untersuchte 5375 Landarbeiter-Cottages, nicht nur in den
reinen Agrikulturdistrikten, sondern in alien Grafschaften Englands. Unter
diesen 5375 hatten 2195 nur eine Schlafstube (oft zugleich Wohnstube),
2930 nur 2 und 250 mehr als 2. Ich will fur ein Dutzend Grafschaften eine
kurze Blutenlese geben.
1. Bedfordshire.
Wrestlingworth: Schlafzimmer ungefahr 12 FuB lang und 10 breit, obgleich
viele kleiner sind. Die kleine einstockige Hutte wird oft durch Bretter in
zwei Schlafstuben geteilt, oft ein Bett in einer Kuche 5 FuB 6 Zoll hoch.
7. "Public Health. Seventh Report, 1864", p. 9-14 passim.
l.»Pfaff und Edelmann scheinen verschworen, sie tot zu hetzen«
l.»Die gottgewollte Beschiiftigung des Landarbeiters gibt selbst seiner Stellung Wtirde. Er ist
kein Sklave, sondern ein Friedenssoldat und verdient seinen Platz in einer Wohnung, wie sie fiir den
verheirateten Mann vom Landlord zur Verfugung gestellt werden mufi, der fiir sich das Recht
beansprucht hat, ihn zur Arbeit zu zwingen, dhnlich wie das Land dem militarischen Soldaten
gegenuber verfiihrt. Er erhalt ebensowenig den Marktpreis fiir seine Arbeit wie ein Soldat. Gleich dem
Soldaten fangt man auch ihn, solange er jung und unwissend ist und nur seinen eignen Beruf und
seinen eignen Wohnort kennt. Friihe Heirat und die Handhabung der verschiednen
Niederlassungsgesetze wirken auf den einen wie die Anwerbung und das Militarstrafgesetz auf den
andern.« (Dr. Hunter, I.e. p. 132.) Manchmal erweicht sich irgendein ausnahmsweis schwachherziger
Landlord uber die von ihm geschaffene Einode. »Es ist ein melancholisch Ding, allein in seinem Land zu
sein«, sagte der Graf von Leicester, als man ihm zum Fertigbau von Holkham gratulierte: »Ich schaue um
mich und sehe kein Haus aufier meinem eignen. Ich bin der Riese vom Riesenturm und habe alle meine
Nachbarn aufgegessen.«
2.Ahnliche Bewegung seit den letzten Dezennien in Frankreich, im MaB, wie sich dort die
kapitalistische Produktion der Agrikultur bemachtigt und die "uberzahlige" Landbevolkerung nach den
Stadten treibt. Ebenso hier verschlechterte Wohnlichkeits- und sonstige Verhaltnisse an der Quelle der
"Uberzahligen". Uber das eigentumliche "Proletariat foncier" ["Landproletariat"], welches das
Parzellen system ausgebriitet hat, sich u.a. die friiher zitierte Schrift von Colins und Karl Marx, "Der
achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte", 2. Aufl., Hamburg 1869, p. 88 sqq. [siehe MEW, Band 8, S. 198-
204] 1846 betrug die stadtische Bevolkerung in Frankreich 24, 42, die landliche 75, 58%, 1861. die
stadtische 28, 86, die landliche 71, 14%. In den letzten 5 Jahren ist die Abnahme der landlichen
Prozentteils der Bevolkerung noch groBer. Schon 1846 sang Pierre Dupont in seinen "Ouvriers":
Miete 3 Pfd.St. Die Mieter haben ihre eignen Abtritte zu bauen, der
Hauseigen tiimer liefert nur ein Loch. Sooft einer einen Abtritt baut, wird
letzterer von der ganzen Nachbarschaft benutzt. Ein Haus namens
Richardson von unerreichbarer Schone. Seine Mortelwande bauschten aus
wie ein Damenkleid beim Knix. Ein Giebelende war konvex, das andre
konkav, und auf dem letztren stand unglucklicherweise ein Schornstein,
ein krummes Rohr von Lehm und Holz gleich einem Elefantenriissel. Ein
langer Stock diente als Stiitze, um den Fall des Schornsteins zu verhindern.
Tiir und Fenster rautenformig. Von 17 besuchten Hausern nur 4 mit mehr
als 1 Schlafzimmer und diese 4 uberstopft. Die einschlafrigen Cots bargen
3 Erwachsne mit 3 Kindern, ein verheiratetes Paar mit 6 Kindern usw.
Dunton: Hohe Hausrenten, von 4 bis 5 Pfd.St., Wochenlohn der Manner
10 sh. Sie hoffen, durch Strohflechten der Familie die Miete
herauszuschlagen. Je hoher die Hausmiete, desto groBer die Zahl, die sich
zusammentun muB, um sie zu zahlen. Sechs Erwachsne, die mit 4 Kindern
in einer Schlafstube, zahlen dafur 3 Pfd.St. 10 sh. Das wohlfeilste Haus in
Dunton, von der AuBenseite 15 FuB lang, 10 breit, vermietet fur 3 Pfd.St.
Nur eins von den 14 untersuchten Hausern hatte zwei Schlafstuben. Etwas
vor dem Dorf ein Haus, von den Insassen bekotet vor seinen
AuBenwanden, die untern 9 Zoll der Tiir verschwunden durch reinen
VerfaulungsprozeB, einige Ziegelsteine von innen sinnreich des Abends
beim ZuschlieBen vorgeschoben und mit etwas Matte verhangen. Ein
halbes Fenster, samt Glas und Rahmen, war ganz den Weg alles Fleisches
gegangen. Hier, ohne Mobel, hudelten 3 Erwachsne und 5 Kinder
zusammen. Dunton ist nicht schlimmer als der Rest der Biggleswade
Union.
2. Berkshire.
Beenham: Juni 1864 lebte ein Mann, Frau, 4 Kinder in einem Cot
(einstockigen Cottage). Eine Tochter kam heim aus dem Dienst mit
Scharlachfieber. Sie starb. Ein Kind erkrankte und starb. Die Mutter und
ein Kind litten am Typhus, als Dr. Hunter gerufen wurde. Der Vater und
ein Kind schliefen auswarts, aber die Schwierigkeit, Isolierung zu sichern,
zeigte sich hier, denn im vollgepfropften Markt des elenden Dorfs lag das
Leinen des fiebergeschlagnen Hauses, auf Wasche wartend. - Die Miete
von H.'s Haus 1 sh. wochentlich; das eine Schlafzimmer fiir ein Paar und 6
Kinder. Ein Haus vermietet zu 8 d. (wochentlich), 14 FuB 6 Zoll lang, 7
FuB breit, Kiiche 6 FuB hoch; das Schlafzimmer ohne Fenster, Feuerplatz,
Tur noch Offnung, auBer nach dem Gang zu, kein Garten. Ein Mann lebte
hier vor kurzem mit zwei erwachsnen Tochtern und einem aufwachsenden
Sohn; Vater und Sohn schliefen auf dem Bett, die Madchen auf dem
Hausgang. Jede hatte ein Kind, solange die Familie hier lebte, aber eine
ging zum Workhouse fiir ihre Entbindung und kehrte dann heim.
3. Buckinghamshire.
30 Cottages - auf 1.000 Acres Land - enthalten hier ungefahr 130 -140
Personen. Die Pfarrei von Bradenham umfaBt 1.000 Acres; sie hatte 1851
36 Hauser und eine Bevokerung von 84 Manns- und 54 Weibspersonen.
Diese geschlechtliche Ungleichheit geheilt 1861, wo sie 98 mannlichen und
87 weiblichen Geschlechts zahlte, Zuwachs in 10 Jahren von 14 Mannern
und 33 Weibern. Unterdes hatte die Hauserzahl um 1 abgenommen.
Winslow: GroBer Teil davon neu gebaut in gutem Stil; Nachfrage nach
Hausern scheint bedeutend, weil sehr armselige Cots vermietet zu 1 sh.
und 1 sh. 3 d. per Woche.
Water Eaton: Hier haben die Eigentumer im Angesicht wachsender
Bevolkerung ungefahr 20% der existierenden Hauser zerstort. Ein armer
Arbeiter, der ungefahr 4 Meilen zu seinem Werk zu gehn hatte, antwortete
auf die Frage, ob er kein Cot naher finden konnte: »Nein, sie werden sich
verdammt hiiten, einen Mann mit meiner grofien Familie aufzunehmen.«
Tinker's End, bei Winslow: Eine Schlafstube, worin 4 Erwachsne und 5
Kinder, 1 1 FuB lang, 9 FuB breit, 6 FuB 5 Zoll hoch am hochsten Punkt;
ein andres 1 1 FuB 7 Zoll lang, 9 FuB breit, 5 FuB 10 Zoll hoch, beherbergte
6 Personen. Jede dieser Familien hatte weniger Raum als notig fiir einen
Galeerenstrafling. Kein Haus hatte mehr als ein Schlafzimmer, keins eine
Hintertur. Wasser sehr selten. Wochenmiete von 1 sh. 4 d. zu 2sh. In 16
untersuchten Hausern nur ein einziger Mann, der lOsh. wochentlich
verdiente. Das Luftreservoir, jeder Person in dem erwahnten Falle gegonnt,
entspricht dem, das ihr zugut kame, wenn des Nachts eingeschlossen in
eine Schachtel von 4 FuB Kubik. Allerdings bieten die alten Hiitten eine
Masse naturwiichsiger Ventilation.
4. Cambridgeshire.
Gamblingay gehort verschiednen Eigentumern. Es enthalt die lumpigsten
Cots, die man irgendwo finden kann. Viel Strohflechterei. Eine todliche
Mattheit, eine hoffnungslose Ergebung in Schmutz beherrscht
Gamblingay. Die Vernachlassigung in seinem Zentram wird zur Tortur an
den Extremitaten, Nord und Slid, wo die Hauser sttickweis abfaulen. Die
abwesenden Landlords lassen dem armen Nest flott zur Ader. Die Mieten
sind sehr hoch; 8 bis 9 Personen gepackt in ein einschlafriges Zimmer, in
zwei Fallen 6 Erwachsne mit je 1 und 2 Kindern in einer kleinen
Schlafstube.
5. Essex.
In dieser Grafschaft gehn in vielen Pfarreien Abnahme von Personen und
Cottages Hand in Hand. In nicht weniger als 22 Pfarreien hat jedoch die
Hauserzerstorung den Bevolkerungsanwachs nicht aufgehalten oder nicht
die Expulsion bewirkt, welche unter dem Namen "Wanderung nach den
Stadten" uberall vorgeht. In Fingringhoe, einer Pfarrei von 3.443 Acres,
standen 1851 145 Hauser, 1861 nur noch 110, aber das Volk wollte nicht
fort und brachte es fertig, selbst unter dieser Behandlung zuzunehmen. Zu
Ramsden Crays bewohnten 1851 252 Personen 61 Hauser, aber 1861
waren 262 Personen in 49 Hauser gequetscht. In Basildon lebten 1851 auf
1.827 Acres 157 Personen in 35 Hausern, am Ende des Dezenniums 180
Personen in 27 Hausern. In den Pfarreien von Fingringhoe, South
Fambridge, Widford, Basildon und Ramsden Crays lebten 1851 auf 8.449
Acres 1.392 Personen in 316 Hausern, 1861 auf demselben Areal 1.473
Personen in 249 Hausern.
6. Herefordshire.
Diese kleine Grafschaft hat mehr gelitten vom 'Eviktionsgeist" als
irgendeine andre in England. Zu Madley gehoren die uberstopften
Cottages, meist mit 2 Schlafzimmern, groBe-nteils den Pachtern. Sie
vermieten selbe leicht zu 3 oder 4 Pfd.St. per Jahr und zahlen Wochenlohn
von 9 sh.!
7. Huntingdonshire.
Hartford hatte 1851 87 Hauser, kurz nachher 19 Cottages zerstort in dieser
kleinen Pfarrei von 1.720 Acres, Einwohnerschaft 1831: 452 Personen,
1851: 382 und 1861: 341. Vierzehn einschlafrige Cots untersucht. In einem
1 verheiratetes Paar, 3 erwachsne Sohne, 1 erwachsnes Madchen, 4
Kinder, zusammen 10; in einem andren 3 Erwachsne, 6 Kinder. Eine dieser
Stuben, worin 8 Persoren schliefen, war 12 FuB 10 Zoll lang, 12 FuB 2 Zoll
breit, 6 FuB 9 Zoll hoch; DurchschnittsmaB, ohne Abzug der Vorspriinge,
ergab ungefahr 130 KubikfuB per Kopf. In den 14 Schlafstuben 34
Erwachsne und 33 Kinder. Diese Cottages selten mit Gartchen versehn,
aber viele der Insassen konnten kleine Fetzen Land, 10 oder 12 sh. per
rood i}A Acre) pachten. Diese allotments sind entfernt von den
abtrittslosen Hausern. Die Familie muB entweder zu ihrer Parzelle gehn,
um ihre Exkremente abzulagern, oder, wie es mit Respekt zu melden hier
geschieht, die Schublade eines Schranks damit fullen. Sob aid sie voll, wird
sie ausgezogen und dort entleert, wo ihr Inhalt notig ist. In Japan geht der
Zirkellauf der Lebensbedingungen reinhcher vonstatten.
8. Lincolnshire.
Langtoft: Ein Mann wohnt hier in Wrights Haus mit seiner Frau, ihrer
Mutter und 5 Kindern; das Haus hat Vorderkuche, Spulkammer,
Schlafzimmer iiber der Vorderkuche, Vorderkuche und Schlafstube 12
FuB 2 Zoll lang, 9 FuB 5 Zoll breit, die ganze Grundflache 21 FuB 3 Zoll
lang, 9 FuB 5 Zoll breit. Die Schlafstube ist ein Dachraum. Die Wande
laufen zuckerhutig an der Decke zusammen, und ein Klappfenster offnet
sich in der Front. Warum wohnte er hier? Garten? AuBerordentlich winzig.
Miete? Hoch, 1 sh. 3 d. per Woche. Nah seiner Arbeit? Nein, 6 Meilen
entfernt, so daB er taglich 12 Meilen hin und her vermarschiert. Er wohnte
da, weil es ein vermietbares Cot war und weil er ein Cot fur sich allein
haben wo lite, irgendwo, zu irgendeinem Preis, in irgendeinem Zu stand.
Folgendes ist die Statistik von 12 Hausern in Langtoft mit 12 Schlafstuben,
38 Erwachsnen und 36 Kindern.
12 Hauser in Langtoft
Er- Per- Er- Per-
Hausr Schlaf- wachs- Kinder sonen-
stuben ne
3
4
4
5
2
5
5
3
4
4
2
3
zahl
8
7
8
9
4
8
Hauser Schlaf- wachs- Kinder
stuben ne zahl
3 3 6
3 2 5
2 2
2 3 5
3 3 6
2 4 6
son
69. Kent.
Kennington, hochst traurig uberfiillt 1859, als die Diphtherie erschien und
der Kirch spielsarzt eine amtliche Untersuchung iiber die Lage der armeren
Volksklasse veranstaltete. Er fand, daB in dieser Ortschaft, wo viel Arbeit
notig, verschiedne Cots zerstort und keine neuen erbaut worden waren. In
einem Bezirk standen 4 Hauser, birdcages (Vogelkafige) benamst; jedes
hatte 4 Zimmer mit den folgenden Dimensionen in FuB und Zoll:
Kuche 9,5 x 8,11 x 6,6
Spulkammer 8,6 x 4,6 x 6,6
Schlafzimmer 8,5 x 5,10 x 6,3
Schlafzimmer 8,3 x8,4 x 6,3
10. Northamptonshire.
Brixworth, Pitsford und Floore: In diesen Dorfern lungern im Winter 20-30
Mann aus Arbeitsmangel auf den StraBen herum. Die Pachter bestellen
nicht hinreichend das Korn- und Wurzelland, und der Landlord hat es
passend gefunden, alle seine Pachten in 2 oder 3 zusammenzuwerfen.
Daher Mangel an Beschaftigung. Wahrend von der einen Seite des
Grabens das Feld nach Arbeit schreit, werfen ihm die geprellten Arbeiter
von der andren Seite sehnsuchtige Blicke zu. Fieberhaft uberarbeitet im
Sommer und halbverhungert im Winter, ist es kein Wunder, wenn sie in
ihrem eignen Dialekt sagen, daB »the parson and gentlefolks seem frit to
death at them« 120S
Zu Floore Beispiele von Paaren mit 4, 5, 6 Kindern in einer Schlafstube
kleinster Ausgabe, ditto 3 Erwachsne mit 5 Kindern, ditto ein Paar mit
GroBvater und 6 scharlachkranken Kindern etc.; in 2 Hausern mit 2
Schlafstuben 2 Familien von je 8 und 9 Erwachsnen.
11. Wiltshire.
Stratton: 31 Hauser besucht, 8 mit nur einer Schlafstube; Penhill in
derselben Pfarrei. Ein Cot vermietet zu 1 sh. 3 d. wochentlich an 4
Erwachsne und 4 Kinder, hatte auBer guten Wanden nichts Gutes an sich,
vom Estrich aus rauhgehaunen Steinen bis zum faulen Strohdach.
12. Worcestershire.
Hauszerstorung hier nicht ganz so arg; doch von 1851-1861 vermehrte sich
das Personal per Haus von 4,2 zu 4,6 Individuen.
Badsey: Viele Cots und Gartchen hier. Einige Pachter erklaren die Cots »a
great nuisance here, because they bring the poor«. (Die Cots groBer
MiBstand, weil sie die Armen herbringen.) Auf die AuBerung eines
Gentleman:
»Die Armen sind deswegen um nichts besser dran; wenn man 500 Cots
baut, gehn sie wie die Wecken ab, in der Tat, je mehr man davon baut,
desto mehr sind notig« -
die Hauser bringen nach ihm die Einwohner hervor, die naturgesetzlich auf
»die Mittel der Behausung« driicken -, bemerkt Dr. Hunter:
»Nun, diese Armen miissen irgendwoher kommen, und da keine besondre
Attraktion, wie milde Gaben, in Badsey existiert, mufi Repulsion von
einem noch unbequemeren Platz existieren, der sie hierhin treibt. Konnte
jeder ein Cot und ein Stiickchen Land in der Nahe seines Arbeitsplatzes
finden, so wiirde er solche sicher Badsey vorziehn, wo erfiir seine
Handvoll Boden zweimal soviet zahlt als der Pachter fur den seinen.«
Die bestandige Emigration nach den Stadten, die bestandige
"Uberzahligmachung" auf dem Land durch Konzentration von
Pachtungen, Verwandlung von Acker in Weide, Maschinerie usw. und die
bestandige Eviktion der Landbevolkerung durch Zerstorung der Cottages
gehn Hand in Hand. Je menschenleerer der Distrikt, desto groBer seine
"relative Ubervolkerung", desto groBer ihr Druck auf die
Beschaftigungsmittel, desto groBer der absolute UberschuB des Landvolks
iiber seine Behausungsmittel, desto groBer also in den Dorfern die lokale
Uberpopulation und die pestilenzialischste Menschenzusammenpackung.
Die Verdichtung des Menschenknauels in zerstreuten kleinen Dorfern und
Marktflecken entspricht der gewaltsamen Menschenentleerung auf der
Oberflache des Landes. Die ununterbrochne "Uberzahligmachung'' der
Landarbeiter trotz ihrer abnehmenden Anzahl und mit der wachsenden
Masse ihres Produkts ist die Wiege ihres Pauperismus. Ihr eventueller
Pauperismus ist ein Motiv ihrer Eviktion und die Hauptquelle ihrer
Wohnlichkeitsmisere, welche die letzte Widerstandsfahigkeit bricht und sie
zu reinen Sklaven der Grundherrn 1209 und Pachter macht, so daB das
Minimum des Arbeitslohns eich zum Naturgesetz fur sie befestigt.
Andrerseits ist das Land trotz seiner bestandigen relativen
"Ubervolkerung" zugleich untervolkert. Dies zeigt sich nicht nur lokal auf
solchen Punkten, wo der MenschenabfluB nach den Stadten, Minen,
Eisenbahnbauten usw. zu rasch vorgeht, es zeigt sich iiberall sowohl zur
Erntezeit als im Friihling und Sommer wahrend der zahlreichen Momente,
wo die sehr sorgfaltige und intensive englische Agrikultur Extrahande
braucht. Es sind der Landarbeiter stets zu viel fur die mittleren und stets zu
wenig fur die ausnahmsweisen oder temporaren Bedurfnisse des
Landbaus. 1210 Daher findet man in den offiziellen Dokumenten die
widerspruchsvolle Klage derselben Orte iiber gleichzeitigen Arbeitsmangel
und ArbeitsuberfluB registriert. Der temporare oder lokale Arbeitsmangel
bewirkt keine Erhohung des Arbeitslohns, sondern Pressung von Weibern
und Kindern in den Feldbau und Herabsteigen zu stets niedrigeren
Altersstufen. Sobald die Weiber- und Kinderausbeutung groBeren
Spielraum gewinnt, wird sie ihrerseits ein neues Mittel zur
Uberzahligmachung des mannlichen Landarbeiters und Niederhaltung
seines Lohns. Im Osten Englands bluht eine schone Frucht dieses cercle
vicieux 1211 - das sog. Gangsystem (Gang- oder Bandensystem), worauf ich
hier kurz zuruckkomme. ' 2 ' 2
l.fehlerhaften Kreises
2. Der sechste und schlieBliche Report der Child. Empl. Comm., publiziert Ende Marz 1867,
behandelt nur das agrikole Gangsystem.
1. "Child. Empl. Comm., VI.Report", Evidence, p. 37, n.173. - Fenland = Marschland.
l.geschickten Umgangsformen
Das Gangsystem haust fast ausschlieBlich in Lincolnshire,
Huntingdonshire, Cambridgeshire, Norfolk, Suffolk und Nottinghamshire,
sporadisch in den benachbarten Grafschaften von Northampton, Bedford
und Rutland. Als Beispiel diene hier Lincolnshire. Ein groBer Teil dieser
Grafschaft ist neu, friiheres Moor oder auch, wie in andren der genannten
ostlichen Grafschaften, der See erst abgewonnenes Land. Die
Dampfmaschine hat fur die Entwasserung Wunder gewirkt. Friiherer
Morast und Sandboden tragt jetzt ein uppiges Kornmeer und die hochsten
Grundrenten. Dasselbe gilt von dem kunstlich gewonnenen Alluvialland,
wie in der Insel von Axholme und den andren Pfarreien am Ufer des Trent.
Im MaB, wie die neuen Pachten entstanden, wurden nicht nur keine neuen
Cottages gebaut, sondern alte niedergerissen, die Arbeitszufuhr aber
verschafft aus den meilenweit entfernten offnen Dorfern langs den
LandstraBen, die an Hiigelrucken vorbeischlangeln. Dort hatte die
Bevolkerung friiher allein Schutz vor den langanhaltenden
Winteriiberschwemmungen gefunden. Auf den Pachten von 400 bis 1000
Acres ansassige Arbeiter (sie heiBen hier "confined labourers") dienen
ausschlieBlich zur permanenten schweren und mit Pferden verrichteten
Landarbeit. Auf je 100 Acres (1 Acre = 40,49 Aren oder 1,584 preuBische
Morgen) kommt im Durchschnitt kaum eine Cottage. Ein Fenlandpachter
z.B. sagt aus vor der Untersuchungskommission:
»Meine Pachtung erstreckt sich iiber 320 Acres, alles Kornland. Sie hat
keine Cottage. Ein Arbeiter wohnt jetzt bei mir. Ich habe vier
Pferdemanner in der Umgegend logierend. Das leichte Werk, wozu
zahlreiche Hande notig, wird durch Gange vollbracht.« 1213
Der Boden erheischt viel leichtes Feldwerk wie Ausjaten des Unkrauts,
Behackung, gewisse Dungeroperationen, Auflesen der Steine usw. Es wird
verrichtet durch die Gange oder organisierten Banden, deren Wohnsitz in
den offnen Ortschaften.
Der Gang besteht aus 10 bis 40 oder 50 Personen, namlich Weibern,
jungen Personen beiderlei Geschlechts (13-18 Jahr), obgleich Jungen meist
mit dem 13. Jahr ausscheiden, endlich Kindern beiderlei Geschlechts (6 bis
13 Jahr). An der Spitze steht der Gangmaster (Gangmeister), immer ein
gewohnlicher Landarbeiter, meist ein sog. schlechter Kerl, Liederjahn,
unstet, versoffen, aber mit einem gewissen Unternehmungsgeist und
savoir-faire 1214 . Er wirbt den Gang, der unter ihm arbeitet, nicht unter dem
Pachter. Mit letztrem akkordiert er meist auf Stuckwerk, und sein
Einkommen, das im Durchschnitt nicht sehr hoch iiber das eines
gewohnlichen Landarbeiters steigt 1 2 ' 5 , hangt fast ganz ab vom Geschick,
2.Einzelne Gangmeister jedoch haben sich zu Pachtern von 500 Acres oder Besitzern ganzer
Hauserreihen heraufgearbeitet.
1. Charles Fourier, "Le nouveau monde industriel et societaire", Paris 1829, Abschnitt 5,
Erganzungen zu Kapitel 36 und Abschnitt 6, Resume.
2.»Die Hdlfte der Mddchen von Ludford ist ruiniert worden durch den Gang.« (I.e., Appendix,
p.6, n.32.)
l.»Das System hat sehr zugenommen in den letzten Jahren. In einigen Pldtzen ist es einst seit
kurzem eingefuhrt, in andren, wo es alter, werden mehr und jiingere Kinder in den Gang einrolliert. «
(I.e. p.79, n.174.)
2.»Kleine Pachter wenden die Gangarbeit nicht an.« »Sie wird nicht angewandt auf armem
Land, sondern auf Land, was 2 Pfd.St. bis 2 Pfd.St. 10 sh. Rente per Acre bringt.« (I.e. p. 17 u. 14.)
3. Einem dieser Herrn schmecken seine Renten so gut, daB er der Untersuchungskommission
entriistet erklart, der ganze Schrei sei nur dem Namen des Systems geschuldet. Wenn man es statt "Gang'
dahingegen "jugendliche industriell-agrikol-kooperative Selbsterhaltungsassoziation" taufe, so ware alles
all right.
4.»Gangarbeit ist wohlfeiler als andre Arbeit, das ist die Ursache, warum sie angewandt wird«,
sagt ein ehemaliger Gangmeister. (I.e. p. 17, n.14.) »Das Gangsystem ist entschieden das wohlfeilste fiir
den Pachter und ebenso entschieden das verderblichste fiir die Kinder«, sagt ein Pachter. (I.e. p. 16,
n.3.)
5.»Zweifelsohne vieles jetzt von den Kindern in Gdngen verrichtete Werk wurde frtiher von
Mannern und Weibern verrichtet. Wo Weiber und Kinder angewandt werden, sind jetzt mehr Manner
arbeitslos (more men are out of work) als fruher.e (I.e. p. 43, n.202.) Dagegen u.a.: »Die Arbeitsfrage
(labour question) in vielen Agrikulturdistrikten, besonders den kornproduzierenden, wird so ernsthaft
infolge der Auswanderung und der Leichtigkeit, welche die Eisenbahnen zur Entfernung nach den
grofien Stddten bieten, dafi ich [das "Ich" ist das des Landagenten eines groBen Herrn] die Kinderdienste
fiir absolut unentbehrlich halte.« (I.e. p. 80, n.180.) The Labour Question (die Arbeitsfrage) bedeutet
namlich in den englischen Agrikulturdistrikten, im Unterschied von der iibrigen zivilisierten Welt, the
landlords' and farmers' Question (Grundherren- und Pachterfrage): wie, trotz stets vermehrtem Abzug der
womit er in kurzester Zeit moglichst viel Arbeit aus seiner Bande fliissig zu
machen weiB. Die Pachter haben entdeckt, daB Frauenzimmer nur unter
mannlicher Diktatur ordentlich arbeiten, daB aber Frauenzimmer und
Kinder, wenn einmal im Zug, mit wahrem Ungestiim, was schon Fourier
wuBte, ihre Lebenskraft verausgaben, wahrend der erwachsne mannliche
Arbeiter so heimtuckich ist, damit, so viel er kann, hauszuhalten. Der
Gangmeister zieht von einem Gut zum andren und beschaftigt so seine
Bande 6-8 Monate im Jahr. Seine Kundschaft ist daher viel einti
eintraglicher und sicherer fur die Arbeiterfamilien als die des einzelnen
Pachters, welcher nur gelegentlich Kinder beschaftigt. Dieser Umstand
befestigt seinen EinfluB in den offnen Ortschaften so sehr, daB Kinder
meist nur durch seine Vermittlung dingbar sind. Individuelles Verpumpen
der letztren, getrennt vorn Gang, bildet sein Nebengeschaft.
Die "Schattenseiten" des Systems sind die Uberarbeit der Kinder und
Jungen Personen, die ungeheuren Marsche, die sie taglich zu und von den
5, 6 und manchmal 7 Meilen entfernten Gutern zuriicklegen, endlich die
Demoralisation des "Gangs". Obgleich der Gangmeister, der in einigen
Gegenden "the driver" (Treiber) heiBt, mit einem langen Stabe ausgeriistet
ist, wendet er solchen jedoch nur selten an, und Klage iiber brutale
Behandlung ist Ausnahme. Er ist ein demokratischer Kaiser oder eine Art
Rattenfanger von Hameln. Er bedarf also der Popularitat unter seinen
Untertanen und fesselt sie an sich durch das unter seinen Auspizien
bluhende Zigeunertum. Rohe Ungebundenheit, lustige Ausgelassenheit
und obszonste Frechheit leihen dem Gangs Flugel. Meist zahlt der
Gangmeister in einer Kneipe aus und kehrt dann wohl wankend, rechts
und links gesttitzt auf ein stammiges Frauenmensch, an der Spitze des
Zuges heim, die Kinder und jungen Personen hinterher tollend, Spott und
Zotenlieder singend. Auf dem Ruckweg ist das, was Fourier
"Phanerogamie" 1216 nennt, an der Tagesordnung. Die Schwangerung
dreizehn- und vierzehnjahriger Madchen durch ihre mannlichen
Altersgenossen ist haufig. Die offnen Dorfer, welche das Kontingent des
Gangs stellen, werden Sodoms und Gomorrhas 1217 und liefern doppelt
soviel uneheliche Geburten als der Rest des Konigreichs. Was in dieser
Schule gezuchtete Madchen als verheiratete Frauen in der Moralitat leisten,
ward schon friiher angedeutet. Ihre Kinder, soweit Opium ihnen nicht den
Garaus macht, sind geborne Rekruten des Gangs.
Der Gang in seiner eben beschriebenen klassischen Form heiBt
offentlicher, gemeiner oder Wandergang (pub he, common or tramping
gang). Es gibt namlich auch Privatgange (private gangs). Sie sind
zusammengesetzt wie der Gemeingang, zahlen aber weniger Kopfe und
arbeiten, statt unter dem Gangmeister, unter einem alten Bauernknecht,
den der Pachter nicht besser zu verwenden weiB. Der Zigeunerhumor
verschwindet hier, aber nach alien Zeugenaussagen verschlechtern sich
Zahlung und Behandlung der Kinder.
Das Gangsystem, das sich seit den letzten Jahren bestandig ausdehnt 1218 ,
existiert offenbar nicht dem Gangmeister zulieb. Es existiert zur
ioio loon
Bereicherung der groBen Pachter , resp. Grundherrn . Fiir den Pachter
gibts keine sinnreichere Methode, sein Arbeiterpersonal tief unter dem
normalen Niveau zu halten und dennoch fiir alles Extrawerk stets die
Extrahand bereit zu haben, mit moglichst wenig Geld moglichst viel Arbeit
herauszuschlagen 1221 und den erwachsnen mannlichen Arbeiter
"uberzahlig" zu machen. Nach der friiheren Auseinandersetzung versteht
man, wenn einerseits die groBere oder geringere Beschaftigungslosigkeit
des Landmanns zugestanden, andrerseits zugleich das Gangsystem wegen
Mangels an mannlicher Arbeit und ihrer Wanderung nach den Stadten fiir
"notwendig" erklart wird. 1222 Das unkrautreine Feld und das
Menschenunkraut von Lincolnshire usw. sind Pol und Gegenpol der
kapitalistischen Produktion . ' 2 2 3
6. Der friiher von mir zitierte "Public Health Report", worin bei Gelegenheit der Kindersterblichkeit
voriibergehend vom Gangsystem gehandelt wird, blieb der Presse und daher dem englischen Publikum
unbekannt. Dagegen bot der letzte Bericht der "Child. Empt. Comm." willkommenes "sensational"
PreBfutter. Wahrend die liberale Presse frug, wie doch die feinen Gentleman und Ladies und
Staatskirchpfrundner, womit Lincolnshire schwarmt, ein solches System auf ihren Gutern, unter ihren
f) Irland
Zum SchluB dieses Abschnitts miissen wir noch einen Augenblick nach
Irland wandern. Zunachst die Tatsachen, worauf es hier ankommt.
Irlands Bevolkerung war 1841 auf 8.222.664 Personen angewachsen, 1851
auf 6.623.985 zusammengeschmolzen, 1861 auf 5.850.309, 1866 auf 5Vi
Million, ungefahr auf ihr Niveau von 1801. Die Abnahme begann mit dem
Hungerjahr 1846, so daB Irland in weniger als 20 Jahren mehr als 5/^g
seiner Volksmenge verlor. 1224 Seine Gesamtemigration von Mai 1851 bis
Augen aufwachsen lassen konnten, Personagen, die eigne »Missionen zur Sittenverbesserung der
Siidseewilden« nach den Antipoden entsenden, stellte die feinere Presse ausschlieBlich Betrachtungen an
iiber die rohe Verdorbenheit der Landleute, die fahig sind, ihre Kinder in solche Sklaverei zu verkaufen!
Unter den fluchwiirdigen Umstanden, worin "die Delikateren" den Landmann gebannt, ware es erklarlich,
wenn er seine eignen Kinder aufaBe. Was wirklich wunderbar, ist die Charaktertiichtigkeit, die er
groBenteils bewahrt hat. Die offiziellen Berichterstatter beweisen, daB die Eltern selbst in den
Gangdistrikten das Gangsystem verabscheuen. »Man findet reichlichen Beweis in den von uns
gesammelten Zeugenaussagen, dafi die Eltern in vielen Fallen dankbar sein wiirden fiir ein
Zwangsgesetz, welches sie befdhigen wiirde, den Versuchungen und dem Druck zu widerstehn. denen
sie oft unterworfen sind. Bald treibt sie der Pfarreibeamte, bald der Anwender unter Androhung ihrer
eignen Entlassung, die Kinder auf den Verdienst, statt in die Schule zu schicken... Alle verwustete Zeit
und Kraft, alles Leid, welches aufierordentliche und nutzlose Ermudung fur den Landmann und seine
Familie produziert, jeder Fall, worin die Eltern den moralischen Ruin ihres Kindes auf die Uberfullung
der Cottages oder die besudelnden Einfliisse des Gangsystems zuriickleiten, stacheln in der Brust der
arbeitenden Armen Gefuhle auf, die man wohl verstehn wird, und die es unnotig ist zu detaillieren. Sie
haben ein Bewufitsein daruber, dafi ihnen viel korperliche und geistige Qual angetan wird durch
Umstande, wofiir sie in keiner Weise verantwortlich sind, welchen sie, ware es in ihrer Macht gewesen,
niemals ihre Zustimmung gegeben hiitten und wider welche anzukampfen sie ohnmachtig sind.« (I.e.
p.XX, n.82 und XXIII, n.96.)
l.Bevolkerung von Irland: 1801: 5.319.867 Personen, 1811: 6.084.996, 1821: 6.869.544, 1831:
7.828.347, 1841:8.222.664.
l.Das Ergebnis wiirde sich ungiinstiger stellen, wenn wir weiter zuriickgingen. So Schafe 1865:
3.688.742, aber 1856: 3.694.294, Schweine 1865: 1.299.893, aber 1858: 1.409.883.
l.Futterruben
2.Pastinakwurzeln
1. "Tenth Report of the Commissioners of Inland Revenue", Lond. 1866.
l.Das jahrliche Gesamteinkomrnen unter Rubrik D weicht hier von der vorigen Tabelle ab, wegen
gewisser gesetzlich zulassiger Abziige.
l.Die Angaben des Textes sind zusammengestellt aus dem Material der "Agricultural Statistics,
Ireland. General Abstracts", Dublin, fiir die Jahre 1860 sqq. und "Agricultural Statistics, Ireland. Tables
showing the Estimated Average Produce etc.", Dublin 1867. Man weiB. daB diese Statistik offiziell ist und
dem Parlament jahrlich vorgelegt wird.
Juli 1865 zahlte 1.591.487 Personen, die Emigration wahrend der letzten 5
Jahre 1861-1865 mehr als eine halbe Million. Die Zahl der bewohnten
Hauser verminderte sich von 1851-1861 urn 52.990. Von 1851-1861 wuchs
die Zahl der Pachthofe von 15-30 Acres urn 61.000, die der Pachthofe iiber
30 Acres um 109.000, wahrend die Gesamtzahl aller Pachten um 120.000
abnahm, eine Abnahme, die also ausschlieBlich der Vernichtung von
Pachten unter 15 Acres, alias ihrer Zentralisation geschuldet ist.
Die Abnahme der Volksmenge war naturlich im groBen und ganzen von
einer Abnahme der Produktenmasse begleitet. Fur unsren Zweck geniigt
es, die 5 Jahre 1861-1865 zu betrachten, wahrend deren iiber V2 Million
emigrierte und die absolute Volkszahl um mehr als V3 Million sank. (s.
Tab. A.)
Tabelle A
Vieh stand
Jahr
Pferde
Homvieh
1860
1861
1862
1863
1864
1865
Gesamtzahl
619.811
614.232
602.894
579.978
562.158
547.867
Abnahme
5.579
11.338
22.916
17.820
14.291
Gesamtzahl
3.606.374
3.471.688
3.254.890
3.144.231
3.262.294
3.493.414
Abnahme
134.686
216.798
110.659
Zunahme
118.063
231.120
Jahr
S chafe
Schweine
1860
1861
1862
1863
1864
1865
Gesamtzahl
3.542.080
3.556.050
3.456.132
3.308.204
3.366.941
3.688.742
Abnahme Zunahme
99.918
147.928
13.970
58.737
321.801
Gesamtzahl
1.271.072
1.102.042
1.154.324
1.067.458
1.058.480
1.299.893
Aus der vorhergehenden Tabelle ergibt sich:
Pferde Hornvieh Schafe
Absolute Absolute
Abnahme Abnahme Zunahme
Abnahme
169.030
86.866
8.978
Schweine
Absolute
Zunahme
Zunahme
52.282
241.413
Ab;
71.944
112.960
146.662
1225
28.821 1
Wenden wir uns jetzt zum Ackerbau, der die Lebensmittel fiir Vieh und
Mensch liefert. In der folgenden Tabelle ist Ab- oder Zunahme fiir edes
einzelne Jahr mit Bezug auf das unmittelbar vorhergehende berechnet. Die
Kornfrucht umfaBt Weizen, Hafer, Gerste, Roggen, Bohnen und Erbsen,
die Griinfrucht Kartoffeln, Turnips 1226 , Mangold- und Runkelriibe, Kohl,
gelbe Ruben, Parsnips 1227 , Wicke usw.
Tabelle B
Zu- oder Abnahme des zum Fruchtbau und als Wiese (resp. Weide)
benutzten Bodenareals in Acres
Korn-
Griinfrucht
Grasland
Flachs
Alles zu .
Ackerbau
frucht
und Klee
und Viehzucht
dienende Land
ahr Ab-
Ab - Zu-
Ab-
Zu-
Ab- Zu
Ab-
Zu-
nahme
nahme nahme
nahme
nahme
nahme nahme
nahme
nahme
861 15.701
36.974
47.969
19.271
81.373
862 72.734
74.785
6.623
2.055
138.841
863 144.719
19.358
7.724
63.922
92.431
864 122.437
2.317
47.486
87.761
10.493
865 72.450
25.421
68.970
50.159
28.218
1861-65 428.041
108.013
82.834
122.850
330.370
Im Jahr 1865 kamen unter der Rubrik "Grasland" 127.470 Acres hinzu,
hauptsachlich weil das Areal unter der Rubrik "unbenutztes wiistes Land
und Bog (Torfmoor)" um 101.543 Acres abnahm. Vergleichen wir 1865
mit 1864, so Abnahme in Kornfrucht 246.667 Qrs., wovon 48.999 Weizen,
166.605 Hafer, 29.892 Gerste usw.; Abnahme an Kartoffeln, obgleich das
Areal ihrer Bebauung 1865 wuchs, 446.398 Tonnen usw. (s. Tab. C.)
Von der Bewegung der Bevolkerung und Bodenproduktion Irlands gehn
wir iiber zur Bewegung in der Borse seiner Landlords, groBeren Pachter
und industriellen Kapitalisten. Sie spiegelt sich im Ab und Zu der
Einkommensteuer. Zum Verstandnis der folgenden Tabelle D sei bemerkt,
daB Rubrik D (Profite mit Ausnahme der Pachterprofite) auch sog.
"professionelle" Profite einbegreift, d.h. die Einkommen von Advokaten,
Arzten usw., die nicht besonders aufgezahlten Rubriken C und E aber die
Einnahmen von Beamten, Offizieren, Staatssinekuristen, Staatsglaubigern
usw.
Tabelle D
Der Einkommensteuer unterliegende Einkommen in Pfd.St. 122s
RubrikA 1860 1861 1862 1863 1864 1865
Grundrente 12.893.829 13.003.554 13.398.938 13.494.091 13.470.700 13.801.616
Rubrik B
Pachterprofite 2.765.387 2.773.644 2.937.899 2.938.823 2.930.874 2.946.072
Rubrik D
Industrielle
etc. Profite 4.891.652 4.836.203 4.858.800 4.846.497 4.546.147 4.850.199
Samtliche Ru-
brikenAbisE 22.962.885 22.998.394 23.597.574 23.658.631 23.236.298 23.930.340
Unter Rubrik D betrug die Zunahme des Einkommens im
Jahresdurchschnitt von 1853-1864 nur 0,93, wahrend sie in derselben
Periode in GroBbritannien 4,58 betrag. Die folgende Tabelle zeigt die
Verteilung der Profite (mit AusschluB der Pachterprofite) fiir die Jahre
1864 und 1865:
Tabelle E
Rubrik D. Einkommen aus Profiten (iiber 60 Pfd.St.) in Irland 1229
1864 1865
Verteilt Verteilt
Jahrliche Gesamteinnahme von 4.368.610 17.467
4.669.979 18.081
Jahrliche Einkommen iiber 60
und unter 100 Pfd. St 238.726 5.015 222.575 4.703
Von der jahrl. Gesamteinnahme 1. 979.066 11.321
2.150.818
2.028.571 12.184.
Rest der j ahrl. Gesamteinnahme von
2.418.833 1.194
1.073.906
1.076.912
Davon: 430.535
646.377
262.819
England, ein Land entwickelter kapitalistischer Produktion und
vorzugsweise industriell, ware verblutet an einem VolksaderlaB gleich dem
irischen. Aber Irland ist gegenwartig nur ein durch einen breiten
Wassergraben abgezaunter Agrikulturdistrikt Englands, dem es Korn,
Wolle, Vieh, industrielle und militarische Rekruten liefert.
1.010
121
95
26
3
1.097.927
1.320.906
584.458
736.448
274.528
1.131
1.044
150
122
28
3
Tabelle C
Zu- oder Abnahme in dem Areal des bebauten Bodens, dem Produkt per
Acre und dem Gesamtprodukt. 1865 verglichen mit 1864 1230
Zu- oder Ab-
Zu- oder Ab- Totalprodukt
Produkt Acres bebautes Land nahme 1865
Produkt per Acre nahme 1865
1 865 Zu- oder Abnahme 1 865
1864
1864
1865
1865
+
+
1864
+
Zentner
Zentner
Zentner Qrs.
Zentner
Qrs.
Weizen
Gerste
rs.
Qrs.
276.483
266.989
9.494
13,3
13,0
-
0,3 875.782
826.783
-
48.999
Hafer 1.814.886
1.745.228
-
69.658
12,1 12,3
0,2
-
7.826.332 7.659.727
166.605
172.700
177.102
4 402
15,9
14,9
-
1,0 761.909
732.017
8.894
-
29.892
Bere
16,4
14,8
-
1,6
15.160
13.989
-
1.171
Roggen
10.091
1.197
-
8,5
10,4
1,9
-
12.680
18.364
5.684
Tonnen
Tonnen
Tonnen
Tonnen
Tonnen
Tonnen
Tonnen
Tonnen
Kartoffeln
1.039.724
1.066.260
26.536
-
4,1
3,6
-
0,5 4.312.388
3.865.990
-
446.398
Turnips
337.355
334.212
-
3.143
10,3
9,9
-
0,4 3.467.659
3.301.683
-
165.976 Mangold-
wurzel
14.073
14.389
316
-
10,5
13.3
2,8
-
147.284
191.937
44.653
Kohl
31.821
33.622
1.801
_
9,3
10,4
1,1
-
297.375
350.252
52.877
-
Flachs
301.693
251.433
-
50.260
34,2*
25,2*
-
9.0*
64.506
39.561
-
24.945
Heu
1.609.569
1.678.493
68.924
-
1,6
1,8
0,2
■
2.607.153 3.068.707
461.554
*
Stones v.
14 Pfd.
Die Entvolkerang hat viel Land auBer Bebauung geworfen, das
.1231
Bodenprodukt sehr vermindert , und, trotz des erweiterten Areals der
l.Wenn das Produkt auch verhaltnismaBig pro Acre abnimmt, vergesse man nicht, daB England seit
l'/2 Jahrhunderten den Boden von Irland indirekt exportiert hat, ohne seinen Bebauern auch nur die Mittel
zum Ersatz der Bodenbestandteile zu gonnen.
l.Da Irland als das gelobte Land des "Bevolkerungsprinzipes" angesehn wird, erlieB Th. Sadler, vor
der Veroffentlichung seines Werks iiber Bevolkerung, sein beriihmtes Buch "Ireland, its Evils and their
Remedies", 2nd ed., London 1829, worin er durch Vergleichung der Statistik der einzelnen Provinzen, und
in jeder Provinz der einzelnen Grafschaften, nachweist, daB das Elend dort herrscht nicht, wie Malthus will,
im Verhaltnis zur Bevolkerungszahl, sondern im umgekehrten Verhaltnis zu ihr.
l.Fur die Zeit von 1851 bis 1874 belauft sich die Gesamtzahl der Auswanderer auf 2.325.922.
l.Note z. 2.Ausg. Nach einer Tabelle in Murphy s "Ireland, Industrial, Political, and Social", 1870,
bilden 94,6% des Bodens Pachten bis zu 100 acres und 5,4% Pachten iiber 100 acres.
1. "Reports from the Poor Law Inspectors on the wages of Agricultural Labourers in Ireland",
Dublin 1870. - Vgl. auch "Agricultural Labourers (Ireland) Return etc.", 8. March 1861.
l.l.c.p.29,1.
l.l.c.p.29, 1.
l.l.c. p.12.
l.l.c. p.25.
l.l.c. p.27.
2.p.26
3.p.l.
4.p.32
5.p.25.
l.p.30.
l.p.21, 13.
l.alte Bezeichnung fur Irland
l.Appreteur
2. "Reports of lnsp. of Fact, for 31st Oct. 1866", p. 96.
l.»Wie menschlich von solch' grofiem Herrn!« - stark abgewandelte Worte des Mephistopheles in
Goethes "Faust", "Prolog im Himmel".
l.Das Gesamtareal schlieBt auch "Torfmoor und wiistes Land" ein.
l.da der Appetit beim Essen kommt
2.Wie die Hungersnot und die von ihr herbeigefiihrten Umstande sowohl von den einzelnen
Grundeigentiimern als auch von der englischen Gesetzgebung planmaBig ausgebeutet wurden, um die
Agrikulturrevolution gewaltsam durchzusetzen und die Bevolkerung Irlands auf das den Landlords
zusagende MaB zu verdiinnen, werde ich in Buch III dieser Schrift, im Abschnitt iiber das Grundeigentum,
ausfuhrlicher nachweisen. Ich komme daselbst auch zuriick auf die Verhaltnisse der kleinen Pachter und
Landarbeiter. Hier nur ein Zitat. Nassau W. Senior sagt u.a. in seiner nachgelaBnen Schrift "Journals,
Conversations and Essays relating to Ireland", 2 vols., London 1868, v. II, p. 282: »Treffend bemerkte Dr.
G., wir haben unser Armengesetz, und es ist ein grofies Werkzeug, um den Landlords den Sieg zu
geben, ein andres ist die Emigration. Kein Freund Irlands kann wiinschen, dafi der Krieg [zwischen den
Landlords und den kleinen keltischen Pachtern] sich verlangere - noch weniger, dafi er mit dem Sieg der
Pachter ende... Je rascher er [dieser Krieg] voruber, je rascher Irland ein Weideland (grazing country)
wird mit der verhaltnismafi geringen Volkszahl, die ein Weideland erheischt, desto besser fur alle
Klassen.« Die englischen Korngesetze von 1815 sicherten Irland das Monopol der freien Korneinfuhr
Viehzucht, in einigen ihrer Zweige absolute Abnahme erzeugt, in andren
kaum nennenswerten, durch bestandige Riickschritte unterbrochnen
Fortschritt. Dennoch stiegen mit dem Fall der Volksmasse fortwahrend
Bodenrenten und Pachtprofite, obgleich letztere nicht so konstant wie die
erstren. Der Grand ist leicht verstandlich. Einerseits verwandelte sich mit
der Zusammenwerfung der Pachtungen und der Verwandlung von
Ackerland in Viehweide ein groBerer Teil des Gesamtprodukts in
Mehrprodukt. Das Mehrprodukt wuchs, obgleich das Gesamtprodukt,
wo von es einen Brachteil bildet, abnahm. Andrerseits stieg der Geldwert
dieses Mehrprodukts noch rascher als seine Masse, infolge der seit den
letzten 20 und ganz besonders seit den letzten 10 Jahren steigenden
englischen Marktpreise fur Fleisch, Wolle usw.
Zersplitterte Produktionsmittel, die den Produzenten selbst als
Beschaftigungs- und Subsistenzmittel dienen, ohne sich durch
Einverleibung fremder Arbeit zu verwerten, sind ebensowenig Kapital, als
das von seinem eigenen Produzenten verzehrte Produkt Ware ist. Wenn
mit der Volksmasse auch die Masse der in der Agrikultur angewandten
Produktionsmittel abnahm, so nahm die Masse des in ihr angewandten
Kapitals zu, weil ein Teil fruher zersplitterter Produktionsmittel in Kapital
verwandelt ward.
Das auBerhalb der Agrikultur, in Industrie und Handel angelegte
Gesamtkapital Irlands akkumulierte wahrend der letzten zwei Dezennien
langsam und unter bestandiger groBer Fluktuation. Um so rascher
entwickelte sich dagegen die Konzentration seiner individuellen
Bestandteile. Endlich, wie gering immerhin sein absolutes Wachstum,
relativ, im Verhaltnis zur zusammengeschmolzenen Volkszahl, war es
angeschwollen.
Hier entrollt sich also, unter unsren Augen, auf groBer Stufenleiter, ein
ProzeB, wie die orthodoxe Okonomie ihn nicht schoner wiinschen konnte
zur Bewahr ihres Dogmas, wonach das Elend aus absoluter Ubervolkerang
entspringt und das Gleichgewicht durch Entvolkerang wiederhergestellt
wird. Es ist dies ein ganz anders wichtiges Experiment als die von den
Malthusianern so sehr verherrlichte Pest in der Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts. Nebenbei bemerkt. War es an sich schulmeisterlich naiv, den
Produktions- und entsprechenden Bevolkerungsverhaltnissen des 19.
Jahrhunderts den MaBstab des 14. Jahrhunderts anzulegen, so ubersah
diese Naivetat noch obendrein, daB, wenn jener Pest und der sie
begleitenden Dezimation diesseits des Kanals, in England, Befreiung und
Bereicherung des Landvolks, ihr jenseits, in Frankreich, groBere
Knechtung und erhohtes Elend auf dem FuB nachfolgten. 1232
Die Hungersnot erschlug 1846 in Irland iiber eine Menschenmillion, aber
nur arme Teufel. Sie tat dem Reichtum des Landes nicht den geringsten
Abbruch. Der nachfolgende zwanzigjahrige und stets noch anschwellende
Exodus dezimierte nicht, wie etwa der DreiBigjahrige Krieg, mit den
Menschen zugleich ihre Produktionsmittel. Das irische Genie erfand eine
ganz neue Methode, ein armes Volk Tausende von Meilen vom Schauplatz
seines Elends wegzuhexen. Die in die Vereinigten Staaten ubergesiedelten
Auswanderer schicken jahrlich Geldsummen nach Haus, Reisemittel fur
die Zuriickgebliebenen. Jeder Trupp, der dieses Jahr auswandert, zieht
nachstes Jahr einen andren Trupp nach. Statt Irland etwas zu kosten, bildet
die Auswanderung so einen der eintraglichsten Zweige seines
Exportgeschaftes. Sie ist endlich ein systematischer ProzeB, der nicht etwa
voriibergehend ein Loch in die Volksmasse bohrt, sondern aus derselben
jahrhch mehr Menschen auspumpt, als der Nachwuchs ersetzt, so daB das
absolute Bevolkerungsniveau von Jahr zu Jahr sinkt. 1233
Welches waren die Folgen fur die zuriickbleibenden, von der
Ubervolkerung befreiten Arbeiter Irlands? DaB die relative Ubervolkerung
heute so groB ist wie vor 1846, daB der Arbeitslohn ebenso niedrig steht
und die Arbeitsplackerei zugenommen hat, daB die Misere auf dem Land
wieder zu einer neuen Krise drangt. Die Ursachen sind einfach. Die
Revolution in der Agrikultur hielt Schritt mit der Emigration. Die
Produktion der relativen Ubervolkerung hielt mehr als Schritt mit der
absoluten Entvolkerung. Ein Blick auf Tabelle B zeigt, wie die
Verwandlung von Ackerbau in Viehweide in Irland noch akuter wirken
muB als in England. Hier wachst mit der Viehzucht der Bau von
Griinfrucht, dort nimmt er ab. Wahrend groBe Massen friiher bestellter
Acker brachgelegt oder in permanentes Grasland verwandelt werden, dient
ein groBer Teil des friiher unbenutzten wiisten Landes und Torfmoors zur
Ausdehnung der Viehzucht. Die kleineren und mittleren Pachter - ich
rechne dazu alle, die nicht iiber 100 Acres bebauen - machen immer noch
ungefahr ^/\q der Gesamtzahl aus. 1234 Sie werden progressiv in ganz
andrem Grad als zuvor von der Konkurrenz des kapitalistisch betriebenen
Ackerbaus erdriickt und liefern daher der Klasse der Lohnarbeiter
bestandig neue Rekruten. Die einzige groBe Industrie Irlands, die
Leinenfabrikation, braucht verhaltnismaBig wenig erwachsne Manner und
beschaftigt iiberhaupt, trotz ihrer Expansion seit der Verteuerung der
Baumwolle 1861-1866, nur einen verhaltnismaBig unbedeutenden Teil der
Bevolkerung. Gleich jeder andren groBen Industrie produziert sie durch
stete Schwankungen in ihrer eignen Sphare bestandig eine relative
Ubervolkerung, selbst bei absolutem Wachstum der von ihr absorbierten
Menschenmasse. Die Misere des Landvolks bildet das Piedestal
riesenhafter Hemdenfabriken etc., deren Arbeiterarmee zum groBten Teil
iiber das flache Land zerstreut ist. Wir finden hier das friiher geschilderte
System der Hausarbeit wieder, welches in Unterzahlung und Uberarbeit
seine methodischen Mittel der "Uberzahligmachung" besitzt. Endlich,
obschon die Entvolkerung nicht so zerstorende Folgen hat wie in einem
Land entwickelter kapitalistischer Produktion, vollzieht sie sich nicht ohne
bestandigen Riickschlag auf den innern Markt. Die Liicke, welche die
Auswanderung hier schafft, verengert nicht nur die lokale
Arbeitsnachfrage, sondern auch die Einkiinfte der Kleinkramer,
Handwerker, kleinen Gewerbsleute iiberhaupt. Daher der Riickgang der
Einkommen zwischen 60 und 100 Pfd.St. in Tabelle E.
Eine durchsichtige Darstellung der Lage der landlichen Tagelohner in
Irland findet sich in den Berichten der irischen Armenverwaltungs-
Inspektoren (1870). 1235 Beamte einer Regierung, die sich nur durch die
Bajonette und den bald offnen, bald verhiillten Belagerungszustand halt,
miissen sie alle die Riicksichten der Sprache beobachten, die ihre Kollegen
in England verachten; trotzdem aber erlauben sie ihrer Regierung nicht,
sich in Illusionen zu wiegen. Nach ihnen hat sich die immer noch sehr
niedrige Lohnrate auf dem Lande in den letzten 20 Jahren doch um 50-
60% erhoht und steht jetzt im Durchschnitt auf 6-9 sh. die Woche. Hinter
dieser scheinbaren Erhohung aber verbirgt sich ein wirkliches Fallen des
Lohns, denn sie gleicht nicht einmal den inzwischen erfolgten
Preisaufschlag der notwendigen Lebensmittel aus; Beweis folgender
Auszug aus den amtlichen Rechnungen eines irischen Workhouse.
Wochendurchschnitt der Unterhaltungskosten pr. Kopf
Jahr Nahrung Kleidung Zusammen
29. Sept. 1848 bis 29. Sept. 1849 lsh.3V4d. sh. 3 d. 1st
29. Sept. 1868 bis 29. Sept. 1869 2 sh. TA d. sh. 6 d. 3 si
Der Preis der notwendigen Lebensmittel ist also beinah zweimal, und der
der Kleidung genau zweimal so hoch als vor zwanzig Jahren.
Selbst abgesehn von diesem MiBverhaltnis, ergabe bloBe Vergleichung der
in Geld ausgedriickten Lohnrate noch lange kein richtiges Resultat. Vor
der Hungersnot wurde die groBe Masse der landlichen Lohne in natura
entrichtet, in Geld nur der kleinste Teil; heute ist Geldzahlung Regel.
Schon daraus folgt, daB, welches auch die Bewegung des wirklichen
Lohns, seine Geldrate steigen muBte.
»Vor der Hungersnot besafi der Ackerbautagelohner ein Stiickchen Land,
woraufer Kartoffeln haute und Schweine und Gefliigel zog. Heutzutage
mufi er nicht nur alle seine Lebensmittel kaufen, sondern es entgehn ihm
auch die Einnahmen aus dem Verkaufvon Schweinen, Gefliigel und
Eiern.« 1236
In der Tat flossen friiher die Landarbeiter zusammen mit den kleinen
Pachtern und bildeten meistens nur den Nachtrab der mittleren und groBen
Pachtungen, auf denen sie Beschaftigung fanden. Erst seit der Katastrophe
von 1846 hatten sie angefangen, einen Bruchteil der Klasse reiner
Lohnarbeiter zu bilden, einen besonderen Stand, der mit seinen
Lohnherren nur noch durch Geldverhaltnisse verknupft ist.
Man weiB, was ihr Wohnungszustand von 1846 war. Seitdem hat er sich
noch verschlimmert. Ein Teil der Landtaglohner, der indes von Tag zu Tag
abnimmt, wohnt noch auf den Landereien der Pachter in uberfullten
Hutten, deren ScheuBlichkeiten das Schlimmste weit ubertreffen, das uns
die englischen Landdistrikte in dieser Art vorfuhrten. Und das gilt
allgemein, Mit Ausnahme einiger Striche von Ulster; im Siiden in den
Grafschaften Cork, Limerick, Kikenny etc.; im Osten in Wicklow,
Wexford etc.; im Zentrum in King's und Queen's County, Dublin etc.; im
Norden in Down, Antrim, Tyrone etc.; im Westen in Sligo, Roscommon,
Mayo, Galway etc. »Es ist«, raft einer der Inspektoren aus, »es ist eine
Schande fiir die Religion und die Zivilisation dieses Landes.« 1231 Um den
Taglohnern die Wohnlichkeit ihrer Hohlen ertraglicher zu machen,
konfisziert man systematisch die seit undenklicher Zeit dazugehorigen
Stiickchen Land.
»Das Bewufitsein dieser Art von Acht, in die sie von den Grundherrn und
ihren Verwaltern getan sind, hat bei den Landtag lohnern entsprechende
Gefiihle des Gegensatzes und Hasses hervorgerufen gegen die, welche sie
als eine rechtlose Race behandeln.« nn
Der erste Akt der Ackerbaurevolution war, auf allergroBtem MaBstab und
wie nach einem von oben gegebenen Losungswort, die auf dem
Arbeitsfeld gelegenen Hutten wegzufegen. Viele Arbeiter wurden so
gezwungen, in Dorfern und Stadten Schutz zu suchen. Dort warf man sie
wie Schund in Dachkammern, Locher, Keller und in die Schlupfwinkel der
schlechtesten Viertel. Tausende irischer Familien, die sich selbst nach dem
Zeugnis von in nationalen Vorarteilen befangnen Englandern durch ihre
seltne Anhanglichkeit an den heimischen Herd, durch ihre sorglose
Heiterkeit und durch hausliche Sittenreinheit auszeichneten, fanden sich so
plotzlich verpflanzt in die Treibhauser des Lasters. Die Manner mussen
jetzt Arbeit suchen bei benachbarten Pachtern und werden nur auf den Tag
gemietet, also in der prekarsten Lohnform; dabei
»haben sie jetzt weite Wege zur Pachtung und zuriick zu machen, oft nafi
wie die Ratten und andren Umbilden ausgesetzt, die haufig
Abschwdchung, Krankheit und damit Mangel herbeifuhren« ny
»Die Stadte hatten Jahr um Jahr aufzunehmen, was als Uberschufi von
Arbeitern in den Landdistrikten galt« 1240 , und dann wundert man sich
noch, »dafi in den Stadten und Dorfern Uberschufi, und auf dem Lande
Mangel an Arbeitern herrscht!« lul Die Wahrheit ist, daB dieser Mangel
nur fuhlbar wird »zur Zeit dringlicher Ackerbauarbeiten, im Friihjahr
und Herbst, wahrend den Rest des Jahres viele Hdnde miifiig
bleiben« 1242 ; daB »nach der Ernte, vom Oktober bis zum Friihling, es
kaum Beschdftigung fiir sie gibt« ul und daB sie auch wahrend der
beschaftigten Zeit »haufig ganze Tage verlieren und
Arbeitsunterbrechungen alter Art ausgesetzt sind« llii
Diese Folgen der agrikolen Revolution, d.h. der Verwandlung von
Ackerland in Viehweide, der Anwendung von Maschinerie, der strengsten
Arbeitsersparung etc. - werden noch verscharft durch die Muster-
Grundherren, solche, die, statt ihre Renten im Ausland zu verzehren, so
gnadig sind, in Irland auf ihren Domanen zu wohnen. Damit das Gesetz
von Nach frage und Angebot ganz ungekrankt bleibe, Ziehen diese Herren
»jetztfast ihren ganzen Arbeitsbedarf aus ihren kleinen Pdchtern, die so
gezwungen sind, fur ihre Grundherrn zu schanzen fur einen im
allgemeinen geringeren Lohn als der der gewohnlichen Taglohner, und
das ohne alle Riicksicht auf die Unbequemlichkeiten und Verluste, die
daraus entstehn, dafi sie zur kritischen Zeit der Saat oder Ernte ihre
eignen Felder vernachlassigen mussen« u .
Die Unsicherheit und UnregelmaBigkeit der Beschaftigung, die haufige
Wiederkehr und lange Dauer der Arbeitsstockungen, alle diese Symptome
einer relativen Ubervolkerung figurieren also in den Berichten der
Armenverwaltungs-Inspektoren als ebensoviel Beschwerden des irischen
Ackerbauproletariats. Man erinnert sich, daB wirbeim englischen
Landproletatiat ahnlichen Erscheinungen begegnet sind. Aber der
Unterschied ist, daB in England, einem industriellen Lande, die industrielle
Reserve sich auf dem Lande rekrutiert, wahrend in Irland, einem
Ackerbauland, die Ackerbaureserve sich in den Stadten, den
Zufluchtsorten der vertriebenen Landarbeiter, rekrutiert. Dort verwandeln
sich die Uberzahligen des Landbaus in Fabrikarbeiter; hier bleiben die in
die Stadte Gejagten, wahrend sie gleichzeitig auf den stadtischen Lohn
driicken, Landarbeiter und werden bestandig aufs Land auf Arbeitsuche
zuriickgeschickt.
Die amtlichen Berichterstatter fassen die materielle Lage der
Ackerbautaglohner zusammen, wie folgt:
»Obwohl sie mit der aufiersten Frugalitdt leben, reicht ihr Lohn dock
kaum hin, ihnen und ihren Familien Nahrung und Wohnung zu
bestreiten; fur Kleidung bediirfen sie weiterer Einnahmen... Die
Atmosphdre ihrer Wohnungen, im Verein mit andern Entbehrungen, setzt
diese Klasse in ganz besondrem Grade dem Typhus und der
Schwindsucht aus.« 1246
Hiernach ist es kein Wunder, daB, nach dem einstimmigen Zeugnis der
Berichterstatter, ein finstres MiBvergniigen die Reihen dieser Klasse
durchdringt, daB sie die Vergangenheit zuriickwunscht, die Gegenwart
verabscheut, an der Zukunft verzweifelt, »sich den verwerflichen
Einflussen von Demagogen hingibt« und nur die eine fixe Idee hat, nach
Amerika auszuwandern. Das ist das Schlaraffenland, worin das groBe
malthusische Allerweltsheilmittel, die Entvolkerung, das griine Erin 1247
verwandelt hat!
Welches Wohlleben die irischen Manufakturarbeiter fiihren, dafiir geniigt
ein Beispiel:
»Bei meiner neulichen Inspektion des Nordens von Irland«, sagt der
englische Fabrikinspektor Robert Baker, »frappierte mich die Bemiihung
eines geschickten irischen Arbeiters, aus den allerdurftigsten Mitteln
seinen Kindern Erziehung zu verschaffen. Ich gebe seine Aussage
wortlich, wie ich sie aus seinem Mund erhielt. Dafi er eine geschickte
Fabrikhand, weifi man, wenn ich sage, dafi man ihn zu Artikeln fur den
Manchester Markt verwendet. Johnson: Ich bin ein beetler na und
arbeite von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr in die Nacht, von Montag bis
Freitag; Samstag endigen wir um 6 Uhr abends und haben 3 Stunden fur
Mahlzeit und Erholung. Ich habe 5 Kinder. Fur diese Arbeit erhalte ich
10 sh. 6 d. wochentlich; meine Frau arbeitet auch und verdient 5 sh. die
Woche. Das alteste Madchen, zwolfjahrig, wartet das Haus. Sie ist unsre
Kochin und einzige Gehilfin. Sie macht die jiingeren zur Schule fertig.
Meine Frau steht mit mir aufund geht mit mirfort. Ein Madchen,
welches unser Haus entlanggeht, weckt mich um halb 6 Uhr morgens. Wir
essen nichts, bevor wir zur Arbeit gehn. Das zwolfjahrige Kind sorgtfur
die Kleineren des Tags iiber. Wir fruhstucken um 8 und gehn dazu nach
Hause. Wir haben Tee einmal die Woche; sonst haben wir einen Brei
(stirabout), manchmal von Hafermehl, manchmal von Maismehl, je
nachdem wiffahig sind, es zu beschaffen. Im Winter haben wir ein wenig
Zucker und Wasser zu unsrem Maismehl. Im Sommer ernten wir einige
Kartojfeln, womit wir selbst ein Bodenfetzchen bepflanzen, und wenn sie
zu Ende sind, kehren wir zum Brei zurtick. So geht's tagaus, tagein,
Sonntag und Werkeltag, das ganze Jahr durch. Ich bin stets sehr miide
des Abends nach vollbrachtem Tagwerk. Einen Bissen Fleisch sehn wir
ausnahmsweis, aber sehr selten. Drei unsrer Kinder besuchen Schule,
wofiir wir 1 d. per Kopfwochentlich zahlen. Unsre Hausmiete ist 9 d. die
Woche, Torfund Feuerung kosten mindestens 1 sh. 6 d.
vierzehntagig. « 1249
Das sind irische Lohne, das ist irisches Leben!
In der Tat, das Elend Irlands ist wieder Tagesthema in England. Ende 1866
und Anfang 1867 machte sich in der Times' einer der irischen
Landmagnaten, Lord Dafferin, an die Losung. »Wie menschlich von solch'
grofiem Herrn!« ' 2 5 °
Aus Tabelle E sah man, daB wahrend 1864 von 4.368.610 Pfd.St.
Gesamtprofit 3 Plusmacher nur 262.819, dieselben 3 Virtuosen der
"Entsagung" 1865 von 4.669.979 Pfd.St. Gesamtprofit dagegen 274.528
Pfd.St. einsteckten, 1864: 26 Plusmacher 646.377 Pfd.St., 1865: 28
Plusmacher 736.448 Pfd.St, 1864: 121 Plusmacher 1.076.912 Pfd.St., 1865:
150 Plusmacher 1.320.906 Pfd. St., 1864: 1.131 Plusmacher 2.150.818
Pfd.St., beinahe die Halfte des jahrlichen Gesamtprofits, 1865: 1.194
Plusmacher 2.418.833 Pfd.St., mehr als die Halfte des jahrlichen
Gesamtprofits. Der Lowenanteil aber, welchen eine verschwindend kleine
Anzahl Landmagnaten in England, Schottland und Irland vom jahrlichen
Nationalrental verschlingt, ist so monstros, daB die englische
Staatsweisheit es angemessen findet, fur die Verteilung der Grundrente
nicht dasselbe statistische Material zu liefern wie fur die Verteilung des
Profits. Lord Dufferin ist einer dieser Landmagnaten. DaB Ren tro lien und
Profite jemals "uberzahlig" sein konnen oder daB ihre Plethora mit der
Plethora des Volkselends irgendwie zusammenhangt, ist natiirUch eine
ebenso "irrespektable" als "ungesunde" (unsound) Vorstellung. Er halt sich
an Tatsachen. Die Tatsache ist, daB, wie die irische Volkszahl abnimmt, die
irischen Rentrollen schwellen, daB die Entvolkerung dem
Grundeigentiimer wohltut", also auch dem Grand und Boden, also auch
dem Volk, das nur Zubehor des Bodens. Er erklart also, Irland sei immer
noch ubervolkert und der Strom der Emigration flieBe stets noch zu trag.
Um vollstandig gliicldich zu sein, miisse Irland wenigstens noch V3
Million Arbeitsmenschen ablassen. Man wahne nicht, dieser obendrein
noch poetische Lord sei ein Arzt aus der Schule Sangrados, der, sooft er
seinen Kranken nicht besser fand, AderlaB verordnete, neuen AderlaB, bis
der Patient mit seinem Blut auch seine Krankheit verlor. Lord Dufferin
verlangt einen neuen AderlaB von nur V3 Million, statt von ungefahr 2
Millionen, ohne deren AblaB in der Tat das Millennium in Erin nicht
herstellbar ist. Der Beweis ist leicht geliefert.
Anzahl und Umfang der Pachten in Irland 1864
1
Pachten nicht
Pachten iiber 1,
iiber 1 Acre
nicht iiber 5 Acres
Acres
Anzahl Acres
Anzahl Acres
48.653 25.394
82.037 288.916
3.051.343
5
6
Pachten iiber 30.
Pachten iiber 50.
3 4
Pachten aber 5, Pachten iiber 15,
nicht iiber 15 Acres nicht iiber 30
Anzahl Acres Anzahl
176.368 1.836.310 136.578
Acres
8
Pachten
Gesamtareal
iiber lOOAcres
Acres
8.227.807
nicht iiber 50 Acres nicht iiber 100 Acres
Anzahl Acres Anzahl Acres Anzahl Acres
71.961 2.906.274 54.247 3.983.880 31.927
Die Zentralisation hat von 1851 bis 1861 hauptsachlich Pachten der ersten
drei Kategorien, unter 1 und nicht iiber 15 Acres, vernichtet. Sie miissen
vor allem verschwinden. Dies gibt 307.058 "uberzahlige" Pachter, und die
Familie zum niedrigen Durchschnitt von 4 Kopfen gerechnet, 1.228.232
20.:
Personen. Unter der extravaganten Unterstellung, daB X A davon nach
vollbrachter agrikoler Revolution wieder absorbierbar, bleiben
auszuwandern: 921.174 Personen. Die Kategorien 4, 5, 6, von iiber 15 und
nicht iiber 100 Acres, sind, wie man langst in England weiB, fiir den
kapitalistischen Kornbau zu klein, fiir Schafzucht aber fast
verschwindende GroBen. Unter denselben Unterstellungen wie vorher sind
also fernere 788.761 Personen auszuwandern, Summe: 1.709.532. Und,
comme l'appetit vient en mangeant 1252 , werden die Augen der Rentrolle
bald entdecken, daB Irland mit 3Vi Millionen immer noch elend, und elend,
weil iibervolkert ist, also seine Entvolkerung noch viel weiter gehn muB,
damit es seinen wahren Beruf erfiille, den einer englischen Schaftrift und
Viehweide. 1253
Diese einbringliche Methode hat wie alles Gute in dieser Welt ihren
MiB stand. Mit der Akkumulation der Grundrente in Irland halt Schritt die
Akkumulation der Irlander in Amerika. Der durch Schaf und Ochs
beseitigte Ire ersteht auf der andren Seite des Ozeans als Fenier 1254 . Und
gegeniiber der alten Seekonigin erhebt sich drohend und drohender die
junge Riesenrepublik.
1. Fenier - kleinbiirgerliche irische Revolutionare. Die ersten Fenier-Organisationen entstanden
1857 in Irland und in den USA, wo sie die irischen Emigranten vereinten. Das Programm und die Tatigkeit
der Fenier brachten den Protest der Volksmassen Irlands gegen das englische Kolonialjoch zum Ausdruck.
Die Fenier forderten nationale Unabhangigkeit fiir ihr Land, die Errichtung einer demokratischen Republik,
die Verwandlung der Pachtbauern in Eigentiimer des von ihnen bearbeiteten Landes u.a.; ihr politisches
Programm gedachten sie mit Hilfe eines bewaffneten Aufstands durchzusetzen. Ihre Verschworertatigkeit
war ohne Erfolg. Ende der sechziger Jahren waren die Fenier Massenrepressalien ausgesetzt. In den
siebziger Jahren geriet die Bewegung in Verfall.
l.»Acerba fata Romanos agunt scelusque fraternae necis« (»Hartes Schicksal plagt die Romer
und das Verbrechen des Brudermords«) - Horaz, Epode 7.
l.des Eigentums
l.In Italien, wo die kapitalistische Produktion sich am friihsten entwickelt, findet auch die
Auflosung der Leibeigenschaftsverhaltnisse am friihsten statt. Der Leibeigne wird hier emanzipiert, bevor
er irgendein Recht der Verjahrung an Grund und Boden gesichert hat. Seine Emanzipation verwandelt ihn
also sofort in einen vogelfreien Proletarier, der uberdem in den meist schon aus der Romerzeit
uberlieferten Stadten die neuen Herren fertig vorfindet. Als die Revolution des Weltmarkts* seit Ende des
15Jahrhunderts die Handelssuprematie Norditaliens vernichtete, entstand eine Bewegung in umgekehrter
Richtung. Die Arbeiter der Stadte wurden massenweise aufs Land getrieben und gaben dort der nach Art des
Gartenbaus getriebnen, kleinen Kultur einen nie gesehenen Aufschwung.
Acerba fata Romanos agunt
Vierundzwanzigstes Kapital
Die sogenannte urspriingliche Akkumulation
1. Das Geheimnis der urspriinglichen Akkumulation
Man hat gesehn, wie Geld in Kapital verwandelt, durch Kapital Mehrwert
und aus Mehrwert mehr Kapital gemacht wird. Indes setzt die
Akkumulation des Kapitals den Mehrwert, der Mehrwert die kapitalistische
Produktion, dieser aber das Vorhandensein groBerer Massen von Kapital
und Arbeitskraft in den Handen von Warenprouzenten voraus. Diese
ganze Bewegung scheint sich also in einem fehlerhaften Kreislauf
herumzudrehn, aus dem wir nur hinauskommen, indem wir eine der
kapitalistischen Akkumulation vorausgehende "urspriingliche"
Akkumulation ("previous accumulation" bei Adam Smith) unterstellen,
eine Akkumulation, welche nicht das Resultat der kapitalistischen
Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt.
Diese urspriingliche Akkumulation spielt in der politischen Okonomie
ungefahr dieselbe Rolle wie der Sundenfall in der Theologie. Adam biB in
den Apfel, und damit kam iiber das Menschengeschlecht die Siinde. Ihr
Ursprung wird erklart, indem er als Anekdote der Vergangenheit erzahlt
wird. In einer langst verfloBnen Zeit gab es auf der einen Seite eine fleiBige,
intelligente und vor allem sparsame Elite und auf der andren faulenzende,
ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen. Die Legende vom theologischen
Sundenfall erzahlt uns allerdings, wie der Mensch dazu verdammt worden
sei, sein Brot im SchweiB seines Angesichts zu essen; die Historie vom
okonomischen Sundenfall aber enthiillt uns, wieso es Leute gibt, die das
keineswegs notig haben. Einerlei. So kam es, daB die ersten Reichtum
akkumulierten und die letztren schlieBlich nichts zu verkaufen hatten als
ihre eigne Haut. Und von diesem Sundenfall datiert die Armut der groBen
Masse, die immer noch, aller Arbeit zum Trotz, nichts zu verkaufen hat als
sich selbst, und der Reichtum der wenigen, der fortwahrend wachst,
obgleich sie langst aufgehort haben zu arbeiten. Solche fade Kinderei kaut
Herr Thiers z.B. noch mit staatsfeierlichem Ernst, zur Verteidigung der
propriete 1256 , den einst so geistreichen Franzosen vor. Aber sobald die
Eigentumsfrage ins Spiel kommt, wird es heilige Pflicht, den Standpunkt
der Kinderfibel als den alien Altersklassen und Entwicklungsstufen allein
gerechten festzuhalten. In der wirklichen Geschichte spielen bekanntlich
Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die groBe Rolle. In der
sanften politischen Okonomie herrschte von jeher die Idylle. Recht und
"Arbeit" waren von jeher die einzigen Bereicherungsmittel, natiirlich mit
jedesmaliger Ausnahme von "diesem Jahr". In der Tat sind die Methoden
der urspriinglichen Akkumulation alles andre, nur nicht idyllisch.
Geld und Ware sind nicht von vornherein Kapital, sowenig wie
Produktions- und Lebensmittel. Sie bedurfen der Verwandlung in Kapital.
Diese Verwandlung selbst aber kann nur unter bestimmten Umstanden
vorgehn, die sich dahin zusammenspitzen: Zweierlei sehr verschiedne
Sorten von Warenbesitzern miissen sich gegeniiber und in Kontakt treten,
einerseits Eigner von Geld, Produktions- und Lebensmitteln, denen es gilt,
die von ihnen geeignete Wertsumme zu verwerten durch Ankauf fremder
Arbeitskraft; andrerseits freie Arbeiter, Verkaufer der eignen Arbeitskraft
und daher Verkaufer von Arbeit. Freie Arbeiter in dem Doppelsinn, daB
weder sie selbst unmittelbar zu den Produktionsmitteln gehoren, wie
Sklaven, Leibeigne usw., noch auch die Produktionsmittel ihnen gehoren,
wie beim selbstwirtschaftenden Bauer usw., sie davon vielmehr frei, los
und ledig sind. Mit dieser Polarisation des Warenmarkts sind die
Grundbedingungen der kapitalistischen Produktion gegeben. Das
Kapitalverhaltnis setzt die Scheidung zwischen den Arbeitern und dem
Eigentum an den Verwirklichungsbedingungen der Arbeit voraus. Sobald
die kapitalistische Produktion einmal auf eignen FuBen steht, erhalt sie
nicht nur jene Scheidung, sondern reproduziert sie auf stets wachsender
Stufenleiter. Der ProzeB, der das Kapitalverhaltnis schafft, kann also nichts
andres sein als der ScheidungsprozeB des Arbeiters vom Eigentum an
seinen Arbeitsbedingungen, ein ProzeB, der einerseits die
gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsmittel in Kapital verwandelt,
andrerseits die unmittelbaren Produzenten in Lohnarbeiter. Die sog.
urspriingliche Akkumulation ist also nichts als der historische
ScheidungsprozeB von Produzent und Produktionsmittel. Er erscheint als
"urspriinglich", weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm
entsprechenden Produktionsweise bildet.
Die okonomische Struktur der kapitalistischen Gesellschaft ist
hervorgegangen aus der okonomischen Struktur der feudalen Gesellschaft.
Die Auflosung dieser hat die Elemente jener freigesetzt.
Der unmittelbare Produzent, der Arbeiter, konnte erst dann iiber seine
Person verfugen, nachdem er aufgehort hatte, an die Scholle gefesselt und
einer andern Person leibeigen oder horig zu sein. Um freier Verkaufer von
Arbeitskraft zu werden, der seine Ware iiberall hintragt, wo sie einen Markt
findet, muBte er ferner der Herrschaft der Ziinfte, ihren Lehrlings- und
Gesellenordnungen und hemmenden Arbeitsvorschriften entronnen sein.
Somit erscheint die geschichtliche Bewegung, die die Produzenten in
Lohnarbeiter verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von Dienstbarkeit
und Zunftzwang; und diese Seite allein existiert fiir unsre biirgerlichen
Geschichtschreiber. Andrerseits aber werden diese Neubefreiten erst
Verkaufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle
durch die alten feudalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer Existenz
geraubt sind. Und die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist in die
Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zugen von Blut und Feuer.
Die industriellen Kapitalisten, diese neuen Potentaten, muBten ihrerseits
nicht nur die zunftigen Handwerksmeister verdrangen, sondern auch die
im Besitz der Reichtumsquellen befindlichen Feudalherren. Von dieser
Seite stellt sich ihr Emporkommen dar als Frucht eines siegreichen
Kampfes gegen die Feudalmacht und ihre emporenden Vorrechte sowie
gegen die Ziinfte und die Fesseln, die diese der freien Entwicklung der
Produktion und der freien Ausbeutung des Menschen durch den
Menschen angelegt. Die Ritter von der Industrie brachten es jedoch nur
fertig, die Ritter vom Degen zu verdrangen, dadurch, daB sie Ereignisse
ausbeuteten, an denen sie ganz unschuldig waren. Sie haben sich
emporgeschwungen durch Mittel, ebenso gemein wie die, wodurch der
romische Freigelassene sich einst zum Herrn seines patronus gemacht hat.
Der Ausgangspunkt der Entwicklung, die sowohl den Lohnarbeiter wie
den Kapitalisten erzeugt, war die Knechtschaft des Arbeiters. Der Fortgang
bestand in einem Formwechsel dieser Knechtung, in der Verwandlung der
feudalen in kapitalistische Exploitation. Um ihren Gang zu verstehn,
brauchen wir gar nicht so weit zuriickzugreifen. Obgleich die ersten
Anfange kapitalistischer Produktion uns schon im 14. und 15. Jahrhundert
in einigen Stadten am Mittelmeer sporadisch entgegentreten, datiert die
kapitalistische Ara erst vom 16. Jahrhundert. Dort, wo sie auftritt, ist die
Aufhebung der Leibeigenschaft langst vollbracht und der Glanzpunkt des
Mittelalters, der Bestand souveraner Stadte, seit geraumer Zeit im
Erbleichen.
Historisch epochemachend in der Geschichte der urspriinglichen
Akkumulation sind alle Umwalzungen, die der sich bildenden
Kapitalistenklasse als Hebel dienen; vor allem aber die Momente, worin
groBe Menschenmassen plotzlich und gewaltsam von ihren
Subsistenzmitteln losgerissen und als vogelfreie Proletarier auf den
Arbeitsmarkt geschleudert werden. Die Expropriation des landlichen
Produzenten, des Bauern, von Grand und Boden bildet die Grundlage des
ganzen Prozesses. Ihre Geschichte nimmt in verschiedenen Landern
verschiedene Farbung an und durchlauft die verschiedenen Phasen in
verschiedener Reihenfolge und in verschiedenen Geschichtsepochen. Nur
in England, das wir daher als Beispiel nehmen, besitzt sie klassische
Form. 1257
2. Expropriation des Landvolks von Grand und Boden
In England war die Leibeigenschaft im letzten Teil des 14Jahrhunderts
faktisch verschwunden. Die ungeheure Mehrzahl der Bevolkerang 1258
l.»Die kleinen Grundeigentiimer, die ihre eignen Felder mit eigner Hand bebauten und eines
bescheidnen Wohlstands sich erfreuten, ... bildeten damals einen weit wichtigeren Teil der Nation als
jetzt... Nicht weniger als 160.000 Grundeigentiimer, die mit ihren Familien mehr als /j der
Gesamtbevolkerung ausgemicht haben miissen, lebten von der Bewirtschaftung ihrer kleinen Freehold
Hufen [Freehold ist vollfreies Eigentum]. Das Durchschnittseinkommen dieser kleinen Grundbesitzer ...
wird auf 60 bis 70 Pfd.St. geschatzt. Es wurde berechnet, dafi die Zahl derer, die ihren eignen
Grundbesitz bebauten, grofier war als die der Pdchter auf fremdem Boden. « (Macaulay, "Hist, of
England", 10th ed., London 1854, 1, p. 333-334.) - Noch im letzten Drittel des 17Jahrhundert waren /g der
englischen Volksmasse agrikol (I.e. p. 413). - Ich zitiere Macaulay, weil er als systematischer
Geschichtsfalscher derartige Tatsachen moglichst "beschneidet".
2.Man muB nie vergessen, daB selbst der Leibeigne nicht nur Eigentiimer, wenn auch
tributpflichtiger Eigentiimer, der zu seinem Haus gehorigen Bodenparzellen war, sondern auch
Miteigentiimer des Gemeindelandes. »Der Bauer ist dort [in Schlesien] Leibeigener.«
Nichtsdestoweniger besitzen diese serfs [Leibeigenen] Gemeindegiiter. »Man konnte bisher die Schlesier
noch nicht zur Teilung des Gemeindelandes veranlassen, wdhrend es in der Neumark kaum ein Dorf
gibt, in dem diese Teilung nicht mit grofitem Erfolg durchgefiihrt warden ware.« (Mirabeau, "De la
Monarchie Prussienne", Londres 1788, t. II, p. 125, 126.)
3. Japan, mit seiner rein feudalen Organisation des Grundeigentums und seiner entwickelten
Kleinbauernwirtschaft, liefert ein viel treueres Bild des europaischen Mittelalters als unsre samtlichen,
meist von biirgerlichen Vorurteilen diktierten Geschichtsbiicher. Es ist gar zu bequem, auf Kosten des
Mittelalters "liberal" zu sein.
1. James Steuart, "An inquiry into the principles of political oeconomy", Bd. 1, Dublin 1770, S.52.
l."Reichtum der Nation"
l.In seiner "Utopia" spricht Thomas Moras von dem sonderbaren Land, wo "Schafe die Menschen
auffressen". ("Utopia", transl. Robinson, cd. Arber, London 1869, p. 41.)
l.Baco setzt den Zusammenhang zwischen einer freien wohlhabenden Bauerschaft und guter
Infanterie auseinander. »Es war dies wundervoll wichtig fiir die Macht und Haltung des Konigreichs,
Pachtung zu haben von genugendem Mafi, um tiichtige Manner aufier Not zu halten, und einen grojien
Teil des Bodens des Konigreichs festzubinden im Besitz der Yeomanry oder von Leuten mittlerer Lage
zwischen Edelleuten und Hduslern (cottagers) und Bauernknechten... Denn es ist die allgemeine
Meinung der kompetentesten Kriegskenner.... dafi die Hauptstdrke einer Armee in der Infanterie oder
dem Fufivolk besteht. Aber um eine gute Infanterie zu bilden, braucht man Leute, die nicht in serviler
oder durftiger Weise, sondern frei und in einer gewissen Wohlhabenheit aufgewachsen sind. Wenn ein
Staat daher allzumeist in Edelleute und feine Herren ausschlagt, wdhrend Landleute und Pfliiger
deren blofies Arbeitsvolk oder Ackerknechte sind oder auch Hausler, d.h. behauste Bettler, mogt ihr
eine gute Reiterei haben, aber niemals gutes standhaftes Fufivolk... Man sieht dies in Frankreich und
Italien und einigen andren auswartigen Gegenden, wo in der Tat alles Adel oder elende Bauerschaft...
so sehr, dafi sie gezwungen sind, Lohnbanden von Schweizern u. dgl. fiir ihre Infanteriebataillone
anzuwenden: woher es auch kommt, dafi diese Nationen viel Volk und wenig Soldaten haben. « ("The
Reign of Henry VII etc. Verbatim Reprint from Kennet's England, ed. 1719", Lond. 1870, p. 308.)
l.Dr. Hunter, I.e. p. 134. - »Die Menge Land, die [in den alten Gesetzen] zugewiesen wurde,
wiirde heutefur zu grofi gehalten werden fiir Arbe iter und eher als dazu geeignet, sie in kleine Pachter
zu verwandeln.« (George Roberts, "The Social History of the People of the Southern Counties of England
in past centuries", Lond. 1856, p. 184.)
l.»Das Recht der Armen, an den Kirchenzehnten beteiligt zu werden, ist durch alte Satzungen
festgelegt.« (Tuckett, I.e., v. II, p.804, 805.)
2.»Pauper ubique jacet« (» Der Anne ist uberall unterjocht«) - aus Ovids Werk "Fasti" Buch 1,
Vers 218.
1. William Cobbett, "A History of the Protestant Reformation", § 471.
1.4. Gesetz ans dem 16. Regierungsjahr Karls 1.
2.Den protestantischen "Geist" ersieht man u.a. aus folgendem. Im Siiden Englands steckten
verschiedne Grundeigentiimer und wohlhabende Pachter die Kopfe zusammen und setzten iiber die richtige
Interpretation des Armengesetzes der Elisabeth 10 Fragen auf, welche sie einem beriihmten Juristen jener
Zeit, Sergeant Snigge (spater Richter unter Jakob 1.), zum Gutachten vorlegten. »Neunte Frage: Einige
der reichen Pachter der Pfarrei haben einen klugen Plan ausgeheckt, wodurch alle Wirre in Ausubung
des Akts beseitigt werden kann. Sie schlagen den Bau eines Gefangnisses in der Pfarrei vor. Jedem
bestand damals und noch mehr im 15Jahrhundert aus freien,
selbstwirtschaftenden Bauern, durch welch feudales Aushangeschild ihr
Eigentum immer versteckt sein mochte. Auf den groBeren herrschaftlichen
Giitern war der friiher selbst leibeigne bailiff (Vogt) durch den freien
Pachter verdrangt. Die Lohnarbeiter der Agrikultur bestanden teils aus
Bauern, die ihre MuBezeit durch Arbeit bei groBen Grundeigentiimern
verwerteten, teils aus einer selbstandigen, relativ und absolut wenig
zahlreichen Klasse eigentlicher Lohnarbeiter. Auch letztre waren faktisch
zugleich selbstwirtschaftende Bauern, indem sie auBer ihrem Lohn
Ackerland zum Belauf von 4 und mehr Acres nebst Cottages angewiesen
erhielten. Sie genossen zudem mit den eigentlichen Bauern die
NutznieBung des Gemeindelandes, worauf ihr Vieh weidete und das ihnen
zugleich die Mittel der Feuerung, Holz, Torf usw. bot. 1259 In alien Landern
Europas ist die feudale Produktion durch Teilung des Bodens unter
moglichst viele Untersassen charakterisiert. Die Macht des Feudalherrn,
wie die jedes Souverane, berahte nicht auf der Lange seiner Rentrolle,
sondern auf der Zahl seiner Untertanen, und letztre hing von der Zahl
selbstwirtschaftender Bauern ab. 1260 Obgleich der englische Boden daher
nach der normannischen Eroberung in riesenhafte Baronien verteilt ward,
wovon eine einzige oft 900 alte angelsachsische Lordschaften einschloB,
war er besat von kleinen Bauernwirtschaften, nur hier und da
durchbrochen von groBeren herrschaftlichen Giitern. Solche Verhaltnisse,
bei gleichzeitiger Bliite des Stadtewesens, wie sie das 15Jahrhundert
auszeichnet, erlaubten jenen Volksreichtum, den der Kanzler Fortescue so
beredt in seinen "Laudibus Legum Angliae" schildert, aber sie schlossen
den Kapitalreichtum aus.
Das Vorspiel der Umwalzung, welche die Grundlage der kapitalistischen
Produktionswlelse schuf, ereignet sich im letzten Drittel des 15. und den
ersten Dezennien des 16Jahrhunderts. Eine Masse vogelfreier Proletarier
ward auf den Arbeitsmarkt geschleudert durch die Auflosung der feudalen
Gefolgschaften, die, wie Sir James Steuart richtig bemerkt, »uberall
nutzlos Haus und Hoffullten«} ul Obgleich die konigliche Macht, selbst
ein Produkt der burgerlichen Entwicklung, in ihrem Streben nach absoluter
Souveranitat die Auflosung dieser Gefolgschaften gewaltsam
beschleunigte, war sie keineswegs deren einzige Ursache. Vielmehr im
trotzigsten Gegensatz zu Konigtum und Parlament schuf der groBe
Feudalherr ein ungleich groBeres Proletariat durch gewaltsame Verjagung
der Bauernschaft von dem Grand und Boden, worauf sie denselben
feudalen Rechtstitel besaB wie er selbst, und durch Usurpation ihres
Gemeindelandes. Den unmittelbaren AnstoB dazu gab in England
namentlich das Aufbluhn der flandrischen Wollmanufaktur und das
entsprechende Steigen der Wollpreise. Den alten Feudaladel hatten die
groBen Feudalkriege verschlungen, der neue war ein Kind seiner Zeit, fur
welche Geld die Macht aller Machte. Verwandlung von Ackerland in
Schafweide ward also sein Losungswort. Harrison, in seiner "Description
of England. Prefixed to Holinshed's Chronicles", beschreibt, wie die
Expropriation der kleinen Bauern das Land ruiniert. »What care our great
incroachers!« (»Was fragen unsre grofien Usurpatoren danach?«) Die
Wohnungen der Bauern und die Cottages der Arbeiter wurden gewaltsam
niedergerissen oder dem Verfall geweiht.
»Wenn man«, sagt Harrison, »die alteren Inventarien jedes Ritterguts
vergleichen will, so wird man finden, dafi unzahlige Hauser und kleine
Bauernwirtschaften verschwunden sind, dafi das Land viel weniger Leute
nahrt, dafi viele Stadte verfallen sind, obgleich einige neue aufbliihn...
Von Stadten und Dorfern, die man fur Schaftriften zerstort hat und
worin nurnoch die Herrschaftshauser stehn, konnte ich etwas erzahlen.«
Die Klagen jener alten Chroniken sind immer ubertrieben, aber sie
zeichnen genau den Eindruck der Revolution in den
Produktionsverhaltnissen auf die Zeitgenossen selbst. Ein Vergleich
zwischen den Schriften der Kanzler Fortescue und Thomas Moras
veranschaulicht die Kluft zwischen dem 15. und 16Jahrhundert. Aus
ihrem goldnen Zeitalter, wie Thornton richtig sagt, sttirzte die englische
Arbeiterklasse ohne alle Zwischenubergange in das eiserne.
Die Gesetzgebung erschrak vor dieser Umwalzung. Sie stand noch nicht
auf der Zivilisationshohe, wo "Wealth of the Nation" 1262 , d.h.
Kapitalbildung und riicksichtslose Exploitation und Verarmung der
Volksmasse als ultima Thule aller Staatsweisheit gelten. In seiner
Geschichte Heinrichs VII. sagt Baco:
»Um diese Zeit [1489] mehrten sich die Klagen iiber Verwandlung von
Ackerland in Weide [zur Schaftrift usw.], leicht zu versehn durch wenige
Hirten; und Pachtungen auf Zeit, auf Lebzeit und aufjahrliche
Kundigung (wovon ein grofier Teil der Yeomen lebte) wurden in
Dominialgiiter verwandelt. Dies brachte einen Verfall des Volks hervor
und infolgedessen einen Verfall von Stadten, Kirchen, Zehnten... In der
Kur dieses Mifistandes war die Weisheit des Konigs und des Parlaments
zu dieser Zeit bewundernswert ... Sie ergriffen Mafiregeln wider diese
entvolkernde Usurpation der Gemeindelandereien (depopulating
inclosures) und die ihr auf dem Fufi folgende entvolkernde
Weidewirtschaft (depopulating pasture).«
Ein Akt Heinrich des Siebenten, 1489, c.19, verbot die Zerstorung aller
Bauernhauser, zu denen wenigstens 20 Acres Land gehorten. In einem Akt
25, Heinrich VIIL, wird dasselbe Gesetz erneuert. Es heiBt u.a., daB
»viele Pachtungen und grofie Viehherden, besonders Schafe, sich in
wenigen Hdnden aufhaufen, wodurch die Grundrenten sehr gewachsen
und der Ackerbau (tillage) sehr verf alien, Kirchen und Hduser
niedergerissen, wunderbare Volksmassen verunfahigt seien, sich selbst
und Familien zu erhalten«.
Das Gesetz verordnet daher den Wiederbau der verfallnen Hofstatten,
bestimmt das Verhaltnis zwischen Kornland und Weideland usw. Ein Akt
von 1533 klagt, daB manche Eigentumer 24.000 Schafe besitzen, und
beschrankt deren Zahl auf 2000. 1263 Die Volksklage und die seit Heinrich
dem VII. an 150 Jahre fortdauernde Gesetzgebung wider die Exproptiation
der kleinen Pachter und Bauern waren gleich fruchtlos. Das Geheimnis
ihrer Erfolglosigkeit verrat uns Baco wider Wissen.
»Der Akt Heinrichs des Siebenten«, sagt er in seinen 'Essays, civil and
moral", Sect. 29, »war tiefund bewunderungswiirdig, indem er
Landwirtschaften und Ackerbauhauser von bestimmtem Normalmafi
schuf, d.h. eine Proportion von Land fur sie erhielt, die sie befahigte,
Untertanen von geniigendem Reichtum und ohne servile Lage auf die
Welt zu setzen und den Pflug in der Hand von Eigentiimern, nicht von
Mietlingen zu halten (to keep the plough in the hand of the owners and
not hirelings ).« 1264
Was das kapitalistische System erheischte, war umgekehrt servile Lage der
Volksmasse, ihre eigne Verwandlung in Mietlinge und Verwandlung ihrer
Arbeitsmittel in Kapital. Wahrend dieser Ubergangsperiode suchte die
Gesetzgebung auch die 4 Acres Land bei der Cottage des landlichen
Lohnarbeiters zu erhalten und verbot ihm die Aufnahme von Mietsleuten
in seine Cottage. Noch 1627, unter Karl 1., wurde Roger Crocker von
Fontmill verurteilt wegen Baus einer Cottage im Manor von Fontmill ohne
4 Acres Land als bestandiges Annex an dieselbe; noch 1638, unter Karl I.,
wurde eine konigliche Kommission ernannt, um die Durchfuhrung der
alten Gesetze, namentlich auch iiber die 4 Acres Land, zu erzwingen; noch
Cromwell verbot Erbauung eines Hauses in 4 Meilen weitem Umkreis von
London ohne Ausstattung desselben mit 4 Acres Land. Noch in der ersten
Halfte des 18Jahrhunderts wird geklagt, wenn die Cottage des
Landarbeiters kein Zubehor von 1 bis 2 Acres hat. Heutzutag ist er
glucklich, wenn sie mit einem Gartchen ausgestattet ist oder wenn er
weitab von ihr ein Paar Ruten Land mieten kann.
»Grundherren und Pachter«, sagt Dr.Hunter, »handeln hier Hand in
Hand. Wenige Acres zur Cottage wiirden den Arbeiter zu unabhangig
machen.« 1265
Einen neuen furchtbaren AnstoB erhielt der gewaltsame
ExpropriationsprozeB der Volksmasse im 16Jahrhundert durch die
Reformation und, in ihrem Gefolge, den kolossalen Diebstahl der
Kirchenguter. Die katholische Kirche war zur Zeit der Reformation
Feudaleigentumerin eines groBen Teils des englischen Grand und Bodens.
Die Unterdriickung der Kloster usw. schleuderte deren Einwohner ins
Proletariat. Die Kirchenguter selbst wurden groBen teils an raubsuchtige
konigliche Giinstlinge verschenkt oder zu einem Spottpreis an
spekulierende Pachter und Stadtbiirger verkauft, welche die alten erb lichen
Untersassen massenhaft verjagten und ihre Wirtschaften
zusammenwarfen. Das gesetzlich garantierte Eigentum verarmter
Landleute an einem Teil der Kirchenzehnten ward stillschweigend
konfisziert. " »Pauper ubique jacet« , rief Konigin Elisabeth nach
einer Rund reise durch England. Im 43. Jahre ihrer Regierang war man
endlich gezwungen, den Pauperismus offiziell anzuerkennen durch
Einfiihrang der Armensteuer.
»Die Urheber dieses Gesetzes schamten sich, seine Griinde
auszusprechen, und schickten es daher, wider alles Herkommen, ohne
irgendein preamble (Eingangs motivierung) in die Welt.« 1268
Durch 16. Car. I.,4 1269 wurde es perpetuell erklart und erhielt in der Tat erst
1834 eine neue hartere Form. 1270 Diese unmittelbaren Wirkungen der
Reformation waren nicht ihre nachhaltigsten. Das Kircheneigentum bildete
das religiose Bollwerk der altertumlichen Grundeigentumsverhaltnisse. Mit
seinem Fall waren sie nicht langer haltbar. 1271
3.Herr Rogers, obgleich damals Professor der politischen Okonomie an der Universitat zu Oxford,
dem Stammsitz protestantischer Orthodoxie, betont in seiner Vorrede zur "History of Agriculture" die
Pauperisierung der Volksmasse durch die Reformation.
l."A Letter to Sir T.C. Bunbury, Brt.: On the High Price of Pi-ovisions. By a Suffolk Gentleman",
Ipswich 1795, p. 4. Selbst der fanatische Verteidiger des groBen Pachtwesens, der Verfasser [J.Arbuthnot]
der "Inquiry into the Connection of large farms etc.", Lond. 1773, p. 139, sagt: »Am meisten beklage ich
den Verlust unserer Yeomanry, jener Schar ven Mdnnern, die in Wirklichkeit die Unabhiingigkeit
dieser Nation aufrechterhielten, und ich bedaure, ihre Ldndereien jetzt in den Handen
monopolisierender Lords an kleine Pachter verpachtet zu sehn, die ihre Pachten zu solchen
Bedingungen halten, dafi sie kaum mehr sind als Vasallen, die bei jeder mifilichen Gelegenheit einem
RufFolge leisten mtissen. «
l.Unter der Herrschaft Fjodor Iwanowitschs (1584-1598.), als der tatsachliche Herrscher
RuBlands bereits Boris Godunow war, wurde 1597 ein Edikt herausgegeben, demzufolge Bauern, die dem
unertraglichen Joch und den Schikanen der Gutsbesitzer entflohen, fiinf Jahre lang gesucht und
zwangsweise zu ihrem fruheren Herrn zuriickgebracht wurden.
1. "glorious Revolution" ("glorreiche Revolution") - in der englischen biirgerlichen
Geschichtsschreibung ubliche Bezeichnung fur den Staatsstreich von 1688. Der Staatsstreich festigte die
konstitutionelle Monarchie in England, die auf einem KompromiB zwischen Grundbesitzeradel und
Bourgeoisie beruhte.
2.Uber die Privatmoral dieses biirgerlichen Helden u.a.: »Die grofien Zuwendungen von
Ldndereien an Lady Orkney in Irland im Jahre 1695 sind ein offentlicher Beweisfiir die Zuneigung des
Konigs und den Einflufi der Lady ... die kostlichen Dienste der Lady Orkney sollen bestanden haben in
- foeda labiorum ministeria [schmutzigen Lippendiensten].« (In der Sloane Manuscript Collection, auf
dem Britischen Museum, Nr.4224. Das Manuskript ist betitelt: "The charakter and behaviour of King
William, Sunderland etc. as represented in Original Letters to the Duke of Shrewsbury from Somers,
Halifax, Oxford, Secretary Vernon etc." Es ist voller Kuriosa.)
3.»Die illegale Veraufierung der Kronguter, teds durch Verkauf und teils durch Schenkung,
bildet ein skandaloses Kapitel in der englischen Geschichte ... eine gigantische Prellerei der Nation
(gigantic fraud on the nation).« (F.W.Newman, "Lectures on Political Econ.", Lond. 1851, p. 129, 130.) -
{Wie die heutigen englischen GroBgrundbesitzer zu ihrem Besitz kamen, im einzelnen nachzusehn in
[N.HEvans,] "Our old Nobility. By Noblesse Oblige", London 1879. - F.E.)
4. Man lese z.B. E. Bures Pamphlet iiber das herzogliche Haus von Bedford, dessen Sprosse Lord
John Russell, "the tomtit of liberalism" ["der Zaunkonig des Liberalismus"].
l.»Die Pachter verbieten den cottagers (Hauslern), irgendeine lebendige Kreatur aufier sich
selbst zu erhalten, unter dem Vorwand, dafi, wenn sie Vieh oder Gefliigel hielten, sie von den Scheunen
Futter stehlen wurden. Sie sagen auch, haltet die Cottagers arm, und ihr haltet sie fleifiig. Die
wirkliche Tatsache aber ist, dafi die Pachter so das ganze Recht an den Gemeindelanderelen
usurpieren.« ("A Political Enquiry into the Consequences of enclosing Waste Lands", Lond. 1785, p. 75.)
2.Eden, I.e., Preface, [p. XVII, XIX].
1. "Capital farms." ("Two Letters on the Flour Trade and the Dearness of Corn. By a Person in
Business", Lond. 1767, p.19, 20.)
2. "Merchant-farms." ("An Inquiry into the Present High Prices of Provisions", Lond. 1767, p. Ill,
Note.) Diese gute Schrift, die anonym erschien, verfaBt von dem Rev. Nathaniel Forster.
l.ThomasWright, "A short address to the Public on the Monopoly of large farms", 1779, p. 2, 3.
2.Rev. Addington, "Enquiry into the Reasons for or against enclosing open fields", Lond. 1772,
p. 37-43 passim.
Noch in den letzten Dezennien des 17. Jahrhunderts war die Yeomanry,
eine unabhangige Bauerschaft, zahlreicher als die Klasse der Pachter. Sie
hatte die Hauptstarke Cromwells gebildet und stand, selbst nach
Macaulays Gestandnis, in vorteilhaftem Gegensatz zu den versoffnen
Mistjunkern und ihren Bedienten, den Landpfaffen, welche die
herrschaftliche "Lieblingsmagd" unter die Haube bringen muBten. Noch
waren selbst die landlichen Lohnarbeiter Mitbesitzer am
Gemeindeeigentum. 1750 ungefahr war die Yeomanry verschwunden 1272 ,
und in den letzten Dezennien des 18Jahrhunderts die letzte Spur von
Gemeindeeigentum der Ackerbauer. Wir sehn hier ab von den rein
okonomischen Triebfedern der Agrikulturre volution. Wir fragen nach ihren
gewaltsamen Hebeln.
Unter der Restauration der Stuarts setzten die Grundeigentumer eine
Usurpation gesetzlich durch, die sich liberal! auf dem Kontinent auch ohne
gesetzliche Weitlaufigkeit vollzog. Sie hoben die Feudalverfassung des
Bodens auf, d.h., sie schiittelten seine Leistunvspflichten an den Staat ab,
"entschadigten" den Staat durch Steuern auf die Bauerschaft und ubrige
Volksmasse, vindizierten modernes Privateigentum an Giitern, worauf sie
nur Feudaltitel besaBen, und oktroyierten schlieBlich jene
Niederlassungsgesetze (laws of settlement), die, mutatis mutandis, auf die
englischen Ackerbauer wirkten wie des Tataren Boris Godunow Edikt auf
die russische Bauerschaft. 1273
Die "glorious Revolution" (glorreiche Revolution) 1274 brachte mit dem
Oranier Wilhelm III. 1275 die grundherrlichen und kapitalistischen
Plusmacher zur Herrschaft. Sie weihten die neue Ara ein, indem sie den
bisher nur bescheiden betriebenen Diebstahl an den Staatsdomanen auf
kolossaler Stufenleiter ausiibten. Diese Landereien wurden verschenkt, zu
Spottpreisen verkauft oder auch durch direkte Usurpation an Privatguter
annexiert. 1276 Alles das geschah ohne die geringste Beobachtung
gesetzlicher Etikette. Das so fraudulent angeeignete Staatsgut samt dem
Kirchenraub, soweit er wahrend der republikanischen Revolution nicht
abhanden gekommen, bildet die Grundlage der heutigen furstlichen
Domanen der englischen Oligarchic 1277 Die burgerlichen Kapitalisten
begiinstigten die Operation, u.a. um den Grand und Boden in einen reinen
Handelsartikel zu verwandeln, das Gebiet des agrikolen GroBbetriebs
auszudehnen, ihre Zufuhr vogelfreier Proletarier vom Lande zu vermehren
usw. Zudem war die neue Grandaristokratie die natiirliche Bundesgenossin
der neuen Bankokratie, der eben aus dem Ei gekrochnen hohen Finanz
und der damals auf Schutzzolle sich stiitzenden groBen Manufakturisten.
Die englische Bourgeoisie handelte fur ihr Interesse ganz so richtig wie die
schwedischen Stadtbiirger, die umgekehrt, Hand in Hand mit ihrem
okonomischen Bollwerk, der Bauerschaft, die Konige in der gewaltsamen
Resumption der Kronlandereien von der Oligarchic (seit 1604, spater unter
Karl X. und Karl XL) unterstiitzten.
Das Gemeindeeigentum - durchaus verschieden von dem eben
betrachteten Staatseigentum - war eine altgermanische Einrichtung, die
unter der Decke der Feudalitat fortlebte. Man hat gesehn, wie die
gewaltsame Usurpation desselben, meist begleitet von Verwandlung des
Ackerlands in Viehweide, Ende des 15. Jahrhunderts beginnt und im 16.
Jahrhundert fort.dauert. Aber damals vollzog sich der ProzeB als
individuelle Gewalttat, wogegen die Gesetzgebung 150 Jahre lang
vergeblich ankampft. Der Fortschritt des 18. Jahrhunderts offenbart sich
darin, daB das Gesetz selbst jetzt zum Vehikel des Raubs am Volksland
wird, obgleich die groBen Pachter nebenbei auch ihre kleinen
unabhangigen Privatmethoden anwenden. 1278 Die parlamentarische Form
des Raubs ist die der "Bills for Inclosures of Commons" (Gesetze fur
Einhegung des Gemeindelandes), in andren Worten Dekrete, wodurch die
Grundherrn Volksland sich selbst als Privateigentum schenken, Dekrete
der Volksexpropriation. Sir F.M. Eden widerlegt sein pfiffiges
Advokatenpladoyer, worin er das Gemeindeeigentum als Privateigentum
der an die Stelle der Feudalen getretenen groBen Grundeigentiimer
darzustellen sucht, er selbst einen »allgemeinen Parlamentsakt fur
Einhegung der Gemeindelandereien« verlangt, also zugibt, daB ein
parlamentarischer Staatsstreich zu ihrer Verwandlung in Privateigentum
notig ist, andrerseits aber von der Legislatur "Schadenersatz" fur die
expropriierten Armen fordert. 1279
Wahrend an die Stelle der unabhangigen Yeomen tenants-at-will traten,
kleinere Pachter auf einjahrige Kundigung, eine servile und von der
Willkur der Landlords abhangige Rotte, half, neben dem Raub der
Staatsdomanen, namentlich der systematisch betriebne Diebstahl des
Gemeindeeigentum sjene groBen Pachten anschwellen, die man im
18. Jahrhundert Kapital-Pachten 1280 oder Kaufmanns-Pachten 1281 nannte,
und das Landvolk als Proletariat fur die Industrie "freisetzen".
Das 18. Jahrhundert begriff jedoch noch nicht in demselben MaB wie das
19. die Identitat zwischen Nationalreichtum und Volksarmut. Daher
heftigste Polemik in der okonomischen Literatur jener Zeit iiber die
"inclosure of commons". Ich gebe aus dem massenhaften Material, das mir
vorliegt, einige wenige Stellen, weil dadurch lebhaft die Zustande
veranschaulicht werden.
»In vielen Pfarreien von Hertfordshire«, schreibt eine entriistete Feder,
»sind 24 im Durchschnitt 50-150 Acres zahlende Pachten in 3 Pachten
zusammengeschmolzen.« 12S2 »In Northamptonshire und Lincolnshire hat
die Einhegung der Gemeindelandereien sehr vorgeherrscht und die
meisten aus den Einhegungen entsprungnen neuen Lordschaften sind in
Weide verwandelt; infolge davon haben viele Lordschaften jetzt nicht 50
Acres unter dem Pflug, wofriiher 1500 gepfliigt wurden... Ruinen
friiherer Wohnhauser, Scheunen, Stalle usw.« sind die einzigen Spuren
der fruheren Einwohner. »Hundert Hauser und Familien sind an
manchen Platzen zusammengeschrumpft ... auf8 oder 10 ... Der
Grundeigentiimer in den meisten Pfarreien, wo die Einhegung erst seit
15 oder 20 Jahren vorging, sind sehr wenige in Vergleich zu den Zahlen,
von denen das Land im offnen Feldzustand bebaut wurde. Es ist nichts
Ungewohnliches, 4 oder 5 reiche Viehmaster grofie, jiingst eingehegte
Lordschaften usurpieren zu sehn, die sichfriiher in der Hand von 20-30
Pachtern und von ebenso vielen kleineren Eigentiimern und Insassen
befanden. Alle diese sind mit ihren Familien aus ihrem Besitztum
herausgeworfen nebst vielen andren Familien, die durch Sie beschaftigt
und erhalten wurden.« xni>
Es war nicht nur brachliegendes, sondern oft, unter bestimmter Zahlung an
die Gemeinde, oder gemeinschaftlich, bebautes Land, das unter dem
Vorwand der Einhegung vom angrenzenden Landlord annexiert wurde.
»Ich spreche hier vom Einschlufi offner Felder und Landereien, die
bereits bebaut sind. Selbst die Schriftsteller, welche die Inclosures
verteidigen, geben zu, dafi letztre das Monopol grofier Pachtungen
vermehren, die Preise der Lebensmittel erhohen und Entvolkerung
produzieren ... und selbst die Einhegung wiister Landereien, wie jetzt
betrieben, raubt dem Armen einen Teil seiner Subsistenzmittel und
schwellt Pachtungen auf, die bereits zu grofi sind.« 12U »Wenn«, sagt Dr.
Price, »das Land in die Hdnde einiger weniger grofien Pdchter gerdt,
werden die kleinen Pdchter [friiher von ihm bezeichnet als »eine Menge
kleiner Eigentiimer und Pdchter, die sich selbst und Familien erhalten
durch das Produkt des von ihnen bestellten Landes, durch Schafe,
Gefliigel, Schweine usw., die sie auf das Gemeindeland schicken, so dafi
sie wenig Anlafi zum Kaufvon Subsistenzmitteln haben«] verwandelt in
Leute, die ihre Subsistenz durch Arbeit fur andre gewinnen miissen und
gezwungen sind,fiir alles, was sie brauchen, zu Markt zu gehn ... Es wird
vielleicht mehr Arbeit verrichtet, weil mehr Zwang dazu herrscht ...
Stddte und Manufakturen werden wachsen, weil mehr Leute zu ihnen
verjagt werden, welche Beschdftigung suchen. Dies ist der Weg, worin
die Konzentration der Pachtungen naturgemdfi wirkt und worin sie, seit
vielen Jahren, in diesem Konigreich tatsdchlich gewirkt hat.« in>
l.Dr.R. Price, I.e., v.II, p. 155, 156. Man lese Forster, Addington, Kent, Price and James Anderson
und vergleiche das elende Sykophantengeschwatz MacCullochs in seinem Katalog, "The Literature of
Political Economy", Lond. 1845.
2.1.c.p.l47, 148.
l.l.c. p. 159, 160. Man erinnert sich an das alte, Rom. »Die Reichen hatten sich des grofiten Teils
der eingeteilten Ldndereien bemiichtigt. Sie vertrauten den Zeitumstdnden, dafi sie ihnen nicht mehr
abgenommen wtirden, und kauften daher die in ihrer Ndhe gelegenen Stiicke der Armen, zum Teil mit
deren Willen, zum Teil nahmen sie sie ihnen mit Gewalt, so dafi sie nur mehr weit ausgedehnte
Domdnen statt einzelner Felder bebauten. Sie gebrauchten dabei Sklaven zum Landbau und zur
Viehzucht, weil ihnen freie Leute weg von der Arbeit zum Kriegsdienst genommen warden wdren. weil
Der Besitz von Sklaven brachte ihnen auch insofern grofien Gewinn, als sich diese wegen ihrer
Befreiung vom Kriegsdienst ungefdhrdet vermehren konnten und eine Menge Kinder bekamen. So
zogen die Mdchtigen durchaus alien Reichtum an sich, und die ganze Gegend wimmelte von Sklaven.
Der Italer dagegen wurden immer weniger, aufgerieben wie sie waren durch Armut, Abgaben und
Kriegsdienst. Traten aber auch Zeiten des Friedens ein, so waren sie zu vollkommner Untdtigkeit
verdammt, weil die Reichen im Besitze des Bodens waren, und statt freier Leute Sklaven zum Ackerbau
brauchten.« (Appian, "Romische Biirgerkriege", 1,7.) Diese Stelle bezieht sich auf die Zeit vor dem
licinischen Gesetze *. Der Kriegsdienst, der den Ruin der romischen Plebejer so sehr beschleunigte, war
auch ein Hauptmittel, wodurch Karl der GroBe die Verwandlung freier deutscher Bauern in Horige und
Leibeigne treibhausmaBig forderte.
Er faBt die Gesamtwirkung der inclosures so zusammen:
»Im ganzen hat sich die Lage der niederen Volksklassen fast injeder
Hinsicht verschlechtert, die kleineren Grundbesitzer und Pachter sind
herabgedriickt aufden Stand von Taglohnern und Mietlingen; und zur
selben Zeit ist der Lebensgewinn in diesem Zustand schwieriger
geworden.« 12S6
In der Tat wirkten Usurpation des Gemeindelands und die sie begleitende
Revolution der Agrikultur so akut auf die Ackerbauarbeiter, daB, nach
Eden selbst, zwischen 1765 und 1780 ihr Lohn anfing, unter das Minimum
zu fallen und durch offizielle Armenunterstutzung erganzt zu werden. Ihr
Arbeitslohn, sagt er, »genugte nur noch ebenfiir die absoluten
Lebensbediirfnisse« .
Horen wir noch einen Augenblick einen Verteidiger der enclosures und
Gegner des Dr. Price.
»Es ist kein richtiger Schlufi, dafi Entvolkerung vorhanden, weil man
Leute nicht langer ihre Arbeit im offnen Feld verschwenden sieht... Wenn
nach Verwandlung kleiner Bauern in Leute, die fur andre arbeiten
miissen, mehr Arbeit fliissig gemacht wird, so ist das ja ein Vorteil, den
die Nation [wozu die Verwandelten naturlich nicht gehoren] wiinschen
mufi... Das Produkt wird grofier sein, wenn ihre kombinierte Arbeit auf
einer Pachtung angewandt wird: so wird Surplusprodukt fur die
Manufakturen gebildet, und dadurch werden Manufakturen, eine der
Goldgruben dieser Nation, im Verhaltnis zum produzierten
Kornquantum vermehrt.« n%1
l.[J.Arbuthnot,] "An Inquiry into the Connection between the present Prices of Provisions etc.",
p. 124, 129. Ahnlich, aber mit entgegengesetzter Tendenz: »Die Arbeiter werden von ihren Cottages
vertrieben und gezwungen, in den Stddten Beschdftigung zu suchen; - aber dann erhalt man einen
grofieren Uberschufi, und so wird das Kapital vermehrt.« ([R.B.Seeley,] "The Perils of the Nation", 2nd
ed.,Lond- 1843,p.XIV.)
l.»A king of England might as well claim to drive his sublects into the sea.« (F.W. Newman, I.e.
p.m.)
2.letzte Schilderhebung des Pratendenten - Die Anhanger der Stuarts hofften mit ihrem Aufstand
1745/46 die Einsetzung des sogenannten jungen Pratendenten, Charles Edward, als Konig von England zu
erzwingen. Gleichzeitig spiegelte der Aufstand den Protest der Volksmassen Schottlands und Englands
gegen ihre Ausbeutung durch die Gutsherren und die massenweise Vertreibung der kleinen Ackerbauern
wider. Die Niederschlagung des Aufstandes hatte die vollige Vernichtung des Clansystems in Schottland
zur Folge. Die Verjagung der Bauern von ihrem Lande erfolgte noch intensiver als vorher.
Die stoische Seelenruhe, womit der politische Okonom frechste
Schandung des "heiligen Rechts des Eigentums" und grobste Gewalttat
wider Personen betrachtet, sobald sie erheischt sind, um die Grundlage der
kapitalistischen Produktionsweise herzustellen, zeigt uns u.a. der uberdem
noch torystisch gefarbte und "philanthropische" Sir F.M. Eden. Die ganze
Reihe von Raubtaten, Greueln und Volksdrangsalen, welche die
gewaltsame Volksexpropriation vom letzten Drittel des 15. bis zum Ende
des 18. Jahrhunderts begleiten, treibt inn nur zur "komfortablen"
SchluBreflexion:
»Die richtige (due) Proportion zwischen Acker- und Viehland mufite
hergestellt werden. Noch im ganzen 14. und grofiten Teil des
1 5 Jahrhunderts kam 1 Acre Viehweide auf2, 3 und selbst 4 Acres
Acker land. In Mitte des 16. Jahrhunderts verwandelte sich die
Proportion in 2 Acres Viehland auf2, spater von 2 Acres Viehweide auf
1 Acre Ackerland, bis endlich die richtige Proportion von 3 Acres
Viehland auf 1 Acre Ackerland herauskam.«
Im 19Jahrhundert verlor sich naturlich selbst die Erinnerung des
Zusammenhangs zwischen Ackerbauer und Gemeindeeigentum. Von
spaterer Zeit gar nicht zu reden, welchen Farthing Ersatz erhielt das
Landvolk lemals fur die 3.511.770 Acres Gemeindeland, die ihm zwischen
1810 und 1831 geraubt und parlamentarisch den Landlords von den
Landlords geschenkt wurden?
Der letzte groBe ExpropriationsprozeB der Ackerbauer von Grand und
Boden endlich ist das sog. Clearing of Estates (Lichten der Giiter, in der
Tat Wegfegung der Menschen von denselben). Alle bisher betrachteten
englischen Methoden kulminierten im "Lichten". Wie man bei der
Schilderung des modernen Zustands im vorigen Abschnitt sah, geht es
jetzt, wo keine unabhangigen Bauern mehr wegzufegen sind, bis zum
"Lichten" der Cottages fort, so daB die Ackerbauarbeiter auf dem von
ihnen bestellten Boden selbst nicht mehr den notigen Raum zur eignen
Behausung finden. Was aber "Clearing of Estates" im eigentlichen Sinne
bedeutet, das lernen wir nur kennen im gelobten Lande der modernen
Romanliteratur, in Hochschottland. Dort zeichnet sich der Vorgang aus
durch seinen systematischen Charakter, durch die GroBe der Stufenleiter,
worauf er mit einem Schlag vollzogen wird (in Irland haben Grandherrn es
dahin gebracht, mehrere Dorfer gleichzeitig wegzufegen; in
Hochschottland handelt es sich um Bodenflachen von der GroBe deutscher
Herzogtiimer) - und endlich durch die besondre Form des unterschlagenen
Grundeigentums.
Die Kelten Hochschottlands bestanden aus Clans, deren jeder Eigentumer
des von ihm besiedelten Bodens war. Der Reprasentant des Clans, sein
Chef oder "groBer Mann", war nur Titulareigentiimer dieses Bodens, ganz
wie die Konigin von England Titulareigentumerin des nationalen
Gesamtbodens ist. Als der englischen Regierung gelungen war, die inneren
Kriege dieser "groBen Manner" und ihre fortwahrenden Einfalle in die
niederschottischen Ebenen zu unterdriicken, gaben die Clanchefs ihr altes
Rauberhandwerk keineswegs auf; sie anderten nur die Form. Aus eigner
Autoritat verwandelten sie ihr Titular-Eigentumsrecht in
Privateigentumsrecht, und da sie bei den Clanleuten auf Widerstand
stieBen, beschlossen sie, diese mit offner Gewalt zu vertreiben.
»Ein Konig von England konnte mit demselben Recht sich anmafien,
seine Untertanen in die See zujagen«,
sagt Professor Newman. 1288 Diese Revolution, welche in Schottland nach
der letzten Schilderhebung des Pratendenten 1289 begann, kann man in ihren
ersten Phasen verfolgen bei Sir James Steuart 1290 und James Anderson 1291 .
3.Steuart sagt: »Die Rente dieser Lander [er ubertragt irrtumlich diese okonomische Kategorie
auf den Tribut der taksmen * an den Clanchef] ist durchaus unbedeutend im Vergleich zu ihrem Umfang,
aber, was die Personenzahl betrifft, welche eine Pacht erhdlt, wird man vielleicht finden, dafi ein Stuck
Boden in den Hochlanden von Schottland zehnmal mehr Leute erndhrt, als Land von demselben Wert
in den reichsten Provinzen.« (I.e., v.I, ch.XVI, p. 104.)
Taksmen wurden zur Zeit des Clansystems in Schottland die Altesten oder Untersassen genannt, die
dem Clanchef oder laird (dem "groBen Manne") unmittelbar untergeben waren. Der laird verteilte das Land
(tak), das Eigentum des ganzen Clans blieb, an die taksmen. Dem laird wurde ein geringer Tribut entrichtet
und damit seine Oberherrschaft anerkannt. Den taksmen wiederum waren niedrigere Amtsleute unterstellt,
die an der Spitze je eines Weilers standen, und diesen war die Bauernschaft untergeordnet. Mit dem Zerfall
des Clansystems verwandelte sich der laird in den Gutsherrn, und die taksmen wurden ihrem Wesen nach
kapitalistische Pachter; an die Stelle des fruheren Tributs trat die Grundrente. - Marx berichtet liber die
Rolle der taksmen innerhalb des Clansystems in seinem Artikel "Wahlen - Triibe Finanzlage - Die Herzogin
von Sutherland und die Sklaverei" (siehe MEW, Band 8, S. 499-505).
5James Anderson, "Observations on the means of exciting a spirit of National Industry etc.",
Edinburgh 1777.
6.1860 wurden gewaltsam Expropriierte nach Kanada exportiert unter falschen Versprechungen.
Einige flohen in die Berge und benachbarten Eilande. Sie wurden von Polizisten verfolgt, kamen zum
Handgemenge mit ihnen und entkamen.
7.»In den Hochlanden« sagt Buchanan, der Kommentator A. Smiths, 1814, »wird der alte
Eigentumszustand tdglich gewaltsam umgewalzt... Der Landlord, ohne Riicksicht auf die Erbpachter
[auch dies ist hier irrig angewandte Kategorie] bietet das Land dein hochsten Bieter an, und wenn dieser
ein Verbesserer (improver) ist, fiihrt er unmittelbar ein neues Kultursystem ein. Der Boden, fruiter
iibersat mit kleinen Bauern, war im Verhaltnis zu seinem Produkt bevolkert; unter dem neuen System
verbesserter Kultur und vermehrter Renten wird grojitmoglichstes Produkt zu moglichst geringen
Kosten erhalten, und zu diesem Behufe werden die nun nutzlos gewordenen Hdnde entfernt... Die
Auswiirflinge des Heimlands suchen Subsistenz in den Fabrikstadten usw.« (David Buchanan,
"Observations on etc. A. Smith's Wealth of Nations', Edinb. 1814, vol.IV, p. 144.) »Die schottischen
GrofSen haben Familien expropriiert, wie sie Unkraut ausroden wurden, sie haben Dorfschaften und
ihre Bevolkerung behandelt, wie die Indier in ihrer Rache die FLohlen wilder Bestien... Der Mensch
wird verschachert fur ein Schafvlies oder eine Hammelkeule, ja fiir weniger... Bei dem Einfall in die
Nordprovinzen Chinas schlug man im Mongolenrat vor, die Einwohner auszurotten und ihr Land in
Weide zu verwandeln. Diesen Vorschlag haben viele hochschottische Landlords in ihrem eignen Land
gegen ihre eignen Landsleute ausgefuhrt.« (George Ensor, "An Inquiry concerning the Population of
Nations", Lond. 1818, p.215, 216.)
8.Eingeborenen
9.Als die jetzige Herzogin von Sutherland die Mrs. Beecher-Stowe Verfasserin von "Uncle Tom's
Cabin", mit groBem Prank in London empfing, um ihre Sympathie fur die Negersklaven der amerikanischen
Republik auszustellen - was sie, nebst ihren Mitaristokratinnen, wohlweise wahrend des Biirgerkriegs
unterlieB, wo jedes "noble" englische Herz fur die Sklavenhalter schlug -, stellte ich in der 'New York
Tribune' die Verhhltnisse der Sutherlandschen Sklaven dar. [Siehe MEW, Bd. 8, S. 499-505] (Stellenweis
ausgezogen von Carey in "The Slave Trade", Philadelphia 1853, p. 202, 203.) Mein Artikel ward in einem
schottischen Blatt abgedruckt und rief eine artige Polemik zwischen letzterem und den Sykophanten der
Sutherlands hervor.
l.Interessantes liber diesen Fischhandel findet man in Herrn David Urquharts "Portfolio, New
Series". - Nassau W. Senior kennzeichnet in seiner oben zitiert nachgelaBnen Schrift »die Prozedur in
Sutherlandshire als eine der wohltatigsten Lichtungen (clearings) seit Menschengedenken«. (I.e.
[p.282].)
l.Die "deer forests" (Wildwaldungen) von Schottland enthalten keinen einzigen Baum. Man treibt
die Schafe weg und die Hirsche hin auf die nackten Berge und nennt das einen "deer forest". Also nicht
einmal Waldkultur!
2. Robert Somers, "Letters from the Highlands; or, the Famine of 1857", Lond. 1848, p. 12-28
passim. Diese Briefe erschienen ursprunsprunglich in der 'Times'. Die englischen Okonomen erklarten
natiirlich die Hungersnot der Gaelen von 1847 aus ihrer Ubervolkerung. Jedenfalls "driickten" sie auf ihre
Nahrungsmittel. - Das "Clearing of Estates" oder, wie es in Deutschland hieB, "Bauernlegen" machte sich
hier besonders geltend nach dem DreiBigjahrigen Krieg und rief noch 1790 in Kursachsen Bauernaufstande
hervor. Es herrschte namentlich in Ostdeutschland. In den meisten Provinzen PreuBens sicherte erst
Friedrich II. den Bauern Eigentumsrecht. Nach der Eroberung Schlesiens zwang er die Grundherrn zur
Wiederherstellung der Hiitten, Scheunen usw., zur Ausstattung der Bauerngiiter mit Vieh und Gerat. Er
brauchte Soldaten fiir seine Armee und Steuerpflichtige fiir seinen Staatsschatz. Welches angenehme Leben
iibrigens der Bauer unter Friedrichs Finanzunwesen und Regierungsmischmasch von Despotismus,
Biirokratie und Feudalismus fiihrte, mag man aus folgender Stelle seines Bewunderers Mirabeau ersehn:
»Der Flachs stellt also einen der grofiten Reichtumer des Bauern in Norddeutschland dar. Zum
Ungliick fiir das Menschengeschlecht ist das nur ein Hilfsmittel gegen das Elend und kein Weg zum
Wohlstand. Die direkten Steuern, die Frondienste und Zwangsdienste aller Art richten den deutschen
Im 18. Jahrhundert wurde zugleich den vom Land verjagten Gaelen die
Auswanderung verboten, um sie gewaltsam nach Glasgow und andren
Fabrikstadten zu treiben. 1292 Als Beispiel der im 19. Jahrhundert
herrschenden Methode 1293 geniigen hier die "Lichtungen" der Herzogin
von Sutherland. Diese okonomisch geschulte Person beschloB gleich bei
ihrem Regierungsantritt eine okonomische Radikalkur vorzunehmen und
die ganze Grafschaft, deren Einwohnerschaft durch friihere, ahnliche
Prozesse bereits auf 15.000 zusammengeschmolzen war, in Schaftrift zu
verwandeln. Von 1814 bis 1820 wurden diese 15.000 Einwohner, ungefahr
3.000 Familien, systematisch verjagt und ausgerottet. Alle ihre Dorfer
wurden zerstort und niedergebrannt, alle ihre Felder in Weide verwandelt.
Britische Soldaten wurden zur Exekution kommandiert und kamen zu
Schlagen mit den Eingebornen. Eine alte Frau verbrannte in den Flammen
der Hiitte, die sie zu verlassen sich weigerte. So eignete sich diese Madame
794.000 Acres Land seit undenklichen Zeiten dem Clan gehort. Den
vertriebnen Eingebornen wies sie am Seegestad ungefahr 6.000 Acres zu, 2
Acres per Familie. Die 6.000 Acres hatten bisher wiist gelegen und den
Eigentumern kein Einkommen abgeworfen. Die Herzogin ging in ihrem
Nobelgefuhl so weit, den Acre im Durchschnitt zu 2 sh. 6 d. Rente zu
verpachten an die Clanleute, die seit Jahrhunderten ihr Blut fiir die Familie
vergessen hatten. Das ganze geraubte Clanland teilte sie in 29 groBe
Schafpachtungen, jede bewohnt von einer einzigen Familie, meist
englische Pachterknechte. Im Jahre 1825 waren die 15.000 Gaelen bereits
ersetzt durch 131.000 Schafe. Der an das Seegestad geworfne Teil der
Aborigines 1294 suchte vom Fischfang zu leben. Sie wurden Amphibien und
lebten, wie ein englischer Schriftsteller sagt, halb auf dem Land und halb
auf dem Wasser und lebten mit alledem nur halb von beiden. 1295
Aber die braven Gaelen sollten noch schwerer ihre bergromantische
Idolatrie fiir die "groBen Manner" des Clans abbuBen. Der Fischgeruch
stieg den groBen Mannern in die Nase. Sie witterten etwas Profitliches
dahinter und verpachteten das Seegestade den groBen Fischhandlern von
London. Die Gaelen wurden zum zweitenmal verjagt. 1296
Endlich aber wird ein Teil der Schaftriften riickverwandelt in Jagdrevier.
Man weiB, daB es keine eigentlichen Walder in England gibt. Das Wild in
den Parks der GroBen ist konstitutionelles Hausvieh, fett wie Londoner
Aldermen. Schottland ist daher das letzte Asyl der "noblen Passion".
»In den Hochlanden«, sagt Somers 1848, »sind die Waldungen sehr
ausgedehnt worden. Hier aufder einen Seite von Gaick habt ihr den
neuen Wald von Glenfeshie und dort aufder andren Seite den neuen
Wald von Ardverikie. In derselben Linie habt ihr den Bleak-Mount, eine
ungeheure Wtiste, neulich errichtet. Von Ost zu West, von der
Nachbarschaft von Aberdeen bis zu den Klippen von Oban, habt ihrjetzt
eine fortlaufende Waldlinie, wahrend sich in andren Teilen der
Hochlande die neuen Walder von Loch Archaig, Glengarry,
Glenmoriston etc. befinden... Die Verwandlung ihres Landes in
Schafweide ... trieb die Gaelen auf unfruchtbarem Boden. Jetztfangt
Rotwild an, das Schafzu ersetzen, und treibtjene in noch
zermalmenderes Elend... Die Wildwaldungen 1291 und das Volk konnen
nicht nebeneinander existieren. Eins oder das andre mufi jedenfalls den
Platz raumen. Lafit die Jagden in Zahl und Umfang im nachsten
Vierteljahrhundert wachsen wie im vergangenen, und ihr werdet keinen
Gaelen mehr auf seiner heimischen Erde finden. Diese Bewegung unter
den Hochlands-Eigentiimern ist teils der Mode geschuldet,
aristokratischem Kitzel, Jagdliebhaberei usw., teils aber betreiben sie
den Wildhandel ausschliefilich mit einem Auge auf den Profit. Denn es ist
Tatsache, dafi ein Stuck Bergland, in Jagdung angelegt, in vielen Fallen
ungleich profitabler ist denn als Schaftrift... Der Liebhaber, der ein
Jagdrevier sucht, beschrankt sein Angebot nur durch die Weite seiner
Borse... Leiden sind iiber die Hochlande verhangt worden nicht minder
grausam, als die Politik normannscher Konige sie iiber England verhing.
Rotwild hat freieren Spielraum erhalten, wahrend die Menschen in engen
und engem Zirkel gehetzt wurden... Eine Freiheit des Volks nach der
andren ward ihm geraubt... Und die Unterdriickung wachst noch taglich.
Lichtung und Vertreibung des Voiks werden von den Eigentiimern als
festes Prinzip verfolgt, als eine agrikole Notwendigkeit, ganz wie Baume
und Gestrauch in den Wildnissen Amerikas und Austr aliens weggefegt
werden, und die Operation geht ihren ruhigen, geschaftsmafiigen
y-i 1298
Gang.«
Der Raub der Kirchengiiter, die fraudulente VerauBerang der
Staatsdomanen, der Diebstahl des Gemeindeeigentums, die usurpatorische
und mit riicksichtslosem Terrorismus vollzogne Verwandlung von
feudalem und Claneigentum in modernes Privateigentum, es waren ebenso
viele idyllische Methoden der urspriinglichen Akkumulation. Sie eroberten
das Feld fur die kapitalistische Agrikultur, einverleibten den Grand und
Boden dem Kapital und schufen der stadtischen Industrie die notige
Zufuhr von vogelfreielrn Proletariat.
3. Blutgesetzgebung gegen die Expropriierten seit Ende des
Die durch Auflosung der feudalen Gefolgschaften und durch stoBweise,
gewaltsame Expropriation von Grand und Boden Verjagten, dies
vogelfreie Proletariat konnte unmoglich ebenso rasch von der
aufkommenden Manufaktur absorbiert werden, als es auf die Welt gesetzt
ward. Andrerseits konnten die plotzlich aus ihrer gewohnten Lebensbahn
Herausgeschleuderten sich nicht ebenso plotzlich in die Disziplin des
neuen Zustandes finden. Sie verwandelten sich massenhaft in Bettler,
Rauber, Vagabunden, zum Teil aus Neigung, in den meisten Fallen durch
den Zwang der Umstande. Ende des 15. und wahrend des ganzen 16.
Jahrhunderts daher in ganz Westeuropa eine Blutgesetzgebung wider
Vagabundage. Die Vater der jetzigen Arbeiterklasse wurden zunachst
gezuchtigt fiir die ihnen angetane Verwandlung in Vagabunden und
Paupers. Die Gesetzgebung behandelte sie als "freiwillige" Verbrecher und
unterstellte, daB es von ihrem guten Willen abhange, in den nicht mehr
existierenden alten Verhaltnissen fortzuarbeiten.
In England begann jene Gesetzgebung unter Heinrich VII.
Heinrich VIII., 1530: Alte und arbeitsunfahige Bettler erhalten eine
Bettellizenz. Dagegen Auspeitschung und Einsperrang fiir handfeste
Vagabunden. Sie sollen an einen Karren hinten angebunden und gegeiBelt
werden, bis das Blut von ihrem Korper stromt, dann einen Eid schworen,
zu ihrem Geburtsplatz oder dorthin, wo sie die letzten drei Jahre gewohnt,
zuriickzukehren und »sich an die Arbeit zu setzen« (to put himself to
labour). Weiche grausame Ironie! 27 Heinrich VIII. 1299 wird das vorige
l.D.h. Gesetz aus dem 27.Regierungsjahr Heinrichs VIII. Die bei den folgenden Angaben an zweiter
Stelle gegebenen Ziffern sind die Nummern der in dem betreffenden Regierungsjahr erlassenen Gesetze.
l.Der Verfasser des "Essay on Trade etc.", 1770, bemerkt: »Unter der Regierung Edwards VI.
scheinen sich die Engldnder in der Tat mit vollem Ernst auf Encouragierung der Manufakturen und
Beschaftigung der Armen verlegt zu haben. Dies ersehn wir aus einem merkwiirdigen Statut, worin es
heifit, dafi alle Vagabunden gebrandmarkt werden sollen« usw. (I.e. p. 5.)
l.Thomas Morus sagt in seiner "Utopia" [p. 41, 42]: »So geschieht's, dafi ein gieriger und
unersattlicher Vielfrafi, die wahre Pest seines Geburtslandes, Tausende von Acres Land
zusammenpacken und innerhalb einer Umpfahlung oder einer Hecke einzaunen, oder durch Gewalt
und Unbill ihre Eigner so abhetzen kann, dafi sie gezwungen sind, alles zu verkaufen. Durch ein Mittel
oder das andre, es mag biegen oder brechen, werden sie genotigt fortzutrollen - arme, einfaltige,
elende Seelen! Manner, Weiber, Gatten, Frauen, vaterlose Kinder, Witwen, jammernde Mutter mit
ihren Sauglingen und der ganze Haushalt, gering an Mitteln und zahlreich an Kopfen, da der
Ackerbau vieler Hdnde bedurfte. Weg schleppen sie sich, sage ich, aus der bekannten und gewohnten
Heimstatte, ohne einen Ruheplatz zu finden; der Verkauf von all ihrem Hausgerat, obgleich von
keinem grofien Wert, wiirde unter andren Umstanden einen gewissen Erlos geben; aber plotzlich an
die Luft gesetzt, miissen Sie ihn zu Spottpreisen losschlagen. Und wenn sie umhergeirrt, bis der letzte
Heller verzehrt ist, was anders konnen sie tun aufier stehlen und dann, bei Gott, in aller Form
Rechtens gehangen werden, oder auf den Bettel ausgehn ? Und auch dann werden sie ins Gefangnis
geschmissen, als Vagabunden, well sie sich herumtreiben und nicht arbeiten; sie, die kein Mensch an
die Arbeit setzen Will, sie mogen sich noch so eifrig dazu erbieten«. Von diesen armen Fliichtlingen, von
denen Thomas Morus sagt, daB man sie zum Diebstahl zwang, »wurden 72.000 grofie und kleine Diebe
hingerichtet unter der Regierung Heinrich des Achten«. (Holinshed, "Description of England', v.l.,
p. 186.) Zu Elisabeths Zeiten wurden »Landstreicher reihenweise aufgekniipft; indes verstrich
gewohnlich kein Jahr, worin nicht 300 oder 400 an einem Platz oder dem andren dem Galgen
anheimfielen« . (Strype, "Annals of the Reformation and Establishment of Religion, and other Various
Occurences in the Church of England during Queen Elibeth's Happy Reign", 2nd ed. 1725, vol.11.) Nach
demselben Strype wurden in Somersetshire in einem einzigen Jahr 40 Personen hingerichtet, 35
gebrandmarkt, 37 ausgepeitscht und 183 »verzweifelte Bosewichtere freigegeben. Dennoch, sagt er,
»schliefit diese grofie Zahl der Angeklagten nicht /j der peinlichen Verbrechen ein, dank der
Fahrlassigkeit der Friedensrichter und dem albernen Mitleid des Volkes«. Er fiigt hinzu: »Die andren
Grafschaften in England waren in keiner befiren Lage als Somersetshire und viele selbst in einer
schlechteren. «
1. Petty Sessions (kleine Gerichtssitzungen) - Tagungen der Friedensgerichte in England; sie
verhandeln kleine Falle im vereinfachten Verfahren.
l.» Wann immer die Gesetzgebung versucht, die Differenzen zwischen Unternehmern und ihren
Arbeitern zu regeln, sind ihre Ratgeber immer die Unternehmer«, sagt A.Smith. »Der Geist der Gesetze
ist das Eigentum« , sagt Linguet
2.Arbeiterstatut
l.[J.B. Byles,) "Sophisms of Free Trade. By a Barrister", Lond. 1850, p. 206. Er setzt malizios
hinzu: »Wir waren stets bei der Hand, fiir den Anwenden einzuschreiten. Kann nichts geschehn fiir den
Angewandten ?«
l.Aus einer Klausel des Statute 2 Jakob I., c.6, ersieht man, daB gewisse Tuchmacher sich
herausnahmen, den Lohntarif offiziell als Friedensrichter in ihren eignen Werkstatten zu diktieren. - In
Deutschland waren namentlich nach dem DreiBigjahrigen Krieg Statuten zur Niederhaltung des
Arbeitslohns haufig. »Sehr lastig war den Gutsherrn in dem menschenleeren Boden der Mangel an
Dienstboten und Arbeitern. Allen Dorfsassen wurde verboten, Kammern an ledige Manner und Frauen
zu vermieten, alle solche Inlieger sollten der Obrigkeit angezeigt und ins Gefangnis gesteckt werden,
falls sie nicht Dienstboten werden wollten, auch wenn sie sich von andrer Tatigkeit erhielten, den
Bauern um Taglohn saten oder gar mit Geld und Getreide handelten. ("Kaiserliche Privilegien und
Statut wiederholt, aber durch neue Zusatze verscharft. Bei zweiter
Ertappung auf Vagabundage soil die Auspeitschung wiederholt und das
halbe Ohr abgeschnitten, bei drittem Ruckfall aber der Betroffne als
schwerer Verbrecher und Feind des Gemeinwesens hingerichtet werden.
Edward VI.: Ein Statut aus seinem ersten Regierungsjahr, 1547, verordnet,
daB, wenn jemand zu arbeiten weigert, soil er als Sklave der Person
zugeurteilt werden, die inn als MuBigganger denunziert hat. Der Meister
soil seinen Sklaven mit Brot und Wasser nahren, schwachem Getrank und
solchen Fleischabfallen, wie ihm passend diinkt. Er hat das Recht, ihn zu
jeder auch noch so eklen Arbeit durch Auspeitschung und Ankettung zu
treiben. Wenn sich der Sklave fur 14 Tage entfernt, ist er zur Sklaverei auf
Lebenszeit verurteilt und soil auf Stirn oder Backen mit dem Buchstaben S
gebrandmarkt, wenn er zum drittenmal fortlauft, als Staatsverrater
hingerichtet werden. Der Meister kann ihn verkaufen, vermachen, als
Sklaven ausgingen, ganz wie andres bewegliches Gut und Vieh.
Unternehmen die Sklaven etwas gegen die Herrschaft, so sollen sie
ebenfalls hingerichtet werden. Friedensrichter sollen auf Information den
Kerls nachspuren. Findet sich, daB ein Herumstreicher drei Tage gelungert
hat, so soil er nach seinem Geburtsort gebracht, mit rotgluhendem Eisen
auf die Brust mit dem Zeichen V gebrandmarkt, und dort in Ketten auf der
StraBe oder zu sonstigen Diensten verwandt werden. Gibt der Vagabund
einen falschen Geburtsort an, so soil er zur Strafe der lebenslangliche
Sklave dieses Orts, der Einwohner oder Korporation sein und mit S
gebrandmarkt werden. Alle Personen haben das Recht, den Vagabunden
ihre Kinder wegzunehmen und als Lehrlinge, Jungen bis zum 24. Jahr,
Madchen bis zum 20. Jahr, zu halten. Laufen sie weg, so sollen sie bis zu
diesem Alter die Sklaven der Lehrmeister sein, die sie in Ketten legen,
geiBeln etc. konnen, wie sie wollen. Jeder Meister darf einen eisernen Ring
um Hals, Arme oder Beine seines Sklaven legen, damit er ihn besser kennt
und seiner sicherer ist. 1300 Der letzte Teil dieses Status sieht vor, daB
gewisse Arme von dem Ort oder den Individuen beschaftigt werden sollen,
die ihnen zu essen und zu trinken geben und Arbeit fur sie finden wo lien.
Diese Sorte Pfarreisklaven hat sich bis tief ins 19. Jahrhundert in England
erhalten unter dem Namen roundsmen (Umgeher).
Elisabeth, 1572: Bettler ohne Lizenz und iiber 14 Jahre alt sollen hart
gepeitscht und am linken Ohrlappen gebrandmarkt werden, falls sie keiner
fiir zwei Jahre in Dienst nehmen will; im Wiederholungsfall, wenn iiber 18
Jahre alt, sollen sie - hingerichtet werden, falls sie niemand fiir zwei Jahre
in Dienst nehmen will, bei dritter Rezidive aber ohne Gnade als
Staatsverrater hingerichtet werden. Ahnliche Statute: 18 Elisabeth c. 13
und 1597. 1301
Jakob 1.: Eine herumwandernde und bettelnde Person wird fiir einen
Landstreicher und Vagabunden erklart. Die Friedensrichter in den Petty
Sessions' 302 sind bevollmachtigt, sie offentlich auspeitschen zu lassen und
bei erster Ertappung 6 Monate, bei zweiter 2 Jahre ins Gefangnis zu
sperren. Wahrend des Gefangnisses soil sie so oft und soviel gepeitscht
werden, als die Friedensrichter fiir gut halten... Die unverbesserlichen und
gefahrlichen Landstreicher sollen auf der linken Schulter mit R
gebrandmarkt und an die Zwangsarbeit gesetzt, und wenn man sie wieder
auf dem Bettel ertappt, ohne Gnade hingerichtet werden. Diese
Anordnungen, gesetzlich bis in die erste Zeit des 18Jahrhunderts, wurden
erst aufgehoben durch 12 Anna c. 23.
Ahnliche Gesetze in Frankreich, wo sich Mitte des 17. Jahrhunderts ein
Vagabundenkonigreich (royaume des truands) zu Paris etabliert hatte.
Noch in der ersten Zeit Ludwigs XVI. (Ordonnanz vom 13. Juli 1777)
sollte jeder gesund gebaute Mensch vom 16. bis 60. Jahr, wenn ohne
Existenzmittel und Ausiibung einer Profession, auf die Galeeren geschickt
werden. Ahnlich das Statut Karls V. fiir die Niederlande vom Oktober
1537, das erste Edikt der Staaten und Stadte von Holland vom 19. Marz
1614, das Plakat der Vereinigten Provinzen vom 25. Juni 1649 usw.
So wurde das von Grand und Boden gewaltsam expropriierte, verjagte und
zum Vagabunden gemachte Landvolk durch grotesk-terroristische Gesetze
in eine dem System der Lohnarbeit notwendige Disziplin hineingepeitscht,
-gebrandmarkt, -gefoltert.
Es ist nicht genug, daB die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als
Kapital treten und auf den andren Pol Menschen, welche nichts zu
verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Es geniigt auch nicht, sie zu
zwingen, sich freiwillig zu verkaufen. Im Fortgang der kapitalistischen
Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung,
Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als
selbstverstandliche Naturgesetze anerkennt. Die Organisation des
ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden
Widerstand, die bestandige Ezeugung einer relativen Ubervolkerung halt
das Gesetz der Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit und daher den
Arbeitslohn in einem den Verwertungsbedurfnissen des Kapitals
entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der okonomischen
Verhaltnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten iiber den Arbeiter.
AuBerokonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch
angewandt, aber nur ausnahmsweise. Fur den gewohnlichen Gang der
Dinge kann der Arbeiter den "Naturgesetzen der Produktion" uberlassen
bleiben, d.h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst
entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhangigkeit vom
Kapital. Anders wahrend der historischen Genesis der kapitalistischen
Produktion. Die aufkommende Bourgeoisie braucht und verwendet die
Staatsgewalt, um den Arbeitslohn zu "regulieren", d.h. innerhalb der
Plusmacherei zusagender Schranken zu zwangen, um den Arbeitstag zu
verlangern und den Arbeiter selbst in normalem Abhangigkeitsgrad zu
erhalten. Es ist dies ein wesenthches Moment der sog. urspriinglichen
Akkumulation.
Die Klasse der Lohnarbeiter, die in der letzten Halfte des 14Jahrhunderts
entstand, bildete damals und im folgenden Jahrhundert nur einen sehr
geringen Volksbestandteil, der in seiner Stellung stark beschiitzt war durch
die selbstandige Bauernwirtschaft auf dem Land und die Zunftorganisation
der Stadt. In Land und Stadt standen sich Meister und Arbeiter sozial
nahe. Die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital war nur formell, d.h.
die Produktionsweise selbst besaB noch keinen spezifisch kapitalistischen
Charakter. Das variable Element des Kapitals wog sehr vor iiber sein
konstantes. Die Nachfrage nach Lohnarbeit wuchs daher rasch mit jeder
Akkumulation des Kapitals, wahrend die Zufuhr von Lohnarbeit nur
langsam nachfolgte. Ein groBer Teil des nationalen Produkts, spater in
Akkumulationsfonds des Kapitals verwandelt, ging damals noch ein in den
Konsumtionsfonds des Arbeiters.
Die Gesetzgebung iiber die Lohnarbeit, von Haus aus auf Exploitation des
Arbeiters gemunzt und ihm in ihrem Fortgang stets gleich feindlich 1303
wird in England eroffnet durch das Statute of Labourers' 304 Edwards 111.,
1349. Ihm entspricht in Frankreich die Ordonnanz von 1350, eriassen im
Namen des Konigs Jean. Die enghsche und franzosische Gesetzgebung
laufen parallel und sind dem Inhalt nach identisch. Soweit die
Arbeiterstatuten Verlangerung des Arbeitstags zu erzwingen suchen,
komme ich nicht auf sie zuriick, da dieser Punkt friiher (8. Kapitel, 5)
erortert.
Das Statute of Labourers wurde eriassen auf dringende Klage des Hauses
der Gemeinen.
»Fruher«, sagt naiv ein Tory, »verlangten die Armen so hohen
Arbeitslohn, dafi sie Industrie und Reichtum bedrohten. Jetzt ist ihr
Lohn so niedrig, dafi er ebenfalls Industrie und Reichtum bedroht, aber
anders und vielleicht gefdhrlicher als damals. « 1305
Ein gesetzlicher Lohntarif ward festgesetzt fur Stadt und Land, fur
Stuckwerk und Tagwerk. Die landlichen Arbeiter sollen sich aufs Jahr, die
stadtischen "auf offnem Markt" verdingen. Es wird bei Gefangnis strafe
untersagt, hoheren als den statutarischen Lohn zu zahlen, aber der
Empfang hoheren Lohns wird starker bestraft als seine Zahlung. So wird
auch noch in Sect. 18 und 19 des Lehrlingsstatuts von Elisabeth zehntagige
Gefangnis strafe iiber den verhangt, der hoheren Lohn zahlt, dagegen
einundzwanzigtagige Gefangnis strafe iiber den, der ihn nimmt. Ein Statut
von 1360 verscharfte die Strafen und ermachtigte den Meister sogar, durch
korperlichen Zwang Arbeit zum gesetzlichen Lohntarif zu erpressen. Alle
Maurer und Zimmerleute wechselseitig banden, werden fur null und
nichtig erklart. Arbeiterkoalition wird als schweres Verbrechen behandelt
vom lAJahrhundert bis 1825, dem Jahr der Abschaffung der
Antikoalitionsgesetze. Der Geist des Arbeiterstatuts von 1349 und seiner
Nachgeburten leuchtet hell daraus hervor, daB zwar ein Maximum des
Arbeitslohns von Staats wegen diktiert wird, aber beileibe kein Minimum.
Im 16Jahrhundert hatte sich, wie man weiB, die Lage der Arbeiter sehr
verschlechtert. Der Geldlohn stieg, aber nicht im Verhaltnis zur
Depreziation des Geldes und dem entsprechenden Steigen der
Warenpreise. Der Lohn fiel also in der Tat. Dennoch dauerten die Gesetze
zum Behuf seiner Herabdriickung fort zugleich mit dem
Ohrenabschneiden und Brandmarken derjenigen, » die niemand in Dienst
nehmen wollte«. Durch das Lehrlingsstatut 5 Elisabeth c.3 wurden die
Friedensrichter ermachtigt, gewisse Lohne festzusetzen und nach
Jahreszeiten und Warenpreisen zu modifizieren. Jakob I. dehnte diese
Arbeitsregulation auch auf Weber, Spinner und alle moglichen
Arbeiterkategorien aus 1306 , Georg II. die Gesetze gegen Arbeiterkoalition
auf alle Manufakturen.
In der eigentlichen Manufakturperiode war die kapitalistische
Produktionsweise hinreichend erstarkt, um gesetzliche Regulation des
Arbeitslohns ebenso unausfuhrbar als uberfliissig zu machen, aber man
wo lite fur den Notfall die Waff en des alten Arsenals nicht entbehren. Noch
8 George 11. verbot fur Schneidergesellen in London und Umgegend mehr
als 2 sh. IV2 d. Taglohn, auBer in Fallen allgemeiner Trauer; noch 13
George III. c.68 uberwies die Reglung des Arbeitslohns der Seidenwirker
den Friedensrichtern; noch 1796 bedurfte es zweier Urteile der hoheren
Gerichtshofe zur Entscheidung, ob friedensrichterliche Befehle iiber
Arbeitslohn auch fur Nichtagrikulturarbeiter giiltig seien; noch 1799
bestatigte ein Parlamentsakt, daB der Lohn der Grubenarbeiter von
Schottland durch ein Statut der Elisabeth und zwei schottische Akte von
1661 und 1671 reguliert sei. Wie sehr sich unterdes die Verhaltnisse
umgewalzt, bewies ein im englischen Unterhaus unerhorter Vorfall. Hier,
wo man seit mehr als 400 Jahren Gesetze fabriziert hatte iiber das
Maximum, welches der Arbeitslohn platterdings nicht ubersteigen durfe,
schlug Whitbread 1796 fur Ackerbautaglohner ein gesetzliches
Lohnminimum vor. Pitt widersetzte sich, gab aber zu, die »Lage der
Armen sei grausam (cruel)«. Endlich, 1813, wurden die Gesetze iiber
Lohnregulation abgeschafft. Sie waren eine lacherliche Anomalie, seitdem
der Kapitalist die Fabrik durch seine Privatgesetzgebung regulierte und
durch die Armensteuer den Lohn des Landarbeiters zum unentbehrlichen
Minimum erganzen lieB. Die Bestimmungen der Arbeiterstatute 1307 , iiber
Kontrakte zwischen Meister und Lohnarbeiter, iiber Terminkundigungen
u.dergl., welche nur eine Zivilklage gegen die kontraktbriichigen Meister,
aber Kriminalklage gegen den kontraktbriichigen Arbeiter erlauben, stehn
bis zur Stunde in voller Bliite.
Die grausamen Gesetze gegen die Koalitionen fielen 1825 vor der
drohenden Haltung des Proletariats. Trotzdem fielen sie nur zum Teil.
Einige schone Uberbleibsel der alten Statute verschwanden erst 1859.
Endlich beanspruchte der Parlamentsakt vom 29. Juni 1871 die letzten
Spuren dieser Klassengesetzgebung zu beseitigen durch gesetzliche
Anerkennung der Trades' Unions. Aber ein Parlamentsakt vom selben
1.3. und 4. Auflage: Arbeitsstatute
l.Ein Gesetz zur Erganzung der Kriminaigesetzgebung iiber Gewaltakte, Bedrohung und
Belastigung
l.Artikel 1 dieses Gesetzes lautet: »Da eine der Grundlagen der franzosischen Verfassung in
der Aufhebung alter Arten von Vereinigungen der Burger desselben Standes und Berufs besteht, ist es
verboten, sie unter irgendwelchem Vorwand oder in irgendwelcher Form wiederherzustellen.« Artikel
IV erklart, daB, wenn »Burger, die zum selben Beruf, Gewerbe, Handwerk gehoren, zusammen
beratschlagten und gemeinsame Abmachungen trafen, die darauf abzielen, die Leistungen ihres
Gewerbes oder ihrer Arbeit zu verweigern oder nur zu einem bestimmten Preis zu gewahren, so sind
besagte Beratungen und Abmachungen ... als verfassungswidrig und als Attentate aufdie Freiheit und
die Menschenrechte zu erklaren usw.«, also Staatsverbrechen, ganz wie in den alten Arbeiterstatuten.
("Revolutions de Paris", Paris 1791, till, p.523.)
2.Schreckensregierung - die Diktatur der Jakobiner von Juni 1793 bis Juni 1794.
3.ehemaligen Meister
4.Buchez et Roux, "Histoire Parlementaire", t.X, p. 193-195 passim.
l.»Pdchter«, sagt Harrison in seiner "Description of England", »denen es friiher schwer ward, 4
Pfd.St. Rente zu zahlen, zahlen jetzt 40, 50, 100 Pfd.St. und glauben doch ein schlechtes Geschdft
gemacht zu haben, wenn sie nach Ablauf ihres Pachtkontrakts nicht 6-7 Jahre Rente zuriicklegen.«
l.Uber den EinfluB der Depreziation des Geldes im 16. Jahrhundert auf verschiedne Klassen der
Gesellschaft: "A Compendious or Briefe Examination of Certayne Ordinary Complaints of Diverse of our
Countrymen in these our days. By W.S., Gentleman", (London 1581). Die Dialogform dieser Schrift trug
dazu bei, daB man sie lange Shakespeare zuschrieb und noch 1751 unter seinem Namen neu herausgab.
IhrVerfasser ist William Stafford. An einer Stelle rasoniert der Ritter (Knight) wie folgt:
Datum (An act to amend the criminal law relating to violence, threats and
molestation 1308 ) stellte tatsachlich den vorigen Stand in neuer Form wieder
her. Durch diese parlamentarische Eskamotage wurden die Mittel, deren
sich die Arbeiter bedienen konnen bei einem Strike oder Lock-out (Strike
der verbundeten Fabrikanten durch gleichzeitigen SchluB ihrer Fabriken),
dem gemeinen Recht entzogen und unter eine Ausnahme-
Strafgesetzgebung gestellt, deren Interpretation den Fabrikanten selbst, in
ihrer Eigenschaft als Friedensrichter, anheimfiel. Zwei Jahre vorher hatten
dasselbe Unterhaus und derselbe Herr Gladstone in bekannter ehrlicher
Weise einen Gesetzentwurf eingebracht zur Abschaffung aller Ausnahms-
Straf gesetze gegen die Arbeiterklasse. Aber weiter als zur zweiten
Lesung lieB man es nie kommen, und so schleppte man die Sache in die
Unge, bis endlich die "groBe liberate Partei" durch eine Allianz mit den
Tories den Mut gewann, sich entschieden gegen dasselbe Proletariat zu
wenden, das sie zur Herrschaft gebracht hatte. Nicht zufrieden mit diesem
Verrat, eriaubte die "groBe liberate Partei" den im Dienst der herrschenden
Klassen allzeit schweifwedelnden englischen Richtern, die verjahrten
Gesetze iiber "Konspirationen" wieder auszugraben und sie auf
Arbeiterkoalitionen anzuwenden. Man sieht, nur widerwillig und unter
dem Druck der Massen verzichtete das englische Parlament auf die
Gesetze gegen Strikes und Trades' Unions, nachdem es selbst, fiinf
Jahrhunderte hindurch, mit schamlosem Egoismus die Stellung einer
permanenten Trades' Union der Kapitalisten gegen die Arbeiter behauptet
hatte.
Gleich im Beginn des Revolutionssturms wagte die franzosische
Bourgeoisie das eben erst eroberte Assoziationsrecht den Arbeitern wieder
zu entziehn. Durch Dekret vom 14. Juni 1791 erklarte sie alle
Arbeiterkoalition fiir ein "Attentat auf die Freiheit und die Erklarung der
Menschenrechte", strafbar mit 500 Livres nebst einjahriger Entziehung der
aktiven Biirgerrechte. 1309 Dies Gesetz, welches den Konkurrenzkampf
zwischen Kapital und Arbeit staatspolizeilich innerhalb dem Kapital
bequemer Schranken einzwangt, iiberlebte Revolutionen und
Dynastiewechsel. Selbst die Schreckensregierung 1310 lieB es unangetastet.
Es ward erst ganz neulich aus dem Code Penal gestrichen. Nichts
charakteristischer als der Vorwand dieses burgerlichen Staatsstreichs.
»Obgleich«, sagt Le Chapelier, der Berichterstatter, »es wiinschenswert,
dafi der Arbeitslohn hoher steige, als erjetzt steht, damit der, der ihn
empfdngt, aufierhalb der durch die Entbehrung der notwendigen
Lebensmittel bedingten absoluten Abhdngigkeit sei, welche fast die
Abhangigkeit der Sklaverei ist«, diirfen dennoch die Arbeiter sich nicht
tiber ihre Interessen verstandigen, gemeinsam handeln und dadurch ihre
»absolute Abhangigkeit, welche fast Sklaverei ist«, maBigen, weil sie eben
dadurch die »Freiheit ihrer ci-devant maitres 1311 , der jetzigen
Unternehmer«, verletzen (die Freiheit, die Arbeiter in der Sklaverei zu
erhalten!) und weil eine Koalition gegen die Despotie der ehemaligen
Meister der Korporationen - man rate! - eine Herstellung der durch die
franzosische Konstitution abgeschafften Korporationen ist! 1312
4. Genesis der kapitalistischen Pachter
Nachdem wir die gewaltsame Schopfung vogelfreier Proletarier betrachtet,
die blutige Disziplin, welche sie in Lohnarbeiter verwandelt, die
schmutzige Haupt- und Staatsaktion, die mit dem Exploitationsgrad der
Arbeit die Akkumulation des Kapitals polizeilich steigert, fragt sich, wo
kommen die Kapitalisten urspriinglich her? Denn die Expropriation des
Landvolks schafft unmittelbar nur groBe Grundeigentiimer. Was die
Genesis des Pachters betrifft, so konnen wir sie sozusagen mit der Hand
betappen, weil sie ein langsamer, tiber viele Jahrhunderte sich
fortwalzender ProzeB ist. Die Leibeignen selbst, woneben auch freie kleine
Landeigner, befanden sich in sehr verschiednen Besitzverhaltnissen und
wurden daher auch unter sehr verschiednen okonomischen Bedingungen
emanzipiert.
In England ist die erste Form des Pachters der selbst leibeigne Bailiff. Seine
Stellung ist ahnlich der des altromischen Villicus, nur in engerer
Wirkungssphare. Wahrend der zweiten Halfte des 14. Jahrhunderts wird er
ersetzt durch einen Pachter, den der Landlord mit Samen, Vieh und
Ackerwerkzeug versieht. Seine Lage ist nicht sehr verschieden von der des
Bauern. Nur beutet er mehr Lohnarbeit aus. Er wird bald Metayer,
Halbpachter. Er stellt einen Teil des Ackerbaukapitals, der Landlord den
andren. Beide teilen das Gesamtprodukt in kontraktlich bestimmter
Proportion. Diese Form verschwindet in England rasch, urn der des
eigentlichen Pachters Platz zu machen, welcher sein eignes Kapital durch
Anwendung von Lohnarbeitern verwertet und einen Teil des
Mehrprodukts, in Geld oder in natura, dem Landlord als Grundrente zahlt.
Solange, wahrend des 15. Jahrhunderts, der unabhangige Bauer und der
neben dem Lohndienst zugleich selbstwirtschaftende Ackerknecht sich
selbst durch ihre Arbeit bereichern, bleiben die Umstande des Pachters und
sein Produktionsfeld gleich mittelmaBig. Die Agrikulturrevolution im
letzten Dritteil des 15. Jahrhunderts, die fast wahrend des ganzen 16.
Jahrhunderts (jedoch mit Ausnahme seiner letzten Dezennien) fortwahrt,
bereichert ihn ebenso rasch, als sie das Landvolk verarmt. 1313 Die
Usurpation von Gemeindeweiden usw. erlaubt ihm groBe Vermehrung
seines Viehstands fast ohne Kosten, wahrend ihm das Vieh reichlichere
Dungungsmittel zur Bestellung des Bodens liefert.
Im 16Jahrhundert kommt ein entscheidend wichtiges Moment hinzu.
Damals waren die Pachtkontrakte lang, oft fiir 99 Jahre laufend. Der
fortdauernde Fall im Wert der edlen Metalle und daher des Geldes trug den
Pachtern goldne Friichte. Er senkte, von alien andren, friiher erorterten
Umstanden abgesehn, den Arbeitslohn. Ein Bruchstuck desselben wurde
zum Pachtprofit geschlagen. Das fortwahrende Steigen der Preise von
Korn, Wolle, Fleisch, kurz samtlicher Agrikulturprodukte, schwellte das
Geldkapital des Pachters ohne sein Zutun, wahrend die Grundrente, die er
zu zahlen hatte, im veralteten Geldwert kontrahiert war. 1314 So bereicherte
er sich gleichzeitig auf Kosten seiner Lohnarbeiter und seines Landlords.
Kein Wunder also, wenn England Ende des 16. Jahrhunderts eine Klasse
fiir die damaligen Verhaltnisse reicher "Kapitalpachter" besaB. 1315
3.1n Frankreich wird der Regisseur, der Verwalter und Eintreiber der Leistungen
an den Feudalherrn wahrend des fruheren Mittelalters, bald ein homme d'affaires
[Geschaftsmann], der sich durch Erpressung, Prellerei usw. zum Kapitalisten
hinaufschwindelt. Diese Regisseurs waren manchmal selbst vornehme Herrn. Z.B.: »Diese
Rechnung gibt Herr Jacques de Thoraisse, ritterlicher Schlofiherr auf Besangon, dem
Herrn, der zu Dijon Rechnung fiihrt fiir den Herrn Herzog und Graf en von Burgund
iiber die Renten, die der genannten Schlojiherrschaft gehoren, vom 25. Tage des
Dezembers 1359 bis zum 28. Tage des Dezembers 1360.« (Alexis Monteil, "Histoire des
Materiaux manuscrits etc.", p.234, 235.) Es zeigt sich schon hier, wie in alien Spharen des
gesellschaftlichen Lebens der Lowenanteil dem Vermittler zufallt. Im okonomischen
Gebiet z.B. schopfen Finanziere, Borsenmanner, Kaufleute, Kleinkramer, den Rahm der
Geschafte ab; im burgerlichen Recht pfliickt der Advokat die Parteien; in der Politik
bedeutet der Reprasentant mehr als die Wahler, der Minister mehr als der Souveran; in der
Religion wird Gott in den Hntergrund gedrangt vom "Mittler" und dieser wiederum
zuriickgeschoben von den Pfaffen, die wieder unvermeidliche Vermittler sind zwischen
dem guten Hirten und seinen Schafen. Wie in England, so waren in Frankreich die groBen
Feudalterritorien in unendlich viele kleine Wirtschaften geteilt, aber unter ungleich
ungiinstigeren Bedingungen fur das Landvolk. Wiihrend des 14. Jahrhunderts kamen die
Pachten, fermes oder terriers auf. Dire Zahl wuchs bestandig, weit iiber 100.000. Sie
zahlten eine vom 12. bis zum 5. Teil des Produkts wechselnde Grundrente in Geld oder in
natura. Die terriers waren Lehn, Hinterlehn etc. (fiefs, arriBere-fiefs), je nach Wert und
Umfang der Domanen, wovon manche nur wenige arpents [Morgen] zahlten. Alle diese
terriers besaBen Gerichtsbarkeit in irgendeinem Grad iiber die Bodeninsassen; es gab vier
Grade. Man begreift den Druck des Landvolks unter alien diesen kleinen Tyrannen.
Monteil sagt, daB es damals 160.000 Gerichte in Frankreich gab, wo heute 4.000
Tribunale (Friedensgerichte eingeschlossen) geniigen.
l.In seinen "Notions de Philosophic Natureile", Paris 1838.
2.Ein Punkt, den Sir James Steuart betont. [James Steuart: "An Inquiry into the
principles of political oeconomy", Bd.l, Dublin 1770, Buch 1, Kap. 16.]
l.fiir den Konig von PreuBen
2.»Ich werde gestatten«, sagt der Kapitalist, »dafi ihr die Ehre habt, mir zu
dienen, unter der Bedingung, dafi ihr mir fiir die Millie, die ich mir mache, euch zu
kommandieren, das wenige gebt, was euch bleibt.« (J.J. Rousseau, "Discours sur
l'Economie Politique", [Geneve 1760, p. 701.)
l.Mirabeau, I.e., till, p.20-109 passim. Wenn Mirabeau die zersplitterten
Werkstatten auch fiir okonomischer und produktiver halt als die "vereinigten", und in den
letztren bloB kunstliche Treibhauspflanzen unter der Pflege der Staatsregierungen sieht,
erklart sich das aus dem damaligen Zustand eines groBen Teils der kontinentalen
Manufakturen.
l.»Zwanzig Pfund Wolle unauffdllig in den jdhrlichen Kleiderbedarf einer
Arbeiterfamilie verwandelt, durch ihren eignen Fleifi in den Pausen zwischen ihren
anderen Arbeiten - das erregt kein Aufsehen. Aber bringt die Wolle auf den Markt,
schickt sie in die Fabrik, dann zum Makler, dann zum Handler, dann habt ihr grofie
Handelsoperationen und nominelles Kapital aufgewandt im zwanzigfachen Betrag
ihres Werts... Die arbeitende Klasse wird so ausgebeutet, um eine verelendete
Fabrikbevolkerung, eine Parasitenklasse von Ladenbesitzern und einfiktives Handels-,
Geld- und Finanzsy stem zu erhalten.« (David Urquhart, I.e. p. 120.)
5. Rlickwirkung der agrikolen Revolution auf die Industrie.
Die stoBweise und stets erneuerte Expropriation und Verjagung des
Landvolks lieferte, wie man sah, der stadtischen Industrie wieder und
wieder Massen ganz auBerhalb der Zunftverhaltnisse stehender Proletarier,
ein weiser Umstand, der den alten A. Anderson (nicht zu verwechseln mit
James Anderson) in seiner Handelsgeschichte an direkte Intervention der
Vorsehung glauben laBt. Wir mussen noch einen Augenblick bei diesem
Element der urspriinglichen Akkumulation verweilen. Der Verdiinnung
des unabhangigen, selbstwirtschaftenden Landvolks entsprach nicht nur
die Verdichtung des industriellen Proletariats, wie Geoffroy Saint-Hilaire
die Verdichtung der Weltmaterie hier durch ihre Verdiinnung dort
erklart. 1316 Trotz der verminderten Zahl seiner Bebauer trug der Boden
nach wie vor gleich viel oder mehr Produkt, weil die Revolution in den
Grandeigentumsverhaltnissen von verbesserten Methoden der Kultur,
groBerer Kooperation, Konzentration der Produktionsmittel usw. begleitet
war und weil die 23 landlichen Lohnarbeiter nicht nur intensiver
angespannt wurden 1317 , sondern auch das Produktionsfeld, worauf sie fiir
sich selbst arbeiteten, mehr und mehr zusammenschmolz. Mit dem
freigesetzten Teil des Landvolks werden also auch seine fruhern
Nahrungsmittel freigesetzt. Sie verwandeln sich jetzt in stoffliches Element
des variablen Kapitals. Der an die Luft gesetzte Bauer muB ihren Wert von
seinem neuen Herrn, dem industriellen Kapitalisten, in der Form des
Arbeitslohns erkaufen. Wie mit den Lebensmitteln verhielt es sich mit dem
heimischen agrikolen Rohmaterial der Industrie. Es verwandelte sich in ein
Element des konstanten Kapitals.
Man unterstelle z.B. einen Teil der westfalischen Bauern, die zu Friedrichs
II. Zeit alle Flachs, wenn auch keine Seide spannen, gewaltsam expropriiert
und von Grand und Boden verjagt, den andren zuriickbleibenden Teil aber
in Taglohner groBer Pachter verwandelt. Gleichzeitig erheben sich groBe
Flachsspinnereien und Webereien, worin die "Freigesetzten" nun
lohnarbeiten. Der Flachs sieht grad aus wie vorher. Keine Fiber an ihm ist
verandert, aber eine neue soziale Seele ist ihm in den Leib gefahren. Er
bildet jetzt einen Teil des konstanten Kapitals der Manufakturherrn. Fruher
verteilt unter eine Unmasse kleiner Produzenten, die ihn selbst bauten und
in kleinen Portionen mit ihren Familien verspannen, ist er jetzt konzentriert
in der Hand eines Kapitalisten, der andre fiir sich spinnen und weben laBt.
Die in der Flachsspinnerei verausgabte Extraarbeit realisierte sich fruher in
Extraeinkommen zahlloser Bauernfamilien oder auch, zu Friedrichs II.
Zeit, in Steuern pour le roi de Prasse 1 3 ' 8 . Sie realisiert sich jetzt im Profit
weniger Kapitalisten. Die Spindeln und Webstuhle, friiher verteilt iiber das
flache Land, sind jetzt in wenig groBe Arbeitskasernen zusammengeriickt,
wie die Arbeiter, wie das Rohmaterial. Und Spindeln und Webstuhle und
Rohmaterial sind aus Mitteln unabhangiger Existenz fiir Spinnerand
Weber von nun an verwandelt in Mittel, sie zu kommandieren 1319 und
ihnen unbezahlte Arbeit auszusaugen. Den groBen Manufakturen, wie den
groBen Pachtungen, sieht man es nicht an, daB sie aus vielen kleinen
Produktionsstatten zusammengeschlagen und durch die Expropriation
vieler kleinen unabhangigen Produzenten gebildet sind. Jedoch laBt sich
die unbefangne Anschauung nicht beirren. Zur Zeit Mirabeaus, des
Revolutionslowen, hieBen die groBen Manufakturen noch manufactures
reunies, zusammengeschlagne Werkstatten, wie wir von
zusammengeschlagnen Ackern sprechen.
»Man sieht nur«, sagt Mirabeau, »die grofien Manufakturen, wo
Hunderte von Menschen unter einem Direktor arbeiten und die man
gewohnlich vereinigte Manufakturen (manufactures reunies) nennt.
Diejenigen dagegen, wo eine sehr grofie Anzahl Arbeiter zersplittert und
jederfiir seine eigne Rechnung arbeitet, werden kaum eines Blicks
gewiirdigt. Man stellt sie ganz in den Hintergrund. Dies ist ein sehr
grofier Irrtum, denn sie allein bilden einen wirklich wichtigen
Bestandteil des Volksreichtums ... Die vereinigte Fabrik (fabrique
reunie) wird einen oder zwei Unternehmer wunderbar bereichern, aber
die Arbeiter sind nur besser oder schlechter bezahlte Taglohner und
nehmen in nichts am Wohlsein des Unternehmers teil. In der getrennten
Fabrik (fabrique separee) dagegen wird niemand reich, aber eine Menge
Arbeiter befindet sich im Wohlstand... Die Zahl der fleifiigen und
wirtschaftlichen Arbeiter wird wachsen, weil sie in weiser Lebensart, in
Tatigkeit ein Mittel erblicken, ihre Lage wesentlich zu verbessern, statt
eine kleine Lohnerhohung zu gewinnen, die niemals ein wichtiger
Gegenstandfur die Zukunft sein kann, sondern die Leute hochstens
befahigt, etwas besser von der Hand in den Mund zu leben. Die
getrennten individuellen Manufakturen, meist mit kleiner Landwirtschaft
verbunden, sind die freien.« 1320
Die Expropriation und Vertagung eines Teils des Landvolks setzt mit den
Arbeitern nicht nur ihre Lebensmittel und ihr Arbeitsmaterial fur das
industrielle Kapital frei, sie schafft den innern Markt.
In der Tat, die Ereignisse, die die Kleinbauern in Lohnarbeiter und ihre
Lebens- und Arbeitsmittel in sachliche Elemente des Kapitals verwandeln,
schaffen gleichzeitig diesem letztern seinen inneren Markt. Fruher erzeugte
und bearbeitete die Bauernfamilie die Lebensmittel und Rohstoffe, die sie
nachher groBtentelis selbst verzehrte. Diese Rohstoffe und Lebensmittel
sind jetzt Waren geworden; der GroBpachter verkauft sie, in den
Manufakturen findet er seinen Markt. Garn, Leinwand, grobe
Wollenzeuge, Dinge deren Rohstoffe sich im Bereich jeder Bauernfamilie
vorfanden und von ihr zum Selbstgebrauch versponnen und verwebt
wurden - verwandeln sich jetzt in Manufakturartikel, deren Absatzmarkt
grade die Landdistrikte bilden. Die zahlreiche zerstreute Kundschaft, bisher
bedingt durch eine Menge kleiner, fiir eigne Rechnung arbeitender
Produzenten, konzentriert sich jetzt zu einem groBen, vom industriellen
Kapital versorgten Markt. 1321
So geht Hand in Hand mit der Expropriation friiher selbstwirtschaftender
Bauern und ihrer Losseicheidung von ihren Produktionsmitteln die
Vernichtung der landlichen Nebenindustrie, der ScheidungsprozeB von
Manufaktur und Agrikultur. Und nur die Vernichtung des landlichen
Hausgewerbes kann dem innern Markt eines Landes die Ausdehnung und
den festen Bestand geben, deren die kapitalistische Produktionsweise
bedarf.
Jedoch bringt es die eigentliche Manufakturperiode zu keiner radikalen
Umgestaltung. Man erinnert sich, daB sie sich der nationalen Produktion
nur sehr sttickweis bemachtigt und immer auf stadtischem Handwerk und
hauslich-landlicher Nebenindustrie als breitem Hintergrund ruht. Wenn sie
letztre unter einer Form, in besondren Geschaftszweigen, auf gewissen
Punkten vernichtet, raft sie dieselbe auf andren wieder hervor, weil sie
derselben zur Bearbeitung des Rohmaterials bis zu einem bestimmten
Grad bedarf. Sie produziert daher eine neue Klasse kleiner Landleute,
weiche die Bodenbestellung als Nebenzweig und die industrielle Arbeit
zum Verkauf des Produkts an die Manufaktur - direkt, oder auf dem
Umweg des Kaufmanns - als Hauptgeschaft treiben. Dies ist ein Grand,
wenn auch nicht der Hauptgrand, eines Phanomens, welches den Forscher
der englischen Geschichte zunachst verwirrt. Vom letzten Dritteil des 15.
Jahrhunderts an findet er fortlaufende, nur in gewissen Intervallen
unterbrochne Klage iiber die zunehmende Kapitalwirtschaft auf dem Land
und die progressive Vernichtung der Bauerschaft. Andrerseits findet er
stets diese Bauerschaft wieder von neuem vor, wenn auch in verminderter
Zahl und unter stets verschlechterter Form. 1322 Der Hauptgrund ist:
l.Ausnahme bildet hier Cromwells Zeit. Solange die Republik wahrte, erhob sich
die englische Volksmasse in alien Schichten aus der Degradation, wozu sie unter den
Tudors gesunken war.
2.Tuckett weiB, daB aus den eigentlichen Manufakturen und der Zerstorung der
landlichen oder hauslichen Manufaktur, mit Einfiihrung der Maschinerie, die groBe
Wollindustrie hervorgeht. (Tuckett, I.e., v.l, p, 139-144.) »Der Pflug, das Joch waren die
Erfindung von Gottern und die Beschdftigung von Heroen: sind Webstuhl, Spindel und
Spinnrad minder edler Abkunft? Ihr trennt das Spinnrad und den Pflug, die Spindel
und das Joch, und erhaltet Fabriken und Armenhauser, Kredit und Paniks, zwei
feindliche Nationen, agrikole und kommerzielle.« (David Urquhart, l.c- p. 122.) Nun
kommt aber Carey und klagt, sicher nicht mit Unrecht, England an, daB es jedes andre Land
in ein bloBes Agrikulturvolk zu verwandeln strebt, dessen Fabrikant England. Er
behauptet, in dieser Art sei die Tiirkei ruiniert worden, weil »den Eignern und Bebauern
des Bodens niemals gestattet war [von England], sich selbst zu kraftigen durch die
natiirliche Allianz zwischen dem Pflug und dem Webstuhl, dem Hammer und der Egge«.
("The Slave Trade", p. 125.) Nach ihm ist Urquhart selbst einer der Hauptagenten des Ruins
der Tiirkei, wo er im englischen Interesse Freihandelspropaganda gemacht habe. Das Beste
ist, daB Carey, nebenbei groBer Russenknecht, durch das Protektionssystem jenen
ScheidungsprozeB, den es beschleunigt, verhindern will.
3.Die philanthropischen englischen Okonomen, wie Mill, Rogers, Geldwin
Smith, Fawcett usw., und liberate Fabrikanten, wie John Bright und Kons., fragen, wie
Gott den Kain nach seinem Bruder Abel, so den englischen Grundaristokraten, wo sind
unsre Tausende von Freeholders [Freisassen] hingekommen? Aber- wo seid ihr denn
hergekommen? Aus der Vernichtung jener Freeholders. Warum fragt ihr nicht weiter, wo
sind die unabhangigen Weber, Spinner, Handwerker hingekommen?
l.Industriell hier im Gegensatz zu agrikol. Im "kategorischen" Sinn ist der
Pachter ein industrieller Kapitalist so gut wie der Fabrikant.
2.hier: schlechthin
3.iiberhaupt
l."The Natural and Artifical Rights of Property Contrasted", Lond. 1832, p.98,
99. Verfasser der anonymen Schrift: Th. Hodgskin.
l.Sogar noch 1794 schickten die kleinen Tuchmacher von Leeds eine Deputation
an das Parlament zur Petition um ein Gesetz, das jedem Kaufmann verbieten sollte,
Fabrikant zu werden. (Dr. Aikin, l.c.)
1. William Howitt, "Colonization and Christianity. APopular History of
Treatment of the Natives by the Europeans in all their Colonies", Lond. 1838, p.9. Uber
die Behandlung der Sklaven gute Kompilation bel Charles Comte, "Traite de la
England ist vorzugsweise bald Kornbauer, bald Viehzuchter, in
Wechselperioden, und mit ihnen schwankt der Umfang des bauerlichen
Betriebs. Erst die groBe Industrie liefert mit den Maschinen die konstante
Grandlage der kapitalistischen Agrikultur, expropriiert radikal die
ungeheure Mehrzahl des Landvolks und vollendet die Scheidung zwischen
Ackerbau und hauslich-landlichem Gewerbe, dessen Wurzeln sie ausreiBt -
Spinnerei und Weberei. 1323 Sie erobert daher auch erst dem industriellen
Kapital den ganzen innern Markt. 1324
6. Genesis des industriellen Kapitalisten
Die Genesis des industriellen 1325 Kapitalisten ging nicht in derselben
allmahlichen Weise vor wie die des Pachters. Zweifelsohne verwandelten
sich manche kleine Zunftmeister und noch mehr selbstandige kleine
Handwerker oder auch Lohnarbeiter in kleine Kapitalisten und durch
allmahlich ausgedehntere Exploitation von Lohnarbeit und entsprechende
Akkumulation in Kapitalisten sans phrase 1326 . In der Kindheitsperiode der
kapitalistischen Produktion ging's vielfach zu wie in der Kindheitsperiode
des mittelaltrigen Stadtewesens, wo die Frage, wer von den entlaufnen
Leibeignen soil Meister sein und wer Diener, groBenteils durch das friihere
oder spatere Datum ihrer Flucht entschieden wurde. Indes entsprach der
Schneckengang dieser Methode in keiner Weise den Handelsbedurfnissen
des neuen Weltmarkts, welchen die groBen Entdeckungen Ende des 15.
Jahrhunderts geschaffen hatten. Aber das Mittelalter hatte zwei
verschiedne Formen des Kapitals uberliefert, die in den verschiedensten
okonomischen Gesellschaftsformationen reifen und, vor der Ara der
kapitalistischen Produktionsweise, als Kapital quand meme 1327 gelten - das
Wucherkapital und das Kaufmannskapital.
»Gegenwartig geht aller Reichtum der Gesellschaft erst in die Hand des
Kapitalisten ... er zahlt dem Grundeigentiimer die Rente, demArbeiter
den Lohn, dem Steuer- und Zehntenkollektor ihre Anspruche und behalt
einen grofien, in der Tat den grofiten und taglich anwachsenden Teil des
jahrlichen Produkts der Arbeit fur sich selbst. Der Kapitalist kann jetzt
als der Eigner des ganzen gesellschaftlichen Reichtums in erster Hand
betrachtet werden, obgleich kein Gesetz ihm das Recht aufdies Eigentum
ubertragen hat... Dieser Wechsel im Eigentum wurde durch das
Zinsnehmen auf Kapital bewirkt ... und es ist nicht wenig merkwiirdig,
dafi die Gesetzgeber von ganz Europa dies durch Gesetze wider den
Wucher verhindern wollten... Die Macht des Kapitalisten iiber alien
Reichtum des Landes ist eine vollstandige Revolution im
Eigentumsrecht, und durch welches Gesetz oder welche Reihe von
Gesetzen wurde sie bewirkt ?« 1328
Der Verfasser hatte sich sagen sollen, daB Revolutionen nicht durch
Gesetze gemacht werden.
Das durch Wucher und Handel gebildete Geldkapital wurde durch die
Feudalverfassung auf dem Land, durch die Zunftverfassung in den Stadten
an seiner Verwandlung in industrielles Kapital behindert. 1329 Diese
Schranken fielen mit der Auflosung der feudalen Gefolgschaften, mit der
Expropriation und teilweisen Vertagung des Landvolks. Die neue
Manufaktur ward in See-Exporthafen errichtet oder auf Punkten des
flachen Landes, auBerhalb der Kontrolle des alten Staiitewesens und seiner
Zunftverfassung. In England daher erbitterter Kampf der corporate towns
gegen diese neuen industriellen Pflanzschulen.
Die Entdeckung der Gold- und Silberlander in Amerika, die Ausrottung,
Versklavung und Vergrabung der eingebornen Bevolkerung in die
Bergwerke, die beginnende Eroberung und Auspliinderung von Ostindien,
die Verwandlung von Afrika in ein Geheg zur Handelsjagd auf
Schwarzhaute bezeichnen die Morgenrote der kapitalistischen
Produktionsara. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der
urspriinglichen Akkumulation. Auf dern FuB folgt der Handelskrieg der
europaischen Nationen, mit dem Erdrund als Schauplatz. Er wird eroffnet
durch den Abfall der Niederlande von Spanien, nimmt Riesenumfang an in
Englands Antijakobinerkrieg, spielt noch fort in den Opiumkriegen gegen
China usw.
Die verschiednen Momente der urspriinglichen Akkumulation verteilen
sich nun, mehr oder minder in zeitlicher Reihenfolge, namentlich auf
Spanien, Portugal, Holland, Frankreich und England. In England werden
sie Ende des 17Jahrhunderts systematisch zusammengefaBt im
Kolonialsystem, Staatsschuldensystem, modernen Steuersystem und
Protektionssystem. Diese Methoden beruhn zum Teil auf brutalster
Gewalt, z.B. das Kolonialsystem. Alle aber benutzten die Staatsmacht, die
konzentrierte und organisierte Gewalt der Gesellschaft, um den
VerwandlungsprozeB der feudalen in die kapitalistische Produktionsweise
treibhausmaBig zu fordern und die Ubergange abzukiirzen. Die Gewalt ist
der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger
geht. Sie selbst ist eine okonomische Potenz.
Von dem christlichen Kolonialsystem sagt ein Mann, der aus dem
Christentum eine Spezialitat macht, W. Howitt:
»Die Barbareien und ruchloscn Greueltaten der sog. christlichen Racen,
in jeder Region der Welt und gegenjedes Volk, das sie unterjochen
konnten, finden keine Parallele in irgendeiner Ara der Weltgeschichte,
bei irgendeiner Race, ob noch so wild und ungebildet, mitleidlos und
schamlos.« 1330
Die Geschichte der hollandischen Kolonialwirtschaft - und Holland war die
kapitalistische Musternation des 17. Jahrhunderts - »entrollt ein
uniibertreffbares Gemalde von Verrat, Bestechung, Meuchelmord und
Niedertracht« nn . Nichts charakteristischer als ihr System des
l.Thomas Stainford Raffles, late Lieut. Gov. of that island, "The History of Java",
Lond. 1817. [v.II, p.CXC, CXCL]
l.sanfte Handel
l.Im Jahr 1866 starben in der einzigen Provinz Orissa mehr als eine Million
Hindus am Hungertod. Nichtsdestoweniger suchte man die indische Staatskasse zu
bereichern durch die Preise, wozu man den Verhungernden Lebensmittel ablieB.
l.G. von Giilich, "Geschichtliche Darstellung des Handels, der Gewerbe und des
Ackerbaus der bedeutendsten handeltreibenden Staaten unsrer Zeit", Bd.l, Jena 1830,
S.371.
l.William Cobbett bemerkt, daB in England alle offentlichen Anstalten als
"konigliche" bezeichnet werden, zum Ersatz dafur gab es jedoch die "NationaT-Schuld
(national debt).
l.»Wenn die Tataren heute Europa iiberfluteten, wiirde es schwerhalten, ihnen
verstandlich zu machcn, was bei uns ein Finanzier ist.« (Montesquieu, "Esprit des lois",
t. IV, p.33, ed. Londres 1769.)
l.»Pourquoi aller chercher si loin la cause de Vegclat manufacturier de la
Saxe avant la guerre? Cent quatre-vingt millions de detes faites par les souverains!«
(Mirabeau, I.e., t.VI, p.101 .)
LEden, I.e., b.II, ch.I, p.421.
2John Fielden, I.e. p.5, 6. Uber die ursprunglichen Infamien des Fabrikwesens
vgl. Dr. Aikin (1795), I.e. p.219, und Gisborne, "Enquiry into the duties of men", 1795,
v.II. - Da die Dampfmaschine die Fabriken von den landlichen Wasserfallen weg in die
Mitte von Stadten verpflanzte, fand der "entsagungslustige" Plusrnacher das
Kindermaterial nun zur Hand, ohne gewaltsame Sklavenzufuhr aus den Workhouses. - Als
Sir R. Peel (Vater des "Ministers der Plausibilitat") seine Bill zum Schutz der Kinder 1815
Menschendiebstahls in Celebes, um Sklaven fur Java zu erhalten. Die
Menschenstehler wurden zu diesem Zweck abgerichtet. Der Dieb, der
Dolmetscher und der Verkaufer waren die Hauptagenten in diesem
Handel, eingeborne Prinzen die Hauptverkaufer. Die weggestohlne Jugend
wurde in den Geheimgefangnissen von Celebes versteckt, bis reif zur
Verschickung auf die Sklavenschiffe. Ein offizieller Bericht sagt:
»Diese eine Stadt von Makassar z.B. ist voll von geheimen Gefangnissen,
eins schauderhafter als das andre, gepfropft mit Elenden, Opfern der
Habsucht und Tyrannei, in Ketten gefesselt, ihren Familien gewaltsam
entrissen.«
Um sich Malakkas zu bemachtigen, bestachen die Hollander den
portugiesischen Gouverneur. Er lieB sie 1641 in die Stadt ein. Sie eilten
sofort zu seinem Hause und meuchelmordeten inn, um auf die Zahlung der
Bestechungssumme von 21.875 Pfd.St. zu "entsagen". Wo sie die FiiBe
hinsetzten, folgte Verodung und Entvolkerung. Banjuwangi, eine Provinz
von Java, zahlte 1750 iiber 80.000 Einwohner, 1811 nur noch 8.000. Das ist
der doux commerce 1332 !
Die Englisch-Ostindische Kompanie erhielt bekanntlich, auBer der
politischen Herrschaft in Ostindien, das ausschlieBliche Monopol des
Teehandels wie des chinesischen Handels uberhaupt und des
Giitertransports von und nach Europa. Aber die Kustenschiffahrt von
Indien und zwischen den Inseln wie der Handel im Innern Indiens wurden
Monopol der hohern Beamten der Kompanie. Die Monopole von Salz,
Opium, Betel und andren Waren waren unerschopfliche Minen des
Reichtums. Die Beamten selbst setzten die Preise fest und schanden nach
Belieben den unglucklichen Hindu. Der Generalgouverneur nahm teil an
diesem Privathandel. Seine Gunstlinge erhielten Kontrakte unter
Bedingungen, wodurch sie, kliiger als die Alchimisten, aus nichts Gold
machten. GroBe Vermogen sprangen wie die Pilze an einem Tage auf, die
urspriingliche Akkumulation ging vonstatten ohne VorschuB eines
Schillings. Die gerichtliche Verfolgung des Warren Hastings wimmelt von
solchen Beispielen. Hier ein Fall. Ein Opiumkontrakt wird einem gewissen
Sullivan zugeteilt, im Augenblick seiner Abreise - in offentlichem Auftrage
- nach einem von den Opiumdistrikten ganz entlegnen Teil Indiens.
Sullivan verkauft seinen Kontrakt fiir 40.000 Pfd.St. an einen gewissen
Binn, Binn verkauft inn denselben Tag fiir 60.000 Pfd.St., und der
schlieBliche Kaufer und Ausfuhrer des Kontrakts erklart, daB er hinterher
noch einen ungeheuren Gewinn herausschlug. Nach einer dem Parlament
vorgelegten Liste lieBen sich die Kompanie und ihre Beamten von 1757 bis
1766 von den Indiern 6 Millionen Pfd.St. schenken! Zwischen 1769 und
1770 fabrizierten die Englander eine Hungersnot durch den Aufkauf von
allem Reis und durch Weigerung des Wiederverkaufs auBer zu fabelhaften
Preisen. 1333
Die Behandlung der Eingebornen war natiirlich am to listen in den nur zum
Exporthandel bestimmten Pflanzungen, wie Westindien, und in den dem
Raubmord preisgegebenen reichen und dichtbevolkerten Landern, wie
Mexiko und Ostindien. Jedoch auch in den eigentlichen Kolonien
verleugnete sich der christliche Charakter der urspriinglichen
Akkumulation nicht. Jene niichternen Virtuosen des Protestantismus, die
Puritaner Neu-Englands, setzten 1703 durch Beschliisse ihrer Assembly
eine Pramie von 40 Pfd.St. auf jedes indianische Skalp und jede gefangne
Rothaut, 1720 Pramie von 100 Pfd.St. auf jedes Skalp, 1744, nachdem
Massachusetts-Bay einen gewissen Stamm zum Rebellen erklart hatte,
folgende Preise: fur mannliches Skalp, 12 Jahre und dariiber, 100 Pfd.St.
neuer Wahrung, fiir mannliche Gefangne 105 Pfd.St., fur gefangne Weiber
und Kinder 50 Pfd.St., fur Skalps von Weibern und Kindern 50 Pfd.St.!
Einige Dezennien spater rachte sich das Kolonialsystem an der unterdes
aufruhrerisch gewordnen Nachkommenschaft der frommen pilgrim
fathers. Unter englischem Antrieb und Sold wurden sie tomahawked. Das
britische Parlament erklarte Bluthunde und Skalpieren fiir »Mittel, welche
Gott und die Natur in seine Hand gegeben«.
Das Kolonialsystem reifte treibhausmaBig Handel und Schiffahrt. Die
"Gesellschaften Monopolia" (Luther) waren gewaltige Hebel der
Kapitalkonzentration. Den aufschieBenden Manufakturen sicherte die
Kolonie Absatzmarkt und eine durch das Marktmonopol potenzierte
Akkumulation. Der auBerhalb Europa direkt durch Pliinderung,
Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz floB ins Mutterland zuriick
und verwandelte sich hier in Kapital. Holland, welches das Kolonialsystem
zuerst vollig entwickelte, stand schon 1648 im Brennpunkt seiner
HandelsgroBe. Es war
»infast ausschliefilichem Besitz des ostindischen Handels und des
Verkehrs zwischen dem europdischen Sudwesten und Nordosten. Seine
Fischereien, Seewesen, Manufakturen ubertrafen die eines jeden andren
Landes. Die Kapitalien der Republik waren vielleicht bedeutender als die
des ubrigen Europa insgesamt.« 1334
Gulich vergiBt hinzuzusetzen: Hollands Volksmasse war schon 1648 mehr
uberarbeitet, verarmter und brutaler unterdriickt als die des ubrigen
Europas insgesamt.
Heutzutage fuhrt industrielle Suprematie die Handelssuprematie mit sich.
In der eigentlichen Manufakturperiode dagegen ist es die
Handelssuprematie, die die industrielle Vorherrschaft gibt. Daher die
vorwiegende Rolle, die das Kolonialsystem damals spielte. Es war "der
fremde Gott", der sich neben die alten Gotzen Europas auf den Altar stellte
und sie eines schonen Tages mit einem Schub und Bautz samtlich iiber
den Haufen warf. Es proklamierte die Plusmacherei als letzten und
einzigen Zweck der Menschheit.
Das System des offentlichen Kredits, d.h. der Staatsschulden, dessen
Urspriinge wir in Genua und Venedig schon im Mittelalter entdecken,
nahm Besitz von ganz Europa wahrend der Manufakturperiode. Das
Kolonialsystem mit seinem Seehandel und seinen Handelskriegen diente
ihm als Treibhaus. So setzte es sich zuerst in Holland fest. Die
Staatsschuld, d.h. die VerauBerung des Staats - ob despotisch,
konstitutionell oder republikanisch - driickt der kapitalistischen Ara ihren
Stempel auf. Der einzige Teil des sogenannten Nationalreichtums, der
wirklich in den Gesamtbesitz der modernen Volker eingeht, ist - ihre
Staatsschuld. 1335 Daher ganz konsequent die moderne Doktrin, daB ein
Volk um so reicher wird, je tiefer es sich verschuldet. Der offentliche
Kredit wird zum Credo des Kapitals. Und mit dem Entstehen der
Staatsverschuldung tritt an die Stelle der Sunde gegen den heiligen Geist,
fur die keine Verzeihung ist, der Treubruch an der Staatsschuld.
Die offentliche Schuld wird einer der energischsten Hebel der
urspriinglichen Akkumulation. Wie mit dem Schlag der Wunschelrute
begabt sie das unproduktive Geld mit Zeugungskraft und verwandelt es so
in Kapital, ohne daB es dazu notig hatte, sich der von industrieller und
selbst wucherischer Anlage unzertrennlichen Muhwaltung und Gefahr
auszusetzen. Die Staatsglaubiger geben in Wirldichkeit nichts, denn die
geliehene Summe wird in offentliche leicht ubertragbare Schuldscheine
verwandelt, die in ihren Handen fortfungieren, ganz als waren sie
ebensoviel Bargeld. Aber auch abgesehn von der so geschaffnen Klasse
muBiger Rentner und von dem improvisierten Reichtum der zwischen
Regierung und Nation die Mittler spielenden Finanziers - wie auch von
dem der Steuerpachter, Kaufleute, Privatfabrikanten, denen ein gut Stuck
jeder Staatsanleihe den Dienst eines vom Himmel gefallenen Kapitals
leistet - hat die Staatsschuld die Aktiengesellschaften, den Handel mit
negoziablen Effekten aller Art, die Agiotage emporgebracht, in einem
Wort: das Bursenspiel und die moderne Bankokratie.
Von ihrer Geburt an waren die mit nationalen Titeln aufgestutzten groBen
Banken nur Gesellschaften von Privatspekulanten, die sich den
Regierangen an die Seite stellten und, dank den erhaltnen Privilegien,
ihnen Geld vorzuschieBen imstande waren. Daher hat die Akkumulation
der Staatsschuld keinen unfehlbareren Gradmesser als das sukzessive
Steigen der Aktien dieser Banken, deren voile Entfaltung von der
Griindung der Bank von England datiert (1694). Die Bank von England
begann damit, der Regierung ihr Geld zu 8% zu verleihen; gleichzeitig war
sie vom Parlament ermachtigt, aus demselben Kapital Geld zu miinzen,
indem sie es dem Publikum nochmals in Form von Banknoten lieh. Sie
durfte mit diesen Noten Wechsel diskontieren, Waren beleihen und edle
Metalle einkaufen. Es dauerte nicht lange, so wurde dies von ihr selbst
fabrizierte Kreditgeld die Miinze, worin die Bank von England dem Staat
Anleihen machte und fur Rechnung des Staats die Zinsen der offentlichen
Schuld bezahlte. Nicht genug, daB sie mit einr Hand gab, um mit der
andern mehr zuriickzuempfangen; sie blieb auch, wahrend sie empfing,
ewige Glaubigerin der Nation bis zum letzten gegebnen Heller. AUmahlich
wurde sie der unvermeidliche Behalter der Metallschatze des Landes und
das Gravitationszentrum des gesamten Handelskredits. Um dieselbe Zeit,
wo man in England aufhorte, Hexen zu verbrennen, fing man dort an,
Banknotenfalscher zu hangen. Welchen Effekt auf die Zeitgenossen das
plotzliche Auftauchen dieser Brut von Bankokraten, Finanziers, Rentiers,
Maklern, Stockjobbers und Borsenwolfen machte, beweisen die Schriften
jenerZeit, z.B. Boling-brokes. 1336
Mit den Staatsschulden entstand ein internationales Kreditsystem, das
haufig eine der Quellen der urspriinglichen Akkumulation bei - diesem
oder jenem Volk versteckt. So bilden die Gemeinheiten des venetianischen
Raubsystems eine solche verborgne Grundlage des Kapitalreichtums von
Holland, dem das verfallende Venedig groBe Geldsummen Ueh. Ebenso
verhalt es sich zwischen Holland und England. Schon im Anfang des 18.
Jahrhunderts sind die Manufakturen Hollands weit uberflugelt und hat es
aufgehort, herrschende Handels- und Industrienation zu sein. Eins seiner
Hauptgeschafte von 1701-1776 wird daher das Ausleihen ungeheurer
Kapitalien, speziell an seinen machtigen Konkurrenten England. Ahnliches
gilt heute zwischen England und den Vereinigten Staaten. Manch Kapital,
das heute in den Vereinigten Staaten ohne Geburtsschein auftritt, ist erst
gestern in England kapitallsiertes Kinderblut.
Da die Staatsschuld ihren Riickhalt in den Staatseinkunften hat, die die
jahrlichen Zins- usw. Zahlungen decken miissen, so wurde das moderne
Steuersystem notwendige Erganzung des Systems der Nationalanleihen.
Die Anleihen befahigen die Regierung, auBerordenthche Ausgaben zu
bestreiten, ohne daB der Steuerzahler es sofort fiihlt, aber sie erfordern
doch fiir die Folge erhohte Steuern. Andrerseits zwingt die durch
Anhaufung nacheinander kontrahierter Schulden verursachte
Steuererhohung die Regierung, bei neuen auBerordentlichen Ausgaben
stets neue Anleihen aufzunehmen. Die moderne Fiskalitat, deren
Drehungsachse die Steuern auf die notwendigsten Lebensmittel (also
deren Verteuerung) bilden, tragt daher in sich selbst den Keim
automatischer Progression. Die Uberbesteuerung ist nicht ein Zwischenfall,
sondern vielmehr Prinzip. In Holland, wo dies System zuerst inauguriert,
hat daher der groBe Patriot de Witt es in seinen Maximen gefeiert als das
beste System, um den Lohnarbeiter unterwurfig, frugal, fleiBig und ... mit
Arbeit uberladen zu machen. Der zerstorende EinfluB, den es auf die Lage
der Lohnarbeiter ausiibt, geht uns hier jedoch weniger an als die durch es
bedingte gewaltsame Expropriation des Bauern, des Handwerkers, kurz
aller Bestandteile der kleinen Mittelklasse. Dariiber bestehn keine zwei
Meinungen, selbst nicht bei den burgerlichen Okonomen. Verstarkt wird
seine expropriierende Wirksamkeit noch durch das Protektionssystem, das
einer seiner integrierenden Teile ist.
Der groBe Anteil an der Kapitalisation des Reichtums und der
Expropriation der Massen, der auf die offentliche Schuld und das ihr
entsprechende Fiskalitats system fallt, hat eine Menge Schriftsteller, wie
Cobbett, Doubleday und andre, dahin gefiihrt, mit Unrecht hierin die
Grundursache des Elends der modernen Volker zu suchen.
Das Protektionssystem war ein Kunstmittel, Fabrikanten zu fabrizieren,
unabhangige Arbeiter zu expropriieren, die nationalen Produktions- und
Lebensmittel zu kapitalisieren, den Ubergang, aus der altertiimlichen in die
moderne Produktionsweise gewaltsam abzukiirzen. Die europaischen
Staaten rissen sich um das Patent dieser Erfindung, und einmal in den
Dienst der Plusmacher eingetreten, brand schatzten sie zu jenem Behuf
nicht nur das eigne Volk, indirekt durch Schutzzolle, direkt durch
Exportpramien usw. In den abhangigen Nebenlanden wurde alle Industrie
gewaltsam ausgerodet, wie z.B. die irische Wollmanufaktur durch England.
Auf dem europaischen Kontinent ward nach Colberts Vorgang der ProzeB
noch sehr vereinfacht. Das urspriingliche Kapital des industriellen flieBt
hier zum Teil direkt aus dem Staatsschatz.
»Warum«, raft Mirabeau, »so weit die Ursache des Manufakturglanzes
Sachsens vor dem Siebenjdhrigen Krieg suchen gehn? 180 Millionen
Staatsschulden!« 1337
Kolonialsystem, Staatsschulden, Steuerwucht, Protektion, Handelskriege
usw., diese SproBlinge der eigentlichen Manufakturperiode, schwellen
riesenhaft wahrend der Kinderperiode der groBen Industrie. Die Geburt der
letztren wird gefeiert durch den groBen herodischen Kinderraub. Wie die
konigliche Flotte, rekratieren sich die Fabriken vermittelst der Presse. So
blasiert Sir F.M. Eden ist iiber die Greuel der Expropriation des Landvolks
von Grand und Boden seit dem letzten Drittel des 15. Jahrhunderts bis zu
seiner Zeit, dem Ende des 18. Jahrhunderts, so selbstgefallig er gratuliert zu
diesem ProzeB, "notwendig", um die kapitalistische Agrikultur und »das
wahre Verhdltnis von Ackerland und Viehweide herzustellen«, beweist er
dagegen nicht selbe okonomische Einsicht in die Notwendigkeit des
Kinderraub s und der Kindersklaverei fur die Verwandlung des
Manufakturbetriebs in den Fabrikbetrieb und die Herstellung des wahren
Verhaltnisses von Kapital und Arbeitskraft. Er sagt:
»Es mag vielleicht der Erwagung des Publikums wert sein, ob irgendeine
Manufaktur, die zu ihrer erfolgreichen Ausfuhrung Cottages und
Workhouses von armen Kindern auspliindern mufi, damit sie, truppweis
sich ablosend, den grofiten Teil der Nacht durch abgerackert und der
Ruhe beraubt werden, eine Manufaktur, die aufierdem Haufen beiderlei
Geschlechts, von verschiednen Altersstufen und Neigungen, so
zusammenhudelt, dafi die Ansteckung des Beispiels zu Verworfenheit und
Liederlichkeit fiihren mufi -, ob soldi eine Manufaktur die Summe des
nationalen und individuellen Glucks vermehren kann?« 133S »In
Derbyshire, Nottinghamshire und besonders Lancashire«, sagt Fielden,
»wurde die jiingst erfundne Maschinerie angewandt in grofien Fabriken,
dicht bei Stromen, fahig, das Wasserrad zu drehn. Tausende von Hdnden
waren plotzlich erheischt an diesen Platzen, fern von den Stddten; und
Lancashire namentlich, bis zu jener Zeit vergleichungsweis diinn
bevolkert und unfruchtbar, bedurfte jetzt vor allem einer Population. Die
kleinen und flinken Finger waren vor allem in Requisition. Sofort sprang
die Gewohnheit auf, Lehrlinge [!] aus den verschiednen Pfarrei-
Workhouses von London, Birmingham und sonstwo zu beziehn. Viele,
viele Tausende dieser kleinen hilflosen Kreaturen, vom 7. bis zum 13.
oder 14. Jahr, wurden so nach dem Norden spediert. Es war die
Gewohnheit fur den Meister [d.h. den Kinderdieb], seine Lehrlinge zu
kleiden, ndhren und logieren in einem Lehrlingshaus nah bei der Fabrik.
Aufseher wurden bestellt, um ihre Arbeit zu uberwachen. Es war das
Interesse dieser Sklaventreiber, die Kinder aufs dufierste abzuarbeiten,
denn ihre Zahlung stand im Verhaltnis zum Produktenquantum, das aus
dem Kind erprefit werden konnte. Grausamkeit war natiirliche Folge... In
vielen Fabrikdistrikten, besonders Lancashires, wurden die
herzzerreifiendsten Torturen veriibt an diesen harmlosen und
freundlosen Kreaturen, die den Fabrikherrn konsigniert waren. Sie
wurden zu Tod gehetzt durch Arbeitsexzesse ... sie wurden gepeitscht,
gekettet und gefoltert mit dem ausgesuchtesten Raffinement von
Grausamkeit; sie wurden in vielen Fallen bis auf die Knochen
ausgehungert, wahrend die Peitsche sie an der Arbeit hielt... J a, in
einigen Fallen wurden sie zum Selbstmord getrieben! ... Die schonen und
romantischen Taler von Derbyshire, Nottinghamshire und Lancashire,
abgeschlossen vom ojfentlichen Auge, wurden grause Einoden von
Tortur und - oft von Mord! ... Die Profite der Fabrikanten waren enorm.
Das wetzte nur ihren Werwolfsheifihunger. Sie begannen die Praxis der
Nachtarbeit, d.h. nachdem sie eine Gruppe Hande durch das Tagwerk
geldhmt, hielten sie eine andre Gruppe filr das Nachtwerk bereit; die
Tagesgruppe wanderte in die Betten, welche die Nachtgruppe grade
verlassen hatte und vice versa. Es ist Volksiiberlieferung in Lancashire,
dafi die Betten nie abkiihlten« 1339
Mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion wahrend der
Manufakturperiode hatte die offentliche Meinung von Europa den letzten
Rest von Schamgefuhl und Gewissen eingebuBt. Die Nationen
renommierten zynisch mit jeder Infamie, die ein Mittel zu
Kapitalakkumulation. Man lese z.B. die naiven Handelsannalen des
Biedermanns A. Anderson. Hier wird es als Triumph englischer
Staatsweisheit ausposaunt, daB England im Frieden von Utrecht den
Spaniern durch den Asientovertrag 1340 das Privilegium abzwang, den
LAsiento - Bezeichnung der Vertrage, nach denen Spanien vom 16. bis 18.
Jahrhundert auslandischen Staaten und Privatpersonen das Recht auf den Handel mit
afrikanischen Negersklaven nach seinen amerikanischen Besitzungen einraumte.
l.ohneHiille
2.1790 kamen im englischen Westindien 10 Sklaven auf 1 Freien, im franzosischen
14 auf 1, im hollandischen 23 auf 1. (Henry Brougham, "An Inquiry into the Colonial
Policy of the European Powers", Edinb. 1803, v.II, p.74.)
l.Tantae molis erat (Solcher Miihe bedurfte es) - Marx benutzt hier einen Ausspruch
aus Vergils "Aeneis", Buch 1, Vers 33. Dort heiBt es: »Tantae molis erat Romanam
condere gentem« (»Solcher Miihe bedurfte es, das romische Geschlecht zu begrunden«).
2.Der Ausdruck "labouring poor" ["arbeitende Arme"] findet sich in den englischen
Gesetzen vom Augenblick, wo die Klasse der Lohnarbeiter bemerkenswert wird. Die
"labouring poor" stehn im Gegensatz, einerseits zu den "idle poor" ["muBigen Armen"],
Bettlern usw., andrerseits zu den Arbeitern, die noch keine gepfliickten Hiihner, sondern
Eigentiimer ihrer Arbeitsmittel sind. Aus dem Gesetz ging der Ausdruck "labouring poor"
in die politische Okonomie iiber, von Culpeper, J.Child usw. bis A.Smith und Eden.
Danach beurteile man die bonne foi [den guten Glauben] des "execrable political
cantmonger" ["ekelhaften politischen Heuchlers"] Edmund Burke, wenn er den Ausdruck
"labouring poor" fiir "execrable political cant" ["ekelhafte politische Heuchelei"] erklart.
Dieser Sykophant, der im Sold der englischen Oligarchic den Romantiker gegeniiber der
Franzosischen Revolution spielte, ganz wie er, im Sold der nordamerikanischen Kolonien
beim Beginn der amerikanischen Wirren, gegeniiber der englischen Oligarchic den
Liberalen gespielt hatte, war durch und durch ordinarer Bourgeois. »Die Gesetze des
Handels sind die Gesetze der Natur und folglich die Gesetze Gottes.« (E.Burke, I.e.
p. 31, 32.) Kein Wunder, daB er, den Gesetzen Gottes und der Natur getreu, stets sich selbst
auf dem besten Markt verkauft hat! Man findet in des Rev. Tuckers Schriften Tucker war
Negerhandel, den es bisher nur zwischen Afrika und dem englischen
Westindien betrieb, nun auch zwischen Afrika und dem spanischen
Amerika betreiben zu durfen. England erhielt das Recht, das spanische
Amerika bis 1743 jahrlich mit 4.800 Negern zu versorgen. Dies gewahrte
zugleich einen offiziellen Deckmantel fiir den britischen Schmuggel.
Liverpool wuchs groB auf der Basis des Sklavenhandels. Er bildet seine
Methode der ursprunglichen Akkumulation. Und bis heutzutag blieb die
Liverpooler "Ehrbarkeit" Pindar des Sklavenhandels, welcher - vgl. die
zitierte Schrift des Dr. Aikin von 1795 - »den kommerziellen
Unternehmungsgeist bis zur Leidenschaft steigere, famose Seeleute bilde
und enormes Geld einbringe« . Liverpool beschaftigte 1730 im
Sklavenhandel 15 Schiffe, 1751: 53, 1760: 74, 1770: 96 und 1792: 132.
Wahrend sie die Kindersklaverei in England einfuhrte, gab die
Baumwollindustrie zugleich den AnstoB zur Verwandlung der friiher mehr
oder minder patriarchalischen Sklavenwirtschaft der Vereinigten Staaten in
ein kommerzielles Exploitationssystem. Uberhaupt bedurfte die verhullte
Sklaverei der Lohnarbeiter in Europa zum Piedestal die Sklaverei sans
phrase 1341 in der neuen Welt. 1342
Tantae molis erat 1343 , die "ewigen Naturgesetze" der kapitalistischen
Produktionsweise zu entbinden, den ScheidungsprozeB zwischen
Arbeitern und Arbeitsbedingungen zu vollziehn, auf dem einen Pol die
gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmittel in Kapital zu
verwandeln, auf dem Gegenpol die Volksmasse in Lohnarbeiter, in freie
"arbeitende Arme", dies Kunstprodukt der modernen Geschichte. 1344
Wenn das Geld, nach Augier, »mit natiirlichen Blutflecken aufeiner
Backe zur Welt kommt« XUi , so das Kapital von Kopf bis Zeh, aus alien
Poren, blut- und schmutztriefend. 1346
3.Marie Augier, "Du Credit Public", [Paris 1842, p.265].
4.»Kapital«, sagt der Quarterly Reviewer, »flieht Tumult und Streit und ist
angstlicher Natur. Das ist sehr wahr, aber doch nicht die ganze Wahrheit. Das Kapital
hat einen horror vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor
der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kiihn. Zehn Prozent sicher, und man
kann es uberall anwenden, 20 Prozent, es wird lebhaft, 50 Prozent, positiv waghalsig;
fur 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuji; 300Prozent,
undes existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst aufGefahr des Galgens.
Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis:
Schmuggel und Sklavenhandel.« (TJ. Dunning, I.e. p. 35, 36.)
l.C. Pecqueur, "Theorie nouvelle d'economie sociale et politique", Paris 1842,
S.435.
2.»Wir befinden uns in einer Lage, die fiir die Gesellschaft ganzlich neu ist... wir
streben dahin, jede Art Eigentum von jeder Art Arbeit zu trennen.« (Sismondi:
"Nouveaux Principes le l'Econ. Polit.", t.II, p. 434.)
l.»Der Fortschritt der Industrie, dessen willenloser und widerstandloser Trdger die
Bourgeoisie ist, setzt an die Stelle der Isolierung der Arbeiter durch die Konkurrenz ihre
revolutionare Vereinigung durch die Assoziation. Mit der Entwicklung der grojien
Industrie wird also unter den Fufien der Bourgeoisie die Gundlage selbst weggezogen,
woraufsie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert also vor allem ihre
eignen Totengraber. Ihr Untergang und derSieg des Proletariats sind gleich
unvermeidlich... Von alien Klassen, welche heutzutage der Bourgeoisie gegeniiberstehn,
ist nur das Proletariat eine wirklich revolutionare Klasse. Die iibrigen Klassen
verkommen und gehn unter mit der grofien Industrie, das Proletariat ist ihr eigenstes
Produkt. Die Mittelstande, der kleine Industrielle, der kleine Kaufmann, der
Handwerker, der Bauer, sie alle bekampfen die Bourgeoisie, um ihre Existenz als
Mittelstande vor dem Untergang zu sichern ... sie sind reaktionar, denn sie suchen das
Rad der Geschichte zuriickzudrehn.« (Karl Marx und F. Engels, "Manifest der
Kommunistischen Partei", London 1848, p. 11, 9. [Vgl. MEW, Band 4, S. 474, 472])
l.Es handelt sich hier von wirklichen Kolonien, jungfraulichem Boden, der durch
7. Geschichtliche Tendenz der kapitalistischen Akkumulation
Worauf kommt die urspriingliche Akkumulation des Kapitals, d.h. seine
historische Genesis, hinaus? Soweit sie nicht unmittelbare Verwandlung
von Sklaven und Leibeignen in Lohnarbeiter, also bloBer Formwechsel ist,
bedeutet sie nur die Expropriation der unmittelbaren Produzenten, d.h. die
Auflosung des auf eigner Arbeit beruhenden Privateigentums.
Privateigentum, als Gegensatz zum gesellschaftlichen, kollektiven
Eigentum, besteht nur da, wo die Arbeitsmittel und die auBeren
Bedingungen der Arbeit Privatleuten gehoren. je nachdem aber diese
Privatleute die Arbeiter oder die Nichtarbeiter sind, hat auch das
Privateigentum einen andern Charakter. Die unendhchen Schattierungen,
die es auf den ersten Blick darbietet, spiegeln nur die zwischen diesen
beiden Extremen liegenden Zwischenzustande wider.
Das Privateigentum des Arbeiters an seinen Produktionsmitteln ist die
Grundlage des Kleinbetriebs, der Kleinbetrieb eine notwendige Bedingung
fiir die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion und der freien
Individualist des Arbeiters selbst. Allerdings existiert diese
Produktionsweise auch innerhalb der Sklaverei, Leibeigenschaft und
andrer Abhangigkeitsverhaltnisse. Aber sie bluht nur, schnellt nur ihre
ganze Energie, erobert nur die adaquate klassische Form, wo der Arbeiter
freier Privateigen turner seiner von ihm selbst gehandhabten
Arbeitsbedingungen ist, der Bauer des Ackers, den er bestellt, der
Handwerker des Instruments, worauf er als Virtuose spielt.
Diese Produktionsweise unterstellt Zersplitterung des Bodens und der
ubrigen Produktionsmittel. Wie die Konzentration der letztren, so schlieBt
sie auch die Kooperation, Teilung er Arbeit innerhalb derselben
Produktionsprozesse, gesellschaftliche Beherrschung und Reglung der
Natur, freie Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkrafte aus. Sie ist
nur vertraglich mit engen naturwuchsigen Schranken der Produktion und
der Gesellschaft. Sie verewigen wo lien hieBe, wie Pecqueur mit Recht sagt,
»die allgemeine Mittelmdfiigkeit dekretieren« 1341 . Auf einem gewissen
Hohegrad bringt sie die materiellen Mittel ihrer eignen Vernichtung zur
Welt. Von diesem Augenblick regen sich Krafte und Leidenschaften im
GesellschaftsschoBe, welche sich von ihr gefesselt fiihlen. Sie muB
vernichtet werden, sie wird vernichtet. Ihre Vernichtung, die Verwandlung
der individuellen und zersplitterten Produktionsmittel in gesellschaftlich
konzentrierte, daher des zwerghaften Eigentums vieler in das massenhafte
Eigentum weniger, daher die Expropriation der groBen Volksmasse von
Grand und Boden und Lebensmitteln und Arbeitsinstramenten, diese
furchtbare und schwierige Expropriation der Volksmasse bildet die
Vorgeschichte des Kapitals. Sie umfaBt eine Reihe gewaltsamer Methoden,
wovon wir nur die epochemachenden als Methoden der urspriinglichen
Akkumulation des Kaptals Revue passieren lieBen. Die Expropriation der
unmittelbaren Produzenten wird mit schonungslosestem Vandalismus und
unter dem Trieb der infamsten, schmutzigsten, kleinhchst gehassigsten
Leidenschaften vollbracht. Das selbsterarbeitete, sozusagen auf
Verwachsung des einzelnen, unabhangigen Arbeitsindividuums mit seinen
Arbeitsbedingungen berahende Privateigentum wird verdrangt durch das
kapitalistische Privateigentum, welches auf Exploitation fremder, aber
formell freier Arbeit beruht. 1348
Sobald dieser UmwandlungsprozeB nach Tiefe und Umfang die alte
Gesellschaft hinreichend zersetzt hat, sobald die Arbeiter in Proletaries
ihre Arbeitsbedingungen in Kapital verwandelt sind, sobald die
kapitalistische Produktionsweise auf eignen FuBen steht, gewinnt die
weitere Vergesellschaftung der Arbeit und weitere Verwandlung der Erde
und andrer Produktionsmittel in gesellschaftlich ausgebeutete, also
gemeinschaftliche Produktionsmittel, daher die weitere Expropriation der
Privateigentumer, eine neue Form. Was jetzt zu expropriieren, ist nicht
langer der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter
exploitierende Kapitalist.
Diese Expropriation vollzieht sich durch das Spiel der immanenten
Gesetze der kapitalistischen Produktion selbst, durch die Zentralisation der
Kapitale. Je ein Kapitalist schlagt viele tot. Hand in Hand mit dieser
Zentralisation oder der Expropriation vieler Kapitalisten durch wenige
entwickelt sich die kooperative Form des Arbeitsprozesses auf stets
wachsender Stufenleiter, die bewuBte technische Anwendung der
Wissenschaft, die planmaBige Ausbeutung der Erde, die Verwandlung der
Arbeitsmittel in nur gemeinsam verwendbare Arbeitsmittel, die
Okonomisierung aller Produktionsmittel durch ihren Gebrauch als
Produktionsmittel kombinierter, gesellschaftlicher Arbeit, die
Verschlingung aller Volker in das Netz des Weltmarkts und damit der
internationale Charakter des kapitalistischen Regimes. Mit der bestandig
abnehmenden Zahl der Kapitalmagnaten, welche alle Vorteile dieses
Urnwandlungsprozesses usurpieren und monopolisieren, wachst die
Masse des Elends, des Drucks, der Knechtschaft, der Entartung, der
Ausbeutung, aber auch die Emporung der stets anschwellenden und durch
den Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses selbst
geschulten, vereinten und organisierten Arbeiterklasse. Das
Kapitalmonopol wird zur Fessel der Produktionsweise, die mit und unter
ihm aufgebluht ist. Die Zentralisation der Produktionsmittel und die
Vergesellschaftung der Arbeit erreichen einen Punkt, wo sie unvertraglich
werden mit ihrer kapitalistischen Hulle. Sie wird gesprengt. Die Stunde des
kapitalistischen Privateigen turns schlagt. Die Expropriateurs werden
expropriiert.
Die aus der kapitalistischen Produktionsweise hervorgehende
kapitalistische Aneignungsweise, daher das kapitalistische Privateigen turn,
ist die erste Negation des individuellen, auf eigne Arbeit gegriindeten
Privateigentums. Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der
Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigne Negation. Es ist Negation
der NegationDiese stellt nicht das Privateigentum wieder her, wohl aber
das individuelle Eigentum auf Grundlage der Errungenschaft der
kapitalistischen Ara: der Kooperation und des Gemeinbesitzes der Erde
und der durch die Arbeit selbst produzierten Produktionsmittel.
Die Verwandlung des auf eigner Arbeit der Individuen beruhenden,
zersplitterten Privateigentums in kapitalistisches ist naturlich ein ProzeB,
ungleich mehr langwierig, hart und schwierig als die Verwandlung des
tatsachlich bereits auf gesellschaftlichem Produktionsbetrieb beruhenden
kapitalistischen Eigentums in gesellschaftliches. Dort handelte es sich um
die Expropriation der Volksmasse durch wenige Usurpatoren, hier handelt
es sich um die Expropriation weniger Usurpatoren durch die
Volksmasse. 1349
Funfundzwanzigstes Kapitel
Die moderne Kolonisationstheorie 1350
Die politische Okonomie verwechselt prinzipiell zwei sehr verschiedne
Sorten Privateigentum, wo von das eine auf eigner Arbeit des Produzenten
beruht, das andre auf der Ausbeutung fremder Arbeit. Sie vergiBt, daB das
letztre nicht nur den direkten Gegensatz des erstren bildet, sondern auch
bloB auf seinem Grab wachst.
Im Westen von Europa, dem Heimatsland der politischen Okonomie, ist
der ProzeB der urspriinglichen Akkumulation mehr oder minder vollbracht.
Das kapitalistische Regiment hat hier entweder die ganze nationale
Produktion sich direkt unterworfen, oder, wo die Verhaltnisse noch
unenwickelter, kontrolliert es wenigstens indirekt die neben ihm
fortexistierenden, verkommenen, der veralteten Produktionsweise
angehorigen Gesellschaftsschichten. Auf diese fertige Welt des Kapitals
wendet der politische Okonom mit desto angstlicherem Eifer und desto
groBerer Salbung die Rechts- und Eigentumsvorstellungen der
vorkapitalistischen Welt an, je lauter die Tatsachen seiner Ideologic ins
Gesicht schreien.
Anders in den Kolonien. Das kapitalistische Regiment stoBt dort uberall
auf das Hindernis des Produzenten, welcher als Besitzer seiner eignen
Arbeitsbedingungen sich selbst durch seine Arbeit bereichert statt den
Kapitalisten. Der Widerspruch dieser zwei diametral entgegengesetzten
okonomischen Systeme betatigt sich hier praktisch in ihrem Kampf. Wo
der Kapitalist die Macht des Mutterlandes im Rucken hat, sucht er die auf
eigner Arbeit beruhende Produktions- und Aneignungsweise gewaltsam
aus dem Weg zu raumen. Dasselbe Interesse, welches den Sykophanten
des Kapitals, den politischen Okonomen, im Mutterland bestimmt, die
kapitalistische Produktionsweise theoretisch fiir ihr eignes Gegenteil zu
erklaren, dasselbe Interesse treibt inn hier "to make a clean breast of it" 1351
l."die Sache often heramzusagen"
' l.Die wenigen Lichtblicke Wakefields aber das Wesen der Kolonien selbst sind
vollstandig antizipiert durch Mirabeau pere, den Physiokraten, und noch viel friiher durch
englische Okonomen.
2.Es wird spater eine temporare Notwendigkeit im internationalen
Konkurrenzkampf. Welches aber immer sein Motiv, die Folgen bleiben dieselben.
l.»Ein Neger ist ein Neger. In bestimmten Verhaltnissen wird er erst zum Sklaven.
Eine Baumwollspinnmaschine ist eine Maschine zum Bauwollspinnen. Nur in
betimmten Verhaltnissen wird sie zu Kapital. Aus diesen Verhaltnissen herausgerissen,
ist sie so wenig Kapital, wie Gold an und fur sich Geld oder der Tucker der Zuckerpreis
ist... Das Kapital ist ein gesellschaftliches Produktionsverhdltnis. Es ist ein historisches
Produktionsverhaltnis.« (Karl Marx: "Lohnarbeit und Kapital", 'N[eue] Rhfeinische]
Z[eitung]', Nr. 266 vom 7. April 1849. [Siehe MEW, Band 6, S. 407/408.])
I355 2.E.C. Wakefield: "England and America", v. II, p.33.
I.l.c.,v.l,p.l7.
1 .Gesellschafts vertrag
l.l.c.p.18.
1359 l.l.c. p.42, 43, 44.
1360 l.einNotbehelf
136 'l.l.c.v.II,p.5.
' l.»Land, um Element der Kolonisation zu werden, mufi nicht nur unangebaut sein,
sondern offentliches Eigentum, welches in Privateigentum verwandelt werden kann«
(I.e., v.II,p.l25.)
l.l.c, v.I,p.247.
I364 1.264 1.c.p.21,22.
l.l.c, v.ILp.l 16.
1366 l.l.c, v.I, p.13
l367 l.l.c,v.II.p.5.
l.Merivale, I.e., v.II, p.235-314 passim. Selbst der sanfte, freihandlerische
Vulgarokonom Molinari sagt: »In den Kolonien, in denen die Sklaverei abgeschafft
worden ist, ohne dafi man die Zwangsarbeit durch eine entsprechende Menge freier
Arbeit ersetzt hdtte, sah man das Gegenteil von dem sich abspielen, was sich tdglich vor
unseren Augen zutrdgt. Man sah die einfachen Arbeiter ihrerseits die industriellen
Unternehmer ausbeuten, indem sie Lohne von ihnen forderten, die in gar keinem
Verhaltnis stehen zu dem rechtmafiigen Anteil, der ihnen am Produkt zukame. Da die
Pflanzer aufierstande waren,fiir ihren Zucker einen ausreichenden Preis zu erhalten,
und den Gegensatz beider Produktionsweisen laut zu proklamieren. Zu
diesem Behuf weist er nach, wie die Entwicklung der gesellschaftlichen
Produktivkraft der Arbeit, Kooperation, Arbeitstellung, Anwendung der
Maschinerie im groBen usw. unmoglich sind ohne die Expropriation der
Arbeiter und die entsprechende Verwandlung ihrer Produktionsmittel in
Kapital. Im Interesse des sog. Nationalreichtums sucht er nach
Kunstmitteln zur Herstellung der Volksarmut. Sein apologetischer Panzer
zerbrockelt hier Stiick fiir Stuck wie murber Zunder.
Es ist das groBe Verdienst E.G. Wakefields, nicht irgend etwas Neues iiber
die Kolonien 1352 , aber in den Kolonien die Wahrheit iiber die
kapitalistischen Verhaltnisse des Mutterlands entdeckt zu haben. Wie das
Protektionssystem in seinen Urspriingen 1353 die Fabrikation von
Kapitalisten im Mutterland, so erstrebt Wakefields Kolonisationstheorie,
welche England eine Zeitlang gesetzlich ins Werk zu setzen suchte,
die.Fabrikation von Lohnarbeitern in den Kolonien. Das nennt er
"systematic colonization" (systematische Kolonisation).
Zunachst entdeckte Wakefield in den Kolonien, daB das Eigentum an
Geld, Lebensmitteln, Maschinen und andren Produktionsmitteln einen
Menschen noch nicht zum Kapitalisten stempelt, wenn die Erganzung
fehlt, der Lohnarbeiter, der andre Mensch, der sich selbst freiwilli zu
verkaufen gezwungen ist. Er entdeckte, daB das Kapital nicht eine Sache
ist, sondern ein durch Sachen vermitteltes gesellschaftliches Verhaltnis
zwischen Personen. 1354 Herr Peel, jammert er uns vor, nahm Lebensmittel
und Produktionsmittel zum Belauf von 50.000 Pfd.St. aus England nach
dem Swan River, Neuholland, mit. Herr Peel war so vorsichtig, auBerdem
3.000 Personen der arbeitenden Klasse, Manner, Weiber und Kinder
mitzubringen. Einmal am Bestimmungsplatz angelangt, »blieb Herr Peel,
ohne einen Diener, sein Bett zu machen oder ihm Wasser aus dem Flufi
zu schopfen« n ^ Unglucklicher Herr Peel, der alles vorsah, nur nicht den
Export der englischen Produktionsverhaltnisse nach dem Swan River!
Zum Verstandnis der folgenden Entdeckungen Wakefields zwei
Vorbemerkungen. Man weiB: Produktions- und Lebensmittel, als
Eigentum des unmittelbaren Produzenten, sind kein Kapital. Sie werden
Kapital nur unter Bedingungen, worin sie zugleich als Exploitations- und
Beherrschungsmittel des Arbeiters dienen. Diese ihre kapitalistische Seele
ist aber im Kopfe des politischen Okonomen so innig mit ihrer stofflichen
Substanz vermahlt, daB er sie unter alien Umstanden Kapital tauft, auch
wo sie das grade Gegenteil sind. So bei Wakefield. Ferner: die
Zersplitterung der Produktionsmittel als individuelles Eigentum vieler
voneinander unabhangigen, selbstwirtschaftenden Arbeiter nennt er
gleiche Teilung des Kapitals. Es geht dem politischen Okonomen wie dem
feudalen Juristen. Letzterer klebte auch auf reine Geldverhaltnisse seine
feudalen Rechtsetiketten.
» Ware«, sagt Wakefield, »das Kapital unter alle Mitglieder der
Gesellschaft in gleiche Portionen verteilt, so hdtte kein Mensch ein
Interesse, mehr Kapital zu akkumulieren, als er mit seinen eignen
Handen anwenden kann. Dies ist in gewissem Grad der Fall in neuen
amerikanischen Kolonien, wo die Leidenschaft fur Grundeigentum die
Existenz einer Klasse von Lohnarbeitern verhindert.« 1356
Solange also der Arbeiter fur sich selbst akkumulieren kann, und das kann
er, solange er Eigentumer seiner Produktionsmittel bleibt, ist die
kapitalistische Akkumulation und die kapitalistische Produktionsweise
unmoglich. Die dazu unentbehrliche Klasse der Lohnarbeiter fehlt. Wie
wurde nun im alten Europa die Expropriation des Arbeiters von seinen
Arbeitsbedingungen, daher Kapital und Lohnarbeit, hergestellt? Durch
einen contrat social 1357 ganz origineller Art.
»Die Menschheit ... adoptierte eine einfache Methode zur Forderung der
Akkumulation des Kapitals«, die ihr nattirlich seit Adams Zeiten als letzter
und einziger Zweck ihres Daseins vorschwebte; »sie teilte sich in Eigner
von Kapital und Eigner von Arbeit ... diese Teilung war das Resultat
freiwilliger Verstdndigung und Kombination.« nn
Mit einem Wort: die Masse der Menschheit expropriierte sich selbst zu
Ehren der 'Akkumulation des Kapitals". Nun sollte man glauben, der
Instinkt dieses selbstentsagenden Fanatismus musse sich namentlich in
Kolonien den Zugel frei schieBen lassen, wo allein Menschen und
Umstande existieren, welche einen contrat social aus dem Traumreich in
das der Wirklichkeit ubersetzen konnten. Aber wozu dann uberhaupt die
"systematische Kolonisation" im Gegensatz zur naturwuchsigen
Kolonisation? Aber, aber:
»in den nordlichen Staaten der amerikanischen Union ist es zweifelhaft,
ob ein Zehntel der Bevolkerung der Kategorie der Lohnarbeiter angehort
... In England ... besteht die grofie Volksmasse aus Lohnarbeitern.« ni
Ja, der Selbstexpropriationstrieb der arbeitenden Menschheit zu Ehren des
Kapitals existiert so wenig, daB Sklaverei, selbst nach Wakefield, die
einzige naturwuchsige Grundlage des Kolonialreichtums ist. Seine
systematische Kolonisation ist ein bloBes pis aller 1360 , da er nun einmal mit
Freien statt mit Sklaven zu tun hat.
»Die ersten spanischen Ansiedler in Santo Domingo erhielten keine
Arbeiter aus Spanien. Aber ohne Arbeiter [d.h. ohne Sklaverei] ware des
Kapital kaputt gegangen oder wenigstens aufdie kleinen Massen
zusammengeschrumpft, worin jedes Individuum es mit s ein en eignen
Handen anwenden kann. Dies fand wirklich statt in der letzten von den
Englandern gegriindeten Kolonie, wo ein grofies Kapital in Samen, Vieh
und Instrumenten unterging am Mangel von Lohnarbeitern und wo kein
Ansiedler viel mehr Kapital besitzt, als er mit seinen eignen Handen
anwenden kann.« nf>l
Man sah: die Expropriation der Volksmasse von Grand und Boden bildet
die Grandlage der kapitalistischen Produktionsweise. Das Wesen einer
freien Kolonie besteht umgekehrt darin, daB die Masse des Bodens noch
Volkseigentum ist und jeder Ansiedler daher einen Teil davon in sein
Privateigentum und individuelles Produktionsmittel verwandeln kann,
ohne den spatren Ansiedler an derselben Operation zu verhindern. 1362
Dies ist das Geheimnis sowohl der Blute der Kolonien als ihres
Krebsschadens - ihres Widerstands wider die Ansiedlung des Kapitals.
»Wo Land sehr wohlfeil ist und alle Menschen frei sind, wo jeder nach
Wunsch ein Stuck Land fur sich selbst erhalten kann, ist Arbeit nicht nur
sehr teuer, was den Anteil des Arbeiters an seinem Produkt angeht,
sondern die Schwierigkeit ist, kombinierte Arbeit zu irgendeinem Preis zu
erhalten.« 1363
Da in den Kolonien die Scheidung des Arbeiters von den
Arbeitsbedingungen und ihrer Wurzel, dem Grand und Boden, noch nicht
existiert oder nur sporadisch oder auf zu beschranktem Spielraum, existiert
auch noch nicht die Losscheidung der Agrikultur von der Industrie, noch
nicht die Vernichtung der landlich hauslichen Industrie, und wo soil da der
innere Markt fur das Kapital herkommen?
»Kein Teil der Bevolkerung Amerikas ist ausschliefilich agrikol, mit
Ausnahme der Sklaven und ihrer Anwender, die Kapital und Arbeit fur
grofie Werke kombinieren. Freie Amerikaner, die den Boden selbst bauen,
treiben zugleich viele andre Beschdftigungen. Ein Teil der von ihnen
gebrauchten Mobel und Werkzeuge wird gewohnlich von ihnen selbst
gemacht. Sie bauen hdufig ihre eignen Hduser und bringen das Produkt
ihrer eignen Industrie zu noch so fernem Markt. Sie sind Spinner und
Weber, sie fabrizieren Seife und Kerzen, Schuhe und Kleider fur ihren
eignen Gebrauch. In Amerika bildet der Landbau oft das Nebengeschdft
eines Grobschmieds, Mullers oder Kramers.« 1364
Wo bleibt unter solchen Kauzen das "Entsagungsfeld" fur den
Kapitalisten?
Die groBe Schonheit der kapitalistischen Production besteht darin, daB sie
nicht nur bestandig den Lohnarbeiter als Lohnarbeiter reproduziert,
sondern im Verhaltnis zur Akkumulation des Kapitals stets eine relative
Ubervolkerung von Lohnarbeitern produziert. So wird das Gesetz von
Arbeitsnachfrage und Zufuhr in richtigem Gleis gehalten, die
Lohnschwankung innerhalb der kapitalistischen Exploitation zusagende
Schranken gebannt und endlich die so unentbehrliche soziale Abhangigkeit
des Arbeiters vom Kapitalisten verbiirgt, ein absolutes
Abhangigkeitsverhaltnis, das der politische Okonom zu Haus, im
Mutterland, breimaulig umlugen kann in ein freies Kontraktverhaltnis von
Kaufer und Verkaufer, von gleich unabhangigen Warenbesitzern, Besitzern
der Ware Kapital und der Ware Arbeit. Aber in den Kolonien reiBt der
schone Wahn entzwei. Die absolute Bevolkerung wachst hier viel rascher
als im Mutterland, indem viele Arbeiter erwachsen auf die Welt kommen,
und dennoch ist der Arbeitsmarkt stets untervoll. Das Gesetz der
Arbeitsnachfrage und Zufuhr gerat in die Briiche. Einerseits wirft die alte
Welt fortwahrend exploitationslustiges, entsagungsbedurftiges Kapital ein;
andrerseits stoBt die regelmaBige Reproduktion der Lohnarbeiter als
Lohnarbeiter auf die unartigsten und teilweis uniiberwindhche
Hindernisse. Und nun gar die Produktion von uberzahligen Lohnarbeitern
im Verhaltnis zur Akkumulation des Kapitals! Der Lohnarbeiter von heute
wird morgen unabhangiger, selbstwirtschaftender Bauer oder Handwerker.
Er verschwindet vom Arbeitsmarkt, aber - nicht ins Worke house. Diese
bestandige Verwandlung der Lohnarbeiter in unabhangig-Produzenten, die
statt fur das Kapital, fur sich selbst arbeiten, und statt den Herrn
Kapitalisten sich selbst bereichern, wirkt ihrerseits durchaus schadhaft auf
die Zustande des Arbeitsmarkts zuriick. Nicht nur bleibt der
Exploitationsgrad des Lohnarbeiters unanstandig niedrig. Der letztre
verliert obendrein mit dem Abhangigkeitsverhaltnis auch das
Abhangigkeitsgefiihl vom entsagenden Kapitalisten. Daher alle MiBstande,
die unser E.G. Wakefield so brav, so beredt und so riihrend schildert.
Die Zufuhr von Lohnarbeit, klagt er, ist weder bestandig noch regelmaBig,
noch gemigend. Sie »ist stets nicht nur zu klein, sondern unsicher« 1365
»Obgleich das zwischen Arbeiter und Kapitalist zu teilende Produkt grofi
ist, nimmt der Arbeiter einen so grofien Teil, dafi er rasch ein Kapitalist
wird... Dagegen konnen wenige, selbst wenn sie ungewohnlich lang leben,
grofie Reichtumsmassen akkumulieren.« 1366
Die Arbeiter erlauben den Kapitalisten platterdings nicht, auf Zahlung des
groBten Teils ihrer Arbeit zu entsagen. Es hilft ihm nichts, wenn er so
schlau ist, mit seinem eignen Kapital auch seine eignen Lohnarbeiter aus
Europa zu importieren.
»Sie horen bald auf, Lohnarbeiter zu sein, sie verwandeln sich bald in
unabhangige Bauern oder gar in Konkurrenten ihrer alten Meister auf
dem Lohnarbeitsmarkt selbst.« nf>1
Man begreife den Greuel! Der brave Kapitalist hat seine eignen leibhaftigen
Konkurrenten selbst aus Europa fur sein eignes gutes Geld importiert! Da
hort denn doch alles auf! Kein Wunder, wenn Wakefield klagt iiber
mangelndes Abhangigkeitsverhaltnis und Abhangigkeitsgefiihl der
Lohnarbeiter in den Kolonien. Wegen der hohen Lohne, sagt sein Schuler
Merivale, existiert in den Kolonien der leidenschaftliche Drang nach
wohlfeilerer und unterwurfigerer Arbeit, nach einer Klasse, welcher der
Kapitalist die Bedingungen diktieren kann, statt sie von ihr diktiert zu
erhalten... In altzivilisierten Landern ist der Arbeiter, obgleich frei,
naturgesetzlich abhangig vom Kapitalisten, in Kolonien muB diese
Abhangigkeit durch kunstliche Mittel geschaffen werden. 1368
Was ist nun, nach Wakefield, die Folge dieses MiBstands in den Kolonien?
Ein »barbarisches System der Zerstreuung« der Produzenten und des
Nationalvermogens. 1369 Die Zersplitterung der Produktionsmittel unter
unzahlige, selbstwirtschaftende Eigentiimer vernichtet mit der
1 .Wakefield, I.e., v.II, p.52.
1. I.e. p. 191, 192.
l.l.c, v.I, p.47, 246.
l.was macht das schon
l.»Es sei,fiigt ihr hinzu, der Aneignung des Bodens und der Kapitalien zu
verdanken, dafi der Mensch, der nur seine Arme besitzt, Beschaftigung findet und sich
ein Einkommen schafft ... es kommt im Gegenteil gerade von der individuellen
Aneignung des Bodens, dafi es Menschen gibt, die nur ihre Arme besitzen ... Wenn ihr
einen Menschen in den luftleeren Raum versetzt, raubt ihr ihm die Luft. So handelt ihr
auch, wenn ihr euch des Bodens bemachtigt ... Das heifit, ihn in die alles Reichtums
bare Leere versetzen, damit er nicht anders als nach eurem Willen leben kann.« (Colins,
I.e., till, p.267-271 passim.)
1.273 Wakefield, I.e., v.II, p.192.
l.l.c.p.45.
l.Peelscher Bankakt - Um die Schwierigkeiten beim Eintausch von Banknoten in
Gold zu uberwinden, beschloB die englische Regierung auf Initiative Robert Peels 1844
ein Gesetz iiber die Reform der Bank von England. Dieses Gesetz sah die Teilung der
Bank in zwei vollstandig unabhangige Departements mit gesonderten Barfonds vor: das
Banking-Department, welches reine Bankoperationen ausfuhrte, und das Issue-
Department, welches die Herausgabe der Banknoten vornahm. Diese Noten muBten eine
solide Deckung in Gestalt eines speziellen Goldfonds besitzen, der stets verfiigbar sein
muBte. Die Ausgabe von nicht durch Gold gedeckten Banknoten wurde auf 14 Millionen
Pfund Sterling begrenzt. Die Menge der in Umlauf befindlichen Banknoten hing jedoch
entgegen dem Bankgesetz von 1844 faktisch nicht vom Deckungsfonds ab, sondern von
der Nachfrage in der Zirkulationssphare. Wahrend der Wirtschaftskrisen, in denen der
Geldmangel besonders groB war, setzte die englische Regierung den Akt von 1844
zeitweilig auBer Kraft und erhohte die Summe der nicht durch Gold gedeckten Banknoten.
2.Sobald Australien sein eigner Gesetzgeber wurde, erlieB es natiirlich den
Ansiedlern giinstige Gesetze, aber die englische, einmal vollzogne Bodenverschleuderung
steht im Wege. »Das erste und wichtigste Ziel, welches das neue Landgesetz von 1862
erstrebt, besteht darin, grofiere Erleichterungen fiir die Ansiedlung des Volkes zu
chaffen.« ("The Land Law of Victoria, by the Hon. G. Duffy, Minister of Public Lands",
Lond. 1862, [p.3].)
3.Gold-Fundstatten
Zentralisation des Kapitals alle Grandlage kombinierter Arbeit. Jedes
langatmige Unternehmen, das sich iiber Jahre erstreckt und Auslage von
fixem Kapital erheischt, stoBt auf Hindernisse der Ausfuhrung. In Europa
zogert das Kapital keinen Augenblick, denn die Arbeiterklasse bildet sein
lebendiges Zubehor, stets im UberfluB da, stets zur Verfiigung. Aber in
den Koloniallandern! Wakefield erzahlt eine auBerst schmerzensreiche
Anekdote. Er unterhielt sich mit einigen Kapitalisten von Kanada und dem
Staat New York, wo zudem die Einwanderungswogen oft stocken und
einen Bodensatz "iiberzahliger" Arbeiter niederschlagen.
»Unser Kapitak, seufzt eine der Personen des Melodramas, »unser
Kapital lag bereitftir viele Operationen, die eine betrachtliche
Zeitperiode zu ihrer Vollendung brauchen; aber konnten wir solche
Operationen beginnen mit Arbeitern, welche, wir wufiten es, uns bald den
Riicken wenden wiirden? War en wir sicher gewesen, die Arbeit soldier
Einwandrer festhalten zu konnen, wir hatten sie mit Freude sofort
engagiert und zu hohem Preis. Ja, trotz der Sicherheit ihres Verlustes
wiirden wir sie dennoch engagiert haben, waren wir einer frischen
Zufuhrje nach unsrem Bedurfnis sicher gewesen.« 1370
Nachdem Wakefield die englische kapitalistische Agrikultur und ihre
"kombinierte" Arbeit prunkvoll kontrastiert hat mit der zerstreuten
amerikanischen Bauernwirtschaft, entschlupft ihm auch die Kehrseite der
Medaille. Er schildert die amerikanische Volksmasse als wohlhabend,
unabhangig, unternehmend und relativ gebildet, wahrend
»der englische Agrikultur arbeiter ein elender Lump (a miserable wretch)
ist, ein Pauper ... In welchem Land aufier Nordamerika und einigen
neuen Kolonien ubersteigen die Lohne der auf dem Land angewandten
freien Arbeit nennenswert die unentbehrlichsten Subsistenzmittel des
Arbeiters? ... Zweifeslohne, Ackerpferde in England, da sie ein wertvolles
Eigentum sind, werden viel besser genahrt als der englische
Landbebauer.« nn
Aber never mind 1372 , Nationalreichtum ist nun einmal von Natur ideritisch
mit Volkselend.
Wie nun den antikapitalistischen Krebsschaden der Kolonien heilen?
Wollte man alien Grand und Boden mit einem Schlag aus Volkseigentuin
in Privateigentum verwandeln, so zerstorte man zwar die Wurzel des
libels, aber auch - die Kolonie. Die Kunst ist, zwei Fliegen mit einer
Klappe zu schlagen. Man gebe von Regierangs wegen der jungfraulichen
Erde einen vom Gesetz der Nachfrage und Zufuhr unabhangigen, einen
kiinstlichen Preis, welcher den Einwandrer zwingt, langere Zeit zu
lohnarbeiten, bis er genug Geld verdienen kann, um Grand und Boden zu
kaufen 1373 und sich in einen unabhangigen Bauern zu verwandeln. Den
Fonds, der aus dem Verkauf der Landereien zu einem fur den Lohnarbeiter
relativ prohibitoriechen Preis flieBt, also diesen aus dem Arbeitslohn durch
Verletzung des heiligen Gesetzes von Nachfrage und Zufuhr erpreBten
Geldfonds, verwende die Regierang andrerseits, um im selben MaB, wie er
wachst, Habenichtse aus Europa in die Kolonien zu importieren und so
dem Herrn Kapitalisten seinen Lohnarbeitsmarkt vollzuhalten. Unter
diesen Umstanden tout sera pour le mieux dans le meilleur des mondes
possibles. Dies ist das groBe Geheimnis der "systematischen
Kolonisation".
»Nach diesem Plan«, raft Wakefield triumphierend aus, »mufi die Zufuhr
von Arbeit konstant und regelmafiig sein; denn erstens, da kein Arbeiter
fahig ist, sich Land zu verschaffen, bevor erfiir Geld gearbeitet hat,
wiirden alle einwandernden Arbeiter dadurch, dafi siefiir Lohn
kombiniert arbeiten, ihrem Anwender Kapital zur Anwendung von mehr
Arbeit produzieren; zweitens jeder, der die Lohnarbeit an den Nagel
hinge und Grundeigner wiirde, wiirde grade durch den Ankauf des
Landes einen Fonds zur Heriiberbringung frischer Arbeit nach den
Kolonien sichern.« nu
Der von Staats wegen oktroyierte Bodenpreis muB naturlich »geniigend«
(sufficient price) sein, d.h. so hoch, »dafi er die Arbeiter verhindert,
unabhangige Bauern zu werden, bis andre da sind, um ihren Platz auf
dem Lohnarbeitsmarkt einzunehmen« nii . Dieser »geniigende
Bodenpreis« ist nichts als eine euphemistische Umschreibung des
Losegelds, welches der Arbeiter dem Kapitalisten zahlt fur die Erlaubnis,
sich vom Lohnarbeitsmarkt aufs Land zuriickzuziehn. Erst muB er dem
Herrn Kapitalisten "Kapital" schaffen, damit er mehr Arbeiter ausbeuten
konne, und dann auf dem Arbeitsmarkt einen Ersatzmann stellen, den die
Regierung auf seine Kosten seinem ehemaligen Herrn Kapitalisten iiber die
See spediert.
Es ist hochst charakteristisch, daB die englische Regierung diese von Herrn
Wakefield eigens zum Gebrauch in Koloniallandern verschriebene
Methode der "urspriinglichen Akkumulation" jahrelang ausgefiihrt hat.
Das Fiasko war naturlich ebenso schmahlich als das des Peelschen
Bankakts 1376 . Der Emigrationsstrom wurde nur von den englischen
Kolonien nach den Vereinigten Staaten abgelenkt. Unterdes hat der
Fortschritt der kapitalistischen Produktion in Europa, begleitet von
wachsendem Regierungsdruck, Wakefields Rezept uberfliissig gernacht.
Einerseits laBt der ungeheure und kontinuierliche Menschenstrom, jahraus,
jahrein nach Amerika getrieben, stockende Niederschlage im Osten der
Vereinigten Staaten zuriick, indem die Emigrationswelle von Europa die
Menschen rascher dorthin auf den Arbeitsmarkt wirft, als die
Emigrationswelle nach dem Westen sie abspulen kann. Andrerseits hat der
Amerikanische Burgerkrieg eine kolossale Nationalschuld in seinem
Gefolge gehabt und mit ihr Steuerdruck, Erzeugung der allergemeinsten
Finanzaristokratie, Verschenkung eines ungeheuren Teils der offentlichen
Landereien an Spekulanten-Gesellschaften zur Ausbeutung von
Eisenbahnen, Bergwerken etc. - kurz die rascheste Zentralisation des
Kapitals. Die groBe Republik hat also aufgehort, das gelobte Land fur
auswandernde Arbeiter zu sein. Die kapitalistische Produktion geht dort
mit Riesenschritten voran, wenn auch Lohnsenkung und Abhangigkeit des
Lohnarbeiters noch lange nicht auf das europaische Normalniveau
heruntergebracht sind. Die von Wakefield selbst so laut denunzierte,
schamlose Verschleuderung des unbebauten Kolonialbodens an
Aristokraten und Kapitalisten seitens der englischen Regierung hat
namentlich in Australien 1377 , zusammen mit dem Menschenstrom, den die
Gold-Diggings 1378 hinziehn, und der Konkurrenz, welche der Import
englischer Waren selbst dem kleinsten Handwerker macht, eine
hinreichende "relative Arbeiteriibervolkerung" erzeugt, so daB fast jedes
Postdampfschiff die Hiobspost einer Uberfiillung des australischen
Arbeitsmarktes - "glut of the Australian labour-market" - bringt, und die
Prostitution dort stellenweis so iippig gedeiht wie auf dem Haymarket von
London.
Jedoch beschaftigt uns hier nicht der Zustand der Kolonien. Was uns allein
interessiert, ist das in der neuen Welt von der politischen Okonomie der
alten Welt entdeckte und laut proklamierte Geheimnis: kapitalistische
Produktions- und Akkumulationsweise, also auch kapitalistisches
Privateigentum, bedingen die Vernichtung des auf eigner Arbeit
beruhenden Privateigentums, d.h. die Expropriation des Arbeiters.