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Full text of "Die Aufgabe der theologischen Facultäten und die allgemeine Religionsgeschichte [microform]"

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ümyersity of Chicago 
Divinity Library 

Die Huf gäbe 



der 



tbcologiscben f acultäten 



und 



die allgemeine Religionsgescbicbte 



von 



Hdolf f>ariiack, 

^^ivQrsity of rhi^ 



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9 ^* Ridtcr^sd^e Terlagsbudibandlung 

(Hlfrcd Copelmann) 

1901. 



^Ti^i'JricS T";;:^^; ir^vÄÄ KTT'Biwr -ei ^""^7^ 



-«i*«r.- 



3f. Ridter'sdie Terlagsbudtbandtung (Hlfred Copelmann) tn 6iessen. ' 



Sdiriftcn Hdolf Bamadt's aus demselben Terlage: 

]Vlartin Luther 

in setner Bedeutung 

für dfc 

6e9d)tdite der ^tssensdiaft und der Bildung. 

3. Huf läge. 1901. ]^I. — .60 



Huguötin^s Confessionem 

ein Tortrag. 

2. Huflage. 1895. ]^I. — .60 



Das ]yiönd>tbum 

seine Xdeale und seine Geschichte. 

5. Huflage. 1901. ^I. i.2i> 



Unter der presse: 

Sokratcö und die alte Kir*e* 

Refetoratsrede. 

0r. 80. 1901. ]NI. —.6c 



Die Huf gäbe 

der 

tbcologisd^en facultätcn 

und 

die allgemeine Religionsgescbicbte 

von 

Hdolf Rarnack 

ÜniVersiiy of öiiicägO 
Divinity Library 



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Gtcssen 

1. Rtdtcr'sd^c TcrUgsbud^bandlung 

(Hlfred Copclmann) 

1901. 



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Rektoratsrede 



gehalten 



am 3^ng.nsti 1901. 

LIBEAEIBS 



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University of Chicago 
Divinity Library 

CoUegen ! Coramilitonen ! 
Hochanselmliche Versammlung ! 



„Die von E-ucli vorgetragene Angelegenheit wegen 
Einrichtung einer allgemeinen und höheren Lehranstalt 
in Berlin finde Ich für höhere Geistesbildung im Staate 
so wichtig, dass Ich die Errichtung einer solchen aUge- 
meiaen Lehranstalt mit dem alten hergebrachten Namen 
einer Universität nicht verschieben wül." Durch diese 
an die Minister gerichtete Kabinets-Ordre vom 16. August 
1809 hat Friedrich Wühelm m. unsere Hochschule ge- 
gründet. Aber schon zwei Jahre früher (4. Sept. 1807) 
hatte der König an den Kabinetsrath Beyme geschrieben: 
„Ich habe beschlossen, eine allgemeine Lehranstalt in 
Berlin in angemessener Verbindung mit der Akademie 
der Wissenschaften zu errichten." Die Universitäten 
HaUe und Erlangen waren dem Staate genommen; aber 
die grossen Männer waren ihm gebheben, und er trotzte 
dem Greschick, indem er die Universität Berlin schuf. 
Memals wird man aufhören, in Preussen die herrliche 

1* 



— 4 — 

Zeit zu preisen, die aus der Noth einen ganzen Clior 
von Tugenden gescliaffen hat, und niemals wird man 
des Königs vergessen, der um sich, eiaen Greneralstab 
versammelte, wie ihn Deutschland noch nicht gesehen 
hatte, einen Humboldt und Stein, Fichte und 
Niebuhr, Süvern und Schleiermacher. 

Vielleicht ist Ihnen in beiden Könighchen Erlassen 
die Bezeichnung „Allgemeine Lehranstalt" aufgefallen. 
Mcht zufällig war sie gewählt. In den zehn Jahren 
ihrer Vorgeschichte heisst unsere Hochschule niemals 
„Universität", sondern stets „Allgemeine Lehranstalt". 
Dieser ISTame stammt von dem Manne, der die erste An- 
regung zu ihrer Stiftung gegeben hat — von Engel — 
und steht in einem gewissen G-egensatz zum Begriff der 
Universität. „Würde in Berlin", sagt Engel, „eine 
grosse Lehranstalt errichtet, die von den lächerhchen 
Bocksbeuteleien der Universitäten frei wäre und doch 
alle Vortheüe derselben gewährte, dann wäre Berhn die 
Hauptstadt des nördlichen, vielleicht des ganzen Deutsch- 
lands, der Mittelpunkt der Nation. Die Menschen neigen 
sich wie die Pflanzen unwillkürlich dahin, woher ihnen 
das Licht zuströmt." Keine Universität wünschte Engel, 
sondern etwas ganz Neues — was , das war fceilich 
schwieriger zu sagen; an die Akademie der "Wissen- 
schaften sollte es angelehnt sein, aber doch nur ange- 
lehnt; die Grenies unter den deutschen Schriftstellern 
sollten sich hier sammeln, aber die Anstalt sollte doch 
„nützhcher" werden als die Universitäten. Das Letztere 
leuchtete dem Könige ein. Auch er wollte zunächst 
keine Universität. Als diese Willensmeiaung bekannt 
wurde, regnete es Projekte von Berufenen und Un- 
berufenen. Housseau'sche G-edanken, die neue Päda- 



gogik, melir Freilieit und mehr Zwang macMen sicti 
gleichzeitig als Forderungen geltend. Am kühnsten 
schritt Fichte in seiaem „Dedncirten Plan einer zn 
Berün zu errichtenden höheren Lehranstalt" vor. Auf 
mehr als 100 Druckseiten entwickelte er Ideen, die von 
aller pädagogisch-geschichthchen Ueberlieferung losgelöst 
waren. Das Nationalinstitut, welches er an Stelle der 
alten Universitäten setzen wollte, war dazu bestimmt, 
den Kampf der Yernunftwissenschaft wider das herr- 
schende böse Princip zu fähren und auf das Universum 
Einfluss zu gewinnen. Aber je näher die Verwirklichung 
der Stiftung rückte, um so mehr kehrten die Maass- 
gebenden zur alten Form der Universität zurück. 
Schleiermacher und Wolf hatten in Halle ihren bleiben- 
den Werth schätzen gelernt, und die Humboldt' s hatten 
zu viel geschichtlichen Sinn, um ein Experiment zu wagen. 
Auch die alte Eintheilung in Facultäten wurde beibehalten. 
Dass sie schwere Nachtheile in sich schloss, wusste man. 
Schon jene Männer empfanden wie wir und erkaimten, 
dass die „wissenschaftliche Entwicklung unter keinen 
Fesseln mehr gelitten hat, als unter denen, in die sie sich 
selber geschlagen — geschlagen durch die grossentheils 
ia den äusserhchen Verhältnissen des akademischen Unter- 
richts begründete Scheidung natürhch zusammengehöriger 
Disciplinen." Aber jene Männer glaubten, durch ein inniges 
Zusammenwirken der Mitglieder der verschiedenen Facul- 
täten die Nachtheüe aufheben zu können. In der That, 
sie haben hier Grosses geleistet. "Wie Schleiermacher 
Theologie und Philosophie, ISTiebuhr xmd Savigny G-e- 
schichte und Jurisprudenz, Böckh Philologie und VoLks- 
wirthschaft mit einander verknüpft, wie dann die Brüder 
Humboldt, ein jeder in seiner Weise, die Facultätszäune 



— 6 — 

niedergerissen tuid die Greometrie der Päclier beseitigt 
haben, das -wurde für diese junge Universitätcliarakteristisch..; 
Und wir dürfen sagen, sie bat in den drei Menschenaltern ' 
ihres Daseins eben diesen Charakter bewahrt. Alle die 
grossen Fortschritte der Wissenschaft, deren Vorbedingung 
auf der Verschmelzung der Disciplinen beruht, sind ent- 
weder hier entstanden oder haben doch hier ihre besondere 
Pflege gefunden. Darf ich Sie an Bopp's Sprachwissen- 
schaft, an Humboldt' s Kosmos, an Ritter' s G-eographie, 
an Johannes Müller 's Physiologie, an G-erhard's Ar- 
chäologie erianern, um von jenem Vergangenen zu schwei- 
gen, das für uns noch eine beglückende G-egenwart ist. 
Die alten Facultäten wurden beibehalten, und sie 
haben sich bis heute behauptet. Selbst unsere philosophische 
Facultät, an Zahl der Lehrstühle die einer mittleren Uni- 
versität erreichend, hat jede Theüung abgelehnt. Es muss 
doch eine innere Vernunft in dieser Facultätengruppirung 
stecken; die Ueb erlief er ung allein und die Praxis erklären 
ihre Zähigkeit nicht. Aber gilt dasselbe auch von dem 
Umkreise der Aufgaben, die jeder Facultät zugewiesen 
sind? Ist hier nicht manches Veraltete und Rückständige? 
Die Theologische Facultät hat G-rund, sich diese Frage zu 
stellen. "Werden doch ringsum Stimmen laut, die ihr 
Programm für zu kurz und darum für wissenschaftlich 
, ungenügend erklären: nicht als Facultät für christliche 
i Theologie, sondern nur als Facultät für allgemeine E,eh- 
\ gionswissenschaft und -geschichte habe sie ein Recht auf 

/; Existenz. Nur in dem Maasse als sie gleichmässig auf 
' alle Religionen eingehe, könne sie die eine Relig jda-mpklich 
\ verstehen, und nur so könne sie vorurtheüe abstreifen, 
\ die sonst unbezwinghch seien; mindestens aber sei zu 
fordern, dass bei jeder theologischen Facultät ein oder 



mehrere LelirstüHe für allgenieiiie E;eligioiLsges^^ie_er- \ 
ricMet werden. In unserem Nachbarlande Holland liaben 
diese Forderungen bereits zu Umwälzungen der Theolo- «^ (/"^ 
giscben Faeultäten geführt bezw. zu ibrer Aufbebung durcb 
den Staat, und in anderen Ländern gäbrt es. Bei uns, 
wird man einwenden, sei die Frage nicht brennend; denn 
unsere Regierung denke nicht daran, hier Aenderungen 
eintreten zu lassen. AUein es würde der Facultät übel 
anstehen, an die Stelle ihres wissenschaftlichen G-ewissens 
gleichsam einen staatlichen Pass zu setzen und in dem 
sicheren Besitz desselben die Entscheidung der Frage zu 
vertagen. Ich bitte Sie daher um Ihr Grehör, wenn ich 
es versuche, das „Für" und „Wider" in dieser Frage zu 
erörtern: haben bei der Stiftung unserer Hochschule die .;.,.^^ 
maassgebenden Männer Recht daran gethan, dietheologische y 
Facultät wesentKch auf die Erforschung und Darstellung C 
der christHchen Religion zu beschränken, oder soU sie sich zu \ 
einerFacultät für aUgemeiaeRehgionsgeschichte erweitem? 
Kein Zweifel — die abstracte Theorie spricht für 
eine solche Erweiterung. Ist die Religion nicht etwas 
Zufälliges und daher Vorübergehendes in der Greschichte 
der Menschheit, kommt in ihr ein elementares Grrund- 
verhältniss zum Ausdruck, ohne welches der Mensch 
nicht der Mensch wäre, einerlei ob Jeder das empfindet, 
so muss es einen allgemeinen Begriff für sie geben. 
Dieser allgemeine Begriff kann gewiss nicht aus den 
einzelnen Erscheinungen der Religion durch eine ein- 
fache Abstraction gewonnen werden; denn sie ist wie 
die Moral und die Kunst ein Gregebenes und Werdendes 
zugleich, ihr wahrer Begriff ein sich enthüllendes Ideal. 
Aber auch zur Erkenntniss eines solchen Begriffes ist 
eine mögKchst vollständige Induction der Erscheinungen 



— 8 — 

wünsclienswertli. Man muss die ganze Stufenleiter der 
E-eligion überscliatien, man muss die Verbindungen kennen 
lernen, in die sie eintritt, die Verhüllungen, mit denen die 
Völker und die Einzelnen sie umgeben und abstumpfen, 
die Reizmittel, durch, welclie sie sie zu steigern versucben, 
um zu erfahren, was sie "wirklich ist. Von hier aus er- 
scheint also die Forderung sehr berechtigt, dass die He- 
ligionsgeschichte in ihrem vollen Umfange studirt werde. 
Die Beschränkung auf eine Religion scheint eine un- 
statthafte Verkürzung zu sein. 

Aber weiter, nur nach einer und derselben Methode 
können die Religionen studirt werden, nämlich der ge- 
schichtlichen, und diese lässt sich nicht willkürlich be- 
schränken. Wie sie jede zeitliche Grrenze überspringt, 
die man ihr ziehen will, so geht sie auch unerbittlich 
von einem verwandten Object zum anderen über. Sie 
kennt nur Ketten, nicht isoHrte Grlieder. Und mag sie auch 
innerhalb der einzelnen Erscheinung auf etwas ganz Singu- 
läres stossen, was sich der entwicklungsgeschichtlichen 
Ableitung entzieht — um so strenger ist sie verpflichtet, 
in die Breite und in die Tiefe zuj gehen und ihren ganzen 
Erwerb einzusetzen. Eine beson dere Methode^j,ber, nach 
welcher die christliche Religion zu studiren ist im Unter- 
schied von c[enrändef räj^ kennen'wirjaicht. Einst kannte 
man eine solche, eine Art von bibhscher und philo- 
sophischer Alchemie, und rechtfertigte sie mit nicht ge- 
ringem Scharfsian. Aber die Eolge war, dass man sich 
immer weiter von der reinen Erkenntniss des Objects 
entfernte xmd den eignen Greist an die Stelle der Sache 
setzte. Die historische Methode allein ist conservativ; 
denn sie sichert die Ehrfurcht — nicht vor der Ueber- 
lieferung, sondern vor den Thatsachen und macht der 



— 9 — 

Willkür ein Ende, Blei in Grold und Grold in Blei ver- 
wandeln zu wollen. 

EndHch aber, auch die kirchKche Praxis scheint die 
Erweiterung der theologischen Facultäten zu verlangen. 
Gebieterischer als in unseren Tagen ist die Forderung der 
christlichen Mission seit einem Jahrtausend nicht auf- 
getreten. Ich denke nicht nur an den vereinfachten und 
ins Grrosse gesteigerten Weltverkehr mit den neuen Pflich- 
ten, die er auferlegt — die Thatsache kommt vor allem 
in Betracht, dass die christlichen Völker sich anschicken, 
den Erdball aufzutheüen, ja beinahe schon aufgetheüt 
haben. Ob eine dauernde und gehaltvolle Civilisation 
ohne die Predigt des Evangeliums möglich ist, die Frage 
mag man bejahen oder verneiaen — gewiss ist, dass die 
"Völker, welche die Erde jetzt auftheüen, mit der christ- 
lichen Civilisation stehen und fallen, und dass die Zu- 
kunft keine andere neben ihr dulden wird. Damit sind 
den Christen, den Kirchen, Aufgaben gestellt wie nie 
zuvor; sie werden sie nur zu lösen vermögen, wenn sie 
nicht die Civilisation, sondern das Evangelium verkün- 
digen; aber eiae unerlässliche Vorbedingung scheint es 
zu sein, dass sie die Religionen der fremden Völker gründ- 
lich kennen lernen. Sollen da die theologischen Facul- ^ 
täten nicht ihre Pforten öfEaen und s ich zu rehgions- 
geschichtlichen Fäcultäten^^3\zmtem?- 

Man sieht, es sind starke Q-ründe, welche für eine 
solche Ausdehnung sprechen, und doch wage ich nicht, 
sie zu empfe hlen. Sc hwerwiegende Bedenken stehen im 
Wege. 

Erstlich bedarf es nur einer kurzen Erwägung, um 
zu erkennen, dass das Studium jeder einzelnen Religion 
von dem Studium der gesammten G-eschichte des betref- 



— 10 — 

fenden Volkes schlecMerdings niclit losgelöst werden darf. 
Zu dieser Greschiclite gehört vor aUem die Sprache des 
Volkes, sodann seine Litteratur, weiter seine socialen und 
poHtisclien Zustände. Die Religion allein studiren wollen, 
ist ein noch, kindlicheres Unterfangen als das, statt der 
ganzen Pflanze nur die "Wurzel oder nur die Blüthe zu 
untersuchen. Die Sprache ist nicht nur die Scheide, da- 
rinnen das Messer des Geistes steckt; sie ist viel mehr 
als die Scheide, zumal in Bezug auf die Religion. Die 
ReHgion hat zum Theil die Sprache geschaffen, und in 
der Sprachgeschichte spiegelt sich die Religionsgeschichte. 
JSTur wer jene in allen ihren IS'uancen kennt, kann ver- 
suchen, die Religion zu entziffern. Weiter aber, die wirth- 
schaffclichen Zustände und die politischen Erlebnisse und 
Institutionen eines Volkes sind für die Ausgestaltungen 
seiner religiösen Ideen und seines Cultus maassgebend. 
Und bleibt auch die Religion, einmal geschaffen und for- 
mirt, stets hinter dem Fortschritt der Gresammtentwick- 
lung zurück, ist ein Theil der öffenthchen Religion somit 
stets ,,superstitio" und blosses Ritual — so kann nur um- 
fassende und langjährige Forschung entscheiden, was in 
einem gegebenen Moment in einer bestimmten Rehgion 
wirklich lebendig ist. Wie soU man nun der Theologischen 
Facultät zumuthen, alle diese Studien, d. h. nicht weniger 
als die gesammte Sprachwissenschaft und Greschichte, in 
ihre Mitte aufzunehmen? Weist man ihr aber nur die von 
Sprache und Greschichte losgelösteRehgionsgeschichte zu, so 
verurtheilt man sie zn^ä agm he illosen Dilettantismus.. Das 
Ergebnis wäre, dass dieselbe A-ingabeucTder philosophischen 
Facultät gut, in der theologischen Facultät aber schlecht 
bearbeitet würde. Zu einer solchen Verdoppelung kann 
doch wohl Niemand rathen. Auf ihrem eigenen Gebiete 



— 11 — 

aber, nämlicli dem der alttestamentliclien und der clirist- 
lichen Religion, verfährt die Theologie längst nach der 
aufgestellten umfassenden Forderung. Wie sie ihre Auf- 
gaben hier im engsten Bunde mit hebräischer und grie- 
chischer Philologie gelöst hat und noch löst, wie sie andere 
Religionen nach Maassgabe ihres Einflusses auf die alt- 
testamentliche und christliche behutsam herbeiziebt, wie sie 
Rehgions- und Greschichtsforschung in fester Verbindung 
hält, darin steht sie hinter keiner geschichtlichen Disciplin 
zurück; ja sie hat für die ihr verwandten Disciplinen 
mustergiltige Leistungen auf ihrem Grebiete aufgestellt. 
Zweitens, wohl bleibt es, ideal angesehen, eine Ver- 
kürzung, dass sich die Theologische Pacultät auf eine 
Religion zurückzieht, aber welche Religion ist das? Es 
ist die Religion, deren Eigenthum die Bibel ist, deren 
Greschichte einen erkennbaren, nirgendwo unterbrochenen 
Zeitraum von nahezu drei Jahrtausenden umfasst und 
die noch heute als lebendige Religion studirt werden 
kann. In diesen drei verbundenen Merkmalen erhebt sie 
sich so gewaltig über alle anderen verwandten Erschei- 
nungen, dass man wohl das Wort wagen darf: Wer diese 
Reügion nicht kennt , kenjit kerne, iin d^wer sie sammt 
ihrer Greschichte ken nt, kennt alle. Zunächst — sie be- 
sitzt die BibeL""Tch'müsste befürchten, trivial zu werden, 
wollte ich es unternehmen, auch nur ein Wort zur 
Charakteristik derselben hier zu sagen. Es muss ge- 
nügen, daran zu erinnern, dass die Bibel das Buch des 
Alterthums, das Buch des Mittelalters und — wenn auch 
nicht auf öffentlichem Markte — das Buch der Neuzeit 
ist. Was bedeutet Homer, was die Veden, was der Koran "> 
neben der Bibel! Und sie ist unerschöpflich; jede Zeit J> 
hat ihr noch neue Seiten abzugewinnen vermocht. Mit 



— 12 — 

Recht heisst daker der Doctor ,der Theologie Doctor der 
heiligen Schr ift: auf sie concentrirt sich, xun sie gruppirt 
sich letztlich alle Axbeit der theologischen Pacnltäten. 
Und so oft es einem Einzelnen, Laien oder Theologen, 
gegeben -war, neu und voU aus ihr zu schöpfen, und das 
GTeschöpfte den Anderen darzubieten, so oft ist die christ- 
hche Menschheit in ihrer inneren G-eschichte auf eiae 
höhere Stufe gehoben worden. Damit ist das Andere 
berührt, was ich als zweites Merkmal dieser Religion 
genannt habe, ihre zeitliche Ausdehnung und Universa- 
htät. In ihrer" Vorgeschichte, der alttestamentHchen 
Stufe, bedeckt sie einen Zeitraum von tausend Jahren, 
und ihre Greschichte steht bereits im 20. Jahrhundert. 
An sich bedeuten die grossen Zahlen fi-eüich nicht viel 
— Aegypten, Indien und China präsentiren uns grössere, 
von der Praehistorie zu schweigen. Aber hier fällt der 
Zeitraum mit dem Zeitraum zusammen, auf den das 
"Wort „Greschichte" allein anwendbar ist, und der Schau- 
platz dieser Religionsgeschichte ist der Schauplatz der 
G-eschichte überhaupt. So zeigt denn bereits die alt- 
testamentliche Religion einen äusseren und inneren Con- 
tact mit Babylonien und Assyrien, mit Aegypten und 
Griechenland, d. h. mit der Universalgeschichte der alten 
Welt, und durchläuft selbst alle Stufen von einem naiven 
barbarischen Volkscultus bis zu der Religion der Psal- 
misten. Wer diese Entwicklung forschend, entziffernd, 
nachdenkend, nacherlebend, durchmisst, der braucht kein 
Vielerlei von Religionen zu studiren, um zu wissen, wie 
3ß in der Religion und der R^gjonsgeschichte.^.der 
Menschheit zugeht. Er hat an diesem Stoffe einen Aus- 
s^ch2tt," der ihm die Kenntniss der Rehgionsgeschichte 
in ihrer ganzen Breite nahezu ersetzt. Ja noch mehr: 



— 13 — 

nicht er bedarf der andere n Relifflonsbistoriker, sondern 
sie bedürfen ihn. Die alttestamenthche Religions- 
geschichte bietet den Schlüssel zum Verständniss vieler 
allgemeiaer rehgionsgeschichthcher Probleme, die ohne 
sie ungelöst bleiben müssten. Diese Religionsgeschichte 
lässt die stummen Tr ü m m er stücke fremder vergangener 
Rehgionen reden und haucht ihren Büdwerken Leben 
ein. Und doch ist dies erst die Vorgeschichte. Das 
Neue Testament und das Ohristenthum treten nun ein. 
"Wie dieses eiaerseits als der Abschluss der ganzen bis- 
herigen rehgionsgeschichtHchen Entwicklung erscheint 
durch eine ungeheure Reduction, die den Kern aller 
Rehgion enthüllt und in Kraft setzt, so erscheint es 
andererseits als die zweite Stufe in der Religions- 
geschichte, auf der sich alle früheren Erscheinungen der 
Rehgion in eigenthü m 1 i eher Umformung und gesteigert 
wiederholen. Nehmen Sie z. B. den abendländischen 
Katholicismus mit seinen mittelalterhchen Nebenschöss- 
lingen und überschauen Sie ihn in der ganzen Breite 
seiner Entwicklung. Sie werden finden, dass es kaum 
eine rehgiöse Lehre, kaum einen rehgiösen Ritus giebt, 
so viele ihrer in der Greschichte aufgetaucht sind, die 
dort nicht ihre Parallelen haben. Weiter, Sie werden 
keine religiöse Stimmung entdecken, von der de- 
müthigen und zartesten Hingebung an das Heilige bis 
zur herrschsüchtigen Leidenschaft, die nicht dort ihre 
Vertreter, ja sogar ihre Anweisungen und Vorschriften 
hat. Und von dem reinsten Monotheismus, wie ihn 
Augustin in den Confessionen ausgeprägt, bis zu einer 
naiven Heiligenverehrung finden sich hier alle denk- 
baren Standpunkte wieder. Die ganze Religions- 
geschichte in der Succession ihrer Erscheinungen ist 



— 14 — 

auf katholiscliem Boden gleichsam repetirt tuid unificirt; 
aus dem Naclieiiiaiider ist ein Nebeneinander geworden. 
Wül man aber feststellen, in welclie Verbindungen die He- 
ligion mit der "Wissenscbaft, dem "Welterkennen, der EtMk, 
der Politik, der Jurisprudenz eintreten kann und in "welcken 
Verbindungen sie mit den -wirtlLscliafbliclien Verhältnissen 
steht, so ist es wiederum die Geschichte der christlichen 
Rehgion, die dafür das eigentHch entscheidende Material 
hefert. Religion und Wissenschaft — man studire Ori- 
genes. Augustin, Thomas von Aquino und Schleiermacher; 
grössere Theologen wird man nirgendwo finden. Rehgion 
und PoHtik — man studire die G-eschichte der Gregore 
und Innocenze, die Politik der Päpste. Rehgion und 
Jurisprudenz — man lese Alphons von Liguori. Ueberall 
ist iimerhalb der christHchen Kirchengeschichte nicht 
nur die Fülle der Möglichkeiten nahezu erschöpft, sondern 
diese selbst siad in Repräsentanten von unübertrefflicher 
Klarheit und Kxaft vorhanden. Wie soll es daher den 
Kirchenhistoriker , auch wenn er für die Religion im 
weitesten Sinn des Worts lebendiges Interesse hat, locken, 
sich zu den Babyloniern, Indern und Chinesen oder gar 
zu den Negern oder Papuas zu begeben? Endlich aber 
: — lind dies ist vielleicht das Wichtigste — hier hat er 
eine lebendige Religion vor sich und um sich. Wir 
haben in der Biologie längst und in der Sprachwissen- 
schaft jüngst gelernt, dass man einen Organismus nur 
als lebendigen wirkhch verstehen kann. Erst als man 
das Sprechen zu belauschen anfing, ist man wirkhch in 
die Sprache eingedrungen, und nun erst gelang es, sichere 
Lautgesetze und Rhythmen zu finden, vage Möghchkeiten 
auszuschalten und die Fülle der Erscheinungen in or- 
ganisch bedingte und in irrationalhistorische zu scheiden. 



— 15 — 

Mutatis mutandis gilt dasselbe von der Religionsge- 
scMcMe. WalirlLaft sichere Erkenntnisse können nur an 
der lebendigen Religion, an derErkenntniss derErömmig- 
keit selbst gewonnen werden. Zwar ist die Aufgabe 
eine ungleicb scbwerere wie bei der Sprache; denn das 
Sprechen selbst ist die Sprache, aber die E,eHgion liegt 
stets hinter ihrer sinnlichen Erscheinung; auch das 
schlichteste Grebet ist bereits ein Abgeleitetes. Dennoch 
würde sich die Wissenschaft der Hehgion ihres wich- 
tigsten Hülfsmittels selbst berauben, wollte sie sich auf 
das todte Material beschränken. Zur Zeit ist sie hier 
noch sehr zurückhaltend — nicht ohne Grrund, denn sie 
sieht, wie manche Neuerer in wunderHcher Einseitigkeit 
nur gewisse Excentricitäten einer echauffirten Erömmig- 
keit fürRehgion zu halten scheinen — ; indessen langsam 
und sicher nähert sie sich der neuen Aufgabe. Dann 
aber ist es wieder die christliche Religion, die im Vorder- 
grunde stehen und das Feld behaupten wird. Nicht 
nur weü die Forscher Christen sind, sondern weil die 
reichsten und mannigfaltigsten Formen religiösen Lebens 
hier dicht nebeneinander stehen und zusammen über- 
schaut werden können. Man gehe mit einem französischen 
Schriftsteller nach Lourdes und beobachte die wunder- 
' süchtige Frömmigkeit, wie sie sich dort ausspricht; dann 
versetze man sich im Greiste in ein evangehsches Pfarr- 
haus, in welchem die Ueberlieferuugen von Luther und 
Schleiermacher regieren. Man studire die Frömmigkeit 
des russischen Volkes, wie sie uns Tolstoi in seinen 
Dorfgeschichten geschildert hat, und stelle einen puri- 
tanischen Christen Amerikas oder einen Offizier der 
Heilsarmee daneben. Gewiss gebieten der Buddhismus 
und der Islam über einen ähnlichen Reichthum; aber im 



— 16 — 

besten Falle lernten wir Mer "iinsiclier, was wir bei uns 
selbst besser tmd sicberer zu erkennen vermögen. Manche 
Typen ckristliclier Frömmigkeit aber, nnd gerade die 
liöcbsten, Laben dort keine Parallelen, während mir das 
Umgekehrte . nicht bekannt ist. Selbst die rasenden 
Derwische haben in der Kirchengeschichte aller Zeiten, 
auch der neuesten, ihr Analogen, und es giebt keine so 
entsetzliche Form der Weltflucht und keine Schwärmerei, 
die sich nicht auch bei christlichen Büssern und Visio- 
nären heute noch fände. 

Aber mit dem Hinweis auf den Umfang und die 
Fülle des Christenthums , dessen Studium das Studium 
der übrigen Rehgionen nahezu ersetzt, ist doch nicht 
das Entscheidende in der Frage, die uns hier beschäftigt, 
gesagt. Wir wünschen , dass die Theologischen Facul- 
' täten Facu ltäten für die Erforschung der christlichen 
■ Rehgion^J^LeJbfin^-Wfiil ^,a&.JChristenthum. in^ seiner reinen 
Grestalt -nicht, eine. E-ehgion neben anderen ist, sondern 
die Rehgion. Es ist aber die_ Rehgion, weil Jesus 
Christus nicht ein Meister neben anderen ist, sondern 
der Meister, und weil sein Evangelium der eingeborenen, 
in der Greschichte enthüllten Anlage der Menschheit ent- 
spricht. Ic ^h.abe v orhin ausgeführt ,_dass_die_Bibeles 
sei, welche den M ittelpunkFäller Studien der Theolo gischen 
Facultäten bilde. Noch genauer müsste ich sagen: dieser 
<^ Mittelp unkt istrTesüs" ""'Christus. Was~"die ersten Jünger 
^ von ihm empfangen haben, das geht weit über die einzelnen 
Worte und über die Predigt hinaus, die sie von ihm ge- 
hört hatten, und darum überbietet das, was sie über ihn 
ausgesagt und wie sie ihn erfasst haben, sein eigenes 
Selbstzeugniss. Das konnte nicht anders sein: diese 
Jünger waren sich bewusst, an Christus nicht nur einen 



— 17 — 

Lehrer zu besitzen, sondern sie haben einen inneren Tbat- 
j bestand so zum Ausdruck gebracht und gedeutet, wie sie 

ihn durch Christus erlebt hatten und wie sie ihn empfanden. 
Sie wussten sich als erlöste, neue Menschen, erlöst durch 
ihn. Darum haben sie ihn als den Herrn xmd Heiland 
verkündigt, und in dieser Predigt ist das Christenthum 
durch die Jahrhunderte_gegangen^ Ist dies aber keine 
Illusion, sondern eine fortwirkende T hatsache, dann giebt 
es " innerhalb der G-eschichte für die Menschheit keine 
wichtigere Angelegenheit als diese, und es ist wohlgethan, 
dass man dieser Heligion, die darbietet, was die ande ren 
erstreben, auch bei der Gruppirung der Aufgaben der 
Wissenschaft ihren besonderen Platz anweist. Nicht als 
ob es der wissenschaftlichen Erkenntniss möglich wäre, 
alles das von den "Wirkungen dieser Religion und von 
ihrem Stifter auszusagen, was der Grlaube bekennt oder 
) die fromme Speculation behauptet — die Religion selbst 

entrückt ja den Weg zu ihrem tiefsten Inhalte den Aa- 
strengungen des Verstandes, und die Speculationen siad 
von vergänghchen zeitgeschichtlichen Elementen ab- 
hängig. Wohl aber bejaht die geschichtliche Erkennt- 
niss den Anspruch dieser Religion, das höchste Grut zu 
sein, welches die Menschheit besitzt, das heüige Grut, 
das sie über die Welt erhebt, ihre wahre Ereiheit und 
Brüderlichkeit begründet und ihr ein sicheres Ziel steckt. 
Innerhalb der Wissenschaft und mit den bescheidenen 
Mitteln, die sie hier darbietet, Hüterin dieses geistigen 
Gruts zu seia, es in seiner Reinheit zu bewahren, vor 
Missverständnissen zu schützen und seine geschichtlich 
erkennbaren Züge zu immer klarerer Erkenntniss zu 
', bringen — das ist die Aufgabe der evangelisch -theo- 

logischen Eacultäten. Mit dieser hohen Aufgabe betraut. 



— 18 — 

müssen sie es ablehnen, sich, mit den Religionen der 
ganzen Erde verantwortlicL. zu belasten. Sie wollen dar- 
über keinen Zweifel lassen, dass sie sich, nm die Religion 
überhaupt bemühen, indem sie sich nm das Ohristenthum 
bemühen, nnd dass sie nicht mir die Kenntniss, sondern 
mit ihr auch die Greltung desselben in Kraft erhalten woUen. 
Damit bin ich zu dem Letzten gekommen: die Theo- 
logischen Facultäten haben auch einen praktischen Beruf, 
und auch um dieses Berufs willen soll der Kreis ihrer 
Aufgaben unverändert bleiben. Sie haben, wie es in den 
Statuten unserer Eacultät heisst, „die sich dem Dienst 
der Kirche widmenden Jünglinge für diesen Dienst tüchtig 
zu machen." Mit der evangeKschen Kirche also stehen 
sie in einem Zusammenhang, und sie sind sich der Ver- 
antwortung bewusst, die ihnen dieses Verhältniss auf- 
erlegt. In der Auffassung ihrer Pflichten hier bestehen 
freilich noch drückende Verschiedenheiten, die zu schweren 
Spannungen geführt haben. GeschichtHch sind diese 
Spannungen wohl verständlich. Einst galt für alle vier 
Eacultäten die oberste Bestimmung, dass sie eine feste, 
ein für allemal gegebene Lehre zu tradiren haben. Eür 
die Juristen war es die des Corpus juris, für die 
Mediciner Hippokrates und G-alen, für die Philosophen 
Aristoteles und für die Theologen waren es die sym- 
bolischen Bücher. Unter schweren Krisen setzte sich 
seit dem 18. Jahrhundert ein neuer Begriff von Wissen- 
schaft durch und unterwarf sich die Universitäten: 
Wissenschaft ist nicht abgeschlossene Lehre, sondern 
stets zu controlirende Forschung, und Wissenschaft ist 
allein an die kritisch geordnete Erfahrung gebunden. 
In den anderen Facultäten hatte sich diese neue Auf- 
fassung, die den pädagogischen Beruf gewiss bedeutend 



— 19 — 

ersckwert, am Anfang des 19. Jahrlrnnderts diircligesetzt; 

i Auch, in den evangelisch. -tlieologisclien Facultäten war 

man damals so weit. Da bracht eine schwere Heaction 
ein, in mancher Hinsicht sachlich, berechtigt; aber 
bald. sucMe sie diese Eacnltäten in ihrer Freiheit um 
ein Jahrhundert und mehr zurückzuwerfen. In beissem 
Xampfe haben sie ihren wissenschaftlichen Charakter 
zwei Grenerationen hindurcb erstreiten müssen. Der 
Kampf ist nocb nicht beendigt; aber in weitesten Klreisen 
der evangeliscben Kirche selbst und derer, die sie leiten, 
ist docb die Ueberzeugung zum Durebbruch gekommen, 
dass der evangelischen Theologie dieselbe Freibeit zu 
gewähren ist wie jeder anderen Wissenschaft, Man kann 
wohl in der Politik zwiscben Freiheit und Zwang einen 
Mittelweg ausfindig machen, indem man bald diesen, 
bald jene walten und aus diesem Zickzack eine Art von 

I mittlerer Marschroute entstehen lässt; aber in Bezug auf 

die Frage, ob man die Erkenntniss frei lassen soll oder 

j nicbt, giebt es keia mittleres Verfahren; denn sie ist 

scbon in Banden geschlagen, wo aucb nur der Scbeia 
einer Bevormundung entsteht. Man wendet dem- 
gegenüber die Ueberstürzungen und Fehler der frei- 
gelassenen "Wissenschaft ein und dass sie nun der Praxis 
die alten Dienste nicht mehr voU leisten könne — aber 
was will das besagen gegenüber der furcbtbaren Calami- 
tät, die notwendig eintreten muss, der Calamität, dass 
dem Lehrer die Freiheit gebrochen wird, und der 
Lernende die Integrität und Wahrhaftigkeit seines 
Lehrers beargwöhnen muss. Eia einziger solcber Fall 
wiegt zehnmal all den Schaden auf, der durcb Miss- 
braucb der Freiheit entstebt. Die evangelische Kircbe 
selbst wünscht einen solchen Zustand nicht, und sie wird 



— 20 — 

sich lieber bei der Thatsaclie bescheiden wollen, dass ilu- 
die Tbeologisclien Facnltäten niclit mehr dasselbe leisten 
wie frülier, als dass sie sie in Versuchung führe. Ob diese 
Facultäten ihr aber nicht im freien Dienst Besseres ge- 
währen, darf man wohl fragen. Wilhelm v. Humboldt 
hat einst das tiefe Wort gesprochen: „Die Wissenschaft 
giesst oft dann ihren wohlthätigsten Segen auf das Leben 
aus, wenn sie dasselbe gewissermaassen zu vergessen 
scheint." Das gut auch hier. Wir können und dürfen bei 
unsrer geschichtlichen Arbeit nicht an die Leliren und Be- 
dürfnisse der Earchen denken ; wir wären pflichtvergessen, 
wenn wir in jedem einzelnen FaU etwas Anderes im 
Auge hätten als die reine Erkenntniss der Sache. Aber 
dass ein Theologe kein Herz für seine Kirche hätte, für 
ihr Bekenntniss und für ihr Leben, dass er nicht lieber 
ihr beistimmen als sie corrigh^en möchte, das lehrt alle 
Erfahrung. Was sollte ihn auch locken, in diesen ver- 
antwortungsvollen Beruf einzutreten und in ihm zu ver- 
harren, wenn nicht die Sache selbst, welche der Theo- 
logie und der Kirche gemeinsam ist? Die Theologischen 
Facultäten werden nicht aufhören, sich der Kirche ver- 
pflichtet zu wissen im freien Dienst; sie wollen sie nicht 
meistern, sondern bieten ihr an, was sie erarbeitet haben. 
Dass aber die zukünftigen Diener der evangelischen 
Kirche durch eine solche Schule hindurchgehen, die sie 
zur ernstesten Prüfung auffordert, das entspricht letzt- 
lich den obersten G-rundsätzen dieser Earche selbst. 

Ich habe die G-ründe darzulegen versucht, welche 
die Theologischen Facultäten bestimmen, die alte Auf- 
gabe in Kraft zu erhalten und nicht Facult äten fü r 
allgemeine Religionsgeschichte zu werden j auch mit einem 
Eehrstuhi für diese unübersehbare Wissenschaft ist es 



— 21 — 

hier niclit gethan. Wohl mag es einzelne besonders 
ausgezeichnete nnd arbeitskräftige Männer geben, die 
ihn znr Noth zn bekleiden vermögen; aber das sind 
seltene Ausnahmen. Um so lebhafter aber ist unser 
Wunsch, dass der Indologe, der Arabist, der Sinologe etc. 
auch der Religion des Volkes, dem er sein Studium ge- 
widmet hat, volle Beachtung schenke und die Ergebnisse 
seiner Arbeit in Vorlesungen und Büchern mittheile. 
Dankbar hat die evangelische Theologie von solchen 
Werken bereits Grebrauch gemacht und durch sie nicht 
nur üiren Gresichtskreis erweitert, sondern auch ihr kri- 
tisches Vermögen geschärft. Dass kein Theologe die 
Universität verlässt, ohne eine gewisse Kenntniss minde- 
stens einer ausserclnisthchen Rehgion, ist ein Wunsch, 
der sich vielleicht verwirklichen lässt; wir rechnen dabei 
axich auf die bereits erprobte Hülfe wissenschafthch ge- 
richteter Missionare, die in die Heimath zurückkehren. 
Aber indem wir bei der alten Aufgabe unserer Pacultät 
verharren, geschieht dies in der doppelten Voraussetzung, 
dass ihrer Freiheit keine Sclrranken gezogen werden, und 
dass sich über die äusseren Zäune hinweg Vertreter ver- 
wandter Fächer — wie zur Zeit der Anfänge unserer 
Universität — die Hand reichen zu gemeinsamer For- 
schung. Vielleicht kommen wir so nach langer, langer 
Arbeit zu einer vergleichenden Religionswissenschaft. 
Vor drei Menschenaltern, als diese unsere Universität 
gestiftet wurde, glaubte man diesem Ziele näher zu sein 
als heute. Wie oft ist es doch der Wissenschaft schon 
begegnet, dass die Fülle neuer Erkenntnisse sie scheinbar 
zurückgeworfen hat. Indem man reicher wurde, wurde 
man ärmer, ärmer an allgemeinen Erkenntnissen. Mögen 
uns in der Wissenschaft Männer geschenkt werden, die 



— 22 - 

auf dem G-runde solider Forschimg den Mutli der Zu- 
sammenfassung liaben; denn jede Zusammenfassung ist 
That des MutMgen. Möge unsere Universität fort und 
fort der Greist beleben, der in Schleiermaclier und 
Humboldt lebendig war; möge der Hochsinn Ficlite's 
in uns und unseren Commilitonen niemals aussterben; 
möge mit diesem Hocbsinn verbunden bleiben die Ebr- 
furcbt vor den göttüclien Dingen, vor dem "Wirkliclien, 
vor jedem ebrüclien Beruf — jene Ebrfurclit, welebe die 
Grrundlage aller Gresittung ist. Dann wird uns das 
strahlende Morgenrotk unsres Aufgangs einen dauernden 
Sonnentag bedeuten! Dass aber jene berrliclien Männer 
zu Baumeistern des Baues berufen wurden, den wir mit 
Stolz den unsrigen nennen, verdanken wir unserem 
Königlicben Stifter. Seine Huld und Seinen Schutz hat 
er vererbt auf Seine Nachfolger, vererbt auf Seinen 
Urenkel, unseren König und Herrn. Ihm ist die Wissen- 
schaft, Ilim ist diese unsere Universität ein theures Grut, 
und wir haben die zuversichtliche und gegründete Hoff- 
nung, dass Er nicht nur üir Erhalter bleiben, sondern 
auch ihr Mehrer sein wird. Grott schütze den König! 



UnivQrsity of Chicago 
Divinity Library 




Di'uck von C. G. Röder in Leipzig. 



J, Richcr'sdjc TerlagsbucbbAndlung (Hlfrcd CSpclmann) 

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Unter dem geschtchtUchen , dogmatischen und ps)[>chologischen 
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in ihrer Bedeutung für die erforsdjung seines inneren K-ebcns. 
1900. ]NI. 1.20 



% Rtdter'scbe Terlagsbudibandlung (Hlf red Copeltnann) in 6tessen; 

Das spätere jfwdentbutn 
als Vorstufe des Cbristentbums 

von 

Prof. O. ^. ßaldensperger. 

©r. 8". 1900. )VI. —.60 

Kultus- und Gesd^icbtsreligion 

(pelagiantsmus und Hugustinismus). 

ein ßcttrag 
zur rcUgtöscn pd37d)ologte und Tolkshunde 



von 



t-tc. 5oh. "J^üngst, pfarrcr. 
0r. 8**. 1901. f^. 1.60 

Religion und JVIoraU 

ötrcitsätzc für 'Cbcologen 

von 
pri\».-Doz. D. JMartin Rade xn JVIarburg. 

8». 1898. ]NI. —.60 

Die 

entstebung des Volkes Israel 

Von 

D. Bernhard Stade 

6eh. Ktrchenratb und Professor der Cheologte In Gtessen. 
0r. 80. 1899. ]NI.— .60 



■J. RCdicr'scbc VcrlagsbudibÄiidlung (Hlf red Copclmann) in 6tessen. 



Husgewäblte CbristUcbe Reden 



Ton 



Sören Kierkegaard. 

Hus dem Dänischen übersetzt von "^uUc VOtl Rcttldte. 



M 



]VIit einem Hnbangc Ober 

Kierkegaard's famille und Privatleben 

nach den persönlichen Srinnerungen 
seiner JS^td^te, fräulcin Lund. 

J^cbst eimm Bilde Kwrkegaard's 
und seines TAters. 

Ohtar-format. 1901. 170 Seiten. 

elegant geheftet 3 JMarh. — elegant gebunden 4 )viarfe. 




ßesundbcit und Grziebung. 

eine Vorschule der ehe. 

Von 

Georg Sticker 

Professor der JMedictn an der Universität Ciessen. 



Oktav-fermat. 



1900. 
elegant gebunden 4 )viark. 



250 Seiten. 



C. 6. Röder, Leipzig. 



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> ©AYLORD BROS. In*. V 
' Syracute, N. Y. ^ 



Stockton, Calif- t 



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^figfechen facul täten. 



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