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University of Chicago Library
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Besides the main topic ihis book also treats of
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14&.
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Schriften des Institutum Judaicum in Berlin Nr. 33.
Jesus und die Eabbineü
Jesu Bergpredigt und „Himmelreich"
in ihrer Unabhängigkeit vom Rabbinismus
dargestellt
von
Dr. Erich Bischoff
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Leipzig
J. C. Binriclis'sclie Buchliandlung
1905
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30061;
Herrn Prof. D. Hermann L. Strack
als Dank für yieles
Vorwort.
Wie Jesu Worte ursprüuglicli gelautet liaben, das hat mit
bestem Erfolge Prof. D. Gustaf Dalman festzustellen begonnen.
Mein Vorhaben geht dahin, zu beweisen, daß Jesu Gedanken
in allen wesentlichen Punkten originalen Charakter tragen, und
daß zumal ihre angebliche Abhängigkeit von rabbinischeii Quellen
ein Wahn ist.
Den ersten Schritt zur Bekämpfung dieses Wahnes hat
HeiT Prof. D. Strack bereits 1878 (Literar. Centralblatt No. 2)
getan und schon darum volles Anrecht auf die Widmung dieser
Fortsetzung seiner Bemühungen, ganz abgesehen von den für
mich vorhandenen Gründen persönlicher Dankbarkeit.
Mit der Bergpredigt und Jesu Begriff des Himmelreichs
habe ich mich deshalb zunächst befaßt, weil an diesen Stücken
in erster Linie die destruktive Kritik eingesetzt hat.
Ich mache nur zwei so gut wie bewiesene Voraussetzungen :
Erstens nehme ich nach Dalmans überzeugenden Ausführungen
an, daß Matthäus Jesu Worte zumeist in ihrer ursprünglichsten
Fassung bewahrt hat; zweitens halte ich die in Betracht
kommenden Herrenworte mit der Mehrzahl besonnener Kritiker
für meistenteils vor oder jedenfalls wenig nach der Tempelzer-
störung aufgezeichnet.
Möge mein miter mancherlei Schwierigkeiten entstandener
Versuch zu einem tieferen Verständnis der Worte Jesu bei-
tragen.
». y.
Inhalt.
Seite
Einleitung 1
Ziu- Literatur 8
Die Bergpredigt Matthäus 5,3 bis 7,28 9
Jesu „Himmekeicli" u. die Rabbiiieii 97
Scbluss 103
Anhang (Prof. Strack zu Siphra 89 b) 104
Nachträge 108
Register (Sachen — Rabbinen — Zitaten — Autoren) . .110
Bericlitigimgcii: S. 18, Z. 7 v, u. lies ,clas seine"; S. 50, Z. 6 v. o.,
S. 69, Z. 20 V. 0. und S. 87, Z. 12 v. u. lies „aus dem 3. Jahrli."; S. 51,
Z. 14 ff. lies (mit neuem Satzanfang): ,,Ähnlicli wie . . . ., so laeisst es".
-^-
Einleitung.
Als man auf christlicher Seite anfing, sich eingehender mit
der rabbinischen Literatur zu beschäftigen, fand man in dieser
gar bald nicht wenige Aussprüche und Ausdrücke, die sich mit
solchen des NT berühren oder geradezu Parallelen zu ihnen
bilden. Zunächst merkte man dergleichen nur gelegentlich an,
z. B.^ in den Übersetzungen des ethischen Thalmudtraktats Pirke
Aboth (Sprüche der Väter) von Paulus Fagius (1541) u. a.^,
sowie in den Sentenzensammlungen von Joh. Drusius (Adagia)
und Joh. Buxtorf (Florilegium hebraicum, 1648). Bald aber ent-
standen umfangreichere Parallelensammlungen. Als Autoren
solcher Werke nenne ich nur: Joh. lightfoot (Horae hebraicae
et talmudicae in quatuor EvangeHstas, 2. Ausg. v. Bened. Carpzov,
Leipzig 1684), Christ. Schöttgen (Horae hebr. et talm. in Uni-
versum NT, Dresden und Leipzig 1733), Joh. Gerh. Menschen
(NT ex Talmude et antiquitatibus Hebraeorum illustratum,
Leipzig 1736; darin vor allem Balthas. Scheidts wertvolle Paral-
lelensammlung „Praeterita praeteritorum"), Joh. Jac. Wettstein
(NT Graecum, Arnstadt 1751 f.), Thom. Eobinson (The Evan-
gelists and the Mishna, London 1859), Erz. DeHtzsch (Horae
hebr. et tahn., in Ztschr. f. luth. Theol. u. K. 1876—78), Carl
SiegMed (Analecta rabbinica, Jena 1875; dgl. Rabbinische Ana-
lekten, in Jahrb. f. prot. Theol. 1876), August Wünsche (Neue
Beitr. z. Erläut. d. Evangelien aus Talmud u. Midrasch, Göttingen
1878), W. H. Bennett (The Mishnah as illustrating the Gospels,
^ Ich übergelie hier gelegentliche Zitate in mittelalterlichen und
anderen Streitschriften wider die Juden, Bekehrungsschriften usw.
2 Tgl. m. Krit, Gesch. der Thalmudüberss. (Prankfurt a. M. 1899), S. 4ofle.
Bisohoff, Jesus u. d. Rabbinen. 1
Cambridge 1884) \ Auch Ton jüdischen Autoren gibt es ^ ähn-
Kche Werke. Nur gelegentliche Hinweise bringt z. B. M. Schuhl
(Sentences et proverbes du Talmud, Paris 1878); etwas syste-
matischer verfahren : F. Nork ^ (Rabbinische Quellen und Paral-
lelen zu neutestamentl. Schriftstellen, Leipzig 1839), M. Duschak
(Die Moral der Evangehen und des Tabnud, Brunn 1877),
E. Schreiber (Die Prinzipien des Judenthums verghchen mit
denen des Ohristenthums, Leipzig 1877), E. Soloweyczyk (Die
Bibel,- der Talmud und das Evangelium, übers, v. M. G-rünwald,
Leipzig 1877), E. Grünebaum (Die Sittenlehre des Judenthums
anderen Bekenntnissen gegenüber, 2. Aufl., Strassburg 1878),
S. Blumenau (Gott und Mensch in Aussprüchen der Bibel alten
u. neuen Testaments, des Talmud u. des Koran, Bielefeld 1885),
E. Friedemann (Jüdische Moral u. christl. Staat, Berlin 1894;
hierin eine Übers, aus Hippolyte Rodrigues, Les origines du
Sermon du Montagne, Paris 1868), endlich J. Hamburger (Real-
Encyclopädie f. Bibel u. Talmud, bes. Bd. II und Suppl. 3).
Die christlichen Autoren verfolgten hierbei, wie auch z. B.
mit den Thalmudübersetzungen* und anderen rabbinischen Studien,
teüs einen philologisch -theologischen Zweck, die Erläuterung
bibhscher, zumal neutestamentlicher Stellen; teils leitete sie ein
Missionsinteresse, indem sie durch jene Vergleichungen dem
Juden den Geist des NT verständHcher und sympathischer
machen wollten. Bei den jüdischen Autoren war, wie Dalman
(Die Worte Jesu I, Leipzig 1898, S. 62) treffend bemerkt,
hauptsächlich der apologetische (z, T. auch der polemische) Ge-
sichtspunkt maßgebend, wie z. B. bei Nork, Rodrigues-Eriede-
mann und Hamburger. Unter besonderer Berücksichtigung der
"Worte Jesu suchten und suchen sie vor allem zu zeigen, daß
gerade die erhabensten Gedanken des NT teils dem rabbi-
nischen Judentum einfach abgeborgt, teüs Verschlimmbesserungen
ursprünglich jüdischer Gedanken seien ^.
1 Andere minder bedeutende ähnliclie Schriften bei Menschen in
der Praefatio. || " Auch hier übergehe ich die gelegentl. Zitate in Pole-
miken usw. il ' Eigentlich. Korn, angeblich getauft; sein Buch aber
gehört auf die jüdische Seite. |] * Ygl. Erit. Gesch., S. 9 u. 88, ferner
L'Empereur, Clavis Talmudica (Leiden 1634), Vorw, p. 5 f. j] ^ Gerade
ihrer Übertreibungen -wegen muss ich Nork, Hamburger, Friedemann usw.
am häufigsten erwähnen, zumal da sie die Bekanntesten sind. — Der
Proselji; Nork versteigt sich u. a. (S. IV) zu der Behauptung, dass „die
Evangelisten ihre messianischen Beweisstellen . . nur mittelbar durch
Mit Recht sagt Dalman, daß fast alle (er hätte sagen
dürfen: alle) die genannten Werke 1. „nur gelegentliche Beohach-
tungen mitteilen" und „den Tatbestand auf dem Gebiete des
Rabbinismus für den einzelnen Fall nicht systematisch erheben",
2. „Übereinstimmung und Abweichung zwischen neutestament-
hchen und rabbinischen Aussagen nicht sorgsam genug bestimmen".
Als noch schhmmeren Mangel füge ich hinzu 3. die aus Un-
kenntnis oder Bequemlichkeit, ja z. T. in böser Absicht ge-
schehene Unterlassung jeder Prioritätsbestimmung! Viel-
fach wird, anscheinend mit Vorbedacht, jede Zeitandeutung der
Quellen unterschlagen und der trotz Stracks bahnbrechender
„Einleitung in den Thalmud" noch weitverbreitete Wahn, als sei
dieses Sammelwerk durchweg weit älter als das NT, zur
Umkehrung des wirkUchen Sachverhalts ausgenutzt, zumal bei
Worten Jesu, so daß z. B. Hamburger, Nork und Eriedemann —
■wie wir sehen werden — um Jesum als Nachahmer hinzustellen,
ohne Bedenken als „Quellen" seiner Worte die Aussprüche von
Rabbiaen selbst des 4. nachchristhchen Jahrhunderts zitieren,
gelegentlich sogar noch spätere Erzeugnisse! Bei den genannten
christhchen Autoren — Dahnan ausgenommen — findet man
kaum je einen schwachen Versuch, dieser Irreführung entgegen-
zutreten oder ähnlichen Irrtümern vorzubeugend Nur Strack
hat (vgl. Vorw.) schon 1878 (LCbl, Nr. 2) bei Besprechung von
E. Schreibers „Prinzipien des Judenthums" dessen verkehrte An-
sichten über die „Quellen" treffend gekennzeichnet und widerlegt,
zugleich auf jüdische ähnliche Ansichten hingewiesen (Geiger,
Weiß etc.). Ebenso hat er auch (LCbl. 1878, Nr. 22) Wünsöhes
Übertreibungen (zugunsten der Pharisäer) kurz berichtigt.
Ich werde im folgenden zunächst an der „Bergpredigt" den
Beweis führen, daß Jesus keinen irgendwie wesentlichen
•die mystisclie Exegese der Rabbinen vor dem Auftreten Jesu
herausgefunden" hätten. Seine (übrigens auch bei anderen, Nichtprose-
lyten bemerkbare) kritiklose Methode wird am besten durch seine Ansicht
(S. VII) gekennzeichnet, dass man für rabbinische Parallelen, die später
als Jesu Worte seien, „verloren gegangene Quellen der vorchristlichen
Periode" annehmen müsse! Auf diese Art kann man freilich auch
Abraham zum Erfinder des Schießpulvers machen. (Vgl. Gen. r. c. 43.)
^ Darum müssen sie sich auch gefallen lassen — wie z. B. Delitzsch,
Siegfried und Wünsche (dem letzten nicht mit Unrecht) geschehen ist —
von so konfusen und einseitigen Köpfen wie Priedemann (s. o.) als- an'-
^ehliche Gewährsmänner für deren Seltsamkeiten zitiert zu werden.
1*
Gedanken seiner Lehre rabbinischen Quellen entlehnt
hat. Wäre ich schneller im Schließen, als ich es bin, würde
ich auf Grund meines Materials vielleicht gar die Behauptung
wagen, Jesu Worte seien vielmehr häufig die Quelle für analoge
Aussprüche späterer ßabbiaen geworden^.
Daß Jesus nicht nur genaue Bekanntschaft mit der heiligen
Literatur des jüdischen Volkes besaßt, sondern auch mit dem
rabbinischen Wissen seiner Zeit durchaus aufs beste vertraut
war, kann heute nur noch naive Unkenntnis leugnend Seine
Geisteskämpfe mit rabbinisch geschulten Gegnern vor Zuhörern,
die mindestens allwöchentlich das „Lehrhaus" besuchten, das
viel mehr rehgiöses Lokalparlament als Predigtsynagoge oder
Kultusort war — diese Geisteskämpfe machten eine so genaue
Kenntnis der Ansichten, Denkweise und Disputationsform der
Gegner nötig, daß ein darin Unbewanderter gar nicht hätte auf-
kommen, geschweige denn die Gegner so zum Schweigen bringen
können, wie er. Daß seine polemische Anführung ihrer gegen-
teihgen Ansichten keine Abhängigkeit von ihnen im Sinne
meines Themas bedeutet, ist klar.
Wenn sich aber nachweisen ließe, daß Jesus landläufige
Vorstellungen und büdhche Ausdrücke, volkstümhche Anschau-
ungen und sprichwörthche Bedewendungen gebraucht habe, die
sich schon vor ihm im Munde des oder jenes Babbi fänden, so
könnte nur Mangel an jeder kritischen Schulung hieraus eine
Abhängigkeit Jesu von den Babbiaen herleiten. Es muß eben
doch ein jeder, der dem Volke verständlich werden will, des
Volkes Sprache reden, und jeder, der in einer bestimmten
Umgebung aufgewachsen ist, äußert sich zudem ganz unwillkür-
lich in deren Ausdrucksweise*. Etwas anderes ist es mit neuen.
^ Man könnte dann mit noch, mehr Reclit von „Jesus Christus im
Thalmud" reden, als auf Grund der von Hnr. Laible unter diesem Titel
herausgegebenen, wirklich oder angeblich auf Jesus bezüglichen Stellen
der unzensierten Thalmudausgaben. |1 ^ Bacher, Agada der Tannaiten
I, 23. II 3 Mit Eecht sagt z. B. A. Jeremias, Babylonisches im NT (S. 4):'
„Jesus ist durchaus nicht, wie neuerdings — vor allem von Wernle, Die
Anfänge unsrer Religion, der daraus verhängnisvolle Schlüsse zieht — be-
hauptet worden ist, im Sinne seiner Zeit und seines Yolkes „Laie"
gewesen. Die Pharisäer würden sich dann überhaupt nicht mit ihm
eingelassen haben. . . . Das Ev. Matth. zeigt klar und deutlich, daß
Jesus ein Gebildeter im Sinne seiner Zeit war." |) * Vgl. Kahler,
Dogmatische Zeitfragen, S. 89 f.: „Jesus verhandelte mit den Juden seiner
eigenartig geprägten Begriffen und deren Ausdrucksweisen. "Wenn
solclie sich zugleich bei Jesus und einem gleichzeitigen oder
früheren jüdischen Autor nachweisen Heßen, könnte vielleicht von
einer Abhängigkeit Jesu von rabbinischen Autoritäten die Rede
sein. Es wird sich aber zeigen, daß dies nicht der Fall ist, ja,
daß selbst allgemein volkstümhche und landläufige "Wendungen
von ihm zumeist nicht einfach übernommen werden, sondern einen
vertieften Sinn erhaltend
Bei Feststellung der Priorität der bei Jesus und bei den
Rabbinen zu findenden mehr oder minder ähnlichen Ausdrücke,
Aussprüche usw. werde ich nach folgenden Regeln einer nüch-
ternen, unbefangenen Kritik verfahren: 1. Bei mit Autornamen
oder sonstigen Zeitmerkmalen versehenen rabbinischen Stellen ist
zu untersuchen, in welche früheste Zeit sie gesetzt werden können.
— 2. Bei anonymen rabbinischen Aussprüchen ist aus dem Zu-
sammenhange, in dem sie stehen, eventuell auch aus ihrer
Sprache, aus inhaltlichen Merkmalen usw. die Zeit ihres Ur-
sprungs tunlichst zu ermittehi. — 3. Bei Jesu Worten ist fest-
zustellen, in welcher christhchen Quelle sie zuerst vorkommen,
und aus welcher Zeit diese stammt; in ganz besonderen Fällen
vielleicht auch noch, in welche Periode seiner Lehrtätigkeit sie
von dieser Uberheferung gesetzt werden. — 4. Bei Parallelen,
deren früheste rabbinische Autoren annähernd gleichzeitig mit
Jesus sind, ist zu untersuchen, wem die Priorität gebührt, even-
tuell, ob ein Abhängigkeitsverhältnis Jesu anzunehmen ist. Die
Abhängigkeitsfrage ist ebenso zu erörtern, wenn der rabbinische
Autor der Parallele unzweifelhaft vor Jesus gelebt hat, wie z. B.
Hillel, da post hoc nicht gleich propter hoc ist, das Prius noch
nicht notwendig Quelle bedeutet^. — 5. Nötigenfalls wird auch
Zeit. Sie mußten ihn doch wenigstens äußerlich verstehen können.
Auch ist er ja in allem, was Darstellung, Verdeutlichung, Anschaulich-
keit angeht, notwendig ein Sohn seines geschichtlichen Ortes. (Anm.:
Auch der Bilderstoff Jesu ist örtlich und zeitlich bedingt.) Aber dafür
ist der Inhalt seiner Rede jener Zeit so fremd, wie jeder andern Zeit,
sofern eine solche den Inhalt nicht von ihm angenommen hat oder aus
der ihn vorbereitenden Offenbarung". (Vgl. A. Jeremias a. a. O., S. 5.)
^ Kahler a. a. 0.: ,Und dieser Inhalt von Tatsachen und Gedanken
der Ewigkeit, dieser Ausdruck des allzeit Gleichen und allzeit Geltenden,
in dieser unvergleichlichen Sicherheit des überirdisch Tatsächlichen ge-
dacht und gesprochen, zieht auch die Darstellung in seine Art mit
hinein". || '^ Aus diesem Grunde hüte ich mich auch, aus der Priorität
zu erwägen sein, ob da, wo jetzt ein Ausspruch Jesu unzweifel-
haft als Prius nachweisbar ist, nicht doch vielleicht auf eine
verloren gegangene rabbinische Quelle seines Gedankens zu
schließen ist. Solange freilich keine zwingenden Gründe für eine
solche Annahme sprechen, ist es eine bodenlose Leichtfertigkeit,
wenn gewisse Apologeten des Rabbinismus (wie Hamburger) die
bloße Denkmöglichkeit einer solchen Sachlage als Wahrschein-
hchkeit oder gar (wie Nork, s. o. S. 2 Anm. 5) als Notwendig-
keit behandeln. Es ist möghch, daß jeder Gedanke schon vor-
her einmal oder öfters gedacht worden ist; solange es sich aber
nicht nachweisen läßt, wann, wird von der besonnenen Kritik
jeder einigermaßen eigentümlich ausgeprägte Gedanke^ für das
originale Erzeugnis dessen zu halten sein, aus dessen Munde er
zuerst überliefert ist. In Orientalibus scheint es allerdings er-
laubt zu sein, sich über solche elementaren Eegehi hinwegzu-
setzen; sonst würde wenigstens das Druckpapier erröten, wenn
gewisse Autoren vorurteilslos genug sind, B-abbinica des späten
Mittelalters, ja, moderne jüdische Gebetbücher als Quellen für
Jesu Aussprüche zu zitieren^!
dieses oder jenes Wortes Jesu vor einem analogen rabbinisclien Aus-
sprudle zu schließen, daß dieser das Herrenwort zur direkten oder in-
direkten Quelle habe, so nahe diese Vermutung oft zu liegen scheint,
zumal wenn in dem rabbinischen Diktum der gleiche Gedanke ab-
geblaßt oder eingeschränkt erscheint. Nur bei offenbarer, auch von
jüdischen Autoren zugestandener Bezugnahme eines Rabbinen auf ein
Wort Jesu (vgl. zu Mt. 5, 13) merke ich dies an. Über allgemeineren
christlichen Einfluß auf Rabbinen und Rabbinica vgl. z. B. Tötterman
(R. Eliezer ben Hyrcanos, Lips. 1877), B. Fischer (Talmud und Schul-
chan Aruch, Leipzig 1892, S. 41 — i5), Low (Die Lebensalter, Szegedin 1875,
S. 57 f.), Laible (Jesus Chr. im Talmud, Berlin 1891, S. 58 ff., 72).
1 Binsenwahrheiten wie 2x2 = 4 sind natürlich nicht gemeint.
II 2 Etwas wesentlich anderes ist es natürlich, wenn A. Jeremias (Baby-
lonisches im NT, Leipzig 1905, S. 67) mythologische und astrale Motive,
die in mittelalterlichen jüdischen Schriften vorkommen, als schon viel
früher bei den Juden bekannt annimmt. Denn erstens ist er in der
Lage zu zeigen, daß dieselben Motive sieh schon in der babylonischen
Mythologie usw. ebenso vorfinden und den babylonischen verwandte Motive
in der altjüdischen Literatur nachweisbar sind, so daß der Analogieschluß
naheliegt; zweitens handelt es sich hier um allgemeine Züge, nicht um
spezielle eigenartige Gedankenausprägungen; drittens ist es unzweifel-
haft richtig, daß das Mittelalter (zumal das jüdische) mythologische u. ä.
Anschauungen nicht produzieren, sondern nur noch reproduzieren konnte;
Klügere Anwälte des Rabbinismus, wie z. B. Elbogen^
suchen neuerdings für die Priorität rabbinischer Gedanken da-
durch Boden zu gewinnen, daß sie die evangelischen (Synop-
tiker-) Berichte über Worte Jesu für Erzeugnisse des 2. nach-
christhchen Jahrhunderts ausgeben ; so sollen z. B. nach Elbogen
(S. 7) die „Strafreden" Jesu bei Matthäus und Lukas erst aus
dieser Zeit stammen. Selbst wenn dies so richtig wäre, wie es
sich bei unbefangener Prüfung der Dinge als falsch erweist,
würde nur an verehizelten Stellen die Priorität der Worte Jesu
allenfalls in Frage kommen können (in den meisten Fällen ge-
hören die rabbinischen Parallelen trotzdem noch späterer Zeit
an); aber selbst da würde der Nachweis leicht sein, daß die
Herrenworte anderes und Tieferes sagen, als die vermeintUch
früheren Babbinica, und diese keineswegs zur Quelle haben
müßten. Meine Erörterungen über die Untunlichkeit, ver-
schiedene wfrkhch frühere Babbinenworte als Quellen von Jesu
Aussprüchen auszugeben, dürften hierfür schon Belege bieten.
Mein Buch wül ein praktisches Nachschlagewerkchen zu
den einzelnen hinsichtlich ihrer Originahtät bezweifelten Worten
Jesu sein. Darum folge ich deren Beihenfolge im NT. In
Bücksicht auf diesen praktischen Zweck gebe ich auch die
Bibelworte meist wörtlich nach Luther, die rabbinischen Zitate
in (meist eigener^) deutscher Übersetzung.
Um den Versuch nicht allzu umfangreich werden zu lassen,
habe ich mich zunächst auf Jesu Bergpredigt und auf seine
Fassung des Begriffs vom „Himmelreich" beschränkt. Später
gedenke ich an der Hand des bereits gesammelten Materials
viertens endlich, hat er es keineswegs mit Originalitäts- und Prioritäts-
streitigkeiten zu tun, die gerade unser Thema bilden, sondern nur mit
Analogieen und gegenseitigen Beziehungen.
1 Die Religionsanschauungen der Pharisäer (22. Bericht der Lehr-
anstalt, für d. Wissenschaft des Judentums), Berlin 1904. — E. kittet für
seine Charakteristik Züge aus den verschiedenen Jahrhunderten unor-
ganisch aneinander, was er vielfach durch Verschweigen der Autornamen
der einzelnen Aussprüche usw. verdeckt. Oft genug steht die Kühnheit
seiner Behauptungen in umgekehrtem Verhältnis zu deren Richtigkeit.
II ^ Dies war nötig, da bei den zu besprechenden Autoren diese Zitate
häufig (z. T. um sie Jesu Worten ähnlicher zu machen) ungenau wieder-
gegeben und vor allem fast durchgängig die so wichtigen Namen der
Rabbinen, aus deren Munde sie stammen, einfach unterschlagen sind.
Wo die Übersetzung erträglich war, ließ ich sie passieren.
8
darzutun, daß auch, die übrigen Worte Jesu nicht einmal ge-
legentlich, einfache Zitate aus dem AT, geschweige denn rabbi-
nischen Quellen entnommen sind. — Die Erörterung des Begriffs
des Himmelreichs bei Jesus habe ich absichtlich an Mt. 4, 17
angeschlossen, um zugleich das Verhältnis der Predigt Jesu zu
der des Johannes über diesen Gegenstand beleuchten zu können.
— Betreffs des „Anhanges" vgl. unten zu Mt. 5, 43 ff. am
Schlüsse.
Zur Literatur.
Bacher, Ag(ada) d(er) Tan(naiten) Bd. I ist in 2. Aufl. be-
nutzt, aber nach den am B-ande stehenden Seitenzahlen der
1. Aufl. zitiert. — Unpassende Zitatformen der besprochenen
Autoren sind in „ . . . " eingeschlossen (vgl. S. 9). Ich selbst
zitiere u. a. nach modernen Ausgaben folgende Werke: Henoch
(A. Lods '92); Thosaphtha (M. S. Zuckermandel '81); jer. Be-
rachoth (M. Lehmann '75); Mechiltha ('70); Siphre ('64) mid
Pesiktha rabbathi ('80) nach den Ausgg. v. M. Eriedmann; Echah
rabbathi ('99), Thanchuma ('85), M. Thchillim ('91), M. Schemuel
('93), M. Mischle ('93) u. Pesiktha nach d. Ausgg. v. S. Buber;
Bereschith rabba (J. Theodor '03 f.); Aboth di E. Nathan
(S. Schechter '87). Alle sonstigen zitierten Werke sind im
Text oder in den Anmm. bezeichnet. — Zitate aus dem baby-
lonisclien Thalmud meist ohne besondere Bezeichnung (z. B.
„Thaanith 7 a") oder mit Versetzung von „b."; solche aus dem
Jeruschalmi mit Vorsetzung von „j." oder „jer."; Zitate aus
dem Babli meist nach der Wiener Ausg. ('40 ff.), unter Ver-
gleichung der Veneta (1520 ff.) und der Dikduke Sophrim v.
Eabbinovicz-Ehrentreu ('67 ff.). — „Del. NT" = hebr. Übers,
des Neuen Testaments von Franz Delitzsch; „Strack Einl." s.
Seite 3.
Die Bergpredigt.
Die Bergpredigt hat ganz besonders die Quellensucher für
Jesu Worte angeregt. Auf etwaige Parallelen aus dem AT
habe ich da, wo wirklich solche vorhegen, gebührend B,ticksicht
genommen, zumal um zu zeigen, wie Jesus ihren Sinn, falls er
diese Stellen nicht einfach als seinen Hörern bekannte Schlag-
worte anführt, wesenthch vertieft. Anklänge an alttestamenthche
Aussprüche erklären sich sehr natürlich aus der Ähnlichkeit
religiös-sitthcher Gedanken über das gleiche Thema,
Mt. 5, 3. Geistlich arm\ — Nork^ zitiert hierzu (S. 24)
„Thanchuma 84 d": „Die Thorah [heilige Lehre] ist nicht bei
den Hochmütigen, sondern bei denen, die zerknirschten Herzens
sind ^." Schon sachlich paßt dies Zitat nicht, da es sich Mt. 5, 3
nicht um die heihge Lehre, sondern um das „Himmebeich'',
auch nicht um Zerknirschte, sondern um Einfältig-Fromme
handelt. Etwas besser paßt sein zweites Zitat (Thaanith 7 a) :
„Chanina bar Iddi sagte: .... Wie das Wasser von einem
1 Über die 4 Seligpreisungen "bei Lukas s. u. Seite 18 f.; dgl. über
die einfachere Fassung ^die da arm sind". |1 ^ Ein für allemal bemerke
ich, daß icb Nork im allgemeinen nur deshalb zitiere, weil in seinem
ein einziges Plagiat bildenden Buche (s. o. S. 2) ältere , heute den
meisten schwer zugängliche Arbeiten (z. T. freilich unverständig und
unvollständig) ausgeschrieben sind, und weil sein Machwerk noch heute
vielen als Nachschlagewerk dient und als solches zitiert wird. — Um-
gekehrt zitiere ich Wunsches ungleich besseres Werk (s. o. S. 1) ver-
hältnismäßig selten, weil er trotz originaler Sammelarbeit viel weniger
Neues bietet, als er selbst (1. c. S. VII) meint. Er ist meistens mit den
von mir erwähnten Autoren auch widerlegt. Wohl bringt er manche guten
sachlichen und sprachlichen Parallelen, aber aus der Zeit nach Jesus,
was freilich öfters durch W'eglassung der Autorennamen verdeckt wird.
Nirgends wird Abhängigkeit Jesu von den Rabbinen auch nur wahr-
scheinlich, jl 3 Zuerst bei Jochanan (3. Jh. n. Chr.), Sotah 21 b, Erubin 55a.
10 Mt. 5, 3—5.
holien Orte nach einem niedrigen fließt, so erhalten sich auch
die Worte der heiligen Lehre [Thorah] nur in dem, der demütigen
Sinnes ist." Nur lebte Eabbi Chanina bar Iddi erst im dritten
Jahrh. nach Chr., und trotzdem die Thorah ein hohes Gut ist,
so ist sie doch nicht das „Himmelreich". — Im übrigen aber ist
zu bemerken, daß die einfältige Frömmigkeit (und in dieser be-
steht doch gerade die „geisthche Armut") nach der Auffassung
der Rabbinen kein Segen, sondern ein Mangel ist, wie sich aus
folgenden leicht zu vermehrenden Zitaten ergibt : (Nedarim 41 a)
„Abaji (starb 338 n, Chr.) hat gesagt: Nur der ist arm, der
geistig arm ist. In Palästina sagt man : Wer Intelligenz besitzt,
hat alles; wer keine hat, was hat er überhaupt?" — (Sanhe-
drin 92 a) „R. Eleasar (2. Jahrh. n. Chr.) hat gesagt: Betreffs
eines jeden, der ohne Wissen ist, ist es verboten, Erbarmen zu
haben Wer sein Brot einem gibt, der ohne Wissen ist,
über den kommen Schmerzen .... Jeder, der kein Wissen
besitzt, wird in die Verbannung wandern". — Vgl. Pesachim 49 b
die Hyperbeln: „E,. Eleasar hat gesagt: Eiaen (in der Thorah)
Unwissenden darf man selbst am Yersöhnungstage, der (noch
dazu) auf einen Sabbath fällt, durchbohren Einen Un-
wissenden darf man nicht auf dem Wege begleiten
E,. Samuel bar Nachmani hat als Ausspruch des E.. Jochanan
gesagt: Einen Unwissenden darf man wie einen Fisch zerreißen."
Soviel ist klar, daß dies das Gegenteil einer Seligpreisung der
„geistlich Armen" besagt!
Mt. 5, 4. Die da Leid tragen. — Hierzu hat man über-
haupt keine passende rabbinische Parallele zitiert; mit Eecht,
da der Gedanke an sich so allgemein und natürlich ist, daß er
allenthalben vorkommt. Vgl. übrigens Ps. 126,5; auch Jes. 62,2 b.
Im Zusammenhange der SeHgpreisungen hat der Vers freiUch
eiaen tieferen Sinn, der eine einfache Parallele ausschließt.
Mt. 5, 5. Die Sanftmütigen. — Der Vers steht un-
streitig in Beziehung zu Ps. 37, 11: ^"]X -It^'l^^ ^'■)^V.l (LXX:
Ol TzpaBlc, %XY]povo|jLiqaouatv y'^v). Es handelt sich nur darum, ob
er einfaches Zitat oder mehr ist. Der Ausdruck yiii ^i^ oder
'^"lijn ^'ll kommt im AT, wie jede hebräische Bibel-Konkordanz
zeigt, ungemein häufig vor, gewöhnlich in dem ganz klaren
Sinne „(fremdes oder streitig gewesenes eigenes) Land in Besitz
nehmen". Zuweilen spricht er, wie z. B. Jes. 60, 21. 57, 13
65, 9, sowie Ps. 25, 13 und außer in obiger Stelle noch in v.
9, 22, 29, 34 des 37. Psahns eine „eschatologische" Erwartung
Mt. 5, 5. 11
aus, die aber immer auf einen irdischen Zustand gerichtet ist\
Auf einen zukünftigen realen Besitz des „Landes", worunter die
ganze Erde verstanden wird, gehen auch Henoch-Buch 4, 6 ff. (ot
l-zcXsTCTol %Xirjpovo[iTQaouaiv tyjv yTjV, vgl. Jes. 65, 9), ferner der Thar-
gum Onkelos zu 1. Mose 28, 14 und das Jubiläenbuch (32, 19)
zu derselben Stelle^. Jesus vergeistigt den Begriff des „Besitz-
ergreifens von dem Lande" in zwiefacher Richtung: 1. Die Welt-
herrschaft der D'lJy wird schon eine diesseitige, aber geistige sein.
Die gedrückten und dabei demütigen Frommen (das sind die
D'ljy auch in Ps. 37), die ihm anhangen, werden die geistige
Weltherrschaft erlangen, indem ihr Glaube die Welt erobern
wird; 2. und vor allem: das „Land", das sie in Besitz bekommen
werden, wird das ewige Leben, das „Hinmielreich" sein. Diese
Beziehung der '/Xfipovo\ii(x. auf das Jenseits finde ich zuerst
bei Jesus; die meisten mir bekannten Exegeten und auch Dal-
man (S. 103), wenn ich seinen Ausdruck von der „BüdHchkeit"
dieser Wendung recht verstehe, nehmen diesen jenseitigen Sinn
des Wortes sogar als den ausschHeßlichen an. Die rabbinischen
Stellen, in denen das „Inbesitznehmen des Landes" ebenfalls auf
das Jenseits, die „zukünftige Welt" (xnn ü'^iy) gedeutet wird,
sind erst später bezeugt. Denn nicht einmal die von Dalman
(S. 103) zitierte Mischnah ^ Kidduschin I 10 (die anonym und
vor etwa 200 n. Chr. nicht datierbar ist) spricht sich hierüber
deuthch aus, und selbst in der dazu gehörigen Gemara* bezieht
Bab Jakob in Babylonien (Ende 2. Jh. nach Chr.) nur die
Mischnahworte „Wohlergehen" und „langes Leben" auf die zu-
1 Vgl.Duliin zu Ps. 37 (S. 111) : „Der Verfasser spriclit weder vom Tode,
noch, vom Leben nach dem Tode" . — Zu Ps. 25, 13 : „Sein Same wird das Land
besitzen. Seine Nachkommen werden die messianische Zeit erleben, wo
die Juden, natürlich, nur die Gesetzestreuen, im Lande herrschen und
es nicht mehr mit Heiden, Schismatikern oder , Gottlosen' teilen müssen".
II - Wo dem Jakob verheißen wird (gleich dem Abraham), daß sein Same
das Land erhalten werde (v. 13) und durch ihn und seinen Samen alle Ge-
schlechter auf Erden gesegnet werden würden. Daher nennt auch Paulus
den Abraham Rom. 4, 13 xXr]pov6p.os tou -/.ög^ov, und der Midrasch Levit.
rabba c. 56 sagt von den Israeliten: „Ihnen ist in Zukunft bestimmt, die
Welt (D^iyn) von einem Ende bis zum andern in Besitz zu nehmen."
(Vgl. Dalman, S. 108; wie D. in der Henoch-Stelle einen „bildlichen"
Sinn finden kann, weiß icb nicht.) || ^ „Wer (auch nur) ein Gebot aus-
übt, dem tut man [Gott] wohl [dem ergeht es wohl] und gibt ihm langes
Leben, und er nimmt das Land inBesitz"> || * Kidduschin 39b: „Nach
12 Mt. 5, 5.
künftige "Welt; daß auch das „Inbesitznehmen des Landes" auf
diese zu deuten sei, sagt mit klaren Worten erstRaschi (11. Jahrh.
n. Chr.) in seinem Kommentar zur Stelle. — In der Mischnah
Sanhedrin X (XI) 1 heißt es allerdings : „Alle IsraeHten haben
teil an der zukünftigen "Welt, denn es heißt (Jes. 60, 21): ,TJnd
dein Yolk, allesamt sind sie Gerechte, für ewig besitzen sie das
Land'" usw.; indessen fehlt dieser Satz in der Mischnah des
pal. Thalmud, ist also offenbar ein späterer Zusatz.
Die beiden Thalmudstellen enthalten zudem nm* (spätere)
Parallelen zu dem Begriff der xXTjpovojiia in Mt. 5, 5, nicht
aber zu dem ganzen Gedanken, daß gerade die Sanftmütigen
[Demütigen] „das Land" in Besitz nehmen werden. Zu dem
ganzen Verse ließe sich aber eine andere Stelle in Parallele
setzen, die von Nork (S. 25) und anderen minder passend zu
Mt 5, 11 f. zitiert ist, nämlich Schabbath 88b (= Joma 23a;
Gittin 36b): „Die sich demütigen lassen und nicht (wieder)
demütigen, sich schmähen lassen und nicht (wieder) schmähen,
die aus Liebe die Gebote erfüllen und sich der Leiden freuen,
von denen sagt die Schrift (Richter 5, 31): ,'Wie das Aufgehen
der Sonne in ihrer Pracht' (werden sie sein)." Indessen abge-
sehen davon, daß erst erwiesen werden müßte, daß das ge-
nannte Schriftwort hier vom zukünftigen Leben zu verstehen sei
(wobei dann immer noch die oben genannte Beziehung auf die
geistige Weltherrschaft hienieden fehlte), beweist schon die Formel
p3"l ijn (Unsere Babbinen haben gelehrt), die an beiden Stellen
die Sentenz einleitet, daß diese aus späterer als Jesu und
des Ev. Matth. Zeit stammt, zumal sie zwischen Aussprüchen
von Babbinen des 3. Jahrh. n. Chr. (Bab, Jochanan) steht.
einer Überlieferung hat Rab Jakob gesagt: Kein Gebot ist in der Tborah
geschrieben, an das nicht eine Verheißung, die mit der Auferstehung
der Toten in Verbindung steht, geknüpft wäre. Bei der Verehrung von
Vater und Mutter heißt es (5. Mos. 5, 16): ,Damit es dir wohlergehe
und du lange lebest', und beim Vogelnest heißt es (5. Mos. 22, 7): ,Damit es
dir wohlgehe und du lange lebest'. Siehe, ein Vater sprach zu seinem Sohne :
, Steige hinauf (auf den Baum) und bringe mir junge Tauben'. Jener stieg
hinauf, ließ (nach dem Gebot) die Mutter fliegen und nahm nur die
Jungen ; dennoch fiel er beim Herabsteigen und starb. Wo ist da Wohl-
ergehen, wo langes Leben? Daher muß die Verheißung ,Damit es dir
gut ergehe' sich auf die (zukünftige) Welt beziehen, die vollkommen
gut ist, und die Verheißung ,Damit du lange lebest' auf die (zukünftige)
Welt, die absolut langdauernd [ewig] ist*.
Mt. 5, 6—8. 13
Mat. 5, 6. Hungert und dürstet nach der Gerech-
tigkeit. — Nork (S. 411) zitiert nach (Scheidt bei) Menschen
(p. 49) die Stelle Sanhedrin 100 a: „R. Thanchum bar E.
Chanüai hat gesagt: Einen jeden, der sich in dieser Welt wegen
der Worte der Thorah [um der heiligen Lehre willen, aus liebe
zur h. L.] in Hunger versetzt, den wird der Heihge, Gebenedeite
in der künftigen Welt sättigen, wie es heißt (Ps. 36, 9): ,Sie
werden trunken von der Fettigkeit [den Gütern] deines Hauses,
und mit dem Strom deiner Wonnen tränkest du sie'".
Als „Quelle" ist die Stelle schon darum nicht zu verwerten,
weü der als Autor genannte B,. Thanchum erst im 3. Jahrh.
n. Chr. lebte. Abgesehen ferner davon, daß sie nur von Hunger
(nicht eigenthch auch vom Durste) spricht, meint sie damit leib-
lichen Hunger, körperliches Fasten, während Jesus von seelischem
Hungern und Dürsten redet. Yon diesem spricht auch Amos 8, 11
(„Nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, son-
dern das Wort des Herrn zu hören"); aber v. 12 verkündet er
als Strafgericht über Israel, daß dieser Hunger und Durst nicht
gestiUt werden solle. [Den Hinweis auf Amos verdanke ich
Herrn Prof. Strack.]
Mt. 5, 7. Die Barmherzigen. — Nork (S. 24) zitiert
hierzu Schabbath 151b: „B,. Gamliel Beribbi hat gesagt: Wer
sich der (Mit-)Geschöpfe erbarmt, über den erbarmt man [Gott]
sich vom Himmel." Dieser Babbi gehört aber dem 3. Jahrhundert
n. Chr. an^! Im Gegensatz zu unserm Spruche sagt um dieselbe
Zeit B. Jochanan bar Nappacha (Baba bathra 145b) : „Alle Tage des
Armen sind böse (Spr. 15, 15); damit ist der Mitleidige gemeint"!
Mt. 5, 8. Beines Herzens. — Hierzu zitieren Bodri-
gues-Friedemann (S. 23) als „Quelle" Ps. 24, 37: „Wer wird
auf des Herrn Berg gehen, und wer an seiner heihgen Stätte
stehen? Wer unschuldige Hände hat und reines Herzen ist
(nn^ in)" usw. Denen, die reines Herzens siud (nnV '"i:i^), wird
Ps. 73, 1 Gottes Gnade zugesichert. DeutHcher wird vom
„Schauen des Antlitzes Gottes" geredet Ps. 17, 15: „Ich aber
^ Die von Rodrigues-Friedemann (S. 22) als „Quelle" angeführte
Stelle (Spr. Sal. 21, 21): ,Wer der Barmlierzigkeit und Güte nachjagt,
der findet Leben, Barmherzigkeit und Ehre' — spricht nicht wie unsere
Stelle von der Barmherzigkeit als Gesinnung (Dri"!, n^JDm), sondern
nur von dem äußeren Zeichen der Barmherzigkeit, dem Almosen (nplS
vgl. Mt. 6, 1), der Barmherzigkeitserweisung, und verheißt auch nur
irdische Güter.
14 Mt. 5, 8.
will durch Gerechtigkeit dein Antlitz schauen" — Ps. 42, 3:
„Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. "Wann
werde ich kommen und schauen Gottes Angesicht?" — Auch
hier ist, wie in den oben (S. 11) behandelten Stellen nicht von
einem zukünftigen übersinnlichen Leben die Rede, in dem die
22b na auf dem heihgen Gottesberge stehen und Gottes Gnade
genießen werden, oder in dem die Gerechten und nach Gott
Begehrenden sein AntUtz schauen werden, sondern alle diese
Erwartungen gehen auf die zukünftige, auf Erden erscheinende
Messiaszeit. Jesus aber spricht, wie der Zusammenhang der
übrigen SeHgpreisungen lehrt, auch hier, wie in den übrigen
„denn"-Sätzen, yon einer Belohnung im künftigen Leben, einer
„Vergeltung im Himmel" (v. 12). Er hat den Sinn der alt-
testamenthchen termini erhebhch vertieft. In der rabbinischen
Literatur seiner oder vor seiner Zeit finden wir • diese Beziehung
des „Gottschauens" auf das ewige Leben in Verbindung mit der
Herzensreinheit als Vorbedingung nicht. "Wenn J^ork (S. 24)
hier Baba mezia 44a herbeibringt: „Die Schule Schammais
lehrt: Nicht nur eine begangene Sünde, sondern auch schon
der unreine Gedanke macht verantworthch vor Gott" — und
dann sogar eine Stelle aus Zoroaster zitiert, die ebenfalls die
„Beinheit des Gedankens" fordert, — so ist zunächst fest-
zustellen, daß die Begründung der SeHgkeit solcher Leute reines
Herzens („denn sie werden Gott schauen") hier vollständig fehlt.
Man müßte denn sagen, der Satz der Schule Schammais rede
doch implicite davon, daß der Mann reiner Gedanken vor Gott
komme, also auch sein Angesicht schaue, weil nämhch daselbst
von der Verantwortlichkeit des Mannes unreiner Gedanken vor
Gott die Bede sei, worunter man an das Gerichtetwerden durch
Gott, also an ein Erscheinen vor seinem Angesicht, zu denken
habe; ebenso komme der Gerechte zum belohnenden Gericht
vor Gottes Anthtz, und das sei der Grund, daß er sehg ge-
priesen werde. — Aber dann hätte das „Schauen Gottes" einen
neutralen Sinn (= zum Gottesgericht kommen), da es ja von
rein und unrein Gesinnten gleichermaßen gälte; in der Berg-
predigt aber hat es den landläufigen eigenthchen Sinn sehgen
Genießens der Gottesgegenwart, wovon die unrein Gesinnten
gerade ausgeschlossen sein werden. Die SteUe aus Baba mezia
hat mit unserem Vers nur das entfernt Verwandte, daß dort den
unrein Gesinnten Strafe, hier den rein Gesinnten Lohn in Aus-
sicht gestellt wird. Besagte der Bergpredigtvers nicht mehr, so
Mt. 5, 8—9. 15
wäre er fast so trivial, wie jener Satz, der zudem genau ge-
nommen nicht einmal von unreiner Gesinnung als habitus, son-
dern nur von gelegentKchen unreinen Gedanken spricht, die
wohl Strafe, aber doch nicht vöUige Verwerfimg von Gottes An-
gesicht zur Folge haben. Unser Vers sagt dagegen mit aller
Schärfe, daß nur die sehg sind, die eine dauernde reine Herzens-
stimmung besitzen; denn sie, und nur sie, werden Gott schauen.
Ein wirklich reines Herz hegt aber keine unreinen Gedanken,
auch nicht temporär; im Sinne der Bergpredigt schließen auch
nur gelegenthche unreine Gedanken von Gottes Angesicht aus.
Die Stelle aus Baba mezia paßt darum hierher nur ganz äußer-
lich, etwa wie der Satz „Der Regen macht naß" zu dem moti-
vierten Satze: „Der Regen ist wohltätig, denn durch seine
Feuchtigkeit bringt er die Keime in der Erde zur Entwickelung
und versorgt die Gewächse mit Labung". — Unübertroffen und
original ist in der Bergpredigt auch das konsequent durchgeführte
gedankhche Bild: Das reine Herz macht das seelische Auge hell,
sodaß es den heiligen Gott schaut.
Mt. 5,9. Die Friedfertigen. Gottes Kinder. — Da
mit den „Friedfertigen" die Friedestifter (stpYjvoTCOwQ gemeint
sind, genügen natürlich alle Stellen, die nur von „Friedenshebe"
{D'h^ nnnN*) reden, mit nichten. Hillels bekanntes Wort (von
Rodrigues-Friedemann S. 23 — ungenau — und auch von anderen
angeführt) Pirke Aboth 1, 12: „Sei von den Jüngern Ahrons,
der den Frieden hebte und dem Frieden nachjagte {mbü/ 3mx
n)b^ ^1TTi)j der die Menschen hebte und sie zur Thorah hin-
leitete" — ist im Grunde nur eine Paraphrase von Ps. 34, 15
und ermangelt der Begründung, die das Bergpredigtwort gibt^
Auch die von Nork (S. 24) aus Lightfoot (p. 256) falsch abge-
schriebene Stelle jer. Peah 1 a zu 1, 1, die das „Herbeiführen
des Friedens (ü'b^ n^nn) zwischen einem Manne und seinem
Nächsten" (nnn!? ^"»ü "i'n; Lightfoot: Pacificatio inter vicinos)
zu den Werken rechnet, die „gute Frucht in dieser Welt ge-
währen, der Stamm aber verbleibt für die künftige Welt"^ —
spricht zwar von einem Lohn für das Friedestiften; aber erstens
ist der "an, der „Nächste", hier im Jeruschalmi (vgl. auch Anhang)
^ pHK 'TD^n „Jünger Ahrons" ist doch etwas ganz anderes, als
Ü'>rhü 'Jn „Gottes Kinder"! |I ^ Ygi. auch Schabbath 127a, wo der
Name des Autors angegeben ist: R. Jochanan (199—279 nach Chr.);
dgl. Kidduschin 40a.
16 Mt. 5, 9—11.
offenbar der Volksgenosse des anderen, und zweitens besagt die
Belobnimg in dieser und jener "Welt doch noch, lange nicht
soviel, wie der Ausdruck in der Bergpredigt „Gottes Kinder" —
ganz abgesehen von der feinen Gedankenkonsequenz Jesu: Bei
Gott ist wahrer Friede ; wer auf Erden Frieden zu stiften sucht,
wird im Himmel Gottes Kind genannt werden, im ewigen Leben
Eruhm und Lohn eines Gotteskindes erlangen, also zu den ganz
bevorzugten Sehgen gehören, zu den „Auserwählten" im „Bummel-
reich", wie auf Erden (Dahnan 151 f.) die Israehten als das aus-
erwählte Volk „Gottes Kinder" hießen. — Die eigentümhche
Stelle von den zwei Spaßmachern, die als Friedestifter das
künftige Leben erben (Thaanith 22 a), ist auffallenderweise m. W.
zu Mt. 5, 9 bisher nicht zitiert worden. Sie lautet: „Unterdessen
kamen zwei andere Männer, und (der auf die Erde herabge-
kommene Prophet) Ehas sprach zu Beroka: ,Auch diese sind
Kinder der zukünftigen Welt'. Beroka ging zu ihnen und fragte
sie: ,'Was ist eure Beschäftigung?- Sie antworteten: ,'Wir sind
Lustigmacher und erheitern die Mißmutigen, oder wenn wir zwei
Leute sich zanken sehen, so bemühen wir uns, Frieden zwischen
ihnen zu bewirken'." — Abgesehen jedoch von der späteren Zeit
des Beroka ist die Charakteristik des Friedestiffcens hier eine so
eigentümliche, daß das Ganze mindestens eine Hyperbel ist, ja
nahezu wie eine Parodie aussieht. Soviel ist jedenfalls klar,
daß Jesus mit den „Friedestiftem" solche Spaßmacher nicht ge-
meint hat.
Mt. 5,10. Um der Gerechtigkeit willen verfolgt. —
Nork (S. 25) zitiert hierzu (übrigens ungenau) die bereits oben
(S. 12) zu 5, 5 besprochene Stelle Schabbath 88b (= Gittin 36b).
Von „verfolgt werden", wie N. übersetzt, steht aber nichts da,
sondern nur „sich demütigen lassen"; zweitens ist von der „Ge-
rechtigkeit" keine Eede; drittens ist in der Thalmudstelle die
eschatologische Natur der Belohnung (hier „Himmelreich" =
ewiges Leben, vgl. den TL. Teil dieser Schrift; vgl. ferner v. 12)
zweifelhaft; viertens ist die Stelle erst aus der Zeit nach Jesus
und dem Ev. Matth. nachweisbar (s. o. S. 12).
Mt. 5,11. Um meinetwillen schmähen und ver-
1 Stellen wie Baba Kamma 93 a (, Immer gehöre der Mensch lieber
zu den Verfolgten, als zu den Verfolgern") bieten nur den Anklang des
jVerfolgtwerdens" und höchstens den Gedanken „Besser Unrecht leiden
als tun", aber nichts vom Lohne (Himmelreich).
Mt. 5, 11. 17
folgen . . . ., so sie daran lügen. — Die häufig zu findende
ErMärung „Heil euch, wenn an den Verleumdungen der Menschen
•wider euch nichts wahres ist" trifft den Sinn dieses Ausspruches
keineswegs. Granz ähnhch wie 5, 10 werden die Jünger selig
gepriesen nicht, falls man sie als Unschuldige verleumde,
sondern wenn man sie, die Schuldlosen, verleumden werde.
Denn das — selbstverständHch schuldlose — Erdulden solchen
Ungemachs sichert ihnen reichen Entgelt dafür im Himmel. Daß
das Yerleumdetwerden — auch ohne Schuld — ein Grund zum
Seliggepriesenwerden sei, wie dies hier in Jesu Paradoxon ge-
sagt ist, dafür gibt es schlechterdings keine rabbinische Parallele,
sicherhch wenigstens nicht vor oder zu Jesu Zeit^! Im allge-
meinen geht vielmehr die rabbinische Ansicht dahin, daß Yer-
leumdetwerden unter aUen Umständen ein Übel sei, weil auch
der unschuldig Verleumdete (nach der Erfahrung „semper ah-
quid haeret") Schaden erleide. Vgl. z. B. j. Peah 16 a zu I, 1:
„Warum heißt die verleumderische Zunge ,dritte Zimge'? Weü
sie drei Personen tötet: Den, der verleumdet, den, der die Ver-
leumdung anhört, und den, der verleumdet wird" (ebenso
Arachin 15b); femer Genesis rabba c. 56: „Findet nicht die
ganze (verleumderische) B,ede Eingang, so doch die Hälfte";
Abodah sarah 22 b: „Der Meißel spaltet (schließlich) den Stein,
und der Verleumder kennt seine Leute"; j. Peah 16b: „Rabbi
Samuel bar Nachman (3. Jahrh. n. Chr.) sagte: Der Verleumder
spricht in B,om und tötet in Syrien" (d. h. selbst wenn man an
einem fremden Orte verleumdet wird, kann einem die bis zum
eignen Orte sich fortverbreitende V. schaden) usw. — Um meinet-
willen. Ein irdischer Lehrer würde seine Jünger darob be-
^ Wenn Schabbatli 88b (s. o. zu 5, 5) die gepriesen werden, „die
sieb demütigen [nicbt: „verfolgen" oder „schmäben", wie bei Nork und
Wünsche] lassen und nicbt wieder demütigen", so will dies nur besagen :
„die, wenn sie gedemütigt werden, nicbt wieder d." Nicbt weil sie
gedemütigt werden, sondern weil sie dies sanftmütig erdulden, darum
werden sie gelobt. — Ebenso ist es mit Sanbedrin 7a: „Ein gewisser
pflegte zu sagen: Wobl dem, der, wenn er (Scbmähungen) bort, dazu
scbweigt; hundert Übel geben an ibm vorüber". Der Ausspruch stammt,
wie der Zushg. lehrt, aus dem 3. Jahrh. n. Cbr. und besagt auch nur,
wie Samuel daselbst erläutert, daß, wer auf Schmähungen schweigt, sich
hundert Unannehmlichkeiten erspare, da aus einem Streite hundert
andere Streitigkeiten erwachsen. Es ist dies nicht einmal eine ethische,
sondern nur eine Klugheits-Kegel.
Bischoff, Jesus u. d. Rabbinen. 2
18 Mt. 5, 11.
dauern und zu trösten suchen, weil sie seinetwegen Verfolgungen
würden erleiden müssen; Jesus preist sie deshalb aber selig!
Rabbinische Parallelen finden sich demnach nicht. Menachoth
29 b bedauert vielmehr Moses den Eortpflanzer seiner Thorah,
den E. Akiba, wegen seines um dieser Thorah willen zu erleidenden
Martyriums, und Gott muß ihn erst zurechtweisen, daß dies
eben sein heiliger Wille sei.
Lukas (6, 20 — 26) liat an die (4) Seligpreisungen ebensoviel
Weherufe angeschlossen, weshalb Lightfoot eine Parallele in jer.
Sotah. 29 a zu VII, 5 und Thosaphtha VIII zu finden vermeinte, wo be-
richtet wird, man habe die von Mose überkommenen Segnungen und
Flüche wechselweise nach den Bergen Garizim und Ebal hin rezitiert
(vgl. 5. Mose 11, 29 und Josua 8, 38 f.). Aber erstens sind Weherufe
keine Flüche; zweitens baben die von den genannten Quellen verwen-
deten Verfluchungen 5. Mos. 27, 15 — 26 (aus denen die Segnungen dort
erst konstruiert^ werden) ganz andre Dinge zum Gegenstande; drittens
beträgt dort ihre Zahl 12; viertens wird bei Lukas nicht wie dort ein
Segensspruch von einem Fluch abgelöst; fünftens aber ist die doch erst
vom Jeruschalmi und der Thosaphtha konstruierte Antithesenform der
Segnungen und Flüche jünger als Jesus und das Ev. Lucä; sechstens
ist die hier verwendete Antithesenform gerade bei religiös-ethischen
Aussprüchen, wie schon die Psalmen usw. lehren, etwas so Natürliches,
daß es gar keines Vorbildes bedarf.
Luk. 6, 20. Zu dieser durch Auslassung des „geistlich" (toj
Tcvsüfjiaxt Mt. 5, 3) den „durch Bildung und Besitz maßgebenden" Kreisen-
von jeher etwas anstößigen Fassung gäbe es allerdings eine (bisher
nicht zitierte) leidliche rabbinische Parallele in Chagigah 9b: „Schön
steht die Armut dem Juden wie ein roter Riemen (Leviticus rabba c. 13 :
ein Ring) einem weißen Rosse". Nur ist uns dieser Spruch erst aus
dem Munde des (berühmten babylonischen Astronomen) Mar Samuel
(starb 254 n. Chr.) oder nach anderen des Rab Joseph (starb 333 n. Chr.)
berichtet! Außerdem wird überwiegend die Armut nicht derart ethisch
gewertet, sondern als etwas Bedauernswertes erachtet. Vgl. Sanhedrin
100b: „Alle Tage des Armen sind böse (Spr, 15, 15); ben Sira sagt:
Auch die Nächte; sein Dach ist niedriger als andrer Leute Dächer, sein
Weinberg liegt auf der Höhe der Berge, und darum läuft der Regen
von den andern Dächern auf dass eine und von der Erde seines Wein-
bergs auf die andern". (Ebenso Baba bathra 146 a, Kethuboth 110 b.)
1 Z. B. aus „Verflucht sei, wer einen Götzen . . . macht", wie im
Texte steht, wird erst der angeblich vorausgegangene Segen („Gesegnet
sei, wer keine Götzen . . . macht") konstruiert! \\ ^ Vgl. auch unten
zu Mt. 6, 24. II ^ Nach Lev. rabba c. 35 Anf. stammt der Spruch von
R. Akiba (2. Jahrh. n. Chr.).
Mt. 5, 11. 13. 1,9
JB. bathra 116 a: „Armut im Hause ist schlimmer als fünfzig Plagen".
Kidduschin 59 a: „Wenn der Arme Kuchen röstet, kommt ein andrer
und nimmt ihn -weg". — Baba kamma 92 a: „Dem Armen folgt die Ar-
mut auf dem Fuße nach". (Vgl. B. bathra 174b, Chullin 105 a.) —
Berachoth 6b: „Wenn der Mensch fremder Hilfe bedarf, schillert sein
Gesicht in allen Farben". — Schabbath 151b: „Stets bete der Mensch,
daß er nicht in Armut gerate".
Luk. 6, 21a. Mit dem Hungern ist hier physischer Hunger ge-
meint, mit dem Sattwerden dagegen himmlische Gnadenfülle im Jen-
seits. Ebenso wie beim Seligpreisen physischer Armut und v. 21b
physischen Weinens liegt hier der Gedanke vor, daß die materiell
Armen, Elenden und Bedrückten am empfänglichsten für die tröstende
und religiös erweckende Heilspredigt Jesu sind. — Bei den Thalmu-
disten habe ich solche ethische Wertung des Hungems nicht gefunden.
Da heißt es vielmehr: „Der Zahn (des), der seinen Nachbar essen hört,
empfindet sechzigerlei Schmerzen" (Baba kamma 92 b).
Luk. 6, 21b. Vgl. zu Mt. 5, 4. (Ihr werdet lachen: im Reiche
Gottes, vgl. V. 20.) — Luk. 6, 22. Vergl. zu Mt. 5, 10 f.; der bei Mt.
ausgesprochene Gedanke, daß die Feindseligkeiten der „Leute" unge-
rechtfertigt seien, wird hier einfach vorausgesetzt^.
Mt. 5, 13. Salz der Erde. — Mit Nork (S. 25) nach
Schöttgen (Hör. hebr. 1,18 ff.) unter dem Salz hier das bitumi-
nöse „sodomitische Salz" (n'öiip n^ö, Menachoth 21a) zu ver-
stehen, das sich leicht verflüchtigte oder zersetzte, ist unnütze
Künstelei. Auch das gewöhnhche Salz -wird infolge von Zer-
setzmig fade ({itopav^^vat,, ^sn, cfr. Plinius, ISTaturgesch. 31, 39;
^ Man sollte nicht für Luk. andere Parallelen bringen, als für Mt.,
■und überhaupt nicht tun, als sage jener etwas wesentlich anderes, als
•dieser. Daß nach Luk. ohne weitere Zusätze und Begründung schon
die materiell Armen, die physisch Hungernden, die (wohl ob irdischer Not)
Weinenden „selig" gepriesen werden, verliert an Auffälligkeit schon dadurch,
daß die Übersetzung „selig" (jj-aTidtpiot) für das vorauszusetzende hebr,
''IB'N (wohl dem . . ., DD^liKK wohl euch) zu stark ist, weshalb auch
Luther in Ps. 1, 1 treffend „Wohl dem" usw. sagt, nicht „Selig ist,
wer" usw. Jesus sagt „Wohl euch Armen", weil ein Reicher, der dem
Mammon dient (Mt. 6, 24; Luk. 16, 13), nicht in das Himmelreich
kommt (Mt. 19, 24; Luk. 18, 25); „wohl euch hier Hungernden", weil
die materiell Satten gar nicht wissen, wie „elend und jämmerlich, arm,
blind und bloß" (Offenb. Joh. 3, 17) sie seelisch sind; „wohl euch hier
Weinenden", weil der irdisch Glückliche seines Gottes zu vergessen
pflegt. Nicht bei den irdisch Starken (Mt. 9, 12), sondern bei den Müh-
seUgen und Beladenen (Mt. 11, 28) sind die Mt. 5, 3 ff. erwähnten Eigen-
•schaften und die Sehnsucht nach überirdischer Erquickung zu finden.
2*
20 Mt. 5, 13.
sal iners; 31,44: sal putrescit) und daher mibrauclibar, zumal
das in Palästina aus dem Toten Meere (durch Verdunstung in
Lachen und Gruben) gewonnene, ziemlich unreine Salz. Wenn
E. Josua ben Chananjah in seiner bekannten Parodierung des
Verses Mt. 5, 13 (Bechoroth 9 a) leugnet, daß das Salz verderben
könne ^, so ist es in hohem Grade wahrscheinlich, daß man ihm
dieses Schlußsätzchen des Disputs [der um 95 n. Chr.^ in Eom
oder Athen vorgefallen sein soll] erst später in Babylonien^ in
den Mund gelegt hat, wo man haltbareres Salz hatte. — Hätte
Jesus die Jünger (oder vielmehr alle seine wahren, Anhänger)
mit dem Opfersalze vergleichen wollen (Nork Q. 25 nach Schött-
gen), so hätte er das sicher deuthcher ausgedrückt. Auch lag
dieser Vergleich in Galiläa und vor Galiläem* doch etwas lern.
— Salz der Erde, (des Landes, Erdreichs). Wie das Salz die
Speisen zum Genuß geeignet macht und erhält, so sollen sie die
Erdenmenschen, den Erdkreis, würdig fiir das Heil machen und
in diesem Zustande erhalten. Ahnhch, aber auch nur ähnMch,
Kethuboth 66 b: Ton pöO n^D „Das Sak des Wohlstandes ist
Wohltätigkeit'", d. h. Wohltätigkeit macht den Eeichtum erst
wertvoll und beständig^. — IJbrigens möchte ich bezweifeln, ob
man das griechische t6 SXolc, tyjs yv)? hebr. mit y]i<n rb'q (so
^ Beclioroth 9a: „Hierauf fragten sie (die , Alten von Athona') ihn
(den R. Josua ben Chananjah): ,Wenn das Salz schlecht wird, womit
soll man es salzen'?" Er: ,Mit der Nachgeburt einer Mauleselin!' Sie:
,Hat denn die (unfruchtbare) Mauleselin eine Nachgeburt?' Er: ,Kann
denn das Salz schlecht werden?'" || ^ Wo K. Josua sich in Rom auf-
hielt; s. Bacher, Ag. d. Tan. I, 178 ff. Die „Alten des Hauses Athona"
(i^JiriN 'Ql 'liö) können die „Weisen des (von Hadrian zu Rom erbauten)
Athenäums" sein, oder „Weise von Athen", wo Hadrian viel mit allerlei
Gelehrten verkehrte. || ^ Bacher I, 172 f. sagt mit Recht, daß die „län-
gere Sage", der obiges Zitat angehört, und in welcher Josua die ,Alten
Athens' besiegt, in den babylonischen Schulen ausgestaltet worden sei
und „offenbar die Tendenz zeigt, jüdische Weisheit als der heidnischen
überlegen darzutun". Ursprünglich ist vielleicht, daß R. Josua, um
einen bissigen polemischen Witz zu machen, die rhetorische Frage i'ivi
äXiaÖT^as-at als wirkliche Frage nahm und darauf selbst antwortete „Mit
der N. einer Mauleselin". Wenn mit dieser obscönen Verhöhnung der
Maria abgeschlossen wurde (vgl. Grüdemann, Religionsgesch. Studien,
89, 136 f.), war der Witz pikant. Durch den babyl. Schluß wird die
Pointe salzloser. || * Auch zu diesen kam das Salz aus dem Toten
Meere, wie noch heute. Vgl. Winer, Bibl. Real-Wb., 3. A., S. 366 (s. v,
Salz). II 5 A. a. 0. spricht R. Jochanan ben Sakkai (zw. 70 u. 80 n, Chr.)
Mt. 5, 13. 14. 21
Delitzsch NT) oder aram. etwa mit xy")XT ^0^'? wiedergeben
darf, da auf den wirklichen Erdboden gestreutes Salz ein Zeichen
der Yernichtung, Unfruchtbarkeit und Yerfluchung war (Eicht.
9,45; 5. Mos. 29,23 und Zeph. 2,9; vgl. nn^O „Salzland" =
Wüstenei Jer. 17,6; Hiob 39,6); vielleicht ^nn "n'^D oder paro-
nomastisch "^nn ^^n bezw. blTp^ ^^^n „die Würze der Erden-
welt" (^3n würzen) \ — Die kühne Bezeichnung wertvoll wirkender
Menschen als „Salz" findet sich sonst nirgends. Im Gegenteil
wird (offenbar mit Anspielung auf die Strafe von Lots Weibe,
das zur Salzsäule wurde) j. Kädduschin 65 b unten als Ausspruch
des B. Simeon ben Lakisch tradiert, daß die Esra 2, 59 Ge-
nannten eigentlich die Strafe verdient hätten, zu einem Salz-
haufen zu werden.
Mt. 5, 14. Licht der Welt nennt Jesus seine Anhänger,
sofern auf sie die Seligpreisungen anwendbar sind. Wie der
Vergleich mit der weithin sichtbaren Stadt und v. 16 beweisen,
bedeutet der Ausdruck hier nicht „erleuchtendes Element", son-
dern „leuchtendes Beispiel", also nicht übiV TiN (Dehtzsch-
Dalman NT), sondern Q^y IJ/; denn nur von einer Leuchte
kann man sagen, daß sie Licht {dü) verbreite, ihr Licht leuchten
lasse (v. 16), nicht aber von dem Lichtglanz (-nx) daß er Licht-
glanz (nx) besitze. Wenn Jesus sich, zumal bei Johannes (Dal-
man 144), „Licht der Welt" nennt, so ist D^iy "lix am Platze
(ebenso Job. 11,9, wo die Sonne t6 cpwi; xou x6a\io\j to6xou
heißt), weil es hier auf das Lichtbringen, Erleuchten ankommt,
oder auch DViyVty' lix (wie Gott Tanchuma Bub., Bemidbar 24 a
genannt wird; Dalman 1. c); auch wenn Schir rabba 1,3 das
YoYk Israel als D^iy^ mix bezeichnet wird^, ist auf seine er-
leuchtende Tätigkeit hingewiesen^. Man könnte gegen üb)]} "IJ
als Übersetzung von Mt. 5, 14 allerdiags. einwenden, daß der
in Tiberias dieses Wort zu der Mnterlassenen Tochter des einst sehr
reichen Nakdimon hen Grorjon, d. h. wahrscheinlich des Nikodemus im
Ev. Joh. Da dieser z. Zeit Jesu noch lebte, stammt jener Ausspruch gewiß
aus der Zeit nach Jesus.
^ D?iy ripD wäre m. E. unmöglich, da, wenn ü'^iy physikalisch
angewandt wird, es den „Weltraum" bezeichnet; so in üb)]} "l'l^* ^er
mundi, D^iy "IIX lux mundi (cfr. Gen. 1, 3; dann bildlich). || ^ So auch in
der aus dem 2. Jahrh. n. Chr. stammenden Stelle Gen. rabba c. 2: „Es
werde Licht; das sind die Werke der Gerechten usw." jj " Ähnlich Exod.
rabba c. 36; vgl. Wünsche S. 40 (doch hier Vergleich mit Brennöl). —
* Vgl. Jes. 42, 6; 49, 6: D^i:', lix „Licht der Völker".
22 Mt. 5, 14.15.
Ausdruck im Hebr. sicli gewöhnlich, nur auf eine einzelne Person
beziehe, und daß auch Paulus, wo er Yon mehreren, die ein leuch-
tendes Beispiel gäben, spreche, den Plural anwende (Phil. 2, 15:
„unsträfHch mitten unter dem . . . verkehrten Geschlecht, unter
dem ihr erscheint als Lichter in der Welt" — wo D^ivs niliXDS,
wie Dehtzsch-Dalman übersetzen, „Erleuchtende", aber nicht
„leuchtende Beispiele" bedeuten würde, was doch gemeint ist);
indessen werden hier die Jünger Jesu als eine Einheit zusammen-
gefaßt, wie V. 13, wo es auch heißt: „Ihr seid das Salz der Erde",
oder Spr. Sal. 11, 28, wo es heißt: „Die Gerechten werden
grünen wie ein Blatt" (nicht: wie Blätter), oder Ps. 37, 17 „der
Arm der Gottlosen" (vgl. dagegen Hiob 22, 9), Spr. Sal. 3, 83
„im Hause der Gottlosen", Hiob 24, 3 „den Esel der "Waisen"
usw. Nun kommt aber der Ausdruck ü^iy "IJ m. W. zuerst in
bezug auf den sterbenden R. Jochanan ben Sakkai vor (Bera-
choth 28 b, Aboth de Rabbi Nathan c. 24: „Als B. Jochanan
ben Sakkai totkrank war, sprachen seine Jünger zu ihm: ,Leuchte
Israels'" usw.), also im Jahre 80 des 1. Jahrh. n. Chr. und sicher
später, als Jesus lebte und das Ev. Matth. abgefaßt wm^de. —
Auch D^IV^ mix in Schir rabba ist später. — Das Bild der
Stadt auf dem Berge hat eine entfernte Parallele in der Be-
schreibung der Gelehrtenstadt Sepphoris (Megillah 6 b): „Warum
heißt sie Sepphoris? Weil sie auf dem Berge Hegt wie ein
Vogel" ("nsiiD). Vorhergeht: „R. Seira hat gesagt: Kitron ist
Sepphoris." Gehören obige Worte („Warum" usw.) noch zur
Rede des R. Seira, so stammen sie aus dem 4. Jahrh. n. Chr.;
anderenfalls sind sie eine noch spätere auf jenes Wort bezügliche
Bemerkung der Autoren der Gemara. Zudem handelt es sich
im Thalmud um eine einfache Ortsbeschreibung, wie in dem
horazischen „Impositutn saxis late candentibus Anxur" (Sat.
I, 5, 26), nicht aber um einen Vergleich der weithin sichtbaren
Stadt mit den weithin leuchtenden, vorbildhchen Tugenden der
Frommen.
Mt. 5, 15. Licht. Scheffel. Leuchter. Allen im Hause.
— Das tertium comparationis ist auch hier nicht das Erleuchten,
sondern das Sichtbarsein für alle im Hause; so fügt auch. Luk.
8, 16 und 11, 33 richtig hinzu: „aufdaß, wer hinein geht, das
licht sehe." Mark. 4, 21 sagt ähnhch: „Zündet man auch ein
Licht an, daß man es miter einen Scheffel oder unter emen
Tisch setze? Mit nichten, sondern daß man es auf einen Leuchter
setze", und fügt v. 22 hinzu: „Denn es ist nichts verborgen, das
Mt. 0, 15. 16. 23
mcht offenbar werde, und nichts Heimliches, das nicht hervor-
komme" — was sich ebenfalls auf das weithin sichtbare Leuchten
der Herzenstugenden der IVommen (v. 19) bezieht. — Hierzu
hat man keine Parallele oder „Quelle" zitiert.
Mt. 5, 16. Licht leuchten. — Nork (S. 26 f.) zitiert ISTum.
rabba c. 15: „Die Israeliten fragten Gott: Herr der Welt! Du
gebietest uns, dir ein Licht anzuzünden, obgleich das Licht in
dir wohnt, wie Daniel sagt (2,22): ,Bei ihm ist licht'? Da
antwortete ihnen der Herr: Dies verlange ich nicht, als ob ich
des Lichtes bedürfte, sondern damit ihr mich durch euch selbst
erleuchtet, damit die Völker (Heiden) sagen : ,Seht, wie verherr-
licht Israel seinen Gott, der auch sein Yolk vor der ganzen
Welt verherrlicht'." — Erstens ist die Midraschstelle später als
Jesus; zweitens handelt es sich dort um Anzünden physischen
Lichtes und nur um ein gutes Werk, nämhch die Befolgung
des Gebots des Lichtanzündens, während Mt. 5, 16 von dem
„leuchtenden Beispiel" die Eede ist und mit den guten Werken
das gesamte religiössitthche Verhalten gemeint wird; drittens
spricht der Midrasch nur von den Heiden, Jesus dagegen von
den Leuten, d. h. auch den außerhalb seiner Gläubigen stehenden
Juden; viertens aber wird im Midrasch zunächst Israel gepriesen,
weil es Gott „durch sich (Israel) selbst" verherrlicht, und dann
erst von Gott gesagt, daß er zum Lohne dafür auch Israel ver-
herrhche, im Evangelium dagegen heißt es, daß die Leute Gott
deshalb preisen würden, weil sie die leuchtenden Tugenden der
Christen als Gottes Wirkung erkennen müJßten. ISTach dem
Midrasch sagen die Heiden: , Welch' frommes Volk, das seinen
Gott so verherrHcht und seiner Wiedervergeltung dafür würdig
ist'. Nach dem Ev. sagen die Leute: , Welch' grosser Gott,
der in diesen Schwachen so mächtig ist'. Das ist ein so tief-
greifender Unterschied in der rehgiösen Anschauung, daß das
Midraschwort, selbst wenn es früher als oder gleichzeitig mit
Jesus wäre, nicht Quelle seines Anspruchs sein könntet
^ Aus demselben Grunde passen aucli Wiinsclies Zitate (S. 41 f.)
nicM: Joma 86 a besagt lediglich, der Gelehrte solle auch durch ange-
messenes Benehmen seinen Lehrern und seiner Gesetzeskunde Ehre
machen. Die Leute loben dann, so heißt es weiter, seinen (leiblichen)
Vater und seinen Lehrer. — j. Schekalim ,.c. II" drückt im Gegensatz
auch zu Mt. 5, 11 f. den Gedanken aus, es genüge nicht, vor Gott unschul-
dig zu sein, man müsse dies auch den Leuten beweisen ; auch hier han-
delt es sich also um menschliche Ehre.
24 Mt. 5, 16. 17.
Die aus Mechiltha zu 2. Mose 15, 2 von Nork (S. 27) an-
gefiihrteii Worte des K. Ismael („Durch. Beobachtung der gött-
lichen G-ebote wird der Herr von uns verherrlicht") und des
B,. Simeon ben Eleasar („Wenn die Israeliten Gottes Willen
tun, wird sein Name durch sie verherrlicht") kämen selbst dann
nicht als „Quellen" in Betracht, wenn sie mehr als bloße An-
klänge enthielten, da sie aus dem Ende des 1., bezw. aus dem
Ende des 2. Jahrh. nach Chr. stammen. — E. Nechunjah ben
ha-Kanah, von dem Nork S. 27 den Ausspruch zitiert: „Ledig-
lich, die Frommen in Israel erheben mich vor aller Welt dmxh
ihre Verdienste" — lebte zwar zur Zeit des jüdischen Krieges,
also nicht eben lange nach Jesus und um die Abfassungszeit
des Ev. Matth.; nur ist die Quelle des Zitats eine sehr trübe,
nämlich das mittelalterliche kabbalistische Buch Bahir^, das
sich für E,. ISTechunjahs Werk ausgeben möchte^.
Über den Ausdruck „euer Vater im Himmel" vgl. unten
zu Mt. 6,9.
Mt. 5, 17. Das Gesetz (die Thorah, d. h. der Pentateuch)
und die Propheten werden genannt, weil vomehmMch aus
diesen beiden Schriftgattungen an den Sabbathen und .Festtagen
in den Synagogen bestimmte Abschnitte (ni''!2''1B bzw. ni"lt3S."j)
von einem aus der Versammlung vorgelesen und durch freien
Vortrag ausgelegt (ßfyi) worden. Vgl. Megillah IH, 4 ff.,
Luk. 4, 16.
Auflösen und erfüllen wird von Dehtzsch NT mit isn
und i^^D wiedergegeben, isn (v. "ils) aber heißt brechen (z. B.
Gottes Bund: 1. Mos. 17, 14; 4. Mos. 15, 31) oder vereiteln
(Ps. 33, 10); das Eichtige ist hier, wie Eöm. 3, 31 zeigt,
Stsa = abrogieren. Auch a:)>ü für „erfüllen" paßt hier nicht,
ja, es gibt dem Verse geradezu einen falschen Sinn. nb'Q be-
deutet „vollmachen", einen wirkhchen oder gedachten Eaum oder
ein geistiges Desideratum „erfüllen"'^. So „erfüllt" Jesus „alle
^ Aus dem Anfange des 13. Jahrli. n. Chr., vgl. meine „Kabbalah"^
(Leipzig 1903), S. 15. || ^ Bacher, Ag. d. Tan. I^ 61. Ähnlich gibt
sich auch der Sohar (Kabbalah S. 22), der frühestens aus dem Ende des
13. Jahrh. stammt, für ein Werk des R. Simeon ben Jochai (2, Jahrb.
n. Chr.) aus. || ^ So erfüllen die Fische das Wasser im Meere (1. Mos.
1, 22), die Menschen die Erde (1. Mos. 1, 28; 9, 1), der Weinstock mit
seinen Wurzeln das Erdreich (Ps. 80, 10), die Stämme Jakob und Israel
den Erdboden mit Früchten (Jes. 27, 6), Heuschrecken die Häuser
Ägyptens (2. Mos. 10, 6), eine Wolke und die Herrlichkeit des Herrn
Mt. 5, 17. 25
Gerechtigkeit" (Mt. 3, 15), d. h. er entspricht, indem er sich
taufen läßt, den berechtigten Erwartungen: a) „ut magnus hie
sacerdos, ad munus suum ministeriale initiatus, typo responderet
admissionis sacerdotum Leviticahum , qui lotione ac unctione
initiati sunt, ille baptismo et spiritu sancto; b) ut, cum ex insti-
tutione Christi introeuntes in Evangehi professionem per baptis-
mum essent introducendi . . . Christus in eandem professionem,
immo et praedicationem, ingressuras per baptismum admitteretur" K
So „erfüllt" Jesus femer die "Worte der Propheten, d. h. die
messianischen Weissagungen usw., wie ja besonders Matthäus
nachzuweisen bemüht ist. Aber dieses „Erfüllen" von Cesetz
und Propheten, von Geboten und Weissagungen, ist hier doch mit
nichten gemeint! Soll aber „erfüllen" (TtXTjpöaai) hier nicht
praktisches Erfüllen (E. durch eine Tat oder ein Ereignis, was
x^D zumeist bedeutet, s. vorletzte Anm.), sondern theoretisches
Erfüllen (Erfüllen durch Vorbringen abschheßender Auslegung)
bedeuten, so kommen wir mit i(.bp^ zu einem ganz falschen Sinn
von Mt. 5, 17. Denn i^bp bedeutet das Hinzufügen von etwas
bisher noch nicht dagewesenem Neuem, eine quantitative Er-
gänzung, das Ausfüllen einer noch vorhandenen Lücke, ohne
daß deshalb das Bisherige in seiner Art selbst verändert wird, wie
der Baumeister ein Haus vollendet, indem er das noch fehlende
Dach darauf setzt, ohne den übrigen Bau damit zu verändern.
Wenn aber das Jesu Absicht mit seinen Lehren w^ar, dann
hätte er die „schweren und unerträglichen Lasten"' des Gesetzes
nm" noch durch neue Lehren vermehrt, dann hätte er sich
andrerseits nicht über das Gesetz der absoluten Sabbatsruhe, des
Händew^aschens, des Verkehrs mit Heiden usw. hinwegsetzen
den Tempel (1. Kön. 8, 10 7; Ezech. 43, 5 usw.) — Gott erfüllt die
Herzen der dazu geeigneten Israeliten mit dem Geist der Wahrheit
(2. Mos. 28, 3; 31, 3; 35, 35; 5. Mos. 34, 9), alles Lebendige mit Wohl-
gefallen (Ps. 145, 16). — Jes. 65, 20 spricht von Alten, die ihre Jahre
(die normale Lebensdauer der Greise) nicht erfüllen. — Die ä.gyptischen
Vögte sagen (2. Mos. 5, 13) zu den Israeliten: Erfüllet euer (das von
euch verlangte) Tagewerk. — Ihr habt erfüllt eure Gelübde (Jer. 45, 25).
— Erfüllt werden ferner (d. h. gehen, wie zu erwarten, in Erfüllung):
Gottes Gedanken (Jer. 51, 29) und durch seine Macht auch die An-
schläge der Frommen (Ps. 20, 5), Gottes Verheißungen (1. Kön. 2, 27;
8, 15, 24; Jer. 28, 9; Klagel. 2, 17) und die Weissagungen (Dan. 11, 14;
Hab. 2, 3) usw.
1 Lightfoot a. a. 0., p. 239.
26 Mt. 5, 17.
dürfen, weil er dann (wie ihm oft genug später von jüdischer
Seite nachgesagt worden ist), wider das von ihm doch eben
nicht abrogierte Gebot Mosis, zur Thorah etwas hinzugefügt mid
etwas von ihr weggenommen hätte. — Jesus will mit dem „Er-
füllen'' offenbar etwas ganz anderes sagen, nämüch daß sein
Zweck sei, gegenüber der an der Oberfläche bleibenden, äußer-
lichen Auffassung des Gesetzes eine tiefinnerhche zu vermitteln,
das durch Moses und die Propheten offenbarte Gotteswort seinem
tiefsten Gehalt nach zu erschöpfen, das „Gesetz" nicht quantitativ
zu alterieren, wohl aber es qualitativ anders zu behandeln, von
der äußeren Form zum tiefsten Wesen vorzudringen und dessen
Erkenntnis fest in den Herzen zu begründen. Hierfiii- ist der
richtige terminus D.';i?, das auch Eöm. 3, 31 angewandt ist^,
oder auch üb^'. Nicht abrogieren oder antiquieren (^t3:n), son-
dern das „Gesetz" in seinem tiefsten Sinne erfassen und diese
neu ergründete Grundauffassung in den Herzen begründen
(□"p) und mit ihr dem „Gesetze" seinen idealen Abschluß geben
(Dt'B'), das wollte Jesus 2. — Wenn Nork (S. 27 f.) zu Mt. 5, 17
aus dem „Buche Cosri 1, 83" (gemeint ist das Buch Kusari des
im 12. Jahrh. nach Chr. lebenden Jehudah ha-Levi) den Aus-
spruch zitiert: „Wer zu den bestehenden Gesetzen zweckmäßig
[sinngemäß] neue hinzufügt, hat damit jene nicht aufgehoben.
So hat auch Moses die aus der Zeit des Noah stammenden
Gebote nicht abgeschafft, sondern nm' zu ihnen hinzugetan
{nrpbv ^'pin ^nx nty'o o'^tsn iih)", — so paßt das, abgesehen von
der späteren Zeit, auch sachlich nicht als „Quelle", ja, nicht
einmal als Parallele. Jesus hat der Thorah keine neuen Gebote
hinzugefügt, sondern lediglich ihren tiefsten, wahrsten Sinn ent-
wickelt, was den Zeitgenossen nur neu vorkam; cum grano salis
könnte man auch sagen, er hat die echte Thorah erneuert, ein
„neu' Gebot gegeben" (Joh. 13, 34), indem er, statt auf das
1 Römer 13, 10 übersetzt DeHtzsch (NT) selbst „Erfüllung" (die
Liebe ist des Gesetzes Erfüllung) mit D^ip (n^D ""linn G-I^p raHNn)!
II " Aus diesem Grunde halte icli es nicht 'für richtig, Rom. 10, 4
(Christus ist des Gesetzes Ende) das Wort „Ende" mit n''?Dr] wieder-
zugeben; denn Christus soll hier nicht als Schlußstein noch als Zielpunkt
der Entwicklung der Thorah hingestellt werden, sondern als deren Vollender
(□^;afD) oder als ihr idealer Abschluß (fllöt^B', aram. i<n-1D*^CJ^', Kilp^tlf").
Vgl. Sit. 12, 42: „Hier ist mehr als Salomo" nlibuf, nämlich ' ,',das
Vollkommene" (□'?&''", aram. XD^ti'") oder „die Vervollkommnung"
Mt. 5, 17. 18. 27
alte Kleid einen neuen Lappen zu flicken (Mt. 9, 16), etwas
von Grund aus Neues schuf, aber auf dem Grunde der ursprüng-
lichen Gottesgedanken der Thorah^ Daß das „Ich aber sage
euch" (Mt. 5, 22; 28, 32; 34, 39 und bes. 44)- keine neuen
Zusätze oder Gegensätze zur Thorah selbst enthält, wird zu v.20ff.
klar werden. — Moses hingegen hat zu den noachidischen Ge-
setzen eine Unzahl absolut neuer hinzugefügt, nicht etwa nur
aus ihrer Grundlage entwickelt, sodaß also seine Legislation
mit Jesu Verhältnis zur Thorah hier in keinen Vergleich gestellt
werden kann.
Mt. 5, 18. — Wahrlich heißt im griech. Text djiiqv
(■JON'). Daß Jesus wirklich „Amen" gesagt, daß diese Verwen-
dung des Amen als feierhcher Beteuerung der gesamten jüdischen
Literatur fremd ist und das ähnliche N'niJö\'3 (auf Treue!) erst
um 150 nach Chr. nachweisbar ist, endlich, daß Jesus absicht-
lich diese Form feierlicher Beteuerimg wählte an Stelle einer der
sonst gebräuchlichen schwurartigen Formeln (vgl. u. zu Mt. 5, 37)
— das hat Dahnan S. 185 ff. ein für allemal bewiesen. — Zu
den Worten bis daß Himmel und Erde vergehe als „Quelle"
einen anklingenden, übrigens späteren Ausspruch aus „Bereschith
rabba 10, 1" zu zitieren (Nork S. 28) ist ein eitles Beginnen.
Das Wort ist ebenso wie Mt. 24, 25 (Himmel und Erde werden
vergehen, aber meine Worte nicht) ein Zitat nach Ps. 102, 26 f:
„Die Erde . . . und der Himmel ... sie werden vergehen, aber
Du bleibst" (vgl. Jes. 51, 6). — Der kleinste Buchstabe
ist bekanntlich freie Übersetzung von töxa ev. Wenn Nork
(S. 28) als Parallele (oder gar als Quelle) zu dem Gedanken,
daß kein Jota aus der Thorah (d. h. auch nicht das Mindeste)
wegfallen solle, aus Sanhedrin 107 a oder „Bereschith rabba
97, 1"^ ziemHch imgenau die Legende zitiert, das Jod ('} sei
auf seine Klage, daß es aus dem Namen der Sarai (niJ', die
dann Sarah mti' hieß) ausgestoßen worden sei, zum Ersätze in
den Namen des Josua (vB'in'»), der vordem Hosea (ytyin) ge-
heißen habe, eingestellt worden [also in der Thora gebheben] —
so merkt jeder unbefangen Urteilende, daß Jesus hier doch mit
^ Das Gebot gegenseitiger heiliger Liebe (Job. 18, 34) ist ja doch
kein solches, das in der Thorah nicht auch schon dem Wortlaute nach
vorkäme, sondern erst von ihm hinzugefügt wäre, sondern insofern neu,
als es in Jesu Munde einen tieferen Sinn erhält. Vgl. zu Mt. 7, 12.
11 ^ Lies: Bereschith rabba (oder Genesis rabba) c. 47.
28 Mt. 5, 18.
nicliten meiiit, es werde in alle Ewigkeit kein Jod aus der
TlioraH verschwinden^, sondern daß er sagen will, die Thorah.
solle bis zum jüngsten Tage ungeschmälert in Geltung bleiben,
und daß er dies bildlich dadurch ausdrückt, daß er sagt, es solle
bis zum jüngsten Tage von ihr nicht der kleinste Buchstabe
oder das kleinste Häkchen genommen werden. Wer das wört-
hch auffaßt, versteht orientahsche Bildersprache nicht; auch
würde gegen jene mechanische Auffassung schon der bekannte
Umstand sprechen, daß wir Verse aus der Thorah zitiert finden,
die heute nicht mehr in ihr stehen, und daß es zu einer großen
Zahl ihrer Wörter eine noch größere Anzahl Varianten gibt. Zu-
dem würde zu einer solchen buchstäblerischen Behauptung der
feierliche Ton seiner Versicherung im Widerspruche stehen; ja,
Jesus würde, wenn er meinte, die Thorah solle bis zum jüngsten
Tage buchstäbliche Geltung haben, diese Behauptung sofort
selbst desavouieren, indem er ja v. 20 ff. sich gerade gegen diese
buchstäbelnde Deutung der Thorah wendet. Was bis ans
Ende der Welt bestehen soll, ist Gottes Thorah, und diese wahre
Thorah ist der echte Geist der Thorah, den er im fol-
genden klarlegt, nicht aber ihr Buchstabe. Selbst wenn jedoch
der Sinn hier derselbe wäre, \ne in der oben erwähnten Legende
vom Jod ('), so käme diese als „Quelle" deshalb schon nicht in
Betracht, weil Sanhedrin 107 a als ihr Autor B. Dosthai aus
Biri (4. Jahrh. n. Chr.) genannt ist, während Bereschith (Genesis)
rabba c. 47 B. Simeon ben Jochai (Mitte des 2. Jahrh. n. Chr.)
als Urheber gilt, [aber nach Bacher (Ag. d. Tan. ü, 315^) wohl
irrtümhch, da in Leviticus rabba c. 19 und Schir rabba zu 5, 11
der um die Mitte des 2. Jahrh. lebende B. Josua ben Karcha
als Autor bezeichnet ist,] woraus sich auf jeden Fall ergibt, daß
jene Legende erst lange nach Jesus nachgewiesen werden kann.
— Auch die von Nork (S. 28 f.) zitierte ganz ähnhche Legende
(in der sich das Deuteronomium vor Gott beklagt, daß Salomo
ein Jod aus ihm entfernt habe, worauf Gott sagt: Salomo und
Tausende wie er werden untergehen, aber von dir wird kein Jod
zu nichte werden) ist im pal. Thalmud (jer. Sanhedrin 20 c)
sowie im Midrasch (Lev. r. und Schir r. wie oben) auch erst
dem B. Smieon ben Jochai zugeschrieben und hat, me Bacher
(Ag. d. Tan. II, 123 *) treffend aus dem dort vorkommenden
^ Odei", wie Nork (S. 30) auslegt, „daß auch, die kleinste Änderung
im Texte der lieil. Schrift Sünde sei". (Anticyra dignum!)
Mt. 5. 18. 29
"Worte „Testament" scMießt, eine Bezieliiing auf das NT, setzt
also dieses bereits voraus. Die Erwähnung des Jod als des
kleinsten Buchstabens kann man trotz des von Dalman S. 4
Angeführten wohl unbedenklich für authentisch halten, wenn
man bedenkt, daß man mit „Jod" bildlich überhaupt etwas
Kleines bezeichnete (z. B. Thaanith 21 b eine kleine Stadt,
Kidduschin 16 b im allgemeinen etwas Kleines). Dies ist zu-
gleich ein Beweis gegen die Ansicht, daß hier die ausdrückliche
Erwähnung des Buchstabens Jod dazu zwinge, Jesu Ausspruch
wörtlich zu nehmen und auf den Buchstaben des Thorah-Textes
zu beziehen. — Tüttel (xepaca, hehr, y^p, aram. l^Jin oder x^r,
Krönchen) kronenartige (wir würden sagen, den „historischen"
Bismarckhaaren ähnliche) Strichelchen an gewissen Buchstaben
des geschriebenen Thorah-Textes. "Wenn dem E,. Akiba (2. Jahrh,
n. Chr.) im 3. Jahrh. nachgerühmt wird (Menachoth 29 a; vgl.
Bacher, Ag. d. Tan. I 271 und Ag. d. pal. Am. 1, 159), daß er
an jedes solcher Krönchen in der Thorah Berge von Halachoth
(reHgionsgesetzlichen Normen) anzuhängen verstanden habe, so
ist das natürlich nicht als „Quelle" zu gebrauchen, wohl aber zur
Erläuterung dafür, daß mit otepata hier noch etwas Kleineres als
das so kleine Jod bezeichnet werden soll, um den Sinn wieder-
zugeben: Die Thorah soll „bis aufs tz"^ bestehen bleiben, noch
viel mehr, als die Juden wollen, nänüich in ihrem allertiefsten
Sinne, der (wie v. 20 ff. gezeigt wird) weit über den bloßen
Wortsinn des Textes hinausgeht, derart, daß Jesu tiefe Auf-
fassung der Thorah sogar modernen jüdischen Autoren (wie
Weiß) als eine die rabbinischen Satzungen noch überbietende
„Erschwerung" erschienen ist. — Bis daß es alles geschehe.
In merkwürdiger Befangenheit deutet Hamburger diese Worte
so, als habe sich hier Jesus eine Hintertür offen gelassen, um
trotz der vorangegangenen feierlichen Versicherung dennoch die
Thorah gegebenenfalls zu abrogieren. Auch in der exegetischen
Literatur ist der Satz mehrfach mißverstanden worden. Er ist
einfach ein Parallelausdruck zu den Worten „bis daß . . . ver-
gehe" und zeigt an, daß dieser Ausdruck nicht (wie bei Lukas
aus Mißverständnis und in jer. Sanhedrin 20 c und Exodus
rabba c. 9) als eine Art aSüva-cov aufzufassen ist und nicht be-
sagen will, daß die Thorah ewige Geltung habe, sondern daß
^ d. h. auch in bezug auf scheinbar Unwichtiges, auch in den
„kleinsten Geboten" (v. 19).
30 Mt. 5, 18. 19.
die ThoraJi, welche für die Erdenmenschen bestimmt ist, um sie
zu Gotteskindern zu machen, so lange volle Geltung haben
wird, als es Erdenmenschen gibt, also bis zum jüngsten Tage. —
"Wohl ist Gottes Wort ewig (Ps. 119, 89; Jes. 40, 8), weil er
selbst ewig ist und seine Gedanken Ewigkeitsgedanken sind;
aber die Thorah ist für irdische Verhältnisse gegeben und hat
daher mit dem Aufhören des ü'dischen Daseins ihren Beruf er-
füllt. Für alle Erdenzeit hat sie aber insofern Geltung, als sie
Normen enthält, die für aUe diese Zeit anwendbar siud, also
insofern sie grundlegende religiös-sittliche Vorschriften gibt, nicht
aber hinsichtlich der hieraus für eine beschränkte Zeit imd Ort-
Hchkeit abgeleiteten Forderungen in Bezug auf äußerliche Hand-
lungen, wie Opferritual usw.
Mt. 5, 19. — Diese kleinsten Gebote; damit ist erklärt,
was mit cwxa und xspata in v. 18 gemeint werden soll. Es
ist möglich, daß (vgl. Nork S. 30 und dessen Quellen) Mt. 5, 19
wenigstens emen Seitenbhck auf die rabbinische Unterscheidung
zwischen „leichten" und „schweren" Geboten enthält, der zufolge
die Übertretung eines leichten Gebots nicht vom irdischen (son-
dern allein vom himmlischen) Richter geahndet wurde, die eines
schweren Gebotes dagegen laiminalgerichtlicher Bestrafung unter-
lag (vgl. z. B. Schebuoth I, 6 = fol. 12 b) — und daß Jesus
im Gegensatz hierzu sagen will, daß die Thorah, in ihrem
wahren, tiefsten Sinne gefaßt, nichts Unwichtiges enthalte; denn
diese echte Thorah, wie Jesus den Begriff faßt, d. h. der Geist
der Thorah, fordert für die Erfüllung der sittlich-reHgiösen
Pflichten überall dieselbe religiöse Litensivität der Gesinnung,
Treue auch im Kleinsten. So ist zorniger Sinn gegen „die
Kinder des eigenen Volkes" (vgl. 3. Mos. 19, 18) nach rabbini-
scher Bewertung Übertretmig eines „leichten" Verbots, nach
Jesus ebenso schlimm wie Totschlag, weil die gleiche böse Ge-
sinnung vorhanden ist usw. — Eine gewisse Ahnhchkeit mit
Jesu "Worte hier zeigt (Makkoth III, 15 = fol. 23 ab) der
Ausspruch des B. Chananjah ben Gamliel: „"Wenn schon
jemand, der (auch nur) eine Übertretung begangen, sein Leben
verwirkt hat, um wieviel mehr wird der, der (auch nur) ein
Gebot ausgeübt hat, sein Leben geschenkt erhalten". Bacher,
der (Ag. d. Tan. IE, 128) diese Stelle dem Sinne nach anführt,
zitiert sie im Register unter dem Stichwort „Jesus", will also
offenbar darin eine Parallele zu Mt. 5, 19 finden. Als „Quelle"
ist der Anspruch für unsere Stelle schon deshalb nicht zu ver-
Mt 5, 19. 31
werten, weil R, Chananjah ben GamHel im 2. Jahrb. n. Cbr,
lebte. Außerdem ist Jesu Wort weitgebender, da bier nicbt erst
der praktischen Übertretung, sondern schon der theoretischen
Abrogierung^ eines Gebotes der Thorah üble Folgen zuge-
schrieben werden; auch redet der Eabbi, wie der Zusammenhang
der Thalmudstelle lehrt, von der Übertretung einös Gebots der
geschriebenen Thorah^, Jesus aber von eiaer Verkennung des
Geistes der Thorah, der kein magis oder minus rehgiös-sittUcher
Pflicht und Gesinnung kennt. — Tut und lehret. Die Yor-
ansteUung des Tuns erklärt sich ganz einfach daraus, daß Jesu
Zuhörer doch nicht aUe solche waren, die auch zu lehren bereit
oder geeignet waren; das „Tun" der religiös-sittlichen Pflicht,
also das Befolgen der ureigentlichen Thorah, ist Lehrenden und
Hörenden geboten. Daß das Voranstellen des Tuns vor das
Lehren „offenbar eine Anspielung auf diejenigen" sei, „welche
sich mit der Auslegung des Gesetzes brüsten, aber es nicbt
selbst in Ausübung bringen" (Nork S. 30), ist viel zu weit her-
geholt, und die Binsenweisheit, daß auch in der Religion das
Tun vor der bloßen Lehre, die Praxis vor der Theorie den
Vorzug habe, brauchte zudem Jesus oder Matthäus nicht erst
von R. Simeon ben Gamliel (um die Zeit des bellum Judaicum)
zu lernen, falls dessen Ausspruch (Aboth 1, 17) ^ überhaupt älter
als jene beiden sein sollte. — Der Kleinste (groß) heißen
im Himmelreich. Dies ist allerdings eine Mahnung zur Be-
scheidenheit. Den letzten Rang in der Gottesherrschaffc bier
und dort (s. Teil II) wird der einnehmen, der sich vermißt, nach
seinem Gutdünken über die Notwendigkeit der Erfüllung der
religiös-sittKcben Gottesgebote zu entscheiden, Unterschiede in
der Intensivität der Befolgung seiner religiösen Pflicht zu macben.
Die Überhebung, die in der Anmaßung einer solchen Unter-
und Entscheidungsbefugnis hegt, wo Jesus doch alle aus dem
^ Das ist mit dem „Auflösen" hier gemeint, vgl. oben zu v. 17.
Also aucli Mer nicht wie bei Delitzsch NT IS', sondern '?t2;2\' Das
praktische Nichtbeachten ist selbstverständliche Konsequenz dieser theo-
retischen Abrogierung. |1 ^ Worauf „Ausrottung" (d. h. zum Beispiel
vorzeitiger Tod) steht, die aber durch Geißelung des Übertreters abge-
wendet werden kann, was die Mischnah lehrt, die aus dem Worte
„dein Bruder" (5. Mose 25, 3) schließt, daß der Übertreter nach der
Geißelung wieder zu Israel gehöre und der Ausrottung nicht mehr ver-
fallen sei. II 3 jjNicht die Auslegung (Forschung t^TlD) ist die Haupt-
sache (■lp''y), sondern die Ausübung (riB'yö)."
32 Mt. 5, 19.20.
Geist der Thorah fließenden Pflichtgebote für gleich wesentlich
und verbindlich erklärt, bedingt eine solche Zurücksetzung, wäli-
rend das sich selbst bescheidende Anerkennen dieser "Wesent-
lichkeit in Gesinnung, Tat und Lehre zur Belohnung im Jen-
seits führt. (Vgl. Mt. 18, 4: "Wer sich selbst erniedrigt . . .,
der ist der Größeste im Himmelreich.)^ Die zu der hier gege-
benen Anschauung von verschiedenen Rangstufen im künftigen
Leben von Dalman (S. 93) aus Thalmud und Midrasch beige-
brachten rabbinischen Ansichten, die (wie D. richtig sagt) an
unsere Stelle „erinnern" '■^ — gehören den sorgsamen Zeitangaben
D.s zufolge sämtlich späterer Zeit an. (Jochanan ben Levi
um 250; dessen Sohn Joseph dgl.; Simeon ben Assai um 110;
Jirmejah im 4. Jahrb.; Jonathan ben Eleasar um 240 n. Chr.;
Jehudah L um 200 n. Chr.)
Mt. 5, 20. Denn weist deuthch daraufhin, daß die Thorah,
von der Jesus redet, etwas anderes ist, als was die pharisäischen
Schriftgelehrten (ü'ty'ilEn D''öDnn; so dürfte das §v 5ia Suolv
„Ypap-iJiaTsIs ■>cal cpapiaatot" besser^ zu übersetzen sein, als mit
1 Mt. 11, 11 (Luk. 7, 28) stellt die oft so gründlicli mißverstandene
Stelle: „Wahrlicli, ich sage euch: Unter allen, die vom Weibe geboren
sind, ist nicht aufgekommen, der größer sei denn Johannes der Täufer;
der aber der Kleinste (6 [nxpoxspo;) ist im Himmelreich, ist größer denn
er". Jesus rühmt Mt. 11, 7 den Johannes als starken Charakter, v. 8
einen Verächter irdischer Eitelkeit, v. 9 als einen, der mehr ist denn
ein. Prophet, v. 10 als seinen Vorläufer, v. 11 als den größten Erdge-
borenen. Und diesen Mann sollte Jesus im Ernste unter den stellen
■wollen, der die niederste Stufe im Himmelreich einnimmt? Im Gregen-
teil! Jesus sagt auf die Kunde von Johannis Gefangenschaft bitter:
Jetzt, da dieser Große im Unglück sich befindet, ist jeder, der (6) in der
Himmelsherrschaft einen viel geringeren Rang als er einnimmt, nicht
nur in seiner Einbildung größer als er, sondern auch tatsächlich (infolge
des Besitzes der Freiheit) mächtiger, angesehener, besser daran. Aber
(v. 12) dieser unnatürliche Zustand kommt daher, daß seit jenen Schick-
salstagen des Johannes die Gottesherrschaft von den irdischen Macht-
habern Gewalt erleidet (gewalttätig behandelt, mißhandelt wird:
ßtal^ETai) und zerzaust wird (äpizä.'Couaiv). Das alles kann indessen dem
hohen Range des Johannes keinen Abbruch tun. Denn (v. 13) er ist
der Schlußstein der Prophetie und noch mehr (v. 14): nämlich der Vor-
bote des Messias! || ^ Nur bei Simeon ben Assai und bei Jirmejah ist
von einem Sicherniedrigen „um der Thorah willen" die Rede im Gegen-
satz zu dem stolzen Dünkel eines Hohlkopfes und guter Werke Baren.
11 ^ Die Pharisäer „waren die Schriftkundigen und Gesetzeslehrer",
vgl. J. Elbogen, Die Religionsanschauungen d. Pharisäer, S. 17.
Mt. 5, 20.21. 33
Qii^'.l-isni DnsDn) dafür halten: den Geist, nicht den Buchstaben.
Das Befolgen dieses Geistes ist die „bessere" wahre Gerechtig-
keit, die vor Gott gut. Man kann allerdings auch unter den
Schriffcgelehrten die Gesetzesforscher, unter den Pharisäern die
übertrieben werkheihgen Gesetzesbefolger (vgl. Sotah 22b), zu
denen natürlich auch die Erstgenannten gehören, verstehen.
Daß Jesus hier nicht alle Pharisäer in Bausch und Bogen ver-
urteilt, wird man Elbogen (a. a. 0., S. 30 ff.) unbedenklich zu-
geben dürfen. E. betont nur in seiner Polemik gegen Schürer,
Bousset u. a. zu wenig, daß Aussprüche, die sich gegen solche
Werkheihgkeit usw. richten, eben beweisen, daß diese in phari-
säischen Kj-eisen weit genug verbreitet war, um zur Bekämpfung
zu veranlassen.
Mt. 5, 21. Es ist ganz richtig, daß „ihr habt gehört"
(Dn^iaty') und „es ist gesagt" ("löri><) rabbinische Pormehi sind,
die angewendet werden, wenn man sich auf eine mündliche
Lehre, nicht auf die geschriebene (Nork, S. 30 f.) bezieht; um-
sind die Formeln m. W. erst für die Zeit nach Jesus nach-
weisbar. — Zu den Alten gesagt ist (eppe'8'Yj xdlq äp^^aioiq)
kami nach dem griechischen Texte nur auf eine frühere Gene-
ration gehen, der diese mündliche Lehre mitgeteilt worden ist.
Es handelt sich hier, wie die meisten Ausleger auch richtig ge-
sehen haben, um eine rabbinische Passung der mosaischen Ge-
bote, worauf auch schon das an den entsprechenden Pentateuch-
stellen nicht stehende „des Gerichts schuldig" {ivo-/oq z'q xptoet,
'j'»1 n*l^ ^'Hö) hindeutet. Wenn man aber dp^aloi hört, denkt
man unwillkürlich an die Zeitgenossen Mosis oder eine fast
gleich alte Generation, während Jesus dies mit nichten meint.
Dazu ist auch der Ausdruck yn oder nTiü der vorauszusetzenden
Quelle zu jung; es kann sich nur um einige Generationen vor
ihm handeln, deren Bezeichnung mit c^p^atot (d*^!»^!? Del. NT;
D'iJiti'XI D''ö2n oder besser on'pn Lightfoot p. 263) immerhin
auffallend bleibt, zudem hier leise die Vorstellung mitklingen
würde, als sei das Gesagte etwas schon bei den Zeitgenossen
beinahe für veraltet Geltendes. Vielleicht ist apy^aXai unge-
schickte Übersetzung von D^Jp, (seniores), wie die jüdischen Ge-
lehrten ohne Rücksicht auf ihr Lebensalter genannt wurden, und
eppi%-fi xoXc, d. hätte die Bedeutung: es ist von den Gelehrten
gesagt worden. Dadurch, daß wenigstens so die Autoren der
älteren Lehre genauer bestimmt werden, bekäme man einen
besseren Gegensatz zu dem scharf pointierten ^yö) Se Xeya) ö^Tv
BiBchoff, Jesus u. d, Eabbinen. 3
34 Mt. 5, 21.22.
Jesu. "^TiiTv ist zu den oc^ycdoi kein so scharfer Gegensatz, da
das rabbinische Wort bisher ja auch füi' Jesu Zuhörer Geltung
gehabt hatte. — Des Gerichts, d. h. des irdischen (Kriminal-)
Gerichtshofs; s. u. zu v. 22.
Mt. 5, 22. Ich aber sage euch. — Daß der Ausdruck
"löix ^JXl (ich aber sage) „eine im Thalmud häufig gebrauchte
Formel" ist, „um einem Ausspruch Nachdruck zu verleihen und
zugleich andere Auslegungsweisen als verwerflich oder unrichtig
zu bezeichnen" (Nork, S. 31), ist richtig. Aber abgesehen davon,
daß die Thalmudstellen später bezeugt sind und hier außerdem
„euch" beigefügt ist, brauchte Jesus den hier so natürlichen und
selbstverständlichen Ausdruck, für den sich gar nichts Ein-
facheres sagen läßt, wirklich nicht erst von den Rabbinen zu lernen.
— Bruder. Wie Lightfoot (p. 263) und nach ihm Nork (S. 31)
bemerkt, unterschied das spätere Judentum zwischen „Bruder"
(= IsraeHt, nn3""jn) und „Nächster" (= Proselyt, nii^'in 13).
Jedenfalls aber wurden schon zu Jesu Zeit beide Ausdrücke im
Sinne von „Glaubensgenosse" und im Gegensatze zu den
„Heiden" (D)i3) gebraucht^. Auch Jesus nimmt hier „Bruder"
zur Bezeichnung eines befreundeten Menschen, dagegen gebraucht
er „Nächster" stets in der allgemeinen Bedeutung „Nebenmensch".
Bacher (Ag. d. Tan. I, 7) meint allerdings, daß schon vor Jesus
HiUel den Ausdruck "inn (Nächster) im Sinne von „Nebenmensch"
gebraucht habe, weil Hillel sein Wort „Was dir unlieb ist, tue
auch deinem Nächsten nicht" zu einem Heiden sage, der Jude
werden will. Aber daraus läßt sich doch gar nichts beweisen.
Denn als Proselyt wird ja der Heide eben inn (Nächster), und
es werden dann die Israeliten seine „Nächsten". Außerdem
spricht Hillel doch von jener Yorschriffc als von dem Hauptbegriff
der jüdischen Thorah, der also der Heide zu folgen hat, wenn
er Jude werden will. Keineswegs gibt er ihm die Yorschriffc als
eine solche im Verkehr mit Heiden! — Zürnet .... des
Gerichts schuldig. Zorn wird hier mit Totschlag gleich-
gesetzt (vgl. auch 1. Joh. 3, 15), weil die sündige Gesinnung
ebenso schhmm ist, wie die daraus hervorgehende sündige Tat^.
Ethisch ist der Zornige ebenso schuldig, wie der, welcher sich
1 V. 43 liat ,, Nächster" in dem rabbinisclieii Zitat (laut v. 46 f.)
die Bedeutung „befreundeter Glaubensgenosse". |1 - Rodrigues-Friedemann
(S. 25) zitieren (allerdings erst zu v. 28) den ähnlichen Ausspruch
Joma29a, der (genauer als dort übersetzt) lautet: „Sündhafte Gedanken
Mt. 5, 22. 35
des faktischen Totschlages schuldig gemacht hat, der vor das
(außerhalb Jerusalems hierfür zuständige lokale) Grericht gehört.
Keineswegs ist hier mit Lightfoot (p. 265) an das himmlische
Gericht zu denken, sondern Jesus meint, eigentUch, vom sitt-
lichen Standpunkte aus, verdiene der Zornige ebensolche Strafe,
wie sie das Gericht über den Totschläger verhängt. — Im
Rabbinismus "wird der Zorn zwar auch getadelt, doch nie so
scharf beurteilt, wie von Jesus. Alter als Mt. 5, 22 ist nur das
Wort Hillels: „Der Auffahrende (leicht Erregbare) ist kein [guter]
Lehrer" (lö^p Vl^.^^ ^^^ Pirke Aboth 11, 7), nicht viel später
R Eliesers Mahnung: „Gerate nicht leicht in Zorn" (ibid. II, 15);
E. Jochanan ben ISTuri (Schabbath 105 b) oder sein Zeitgenosse
R. Akiba (Aboth di Rabbi Nathan c. 26) sagt im 2. Jahrh, n. Chr.
markanter: „Jeder, der in seinem Zorn seine E3.eider zerreißt,
Getäße entzweischlägt oder Münzen verstreut, sei in deinen Augen
wie ein Götzendiener". Ende des 3. Jahrh. sagt R. Levi (Pe-
sachim 66b): „Jedem Zornigen -wird, falls er ein Weiser, seine
Weisheit, ist er ein Prophet, seine Prophetie genommen". In
der Praxis aber zürnten die Rabbinen auf einander und auf
andere Mitmenschen so heftig, daß sie nach der Volkssage durch
ihre Blicke sogar töteten ! So vernichtet R. Simeon ben Jochai
fleißige Ackerbauer, weil er ergrimmt ist, daß sie lieber arbeiten
statt wie er einsam meditieren wollen (Schabbath 33 b, 34 a);
der über seine Bannung aufgebrachte R. Eheser ben Hyrkanos
verdirbt durch seine Bhcke nicht nur Früchte usw., sondern auch
ganz unbeteiligte Menschen, die ihm begegnen (Baba mezia 59b);
R. Jochanan macht, in der irrtümhchen Meinung, daß R. Kahana
über ihn lächle, durch seinen stechenden Blick den Kollegen
sofort zur Leiche (Baba kamma 117a) usw. — Grundlos bei
„zürnet" ist wohl spätere Glosse oder von Matthäus ebenso vor-
sichtig einschränkend hinzugefügt, wie v. 3 „geistHch" und v. 6
„nach der Gerechtigkeit". Daß „heiliger Zorn" ausgenommen
ist, versteht sich von selbst, da er sich nicht gegen Personen,
sondern gegen Sünde richtet. — Racha (Reka X|?n_, Hohlkopf,
Dummhut). Gerade diesem Ausdruck begegnen wir häufig genug
im Munde der Rabbinen und der Juden überhaupt als Schimpf-
wort, wie außer den von Lightfoot (p. 264 £) angeführten Stellen
a,us Midrasch und Thalmud auch noch viele andere beweisen.
sind schlimmer als die Sünde selbst". Aber dieser Aussprucli stammt
erst von R. Nachman, d. h. aus des 3. Jahrh. nach Chr.!
3*
36 Mt. 5, 22.
E,eka geht auf intellektuelle Mängel. — Des Rats schuldig.
Begeht eine Sünde gleich solchen (Kapital-)Slinden, die vom
hohen Rate (Synhedrium, Vl/inJo) abzum-teilen sind. Das sind
nach Sanh. I, 5 insonderheit falsche Prophetie (Irrlehre), Gottes-
lästerung und Staatsverbrechen. Wer so wenig inneres und
inniges Gemeinschaftsgefühl mit seinem Bruder hat, daß er
diesen als geistig minderwertig mißachtet mid demzufolge schmäht,
hat dieselbe anti-altruistische Gesinnung, die den Staatsverbrecher
zu seinen die gemeine Sache (res pubhca) schädigenden Hand-
lungen treibt; besitzt denselben falschen geistigen Dünkel, der
dem Irrlehrer anhaftet; ist von demselben frevlen Übermut be-
seelt, der auch den Schöpfer des hier verachteten Mitmenschen
lästert. — Du Narr {[Jtwpe, VnJ oder [Del. NT] b^^n nm) be-
zieht sich auf sittliche Mangelhaftigkeit, ethische Häßlichkeit,
Schändhchkeit (vgl. Pi. ^33 schänden, Nah. 3, 6; Mich. 7, 6).
Ahnlich das Schimpfwort n^nJ = Wegwm-f, Aas! — Des
höllischen Feuers schuldig {iw/oQ iaxai zlq tyjv yeevvav
xoü Tcupös, D-iri''^ ^ii 3^nD), begeht eine Sünde, die gleich denen
ist, die mit Höllenpein bestraft werden, d. h. vor allem die der
unbußfertigen Sünder; denn seine sittHche Gesinnung ist so roh,
wie die solcher Leute. — Auch bei den Rabbinen findet sich
eine Verurteilung des Schmähens überhaupt und gewisser Schimpf-
worte insonderheit. Manche Sätze zeigen Ahnhchkeit mit den hier
aus Jesu Munde genannten, doch sind aUe später als Jesus und das
Ev. Matth. — Die bezeichnendsten rabbinischen Aussprüche dürften
folgende sein: „Wer seinen Nächsten (Yolksgenossen, "inn, s. u.
S. 44) Sklave nennt, soll in den (kleinen) Bann getan werden; (w^er
ihn) Bastard (nennt), soll die (rabbinische Strafe der) 40 Geißel-
hiebe (weniger einen) erhalten; (wer den Nächsten) Gottloser
(nennt), soll von diesem (dem Beleidigten) wegen Kapitalvergehens
(vor dem Synhedrium) angeklagt werden" (Kidduschin 28a).
— „Ein Thanna (Mischnahlehrer) lehrte vor Rab Nachman
bar Isaak (Anf 3. Jahrh. n. Chr.): Wer seinen Nächsten öffent-
lich beschämt, gilt, als hätte er Blut vergossen" (Baba mezia 58b).
„Beschämen" ist freihch von „schimpfen" noch verschieden ^, wie
1 Baba mezia 59 a wird im Anschloß an den Ausprucli Clianina's
(von den Scliuldisputanten) eingewendet: „Einen (üblen) Beinamen geben
ist docli auch, beschämen?" Die Antwort lautet: „Er (der Geschimpfte)
ist vielleicht schon an diesen Beinamen gewöhnt." — Aber selbst wenn
der Beschimpfte sich nicht besonders verletzt fühlt, wird der Schimpfende
so hart beurteilt.
Mt. 5, 22. 23 f. 37
das sogleich zu erwähnende Zitat beweist; indessen ist die Gleich-
setzung dessen, der den „Glenossen" öffentlich beschämt, mit
einem Totschläger, obwohl etwas gekünstelt motiviert^, dpch als
Parallele zu Mt. 5, 22 interessant. — „Rab Chanina (bar
Chama; 3. Jahrh. n. Chr.) hat gesagt: . . . Drei fahren zur
Hölle hinab und kommen nicht wieder herauf^: Wer eines
anderen "Weibe beiwohnt, wer seinen Nächsten öffentlich beschämt
und wer seinem Nächsten einen (schimpfhchen) Beinamen gibt"
(Baba mezia 59 a).
Mt. 5, 23 f. Opferst. Versöhne dich. — Nork (S. 84)
zitiert hierzu Pesachim 49 a: „Wenn jemand sich anschickt, das
Passahopfer darzubringen, sich aber unterwegs erinnert, daß noch
Gesäuertes in seinem Hause geblieben — so kehre er um und
bringe zuerst dies (als das Wichtigere) in Ordnung" (schaffe den
Sauerteig vorgeschriebenermaßen fort). — Hierauf soll nach ISTork
Jesus „satirisch anspielen", obwohl die Vorschrift später als er
überhefert ist. Aber selbst wenn diese Überlieferung auf eine
alte, schon zu Jesu Zeit gültige Vorschrift zurückgüige, läge
eine „Satire" gar nicht vor, sondern (wie Nork selbst im fol-
genden sagt) eine „geistige" Anwendung. Denn „der Sauerteig,
welcher vor Darbietung des Opfers vernichtet werden muß, ist
jener moralische" [daß nämlich der Bruder „etwas wider uns
hat"]. Und im ganzen richtig fügt N. hinzu: „Hier polemisiert
also der Sittenlehrer [lies: Jesus] gegen die Denkweise der
Pharisäer, Avelche das Zeremonialgesetz mit so ängstlicher Ge-
nauigkeit abhandeln, aber nicht für die sittliche Verbesserung
des Menschen Sorge tragen"'. Das stimmt insofern, als hier
(v. 24) dem Zorn wider den Bruder (v. 22) das Streben nach
Versöhnung mit dem auf uns erzürnten Bruder entgegengesetzt
und im Anschluß hieran gesagt wh-d, daß alles Opfern nichts
nütze zur Versöhnung mit Gott, wenn wir nicht auch mit den
Brüdern versöhnt sind, deren „Schuldiger" wir ebenfalls wurden.
Diesen Sinn drückt ähnlich auch der spätere rabbinische
(Mischnah-) Satz aus, den Rodrigues (S. 23) fälschhch als „Quelle"
anführt: „Die Vergehungen eines Menschen gegen seinen Näch-
1
A. a. 0. : „Denn wir sehen, daß bei ihm (dem Geschimpften) die
Röte (des Antlitzes) weicht und Blässe an ihre Stelle tritt" — wie beim
Gemordeten. („Beschämen" heißt im Hebr. wörtlich: das Antlitz blaß
machen!) H ^ Die Höllenstrafen vollendeter Frevler sind ewig: Thos.
Berachoth 6 (5) nach Jes. 66, 24. (Vgl. Bacher, Ag. d. Tan. II, 188.)
38 Mt. 5, 28 f. 25 f.
sten sühnt der Yersöhnungstag niclit eher, als bis er (der
Mensch) sich mit seinem Nächsten versöhnt hat" (Joma
Vm, 9 = fol. 85 b). Aber dieser dort als Grundsatz des
E. Eleasar ben Asarja (um 100 n. Chr.) genannte und rezi-
pierte Ausspruch hat doch (auch abgesehen von der Verschieden-
heit des Opfers und des Yersöhnungstages) nicht ganz den Sinn
des Wortes Jesu; denn vorangeht: „Die Vergehungen eines
Menschen gegen Gott sühnt der Versöhnungstag." Nach Jesus
aber wh'd der Mensch nicht dm'ch das bloße Opfer (dem hier
der Versöhnungstag annähernd entspricht) mit Gott versöhnt,
sondern durch eine bußfertige Gesinnung! — Übrigens ist
zwischen Mt. 5, 23 f. und der oben zitierten Stelle aus Pesachim 49 a
auch der Unterschied vorhanden, daß dort das Passahopfer erst
gebracht werden soll und der Mensch vor der Opferhandlung
nochmals heimkehrt, Jesus aber behufs der wichtigeren Ver-
söhnung mit dem Bruder sogar Unterbrechung der schon be-
gonnenen Opferhandlung fordert. Die von Rodrigues-Friedemann
(S. 25) angeführte Stelle Megillah 25 b: „Wer immer bereit ist
zur Vergebung, dem werden auch seine Sünden vergeben werden"
— paßt schon deshalb nicht recht, weil hier von Vergebung
erlittener Unbilden die Rede ist, Mt. 5, 23ff. aber von unseren
Versuchen, von denen Vergebung zu erlangen, denen wir Un-
billen zufügten. Außerdem ist sie später als Jesus und das
Ev. Matth.
Mt. 5, 25 f. Willfertig deinem Widersacher. — Der
Wortsinn ist, man solle sich auf dem Wege zum Richter (Lokal-
richter, 6 ap)((öv Luk. 12, 58; so richtig Lightfoot p. 269 f. [vgl.
Sanhedrin I, 1], mißverständhch nach Luther [„Fürst"] Del. NT
"l^n) mit dem Gegner im Geldprozeß, d. h. dem Gläubiger
einigen, ehe man gerichtlich verurteilt wird und dann die volle
Schwere des Urteils erleidet. Nork (S. 34) hat richtig gesehen,
daß diese Worte Jesu „einen allegorischen Sinn enthalten" \
Nicht nur den Bruder (Freund), dem man Grund zum Unwillen
gegeben, soll man versöhnen, bevor man sich mit Gott zu ver-
^ Die von ilim aus dem spätmittelalterlichen Sohar chadasch. zitierte
Stelle ist natürlich als „Quelle" unbrauchbar und auch sehr wenig
„ähnlich"; denn an dieser Stelle ist von der Baßfertigkeit gegen Gott
die Rede, mit der man möglichst sofort beginnen soll (vgl. Pirke
Aboth n, 15: „R. Elieser sagte: Tue Buße einen Tag vor deinem Tode"),
nicht aber von der Versöhnlichkeit und Nachgiebigkeit gegen den Mit-
menschen.
Mt. 5, 25 f., 27 f. 39
söhnen gedenkt, sondern mit jedem Nebenmenschen, der unser
morahscher Gläubiger ist (d. h. gegen den wir uns ethisch ver-
schuldet haben), sollen wir sobald als möghch uns aussöhnen
und in ehi friedHches Verhältnis zu kommen trachten, bevor
Gott — dessen Gericht wir alle entgegengehen — über uns
Schuldige das Urteil spricht, dessen Folgen uns nicht erspart
bleiben werden, sondern voll getragen werden müssen.
Daß hier eine Klugheits-, v. 23 f. aber eine Frömmigkeits-
vorschrift gegeben sei (Lightfoot p. 270), ist schief ausgedrückt.
Vielmehr ist der Unterschied der, daß Jesus v. 23 f. eine Opfer-
handlung, v. 25 einen Geldprozeß zum Ausgangspunkte seiner
religiös-ethischen Ermahnungen nimmt und v. 25 umfassender ist.
Mt. 5, 27 f. Du sollst nicht ehebrechen. — Wie die
besseren Ausleger richtig bemerkt haben, bezieht sich Jesus hier
auf die rabbinische Auslegung des 6. Gebots (2. Mos. 20, 14;
5. Mos. 5, 18), die unter „Ehebruch" lediglich den fleischhchen
Verkehr eines (verheirateten oder ledigen) Mannes mit der Ehe-
frau eines anderen verstand, nicht aber den Geschlechtsverkehr
eines Verheirateten mit irgend einer anderen Frauensperson
(was z. T. schon deshalb nicht als Ehebruch angesehen wurde,
weil bei den Juden bekanntHch bis etwa 1000 n. Chr. ^ Poly-
gamie erlaubt war). In der rabbinischen Aufzählung der 613 Ge-
bote und Verbote der Thorah heißt es zu 2. Mos. 20, 14: „Dies
ist das 35. Gebot der Thorah, daß niemand bei einem fremden
Eheweibe liegen soll" (Vgl. Lightfoot p. 272). So finden wir
denn auch in der thalmudischen litteratur för „Ehebruch" des
Mannes vomehmhch den Ausdruck „bei einem fremden Eheweibe
liegen" (ty'X na^'x bv J<3) gebraucht, z. B. Sotah 4b u. ö. Ln
Gegensatz zu dieser den Geltungsbereich des mosaischen Ge-
botes bedeutend einschränkenden Auslegung erweitert Jesus
Sinn und Geltmig des Gebotes dahin, daß schon unkeusches
Begehren nach irgend einem "Weibe ethisch dasselbe sei wie
vollendeter Ehebruch.
Hambui'ger (RE Suppl. III, 57) hat die Kühnheit, zu be-
haupten: „Diese Mahnung, in noch schärferer Form, kommt in
^ Bis zu dem sog. „Bann des Rabbi Gerschom" (ben Jebudali, 970
bis 1040) in Mainz, wo eine berühmte Tbalmudhocbscliide bestand.
Nur langsam drang übrigens die Reform durch, zuerst in Deutschland
und Frankreich. Im Orient, zumal in mohammedanischer Umgebung,
herrscht bekanntlich noch heute unter den Juden vielfach Polygamie.
40 Mt. 5, 27 f.
mehreren Aussprüchen der Talmuden [sie] und Midraschim
Yor". — Dem gegenüber (und zugleich zm' Rechtfertigung meines
Ausdrucks „Kühnheit") ist folgendes festzustellen: a) Die von
H. vorsichtigerweise weggelassenen Angaben über die Autoren
jener „Aussprüche" beweisen, daß diese aus späterer, z. T.
aus viel späterer Zeit als Jesus und das Ev. Matth. stammen,
b) Die von H. angeführten Sentenzen enthalten weder dieselbe
Mahnung, noch etwa gar „in schärferer Form". — c) Auch
andere thalmudische Sentenzen ähnlicher Glattung (die z. T.
den "Worten Jesu erheblich näher kommen als H.'s Zitate)
sind weder älter noch schärfer als Jesu Worte, sondern jünger
und blasser.
Ich zitiere zunächst die von H. vorgebrachten Stelleu wört-
licher und ausf ührhcher : 1. Nedarim 20 a: „E. Achaj bar
Joschijjah (Ende 2. Jahrh. nach Chr.) sagt: Wer auf Weiber
hinstarrt, fällt schließlich in Sünde. Wer auf die Eerse eines
Weibes blickt, wird ungeratene Kinder bekommen. E,. Joseph
(starb 333 n. Chr.) sagt; Selbst wer auf sein Weib blickt,
wenn sie menstruiert ist. R. Simeon ben Lakisch (8. Jahrh. n. Chr.)
sagt: Unter ,Ferse' ist Scham zu verstehen, weil sie der Eerse
gegenüber (am oberen Ende des Beines) sich befindet." —
2. Abodah sarah 20 a: „E. Akiba (2. Jahrh. n. Chr.) sah das
Weib des Tyrannen Eufiis an . . . Ist es denn erlaubt, Frauen
anzusehen? Es heißt doch (5. Mos. 23, 10): ,Du sollst dich
hüten vor jeder bösen Sache' ! Also soll ein Mann kein schönes
Weib ansehen, selbst wenn es ledig ist, auch keia Eheweib,
selbst wenn es häßHch ist, (fol. 20 b) auch nicht die bmiten
Kleider eines Weibes, ebenso nicht den Begattungsakt von Esel
imd Eselin, Eber und Sau, oder von Geflügel, und wenn du
voller Augen wärst, wie der Todesengel." — 3) Berachoth 61a:
„Die Eabbinen haben gelehrt: Wer einem Weibe Geld in die
Hand zählt, um sie zu betrachten, wird dem HöUengerichte nicht
entgehen, und wäre er auch so reich an Thorah (Weisheit,
Gesetzeskunde), wie unser Lehrer Moses; denn es heißt (Spr.
Sal. 11, 21): ,Hand zu Hand bleibt Böses nicht ungestraft'
E. Jochanan (3. Jahrh. n. Chr.) hat gesagt: Lieber hiater einem
Löwen hergehen, als hinter einem Weibe" [Dasselbe Erubin 18 b
Mitte]. — 4. Erubin 18b oben: „Eab. Nachman (4. Jahrh.
n. Chr.) hat gesagt: Der Mensch gehe nicht auf der Straße
hinter einem Weibe her, nicht einmal hinter der eigenen Frau;
begegnet er ihr auf einer Brücke, so lasse er sie zur Seite aus-
Mt. 5, 27 f. 41
weiclien. Jeder, der hinter einem Weibe her durch einen Fluß
geht, hat keinen Teil am künftigen Leben". — 5. Sanhedrin
74b, 75a: „Rab Jehudah berichtet, Rab (starb 247 n. Chr.) habe
erzählt: Es begab sich einmal mit einem Menschen, der hatte
seine Augen auf ein "Weib gerichtet, sodaß sein Herz an Leiden-
schaft zu ihr erkrankte. Man holte Arzte und befragte sie.
Sie kamen und verordneten: Es gibt kein anderes Heilmittel für
ihn, als daß man sie ihm zum Beischlaf überläßt. Die Gelehrten
aber sprachen: So mag er lieber sterben, als daß man sie ihm
zum Beischlaf überlasse! (Die Arzte:) So soll sie sich (wenig-
stens) nackt vor ihn hinstellen! (Dagegen die Gelehrten:) So
mag er heber sterben, als daß sie sich nackt vor ihn hinstelle!
(Die Arzte:) So soll sie (doch wenigstens) hinter dem Bett-
vorhang (verborgen) mit ihm reden! (Hingegen die Gelehrten:)
So mag er lieber sterben, als daß sie hinter dem Vorhang mit
ihm rede!"
Was besagen diese Zitate nun in Wirklichkeit? Um so-
gleich bei dem letzten (5.) zu bleiben, so fällt es den Rabbinen
nicht im mindesten ein, ihr strenges Verbot damit zu motivieren,
daß das begehrhche Anschauen eines Weibes einem Ehebruch
gleichzusetzen sei. Die Rabbinen, die (Sanhedrin 75 a) den Fall
weiter diskutieren, Rab Jakob bar Iddi mid R. Simeon, behan-
deln nur die Frage, ob es sich hier um ein Eheweib oder eine
Ledige gehandelt habe. Im erstgenannten Falle wird das Verbot
deshalb sehr richtig befunden, weü es sich dann um wirkhchen
Ehebruch dm-ch reale Befriedigung der Lust gehandelt hätte,
falls der Concubitus gestattet worden wäre, oder mindestens um
Verleitung zu späterem Ehebruch nach der Gesundung, falls das
Nackterscheinen und das Zwiegespräch verstattet worden wäre
mid die physische Krankheit geheilt hätte. Jesus aber spricht
gar nicht von einem Ehe weihe (ti/'is' riB'X, escheth isch), sondern
von einem Weibe überhaupt {n^ü, ischschah, yuvacxa). — Im
Thalmud wird aber das rigorose Verbot der „Gelehrten" auch
in dem Falle, daß es sich um eine Ledige handelt, nicht (wie
bei Jesus) damit begründet, daß auch in diesem Falle die Be-
friedigung der sinnlichen Lust gleich vollendetem Ehebruch sei,
sondern Rab Papa meint nur, in dem Erfüllen des ärzthchen
Verlangens würde „eine Beschämung für die Familie des Mäd-
chens gelegen haben", die man vermeiden mußte; Rab Acha
bar Ika meint, man hätte es wegen des bösen Beispiels nicht
gestattet, keinen Präzedenzfall schaffen dürfen, „damit die
42 Mt. 5, 27 f.
Töchter Israels nicht in Unzucht ausarteten'"', da sonst diese
Krankheit und Heilmethode behebte Mode geworden wäre; die
Thalmudredaktoren fügen endhch noch sarkastisch hinzu, daß,-
selbst wenn man, um den zuletzt genannten Anstoß zu vermeiden,
dem Liebeskranken die Maid zur Ehe gegeben hätte, ihn dies
nicht auf die Dauer geheilt haben w^ürde, da schon Salomo sage
(Spr. Sah 9, 17): „Grestohlenes "Wasser schmeckt süß, und heim-
liches Brot ist lieblich." — Selbst wenn man aber annehmen
könnte (wozu indessen jedes Recht fehlt), der in obiger Anekdote
erwähnte Fall habe sich zu oder vor Jesu Zeit wirklich zuge-
tragen, sodaß er ihm bekannt gewesen sei, so würde er als
Grundlage für Jesu Wort passen, wie die Faust aufs Auge.
Jesus redet weder, wie die Kabbinen, von einer realen Befrie-
digung der Lust, noch von einem Liebesgespräch, noch vom An-
blick eines nackten "Weibes, sondern er verwirft schon das bloße
begehrliche Anblicken eines (bekleideten) "Weibes selbst m dem
Falle, daß das Weib ledig ist, also ein buchstäbhcher Ehebruch
sogar bei Fortschreiten des begehrlichen Gedankens zm* Tat
nicht stattfände, und während in diesem Falle die Eabbinen
jenes unkeusche Verlangen an sich gar nicht kritisieren, sondern
nur in seiner völligen oder halben Befriedigung eine Gefahr für
die „boni mores" sehen, ist es iür Jesus schon Gedanken-Sünde,
und zwar eine solche, die, selbst wenn sie Gedanken- Sünde
bleibt, dennoch dem tatsächlichen Ehebruch völlig gleichwertig
ist. Davon steht Sanhedrin 74b f. gar nichts!! — Auch die
Zitate 1 — 4 haben diese eben gezeigte Zuspitzung nicht. Sie
geben im allgemeinen an sich hochachtbare sittliche Anstands-
regeln. Zumeist handelt es sich dabei auch um Dinge, die schon
mehr sind als bloßes Anbhcken bei zufälHger Gelegenheit, näm-
lich vielmehr mn absichtliche Herbeiführung von Gelegenheit zu
möglichst langem begehrlichem Anschauen, indem der Begehrliche
absichtlich beim Geldzählen lange zögert, absichthch hinter dem
Weibe hertrollt, um sie zu beschauen, absichtlich ebendeshalb
ihr auf der Brücke in den Weg tritt, absichthch hinter ihr den
Muß dm^chschreitet, um ihre entblößten Beine zu sehen. Wenn
nun Jesus schon zufälliges begehrliches Anblicken dem vollendeten
Ehebruch gleichsetzt, die Rabbinen aber dieses Herbeiführen von
Gelegenheit zu begehrlicher Schau mit "Verlust der Sehgkeit
bedrohen, so kann man dennoch nicht diese Drohung als
schärfer bezeichnen; denn die Strafe des vollendeten bös-
wiUigen Ehebruchs ist doch nach Jesu Ansicht gewiß keine
Mt. 5, 27 f. 43
geringere \ und die von den Eabbinen aufgezählten Yergehungen
sind doch auch schwerwiegender, als das von Jesus erwähnte
einfache begehrliche Anblicken, sodaß, selbst wenn sie Schwereres
androhten als Jesus, dies nur dem schlimmeren Vergehen ent-
spräche. Der Richter, der für schweren Diebstahl eine höhere
Strafe auswii'ffc, als ein anderer für einfachen, urteilt nicht im
mindesten „schärfer" als jener. Nicht „schärfer" ist es jeden-
falls, wenn das Hinblicken auf die Ferse eines "Weibes^ als
Grund für das Erhalten ungeratener Kinder bezeichnet wird,
während Jesus in dergleichen vollendete Ehebruchssünde sieht;
dort nur eine unangenehme Folge, hier Verurteilung ob schwerer
Schuld! Also a) weder „dieselbe" Mahnung, b) noch „in schär-
ferer Form", c) noch aus derselben oder früherer Zeit, wie Jesus
und das Ev. Matthäi!
Ich gehe nun noch auf einige andere ähnliche Sentenzen
ein, von denen 1) und 2) Lightfoot u. a. bereits zu imserer Stelle
namhaft gemacht haben'".
1) Schabbath 64b: „Rab Schescheth (Ende des 3. Jahrh.
n. Chr.) sagte*: . . , Jeder, der (auch nur) den kleinen Finger
eines "Weibes lüstern anblickt, ist so, als hätte er ihre Scham
angeschaut." (Dasselbe Berachoth 24a.) — 2) Kallah (Anfangt):
„Jeder, der ein "Weib begehrlich anblickt, ist so, als hätte er sie
beschlafen". (Hierauf folgen die ähnlichen Aussprüche dreier
Rabbinen des 3. Jahrh. n. Chr.) — 3) Le-siticus rabba c. 23
gegen Ende (vgl. Pesiktha rabbathi c. 24 Anf. (= fol. 124 a ed.
Friedmann): „R. Simeon ben Lakisch (3. Jahrh. n. Chr.) sagte:
Sage nicht, daß nur der Ehebrecher heiße, der mit seinem Leibe
1 Vgl. V. 29, wo auf der Augensünde Höllenstrafe steht. Man
darf liier nicht Jesu Verhalten der vor ihn gebrachten Ehebrecherin
gegenüber in Betracht ziehen. Denn erstens handelt es sich
dort (Joh. 8 , 1 ff.) um einen Zusatz , den keine alte Hs. hat,
zweitens ist die Ehebrecherin als reuige Verführte geschildert, die
Jesus nicht richten will, weil die heuchlerischen Tugendbolde allzu-
schnell zum Richten bereit sind. || ^ Wenn man dies gar mit R. Simeon
b. L. als Hinblicken auf die Scham auffaßt, so wird die Pointe ganz
abgestumpft, und die angedrohte Folge erscheint noch weniger schwer
und hart. H ^ Vgl. auch zu 1) meinen Thalmudkatechismus, S. 56, wo
jedoch statt „ Kleidsaum " (Nedarim 20a) , Ferse" zu lesen ist und statt
, Schabbath SSb" vielmehr „64b". || * rtit:;? V^'^iji^. ^3ROJ2n-^3
."Smnn Dip03 ^SnOD -iVkb riti'i<-^a'" II ^ So zitiert' wegen der ver-
44 Mt. 5, 27 f. 29 f.
ehebricht; sondern schon der, welcher mit seinen Augen ehe-
brichtj heißt Ehebrecher^."
Alle drei Sentenzen sind beträchthch später als Jesus und
das Ev. Matthäi; die beiden erstgenannten zeigen auch nicht
die scharfe Zuspitzung von Mt. 5, 28, daß lüsternes Anschauen
eines Weibes ethisch gleich vollendetem Ehebruch sei. In
R. Simeon ben Lakisch's Ausspruch klingt der Grundgedanke
des Wortes Jesu wieder; indessen muß man sich vergegen-
wärtigen, daß dies nicht die offizielle Ansicht der Rabbinen über
den Ehebruch ist. Diese sieht nicht einmal in jeder fleisch-
lichen Vermischung mit einem fremden Eheweibe einen Ehe-
bruch, sondern (Sanhedrin 52 b) „die Rabbinen haben gelehrt:
(Mit den Worten^ 3. Mose 20, 10) ,ein Mann' ist ausgenommen
ein Unmündiger, (mit den Worten) ,der ehebricht mit einem
Eheweibe'' ist ausgenommen das Weib eines Unmündigen, (mit
den Worten) ,mit seines Nächsten Weibe' ist ausgenommen das
Weib eines NichtJuden." Nach dieser juristischen (nicht ethischen)
Abschwächung des mosaischen Gebots ist also straflos 1) jeder
Ehebruch eines Unmündigen („Ejiaben"), 2) der Ehebruch mit
der Erau eines Unmündigen seitens eines Erwachsenen oder
anderen Unmündigen, 3) ebenso der Ehebruch mit der Frau
eines NichtJuden, und selbst der Ehebruch mit der Frau eines
erwachsenen Juden zieht nicht gerichtliche Todestrafe nach
sich, sondern nach Sanh, 82 a die Gefahr* der Ermordung durch
„gesetzeseifiige Leute" ^. Eine rabbinische „Quelle" ist also auch
für Mt. 5, 27 f. nicht nachweisbar.
Mt. 5, 29 f. Ärgert dich dein rechtes Auge, . . . deine
rechte Hand. — Hierzu zitiert Hamburger (a. a. 0.) als „ähn-
scMedenen Foliierung dieses Traktats; Liglitfoot, Nork u. andere falsch
" \^ ._. "V T • : TT- : T • : ..-;.- t'
1 [-iV'sis;] i^xU K"ii?J iBiJ3 [?ixij] x-int^' 'o-73ti? n^xn iib
P]XiJ i^lp.^ "l'^'V.^ (^^^- Bäclier, Ägada der pal. Am. 1, 360, Anm. 4, wo
übrigens -nj zu lesen ist und die Behauptung, daß dem Ausspruch des
R. S. h. L. im bab. Thalmud, Joma 74b — nty>s*n D'J'V riN'lÖ 31ti
njyyö b^ ISI^D im' — der gleiche Gedanke zugrunde liege, unklar
bleibt). 11 2 ^,Ein Mann, der die Ehe mit einem Eheweibe (iy>j< ntZ/j^)
bricht, soll des Todes sterben, weil er mit seines Nächsten Weibe die
Ehe gebrochen hat." || ^ Nach jer. Peah zu 1, 1 waren sogar „betreffs
des Götzendienstes und des Ehebruchs R. Jonah und R. Jose (4. Jahrh.)
verschiedener Meinung, ob diese unter die leichten oder schweren
Sünden zu rechnen seien".
Mt. 5, 29 t. 45
liehen talmudischen Sprucli" j. Berachoth zu I, 4, fol. 3c:
„B,. Levi (Ende des 3. Jalirh. n. Chr.!) hat gesagt: Auge und
Herz sind Mittler (Vermittler) der Sünden; denn das Auge sieht
und das Herz gelüstet," Ganz abgesehen von der späteren Zeit
des Rabbi Levi ist die Ähnlichkeit seines Ausspruchs mit unserer
Stelle doch nur eiue sehr flüchtige. Yor allem ist im Jeru-
schalmi mit keinem Worte von dem Ausreißen des sündigen
(streng genommen des kupplerischen) Auges die Bede, dem ja
sonst auch ein Ausreißen des Herzens entsprechen müßte. Es
heißt vielmehr a. a. 0. weiter: „Darum spricht Gott (Spr.
Sal. 23, 26): ,Gib mh', mein Sohn, dein Herz, und deine Augen
sollen auf meine Wege achten', d. h. wenn du mir deine Augen
und dein Herz weihst, so weiß ich, daß du mein, bist." Auge
und Herz sind hier Metonyma für Empfindung (Wahrnehmung)
und Wollen, und es ist von der sanctificatio dieser seelischen
Funktionen, nicht von der amputatio körperhcher Organe die
Bede, wie Jesus dies in wörtlichem Sinne fordert für den Fall,
daß diese Organe fortgesetzt sündhaftem Beginnen dienen. —
Etwas besser paßt (zu v. 30) die zweite Parallele Ham-
bm-gers: Niddah 13 a (hes: 13b): „Babbi Tarphon (Ende des
1., Anf. des 2. Jahrh. n. Chr.) hat gesagt: Die Hand, (die)
nach dem SchamgHede (greift), soU am Nabel abgehauen werden,"
d. h. so weit, als sie bis unter den Nabel gegriffen hat, also
nicht nur die Hand, sondern eventuell der ganze Unterarm.
Der Grund davon ist, wie die Kommentare richtig angeben, weil
eine solche Berührung, selbst wenn sie ohne unzüchtige Absicht
geschieht ^, leicht einen wollüstigen Beiz und eventuell Pollution
herbeiführe. Jesus spricht von unzüchtiger Tat der Hand über-
haupt und hat, wenn man eine spezielle Beziehung suchen will,
dem Zusammenhange nach in erster Linie wohl unzüchtige Be-
rührung eines Weibes im Sinne ^. Eine Ahnhchkeit des Ge-
dankens ist unstreitig da, nicht aber eine Abhängigkeit Jesu
^ Niddali 13a heißt es in der Mischnah: „Bei Weibern ist die Hand,
die untersucht, ob etwa Menstrualblut sich zeige, löblich; bei Männern
aber soll die Hand, die am Schamgliede nachspürt, ob vielleicht infolge
nächtlicher Pollution oder (sonst) zufällig Samen ausgetreten sei, abge-
hauen werden." 1| ^ Vgl. Mt. 18, 8: „So aber deine Hand oder dein
Fuß dich ärgert, so haue ihn (sie) ab und wirf ihn (sie) von dir" usw.
Dazu vgl, die spätere Thalmudäußerung (Niddah 13 a, vor dem Aus-
spruche E. Tarphons) : „Im Hause des R. Ismael (Ahf. des 2. Jahrh. n. Chr.)
wurde gelehrt: Es heißt ,Du sollst nicht ehebrechen', gleichviel ob die
46 Mt. 5, 29 f.
von den Rabbinen. — Die Ähnlichkeit wird noch größer, wenn
ydr das im Thalmud Folgende in Betracht ziehen: (Niddah 14a)
„Da fragten ihn die Grelehrten: "Wenn ihm nun ein Dom in
den Unterleib (die Schamgegend) gedrungen ist, soll er ihn da
nicht herausziehen (dürfen)? Er antwortete: Nein! Sie sagten:
Da kann ja sein Leib (des Dornes wegen) zerspalten werden
(zugrunde gehen)! Er erwiderte: Es ist besser, daß sein Leib
zerspalten werde, als daß er in die Grube des Verderbens hinab-
steige" — und dazu die ausführlichere Parallele unsres Jesu-
Wortes in Mt. 18, 8 ff. herbeiziehen: „So aber deine Hand oder
dein Fuß dich ärgert, so haue ihn (sie) ab und wirf ihn (sie)
von dir. Es ist dir besser, daß du zum Leben lahm oder ein
Krüppel eingehest, denn daß du zwei Hände und zwei Füße
habest und werdest in das ewige Feuer geworfen". Daß tat-
sächhch R. Tarphons Ausspruch (und ebenso die in der Anm.
zitierte Ansicht der Schule R. Ismaels) das Sekundäre, Jesu
Wort aber das Primäre ist, dafür spricht außer der späteren
Zeit, aus der jene rabbinischen Sentenzen überliefert süid, auch
noch der Umstand, daß Jesus eine zwar sittlich ungemein rigo-
rose Forderung stellt, nämlich wirkHches Ausreißen des sich an
Verbotenem weidenden Auges (Mt. 5, 29; 18, 9), Abhauen der
Sünde übenden Hand und des zur Sünde wandelnden Fußes
(Mt. 5, 30; 18, 10) — aber eine Forderung, die an sich möglich
ist, da der einzelne sie freiwillig ausführen soll. R. Tarphons
Ausspruch hingegen („soll abgehauen werden") fordert ein ge-
richtliches^ oder jedenfalls von anderen zu bewirkendes Ab-
hauen als Strafe; dazu hatte aber das schon 40 Jahre vor der
Tempelzerstörung seiner Kriminalbefugnisse entkleidete jüdische
Gericht keine Befugnis mehr, und wenn statt dessen etwa ein
„Eiferer" (Gesetzeseifriger, Zelot) sich diese Befugnis anmaßte,
so war das auch nach thalmudischem Recht eine grobe Körper-
verletzung. Daher macht sich auch (Niddah 13 b) im Gegensatze
zu seiner Ansicht die Anschauung geltend, es sei damit kein
„vom Richter zu bewirkendes Abhauen" gemeiat, sondern es handle
sich nur um „eine Verwünschung, d. h. es wird einer solchen
unzüclitige Handlung mit der Hand oder mit dem Fuße begangen wird."
Damit ist nacli den Auslegern gemeint, daß auch die vorbereitenden
Handlungen, wie das Entblößen oder Anfassen der Schamteile, ja schon
das Hingehen zum Weibe behufs der Tat verboten sei.
1 So wird es Niddah 13b ausdrücklich erklärt!
Mt. 5, 29 f., 31 f. 47
Hand gewünscht, daß sie abgehauen würde". Daß eine Sentenz,
deren Ausführung, weil vom freien sitthchen "Wollen abhängig,
möglich ist, m^sprünglicheren Charakter trägt als eine Sentenz,
die tatsächlich nur eine ethische Hyperbel enthält, dürfte jedem Un-
befangenen einleuchten. Auch die Form der ethischen Antithese
zeigt bei Jesus ursprünglicheren Charakter, Hier der einfache
und vollkräftige Gegensatz: Besser ein Krüppel und selig, als
heilen Leibes und der Hölle verfallen; bei B,. Tarphon gekünstelter
und abgeschwächt; Besser, den rettenden Handgriff unterlassen
und daran sterben, als durch ihn eine sündenverdächtige Hand-
lung begehen und dadurch zwar dieses Leben retten, aber nach
dem Tode dem Verderben anheimfallen, — Es ist dir besser.
Nork zitiert nach Jalkut Bubeni (also einem sehr späten Midrasch)
zu Gen. 38, 26 einen angebUchen Ausspruch des Patriarchen
Jehudah (um 200 n, Chr.): „Besser ist mir's {'^ mts), daß ich in
dieser Welt vom Feuer verzehrt werde (x'Sü J^a^'is'n), welches
nm- ein geringes ist im Verhältnis zum ewigen Feuer, dem viel
gefräßigeren ■ (x^DX i<tJ"h'a).'* Sinn: Besser, von starkem Feuer
in dieser Welt leiden, als vom fressenden Feuer der Höhe. —
Was hiermit bewiesen werden soll, bleibt unklar. Daß der min-
destens 4 Menschenalter später als Jesus lebende Rabbi nicht
dessen „Quelle" sein kann, ist ebenso klar wie, daß sein Aus-
spruch nur eine vage Ähnlichkeit mit Mt, 5, 29 f. besitzt. Daß
aber die Phrase "]ö ["im''] "ib mto oder l^b 211D (es ist [wäre] für
dich, für mis besser, als , , ,) schon vor Jesus in Gebrauch war,
ist erstens etwas ganz Natürliches, zweitens jedem Leser von
2, Mos, 14, 12 oder 4. Mos. 14, 3 usw. bekannt.
Mt. 5, 31 f. Der macht, daß sie die Ehe bricht.
Der bricht die Ehe. Vgl. Mk. 10, 4! — Von der rabbini-
schen Satzmig, die das Ehebruchsverbot mildert und damit der
Unkeuschheit Spielraum gewährt, wendet sich Jesus zu der
rabbinischen Erleichterung der Ehescheidung, worin er nicht nm^
ein Nachgeben gegenüber unkeuschen Motiven, sondern eine
direkte Beförderung der Unkeuschheit erbhckt.
Man hat ganz richtig bemerkt, daß Jesus sich mit v. 31
nicht gegen das mosaische Gebot 5. Mos. 24, 1 ^ wende, sondern
1 5. Mos, 24, 1: „Wenn ein Mann ein Weib nimmt und eheliclit
sie, nnd sie nictt Gnade (Wolilgefallen) findet vor seinen Augen, weil
er etwas Schändendes ("i:3'^ HI'IV „pudendum verbi" oder „rei") an
ihr gefunden hat, so soll er ihr einen Scheidebrief schreiben und in
48 Mt. 5, 31 f.
gegen dessen erleichternde Auslegung durch die hier in der Praxis
maßgebende Schule Hilleis, die auch ohne schwerwiegenden
Grund die Ehescheidung dem Manne erlaubt (s. u.). Demnach
ist der Sinn von v. 31: Nach rabbinischer Satzung braucht der
Mann, der sich von seiner Frau scheiden wül, nur die gesetz-
liche Formahtät zu erfüllen, daß er ihr den Scheidebrief (tsa, get)
überreicht, und damit basta; triftige Gründe sind nicht vonnöten.
— Die strenge Ansicht Jesu dem gegenüber erklärt man (so
z. B. Hamburger a. a. O. und andere) gewöhnlich als einfache
Adoption des Standpunkts des B,. Schämmai (des Antipoden
Hillels), der nur Ehebruch der Frau als Scheidungsgrund gelten
ließ, während die Schule Hilleis es als Scheidungsgrund schon
ansah, wenn die Frau eine für den Gatten bestimmte Speise
habe anbrennen lassen^! Indessen nur ganz oberflächliche Be-
trachtung kann Jesu Ansicht mit der Schammais identifizieren.
Daß bei Ehebruch geschieden werden darf, darüber ist nicht nur
ihre Hand geben und sie aus seinem Hause gehen lassen." (tJ^'^i^ rij?'' "'S
sriDi "on nny nn i^iJö '3 TJ'ya m-i^üDn i<^-DK n\-n n^yni nty"i<
-t: TT -:v T TT • T*^:'" t;. • tt: tt- : t ,-
(1n^3D nnPB'i m^a inji nnns iso ""?
\ ... T . . . TT : ' — t: •.. • : -.• •• T
1 Der Klarheit halber gebe ich hier die thalmudische Stelle
ausführlich. — Gittin 90a: (Mischnah.) „Die Schule Schammais sagt:
Ein Mensch darf sich von seinem Weibe nicht scheiden, es sei denn,
daß er bei ihr etwas Schandbares (eine schändliche Tat) gefunden,
weil es heißt (5. Mos. 24, 1) : ,Denn (^D) er hat etwas Schändendes
(1D1 miy) an ihr gefunden.' Die Schule Hillels aber sagt: Selbst
wenn sie ihm sein Essen hat anbrennen lassen, weil es heißt: ,Wenn
('3) er etwas Schändendes an ihr gefunden hat' (Gemara.) Es
ist gelehrt worden: Die Schule Hillels sagte zur Schule Schammais:
Ist denn nicht längst (schon von Mose) gesagt worden , etwas' (iDü)?
Die Schule Schammais erwiderte: Ist denn nicht längst gesagt worden
,etwas Schändendes' ("izil n]"iy)? Die Schule Hillels erwiderte:
Wenn es nur hieße ,Schändendes' m"!y und nicht ,etwas' (Schän-
dendes ; "lin hinzugefügt !) , so würde ich sagen , es bedeute , daß
sie wegen nny, (einer schandbaren Tat) geschieden werden müsse,
wegen '^21 (eines Wortes oder ,etwas') nicht. Wenn es aber nur
hieße , etwas' (im) aber nicht (hinzugefügt wäre) , Schändendes', so
würde ich sagen, daß wegen "|31 (eines Wortes oder ,etwas' als Schei-
dungsgrund) ein andrer sie (nach der Scheidung) heiraten dürfe, wegen
rmy (wenn etwas wirklich Schändendes Scheidungsgrund wäre) aber
nicht. — Wie erklärt nun die Schule Schammais (den Zusatz) "jül ?
(Sie sagt:) Hier heißt es "I2'n und 5. Mos. 19, 15 heißt es ebenfalls
121 (,Auf dem Munde [der Aussage] zweier oder dreier Zeugen soll [in
Mt. 5, 31 f. 49
Schammai mit Hillel und Moses, sondern das ganze Altertum
und größtenteils auch die Neuzeit eiaig. Das aber, was Jesus
im Gegensatze zu allen andern, auch zu Schammai, betont, ist
nicht, wie Hamburger (RE Suppl. III, 56) meint, daß im übrigen
„die Ehe zwischen Mann und Weib unlösbar" sei, sondern, daß
jede nicht wegen Ehebruchs erfolgende Scheidung denGeschiednen
und die Geschiedene sofort zu Ehebrechern macht, wenn sie
sich anderweit verheiraten \ und daß dann folgerichtig die neuen
Ehegatten der Geschiedenen in dieselbe Sünde verstrickt werden.
Die Möghchkeit zu dieser mindestens zweifachen, eventuell vier-
fachen Sünde wird durch die Ehescheidung bewirkt, und darum
ist jede Ehescheidung, die nicht wegen Ehebruchs erfolgt^,
als Anbahnung von Ehebruchsünde verwerfHch. Davon
ist weder bei Schammai, noch sonst bei den ßabbinen etwas
zu finden. Jesus kann also nicht — wie noch heute auf großen
und kleinen Kathedern gelehrt wird — den Kernpunkt seiner
Scheidungslehre von Schammai haben.
Kriminalfällen] die Sache [das "Wort, 121] bestehen'). Wie dort zu
verstellen ist ,eine Sache [Wort], die durch zwei Zeugen bewiesen ist',
so auch hier. ((Es ist also hier eine kriminelle Tat, z. B. Ehebruch,
gemeint.)) Die Schule Hillels entgegnete: Steht denn geschrieben:
jSchändendes infolge eines (Zeugen-) Wortes' (ims m"lV)? Die Schule
Schammais replizier{e: Steht denn geschrieben (wie es nach eurer Aus-
legung scheinen könnte): »Entweder Schändendes oder ein Wort'
"in iK miy is)? Die Schule Hillels entgegnete: Eben darum steht
geschrieben: »Schändendes eines Wortes' (oder ,etwas Schändendes',
beides nebeneinander); dies bedeutet: ,Aus beiden Grründen' (nämlich
wegen einer Schandtat und wegen ,etwas', d. h. aus irgend einem
anderen Grunde)." — — Später wurden im Sinne Hillels noch andere,
ebenso leichtfertige Scheidungsgründe angeführt, so z. B. von R. Akiba:
„Wenn der Mann ein schöneres Weib sieht" (Gittin, Mischnah 1. c), was
er aus dem Worte 'jn (Wohlgefallen, in 5. Mos. 24, 1) beweist; von
anderen: „Wenn die Frau auf der Straße ißt oder den Hals auf der
Straße hoch reckt" (Gittin 89 a); „wenn der Mann seine Frau nicht mehr
leiden kann" (Gittin 90b) usw. Vgl. Kethuboth VEl (70a— 77b).
^ Da nach v. 28 schon wollüstiges Begehren == Ehebruch ist, könnte
man (mit Lightfoot p. 278) vielleicht auch daran denken, daß gemeint
sei, der sich vom andern Teile scheidende Ehegatte verleite jenen da-
durch nunmehr zu außerehelicher Hurerei, die mithin ebenso schlimm
wie Ehebruch sei. Da dies indessen auch für die Scheidung bei Ehe-
bruch gälte, halte ich die Erklärung für zweifelhaft. |1 ^ Bei Ehebruch
ist Wiederverheiratung des schuldigen Teiles (d. h. der Frau, da ja
Bisclioff, Jesus u. d. Rabbinen. 4
50 Mt. 5, 31 f.
Nocb. viel weniger als die in der Praxis übrigens nicht
anerkannte Lehre Schammais bietet „die jüdische Gesetzespraxis"
oder „das thalmudische Schrifttum" überhaupt hier auch nur
Ahnhches, geschweige denn „Quellen", wie Hamburger glauben
machen möchte. Nur zwei Stimmungsworte (keineswegs Gesetzes-
normen) thalmudischer Gelehrter, und zwar erst aus dem 2. Jahr-
hundert nach Chr., vermag er anzuführen — und diese bieten
kaum eine entfernte allgemeine Ähnlichkeit mit Jesu Worten!
Hamburger zitiert Gittin 90b (ich gebe diesmal seine Über-
setzung nebst den nötigen Berichtigungen): „B,abbi Jochanan
sagt: Verhaßt bei Gott [lies: ,angefeindet' ohne ,bei Gott' oder
dgl.] ist der, welcher sich von seinem Weibe scheiden läßt"
[wörthch: ,sein^Weib fortschickt']. — „Rabbi Eleasar sagt: Wer
sich von seiner [ergänze: ,ersten'] Frau scheiden läßt [scheidet],
auch der Altar vergießt über ihn [lies : ,über den vergießt selbst
der Altar'] Tränen" laut Maleachi 2, 13 f. — Die an sich schon
blasse Ähnlichkeit dieser Aussprüche mit Mt. 5, 31 f. wird noch
durch den Umstand abgeschwächt, daß es sich laut den weiteren
Erörterungen der angeführten Thalmudstelle bei beiden Rabbinen
nur um die Scheidung von der ersten Erau handelt ^ während
sie hinsichtlich der Trennung von der zweiten Frau mit E,. Jehudah
(Ende des 2. Jahrh. n. Chr.) übereinstimmen, der im Anschluß
an Mal. 2, 16 sagt: „Wenn du ihr (d. h. der zweiten Fi'au)
gram bist, so schicke sie fort" (Gittin 90 b), also diese Ehe-
scheidung, deren Motiv doch ethisch immerhin bedenklich ist'',
billigt! Auch jene erste Scheidung wird keineswegs (wie bei
Jesu eine jede) verworfen oder direkt getadelt, sondern nur
nach jüdischem Recht nur diese inbezug auf den Gatten ehebricht) ge-
setzlich ausgeschlossen, sodaß also die Frau nicht im Sinne von Mart.
10, 4 zur ,, Ehebrecherin" durch neue Heirat werden kann.
1 Diese Scheidung wird als bedauerlich angesehen, weil es Mal. 2, 15
heiße: „Und verachte keiner das Weib seiner Jugend." || ^ Ich ver-
kenne nicht, daß — wie auch Lightfoot p. 273 andeutet — die Er-
leichterungen der Ehescheidung den praktischen Zweck hatten, für
den Fall, daß einer seines Weibes überdrüssig geworden war, Ehebruch
des Mannes (worauf ja nach 3. Mos. 20, 10, falls er mit einem jüdischen
Eheweibe geschah, ursprünglich der Tod stand) oder schlechte Behand-
lung, eventuell gar Tötung der lästig gewordenen Frau zu verhüten.
Sittlich indessen ist diese Konnivenz kaum mehr wert, als wenn man
jemandem das Rauben gestatten wollte, damit er keinen Raubmord zu
begehen brauche.
Mt. 5, 31 f. 51
bedauert. Rabbi Jochanaii bedauert die Lösung der ersten
Ehe, weil der Mann sich dadurch Anfeindung (ob bei Gott, den
Leuten oder der Frau, steht nicht da) zuziehe, und auch
E. Eleasar läßt den Altar lediglich sehi Bedauern über das be-
trübliche Yorkommnis kundgeben^.
Yon dem spezifischen Gedanken Jesu — Ehescheidung ist
Anbahnung von Ehebruch — hören wir weder hier noch sonst
im „thalmudischen Schriftum" etwas. Eine neue Ehe wird
keineswegs (wie bei Jesu) als „Ehebruch" bezeichnet, ■ sondern
ledighch deshalb für bedenklich erachtet, weil die Erinnerung
an die erste Ehe (trotz allem etwa in ihr Vorgekommenen) doch
•das neue Eheglück trüben könnte. Die Babbinen zeigen sich
hier nicht als ideale Ethiker, sondern als praktische Menschen-
kenner, ähnhch wie Goethe im Faust die mannsüchtige Marthe
Schwertlein trotz ihrer schlechten Erfahrungen mit dem ersten
Gatten zu dem vermeintlichen zweiten Freier sagen läßt: „Ach
Gott, wie doch mein Erster war, find' ich so leicht wohl keinen
andern." So heißt es Pesachim 112a: „E,. Akiba (Anf. 2. Jahrh.
n. Chi\) hat gesagt: Koche nicht in -dem Topfe, in dem (schon)
dein Nächster gekocht hat -. "Was ist das? Laß dich nicht mit einer
Geschiedenen bei Lebzeiten ihres Mannes ein. . . . Und wenn du
willst, sage ich, daß dies sogar in bezug auf eine Witwe (bezw.
verwitwete Geschiedene) gilt, weil nicht alle Finger gleich sind."'
Für den noch schwereren Fall, daß ein Geschiedener eüie Ge-
schiedene heiratet (wo Jesus 2 — 4 ehebrechende Personen kon-
statiert, s. ob. S. 49), hat Akiba a. a. 0. nur den derben Yolks-
witz bereit: „Es heißt, wenn ein Geschiedener ein Geschiedene
heiratet, so sind vier Sinnesarten in einem Bette" — d. h. an
■der Seite seiner neuen Gattin denkt der wiederum Yermählte
vergleichend an sein erstes Weib, die neue Gattin an ihren
firüheren Mann. Wie flach, ja nahezu obszön erscheint diese
•Gassenweisheit neben den ethischen Höhengedanken Jesu über
■denselben Gegenstand! — Sogar der ganz krasse Fall, daß
^ Der Anschauung von dem über diese Sclieidung weinenden Altar
liegt die Volkssage zugrunde (Genesis rabba c. 14), daß Adam (und
damit implicite die von seiner Rippe stammende Eva) aus derselben
Erde wie der Altar gemacht worden sei. Wie Adam und Eva damals
noch „Ein Leib" waren, sollen es alle Ehegatten sein. Wenn sie sich
scheiden, weint der Altar, als würde seine Erde gespalten, aus der einst
das erste Ehepaar hervorging. |1 ^ Der „Topf" bezeichnet den weib-
lichen Schoß, der „Finger" weiterhin das männliche Glied.
4.*
52 Mt. 5, 31 f. 38 ff.
einer sich von seiner Frau scheidet, sie dann wieder heiratet,
sich dann nochmals von ihr scheidet und sie endhch zum dritten
Male zum "Weibe nimmt ^, wird Pesachim 113 b lediglich als
„unerträglich für den Verstand" d. h. als unbegreiflich bezeichnet.
— Wer angesichts dieser Tatsachen noch von einer Abhängig-
keit Jesu von rabbinischen Anschauungen redet, scheint mir das
NT entweder nicht verstehen zu können oder aber nicht ver-
stehen zu wollen.
Mt. 5, 33 ff. Bekaimthch unterschieden die Eabbinen sach-
lich^ zwischen einem gerichtlichen Eid und einem spontanen
Schwur, der mehr den Charakter eines Gelübdes {T}}) trug, ein
„Sich-hoch-imd-teuer-verschwören" war. Der Gerichtseid ^ hatte
zumeist die Form der „Beschwörmig", des Veranlassens zum
Schwören {V^^'T}): „Ich beschwöre dich bei (z. B. ,dem leben-
digen Gott' 'vgl. Mt. 26,63, sowie Schebuoth IV, 3 =fol. 35 a),
daß" (dies so und so ist) — worauf der so Angeredete „Amen"
sagte. Der spontane Schwur lautete entweder a) wie häufig in
der Bibel: „Gott tue mir dies und das, wenn ich nicht" (das
und das tun werde; oder: getan habe; oder: wenn ich dies
getan habe usw.) ; b) „Schwur, daß . . .", so z. B. üi dem ersten
Kapitel der Mischnah Schebuoth; c) beteuernd: „Beim lebendigen
Gott, beim Himmel" usw. Wie femer bekannt ist — wer es
nicht weiß, lese Z. Frankeis treffhche „Eidesleistung der Juden"
(Dresden u. Leipzig 1840) — wurde im Gegensatz zu der Vor-
^ Diese Art der Wiederverheiratung mit seiner gescliiedenea Frau
war dem Manne erlaubt; nur in dem Falle war solche Wiederverheiratung
verhüten, wenn (vgl. 5. Mos. 24, 2fi.) die Geschiedene inzwischen einen
anderen Mann geheiratet hatte und diesen wieder durch Scheidung oder
Tod verloren hatte. Ein Gegenstück bietet hierzu bekanntlich der
Koran, der (Sure, 2, 230) zwar zweimalige Scheidung von derselben
Frau gestattet, für ein drittes Ehe Verhältnis mit ihr jedoch die Vor-
bedingung stellt, daß sie inzwischen einen anderen Mann geheiratet hat
und von diesem wieder geschieden (oder durch seinen Tod getrennt)
worden ist. Vgl. meinen „Koran", Leipzig 1904, S. 101 f. und 106. \\
- Sprachlich wurde hier zumeist nicht zwischen beiden Gruppen unter-
schieden, sondern für beide der Ausdruck nV'liStJ' gebraucht, so z. B. im
Traktat Schebuoth; doch wird annähernd dasselbe, was von dem spon-
tanen Schwur gilt, im Traktat Nedarim über das Gelübde (T7J) er-
örtert. 11 ^ Einen „Zeugeneid" in unserem Sinne, d. h. die feierliche-
Beteuerung seitens eines Zeugen, daß etwas sich so oder so verhalte,
bezw. zugetragen habe, gab es bekanntlich im jüdischen Rechte nicht,.
Mt. 5, 33 ff. 53
sieht bei gerieMlielier Eidesabnahme schon in alter Zeit bei den
Juden mit den gelübdeartigen Beteuerungen (Schwüren) viel
Mißbrauch getrieben, nicht sowohl hinsichtlich der Eichtigkeit
oder Möglichkeit des Beteuerten, als hinsichtlich des aUzu häufi-
gen Beteuerns bei jeder Gelegenheit Die Rabbinen selbst ge-
brauchen zur Bekräftigung oft ziemlich belangloser Behauptungen
häufig solche Schwüre, wie: „Beim Himmel, so ist's" (du
hast recht; Nasir 66a, Berachoth 55a, ähnHch Thaanith 18a);
„bei diesem Gotteshause" (Kethuboth 27 b, Baba bathra 166 a,
Kerithoth 25 a); „beim Tempel" (Kidduschin 71a); „beim Tempel-
dienst" (Thaanith 24a, Baba bathra IIa). Außerdem wurde"
so beteuernd geschworen: „Bei Himmel und Erde" (Sche-
buoih IV, 13, wo ausdrücklich bemerkt wird, daß diese Formel
bei gerichtlichen Beschwörungen nicht gültig ist); „bei Jeru-
salem" (Thosaphtha Nedarim c. I); „beim Leben meines
Hauptes" (Sanhedrin III, 2), beim Altar und den verschie-
denen Opferutensihen (Thosaphtha 1. c.) usw. \ Gegen diese Un-
sitte überflüssigen Beteuerns bei Gott und ihm geweihten Dingen
wendet sich Jesus; hierauf bezieht sich das „aUerdinge nicht"
[= durchaus nicht], keineswegs aber auf den gerichthchen Eid"^.
sondern nur die durcli „Amen" (auf vorherige „Bescliwörung") erfolgende
Versicherung, daß man hierüber wirklich etwas auszusagen wisse oder
wirklich nicht wisse. Ebenso kannte das jüdische Recht keinen pro-
missorischen Eid, also z. B. auch keinen Untertanen- oder Amts-Eid,
wohl aber ein promissorisches Gelübde, das manchmal als Schwur ein-
gekleidet wurde, z. B. „ich gelobe (schwöre), daß ich das und das nicht
essen werde" usw.
^ „Fußschemel von Gottes Herrlichkeit" nennt 95 n. Chr. (vor
Rom) R. Gamliel II. den Tempel zu Jerusalem (Sifre zu 5. Mos. § 48;
Makkoth 24a). \\ - Trotzdem ist es aber unrichtig zu sagen, Jesus habe
den. gerichtlichen Eid dadurch sanktioniert, daß er laut Mt. 26, 63 f.
selbst gerichtlich geschworen habe, indem er auf die „Beschwörung"
seitens des Hohenpriesters zustimmend geantwortet habe. Erstens nämlich
wäre eine solche Beschwörung (d. h. ein Schwörenlassen, Reinigungseid)
eines kriminell Beschuldigten ein Unding nach jüdischem Rechte, und
zweitens hätte Jesus, um überhaupt gerichtlich zu schwören, auf die
Beschwörung ordnungsgemäß mit „Amen" antworten müssen. Statt
dessen sagt er „]Su clTra;", was entweder (Dalman, S. 254) so viel wie
„Du hast recht" bedeutet und in seiner Schlichtheit einen markanten
Gegensatz zu der hochfeierlichen (aber außergerichtlichen) Aufforderung
des Hohenpriesters bildet, sich über seine Messianitäfc und Gottessohn-
schaft zu äußern — oder besagen will (worauf mir das scharf betonte
54- Mt. 5, 33 ff.
Allerdinge [durchaus] nicht schwören. Hierzu zitiert
Lightfoot (p. 281) die Yorschrift Dammai III, 2, daß der Mensch
„es nicht übertreibe mit dem Geloben (Beteuern) und dem
Lachen." Das ist gegenüber Jesu absolutem Verbot des „Sich-
verschwörens" (schwurartigen Beteuerns) nur eine relative Mah-
nung; wie beim Lachen wird auch hier nur die allzuhäufige
und starke Anwendung abgeraten. Ahnlich heißt es JSTedarim 20a:
„Gewöhne dich nimmer an Gelübde, sonst leistest du schließ-
lich falsche Eide", was ein gelegenthches schwurartiges Beteuern
bei Gott oder heihgen Dingen nicht ausschließt, falls man hier
„Gelübde" überhaupt im Sinne solcher Beteuerungen nehmen
wilF. — Ein einziges Haar usw. Den von Nork (S. 37)
zitierten „Sepher Basiel Ha-gadol", ein mittelalterhches kabba-
listisches Buch, das diesen Ausspruch fast wörtlich wiederholt,
brauche ich als „Quelle"' wohl nicht erst abzuweisen. In der
andern angeblichen „Quelle" (Lev. r., c. 19) heißt es: „R. Alexan-
drai (Mitte des 3. Jahrh. n. Chr.) sagte: Wenn sich alle
Menschen zusammentäten, irni einen Babenflügel weiß zu machen,
so würden sie doch nichts ausrichten. So würden sie auch nicht
vermögen, ein einziges "Wort aus der Thorah zu beseitigen."
Die spätere Zeit, die abweichende Einkleidung mid ganz andere
Verwendung des dBuvatov beweisen hinlänglich seine Untaug-
^u zu deuten scheint): „Du redest hiervon ; ich aber werde mit dir
darüber nicht diskutieren", da dem Fragesteller ja alles andere näher
lag als ehrliche, gläubige Wißbegier. — Dennoch darf man nicht sagen,
Jesus sei in seiner „Weltflüchtigkeit" (s. S. 56 f.) so weit gegangen, daß er
V. 38 den gerichtlichen Eid verworfen habe. Gerade der S. 58 im Texte
erwähnte Umstand, daß eine vor Gericht versuchte Beschwörung eines
Zivilprozeßgegners (nur diese war möglich) „bei Himmel und Erde"
ungültig war, zeigt, daß Jesus auf gerichtlichen Eid nicht anspielt.
Die im Gegensatz zur heutigen Gerichtspraxis sehr sparsame und lehut-
same Verwendung des gerichtlichen Eides bot ihm keinen Anlaß zur
Rüge, und er selbst würde, falls er überhaupt in diese Lage gekommen
wäre, vermutlich geschworen haben, da er ja (hinsichtlich des Zins-
groschens) sogar der heidnischen Obrigkeit gegenüber die rechtlichen
Institutionen befolgt wissen will.
1 Erst aus dem 4. Jahrh. n. Chr. stammt die von Hamburger
(ßE Suppl. a. a. 0.) zitierte Stelle aus Thanchuma (ed. Buber, p. 126):
„Glaubt nicht (sagt Gott), daß es erlaubt sei, bei meinem Namen zu
schwören. Nicht einmal zur Bekräftigung der Wahrheit ist es gestattet;
auch da ziemt es dem Menschen nicht, zu schwören, damit er nicht
mit Gelübden spielen und mit Eiden seinen Nächsten täuschen lerne."
Mt. 5, 38 ff. 55
lichkeit als Parallele, geschweige denn als Quelle, — Ja — ja;
nein — nein. Der einfache Sinn der "Worte ist: Im Ja-Falle,
d. h. wenn ihr etwas zu versichern habt, genüge euch ein
schhchtes Ja; im Nein-Falle, wenn ihr etwas zu verneinen habt,
ein schlichtes Nein. — Yon allen „Quellen'-, d. h. Parallelen,
passen noch am besten zwei von Hamburger (RE Suppl. III, 58)
angeführte Stellen: a) Ruth rabba 3, 18: „Rah Huna (starb
297 n. Chr.!) sagte: Bei den Gerechten ist ihr ,Ja' Ja und ihr
.jSTein' Nein''; b) Baba mezia 49a: „R. Jose bar R. Jehudah
(2. — 3. Jahrh. n. Chr.!) sagte: Was will der Ausdruck ,Rich-
tiges Hin' (3. Mos. 19, 36) besagen? Das Hin (Hohlmaß) ist
doch im Ephah (dgl.) mit inbegriifen? Allein er will dir sagen:
Dein Hen (= Ja) und dein Nem sollen richtig sein. Abaji
(4. Jahrh. n. Chr.) sagte: Es bedeutet, daß man mit dem Munde
nicht anders reden soll, als (man) im Herzen (denkt) ^." Die
bedeutend spätere Zeit dieser Zitate beweist, daß sie nicht
Quellen sein können. — Andere hat die Sucht, unbesehen jeden
entfernten Anklang in der thalmudischen Literatur als „Quelle"
zu benutzen, zu wunderlichen Zitaten geführt. So bringt light-
foot (p, 281) und nach ihm Nork (S.38) die Mischnah Gittin VII, 1
herbei: „Wenn ein durch Magenkrampf Schwachsinniger gefragt
wird: Sollen wir einen Scheidebrief für deine Frau schreiben?
und er mit dem Kopfe ein Zeichen gibt, so soll man ihn dreimal
(nacheinander) befragen, und wenn er auf ,Nein?' Nein sagt
(d. h. mit dem Kopfe schüttelt) oder auf ,Ja?' Ja sagt (nickt),
so darf man für die Frau den Scheidebrief schreiben." Von
einem „Narren" pflegt man bekannthch keinen Beweis herzu-
leiten (Schabbath 104b), außerdem redet ja hier der Schwach-
sinnige gar nicht, sondern bejaht und verneint niu" durch Zeichen,
und drittens paßt das Zitat zu unserer Stelle wie die Faust
aufs Auge. — Vorstehende Zitate beweisen indessen wenigstens,
daß die positive oder negative Beteuerung in einem einfachen
„Ja" oder „Nein" bestand, und daß demnach wohl auch Jesus
das „ja, ja; nein, nein" in dem zu Anfang von mir angegebenen
Sinne (,.ja — ja" usw.) gememt hat, nicht aber als doppelte
Setzung und daher Verstärkung des einfachen Ja oder Nein.
Daß dieses einfache Ja oder Nein so gut wie ein Schwm' (nicht:
^ So aucli im Mittelalter Maimonides (Peali Y, LigMfoot p. 280f.):
„Der Verkehr der Gelehrten beruhe auf Wahrheit und Treue, indem
man im Nein-Falle Nein, im Ja-Falle Ja sagt."
56 Mt. 5, 38 ff., 38 ff.
Eid!) sein könne, sucht gegen Ende des 1. Jahrh. n. Clir. der
(bekanntlich — s. oben S. 6 — mehrfach christliche Ansichten
billigende) R. Elieser ben Hyrkanos Schebuoth 36a (Scheidt
p. 58 weist zuerst darauf hin) aus 1. Mos. 9, 15 nebst Jes. 54, 9
zu beweisend Erst aus dem 4. Jahrh. nach Chr. stammt die
(Schebuoth 1, c. zitierte) Meinung Raba's, daß auch doppeltes
Nein oder Ja ein Schwur sei, was er aus 1. Mos. 9, 11 -h 15
nebst Jes. 1. c. für das „Nein, nein'' beweist und fiir das „Ja,
ja" schließt. Indessen selbst wenn Jesus gemeint hätte, die ein-
zig erlaubte Beteuerung solle in der Verdoppelung des einfachen
Ja oder Nein bestehen, so wäre doch nicht nm- sein Wort älter
als der rabbinische Satz, sondern sein "Wort allein ein ethisches
Gebot, jener Satz aber nur eine theoretische Ansicht, die jene
Doppelbeteuerungen auch als Schwüre neben den anderen
übHchen gelten läßt, während Jesus alle jene Schwüre verbietet
und das schlichte Ja oder Nein an die Stelle jeden Schwurs
setzen will.
Mt. 5, 38 ff. Kaum ein anderer Ausspruch Jesu ist so
sehr wie der vorstehende eine crux für zwischen dem hohen
Ideal und dem gemeinen Weltlauf Vermittelung suchende Inter-
preten, ein Ärgernis für Auch -Christen und ein Spott für
Juden und „Griechen" gewesen. J. Elbogen, der jüngste Kri-
tiker dieser Stelle^, sagt von diesem „weltflüchtigen" Prinzip
gegenüber dem angebhch „heroischen, weltüberlegenen" der
Pharisäer: „Eine Vorschrift wie ,so dir jemand einen Streich . . .
auch den Mantel' liegt den Pharisäern fern. Sie kennen und empfehlen
die hohe Tugend, Bj-änkung xmd Schmach zu ertragen, sich
von rachsüchtigen Affekten frei zu halten, zur Nachgiebigkeit und
Versöhnung stets bereit zu sein (Gittin 36b, Schabbath 88b,
Joma 23 a) ^. Weitergehende Forderungen, die zugestandener-
maßen (!) jjede Rechtsordnung aufheben und der brutalen
Gewalttätigkeit gewonnenes Spiel lassen würden', haben sie nicht
gestellt." Das ist wenigstens ein Zugeständnis von jüdischer
Seite, daß von rabbinischen „Quellen" für Jesu Worte v. 39 £
nicht die Rede sein kann. Da jedoch Elbogen oft Unbewiesenes
1 1. Mos. 9, 15: „Es wird niciit (kV) mehr eine Sintflut sein";
Jes. 54, 9: „Das Wasser Noalis, bei dem ich geschworen habe". Also
ist nach R. E. „nicht" (s<'?) ein Schwur; daß auch , ja" ("jn) ein
solcher sei, schließt er per analogiam. || - Die Religionsanschauungen
der Pharisäer, S. 77. ü " Vgl. oben zu Mt. 5, 5.
Mt. 5, 38 ff. 57
und Unbeweisbares behauptet, wird auf die angeblichen Quellen,
die man zu v. 38 bis 42 namhaft gemacht hat, noch einzugehen
sein. — Zunächst muß der Sinn dieses Abschnitts festgestellt
werden. Elbogen sagt von v. 39 f.: „Sie sind ja such, in der
christlichen Sittenlehre längst aufgegeben und werden von den
Erklären! des Evangeliums auch auf einen so geringen Umfang
beschränkt, daß von ihrer Überlegenheit nichts übrig bleibt",
eben weil sie, wie er meint, nach dem "Wortsinn genommen,
jjjede Rechtsordnung aufheben würden" usw. Man sollte eigent-
lich nicht mehr noch besonders betonen müssen, daß Jesus sich
weder mit der Rechts-, noch mit der Staats-Ordnung befassen
will, sondern auf eine reine ethisch-religiöse Gesinnung hin-
arbeitet. Die „Thorah" der Pharisäer lunfaßte „zugestandener-
maßen" (Elbogen, S. 20 f.) im Gegensatz hierzu „nicht nm* das
Dogmatische und Ethische in der Religion, nicht nur das Zere-
minialgesetz, . . . sondern auch alles das, was der Mensch tut,
um sich an Körper und Seele zu erhalten, alle Beziehungen
des Menschen zum Menschen, auch Recht und Staat, Familie
und Gesellschaft". Was hiervon nicht im mosaischen „Gesetze"
stand oder (wie manche späteren Milderungen von seinen Be-
stimmungen) dessen Wortlaute widersprach, dem suchte man
durch ausdeutende nachträgliche „Schriftbew^eise" oder durch
Umdeutung einen Schrift- imd Rechts-Grund zu geben ^. Von
diesem Standpunkte aus erschemt natürlich Jesu prinzipielle Ab-
lehnung jedes Bestehens auf äußerer Rechtsordnung beim Han-
deln unbegreiflich und weltfremd. Eine unbefangene Exegese
der Worte Jesu aber wird, ohne ihren wirklichen Sinn irgend-
wie zu verklausulieren oder zu vernichten, dennoch zu einem Re-
sultat kommen, das ihre „Überlegenheit" über die jüdische An-
schauung und zugleich ihre Nicht -„Weltflüchtigkeit" erweist. —
Mit Auge um Auge, Zahn um Zahn meint Jesus, wie
schon Lightfoot (p. 282) richtig gesehen hat, nicht das mosaische
Jus tahonis (2. Mos. 21, 23 — 25) bei leiblichen Schädigungen:
„Seele um Seele (Leben), Auge um Auge, Zahn um Zahn,
Brand um Brand, Wunde um Wunde, Beule um Beule" —
sondern die sich hieran anschließenden Schadenersatzbestimmungen
der rabbinischen „Thorah", die zwar jene strengen Strafen mil-
1 Ygl. Strack, Einl. V, § 1, Abs. 2 und das in der Anm. daselbst
zitierte Beispiel Sotab. Y, 2. (In meinem „Thalmudkatecbismus" S. 12
lies: „5. Mos. 12,21".)
58 Mt. 5, 38 ff.
derten, aber stets das juristisclie Prinzip vertraten, daß der
Verletzte (wenigstens der verletzte Israelit) Anspruch auf Genug-
tuung habe und sie vom Schädiger erhalten müsse, was mit
entsprechenden Schriftversen belegt wird. (S. unten die rabbm.
Stellen.) Außer dem Schadenersatze hatte der Beschädigte
sogar noch Anspruch auf persönhche Abbitte seitens des Schä-
digers (Baba kamma IX, 7 und Gemara fol. 92 a). Auf diesem
"Wege gelangte man schließhch dahin, die Anbahnung eines
Vergleiches zwischen zwei Prozessierenden entweder überhaupt
oder in gewissen FäUen als Rechtsbeugung und damit als Sünde
anzusehen und zu verbieten^. Daß hierdm'ch ein Pochen auf
das „gute Recht" großgezogen wurde, beweisen gerade die Mah-
nungen Besonnener zur Versöhnlichkeit und zum Ertragen von
Kränkungen. — Jesus verlangt aber mehr: Eine Gesinnung, die
nicht trotz des Bewußtseins, daß uns Unrecht zugefügt sei, zu
Versöhnlichkeit und gelassenem Dulden leitet, sondern die selbst
den Gedanken, daß uns Unrecht zugefügt sei, gänzlich unter-
drückt, also auch innerlich keinen Augenbhck gegen das uns
persönlich zugefügte Übel remonstriert. Wer Kränkung erduldet,
sich dabei aber immer sagt, er dulde schuldlos und der Gegner
tue ihm unrecht, der widersetzt sich bloß nicht; wer selbst jenen
Gedanken verbannt, der widerstrebt nicht dem Übel. Dieser
Verzicht selbst auf das leiseste Denken an den Rechtsstandpunkt
bei persönlicher Kränkung äußert sich wahrnehmbar darin, daß
der so Gesinnte nicht nur auf die zugefügte Unbill nicht rea-
giert, sondern sich freiwiUig dem Kränkenden zu noch größerer
Kränkung darbietet. Das ist der Sinn dieser als „Ohrfeigen-
moral" verspotteten Höhengedanken. Die Absicht, den Kränker
dmxh solchen Duldermut schließlich zu entwaffnen, liegt nicht
darin, da sie immer noch eme Spur von Egoismus enthielte;
aber eine Folge solchen Verhaltens wird diese Überwindung des
Übermütigen oft sein, sodaß schon das hierdurch in jenem er-
weckte Schamgefühl, einen absichtlich Wehrlosen zu verletzen,
einen gewissen faktischen Schutz gegen die „Aufhebmig aller
Rechtsordnung"' und das „freie Spiel brutaler Gewalttätigkeit"
1 R. Elieser ben Jose lia-Gelili (2. Jalirh. n. Chr.) sagte: „Wer
einen Yergleich vorschlägt, ist ein Sünder" (Sanhedrin 6b). — ß. Simeon
ben Menasjah erlaubt (Sanh. ibid.) einen Vergleich nur vor Beginn der
Prozeßverhandlung; nachher würde der Richter, der ihn vorschlägt,
„das Recht verlassen".
Mt. 5, 38 ff. 59
bilden könnte. Vor allem aber ist gegen den Vorwurf, daß das
Befolgen von Jesu Vorschrift diese Übelstände . herbeiführen
würde oder müßte, zu beachten, daß jene — ich möchte sagen
— „Über-Duldung" ledigHch bei persönlicher Kränkung oder
Beeinträchtigung verlangt wird. Soweit diese nicht eine rein
persönliche ist, sondern auch die Nebenmenschen (oder die
Sache Gottes) in Frage kommen, soweit ist energische Abwehr
nicht nur erlaubt, sondern durch die Pflicht werktätiger Nächsten-
liebe und Gottesliebe geboten^. Dadurch, daß jeder andere,
nicht direkt Verletzte zum Eintreten für den beeinträchtigten
Nächsten (oder die verletzte Sache Gottes) ethisch unbedingt
verpflichtet ist, wh'd der Gefahr brutaler Eechtsverletzmig ein
besserer Damm entgegengesetzt als durch die Befugnis des Ver-
letzten, sich eines ihm drohenden oder geschehenden Unrechts
zu erwehren, bezw. für Kränkmigen Sühne zu heischen^. —
Rechte Backe. Im Thalmud wird nicht, wie Nork (S. 38)
glauben machen wül, ähnlich vom Schlage auf die rechte
oder linke Wange gesprochen, sondern unterschieden, ob der
Schlag einfach mit der Handfläche oder der Bückseite der
Hand geschah. Das Schmerzensgeld betrug je nachdem 200 oder
400 Süs '". Die Mischnah nennt als Autor dieser Entscheidmig
den im 2. Jahrh. n. Chr. wirkenden B. Jose ha-Gehli, von dem
vielleicht die Unterscheidung zwischen den Arten des Schlages
und die Bestimmung der Höhe des Schmerzensgeldes stammt,
Jesus wenigstens will schwerlich eine ähnliche Unterscheidung
zwischen den "Wangen machen, sondern nur sagen: Wenn dich
einer auf die eine Wange schlägt, dem biete auch die andere
^ Vgl. das Gleichnis vom barmlierzigen Samariter, vor allem aber
Jesu eignes Auftreten wider die Bedrückungen der Witwen (Matth. 23, 14),
sowie gegen die Tempelschänder (Matth. 21, 12 ff.; Joh. 2, 14 f.). || ^ Die
Anschauung, daß die Schmerzensgeld-, Schadenersatz-, Buße- und
Sühnebestimmungen der Juristen einen trefflichen Schutz für die „Rechts-
ordnung" und vor brutaler Gewalttätigkeit bilden, wird durch die un-
gemein große Zahl der Prozesse auf diesem Gebiet widerlegt, die be-
weist, daß jene Bestimmungen die Menschen mitnichten abhalten,
ihren Wallungen, Trieben und schlimmen Absichten zu folgen. || ^ Baba
kamma VIII, 6 : „(Schlägt einer den andern) auf die Wange, so bezahlt
er ihm 200 Süs (Silber münze = 1 Denar). Hat er ihn mit der
Rückseite der Hand ("iT "inx^) geschlagen, so zahlt er ihm
400 Süs\ — Nork (S. 38) fälscht die Stelle noch weiter, indem
er für letzteren Fall sagt: ,so wird die Strafsumme auf 40 Gold-
60 Mt. 5, 38 ff.
dar (wie es denn aucli Luk. 6, 29 heißt) ^ — Wer einem den
Leibrock (v.40) raubte, sodaß der Beraubte entblößt wurde, hatte
diesem dafür 400 Süs Buße zu entrichten (Baba kamma 1. c);
Jesus scheint indessen (vgl. xo •9'eXovTt aot %pc'9'Y)vat) den Fall
zu meinen, daß einer uns durch ungerechten Prozeß um unsere
letzte Habe zu bringen sucht („mit einem Schein des Rechtes",
wie der Katechismus sagt)^. Selbst da sollen wir, soweit es
sich um uns selbst handelt, es gar nicht bis zum Gerichts-
urteil kommen lassen, sondern uns auch innerlich so völlig
in die Unbill fügen, daß wir alles hingeben, auch was wir
nicht hinzugeben brauchten. — Kaum einen Anklang fand ich
Sanhedrin 7 a aus dem 3. Jahrh. nach Chr. (vgl. S. 17 Anm., zu
Mt. 5, 11): „Ein gewisser sagte: Wem der Gerichtshof den
Mantel nimmt, der gehe singend [zufrieden] seiner Wege. Sa-
muel sagte zu K Jehudah: Es gibt einen (dies belegenden Schrift-)
Vers: Und auch dieses Volk wird an seinen Ort kommen in
Frieden" (2. Mos. 18, 23) ^ Indessen hier ist doch voraus-
gesetzt, daß ein gerichtliches Urteil vorhege, und gemeint,
daß man dessen Berechtigung anerkennen und sich damit zu-
frieden geben solle ; Jesus aber meint augenscheinlich eine durch
stücke (!) reduziert", woran er eine höhnisclie Bemerkung über „den Hu-
manität und Versöhnung lehrenden Jesus" schließt, als habe dieser das
Hinhalten auch der linken Wange geboten, damit der Schläger auch
noch die (vermeintlich) höhere Strafsumme von 200 Süs zu bezahlen habe.
1 Aus dem 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. stammen die Über-
treibungen (Sanhedrin 58b): ,R. Chanina sagte: Ein Goj, der einen
Israeliten schlägt, ist des Todes schuldig, laut 2, Mos. 2, 12. Derselbe
sagte: Wer einen Israeliten auf die Wange schlägt, ist, als hätte er die
Schechinah (göttl. Gegenwart) auf die Wange geschlagen, laut Spr.
28, 25. — R. Simeon ben Lakisch sagte: Wer seine Hand gegen
seinen Nächsten erhebt, wird, auch wenn er ihn nicht geschlagen hat,
ein Frevler genannt, laut 2. Mos. 2, 13. ... R. Huna sagte: Seine Hand
soll abgehauen werden [s. ob. zu Mt. 5, 30], lautHiob 38, 14. — R. Eleasar
sagte: Es gibt für ihn keine andere Rettung, als sich begraben zu
lassen, laut Hiob 22, 8." || - Erst dann ergibt sich für die v. 39—42
erwähnten vier Übel eine abwärtssteigende klare Reihenfolge: Körper-
schädigung durch widerrechtliche Handlung, Vermögensschädigung durch
Rechtsmißbrauch, Ehrenkränkung durch unbilliges Servitut, Belästigung
durch Anbetteln und Anborgen. || ^ Vor dieser Schriftstelle ist von der
Einsetzung von Richtern über Bagatell- und ähnliche Sachen die Rede,
deren Einsetzung Jethro dem Moses anrät. Der Vers wird hier so
Mfc. 5, 38 ff. 61
unrechte EHage verursaclite Beeinträchtigung^. — Das Nötigen
(dyyapeOeiv i<"'']iiJX n^y) bedeutet das Auferlegen unfreiwilliger
Begleitung als pedissequus (ursprünglich^ das Yorspann-Servitut),
im Gegensatz zu dem IreiwilHgen Ehrengeleit (r[')b, prosequi).
Einen Israeliten, zumal einen Thorahkundigen, in solcher "Weise
zur Begleitung zu nötigen galt als Erniedrigung des Genötigten
und als Sünde des Nötigers; so führt Nedarim 32 a K,. Elieser
(um 100 n. Chr.) die ägyptischen Plagen auf die Sünde Abra-
hams zurück, der laut 1. Mos. 14, 14 seine Thorahschiüer — so
wird V9*Jn gedeutet — zu diesem knechtischen Geleit genötigt
habe, und Sotah 10 a gibt Eaba (4. Jahrh. n. Chr.) die Krank-
heit des Königs Asa laut 1. Kön. 15, 22 demselben Vergehen
schuld. Nach rabbinischer Ansicht konnte man sich also mit
B,echt dieser Erniedrigung widersetzen; Jesus empfiehlt, ihr
nicht einmal seehsch zu widerstreben. — Gib dem ... ab-
borgen will. Die relativ leichteste Art des "Übels: Die Be-
lästigungen durch Bitten um eine Gefälligkeit^, zumal um ein
Darlehen. Ps. 37, 26 heißt es zwar (wie Eodrigues-Eriedemann
S. 29 anführen) vom Gerechten, er „leihe gern"; „mancher aber",
heißt es Sirach 29, 9, „leiht ungern, nicht aus BöswiUigkeit,
sondern er meint fürchten zu müssen, er komme um das Seine."
Wegen der durch das Leihen leicht entstehenden Feindschaften
(vgl. Sirach 29, 8 und das Sprichwort „Alles Darleihen beginnt
in Ereundschaft und endet in Zwist" nanx nn^nn nxi^rt ^2
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nnnD nsiö) verbot Hülel sogar (Baba mezia 75 a), daß ein Weib
einem anderen Brot leihe. Diese Vorschrift wurde zwar später
als hinfällig angesehen, aber, wie 1. c. zeigt, doch erst von Bab
Jehudah im Namen Samuels, also im 8. Jahrh. n. Chr., und
Joma 22 b f. heißt es zwar: „(Verbotene) Rache hegen ist z. B.,
gedeutet, daß das richterliclie Urteil Frieden zu schaffen berufen sei,
und der Mensch sich, daher bei ihm beruhigen solle.
1 Die thalmndische Erlaubnis der Notwehr (Sanh. 72 a) bei lebens-
gefährlichem Angriff kann hier weder als vernünftigere Einrichtung
(Wünsche 62) noch als Parallele angeführt werden. || ^ So noch Baba
mezia VI, 6 'JJX n^y von dem Verwenden eines Esels als Vorgespann.
II 3 Von einem Almosen, wie Nork (S. 40) unter falscher Stellenangabe
annimmt, ist hier nicht die Rede; denn hier soll doch etwas genannt
werden, das nach der Ansicht der „Alten" mindestens als belästigend
empfanden wurde, was man vom Almosengeben nicht sagen kann, das
auch von den Rabbinen zu Jesu Zeiten empfohlen wurde. Auf den
Unterschied seiner und ihrer Ansichten über das Almosen kommt Jesus
62 Mt. 5, 38 ff.
wenn einer zum andern sagt: ,Leihe mir deine Sichel', worauf
dieser es abscHägt, am nächsten Tage aber der Letztgenannte
zu jenem sagt: ,Leihe du mir deine Axt', jener aber antwortet:
,Ich leihe sie dir nicht, weil du mir deine Sichel nicht geliehen
hast'. Das ist (verbotene) Rache" — mdessen ist dies erst ein
Schuleinwand aus dem 3. Jahrh. auf einen von B,. Jochanan
(starb 279) berichteten Ausspruch des R Simeon ben Jehozadak
(Auf. des 3. Jahrh. n. Chr.) ! — Dem Gedanken Jesu betreffs
des Geldleihens ähnelt einigermaßen der Ausspruch des B,ab
Dimi (Baba mezia 75b): „Woher läßt sich beweisen, daß es dem,
der seinem Nächsten eine Minah heh und darauf dessen Zahlungs-
unfähigkeit erkennt, verboten ist, jenen ungegrüßt zu lassen?
Weil es heißt: Du sollst ihm kein Geldeinforderer sein"
(2. Mos. 22, 24). Indessen stammt dieser Ausspruch auch erst
aus dem 3. Jahrh. n. Chr., und zweitens befiehlt Jesus auch da
zu leihen, wo man schon vorher nicht weiß, ob der Schuldner
zmiickzahlen wird; Luk. 6, 30 verbietet er ferner noch die Bei-
treibung solcher Schuld, falls sie nicht j5:eiwilHg bezahlt wird. —
Vielleicht nennt man auch dies wieder eine „Aufhebung jeder
Rechtsordnung" (s. oben S. 56) und eine Privilegierung des
Schuldenmachens, da auf diesem „antikapitalistischen" Stand-
punkt aUe Verordnungen des rabbinischen mid modernen Geld-
prozesses über den Haufen geworfen erscheinen. Indessen bleibt
auch hier die Möglichkeit offen, von Schuldnern, die andere als
uns (z. B. die Unseren) schädigen, falls sie zahlungsfähig sind,
das Darlehn auf schonende Art zurückzuerhalten zu suchen.
Zudem ist zu bedenken, daß Jesus weder zu KapitaHsten redet
noch kapitalistische Zivilprozeßbestimmungen zu geben beab-
sichtigt, sondern auf eine Gesinnung hinarbeitet, in der jede
Spm' des Egoismus (sei es auch nur die Empfindung eines An-
liegens als etwas Lästigen) vöUig ertötet ist. Eine solche ab-
solut anti-egoistische Gesinnung führt notwendig zum vollendeten
Altruismus, der sich auf dem Höhepunkte zeigt in der Feindes-
Kebe, die nun erörtert whxl.
erst Mt. 6, 14 ff. zu sprechen. Eher könnte man annehmen, daß Mt. 5, 42
ein Parallelismus membrorum vorliege. Luk. 6, 30, wo „Gib dem" usw.
mit dem Mt. 5, 40 Gesagten (das Wort über das Leihen [6, 34] dagegen
mit dem v. 46 f. über die unbeschränkte Nächstenliebe Erörterten) ver-
bunden ist, scheint an einen Entleiher gedacht zu sein, von dem man
Betrug argwöhnen darf, wie er Sirach 29, 4 — 8 beschrieben ist.
Mt. 5, 43 ff. 63
Mt/5, 43 ff. Näclister bezeichnet hier im Gegensätze
zum Feinde {2])^) den uns Wohlwollenden, uns Liebenden, den
Freund (3nix), vgl. v. 46 f. Der Gegensatz ist hier nicht nm* Nahe-
stehender (Stammesgenosse) und Femstehender (Fremder), son-
dern Freund (wofür sich das Hebr. auch mit yn, Nahestehender,
zu behelfen pflegt, falls nicht nnix gesagt wird) und Feind.
Nachdem v. 38 ff. die jm'istische Schaden-Yergeltungs-Lehre der
Rabbinen behandelt ist, kommt hier Jesus zm' inneren Vergeltung,
namentlich zur Frage der seelischen Erwiderung feindseliger Ge-
sinnung. ,Du sollst (d. h. darfst: ^la'qcss.iq, nxpty) deinen Feind
hassen' bezieht sich (wie schon Lightfoot gesehen hat) nicht auf
das AT, das bekanntlich mehrfach Rücksicht auf den „Feind"
empfiehlt (2. Mos. 23, 4 1; Spr. 24, 17; 25, 21 usw.), auch m. E.
auf keine rabbinische Lehre von erlaubtem Fremdenhaß, sondern
auf „Stimmungsworte" von Rabbinen, wie wir sie auch aus den
nächsten Jahrhunderten hören, und die im Volke fruchtbaren
Boden fanden und nicht nm' auf die persönlichen, sondern auch
auf die Volksfeinde, zumal die politischen, angewandt wurden.
Nur die zu lieben, die uns lieben, und die freundhch zu behan-
deln, die uns so (brüderlich) behandeln, ist die Art von Egoisten
(wie die Zöllner es sind), ist eine höchst unvollkommene Liebe;
wahre Liebe ist universal, „vollkommen" (zeXtioQ)'^, weil absolut
unegoistisch, gleich der Liebe Gottes.
Diesen Gedanken der „Nachahmung Gottes in seinen
ethischen Attributen" (ich lasse den ungeschickten Ausdruck
ungeändert) hat nach Elbogen (S. 73) „Jesus von den Pharisäern
gelernt". Indessen alle mehr oder minder ähnhchen rabbinischen
Stellen, die E. (S. 73 f.) vorbringt, sind später als Jesus und be-
ziehen sich im wesentlichen auf menschliche Nachahmung gött-
licher Barmherzigkeit, universale Menschenliebe sucht Elbogen
künsthch schon aus 8. Mos. 19, 34 zu deduzieren: „Wie ein
Eingeborener aus euch soll euch der Fremdling sein, der
sich bei euch aufhält, und liebe ihn wie dich selber." Damit
sei bewiesen, daß yn (3. Mos. 19, 18) nicht nur „Volksgenosse"'
1 Nacli R. Elieser ben Hyrkanos ist hier unter Feind ein zu seiner
ursprünglichen bösen Natur zurückgekehrter Proselyt zu verstehen; vgl.
übernächste Anm. || - oixx':p5J.wv (Luk. 6, 36) gibt das ub^' (XD^ty), das
man als Jesu Fassung vermuten darf (Dalman S. 52), nur nach Einer
Seite wieder. Auch t=).eio; gibt den Begriff des Universalen nicht ganz
so wieder, wie D^B'.
64 Mt. 5, 43 ff.
bedeute, E. vergißt nur zu sagen, daß 1. c. das Wort für
„Fremdling" lii lautet, d. h. der in die israelitische Volksgemein-
schaft aufgenommene Eremde, Proselyt, nicht etwa n.D^ (nochri),
d. h. der außerhalb der Volksgemeinschaft Stehende. Herr E.
weiß ganz genau, daß diesen zu lieben nicht geboten wird, ja
er kennt sicherHch auch die nichts weniger als Liebe atmenden
Aussprüche^ späterer Rabbinen über die Proselyten (üHii), und
diese Rabbinen sind gerade „Pharisäer" in seinem Sinne; dies
gehört notwendig zur Illustration des Geltungsbereichs von
3. Mos. 19, 34 bei den Pharisäern und schränkt deren „Fremden-
liebe" noch mehr ein^. Die späteren „Pharisäer" leiteten übri-
gens nicht nur, wie Elbogen S. 74 glauben machen möchte, von
Gottes Gerechtigkeit und Gnade, Wohltun und Liebe ethische
Vorbilder ab, sondern begründeten auch ethisch bedenkliche
Lehren aus Schriftworten über Gottes den Sündern scheinbar
feindliches Handeln, z. B. aus Ps. 18, 27: „Bei den Reinen
bist du rein, bei den Verkehrten verkehi't" (Megillah 13 b) usw^.
Der springende Punkt ist der, daß wirkliche Feindes-Liebe
— d. h. nicht nur gelassenes Ertragen von Beleidigungen, Ent-
waffnung der Beleidiger durch äußere edle Taten, sondern herz-
liche Zuneigung zu denen, die uns Böses tun — nirgends
seitens der Rabbinen geboten wird! — Was die sonstigen zu
unserm Abschnitt zitierten Parallelen betrifft, so trifft keine den
Sinn von Jesu Worten, und die meisten sind zudem erst später
bezeugt. Hillel, der am ersten als Quelle für die Nächstenhebe
in Betracht käme (über seine Stellung zu 3. Mos. 19, 18 vgl.
zu Mt. 7, 12), war nach Schabbath 31a allerdings von sprich-
wörtlicher Milde und Gelassenheit auch einem überlästigen
1 Nacli E. Elieser ben Hyrkanos ist die Natur des Proselyten von
Hause aus böse (MecHltba 95 a, Baba kamma 59 b), auch sind die Pro-
selyten nicht aus Liebe zu Gott, sondern aus Furcht vor Strafe fromm
(Jebamoth 48b); vgl. auch vorletzte Anm. betr. „Feind" 2. Mos. 28, 4!
Nach R. Isaak Nappacha wird dem, der Proselyten macht, Unheil über
Unheil (Jebamoth 109 b). Nach R. Chelbo sind die Proselyten für Israel
[eine so harte Plage] wie der Aussatz (Kidduschin 70 b; Jebamoth 47 b,
109b; Niddah 13 b). || - Oder ist es etwa „universale" Nächstenliebe,
wenn (vgl. oben S. 44 zu 5, 28) die Rabbinen in Sanhedrin 52 b lehren,
das mosaische Verbot des Ehebruchs mit dem Eheweibe des Nächsten
gelte nicht für den Ehebruch mit dem Eheweibe des NichtJuden? 1|
3 Gleich irrtümlich ist es, wenn E. (S. 75) behauptet: „Wäre es richtig,
daß das Christentum unter dem Begriff des Nächsten etwas ganz anderes
Mt. o, 43 ff. 65
StörenMed gegenüber^; aber das ist doch nocb keine Feindes-
liebe in dem hier von Jesus verlangten Sinne. Wenn flillel
femer (Pirke Aboth I, 12) sagt: „Liebe die Menschen und leite
sie zur Thorah" — so sind damit doch nur die Israeliten oder
solche, die es werden woUen (denn nur solche lassen sich zur
Thorah leiten), gemeint, also immerhin wohlwollend Gesinnte;
Feindeshebe in Jesu Sinne ist aber nicht ausgesprochen. Eben-
falls nm' von einem Befreundeten redet (Nork S. 40) Sanhedrin 76b :
„Wer seinen Nachbar (ij^^ty) hebt, von dem sagt der Prophet
(Jes. 45, 9): Dann wirst du rufen, und der Herr wird dir ant-
worten." ^ — Der stets zitierte Spruch (ISTork S. 25 ; Hamburger
EE Suppl. ni, 55; Eodrigues-Friedemann S. 29. 31; Elbogen
S. 77; Cohen, Liebe und Gerechtigkeit, S. 85 ff.) Gittin 36b
(= Schabbath 88b, Joma 23 a, vgl. zu Mt. 5, 5) enthält ebenso
wie Baba kamma 93 a ^ und Sanhedrin 48b [49 a]*, die Ham-
burger zitiert, nur eine Empfehlung des Erduldens von Krän-
Imngen, und alle drei stammen aus dem 3. Jahrh. nach Chr.;
von Feindesliebe ist nicht die Rede. Hambm^ger zitiert außer-
dem noch aus Joma 22 b, 23 a den aus dem 4. Jahrh. n. Chr.
stammenden Ausspruch E,abas: „Wer nachsichtig gegen andere
ist, gegen den sind sie auch nachsichtig." Die Stelle beweist
für Feindeshebe natürhch gar nichts; hätte aber H. sie ganz
verstanden hätte, als die Juden seiner Zeit, dann hätten Jesus und seine
Apostel auf den neuen Sinn des Wortes hinweisen müssen. Das aber
haben sie nicht getan, weil sie weiter als die zeitgenössischen Jaden
den Begriff nicht ziehen konnten." Gerade hier, v. 46 f., sagt Jesus,
daß seine Zeitgenossen unter dem , Nächsten", wenn nicht lediglich den
Volksgenossen, so doch jedenfalls nur den Befreundeten verstehen,
daß aber er unter den Begriff der Nächstenliebe auch die Feindes-
liebe mitbefaßt. Das ist doch eine der , weitergehenden Forderungen"
(Elbogen, S. 77), die die Pharisäer „nicht gestellt haben* !
^ Vgl. u. a. meinen Thalmudkatechismus, S. 63 f. || ^ Dagegen
heißt es auf demselben Blatte: „Wer einem NichtJuden das Verlorene
wiederzustellt, von dem sagt die Schrift (5. Mos. 29, 19): Nicht wird
der Herr ihm vergeben" — weil er nämlich den NichtJuden dem Israe-
liten gleichstellt; denn nur betreffs des Israeliten ist das Zurückgeben
des Verlorenen geboten. |1 ^ „R. Abbahu (3. Jahrh. n. Chr.) sagte:
Immer gehöre der Mensch zu den Verfolgten und nicht zu den Ver-
folgern." II * „Nach Rab Jehudah hat Rab (8. Jahrh. n. Chr.) gesagt:
Das ist's, was inan zu sagen pflegt: Laß dir lieber fluchen, als daß du
fluchst." — Noch weniger besagt das Zitat (Hamburger 1. c.) aus Baba
Bischoff, Jesus u. d. Ratbinen. 5
66 Mt. 5, 43 ff.
angefülirt, so würde man selieu, daß daselbst im Gegenteil bei
persönlicher Kränkung Haß als erlaubt, ja geboten
hingestellt wird! "Wir lesen: „R. Jochanan (starb 279) hat als
Ausspruch des E,. Simeon ben Jehozadak (Auf. d. 3. Jahrh. n, Chr.)
gesagt: Jeder Gelehi'te, der sich nicht rächt und nicht grollt wie
eine Schlange [vgl. Aboth 11, lOj, ist nicht als Gelehrter an-
zusehen. (Einwurf:) Es heißt doch aber (3. Mos. 19, 18): ,Du
sollst dich nicht rächen und Groll hegen!' (Antwort:) Das
gilt nur in Geldsachen". [Es folgt nun die Diskussion über den
Begriff „Rache" beim Darleihen usw., s. oben S. 61 f. zu Mt. 5, 42.]
„Bei persönKcher Kränkung ist es also nicht verboten. (Ein-
wmf:) Es ist doch aber gelehrt worden: ,Die sich demütigen
lassen' usw. [S. oben S. 12 zu Mt, 5, 5.] Ka-nn denn da Groll
bleiben? Auch hat doch B,aba (4. Jahrh. n. Chr.) gesagt:
,Wer nachsichtig gegen andere ist, gegen den sind sie auch
nachsichtig'!? (Antwort:) Damit ist nur derjenige gemeint, der,
wenn man ihn besänftigen will, sich besänftigen läßt." —
Wenn also der andere keinen Besänftigungsversuch macht, hat
der Verletzte volles Recht zur Rache und zum Groll! Nach
großer Nächsten- oder gar Feindes-Liebe schmeckt das nicht ^. —
Schon vor einundzwanzig Jahren hat Professor Strack
(Beilage zur Kreuzzeitimg vom 15. Juni 1884) schlagend die
falsche Behauptung widerlegt, daß bereits vor Jesus Hillel die
universale Nächstenliebe für den „Inbegriff der ganzen jüdischen
Lehre" erklärt habe. Da trotzdem dieser IiTtum fortwährend
wiederholt wird, habe ich im Anhange mit des Herrn Verf.
Erlaubnis den Ai'tikel jedem, der sich belehren lassen will, zu-
gänghch gemacht.
kamma 92b: ^Rabba fragte den Raba bar Mari (4. Jahrh. ii. Chr.):
Woher läßt sich der Ausspruch beweisen : ,Nennen deine Genossen dich
einen Esel, so lege dir einen Sattel auf?" — -was beinahe wie eine Persi-
flage von Mt. 5, 39 Hingt.
1 Wenn Rodrigues-Friedemann (S. 29) das thalmudische Verbot,
sich, des Untergangs der Ägypter zu freuen, und (S. 31) den Ausspruch
Samuels des Kleinen (Ende des 1. Jahrh. n. Chr.) zitieren (Pirke
Aboth rV, 24 [nicht 21]): „Wenn dein Feind fällt, so freue dich nicht,
und wenn er strauchelt, so frohlocke nicht; Gott könnte es sehen, und
es wäre böse vor ihm, und er könnte seinen Zorn von jenem (auf dich)
wenden" — so ist mit dieser Warnung vor Übermut noch längst keine
Feindesliebe verlangt. Außerdem gilt nach Megillah 16 a das Verbot
(Spr. 24, 17) „Wenn dein Feind fällt, so freue dich nicht" nur
Mt. 5, 45. 67
Mt. 5; 45. Kinder eures Vaters im Himmel. Vgl.
oben zu 5, 9 und unten zu 6, 9. — Seine Sonne aufgehen.
E. Akiba (im 2. Jabrli. n. Clir.) fragt allerdings ähnlich
(Chullin 91b) in bezug auf 1. Mos. 31, 32 „Geht die Sonne
nicht der ganzen "Welt auf?", wird aber von E,. Isaak belehrt,
daß nach jener Stelle die Sonne des frommen Jakob wegen
aufgegangen sei, wie sie auch seinetwegen am Tage vorher vor-
zeitig untergegangen sei. — Regnen über Glerechte und
Ungerechte. Die hierzu gewöhnlich angezogene Parallele
(nicht: Quelle) Thaanith 7a ^ entstammt erst dem Ende des
dritten nachchristhchen Jahrhunderts. Außerdem wird als Gegen-
stück zu der hier vertretenen Ansicht in demselben Traktat
erzählt (Thaanith 25a): „E,. Chijja bar Luliani (Juhani, 4. Jahrh.
n.Chr.) sagte: Ich hörte die Wolken zueinander sagen: Kommt
und laßt uns Wasser über (die Landschaften) Ammon und Moab
ausgießen. Da sagte ich ihnen: Als Gott seine Thorah jeder
Nation anbot, nahm keine sie an, bis Israel kam und sie an-
nahm. Und ihr laßt Israel beiseite und gießt euer Wasser
auf Amnion und Moab aus? Schüttet es hier herab! Da
schütteten sie es an Ort und Stelle herab." [So nach Cod.
München; vgl. Bacher, Ag. d. p. Am. III, 678.] Nach dieser
Anschauung verdienen nm- die Israeliten, als die Gerechten vor
betreffs israelitisclier Feinde, wälirend es betreffs niclitjüdisclier erlaubt
ist, laut 5. Mos. 83, 29 : „Du trittst sie nieder auf ibren Höben." Das
ist weder Feindesliebe nocb universale Menscbenliebe. — Die von dem
Haggadisten R. Levi (Ende d. 3. Jabrb.) erzäblte Legende (Baba mezia 87 a),
wie Sarah die Frauen, die es als falsche Vorspiegelung erklärt hatten,
daß sie in ihrem Alter noch geboren habe, zu sich eingeladen und deren
sämtliche mitanwesende Säuglinge gesäugt habe, will gar nicht be-
weisen, daß Sarah üble Nachrede mit einer Wohltat vergolten, sondern
wird erzählt, um das Wunder zu erwähnen, das deshalb geschehen sei,
weil es 1. Mos. 21, 7 [nicbt 22, 6, wie bei Scheidt S. 62] heiße: ,Sarah
säugt Kinder' (Plural).
1 „R. Abbahu sagte: Größer ist der Tag des Regens als der Tag
der Totenbelebung; denn diese ist nur für die Gerechten, der Regen
aber für Gerechte und Frevler". — Der parallele Gedanke in j. Thaanith,
daß man Gott bei jedem Regentropfen dafür dankbar sein müsse, daß
er damit auch den Schuldigen wohltue (D'3"n^ nniü ^Ol-l), stammt
[nicht von R. Jose ben Jakob (4. Jahrh.), wie bei Wünsche S. 70, son-
dern] von R. Simon bar Pazzi (Ende des 3. Jahrh. n. Chr.); die beiden
von Wünsche S. 70 angeführten Parallelen aus Sanhedrin 39b und lila,
5*
68 Mt. 5, 45.
Gott, die "Wohltat des Eegens\ — Lohn haben? Die rheto-
rische Frage bedeutet natürlich: so werdet ihr keinen Lohn
haben, so tut ihr nichts VerdienstHches. Der „Lohn" der
Feindeshebe aber ist in erster Linie sitthche Veredelung; dem
ethischen Universalismus entspricht die höchste YoUkommenheit,
die der Mensch erreichen kann. "Wenn Elbogen, um gegen
Schürer zu erweisen, daß das pharisäische Judentum „nicht
unter der Knechtschaft des Lohngedankens gestanden" habe
(S. 82), in Mechiltha 50b („Wer den Sabbath beobachtet, wird
vor Sünden bewahrt") und bei Josephus Ap. II, 30 („Die das
Gesetz in aUen Stücken befolgen . . . begnügen sich [als Lohn]
mit dem Zeugnis ihres Gewissens") ebenfalls (S. 83) den Ge-
danken ausgedrückt findet, daß „der Lohn der Gesetzesübung
Yersittlichuug" sei, so tut er erstens dem Wortlaut Gewalt an ;
zweitens aber vergißt er, daß der Autor der Mechiltha- Stelle,
Josua ben Chananjah, der Ende des 1. Jahrh. n. Chr. wirkte,
ebenso wie der nach der Zerstörung Jerusalems schriftstellernde
Josephus (der zudem die jüdischen Lehren reichlich im Stil
griechischer Philosophie retuschiert) später als Jesus solche Ge-
danken ausgesprochen haben. Die Erklärung von Ps. 112, 1
in dem Sinne: ,Heil dem, der ledighch an Gottes Geboten,
nicht aber an dem Lohne für ihre Erfüllung Gefallen hat'
(Abodah sarah 19a), stammt von E,. Eleasar aus dem 2. Jahrh.
nach Chr.; Mechiltha 51a („Niemand Aveiß, womit er sich seineu
Lohn erwirbt") bezieht sich auf die von Elbogen übergangene
Ansicht, daß auch die kleinsten Gebote zu erfüllen seien-, da
man nicht wisse, welches Gebot es gerade sei, dessen Erfüllung
den Lohn bewirke, wo also gerade der Lohngedanke wesenthch
ist; Aboth lY, 2 („Der Lohn eines Gebotes ist ein Gebot", d. h.
eine Gebotserfüllung zieht eine weitere nach sich) stammt von
Ben Assai aus dem Anfang des 2. Jahrh. n. Chr.; Antigonus
aus Socho, der (um 190) vor Jesus gegen den „Lohngedanken"
sich wendet (Aboth I, 3 : „Seid nicht wie die Knechte, die ihrem
Herrn um Lohn dienen"), ist wie seiu Lehrer Simeon der Ge-
die besagen, daß Gott auch gegen die Ungerecliten gütig sei, stammen
aus dem 2. Jahrh. n. Chr.
1 Vgl. jer. Thaanith zu III, 3: „Aus drei Gründen kommt Regen:
Wegen des Landes Israel, wegen der Mildtätigkeit und wegen der
Leiden"; bab. Thaanith 8a: „R. Ammi (3. Jahrh. n, Chr.) sagte: Der
Regen kommt nur wegen der Gläubigen." Vgl. Schir rabba zu 7, 1. |!
2 Vgl. auch Aboth II, 1 (Rabbi; E. 2. Jahrh.).
Mt. 5, 45. 6, 1 f. 69
rechte eine lialb mythische Gestalt, und seine Sentenz wird
sonst erst wieder im 3. Jahrhundert (Abodah sarah 1. c.) zitiert.
Zudem ist in Aboth di B. Nathan c. 5 dem Satze noch hinzu-
gefügt: „Dann wird euer Lohn in der zukünftigen Welt ein
doppelter sein" — was wenigstens ein Beweis dafür ist, daß
man den „Lohngedanken" auch hier nicht missen mochte. —
Vgl. über die „Pharisäer aus Liebe", d. h. aus Lohnsucht
(Sotah 22 b), unten zu Mt. 6, 5 („Heuchler"). Übrigens reden
unzähhge Thalmudstellen von Lohn für Gesetzeserfüllung und
gute Taten überhaupt, z. B. Makkoth ni, 15 (Lohn für Ent-
haltung von Blutgenuß, Baub, Wollust), Thaanith IIa (Gott
belohnt sogar die Frevler, die auch nur etwas Gutes getan),
Abodah sarah 2a (Einst wird Gott ausrufen: . . . Wer sich mit
der Thorah beschäftigt hat, empfange seinen Lohn), Peah I, 1
(Der wahre Lohn wird den Gerechten erst in der kommenden
Welt), und das AT knüpft an zahlreiche Gebote sogar Ver-
heißungen nur irdischen Lohnes. (Im NT stets jenseitiger L.)
Mt. 6, 1 fil Vor den Leuten, Die hierzu angeführten
rabbinischen Stellen sind bedeutend später als Jesus und das
Ev. Matthäi. So Baba bathra 9b: „R. Eleasar (2. Jahrh.
n. Chr.) sagte: Wer im geheimen Wohltaten übt, ist größer als
unser Lehrer Moses; denn von unserm Lehrer Moses heißt es
(5. Mos. 9, 19): ,Denn ich fürchtete mich vor dem Grimm und
dem Zorn', vom Wohltätigen aber (Spr. 21, 14): ,Eine Gabe im
verborgenen bezwingt den Zorn, und Geschenke im geheimen
heftigen Grimm'. Chagigah 5a: „B,. Jannai (Auf. 3. Jahrh.
n. Chr.) sah einen Mann, der einem Armen einen Süs (Gulden)
öffentlich gab. Da sprach er zu ihm (dem Geber): JSs wäre
besser gewesen, du hättest ihm nichts gegeben, als es ihm öffent-
lich zu geben und ihn damit zu beschämen."' — G esehen. Baba
bathra 10b: „E. Eleasar aus Modüm (2. Jahrh. n.Chr.) sagte: Alle
Wohltätigkeit und Liebe, die die Götzendiener ausüben, gereicht
ihnen zur Sünde, weil sie es nur tun, um deswegen erhoben
(gelobt) zu werden." [Wünsche irrtümhch: um uns zu schmähen.]
— Posaunen. Die Wohltat öffenthch bekannt werden lassen,
wie der Bann ausposaunt wurde (Schabbath 35b); oder = Warte
nicht bis zum Sabbath (bei dessen Eintritt sechsmal mit der
Trompete geblasen ward), um dann öffenthch in der „Schule"
(Synagoge) das Almosen in den Ahnosenkasten zu geben. —
Wahrlich. Vgl. oben zu Mt. 5, 18. — Lohn dahin. Sie haben
ihr Gutes (nämhch den Ruhm eines Gebers) schon hier auf Erden
70 Mt. 6, If. 5 ff.
erhalten, sodaß ihnen für das Jenseits kein guter E-iihm mehr
bleibt. "Wer schon hier seme Wünsche erlangt — und jene
eitlen Geber wollen ja nur den Ruhm — der bekommt dort
keinen Lohn. Vgl. Genesis rabba c. 10: „R. Chanan (1. Jahrb.
n, Chr., z. Z. der Tempelzerstörung) sagte: Der Wein ward des-
halb (der Welt) von Gott gegeben, damit die Gottlosen, die
keinen Teil an jener Welt haben sollen, hier abgefunden werden."
Ygl. in meinem Thahnudkatechismus S. 70 den Bericht
Thaanith 26 a über den goldenen Tischfiiß des B,. Chanina ben
Dosa (Ende des 1. Jahrh. n. Chi\), some Luk. 16, 25: „Ge-
denke, daß du dein Gutes empfangen hast m deinem (Erden-)
Leben, und Lazarus dagegen hat Böses empfangen; nun aber
mrd er getröstet, und du wirst gepeinigt." — Laß deine
linke Hand usw. Nur entfernt ähnhch und später ist Baba
bathra 10 a: „Welche Wohltätigkeit rettet vor außergewöhnlichem
Tode? Wenn einer ein Almosen gibt und nicht weiß, wem er
gibt, und [oder] wenn der Empfänger nicht weiß, von wem sie
kommt." Bei der Unterscheidung der hnken von der rechten
Hand ist nicht an Opferbräuche zu denken, bei denen nur die
Bechte verwendet werden durfte (dies gegen Lightfoot, der
Joma 49 a und 77 b zitiert). Die Worte bedeuten lediglich die
„eine" mid die „andere" Hand, vgl. zu Mt. 5, 39; nicht einmal
die eine Hand soll merken, daß die andre in aller Stille ein
Almosen gibt, geschweige denn die Leute. — Dein Vater: Gott.
Vgl. Dabnan S. 188. — Ins Verborgene .... öffentlich.
Eine ähnliche Antithese bringt Sotah 9 a im (2. Jahrb. nach Chr.)
E. Me'ir betreffs der Strafe der Ehebrecherin: „Sie tat es im
geheimen ; aber ,der da im geheimen sitzt, der Höchste' (Ps. 91,1)
richtet auf sie sein Antlitz. Oder: Sie tat es im geheimen, aber
Gott macht es öffentHch bekannt."
Mt. 6, 5 ff. Elbogen (S. 80) erklärt Boussets Bemerkung
für falsch, daß die „Pharisäer" zu Jesu Zeit sich durch lange
Gebete Gott vernehmlicher zu machen glaubten, und meint, da
hier die Heiden genannt seien, läge „keine Veranlassung vor,
das auch auf Juden zu beziehen". Erstens sprach Jesus zu
bisher pharisäisch beeinflußten Juden, und wenn er Anlaß nahm,
ihnen das „Plappern" beim Gebet zu verbieten, so liegt schon
hierin ein Grund zu der Vermutung, daß er sie in diesem Miß-
brauch befangen wußte; man verbietet einfachen Leuten nicht
etwas, woran sie gar nicht denken. Zweitens aber gibt es trotz
Elbogen auch Zeugnisse aus „pharisäischem" Munde für die
Mt. 6, 5 ff. 71
<
AuschauuEg, ein langes Gebet finde Erhörung und sei auch
anderweit, weil verdienstlich, vorteilliaft. So heißt es im Jeru-
schalmi (Thaanith 67 c): „Wer es reichlich macht mit dem Ge-
bete, wird erhört." Aus späterer Zeit findet sich ein ähnhcher
Gedanke im Babli (Berachoth 55a): „Eab Jehudah (3. Jahrh.
n. Chr.) hat gesagt: Drei Dinge verlängern die Tage des Men-
schen: Wer es reichlich macht mit seinem Gebete" usw.
Berachoth 61a steht freilich das Gegenteil: „B,ab Huna (starb
297 n. Chr.) sagte, es habe Eab (starb 247) als Anspruch
R Meirs (2. Jahrh. n. Chr.) berichtet: Die (Gebets-)AVorte des
Menschen vor Gott sollen wenige sein, laut Pred. Sal. 5, 1,"
Nach jer. Berachoth 7 c jedoch meinte Meir, wer ein langes
Gebet sage, werde erhört (vgl. Bosch ha-schanah 18 a), und
Menachoth 43 a sagt er, der Mensch solle täglich 100 Segens-
sprüche sagen. Drittens aber wird von langen Gebeten nicht
nur historisch berichtet, sondern diese werden auch dem Wort-
laute nach angegeben. So heii3t es Berachoth 36 b: „Die
Babbinen haben gelehrt: Die früheren Erommen verweilten (je
dreimal täghch) eine Stunde (vor dem Gebet am Gebetsoii;),
beteten eine Stunde lang und verweilten wieder eine Stunde
lang (nach dem Gebet)." Berachoth 16b smd lange Privat-
gebete der Babbinen angeführt, gegen die das schlichte Vater-
unser vorteilhaft absticht, so schöne einzelne Gedanken jene
Gebete auch enthalten. — Wie lang selbst die „kurzen" Stoß-
gebete der Babbinen sind, s. unten Seite 77. — Wenn du
betest . . . plappern. „Diese Bedeformel (V^snö nriNtJ'D) findet
sich schon (!!) in Pirke Aboth II, 18 (lies 13) vor" — belehrt
uns Nork (S. 42). Dort steht nämlich der Ausspruch des „schon"
Anf. des 2. Jahrh. nach Chr. lebenden B. Simeon ben Natha-
nael: „Mache dein Gebet nicht zu einem Formelwerk, sondern
es sei em Flehen zu Gott." Ebenda verlangt er bei formu-
lierten Gebeten genaues Aussprechen jeden Lautes. Das Gebet
muß vielfach als Lippen- und Formelwerk behandelt worden
sein, weil B. Simeon dies besonders tadelt. — Kämmerlein \
Die auch hier wie in v. 4 stehenden Worte „und dein Vater
. . . öffentlich" geben, wenn dTToStioaet mit „zueignen" über-
1 7gl. Daniel 6, 11; Judith 8, 5; Tobias 3, 12 {y?o überall das
Obergemach des Hauses Betstätte ist, wie auch Apgesch. 1, 13; 10, 9);
R. Jochanan (2. Jahrh. n. Chr.): „Wer in seinem Hause betet, den um-
gibt es wie mit einer eisernen Schutzmauer" (jer. Berachoth 8d).
72 Mt. 6, 5 ff.
setzt wird, eineu guten SiDii. Der im 4. Jahrh. n. Chr. lebende
Amoräer R. Benjamin ben Levi sagt ähnlich vom Thorah-
studium: „Wenn -jemand sich versteckt (Jer. 23, 24), um sich
im verborgenen mit der Thorah zu beschäftigen, (dessen Lob)
mache ich den Leuten offenkundig" (Exod. rabba c. 8 Ende;
Thanchuma B. i<"i.si 8). — Heuchler. Elbogen (S. 34^) hätte
sich zu gut erachten sollen, Güdemanns sophistische Apologie
der Heuchelei nachzusprechen. Allerdings sind die „Pharisäer"
in der Verteidigmig solcher „unlauteren Pharisäer" vorangegangen,
vgl. Sotah 22b: „[Vorher sind getadelt:] Der Pharisäer aus
Liebe und der Ph. aus Furcht. Abaji (starb 338) und Raba
(starb 352) haben zu dem (dies) Vortragenden gesagt: Erwähne
nicht tadelnd des Lohnsüchtigen und des Strafe Fürchtenden;
denn laut B,ab Jehudah (Ende des 3. Jahrh. n. Chr.) hatRab gesagt:
Lmmer befasse der Mensch sich mit der Thorah und den
(rabbinischen) Vorschriften, selbst wenn es anfänglich nicht um
ihrer selbst willen [in reiner Absicht] geschieht; die Zeit wird
schon noch kommen, wo dies der FaU sein wird." (Auf den
G-assen. Fasteugebet auf der Straße: s. Thaanith IT, 1 f.) —
Darum. Weil dies Ansicht der „Heiden", man könne Gott
dm-ch viele Worte bewegen, einen zu erhören, trotzdem er es
ursprünglich anders beschlossen habe. Die Vorstellung, durch
intensives und extensives Beten Gottes Wirken nach dem
menschlichen Willen gestalten zu können, ist eine grobsinnliche,
die Gott zu einem heidnischen Götzen macht, den man bei
Nichterfüllung der Gebetswünsche sogar strafen zu können ver-
meint (vgl. Elbogen S. 65^); dahin gehört es auch, wenn der
Mensch dem Herrgott sei es Hekatomben, sei es auch nm' Lob
und Preis für Erfüllung eines Gebetes gelobt. Die Ansicht, daß
man Gott erst auf die Bedürfnisse des Beters aufinerksam machen
müsse und durch Gebet „das Verhängnis zerreißen" könne, findet
sich vielfach im alten und späteren Judentum ^ Dem gegen-
über betont Jesus, daß Gott schon vorher wisse, was der Mensch
^ Aiißer Stellen des AT. vgl. Lev. r., c. 5: „Das Gebet der Israe-
liten vermag Gottes Willen zu beeinflussen"; Rosch. ba-scbanah 16a:
Ein Gebet in der Not kann einen Eatscliluß Gottes sowohl verhindern
wie abändern; Pesachim 119a: Gott freut sich, wenn man ihn durch
Gebet besiegt (umstimmt); Thaanith 25a bewirkt R. Levi durch Yor-
würfe gegen Gott, daß dieser Regen schickt (vgl. 19a, 13a); Thaanith 65b:
Gebet, Almosen und Reue zerreißen das Verhängnis; Joma 29a: Je
mehr die Frommen beten, desto sicherer werden sie erhört; Sukkah 14a:
Mt. 6, 5£f. 73.
bedarf, und imser Gebet seinem heilsamen Kat eingliedere; das
Gebet soll in erster Linie religiös - sittlicli veredelnd auf
den Menschen einwirken (vgl. Luthers Erklärungen zum Vater-
unser: bei uns, erkennen lasse usw.) und des Menschen Über-
einstimmung mit Gottes Rat bekennen. Das Gebet ist kein
Herabziehen Gottes zu uns, sondern ein Sicherheben zu Gott.
Als solches Bekenntnis der Übereinstimmung mit Gottes gutem,
gnädigem Wülen braucht das Gebet zum Allwissenden nur kurz
zu sein.
Ein Muster solchen rechten Gebets gibt Jesus im Yater-
unser.
Nachdem außer Laghtfoot und Scheidt, die noch genauer
zu erwähnen seia werden, auch andere christhche Gelehrte ^
darauf hingewiesen hatten, daß das Gebet des Herrn einige An-
klänge an rabbinische Formeln enthalte, ohne jedoch die Pri-
oritätsfrage zwischen beiden genauer zu erörtern, wurde es viel-
fach geradezu Mode, das Vaterunser als ein mehr oder minder
glückhches Mosaik aus bereits vorhandenen jüdischen Gebets-
bestandteilen zu betrachten, und ich selbst besitze noch das vor
einem Vierteljahrhundert nachgeschriebene Diktum unseres
Religionsoberlehrers: „Die Worte des Vaterunsers entnahm er
uralten Synagogengebeten." Ahnlich sagt u. a.^ Hamburger
(EE Suppl. in, 55): „Jeder (!) Satz in diesem Gebet kommt
in den Gebeten und Lehren der jüdischen Volkslehrer in den
Talmuden vor, so daß das ganze (!) Gebet auf dem Boden des
Judenthums seine Heimstätte hat" — obwohl gerade ihm bei
seiner gründlichen Kenntnis des rabbinischen Schrifttums bei
etwas größerer Aufmerksamkeit und Unbefangenheit nicht hätte
entgehen können, daß alle von ihm angeführten „Gebete und
Lehren", soweit sie überhaupt entsprechenden Sinn aufweisen,
ausnahmslos (und z. Teil ganz bedeutend) später als Jesus
und das Ev. Matthäi sind! Dieser Sachverhalt hindert freilich
Wünsche nicht, S. 84 ebenfalls von sjaiagogalen Quellen des
Vaterunsers zu fabeln.
„Das Gebet der Frommen verwandelt Gottes Strenge in Erbarmen"; Eoscli
ha-sclianah 16b: Lautes Gebet zerreißt das Verhängnis. — - Die Stellen
sind chronologisch, geordnet; sie stammen aus dem 2. — 4. Jahrh. n. Chr.
^ Schöttgen, Hör. hebr. I, 160 ff.; Yitringa, de synag. vet. p. 962;
Otho, lex. rabb. p. 539; von neueren: Tholuck, Bergpredigt, S. 337 f. |l
- Über andere vgl. unten Strack im „Anhang".
74 Mt. 6, 9 a.
Mi 6, 9a. Unser Yater im Himmel. — Hambm'ger
a. a. 0.^ fühi-t als angebliche Quellen an: 1. Joma VIII, 9:
,,E. Aldba (starb 135)- sagte: Heil euch Israeliten! Bedenkt,
vor wem ihr euch reinigt, und wer euch reinigt! Euer Vater
im Himmel ist's." 2. Sotah IX, 15 (= fol. 49 ab): ,,E. Pinchas
ben Jair sagte: Seit der Zerstörung des Tempels (!) sind die
Gelehrten und jfreien Männer beschämt, sie verhüllen ihr ge-
beugtes Haupt, die werktätigen Männer sind mißachtet, die Ge-
walttätigen und Schwätzer nehmen überhand, niemand forscht,
niemand strebt, niemand fragt (mehr). Auf wen sollen wir ims
(da) verlassen? Auf unsern Vater im Himmel. — E. Elieser
der Große sagte: Seit der Zerstörung des Tempels (!) sind die
Gelehrten den Schulmeistern (xnsö, Bibellehrern, Kinderlehrern)
gleich geworden, die Schulmeister den Synagogendienern, die
Synagogendiener dem unwissenden Volke, und das unwissende
Volk wird immer elender, und niemand ist, der da fragt und
strebt. Auf wen sollen wir uns (da) verlassen? Auf misern
Vater im Himmel." Es folgt alsdann ein anonymer Passus über
die Vorzeichen des Messias^, der mit dem Sanhedrin 97a über
denselben Gegenstand wiedergegebnen Ausspruche des E. Jehudah
(2. Jahrh. n. Chr.) im wesentlichen übereinstimmt und, wie mir
scheint, der hadrianischen Verfolgungszeit (um 135 u. Chr.)
angehört. In Sotah lautet der Schluß dieses Stückes: „Der
Sohn mißachtet den Vater, die Tochter widersetzt sich der
Mutter, die Schmegertocliter der ScliTOegermutter, und des
1 Ebenso in Kürze aucli Lightfoot p. 299. Ich. übersetze ausfübr-
licb, auch wo im folgenden H. selber Übersetzungen gibt, mit meinen
eigenen Worten, da H. öfters den Wortlaut ungenau oder gefärbt
wiedergibt. 1| ^ Wenn H. (RB II, 32) sagt: „im 1. Jahrb. n. Chr.«, so
gilt dies sicher nicht in dem Sinne, daß diese Stelle früher als Jesus
wäre. Selbst wenn, wie H. nach der sagenhaften Angabe in Genesis
rabba rechnet, Akiba 120 J. alt geworden, also ca. 15 n. Chr. geboren,
wäre, so hat doch, wie H. selbst weiß, Akiba erst mit 40 Jahren das
Gesetzesstudium begonnen und sich „nur langsam entwickelt." Aller-
zeitigstens könnte da,her obiger Ausspruch 55 n. Chr. geschehen sein,
also fast ein Vierteljahrhundert nach Jesu Tode. Da aber die Parallel-
aussprüche erst längere Zeit nach der Tempelzerstörung und wahr-
scheinlich in die Zeit der hadrianischen Verfolgungen fallen, die A. mit
erlitt, so wohl auch dieser Satz. || " Ich habe in meinem Thalmud-
katechismus S. 44 diesen ganzen Passus noch mit zu R. Eliesers
Worten gerechnet, wohl mit Unrecht; auch ist dort übersehen.
Mt. 6, 9a. 9b. 75
Menschen I^eiude sind seine eigenen Hausgenossen^; das Aus-
sehen des Zeitalters ist hündisch, sodaß der Sohn sich vor
seinem Vater nicht scheut. Auf wen sollen wir uns (da) ver-
lassen? Auf unsern Vater im Himmel (w^^^^' iJ'^l^ bv)." —
Das sind also alles Stellen, die ganz bestimmt aus der Zeit
nach der Tempelzerstörung stammen, zum Teil sehr viel später
als diese sind und hier außerdem weder in „Gebeten'-' (Ham-
burger 1. c), noch „in der jüdischen Liturgie" (Nork S. 43) stehen.
Außerdem heißt es in Joma VIII, 9 ebenso wie in jer. Maas-
roth 50 c (Lightfoot p. 299: „Buerm Vater im Himmel habt
ihr's gegeben, nicht mü' [dem Priester]") „euer", nicht „unser"
Vater ^! Auch im AT kommt „unser Vater im Himmel"' nicht
vor^; Jesus ist vielmehr, so^del ich sehe, der erste, der diesen
Ausdruck als Anrede für Gott anwendet"^. Wie daher Dalman
(S. 156) sagen kann, Jesus habe Mt. 6, 9 den Jüngern „das
übKche jüdische ,Unser Vater im Himmel' vorgeschrieben", weiß
ich nichts
Mt. 6, 9b. Dein JSTame werde geheiligt. — Jesus
entnahm den Ausdruck aus Jes. 29, 23: „Dann werden sie
meinen Namen heiligen*^."' Keine „Quellen"' hierzu sind:
1. Berachoth 40 b'^: „Jede Benediktion, in der des ,Namens'
(D^^'n) nicht gedacht wird, ist überhaupt keine." Hier ist Name
nur die übhche Umschreibimg für „Gott", und von „heiligen"
daß die Lukas - Stelle auf Mt. 10 , 35 und diese auf Micha 7 , 6
zurückgeht.
1 Laut Mt. 10, 35 (vgL Luk. 12, 35) hat Jesus diesen Vers aus
Micha (7, 6) schon hundert Jahre vor der hadrianischen Verfolgung in
seinen eschatologischen Darstellungen verwendet. || ^ Berachoth 32b
redet R. Eleasar (2. Jahrh. n. Chr.) auch nur von den Israeliten iind
ihrem V. i. H. 1| ^ Thargum jer. II zu Deut. 82, 6 sagt nur „euer
Vater im Himmel" (Nn^a^"nn "jiDOJ^). Wenn Lightfoot (p. 299) Jes. 63, 16
und 64, 8 zitiert, so ist das falsch, weil dort „im Himmel" nicht steht! jj
^ Selbst bloß *i^JDi<i kommt als Anrede Gottes (z. T. in Verbindung
mit ■'1J37D „unser König") erst im 2. Jahrh. n. Chr. und auch da nur
selten vor (Dalman S. 156). |1 ^ Daß die Israeliten bezw. ihre Priester
Gott nicht als Vater ehren, sondern seinen Namen verachten, steht
Mal. 1, 6. (Die Nicht-Ehrung und Verachtung besteht n^ch v. 7 ff. im
Darbringen untauglicher Opfer.) 1| ^ Entheiligung des Namens Gottes:
Jer. 34, 16; Ezech. 36, 20, 23; Arnos 2, 7; Mal. 1, 12 (hier opp.: „Mein
Name soll herrlich werden." H ' Lightfoot p. 800 ; Nork, S. 43 ; Ch. Taylor,
Sayings of the Jewish Eathers, 2. Aufl., S. 124.
76 Mt. 6, 9 a. 10 a.
gar nicht die B,ede^; außerdem stammt dieser Anspruch erst
von Eab (starb 247 nach Chr.) ! — 2. Kaddisch-Gebet, Anfang-:
;,Es werde groß und geheiligt sein erhabener Name" (^Ijn'
n^T n'üty B'Tpn'l). Hamburger gibt RE II, 607 selbst zu, daß
„nur die Sage", das „sehr alte" (?) Kaddisch „auf R. Jochanan
und E.. Aldba hinaufführt" (also höchstens bis aufs Ende des
1. Jahrh. n. Chr.!), daß es sich aber tatsächlich erst im
2. Jahrh. nach Chr. erwähnt findet ^
Mt. 6, 10a. Dein Eeich komme. — Nork, Wünsche,
Hambm'ger u. a. zitieren hierzu den Satz des Kaddisch: „Er
lasse regieren sein Reich während eures Lebens und in euren
Tagen alsbald und in naher Zeit" ("jlD'öl'in pD^nn n^nnt'D yb'Q'^
nnp pm n^:iy3). Aber nicht nur, daß das Kaddisch später
ist (zu 6, 9 a), drückt diese Stelle lediglich den Wunsch aus,
daß die Zeitgenossen des Beters („eure"!) den Eintritt der
irdischen Messiasherrschaft erleben möchten, während Jesus
mit dem „Reich" ein himmlisches Heilsgut meint. Vgl. unten
den Abschnitt „Himmek-eich" ! — Wenn Lightfoot, Nork und
Neuere (z. B. Taylor S. 125) hier Berachoth 40 b oder Sanhe-
drin 28b zitieren, so finden wh' auch an diesen Stellen keine
rabbinischen Gebete, sondern nur eine Sentenz über einen an-
geblich wesentlichen Bestandteil der Benediktionen (Segens-
sprüche), und zwar aus dem 3. Jahrh. nach Chr., wie der
Wortlaut beweist: „R. Seira sagte: Jede Benediktion, in der
das Reich (Gottes) nicht erwähnt wnd, ist überhaupt keine."
^ Wenn Taylor a. a. 0. noch Ezech. 36, 23 zitiert, so verkennt er,
daß dort Gott selbst redet: ,Icli will meinen großen Namen heilig
machen" ('nty'"ijp), während Mt. 6, 9 die Menschen Gottes Namen hei-
ligen sollen. (Luther: ^Daß er auch bei uns heilig werde.") || ^ Außer
Nork und Hamburger auch Wünsche S. 85. 1| ^ Wenn Wünsche a. a. 0.
als Quelle den 3. Absatz des Schemoneh-esreh-Gebets zitiert („Lasset
uns den Namen heiligen in der Welt, wie man denselben heiligt in den
hohen Himmeln"), dessen Ersatz „aller Wahrscheinlichkeit [?] nach"
das Vaterunser habe sein sollen, so vergißt er, daß sich eine authentische
Erwähnung dieses (nach Elbogen S. 9 , uneigentlichen") Gebets erst
nach der Tempelzerstörung, und zwar aus der Zeit Gamliels II (nicht
G.'s I., des Lehrers Pauli) findet, unter dem das Gebet, angeblich
wenigstens, in seine bekannte Fassung gebracht wurde, wahrscheinlich
aber überhaupt erst entstand (für wichtige Teile gibt dies auch Bacher
Ag. d. Tan. I, 89 zu), jedenfalls aber erst da zum täglichen Plicht-
gebete gemacht wurde (Berachoth IV, 3; Bacher a. a. 0.), wie denn
Mt. 6, 10b. 11. 77
Mt. 6, 10b. Dein Wille geschehe auf Erden wie im
Himmel. — Nach Lightfoots (p. 300) Vorgange zitiert hier alles
Berachoth 29 b: „Die Eabbiaen haben gelehrt: ,Wer sich an
einen Ort begibt, wo zahlreiche wilde Tiere oder Räuber sich
befinden, der bete ein kurzes Gebet' \ Was ist ein Imrzes
Gebet? B. Elieser sagte (Anf. des 2. Jahrb.): Tue" deinen
Willen oben und gib Gemütsruhe denen, die dich unten fürchten,
und tue, was dir wohlgefäUt. Gepriesen seist du, HeiT, Er-
hörer des Gebets." ^ Selbst wenn dieses Gebet älter wäre, würde
es doch kaum wahrscheinlich sein, daß Jesus mit Absicht dieses
thalmudische Stoßgebet in Gefahr zu einem Bestandteile des
christlichen „Gebets für alle Zeiten" gemacht habe. Die sonst
noch (z. B. Yon Taylor) zitierte Stelle Berachoth 16b — „Wenn
Rab Saphra sein Gebet beendet hatte, pflegte er noch folgendes
zu sagen: Möge es dein Wüle sein, Herr, unser Gott, Frieden
zu machen unter der oberen FamiHe" (den Schutzengeln der
Völker) „und unter der miteren Famihe" (den Gelehrten)
„und unter den Schülern, die deine Thorah studieren,
ob sie dies nun in lauterer Absicht tun oder nicht" — stammt
aus dem Ende des 3. Jahrb. nach Chr.; Norks mittelalterliche
Sohar-Stellen darf ich übergehen, dgl. Wunsches Zitat aus dem
Siddur.
Mt. 6, 11. Unser täglich Brot gib uns heute. —
Trotz der verunglückten Etymologien von imouaioq^ sind die
G. dem „Gebetritus große Aufmerksamkeit zuwandte" und u. a. auch
jjenen Kanon feststellte, den man als Kern der sog. Pesach-Haggadah
betrachten darf (Bacher daselbst). Wenn übrigens Jesus das Schemoneh-
esreh durch sein Gebet hätte „ersetzen" wollen, dann wäre es unver-
ständlich, wenn er wirklich, wie Wünsche wähnt, die Mehrzahl der
7 Bitten einfach daraus wiederum entlehnt hätte (1, 4, 5, 7).
1 Um 110 wurde das Achtzehnergebet formuliert, überhaupt aber
war um diese Zeit ein Bestreben nach fester Formulierung der Gebete
vorhanden. || ^ Nicht , geschehe" (und „werde zuteil") wie Nork ak-
komodierend übersetzt. |1 ^ Daselbst ferner: ,Nach R. Josua (lautet das
Stoßgebet): ,Erhöre das Flehen deines Volkes Israel und erfüUe bald
ihre Bitte. Gepriesen seist du, Herr.' Nach R. Eleasar bar R. Zadok:
jErhöre das Geschrei deines Volkes Israel und erfülle bald' usw. Nach
andern: ,Viel sind die Bedürfnisse deines Volkes Israel, gering ihr
Wissen. Möge es wohlgefällig vor dir sein, Herr, unser 'Gott, daß du
einem jeglichen gebest, soviel er zu seinem Leben bedarf, und jeg-
lichem Leibe das, was ihm mangelt. Gepriesen seist du, Herr, Erhörer
des Gebets'." || * Die Ableitung von r] imoüao: (der nächste Tag) gibt den
78 Mt. 6, 11.
Ausleger docli ziemlich, allgemein^ darin einig, daß gemeint ist
„das für den täglichen Bedarf hinreichende Brot".
Lightfoot (und nach ihm Hamburger) zitiert hier das (S. 77
Anm. 3 wiedergegebene) kurze Notgebet („Viel sind die Be-
dürfhisse .... Leben bedarf"), das aus dem Anfang des 2. Jahr-
hunderts nach Chi', stammt. — Eodrigues-Friedemann führen
(S. 35) falsch ein Wort Hillels an, das, wenn es wirklich, lautete
„Gott sei gesegnet jeglichen Tag für das tägliche Brot, das er
uns gibt" — ein Gebet sein könnte, das Jesus gekannt
hätte. Es handelt sich aber an der in Frage kommenden
Thalmudstelle (Bezah 16 a) gar nicht um ein Gebet, sondern
Hillel zitiert einfach den Spruch (Ps. 68, 20): „Gepriesen sei
Gott Tag für Tag" (der sich an sich gar nicht auf Nahrung be-
zieht) als Rechtfertigung dafür, daß er etwaige Leckerbissen
nicht bis zum Sabbath aufhob, wie Schammai zu Ehren des
gegen 6, 34 streitenden Sinn: Gib uns heute unser Brot für morgen
(damit wir uns — so mißdeutet Ligthfoot — gemäß 6, 34 nicht um
den anderen Morgen zu sorgen brauclien)! Äbnliclien niclit passenden
Sinn geben die Deutungen „panis succedaneus" ("T^ÖR Sn?) oder
„sicheres Brot" (]t2ii: h), die Taylor (p. 126 f.) durch "späte " Gebets-
formeln zu stützen sucht; 6, 84 verbietet jedes Besorgtsein in materi-
eller Hinsicht über den heutigen Tag hinaus, so daß schon die Bitte,
uns heute auch für die Folgezeit sicheres Brot zu geben, einen Mangel
an dem geforderten Gottvertrauen darstellen würde, ganz abgesehen
davon, daß diese Deutungen das ,, unser" nicht berücksichtigen (denn
"was ist unser für dio Folge sicheres Brot, das uns heute werden soll?).
Dasselbe gilt von des Lukas (10, 3) mißglücktem Ersatz-Versuche -/.aV
vj-jispav und Wunsches Vorschlag löl'ia DV. Besser ist ^2'pT} 'b (Del. NT)
nach Spr. 30, 8, was man immerhin (Del., Ztschr. f.luth. Thh876, S. 403)
mit „unser nach dem Bedürfnis bemessenes Brot" übersetzen kann.
Möglich, daß Jesus auf die Proverbienstelle angespielt hat. Das grie-
chische i-ioücT'.o; entbehrt freilich ganz des Begriffs ,, bemessen, be-
stimmen". Wie 6 £-[tov der ist, der einem eben gerade in den Weg kommt,
To E-iov das, was einem eben gerade beifällt, so bezeichnet 6 apTo;
7)[j.wv 6 iiLiouato; „unsre Nahrung, wie sie eben gerade auf uns entfällt",
was eben der heutige Tag gerade gibt und Gott uns schenken will. Es
genügt, daß Gott unsere materielle Notdurft stillt; mehr Denken hieran
ist die materielle Frage nicht wert. Am einfachsten gibt den erforder-
lichen Sinn Salkinson mit IJBTi sn*? (Brot unsrer Notdurft) wieder.
^ Abgesehen von der spiritualistischen Erklärung von „Brot" (vgl.
Luk. 14, 15; Job. 6, 82 ff.); zu dieser vgl. Hieronym. in Mt. 6, 11: „In
evangelio, quod appellatur secundum Hebraeos, i)i'o supersubstantiali
Mt. 6, 11. 12. 79
Sabbaths pflegte, sondern an dem Tage aß, wo er sie bekam;
er meint also einfach, nicht nur am Sabbath, sondern alle Tage
ehre man Gott, wenn man seine guten Gaben mit Dank ver-
zehre. — Über die von E^ork, Hambm'ger, Wünsche u. a.
betreffs des „Sorgens für den andern Morgen" schon hier an-
geführten rabbinischen Stellen vgl. unten zu v. 31 u. 34.
Mt. 6, 12. Und vergib uns usw. Die von Hambm-ger
absichtlich ungenau (von ISTork etwas besser) hierzu angeführte
Mischnah-Stelle (Joma VIII, 9 = 85b) lautet: „Die Ver-
gebungen eines Menschen gegen Gott sühnt der Versöhnungstag;
aber die Sünden eines Menschen gegen seinen Nächsten sühnt der
V. nicht eher, als bis er seinen Nächsten versöhnt hat." Das
würde allenfalls als ähnHcher Gedanke zu Mt. 5, 22 ff. passen.
Die Mischnah sagt, daß bei Verschuldungen gegen den Nächsten
zui' völligen Tilgung der Versöhnungstag allein nicht genügt,
sondern auch noch die Verzeihung des Verletzten erforderlich
ist, ebenso wie auch bei Beschädigungen das Schmerzensgeld
nicht genügte (vgl. zu 5, 38), sondern noch Vergebung des Ver-
letzten zm' völligen Erledigung der Sache nötig war. Jesus
sagt aber mitnichten, Gott möge uns unsere Verschuldungen
in dem Maße vergeben, wie wir die Verletzten wieder mit uns
versöhnt hätten, also wie uns bereits von den Menschen ver-
geben worden sei, sondern ^delmehr in dem Maße, wie wir den
Menschen vergeben hätten, die uns verletzt haben. Die Misch-
nah redet von der Besänftigmig unsrer moralischen Gläubiger,
Jesus von der Versöhnlichkeit gegen unsre moralischen Schul-
diger! — Ferner stellt Jesus misre Vergebungs-Bereitschaft
als Bedingung (und Maßstab) für das Vergebenwerden aller
unsrer Sünden hüi- nach der Mischnah werden die Sünden
gegen Gott (ganz unabhängig von dem Maße unserer Ver-
söhnungserfolge bei Menschen) dm'ch den Versöhnungstag eo
ipso gesühnt. — Es ist wohl klar, daß diese von Jesu Meinung
grmidverschiedenen mischnischen Sätze nicht seine Quelle sein
konnten, selbst wenn sie in seine Zeit hinaujfreichten. —
Das von Kodi'igues-Friedemann aus Megillah 28 a (ungenau) ge-
pane reperi maliar [inDJ, quod dicitur crastinum, ut sit sensus:
panem nostrum crastinum i. e. futurum da nobis hodie."' Derselbe
in Ps. 135: „In bebraico evangelio secundum Mattbaeum ita habet:
jPanem nostrum crastinum da nobis hodie', hoc est: panem, quem daturus
€s in regno tuo [Luk. 14, 15], da nobis hodie." (Mitteilung v. Prof. Strack.)
80 Mt. 6, 12. 13 a. 13 b.
brachte Zitat lautet richtig: „Raba hat gesagt: "Wer gegen
seinen Nächsten nachsichtig ist, gegen den ist man es ebenfalls;
denn es heißt (Micha 7, 18): ,Schuld vergebend und Missetat
erlassend', d. h. "Wem vergibt ^r (Gott) die Schuld? Dem,
der Missetat (Verletzimgen) erläßt [vergibt]." Raba aber lebte
im 4. Jahrh. n. Chr. ! — Die von Taylor aus jer. Berachoth lY, 2
angeführten Privatgebete späterer Habbinen geben nur den Gre-
danken wieder, daß wir gut gegen unsre Nächsten und auch
diese gut gegen mis handeln möchten^!
Eher wäre an alttestamenthche Stellen wie Sirach 28, 2
als Quellen zu denken, insofern hier geboten Avird, dem Näch-
sten die uns von ihm zugefügte Kränkung zu vergeben; dann
Avürden uns, wenn wir bäten (oder beteten), imsere Fehltritte
auch „gelöst" (vergeben) werden. AhnHch ist dies ja v. 14
gesagt; hier jedoch scheint mir betont zu sein, daß Gott uns
genau in dem Maße, wie wir die uns zugefügten Verletzungen
vergeben, unsere Sünde vergebe.
Mt. 6, 13a. Und führe uns nicht in Versuchung. —
Nork, Wünsche, Hamburger, Taylor (S. 127) u. a. zitieren hier
als „Morgengebet" das thalmudische tägliche Nachtgebet (vor
dem Einschlafen) Berachoth 60b: „Wer schlafen geht, sage: ...
Bringe mich nicht in Sünde, Schuld, Versuchung oder Ver-
achtung, und laß den guten Trieb in mir zur Herrschaft kommen
und nicht den bösen" usw. Formulierte tägliche Gebete kommen
aber (vgl. Hamburger selbst E,E H, 803, Elbogen S. 9) erst
nach Jesu Zeit vor (genauer: nach der Tempelzerstörung, vgl. S. 77)!
Gar nicht passend ist die schon von Scheidt (Menschen S. 69)
beigebrachte Stelle Sanhedrin 107a: „Nach E,ab Jehudah hat
Hab (starb 247 n. Chr.) gesagt: Nimmer bringe der Mensch
sich selbst in Versuchung"; denn Mt. 6, .18 ist doch von Gott
die Eede.
Mt. 6, 13b. Sondern erlöse uns von dem Übel. —
Wenn hier 6 uovYjpd? (der Böse = Satan) gemeint wäre, dann
müßte dies wohl auch 5, 39 der Fall sein, wo aber (s. S. 58) un-
bedingt nur. an das Böse (Verletzung, Kränkung usw.) gedacht
ist; vgl. zu V. IBc. Die Privatgebete Babbis^ (um 200; bei
1 Wünsclies Zitat aus Schemoneh-esreh. ist später (s. o. S. 76, Anm, 3)
und redet nicht von unserem Vergeben. Aucli die zwei anderen,
ebenfalls späteren Zitate (Abotb EI, 20: Akiba!) tun das nicht. ||
^ Beracbotb 16 b : „Wenn Rabba sein (allgemeines) Gebet beendet hatte.
Mt. 6, 13 b. 13 c. 81
Nork S. 45) und des E. Alexandra!^ (3. Jahrb.; bei Taylor S. 128)
können unmögbcb Quellen dieses Verses sein; noch weniger
natürbcb das von Wünsche angeführte viel spätere Sabbatb-
gebet^.
Mt. Q, 13c. Denn dein ist das Reich usw. — Mit
Unrecht ist die Echtheit dieser „Doxologie" verdächtigt worden,
weil Lukas (c. 11) sie nicht hat. Ihr organischer Zusammen-
hang mit der 7. Bitte ist für mich bezeugt durch Paulus, der
2. Tim. 4j 18 ebenfalls an den Gedanken der Erlösung von allem
XJbel {xTtb TzxvxoQ epyou rcovYjpoQ, y~i in^'^SD) die Begriffe
ßaatXsia eTtoupavios (D)Dti' niD^ö) und 5d|a (11^3) anschließt
und auch mit (^{jlyjv endigt. Unverkennbar ist eia Anklang an
Davids letztes Gebet (1. Chron. 29, 10 f.): „Gelobt seist du,
Jhvh, . . . von Ewigkeit zu Ewigkeit. Dein, Jhvh, ist die
Majestät (n^T^n) und die Kraft (nnm-in) und die Herr-
lichkeit (nnNsnn)" usw. "Wenn Hamburger auf den der
Doxologie des Vaterunsers ähnlichen Schluß des (allgemeinen)
Gebetes Alenu (ir^y) hinweist, so sollte er nicht unterlassen zu
sagen, daß dieses erst um 240 nach Chr. entstanden ist!
(Zunz, Gottesd. Vortr.^ 38b; Dalman S. 82.) — Weim „eines
der tägHchen Abendgebete" nach Wünsche (S. 98, Anm.) mit den
Worten schließt: „Denn das Reich ist dein", so vergißt W. ganz
anzugeben, daß dies ein noch viel neueres Gebet ist. Der bei
Lightfoot (p. 301 aus jer. Berachoth 13 c zu 1, 5) zitierte, von
der Gemeinde z. Z. des Tempels gesprochene Schluß des Tempel-
gebets („Gepriesen sei der Name der Herrlichkeit seiaes Reiches
in alle Ewigkeit": lyi Qb)V^ iniD^D inD Dt^ ^nn) lautet doch
wesentlich von 6, 13 c verschieden und wurde damals auch nicht
pflegte er nocli zu sagen: Möge es dein Wille sein, Jhvli, unser Gott
und Gott unsrer Väter, micli zu erlösen von Frechen und Frechheit,
von bösem Menschen, bösem Geschick, bösem Trieb, bösem Genossen,
bösem Nachbar, von Satan dem Verderber, von hartem Gericht und von
hartem (Prozeß-)Widersacher, sei's Israelit oder Nichtisraelit." — Hier
ist alles zur Auswahl da: Tiovvjpot, Tiovrjpov und ö Tcovripo?!
^ Berachoth 17 a: „Wenn R. Alexandrai sein Gebet beendet hatte,
pflegte er zu sagen : . . . Möge es dein Wille sein, daß du uns erlösest vom
Sauerteig (bösen Triebe) und vom Joch der Fremdherrschaft, und daß
wir uns bekehren, deines Willens Gesetze zu befolgen mit ganzem
Herzen." (Hier ist nicht einmal der Ausdruck „Übel" angewandt.) ||
2 Daß der 7. Absatz von Schemoneh-esreh, den W. ebenfalls zitiert,
später ist, ergibt sich aus dem oben zu 6, 9b Gesagten. Übrigens
Bischof f, Jesus u. d. Rabbinen. 6
82 Mt. 6, 13 c. 14. 16 ff.
bei einem täglichen, sondern nur bei einem besondern Festgebete
angewandte Die I. Cbron. 29, 10 und Mt. 6, 13c vorkommende
vollere Formel „von Emgkeit zu Ewigkeit" (aber ohne „Amen",
siehe im folgenden!) wm^de nach Berachoth IX, 5 erst gebraucht
wegen der Sektierer (d'J'ö). — Amen als Schluß eines eigenen
Gebetes ist erst von Jesus eingeführt; die Juden sprachen es
nm' als Antwort auf einen von einem anderen gesprochenen
Segen außerhalb des Tempelgottesdienstes -, wie noch heute jeder
Katholik auf den Segen „Gelobt sei Jesus Christus" antworten
wutI: „In Ewigkeit, Amen!"
Mt. 6, 14. Denn so ihr den Menschen. — Der auf-
fallend ähnhche Satz (Massecheth Derech erez sutta VIII, 4) ^ :
„Wer die ihm zugefügte Unbill vergibt, dem vergibt auch Gott
seine Sünden" (Wünsche S. 89), stammt erst von Eabba (starb
331 nach Chr.)! — Pesachim 113b (Wünsche a. a. 0.) bietet
keine genügende Parallele mid ist später. Das gut auch von
Baba kamma VIII, 7, zu v. 15, der übrigens nur die ergänzende
negative Fassung von v. 14 ist.
Mt. 6, 16 ff. Gottes Erbarmen suchte man außer durch
Beten auch durch. Fasten zu erringen, ja zu erzwingen*. (Dies
der Zushg. mit dem Vorhergehenden.) Wie das Gebet (6, 5), so
wm'de auch das Fasten von manchen Heuchlern benutzt zum
Prahlen mit ihrer Frömmigkeit. Das Unterlassen höflichen
Grußes auf der Straße war nach Thaanith I, 6 nm* bei dem
wegen Wassermangels behördlich angeordneten Fasten geboten;
diese Heuchler aber gingen voll Scheinheüigkeit auch bei andern
(öffenthchen und selbstauferlegten Fasten) trübe und gebückten
kommt auch da nur die Bitte um Erlösung vom „Elend" (der Zer-
streuung, nicht vom Übel) vor, die nur nach der Zerstörung Jerusa-
lems entstanden sein kann, da Seh. e. in Palästina seinen Ursprung hat.
^ Nach Joma VI, 2 (66 a) sprachen Priester und Volk diese Formel
lediglich am Versöhnungstage, so oft im Gebete des Hohenpriesters
der Name mn'' (jJah-weh") vorkam, indem sie niederfielen. — Später
sagte man sie auch leise nach dem ersten Satze des (privaten) Schma-
Gebetes, doch erst im 2. Jahrh. (Pesachim 56 a)! || - jer. Berachoth 13 c,
Berachoth IX, 5. H ^ Ebenso Megillah 28 a, Joma 23 a. || * Vgl.
Thaanith 16a: „Wir beteten im geheimen und wurden nicht erhört;
nun wollen wir uns Öffentlich (durch die Fastenzeremonien) demütigen."
Ja, man suchte angeblich sogar Gott durch Inhumanität gegen Tiere zur
Barmherzigkeit gegen die Menschen zu nötigen: „Man sperrte das (alte)
Vieh für sich und seine Jungen für sich ein und sprach (wenn beides
Mt. 6, 16 ff. 83
Hauptes ^ vor sich hinblickend und, um nicht grüßen oder Grüße
erwidern zu müssen, ihr Antlitz verhüllend^ umher. Mit un-
verblümter Deuthchkeit nennt Josua ben Chananjah (Ende des
1. Jahrh. n. Chr.) solche scheinheiligen Übertreiber von Kastei-
ungen „Pharisäer''^. Jesus verwirft nicht nur diese offenbare
Scheinheiligkeit, sondern jede äußere Kennzeichnung der Tat-
sache, daß man faste, obwohl das rabbinische Zeremoniell der-
gleichen, wie z. B. Unterlassen des Waschens und Salbens
(Parfiimierens), für alle Fasten (Thaanith 1. c), zumal für das
des Versöhnungstages (Joma YIII, 1) vorschrieb. Wenn ein
Jünger durch seine Gemütsstimmung zum Fasten veranlaßt wird
(denn sonst sollen sie es nicht tun, vgl. Mt. 9, 14 f.), so soll er
dies nicht mu' den Leuten nicht durch Äußerlichkeiten kund-
machen, sondern im Gegenteil sich gerade salben und waschen,
so daß die Leute sein Fasten gar nicht merken. Es ist genug,
daß Gott es weiß, der ja auch weiß, ob wahre innere Buß-
stimmung dem Fasten zugrunde hegt. Wenn eine dieser An-
schauung ähnUche Gesinnung in Genesis rabba c. 74 von
B. Levi dem Patriarchen Jakob zugeschrieben wird (ISTork
S. 45 f.) *, so ist wohl zu bemerken, daß B. Levi im 3. Jahrh.
nach Chr. lebte! Wünsche, der (S. 91) zu v. 17 den Thaa-
nith 16 a überheferten angeblichen Brauch zitiert — daß beim
Begenfasten ein „Alter" oder „Weiser" oder „Hochgewachsener"
dem Volke habe sagen müssen: „Brüder, nicht Sack und Fasten,
nach, einander schrie): Herr der Welt, wenn du dich, nicht über uns
erbarmst, so erbarmen wir uns auch nicht über diese." (Daselbst.)
1) Sotah 22b. || - Das ist wohl in erster Linie mit afflavt^ouat ge-
meint, sodann vielleicht auch die fahle Farbe des Gesichts durch über-
mäßiges Fasten (Sotah 12 a). |j ^ Sotah III, 5 und jer. 19 a. Da auch
die „sehr alte" (Elbogen S. 28) Barajtha jer. Berachoth 14b zu IX, 5
und jer. Sotah 20 c zu V, 3 von „scheinheilig mit ihrer Frömmigkeit
prahlenden Pharisäern" redet und schon vor Jesus der König Jannai
(Sotah 22b) vor , gefärbten" (scheinheiligen, heuchlerischen) Pharisäern
warnt, ist Elbogens Ansicht (S. 7, vgl. oben Einl. S. 7): die sich in
Jesu scharfer Kritik des Pharisäismus kundgebende Stimmung gegen die
Pharisäer passe nicht in seine wirkliche Lebenszeit, sondern erst ins
2. Jahrh., hinreichend wunderlich zu nennen. || * ,Daheim weinte er
(um Josephs vermeintlichen Tod); ging er aber aus, so salbte er sich,
aß und trank. Warum verbarg er seine Kasteiung? Gott hat geant-
wortet: Weun er seinen Kummer auch (vor den Leuten) verborgen hat,
so will ich ihn doch der Welt offenbar machen" (indem ich die Sache
6*
84 Mt. 6, 16ff. 19ff.
sondern Buße und gute "Werke tiui's !" — übersieht, daß damit,
so schön dies gesagt ist, doch keineswegs die äußere Trauer-
erscheinung verworfen wird, wie Jesus es ausdrücMich tut.
Schekalim III, 2, von W. zu v. 18 zitiei-t, bietet nicht einmal
eine Parallele, da dort wieder von Fasten noch von ähnhchem,
sondern davon die Rede ist, daß man beim Eintreten in die
Tempelschatzkammer nicht so gekleidet sein solle, daß man den
Verdacht erregen könne, man habe sich dort Geld einstecken
können. Das paßt doch gar nicht ^!
Mt. 6, 19ff.2 Schätze im Himmel — Nicht als „Quelle",
wie Nork (S. 46) und andere, wohl aber als auffallende spätere
rabbinische Parallele darf man die bekannte Legende (jer.
Peah 15 c zu I, 1; b. Baba bathra lla)^ von dem Könige
dem Moses offenbare, äamit er es weiter überliefere). — Das siebt bei-
gäbe aus, wie eine mißverständlicbe Anwendung von v. 18 Ende:
„Und dein Vater, der ins Verborgene siebt, wird dir's vergelten
öffentlicb!"
^ Aucb die zu v. 16 nacb Wünsche nicbt ganz richtig zitierten
Stimmungsworte späterer Rabbinen, die sieb gegen das Fasten überhaupt
richten (Thaanith IIa: , Samuel [3. Jahrb.; nicht „R, Samuel"!] sagte:
Wer fastend dasitzt, wird ein Sünder genannt"; Nedarim 77b heißt
jeder Gelobende „ein Sünder", das Geloben des Fastens ist nicht speziell
erwähnt!), passen nicht, da Jesus hier das Fasten, wie oben gezeigt,
nicht absolut verwirft. |j ^ Nachdem Jesus von 6, 1 an von denen ge-
sprochen, die da glauben, ohne die rechte Gesinnung Gott Wohlgefallen
zu können, wendet er sich gegen die, die da wähnen, mit schlechter
Gesinnung (Mißgunst wider die Menschen, Mißtrauen gegen Gott) Gott-
wohlgefälligkeit vereinen zu können. Den selbstgefällig Frommen stehen
die selbstsüchtig Unfrommen gegenüber, den echter Liebe baren Wohl-
tätern die direkt lieblosen Geizigen, den echter Andacht baren Betern
die direkt an Gottes Allmacht und Fürsorge zweifelnden Kleingläubigen.
Den Übergang zu den mißgünstigen Geizigen bilden die scheinheiligen
Faster, die zwar die beim Fasten üblichen Almosen geben (Berachoth 6 b),.
aber es nicht gern tun, ja aus Geiz so lange wie möglich damit zögern,^
vielleicht bis zu einem neuen Fasten (Sanhedrin 35 a). |i ^ Ich gebe
hier die etwas ausführlichere, sachlich mit der palästinischen überein-
stimmende Version in Baba bathra: „Unsere Rabbinen haben über-
liefert: Der König Monobaz verteilte zur Zeit von Hungersnot seine und
seiner Vorfahren Schätze [jer.: an die Armen]. Da taten sich seine
Brüder und seine übrigen Verwandten väterlicherseits zusammen und
hielten ihm vor: ,Deine Väter haben Schätze gesammelt und damit die
ihrer Väter noch vermehrt; du aber verschwendest sie!' Er erwiderte:
Mt. 6, 19 ff. 85
Monobaz(os) ^ von Adiabene in Assyrien zitieren. Da dieser aber erst
36 n. Chr., also mindestens 3 Jahre nach Jesu Tode, nebst seiner
Mutter Helena und seinem Bruder Izates zum Judentum über-
trat, ist es schon an sich unwahrscheinlich, daß Jesus oder ein
anderer in Palästina schon vorher von ihm und seinen angeb-
lichen Äußerungen vernommen, und daß er sie bereits am An-
fang seiner Lehrtätigkeit verwendet haben sollte. Zudem wurde
Monobazos „König" erst im Jahre 61^, und in Baba bathra
wird doch jener Vorfall in seine Kegierungszeit verlegt. Auch
Bacher"" I, 25 setzt ihn erst in die Zeit nach Jesu Tode. -^
,Meine Väter haben Scliätze unten (auf Erden) gesammelt, ich aber
sammle Schätze oben', wie es heißt (Ps. 85, 12): Daß Treue auf Erden
wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue. ,Meine Väter haben
Schätze gesammelt an einem Orte, wo Menschenhand darüber Gewalt
hat, ich aber an einem Orte, wo Menschenhand nicht Gewalt darüber
hat', wie es heißt (Ps. 89, 15): Kecht und Gerechtigkeit sind deines
Thrones Stütze. ,Meine Väter haben gesammelt, was keine Früchte
trägt, ich aber, was Früchte trägt', wie es heißt (Jes. 3, 10): Sprechet
zu dem Gerechten (pHil; HplU Almosen), daß es ihm gut gehe; denn
die Frucht ihrer Werke werden sie essen. ,Meine Väter haben Mam[m]on
("jlöö, irdisches Gut) gesammelt, ich aber Seelenschätze', wie es heißt
(Spr. 11, 13): Die Frucht des Gerechten ist ein Baum des Lebens,
Seelen erwirbt der Weise. ,Meine Väter haben für andre (die Nach-
kommen) gesammelt, ich aber habe (gerade durch mein Almosengeben)
für mich gesammelt', wie es heißt (5. Mos. 24, 13): Und dir wird es
zur Gerechtigkeit (Almosen) sein vor dem Herrn, deinem Gotte. ,Meine
Väter haben für diese Welt gesammelt, ich aber für jene Welt', wie es
heißt (Jes. 58, 8): Und deine Gerechtigkeit (Almosen, Wohltätigkeit)
wird vor dir hergehen, und die Herrlichkeit des Herrn wird dich zu
sich nehmen." — Ganz ähnlich Thosaptha Peah IV, kürzer Pesiktha
rabbathi c. 25.
1 Joma in, 10 (37a) wird von ihm berichtet: „König Monobaz
ließ alle Handhaben der am Versöhnungstage zu benutzenden Geräte
aus Gold machen." Wenn es wahr sein sollte, daß das jüd. Jargon-
Wort „Mumpitz" von HJIÖ (Munbas = Monobazos) abzuleiten wäre,
müßten wohl den Neueren die Berichte über M. einigermaßen märchen-
haft vorgekommen sein. |1 ^ Nach dem Tode seines Bruders Izates. ||
^ Bacher erwähnt (entgegen seiner sonstigen Gewohnheit) unsern Vers
nicht, sondern sagt nur, daß in des M. Antwort „Sätze aus Deutero-
nomium und den Psalmen, ausJesaja und den [einem] andern Propheten
vorkommen." Sicherlich sind aber die Bibelzitate erst später hinzu-
gefügte Glossen ; das geht nicht sowohl aus kleinen Abweichungen ihrer
Anführung in den verschiedenen Quellen, als vornehmlich aus dem Um-
86 Mt. 6, 19 ff. 22f.
Die in Exod. rabba c. 31 (Wünsclie S. 92)^ erwähnten „Schätze
des Paradieses" sind doch nicht solche, die die Gerechten
selbst gesammelt haben, sondern die für sie von Gott bereitge-
haltenen himmlischen Belohnungen! Eher passen die Zitate
aus Peah I, 1 und Aboth VI, 9, wo im 2. Jahi'h. nach Chr.
gute Werke und Gelehrsamkeit als Güter genannt werden, von
denen man schon in dieser, noch mehr aber in jener "Welt
Vorteil habe. Jesus indessen scheint mir nur solche Schätze
zu meinen, die in jener Welt von Wert sein werden, und damit
meint er doch wohl nicht die Werke selbst, sondern die edlen
Gesinnmigen, aus denen erst wirkHch gute Werke hervorgehen.
In ähnhchem Sinne meinte (Schabbatli 105b) Ende des 2. Jahrh.
nach Chr. Bar Kappara, daß Gott die über einen verstorbenen
Redlichen vergossenen Trauer-Tränen zähle und „in seine Schatz-
kammern lege".
Mt. 6, 22 f. Mit Auge ist hier das Auge der Seele ge-
meint, das als ö(p%-(xX\iö<; äizloüc, (rn^') ]1V „gerades, ehrliches
Auge", vgl. Spr. 4, 25; oder nnitD ]^V jjgutes Auge" bei den
Eabbinen) M^ohlwollend, als ö. uovYjpd? (n^n ]'>y_ „böses Auge" bei
d. R.) mißgünstig auf den Nächsten blickt. Dieses Seelenauge
wird licht des Leibes (d. h. des ganzen Menschen, vgl.
Rom. .7, 24) genannt, vielleicht in Anlehnung an Spr. 20, 27:
„Die Seele des Menschen ist eine Leuchte .des Herrn". Schab-
bath 30b (Wünsche S. 93 f. ohne Autor), wo dieser Spruch
ebenfalls zitiert ist, stammt von Rab, der 247 nach Chr. starb!
Die lediglich der Terminologie von nniD ^V und "VI ^y dienenden
Zitate Wunsches stammen sämtlich von Rabbinen nach Chr.
(Baba bathra 75 a, bei W. autorlos, von R. Chanina aus dem
2. Jahrh. n. Chr.); Joma 39a paßt überhaupt nicht!
stände hervor, daß sie (wie jeder Unbefangene sich überzeugen kann)
meist erst sehr künstlicher Umdeutung bedürfen, um einigermaßen
zu passen. Außerdem erscheint so profunde Schriftkenntnis und Er-
fahrung- in der rabbinischen Zitierungsmethode bei einem fernen
Barbarenkönige einigermaßen wunderbar; viel natürlicher klingt es,
wenn wir Apgescb. 8, 28 lesen, wie der Kämmerer der äthiopischen
Königin (Kandake) mit seiner Lektüre des Jesaja nicht recht zuwege
kommen konnte, obgleich er doch wohl Jude war.
^ „In dieser Welt leben die Ungerechten in Ruhe und Wohlstand,
die Gerechten aber in Dürftigkeit; wenn indessen einst der Herr den
Gewissenhaften die Schätze des Paradieses (py p miJlli^) erschliessen
wird, werden die, welche sich von Zinsen und Wucher gemästet haben,
Mt. 6, 24. 25. 26. 28. 29. 30. 87
Mt. 6, 24. Mamon (liöD, KJiöD) ist im Hebr. und Aram.
stets Appellativ (Geld, Habe, irdisches Grut), nie Eigenname
eines Götzen. Die von Wünscbe (S. 94) gebrachten (späteren)
Zitate illustrieren treffend den scharfen Gegensatz zwischen
Jesus und den Rabbinen. Jene meinten (und W. glaubt ihnen
Recht geben zu dürfen), daß neben der "Wertschätzung irdischen
Besitzes die Liebe zu Gott sehr wohl bestehen könne; Jesus
leugnet das geradezu. Das der Ansicht Jesu konformere Zitat
aus Aboth (VI, 4) stammt erst aus dem 2. Jahrh. nach Chr.
und besagt auch nur allgemein, daß ein eifriger Gelehrsamkeits-
beflissener auf irdisches Wohlleben verzichten müsse.
Mt. 6, 25. Wunsches Zitate (S. 95) gehören alle dem
2. Jahrh. nach Chr. an!
Mt. 6, 26. Vögel. — Die hierzu meist angeführte schöne
Stelle Kidduschin IV, 14 (82 a): „Hast du je ein Vieh oder
einen Vogel ein Gewerbe treiben sehen? Und dennoch nähren
sie sich ohne Sorgen. Und sie sind doch nur geschaffen, mir
zu dienen; ich aber ward geschaffen, meinem Schöpfer zu
dienen. Da soUte ich mich doch ohne Sorgen nähren können?
Allein meine Taten waren schlecht, und dadurch habe ich meine
Ernährung mühselig gemacht" — stammt erst von H. Simeon
ben Eleasar aus dem Ende des 2. Jahrh. nach Chr.!
Mt. 6, 28. Der Ausspruch Eab's (Erubin 54a; Wünsche
S. 96) von den blühenden und verwelkenden „Kräutern des
Feldes", der übrigens mehr an Ps. 90, 5f. erinnert, stammt ans
dem 3. Jahrh. nach Chr. !
Mt. 6, 29. R. Jochanans Wort „Eine Mahlzeit (!) wie zu
Salomos Zeit" (Baba mezia VII, 1; Wünsche S. 96) stammt
aus dem 2. Jahrh. nach Chr.!
Mt. 6. 30. Kleingläubige. — Der Ausspruch: „Wer
noch einen Bissen in seinem Korbe hat und (dennoch) sagt:
Was werde ich morgen essen? — der, gehört zu den Klein-
gläubigen", stammt nach Sotah 48 b von R. EUeser dem Großen,
nach Mechiltha zu 2. Mos. 16, 4 (ed. Eriedm. p. 47 b) von
R. Eleasar aus Modiim (beide im 2. Jahrh. n. Chr.). — Die
beiden andern Zitate Wunsches besagen nichts zu v. 30.
mit ihren Zähnen ins Pleisch beißen und sagen: Ach wäjren wir doch
Tagelöhner, Lastträger oder Knechte gewesen, so erginge es uns jetzt
besser!" (W. ist zu diesem Zitat woH durch die Erwähnung des
Wuchers verleitet worden.)
88 Mt. 6, 32. 33. 34. 7, 1. 2.
Mt. 6, 32. Die Heiden. — Daß Jesus hierbei nicht an
die „Babylonier, Meder und Perser" gedacht hat (wie "Wünsche
S. 97 will), ist wohl klar. Die von W. zitierten ßabbinen des
3. Jahrh. (Eädduschin 72 a) meinen mit den „Persern" übrigens
wohl die Römer (vgl. Joma 10 a, wo auch die unzensierten Texte
„Römer" haben) und reden überhaupt nicht ausdrücklich oder
ledighch von Heiden, da E. Levi die Palästiner mit Abtritts-
dämonen, die babylonischen Gelehrten mit Engeln vergleicht.
Mt. 6, 33. Solches alles zufallen, — Die beiden
allein passenden der Stellen Wunsches (S. 97 f.) aus Be-
rachoth 35 b (Rabba bar bar Chanah) und Abodah sarah 19 a
(E,. Abdimi bar Chama) gehören dem 4. Jahrh. nach Chr. an
und reden zudem von Glück in Geschäften und Befriedigung
aller "Wünsche, w^ährend Jesus nur von der dringendsten Not-
durft des Lebens spricht.
Mt, 6, 34, Sorget nicht . . . Plage habe. — An-
lehnung an den Sanhedrin 100b überlieferten Spruch des Ben
Sira (Sirach): „Sorge nicht um das Morgen" (dort aber andere
Begründung: „denn vielleicht findet dich das Morgen nicht mehr
am Leben, und du hast dich dami um eine Welt bekümmert,
die dich nichts mehr angeht"); der Ausspruch HiUels Beza 16a
hat, wie oben (S. 78) gezeigt, ganz andern Sinn. — Berachoth 9 a
nnyt^n mt? n^n bedeutet etwas anderes als v. 34fin. Gott
sagt zu Moses, er werde auch unter der Fremdherrschaft mit
Israel seia; darauf Moses: „Es ist genug an der Not zu ihrer
Stunde", d. h. wir denken jetzt nur an die gegenwärtige Not,
hilf uns nm- erst von dieser. Gott aber antwortet, Moses solle
von Gottes zukünftiger Hilfe dennoch schreiben. Sotah IX, 12
(Wünsche S. 98) paßt noch viel weniger: „Seit der Tempel-
zerstörung (!) gibt es keinen Tag, der nicht Ungemach brächte" ;
der Satz stammt aus dem Munde des R. Josua ben Chananjah,
der im Anfang des 2. Jahrh. nach Chr. lebte.
Mt. 7, 1. Richtet nicht. — Aboth I, 6 und 11, 6 (Wünsche
S. 99) empfehlen nachsichtiges Bemi;eilen des Nächsten, doch
ohne den Gedanken, der Richtende werde ebenso wiedergerichtet
werden. Wunsches Nachträge (S. 370) aus b. Berachoth und
jer. Chagigah reden überhaupt nur von Ehrbeleidiguugen.
Rosch ha-schanah 16 b („Wer seinen Nächsten verurteilt, wird
zuerst bestraft") ist auch nicht ganz dasselbe und stammt erst
aus dem 2. Jahrh. nach Chr. von R. Isaak.
Mt, 7, 2. Mit dem Maße. — Fast genau so Sotah I, 7 :
Mt. 7, 2. 8 ff. 89
„l^ ]n"\)'a Tilö □nxa' niün, Mit dem Maße, mit dem der Mensch
mißt, mißt man ihn." Doch ist dieser Satz dort erst ein-
führender Zusatz des Mischnah-Autors (um 200 n. Chr.) zur
Erläuterung der das ehebrecherische Weib treffenden Strafen^,
also später als Jesus. Vielleicht hieß es schon so in der (der
jetzigen Mischnah z. Teil zugrunde liegenden) Mischnah des
K Meir-; denn Sanhedrin 100 a^ heißt es ausdrücklich: „RMeir
hat gesagt: Mit dem Maße" usw. E,. Meir aber lebte im
2. Jahrh. nach Chr.! Schabbath 127b („Wer seinen Nächsten
günstig beurteilt, den beurteilt man auch günstig") gibt ähn-
hchen Sinn, stammt aber erst aus späterer Zeit (vgl. S. 65); ganz
ähnlich mit dieser Stelle Megillah 28 a Eaba (3, Jahrh. n. Chr.),
der Megillah 12b auch „Mit dem Maße" usw. amvendet.
Mt. 7, 3ff. Splitter, Balken im Auge. — Fast dasselbe*,
^ A. a. 0. (= 8b): Die Ehebreclierin „schmückte sich zur Sünde,
darum läßt Gott sie verunzieren; sie entblößte sich zur Sünde, darum
läßt Gott sie entblößen" usw. || - Vgl. Strack, Einl. V, § 5, Abs. 3
(2. und 3. Aufl. S. 60). |1 ^ Ebenso Sotah 8b: „R. Meir sagte: Woher
läßt sich beweisen, daß mit dem Maße" usw. Diese Art der Anführung
des Satzes zeigt, daß R. Meir ihn nicht erst geprägt, sondern schon
vorgefunden hat. Die darauf angeführte Beweisstelle (Jes. 27, 8) ent-
hält ihn nicht, sondern wird von M. erst so gedeutet. \\ ^ Das Be-
streben von Samuel Edels (Wünsche, S. 101, Anm.) und andern, als
ursprüngliche Lesart Tj^j^iy" (aus „deinen Zähnen") statt 'Tj'J'y (deinen
Augen) zu erweisen, ist m. E. durchsichtig genug, aber mißglückt. Daß
im Thalmud anderweit ein „Splitter für die Zähne" (Zahnstocher) er-
wähnt wird, ist ein ebenso schwaches Argument für die Notwendigkeit
der Textänderung, als wollte man statt „Augenschmerzen" überall
„Zahnschmerzen" sagen, weil diese auch erwähnt werden. Unsere
Thalmud - Handschriften und -Ausgaben bieten ausnahmslos 'l'J''y,
ebenso Baba bathra 15 b, wo der spätere R. Jochanan dasselbe sagt wie
R. Tarphon. Wenn im Jalkut Ruth § 596 "j'J'ty steht, so hat dieses
spätere Werk (oder ein noch späterer in diesem Werke) die Lesart eben
geändert, um die Ähnlichkeit mit Mt. 7, 3 zu verdecken. Die „Ent-
stehungsgeschichte" (Wünsche-Edels a. a. 0.) der vermeintlichen Redens-
art vom ,,Spahn in den Zähnen" ist wie die meisten ihrer Schwestern
erst später ad hoc erfunden. Aber selbst wenn Tarphon ■j'J'Ci/ gesagt
hätte, könnte man mit Grund behaupten, er habe wahrscheinlich ab-
sichtlich den Wortlaut des (ihm ja als christliche Schrift Ijekannten)
Evangeliums abgeändert, um nicht dessen Worte zu gebrauchen, wie denn
ja auch bei anderen Rabbinen, die später sind als das Evangelium,
dessen Worte etwas abgeändert sich finden. — Übrigens erkennen be-
90 Mt. 7, 3ff.
allerdings nur dem Wortlaute nach^, sagt Araclim 16 b
E,. Tarphon (Ende des 1. Jahrh. n. Chr.), was bei diesem
Gegner des Evangeliums^ besonders interessant ist: „Es soU.
mich wundern, wenn es jetzt jemand gäbe, der Zurechtweisung
annähme [oder: der es wagen dürfte, einen andern zm^echt-
zuweisen], deim wenn (heute) einer zum andern sagen wollte:
jEntfeme den Splitter aus deinen Augen', so würde dieser ihm
antworten: ,Entferne den Balken aus deinem Auge' !" — Durch
dieses fast wörtliche Zitat ist übrigens auch die Vermutung
widerlegt, Jesus habe ursprünglich statt i<öD'>p (Splitter) und
niip (Balken) wohl gesagt: XJD2 (Schmutz) und xTp (Harz,
sonnene jüdische Gelehrte "wie Derenbourg und Bacher (s. Bacher, Ag.
d. Tan. I^, 357, Anm. 3 = I-, 351, Anm. 1) ohne weiteres an, daß hier
eine „Analogie" zu unserem Verse vorliegt, "l'j'y also im Thalmud
das richtige ist. Wenn Bacher a. a. 0. meint, die Worte von „denn
wenn jemand" an seien nicht von R. Tarphon, sondern erst von
R. Jochanan (Baba hathra 15 b) gesprochen, da sie in Siphra zu 3. Mos.
19, 17 (86 b) und Siphre zu 5. Mos. 1, 1 (§ 1) fehlten, so übersieht er,
daß dort der bloße Vordersatz („Es soll mich wundern . . . annimmt",
überhaupt nicht dem R. Tarphon, sondern dem noch früheren Eleasar
ben Asarjah zugeschrieben wird! Dessen einfachen Satz hat T. eben
erweitert, und zwar aus besonderem Grunde; vgl. nächste Anm.!
^ Arachin 1. c. geht der rabbinische Ausspruch voran, daß man
seinen Nächsten, an dem man etwas Tadelnswertes sehe, sogar mehrmals
zurechtweisen dürfe und müsse. Bitter meint R. Tarphon, in der Gegen-
wart wolle sich das niemand mehr gefallen .lassen. Da handle man viel-
mehr (das ist der Sinn) nach dem heillosen (s. nächste Anm.) Evan-
gelium und sage nach dessen Beispiel, wenn jemand zu uns spreche:
„Nimm den Splitter aus deinem Auge", grob : „Nimm den Balken" usw.
— Wenn R. Tarphons Ausspruch die „Quelle" für Mt. 7, 8 ff. sein
sollte, so kämen wir zu dem unsinnigen Resultat, daß der (dann also
wohl gar erst im 2. Jahrh. schreibende) Evangelist dem Herrn das als
ernste Mahnung in den Mund legte, was er in seiner Quelle als freche
Antwort bezeichnet fand! Jesu Wort ist offenbar das frühere, und mit
Elbogens (s. o. S. 7) und anderer Lieblingsansicht, daß die im Gegen-
satz zu rabbinischer Denkweise stehenden Worte Jesu erst im 2. Jahrh.
ihm fälschend und fälschlich zugeschrieben worden seien, ist es auch
hier wieder nichts, jj ^ Schabbath 116 a sagt R. Tarphon, er würde die
ihm etwa in die Hand fallenden (in der Landessprache geschriebenen)
Evangelienschriften mitsamt den in ihnen vorkommenden heiligen
Gottesnamen sicherlich verbrennen. Das Wort „Evangelium" wird a. a. 0.
„Awen gillajon" = Unheilsschrift oder „Awon gillajon", = Sündenschrift
Mt. 7, 3ff. 6. 91
Pech — das durch seine Klebrigkeit das Auge noch viel mehr
und dauernder am richtigen Sehen hindert) \
Mt. 7, 6. Heiliges und Hunde. Perlen und Säue. —
Die von Scheidt (S. 74) erwähnte, Bechoroth 15a, Themurah 130b
aus 5. Mos. 12, 15 gefolgerte Vorschrift der Rabbinen, Opfer-
mahlzeitfleisch nicht den Hunden zu geben, ist doch etwas
anderes als Jesu ethische Mahnung, heihge Dinge nicht vor
Gottlosen zu erörtern, an Frevler nicht (an sich berechtigte) reUgiöse
"Weihegedanken zu verschwenden. (Steigerung der vorigen Ab-
weisung unberechtigten Tadeins!) Bestand jenes rituale Verbot
schon zu Jesu Zeit, so hat er es hier in geistigem Sinne auf
das sittlich-religiöse Gebiet übertragen. — Perle als Bezeichnug
für einen „schönen Gedanken" oder eine wertvolle Erkenntnis
findet sich bei späteren Babbinen allerdings vor (Baba
bathra 123b; Jebamoth 92a und Makkoth 21b; Kidduschin 39b
und Chulhn 142a usw.); ebenso findet sich unter dem Namen
"inx im (andre Sache) das Schwein erwähnt, aber (Berachoth 43 a
aus dem 4. Jahrh.) ohne Beziehung auf geistig ünempfäng-
Hche, lediglich als Beispiel eines „Gewohnheitstierchens" ^, und
(Kidduschin 89 b, Chulhn 142 a) als wirkliches Schwein. Der
Ausdruck „Perlen vor die Säue werfen" kommt, soviel ich sehe,
in der jüdischen Literatm* erst in der mittelalterlichen Sen-
tenzensammlung D'j^jsn "inno (Perlenauswahl) c. 1 vor („"Werft
gedeutet. Die zweite Deutung wird allerdings erst dem R. Jochanan
(3. Jahrh, n. Chr.) zugeschrieben (erstere dem R. Me'ir, 2. Jahrh. n, Chr.).
Da aber R. Jochanan Baha bathra 15 b R. Tarphons tadelnden Aus-
spruch Arachin 16b betr. „Splitter und Balken" einfach übernimmt
(s. vorletzte Anm.), ist vielleicht auch bei jener Deutung R. Tarphon
seine Quelle gewesen. — Vielleicht hat R. Tarphon das Evangelium
wirklich in die Hand bekommen — sei es durch Zufall, sei es durch
einen Judenchristen, der den Fanatiker belehren wollte — und er hat
wohl, wie so mancher andre (vgl. m. Krit. Gesch. S. 81), wenigstens
hinterdrein wissen wollen, was er verdammte; oder ein Judenchrist Ge-
wordener, den er zurechtweisen wollte ob dieses „Makels", hat ihm
gegenüber einmal Mt. 7, 5 zitiert.
1 Kidduschin 70 a („Wer andre eines Fehlers zeiht, hat ihn selber")
stammt aus dem 3. Jahrh. und ist nur ähnlich, dgl. haben Baba
mezia 59 b, 107 b und Sanhedrin 18 a lediglich, den allgemeinen Sinn
„Kehre erst vor deiner Tür" und sind auch erst später (R. Nathan: Ende
des 2. Jahrh. usw.). || ^ Berachoth 43 a: „Nach Mar Sutra bar Tobiah
(4. Jahrh.) hat Rab (starb 247 n. Chr.) gesagt: ,. . . Der heilige Gott hat
92 Mt. 7, 6. 7 f. 9 f.
die Perlen nicht den Säuen vor, drängt die Weisheit keinem
auf, der sie nicht zu schätzen vermag; denn die Weisheit ist
kostbarer als Perlen, und wer sie nicht sucht, ist schlechter als
ein Schwein": Adi ünnnn 'Js'? D*j';>Bn ^D^'pii'n bi<).
Mt. 7, 7 f. Bittet. — [Zusammenhang :;ß;eine Selbstgerechtig-
keit (v. 5), kehl agitatorisches Vordrängen (v. 6), sondern alles
vertrauensvoll von Gott erhoffen (v. 7), dem Allgütigen (v. 8 ff.),
nach seinem Beispiele alle Menschen lieben (v. 12), in ehrlicher
Demut und mit treuem Bedacht nach seinem Willen handeln
zu unsrer Seelenveredelung (v. 13 — 27).] Der wenigstens ähn-
liche Gedanke, daß Gebet mehr vermöge als sogar gute Werke
(Berachoth 32b), stammt von B,. Eleasar (ben Pedath, Ende des
3. Jahrh. n. Chr.), und bekanntlich wurde auch das Umgekehrte
behauptet. Die Zitate des Inhalts, daß das Gebet des Ge-
rechten Erhörung finde, sind zu allgemein und betonen nicht wie
Jesus das demütige und freudige Vertrauen. — Suchet. Me-
gillah 6b („Wer sagt: ,Ich habe gesucht und gefanden', dem
glaube") bezieht sich erstens nicht auf das Suchen göttlicher
Gnade, zweitens stammt es von R. Isaak (Ende des 2. Jahrh.
n. Chr.). — Klopfet an. Megülah 12 b („Mordechai klopfte
(betend) an die Tore des Erbarmens, und sie wurden ihm auf-
getan") stammt nach dem ganzen Zusammenhange zeitigstens
aus dem 3. Jahrh. n. Chr.^
Mt. 7, 9 £ Stein. — Hierzu ist keine rabbinische Parallele
zitiert. Eine römische, Seneca de beneficiis II, 7 („Verrucosus
bewirkt, daß jedem sein Handwerk [Beruf] gefällt'. R. Paj)a (starb
375 n. Chr.) sagt: ,In diesem Sinne sagen die Leute: Hänge einer
„andren Sache" [einem Schwein] einen Palmenkranz um den Hals, es
tut doch nach seiner Art' [wühlt doch weiter im Kote]."
1 Bacher (Ag. d. Tan. H, 540 f.) führt ausPesiktha 176 a (vgl. Levit.
rabba c. 21) folgenden Satz des E. Benajah (um 200 n. Chr.) an: „Stets
vertiefe sich der Mensch in das Studium der Mischnahsammlungen ; denn
wenn er [dann] klopft, wird ihm geöffnet, sei es zum Thalmud (zur
Halachah), sei es zur Haggadah." Der Sinn ist, wie B. richtig bemerkt,
ein anderer (während des Studiums wird sich der Weg zu größerem
Verständnis eröffnen), die Phrase selbst ist dieselbe wie Mt. 7, 8, nur
daß die Midraschstelle viel jünger ist. — Ich leugne nicht, daß der
Satz „Wer da klopft" usw. ein schon vor Jesus geprägtes Sprichwort
sein kann; jedenfalls ist es aber vor ihm in der jüdischen Literatur
nicht nachweisbar. „Wer da suchet" usw. könnte sich auf Spr. Sal. 8, 17
zurückbeziehen.
Mt. 7, 9f. 11. 12. 13 f. 93
beneficium ab bomine cluro aspere datum panem lapidosiim vo-
cabat"), klingt an, ist aber später als Jesus; dieser bringt ein
lebendiges Grieichnis, jener eine bloße Metapher. — Schlange;
also ein noch bösartigeres Verfahren. Hierzu fehlt jede Pa-
rallele aus der Zeit vor Jesu.
Mt. 7, 11. Arg seid. — Die von Wünsche (S. 103) nach
Norks Vorgänge zitierte Stelle Genesis rabba c. 33 ist später
und nicht konform. Es wird dort berichtet, daß B,. Thanchuma
(4. Jahrh. n. Chr.) im Hinbhck auf einen Ehemann, der seiner
geschiedenen Frau, ohne Verpflichtung hierzu, Subsistenzmittel
gesandt hatte, Gott anruft, er, den die Schrift den Barmherzigen
und Gnädigen nenne, solle diesem über seinen vormaligen Groll
Herr gewordenen Menschen nachahmen und sich der Israeliten
erbarmen und B-egen senden. Das ist nach Sinn und Form
etwas ganz anderes.
Mt. 7,12. Alles, was ihr wollt .... ihnen. — Nach
allen jüdischen Autoren und einigen christUchen (z. B. Wünsche
S. 103) wäre dies ganz dasselbe, wie Hillels bekannter Spruch
(Schabbath 31a): „Was du nicht willst, das füge auch deinem
Nächsten nicht zu"\ Jeder sieht zunächst, daß HiUel etwas
Negatives, Jesus etwas Positives sagt. Das ist keineswegs ein
unwesenthcher Unterschied, wie Hambm-ger, Elbogen und andre
wähnen. Es sollte zu denken geben, daß auch die beiden andern
jüdischen Autoren dieses Spruches, der Verfasser des Buches
Tobiä^ und der Alexandriner Philo'' ebenfalls die negative
Fassung haben, während Jesu Worte in allen Parallelstellen
positiv lauten. Der Unterschied ist mindestens so groß wie
zwischen „Neminem laede" und „Omnes juva". Hilleis negative
Vorschrift, niemandem etwas zuleide zu tun, bedingt noch lange
keine positive Nächstenhebe, geschweige denn sogar Feindes-
liebe; sein Gebot erfüUt am besten der Tote im Grabe! Jesu
Gebot kann nur der von lebendiger sittlich-religiöser Energie
Durchdrungene erfüllen. Vgl. oben zu 5,43 und den Anhäng!
— Gesetz und Propheten: s. o. zu 5, 17.
Mt. 7, 13 f. Enge Pforte. — Es ist geradezu unmöglich,
daß das von Jesus hier gebrauchte Bild auf der symbolischen
1 n^uyn ab "pinb 'JÖ ibv^, ^^^ dem Zusätze X'H rhu IT
minn b^, „dieses Wort ist die ganze Thorah." || ^ Tobith 4, 16:
94 Mt. 7, 13 f.
Deutung des Buchstabens n in Menachoth 29 b^ beruhe. Der
Autor dieser Spielerei ist R. Jehudah ben Hai (um die Mitte des
2. Jahrh. n. Chr.); der Schluß der Stelle stammt zeitigstens
aus dem 3. Jahrh. (später als Resch Lakisch, vgl. Anm.!), dem
auch der IJberheterer des die Stelle beginnenden Ausspruches
des R. Jehudah ben Hai, nämlich B,. Ami angehört (Ende des
3. Jahrh. n. Chr.). — Sukkah 45 b steht mit nichten (wie "Wünsche
S. 105 angibt) etwas von Leuten, „welche auf der schmalen
stellen Straße zu jener engen Pforte wandeln", sondern (wie W.
selbst in seinen „Haggad. Bestandteil, des bab. Talm." I, 395
richtiger „n«^y 'J3" übersetzt): „Ich habe die Kinder des Auf-
steigens (d. i. die erhabenen [oder: für den Himmel bestimmten]
Menschen) gesehen, und es sind ihrer wenige." Der Tradent
dieses Ausspruchs, B. Jirmeja, lehrte im 4. Jahrh. nach Chr.,
Simeon ben Jochai, dem er ihn in den Mund legt, um die Mitte
des 2. Jahrh. n. Chr. Ebenso reden alle sonstigen von "SV. und
andern angeführten Stellen weder von einer engen oder breiten
Pforte, noch von einem breiten oder schmalen "Wege, sondern
bestenfalls von einem zum Paradiese und einem zur Hölle führen-
den Wege; zudem sind sie sämthch später als Jesus, z. T. sehr
bedeutend später. Die Bezeichnungen: Weg oder Wege Gottes;
Weg der Gerechten, der Sünder; gerader, verkehrter Weg; Weg
zum Leben, zum Tode usw. sind, wie jede Konkordanz lehi-t,
alttestamentlich ; ebenso: Pforte des Himmels, Tor des Todes;
Tor der Gerechtigkeit; Tor des Herrn usw. Die schöne Aus-
gestaltung des Weg- und Pforten-Bildes gehört Jesu an.
1 R. Jehudah ben Hai deutet dort 1. Mos. 2, 1 DX13n2 (behibba-
reäm, bei der Erscliaffung von Himmel und Erde), als stände da:
Di<13 T]"2 (be-be bareäm, er bat sie mittels des Buchstabens He er-
schaifen), und fährt fort: „Warum wurde die Welt mit He (n) ei*-
schaffen? Weil sie einer Galerie (mit 2 Türen) gleicht, aus der jeder,
der will, hinausgehen kann [nämlich durch die untere große Öffnung
des n]. Warum geht der linke Schenkel des He nicht bis oben? Weil
man [durch die kleine Öffnung oben] den Bußfertigen (ins Jenseits) ein-
treten läßt. — Warum nicht durch die untere Tür? Das würde nicht
angehen. Denn Resch Lakisch (3. Jahrh. n. Chr.) hat gesagt: . . . Wer
sich verunreinigen will, dem öffnet Gott [gibt ihm Gelegenheit dazu];
wer rein werden will, dem gibt er Beistand." — Der untere breite Aus-
gang des Welt-n wird also dem Sünder geöffnet, der obere enge Aus-
gang dem Frommen, der bußfertig abscheidet. Wie man diese Spielerei,
die den eiafachen Gedanken, daß mehr Menschen zur Hölle als zum
Mt. 7, 15 f. 21. 22 f. 95
Mt.7,15ff. Wölfe in Schafskleidern. — Vor falschea
Propheten warnen schon 5. Mos. 13, 1 — 5 und Jer. 14, 14. Mit
reißenden Wölfen sind Ezech. 22, 27 und Zeph. 3, 3 die räuberischen
Oberen in Jerusalem, Habak. 1, 8 die Chaldäer verglichen; hier
sind es morahsche Verderber, religiöse Verführer, wie Apgesch.
20, 29 und wohl auch Joh. 10, 12. Die Fabel von dem im
SchafsfeU sich unter die Herde schleichenden Wolfe konnte (ob-
wohl Belege fehlen) wohl auch den Israehten zu Jesu Zeit be-
kannt sein; die spezielle Beziehung auf die religiösen Verführer
gehört Jesu an. Eabbinische Parallelen zu dem Bilde hat man
nicht zitiert. Der Ausspruch Rabbi's (um 200 n. Chr., Joma
72 b; Wünsche S. 105) von den Gelehrten, deren Inneres nicht
ihrem Äußeren gleicht, deckt sich mit v. 15 nur zum TeiP. —
Früchte. Berachoth 48 a (Nork S. 54) meiat wirkhche Kürbis-
früchte; Sotah 46a (Wünsche S. 105) allerdings wenigstens Aus-
übung der Gebote, stammt aber von R. Jochanan ben Scheila
aus dem 4. Jahrh. n. Chr. Übrigens ist der Vergleich mit dem
gute Fi'üchte tragenden Baume schon Ps. 1, 1 gegeben. —
Trauben, Dornen. Pesachim 49a ist nicht von Trauben an
Beben oder an Dornen (!) die Bede (Wünsche S. 106), sondern
von Trauben, die sich mit andern Trauben oder mit Dornen-
beeren paaren, womit die Ehe mit der Tochter eines Gelehrten
oder eines Ungebildeten verglichen wird (so W. richtig in Hagg.
Best. 1,215 f.). Also kein dS^vaxov, wie bei Jesus, überhaupt
ein anderes Büd, und auch keine direkt religiöse Beziehung.
Mt. 7, 21. Den Willen tun. — Aboth 1, 17 (vgl.S.31) besagt
nicht (Nork S. 54): „Nicht die schönen Worte gelten, sondern
die Tat"; sondern: „Nicht die Forschung [Theorie] ist die
Hauptsache, sondern die Ausübung [Praxis]". Simeon ben GamUel,
der Autor dieses Spruches, ist zudem etwas später als Jesus
(zm' Zeit des ,jüdischen Krieges").
Mt. 7, 22 f. An jenem Tage, d. h. am jüngsten Tage^.
Wenn im 2. Jahrh. n. Chr. R. Jochanan und R. Akiba (Genesis
Himmel gelangen, so künstlich, wie möglich, ausdrückt, für die „höchst
■wahrscheiiiliche" Grundlage von Jesu unbedingt früherem Worte halten
kann (Wünsche S. 871, vor schon ihm Scheidt), begreife ich nicht.
1 Den in der Verlegenheit um Besseres zuweilen ^getriebenen
Parallelen-Unfug kennzeichnen Lightfoots Zitate aus Thaanith III, 7
und jer. Beza 60a, wo lediglich davon die Rede ist, daß wirkliche
Wölfe einmal zwei Knaben, das andere Mal über 300 Schafe zerrissen
haben! |1 - Dies illa!
96 Mt.7,22f. 24ff. 28 f.
rabba c. 44) zu 1. Mos. 15, 18 meinen, dort bezeichne i^inn üv
(im Ggs. zu ni" nv = beute) den jüngsten Tag, so kann dies
keine „Quelle" ±ür unseren Yers sein, noch auch m. E. Yeran-
lassung, mit Delitzsch (NT) und Wünsche (S. 107) hier das viel
natürlichere üvn iniN'n zu verwerfen, da imK gerade da ange-
wandt wird, wo man die eigentliche Bezeichnung vermeiden wiU;
vgl. Dipon iniN* für das weibl. pudendum, tj'^xn iniK für „Ich"
oder für eine „gewisse" Persönlichkeit, z. B. später für Jesus.
— Haben w^ir nicht usw. Ahnhch, aber später und politisch-
eschatologisch ist des R. Chanina bar Papa oder des R. Simlai
(beide Ende des 3. Jahrh.) großartiges Bild vom Völkerwelt-
gericht, Abodah sarah 2 b, wo die verschiedenen Nationen sich
ihrer Guttaten rühmen, aber verworfen werden. — Sanhedrin 98 b
(Wünsche S. 108) paßt zu den Worten Weichet von mir nsw.
ganz und gar nicht, die angeführten Sentenzen stammen oben-
drein aus dem Ende des 3. und dem Anfang des 4. Jahr-
hunderts nach Chr.\
Mt. 7, 24ff. Hört und tut. — Kidduschin 40b ist später
(etwa um 120 n. Chr.: ß. Tarphon und R. AMba) und enthält
etwas anderes, nämhch eine Kontroverse, ob Studium oder Aus-
übung der Thorah das Höhere sei. Dasselbe gilt von den Citaten
Wünsche's S. 108f. — Haus auf Eelsen, auf Sand. Der
Ausspruch des Ende des 1. Jahr. n. Chr. lebenden Eleasar ben
Asarjah (Wünsche S. 109), der den an Gelehrsamkeit Reichen,
aber an guten Werken Armen mit einem locker wurzelnden,
dessen Gegenteü mit einem fest wm'zehiden, von keinem Winde
zu stürzenden Baume vergleicht, ist doch äußerlich und inner-
hch verschieden. Das Bild eines (das sitthch-religiös Unzuläng-
hche vernichtenden) Platzregens ist Ezech. 13,10 — 16 in bezug
auf das Werk falscher Propheten gebraucht; hier aber sind
Prüfungen gemeint 1
Mt. 7, 28 f.- Gewaltig (w? e^ouaiav §x^"^)- — Schwerlich:
min;"! bv^ (Delitzsch NT) oder "in^ (Wünsche S. 110 mit späteren
Parallelen). Dies bezeichnet einen ausgezeichneten. Tüchtiges
leisten „ganzen Mann". Indessen abgesehen davon, daß hierzu
E^ouaia lexikalisch nicht paßt, dürfte doch der Evangelist, um
1 „Weichet von mir, ihr Übeltäter" kann Zitat aus Ps. 6, 9 sein,
ist aber in anderem Sinne gebraucht. „Erkannt" vgl. Ps. 1, 6 ähnlich:
„Denn der Herr kennt . . . vergeht." || ^ Schlußbemerkung des Evan-
gelisten über den Eindruck der Bergpredigt.
Mt. 7, 28ff. 97
den Gegensatz Jesu zu den Schiiftgelehrten zu bezeiclmen,
wohl kaum einen Ausdruck gewählt haben, der gerade auf diese
lobend angewendet wurde. Worüber ist das Yolk ganz „per-
plex"? Über die neuen Gesichtspunkte, die Jesus unabhängig
vom Rabbinismus und ohne Berufung auf Yorgänger {]:21 un^
1D1X . . • h usw. wie die E-abbinen), vielmehr im Gegensatze
zur Tradition aus eigener Machtvollkommenheit und aus
eigenem Geiste vorbringt, über seine aöö-evxta, wie Lightfoot
(S. 308) richtig sagt; also ^nlKS oder N;t5^n)X bvn^i.
Das „Hiniinelreich".
Mt. 4, 17. Von der Zeit an fing Jesus an zu predigen
und zu sagen: Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe
herbeigekommen. —
Selbst- sonst unbefangene christliche Gelehrte halten hier
Jesu Vorstellung vom Himmelreich für identisch mit der
national-jüdischen: Jesus habe die „Vorstellung vom Königreiche
Gottes mit allen ihren Eigentümlichkeiten, auch mit ihrem nicht
imwesentHchen nationalpolitischen Beigeschmäcke von dem Volke
seiner Zeit übernommen" ^. Tatsache ist vielmehr, daß „Himmel-
reich" und „Reich Gottes" bei Jesus einen ganz andern Sinn
hat, als bei den jüdischen Autoren vor ihm und den Babbinen
nach ihm, und daß erst viel spätere Rabbinen mit ganz andern
Ausdrücken einen ähnlichen Sinn wie er verbinden! Dalman^
1 Schnedermann, Jesu Verkündigung und Lehre vom Reiche Gottes
I, 152. — Ders., Wissensch. Beilage zur Leipz. Ztg. 1897, Nr.' 44: ,Kein
anderes Reich war es, das Jesus verkündigt, als das von seinem Volke
seit langer Zeit ersehnte, das Reich Gottes für Israel". (Vgl. Dalman,
Worte Jesu I, 113.) 1| - Worte Jesu I, S. 75—113, besonders 83ff.,
99ff., 110, 113. — Dem großen Verdienste Dalmans, den Sinn bedeut-
Bisehof f, Jesus u. d. RabMnen. 7
98 Das Himmelreicli.
hat festgestelltj daß in Jesu Munde der Ausdruck j,Himmel-
reich" oder der gleiclibedeutende „Beicli Gottes" stets eine Grabe
Gottes an die Menschen, einen sehgen Heilszustand be-
zeichnet, der von Gott den Gläubigen in naher Zukunft werde
gewährt werden^.
Im Gegensatze zu dem vertieften Sinn, der bei Jesus in
Ausdrücken ßaatXsia xöv oöpavöv^ und ßaaiXeta xoü ■9'£0u (so-
me gelegenthch auch ßaaiXeta allein) liegt, bezeichnet „für die
Juden die nis^o [malküth] Gottes^ stets" lediglich „das von
ihm ausgeübte Regiment'", zumal bei den Juden der Jesu
benachbarten Zeit, während bei späteren ßabbinen sich, -vne
gesagt. Anklänge an Jesu Begriffsfassung finden.
I. Altes Testament. Der Begriff „Herrschergewalt" ftir das
Reich (msVü) Gottes ist im AT dadurch absolut deutlich ge-
geben, daß fast überall ein paralleler Ausdruck für diesen Be-
griff anscheinend absichtHch beigefügt ist oder durch den Gegensatz
zu irdischer Herrschergewalt der Sinn unverkennbar ist (Ps. 45, 7
u. 103, 19; 22, 9; 93, 1; 99, 4; 145, 11—13 und Dan. 3, 33;
4, 31; 7, 21; Obadjah 21; 1. Chron. 30, 11; Dan. 2, 44)*. Eben
diese Bedeutung hat das Wort (niD^ö) auch da, wo davon die
Bede ist, daß Gott dem Messias oder den Heiligen das „Reich",
samer Worte Jesu mit umfassendem Wissen und nücliterner Philologie
gegenüber Unkenntnis und Befangenheit festgestellt zu haben, tut es
keinen Abbruch, wenn ich bemerke: 1. In Ps. 96 — 99 finde ich nicht,
daß Jahvehs Königtum außer Israel alle Völker beglücken solle und
werde (a. a. 0. S. 111), sondern nur, daß in hyperbolischer Weise an
alle Welt, die Natur und die Völker, die Aufforderung ergeht, sich
angesichts der Wohltaten Gottes an Israel (96, 6. 97, 8. 98, 3. 99, 6—8)
vor Gott zu beugen und ihn zu preisen. 2. Die „schon vor Jesus vor-
handene Richtung, welche in der Zukunftshoffnung das Nationaljüdische
weniger betonte" (a. a. 0., S. 112), besteht aus schwachen Spuren.
1 A. a. 0., S. 110. 111 oben. Über Matth. 6, 13 s. o. zur Stelle. ||
2 Dieser Ausdruck nur bei Mt.; bei Mk. und Lk. stets ßaatXeta xoü ^eoü,
was auch hei Mt., aher selten (Dalman a. a. 0., S. 75). || ^ DIdVö
Q'iDp (stets ohne Artikel), aram. K^ÖB^T NPIDVö, oder 'n xniD^Ü
(Dalman ibid.). || *^ Zu heaehten ist auch das enge Gebiet, dem diese
biblischen Belege entstammen. Ich halte es übrigens für unwahrschein-
lich, daß der Vers Dan. 2, 44 für Jesus auch, wie Dalman S. 109 u. 110
als möglich hinstellt, den Anlaß zu seiner Fassung des Begriffs vom
Eeiche Gottes gegeben habe. Gerade der umstand, das Jesus nie von
einer Aufrichtung des R. G. spricht, scheint mir diese Möglichkeit aus-
Das Himmelreich. 99
d. h. Herrschergewalt durcli seine Kraft verleihen werde (Ps. 68,29;
Dan. 7, 18, 22, 27).
IT. Die Thargume. Dalman (S. 77. 79. 83. 111) hat sehr
richtig gesehen, daß auch in den Thargumen der Begriff des
••n xmD^ö, der gewöhnlich für wribm oder mn' des hebr. Grund-
textes gesetzt ist, gleich obigen alttestamentlichen Originalstellen
lediglich Gottes Herrschergewalt bezeichnet, wie z. B. Jes. 40, 9
für das Hebr. DD'H't'N niTi (siehe, euer Gott) das Thargum Jona-
than bietet: |i3nVi<l"NniD^D nx^^^nx (offenbar geworden ist die
Herrschaft eures Gottes; Dalman S. 75).
in. Räbbinische Stellen. Hier begegnen wir dem Ausdruck
„Himmels-Herrschaft" (hebr. wq^' niD^D), der äußerlich dem
Worte ßaaiXsta töv oöpavwv bei Mt. entspricht, und zwar vor
allem in dem terminus „Aufsichnehmen des Joches der Himmels-
herrschaft" mid ähnhchen "Wendungen bei den ßabbinen der
ersten zwei nachchristlichen Jahrhunderte (Dalman, S. 75 f.).
Wenn von E. Jochanan ben Sakkai um 80 n. Chr. die Unter-
werfang unter das „Joch der Himmelsherrschaft" der Unter-
werfiing unter das „Joch von Fleisch und Blut" (d; h. unter
menschhche Herrschaft) entgegengesetzt wird — wenn femer
das Eezitieren des Schma-Gebets (5. Mos. 6, 4ff., 11, 13 ff.), dieses
Bekenntnisses der Alleinherrschaft Gottes mid seines Rechts
auf vÖlUge Hingabe des Menschen, mit dem „Aufsichnehmen
des Jochs der Himmelsherrschaft" derart identifiziert wird, daß
dieser Ausdruck geradezu termiaus für „Schma-ßezitation" ist,
und wenn in gleichem Sinne ßabbau Gamliel (H.) ein Unter-
lassen der Schma-Rezitation, also des Bekenntnisses der abso-
luten Hingabepflicht an Gott, ein „Abtun [Verleugnen] der
Himmelsherrschaft" nennt (Dalman S. 80), so ist dadurch ge-
nügend klar, was unter „Himmelshen-schaft" von diesen Rabbinen
der nächsten Zeit nach Jesus gemeint ist : die absolute Herrscher-
gewalt Gottes, der sich zu unterwerfen Pflicht des Menschen ist.
Gott ist zwar auch jetzt schon Herrscher über alle Welt; aber
diese seine Herrschaft erkennen doch nach rabbinischer An-
zuschließen; bei Daniel heißt es aber ausdrücklich, Gott werde eine
Herrscbergewalt aufrichten, die nie zerstört werden solle und auf keiiL
andres Volk übergehn, vielmehr alle andern Herrschergewalten zerstören
werde. Das liegt der Begriffsfassung Jesu ebenso fern wie die mD?D-
Idee der andern Stellen des AT; auch Daniel 2, 44 wird doch wie in
Ps. 68, 29 und Dan. 7, 21 nur „Herrscherwürde ausgeteilt" (Dalman S. 109).
7*
100 Das Himmelreicli.
schauung nur die frommen Israeliten an. „Offenbar werden"
wird die Himmelslierrschaft oder Gottesherrschaffc erst, wenn die
menschlichen Herrschergewalten, unter die sich jetzt die Völker
beugen, und von denen auch Israel äußerlich regiert wird, durch
Gott vernichtet werden, sodaß dann alle Menschen lediglich
unter seiner Herrschaft stehen. (Ygl. Dalman S. 81 f.) Mit dieser
vollkommenen Durchführung der Gottesherrschaft auf Erden ^
wird allerdings ein Glückszustand verbunden sein, aber nach
rabbiaischer Anschauung doch nm- für die Israeliten, und auch
nur sozusagen per accidens; das eigentliche Ziel ist die voll-
endete Gottesherrschaffc selbst, nicht die Beseligung auch nm^ der
Israeliten. Für die „Völker" ist dieses „Erscheinen" des Gottes-
reiches kein Nahen eines Heils — sondern das schreckliche
Tagen eines Strafgerichts.
Dreierlei unterscheidet diese rabbinische Gottesherrschaft
von der durch Jesus verkündeten ßaotXsia xwv o^pav&v oder
xoO ■9'sou: 1. Sie ist zunächst überhaupt kein Heilsgut, da ihre
Vollendung sich in erster Linie nicht auf die Menschen, son-
dern auf die allseitige Anerkennung Gottes richtet. 2. Mit
ihrer Durchführung ist kein universelles Heil verbunden, sondern
nur ein solches für die Israeliten. 3. Dieses Heil besteht ferner
vomehmhch in der Befreiung der Israeliten von der Fremdherr-
schaft und in der Wiederherstellung des alten theokratischen
israelitischen Staates. Hieraus erklärt sich auch, warum nicht
nur den frommen Israeliten, sondern allen Israeliten eben als
Israehten Anteil an der durchgeführten Gottesherrschaffc zuge-
sprochen wird, und warum behufs Erlangung dieses Anteils an
sich keine besonderen Leistungen gefordert werden, weshalb auch
die Hoffnung auf die Vollendung der Gottesherrschaffc an sich
keine verdienstliche Handlung ist, sondern erst in Verbindung
mit dem Beobachten der götthchen Gebote (Dalman S. 81). Die
Vollendung der Gottesherrschaffc ist eben im wesentlichen ein
religiöses Ideal nationaler Art".
Ganz anders das „künftige Leben". Dieses ist 1. ein Heils-
gut, für die Menschen bestimmt, und zwar 2. für alle frommen
^ Mit Reclit betont Dalman den irdisclien Charakter der Grottes-
herrschaft. 1) - Vgl. auch Dalman S. 112, Nur hätte er hier bei Er-
wähnung des Pseudomessias Juda (des Gaulaniters) diesen nicht für ver-
schieden von „Juda, Sohn HisMa's", halten sollen. Histia war auch
schon Pseudomessias und Juda's des Gaulaniters Vater, dieser (f 7 n. Chr.)
Das Himmelreich. 101
Menschen, auch, unter den ,. Völkern", 3. nicht irdischer, sondern
überirdischer Art und eschatologischen Charakters; darum werden
auch für seine Erlangung Leistungen gefordert, nämlich das Be-
obachten der Gebote und ein reines Herz. Das „künftige
Leben" ist eben im Gegensatz zu der „Gottesherrschaft" ein
religiöses Ideal allgemein ethischer Natur.
Dalman hat sehr richtig erkannt, daß Jesu Begriff vom
„Reiche Gottes", von der „Himmelsherrschaft", ungleich mehr
Yerwandtschaft mit der rabbinischen Idee vom „künftigen Leben"
als mit der von der D'öB' niD^ö (oder ''1 i<n"lD^O usw.) besitzt.
Nur hätte er nicht sagen sollen (S. 110), daß dieser Begriff zm'
Zeit Jesu bereits in „der Schule der Schriftgelehrten" so weit
entwickelt gewesen sei, wie der des „Eeiches Gottes" bei ihm.
Dann bliebe die Möghchkeit immer noch vorhanden, daß Jesus
diese rabbinische Begriffsformation gekannt, aber als eine „in
seiner Umgebung noch nicht volkstümliche" Idee abgelehnt und
statt dessen dem altbekannten Begriff der Gottes- und Himmels-
herrschaft jene tiefere Bedeutung gegeben hätte. Tatsache
ist vielmehr, daß zu Jesu Zeit der Begriff des „künftigen
Lebens" als Heilsgut noch nicht derart entwickelt war, daß
Jesus ihn hätte übernehmen können, daß er vielmehr erst später
den Sinn erlangte, den Jesu „Himmelreich" oder „Gottesreich"
bereits hatte. — Daß auch die Vermutung Dalman's, Jesus habe
seinen Begriff der ßaaiXeia xöv oOpavwv oder xoö ■ö'soö auf Grund
von Daniel 2, 44 weiter ausgebaut, unwahrscheinhch ist, haben
wir bereits S. 98 * gesehen.
Selbst der, welcher in Jesu Begriff von der ßaatXsta . (xwv
oöpavwv oder xoö -ö-soö) weniger, in den rabbinischen Stellen
aber mehr sehen wollte, als ich im Vorstehenden dargelegt habe,
würde dennoch zugeben müssen, daß keine einzige rabbi-
nische Stelle bis in die Zeit Jesu oder der Abfassimg des
Ev. Mt. hinaufreicht! Auch die Thargume, selbst wenn wir
sie in ihrer ersten Fassung noch besäßen, wären später anzusetzen.
Jesus könnte mithin zm: Grundlage höchstens die alttestament-
lichen Stellen über die Gottesherrschaft (s. Seite 98) genommen
wiederum Vater des Paeudomessias Menachem, der nach- kurzer Herr-
schaft in einem Aufstande zu Jerusalem ermordet wurde und der j.
Berachoth H (5 a) erwähnte „Messias Menachem, Sohn (= Enkel) Hiskia's"
ist. Weshalb laut Jeremias (Babylonisches im NT, S. 38) Franz Delitzsch
auf diese Stelle besondern Wert gelegt hat, ist mir unklar.
102 Das Himmelreicli.
haben, und das wäre jedenfalls keine Abhängigkeit von den
Rabbinen, auch keine bloße Übernahme altjüdischer Vorstellungen,
sondern jedenfalls ein ganz erhebliches "Weiterausbauen dieser.
Aber nicht einmal Daniel 2, 44 bietet, wie wir sahen, ein ent-
wicklungsfähiges Element in der Eichtung, die Jesus einschlug.
Im Zusammenhange unserer Stelle Mt. 4, 17 ist nun noch
die Frage zu erörtern: Ist das von Jesus gepredigte
„Himmelreich" (ßaaiXeta xwv oöpavöv) identisch mit dem
von Johannes dem Täufer gepredigten (Mt. 3, 2)? Wenn
ja, dann wäre Jesu Begriffsbildung zwar nicht von den „Eab-
binen" entlehnt — wenigstens ist Johannes kein B-abbine im
gewöhnlichen Sinne — aber doch wenigstens nicht original.
Dahnan ist in dem bisher erschienenen I. Bande seiner
„Worte Jesu" aii dieser iVage vorbeigegangen. Was die übliche
exegetische Literatur bringt, ist bei ihrer Yerkennung des Be-
griffs Jesu von der ßaaiXsta xöv oöpavwv wenig fördernd. So
unrichtig es (vgl, Dalman S. 83^) sein mag, wenn man (wie
z. B. Holtzmann, Lehrb. d. neutest. Theol. I, 189) „Himmelreich"
in Jesu Munde mit „Tage des Messias" gleichsetzt, so findet
doch eine solche Gleichsetzung in gewisser Hinsicht bei Johannes
tatsächlich statt, und nicht Jesus (wie Dalman selbst S. 109
meint), sondern Johannes ist es, der durch Kombination der
„Gedankenreihen" von Daniel 2, 44 und 7, 14. 27 zu seinem
eigenen Begriffe der ßaaiXsca xwv oüpavöv kommt. Johannes
versteht unter dieser nahenden ßaaiAeia die Aufrichtung der
Gottesherrschaffc im jüdisch-nationalen Sinne. Seine Botschaft
an Jesus (Mt. 11, vgl. besonders v. 6) zeigt, daß er sich die
von ihm selbst geweissagte ßaatXeia anders vorgestellt hat als
Jesus sie lehrte und für die Menschen gekommen erklärte.
Worin Johannes von der oben gekennzeichneten jüdischen Idee
von der bevorstehenden Vollendung der Gottesherrschaffc wesent-
hch abwich, war das, daß er nur den frommen Israeliten Anteil
an den Segnungen dieses Gottesreichs verhieß. Dies kam daher,
daß er die Vollendung der irdischen D'öiy mD^ö als nicht durch
Gott selbst, sondern durch dessen Messias sich vollziehend pro-
phezeite. Vom Messias aber wurde, wie Dalman S. 244 richtig
bemerkt, schon vor Jesu und Johannis Zeit neben der Nieder-
werfung der knechtenden Weltmacht auch die Reinigung Israels
von den Gottlosen in dessen eigner Mitte erwartet. Um daher
an den Segnungen der durch den Messias bewfrkten Gottes-
herrschaft teilzuhaben, müssen die Sünder sich bekehren. Daher
Das Himmelreicli. — Schluß. 103
die Büßpredigt Johannis. Insofern geht also Johannes über die
national-jüdische Fassung der Wü^ niD^D hinaus, als er für die
Teilnahme an ihr eine sittliche Leistung fordert, insoweit aber
bleibt er ganz in jenem Anschauungskreise befangen, als er in
ihr eine "Wiederherstellung des theokratischen Staatswesens sieht
— nicht aber ein überirdisches Heilsgut, nicht ein „Reich, das
nicht von dieser Welt ist".
Diese universelle und vergeistigte Formuherung des Begriffs
der □">öt2^ niD^D ist Jesu ganz originale Leistung.
ScMuss.
Im Vorstehenden glaube ich erwiesen zu haben, daß Jesu
Worte in der Bergpredigt durchweg früher sind, als die vor-
handenen ähnlichen oder fast gleichlautenden Aussprüche von
Babbinen, und daß sie meistenteils, sein Begriff vom „Himmel-
reich" aber ganz und gar, einen abweichenden tiefern Sinn als
jene und auch als die alttestamentlichen Parallelen haben. In
einigen Fällen (z. B. bei Mt. 5, 13 und 7, 3ff.), hat sich eine
polemische Bezugnahme bereits bei Babbinen des 1. Jahr-
hunderts ergeben, in andern war Keimtnis NT Stellen bei
Babbinen schon vor dem 2. Jahrb. n. Chr. sehr wahrscheinhch,
ebenso bei späteren. Der oftmals platte Sinn, in dem hier
die Herrenworte angewendet werden, im Gegensatz zu ihrer
eigentlichen Bedeutung, legt die Vermutung nahe, daß jene die
Aussprüche nicht als spezifisch christliche kannten, sondern als
bereits Gemeingut Gewordenes übernahmen, ähnlich wie wir
allenthalben bibhsche Bedewendungen, häufig obendrein in
abgeblaßtem oder verkehrtem Sinne anwenden, ohne uns ihres
Lrsprmigs bewußt zu sein (z. B. dienstbarer Geist usw.), ebenso
auch im vulgären Gespräch eine Anzahl jüdischer Jargon- Aus-
drücke, ohne sie als solche zu kennen (z. B. Pleite, Bamsch,
Stuß, Moos, Spießer, Kaffer, schnodderig). Nahmen doch die
Babbinen von den verhaßten Bömem z. B. Juristisches in Hülle
und FüUe auf, ferner trotz ihrer Verpönung „griechischer Weisheit"
vieles aus Philosophie und Sage der Griechen (vgl. m. Thalmud-
katechismus), manches sogar aus dem babylonischen und per-
sischen Mythos. Die Verwendung dieser und ebenso der christ-
lichen Elemente raubt den alten Babbinen nicht das Mindeste
von ihren Verdiensten. — Die Erde ist kein Gramm leichter
104 Anhang.
geworden durch die Feststellimg der Tätsache, daß sie sich um
die Sonne dreht und nicht umgekehrt. Gleich dem, der diesen
lange vergessenen Sachverhalt aufs neue nachwies, kann ich mich
in Einzelheiten geirrt haben; das Gesamtresultat bleibt darum
doch bestehen.
Anhang.
Professor Strack zu Siphra 89 b.^
Bekanntlich werden jüdische Gelehrte nicht müde, immer
wieder die durchaus unwahre Behauptimg aufzustellen, daß die
in den Evangehen überlieferten Lehren unseres Herrn und Hei-
landes Entlehnungen aus thalmudischen Lehrsätzen seien. „Die
ganze Bergpredigt" ist nach dem Eabbiner Emanuel Schreiber
(Die Prinzipien des Judentums verglichen mit denen des Christen-
thums, Leipzig 1877, S. 10. 74. 78. 109) „aus thalmudischen
Stellen zusammengesetzt." Ahnhch nach Abr. Geigers Vorgänge
J. H. Weiß, El. Soloweyczyk und andere. Der Kundige kann
sich leicht überzeugen, daß die meisten Sentenzen, welche im
NT Entlehnung sein sollen, im thalmudischen Schrifttume
Autoritäten des 2. bis 4. nachchristlichen Jahrhunderts bei-
gelegt sind. (Ygl. „Literai\ Centralblatt" 1878, Nr. 2, Sp. 41 f.)
Selbst wenn aber die meisten einzelnen Aussprüche Jesu, ja
selbst wenn sie alle sich in älteren jüdischen Schriften nach-
weisen ließen: das „geistige Band", welches sie zusammenhält,
mid die Bedeutung, mit der sie im NT erfüllt sind, würden Jesu
(von seinem Tun und Leiden hier natüilich ganz abgesehen)
eine anßerordenthche Bedeutung sichern. Jedoch in "Wirklich-
keit hat nicht Jesus, hat nicht das Christentum von dem Juden-
tum, welches sich nach der Vollendung der alttestamentlichen
Bücher gebildet hatte, entlehnt, sondern das Gegenteü ist der
^ Neue Preuß. Ztg vom 15. Juni 1884, Beilage: Zur Kritik der
Rabbiner- Yersammlung. Berlin, 4. und 5. Juni 1884, — ■ Vgl. hierzu die
unzulänglichen Entgegnungen in der „IsraeHtiscben Wocbenscbrift"
(Nr. 28), in der „Voss. Ztg." (Nr. 848, Beil. 1; von Dr. Maybaum) und die
außergewöhnlich brüske in der Jüdischen Presse (Nr. 80, S. 311 — 318),
sowie Stracks Antwort an Maybaum (Voss. Ztg. Nr. 345, Beil. 1) alle
von 1884. — Vgl. ferner Franz Delitzschs bekanntes Buch „Jesus und
Hillel* und Stracks Artikel „Hillel" in der Realenzyki. für prot.
Theol. — [B].
Anhang. 105
Fall: Christi Lehre und das Christentum haben auf das Juden-
tum mächtigen Einfluß ausgeübt. Es ist hier nicht mein Zweck,
das im einzelnen zu zeigen; nur daran mag an dieser Stelle
erinnert werden, daß erst der in Metz, später in Mainz lebende,
im Jahre 1040 gestorbene Gerschom ben Juda, auch Meor ha-
Gola (die Leuchte des Exils) genannt, die Polygamie verbot,
und daß dieses Verbot längere Zeit nur von den in Europa
lebenden Juden anerkannt ward.
Wohl aber ist es ein höchst interessantes Faktum, welches
niedriger gehängt zu werden verdient, daß die Autwort, welche
der Heiland Marc. 12, v. 28 — 34 auf die Frage, welches das
vornehmste Gebot sei, erteilt, jetzt von den Juden — natürlich
ohne daß sie wissen, was sie tun — für das Wesenthche der
jüdischen Lehre und für ein Diktum BQllels. erklärt wird, jenes
Hillel, der nach Renan, Geiger und anderen „Größen" der
Lehrer Jesu gewesen sein soll.
J. Singer schreibt in seinem mu- vor einigen Tagen bekannt
gewordenen Buche „Sollen die Juden Christen werden?", 2. Aufl.,
Wien 1884, S. 4, wörtlich: „Die Religion des Judentums in
ihrer reinen Gestalt ist auf den beiden Sätzen des AT: ,Der
Ewige, unser Gott, ist ein einziger Gott' mid ,Liebe deinen
l^ächsten wie dich selbst' aufgebaut". Dazu gibt er folgende
Anmerkmig: „Wir erinnern zur Steuer der Wahrheit unserer
Behauptung an die bekannte Erzählung, daß der große Rabbi
Hillel einem Heiden, der zum Judentum übertreten wollte, den
ganzen Inhalt der Thora in jenen einen Satz zusammenfaßte;
die übrige Thora sei um' ein Kommentar zu demselben".
Hätte J. Singer im babylonischen Thalmud Blatt 31a des
Traktates Sabbath nachgeschlagen, so hätte er gefunden, daß
die Stelle, an welche er dachte, in Wirkhchkeit ganz anders
lautet. Ein Heide kommt zu HiUel und erklärt sich bereit,
Jude zu werden, wenn Hillel ihn das Erforderliche, während er
(der Heide) auf einem Beine stehe, lehren wolle. Hillel ist ein-
verstanden und sagt: ,Was dir widerwärtig ist, tue deinem
Nächsten nicht. Dies ist die ganze Thora, alles andere ist
Kommentar dazu. Gehe hin, das lerne'. Also einen Satz
der Moral, nicht religiöse Belehrung gibt Hillel^ Das
1 Von mir gesperrt. Zu obiger objektiven Festellung bemerkte
die Jüd. Pr. gescbmackvoU : „Welch.' eine Welt voll Wahn, welch' ein
tiefer religiöser Abgrund gähnt aus diesen Worten heraus!" [B.]
106 Anliang.
dem eben angeführten fast gleichlautende Wort Jesu Mt. 7, 12
gewinnt durch den Zusammenhang, in dem es steht, eine viel
tiefere Bedeutung.
Einen ganz ähnHchen Bock wie J. Singer hat die Rabbiner-
Versammlung geschossen, welche am 4. und 5. Juni in Berlin
getagt hat, Grieich am ersten Sitzungstage ist „gegenüber den
Verunglimpfungen, welche Haß und Voi-urteü in den letzten
Jahren auf die Sittenlehre des Judentums gehäuft haben", eine
Erklärung angenommen worden, in welcher sich wörtlich fol-
gender Passus findet (s. „Israelitische Wochenschrift", Nr. 24):
„Das Gebot der Nächstenliebe, welches im 3. Buche Moses
c. 19, V. 18 mit den Worten: „Und du sollst lieben deinen
Nächsten wie dich selbst, ich bin der Ewige!' verkündet und
von Hillel, dem großem Meister, als der ,Inbegriff der ganzen
jüdischen Lehre' bezeichnet wird, bezieht sich nicht allein auf
den Stammes- oder Glaubensgenossen, sondern ist . . . eine un-
eingeschränkte, alle Menschen umfassende Satzung^." Dieser
Satz ist von 68 Rabbinern Deutschlands einstimmig angenommen
worden. Ich sage einstimmig; denn ein von etlichen Herren
erhobener Einspruch bezog sich nur auf den hier nicht zitierten
Schlußsatz der Erklärung, welcher den „in dem Jahrtausende
umfassenden jüdischen Schrifttume hie und da" sich vorfindenden
entgegenstehenden Stellen verbindende Kraft absprach (vgl.
einerseits: „Der Israeht" Nr. 46, S. 762; andererseits: „Israe-
litische Wochenschrift" Nr. 25, S. 187). Und wenigstens 18
Rabbiner haben der Erklärmig nachträghch zugestimmt! Von
mehr als sieben Dutzend Rabbinern also weiß keiner, daß Hillel
das Gebot 3. Mos. 19, 18 nirgends für den „Inbegriff der
ganzen jüdischen Lehre" erklärt hat, weiß keiner, daß der be-
zügliche Satz der Erklärung eine, noch dazu unvollständige und
darum ungeschickte Entlehnung aus Jesu AVorten Marc. 12
28 ff. ist!
Die Herren Rabbiner könnten mir vielleicht einwerfen
wollen, daß Hillel allerdings irrtümlich genannt sei; aber Rabbi
Akiba habe den Vers so gedeutet (vgl. Allgemeine Zeitung des
Judentmns Nr. 23, S. 361). Dagegen ist zu erwidern, erstens,
daß Akiba am Ende des ersten mid in den ersten Jahrzehnten
des zweiten Jahrhunderts blühte, also später lebte als Jesus.
Und zweitens hat Akiba das Gebot der Nächstenliebe nur auf
1 Im Original gesperrt. [B.]
Anhang. 107
die Volksgenossen bezogen, nicht auf die Gesamtheit
der Menschen^ In dem Siphra genannten sehr alten Midrasch
(Auslegungswerk) zum 3. Buche Moses lesen wir zu unserer
SteUe (Ausgabe Wien 1862, Blatt 89, Sp. 2):
„Du sollst nicht rachgierig sein, noch Zorn halten
gegen die Kinder deines Volkes-. Gegen andere magst
du rachgierig sein und Zorn halten^. Und du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst^. Eabbi Akiba
sagte: Das ist ein Hauptsatz in der Thora. Ben Asai (jüngerer
Zeitgenosse des Akiba) sagte, wichtiger noch sei 1, Mose 5, 1,
nach welcher Stelle der Mensch nach dem Bilde Gottes ge-
schaffen sei.^"
Der ungleich bedeutendere Ausspruch ist in diesem Zu-
sammenhange offenbar der des Ben Asai. Nach Gottes Bilde
sind ja alle Menschen geschaffen. Die notwendige logische
Konsequenz hieraus ist die Ausdehnung des Gebotes der Nächsten-
liebe auf alle Menschen. Wir wollen jetzt nicht bestreiten, daß
Ben Asai diese Konsequenz gezogen habe*. Aber geraume
Zeit vor ihm'^ hat der Heiland im Gleichnisse vom barm-
herzigen Samariter den umfassenden und wahren Begriff der
Nächstenliebe aufgestellt.
Berhn. Prof. Herrn. L. Strack.
1 Von mir gesperrt. [B.] II - Im Original gesperrt. [B.] \\ ^ "isö m
mo ^n^ bb'Ii m DIX. Ebenso j. Nedarim 41 c; vgl. Gen. rabba
c. 24fin. [B.] II * Tatsächlich hat Simeon ben Asai dies nicht getan;
vielmehr ist gegen diese und andere Deutungen seiner Worte in univer-
salem Sinne (Bacher 1,420 f.) zu bemerken, daß er niemals Akibas Aus-
sprüche in der Weise erweitert, daß sie einen anderen Sinn bekommen,
was hier geschähe, da dem „Nächsten" (bei Akiba = Volksgenossen) der
„Mensch" (= jeder Sterbliehe) entgegengesetzt wäre; vgl, die Beispiele
hei Bacher. Außerdem betont S. b. A. stets gerade, daß Gott sich
lediglich für Israel und um Israels willen offenbare usw. Hätte aber
S. b. A. unter dem „grösseren Hauptsatz" das Gebot universaler Menschen-
liebe verstanden, dann wäre es ja noch deutlicher, daß Hillel und Akiba
ein minder umfassendes Prinzip lehrten, also mithin ihr Begriff der
Nächstenliebe nicht der universaler N. sei! [B.] || ^ Simeon ben
Asai starb 135 n. Chr., noch vor Akiba, unter Hadrian den Märtyrer-
tod. [B.]
Nachträge.
Zu S. 24 ff.: Schabbath 116b wird iii ungefähr aus dera
2. oder 3. Jahrb. stammendem Aramäisch Mt. 5,17 wie folgt
zitiert oder viehuehr in polemischer Absicht gefälscht: „Ich, das
Evangelium, bin nicht gekommen, wegzutun vom Gesetze Mosis,
sondern dazu hinzuzufügen bin ich gekommen."
Zu S. 26: Auch in Thalmud und Midrasch ist ü"p Korrelat
zu 7rX-/]pouv (Bacher, Terminologie I, 171).
Zu S. 28: Vgl. Schir r. zu 5, 11 (später als Jesus): „Das
Jod, das der kleinste Buchstabe in der Thorah ist."
Zu S. 33 (Mt. 5, 21): Bacher (Terminol. I, 190^) hat
gegen Schechter (Jewish Quarterly Review X, 11 ^) darin recht,
daß Tjxoüaaxs wirkhches Hören bedeutet, darm aber unrecht,
daß es „das Vernehmen des Schriftworts" bezeichne.
Zu S. 39 ^ und S. 105: Über Polygamie der heutigen orienta-
hschen Juden vgl. z. B. Strack's „Nathanael" II. J. (1886), S. 61
(Bagdad) und „Die Welt" lY. J., Nr. 15, Wien 13. 4. 00
(Samarkand).
Zu S. 43^: Joh. 8, Iff. ist trotz des Fehlens in den alten
Handschriften sicher alt und glaubwürdig.
Zu S. 46: Schabbath 108b heißt es: „R. Mima (4. Jahrh.
n. Chr.) sagt: Die Hand (vor dem Morgengebet) ans Auge . . .
an die Nase ... an den Mund (usw.) gelegt, soll abgehauen
werden", d. h. vor dem Morgengebet ist jedes noch so geringe
andere Tun sündhaft — ein Seitenstück zu R. Tarphons Aus-
spruch, aber nicht im mindesten zu Mt. 5, 29, wie J. Kopp
(Zm: Judenfrage, 3. Aufl., Leipzig 1886, S. 177) leichtfertig
hinschreibt.
Zu S. 56: Nach Thosaphtha Schabbath YH war doppeltes
Nein als „Aberglaube" verpönt (Bacher, Terminol. I, 54).
Zu S. 85^: Ähnlich nennt Raba (4. Jahrh.) die Angabe
Thamid II, 1, dass man das Opfertier aus einem goldenen
Becher getränkt habe, das. 29 a eine „Übertreibung" (i<Dn:i).
Zu S. 92 f.: Weder die Redaktion, noch die wissenschaftlich
Gebildeten unter den Lesern der Allg. Ztg. d. Judent. hatten
Nachträge. 109
etwas einzuwenden, als daselbst am 29. 1. 1901 Dr. M. Silber-
stein folgenden Mstoriscben Gallimathias zum besten gab: „Wer
könnte nun aber angesichts der Sentenz (Seneca's) ,B,es optima
est, non sceleratos extirpare, sed scelera' zweifeln, dass wir hier
ÄSiS bekannte treffliche "Wort^ der frommen Beruria, des edlen
E. Meir gottesflirchtiges [sie] "Weib, vor uns haben! So be-
sitzen wir in diesen Seneca'schen Sentenzen^ den, wie mis
scheint, unwiderleghchen Beweis (!) für das ELndringen jüdisch-
ethischer Ideen in den Gedanken- imd (!) Vorstellungskreis der
alten Bömer." Ich zweifle, ich widerlege: Seneca, der von 54
vor bis 38 nach Christus lebte, hätte es wunderlich anfangen
müssen, um von der im zweiten Jahrhundert nach Chr. lebenden
Bermja zu lernen, die seinen zum geflügelten Worte gewordenen
Satz vielleicht von ihrer in römischen Kreisen nicht unbekannten
Schwester (Abodah sarah 18 a) vernommen hatte.
Zu S. 96 f. Im aram. Texte stand wohl 'xt^iD oder
iDliy nitt'in (aus eigener Autorität). Noch die Tholdoth (vgl.
mein „Jüdisch-deutsches Leben Jesu", Leipzig 1895) machen es
Jesu zum Vorwurf, daß er „ohne Erlaubnis seines (vermeint-
hchen) Lehrers" Halachah (Lehmorm) vorgetragen habe.
Zu S. 104: Viel törichter als die immerhin doch zunächst
nicht ganz unwahrscheinliche Meinung über Jesu Abhängigkeit
von den Babbmen ist der Wahn, er habe buddhistische Lehren
gekannt. Alles derart „Bewiesene" besteht aus Trugschlüssen
und Fälschungen. Die neueste Fassung der Mär ist die von
FeHx Lorenz in Berlin, wonach Christus in einem buddhistischen
Kloster bei Alexandria (!) am Bande der syrischen Wüste vom
13. ---30. Jahre geweilt habe. (Deutscher Kampf, Leipzig 1905,
V, 88 ff.)
1 [Berachoth 10 a: In R. Meirs Nachbarschaft wohnten Nichtswür-
dige, die ihn vielfach kränkten. Da betete er zu Gott um ihren Tod.
Sein Weib Berurja aber sprach zu ihm: . . . Heißt es denn (Ps. 104,25):
„Vergehen sollen die Sünder?" Es heißt doch: „Die Sünden!" . . . Bitte
daher, daß sie Buße tun; dann gibt es keine Frevler mehr! B.] 1|
2 [Vorher hat S. „bewiesen", daß Seneca zwei Sentenzen von HiUel habe,
was zwar schwerlich stimmt, aber historisch noch anginge. Man hört
solche Behauptungen heute an, während man doch über die, lächelt, die
den Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus für echt hielten. B.]
Register.
(Die deutschen Zahlen bezeichnen die Seiten dieser Schrift.)
I. Bemerkungen zu Delitzschs liebr. NT: 15. 21. 24ff. 31. 32.
38. 78. 96 f.
II. Exegetisches: -/.Xr,povo[j.ia 11. [j.ay.ap'.oc 19. ypa;j.rj.aTstg /.a\
cpaptaatoi 32. apyoüoi 33. apycov 38. [jLoi)(^EU£tv 39 ff. aü zlizac 53 f. oo%-<xk[j.6v
avTi c;a9-aX[jLou 57. avTioTrrjvat und avTiT^paTTsiv 58. ts'Xslo; 63. s-iouatoc 78.
T^ovTipo; 80 f. aoavi^ouai 83. £?oua(a (auO-svTia) 96 f. 109.
III. Sachregister: Anborgen 61. Almosen 61. 68 ff. 85. „Die
Alten" 33. Alte v. Atliona 20. Amen 27. 82. Anklopfen 92. Geistlich
arm 10. Leiblich arm 18. Auge 86. — Backenstreich 59 f. Balken im
Auge 89 f. Bann des R. Gerschom 39. 105. Berurja 109. Beschämen
34 ff. 69. — Dies illa 95f. Dornen 95. Doxologie 81. Du sagst es 53 f.
Durst 13. 19. — Ehebruch 39 ff. 89. Erdreich (Land) 10 ff. Erfiülen 24ff. 31.
26. 108. Evangelium 20. 66. 90. — Fasten 82 ff. Feindesliebe 64ff. 67.
Friedfertig 15. - Gebet 70 ff. 92. Gebote: kleinste 30. 68; leichte und
schwere 30. Gedankensünde 42. Geist der Thorah 26f. 28. 39. Geltung
der Th. 27 ff. Gerechte u. Ungerechte 67. 86. Gerechtigkeit 33. Ger-
schom (s. Bann). Gesetz u. Propheten 24. Gesinnung 38. „Gewaltig"
96 f. 109. Gottes Kinder 15. 67. Gottesliebe 59. Gute Gaben 93. — Haß 66.
Haus auf d. Felsen, d. Sand 96. Heiden 69. 88. Heiliges u. Hunde 91.
Helena v. Adiabene 85. Heuchler 82 f. Himmel u. Erde 27. 53 f.
Himmelreich 11. 14. 16. 19. 32. 76f. 97 ff. Hunde 91. Hunger 13. 19.
■ — Irdischer Besitz 87 f. Izates v. Adiabene 85. — Ja, ja 55 f. Jannai
(König) 83. Jesus im Thalmud 4. Joch" 99. Johannes der Täufer 32. 102f.
Jota 27 ff. 108. — Kämmerer der Kandake 86. Kleingläubige 87. — Licht
der Welt 21 ff. Lohn 68 f. — Mam[m]on 87. Maß für Maß 89. Menschen-
liebe 15. 27 (vgl. Nächstenliebe). Monobaz v. Adiabene 84ff. — Nächster,
NächstenHebe 34. 44. 59. 63. 66. 93. 104 ff. Name Gottes 75. Nein,
nein 55 ff. 108. Nötigen 61. — Perlen 91 f. Persiflage des Ev. 20. 66.
Pforte 93 f. Pharisäer 32 f. 37. 64. 69. 70 ff. 80. 83. Polygamie der Juden
39. 105. 108. Pseudomessiasse lOOf. — Rache 61 f. Reich Gottes 81
(s. Himmelreich). Richten 88 ff. — Salomonische Mahlzeit 87. „Mehr
als Salomo" 26. Salz der Erde 19 ff. Schätze im Himmel 84 ff. Schauen
Gottes 14f. Schimpfworte 34ff. Schlange statt Fisch 93. Schma-Rezi-
tation 99. Schmähungen als Seligkeitsgrund 16 ff. Schwören 52 ff. Sek-
tirer (Minlm) 82. Selbstgerechtigkeit 89 f. 92. Seligpreisungen bei
Lukas 18 f. Seneca 92, 108 f. Sorge für morgen 88. Splitter im Auge 89 f.
Stein statt Brot 92 f. Suchen 92. Symbolische Deutung 94 f. Synhe-
drion 35. — Täglich Brot 77 f. Theorie und Praxis 31. 95. 96. Thorah
Register. Hl
der Rabbinen 57 f.; echte Thorab. (s. Geist). Trauben 95. Tugenden der
Heiden 69. Tüttel 29. — Übel 58. 80 f. Unser Vater 75. — Vater im
Himmel 24. 74 f. Vaterunser 78 ff. Vergebung der Sünden 79. 82. Ver-
leumdung 17. Versuchung 80. Vögel unter dem Himmel 87. — Wahr-
lich 27. Weg, schmaler u. breiter 94. "Weltgericht 95 f. Widerstreben
u. sich widersetzen 58 f. Wille Gottes 95. Wölfe in Schafskleidern 95.
— Zeugeneid 53. Zorn 84 f.
IV. RabMnen-Registeri: Abaji (st. 338 n.) 10. 55. 72. — Abbahu
(E IE) 65. 67. — Abdimi bar Chama (IV) 88. — Acha bar Jakob (M IV)
41. — Achai (E II) 40. — AHba (st. .135 n.) 18. 29. 35. 40. 49. 51. 67.
74. 76. 80. 95 f. 106 f. — Alexandra! (M DI) 81. — Ami (E EI, A IV) 68. 94.
— Antigonos v. Socho (II v.) 68 f. — Bar Kappara (EH) 86. — Benajah
(E II) 92. — Ben Assai (s. Simeon b. A.) — Benjamin ben Levi (IV) 72.
— Ben Sira (A II v.) 18. 88. — Beroka 16. — Chanan (um 75 n.) 70. —
Chananjah ben Gamliel (II) 30 f. — Chanina bar Chama (III) 36 f. 60. 86.
— Chanina ben Dosa (E I) 70. — Chanina bar Iddi (Hl) 9 f. — Chanina
bar Papa (E III) 96. — Chelbo (A IV) 64. — Chijja bar Luliani (IV) 67.
— Dimi (III) 62. — Dosthai aus Biri (HI) 28 f. — Eleasar ben Asarjah
(I/H) 38. 90. 96. — Eleasar aus Modiim (II) 69. 87. — Eleasar ben Pedath
(Em nicht: II) 10. 50 f. 60. 69. 92. — Eleasar ben Zadok (All) 77. —
Elieser ben Hyrkanos (I/E) 6. 35. 38. 56. 61. 63 f. 74. 77. 87. — Elieser
ben Jose ha-GeHli (H) 58. — Gamliel II. (IßT) 53. 76 f. 99. — Gamliel
Beribbi (III) 13. — Gerschom ben Jehudah (970—1040) 89. 105. — „Ein
gewisser" 17. 60. — Hillel (75 v.— 10 n.) 15. 34f. 48f. 64f. 78. 88. 93. -
105f. — Huna (st. 297 n.) 55. 60. 71. — Jakob (E H) 11. — Jakob bar
Iddi (E III) 41. — Jannai (A ÜI) 69. — Jehudah I. (st. 217 n.) 47. 50. 74.
80. 95. — Jehudah bar Jecheskel (st. 299 n.) 41. 61. 65. 71 f. 80. —
Jehudah bar Hai (M H) 94. — Jirmejah (IV) 32. 94. — Jochanan ben
Levi (um 250 n.) 32. — Jochanan bar Nappacha (ca. 189 — 279 n.) 12f.
B5. 50f. 62. 66. 71. 87. 90f. 85f. — Jochanan ben Nuri (11) 35. — Jo-
chanan ben Sakkai (st. 80 n.) 20. 22. 99. — Jochanan ben Scheila (IV)
95. — Jonah (A IV) 44. — Jonathan ben Eleasar (um 240 n.) 32. —
Jose IL (A IV) 44. — Jose ben Jakob (IV) 67. — Jose ha-Gelili (II) 58. —
Jose bar Jehudah (II/HI) 55. — Joseph (st. 838 n.) 18. 40. — Joseph
ben Jochanan (um 250 n.) 32. — Josua ben Chananjah (ca. 60— 131 n.)
20. 68. 77. 83. 88. — Josua ben Karcha (M H) 28. — Isaak (III) 67. 88.
92. — Isaak Nappacha (HI) 64. — Ismael (I/H) 24. 45 f. — Kahana (III)
35. — Levi (E HI) 35. 45. 67. 72. 83. 88. — Mar Samuel (st. 254 n.)
18. 61. — Mar Sutra bar Tobijah (IV) 91. — Meir (II) 70f. 89. — Muna
(IV) 108. — lüfachman bar Jakob (E III) 35. — Nachman bar Isaak (st.
856 n.) 36. 40. — Nakdimon ben Gorion (I) 21. — Nathan (E H, A IH) 91
— Neehunjah (I) 24. — Papa (st. 375 n.) 41. 92. — Pinchas ben Ja'ir
(E II) 74. — Eab (st. 247 n.) 12. 41. 65. 71. 76. 80. 86. — Raba (st. 352)
56. 65f. 80. 89. — Raba bar Mari (IV) 66. — Rabba (st. 331) 66. 80. 82.
^ Die römische Zahl in (Klammern) ohne weiteren Zusatz bedeutet das Jahr-
hundert nach Chr., in dem jeder Eabbi lebte; v. = vor Chr.; n. (bei Unterschei-
dungen) = nach Chr. ; st. = starb ; A = Anfang, E = Ende, M = Mitte. — Da die
Chronologie der Babbinen den meisten eine Terra incognita ist, werden diese be-
scheidenen Angaben manchem willkommen sein.
112 Register.
— Rabbi bar bar Chanab (IV) 88. — „Rabbi" s. Jebudab I. — Rascbi
(1040 — 1105 n.) 12. — Rescb LaMscb (s. Simeon ben L.}. — Samuel der
Kleine (11) 6ß. — Samuel bar Nacbmani (III) 10. 17. — Scbammai (I v.)
14. 48 t. 78. — Schescheth (lE/IV) 43. — Seira (IV) 22. 76. — Simeon
bar Abba (E HI) 41. — Simeon ben Asai (um 110 n.) 82. 68. 107. —
Simeon ben Eleasar (E 11) 24. 87. — Simeon ben Gamliel (um 70 n.)
31. 95. — Simeon ben Jebozadak (A III) 62. — Simeon ben Joebai (M 11)
24. 28. 94. — Simeon ben Laldscb (M HI) 21. 40. 43 f. 60. 94. —Simeon
ben Menasjab (E II) 58. — Simeon ben Natbanael (II) 71. — Simeon
bar Passi (E HI) 67. — Simlai (E III) 96. - Tarpbon (I/H) 45 ff. 89 ff. 96.
— Thanchum (EI) 13. — Tancbuma (E IV) 93.
T. Zitaten-Begister. 1. Jerus. Tbalmud: j. Beracbotb 3c (45).
5a (101). 7c (71). 8d (71). 18c (81 f). 14b (83). IV 2 (80). — j. Bezab 60a
(95). j. Kidduschin 65b (21). — j. Maasrotb 50c (75). — j. Nedarim 41c
(107). — j. Peab la (15. 69. 86). 15 c (84). 16 a (17). — j. Sanbedrin 20 c
(28 f.). — j. Scbekalim II (23). — j. Sotab 19 a (83). 20 c (83). 29 a (18).—
j. Tbaanitb Ulf. (72). IE 3 (68). 67c (71). — 2. Babylon. Tbalmud:
Abotb I 3 (68). I 6 (88). 1 17 (31. 95). E 1 (68). II 6 (88). E 7 (35). E 10
(66). II 13 (71). II 15 (35. 38). IE 20 (80). IV 2 (68 f.) IV 24 (66). VI 4 (87).
VI9(86). — Abodabsarab 2a (68). 2b (96). 18a (109). 19a (68. 88). 20ab (40).
22b (17). — Aracbin 15b (17). 16b (90f.). — Baba batbra 9b (69). 10a (70).
10b (69). IIa (53. 84f.). 15b (89ff.). 116a (19). 123b (91). 145b (13). 146a
(18). 166 a (53). 174b (19). — Baba kamma 59 b (64). VEI6 (59 f.). VIE 7
(82). 92a (19). 1X7 (58). 92a (19). 92b (66). 93a (16). 117a (35). — Baba
mezia44a(14). 49a (55). 58b (36). 59a (36f.). 59b (35. 91). 75a (61). 75b
•(62). 87a (67). VII 1 (87). 107b (91). — Becboroth 9a (20). 15a (91). —
Beracbotb 6b (19. 84). 9a (88). 10a (109). 16b (71. 77. 80). 17 a (81). 24a
(43). IV 3 (76). 28b (22). 29b (77). 32b (75. 92). 35b (88). 36b (71). 40b (75f .).
43a (91). 48a (95). 55a (53. 71). 60b (80). 61a (40. 70). ES 5 (82). — Bezab
16 a (78. 88). — Chagigab 5a (69). 9b (18). — Cbullin 91b(67). 105a (19).
142 a (91). — Dammai III 2 (54). — Derecb erez sutta VEI 4 (82). —
Erubin 18 b (41 f.). 54 a (87). 55 a (9). — Gittin 36 b (12. 16. 56. 65). 89 a
(49). 90a (48f.). 90b (49f.). VE 1 (55). — Jebamotb 47b (64). 48b (64).
92a (91). 109b (64). — Joma 10a (88). 22b, 23a (61. 65). 23a (12. 56. 65.
82). 29a (34f.). IE 10 (85). 39 a (86). 49a (70). VI 2 (82). 72b (95). 74b
(44). 77b (70). VIE 1 (83). VEI 9 (38. 74f. 79). 86 a (23). — Kailab Anf.
(43). — Keritbotb 25a (53). — Ketbubotb 27b (53). 66b (20). 70ab (49).
110b (18). — Kidduscbin 110 (11). 16b (29). 28a (36). 39b (llf. 91). 40b
96). 59 a (19). 70a (53). 70b (64). 71 a (58). 72 a (88). IV 14 (87). — Mak-
kotb 21b (91). III 15 (30. 69). 24a (53). — Megillab 6b (22. 92). 12b
(89. 92). 13b (64). 16a (66). 25b (38). 28a (79f. 82. 89). EI 4ff. (24). 77b
(84). — Menacbotb 21a (19). 29a (29). 29b (18. 94). 43a (71). — Nasir
66 a (53). — Nedarim 20 a (40. 43. 54). 32 a (61). 41a (10). — Niddab
13a (45). 13b (45f. 64). 14a (46). — Pesacbim 49a (37f. 95). 49b (10).
56a (82). 66b (35). 112a (51). 113b (52. 82). 119a (72). — Roscb ba-
schanab 16b (73. 88). 18a (71). — Sanbedrin 15(36). 6b (58). 7 a (17. 60).
18a (91). IE2 (53). 28b (76). 35a (84). 39b (67). 46a (95). 49a (65). 52b
(44). 58b (60). 72 a (61). 74b (42). 74b, 75 a (41). 76b (65). 82 a (44). X[XI]1
(12). 92 a (10). 97 a (74). 98 b (96). 100 a (13. 89). 100 b (18. 88). 107 a (27 f.
Register. 113
80). lila (67). — Schabbath 31a (64. 93. 105 f.). 33b, 34a (35). 35b (69).
64b (43). 88b (12. 16f. 56. 65). 104b (55). 105b (86). 108b (108). 116a
(90). 127 a (15). 127 b (89). 151a (13). — Schebuotb I 6 (30). IV 3 (52).
36 a (56). IV 13 (53). — Schekalim HI 2 (84). — Sotab 4 b (39). I 7 (88).
8b (89). 9a (70). 10a (61). 12a (83). 10 5 (83). 21a (9). 22b (33. 69. 72. 83).
V2 (57). 48b (87). 1X5 (74). IX 12 (88). — Sukkab 14a (72f.). 45b (94).
Thaanith 16 (82). 7a (9. 67). 8a (68). IIa (69. 84). 16a (82 f.). 18a (53).
III 7 (95). 19a (72). 21b (29). 22a (16). 23a (72). 24a (53). 25a (67. 72).
26a (70). 65 b (72). — Thamid III u. 29a (108). — Themurab 130b (91).
3. Midrascb: Exodus r., c. 8 E (72). c. 9 (29). c. 31 (86). — Genesis r.,
c. 2 (21). c. 10 (70). c. 14 (51). c. 24 E (107). c. 33 (93). c. 44 (95). c. 47
(27 f.) c. 56 (17). c. 74 (83). — Levit. r., c. 5 (72). c. 19 (28. 54). c.21 (92).
c. 23 (43). c. 35 (18). c. 56 (11). — Mechütha 38a (24). 47 b (87). 50b (68).
51a (68). — Num. r., c. 15 (23). — Pesiktha 176 a (92). — Pesiktha
rabbatbi c. 24 (43). c. 25 (85). — Ruth r. 3, 18 (55). — Schir r. 1, 3 (21).
5, 11 (28). 7, 1 (68). — Siphra 86b (90). 89b (I04ff.) — Siphre zu Deut.
§ 1 (90), zu Lev. 19, 17 (90). — Thancbuma Buber, "OlOn 24 a (21).
126 (54). Thancbuma B. kiki 8 (72).
4. Verschiedenes: Aboth di R. Nathan c. 5 (69). c. 24 (22).
c. 26 (35). — Alenu-Gebet (81). — Sepher Bahir (24). — Henoch-Buch
4, 8ff. (11). — Hieronymus in Mt. 6, 11 (78); in Ps. 135 (79). — Jalkut
Ruth § 596 (89). — Josephus contra Apionem II 30 (68). — Jubiläen-
Buch 82, 19 (11). — Kabbalah (24). — Kaddisch-Gebet (76). — Koran
(53). — Sepher Kusari (26). — Maimonides, Hilchoth Peah, c. 5 (55).
— Pesach-Haggadah (77). — Schemoneh-esreh (76f. 80f.). — Siddur (77).
Sohar (24. 38. 77). — Thargum jer. H zu Deut. 32, 6 (75). — Th. On-
kelos zu Gen. 28, 14 (11). — Thosaphtha Nedarim c. 1 (53). Th. Peah c. 4
(85), Th. Schabbath c. 7 (108), Th. Sotah c. 8 (18).
5. Altes Testament: I.Mose 1, 22. 28 (24). 9, 1 (24). 9, 11
(15. 56). 14, 14 (61). 15, 18 (96). 17, 14 (24). 21, 7 (67). 31, 32 (67). 28,
13f. (11). — 2. Mose 2, 12f. (60). 5, 13 (25). 10, 6 (24). 14, 12 (47).
18, 23 (60). 20, 14 (39). 21, 23 ff. (57). 22, 4 (62). 23, 4 (63 f.). 28, 3 (25).
31, 3 (25). 35, 35 (25). — 3. Mose 19, 18 (30. 63 f. 66. 106). 19, 34 (63 f.).
19, 36 (55). 20, 10 (44. 50). — 4. Mose 14, 3 (47). 15, 31 (24). —
5. Mose 5, 16 (12). 5, 18 (29). 6, 4ff. (99). 9, 19 (69). 11, 13 (99). 11, 29
(18). 12, 15 (91). 12, 21 (57). 13, Iff. (95). 19, 15 (48). 21, 7 (67). 22, 7
(12). 23, 10 (40). 24, 1 (47 ff.). 24, 2 ff. (52). 24, 13 (85). 25, 3 (31). 25, 19
(65). 27, 15-26 (18). 29, 19 (65). 29, 23 (21). 33, 29 (67). 34, 9 (25). —
Josua 8, 33f. (18). — Richter 5, 31 (12). 9, 45 (21). — 1. Kön. 2, 27
(25). 8, lOf. 15. 24 (25). 15, 22 (61). — 1. Chron. 29, lOf. (81 f.). — Esra
2, 59 (21). — Hi ob 22, 3 (22). 22, 8 (60). 24, 3 (22). 38, 14 (60). 39, 6 (21).
~ Psalm 1, 1 (19. 95). 1, 6 (96). 6, 9 (96). 17, 25 (13). 18, 27 (64). 20, 5
(25). 22, 9 (98). 24, 37 (13). 25, 13 (lOf.). 33, 10 (24). 36, 9 (13). 37, 9. 22.
29. 34 (lOf.). 37, 11 (10). 37, 17 (22). 37, 26 (61). 42, 3 (14). 45, 7 (98).
68, 20 (78). 68, 29 (99). 73, 1 (13). 80, 10 (24). 85, 12 (85). 89, 15 (85).
90, 5 f. (87). 91, 1 (70). 93, 1 (98). 99, 1 (98). 102, 6 (27). 103, 19 (98).
104, 25 (109). 112, 1 (68). 119, 89 (30). 126, 5 (10). 145, 11 ff. (98). 145,
16 (25). — Sprüche Sal. 3, 33 (22). 4, 25 (86). 9, 17 (42). 11, 13 (85).
11, 21 (40). 11, 28 (22). 15, 15 (13). 20, 27 (86). 21, 14 (69). 21, 21 (13).
Bischof f, Jesus u. d. Rabbinen. 8
il4 Register.
23, 26 (45). 24, 17 (63. 66). 25, 21 (63). 30, 8 (78). — Pred. Sal. 5, 1 (71).
— Judith 8, 5 (71). — Tobitli 3, 12 (71). — Sirach 28, 2 (80). 29,
4—9 (61 f.). — Jesaja 3, 10 (85). 27, 6 (24). 27, 8 (89). 29, 23 (75). 40, 8
(30). 40, 9 (99). 42, 6 (21). 45, 9 (65). 49, 6 (21). 51, 6 (27). 54, 9 (56). 57, 13
10). 58, 8 (85). 60, 21 (10. 12). 63, 16 (75). 64, 8 (75), 65, 9 (lOf.). 65, 20 (25).
66, 24 (33). — Jeremia 14, 14 (95). 17, 6 (21). 23, 24 (72). 28, 6 (25). 34,
16(75). 45,25(25). 51, 29 (25). — Klagel. 2, 17 (25). — Bzecliiell3, lOff.
(96). 22, 27 (95). 36, 20. 23 (75 f.). 43, 5 (25). — Daniel 2, 22 (23). 2, 44
(98f. lOlf.). 3, 33; 4, 31; 7,21 (98f.). 6, 11 (71). 7, 14. 24 (102). 11, 14
(25). — Arnos 2, 7 (75). 8, llff. (13). — Obadjah 21 (98). — Michail
7, 6 (36. 75). 7, 18 (80). — Nahum 3, 6 (36). — Habakuk 2, 3 (25). —
Zepliaiijali2,9(21). 3, 3 (95). — Maleachi 1,6. 12 (75). 2,5. 13f. 16(50).
6. Neues Testament (ausser Bergpredigt). Mt. 3,2(102). 4,17(97).
9, 12 (19). 9, 14 (83). 9, 16 (27). 10, 35 (75). 11, 6 (102). 11, 28 (19). 12,
42 (26). 18, 4 (32). 18, 8 f. (45 f.) 21, 12 ff. (59). 23, 14 (59). 24, 25 (27). 26,
63f. (52f.). 28, 32 (27). 34, 39. 44 (27). — Mk. 4, 19 (23). 4, 21f. (22).
10, 4 (47f.). 12, 28fiF. (105). — Luk. 4, 16 (24). 6, 20ff. (18f.). 6, 29 (60).
6, 30 (62). 6, 36 (63). 7, 28 (32). 8, 16 (22). 10, 3 (78). 11, 33 (22). 12, 35
(75). 12, 48 (38). 14, 15 (78f.). 16, 13 (19). 16, 25 (70). 18, 25 (19). —
Job. 2, 14 (59). 6, 32 (78). 8, IS. (43. 108). 10, 12 (95). 11, 9 (21). 13, 34
(26f.). — Apgesch. 1, 13 (71). 8, 28 (86). 10, 9 (71). 20, 29 (95). —
Rom. 3, 31 (24. 26). 4, 13 (11). 7, 24 (86). 10, 4 (26). 13, 10 (26). —
Philipp. 2, 15 (22). — 1. Job. 3, 15 (34). — Offenb. 3, 17 (19).
VI. Autoren-Register: Bacher (W.) 4. 20. 24. 28 ff. 34. 37. 44. 67.
76. 85. 90. 92. 107 f. — Bennett (W. H.) 1. — Blumenau (S.) 2. — Bousset
(C.) 33. 70. — Buxtorf (J.) 1. — Carpzov (B.) 1. — Cohen (H.) 65. —
Dalman {Gr.) 2 f. 11. 16. 21 f. 27. 29. 32. 52. 63. 75. 81. 97—102. —
Delitzsch (F.) 1. 3. 21 f. 24. 26. 31. 33. 36. 38. 78. 96. 101. — Drusius (J.) 1.
— Duschak (M.) 2. — Duhm (B.) 11. — Edels (S.) 89. — Elbogen (J.)
7. 32f. 56f. 62—65. 68. 70. 72. 76. 80. 83. 90. 93. — L'Empereur (G.) 2.
— Fagius (P.) 1. — Fischer (B.) 6. — Frankel (Z.) 52. — Friedemann
(E.) 2. 3. 15. 35. 37 f. 61. 65 f. 78 f. — Geiger (A.) 3. 104 f. — Grüne-
baum (E.) 2. — Grünwald (M.) 2. — Güdemann (M.) 20. — Hamburger
(J.) 2f. 6. 29. 39ff. 44ff. 48ff. 54f. 65. 73—76. 78-81. 93. — Holtzmann
(H.) 102. — Jeremias (A.) 4—7. 101. — Kahler (M.) 4f. — Laible (H.)
4. 6. — Lightfoot (J.) 1. 15. 18. 23. 25. 33 ff. 38 f. 43. 49f. 54f. 57. 70.
73—78. 80. 81. 97. — Low (I.) 6. — Luther (M.) 11. 38. 60. 73. —
Maybaum (A.) 104. — Meuschen (J. G.) If. 13. 80. — Kork (F.) 2 f. 6.
9f. 12—16. 19f. 23f. 26 ff. 30f. 33 f. 37 f. 54f. 59—61. 65. 71. 75 ff. 79ff.
83 f. 95. — Otho (J. H.) 73. — Renan (E.) 105. — Robinson (Th.) 1. —
Salkinson 78. — Scheidt (B.) 1. 13. 56. 67. 73. 80. 91. 95. — Schneder-
mann (G.) 97. — Schöttgen (Chr.) 1. 19 f. 73. — Schreiber (E.) 2 f. 104.
— Schuhl (M.) 2. — Schürer (E.) 33. — Siegfried (C.) 1. 3. — Singer (J.)
105 f. — Soloweyczyk (El.) 2. 104. — Strack (H. L.) 3. 13. 66. 73. 79.
89. 93. 104—107.' — Taylor (Ch.) 75—85. 80 f. — Tholuck (A.) 73. —
Tötterman (H.) 6. — Yitringa (B). 73. — Weiß (J. H.) 20. — Wett-
stein (J. J.) 1. — Winer (B.) 20. — Wünsche (A.) 1. 3. 9. 21. 23. 61. 67.
69 f. 73. 76—84. 86—89. 93—96.
Hartmann & Wolf, Leipzig.
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UNIVERSiTY OF CHICAGO
50 711 125