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OTTO HÄRRASSOWITZ
niinHHAMniiiuß
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(ßtof^tadt und Heligion
oon
CudcDtg f)eitmann«
3. 5:etl:
Die religiöfe H)a^tl)ctt
für die ©rofeftadt.
SHlotto: ®tts Selten tft nic^t ein ©ein,
fonbern ein SBerben.
fintier.
©amburg 1920
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©töfeftadt und Keftgion
oon
CudtDig f^eitmann.
3. 3:eil:
©ie teliglöfe njal)rl)eit
ffir die «to^ftadt
anotto: Stts Seben ift nic^t dn Srtn,
fonbern ein SBerben.
fiut^er.
©amburg 1920
55erlag t)on (E. 33oi)feit,
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©ebruckt In ber S8ud)bru*crei »on §elnr, Äock in ©lückftobt
724107
QSortüort.
S)iefer brtttc 93onb b^^d^x'dnkt fic^ ntd)t barauf, einige
tec^mfc^c 3^atfd)Iäge gu geben, rote man ben Sölenfc^en ber ©ro^*
ft(ft)t bte religtöfe 2Dat|r()cit munbgerec^t machen könne. €r rotU
bte „reltgtöfe 2Bal)r^ett für bte ©rofeftabt" aus ber inneren 9Iot*
roenbigkeit ber burc^ bas ©rofeftabtäeitalter i)eraufgefü^rten 3cr*
ftörungsentroicfelung tjeraufftetgen taffen. ®afe ein folc^er 3Burf
nic^t of)ne fc^ntergtii^e ^Ibroeic^ungen oon ber überlieferten religiöfen
fie^re, gumal ber fiut^erMrc^e, bleiben konnte, roirb noc^ ben Dar-
legungen bes äroeiten Sanbes, ber bte aus hem ©ruc^ ber Seit
l^eraufbrängenbe QBillensfrage ftellte, nid/t überraft^enb fein. S)ie
2lbroeic^ungen t)aben fir^ mir als tiefer ^erausgeftetlt, als id) um
bie ^Ibfoffungsäeit bes groeiten SBanbes — oor bem 9leformations«
Jubiläum! — es a^nen konnte, ©crabe bie SBefc^äftigung mit
Sut^er t)at mir bie Stotroenbigkeit erroiefen, über i^n hinaus ent»
fdjloffen auf bie religiöfe ©runbftellung bes bleuen ^eftaments
gurückgugreifen.' S)iefe ^broei(f)ung oom fiut{)crtum ift mir als
norbbeutft^em Sutt)eraner nidjt leidjt geroorben. ^6) ^abc barum
meine alte 6tettung im ätpeitcn 55anbe, obroo^I id| um bie Seit
feiner Söeröffentlic^ung fc^on oon il)r abgeroid^en mar, nod^ un»
angetaftet gelaffcn. ^^ kann ^cute bas, roas ic^ in i^m über
Cutters ©runbftetlung gefdjrieben ^abe, nic^t me^r rcftlos aufred)t
erhalten. 3<^ fe^e bie SBurgeln bes oerberbenbringenben 3^bi*
oibualismus ber Sleugeit bereits im religiöfen ©runberlebnis
Sut^ers, bas t)on bem iSrunberlebnis bes bleuen Seftamcnts im
entfc^eibcnben ^unkt abmeiert.
S)a§ eine foIc{)e 5luseinanberfe^ung nic^t in Ieici)tgef(f)üräter
©orftellung mögtidi roar, bürfte unmittelbar einicucfjten. hinter
biefer 3trbeit fteckt, aut^ ha, roo bie Sarftellung glatt ba^ingu-
fliegen fdieint, ^cifee tf)eoIogifd)e Sluseinanberfe^ung. Ss ift mir
nic^t gelungen, hin ^^eologenfc^roeife an aEen 6teüen roegjuroifc^en.
— IV —
3c^ i)obc es auct) nlc^t gcTooUt. ^d) mufetc mtd) um bcs (Scrotffcns
rotUcn auf has @rünbltd)ftc mit ber 3:^eotogic ber Sleusclt aus-
elnanberfegen. S)afe bic ficfetürc bes Sucres baburc^ für Slic^t»
t^eologen fc^mtcrig roirb, entfprtrf)t bem ®rnft ber Sage, ^d)
möd^te ni(^t, bofe feine aum ^etl robtfeatcn (£rgebntffe in bte
§Snbe Unberufener gelangen unb su bitttgen 6(^tagn)ortcn ber
Serftörung merben. 91ur emfteftc 3lrbett barf fic^ an biefe «fragen
^eranmagen.
^Uen aber, bencn ble ^rage ber SReltglon in unfcren Porten
S:agen ^eiliger ®rnft ift, kann au(^ ft^rocrfte ©ebanfeenarbcit §u«
gemutet merben. 3" faurer fiebensarbett erroorbene 9Bat|rt)eitcn
füllen aud) nur burd^ mü{)felige ©enfearbeit gugänglit^ werben.
3nbeffcn toirb tro^ ber oerroicfeciten ©cbanfeenfü^rung bie gro^c
Sinfadi^eit ber rcitgiöfen 9Ba^r^eit, wie fie unferm 3«talter roieber
langfam aufjuge^en beginnt, aus ber ^üße ber Grfcf)einungen
unb ber ^Mfa^n^ß^P^Oe ^erausleut^ten. 6c^liefeli(^ roirb bie
legte ureinfac^e QBa^r^eit ber Sieligton nur benen gefcl)enlit, bic
fi(i) um bie gange QHannigfattigfeeit bes fiebens gu bemühen gelernt
^aben. €int)eit unb gülle bebingen fic^ gegenfeitig.
Hamburg, «pflngften 1920.
SubTDig ©eitmann.
1nl)att
6c{tc:
95t)rn)ort. . . III
1. Suc^rcligtott unb ficben. 1
2. -öetlstatfac^cn unb rctigtöfe 3Ba^r^ctt 18
3. 3bec unb rcitgtöfc «IDtrfelic^kett 39
4. S)ie ©pradje bcr Icbenblgen 2lcltgton 55
IL 2>a$ tettgtdfe UtetXebntd in bet ®e0enn)att$nfelt.
1. Stirb unb roerbe 72
2. S)tc betben 9Begc 85
3. 6c^ulb unb (griöfung. 111
4. ©laube unb 3Der!ic 156
III. 2)a$ teligidfe Uvetttbni^ in feinen ^^esie^nn^cn sunt
Seiien$0an$en.
i. ©as fieiben 176
2. Stcßocrtrctenbcs ficiben 196
3. ©05 95oIli ®ottes 228
4. S)ie reltgtöfc Hoffnung 251
IV. ^em)irlcU(^ttng$ftttfen bcr teligidfen iZBa^t^ieit.
l^Sie gefc^ic^tttc^cn 95cm)tTkUc^ungsftufcn 294
2. S)ic fogtalcn gSernjttWtc^ungsftufcn ............:. 313
3. ®te tnnerfanttltörcn SBerrolrfiltc^ungsftufen 339
4. S)tc 95etTOitMic^ungsftufen im (Einäettebcn 365
V. S)ao rcligiöfe 93cliennttti$.
1. ®ie icligiöfe Waf)xi)ixt unb bas 93c!icnntnts 411
2. S)ic roirlicnbe Söt 435
3. ©tc lebcnbigc ^orm. 451
4. S)as rocrbcnbc QBort 472
— VI —
Sn^alt ber frül)er erfd)ienenen ^eile:
I. S;eil: S)tc rettgiöfc Situation ber ©rofeftabt.
Sßorroort.
I. S>le tcUöiöfc ^vage bcr ^esenmavt
1. ®a5 rcligiöfe (Srunbproblcm bcs mobernen fiebcns.
2. ©ieCSro^abt als Sebcnsscntrum bcr mobernen SBcIt.
II. @ntfte^un9 unb Aufbau ber mobernen <Brogftabt.
1. ®ic Urferäfte bcr (Brofeftabtcntroicfelung.
2. ®ic ©rofeftabt als ©nergicjcntrum.
3. ®as Seben bcr SHaffc.
4. ®ic 2BeIt bcs Kapitals.
III. 3)le Seele ber ©rofeftabt.
1. ®ic feelif(^cn 2Birkungcn bcr mondjcftcriidjcn 2Birt«
fc^aftscntoidilung.
2. ®ic te(^mfcf)*kapitalifttf(i)e Sebcnsanfdjauung.
3. 3lcft^etlf(^c (Scgenftrömungen.
4. Sozialismus unb foäiolc Strömungen.
IV. S»ie iSergangenl^eitdreligiott in ber ®ro^ftabt.
1. S>tc alte Ort^obojtc unb bcr alte SibcroKsmus.
2. ©cfeten unb ©cmcinfc^aftcn.
3. Sluseinanberfcöung mit bcr aItMr(i)Iirf)cn SCett*
anfd)auung.
4. 9leIigiös«foäiaIe 2Infäöc.
V. €m)a(^enbe relifliöfe UriirSfte in ber @ro^ftabt.
1. ®ie erroa(^enbc SJlcgation ber Kultur.
2. ®ic neue ®rofeftabtctl|ift.
3. ®ie neue Äeligiofttät.
4. ©efa^rcn bcr rcligiöfcn SM^unftsentroidtlung in ber
©rofeftabt.
II. S:cU: S)er Äampf um bic ^tüQion in ber ®ro^ftabt.
SBorroort.
A. Einleitung:
^rieg unb ©rofeftabtentroi&Iung.
B. 5)er ^am^f um bie Religion in ber ©rogftabt.
I. ®ic gront.
1. ®cgcn ben S'^wiK^it'
2. ©egen btc Siricbkultur!
3. ©egen bic ted)nifc^e (Sr[tarrungl
IL ®er 2Beg.
1. Stcuc 2Baffcn!
2. Um bic UräcIIel
3. (Ein neues ©cfcl)lcd)tl
III. ®ie 5)urd)füt)rung.
1. SwQcnbarbcit.
2. ®tc neue ©cmcinbe.
3. Sic Surdjbringung bcs fiebcns.
I. Die Oetkapfelungen
der religiöfen n)a^rl)eit
1. ^u(^xeItgton unb Seben.
es Ift bas ©(^tcfejal ber SRcItgtonen, i>a^ fte in 95üc^crn
ftcrben unb aus g5üc^cm TOicbcr auferfte^cn. ^cine bct ent»
rotc&Iungskräfttgen Sleltgtonen, bte rotr kennen, ift bent 93u(^ ent«
rönnen. ®s mar ©rabftätte unh ^cint^ülle für aEe. (Es ^at
aUen ©eburts^ülfe geleiftet unb bei allen bie Zotenmad)^ gctjalten.
S)icfe Satfad^e ift bemerkensTOert, roeil fte keinesroegs felbft«
oerftänbtt(^ ift. 3Itte lebenbtge 3lettgion fud^t ben rauf(^enben
©trom ber QBirklit^keit, ber ^anbelnben 9HenfcE)en, bes käntpfenben
Xages. 3^fu5 unb bie ©c^riftgetel^rten — biefer unoerfö^nlit^e
©egenfag lebt in allen kräftigen Sleligionen unb religiöfen (gpo(^en
fort. €5 ift gen)ife nid)t "S^faü, ha^ 3ßfiis kein gefc^riebencs
gCort ber Stadiroett ^intertaffen ^at.
Sro^bent roar audf) feine 9flettgion 5Bud|reIigion, unb groar
ni(^t erft, feitbent es hm ^anon beö bleuen Seftaments ober bie
erften ©enteinbebriefe ober bie erften gefd)riebenen ^ermroorte
gab, fonbern oon i^rem Urfprunge ^er. S)enn 3ßf"ö felbft war
gang beraubt nid^ts anberes als ber 95oIIenbcr ber 9letigion bes
^Iten Seftaments, ber aus ber religiöfen 6(^riftenfamntlung feines
95oIkes fdjöpfte, fie unbefangen öffentlid^ benu^te, fie mit neuem
Sinn unb Seben erfüßte. ©0 unerbittlici) feine religiöfe 95er=
künbigung ins Scben brängtc, fo ousft^Iie^lid) er ous it)m feine
unfterblic^en 95ilber gewann, fo felbftänbig er. bie ©efege ber
eroigen 9Belt aus i^m formte unb für es beftimmte, fo felbft«
oerftönblic^ beugte er fic^ unter jebes „3ota bes ©efe^es", bas
»gefc^rieben ftanb".
2. ^ettmonn, ©rofeflabt «nb Sleltgion. 3. SIetl. 1
So mufe ein 3ufQTnmenf)Qng fein groifctien- S8uc^ unb 31c*
Hgton, bcr ein unt)erbrü(f)Uct)es @efe^ börftcUt, ober ein 3ufQntmen=
l^ang, ber für bie unoerfö^nltc^c 5einbfö)aft arotfc^en „3efus unb
bcn ©(^riftgele^rten" 3xQum läfet. Wo liegt er?
SRetigton ift 2DaI)rI)eit. ©ie ergebt ben '2tnfprud), be«
^errfd)enbc fiebensmac^t gu fein, ber fi^ Söergangen^eit, ©egen«
wart unb Zukunft in gleicfier QBeifc beugen muffen. Sqs Seben
bis an feine fernften Urfprünge unb legten 'S^tU, bis in feine
§ö^en unb liefen ift i^r Qfleditögebiet. ©arum ift if)r croiges
$errfrf)aftsmittet ber ©eift, ber allein attes untfaffen unb alles
burc^bringen kann, ^n bentfelben 9Ila^e roie bas Seben — ^icr
im rociteften ©inne genommen — ausgreifenber, umfaffenber, be»
^errfdienbcr mtrb, rairb es aut^ geiftiger. ©ie 3leIigion ift bie
95oIIenbung ber ©urc^geiftung bes Sebens, roeil fie oollenbete
£eben6t|crrf(^aft ift. .^öc^fter ^errfdjaftsroitle unb t)öct)fte 35er«
geiftigung finb in it)r eins. S)ie ©in^eit beiber finbet il^ren 5tu5=
brudt in bcm ©agc: 3leIigton ift ^a^r^eit. Senn bie SBa^r^eit
im ooUen 6inne — nid)t im abgebrauchten eines innerli(^ äer=>
riffenen Sebens — forbert nic^t nur bie 5(nerfeennung bes 3$er»
ftanbes, fonbem au(^ bie ß^rfurdjt bes ©efü^Is unb ben ©e^or»
fam bes ^Bittens. 5)er QBa^r^eit gegenüber gibt es ni(i|t bie
Unterfdjiebe ber Funktionen bes ©eifteslebens, bie in menfdjlidier
SBegriffsarbeit geprägt roorben finb. ©ie ift ber 2lusbrucfe unb
bie ©elbftbarfteUung ber £ebenseint)eit, bie alles ©ein burct)§ie^t
unb befjerrfc^t.
Qlbcr biefe ^errfc^aft bes ©elftes ift, foracit bas menfrfjlic^e
^uge reidjt, eine langfam fid| entroidielnbe, eine in kämpfen,
2lüclif(f)Iägen unb Jlcuanfäfeen merbenbe. 3« öUem organtf(i)en
fieben oon ben ©efd^öpfen bes QBaffertropfens an gibt es auf*
flutenbe Sebensroellen, benen ©epreffioncn unb ^ataftrop^en folgen.
3n l^nen fctjlummert fd^einbar bas fieben, aber nur, um über*
rafc^enb aus einem oerborgenen ^eimpunkte, ber alle gemonnenen
Gräfte bes oerfloffenen £ebenstages in fic^ gufammenfa^t, gu
neuer ^lut emporäuftclgen. 3Bas in ber organifc^en 23orftufe bes
92Xenf(f)enIebcn6 nur nod) ^ier unb ha in 95rud)ftücken fid)tbar
roirb, bas tritt in ber uns am nöc^ften ttegenben fiebensentroicklung,
in bcr 9Henfc^^citsgcfc^{c^te, ^cHcr ins fiic^t. ®a fc^cn mir ^lut
— 3 —
unb athU in ber 23ölfeem)clt, aber immer btrgt ber neue Sebenstag
bte mertöollen «ntroic&Iungsergebmffe bes »ergangenen in jeinem
©c^ofec. 5)as rein QSegetatiöe ftirbt ab, bie gefammelte ^errfc^afts-
feraft bleibt, eine umfaffcnbere Stufe ber 35ergetftigung fteigt empor.
S)a5 (Ergebnis eines folc^en Arbeitstages in ber (£ntn)icfe«
Iungsgefct)icf)te ber 9Henfc^f)elt roirb — es ift bas einer ber munber-
barften ?laturtriebe — forgfälttg gefc^ügt unb ber 9Xac^roeIt
aufberoatirt. ^lües, was bie Sltenfc^^ett an innerem SBefig errang,
bis hinauf äu i^ren unnergönglidjen unb ^eiligen ©ütern, oerbanlit
[te biefer mütterlichen ©orgfalt ber Statur. ®as ©efe^ ber
95ererbung ift bas gef)eimnisr)oIIfte unb rounberbarfte, bas in if)r
maltet. 2I3er roill es ergrünben, roarum unb mit roie fict)erem
S:afjt fie gerabe bie Gräfte ber S^feunft übermittelt, bie bas Seben
reicher, tiefer, fieserer, bel)errfc^enber, geiftiger geftalten! Z^ ber
©eiftesgefc^id)te ift bie fc^ügenbe ^ütte, in bie fie i^re fauer er»
roorbenen ©c^ö^e birgt — bas ©uci).
5)ie ©efd)ict)te bes Sucres ift ein 6tücfe ber I)eiligen ©e=
fc^id)te ber 92tenf(^^eit. SHtit bem Sßerfall ber ^Religion in unfern
Xagen ift aud) bas 95u(i) begeneriert, ©eitbem bas ^eilige t)or
bie ^unbe geriet, ift au(^ bas '3ßuä) gur SHaffen* unb ©d^leuber»
roare, ja gum ©efdjäfts* unb ^Betrugsmittel geraorben. S)as barf
uns aber ben 95Iidfe nid)t trüben für bas, mas bas 95u(^ einft
mar. S)ie erftcn ©rf)riftäeict)en, bie in ben aufgericJjteten 9HaIftein
gef)auen, bie erften 3lunen, bie in bie ^Buc^enftäbe geriet, bie erften
^ontafeln unb 95Iätter, bie mit 93u(i)ftabenreit)en befd)rieben mürben,
überlieferten bie ©ro^taten, bie ^eiligen ©ebanlien, bie Sebens»
erfal)rungen »ergangener ©ef(^Iec^ter ber gutiunft. 9Han oere^rte
bas ©efc^riebene roie bie ©eifter ber Soten. Zxo^ ber Entartung
bes Schrifttums roirfet biefe Stellung gu ben ^tufgeic^nungen ber
33ergangent)eit noc^ ^eute nac^. S>ie 95ere^rung ber SBibel unb
i^res 95u(^ftabens liegt oiel tiefer in ben Hntergrünben ber menfc^»
liefen SRatur oerankert, als oberflächliche „SHaturforfc^er" es gu
burc^fc^auen oermögen. 5Ber bie oergilbten 3 eichen einer oer*
efjrungsTOürbigen %anb nacl) Satiren rcieber oors Auge bekommt,
erlebt im kleinen bie Sötac^t bes ©efefees, bem aucl) bie SÖIenfc^-
^eit als gange unterfte^t.
5)as SBu(^ ift ber S;räger erroorbener Sebensroa^r^eit, bie
_ 4 —
im ^ous^att bex Statur nlc^t »erlorcn gc^en barf. €s tft ble
6d|Uö^Me gcfammcltct Sebcnsferaft, ble in bie Su^^unft rotriien
fon. ®ie 95ern)onbIung lebcnbiger 9flcligion in bie 93u(^reIigion
ift ba^er gunäc^ft immer Übergang in bie Xobesftarre. S)ie mic^*
tige QJufgabe, bas Sntiorbcne jorgföltig gu jc^ügen, bis ber neue
fiebenslieim auffpringt, ocrroanbelt bie 95u(i|retigion met)r unb me^r
in bie 95uc^ftabenreIigion. Siefe ift nichts anberes als empfinb«
Ii(^fte QBac^famfeeit sugunften kommenben Sebens. 3lber roenn
ber ^eim reif ift, bann ift if)re 3tufgabe crfüttt: ®ie $ütte wirb
gebrochen, um ber neuen (Entroicälung freie SBa^n gu laffen.
©as ge^t nie o^ne fc^raerfte ©eburtsme^en ah. „^t\vL5 nnh bie
6c^riftgele^rten" — bas ift bie uralte Sragili aller Qfleligionsent»
midilung. S)er ^Bud^ftabe roirb gerf (plagen, bas 95u(f) roirb gc«
fprengt, unb bie in it)m fc^lummernbe Sebensenergie wirb nun
flüfftg unb beginnt erobcrnb unb neubitbenb in bie Q[Delt gu treten.
60 erklärt fic^ beibes: ®ic pofitioe ©tetlung ^öc^fter (£^rfur(f>t
gegenüber bem 93u(i)c als bem 9Hutterfc^ofee, bem alles 9teue
entftrömt, beffen Gräfte es nur su „ooüenben" gilt, unb bie ^arte
negatioe Haltung unerbittlidier ^etnbfdjaft gegen bie Sorroä(^tcr
bes 95u(^ftabens, bie „\>as 9lei(^ nid^t kommen laffen motten."
®er Stifter ber djriftlidien SReltgton ifat fetber feeinen ®ud^*
ftaben ber 3lac^roelt überliefert, roetl feine 3lcligton urferäfttgftes ,
fieben mar. ®ie Sinfjeit gmifdien erftarrter 9Ba^r^cit unb lebenbiger
^errfdiaftskraft mar in t^m roieber^ergefteUt. 3lber auc^ feine
3lel{g{on ift bem ©ntrolcfelungsgefe^e nic^t entronnen, ^roat roaren
bie Briefe feines großen Slpoftels nod) Keine ^lufbema^rungs*,
fonbcrn reine fiebensgeugniffe, aus him 'Slugenblidfe unb bem
fieben geboren unb für ben 3lugenblicfe unb bas fieben gefc^rieben.
9lber fd)on bie „§ermroorte" roaren bas erfte ^Ingeic^en ber
fammelnben 35orforge ber Statur, bie bann balb in einer forg-
fälttgen 9luslefearbeit ohnegleichen ben feft abgefd^loffenen ^anon
fc^uf, ber bie rocrtoottcn Srgebniffc ber religiöfen ^ö^enentroicfelung
bes gefamten Orients für bie 91acl)roelt aufberoa^rte. ®le fcljlummer*
ten lange ^af)v^ünbixtt in ber ftarren ^ütte ber ^apftfeirc^e, nur
^ier unb ha nocl) lebenbige Sproffungen ausfenbenb, bis fie in
oerborgener ^loftergette roieber in i^rer ©efamt^eit ans fiic^t
brängtcn. Sut^crs 9Bieberentbeckung' ber 95{bel mar kein mcd^anifc^-
— 5 —
oerftonbeöntöfelges 3Blebcrflnben, role mon mtt bcm Teleskop etttcn
entfc^TDunbcncn Kometen rotcbcrentbecfet, fonbem ein (Einftrömcn
bcr oufgefpcic^crtcn Gräfte In bcn fic^ langfoin unb organifc^
entroicfeelnben ^cim bcs neuen Scbens, ber nun gut SReife gelangt
mar. ©eine neue religiöfe ©croife^eit mat ntct)t ous ber 213ieber«
anerliennung ber 93tbel entfprungen, fonbem eine ?leufc^öpfung
©ottes, ber in langer oorfetjenber (gntrotdilung bie grunblegenbcn
Gräfte her Söergangen^ett bafür bereit gehalten ^attc. ^us bcr
ftorren öülle äußeren 9Hac^tfc^uöes fprang rotcber bie 33uc^reIigion
heraus, aus i^r aber bie lebenbige 3fleIigion bes „red^tfertigenben
©laubens". S>ie 95ibel warb roieber gur Quelle, bie „ßi^riftunt
treibet".
■greilii^ heftete fic^ an biefe SJleugeburt bes rellglöfen Sebens
aus bem 95u(^e balb eine fd^mergtidic Tragik, bie bis in bie
©egenroart nat^roirfit. S)as SBudj rourbe aus ber ©eburtsftätte
bes neuen Sebens gunt Kampfmittel gegen bie 213ä(f)ter ber alten
(Erftarrung. ®ine folgenfc^roere 95erirrung ! S)enn bas ^ud) unb
ber SBudiftabe Itönnen roo^I fc^üfeen, aufberoatiren unb ber leben-
bigcn Ctuette eine roiükommene Raffung fein — in Kampfmittel
üermanbelt, mad^en fie bie Sleligion wehrlos unb fefeen an bie
©teile ber 3Ba^rl)eit ben 6ct)ein unb ben 5rug. S)as 95uc^ ift bie
©d^eibe bes ©eiftes, nidjt fein ©i^rocrt. 9lur bas lebenbige 3Bort
©ottes, bas I)ci§t bas mitten im ftutenben fiebensfeampf für ben
^ugenblicii geformte unb gefproc^ene, nid^t bas in 95u(^ unb 95u(^-
ftaben erftarrte QBort feann gur ©iegcsn)offe ber 2Da^r^eit merben.*)
Sötan ^at in ber ftreitbaren QBortt^eologic nur gu oft überfe^en,
ha% S^fus trofe ber ootten Slnerfeennung bes Eliten Seftaments
ftd) niemals mit feinen ©cgnern auf eine ©cfiriftauslegungsbebattc
eingeloffen f)at, fonbem immer an bas unmittelbare fiebensgefü^I
•) (gs wirb oiel ju roenig barauf ^ingeroiefen, bafe audj für Sut^cr
bas„9BoTt«tm clgcntlict)cn Sinne bas münblidjeaBort war. „eoangeltum
abu ticifect nttt)ts anberes benn eine ^rcbigt unb ©efd)rci tjon ber ©nab
unb SBarm^craigfeeit ©ottes, bmd) ben $errn G^riftum mit feinem 3:obc
ocrbienct unb crroorben, unb ift cigentlid) ntcfjt bas, bas in Südjem ftcfjet
unb in 93ud)ftaben ocrfaffet wirb, fonbem me^r eine münblit^c "Sprcbigt
unb lebenbig 2Bort, unb ein ©ttmm bie ba in bie ganje 2Belt erfc^aUet,
unb offcntlidj wirb ausgcfcfjrien, bafe man's übcraU ^örct.« ((gpiftcl 6t.
^ctri gcprebtgt unb ausgelegt 1523)
appellierte, au(^ ha, wo er bos ^Ite S:eftament gttterte. Siefer
Kenner ber ^^artfäer uttb ©c^riftgele^rten roufete, ha^ bos erftarrte,
feftgelegte 3Bort bes SBuc^es gum S^obfeinb aller lebenbigen SReltglon
Tütrb, fobolb man es in feiner ftarren ^orm gunt 9HitteI bes
^al)rt)eit6liampfes mitten im flie^enben Seben madjt. Slur bas
flüfjig gemad)te, bas ^et^t bos bem ©trom bes ficbens offimilierte
2Dort, roirb gur 2Bo^r^ett, bos ftorre QBort roirb früher ober
fpöter gur SSergerooItigung ober äur Süge, §eute, noc^ oier Z^^^^"
^unberten bes ©trcites um bos SBibelmort, roet§ jeber, bofe fid^
aus bem gebrückten 3Dort olles beroeifen löfet. '2Iber biefe Er-
kenntnis, bie fc^on ^oulus Maffifct) fo formulierte: „S)er 95uc^ftobe
tötet, ober ber ©eift macEjt Icbenbig", kommt I)eute p fpät. ®er
©ibligismus, ber für i^ht ^onblung unb für jebe ©eite ber eroigen
QBo^r^eit einen „©pruc^" fuc^te, ift ber Zoh ber 95ibel in ber
SXeugeit geroorben. £ut^ers Sebensroerk ift an ber 2t)eoIogie
bes „QUortes" gugrunbe gegangen.
©0 gerooltig bie religiöfe SReform fiutfjers ins Seben hinein«
bröngte — man fetje auf bie erften großen ^ompfesfc^riften, bie
nur fo roenige roörtlidje ©ibetsitote entgolten unb bennocE) Mb*
Iifct)er finb oIs olle „©djriftberoeifc" ber fpätercn Sogmotiker — ,
fo roenig ift es i^r auf bie 5)auer gelungen, fie bort enbgültig
gu oeronkcrn. Sebens^errfdioft unb ©eifteskroft fonbcn nidjt bie,
le^te (gin^eit. ©er ^ompf gegen bie Erftorrung ift nic^t, roie bei
3efus, im fieben ausgefoc^ten roorben, roo er allein ausgeformten
roerben kann, fonbern l^at fic^ hinter bie 2Eauem bes 95ud)es ge=
flüchtet, oon roo aus er feine Pfeile fi^Ieuberte, bie — leiber ! — nur
gu oft wirkungslos blieben. Sutt)er roor unb blieb S:t)eotoge, ^rofeffor
bes SReuen Seftoments, SDerteibiger bes QBorts, nic^t fiebensreformer,
gSolksgeftalter, 9Birkti(^keitskämpfer, fo oft er ficf) oud) im ein-
zelnen als folc^er beroäl)rt l)ot. 5)er ^eim, ber ous bem 95ucl)e
bie lebenbigen Gräfte gog, l)at biefe boc^ nicf)t tief genug in ben
Sebensftrom hineintragen können, ©o ift Sut^ers religiöfe ^Reform
an oegetotioer Unterernöt)rung oerkümmert. Ses ©ebonkens SBläffe
ift il)r ©djickfal geroorben. 95on il)rem l)errli(f)en oolkstümlicljen
5lnfofe blieb bolb nur bie\^ircf)e bes „9Dortes" noc^, bos t)eifet eine
^irc^e, bie bos „QUort" als feftftel)enbe uttb felbftänbige smoc^t ob*
kapfette, noc^ ollen ^Regeln ber ^unft beorbeitete, burc^badjte, orbnete,
3ured)tftuöte, äu^perlcnfc^nürcn aufreihte, als*^anipf*unb(grf)auung5=
mittel ocriDcnbcte, in Scjte unb bogmatijc^e SBerocisfteUen oerroon»
bcitc, als Stagcl mipraud)tc, um baran atte menfct)Itd)eTt ©ebanlicn
unb 3ntercffcn bis gu bcncn bes ^tcfeerbaues unb ber 95ic^auci)t auf»
äut)öngen, anftott es einzig unb allein als bas ansufetjcn, roas es
ift: als fc^üfeenbe ^üUe, bie ben ®eift ber 95äter unb fc^roer er^»
roorbene unDergänglictje 9]3af)rf)eit umfc^Iiefet, bie aöetn oon ber
©egenroart erfaßt, burd| bie ©egenroart flüffig gemacht, in
ber ©egenroart roirkfam angefe^t roerben kann. 3ltle religiöfen
SDa^r^eiten, bie nic^t in ben 3Borten ber ©egenroart geformt, in bas
©eroebe ber ©egenroart t)ineingen)irfet, an bie ^äfte ber ©cgen*
roart angcfe^t werben, finb tote ©cfpinfte unb oernid^ten bie leben«
btge 9leIigion.
®o ift bie ^ird^e bes „^Dortes" in unentrinnbarer ^ntroi&Iung
immer ausfc^Iiefelic^er gur St)eoIogenfeir(i)e geworben, bie it)rc oft
grauenerregenbe £ebensfrembf)eit unter einer liompligierten t^eolo«
gtfc^en Segriffsarbett unb ©c^etnfpeliutation oerbirgt, bur(^ bie fie
i^r „gutes ©emiffen" oor fid) f eiber gu oerteibigen fud^t. S)ie 3le(f)t=
f erttgung aus bem ©lauben ift gur ®elbftre(f)tfertigung bes ©laubens
gemorben. 3;atfäd)Ii(^ befte^t tjeute bie Hauptarbeit ber Si^eologen
gegenüber bem Seben in ber fogenonnten 3lpoIogetife, burt^ bie fie
if)re ©rengcn abftcclit unb anbere in i^re ©rengen gurücferoeift, anftatt
bas Seben mit ber i^r anoertrauten ©eiftesfiraft gu erobern unb
alle ©rengen fiegtjaft aufgu^eben. 2Iuf rcligiöfem ©ebiete bebeutet
Surücfebrängung in bie S)efenfioe immer Sltieberlage. S)ie Stpolo»
getik ift bas ©rab ber 3leIigion; foroeit fie tebenbig ift, kennt fie
nur bie Snergetift. 2Ber bie 93ibel oerteibigen rotE, f^at fie längft
oerloren; nur ber befigtfie, ber fie in lebenbige ©egcnroartsiiraft
umgufe^en oermag.
©0 ift bie ^ird^e bes „QUortes" bem fc^Iimmftcn ©efc^icfe
oerfallen, bas eine fiebensmac^t treffen kann: man nimmt fie ntc^t
met)r emft. ^öc^ftens als Dekoration ober als ötü^e für anbere
Sebensintereffen kommt fie noc^ in 35etrac^t. Solan läfet fie reben,
oerlangt aber, ha% fie fc^ön rebet, unb immer bas, roas man
t)ören miU. Sie ^inber unb bie Eliten überlädt man it)r noc^
oert)äItnismäfetg mittig, oerbittet fic^ aber Jebes Srcinreben in bie
„Sntereffen" bes Sebens. ODas für eine Srlöfung müfete es für
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tiefe ^irc^e fein, raeitn bic 2BeIt fie Raffen roürbc löle blc ^eft!
S)iefe ^üffnungslofe fiage fpiegelt fid) nun aber aud) in bet
aufbouenben ©ebanfeenarbett ber Stjeotogte, oon ber man bei i^rer
ftarken ^onsentratton auf fid) felbft unb ha5 „^ort" ansune^men
geneigt n)äre, bofe fte roentgftens potenttell ben rcligiöfen 2Ba^r»
{jeitsfeern um fo energtfdjer herausgearbeitet l^ätte. QBeit entfernt !
<5eit t)ier 3ö^ri)unberten „fut^t" fie mit road^fenber 'Stngft unb
Unfid^er^eit nod) h^m legten ©en)tfel)eitspunfete ber ^Religion, an»
ftatt i^n gu befij^en unb fieg^aft ftra^Ienb ber 933elt roenigftens gu
geigen. 2Bo t)at fie i^n überall gu finben gemeint! $ier einige
groben: im testimonium spiritus sancti internum (fielet ber refor»
matorif(^en 0leugeburt noc^ am nödjften), in ber QUiberfpruc^slofig»
keit, 33oßftänbiglieit unb anberen €tgenfd)aften ber ^eiligen ®d)rift,
in ben bekröftigenben S^it^^n ^^^ QDunbem, in ber 95efeet)rung,
in ber gSernunft, im consensus gentium, im „©efüf)l" ber fd)le(^t*
{)inigen '2(bf)ängigkeit, im kategorifc^en ^n^P^ratio, in ber 3Bieber*
geburt, in ber „perfönlidien Srfa^rung", im i^iftorifc^en ^^ö^^tum,
in ber emigen 3^^^» vx ber „5t^nbung" u. f. m. 9Ber roill be*
fd^reiben, roieoiele „le^te funkte" bie 5f)eoIogic in ben legten
Sal^r^unberten ^erausgefunben :^at! ©as SJragifdje ift, ha% ber
eine immer gegen ben anberen ausgefpielt mirb, roeil er ben
anberen ausf (^liefet ober für ungenügenb eradjtet! (Bin untrüg-
liches ©^ntptom bafür, ha^ bie S^^eologie rool)! füfjlt, was it)r
fe^It, ift bie Olnknüpfung foft oller neueren t^eologifdjen 95erfu(^e
an ®d^teiermad)er, biefen bunMen unb burd) unb burd^ feegerifd^en
©ogmatifeer. 'ülber burd^ i^n rourbe bie Erinnerung roieber ge»
roedit an ben warmen SebensqueH, aus bem bie SReligion fprubelt,
an ben lebenbigen ©erütjrungspunkt, ber bie ^Religion Immer
roieber gur unmittelbaren ©egenroart roerben läfet, o^ne ben atter
©laube tot ift. ^ber mit ber Erinnerung baran Uam bie 6 a (^ e
nic^t roieber! 3IEeö t^eoIogifcE)e Sflaci)fü^Ien ift kein fieben!
3:atfä(^li(f) ift alles, roas roir an fd)einbar lebenbigen tt)eoIogi=»
fc^en 5Infäöen in ben legten 3a{)t^itnberten beobad^ten, in annehmen«
bem ana^e bas burcE) äußere Sebensftrömungen, bie allerbings
nod) bie ©puren älterer religiöfer ^raft in fii^ tragen, i^eroorge«
rufene unb beeinflußte '2lusfd^roingen oon 95ergangen^eitsferäften,
nic^t SReugeburt, bie bem Seben fc^öpferifc^ unb bc^errfctjenb
— 9 —
gegenübertritt, ©le atterbingö tmpofantc ©cbankenarbctt, bte ftc^
innerhalb ber 5:t)coIogenMt(f)e abgefpiclt t|at, tft, oom Scben aus
gcfe^en, üerpuffte ^raft: fte f)at an keinem $unfete bas Seben
ncnncnsroert untgeftaltet, n)of)I aber ficf) burc^ bie oon i^r unab«
pngig fit^ ooU^ielienbcn Umgcftaltungcn bes Scbens ftark bcetn«
fluffen loffen. 3ebc neue pl)tIofopl|if(^c 9flid)tung f)at auc^ eine
ttieologifc^e 6c^ule, }ebe Umgeftoltung ber formen im foäialen,
roirtfc^aftlic^en, feuttureEcn, politifc^en Scben auc^ einen neuen
ti)coIogtfd)en ^Infa^ gefc^off en, niemals umgekehrt ! §at bod^
fogor SBismarcfes fieben, bas roie kaum ein anberes in ber 9leu«
gcit bie (grbroffelung bes ©laubens burd) ben materiellen QUealismus
oeranfc^aulic^t, eine ©arfteUung Don „SBismarcks ©tauben" ge»
gcitigt!
S)ie gange §üIftofigkeit ber S^eologie tritt in ber einen 5at-
facE)e gu 5age, ba% atte i^re ©ebankenarbcit be^crrfc^t wirb oom
religiöfen ©cmife^eits Problem ober oon ber religiöfen 2Bat)rI)eits»
frage, neuerbings fogar faft au5fd|licfeli(i| oon ber ^xag^ nad^
ber rechten „9netI)obe", bie QBa^r^eit gu finbcn.
Sas Seben ift kein Problem unb bie 9Ba^r^eit ift keine
i^rage. S)as rcHgiöfe fiebcn tritt auf als ^errfc^aftsanfpruc^, bie
rcligiöfe 2Daf)rf)eit als ©eiftesmat^t. 33eibe6 ift — ober es ift
ni(^t, es fragt nicJ)t, fonbern es mill. 35eibes ift unbebingte
©cgenroartsroirklic^keit unb 'notroenbigkeit. (Es fpeift fid^ aus
ber 95ergangent)eit unb es bröngt in bie ^w^unft» <iöcr es tcbt
in ber ©egenroart unb ftettt i^re ^orberung an bie ©tunbe. S)a,
wo bu ftetift, ift ©Ott unb feine unbebingte ^orbcrung, ba ift fic
allein roirkliti), ma^r^aftig unb lebenbig, ha ift fein fieben, feine
^aft, fein ^eil, feine ©rlöfung, fein eroiger OBiUe. S)a fafe au
unb tjanble! QlUes anberc ift nur Seutung unb ^ülfe. 5)ic
2Ba^r^cit ift eroig, aber fie roirb nur gang erfaßt unb oerroirk»
lic^t in jebem gegenroärtigen 2lugenblicke. ^n if)m ftnb QDa^rt)cit
unb fieben unmittelbar eins, ©ie 3Bal|rt)eit roirb nicl)t erforfc^t
unb erlernt, fonbern gelebt unb erlebt, fic roirb nic^t bcroiefen,
fonbern beroäl)rt.
§alte bas SBuc^ in ®^ren, benn es beutet bir bein gegen«
roörtiges fieben! Sebes «ffiort ber 95äter roar einmal ©egenroarts-
leben unb trägt barum einen fc^tummernben funken in fic^, ber
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roleber gum Seben roerbcn Kann, raennbutebenbtgbtft. 3^
jebe ^ufaetdinung ber 33ätcr, bie mit ^ex^blut gefc^rteben unb
oon ber ©efdE)td)te bes fiebens fotgfälttg gejtc^tct raurbe, tft ^«
gcbms ^et^er Sebenstage unb brängt auf juiiünftigeö fieben, ouf
„Erfüllung", ^ber nur gegenroärtiges Qthtn kann es nsccfeen unb
erfüllen, es nimmt bir betnen Sebenskampf nidit ab. (£s grü^t
bic^ mit h^m ®xü% ber Hoffnung unb ber Siebe auf bem gemein=«
famen QUege, ber attem fiebenbigen t)OrgeäeidE)net ift, aber es forbert,
bofe aud^ hu beinen 9Beg ftnbeft unb entfc^Ioffen gef)ft, bamit bu
roieber ^Degmeifer merbeft für kommenbe ©efdjlec^ter. "Sluf beincm
QBege, mit beinen ^änben, mit beinen ©ebantien, mit beinen 3Borten
mufet bu beinen fiebensfiampf auskämpfen, ben Ifeeincr für hid)
austragen kann. SHur bem ^ämpfenben roerben Gräfte ber 95er*
gangen^eit gu ©egenroartsferöften, nur bem in ber ©egenmart
Slrbeitenben mirb bie 95ergangen{)ett gur (£rlöfung unb jur ^rei^cit.
S)arum, roenn mir f)eute bie religiöfe 3Ba^rf)eit uns Der»
gegenmörtigen mollen, fo bürfen mir beileibe nic^t mit ber „bibli»
fd)cn 93egrünbung" anfangen, noc^ üiel raeniger aber mit aflgemeinen
„©runblagen", fei es p^ilofopl^ifd^er, erfeenntnisferitif(^er, allgemein
mct^obifd)er ober jonftiger „raiffenfdjaftlic^er" 5trt. „'Slügemeine
•ipringipien" ber ©laubensle^re gibt es nic^t, ebenfo Ifeeine „©reng*
frogen" (bie reltgiöfe 3Ba^rf)eit tft allbe{)errfc^enb), ebenforoenig
auc^ einen „t)iftorifd)en Hnterbau", ber ben g^^alt ber religiöfcn '
Wat}xf)nt recf)tfertigen könnte. „S)ie QBeis^eit wirb gerechtfertigt
oon ifjren ^inbern." Stur bos gegenroörtige fieben unb feine
^orberung kann 9Iusgangs= unb Zielpunkt, ©emä^rung unb Siedet«
fertigung ber religiöfen 9Ba^r^eit fein. 3^^ ^^^ ©egenroart miß
fie ^errfc^en, nur in ber ©egenroart kann fie ergriffen unb oer*
roirklic^t, nur für bie ©egenroart kann fie bargefteHt rocrben.
®5 tft ein fc^Iimmes ^eidjen bes 95erfalls, ta^ biefe felbft*
oerftönblidifte aller ©runblagen bes religiöfcn Sebens ^eutc aus
ber SBud^religion roieber ^erausgefd^lagen roerben mufe. S)ie 95er*
gangen^eit, bie ©efd)icl)te, bie bem 9Henfcl)en oor allen anbcrn
©efcljöpfen in gerabegu überreicher ^ülle oom ©c^öpfer gugänglic^
gemacht roorben ift, ha^ fie fein ficben erleichtere, nä^re, befreie,
ficljere unb füljre, ift non iljm in einen fürcl}terlic^en Sallaft für
bie 6cete oerroanbelt roorben. 933ie ein unüberfteigbarcs ^inbcrnts
— .11 —
fjat fie ftc^ lt)m vot ble. Aufgabe unb has Slthm bes 3:agcs gc*
roorfen, bes 3:agc5, ben fte in t)eifeer, müf)fettger ^ilrbett {lerauf-
gefüfjrt t)at, ha% er i^n erfaffe unb ausfüDe unb an tt)m fein
QBerfe ooUenbe. ©tefer Sag, ber oor bir liegt, ift 6tnn, Sroeck
unb 3lel ber 3oI)rmiIIionen, bte ber ©d)öpfer bo^tnrollen liefe,
bamit er geboren werben feönne. 2Bie ift es möglich, ba^ ein
©ef(^Iect)t baran gTOeifeln konnte, um fic^ grübelnb unb äankenb
in bie 95ergangen^eit gu raupten unb bort ben „^unlit" unb bas
„SBefen" gu fudjen, auf bem fie fieser rut)en IfiJnne! 5)a, roo bu
fte^ft, ift ber «Punkt, ha ift ber eroige ©Ott, leibtjaftig unb lebenbig,
ber Urgrunb unb UrroiHe bes fiebens, ber bir guruft: „3cf) bin
ber aEmäi^tige ©Ott, roanble oor mir unb fei fromm!" 5)ort
allein fte^ft unb erlcbft bu it)n roirfelic^, oQes anberc, bie gange
35ergangen^eit, ift nur QBegroeifer auf biefen einen Ipunkt ^in.
3Denn bas 95ud) hid) mit ^toeifcln unb Unklarheiten quält,
fo f(f)Iag es in ©ottes Flamen gu unb lebe bas S.ihzn, roie es
oor bir liegt! 9lie roirft bu fonft bie 9Baf)r^eit fe^en, erkennen
unb ergreifen können. 5)enn bie 9Bat)r^eit ift unentrinnbar an
ben lebenbigen Augenblick geknüpft, ^n t^m allein bllgt fie auf,
in i^m entl)üllt fie i^rc alles be^errfc^enbe ^eilige ©röfee unb
9Iloc^t, in itjm roitl fie fid} burc^fefeen unb ^errfc^en.
®rft roenn bies unumftöfetid) feftfte^t, ift es übert)aupt mög«
tic^, roieber eine Stellung gum ^ud), gur ©efc^ic^te gu geroinnen.
S)as SBuö) öffnet übert)aupt erft bem roirktid) fiebenbigen, bem im
^ampf ber ©egenroart fic^ Abmü^cnben feine Pforten. Slod) niemals
t)atein32tenfc^im95uc^e etroas roirklic^^BertoottesunbUbergeugenbes
gefunben, roogu bie ©egenroart it)n nid^t geführt unb gegroungen
t)ötte. S)as 33uc^ ift immer nur SBeftätigung, Sekröftigung, 9Iät)«
rung, Klärung einer gegenroärtigen Scbensnotroenbigkeit. „3Dic
gefc^rieben ftel)t", fo fagt felbft ber grofee c^riftlic^e 6c^riftgelel)rte
bes neuen Seftaments, unb roo er fagt: „5)enn es ftet)et ge«
fdirieben", ift es gteic^rooljl bas „benn" ber nachträglich beftätigen*
ben 95egrünbung einer SRotroenbigkeit, bie aus ber Sergangcnfieit
nur noc^ gegenroärtiger gemacht roerben foll. 5ebe noc^ fo eifrige
58u(^ftabengeneration ^at gange «Blöcke bes ^eiligen SBuc^es un-
gelockert liegen laffen muffen, roeil fie fie mit it)ren gegenroärtigen
Gräften nic^t löfen konnte, ^ebes Seitalter ^at feine 5;eile
— 12 —
flüfftg gcmai^t, aus betten es für feine 9lotn)enblg!tctten ble
Statirung unb Kräftigung gog. Sas SBuc^ ift ein unüberfc{)barer,
ins Unenblidje fid) erftredienbe ©peid^er, ber jebent ©efrfjleci^t unb
jebem eingelntenfdjen bie if)ni 3uftet)enben ©üter liefert. Sie 2lb*
feopfelung bes 58ud)es gu einem ftarren, feftgefdjloffencn ©ijftent
oergetDaltigt fein eigentlidiftes ^Defen, ja fd^litnnter als bas: es
oerroonbclt feine lebenbigen Kräfte in totes ©eftein. Was ha^u
beftintntt ift, immer neu ^erauffteigenbes gegenwärtiges Seben
gu näf)ren unb oorroärts gu führen,, mirb gum Sölufeum aufgc*
ftopelter ^JoffWien unb Knoc^engerüfte.
S>as 95ud^ roitl feinem innerften QBefen naäj ber
©egenioart unb it)ren Slotmenbigfeeiten bienen, nici)t
fie bet)errf(^en. ®iefe Setbftoerftänbtidilieit ift nid^ts anberes
als ein neuer Slusbrurfi eines 3Bortes Z^\vl, finbet baburd) alfo
aud^ feine Sßeftätigung, wie gefdjrieben ftet)t: „S)er ©abbat^ ift
um bes QKenfc^cn millen gemadjt, unb ni(^t ber SHenfdi um bes
©abbat^s roißen." 2Iber in i^r liegt atterbtngs eine rabikale 95er*
neinung ber 3lotIe, bie bem 93u(^e in ber Kird)e bes SBortcs gu*
gemiefen ift.
©iefe Kirche fat) unb fie^t in bem 95uc^c — wenn auä) im
Saufe ber ^aljttjunhtxt<i in t)erfd)icbenen 9Itobifi!iationen — bie
31egel unb 3flic^tfc^nur bes ©loubens, bie nollenbete unb enb«
gültige Offenbarung ber religiöfen QUa^r^eit. ©oburcl) ift fie frei«
lid) oon oornljerein in eine fet|r fc^toierige Sage geraten. 3)cnn
bie 58ibel ift ein fet)r bicfees 95uc^ unb enthält bie mannigfoltigften
Sßeftanbteile. ©iefer it)r köftticfjer 9leic^tum unb unfct)äöbarer 95or»
gug, ber fie gum uncrfc^öpflic^en religiöfen £cbensbud| maäjt,
rourbe für jene SBetrad^tung ber Sibet gur größten fiaft. SDcnn
nun mu^te aus it)r bie 9Baf)r^cit burc^ ein tiompligiertes, auf bie
S)auer nur ben ©elc^rten gugänglidies, unb aud) »on biefen red^t
roiberfpruc^sDott ge^anb^abtes 95erfaf)ren t)erausge^olt merben.
5)ie' 9tot, in bie bie Kirdje babur(^ im Saufe ber ^ö^^^unbertc
geraten ift, ift garni(^t gu befrfjreiben. '3ltle ^errlic^e geiftige Kraft,
bie fie ber ©urc^fe^ung ber religiöfen 9Ba^r^eit in ber SDelt
f(^ulbig gerocfen märe, t)at fie an biefe Ctuabratur bes '^itkils
Dcrfc^roenbet! S)ie religiöfe QUa^r^eit ^ot fic^ in oöen urfprüng-
lic^ religiöfen gelten in einen 6a§ faffen laffen, oon bem aus fie
— 13 —
in toufcnb 0traf)lcn bos Scben burc^brang. 3cfu größtes ©cbot,
Cutters SRcformationöfprucJ) (3löin. 3. 28) enthalten btc ooHc
rcitgiöfe ^a^r^ett für i^re Seit, ber gegenüber alle anberen fo*
genannten ©laubensfö^e nur ^lusfaltungen unb ^Inferiftanifattonen
finb. 5luf einen sentrolen ^unfit kommt in einem beftimmten
©tabtum ber «ntmicfelung aEes an. 3ft ber ergriffen unb feiner
unioerfalen ^errfc^aftsliraft grunbfäöß(^ alles Seben unterroorfen,
bann ift bas ^ntfc^eibenbe erfüllt. 'SlUes anbere formt unb
gruppiert fic^ um biefen ^cimpunkt ^crum unb wirb oon i^m
in feinen £ebensrf)i)tf|mus tiineingegogen. ^n fiut^ers fieben ift
alles aus biefcm ^eimpunfet ^erausgeroac^fen. 9Bie f)at fic^ bas
ober fctjon gu feinen Sebgeiten unb oollenbs in ben fpöteren ^at^t"
^unberten feiner ^irdje geänbert! Sie 33elienntnisftreitiglieiten
waren ber 3Iuftokt, bie ortt)oboje 95ibeIoergeroaItigung bie ^ort*
fe^ung, bie Kritik ber 31ufklörung ber Einfang oom ®nbe, unb
bie „t)iftorif(^e ^orfc^ung" ber Sd)Iu^afet. 5)ie religiöfe 9Dat)rI)elt,
biefe ureinfat^fte aller sn5al)r^eitcn, ift gum ooUenbeten C^aos ge«
roorben. S)er QRiPraud^ ber SBibcl als eines fiet)rbu(^es ber
religiöfcn QBa^r^eit ^at fid) bitter gcrädjt! §eutc erleben toir's,
t>a^ jeber ^ansrourft in ber ©ibet 3I5iberfprü(^e ober 'iJltaoismcn
fud)t unb leicht genug entbedit, unb fie bann Ijo^nlad^enb in ben
9Binltel wirft. ^f)v S^eologen bes „QBorts" werbet bem ewigen
Sliditer 3flec^enfd)aft barüber ablegen, ba% it)r einer gangen (Epod^e
ber 9Henfc^^eit bas ©uc^ ber SBücf)er entriffet! 3^r tragt bie
©(^ulb! 3^r ^abt's euc^ leicht gemacht. 3^^ ^(^^^ ^iß religiöfe
SBa^r^elt, bie ©ott euc^ in ber 3Birlilicl)feeit bes fiebcns wicber
gefc^enfet l)atte, ans SBuii^ gcKcttet, anftatt fie ins Scben hinein*
gufc^micbcn. S)as Seben ift euren Rauben entglitten, unb bas
SBuc^ ift unter euren ^änbcn gerriffcn worben. 9lun mü^t i^r
euc^ ab, bie gcrflatterte ^a^r^cit aus ben ^e^en wieber gu*
fammengufuc^en unb „biblifcl) gu begrünben". ^ber es wirb cuc^
nie gelingen, weil ber ^eim ftarb, ber nur im ficbeu gebeizt,
nic^t aber gwifc^en ftaubigen 5Buc^becfeeln unb in ^iftorlfc^cn
^orfdiungsinftituten.
3u welchem Zwecke ^at fiut^er bie 93ibel in bie SJolfes«
fpradje überfefet? ©amit fie gur „Hrkunbe ber Offenbarung" für
fpekuliercnbe 5:l)eotogen würbe? «Hein, gang allein barum, hamit
— 14 —
fic 3Wt Deutung ber lebenbtgen Waf)vl)üt für alle toürbe, benen
©Ott bte ®c^rtftfpraö)e qIs 95ermtttlertn lebenbtgen ©eiftesaus«
taut(^e6 gegeben {)atte. Sie QBo^r^ett roo^nt aßein im fieben,
bas Su(^ aber ift ni(f)ts anbercs als ber beutcnbc unb bienenbe
?5ü^rer, ha'^ fie bort gefunben, erfaßt unb feftget)alten roerbc.
^einc einzige 31tenfd)enfeele f)at ®ott in ber 5BibeI gefunben, bie
nt(^t im Qthm oon it)m gepadit unb gesogen raorben märe ; feein
^ibelmort l^at eine lebenbige SBa^r^eit aufbüken laffen, bie nictjt
bas £eben felbft ergroungen t)ätte. ®as SBuä) beftötigt, bringt sur
^Iarl)eit, tä%t beraubt feft^alten unb ^eftet in bie Erinnerung, roas
attein bas Seben fdjaffen feann. 9Iur aus ber gratia praeveniens
fliegt groingenbe 923al)r^eit,. niemals aus einem ®ucf)e. 5IIs bos
tolle lege! bes ^tnbermunbes ben '2luguftinus bie 33efeet)rungs*
ftelte auff(^tagen liefe, mar feine ©eele längft in ben ©änben bes
lebenbigen ©ottes unb feiner eroigen SBa^rtjeit. 5lls hext I)eiligen
tJrangiltus bes 9Iteifters 3üngerruf aus bem 5Bort 3Hattpus 10
fanb, bas it)m ©inn unb Zukunft feines fiebens beutete, roar bie
9Ba{)r^cit längft gegenroärtig in feiner Seele. S)er bie QBinbe
äu feinen ^oten unb ^euerflammen gu feinen Wienern mac^t, t)at
aud) ber 58ibel feine 5Botenbienfte übertragen. 5lber fie ift nur
feine ©ienerin, roenn auc^ feine oornel)mfte, bie ©euterin feiner
^a^r^eit, bie immer roieber neu ber QBelt lebenbig einäuprögen
ber Eroige fiel) allein oorbetjalten l)at.
©er ^iftorilier foll bie ©ibel mit allen 9Hitteln burc£)forfct)en,
ba% fie anfd^aulic^, lebenbig, in allen Seilen gugönglid) roerbe,
aber nicl)t um bie religiöfe 3Ba^rl)eit baburd) gu finben unb ein^»
roanbfrei l)erau6äuliriftalltfieren — bie finbet oud^ er nur im Seben.
S:t)eologengele^rfaml{eit allein fd)afft unb finbet feeinen j^unfeen
göttlicher ^Ba^r^eit, bie fi^afft unb fdjenfet allein ber lebenbige
©Ott, ber fie allen in gleidier QBeife gugänglicl) mad^t, ben ein*
fa(i)en ©eiftern roie ben gelehrten, aüen ol)ne ^lusna^me in ber
^üljrung unb 2lrbeit i^res fiebens.
S)ie religiöfe 2I3at)r^eit, bie bie S:^eologen aus bem 95u(f)e
^erousgel)olt Ijaben, ift im beften ^alle ein feraftlofes 6urrogot,
ein ®ct)ema, in ben meiften '^Mm ein 6(f)attenfpiel i^rer eigenen
©ebanfeen. 5)ie fogenannte tejtgemöfee ^rebigt, bie nicl)ts als
^luslegung bes Sejtes aus fic^ felbft fein roill, ift religiös oöUig
_ 15 —
in{)att- unb wertlos. Sie begegnet atlerbmgs fo gut rote niemals
tn Sletnimltur, um \o pufiger aber in ^albkultur, inbem fie bas
ßebenbige aus bem (grftarrten abguleiten, gu roecfeen unb gu be*
ftimmen fuci^t. Sleligiöfen Zntiait unb SBcrt i^at nur bie unein-
gcjc^rdnfetc 95erfeünbigung ber g!Baf)rt)eit aus ber ©egenraart. ©er
5:ejt ^at nur bie «Bebcutung it)rer 95eftätigung, ^Bekräftigung unb
Klärung. S)ie cinsig benkbare 2lrt rettgiöfer Sejtprebigt geigt bie
cingige, bie aus bem 9Ilunbe 3efu oon Snagaretf) aufbef)alten ift:
„§eute ift biefe 6c^rift erfüllet oor euren öt)ren." QtUein
barum, roeil er ©egenroartsprebiger roar, rebcte er roie einer, ber
gSoUmac^t ^attc, unb nic^t roie bie 6(^riftgele{)rten. <£ine feft»
gelegte 3leif)e oon "iperikopen, in bie bie SBibet mec^anifc^ einge«
teilt roirb, im Turnus einiger 3af)re abguroickeln, bamit auf biefe
3Deife „bie gange ^al)rf)eit" nac^ unb noc^ uerkünbigt roerbe, ift
ooUenbete Sor^eit. ©eroife fotl man nac^ unb nac^ bie gange
95ibel lefen unb oorlefen, weil immer Icbenbige funken ber ©egen«
roart ^ier unb ha burc^ iljrc QiBorte aufleuc^tenbe ^raft geroinnen
können, aber prebigcn bärf ber 95erkünber rettgiöfer 3Dat)r^eit
nur über QBorte, bie „^cute erfüllt" finb.
9Kan ift ber 3Heinung, i>a% baburc^ bem ©ubjektioismus
^ür unb 2or geöffnet roerbe. ®ie ©aclje Kegt gerabe umgekehrt.
Objektiv, bas ^ci^t abfolut unb unentrinnbar gültig, überroältigenb
unb groingenb ift allein bie ^a^rl)eit, bie aus bem Seben ge*
boren ift unb bem gegcnroärtigen '2lugenblidi forbemb gegenüber«
tritt. QBenn man roiffen roill, roas ©ubjektioismus ift, bann mufe
man fi(^ bie ft^riftgemö^en unb lebensfremben ^angelmonologe
ber ©c^riftt^eologen anhören. S)te gro^e, bas ^(^ oemic^tenbe
unb in feinen Sienft groingenbe objektioe 9Ha(^t ift allein ber
lebenbige ©ott, ber jefet bie ^errfd^aft l)eif(^t.
Stur roer bem lebenbigen ©Ott in ber ©egenroart gu bienen
gegroungen rourbc, l)at bie rechte ©teEung gur SBibel roieberge*
funben, oor ber er fi(^ in (£l)rfurc^t beugt bis gum „legten 3ota
bes ©efefees". 9lur i^n grüfet fie als bie SHutter feines fiebens,
bie if)m bis in il)re legten galten unb 3lungeln ^eiUg unb teuer
•geroorben ift unb immer met)r roirb. 3^m ift fie ^eittge Erinnerung,
^Beftütigung, 95ergeroifferung, f^ü^rung, 3:röftung, 3nat)nung, Hoff-
nung. 5lus hixn 6(^ofee ber ^a^rtaufenbe geigt fie i^m, ha'^ ein
— 16 —
fiebensftrom unb ein fiebenskatnpf Sergongcn^clt, ©egcnroart ünb
^uliunft mit einanber oerbinbet, offenbart fie it)m, ha% er nid)t
allein auf feinem QDege ift, fonbern mit i^m bic ©eifter unenb»
tiefer ©efc^Iec^ter, bcr ®eift bes ewigen ©ottes.
Was ber ©ro^ftabtgeborene unferes ©efc^ledits erlebt, roenn
er gum erften 9HaIe bie freie fiuft bes fianbes roieber atmet, aus
bem feine 95äter abroanberten, bas, erlebt auä) ber, ber in 9lufe
unb ©taub bes ©egenroartsliampfcs bas ®u(^ ber 58iid)er roieber
auffdjlögt. 3Der roiQ bos ©e:^eimni5 ber ^Befreiung, bes §eimat=
gcfül^Is, ber guftrömcnben ^aft, bes ^Dieberfinbens, ber ^eiligen
®^rfur(f)t, ber auffteigenben Sebensfelar^eit unb »gcroife^eit, bcr er*
lebten (Erfüllung erklären, bas ben überroöltigt, ber nac^ ©cnera»
tionen ber Trennung gu ber Sötutter ?latur äurüdfeket|rt! ®er
I)eiligen 3Hneme, ber get)eimnist)oIIen (Srinnerungsferaft, bie alles
Sebenbige burdigielit unb ben Stnfang alles fiebens mit bem (£nbe
ucrbinbet, ift no(^ liein ©efdjöpf entronnen. ®ie gehört gu ben
©efegen, bie bas fieben tfon €roigfeeit ^er tragen, äufammen{)alten,
aufroärtsfü^ren. ^ucJ) bas ©uc^ ber 93ücf)cr fte^t im ©ienfte
biefes ©efc^es : es ift bas gro^e ®rinnerungsbu(^ ber 3Henfd^^eit,
in bas bie Sö^itQwfcn^c ^^^^ erroorbenen 9Daf)rI)eiten eingetragen
^aben. 9Ber es auffct)Iägt, gerät unter feine ©eroalt, er mag
TOolIen ober ni(^t. ^ier ift „bie ^Ipenroelt mit ber ^raft unb
91lannigfaltig]keit einer ungebrochenen S^latur", bie bie uom Urgrunb
bes Sebens losgeriffene 3Itenf(^^eit roieberfu(i^t, „in bie ^ineinäu«-
f (freiten ben SKlenfdien innerlicf) ftarfe unb gefunb .mad^t".
933a6 in jebem 9Henf(f)ent)eräen Ifeämpft unb ftrcbt unb auf*
fd)reit im t)ei§en ^ampf bes 3:ages, f)ter klingt bas altes roiber
in uralten SÖlelobien, bie roir nur gu oariicren, gu „ooUenbcn"
^aben. ^as eine SHutter ift unb bleibt für i^r ^inb, auc^ roenn
es über ferne ^ö^enroege geführt rourbe, bas ift unb bleibt bie
SBibel für bie Sölenfc^^eit. 9Bat)rlic^, fie roifl nicl)t f)errf(l)en, fie
roill nur lieben, oerftc^cn, befreien, grüben, bienen, ermutigen,
tröften, ben reiften QBeg bes feiles geigen, bas Verlorene gurücfe*
^olen. S)em, ber gang in ber ©egenroart Übt, in il)r kämpft unb
leibet, roirb fie £luetlc unb Heimat, roirb fie „gum 9Dorte ©ottes",'
nur i^m! Sarum roirb ber, ber roirklii^ lebt, fie lieben unb
e^ren, roic man eine Sßtutter liebt unb e^rt; i^rc ^^alten unb
• — 17 —
Slungeln, t^rc SBiberfprüc^e unb gärten, i^rc ®ef)etmniffc unb
©unltel^eiten lücrben t^n ntcfit ftörcn. 9Ben ptte bas bct einer
Sötutter geftört! 3(us it)rem garten ©eftetn quillt fo uicl frifc^es,
lebenbigcs 2Baffcr, aus Itjren altertümlit^en formen fc^aut fo oiel
^cis^ctt unb ©Ute heraus, i^r erftatrtes ©eroanb mixh bent roa^r«
^oft fiebenbigcn fo roeict) unb roaxm ocrtraut, bafe et ntct)t ein
„3ota bcs ©efe^cs" oon i^r preisgeben fionn, roeil noc^ eine
©tunbe Itommcn liönntc, in ber er feines ©rufees im ^eifeen fiebens-
feompf bebarf, in ber es feine »Erfüllung" finben wirb;
Ö. öeitmonn, Ärofeftabt unb SÄeltgxott. 3, «teil.
2. $etl5tatfad)cn unb rcitgiöfe 2Ba!)rI)eit.
S>ie ©uc^ftabenreltgion l^at Qufecr bem ©d^rlftgele^rten immer
noc^ einen äroeiten 95erbünbeten gehabt: ben ^riefter. 5Beibe ftnb
fi(^ ItetnesTOcgs unteteinanber immer einig geroefen. ^t)artfäer
unb ©obbugäer finb in i^ren aHacJitanfprüc^en oft genug anein*
anbergeraten, bemofiratifc^e unb artftoferatifctie Strebungen ^aben
in i{)nen oft ^ort gegencinanbergeftanbcn. 2(ber fie waren bo(^
Äinber einer SHtutter. ®er lebenbigen QUeligioh gegenüber Ijaben
fie immer äufammenge^atten. S)ie ®rftarrung unb 95erfeftigung
roor beiber Glement unb ^errfctjoftsmittel. Sie Srftarrung bes
93u(^ftabens ^at immer bie Srftarrung ber ^eilsanftatt neben fi(^
gefe^en, oft mit 9leib, oft ober auä) in oöüiger gefc^roifterlid)er
93creinigung.
3efu5 ^ot beiben Xgpen ber (Brftarrung gegenübergeftanben
unb ift ber ^Bereinigung beiber gum Opfer gefallen. 58cibe l)at
er buri^ feine Sebensreligion aufgelöft, bie ^errfdjaft bes 5ßu(^*
ftabens unb bie §errfcl)oft bes Tempels. S)ie Qluflöfung ber
erfteren märe unoollenbet geblieben ot)ne bos '^nf)x^(!i)en ber
le^teren. S)arum mu^te er ben ^ampf mit ber ^riefterfdjaft in
^erufalem oufne^men, fo geroife fein ^ouptlebensfeampf bem ©uc^-
ftaben galt.
^riefterf)errf(^aft unb ©d^riftgete^rtentum forbern fid| gegen*
feitig. ®er 5Iufbau bes iübifc^en ^empelbienftes mürbe oon ©c^rift-
gete^rten entworfen, unb biefe roieberum ftüfeten auf bie gefc^ic^t*
lic^ geroorbene Autorität ber Siempetariftoliratie i^r 3led)t oor bem
gSoßte. ^mn bie ©c^riftgelei^rfamfeeit gerfliefet, roenn if|r ber legte
Sin^eltspunkt ber äußeren 9Rac^t fe^lt, unb ber ^empetbienft ftirbt,
menn nicl)t Präger ber ©efegesletire immer mieber bas 95olfe auf
i^n oerpflic^ten unb an i^n binben.
S)er Sufammen^ang aroift^en beiben ift araingcnb. S)ie ®u(^*
— 19 —
ftabenrcHglon n)lö, roe« fle tmntcr noct) Religion Ift, auc^ auf if)re
QBetfc btc ©ottes^crrfc^aft burc^fcfeen. Ser Icbcnbtge QKtße bes
(£n)igen Ift l^r entglitten, bas ftarre ^noc^engerüft bes göttltdien
©cfcfeesbuc^ftabens ift in it)rer §anb geblieben, ©ies ©erüft
mü^te troö aUes Sifers, bie einzelnen «eftanbteile gu fc^üfeen unb
gu erhalten, hoffnungslos auseinanberfoUen, wenn nic^t eine irgenb*
rote noc^ lebenbige ^errfc^aftsferaft bas ©ange ftüfete. Siefer
3n)ong, einen legten lebenbigen, nic^t rein formalen, fonbern noc^
roirftf amen SBiflen gu fuc^en, ^at in ber ©efc^tcJ)te gu gang tra«
gif c^en 3uf ammenliettungen gefül)rt. ® as 95erpitnis ber q3f)arifäer gu
ben 0abbuääern ift eine grofee Sragöbie. S)er ftrenge ©efeges-
leerer mufe ben Xempelariftoferaten, bem fein ©efegesernft oöttig
gleichgültig ift unb fern liegt, innerlict) oeract)ten, unb er braucht
it)n t)oä), meil feine eigene innere 6d)n)äc^e eine ftüfeenbe äußere
Sölac^t forbert. Sie Sragöbie Iie^rt immer roieber. 9Bir finben
fie in ber ©efc^i(^te ber ^apftfeirdie, mir finben fie im proteftan»
tifc^en ®taatsMr(^entum. Wo immer ber 5Buct)ftabe f)errfd)en
moüte, l)at irgenb eine äußere QBeltmac^t i^n ftügen muffen, unb
oft genug ift es ber 3lnti(i)rift felbft gemefen.
5)tefe i^arte ^^^ingsoerfinüpfung rairfet nun aber auf bas
innere 9Befen ber 5Bu(^ftabenreIigion feJ)r beftimmenb gurücfe. 5)ie
©efegesreligion ift on fi(^ gang unb gar inbioibualiftifcJ). ®ie
roill hem einaeincn gu feinem ®eelcnt)eil ocr^elfen. 6ie mill ^Int-
roort auf bie ^rage ber ©eele geben: „Was mufe ic^ tun, ha%
iä) bas emige Seben ererbe?" ^n roa^rtjaft feelforgerlictjem 93e«
mü^cn, wenn auctj in kleinlicher ©efegesenge, ^at fie boc^ manche
trefflicf)e 5lntn)ort im eingelnen gefunben. S)ie altjübifctie ©efeges*
le^re, ber SBeicI)tftu^I bes liat^Otifc^en ?priefters unb bie Qlmtsftube
bes ort^obojen proteftantifc^en Pfarrers ^aben oiel fiebensmeis*
^eit im einzelnen gu Xage geförbert. ^ber ~ in biefe feelforger»
lic^e SrUtigfeeit bes ©d)riftgelet)rten mirlit nun brutal bie 3Hacf)t
t)inein, bereu bie SBuc^ftabenreligion nic^t entraten kann. S)er
^errfc^aftsmiüe, ot)ne t>tn fie felbft fjilftos märe, gmingt fie, aUz
0eelenpflege in ben Sienft feiner oft genug teuflifc^ egoiftifc^cn,
immer aber ben 9lbfic^ten ber ©eetforge frembartig gegenüber^»
fte^enben gmecke gu fteöcn. 5lEe q3rieftert)errfc^aft ift ^remb{)err^
f(^aft geroefcn unb mirb es für eroige Reiten bleiben. S)ie 5Be*
^ö
glc^ungcn bes iübifd)en 95oIfees jum ^etnpcl In ^ctufateni tuarcn
rein äufeerüc^ natlonaI«reIigtöfe, burc^ eine grofee 95ergangent)eit
gemeint unb burc^ ben barauf ru^enben ^errfcfiaftsanfprucl) ge«
Italien. Sie gef)örten einer älteren (gntroidilungöftufe an oIs bie
QBelt ber ©efegesfrömmigfeeit. S:roö bes ©c^rounges, ber hm
teligiöfcn ^Jeften in ^eruyalem inneroo^ntc, warfen |tc für bie
©runbfrage nac^ bcm „eroigen Seben" gorni(^ts ab — bie 6abbu=»
gäer fpotteten barüber — , fonbern roaren nur burrf) ein gang äu^cr=
liebes 95anb oon ©elb* unb Opferleiftungen mit i^r oerbunbcn.
®ic Sempetrcinigung bedite biefcn Klaffenben QUife fcljonungslos
auf, konnte i^n freiließ nid)t feilen, weil er nid)t gu feilen ift.
S)enn ©efe^esfrömmiglteit unb ^riefterfrembtjerrfd^aft bebingen ein«
anber. SRur roenn beibe fterben, ift bie „Anbetung im ©eift unb
in ber SBa^r^cit" möglief), bie ben ^öc^ften ^errfc^aftsroiUen mit
bem ®u(i)en narf) bem eroigen fieben in eins fe^t.
Serfelbe Sflife tritt im Zeitalter ber Sieformation roieber gu
3:agc. S)a5 2lblafegelb gibt oor, bie „6eele" in ben §immel gu
bringen, roiC aber tatfäc^ttci) ben päpftlic^en 9Ila(i)tanfprücf)en
bienen. 5)as finb groei einanber gang frembe 3BeIten, bie fiuttjer
f(^onungöto5 auseinanberrei^t, um auf einer oöEig neuen ©runb=
läge, bie bie „©eete" gang bem ^t^fi^ßöen entreißt unb in einen
^öt)eren ^errf(^aftsroiUen ftetit, bie neue Sin^eit gu finbcn. 2ßerfe*
frömmiglieit unb ^riefter{)errf(l)aft fallen mitcinanber.'
S>erfelbe SRi^ roirb nun auf bem ®oben ber proteftantifc^en
^ird)en in bemfelben SRafe roieber beutli(^ fid^tbar, roic bie SBud^-
religion fi(^ oon ber fiebensein^eit entfernt. S)er ^rebiger bes
9Bortc5 fü^It je länger befto me^r, ha"^ er allein in ber fiuft
fctjroebt. ©arum ift bie ©efc^icfjte ber ^irc^e bes 3Bortes tro^
i^res e^rlic^en feelforgcrlicI)en ^Bemü^ens bie tragifrf)c ©cfc^ic^te
einen S^f^mmenbruc^s o^nc einen tragenben 9Hac^tfaktor
ober eines ocrgeblic^en 6uct)en6 na et) einem folc^en. ©ie Mmmer*
lid^c ©tellung bes fiut^ertums, bas \iä) auf ben fogenannten
„getftigen einflufe" ber QBortprebigt unb ber (Eingelfeelforge be*
fc^ränkt, liegt oor atter "klugen. SHod) tragifc^er aber ift bas 93e»
mü^en um einen ftüfeenben §errfcf)oftsroillen: fic ^at oergeblid)
oerfuc^t, eine l)ierarc^ifc^e Organifation, eine in fic^ rul)enbe Sötac^t-
kirc^e gu fd^affen — biefer 95erfu(^ ift überall mißlungen, fclbft
— 21 —
in «preufecn. Sic t)at fld) fc^Ilefeltt^, onlinüptenb an bas fianbes-
Iitrc^cntum, nttt %avd unb ^aaien bem ®taat ju einem n)lUen-
lofcn 9l'ationaIc^riftentum oerf(f)rteben, bas aber aUes anbere als
rolr&Iic^ fierrfrfiaftsliräfttg geworben tft — ber ^rieg mit feiner oer-
fogenben „nationolen Frömmigkeit" ^at biefe 5:atfac^e in i^rer
ganäen SragiK ^crausgeftellt. ©er eoangelifc^en Äirc^c ift bis
fieute ein madjtliräftiges «prieftertum in jeber t^orm uerfagt ge«
blieben — oom ©tanbpunfet ber Qfleligion aus ge|et)en, gemi§ ein
großes ©lücfe, benn es ift beffer, gar feeine ^ird)e gu fjaben, als
eine «prieftcrfeirctje. 3Iber bas fpric^t bic eoangelifc^e ^ircfje nic^t
frei öon ber ^nfelage, t>a% fie eine foIcI)e boc^ gefu(^t ^at unb
roo^I ouc^ noc^ weiter fuc^en roirb. S)ie mit bem priefterlic^en
smotfitrotllen gufammentiängenbe innere Umbilbung ber 93u(i^reIigion-
läfet feeinen ^roeifet baran äu.
2luf ben gufammen^ang gmifcfien ©c^riftgeletjrten unb^rlefter*
^errfcfjoft mußten mir nämlic^ bes^alb feurg *) ^inmeifen, weit nur
auf biefem §intergrunbe bie 93erf(f)nürung unb 33erfteinerung ber
religiöfen 2Ba^rI)eit oerftanben werben feann, bie man als „^^eolo«
gie ber ^eilstatfac^en" bejeic^net ^at. 3tU5 i^r mufe ^eute bie
tebenbige 9leligion ebenfo ^erausgefdjlagen werben, wie aus ber
erftarrten SBudireligion. S>ie §eiIstatfa(^entt)eoIogie ift nld^ts
onberes als bie OHücfewirfeung ber ^rieftcrfrembt)errf(i|aft auf bie
iJormung ber religiöfen 9Ba^r^eit. 9Bir muffen uns biefen '^w
fammen^ang burt^ einen gef(^id)tlic^en 9flücfeblicfe fetar mad)en.
3efu6 ^t)riftus ^at feeinc ^eilstatfat^en im ©inne ber fpäteren
S:t)CoIogie gefeannt, fonbern nur unbebingt gültige rettgiöfe QBa^r*
l)eit, bie immer unb überall gegenwärtig ift. Sie ift allerbings
„^atfadie", aber nid)t im 6inne eines einmaligen, abgef(^loffenen
©efd)et)niffcs, fonbern im ©inne eines ewig unb überall fitf) oer»
wirfelic^cnben ©efefees. Sie ift Sebensnotwenbigfeeit, bie fic^ wo^l,
eben weit fie bas wac^fenbe Seben be^errf(^t, im eingelnen
*) Seih er in unfcrcm S^fantmen^angc nur ju feural ©as 9361=»
^ältnts 3n)tf(^en ^rteftertum unb ec^riftgele^rtentum tft eines ber roid)tlg*
ften Kapitel ber 3letigion5gefc^id)tc. SBcr mit i^x ücrtraut ift, kennt bic
anannigfaitigfeeit ber formen, entroicfelungcn, Söcrrotcklungcn, Ärtfen,
kämpfe, bie bics SBcr^öItnis ^croorgebradjt ^at, unb in ber fic^ Stufftieg
unb Stbftleg bcs religiöfen Sebensftroms fplcgelt.
— 22 —
langfam unb ftufenroetfe entfalten kann, bte aber nie unb nttgenb
fertig abgefc^Ioffen, b. t). untftttg oerfeapfett Itcgt. @le tft bte un«
bebtngte $errfd)aftsmad^t, ber attes Untertan tft, in jebent ^ugen»
bück lebenbig f(^affenb unb forbemb auftrctenb. §icr liegt bie
einzigartige ©röfee feines religiöfen 6(^öpfung5n)erlie5, ba^ er biefe
Unentrinnbarfeeitunb SebenbigMt ber religiöfen QBa^r^eit aus ber ab»
gekapfelten (grftorrung ^erouöget)oIt t)at %itx rourgelt bie ©e»
^orfam i^eifc^enbe ^roft feines Willens, ber entroeber ritztet unb
tötet ober ^eilt unb lebenbig ntadit. §ier liegt ber abfolute
(£t)ara!iter feiner Sleligion, bie rao^I nod) ausgebaut, aber ni(i)t
met)r überbaut werben Ijann.
5)iefe religiöfe QDai^r^eit ift nic^t etwa an irgenb eine
•„^eilstatfat^e" feines Sebens gefjnüpft, fonbern biefes fieben
raöc^ft felbft ous ber Urn)af)r^eit heraus. 5)orin befte^t bie 93e=«
beutung feines fiebens, ha% es fid) felbft oöllig als aus ber
religiöfen 3I3af)rt)eit ^erausroac^fenb erfaßt ^at. ©ic Unabt)ängig«
feeit ber religiöfen 3BoI)rl)eit oont ©ingclgefdie^nis unb oom (Einjet
leben ift f)ier pm erften 9ITaIe in ber ooEen 5)emut, bie i^re
©rö^e unb Unbebingt^eit allein erfaffen kann, begriffen. Sa^er
bas oöEige ^ui^üclitreten ber Hrfprünge unb ber äußeren S:atfa(^en
feines fiebens! 9Die feein Srbgeborener fonft ^at er feine 95er«
trauten über fein Seben unb feine Qtnfänge im S)unfeeln gelaffen.
91ur eine (£rää^Iung aus feiner (Sntroicfelung ift filier unb roiber-
fprucJ)sIos, freilid) anbeutungsooE genug, begeugt, bie 25erfu(i)ungs*
gefc^ic^te, bie nur bie ©runblagen aller t)on it)m gef (Rauten
religiöfen ^Bo^r^eit feunbtut, me^r nic^t. ©iefes 0(^roeigen ge=
prt unbebingt sur ©röfee feines Sebens unb feiner religiöfen 95cr*
Mnbigung. Stur ber unmittelbar gegenroärtigen 2I3at)r^eit geljört
fein S)ienft. ©eine QBorte unb SBilbcr ergÖ^Ien nichts über bas,
was einmal mar, fonbern finb lebenbige ^eugniffe beffen, roas ift
unb fein mufe. (£r taucht ins ©unket ^inab, ot)ne auc^ nur einen
leifen 21nlauf baju gu macE)en, S:atfad)en feines Sebens unb QBorte
feines SHtunbes feftäut)oIten unb p fiebern. 5Iucf) bas ^benbmat)!
f^at md)t biefe Sebeutung: es miß nur gang gur bleibenb
lebenbigcn ©egenmort machen, roas fid) als eroiges ©efefe in
feinem fieben oollaie^t. S)iefe ©orgtofigfeeit gegenüber ber Sicherung
bes 2:atbeftanbes feines Sebens ift nic^t etroa 95crtraucn 8U ber
— 23 —
attselt gcfd^Sfttgen ^tftoric, bic fc^on aufbewatircn rotrb, roas
roidjtig tft, fonbem tft nichts anbercs als bie ©eiotfetiett, bafe
eiüige QBa^r^etten nic^t fterbcn können, roeti fie tntmcr rotcber
norf) croiget snotroenbtgKeit Icbcnbig gegenwärtig rocrben muffen.
2Iuf bic 5Bebeutung feiner ©leic^nisf^srac^e, bie biefen übert)iftorifcJ)en
€f)arafeter ber oon i^m gefc^auten religiöfen QCa^r^eit für alle
geiten unmifeoerftänblic^ fcftlegt, werben wir im oterten Kapitel
noc^ äurüdiliommen.
®ie ©efcf)id)te bes llr(f)riftentums ift bie ©efc^id^te bes
^cifeen SBemü^ens, biefe lebenbig mirfeenbe 9Bal)rt)cit feftgu^otten,
nict)t etroa in ber (Erinnerung, fonbem in i^rer unmittelbaren
©cgenroärtigfecit. SRur fo ift bie merliroürbige ^atfac^e äu er»
klären, ha^ gegenüber ben 3(ugenäeugen bes fiebens Z^\n ein
Slacfigeborener, ber U)n roa^rfclieinlict) überhaupt nidjt perfönlic^
gefe^en I)at, gum oorne^mften S^rdger feines SBerlics unb
ju einer geiftigen 5lutorität wirb, bie alte Soxouuiec eutai xi
in ben Schatten fteUt. 3)as ©e^eimniö ber religiöfen ^raft biiefes
aHonnes liegt, roorin bie §eiIstatfacf)ent^eoIogen feine größte
©c^roöc^e fe^en muffen, gerabe in ber beraubten 95ctonung ber
S:atfad^e: „Ob mir autS) (£t)riftum gekannt ^aben nad^ bem
^Icifd), fo kennen mir it)n borf) je^t nicfjt me^r." 3^i^cm er bie
gefct)ic^tlic^e ^arbe bes SHagareners oerflüc^tigte unb i^n in eine
überirbifc^e 3BcIt »crfcfete, bie oon (groigkeit gu Sroigkeit reitet,
inbem er i^n aus bem gefc^ic^tlic^en ^i\u6 gum Xgpus ber
92lenf(!)^eit, gum jmeiten 3lbam machte, ^at er fein ®rbe treuer
oerroaltet ols aUe, bie mit i^m auf (Erben geroanbelt finb unb
oon ber erbgeborenen ©eftolt boc^ nur ^alb loskamen, ©o
rourbe has ^lögemeingültigc, bas STliefterbenbe ber fiebcnserfc^einung
3efu t)erausge^oben unb trat nun unmittelbar in ben ©ienft
feines religiöfen Sebensroerks : bie unbebingt gültige unb croig
gegenwärtige rettgiöfe ^a^rljeit in bie ©emüter gu tragen. „®er
§err ift ber ©eift, roo aber ber ©eift bes ^errn ift, ha ift 5reit)cit«,
bas ift bie eingige «^riftologie, bie auf bem 95obcn ber Sfleligion
3efu SBereditigung t)at. ^TIs ber Sgpus ber 3!tenfcl)^eit unb bes
9nenf(i)f)eit5f(^ickfats, ber iefet lebcnbig gegenwärtig ift unb
forbemb auftritt, geprt er aUein in bie c^riftlic^e QUcIigion t)inein,
nit^t als einer, ber cinmol in ber ©efdjic^te auftrat unb ein
— 24: —
noc^ fo clnglgartlgcs Scbensroetft ooUcnbete. ©ein Scbcnsnjcrli
tft nie abgefcf)Ioffen gerocfcn, fonbem es ooUäte^t fic^ in icbem
3lugenblicfe. 2Da6 man bie G^riftusmqftili bcs ^autus genonnt
^at, ift nichts anberes als bie lebcnbige QUcItgion 3efu, bie feine
irbifc^e ©eftatt felbft in i^re ensige ©ültiglicit unb Sebenbtgfeeit
hineingezogen \)at 2luf ben einen ^unkt, an bcm "ipaulus in
biefer lebenbigen (grfaffung ber rcliglöfen SBa^r^eit unfic^er roirb,
kommen mir fpäter.
5)afe übrigens auc^ bie Sengen bes fiebens Z^\u ein leben»
bigcs ©erou^tfein baoon gcfjabt t)aben muffen, ha^ bie gegen-
wärtige religiöfe Wal}tt}t\t überragenb n)icf)tiger ift als alle
^iftorifc^e S:atfac^encrinnerung, bemcift ber Umftanb, ha^ lange,
beoor bie @efcl)i(^te bes Sebens '^t\u in ben (goangelien ge-
fd^rieben roorben ift, feine SBorte gefammelt unb aufgegeid^nct,
ja ol)ne irgenb meldten f)iftorif(f)en 3la^men aufgereil)t roorben
finb. ©iefe 3Borte finb Präger unmittelbar erlebter, geitlofer
Wai)tt}eit, bie in jebem 2lugenbli(jfc neu gegenwärtig ift. 5)ie
merliroürbig fpäte 3lbfaffung aller (Eoangelien foHte ben §eits«
tatfad^ent^eologcn o^ne^in gu benken geben. ®ie lebigli(^ auf ein
angeblid^es 6i(^begnügen mit forgfältiger münblid^er Heberlieferung
äurüdi3ufü^ren, ge^t angefii^ts unferer Kenntnis ber ©c^reibfreubig-
fieit jenes Zeitalters nid^t an. (£in religiös lebenbiges ©ef(f)led^t
^ielt eben alte ^iftorifrfien Satfad^en, aud) bie fogenannten ^eils*
tatfac^en, für fo gleicl)gültig, ha^ man ^efferes ju tun ^atte als
fie aufpgeidinen für kommenbe ©d^rifttfjeologen unb *ipriefter.
60 feltfam es Illingen mag: bie ©(^riftcn, benen mir bie
Kenntnis bes einjigfien Sebens in ber ©efcl)icl|te ber 3Renfd^^eit
oerbanken, gepren, religiös angefe^en, bereits einer 3^^ ber erften
Q5erliümmerung bes urfprünglic^en religiöfen fiebens an. QlBas be«
raufet in bie Erinnerung gurüdigerufen unb ber (Erinnerung überliefert
roirb, ift nicl)t me^r ein gcugnis lebenbig gegenroärtigen ^efi^es. ^n*
beffen — alles (Sterben ift sufeünftiges fieben. S)iefe eroige 3Da^r^eit
bie bes großen SSleifters fieben be^errfcl)te, f^at auc^. über biefem
inneren (Sterben feiner jünger gcftanben. Hnenblic^es fieben ^at fic^
an biefen fc£)licl)ten 2(ufäeic^nungen immer neu entgünbet. ^rcilid^
ftets nur gegenroärtiges fieben ift an i^nen jum eigenen ^eroufet-
fein, jur ^raft unb gur ©ntfattung geltommen. ©aneben aber
— 25 —
^ot auc^ bcr in i^ncn totrüfamc Sob fortgctotrfet in ber 5:atfac^en»
tf)cologte, bcren erftcn fc^üc^terncn Einfang ftc bcbcuten.
3lIIerbings nur einen fd)ü(i)ternen Einfang ! 9lo(f) ^ören rolr
nid)ts oon einer Beteuerung, ha^ has, was ha gefc^rieben roirb,
Satfacfie fei, noc^ ift aües natoe (grgätilung mit bem fc^Iit^ten
gnjecfe, 5U erbauen, bie ©cntüter bcr ©cgenroart an biefcn 25er»
gangen^eitsergä^Iungcn religiös gu entäünben, noc^ f)at nic^t bcr
Sroeifcl ober ber Unglaube bie ^cber unftc^er unb erregt gemod)t
— nur bie (Raffung ber 2luferftet)ungsgefcf)i(i)te bei 3nattf)äus
beutet erftmalig in biefe 9fli(^tung. Stoc^ ftrebt man feeine 25oII«
ftänbigfeeit an, fonbcrn nimmt, mas jic^ bietet — nurSufeas roitt
alles mit iJIeife Srfeunbete oon Slnbeginn ergätilen unb betont bie
^ugenäcugenfdiaft, roitt and) burc^ feine S)arfteIIung einen „gemiffen
©runb bcr £e:^rc" geben. 5Iber in bem aflen roirfet nod^ mef)r
bie 5reuc gegen bcn 9Jleifter unb bie ©croilfen^aftigfeeit bes ©c«
fd^idjtsfc^rcibers als bie Stngft bes S(f)rtftgelc^rten um bcn rcli*
giöfen SBcfiö-
3)iefe 3tngft gittert aUcrbings fc^on frü^ Icife in bcn ©laubcn
bcr erftcn ©^rlftcngcmcinbcn hinein. QBir muffen nun äurücfe"
greifen auf ben ^unfet, an bem ^oulus bereits unfi(^cr gu mcrben
begann. 3)ic ^rage nad^ bcn gefrf)i(^tli(^en S^atfadjcn ift guerft
beim Sluferftc^ungsgtauben lebenbig gemörben. ^n fo gc^eimnis«
ooUes ©unfeel bas erftc Erlebnis bes tro^ bes Xobes lebenbig
roirfefamcn Smeifters für aUc Reiten gcljüllt fein mag, bies €r«
Icbnis mar boc^ bas Urerlebnts bcr opn bes 9Hcifters ft^tbarcr
(Erbenerfc^cinung unb feinem gefproc^cnen 9Bort losgelöftcn
3üngergcmcinbc, bas Urerlebnis, bas bie 9lcIigion ^cfu, bie nur
lebenbig gegenroärtige SDa^r^eit fecnnt, in bie gufeunft trug.
Surc^ 3efu 2:ob mar biefe ©runbfrage bcr lebcnbigen «Religion
für bie jünger in bie afeutc ^rifis getreten, bie burc^ bas ©egen«
roartscrlebnis bes fiebenbigen überrounben rourbe. (£rft als 3efus
als ber «roige, bcr nict)t fterben feann, erfaßt mar, erft als bas
llebcrgef(f)i(^tlic^c unb (groigroirfeenbe feines fiebcns unb feiner
oerfeünbetcn <rBaf)rf)eit unbebingt feftftanb, erft als feine «ffia^rticit
ofjnc feine fic^tbarc ©cgenroart als bas immer unb überatt
^errfd)cnbc fiebensgefeö ergriffen mar, })attü feine SRcIigion enb-
gültig gufe gefaxt.
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3JlQn oerftc^t, njarum für feine ^üttger mit bcm ©laubcn
an ben überall unb Immer lebenbtg gegenroärttgen 3!lctftcr feine
gfleltgion ftanb unb fiel. QBer bie 9leligion 3cfu übertjaupt be»
griffen I)at, begreift unmittelbar auc^ bicfes. ^rcilid) fegt nun an
biefem funkte bie Verkümmerung ber rcligiöfen 3Ba^r^eit ein.
S)er lebenbige $err, ber nid^ts anberes mar als bie 93erfeörperung
ber aEegeit unb überaß lebcnbig gegenroörtigen Q35at)rt)eit, ous ber
fein Seben geftoffen mar unb für bie es S^itÖ^^^s abgelegt ^atte,
rourbe burc^ bie Erinnerung an bie irbifd^e ©cftalt bes §errn aus
biefem 3uf<^ntmen^ang roieber ^erausgelöft. Ob es bie Cr-
fd)einungen ber jünger mit i^rer orientolifdtien ^örperlid^Iieit
waren, ob es bie ®et)nfu(^t ber Siebe mar, bie fein croiges SBilb
roieber oermenfc^Iic^te — foöiel fte{)t feft: es ^at \iä) frü^ ein
fe:^r maffiuer ^luferfte^ungsglaube entroidielt, ber ben all«
bet)errfc^enben @etftescE)ara!iter -feiner Qfleligion ftarli oerbunfeelte.
S)ie fef)r finnli(f)en '2Iuferftet)ungst)offnungen ber ^uben, bie Z^\us
fc^roff üon fic^ geroiefen ^atte (9Harc. 12. 25 ff.), unb bie ntc^t
minber maffioen ^luferftc^ungsäroeifel ber ^eflenen, unter bie bie
lebenbige 3leIigion bes ©eiftes geriet, t)aben aucf) roo^l bas
5f)rige getan, um an biefem funkte bie religiöfe 95erliünbtgung
auf ben toten 6trang gu fc^ieben.
6c^on ^aulus ift ^ier auf i^m angelangt, ©erfelbe 3nann,
ber ben allem ^i-^ifc^ß" entrüditcn §errn fo lebenblg ols ben
aUbetjerrfc^enben ©eift ergriffen ^atte unb oerkünbete, ift ^ütflos,
roie i^m bie §eßenen if)re ©affenroeis^eit entgegenfjatten, t>a% es
keine 'üluferftetjung ber S:oten geben könne, {)ülftos barum, rocit
er gcfeffelt ift oon ber maffioen es(^atologif(^en 93orfteUung bes
ftcrbenben Orients! <£r, h^i bas gange ©efeg ber 3wbcn mit
fiegi^aftem ©riff über 58orb geroorfen f)atte, bringt es bei feiner
gcroaltigen ^uffaffung oom oergeiftigten ^erm nic^t fertig, bie
(^iliaftifd)en ^t)antoftereien eines poft^umen @efd)Ied^ts t{)m nac^=*
guroerfen! ©enou fo, roie bei i^m bie ^errlicfiften 3cugniffc oon
ber i^ret^eit ber Minber ©ottes unmittelbar neben ben oerfc^robenftcn
Vcroeisfüt)rungen bes fübifc^en ©cfjriftgetetjrten fielen, ftc^t ^ier
neben unfterblid)en ^euflniffen ber tebenbigen Sieligion bes ©eiftes
eine kra§»finnli(^e Su^^u^soorftellung. Um i^rctroitten t)at er
auc^ bie ^rage nac^ hitn fieben, bas nic^t ftcrbcn kann, in bie
— 27 —
®pt)'än bcr — 9efc^lct)tltc^cn Satfac^en gcfd^obcn. Was als
eroiges, unoerrücfebarcs (Sefcö für btc ^inbet bes lebenbigen ©ottes
feftfte^cn mufe *) — ober es fte^t überfiaupt ntc^t feft — bas
roirb ^ier in ein eingetnes, angeblich) gefd)ic^tlic^ begeugtes Ereignis
geft^obcn! Sic gange Qfleligion 3efu roixb an biefent funkte
aus ben Slngeln gef)oben. ®ie eroig lebenbige 2Bat)rt)cit, für bie
er lebte unb ftarb, unb burc^ bie er eroig lebenbig ift, roirb In
ein eingetnes ©ef(^c^nis gefeapfelt, um bas fetttjer bcr 6trcit bcr
6cl|rtftgelcl)rten entbrannt ift, für bas man ftc^ auf „^ugcnäcugen" .
beruft, anftatt bie Qtugen bcr croig gcgenroärtigen SBa^r^eit gu
öffnen! 3n bcr ^luseinanbcrfefeung mit finnlic^lieitsgebunbenen
3roeifeln ber ^cttenen unb auf ftd)barc geilen poc^enbcn ^ubcn ift
bcr ^atfoc^cnt^cologc geboren roorben. (£r foflte balb bebro^Iic^
roac^fen, bis bie lebenbige QUa^r^cit unter bem rouc^emben Un»
feraut entfcffclter ©innlidikcitsoorftellungcn langfam erftiditc.
anan lefe bie 5luferfte^ungsgefc^icf)ten, bie als ?lnt)ang aßen
oicr Soangclien angefügt ftnb, um gu erfeenncn, auf roas für
einen ©trang bie ^ragc na«^ bem unocrgängIi(f)en ficben bes
Söleifters ^ier geraten Ift. S)er ©c^arfftnn eines ©aoib ^riebrit^
©trau^ t)öttc ni(^t aufgeroanbt gu roerben brauchen, um bies fo*
genannte Satfa(f)enneö gu gerreifeen. S)lcfe (^rgä^tungcn ftnb,
namentlid) in ben öfteren ^Jormen, als 5!)id)tung unb ©gmbolili
geroife oon ^o^cm 9Bcrte, aber bic-^reube baran roirb auf ©d)ritt
unb Sritt getrübt burc^ bie 5tngft eines unfic^cr geroorbcnen ®Iau-
bens, ber bie lebenbig gegcnro artige 9}3a^rt)eit, ben croig lebenbigen
§errn ocrlorcn f)at unb tt)n nun fuct)t in bem löngft oerfc^üttetcn
©räbern ber 95ergangen^eit.
S)ie 93erfinnlic^ung unb gefd)ict)tlic^e 93erliapfelung ber 3tuf*
crftet)ung bes §crm ift ein gang folgenft^rocrcr ©c^ritt in ber
^ntroidilung ber Slcllgion 3efu gerocfen. Solan kann it)n ben
©ünbenfatt in ber (f)riftftc^en ^irc^cngefc^ic^tc nennen, aus bem
atte fpätcren Sobcsmäc^te geboren finb. ©ic ^at ben ©laubcn,
ber allein auf croig güftigen unb gcgenroärtigen fiebensgcfefecn
ru^t, bie fein 5lugc lebenbig fdjout, oon einem einaclncn gcfc^i(^t«
*) 339I. 3efus: ©Ott ift nidjt ber Xoten, fonbcrn bcr Scbcnbigcn
©Ott.
— 28 —
ttc^en ©efc^e^ntö unb üon einer begrenzten ®c^or oon „klugen*
gcugen" abpngtg gcmaifit. Smon bebenfee, was bas ^et^t: bcr
3tpofteI, ber „alletn burci) ©ottes ©nabe war, roas er roar", ber
fid^ ntc^t mit ^tetfc^ unb ®Iut befprodien ^atte, e^e er bcs
sntetfters 3Derfiäeug rourbe, beruft ftc^ für btefe cntfrf)ctbenbc %xaQi
in einer fc^roacJien 0tunbe auf frentbe ^ugengeugen! (1. ^or. 15).
Sie ^(utoritöt bes alters unb ber Xrabition ^äft roiebcr i^ren
Cingug in bie Sleligion ber eroig gültigen 9Bot)r^eit unb bes
allgemeinen ^rieftertums, has ^od^en auf bas bcfonberc »(Em*
pfangen^aben" nimmt feinen ^nfong, ber ^rieftcr ift im ^nguge.
9lo(^ einmal roe^rt ftd^ ein überragenbcr ©eift bes Ur*
(i)riftentums gegen bie ©felaoerei äußerer Stugenjeugenftfiaft. S)cr
95erfaffer bes ^o^önneseoangeliums i^ebt nod) einmol bas fieben
bes SUcifters in bie unoergänglic^e 2öelt croiger QUa^r^eit empor,
©ein (göongelium ift gänjticfi un{)iftorif(i), nur roie ein leidstes
ijarbenfpiel roirfet ^ier unb ha bie ©efc^ic^te in feine ©ebanlien-
fü{)rung hinein, bie nidits als eroig gültige 9Bo^r{)eiten in bes
aneifters ©eftalt fe^en roiü. es ift bas c^riftlic^fte aUer €x)an«
gelten, fo geroife es roefenttid) Ungefdjic^tlld^es bietet; es ift bie roa^re
^ortfefeung bes Sebensroerfees ^efu. Was ^aulus nur ^alb ge«
lungen ift, bas ^at biefer 9Honn oollenbet: in bie QBelt ber
^eEenen bie Qfleligion ber eroig gilltigen unb lebcnbigen ^a^r^eit
gu tragen. S)ie Sogosibee unb ben Icbenbigen ^errn in eins §u
fefeen, bas ift eine Offenbarung, roie fie nur ganj großen ©eiftcrn
gefc^eniit roirb, benen es oergönnt ift, ^bgrünbe gu überbrücken,
bie gange 25öllierroelten t)offnungsIos ooneinanber p fct)eiben
fc^einen. S)iefer 9Hann ift gang ^ube unb ift gang ^eUcne.
S)iefe merliroürbige SSerfdjmelgung roirb fein ^oangelium für aße
Seiten unter bie ge^eimnisoollften 3Bunber ber ©etftcsgefc^ic^te
rcitien. §ier ift nic^t nur bas. ©efefe, fonbern aut^ bie roitb
raniicnbe ©st^atotogie in bie abgelilärte 9Belt einer eroigen
©eiftesreligion ^inaufgeäogen. ^ier ift bas ©efäfe ber t)ellenifd)en
3bee angefüllt mit köftlid^ tebenbigem, roillensftarfeem, fittlic^em
3n^alt, ^ier finb Orient unb Occibent gu einer neuen guliunfts«
religion unlösbar mit einanber oerfc^molgen. $icr ift fögor noc^
einmal ber 95crfud| gemact)t, bie SJerfinntic^ung ber Qluferfteljung
^inübergusie^en in bie geiftige 9Delt eroiger QIBa^r^eit. 3Hitten
— ^§ —
in btc gc^elmnlsooUe ©^tnboUfe, butc^ bte er fie oerlildrt, fällt
bas QBort, bos toleber äurüdilenM auf bte 3fleltgion ^efu: „©eltg
ftnb, bie ntc^t fe^cn unb bo(^ glauben."
Qlber auc^ btes (Eoangeltum f)at bte 3:^eoIogte ber ^eilstat*
fa(i)ett itic^t gurüdtbämmen feöttnen. 9Bof)t ^at es bte lebenbtge
3lcIigtoti 3efu ^tnübergelenfet in bie Oeiftesroelt ber ^eUenen, roo^l
Ijat es f|ier in ben griec^ifc^cn ^ird)enoötern ^ber erften 3at)r-
f)unbcrte eine (£po(i|e roo^r^aft tebenbig«religiöfer ©pekutation
eingeleitet. 3tber es mar boctj eine fittlic^ gerfallenbe unb getftig
oerfprü^enbe 9J5eIt, in bie bas (£oangeIium ^ineintrat, unb im
Äampf mit bem geiftig^fittlic^en STliebergang fiegte — bie 3:ot*
fa(^entI)eoIogie, bie äufeere STutorität, ber «ßriefter. ©en geiftigen
QBuc^erungcn bes Onoftigismus ^atte man nidits entgegenäuroerfen
oIs bas 2tpoftoIifeum. 3n ,9lom ift feine §eimat; bort ift auc^
bie Heimat ber SStac^t, ber Slutoritöt, bes «priefters. §ier finbet
bie ouscinanberbrec^enbe S^riften^eit, bie um bas 9Bort gu ftreiten
begonnen unb bie 3leItgion in bas S&uä) unb bie Set)re gebannt
^at, ben §crrf(^aftspunlfet, ben fie braud)t, um fic^ gu behaupten.
®ie§errf(f)aft ^at fi(^ burc^gefe^t, aber auf Soften ber lebenblgenSle*
Itgion. QBo^l ^atSlom in benSct)rftrettig{ietten ber alten ^Irc^e immer
äule^t bas entfcf)eibenbe Sin^eitsroort gefprod^en, aber bics 3Bort
^at aud^ an jebem ^unfete htn 9lero ber lebenbigen t)ellenif(^ett
©pe&ulation burc^fc^nitten, anftatt i^n gu gefunben. 9loms For-
meln waren feurg, einfach, ^errfc^aftsfiröftig, aber fie fjaben nie be*
griffen, um was es fi(^ t)anbelte. 3loms §errfd^aft ift immer
^remb^errfc^aft geroefen. ^Ite gefd)ic^tttd|e 3Bci^e mufete crfegcn,
was an innerer ^Berufung fehlte.
S)as Unoerftanbene, bas Unlebenbige, bas oon einer frembcn,
im ©runbe unäuftänbigen 2tutorität ©efc^ügte, trat an bie ©teile
ber eioig lebenbigen QBa^r^eit. ©ie roarb oerfeapfelt in einen
^Ipparat, ber oorgab, fie allein ooll gu befigen. ©iefer 5tpparat
braud)te bie §eilstatfad|en, bas 5Ibgeft^Ioffene, oon ber 2:rabition
^eftgelegte, bas anerkannt werben mufete. ©as „ OBerfe (^tirifti"
mufete feft umfct)rieben fein, bamit es oon ber ^eilsanftalt feft
umfc^toffen unb oenoaltet roerben konnte. 9Dät)renb ber ©eift
(S^riftt aus ber gßelt oerft^toanb, ftanb fo fein ^eilsroerk immer
mat^tooöcr unb prächtiger auf. «s mürbe auf 93ilbcm geäclgt,
— so —
in ©ottesblenften ocr^enlidit, in ber 9Hcffe neu ooHgogen, öri bic
aztcnge ausgeteilt, in SBüc^crn befc^rieben, in ©^mbotcn fcftgelegt.
Sie §cilsanftatt unb bos ^ettsraerfe, bic 2Iutorität ber Srabition
unb bie ^eilötatfadjen, ber ^riefter unb ber ©d^riftgcle^rtc getreu
unlösbar gufamnten. ^uf bcm §ö^cpunlit ^ierart^ifdier €ntn)idi«
lung erft^eint barunt oud) bic granbiofcfte ©arftellung bes abge«
fd^Ioffcncnen fiebensroerlis ©i^rtftt im '2Infetmf(^en QBurf. ©eine
ntad^tootten fiinien paffen hinein in bie gottfd^en S)onte, in benen
es bargeftcEt, oerraaltet unb ausgeteilt roirb.
©iefen ^ufammen^ang ^at man fict) in ber ex)angelif(^en
^ird^e, bie bie lebenbige 2Da^r:^eit roieber in i^r 3le(i|t einfe^en
rooüte, fetten klar gemad)t. 0ie l^at bas „^cilsrocrfe C^rifti" ein»
fad) in bie QBelt bes neu erroac^enben ©eiftes (£t)rtfti hinüber»
genommen. Solange ber fiebensftrom bes red^tfertigenben ©taubens
frifd) flutete, folange ber lebenbige ®ott burc^ bie "^üt unb bie
^er^en fdjritt, folange bie 95ibel ein SBud) blieb, ha^ „S^riftum
treibet" b. f). ttjn ber ©egenroart lebenbig madi^t, konnte bie neue
t^römmigfeeit biefen Sorfo mit fid) fd)Ieppen, ot)ne feine gefät|rl{(^
Ift^menbe ^aft gu fpüren. ©olange es möglict) mar, ta^ man
in ber confessio Augustana bie justificatio in ben 33littelpunfet
rückte, mar es ungefö^rlid), in ber ,^tr(i)e, bie aEen „95erbienjten" fo
kräftig auf ben fieib rückte, bennoct) fjarmtos oom „25erbtenft C^rifti"
gu reben. 3^ länger befto met)r aber mufetc es gu einer öucUe
gefät)rlid|er Slückftrömungen in bte ^riefterkirc^e roerben, ha^ man
bie „QUerke", bic man fo entfc^loffen aus ber ^irci)e t)erausgefegt
^atte, im „^eitsroerk (S^rifti" roieber äufammenftapelte. ©rfitie^Itc^
^atte (£t)riftus n{d)ts anberes getan, als roas bis ba^iu bie ^riefter
unb sniöndie getan t)atten. S)ie ^unbe oon feinem Scben, bie
•iprebigt feines Sebensroerkes rourbe gu ber ^eilsanftalt, bic man
nur ein roenig ins ©eiftige umgebaut ^atte. ^n bie ©teile ber
kirchlichen opera operata im 93tefeopfer unb in ber 92tön(J)saskefc
trot bas opus operatum (Ef)rifti. 3In bic ©teile ber fic^tbaren
^eilstatfad^en in ber kat^olifc^en ^irdie traten bie ^iftorifctjcn
§cilstatfacl)en ber SBekenntniffe. 5)ie 35ekenntniskirc^e mar fdjliefe»
Itc^ nur noc^ eine etroas oergeiftigte 9flacl)bilbung ber alten "ipriefter*
kirc^e. 2Bcnn nur bas QBort rein unb lauter geprebigt unb bie
©akramente orbnungsmäfeig oerroaltct roerben, ift alles in Orbnung.
— 31 —
Ob babet bic ctoig gültige 3Ba{)rf)ctt, Me in jebem ^ugenbli^
neufctjaffenb unb «forbemb in bte 2DeIt treten foll, 3U it)rem 3lcc^t
fiommt, ift gleicJigüIttg. Sas „^eüsroerfe" ift ba unb ffiirb ocr*
künbigt, es roirb fc^on feinen 5Beg finben. 3ft bas 2lpoftoIikum
gefprodjen unb anerlionnt, bann t)at bie liebe ©eete 3lu^'. 9Dcnn
nur ber „©ubiefetioismus" ausgef ehaltet ift, bann kommt bas 9^eic^
©ottes aus 2Bort unb Sakrament oon fetbft.
3f)r ^eucfjler! 3f)r l^abt nic^t ben Subjektioimus ausge»
fd)altet — ben ^abt i^r red)t kräftig in eurer eignen 93eguemtic^=«
keit unb ©elbftgenügfamkeit oertreten — , fonbem b^n lebenbigen
©Ott, bm eroig neu fdiaffenben unb forbemben, ber fiel) nid)t ein=»
kopfein l'a^t in ^ellstatfadjen, in 2Bort unb ©akrament unb SBe*
kenntnisformen, fonbem ber bas gange fieben bis in feine testen
^oren bef)errfcf)en unb geftalten roiU. ©eine eroige ©nabe liegt
in ber in lebem gegenroärttgen ^lugenblick gugreifenben ^eilenben
unb erlöfenben ^aft, nidjt in abgefc^Ioffenen ^eilstatfad^en, bie
irgenbroo in ber 95ergangen^eit liegen. 5ln 95ergangenf)eitstaten
3u erinnern, ift redjt unb billig, aber nur um burct) fie bie Säten
©ottes in ber ©egenroart ^ett aufleuchten gu taffen, lebenbig unb
roirkfam gu madjen. G^riftus ift nic^t „einmal geftorben unb auf*
erftanben", bamit roir oon biefer 33ergangcn^eitstat als oon einem
^opital getreu — oom Kapital geljren ift aud) in ber göttticl)en
9Belt unfittticl) — , fonbem er ftirbt nod) täglich, um täglich auf»
3uerftet)en, benn er ift ber eroige §err bes Sebens, beffen unoer«
gänglirf) lebenbige SBa^r^eit bie QBett oom Einfang bis gum ®nbe
bur(f|äiet)t. ©ein ^euä ift bas ^eug ber Sötenfc^^eit, fein Seben
bas fieben ber 3Ilenfcl)^eit in jeb^m 5lugenblick, ber aus ber Siefe
geboren roirb. gt)r «ßrebiger bes SBorts t)abt keinen ©c^afe gu
oerroatten, ber in QBort unb ©akrament aufgcftapett liegt, fonbem
ber lebenbig roirkenben ^aft ©ottes gu bienen, bie burdj QBorte
aus oergangenen Sagen nur gegenroärtiger gemadit werben foll.
^t)t feib Siener bes lebenbigm ©ottes, ntd)t Ferren unb §üter
feiner ©c^äfee. ©ottes ODa^r^eit braucl)t keine §üter, fie ift eroig
unroanbelbar roie er felbft, aber fie roitt felbftlofe «Diener.
i5rcilict) — ber Srang gur ^errfc^aft ift unmittelbar mit
ber öeil6totfac^entl)eologie unb ber 5Bekenntnisroac^fomkeit ge«
geben, ©ie mufe eine öufeere ©tü^e Ijabcn, bie fie pit — bos
— 32 —
fiebert felbft gibt l^r blefe ötü^e ntc^t. 9Bo immer bte ©elienntnts«
Mrd^c oufgetreten tft, ^ot fie anä) btefen Srang gu trgcnbetner,
oft rec^t untoürbigen, 9Hac^t[tü^e gehabt, fei es eine felbft»
gefc^affene 9Ila(i)t in ©eftolt eines fiirc^Ii(f)en ^o^en 3lat6, fei es
bie ©taotsmac^t, fei es bie ^opitolmac^t. SDeil ^ie innere
Sötac^t ber 9Ba^r^eit fic^ Don it)r geroanSt iiatte, roanbte fie fic^
immer an eine äußere 92tarf)t bes roeltlid^en ©efeges, um bie
Anerkennung i^rer §eilstatfad)en gu ficEjern. S)te ^riefterfeirdje '
ift aud) auf eoangelif(^em ©oben aufgetreten, fie ^at ftd^ nur bis«
!^er burd^ ein gütiges ©efd)i(li, bas i^r ben rechten 3Ha(^tfafetor
bislang md)t in bie ^änbe gefpielt f)at, nirgenb erfotgreid^ burd)»
fe^en können.
3)ie religiöfe 2Ba^r^eit mufe jebe ^orm ber^eils«
tatfad)ent^eoIogie abletjnen, meil fie jebe ^orm ber
^riefterkirc^e ablehnt, ^ir muffen uns jefet mit berjenigen
^orm ber ^eilstatfac^ent^eologie etwas genauer befc^äftigen, bie
in ber ©egenroart nod| i^r SBefen treibt. ^f)X ^eitsfö^ibboletl^
ift bas 5tpoftolikum, unb groar — fie t)ot fidj im Saufe ber Seit
gang auf bie ^auptfadie befd^rönkt — im ^oftolikum ber äroeite
3lrtikel, ober genauer nod): berjenige Seil bes groeiten 3trtikels,
ber bie '3luf5ä^lung ber ^iftorlfcf)en ©aten bes Sebens ^t\u
entt)ält. ®as ift fe^r c^arakteriftifc^. Dilles anbere, bie anbem
ökumenifcfien ©ijmbole, bh Iutt)erifcf)en Sekenntnisfcfiriften, auc^
ben erften unb britten 2trtikel, auc^ bie Erklärung bes ä^eiten
Strtikels, f^at fie ni(f)t etma aufgegeben, aber in ben ^intergrunb
gerüdii. S)as alles enthält fet)r oiel tebenbig^retigiöfe Spekulation,
SBergcgenmärtigung ber religiöfen 2Bat)r^eit, bie für fie beseid)*
nenberroeife nic^t fo mic^tig ift als — bie ^iftorifcl)en 5atfact)en.
Um bie ^unbamentierung ber religiöfen Q[Da^rt)eit auf 95 er«
gangen^ eitstatfac^en kämpft fie, l|ier liegt i^re legte religiöfc
ober — oon ber lebenbigen 3leligion aus gefeiten — irreligiöfc
SIriebkraft. Was unmittelbar auf 95ergegenn)ärtigung unb
Söerlebenbigung ber religiöfen 9Ba^rl)eit angelegt ift, ift me^r ober
meniger ©ubjektiotsmus ober 93emunftreligion ober fonft etroas.
Stur bas, roas mittelbar an bie ©egenroart ^erangebract)t
werben kann, ift i^r roertoott. Willem religiöfen ©rieben mu^ bie
SBefc^öftigung mit ber Vergangenheit oorausge^en, fonft ift es
— 33 —
feein retigtöf es (Erleben. (Es feommt attes barauf an, bQ§ bos
feoublnifc^e ^oä) ber ©ef(^i(^te ntc^t umgangen mich. 3ft bies
grunbfäölic^ gefid)ert, bann kommt alles anbere oon felbft. ^n
ber 'S.at, bann feommt aUes anbere von felbft: ber ©c^rtftgele^rte,
ber fc^liefeltc^ allein bie <5c^lüffel ber (Sefc^ic^te in ber §anb ^p
— roieotele in ber garten 2trbeit bes fiebens fte^enbe fiaien feönnen
ba miturteilen! — , ber «ßriefter, ber bie ^eilstatfac^en in QDort
unb ©aferament rite oermaltet, bie 3Ilac^tfeirc^e, bie bie Srabttion
ber ©eft^ic^te trögt unb oon i^r getragen wirb, feura ber grofee
©ermittlungsapparat gmifc^en ©Ott unb ben 9Henfc^en. SBir
Ijabcn bas alles mieber, roas ber lebenbigen Sleligion bie «Pforten
äuf erlögt.
$ütet euc^ oor ber „©efdiic^te" unb oor ben SHenfc^en,
bie i^re 9lnfprüc^e hinter „t|iftorifcf)em 2lecl)t" oerbergen! ©ie
©efc^ic^te feann bie grofee, ^eilige ©egcnfpenberin ber 3Ilenf(i)l)_eit
fein, menn fie aus i^rcm 9fleid)tum gibt, beutet, felärt, njeiterfüt)rt.
9lber fie wirb gum ^luc^ für bh 32tenfc^^eit, wenn fie forbert,
beanfpruc^t, feffelt, fid) als ©elbftätoedi gebörbet. ©Ott ift nit^t
ein ©Ott ber Xoten, fonbern ber fiebenbigen!
3Bie ift es nur benfebar, ha% innerhalb ber auf gegen*
roärtigftes ^anbcln unb (Erleben bröngenben Qfleligibn ^efu biefe
nüchterne Slufgä^lung oon Satfactjen, bie aud) ben Senf ein nic^t
fcljTOer fällt anguerfeennen („gelitten unter «pontio ^ilato, ^efereugigt,
geftorben unb begraben"), gum religiöfcn „ «Bekenntnis " ge=*
ftempelt morben ift! S>a§ 9lom innerhalb einer gcrflie^enben 9Belt
kein anberes Heilmittel raupte, um ber fpekulatioen QBuc^erungen
eines ungefunben ©eelenkults §err gu roerben, bas ift oerjei^lic^
unb oerftänblic^, roenn auc^ tragifc^ unb bitter. Qlber ha^ man
inncrlialb ber ^irc^c ber ^Reformation keine anbere imöglic^keit
ficl)t, bie unbebingt gültige unb groingenbe 9Ba^rt)eit unfererSie«'
ligion gegenüber einem in ©timmungen unb felbftfüc^tigen «p^an«
tasmen oerfprü^enben gcitalter gu behaupten, bas ift fc^limmfter
g^erfall.
^ 3n welcher ^orm foH bim. OHenfc^en, ber in Sünbe unb
9Xot bes fiebens keinen ^lusmeg met)r ftnbet, aus biefer nüchternen
3:atfa(f)enaufreit)ung ©cmiffenroeckung, Teilung unb ^rlöfung er«;
roac^fen? 3Jlan befc^reibe bas, menn man bm SRut bagu t)atl
?. ^ettmonn, ©rofeftabt unb «Religion. 3. Set!, 3
- u ^
Ober tnüffen btcfe Sätfoi^cn erft „önetlioTmt" fem, e^e inön gtt
btcfer entfc^etbenben 3tufgabe ber 9leltgion f errettet? 3f^ haB bie
Segittmation, bie man bem "ipriefter vorlegen mu^, e^e man an
bie ^etlenbe ^aft ber SHeligion fjeranbarf? ©as nennt it)r
^$e{l0"*3:atfaä)en? S)ie muffen anbers auisfe^en. ®ie muffen
lebenbig unb kräftig unb unmittelbar gupacfeenb fein rote bie
§änbe unb QUorte bes SHtannes, ber, roo bie SRot an feine Pforten
iitopfte, gugriff mit ber ^aft bes ©eiftes, bie oöm lebenbigen ®oti
ftammte. Umfd^affenbe, , neubilbenbe, roedienbe, binbenbe, befrei«
cnbe ^raft kommt nie üon ^iftorif(f)en^atfac^en, fonbern nur auö
lebcnbig gegenro artiger Sebensmadjt, bie nic^t anerkannt, fonbern
TO irkf am werben roiU.
^ir muffen ieöt no(^ feurg auf bie i5^age nac^ ber ge=»
f(^t(^tlid^en giii'ß^I^ffiQ'^^^i ^^^ ^^ "iMpoftoIikum aufgegä^Iten
„§eil0totfad)en" eingeben, obroo^l fie für uns fekunbärer Slatur
ift. ©elbft roenn rotr ein ^tpoftolikum Ratten, tas gang etnroanb»
frei feftftcf)enbe gefd|id)tlid)e ®aten enthielte, müßten roir es dts
%ushxutk ber religiöfen QBat)r^eit unbebingt ablehnen — aus
religiöfen ©rünben. 3lber es ift ein 5lkt ber eroigen ©erec^tigkeit,
bie alle menft^Iidje 3Inma^ung unb ©ünbe gu treffen roei§, ba^
biefelbe ©efd)id|te, burd) bie man im 5tpoftoHkum iie religiöfe
Sa3al)rt)eit feffeln unb oerkapfeln roiti, biefe gefd^icf|tli(^e ©runb=
läge äunit^te maäjt Sic Sungfrauengeburt unb bte 3luferftet)ung
am britten S:age (roir fe^en oon ber §immel»= unb §öEenfat)rt
ah) taffen fi(^ auf keine QBetfe na(^ ben 6d)riftquetten als ge«
f(^t(^ttid^ unbebingt einroanbfret feftfte^enbe S:atfa(^en galten, ©s
roöre tragifd) gu nennen, roie buxd) biefe (Erkenntnis bie §eil$*
tatfad|entI)eoIogie ^eute innerlid) erfd^üttert roirb, roenn biefe (£r=»
f(^ütterung nic^t allgu oerbient roäre. ©ie fü^It, roie burcJ) biefe
Unfic^erl)cit ber ^eilige ®mft unb bie unbebingte ©üttigkeit ber
religiöfen 9Dat)r^eit ins ^erj getroffen roirb. Unb boc^ gibt es
SJlcnfc^en — nein, ^ricfter — , bie, obroo^I fie biefe ungeheure
©efatjr fef)en, bas 3Ipoffotikum als religiöfes ^Bekenntnis feft^alten
roollen, aus opportuniftifc^en ©rünben, ein untrügl{cf)es ©tjmpton
bafür, t)a^ ^ler ber lefete fittlic^e ®mft, bie le^te tjeüige SJerant«
roortung oor ber unbebingt gültigen unb forbemben religiöfen
9Ba^r^eit töngft entfc^rounben ift. S)ie rotrklic^e religiöfe 9Dat)r»
~ S5 —
f)ett bulbet in tf)rcr \uxö)tbatm ©röfec unb tjeUigeti ^orbcrunö
ouc^ ntd)t eine leife fctjroac^e ©tette. 6ie ^aut fie ah unb wirft
fic in$ ^eucr, fobalb fie erkannt ift, unb roenn gange ^rc^en
barübcr in flammen aufgeben follten — um besujißen, ber fiei&
unb Seele oerberben kann in bic §ötte.
^n blcfent qSunkte geigt es fic^, ha^ es auf atte ^äUe ein
unoerantroorttic^es Qpiüm mit bem ®mft ber retigiöfen 9Bat)rt)eit
ift, roenn man fie überhaupt gefc^ic^tli^ funbamentiert. ©ie ©e««
fd)ld)tsn)iffenfc^aft ift eine t)errlict)e ©acfie. ®ie ift nic^t nur ein
S8om reinfter ^reube, fonbem auc^ ein ^eiliger £luell ber (Er-
kenntnis, ^cnn bic ©egenmart uns bunkel roerben roiH, roenn
mir in if)ren roirr burc^einanber laufenben ^öben uns nic^t mel^r
auskennen, bann la^t uns in biefe ©diafekammer ^ineinf erretten:
ba löfen fic^ bie ^oten, ha fe^en mir bie 2(nfönge unb bie
finnooU fortlaufenben fiinien, bie uns bie ©egenroart perftet)en,
entwirren, bc^errfc^en unb feilen lehren; ha fet)en mir bie ©e*
faljren unb Qlbgrünbe, bie neben htm 9nenf(f)enleben tauern, ha
feigen mir bie ^äftc am QBerke, bie gefunb machen unb aufwärts
führen. S)ie ©efd^ic^te ift ber grofee (Erfa^rungsfc^afe ber 3Henf(^-
^eit, ben fie in ®t)ren Ijalten unb fleißig benufeen foU. ^ut^ bie
eroige QBa^r^eit äiet)t burcf) fie ^inburd). 9Ber 5lugen l^at, gu
fe^en, ber fie^t fie bort aufbüken unb i^re fieg^aften 9Bege fc^reiten.
5Iber nur ber, ber klugen ^at, gu fe^en! SBIinbe klugen finb noc^
nie burct) bie ©efc^ic^te für bie eroige aBa^rI)eit geöffnet roorben.
S)te offenbart i^re le^te furcfjtbar unentrinnbare unb lebenbige
©üttigkeit nur in bem garten, unausroeic^ti(^en ©eft^e^en ber
©egenroart. 9Benn nur bas roa^r ift, im retigiöfen 6inne, roas
gefc^idjttict) feftftet)t, bann roe{)e uns! S)ann roirb fic^ an hin
©tauben eroig ber bo^renbe Sroeifel heften. Unbebingt gültige
9Bat)rf)eit l)at nod) kein ©efc^ic^tsfc^retber gefunben, er ^at fie
f)öc^ftens beuten ^etfen ober i^re ©puren aufgeroiefen. SDas
flüchtige ©efd^e^nis bes 95ergangenf)eitstage6 kann bie eroige
SBa^r^eit nic^t faffen, fonbem if)re einft tebenbig roirkfame ^aft
nur anbeutenb no(^ oerraten. S)ie ^ufefpuren bes tebenbigen ©ottes
können nie feinen tebenbigen 6d)ritt erfefeen. ^ie traurig ift
eine SRetigion baran, bie barum gittern mufe, ha^ bie ©puren itjrer
gjJa^r^cit in ber SBergangen^eit fic^ met)r unb met)r ats perroifct)t
3*
— 36 ^
ünb ocrfdiüttet ertDctfen, bte in ber ©efcfitd^te me^r fu(^t als eine
crmuntcmbe ^eftättgung ber QBa^r^eit, bte jie felbft itnoerlierbar
tn^öönben ^ältl traurig ein ©laube, für ben biefe unb jene
Sotfad^e „nod^" feftfte^t, bte anbere aber „nicfjt mct)r" unbebingt
gültig tft! ^ümnterlid) eine religiöfe 313at)r^eit, bie aus 6tü(^en
befteljt, hk obbrödfeeln ober oerme^rt roerben können, bie nidjt in
eiserner ©ültigfeeit aus einem ®u% gebilbet oor uns liegt, alles
äerfdiellenb, roas |i(^ i^r roiberfegt, olles belebenb unb in it)re
^oft ^ineinäte^enb, was i^r felbftlos bient! S)er tebenbige ©ott
braucht ntc^t bie ©efc^ic^te als ^unbament jeiner ^a^r^eit. ^
ft^enfet bie Erinnerung an bie 93ergangen^eit bem 9Ilenfd|en, toie
er i^nt ben Sßruber fcfjenkt, ber neben unb mit it)m unter ber
©eroalt ber gleicfien QBa^r^eit ftet)t. 6ie grü^t unb ermuntert,
fie feftigt unb ftärlit it)n, mie ber ©ruber, ber mit if)m auf bem
SBege ift, aber fie smingt i{)n nic^t. ^wiuQin kann nur ber
lebenblge ®ott, kein 95ud) ber ©efd)id)te, bie nidits anberes ift
ots eine fd^road^c ©pur bes Sebens, bos aEeln in ber ©egenroart
in ooflem ©trome pulft unb bie 9Henf(^en überroöltigt. S)er
anann, ber nur feinen im ©d)n)ei§ bes 3lngefi(^ts bebauten vidier
unb bie auf i^m madifenbe jjnu^t kennt, fielet ber eroigen QBa^r-
t|eit ebcnfo na^e roie ber ©d)riftgetet)rte, ber if)ren ©puren in ben
3a^rtaufenben ber ©orgeit nad)ge^t. ®ie religiöfe QBa^rtjeit ift
aßen, ben ©elel)rten unb ben llngelet)rten, glei(f| äugänglid) unb
fprid^t gu aßen i^re unbebingten ©e^orfam ^eifd)enbe ©prad)e.
(Einen Sßlick noc^ muffen roir ber S^^oge guroenben, ob es
für bie Sleligion gleidjgültig fei, ba^ bie Präger i^rer 2Ba^r^eit
in ber 95crgangen^eit „gef(^id|tlicf)e ^erfönliö^keiten" finb. ^n
ber ^useinanberfefeung barüber, ob Zt\us roirklic^ gelebt i)ahi, ift
biefe ^rage oiel unb ^eife befproct)en roorben. "^üv bie ©iiltig*
keit ber religiöfen aBa^rf)cit ift fie tatfäc^Iic^ o^ne SBelang. Sie
religiöfe 2Ba^rl)eit gilt burc^ fic^ felbft unb -fegt fic^ aus if)rer
eigenen OBirklic^keitskraft burc^. ©ie an trgenbeine gefc^ic^tlidie
Satföcl)lic^keit binben, t)eifet if)re unbeugfame ^aft für bie ©egen*
roart brechen. ^atfäeJ)lic^ Ijat la bie einfeitige Betrachtung ber
95ergangen^eit in ber religiöfen 95erkünbigung ber SDirkungskraff
ber Sieligion in ber ©egenroart gang unfagbaren ©c^aben guge-
fügt. Sic ©emeinbe, bie nur, anbäcl)tig fic^ in bas oergangene
— 37 —
S:obesletben ^efu öcrfcnKt, ^at ble furchtbare -^atfac^cbesburd^
bie ©egenroart ^te^enbcn ©tcrbens bes Sölenfc^enfo^nes aus bcm
3luge oerloren unb baburcf) bie unerbtttttd) tjerunttDerfenbe ^aft
bes ftellüertretenben fietbens nur gu bebenliltc^ eingebüßt. 5)ic
^rcusesgemeinbe ber alten Ö^tlstatfac^enMrc^e ift nur eine fe^r
blo^ gefärbte unb mtrfelii^lieitsfc^roacfie ^euggemelnbe, bie nur int
perfönlicfien ©etigfieitsftreben noc^ eine geroiffc ^raft entfottet.
^roft ber tebenbigen Ölcligion ift bas nic^t. ©ie greift oicl un*
erbittlidjer I)ineln In bie ©egenroart, roeil it|re aBa^r^elt aus ber
lebenbigen ©egenroart fliegt. S)as «pochen auf bie ^iftorifc^e §ells-
tatfact)e Ift nichts oIs 6c^roöc^e.
9Han cerfdjliefee boc^ Ja nic^t bas 3luge oor ber nleber=«
fdjmetternben Beobachtung, mit roas für morallfctien ©mubföfeen
Im perfönlic^en, roirtfc^aftlic^en, polltlfc^en fieben, bie nichts als
kraffeften Egoismus unb brutale 6lnnll(^kelt atmen, fl(^ eine,
gerabegu f(^roärmerlfd^e 95eret)rung bes SSergangcn^eltsfereuges
oereinigen täfet! 2Bas für menfc^lidje 3lnma^ung unb 6ünbe
mufe bas „^rexQ (£^riftr bccfeenl 5>as rolrlillcl)e ^reuä i>e6 eroigen
Sötcnf(^enfot)nes, b. ^. bas gum ^Immet emporfd^rclenbe fielben
unb ©terben bes ©(^ulblofen ber ©egenroart „bedit" nl(^t,
fonbem es äerfi^met^ert unb überrolnbet.
Sro^bem Ift für ben, ber bie gefcl|lcf)tllc^e STatfäc^ltcl^feelt ber
in »ergangenen S:agen in bie 9Birklt(f)keit bes fiebens ^inelnge*
tretenen 3Ba^r^elt ftet)t, blefcs ^Inben ein ©efclienfe, bas lt)n er*
mutigt, kräftigt, ja aufjubeln läfet. Slber berjenlge, bem bles ©e*
fc^enk vorenthalten bleibt, Ift barum nlc^t ärmer, roenn er bie
3Ba^r^ctt nur In ber ©egenroart oollkräftlg befl^t. *) 5)em ©e»»
fc^lc^tsforfcfjer Ift bie SBeftätigung eigenen Erlebens aus ben 2at*
fachen ber ©efc^ic^te eine ®ahi feines ^Berufs, an ber er gerolfe
*) Slücrblngs beruht ber Brocifcl an ber ©efc^td)tKti|keit 3efu In
unfern Stagcn gana offcnbunbtg »Iclfad) auf bem ^ntereffe, bas man an
ber ?tusfct)altunö ber lebenbigen (^riftßdjen SBa^r^cit aus bem ©egen*
roortsleben ^ot. SStan fcfjlägt ben STräger reltgtöfer SBa^r^elt in ber
Söergangen^ett tot, um fie in ber ©egenroart ju treffen, ein 93crfa^ren,
bas firfj 3ubem noc^ mit bcm 9limbus ber 2Biffenfd|aftItd)feelt umgibt.
5tu(ij eine ^onfequcn^ ber gefci)id)tUci>en ©egrünbung ber SReßglon, bie
äu benken gibt! 3n ber ©egenroart foU man ben ^ampf ausfecf)ten,
bos Ift e^rll(^er unb uoUrolci)tigcr.
— 38 —
anbete teilnehmen laffen foU. 9lur foH er ftc^ ntt^t anmaßen,
bem anbem baburc^ bas ^unboment ber reltgiöfen Sebensroa^r*
^ett liefern au roollen. ^ebcr ®eruf birgt in fic^ befonbere 95e«
ftötignngcn ber legten QBa^r^eit. Z'^hzx treue Arbeiter ftö^t, roenn
er in bic ^iefe gräbt, auf ©puren ber eroig lebenbigen aBa^r»»
^clt. Qlber fie bleiben ©puren, bie nur beftötigen, was aller
Sebcnsarbeit als fie^tes gu ©runbe liegt. 2luc^ bie 2lrbeit bes
S^eologen ift nid)t6 als ein 9Iad^fpüren ber 9Bege ©ottes. ©ie
gu bahnen unb bie 3Jlenfd^en in fie l^ineingugroingen, bleibt ^öad^^
gegenroörtiger göttlid^er fiebensmödite. 5)afe es ber ©ei ft
ollein ift, ber roeljet, roo er will, ber bie QHenfd^en in „alle QBa^r«
tjzit leitet", beginnt leife einem neueren 3:^eologengef(^lcd^t gu
bämmcm. 9Iur ift biefer „©eift" noij^ gebannt in bie ©räber
einer unlebenbigcn 3Bort= unb §eilstatfad|ent^eologle. 3t)n aus
,bicfer l)eraus3ufd)lagen unb roicber mitten im fieben gu erfaffen,
ift bie 3lufgabe aUer lebenbigen Sieligion. ^ür fie ift es ein
oöEtg unerträglidjer ^uftanb geworben, bie ^J^age nad^ ber reli«
giöfen 9Ba^rf)cit in eine uferlofe ^luseinanberfe^un^ über bie ©c=
f(i)i(i)tli(^keit irgenbmeldier S:atfad)en oerroicfeelt gu fe^en. ©tc
enbgültig oon ber fdiroanfeenben ^unbamcntierung in ber ©efi^id^te
gu löfen, Reifet fie frei machen für has Scben.
3. Sbee unb teligiöfe 2BtrliIt(i)kett.
©0 fc^arf wir bte gcfc^tc^tlic^e ©cgrünbung ber unbcbingten
©ültigkett h^v religtöfen 933al|r^ctt um btcfcr fclbft loilten ah^
lehnen muffen, fo offen muffen mir bos ^ugc für smottoc btcfcr
«Begrünbung galten, btc ficf) als SReftbeftänbe rotrfeltc^cr ^römmlg»
kcttsberoegungen erroeifen. Slat^ einer boppcitcn Sltc^tung muffen
mir foId)c fcftftcUcn.
3)te gefd|tc^tttd|e SBcgrünbung ocrfolgt unb erfüllt bis in
einem geroiffen ©rabe tsas ^ntercffe, bie retigiöfc 3Ba^rt)eit als
unauflöslich mit bcm roirlilit^en, erbgebunbcnen
fieben oerroat^fen gu erroeifen. 9Bir Ratten fd^on früher*)
©elegen^eit, barauf tjinjuroeifen, bafe bie aus ber Qflitfc^lfc^cn
X^cotogie l)erx)orgegangene „^iftorifdje ©d^ule" bie Sötutter einer
energifd)en fogial'» religiöfcn Qlrbeit gcroorbcn ift. S)ie lebcnbigc
^nfcl|aulicl)lieit ber gefcf|ic^tlic^en 5orfd)ung ^at ber «prajis ben
großen 5)ienft geleiftet, fie ous roettfcmen ©peliulationen in bas
buntfarbige Seben gu rocifen. '^n biefem "Spunlitc bient fie roirfe"
licl) ber religiöfen 9Ba^r^eit unb- i^rer lebenbigen ©ültigkeit für
bie ©egenroart. ^reitid) nur bis gu einem geroiffen ©rabc! 2at*
fät^lid) ift auc^ biefelbc t)iftorifc^c ^orfc^ung für ungä^lige i^rcr
jünger bas ©rab ber lebenbigen Sletigion gcroorbcn. 3Dir brauchen
nur an Slaumanns nieberfc^mettembe unb ein ganges ftarK religiös
ocranlagtes Seben lat)m legenbc „Cntbcdiung'* gu erinnern, ha%
bie roirtfc^aftlidi^foäialcn g5ert)öltniffc ber Seit ^efu fic^ berartig
roeltenroeit oon ben tieutigen entfernten, ba^ auct) Zt\vi ct^ifc^c
©runbfü^e, \a im ©runbc feine gange QUcligion nit^t mcf|r auf
bie ©egenroart anroenbbar feien! S)ie gefc^icl)tlic^e Qlnfc^aulic^licit
t)at bie ^prebigt auf taufenb hangeln berartig trocfien, ^iftorifc^
*) Im crften Sonbc 6clte2132
— 40 —
unb unlebenbig gcmod^t, ja if)re groingenbc Ucbcräcugutigsferaft
für ble ©egcntoart fo njctt^tn ocmlc^tct, bte ^rcbtgcr felbft aber
in eine f o relatiue, oorfid|tlge, unentfd^Ioffcne Stimmung gebrat^t,
bofe man rool)! fagen kann: bte gefc^ic^tlic^e^orfc^ungsgrilnblic^*
feett unb bcr gefc^id^tliti^ gebunbene Satfadjenftnn i^ot 1i\ä) für bie
^rajis in ein gerabegu unerträgliches ^inbemis ber religiöfen
95erkünbtgung oerroanbett. 2lud| l^ier mufe man fagen: bie Oe*»
fc^idjte ift als 23eranfc^auli(i)ung, SBcftätigung, SBeliröftigung ber
religiöfen '3Sßa\)xf)dt für bie ©egcnroart oon ^ödjftem QDerte, aber
als guretclienber ©runb für il)rc unbebingte ©ültiglieit im gegen*
roörtigen Seben gänglic^ oerroerflid^. Sie SDurj^forfd^ung ber
seit litten Sßerroirfelitfiung ber religiöfen 2Ba^rl)eit in bcr 95er=»
gangen^eit t)at i^rer übergeitlic^en ©ültigfeeit bas ®rab
gegraben.
€6 ift barum burc^aus nic^t "Su^ciU, ha% fic^ innerhalb ber
fogenannten {)iftortf(i)en ^Ijeologie roieber ber alte 93erfu(j^ eri^ebt,
bte oertorene unbebingte ©üttiglieit ber religiöfen 313ot)r^eit burd^
it)re fpeltulatioe (grfaffung als „3^cc" roiebergugeroinnen.
60 energifd) t)at biefe ©pefeulation bie Ginfeittglieit ber gefd^i(^t*
li(^en ^cgrünbung ber religiöfen 9[Da^rt)eit erfofet, ba^ fie fi(^
äunöi^ft fogar leibenf(^aftli(^ babei abmühte, möglit^ft oieles aus
ber religiöfen ®cfd^irf)te, befonbers bas 2eben ^^\Uf als un*
gef(^id)tlic^ gu erroeifen. S)iefe ^inberferan&i^eit l)at man in ber
ernfter gu neljmenben ü)cologif(^en Slrbeit balb abgeftreift ober
gornic^t mitgemarfjt, aber bie ©pekulatton ift geblieben unb bie
„3bee" fud)t fi(^ kräftig i^ren 2Deg. ©ie ift \a md)t oon geftem
^cr. 60 c^arokterifiert fic^ benn bie neue fpekulatioe $l)eologie
ober Qfleligionsp^ilofopl^ie im QBefentlic^en als 2luffrifc^ungs=
fpekulation, bie bie ^^een ii^rer großen 95crtretcr oon ^lato.bis
^egel ein menig in neuzeitliche ©emönber l)üUt unb mit bem
3leic^tum neuerer ®efc^icl)tserkenntntffe ausftattct. Qlber fie
kommt barüm auc^ nic^t über bie ©c^mäc^e hinaus, bie aller
(Spekulation feit ^latos 3:agen anhaftet: fie leibet an tjoffnungs«
lofer 93lutlcere unb 933eltfrembl)eit; unb groar n{cl)t blo§ in bem
©inne, t>a^ fie fi(^ in einer fc^toierigen, fc^roerföUigen unb oon
jebem eingelnen ^opf neu gurec^tgeftu^ten SBegriffsroett beroegt,
bte fie natumotmenbig auf gang kleine ;Kreife bcfc^rclnkt unb ju
— 41 —
etner ftegf)öftcn ficbenscrobening oöHig untauglich) mac^t, fonbern
oicl bcbenfettc^cr noc^ tti bem ©tnne, ha% fie bcn 95egriff, bte
ücrftanbesmäfetge ^onaeptton überljaupt für btc ©ac^e nimmt unb
tjöc^ftens no(^ burc^ bte mgftifc^^'äft^etifc^e «ßcrfcnliung bie gütjlung
mit bem ftutenben fiebensftrom fuc^t. 3^r „lebenbiger ©ott" ift
bie geheimnisvolle ^iefe, bie fie im gnbioibuum fü^It unb anbetet,
nic^t aber ber tjartc SDittc, ber im ©angen roirkfam ift unb bas
3nbioibuum in feinen S)ienft gie^t. ©cmeinfc^aftbilbenb t)at aEe
Spekulation bis hu bicfem Sage ^öc^ftens in bem ©inne geroirkt,
als fie lockere ©timmungskreife bilbete, oere^renbe jünger um einen
9Heifter \d)atte. S)en unbebingten ®ienft am ©angen f^at keine „3bee"
ber QBett mecken können. 3t)r fe^It eben bas, was bie t)tftorifc^e
S^eotogie gu flnben t)offte: bie^raft ber^Birkltc^keit. ©ie miH gegen»;
TOÖrtig unb emig gültig fein, aber fie ift es eben nur als ©eift
über ben 2Baffern. Wo fie praktifcl) roirkfam gemorben ift, ift
fie CS nur in- ber 'Jorm ber SBeltftud^t geworben. S)as ©(^idi*
fal bes «platonismus enbet immer in ber SDüfte. S)er 95erfuc^,
bie 3bee rcIigions«pfq(^ologif(S^ ju unterbauen, fd^eint and) nidjt
weiter gu kommen: 93tan kann ben lebenblgen ©ott ni(^t aus
bem no(^ fo anf(^auli(^ bargefteUten ©d)atten in ber ^ft|rf)e ber
Sötenfc^en unb 95ölker roedfeen. S)ie mit fieibenfi^aft roiebergefuc^te
©i)ntl)efe groifdicn ©efc^id^te unb eroiger 3bee roirb au(^ t)eute
ein oergeblic^cs Unterfangen bleiben, ha bciben ber entfi^cibenbe
^uttkt fe^lt, an bem fie fid^ gufammenfinben könnten, ber fie
aber beibe aufgeben roürbe : ber ©efdjid^te bie unbebingte ©egcn=
roartsgültigkeit unb «roirkfamkcit, ber 3bee bie ^wangsoerkettung
mit ber ©egenroartsroirklic^keit unb «notroenbigkeit.
©iefcr ©cqlla unb (S^anjbbis ^at bie ältere unb neuere
^eitstatfac^ent^eologie im engeren ©inne gu entgegen gefudit, in«
bem fie bie ©efc^icl|te forool)l rooEte roie aud) nic^t rooUte. ©ie
berief fic^ auf bas t)iftorifc^e ^eilsfaktum, enthob es aber gugleic^
ber ©efc^ic^te, inbem fie ben eingigartigen (£t)arakter biefer ©e*
fc^ic^tstatfac^en bef)auptete, bie ooUkommen aus bem SRa^men bes
übrigen ©efc^e^ens t)erausfallen unb baburc^ bie übergefc^icl|tli(^e,
croig gültige 95ebeutung geroinnen follten. ^eilstatfac^en finb
fol(^e, bie, obroo^l in ber ©efd^i(^te gef(^et)en, bennod) bem kau«
falen ©efdjic^tsgufammcn^ang entrückt finb unb fo i^rc eroig
— 42 —
gültige QBa^r^clt geroinnen, ©anj abgcfe^en baoon, bofe fie ha"
burd) i^re grolngenbe ©egenroQrtsrotrIjfomkeit nur in ber 2{)eorie,
nict)t aber in 2BtrfeIicI)keit geroinnen, ijat bie ^^eologie biefer
„Offcnbarungstatfac^en" mit ber ^offnungslofen ©c^roierigfeeit gu
Kämpfen, bas ©eblet ber ^eilstatfadien abgugrcngen. 213o fängt
ber 5Bru(f) in ber ©efc^icfjte an unb roo t)iJrt er auf? Umf erliefet
er ben gangen Umfang ber biblifd^en ©efd^ic^te — bas ift blc
ältere, lionfequentere '^luffaffung — ober aber — bas ift bie
^ongeffion, bie man ber neueren ©efc^id^tsforfi^ung gemad^t ^at
— befd^ränkt er fid| auf bas Seben 3^1"? ^^^ roenn man bie
95efc^ränfeung auf btcfes fieben als auf bem 58oben ber ©ibet
mögltdj gelten läfet, roie ift bie Xatfadje, ha% biefes fieben fid) in
entfd)eibenben 'ipunKten gang auj bem SBoben uttb im ftrengften
Sufammen^ange mit ber 3ettgefct)i(^te abgefptelt f)at, mit feiner
(gntrücfet^eit aus ber ©efc^ic^te gu oereinbaren? ^ber roenn man
felbft bas gonge unlösbare Knäuel üon fragen, bte ftd^ an bles
95er^ältnis oon ©efc^it^tltcfjlieit gu llebergefc^itf)tlid|keit knüpfen,
roenn man bie Hnmöglidikeit, für eingelne roittkürlidje funkte bas
^aufalitätsgefeg aufeer ^raft gu fe^en, roenn man ferner bie Un*
burc^fü^rbarkeit ber llnterf(^eibung ron 2:atfad^en,. bie man nur
mit bem ©lauben, unb foId)en, bie man aud^ o^ne ©touben auf
normaI«roiffenfd|afttid|em QBege erkennen kann, *) au^er 93ctra(^t
fefet, man erreid)t burc^ bicfe gange S:^eorie bod) nid)t bas, roas
man roiß: bie unbebingte ©egenroartsroirklid^keit biefer §etis»
tatfarf)cn. ©ie kann nur gegenroörtig roerben burc^ etroas, roas
cntfdieibenb unb groingenb in ber ©egenroart ^ingutrltt. S>ie
neuere S)urd)bred^ung ber ^eiIstatfa(^entf)eoIogic hutd) bie
3:beoIogie bes „©eiftes" fagt genug. Sie unbebingte ©üttigkeit
ber reltgiöfen 3Dat)rt)eit kann burd^ keine nod) fo übergefd^ic^tli(^e
©efd^ic^t5tatfad)en in ber 95ergangen^eit fieser geftellt roerben,
roenn nic^t ber lebenbige ©ott in ber ©egenroart bas entfc^eibcnbe
SCort fpridjt.
3lber in einem funkte ^at bod| bie ^eilstatfacJient^coIogie
*) ^ann mon etroa bas fieben 9Ibrat)ams ober ^luguftins ober
Jockeis nur mit ober audj o^nc ©tauben begreifen? 233enn aber nur
mit bem ©louben, gibt es in bemSeben biefer aHönncr audj übcrgcf(^l«^ta
Iid)e ,;§eil6totfad|en", bie benen bes Sebens S^f« 9^^t<^ P achten finb?
— 43 —
gegenüber ber fpefeitlatben „3bce" ein ^ntcreffc ber reifgtöfen
<rBat)rI)ett ocrfo(f)ten — es tft bles ber ärocite ^unlit, an bem bte
gef(f)tc^tltc^e ©cgrünbung ber gCaf)rf)ettsgütttgfeett ber lebenbtgen
5lellglonetnenS)lcnft em)iefen()at: tte t)at bte obiekttoc, oom
SStenfc^engetfte unabt)öngtge ©üttigfiett ber religtöfen
QBa^r^ett ftc^erftelten rooUen. 5ln btefem ^öc^flen ^m
Hegen oUer Frömmigkeit ift aEe religiöfe ©peliulatton gefc^eitert.
5)ie ^etlstatfac^ent^eologte t)at ntc^t fo ganj Unrecht, roenn fie
oßer 3beent^eoIogie in 95auf(^ unb Sogen ben 95oni)urf ber
„gSernunftrettgion" mac^t. 3n Reinkultur ift biefe freilid) nur
fetten aufgetreten. 9Bir ftnben fie am retnften im SRattonatismus
bes 18. 3a^rt)unbert6, ber bte 5Ißgcmeingüttigfeeit ber religiöfen
gUa^rtjeit aus ber lehum SHenfc^engeifte inneroo^nenben 35ernunft
ableitete, bie er nur anguroenben brauche, um fie gu finben. 6onft
^at bie fpekulatioe 3bee immer nod^ ein legtes, nur ber Sn^ftik
äugängltc^es Heiligtum befcffen unb baburcf) it)ren Sufammen^ang
mit einem legten funkte ber lebenbigen Qfleligipn gema^rt. 3tber
bie furchtbare Unabhängigkeit ber religtöfen ^Ba^r^eit ©on aüen
95emü^ungen bes SHenfc^engelftes, fie felbftönbig gu erfaffen, ift
in keiner ^bcenfpekutation gu i^rem 3lc(^tc gekommen. S)afe alle
religiöfe 9Da^r^eitserkenntnis unausroeid^Iit^er, überroöttigenber
^mang unb boc^ guglcicä^ gütiges ©cfdjenk ift, t)at ber burc^ bie
©pckulation bie SDa^r^eit fuct|enbe unb fic^erfteHenbe 3I?enfc^en>«
geift nie gugegeben. ®r ift immer in irgenb einer ^orm itjr .©err,
i^r felbftönbiger ©c^öpfer, nidjt i^r ©teuer unb i^r ®ef(i)öpf ge«
roefen. ®ie unertrögli(^e 5lrrogang bes aufgeklärten 95emunft«
melers borf man freiließ ber '^hz^ eines ^lato ober ©pinoga ober
^eget nic^t gur fiaft legen, aber fie ke^rt ^ier boc^ in ber ^Jorm
eines überlegenen ©efül)ls geiftigen 5lbels unb menfc^ltc^er QBürbe
roieber. ©pekulation unb ^c^gefü^l, 3bee unb SSlenfc^enroürbe
treten immer mlteinanber ouf, roie benn auc^ atte 92l^ftik inbi«
oibualtftifc^ tft unb trofe aller S)cmut por ber SDelt ber 95erfuc^ung
bes $o(^gefü^ls, ©ott in fic^ ^ineingugmingen, nirgenb entronnen
ift. §ier ^at bie ^etlstatfac^ent^eologie unleugbar eine gang ent*
ft^eibenbe ©eite ber religiöfen 9Bal)rt)eit fieser gu ftellen fic^ be»
mü^t, inbem fie fie in einer einmal unabhängig oom Snenfc^en»
geift in ber ©efc^ic^te erfolgten Offenbarung gu oerankern fuc^te,
— 44 —
her aUeö m beugen mu^. S)tc rcügtöfc 9Bo^rf)elt Iftfet m auf
feeinc QBeife finben, erbenden, erfpckulicren, fottbem fie irtrb auf*
gegroungen unb gefcf)en!tt. 6tc ift gegenüber allem 3d)ftreben bas
grofee ^rembe, Stnnlofe, bas crft burc^ ben ©e^orfam gum ^öc^ften
©tnnc wirb.
Qlber eben btefe unbebtngte Unabhängigkeit bcr religiöfen
Wa^x^dt, bie atte Srfeenntnis überfteigt unb ^ötjer als alle SJer"
nunft ift, roirb nun burd) bie gefcf|id)tlirf|e 95egrünbung fteinesroegs
ftc^ergefteEt. ©d)on ber S^eologenftreit beroeift bas ©egenteil.
©as Unbcbingte ftreitet nid^t, fonbem es überroinbet ober —
fc^roetgt. S^fus oon ^lagaret^ roar ber kla|fifct)e Söertreter unbe*
bingter QBa^r^eit, nid^t bie um bie ^eilstotf ad^en feines fiebens ftreiten=^
ben ^^eologen. Sie ^iftorifdfje SBegrünbung ber religibfen 2Da^r*
^eit ift fd)on an fic^ ein untrüglid^es S^i^^en ber llnfirf)er^eit unb
bes 3rocifels. SDas man in ber ©egenroart ni(i)t me^r feft in
§änben f)'alt, roirb in ber 35ergangent)eit als in ^5^^ genauen
oorgeftellt. ^n ben Derfdjiebenen ©d)i(^ten bes Sllten STeftaments
erfctjeint SStofes um fo größer unb rounbermöc^tiger, je femer bie
betreff enbe 6(f)i(i)t feinem ©eifte fteljt. 3lls ber tebenbige ©eift
aus bem £eben ber (Sfjriftengemeinbe geroicl)en ropr, roarb er in
einer bis gur llnroal)rfd)einli(f)lieit gefteigerten SDunberroirftfamlteit
in bie erfte ^üngergemeinbe gurürftprojigiert. 9Benn bie religiöfe
QBa^r^eit unroirfelid) roirb, bann roirb fie in einer um fo maffioeren
©(^einroirfelidjkeit in bie 93ergangen^eit gelegt. 60 leiftet bie
t)iftorifd)e SBegrünbung gerabe bas ©egenteil oon bem, roas fie
leiften möd)te: fie gerftört tt)re objelitioe 2Dirfelid|feeit, in-
bem fie fie ber ©egenroart fernrüdit. 5)er ^iftorifdie Objefi»
tioismus ift nid)ts anberes als bie tJ^uc^t oor ber lebenbigen
Dbiefetioität ©ottes in ber ©egenroort ober bas ®t)mptom il^res
95erfatt5.
9Bir fpradjen f(f)on oon ber 5Bläffe unb praktifc^en @d|roä(i^e
einer aus Sergangen^eitstatfad^en lebenben Frömmigkeit. 3Bas
ber ^bee abgebt, bie überroältigcnbe SHlac^t unabhängiger öbjek*
tioität, bas ^at bie ^eilstatfadjenfrömmigkcit roo^l gcfuc^t, aber
nic^t nur nicl)t erreicht, fonbem nocl) femer gerückt. 9Ii(^t um«
fonft ift fie immer roieber noc^ oiet ftärker in eine ftarre, un«
tebenbige, roirklic^keitsfrembe 93egrtffsroelt hineingeraten als hU
^ 45 —
fpcfeulotioc 3bce. ©ie totrb ftc^, mmai bei t^rent «pochen auf
bte ^etlstatfacfien bes ^Ipoftolifeums, niemals oon bem ©orrourf
befreien können, ha^ i^re fogenannte öbiefitioitöt me^r auf ^n*
erfeennung feitens bes menfcf)Iic^cn gSerftanbes als auf Uebenoin«
bung feines SDillens angelegt ift. Qüeligiöfe Obielitiüitöt o()ne biefe
legtere SDirfeung f)at feein 9le(i)t auf biefen STlanten. 5)en €igen«=
roillen ber ftreitbaren Ort^obojie ntufe man feennen unb mit ber
felbftlofen ©röfee 3efu äufamment)alten, um beutlict) gu fet)en, mie
rocitenfem it)r bie roirfelic^e öbjcfetioität überminbcnber retigiöfer
Wa\)xi)dt liegt.
§icr ftofeen mir auf ben legten 6d)n)äc^epunfet aller 2t)eo-
logie unb ^römmigfeeit, bie bie 5Begrünbung ber religiöfen 9Bat)r«
fieit aufeer^atb ber ®egenn)artsroirfelicl)keit fucl|t, fei es ber ^iftori»
\(i)m ^^eologie, fei es ber fpefeulatioen 3bee, fei es ber gefcl)ic^tlic^*
übergefc^id)tlic^en ^eilstatfacl)enfri)mmigfeeit: es fel)lt bie unbc«
bingte unb unauflösliche 95erf(J^mol5ent)eit ber reli«
giöfen 9Baf)r^eit mit ber fittUdien ^orberung. ©as Un«
bebingte ber ftttli(^en'5orberung, bas nur in ber®tunbe bes ^anbelns
ooU in bie 9Birfelid)feeit tritt, niemals aber unabhängig oon ben
^orberungen ber ©tunbe, gleic^fam in abstracto, gang ergriffen unb
erlebt roerben feann, ift gu ber religiöfen 2Bal)r^eit in ein me^r ober
weniger locfeeres „QSer^ältnis" getreten, anftatt oöllig mit i^r gleii^»
gefegt gu merben. 2luf biefen entfcl)eibenben ^unfet muffen mir
ausführlich eingeben.
©eitbem es bie Hnterfc^eibung „3leligion unb ©ittlic^feeit"
gibt, ift ber 9lerö forool)l ber SReligion mie ber 6ittli(i)feeit burc^»
fc^nitten. 3n ber 3leligion 3efu ^f|rifti ift auc^ nic^t ein leifer
%aud) biefer Unterfc^eibung gu entbecfeen. S)as „9leic^" ober
richtiger bie „^errfc^aft ©ottes" ift ©nabe unb ^orberung in
oöUiger 95erfc^lungen^eit, bie nic^t einmal bie begriffliche Unter«
fclieibung äulö^t. dtt ijat nic^t etwa eine neue Steife — etroa bie
ber SBergprebigt — unb eine neue Qfleligion — etma bie ber (£r«
löfung burc^ feinen öpf ertob — gefctjaffen, f onbern beibes liegt
unauflöslicli ineinanber. 3eber ^Junfee neuer ©otteserfeenntnis, ben
er in bie 9Belt getragen ^at, ift nichts anberes als eine neue fttt»
lic^e iJorberung. ^Beifpicle: ber 35ater, ber feine ©onne aufgeben
läfet über bie »Öfen unb über bie ©uten, ift ^uqU^ ber «Utile,
_ 46 —
ber btefe ©efinnung oon ben 93tenfd^en forbert. 3)er barmherzige
3lic^ter, ber ben 3Kenf(f)en it)re ©ünben »ergibt, ift gleic^bebeutenb
mit ber tebenbigen ^^o^^berung, nic^t fiebenmal, fonbem ftebenäig»
mol fiebenmal äu »ergeben. S)er ©ott, ber bie fiiebe, b. ^. er»
löfenbe Eingabe ift, ift ibenttfd) mit ber großen t5oi^^ßiiing ber
Eingabe gum befreienben S)ienft, bie bie gange 3Ilenfd)^eit burd)=
gic^t. Sie Unterfc^eibung gmifcfien ®Qbt unb "Slufgabe madjt bie
©abe hinfällig unb bie 5lixfgabc lenbenlat)m. ^ttcs, roas ©Ott
für bie 9Kenfc^^eit tut, ift gamic^ts anberes, als mas er in i^r
an ^orberungen feines ^Biüens oerroirfelic^t. S)orum ift es eine
gang ft^roere 95erirrung t^eoIogif(^en ©entiens, bie auf lieine 9Bclfe
burt^ „mettjobtfc^e ©efidjtspunlitc" gered^tfertigt merben feann,
roenn 5)ogmatik unb ®tt)ik ooneinanber getrennt roorben finb, rocnn
aud) angeblid) nur als „graei oerfrf)tebene Seiten einer ©adje." S)ie
beiben ©eiten fefjen nad^ ber S:rennung teiber Ijoffnungslos »er»
frfjieben aus: bie ©ogmatife roirb gum 6treit über bie ^iftorifc^c
©egrünbung unb bie gebanfeIict)*oernunftgemöfee SReditfertigung unb
Sarftellung ber religiöfen Q[Da^r^eit unb bie ^Ü)ik gur ^afuiftife
ber fiebensfü^rung. 9Han oerfidjert wof)l nod) red)t lebhaft, ha%
bie S)ogmatik in ber prakttfd£)en Serroirklic^ung • im Seben i^re
^rone finbe, aber man fet)e fid) einmal eine richtige „©ogmatik"
an, um ben §ot)n biefer 95erfi(^erung gu envpfinben! '^n ber
®tl)ik aber üerfid^ert man ebenfo eifrig, fic fei nur bie praMift^e
^tnroenbung unb 23em)irfili(^ung ber Sogmatik. S:otf(i(^Ii(i^ af>^x
ift fie ein 2el^rfi)ftem bes freien menfc^lidien §anbelns, bas oon
bem göttlidjcn §anbeln nur gu unabhängig fi(^ gebärbet. SHan
braudjt fid) nur gu übergeugen, roeld)e SloIIe ber 95egriff ber
„3BilIen5freit)eit" in ber (£tl)ife fpielt, unb mon roel^ genug, ©ie
t^eologift^e Slrennung oon ©ogmatik unb (£tf)ik ift nichts anberes
als bie fünbige ^ruc^t ber 3tbfeapfelung bes etnmol ooUgogenen
^eilsmerltes oon ber lebenbigen religiöfen 2Da^r^eit in ber ©egen»»
roart. S)ie eifrige 95erfid)erung, ba% bie 9täd)ftenliebe bie i5rud|t,
bie natürlid)e ^olge ber (burd) bas ^eilsmerk gemediten) ©ottes«
liebe fei, ift nur ber ^lusbrucR für bie S:atfac^e, ba^ man bie
unauflösliche (£inf)eit beiber unb bamit beibe oerloren f)at. S)er
©egenfa^ »©efe^ unb (Eoangelium" ^at nur ^Berechtigung in bem
^lugenblicfe, roo fic^ bie 9^eltgion 3cfu ous ber ©efeöcsftarr^eit
-^ 4:1 ^
^exdüsQr&etten mufe. 9Bo has (Eoangcitum ipirfelid) f)errf(i)t, tft
blefes bas neue ©cfefe, bas als folc^cs ntc^t im ©cgenfafe, fonbcrn
tn oölltgcr 95erfcf)mclsung unb 3bentifiäteruitg mitbem eoangellum
auftreten barf. Stur eine gänsIicEie 25erl?cnnung ber ®nabe ©ottcs
Kann biefe in ben ©egenfafe ober in ein „©erpitnis" gum fitt*
ticken ^anbeln bes 9ncnf(i)en bringen, ©ie ift bie SDerroirfelic^ung
bes eroigen fittliciien SBiUens im QHenfc^en. *)
Siegt biefe ©runblage oHer lebcnbigen 3leIigion unerfc^ütter^
tt(^ feft, ha^ bie religiöfc 333a^rt)cit unb bie fittlic^e ^orberung
eine unauflösliche (Einheit bilbcli,**) bann tritt crft bie SHotroenbig-
lieit, bie unbebingte ©ültigfeeit ber religiöfen 313al)rt)eit in bcr
*) 2Btr muffen t)ter Iturj auf bie grofee 55cntrung bes proteftan*
tifdjen S)cnfecn5 eingeben, bie fiel) in ber grage fpiegelt, ob gute SBerfee
äur 6clig6eit notroenbig feien. 3« tiefer grage kommt eine boppettc
Abirrung oom eüongclium ^^fu 3""^ ^tusbrudt, bie \id) mtc ein tragifc^es
©efc^ick an bie aUeformattonsfeirdie gel)eftet ^at. ®te erfte 2lbtrrung bc*
trifft ben ^Begriff ber „guten SIBerfec", bcr fid) auä) in ber SReformattonS''
Mrcl)e nic^t oon ber ©efeöesftarrt)eit ber ^apftMrrfjc t)at löfen können.
©Ute SBerke gibt es garnidjt auf bcm ®obcn ber 9leltgion S^fu, fonbem
nur Eingabe an ben ©ottesmillen, ber alte ©injelroerke auftjebt unb uer*
fdjlingt. ®ie groeite 5lbirrung betrifft ben ©runbäug, ber fid) aus Sutliers
perfönlid)er Sebcnserfo^rung ber Frömmigkeit ber eoangelifrf)en Äirdje
eingeprägt t)ot, als lianble es firfj in ber religiöfen Sebensbefttmmtt)eit um
bas Streben nad) ber „Seligkeit". ®ie (Erfahrung ber Seligkeit, bes
griebens, ift bas entfi^eibenbe Sqmptom ber religiöfen Sebensergriffen*'
^eit, aber nt(f)t ^n^alt unb Si^l« 3^^ 3i^l ift nidjts als bie SBerroir^*
licl)ung ber ©ottes^errfc^aft. ^nv biefe ift felbftoerftänblid) bie unbebingte
Eingabe an bzn ©ottesroillen notn>cnbig, fic ift fogar bamit ibentifd).
©rlöfung ift bas öineingeriffcnroerben in biefe Eingabe. ®ie „Seligkeit"
ift nid)ts anberes als bas beglü&enbe Slnseidjen bes roirkenben ©ottcs*»
miltens, ber als ©nabc hzn SKenfdjen übernjöltigt, ober als fittltdjc gor«
bcrung (mas basfelbe ift) il)tt binbet. ®lc religiöfc gragc, bie fid) in
jener Streitfrage ber SUcformationskirc^e fpiegelt, lautet fo: 3ft für bie
93cm)irklid)ung ber ©ottes^errf(^aft ber menf(^ltd)e ©tgenroille (bas Icöte
SJlotlo bcr fog. „guten 3Berkc") notroenbig? ^ier kann man getroft mit
^msborf fügen: er ift birekt fiäblid). (£r ift nämltc^ bas öinbcmis ber
®ottcsl)errfd)aft.
**) ©afe aud) bie Sittlid)keit o^nc bie oöUige 93erfd)lungen^eit
in bie SRcligion unbcnkbar ift, bebarf kaum nod) eines SBortes. Ser un*
bebingte S^araktcr bcr fittlid)en gorberung ift ber Slusbrudi i^rcr reli«
giöfen Söcftimmt^eit. 9lur eine Sluffaffung, bie bie Slufaä^lung unb
— 48 —
Icbenbigen ©egcnroart gu oeranlicrn, ooll Ins fiic^t. S)ie fittltd^e
i5orberung, btc über betn fiebcn ftetjt, tritt In if)rer unentrinnbaren
©ültigfeett garntc^t anbers in bie QBirfelic^keit als burc^ bie
^orberung ber 6tunbe. ^cin ©efe^ ber SBelt t)at auf anbere
SBeife feine unbebingte ©ültigfeeit für ben SHenfc^en ober für bie
2nenf(^I)eit geroonnen als burt^ bie furd)tbare Stot ber ©tunbe.
5lIIe ©ebote bcs ©ittengefefees ^aben nur als Srfai^rungsnot*
rocnbigfeeiten ©ültigfeeit erlangt, ©old^c „(Erfafjrungen" können
geroi^, }e nac^bem mt tief fie griffen, ^ö^t^nnberte unb S^^t*
toufenbe nadigittcrn, fo ha^ fie fijeinbar bie ©ültigfieit bes ©e=»
botes ol^ne erneute ©rfa^rung für immer feftlegen. ®er ^lud^
ber fiüge kann beifpielsroeife oon einer ©eneration fo furdjtbar
f(^n)er erlebt roorben fein, ha% eine ja^r^unbertelange forgföltigfte
(£r3ie{)ung gur ^a^r^aftiglieit bie '^oIq^ ift. ®as ^riegserlebuis
ber ©egcnroart ^at beroiefcn, ha^ 95ergongen^eitserfa^rungen oor
ben elementaren Urlträften bes Sebens rote 6taub oerroe^en Rönnen,
unb ha^ erft bie immer erneute ©rfo^rung bie eroige ©eltung bes
©efc^es oon neuem fic^erftcUt. ^elc^rung, ©eroö^nung unb (Er»
gie^ung können eine fe^r roertooUc ©runblage für bie fittlic^e
SBcftimmt^eit bes SÖlenfc^enlebens fein — bie urtt)cbingte ©ültig»
keit geroinnt bas ©ittengefeg für ben 9HenfdE)en erft oon bem
21ugenbli(ke an, roo aud) er an irgenbeinem funkte biefes ©e»
fe^es oor ber furd)tbaren Waf)l ber ©tunbe ftetjt: Seben ober S:ob.
9Han roenbe ni(f)t bagegen ein, ba% kein 9Henf(^ ben ooUen Um«
fang aller ftttlid^en ©ebote oon neuem burd)erfat)rcn kann. 3>as
©ittengefeg ift ein eint)eitli(f)e6, unb ein ^unkt, ber bie unentrinn»
bare ©ültigkeit feftfteEt, entfc^eibet über bas ©anje.*) gjlan roenbe
au(^ nicf)t ein, ba% ungegäljlte ®(^aren oon 92tenf(^en bie un»«
bebingte ©ültigkeit bes 6ittengefeöes nie in itjrer ooEen Siefe
erleben. ®as ift eine Slatfadje: fie get)cn groifc^en hm 3lbgrünben
^tftortfd)e Scgrünbung oon S:atfa(i)en, bte man ®ogmatife nennt, mit ber
reltgiöfen 2I5a^rt)ett oerrocdifelt, kann mit einem Sd)etn bes SRedjts oon
einer felbftänbigen Stttlidifeett fpred)en. 9lcltgtöfe 213al)rt|eit unb Sitten*
gcfeö finb nur oerf(^tebenc ^Xusbrucfesformen für bie gleidje 6a(^e, bie
man Icbenbiger unb kräftiger als ben „Sßillcn ©ottes" bcgcldjuen mürbe.
*) Stuf bie (£in^eitlt(^feett bes Slttcngefeöcs ober ber reltgiöfen
SCa^r^eit kommen mir fpäter nod) jurück.
— 49 —
unb bcn croigcn $öl)cn tjtnburc^, o^ne ftc gu fe^cn. ^ür fte roirb
ftcßocrtrctenb erlebt unb gelitten oon benen, in bencn bas ^öc^fte
Sebcnsgcfeö feine unbebingte ©ülttgfeeit erroctft. 3n jenen fc^roingt
es nttc^, n)ic in ber Sltaffc bcr ^örer ber 2on bes Äünfttcrs, unb
feöt fic^ öuf biefe^cifc au6) bei i^nen burc^. 3n QUen formen
bes fiebens, auc^ ben pc^ftcn, fee^rt bas ©.?feö uon ben ^cm»
punliten unb ^ngliebcrungen roiebei.
(Ein ^Innjanb aber wirb uns ausführlicher gu bcfc^öftigen
^aben. QBirb nic^t burc^ bie ©ebunbcn^eit bcr unbebingtcn ©ültig*
Iieit bes ©ittcngefeges an bie immer erneute ®rfaf)rung biefe emigc
©ültigfecit felbft in ^rage geftcttt? 3Birb nic^t baburc^ gerabe
bos roieber in bie 9Bett bes ©ittengcfeges eingeführt, roas man
ben „empirifcf)en (S^arofetcr" nennt, eben jene QInmafeung, bie aüer
religiöfen Sebcnsbeftimmt^eit fo fi^arf guroiberlöuft, bie nur bas
oIs roirlilicf) anerkennt, mas fid) „ejperimenteU beroeifen" läjjt?
§ot nidjt gerabe bie eroige „^^ee", bas apriorifc^e 95ernunftgc»
fe^ Äantö biefe ®efaf)r enbgültig befeitigt? 3ft nic^t mit bcm
Crfa^rungspringlp au(^ roicber bas oUerflat^fte Stü^Iii^feeitspringtp,
bas bas 93rau(^barfte ausprobiert, in bie fittlic^e 9Bett eingeführt?
5)as fd^eint nur fo. S)enn bie (Erfahrung, oon ber ^ier
bie 9flebc ift, ift eine grunbfö^Iid^ anbere als bie €rfal)rung bes
ausprobierenben (Ejperiments, bas ber SHtcnfii^ unternimmt, um
etroas für fid^ Söraudibares unb ^örbernbes ^crausgu^olen. S)ie
Srfa^rung, bie bas 6ittengefe§ ftabilicrt, roirb gang unob^ngig
oon aßem 2Dotten unbJSut^en bes 9Henfd)en, ja gegen feinen
SBiUen ipt einfach aufgejroungen. 'Zf)x QCefen ift bie jcr«
fdjmcttembe SJtac^t, bie bcn ^igenroiUen bes 9Hcnf(^en als finnlos
erroeift, i^n oor ben 2lbgrunb ftellt unb gum unbebingtcn ®e»
t)orfam groingt. O^nc bicfcs „25crbrcnnc, roas bu angebetet t)aft,
bete an, roas bu oerbrannt ^aft" tritt feein croig gültiges ©efc^
in bie 9Birfelict)fecit. gSor bem neuen ©e^orfam liegt immer bie
^obesnac^t ber SSergroelflung : „3<^ elenbcr Snenfct), rocr roirb
mic^ crlöfen oon bicfem Sobesleibc?" Stur ber S^Jang, alle
©rücken hinter flc^ abgubrec^cn, fü^rt gu unbebingt gültigen
fiebensgefegcn. 3n bem (S^arafeter bcr Srfa^rung felbft liegt bas
unbebingt ©ültigc, bas burc^ nicl)ts anbcres in ber 9Bclt gc*
fc^affen unb fcftgeftellt roerben feann. ^uc^ bie „3t>cß"> ^uc^ bas
S. ^eitmann, ©rofeffabt unb Qletigton. 3. Sieit, 4
— 50 —
croige 95etnunftgcfeö Iionn nlt^t annäi)ernb ctroos ©Icidiarttges
unb ©Ictc^itjcrtlges fc^affen. Sas ^ontifc^e 3KoraI;>rlttätp : „%anbk
fo, ba^ bte sntajtme bctties OBlttens sunt ©efc^ bcs allgemeinen
J^önbelnö gemacht nserbcn feonn" mag aßen 9Henfd)en überjeugenb
etnlcu(^tenb"fcln. 3^^^^^" ^^^\^^ groingcnben 95ernunftgemä^^ett
unb bcr n)trfeli(^en unbebingtcn ©ültlgkeit liegt aber nod) ein
unüberbrüdiborei: 3lbgrunb. €s ^at Im gangen ^Beltferlcge roo^I
Itclnc Station unb feelnen 9Ilcnf(^en gegeben, ber bem ^anttfcl|en
^prlnglp nlc^t mit ooHer Siiö'^it^ gugeftlmmt ^ätte. 92tan ^at
aber oergebllc^ nad^ bem 3Jlenfd^cn |u(^en Können, ber ble un*
beblngte ©ültlgfeelt blefes ©efefees baburc^ berolefen ijätti, ha^ er
unter feinem unentrinnbaren 3"'önge hamad) ge^anbelt ^ätte.
®as ©efeö bcs 3:obes be^errfc^te ble 3Bett, bem unentrinnbar
oUc oerfaUen marcn, unb eben bur(^ blefe furd)tbare STlot ber
©tunbe, hrnd) ben 5Ibgrunb, oor ben ein ge^elmnlsooll unfaßbarer
9BlIIe ble SDelt bröngte, warb ble ©üttlgfeelt, mell unentrinnbare
Jlotroenblglielt eines neuen ©efefees In ble 3BlrMld)kelt elngefülirt.
S)as ^aben gemlfe nldjt alle einzelnen 95ölfeer unb 3Jlenf(i)en In
feiner furctitbaren fiebenblgkelt unb Unausroelcfillc^&elt gefc^aut;
gefüllt unb geahnt ^aben es alle. Unb roenn *es nur In roenlgen
ober nur In einem elnslgen 3nenf(^en In feiner ooßen ^lari^elt
unb Unentrtnnbar&ett lebenblg geroorben Ift, bann Ift es mleber
In ber QBelt, ble l^m nun nld)t me^r entroeldjen kann, ©o tritt
bas eroig gültige 6lttengefe^, fo ble unbeblngte rcllglöfe SBa^r«»
Iielt In ble 9BlrfeItcf)kelt: In ber (£ntfct)elbungsftunbe srolfc^en fieben
unb S:ob rolrb fle Immer neu lebenblg. ®le rolrb nlcfjt aus all«
gemeinen Stotroenblgkelten berolefen, fonbern Immer roleber Itonliret
neu gef(^affen. ©le Ift ble lebenblge i5o^berung ber Stunbe unb
Ift boc^ eroig, QlBer fle fcfjaut, bem fällt es „role ©t^uppen oon
ben klugen", ober feein 95erftanb ber 9Belt kann fle elnleuc^tenb
unb rolrkungskröftlg machen, es fei benn ble ^arte unb gütige
Sölac^t bes fiebens felbft, ble fle oon ©rolgkelt gu Srolgkelt In
Itirem ©c^oße trögt.
3n blefer ©ebunbenljelt ber unbcbtngt gültigen rellglöfen
9Baf)rt)ett an ble Immer erneute, aufgejroungene ^rfa^rung liegt
es nun aber auc^ bcgrünbct, ha^ ble SDlrkllc^kelt objeküo gültiger
rcltglöfcr 9Ba^r^elt gang unauflöslich oerknüpft Ift mit einem be»
— 51 —
ftttntnt öcrirf)tctctt prafetlfc^en ^anbcln. „OBcr ha fagt: ^c^
fecnitc t^n, unb pit feine ©ebote nid)t, ber ift ein fiügner, unb
in folcfiem ift keine 2Bat)rI)eit/ (1. 30t). 2. 4) *) Um einige
©eifpiele ^u enoö^nen: Sie rcligiöfe ©erol^^eit eines eroigen
Sebens ift gong unaupsltd) gefenü;)ft an ein beftimmt gerichtetes
pra&tifc^es ©egenroartslebeit (ber fc^einbare S)oppetfinn ber £^<o7j
aicövio? bei Susannes). Wo biefe pralitifd)e ©ebunben^eit bes
irbifc^en fiebens an einen Rotieren fiebensroillen ntc^t ift, ift auc^
nicmats bie unbebingt fieg^afte ©erot^^cit eines ewigen fiebens.
5)urd| ben 95erftanbcsglauben „angeeignete" §eilstatfa(i|en finb
nur ein ©urrogat ber unbebingt feftfte^enben ficbcnstatfac^e.
ferner: ber atte ^mäjt überrpinbenben Siebe ©ottes ift nod) nie
ein Sölenfcf) geroife geroefen, ber nic^t felbft in bie gro^e Eingabe
bes fiebens pralittf(^ ^ineingcsnjungcn rourbe. S>as bie Siebe
©ottes beaeugenbe ^eilsroerfe bringt nic^t erft als fefeunbäres
^robukt, nacfibem es als primäres htn §eitsglauben gefc^affcn
f)at, au(^ bie praktifd^e SBruberliebe ^eroor, fonbem feine Siebe
lebt unb oern)irkIid)t fid) in biefcr. „60 jcmanb fprid)t: 3<^
liebe ©Ott, unb Raffet feinen 95rubcr, ber ift ein Sügner", b. ^.
er ^at bie Siebe ©ottes nur in bemfelben 92ta^e, roie fie praktift^
wirb in ber SBruberliebe. ®as ift nidjt etwa ein gurückfaHen in
bie Q23erkfrömmigkeit — fo pflegt bie proteftantifdje, irrig geleitete
©ebankenfü^rung ber 6ad|e gegenüberäuftc^cn — , als ob baburc^
bie ©nabe ©ottes roieber abhängig mürbe oom €igcnroillen unb
(Eigenfi^affen bes 3Henfd)cn, fonbem bie praktifdie Sruberliebe ift
garkein Sigentun bes SHeufd^en, fonbem in i^rer magren
Siefe nur möglich als 3leu^emng bes pr ooUen ^ö^ngabe fort=»
reifeenben ©c^öpferroülens ©ottes. Sltle Humanität, bie fic^ als
religiös unabf)öngig, als QBerk bes freien 3Ilenfcl)cn gcbörbet, ift
nichts ols ocrkappter Egoismus, ber miebemm ibentifd} ift mit
©ottloftgkeit.
*) aHan kann für bicfc ©runblagen aller religiöfen 2Ba^r§elts*
erkcnntnls nur immer mtebcr auf bas ^ofianmszvanQdiam unb bie
^o^anncsbrtefe ^tmocifen, in benen fie t^re klafftfdjc Formulierung finbcn,
weil ftc ^tcr \d)on gegen bie „©cfcf)td)te" unb bie „^bcC' kämpfen muffen,
roä^renb fie im ©oangcltum 3efu als ixo6y oöUig unangetaftete 93oraus»>
feöungcn urfprünglid)ett Sebens, alfo unberoufet, fcftlicgcuv
4*
— s^ -
5n blefer Oebuttben^ctt on eine prakttfc^c fiebensbeftimmt^'
^ett liegt nun aber aud) bas eingige ^terium bct Objektioität
ber religiöfen 9[Da^rI|cit. <£s gibt feeinen unontaftbarcn Sölofeftab
für bie 3BirfeIi(f)fieit religiöfer QBa^r^eit, in keinem nod| fo ous*
fü^rlit^en, i)lftorij(^ unb biblifc^ begrünbeten 95ekenntnis, in keiner
^ierart^ie, in keiner Söcrfantmtung ber ^Beifcften ber QBeifen,
oufeer bem eroig gültigen 95ekenntni0 ber '£at „2In i^ren 'Stiid)tm
foUt i^r fie erkennen", bas Ift ber eingige ©croeis für bie wirklich
oor^anbene, unumftö^Iii^ gültige religiöfe ^Ba^r^eit. S>ie Sat
allein ift eroig neu, fie ift nur als ©egenroartsereignis ooUgültig
unb äroingenb. 3llle 35ergangen^eitstaten fallen iti nicf)ts äufammen,
wenn fie in ber ©egenroart ni(^t lebcnbig roirkenb finb. ?lun ift
freili(^ ni(^t attes „S:un" f(^on eine Zat int lebenbigen religiöfen
Sinne. 3Bir ^aben ^ird)en mit einem unermüblic^ klappemben
9lpparat eines Dielgeftaltlgcn Betriebes, mir t)aben Scitalter mit
einer magren ^Irbeitsrout erlebt, in benen ber f(^affenbe ®ott, bie
Icbenbig roirkcnbe religiöfe QBa^rt)eit oöUig tot roaren. Sie SBe«
triebfamkeit unb bie fdjaffenbe Zat get)ören in groei gang oer-
fd^icbene QBelten. S)as 333efen ber burd^ bi§ Qfleligion beftimmten
Xat ift oöttig felbftlofe, fid) gans oerlierenbe Eingabe an ben
großen fiebensroillen, aus bem fie fliegt. 2Bo biefe Eingabe ift,
tta ift bie 2Bal)rt)eit, benn ha ift ber eroig f(^affenbe fiebensroiüe,
ber bas gange 5)afein in fid) liineingegogen l)at. Sie 95ollenbung
biefer Eingabe ift ber 9Ilafeftab ber objektio oor^anbenen 9Ba^r««
^eit. Sie fclbftlofeftcn aitenfc^en ^aben bas ooUgültigfte Urteil
über hit eroig gültige 9Bat)rt)eit. „fiaffet euer Siä^t. leud^ten oor
ben fieutcn, ha^ fie eure guten 2Derke fe^en unb euren 95ater
im ^immel p reifen." 9Bo bas bie 3Birkung bes ^anbelns
ift, ha^ es ben ^anbelnben DÖUig oergeffen unb gurüditreten unb
nur bie gro^e fd)affenbe ^aft b^ter bem ^anbeln a^nen, auf*
leuchten unb roirkfam roerben läfet, ha ift bie 9Dabr^eit,
nirgenbs fonft in ber gangen 9Belt. Senn ha ift bie Objcktioität,
bie ben ©igenroiUen roirklic^ überrounben ^at. Sie allein f)at ein
Sflet^t auf biefen Flamen, kein „roiffenfc^aftliclies Ergebnis", keine
„erotge 3bee" unb keine „biblifcl) begrünbete §eilstatfoct)c", fo
eifrig i^re Objiektioitöt auc^ betjauptet roerben mag. ©o oft ber
lebenbige ©Ott biefe felbftlofe Eingabe aus bem Sunkel eines
— 5S —
crbgeöunbcncn (ggolsmus rolcber oufteu(f|ten löfet, fo oft ftrof|It
bfe ©onne einer eroig gülttgen 3ßa^rt)ctt burc^ bie 9lebcl menfc^«
Itd)er ©dietncrfeenntnts ^inburc^. 9lur oon ben Sötenfc^en ber
großen Eingabe gtlt bas Wort: „^f)t feib es itic^t, bie bo rcben,
fonbern eures SJaters ©etft tft es, ber burd) euc^ rebet." S)tc
fetten ber großen £>pfcr!iraft finb aud) bie Selten ber großen
Offenbarungen. 9lur roo bas fieben in biefer 9BeIt im tlcfften
©inne oerloren rourbe, ift es im ^öc^ften ©Inne gewonnen roorben.
^ler Hegt auc^ bie burct)fct)Iagenbe gurüdiroelfung bcs SJorrourfs,
bie SBe^Quptung ber reinen ©egenroartsroirfellc^iielt aßer ooIIgüI=»
tlgen rellglöfen 2Bat)rf|eit oertragc ficl^ nlc^t mit ber rettgiöfen
^orberung ber S)emut. 9lur roo blcfe Int ooHen 6lnne oor^anbcn
Ift, Ift bie enilge 9Bat)r^elt gegenroärtig.
91un erft ^aben mir bie 95a^n frei für unfere 95eniü^ungett
um bie Srfaffung unb ©arfteUung ber rettgiöfen 9Baf)r^elt. 9Dlr
können blefe 2lufgabe gamldjt löfen, wenn mir fie nid^t Im un«
auflösttdjcn 3ufamment)ange mit ben profetlfc^en Lebensfragen bes
gegenroärtigen gettalters angreifen. 9Ba^r^cit unb 'Jlrbeit, rcttglöfe
Erkenntnis unb flttttdjcr QBlIle, geiftige unb prafetlfctie Stotrocnblg«
kelten laffen \id) gamld)t oonclnanbcr trennen. Wzil mir bie
cmig^güttlgc 9Ba{)r^elt fuc^en, muffen mir fie in ber unmittelbaren
©egenroart gu crfaffen ftreben. §ler nur kann fie als uncnt«
rlnnbarc SJlotroenblgkelt uns entgegentreten. 31* ßs rid^tig, ha^
in ber ©rofeftabt ber ncugeittldie ficbensftrom am gentralften pulft,
bonn können mir nur fprect)en oon ber „rettgiöfen 9Bal)r^elt für
bie ©ro^ftabtroett" unb fprec^en burct) blefe 95erknüpfung nldjt
ctma l^ren rclatto*güItlgen, fonbern gerabc l^ren abfolutcn S^a«
rakter aus. Qßcnn ber 3)ld)ter ber eroigen 3bee fagt: „9Ba5 ]iäi
nie unb nlrgenb ^at begeben, bas allein oeroltct nie", fo muffen
mir bas gerabc ©cgentell be^oupten: 9lur bie eroig flc^ er«
ncuembe ©egenroartsrolrkttc^kelt Ift bas geugnls oon ber ^Bo^t»
^elt, blc nie oeraltct.
S)amlt ift nun frelttc^ nlc^t ausgefproc^en, ha^ bie 3Bat)r*
l)elt In ber ©rofeftabtroelt glelc^fam role In 6teln genauen oor
uns Hegt. Solan mufe olelme^r fagcn, ha^ bas ©egentell ber ^aH
Ift. ©aran kann nac^ unferer ^Inal^felJer rettgiöfen Sage In ber
^ro^ftabt TOO^l kein ^roelfel fein. Qlbcr bas Ift barin ousge«
— 54 —
fprod)cn, ha% eben aus btcfcr fiage her ©rofeftabt btc religiöfc
3DaI)r^ett als itnousroeic^Ii(f)c SRotroenbigkctt, als unbcbtngte fttt*
Itci^e ^orberung rolebcr tierousfprtngt. ©arum ftc^^t unferc ©ar*
fteUung auc^ unter bem ©cfamttttcl: „®le rcltglöfe ^Ba^r^ctt
für bie ©rofeftobttDelt." ®ie®rofeftabt ift eben auf betn«punfete,
roo btc 9lot ber 6tunbe, ber (gntföjetbuitgsgToang grotfc^cn Seben
unb ^ob ketnen anbem 'Slusroeg mc^r guläfet. 9Btr finb tn ber
©ro^ftobtcntrotdilung ruteber an bem S)urd)bru(j§spunlit ber crotgen
9Baf)r^ett angelangt. 5)o(^ beoor wir uns btcfer ©egenroartS'«
n)trKIt(i)Iieit guroenben, muffen mtr unfer 2luge nocf) auf bie ge==
banlili(^e unb fprac^ltc^c §orm rtt^tcn, in bie ft(^ bie rcligiöfe
^Ba^r^ett, eben roeil fie unauflöslich mit bem flutenbcn Sebcns*
ftrom oerbunben ift, if)rer inneren Slatur nac^ lileibcn mu§.
4. S)te Sprqd^e ber lebenbtgen 9leIigton.
S)le 95erfeapfcIuTtg unb SJerftüc^ttgung ber rcligiöfen ^a{)r-
{|cit burc^ bas SBu(^, bie §eilstatfa(^cn unb bte 3bcc fpiegelt fic^
bcfonbers beutlic^ in ber 95ergen)alttgung, (gntortung, 95cr!inö(^c-
rung unb abftrofeten QSerlilaufuItcrung ber gebankltc^cn unb fprac^*
Itcf)en i5orm, in bte jie etngcfcf)nürt roorben tft. Sic (Jragc nac^
bem gebonktidien unb fprad^ttd^en ©eroanbe ber 3leItglon Ift
feeinesroegs eine untcrgeorbnete iJrage begriffnerer, p^ilologlfd^cr
unb liünfttcrifc^er ^latur, bie man fo ober fo löfcn kann, o^nc bas
innere SBefen ber religiöfen SDa^r^eit gu berühren. Söielme^r
Pngen ^ier QBefen unb ejorm fo eng ineinanber, roie bie innere
SBeftimmung eines organifc^en Körpers unb feine äußere ©eftalt.
Ginc Sßerbilbung nat^ aufeen bebeutet immer irgcnbroeti^c ^Ser*
kümmerung im S^^nern. ^Das „5DaI|r^eit" fein unb als „2Da^r*
tjeit" wirken roiH, mufe roa^r unb feriftaUklor fein bis in bie
äu^erften 6pi§en feiner Slusgeftaltung. 9Bir beuteten bereits an,
ba^ fd^on in ber 'goi^wi i>cs "^Ipoftolikums mit feiner trodtenen
2Iuf3(it)Iung oort Satfac^en, bie nic^t unmittelbar ins Seben greifen,
fc^on in bem roeltfremben unb abftrakten ©eroanbc ber »3^6«-*
untrügliche Slnseidien bafür liegen, bafe beibe ber lebenbigcn rcli*
giöfcn 9Da^rf|eit nid|t ©enüge leiften können.
35on bem Augenblicke an, in bem man 9Ba^rl)eit unb
fieben als Gin^eit ficf)t, ^ört bie SHlögtic^keit auf, bie «IDa^r^eit
in ein logifc^es ©ijftcm ftarrer fiinien su faffen. 3^rc 95er-
fd^Iungen^eit mit bem flutenben fieben forbert es, aud^ in i^rcr
gcbankiic^en ^orm sum 2lusbruck ju bringen, ha% fie ein road^s-
tümticlies ©ebitbe, eine \iäj entroickeinbe fiebensmac^t ift. ^^h^t
95erfucö, ein „©tjftem ber ©laubensle^re" aufgufteüen, ob nun in
ber ^orm einer ^aragrap^enfammtung (bie meiften ^Bekenntniffe),
ober ber altproteftantifc^en ©ogmatik, ober ber SScmunftt^eoIogic
ober einer „miffenfc^aftttc^cn" ©arfteüung, ift nic^t nur ein ©It^»
obmü^en um bie Oüabratur bes girkels, fonbem bereits eine
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grunbfäöltdde 93crltümmemttg unb 95crlcugtiung bcr Icbcnbigcn
rellgtöfen 323a^r^cit. ©orunt ift bte ©efc^icfite bcr ©ogmatlfe
bur(^gcf)enbs ein tragtfd^es gcitönis üon ber ©ntortung bcr rcll*
gtöfen 213a^r{)cit, bie ftc^ am fc^Itmmftcn tn bcm 9Htprauc^ bcs
Sucres bcs fiebens, ber 95ibcl, als einer ©ammlung oon SBcrocis-
fteUen für clnäclne Sci^rfä^c äußert. 9Btr ocräiditen borauf, tn
btcfcs £abi)rtnt^ ^Inobäuftetgen. (Es tft ©efal)r üor^anben, ha^
man aus i^m nt(^t rcteber ^erausftnbet. Um bcr ©ercj^tlgftclt
mtnett muffen mir frciltd^ fögcn, bafe es innerhalb bcr ©ef(i^l(^tc
tmmcrfjtn SlnfS^c SU einer organif(^ einl^citlic^en SarfteUung bcr
rcligiöfen SBa^r^eit gegeben I)at. ©as gro^e fiebensrocrk bcs
Orlgenes mar ein 93crfud), bic religiöfe QBa^r^cit burd^ bie leben«
blge ^ellcnifdic ©peliulation gu crfaffen — es mar cntf(^icben
me^r als bie ^luffteUung eines 6t)ftcms oon £ct)rfä^en. ©clbft
bcs großen ©diolaftilicrs ^fjomas QBcrfe entbct)rt nirf)t bcr Icbcn-
bigcn 2lr(i)ite{itoniI{, aber bie in ber ^apftMrd^c ooUgogcnc innere
€rftarrung ber Wal)xf)üt l^at aud) i^r bas ©cprägc ber Sobes-
ftarre gegeben. 2IteIanc^t^ons loci communes finb ein fdjönes
Scugnis bafür, ha^ bic ^Reformation bic lebenbigc 9Ba^r^eit ans
fiic^t geholt ^attc. ^bcr i^r organlft^cr Aufbau oon bcm leben«
bigcn 9Jlittctpunfet ^cr feonnte bic ®c6enntniscntn)icfelung nid)t
aufhalten. 5)ie ftaattic^e Anerkennung mit i^rem iuriftifc^cn ^or*
mulierungsäroange mar in bcr ^Icformationsfiird^e gulc^t bo(^ ein
burdifc^Iagenbcrcr ©efi(f)tspunfit als bic lebenbigc SarfteUung.
6d)liefelicl) ^atte unb t)at bie 2leformationsliirc^c noc^ bie Sibel,
bie im legten ©runbc aUcr 6i)ftcmatifierung f^jottet. fintier mar,
mie alle Icbcnbigcn 93erftünbiger bcr Qtcligion (bas gilt fclbft für
ben 6c^riftgclet)rten ^aulus), kein @;)ftematifecr. ©eine 95crfuc^e,
gu formulieren (mie ctma im ^atccl)ismus unb in bcm ©ntrourf
ber ©(^malfealbifc^en 5lrtifeel), fahren fo lebenbig grobbrö^tig ha*
i^cr unb fpringcn fo frifc^ über aUc ©efege abgirfeclnbcr unb ab*
mögenber ©ijftematili ^inmeg, ha^ man fic nit^t in bic ©cfc^i(^tc
ber 5)ogmatife einreiben kann. S>cr gro^c rcligiöfc Scnfeer ,bcr
iSHeuseit, ber jum crften 9Halc roieber bie rcligiöfc QBa^r^cit oon
einem Icbcnbigcn Sölittelpunlit ^er *) entroicfecltc unb aufbaute,
*) ob es bcr Snittclpunftt wax, bleibe ^icr außer Sctrad&t.
57
6cl|Ielermo(^cr, berocgte fl(!^ ju fe^r In bcn ©efllben ber „3bcc",
als ha% er neben feiner t^eologlft^en t^oi^^ifeuno tn ble ktrd)Hc^c
«prajls ^meingerölrlit ptte. ^n einheitlicher 2lrc^lteIitonlk f^at
l^n Keiner feiner 9lac^treter erreicht: man Ift gu „^tftorlfc^" unb
gu „rolffenfc^aftllc^" gcroorben, fobafe ble normale ©ogmatllt oon
^eute nur noc^ ein mlrres ©urd)» unb ^nelnanber oon ^Iftorlfc^en
«Begrünbungen, polemlfc^en ^luselnanberfe^ungen unb apologe-
tlfc^en ^Ibgrengungen Ift. S)le ©ac^e felbft Ift In lebenblger (Eln-
I)eltllc^feelt unb In organlfc^er ©eftattung ous bem ^ergpunlit ber
9fleIlglon nlrgenb gu flnben.
©as tft ein gang fc^roerer 95erluft für ble ^Dlrliungsltraft
ber rellglöfen 9Bo^r^clt, ber burc^ keine noc^ fo muffelige ^Ifto-
rlf(^e ^orfc^ungstätlglielt unb loglfc^e Senfebarfeelt roett gemacht
merben konn. anillloncn oon forgföltlg burc^bacf|ten Suchern unb
loglfdi aufgebauten ^reblgtcn mit oorfc^rlftsmöfelg anelnanbcrge-
rel^ten »5ejt, S^ema unb bellen" können bcn 95erluft ber Ur«
fprac^e ber 3leIlglon nlc^t erfe^en. 3Ilon rebet oon einer „©prad^e
bes 9Henfd^ent)ergcn5/ Solan kann mit größerem Siedet oon einer
„©pradjc ber SHellglon" reben. ©le reformatorlft^en ^lr(^en ^aben
nlc^t umfonft In ben ©Ibelüberfefeungen In ble 95oIksfprac^e l^re
roertoonfte (Errungcnfc^aft gcfc^en. Senn ble 3lcIlglon Ift o^ne
eine lebenblgc ©practje nlct|t benkbar. ®le römlfc^e^rc^e wirb
nie roleber aus lt)rer (Erftarrung erwachen können, fotange fle ble
lateintfdic ^Itusfprad^c nld)t burc^ ble lebenblge 95oIksfprai^c
erfcfet. Slucf) aUe unmittelbar gum 9Henfc^en^ergen fprec^enben
formen ber Äunft können bas lebenblge 9Bort bes SHunbcs nlc^t
erfeöen. 5)le beutfrfie ©Ibelüberfegung fiuttiers t)at In ^ot)cm
9Hafee bas ausgegllctien, roas ble tut^erlfc^en St)eoIogen In ber
©gftematlflerung unb 93erklaufullerung ber rellglöfen SBafir^elt
gefünblgt Ijaben. ©enn ble ©Ibel Ift auf blefem ©eblete rolrktlc^
ein Setirbuc^, aus bem ble 6prac^e ber Qflellglon uns entgegen-
klingt, ©lefe ©prac^e unterliegt gerotfe äußeren «ntmlcklungs«
oeränberungen, l^re Innere 3lrt bleibt ble gleiche, ©clbft bas
elnfac^fte ©olksklnb l|ört fle aus einem gang frembcn Kultur-
geroanbe heraus.
3efus oon 9lagaretf| t)ät ble Urfprac^e ber 9flcllglon In l^rer
klafflfc^cn tjorm gefproc^en. ©eine QBortc unb ©ebankcnformen
— 58 —
oHein genügen, um gu öeroelfen, bo^ er blc en)igc ^o!^rf)elt tn
§änben t)lclt. S)te ©prat^e ocrrät ben ©o^n bes lebenblgen
(Sottes. 9Bo liegt basOc^eimnis Mef er Spracfie? S)arin guerft, ba^ ftc
üon garnit^ts onbercm fprti^t als Don bem, roas oorßegt. 6te
fprt(^t oon ber ©egenroartswelt, als roöre ftc bie etngtge, bte
ejlftlert. 6ic padit bas Ereignis bcr 6tunbc, bas lebenbtge @e-
fd^c^en ouf Sßlarfet unb '^dä^x an ben Römern. @ie ift bas ©c*
fprädj bes Xages. 9Dte felar ^at Sut{)er bics erfte ^enngetdien
aöer religtöfen ©prad^e erfaßt, als er es für bte erfte 2Iufgabe
bes ©olmetfc^ers erklärte, „bte QHutter im §aufe, bte ^Inber auf
ber ©äffen, ben gemetnen 9Hann auf bem SHarfete äu fragen unb
benfelbtgen auf bas aJIaut gu fe^en"! Qfletigtöfe ©prac^e tft
©egennjartsfpra(f)e. ^ad) bem, roas rotr über bte ©egcnroarts»
rotrMt(^kctt ber lebenbtgen rettgiöfen 9Ba^rf)ett bisher gefagt Ijaben,
unb roas tm folgenbcn Slbfd^nttt no(^ beutltd)er ^eroortretcn rotrb,
bebarf es lietner roetteren Segrünbung, roarum fie es fetn mu^.
3)ie „6prad)e Kanaans" tft unter allen Umftönben trreltgtös.
tJretltd) tft bas nur ein äußeres ^erthäeldien ber religtöfen
6pra(^e. Qluc^ ber ©d)roäfecr rebet bte ©pradie bes Sages, metft
fogar noc^ olel gefeiltester, umftänbltc^er, breiter unb formgeree^ter.
(Sx lebt nur In htm öberflöd^eneretgnts bes S:ages, barum be«»
f)errfd)t er feine ©prad^e bis Ins ©djlagroort unb utelfagcnb an«
beutenbe 3Jltenenfptel t)tnetn. ©eine ©prae^be^errfcljung rotrb gur
tee^ntfc^en 3louttne.
§ter fj^etbet fle^ oon l^m ber reltglöfe 3lebner. 5(rt bte
©teUe ber te(^ntf(^en S8e^errf(^ung, bte nur ein eroig forttaufenbes
buntes SBec^felfptel getilgt, tritt eine neue 2lrt ber SBe^errft^ung,
bte ein 3ufö"iT"ßTi^öffen bes bunten %axf)m\pUl$ um einen ge=»
Reimen 9Hlttctpunfet bebeutet. 2Dtc roenn tn eine Söfung burc^«
elnanberrolrbelnbcr d^emlfd^er 95erbtnbungen eine organtf(^c Äelm*
gelle tritt, bte nun alles tn lt)rc lebenblg geftaltenbe ^aft i^iu"
eingießt, fo ergreift ber reltglöfe 3lebner bas bunte ©ef(^e^nts bes
Sages. ®r fafet es fo an, bajg ein lebenbtgcs ©efeg ous J^m
^erausleuc^tet. S)as „SBlc?" bleibt bas ©c^etmnts bes rellglöfen
©entus. ®r fprtt^t nlc^t anbers als anbere 3Ilenfef)en unb gibt
bo{^ allem eine oöEtg neuen ^^araliter. ®s tft bas ©efpräd^ bes
S^ages unb tft boc^ ^nbc aus einer erolgcn 9Delt, ©os tft
— so-
eben haB ©e^etmnlSj ha^ es nlc^t ctnjo äured^tgcftugt unb in be»
fonberc ^Beleuchtung gerücfit tft rote bie erbaultrf)en ©efc^tc^ten tn
bcn ©onntagsbtättem ober ben ooterlänbtfc^en Sflebcn, fonbern
ha^ es fo genommen Ift, rote bas fieben es bietet, in feiner
gangen nacliten 5ltttäglic^Mt, unb ba^ es boc^ nid^ts ^Utäglit^es
me^r ift, fonbern Unoergönglic^es unb ^eiliges.
©ie fogenannten Oteldjniffe 3ßfu finb bas ©e^cimnisooUfte
unb SDunberbarfte in feiner gangen QSerfeünbigung. 3Han kann
aus i^nen eine fet)r farbenreiche ^ulturgefd^ic^te feiner Seit
^erous^olcn. 3Iber fie finb oiel me^r als ein getreues Slbbtlb ber
Kultur feiner Sage, ^n itjnen lebt bie eroige 5Ba^r^eit. '^itU
lid) ift roo^t Keine ^eu^erung feiner lebenbigen 3fleIigion fo oer=
Itannt, mifebraut^t, cntroertet roorben, roie biefe lioftbarfte oon
allen. Sc^on bie (Eoongelien bericf|ten, ha% bie ©leictiniffe oon
ber Sölaffe nic^t oerftanben roorben feien. S)as mag eine Surüdi»
oerlegung fpäterer 95erftänbnisIofigfieit unter lo^m gunetimenben
95erfiegen bes religiöfcn Sebensftromes in bie geit ber erften gSer*
feünbigung fein — Satfac^e ift, ha^ biefe Urfprac^e ber 3fleIigion
überall bort, roo nac^ irgenb einer 9lic^tung eine religiöfe 95er*
bitbung unb 95erfla(^ung eingetreten roar, nic^t oerftanben roorben
ift. Stoti) I)eute gei^t bie ©(^riftgele^rfamkeit, gumal bie ber
^eilstatfac^cn, merkroürbig fc^eu an biefen ©leici^niffen oorüber
unb ^ölt fic^ lieber in ben logifc^en ©ümpfcn bes ^aulus ouf.
Gs ift bas 23erbienft bes 9teuteftamentlers ^iü\d)it, bie
95er!iennung unb ben aJlifebrauc^ ber ©leic^niffe 3cfn in ber
Mrc^tic^en Slustegung aufgeroiefen gu ^abcn. ©egcntiber ber
95ergeroaltigung aüegorifierenber 3luslegungsltünfte, bie hinter
iebem ^ingelguge unb »roorte tiefe ©e^eimniffe, in ben mciften
i5äßcn eigene Sieblingsgebaniten entbec&en rooöten, fteltte er
roieber ben einfachen, unmittelbar t)erausfpringenbcn, einbeutigen
®inn ber ©leicliniffe t)eraus. '^ttxlid) Iiommt auc^ er über bie
©rengfteine ber ^tjilologie nidjt hinaus. 6(f)licfelic^ liegen auc^
bei it)m bie ©teic^niffc auf ber gleichen fiinie roie alle ^unft»
formen ber ©prac^c, bie man fctjofft, benu^t unb be^errfc^t, um
baburc^ auf möglic^ft oerftönblic^e unb einbringlic^e 9Beife Ringel«»
roa^rt)eiten ausäufprec^en. ©ic finb ein tec^nifc^es Hilfsmittel,
roenn auc^ ein ^oi^ooUenbctes, bas mon fc^liejjlic^ auä) burc^
60
onberc crfe^cn feann, o^nc ha'^ bie 9Bo^rI)cit hahuxä) fclbft be-
rührt unb gerftört rotrb. 3)lc innere reltgiöfe Slotroenblgliett
biefer ©Iet(f)msfprorf)e feommt bet it)m ntd^t heraus, ©(^on bos
SBemü^en um bcn etnen abgegrenzten ©ebanlien, bas heraus»
fertftaUlfieren bcr etnen formulierten ^a^r^eit aus jebcm ©Iel(^-
nts beutet bos an. ^uU^t Hegt auä) no(^ hinter ^üttJ^ers
^uffaffung ber grofee Saturn, ha^ bte QBa^r^elt eine ru^enbe
©röfee, ein abgcfc^Ioffener ©ebanlie, ein tegtes „©ein" fei. ^atte
biefer 3^tum in ber aßgemein oerbrcitcten, bure^ has ^ellenifd^e
©enliefi beftimmten aUegorifd^en ftirt^Iidjen 5lustegungsfeunft ben
äu immer neuen ^lusbeutungen oerlocfeenbcn ©rang entfeffelt, bei
iebem Sinäeläuge ^erausäu&Iügeln, mas er „bebeute", roer unb
was bamit gemeint fei, fo geriet 3üli<^er, bie Unertröglic^fieit
unb Hferlofiglieit biefer QUiUfeürfeunft füfjlenb, oon bem gleichen
3rrtum aus auf bie entgegengefe^tc Ginfeitigfieit, bie nur einen
ein für alle 2nal feftäulegenben, fc^arf abgugrengenben ©ebanficn
in iiihtm ©leic^nis flnben rooUte. SBie ftor,& baburc^ ber fiebens»
reic^tum ber ©leic^niffe befc^nitten würbe, ^at roo^I ieber ^rebiger
cmpfunbcn, ber mit it)rer queltcnben SebensfüÖe an bie vox il)m
licgenbe 2ebensn)irltlid|feeit herantrat unb \id) bobei ouf bie
©anbbanfe eines trocfeenen Gingelgcbanliens gefegt fa^. Sticht
nur bas ©leic^nis oom oiererlei Slcfeer etroa liefe biefe 9flcbu-
gierung auf ben ©inaelgebanlien nic^t ju, fonbern auc^ gegenüber
ben oiel einf)eitli(^eren ©lei(^niffcn oom oerlorencn ©o^n ober
oon ber roac^fenben ©aat erfc^ien es als eine ungeheure Ver-
armung, \a SJergemaltigung, biefe SebensfüUe burc^ einen „©runb-
gcbanfien" ju erlebigen.
2atföcf)lic^ cntpit Itein ©leic^nis einen ©runb» ©ebanfeen
in oerfeftigtem ©inne, fonbern ein Pc^ft lebenbiges ©efefe, bas
bas flutcnbe fieben als Icbenbige Sinie burc^äie{)t. S)arin liegt
bas entfc^eibcnbe 9Zlerlimal aller ©Icic^nlffe, ha^ fte ausnahmslos
ein ©efeö bcs ^anbelns gum ^lusbrudi bringen unb eine rolrltcnbc
3nnenlinie bes ©efc^e^ens äeic^nen. ©ie finb fteine ©emälbe
aus benen man ein ©tücfe gur ©onberbetrai^tung ^erausnel)men
kann — fo bie aUegorifc^e 9luslegungsfmnft — *); fie finb aber
*) ©oium tft i^ncn aud) ber *iptnfcl bes ^nftlcrs niemals gc*
wadifcn gerocfcn, aud^ ni(^t ber ^umanbs.
^61 —
aud) nic^t QScronfc^auItc^ungcn ctncs Ocbanfeens ober einer
913ttl)r!)elt. ©ie enthalten oteImet)r ficf) ocrrotrliHc^cnbe ficbens«
gcfe^e ober richtiger: bos ftc^ oerroirfiKt^enbe Scbcnsgcfcö, bos
aber, eben weil es fic^ oent)trfeKd)t, (gntroicfelungsftablen
burc^Iöuft, ble man als folc^c ntc^t einfach „um eines ®runb*
gebanltens roillen" beifeite f(i^ieben ftann. ©eine roirftenbc ^aft
wirb erft in ber Verfolgung ber auscinanber Ijeroorge^enben
(glnäclftablen fi(^tbor, bie man burj^aus ins 9luge faffen mufe,
um bas innerlicf^ dlotmenbige unb bas ©anje bes lebenbigen
©efe^cs iVL erfoffen. ^m ©Ieid)nis oom oerlorcnen 6o^n ift
gerabeju iebes ©tabium: ber ausgie^enbe ©oi)n, feine oerfprü^enbe
fiebensfü^rung, bas ©ic^^ängen an ben 95ürger, fein Seben bei
ben ©djroeinen, feine Cinfec^r, feine Slücfeke^r jum QSater, feine
Slufna^me, fein Empfang burc^ ben 95ruber, bie Unausgeglid^en^eit
bes ©(^luffes, ein unentbehrliches ©tüÄ ber fit^ oerroirfelic^cnben
fiebensroa^r^eit, bas fe^r einbringlic^ betrachtet werben mufe, um
bas lebenbige ©efc^ in feiner roirltenben S^iwcnliraft ju erkennen.
S)er eine ©inn, oon bem ^ülic^er fpric^t, ift fe^r oiel ein«
^eitlic^er, als er annimmt. (Er ift nömlic^ in allen ©leit^niffcn
berfelbe. (£s ift bas eine, fid) in aUem ®ef(^et)en burt^fefeenbe
Sebensgefe^, bas in ben oerfc^iebenen ©Icic^niffen — bie bis ins
Unenblit^e roeitergeftaltet merben können, tatfät^Iic^ auc^ oon
3efU5 in fefjr oiel größerer SHannigfaltigkeit geftaltet fein werben,
als fie ble Ueberlieferung aufbema^rt f)at — fi(^ einbringlii^ unb
allen fli^tbar ausprägt. S)as 9Befen bes ©leic^niffes liegt barin,
ba§ es bie ^at)r^elt, bas grofee umfaffenbc fiebensgefeg, in fic^
birgt, nur ftc^ oerkörpemb in einem umf(^riebenen ©efc^e^nis.
„Sos SRctc^ ©ottes ^at \xd) alfo ..." bas Reifet: Sie ^errfc^af t
©ottes prägt fic^ in bem nac^folgenben fiebensousfc^nltt ab.
3Bie 3cfu rcitgiöfe ^enfc^aftskroft barin liegt, bafe bei l^m in
iebem 5lugenblick bie ooUe ©egenroart ber rcligiöfen 9Ba^r^clt
lebt, fo liegt bie 3Befensart fetner religiöfen ©prac^e barin, ba%
in i^r burc^ jebes abgefc^loffene 3Bort bie oolle lebenbige 3Birk*
lic^keit ber emigen ^a^r^eit gum ^usbruck kommt, aber nic^t
als rul)enbe, fonbern als roirkenbe unb barum in immer neue
©eiten bes fiebcns bineintretenbe. 5)arum fteckt in febem ©leic^-
nis eine religiöfe (ginbeutigkeit, ober eine proktifc^e ©ielfeitigkeit,
— 62 -^
b. f). eine lebcnbige ^tusftra^Iung eines erotgeti ©efefeßs In ble
Sölanntgfalttglieit bes ficbens. S)ic roirkenbe 2Baf)r^elt finbet
tn t^nen ben allein öoUgcnügenben ^usbrucfe. 6tc ftnb ntc^t
■iperlen, beten ausgeglld^ene ©d)ön^eit, 3lunbung unb 5arbenprad)t
man berounbernb betrad)ten Itann, fonbern etl)if(^e ^aftgentren
oon einer rü&fiditslofen 'ipotentialität, btc, eben roeil fie mitten
in bas Seben bes 3:ages fiineingefefet ftnb, fic^ unmittelbar in
unbebingt gültige 'gorberungen für biefes Sagesleben oerroanbeln.
Sas gilt ni(^t blo^ oon einem fo anbringenben ©leid^nis rote
ctroa bem bes Feigenbaumes, fonbern genau fo oon ben ©leid^*
niffen einer f(^einbar objefetio ruhigen SBetrai^tung, roie fie etroa
im ©leid^nis oom ©enfliorn oor uns liegt, ^ier foH ni(i)t nur
ein groingenbes Sntroidilungsgefeö gegeirfinet roerben, bas tröften
unb aufri(f)ten mag, fonbern ein (gntroi(Jilungsäroang, ber uner=»
bittlic^ oorroärts treibt: ©tittftanb ift «Rückgang. ®ie €int)eit
oon religiöfer QBaljr^eit unb et^if^er ^orberung ^at in hm
®tei(f)niffen i^ren ooUenbetften ^usbrudi gcfunben.
^tht& einzelne ©leiclims entplt bie' oolte 2Bal)rl)eit unb
fteüt bie ^ödifte i^orberung. S)artn liegt bas SBefen bes religiöfen
Sflebners, ha^ er bie SDa^r^eit nicl|t ftücfiroeife oerkünbet, fonbern
in iebem ^lugenblidie bie 9Henf(i)en oor bas ©ange fteUt. €inen
^rebigtäi)lilus ober einen fic^rfeurfus gibt es nic^t auf bem Soben
ber lebenbigen Qfleligion; fie ftettt in Jebem '2lugenbli(f bie ooHe
ficbensfrage. 3)arum ift es gang unmöglid), aus ben ^Borten
3efu ein ©^ftem gufammenäufteHen. (£in 3Bort liegt im anbern,
roeil iebes bas ©ange l)at. ©arum fel)en roir bei 3efits auc^
ni(^t hin leifeften 3lnfaö, feine 3ünger nacl) unb nac^ mit ben
(gingel^eiten feiner neuen fiet)re oertraut gu machen. (Ein ^ate»
djismus ift gang unbenfebar in feiner SReligion, er roürbe i^re
unbebingtc ©ültigfeeit für ieben ^ugenblicti unb i^re alles auf
einen <£ntfc^eibung$punM fammelnbe ®in^eitsliraft auft)eben. 9Ber
in bas centrale S3erftänbnis eines 9Bortes t)ineingebrungen ift,
})at fie bamit aße. 5)est)alb ift es aud| gang ol)ne 93elang, roie*
oiele ber QKorte S^fu tn ber lebenbigen Erinnerung gebfieben
finb. Für bie beforgten 6(i)riftgelet)rten, bie bie 6tüdfee ber
SDa^r^eit ängftlicl) sufammcn^alten unb barüber machen, ha^
feein S:eil ber ^eilsroa^r^eit oerlorcn gei^e, mu§ es gu grojgen
— 63 —
93cbcnlien ^nla§ geben, ha^ mit offenbar nur SrurfiftÜÄc aus
3efu 95erkünbigung überliefert erhalten {)aben. '^üdi rocnn liein
2Bort oon tl)m bu(^ftäbü(^ überliefert roäre, unb es roäre nur
ber gentrale fiebenspunltt feiner 3leIigion *) oon feinen- Jüngern
erfaßt roorben, fo roäre bas für bie Sjiftenj feiner lebenbigen
9Bat)ri)eit gang o^ne SBetang. 6ein größter jünger *ipaulus ift
für bicfen <3ad^oert)alt bis tjeute ber lebenbige Seuge. 9Ber oon
bem „gangen ©^riftus" ober oon bem „gangen fintier" in ber
bekannten Oegenfäfettc^fecit gegen eine oermeintlic^e SBef(^nelbung
i^rer Sef)re fpric^t, ^at roeber G^riftus noc^ fintier begriffen.
9Han kann bas 9Befen i^rcr <öad)t nur gang ober garniert ^aben,
ni(^t in einer ©ummierung oon ©tüdien.
2luf no(^ einen ^unkt in ber @lei(i)nisroelt 3^1" tnüffen
roir ^inroeifen, roeit er bas SDefen ber religiöfen 6pra(^e unb
ber religiöfen QBa^r^eit beleuchtet: bas {)üufige 3w^ö<^9^^if6i^ ^^\
bas SRaturgefd^c^en. ©eroife ^at ^ier bie enge ©erü^rung ^^\n
mit bem 9laturboben feiner ^eimat unb bie 9laturt)aftigfteit bes
95oIfislcbens um it)n ^erum SBebeutung gehabt. 93ei ^aulus,
bem 6rf|uläögling bes ©efe^es, ift ber Slaturfinn faft oöUig cnt*
fdjrounben, er fietjt nur bie arbeitenbe unb feufgenbe Kreatur ber
menfi^Iidiert Äulturroelt. Slber biefe unbefangene (Slcic^fteUung
bes 9taturgefd|e^ens mit bem ©ef(i)e^en bes SZlenfc^enlebcns, wo
es fid) barum ^anbelt, eroige 9Baf)r^eiten unb unocrbrü(^ti(^e
©efe^c bes ;5öubelns in bie Sllenfi^enfeelen gu roerfcn, ift boc^
me^r als ein 3ufattsfpicl. ©a^inter ftet)t bie grofec (Einheit ber.
gefamten fiebensentroicfelung, bie bie religiöfe 9Ba^rt)eit bet)crrfc^t.
S)ie SBögel unter bem ^immel, bie Silicn auf bem ^elbe, ber
Sperling auf bem S)ac^e, bie ©aat auf hi:m '^üh^ unb ber
(Feigenbaum im ©arten finb nic^t nur ©über für 2Dat)rt)clten,
bie für eine gang anbere geiftigc 3Bclt gelten follen, fonbcm
Icbcnbige ©lieber ber auelt, bie bie religiöfe SDa^r^cit burd^*
bringt. S)urc^ bie ©c^öpfung gie^t ein ©efe^, bem fic^ oUc
©cfc^öpfc bis gum SHenfc^cn in gleicher SBeifc beugen muffen,
roenn es fic^ auc^ ftufenroeifc mit immer cr^ö^tcr ©ültigfecits*
*) 2Bir muffen feine nö^ctc ©atlegung auf bcn folgcnbcn Slbfc^nltt
oerfc^ieben.
— 64 —
rout^t, Älorl^eit unb 95crQnÄ)ortUc^&clt oerrolrfeHd^t. („6cib l^r
bcnn til(^t otet me^r bcnn fic?"). Saburt^ geroinnt bic icIigitJfe
3Bat)r^ett erft if)rc üoHe «Inlett, tf)re unbebtngte ©üftigfeelt überall
«nb für ottc Seiten, baburc^ totrb bic ©egenToartsnotroenbiglieit
gunt eroigen ©efcge. ®ilt fte für bie gcgenro artige <5tunbe, fo
gilt fie auc^ für bie gange 93ergangen^elt (fie ift \a bas Er-
gebnis ber SDergangen^eit) unb für bie gange 3iife"i^ft (i>ißfß cnt*
foltet ja nur bie (Segenroart) kraft bes ®ntn)iclilungsge|eöes. ©er
Entroicfelungsgebanfee in feinem gangen Umfange unb feiner
gangen 5iefe geprt gum 9Befen ber religlöfen 213a^rt)eit, barum
get)ört has 9laturgleicf)nis gum aBefen ber religiöfen ©prac^e.
Sine 95ergeiftigung ober 93erfittlic^ung ber religiöfen SBa^r^eit
im ^latonlfc^en ober ^antf(^en ©inne, b. f). eine ©egcnüber*
fteUung ber ftttlic^cn unb natürlichen 9BeIt, ber auci} bie ^irdie
in itjrem ©cgenfaö oon 9latur unb ®nobe oerfallen ift, miber»
fpric^t hirn SDefen ber religiöfen 2ßa^r^cit. ©ie roiU über aUc
©efd)öpfe t)errf(^en unb in allen leben, wenn aud) in ftufen*
mäßiger (gntmidilung. S)er ©egenfafe, 8en fie forbcrt, ift ein
anberer als ber oon Statur unb ©nabe. ©iefem ©egenfafe
gegenüber forbert fie fogar eine 9flüdike^r gur 9latur. S)ie
^orberungcn ber religiöfen 3Da^r^eit in ber ©rofeftabtroclt merben
bas noc^ übergeugenber bartun.
€s ift keine ^xagt: bie ©leic^nisfprac^e, bie nic^t gu oer*
mec^fetn ift mit ben mannigfachen %otmm ber 95llberfpracl)e, bie
als rein rtjetorifc^e ^unftformen entftanben finb, ift bie Urfprac^e
ber 9leligion. Sie ift bie Spracl)c bes Sebens, nidjt ber gemalten
95ilber, unb bringt burd^ bie Siatfai^cn bes Sebens bas eroige,
es be^errfc^enbe ©efeö gur SDirkung auf bie fortflutenbe ©egen«
roart. S){e in ber fcljaffcnbcn Äunft unübertroffenen Silber
Römers rootlen beuten unb einen lebenbigen ^Infc^auungs» unb
©efül)l5rei«^tum roedien, bie ©lei(^ntffe ^z\u motten ben lebenbigen
©Ott unb feine eroige QDa^r^eit oergegcnroärtigen unb bas eroige
fiebensgefefe gur lebenbigen QBlrkung bringen, ©egenüber aUen
Äunftformen finb fie etroas fc^lec^t^in (£ingigartiges. Stur ber
religiös ergriffene 9Hcnfc^ kann fie fc^affen, l)anb^aben unb oer*
fte^en. ^ür fie gilt immer bas einfdiränkenbe unb forbembe
QBort: „g33er O^ren f)at gu ^rcn, ber ^öre!"
— 65 —
91utt ergebt ftc^ MeiJragc: 6pricf|t blc Slcßgtoit tiur in
©Ictc^niffcn? ©runbfööKt^ muffen mix fte bejafien. ®enn bte
religiöfc QBa^r^elt rotrb nic^t anbers rotrfefam unb Ift bat)cr auc^
ntc^t anbers jugönglid^ als tn bcm fortflutenben Oefc^c^cn bes
fiebens. (£tn 93egriffsfgftem, bas mit oerfefttgtcn 95orftclIungs*
unb ©ebanfeencin^citen arbeitet, kann bie religiöfe 3Ba^r^eit
überhaupt nic^t faffen. 23on ru^enbcn Gigenfd)aften ©ottes jn
reben, ift gang unmöglich. S)er ©gfiematiker bemüht fiel) Ja auc^
bis ^eute oergeblic^, fie miteinanber in (ginfelang gu bringen, ©er
lebenbige ©ott feann nur als mirfeenbe ^raft in bie 9DirMi(^=»
feeit treten. 9Benn 3cfus fagt: „Sliemanb ift gut benn ber
einige ©ott", fo ift biefe ©ütc ni(^ts anberes als bas lebenbige
©efeö feiner roirlienben Äraft. S)arum ift itbt'^oxm begriff Keiner
2lufää^lung religiöfer 2Da^rt)eiten bem 2Befen ber 9^eligion gu«
miber. Stur bas lebenbig fortlaufenbe ©efd)et)en Kann il)re
Qßa^r^eit faffen. ®arum f^at ^t\nB niemals über ben legten
rut)enbcn ©inn ber 313elt, über bas ®cienbe ber Hellenen ge*
fprod)en. SJlan fudjt oergeblid) bei i^m nac^ einer €ntftel)ungs»
le^re ber 9Belt ober nac^ einer 3lnt^ropologie ober nac^ einer
©otteslel)re ober nad^ einer fie^re oon ben legten ©ingen ober
gar nad) einer S8ef(f)relbung feines eigenen QBefens in ber 3lrt,
mie fie bie S)ogmattker aufäufteöen oerfurf)en. (Es ift alles §anb*
lung unb Scben, aus bcm ^ugenblidi geboren unb für ben
3lugenblicfe beftimmt. Sie S)ogmatili l)at natürlich oerfuc^t, aus
biefen lebenbigcn 9Bortcn „©einsurteile" abgulciten, ift aber ba*
bur(^ auf ein ©ebiet geraten, bas ienfeits ber lebenbigen QUeligion
liegt, \a biefe felbft tötet, roie bas fegierenbe SÖIeffer ben^örper
tötet ober ft^on mit einem toten Körper rei^net. ©ie ijrage,
roas ©Ott an fi(^ ift, roer 3ßf"5 an fic^ ift, roas ber 9Henfc^
an fic^ ift, liegt ienfeits ber Qfleligion. ©ie kennt nur bie ^rage:
9Bas roill ©ott, roas forbert 3ßfus, roas mufe ber SZlenfd^
tun? Sie i5iage: „933er fagcn bie ficute, ba^ bes 9Henfc^en
©o^n fei?" ift eine %xaQi nad) bey QBirkung feines Sebens
auf bie 9Henfcf|en. 3n ber 5lntroort: „5)er G^riftus, bes lebenbigen
©ottes ©o{)n" liegt alles anbere als ein fogenanntes metap^^fifc^es
©einsurteil, fönbem bas Urteil über bie lebenbige 2Dirfeung, bie
eroig gültige 95ebeutung, bie forbernbe Autorität feines Sebens
C. Weltmann, ©rofeftobt unb 9leltgion. 3, Seil. 5
— 66 —
»nb feiner ®otf(f)Qft. ©amtit tft auc^ bas (Ec^o btcfes Urteils
nid^t eht QJertöciten bei bet Srlienntnlstiefc, fonbern ein an»
bringenbes 92la^nroort, bie fortgeugenbe ^raft biefes Hrteils gu
beroafiren unb ongumenbcn.
5lutt ^at freiließ S^fus neben bent ©leid^nis au(^ nod)
anbete formen ber 9flcbe angeroenbet, nämlid) ben ©innfpruc^
«nb bas forbernbe ©ebot. ©s ift aber nic^t 3"f<iö» ^ö^ ^iß
©proc^e feiner 3^^ für ®innfpru(^ unb ©leid^nis ein unb bas«
felbe QBort ^at: icapaßo^. S:atföc^lid^ ift ber ©innfprud) garnic^ts
anberes als ein rcbugiertes ©leidinis, ein feurg geformtes lebenbiges
©efeg, bas aus bem Seben geroonnen unb gur 95e^errfcf)ung bes
Sebens beftimmt ift. „SHit roetc^erlei 9Hafe i^r nteffet, wirb eu(^
gemeffcn werben. " S)os ift bas gleidie ©efe^, bas aus bem
^Iei(^nis oom großen ©djulbner ^erousleudjtet, nur f)ier oiel an«
bringenber, roeil es in bas lebenbige ©ef(^et)en {)ineingen)irfet unb
barum au(^ niel lebcnbiger auf bies ©efdietjen gurtidiäurolrfeen
imftanbe ift. ©enau fo ift bas forbernbe ©ebot in feiner un=
bebingten ©d^örfe: „9li(^tet ni(^t, auf \iOi% i^r nid^t gerid)tct
werbet !" nur bie fiurge %qxxü besfelben großen fiebensgefe^es,
bas er äur §errfd^aft bringen roill. 3^ ©leidjuis aber finben
©innfprud) unb ©ebot if)re oollfte, lebenbigfte unb mirftungs-
ItrÖftigfte ^orm, weil ^ier bas ©efeg bereits oIs bas leben«
be^errf(^enbe auftritt. STliemals ^at S^fus eine „Sel)re" im
©inne eines ru^enben ©einsurteils über Urfprung, ©inn, €r-
klörungsgrünbe, te^te ^ringipien ber 9BeIt ausgefprodien. S>ie
fieljren ber Sogmatife muffen immer erft aus feinen SBorten
^erausgefetaubt merben, ertöten aber i^re lebenbige Cin^eit, vcsds^
it)re roirfeenbe ^aft. 2BeiI bie religiöfe QUal^r^eit bas lebenbige
©efe^ bes fiebens ift, roirb bie ©leidinisfprad^e immer bie ur«
fprünglic^e unb Itlaffifc^e ©prac^e ber 3leIigion bleiben.
^inen ^urjen SBIicfe muffen mir nocf) auf bie ^ortentroicfelung
ber religiöfen ©pradje in ber ©efc^ic^te bes S^riftentums roerfen.
3)ie urfprünglic^e ^raft ber ©leic^nisfprac^e ift fc^nell oerfeümmert.
S)em großen ^oftel fi^on ift fie ni(f)t me^r gugänglic^ geroefen.
€ine roeltfrembe 3"9Cttb innerf)alb ber 3Houem bes ©efeges ^at
il)m ben 95Iicfe für bas natur^afte fieben unb bie emige (Einheit
alles ©efc^e^ens für immer oerbunlielt. Sas ®ilb bes 3Bctt*
— 67 —
läufers (1. ^or. 9) ift ein glü(&lld^er ^Infafe, bcn aber bie alle«
gorifc^e Ausbeutung 3umd)te mad)t SBie ftarfe feine btaIefitifcJ)e
2lrt mit ber ©letd^ntsfprat^e im ^ampf ftel)t, Itann man an ber
gerabegu roI)en 93ergerooIttgung bes ^ilbes oom Oelboum (9löni.ll)
fe^en. 5)afe bie auf rein begriffliche iöerfenüpfung einzelner 3üge
bebaci^te Allegorie ber fpäteren Mrd)Ii(^en Ausbeutungsliunft fd^on
^ter alles überrouc^ert ^at, geigt bie bialefetifc^e Ocfc^icfeli.c^lielt,
mit ber bas SBilb bes Sauerteiges unb bes Opferlamms aus«
gebeutet wirb (l. ^or. 5). 3n ber 9Belt ber logifc^^begrifflictjen
9lebefü^rung unb bes bialelitifc^en ©isputs f)at bas ©teic^nis
kein ^eimatrec^t me^r.
Aber bem Apoftel gebührt bas QScrbienft, bas ®lei(i)nis ber
©lei^niffe oom SHeifter übernommen unb in feiner alles be^err-
fdjenben 95ielfeitigfeeit ^erausgeftellt gu ^aben, bas bis ^eute —
mit Qtec^t — innerhalb ber ct)riftlic^en 9letigion bas ^elb be*
l)auptet ^at. ®r ^at bas Seben ^^fu f^ll'fi ftls bas ©leic^nis,
bas alle QBa^r^eit umfafet unb alles fieben bet)errf(^t, ^ingeftellt,
inbem er feinen unausf(i)öpflid)en 3ttl)alt auf bie alles be^err-
f(^enbe ©runbtatfa(^e gurüdifü^rt, auf ben „©efereugigten unb
Auferftanbenen". §icr ift bas Urgcfeö ber QBelt in einem ©e»
fc^e^nis — benn 5:ob unb Auferfte^ung ift bei ^aulus eine
lebenbige, ungertrennlit^e ®int)eit — oergegenroärtigt. S)ics
©letcl)nis *) ^at alle anberen in ben ^intergrunb gcrüdit unb
bie ^errf^aft in ber rcUgiöfen 95erfeünbigung angetreten. ®s ift
in ber ^at ber elnfadjfte unb roirfeungsöoUfte Ausbruefe ber testen
fiebensroaliröeit unb bes ^öd^ften fiebensgefeges, bas in feiujer
erften ^orm befianntlicf) auf S^fus felbft gurücfege^t, ber i^m im
Abenbma^l feine cinbrucfespottfte unb bis ^eute lebenbig fort«
mirfeenbe ©eftalt gegeben t)at. ©er ©treit um bas Abenbmo^l
märe rooljl nic^t entbrannt, menn bas 3Befen unb ber ^ern ber
religiöfen ©teidjuisrebe immer lebenbig geblieben märe, bafe in
i^r eine ewig ^errfi^enbe 2BaI)r^eit bur(^ ein lebenbiges ©eft^e^nls
*) SJlatürltd) mufe Ijier nod) etnmol betont raerben, bofe ein ©leid)»
nis im religiöfen 6inne feein Sitb im r^etorifdien Sinne ift, fonbem ein
■®ef(i)c^nis, bas eine eroige 2Ba^r^eit oerfeörp'ert unb lebenbig ucrgegen«
roärtigcn roiU.
5*
- eö —
5ür gcgcnroörttgcn 9BtrkIid^fectt unb QBlrfefamkelt geführt rolrb.
Qln bicfetn ©leti^nts aUcr ©Icid)niffe bürftc ou(^ nod) ctnmal
bciitll(^ Tocrben, bo^ btc Q[Bot)rt|ett, bie es in feinem Sdjofee
trägt, eine tft, ha'^ aber biefelbe QBa^r^eit fo oiele ©eiten ^ot,
rolc bas unausfdiöpfltd^e Scben.
S)ies ©Icid^ms ift in ber t^riftlidien ^irc^e nid^t ocrtorcn
gegangen, roeber in ber urf|)rüngli(i)en ©eftalt bes 2lbenbnia^Is,
no(^ in ber mannigfaltigen 95oriation feines 2tpofteIs. (£s {)ält
gleit^fam 'Einfang nnb (gnbe ber c!^riftli(^en Sntmidfelung äufammen.
3)afe es freitid^ feine ©ef(^i(^te gehabt ^at, ift befeannt. "Sin
feiner ^Jotmung in ben oerfdiiebenen ^^ttöltern ber ^ird)c kann
man it)re 91ö^e unb ^erne oon ber urfprünglid)en 3fleIigion ^t\u
abmeffen. 3^ fti^mieriger unb feompliaierter fein QSerftönbnis
wirb, befto femer raufest ber retigiöfe ficbensftrom.
S)er 3^ßCttWßtt bes Hellenismus mar bie lebenbige ®Ici(^*
nisroelt bes Orients nid)t gugänglic^. j5cf)on Paulus fiümpfte
mit einer üölligen 35erftänbnisfi)figkeit gegenüber bem ^Ibenbmo^l.
S)te innere (£in:^eit oon 9latur unb ©eift ift bem Hellenismus
immer fremb geblieben. Um fo munberbarer erfd^clnt — nod)
einmal muffen mir barauf t)inroeifen — ber QBurf bes großen
religiöfen Senkers, bem mir bas ^oflöuneseoangelium oerbanfeen.
Sie tjolle 25erfd)melsung bes ^ellenifdjen mit bem orientalifdjen
rcligiöfen Seniten konnte an biefem funkte allerbings nid)t ge-
lingen. Sie gricd^ift^e fiogosibee lä^t bos ooUe (ginge^en in bie
ficf)tbare 0latur einfacf) nid)t gu. Sa§ bie 95erfd)mel5ung tro^bem
foroeit gelungen ift, bleibt immer ein 9Bunber. 2Ius bem ©e*
f(^ct)nis, in bem f(i)on oerborgen unb geljeimnisootl bie ^hi^
f (gittert, fteigt unmerfelid) bie ^üUe emiger ©ebanfien auf. Slus
ber ©peifung in ber QBüfte roirb bie ©pekulotion über bas SBrot,
bas oomHiutmel kommt, bis beibes fic^ eint in bem für 3uben
unb Hellenen gleich zugänglichen ©age: „3«^ ^tn bas SBrot bes
fiebens." 9Xur erlebt ber orientalifc^ benkenbe ©laubige in
biefem ©a^e bas ©leidjnis, bas i^m oom 9lbenbmat)l t|er oer«
ttant ift unb i^m im lebcnbigen ©efcl)c^nis bas croige ©cfe^ oer»
mittett, ber %^Utm aber bas SBilb, bas eine ^bee oeranfc^aulic^t.
Sas ©lei(^ni6 roirb t)ier gum ©gmbol für eine ru^enbe QBa^r«
^cit, für eine unkbrperlic^e ^hii. Sarum fügt ^oijanms, um
— 69 —
belbcn gerecht au rocrben, bcm eben erft ^tngcftetlten ©q^c „gjteln
^leifc^ ift bie rechte ©petfe" bic clnfc^xön&cnbe Seutung {)mju,
bte fte ben ^ellentfc^ lionftrutertert ^örern erft gugänglic^ mac^t:
„®er ©elft ift's, ber ha lebenbtg mac^t, bas ^letfc^ ift nichts
ttü^e." 3Han fiei|t ©c^ritt für Schritt im gangen eoangcitum,
ba^ eine refttofe 95erfc^mel5ung nic^t möglich ift; ber ®ruc^ bleibt
immer fic^tbar, ouc^ roenn bie Störte noä) fo fein finb. S)er
^eHene fuc^t immer has ©eienbe, für bas bas körperliche i^m
^öc^ftcns äum SBilbnis wirb, burc^ bas es ^inbur(^fc^lmmert, nie-
mals aber gum roirfelic^en Präger, benn bas Äörpertid)e ift eben
bas 35ergänglic^e, Unbeftänbige. 5)er Orientale bagegen fiet)t ge*
rabc in ber flutenben, nur fd)einbar oergönglid^en Cntroicfelung
bas emige ©efe^, bas nic^t bie SBerfeftigung ber ^bte, fonbcm
nur bie lebenbige ®in^eit bes (öleidjniffes äutäfet.
333ie beibes gegeneinanberfte^t, fie^t man am beutlidjften in
bem fogcnannten ©Iei(^nis oom SBeinftocIi. 5)as ift ni(^t met|r
bie urfprüngtt(^e ©leid^nisrebe ^cfu — bagu fe^tt i^r bie Cin^eit
bes ©efc^e^niffes, in bem bas emige ©efe^ fic^ öermirlilic^t — ,
fonbcm es ift ein SBilb, in bem bas 3uftcinbli(^e roic^tiger ift als
bas (Jticfeenbe, in bem bie ^ügt ausgebeutet werben, um ein
bleibcnbes geiftiges 95erpltni5 p ©eranfd^oulid^en. ^ttes gc»
f(^id^tli(^e ©efi^e^en ift bei ^o^annes im ©runbe nur 35eran«
f(^aulid)ung einer eroigen ^hit. ©aburc^ oerlicrt bic ©ef(^i(^tc
ben SBoben unter ben ^üfecn, roät^ft aber t)inauf in bie 2DeIt
bes croig ©cienben. S)er jo^anncift^e C^riftus feennt ba^cr nur
bas ru{)cnbc „^d) bin", ber roirlttic^c 3efus feannte nur bas an«
bringenbe „S)u foUft".
^ro^bem ift biefem einäigen ©cnfeer bic ©urc^fü^rung feines
©afecs: „Sas 2Bortroarb ^leifc^" bis gu einem ©rabc gelungen,
ha% mir baoor immer roie oor einem ©e^cimnis ftel)cn mcrbcn.
<£x f)at bie croige ^bii behauptet unb ^at fie boc^ fo innig unb
feft mit bem Sebensgefcö S^f" oerbunben, ha^ mir ^eute nur
ftaunenb biefe größte aller 93liffionstatcn ber 3ßelt berounbem
können; oöllig erklären können mir fie nic^t.
^rcilic^, bie (Einheit, bie bem genialen ©c^öpfer gelungen ift,
mufete unter ben ^önbcn geringerer ©eiftcr gule^t boc^ roieber
auscingnberfliefecn. ^ie bas anttfee Senken äulefet boc^ ber ^ob
— 70 —
bcr retigiöfcn QBal^r^eit geioorbcn ift — noc^ ^eutc fielen rotr
in bem garten ^ompfc, btc lebenbige QBaI)r^elt ber S^obesftarre
ber ottttficn ©peliulatton äu entretfecn — , fo f^at and) bk ©prac^c
bes ^eUcmsmus bas eroige ®efeö bes Sebens auf bte S)aucr
Tttdit faffen feöitncn. Sie roor beroegltc^ genug, fid^ t^m ongu«
fernliegen; es gan^ in fid^ aufäune^nten, f)at fie nic^t mxmod^t
S)ie reltgiöfe 2BcIt bes Orients, bie burc^ bie ©tbel in bas Wytnh"
lanb einftrömte, ber 3^ce unenblid) überlegen burt^ bie SHad^t bes
^Dtllens, ber 9BtrliIid)lieit unb :bes ftutenben fiebens, \)at fie in
ial)r{)unbertelanger Arbeit fid^ gu affintilteren gefuc^t burd^
5)eutung, burc^ unermüblid^es ^erausMftoQifieren bes ba^inter*
liegenben ©eienben, bes legten Sinnes. §tnter bem fogenannten
breifat^en Sc^riftfinn ftecfet ein ^antpf ber 3bee mit h^m. QBerben,
bes ©cienben mit bem lebenbigen ©efefee, bes Xbbes mit bem
fieben, ber äU ben erfc^ütternbften kämpfen ber ©eiftcsgeft^it^te
gel)ört. (£s ift ber gleidje ^ompf, ben bie t)ettenifc^e ©peltutotion
burd|füf)rte, um mit ber ^^rage ber ®ottmenfc^t)eit fertig ju werben.
S5qs antike S)enfeen ift an biefem ^ampf gerfdjeitert. 9flom ^at
bas le^te non liquet gelöft, inbem es bas ftarre ©efe^ an bie
©teile bes lebenbigen ©efe^es einführte. ®a roaren ^hz^ unb
fiebensgefe^ vereint — im 3:obe. S)ie ©prad)e ber Sieligion unb
bte ©prac^c bcr ©pckulation mürben abgelöft burd^ bie ©prac^e
ber Äirdie. ©ie ift, roie it)r öufeeres ©eroanb, bas fiateinifdje,
eine tote ©pradf)e bis auf ben heutigen S:ag, unb groar in alten
^irdjen. STlur ha, roo bie ^ibcl unb bcr lebenbige ©ottesgeift
noc^ ^ineingcroirkt ^aben in bie immer neue ©egenmart, ift je
unb je roieber bie llrfpracE)e ber 3fleligion cnoad)t. (£s märe eine
^lufgabe, bes ©c^roei^es ber Sf)eologen mert, eine ©cfi^ic^tc ber
lebenbigen ©prad^e ber SHeligion %n fdjreiben, freiließ nic^t nur
eine ©efc^td)te ber ^rebigt — bie ift auf roeite ©trecken bie ©c«
fcf)i(i)te einer toten ©pract)e — , fonbern eine ©efcf)ic^tc bes teben«
bigen Slusbrudis ber eroig roirkenben ^a^r^eit, bie unter ©e»»
lef)rten unb einfallen ©eiftcrn immer roieber i^rc Urfpradje gefudjt
unb gefunben ^at. ©o rocnig bie ©efc^ic^te für bie 9Bat)rt)eit
bie h^t^ Se^rmeifterin ift, für bie ©prac^e ift fie es im roirk»
lid|en ©inne.
Uns fc^lt 9Hu^e unb 9flaum bagu, biefer 3(ufgabc ^icr nac^»
— 71 —
guge^cn. 3Dtr faffcn äufammcn: ©Ic ©prac^c bcr Sflclfgion ift
bic ®prad^e ber 9latur unb bes fiebens, lole ftc oor uns liegen.
2lber fie ift feetn ^lätfc^cm in ben (grelgntffen bcr Oberfläche,
fonbcrn bas Surürfifü^ren iebes '3lugenbli(^5 unb Jebes Sretgnlffes
auf ben lebenbtgen 3Htttclpunlit, oon bcm aus fte gu ?lusftral)*
lungcn eines eroigen ©cfeges werben. 3ft tiefer SHtttelpunlit
aßes Sebcns gewonnen, fo rolrb oon l^m aus alles ©ef(^el)cn jur
Offenbarung eroig gültiger SDa^r^elt unb gur ^orberung eines
unoerbrüc^llc^en ©cfe^es. 60 len&en rolr je^t unfer 5luge oon
ben t^eologlfc^en 95erkapfelungen ber rellglöfen 2Ba^r^elt roleber
auf ble lebenblge ^orberung ber gegenroörttgen ®tunbe, bte uns
Im groelten 95anbe befc^äftlgte, um fle ^ler In lt)rer unbeblngtcn
©üttlglielt ju erfaffen unb l^re lebenblge (Einheit rolcbei^uflnben.
IL Das teligiofe Itterlebnis in der
0egentDatt6iDe(t
1. stirb unb roerbe.
3f^ ^s mögli(j^, bte gegenroättige ©tunbe gu crfqffen? Q05o
Immer totr äugtcifcn, ift alles Seben SBerocgung, QSetäitberung,
2Ba(^6tum, ^ntmicfelung. €6 gibt kein 95erroeUcn, liem QIus»
rufjen in bicfer QBelt. ©o ift bas Sßefen ber 3)tnge uns über*
f)oupt ungugönglic^? SBenn fic uns nur als oorüberflutenbc
begegnen, roo liegt bann it|r ^em, i^re QDa^r^eit? 3ft "^t
bas QBefcn ber 5Da^r^eit bas unbcbingt Suowlöffige, bas nic^t
Sßanlienbe, bas eroig ^eftfte^enbe?
eben in biefem unausroei(^Ii(^en (gntroidfelungsgroange, bem
kein ©efc^öpf entrinnen kann, liegt ber ^ern, bic 9Bat)rf)eit, bas
3Befen ber gegenroörtigen ©tunbe, liegt bas nidjt umguftofeenbe
3Rufe i^rer ^orberung. Seben ^ci^t: 25orroärtsgef(^oben roerbcn,
nid)t roeil man möchte, fonbern roeit man mufe. Seben Reifet:
Zugreifen unb ^anbeln, ni(^t roeil man roill, fonbern roeil bie
©tunbe es gebietet, lieber biefes ^arte 9Hufe bes €ntroidilungs«
groanges kann man fid) mof)l hutd) ^t)antafien über menf(^lirf)c
^rei^eit fjinroegtöufi^en; in Sitten bes Slbroörtsgteitens — bic
Seiten ber triumpt)ierenben menfd^ti(^en fjreiticit finb es immer —
kann man es oötlig oergeffen; man kann firf) cor it|m auf oer*
groeifelter ^lui^t bcftnben — entrinnen kann man i^m nic^t.
©arin liegt bie majeftötifc^e ®rö§e bes eroigen ©d^öpfcrs, ber
biefes Seben trügt: €r ^at olles in feiner Sebensgeroalt.
®iefe Sebensgeroalt gei^t l^ren unerbittlichen ^errfc^aftsroeg.
©ie rebet nidjt, fie roirbt nid^t, fie bittet nic^t, fie überzeugt nld^t,
fonbern fie ^errfc^t. Unentrinnbar unb furchtbar burc^greifcnb
— 73 —
ftnb i^rc ^errfcfiaftsmittcl: ficbcn unb ^ob. Um Scben unb
Sob brct)t ftc^ aUes tn bcr 3BcIt. 6tc finb bic Umiäct)tc, benen
oöes ge^ort^ctt mufe. €^c man oon „^öi^ftcn ©ütcrn", oon
„göttlichen SBct^eifeungcn", e^c man oon „erotgen SBa^r^eiten"
fprlc^t, foU man bas 5lugc ber 9nenfd|cn auf blefe legten Ur-
mäc^tc richten. (Erft toenn fie btefe in i^rer aUes bc^errfc^enben
©rö§e fefjcn, ift i^r Stuge überf)aupt etngeftellt auf blc 2BtrkItci)-
Itclt. £)f)ne bicfe aBirfelic^feett bleibt alles 0c^etn.
Sebcn unb Job — roo immer nur ein ^unki oon 9lettgion
aufgeglommen ift, ^at er auf biefe beibcn Urmäd^te feinen Siii^t*
ftra^t gemorfen. S)ie ^ibel ift oom erften bis gum legten SBIatt
ein SBuc^ über Seben unb Sob. ^Qer ^eifee ^ampf auf biefer
Srbe, alles .mü^fetige ©entten ber 9Betfen, aUe ©e^nfuc^t nac^
^rel^eit unb (grlöfung fereift um biefe beiben ?poIe.
fieben unb Sob — rote groei haßerfüllte ©egner fielen fie
etnanber gegenüber, fid) bis aufs 5leußerfte bekömpfenb ober,
meibenb, unb finb hod) aufeinanber angeroiefen roie groet ©rüber,
bie fic^ in bie $anb arbeiten. *2lIIes fiebenbigc ift aus einem
Sterben ^eroorgegangen, unb fein Seben beftctjt barin, baß es
feine ^aft bem Sobe Eingibt; unb aües ©terben ift bo(^ nichts
rociter als bie 95orbereltung eines neuen fiebens; inbem es bem
^obe 3um .6lege oertjilft, ^ebt es if)n auf.
©iefes ©tirb unb 9Berbe ift in ber 2at bas legte ©e^eimnis,
bas Uns oon aüen ©eiten umgibt. ®s ift bas 2Befen ber gegen*
roärtigen ©tunbe, bie uns in i^rer ©eroalt t)ölt: bie ©egenroart
ift ber ge^eimnisooUe 5)urd)gangspunfet oon ber 25ergangen^eit
in bie ^ufeunft, oom fieben in bas ©terben, oom ©terben in bas
fieben. Sie ©egenfäge, bie als legte, fc^einbar ungelöfte Qpan"
nung bie ^Belt burc^gie^en, finben in biefem S)urc^gangspunfete
i^re 95erfd|meläung unb i^re Gin^eit.
3)enn fie finb eine (Eint)e{t. 5)as fieben t)at niemanb in
feiner QBirklic^feeit erfaßt, ber es of)ne hin 2ob fie^t, unb ben
Sob l)at niemanb begriffen, ber nii^t feine fiebensqueUcn kennt.
SBerfud^e es, aus bem fieben ben S:ob roeggubenkcn, unb es oer-
liert feinen tiefften fiebcnsbrang, bie ^eiße fiiebe gum -kurjen
©onnentage, ber i^m gefc^enkt roirb, bas unermüblic^e 5lBirken,
fölange es ^ag ift, ben legten ^nfporn^ rec^t p leben. S)er
74
5ob Ift ble ^oft ber Äongcntratlon für bas 2thm. 5)iefc Äraft
3ict|t burct) bie ganjc Kreatur. Söas rolr ©elbftctfialtungstrtet
nennen, ift bte burc^ ben "2ob gefc^affene fiebensenergle. — 956t-
fud)e es, ben 2ob o^ne ben frfjluntnternbcn Scbcnsfunficn gu
benken, unb er oerltert fein ^errfc^aftsgebiet, bas immer roleber
neu roac^fenbe Sebcn, an bas er feine ©enfe fegen feann. ^ell
er ^errfc^en ralß, barum mufe er fc^affen, fdjaffen, fc^affen. (Er
würbe flc^ felbft auff)e5en of)ne blefe lebenfc^affenbe ^raft. (£r
bient bem fieben, inbem er es abfc^Iägt; er füfjrt es roeltcr, bis
es äur SöoUenbung reift, bis ble Grnte enbgültlg gefiebert Ift.
QDenn ble ©enfc gum legten 9HaIe fc^neibet, bann ift gugteic^
bas t)öc^fte fieben oollenbet: ©ottes t5ruct)t Ift reif.
S)er Immer erneute 5lnfag bes Sebens, bas Ift bas 3Bcr!i
bes STobes. SBarum lä^t ber 6{f)ilpfer immer roiebcr von oorn
anfangen? 3Barum läfet er im (£inäel». Im 23öl6er', im 3Henfc^='
.^eltsleben immer roleber fterben unb eine neue 31^9^"^ ^^^'
macJifen? QBogu blefes 3Ibge{)ac&te, bief<r grensenlofe Umroeg
bes Sebensproäeffcs? ©afe ein 3Berk herausgearbeitet roerbe,
bas alle Söollenbung in fic^ fcfjliefet, an bem eine Unenbtlc^fjelt
oon mannigfaltigen ©efct)öpfen mitgerocbt ^at, bas butc^ alle
Irrtümer gelaufen ift, um alle 3Dat)rt)elt gu erfdjllefecn.
(Ein 3o^r^unbert ber 2tnma^ung Ift mit bem 9tnfpruc^
aufgetreten, es f)af)t ben ©ntroldfelungsgebanfeen „entbei^t". 9Benn
es nldjt nod) taufenb anbere •Slnseldien gäbe, bte feine Sior^eit
unb 95erblenbung an ben oranger fteUen, blefer törichte Stnfprud^
mürbe genügen, um feine Sßtinb^eit gu bezeugen. 5)ic Qcntroidilung
ift fo alt roie bas Scbcn, unb ber (gntmldilungsgebaniie fo alt
mle bas ©enfeen. ©lücfellc^erroelfe gab es gelten tieferen Scnitens
als ble bürren '^dtm bes oerftoffcncn ^ö^t^utiberts. 9Bären mir
für ben Sleic^tum unb ble Siiefe bes entmidilungsgebanliens auf
ble ftümmerllt^en ©rfeenntnlffe bes „naturroiffenfc^aftlic^en" Seit««
alters angerolcfen, mir müßten i^n in ben QUinlicI roerfen. ©enn
in ber ftarren, leblofcn, oberfläc^Iicf)en ijorm, bie i^m bie Sleugelt
gegeben ^at, kann er bas fieben nur ärmer machen, nlc^t aber
beuten unb bereichern, ©er umfaffenbe ^reis ber ©cfc^öpfe, auf
ben er angeroanbt morben ift, feann feine oerlorene öualität ntc^t
mett mactien, unb bie roenigen mcc^anifc^en ©efege,^bie man in
_ 75 —
l^m aufgerotefcn f)at, Itönnen bcn 95crluft an Icöenbtgcr ^Icfc in
lietncr QSBetfc ausgleichen. 3Bas man neu gcfunben gu ^abcn
roä^nt, ftanb löngft, freiließ nit^t als „rolffcnfc^afttic^es (Ergebnis",
roo^l aber — roas roit^tiger ift — als :pralitlfd|es ©efefe bes
SJlenfd^enlcbens feft. *)
3)as Seben ift nict)t ein 6ein, fonbern ein 3Berben. Heber»
roältlgenb liünbet jeber Sag es oon Steuern, ©et)' über bas
2lcfeerfelb: roo geftern bas grüne ©ras ftanb, ba fprofet ^eute bie
3le^re, ha roirb morgen bie %md)t reifen. 6ie^ bic^ um in bem
Äreis ber anenfc^cn, in ben bu ^ineingeftettt bift: aus ben klugen
bes ^inbes, bas no(^ oor fturaem gu beinen '^ü^m fptelte, gröfet
bid) fdjon ^eute ber reifenbe Crnft bes Jünglingsalters, wirft bu
balb bie S^atliraft bes 3Hannes leuchten fe^en, unb lange roirb es
*) 9a3tr rooUen an einige ber roidjtigftcn ©cfefec unb t^re bcftanntcftcn
93ergangenl)e{tsformuIicrungen erinnern.
„Surdj alles £cben äicljt ein großer ^ntroidtlungsäufammen^ang".
gür blcfe 2Ba^r^eit gibt es keine t)ö^ere unb tebenbigerc gorm ols bcn
©ottcsgcbanfecn ber 93ergangen^elt. ©djon bie crfte 6ette ber 95ibct
bringt {f)tt in einer unocrgleldjlid) rouditigen, rocnn au(^ buri^aus „un*
roiffcnfc^aftlictien'* gorm äum 2lusbrudi. Sic tct^nifdicn Hilfsmittel ber
(Srfeenntms rocdjfcln, fie werben äufeerlid) reidjer, innerlich baburc^ niciftens
armer. ®ie 6d)öpfung5gefdjid)tc bringt bie ftufenmclfc \id) ooltäieljenbe
©ifferenäterung bes Sebcns, in ber fiel) boc^ eine ©ntroi&Iung ju immer
^ö^ercr, gelfttgerer ®in^eit bis jum „(gbcnbilbe ©ottes" »oHsiebt, in einer
klafftfrf) einfa«i)en, unb eben baburc^ allen komplizierten uerftanbesmäfeig
konftruierten S:^eortcn uncnblit^ überlegenen ©eftolt 5um Stusbrudt.
S)ie eroige ©in^eit ber ®ntroi&lung finbet auf bem Söoben ber
d)riftli(^en SReligion i^re bis l)eutc unübertroffene ^usbru&sform in ben
©leidjniffen Jcfu. S^fws ftettt fid) fclbft mitten in fie binein burd) fein
SCort: „3<^ bin nidjt gekommen, aufplBfen, fonbern jur 93ollenbung 8U
fübren."
S)cr 3ufamment|ang alter Kreatur in einem (gntroidilungsbrange
i)at feine bis ^eutc tieffte Formulierung gefunben in bem 2Borte "ipauli
»on ber feufjenben Kreatur.
®05 ©efcö ber ^luslefe kann prakttfd) nidjt klarer formuliert roerben
als burdj bie 6äge: „93tcle ftnb berufen, aber roentge ftnb auserroä^tt.*
„2Bcr ba fjat, bzm rolrb gegeben roerben, unb roirb bie güUc babcn; roer
aber nic^t bat, bem roirb aud) nod) bas genommen, mos er bat." 2lu(^
bier ift ber „^ampf ums ©afein", ober man beadjte feine etbtfdje Höben«
läge im ©leidjnis oon ben anoertrauten 'ipfunben! Man ad)te überhaupt
— 76 —
n{rf)t loö^rctt, bann fc^aut aus t^ncn «nttöufc^ung ober ^Ibgcftlärt«-
l)eit bes alters, ©d^ouc bas 95olfe an, in bcm bu lebft: was
in betnen ^uoenbja^ren bas Unüberbietbare, bas glanäooU 9leuc
roar, bas ift ^eute bas 2KtoiiterIic^e, bas Ucberlcbte. SBIicfee in
bas bunte ©erooge ber ©cbanfeen, bie in ben §imen t)er 9Ilenf(i)cn
unb 93ölker, ber aitenfc^^eit leben: roas geftem als bas <£rlöfenbe
unb 93efrcienbe erfc^ien, roirb ^eute roie eine löftige ^effel cnt-
|)funben unb fortgeroorfen. Ueberfdjaue bas fieben ber 6(^öpfung
bis in bie liefen ber (Erbfc^ic^ten: ein S(f)öp|ungstag löft ben
anbern ab. 2lIIes fliegt, aber es fliegt nid^t roirr burd)einanber,
fottbern es baut \\iSi) auf, n)ic na(^ einem oor^er cntroorfenen
?planc. S:oujenbe üon ©efc^öpfen, bie fd^einbar ein unabtjftngiges
Sajein führten, ge^or(f)en in einem beftimmten 31ugenblidi einem
cin^eitlidien ©efe^, bas fie ftcrben ober einen neuen fiebensanfa^
barauf, rote alle biefe „unrotffenfi^aftltd)" formulierten Böge i^te Heber*
legcn^ett baburcf) berocifcn, ba^ fie ftd) tn eine fdjarfe ctt)tf(^e gorberung
uerroanbeln, alfo unmittelbar praktifc^ rocrben, roorum fid) bie „Statur*
roiffenfj^aft" ^eute red)t krampfhaft bemüht.
®as ©efeö ber 93ercrbung ift für bas Sllenfdjenleben unenblidj »iel
richtiger unb lebensroa^rer als alle ejperimentcü „erroiefcnen" 93erer&ung5*
t^coricn ber roiffcnfc^aftlidjen 95ioIogie in bcm bekannten Sdjtuferoort bes
Sckalogs jum 5lusbru(k gebradjt, bas oon bcm ftarken, eifrigen ©Ott
fprid)t, ber bie ©ünbcn ber 93ätcr f)cimfud)t on ben Ätnbern bis ins
brittc unb »icrtc ©lieb, bos ©utc aber fortroirkcn läfet bis ins taufenbfte
©ßcb. ©as ift nidft roiffcnfdjaftttc^ mit ungätiligcn ©jpcrimcntcn er*
roicfen, aber fdjarf unb richtig beobachtet. S:atfä<^ti^ „bcroa^rt" bie
SJlatur fcljr forglid) bas erroorbenc ©utc, roä^rcnb fie bas llntaugKcf)e
f c^r f c^ncU oemic^tet. QHon foU fidj bod) ntd)t bcm 2Ba^n Eingeben,
bafe bie roirkli(^. roertooUen ©rkenntniffc für ben inneren Stufbau bes
gncnfdienicbens in bemfclbcn 9llafec junä^men, roie bie tec^nif(^e SßcrooU*
kommnung ber gorfdjungsopparatcl Hm ben mcnf(^Iict)en Körper oor
taufenb äußeren Söcmic^tungsgcfa^rcn gu f(i)üöen, bo5U finb aUerbings
bie rein tct^ntfdjen ©rfinbungen geeignet — freiließ nod) mc^r boau,
taufenb 93ernid)tung5gefat|ren neu ju fc^affen, roas ber ^rteg bcroicfen
^aben bürftc — , aber um bie ttefften inneren Sebensgefeöe äu finbcn, baju
getjört me^r als ein ooUenbctes SHikroskop unb eine roiffenfc^aftlidje
^orfd)ungsmct^obe.
2Ba5 bie noturroiffcnfi^aftßcfje ©ntroicklungsle^re an praktifd)en
©cfefecn flu: bas 9Jlenf(^cnleben bisher ^erousgebradjt ^at, ift nichts als
^eftötigung einiger längft btm proktifc^en Jöanbeln bienftbar gemachter
— 7? —
bilhm Reifet, als od eine „präftabtlierte Harmonie" in it)nen allen
lebte^ 9lirgenb5 ifl ein SBruc^ ju entbec&en, roebec räumlich noc^
äeitlid), alles lebt auseinanber unb miteinanber. €s roirb oicl
gekämpft in ber 3I3elt — ber ^ampf ums 5)afein ift eine ZaU
fac^e — , aber jeber ^ompf ftellt nur eine ftärfeere ^errfc^aftsferaft
heraus, bie eine ^ö^ere (gin^eit fcf)affen miü. Unäöt)lige ©efc^öpfe
fterben ba^in — f(^einbar finnlos — , aber in bem Sterben
roöc^ft leife eine geiftigere, gefammeltere fiebensliraft fjerauf, bie
ben 5ob burd) ein ^ö^eres Seben überbietet, etiles fiebenbige
mufe fic^ opfern, aber inbem es fid| opfert, btent es bem Slufftieg
eines neuen fiebens. ©as ift bos 93ilb ber großen Sntroidilung,
bas 5;ag für ^ag fid^ in neuen i5onncn bem Qlugc bietet, bas
taufenbfat^ gegeid^net morben ift unb taufenbfac^ neu gejeic^net
roerben roirb. ©olange ein 3nenf(^enauge biefe 9Belt fc^auen
barf, roirb es oon Steuem erleben, roas ber alte 6änger aus-
fprad^: „öerr, roie finb beine 3Berfee fo gro§ unb oicl, bu ^aft
fie alte roeislic^ georbnet, unb bie ®rbe ift ooU beincr ©uteri"
©cfcgc. @ic ^at frciltcl) aud) eine gonge 9lct^c roit^tigftcr ©cfcgc. blc
längft im (Erkenntnis« unb SSladitbttdd) bcs SZlcnfc^cnlebcns lagen, roiebet
oerbunkett unb nertoren. ®ic 93erormung bes (Sntroidtlungsgebanfeens
burd) bie rein tncrf)antfrf)C ©ctradjtung rotrb l)eute fd)on roeit^in bcutlttij
empfunben unb burdj gefliffentlidje 93etonung ber oertorcn gegangenen
^etcotogie tüicberroett ju ma^cn gefud)t. SJlebcn bem „^antpf ums ©a«
fein" wirb ^eute roicber bie ©ebeutung ber „©qmbiofe" für bie Slufroorts«
entmidilung bcs Scbens ftarfe betont. Songfam entbcdtt mon roicbcr btn
SHctcfjtum bes älteren Sntrot&lungsgeban&ens unb kommt roiebcr 5U
ben (gntn)i(felungsgcfcöcn bes „3lctd)cs ©ottes" jurüdi, mie benn bas^e«
mü^en, bie rein biologifdje ©etradjtung burc^ bie ct^tfdje ju krönen,
namentlich in ©raie^erkretfen allgemein ift. ®te 233clt cntroickett fid) fc^r
oiel langfamer unb ftetiger, als ben ©ntroidilungst^coretikem ber Steuacit
lieb ift.
Säroöbcm ift es für jebcn ^^cologen *!Pf[i(^t, fid) mit ber Strbeit
unb ben (grgcbniffen ber naturroiffenfc^aftlidjcn, gumal ber blologlft^en
5orfd)ung oertraut ju mad)en, fo roenig er geneigt fein roirb, bie Sin*
mafeung mitjumadjcn, bie fidj mit bicfer gorfd)ung gu ocrbinbcn pflegt,
roeil er eben größere Suf^mmcn^änge unb roeitere fiebcnsgebicte über«
fdjauen muß, als man mit bem aHikroskop überf trauen kann. (Sx roirb
in ber ©urd)forf(^ung ber SUatur im 2Befcntlid^en Scftättgung, oft aber
aud) Klärung ber Scbcnskenntnis finbcn, bk bie SRcltgion in i^rem
S(^ofee birgt.
— 7Ö —
5t6er bie grofee ©ntrolcfelung bes Sebcns ^at noc^ ctnc anbete
©eite, bie rotr nid^t nur als SBiIb mit bcm "Sluge fc^auen, fonbern
bie uns nod) oiel nät)er rückt. S^bes lebenbige ©efc^öpf nimmt
S:eil on biefer (gntroicfelung unb mufe leibenb unb ^anbclnb jtc^
i^rem Q^ö^O^ beugen. ®a tut fid) eine S^ncnfeite auf, bie mir
nid^t mit bem 95Iicli bes onbctenben ©eiftes allein betrad)ten
können, fonbern bie nur in 9tot unb 6eliglieit ber gegenmärtigen
<3tunbe äu uns tritt, ©ie gu geidinen, ift fc^mer, benn fie kann
nur mit ^ergblut gegeitiinet roerben. 2)ie 5Betrad^tung bcs ru^en«
ben ©eiftes kann i^r ni(^t ©enüge leiften, nur ber ^anbclnbe
aitenfd^ ift i^r geroad^fen. 6ie rotrb nic^t empfunben unb gefc^aut,
fonbern fie mirb gelebt.
S)iefe S^ttß^f^itß öß^ großen Sebensentroidklung ift bem
Zeitalter bes mobemen Sntroicklungsgebankens fo gut rote oöUig
entfdimunben. ®s ift "btxi Spuren ber (^ntroicktung nachgegangen
in Statur unb ©efd)icf)te, es ^at glan^oolle ißilber ber natürlichen
©d)öpfungsgefd^i(^te unb bes ^iftorifc^en QiBerbens entmorfen.
3lber oor ber ^nncttfeite ber Sntroicktung, oor ber furchtbaren Stot
ber ©tunbe, oor \it\i QBe^en bes Sterbens unb ber ©eburt ift es
gcflüci)tet. 9Bir kennen bie ©rünbe: es mar ein abfteigenbes
Zeitalter, bas betradjtenbe ^ünftter unb forfcf)enbe 3Biffenfd^aftIer,
aber nid)t neufdiaffenbe unb notftarke 2Henf(^en ^eroorgebract)t
%oX. (Hs \)(xi ben lebenbigen ©Ott in ein Problem ober einen
mi)ftif(^en 93efiö oerraanbelt, aber ben ©e^orfam gegen fein Gebens«
gefe^ oon fi(^ geworfen. (£s ^at betradjtet unb genoffen, aber
nic^t gelebt.
5)er äu^erlid^ fic^tbare ©ang ber ^ntroidilung kann garnici)t
über itire legten unb tiefften ©efc^c entfd^eiben: etma ob in i{)r
ein rein koufater 3^Q^9 roirkfam fei, ober ob in unb mit biefem
3roange.eine ^i^Iftrebigkeit mirke — mer roill bas aus bem fo«
genannten objektioen, b. ^. äu^erlid) fidjtbaren S^atbeftanbe bes
Sntraidklungsganges ableiten? S)as kann' nur entfc^ieben roetben
an bem ^Brennpunkt ber ®ntn)idklung, burcf) ben it)r lebenbiger
6trom ^inburd)fd)ie^t. ©ort ift es ober ift es nid)t — barüber
kann kein '^xyt\<iyix. entfd^eiben, bas kann nur erlebt unb er«
^anbelt roerben.
es gibt 3ctten, in benen meber bas eine noc^ bas anbere
— 7Ö —
in äTüingcnber ficbcnbigfectt oor^anbcn tft. ©ann flutet brac (gnt*
lotcfelungsftrom mc^t burc^ btefen ficbcnspunkt ^inburc^, er ftrömt
gleidjfam feitroärts ah in bie Siefe, er ücrcbbt unb oerfanbet. (£r
kann bann noc^ fc^r oiele äußere Scbensblüten roec&en — man
nennt fte ^Iturblüten — , aber gu einer neuen fiebensftufe brängt
er nid^t empor. (Er mu^ bur(^ btefes enge Zox ftrömen, um in
eine neue 3BeIt bes fiebens gu gelangen. „3)ie Pforte ift enge
unb ber QBeg ift fc^mal, ber gum ficben fü^rt." 9Birb er nlii^t
gefunben, bann ru^t bie entroicfelung unb gef)t ins 95reite. 3Han
I|at bann mof)l noc^ bie „^aufatität", aber als ein totes, ftarres,
äu^erli(f)es ©efeö, nid^t als lebenbtgen, fdjaffenbcn, t)on innen ^er
gmingenben QBitten; man rebet auc^ nur oon i^r, um 5u ent=»
f(^ulbigen unb gu entlaften, nid^t um unmiberfte^lid} anäufpornen.
3Han ^at auc^ nocl) bie „^JinoKtät" bes menfcl)licl)en ^anbelns,
aber man fprldjt oon feinem gmedi unb ^lu^en für ben 9Henf(^en,
nid^t für ein eroiges 9leicl), bas über bem QHenfdien ftel)t. S)as
„l)ö(^fte ©ut" ift ein rein menf(^li(^es 3lnliegen geroorben. ^au-
falität unb "ginalität erfö)einen nur in unauflöslii^er, unbebingt
^errfc^enber ®in^eit, roenn ber tebenbige ©Ott burd^ bas ^tmentor
ber (Entroidfetung f(^rcitet. ^n bem 'SBlUen ©ottes, ber ben
inroenbigen 9Zlenf(i)en gepadtt t)at, ift unentrinnbar Urföd^tic^feeit
unb eroig gültiges 3^«! oöUig oerfi^moläen. Z'^ ber „^errfdiaft
©ottes" ift bcibes als Urtatfac^e oerelnigt, in ber „^Ji^et^cit ies
SZlenfi^en'' ift es auscinanbergerlffen unb erftorben.
9lur on bem ^^nßnpu^^t ^^^ Sntroidilung kht bie 9leligion,
nur f)hx kann bie Sarfteltung ber religiöfen QBa^r^cit i^ren
^lusgangspunkt finben. S)enn t)ier ift bie QBirkungsftätte ber
eroig lebenbigen unb groingenben religiöfen 2Dat)rI)eit, ^ter ift fte
in iljrer objektioen 3Birklicl)keit, in i^rer fi^affenben SJlac^t am
9Bcrke. ^n ber 95etrac^tung ber äußeren fiebensentroicklung in
Statur unb ©efctjtc^te fte^t man roo^l i^re ©puren, gu i^rer ©c*
^orfam ^eifc^enbcn unb eroig gültigen 9Hac^t bringt man bort
nic^t oor. 9Han kann bort roo^l konftatieren, hQ% bas fiepte ber
Sieligion eine „ajiomattfc^e Sat" fei, aber bas SDefen biefer 'Sat
bleibt eroig im 6(^ofee ber ©ef(^i(^te ©erborgen. • ®s roirb nur
fic^tbar am S)urcl)gangspunkte bes Sebens, auf ber 6c^clbe
groifi^cn Vergangenheit unb ^u^wnft, an bem ©c^nittpunkte oon
■— 80 —
2ob unb Scben, in her ^ntfc^elbungsftunbe bes ftttlii^en ^anbclnsf.
S)arln liegt bas SBefcn ber gcgetiToärtigcn
3nenfc^^citsftunbe, in bcr roir fielen, ba^ bcr gro^e
fiebcnsftrom roicbcr -auf bas S^tiicntor ber ©ntroicfe*
lung l^inbrängt, nid)t ctroa, roeil irgenb ein ntcnf(i|Iid)er SJer»»
ftanb bas für rici^tig ptt ober „entbedtt" f)at, fonbcm roeil ein
^ö^erer Sebcnsroiße es roiU unb ergrotngt. Stat^ ber ungeheuren
öufeeren fiebensentfaltung, bte nidjts anberes roar als bas ^lus»-
((^roingen eines ocrftoffenen Sebenstages, ^at bos gro^e Sterben
auf ber ganzen £inie eingefefet. Qluf ben ®(^la(^tfclbem na^m
CS ben 2lnfang, oon ^ier aus roarf es fid^ in bie ©emüter unb
lähmte ©(^ritt für ©(^ritt alle Gräfte, aus benen ber 93ergangen=
^eitstag aufgebaut roar. (£in ^urüdfe gibt es nidit mefjr — bcr
2ob ^at bie SBrücfecn abgebrod^en. (£s bleibt nidjts als bcr
©ang burc^ bas enge Xor, hinter bent ein neuer fiebenstag
wartet. '2lber ber ©ang burd) bas ^Ttnentor ber (Sntrotcfelung
bebeutet nii^t me^r unb nic^t roenigcr afs bas entfdiloffcne ^w
cnbcfterben bes SJergangen^eitstages, o^nc bas es einen 3lufftieg
äu ber neuen fiebensftufe nic^t gibt. (£r ift bas bis in ben
inncrftcn ^unfet getriebene (Sterben, bamit an biefem innerften
funkte ber ^eim bes neuen fiebens erroa(i)c. ^n biefem inner«
ftcn funkte liegt bas ©tirb unb 3Berbe ineinanber, er ift bcr
S)ur(^bru(^spunl{t oon einem alten gu einem neuen gcitalter, bes
Sebcns burj^ ben S:ob, er ift bcr 5)ur(^brud^spunfit ber eroigen
QKa^r^cit.
9flun roirb erft oöllig bcutlii^, roarum roir, bcDor roir eine
©arftcUung ber rcligiöfen 2Dat)r^eit 5u geben oerfud^ten, ä^^^f^
bie ^Billcnsfragc — roir tjöttcn auc^ fagen können: bie ®r*
tebnisfragc — bes groeiten SBanbes ftcUen mußten. 9Ben bas
©tirb unb SBcrbc bcr ©egenroart ni(^t gepadit f)at, für ben
bleibt bie religiöfc ^at)r^eit ein toter SBlocfe, ben man betjaucn,
begutachten, in irgenbein ©(^ema einftellen kann, bcr aber nidjt
bie ^raft bes groingenben unb brängenben fiebens t)inter fi(^ ^at.
QBcm aber bie ^arte ©egenroart mit i^rem ©terben bie Snt«'
fc^eibungsfrage. in ben ^i^i^ß^pui^^t feines fiebens roarf, bem ift
ber neu gefc^enkte OBillc bie Xtucüc aller 2Dat)rt)eit. (Er ift bie
. aBa^r^cit. 93on biefem Äcimpunktc bes neuen fiebens ftrömt bas
— 81 —
ßlc^t aus, bas alles Sunfeel crleucfjtet; oon ifjtn aus geftaltct
ft(^ btc 9BeIt äur tuerbcnbctt ©ottcs^errfc^aft; burcf) t^it offenbaren
ftc^ in unenblic^er ^üUc immer neue Seiten ber eroigen 313a^r{)eit.
S)ie gange ©egenroart mit i^rem unerfc^öpfßc^en 9ietc^tum bes
©cfc{)e{)ens roiU oon biefem innerften ^unkt aus gur Sirdgerin
ber eroigen 3Da^r^eit, gum ©leic^nis werben, bas in immer neuen
Seiten bte eine 9Ba^r^eit ent^üUt. 3a me^r als bas! 95on
biefem centralen ©egenmartserlebnis aus ujcrben bie ©eiftcr ber
95ergangen^cit lebenbig. «Propheten unb 3lpoftel grüben uns auf
unferm 2Bege. SIus bunfilen ^ird^enoätern werben fte gu fadiel*
tragenbcn SBrübern, bie uns bie ^anb reichen in unferm Kampfe.
3n ber QBa^r^eit ber ©egenroart erroac^t il)re QDa^r^eit gu neuem
fieben. QBieber ift ber 6(^riftgele{)rte, gum ^immelreid) getet)rt,
bem ^ausoater gleii^, ber aus feinem 6(i|aö ^eroorI)oIt 3lttes
unb bleues, roeil Elftes unb Steues fid) im gemeinfamen fiebens:»
ftrom, ber nun roieber bie Vergangenheit mit ber ©egenmart oer-
binbet, bie §anb reichen.
3Bir brauchen es nur ausjufprec^en, bas Stirb unb QBerbe,
bas ^eute njieber ben innerften fiebenspunkt ergriffen f)at, in ber
%oxm, bie i^m unfere ©egenroart gegeben f)at: „Ser 3<^roiö^
mufe fterben, ber ©ottesmiHe miU leben", fie^e, ha roirb berC^or
ber 5oten lebenbig. Ser 9luf bes Stagareners, ber uns oft fo
einfam am 3lnfange feiner 35erfeünbigung gu fielen festen, grüfet
3U uns herüber: „3lenbert eure 2BiUensri(i)tung, benn bie ©ottes».
^errfc^aft ift im 9tnbre(f)en." ©es großen Slpoftels fiebenslofung
fteigt ba roiebcr ous bem ^Birrroarr feiner Sc^riftgele^rfamkeit
heraus unb offenbart ben alles be^crrf(f)enbcn ©runbjug, ber
feines fiebcns Äraft unb ©ct)eimnis mar: „^6) bin mit (£t)rifto
gefereugigt, ic^ lebe aber, boc^ nun nidjt ic^, fonbern (S^riftus
lebet in mir." 5)as Urgleic^nis alles Sebens, bas er in bie
fterbenbe alk 2BeIt t)ineintrug, roirb roieber lebenbig roic am
erftcn 2age. 9Bo immer Präger lebenbiger QUeligion aus ber
25ergangcn^eit ^erübergrüfeen, leuchtet uns ^ell bas fiebensgefe^
biefes ©leic^niffes oon il)rer Stirn entgegen: „2lls bie Sterbenben,
unb fie^e roir leben". 3Bir ftaunen nun nic^t me^r, ha% als
erfter Safe ber 9flcformation uns bies Urgcfefe ber 9leIigton ent«
gegenWingt: „S)a unfer §err unb 3Ilcifter 3efus ®^rtftus fpric^t:
2. öeitmonn, ©rofeftabt unb Keligion. 3. Seil. 6
^ 82 —
^ut Sufee, bas Himmelreich ift no^e Ijerbeigekommen! i)ai er ge«»
rooEt, bafe aEes fiebert ber ©laubigen 58ufee fein foU."
^as finb nic^t (Eingelfä^e i^rer ^rebigt, Fragmente i^rer
Söerfeünbigung, bortn liegt bie ©runbmat)r^eit i^rer SReligion,
bie ©runbforberung it)res fiebens; barin liegt bie SBa^r*
^eit. ©ie ift bas Hrgefe^, ber ^eimpunlit, aus bem alle Ringel«
roa^r^eiten, roenn mir üon foId)en fpred)en bürfen, ^erausmat^fen.
^ür ben, ber biefe ^a^r^ett nic^t als lebenbigfte ©egenroart be»
fi^t, bleibt fie mager unb bürftig. ^ür ben aber, ben fte im
innerften Scbenspunkte ergriff, ift fie bie QueEe aEer (Erkenntnis.
3n einen ®aö läfet fie fic^ f äffen, in einem ©leic^nis liegt fie
befc^toffen. ^ber bie unenblic^e 3BeIt unb bas unüberfe^are
©efc^e^en ber ©efc^icf)te genügt ni(f|t, um fie ausgufcJiöpfen.
S)iefe ai3at)r^eit liegt mä)t irgenbroo fertig unb abgefc^Ioffen
ha, fie ift bas überall lebenbige fiebensgefe^, bas ^errfd)en mill,
hh ^lotroenbigfeeit, bie aus jebem ^lugenblidi unb jeber fiebens«
feite bir entgegenfpringt. Stimm bie STlot *bes mirtfc^afttictjen unb
fogialen fiebens; aus aUer Slatloftgfeeit unb SJerfa^ren^eit fc^reit
bies ©efeö heraus: fia^t ben 3ct|n)iUen fterben, ha^ ber ©e=
famtroitte bie Teilung bringe! S)urct)f(i)reite bie Eitelkeiten unb
bas ftnntofe 6ic^überbieten ber fogenannten gefettfc^aftttc^en 6itte;
aus aEer ©d)einfeultur unb ^ormenffelaöerei feufgt bie ®et)nfuct)t
nac^ ©efunb^eit, SBa^r^eit, ^Befreiung: 6tofet bas ^cf) oom
Sf)rone, i>a% ein neuer ©emeinfinn bas Swfömmenleben frei unb
frö^Iic^ geftalte! ©c^aue in bie unerträgliche gerriffen^eit bes
poIitifd)en unb oölkifdjen fiebens; aus §afe, 9teib unb SBlutoer*
gießen bröngt eine neue 2DeIt empor, in ber ein gemeinfames
9DoEen bas blinbe ^d)\ixebin ablöft unb einer ^ö^eren Einheit
aufü^rt. 9Ximm ben Eingelmenfc^en in feiner furchtbaren ^rteb»
lofigfeeit, in feinem §in«= unb ^ergeriffenroerben oon einem ©enu§
äum anbem, üon 3iel au 3iel, von ©orge äu ©orge; barin liegt
boc^ aEe 3lot befc^toffen, ba^ er „fiel) fetber lieben mufe". 9Ber
bie ©eete befreit üon fic^ felbft, oon if)rer blöben €igenbetrac^tung
unb Eigenliebe, wer i^r bie grofee Eingabe fct)eniit, ber mactjt fie
frei, ©reife irgenbroo hinein in ben ©trubel bes ©egenroartsge-
fc^e^ens, bn ftöfet an jiebem «punkte auf bie gleiche 9lot unb
biefelbe Stotmenbigkeit, auf ben furchtbaren ^einb aEes fiebens,
- 83 -^
ber ftcrbcn mufe, auf bas ftc^ fclbft TooHenbe 30), unb auf ben
großen Erretter, bcr auferftel)cn rotH, ben Icbenbtgen ®ott, ber aQe
3c^not auft)cbt unb gu neuer fiebensein^cit unb »feraft fü^rt.
®te ^öc^ftc ertöfcnbe QBo^ri)cit unb btc t)öc^fte binbenbe
^orbcrung flnb in btefem fiebensgefeg oeretnt. ®u brauc^ft bafür
Iietne 35en)etfe unb ©tilgen aus ber ©efc^tc^te, ber ^ht^, ber
fiogtfe, has fieben ärotngt fie bir auf. S)u mu^t % ge^orc^en,
roeti bu bent fieben ntd)t entrinnen Itannft.
2lrbeit unb 9Ba^r^eit — fie laufen f)ier fc^arf incinanber.
®ic Wa^r^eit, bic bu ausfprlc^ft, ift bos pralitifi^e fiebcnsgefefe,
bas bid^ in feinen ®ef)orfant äietjt. Sas QBort ift nichts weiter
als ber ^erolbsruf bes ^ontmenben, es fpric^t nur aus unb ftettt
Icbenbig oor bi(^ ^in, was btc "gorberung ber ©tunbe ift. S)ic
religiöfc 95erfeünbigung ftet)t nun nid)t met)r neben bem fieben,
in fiird^Iid)cr 95erltapfelung unb €rftarrung, fonbern fie fudit bas
fieben, TOeil bas fieben fie fui^t unb fud)en mufe. S)as 3Dort ift
nidjts als bas 6dE)n)ert bes ©eiftes, bes eroigen fiebensgefe^es,
bas f)errfc^en roill. Ss roiß „burc^bringen, bis bafe es f(f)eibe
©eele unb ©eift, au^ 9Hork unb 95ein unb ein 3li(i^ter roerbe
ber ©ebanften unb ®inne bes ^ergens." 5)ort, wo ber fiebens*
ftrom gögcrnb ftiU fielen unb oerfuntpfen roill, roiH es oorroärts*
treiben, ha'^ er bas ^or ber Sntfdieibung finbe; bort, too bie
0e^nfuct)t irrenb untt)erfu(^t unb bie in i^r brängenbe ^lotroenbig*
Keit noct) nic^t fie^t, roiQ es klären unb Ibfen; bort, wo ber ocr-
irrte fiebcnsroiUe fic^ fträubt, bem neuen 3IIu^ ficti gu beugen,
roill es überroinben unb groingen : bort, roo fic^ ftolg unb oerbiffcn
bie 93erftocfeung ergebt, roill es richten unb gerfcfimettern ; bort, roo
bie erften gagenbcn ®cl)ritte auf bcr neuen 5Ba^n in taftcnbcr
■gurclit äu crtal^men brotjcn, roill es ermutigen unb ftörfeen.
2ßeit es ber lebcnbige Sröger ber 2Ba^r^eit ift, trögt es in
icbem 'Jlugenblirfic unb in jcber ^orm bas „©tirb unb Qa3crbe'*
in feinem ®cl)ofee. (gs gerftört immer ein 2lltes unb baut, inbem
es bas tut, bas 9ieue auf. €s ift in jebem 3Iugenblicfee ber
93ote oon 5ob unb fieben, unb groar bctbes guglei«^. §ier liegt
fein innerftes ©e^eimnis, aber auc^ feine burdifc^logenbe Äraft,
bie i^m ben 6ieg über bie gegenroärtige 6tunbe, über ben flu*
tenben fiebensftrom fiebert.
6*
- Ö4 —
®ies Icbcitblgc Wort fclbft fprcc^en gu laffcn, bas ift bic
ItöftKc^c 5lufgabe bes „®(f)rtftgcle^rtcn, gum §tminelrefc^ gelehrt",
CS ift btc 3lufgabc, bic jebc 6tunbc on bcn oon bcr 3]3at)rt)cit
ergriffenen unb i^r biencnbcn 9Hcnf(^en neu ftcUt. ®s ift fo
mannigfottig n)ic bas Seben fclbft. 3^^ biefem 95uc^c ftcUen wir
uns biefc 5lufgabc nic^t, fonbcm begnügen uns mit bcr bc*
fc^cibcttcrcn, bie freiließ nur aus bcm ^intcrgrunbc jener größeren
t)cröorn)a(^fen kann: bic ©efc^c gu fu(^cn, bencn bie Icbenbige
95erkünbigung unb ^Jorniung ber 2Dat)r^cit folgen mufe. Wo bic
Icbenbige 9Dat)rt)eit ins fiebcn tritt, prägt fie biefem Charakter*
güge, ©runbformtn ein, bie it)ren 9Beg kennjeic^nen, in bencn fic^
i^re roirkenbc ^raft ausprägt. 60 unmöglich ift es, bie 9BaI)r*
^eit in einem logift^ aufgebouten ©t)ftem glci(^fam auf eine
(Ebene ju projigicren, fo mid^tig ift es, ben 9Deg gu kennen, bcn
fie burc^ bic QCcIt fc^reitet, bie 6purcn gu oerfolgen, bic bas
mirkenbe Sebensgefe^ in ben (EntmicÄIungsgang äietjt, um an
i^ncn äu prüfen, ob bas Seben auf bcm 3Öege ber 2Da^r^eit ift.
2. S)tc Reiben SBcge.
€{n unbcbingt ftd^ercs unb untrüglit^es ^Injelc^cn bofür,
rote na^c ober tolc fem ber Sebcnsftrom bem ^n^t^iitor bcr €nt-
roicfeljiTtg ift, ift Immer bos me^r ober mtnbcr fc^arfc ^lusetnanbcr»
treten ber „''beiben 9I3ege" geroefen. S)er Kenner bcr Slettgions»
unb ©etftesgefcfiic^te loetfe, was bamtt gemetnt ift. S)te 9Ba^r-
^ett unb bte ^orberung bes „6ttr5 unb 9Berbe" ^at immer
roieber bie ^orm ber (Entfc^eibung gTOifc^en äroei ^Degen angc*
nommen, oon bcnen ber eine in ben Sob, ber onberc ins fieben
fü^rt. ©ie religiöfe Heberllcferung fegt fc^on ins ^arabics ben
95aum bes Sebens unb ben Saum bes Sobes. 3)urc^ ®efe§ unb
^ropt)etismus bes ^ubentums 3iel)t ber be^errfc^enbc ©afe: „©ic^c,
id) t)abe bir I)eute oorgctegt bas fieben unb bas ©ute, ben S:ob
unb bas SBöfe." „S)ie Pforte ift meit unb ber 3Beg ift breit, ber
pr 95erbammnis abführet" , f o klingt es aus ber saotf c^aft 3efu t)erübcr,
„unb i^rer ftnb oiele, bie brauf manbeln; unb bie «Pforte ift enge unb
ber 3Beg ift fc^mal, ber gum Seben führet, unb roenig ift i^rcr, hk
xf)n flnben." „Ser Sob ift ber 6ünbe 6olb, bie ®obe ©ottes
aber ift bas eroige fieben", bas ift bcr ©oppclroeg, ben ^autus
burc^ bie 3nenfc^^cit gießen fie^t. „S)ie Wut oergct)et mit itjrcr
fiuft", fo fagt 3o^önnes, ber griec^ifdien Slnfcliauung oon ber
93ergänglicf|fieit bes 6tofftic^en bamit cntgegenKommenb, aber er
fügt bem orlentalifc^en ©enfeen entfprec^enb ^insu: „3Dcr aber
ben SBiüen ©ottcs tut, ber bleibet in (groigKeit." 3n
Iilaffifc^ äufammenfaffenber unb ausfaltcnber t^orm finben fic^ bie
beibcn 2Bege in ber fc^li(^tcn 6(^rift bes Urt^riftentums, ber
S)iba(^e.
5luc^ bas ©riec^cntum kennt bie beibcn 3Bcge. 3n bem
95itbe „Herkules am ©c^clberoege" ocrfeörpert fic^ feine tieffte
fiebcnsanfcJiauung. 5lur l)at ber auf bas ©eienbc^bebot^tc ©eift
— 86 ~
bc5 ^ettenentums biefer fiebensöttfcfiauung bolb bie ^orm bcs
©egenfafees ärotfdieTt ©eift unb ©toff gegeben, rooburc^ fte
Ijoffnungöloö bem 6c^tdfefal ber ©rftarrung ani^eimfiel.
SÖltt biefer ^orm ber rellgtöfen QDa^r^ett, auf bie and) im
gegenroärtigen ©ntroicfelungspunfete bas Seben mit aller ©c^ürfe
^inbrängt, muffen roir uns gunödift i^rem inneren 9Befen nacfj
etwas genauer befc^äftigen, um fie bann mit ttUer 3tnbringlic^feeit
ins ©egenroartsteben felbft einguftellen.
6ie bringt guerft gum ^lusbrucfe, ha% fi(^ bie retigiöfe
9Ba{)rf)eit in feeiner QBeife mit bem pralitifct)en 3Honismu5 oer«
trägt. S)iefe fiebensanfc^auung gie^t aus ber richtigen ©runb=
auffaffung, t>a% bie 2Ba^r^eit eine einheitliche ©röfee*ift, bie^ol«
gerung, ba% buri^ bas Seben gleidifam eine feftgelegte ©erabe
äief)t, auf ber es entlanglauft unb unausmeidilid^ entlanglaufen
mu^. 6ie fdjeibet boburd) hk Waf)l, bie ®ntf(i)eibung, bie Um«
ktf)x aus bem fiebensproge^ ous. 3tn biefem funkte offenbart
es fid^, ba% ber entroidfetungsgebanfee feine le^te Siefe oerliert,
roenn man bie grofee ©ntmidilung bes Sebens nur Don aufeen
fie^t unb i^r ^^^nentor ausfc^altet. ^^h&c lebenbige 5lugenblidi
ftraft jenen pra!itifd)en 2Honismus fiügen, benn er fteßt eine
OBcgfereugung bar, einen ^unfet, an bem fict) ein 3tltes unb ein
Sleues fct)eiben, ein 5)urci)gang6tor gmifdien ^ob unb fieben.
©arin beftei^t eben bie Sin^eit bes fiebens, ha^ es immer unb
überall bas „6tirb unb SDerbe" in feinem ©(^o^e trägt. ®s ift
bas 3Befen ber aEes be^errf(^enben Entwicklung, bafe fie nur
lebenbige S)urd)gangspunkte kennt, nirgenbs eine tote, erftarrte
fitnie. 3Bo roirklid) (gntroiditung ift, ha fte^t bas Seben immer
am ©d^eiberoege, ha liegen bie „beiben QUege", ber bes 5;obe5
unb ber bes fiebens, immer oor i^m.
SUun ^at freilidj jener 9Honismus in feinem Kampfe gegen
ben 3)uattsmus nic^t fo unredjt, roenn er fein 3Iuge auf ben
großen S^T^^g ber bualiftifd)en Sebensbetract)tung roirft, ha^
nömtid^ biefe, anftatt bei t^rem Sebenspunkte, bem ^nnentor ber
entroicklung, gu bleiben, fic^ krampft)aft bemüht, i^re „beiben
QBege" als 9Bege ber äußeren Entroicklung barguftellen. 3)a*
burc^ ftb^t fie fic^ felbft in bie grofee SDeröu^erlictiung ber Sebens*
betrac^tung hinein, ber bie lebenbige religiöfe $Da^r^elt immer
— 87 —
t)on Steuern sunt Opfer gefallen ift, uon ber aucf) bcr
9Hom6mus Zeugnis ablegt. ®ie betten 3Bege erroetfen ftcf) näm-
lich 5et genauerer S8etract)tung ketnesroegs als gebahnte $eer«
ftra^en, bte oom 9(nfang bis gum (gnbe bes äußeren ®nt=<
roidilungsbtlbes taufen, fonbern als 3ltct)tungspuntite, bte bas
innere '2tuge bes lebenbig ^anbelnben in iebem '3tugenbtidie oor
jic^ auftauchen fiet)t. S)as SBilb, bas ber betract)tenbe unb an*
betenbe ©eift am ©c^tuffe eines Gntroidilungsabfd^nittes geroinnt,
ift ein oöUig anberes als bie Slotroenbigfeeit, bie fid^ bem ^an=»
beinbcn SHenfd^en int ^Brennpunkt ber (gntroidfetung felbft auf-
brängt. ®s ift ein anberes, oom ©ipfet bes SBerges auf ben gu-
rücfegelegten 9Dcg gurüdiäufc^auen, als im 3Iufftieg fic^ ®ct)ritt
für 6c^ritt gu entfd^eiben, reo man t)intreten foU. SHan^at fic^
oft barüber gerounbert, ha^ bie fdjarf bualiftifd)e SBetrat^tungs«
roeife bes '•pauIus üon einer großartigen teleologifdjen (£int)eits«
betrac^tung überbaut fei. 9Ber bie S^i^^tt* u^^b bie 5tu§enfeite
bes Sebens kennt, rounbert fit^ barüber nid)t. 9lur für ben
®t)ftematiker, ber fid^ anmaßt, bie ^ütle bes fiebens auf eine
(£bene gu bringen, ift bas ein „9Biberfpru(^", für ben Kenner bes
fiebens ift es ^öd)fte Mar^eit. ®ie roirktidien ©e^eimniffe bes
Sebens liegen gang anbersroo, als in ben 5tntinomien bes 95er-
ftanbes. S)iefe finb erft aufgetreten, als bie ®inf|eit bes Scbcns
auseinanbergetretcn unb feine 2Da^rt)eit gerfloffen mar.
95on ^ier aus wirb noc^ einmal beuttid^, roie facfiroibrig,
gefät)rlic^ unb töblid) es ift, bie religiöfe 9Ba^rt)eit oon bcm
Snnenpunkt ber Gntroicklung, gu beffen 95et)errfct)ung fie berufen
ift, gu trennen unb in eine 6umme oon ©einsurteitcn gu uer*
manbetn, bie für ben äußeren ^ntroiefelungsgang oon ber
©c^öpfung bis gum jüngften Sage gelten foHen. ^n biefer
^lußenroelt löft fie fic^ tatfäcfjlic^ in eine 6umme oon 3Intinomien
auf, bie ber fiogiker, nact)bem er fic^ eine geittang mit i^nen
pfUct)tgemäß abgequält \)aty fc^ließlict) als unauflöslich erklört, t)ier
liege eben bas ©e^eimnis, bie ^arabojie aller 3letigion. SRerk«
roürbig, ha^ bcifpietsroeife 3cfus bief e 2lrt ber ^arabojie ntrgenb
gefe^en Ijatl 6ie ift nichts anberes als bas allgemeine ©gmp-
tom ber geiftigen Erkrankung, bie ber 9Belt oon bem klugen«
blicke antjaftet, in bem ber ^c^menfc^ ft(i) oon feiner ducUe gc-
— 88 —
löft ^ot unb nun fid) fein Softem baut, burc^ has er bte SBelt
be^errfc^en möchte. QBtr muffen ^ter noci| einmal auf bas oer*
roetfen, mos mir im gmeiten ®anbe über ble tecf)nifc^e (grftarrung
gefagt ^aben. Sllle gebanfelicEje «rftarrung ift 5(uftöfung, nic^t
3lufbau.
5)ie betben 9Bege treten in i^rer ooßen ^Iart)eit unb
©c^örfe nur an bem ^nncnpunkt ber (gntmicfetung auf,*) ^ier bic
Gntfc^eibung forbernb groifc^en Seben unb 5ob, äroifc^cn ©ut unb
gSöfe. 5lber t)ier tritt nun eine groeite ^rage uns entgegen.
QBas t)at bie fittlic^e (gntf (Reibung gmifc^cn ©ut unb SBöfe mit
ber (Entfc^eibung äroifc^en Sieben unb Sob p tun? ©as ift bie
uralte crux ber ft)ftemattfc^en Senlier unb ber religiöfen gmeifler
gcroefen, bies 95ert)ättnis ber lebenbigen (£ntroiclitung ju it)rem
inneren ©efe^. SIBir fuc^en fie freilid} uergeblic^ bei ben urfprüng=«
liefen religiöfen ©eiflern; bei i^nen ift ber SBeg bes ©uten immer
berfelbe roie ber bes £ebens, ®ünbe unb Zob erfcf)einen ^ier in
oöttiger 95erf(i|Iungen^eit. 3lber in ber ®po(^e bes inbimbua=
liftift^en unb gefe^Iid^ erftarrten ^u^cntums tritt bit ^lage auf:
9Barum mufe ber ©erect)te fo i3iel leiben. Ja untergeben, roö^renb
ber 6ünber triumphiert unb fi(^ feines Sebens freut? Siefer
^lageton äiel)t fid^ burc^ alle Spoc^en bes Dtieberganges bis f)in
gu ^ant, ben aud) bie Hnausgeglidjen^eit gmifc^en fittttt^er Haltung
unb Sebensglüdi einen 5lusglei(^ in einer anbem 933elt poftu*
Heren läfet.
^ier offenbart fi(^ no(^ beutlic^cr, mo^in ble Soslöfung ber
religiöfen QBai^r^elt von lt)rem eigentlichen Sebcnspunktc füljrt.
©obalb man bas ftttllt^e 6treben unb ben fiebensrolHen oon ber
2lu^enfelte bes Sebens ^er äu erfaffen fud)t, b. t). bas erftere als
eine 6umme Don Saaten ober als eine abftrakte ©eflnnungsrld^tung,
ben le^teren als 2Dlllen gum Sebenserfolg, geraten fie hoffnungslos
mltelnanber In 3Blberftrelt. S)er fltttlcl) gute 9Kenfc^ ift, oon
aufeen gefe^en, kelnesmegs Immer ber erfolgreiche unb glüdillc^c,
fonbem melftens, \a In ber 3legel — benn bas ift eine Innere
*) SBir HJcrbcn bei ber In^altllcijcn ©arftellung ber belbcn 933cgc
noc^ beutitdjer fe^cn, ba% es garklne anögßdjfecit gibt, fie in ber 3tufeen«<
cntroidilung ouseinanberäu^altcn.
— 89 —
STlottöcnbigfeett — bcr äufeerltc^ Unterttegenbc. 93or btefer nicber*
fc^ntctternbcn ^atjadie flüdjtct m bte rettglöfe 5lu|en« refp.
©c^ctnbetrac^tung ber Singe In eine „ienfctttgc ^Delt", ble bas
©ct)etmnts entrötfeln unb ben ^lusgleid) ^erbetfül)ren foß. ^s
ift burc^aus ntd^t 3ufaU, ha% gerabe an btefem ^unfete bte aller-
tc^ätfftc ^ritlti ber reltgtöfen Scbensanfc^auung einfe^t — mit
ooltem Siecht! ©enn wenn ber ^ufommenlitang ber retlglöfen
2Da^r^elt mit bem urfprüngllc^en SebcnsmlUen nur burd) eine
Hintertür' gerettet werben kann, bann ^at fle jebe £cbensbered)tl«
gung ocrloren. Scbensbrong unb flttlldie ^orberung, t>a5 Seben
unb bas ©ute, ber Sob unb bas SBöfe muffen unbeblngt Ineln*
anber Hegen, fonft Ift attes hoffnungslos oerloren. S)lefe (gln^elt
Ift aber nur möglld), Ja auc^ oöUlg oerrolrfellt^t an bem teben«
blgen ^^nenpunkte ber (gntrolcälung. ^Bas fid| ^ler als ftttlic^e
^orberung bem Sßlenfc^en aufbrängt, Ift garnlc^ts anbcres als
ftärlifter Sebensbrang, ber In ber 6tunbe ber <£ntfcf|elbung oor
nlt^ts onberem gittert als baoor, „bas Sebcn gu oerlleren." §ler
liegt ein rolrfellc^es ©c^elmnls, aber es tritt fo elementar auf,
ha^ es Satfäcl|llc^lielt Im ftärfeften 6lnne Ift. ^ler mlrb nämllci)
beutlld), ha^ bos „fieben", bas man gu oerlleren fürchtet ober
gu geroinnen Ijoff, gamldjt bas Inblolbuelle ©afein mit feinem
(Erfolge Ift, fonbern eine ScbensrolrkllcJ^kelt, ble unenbllt^ olel
f)öt)er ftet)t unb roetter reld)t als bas ©Intagsbafeln bes Ringel*
menfdden. %kx rolrb beuttlrf}, ha^ bas ©erolffcn nldit ttma, role
eine oerlrrte ^^ifpefeulatlon angenommen i)at, bte „perfönll(^"
^rel^elt unb 2ßürbe feonftltulert, fonbern blefe olelme^r rablfeal
auftjebt unb ben 9Henfö)en In eine p^ere fiebensrolrlillc^kelt
t)lnelnrücfet. S)as 2ehin rolU fld) burdifegen In folc^en ®nt=»
fdielbungsftunben, b. ^. bas fieben, In beffen eroigem Otrom bas
Clngelbafeln nur ein ^ünfitc^en Ift, bas crft Im wahren ©Inne
fieben genannt gu roerben oerblent. S)er ©olbat, ber In ber
t)öcl|ften 9lot bes Kampfes feinen oerrounbeten jjüljrcr rettet, ber
l^n oor^er bis aufs 93lut gequält unb ungered)t be^anbelt ^at,
unb unmittelbar neben l^m feinen fdjroeroerrounbetcn perfönlli^en
ijreunb Hegen l^^t*) get)orcl)t nur blefem Innerften fiebensbrange,
*) es Ift blcs an roirktlc^es Scbensbclfpler.
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ber nöc^ bcm uerantiDortungsöoUcrcn unb barum toeitergretfcnben
Seben fafet, aud^ rocnn fein Präger ein pet|önti(f)er ^einb unb
minbcrrocrtigcr SHenfcJ) tft. S)te fiebensgeroife^ett unb überrögenbe
SCtßcnsferaft, bie ein ©oltrates, ein 3efu6 oon SXogarett), ein
fintier vox i^ren SHic^tern unb S^obfeinben befiunben, ^ot garnid^ts
%u tun mit perfönlit^ent fiebenebrangc unb perfönttd^er QBüxbc,
fonbern tft bie Offenbarung bes Sebensbranges, ber roeit über
bos eigene 3)afein t)inou6greift.
S)iefe Sebensgeroife^eit, bie mit ber Erfüllung be's ©itten*
gefe^es unmittelbar oerbunben ift, kann auf keine QBeife aus bem
äußeren (Sntmicfelungsgange bes fiebens abgeleitet ober burc^ il)n
geftügt roerben. ©ie fie^re oon einem ^lusgleict) unb einer ©e*
ftätigung in einer „anbern 2BeIt" ift ein kümmerlicher nad)^in-
kenber ©ote, ber kaum bie ©locken aus ber ^erne t)at läuten
^ören. 9lur an bem ^niienpunkt ber (£ntraicklung ift biefe (£in*
fjeit ha, bort aber aucf) in unbebingter ©ültigkeit.
©er gange bankrott ber inbioibuaUftifd) orientierten 3leli=»
ligion tritt fjier nod^ einmal ins fiirf)t. S)ie (Erfolgtofigkeit, ber
Untergang bes fittlid^ guten 9Henfd^en foll ein „"^tuftofe" für bie
Frömmigkeit fein? 6r ift es boc^ erft bann, roenn ber 3(^uienf(^
ftd^ ober ric{)tiger noct): fein kümmerlid)es Sebensglü(k für 6inn
unb 3iel ber Sebensentroicklung f)ält. S)iefem 3d)iiieitf<i)cit gönnen
mir fooiele 2tnftöfee, ba^ er fid^ bie ^aare rauft. (£r ^at fie reb*
lic^ oerbient. 5)as perfönlidie S)afein gewinnt erft Sinn unb
Seben in bem 9Ha^e, wie es ft(^ einem ^ö^eren Seben opfert.
®er ^ob bes 3d)w^enf<i)en ifi ^ös fieben. 5)arum ift aud^ alte
fittlid^e <Entfd)eibung gamidjts anberes als eine fioslöfung oom
3dt) unb eine Eingabe an hm über i^m fteljenben fiebensmillen.
S)ie beiben QBege, bie in jebem 3Iugenbtick oor uns liegen unb
nur in bem 6trom gleid^förmiger 2lrbeit in i^rer (£ntfd)eibung
t)eifd^enben 93ebeutung äu oerfdiminben fd^einen, an ben Ueber*
gongen ber CSntroicklung aber um fo geller aufleuchten, finb ja
garnic^ts anberes als bas ©picgelbilb bes großen „©tirb unb
SlDerbe" in bem oor uns liegenben fiebensabfcijuitt. Dilles Seben
ift ein ©id)losringen oom Eigenen unb eine Eingabe an eine
^ö^cre Sebensroirklic^keit. (£s forbert in jebem 2lugenblick bies
SBcibes, bas boc^ €ines ift, bas Sterben, um ju leben. Slur
— 91 —
tolrb btcfc ^orbcrung ketncsfaUs immer im einseinen erfüßt. ^m
©egenteil: (£0 Qibt gonge 3of)rI)unberte, bie fie in ben 9Dinb
f(^Iagen. ®as finb bie ^ö^^^^uni^wtc bes großen ©terbens, bas
ibentifctj ift mit einem beifpiellofen äußeren fiebensauffc^roung, in
bem aber je länger befto beutli(^er fürc^terlid) roürgenbe Gräfte
bes 2obes unb ber Sluflöfung, ber feeIifcJ)en unb ber fogiaten S^r«
fplitterung fic^tbar werben, bie fditiefelic^ gur ^ataftrop^e führen.
2lber in ber ^ataftropt)e jelbft fpringt f(i)on roieber ber neue, ge*
funbe fiebensroitle auf, ber unter jenen roürgenben S:obesm5d)ten
nur fct)Iummerte unb burc^ fie ^inburc^. Ja mit i^rer §ülfe fic^
in neuem 2tnfaö burd^fe^t. 5)em großen „6tirb unb SBerbe"
fiann felbft ber glängenbfte äußere Sebenstag nic^t entrinnen.
S)er Xriumpf) bes ©ottlofen ift nur clenbiger äußerer 6(i)ein, ber
bem 3(uge beffen, ber bas fieben mirfiliii) ^at, nie entget)t, fonbern
fid) it)m in ber fürdtjterlidien inneren Seniffen^eit, llnfi(^ert)eit unb
3lngft offenbart, bie aller bem ^obe guftrebenben (gntroidklung
inneroo^nt. 933orum ^at bie Qßelt it)re großen fiebenströger
immer getötet? Sod^ nur aus '5urd)t! 913er oor bem großen
SDöIkeriiriege klugen I)atte, äu fe^en, ber ^at unter attcr ©(^ein*
pile eines kräftigen, glanäoollen fiebens biefe Sobesmäd)te ma^r»
l^aft erfd^redienb genug am QBerke jefei^en.
S)er fittlic^e SDille, bas Reifet ber burc^ ©Ott gebunbene
QBille, ift uneingefc^ränkt ber fiebensroiUe an fit^, er ift bas Seben.
S)arum ift aße (gntfc^eibung groifc^en ®ut unb 5Böfe unbebingt
glcic^bebeutenb mit ber ®ntfct)eibung groifc^en fieben unb Sob.
©ie ^offt nidjt erft auf biefe ©ntfdjeibung in einem jenfeitigen,
gäuälid^ unbeflnierbaren Safein, fonbern fie ooßsie^t biefe (£nt*
f(i)eibung unmittelbar. Sas „emige fieben" ift nic^t etroa ein
fieben „nad) bem äeitlic^en ^obe," fonbern es ift unab^ngig oon
it)m ha unb flutet burd^ it)n t)inburd^, \a fpringt aus i^m auf
rote aus Jcber fittitcfien ©ntfctjetbung, rocnn er fclbft als fittlic^e
Zat auftritt.*) ©ie Unterfcfjeibung smifc^cn äeitUdjem, geiftlic^em
unb eroigem 2obe gehört nic^t in bas ©ebiet ber religiöfen Wa^x»
^elt. ®iefe kennt nur ein Seben unb nur einen 2ob; beibe
*) 5luf bie in ber rcligiöfcn SSSatir^eit fcf)Iummcmbe Hoffnung
kommen toIt ausfü^rlid) im 4. 2lbfi^nitt bes nöc^ftcn Kapitels.
— Gr-
ober treten nur an ben 3"«cnpunlit ber Sebenscntrotcfilung beutltd)
unb fc^arf In bte 2BtrkIic^feelt. ®cr oon aufecn gelegene ficbens*
tag unb ber Ielblt(^e 5:ob finb als äußere Sebenserfc^etnungen
gängttc^ tnbtffercnt^ gegen bas rolrliUc^e fieben unb ben rotrfellc^en
Sob unb können nur p ©Icld^nlffen für bte tiefere Wixklid)'
feeit werben.*) Wo blc Eingabe tft an ben ^öc^ften SebensrotUcn,
ber nur ben lebenblgen 3iittC"pii"fet ^^^ ^ntroicfetung anfaßt, ha
Ift bas Seben, roo bte fioslöfung üon t^m ift, ha Ift ber Zot>.
9loc^ eine ^Ibirrung, bte \iä) an ble 2lu5prägung ber reit«
gtöfen SBa^r^ett in ben „betbcn 9Begen* geheftet ^at, muffen rotr
befonbers ins 2tuge faffen, obwohl t^re gutüdiroctfung im SBts«
^ertgen fc^on enthalten tft. ®ie bctben 2Dcge ^abcn in ber ®e»
f{f)id^tc ber religiöfen Söerkünbigung auf mute ©tredien bte ^orm
bes ©egenfa^es grotfc^cn „(Seift unb ^letfd^" angenommen. 9Bo,
rote bei ^aulus, ber (Seift has Seben (im religiöfen ©inne), bas
^letfdi aber ben Sob, bas 93erfattenbe, barftellt, ift bagcgen nicfits
einguroenbcn. Wo aber biefer ©egenfafe, rote 'in ber platonift^en
«p^ilofop^ic, has ©eiftige unb körperliche, bas llnfid)tbare unb
bas Sichtbare, bic 6eele unb ben fieib im 3Iuge I)at, unterliegt
biefe Normung ben ftärkften 95ebenken. ©ie ift nid)t6 anberes
als eine befonbere ^Jorm ber ^projigtcrung etner nur om ^^nen*
punkt bes Sebens fid^ ftetig öoUäte^enben ©d^elbung in bie 3lufeen«
feite bes ©afeins, eine 95erfefttgung unb Srftarrung ber beiben
9Bege. 6eele unb fieib, ©ciftiges unb körperliches, Unflc^tbarcs
unb ©tdEitbares „ejiftteren" nirgenb in abgefc^Ioffencr ?Beife unab*
^ngig üoneinanber. ©ie liegen oieImct)r oößig ineinanbcr. S)ie
religiöfe 9Bat)r^eit als roirlifames fiebensgefe^ l)at ein grofees
3ntereffe baran, fic^ t)on biefen „©einsfpefeulatlonen" ber ^l)ilo-
fop^ie losäufagen. ©ie fc^teben bte Icbenbtge 33erfeünbtgung, bte
in jebem 5lugcnbltcfee bie oöße fiebcnsein^ett, ©eiftiges unb
körperliches in organifc^er 95erfc^lungent)ett be^errfcf)en rotU, auf
ein totes ©leis. 55er fittlic^e ©egenfa^ grotfc^en ©ut unb 58öfe,
*) 9Btx roetfcn ^icx nodtj einmal barauf fjtn, ba^ auci) ber ^cuscs«
tob 3cfu nur als ©letdjnis für bic tiefere Sebcnstotrlittdjkett bas ficben
rotrklic^ in fid) trägt, nict)t als rein äußeres ^oktum. 9Iur als S;räger
bes Sebcnsgcfeges ber großen Eingabe beutet, bcarotngt unb befreit er
bas Seben, nic^t als opus operatum,
— Ö3 —
bcr religiöfe ©egenfa^ grotfdjen fieben unb Zoh — mas \a betbes
bQsfelbc tft — t)at gatmc^ts mit IrgeitbrocIcJicn fpefeulatioen ®c*
gcnfäfecn ätDift^en «1)6-/y] unb okri unb t^tcn "Slblcgetn ä^ tun.
<Q3ir werben, njcnn roir uns je^t ber ln^altltct)en Normung bcr
„beiben QBege" im grofeftäbtifd^en ©egcnroartsleben äuroenbcn,
fogar fe^en, roie bie oon bcr ^^ilofop^ie fo oictgcfc^mä^tc fic^t*
bare 9latur in ben ©tenft bes fttttidi ®uten, bcs rec^t ocrftan»
benen „©eiftes" unb fiebens tritt.
Uebcr ^ad)i ift bie 9BcIt, bie fic^ in ber ©ro^tabt it)ren
moc^tooHen Körper gefc^ajfen t)at, roieber oor bie grofee €nt«
fd)eibungsfrage geftellt roorben: Seben ober Zob. lieber bo^rt
fic^ bie fd)arfe ®d)eibelinie ber „beiben 9Bege" in bies (£^aos
hinein. €6 roiU fogar fc^einen, als ob fie fc^on äufeerlid) in
i^rem fiebensgetricbe gans beutlirf) fii^tbar roerben rooUe. 31^ ^c^
©egenfoö „3"9ß"^ unb Qllter" fd)eint fie fc^arf ^erausfpringen gu
moHen. 2Iber es roäre oerlief)rt, fie irgcnbroo in ber äußeren €nt*
roicÄlung feftlegen gu rooUen. S)enn bie 3"gßn^ tf* ^eine feft«
fte^enbe ©röfee: bas fieben felbft forgt bafür, ha^ fie morgen
fc^on bie ©puren bes Sllters an fid) trägt, ^n ber '^nwenfeite
bes Sebens allein offenbart fiel) bie fc^eibenbe ^raft. ^n ber
3ugenb fe^en mir fie barum am beutlicfiften aufbligen, roeil fie
noc^ entfc^eibungsfötiig ift, roä^renb bas Sllter t)eute biefe ijä^ig*
Iieit im blinben ©ic^treibenlaffcn roeit^in oerloren ^at. ©entließ
treten an bem S^tnenpunlite ber roirbeinben fiebensflut roiebcr
^öftepole einanber gegenüber, bie abftofeenb ober onäic^cnb
roirfecn. 9Bir motten t^rc mlc^ttgften Normungen an uns- oor*
übergießen taffcn.
Kultur unb 9latur Reifet bie erfte. ©ic trägt eine un-
crfcßöpflicße ^üUe oon €inäclentfcßeibungen in ißrem ©cßofee, bie
bocß alle im ©angen ber fiebensentfcßeibung rourgetn unb bas ©ange
in ficß tragen. 9lber biefe ©egenüberfteflung offenbart fcßon auf
ben erften ©liefe, ha^ fie nießt eine äufeere ©ebietsfeßeibung, ^tma
greif cßen <otaht unb fianb, greif cl)en feompligierter unb primitioer
fiebensgeftaltung bebeutet, roie man fie im 9flouffeaugeitalter, na-
türlich oßnc Erfolg, gu ocrroirkließcn oerfueßtc. 3n ißr prägt fie^
olelmeßr eine unenblict|C ^üHc organifeß miteinanber gufammcn«
t)ängettber Sntfel^cibungen aus, bie 00m S^^nenpunlit bcs Sebens
_ Ö4 —
ousgefjcn unb t)on t){er aus bas fiebcn gu burd^brtngcn unb neu
äu geftatten fud)en, babel Ifeeinesroegs bie „betben QCege* als
fid^tbare ©ebtetsabgrengungen barftellcnb. QBir loollcn ben ©tun
bicfer 6c^etbung ouf einigen filmen oerfolgen.
S)te Kultur fud)t bte 3lufecnfclte bes fiebens gu gcftalten,
ble SRatur fc^offt con Innen I)er. ©as ©ebtet ber Kultur ift bas
2lu^enn)erf{, ber 3lusbrucfe, bie 92tac^tfütle, ber flcEitbore ©c^eln,
bte gefettfd)aftIlc^e^orm, bas ©taatsgefe^, btc poltttfcfje ©ruppierung,
ber n)tffenf(^QftItd^e ^ortfctirttt, bte tec^ntfc^e £ebensbet)crrf(^ung ;
bas 2Defen ber Statur Ift ble f(^bpferlfd)e ^itnett^^^aft, ber ®d)affens-
brang, bas ftllle ^Bac^stutn, bte organlfc^e €tnfad)^elt, ber
fi^roeigenbe S)tenft, bas ©li^felbftgcnügen. ®te Kultur überbietet
flc^ in raftlofem ©treben, bie 9Xatur ftrebt nid)t, fie ntüctift. S>le
Kultur Ift üon ftönblger 2lngft um if)ren SBeftanb erfüllt, fie
famntelt unb fjütet öngfttid), weit fie ben ^eim ber ^Sergänglld)«
fielt In flc^ fü^It; ble STlatur kennt keine ^mci)t, fie lebt unb
ftlrbt, well es l^r ©efefe Ift, unb reell fie unerfc^öpflldjes fieben
In \x(i) TOelfe. 6le forgt nld^t um hm 6c^eln. QBos fie an
©d^ön^eltsformen geftaltet, fällt ll)r gu unb fällt eben fo fd)nell
Don l^r ob, oi^ne 6tolä unb o^ne ^lage. ©le Kultur fud^t
fieberhaft ben 2leicf)tum, ble 9latur trägt l^n In flc^ felbft. 5)le
filllen auf bem ^Jelbe unb ble golbgeftlckten Kleiber, ble 6pcrllttge
unter bem §lmmcl unb ble angftöoU angefüllten 6(i)euern, ber
9fleld|tum bes ^ergens unb ber SJtammon ftei^en fiel) ^ler gegen«
über. Sas 9Befen ber Kultur liegt In ber iJüHe, bas ber Statur
In ber (£tnfa(^^clt. ©le Kultur fuc^t ble Srelb^ausfc^mülc, ble
Statur Sturm unb ©onnenbranb. S>le Kultur Ift burd) unb hmd)
Inblolbuallftlfci^, ble Statur Ift bk SBelt bes ©emelnflnns unb
bes S^fammenklangs. S»ur(^ ble Kultur älet)t bas lauembe
3ni§trouen unb ber ge^renbe Stelb, ble Statur Ift tro^ aller ^elnb»
fc^aft, ble fie burdjälelit, oon einem gel)elmen Sßertrauen auf eine
le^te Stotroenblgkelt unb eine legte ©emelnfamfeelt burcl)fcelt.
®te Statur Ift rein unb ftork In l^ren Erleben, ble Kultur lüftem,
oerftecfet unb aufrelgenb. ®le Kultur fud)t ble ^Inrelgungsmlttel,
ble Statur lebt aus einem unerfc^öpfllcl)en SBom. S)le Statur Ift
treu, unermüblld^, beftänblg, arbeltfam bis gur €rfcl)öpfung, ble
Kultur trog l^rer ^aft In l^rer Slefe träge, unguoerläfflg, fc^eln«
Ö5
eifrig. 3)ie 9latur ge^orc^t eiotgcii unb unoerbrüc^Ucticn ©cfe^ett,
bie Kultur fc^afft täglich neue ©efe^e, roett bte alten nic^t
genügen.
Sfflan feann btcfe ©egenüberftellungcn bis ins Unenbli(^e
fortfe^en. '^ehtm ©rofeftöbter, ber bis gu bem Suri^brud^spunfet
bes „Stirb unb 3Berbe" gelangt ift, brängen fie fitf) täQlid) neu
auf. 5Ber bas „®tirb unb 913erbe" nic^t ^at, fiet)t fie übert)aupt
ni(i)t. S)enn es finb nic^t „objefetioe" ©egenfä^e in bem 6inne,
t)a% fie burt^ bas 5lufeengebiet bes fiebens für iebemtann fid^tbar
^inburdjgietien. 313er auf ber anbern 6eite bes fiebens ftet)t,
roirb immer genau fo „objelttiö" fagen können, hQ.% bie SJlatur
bie ©runbäüge ber Kultur in nod) oicl ungebrochenerer unb ut=»
fprünglic^erer e^orm in fit^ trögt als biefe felbft. S)enn Kultur
unb ?latur finb garlieine „objektioen" ©egenföfee im ©inne jener
6einsbetrad)tung. S^rofebem liegt hinter biefen ©egenfä^en eine
oiel ftörfeere 3BirkIid)feeit, als atte fogenannten „obie&tioen" 956=
trad)tungen fie überhaupt in it)rer §anb ^aben. hinter it)nen
liegt ber allmäcf)tig anbringenbe neue fiebensmille, ber nur bie
^orm fud)t, um fid) burdiäufe^en, ber oon bem eroigen Sebens=»
gufammenfjang roieber gepacfet roorben ift, hen er fü^It in hen
Urgrünben ber Statur.
S)iefer neu auffteigenbe SebensroiEe finbet unb formt fid^
felbft an biefen Urgrünben. Sarum roirb alle religiöfe 2Bal)rt)cits*
oerfeünbigung unermüblic^ auf biefen Urquell zurückgreifen muffen.
3n immer neuen formen roirb fie aus it)m bas SHaturgleic^nis
— nid^t nur bas Staturbilb! — herausholen unb es bcutenb,
befretenS, groingenb in bie ©egenroart roerfen. ^n hm gudicnbcn
Soliden, ben braufenben ©türmen, bcn roogenbcn 5le^renfelbcm,
bcn lebenbigen Keimkräften ber Statur root)nen bie croigen ©efe^c
bes fiebens, bie ^eute roieber bie ^crrfc^aft antreten rootlen.
93eibes roirb ^icr unäertrennlict) gufammenge^en: bie 93erkünbigung
ber QBa^rfjeit aus ber Statur unb bie praktif(i)e 95erroirlilic^ung
naturtiaften fiebens. Ser neue Staturfinn trägt religiöfe SBinbung
unb fitttirfie ^orbcrung als ©in^eit in ficf). (Er roirft fic^ als ber
5;räger bes „Sebens" bem Xobestanj ber ©rofeftabt entgegen.
S5as fieben, bas er am SBufen ber Statur roiebergefunben ^at, ift
nid)t nur pt)t)fifc^e £ebcnsgefunbt)eit — obroo^I biefe eine Seite
— 96 —
bc6 neuen fiebens Ift — fonbcm bte ©croife^elt, bas fiebensgcfeö,
ben nnoergöngltc^en Sebensftrom, bte QBa^r^elt roteber erfaßt
gu f)aben, blc Anfang unb Snbe bes fiebens mitetnanber oer«
binben. ©aburt^ unterfdjelbet \xä) btefcr Sflaturflnn, bcr ble gange
©ci|ärfe bes ©egenfafees in fid) trägt, auä) oon ber Statur*
f(^n)ätmetet ber ©(^öntieltsfud^er. (£r ift fe^r oiel ernfter, forbernber,
unbebtngter. ®r roill Sebensroalir^eit, ^rein^eit, ^liraft; er roill
unoergöngtid^es Seben.
i5reilid) liegt in biefem ^unltte, wie alle roiffen, no(^ bie
UnabgeMärt^cit bes gro^ftöbtifd)en Staturjinns. (£r bleibt nur gu
oft in einer äufeerlid^en 'gomten«, ^aft* unb @efü^Isfd)n)ärmerei
ftedien unb ^at nur an roenigen ^i^nenpunfeten bie ooUe jittlic^e
Xiefe gefunbcn. ^zntB ^eilige 'geuer, bas ber ©efej^geber bes
Otiten 93unbes aus bem ^Bufdt) ber 3Büfte l^erausfprii^en fa^, bas
bo(^ nid^t üerge^rte, n)irb nod^ keinesroegs überall geföiaut. ^ber
es ift im aufflammen begriffen in biefem ©egenfa^ „Kultur unb
SRatur". S)ie Statur als ©eiftträgerin unb '^Billensmac^t, als
©efefegeberin unb ®otin bes lebenbigen ©ottes tritt langfam
roieber in i^rer urfprünglidjen 9Ka(i)t ber äcrfallenben ©rofeftabt«
kuttur entgegen, fie gcrmalmenb, besroingenb, burc^bringenb unb
neu aufbauenb.
S)asu mufe freilid^ in bicfe erfte t5ormung ber „beiben
9Bege" eine groeite, innerlid^ere, geiftigere ^ineintreten, fie er»
göngenb, ktärenb, oerfitttic^enb. 6ie tritt nid^t etroa in ©egenfa^
äu i^r, fonbem fie erroadjt unb erlteimt in i^rem ^unern wie ein
neuer 3ling, ber aud) bas ©an^e ber religiöfen QBa^r^eit gu um»
f äffen fucl)t. ®s ift bie ^Jaffung ber „beiben 3Bege", bie'mir ouf
bem SBoben bes neuen Seftaments als „©eift unb i^^eifc^" flnben.
9Bir muffen leiber biefe fe^r anf(^aulid^e 'gormung, bie mir f(^on
bei 3cfus finben („ber ©eift ift mtUtg, aber bas t^Ieifc^ ift fc^mac^")
folange mit 35orfid^t gebraud^en, roie bie ©efa^r befielt, hQ% fie
platonif(^ oermaterialifiert roirb unb baburc^ lebensfeinblic^ unb
erftarrenb mirlien kann. 9Bir fe^en eine anbere %omi an i^re
6telle, beren Serftänbnis ber ©egenroart na^e genug liegen roirb:
„933ille unb Srieb." ©abei muffen roir freiließ fofort er-
felörenb tiingufügen, ha^ roir unter 3Bitlen nic^t itroa ben fog.
»freien ^Dillen" uerftefien — ben es nlc^t gibt — , unb ha^ ber
— 97 —
Srlcb nlc^t ctroa lturacrt)anb gletc^gcfcgt roerbcn barf mit „9tatur-
trtcb" — blc Statut ift feclncsroegs btc QBuc^crftätte bcr Stiebe,
fottbetn bie aBitfeungsftötte eines fe^t ^tav^en OBillens. Was
bic 2BeIt ben „ftelen aBißcn" nennt, ftetjt bct 5:tiebkültut oiet
nä^ei als bie «Ratut. *) aDille ift roitkenbe ^taft, bic
nac^ oben unb nacf) innen gebunben ift, Stieb ift oet=»
fptütienbe ^laft, bie nad) unten unb narf) aufeen jei*
fliegt. 3tUc (gntroicfelung ift fa oonoättsbtängenbe fiebensfetaft.
®ie ttägt abet in jebent 5lugenblicfe biefe (gntfc^cibung in it)tem
©c^ofee: entroebet nad) oben, einem übet bem gegenroättigen
«ntroicklungsftonbe fte^enben giele gu, obet nac^ unten, su einem
fc^roungootten g5etfptüt)en ins Sal; entroebet nac^ innen au immet
ftätfeetet ©ammlung bet ^aft unb gtö^etet ^ntenfität bet QBitliung,
obet noc^ aufecn au immet bteitetet unb flac^eiet Entfaltung.
S)et fc^malc unb hit bteite 9Keg ^i]u finben in biefet ^otmung
„2BiIIe obet Stieb" itjten t)eute gültigften 3lusbtucfe.
3lIIe (£ntroicklung bet t)lntet uns liegenben Epod^e root ja
gatnid)ts anbetes als eine 2lusfattung bet ^öfte, ein tofenbes
6tütaen h&c 3Daffet au Sal, ein Etfdiöpfungsptoaefe bis aum 6t-
f(f|öpfungsktteg, eine fioslöfung oom 3"«^"?""^* "«^ ßtn roilbes
©tteben nat^ 3Iufeenroitfeung, ein jaud^a^^bes 6i(^tteibenlaffen,
eine SBetfd^roenbung bet SDetgangen^eitsIttäfte bes Äötpets unb
bet ®eele.
5tUe Sufeunftsentroicfetung mu^ bas ©egenteil fein: eine
35etinnetlid)ung unb Sammlung bet ^äfte, ein Empotftteben aum
©ipfel, ein 9Xeuf(^öpfungsptoaefe bct inneten Snetgien, eine ^atte
©inbung an ben bet)ettf(i|cnbcn ^unenroiUen alles fiebens, ein
95etai(i)t auf ben Iiutaen ©enufe eines oetfptü^cnben ^cuctroctlis,
ein langfames 3lufglimmenlaffen bes ©eiftes, eine in htv ®nt*
fagung geftä^lte Ätaft bes ^ötpets unb bet ©eclc.
3ebe ©tunbe, iebe ^anblung, jebcs neu angegtiffene 2Detk
fotbett biefe (gntfdjcibung, bie Sob unb Qehm ooneinanbet ttennt.
S)enn bet Sob ift ^uPfung bes fiebensfeötpets in feine SBcftanb«
teile, bas fieben ift SBinbung bes Sinaelroillens an eine t)ö^etc
unb rocitctgteifenbc fiebensmac^t. S)ct Sob nagt ftünblid) roeitet.
•) 95ergt. ben II. ©anb, 2. Kapitel.
2. ©eitmann, ©rofepabt unb SReltgion. 3. Seil.
-- ö§ -
oft unbcmcriit im ^lufe ber 'S^it, bas Sebcit aber niU ftünbltc^
TDettenoadifett unb neu fid^ bittben. ^i^ biefcr Normung „QBille
ober S^rieb" lotrb jebem, ber in bie Siefe ber fiebensentroidilung
f(^auen feattn, bie burc^ bas gonäe Safein loufenbe ©djeibelinie
fic^tbar. ^a6 „tägliche 6terben" unb bas „tägliche Sluferfte^en"
rolrb ^ier beutlid}.
(Eben barum ift aber auc^ notroenbig, ha^ bie religiöfe 93er*
Mnbigung biefe Normung ber „beiben QBcge" bis in bie feelifd^en
liefen l) erausarbeitet. 2Bir rooUen einige niic^tige ©efiditspunfite
I)eraus^eben.
3unä(f)ft mu^ barauf ^ingeroiefen werben, ba^ ber S^rieb
|td) feeinesn)cgs äufeerlid) auf ben erften 95Iidi oom QBillen unter*
fd^eiben täp. $ier fiefjt man roieber beutlicf), ba% bie ^projigierung
ber „beiben 2Bcge" in bie ^lufeenroelt gänglicf} irrefül)rt. 9Xur
am ^ii^ß^^^^i ^65 Sebens, in ber (£ntfd)eibung ber Qtunb^ ift
bie ©d^eibung lilar gu ooEgiel^en. S)as gcttalter ber abroärts*
ftürmenben Slriebfiultur tjat fid) mit größter 93orIiebe ols '^eiU
alter bes Qluff(^roungs unb ber ^Bittensenergie gebörbet. S)er
ftramme Optimismus, bas magemutige Unterneljmen, bie raftlofe
Slrbeitsrout, ber tjarte ^errfc^erroille, bie fc^neibige Sat maren
fein ^ennseid^en unb fein ©tolg. ?llles bies, roas äu^erlid^
nad) SBiUcn ausfiefjt, ift bod) in 9I3irfeli(f)feeit fein ©egenteil.
S)os ergibt fidt) aus folgenben ©gmptomen, bie freiließ nur ein
fdiarfes, auf ben ^nnenpunkt ber Sntmicklung eingeftelltes '2Iuge fie^t.
©iefer 6ct)einmiIIe f)ält bie unermübli(^ gerablinig fort*
laufenbe ^Bewegung für Qßißen. Sos Olusnufeen ber Chancen,
bas 9HitIaufen mit ben S)ingen, bas ©idiab^e^en unb ®a^in*
ftürmen foll Qleufeerung ber QDiUensferaft fein, roöf)renb bies alles
tatfödjlic^ bas ©egenteil ift: ein ©id)treibenlaffen, ein Stacfitaufen,
ein gutalftürmen. S)as QBefen bes Qißiltens liegt in ber ®nt*
fd^eibung. S>iefe aber ift immer eine mit ber 'Slbfee^r oer*
bunbene (£ntf(^Ioffent)eit. ©ie bulbet barum nidjt bas ©atjin««
ftürmen, fonbem oertrögt fid^ nur mit bem ruhigen ®(^ritt bes
SBergftcigers. 3Bitte o^ne 3flu^e ift ein Unbing. S)ic großen
9BiIIenstaten in ber ©efd^it^te finb immer in ber QBüfte geboren
roorben unb f)aben immer aus ber 95erfenfeung it)re ^raft unb
i^re unbebingte (Entfc^Ioffenl^eit geholt. Sas Uncntroegtc, bas
— Ö9 —
3tnpulftt)c, bas ruI)cIos 93orn)ärtsbröngenbe ift n{d)t nur bos
3lttäet(^en eines geftörten Sternenftiftems unb einer überbefdjteunigten
§erätätigfieit, fonbern aud) einer |tttIi(^en§aItIofiglieit unb 6d)n)äd^e.
©er SBille mu^ 3cit ^aben, bis „feine 6tunbe gekommen ift".
3ft fie aber ba, bann greift er furd^tlos unb o^^ne Söö^rn burd),
mä^renb ber SdieinmiEe gerabe in ber 6tunbe bes ^upaäi^nB
bie 3lngft nid^t los mirb. 5)enn biefer oorroörtsftürmenbe SIrieb
ift im fdjlimmften Sinne abhängig oon ben ©ingen unb i^rcm
fiauf, bie er ängftli(^ beobacf)tet, anftatt fie mit ficf)erem ©riff gu
bet)errfc^en. Ss gibt nirgenbs fooiel ^eig^eit unb 2lberglauben,
mie in ber ruI)eIofen 9BeIt ber unentroegten ©efcE)äftigfeeit. '^n
htm roirkifdien ©trom ber gegenroärtigen QBelt, ben ©t^iller aßer«-
bings nod) nicf)t Rannte, ^at ftct) nod) nie ein C^arafeter gebilbet,
fonbern ^ödiftens ein Salent, bas feine llnfid)er^eit unb Hnab«
gef(i)Ioffenf)cit burcf) eine gefct)icfete 3loutine oerbirgt. S)ie 51 b*
fee^r oon bem Strom ber S)inge, bie erft ben n)at)ren §errfd)er»
roiaen kenngeic^net, fe^lt ber fid) in feettfc^er ^bt)öngiglteit oon
ben ©ingen beroegenben 6d)einenergte, ber unermüblicf)en Unter»
ne^mungsliraft oollftönbig.
Sagu kommt ein gmeitcs Symptom, bas mit bem erftcn
äufommen^ängt. S)er OBilte roirb um fo fict)erer unb fefter, ie
t)äufiger er äupacfet unb je größer bie Sc^roierigfeeiten finb, bie
fi(^ i^m entgegenftetten. €r ift immer raac^fenbe Sebensenergie.
Ser triebhafte ®rf)einn)iae bagegen nu^t ficf) ah unb fcf)öpft fic£)
aus, je länger er ben Singen in fc^einbarer S8et)errfcf)ung narf)-
läuft. ®ie oerbrauc^ten unb abgenufeten 92lenfc^en bes ©ro^»
ftabtgeitalters offenbaren bas n)at)re ^efen bes SDillens, ben es
äu befi^en roä^nt. 3n jebem aufmärtsfteigenben geben ift felbft
bas körperlidi abgegelirte «Ulter nocf) konsentrierter «Dille, man
foUte bie ©efangenfc^aftsbricfc bes großen 5lpofteIs .einmal unter
bicfem ©efic^tspunkt lefen. Sas eingige 2Bort, bas ber ^unbert»
iö^rige ^o^anncs noc^ fprac^, roöfirenb er nur noc^ in bie ©e-
meinbe getragen roerben konnte, ift kongentrierte fiebensmeis^eit
unb ^ö^enkraft. <man mufe folcl)en ©eftatten einmal bie kümmer«
liefen ©enufegreife ber ©rofeftabt entgegenhalten, ©er mirklictje
aUiUe ift immer fic^ langfam fammelnbe geiftige Energie unb
barum gune^menbe fiebensbetierrfc^ung, ber Srieb bogegcn ift fic^
— 100 —
immer tiefer ins rein ^örperlid)e oerftridfeenbe 6d^einenergie, bie
fl(^ langfam, ober ftd)er austobt unb in elenbe unb abt)ängige"
6(i|n)äd)e oerflüd^tigt. ©arum trifft ber ©egenfa^ »®eift unb
^leifd^*, roenn er lebenbig gefaxt mirb, burd^ous bie 6ac^e. 3)er
(Seift ift ber 2tuf trieb, bie unoergänglii^e fiebensferaft, beren
9Befcn in ber ©ammlung unb ber 5lEbet)errf(i^ung liegt, bas
^leifc^ bagegcn bas abwärts giel^enbe 6{^n)ergen)i(^t, bas S^t*
fattenbe, ^lac^giebige, ©tcrbenbe.
9lod) ein brittes (»gmptom offenbart bie Unfät)igfeeit bes
triebhaften ©dieinroillens, roirklid^e QBillensKraft p entfolten: fein
gängtid^es Q5erfagen in ber 95itbung fogialer Gräfte. 6 d^ einbar
entroidielt er eine ftarlie fo^iole ^Ingieljungsliraft. 5)as abwärts
ftürmenbc S:riebleben haftet fo gut roie nie am einzelnen, fonbern
ftets an SHaffen. (£s fuc^t ben Slnfc^Iufe. S)er 5IIfeof)oIüier,
ber ©eniefeer in jeber ^5o^^i"> ^^r unrut)ige 93etriebsgeift erträgt
nie auf bie S)auer bas 9tIIeinfte^en. ®r,ä|öingt oft brutal anbere
in feinen ©innenraufd^ t)inein unb erfinbet immer roieber neue
Smangsmittel bes ©pottcs, ber ®(^einüberlegent)eit, ber tiebens«
roürbigen ^nsie^ung, ber gefeUfd^aftlid^en 6itte, nur um ni(i)t
allein gu ftetjen — aus 5eigt)eit. 9Ilan ^at biefen '3lnfd)Iu§trleb
bes finnli(^lieitsgebunbenen Sölenfdtien oft, nadt) bem SBeifpiel bes
Slaturtebens, ^erbentrieb genannt. ^Stun ift freilid) . ber gerben«
trieb ber Stere etroas oöUig anberes oIs biefes '5lnfd)tupebürfni6
bes ba^intreibenben „^ulturmenfctjen." S)er ^ulturmenfd) fuc^t
ben 3lnfc^Iu§ aus innerer Unficfier^eit, aus ^eig^eit, aus inftinfe«
tioer ^ngft oor bem ^bgrunb, oor bem er fid) anfeilen möi^te,
möglic^ft fogar an fittltd) überlegene unb reinere 2Ilenf(^en, bie
er 5U feiner eigenen 95erut)igung mitäiet)en möchte; barum erträgt
eine alfeo^olifdje ober fonftroie einem ftarken 2:riebleben frötjncnbe
©efellfc^aft nur mit äufeerftem SBiberroitten einen SHenfc^en, ber
nic^t mitmaciit. S)as Sier bagcgen fucfjt ben 3lnfc^Iufe, um fic^
an eine ^ö^ere unb ftärliere ©emeinfc^aft gu binben unb in it)r
^oß unb ©c^uö äu finben. ©s fügt ficf| ein, um im ©ic^ein«
fügen eine l)ö^ere Sebensbinbung gu geroinnen. 3n ^^^ gcmgen
STlotur lebt biefer 3Iuftrieb, ber QBitlc, ber gufammenfügen unb
oufroärtsroad^fen roitl. QIusgef(^Ioffen roirb t)ier ber, ber fid^
biefem 5Iuftrieb nlc^t geroaddfen geigt, ^n ber Xriebliuttur ift
— 101 —
bos gerabc umgekehrt: fie toltt bcn überlegenen ^Bitten, ben
lebenbigen 2tuftrteb mit ^inabäte^en. 3n ber 9Xatur ^errfc^t trog
oUer fc^etnbaren 5:rteb^afttgkelt ein get)cimer SBiUe, in ber
0pf|äre bes „Triebes" ift es gerabe biefer 9BiIIe, ber ausge-
fd)Ioffcn wirb. Sie 2Bett ber l^alttofen Sriebkultur burctjäietit
eine furchtbare ®e{)eimoerf(f)n3Örung mit einer brutalen (Energie
bes §anbetns gegen alles, roas „SBiUe" ift. ©ie klebt änfammen
mie ^ec^ unb ©d^roefel, o^ne boc^ foäiot binbenb 5U fein. S)ie
^raft bes mirlitic^en 3Dillens beroft^rt ficf) biefer SBelt gegenüber
auerft im 2llteinftel)en unb roirlit bonn burc^ bie in il)m mo^nenbc
l)öf)ere fiebensbinbung roirfelic^ gemeinfdjaftbilbenb. Ss 8ie^t bie
©eifter an fiel}, bie aufroärts moHen, unb bilbet mit i^nen ein
SBiüensjentrum, beffen ^raft in ber (Sntfi^eibungsforberung liegt,
nicf)t im äußeren ^roange, ber nur bcn QBillen markiert.
SRocf) einen SBlick muffen mir ouf bie neugeitlic^en 95erfuc^c
rid)ten, ben Srieb burd^ fijftematifc^e ^Bekämpfung eingetner feiner
geföljrlidiften unb fid^tbarften 3leufeerungen ju überroinben. S)ic
©ekömpfung bes ^Iko^oUsmus ftetjt ^ier an erfter ©teile. 60
geroi^ bie ftetig roat^fenben ©emüt)ungen na(^ biefer 3lid)tung
bas beutlidjfte ©gmptom bafür finb, ha% mir in ber Sebens*
cntroidtlung an ber ©urdjbruc^sftelle 00m S^rieb gum QBillen an-
gelangt finb, fo geroife haftet i^rer '^orm ein boppelter pfiicfio»
logifc^er 3^um an, ber allerbings in fteigenbem SHafee erkennt
unb überrounben gu werben fctjeint. <£s rourbe unb mirb aum
Seil no(^ überfel)cn, bofe bie Ijilflofe Sriebljaftigkeit ein ®efamt*
Habitus bes fiebens ift, oon bem ber SZliprauc^ bes ^llko^ols
nur ein ©gmptom ift. £)l)ne bie Ucbcrroinbung ber ©runb»
ric^tung bes fiebens bleiben alle (ginjelerfolge burc^ ^fotterung,
öufeerc SBinbung, ©clübbe, Smangsprogcffe ©c^einerfolge. ®rft
mo ber Umfdjlag ber fiebensric^tung oom Srieb jum SBiUen im
©angen ooUäogen ift, ift überhaupt etroas erreicJjt. ©a^ man
bas in ben Semperengbeftrebungen beutlic^er unb beutlicf)er fie^t,
offenbart fid) barin, t>a^ it)re 5trbeit me^r unb me^r bas ©cfamt*
leben in allen feinen perfönlic^en unb gefeüfc^aftlic^en Segietjungen
gu erfaffen unb fo eine burc^greifenbe 2Dillensbilbung unb
»binbung gu erreidjen fuc^t. ©0 l)at fic^ bie abftinente Sugenb»
arbeit l)eute fd^on immer TP?iter $ur wntoerfalen ^ugenbarbeit
— 102 —
cnttotcfeelt. ©er groettc, allerbtngs aud^ in ber Ueberrotnbung
begriffene, S^^tu^ befiel)! fic^ auf bie cinfeitig negatloe Raffung
bes Kampfes gegen ben ^rieb. (Es tft ein obttig unäulängll(^c6
©erfahren, rocnn man ben Srieb babnrc^ gu überroinben meint,
ba% man i^n unterbinbct, abfd)neibet, aushungert, ot)ne ben
pofitiDen ^Bitten, ber an feine ©tette treten foll, in ben 95orber=»
grunb 5U [f(f)ieben. SöTan barf nie oergeffen, ha% fomot)! ber
2rieb wie ber 9BiIIe ^erousroac^fcn aus bem einen Sebensbrange,
ber alles be^errfdjt, ha% fie nur bas 'Sluseinanberge^en biefes
fiebensbronges an bem €ntfrf)eibungspunlit bebeuten, ber auf ber
einen ©eite in ben 35erfaII unb Sob, auf ber anbern 6eite in
bie p^ere 5Binbung unb bas Seben tjinüberfü^rt. ®arum ift
entraeber bas (Sine ober bas 'illnbere üort)anben, einen inbifferenten
3n)ifd)enäuftanb gibt es nt(f)t. ®in „Stirb" o^ne ein „^erbe"
ift in ber fiebensentroicfelung nirgenb t)ort)anben. ©as 5tuge
mu% aber immer auf bas „9Berbe" gerichtet fein, benn aud^ im
inneren 2ebm fc^aut bas 2tuge nad) öorn.* §ier liegt nod) bie
grofee fiüdie ber '^Ibfünengberoegung, bie fie erft langfam gu fe^en
unb ausäufütten beginnt. Sie negative 3o^ci""ß5prebigt mufe
burc^ bie pofitiue 23erMnbigung bes (Eoangeliums abgelöft roerben.
Stur wo ber neue fiebensraiEe in betjerrfdienber ©röfee ermac^t,
wirb ber alte roirMid) überrounben. *)
3Han fielet, mie notraenbig es ift, ha% bie retigiöfe 95er*
künbigung biefe ^orm ber ^,beiben QBege" bis in i{)re legten
feelifrf)en ^ufammen^änge herausarbeitet. 0lur oon bem 3itnen=
punkt ber (Entmicklung ^er ift bas möglief), ^^ha 95eräufeerlid^ung
ber „beiben QiBcge" fü^rt gu Verkümmerungen unb (Sntftellungen.
5)en QBillen fafet man niemals an ber Slu^enfeite ber 5)inge.
SBas ficf) bort als QDille gebärbet, ift nur gu oft oerkappter
Srieb, ber, eben roeil er bie SHtaske bes Willens trögt, biefen
roenigftens für ben ^lugcnbticfe aus bem '^tl'bz f(i)lägt. 3Han
roeife, in roie l^o^em ©rabe ber allgeit gefcf)öftige ^efuitismus in
*) §ter fc^on muffen wir auf ein allgemein gültiges (Befeö ^tn*
roeifen, bas nur gu oft überfe^en roorben ift, befonbers oon ber ^irct)C,
bafe nämlic^ aUe reltgiöfe 93erkünbigung oorljerrft^cnb pofttio, ber neuen
Subunft gugeroanöt fein mufe. 3Btr kommen im näd)ften Stbfc^nitt aus*
fü^rlt(f) barauf jurüÄ.
— 103 —
ber ^ufeenroclt aQer Innerlich gebunbencn <5tttlt(^feclt überlegen
gerocfcn tft. «r war immer gtanäüoflcr ©d)etnrotUe, bcm bie
„<ll3elt" unbcbtngt gufiel, unb entpuppte m noc^ ftets als or-
gomfierter 2:rteb, ber, roo immer er feelifc^e unb foaiale 9Hac^t
geroonnen ^otte, a" 3u(i)tIofiglieit unb ^ufammenbruc^ füt)rte.
00 ift aucJj unfer heutiger ©taatsroille, \o fel)r man i^n als be»
^errfctienben aDiQen rül)mt, nicfits oIs organifierte Sriebltultur.
5)en ungeheuren Sriebmädjten ber menfc^Itd)en Slotur gegenüber
t)at er |ic^ n)at)rlic^ als ber Stad^troöc^terftaat bemiefen. 91ur oon
innen ^er jc^eiben jic^ bie beibcn 2Bege „^itte unb 5:ricb" filor
unb burdjgreifenb. 5tn jebe ^anbtung finb brei SHaMtäbe gu
legen, bie über i{)ren Sfiarafeter entfc^eiben. ©ie liegen ineinonber
unb entfc^eiben über bas ©onge. 2Bir motten fie in brei 'SxaQan
formulieren. S)ie erfte lautet: 3ft beine ^anblung ein 9Ioc^geben
ober eine Eingabe? ®ie anbere tautet: S)ient fie ber (Sammlung
ober ber ^erftreuung ber ^raft? S)ie britte lautet: 31* fi^ «us
^eig^cit oor ben 9Henf(i|en ober aus SDerantroortungsgefül^l für
bie 93Ienf(i)en geboren? §at fie biefe breifai^e ^robe beftanben,
bonn erft liegt fie fidjer auf bem 9Bege ber 9Ba^r^eit. 5)ics
mag feompligiert erfrfjeinen, ift es aber in ber "iprajis bes Sebens
nid)t. ^atfödjlid) liegen ja biefe brei f^r^gen ineinanber, unb es
gibt eine Storbnabel, einen geheimen Sebenstrieb im 9Zlenfd^en,
ber fie bereits in ber 6pt)öre bes Unberou^ten entfdjeibet. S>as
©ömonif (^e bes ©olirates ift in irgenbeiner ^Jorm unb irgenb«
einem ©rabe roenigftcns als "ipotenä in jebem 3nenfd)en oor^anben.
QBir nennen es gemeinfjin ©croiffcn. 2>as ift Kein befonberes
Organ, fei es rein formaler 5trt ober eines quatitationn^attlii^en
empfinbungsoermögens, fonbem es ift ber immer unb überatt
roirfefame fiebensroitte, ber bie ^ntfc^eibung gum §öt)eren forbert.
®s ift bas, roas ben 3Henfd)en aus feiner eigenen ©p^äre f)eraus»
rücfet, was it)n an ben fiebensftrom binbet. SDenn bas ©eroiffen
nic^t me^r anfd^ISgt, fo ift bas feeinesroegs nur ein ^Ingeicfien
bafür, bafe ein menfc^lic^es „Organ" oerKümmert ift, fonbem es
ift etwas oiet ^rnfteres unb ^eitergreifenbes, nömlit^ ein Seichen
bafür, ha^ an biefem «punkte ber Sebensftrom überhaupt oerfiegt
ift unb bas grofee Sterben eingefegt f)at, es ift bereits bas ©eric^t
$ier liegt ber «mft bes Sebens, aber auc^ -= bie «mögllc^fecit
— 104 —
bcr «rtöfung. ®tn Orgon oott t)öc^ftcr Slffcrcnätert^ett unb
€mpfinbtic^kett gu erfc^en, ift in ber 2DeIt bes Scbens ntc^t
mögttdi — t)tcr foU nton bte g3toIogcn t)ören — , aber bcr Scbcns«
ftrom l?ann in jcbcm 31ugcnbltdie rotcber in oollcr ^raft cinfefeen,
unb er tut es, roie bas Seben le^rt, fetbft nod) nacf) bem furdjt*
barften ^rteblcben. 9Bir kommen ouf biefen ^unltt in i>^m
2lbfc^mtt über „6d)ulb unb «rlöfung" äurücli.
®as, n)05 roir ©erolffen nennen, feann ni(f)t ertötet werben
ober oerfeümmern, roeit bcr lebcnbigc ©ott nic^t ertötet roerbcn
ober oerfeümmern Kann. ®r feann äurücfetretcn, unb er tut es in
jebem Qlugenbltdi, roo bie (Entfd^cibung gu ©unften bes Triebes
getroffen mirb. S)enn in biefer (£ntf(f|eibung liegt nun no(^ ein
fieötcs unb Xiefftes. (£5 tritt ^eroor als ein lefeter 3niicnring
innert)alb ber religiöfen 9BaI)rf)eit, ber in ber ^ödiften unb hmd)*
f(f)Iagcnbften ijormung bcr ;,beiben 2Dege" oor uns liegt: „©Ott
ober bas 3ct|."
©6 mag auffallenb fein unb fofort' QBibcrfprud) roccÄen,
bafe bie Icfetc 9Birlilicf|keit, mit ber aüc Sleligion, la aUes fieben
ftel)t unb fällt, ©Ott, t)ier gebunben roirb an htn ^nnenpunkt ber
®ntn)i(Älung, ja mc^r als bas, bamit aut^ an ben ©egenfag bes
©tirb unb QBerbe, an bie ©dfcibung ber beibcn 3Bege. 3f^ ^5
nidit bas '9Befen ©ottes, ha^ er bcr ^ürfic^feienbc, ber Unab»
pngigc, ber ^Ibfolutc ift? 3ft i>ö5 nict)t eine gang unmögliche
93erfd|Iingung feiner unbebingten SHajeftät in ben großen €nt-
roicfelungsproäcfe bes Sebens, roenn er an biefen felbft unb feinen
3nncnpunlit gefiettct roirb, anftatt unabpngig über i^m gu ftet)en?
60 fpri(i)t nur ber, bcr I)offnungsIos in bie ©einsfpekutation
ber ^^ilofop^ic ^inabgefunken ift unb barum bas 95ebürfnis, fa
bie ^nmafeung ^at, ©ott fic^ „objektio" gegcnüberäufteHen. ©arin
liegt gerabc bie ^errenmajeftät ©ottes, ha^ er immer unb überall,
roo er in bie QCirMic^lieit tritt, €ntfc^cibung forbert. lieber
bas „ ©afein ©ottes" 95etra(^tungen, SBeroeife, ©rünbe aufguftcUen,
ift fc^on ©ottlofigkcit, ift fc^on bie fioslöfung oon feiner gBirk»=
lic^fecit. 3^n „an fic^" gu benfeen, ift fct)on 3luflc^nung bes
©efc^öpfes gegen i^n. Sr „ift" für bas ©cfcljöpf, roeil er es in
feiner ©eroalt tjölt, unb er „ift" für es in um fo t)öl)crem 3nafee,
je ftärlier er es gefaxt f^at SBirfelic^feeit ©ottes ot|ne bie ^crrft^*
— 105 —
gcToatt am Sttncnpunktc bcs Scbcns ift nur ©cfjcinrotrfeßcfifeeit,
mit bcr btc ^^eologen allcrbtngs fett ^a^rtaufenbcn etnen fc^Kmmcn
Unfug getrieben ^aben, inbent fle ftc aus ber ©c^rlft, ber 9latur,
ber 95emunft unb anberen 25ergöngltc^feelten gu enoeifen fuc^ten.
S)te «roirkac^ltctt ©ottes tritt immer unb überaE gang allein auf
als bie bas ^d) begroingenbe, überroältigenbe fiebensmactit, bie
im gegenroörtigen «ugcnblicfe hin unbebingten ©e^orfam forbert.
„©Ott ober bas 3c^*, in feeiner anbcrn t^orm ift er ie h^m
©efc^öpf natiegetreten. 3t)m gegenüber gibt es nur «ntfdjeibung
unb ©e^orfam, feein SBetrac^ten unb S8cguta(^ten. ©elbft ber
Sobpreis ©ottes ift ©e^orfam, feein ^nerfeennen oor irgenb einem
menfc^lic^en ^orum. ©ott tritt in bie OBelt bes 9Henfc^en immer
als ber eine QlDeg, neben bem locfeenb ober broI)enb — je nac^
bem (E^arafeter ber ©tunbe — ber anbere liegt: bas ^d). 5)ie
fiofung lautet nic^t: ©ott unb bie ©eele — lautet fic fo, bann
folgt bie gottlofe ^ortfegung fofort auf bem ^^ufee: bie ©eele unb
it)r ©Ott — , fonbcm fte lautet: ©ott ober bie ©eele. Stur roo
bie „©eete" oerloren mirb, reftlos bis in i^re innerften OBünfctje,
Sinfprüdie unb Hoffnungen, ha wirb bas fieben, nämttii^ ©ott,
geroonnen. ©arin liegt bie furchtbare unb borf) fo unenbtid^
gütige ©röfee ©ottes, ha^ er ben 9Henfc^en gang fid) fetbft ent=»
reifet unb gang in fiel) ^ineingie{)t: „S)u ober ^d)." 3cber ^om*
promife, ber ^ier ber „^erfönlid)feeit", ber „menfc^Iic^en i^i^ei^eit
unb QBürbe" noct) einen legten 9left belaffen roiU, tötet ben ©ruft
unb bie ertöfenbe ^raft ber 9flcligion.
^ber ift nid)t bie (£ntf(^eibung an bem ^i^nenpunfefe ber
«ntroicfelung einmt „perfönlic^er^reitjeit"? QUit nickten! ©ott
ift es, ber ha roirfeet beibes, bas 9BoEen unb bas ©oHbringen,
nacf) feinem 9Bo^IgcfaIIen. 3lud) liegt nic^t in ber ®ntfc^eibung
bas le^te ©e^eimnis, fonbem barin liegt es, ha^ bie (£nU
f(^elbungsfrage überhaupt geftellt roirb. ©ie tritt an
ben aUcnfc^en ^eron, guerft leife bo^renb, bann immer felarer unb
unentrinnbarer ftc^ öffnenb, bis er an i^rem ©c^eiberoege fte^t:
Q^htn ober Sob. ©ami(i)ts ^at er in feiner 9nacf)t, um biefe
ijrage aufgutun, gamic^ts, um i^rer unausmeic^Iic^en ^orberung
gu entrinnen, garnict)ts, fie naä) feinem 95elieben gu beantroorten.
S)as fieben ge^t feinen aDeg, unb, ber 33tenfc^ t)ört nur feine
— 106 —
©ttmme: „i5ol9C mir naf^l" ©r füf)tt in \id) bic 9Had|t, btc
jtc^ gegen btes „^olge mit nad) !" ftröubt, bcn ^c^njitten, ber aber
eben fo furdjtbar getjcimnisooll ift rote ber forbernbe ©ottesroitte.
(£r mufe ben ^ampf ber beiben 9BiIIcnsmä(^te burc^kömpfen, bis
er elenb am 5Boben Hegt unb lieine (£ntf(^Iufekraft me^r in iljm
ift. Sr kann garnicfits baran mactjen, i^n abguliüräen, il)m 3U
entrinnen. (£0 ift roie eine ^anfe^eit, bie burd) bie ^rifis t)in=
burc^mufe, bis bie ©tunbe ber ©enefung fcfildgt.
5)cr 9Henfd) Iiann nur fagen, roie es ift. QBarum es fo
ift? 9Ber barf gegenüber ben 2DirkIi(i)lieiten, bie uns um»
Mammern, naä) bcm 2Barum fragen? 3Ber roitt fagen, roarum
er geboren rourbe? QBer roiti erMären, roarum er roiebergeborcn
rourbe? ©prid)t ouc^ ber Son gu feinem Söpfer: SBas madjft
bu? 9Ber roill barüber eine ©rfelärung abgeben, ha^ roir f)eute
hzn S)ur(f)brud| bes neuen fiebens an taufenb ^unfeten erleben,
\>a% es roie aus un3ät)Iigen öueüen aus ber Siefe bri(i)t? 2Der
J)at fie ge^eifeen, gu gleicfjer geit bas ©eftein gu oerlaffen? 2Ber
roiE bagu etroas fagen, ha^ oor biefem ®urc^brucf) ein burd^ bie
3at|rt)unberte ge^enber SSanlirott fid) oollgog? 9Ber ^at bie
^ataftropt)e t)eraufbefd)rooren, bie i^n ooßenbete? QBer t)at ben
2Jlut gu fagen, ha fei irgenbroo menfc^Iidie ^reit)eit? @s ift bas
fieben, bas uns in feinem (Entroi(^tungsbann i^ält, es ift ber
lebenbige ©ott, ber fein 2Berfe fc^afft. 2I3ir Itönnen oon aufeen
nur feinen ©puren nadjgei^en, oon innen muffen roir gel)or(i)en.
3e^t ift bie ©ntfd()eibungsftunbe ha, bie roieber bie ^ragc nad^
Seben unb 2ob fteEt. ®afe fie oor 50 ^a^ren nic^t ba roar,
fonbern bas ^ti) bamats bas 9Ita§ aUer Singe roar, roer roill
barüber rid^ten? Unh roer roill uns baoor retten, ha^ roir jene
Seit als in ©ünbe unb 3^^"^" oerftridfet fe^en muffen, rocit
bie gegenroärtige ©tunbe uns barüber bie 3lugen geöffnet t)at?
QBer roitt bas Sebensgefefe red)tfertigen: „©ott ^at alte befc^toffen
unter ben Unglauben, auf bafe er ftd^ atter erbarme"?
(£5 gibt Sitten, in benen ber unoergänglic^c Sebcnsftrom
gu fcl)lummern fcl)eint, roie bie 9latur im QBinter. Qn QBirfelic^«»
keit f(^lummert er ni(f)t, fonbern er arbeitet im ©tillen für ben
neuen Sebensanfo^. 5lber ber lebenbige ©ott f(^eint fern gerücfet
gu fein, unb nur bie ©e^nfuc^t unb Hoffnung ge^t i^m träumenb
— 107 —
nocf). 3)le3Beltaberätet)t tobenbunb lärmenb burci) feünftUc^ er-
leu^tetc Sate unb langt um bos golbene ^alt>, n)ät)renb im
S)unfeet ber SDotke neue ©efe^e entfielen. Sann aticr tritt er
plöötic^ mieber unter fie, gornglüfienb unb it)nen aEes gerfdimetternb
oor bie ^üfee roerfcnb. ©s gibt ein rtjijt^mtfcfies 5lu^ unb 515-
fteigen bes großen ©ntroicfelungsftromes unb bementfprec^enb ein
«ßerbunfeeltroerben unb ^eUes 3Bieberaufleuct)ten ber rcligiöfen
«Ö3at)rt)eit. ^uc^ bie 9flettgion ift ein n)ad)6tümli^es ©ebilbe unb
mufe roorten, bis „it|re 3eit erfüEet ift". ^ad) ^a^r^unberten,
in benen bie q3ropt)etenftimme fdjroeigt, kommen mieber fetten,
in benen ber „©eift ausgegoffen mirb auf altes ^teifc^", in benen
,bas ^immelreicf) mit ©eroalt geftürmt roirb." 3n biefem (£nt«
roidilungssroange irgenbetroas in bie „^reit)eit bes SKenfc^en" gu
fc^ieben, ift S:orf)eit unb 35erfeennung ber Slllgeroalt bes ©c^öpfcrs,
in bcffen ^anb bas ©efc^öpf ftet)t. S)as groingenbe bes ©e-
roiffens l)at nichts gu tun mit ber greif)eit bes 93lenfrf)en. ©erobe
bann, roenn er fic^ frei roät)nt, fdjlummert es, unb es erroacljt in
bem ^(ugenblicfe, roo bie %lut bes Sebens roieber gu fteigen be-
ginnt. S)as CS „geroiffenlofe" Seiten gibt, bas ^aben roir roo^r*
lict) erfd)ütternb genug erlebt, als bie QBelt uorgab, für bie „"Stei-
^eit" gu feUmpfen. S)as neu erroocf)enbe ©eroiffen in unfern
Sagen ift aUes anbere als eine 3lea!ition menf(^Ii(^er 5reil)eit,
es ift nichts als ein ©efdjenlt, bas aus ber Siefe ftammt. Was
bie 3Itenfd)en in bürren "^Qittn ^antifdjer 0peI{uIation „perfön-
lidjcs ©eroiffen" nennen, ift ein 91ad)litingen ber großen, att-
be^errfd^cnben Sebensroa^r^eit in ber (Einfamkeit, aber bo^ nur
ein gebrochener Son aus einer gerfc^metterten trompete.
S)ie roirklid)e ©timme bes ©eroiffens roeife nichts oon
menf(^lic^er SDürbe unb menfc^Ii(^er ^^^ei^eit. 6ie ruft aus einer
Pieren ©p^äre it)re Sntfc^eibungsforberung in bie 9Bett hinein:
©Ott ober bas 3cl^.
Sas ift bie 3lufgabe alter religiöfen gSerkünbung, im Sienft
bes ^ö^eren Sebensroittcn biefe €ntfcl)eibungsfrage in bie 9Bett gu
jammern, ©ic foß nicf)t oerteibigen, nii^t i^re SBerei^tigung er-
roeifen, ni(f)t begrünben, fonbern bienen unb forbern. (£s roar
bie pc^fte 5:ort|eit unb 93erblenbung langer ©enerationen oon
^rebigcrn, an bas „perfönlic^e ^ntereffe" gu appellieren, es bis
108
gum Ueberbrufe ^n toieber^olcn: Tua res agitur. ©abitrcf) fjaben
fie ntct)! nur bcn ^ern ber reltgiöfcn 2Dat)r:^eit tjerausgefd^nitten,
bte bem f)t)ct)ften fiebert bienen rotll unb feeinem itod^ fo geiftig
unb geiftttcf) gefaxten „perfönttr^en Sittereffe" unb §etIso erlangen,
fonbern au(^ bte OUtrlkungsliraft ber retigiöfen 9Ba^rf)ett auf bcn
SluIIpunfet gebrad)t. 5)as „Tua res agitur" foH bie ©erotffen
roedien? ©ang im ©egenteil! (£s gerftört hoffnungslos bie
groingenbe 9Ha(f)t bes ©eroiffens. Wo es ftc^ um bie fdjroerften
fict)ensentf(i)eibungen f)anbelt, roirb ber 95tidi auf bie ijolö^ii für
bas perf unliebe Seben nie burcfifc^Iagenbe QBirliung ^aben.
QBenn bas ^flit^tberoufetfein ber ©olbaten im Kugelregen nur
bas „tua res agitur" gekannt ^'ättt, märe es balb gufammen«
gebrochen. 9lur bas unbebingte 3Hufe bes ©(i)iclifals fc^Iug burcf).
3c unabhängiger eine ' ^lutorität htm 93tenfc^en gegenübertritt,
befto tiefer f(f)Iögt fie hinein in ben ^^"ßi^Pii^tfet bes fiebens, ie
objefetioer ber QBillc, befto fubjelitiocr ift bie SBtrKung. S)er
Kompagniefüt)rcr, ber bie ftärliftc in fict) ru^enbe, unabhängige
^orm ber ^ütjrung bet)crrfc^t, t)at bie ©olbatcn am fefteftcn in
ber §anb. ©er ®räiet)er, ber unbebingt befehlen feann, roirKt am
tiefften auf feine göglinge ein. SRur bas unabhängige, gang für
fi(^ bcftcljcnbc 3Itu§ fc^afft roa^rl^aft innertict)e Eingabe. 3e un=
abhängiger bie 95erfeünbigung ber rcligiöfcn QBa^r^eit auftritt,
befto tiefer bringt fie in bie ©eelen. Stiles Socken fdiafft nur
fiocfeerung, allein bie gebietenbc 9Da^rl)eit fd)afft fefte SBinbung.
©er unabt)ängigfte ^rebiger, ber fic^ nic^t fc^cut, fc^roff bie Wßatjt"
^eit in bie 2Delt gu roerfen, wirb immer bie ant)änglic^ften §örer
unb roiUigften ^äter t)aben.
„©Ott ober bas ^d), Seben ober Sob": mit unerbittlicher
6c^ärfe mu^ biefe (£ntfci)cibungsforberung burc^ bie ©rofeftabttoelt
fc^allen. Sitte 6cl)äfee, bie i^r auftürmtet, aEc Kultur, bie i^r
fclfufet, alle ^äufermaffen, bie it)r gufammenbaUtet, alle örgani«
fationen, bie i^r ausfpanntet, alle 2ecl|nifi, bie it)r erfannet, alte
3Hafc^inen, bie i^r raftlos laufenließet, alle9Bol)lfa^rtsbeftrcbungen,-
bie i^r ins Seben riefet, tragen ben ^obesfeeim in i^rem 6cl)ofee,
weil fie nur bem 3c^ bienen foHen. 3lic^ts kann bies auf«
getürmte ©c^einleben retten, es ift f)offnungslos ber in bcn 9lb»
grunb füljrcnben Sebcnsric^tung oerfallen. 9Xur bie rabiliale Um«
- 1Ö9 —
fec^r kann btc Srümmer bes ^oloffcs totcbcr ctncm neuen fieben
einfügen, 91ur ber f)t)f)ere QBtlle, ber aUe btnbet, feonn eine 9leu*
fc^öpfung bringen. Srft bas oöEige ^uenbefterben bes alten
WxUmB, erft ber entft^loffene Umfc^roung am ^nnenpunfet ber
(gntroiditung kann bie Xore ber ^ufeuntt öffnen, "üluf biefen
legten «punfet muffen aQe snöte bes perfönlic^en, bes fogtalen,, bes
feultureßen, bes roirtfc^aftUc^en, bes |)otitifc^en fiebens gurüdi«'
geführt werben. O^ne bas „©tirb unb «Derbe" an bicfem
Snnenpunfet bleiben aüe ©efcfee, bie i^r fcfiafft, aUe ^Reformen,
bie i\)x einfül)rt, atte raftlofen Arbeitstage, bie i^r beroälttgt, ein
Schöpfen in ein (5ifgpf)usfa^. ^lUem ^c^ftreben ftefjt unerbittlich
auf bie ©tirn gefc^rieben: 35ergeblic^e Slrbeit! AUe Eingabe an
ben großen ©t^öpferroitten aber trögt bie gserljei^ung in it)rent
©c^ofec: eine neue Sufeunft! smögen S:aufcnbe fic^ noc^ opfern
muffen, um bie HmfieUung bes fiebens in bcm furchtbar abroärts«
faufenben ©trom ber (gntroidilung gu ermirften, über i^rem Opfer
fielet bie ®en)ifet)eit eines neuen Sebenstages.
Unerbittlich mufe bie ^adiel ber gsergöngltc^feeitsprebigt in
bie morfc^en 95auten ber ©ro^ftabtkultur ^tneingeroorfen werben.
Sünbenb unb uerge^renb mu§ bas ^riegsfeuer bis in bie legten
QBinfeel ber ©eeten, bie nocf) am (Eigenen haften, hineinfallen.
Sie (£rbarmungslofiglteit gegen ben S'^w'ißcn ift ^ö(^ftes ®r=»
barmen. Stur ben S:ob nic^t fliegen ober ^inmegbrapiercn roie
in ben klagen bes journalifttfc^en ©i^einoptimismus roötirenb
bes Krieges, fonbem feine S^atfarfien aufroeifen im äußeren
3ufammenbruc^ unb in ber inneren ^offnungslofiglielt! 3lber
über allem S)a^infinfeen unb ©terben mu^ bie gro§e empor*
rei^enbe ^orbcrung ber Hoffnung fielen: „fia§ bie Soten l^rc
3:oten begraben, bu aber ge^e ^in unb oerfeünbige bas SHeic^
©ottes!" 95erfiünbigc unb fc^affc! S)enn ber S^ob Ift nur ber
5)urcf)brudrspunkt bes Sebens. 3luf bem Srümmerfetb ber S«^"
kultur reckt fi(^ aügeroaltig empor ber eroige ©ott, ben roir nic^t
nur mit „fu(^enber ©eele" o^ncn, fonbem ber uns nun roleber
gepackt f)at mit allmächtigem SBitten.
9Ber roill bie Sotfc^aft oom lebenbigen ©ott aus*
fcl)öpfen? 9Ber i^n fiel)t, ber mufe fterben, fo lehrte bie Sieligion
bes Sllten SBunbes. S)tefe fietire befielt noc^ ^cute gu 3lec^t.
— 110 —
3tber fte gilt nun In bcr f)öf)ercn Raffung, bie ^t)rtftii6 t^r gab:
3Der fttrbt, bis in fein innerftes 3«^ ^tiibt, bcr wirb i^n fe^en.
9Bas für eine 'Slufgabe, bies ^euer bcs lebenbigcn ©ottcs, bas
oeräeI)rt unb bocl) belebt, in bie ©entüter gu tragen! ^ß^ßs
Sterben bes (gigenrotUens, jeber 95eräid)t auf fid) felbft, jebes
Opfer bes btinben ^c^ftrcbens öffnet eine neue SBelt bes Sebens,
ein ^luferfte^en oon ^raft, 93ertrauen unb Sebensgeroi^eit, eine
6p^öre bes freien 9ltmens int Si(i)t, eine '^Mt oon fc^affenbcr
3trbeit unb freubiger Eingabe, hinter beut Sobestore bes 3Ö)*
rotltens n)ot)nt bie ^rei^eit int ©e^orfant gegen ben einen aü=
gewaltigen QBillen, oon beut, burd) ben unb gu bent alle S)inge ftnb.
S)ie SBotfc^aft oom S:obe ber ©rofeftabt ift ^rot)botfd)aft
für bie ©rofeftabt. ^uf ben 3:ag i^rer 93erMnbigitng t)at fie
geraartet mit ^eifeefter ©e^nfud)t. 'Dilles ^ledjgen unb ©tonnen
i^rer 3trbeit, aEes ^reifrf)en if)rer 9Hafd)inen, aEes gereigte ©eEen
i^rer Sirenen, aEes roirre 3loEen i^rcr 9löber, aEe i^re rauben
5lnMagen unb ?5Iüct)e, ja aE it)r iaudigenbes ©eniefeen raar ja
ni(i)ts anberes als ber Sobesfc^rei ber ©e^nfuc^t nacE) beut neuen
Seben, bas aus it)rem ®ct)ofee geboren raerben foEte. 9Iun bricht
es ^eroor. „S^röftet, tröftet mein 35oIfe!" fpricfjt euer ©Ott; „rebet
mit 3ßJ^"föIcni freunbtict) unb prebiget i^r, ta^ i^re 3litterf(^aft
ein ®nbe Ijat, benn i^re SHiffetat ift oergeben."
3^re 9Hiffetat ift oergeben! §ier nun öffnet ftd) eine neue
©eite ber religiöfen 9Da^r^eit. 3" fc^arfem ©egenfa^ unb un«
erbittttc^er (£ntfc^eibungsforberung ^at fie bie „beiben 2Bege" oor
uns ^ingeftcEt, graifdien bencn fie bie QBat)I ergraingcn raiE. 2Bie
ober ooEgie^t fic^ biefe 933a^l? Sarauf muffen rair je^t unfer
^uge lirfjten.
3. 6(^ulb unb ^rlöfung.
©tc 9Bat)I äTt)lfd)cn bcn betbeti «IDegen tft ein Sterben unb
ein 5luferftet)en. S)te|cr tl)r iföc^fter (£ntfd)etbung5d|ara6ter gibt
it)r bie eingigartigc Stellung im ficbensproäefe unb prägt t^r
«JCefensäüge ein, bie für bos retigiöfe Seben f(^ted)terbings be=
Seic^nenb unb beftimntenb finb. Sötan t^at bie 3Bat)I ämifc^en
©ut unb 95öfe, gTOifc^en fieben unb S:ob nur a« oft mit jener
„«lBa^Ifreil)eit" in parallele, ja gleic^gefe^t, bie fic^ an ber Ober*
fläche bes fiebens in bem ^usfuc^en ber nü^liciiften, bequemften
ober einleui^tenbften SBebingungen bes ©ofeins täglid^ ooDgie^t.
S)ie n)ät)lenbe ^Betätigung etma ber Hausfrau, bie beim Kaufmann
jic^ bie i^r poffenbe SJUare ausfuc^t, ober bes ^Bonberers, ber
ficfl für ben fictjerften 9Beg auf einen 93erg entfc^liefet, ober bes
jungen 9Ilenf(^en, ber ben geeignetften unb ausfii^tsreit^ften SBeruf
ergreift, reid)t, menn nicf|t gang befonbere 6d^idfefatsumftänbe ^in*
gutreten, garni(^t in bie ©ppre biefer SiBat)I im religiöfcn 6inne
hinein. S)iefe ift ein 95organg in ber inneren fiebensentroidilung,
ber roo^I in einer eingelnen ^anblung feinen Äulminations- unb
S)uri^bruc^spunfet finben kann, aber feinem eigentlidden QKefen
nat^ ein mad)6tümtid)er ^roje^ ift, ber gönälii^ unter ber ©t^roeHc
bes SBemufetfeins fic^ anbahnt unb f)eranreift unb auc^ bann
nod), roenn er jö^ ins SBeroufetf^i^ tritt, jebe „9BilIcnsfrci^eit"
fc^lec^terbings ausfc^Iiefet, oietme^r als ein unausroeit^Iic^es Heber*
roältigtmerben erlebt roirb. QBieroeit in jenem oberflöc^Iic^en
5;ageserleben bas Sßemufetfein ber SBa^lfrei^eit 95erec^tigung unb
93ebeutung t^at, intereffiert uns ^ier garniert. 9Bo^l aber muffen
mir an biefem «punkte bie ©runbt^efe bes tnbiDibualiftifdjen
;5eitalters, bie QBillensfrci^eit im religiöfen ©inne, auf bas Un*
bebingtefte noc^ einmal ablehnen unb, inbem mir fie jegt bis in
i^r ^nnerftes oerfolgen, enbgültig erfc^üttem unb übcrmlnben.
112
S>tc aCQf)! äroifc^cn Scbcn unb 2ob im Pcf)ften Sinne
oottäie^t fid^ nömttd^ immer unb unentrinnbar unter ber 9Bu(^t
bes 6d^ulbgefü^ts. ^^nes furt^tbare ©rfdiredien oor bem
2lbgrunb, bos in ber (gntfc^eibungsftunbe jroifdien ©ut unb SBöfe,
an ber S)ur(f)bruc^sftette bes 6tirb unb 2Berbe auffährt, ift immer
oerlinüptt mit ber fc^roerften ©elbftanklage, bie fic^ t>ernid|tenb
auf ben Sunenpunfit bes pcrfönltd^en 3<^ voit\t ©tefes „S)u
bift ber 9Itann, hu ^ätteft anbers ^anbeln muffen, bu bift uer-
antroortlicl) für bie irrige ©ntroidilung, beren äerftörenbe QBirfeung
oor bir liegt" ift bas pc^fte ^trgument für jene ®runbt{)efe oon
ber „'^vtil^üt ber '^erfönltdjkeit" geworben, unb ift boc^ in SDirfe»
llctlfeeit nicf)ts anberes als i^r Sobesurteil.
^reiüd^ muffen mir jene ©eroeisfü^rung, bie aus bem
(3d)utbgefü^t bie ^reif)eit ber «perfönlic^feeit ableiten miU, fofort
gegen bie fogenannte beterminiftifd|e 5Betrad)tung in ©d^u^
net)men, bie alle jene elementaren (£rf(^einungen bes Innenlebens,
95erantn)ortungsgefü^I, ©(fjulbberoufetfein, Sleue, ©ü^nebebürfnis,
33ergebungsfef)nfud)t, <£rtöfungsfrieben, gu „5:äufd)ungen ber Statur"
ober „9leftejerf(i)einungen bes SBeroufetfeins" ftempeln roiU. (£6
ift einfad) S:or^eit unb fcfilimmfte fittlic^e 35erirrung, biefe ImdjU
baren Slealitäten bes SHenfc^enlebens äugunften einer „miffenfdiaft-
ttd)en" me(f|anifd)=!iaufalen ©ntmidfelungsouffaffung ausguf (galten
unb für SHeflejroirfeungen o^ne realen Untergrunb gu erfetären.
QDir muffen auä) t)ier roieber barauf ^inroeifen, bafe Jene med^anifd)»
kaufale 93etra(^tung bes Sebens im ©e^eimen bas fetjr reale
3ntereffe oerfolgt, ben ^t^^iö^" ooEenbs p entlüften unb ju
befreien, ©ie ift attes anbere als roirlilit^ beterminiftifc^. '^m
beutli(^ften mirb bas in i^rer ^Inroenbung auf bie ©trafgefeg*
gebung. 3" 9!BirkI{(^feeit fuc^t fie Ijier bas 3itbiolbuum gu ent*
loften, anftatt es, roie atter ec^te Determinismus, gu belaften.
©ie ift bas "31useinanberfalten ber wirklichen Sebensbinbung in
ein oerantroortungslofes „freigefpro(^enes" ^nbioibunm unb eine
tote SHlafc^ineric, in bie bie übriggebliebene „Statur" hinein«'
geftedfet wirb.
5tber bie 2ort)eit unb bie fittlic^e 93erirrung ift nic^t minber
grofe, roenn nun aus jenen Sleatitäten bes ^tinentebens ber ©rfjlufe
gegogen wirb, bofe fie bie 5reif)eit bes 3Jii>ioi^u"ins ftabilierten.
— 113 —
©tefct <5c^Iufe ftcttt btc in i^ncn ^exrfdjcnbe ^Itltllt^feelt einfot^
auf bcn ^opf.
6c^on bie t)on uns tm legten 5lbfc^nttt 6erüt|rtc ^atfad)e
acigt bas, ba§ nämlit^ bie „bcibcn 2Bcgc", bic bie (£ntfc^eibung
forbcm, einfach als Sroang oor bcnt Sötcnfc^en auftauchen, plö^»
lic^, unernjartet, aus ge^eimnisüoEen liefen, mit eifc^rccfeenber
Unausn)cic^Iid|fictt. 3luf ben legten ausfc^Iaggebenben f(^öpfertfrf)en
©runb aflcr fittllc^en §anblungen gefei)en, gibt es alfo garkeine
,9Bat)Ifret^eit", fonbem nur einen ^Da^Igroang. S)as 3ncnfd|en-
leben mufe burc^ biefes furchtbare 91act)einanber immer neuer
OBegfereujungen fjinburd). QBer bic Tragik biefes groanges nic^t
fie^t, Kennt bas fieben nic^t. O^nc bie gro^e €^rfurc^t, \a ^urt^t
unb ©orge, bie biefer immer neu emporbrängenbe Cntfc^eibungs-
äiDong einPfet, bleibt aUe £ebensbetrad)tung an ber Oberfläche.
Slic^t umfonft t)at ber gro^e fiebenskenner, ber felber biefen
Smang in einer \iä) immer nod) überbietenben §örte erlebt i^at,
in bas ©cbet aller ©ebetc bie 93itte aufgenommen: „^ü^re uns
nic^t in SBerfudjung!" S)a6 ift nici^t '^^ig^^tt oor bem Seben,
bas ift erft redit nicl)t aus bem SBcrou^tfein ber ^Billensfrei^eit
gefloffen, fonbem bas ift ein bemüttges 6i(^beugen oor bem
furd^tbaren Sntroidilungsemft bes fiebens, ber in febem klugen»
blicke bem 9Itenf(^en feine eigene £)t)nma(i|t burd} immer neue
€ntfc^eibungsnotn)cnbigfeeiten ju ©emüte führen kann, ©as ift
ein ®^bü nic^t um 3Dillenskraft, fonbem um 3Dillens:» unb
Sebensfü^rung. ^ngcft(^ts biefer ©runbtatfac^e ber fiebens»
entroicklung ift bas 2ljiom ber perfönlic^en QBillensfrei^eit im
©runbe- f(^on erlebigt. 3Ber fie bis in bie Siefe burc^benkt,
roei^, ha^ bas fieben ni(^t abtjängt oon „jemanbcs QBollen ober
fiaufen", fonbem allein oon „©ottes Erbarmen."
^ber bie ^c^fp^kulation richtet auc^ — (f)arakteriftifct)er«»
rocife — i^r 3lugenmerk gamic^t auf biefen legten ©mnb aller
(Entfctieibungsforberungen, fonbem fie ocrroeilt bei bem 9lugenblick
ber €ntfc^eibung felbft. 3n biefem ^lugenblick, fo fc^liefet fie,
mu§ bas 3<^ ßi^e in fid^ rut)enbe, irgenbroie unabhängige ©röfee
fein, fonft ift bas 95erantroortungsgefü^l oor ber €ntfc^cibung
unb bas ©c^ulbbemufetfein nac^ ber entfcf)eibung fcl)lcc^terbings
nid|t gu erklären ober oerliert feine unbebingt burcl)fc^lagenbe
- 114 -
^raft. ^m SBerantroortungsgefüI)! roetfe bas ^d) \xd) als bert
cntf(^etbenbcii Faktor, bcr ben Fortgang ber ^ntrotc^Iung In ber
%avh f)Qt; im ©(^ulbbetDufetfctn Klagt has Z^ '{i^ an, ha^ es
anbcrs f)ötte t)anbeln können unb muffen.
S)tefe ©(^lufefolgerung ift in ber 'Zat eine grofee „2äufd)ung
bes SSeroufetfeins" ober riö)ttger eine fittltcfjc SJerirrung, bte ficE)
in bem 5lugenblicfee, roo bas 3<^ tatfäc^ttc^ überrounben roirb,
rocigert, bie SHod^t anguerfeennen, in beren ^önbe es im 'Stuf-
fpringen bes OSerantmortungsgefü^ts unb bes ©(^'ulbbemu^tfeins
geraten ift. ©as ^d) ftellt fic^ garniert als ben entfc^eibenben
^afetor t)in, fonbem es roirb bagu gemacJjt; es Wagt f ic^ garnicfjt
an, fonbem es roirb angeklagt, ©eibe Srfc^einungen bes S^tttßit»
Icbens finb ja, genauer 5etrarf)tet, gami(^ts anberes als bte 2Birfeung
bes 5lnparfiens Jenes ge^eimnisooUen t)ö^eren Sebensroillens, ber
bös 3<^ ergreift unb fid| in if|m in feiner unbebingten 9Hac^t
pr ©ettung bringt. ®a^er bie 5lngft, bie (Erregung, bie 93er»
groeiflung, roelc^e nur erfilörlid) roirb aus bem elementaren ©efü^I,
oon einem ^ö^ercn fiebensroiUen überroältigt gu fein. „5)u meineft
nid^t, roas göttlid), fonbem roas menf erlief) ift", bas ift bie
klaffifd^e ^broef)rftellung bes 95erantroortungsgefüf)ts. 9Xid)t bas
perfönlit^e S)afein roirb als auf bem 6piele fte^enb empfunben,
fonbem eine t)öl)ere SebensroirWidjfeeit, bie gamid)t nod^ bem
perföntid^en S5afein fragt. 5)er cntfd)eibenbe ^^oktor in ber Snt=
fdjeibungsftunbe ift ni(^t bas ^d), fonbem ber p^ere QBiEe, bem
fid^ bas 3<^ ä" unbebingtem ©e^orfam beugt. S)ie 95erantroort=
K(^fieit ift gerabe bas ©egenteil oon ber 35erfetbftänbigung bes
3nbioibuums, fie ift feine oöllige 5Binbung bis gur Setbftauf*
löfung. 9Bas bie ^d^fp^kittation für bie ©eburtsftunbe ber perfön«»
lid^cn ^i^eifjeit f)'dlt, ift gerabe i^re 6terbeftunbe, unb eben bas
©terben bes 3^) i"t 3luffpringen bes 35erantroortungsgefüt)l5 er=»
klärt Jene „S:äufd^ung bes 5Beroufetfeins", als ob bas ^d) in jener
©tunbe ber cntfd^eibenbe, fid) feiner ^ebeutung beroufet roerbenbe,
ftc^ in feiner 9Bürbe ^oc^ aufrictjtenbe i^t^^tor roäre. 2:atfäcl)lic^
richtet fid) allerbings in ber 6tunbe bes tebenbig roirkfamen 95erant="
roortungsgefü^ls bog 3d) \)od) auf roie aEes Seben in ber ©terbe«-
ftunbe. €s finb bie legten guckungen oor ber enbgültigen Ueber*
roinbung. 5)os „S)u bift oerantroortlid)" ift bas gegücktc 6c^roert
— 115 —
ber ^öl)cren maä)t, bas bas Sd) auf m gerichtet fie^t. (Eben
btcfe auf bas 3(^ gerichtete ©ptfee bes QSemtc^tungsfctiroertes läfet
ben Präger biefcs ©c^roertes oergeffen unb alle Slufmerkfamfeett
auf bas fterbenbe 3d) rtcf|ten. 5)a^er bie Säufc^ung bes ©etoufet-
fcins, bie nur filar burct)fc^aut fein roiU. 3I5er roirfelict) ©tunben
fc^rocrfter 23erantn)ortung burdigentac^t t)at, ber l)at btefe Söufc^ung
längft burd|f(i)aut, ber roeife, rote in i^nen alle „perfönlic^e ^Dürbc"
iömmerticti 3u ©runbe ge^t, um im Sienft einer p^eren SHot-
roenbigfeeit etroas gang anberes äu finben: S)emut, Eingabe, ©elbft»
r»ergeffent)eit.
S)iefer 2Dirfelict)feeits5cftanb roirb aber noc^ beutlidier beim
SBlicfe auf bie feeltfc^en 5:atfact)en bes (5cf)ulbgefüt)t6. Ss
touc^t bann auf, roenn na et) einer ^anblung ober nac^ einem
hmd) ungeäät)Itc ^anblungen gekennäeic^neten fiebensäuftanb ein
f)öf)ercr ^BiUe fid) anguba^nen unb burc^äufe^en beginnt. Oft
fc^on lange, beoor ber QDiberfprud) groifdjen biefem t)öt)ercn ^Bitten
unb ber Zat ober bem ßebcnsguftanb beutlic^ ins 95en)u§tfein
tritt, ift bas ©c^ulbgefütjt als Suftanb bes Unbehagens unb eines
unerfetärlic^en Unbefriebigtfeins oor^anben. €s roäc^ft flc^ aus,
bis es eines S:ages in feiner ootten gerfc^mettemben Älar^eit oor
bem 93en)ufetfein fte^t. ®ine gange oerfet)lte 31^9^^^ ^önn einem
3ncnf(f)cn in einem ^ugenblidie als furctitbarc Sd)ulb erfd)einen,
oud^ roenn er fic^ gang War barüber ift, ha^ feine ^ugmh"
cntroiditung garniöit anbers fein konnte, als fie roar. 30» gerabe
ber unentrinnbare S^^^^Ö biefcr (Entroicfelung er^öt)t bie ^mö)t''
haxMt unb Sinbringlic^feeit bes 6cl)ulbgefüt)ls. 5)a5 felaffifc^e
58eifpiel bafür ift ^aulus. ©eine gange 3ugenb oott bes ^eiligften
(gifers um bas ©efe^ erfc^eint i^m oon bem 2lugenblicfee an, in
bem ein p^erer 3Diße it)n ergriffen \)at, als eine eingige ungeheure
©djulb, nicf)t üma roeit er fic^ in it)r „frei" bem 5Böfen Eingegeben
^at, fonbcm obroo^l unb roeil er in il)r einem bämonift^en »©efe^
ber ©ünbe unb bes Slobes" gel)orrf)te unb getjorc^en mufete. (£s
gibt rootjt deinen, ber ben 3^ö^9 ^^^ ©ilnbe ergreifenber bar=»
geftellt ^at als biefer 9Hann, bei bem ber „freie aCitte" bis in
bie legten ^Durgeln oemic^tet erfct)eint; unb kaum fe ift biefe un=».
erbittlic^e 9lotroenbigfeeit fo tief als ©cl)ulb empfunben roorben
roie bei i^m. SBie kommt es, ha% bie S^eologen ber Jleugeit,
8*
— lie-
bte eine ©c^ulb o^nc fretcn 3Bttten für ein Unbtng galten, bcttt
®et)eimnls blcfcs fiebcns \o roentg no(i)gcgangcn ftnb? ©ntfprlc^t
CS betn ®m[t ber c^rtfttt(f)en SRcIiglott, äu bet)auptcn, ber 3ncnfc^
fei nur tnfotüett fc^ulbig, als er perfönltd) frei ^aitble? ©d^on
bte 3lntlke backte über btefen ^unlit fet)r oiel tebensroa^rer,
emfter unb fetarer. 3^ ^^^ ©ranta aller gramen, betn öebipus
bes ©op^oMes, f)at ftc bas n)trfeltc3^e ©c^ulbgefü^t, bas ^ter ans
einem furchtbaren ©(fjiclifatsäraange erroöc^ft, fo erfc|üttemb unb
lebensroa^r bargeftettt, bafe bie 5t)eologen aller Sitten baran bte
2Dirfeli(f)feeit ftubieren könnten. *) ^ber man brandet ntrf)t erft
in bie ©efd)id)te gurüdiäugreifen. ©as fieben fü^rt es uns töglicl)
tt)ieber t)or. ^ie oft fte^t ber ©eetforger t)or bem tiefen ©djulb»»
gefügt von 9Henfc^en, bie nad^roeistid^ unb nad^red)enbar in gav"
keinem perföntii^en QBillensäufammcnljange mit irgcnb einem fie
fd^merglid^ nieberbrücfeenben (Ereignis ftel)en! ®r b<imüi)t fid|, fie
baburd^ innertid^ gu berui^igen, ha^ er i,^nen ^unkt für ^unlit
lilorlegt, ha% es „garniert anbers t)ätte kommen können", ha^
garkein guföwiinßtt^ang äroifrf)en bem QDillen bes ©d)ulbbett)ufeten
unb bem (Ereignis befteljc. 9tUes oergeblid), bis er ben einen
3Beg finbet, ben bas Qeh^n forbert, bis er bas ©djutbgefüljl
h^iaf)t unb hm 9Beg ber Zat, b. fj. hm 3Beg bes neuen ans
fiid^t bröngenben fiebens roeift. 2Bas ift bos ©cl)ulbgefü!^l benn
anberes als bas ©i)mptom bes großen ©terbens im 9Henf(^en,
bas ünm neuen 2Billen pr §errfcl)aft bringen miß? (£s fragt
gami(^t hamad}, ob bie Zat, an bie es fic^ ^eftet, 00m ©elbft«
bemufetfein unb ber ©elbftoerfügung bes Sötenfc^en begleitet unb
getrogen mor. Oft genug roirb ber Qfleaktionsmille erft lange
3eit nod^ ber oollbra(^ten §anblung lebenbig, toenn längft bas
SBemu^ein baoon entfd^rounben ift, ob bie §anblung frei ober
gegmungen ftattgefunben t)at. **) 5lllerbings tritt es immer —
*) 2lud) bos Semüfjen einer neueren, burt^ bie Slutorltöt oon
SBllomotDi^ getrogenen 9Iuffaffung, in ber ontifeen S:ragöbic bie grel^eit
3U retten, konn an bem unentrinnbaren Stfcmge ber in t^r borgeftellten
(Enttt)i(felung mdits önbem.
•*) 6elbft in ber „feufäcnbcn Äreotur", ber niemonb btsljer ben
„freien SSßiüm" äugefprod)en ^ot, fpielt bos ©cljulbgcfü^l oft eine ergrci*
fenbe afloUe, fo getoife es t)ter nur in bunklen 93orftufcn bes t)ö(^ften
menfcl)lt(^en Sc^ulbgefü^ls ouftritt.
— 117 —
bo6 ift btc 2DuräeI jener „3;öufc^un9 bes SBerouMctns", bic bte
®d)ulb an bas ^rei^eitsberou^tfein bes 3<^ Letten totU — als
©elbft anklage im ftreitcnben 2Bed)fel mit 6elbftentfrf)ulbigung
auf, meil bie ©pifee bes neuen ^Bittens fid^ gerabe gegen ben
gc^rotllen rid)tet, ber fic^ nun noc^ einmal in feinem legten
Sebensbrange emporrichtet, ©as eben ift bas Söterliseirfien alter
Sleugeburt in ber ficbensentroiclilung, ba^ fie immer als Heber»
roinbung einer losgelöften ficbensftufe burd^ eine f)öl)ere fiebens»
binbung auftritt, ta% in i^r ftcts ein (gigenroille, ber fic^ erft
im ^tugenblicfee feiner Slieberroerfung ooU als foIct)en erkennt,
burd) einen roeitergreifenben QBiUen gebrocfjen wirb. 5)arum ift
bas ^rcit)eitsgefüt)l nichts als ein S)urd)gangsgefüt)I, bas erft im
Augenblick ber ^ö^eren ©inbung ouffpringt unb burc^ biefc ge»
fdiaffen wirb, um aber fofort enbgültig niebergeroorfen äu merben.
®er 2tkt ber 6elbftöcrurteilung ift bereits ein 2(kt ber neuen
SBinbung. QBirb aber bas ©elbftgefü^l, bas in statu moriendi
lebenbig roirb, gum ©auerbcroufetfein erhoben, bann f)at ber p^ere
QUille fein 'S^tl nicf)t eneicl)t unb ift nun ausgeft^altet. S)aburcl)
ift ber status moriendi gum S)aueräuftanb erhoben, ber fic^ natur»
notroenbig bis gur ooUen 5luflbfung ober — roas basfelbe ift —
bis äur ^öc^ften Entfaltung bes 3c^gefül)l5 entroickelt. *) S)as
bis 3u (£nht getriebene unb roirklic^ burc^fto^enbe ©c^ulbgefütjl
löft aUes 6elbftgefüt)l auf: „2tn bir allein t)abc xd) gefünbigt
unb Hebel oor bir getan." Solange bas ^d) nocl) fragt, ob es
*) ©äs ©clbftbcroufetfctn, jene rätf cl^aftc (grf djeinung bes aJlcnfc^cn-
lebens, bie man als bie SBurjel feiner „SJJürbe" bejcidinct unb oere^rt,
tritt tatfäd)lt(^ um fo cncrgift^er auf, je me^r ber SHenfd) ber 5lufl5fung
anheimfällt. 9nan fpri(^t von krankhafter ©elbftbefptegelung, Smpfinb*
lid)ktüf egoäcntrifcfjcr Slnlagc, oon übcrfpanntem 6elbft» unb ß^rgefü^l.
Slber man gibt nur feiten gu, bafe Jcbe ^orm bes Oelbftgefü^ls ein
3eic^en bes SJcrfalls unb krankhafter Qluflöfung ift. Uebcr bie ju*
ne^menbe 3tuflöfung bes Sebens, oerbunben mit june^menbem 3<^'
beroufetfein, kann nld)t nur ber Sölcbiätncr, fonbem auc^ ber ^iftortkcr
bickc 93üd)cr fc^reibcn. ©ie ®cfd)i(f)te oon Gortcfius bis SJlicöfdjc, unb
nlcf)t nur biefc, ift eine grofee Ärank^eitsgcfc^icljte. ©s ift roo^l nic^t
Sufall, bafe bos Slltcr gong bcfonbers auf blc „SCürbc" pod)t, unb bafe
ber grofee Slrjt ous Sloaoret^ feinen Jüngern anbefahl: „2Berbet rote
bie Äinbcr!'^
118
anbcrs t)öttc ^onbeln können, tfi bas 6(^uIbgcfü^I nlc^t ooQ»
enbet, roetl ber ^J^el^elts* unb ©elbftbe^auptungsbrang m borin
no(^ eine le^te ^tntertür offen ^ält. €rft roenn es unetngeft^ränfet
fi(^ unter bte 9Ba^rI)elt beugt, bo§ es onbers f)ätte ^anbeln
muffen, gang etnerlet, ob bas möglid^ roar ober nid)t, ift es gu
Gnbe gefüt)rt, roetl bann ber neue QBille bte unbebingte §errfd)aft
gewonnen ^at. ©ann roirb eben ber Status moriendi unnttttel«-
bar äum status nascendi. ©as Stirb unb 2Derbe ift ooHgogen,
bie 0(i)ulb ift bmd) bie Sriöfung überrounben.
Sas fiepte unb Xieffte altes Sebens, bas gro^e Stirb unb
Q33erbe ber ©djöpfung, ber ®urc^bruc^ ber fic^ eroig oollgie^enben
SHeugeburt fcl)altet aEe perfönlit^e ^reitjeit aus, ja befielt gerabe
in it)rer oöEigen Ueberroinbung. 9tod) oon einer anbern ©eite
ber religiöfen QBa^r^eit t)er, bie uns fpöter ausfütjrlii^ befdjäf«
tigen roirb, roirb bas beutlic^. 2llles roirlilid)e ©ctjulbgefü^l, bas
beut 5lufftieg unb ber STleugeburt bes Sebens bient, beföjränlit
ft(^ lieinesroegs auf bie §anblungen unb ^uftÖTtbe bes perfönlidjen
Sebens. ©d)on bas ^ei^ auffteigenbe Sd^antgefüt)l, bas ben
gefunb empfinbenben 3Ilenfc^en beim 5lnblicfe frember 2Jerf(i)ul=
bung padit, beroeift ba^. ^zms fcljamlofe: „S)as gel)t micl)
nichts an" finbet firf) nur in auseinanberfollenben fogialen ^U"
ftänben. 3" ^^^ mobernen ©rofeftobt ift es allerbings fo gut
roie allgemein. 5)arin liegt eben i^r inbioibualiftifc^er 95erfall.
3^re „perfönlict)e 5reit)eit" ^at bas fogiale roie alles anbere
6d)ulbgefü^l grünblid) befeitigt. "Svi ben 95orausfe^ungen alles
gefunben fogialen Sebens gehört bas gemeinfame unb ftelloer«
tretenbe ©(^ulbberou^tfein, roie anbererfeits biefes am ftärfeften
burd) bie fogiale Sinbung roirkfam roirb. 95on roeld)er Seite
man bas ©c^ulbgefü^l auc^ anfielt, es ift ber ftärfefte ©egenpol
bes 2ljioms bes inbioibualiftifi^en g^ttalters: es begrünbet nid)t
nur nid)t bie 9Billensfrei^eit, fonbem es fd)liefet fie aus unb
überroinbet fie.
2ln bem furd)tbaren g^Jange, ber alle fiebensentroiditung
burd) bie 6d)ulb l)inburc^ge^en ^ei^t, ^at nun freilid) ber logifc^e
SDerftanb, jene d)arafeteriftifd)e 23erteibigungsroaffe bes 3<^w)illens,
oon Urgeiten i^er ben fd)roerften 3Jnftofe genommen unb ftc^ mit
aUen SJtitteln gegen il)n geroe^rt. 2tllerbings, erfdiredicnb unb
— 119 —
nteberbrücfecnb genug tft aud) bic 2Dtt^rt)ett oon bem ©ünblgen*
muffen, aud) barum, roeil fie oft genug ober meiftcns crft noc^«
träglicfi, nac^bem bas 3Hu§ ber Sünbe fiel) burc^gefegt I)at, fic^t»
öar wirb. 33eoor bte ©d)Iange, bie alles ficbcn umrtngclt, aus
bem Saubroerli {)eraustritt, leuchtet aus i^m bie locfeenbe, füfee
^rüc^t ^eroor, bie altes anbere a^nen läfet als htn furdjtbarften
fiebensgTOang, bcn fie ^intet fic^ oerbirgt. 5luf 6c^aucm ber
QDonne gleitet ber SKIenfcl) in fein ©cfiicfefal ^inab, bas ficJ) nac^
eroigen ©efe^en Dolläie^t, wie fie bas ©diriftroort gcidinet: „3Benn
bie Suft empfangen ^at, gebietet fie bie 6ünbe; bic ©ünbc aber,
roenn fie oollenbet ift, gebietet fie ben ^ob." Hm bit 5tner«
feennung bicfes ^roanges ift noc^ feein auftict)tiges SHenfc^enteben
l^etumgefeommen. ^eine ©pefeulation bes 95erftanbes ^at bie
3roangs^etrf(^aft ber ©ünbe befeitigen feönnen. Sic t)at bie
„'^xeü)üt" bes 9Henfd|en hahmd) retten rooßen, bo§ fie bie erfte
6ünbe für eine freie Sot erklärte, roä^renb alle anbem aus
biefer (Srftlingstat geboren feien, immer freilici) mit einer kleinen
erften „perfönlic^en" gutat bes angeblicfj freien 2Henfd)en. 9Bas
foUen aber biefe 3leftbeftänbe ber t^rei^eit am Einfang ber (gnt-
roicfelung, bie eine an ben ©nbpunfeten bes Sebens um^erirrenbe
Seinsfpefeutation nod) gu retten fudjt, roenn fie an i)em gegen«
ro artigen 93tittclpunfet bes Sebens bod^ nichts an ben garten
2atfad)en änbern? 5luc^ jener Safe, ha% bies ©ünbigenmüff en
ber §eiligfeeit ©ottes roiberfprectjen foKe, ift boc^ nict)ts als eine
jener bekannten 3lntinomien ber fpekulatioen 5:t)cologie, bie an
ber ^ufeenfeite bes Sebens konftruiert rocrben, feine ^^^^cnfeite
aber nic^t beuten unb enträtfeln können. §icr an ber ^^nen*
fette t|errfd)t bas ©efefe ber ©ünbe unb bes S:obes, burc^ bas
alles SL^hixi ^inburcl)mu^, roenn es feinem ^ufroärtsbrangc nic^t
entfliegen roill. §ier ftet)t es feft: ©ott roill bie 6ünbe, roeil er
roitl, ba^ bie 92Tenfd^en it|m gang bicnen. 5>ie ooUe Eingabe
an ben immer neu bie ^elt gu fic^ emporgietienben 6cl)öpfer ift
im großen <£ntroicklungsprojefe bes fiebens unausrocicl)tic^ geknüpft
an bie oor^ergegangene fioslöfung oon ©ott. 3)ie Qünbi mu%
mächtig roerben, bamit bie ©nabe um fo mächtiger rocrbc. .S)afe
bas nic^t mit „legten ^ringipien", mit bem „^Defen ©ottes unb
feinen (gigenfc^aften* ju oereinbaren ift, ift nur ein 95ero^i$ bafür,
— 120 —
bo^ bic „testen ^prinäipien" unb bte „(Etgcnf(i)aftcn ©ottcs" ntc^t
in bic 9Bat)rt)cit über bas fiebert ]^ineinget)ören, fonbem aud)
^robulite ber 3n>Q«95fünbe, bes 3<^n)iIIcns finb. ^t\us fjat hier-
über klarer gefeiert als alle fpefeulotioen S:^eoIogeit. ^m ©leid^»
ni0 oom verlorenen ©ot)n roirb nit^t erklärt unb ni(^t oerurteilt, ha^
ber ©o^n bas ©einige forberte, erhielt unb bamit in bie ^erne
gog, um er felbft gu fein! Ss wirb nur gefagt, ha^ es fo war.
60 werben aud) wir nur fagen können, ba^ es fo roar, t)a% es
fo ift, unb ba^ es fo fein wirb. S)iefer 6oI)n gewinnt bie oolle
©emeinf(^aft mit bem 35ater, bie ootte ©etbftlofigkeit besfiebens,
bie in ber t)ö(^ften ©ebunbent)ett bie t)ö(^fte ^rei^eit befifet; ber
anbere oerliert fie in bemfelbcn ?lugenblidfee, roo er meint, fie
fi(i)er in ^önben gu ^aben. (£r ^at fie, kraft ber S^Jöngsoer«
binbung aller berer, bie 9Henfd|enontIiö tragen, fd^on oerloren,
als fein 95ruber in bie ^erne gog. ®ie 6d)ulb bes einen oer=
roanbett fi(^ nad^ emigen ©efegen unmittelbar in bie ©d)ulb bes
anbern. 5)er abfpreöienbe ?leib in ber fetunbe ber 3liickke^r
feines 93rubers mac^t nur nac^ aufeen fic^tbar, roas fic^ längft in
feinem ^n^^m ooUgog, bie fioslöfung oom SBruber unb mit i^m
oom 95ater. ^ud) er mufe t)inein in ben tobbringenben ^d)»
TOiÜen, in bie ®ünbe, unb roirb, mie fein 95ruber, nit^t el^cr
roieber aus i^r f)erauskommen, bis er fie bis in i^re liefen
burc^gekoftet unb bann bas neue 93ater^aus gefunben ^at. S)as
ift bas ©efeö ber ©ünbc. €s fpottet aller 9]3iaensfreit)cit.
2lber mit biefem ©ünbigenmüffen, bem kein ailenfi^enleben
entrinnt, ift bas ©efe^ ber ©ünbe noc^ nic^t erfc^öpft. 25iel er=
fd)ütternber noc^ als bie aEgemeine §errf(f)aft ber ©ünbc ift bic
Jlotroenbigkcit, bafe bie6ünbe au®nbe gefünbigt Joerbcn
mufe. €s gibt kein 3itrück auf ber einmal eingcfc^tagcncn ®a^n
ber ©ünbe, fonbem nur ein 95orn)örts bis gu il)rer ooQen ^lus»
Wirkung unb bis gu i^rem gänglic^cn bankrott.*) 9Bir tjabcn
*) Unter atten Set|rbü(J)cm ber ©ogmatik ber ©cgcnroart ^at
keines fo klar biefcn ©ntroidtlungsäroang im ©enfeproäefe ber 9lcuäelt
aufgeroiefen raic basjemge oon öetm. ®r oertritt übcraeugenb bte 5^cfc,
bafe attes Senken ber legten ^a^rljunbcrte, ju (Enbc gcbacfjt, gum
^Bankrott fül)rt unb aus biefer t)öcf)ften SRot eine neue ©qnt^efc ein«
fad) forbert.
— 121 —
bas an einem ganaen Scltotter in bem furcf)tbarften oHer Erlege
erlebt. €s bcroa^r^ettet ft(^ abti aud) immer roleber im (ginget»
leben. 2Die erfc^ütternb lebenswahr ift bas "ftufcnroeife fic^ ooU-
3iet)enbe ^Ibmörtsftelgen in bem ©teic^nis oom verlorenen ©o^n
geäeidjnet! (£b gibt kein galten, feeine Umfeet)r bes auf jtc^ felbft
geroorfenen 3cf)n)iEens, bis er bei ben 2:rebcrn ber ©c^roeinc an»
gelangt ift, bie if)m feeiner me^r gibt, bis er oöEig ifolicrt ift.
Siefe le^te Söereinfamung im (£Ienb ift bas ^roangsäiel aller
©ünbe, ift bie le^te SJolIenbung ber „perfönlic^en ^rci^eit." 9lur
an biefem äufeerften ©urc^gangspunfete feann ber neue fiebens»=
anfaö auffpringcn, wirb bie neue, tiefere SBinbung möglic^. 91ur
roer als ausgeftofeener unb gerlumptcr Sagelb^ner ^eimfee^rt,
feann im ooUen 6inne 6ot)n werben. §ier erft offenbart bas
grofec fiebensgefeö bes ©tirb unb 2Derbe feine le^tc, furchtbare
Siefe. 5)afe biefer (£ntroicfelungsäroang nicf)t oon Jebem (gingel-
leben beroufet bis in bie le^te S:iefe burc^Iebt roirb, ift feein ®e=
weis gegen feine 9Ba^r^eit unb Slotroenbigfeeit. ©er SHenfcf)
feommt im großen Sebensprogefe garnid)t als (Elnäelroefen in 95e*
tra(^t. 3)ie le^te Xiefc bes ©tirb unb QBerbe, bes ©ünben»
5n)qnges unb ©d)ulbgefü^ls, ber 9leuf(^öpfung bes Sebens tritt
nur on ben ^empunfeten ber (Entmiditung auf, bie fid) im einzelnen,
in ©emcinf(^aften, in 93ölfeem oerfeörpcm feönnen.
©as ift ber n)irfelid)e, ber lebenbige Determinismus bes
fiebcns, gegen ben fi(^ aüerbings ber 23erftanb mit allen SHittcln
SU mehren fu(^t. €r fagt — oon feinem oom S^^i^^tt^'^ öß"
ftimmten ©tanbpunfet fe^r richtig — , fol(^er Determinismus
muffe unroeigerlic^ bie ©pannferaft bes ^anbelns lät)men. 2Denn
ber freie SBiUe fo rabifeal ausgefclialtet fei, bann bleibe nur noc^
bas bumpfe ©ic^ge^cnlaffen bes Fatalismus, ^ür il)n bleibt
allerbings nur biefer, benn er feennt nur bie tote Äaufalität ober
bie blinbe ©c^icfefalsmadit, nic^t aber ben lebenbigen 2Billen,
mit bem ber ec^te Determinismus rect)net. '^üx biefen ift ber
grofee '«miUe, ber ben Sölenfc^en ergriffen ^at, l)öcl)fte ^aft bes
^anbelns. ^ür i^n ift bas „®ott ift es, ber in euc^ roirfeet beibes,
bas ^Bollen unb bas SDollbringcn, narf) feinem SBo^lgef allen"
ber ftärfefte 5lnfpom „mit ^urc^t unb gittern" ä" fc^offen für
eine unocrgclngli(^e 9Belt. ^ür i^n ift bas „bie fiiebe S^rifti
122
bringet mt(^ alfo" lebeitbigfte £luelle unermübltcf)en unb freubtgen
©trebens. ©er ^c^TütUe kennt btefc QBelt bes grolngenben
©ottesrotllens ntcJ)t. 5ll6 es in ber f)ö(i)[ten 9Tot bes 95aterlanbe6
galt, bte Sanbrotrtfcfjaft gur pc^ften fietftungsfä^tgfeett im Kriege
äu bringen, ba fagten in beutfc^en "iparlantenten bie 'ipolitifier:
„Solan mu^ bie ^robitfitionsfreubigfieit ber fianbroirtftfiaft burd)
„perfönlidje" 35orteiIe erf)öt)en, bomit fie baran perfönliö)e6
3ntereffe geroinne." §ier rairfete allerbings ber Determinismus,
b. t). in biefem ^alle bie 5Beftimmtt)eit bes ^anbelns burc^ ben
t)öt)eren QBillen bes 95aterIonbes, nur lä^menb. ^ber man roirb
uns ni(f)t gumuten, bofe mir biefem (Einroonbe bes 3<^"'ittß^is,
ber nur ben Determinismus bes laisser faire, laisser passer,
kennt, aud£) nur nod^ eine "StiU roibmen.
(grnfter f(i)eint ber (ginroonb gu fein, ber in ber ©efcf)i(i)te
bes feird)Iid)en Denkens eine 9^oIIe fpielt, bofe bie unentrinnbare
91uslicferung an ben Sii'Qi^S ^^r ©ünbe ©leic^gültigkeit ober
SSergmeiflung, ja 25erftocktt)eit gur ^^olöe t)aben muffe. ®s ift
bies ber bekannte (Sinroanb gegen bie „'ipräbeftination gum 93er=
berben." ©egen bicfe ^orm ber fiel)re, bie aus einer lebenbigen
(gntraicklungstatfac^e eine uerfeftigte metap{)t)fifd)e Sßeftimmung
mad)t, gelten biefelben ©rünbe raie gegen alle erftarrten 6eins=
urteile, bie fid) an ben ©rengen bes Sebens beroegen. Der S^'QttÖ
gur 6ünbe kann nur am flutenben QHittelpunkt bes Sebens er=
fafet unb recl)t beurteilt roerben. Dort gilt er unoerbrüd^lic^ in
bem ©tobium ber (gntroicklung, bas i^m gcl^ört. ®r mirkt fid^
bis gum ®nbe, bis gum Dur(f)brucl)spunkt bes neuen fiebens aus.
3n biefem feinem §errfd)aft6gebiet läuft er freilicl) nid)t ©efa^r,
jene lä^menben feelifcl)en 3#ö^t^ß l)eroorgurufen, bie l^m ber
lebensfrembc ft)ftematifierenbe 95erftanb gufcl)ieben möd)te. So-
lange bas fieben unter ber 9Itacl)t bes fic^ ausroirkenben 3*^*
raillens fte^t, fül)lt es — man möcl)te faft fagen, leiber, aber es
ift bas bie roeife Oekonomie bes 6cl)öpfer6 — garnid)t6 oon bem
Sroange ber Sünbe, unter bem es fte^t. (£6 fii^lt fic^ nur altgu
frei, oon einem glücklicl)en Optimismus getragen, bie SHadit ber
©ünbe, unter ber es fte^t, überhaupt nicl)t fpürenb. Den
©timmungen ber oberfläd^lid^en 5Iufklörung unb ©elbftcrtöfung
kann bie 95ergn)eiflung unter bem furchtbaren ^mangc ber ^ünh^
— 123 —
letber gomlc^ts angaben. gSon bem ^ugcttbUcfe an aber, in bem
bte fclbftquälertfd)cn ©cbonlien, ha^ man rettungslos bem „©efe^
bcr ©ünbe" ausgeltefert ift, etnfefeen, greift ber grofee erlöfenbe
OBtüe an, ber nun fein Wzxk bis jur ooUen Vernichtung unb
«ßeräujelflung bes 3c^ burcf)füt)rt, um burc^ ble SDemlc^tung ble
9teugeburt iu frf)affcn. ®er oofle Determinismus rolrb erft ha
ergriffen, mo ble „«präbeftlnatlon gum Seile" ober rldjtlger: ber
erlöfenbe 2BHIe ©ottes gur 9I5lrliung gekommen Ift. Sman braud)t
flc^ alfo ntc^t au forgen, ba^ ber Broang ber 6ünbe, bcr Immer
erft rücfefc^auenb gonä cr&annt rolrb, lö^menbe ©tlmmungen
roeöien könne. Wo ber ooUe Sroang, ber bas Seben trögt, be«
griffen Ift, ha rolrfet er nur noc^ oormärtstrelbenb, belebenb, be-
glücfeenb, befellgenb. „Der SHenfc^ ift bann gerettet, wenn er
aufgetjört ^ot, on feine eigene (Errettung gu glauben" (Sftobertfon).
S)er rolrklld)e, lebenblge, burcf)grelfenbe Determinismus, ber
alle roai)rt)aft rellglöfen SHaturen kennäelc^net, Ift Seben6n)af)r^elt
unb Sebenskraf t Im t)öc^ften ©inne. Dief e Ueberbietung unb
©efunbung bes kümmerlichen me(i)anlfc^*feaufalen Determinismus
eines entarteten ©efcf)Icc^t5 gibt ber SRetlglon erft ble be^errfcf)enbe
unb gefiederte Stellung, ble l^r zukommt. Denn es kann gar«
keinem S^'ßtfel unterliegen, ha^ In ber iJoffung ber ^oufalltöt
ber 3cutralpunkt aUer Stuselnanberfe^ungen gmlfc^en Qflellglon
unb „QBlffenft^aft" Hegt. ^a% ^ler ble lebenblge gegen ble tote
Äaufalltöt, ble ©ntmldilung bes oollen fiebens gegen ble ftarre
filme eines ausgelitten Dafelns ftet)t, barin fafet flcii ber gange
©trelt grolfdien ben belben SBelten gufammen, baburc^ wirb er
entfd)leben. Die SHellglon benkt nldjt baran, ble ^ntmlcklungs"
gebunben^eit attes fiebens gu leugnen. 6ie ftetit fle Dlelme:^r
als bas gentrate ©efe^ auf. 2Iber es Ift für fle ein tebenblges
©efe^, bas gum ^anbetn grolngt unb gum Seben fortreißt, ^a^'
rum treibt fle and) keine 2tpotogctlk, fonbern Energetik. 6le
ocrtelblgt fld^ nld^t, fle roltt ^enfct)en. Der eroige, atlbe^errfc^enbe
©ottcsrolUc, ber fid) im unentrinnbaren Stirb unb QBerbe oer«
roirktlcf)t, Ift Einfang unb ®nbc attes ^anbelns unb Denkens, Ift
ble rolrkenbe 9Bat)r^elt.
QBlc kümmertlc^ erroelft fic^ bagegen ber 95crfuc^, auf ben
aUe „3tpotogetlk" legtllc^ gurückgeroorfen rolrb, ble menfc^lic^e
— 124 —
„i5retf)ctt unb SDürbe". gegenüber ber ftorren ^oufoHtöt ber „^atux"
rotffcnfc^oft" gu oertetblgeit unb ftc^er gu ftetten! €in ^a^t^unbcrt
^tnburd) tft ber ^antifd^e „feategorlfd^e ^mperatb", ble moraltfd^c
^rei^clt bes ^(i)mtn](i)m, ble le^te 3uflu(^t ber ^"^cologcn ge*
roefen, um t^re Welt gu retten, ©egenübcr ber unleugbaren
SJloturgebunben^ett f)at man bie perfönliclie ^ret^ett als einen
Weinen ^unKt, ein gufammengefd)runtpftes 3fleftgebiet bcs Ociftcs
feftgu^alten gefud)t unb nid)t gefe^en, in was für «eine traurige
„Söerteibigungsfteßung" bie 3leIigion baburcf) geraten ift. 9Hon
t)at bie Staturroiffenfdiaft, bie garliein §e^I baraus machte, ha.%
fic gegen ben lebenbigen ©ott 3U ^elbt giel^en rooHte, mit bem
§utc in ber §anb unb pflid^en ^ra^fü^cn barouf aufmerlifam
gemadit, ha% fie „i^r ©ebiet ein roenig überfc^reite", ha'^ fie „mit
it)ren Sßlittetn nid^t gang in bie 3Dett bes ©eiftes ^inreic^e", für
bie man roenigftens ein kleines 3leftgebiet not^ beanfprud^en
könne, unb man t)at nie barauf ^ingeroiefen, ha% nur bie ^Religion
bie n)trkliif)e, ooHe, lebcnbige ©ebunben^it bcs fiebens kennt, in
ber kein ^lafe me^r ift für ©onbergebiete bes QBiffens, ha^ biefe
Königin bes Sebens keine ©renjen i^rer 9Ba^r^eit gugeben barf,
fonbem aUe anbern umf(^Iie§t. ©er „freie QUille", bie „perfiJn»
Iid)e 2Bürbe" ift bie Sklaocnkctte unb ber ^ungerturm ber reli=»
giöfen Qüa^r^eit geworben, ber eroig roirkcnbe ©ottesroiUc mu^
fie roieber :^erausf dalagen.
(£s ift kein ^roß^fcl: ^ös gro^e (gntroeber^Ober ber „beiben
QBege", bas in ber Siefe bes fiebens fd^lummert, aus it)r erroadit
unb in it)r fiel) burc^fe^t, t)at garnic^ts mit ber perfönti(|)cn ^rel*
^eit äu tu"- ®5 ift (gntroicklungsprobukt unb (gntroicklungs*
fcrment äugleict). S>urd^ es ^inburd) oollgie^t fic^ bie grofee
3roangsentroi(ktung bes fiebens. ®s liegt keincsroegs in Jebem
2lugenbliik ber (gntroidilung in fertiger 95oUenbung ha, fonbem
es roä(^ft aus gang leifcn, nodt) oöHig in ber Sphäre bes Un«
beraubten trauml)aft roogcnben Srfjroingungen herauf, bis es beut»
R(i)er unb beuttic^er auseinanbertritt, fic^ in ^uftänben bes Un*
betjagens unb bes roilben ©träubens immer met)r ocrratenb, bis
es eines Sages gur ooüen Mar^eit unb Unausroeic^Iic^keit ^eran«
gereift ift — im ©c^ulbgefü^I, bas keine llnklarf)eit unb kein
Surück mc^r gulä^t: S)icfe roac^stümltc^ unb ftufcnroeife ftc^
— 126 —
oolläie^enbe 3)ur(^fcöUTtg bes „6ttrb unb QBerbc" rolrb uns tn
bcm Kapitel über bte „35cm)lrfiltc^ungsftufcn ber religiöfen QBa^r*
^ett" no(^ ou5fü{)rnc^ befc^äftigen.
Snun aber muffen n)ir uns bent entfc^etbcnben «Punkt ^u-
roenben, bafe In bem gu «nbe getriebenen ©c^ulbgefü^l bereits
bte ©rtöfung liegt, bofe bas oorigogenc sterben fc^on bie 9leu=»
geburt bebeutet, «s ift bies ber gentrale ^unkt bes religiöfen
«riebniffes, ben roir fet)r genau ins 5luge faffen muffen, jumal
ha er in ber ©efc^ic^te bes religiöfen ©enkens oft genug unklar
geblieben unb gerabc an it)m bie religiöfe ^at)r^eit auseinanber-
geriffen unb entfteEt roorben ift. SBefonbers bas ©c^ema bes
kirchlichen Senkens, bas ben eint)eitlic^en fiebensprogefe in feine
oermcintftctien SBeftanbteile aufgelöft unb biefe roieberum oerfteinert
t)at, ^at an blefem funkte gerabegu gerftörenb gewirkt. SKan
braucht nur an bie alte kirc^lic^e 95ufeprajis unb i^re älteren
unb jüngeren gebanklic^en 95erknöc^erungen gu benken (contritio
cordis, confessio oris, satisfactio operis) ober fic^ ben ordo
salutis ber altproteftantifdjen ©ogmatiker gu oergegenroörtigen,
um p erkennen, ha^ ^ier eine htn roirklic^en 35orgängen bes
Gebens nad^ge^enbe pfr)d^oIogif(^e ^lar^eit unb SSereinfad^ung
roii^tigftes 3(nltegcn ift. %kt mu§ eine 3ö^itflwfeni>ß o^^ ®r*
ftarrung gerfdilagen roerben, bamit an biefem feinem lebenbigften
3nnenpunkte bas roirklid^e fieben roieber gu feinem 3lec^te kommt.
9Bir tjaben — man roollc barauf ad)tm — an einem be»»
ftimmten funkte unferer ©arfteUung bes ©c^ulbgefü^Is ben 95egriff
ber ©ünbe eingeführt. (Er ift ein §itfs begriff, ber bagu bleut,
bas, roas fi(^ in ber flutenben Sntroidilung lebenbig ooUgie^t, für
bie ru^enbe 93etracl)tung gu fixieren. Sas Urfprüngtic^e im 2ebens=»
projefe ift nlct|t bas Erkennen ber ©ünbe, fonbern bas ©cfü^l
ber 6c^ulb. ©as ift nic^t basfelbe. @ani abgefe^en baoon, ha^
bas ©c^ulbgcfü^l oiel früher einfegen unb roirkfam fein kann,
als bie ©ünbe als fotct)e erkannt ift, roas nac^ bem bisher ©e*
fagten nic^t auffaüenb fein kann, trägt auc^ bas ©c^ulbgefü^l
einen oiel aktioeren, tebenbigeren, oormörtsbrättgenberen CC^arakter
als bie Erkenntnis ber ©ünbe, oon ber bie X^eologen fprec^en.
3)te X^eologcn ^aben biefem (Segenfa^ baburcli Slec^nung getragen,
ha^ fle bie ©ünbe als bie ber objektioen fittltc^en 91orm nilbcr*
— 126 -
fprec^enbe ^anblung ober Suftänbltc^liett auffaßten, gang einerlei,
loie ber Qltenfc^ ju t^r ftet)t ober beraufet an t^r beteiligt ift,
roö^renb man nur bei beraubter, freier Beteiligung bes 3nenfct)ett
oon ©(i)ulb fprec{)en könne. ®ünbe kann man nact) biefer 2luf*
faffung tun, au6) raenn man garni(i)t roeife, bafe bie betreffenbc
^anblung ©ünbe ift, äur ©c^ulb roirb fie erft, wenn ber freie,
beraubte 2DiIIe ^ingutritt. (Sine €rbfünbe könne es banadj geben,
aber keine erbfd)ulb.
S)ie|e ^rt ber .Unterf c^elbung äroifc^en ©ünbe unb ©d)ulb
roiberfpric^t burc£)au6 ben Xatfac^en ber QBirklic^keit. Sie 6c^ulb
mactjt jic^ in i^rer gangen 3Bu(i)t gcltenb, auc^ roenn ber 9Henfd^
nad^roeisbar unb bemüht in garkeinem freien 9BiIIens5ufammen*
^ange mit ber ^anblung ober bem 3iif^<*^i>ß fi^^*» ön bie fid^
has ©ct)ulbgefü^l ^eftet. 9Do^I aber fe^t fie immer ben lebenbig
anpackenben, auf Ueberroinbung brängenben ^öi^eren QBillen oor=
aus, ber nid)t als tote, ru^enbe 9Iorm, fonbern nur als anklagenbe,
oerniditenbe, gur Umkehr groingenbe lebenbige 9Hac^t gebac^t
werben kann, ©er Äönig, ber mit feinen ^ned)ten Qflecfjnung
tjült, geprt gur ©cfjulb, gur Sünbe gehört bas ©ittengefe^. S)em*
nac^ ift bie ©c^ulb ber lebenbige Begriff, bem bie ^(^fte SRu^e»»
lofigkeit unb bie ftärkfte Qlktioität innen)ot)nt, roäfjrenb bie ©iinbe
äum minbeften immer bie S:enbenä gur (grftarrung unb gum ©efe^«»
li(^en in fic^ trägt. 35on ber ®(i)ulb kann man ni(^t überfüt)rt
rocrben, o^ne auf bas Sieffte innerlid) beroegt, erf(^üttert, gur un»
mittelbaren ^useinanberfe^ung mit i^r gesroungen gu werben;
oon ber 0ünbe kann man, roie bie kir(^It(f)e ^rajis geigt, gerabegu
gen)o^nt)eitsmä^ig reben, als märe fie ein unoermeiblic^er giiftanb.
®as liegt baran, ba% bie Qünb^ bas aus bem ®d)ulbgefü^I, bas
immer nur im lebenbigen 5tugenblick gegenroärtig unb roirkfam
mirb, abgeleitete 6ac^li(i)'5lltgemeine ift, bie quantitatio unb „oh"
jektiö" gu beftimmenbe ^broeidjung ber ^anblungen oon einer
feftfte^enben Storm für bas fittlicljc ^anbeln. ©iefes Sac^Iid)=»
Qlllgcmeine ift notmenbig für bas praktift^c Seben, bas immer
ein geroiffes 9ITa§ oon ©efe§Iid)kcit für feinen äußeren 95eftanb
brautet. 3c ftörker ba^er bie 93eräufeerUct)ung unb bie ©efe§li(^«=
keit bas fieben be^errfdit, befto ausgiebiger roirb oon ber ©ünbe
gcfproc^en. ^as ift Ieid)t aus ben gefeglictjen €pod)en ber 9leli*
— 127 —
gionsgcfc^tdite oufäuroclfcn. 2Bo ober bcr lebcnbig lotrficnbc
©ottesrotUe, bie oorroättsbrängenbc Sebcnsentrotcfelung ift, tritt bie
©ünbc 5urüdi unb bas lebenbig ongreifenbe Sc^uIbgefü^I tritt in
ben 35orbergrunb. S)as ift befonbers beutlid) in ber 35erkünbigung
3efu, innerhalb beren man bie ^älle göfilen kann, in benen Sefus,
bem Sprachgebrauch bes gefe^lic^en ^ubentums fotgenb, t)on ber
©ünbe fpric^t. ©agegen äict)t bie Sc^ulbanlilage raie ein glü()enber
^euerffront burcE) feine 95u^prebigt, roie benn aucfj bas ©ebct ber
©ebete nur bie ©cl)ulb, nic^t bie ©ünbe kennt.
9Bir fprac^en in unferer bisf)erigen 5)arfteUung oont ^roangc
ber ©ünbe, um, oon aufeen gefe^en, ein allgemeines (£ntn)icklungs='
gefe^ feftaufteüen. 95ei ber ^nnenbetrac^tung bes Sebcns folltc
man fac^gemäfe nur oon ©ci)ulb fprec{)en. 9Birb ^ier, nac^ bem
leiber nur aU^u weit üerbreileten Mrc^ticl)en ©pract)gebraucE), oor*
mtcgenb von ©ünbe gefprodjen, fo ift has ein untrüglid^es ^enn=
jeidien ber 33eräu^erlid)ung unb ber ^rftarrung. Sie ©ünben='
prebiger finb erfahrungsgemäß bie fc^Ie(f)teften SBußprebiger, roeil
fie fid) burcfimeg in 3lttgemein^eiten beroegen unb bei aller ^Sereit»
roilligkeit, ©ünben gu bekennen unb gu ftrafen, fe^r forgföltig um
ben lebenbigen 3"itßi^iinkt, an bem ber an bie konkrete ©egen=»
raart gebunbene 3nenf(f) allein t)erumgen)orfen roerben kann, t)erum»
get)en. 3^ ^^^^ ©ünbt)aftigkeit, befto roeniger 95uße, befto roeniger
neues Seben. '2ln bie ©ünbe unb if)r 93ekenntnis kann man fid^
fo fe^r gewönnen, ha.% man in einem geraiffen regelmäßigen Turnus
5ur SBeic^te ge^t, um fi(^ roieber oon it)r äu reinigen, *) unb
©onntag für ©onntag bas glei(^e ©ünbenbekenntnis ablegt.- 2ln
bie ©(^ulb unb i^r Bekenntnis kann man ft(^ nie gewönnen,
©ic ift roie ber ^^uerbranb, ber fid) ausbrennen muß. ®lc
flackert roo^l immer neu auf, aber um fict) immer neu au oer-
äct)ren. ©ünbe unb €rlöfung gehören gebankenmäßig, bogmatif(^,
in med)anifd^ feftgel)altener gufammenkettung gueinanber — ©(^ulb
unb ®rlöfung liegen groangsroeife ineinanber. ©ie ©ünbe kann
man aufsagten; in ben 5Beic^treben unb 5Beict)tfpiegeIn gibt es
gange Kataloge oon ©ünben. Sic ©ct)ulb tritt immer gang
*) SHan fagt in gcroiffen ©egenben bementfpred)enb aud) uon ber
fcf)muöigcn SBäf^e: „6ic muß äum Pfarrer."
— 128 —
konkret oIs ein ^InfelogepunKt auf, bcr m fo cncrglfd^ tn bcn 93orber=»
grunb f(^lebt, ba^ alles onbere, befonbers aßes 2lttgcmetne, booor
oerfc^rotnbet. ©orum ftel)t im 9HittcIpunIit ber tebenbigcn
Slcligion immer bie ®d^ulb. ©ie ©ünbe t)ot nur für bie Stufeen»»
bctrad^tung ber ®inge, bie au(^ bie ^leliglon kennt, *) if)re
Sered^tigung in ber retigiöfen ©ebankenroelt.
S)tcfe oügemelnen Srroögungcn über bas QSer^öItnis oon
©ünbe unb ©d^ulb gueinanber mußten mir oorausfc^idien, um es
gang beutlid} werben gu laffen, roas für eine ungel)eure um*
monbeinbe ^roft unb pofitioe fiebensquetle im ©c^ulbgefü^l —
ni(i)t in ber 6ünbenerfeenntnis — n)ot)nt. 9Bäl)renb Cutters
©eele gum ^immel fc^rie: „O mea culpa, mea maxima culpa!"
fanb ber gang in ber ölten ®ünbenbetrad)tung lebenbe 6taupiö
nur „^umpelroerfe unb ^uppenfünben" unb a^nte nlc^t, bafe in
bes äerknirfd)ten 3Ilön(^e5 Seele ein gang neues fiebcn ans Sidjt
brängte, oon bem aus aüerbings bie ganjc 95ergangen^eit mit
allen it)rcn fc^einbar fo frommen unb roerk^ifrigen fiebensäufeerungen
als eine einzige ungeheure 6(^ulb erf (feinen mu^te. 5)ie ^d^fte
SBereitroilligkcit, ©ünben unb ®ünbt)aftigkeit nad) einem gefe^"
lid^en SHafeftabe gu erkennen, gu bekennen unb gu bereuen, kann
nid)t bas erfegen unb baran tjinanreid^cn, mos bie im Sd^ulb^
gefügt fi(^ oottäiet)enbe 9leugeburt einer ^ö^ercn 2Billenst)errfcl)aft
bebeutet. S)as rabikale ®d)ulbgefül)l kann garniert oon bim
Satbcftanb bcr ooUäogcncn ^anblungcn aus begriffen werben,
erft rec^t ift es nic^t bas Ergebnis eines überreizten unb über»"
garten ©eroiffens — bas bann als „Organ" betrachtet mürbe — ,
fonbcrn es wirb nur aus bem fid| emporringenben neuen QDilten
beutlic^ unb erklärlich. 5)as ©c^ulbgefü^t ift- bie Offenbarung
einer in bie Zukunft brängenben Äraft, bie über bie gange OSer«
gangen^eit bas ^obesurteil fpric^t. 3)ies Sobesurteil ift bie erfte
ooUgültige Urkunbe bes neuen Sebcns. 9lur burc^ bas „©tirb"
gie^t bas „SDerbe" in bie ga3elt ein.
95on ^ier aus roirb nun erft ooHenbs beutlid), roarum im
93eroufetfein ber ©c^ulb eine fo oiel ftärkere fiebensenergie ftec&t
als in ber (Erkenntnis ber ©ünbe. 3^" 6cl)ulbberou§tfein liegt
*) 93ergl. beifpictstoeifc 6eite 77.
— 129 —
aUcs ©crolc^t auf beut, was fctn folltc, In ber ©ünbcncritennt»
nis auf bcm, roas nic^t fein foUte.*) hinter h^m ©c^ulbgefü^l
fte^t ber pofttioe t)öl)ere SBtlle, ber um bte ^cnfc^aft kämpft,
x>ov beffen ©röfee unb ^üUe bte ^anblung ober ber ^uftanb unb
oon ba aus bas gange fieben fidi als I)o^I, ntc^ttg unb leer er»
metfen unb barum burc^ einen neuen fiebensroiHen ausgefüllt,
oerbröngt fein rooUen. hinter ber 6ünbencrfeenntnis aber fte^t
ein anklagenbes ©efeg, bas rüöif(^auenb ben Ringer auf bie
©rö^e ber 2lbn)cirf|ung oon feiner ^orberung legt, gefliffentllc^
ben ©liefe auf bie Sat lenfet unb barauf bröngt, ha^ biefe be-
feitigt mlrb. ©dingt es, burd^ irgenb ein ©ü^ne« ober ©enug*
tuungsoerfa^ren bie 2at aus ber aBelt gu fc^affen, bann Ift bas
©efcö bcfriebigt. SBeiter reicht fein 3lnfpruc^ im ©ünbenberou^t-
fein nitf)t. Satfäc^Iicf) begnügt fid| ber SBeic^tftu^I ber featt)oIif(i)en
Äird)e bamit, tabula rasa mit ben 93ergangen^eitsfünben gu
machen, unb lelber ^at fid) bie SBeic^t* unb 3lbenbmaI)Isprajis
ber eoangelifc^en ^irc^e bem me^r unb met)r angefc^Ioffen, mie
Quc^ bie gange ©ü^ne* unb ©enugtuungsle^rc ber ^irc^e oor*
roiegcnb in bie 25ergangent)eit fd)aut unb S:aten befeitigen, nic^t
^BiUensferäftc roccfeen miß.
9Bie gang anbers ift bas ©c^ulbgefü^t orientiert! €s
oerabfc^eut bie Vergangenheit nict)t roegen i^res pofitioen,
fonbern wegen it)res negatiöen 3nt)alts. ©ein ©rauen oor
ber ©c^ulb ift bas ©rauen oor ber fieere. (Es roill nichts
beifeite fc^affen, fonbern es roitt t)eranfc^affen, um bas aitanfeo
ausgufütten. (£s fie^t nic^t auf bas, roas getan, fonbern auf
bas, roas nictit getan roorben ift. hinter aUen 2aten,
bie bas ©eroiffen anfelagen, ftet)t es ein lefetes großes 35er»
fäumnis, einen mißachteten SBiUen, eine oerfeannte Siebe. <£s
brängt barum mit aÜen afetioen %a\ixn in bie ^ufeunft, um,
mas es fc^ulbig blieb, gu erfüUen. 3lus ber «infamfeeit bes
unbcfriebigten, ausgef)öt|Iten Safeins ftrebt es mit allen
*) es ift ber gleldjc Untcvfc^ieb, ber groifc^cn ber t)0lkstümli(i)en
gorm ber golbcncn SRcgel: „SSSas bit nidit rotUft, ba^ btr gefd)tcl)t, bas
tu aud) keinem onbern nidit* unb ber gormung ^efu beftei)t; „5tües,
roas üjt iDoUt, bafe eurf) bie Seute tun fotten, bas tut i^r
t^nen auc^.«
S- Settmann, ©rofeftabt unb «Religion. 3. Seil. 9
- 13Ö —
Sötittcln in btc ^üße bes neu gebunbencn Sebens, aus ber fios*
löfung tn bte oöHige 93tnbung. ©s rotll aiid) „(Genugtuung",
aber in einem gönält(^ anbern ©inne, nic^t gur SBefeittgung einer
95ergangen^eitstat, fonbem gur Ueberroinbung einer ißergongen"
^eitslüöie unb eines üerfprü^enben ©ergongen^eitsrotttens. (£s
will nic^t ©ül^ne, fonbem 95erföt)nung.
(gln 9Henfd| ber fid^ fünbig roeife, gleid)t einem firanfeen
9Honne, ber fein ^uge auf bie Eiterbeulen feines Körpers ge=
richtet t)ätt unb nur einen 3Dunf(f) f)at: bo^ biefe f)erausgef(^nttten
werben. (Sin Sölenfc^ ber fi(^ fc^ulbig füt)It, gleicht bemfelben
liranfeen 9Ilanne, ber aber burc^ bas '^enfter feines Krankenzimmers
auf hm ^trbeitsplo^ bes gefunben fiebens fc^aut unb oon bem
bort ^errft^enben 'JlrbeitsroiUen aus erft erkennt, roie elenb er ift,
aber aud^ oon bort aus bie ©enefungsferaft empfängt, tnbem ber
^rbcitsroiße brausen fi(^ für it)n in ©efunbungsfet)nfud^t unb
OefunbungsmiUen oerroanbelt, ber nun oon innen ^er bie Teilung
ooUgie^t. S)ie religiöfe ©etonung ber ®ünbe unb ber ©ünbt)aftig=
feeit fül^rt nur gu oft gu einer gefät)rlid)en 6elbftbctra(f)tung —
fie ift bas (f)arafeteriftif(^e Kenngcidien bes tnbtotbuoltftifdjen
Pietismus — unb einem faft Tooljlgefälligen Q[Bü^Ien in ber
eigenen 93erberbt^eit. S)ie religiöfe Betonung ber 6ct)ulb lenkt
ben SBIitii erlöfenb oon bem (Eigenen ab unb auf bie (£rfüEung
eines t)ö^eren ScbensrotUens ^in. 9'lid^t umfonft „fanb" fintier
in feinen krit{f(^en 3*1^^6" ^^^ '5luguftin unb bie 95ibel. 9DeiI
bas ©(^ulbgcfü^I fuc^t, barum finbet es.
95on ^ier aus ergibt fic^ nun ein ©runbfafe oon größter
Siragroeite für bie 95erkünbigung ber umfc^affenben rcligiöfen
2Da^r^eit, auf ben mir fd)on früt)er im SSorüberge^en ^inraiefen.
©ie mufe burc^ unb hmd) pofitto, oormörtsfdiauenb geI)oIten fein.
SDas 6(^ulbgefü^l entfielt unb roäc^ft mit ber ouffteigenben
^^nung unb bem fic^ klärcnben 5BIick für ben SwkunftsroiKen,
auf ben bas fieben ^inbrängt. 3Ber SBufec prcbigen roiti, mu^
prcbigen, ba% bas §immelrei(^ oor ber Sür ftet)t. ©as finb bie
äerf(^metternben ^ropf)eten, bie um einen 6d)rttt meiter in ben
SUebel ber Zukunft fd)auen. S)ie ^ukunftsbilber ber alten ^ro*
ptieten finb bie geheime Ouelle i^rer erfc^ütternben Su^prebigt.
(£in SHlenfc^, ber ber 95oEenbung bes Sebens um einen ©rab
131
nät)er gcrüclit Ift, lä^t bic Saufenbc bercr, bie if)n fel)cn unb f)örcn,
tiefer erölaffen als alle 6ünbenprebtger, bie nur gegennjörtigc
3uftänbe nac^ alten gnafeftäben geißeln, ^efus oon ^lagaret^
war tro^ feiner bejraingenben ©üte balb ein unenblic^ üiel gc*
fttrc^teterer ^einb ber ^t)arifäer unb 6d)riftgelet)rten oIs ber mit
beulen breinfcf)tagenbe Käufer ^o^onnes. 95erfiünbige unb oer-
roirlitic^e, roas bir an neuer, p^crer fiebensbinbung gefc^enbt
würbe, unb bu löffeft bie SDelt ttefer erfc^recfeen als bu es burc^
erfc^ütternbe fiafter» unb ©ünbenregifter t)ermöc£)teft. fiafe ben
QBillen roirlien, ber bein Sebcn besroang, unb bie 6c^ulb fteigt
riefengrofe empor in ben ©emütern, c^e bu auct) nur ein QDort
ber anklage fanbeft. „6aget 3ot)annes roieber, roas it)r fet)ct
unb pret: bie 95linben fe^cn, unh bie Säumen get)en, bie ^us"
fähigen roerben rein, unb bie Rauben pren, bie 2otcn fielen
auf, unb ben ^rmen roirb bas Süangclium geprebigt." ^n
biefen f(^Ii(^ten Xaten, bie oon einer ^ö^eren fiebensbinbung
3eugnis ablegen, liegt me^r „^eiliger ©cift unb oerge^renbes
i5euer", als in ben iiüt)nften esrfjatologifc^cn ^^antajiebilbern bes
QDüftenprebigers.
©ib bem 9Ilenf(^en eine 5lf)nung booon, roas fein mufe
unb roerben roill, unb ber alte 9BiUe beugt ficJ) fterbenb oor bem
{)eraufbröngenben neuen. S>ie ©rlöfnng im oollen ©inne ift bas
©efd)enfe eines neuen Sebens, bas ein altes ablöft. 2ßie t)at bie
^iri^e bes 9Henf(^^eitserIöfers bas oergeffen! ®er grofee ©egner
bes (Etiriftentums ^at fo 3lcc^t mit feiner bitteren Kritik: „®r=
löfter müfeteu mir i^re jünger ausfegen!" fiafet atte 6ünben«
befeenntniffe getroft unter ben 2ifc^ faEcn, aber roeöit bas um*
f(^affenbe ©(ijulbgefü^t burcf) bas lebenbige Zeugnis oon einem
neuen fiebensroillen, ber befreienb, erlöfenb, öorroärtsbrängenb,
umfc^affcnb in bie QBelt greift! 5lc^, bie ^irc^e ^at fic^ nur gu
beutlid) immer auf ber Seite bes alten ^Bittens befunben!
'JUn biefem ^unfete roirb ftc^tbar, roie ungenügcnb bie ^iri^e
ber ooüen ^eilsbotfdjüft geredet geroorben ift, roenn fie biefe faft
ausf(^liefelid) auf bie „95ergebung ber ©ünben" beft^rönkte. S)er
^attjoligismus ift 95ergangen^eitsreIigion, bie garniert ben inneren
fiebenstrieb ^at, neue ©tufen ber ©ottes^errfcf)aft gu erklimmen,
©eine §eilsbotfct)aft begnügt fic^ ba^er mit ber Vergebung ocr*
9*
— 132 —
gongcner ©ünben, b. I). ber QScrfc^Iungen bes cinäcincn, bte fi(^
gegen bös ein für atte Sltal feftfte^ettbe äußere 9HoroIgcfeö ri(^=
teten, unb mit ber Sufic^erung eines eroigen fiebens, bos in
fteinem 3iifönimenf)ange mit einer im 3ettli(f)en fi(^ anba^nenben
95onenbung bes ®ottesreicf)es ftet)t, fonbern rein inbioibua»
liftifc^ als bie jenfeitige Seligkeit bes einzelnen gebod^t ift. ^ber
im ^rotcftantismus ift es 95erfall p nennen, roenn er meint, mit
ber 25erftünbigung ber ©ünbenoergebung bas 9Befentli(i)e ber
^eilsbotfc^Qft ©ottes ausgefc^öpft gu ^aben. S)as QBerben ber
©ottcs^errfc^aft, bas fic^ burc^ ben eingelnen als ©lieb ber
gongen Sebensein^eit mit ooIIäiet)t, ber gw^^unftsc^araiiter bes
©ottcsreid)CS forbcrt oon it)m hen ©lieft auf einen fid^ an«
bai^nenben unb immer klarer unb reiner ^eraustretenben Sukunfts«
roiHen, ber i^m bas auf eine pofitioe SXeufi^öpfung brängenbe
©d()ulbgefü^l immer roieber aufgroingt. ^ier ift bie Vergebung
ber ©ünben, b. ^. eingelner 93erfe^Iungen gegen bas ©ittengefefe,
ojs ein fid) bis ans fiebensenbe mec^anifd^ roieber^olenber 3tkt
bur(^aus ungenügenb. Sie ©emeinfd^aft mit bem neuen
^Dillen, nictjt bie SBefeitigung alter QBiUensäufeerungen, ift bas
3iel ber religii5fen ©ntroidilung. (£rft burc^ bas "i^ofttioe geroinnt
bas STlegatioe feinen 6inn. Grft in ber burd) eine fe^r aktioe
neue ^Betätigung fid^ beroä^renben 23erföt)nung finbet bie 6ünben=
oergcbung il^r 3icl. 3)ie fiebensgefunbung ift roidjtiger als bie
^rank^eitsbefeitigung. 5)al)er ber £utt)erfd)e S>reiklang: 95er*
gebung ber ©ünben, Seben unb Seligkeit! ©ie neue, f(^öpfe=»
rifc^e „^rei^eit bes (S^riftenmenfdien" ift bas 3BefentIic^e in ber
^irc^e ber SReformation. 31lle Sünbenüergebung finbet erft it)rcn
entfcfjeibenben QiBert unb i^re 95öIIgültigkeit in ben neuen, oor«
roärtsbrängenben Gräften, bie fie auslöft. *)
^ür bie ^Befreiung biefer neuen. ^Bitlenskräfte ift aUerbings
bie ©eroifetjeit ber Vergebung ber it)nen entgcgenfte^enben
£ebensri(^tüng — alfo roeniger ber eingelnen fünbigen Säten als
bes gottroibrigen QBillens — oon entfct)eibenber 95ebeutung. ®rft
roenn biefe ©eroi^^eit ha ift, ^at ber neue QBille freie SBa^n unb
oolle 9Birkungskraft. Qlber ~ bas ift nun ein grunblegenber
*) 93ergl. bie ö^^Iung bes ©ict)tbrü(^igen.
133
«punlit — crft ber neue QBlUe, ber \xd) roirfeHc^ burcligefe^t f)at,
fcfjafft btefc ©eroife^eit, ntc^t umgefeef)rt. ©tc 95ermcrung ber
©ünbenoergebung mit einer einroonbfreien bogmatifd)en 95egrün«
bung — .(£I)riftU5 ift für bic 6ünben geftorben — f^at Sut{)er
oud) Toät)renb ber geit feiner ft^roeren Sroeifel unb kämpfe oiel«
focf) get)ört, aber fie oerfefjlte i^re ^Birliung. ^rft als
ber 3)urd)bru(i) bes neuen SDillens — ber ®nabe — erfolgt war,
gewann fie fieben unb 2DirfeIicI)lieit. ®ie SDergebung ber alten
gBiUensricfitung roirb erft gur ^atfac^e, roenn bie neue QBißens«
ric^tung gefiegt t)at, b. t). burd) ben ©lauben, ber nidjts
anberes als QBillens^ingabe ift. (£ine noc^ fo eifrige Sufic^erung
unb eine nodj fo einleud^tenbe bogmatifc^e SBegriinbung feann
it)r nic^t gunt fieben oer^elfen, raenn ®ott es nic^t tut burc^
feinen ©c^öpfungsalit, ber ben inneren SHtenfc^en an feinen 9BiIIen
kettet. S)ie 0ünbenoergebungsprebigt ift nur gu oft ein in bie
Suft gebautes t)ot)Ies ©djerna. ®ie geroinnt erft ©inn unb 95e=
beutung in bem ©tabiunt bes großen Hmfc^roungs ber alten in
bie neue 9Bittensric^tung. 0ier ift fie freilict) bie erlöfenbc S8e«
freierin oon ber 95ergangen^eit, bie bie furchtbare S^Jangsoor»
fteHung, hQ.% ber neue 2BiIIe nur oernid^tenb wirke, in bie ©e»
roi^eit umroanbett, ha.% er ber lebenfc^affenbe 2Biüe ift. ©ie
Vergebung ift bas ^öuberroort, bas bie feinblic^e 9BiIIensntac^t
als i^r ©egcnteil erkennen läfet. ®ie ift bas ^lufbli^en bes
großen Srkennens über ben roa^ren Charakter bes gerftörenben
SBiUens, ber tatfäc^tic^ bauenber QDiUe ift. 5)er gürnenbe ©ottes*
roille ift tatfäcf)Iic^ berfelbe roie ber gnäbige ©ottesroille, nur
offenbart er fic^ in ben beiben oerfc^iebenen ©ntroicklungsftabien
bes 6tirb unb 3Bcrbe nac^ oerfc^icbenen ©eiten, bort als 3«^'
ftörer eines alten ^BiUens, ^ier als ©ct)öpfer eines neuen Sebens.
©er Umfc^roung biefes ^Berbeprogeffes roirb erlebt als 95ergebung
nad| ber einen unb 95crfö^nung nat^ ber anbern ©eite. €ine
^cilsoerkünbigung, bie mit ber 95ergebung abfctiliefet, bleibt immer
unooUftönbig, bie 95erfö^nung unb bie ©emeinfc^aft bet)alten bas
lefete unb bas entfc^eibenbe ^ort. .^mmer aber foQte oon
©ünbenoergebung nur bann gefproc^en roerbcn, menn ber ®urc^»
bruc^spunkt erreicht ift, roenn bie ©tunbe ber ©eburt bes neuen
Wittens fid) unmtfeoerftänbHc^ ankünbigt, bas Reifet alfo: fet)r feiten!
— 134 —
2Btc feiten t)at Z^\us bie ©ünbenoergebung ausgefprodien !
SDcnn aQe ^rtefter ber 3DeIt ftcf) folc^e 93cfc^rän!iung auferlegt
()ättcn, rote btefer 9Hetfter, ber bte 95oIIma(i)t ^atte, 0ünben gu
vergeben! Sorunt ^otte er bte 95oIImad)t, roeti fetn fc^arfes ^tuge
ber Stebe ben ^ugenblidi ernannte, an bent bte 3umß^"9 ^^^
95ergebung burd^ftofeenb, ktörenb, befretenb roirfeen ntufete. *)
3intmcr t^at er bte ©ünbenoergcbung als SBeftätigung unb '2tu5=»
löfung einer Dor^anbenen fiebensnotroenbtgfeett ausgefprod^cn:
„®tr ftnb betne ®ünben vergeben", „3^1^ fi^i^ "tele ©ünben
Dergeben, benn fte ^at otel geliebt." **) S)iefer größte unb
bemütigftc (Erbgeborene benkt garni(f)t baran, ^u fagen: „^d)
oergebe bir beine ©ünben." QDeit ©ott bie ®tunbe t)at fdjlagen
laffen, borum beftätigt er unb fpric^t es erlöfenb unb befreienb
aus: „5)ir ift vergeben." QBas btefe 95eftätigung burd) ben
95ruber, ben 95erfeünbiger bes ©ottesroiEens — nid)t ben SrfüUer
ber 95orbebingungen ber 6ünbenoergebung hmd) ein fogenanntes
93erfö^nungsroerli — , überhaupt burdf bie ntenf(^Ii(i)e ©cmeinf(i)aft
für bie '3luslöfung ber ©eroifel)eit ber 95ergebung bebeutet, roirb
uns bei ber ©etradjtung ber fogialen Seite ber religiöfen (£nt=»
roiöilung nod^ beft^äftigen. ®d)on ^ier muffen roir fagen, ha%
btefe ©eroifet)eit in keiner QDeife geknüpft ift an irgenb eine
äußere ©enugtuung, bie fie juriftifc^ ober logifd) ober fonftroie
erft ermöglicfien foll. ©ie ift ber ^usbruck eines S:atbeftanbe6
ber inneren Sntroidilung, bes ooUgogenen llmfd)rounges. 9DeI(^e
<8ebeutung bas ftelloertretenbe Seiben für biefen Untfd^roung —
nidjt für bie (£rmöglirf)ung ber ©ünbenoergebung — t)at, roirb
in einem anbern ^ufammen^ange beutlicl) roerben.
3n bem ^lugenblidke, roo ber überroältigcnbe neue QBitle
ben 3<^wiÜ6w gong niebcrgeroorfen unb in fidj fjineingegogen {)ot
*) Sßie lounbcrbar geigt fid) bas in ben ©efc^irfjten vom ®id)U
brüd)tgen, oon ber großen 6ünberin, vom. Sdjädier am ^rcug.
**) ®iefe ©teile, bie ben proteftanttfc^en Sluslegern ma^rc dual
bereitet ^at, läfet tiefer in bas 2Befen ber Sünbenoergebung ^ineinfd)auen
als alle bogmattfdjen Segrünbungen ber 9nöglid)keit ber Sünbenoergebung.
2BeiI ber Xatbeftonb bes neuen, burdj ©ott gefd)affenen SPSillens unoer*
kennbar fid) ankünblgt, barum allein kann bie Sünbenoergebung aus*
gefprod)cn toerben.
— 135 —
— bie 92IittcI unb 9Begc, bie 3U biefem Stele führen, rocrben
uns jpäter befd)ctfttgen — , mufe bie crlöfenbe ®en)ifet)ctt auf=»
fprmgeit, bafe bie olte SDiEensriditung enbgültig überrounben,
b. Ij. oergeben ift. 5)ie öoUkommenfte Hebenoinbung bes einen
QiBiUens burcf) ben anbern ift nur möglid) in ber tjotnt ber Set"
gebung. (£5 gibt geroife anbere formen ber Unterroerfung. 3^
Seben ber 3Henfc^en unb ber SBöIfter gloubt man oft nur ba eine
oöUige Unterroerfung gu fe{)en, roo bie eine ©eite niebergerungen
ift unb ]iä) nun gä^neltnirfc^enb bent ©ieger beugt. S)ic tieffte
Sebensentroicklung begnügt fid) ni(f)t mit biefer ^orm ber Unter-
roerfung: ®ie roitl nad) ber Ueberroältigung unb burcf) bie Ueber-
roSItigung oöEige Eingabe, ungebrochene 3lnerliennung, roiUigen
Sienft. Sie roill eine bleibenbe ^Bittensumftellung: S)u t)aft 3le(^t,
unb ic^ \)ah^ Unrecht, ©iefe kann nur baburc^ gefd)affen roerben,
bofe ber unterroorfene ^Dille ben gegen i^n gerichteten t)öf)eren
^Bitten als ben QBillen für it)n erkennt unb anerkennt. S)as ift
bas grofee QBunber, bas fid^ in bent ©urt^brudjspunkt bes Stirb
unb QUerbe oollgic^t, ba^ in it)m biefe unert)örtc (Erkenntnis auf*
bli^t. Sie kommt gum 3tusbruck in ber ©erolfe^eit ber 35ergebung,
b. I). ber oöUigen Bereinigung naci^ ber Ueberroinbung. (£s gibt
keine tiefere unb unlösbarere @emeinf(f)aft als bie burd) ein 35er»
geilen gefc^affene. Si(^ oergei^en gu laffen ift bas größte Opfer,
bas ein 9Henfc^ bringen, aber aurf) bie größte 3Bo^ltat, bie it)m
roiberfa^ren kann. Sie ift kein einmaliger 95organg, ber einen
fiebensabf(^nitt ober eine ^anblung abfd^Iiefet, fonbern fic begrünbct
ein bauembes 25erpitnis, in bem bas SBeroufetfein bes über»»
rounbenen QBiUens als ^raft bes ©etjorfams unb ber 95erpfiid)tung
roeiterlebt unb als bleibenbe Spannung fortwirkt. Sarum mufe
jebes 9Henf(i)enIeben burcf) »ergebene Sctjulb gc^en unb oon t^rem
bauernben 95erou§tfein getragen fein, roenn es gang an ben
götttidien ^Bitten gebunben roerben foU.
©erabe biefes 3iel ber tiefften «Binbung mac^t erft beutlic^,
roie roenig bie ^irc^e mit i^rer bogmatifc^en 95egrünbung ber
Sünbenoergebung ben legten 3tbfi(^ten bes göttlichen QBiflens
gerect)t geroorben ift. Sünbe unb Sc^utb fittb nic^t etroa burc^ ein
fatisfaktorifct)es ober forenfifc^es g5erfat)ren befeitigt. ©ang im
©egenteil! Sie bleiben auc^ unb gerabc im neuen Sebensftanbe,
— 136 —
oon bem qus ftc erft in i^rct ganacn ©röfee ftd^tbar rocrben, in
i^rer ganjen SDuc^t befielen, ^ein aUenfct) ^ot ^atfac^en ber
gSctgangcn^cit ober i^re ©üttiglicit aus ber 3DeIt gefc^offt, crft
rec^t nid)t ber lebenbige (Öott, ber aus ber 95ergangenf)eit bie
3uf{unft fct)afft. ®as fiann gegenüber allen ntec^anifcfien €rlöfungs«
unb ©enugtuungst^eorien garniert fct)arf genug betont roerben.
2Die ber eraige ®ott kein 2Itom im QBettaÜ oerfc^roinben läfeti
fo erft red)t nid^t eine ^anblung ober eine ®d)ulb bes Sebens.
(£r broudjt jte alle als SBoufteine für bas ^ommenbe. 3ft ^^^o.
bie ungeheure ©cEjuIb, bie fic^ in ber ^reuglgung (£^rifti ocr-
roirfelic^te, burd) ihzn btefe ^reujigung, bie man als fatisfalitorifc^e
5:at aufgefaßt ^at, befeitigt? Sölit nickten! ©ie fc^reit bis ^eute
äum §lmmcl empor mie am crften Xage. S)ic 95ergebung ^at
garnid^ts gu tun mit einem 95efeitigungsoerfat)ren, fie möt^ft roeber
aus einem folc^en f)eraus no(^ fdfiofft fie fctbft ein foldjes. (gbenfo
wenig aber ^at fie gu tun mit einem feelif(^en 95ergeffcn, mit
einer ©efeitigung ber anklagenben J5(i)ulb aus bem Seroufetfein.
9BirfiIi(i)e ©djulb fiann nid^t oergeffen werben unb roirb ni(^t
oergeffen. ©em 9Jlenf(^en, ber fie gu oergeffen fuc^t, fteigt fie
bo(^ mieber empor, roenn ntd^t anbcrs, fo in bcn ^iröumen ber
9lo(^t. Was überrounben ift, ift bie ^Dillensrii^tung, bie fi(^ g e g e n
bie Slnerltennung ber ©c^ulb fträubte, bie ben alten
9BtIIcn ni(^t fterben laffen moüte. Sie SBeja^ung bes neuen
QBillens forbert bie uneingefct)ränfite unb nie auffjörenbr 5ln»
erliennung ber ooUen fiebensfcl)ulb. (£rft bann ift ber Sc^rolUe
roirWit^ übermunben unb ber neue 9BiHe gang in fein 9fle(^t ge««
treten. 35on bem 21ugenbliöie an änbert aber bie 6d)ulb i^rcn
©inn. ©ie roirb gur ftärkften SBinbung an ben göttlid^en SDillen.
933o bas gange fieben als ©c^ulb begriffen ift, ha roirb es gur
bebtngungstofen Auslieferung unb gur ootten Eingabe gebröngt.
©as ift bas 3iel ber Sntroicfelung. S)as „3c^ bin fc^ulbig" t)at
feinen 6inn unb feine ©ebeutung geönbert; aus ber Slnfelage
gegen einen fic^ ftröubenben QBiüen roirb es gum P(^ften SHlotio
für ben neuen QBillen, bas gange fiebcn, bas ©ott gcfc^ulbet
roirb, in feinen Sienft gu ftellen. 5)er 95Iicli auf bas, roas nic^t
getan roorben ift, roirb gum ^öcf)ften Slnfporn für bas, roas getan
roerben mu^. 3ft bas nic^t ber ^aVi, bann ift aUc ©ünben-
— 137 —
ocrgcbung, fo cinnjanbfrct unb ooUgüItig fie ouc^ ausgcfproc^cn
itnb bcgrünbct roorben Ift, ungültig, rote benn auc^ im ©tctd)ms
oom ©c^alfesfenec^t btc Vergebung bcr ©c^utb unetngefc^ränftt gu-
rücligenommcn rotrb, als ficf) crrocift, bofe ber neue 3Btae, bcr
nichts als „©ünbenftimmung" roat, gegenübet bem 9Ilttkncc^te
oerfagt. (£rft burc^ bte neu gewonnene Suimnft wirb ber ©inn
ber 95crgangen^ett befttmmt, erft burc^ ben ©teg bcs neuen
3BiEens wirb bte ©ünbenuergebung ermögltt^t unb beftegelt, nit^t
umgekehrt. 9ltc^t umfonft entpit bte fünfte 35ttte bes 93ater*
unfers ben 9lac^faö, ber Heine SBegrünbung, n)ot)I aber bte 35or»
bebingung, ben «rmöglic^ungsgrunb aUer gsergebung ausfpric^t:
„SlDte n)ir ©ergeben pben unfern ©c^ulbtgem/'
2Bann freiließ aus bem ©c^ulbgefüf)! ber erlöfungsfrtebe
emporftetgt, bas liann kein Sölenfc^ fagen. 5luc^ ber ^rgt Kann
nic^t fagen, mann ber ^uflöfungsprogefe eines Körpers beenbet
fein rotrb. SDoöenbs im tnnern Erleben liegt bte ©tunbe bes
Sobes unb ber ©eburt aflein in ©ottes ^önben. ©ie 5)inge
muffen ^ter ausreifen, fie können nic^t burc^ künftti(f)en S^ang
rociter gebracht merben. 3^ religiöfen Seben finb alle Sreibpus«
Kulturen, wie fie namentlid) bte ^ei^en SBefee^rungsbemü^ungen
ber ©eilten gegeitigt pben, ©(Reinkulturen, bte balb ba^infinken.
2Der ^ter nicl)t roarten kann, foU feine §anb oon ber 3lrbett bes
©öcmanns unb ©örtners taffen. S)ie ^nft retigiöfer ^ü^rung
ift ble fdiroerfte ^unft, bte es gibt, bereu ©e^eimniffe nur ber
^djften felbftlofen Siebe aufgeben. S>em ^Jönatikcr unb Srelber
fe^lt bte ^Berufung gum ©eelforger. *)
S)er Umfc^roung aus bem tiefften ©c^ulbgefü^l in ben (Er-
löfungsfrieben ift bas le^te ©e^eimnis alles Sebens. 9lur bie
(£t)rfurcRt barf oon t^m reben. (£s ooHäte^t fiel) auc^ nic^t plöö«
lic^, am TOenigften naä) einem bogmatif(f|cn ©(Rema. (Es gie^t
fic^ oft burc^ ^a^re Rin, in benen bie 5lngft bes oerfe^lten Sebens
unb bas ©efül)l ber 9latlofigkeit unb 95eretnfamung bis gum
*) (Etn wenig bcadjtetes, aber felafftfdjcs 95ctfptel für bie feel*
forgetli(ie ©röfec ^efu ift bas SBort an ben „oemünftig antroortcnbcn«
6d)rlftgelc^rtcn: „5)u btft md)t ferne »on bem 3leic^c ©ottcs.« 3n
bicfem 9Q5ort liegt ouc^ nidjt eine leife 2lufbringlicljkctt, fonbem nur eine
geftfteaung, in bcr tro^bem bcr ftärkftc 2lnfpom liegt, rocitcraubringcn.
— 138 —
oötligen ^ufontmenörucJ) ftd) ausrotrfeen. 5Bi6 p bem 5lugcnblicfee,
Tüo ber |t(^ mit ftetgenber ©rbttterung unb Srrcgt^eit Tt)et)renbe
unb fträubcnbc S^^i^iKe bent fdjärfer unb f^ärfer äugretfenben
©ottesTöillen ftct) ergibt, ftnb alle ©katen feelif(f)er Stimmungen
unb 3#öi^be möglidE). S:ief[te Sepreffionen roed^feln mit oölligem
95crgeffen im ^eiteren Strom ber QBett. 23erfcJ)Ioffen^eit unb
Hngugänglic^keit Ifeönnen bie 'iJlu^enfeite bes Kampfes für anbere
unerträglich madjen, fid) aber aud) hinter einer fidleren unb forg«
lofen SHliene, bie peinlid) geraa^rt roirb, verbergen. Unb mieberum
liönnen llnfid)erl)eit unb ^engftlid)feeit bem fieben, has totfäc^Iid)
gur f)ö(^ften ^raft emporbrängt, ^as ©epräge roeibijdier ®d)roäd)e
geben. 3" folc^en Uebergangsftobien fd^Iummem alle 3lätfel ber
6eele unb alle Ueberrofdjungen bes Sebens. ?lur ber roirlilid)e
Kenner ber 9Henfd)enfeele, bas l)ei§t ber burd) roa^rc Eingabe
©en)eil)te, feann l)ier burc^jdiauen unb unbemerkt führen unb
fjelfen; unb nur bie üormärtsfdiauenbe, ^offenbe unb Hoffnung*
raedfeenbe Siebe barf ^ier l)elfen. ^u it)r aEein brängt fid) aud)
bas fud)enbe unb taftenbe fieben Ijin als gu bem ^raftpol, ben
es braudjt. Stur mer fein fieben oerlor burc^ bie gro^e Eingabe,
kann 9Hsnfc^enleben retten unb geroinnen.
S)as eine freilid) bleibt merferoürbig : ber ©pürfinn bes um bie
l)öl)ere 58inbung rtngenben Sebens. 3^9^itbroo finbet es bie be*
freienbe ^raft unb bie erlöfenbe 3Bat)rl)eit. ?Ius einem QBuft oon
Süd)ern finbet es bicj[entgen mit un^eimtidjer Srefffidjerljeit l)erou6»
bie es roeiterfü^ren liönnen. ^us einem Si^aos oon SHenft^en finbet
CS feinen ^ütjrer. 5lus ber umnhlxd^en Sötannigfaltiglieit ber 95ibel
finbet es feine QSefeetjrungsfteHe. S)tefes „^inben" ift berartig
überrafd^enb unb erroeift fi(f) immer mei^r als ein ^ingcfto^en*
roerben, ha% eines ^ages bie Erkenntnis aufbömmem mufe: S)u
mirft gefudjt, ein geljelmer SBillc oerfolgt hid). *) ©iefes (£r*
kennen ift ber gro^e Umfdiroung, oft ein plö^lid)es ®rfd)redien
roie bei ^Paulus, ber, felbft fid) als ben 95erfotger roö^nenb, ent*
becken mu^, bafe er ber 33erfolgte ift, nid)t feiten aber auc^ ein
aUm'df)lici)is 3nneroerben einer t|öt)eren {Jü^mng. S)ie ^paffioitöt,
*) ^ter liegt bie Sßurael bes ßnpä^tungsgebttn&ena, ber allen
religlöfen SJlaturen gemeinfam ift.
139
bte mtt bcr ftc^ langfam oolläie^cnben ^erftörung unb «rfc^öpfung
eines alten fiebensroillens roäc^ft, füf)xt ^ter gong üon felbft gu
einem Uebergangsäuftanbe bes roiHenlofen 6id)tragenIoffens, ber
keinesroegs has (£nbäicl bes Untfteflungsproäeffes ift, ober bem
Pieren 2DitIcn bie SBo^n bereitet, ©o gleitet bas Seben gleicf)»
fam burd) ben ^luUpunlit bes eigenen 3BotIens oUmät)tic^ in bie
aufroörtsfteigenbe ^uroe eines neuen SDitlens t)inüber; aus ber
q3affioität crroäcfift bie Slfetiottät einer aus ber STiefe emporfteigen*
ben neuen «IDillensric^tung, beren OBurgel in bem ^inne^men unb
bcren ^raft in bcr Eingabe liegt. S)ie 9^etigion nennt biefen
neuen Suftanb bes Innenlebens ©lauben. „©taube ift nicf)t
bcr mcnfc^lid)e 3Ba^n unb 2raum, ben etliche für ©tauben Ratten,
©er ©taube ift ein göttlich Wtxk in uns, bas uns roanbclt unb
neu gebiert aus ©ott unb tötet ben atten 3lbam, machet uns
ganä anbere SKlcnfc^cn Don öergen, 93tut unb ©inn unb atten
Gräften unb bringt ben t)eitigen ©eift mit fic^. £), es ift ein
tebenbig, gefct)äftig, tätig, m(ict)tig Sing um ben ©tauben, ha%
unmögtic^ ift, t>a% er nic^t fottte o^n Untertafe ©utes rairfeen. (£r
fragt ni(i)t, ob gute SBerfee gu tun finb, fonbcm e^c man fragt,
I)at er fie getan unb ift immer im 2un. ^er aber ni(^t fotc^e
SBcrfec tut, bcr ift ein gtaubenstofer 92lenf(i), roeife roeber, roas
©taube, no(^ mas gute 9Berfec finb. ©taube ift eine tebenbige,
oerrocgene 3uö6rfid)t auf ©ottcs ©nabc, fo geroife, ba^ er taufenb«
mal barüber ftürbe. Unb fotct)e 3uöcrficf)t unb €rfienntnis gött«
ti(^er ©nabe machet frö^tid); tro^ig unb luftig gegen ©ott unb
atte Kreaturen, n)et(i)es ber Zeitige ©eift tut im ©tauben. -Sa^er
ber 3ncnf(^ ol^ne Sn'fttig mitlig unb tuftig wirb, iebermann ©utes
äu tun, gu biencn unb atlertei gu teiben, ©ott gu Siebe unb gu
fiobe, ber i^m fotc^e ©nabc ergeigt f)at, atfo bafe unmögtic^ ift,
9I3erlie oom ©tauben gu fc^eiben, gang fo unmögtic^ ats ©rennen
unb fieuc^ten oom %zmi mag gcfc^icbcn roerben.* (Sutt)er in ber
95orrebc gum SHömerbrief.) *)
*) ®cr ©taube, ber ntc^t burd) bas 6d)utbgefüI)I ^inburdjgcgangcn
Ift, f)at Itcin 3led)t anf biefen 9tamcn. ®enn nur bas ©iutbgefü^t fd)afft
bie legte unb tieffte ©tnbung on ben SBiUen, bem bcr aUenft^ fc^ulbig
roarb unb bauemb ft^ulbig btelbt. 3)05 ©ottoertrauen im ftoifdjen 6inne,
btts ber gü^rung bes ficbens burc^ eine t)öf)cre 2nad)t gcrot^ ift, o^ne
140
5luf bicfer pofittöcn ©eitc bcs rettglöfen Sntrotclilungspro«
3cffe5 geigt fic^ crft gang beutltc^, hQ% btc SRcttgton mtt bent
lebenbigen Sctermintsmus fte^t unb faßt. S)as ©c^ulbgefü^l ift
bie ncgatioe, gegen ben St^^^ißcn gerichtete, ber ©laube, bic
fiebensgeroi^^eit, ber triebe, ber ftegtiafte STätigkcitsbrang, bas
95ertrQuen, bie ^Jrö^Itc^feett bie pofitioe, auf ©Ott gerichtete, ©eite
biefcs Determinismus. S)ie planmäßig roirfeenbe SHad^t, bie fi(^
im 6c^uIbgefüt)I 6tufe für 6tufe burc^fefet, ergroingt bie ^opitu»
lation bes S'^^'tllens, ber bis gu biefem äufeerften funkte feine
„^rei^eit" bis gur 9I3iIbt)eit oerteibigt, fc^afft aber auf ber anbern
©eite jenes unerfcf)ütterUc^e ^raftgefü^I, bas bas ^enngeic^en aller
magren Qfleligion ift. S)urc^ beibe Sntroicklungsftabien gie^t ber
gleiche QBille, burd) bas eine als liämpfenber unb gerftörenber'
bmd) bas anbere als fd)affenber unb betebenber, beibe unlösbar
gufammcnkettenb -als oergebenber. **)
5)a§ es fic^ um einen ^rogefe ^anbelt, ber fic^ nur auf
biefe groiefac^e SBeife offenbart, geigt fic^ nun auc^ barin, ba^
man beibe ©tabien niemals gang reinlich von einanber f(^eiben
kann. 3^"^ immer roieberfee^renbe 95erfu(i)e in ber ©efci^idite ber
(i)riftlicf)en ^irct)e, ben „©tanb ber ©nabe" fcl)arf oon bem
„©tanbe ber©ünbe'' gu fc^eiben, finb in i^rer 2iefe unn)af)r unb
roir&Iicfilieitsfremb unb batjer ftets fcJ|neIl gufammengebroct)en.
©ie finb tatfäc^Iic^ fc^roärmerifc^, pt)antaftifc^, Kurgfic^tig, bas (£r*
lebnis bes 5lugenblidis mit feinem oorfc^Iagenben '2lccent oer-
aUgemeinemb unb oerfeftigenb. 3^ 3Da^rf)eit roirftt auc^ fc^on
burdj ben ficbensbruc^ bcs Stirb unb 2Bcrbe ^tnburcfjgegangen gu fein,
ift entrocbcr 93orftufc ober Äeftbeftanb ber rotrfelicfjen religiöfen 93inbung,
btc ©laube genannt roirb. ®ic ^luft grotfdjcn ber ncugcltüdjcn Äeßgion
bcs ©ottocrtroucns unb ber 9leltgion bes ©laubcns geigt fid) am beut*
lidjftcn bartn, bafe jene immer tnbioibualiftifdj, bicfc bas ©cgcnteil ift.
®ort ift ber ©laubc bie ^ilfsferaft ber 6clbftbe^auptung, ^ier bic ^raft
ber 6clbftäcrftörung unb ©ottcsbc^auptung.
**) Sßon einer Umftimmung ©ottcs oom gornigcn gum gnäbigen
©Ott ober oott einer Sefriebigung bcs ^eiligen unb geredjten ©ottcs oor
ber ©rroeifung feiner ©nabe kann gamid^t bie SRcbc fein. S)lcfc 5lntl*
nomtcn ber göttli(i)cn ©tgcnfcfjaftcn gibt es nur in ber oerfeftigtcn ©eins*
fpcfeulation, ni(^t in ber ^etrad)tung bes lebenbigcn ^nncnpunktcs ber
(gntrotdilung.
— 141 -
im 6tabiitm bes ®(i)ulbgefüt)ls blc ©nabc, utib im 0tanbc bcr
©nabc TDtrfet m(i)t nur bos ©djulbgefü^l in bcr Erinnerung noc^
bauemb noc^, ja bleibt gerabegu ber unentbetirli^e ^intergrunb
bes gegenwärtigen neuen 2Dißens, fonbern es tritt aud) tatfät^Iic^
in immer neuen ^Bellen auf unb be^crrf(^t bas gange Scben.
©as ©efü^I bes 6ct)ulbigfein5 wirb an immer neuen ^anblungen
unb ©erfäumniffen lebenbig, Ja roöc^ft an 2iefe unb ^eint)eit mit
ber roadifenben ®rgriffenl)eit burc^ ben neuen 9BiIIen. 9tur
kennt ber auf ber pofitioen Seite ber Entroicfelung ©tc^enbe ben
0inn biefes ©c^ulbigfeins unb finbet mit immer klarerer unb
ftärfeerer Energie bie ©inbung, auf bic es t)inbrängt. ^itt neue
©c^ulb mirb gu einer kräftigeren 93inbung an ben göttlichen
SDiflen, roätirenb im ncgatioen ©tabium ber Entroicklung Jebc
©cf)ulb ein ftärkeres ©tröubcn auslöft. S)ie eine entfc^cibenbe,
ben gangen 9Henf(i|en umfaffenbe innere ©e^orfamstat bes fiebens
fd^eibet bie beiben 6tabien ooneinanber. 2Ber ben 2Beg burd)
bas enge Zox einmal fanb, mufe it)n immer roiebcr flnben; bie
einmal ooUgogenc 93inbung mufe ficf) immer neu unb immer ent«
fc^Ioffener coUgie^en. %üx ben einmal Erlöften gibt es feeinen
SRücfefatt in ben Sebensguftanb bes ^offnungslofen 6id|fträuben5.
S)as ift ber 6inn ber „^präbeftination gum ^eile", ber ^Berufung,
bie enbgültig ift. ©ie ift feein gufiönb ber ©ünb« unb ©c^ulb«
loftgfeeit, fonbern ber 5lusbru(fe bafür, ha^ ein einmal erreidites
©tabium in ber fiebensentroitfelung nid^t gurüdigebilbct roerbcn
feann, fo ftarfe auc^ noct) bie ©trebungen, Einlagen unb QSeroc"
gungen ber früheren Entroicfelungsftufe nac^roirfeen unb immer
roicber auffc^roellen.
5)as ift tatf äditic^ ber ^atl. S)as religiöfe Urcricbnis änbcrt
nid)t bic Statur, bic Einlagen, bic ©c^roäcticn, ben E^arafeter bes
9Henfc^en; es erfaßt bas alles nur mit einer neuen 2DiIIcnsric^tung
unb bilbet es langfam gu einer neuen Einheit um. S>en „^fa^I
im ^teifc^" wirb auc^ bcr ^iebergeborene nic^t los, nur feennt
er feinen legten unb tiefften ©tun ; bie in bic ©egenmart fd^mcrg-
lid) nac^roirfeenbc Saft bcr QScrgangcn^cit roirb gum ftärfeften
93anbe on ben neuen ^Bitten, beffen erlöfenbc unb ooUenbenbc
^bfic^tcn gerabe gegen biefen ftörfeften «Dlbcrftanb gu behaupten
wnb fcftgu^attcn finb. ©er unermüblic|e unb (cibcnfc^afttt(^c
— 142 —
^atnpf ^ault gegen bas ©efefe mitten, in einer Umgebung, ber
btes ©efeö fe^rjem lag, *) ift ein ergreif enber SBemeis btefes un-
aufhörlichen Qflingens mit ber nacfjmirkenben 95ergangent)eit, um
bie einmal geroonnene ®rlöfung feftgufialten. S)ie ^luscinonber-
fe^ung mit ber ©(f)ulb ber 35ergangenf)eit bouert fo lange, wie
ber Sebenskampf übert)aupt bauert, ja fie roirb je länger befto
me^r gur immer feftcren 93inbung an ben QBillen, ber fid) im
Sc^uIbgefü^I burc^fe^te. S)ie „^onfcfftonen" ^uguftins finb
keine Sebenserinnerungen eines SHannes, ber fic^ feiner geroonnenen
^ofition freuen roill, fonbern fortbauernbe fiebenskömpfe, beren
harter 3^öng bis ins Filter nacfiroirfet. ^t^xt plö^Iit^ aus»
bred^enben öelbftanklagen finb keine rt)etorif(i)en ^t)rafen, fonbern
ous ber 95ergangent)eit nad^ft^roingenbe ©c^mergen ber ®egen=
roart; i^r überquellenber ^ank ift bie immer mieber erneute 95er*
geroifferung überrounbener ?lot bes ©träubens. ®ie immer
gleid)en ©runbakkorbc, bie Suttjers ga^IIofe ©c^riften unb 'ipre*
bigten burc^äiet)en, finb nic^t '^Ingeif^en einer fenilen 9Bieber»
]^oIung6fud)t, fonbern ein immer neues 5)ur(^Ieben ber ^ug^i^ö*
kämpfe, ^a, biefe ©ebunbcn^eit bes ©taubes ber 2Diebergeburt
an bie 35ergangent)eit get)t nod) roeiter: bie ©ebankenformen, in
benen bas neue Seben einen ^usbruck fud)t, merben ber über«
rounbenen (Entroicktungsftufe entnommen. S)iefe rückwärts*
fd^auenben ^lusbrucksmittel ber neuen Sebensroirktid^keit finb
met)r als einmal gum trogifc^en 95ert)ängnis für bie ^u^ii^fts*
entmidfelung ber religiöfen 9Dat)rt)eit. gcroorben unb ^aben biefe
ni(f)t feiten auf bie alte ©tufe gurückgebrüdkt.
®as ift befonbers beutlic^ unb oer^ngnisooU geworben in
ber ^irct)e ber ^Reformation. SDie ^ot man fid^ in ber eoan*
gelifcf)en ^ircE)e bemüht, ber 9flec^tfertigungslet)re, burc^ bie bas
religiöfe Urerlebnis in Sutt)ers ©ebankenroelt feinen ^usbrudi
fanb, äu neuem ©inn unb Seben gu oertjelfen, unb ^at garnid)t
bemerkt, ha'^ burd) eben biefe £ei)re im fiaufe ber ^^^^^imi^ß^t^
bas le^te religiöfe (Erlebnis gerabegu oerbeckt unb unoerftänblit^
geworben ift, roeil bie 95 o r a u s f e fe u n g e n bes (grlebniff es anbere
geworben waren! QBo bie (grlöfung, wie bei ^aulus unb fintier»
*) 93ergl. ben 9flömcrbricf.
— 14ä —
aus ber ^necf)tfdt)aft eines erftorrten religlöfen ©efe^es ^erausroäd^ft,
mu% es fic^ gonä mn felbft in ben ^Begriffen unb ^tnfc^auungcn
formen, bte bies ©efefe an bte §anb gibt. S)as gange erftarrte
©efegesjubentum fdjout uns nocfj aus ^auli ©ebanltenfü^rungen
entgegen, unb in Sut^ers Formulierungen fc^attet fic^ noct) bas
gange 9JlitteIaIter ab. ^etn QHenfdj Itann bem ©chatten feiner
93ergangent)eit entrinnen, auc^ unb erft recfjt nicl)t ber erlöftc
9Jlenfct), ber fo furd)tbar mit feiner 23ergangen^e{t kämpfen mu^te.
©erabe bas, roas bas ©efefe fuc^te, aber nid)t gemährte, ift für
^aulus wie für fintier ber 'Slusbrucä für bos geraorben, was ber
neue QBiEe fc^enkt: bie ©ered)tiglieit. ^o^I roeife ^autus, ha%
e^riftus bes ©efe^es (£nbe ift, roo^I roei^ Sut^er, ba^ ber ©taube
aEer ©efe^esgerec^tigfieit ein ©nbe madjt (bie ^Rechtfertigung aus
bem ©tauben f(i)enlit eben eine gang neue, fpegififc^ anbere „©c*
rec^tigfeeit", fie t)ebt bie QBerfee unb atles eigene 9BotIen unb
bamit aud^ ben 93egriff ber ©ere(i)tigfeeit auf), roie aber ^aben
beibe barum gerungen, bas alte ©ebantienf(i)ema mit bem neuen
3nt)alt äu fütlen! S)ie quatootten ©ebanKengänge pautinifd)er
Sogife unb ber nie gur ootten Söfung gekommene ©treit um bie
QBerfee in ber 3fleformation finb bo(^ nur tragifc^e Seroeife bafür,
bofe man jungen 9Iloft nid|t in alte ®d|Iöuct|e faffen feann. *) Sie
^otge biefer 35erfd)tingung bes bleuen in bas ©ebanfeengeftrüpp
ber 93ergangen^eit mar für bie 'Sukun^ oft genug ein immer
ftMeres ^urücfefinfeen in bie alte ©fetaoerei ober ber ootle 35er*
luft ber neu gefunbenen retigiöfen 9Baf)r^eit, bie in bem alten ge*
bantitic^en ©eroanbe überhaupt nidjt mc^r oerftanben tourbc.
Wh miß man einem 3Henfct)en bie 6e^nfuct)t nac^ ©erec^tiglieit
unb Ölec^tfertigung gumuten unb aufbrängen, ber fie nie in feinem
Seben gefuc^t ^at unb fuc^en konnte, weit fein ganges fieben ftc^
*) 2ln bicfem funkte geigt fid) tutcber bie überragenbe ©elftes*
gröfec 3cfu. deiner ^ot fo fc^arf gegen bas erftarrte ©efefe gekämpft,
unb keiner t)at fl(^ fo unabtjänglg oon attcn feinen (Sebankenfü^rungen
geniod)t. 6elne 9Q3orte flammen aus einer gang neuen, freien, Herten
2BcIt, aus ber j[eber ®ct)atten ber 93crgangcnt)elt gefc^rounben Ift. iö^tt
Ift ber ooUkommene ©leger über bie 6(i)rlftgele^rten unb ^tiarlfäer.
SCle roelt bos mit ber ©Igenart feiner Sebensentrol&Iung gufommcn^angt,
muffen mir fpäter befpredien.
i
— 144 —
in anbern 5lufga6en unb 9tnf(^auungsformcn bewegte! 9Ilan
^atte bos ®e|eö In feiner be^cirfc^enbcn rettgiöfcn ©ülttgfecit ah^
gefc^afft, oerfeünbete bie religiöfe 2DaI)r^eit ober immer noc^ in
ben ©runbbegrtffen unb =anfct)auungen, bie bas ©efe^ gefc^affen
^atte (bogu ge^rt neben ben ^Begriffen ©erec^tiglieit unb 9led^t=»
fertigung aud^ bie gefe^Iidi-med^onifc^e 3Iuffaffung ber ©ünbc, ber
6ü^ne, ber ©enugtuung, bes einmal ooUgogenen 95erfö^nungs=»
roerfees, bas als opus operatum bie OBurjet ber immer neu äU"
gefprod^enen ©ünbenoergebung ift, bes ©ertdites u. f. f.). $ier
liegt einer ber ©rünbe bafür, *) bafe bie neu gefc^enfite ^aijV"
^eit fdjneU bas 95erftänbnis unb i^re binbenbe ^aft einbüßte, fo
ha% bas nun oon ©efc^ unb ©oangelium befreite Seben alle
3ügel oerlor unb fic^ in ben ^offnungslofen ^nbioibualismus ber
UUeujeit auflöfte. S)as ift roa^rlic^ SBamung genug, uns im
31ugenblicfee einer neu fid| anba^nenben 9Biebcrgeburt ju ^üten
oor bem „Sauerteig ber ®d)riftgele^rten unb *>pt)arifäcr" unb uns
ni(i)t „roieberum in bas fenec^tifc^e 3oc^" fangen gu laffen.
Sin 93lidt in ben 2tnf(^auungö* unb fiebensreid)tum ber
®ibel äeigt auä), rote oerfd^ieben auf itjrem ©oben bas gleiche
religiöfe Urerlebnts geformt roorben ift. 2I3ill ttma ein S^eologe
im (Srnft bel)aupten, Sriöfung, 9le(i)tfertigung, 95erföt)nung, QBieber-
geburt, Errettung, Erneuerung, 93eliet)rung feien fadjlii^ oer*
fd^iebene 95orgönge? 9Bann enblid^ roirb ber elcnbe S:rieb ber
fpefeulatioen Degeneration auftjören, biefe 93egriffe nebenein*
anber ^u ftetten, um fie in ein ©qftem gu f(^a(^teln, anftatt fie
ineinanber äu fe^en als rocdifeinbe *2rusbrucfesformen bes
gleichen Urerlebniffes, bas nur oon oerf{i)iebcnen SSorausfefeungen
erlebt unb oon üerft^icbenen ©eiten gefe^en roorben ift? S)as
Erlebnis felbft ift fo einfad^ unb einbeutig, fo erotg roicberliet)renb,
aber barum au(^ fo mannigfoltig unb rei(^, \>a^ es nit^t nur gulöfet,
fonbern fogar forbert, in immer neuen 3tnfd^auungsformen oer-
gegenroörtigt gu roerben; unb ^max t)at jebe 3cit bie ^ftidjt, bie
fpegififc^e j^oJ^ i^J^cs Erlebniffes in ben i^r äugänglid)en unb für
es oerftänblic^en, roirkfamen unb jroingenben '2lnf(^auungen gum
*) (Es gibt beren aud) norf) onbere. Sluf ben ticfftcn ftommen
wir im folgcnbcn 3tbfrf)nitt.
145
^Tusbrucfe 3U bringen. 9BcIc^c bcr älteren 3lnfc^auungsformen
ber ©cgenroart befonbers na^e ftei)t, wirb m in bcr 5)ar-
fteüung ber gegenroörtlgen 3lufgabe, bte religlöfe Waf)xt)^lt als
^[Jrcbigt »on ©c^ulb unb «rlöfung in bie QCBcIt werfen, ^txQm
muffen.
S)as ift oUerbings bie aentrale 2lufgabe aller religiöfen
Serfeünbigung in ber ©egenroart, has grofee ©tirb unb SDerbe,
on bcffen q3forten wir fielen, burc^ bie «prebtgt oon ber großen
©c^ulb unb ber fic überroinbenben (Erlöfung ber Seit ins Seroufet*
fein äu tjömmern. ^tlle SDerltünbigung ber „95aterliebe ©ottes"
ober bcr „fc^öpferifc^cn ^raft ber 3letigion", alle qSrcbigt oon
©ottocrtrauen unb QBcItüberrotnbung beroegt fic^ t)offnungsIo6 an
ber Oberfläche ber Singe, n)o biefer Untfc^roung im 2IlitteI=«
punkte umgangen roirb. Safe ganse ©cnerationen oon «prcbigem,
bie fid) bemühten, an i^rc Seit unb it|re ©runbftimmungen ^eron»
guttommen, it)n umgangen ober nur an^angsroeife gebrad)t t)aben,
bürfte bekannt fein, ^eftge^alten rourbe bie ®(i)utb= unb ®r=
löfungsprebigt aus ©rünben ber Srabition fo gut roie ausfd)liefe«
lid) nur oon foId)cn, bie barauf oeräic^teten, in bas oolle fieben
ber Seit ^ineingugreifcn. S)as mar nit^t Suf^U. Senn es ift
bas ^enngeirfien ber ®poc^e, bie t)inter uns liegt, unb roirb, fo*
lange i^re ©runbliräfte no(^ nad)n)irkcn, bos ^ennseit^en ber 3cit
bleiben, ha^ fie fi(^ mit allen i^ren i5<^fcrn gegen biefe centrale
95erfeünbigung ftröubt. (Einen überroältigenberen SBerocis für
unfere 2t)efe, ha^ 6c^ulbgefü^l unb „perfönlidje '^rei^eit" niti^t
nur nichts miteinanber ju tun l)aben, fonbem fic^ roie ^euer unb
9Baffer gueinanber oer^alten, kann es nit^t geben als biefe Sat«
foc^e, bie uor aller Qlugen liegt, ^n bem gleidjen 9Hafee, roie
bas 'Sperfönlidjlieitsberoufetfein ftieg, fanfe bas 6(^ulbberou§tfein.
Sas ift für ben nic^t auffällig, ber roeife, bafe alle qjerfönlic^lieits-
pflege bis tfinauf gu i^ren ^öi^ften unb geiftigften (formen in
i^rem tiefften 95eroeggrunb ^uflet)nung gegen ©ott ift, roä^renb
alles 6c^ulbgefü^l mit bem roac^fenben ©e^orfam gegen ben
überroinbenben göttlichen 9Dillen fic^ entroicfeelt unb burc^fe^t. ^
^ir finb uns beffen beroufet, bafe. mir gegen bie gange Seit
fielen, roenn roir fagen, ba^ fie fc^ulbig ift. 6c^aue, roo^in
bu roillft, bu fie^ft ringsum nichts, nichts, nichts als ein 95lut=
fi. ©eitmann, ©rofeftabt unb «eligton. 3. Seil, 10
^ 146 -^
incer obtt ©d^ulb. (£5 ift bas nlöjt irgcnbroctd^e (gtngclfd^ulb,
bte ftd^ aus bcn 95Iutftrömcn bes Krieges ^icr unb ba cr=»
f(^rcdienb emporredfet, es tft ein unüberfe{)bares, anfang« unb enb*
lofes 3Ileer oon ®dE)uIb, in beut olle einzelnen unb olles einzelne
oerfinkt. ®s gibt in ben 33ölfeern ber ©egcnroart, bte biefer
Äricgsbranb burd^rafte, deinen, ber biefer Sintflut entrinnen
feann. 6ic ftnb alläumol ®ünber unb mangeln bes SRu^nts,
ben fie oor ©ott t)aben folltcn. ®ie ^aben alle teilgenommen
on bem gott« unb finnroibrigen 3<^™iWcn, aus bem bies 33ölker=«
morbcn als legte ^onfequeng ermud^s. Unb bie Eiterbeulen, in
bcnen ber fünbige ^Bille ber 92lenfd^^eit ausfcfimärte, roaren ^
bie ©ro^ftöbte. S)ortt)in sog \id) ber fünbige 5)rang bes 3<^*
mttlens jufammen, um Orgien ber „eelbftbetjauptung", ber „€nt=
faltung", ber 9Hammonsgier unb ber ©enu^fut^t gu feiern. 5)ort=
t)in traf bie ©ei^et bes tebcnbtgen ©ottcs am fdjörfften, als er
bie 9Henfd^en, bie bort im ^reit)eitsbrang bes losgelöften ^(i)'
millens i^r „©lüdi" gefuct)t Ratten, bis gur ^Ibje^rung ^ungern
tlejj. S)ä warb bas 9BetterIeucf)ten bes unbefriebigten Sebens,
bas f(^on oor bem Kriege leife aufblifete, gu ben guckenben
SBIigen bes lebenbigen ©ottes, ber eine gum Untergänge reife
2Dett mit feinem 23ernt(^tungsfd)roert trof. ^ei, roic fie fici^
fträubten! QBie fie in potriotifdien kleben i^re Unfdjulb be*
teuerten, mie fie mit Ringern auf ben „anbern" roiefett, ben fie
aufeer^alb ober innerl^alb bes 95olfees gu finben mäl^nten! 3Bie
fie Sünbenregifter ber feinblic^en 35ö^tfeer, ber anbern Stoffen, ber
lieben 9lad^barn aufftellten ! 9Bte fie es alte mußten, mas anbers
merben muffe — beim anbern! 2Bie fie hk „93erantn)ortungen*'
gu f (Rieben ocrftanben !
©tröubt eud) nur immer! 3)ie 6tunbe roirb kommen, roo
bas Q5ernic^tungsf(^n)ert unerbittlich auf jeben Eingelpunlit, ber
i^m noc^ entfliegen ober bie 9lugen oor i^m oerfc^liefeen roitl,
gerichtet erf (feinen mirb, nic^t, um i^n in feiner „QBürbe" heraus*
äuJteUcn, fonbem um i^n ^inabäufc^Ieubern in bas gro^e 95lut*
meer ber ©cfamtfc^ulb. S)os unentrinnbare „3)u ^aft bie ©c^ulb"
roirb roieber bürcl) bte QlJelt gießen, bis aus taufenb cingelnen,
bie feinen gcUenben 3luf oerna^men, bie ®(^ar berer mirb, bie
ben ®u§* unb (Emeuerungstag ber 2Delt ^eraup^rcn rocrben.
147
Um bis ans Ufer btefcs neuen Kontinents p gelangen,
mufe ftetUc^ bas ficbcnsfc^tff in ben 33otfrüt)Ung5ftürmen noc^
burd) bie furchtbare SBranbung, bie bie ©intflut oon beut neuen
fiebensbobcn trennt, in ber bie 9lnerliennung ber furc^tbarften
©c^ulb, bie je auf einem Zeitalter laftete, einen roitben Kampf
kämpft gegen ein roa^nfinniges ©ic^fträuben. Unter allen Seiten
ber rcligiöfen 9Bat)rt)eit6oerfeünbigung ift bie «prebigt ber ©c^ulb
bie fc^merfte unb gefat)röolIfte.
5)cnn burc^ fie mufe ein SDitte gebrochen werben, ber burc^
bie 3a^rt)unberte geroac^fen ift — riefengrofe! Ser Stolg ber
9lationen, ber n)irtfd)aftlit^e 3nacJ)tbrang, ber oon ^oc^mut unb
STlcib gepeitfc^tc Konfeurrenäkampf, ber bis gur ®Iutt)iöe gefteigcrte
©innlic^feeitstrieb, bas Stbelsgefü^l ber „^erfönlic^feeit" bis hinauf
gum empfinblic^ften^oc^gefü^I ber Künfticreitellieit — nimm alte
bie taufenb formen bes Schmittens, bie bie legten Sö^r^unberte
bis gur ^ödiften Kraftentfaltung gegüctitet ^aben! ®ie atte fotten
gebrodien merben bur(^ biefe eine 25crfeünbigung : S)u bift
fd)ulbig, f(^ulbig an atter $Hot bes Seibes unb ber ©eele, bie
im Kriege i^ren ©ipfelpunfet fanb, fct)ulbig an atter gerftörung,
bie ben (£rbbatt oermüftete, ft^ulbig an atten ^lüctien, bie fic^ aus
gequälten SKlenfc^enfeelen ^erausrangen, fcJ)uIbig an bem fürct)ter«
liefen Slutftrom, ber bie (£rbe trän&te, fcl)ulbig an ber verbluteten
3ugenb, bie nun bie ^einbeserbe becht, fd)ulbig an atten QBitmen
unb 9Bai|en, bie anfelogenb gum ^immel emporrufen, fd^ulbig an
attem oerfct)Ieuberten Erbgut ber 33ätcr, fc^ulbig an ber -95er*
nid)tung attes beffen, roas bem 9Henfc^enteben an ^eiligen QBerten
gefc^enfit roorben ift! Unausbenkttc^ furchtbar ift biefe Sßer*
künbigung, unb unausbenklict) furdjtbar roirb aud) bas ©träuben
gegen fic fein. 5)u brauc^teft nur gang, gang leife an bas 31 e et) t
biefes taufenbfeöpfigen ^tä^wittens gu ftofeen, nur ibtn anbeutenb
bie innere SBered)tigung einer nationalen ©elbftüber^ebung, bes
inbioibualiftifc^en 33lac^tbranges im QBirtfc^aftsteben, bes ®inn=^
Itcfjkcitstriebes, ber breimal getjeiligten „^erfönl{ct)kett" in Sroeifel
gu gießen, unb eine faud)enbe 5Beftie fprang bir entgegen, bie an
i^rem empfinblidiftcn Ißunkte getroffen mar, an bem fc£)on bas
©ctjulbgefü^l bohrte. 9Iun aber follft bu it)r entgegentreten mit
bem unerbittlichen gSernic^tungsurteil: „Sci^ulbig!" ,^iefen Kampf
10*
-- i48 —
kann feetn OHenfc^ aus eigener ^raft wagen. <£r lionn nur in
feine Strena ^Inabftelgen, roenn ein ^ö^ercr QBlUe, bcr als ^raft
aus erolgen liefen herauf ftelgt, l^n bagu grolngt.
3Iber blefer ^ö^ere ^llle Ift ha. ©er „Äettcrtretcr öon
<£bom i^er" erf(^len roleber auf ber Srbe, ber „ble 35ölfeer ger«
trat In feinem ^om unb fte trunken machte In feinem Orlmm
unb lf)r SBIut auf ble (£rbe f(f)üttete." S)en t|öc^ften Sorn ber
SBeftle ^at er herausgeholt, ha^ bas SBlut unter feinem ©c^roert*
ftreld^ um fo tjlfelger quoll. 5)as ©d^ulburtell Ift ooUjogen, et)e
feine ^unbe ben SHlunb eines 6terbll(^en oerllefe. Slun itann
feine 93erliünblgung ftlUer unb fanfter ba^erfo^ren, benn fle fprl^t
nur no(^ ju einem Qßlllen, beffen le^te ^raft gebrochen Ift.
5)le §aare berer, ble Im 5luffd)n)ungs5eltalter ben ^c^iötUen
sum ooUen ©lege gefüi^rt ^aben, flnb grau unb mel^ geworben.
eJaft mlU es graufam erfc^elnen, blefem ©efd^lec^t, bas fo bitter
^art ble ^onfequengen feines oerlrrten fiebensrolUens erfat)ren
mufete, ble SBatir^elt über fein Seben ausgufprcc^en unb bos
^obesurtell ju eröffnen. Unb bod) Ift es Sarm^erslglielt, l^m
ben ©Inn ber ^ataftrop^e, ble es erlebte, gu beuten. '2lc^, roenn
es l^n no<i) erfaffen, roenn es no(^ umbenlien Könnte! €s könnte
roenlgftens mit Si^lc^en unb ber Hoffnung In ble ®rube fahren,
ha^ fein Innerer bankrott bas ©urc^gangsftablum ju einem neuen
Sieben Ift, bas einem ^eranroai^fenben ©eft^lej^t geft^cnkt
roerben foll!
9lber es kann nlc^t me^r ©ufee tun. 3^^ bleibt nichts
als ble Sllkobemusklage: „SDle kann ein SHenfc^ neu geboren
roerben, mmn er alt Ift?" ®as Ift ja ble Sraglk bes 3<^rolUens,
ha^ er fld^ felbft In elferne Letten f(^lug, ba% role fein ^anbeln
grolfd^en ben 6(^lenen ber tec^nlfdjen (grftarrung entlangllef, f o
aud) fein S)enken grotft^en ftarren 2Itauern ba^lngegroungen rolrb,
. ble keine Hmketir gulaffen. *) S>ie ©ünbc mu§ gu Ccnbe ge«
fünblgt roerben. „S)er 2ob Ift ber ©ünbc ®olb." ®les ©efc^lec^t
mufe blefe erfte Hälfte bes rellglöfen Sebcnsgefe^es in feiner
gangen 93ittcrkelt erleben, o^ne feinen tiefften 6inn, ber in ber
äroeiten ^ätfte offenbar rolrb: „S>ie ©obe ©ottes ober ift bas
•) 93crgl. 2. SBanb, Seite 67ff.
— 149 ~
croigc ficbcn" outf) nur gu at)ncn. 9Btc es im ficbcn unentrocgt
oorroörts ftürmte, fo mufe es im S:obc unrettbar rücferoärts fc^ouen
unb kann keinen fiid|tftrat)l her neu aus bem 2obe herauf*
ftcigenben 3DcIt me^r 4n fic^ aufnehmen, ©as ©efc^Iec^t bes
„Optimismus um Jeben <prcis" ift bas ©efc^Iec^t o^ne alte
Hoffnung geroorben. Sas ift eine furdjtbare Xragife, bie auc^ ber
«nagarener gekonnt ^at, als er im ©leit^nis oom reichen 9Zlanne
unb armen Sagarus oon ber „großen Äluft" fproc^, bie nic^t
überft^ritten werben kann.
$ier ^ot aUc erlöfenbe 6(f|ulbprebigt i^re ^aft unb i^r
3led)t oertoren. 6ic kann nur bort einfe^en, mo nod) ber
fiebensfunke glimmt, ©ie mufe oorroärtsft^auen. 3)em
jungen ©efc^Iectjt gilt oor allem hit «prebigt oon ber 6c^ulb ber
95öter. ®ies ©cfc^tec^t wirb es an feinem eigenen Seibe fpüren,
ba% ®cl)ulb nict|t etroas in „perfönlicf)cr ^rei^eit" ©noorbenes ift,
fonbem bafe es mirklid) unb roa^r^aftig eine (Erbfd^utb gibt.
S)ies ©cfc^tec^t mirb es nocf| für lange ^^it miffen, ha^ bie
©unbe ber 95ätcr nic^t nur bie gefunbcn äußeren Sebensbebin*
gungen, fonbem aud) bie ^raft bes Körpers unb ber Seele oer«
fc^leubert ^at. Unb es wirb biefe ©c^utb ber 95äter nlcf)t an-
klagenb unb firfj felbft red)tfertigenb oon fic^ roeifen, fonbem es
wirb fle tragen als feine ©d|ulb. Ss wirb roieber bie großen
3ufamment|änge kennen, bie alles fieben burd^gielien, weit es fie
erlebt. 5)en S^^^ng ber ©ünbe unb bie Tragik ber ©(^utb
wirb es klar burc^frfjaucn, roie bie alten 238ter fie burc^fc^auten.
QBa^r^aftig, es roirb nit^t oergeffen — mie könnte es. biefe
QCeltkataftropIjc oergeffen! ©ie wirb bur(^ bie 3öl)rt)unberte
nac^gittern — unb nic^t nur in ber Sichtung unb im ©lorien-
fc^ein, fonbem in 9luguftinifcl)er Erinnerung, bie bie ©c^mersen
ber Vergangenheit als ©(^merjen ber ©egenroart erlebt, ©ies
©efdjled^t wirb es roiffen, ha^ nur bie oolle 3lnerkennung ber
©c^ulb erlöfen kann.
5)orum wirb es fie anerkennen unb feinen bitten gang
unter fie beugen, weit es roiffen roirb, ha^ in biefer furchtbaren
Äataftrop^e fiel) ein neuer QBillc anbahnen rooUte. ©iefen SBillen
roirb es fuc^en mit allen tjafem feiner ©eele. Sie »perfönlic^e
^rei^eit" ift für bies ©efc^leti^t erlebigt — roer barf gegenüber
^150 -
bem furchtbaren 9Hufe, bas im QBeltferiege ftc^ offenbarte, nocJ)
von ^rei^ett reben! 3lbcr btefes ajtu^, bem es ftd) gu beugen
t)at, otine bafe es gefragt mtrb, wirb gur £luette fetner neuen
^ret^cit werben. (£tn neuer, lebenbtger,^ §n)tngenber 3Bttle rotrb
aus btefem 9Hu^ ^eraufftetgen, unb tnbem es t^m fiel) rotUig
beugt, wirb es bte 95ergebung alter 6c^ulb erleben. S)er QBtUc
ber 95äter rotrb überrounben fein in ben ^inbem, bie einem neuen
^Bitten bienen roerben. ®ie gro^e @d)ulb roirb in ben kommenben
©ef(^tecl)tem einen neuen, ^eiligen ©inn geminnen. '^üx ^ai\x^
l^unberte roirb fie bie gro^e QBarnungstafel am QBege ber fiebens«
entmicktung fein: 9lic mieber gurüdi in folc^e 95a^nen! ^a,
me^r als bas ! Sie roirb ber ^tnfporn roerben, ber als bleibenbe
Spannung in ben ©emütern fortroirlit, ben 3Deg bes fiebens gu
getjen unb gu erfüllen, roas bie 93äter oerfäumten. S)as oer»
f(f)teuberte ©ut, bas im ^riegsfeuer verbrannte, roirb gur ^euer*
feraft roerben, bie©üter ber (Erbe red^t gu oerroenben. 5lus bem
P(i)ften QDa^nfinn roirb ber ^ö(^fte ©inn emporfteigen. ®as ift
bas gro^e SBunber, an beffen Pforten roir fteljen, bas no(i| lange
roirb kämpfen muffen, e^e es aus ber branbenbcn ^tut ber lieber»
gongsgegenfä^e in oollem ©lange Ijeraufgeftiegen fein roirb. 3tber
aus bem ©lutmeer ber ©d^ulb roirb bie Sonne aufgeben, unb
eines S^ages roirb bas erftaunte Sluge erkennen, ba^ ber rote
SBtutfcf)immer bie ©tra^Ien eines neuen QHorgenrots finb, bas fi(^
in kriftollklarer ^lut fpiegelt. 2lus ber rafenben SDiit eines oer=
irrten ©efc^Iecf)ts roirb ber triebe einer neuen 9Henfd)t)eit t)erauf*
ftetgen, aus roilber llngerecf)tigkeit- unb fiüge bie 3Ba^r^eit unb
ber gute ^Ditte, aus ber finntofeften S^iQ^Öofigkeit bie tieffte
SBinbung. S)er gerlumpte S:agelö^ner, ber aus bem Zeitalter bes
giuffc^roungs gurückbtieb, roirb ber ©o^n eines neuen 95ater«
t)oufes fein.
fia^t uns nur ben ^BiUen oerkünbigen, ber im fc^recklidien
©efc^e^en bes QlBeltkrieges fid) burc^fe^te! €r ift eltet crlöfenbc
Siebe unb ©üte. (£r trieb bie 3nenfc^t)eit f)inein in bie legten
^onfeguengen ber „^rei^eit", um fie tiefer als }e an fic^ gu
binben. 5)ie furc^tbarfte ©c^ulb ift in i^rer legten 3lbfic^t nichts
als (Erlöfung. ®ie^, ba kommt er roieber gu uns, ber S)ienft
bes ©d)öpfers, bem roir aEe f(|ulbig rourben. ^e^t, roo roir
^ 151 —
il)n nac^ fo furdjtbarer %itm oon tt|m roteberfanben, können mir
t^n nid)t roieber üerllercn. 9lun mufe iebes Surücfeglettcn in ben
alten (gigenioitlen ben ©d^nterg roteber rocdfeen, ben wir in ber
Stunbc ber oöUigften S:rennun9 burdtilebten, unb mufe fid^ in um
fo glü^enbere Siebe roanbeln.
©icfcm neuen fiebenstog ntufe oUe 95erMnbigung gugeroanbt
fein; ber QBecfeung bcs neuen ^Bittens mufe alle gSufeprebtgt
bienen. S)ie 2iefe bes ©c^ulbgefü^Is ntu^ roac^fen mit ber ^aft
bes neuen fiebens. Sie taufenbföltige ©c^ulb ber 95crgangen^eit
liann feeine ©ünbenprebigt ausfc^öpfen; nur unter bem §offnungs«
bilbe ber neuen Sufeunft roirb fie gang fic^tbar. (Ein neues
Sieben, bas mar ber ©inn bes großen ©terbens. S)as Seben
fuc^te ber f)inter uns liegenbe Sag ber QBeltgefc^ic^te, €r fanb
ben 3:0b. 5tber in bem Sobe ging i^m erft bas roa^re Seben
auf. 3n biefer Urform ift bas retigiöfe Erlebnis in unfern Sagen
äu uns gekommen. 3In i^r merben alle ^Jormungen ber religiöfen
93erfeünbigung, benen bie ^raft ber 2Dirfeti(^feeit inneroot)nen foH,
äu meffcn fein. 3)afe fie uralt ift, geigt ein 95Iicfe in bie 95ibel,
bas „®u(^ bes Sebens". 3Ba6 i^r bient, ift aus ber 95crgangen«
^eit ^erausäut)oIen, roas i^r nic^t bient, ift für bie Oegenroart
roirfeungslos unb barum gurücfeäuftellen. S)ie biologifdie,
nid^t bie juriftifd)c Normung bes religiöfen ©c«
banfeens ift bie für bie ©egenroart notroenbige unb
barum rirf)tige.
(gs ift roa^r, t>a^ bamit auc^ für uns ber 6cf|atten ber
Vergangenheit mit in bie g^^^nft läuft. 2lber mir kommen
ebenfo menig oon i^m los roie alle anbern (Erbgeborenen, bie
burc^ bas Stirb unb SBerbe gingen, ©efa^ren genug fc^lummern
alterbings in biefem ©d)atten ber 95ergangen^eit. 5>ie gange gott-
roibrige „fiebensftimmung" bes ©ergangenen ©efd^id)tstages lauert
hinter i^m. Ser gange fogenannte „fc^öpferifd^e" (gigenmille, bie
finnlofe Sriebkultur, bie «ntfaltungsfuc^t, bas ©ic^treibenlaffen,
bie ooUe Ungebunben^eit eines oerfprü^enben ©afeins roirb oer=«
fu(^en, fic^ mit biefem ©chatten in bie 3ukunft gu bröngen. 3nan
mu§ fic^ nur klar machen, roas für fatanifc^e ^äfte fic^ in ber
2luffc^roungsperiobe unter bem „SDillen gum Seben" oerbargen. *)
•) SaSir ftcUen ^icr einige ©djlagroprter gufammcn, beten geltfinn
— 152 —
S:roöbem feommcn mit oon bicfcr Normung bcs rcUgtöfcn
©ebanfecns ntc^t los. 2Dtc ^oulus unb Sut^cr oon bcr ©filaocrct
bcs ©efefees erlöft waren unb bamm bas 9leuc als „®cre(^ttgfeett"
erlebten, fo ftnb rotr üon etncm oerirrten Scbensbrange ertöft unb
fct)en bas 91cue als bas „ma^te Seben" ober bcn „gefunben
SebensTOtllen". 5ltte anberen ^nfcf)auungen greifen ntd^t in bie
9läber unferer gett hinein. Sarauf kommt aber in einer religiöfen
35erfeünbigung, bie roirfeen mifl, alles an. Äraft für bie ©egen-
roart ift wichtiger als ©orge um bie gufeunft. 3^ kräftiger bas
religiöfe (Erlebnis in bie ©cgenmart greift, befto weniger bebeutet
bie ©orge, ha^ es in S^kunft roieber auf bie alte fiebensftufe
jurüdifinken werbe. Srofebem fagen mir es im 95Iiöi auf bie
gukunft: „§ütet cud) oor bem alten ©auerteig!"
Unb mir t)aben gleid^fom eine SRüdioerficfierung, bie einen
Qäju^ oor bem 9lückfaII in bie alte fiebensftimmung barftellt:
bie ®ibet. ©ie ift bas lebenbige ®uc^, in bem ttßes um bie
,*ipoIe Sebcn unb Sob kreift. ^icr ift bie 9Inf(^auung com Seben
immer roieber in ungetrübter 2leinf)eit unb ^Iarf)ett gu finben,
äumal im STleuen S:cftament. 9luf it)re -Normungen werben wir
baf)er gu allererft gurückgreifen muffen.
3n it)r tritt uns bcnn auc^ bas ^nfct)auungsbilb entgegen,
bas ben großen llmf(f|wung im Sebensproge^ woljl om treffenbften
unb umfaffcnbften wiebersugeben geeignet ift:bie SDieber-
geburt. ©as Ijeilige, centrale ©e^eimnis aUes Sebens, bas fo
alt ift, wie bas Seben felbft unb bennorf) ewig neu in feiner
e^rfurcf)tgebietenben Unburdibringlic^kcit, ift allein imftanbe, bas
©leic^nis für ben ttefften ^rogefe in ber 3Itenfct|f)eitsentwicklung
5U werben. (£s ift Ja aud) im ©runbe bas gleii^e Ereignis, nur
auf eine p^ere, geiftigere, innerlichere fiebensftufe gehoben. ®s
ift auä) burc^aus bem QBefen ber ©a(^e entfpre(^enb, ba^ oon
biefem testen ©e^eimnis oUes Sebens nur- mit Surück^altung
gefpro(^en werben kann. 2luc^ oon bem großen inneren Um-
mon fid) ocrgcgcnroärtigcn möge, um iu fe^en, roie er bem „neuen
2zbm", bas mix meinen, entgegenfteljt. „Seben unb leben loffen!"
„man miü borf) leben!" „Sebenskunft", „©s hbt bosfiebcn!" „3lcltgton
als 6cl)öpfung", „®er qsiag an ber ©onne", „©eniefec bas Sebcn!"
„Bid) ausleben", „9latürlic^e Sebcnsouffaffung", „^as SRec^t auf Seben.«
— 153 —
fc^iounge ottcr «ntroiditung barf nur gurücfefiattcnbe «^rfurc^t
fprecf)cn. '^ür bie ttjcologift^e SBcgrlffsfpcftutatton ift es eine
roo^Ituenbe <5c^ranfec, ha^ fte gegroungen wirb, auf Me ^cr*
filaubung ins einzelne äu ocräic^tcn. 25on bcr ©eburt fpric^t
man root)! in ^tnbeutungen, bie bas^ef entließe, bas Grfc^üttembe,
bas 9Bunberbare unter einem 6rf)Icler geigen, ©o auc^ foll man
in ber retigiöfen SJerfeünbtgung von ber QDiebergeburt fpred)en.
6ie ift, roie Jene, ein ©c^öpfungsafet, • fid| nacf) eroigen ©efe^en
tjoUgietienb, mm menfc^Iict)en QBiUen nicEjt be^errfc^t, fonbern i^n
be^errfc^enb. ®ie ift eine ergroungene Eingabe oon fiebenskraft,
ein ©terben, bas fic^ unter fc^merglic^en 2Bef)en oottgie^t, aber
auf ber anbem ©eite ein ^luffubetn, eine Ouette ber Hoffnung
unb bes fiebensgefütils. Sas fc^mergtic^e Opfer, bas in i^r liegt,
roirb gur 3BurgeI ber tiefften fitebe unb Eingabe, aus ber pd)ften
©elbftfuc^t fc^afft fie bie größte ©elbfttofigMt. «s bebarf tjier
keiner ausfü^rticfjen ^tusbeutung. ®as reife aUenfc^enteben Itcnnt
bie ®inge. Wo ber Kenner bes Sebens oon bem großen ©tirb
unb 2Berbe, bas fi(^ an ber ^^^nenfeite bes Sebens uottgie^t,
fprid)t, TOo er bie liefen bes ©djulbgefü^Is unb bie ©eligfeeit
ber (Erlöfung anrüt)rt, ba roirb er oon benen oerftanben, bie unter
ber 3nac^t biefes tiefften fiebensgefeges ftef)en. 35on ben anbem
braucht er nic^t oerftanben gu roerben. S)ie ©tunbe roirb auc^
für fie kommen, in ber fie auft)or(i|en roerben, roenn biefe tiefften
©oiten anklingen.
S)ie Äir(^e freili(^ roirb fid) fträuben, biefe biologifrfie
(5ormung bes rcKglöfen €rtebniffes in i^re „Set)re" aufgune^men,
obrool)! fie and) in ber gjibel, roenn ni(^t räumlit^, fo bo(^ fad)«
lief) bie be^errfc^enbe ©teUung einnimmt. *) Sas rotc^tigfte 3ln«
liegen ber ^ird)e ift es immer geroefen, ben religiöfen fiebens«
progefe in ein 9lec^enejempel, eine Juriftifc^e t5ragc, ein logifcl)es
Problem gu oerroanbeln. ©ie OSerfeünbigung roirb bann roo^l
öufeerlic^ -kompligierter — bas ift aber für bie ©c^riftgetef)rten
unb «priefter aus ^errfc^aftsgrünben fe^r roiUkommen — , innerticl)
aber fe^r oiel einfad)er, roeil fie ben lebenbigen ^^tnenpunkt oer*
meibct — bas ift ben ©(^riftgele^rten unb 'iprieftern no(^ roiß«
•) S)as gilt fogar oon bcrJSerkünbtgung bes ^oftcls "ipautus.
— 154 —
feomntener. ©as gro^e ©efietmnls bes inneren Hmfctjrounges
umget)t bte ^trd)e gern, raetl nur innere ^Berufung i^m not)en
barf. (gs ift Ieid)ter, htn großen ©rlöfungsproäefe in einem ^imm=
Iifcf)en ©rama ftd) juriftifd^ unb togifcf) einroanbfrei abroicfieln gu
laffen. 2Benn bies ©ranto fic^ nur immer mieber, fei es in ber
9ne|fe, fei es im •iprebigtgottesblenj't, cor ben ^ugen ber 93lenfc^en
möglid^ft „roirfefam" ooösie^t, bonn ift genug gefc^e^en.
^Ue teöenbige religiöfc Söerfeünbigung mirb aber auf ben
eroig gegenroörttgen ^nn^npunfet bes göttlid^en (grlöfungsroer^es
brängen unb bort, roo bas neue Seben aus ®ott geboren merben
roifl, Reifen, beuten, fttören, roeiterfü^ren. Sie roirb nic^t in
j[urifttf(i)e unb Iogif(^e ^lar^eit auflöfen rootlen, roas fid| im mirk»
Ii(^en fieben immer als get)eimnisooIIes QBerben ooHäiefit. «Sie
roirb für ben beredjnenben 95erftanb oft in Slätfeln fpred^en,
roä^renb fie in bos Itämpfenbe ^erg Sic^t unb ^Iarl)eit trögt,
©ie roirb an bem entfd)eibenben ^unlite immer in ?parabojten
reben, roeil bas Seben felbft an feinem 3^nenpunfete eine ^ara«
bojie ift. „QUer fein fieben oerliert, ber roirb es finben". „5lls
bie 6terbenben, unb fief)e, roir leben!" „933er t)errf d^en roill, ber
biene!" „2Denn icJ) fc^roact) bin, fo bin ic^ ftarli." ^n foli^en
roiberfprud^sooHen 9Borten liegt für bas kämpfenbe 9Henf(i)en{)erä
mci^r erlöfenbe ^Iarf)eit als in ben mit allen Snittetn logif(i)er
Sedinife aufgebauten Srlöfungsfgftemen. 3)as ^QBeiaenliorn, bas
in bie ®rbe fällt unb bort erftirbt, um oiet ^rucJjt gu bringen,
fprid)t eine beutlid)erc ©prac^e als bidie 5Bänbe über „3le(i)t»
fertigung unb 95crfö^nung." 5)ie. gange ^üUe ber Polaritäten,
bie bas Seben felbft bem 9Henf(i)cn 5:ag für Sag oors 5luge
füt)rt, beutet il)m fein tiefftes (Erleben klarer unb groingenber,
gütiger unb roirkungsooUer als aEe X^eologenfgfteme. Was bas
QBerben unb 95ergef)en in ber roeiten 9tatur, roas Sommer unb
SBinter, Sxd)t unb ^i^fternis il)m feünben, fprid^t beutlid^er oon
bem großen umfdtiaffenben 9Dillen, ber aus 95ergroeiflung ber
SdEjulb gur Seligkeit ber Srlöfung fü^rt, als alle „@rmögli(^ungs=»
grünbe* ber (£rlöfung, bie 2t)eotogenroeisl)eit ausfinbig gemad^t
^at. §ier roirb oon 9leuem beutlic^, ba^ bie auf bie 95ergangen*
t)eit feftgelegte ^ö^ttstatfac^ent^eologie — bie roeniger S^atfad^en als
i^re oerftanbesmäfeige ^lusbeutung unb Sgftcmatifierung bringt —
155
btc rettgiöfe 9Dat)r^eit md)t nur fcrngerüclit unb t^rer ^Blrfeungs-
kraft bcrauöt, fonbern audj oerbunkelt unb oenoirrt f)at ©ie ift
fe^r otel einfact)cr unb bod) in t^rer Stefc fe^r otel ge^cimnis«
ooUer unb unausbeutbarcr, oIs bte S^eotogenrocis^ett es ftct)
träumen löfet.
4. ®Iaube unb 2Berke.
S)as rcligiöfe Urcrtcbnis ift bas 3""6rßtf|ftc, roos bic QBelt
feennt, fo tnnerltc^, ha% bte 93tittcl menfc^Iic^cr Erkenntnis ntc^t
ausrett^en, es an bem legten Umfc^roungspunkt gonj au crfaffen,
roie audd ber legte ^eimpunfet alles road^fenben fiebens nt(^t
gefaxt werben feonn. ©as bebeutet ober noc^ lange nlc^t, bofe
es In ienem f)ergebra(^ten inbtutbualifttfc^en Sinne ein „fubjelitioes
Erlebnis" fei. 95iclnte^r beutet afles, roas an i^nt beobachtet
roerben feann, auf bas ©egenteil t)in. Es ooUgic^t fii^ ni(^t nur
oöUig au^cr^alb bes 9HacI)tbereic^s bes „©ubfefets", fonbern
gticbert biefes fogar in einen über iljnt liegenben Sebensprogefe
ein, fobofe es t)ö(^ftens als ©urdigangspunfet, oft au(^ nur als
an ber ©renje liegenber 2cilbur(f)gangspun!it in 93etra(^t kommt.
S)as religiöfe Erlebnis, bas einer „3^it" gef(^enfet wirb, fdiroingt
oft nur gans leife in bas einzelne Subjekt hinein, roie bie QiBelle,
bie ein 6anbkorn am Ufer ftreift. S)er fiebensftrom flutet auf
unb ab, freiließ am ^nnenpunkt ber Entroicfetung, ber aber keines*
roegs ibentifd^ ift mit bem ©etbftbemufetfein bes einzelnen, biefes
oielme^r in bemfelben ©rabe, mie ber eingelne bem roirklit^en
^nnenpunkte nä^errückt, ausfd)altet. ©ein 3^cl ift nl(i^t bic
„©eligkeit" ober bie „SSoHenbung" bes einäelnen, fonbern bie
§errf(f)aft ©ottes, bie nur rüdiroirkenb i{)re ^raft bem eingelnen
in bemfelben 9Ka^c, roie er i^r QBerkgeug roirb, mitteilt.
©iefcn Satbeftanb muffen mir im 3Iuge befjalten, roenn mir
uns nun ber i^^age nad) bem 95er^ältnis bes 3itnenumfd^rounges
gu ber äufeerlid) fi(^tbaren fiebensgeftaltung guroenben. S)ie roirk-
lic^e Sleligion kennt freiließ biefe '^taQt nic^t. ^ür fie liegen
„©laube" unb „S:at" oötlig ineinanber. S)er ©taube ift Zat,
nur auf i^re fdjöpferifc^e QBursel gefe^en, unb bie Zat ift ©laube,
nur auf feine roirkenbe ^raft ^In betrai^tet. ^ür ^^fiis gibt es
— 157 —
bic ^röge nac^ bcm 35crpitnls äiotfc^cn ©loubert unb 9BcrRctt
in feiner pofitioen Serkilnbigung übcr^oupt niclit. Stur in ber
Slbroe^rftellung gegen bie SBefeenner unb §örer, bie bocf) nichts
tun, feennt er fie. ®ie 9Borte, bic ^ier in 93etra(i)t kommen,
finb |o f(^arf, bofe man i^nen onfüt)It, ha% er bort, wo ou(^ nur
bie tjrogc auftaücf)t, fc^on ben 95erfoII |iet|t. *) ^uc^ Sut^cr
kennt bas 3neinonberIicgen oon ©lauben unb SBerfeen, mie jenes
oben ongejogene 3Bort unb oicte anbere seigen. Slber fein
mie bes ^aulus ©(^idfefol mar es, bo§ fie im ^ampf gegen
bie 25ergangenf)eit unb in ber bleibenben 2Ibpngiglieit oon it)r
ben ®laubm als bie allein mirfefam umfdjaffenbe SHlai^t gegen
bie SDerfec als '2teu§erungen bes fclbftroilligen ©efc^esftjftems
oerteibigen mußten. '2lber bic ©cgcnübcrftellung „©laube unb
9Berlie" bebeutet bei beiben boc^ noc^ me^r als eine begriff«
lic^c Slac^mirliung einer übermunbenen Sebensftufc. ^n it)x Hegt
oielme^r — bas mürbe gum 25erl)ängni5 für it)r Sebensroerfe —
ein pofttioer ©runbfc^abc ifjres SIeurourfs, hk rourmfti(^igc ©teEe
on i^rer fiebensfruc^t.
®arum nömlic^, ioeil burd) biefe ©cgenüberfteUung „©loubc
unb 2Berl?e" ber neue ficbcnsftanb als aus einer fubiefetloen
Gattung bes 9Ilenfd)en tjcroormad^fenb oorgefteUt mürbe. S)ic
©ercc^tlglieit „aus bcm ©lauben" ftanb ber ©crcc^tigfeeit »aus bes
©efe^cs QDerfeen" gegenüber. S>er'©Iaube erfdiicn t)ter bcbcn&ttc^
ouf einer Sinic mit ben QBcrlicn, bic er als 35e^il{erber ©eret^tig«
lieit abgclöft tjatte, unb geriet baburc^ in bie ©efaj)r, fclbft ein
„QBcrfe" 5U rocrben. S)icfc ©cfa^r mar oon ber 0tunbc^ an jur
ooUen QBirfelic^kcit geroorben, als es ^iefe: „S)u mu^t ben
rechten ©lauben ^aben, um feiig gu merbcn." S)a mar bas,
mas nur eine Icbcnbigc ©ti^öpfung ©ottes fein kann, jum ©efe^cs»
merk geroorben, um bäs fid) ber 9Henfd| peinlid) ftrebenb bemühen,
bas man oon bem 93lenf(i)en als pcrfönlic^c Seiftung forbem
mu§. Unter ber ©klaoerelbicfcs ©efeöesroerkcs fte^t bie coangeUfc^e
Sirene bis auf ben heutigen Sag. S)cr ^nteüektaalismus bes
*) 3nan ocrgIei(i)e bic SBortc oon bcm 93a«m unb feinen Srüct)ten,
bie er bringen mufe, oon bcm „öerr*$err*6agcn", oon bcm ^aus, bas
auf ben gelfcn, unb bcm öaus, bas auf ben 6anb gebaut ift, oon ben
ungleichen Söhnen. (Es, finb bas.attes ©cridjtsmortc.
— 158 —
©laubens tft nt(f)t ctroa ein ^^lembkörper, bcr in einer beftimntten
6tunbe oon aufeen I)er in bie eoangelifdje ^irclie eingebrungen
ift, fonbern er ift btc foIgered()te ^tusroirlmng i^res crften ÜBurfes,
ber in ber ©egenüberftellung „©laube unb SBerfee" i^n f(f)on in
nuce enttjielt, fo kräftig bie felafftft^c 3^^ ber Sleforntation fid|
auc^ no(^ gegen i^n gewehrt tjat ®r ftettt fic^ überatt bort ein,
TOO bem SigenrooIIen bes SStenf d)en nocfj ein le^ter 9left, roenn
au(f) blofe formell, geroaljrt wirb. S)ie ©erecf)tigiteit „aus bem
©louben" ift ber Zob bes ©loubens geworben.
Sut^er ift in biefer 95erfd)iebung bes ©laubens ins ©ub=
iefetioe nod^ einen Sd^ritt rociter gegangen als ^aulus. 93ei
bicfem ift ber be^enfc^enbe Oberbegriff bie ©ottesgere(f)tigkeit,
bie ©Ott f(^enfet, bie aber nur oom ©lauben ergriffen werben
kann, fiut^er f)at fie, auc^ in ber lleberfegung, oermanbelt in
bie ©eredjtigfeeit, bie oor ©ott gilt, inbem er fie bem ©tauben
anred^net. Sas sx xiotecuq, bas bei "ipaulus nur formeE bem
ex vd|iou gegenüberftet)t unb fofort burc^ ben felaffifdien 3ufaö
Sic; iriaxtv ungefä^rlid) gemai^t wirb, ^at bd Suttjer eine oiel
größere 6elbftänbiglieit erlangt. S)as hehmM für fintier noc^
kein Sii^üdigleiten in bie alte ©efegesfrömmigkeit. ©agu mar
in feinem (Erlebnis ber ©taube p rein ein Uebenoältigtroerben
oon bem ©ottesroillen, ein €rgriffenfein, bas gum bebingungs«
lofen 95ertrauen geworben mar. 3lber für bie, benen bies (£r=*
lebnis nic^t in ber gteic^en Urkraft guteit geworben war, war
fiuttjers Formulierung bie größte ©efa^r. %üx fie mu^te Je
länger befto me^r ber ©taube gur fieiftung bes Subjekts werben,
bie hk SDorbebingung ber 3lerf)tfertigung ift.
Unb boct) tiegt aud) fcf)on in 2utl)er6 (Erlebnis felbft eine
le^te Sctjranke, bie er nid)t überwunbcn i}at ©ein harter Suöenb*
kämpf unter ber 9Hac^t ber ©efe^eskirdie, in ber alles religiöfc
ficben ein fe^r egoiftifd^es ©treben nad) bcr perföntid^en Seligkeit
ift, ift nie ganj überwunben worben. S^^^ßfet war bas, was ber
gro^e 95rud) im ^lofter i^m gefc^enkt ^atte, boct) no(^ bie „perfön*
lic^e Seligkeit", wenn fie auc^ auf gang anberm QBege gu i^m
gekommen war unb einen gang neuen 3"^^^ — bas ru^enbc
SDertrauen unb bas freubige ©djaffen — gewonnen l)atte. ®ie
crfte ^Jrage bes ^cibetberger Katechismus: „QBas ift bein einiger
— 159 —
Sroft im fieben unb Im ©tcrbcn?" blieb bocf) auc^ bic erfte unb
lefete ^rttge in £ut{)ers fieben unb in feiner ^irc^e. *)
%m liegt bie ticfftc 3Duräet ber tragifc^cn <£ntn)tdilung pm
oöüig auseinanberflie^enben ^nbioibualismuö in- feiner ^ir(i)e unb
ber oon if)r befrud)teten neugeitliciien 9BeIt. Sut^er mar no(^
feein ^ietift, aber ber ^eim gum ^Pietismus lag fd)on in feinem
(griebnis oerborgen. ^n ber legten ©elbftlofigfeeit bes Sebens,
bie nidjts als hm bebingungslofen Sienft bes $öct|ften, ber ben
3d)menfdf)en oöllig übermanb, kennt, ift er nidjt {)inbur{i)gebrungen.
©ein ©laube mar ein Oottesmerli unb blieb es bo(^ nur l)alb.
gmifd^en if)m als bem inneren Erlebnis aus (Sott unb bem inneren
groang gum I)eiligen ©diaffen für ©Ott blieb ein legter Hiatus.
®er ©laube ^at bie ^Berfee nidit oöllig oerfcl)lungen, aus bem
©egenfag rourbe nid^t bie reftlofe (ginfc^melgung. 3)er ©laube
als ©etiglieitsgrunb l)at ben ©tauben als Sätigkeltsferaft nur
^atb 5ur Entfaltung kommen laffen.
9Bie fdjmerglid) tritt bos in ber felaffift^en Sd^rift über ben
neuen fiebensftanb „25on ber i5i^eil)eit eines Cl)riftenmenf(l)en'' gu
5:agc! ^ier ift bie (Einheit oon innerem Erlebnis unb tätiger
Eingabe in hm unübertroffenen ©ägen ausgefprod)cn: „Ein
El)riftenmenf(f) ift ein freier ^err über aCe S>inge unh niemanb
Untertan. Ein E^riftenmenfc^ ift ein bienftbarer ^nec^t aller
5)inge unb jebcrmann Untertan." Q33ie ungenügenb ift aber an
ben entfc^eibenben funkten biefe Einljeit mtmitteÜ unb ooltäogen ]
9Bo^l mirb ^ier bie aßein burc^grcifenbe Umroanblung bes 3nenf(i)en
om ^nnmpmikt hmd) ben ©lauben, ber bie ©eele mit ©ott" eins,
fromm, frei, gererfit, feiig (bas Wngt auc^ l)ter cor) maä)t, un*
übertrefflid^ befd^rieben, roo^l werben ^ter bie „QUerke", b. f).
bas in i^nen fic^ oerbergenbe Eigenmotten bes 9Henf(^en, in i^rer
feraftlofen 3leufeerli(^ltcit getroffen, aber an hem funkte, mo nun
*) Hebrigens ift auä) Paulus oon blcfer ©runbfrage bes ^ttbi*
otbualtsmus nidjt oöUig losgebomnten, roenngleid) bei i^m bas grojje,
alles Eigcnftreben jur Eingabe roanbdnht: „®te Siebe Et)ri|tt bringet
mld) alfo" alles (Schauen auf bm pcrföntic^en ©eftg faft gona oer*
f(^lungcn ^at. 'üud) er ift nicl)t gang oon bem „3lül^men" eigener ©eltg»
kcitcn frei geroorben, wenn er es aut^ ftets als „mcnf(^lid) gcrebet" fofort
branbmarkt.
— 160 —
ber „leibliche SKtenfd)" — rote gättalid) ungcnügenb ift btefe
Unterfc^etbung „getftltd)=lctblid)" für bie SScrtnlltlutig ber ^tn»
ne^menben unb ^tngebenben Seite bes ©laubens! — glemant
ant)ongöiDetfe in -ben Äreis ber 93etrQd^tung tritt, roeil er leibcr
nun mal bo ift unb „feinen eigenen Seib regieren unb mit fieuten
umgetjen mu^**, ha brid|t mit einem 6d|Iage bie grofee Sin^eit,
bie ber 9Henfd) im ©lauben gefunben \)at, auseinanber unb jer»»
ferümelt fidf) in QBerlic gur ^ofteiung bes ^leifc^es, bas ber 6eele
gefügig unb ©Ott n)of)IgefälIig gemacht werben foU, unb in 9!Berke
gegen onbere 3Henfd)en, mit benen er nun einmal gufammenlebt
(„er mufe bod) miti^nen gu reben unb gu frfjaffen ^oben!")- 3Bo
bleibt ^ier bie gro^e ©in^eit bes fortrei^enben ober ridjtiger fort«
geriffenen ©t^affens für ©ott, bas alles (Srgriffenfeins hmä)
©Ott le^te ^Ibgmecfiung ift! 5)as ^anbetn aus ©ankbarfeeit für
empfangene ©eligkeit ift bo(^ nur ein fd)n)ad)er ^Ibglang bes
„^Dtrfeenmüffens, folange es Sog ift". ©erabe in bem Wirken*
muffen liegt hod) bas grofec (Erlebnis bes bem neuen SDillen
untermorfenen 3Henfc^en. 2Bo bleibt bas 5lei(^ ©ottes, beffen
croige "^kU im ©lauben gu f(i)auen unb in ^eifeefter Eingabe
mitäuoerroirklid^en bocl) erft Seben unb Seligkeit ift! S)ie 'Zat
ber Siebe, fo fcl)ön fie aud) im einselnen — aber nur im einzelnen!
— gef(f)itbert ift, bleibt hod^ nur ein kümmcrlii^cs *3lnPngfel,
bas fc^lie§li(^ auc^ festen könnte; benn im ©runbc l^at ber ©laube
an fid) felbft genug, nämlid^.bie Seligkeit.
^m liegt bie grofee fiüdie in fiut^ers fiebcnsroerk, bie mit
oller Offenheit unb ©cl)ärfe ^erausgeftellt ^roerben mu^. (Jreilic^
bie einfüge gu i^rer Ueberroinbung finben mir burdjau.s bei it)m.
3lm Sdjluffe ber „^ret^eit eines Si^riftenmenfc^en" finben fid^
Säfee, bie faft an bie SSerkünbigung ^^fu oom 3lei(^e ^eran»
reid^en. 2lu(^ fintier ^at fid) nidjt ber geroaltigen nad) aufeen
brängenben ^raft bes religiöfen ffirlebniffes entäic^en können.
95on bem 5lugenblidie an, wo feine Seele oon ©ott gepadit mar,
ooKäog fid) aud) in i^m bie grofee SDenbung ^ux 3lrbeit in ber
9Belt. greilic^ ift bie t^reubigkeit sur Slrbeit in ber 9Bett nie«
mals gum unroiberfte^lit^en ©ränge gur Slrbeit an ber 933ett
gemorben, roie- er nod) bei ^oulus fii^ als glü^enber Sötiffions«
eifer finbet. ^aulus roarb oon innen ^er in bie 2Delt hinein»
161
getrieben, um fie gu tjcfecfjren, fiutljer tne^r oon oufeen f)et \n bic
SDelt f)tnetngcftofeen, roell „ble ©egner nic^t fd)n)tegeit." Sut^er
löoßte ficii felbft unb bas reine ©oangellum behaupten, ^aulus
60 ber 9BeIt bringen, fintier rooUte bic ©etöttgung bcs er»
löftcn 3nenfc^cn in ber 3BeIt, «Paulus bie «rlöfung ber 2Belt
burc^ raftlofe Betätigung. S)as ift ein großer Unterfd^icb in ber
©runbftimmung, ber fintier nod^ ftärfeer oon S^fus oIs oon
^aulus trennt.
2Bo^I 1)at fintier bie SHenfdien aus ber abgef(f)Ioffenen ©etbft-
betrad^tung ^inausgcrotefen in bie 3lrbeit im ©trom bes fiebens.
?Iber er ^at fie nur an bas geroiefen, mas er oorfanb, in bie
^amtlie, ben Beruf, ben Staat, aud^ ni(^t, roell in biefen melt»
Ii(^en 6tänben ein eroiges ^iel burdjäufe^en unb gu t)cm)irfeli(^cn
ift, fonbern Iebigli(^, bamit ber erlöfte 3nenf(i| eine ^Ibflu^mög-
lic^feeit feiner überfcfiüffigen Äraft, ein Sctätigungsfelb feiner neuen
eJreubigkeit l)aht. <S\n übcrragenbes ©efamtgiel roie ber ^la^a"
rener ^at er ni(f)t aufgeftellt. 3Bo er fogial neufc^öpfcrifct)c ©e«
banken gu ^aben fd^ien, roie auf bem ©cbiet ber Sd^ule, lagen
fie in feinem S^^ercffe an ber „2e^re", ni(^t in Übergreifenben
Ccräie^ungsäielen begrünbet. ©eine Stellung äur QDett ift fdietn-
bar oiel pofitiocr als bie ftarfe liritifc^e ©teEung bes bleuen
" 5:cftament6, bie bie S^eologen mettflüditig ober es(f)atoIogif(f| ge»
nannt ^aben. Satfä(f)Iid) ift fie oiel matter unb gletdjgültiger.
©enn bie liritifd)e, roeltflüj^tige Stellung bes ÜTleucn Zeftaments
beruht auf einem fc^r pofitloen 3^^^!, bas über ber 2BeIt liegt,
unb oor bem gunädift bie gange 9BeIt äufammenäufinfeen f(f)elnt,
bas aber gegen bie 9BeIt unb im ^ompfe mit i^r burdjäufe^en
ift, tatföc^Iic^ alfo fe^r ftarfe in bie ^elt ^ineinroirfet. ^efus
ging nac^ ^crufalem, roeil feine Berufung i^n brängte, fintier
ging nad^ 2Borms, weil er gittert mar.
3m ©runbe tiefe fiuttjer bie 9BeIt, roie fie mar, roenn nur
bie ©eele gerettet rourbe. ©eine inbifferenten unb gum 2:eil
peffimiftifc^en ©ebanfeen über ben Suftanb ber „^iBelt" ftimmen
nic^t gu ber ©tut ber Sleic^sgottesprebigt ^t\u. ©o f)at benn
ouc^ feine ^ird)e mit ber QBelt, gumal mit bem <5taaU, rec^t
trübe (Erfaf)rungen gemacht, ©ie ijat biefe ®inge ja aud) nie
mit gietfic^ercr ^raft angegriffen, fonbern fie get)en laffen, roie fie
S. J5eitnionu, (ärofeftobt unb Religio«. 3, 5:eil. 11
— 162 —
gingen, bis fie ooEcnbs tf)ren §änbßn entglitten unb in ber neu^-
geittid^en ^ntrotclilung fie felbft in ben QBinliel festen, roo fie
nadj roie oor über bie „eeligfeett" bes (£inäelntenf(^en unb bie
3le(i)tfertigung aus bem ©lauben nac^benfit, bafür aber kaum
noc^ 35erftänbnis finbet. S)ie einfüge finb oerpufft, roeil t)inter
itjnen bie groingenbe ^raft einer aus bem ©lauben geborenen
Sielftrebigfteit fet)Ite. 0elbft bie ©efc^icf)te ber eoangelif(i)en
Siebestätigfeeit ift eine ©efd^id^te oerpuffter ^nfä^e, eines plan«
unb giellofen SDirkens nac^ aufeen. 5)as ©(i)icfefat ber neugeit*
ttd^en QUelt im 20. 3ö^tt)unbert, bas ben 3ufammcnbru(^ brachte,
roeil es an ber ©efamtbinbung bes Sebens, an einem über«
ragenben ©efamtstel fehlte, lag bereits in bem ^nfafe bes Sie«
formationsjia^r^unberts befd^Ioffen.
®iefe (gntmicfelung ift um fo tragifc^er, roeil bie 3leformation
bes 16. 3öf)rt)unberts eine SRüdttenfeung auf bas Soangelium
3efu fein roollte, es aber in biefem entfdjeibenben funkte
nid^t mar. SDenn bie SDerfeünbigung 3efu täfet aud^ nic^t einen
leifen gujeifel baran gu, ha^ fie nic^t bie Sefeltgung bes eingelnen
als Snbgroedk, fonbern bie 95erroirfettd)ung ber ©ottest)errfc^aft
roollte. Sroö ber ©etigpreifungen, burd^ bie ber 95erfeünbiger ber
©ottes^errfc^aft bie 3Henf(i)en lodfet unb ruft, ift er ^erbe unb
unerbittlich in ber Obfefitioitöt feiner 3ietfeÖ"tt9-
<£i roill keine ©efeligung, er roill 5)ienft. (£r roill bie
92Ienf(^en für ©ott geroinnen unb fie unter feinen 9Billen groingen.
©eine <prebigt oon ©ottes ©üte ift roaljrlic^ kein Sßeru^igungs«
unb Sroftmittel, fonbern pcl)fte 35erpfli(^tung für bie 9Henfdt)en:
„S)orum follt i^r ooUkommen fein, gleic^roie euer 93ater im
§immel ooEkommen ift!" 5)er bie 95iJget unter bem ^immel
nö^rt unb bie fiitien auf bem ^elbe kteibet, ift roeniger ber liebe«»
»oUe 93ater als ber forbembe $err: „5)arum follt i^r nic^t
forgen!" S)er 33ater im ©leid^nis f (^tiefet ben oertorenen ©o^n in
bie 3lrme unb läfet i^m ein ^alb fc^lacl)ten, nict)t, um il^n „feiig
gu mad^en", fonbern roeil er i^n roieber ^at. Ccs ift auc^ keines«
roegs fo, ha^ bas „©ott für uns" bem „roir für ©Ott" bie SDage
plt unb als gleic^berei^tigt neben i^m fte^t, fonbern gang be*
^errfc^cnb fte^t über feiner 35erkünbigung bie 2Bal)r^eit, ba^ ©ott
163
tit(f)t für bte anenfc^cn, fonbcrn unctngcfc^ränkt bie 9nenfd)en für
©Ott ha ftnb. 35er ^Begriff ber ftc^ f)erablaffcnbcn ©nabe
— bei ^aulus fotoo^I roie bei £utt)er ein gona offetifeunbtger
gHeft ber inbioibuatiftifd)en Frömmigkeit — liegt feiner 35er»
fiünbigung oöUtg fem; er kennt nur ben ^erum« unb empor-
reifeenben QDillen. *) (Sx fetbft mar nirf)t nur bem ®d)eine na6)
ein 5>iencr, fonbern er war es roirklicl) bis in bas 3iinc4*ß feines
SBemufetfeins f)inein. Sr roollte nic^t ©ott ben SHenfcfien bringen,
fonbern bie 9Henfc^en gu ©ott bringen, ©eine ©ottesoffenbarung
mar eine forbernbc SBotfdiaft, kein ^rkenntnisgefc^enk* jur SBe*
rei(^erung ber menfc^Iic^en 6eele. ©ein ©oi^nesberoufetfein mar
bas bes oerantroortltd^cn 93eooI(mö(^tigten, nidjt bas bes ©d^ö^e
bringenben SBoten. ©eine ^eilenbe §onb wollte ben ©atan
binben, ber ©ottes ^errfc^oft 9Biberftanb leiftet, nic^t SHlenfc^en*
feeten beglücken. **) €r mar überhaupt kein 9Benfcf)^eitsbegIücker,
fonbern ein Kämpfer für ©ottes Qaii)^. Woiil „jammert {f)n bes
93oIks", aber nid^t, meil es unglücktid) ift, fonbern roeil es
„keinen Wirten t)at". dtx bittet nic^t um ^raft, feine fieiben gu
mitbern, roo^I ober barum, ha^ „ber §err ber €rntc ^Irbeiter
in feine €rnte fenbc."
Qßie übermältigenb ift biefe bem menfc^Iic^en (Eigcnroillen
and) ni(i)t einen kleinen ^Jt^iger gebenbe Dbjektioität feines
aBoUens, bie aus jebem feiner SDorte f)erausleuc^tet! 313er biefe
2Dorte einmal in bemühter Sosreifeung oon ber olten ©naben-
t^eologie burd^Iieft, ift übcrrafc^t baoon, bafe für jene S^eologie
ber fid) aus ber ©roigkeit ^erablaffenben fiiebe, bie bie 9Zlenf(^en
feltg machen miß, koum noci; ein kleiner ^tn^oltspunkt bleibt.
QUo^I roeife er bie Söne tockenber ©üte gu finben, aber fie finb
bos ftärkfte Sinbemittcl an ben 2DtIIen, harn attes bienen foH.
„©elig feib i^r Firmen, bcnn bas Qfleicf) ©ottes ift euer,
©elig finb, bie reines ^ergens finb, benn fie merben ©ott
*) ®os 3Bort „®nabe" gibt es bei i^m überhaupt nid)t.
**) S)tc Ärankt)ctt roar für i^n roie für jebc roirfelict) religiöfc ®c*
trad)tung keinesroegs ein rein mcnfdjKdies ficib, fonbern eine fe^r gott*
rotbrigc ©ac^e. 9a3ir kommen fpäter barauf äurüA.
U*
— 164 —
fc^auen." *) ©elbft ber ^eilonbsruf on btc 9nüt|fcHgen unb
SBelabenen tft boc^ nichts als ber Socfenif, fein ^od) äu tragen
unb feine fiaft auf fid) gu nehmen, .^ein 9HitteI ^eifeen QDerbens,
fei es ber 95er^eifeung, fei es ber 5)rof)ung, läfet er ungenüfet.
2l5er über oUem fte^t bas eine "Sid, bas atte menfc^lic^en ^In«
fprüc^e nieberroirft: „©Ott allein!" 5)ie ©runbfrage, bic er bei
ben 9nenf(^en »orousfe^t, unb bie er in bie 9Hcnf(i)enfeeIen
^ineinn3irft, ift Iteinesroegs bie ©runbfrage Sutt)ers: „9Bie feriege
xd) einen gnäbigen ©ott?", fonbem bie üiet t)öt)er liegenbe unb
roeitcrgreifenbe ?5J^age : „Wit wirb ©ott roieber in fein Siedet unb
feine ^enfc^aft eingefefet?" „©et)eiligt werbe bein Slame!" S)as
ift bas 3lttererfte, roas il^m auf ber ©eele brennt. QBenn man
mid^ re(^t oerftet)en roill, fo ift es bie 9lot ©ottes, bie i^n oon
Ort äu ort bis t)in in bie STobesftabt treibt, nid^t bie 9Xot ber
3nenf(f)en. (£r fte^t ©ott oiel nä^er als ben QHenfc^en. 5lber
eben barum ^at keiner ben Sölenfd^en fo nat)e geftanben wie er;
S)enn gerabe barum greift er t)inab bis in bie testen §ö^ten oer=
finlienben unb oerfeommenben SHenfd^entums, roeil alles ©ott
ge^rt unb it)m um jeben ^reis ert)alten werben mufe. (£r fucf)t
bas Verlorene, nid^t, um bas ^infame feiig gu macfjen, fonbem
roeil „i5ieube ift im §immel über feben^ünber berSßufee tut."
©erabe ber bis gur (£infeitiglieit leibenfc^apc^e ^iEe, ©ott gu
bienen, mac^t it)n erft gutn roirMid^en 3nenfct)t)eitsbiener. S)enn
bas (glenb ber 9Henf(^^eit ift eben, ba^ fte fid) felbft fudjt mie
bie ^erbe o^ne §irten, ba% fie oon ©ott losgelöft ift. 3ft ©ott
njieber in feine ^errfdiaft eingefe^t, bann ift alles SIenb oorbei.
S)ie ^erbe Soslöfung oon bem Si(^feIbftn)oIIen ift eben bie ®r=»
löfung. ©as ift ©efunb^eit, bas ift 6eliglieit, bas ift ^raftgefüt)!,
ganä fic^ felbft §u oerlieren an ben alles be^errfct)enben ©ottes*
willen. **) 3^tbem ber Sötenfc^ fein eigenes ©eligkeitsftreben auf«
*) ©elbft hinter ben Seligpreifungen, bic fdjeinbor gang inbt*
üibuolifttfd) klingen (6cltg ftnb, bie ba Seih tragen, benn fte f ollen ge*
tröftct roerbcn ufro.) fte^t bot^ bas 2let(^, bas alten Zxo\i, alle ©credj«'
tigiteit unb alle Söarm^ergigkett in fid) birgt.
**) ©as ift audi ber Sinn bcs 3Bortes : „S)od) barin freuet eud)
ntd)t, bafe eud) bic ©ciftcr Untertan ftnb; freuet eud) aber, bafe eure
STlamen im Qimrmt gefc^rieben finb," b. t). ba% ii)t Wiener unb Strbeiter
©.ottes feib.
165
gibt, loirb er erft fettg. *) S)es 9nenfc^cn Seltgfeett ift ntc^t
©elbfigTOCcfe, fonbern ungefue^tes ©cfc^enk. 5)ie tjrei^eit kommt
erft bmäi bte fjö(^fte SBtnbiing.
9Btr fte^en ^ter an bcm ttitterften '«punlite bes reltglöfen
griebntjfes Z^\u, bas ^icr gang entfdiclbenb oon bcm (griebnis
feines Qlpoftels, me^r aber nocJ) oon bem (Erlebnis Cutters ab^
roeidjt. ober feonn mon bei ^tlus überhaupt nid^t oon einem
religiöfen Erlebnis fpredtjen? 3fi bei i^m attes ru^cnbe unb
fertige „.^latur", nii^t ein in lebenbiger ©ntroidilung geroaciifenes
SDoUen? Sie bis t)eute nad^roirfeenbe Cf)riftoIogie bcr ^cöeniftift^en
®pod)e be^ouptet bos erftere. QBir oergiditen barauf, uns ^ier
oon neuem mit biefer aEes fiebenbige in bie Slobesftarre hinüber«
fü^renben £ebensanfd)auung ber fterbenben 3lntifee, bie roeber ber
d)riftti(i)en Sleligion als @cfamtanfd)ouung nod^ ber S^riftusfragc
in i^rer fdiematifd^en 3roeinaturenlet)re geroatiifen geroefen ift, ous*
einanberfc^en. 2Bas unfere t^^^age anlangt, fo beroeift bas 3ßit9nis
3efu felbft, ha'^ er burd^ ein Erlebnis tjinburdjgegangen unb
burd) biefcs auf feinen QKeffiasroeg geworfen roorben ift. 95ei
näf)erem ^uf^^oitcn erroeift fid^, t>a% biefes Erlebnis bas ftörfefte
unb tiefgreifenbfte geroefen ift, bas je tmä) ein Sinsctteben ^in*
burd)geflutet ift, fetbftoerftänblid^ als unbebingt aufgeäroungenes
unb alle ^reitjett ausfc^altenbes. **) 5)er 95ergleid) mit anberen
religiöfen ©riebniffen, befonbers mit benen bes ^aulus, bes
^uguftin, fiut^ers, ^at gu ber attgemein oerbreiteten, aud) aus
ongeblic^ t^eotogifc^en ©rünben feftgef)altenen 2tnfc^auung gefüf)rt,
ha% es fidj in 1)ief em (Erlebnis nid^t um einen 93ru(^ mit ber
93ergangent)eit, fonbern nur um eine grabtinig aus ber SSer-
gongent)eit ^eroonoac^fenbe Offenbarung unb Berufung ^anble.
93lan roeift auf bie ^atfacl)e ^in, an ber allerbings feein '^mü^tl
ift, ha^ fidj in feiner 25erfiünbigung unb in feinem Sebensroerfi
auc^ feein leifes Slac^jittern eines überrounbenen fiebensäuftanbes
aufroeifen laffe, mle bas bei ^aulus, 3Iuguftin unb £utt)er ber
*) 93ergl. (£arlqle: ®es 9nenfd)cn cinjigc unb ^öi^ftc 6cligfecit
ift, ba^ er arbeitet unb fein Strbettsfclb fecnnt.
**) 3efu5 fagt es felbft — benn biefer SBeridjt kann nur auf
eigene aUitteilungcn äurü&gc^en — , ba§ er nac^ bcr ^o^annestoufe „oom
(Bcift" in bie 2Büfte geführt fei.
166
Sali fei. «5 tft alles cöUtg In ftd) ru^enb, ferttg unb obgelilärt.
SBefonbers aber tjat bie S:t)eoIogte, gumal bie an 2Infetm irgcnb*
rate orientierte, nur auf biefe 2Deife bas ®ogma con ber ©ünb»
lofigfeeit ^efu cinroanbfrci behaupten gu können geglaubt.
2Das ben groeiten (ginroanb anlangt, fo kann natürlicf} bie
Slotroenbigkeit einer met)r ober weniger an gefe^Iidjen SUomten
gemeffencn ©ünblofigfeeit für ein nte^r ober raeniger juriftifd^«
me(f)anif(^ gefaxtes ©rlöfungsftiftem, bas ein einmal oollgogenes
95erföt)nungöraerfe braucht, für uns ni(i)t in bie 9Bagfcf)aIe fallen,
gumal ta biefes h^m inneren QBefen ber lebenbigen ^Religion
3efu roiberfprict)t. SDo^I aber ift gegenüber ber aud) abgefet)en
baoon oon ben Sl^eologen allgemein feftge^altenen Set)re oon ber
perfönlid^en ©ünblofigfeeit 3^!" P fagen, ha^ fie aEerbings
nic^t bem oon uns gu burd)fd)auenben Satbeftanbe bes fiebens,
root)I aber ber ©runbanfdjauung ^z\u, mit ber feine SHetigion
ftetjt unb faßt, rabiltal roiberfpri(i)t. ©enn in feiner 9leIigion gibt
es roeber eine perfönlic^e ©ünb^aftigfeeit noc^ eine per fön*
lidje ©ünblofigMt, fonbem nur eine 6d)ulb — in oerfeftigter
g5etracf)tung „®ünbe" — bie auf allen, am fc^rocrften aber
gerabc auf ben „perfönlic^" 9leinften — roenn mon baoon
fprec^en barf *) — taftet. 3a, roir muffen noct) raeiter ge^en.
S)ies (grleben ber ©efamtfcJ)utb — bas ift bas grunb=»
legenbe (Erlebnis, bas burc^ 3efus erftmalig unb in
nie roieber erreic£)ter Siefe unb ©cfjraere in bie 3I3eU
flutete.
€s ift merkroürbig, roas für 6(^roieriglieiten ben 5f)coIogen
fcijon oon ben ©oangeliften an bie Saufe 3efu burc^ ^o^onnes
gemadjt ^at. €s ift gang törict)t, anäunet)men, ha^ 3efus biefe
*) 3efu5 felbft Ief)nt bas ab. „9Bo5 nenneft bu mtc^ gut?
Sritemanb ift gut benn ber einige ©Ott." ©tefes SBort beroeift nic^t, bafe
3efu5 ftd) etroa in irgenbeincr SCetfc einer Slbroctrfjung oom 2Bege bes
©Uten bcroufet geroefen tft, loo^I aber, bafe et es für ungehörig ^ölt, oon
perfönßdier ©üte ju teben. Sas 2Bort bes So^annescoangeßums:
^snJeldjer unter euclj kann mid) einer 6ünbe geilen?" ift in feinem
SJlunbc gans unmögßd)! (Es roürbe bie Qfletn^eit unb ©üte feines
Sebens, bie er oon ©ott ^at, birclit auffjeben. ®enn nur bie ooUe S)c*
mut unb ©elbfilofigkeit ift Toirfeßdje 9lein^cit.
167
S:oufe einfach nur oIs 3etcf|cn äußerer „©eredjttglieft" mitgcmocfit
{)abe. er ^at ftcf) t^r felbftoerftänblict) unteräogen, rote ^o^anncs
fie bod)te unb rooEte, unb roic oUcs 95oIk ftc^ t^r untcrsog.
6eine „perföntid)eTt ©orausfc^ungen" kamen ^ier garntd)t in S8e=
trac^t. (£r rooUte mit feinem Sollte unb als ^inb feines Söotfees
„93u^e tun", weil er minbeftens rote ölle anbern, jebenfoös un*
enblic^ oiet tiefer als aUe anbern füt)lte, ba^ eine alte QBelt
flerben unb eine neue auferfte^en muffe. Sie ©c^ulb ber gcit
mu^ in feiner ©eele in i^rer furc^tbarften 2Buc^t lebenbig ge*
roefen fein, benn fie roar ^ier bis gu einem ©urctjbruciispunlit
fjerangereift, ber ün Erlebnis von einer feit^er nic^t roieber roirfe»
(ict| geroorbenen erfc^üttemben ©röfee unb ge^eimnisooHen Xiefc
geitigte. S)as ©elbftberou^tfein, bas i^m ^ier aufgegroungen
rourbe, ift nur erfelärlict), roenn eine 923 ett in i^m gufammenfanfi,
ber er als „®o^n" eine neue 9DeIt entgcgenäufegen berufen
roarb. *)
Sas, roas nun folgt, trägt berartig bie unoerlicnnbaren,
roenn and) gw gigantifd)en 9Zlafeen t)erangeroa(^fenen ©puren
beffen an fic^, roas bie 9Itenf(^^eit, foroeit menfdjlic^e ^unbe
reicfit, als ©c^ulbfeampf erlebt ^at, ha% kein Steifet baran
fein liann, ba^ ber oiertc ^oangelift pfgd^ologifd^ bie rid)tige (Er»»
innerung aufberoa^rt t^at, roenn er ben Slöufer (!) bas merk«
roürbige QBort ausfprect)en lä^t: „©ie^e, bas ift ©ottes fiamm,
roelct)es ber QDelt ©ünbe trägt." S)en ©ctjulbfeampf für bie
QHenfc^^eit ^at 3efus in ber QBüfte, nic^t erft am ^eug, burt^»
gekämpft. S)iefes jungem bis gur (Erfd)öpfung, biefes '^ort*
geriffenrocrbcn in bie ^önigsftabt auf bie S^^i^ßn bes Tempels,
*) SHan ücrgifet fc^r oft, bafe bas „©clbftberoufetfcin ^t\u" gar*
nichts, aber aud) gamirf)ts mit bem S^lberoufetfetn neuäeitli(^cr „^ret^eit"
unb ?fnmafeung ju tun {)at. ©erabe bas ift bas 2Bcfen feines ©elbft*
betoufetfeins, ba^ es oöUig oom ^d) gelöft, bafe es gang unb gar
innerlid) erätoungen roar. ®er ^lusbrucfe „Selbftbeioufetfein" trifft über*
f)aupt nld)t bie 6a(^e. 9P3ir roerben it)n bat)er om beften grunbfäöKdj
oermeiben unb burc^ (Sottesbeiöufetfein ober ©o^ncsberoufetfein crfe^cn.
®ie S5crfuc^ungsgefc^icl)te ift nichts anbercs als bie ®efc^icf)tc ber Klärung
biefes ©o^ncsbetDufetfeins. 3n ii)r fin&t tatfäd)Iid) eine ungeheure SBelt
aufammen, um einer neuen SBelt croiger ©röfee "Spia^ ju madjcn.
— 168 -—
blefes Schauen ber §errlict)feett her 2Delt oon fc^rolnbetitbcr ^ö^c,
mit anbem SDorten: btcfcs ©cquältroerbcn oon anfelagenbcn unb
loc&enben Sßorftellungen, bic m f)i0 äu SDo^nibecn fteigem,
btefes $iii* unb ^erpenbeln graifd^en §ö^e unb Sitefe, ift nur
benlibar auf ber ©renäfd)etbc grotfdien groci 3BeIten, blc ntttctn»
anber auf fieben unb Zob ringen. 3^ ^^^ unb burc^ i^n ^in«
burc^ ift ^ier bie ©d)ulb ber 93tenf(^t)ett bis gum legten einfamen
(£tenb burd)geli(tmpft roorben, bis bie ©rlöfungsftunbe fd)Iug unb
bie „(Engel gu il)m traten unb if)m bienten."
Unb groor — bas ift bas (Entft^eibenbe — ift biefer ^ampf
ni(f)t als perfönlicfier ^antpf, fonbern gang unb gar als ^ampf
für bie 9Henf(^t)eit burc^gerungen roorben. 5)iefer ^ampf mit
ber bämonifi^en 9Jlad)t ber ©innlidifeeit in oieräigtägigem haften,
wer roill es mögen, gu behaupten, bas fei ein ^ampf gegen per-
fönli(f)en ©innlictikeitsbrang geroefen ! ©iefe 93erfu(i)ungsftimme:
„6pri(^, ha^ biefe ®teine Srot roerben" mar bie 6timme, bie,
nad) 95rot unb Stillung finnlidien S)ranges fd)reienb, oon ben
Urgeiten ^er aus ben liefen ber SHlenfrfj^eit ^eraufgebrungen ift,
bie nod) aus ber ©u^prebigt bes ©ogialrcformers 3ot)annes ge«
roaltig anbringenb tjerausgelilungen mar; unb bas erlöfenbc:
„5)er SHenfd^ lebt nici^t oon SBrot allein, fonbern oon einem Jeg-
lidien QKort, bas burc^ ben SHunb ©ottes ge^t" mar roa^rlicl)
nid^t nur eine perfönlid) befreienbe Sebenserfecnntnis, fonbern bas
neue ©efe^ für bie SHlenfc^^eit, es mar bie ^Berufung ju einer
gons neuen 93otfcl)aft an unb für bie 9Ilenfc^^eit.
3Der will es wagen, gu behaupten, ber Si^^^ttermannsfo^n
aus Slagaret^ fei „perfönlic^" oon bem orange bef ollen roorben,
in ber ^önigsftdbt fi(^ burd^ bie oerroegene Sot unb ben bleu*
benben Schein burdi^ufe^en? 9Ber fie^t Ijier nic^t bie furcl)tbare
^ec^tfcljoft ber 3Henfc^t)eit unter ben ®cl)eitt ber Oberfläche unb
bie roeit^in leuditenbe ^Btenbforbe, rocr t)ört ^ier nid^t ben ©(^rci
bes „95olIies" noc^ „ftorfeen aJTönnem" unb beroeifenbcn ^eic^en ?
S)er 3nann, ber fiel) ^ier entfc^lofe, „©ott, ben ^erm, nic^t gu
oerfuc^en", um ols ein ©rofeer gu erfc^einen, fonbern bas ^immcr*
monnsgeroonb roeiter gu tragen, mie er es bis bot)in getragen
^otte, oucli nic^t, mie ^otionnes, bas roeit^in fct)immernbe ^Düften»
geroanb ongutegen, fonbern oon innen ^cr ber 9Ba^rl)eit ben
169
2Beg 5u bat)ncn, ^attc roa^rlld^ lietnc „perfönltc^cn" ^nroanb«
lungen bcs (g^rgcigcs su übcrrotnbcn, fonbcrn um ben 9Bcg bcr
«rlöfung für bte 9ncnf(f){)cit gu ftömpfcn.
^er roiß niettcr bcf)aupten, btefer felbc "SimmeTmann Ifahe
Je tm €rnft „perfönltd^" 9llcjanberplönc mit fid) f)crumgctrogcn
unb oon einer alles umfoffenben 9BcItI|erry(f|oft geträumt? (£s
mar nidjts anbcres als bie bömonifd^e "^ata SHorgaua, bte feit
ben S:agen bes Turmbaus oon SBabel in ber 9nenfd)t)eit fpuftt,
ber teufüftfie „S^pertalismus", ber fein §aupt immer mieber er-
t)ebt, bcr nodj in ber ^o^öni^ßsprcbigt roiebergekc^rt mar als ber
mit '^tutx bie 2DeIt ocrge^renbe unb ric^tenbe ^önig, ber ^ier
niebergerungen mirb für bie 9Ilenf(^^eit. S)as attes ^at gamid)ts
mit „^erfönlid)em" gu tun. (gs mar ber „(Seift*, ber if)n in bie
meiten ©cfilbe bes 3lIIebens entrüdit f)atU, bis er f)ier ben Satan
oom §immel foQen fa^ „roie einen Sti^" unb bie (griöfung ber
9Henfd)^eit i^m aufging in bem alles be^errfc^enben ©efe^ für
alle: „®u foöft anhüm ©ott, beinen §erm, unb if|m allein
bienen."
3tls biefer ^ampf öoQenbct ift, ha f äUt :feein Qßort oon ber
unbefc^reiblic^en ^J^eube unb ©ettgKeit, bie bie neue 3Ba^rl)eit
umftra^lt ^aben mu^. 9lur gang teife klingt fie ^inburtf) buri^
ben Sa^: „S)a traten bie ®ngel gu i^m unb bienten i^m", unb
l^in unb mieber ft^immert i^re fteuft^e Sd^ön^eit aud) fpöter
mieber auf in ber SJerklärungsgefd^idlte ober in 9Borten mie
biefen: „3<^ preife bid^, 95ater unb §err Fimmels unb ber (£rbe,
ha% bu fol(f)es ben 9Beifen unb klugen oerborgen ^aft, unb ^aft
es ben Unmünbigen geoffenbaret, ^a, 95ater bcnn es' ift alfo
root)lgeföllig geroefen oor btr. 3llle Singe finb mir übergeben
oon meinem 95ater. Unb niemanb kennet ben 6o^n, benn nur
ber 95ater; unb nitmanh kennet ben 93oter, benn nur ber 6o^n,
unb roem es ber 6ol)n roiH offenbaren." ^a6) aufeen ^in mirb
bies Erlebnis 3U nichts anberm als 3um unermüblidien ^Dirken,
folange es ^ag ift, gum glüt)enbcn QBerberuf: 2ut 95ufee, benn
bas ©ottesreid) ift na^e herbeigekommen!
6s kann keinem S^eifel unterliegen: t)ier liegt ein SBruc^
oon einer Siefe unb ©eroalt oor, gegen ben ber 95ru(^ in bem
Seben eines Paulus, eines 5luguftin, eines Sut^er klein unb
— 170 —
„perfönlic^" crfc^ctnt. 3Bof)l fplegelt m auc^ In %cr ficbens»
cntrotcfelung i^rc g^tt; fic ftnb-2r)pcn unb rocrben ba^cr bis
3U etnem gerotffen ©rabe gu 95ertretern unb ^Jü^rcrn tt)rcs gctt»
alters. 3lber fie bleiben (Sinäelmenfc^en, bie le^ttic^ nur i^ren
eigenen ^ampf burc^liämpfen unb in ber ^raft biefes (Eigen«
Kampfes gu geifern unb ©entern für anbere werben. S)er ^ampf
3efu ge^t oiel tiefer unb reicht bal)er in feinen SBirkungcn oiel
roeiter. 3^ tf)nt fpiegelt fic^ nidjt nur ber ^ampf feines
95oIlies, er ift bos ©c^icfefol feines 35olfees. (Er ift nic^t blofe
2gpus, er ift ber Präger unb 95oIIenber. (Er t^at gang aufget)ört,
in eigener ©ot^e gu ^onbeln unb gu erleben. Sr trögt bie ©d^ulb
ber gnenfc^^eit unb erlebt bie Sriöfung ber 92lenf(i|^eit. 3t)m
„perfönlic^e" 6d)ulbIofig{ieit guäufc^reiben, ift bereits 3lücfefaII in
ben SiibiDibualismus, ben fein ^antpf enbgültig überrounben ^at. *)
®r ift ber int f)öd)ften 6inne 6d)ulbige unb barum ber im fjöd^ften
©inne SReine. ((Er erlebt ben ooUen ©ottesroiUen foroo^I als oer*
nid^tenben rote als belebenben — beibes ift ganj untrennbor — ;
in i^nt r)oIl3ief)t fic^ im tiefften ©inne bas ©tirb unb QDerbe ber
anenfc^^eit.
93on ^ier aus erMftrt ftc^ erft bie l)ci^e fieibenfc^afttic^keit
— roic roitt man fie ot)ne 93ru(^ oerfteticn! — unb bie ooUe
9lbgcKIörtI)eit feines fiebens, hk bas 2llte bis in feine legten
feelifd^en ^liefen kennt — biefes Surc^fc^auen in bie legten '^altm
ber felbftfüciitigen ©eele ift ber ©cJirecfeen feiner ©egner geroefen
— unb bod^ DÖIIig mit it)m fertig gcroorben ift. ©o gittert bas
Sitte nur nod^ in ber fieibenft^aft bes bem Steuen äugeroanbten
QDoUens nac^. 933eil er einmal gang überrounben t)at, ift fein
Sluge gang nac^ vom gerichtet. S)as 3lttc ift bis in bie feinfte
©ebanlienfülirung unb ins fprad)lid^e ©eroanb :^inein abgeftreift.
Slus ber oöUigen ©ebunbeni^eit ift bie coUenbcte ^Jicitjeit empor«
geftiegen, bie rooi^l nod| ftömpfen mu^, aber nun aucf) unbebingt
ficgt)aft kämpfen kann, ^eine Unfic^er^eit gittert me^r f)inein
*) (Es ift gang felbftocrftönbltrfj, bafe, rote bas gange 93atcrunfcr
fein ©cbct ift, roic bas ber anbem, fo aucf) btc fünfte Sitte für i^n roic
für alte onbcrn ©ültigkcit ^at. ©ein ganges ficben ift eine grofee 6ctjulb»
ga^lung an ©Ott. ^ber er kennt nur „unfcre" ©djulb, ni(^t „meine"
@(^ulb.
-HP
— 171 —
in feinen ^ompf, roctt er ben ©ingen bis auf ben ©runb ge-
kommen tft. ©ein ^ampf in ©ct^femane unb fein Sögen am
^reuäc finb nld)t aus ber Unfic^cr^eit bes ^Bltlens geboren,
fonbern Slefleje bes furchtbaren ©c^tcfefals in einer fü^tenben
©eele. ©as »9lic^t roie id| roiti, fonbern n)ie bu roittft" ftet)t
fieg^aft über allen Slbgrünben menfc^Iictjer 6ci)n)äc^e.
3n biefem Charakter bes (Erlebniffes 3cfu, bas alles ^erfön«
Ii(^e auslöf (f)t unb nur als oöttiges (Ergriffenroerben oon einem
^ö^ercn ^Bitten unb unbebingtes 9lufgel)en in ben ^ampf ber
3Henfd)f|eit begriffen werben fionn, liegt es begrünbet, ha^ es für
il)n bie ^rage: „©taube unb QBerke" nidjt gibt. 5)er ©laube
als bie Eingabe an ben ergreif enben ©ottesroillen tft ^ier gar»
nid^ts anberes oIs bas ^ingeriffcnrocrben in bas ©ottesroerK ober
richtiger in bas ©ottesroirfeen. ^afftoitöt unb ^Iktioität, QueUe
unb 3icl bes Sebens liegen {)ier im 5)urrf)brud|spunfet bes SXeuen
ineinanber. S)ie langen 5tuseinanberfefeungen foroo^I bes ^aulus
roie fiut^ers über bas 95cr^öltnis ber 9Berlje gum ©lauben finb
nur ein SBeroeis bafür, tia^ fie bas richtige 95ert)ältnis, nömliclj
i^re oöttigc (gin^eit, nid^t gcfunben ^aben. „9Berke" gibt es
überhaupt ni(^t met)r, fonbern nur ein oon innen ^er roac^fenbes
SBirfeen. ®s ift ein ftrömenber Sebensfaft, ber ben 95aum unb
bie t5iu(i)t mitcinanbcr oerbinbet. ®cr SBaum o^ne bie ^rudit
unb bie Sru(i)t ot)ne ben 93aum unb feine QBuräel finb tot.
S)as Seben ift nur \>a, roo beibes oortjanben ift in unauflöslii^er
^rcisein^eit. S)er 9Henf(^ roirb barum gerichtet na(^ feinen
SBerken ober nac^ feinem ©louben. ®afe man im ©erid)ts-
gebanken bcibe als in einer ©pannung äu einanber fte^enb
empfunben ^at, ift nur ein Seroeis bafür, ha^ man beibe nic^t
begriffen 1i)at. 5)as (Erlebnis fiut^ers erfdjeint oon Ijier aus ge«
brocken unb unooUenbet, roeit es als Sektes bie perfönlid)e (5clig=>
kcit fud)t unb baraus erft bas Sltotio für bie fiebensbetätigung
fekunbär ableiten mufe, roas nur gebroi^en gelingt, ha fid)
groifc^en ©Ott unb bie %oX bas ^^ mit feinen 5lnfprüct)en fdiiebt.
3efu leöter fiebensbrang fuc^t ©ott unb fein Wti% gamic^ts
anberes. S)ie Seligkeit in ©Ott ift nur ein mitfctjroingenber 3:on,
ein ©efüt)l bes fiebens, bas felbft unenblic^ oiel t)ö^er fte^t als
aßc ©efütjtc. 3)ics ficben ift ber SDcrbcftrom ©ottcs, an ben er
T'^- - ' ::")«•»■
172
firf) in uncrmübtid^em ©d^offcn oerllert. ®as feomtncnbe 3letd)
©ottcs tft 3nl)alt unb gict bes fiebcns. ^Ucr ©laubc roirb jum
S)tenft, unb aller 5)tenft Ift ein ©tauben.
95on ^ier aus roirb aud^ erft beutlid), roorunt fintier bie
innere ®in^eit ber „QDerlie" nicfit gefunben f^at, fonbern fie immer
no(^ in ber 3Irt ber ©efc^esreligion als (gingeltaten fic^t. ©ie
Unterfd^eibung oon QBerlien gur ^afteiung bes ^^tßtfdies unb gum
©ienft bes StöiJ^ften ift auf bem ©oben ber Sleligion ^t\u gong
unmögtid^. (£s mufe alles bem 3fleid)e ©ottes, b. ^. bem an
©Ott äu binbenben Stäc^ften bienen. S^fus kennt felbftoerftänblicf)
bie Qlsliefe, aber nur als ein Süt^tigmac^en gum 5)ienft. ©ebet
unb i5ttften finb bas ©(^ärfen bes 9Heffers, mit bem man f(^neiben
roill, bie ©ammlung ber ^aft, bie roirfeen foE. 2tls felbftönbige
„QBerfee" gebatfit, finb fie felbftoerftönblid^ wertlos unb f(^äblid|,
roeil oon ber 6a(f)e abicnlienb unb ni(f)t aus bem ©tauben
ftammenb, fonbern nur ber „©eliglteit" bes 3<^ bienenb. (£r roitt
95armt)ergig!ieit unb nid^t Dpfer. ©ein Grtebnis ift ein (Ertebnis
für bie 9Henf(^]^eit unb in unauftöslic^em ^ufammentjang mit i^r
geroefen, barum ift fein QKirlten garnid^ts anberes ats ©emein-
fc^aftsroirfien. ®r roiE hmdt) jebe Zat an bie ©emeinfdjaft binben,
nid)t irgenb roctc^en „perfönti(^en 2Dert" tierausftetten. ©ottes«
tiebe unb Stät^ftenliebe tiegen unauftöstid^ ineinanber.
9Bir finb fo ausfü^rticf) auf bas (Srtebnis 3cfu eingegangen,
roeit in it)m bas aus ber ©egenroart neu ^erauffteigenbe retigiöfe
Crtebnis feine Deutung unb Störung finbet. ^ern mu% babei
ber ©ebanlie tiegen, ha% bies ©rtebnis in fot(^er ^iefe, SRein^eit
unb ©eroatt je roieber t)eraufftcigen könnte roie bamats, ats es
gum erften 9Hat erroadite. €s gibt oiete ©rünbe — natürliti)
nic^t Mr(^ti{^»bogmatif(i)e — , bie bas ausfd^tiefeen. ^bcr ber
Charakter biefes (grtebniffcs roirb uns ^eute roieber auf»
gegroungen.
(£s ift eine S:atfa(^e, hae fic^ bas ©d^utbgefü^I ber
Iutf)erif(i)en ^rc^e fc^on feit ^ö^r^unberten mit roac^fenbem Un-
behagen auf bie fiüdie gerichtet i^at, bie roir oben in bem fiebens*
roerK fiutfjers aufroiefen. 22Ian t)at fi(^ in ber ^ird^e bes 2Dortes
mit fteigenber 3lngft auf bie prafetifc^e Zat geroorfcn, fei es in
ber Siebestätigkeit, fei es in ber äußeren unb inneren Sötiffion,
m
fct CS in ber ©emetnbcarbctt, fct es im 3tufbau kivd)ltd)er 33cr=«
faffungcn, fei es in ber SBetrac^tung fo^iater t^iööcn. ®abei ijat
\\d) ^erausgeftettt, roas uns im 2. Sanbe ausführlich befc^Sftigt
i)at, ha.% bas alles Slotftanbsarbeit mar, bie ben Stempel ber
Unfid^er^cit unb bcs böfen ©emiffens an fid) trug. 9Bas im
3lnfaö ocrföumt ift, löfet fic^ fpöter nicf)t äu^erli«^ anbauen. 5)er
SBanlirott mar unüermeiblt(f|. ®ie ®efd(|i(i)te tjat i^n fd^neltcr
unb graufamer f)eraufgefül)rt, als 3nenfd|en es atjnen konnten.
3)ie ^rc^e ^at mo^l nie i^re ©c^roäc^e unb i^re ^offnungslofig»
licit, }e roieber entf(^eibenb in bas 9lab ber S^tt ä" Greifen, fo
bitter unb tief empfunben roie im 3Deltkriege — tro^ bes QUe»»
formationsiubiläums. ^^"i^ßi^^t'^ ^^ es ein 3;rofi unb ein ^citi^cn
ber Hoffnung für bie ^ird^e bes „reinen ©oangeliums", bafe ber
uon i^r geforberte 9leuanfaö nid^ts anberes ift als ein 'Sutüät,"
ge^en auf bas „reinere ©öangelium", auf hm 3lnftt^ bes fiebens»
roerfees ^t\vL.
(Einerlei aud), roie fid^ bie ^ird^e gu fold^em SReuanfafe
ftellen mirb — bas Erlebnis ber ^cit bebeutet me^r als alle
trabitionellen ©efütjle. ^ad) biefem 9BeUferiege liann bas
retigiöfe (Erlebnis, m^nn es überl^aupt kommen unb
fiel) burd^fe^en wirb, nic^t met)r als „perfönlic^es*
(Erlebnis äum 92tenfdE)en kommen, fonbern nur nod)
als an ber ©efamti^eit orientiertes Erlebnis. SHag
ber eingelne nod) in taufenb 'fällen in feiner MoftergeHe feine
©eligkcit fuc^en, ber eroige (Sott ift als 9lic^ter äum (Sanjen ber
9Delt gekommen unb tjat i^re (öefamtfc^ulb aufgebeckt. So roirb
aud) bie (Erlöfung nur als eine „(grlöfung für oiele* kommen
können.
Stur bie 9Iliterlebenben können bie Präger ber ^ufennft fei«.
5)iefe ungeheure Sroangsoerkettung, in bie bas Sc^ickfal bie
9Henf(^t)eit' ^ineinfc^lug, kann nic^t roieber aufgelöft roerben.
Sine ^luc^t oor ber S8lutsgemeinfcl)aft, bie alle saienfc^cn oer-
Unhü, gibt es Je^t nic^t met)r. ^ud^ bie »SHeutralen" mujjten
in bie ^ataftroptjc bes 9Bcltkrteges hinein, unb oon ben Saften,
bie er ^interliefe, gibt es keine Drückebergerei. S)te 95etcuerung,
bafe man an bem Qßa^nfinn bes Krieges fc^ulblos fei, ha^ man
an ben roilben ^t^^iöften, bie fic^ in l^m austobten, keinen
— 174 —
3Intctt ^abe, ha% man „i^n ntc^t getDoQt ^abe", kann garnic^ts
nü^cn. S)tc 9nenfd)cn ftnb je^t auf 'S.oh unb ficben anctnanber
gcfd^miebet. 2Das keine Organifatton üermodite, bas l^at btc
l^etltgc 9lot bes ©texbens, bcr furchtbar ba^tnraufd)enbe ^lutftrom
fertig gebrad^t. (£5 gibt keine Singelroefen me^r. ©ie ftnb jegt
alle 3U Srögern bes ©efamtfc^idfefals ober ri(i)tiger ber ©efamt«
fd)ulb geroorben. Unb hn „perfönlid)" 3leinften — roenn roir
^eutc no(^ roagen bürfcn, baoon gu fpre^en — finb bie ©creit»
roilligften, biefe ©(^ulb anzuerkennen unb fic^ unter fie gu beugen.
3n furdjtbaren 95ifionen guditen burc^ il)re ©eele bie böntonifd^en
Söläc^te, bie biefe 9BeIt be^errfc^en. Unter bem 9Ba^nfinn ber
3BeItkataftrop^e mußten fie am fc^rocrften leiben. "SIBä^renb bie
bcftialifc^en triebe ber ^Belt, i^r nact| ©eltung unb 9lut)m
giercnber ^t)rgeiä, i^re intperialiftif(^en ©elüfte fid^ in roitben
Orgien austobten, irrten fie in ber SDüfte untrer unb mußten bas
alles in feinen legten Äonfequengen burc^fct)auen unb in un»
crgrünblid^e '2lbgrünbe blicken. 313ä^renb bie 9BeIt noc^ Söne
bes 3iit)els unb bes friooten ©enuffes fanb, war it)r Sos bas
einfante (Elenb.
'JUber roä^renb fie bas €lenb ber ©efanttf(f)ulb am tiefften
erlebten, ging i^nen aud^ äuerft i^r le^ter 6inn auf. hinter bem
allen fa^en fie ben 3Beg ber Teilung, fa^en fie bas 9Horgenrot
einer neuen 3^^ aufleuchten. 9lic^t für fic^ pcrfönlicl)! QBer
barf je^t nod^ oon perfönli(^en fiebensgielen, oon perfönlirf)em
©lück, oon perfönlic^em QBoHen reben! 9Die fie im ©angcn
untergingen, fo können fie nur im ©angen unb für bas ©anje
roieber auferfte^en. (£bcn in ber ungebrod)enen Eingabe an bas
©ange liegt bie neue ^^J^eitieit, bie i^nen gefdienkt rourbe. 5)ie
bömonift^ctt SDtäi^te, bie im 9Bcltkrieg fiel) bis ^m (Srfd^öpfjing
austobten, finb oon i^nen aud) als inn erlief} übcnounben erlebt,
unb biefe S)eutung ber ©efd)cl)niffe auf il^ren inneren ®inn, biefes
QDerben um bie neue SBelt, bie i^nen gur ©emife^eit roarb, ift
nun ber alles be^errf(^enbe ®rang i^res fiebens geraorben. Sinem
©efamtgefc^c^en, bas fie übenoöltigte, beugten fie fic^, einer
©efamtentroicklung gilt nun auc^ i^re 2lrbeit. 3^^ ©laube mar
ein Ueberroältigtroerben oon bem §erm ber QDelt, fo mu^ er
ganj oon felbft p einem Schaffen für biefen ^errn bcr 933elt
— 175 —
Toerben. ©tc fettige ^rcubc über bic neue ©croiPcit, bte bas
neue QBerben rote bte ©trauten ber aufge^enben ©onne umfplelt,
tft Tt)a^rli(^ kein ©runb, um baoon p reben, roo^I aber 3lnfporn,
freubig gu ^onbeln. 5)em neuen 2Bcrben oom Srieb gum gctftigcn
QBlIIen, oom ^otjlen Schein gum ©(^ajfen oon innen ^er, oont
3(i)n)iIIen sunt alles bei)errfc^enben ©ottesroillen ju bienen unb
bie ®Qf)n gu bereiten, iff il)r einziges Slnliegen. ^^t^cJ^ rociterc
Greife in bas Erlebnis ber ®d)ulb unb ber aus if)r ^eraufftelgenben
Sriöfung ^ineingugie^en, ift i^re Lebensaufgabe. 95ont fiontmenben
3flei(^ werben fie fpred)en, oon niä)ts anberem. ®ie werben bie
Präger ber ^Öffnung in einer hoffnungslos äufammenbrec^enben
9Bcft fein.
S)ie '^aVim eines neuen fiebens in ben oerfattenbcn Körper
einer oerfloffenen Scbensepodie tjineingutragen, bas ift bic i^nen
geftellte Aufgabe. Sie neue ©emeinbe gu fdiaffcn, bk bie 5:rägerin
ber 3ufeunftsferöfte werben foU, wirb i^r Tagewerk fein. Sic
Eingabe ift i^re ^raft, unb ber ^offenbe ©laube if|r iJtögcL
Sie werben gu i^nen kommen, bic aJlenfd^en, bie noc^ einen
testen funken Sufeunftsferaft in fic^ tragen, unb wenn bic eilten
nid|t mef)r können unb wollen, bic jungen werben fic^ um fo
bereitwilliger um fie fcl)aren. Sic 3it9cnb wirb fi(^ mit i^ncn
ocrbünben, weil in il^r nac^ unoerbrücl)lic^en ©efefeen ber (£nt«
widilung bas ?leue burdibrec^en mu§. Sie S^genb wirb bagu
gwingen, ber 9Belt wieber ein überragenbes Siel i^ geben, bas
eine gange fiebcnsepoc^e ocrlorcn ^attc. Sic 3itfe"itfisgemeinbc
wirb Arbeits* unb (Ergie^ungsgemeinbe fein, ^n i^r wirb man
nid^t met)r fprec^en oon ©tauben unb 9Berkcn, fonbem i^r ©toubc
wirb ein SDirkcn, unb i^re 2Berfee werben ein ©lauben fein.
III. Das tetigiöfe Itceriebniö
in feinen Be5iel)ungen
3um Ceben6gan3en*
1. -©as Setben.
S)as rcttglöfe Urcricbnts Ift aUumfaffcnb. (£s bc^errft^t
md)t nur abgcgrcngte Sc^t^öume unb bcftlmtntc ©cbietc bes
ficbens, fonbcrri es ift ber ^ulmmottonspunfet bes gongen
fiebensprogeffes. ^uf btejcn ^unM brängt alles ^tn, aud) bas
fdjeinbor gletdigüttigfte unb gottesfcrnfte S)a^tnbömntern bes ®a=
fcins; oon btefcm ^unfet gel)t roteberum alles aus, aud^ bas
äu^erttc^ felbftönbigfte unb trrettgiöfeftc ^anbeln. (Es gelingt nictjt,
irgenb einen ^unfet ber Sebensentroidilung oon i^nt unabhängig äu
ma^en. 93lan kann l)ö(^ftens unterfdieiben, wie na^e ober roie
fem ein befttmmtes ©tobiunt bim S)urd)bru(^spunfet liegt, '2lud|
liegt in jebem 6tabium, bas nid)t int Kulminationspunkt bes
Urerlebniffes felbft liegt, bereits ein ^ortjc^roingen oom alten unb
ein ^inftreben auf einen neuen Kulminationspunkt befdjloffen.
€s gibt Seiten, in bcnen bas erftere oorroiegt, unb es gibt Seiten,
in benen bas legiere bie ©ntroidklung be^errft^t. . "2llles Seben ift
eine SDellenberoegung, ein ^uf= unb abfluten ber fiebenscnergie,
aud) unb erft rec^t bas religiöfe Seben. S)arum gel)t es nic^t an,
bie Sieligion als eine "iprooing bes ©eifteslebens abäugrengen.
S)ie religiöfe %xaQi be^errfc^t unb burd)bringt alles. 2lucf) hinter
ber rein öufeerlidi =» tedjuifc^en Lebensarbeit, aud) hinter ber fog.
objektioen roiffenfd^aftlidien i5o^fd|W"9 voixM in ber Siefe ber
religiöfe fiebensprogefe, bcm alles bienen mu§. 9Han kann
— 177 —
Ic^tßc^ aud) ttiä)t rcitgtöfc unb irreltgtöfc gncnfc^en unb 3ett*
laufte untcrfc^ctben. 2Iucf| ber Spötter unb ber ©leic^gülttge
fabelt l^ren ^la^ in bcm rcligtöfen €ntn)iclilungöpröäc^. 2Bo
^ö^enpunkte ftnb, tnüffcn and) Siefpunfete fein, unb bas ©leiten
burcf} bte Siefe ift has 3>ur(f|gletten jur $ö^e. ^reilic^ erft pon
ber ^ö^e fie^t man bas, haö Stabtum ber Siefe felbft ift blinb, eigen*
roiUig unb in fid) abgef(f)loffen, bis eine p^ere 3Ilac^t es ^inaufrei^t.
S)arum ift es audj oerltc^rt, oon retigiöfen Singelfragcn gu
fpred)en, bie für fid^ befonbers gu einer fiöfung gcbradjt werben
könnten. 6s gibt keine rcligiöfe ^rage, bie nii^t gang feft unb
unoblösbar mit bem Urerlebnis oerflo^ten märe, ^n biefem Ur«
erlebnis felbft ^aben oUe {i)rcn^Iaö unb finben alle il^re fiöfung.
3n it)nen ftra^It es nur nad^ oerfd^iebenen Seiten aus, ober burc^
fie ^inburd) finbet es feine SJerroirklid^ung. 6ud()t man etroa ber
^rage nad) bem zukünftigen Sebcn unabhängig oon bem sen*
traten religiöfen (griebnis belgukommen — mie I)unbertfältlg ift
bas oerfu(^t roorben! — , fo ift fie frfjon auf ben toten Strang
gefd^oben unb kommt nie über Unfidjer^eit unb S^c^fßl hinaus.
2Bie eng bie »Jragen bes fo^iolcn Sebens mit bem retigiöfen Ux»
ertebnis äufammen^ängen, braudE)en mir nad) bem 95ist)erigen
kaum äu betonen. 3lber and) bas SHötfet, bas attcn tcbenbigen
©efd)öpfen ats erftes unb etementarftes entgegentritt, bas 3lätfet
bes fieibens, ftef)t in gang untösbarer 95erguicfcung mit bem
retigiöfen fiebensprojefe. 3^^" motten mir uns guerft s^rombm,
ha es and) für bie ©egenroart bas brennenbfte unb fdimergtic^fte ift.
OBogu bas Seiben? SBogu ber Sc^merg? SBogu bie^rank-
^eit? SBogu bas Sterben? ©as 9Bo^er? unb SBogu? bes
Sebens tritt in feiner gei^eimnisootten unb bro^enben ©röfee bem
931enfc^ett erft im ©rtebnts ber fdimerglic^en S^i^törung bes eigenen
©afeins roirkti(^ entgegen. 9Das oort)ergel^t, finb me^r ober
weniger neugierige ^inberfragen. ^ier aber roirb es erftmatig
gur qualootten iJi'^age: „2Barum ift bas fiidt)t gegeben bcm 9Hü^-
fetigen unb bas Seben ben betrübten bergen?"
Sc^on biefe Satfac^e, ba^ bas fieiben hm Sötenfdien groingt,
ben liefen bes fiebens na(^äuget)en, rückt es in bie Spf)clre ber
9letigion. S)ic 3lctigion ift barum oon i^ren ^tnfängen ^er gang
feft mit biefem i^rem ölteften ^eitigtum oerknüpft gcroefcn. €s
8. $ettmanit, ©rofepabt unb SHeligiu«. 3, %nU 12
— 178 —
gibt keilte Slcligton, in ber ntc^t bem St^mers ber ältcfte ^ta^
zukäme, ©clbft bie lebcnsfreubigen ^eEenen opferten ben
©Ottern. ^Ji^etltdi tft fd^on bos Dpfer ein ^blenkungsmittel für
bas fieibcn, eine ^luc^t oor ber grouenooUen ^iefe bes fiebens,
ein Uebertrogen beffen, roooor ber SHenfd) felbft gittert, auf ein
anberes 3Defcn. S)iefe 95erfu(i)e, bes fieibens burcf) 3lblcnkung
§err gu werben, reidEien bis in bie mobernften Saboratorien ber
sntebiginer unb bie neueften 6t)ftente ber ®rlöfungstf)eoretifeer.
SBts in bie ©egenroort t)inein ift bie Sleligion oft genug nid^ts
onberes geroefen als bas 5lbtenliungsmittel für bas Seiben bes
fiebens, bie gro^e ^röfterin, bie burc^ Opfer, Sakramente, SRiten,
©teQoertretungsIe^ren ben 9Henf(^en bas fieiben abnehmen foU.
^reilid) finb alle biefe 93crfud^e, bem Seiben burct) bie
%lu(i)t 3U entrinnen, mißlungen, ^eine ber „öft^etifctjen ©rlöfungs"
religtonen" trögt Unoergänglid^keitskraft in it)rem ©dt)o^e. ®er
95om3urf ber §eu(f)elei, ber bie ^Religion immer roiebcr getroffen
f^at, richtet fid^ le^tlit^ gegen bicfen fi(^ immer raieber oorbrön»
genben ^nfpruc^, etroas gu leiften, roas keinem ©tcrbli(^en ge='
geben ift, bas Seiben aus ber QBelt p befeitigen.
S)as Seiben roiE nicf)t befeitigt unb abgelenkt, es roill
überrounben roerben. (£s ^at feinen feften ^lag in ber ®e*
fd^id^te bes Sebens, unb keinem ©terbIidE)en mirb es gelingen, i^m
ben ^lo^ ftreitig gu matffcn, ben tl)m ber ©c^öpfer anmies. '3lber
biefen ^la§ gu erkennen, fid) bort unter bie 9Had)t bes Seibens
beugen gu lehren, bis es feinen 'Sluftrag ooUgogen ^at unb ha^'
burc^ übemjunben ift, bas ift alterbings ein n)ict)tiges 3lntiegen ber
Slcligion.
S)as Selben fte^t an ber Pforte ber Sieligion. deiner
bringt in i^r ^nnenlanb, ber am Eingänge an i^m oorüberfcl)lic^.
€r mirb bocl) mieber ^inausgeroiefen ols ber, ber „kein ^oc^geitlidE)
^leib" an^at. 5)iefer „religiöfen 2Dci^e" entrinnt keiner, ber ben
legten liefen bes Sebens guftrebt. ©etbft bas QBeltkinb kennt
biefe QBa^r^eit:
„9Der nie fein ®rot mit tränen a%
roer nie bie kummerooUen ?läc^te
auf feinem 93ette roeinenb fafe,
ber ktnnt euc^ nic^t, i^r ^immlifc^en 3Höcl|te."
— l^ö -
^tcttic^ bas QBcItltlnb flicl)t ftc audl). (gs meiert bcm ficibcn
aus, Too immer es kann, ©as ift bte erfte feeltfc^c 5atfacE)e, bie
öUcm fictben gegenüber üuffprlngt: 5)a5 ©rauen unb bte ^luc^t
oor t^m. S>arum ^at bie Sleligioti für iebes naioe ^Bcltfeinb, bas
aus hixn 6onnen|(^ein bes fiebcns in bas crnfte ^albbunliel i^res
Tempels tritt, immer etmos ^urdEjtcrregenbes unb ^urü&fd^redienbcs.
(Es gibt Keine SHeligion, bie fi(^ oöttig mit ber SBeltfreube »er»
einigen liefee. ©elbft burd^ bie Sempel bes felaffifc^en Slltertumö
50g ber S)unft oon blutigen opfern unb ber I)erbe ©eiftest)oud)
fc^icfefalsfc^roerer 9nt)tf)en, unb je reiner ber religiöfe ©ebanlie
l^eraustritt, befto fc^ärfer werben bie 3üge ber fieibensgeftalt, bie
Dor ben ^oren ber 9leIigion bie 9Bad)e pli S)os tieffte (3t)m»
bot bes e^riftentums, baQ ^eug, fc^eucfjt ^aufenbe fc^on an
feinen ^oren jurücfe, cf)e fie überhaupt ben 95erfu(^ gemadjt traben,
firf) mit feinen Sebensgebanfeen gu bef(J)öftigen. ^reimillig ober
ben an ber £)berfläd)e liegenben trieben ber Jlatur fofgenb f)at
nodf) keiner bie 6(i>n)ette ber 3leIigion überfdjritten. ©rft mo ber
3mang bes fiebens bos fieiben gur 2atfad)e merben tie^, oor ber
es kein (Entrinnen gibt, mürbe audE) bas ^ngftgefü^I oor ber
fieibensgeftalt am (Eingange bes Heiligtums übcriounben unb
roanbelte fi(^ 3ur ?l^nung, t>a% ba^inter bie ®ütc thront. 2Juc^
oon biefer ©eite geigt fid) roieber, ha% bas religiöfe fieben mit
h^m Determinismus ftef)t unb fäUt.
§icr offenbart fi(^ aber and) oon neuem, bö§ bie mirfienbe
Äraft ber Qfleligion fic!) 00m crften ^ugenblic&e an gegen ben 3c^*
mitten roenbet. ^ims 3tngftgefü^I bes SBcItfeinbes oor bem fieiben
ift garnicf)ts anbcres als bas ©icl^ftröuben ber ungebänbigten 3«^-
liraft oor ber ?tuflöfung unb SBinbung. ®er natürliche ©elbft-
cr^altungstrieb ift bie 2BuräeI jenes ©rauengefü^ls. €s roirb olel
äu rocnig barauf geadjtet, i>a% bie ^rage narf) bem 6inn bes
fieibens in ber SBelt fic^ niemals guerft gegen bie ©innlofigfeeit
bes fieibens an ficf) rld)tct. (Erft in einem gang fpäten ©tabium
nimmt bie ^roge biefe tieffte Mgemeinform an. 5)er natürliche
Scljmenfc^ feonn taufenbfai^es fieiben neben flc^ mit fiü^Iem
^eraen unb klarem 93erftanbe fe^en, o^nc bie ^rage überl)ßupt ju
empfinben, bis bas fieiben in irgenbeiner ^orm fi(^ gegen i^n
felbft richtet. 9lic^t nur bas ^nb ift oft empfinbungslos Ms
12*
180
3ur®raufantfeett gegen frembcs ficiben, bas nlc^t irgcnbrole natur*
f)aft mtt bcm eigetten fieben in 33crbtnbung ftet)t, fonbern ganje
©cneratloncn bcr natoen ^ä^kultvLX ge^cn an taufcnbfältigen
Oualen vorüber, ot)ne auc^ nur letfe bie ^ragc äu fpüren, btc
barin fc^Iummert. 2Ben ^ötte bas nic^t im Zeitalter bcr ®rofe*
ftabt unb bes QBeltferiegcs bis ins 3""^^fie erfc^üttcrt! €5 ift
pfijc^ologifd^ ungemein fein unb richtig beobachtet, t>o% ber SBor»
rourf ^iobs gegen feine roeifcn ^reunbe jid^ weniger gegen i^re
fie^ren als gegen i^rcn 3Rangel an SSlitempfinben richtet. Sie
figen eben brausen unb p^ilofop^icren x)om fieberen ©tanbort aus,
TOÖ^renb §iob brinnen fi^t unb fic^ mit bcr qualooUcn 6 a c^ e
ouscinanberfeöen mu^.
Sarum nimmt bie %mQz naä) bcm 6inn bes Seibens immer
perft bie ^orm an: „3Barum mufe icf) folc^cs leiben?" S)os
3Kerliroürblgc biefer ^latfac^c mufe man fid^ einmal gang Itlar
mod^cn. 9Bä^rcnb man aUes taufenbfältige ficiben in ber 2BeIt
Einnimmt mit berfclben ©elbftocrftänblid^feeit roie bie ftummc
^catur, roä^renb man in bcr eigenen ©elbftbe^auptung täglirf)
anhexe ©cfdjöpfe, au(^ SHcnfc^cn ber nöt^ftcn Umgebung, fc^mer
leiben lö^t, ftöfet bie 2lnroenbung biefes fonft fo roillig aner«
kannten ficibcnsgcfeöes fofort auf eine t)artc ®(i)ranfee, fobalb es
fid^ um bas eigene ficben t)anbett. 3)a roirb bas fieibcn ptöfelic^
äur ^rage. ©er fic^ bist)er naio unb unbemufet ausroirkenbe
3(^n)illc tritt mit einem ©daläge in feiner gangen 9fla(fet^cit ^crous,
fo naclit, ha^ er es noc^ gang gefliff entließ betont: „QBarum ge*
rabclc^?" 3^ber ©eelf orger liennt bief« oerblüffenbe Satfac^c;
unb ^ält er biefer oermunbcrten ^rage bie nidjt minbcr mv
rounbertc entgegen : „ QBorum gerabe bu nic^t?", bann erft
offenbart bcr fragenbc ^t^i^iöc fein tiefftcs 9Befen, inbem er bie
t^pifi^c 5tntn)ort gibt: ,2Bomit ^abc ic^ bas oerbient?" S)iefcr
©ebanfecngang ift fo aflgemcim, ha% fclbft SHlcnfc^cn, bie löngft
mit ber Söorftellung eines pcrfönlic^en ©ottes fertig finb ober
fertig gu fein glauben, immer roieber auf bicfc iJrageform kommen,
burc^ bie fie fidtj einem gang pcrfönlictien 9lid)tcr gegcnübcrfteßcn.
Unb an biefe oorrourfsooHe ^rage fdjliefeen fic^ oft genug lange,
kluge, in oielcn Släc^ten burc^bac^tc 9flec^tfcrtigungsreben an,
gegen bie bie Sieben ^iobs feurg unb klar gu nennen finb.
— 181 —
®6 fpringt fofort in bic 3tugen, in roas für einer engen
©ejiefjüng biefer burc^ bas Seiben auegelöfte ^ro3efe ju ber in
bem ^bfc^nitt „®d)ulb unb «rlöfung" bargeftcHten feelifc^en (£nt-
njiclilung fte^t. Wh bort ber angreifenbe, auf Surctifegung
brängenbe ^ö^ere 9!DiIle ben ^c^roillen bis a^r 3DiIbt)eit t)erau6««
jerrt unb gunt äu^erften ©ic^ftröuben groingt, nrte biefer bort in
statu moriendi fic^ feiner ^reif)eit unb 0eIbft^errtirf)liett erft oott
b^mu^t gu werben meint, fo roirb ^ier burc^ bas anpaclienbc
fietben gang ber gleid^e feeltfd^e ^roge^ ausgelöft: ein roilb ouf»-
fpringenber ©elbftbei^auptungstrieb fu(f)t fi(^ in oonourfsooHen
fragen gegen bie gerftörenbc 9Ha(f)t bes fieibens gu roe^ren. ^a,
nte^r als bas! ©r fietjt in unb hinter bem fieiben einen gegen
it)n gerichteten ftttlidjen ^Dttlen, ben er ins' Unrecht gu fc^cn
fuc^t!
©iefe merlimürbige ©rfc^einung, bic übrigens allgemein
menfc^tid) ift, f)at man in Stjeologenftreifen roo^I gefe^en, ober
man ^at ni(^t anbers mit it)r fertig roerben können als hmt^
hm unermübli(^ oon neuem erbrad^ten SRoc^meis, ba^ ^ter eine
irrtümliche Sluffaffung bes Seibens oorliege. Sas Seiben f)at, fo
^at man immer mteber betont — fogar unter 93erufung auf
3efus — , an fid) garnidits mit ber 6(^utb gu tun. €s kann
rootjl ]^ier unb ha mit ber 6(^ulb bes SHenfd^en gufammen»
Rängen, aber bas generell gu befjaupten, ift gum minbeften kurg«
fid^tig, meift fogar graufam. ©s gibt ^unbertfältiges Seiben, bas
einfttdi oIs ©c^ickfat über ben SHenfc^en kommt, ^ieoiel offen»
kunbig fcEjuIblofes Seiben gibt es in ber 9Belt! flcs ift ba^er
Aufgabe bes ©eelforgers, bie 9Ilenf(i|en oon ber SDa^nibee gu be»
freien, hinter bem Seiben fte^e immer eine 95crfcl^ulbuttg. 3)as
Seiben als folc^es ift ftttlic^ inbifferent. €s ift eine unooß»
kommene unb ba^er gu überminbenbc Sßorftellung ber jübifd^en
©efefeesretigion, bafe bas Seiben eine ©träfe fei. 5)as ^^Ihm ift
n)ot)l (Ergie^ungsmittel, aber keine ©c^ulbaüsmlrkung.
3Herkn)ürbig nur, ha^ man eine ftttlic^ inbifferente ©a(^e
als «rgie^ungsmittel anfpric^t! Was ift (grgiet)ung benn
anberes ots QiDiaensbltbung ? ©laubt man einen ^Bitten bilben,
umbilben gu können o^nc einen ^Bitten? Unb bie njittcns"
umbllbenbe SKac^t bes Seibens bürfte boctj motjl aufecrSToeifel fteljen.
— 182 —
9Hcrfen)ürbigcr itod), ha^ btefe bcr jübtfc^cn ©efcöcsreligton
gugefdirtcbene angebltc^ Äurgftcfittgc 5luffaffung ftc^ fo gä^ tn bcn
©emütern ^ölt, ha^ fle tögltc^ rotebcr aus bcm ficbcn geboren
wirb, unb ^roat in Scttläuften unb SHlcnfc^enferclfen, benen trgenb«
n)el(^e med)anifd)c ©efe^Itdifeclt fo fern rote möglid^ liegt. ©oUte
^ier nid^t ein tieferer, in ber Statur ber S)inge liegenber S^^oi^Ö
roirfefam fein? ©oüte fid) ^ier ni(^t oon bleuem beftätigcn, ha^
eben bie „perfönli(f)e" ^uffaffung ber ©djulb, bie allerbings aud)
bent gefefelidien 3u<5entum bas Seiben gu einem qualooU unlös«
baren SRätfet machte, eine grunbfä^lit^e 95erirrung tft?
9Im merfeTOürbigften aber, t>a% ber Jlagarener, ber biefc feurg«
fid)tige 5Iuffaffung angcblid^ überraunben ^abcn f oU, fte nid)t nur
nidjt überrounben, fonbern fo oertieft unb oeraUgenteinert ^at, ha^
fie gu einem ^unbament feiner Sebensauffaffung unb Sebensarbeit
geworben ift!
Ober überfielt man bie Siatfat^e, bofe fein ^ampf gegen
^rantt^eit unb Seiben, bem er offenbar ein großes ®tüdi feiner
^raft geroibmet l^at, oon if)m als ein '^db^UQ gegen ben ®atan,
bas ^ei^t bod): gegen ben gottroibrigen QBillen, gefüt)rt roorben
ift? (Smarc. 3. 22 ff.) 9Ilan \)at boc^ oft barauf ^ingeroiefen,
ha% bie Ueberfefeung ber fiebenten 93ttte: „(Erlöfe uns oon bcm
Hebel!" (fa(f)Iic^ burcfjaus richtig) gef(i)ic^tlic^ äutreffenber lauten
mürbe: „(griöfe uns oon bcm SB Öfen!" aCenn es richtig ift,
ha^ unfcre SHlittel, ber ^rank^eit beigukommen, anbere geroorben
finb als bieienigen feines Zeitalters, bem roeniger QBiffen unb
S:ec^nife, aber met)r SBittensferaft gur Verfügung ftonb, ift borum
aucf) feine 2tuffaffung bcs Hebels unb bcr ^ranfe^cit als „geit»
gefc^ic^tlic^e ^DorfteUung" überrounben? 3 eichen iu tun gur
SBegtaubigung feiner SBotfc^aft, tag i^m feit bem Erlebnis auf
ben Rinnen bcs 5:empels fe^r fern, unb er tjot biefen smiprauc^
feiner ^aft roa^rlicf) t)öufig unb fc^arf genug oon fic^ gcroicfcn.
«Darum fc^iebt man i^m in ber Teilung bcs ©ir^tbrüc^igen roiebcr
ein fotc^cs geic^cn unter, bas feine ^Berechtigung, bie ©ünbcn ju
oergcbcn, ermeif en foUe? OBarum fträubt man fic^ gegen bie
93orftcaung, bo§ 6c^ulb= unb Äranfe^eitsüberroinbung innerlich
unb fac^U(^ mitcinanber gufammen^öngen? §icr ift bie Teilung
garnic^ts anberes als bie 95eftötigung unb ©cnoirltUc^ung ber
183
HebcrtDtnbung bes 6(i|ulbgefül)ls. 9Barum ocrgtfet man, ha^
alle Teilungen ^z\u ctnen üöertounbenen SBillen »orousfegen?
<a5o ouct) nur eine ©pur eines ftt^ überl)ebenben unb ob*
fcJlItefeenben (gigenroillens mar, rote in dla^axttf), ha fionntc er
„ntc^t eine einige 5at tun". 9tur bie „getftltd^ Strmen", ble
gong bcn (gigenroiUen — bas tft boci) ber gottrotbrtge QBlUc! —
oerloren traben, finb fein aHod^tgebiet. ©er ©laube ift über-
rounbener, ge^orfamcr 9BtIIe *), roie i^n ber römtfcfic Hauptmann
unübertrefflich befdjretbt (9Hottt|. 8 35ers 9), fo bo§ felbft ^efus
ftaunt. t5ür S^fus fte^t beibes in unaufIÖ0lirf)er SDerfinüpfung :
bie ©ct)ulb bes 3<^n»iEens unb bas fieiben, ber ©rlöfung bringenbe
getjorfome SBille unb bie Teilung, ©ein i5ßtbäug gegen ble
^ranlif)eit war ein ^^^^bgug gegen einen in ber ^ranfefjeit oon
i^nt gewitterten — unb oft genug aud) burd^ i^n tierausge*
loöiten **) — roiberftrebenben SebensroiEen. Sabei tft i^tn root)!
beltannt geroefen, bofe biefer roiberftrebenbe Qütlle feeinesroegs
immer in bem eingelnen tranken felbft gu faffen ift. €r raupte
fe{)r roo^I, ha^ er einem „iReid) hes ©atans" gegenüberftanb,
einem ©efamtroitten, ben man roo^I ^ter unb ba im eingclnen
padien, ber aber erft im longfamen 95oranf(^reiten als ganzer ge-
troffen roerben Btann. S)arum tft if)m ber 2lufruf jum ©efamt*
feampf immer roid)ttgcr geroefen als etnäelne ©daläge, bereu ©rengen
er fic^erltcf) auc^ erlebt f)at. (95ergl. Sötarc. 1. 38—39). ***)
*) 3^ „93ertrauen", iumal im mobcmcn 6tnnc, Hegt oft genug
no«i) fcf)r otel €igenn)ille.
•*) 23ergl. SHarc. 1. 24.
*•*) Safe übrigens biefe ^uffaffung ber ^anlif)cit fo ftarft bcn
neuäcititdjcn (grkcnntniffen roiberfpred^en folle, tft nt^t eitt3ufel)en. Safe
ble ^ronfe^cit fecin poffioer 3#ttnb, fieln „Selben" Im 6lnnc ber fata«
ttftifd)en Sluffaffung fei, bürftc ble mobcmc mcbl5lnlf(^e 2Blffcnf(^aft über«
rofdjenb genug erroiefen fjaben. ®le ^ranfe^clt Ift bonadj ein fe^r aktlocr
Äampfproäefe, eine ^elfee Sluscinanberfeöung jnjlfdjen ^öljcren unb
ntebcren Scbenscnerglen. ®le mobcmc Saktcrlcnforfc^ung bürfte Jene
Sluffaffung oon bcn „Sämonen, ble In berSuft ^ctrfcljcn", — ble natür«
lid) nur ein gü^Ien unb 5tt)ncn 5um 3lusbrucfe bringt — nlc^t mc^r ols
fo p^antaftifdj erfdjclncn laffcn. Scr lebensfclnblldje „SßlUe" ^at nur
ettoas befttmmtere, freiüt^ mü) Ijcutc not^ Iclbcr oft genug unfafebare
gormcn angenommen. 5>er t|öl|cre, ftörkere 2Blüc, ouf ben ble ®nt«»
mlciilung ^Inbrängt, kann \id) nur im ^ampf mit einem |buuemb an«
- 184 —
^ber cin'QBort glaubt man bod) in 3efu 3nunbe gefunben
51t ^aben, bas btc „iübtft^e" 5tu||af|iing, bafe Jebes Selben —
tjler im roeitcften ©inne — auf eine 6c^ulb aurüc^rocife, enbgültlg
auft)ebcn fott: Sas ^ort über tie crmorbeten ©alilöer unb ble
3Xc^täet)n, bie ber Zmm oon ©ilool) erf^Iug (Suc. 13. 2—5).
„Slleinet i^r, ha^ bieje ©alüäer oor aUen ©attlöem ©ünber ge-
mefen finb, biemeil |ie t>a5 erlitten ^aben? 3c^ fage: Stein!
©onbern |o i^r euc^ nict)t beffert, roerbet i^r alle auc^ atfo um-
kommen." 9lur bemeift bies 3Bort bas ©egenteil, \a bringt in
klaffift^er ^orm ble SDertlefung unb 95oflenbung jener „iüblfct)en"
^uffaffung gum ^usbrucfe. 5)enn nlc^t nur rolrb ^ier ntc^t
gejagt, t)a^ bas 6d)idifal ber ©alüäer In keinem Sufö^tw^ßn^öuge
mit ber ©c^ulb fte^t — jle finb nur offenkunblg In keiner QBelfe
me^r an l^r beteiligt als atte anberen, foba§ gu p^arlfälfcfjem
Sltc^ten roa^rljaftlg kein 31nla^ oorllegt — , fonbern es rolrb nun
aud^ pojltlo ble grofee 5)eutung altes Seibens gegeben: es Ift
SBufeprebtgt für alle, roell es äurücferoelft auf ble grofee ©ct)ulb,
ble auf atten laftet.
§ler ent^üUt flc^ mleber ble alles überragenbe Sebensauf«
faffung bes STlagareners. <£x kennt Im ©runbe keine „perföntlc^c"
©d)ulb, er,:kennt nur ble grofee ©djulb, ble atte tragen, unb jebes
Selben, b. t). jebe g^^P^witg bes gefunben Sebens, einerlei, ob
hmä) fog. 'S^faü ober burd^ böfen 933ltten ber 32Tenf(^en {)eroor»
gerufen, Ift eine ^lusrolrkung bes rolberftrebenben Sebensrolttens,
ber ouftöfenb unb gerfegenb burd^ ©ottes Schöpfung 3lef)t, ber
überrounben merben mufe.
9I5le lebenblg unb gefc^Ioffen Ift blefe Sebensanfctjauung!
2I3le kümmerllct) erfc^elnt l^r gegenüber jenes berectjuenbe Inbl*
Dlbuallftlf(^e ^Ibroögen ber 9Henfd|en, bas 3urü(kf(^auenb bei jebem
greifcnben äcrfcfecnben, auflöfenben unb setftörcnben nlebercn 2BlUen be*
Raupten unb burc^fcgcn. ©^Itefelid) finb alte neueren ©ellmet^obcn ein
Unterftüöen bes ^ö^cren Sebensrolllens gegen bcn nlebercn, in l^rem
2Bcfcn gan3 basfclbe, roas man in frütjercn Selten macljte, reo man bas
gefä^rbcte Seben auf anbete 2Belfe ftügte. Sludj ^eutc erfcljclnt ber ©c*
famtkampf gegen ble ^ronk^eit ols minbeftens cbcnfo rolt^tlg rote ber
®tnäelkampf. 2lucf) ^eute ift bie ö^bung ber Sebensenergie ein cbenfo
bringcnbes 9lnliegen geworben rote bie Bekämpfung ber tebensfeinb*
ltd)en Energien.
185
fictben noc^ ber „perfönttc^en" ©c^utb unb bei jebem Unglücfe
nac^ bcm „ocrantroortllc^en" ©ünbenbocfe fuc^t, um m gu be=»
ruhigen, roenn bte ©crec^nung fo ober fo abgefc^Ioffen ift! 9Dte
getoaltig unb unerbtttltc^ fortrelfecnb tft bagegen btefe Sebcns-
auffaffung, bie oornjörtsft^ouenb t)tnter Jcbem Selben bie gro^e
®(^ulb fteljt, bie überrounben unb ausgefüllt fein will,
bie aus icbcm ©c^mergensfc^rci heraus bas ^eilige ©ebot {)ört,
bas in jeber roirfetid) erlebten 6d^ulb fc^tummert: „^anble! ^anble!
^anblc!" 'Slllerbings in ber jiämnterlii^en '2luffaffung ber ©(ijutb .
im inbix)ibualiftif(^en S^italter ift bie geroaltige 3luffaffung ber
©efamtfc^ulb, bie ber SJlagarener in bie 2DeIt getragen ^at, oer»
bla^t. 3Ber nur bie „perfönlic^e" 6(f|ulb kennt, bcm bleibt es
croig ein Slätfel, roie man t)inter bem furchtbaren fieiben, bas
burcf) bie Schöpfung gie^t, eine unermüblid) oorroörts trcibenbe
©d^ulbanfetage fet)en kann, ber roirb immer fagen, t>a% bie SBe*
trat^tung, bie hinter jeber ^ranli^eit, tjinter jebem SÖIenföienleib
bie ©ct)ulb fuc^t, graufam unb lä^menb fei. 9Der aber ben tiefen,
fettigen ©inn ber ©c^utb als ber ftärfeften oorroftrts treibenben
2Hac^t erkannt i^at, ber roirb bie ma^nenbe ©timme nic^t über-
t)ören, bie aus febem ©djrei bes fieibes unb ber £luat tjeraus»
klingt: „^ier mu§ etroas anbers roerben!" *) 2Das ber barm*
tiergige ©amariter empfanb, als er ben gerfc^Iagenen 9Ilenfc^en
am 3Bege liegen fa^, bas roar ©c^ulbgefü^l, freiließ nic^t bas
©d^ulbgefü^t, bas juriftifc^ banac^ fragt: „QBieroeit bift bu an
bem Dor bir tiegenben SHtorbanfc^lag perfönti(^ beteiligt?",
fonbern bas unmittelbar roeife, bafe es an ber 9lot ber 9Ilenfc^^eit
mit|cf)ulbig unb barum äu iljrer SBefeitigung unbebingt oerpflic^tet
ift. ®s ift ber eine gerfe^enbe, gerftörenbe ^iUe, ber in aller
9lot an ber 9Henfcl)^eit nagt, unb es ift bas eine anliegen aller,
gegen biefen 9Billen gu kämpfen unb il)n nieberäuringen, roo
immer er fein ^aupt ergebt.
95on ^ier aus roirb auc^ erft öoUenbs beutüc^, roarum man
bei 3efus ocrgeblic^ nac^ einer S^eobicec fucl)t. S)as Seiben ift
für i^n gar kein ru^enber gitftönb, keine unabönberlic^e Satfat^e,
•) 'äud) f)itt mufe roiebcr betont roerben, ba^ bas rotrfeUc^e 6d)ulb*
gefü^l niemals aus bm Zatm ber SSergangen^eit, fonbcm immer nur <ms
bcm auf ©urc^fegung brängcnben 3ulmnftsrotllen begriffen roerben kann.
— 186 ~
kein totes S(f)tcRfaI, bem man einen „6lnn" abgerolnnen, has
nton In ble filebesabftc^ten ©ottes einreiben mu^, roobel ble
Selbcnst^eoretlker freiließ Immer me^r an ble 3tnftö^e bes 3^^*
mcnfdjen oIs an ben objelitloen 6lnn bes Seibens gebadet ^oben. *)
(Er hmU garnlcE)t baran, hem SKlenfd^en bas Selben flnnooller
unb annehmbarer gu mad^en, mle ble Setbens* unb 95orfet)ungs=>
preblger bes Inblolbuallftlfc^en gettalters. (£r fle^t otelme^r fjlnter
bem Selben einen gottmlbrlgen S^rfefeungs» unb SerftörungsrolUen,
ber elnfad^ bekämpft unb überrounben roerben mu^. 3)er at"
gefpllttertc S^ii^ttte Im foglalen Seben unb ble ^g^rfefeungsenergle,
ble In ber ^ronk^elt mlrkfom Ift, Hegen für lt)n auf einer Slnle.
2)er So^r^utiberte ^Inburd) fd)Ield)enbe, jule^t aber In eine fürtet«
bar akute ^rlfls übergefjenbe lnblolbuaIlftlf<i)e ^luftöfungsmlUe,
beffen QBlrkungen mir am 9Henfd)f)elt5körper gefe^en ^aben, bürfte
uns ^eute ble klugen barüber geöffnet ^aben, ha^ blefe Setrai^tung
no(^ kelnesroegs überi^olt Ift. ^m foglalen role Im ^Injeßeben
ooHäle^t fld) gonj ber gleiche "iproäefe. Z^]vl6 rooUte belbe burc^
ben neuen, äufanimenfügenben, gefunbenben, belebenben ©ottes«
rottlen f)elten. S)er unbeblngte ©e^orfam unter bm ©ottesmlHen,
ber ben flcf) fträubenben Sß^f^Öungsrollten bänblgt, bringt aUeln
ble €rlöfung unb Geltung. QKögen uns au(^ manche ^ufammen*
^önge In ben ^ellungstatcn Zt\u unburc^brlngllc^ bleiben, roelt
ble gef(^l(^tll(i)e ^unbe borüber gu unfld^er Ift, foolel fdilmmert
bod^ burd) alle fog. 9Bunberberld)tc burö), bo§ fein überragenber
SBlKe In ble t^plfd^en Krankheiten eines fld| gerfe^enben 'S^iU
alters l)lnelngrlff. S)er Steroenarst unferer Xage, ber t)eute blefen
®rf(f)elnungen am ^äuflgften gegenüberftef)t, wirb oon blefcm ^trgt
noct) mandies lernen können, wenn auc^ nlc^t ble Xetfinlk, fo boc^
ben entfd^elbenben QiBltten, auf ben attes ankommt. S)le gro^e
gefunbenbe Kraft afles Sebens Ift ber ^ellfame ©e^orfam. 5)as
bürfte In bem großen Selben unferer 3:age, Im SBeltkrlege, In
met)r als einer ©eälet)ung beutitrf) gcroorben fein.
93cl Z^^us gibt es bat)er au(^ gar kein Sieben unb ^öntmern
über bas Selben. (£ben blefes Sieben unb ^^^^ß^it 9^^^ ^^^
gerfe^enben S'^w'itlen nad), ber gerabe burc^ bas Selben In ble
♦) Sßergl. Söanb II, 6elte 51.
187
QBelt bes ©c^orfams ^inübctgefil^rt rocrbcn foU. 3" f^tne Q!DcIt
gct)örcn ble Ätagetoctbcr uitb fieibcnst^eorctiker nid^t fjtnefn. (Er
iptll ©euguna nnter bcn SBllIcn, ber im Selben fein 9Heffer an-
legt, roell nur aus ber SBcugung ber gefunbenbe Olaube kommen
Kann. 9Iur bem InncrÜd) ^ülflofcn kann ber neue QBlUe Reifen.
Stur bem roirfelicf) ©cbrocf)enen erroöcfift bie ^raft bes ©laubens.
©abci tft felbftöerftönblic^, bofe 3e[u5 fielncsroegs atte ^rten
oon organlfc^en (grliranfeungen f^at gellen können unb rooUen.
(£5 gibt ScJ^c^ungen, ble nur noc^ ausreifen können. 3lu(i) mar
lf)m ber 3I5eg gur allgemeinen fiebensgefunbung mlditlger als
glnäcl^ellungen. ©Icfen 2Beg frelllt^ ^ot er für aUe ^ntm burd)»
fdjlagcnb gerolefen. 3Iu(i) für uns fü^rt ber 9Beg aus ber att»
gemeinen körperll(i)en unb fo^lalen Sß^^f^Ö^^Ö» *öus ber Spoc^e
ber 9Xcrt)enerkrankungen, bes ©eburtenrüdigangs unb bes 95ölker<«
Joffes clnglg burc^ bas Zox bes flttllc^en ©e^orfams.
©lefer QBeg aber rolrb I)eute role bamals nur gefunben
roerben, roenn bas ungeheure Selben, bas burc^ ble S^tt t)lnburd^=»
älef)t, 5u einer einglgen SBotft^aft von ber ©efamtfdjulb rolrb, gu
einer crfi^ütternben (Erinnerung an ben gottmlbrlgcn 5DlUen, ber
hinter aller Stot ber OKltroen unb 5Dalfen, ber ^rmut, ber
3ugenb, ber ^ankenpufer unb ber gSolksfeuctjen fte^t. (Es gibt
keinen, ber an blefcr Sc^ulb nld)t beteiligt märe, keinen, hen nld)t
jeber juckenbe ©c^mcrj, ben er fetbft In feinem Körper fpürt, unb
Jeber 6(^rel ber £tual, ber oon aufeen an fein £)t)r bringt, er»
Innern müfetc an ben furd^tbar gerfefeenben ^'^"'iöen, bem unfer
Zeitalter oerfiel; es gibt keinen, ber es nld)t ©Ott ft^ulblg märe,
mit belben ©önben jusugrelfen, roo Immer am 3Bege ein 9IIenf(^en»
leben ^ülflos oerblutet.
Stun erft fe^en mir beutllc^ ble tiefe Innere SBegle^ung bes
Seibens gu bem rellglöfen Urerlebnls. S)er ^roge^ bes Seibens
unb ble 3lusclnanberfcöung mit lt)m Ift ooUkommen In bles €r*
lebnls oerflod^ten. Ss gibt kein Selben, burd) bas nld)t Irgenb»
mlc bas 6cf)ulbgefü^l ^Inburc^glttert. 3Barum oerblrgt flc^ bas
Selben ber gangen Kreatur Inftlnktlo oor fremben klugen? QBorum
rourbc es In ©ergangenen gelten in ble SDüfte t)lnausgeftofeen,
unb roarum rolrb es ^eute mit boppelter Siebe umhegt? (Es flnb
bas nur oerfc^lebenc 3lcufeerungen bes gleichen ©runbgcfü^ls.
— 188 —
5)te gletdjen ©tablen flnbcn lüir Töteber bei ber Setbensentiütditung
rote beim ©diulbprogefe: Sas erftc Unbehagen, bas loitbe 6i(^»
fträubeit bes ^«^"'^Qßtts, bie Icmgfame Serfe^ung biefes ^Billcns
bis t)in gum ge^orfamen ©tauben: „9lidt|t mein, fonbern bein
QBtUe gefc^efie!"
Slber audEj oon ber anbcm ©eite f)er fef)en mir nun beutlii^
biefen Swfammentjang. 2tuc^ bie forttaufenbe €ntroiclilung bes
©(^ulbprogeffes, ben mir frül^er o^ne biefen ^ufötttmen^ang be«
f(f)rieben, ift unauftöslid) verknüpft mit bem Seiben. ^tms erfte
Borlaufenbe Unbehagen, bur«^ bas fid) bos auffc^mettenbe ©c^ulb*
gefütjl anfeünbigt, ift bereits ein Seiben. (Entmeber ift es begleitet
ober ^eröorgerufen bur(^ ein ©ct)mcrägefü^I, bas oon innen, aus
organifc^er ©törung, ober oon au^en, aus ©d^icfefatseinftüffen,
ftammen kann. ®ie erften 2Det)en ber QDiebergcburt finb immer
äuglei(^ mit einer ©törung bes bis ba^in unberoufet ba^inlaufenben
Sebensprogeffcs oerbunben. S)er ©djulbliampf Sut^ers mar keines*
roegs fo „innerlich", roie i^n bie S^eologen oft barpfteUen be=
lieben. €s roaren äufeere erfi^ütternbe (Ereigniffe unb innere or*
ganif(^e (Entroicklungsftörungen, mit benen er einfegte. 9Bie
^cä^miHe unb Xriebkultur für ben Sölenfc^en gang feft ineinanber«"
Ijängen, fo auc^ ©cf)ulb unb Seiben.
Slber biefe SBegie^ungen ge^cn nun weiter. 9li(f)t nur gel^t
bas fteigenbe ©d|ulbgefü^l mit einer roac^fcnben Sebensgerftörung
einher, fonbern aud) bas fc^ärfer jufaffenbe' Seiben *) ^olt mit
road^fenber Energie ben ftd} fträubenben 3ö)^cnf(f)en t)eraus. S)ie
©etbftbetrac^tung, ^tn* unb ^crfc^roanfeenb äroifc^cn ©elbftanfelage
unb ©elbftred)tfertigung, roirb bis giir ^cfiften ^ank^aftigkeit
gefteigert. S)ie fragen: „TOarum gerabc id)?" „^as foU mir
bas Seben?" „Wamm richtet ftd^ alles gegen mi(^?" roerbcn
burc^ bas Seiben erft gang ^erausgegerrt. ®s gibt kein Seiben,
bas nid^t oon f(^roerften ©etbftoorroürfen ober aud) oon fdirocrften
einklagen gegen bas ©(^ickfal, bie aber ber ©elbftred^tfertigung
bienen foEen, begleitet ift. S)as legte ©c^ulbftabium im ©leic^nis
oom oerlorenen ©ol)n ift ouc^ äugleid) bas legte ©tabium öufeerften
*) bos natürlid) alle formen annehmen kann, oon körperlid^er
^rank^elt bis ju aerftörten Sebens^offnungcn.
— 189 —
liör^jerllc^ett (gtcnbs. Sollte es ein 3^rtum fctti, anäune^mctt,
bofe eben btes äu^erfte feörperltd)e (£Ienb erft has oolle ©c^ülb-
gefü^I ausgelöft t)at?
9Iber btc 95cäiel)ungen reit^en no(^ roetter. ®er ©d^ulb*
kämpf tft ein 3lufIöfungsproäe§, ber fd)liefelic^ burc^ ben StuIIpunltt
bes S^^wJiÖßits in eine neue SBiUensbinbung hinüberführt. S)as
grofee Seiben, has burc^ bie 2BeIt gie^t, ift gamic^ts anberes.
etiler ©dimera beutet einen Bcrfe^ungsprojefe an. ^Ue ^ranfe^eit
ift eine burd) ben ^antpf ber Organismen tjeroorgerufenc '^iv
fe^ung unb Srfc^öpfung. 3Iber biefe ift nic^t bas ©nbgiel bes
.Kampfes. 5)iefes liegt oieImet)r in ber ^eraus^olung einer
ftörfeeren, gefidjcrtcren, gcfc^Ioffeneren fiebensenergie. 9Bas bie
Staturforfc^er ^tuslefe nennen, ift bies herausholen t)ö^erer fiebens"
potenten burd) ben ^ampf. ^m religiöfen Seben fpridit man
oom ©olb, bas bur(f)s ^euer geläutert wirb, ^m @d)ulbkampf
wirb ein nieberer 3BiIIe gerfegt, ooUenbs losgelöft, überrounben,
abgeftofeen, um einem pt)ercn ^Bitten ^laö 3U machen. ®ie im
Kampfe aufgebotene Energie ge^t als pofitioe ^ukunftsferaft in
bas neue ßebensftabium mit hinüber, ba^er bas ©efü^l ber ©e»»
nefung, ber 93efretung, ber ^reubtgfeett, roenn biefe ^raft, oom
Ueberioinbungskampf me^r unb metjr losgelöft, gang nac^ oor«
roärts roirfeen kann. Ueberrounbene ©d^ulb ift trog ber starben,
bie fie t)interläfet, immer oom ©efunb^eitsgefüf)! begleitet, bas
keineswegs nur bie 6eele, fonbern aud) ben Körper burr^flutet.
Ueberftanbene ^rankt)eit unb überrounbenes ©i^idifal finb immer
mit bem ©efü^I bes QBirkenmüffens für ein neues 3H ^^^ ®c*
bunbenfeins an eine neue 3lufgabe, ber oorroörtsfc^auenben SJcr*
pflid)tung oerbunben. 3^^^ ©enefung ift geroelt)t burd) einen
neuen ©ctjorfam unb burc^brungen oon einer neuen ^raft.
©c^ulb unb fieiben, Seiben unb 6c^ulb Rängen oiel enger
inetnanber als eine ^antifc^ « roeltfeme Spekulation bas jugebcn
roitt. §ier liegt aud^ ber tieffte ©runb bafür, ha^ }cbe erkannte
ober gefütjlte Sc^ulb i^re ©ü^ne im Seiben fud)t unb Jebe noc^
nid)t angegebene ©c^ulb attein burc^ bas Seiben pr Erkenntnis
geführt roirb. *) ©as finb 9laturäufamment)änge, bie roebcr ber
*) 9latürtld> nic^t bur«Jj ein mci^anifi^ ^crangebraditcs, fonbern
_ 19Ö —
^Jurlft ooli begrünben kann — man kann jtc ni(f)t burd) eine
Iogif{i)»mec£)antf(f)e 93etrac^tung begrünben — nocEj ber ^^tlofop^
je befetttgen wirb. Sie ftnb ha, unb bas Scben frf)afft fte immer
oon neuem.
33on ^ier aus rotrb aber aud^ erft bie grofec 9Baf)r{)ett oer*
ftänblt(^, bie burd) alle 9fleIigionen bunkter unb klarer ^inburc^*
gittert, ha^ es keine (grlöfung oon ber ®c^ulb o^ne
Seiben gibt. Sie i^re §aut blutig ri^enben 5)ern)ifc£)e unb
bas £):pfcrblut bes großen SJerfö^nungstages, bas Opfer ber
3p^igenie unb ber gekreugigte ©ottesfo^n geugen alle oon biefer
^a^rt)eit, oon ber bie 3Henfc^^eit bisher nidjt losgekommen ift,
unb oon ber fie, folange fie itjren mü^famen QUeg oufroörts
ge^en mufe, nid^t loskommen roirb. (£s gibt keine 93inbung an
ben eroigen ©diöpfer o^ne ben ©djmerg ber ©elbftauflöfung, es
gibt kein ^tnge^cn in bas ©ottesreicl) ofjne „oiel Seiben unb
^rübfal", es gibt kein Seben o^ne ben 5:ob.
Unübertreffllic^ ift ber fid) burd) bas Seiben ooUgielienbc
©rlöfungsproge^ in ber berütjmten Skala bes ^aulus (Slöm. 5)
befd^rieben: "2lus ber Slrübfal roädjft bas 6id)gebulben, ous ber
©ebulb bie 5Beroä{)rung, aus ber Seroä^rung bie Hoffnung, aus
ber Hoffnung ber geroiffe SSefi^. ^us bem fid^ fträubenben 3*^='
roillen roirb unter ber §onb bes Seibens langfam ber fid) beugenbc
5Biüe, aber bie mübc unb roillenlofe ^affioität unb 3lefignation
roanbelt fid) allmä^Iid) in bie aktioe ^raft einer neuen inneren
Sammlung unb fjeftigkeit, unb aus t^r roirb in ber gef)eimnis=»
ooEen ©tunbe bes llmfd)rounges eine neue, oorroärtsbrängenbe
^raft geboren, bie im SDienft eines neuen QKittens eine ^eilige
Wdt ber ^öoffnwng ftnbct. 9Bas oor{)er als lebensfeinblid^e
91tad)t anöefefjen roarb, roirb nun pr ftörkften 93inbung on ti^n
pi)crett ^Bitten, ber fd^on in ber ^erfefeung bes 5i<^roiUens burd^
bas Seiben roirkfam roar, roie nun rüdifd)auenb erkannt roirb.
©0 öffnen fi(^ bie 3:ore gu einem gang neuen Sinne bes Seibens.
nur burd) ein aus bem Scbcn ^erausgen)ad)fcncs Setben. ®ie 'Solta
bes SÜlittelalters ift eine oöUig oeraerrte, roenn aud) bie St^nung ber
9P3a^r^eit no(^ oerratenbc, ©pur bicfes gi^fQ^wten^angs. 5tbcr ift im
mobernen ©trafprojefe biefer 3ufammen^ang nic^t and) oft bis 5ur 93er>»
jerrung entfteUt?
l9l
S)er hinter i^m rotrkfame Sß^^ftötungsrotHe ertoeift ftd} nad)
ooUcnbcter Setfe^ungsarbett als ein neuer, leöenfc^ajfenber SBUle.
^nbent er ben 9Henf(i)en unter ®(i)nteräen unter bte tjö^ere 2BiIIens*
ntai^t grotngt: „fiafe btr an meiner (Bnabc genügen I", fdienfit er
it)m bie beglücRenbe Setlnatime an einer {)öt)eren fiebensfüHc:
„921 eine Äraft ift in ben 6d|n)0(^en ntäditig!" S^tttner bleiben
9lorben biefes ^ompfes nad), oft genug äufeerlii^ t)of|nungsIofc
SBrüdie. 5Iber eben fie roerben mit i^ren baucmb nac^roirkenben
©c^mergen gur ftärkften 93{nbung an bte tiefere, gefammeltere
3nnenttraft, ber bas Seiben bie 93a:^n bereitete. „Ob ou(^ ber
äußere 9Ilehfd) oerbirbt, fo roirb bod) ber innere oon Sage gu
Sage erneuert." 60 n)ä(i)ft aus bem Seiben tjeraus bie le^te
Äebensgeroifefieit als fefter SBefife: „2Dir roiffen, '\)a% benen, bie
©Ott lieben, alle S)inge gum 95eftcn bicnen." 3ft c^nwi^I ^^^
burd) bas Seiben fi(^ burc^fefeenbe ^ö^ere 93inbung ooUgogen,
bann kann fie nic^t roiebcr rückgängig gemacht werben. 6ic mu%
fid) immer roieber neu unb tiefer oolläie^en. 9^i(^t umfonft tritt
ber paulinifd^e ©rroätjtungsgebanke am Iilarften in bem Kapitel
auf (9flöm. 8), bas oon „biefer gcit Seiben" fpric^t.
Slur biefe oöllige SBerfc^mcIgung bes Seibens mit bem
©c^ulbproge^ roirb ber 9Ba^r^eit bes Sebens gered)t. ©s gibt
Ikeine ®rlöfung 00m Seiben o^ne bie (£rlöfung oon ber ©d^ulb,
unb es gibt fjeine (griöfung oon ber ©c^ulb o^ne Seiben. 3llle
<£rlöfung kommt nur burd) ben SBrüdj eines QBittens unb bie
©urd^fe^ung eines t)öl^eren ^Bittens juftanbe. QBer biefes gentrote
Erlebnis umgebt, kommt nie gu einer roa^ren Söfung ber Sebens-
fragen unb =»rätfcl. £)t)ne bas grofee ©tirb unb QBerbe om
3nnenpunkt ber €ntroicklung bleibt alte 3Ba^r^cit ©d^ein. „©Ott
ober bos ^t^»" i>icfc eine »Jrage fte^t auc^ im Seiben äur ®nt^
fc^eibung. 9Bie hinter hem ^djmiüm bie oerfprü^enbe Srleb*
kultur ba^ertobt, fo fteigt aus ber fammetnben ^raft bes Seibens
(Seroö^rung) ber ^eilige ©ottesroiüe empor. 3)ie ©p^äre ber
®elt ift bie losgelöftc „Suft", bie ©pt)äre ©ottes bas binbenbc
Seiben. *)
*) 2Btr braudjcn roo^t koum noc^ barauf ^tnäuroeifen, ba^, rote
für bas SJer^öItnis oon ber @(^ulb äum Seiben bie furiftlfdje, mit bem
me(^anif(^en Söergeltungsgcbanken arbettenbe, Setrat^tung gänälid) una«»
— 192 —
%in liegt eine gro^c 2tufgabc ber rcligtöfcn 95crltünbtgung,
btcfc, unb nur btefe Deutung bes Setbens in bie 2ßelt gu tragen,
^innieg mit ollen f(^n)ä(^lid^en Deutungen, bie bas fieiben er*
träglid^er, annehmbarer, ben menfd^Ii(^cn S^tereffen bienlic^er
ma(f)en, bie es mit einer nur aUgu menf(^Iid^ gebadeten „fiiebc
©ottes" „vereinbaren" motten! ©Ott braudjt feeine 9le(^tfertigung
für bas fieiben, bas er burd) bie 9DcIt gießen läfet. dts ift ha,
unb er roitt es, roeil er feinen QBiflen gegen ben 3d(|mißen burc^-
feöen mitt. S>er 2Jlenfct) aber foü nic^t beruhigt werben über bas
ficiben unb fid^ mit if)m abfinben. (Er foU bis ins 3"nerfte ha*
hutä) aufgepeitf(f)t roerben, ha^ er bie ©djulb empfinbe, bie
hinter attem fieiben liegt. ®r fott nic^t rechnen, roie meit ber
eingelne „perföntic^" fc^ulbig ift — bas ift ja nur ein 9HitteI ber
©elbftredjtfertigung ober ber bequemen 91ble^nung fremben
fieibens — , fonbern er foU feinen SRacfeen unter alles fieiben
beugen, bas in feinen ©efit^tsfereis tritt, bamit es i^n äum
^anbeln unb gur Umfee^r, gur (Erfeenntnis unb ileberroinbung bes
gottroibrigen QiBittens ä^oinge, ber burc^ attes Seiben offenbar roirb
unb niebergeroorfen roerben fott.
©as Seiben felbft ift 6(i)ulbprebigt, unb barum mufe attc
<prebigt über bas Seiben guerft 95erfeünbigung ber ©cl)ulb fein.
Unerbittlich mu§ aus bem ungeheuren Seiben, bas bie huxd) hm
^(^mitten ^eraufgefüljrte ^ataftropt)e über bie 933elt brachte, bie
gro^e ©efamtfd^ulb aufgeroicfen roerben, an ber ieber beteiligt
ift. 9ßie auffattenb roar bas, ba^ im QBeltferiege bie 6^utbfrage
nid^t äur 3lu^e feommen feonnte, fonbern immer roieber ^eife unb
Ieibenfd)aftlid^ aufroattte! S:^eologen roaren es, ausgerechnet
^^eologen, bie biefe nid^t ru^enbe 6d^ulbanfelage für eine 95er«»
irrung bes' menfd^lic^en ©eiftes l)iclten. 3^*^ tvdbt Sleatpolttlfe
länglich ift, fo aud) für bas Serpltnls »on (grtöfung unb Seiben bicfc
2lrt ber Betrachtung htm 2eben nidjt geredjt roerben ftann. 9lur rocr
ben biologifc^cn 3ufammen^ang ftc^t, fie^t bie 6a(^e. Sie furifttfdien
©rlöfungst^eorten, bie bie 6ünbc burd) ein abgcroogcnes 2lequioalent
von Seiben befeittgen (nidjt übcrroinben) rooüen, roerfcn für bk leben*
blgen Sufammen^änge ber Sebenscntroi&lung nichts ab unb können nur
in »erknödicrten Gpodjen als foffile SHcftbeftänbe öltcrcr lebcnsroa^rer
5lnf(^auungen fid) be^oupten. ^m nät^ften Slbfdjnitt muffen roir noc^
«Inmal barauf Burüdikommen.
— 193 —
unb öcrfcc^tct bas 9le<i|t ber ^erfönltc^&eit, ober bic croigcn ®e-
fcfee ber tncnfc^Iic^cn Statur kennt i^r ntd^t me^r, unb hit Stuf-
gabe, bic ©Ott eu(f| in bie ^änbe legte, oerroarfet it)r! QBcnn
bie S^eologen fc^roeigcn, bann werben bic ©tcinc fc^reien!
©(freien rocrben fie oon ber ungetieuren ©c^ulb, bie bie aUenfiJ^*
^eit auf il)re Schultern luh, als i^r oerlrrtcr 3BiQe fie in bies
nja^nfinnigc SHorbcn ^incinftic^, bas ben Körper ber lebenbigcn
©c^öpfung ©ottes bis in bie Gingeroeibe gerrife.
^reilicl) bie roirfetic^e ©c^utbprebigt wirb eine anbcrc
fein als bie bes fic^ ftröubcnben ^(i)miümB, ber nur an fein
perfön.ti(i)es ficiben badjte unb barum Iirampft|aft ben anbern
für fc^ulbig erlilärtc. 3)ie ©ünbenböclie sogen in Scharen über
bie ©ütjne ber QBeltgcfddici^te, bis man fie nit^t- met)r überfc^cn
konnte. QBas für eine ©erec^tiglieit lag in bicfer roadifenbcn
93crn)irrung unb Unüberfe^barfteit ber ©d^ulbfroge! S)er 3<^w'ißc,
ber -immer nai^ bem einen furf)t, auf ben er bie 35erantn)ortung
abroälgen kann, hamit er bann auf bem 9flut)cfeiffen ber eigenen
©erc(^tigkett ausrufjen könne, fanb biefen einen nid)t me^r.
5)cnn bie Sö^I ber ©(^ulbigen muctjs roie bie ^öpfe ber %r)hxa,
bis hinter biefer unübcrfe^baren 3at)I bie eine grofee ©efamtfd^ulb
fit^tbar mürbe, ber man nun gegroungen ins ^uge fe^en mufete.
2lls bas grofee Sßlutoergiefeen p ®nbe mar, ba mar au(^
bie ^raft bes ft(^ ftröubcnben ^c^roittens roeit^in gebrochen, unb
bie QtmatM am SBoben liegenbe Siefignation bcgonn bie grofee
©efamtfc^ulb gu a^nen, bic hinter bem furcfjtbaren ©efc^e^en lag.
9Bot)I ooUjic^t fic^ biefc UmftcUung bes QBiUens unb bic in i^r
fd)lummernbc Erkenntnis fe^r, fetjr langfam. örgamfc^e ^rogeffc
moUen Seit ^aben. Saufenbc ^at es gegeben unb roirb es geben,
bie it)ren SdjroiUcn bis gur oöUigen 95crbittcrung unb QScrftocfeung
behaupten, bie bis in bic ^^ontafien bes ^obeskampfcs oon ber
®(^ulb ber anbern rcben mcrbcn.
Slber mitten unter i^nen roerben bic SHcnfcfien erroac^cn,
bic bie grofee ^Bittensbeugung finbcn, auf bie alles ficiben teötlic^
f)inbrängt. 3Kit ber Erkenntnis ber großen 6c^ulb Toirb i^nen
auc^ bic ^raft gefc^cnkt roerben, fie anäucrkenncn unb fie ju
tragen. Es roirb awnödjft eine ftitte, gefammcite ^aft fein, bie
fic^ im ruhigen, anerkcnnenbcn Urteil unt in ber ®crcit|(i)aft, au
Ö. öettmann, ©roBftabt unb 9fleUgion. 3. ^ei(. 13
— 194 —
trogen, betüä^rt. 6c^on bas rotrb Teilung fein, biefc 3lut)e unb
btcfer fid^ beugenbc QBtEc gegenüber bem ®efd)e^en. Oßenn bas
lieber ber fietbenfcf)oft nac^Iöfet, ift bte ^raft ber ©efunbung int
3Inäuge. Unb biefe neue ^raft roirb aufftetgen, langfant unb un*
merklich, bie ©enefung roirb fic^ anbatjnen unb rairb ^eEer unb
geller ein neues fianb ber Hoffnung auffc^immern laffen, bis eines
^ages bie alles überftratjlenbe QKa^r^elt oufleuc^ten roirb: 5lUes
fieiben roar nur ein Surd^gang in ein neues Scben, in eine neue
gBiUensbinbung, in eine neue 3DeIt bes 2(ufftiegcs. 3)a roirb bie
^roft emporfteigen, bie ftärker, gefammcltcr, jtc^erer, unüberroinb»
lieber bie neue ^uliunft fd)affen roirb.
SlUcs fieiben ift äule^t ^rlöfung. 3n biefe t5ro^botf(f|aft
mu§ alle fieibensprebigt ausfetingen. 6ie ift bie einzig berechtigte,
aber aud^ bie roirlilid) burc^fc^Iagenbe 2t)eobicee. ®inen alten
^Dillen roitt es brechen, einem neuen roill es ben 2Beg bereiten.
3nbent es ä^rftört, roill es bauen; inbent es gerfefet, roill es
fantmcln. fieiben, ©(^nterg, ^ronfe^eit, Slob — biefe t)artcn ^cinbe
bes fiebens finb bocl) äule^t bie ftärkften 9näd)te bes ^^ortfi^rittes.
?llle SntroicRlung, bie roirlilid^ aufroärts fü^rt, ge^t burd) Seiben.
9Benn bie 9Henfd^en gefagt ^äben, ber ^rieg f)ai>^ eine frieblid)c
(gntroiclilung gu einer glücklichen gioilifation ber 9Ilenfc^en unter»
brod^en, fo t)aben fie etroas ^urgfic^tiges unb ^al\(i)ts gefagt.
©er ^rieg Ijat erft bie rolrklic^e SBeiterentroicklung ber 9Belt er-
ntöglid^t unb begrünbet, inbem er einen alten ^Dillen, ben ber
gerfegung unb bes ^obes, brac^, unb burc^ feine ^crftörung
einem neuen ^BiUen^ ben 3Beg bereitete: bem allein fd)öpferifdl|en,
bem alles burc^bringenbcn unb tragenben (öottesroillen.
®s ift bie königliche 2lufgabe ber 9fleligion, biefe QBa^r^eit
ni(^t nur gu oerkünbigen, fonbern praktifdt) in bie ^elt gu tragen.
6ie mufe im eingelnen bie Sc^ulb als anklagenbe unb oer»
nic^tenbe aitoc^t in bie 6cf|ulb als forbernbe unb fcl)affenbe ^raft
üerroanbeln. 5)iefe ungcl)eure ©efamtfc^ulb, bie bie Sölenfc^^eit
auf fiel) lub, kann nicl)t anbers überrounben roerben als burtf)
ben bleibenbcn OKillensbrang, binbenb, ^eilenb, fommelnb, gefunbenb
gu roirken. 2llles juriftifclie ©erebe oon SBieber^erfteHung, 3Bieber«
gutmac^ung, äußeren 93ürgfc^aften, alle rückroärtsfc^auenben ©ü^ne-
t^eorien können bie 6c^ulb nic^t befeltigcn. 6ie roill überhaupt
— 195 —
nlc^t befettigt, ftc rotH übcrrounben rocrben burc^ ctnen neuen
QDillen. Slefer ^rieg mufe eine neue fiebensric^tung ber QSötlier
unb ber cingelnen zeitigen, erft baburcf} gewinnt er feinen 6inn,
gewinnt er ben allein berechtigten 6inn. 9Bas für eine Wof)ltat,
ba^ ber ^ieg fo tief griff, ha'^ feine furchtbaren fieiben nic^t
oergeffcn rocrben Können, fonbern über bie 3öt)r^unberte nai^»
roirfeen muffen! €rft bohmd) roirb bas Seiben, bas er über bie
9Ilenf(f){)eit brachte, gunt bleibenben 3lnfporn, aur roirfilic^en (£r«
löfung. 91un roirb jebes fieiben, bas irgenbroo im 2Bege fid;
krümmt, ^ur Erinnerung an bie ©efamtfc^ulb, gur äroingenben
^raft, äu Reifen unb ju feilen. 5)ie Stot, bie in ben ©rofeftäbtcn
fid) an einjelnen 'ißunfiten fammelte, mufete erft ^ur ©efamtnot
werben, um ben ©efamtroillen gu roedien, fie angupacfeen. 6onft
roaren es einäetne, bie in biefes 92leer oon 9Xot fii^ ^inabroagten,
bie anbern ftümiten in roilbem ©enujgbrange bat)in, o{)ne jid)
barum gu feümmern. 3^0^ wtuft bas ©efamtleben fictj auf biefe Stot
einftellen. Sinn kann feeiner me^r i^rer 'goibcrung entrinnen. Stun
kann bie 9Iot roirklid^ geseilt werben. 6ie ^at aufgehört, i^ren tjoff«
nungsipfen Charakter gu oerlieren, feitbem fie äur 3lngelegen:^cit
ber ©efamt^eit rourbe. Sie ?lot ift bie (Erlöferin ber 9Iot geroorben.
5)ie 2Kenf(i)en, bie bie 9leIigion um it)rc 2Da^r^eit fammelt,
muffen burc^ bie Slot unb i^re furchtbare 6c^ulbanklage ^inbure^«
gegangen fein, um aus i^r bie bleibenbe ^aft bes Reifens unb
Teilens gu gießen. Qfleligib'fe ®emeinfd)aften, bie nur 6ünben-
unb (grlöfungsgefü^Ie roecken unb über bas fieiben t)inn)egtröften,
ijabm kein Qflcctjt auf biefen Flamen. Stur rao bie ©t^utbprebigt
unmittelbar gur fci)affenben S:at ber Teilung, ©ammtung, 2Bittens=«
binbung wirb, ift bie ©tätte ber 9fleIigion. S)ie roirkttc^e ^reuä-
gemeinbe ift immer eine ^elfergemeinbc geroefen. ?lur bas Setben
unb feine unerbittUc£)e ©(^ulbanklage fc^afft fo^iale 93inbung.
5lUe anbern foäialen ©inbungen — Sntß^cffßnQentßi^fdlcift. SSoIks«
gemeinfc^aft, ^ultgemeinfc^aft — t)aben nic^t ben legten Mtt ge«
funben, roenn i^nen bie ?lot unb bie baraus erroac^enbe 95er=»
pflic^tung fet)lt. 0lur bas oergoffene 95Iut unb bas gum §immet
emporrufcnbe Seiben binbet, altes anbcre gerftreut. SHur burc^
bas Seiben kommt auc^ im foäialen Seben bie Erlöfung. S)arauf
muffen mir jegt nod^ ausführlicher einget)cn.
13*
2. ©teßDcrtrctenbes Setben.
S)ic ©ctolfe^elt bcr ertöfcnbcn ^roft bcs ficlbens ^at immer
im 9HitteIpunfetc bcr c^riftlic^en ^ircfjc geftanbcn. 3Iuc^ barin
^ot bicfe bie 2Do^r^eit treulich gehütet, ha^ fie bis auf oer-
fc^roinbcnbc (£po(i)en i^rcr ©cfci)iji)te, bic in ^offnungslofen
Snbioibualismus oerfuniien waren, bie tieffte unb im eigentlichen
©inne crlöfenbe ^raft bem ftclloertretenben Seiben sufrfjrieb. ©as
©efü^t bafür, ba^ bas 53. Kapitel bes aweiten 3efaia ber
Kulminationspunkt ber 3fletigion bes alten ^eftomentes fei, unb
bie centrale ©tettung bes Kreujes (£t)rifti finb it)r nie gang uer-
loren gegangen. Um biefen 9HitteIpunfet f)Q.t fid) roo^l immer
roicber bld)tes ©emölk ^erumgelagert, ©ebankengefpinfte, bie bie
einfache Klarheit ber innerften 2Bat)rt)eit oerbedkten, ^errfdiafts*
gelüfte, bie aus it)x an 6teUe ber Kraft bes felbftlofen ©ienftes
bie roeltlid^fteit 2lnfprü(i)e ableiteten, Oberfläd^enornamentili, bie
i^rc ^erbe, lebenumfdjaffenbe Kraft in fc^roebenbe ©efü^le auflöfte.
3lber bur(^ bie btd)teften QBolken fi^immert bocl) bie einmal auf-
gegangene 9Da^rl)eit immer nod) ^inburc^. Sas QBort oom'Kreuä,
fo oiet es auc^ entftetlt unb mifebrauc^t roorbcn ift, ^at bis ^cute
nit^t fterben können.
5)as mar barum fo roiditig, roeil baburt^ bie inbioibua-
liftif(^e 95etrac^tung bes fieibens, bie aEen ©egenerationsepod^en
bcs rcligiöfcn Sebens cigentümlid^ ift, ein mc^r ober minber
mirkfames ©cgengeroid^t crt)ielt. 5)ic 2^eobiceeoerfu(^e, in bereu
^intergrunbc immer bie iJ^öge fielen bleibt: „2Darum mufe idi
leiben?", bic nic^t jur 5lnerkennung ber ©c^ulb unb ber ©efamt-
fc^ulb ^inburc^bringen, bie fid) ^öc^ftens gu einer bas Seiben als
fog. ^rgie^ungs" unb Säutcrungsmittel -für ben cinselnen be»
trac^tenben 3lnfc^auung emporfc^roingen, roirken burc^rocg noc^
ftärker inbioibualifierenb als bie ij^age fc^on mar, oon ber fie
— 197 —
ausgingen. 6d)ltcfeltrf) ge^t aus it)ncn immer etroos roie ftoifd^c
SRefignation, Unnaf)f)arfeelt unb SDürbe ^eroor, ble fic^ fctbft fcl)r
micfjtig oorKommt, aber für ble 9Henfc^^ctt nichts abroirft. ^cr
fecnntc mä)t bic burc^ bas fieibcn „gereiften" Sloturen, bie „mit
ber 3BeIt fertig finb", weil fie in fcelifc^cr 6clbftbctrad)tung unb
J^immlifc^en Hoffnungen ben (£rfaö fanben für has, roas i^ncn
bas fieben oerfagte! 6ie verlangen nichts mc^r oom Scbcn —
nur ha^ man fie gelegentlid) berounbemb ober bemiticibenb be-
trachtet unb i^re „innere ©röfee" anerkennt — , ober fie ^aben
aud) nicf)ts met)r für bas Scbcn übrig. 5)iefe (Elnfieblcr ber 9Düftc,
bic es immer fo cingurid^ten miffen, bofe fie bod^ no^ oon pilgern
„gefunben" roerben, ^ot es natürltt^ auf bem 95oben ber d^rlft-
licden ^rc^c bis in bic neueftc Seit maffen^aft gegeben, rocil es
in i^r immer roicbcrlicl^rcnbe Spodjcn inbioibualiftifc^cn SBcrfaUs
gab. Sic marcn auc^ „^reugträger", aber fie trugen bas ^rcus
i^rcs eigenen 3<^i i>as nic^t fterben rooUte, nic^t bos bes 9ncnf(^cn*
fo^nes, ber gerabe für bicfc 3<^nöt"'^cn geftorben mar, um auc^
fie in feinen (griöfungstob ^ineinäuäic^en.
S)iefc Staturen treten ha befonbers ^öüfig ouf, too bas 3Bort
oom'^cuä, b. ^. oom fteUocrtrctenbcn (Erlöfungsleibcn,] in bic
Grftarrung übergegangen ift unb barum feine tebenbige OBirkungs"
l^raft ocrioren ^at. S)cr gange 95au ber liat^olifd^en ^rc^c ift
im ©runbe nichts anbcres als bic gur ©aljfäule erftarrte SBabr-
^cit oom Äreuäc. S)arum ocrfolgcn fie biefe in ^offnungslofc
©clbftbetrad^tung oerfunfecnen ficibensnaturen roie eine fd)Iei(^cnbc
^ranli^eit. 3)er erftante ^eitsapparat unb bic inbioibualiftifdic
^lofterftimmung geljörcn gueinanber roie ber ^djß^oiüi unb bic
tectinifdic ©rftarrung. ®ie eoangettfc^cn Äirc^en t)abcn bie Ccr»
ftarrung bes QBortes oom Ärcug ein roenig gelöft unb ins ©ciftlgc
^inübergefü^rt, aber bic „^cttstatfac^c" aud) noc^ nid)t in ein
lebenbiges ®cfcfe oerroanbelt. S)arum fc^Ieic^cn aud^ in i^r bic
auf fic^ felbft äurücfegegogencn Vertreter bes „fieibcns (£^rifti"
um^er roie bie ©efpcnftcr ber ^infternis. S)ie roirfelic^ erlöfenbc
^raft bes fieibcns tritt nur als uncrmüblic^ fc^affenbc, fic^ fclbft
im ^anbeln oeräc^renbc Sat für anbere in bie 2Bir6lic^lieit. *)
*) 5)a6 fic^ bic 3lcligion ber „§cllstatfad)cn« um blcfe roirWic^
— 198 ~
S)Q5 roirIlUcJ) crlöfcnbc fietben fctjofft nöntlic^ ©Inbung, nid)t
fipöIöfuTtg unb Sßereinfamung. ®5 rottt ben ^c^rolüen bre(^cn
unb eingltebern, rnc^t bIo§ in ^immltfc^e ©paaren ert)cbcn. ©s
roill bem ©ottesreic^ bte 95a^n bereiten, nic^t einem oergeiftigten
(ggoismus. i5ül^rt es nur 3um getröfteten unb befeligtcn Cigen*
willen, bonn ift es ouf falbem QBege fielen geblieben unb cor
bem entf(i)eibenben Umfd^roungspunfete ausgebogen. €s roiU ben
92tenfd)en burd) bos enge ^or bes ©tirb unb QBerbe ftofeen. (Es
roitt aus bem fterbenbcn (gigenmillen ben lebenf(^affenbcn 3BiIIen
für anbere ma(i)en. (£s mill aus ber ^ülflofigkeit bie ^raft bes
Reifens herausholen, ©os aber ifeonn bas Setben nie, roenn es
als „Problem ber (Einäeljeele" auftritt. 2IIs fd^mergooUes Ölätfel
bes perjönlid^en fiebens bleibt es eroig unfrud)tbar. '2tus biefem
6tabium mu§ es roeiter geführt roerben äu bem anfelagcnbcn
©rf)ulbgefüt)l. 3lus ber 6elbftbet)auptung ber „®eele" gegen bas
Setben thufe bie 95erni(i)tung bes ^c^^^^fc^^n burd) bas Seiben
roerben. .^ttiter it)m mufe erft bie oernid)tenbe unb oorroärts»
treibenbe ©efamtf(^ulb fid)tbar werben. §ter gewinnt bas ©efe^
bes ftelloertretenben Seibens feine eroig gültige 93ebcutung. ®enn
tatfäd^licl) kann bas Seiben garniert in ber ©p^äre bes Singet*
lebens begriffen roerben. §ier bleibt es eroig ein Slätfel, unb alle
^iobsreben unb S^^eobiceefpefeulationen können i^m t)ier keinen
„©inn" oerfctjoffen. ©ie ©innlofiglieit im (£in3eEeben ift aber ber
ftäriifte ^inroeis auf feinen ©inn für bas ©efamtteben. 3)a ift
es erft in feiner ridjtigen ©p^öre. 9Ißes Seiben, bas burc^ bie
QBelt äiet)t, roeift unerbittlict) über ben 3"bioibuaIismus in ben
foäialen ^ufornmen^ang hinaus, otelteic^t ber ftärltftc, jebenfads
ber füt)Ibarfte unb unausroeidjüc^fte 33eroeis für bie Un^altbarlieit
ber inbioibualiftif(^en Scbensanfct)auung.
€s ift . notroenbig, bas ©efeg bes ftelloertretenben Seibens
in bem großen 3ufa^"iitent)ange gu fe{)en, ber aUe Sebensentroidi»
lung burc^5iet)t. ©oroeit bas Seben rcid)t, ^crrft^t bas groingcnbc
erlöfenbe ^raft bes Seibens fe^r gcfd)t*t ^erumgebrüdit ^at, inbem fic in
ber 93ergangen^eit als einmal ooUgogen oorfteüte, loas nur in ber leben*
btgen ©egenroart rotrkfam fein kann, t)at uns fd)on früher bef(^äftigt.
5)ie „?tnctgnung burd) ben ©tauben" ^at Icibex nur redjt fekunbäre unb
inbtüibuoliftifdje 2Btrfeungcn geäcitigt.
— 199 —
gnitetnanber, ^uscinanbcr unb i^ürclnonbcr. Gs gibt in bcr
6d)öpfung ©ottes feetn ifolicrtes, in fid) abgcfdiloffenes 5)ofcin.
Wie bos ©cfeg ber Urfodje unb QBirfeung bic — fc^einbar —
tote fog. onorganifc^e 9BeIt burc^gictit, fobafe es fic^ überall nur
um eine Sßerroanblung oon Energien, um ein 3iißi"önberüber=»
ge^en ober i^üreinanbcreintreten ^anbelt, fo bet)errj[d)t erft red)t
bies ©efeö bie urfprünglid^erc fog. organifdie 2DeIt, oon ber jene
im ©runbe nur einen 9lbleger, eine fc^einbar abgeftofeene, in einen
geroiffen oerfeftigten Slu^eguftanb übergegongene ©eite barfteßt.
Stiles organifdje Qebm ift ein einziges großes Sluseinonbenoerben,
ein (gntroiÄlungsprogefe, in bem roac^stümlidi bas Sleuc aus bem
Otiten :^erDorget)t unb bas Stite firf) fterbenb einem neuen 2Berbcn
Eingibt, ^n biefem ^rogefe mufe bos ®ine ftd^ bem Slnbern
opfern, mu^ bas Seben fid) felbft oerlieren, um in einem bleuen
roieberaufäuerftet)en. S)as ©cfe^ bes Opfers ift ein ©efe^ bes
fiebens, bem kein Singelglicb entrinnt, aud) wenn es fid) nod) fo
fe^r fträubt. 3Btc bic fogenannte anorgonifc^e SHoterie 3ur
9Ial)rung für bie ^flanje wirb, fo roirb biefe roieber ber 9läf)r-
ftoff für bas ^ö^ere animalifd^e fieben, fo mufe biefes röieber einer
meiter auffteigenben ^ntroidilung bienen bis hinauf jum 9Kenf(^en,
ber roieberum gegroungen ift, fi(^ einem pt)eren QBerben, bem
©ottesrei(^, gu opfern. Ueberfd)auen mir bas ©ange ber €nt-
roidilung, fo fe^en mir, ba^ bies ©efeg einem fii^ langfam ooU-
giefjenben Slufftieg bient. ®o graufam es im eingclnen ouftritt,
fo gütig unb göttlich ift fein lefeter 6inn. gnbem ein ©efc^öpf
bem anbern fterbenb bient, bient es gugleid} bem ®c^öpfcr unb
feinem Pieren fiebensjiele.
95on biefem ©efc^ bes ^üreinanberlebcns ber ©ef(^öpfe ift
bas ftcUoertretenbe Seiben nur eine befonbere 6eite, bie allerbings
merkroürbig genug ift, um fie gunäc^ft oon bem Urgefe^ fc^arf
8u unterfc^eiben. Satfäc^Iic^ bringt fie auc^ ben ©ebanlicn bes
Opfers bes einen ©efc^öpfes für bas anbere gum Slusbrudi, aber
aunäc^ft nur in einer abgefd)n)ftd)ten ©eftalt, bie fic^ bei näljerem
gufe^en fogar oIs eine ^luc^t oor bem Urgefe^ erroeift. S)ic
^luc^t oor bem ©efefe bes Opfers be^errfc^t weithin bas Sieben.
S)ie unberoufete 9tatur get)ord)t i^m fdjroeigenb. ©ie ift fertig mit
bem Äampf, ben auc^ fie gegen unb um bies ©efefe ^at burc^-
— 200 —
feftmpfen muffen. 91ur ^Icr unb ha bitten noc^ bte ©puren
btefes Kampfes beutltc^ auf. *) 3c ^öf)er man ^tnaufftetgt auf
ber 6tufenletter bes QBerbens, befto ftärker fefet bas 6tc^fträuben
gegen btes ©runbgefefe ein. S)te ^öljere 9latur tft eben noc^ im
Kampfe, im QBerben. ©er ,^ampf ums 5)afein" ber feufgenben
Kreatur ift bie erfc^üttembe 3lufeenfeite biefes fc^mergtic^en ©tct)«
beugens unter bas ©runbgefe^ bes fiebens. 2Die fträubt fic^ ber
burcf) altes Sebenbige I)inburc^äitternbe ^c^^^iUe gegen bies ©e*
opfertroerben! 2lm ftärkften aber fträubt fic^ gegen bies ©efeg
ber Smenfc^. (£r mitl er felbft fein. €r plt fic^ für bie ^one
ber 6d)öpfung unb ift es aud), roenn er auf bie ©efamt^eit ber
übrigen ©efc^öpfe fie^t. Sie alle muffen bienenb für fein fieben
leiben. '2lber er felbft ift hoä) aud) ni(^t ^rone, fonbern nur ein
©tein in ifjr, ber bet)auen unb gefc^liffen wirb. 9(u(f) il)m wirb
bas ©i(^fetbftoerlieren nid)t erfpart, benn aud) über i^m ftet)t ein
P^erer 9BiUe, bem er bienen mufe als Opfer. 3lber er fielet no(^
am anfange ber ^luseinanberfegung mit biefem ©efeg. ®r fui^t
U)m, reo er kann, gu entrinnen. €r fie^t noc^ ni(^t feinen legten
göttli(^en ©inn. ®r fül)lt bas oQes geroife, aber er ^at fid^
felbft no(^ ni(^t enbgültig barunter gebeugt; er oerfu(^t il|m no(^
burc^ ^Iblenfeung unb ^Ibga^tung gu entgegen.
S)arum f^at er bem ©efe^ bes Opfers eine abgefc^roäc^te,
für il)n felbft leichtere ^orm gegeben, dt t)at es burd) ben ©tell-
oertretungsgebanken entlaftet. ^ür i^n, an feiner ©teile tritt ein
anberes fieben ein, bas bem großen ©efe^, beffen gur ^errfc^aft
brängenbe ^aft er fü^tt, ©enüg« leiften foll. 2Do immer in
ben Qfleligionen bas Opfer, bas ber Sßlenfi^ ber ©ott^eit bar-
bringt, auftritt, ^at es gunäc^ft biefen ©inn. **) €s ift eine ^luc^t
*) 3lodi äittert burcfj feben djctntfc^en Urnnjanblungsprojcfe bie
ft(^ fträubenbe unb bann plöölid; in bas SHeuc tjtnübcrfc^lcfecnbc Slnfangs«
fpannung ^inburd). ®te ©rfdieinungen bes status nascendi finb eine
ge^eimnisöolle 935clt für fid). Sflod) krümmt ftdj unb knirfc^t bas gefällte
Qoli, roenn es ber glammc anheimfällt. 9P3cr bie „tote" Statur mit
Icbcnbigen Slugcn anficht, ber fü^lt aud) in i^r nodj bas „Scufaen"
ber Kreatur.
*•) 5)as ift gegen 9flttfd)l unb aUe feine Sdjülcr, bie bem Opfer,
aumal im Stlten Seftament, eine abgeft^roädjte 93cbcutung unterfd)ieben
njollen, feftju^alten.
201
oor bcm erotgen ©efe^c, tnbem es tt)m teilraelfe geljordjt. 3)er
9ncnf(f| f)ot nlc^t gcfport mit feinen ^efeatombcn, um ben QBillen
ber ©ott^eit aufrieben gu ftellen. (Er f)at feine Kriegsbeute, feine
§erbentiere, feine ^elbfrüi^te, feine eigenen Kinber Eingegeben, um
bas oon il^m erfc^recfeenb geat)nte ©efefe gu erfütten. S)ie ©e»
fc^idjte biefes Söcrfudis, bem götttid)en ©efe^ gerecht gu werben,
Ift eine grofee ^ragöbie, bie barum fo fcf)merälid) mar, weit fie
nie 3um giele führen feonnte. 5ttte Opferreligionen — gu benen
mir aud) bic gum ftettocrtretenben Opfer im obigen 6inne gurüöi«
greifenben formen bes (£t)riftentums rechnen muffen — finb
burd^gittert oon einer unüberrounbenen 3Ingft, roeil fie über ben
legten 5lbgrunb nidjt ^inüberge^ommcn finb. (£rft als ber (£ine
kam, ber bie unbebingte Eingabe nict)t nur lehrte, *) fonbern fi(^
auc^ felbft roiUig bem ©efege beugte „Ms gum Söbe", ha mar
bie ?Ingft übermunben, bie alle anbern ^Religionen liennäeit^net.
Snic^t umfonft fte^t im ^Htttetpunfit ber Frömmigkeit bes jungen
efjriftcntums hie fcelifc^e 'S:at]a<i)e, ha% bas Opfer ef)rifti bie
^ux6)t übermunben f)abe. 3" i>ßi ^öt maren burdt) bies eine
Opfer oUe anbern entroertet unb überholt, raett es fetar unb un=»
mifeoerftänbIi(^ bas eine ©efeg erfüllt ^otte, bas atte anbern gu
erfüllen unb bem fie boc^ gu entfliegen fut^ten. 5)te SBetrad^tung
bes ^ebröerbriefes, obn)ol)t f)elleniftif(^ «= bofetrinör, trifft bodi ben
Kernpunfet ber ©at^e.
§reilid| ift mit biefem erftmatigen ootten ©efjorfam bas ©e=?
feg keineswegs f(^on enbgültig gur §errf(^aft gclongt. ^lad) ber
©eneration, bie noä) bemüht unb freubig mit (S^rifto ftarb, kamen
balb ungegö^tte ©encrationen, bie i^n im ftclloertrctenben ©inne
ber alten Opferreligionen für fi(^, b. E. an i^rer ©teile ge=»
ftorben fein liefen, um felbft biefem gerben ©efege gu entrinnen
unb boc^ bas ©efü^l gu ^aben, il)m gerecht geworben gu fein.
t5ür bie S^^rtaufenbe ift biefc erftc ©et)orfamstat gum '^uflud^tS"
ort für ben noc^ lange nic^t ü&crrounbenen, nadi ©tellocrtrctung
ausfdjauenben flü(^tenben ^d^miüm geworben. 3lus ber wirk«
*) SIBtc fie f^on im Slltcn S;cftamcnt gelcf)rt worben war.
„SBarm^cräigkctt — bas ift bodj bie tnnerfte ©etbft^ingabc — will id),
unb nid^t Opfer." Sie gaffung Samuels: „©e^orfam ift beffer benn
Opfer" trifft bicfclbe ©ac^c.
— 202 —
Itc^cn Ärcusgcmclnbe, ble noc^ «Paulus, bcr „mit Ctirlfto ©c»
kreuzigte", äu fc^affcn gcfuc^t ^attc, rourbe balb bte ^rcuggcmetnbe,
btc bas „9Bort üom ^reu^e" in immer f)öf)eren ^önen ocrkünbcte,
es in Itultifdien formen barftellte, bic eine ©c^orfamstat fogat
immer oor bcn klugen ber Sötenfdien roicberl)0lte, aber nitiit me^r
bie ^raft ^atte, fie nac^äuteben. 0ie lebte nic^t me^r in i^r,
fonbern nur no(^ t)on it)r, b. f). auf il)re Soften.
S)ie ^ntroicälung pm täglich raiebcr^ottcn unblutigen Opfer
in ber 9Ileffe, bas fteEoertretcnb neben bas Seben trat, bis ^in
5U bem ooUen ©t)ftem ber t)om ©tellöertretungsgebanfeen bc-
t)errfc^ten QBerkfrömmigfeeit, bie fcfjliefetict) bem 9Henf(f|en für ©clb
alles abnahm, tft bekannt. 9Hit bem . alten ^eibnifct)en ©tell-
oertrctungsgebanfeen ftet)t unb fällt bie ganje römifc^e ^rc^c.
fintier ^at fein alles überroudiernbes ©eranfe gurückgefc^nitten.
(£t liefe nur noc^ einen ftettoertrctenben 9Hittler groifc^en ©ott
unb ben 9ncnfcl)en gelten: (£t)riftu6. 3lbcr bas alte ©c^ema
lag i^m bocl) gu tief öon bcr 93crgangenl)eit t)er im SBlute, als
bas er es cnbgültig ^ötte überroinben können. Sie ©e^orfams»
tat S^rifti mar unb blieb aud^ für it)n bic ficiftung, bic er an
6 teile bcr 93Ienfc^cn ooUbrac^t ^atte. S)cr ©laubc getröftct fic^
biefer ficiftung, bereu in fic^ t)ineinän)ingenbc ^raft er nur ^alb
äu iljrcm SRcc^tc kommen liefe. *) Sem „für euct|" blieb auc^
bei i^m bie le^te 2:tefc ocrfc^loffen. (Er f|at bic in il)m fc^lum»
mernbe gur Eingabe fortreifecnbc ^raft roo^l gefüllt unb ^ier
unb ha roirklid) gur ©cltung gebracht, aber be^errft^cnb blieb i^m
gegenüber ber rein t)inne^mcnbc ©laubc, ber baburi^ feiig rocrben
rooUte. (Es forbcrte bei i^m roo^l „eitel gläubige ^ergcn", bas
glü^cnb willige ^erg blieb im ^intergrunbe.
(Es ift bekannt, rote biefc 2luffaffung bcs ftcHocrtrctcnbcn
fieibcns ©tjrifti. in ber eoangelifdicn ^ir(^e bie tjcrrfd^cnbe ge»
blieben ift. ©ic ©ctjorfamstat ef|rif|i blieb bic ficiftung, bic
crfc^cn foUte, roas bie SHcnfc^en nic^t Iciftcn können unb
motten, ©arum ift bie coangelifc^c ^irc^c immer bic ^irc^c
bcs paffioen, bcfcligenben ©laubens geroefen unb gur fc^affcnben
Zat nic^t fjinburc^gcbrungcn, roetl i^r bic oorroärts bröngenbc.
•) SJergl. bcn ^Ibfc^nitt: „©taube unb aBetk«.«
203
fc^öpferlfc^e ©clte bes fteHocrtrctenben ficibcns nie gang auf*
gegangen ift.
^tcr mu§ nun mit aller ©c^örfe gefagt roerben, ba% ber
alte ©tettoertcetungsgebanfee, ber bem 92lenf(^en irgenb ctroas
abnehmen will, ber i^m bie 93eugung unter bas Icfete gtofee
fiebensgefe^ bes unbebingten Opfers für einen p^eren fiebens*
roitlen erfparen ober erleiditern ntöd)te, ft^Iet^terbings 5u oer-
roerfcn unb gu bekämpfen ift. ©olange bas „für bi(^" ben ©inn
behält: „an beiner ©teile", mirft es bie Qfleligion immer auf bie
©tufe ber alten Opferreligionen äurüdt. 3)ic ©runbftimmung ber
'5urd)t unb llnfid)er^eil ift noi^ nirgenb überrounben roorben, roo
bie 9nenf(^en auf irgenbeine noc^ fo feine QBeife bem Sebens«
gefe^ ber oöHigen Eingabe gu entrinnen fudjten. . Stur bie oöUige
fiiebe (b. f). Eingabe) treibt bie ^md^t aus. 2Bas für ^rüd)te
bas '2Ibf(^ieben biefes ©efefecs auf (£t)riftus geitigen kann, ift fdjon
früher oon uns berührt roorben. *) S)ie ^reuggemeinbc, bie
et)riftus für fiif) leiben läfet, um in ©eligfteitsgefü^Ien gu f(^roclgen,
babci aber alle Qlngeidien eines ^odjmütig fi(^ abf(i)Iiefeenbcn 3^*
bioibualismus bis ^in gum Kraffeften Egoismus an fiel) trögt,
kann als undiriftlii^ ni(^t fc^arf genug gegeißelt roerben. Sticht
bie QBerfee geigen bie <£rlöfung an, root)I aber ber umgefd^affene
5BilIe. 2Bo aber ber alte ©teUoertretungsgebanfee nod^ irgenb*
roie nadiroirfet, ift nod) niemals ein ungebroctjener SBille fogioler
Eingabe gu finben geroefen. SHoc^ f)eute fiauft man feine bie
innerfte Eingabe forbernbe fogiale 95erpfli(f)tung mit einmaligen
möglict)ft bequemen „Opfern" los. 9locf) ^eute ftellt mon ©eferetäre
unb ©efct)äftsfü^rer an, bie eine (^riftli(^e ©ad)e „oertreten" foHen,
unb glaubt in i^ren ^önben bie ©adje gut oufgctjoben. QBo
immer biefer ©ebanfee ber ©telloertretung in bie d)riftli(^e 3leligion
^ineinfpielt, roirb man i^n unerbittlid) aufs ^auptf erlagen muffen.**)
5)enn es Itann au(^ deinem leifen Swßifel unterliegen, ha^
*) 93crgl. ©eltc 37.
**) 9lirf)t unerroätint rooUcn totr laffen, bafe biefer alte 6tell*
ocrtretungsgebonke, ber ben S^tereffen bes fid) flräubcnben SdjwiHcns
btent, immer gefcgl{cl)*iuriftifcf)e '^oxmtn angenommen f)ot. Sie einanber
roürbigcn ©cfc^roiftcr, 3d)n)ittc unb gcfeölii^e ©rftarruug, finben fid) eben
immer gufammen.
— 204 —
er mtt 3efu SebensanfcEiauung unbebingt unoereinbar Ift. Z^\u6 l^at
burd) fein ficben unb ®tcrbcn attes anbere rooUett, als „an ©tcUe"
ber aitenfc^en etroas leiften. 5lu5 jebent fetner 5Dorte leuchtet fo
unbebtngt bie allen geltcnbc ^orbemng ber Eingabe Iieraus,
ha^ es ^ie^e, tt)ren anbrtngenben Srnft brechen, roenn man it)m
ctne boppelte ötttltdjfieit äufcfjretben lüoQte, unb roörc es oudj
nur, um fein Seben unb bas Oefe^, bem es ge^ord^te, oon bem
fieben ber 9Ilenfd)en gu trennen. 5)er unbeblngte S)ienft ©ottes,
ben fein fieben unb fein 3I5ort uerlfeünblgte, galt ausnat)mslo6
aUcn, erft red)t bas le^te ©runbgefeö, mit bem fein Sebcn ftet)t
unb fällt. QBo^l kannte feeiner wie er bie ®d^n)ä(f)en ber QHenfd^en,
aber fie ^oben ben aügemeingültigen (£l)arafeter bes oon i^m oer»
tretenen fiebensgefc^es nidjt auf. „5)er 3ünger ift nidit über
feinen QKeiftcr, no(^ ber ^ne(i)t über ben §errn", mirb gcrabe in
95eäug auf bie „£eibcnserfal)rungen" unb g^ar in bem ©inne
gefagt, ba^ ber 3^9^^ es nic^t beffer ^aben foU als ber Slleifter,
unb ber ^edit bie gleichen, oiettei(i)t gar fc^limmere (Erfahrungen
mad^en foll als ber §err. 5)ie ®ef(^i(^te oon ben beiben Se^ebäus»
fö^nen bringt bas befonbers klar gum 3lusbru(t. (Er kennt bie
6(f)n)ä(f)e ber beiben, „^önnt ii^r hen ^dä) trinken?" 3tber
keinen 2lugenbliöi gaubert er, bie ©ültigkeit feines t)erben 5)ienft='
gcfe^es auf fie anguroenben: „'^f)x werbet ben ^eld^ trinken."
S)as QBort oon bem unbebingten Sienfte, ber i^n unb feine
jünger t)on ber 2Belt trennt, folgt unmittelbar. „5)enn — bies
,benn" mac^t- alle 95erfu(i)e, bie (Erlöfungstat S^fu t)on ber QSer««
pflidjtung feiner ^^uger gu trennen, junic^te — au (^ bes 9Henfc^en
6o^n ift nidjt gekommen, bo^ er fi(f| bienen loffe, fonbern ha^
er biene, unb gebe fein fieben als ein Söfegelb für oiele."
9Iun fd)eint freitid| gerabe bies 95ilb oom fioskaufgelb
(Xuxpov dvti TcoXXöw) ben ©tetloertretungsgebanken ber alten Dpfer»
religionen roieber einzuführen. 3lber bie Formulierung ift 3um
minbeften unfi(^er. 3I3er roitt l)ier ^ben urfprüngli(^en QBorttaut
in ber 6pracl)e ^ßfu ausmad)en? 6cl)on SHatt^öus bringt bie
aktioe '^otm: gur (Erlöfung (dTroXyiptoati;) für oiele, Sukas t)at
biefen ^n^angfafe überhaupt nic^t. 5luc^ ber 3lbenbmo^lsbcric^t
bes SHarkus, an ben mir uns als ben relatio urfprünglid^ftcn gu
galten ^aben, kennt nur „bas ®lut bes neuen SBunbcs, bas für
205
oielc oergoffen toirb", bas oon einem obne^ntenben StcHoertrctungs*
gebanfeen ntdjts oerröt, *) fotibern, tölc bos gange ^benbntal^I,
hm Derpflic^tcnben Sf)arafitcr bes Scbensgefe^es, bas er im ©c*
griffe ift, im f)öc^ften Sinne 3U erfüllen, gum ^nsbrucfe bringt.
6ein ganges fieben, bos ©eI)orfam forbert unb nid)! »Dpfer",
fc^Iiefet aud^ für feinen Zoh ben alten ©telloertretungsgebonfeen
fc^lec^terbings aus.
Um fo kräftiger freiließ bridjt es einem neuen 6tenoertretungs««
gebonfecn bic 93a^n. S)iefcr liegt fc^on in bem grunblegenbcn
Erlebnis ber ^üfte bcf(^loffen, bas i^n nidfjt als einzelnen, fonbern
als 35crtreter bes 95oliis überroöltigt. ^ier ift er gang aufgegongen
in ben großen ©ntmidilungsftrom bes Scbens, ber i^n umbranbct.
€5 ift ber ^ampf ber 9nenfct)^eit, ben er ^ier bürc^kömpft, es ift
ber S)ienft ber SHlenfcfj^eit, gu h^m er ^ier gemeint- wirb, es finb
bie eroigen ©efe^e ber 9Ilenfd)^eit, bencn er fid) ^ier beugt. 6eit
ber ©erufungsftunbe f^at er aufgehört, in eigener ©adje gu f)ttnbeln
unb gu erleben. Sein 6(^idifal ift uon nun an unauflöslii^ mit
bem Sc^i&fol bes Söolfees »crbunben, bem oon ie^t ab jebe %a\zt
feines QDefens gehört. Sein ganges fiebensroerfe ift gebunben
an bie gro^e Eingabe, bie nun feinen 3Beg beftimmt. '^iht 9lot,
bie i^m begegnet, ift nun feine SUot, jcbe S(f)ulb feine S(^utb,
}ebe 93ereinfamung feine Sßereinfamung, jebe Sct)nfud|t feine
Se^nfuc^t, jebe <£rlöfung feine €rlöfung. Sr ift oon nun on
ber f(^Ie(^tt)in 921iterlebcnbe, berjenige, ber für alles, toas i{)m
irgenbroic begegnet, eintreten mufe. Sie Sofung bes ^ii)xoiüms:
,5>as ge^t mic^ nichts an" gibt es für i^n nic^t me^r. Cr mufe
^inab gu ben Clenben unb 95erfto^encn, gu ben Söttnem unb
Sünbem, er mufe au(^ hinein in ben f)arten unb ^offnungslofen
^ampf gegen bie ^fjariföcr unb bic S^empel^erren. Scibft ha,
roo er abroeifcn mu^, **) ift bas abroeifcnbe 3Bort ^eroorgefloffen
aus ber Sreue gegen feinen Seruf, fid) uneingefi^ränfet ber Sac^e
(Sottcs unb feines 95ollies ^ingugebcn. ^n biefer gentralen 5luf-
*) 9lur im 2tbcnbmaf)Isberld)t bes SSlattpus tritt er auf in bem
3wfaö: „^ux Söergcbung ber Sünbcn." 9lid)t einmal im "ipaulusberic^t
finbct er ftcf).
**) Scifpielsroeifc bei ber ©rbtcitung, bem kananätfdjen 2Bclbe,
bei feinen 33cm)anbtcn, and) bei anart^o.
206
gäbe gibt es keinen ©c^ret bcr Slot, ben er nic^t ^ören ntufe.
S)as erft tft bte ©telloertretung im ooUen 6inne. 6ie
TOö(^ft {)eraus aus bcr »oUcn Qlnerfecnnung bcr ©runbtatfad^c,
ha^ bic anenf^^eit ein Äörpcr_ift, burd) ben ein 93IutfereisIouf
gc^t, in bem ein ©lieb für bas onbere eintreten mu^, roeil es
mit bem anbem ftet)t unb fällt. S)as ©tellücrtretungsgefe^ ift
ibentifc^ mit bem großen Opfergcfcfee, nic^t ein 3Bcg, um i^m
5U entrinnen, ^eine 6(f)n)ä(^e, keine Söcrftänbnislofigkcit, keine
^elnbfdiaft bcr onbern barf für i^n ein ®runb fein, bic 25erant«
roortung für fic oon fic^ abjufc^icben. ®ctbft um bic ^ubasfcctc
mufe er nod) ringen, felbft für bic i^n morbenben iJcinbe mu^ er
bic ^ürbitte einlegen, ^n bief er alles auf fid^ neljmcnbcn $in»
gäbe liegt bic Ic^tc ©röfee feines fiebens. Sic erft ift im ooUcn
Sinne bas ftcllDertretcnbe Seiben, bas er für bic SHcnfc^cn trug.
3)icfes beginnt roat)rlid) nid^t erft mit bem 3:obesleiben, fonbern
fegt in bem 2lugenbli(Äc ein, roo bic gro^e Eingabe bas fieben
äu bc:^crrfd)cn begonnen \)at 5)arum behält bas 3o^£innes»
eoangclium fadilid) recljt, wenn es fd)on ben S:äufer bas ©efefe
bes ftcllDcrtretenben Seibens über ä^fus ausfpredjen läfet. (gs ift
bic oollc 93cugung bes ganjcn fiebens unter bas grojgc Opfer«
öcfe^, gegen bas ber 3<^witt^ fi<^ i^tt allen 93litteln fträubt.
©eltbcm er biefen im ^ampf mit ben bämonifc^cn 3cf)^ö(^ten
bcr aUcnfj^^cit nteberrang, ift er ber teibenbc Stellvertreter bcr
9Ilcnf(^t)cit geroorben.
5)cr teibenbc! 5)enn alle mirklictjc StcUücrtrctung für
anberc ift ein Seiben, unb groar nac^ einer boppeltcn 9li(^tung.
Sie fc^t bic oolle crftmaligc Ueberroinbung bes 3d|roillens in bem
Sntfi^lufe bcr ftellocrtrctenben Eingabe ooraus, bic fi(^ nie o^ne
Seiben ooll5iet)t, ourf) bei '^e\u5 \id) nid)t ol)nc Seiben ooUgogen
^at, TOie fein Äampf in bcr QUüftc ^eigt. Sie f orbert aber aud)
ben bauernbcn ^ampf gegen ben immer oon neuem oon au^en
^er anbranbenbcn St^^itten in anbcrn. ^e]u Seben ift ein
baucrnbcr ^ampf um bic S)urd)feöung ber einmal geroonnenen
^ofition aud) in ben anbcrn. 9Bas er in ber 2Düfte für bic
Sncnfd^^cit pringipicH errang, bas l)at er bis gum legten Sttem*
juge in anbcrn, roibcrftrebenben ©eiftern jur §errfc^aft füljren
muffen, roa^rlid^ ein titanifc^er Äampf, beffen erfte 'Slnfönge er in
- 207 —
feinem Srbenicben kaum beroöltigett konnte. 3)cr ficfbcnskampf
in ber QBüfte ift jur bauernben fictbensarbeit gcmorbcn, bic bis
auf bcn heutigen Sag nic^t aufgehört f)at S)ie ^erbc ^lage:
„D bu ungläubiges ©efc^Iec^t, roie lange foU ic^ bei cuc^ fein?
2Bic lange foll ic^ mic^ mit eud) leiben?" ift nic^t nur einmal
bur^ feine kämpfcnbe ©eele gejogen. 3^^^^"^ immer roieber neuer
3d)n)iUe in fein ©efic^tsfelb trat, unter beffen Saft er fic^ ftett-
oertretenb iu beugen ^atte, entbrannte ber einmal fieg^aft burt^-
geführte ^ampf immer oon neuem, unb oon iebem in bie grofec
Eingabe tjineingejogcnen QBillen roirb biefer Äampf bauernb roetter-
gefüt)rt roerben muffen, ©o wirb bas ©efe^ bes ftelloertretenben
Seibens gu einem Sauergefefe bes Sebens, folange no(^ an einem
feiner "ipunkte ber 3<^i^illß unüberrounben ift, bis bas grofee
Opfergefe^, auf beffen Erfüllung bic €ntn)icklung tjinbrängt, unb
Don bem bas ©efe^ bes ftelloertretenben ficibens nur ein Slusfluf;,
eine gur Surc^fe^ung notroenbige ©urcfigangsform ift, oöHig gur
§errfcl)aft gelangt ift, bis ©ott ift alles in allen.
Sinn roirb aber aucl) erft beutlic^, roarum es kein ein für
alle SQIal oolljogenes ftellocrtretenbes fieiben geben kann. Ss
kann garniert burc^ eine obgefc^loffene fieiftung borgefteUt roerben,
benn hinter i^m fte^t ein gur Surctifefeung bröngenber 2Bille, ber
langfam unb uncrbittlid) bas gange fieben fi(^ unterroerfcn roiH.
3lu(^ 3cfii Seben ftanb gang beroufet im ©ienfte biefes bic ^err«
fc^aft ^eifc^enbcn QBillens. (Er biente oon ber Berufung bis gum
2obe biefem nur burc^ bos ©efc^ bes ftelloertretenben Seibens
fid) burc^fe^enben 9Billen. 3)ic ^rlöfung, bie er in bic 9Bclt trug,
roar bie (Erfüllung eines eroig gültigen ©efegcs, bas mit feinem
öpfertobe ni(^t ttma bcfriebigt ift, fonbem Icbenbig fortroirken
roill bis 5um Siel ber (Entroicklung. 3" ^i^\^s ©cfcö ^incin-
gugie^en, bas roar bic 5lbfic^t !feines fiebens. Ungcgöfiltc 9Hcnfc^cn
follten unb mußten nac^ i^m gu Prägern bes gleichen ©cfc^cs
roerben, um bem eroigen 9Billcn roeiter 93a^n gu bred^en. ©ic
Sinfe^ung ber ©ebäc^tnisfeier bes 5lbenbma^tcs ^af nur bicfcn
<3inn, burc^ bic tägliche Erinnerung fortgeugenb für bies ©cfeg
äu roirken. 3lls einmalige, abgefc^loffene €rlöfungstat, beren
fid^ anbere nur getröften, um bem ©cfcfe fclbft ausgurocic^cn, ift
fein Opfertob oöHig roertlos. 211s ein immer neue ©ecten packenbcs
— 208 —
©tctc^nls für bas unerbittßcf) auf Surc^fc^ung btSngenbe ©cfc^
gewinnt er erft bleibenben 9Dert, wirb er gur „©rlöfung für otcle",
b. f). ni(i^t äur fteUoertretenben 3lbfd)lagsäQ^Iung, auf bcr man
fit^er ruf)cn kann, fonbern gur überraälttgenben ^aft, bte in
„otelen" *) bcn Surc^bnti^ oom ^J^^^Jittcn äum DpferrotUen aus-
löft. ©as eben tft bte Griöfung von ber ©ünbc ober rtd|tiger
oor bem gottraibrtgen QBtUcn. 9I3ie langfam btefe €rlöfung
oöranfc^rcitct, bürftc bie ©ntroicfelung ber fog. c^rtftlidien 3^^^*
taufcnbe gcsetgt ^aben.
9tutt itiQt ftd) au(^ bcutlid^ ber ©egenfa^ groifdien bem
alten unb bem neuen, oon Z^\us oertretenen ©tellDertretungs»
gebanlien. '^n beiben f^at bas „für euc^" einen gang oerfd)iebenen
Sinn, ^n bem alten fe^t es eine fieiftung ün bte ©tette anbcrer
Seiftungen, bie nid^t genügen, bie nirf)t t)oßbrad)t roerbcn Rönnen
(fintier), ober gegen beren 95oUbringung man fictj ftröubt (bie
ouIgär=liat^otifc^e (Frömmigkeit), ©ang bemüht lä^t ber ^at^olilt
anbere für fict) eintreten, roeit i^m bie 6ittli{i)feeit ^ö^erer Orbnung
gu fdiroer ift. ©os immer roieber bargebradite Opfer (£t)rifti, gu
bem nod^ bie fonftroie aufgefpeid)erten 6d)äöe guter 9Berfee feommen,
mu^ erfe^en, roas er felbft ni(^t leiften kann unb roill. 3Ju5 bem
einen Opfer, bas alle anbern überragt, roirb jeber 9Hangel erfe^t.
?lur geroiffe untergeorbnete Opfer werben geforbert, um an ber
3Bo^ttat biefes einen altes bedfeenben ©c^afees teiljunetimen. S)as
©efe§ ber Eingabe roirb alfo nic^t gang ausgefc^loffen, aber ob*
gcfc^roöd^t unb erleid^tert.
®inc anbere 9flolle fpiett ber ©tettoertretungsgebanke in bcr
tut^erif(f)en Frömmigkeit, bie an biefer gum ^eibnifd^en gurück«
tenkenben 95ulgärfrömmigkeit bie fcljärffte Kritik übt. ©ie binbet
ben aitenfc^en oiel ftörker an bas Opfer Ct)rifti — burd^ ben
©lauben, ber bie oöüige ©elbftaufgabe bebeutet, alfo für bie ZüU
nal)me am Opfer (£t)rifti bas oolle* ©elbftopfer forbert. 5)ie Er-
leid) t er ung burd) ©telloertretung ift ^ier fd^einbar gang aus«
gefc^altet, meil nur burd^ pclifte ©clbftoernicl)tung bas Opfer
*) ketnestoegs in allen. ®^c nid)t bas Scben felbft auf ben
S)ur(i)brud)spunkt ^inbrängt, kann au(^ fein Opfertob ni(^t auslöfenb
unb oorroärtsftofeenb wirken, ©s gibt ganje ©enerationen, bie für feine
(grlöfung nic^t reif finb.
209
S^rtftl rotrfefom roirb. 3lber es ift nur blc ©clbftocrnic^tung bcs
^titnefimenben ©laubcns, ber burd^ 3lnetgnung bcs Opfers
e^rlfti feine eigene 6etigfeeit als Sektes fuc^t ©ic «rlöfung
bleibt unooHenbet, weil fie nic^t unmittelbar — oieImef)r erft
fekunbär *) — jur erlöfcnben ^aft für anbere roirb. S)as fteß»
oertretenbe ficiben ^at fein legtes 3icl, bas ©efe§ ber afeticen
Eingabe burc^gufeöen, alfo roleber gu neuem ftcUoertretenben
fieiben äu führen, nic^t eneic^t. S)ie Opfertat, bic nur als lebenbig
roirfefame STeufeerung eines emigen ©efe^es geroertet fein will,
bamxt bies ©efe^ immer oon neuem an it)m entjünbet unb lebenbig
gemactit werbe, ift auc^ bei fintier gur abgefc^loffenen „§eits»
tatfadjc" gemorben, bereu man fi(^ getröftet, bie eine ru^enbc
©eligfeeit, aber kein äroingenbes alitioes §anbeln fc^dfft. S)as
„für eudj" erf(i)öpft fi(^ aud^ in ber fiut^erfd^en (Frömmigkeit in
ber ^inna^me einer abne^menben (griöf ungstat, * *) f ü^rt aber
ni(^t äur SBeugung unter einen ocrpflid)tenben ^rlöfungsroißen.
§ier liegt aud^ ber tieffte ©runb bafür, ha'^ fintier bas 2lnfelmfc^e
Schema, bas bod) folgered^t aus bem oon i^m oenoorfenen kat^o«
tifcf)en 6t)ftcm t)erausgen)a(^fen mar, unbefe^en f)erübcrnot)m,
and) eine Stadjmirkung ber ©efe^esreligion, oon ber er fid^ nid^t
^ot losmachen können. Jöie Unklarheit unb SJenoirrung bes
t^eologifd)en S)enkens gerabe in ber S^ögc bes ^löfungsmerkes
ßi^riftt, bic bas gefamte proteftantifc^e Senken ber Slcugeit burd^-
giel^t, f)at in ber ^erüberna^me biefes ^Jrembkörpers if|re le^tc
Urfodje. 2Dic bas] proteftantifc^e ©cnken bis auf ben heutigen
Xag nic^t oon bem kat^olifc^»gefeölic^en SBegriff ber SEBcrke los-
gekommen ift, fo haftet es and) noc^ an bem gefe^lid) crftarrten
begriff ber ©ünbe, bie befeitigt werben, unb an einem maffioen
93cgriff ber ©ered^tigkcit, bie erfüllt werben mu§. 95eibes kann
nur burc^ ein im juriftifdjcn 6inne ftelloertretcnbes 95erfa^ren
erreicht werben. S)afe es fic^ um bie Umfd)affung eines 9Billens
unb um bie Surc^fe^ung eines lebenbigen ©efeges ^anbelt, ift in
ber fie^re bes 'ißroteftantismus nirgenbs klar t)erausgetreten.
S)as aber ift ber 6inn bes „für eud)" ober „für oiele" in
*) 93crgt. btn Slbfdjnitt über ©laubc unb 2Berkc.
•*) Gtirtftus ^at genug getan für uns, b. \). an unfcrer ©teile.
S. Weltmann, ©rofeftabt unb Sleligion. 3. Seil. 14
— 210 —
3cfu Sßlunbc. €r mU bas ©efefe ber Eingabe, bcm er fclbft
fid^ beugte, ^metntöerfen uttb ^tnetnätöingcn in bas fiebert ber
anbem. ©as „für" tft ^ter gana unb gar gielroort. Ss bebeutet
ntc|t bas entlaftenbe „on eurer ©teile", auct) nic^t nur bas
f(^enfeenb€.,euc^ äu gut", fonbern bas belaftenbe unb oerpfIt(^tcnbc
„um euretraiUen". QBenn eine SHIutter für tt)r ^inb leibet, fo ift
es eine f(^n)ere 95er|ünbigung an bem ^inbe, wenn fie bicfent
nur 6(^ntcrä unb Ungemac^ abnehmen roill — bas ift eine
irregeleitete, fdiroäc^ic^e fiiebe, bie freilict) in bcm ©cfc^ bes ^ür*
cinanbereintretens it)re ^Bur^el ^ot, aber nur ein oerfaEenber
SReftbeftanb bes urfprünglid)en, gefunben fiebensbrangcs ift — ,
fo ift es auc^ noc^ nic^t bie ooUe fiiebe, roenn fie bcm ^inbc
eine QBo^Itat aus i^rcm mütterlid) fd^enltenben öergen äurocnben
roill — auc^ bas ift ein gefunber 0laturbrang, aber im tiefften
©runbe no(^ egoiftif(^, roeit alle rein ft^enfecnbe Siebe, ber bas
übcrgeorbncte giet fe^It, unberoufet nacj^ ©anfebarficit ausfd)aut — ;
fonbern erft bann ift bie fiiebe ooUcnbct, roenn fie gang fclbftlos
burcfy bas fieiben bas ^inb hem neuen 3iele anführen, in i^m
gcfunb fic^ entroidieinbcs ficbcn fc^affen roill. 5)as aber ift ber
eine ®inn bes fic^ unter bie fiaft ber 3Ilenf(^cn beugenben
fieibens ^^\u geroefen, bie 92tcnfd)en bem einen großen, alles be=»
^errfc^enben gtelc, ber Eingabe an ben göttlichen 9BilIen, gugu*
fütjren. ©eine ©ebanfeen finb gang losgelöft oon ber 3:at unb
i^rem QBcrtc, gang losgelöft auc^ oon ber SRcflejion auf eine
ft^enkcnbe fiiebe, bie ®anfebarlieit roecfeen foU; fie get)en oielme^r
ganä auf in bem oöllig fclbfttofen unb barum im ^ödjftcn 6tnne
aroingenben „für euc^". Sie gro^e Objcfitioität bes QBolIcns
3efu flnbet ^icr l^rcn ^öc^ftcn ^usbrucfe.
923ie in bcm ©Iclc^nis bes 2lbenbmat)l5 bas 93rec^en unb
Suv-6peife-S)a^ingeben bes 93rotcs, bas 3lusgiefecn unb Sarrelc^cn
bes SBcincs ineinanberliegen, fo liegt auc^ allein in biefer oöllig
fclbfttofen lelbcnbcn Eingabe bie unmittelbar neufi^affenbc unb
roillenumbilbenbe ^raft aroingenb befc^loffen. Dilles, roas an 3le-
flcjioncn über ben fü^nenben, genugtuenben ^ert ber 5:at ober
über bie ©efü^le, bie fie begleiten, bagroifc^entritt, ^inbcrt, ha^
ber 3Bitte ben 3BiEen gebiert. S)er fic^ opfernbc QBille ift bie
SBei^e für hm fid^ opfernben QUiUcn, nichts roeiter.
— 211 —
3cöt Können mir feurg gufammenfaffcn. ©er aÜ^ |6tell*
ocrtretungsgcbanke jc^aut rüdiTOärts, rote hk gansc, feat^olifc^e
foroof)! roie eöanaeltfd)c, ©pefeulattön über bas (Erlöfungsletben
(£t)nfti rücferoärts fc^aut unb ocrgangenc ©ünben öefeltlgcn rotö,
mas io burc^ ein einmaliges überrogcnbes Opfer t^eoretlfd) möglich
tft; ber neue ©teöoertretungsgebonfee 3cfu fc^aut oorroärts unb
rolü einem neuen QBlüen ble ©a^n bereiten, roas nur burc^
ein fortjcugenbes lebenblges ©efe^ möglich Ift. S)cr alte ®teU-
oertretungsgebanlie roltt burc^ um ^öddftc fielftung bas Sütanfeo
anberer fielftungen bedien, ber neue ©tettoertretungsgebanke rolU
erft bas ©efüijl für bas 9Honfeo, für ble ©c^ulb ro ecken, um
gur Ausfüllung blcfer fiücke oorroärts gu treiben. 3)er alte ©teß*
oertretungsgebanke roltt beruhigen unb befellgen, ber neue roltt
einen fc^affenben WiUm roetken. *) S)er alte ©tettoertretungs*
gebanke roltt bem 3<^» ^^^ ^^^^ ®^^ ötteln bleuen.
Stun Ift frellld) auf bem SBoben ber d^rlftll(i)en 3lellglon btr
altt ©tefloertretungsgebanke nlrgenb In ootter 91a(ktt)elt role In
ben alten Dpferrellglonen aufgetreten. S)le '^lud^t oor bem Opfer*
*) Sctnerkensroert Ift, bafe foroo^I In Sut^cr rote aud) bcfonbcrs
tn ^aulus bcibe gornten bcs 6tcUoertrctung5gcbankcns mltctnanbcr In
Spannung fielen, ^n ber paulinifc^en <Sebanfecnn)cIt laufen ble Jurlftifd)*
gefegllc^c unb ble „mgfitfcfjc* — roie man fie unäutreffenb genug genonnt
^at — Setra(i)tuttg bes „für cuc^" nebcncinanbcr ^er. „®ic fiiebc (E^riftl
bringet uns alf o — nömlid) jur öiuQabe an bic anbern — , fintental roir
galten, bafe, f o ©incr für alle geftorben ift, fo finb ftc alle geftorbcn; auf
bok bic, fo ba leben, ^infort nldjt it)ncn fclbft leben, fonbern bem, ber
für fie geftorben unb auferftonbcn Ift." 2. ^or. 5. 14. 15. $ler Ift ber
lebcnbige, oorioärtstretbenbe ©teUoertretungsgebanke. ^urj barauf folgt
ber jurifttfc^e 6teIIocrtretungsgebttnfee in htm ©age: „®r ^ot ben, ber
oon keiner 6ünbe roufete, für uns (an unfcrer 6teUe!) jur 6ünbc gemacht,
auf bafe rolr würben In l^m bie ©ottesgerec^tigfectt." S)a5 eine SHal ift
bas 3«^ "bas 3iel, bas anberc SSlal bie anbern. S)as eine SKal ift es
ein iuriftifdjes ®efeö, bas ein Grlöfungsroerk abfi^Itefet, bas attbcre91lal
ein lebenblges ©efe^, bas aur gortfübrüng bes ©rlöfungsfterbs brängt.
3)ic Spannung jroifdicrt beiben tritt am fcbörfften bcroor im Slömerbrief,
ber fie burcb eine ungeheuer feomplisierte ©ebanfeenfü^rung äu löfcnfudjt,
roas nie gelingen kann. aHan ocrgleicbe bm unoermittelten Hebergang
9löm. 6. 'äüd) in Sut^ers ©ebanfeenroelt fe^It natürlid) nic^t bie oor=»
roortsbrängcnbc gaffung bcs „für eu(^".
14*
212
gcfc^e ift überall burc^ftreugt oon einem me^r ober minber ftarken
Sroangsgefü^Ic, ftc^ tt)tn ntc^t gu entgte^en, foitbern i^tn bod| su
btenen. 5)oö ^ot feinen ©runb bartn, ha^ attc älteren Opfer»
religionen ber ©ottt)eit ein minberroertlgeres Opfer als (grfafe für
bas eigene fieben anbieten, .bie d^riftlid^c SRcIigion aber nirgenb,
ttuc^ nic^t beim fiosfeauf burc^ 2tblafegelb, oöUig oergcffen t)at,
ha^ in ^^riftus ein unenblid^ oicl ^öf)ere5 Opfer als (Erfag für
bas fd^ulbige eigene fieben ba^ingegeben ift. ®ben biefer ©ebanlie
an bas ^ö^ere Opfer ^at immer irgenbroie bie 95erpfli(^tung
empfinben laffen, bie aus biefem ftell^ertretenben Opfer bcm
eigenen fieben gufäßt. 3Ile^r ober njcniger leui^tet biefer oer«
pflic^tenbe (£t)arafeter bes ftetloertretenben Opfers S^rifti burd)
aUe ®pocf)en ber c^rifttic^en ^irc^engefcf)i(^te ^inburc^. 3^" ^^^^
alle nac^ (£rleicl|terung ausft^auenben anaffeninftinkte oulgärer
Frömmigkeit immer ftärker gur ©eltung gu bringen, ift bas 3^^^
ber fortfd^reitenbcn CntmiÄlung bes religiöfen ©ebankens.
Stun freiti(^ bleibt uns nod^ bie 2luf gäbe, genauer bie
feelifdien ^ufönimen^önge aufguroeifen, bur(^ bie bas fteQoertretenbe
fieiben, b. t). bas leibenbe ®i(^beugen unter bie fiaft fremben, gu
überroinbenben 3i^n)ittens, bie SDirkung auslöft, bie mir bisher
immer ftillfc^roeigenb uorausgefe^t ^aben, hQ.% nämlid^ baburc^
bas Opf ergef eg inanberngur ^errfc^aft gelangt. 5)ie OB i r k u n g
ftcl)t feft, aber bie Qlrt i^rer 93ermittlung ift um fo umftrittener.
6o klar unb einbeutig bas Ergebnis ift, ber gur Eingabe ge«
groungene, erlöfte 9Bilte, fo kompligiert finb fieser bie 2Dege, bie
gu biefem (Ergebnis führen. 2Dir bürfen nic^t oergeffen, ha^ mir
l)ier mieber an bem ge^eimnisooEen ^^^nenpunkte ber ©eburt
eines neuen QBillens flehen, ©ang mirb fti^ bas ©e^eimnis
ber Sleufc^iJpfung nie burcl|bringen, aber bie mic^tigften fiinien
werben \iä) klar ^erausftellen laffen.
©id^erlid^ bleibt biejcnige SBetradjtung am meiften an ber
Oberfläche, bie bie ümfc^affenbe 933irkung auf bie ^raft bes g5or=»
bilbes ftügt. ©c^on bie S:atfac^e gibt gu benken, ha^ bie SBe«»
rufung auf 95orbilber unb bas feiern oorbilblic^er ^erfönlic^keiten
unb ^anblungen bas (^arakteriftifclje ^cnngeic^en aller ^c^epoc^cn
finb. 5)as Scbürfnis, Jubiläen gu feiern, über „smänner unb
gelben" ^eft« unb Xifc^reben gu Ratten, \a immer neue 33orbilber
— 213 —
gu kreieren, unb roäre es aurf) nur In bem eigenen feüntnterlic^en
fiebensitretfe, äief)t wie ein banaufifcfies fiafter burc^ alle Seiten
ber 3c^feuttui^- ©c^on biefe Xatfocfie beutet an, bajj tas „SorMIb"
in gang anbern ©paaren roirkfam ift — wenn es übertjaupt ie
roirltfant ift — als in ber 2DeIt ber QUeligion. ©id^erlit^ werben
nur folcfje ^erfönltdjfeeiten gu 95orbiIbern ern)äl)lt unb oIs folc^e
^ingeftettt, bie bem jeroeiligen 3<^^^'i^9ß entgegenkommen unb
genehm ftnb. ^n bem Zeitalter 95i5maröi5 t)at bas 93orbiIb
€:^rifti fet)r wenig gu bebeuten get)abt. Qo kommt hm 35orbiIbem
^ödfiftens als (Erkennung sgeid)en ober ^luslöfungsmitteln oon
oor^anbenen Sebensrid^tungcn eine geroiffc 95ebeutung ju,
umfc^affenb, gumat ben ^c^wJ^tten brec^enb, \)at noct) kein
SDorbilb in bie 9BeIt gewirkt. 3Benn ber ^eg ber Zukunft
nicf)t5 anberes ^interläftt als 95orbiIber, benen kommenbe ©e»
fd)led^ter nacheifern fotten, bann roetie uns! Sie werben i^nen
nur fo lange nadjeifern, wie es i^rem Sebensbrange pa^t SSlan
wirb fie rei(f)li(i^ unb gern feiern, aber i^re rid)tunggebenbe ^aft
ift nur fo lange wirkfam, wie biefe 3lli(i)tung genehm ift. 9Birk=»
lirf) tcbenf(^affenbe Gräfte muffen oiel unmittelbarer unb fd^örfcr
in bie 3DeIt bes ^Bittens hineingreifen als bie objektio bem '2tuge
gegenübergeftellten Söorbilber. 3^^ ^^^ ^ugenberäie^ung ^at bas
Sßorbilb bie Sebeutung, bas Urteil ber ^i^senb gu klären in Segug
auf fittlidje ^öfte, bie aber nod> auf gang anbere unb piel un»
mittelbarer anpaöienbe QBeife im ^ugcnbleben burc^gufeöen finb.
3mmer^in, was in ber bilbfamen 3ugenb oielleicl)t noc^ ümbilbenb
wirken kann, bas ijat für bas ba^inftürmenbe fieben nodj longc
keine umfc^affenbe ^aft. 9nit Siecht ^at mon barauf ^ingewiefen,
bafe im fieben bie guten 95orbilber fet)r gefcl)idkt überfel)en, wenn
ni(f)t gar gefc^wärgt werben, wö^renb bie fc^lec^ten 95orbilber, bie
eigene 6d)W(i(i)en bedien foHen, immer in Sllaffen gur §anb finb.
5)arum ^at aud) Z^\us oon bem 95orbilbe feines Sebens als um-
fdjaffenber ^raft felbft fo gut wie gamict)ts erwartet. 3^^ ß^Ö^
nicl)ts baran, „§err §err" unb „guter 9Heifter" genannt gu werben,
er wiE 95cugung unter ben t)öd|ften ^Bitten, bie auf anbere 2Deife
guftanbe kommt als burc^ bewunbcmbe 95etrat^tung. S)arum
gilt nur ben fc^on gebrochenen 9Xaturen, ben 9Hüf)feligen unb
©elabenen, fein „Semet oon mir!" ®arum forbert bie SHac^folgc
— 214 —
feines fiebcns guerft bas „Verleugne btc^ felbft!", bann crft feonn
btc fü^renbe ^raft feines Sebens rolrfefoni njerben. ©en ent-
fd)etbcnben (gntfc^Iufe, bem ©efeö ber Eingabe fic^ gu beugen,
Kann Kein SJorbtlb roedfeen, auc^ ntc^t bas Sorbtlb 3efu. (Erft
burc^ ben Sntfc^Iufe njtrb fein Sieben äum 93orbllb, gur Immer
erneut beutenben unb oorroärtsgrolngenben ^raft.
W\i aber kommt ber (Entf(i)Iu§, blc entfc^elbenbc ^Dlttcns»
geburt guftanbe? ^ann fle überhaupt burc^ ein frembes fieben
In bas eigene hineingetragen werben? QDenn flcfj ber gro^e
Umfc^roung oom ^c^rolEcn gum ©ottesrolUen nur am ^nnenpunfit
ber (gntmlctilung üoEälc^en feonn, Iiann bann ein nur oon aufeen
gefc^autes Seben unb Selben für blefen Umfctjroung etwas aus*
tragen? 6l(i|erlt(i) nur bann, rocnn es Irgenbrole au ber 3n^cn-
entroldilung bes eigenen Sebens In lebenblger. ^Begle^ung fte^t.
Stur ein Seben unb Selben, bas mit bem eigenen S)afeln, unb
groar In feinem lebenblg gegenmSrtlgen (Erleben, organlf(^
oerroat^fen Ift, fiann rolrktld) entfdjelbenb In bte (Entroldilung
hineingreifen, ©orüber mu§ man fld) gang klar fein, ^eln nod)
fo anböditiges 93etra(i)ten eines uns gegenüber ftet)enben
Sebens kann burd)grelfenb einen neuen Sebensroltten fc^affen.
Um bas gang beutlld^ gu fet)cn, rooUen rolr uns an einige
feellfd)e S:atfad)en bes SDeltkrleges erinnern. 32Ian mag bem k^in
®crold)t beilegen, ta^ ble Stationen, benen ja ber t)elllge Egoismus
angebllrf) Staturpfltdit Ift, mit ooUem ©leld^mut, \a mit einem
gerolffen rooUüftlgen ^ntereffe bem blutigen Selben anberer Stationen
äufdiauten, o^nc gu fe^en unb gu füllen, ha^ ^ler ftelloertretenb
gelitten rourbe. 2lber fdjroerer rolegt ble ^atfac^e, bafe aud) bas
Selben ber eigenen 95oIksIitnber, ber Xob ber Äompanleliameraben
fictjerltdi mit einer gerolffen, freiließ meift rafd) oergeffenen, Trauer
Eingenommen rourbe, aber kelnesrojegs Irgenbrole rolßenumbUbenb,
ble Sebensrt(^tung umfdjaffenb geroltlit f)at, fonbern ft(^ burc^aus
mit bem ungeftört fortftürmenben Sc^i^lößn oertrug, ja l^n offen«
bar fogar no(^ ftelgerte. 9111t bem roadifenben Selben anberer
roud)s auc^ ber öelbfler^altungstrleb. Sie rüdiflc^tslofe, aUe
©(^ranken oergeffenbe ©elbftbe^auptung rourbe berartlg gum all«
gemeinen, ben ©cftanb bes ©angen gefö^rbenben ©efeg, ha%
©taats» unb Sölllltärbe^örben fc^llefellc^ gu Jebcm flc^ barbtctcnben
215
9IlitteI greifen mufeten, um „ben egofsmuö gu bekämpfen". ♦)
©obei rourbe unermübltc^ in ben ^öc^ften 9Borten betont, ha^ bie
gcfoüenen Reiben „für uns" gelitten Ratten. S)iefe feclifc^en
Satfac^en barf man nlc^t oergcffcn, um p feiert, bafe bie 2Ditfeung
bes fteUoertretenben fieibens, fo beutlid^ mon es fiet)t unb fo roiHig
man es anerkennt, licinesroegs eine fo fetbftocrftänbtic^c unb ein»»
fac^e 0ac^e Ift.
anon ift oiel gu fc^neU bei ber §anb geroefen, bos ftett»
ocrtretenbe (Eintreten ber Ärleger für ii^re 95olfisgenoffen mit ber
ftcüocrtretenben Eingabe im d)riftlid)en ©inne in ^aroüele su
fefeen. ©anj abgefe^en baoon, ha% ber innere QBitte gur Eingabe
ficf) boc^ nur auf einen feieinen ^eis reifer 9Hcnfc^en befcf)rönfetc,
mä^renb bie grofee SHaffe gegen i^ren 9BiIlen nom ©c^icfefol
öufeerlit^ getrieben mar, mar roieberum ber ^eis berienigen
ancnfc^en, bie fic^ für einen neuen Suitütiftsroitten ein»
festen, gerabegu öerft^roinbenb gering. Surd^meg blieb bie ©c*
tradjtung foroo^I ber ^inausjic^enben roie aud^ befonbers bfer
5)al^eimgebliebenen auf ber fiinie bes alten ©tclloertretungs*
gcbonfeens, ha^ nämlic^ bie einen fid> an ©teile ber anbern
opferten, um biefen eine fid)cre gufeunft 3U oerfi^affcrt, bicfe ^w
Kunft aber ni{i)t als fittlid^e Sleugeburt, fonbern als ruhmreichere
'Jortfefeung ber QSergangen^eit gebac^t. S)as „für eüc^"
bes Opfers C:^rifti liegt auf einer unenblic^ oiel f)ö^ercn €bcne
als bas „für eurf)" ber fic^ opfernben Krieger, ^^nes fieljt auf
einen neuen 2BiIIen, ber in hin anbern geme&t werben foU, biefes
nur auf einen alten ®efi§, ber TOot)I für anbcre gefiebert ünb
oergröfeert, nic^t aber grunbfäölic^ geänbert roerben foü. ^tms
roiU mit fid) hineingießen in bas eigene Sterben, um baburcß ein
neues Seben ißeraufäufüßren, biefes roill nur ben anbern bas
Sterben erfparen, bamit fic auf ber alten fiinie weiter leben
Rönnen. 9Hir finb unter ben Saufenbcn oon feämpfenben unb
rußenben, oerrounbetcn unb fterbenben ©olbaten> benen icß als
Sclbprebigcr naßetrat, bie aUerbings nur ft^rocr über bics fiefete
*) 3n bcm Tagesbefehl eines ©encralliommanbos an bcr^Jront
ftanb ber 93erärocifluttg5fcßrcl gu Icfen: „®er (ggotsmus tff mit allen
anittcln au bekämpfen."
216
jlc^ ausfprac^cn, jroel 9Hänncr begegnet, bte beti ©teUüertretungs»
gcbanfecn im reltgtöfcn ©inne gang erfaßt Ratten, alfo für einen
neuen ^utinnftsTOttten i^r Seben einfetten, *) unb einer, ber nocf|
um biefcn neuen ©teUoertretungsgebanlien rang, bagegen Hn«
gegö^Ite, bie i^n gong mec^anifc^ im alten öpferfinne auffaßten,
©ie^t man biefem Satbeftanbe ins 3Iugc, bann erfd)eint es nirf)t
me^r erftounlic^, bo§ ben furdjtbaren äußeren Opfern fo geringe
innere 923iriiungen entfprac^en. 5)as grofee Sterben bes Krieges
mar garfeein ftelloertretenbes fieiben im 6inne bes Slagareners.
5)ie 9JlögIi(^feeit unb Hoffnung, ja bie ©eraife^eit liegt freilit^
oor, ha^ es fid) in einem fid) langfam ooUgietienben Umbenlien
me^r unb me^r ha^u entmiöielt — in Kommenben ©ef(^Ie{f)tern,
bie unter ber Sflat^roirliung biefes ©terbens bcm großen ficiben
„für fie" einen neuen Sinn abgeroinnen werben, meil fie feine
umroanbeinbe ^raft fpüren merben, unb nid^t blofe feine
fidiernbe unb erlei(^ternbe. **) Sag nid^t bei ben 3öugern ^<i\u
eine gang öljnlic^e (gntmicfelung oor?
©ODiet fte^t feft: nur roo ficli ber QBitte gum SDiUen flnbet,
reo bem fteltoertretenben fieiben eine auf ben ^^nenpunfet bes
Sebens gerii^tete 2lbfi(^t innerootjut, unb roö biefe 2lbfid|t in
Icbenbige 5üt)Iung mit einem inneren SBerben tritt, f)at bies
fieiben umfc^affenbe QDirkung auf anbere. Wk aber entfielt
biefe ^ütflung?
©ie entfte^t nur bort, reo bas fieiben bes einen in u n =
mittelbaren 3ufont^ßnI)öng tritt mit bem ©(^ulbgefü^l bes
anbern, roo bie ©pi^e bes SJernid^tungsft^mertes, bas hinter icbem
fieiben fit^tbor mirb, \i(ij gegen bas ^d) bes anbern richtet.
*) Slüerbings bie Sl^nung, bafe in bcm furd)tbarcn Kriegs«
gefc^c^cn ftdj üroas oöIKg SWcucs anbahne, roor fc^r roctt ocrbreitet,
namentlidj unter ben mit 9lot unb ®ntbe^rung feämpfenben 93oIfe5fc^tcl)ten.
5lber fic geftaltete ftd) kaum irgenbroo jum klaren Opfergebanlien, fonbern
aeigte ftd) mct|r in ber Äritife unb bem bcbrücbcnben ©efü^l, ba% biefer
^cg kein (£nbe finbcn könne, e^e nic^t ein 3«fttmmenbru(^ erfolgt fei.
S)tc innere gutc^t vor bem Steucn überroog bei 2}3ettem feine entfdjtoffene
^offnungsbcja^ung.
**) 93on ber Icgtcren kann glii(feIid)cnocife na«^ bem ^ege aud)
roo^t kaum nodj bie SHebc fein. 60 gibt ganj non felbft bie ©ntroi&Iung
bem „für eudj" einen neuen 6inn.
— 217 —
<Q3enn rotr in bcm 2tbfd|nitt über bas Selben fogten, ha^ bic
(Entroiclilung bes 6d^ulbgefüf)t5 ^anb in §anb mit bem äcr»
ftörenben fieibcn fd)reitet, fo muffen mir je^t roeiterfü^renb ^ingu*
fügen, ha^ bas ©(^ulbgefüt)! crft pr unausn)ei(^Iid)cn oerni(^=
tenben (Entroidfelung feommt, roenn es feine unrettbare SDerfeettung
mit f r e m b e m Seiben erkennt, ©eroife Kann rein „ perf öntic^es "
Seiben ben "iproäefe bes 6d)ulbben)u^tfeins bis gum ®nbe, b. ^.
bis gur üoUcn 95emid)tung bes ^d^voiütns unb bamit gur er«
löfenben SBeugung unter ben ©ottesroiUen füf)ren — mie im
©Icirfjnis oom üertorenen 6ot)n — ; aber folangc bas Seiben eine
rein perfönlidie 9lngelegen^eit bleibt, kann bie 'Sluseinanberfegung
mit it)m aud) ausroeidjen in bie ftoif(^e 9lefignation, bie bas 3«*)
in einer t)öt)eren geiftigen SBelt gegen alle gerftörenben Erfahrungen
in ber finnlic^en SBett befjauptet, o^ne es burcf) bas gerbredienbe
©ctjutbgefü^I t)inburct)äufü^ren. S)en legten ©tolg bridjt erft bas
Seiben anberer, bies ober gang unausn)eicf|tic^. 32tan net)me einen
9Henfd)en, bcr bas SRec^t auf ©elbftbe^auptung, Sebensgcnufe, per«
fönlid)e Entfaltung mit beraubter Energie in feinem Seben oertritt.
Er kann feine ^ofition auc^ bann noc^ behaupten, roenn Körper
unb ®eete fiecj^ unb ausgelebt finb. S)as Seben beroeift bos immer
oon STleuem. Er äie^t fid^ eben auf ben innerften ^unlit perfön»
Iid)er Siefignation prüdi: 5)u f)aft bein Seben genoffen, nun trage
bie Saft bis gum Enbe unb fu(i)e fie bir im ©enufe geiftigerer
3Berte gu erleidjtcm. 5lber fobalb aus bcm 5luge feines 9Bcibc6
ober feines Äinbes ifjm fein Seiben in neuer ©eftolt entgegen«
fc^aut, fobalb er bie unrettbare 93erkettung feines Scbens mit
einem i^m gang nat)efte^enben Seben erkennen mufe, ba fällt au(^
biefe le^te ^ofition, ha fte^t bie 6d)ulb riefengro^, unentrinnbar
oor it)m auf, um auct| noc^ ben legten 3left ber Selbftbe^auptung
gu oernic^ten. Er mufe ben ^eg burcf) bas enge ^or gc^en,
fidj einem neuen 9BiUen beugen, aus beffen %anh er bie 95er=
geii^ung ^inne^mcn mufe, ober er mu^ rettungslos innerlirfi gu
©runbe ge^en. S)er roirklic^e 3n>öng gu unermüblicf) Ijelfenber
2at crroäd^ft nur aus ber 6d)ulb, bie an anberem Seiben lebenbig
geworben ift. S)ic ^ilfreictiften fogialen ^Irbeiter finb bie, bie an
irgenb einem «punkte itjre fogiate ©cfjulb fc^merglic^ na^e er*
lebt ^aben.
— 218 —
Jlun fcfjen roir nocf) lilarcr, toorum bas ftetlocrtrctenbc
Selben bes Krieges garnt(f)t erlöfenb, neufdiaffenb TDirfeen konnte.
S)ic SBegte^ung gut eigenen Sebensft^ulb rourbe eben im Erlege
mit allen sntltteln prüdigerolefen. 3^"^ci ^^tte ber anbere
brausen ble Sc^ulb. SJllt ber Energie bes ®l(^fträubens roäd^ft
ober ble Energie bes @elbftbet)auptungstrlebes. Sie umroanbcinbe
^raft bes fteHoertrctenben Sclbens ber auf ben ©c^Iac^tfelbern
95erbluteten kann erft einem ©efd|Ied)t erroad^fen, bas ble tieferen
Urfa(^en bes ©terbens Im eigenen oerlrrten Sebensrolllen flnbet
unb nun bas 95ernl(i)tung5fd)n)ert auf flc^ felbft geratet flet)t.
S)ann erft roerben ble 5rücf)te blefes Krieges reifen — In einem
neuen Sebensroltten. Sann erft wirb bas „für euc^" feinen tlefften
6lnn enthüllen.
QBerfen mir nun oon 9leuem einen S8II& auf bas fteU«
oertrctcnbe fielben 3^fw- ®5 Ift nlc^t 'Su^aU, ha^ bas erftc „für
cuc^" benen galt, ble lt)m gang na^e ftanben. <£s rolrb fo oft
überfet)en, bafe ble 3Ibenbma^Isfeler In lf)rer Slefe nur begriffen
werben kann, roenn man nld^t oerglfet, ha^ fle ben „©einen"
Im engften ©Inne galt. Unb l^re tleffte QUlrliung ^at fle aud)
nldjt Im erften 3tugenbllcfe t)eroorgebra(^t, als ©Imon nocf) ooU
felbftberoufeten ^raftgcfü^Is fagen konnte: ,%in, Idj bin bereit,
mit blr Ins ©eföngnls unb In ben Xob gu ge^en." €rft bann
rourbe ble QBlrkung, auf ble fle abgleite, gang lebenblg, als aus
bem S:obesIelben bes QHelfters ble ©einen ble oernlditenbe ©djutb
anf(^aute: eure ^elgtjelt unb ©elbftfud^t mar fein 2ob. 9Iod|
bei ^aulus Ift ble oernld^tenbe uub baburd^ erlöfenbe ^raft bes
fielbens ^z\u auf bem ^Intergrunbe ber furd)tbaren ©d^utb er-
road^fen, ble er burd| ble bis aufs 95Iut getriebene 93erfoIgung ber
3ln^änger 3^1" ouf flc^ gclaben ^atte. (^b^n blefc ©ct)ulb, ble
fein fieben gang feft unb unausroelc^Uc^ mit bem Seben Zt\n ocr«
banb, Ift ble furdjtbare SQiadjt geroefen, ble feinen legten ©tolg
brad^. öbroo^I ein 9la(^geborencr, gehört er bod) nod() gu bem
engeren fiebenslirelfe ^t\u, In ben er als '^tinb ^Inelntrat. 91l(^ts
blnbet fefter ouf ^rben als blutige ©d^ulb.
Stefe enge unb lebenblge 95cglc^ung gum 5obe S^fu Prte
aber fd^on bei ber ©eneratlon auf, ble nlc^t met)r unmittelbar
unter 3«fu ficbenselnflufe geftanbcn ^attc. §örte bamlt auc^ ble
— 219 —
umroanbeinbe 3Dlrfeung feines ftcUoertretenben Setbens Quf ? S)as
Ift tn ber Zat ble ©runbfrage, um bte fi(^ bte gange (gntrotdi-
lung bcs cI)rlftUd)en ©ebanfiens in ber tjolgcäcit bre^t. ©ic
fc^niere 6(f)uIbQnfeIage, bie ben Jüngern aus bem Xobesletben
3efu erroud^s, konnte fte auctj in ^rembcn unb ^Je^^efienbcn
Icbenbig werben? €s ift oiel gu roentg barauf gead)tet roorben,
roie fc^on ^aulus mit biefer ©djroterigfieit ringt, unb wie er i^rer
in feiner 3Hiffionsprebigt ö^rr gu werben fuct)t. ®r ift oerfc^iebene
9Bege gegangen, um fie ^u überroinben. (Er f^at feinen 9Hiffions«
gemeinben ©tjriftus „cor bie *3lugen gemalt, als märe er unter
it)nen gefereujigt." '2lber bas Stadierleben ift kein (£rfafe für bas
eigene Erleben, befonbers wenn es fid^ um eine 6a(^c ^anbelt,
bie fo gan§ auf ben ^itnenpunkt bes eigenen fiebens angemiefen
ift. €r l^at ferner bas (griöfungsroerfe Ct)rifti in bie ber 3^^ äU*
gängli^en aUgemein oerbreiteten CSrlöfungsoorftellungen (fiosfiauf,
©ü^ne, liulttfd)es Dpfer) t)ineingeftellt. '2lber bie 93eäiet)ung, bie
bas Sobesleiben 3efu baburc^ gu einem attcrbtngs no(^ tebenbigen,
aber bod) f(t)on veralteten religiöfcn 95orftettungs!ireis erhielt,
konnte bem neuen ficbensimpuls, ber im fteUoertretcnben fieiben
3cfu auf bie Sauger roirkfam geroorben mar, ntcfjt gereift merben.
®as ©ntfdjeibcnbe leiftete fie nid)t: fie roarf bas umfdjaffenbe
®(f)ulbbcn)ufetfein nii^t unmittelbar, inbioibuell unb fc^arf genug
in bie ©eelc. S)lefe QBirkung rourbe erft bis gu einem gemiffen
©rabe babur(^ ergielt, ha^ ber Präger bes ftetloertretenben fieibens
als ber eroig tebenbige, in einer geiftigen ©p^äre bauemb roirkenbe
unb gegenroärtige S^riftus oerkünbigt rourbe. §ier roirb erft
beutlid), roas für eine bebeutfame 3loUe für bie ^ortroirkung bes
(£^riftentums bie „sn^ftik" bes ^aulus, bie 95ergeiftigung unb
95ergöttlic^ung (S^rifti gefpielt f)at. *) ®er „gur 9le(i)ten ©ottes
fi^t unb uns oertritt", roar bie unbebingt notroenbige ©rgängung
bes einmal ftelloertretenb ©eftorbenen. S)aburct) rourbe bis gu
einem geroiffen ©rabe bas fteUoertretenbe fieiben ^efu gunt
ftänbig gegenroärtigcn unb fortroirkenben ©efe^ erhoben, unb groar
um fo roirkfamer, je lebenbiger bie in geiftig * esc^atologifc^en
Sphären lebenbe ©emeinbe ben eroigen et)riftus mgftifc^ als
») Sergl. ben 2lbfct)nitt über ©ellstatfacfjcn unb rcltglöfc SQJa^r^cit.
220
gegcnroärttge SIlQc^t unter fic^ raufetc. 5l5cr es ift bekannt, rote
biefe cnt^iiftafttfd)c 95efttmmt^elt bcs ©emelnbclebens, bie nur auf
ben ©iebepunlitcn religtöfcr (£rgriffcnt)ett ntöglirf) Ift, fdineU oer«
ftegtc. Was ^autus, ber fo ftarli ortentaItfd^*mi)ftlf(^ unb pneu-
mattf(^ oeranlagten Statur, gelungen war, gum lebenbtgen ©egen»
roartstntpuls gu machen, bas fank rocntge ©enerattonen fpäter in
bte €rftarrung eines ©ebanfeenfdjentas gurücli. ©er alte ©teil»
oertretungsgcbanfee löfte ben lebenbig TOtrlifomen balb oöttig ab.
S)ic SBunbenmale ^z\u prägen fid^ no(^ eingelnen auserroä{)Iten
9Ht)ftiliem in bie ©eele unb — njorin (f)aroliteriftifci|em)eife bie
anaffe bas nti^t me^r innerlirf) ergriffene, aber um fo lebhafter
äufeerlic^ angeftaunte 3Dunber fie^t — in ben Körper, '^üv bie
übrigen ift bas fteQüertretenbe Opfer (£t)rifti bas ©on ber Äirc^e
oerroaltete objektioe §eilsn)erk geworben. *)
STlun aber ^at ber "Jlpoftel bes ^reuges no(^ einen 2Dcg ge»
Iiannt, um bas 3Bort oom ^reuge lebenbig roirkfam gu madjen:
bas in it)m unb burct) i^n felbft fortroirfeenbe ftell»
oertretenbe fieiben. 3« ^^^ paulinif(f)en 9Hifftonsarbeit
kommt biefem QBege eine oiet größere 95ebeutung gu, als bie
3:t|cologen gemeintjin annet)men. 3)ie tieffte QCirkung feiner 93er«
künbigung get)t grocifeUos auf bie Satfac^e äurück, ha^ biefer „mit
^^rifto ©ekreugigtc" bie „SQIalgeic^en bes ^errn ^efu an feinem
fieibe" trug. 5)urd| aUe feine ©riefe gittert bas grofee fieiben „für
*) ®ic ©(^roterigkcit, bas ftelloertretcnbe Setben (S^rlfti als tolrk*
fam untfdjaffenbe ^raft ins fieben ju tragen, tft übrigens im ^rotcftan*
üsmus md)t etioa geringer gcioorben. ®s lag in feiner ©runbienbcnj,
auf btc btbttf(^en ClucUen 5urü&5ugc^en, begrünbct, bafe et ben 9Bcg bcs
anfd)oulici)cn aztalens bes S:obesIclbens (Etirifti befonbers gcpftegt ^at.
9Iber auc^ er fudjte bie Grgönsung in ber 9ni)ftik, bie jum gegeniüärtigen
(Erlebnis mact)en tülU, loas in ber 93crgangen{)eit fid) poüjog. Sie
•ipaffionslieber aus ber ®poc^c ber inbioibualifttfcfien Frömmigkeit finb
^ier bie bekannteften 53erfuci)e. 5lber mer ^ötte beifpielsiücife in bem
f(ftöncn "ipafftonsßebe ^aul ©erljarbts: „O örntpt ooU ^lut unb JZBunbcn"
nie ben §iatus empfunbcn, bet fi(^ beim Uebcrgange in bie ülcrte ©tropfe
ouftut: „9lun, tüas bu, §err, erbulbet, ift aücs meine Saft, Ic^ felbft ^ab'
es ocrfdjulbet, roas bu getragen ^aft." S)as ift bie anbädjtlge Sc«
traditung einer frommen ©ecIc, bie längft auf anbercm 2Bcgc bcjiDungcn
ujurbc, gc^t aber an bem, ber erft bcgiDungen werben foü, glatt oorüber.
— 221 —
anbete", b. I). um anbete gu geroinnen, fjtnbutc^, bas int ficben
felbft noctj olel onbtingenbet gerottkt ^aben mufe, als es aus ge*
fc^ttebenen 2Botten eiferen unb gefüllt roetben kann. „2Det Ift
fdjroadi, unb id) mevbi ntdjt fdjroad)? 9Bet rottb geätgett, unb
id) btennc nldit?" *) 5)ct „S^tlftus in i^m" roat boc^ noc^ un*
enblic^ oiel nte^t als ein „mgftifc^cs (gtlebnis" auf feltenen §ö^en*
punfeten obet in ©tunben fi(^ oetfcnkenbet 33ettad^tung. ®t roat
bos lebenbig in i^m fottroitlienbe ficbensgefefe, bent et felbft butt^
ftefloetttetenbes Seiben untetrootfen rootben roat. ^ier ift h^x eine
feöniglidic 9Beg, um bas ©efefe bes Opfets roitkfam unb be»
groingenb in bie 9BeIt ju ttagen: bas immet fottgeugcnbe ©efefe
bes fteflüetttetenben Seibens, basunmittelbat — nic^t etft butd)
©ebankenft)fteme unb aus bet ^etnbettaci)tung gebotene ©efüi^Is«
roitliungen — bie umfd^affenbe ©i^ulbanfjtage in bie 6eelen roitft.
9a3ie ctfc^üttetnb unb ben SigenroiQen btedjenb muffen 95tiefe roie
ttma bet jroeite ^otintt)etbtief auf bie 9Hcnfrf)en geroitlit fiaben,
beten „95atet" et fic^ nennen butfte! 3Bie ei)tfutd)tgebietenb unb
aUe tötid)te ®igenfud)t äutn 6(i)roeigen btingcnb mu§ biefe mit
(Sine 3Ba^r^eit, bie erft burd) anbäc^ttge 3$erfenkung gegenroöitig
gcmadjt roerbcn mufe, kann bie jroingenbe ^aft eines unmittelbar
roirkcnbcn unb unau5n)ei(i)Iid) angrcifenben Sebchsgefe^es nid)t erfegcn,
fo ergrctfcnb aurf) bie 93tlbcr unb 2Bortc finb, bie fte oor bie ©ccle fteUcn.
2Bcr nt(ä)t f(^on ergriffen ift, roirb auf btcfcm 2Bcgc nidjt bcsroungcn. S)le
SE)riftusmi)fttk Kann ouslöfen, beftättgen, klären, befefttgen, nias bas ^art
anpackenbe Seben erjroang, aber fd) äffen kann fte es ntd)t. ^ür eine
nad) tnbtoibualtfttf(^er ^efeligung trac^tenbe Frömmigkeit, bie immer
burcf) ©efü^Ie crfcgt, mos urfprünglid) 6a(i)e bes umfcliaffcnben SCiUens
ift, rclci)t btcfc gZlgftik allenfalls aus. ©cn großen Umfdimung jum foälalcn
3)rongc f|at fte allein nodj ntrgcnb gcfif)affen, rote benn in allen *ipafftons*
liebem blcfer 9lrt bie fojial binbenbc ©citc ber (Erlöfung nöUig fe^lt.
2Borum ift biefe Sückc, in ber ber @rbfd)abe bes "iproteftantismus liegt,
nie empfunben roorben? ö<it bod) felbft ber grofee snqftikcr bes Slcuen
^cftamcnts bicfcr 5clte ber ©rlöfung in ber guferoofd)ung unocrgäng«
ltd)cn 2tusbruck nerlie^en.
*) Sen ergreifenbftcn unb äugleid) ticfften Slusbru* ftnbet bles
ftcllocrtretcnbc Selben bes Slpoftels in ber Bteüe bes Ieibenfd)aftli(^ um
bie Seele fetner (Semeinbe kämpfenben ©alatcrbricfes ®al. 4. 17. „9Ileinc
Äinber, um bie idj mieber ©cburtsroe^en i)abz, bis bofe ©^riftus in euc^
©eftolt gewinne."
222
einem gebrc(f)Itd)en Körper uncrmübltd^ für onbere fi(^ opfernbc
©eftalt, in ber jebe ^afcr ben gott« unb mcnfd^cngebunbcnen
9BtIlen atmete, in feinen ©emeinben fid) burd)gefeöt ^obcn!
liefern QBilten mar felbft ber ©tolg unb bic 6plitterfu(^t ber
Hellenen nidit geroadifen.
kleben biefem einen 9Begc finb otte anberen nur ©eitcn-
gaffen. 5)ie ©etrai^tung bes Seibens S^rifti unb feine gebanfe*
Iid)e 25erarbeitung beutet unb felärt n)ot)I bas eroig fortroirkenbc
©efeg — cbenfo oft freiließ gerftört fie es ober f(^roä(^t es ah,
roenn fie ifoliert auftritt — , burd^gefcfet roirb es nur burd) bas
croig fid) emeuernbe ©egenroartserlebnis fteUöertretenben fieibens.
S)cr (£t)riftU6, ber tebcnbig burdj bic ©efc^id^tc fc^reitet, ftirbt nidjt
5lus bem Seben felbft roirb er immer neu geboren, burd) bas
Q^hm roirb er immer neu gefereugigt, im fieben fe^t er immer neu
fein eroig lebenbiges ©efefe burd), bis if)m alles unterroorfen fein
roirb. S)er ^iftorifc^e ober biblifd)c ober gar ber aus bogmatif(^en
^röbifeaten äufammengefe^tc (E^riftus fdjafft nichts, er beutet unb
Märt t)t)d|ftens, roas ber lebenbig gegenroärtige unb ber oon (groig-
feeit ^cr fd)affenbe in ber oorliegenben ©tunbe roirkt.
3n ber oorliegenben 6tunbel 3)as fteUoertretenbe fieiben
ift ja immer roirfefam geroefen. 9Ber in ber ©rofeftabt 3tugcn
tjatte, äu fc^en, ^at es bort immer gefe^en. 2Iber in ber gefd)i(^t«
lidjen Stunbe bes 3DeItferieges ift es fo erfd|ütternb unb überroäl-
tigenb oor bie 9Henf(^en getreten, ha^ nun aud) btinbe 2tugen es
fe^en muffen. SDas öi^^cgfc^ieben ber ?lot aus ber eigenen 95cr-
antroortung, rote es troö bes taufenbfad)en ©rofeftabtelenbs oon
ein«m f d^amlofen ©efc^Iedjt ber ^t^^^^öuptung geübt roorben ift,
ift nun ni(^t met)r möglic^. "Su furd)tbar ift bic Spra(^c ber
^unberttaufenbfad^ ba^ingemorbeten, oerfeommcnen unb oer-
ftümmclten 3"9C"^» öIs ha^ i^re ©(^ulbanfelagc noc^ gänälit^ über-
hört roerben könnte.
^od) roirb fie freiließ oon Ungegö^Iten überhört, bie felbft
in biefem Kriege aus anberer 9lot nur ben '2lnfporn polten, ft(^
um fo fd)amlofer burc^sufe^cn. S)er tierifdjc Srang, oon bem
93Iutc anberer gu leben, ift no(^ lange nid)t aus ben ©efd^öpfen,
bic aRcnfc^enantliö tragen, oerfc^rounben. S)as furchtbare ©idious*
roirfeen biefes bämonifc^en oranges gehört ju ben erfc^üttcrnbften
— 223 —
Offenbarungen bes 3BeItferlegcs, ber ben oufgefelärten Kulturen"
t^ujiaften unb 9loturoptimtftcn gegeigt ^ot, auf roas für ouIliantf(f|cn
Untergrünben bas 9Henfcf)enIe5en nod| immer fic^ abfptcit. Un»
oergeffen roirb bleiben für bie 3ttf)rtaufenbc, ba^ bic ^umanitöts«
unb ^utturfd)n)ärmcr ber „neuen Wdt" and) bie fc^Ummften 95Iut*
faugcr raaren, bie bie 3nenfc^^eitsgefc^ic^te bisher aufgemicfen ^at.
5Iber es ift fc^on etmas, ha^ über biefen Sotbeftanb oielcn
im blutigen ©efc^e^en bie klugen geöffnet roorbcn finb. Sticht
freiließ burd^ 3luflilörung unb eine rein äußere Semonflration
bes gufammen^anges! 9Benn irgenbroo, fo oerfagt ^ler bas
bcutcnbe unb Ief)rcnbe QBort. Siefelbc ä^nifd^e Urferaft, bic es
treffen roill, roeift es mit ber i^r inneroo^nenben brutalen ^^*
energic entrüftet unb empört gurüdi unb fdjeut fid^ nid)t, ft(^ nad^
wie oor hinter ^umanitätsbeteuerungen gu oerfc^ansen. ®as
3Befcn bes ungebSnbigten 9laturbranges ift immer bie 95Iinb^cit
gemefen. 9Iur ber, in bcffen Sebcn ftelloertretcnbes fieiben fdjmerj-
lid^ na^e unb unausroeidilii^ anpacfecnb f)inetngetreten ift, roirb
überführt oon ben legten ^ufammen^ängen bes 9nenf(^^eit5lebcns.
Sarin lag nämlid) bas 9leue bes großen ficibens, bas ber
^rieg über bie 2DeIt brachte, ha^ es fid) nic^t, roie bisher in ber
fogenannten ^riebensjeit ber tjinter uns tiegcnben ®.egenerations*
epod^e, ifoliert abfpielte, fonbcrn ha^ es fi(^ unmittelbar in bic
legten "iporcn bes ©efomticbens tjineinbrängte. *)
*) ©s ift ein burc^gc^cnbcs Äennjeleijctt ber ®po(J)c bes roitt*
fd)aftIt(^«tccf)nifcJ)cn Sluffdjroungcs gcrocfen, bafe fie bas Seiben tfolierte.
®le tranken«, 9a3ttifcn'', Sinnen* unb Stlten^äufer roarcn glänaenbe 3fO'
Ilerungsanftalten. S)artn tag tedjnifi^ ein grofeer gortfc^ritt, menfc^K^
unb für bie tatfäd)Itd)e (gntroidtlung bes ©efatntlebens aber ein un-
geheurer 9lüdif(^ritt. ^leferfdjauenbe SIcrate klagten feit langem barüber,
n)ie bebenkltd) ber SHangel an pflegerifdjen Fähigkeiten unb an fanttören
3nftlnkten in ber großen SSlaffe ber 95eoöIkcrung fid) geltenb madjc. S)as
einjelne rourbe fctjneUer unb fieserer getjeilt, bie SJBiberftanbs«' unb Ueber-
roinbungskraft bes (Sanjen gegen bie Ärank^eit würbe nie^r unb me^r ge*
f(i)n)äd)t. Sind) einSeiüclsbafiir, bafete(^nif(^e35en)oUkommnungnod) lange
keine (gr^ö^ung ber tatfädjiidjen ©ntroidtlungskräfte bebeutet I ©abel Ift
nod) gamidjt In Stnfdjiag gcbrad)t, roas an feelifdjcn Energien burc^ bic
^efetttgung bes tranken aus ber täglid^en 93erü^rung uerloren gegangen
ift. ^el ber Sfolterung ber Slrmut unb ber oerroaiften unb gefä^rbeten
3«gcnb ift bas freiKd) lähgft erkannt. Qm fiu^t man nac^ Gräften bic
224
Slcfcr ^eg mar unb tüurbe immer me^r gu ctttem Kriege
ber 93ölker in if)rem ©efamtbcftanbe. ©clbft bcr SBritc, bcr fid^
bur(^ bic 3o^rt)unberte baron gcioö^nt t)Qtte, onberc für fid^ gur
6i^lad)tbanfe gu führen unb nur bic minberrocrtigen klaffen unb
95otf{6feIaffcn auf bie (5ci)Ia(^tfclber §u fc^icfeen, mufete fic^ in bcr
9lot ber ©tunbc gur allgemeinen ®icnftpflici)t bequemen. (£s gab
jc^t {tein entrinnen me{)r. ®er Zoh griff in jcbcn ©tanb, in
Jcbes §au6, in jebe 'gamilie t)inein. ©arin lag bic ttefftc ^c-
beutung biefes Krieges. €r märe gu einem ungetjcurcn Unglüdi
für bic cingctnen 93öllier unb für bie QHenfdi^eit geroorben, roenn
er in rocnigen 3Honaten burc^ einen oorjc^nellcn 6icg beenbigt
morben märe. S)as Seiben märe roieber auf roenigc Opfer be«
f(^ränkt roorben unb ^ätte feine crlöfenbe ^raft nidit ausroirfecn
fiönnen. 9Bir muffen bie 25orfet)ung anbeten, ba% fie es anbers
fügte. Slun ^at baö (£ifcn bcs ftcllocrtretenbcn fieibens roirfitic^
gefaxt, roeil es ben innerften 'ipunlit ungeäät)Itcr Gingelncr unb
baburd^ ben innerften ^uniit bcs ©cfamtlebens traf. 3<^ erinnere
^Cnftaltsbc^onblung burd) ein 3urü(fefü{)ren in ben 93olfe5körpcr ju er*
ganzen, um bas 93erantn)ortungsgefü^I nic^t oöUig ausäufctjalten, jumal
ha mon ber UeberfüUc ber Stot burc^ Sf'^K^i^uKÖ fct)Iect)terbings nii^t
^err rocrben kann. ®te S:enben5 bcs te(i)mfd)en Seitaltevs gc^t aber
ba^in, bas Seiben „aus bcr SIBelt ju fc^affcn", b. l), aus bcr ©ic^t ju
entfernen, bamtt ber 3d)nJiIIc ungcftört bmd} altes 6(^ulb* unb SBcrant*
roortungsgefü^I feinen 2Beg ge^en kann. Sie aufammengeballtcn 2lrbciter*
üorftäbte In ben ©rofeftäbtcn finb bas fdjmarfjooUfte S^WQniö bes alle
93erantn)ortung für bas ©anje able^ncnben 3d)branges bcr Sleuäcit. S)ie
rocnigen SKenfc^cn, bie aus ben Käufern bcr SBiücnoorortc ben 2Bcg in
bic 9tot ber 93orftäbte fanben, roaren .roa^rtjaftig keine gcnügcnb faltbare
iBrü&c, um ben 6ttom bes ©cfamtlebens ju tragen. ®(^Ott (£arli)le rotes
barauf ^in, bafe burd) bie §änbc bcrer, bie bic Kleiber bcr 3lct(f)cn in
muffeligen 9Iäd)ten anfertigen mußten, bic ^rank^citskcimc borf) i^rcn
9Bcg nad) Sonbon»2Beft gefunbcn Ratten. ®ie eroige SJlatur erinnert
immer roieber an bie 3ufammen^änge, bic menfc^Iic^e ^t^fudjt ju burd)*
fd)ncibcn trad)tct. Slbcr biefer ©rang bes S^^ji^^ws, burd) tcdjnifc^e
Sfolicrung ftd) bas Seiben oom öalfc gu tialten, konnte erft bmd) ben
»oUcn 3ufammenbrud) bcr tcc^mfd)en ©rftarrung gcbro(^cn rocrben. (£rft
als bcr Ärteg bic ganjc 2BeIt in ein cingigcs tranken*, 2a3aifcn*, Strmen*
unb 2lltent)aus ncrroanbclt ^atte, roarcn bie normalen ©runblagen bes
Sebens roiebergefunben. 2lud) ^icr jcigt ftc^, bafe bas 6d)i(fefal bcs
rabikalcn Serftörungskriegcs duz ©ntroiditungsnotrocnbigkcit roar.
— 225 —
mtc^ nocf) einer erf(^ütternben ®tunbe, in ber tc^ einem reichen
^ausbefigcr, ber int 93crfie^r mit oielen feSrnpfcnben 3lrbeiter-
familien, beten Snietgins feinen 9fleic^tum gefc^affen fiatti, niemals
eine ©c^roäcJieanroonblung gegeigt ^atte, als ^Pfarrer bic ^unbe
bringen mufete, ha^ fein einziger ®o^n auf bem ©c^lac^tfelbe ge=»
fatten fei. 9Hit ben 9loturIauten ber Offenheit, roie fie nur in
©tunben I)öd^fter ®rfd|ütterung tebenbig roerben, bekannte er, bofe
er üöUig blinb unb gefühllos burd^ bie STlot unb Trauer ber QUelt
unb bes Krieges ^inburdigegangen fei, bis' es il|n nun felbft ge=»
troffen f)obe. ©iefem 9Hanne ging erft iefet bas SHenfc^enleben
in feinen inneren 3"fötnmcn^ängen auf! Qo ift es aber Saufenben
gegangen. S)as Seiben anberer kann erft gum fteüoertretenben
Seiben im t)öc^ften Sinne werben, menn es unmittelbar in ben
3nnenpunlit bes eigenen Sebens ^ineinft^Iögt. ©ie fdjroorjum*
räuberten ^rauerangeigen, bie täglicl) bie ©paften ber Rettungen
füllten, geroannen erft ©prai^e unb Seben für bie, benen felbft
einmal ein 91ame, mit bem Seben unb Hoffnung fc^merglic^ feft
oerbunben roaren, groifdien fc^roorgen SRänbcm geftanben ^atte.
©iefen SHtenfc^en ift über Stadit ein neues Drgan geroadifen. ©ic
bitben einen ©e^eimbunb oon fotrf)en, bie einer tieferen Seutung
bes ©efc^e^ens geöffnet finb. ©ie finb fät)ig, bie ©pra(^e fremben
Seibens gu oerfte^en unb bie ^nnh^ oon feiner ummanbelnben
^raft in fid} aufgunet)men, roell bies frembe Setben itjren eigenen
Snnenpunfet traf, ©croife roerbcn nii^t alle bie gerfc^metternbe
©d^ulbanfelage bes fremben Seibens in i^rer gangen 9Bu(^t in
fic^ gur 9Dirfeung kommen taffen — bagu ift ber fic^ ftrüubenbe
Sc^mitle noc^ gu m'ad)ÜQ — ; noc^ meniger roerben fie aUc aus
i^r bie ^raft ber oöUigen 9BiUensumfteltung gießen. 5tber bas
fc^arfe 9Jleffer ^at ^ier angcfe^t, unb unter ben oielen, bie es traf,
wirb bie ^erntruppe fic^tbar werben, bie ber unget)euren ©c^ulb*-
prebigt fremben Seibens nic^t ausroeic^t, fonbern aus i^r bie
SÖlotioe eines gang neuen Sebensroillens ^erous^olt. S)as „für
uns" wirb in i^ncn gur fc^öpferifcl)en ^raft für eine oötligc
Sebensumgeftaltung njerben. 5)er blinbe S^^^iöng roirb i^nen
ols bie ©ct)utb i^rcs Sebens aufgeben, unb lic^t unb klar roirb
oor i^nen ber 2Beg bes großen Sienens fic^ auftun. 9Bo frembe
9^ot unb frembes ©terben in i^ren 93licfepunkt tritt, werben fie
a. ^ettmann, ©roftftabt unb Äettgion. 3. Seil. 15
— 226 —
i^rc ^eilige 6pra(^e ntrfjt mc^r über^rcn, röetl fic fie einmal
in i^rcr futi^tbatcn SDcutlid^keit oernommen ^aben. SJas 6elbft»
ocrftänblic^c frembcn ficibens ift für alle fetten in i^nen gertcf)tet.
9Bo fie clnft bas ©elbftoerftänbllt^e fa^en, ftet)t je^t für fie bas
lebcnblge ©efe^ bes eraigen ©ottes. Heber ber ©eftolt ber ^rmut,
bcr 9lot, ber ^ronk^eit unb bcs Sobes ftef)t für fie roieber bas
2Bort bcs jTOCiten Sßföiß. bas nid)t fterben kann. 2Das für eine
5Iufgabe, bics QDort ous bem blutigen ©efd)ef)en ber ©egenroart
öon neuem gu oerliünbigcn unb bcutenb in bic 6eclen bercr gu
mcrfen, benen bas gro^e Seiben unb Sterben ber "^üt ben innerften
Scbenspunkt trafl ^Das für eine i^eilige ^flictit, aus ber oer*
bluteten 3ugcnb bie ©eftalt bes eraigen 32tenf(i)enfot)nes roieber
aufftcigcn gu laffen! 9Bas für ein Iiöftlidies fiebensroerli, ous
h^m ©d^roerften, ©innlofeften, ©raufamften ben ^öd)ften, göttlidjen
®inn l^erausgu^olen! 9Bas für eine ^aftquelle gab ber eroige
©Ott feinen 93oten in bie §anb, als er bies blutige ©efc^c^en
über bie (Erbe Kommen Iie§! SDie ift burc^ biefe grofee Stot nun
alle 9lot in ber 2Belt gezeitigt roorben! 5Bic ift aus bem 5lller=
ocrad^tctftcn mit einem Schlage bas ^llerroertoottfte geroorben!
Sticht bas 95orbilb ber fterbenben 3ugenb roerben roir gu
oerfeünbigen f)aben, aber il)r 95ilb barf nii^t fterben in ben
Snenft^entjergen, bas ©ilb ber ba^ingemorbeten ^raft, bic, inbem
fie ba^ingemorbet« rourbe, ^ö(^fte ScnQii^Ösliraft für bie guliunft
rourbe, roeit fic fie tjinübergroang in eine neue ©efamtridjtung
bes fiebens.
3n eine neue ©cf amtriditung ! ®enn bas ift nun bas
inncrfte 3Bef cn ber umf d^aff cnben QBirkung besftelloertretenben
fieibcns — im llnterf(f)ieb oom rein ^scrfönlidien — , ha% es nie»
mals 5U einer ru^cnben ©eligkcit unb einem paffioen perfönlicl)cn
ijrieben führen kann, fonbcrn ba% es unerbittlich gur fcl)affenben
Zat für anbere oorroärts treibt. 5Beil bas ©cl)ulbgefüt)l an
frcmbem fieiben oernid)tenb Icbenbig rourbe, tiann es nur bur(f)
Eingabe on frembes fieiben übcrrounben roerben. 60 roirb
erft burc^ bas ftelloertretenbe fieiben bie fogiale
©cite ber (grlöfung burcl)fc^tagenb fidier geftellt.
S)en 3uföntmen^ang fremben fieibens mit ber eigenen fiebensfc^ulb
ft^merglidi erkennen unb alles baran fe^en, ha% nun bas gange
— 227 —
fiebcn gegen frentbcs 2etben gerichtet fet, roie es bfs ba^in für
btcfes rokfefam roar, ftcf)t in unlöslicher ^roangsocrfiettung mit-
ctnanber. Ste ©diulbonklage fiontmt ntc^t e^cr jur 3lu^e, als
bis fte ben QBiUen, bcr in it)r fclbft oernic^tcnb sum 3lu5bmcfe
kommt, reftlos burdigefegt f)at, b. ^. ben ^Bitten jum großen
fiebensopfer. S>ann erft ift bos 3"nßi1^tc bcr ©eele roicber eins
mit bem Opfer, bas fie fclbft gcforbert unb ocrfdjulbct ^ot, wenn
fie fic^ fclbft jum Opfer gegeben fjat ©ann erft ift bie 95cr*
fö^nung mit bem ^Bitten, ber hinter bem Opfer ftanb, ooßcnbct,
menn ber 9Henf(^ dn bie ©räber bcr ^otcn unb bie 6tättcn bcr
9Iot treten fiann mit bem neuen ^iUen, fclbft bas ®efcö äu er«
füllen, ha^ er in 2ob unb Stot anberer für fic^ mirkfam gefc^cn
t)at. S)onn erft oerlicren bie ©räber it)re ©(^redicn unb bie
fieibcnsftättcn ber 2Jtcnfc^^eit i^ren ©tacfjcl, roenn fie gu ©cburts««
ftättcn fcljaffenbcr flebenstot für onbcre merbcn. S)ann roerbcn fie
gu Heiligtümern unb ©cbetsftätten ber 231enfd|I)cit, an bcnen fie
bas t)öcf)fte fiebensgefe^ oott Stirfurc^t fc^aut unb bie 9Beil)e er*
^ölt für ben fcl)öpferifcl)en OpfcrroiUen, auf ben t^in fie gcfcl)affcn
roorben ift. Sann ftrömt oon biefen Heiligtümern bcr '^mh^
aus foroo^l für bas einzelne Sölcnfc^enlebcn, bas nun fein eroiges
©efe^ gefunben f)at, roie auc^ für bas ©efamtleben, in bas nun
ber be^crrfdEjcnbe ©runbroille cingog, ber feine gcfunbe (Entroicfelung
bebingt. S)as „für euc^" roirb jum Qlusbrudi für ben innerften
ijrieben* bcr <oeih unb bas grofec »tJ^tebe auf €rbcn". 3)er
2Bitle äum Opfer ift 95erfötjnung unb fc^affenbe ^raft jugteic^.
O^ne ben 3Billen für anbere gibt es feeinc 95ergcbung, nxü> o^nc
bas Hinnehmen ber Vergebung oon anbcrn gibt es feein QBirfecn
für anbere, bas feeinc ©reuäcn unb fecin 9Ha§ me^r feennt.
15*
3* ©as ^olk (öottes.
Um bte ^rage nac^ ber gjebeutung ber menfciiltd^en ©6=«
meinfc^aft für blc Sleltglon tft bis in bic 3ßit ^^s tnobemften
3nbiolbuaIismu5 bos reltgiöfc Senken, foroeit auf unfcrm Planeten
überhaupt ein folc^es ©puren ^interlaffen ijat, nie ganj ^erum*
gefeontmen. ©oniett i(^ fe^e, tft es ber '>perfönli(^feettsfeultur unferer
Sage oorbe^alten geblieben, in ber fog. „®e^etmreIigion ber ©e*
bitbcten" ein ^^ontont gu feonftruieren, bas ben ©enteinfcliofts«
gebanften oöUig ausfc^Iicfet. 9Benn es roirfilidi eine foId)e „©e^eim«
religion" geben fotite — roer roilt bas bei i^rem „geheimen" e^arafeter
ausmachen ? — , bie ol^ne irgenbroetd^es fid^tbare ^ineinroirfeen in
bas ©cfamtteben ejiftierte, fo könnte kein ^roctfel baran befielen,
hQ% roir in biefer 3leIigion ben äufeerften ^ot ber ©ottlofigkeit
Bor uns Rotten. S)enn roas irgenbroo als „perfönlirf)er Sefi^"
fein SBefen treibt, oi)ne ben innerften ©rang gu cmpfinben, jum
©efanttbefi^ ju werben, f)at mit beut QBiEen, ber alles burd^bringt
unb fic^ alles unterroerfen will, ni(^t nur nidits gu tun, fonbern
ift fein teuf tiefes ©egenftück. 2lllerbings ift in einem gettalter, in
bem bie ©eele oon „i^rem" ©ott fprirf)t, altes möglii^. SDarum
füllte es in i^m nidjt aud) eine fold|e ©e^eimoerfd()roörung bes
Teufels geben?
Wo and) nur ein ©d^atten mirklii^cr Sleligion aufgetaucf)t
ift, ift aud^ irgenbeine ^Jorm menfd)ti(f)er ©emeinfc^aft gemefen.
©etbft bie 3nön(^c ber QDüfte ^aben auf bie ®auer nidit auf bie
^itger t)er§i(^ten können, bie fie „fanb'cn", gang abgefe^en baoon,
ha^ fie nie ben inneren gufommenljang mit i^rer ^irc^c, aus ber
fie flüchteten, oerloren ^aben. Satfäc^lic^ liegen bie S)inge fo, ha^
in bemfelben ajla^c, roie eine 3leligion lebenbig ift, fie aud| ge«
meinfc^apilbenbc ^öftc entmickelt. S)ie Ijöc^fte ^orm ber QUetigion
entpit aud) bie intenfiofte ^raft ber ©emeinfc^aft. 3^re äufammen«
binbenbe Sölac^t ift bas untrüglic^fte ^enngeic^en i^rer Sebenskraft.
— 229 —
S)ic Qflcltgton 5^1« ^on Slagarct^ tft gcmcinfc^oftbltbcnbc
^roft im Petiten ©tnne gerocfen. ©as Zeitalter, bas es fcrttg
gebradjt t)at, ^efus bte Icfete ^Ibfic^t untcräufc^icben, ben „cinaclncn"
5U retten, feine (Steife als 3"^iöibuQlet^ik gu begeictinen, oon einer
6oäioletf)iit aber nur „geringe gelegentliche 3lnbeutungen" bei i^nt
gu finben, ^at i^m fid|erlic^ unter aßen geitaltem am femften gc»
ftanben. S)enn es ^ot ben innerften ^em feiner Sleligion nit^t
begriffen ober ri(f)tiger abgelehnt. S)ie ^önigs^errfd|aft ©ottes,
bie er burdife^en roiti, o^ne bas „3leid|" ober bas „Sßolk" —
unb sroar im intenfioften fogialen 6inne ber oöltigen fiebensgc»
meinfc^aft — gu benfeen, ift einfach 95ergeroaltigung. ®ie 95erg*
prebigt, bie ben ©emeinfc^aftsgebanfien bis in bie legten liefen
oerpfli(f)tenb in bie SHtenfd^enfeelen hineinwirft, als „^rioatmoral"
gu bejeidjnen, grenzt an SBafinmig. 3)a§ er ben ©emeinfdjofts-
formen ber (E^e, ber eJö^ntlie, oor allem aber bes Qtaatis nidjt
bicienige pofitioe QBiirbigung gugeroenbet f)at, bie ein mobcmer
Drganifationsanbeter ermartet, t)at feinen offenfeunbigen ©runb
barin, ha% alle biefe ijor^ncn in feinen Sagen fo gut roie in ben
unfrigen in oöttiger S^tfcfeung begriffen waren unb barum filr bie
roirfeücfie fiebensgemeinfc^aft, bie er fd)affen roollte, nur fc^roerfte
$inberungsmöct)te waren, an bie man in it)rer oorliegenben QBirltlic^-
lieitsgeftalt auc^ kein ejünkcfien ^aft oerfc^roenben burfte. ©ie
5lble^nung ber fogenannten fogialen Sßerpflid^tungen, beren Er-
füllung ni(i)ts als gerftörung bebeutete, mit benen man fid| l^öt^ftens
abfinben burfte, mar bie ^inke^r jur ^öc^ften fogialen ^flic^t.
(Erft burc^ bie gerftörung ber alten f oktalen ^c^niürbung konnte
bas wirkliche foaiale fieben fic^ burdifegen.
9Bas für glü^enbe 2Borte ^ot ^efus über bie roirklit^c
foäiate ^flic^t ber €t)egatten, ber ^inber gegen i^re 0tem unb
umgekehrt, bes 95rubers gegen ben 95rubcr, bes 95oIksgliebes gegen
bas 93oIk, bes SSoIkes gegen alte feine ©Heber (oud) bie "S^Umt)
gefunben! S)iefe ©ogialettiik kann überhaupt nic^t me^r überboten
werben, ©ein ganges fieben war oon ben kämpfen in ber 9Düfte
bis jum legten Sobest)aü(^ eine eingigc fogiale Eingabe unb ein
einziges gwingenbes 9Derben um biefe in anbern. ©ein ganges
(Erleben unb QCirken war bis in hi^ legten feelifd)en Untergrünbc
unb bie legten 3lu§enfafem fogiatcs «rieben unb fogialcs
230
QBirfecn, unb groar in einem fo burc^grcifenben 6innc, ba^ fction
bic gebanfelid^e Unterf (Reibung groifdien ^ni^iJJtbual« unb ©ogial«
et^ili, än)if(f)en bcm QBert ber ^crfönlic^Iicit unb ber SBebeutung
ber ©enteinjd)aft ^bfaU oon feinem religiöfen QBoUen ift. ©ottes»
unb 9läc^ftenliebe liegen fo oöUig ineinanber, ha% ni(f)t etroa bie
Stäcfiftenliebe als fefeunbäre i^o^GC «us ber ©ottesliebe ^eroorge^t,
fonbern ha^ biefe ot)ne }ene überhaupt wijoiU unb roertlos ift.
5)te t5^Qge nad^ ber ©emeinfcfjQft ift nid)t etroa eine profetifd)»
te(^nifd)e i^^age, bie aus einer anbern 6pt)örc, ber 3tufeen=» unb
Umroelt, an bie 2leIigion herangetragen wirb, fonbern fie ift eine
im ^öd^ften ©inne religiöfe ^rage, bie in ber ©ottcsfrage felbft
bef(^Ioffen liegt unb mit i^r ftet)t unb fällt. 9Han t)at in ber
S^eologie ber religiöfen 93ebeutung bes ©emetnfd)aftslebens baburd^
geredjt gu werben gefüllt, ha% man i^m in ber Pflege, SBedfeung, (Ent*
günbung, (gr^attung, Stärkung bes religiöfen fiebens — bas alfo
als etroas oon bem ©emeinfdjaftsleben Unabhängiges ober bod^
gu UnterfdEieibenbes gefaxt rourbe — eine SloHe gufdirieb. ©iefe
93erfu(^e finb gänglid) ungenügenb unb bebeuten fc^on 2lbfaII oom
religiöfen ©runbgefeg, gang gu fd^meigen oon ber tt)eoIogif(^en
X^eorie, für bie alle formen bes ©emeinfdE)aftsIebens als mit ber
Sieligion grunbfä^li(^ oereinbar gelten. 5)en 95anfirott ber lefetcren
gerabegu als gottlos gu bcgeic^nenben S:^eorie tjoben mir im ^U"
fammenbruc^ aller fogial binbenben Gräfte in ber 9J3eltliataftrop^e
n3ot)l grünbli^ genug erlebt. 2lber aud) jene crfteren 95erfu(^e,
ber liir(^lidE)en ©emeinfrf)aft eine ftü^enbc unb bienenbe ,5i"ifetion
für bie 3leligion gu ficl)ern, ^aben, gumal im ^roteftantismus,
einen nur gu beuttid^en SBanferott gefunben, inbem fie fid) eben
als oöllig ungenügenb erroiefen, ber 3leligion bie ©tettung im
fieben gu geben, oielme^r fie t)offnungslos oerkümmernb neben
bas Seben ftellten. 3leligion als perfönlic^er Seftö, als inbi-
oibuellc Errettung, als ^raft unb triebe bes (gingeHebcns ift keine
3lctigion mefjr.
©as roirb nun ooUenbs beutli(^, wenn mir Jcgt ben ©e«
meinfcliaftsgebanken im 3uffi"tment)ange mit bcm religiöfen Xlr=
erlebnis fe^en. (Er liegt barin fo feft befc^loffen, ba% es feinen
Sinn oerliert, rocnn er baraus ^erausgefc^nitten ober autf) nur
mc^r ober minber äu^erlic^ baran angefügt wirb. S>er SBruc^ bes
— 231 —
3d)TöttIen5 ^ot tatfdc^Iic^ nur bcn 6inn, bcn ©ottesrolllcn ober —
wQö basfelbe tft — ben ^Dillen für onbere pr ©urdjfc^ung gu
bringen. 915er btc äcntrale 9Da^r^elt ber c^riftlic^eti Sflcligion, bos
QBort oom ^reuäc ober bie umroaitbelnbe ^raft bes ftcUoertretcnbcn
fieibens, überhaupt rotU, ber mufe aucf) bte unbcblngtc foätale
©inbung als bie unausTt)ci(^lid)e unb natur^aft bamlt ocmjad^fcnc
9Dtrliung wollen. S)as reltgiöfc Erlebnis o f) n c bie religiöfc ®c*
meinfd)aft ift tot in ficf) jelber, es ift überhaupt feein religiöfes (£r-
tebnis met)r, fonbcrn ein abgcftorbener Sorfo.
$ier feigen roir erft gang Uat, roorum bos rein pcrfönlic^
gefaxte religiöfe (Erlebnis ober au(^ |d)on bas in ber ©cliglieit
feutminierenbe religiöfe Erlebnis £utt)crs im Saufe ber gef(^i(^t«
lid^en ©ntroicfilung fterben mufete. (£5 roai eine ^J^^^ÖC^urt,
ber bie lefete 'illusreifung oerfagt geblieben ift. S)er 9Hangcl on
foäialem QBoUen ift ber tobbringenbe ®runbfcl)abe bes Sut^er*
tums geroefen, ber, roie wir früher feftftellcn mußten, bereits im
erften 3lnfaö gegeben mar.
5)arum fjat bas fiut^ertum auc^ fietne Setjre oon ber
^ird)e aufgebracl)t, bie ber 3leligion 3cfn ober ber 3tuffaffung
bes bleuen Seftamcnts einigermaßen gerecht wirb. S>ie negatioe
^ofition gegen bie erftarrte ^eilsanftalt ber römifd^cn Äir(^e ift
glüclilidi herausgekommen; bie unfiditbare ^ird)e als bas „^rift«
tid^ heilig 95olli, in roelctiem Cl)riftus lebt, mirfit unb regiert...
burd) ©nabe unb 93ergebung ber ©ünben, unb ber l)cilige
©eift . . . burct) töglictie 5lusfegung ber ©ünbe unb (Erneuerung
bes fiebens, ha% mir nid)t in ©ünben bleiben, fonbem ein neu
fiebcn führen können unb f ollen in allerlei guten 9Derkcn", tritt
als lebenbige „©emeinfc^aft ber.^eiligcn," als bas „SBolli ©ottes*
ber in öußerlid) fidjtbaren formen erftarrtcn ^ierarc^ie gegenüber.
'SJlui^ barin ift bie religiöfe ^ofition geroaljrt, t>a^ bicfc ©emein-
fd)aft ber ^eiligen als burd^ bas 2Dort ©ottes refp. burc^ ben
©lauben, hzn es fcf)afft unb ber es aufnimmt, geroirlite ©c^öp»
fung ©ottes gebac^t ift. 5lber als roirkcnbe, fc^affenbe unb
fortacugcnbe 32tac^t, als Trägerin ber Zat unh bes mirftenbcn
9Billcns ©ottes kommt biefe ^irc^e nic^t gur ©cltung. ©ie ift
ha, wo „bas (goangelium rein geprebigt unb bie ^eiligen ©akra«
mente laut bes ^oangelii gereicht werben " (^lugsburger ^onfefflon
232
5ltt. 7), TOD olfo ©ottes ©nabc angeboten nnb Im ©laubcn Ein-
genommen rotrb. S)te ©emeinfi^oft ber ^eiligen ift alfo bte ©e«
meinfdjaft berer, bte has ©Ietcf)e erleben, ntct)t af)n bte ©emetn-
ft^aft berer, bte auf ©runb bes gletdjen (Sriebntffcs nun aud) bas
©letdie ro ollen, bas eine göttttrfic gtel oerfolgen, bos afles
reltgtöfe ©rieben burdjfe^en rotö. S)er mefentlti^ pafftoe et)a=
ratiter ber £utt)crlitr(f)e trttt ^ter f(f)on tm '3lnfaö beutltt^ heraus,
t^re alitto fortgeugenbe, einem großen Sntroi&Iungsäiel äuftrebenbe
95ebeutung kommt ntc^t gu tt)rcm 9fle(i)te. 60 ift für fintier überatt
bte roafjre ^trdje, mo ein 5 eine 2Henfd|en „tm redeten ©lauben
Hoffnung unb Siebe leben", alfo ha% fie, ob fic fdion taufenb
sntetlen oonetnanber entfernt finb, bod) eine 95erfammlung tm
©etft finb, „bteroett ein j[egtt(i)er prebtgt, glaubt, f)offt, liebt unb
lebt rote ber anbere, meldte (Einigfeeit genug ift, gu madjen eine
(Efiriften^ett (!)". S)iefe (Einigfieit ift eben nic^t genug, benn i^r
fe^It gerabe bas, roas eine ©emeinfrfjaft erft gur rotrfjlidien, oon
einem 931utkreislauf burcfjpulften, roat)rl^aft äufammenfd|melgenben
©emeinfc^aft mad)t: ber gemeinfame, an ein ^iü unb an eine
5lufgabe gcbunbene 9BilIe, ber burc^ bte f(^affenbe %at erft ein
roacfistümlid^es (gint)eitsgebilbe ^eroorbringt.
3n btefem unoollenbeten ?Infag liegen alle fdimerglic^en (£r*
fal)rungen befd)Ioffen, bie bte Sut^erfeird^e auf i^rem gef(^i(^tti(^en
3Dege t)at matten muffen. 6ie t)at fid) tatföd()lid| bamit begnügt,
bie im erften 6turmlauf ber 3leformation burd) bie 2nad|t bes
gleichen ©rtebniffes überrounbenen 3:erritorien ots ©in^eit gu be*
trachten, für bie bann nod) unter '2td| unb Wet) ein gemein«
fames ©efeenntnis guftanbe gebrod)t rourbe, i}at aber nie haxan
gebadet, biefe ©in^eit in fortroä^renbem unb fortgeugenbem Schaffen
innerlid) gu feftigen unb in einen miffionierenbcn ©efc^ic^tsfaktor
äu oerroanbeln. S)ie Sut^erfeirc^e ift nie, rote es Jebe junge,
lebenskräftige Frömmigkeit mu^, aggreffio, roerbenb geroorbcn,
fonbern ^at bie Organifation bes Eingriffs ber römifc^en Äirc^e
übertaffen, bie, obroo^l bie ältere unb barum lebensfd|n)äd)ere
92tad|t, in ber ©egenreformation im ^Defenttic^en fiegreic^ blieb.
S)ie Sut^erfeirc^c ^at fic^ nur, meil bagu äufeertie^ gegmungen,
oertcibigt, rote }a bis auf ben heutigen Zaq bi*e einzige ©lang*
leiftung ber fiut^eraner in ber 3tpotogetifi liegt, ©ie traurige
233
Soge, in bic fte btefcr ftüntmerltdie opologetifc^c %anQ gebracht f)at,
ift bog (grbc bc6 lutljertfc^cn ^irdienbegrlp.
S)cnn auc^ für bie Innere (gntroiditung ber fiutt)erfetrcl)e tft
biefer abgebrod)ene ^Irdjenbegrlff ocrt)ängntsüoU geworben. S)ofe
fte ^aftorenWrdie würbe unb blieb unb bis ^eute gar lieine SHög"
Ii(^fieit t)at, fie in eine ^ird)e bes allgemeinen 'iprieftertums gu
oerroanbeln, f^at t)kt feine OBurseln. 6ie raill ja garniert f (Raffen,
fie TOill blofe erleben. S)ie (grlcbnist^eologie ift i{)r ©cfiidifal ge«
roorben. ©ie erlebt bis auf ben t)eutigen Sag in ben t)ö(i|ften
SIbnen unb ftirbt bodj mitten in allem ©rieben, ^thei aktio
f(^offenbe 9Henfcf), unb roöre es aud^ nur ein ©tra^enfeeljrer, febe
mollenbe Sebensrictjtung, unb roöre es audj nur ber niebrigfte
©efd^äftsinftinfet, ift it)r unenblic^ überlegen, ©ie fürdjtet immer
nod|, in bie QBerlifrömmiglteit ^inobgugleiten, roenn fie anfängt,
aktiv 5u roerben. ©ie f)at immer nod| feein 'S^d gefunben, ab»
gefet)en oon bem (ginselmenfc^en, ben fie gum Srl^bnis ©ottes ober
richtiger feiner felbft füt)ren roiH. ©o ift es it)r ©djicfefal geroorben,
ha% fie fic^ felbft in ber ©ingelfeete begraben ^at. Sie fog. ©rofe"
ftabtgemeinbe, biefe gufammengeroürfcite, fid) um einen äufagenben
9lebner bröngenbe ©d)Qr gleictjgeftimmter unb boc^ gcgeneinanber
oöHig gleichgültiger ©eelcn, ift ber folgerechte ^lusbrudi bes lut^e«
rifc^en Mrc^enbegriffs. €ine ^offnungslofe innere ^crfplitterung
in einanber ausfdjiiefeenbe ©tanbpunfetc ift bas (Ergebnis, an bem
t)eüte nichts me^r gu änbern ift. Sine ©emeinfctjaft, bie fict) nur
auf gemeinfames „Erleben" ftü^t, bleibt nur fo lange ©emetnfc^aft,
roie ein großes Grieben kräftig nac^fcliroingt. Sas leifefte Stac^"
laffen ber crften ©pannung (oergletc^e bas „^riegserlebnis") rückt
fofort bie inbioibuelie 95erfd)iebent)eit bes (Erlebens in, ben 93orber*
grunb, bie nun, roeil fie nicl)t in eine gro^e ^lufgabe fic^ hinein»
fügt unb in i^r ein roertooEes Sölittel gegenfeitiger §ülfe unb ®r*
gängung roirb, in eine um fo größere Serfplitterung ^inüberfül)rt,
je fruchtbarer bas erfte (Erlebnis roar. QCeil bas fiut^ertum nie
eine grofee gemeinfame 3lufgabe fa^, ift es nie innerlich einig unb
QwfeäüQtÖ fcliaffenb, fonbern einem ^roge^ roac^fenber innerer
©elbftauflöfung ausgeliefert geroefen.
3lber nic^t nur fic^ felbft ^at bie fiut^erfiircf)e bas ©rab qz^
graben, fonbern auc^ — barin liegt i^re ungeheure ©c^ulb —
— 234 —
blc 2BeIt, in bcr fte fo geroalttgc (Energien entbonb, f)at fie in
ben 'Slbgrunb geführt. 2DeiI fie nid)t fd) äffen roollte, fonbern
bie S)inge an fidE) Ijeranliommen lie^, um fie gu „erleben", t)Qt fie
bie 9BeIt, bie i^r als ber Trägerin bes pdjften SBitlens auüer*
traut roar, ^alt= unb giellos raerben laffen. (£ine 3leIigion, bie
ber SDelt kein 3iel gibt, ^at itjren f)öct)ften 95eruf t)erfef)It. Sie
Slrbeit in ber 9BeIt oI)ne eine gong fdjarfe übenoeltlidje ©efamt«
gielfefeung, ber ftd) oUe Arbeit gu beugen unb eingugliebern t)at,
ift nur ein ^omtalbegriff, bem eben ber ^n^alt fe{)tt. S)ie ©ies«
feitsfreubigfeeit o^ne eine alles ficf) unterroerfenbe unb fcljarf bin«
benbe S^^f^^tsforberung ift bie preisgäbe bes fiebens an ben 9Ib=
grunb. 3lus ber Srunnenftube ber SHeligion t)at bas Sut^ertum
bie Sötenfcfjen ^inausgefc^idit in bie QUelt, t)at aber oergeffen,
itjuen bas grofee £i(f)t in ber ^erne gu geigen, gu bem ^ingu=»
roanbern bie Sebensroaffer ber SRetigion bie ^raft geben foQten.
©0 ift bie QBelt in ben großen ©umpf geraten, roeil fie ^xv
lichtem na(i)Iief. STlidjt einmal in bem 5tugenblicfee, als bie
913 elt längft erkannt f)atte, ha^ fie im ©umpfe \a% f)at bie
£ut^erfeirct)e ben 9Hut unb bie ^raft gefunben, it)r ben 3Beg ber
Leitung gu geigen.
<£s ift ein tragifd)es ©d^ickfal, bas mir je^t auf htm 5:rümmer''
felbe ber QBelt nur gu beuttief) fe^en. 3lber roenn uns bie ©nt»-
roidilung fo furchtbar t)art unb füt)Ibar gegroungen ^at, Umketjr
gu t)alten, fo rooHen mir bei bem ^irdienbegriff, in bem bas altes
rourgel^aft befcl)loffen liegt, ni(f)t §alt matten, auf bie ©efal)r
l)in, nac^ oiertjunbertjä^rigem ge^i^c" »oit ^ß" lebenbigen Gräften
biefer ^irct)e uns oon ben ©runblagen ber 93äter gu entfernen.
3m ©runbe ^anbett es fid) \a nur barum, i^ren Qlnfafe gu ooU*
enben, gu ooEenben burc^ ein ernfteres Surüclige^en auf bie ©runb-
lagen, auf benen fie fetbft gthaut Ijaben.
S>enn es liann fjeinem 3w>ßifßl unterliegen, ha% bas gange
STleuc S^eftament ein tieferes unb fefteres 95er^ältnis groifc^en
9fleligion unb ©emeinfc^aft kennt, als bie Sutlierkirc^e. 93ei S^fus
(£^riftus ^aben mir bas genugfam aufgeroiefen. 3lun aber muffen
mir unfer ^uge auf ben 9Itann rillten, ber, felber 3Deltrei(i)s=
miffionar unb ©rofeftabtkämpfer, uns bie religiös=»fogiale 2Iufgabe
ber ©egenroart am burdifc^tagenbften gu beuten unb ben roa^r^aft
— 235 —
reltgtöfcn ©egriff bcr ©cmctnfd^aft für unfere ^dt am trcffenbften
gu äctgen oermag, hm ^Jormer bcr urd^riftlic^en ^lifelefta ^outus.
®artn t)at ^aulus t>aB Srbe bes ^lasareners trcultcf) gehütet,
ha'^ er bie unmittelbar rcitgtöfe SBebeittung ber ©emetnft^aft ganj
rein t)crausgeftcllt ^at. ^ür t^n rogr bte ©emctnbe feeinesrocgs
blofe bte %oxm, burc^ bte bie 23erMnbiguitg bes eoangcliums
unb bte SDcrroaltung ber ©aferaniente ftdEjer geftellt rourbe, fonbern
ber unbebingt notroenbige unb ber oEein ooßgenügenbc 5lusbruöi
bes reltgtöfen ©riebmffes. Me ©rlöfung finbet nur in ber ©e»»
meinbe it)re SDerroirlitid^ung. ®r kennt gar kein :perfönlid)es
S^rtftentum, fonbern nur ©emeinbecfjriftentunt. C^riftus ift bas
^aupt ber ©enteinbe unb nur als foI(f)er ber ©rlöfer, bie ©emeinbe
aber ift fein fietb unb nur als foI(i|er Trägerin ber Sriöfung.
®er „©eift", ber 2Iusbrucfe für bie unmittelbore ©egenroörtigfeeit
ber retigiöfcn QBirlilidifeeit, lebt unb wirkt nur in ber ©emeinbe.
©as, was man (£t)riftusmi)ftik bei i^m genannt f)at, fliegt oöUig
mit ber ©emeinbem^ftik ineinanber. ®ie ©emeinbe ift ber Körper
(£^rifti. 933er ni{i)t in ber ©emeinbe unb für fie lebt, f)at gar«
keinen S:eil an (lf)xi\tus. 5)ie 9Birkung bes ftelloertretenben
Seibens (S^rifti DoIIäie^t \x(i) gornii^t anbers als baburi^, ha%
biejenigen, bie unter it)rer lötarfjt fielen, t)infort nid)t i^nen felbft
leben, fonbern ber ©emeinbe. „S)arum fo ift nun ber Zoh mäctjtig
in uns, aber bas fieben in eud)". ö^ne fo^iale 95inbung ift für
it)n alles retigiöfe Scben SXidjtigkeit unb 6d|ein. 3" ^^^ ®^*
meinbe ift bas neue fieben, , bas bie SReltgion fctjofft, ollein oer*
n)irklid|t, natürlid) ni(i)t in feiner 95oEenbung, n)ot)I ober in feinen
'Stnfängen.
S)as mirb befonbers beutlid^, roenn man auf bie ^Bebeutung
ber ©emeinbe für bie gufic^erung ber ©ünbenoergebung ober bie
95crgen)ifferung ber 55erföf)nung achtet. Sie fiut^crkirt^e kennt
biefe grunbfö^Itc^ nur ous htm „SDorte", bas bie 95er^ei§ung
(£t)rifti cntpit, ober aus ben bekräftigenben geidien. S)afe bie
®(f)ulb ben Sölenfdien nicf)t nur oon ©ott, fonbern, meil oon
©Ott, aud) oon ber menfd)li(^en ©emeinfd^aft fdieibet, meit fie
immer frembes Seiben nac^ fic^ S^ß^ti ift W^ ooUkommen aufeer
3((i)t gelaffen. S>as 95en3u^tfcin ber ttefften 6cl)ulb get)t bem
9Henfd)en erft burcfj hi^ oöUige 25ereinfamung unb bie furc^tbore
— 236 —
einklage auf, bie t^m aus bem fietben anbetet entgegenf(i)aut.
S)et gottrotbttge QBttte ift eben fioslöfung, bie etft bann, roenn
fte tn hix fogtaten 95eteinfamung fd^neibenb fü^lbat gerootben ift,
gut llm]ftet)i tcif n)itb. Saturn bebeutet abet aud^ Sßetgebung
unb 95etföt)nung intmet 5lufnaf)nte obet 9Biebetaufnaf)me in eine
©emeinfcE)aft, unb ^mat nid|t nut in eine gebarfite, fonbetn eine
Pdift tcale unb fü^Ibate ©emeinfd^aft. 2ßet \id) ^iet mit einet
ibealen ©emeinfrfiaft begnügt, feennt nid^t bie 6d)ulb, roie fie int
n)itiili(^en 9Ilenfd)enteben aufttitt. (£ine quafi btieflicfje 95et*
föfjnung kann ni(f|t bas teatc (£tlebnis bes 3Iuge=in*3tuge«0(f)auens
ctfegen. 3^ tt^f^^ ^iß ©ctjulb als 6ct)ulb an bet ©emeinfc^aft
empfunbcn roitb, befto notroenbiget ift bie DoIIe Slüdilie^t in bas
gemeinf(^oftlid)e Seben. S^fits üon Jlagatett) tjat bie ©ünben«
octgebung feiten butrf) QBotte, abet um fo ^äufiget butt^ bie
€inliet)t in bas ^aus btx gößnet unb 6ünbet ausgefptodjen.
3nbem et ifjnen bie @en)ifet)eit gab, ha^ fie aud| nod) bagu ge-
Ijötten, gab et i^nen bas, roas bie ^it(^e glaubt huxd) ein Wovt
aus bet ^Jetne ooEbtingen gu können. Gs ift eben alles ©d^cin,
^oim unb t5^^^i5 gerootben. Set ©to^ftabtfcclfotget Clemens
6c^ulg etjö^It, ba% et einem ausgefto^enen 95etbtec^et bie gtöfete
©eroife^eit, bie mit 9Itenfd)en octmitteln können, unberoufet babuxii)
gefc^enkt ^ah^, ha^ et i^m eine ^igatti anbot. (Eine "Sigaui im
teerten 3(ugenbIi(Ä ift unenblid) oiel roettootlet als bie ootfc^tifts«
mö§igft fotmutietten ©nabenjufic^etungen fämtlic^et kit(^li(f)en
3tgenben. -
Sie fiuttietkitt^e ^at bas Sület^t unb bie 3nögli(^keit, ©ünben
gu oetgeben, hahmd) faft oöHig üetfc^etgt unb oetloten, ha^ fie
keine ©emeinfdjaft gefrfiaffen l)at, in bie fie bie aUenfd^en miebct
aufnetimen konnte. Senn bie „unfi^tbate Äitd)e", bie nut in
9Bott unb ^däjm fid^tbat roitb, ift gegenübet bet fc^metften ^tagc
bes 3Ilcnf(^enlebens oöUig ungenügenb. Sie futd^tbate ©djulb
bet 31bfplittetung bes fic^ felbft fud)enbcn 3Dittens kann nut butt^
bie gang teale Slufna^me in eine menf(^Iid^c ©emeinfd^aft gut
95etgebungsgen)i§]^eit gefüi^tt roetben, alles anbete bleibt fdjlie^lidf)
metjt obet meniget in htt ©uggeftion ftedien. Senn biefe ©d^ulb
fud^t bie 5ltbeit an unb mit anbcin unb füt anbete, fonft bleibt
fie croig unübetrounben. Set QUiUe mu§ bie neue Sltc^tung in
— 237 —
ooücr tätiger ^Btrfeltc^liett gefunbcn ^abcn, fonft bleibt ber alte
«IDtlle trog aller 3uftc^ßiii"9cn aus bem „QBort" nur ^alb ge*
brorf)en. 25erföi^nung ofjne ©emeinfdiaft tft ein Unbtng. 3nan
mufe bas tüiffen, was in ber 5:rtntienettung bte |d)Itd)ten gefelltgen
5lbenbe für bte befreiten 9Henfcf)en bebeuten. 6ie finb roa^rtiaftig
nte^r als ein tectinifc^es ^ülfsmittel, um fie gu bewahren unb
abäufonbem, fonbem fie finb bie ftänbige 93ergen)ifferung, bafe fie
roieber baju getreu. 3^ ^c« öltß" Stiriftengenteinben bie ©eroife-
^eit ber Serfö^nung oon bem ©efü^I ber ^uge^rigfieit gur ®e*
meinbc, in ber fie ein neues ^elmotgefü^l umwerte, gu trennen,
ift gang unmöglich. „60 feib i^r nun nic^t me^r ©öfte unb
^remblinge, fonbem SBürger mit ben ^eiligen unb ©ottes ^aus*
genoffen", bas ift bie 93erfö^nung im paulinifc^en ©inne. 9Ker
ben Sötut t)at, ju behaupten, er f)a\)i in einer ber kalten gro^»
ftöbtifc^cn ritueß-Iut^erifctien 3naffenabenbmat)Isfeiern bas oolle,
beglücfeenbe ^eimatgefü^t roiebergefunben, ber trete oor! Was
bie 9Henf(i)en, bie norf) gern jum ©ottesbienft liommen, oon biefer
Seier ferntjält, ift in htn meiften Ratten bas ©efü^I, tjier einer
oöUig fealten, ^alb oerftanbenen, fremben unb entfrcmbenben 6a(^e
gegenüber ^u fielen, in ber alles anbere lebt als triebe, ^reube,
Siebe.
^atfäc^Iic^ fpiegelt fic^ biefe religiöfe QBertung bes ©e-
meinfc^aftslebens bei ^aulus om beutli(^ften in feiner 9luffaffung
bes 2lbenbma^Is. 6eine immer roieberlie^renbe ^eier bringt hh
oöUige 95erf(^lungen^eit bes religiöfen OSefiges mit bem ©emein»
fc^oftsleben jum feloffifc^en Qlusbrucfe. S)er ©ebonfee ber 'Su*
fid^erung ober 95ergeroifferung bes feiles an ben einzelnen
burc^ ein jici)tbares geicEien, ben bie fiut^erfeirc^e als fü^renben
©ebanfeen ^at, fe^lt ^ier gdnälic^. S)as 5lbenbma^l ift oielme^r
gang rein unb ungetrübt ©emeinfc^aftsfeier unb nur als
folc^e oon oergerolff ernber ^aft. ©egen bie ungläubigen ^ergcn
ift ba^er auc^ fteines feiner tabelnben unb ma^nenben TOorte ge=»
richtet, roo^l aber gegen bie lieblofen, bem ©ruber gegenüber
gleichgültigen bergen. (£ine 2lbenbma^lsfeier, mie fie bie fintier*
Mrd)e nur gu oft, fa gerabegu regelmäßig liennt, %u ber oiele ein»
anber oöHig gleidigültige unb unbekannte SJtenfc^en äufammen»
kommen, gubem noc^ in ^bftänben oon einem ^oijx unb länger,
— 238 —
um \xd) ben perfönltd)en ^cilsglauben ftärkcn gu laffcn, Ttiörc für
t^n gang unmöglich, roetl |tc „ntc^t unterfc^etbet hzn fietb bes
§erm", b. ^. bte unbebingte 3iiföntmeTtget)örig{ieit unb 95cr*
pflt(^tung füreinanber. „S)enn ®tn 95rot i[t es, fo finb mit oicte
©in ficib". ®afe ein jegltcfier feinen eigenen 2Deg ge^t, inbem er
„für fic^" ifet, bas tft eben bas „unroürbige ®ffen unb trinken".
®er urfprüngli(f)e ©tun bes ?Ibenbniat)Ies 3^!"» ^os in einem
unoergIeid)Ii(^ einbrucfesooUen unb klaren ©leidinis bie Eingabe
an unb für anbere gur ^raft ber Eingabe an unb für anbere
ma(f)t, ift ^ier roirMic^ geroaljrt. ^a5 2lbenbma:^l fteüt bie oöUige
Sint)eit oon ©laube unb Siebe, oon ^inne^men unb Eingeben,
oon religiöfer unb fittlicfier ©ebunbent)eit bar, inbem es aus bem
gebrochenen 2eib (Sl^rifti ben aufgebauten fieib (S^rifti mac^t, b. ^.
bas ©tirb unb 9Berbe ootlgüttig gum 'Stusbrucfe bringt. (£ine
^benbmafjlsfeier ot)ne eine miteinanber tebenbe unb fterbenbe
©emeinbe, o^ne eine tiefinnerlid) gufammengeroactjfene fiebens*
gemeinfdjaft ift für ^aulus unb bas gange 91eue Seftament ein
Unbing, benn es ift eine ^Ibenbma^Isfeier o^ne ben Seib bes
§erm. %xtx geigt fic^ erft bie Tragweite ber früher erroä^nten
2atfa(^e, ba^ fiutl^er ben oerpfltd^tenben (£t)aral{ter bes „für eud)"
nict)t erfaßt l^at *) 5)ie luttjerifc^e ^benbma^Isfeier als ©laubens«-
feier — ©laube ^ier im unooUenbeten Iutt)erifct)en ©inne gefaxt
— tft ein Sorfo roie ber gange Iutt)erifct)e Mrd)enbegriff. Z^t
fetjlt bie le^te 95oltenbung, bte ^rone, bte lebenbige ©emeinbe.
©0 ^at bie Iutt)erif(^e ^irt^e es benn and) folgerichtig erlebt,
ha^ i^re 2lbenbmat)Isgemeinbe — bie }a allerbings nie im oollen
©inne oor^anben mar — auseinanberlief. '311s „©itte^' t)at ber
3tbenbmat)lsgang bis ^eute noct) eine Mmmerlid)e ©jifteng be*
Rauptet, aber als lebenbiger 5lusbrudi eines burc^ bas Dpfer
Cf)rifti gemeinten ©emeinfc^aftslebens ift fie längft erftorben, \a
f)at fte im Sut^ertum nie gelebt. ®ie ^eftftellung biefer S:atfac^e,
ha^ bie £utt)erfeirc^e an biefem innerften Heiligtum ber d)riftlt(^en
^Religion oerfagt ^at unb fic^ auf feeine QBetfe oor bem S^leuen
Seftament recljtfertigen feann, ift bitter, ©ie ^at nie eine lebenbige,
in gemeinfamem ©(Raffen unb in opferroilliger Eingabe füreinanber
*) SJergl. bas Kapitel über bas ftelloertretenbe Seiben.
— 239 —
eintretenbc ©cmetnbe gehabt, barum t)at ftc aud^ nie ein recf)tc6
3Ibenbma^I feiern können, unb folange wirb fie oon bent wahren
SifdE) bes §errn ausgefd^Ioffcn bleiben, bis fie fid) cntf(f)liefet, aus
ber ^irdje bes QBortes bie ^irdje bcr fid) opfernben Sat gu ntad)en.
(grft roenn fie roiebcr bie §onb on bie Aufgabe gelegt t)aben roirb,
9nenfcf)en äufamntenäufcE)Iie^cn gu felbftlos frf)affenber 2at, roirb
fie bie ®emcinfd)aft bes £eibes unb SBlutes (£^rifti roiebergefunben
tjaben.
®enn barin tag bod) b a s ^cnngetc^en ber ©cmetnbe, W^
^aulus in bie 9BeIt tjineingefteEt \!^QXy "ü^di^ fie roanbelte in
ber fiiebe, b. t). ni(i)t blofe eine geroiffe attgenteine Siebes«
gefinnung I)egte, fonbern mit ber oöUigen Eingabe praMfd^ ju*
^einanber ftanb unb füreinanber tjanbelte, mit ber Ct)riftus uns
geliebt \!^^i unb fi(^ felbft bargegeben ^at für uns gur ©abe unb
Opfer. *) S)as alles überragenbe ^enngeidien ber ©emctnbe bleibt
bie 2at ber Siebe, raie fie nie in ber 9HenfdE)^eitsgefd^i(i|te ein-
bringlid)er unb tiefer befd^rieben roorbcn ift als im 13. Kapitel
bes 1. ^orintfjerbrtefes. 3)as ift kein ©ogialgefeg im ©inne ber
Drganifationsfanatiker unb ber oon i^nen oertretenen öffentlid^en
9Horal, fonbern bas ift ein ©laubensbekenntnis, bas äugleid^ bas
aügemeingültigfte ©efe^ ber 9Belt borftellt. 5)as ift n)ot)rlid^ au(^
keine „^rioatmoral", fonbern bas ift ber 3BilIe ©ottes, ber aUe
S)inge fi(^ unterwerfen roiE. 55as ift bas, roas bleibt, roenn
oSiti ©tüdimerk ouf^ören roirb. S)os ift 3ißl "ii^ ^rone alter
©ntroicklung, bie auc^ „©taube unb Hoffnung" in fic^ oerfc^tingt.
5)iefe ©emeinbe brau(^t kein 95ekenntnis im t)ergebrac^ten
©inne gur Slegulierung i^res ©laubens ober gur ©ic^erfteßung
unb äuin 9ta(^roeis i^res Safeins. ®afe fie als ft^affenbe unb
umfc^affenbe SHtac^t "iid ift, bas ift i^r SBekenntnis. (gbcnforocnig
role ein SHenfc^ als ^lealberoeis feiner ^jiftens einen ©eburts-
fc^ein brauct)t, fonbern biefen nur als ^ormatberocis für gcroiffc
ftaattictie Sßcrric^tungen nötig ^at, cbenforoenig braucht bie ©c-
*) ©p^. 5, 2. 6s ift mir nt(i)t möglld), ben Gp^cfcr* unb ben
^olofferbrief bei i^rem n)ad)5tümli(i)cn 3wfammen^ang alter t^rer 95or*
ftcUungen unb ©ebankenfütirungen mit bem gang originalen ©runbcrlcb«
ms unb hva ©ebankenformuHerungen unb -oerbinbungen bes "ipaulus für
no(^paulinif(^c (gtäcugniffe su Ratten.
— 240 —
tnetnbe als SRcalberoeis tf)res ©afctns ein formuliertes 33efecnntni5.
®as fiutljertutn f^at allerbings oon feinen 3tnfängen f)er ein großes
(Bcn)id)t auf formulierte SSekenntniffe gelegt unb fogar ben
^at^otigismus, ber in ber 5)egenerationsepo(^e ber alten C^riften-
^eit feinen 93elienntnisbrang bereits erfcijöpft t)aüe, roleber gur ^tuf««
fteüung neuer 93efeenntniffe bemogen. ©as lag baran, ha% es it|m
attcrbings fc^r fc^roer fiel, ben SHeatbemeis feines S)afctns auf
anbere 9Beife gu erbringen als burd) bas formulierte' 3Bort, roeil
CS ben roirklic^en SBemeis, hm ber f(f)öpferif(^en ©emeinbe, nic^t
oorgugeigen ^atte. ©as le^te, äufammenfaffenbe Sefecnntnis ift
fogar als ^robufet ber '^Ingft oor bem ^(useinanberftie^en erroadifen.
5)ie fpi^finbigen '2IuffteUungen ber ^onftorbienformel finb alter*
bings für eine ^ird^e, bie bie SBibel als fd^öpferifd)es ^ringip unb
als 3legcl unb 3licf)tf(f)nur bes ©laubens bcfafe, als ein "Slngft*
probufet im f{f)timmften ©inne äu begeiöincn. Wat bie SBibel ein
fo unfidjcres i^unbament, ha^ fie mit fo gatiUofcn unb fo kompli«
gierten Pfeilern geftüfet njerben mufete? ^uf fol(^e ^Ingftftü^en
oerfällt man, wenn man oon oornljercin ben Sßeroeis bes ©eiftes
unb ber ^raft, b. f). ber fd)affenben 3:at, ausfd)oltet. 9Benn bas
Sut^ertum, mas es ja oon Einfang an gu feinem 95erberben ge=
tan l)atte, fid^ fo eng mit bem ©taat eingelaffcn ^atte, ha^ es für
feine öffenttit^e ^enngeit^nung unb Anerkennung eine berartige
juriftifc^e Formulierung braudjte, fo t)ätte es roenigftens biefe
Formulierung im '^Iktenft^rank liegen laffcn f ollen, rote man bie
aus geroiffen opportuniftifd)en ©rünben oorgenommene (Eintragung
eines bem roirklid^en fieben bienenben 95ereins in bas ftaatlidje
Sßereinsregifter in ben <5ä)tank f(^lie^t, um fie bei gelegentlichen
red^tlid)en Konflikten roieber ^erausgu^olen, fonft aber feiig fdjlafen
gu laffen. 3lber eine berartige Formulierung gu einem praktifc^
gültigen Funbament für bas roirklic^e-religiöfe Seben gu mad)en,
bebeutet 95erkümmerung unb 35ergeroaltigung ber 3flcligion ober
ift bereu fid^erftes ©ijmptom. 95or ber 3leligion bes 91euen Siefta»
ments ift bas auf keine QBeife gu rechtfertigen, am roenigften oor
ber Qfleligion 3^!^» unb aUe ^Berufung auf bie „^iftorifc^e" Stot*
roenbigkeit kann ben 3lbfall oon ber lebenbig roirkenben ^aft
ber Sieligion nicf)t gubecken.
S)ie ©emeinbe bes JHeuen Jeftaments kennt kein formu«
— 241 —
Itertcs ©efecnntnls aüjer bcm i^rer roirfecnben ^aft. ©tc fc^offt
9ncnfct)cn um, unb äroor tn einem fo clnjtgarttgen, tgplfc^en,
rabllialcn ©innc, ha% fle in ber 3clt t^rer rotrMtc^ umft^affenben
2Birftfomkeit garntc^t ©efal)r Itef, oerrocc^fclt ober oerftannt ober
ntc^t rtc^tlg etngefc^äSt ju roerben. 3t)r ficbcn ft^uf etnc fo fc^orfc
®renae gegen blc 3DeIt, bofe feetner btefe ©renae überfc^rltt, ber
nfc^t roirfilic^ „berufen" roor. ©er onbere roanbte tl^r fc^Ieunigft
ben 9flüclien. *) (Erft als % Seben felbft erlai^mte, fingen bic
^intcrltfttgcn „^äufc^ungcn bes SIeufels" on, bte i^r ficben nac^-
a^mten unb boc^ ben mannigfalttgften Sonberbeftrebungen nac^-
Itefen; ha entftonben~ ble „oerbcrblldien 6efeten" unb „^rrle^rer",
benen man freute^ bis roeit ins nat^apoftoUfc^e S^italtcr hinein
i^re prafitifc^e Sebensabirrung oiel ftärfeer gum Söorrourf machte
als i^re fie^rabrocic^ung. **) €rft mit bcm roeitcr fortgef(^rlttenen
*) „Stiemanb ftann ^t\um einen ^crm fjci^m ofim bmdj ben
^eiligen ©clft.«
**) ©oft allen fog. Sc^rabroclc^ungen lefetc prafetlfc^c SBlttensab*
Irrungen 3U ©runbc Hegen, fdjclnt ber ©cgcnroart langfam ju bämmem,
unb bamlt blc Grfecnntnls, bofe 93crfc^lcbcn^elten ber Se^re nlrf)t burdj
eine blalektlf(^c Sluselnanberfegung gu löfen finb. ®as Slcüglonsgefprä^
von SZlarburg mat noc^ ein foldjer ^erfud), praktlf^e ©egenföge bur(^
eine ^usfprad)e au nermltteln. @s enbete blale6ttfc^ mit ber ^eftftellung,
bafe ber roefcntlldic ©cgenfaö jrolfrfjcn ber lut^crlfdjcn unb ber reformierten
Älr^e flc^ auf blc Sc^re oom 5lbenbmo^I bcfdjränfec, eine ndoc Sllclnung,
ble bis In ble Obcrflädjcngclftcr ber ©cgcnroart fortrolrfet unb fogar —
aUcrblngs bejeldjncnbcmjclfe nur In "iprcufecn — 5u einem rc^tlldjcn 93cr*
clnlgungsmonfirum In ber fog. Union geführt Ijat. Sut^cr felbft fa^'unb
füllte tiefer, ©ein „3^* ^^bt einen anbem®clft als mir" bcscugt bas
überlegene, roenn aud) nod) nlc^t o5Ulg geklärte, Urteil bes malir^aft
religiös beftlmmtcn 92lenfcf)cn, ber Immer auf ble Icfetcn SPSlUensregungcn
aurüdige^t. 5>er 5BeItferlcg mit feinen ble rcttglöfc 95eftlmmt^clt uncrbltt»
litf) klorcnben 3Blrkungen bürfte auc^ oberf[ö(^Hci)cn ©elftem ble 3Iugen
barüber geöffnet ^abcn, ba^ etroa bcutfc^em fiut^crtum unb angllhanlfc^«
icformlertcm Älrc^ennjcfcn nl(J)t nur ucrfcfjlebcne 5lbcnbma^fsgebanftcn,
nld)t nur nationale ©cgcnfäöe, fonbcm fe^r tlcfgrelfcnbc SJcrf^lcben^cltcn
ber praktlf(^ett Scbensbcftlmmt^elt ju ©runbc Hegen. SPSomlt nlcfjt etwa
•ipartel für ble eine ober ble anbere ©clte ergriffen mcrben fott — fle finb
belbe brlngcnb reformbebürftlg, roenn auc^ nad) oerfdjlebcnen 6clten — ,
roo^I aber on ble 6tcUe obcrflä(^Ili^er blalcktlfier Se^anblung rellglöfer
gragen ble Slotrocnblgkelt einer fe^r crnften ^efiäftlgung mit ben SBlUens-
fragen bes Sebens gefegt fein möchte.
8. öeitmonn, ©tofeftabt unb aleligton. 3. ^eil. 16
— 242 —
3c^n)iflen, bcr blc ©cmetnbc me^r unb me^t auftöfte, ifcomcn bk
3rrlet)rer als folc^e auf unb mit i^nen bic „rechte fie^re". QBo
bte roirfelic^c ©emetnbe ift, gibt es biefc Srfc^einungen überhaupt
nlc^t. S)ie „fic^re" ift tatfäc^Iic^ bie Sobesftarre, bie fid) nad)
ou^cn ^in geigt, roenn bie urfpriingtic^e £ebenseint)eit burc^ ben
gottroibrtgen ^f^n^ißß" aufgelöft tnirb uxih auf bcr eiuen ®eite
fic^ in bic ^ricbfeultur oerftüc^tigt — man oergleic^e bei ben ^xt^
leerem ber alten C^riften^eit i^re „fleifc^Iicfjen" 93eftrebungen — ,
ouf ber' anbern 6eite ober gu „gefe^li(f)en" Srftarrungen oer=»
feftigt — man oergteit^e auc^ biefc bei ben genannten ^wle^rern. *)
3^rc ©runbfünbc, bic ni(^t t)eräiet)cn merben itann unb bie ®e*
meinbc i^nen nie oergie^en t)at, bleibt aber ber 3lbfplitterungs»
rotUe, bcr fie eben als folc^cr aus ber ©emeinbc ^erausftcllt
unb in i^ren ^wle^ren nur ben (^arafiteriftifd^en Qlusbrucli finbet,
mic benn jcbc ^orm bcs 3'^"'^Kens mit bem 95crftanbc feine
Sntercffcn oerfic^t.
^u<^ oon ^icr aus mu^ nod^ einmal mit aller Schärfe bas
*) 3^1 äroelten 95anbc ftnb roir ausfü^rUcfj auf b^n inneren 3"*
fammcn^ang btcfer (grfc^ctnungcn eingegangen.
SHan ^at bei ber ®ur(^forf(fjung bes Urt^riftentums unb fetner
®ntn)t(felung jur kat^oItf(^en ^tri^e ftc^ feiir otel SHtüfjc gegeben, btc
überall auftaud)enben 6efeten gu ibentifigieren unb gu klaffifiäicren, t)at
fidj babct rec^t frudjtlos fjerumgeflritten unb ift auf ungcgä^Ite ©ingel*
fekten gekommen, bcrcn bunklc SHannigfalttgkeit gu burc^bringcn unb
„n)iffcnfcf)aftli(^" gu kobifigiercn bis tjeute nirf)t gelungen ift, ^at ]id} aber,
roas unenbli«^ oiel midjtigcr ift, um U)u pfi)d)oIogif(^»entn)ickIung5ge*
fd)icijtli(^e Sebeutung für bie 9leIigion als ©efamtcrfdöeinnng gu roenig
gekümmert. ®ie bunte SHlannigfaltigkeit bcr 3"btoibuoüsmen gu regi*
ftrlcrcn, ift maljr^aftig keinen gcberftrt(^ roert, benn es ift bie 9Flegiftratur
bes Siobes, bie man bem 6(^ottenrei(^ überloffen fott. Stber i^re 5Be*
beutung für bic abroärtsftcigenbc (Entraicklung ber c^riftli(i)cn 3leIigion im
aUgemcinctt ^ötte man f(^arf ^crau6ftrci(^en fottcn. S)mn bcr in un#
geheurer 91lannigfaltigkeit auftrctenbe „©noftigismus" roor bas 6gmptom
eines inneren 3ßrfcöungsprogc|fcs, beffen auct) bie ficfj konfolibicrenbc
„^ircf)e" nidjt ^err geroorben ift, fonbern bem fte i^ren S:rtbut bega^lt
^at, inbem fie fclbft in bie gcfeglic^c grftarrung (5IpoftoIikum, ^anon,
?lmt) ^tnüberglitt, bem eine fe^r uer^ängnisDOtte innere (grroeic^ung i^rer
fittli(i|cn ^raft unb dm fe^r bebenkli(i)e inbioibualiftifdjc (grfc^Iaffung
entfpract). 2tls bie „^itöje" fertig mar, mar bic ©cmeinbe tot, unb mit
i^r bie iRcIigion.
— 243 —
in 2Dortcn unb SBegrtffen formulierte SBekenntnis oIs ©runblage
unb ^ennäcicfien ber ©emeinbe im religiöfcn 6inne a6gelct)nt
Toerben, beitn es ifl nid)t nur ungcnügenb, bas 9CefcntIid|c
ber 3lcIigtott barguftetten, fonbern es ift bireltt rcligions»
geföljrUc^. 3)amit ift nun freilief) nic^t gefagt, ha^ bie 3leligion
überhaupt ficin ^Bekenntnis ^obe unb brauciie. ^m (Segenteil!
3um religiöfen fieben get)ört unbebingt bas 95efeenntnis, benn
ot)ne biefes kann es nit^t roirficnbe unb fdiaffenbe 3Ra(^t roerben.
©erabe bie Seite ber Qfleligion, bie roir fo ftarfe gegenüber bcm
fiuttjertum betonen muffen, f o r b e r t bas ©efeenntnis. S)as fiutljer-
tum ift eben barum nid)t gu einem oollgültigen ^Bekenntnis,
fonbern nur äu einem in QBorte oerfelaufulierten @unogat gc=»
kommen, roeil es biefe entfc^eibenbe Seite ber lebenbigen Sleligion
nic^t befcffen ^at. S)as ^Bekenntnis ift bas lebenbige 2nittel,
bur(^ bie bas in ber Sleligion refp. in ber ©emeinbe rooljnenbe
aktioe fieben, bas oUerbings unlösbar oerknüpft ift mit feiner
^Inne^menben Seite, in bie gu überioinbenbe unb gu erobernbc
QBelt ^inausroirkt. (Es ift alfo keineswegs nur ^Ibgrengungs-
mittel, ru{)enbes Srkennungsgeic^en, fonbern im ^ödjften Sinne
öög^^effioßs SBetätigungsmittel. '^n biefem Sinne mar ber ^^ugen*
tob ber alten CC^riften in einzigartiger ^eife „^Bekenntnis", in
biefem, unb ausfc^Iiefetid) in biefem Sinne ^gtte ber 3Heifter felbft
„bekannt". 5)as begeugenbe SBtut ber 9Härtgrer mar ber Same,
b. t). bie fortjeugenbe ^raft ber Äird^e. 5)tefes ^Bekenntnis ift
immer in feiner grunblegenben Sigcntümli(^keit Zat, unb gmar
jebe Zat ift ein ^Bekenntnis, bie bas Urgefe^ ber Qfleligion, bie
unbcbtngte Eingabe, überminbenb in bie QBcIt ^ineinbo^rt. 5lUes,
roas bie ©emeinbe tut, mu'fe bat)er 55ekenntni6 fein, b. \). fc^affcnbe
Sat für bcn lebenbigen ®ott. ®ine ©emeinbe, bie fic^ auf ©runb
i^res (£rlebniffes als ©emeinbe oon ®rtöften bekennt, ift tatfäc^Iic^
unerlöft, wenn fid^ i^r (Erlebnis nic^t unmittelbar in erlöfenbe
^raft nad) au^en oermanbett. 25on ^ier aus foll mon bie in
frommem Selbftberaufetfein fic^ . ^octimütig oon ber „3Belt" ah^
fonbernben fogenannten ©emeinfd)aften beurteilen, ©iefes Sit^*
abfc^Iiefeen ift bas beutlic^fte ^enngeictjen bafür, ha^ fie mit ber
Crlöfung im d)riftli(f)en Sinne ntdjts gu tun I)aben. S)iefe be*
roä^rt fid| ^ben barin, ha^ fie fic^ immer in roerbenbe ^at oer"
.16*
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TDünbctt. ©0 fc^orf ftd^ bas Collen bcr njtrfeltc^en ©emclnbc
oon bcn in ber 9BcIt Icbcnbcn trieben fonbcrt, fo ha% ficf) in
Jcber neuen 95erü^rung fofort bie Sc^eibung oottäie^cn ntufe, fo
offen fielen i^re Sorc gegen bie 9BeIt, in bie fie in iebcnt klugen»
bttc&c i^re ^^iiettltraft roerbenb ^Ineinroirft. S)ic iuriftifc^e ober
fogiale 6c^cibung oon ber 9DeIt ift ber 2ob i^rer lebenbig
fi^eibenben ^aft. ©as n)irlili(^e SBefeenntnis ift angrcifenbe ^raft,
bie fid^ fc^eibenb unb reinigcnb in bie 9BeIt ^ineinbo^rt, nic^t
tote formet, bie eine ooHäogene ©(Reibung borfteüt ober eine
04ßtbemauer aufritztet, bie bie lebenbige ©(Reibungskraft md)t
bur(RIäfet ober lahmlegt. SBcfeenntnis unb fteUoertretcnbes ficiben
finb barum natur^aft miteinonber oerfenüpft. ^ths Eingabe, bie
frcmbcn ^c^^^ßß^t überroinben roiU, roirb gunt ftelloertrctenbcn
Selben. 9Bie i}at bie ^irt^e bas oergeffen, ha% Jcbes ©eficnntnis
unmittelbar in bas innerfte Heiligtum ber Sleligion t)incinragen
muft! 913ie JfeümmerlifR ift gegenüber biefcm ^eiligen 6inn attes
SBefecnnens bas fonntäglicR hergeleierte Olaubensbefeenntnis, bas
liein anberes Opfer forbert als im beften %a\ii bas bes 35erftanbcs,
beffcn Sigenmillen es felbft entfprungen ift!
Siefes SBefeenntnis ift etroas ungeheuer (ginfadjes unb bod)
fo mannigfaltig roie bas Seben felbft. §icr eine ©tjmbolili gu
fc^rclbcn, ift bes ©(Rmeifecs ber ©bicn roert, benn fie mu§ jur
©arfteUung ber fieg^aften Äraft. ber 9ieIigion werben. *) QBas
für eine Qlufgabe, ben ©puren ber religiöfen ^eroen oon ben Ur-
tagen ^er nac^guge^en, roie fie, ^agenb perft, unb boc^ innerlich
geäroungen, unb barum fieg^aft müffenb in bie QBelt hinein-
getrieben mürben unb an bem funkte, roo fie am empflnblic^ften
mar, i^re fc^neibenbe QUa^r^eit entfctjloffen anfefetenl ©iefen ^^or
ber ^oten unb botR fo fiebenbigen, ber tapferen ©ekenner oor ben
3tugen ber SBelt oorübergie^cn gu laffejt, ift bie köftlic^e 3lufgabe
bes ©(Rrlftgcle^rten, jum ^immetreicR gelehrt; nic^t um fie ru^enb
ju bctrad^ten unb gu berounbern, fonbern um i^nen abgulaufc^en,
mie fie ben 2Beg in bie 2BeIt fanben, unb um burc^ fie ben 2Beg
•) 9Ilan kann nirfjt fagcn, bafe bie gebraudjUrfjen Sc^rbüdjer ber
6qmboUk ober bie gcfammelten „fgmbolifdjen SBüd)cr" bas finb. 2tn
l^ncn ^aftct nur ju oiel oon bem ^obcsgcrucR fterbenber ©podjcn, bie
alles anbere wollten als (»bekennen."
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felber gu flnbcn, ben bte ©egcnroart für bas ©cfecnntnls forbcrt.
5)cnn ber 93eKenner mufe crfinbcrifcli fein bts äur ^öct)ften ©cntalltät
ber fitebc, felug rote bte 6(^Iangen unb bo(^ o^nc ijölfc^ rote bic
Sauben. ®r inu§ ben Rubelt ein 3ube unb ben ©riechen ein
©ried^e roerben, um fie bod^ für hk ctne grofec Eingabe ju gc-
roinncn. ®r mufe jcbem clngelncn bis in bie legten liefen feines
Innenlebens nac^gc^en, um it)n bort gu faffen unb mitgugmiftgcn
auf ben 9Beg bes Sebens. 9Bir roerben einen befonbcren Qtbfc^nitt
biefes SBut^es biefem SBefeenntnis roibmen, bas {)eute bas fieben
forbert, nic^t um es aus^ufcliöpfen, roo^l aber um in feine %Mt
^ineingufü^ren unb bas Sor gu feinen taufenbfac^en SHöglic^feeiten
ein roenig ju öffnen.
S)ie$ ^Bekenntnis gehört gu ber ©emcinbe roie ber SBilte
äum Straffen gu i^rem fieben. ®s ift lebenbig flutenbes unb
fortgeugenbes fieben, niemals tote ^orm. ©arnit^t berütjrt roirb
biefes 95elienntnis oon ber iJrage, roie fic^ bie ©emcinbe in bic
rect)tlid)en formen ber 9BeIt, in ber fie lebt, ^ineinfügen refp. mit
i^ncn abfinben fott — benn ^icr ^anbelt es fic^ nur um ein 6i(^-
abfinben. S)ie 95erfaffung ber Äirc^e im ftaats- refp. Mrci^en-
re(^tti(^en — and^ ^ir(^enred^t ift Staatsrecht — ©inne berührt
bas fieben ber ©emeinbe im religiÖfen ©inne übertjaupt nid|t.
S)ie ©emeinbe mu^ eine tjorm anneljmen, in ber ber ®taat fie
in feine QHubrifien einreiben kann, um fie „anguerkennen". ^ür
bie ©emeinbe finb bas 9lebenfragen, beren ungeheure tec^nifc^c
6c^roierigketten roir rooI)I kennen, roeil rotr oor ollen S)ingen bic
ungetjcuren ©pannungen kennen, bie groifc^en bcm 6taat unb ber
religiöfen ©emeinbe befielen. 2lber aus bem 3Befen ber ©emeinbe
eine 9flec^tsform abguleiten, bic i^rer inneren 5trt abäquat fein
foU, ift gang unmöglich. S)ic ©emeinbe kennt Orbnungen,
bie i^rem inneren 9Befcn entfprec^en; fie finb aber gmubfä^ßt^
ctroas Qlnbercs als bie ©taatsorbnung. ©ie roac^fcn oon innen
t)er roie bie organifc^en formen ber lebcnbigen 2Befcn, roerben
aber nic^t oon au^cn ^er konftruiert roie bie tet^nifc^cn Äunft-
bauten ber ^uriften.
©er ©taot, gumal im heutigen ©innc, ift ein ©erüft, bos
um ein inbioibualiftifc^ ba^inf[utcnbes fieben ^erumgcbaut ift, um
biefes oor bem oöüigcn Serfprü^cn gu beroa^rcn, i^m eine gerolffc
— 246 —
fiebcnsmögttd)kelt gu erholten unb fetnen Untergang etn rocntg
^Inoüsäufdötcben. S)ic ©cmetnbe bagcgen tft ein oon innen ^er
röac^fenbes ^ufiünftsleben, bas fic^ feine Orbnungen f(^offt, bie
fein 9Bac^6tum organifc^ geftalten foHen. 6ie ift in jeber 93e-
äiel)ung bas ©egenftücfe gum (otaat 0ie ntufe fic^ mit einer
geroiffen Summe ftaattidier formen abfinben, um im 6taat leben
gu ^tonnen, fte mu§ eine 25erfaffung, einen Söernialtungsliörper,
eine ^Inftellungsform für if)re Wiener, eine ©e^altsorbnung, ein
^inangfijftem unb äljnlit^e Singe ^aben, roeil fie fonft in ber
©taatsorganifatlon ni(i)t ejtftieren ftörtnte. ®te mu^ einen ^orti'^
promi^ fcfjliefecn mit ben Sebensformcn bes ©toates, bamit biefer
i^re ©lieber als ^Bürger in fic^ bulben kann, ^ber bas alles ift
ein 'Jlbfinbungsprogefe, ber, fo fd^miertg er im eingelnen ift, roeil
bie ©emeinbe ben ©taat innerlict) überroinben rolU, bas innere
SDefen ber ©emeinbe nid^t berührt.
©ies innere QDefen forbert Orbnungen, nii^t 3le(^tsorbnungen,
fonbern lebenbige ^^onnen ber Sufämmenarbeit, roie roir fie im
groetten SBanbe bereits geid^neten, roie fie aber bie fortgeugenbe
^rajis bauernb roeiterfü^ren mu^. 3Hit biefen Orbnungen ^at
fid^ "ipautus faft in jebem feiner ©riefe befct)äftigt. (£^arafeteriftifd^er*
roeife lö^t fid^ aber baraus in keiner SDeife ein eint)eitli(^es 93er=«
faffungsft)ftem ableiten, roos bie ^irc^enrec^tler Ja gu gern mödf)tcn.
9Ii(^t einmal SSorftufen einer fpöteren SHet^tsorbnung taffen \id)
barin erkennen, bagu finb fie oiel gu flie^enb unb ben örtlii^en
unb geittii^en 9lotroenbigkeiten angepaßt. QBo^I aber lä^t fid^
fet)r beutlid^ itjr Icbenbiges ^ringip erfaffen, roeil es mit aller
2lnbr{ngli(^keit immer roieber betont roirb: fie finb ^erausgcroat^fen
ous bem Körper ^l)rifti, beffen ^ac^stum burct) fie fiel) öermittelt.
3^re smögtic^keiten finb unbefc^ränkt, roeil ber Seib e^rifti bie
%'öf)t unb bie Siefe umfaßt, aber if)r ©eift unb QBiUe ift einer,
ber ber gufammenfügenben unb aufbaucnben S:at ber Siebe.
QDeil biefe^rage „®taat unb ^irc^e" ^eute fo bringlic^ ift,
roolten roir it)r auf einem ©ebiete, bas für bie ©emeinbe ^eute
befonbers roicl)tig ift, etroas genauer nac^ge^en, auf bem ber ^ugenb»
arbeit. S)er ©taat treibt ^ugenbpflege, nicl)t roeil .er burc^ fie ein
©efc^lecl)t ^erauffüf)ren roilt, bas einem eroigen ©ntroicklungsgiele
bient — fein nationaler ober internationaler Egoismus ftel)t i^m
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oiel f)öf)er ob bas SRetc^ ©ottcs — , ttic^t roeil er ber ^iigeiib
gegenüber bte fortgeugenbe ^aft fetbfttofer Eingabe ocrtrcten toiC,
um in tf)r roteber bte ^raft ber felbftlofen §tngabc gu roecfecn,
fonbern weil er bie 3ugenb braucht für feine roefentlid) roirtfc^aft«
licJ) beftintfnten 9Hact)tän)ccke, roeil er feine fid^ leerenben örgoni"
fottonen roieber mit lebenbiger ^aft anfüüen miH, roeil er für
ficf) ousnu^en miß, mos bie ©c^öpfung madifen löj^t. (Er fie^t
görhein übergreifenbes ©ntroidtlungsgiel, fonbern ift bie 35erfeörpemng
bes organifierten (Egoismus. ®r miH ba^er in erftcr unb be^err-
fc^enber Sinie körperliche unb tec^nifc^e ©c^ulung, hk fittlid|c
95ilbung kommt nur infomett in ^Betrac^t, als fie bicfem S^el
bient; fie ift burd^aus bienenbes unb untergeorbnetes fiebensge»»
biet. 9Bie gang anbers bie ©emeinbe! 6ie kennt als bet)err»
fdjenbes "^hl nur bie S)urcf)fefeung eines eroigen ^Bittens, bem fie
bient, erft rec{)t unb oor ottem in ber S^Ö^ni*- 5)urd) bie ^aufc
kommt f(^on oon Einfang ^er gum '2tusbrudi, t>a% fie in ber ^UÖ^Ö^'
etroas ©ottgeroeitjtes fie^t. '^\)xt um^egenbe, ergie^enbc 2trbclt
roirb oon bem SBerou^tfcin getragen unb bem ©runbfa^ geleitet,
ha^ fie bie 3itgenb einem t)i)^eren QBillen f(^ulbig ift. 2lu(^ ber
leifefte egoiftifc^e ©ebanke ift für fie ^ntroeitjung ber ^ugcnborbelt.
5tEen ©onbergroecken bes <5taatzs gegenüber ift für fie bie 3ugenb
SeIbft5roeckoberrid)tiger®(^öpfungsäroe&. 9li(^t „©taatsgefinnung"
im befc^rdnkten roirtf(i)aftttd^*militörif(^en ober egoiftifd)»politif^en
Sinne roiE fie roecken, fonbern bas 95erantroortungsgefü^l gegen«
über htm ^öc^ften, in bem ber S)ienft am anbern unb bamit auc^
am 95oIke eine Stellung t|at.
§ier liegt eine ungeheure Spannung oor. S)ie ® emeinbe
fictjt in bem ftaattic^en (Egoismus bie Sßtad/t bes Teufels, ber
ftaatlicl)e Egoismus aber roittert in ber (Semeinbe bie „oaterlanbs-
lofe ©efinnung" ober „gegenreoolutionäre Stimmungen", nid)t
roeil er i^r SHangel an ©ienftroiHigkeit nac^roetfen kann, rooljt
aber 9HangeI an ber ©efinnung, in ber er fein Seben fie^t, on
«^eiligem Egoismus" ober .^rei^eitsbrang." S)icfe Spannung
roirb kein SQlenfc^ aus ber 3Dett bringen. Srofebem muffen beibc
einonber entgcgenfte^enben 9Höc^te einen Äompromi^ miteinanbet
fc^tiefeen. S)er Staot mufe es, benn er fü^tt, ha^ auc^ er o^nc
fittUc^e ^äfte ejiftengunfä^ig ift. ®r pflegt fie, um nlc^t gonj
248
oon ©Ott Dcrlaffcn ^u fein. S)lcfe ©taatsfrömmigfeett Ift eine
roibcrroäitige (grfc^clnung, role jcbcrmann roct^, aber fie tft, ein
entrolcfelungsnotrocnbiges 3n)lfc^engebtet groifc^en ben beiben ^olen,
bem flelfc^lt<^en unb bem gcifttgen, bte o^ne eine folc^e SBrücfee,
über bie fiinroeg bie ^luseinanberfe^ung erfolgt, nic^t fein ftönncn.
Slnbererfeits niufe auc^ bie ©cmelnbe fic^ in biefen ©rengbom-
prontife fügen, ha fie, um an ber 9BeIt ju roirlien, in ber 3Delt
leben ntufe. ©ie ^ugcnborbcit ber ©cmeinbe, fo grunbföölic^ fie fic^
oon berjenigen bes ©taates f(^eibet, ntu^ flc^ in äußeren '^otmm
obIIäteI)en, bie ber Qtaat als ber äufeerlic^ mächtigere Faktor
rubrigieren Kann. 6ic mufe bie „körperliche Ertüchtigung", bie
für fie garnid|ts für fid^ 93cftet)enbc5, fonbern nur eine felbftoer»»
ftänblic^e 9lebenerfc^einung i^res fittlic^en ^ringips ift, „nac^roeifen*;
fie mufe einer Organifation angc^ren, bie bie „Sgercc^tigung"
»ermittelt, an ber 3wgenb ooHgültig gu arbeiten, ©pielpläge unb
Gifenba^n frei gu matten, unb roas berglcic^en öufeerlic^e S)inge
me^r finb. S)afür gibt fie bem <otaat bas 93en)u^tfein, bas fitt*
lic^e ^ringip in feiner ^ugenbpflege „berücfefic^tigt" gu ^aben.
3)a§ bas alles nur ein Sic^abfinben auf beiben ©eiten ift, ift
Jebem Kenner ber 95erpitniffe klar. 5lber auf ber ©rengft^eibe
gibt es keinen anbern modus vivendi unb :^at es nie einen anbern
gegeben. *) ©iefer modus vivendi ift freiließ ein fet|r brüchiges
unb empfinblic^es S)ing. ^n Ithim 3lugenblick können in i^m
bie realen ©egenfö^e aufgö^ncn. ©e^t ber Stoat fo roeit, ha^
er ber ©emeinbe nic^t nur geroiffe äußere ^Jormen abforbert, fonbern
i^r beifpielsroeife ben militärifc^en ober reootutionärcn ©eift mit
feiner inneren guc^tlofigkeit unb feinem 3Hangel an familienfittlit^er
*) 5lurf) bie erftcn (E^riftengemcinbcn mußten fi(^ fo mit bem
©taate abfinbcn. ®ic ^aben i^n bejm. feine 95crtreter fogor in i^re gür*
bitte aufgenommen. ®enn wenn fie auc^ bcutlic^ ben ^obcsfdjatten f(^on
über bem Staate liegen fa^en, fo Rotten fie bod) feein ^ntcrcffc baron,
bttfe er ftarb. Söiclme^r mar i^r tnncrftes ©ebct, bafe auc^ i^m fid) bie
Sebcnsquetten öffnen möd^tcn. 6ic ftanb mo^l mit i^m ouf bem %u^z
bes Kampfes, aber nidjt bes Sc^mcrtcs, fonbern bes ©elftes. ®ie feämpftc
gegen itin, um i^m bas ficben äujufü^rcn. Sie trug ju feiner äußeren
?luflSfung bei, um l^m eine neue innere ficbensein^elt äu oermltteln. ©le
^at immer geroufet, ba% fie „nictjt boju gekommen ift, ju »erberben,
fonbern gu erhalten."
249
®inbung ouftroingcn rotö burc^ bte Scbtngung, ba% fie rein
militürifc^e ober polltlfc^c ^ü^rer tn lt)rc Arbeit aufnehmen foU,
bann Ift bcr Äonflifet ha. 3lnbcrcrfclts tft ber 6toat geneigt, ieben
lelfen inneren QDtberftanb, ben er rotttcrt, burc^ ben S^J^öi^Ö 8^1^
3lncrlicnnung gcrotffer „^rtnäipicn" ober burt^ 5Ibftofenng ju brechen.
®as alles Ift auf blcfem gwifc^cngeblet ntögttt^. S)iefe Sd^rolerlg*
liettcn muffen ertragen werben, aud) r»on ber ©emelnbe, roett es
i^r Slnltegen tft, burd) fie ^inburc^ t^re fiebensliröfte roirfifam 3U
moc^en. Senn in it)rer fittlld^en 2Iufgobe on ber 2BeIt bleibt
fie 2lngriffsmac^t, bie bas ^ric^terfelb nic^t fdjeuen barf, in bem
fie unter Untftänben ft^roere Opfer bringen mu^. ^f)vt überlegene
fittli(^e ©inbung fegt fi(^ hoä) gulefet burc^, mufe fi(^ gerabe in
ber 3w9cnbarbeit immer me^r burc^fc^en, weil bie ©efc^e, benen
fie bient, bie legten ©efe^c ber ©(^öpfung finb.
2lu5 biefen ©efe^en crroodifen if)rc Orbnungen, bie eben
barum grunbfäöK«^ anbcrer 5trt finb als bie ©efege bes Staates.
Siefc finb im 3^tereffe ber Sllenfc^en gemacht, iene sur 95er-
roirliKc^ung ber ^errfc^aft ©ottes; biefe rooticn ben 2Henfd|en
fc^ü^cn, jene ©ott bicnen; biefe finb 2Dö(!)ter an ben ©renken
menf(^U(^er ©igenfud^t ober ?Inmafeung, jene finb 35a^nbre(^er
eines fc^öpferift^en SBillens; biefe finb in if|rer ©runb^altunö
negatio, jene burdi unb burd^ pofitio; biefe finb ediig, f(^arf, ge*
fütjUos, me(^anif(^, im eingelnen oft ungerecht, jene lebenbig, fi(^
anfü^lenb, immer förbemb unb fegnenb. S)ie ©emeinbeorbnung
glei(^t ber ^ausorbnung einer ^amili^, bas ©taatsgefeg h^m Sieg*
Icment in einem ^abrifebetricb.
^zht ©eite ber ©emeinbeorbnung mufe bas grofec religiöfe
©runbgefe^, bas ©efe^ bes tjüreinanbereintretens, ber Eingabe
onclnanber atmen unb $ü feiner ©urc^fegung beftimmt fein. €s
gibt in i^r eine Orbnung für bie 3lrbeit an ber 3wgenb, eine
©ottesbienftorbnung, eine Orbnung ber ^ürforge für bas St^roac^e,
Sanfte, ©cfö^rbetc bis Ijin gu ber 95auorbnung, bcr bas §aus
ber ©emeinbe unterliegt. 2Iber bas attes ift lebenbig nad) Ort,
8eit, Slfter, gjlenfc^en unb 95ert|ältniffcn. €s gibt in i^r nichts
ftarr unb unabönbertid} ^eftgefügtcs, fonbem nur ein fit^ immer
neu unb immer weiter Sufammenfügenbes. ®ic ift in Jeber 95e-
gie^ung ein roac^fenbes ©ebilbe, nic^t nur bcfte^cnb aus leben-
— 250 —
bigen 3Hcnfd^en, fonbem ftd^ audf) ocrroirklfd^enb in tebcnbtgcn
OrbnuTigcn. Sarutn ift fie ewig, Tocil fie ein croig lebenbigcs
®cfc^ verkörpert. 3llle menfc^Itc^en ©emcinffJ)aften von ber '^a*
mitte über bas QSotk bis tjin äum OHenfc^^citsliörpcr ftnb . in
biefem Urbilbe befctjloffen. 6ie ift bie ^rögerin ber eroigen (Er-
löfung unb bie Slnraörterin ber ^öct)ften Sötenfc^tieits^offnung.
3n ber alten (S^riften^eit rourbe bie ©enteinbe mit ber
gangen ©lut ber rettgiöfen Smpfinbung umfaßt, ©laube, $off»
nung unb fitebe ge^rten i^r roie einem perfönttcEjen QBefen. €in
unerfdjöpfttd^er Strom t)eittger ©ebanfeen umflutete fie. 2Denn
man fprai^ Don ber „©emeinbe ©ottes", von ben „ermä^Iten
^rembttngen", ben „berufenen ^eittgen", fo lag barin ber 95otI*
Klang ber '^reube über bas gro^e (Erlebnis ©ottes, bas in eine
gerriffene 9DeIt I)erniebergeftiegen mar. ö^ne bas tjeittge „93otti
©ottes" mar bas ©otteserlebnis felbft in^alt« unb kraftlos, ©a»*
hmä) ift bas S^^alter ber 'iperfönttd^keitsrettgion mie burc^ einen
unüberbrürfibaren 3lbgrunb oon ber klaffifdien 3eit unferer SRettgion
getrennt. '3llle £e^ren oon ber ^ird^c, unb feien fie and) nod|
fo f(^riftgemäfe unb ft)ftematifc^ aufgebaut, können ben 35erluft
biefes t)eittgen 93efifees ni(^t erfegen. 9Benn es irgenbeinen ^punkt
gibt, an bem ber ^irclje gum ^Berou^tfein kommen mu^, mie arm
fie im Soufe ber 3ot)rtaufenbe geworben ift, bann ift es biefer.
6ie ijat „bie erfte Siebe" oerloren, barin Hegt i^r ganger ^off*
nungslofer ^uftöiib befc^Ioffen. QBenn es irgenb einen 2Beg gibt,
um aus ber Entartung alles ^irc^entums in ber ©cgenmart,
aus bem ^offnungslofen §aber ber ^onfeffioncn, aus ber kalten
95erknöc^erung ber ijornten, ber 3trmut rettgiöfen Smpfinbens,
aus ber furdEitbar gerfptttterten Sebensftimmung übert)aupt roiebcr
t)erausäukommen, bann ift es ber königtti^e 2Beg ber fic^ opfemben
Siebe. SRid^t burc^ i^oi^e ©ebanken, nic^t burc^ gro^gügige aie-«
formen, nict)t burc£) formooßenbete ©arftellungen, nic^t burc^ mactjt*
ooHe ©önner wirb ber lebenbige ©ott roieber in bie SBett ein-
gießen, fonbem allein burc^ bie oerborgene Opfertat, bie bas legte
©efcg oerroirkttcßt, bas biefe g33ctt im ^nnem trögt.
^
4. S)te reltgiöfe öoffnung.
Sic Hoffnung Ift btc ältefte ^oc^tcr ber SRcKgion, rote flc
bic ältcftc unb urfprünglt(f)fte ^leufeerung alles fiebens ift. Sic
crftc unb bic U^U SRcgung, bic burd) alles ficbenbige fjinburdj»
äuöit, ift ein ©ic^ftreckcn nad) Dorn. Sie alles bc^errfc^enbc
©runbric^tung, bie burd) ben Sebensftrom ^inbur(^ätet)t, ift bem
Sukunftslanbe äugeroanbt. 95on ber 5lmöbe bis gum SJlcnfcfi^etts«
Ijrop^eten ftrebt attes fiebenbige, unberou^t ober bcroufet, einem
3iele gu. ©clbft bas Erlebnis „^Scrroeile, ^ugenblicft, bu bift fo
fi^ön!" oerbanfet feine ©d)ön^cit ber ^lar^ieit unb Unbccngt^eit
bes brängenben Sebensgcfü^Is. 3turf) bie fe^nfüd^tig bem ^arabies
ber 95ergangen^eit gugemoubtcn ©ebonlicn finb nur Präger einer
geheimen Suttunfts^offnung. ^lud) bas Ronferoatiofte 'Jltter ^ängt
nur barum fo gS^ am SJergangenen, roeil es feine ^ugenb^offnungen
nic^t aufgeben ftann.
Sic Sfjeologic ^at bem Kapitel oon ber rctigiöfen 3iifeunfts=»
t)offnung bie Uebcrfdirift gegeben: „95on ben legten Singen". 9Bir
fc^cn in i^r bas 51 unb bas O, ben Einfang unb bas (£nbe aller
2lcligion. 6tc ftc^t nic^t nur auf iljrem legten SBlatt gef(^rieben,
fonbern fic bc^errfc^t aUe i^re SBIöttcr oom erften bis gum legten,
©ie ift bic oor^errfd)enbc feclif(^c Satfac^c alles religiöfen Sebens.
©age mir, ob unb roie glü^cnb bu ^offft, unb ic^ fage bir, wie
rclcli bcin religiöfcs fieben ift, mic tief bein Scbensftrom raufest.
®rft bic ^offnungslofigkeit ift ber 2ob, alles anbere barf man
nic^t fo nennen. Srft roenn bas '^M crrcicf)t, rocnn bas gro^c
ficbensgcfeg ber Siebe ^errfc^enb geroorben, roenn ©ott alles in
aUm ift, roirb bic Hoffnung oufi^örcn. SBis ba^in roirb fic tjcrrft^cn.
3^r ^errfc^aftsgebict reicht rociter als bas bes ©taubens.
Sänge bcoor bic grofec innere ©eroife^cit bes ©laubens aus bem
(Sntroidilungsftrom emporfteigt, ift fcfjon bic Hoffnung tebenbig.
— 252 —
6le Ift blc allen neuen ©tufen bes ©laubens oarangeficnbe 93or-
a^nung. (£s tft burcfjaus rtcf|ttg, bte ^Religion bea alten SBunbes
Im SSerpitnls gur aUeltgion bes neuen SBunbes als bie 3letigion
bcr SJer^etfeung unb bcr Hoffnung ju beäetdinen. S)as gleiche
gilt ober für Jcbe «ntrotcfelungsftufe in lf)rem 95erf|ältni6 gu ber
folgenben. S)er ©laube flutet auf unb ebbt ab, bie Hoffnung bleibt.
?luc^ in bem 6inne bleibt fie, ba^ ber ©laube nic^t etroa
bie Hoffnung ablöft unb überflüffig madjt; er ooUenbet fie. 3)er
©taube ergebt bie Hoffnung gur ^öc^ften ©eroipeit unb ntac^t
fie äur Icbenbigften Äraft. S)ie Hoffnung o^ne ben oollenbenbcn
©tauben ift ein ©ictife^nen, bas m(i)t gur ^raft bes ©c^affens
^inburc^bringt. S)er ©laube mac^t aus ber Hoffnung bie fdiöpferift^e
Su^unftslferaft. 9^ne bie Hoffnung aber ift auc^ ber ©laube un«
ooUeiibet. (£r bleibt eine fd)neU abfterbenbe 95lüte, roenn er nidjt
äüm ©c^affen für bie guftunft roirb. S>ie SBIüte bes lut^erifc^en
©laubens ift barum f o ft^ncU ocrroelfet, weit fie nic^t gur lebenbigen
Hoffnung ausreifte.
^n iebem ©tabium ber rcligiöfen Scbensentroidilung ^at bie
^Öffnung i^ren "iptag. Q5icttei(^t ftann man fagen, ho^ fie an
bem öufeerften S:iefpunfet ber ©ottcsfemc ft^Iummert, aber nur für
einen Qlugenblidi, in bem bie ^BeUcnbemcgung burii^ ben unterften
Salpunlit gleitet. 3ft ^M^'^ übcrrounben, bann bligen fc^on i^re
crften ©trauten roieber auf, mie fie cor i^m noc^ oon bem legten
^ö^enpunfet ^er als legtes Slbenbrot nac^glommen. 95i5 er fi(^
an hm ^Bürger l)ängte, ber i^n 5u ben ©c^meinen fc^icfete, lebte
in bem oerlorenen ©o^n noc^ eine le^tc Hoffnung, bafe er aus
eigener ^raft roieber auf bie ^Jüfee kommen roerbe, unb als biefe
Hoffnung bei ben Srebem enbgültig oerfanli, tauchte auc^ fc^on
als erfter §offnungsftral)l ber gu'^wft bie neue 9Zlöglic^lieit auf,
bie i^n auf bie fiebensfeitc roarf: „'^n ,ben tagelöhnern meines
95aters!"
Qa^t uns bie Hoffnung in (£^ren t)alten! ©ie ift ber legte
unb ber erfte ^^ben, ber ben SHenfc^en an feinen ©c^öpfer binbet.
SDo^l gilt auc^ unb gerabe für bas ©ebiet ber QUeligion bas
aUort: „§offen unb §arren mac^t manchen gum Alanen". QBo^l
fptegeln fic^ in ben ungezählten formen religiöfer Hoffnung alle
Sorbetten bes 9Henfc^engefc^lec^ts. 9J3o^l feiert in bem Sanbc
253
bcr Hoffnung bcr (£tgentöittc ber 3Jtcnfc^en gerobeäu Orgien.
3lbcr btc S:atfad^c, ba^ btc Hoffnung nie gang tot gcrocfen ift,
tft bie größte Satfad)c aller Scbens» unb 9lcligtonsgef(^t(f)te. ©er
©laube kann für lange Seit fc^tummem, bie Siebe Itann auf rocite
©trcdien ju ^is erftarren, bie Hoffnung ober ftirbt nit^t. 6ie ift
bie eroige fiampe bes ®öttli(^cn im SJlenft^engefc^Iec^t, bie nic^t
erlöfcl)en kann, bie, roenn auc^ nur burc^ einen fc^roac^en, oft
genug unfic^er flocfeembcn fiic^tfc^immer, bie eroige SBeftimmung
ber 3Zlenfc^^eit anzeigt.
^cr eine ©efc^id^te ber Hoffnung fd^reiben roifl, niu§ bie
gange ©efc^ict)te ber 9Henf(^^eit ausfdiöpfen. ©as innerfte aJIenfc^en*
roefen unb «roottcn fpiegelt fid) ju aßen ^txUn in feinen Hoffnungen.
Oottesfeme unb ©ottcsnä^e kann man an i^ncn roie an einem
öö^enmeffer ablefen. ^n bicfer bunten ^üUe menfc^Iic^er Hoff-
nungen aber gibt es geroiffe ©efe^e, benen i^r roogenbes ©urc^-
cinanber folgt.
S)ie ©lut ber religiöfen Hoffnung ftetjt im umgekehrten
95er^öltnis ju ber (Entfaltung äußerer üHaturkraft. ©er ©egenfa^
„^leifc^ unb ©eift" ober „5:rieb unb ^iUe" ift oon ousfc^tag»
gebenber SBebeutung für bas Sit'^öclitreten ober bie 3tusfaltung
ber religiöfen Hoffnungsroelt. %at bie oerfprü^enbe 5lu§enfeitc
bes fiebensftroms bie 93or^crrfc^aft, hann roirb bie religiöfc Hoff-
nung unfii^er ober oöllig oerbunkelt. S)as gang ber ©innenroelt
äugeroanbte Itlaffifc^e ©riec^entum kennt am 9lonbc his flebcns
nur bie bunklen fluten bes 6tgj unb bie traurige QBelt bes
Habcs. 93on hi:m Slugcnblidie an aber, in t>em in ber ©innen-
roelt ber Sobeskeim gefüllt roirb, bie Siesfeitsftimmung alfo
langfam in hm «peffimismus ^inübergleitet, ge^t in bcr jenfcitigen
Wut bie ©onne auf. 9Hit bem ^latonismus unb ben Söl^fterien-
kulten aict)t bie rcligiöfe Hoffnung in bos ©ricc^entum ein. 9Bir
fe^en bie gleiche Sntroicktung im ^"^^"^i"- ®t« ölte Dlatur-
rcligion bes ^aifvekultus kennt keine ^cüeut^tenbe retigiöfe Hoff*
nung. S)iefe ftra^lt erft in ben fc^roeren (Erfc^ütterungcn bes
.Volkstums auf, als bie bem ©ittlic^en jugeroanbte Slcligion ber
^rop^eten bie grofeen Sii'^iinftsbilber fc^afft. ^\)it Sro^ungen
gegen ben öufeercn SBeftanb bes Volkslebens unb i^re 95cr^eifeungcn
einer rounberbaren Zukunft finb bie ^e^rfeiten eines Gntroicfelungs-
254
progeffes. 5>tefer ^rogefe flnbet m auä) in ben anbeten QUeltgloncn^
ja lie^rt im Saufe ber fiebensentroidfelung auf immer neuen ©tufen
roieber. QBtr beftnben uns je^t in ber europäifdjen ^ulturroelt
mitten in einem foI(f)en ©tabium ber Steugeburt ber rettgiöfen
Hoffnung aus bem gufammenbrud^ einer gang auf bie 2lufeen-
entfaltung gerichteten ®ntn)ickIungsepod)e.
Ser Kenner ber Qfleligionsgefc^ic^te ift mit biefem ©efe^
Döflig ö ertraut. ®as 5lufleu(f)ten unb 95erglimmen ber religiöfen
Hoffnung ftet)t im allerengften Snfammen^ange mit bem religiöfen
Urerlebnis. (£s ift gang töricht, ber '^tagt nad) ben „legten Singen"
burd) irgenbein SBeroeisoerfa^ren, fei es logifcEier ober ^iftorifi^er
ober „miffcnfc^aftlic^er" ober experimenteller ^rt, nät)erkommen gu
motten, ^tttm ©tabium ber religiöfen ^ntroidfelung ift nur bas
aita^ unb bie ^orm ber religiöfen Hoffnung gugängltcti, bie eben
bie ©tufe, auf ber fid) bas Seben gerobe befinbet, guläfet unb
forbert. 3Bir rcerben bie ^eftätigung bafür oucf) in ber Snt«
micklung ber fogenannten (^riftli(^en Hoffnung finben, bie keines*
roegs ein fo feftes, einbeutiges ©ebilbe ift, wie bie ©ogmatifier
annehmen.
Senn aud) bte^orm, bie bie religiöfe Hoffnung annimmt,
unterliegt, eben roeil fie oom immer neu unb immer meitergreifenb
fid) burdife^enben religiöfen Urerlebnis abhängig ift, beftimmten
©efe^en, bie immer roiebcrfee^ren. (£rinnern mir uns baran, ha%
febe fid) neu anba^nenbe ©tufe ber 95erroirl{lid)ung bes ©ottes»»
mittens mit einem ^luflöfungprogefe einfe^t! ®ine alte Sebens-
ein^eit mirb langfam äerfefet, ein alter Sebensroitte nad) unb nai^
gebrod)en. '^n biefem ©tabium bes erroat^enben ©d)ulbgefü^ls,
bes angrelfenben Setbens, ber immer ftärkeren ^erausgerrung bes
3c^berou^tfeins ge^t aud^ bie ^uroe ber Hoffnung in bie §öl)e.
^ber auf biefer negatioen ©eite bes Gntroidilungsproäeffes haften
bem ^offnungsbilbe gang beftimmte 309^ Q"? ^^^ fiel) nur aus
ber gcrfegung bes Sebens erklären.
Sie Hoffnung mirb ^ier äum©egen gewicht gegen ein
me^r ober minber beutlic^ empfunbenes 3Hanfeo bes gefunben
fiebens. ©ie mirb gum ^uflud^tslanbe, in bas ft(^ ber unbcfriebigte,
ft(^ aber felbft noc^ krampfhaft be^auptenbe Sebensroitte flüd)tet.
9nan kann biefe ^offnungsftimmung mit ber(£up^orie bei beftimmten
— 255 —
^ranfei^eitsproäcffctt üerglcid)en. 3Ius biefcr entlaftcnbcn unb gcgcn-
Tütrfeenben i5unl^tton ber Hoffnung crfelärt es ficJ), ha% t^rc 93tlber
je länger bcfto tnel)r p^antoftifd), übertrieben, oerftiegen unb un«
rotrfeltd) werben, ©ie werben gu ©e^nfu(f)tsbilbern eines kranken
©entüts. S)te äunefjmenbe 33ergröfeerung, 33ergröberung unb ?pi)an*
taftlfe ber Sügc tä^t ftd) befonbers gut in hin israelitifc^en Sukunfts*
bilbcrn beobaditen. ^us ber ert)offten glücfegefegnetcn unb frieben«
fpenbcnben ^önigs^errfc^oft ©aoibs, bie noö) gang reale 3üge
trägt — ein jeglidier fott unter feinem 2Beinfto(k unb Feigenbaum
fi^en — wirb burdj eine gange SRei^e von ^lüift^enfteigcrungen
bis ^in 5U bem "g^iebensreic^, bas aße Kreaturen umfpannt, all*
mä^li(^ ein G^aos oon farbenglü^enben, in unenblid^cr ^^antafie*
füEe aufftra^Ienben, äufammen^angslofen ^raumgefic^ten, oon
benen uns bie esd)atoIogifd)e fiiteratur eine gange 9leit)e aufbe«
maijxt f)ot. S)er ^iftoriker kann aus bem (Srabe ber 213eltferne
unb 'ip^antaftik gang groingenbe 9lüdifct)Iüffe auf ben ®rab ber
inneren 9tuftöfung ber (Epoche gießen, in ber biefe 95ilber kongi*
piert mürben.
®agu kommt ein groeites 9Herkgeid^en. 32Iit bem ©rabe ber
inneren 5luflöfung roöc^ft andi) ber inbioibualiftifc^e (£t)a =
rakter bicfer Sii'^ii^ö^offnungen. 5)ie ölteften gukunftsbilber
knüpfen noc^ gang an bie 95oIks^offnungen an. 95on einer „Selig*
keif bes eingetnen, ja oon einer perfönlic^en Unfterbltdikeit roiffen
fie nictits. 3^ länger befto beutlid^er treten aber an bie ©teile
ber 93oIk6eint)eit bie „öeiligcn", bie „ €rm aalten 'V bie „ Erretteten *,
mit einem QBort bie eingetnen, bie fiel) nun ber erhofften §errlld^-
keit nad) allen ©nttäufc^ungen, bie fie auf (£rben erlebten, erfreuen
fotlen. 9Htt ber perfönticlien 3:f)Cobicee ber ^iobslitcratur etmad)t
auc^ ber pcrfönlicl)e Unfterblic^keitsglaube. ©abei bleibt bie 95olks»
t)offnung immer nod^ als SRatimen befielen, ja erlebt in ber ©e»
meinbe, *) bem „95olk ©ottes" eine oergeiftigte ^uferftc^ung.
5tber biefe ©c^ar oon ?lusenoät)lten ift in 5Dirklic^keit kein SBolk
mcf|r, fonbcrn eine ©ummc oon eingelnen.
3n bem fc^on in feiner SBlütegeit ftark inbioibualiftifc^cn
*) Sic roo^l eine 93orftufc ber djriftlic^en ©emcinbc, aber keines*
rocgs mit i^r ibcntif«^ unb gteidjroerttg ift
— 256 —
^cttencntum ^ot biefct S^biolbualistnus bet Hoffnung nic^t roic
in ben feräfttgcn ©olfesgcbilbcn bcs Orients ^Q^r^unberte l^inburd^
gn kämpfen braud)en, fonbern fid) gerabegu unmittelbar burd^gc-
fc^t, als bie '^üt für ble rcUgiöfc Hoffnung reif mar. ^loto
f(^on ^offt auf bie ©cmcinfc^aft ber auscricfenen ©cifter im 3cn-
feits, roie ©okrates mit ber Hoffnung perfönli(^cn ^ortlcbens oon
ber (Erbe f(^ieb. 5l5er auc^ ^ier erroöctift bie Hoffnung aus ber
unbefriebigtcn fiebcnsftimmung unb ber gcrfegung ber finnlt(^en
Kultur. S)er ficib ift bas ©rab ber ©eele, bie fit^tbare SHotcric
ift bas 95ergänglicf)e unb ber ©c^ein, bie ^bee bes ©uten, 5Da^ren,
©c^önen aber bas 95Ieibenbe unb allein SBirfelic^e, gu bem bie
©eele emporbringen roiU. %üx ben auf bas 6eienbe bebod^ten
©eift bes ^ettencn mirb fo bie ^offnungsmelt fe^r oiet klarer,
gciftiger, fefter, geft^Ioffener als in bem auf Sebensberocgung gc-
rlt^teten Orient. 2Iber bie 9BeIt ber Xd^ot mirb im fiaufe ber
3at)r^unberte balb nit^t minber bunt, mannigfaltig, t^aotifc^, p^an*
taftif(^, fo bafe bei bem cinfe^enben Einbringen ber orientalifc^en
Kultur in ben QDeften ber 95ermö^Iung beiber ^offnungsroeltcn
miteinonber im ©noftigismus feaum noö) ©d^roieriglieiten entgegen«
fielen. Stur fiegt in biefer 93ermä^Iung felbftoerftönblirfi ber ent=»
fi^loffenerc ^nbioibualismus bes Hellenismus, ha ja au^ bie 9BeIt
bes Orients f(^on gang auf i^n eingeftcUt mar. *) ?lnbererfeits
aber l)at aud) bie 95oIlisreIigion bcs ©ried|entums, bie in ben
angfterienfeulten einen gang neuen gi^^ig trieb, mit i^rer finnlit^-
Iteitsgebunbenen ^nf(^auli(^kcit bafür geforgt, \>a^ bie ^offnungs-
bilber ber Oft* unb 3BeftfeuItur jueinanberfanben.
©iefer ^offnungsroelt ber 3etfcÖungseporf)e aber wofjnte auf
beibcn ©eiten noi^ ein brtttes Onerfegeit^en inne. ^@ie mar ben
prakti|(^en 3tufgaben ber 213ett gegenüber oöllig
^ülflos. ©ie mar gefc^affen roorben ots ©egengeroii^t gegen
bie einfegenbe ^luflöfung bes Sebens unb mar hod) nidit imftanbe,
fie irgenbroic aufgu^alten unb gu fjemmen, fonbern förberte unb
bef(^Ieunigte fie oletmc^r no(^, mic bie CSup^orieäuftänbe eines
tranken hm ^erfefeungsproäefe nur fc^nellcr ablaufen taffen. S)iefe
*) ^ter liegt bcnn aurfi fotgertdjtig ber ftärfefte Siffercnapunkt
aroifrfjen ©nofttäismus unb C^riftentum, bas ben ©ebanken bcs „Söolfees
©ottes" in btc Su^wnfts^offnung ganj neu eingcfteUt ^otte.
— 257 —
troglfc^c ^unfetlon bcr ©offnungsbilber roirb fretlid) überaß
cmpfunbcn, bafjcr btnben fie m fclbft an etn ausgebet)ntcs 6c^u§-
fgftem gefeilterer ^orberungen. Sie ftrcnge ©efegltc^ftclt bes
3ubentums unb ble 2l5feefe bcr Hellenen, an bte bcr Eingang in
bic ^offnungsroclt gebunben rairb, legen bdoon ergreifcnbes Zeugnis
ob. 9Bie ^at man bic ©innlic^feeit ertötet unb ben Körper liaftelt,
um ber eroigen ©eligkeit geroife gu roerben, unb ^at boc^ ni(^t
bemcrfet, ha% eben biefe ©eliglteitserroartungen bicfelbe gerftörenbc
6innli(i|feeit roieber einführten unb fteigerten, beren S^ang nion
entrinnen roollte! S)ic gro^c ^offnungsroclt, bic man fic^ auf»
gebeut I)otte, roar eine grofec 3Bcltflu(^t unb hod) — fo roclt"
förmig! 2Den ber Sob gepacfet ^at, bcr entrinnt i^m nic^t, burc^
kein Söubcrmittct, burc^ keine Slskcfc, burc^ kein ©akramettt,
burcl) keine §offnungsroeIt. ©as alles treibt bie Sntroicklung
nur noc^ me^r in feine 5lrme. "Suh^t roirb alles Unfirfierreit
unb 3luflöfung, aud) bie 2BeIt bcr frommen Hoffnungen. S)ic
csc^atologifdien Silber jener Sage mu^ man auf fic^ roirkcn laffen;
fie finb bic ^icbcrtröumc einer fterbenben ^dt 3Kan rütjrt aud^
f(^on keinen 'finget mc^r, um für i^rc praktifd^c 95erroirkli(^ung
Äraft unb fieben einäufeöcn. Sie taufenb ©cfcglic^kciten, bie man
fic^ auferlegt, um i^rer gcroi§ ju roerben, fielen in garkciner fat^*
liefen SBegicl^ung gu i^rem kommen. Solan roartct auf bas grofec
QBunbcr, bas abrupt bie neue 213elt bringen mu^. 5)ic glüf)enben
Hoffnungen finb fo jenfeitig geroorben, ha^ bie aDcIt, roic fie ift,
auf keine 2Bcife mc^r in fie ^inübergefü^rt roerben kann. (Es ift
kein (Entroicfclungsgufammen^ang mc^r groifdien ©iesfcits unb
3enfeits. 5)as eine roirb reftlos untergeben, unb bas anbere roirb
fic^ ptöglic^ an feine 6teIIc fc^cn. ®ine oerärocifeltcre praktifc^e
ficbcnsftimmung ift nic^t benkbar. ©ie ift ber bankrott aller
^offenben 3lrbeit mitten unter peinigenben Oualen irbifc^er SHü^fat.
3n biefe ^offnungslofc Söelt oersroeif elter Hoffnungen trot,
als bic 3^1* erfüllet roar, ha^ bas grofee Sterben in bas Sebcn
umft^lug, ber Srlöfcr. 5ln keinem «punkte roirb bie gro^c Um*
roölgung unb Stcugeburt, bic 3ßfus oon Süagarct^ in bic 3Delt
hineintrug, beutlic^er als an btefem. *) ©clbfioerftönblic^ trägt
♦) (Es ift auffallcttb, ba§ bic S^cotogic trog cifrigfler SBefdjäftigung
mit bcr gfleic^sgottesfrage in bcr ^rcblgt S^fu fo feiten bic ganje ®röge
5. öeitmonn, ®ro6ftobt unb SReltBton. 3. Seil. 17
— 258 —
feine Sotfd^aft burd^ unb burc^ 'SvLknn\isii)axaktix. 6eln 3^uf:
„Zut 95ufee, benn bas SHetct) ©ottes tft na^e ^erbetgefiommen"
i)at m nid|t etroa im Saufe feiner SBirfifamkeit in eine ©egen-
roartsbotfd^aft oerroanbelt, fonbcrn umfaßt unb burd|giel)t feine
gange ^rebigt an fein 25oIfe. ®r t)at nic^t an bie 6teIIe ber
Hoffnung ben ©lauben int Iut{)erifd)en ©inne gefegt, als t)abe er
einen rein gegenwärtigen ^eilsbefi^ ber Seelen oermitteln wollen,
fonbem was er an ©taubensliraft unb gegenroärtiger ^eilsgeraife»
^eit in bie ©entüter roarf, roar unb blieb eine „ geroiff e ^uoerfid^t
bes, bas man hoffet", ©ein unermüblic^es ^Dirken roor ein 6i(^*
ftredien aus ber argen ©egenraart nad) oorn, unb feine ^Jorberung
an bie SHIenfd^en roar eine ^orberung ber 2tbfage an aUes ©egen«-
roärtige unb ber entf(f)Ioffenen §infeet)r gu ber liomntenben 9BeIt
©ottes. „2Ber feine ^anb an ben 'ipflug legt unb fdjouet gurilcli,
ber ift nic^t gefctjidit äunt 9fleict) ©ottes." „Safe bie Xoten i^re
Soten begraben, bu aber ge^e ^in unb oerliünbige bas SHeit^
©ottes." Stie t)at ein ^rebiger bh ©egenroart fo gering gefc^äfet
unb mit fo gtü^enben klugen in bie Su^unft gefdiaut roie biefer
^rop^et, ber nidjt 9flaft noc^ 3lul)e an irgenbeinem Orte fanb,
fonbem f)eute unb morgen Sömonen austreiben unb Teilungen
ooHgie^en mufete, um am britten 2age bamit gu (£nbe gu kommen.
Stur einer, ber gang jenfeits ber ©egenroart ftanb, konnte fo roie
er auf attes '^i\U, Qflutienbe, be^oglict) ^tufbauenbe oergid^ten.
S)er 9Banbertrieb oerrät ben ^ukunftsprop^eten, bie ^eifee Ungebulb
ben glü^enb ^offenben. 2ln ©lut ber Hoffnung ^at er alle
cs{^atoIogif(^en Träumer feiner Xage in ben ©(Ratten gefteßt.
5luc^ barin glic^ er i^nen, ja übertraf er fie, ha'^ er ben großen
Sag fd)on .morgen" crroartete. 3"^ ©turmfcfjritt kommt bas
©ottesreic^ bat)er. Stie finb brängenbere 3Ila^nungen gur Wadj»
ber Umroäljung ^erausgeftellt ^at, bie mit ber bur«^ i^n ooHaogcncn Jleu«
Orientierung ber Sukunfts^offnung gegeben roar. 6ic l)at, oon ^ant be*
einflufet, ftd) lange Seit bemüht, ben getftig*fittli(^en S^orakter fetner
SÄeidjsgottcsbotfdiaft feftaufteüen, neuerbings aber, burc^ ftärkerc 93ef(i)äfti*
gung mit ber ©sc^atologie jener Sage oeranlafet, ben e5(i)atoIogtfd)en
Charakter feiner 5Botfd)aft etnfeitig betont unb kommt nun allmä^Iici) auf
einen 22llttelroeg aurück. SUs ob ^ant unb bie iübifd)e ©scijatologie bie
^Iternatioe roäre! (gs ^anbelt ftd) um einen gang neuen religiöfen ^nfag.
— 259 —
famfecit gefproc^en toorben als oon i^tn. Sie %odi\pannunQ
feiner ©otfc£)aft rotrb nur baraus crlttärltc^, ha% er oor ftc^ bte
grofee Ueberrafc^ung fte^t. „5)cnn rote ber 95Itö oben mm ^immcl
btifeet unb leuchtet über aöcs, bas unter bem ^immel ift, alfo
rotrb bcs Sötenfc^cn 6of)n an feinem Sage fein." SBis in ben
Woxttaut unb bie (Eingelbilber ge^t, roos ben glü^enben ^fjorafeter
ber 3wfeunfts{)opung anlangt, feine 3lnle^nung on bie 5IpofeoIgptili
jener 3:age. *)
Unb boc^ I)ot er biefe SIpofeoIgptife bis in bie aBurgeln
hinein überrounben. SIus olten ©oufteinen f)at er etroas oöUig
0leue5 gefd)affen. ©eine ^Öffnungszeit untcrfdjeibct ftc^ oon ber
^Öffnungszeit bes fterbenben Rittertums, wie ft(^ bos Seben oom
S:obc unterf(^eibet. ®er grofee Umfdimung an bem 5)ur^bru(^s*
punkte bes Sebens burc^ ben Sob ift an biefer ©teile befonbers
beutlic^ fictjtbar.
Siefc ^offnungsroelt ift aUes anbere als ein ©egengeroid^t
gegen bie immer unerträglii^er roerbenbe ©egenroart. 6ie ift it)re
Ueberroinbung. ^ein QBort ber ^lage über bie traurigen
Seiten, bie ben §intergrunb aller Rlpofealijpfcn jener Sage bitbet,
ift über ^^fu Sippen gekommen. 3Bp finb ^icr bie Etagen über
bie blutbürfttgen SHac^tliaber, **) bie bie Sölenfc^en quälen? Sas
^crrlidie 2Bort &önigli(i)er ^rei^eit an. ben ijuc^s aerobes kommt
aus einer anberen ©timmung als bie büfteren ©(^itberungen ber
großen 95abet etroa in ber Offenbarung 6t. ^o^önnis. SlBas für
eine ^erä^aftc, faft oerä(^tli(^e ©leit^gültigkeit fpridit aus bem
^ingeroorfcnen: „®o gebt bem Äaifer, raas bes ^aifers ift!" ^o
finb ^ier bie Magen über bie 95o5^eit, Sluc^tofigkcit, fiöfterung,
^urerei unb SSerkommen^eit ber 9Jlenfc^cn, roo bie furchtbaren
©ilber ber Sobes*, Rollen- unb Seufetsmäc^tc, bie burc^ bie ^zit
*) ©croife ift, namentlich in ben überlieferten apokali)ptifd)cn Sieben,
oicles fpäter aus biefer bunten 2ßclt norf)trägltc^ eingetragen roorben, ju«
mal ba bie ©emcinbc fc^r batb auf bie alte ^offnungsftimmung 3urü(k*
fanfe unb bte ^offnungswclt rotebet als ©egengemtdjt unb Sroft für bie
^offnungslofe ©egenroart \iü) oormalte. ©s ift fc^r fdjroierig, t)icr bie
SBortc auscinanberäutpirren. ©as ift aurf) nt(^t nötig, bcnn bie neue
§offnuttgspofitton ^^fu fte^t aus ber ganacn öoltung feiner "iprcbigt feft.
**) ®er „%euel ber Söcrioüftung" «Htatt^. 24. 15. ift fi(^er fpöter
eingcfdjoben.
17*
— 260 —
f Cordten? <Sx fic^t bos attcs ntc^t, toell er ble gro^e, ftd^ an*
ba^ncnbc ^uliunft fielet, bcren fitc^t attes ©unkcl übcrftra^It. ®cr
©atan, on beffen furd)tbarcn 9Berlien ftc^ bte anbcrcn ^Ipoftalqpfen
gcrabegu toelbcn, tft tote ctn SBli^ oom ^itnmet gefallen, nun aber
leuchtet t^iü ble 6onne ber feommenben 9BeIt ©ottes. ©te ift }a
mitten unter euc^. *) 6te raäc^ft herauf unter euren Rauben.
„S)le SBIlnben fe^en, unb bte Carmen ge^en, ble 9Iusf öligen werben
rein unb ble Rauben f)ören, ble 3:oten ftet)en auf, unb ben Firmen
rolrb bas ©oangellunt gepreblgt." ^ler t)ören aUe p^antaftlfd^en
95llber auf, an benen bte fterbenbe 95ergangen^elt fld) aufjurlc^ten
fut^te, um nur Immer tiefer In ble ^leberp^antaflen ^Inclngugcraten.
„S>as 9flclc^ ©ottes kommt ntc^t mit äußerlichen ©ebärben, aut^
ntt^t abrupt, role ein maglft^es QBunber, fo ha^ man fagen mlrb:
»Sle^e t)ler, ober: ha Ift es." (Es Ift roerbenbe QBlrkllc^feelt, gang
nü(^teme SBlrfellc^kelt, es roäc^ft oor euc^ herauf, fo ha^ l^r es
greifen könnt. 3ltte krankhaften eupt)orlfct)en ^offnungsguftönbe
ftnb übcrrounben bur(^ ble rolrktt(^e ©enefung, bereu ^offnungs«
ft^auer anberer 3trt flnb als ble bes Sobeskampfes. 3nan t)at
In ber ^l^eologte oft barauf t)lngen)lefen, ha% In ber 95erkünblgung
3efu alte überftlegenen ^offnungsbllber ber ^errllc^en Scnfcltsroclt
fehlen. Qlber es t)anbelt flc^ ^ler roa^rllct) nlc^t nur um ein
äußeres Surüdkfc^nelben, €lnbämmen, 6l^mäßlgen, fonbem bas
ift bas ©gmptom einer oöElgen Inneren Steuorlentlerung. (Er t)at
ble ^elt ber Hoffnung gurückge^olt aus einer p^antaftlfcfien
3cnfcltsn)elt In bas reale fieben. (Es Ift roleber ber Sufammen"
^ang ha grolfd^en bem, was Ift, unb bem, roas roerben rolU.
©enn barin liegt nun ber entfc^elbenbe ^unkt ber SBotfd)aft
3efu oom kommenben 9iel(^: er fte^t ben Sntroldilungs-
(^arakter bes 3lelc^es ©ottes. ®as Ift ble le^te Söfung bes
•) .2nan Ijot bas 2Bort: „S)as Äctd) ©ottes tft mitten unter euc^*
fo ausbeuten rooUcn, als ^abe S^fws bas 3letcf) (öottes in lut^erifci)*
inbioibualiftifdjcm („in cudj") 6innc als gegenroärtigen ^eilsbcfiö oer*
künbigt. ®as ift burdjaus mc{)t bic 9ncinung. (Es roirb unter euren
Öönben unb oor euren 5tugcn. Sic bcgiüdfeenbc ©cgenroartsgcroiß^cit
bejie^t fici^ ganj unb gar auf eine geroiffe Sukunft. SBei Sefus gibt es
ni^t ben paulinifdjen Hnterfdjieb groifdjen ©laubc unb Hoffnung. Scr
©taube ift ein hoffen, unb bas hoffen ift eine gcroiffe Suoerfiiijt, kein
Sidffe^nen, es ift ein (&laa.btn.
— 261 —
f(f)ctni)orcn QBtberfpruc^s äroifrf)en ber ©egcnroartsgcrotpieit unh
bcm 3ufeunfts(^araliter bes Qfletc^cs: (£s roirb, es roödift. Sie
knospe tft ha, has ift beglilcftenbes ©egcntoortsfc^auen, unb nac^
unoerbrüc^Iic^cm ©efe^ toirb ber Zag feommen, an bem fle auf-
fprtn^t. *) S)iefer Sag kann gang überrafi^cnb Kommen — es
gibt nirgenb fo grofee Heberrafc^ungen mte im roac^fenben fieben. **)
®arum ^abt 3l(f)t auf bie Scic^cn ber 3cit! »^n bem feigen*
bäum lernet ein ®Iei(f)nis! 3Benn fein "^roüg iefet foftig mirb
unb SBIätter gewinnt, fo roiffet i^r, ha^ ber 6ommer naf)e ift.
'2llfo aud^, roenn i^r bas attes fe^t, fo miffet, bafe es nat)e oor
ber Sür ift." 60 beutUc^ fteigen je^t fc^on bie 6äfte, t>a^ „etliche
ba finb, bie ben Zob nic^t fc^mecfeen roerben, bis ha^ fie fe^en
bas 3leid^ ©ottes in ^raft — im ©egenfag in ben Je^t erft leifc
fid^ regenben ^Infö^en — kommen." Sas 9flei(^ ©ottes kommt
überraf«^enb roic ein 3)ieb in ber ^adjt, ab&t es kommt niö)t
abrupt roie ein Deus ex machina aus einer frembartigen 3Bett,
bie biefen '2leon plööli(^ ablöft. ©0 t)aben bie ^rop^eten bis
auf 3of)annes bie ©ac^e gefe^en. „S)enn aQe ^propfjetcn unb bas
©efcö t)aben geroeisf agt — in ber rein fi(i^ fet)nenben Hoffnung
gelebt — bis auf ^o^annes." Stun aber mirb es im ©türm er-
griffen, nun ift es 9BirkIi(^kcit geworben, was bis ba^in 95ilb
mar. 5)en ©egenfafe feiner QUeid^soerkünbigung gegen alle
^offnungsenoartungen ber Vergangenheit \)at 3efus fo tief
cmpfunben, ba^ er tro^ Ijöcljftcr 3tncrkennung ber fittlic^cn ©röfec
*) 60 feiten roirb bie 2;ragroelte bcs 3cltt)enroortes (ailatt^. 16.
1—4) für bie ©cfamtbetradjtung 3cfu betont, „©es aibenbs fprc(^t i^r:
®5 roirb ein frf)öner Zag roerben, benn ber $tmmcl ift rot; unb bes
anorgcns fprci^t {f)r: @s roirb ^eute Ungcrottter fein, berat ber ©immel
ift rot unb trübe, ^tjx öeuc^Icr, über bcs Fimmels ©eftalt könnt t^r ur«
teilen, könnt it)r benn nid)t oucfj über bie 3cicf)en biefer Seit urteilen?*
3n bicfem SBort liegt ber ganae Unterfdjleb ber alten unb ber neuen
Hoffnung. 2lu<^ bas geilen ber 3<i^l«nm^fttk, bie bie 5tpokali)pttk ber
3elt oölllg bc^crrfct)tc, jelgt ben ganjen ©egenfag an.
**) SBer blc 9lellglottsgef(i)l(i)te kennt, ber roelfe, role roa^r blefe
93eoboc&tung für bos Sluffpringen ber 9lcuanfäöe bcs ©ottcsrcl^es Ift
2Blc übcrrafdjenb Ift ^Icr oft blc 6onne aufgegangen! 5ll5 bie 3Bltten>»
berger 9lad>tlgall anfing au fingen, ba ttUbtzn bie 3eltgenojfen bie 933a^r*
^elt blefes ©efeges. ob rolr fle au(i| roleber erleben roerben?
262
bcs Säufers facfjIidE) gaitg fc^arf oon it)m abrückt: „©er ^letnfte
im Himmelreich ift grö'^er benti er." 3™^^^^^ ^o^^^^^s unb ber
©egeitTDort liegt eben bie gro^e 9teugeburt. 9Bo^I betont auctj
3efU5, äumol gegen ben ©(^lufe feiner QBirfefamfeeit, bie kotoftrop^ole
©eite bes kommenben ©ottesreidjs: was fi(^ bem neuen QBerben
nic^t einfügt, ge{)t äu ©runbe. 3Iber 9Iufgang unb Untergang
finb keine obgebrodjenen QBunber, fonbern ^ntroidilungsnotroenbig«
lieiten, roie ttma — um ein 93eifpiel aus ber ©egenroart gu ge»
brauctjen — bie ^ataftropi^e unb bie 9leugeburt ber Söölfier aus
htm 3BeItkriege notroenbig in ber (gntroicklung cor bem Kriege
befi^loffen lagen unb nidjt etwa, wie bie öberflödiennaturen meinen,
aus QDitIkürakten, QUi^oerftänbuiffen unb S^f Eiligkeiten geboren
finb. *) 3" ^ßin kommen bes ©ottesreic^s ooIIätct)t fid^ ein eroiges
©efefe, bas in ben Singen felbft fdjlummert. (Es roirb, roie aus
bem ©enfkorn bas ^ot)Ikraut roöd^ft. „S)as 9leid) ©ottes :^at
fi(^ alfo, als roenn ein 93tenfd) ®amen aufs fianb roirft unb fd^läft
unb fielet auf Stacht unb S:ag; unb ber ©ame gel)t auf unb
TOöclift, ba^ er's ni(^t roeife. S)enn bie €rbe bringet oon it)r felbft
gum erften bas ©ras, barnad) bie 3le^ren, barnac^ ben ooüen
SDeigen in ben ^e^ren. QBenn fle aber bie '^mäjt gebradjt ^at,
fo f(f)ickt er batb bie 6id)et t)in; benn bie ®rnte ift tta." §ier
*) ©in befonbcrs trcffcnbes unb in feiner S:iefc feiten genug ge«
njürbigtes SSßoxt ift bas auf bas ^eranna^en ber rocrbenben ^ata«
ftrop^e bcäüglidje SBort: „Sßo ein Sias ift, ba fammcin fic^ bie Slbler."
Ucbcrall, too ein fid) äerfegenbcs Scben ift, erroadjen bie 3laubtiertnftinfete.
6eit ben 5:agen SSismar&s ift bas in unferer Seit befonbers ft(^tbor ge«
roorben. ®er 2nad)tftaat ift garnidits anbcres oIs ein ^robuRt biefer
Seifcöungsinfttnktc. 6r ift roo^rtiaftig alles onberc oIs ber Slusbrudt gc*
funbcr ^raft. SSlit ber fogialcn Serfegung unferer Sage fielen im engften
3ufammen^angc bie 9laturen, bie man im <Sefcl)äftslebcn bie „^aie"
nennt. 9Bo gäulnis ift, ba entroickelt fid) aud) bie grcfe* unb Raubgier.
®ie bi&gefrcjfenen 2Bänfte unb bie alko^olbegeiftcrten Qluff^roungs*
Patrioten unb anadjtprebigcr ber fjintcr uns Itcgcnben „öodjkonjunktur"
kann bod) nur ein ooUfeommcn entartetes ®cfd)Ied)t für "iprobuktc einer
gcfunbcn Scbenscntroidtlung polten. 6ie finb bas SHaubgetier, ba5 fidj
einfteUt, mcnn bie S^rfeöungsftunbc ba ift. 9loms aHai^t mar am
größten, als feine Lebenskraft längft gebro^en mar. ®ie SSlititärkaifer
kamen auf, als nid)ts anberes me^r ^alf.
— 263 —
tritt erft bic 93ebeutung her QBacfistutnsgleic^Tiiffc ins ooHe Siä)t *)
<H3oäu biefe in immer neuen ©Ieid|niffen roieberljolte SBctonung
bes Wad)stümliä)tn, 'roenn eö fi(^ ^ier tiit^t um ein jentrales
©efe^ ber von it)m oerfeünbigten ^offnungsmelt ^anbelt!
®iefe £ebcnsn)irfeltd)ficit ber^offnungsmelt roirb nun aber
baburc^ ooÜcnbet, ba% bies Kommenbe 3leic^ nid)t nur ®egen-
ftanb glü^cnber ©rroartung, fonbem bas f)öc^fte 31 n liegen
fittücfier 3tr5eit ift. <£$ feommt gorni(f|t anbers als burt^
unermübltdEi tätiges ©djoffcn. 3^!"^ ruft feinen Jüngern bas
„^olge mir nac^!" nic^t besroegen gu, um fie aus ber 2Dett
t)erausäu{)oIen unb für bas erwartete Sleid) innertid) oorgubereiten,
fonbem um fie gur '2trbeit in bte SBett ^ineinäuf(i)idien. ©as
^offnungsbitb ift nur ber SBegroeifer unb ber "3Infporn ber
frf)affenben 'Zat, unb gmar ni(f)t etroa in bem ©inne, ba%, wie
in ber jübiftfien ©efe^Itd^feeit, gemiffe ^anblungen, Opfer, ©ebcte
unb bergleid^en bie äu^erlic^ unb gufammen^angslos gefaxte 95 o r-
bebingung finb, um an ber fiommenben ^errlidjfeeit 'SInteit §u
geroinnen, fonbem fo, ha% in ber ooranbringenben ftttti(^en S:at
fiel) bas SReic^ felbft oerroirWit^t.
9Han t)at es fertig gebrad^t, bie unmittelbar ins fieben
f)inetngreifcnbcn et^if(^en '^othmingm S^fu als 3nterim5ct^ifi gu
begeidjnen. S)aburd) ^at man fie gerabe in bie 3loUe berjenigen
€t^ik ^ineingefc^oben, bie S^fus überroiitben rooltte. S)enn bie
}übifd)e ©efe^Iidifeeit roar S^^ß^^setl^ife im oottenbeten ©inne.
3^re Saften brandeten nur bis gu bem ^lugenbticfe getragen roerben,
roo bas gro^e SDunber bcn SJlenfc^en alte fiaften abnaf)m, roo
bie ^(^fte ©eligfeeit ber müt)feligen ©efe^eserfüHung als fiot|n
roinlite. ©erabe biefe für bas Sebcn oöUig ftnnlofe ©cfe^Iic^feelt
Ibfte er burc^ bic oom Seben felbft geforberte €t^ik ab. €r feilte
kranke am ©abbatt), er gebot, ben eitern nict)t gu entstehen, roas
blinber ©efefeeseifer unb l)eitiger (Egoismus als Opfer in ben
*) STcuerbings f)at man behauptet, bie 93e3tef|ung ber ©leiiljniffe
ouf bas aUeidj ©ottcs fei in bcn meiftcn Ratten eingetragen. 3<^ mö(^tc
bagegen fragen, . ob es überhaupt ein 2Bort 3cfu gibt, bem bic SBcjic^ung
auf bas 9!lei(^ fct)It. Um bcn iübtfcf)*csc^atoIogifct)cn (£t)atafetcr ber ©ot*
fc^aft ^e\u 3U retten, ftreid)t man bie ö^J^äftüdkc aus feiner SReic^sgottcs»
botfc^aft rocg! 3n ber ^at eine oortrcpd|c ^tftorif(ä)c SKct^obel
— 264 —
Sctripel trug — um bes »or i^m Uegcnbcti Sebcus rotllen.
5)te|e gcfunbc Sebcnset^tfe, btc aus jcbem feiner 913orte ^eraus-
leuc^tet, ift bod) garniert gu oerfte^en, roenn man bas uon l^m
gcforberte ftttltcf)e ^anbeln als intertmtftifc^es §anbcln fofet, bas
nur an einem ptöfettc^ ^cretnbrec^cnben ^uliunftsrcic^ orientiert
fein fofl. *)
0lein, feine ^orberung ift bie ^Jörberung bes neuen fiebens,
bas er mitten aus ber fterbenben SDelt l^eraufroa^fcn fte^t. ^ie
fein ©laube ein ©c^orc^en ift, fo ift fein §offen ein 3DoUcn,
ein unmittelbar prafetifc^es 333oIlen für bas oor i^m Hegenbe
Seben. einer ©eneration, bie man nur ausfonbern roitt aus bem
allgemeinen 95erberben, fagt man nic^t: „3^r fcib bas ©als ber
(Erbe" ober „3f)r feib bas fiidjt ber 9DeIt." 9Hit i{)r fpric^t man
nic^t fo ausführlich über bas QUcc^t bes 9Beibes unb bie ^fllc^t
gegen bie ^nber. '^i)x beutet man nii^t fo forgföltig ben magren
©inn bes ©efefees. ^f)t legt man nic^t in fo anbringenben
SBorten bie «pflichten fogialer 95erfö^nltct)ficit unb fo^ialer ^ülfe
auf bie ©eele; ber barm^ergige ©amariter ift alles anbere ols
eine es(^atoIogif(f)e ^igur. 3^^ f(^iebt man ni(!^t bie anoertrauten
^funbe fo fc^arf ins ©eroiffen. 3^r fagt man ni(^t im 95Iicfe
auf bie ©orgcn bes täglichen fiebens: „Srac^tet am crften nadi
bem 5lei(^e ©ottes unb nac^ feiner ©ered)tigiteit, fo mirb eud^
folc^es alles sufalten/'
Unb oor allem! (Ein 9Hann, ber nur oorbereiten miß auf
eine plö^Iic^ eintretenbe ^bgeit, fteigt nic^t fo tief ^inab in bie
prafetifctje ^ülfsarbeit an ben 91öten feines 93oIfes. S)er gc^t
rooljl in bie 'QBüfte mie ^o^a^ties unb bleibet fic^ in ein ^omels»
^aargeroanb unb nä^rt fid^ oon §eufd)re&en unb roilbem ^onig.
Slber er ge^t nict)t gu ben Banken, um fie bem fieben surücftäu*
*) 5lbet CS finb ja au^ gonj anbete Setoeggrünbe, bie blc neuere
S:^eoIogic ju i^rer S:^coric oon ber ^"tcrimset^tk geführt ^aben. ©afe
iid} 6ä6e roie: „®tb bem, ber bid| bittet, «nb roenbe blt^ ntd^t oon bem,
ber bir abborgcn rotU" ober: „3f)r follt cud) nidjt 6d)äöe fammcln", ober:
„ßiebct eure gctnbe" ufro. ntj^t mit bem Sijftent bes sacro egoismo unfcrer
S;age oercinigcn laffen unb oon i^m aus als S^tcrimset^tk crfdjcincn, ift
nur 5u ocrftänblid). ^rf) kenne keine et^if(^e gorberung 3cfu, bie im
praktif(^cn Seben unburc^fü^rbar roäre, roenngletc^ t^re Surcbfü^rung ge*
njife einen Äampf oon ^a^rtaufenben erforbern mag.
— 265 —
geben, ntt^t ju ben Söttncm unb ©ünbein, um ftc in ben 95oIli6-
pfamment)ang äurücääufü^ren. 3ft ^^s olles nur „^Beglaubigung
ber gSotfc^oft" ober 9Hittel für einen esc^atologifc^en Sroecfe? (£in
9Ipofealgptiftcr niirft feinen ©egnern nicl)t cor, t>a^ fie fcljroere unb
unerträgliche SBürben ben 9Itenfct)en auf ben §als legen, felbft
ober biefelben nic^t mit einem ^nger regen, bo^ fie ber SDitroen
Käufer freffen unb bos fieben verkümmern loffcn. 6r äie^t ouc^
nic^t ols ^önig in bie Ijeilige ®tobt unb reinigt ben ^empeL
(£in folct)er SHonn ^ot gong pofitioe Stele mit feinem SSolIie im
Sluge. ©eine 95otfc^oft ift roeber rein gciftig » fittlic^ nod) rein
esc^otologifd}, fonbem mo^r^oft lebenbig unb bem oollen Sieben
gugeroonbt.
3)05 offenbort fic^ nun oud) borin, bo§ fie fic^ göuälit^ oon
bem 3tii>ioibuolismus ber jübifc^en ^crfe^ungsepodie obgeroonbt
^ot. 9Borouf er ^offt unb roofür er orbeitet, ift, mie b^i ben ölten
^rop^eten, bos roerbenbe QSotk ©ottes, nic^t eine ©c^or oon ou$»
em)öt)lten ^nbioibucn. *) 3)orum roonbert er oon Ort gu Ort
(nur in feinem 95ollie!) unb lö^t er feine jünger burc^ bie ©täbte
unb snörlite (nic^t ber 6omoriter unb ber Reiben!) sieben, roeil
fein 3luf an fein SBolfe als gonges ge^t. Sr überlüfet ftc^ nic^t,
wie ber ®eetenfu(^er, bem ^u^aU, ob fi(^ irgenbroo eine Sürc
öffne, fonbern er brängt: „Sofet uns in bie nödiften ©tobte ge^en,
bofe ic^ bofelbft ouc^ prcbige, benn bogu bin id) geliommen." €r
ift bos ©egenftücfe bes ©oferotes, ber auf bem SKor&te mit ber
fioterne unb im groiegefpröc^ „9Ilenfcf)en fuc^t". . S)arum mufe
er oud) als Äönig in bie ^eilige ©tobt ge^en, meil er fein Sßolfe
oor bie Sntfc^eibung fteQen mu^. S)obei ift i^m felbftoerftönblic^,
ha% roie bei ben alten ^rop^eten, burcf) bie (Ertöfung feines 95ülfees
ouc^ bie (Erlöfung ber ^eibenroelt kommt. Q5iele oom 3Horgen
unb oom 3lbenb werben „mit Slbro^om, 3föafe unb ^akob im
Öimmelreit^ fifeen" b. ^. on ber 95otli6gemeinfd)aft teilnehmen.
3ct, biefe werben burd) i^re SBürbigfeeit bie ©lieber bes 95olfees
bcfc^ämen können. 5lber boburc^ wirb boc^ bos „95olfe" nic^t
ouf gehoben! ^n ber 95ollcnbung — nur feiten fpric^t ^e\ns oom
legten "Si^l aller €ntn)iditung — werben bie Sünger unter ber
*) 93«gl. im 2. 95onbc ben ?lbfcl)nitt über „S)ic neue ©emcinbe."
— 266 —
%üt)xnnQ bcs Sötcnfc^enfo^nes auf groölf ©tül)len flgen unb rtc^tcn
bic groölf ©efc{)Ied)ter ^staets.
dagegen tritt blc Inbtotbualtftifdie Hoffnung auf bic „©elig-
keit" — bies Sßort gibt es bei S^fnö garaid)t für ble ^cufeits««
{)offnuttg — ober bas „eioige fieben", oon ber bte ^römmiglieit
feines gßttolters gerabegu lebte, fo ftarfe gurücÄ, ha^ fie innerfjalb
feiner 93otfcf)aft über:^aupt deinen ^la^ gu ^aben fd^eint. ^^ ber
Sluseinanberfe^ung mit h^n ©abbugäcrn wirb bie i^^age nad) ber
perfönlid)en^uferftel)ung oon aufeen an i^n t)erangetrdgen, unb
bos Argument, bas er ben 3Tt)eifIern entgegent)ält, ift — ber ©Ott
3Ibrat)ams, 3föalis unb ^akohs. 5lIfo aud) t)ier gibt bie QSoIfes«
t)offnung ben 3lusfc^Iag! 5)ie £ef)rerääf)Iung oom reichen 9Hann
unb armen Sajarus raiti offenbar ben '^lud^ bes 3leic^tums *)
geic^nen unb aEes „2I3iffen" über bas ^ßnfßtts burd^ hm ^inroeis
auf SHofes unb bie ^rop^eten übcrflüffig macfjen, fc^eint alfo
gerabeju eine ^blet)nung ber inbioibualiftifdien ^ßi^feWsmotioe gu
entt)alten. ©as eine OB ort aber, **) bas oom „croigen Scben"
fpric^t, ift burcf) bie auffaßenbe Soppeloer^eifeung : „in biefer geit (0
Käufer unb Sßrüber unb ©c^roeftern unb QJlutter unb ^nber unb
3lecfeer mit Verfolgungen unb in ber guMnftigen SDett bas eroige
fieben" in ^^fu 9Hunbe fe^r fc^roer gu benfeen. 9Bie bem aud)
fei> bie ^Jictöc it^d) bem (gingelfi^icfefal jenfeits bes Sobes, bie in
ber inbioibuaIiftif(i)en ^J^^ömmigfeeit roie bie ^rage ber S:^eobicee
gang im 93orbergrunbe ftef)t, ift in feiner SotfdEjaft oottkommen in
ben ^intergrunb gerüdit. 9Bo^I treten bie frommen feiner 3eit
mit ber %xaQZ nadE) bem eroigen Sebcn anif)nl^eran — ber
reiche Jüngling unb ber ©(f)riftgelet)rtc ***) — er aber t)at bie
*) Sukanl[d)e S:enben3?
**) anarc. 10. 30.
***) Sc5et(^nenb tft, bafe 3^fw5 in beiben gälten es ablct)nt, feine
religiöfen ^o^berungen an fie ju ftellen, Ja überhaupt mit i^nen barübcr
ju fprec^en. (£r roetft fie einfach äurüdk auf tl)ren eigenen (Sebanfeenkrcls.
„®u feennft bie ©ebote roo^l". „2I3te fielet im ©efeg gcfd)rteben?"
5)tefcr aUenf dienfeenner roeife, bofe feber, ber mit ber ©runbfrage inbioibua«»
lifttfdjer Frömmigkeit an {t)n herantritt, für fcineSotfdiaft m(i)t reif ift.
9Itan oetfudje in unfern S:agen einen "ipietiften baoon ju überzeugen, ba^
feine perfönlidie ©eligkettsfrage nt(J)t bte legte grage ber 3lcUgion ift —
er wirb einen ocrftänbnislos unb entfegt anfrf)ouen. ©rft als beibe nieiter
— 267 —
crfte i5iage bcs ^ctbclberger ^atcdiismus niemals an bte 9Henf(f)en
gefteHt ober fte oorausgefe^t. (Er oerljei^t bas kommen bcs 3letc^es
unb forbert Eingabe an bas 3letd) — nt(^ts roeiter. Siefe Qfle«
feroe gegenüber bent, mas ben 3n^ii>i^itctKften bte §auptfad)e ift,
foUte man gang fdjorf ins '2luge faffen. ®ie ift nur ein 3eicf)en
für bie Satfaci)e, bie o^ne^in feftfte^t, ha% ber fromme (Egoismus
nicf)t in feine QSotfc^aft t)ineingeprt.
Siefe 2atfad)e roirb aud) md)t burd) ben So^ngebanken er«-
fdjüttert, ber in feiner 33er{iünbigung einen fet)r breiten 9laum
einnimmt. Slamentlid) feit ben 5;agen ber 'Sluffilärung — bas ift
fd)on oerböcljtig — unb feit ^ant ^at fid), gumal in notorifdj un=
frommen Greifen, bie fije ^bee breit gemadjt, bie fiotjnoorftellung fei
religiös unb fittlid) minberroertig. 9Ilan mufe „bas (Sute um bes
©Uten miUen" tun, fo lautet bas aufgeklärte 6d)Iagn)ort. S)iefe
'ip^rafe ift nur in Greifen mögli(i^, für bie bas (Sute eine abftrakte
3bec, ein blaffes S)eftittot aus bem roirklic^en fieben ift, in benen
man alfo oom roirfelid^ (Suten fe^r roenig 5l^nung t)at. 5)ic
magere ^antifdje ^flic^tmajime „§anble fo ufro." t)at noc^ nirgenb
im Seben burd)fc^Iagenbe ^raft erprobt. Hm biefes „©utenroiflen"
^at noc^ keiner fein fieben barangegeben. Sas wirkliche ©ute
ift eine fe^r lebenbige <5a(a)t, ein ben 2Itenfd)en in otten feinen
2Iffekten in 5lnfpru(^ ne^menbes ©ut, bas mit ^öd)fter lodfeenber
unb feffeinber ^raft oor i^n Eintritt. 5)as 3leic^ ©ottes ift ber
köftlid)en ^erle gleid), bie, einmal entbedit, ben gangen 91tenfd)en
aufpeitfdjt unb i^n nid)t ru^en läfet, bis fie fein eigen ift, unb je
größer unb ooUkommener bie Eingabe ift, befto me^r wirb fie gu
feinem ©efi^. 3^ oöUiger er fii^ felbft oerliert, befto geller ftrat)It
i^r ©lang auf.
5)as ift bas SDcfen bcs 6ittlid)en, ha^ es nid^t nur aus
brängen, ftellt er bie cntfc^eibcnbe gorberung feiner Religion: bie grofee
Eingabe, bie alles (gtgenrooUen auft)ebt. ^m erfteren ^all tritt fofort bie
3lblet)nung ein, im legieren roirb ber (Erfolg ber gleid)e geroefcn fein,
©olange bie tnbiotbualifttfd)e ©runbfrage bos fieben be^errfd)t, fel)lt für
3efu reßgiöfe Stellung bie aUcife unb bas SBerftänbnis. 9lur in einem
galle fa^ 3^f"5 bie natjcnbe 2leife: „®u bift md)t mcl)r fem oom 3lctrf)e
©ottes." aJIarc. 12. 34. öier ift aber oud^ bas ©runbgefeö ber grofeen
JÖingobe in feiner ©ebeutung erkannt !
— 268 —
ber göttlichen 9Bctt ftammt, fonbcm aud), je ooUenbcter es erfüllt
wirb, um fo tiefer in biefe ^elt hineinführt. SJas Erlebnis ber
©ottesroelt ift foroo^I bie ^Durgel roic auc^ bie iji^ucl^t, ber fio^n
oUer roat)rt)aft ftttlic^en 3lrbeit. S)abur(^ rotrb bie erfüllte «Pflicht
gugleid) gur ^öd^ften (Jreube, bie S)ot)ingabe bes Sebens gu einem
©croinn bes Sebens. ®afe biefes ®i(^{)inftre(^en bes 93Xenfd)en
gur ®onne, um aus ber 6onne fdjaffenbe ^aft unb bie mit i^r
uerbunbene ^reubc gu geroinnen, etroas fittliti) 9Hinberroertlges
fei ober mit egoiftifdjem ©treben, mit ber „So^nfud^t" im niebrigcn
©inne etroas gu tun t)af)i, Itann nur uon folc^en bet)auptet werben,
benen bie Wdt bes ©öttlid^en roie bes ©ittlid)en ööUig oer-
f(f)Ioffen ift. S)ie oöUige Eingabe roirb nur gefc^affen burc^ eine
^ö(^fte gietjcnbe Siebe. ^e^It biefes ^eife lodienbe QCerbegiet,
bann ift alle fittßdEie ^aft ein oerborrenber 3lft. iSHur bie gro^e
Siebe gu ber roerbenben ©ottesroelt kann oUe Seibenf(^aften
bannen, aUt ^zxn\\mf)zxt Ijeilen, alle ©elbftfud^t aupfen. 91e^mt
ben großen Sot)n Ijinroeg, ber t)inter aßer fittlid^en 3lrbeit roinlit,
unb il)r tötet bie lefete ^roft ber 3leIigion.
S)ie aufgeklärten SHoraliften, bie „bas ©ute um bes ©utcn
roiUen" tun ober gu tun oorgeben, bie in fe^r felbftäufriebener
unb angeblich felbftlofer 2Deife auf ein t)öd)ftes ©ut unb gu ge»
roinnenbes giel, mit anbern QBorten auf eine religiöfe 95eftimmt-
Ijeit bes fittlid^en ^anbelns oergiditen gu können meinen — benn
bas ift ber ©inn jener ^^rafe — , finb nur gu oft barauf ertoppt
roorben, ba^ anbere 9Ilotioe fi(^ in i^rc felbftlos „guten" 5lbfi(^ten
einf(f)li(i|en, roeil kein aztenfd^ gu fiegl)aftem fittli(i)em ^anbeln
befähigt ift, beffen "Slffekte ni(^t burc^ eine grofee Siebe gebannt
finb. Was man oerftanbcsgemäfe als gut, nü^lit^, allen 2Henf(^en
— bas ift begeidjnenberroeife, and) bei ^ant, bie %aup^ad)e, ber
über ben 9Henfc^en fte^enbe 9Bille S?lebenfac^e — gufagcnb unb
bienenb Ijerausgefelügelt f^at, f)at noc^ nie unb nirgenb bie menfct)»
tic^e 9latur bis in i^re liefen gebunben unb roirklic^ felbftlos
gemacht, ©inb nic^t bie aufgeklärten ^umanitätsfctiroärmer jen»
feits bes Ogeons nur um bes ©uten — aüerbings in einer t)'6(i)\t
gbftrakten unb gurectjtgeklügelten ^oim oom aüen SHenfc^en Stüö*
liefen — mitten in ben ^rieg ^ineingegogen? ^n ber ^at, aber
fie ^abcn babei ein gutes ©efc^äft gemacht.
— 269 —
O^ne ein 3^cl, eine erftrebte 5^^<^t» ßtncn erfe^nten fio^n
bleibt aUcs flttllc^e ^onbeln kraftlos unb pebantlfi^, ja tnlnber»*
roertlg. S)enn erft ber fio^tt, jene 9BcIt, ble not^ nl(f)t ba Ift,
ble erft um ©urc^fe^ung ringt, ^ebt bcn 3nenfc^en über flc^ felbft
tjlnaus unb befreit lt)n oon bent nleberen Sn^creffenferclfe ber
©cgenroart, In bent er fld^ beroegt.
2lUer rotnfeenbe £ot)n In ber 9BeIt Ift ein neuer, ^öt)ercr
9Bert, In ben ein nleberer QBert oerroanbelt werben foQ. S)as
fio^ngefeö Ift nur ein ^lusbrudi für bas grofee ^ntrotcfelungsgefeg,
bent oUes fieben bleuen tnu^: ein nleberes fieben ntufe ba^ln-
gegeben roerben, bamlt ein t)ö^eres t)eroufn)ad)fe.
Slatürllc^ Kann blefes grofee Oefefe wie aud) In Jener anbercn
^omt, ble es angenommen ^at — als Opfergefeö — , oölllg ent*
fteHt, ja. In bas ©egentelt oerroanbelt roerben. *) S)lefer ^eilige
3roang, ber aller Qlrbelt auferlegt Ift, nad| einem §öt)eren $a
ftreben, kann einem fe^r egolftlfc^en ©treben blenftbar gemacht
roerben. QBlr ^aben ein ganges gcttatter erlebt. In bem ble fio^n*
frage gum 6(^lbbotet^ bes (ggolsmus gcroorben Ift. ©er £ol|n
Ift gerabeju gum 5lusbrudi für bas um fein Siedet feämpfenbc
3nblolbuum geroorben. **) ^atföc^llc^ reicht aber bas fio^ngefeg
*) 93crgl. ble ^lusfü^ningen über ben etcUocrtretungsgcbonfecn*
•*) 3«^ erinnere mtclj eines SBortragcs, bcn tri) cor 2lrbcitem über
altägi)pttf(^e "iprolctaricroer^ältntffc gehalten ^abc. ^6) ^attc ausführliche
So^noerträge, ble uns auf alten "ipopgrusreften erhalten ftnb, Dorgelegt
unb erhielt nad) bem 33ortrage ble anfrage, ob benn blefe Q3erträge ba*
mats o^nc So^n&ämpfe, o^nc ^Irbeitcrberoegung, Streifes unb bcrgL fcft*
gefegt roorbcn feien. ^6) max bomals felbft übcrrafdjt, baft Idj barübcr
nidjts berid)ten feonnte. ^atfäc^lid) gibt es fgftematifd)e, bas gange
£eben be^errfd)enbe So^nfeömpfe im Altertum ttid)t. ®as ^at feinen ®runb
offenbar barin, bag man benSo^nnad) fad)lid)en, in ben Sebensoer^ölt«
niffcn begrünbeten ©efic^tspunfeten feftlcgte. „®cr 2lrbeitcr ift feines Sohnes
roert* roor nod) ein ungebrodjenes, oon allen 92lenfd)cn in gleicher 935cifc
anerkanntes ©runbgefeö bes Scbens. ®rft bem Scitaltcr bes ^nbioibun«
Itsmus ift es oorbe^alten gemefen, bies ©efeg gu burc^bredjen unb auf
ber einen 6eite ble So^noer^ältniffe gu einem möglid)ft rocitgc^enben Slus*
nugen frember SHenfd^enbraft, ouf ber anbcm Seite gu einem ^ompf um
bas „9lc(^tbes eingelncn« gu mifebroudjen. ®aburd> ift aber ein croiges
©cfcö in ben ®ienft inbioibueller ^nfprü(J)e geraten unb folgerecht ger*
trümmert roorben.
— 270 —
Ttiett über bas S^^totbuunt f)tnaus, }a ift ein ©runbgefe^ bes
Sebens, oor betn alles StgenrooQen fd)n)eigen mu§. 9Bte ber
93aum, fo bte '^mä)t, rate bte Hrfac^c, fo bte QBtrfiung, it)ie bie
3trbett, fo ber fio^n — btefem ©efe^ mu§ fic^ aQcs Seben beugen.
9Ber tl)m gu entrinnen fud)t, raer m e t) r Sot)n geroinnen roill, als
er 'Slrbeit leiftet, roer etroas anberes ernten roiQ, als er fät, ftellt
ftd^ aus ber ©diöpfungsorbnung heraus unb fü^rt bas Qtbtn bcm
3tbgrunb gu, inbem er on bie ©teHe ber QBa^r^eit ben ©c^ein
unb bte fiüge fe^t.
S:atfä(f)It(f) ridjtet fid) benn audj ber ^antpf ^i\u um ben
ed^ten So^ngebanken — benn er l^ot um i^n gekämpft, it)n ni(^t
blo^, roie bte 5:^eoIogen meinen, aus ber geitgefc^ictjtlic^en 35or=»
fteEungsroelt l^erübergenommen — gegen ben ®d)ein unb bie Süge,
bie i^n entftellt unb gerfe^t \)at. Sas beroeifen feine garten QBorte
gegen bas ptjariföifc^e fioljnftreben, bas burc^ ben ©d^ein, bas
haften, bas 93eten unb ^tmofengeben t)or ber Deffentlic^feeit, ®ott
gefällig roerben roitl. „6ie t)aben i^ren So^n bat)in." ®as ift
egoiftifdjes £o{)nftreben, bas bem eroigen ©efeg unb ber garten
fieiftung, bie es forbert, burd) ein £>berfläct)ent)anbeln entrinnen,
bas bie ^ruc^t genießen, aber fid| i^rer 5lrbeit entgie^en roill.
®er gange ^ampf gegen bie äußere ©efe^Iidjfeeit rict)tet \id) rocfent-
lict) gegen bie 95erIogen^eit ber Seiftung. ©ang beutlid^ aber roirb
biefe ^ampfespofition 3efu tti bem ©Ieid)nis oon ben 2Irbeitern
im ^Deinberg. (gs ift 5:or^eit, gu fagen, bies ©leidinis t)ebe ben
fio^ngebanfeen auf. 6ie erf)atten ja alle i^renSo^n! 'StIIerbings
ben fachgemäßen, e^rlic^en So^n. 3B,er leiftet, roas er kann, er-
hält in ©ottes QDelt bas ooUe SSürgerrec^t. 91ict)t bie äußere
Quantität entf(i)cibet über bie göttliche ^Inerkennung, fonbern bie
Eingabe beffen, roas man \)at Qluct) im ©leic^nis oon ben axi"
oertrauten ^funben ert)alten ber erfte unb ber groeite ^nec^t bie
gletd)e 2lnerliennung, ni(^t tpeil fie quantitatio ©leidjes geleiftet
^aben, fonbern roeil fie in gleidier 2ßeife treu roaren. ©er So^n
aber, fo ftreng fac^Iict) er gegeben roirb, ift immer ©üte, roie alle
2lrbeitsliraft, ob groß, ob klein, ©efc^enk ift.
S)as fio^ngefeö in ©ottes ©c^öpfung ift außerorbentlid)
ftreng unb fact)Iic^. 9lur roo gefät roirb, roirb geerntet, allerbings
©rößeres unb QBertootteres, als ausgefät ift. QDie furd^tbar frei*
— 271 —
Itc^ tft CS oft in ber mcnfc^Itd^ett ^ulturroelt burcJ) (Egoismus unb
©ünbc cntftcHt roorben! S)er eine QBert, in bcn bort alles ^inab",
nid)t f)inaufentn)idiclt roirb, ift bas fdjmac^oolle ©elb. ^ür bic
3Irbeit, bas 93eftc unb ^eitigfte, roas ber 3Henfct) gu geben l^at,
gibt man @elb, für bas ©elb aber, bas Sotefte, roas es gibt, cr=»
mirbt mon ^nfe^en unb S^re. 5)ie llnfct)ulb bes 9Beibes roirb
für ©elb oerfeauft, unb um bes ©elbes mitten opfert man 3Hinionen
oon Jünglingen. 3^^ ^^^t ^^^^ 3le(^t, gegen ben So^ngebanfeen
äu ^elbe äu gießen, bie if)r bies t)eilige ©efefe ber ©ottesfci^öpfung
fo mit ^üfeen getreten tjabt!
%altet ben Sol^ngebanfeen in €^ren! S)er ©cbanlie bes eroigen
fac^Iic^en Suföwtniett^ongs alles ©efctie^ens, bes ftrengen ©nt"
roiöilungsgroanges aßes fiebens oom lieferen gum §öf)eren ift ber
©runbpfeilcr ber 9BeIt, ift auctj einer ber tragenben ©runbgebanlien
ber SBotfc^aft ^i\u. SJiefer Kenner bes aUenfctjenlebens roufete
beffer, roas in ber Siefe ber 9nenfd|t|eit als le^tes ©ottesgefcg
lebt, als i^r fpintifierenben unb lebensfremben ^t)ilofopt)en unb
S^eologen. „5)er 2trbeiter ift feines Sohnes roert." 91ef)mt biefes
©runbgefeö aus bem §eräcn ber im ®(i)roeifec i^res ^Ingefic^ts
arbeitenben 9Henfct)t)eit heraus, unb i^r gerreifet ben "Söben, ber
i^re 6eele in 9lot unb ®ru(^ an bas Sittengefeg bes croigcn
©c^öpfers binbet. ©ucfit bies ©efcg in feiner ^eiligen ©röfec unb
3fleint)eit ^erausguftellen, ha^ bie 3nenf(^en es in feiner eroigen
2Da^rt)eit ernennen unb il)m rotrlitid^ gel)or(^en! 3" feiner 5icfe
liegt eitel ©üte unb Scben. *)
2Die rounberbar rein unb klar klingt ber edjte fio{|ngebanIie
burc^ 3^1" 95otf(^aft ^inburc^l SDarum ^at man nie barauf
geachtet, ha% roo immer er oom „2ot)n im ^immel" fpric^t, er
bas gro^e ©ictifelbftoerlieren oom SHlcnft^en forb.crt? 9Denn bu
*) (Es ift äufeerft bcäctc^nenb, ba^ gerabc bas /S^italttt ber 3*^"
feultur in oerblenbetcm Stolä ben £of)ngcbanken als ftttlic^ mtnberrocrtig
abgelet)nt ^at. QZlag bas nur ein unberoufet tnitfd)n)ingcnbe5 ©cfüt)I fein,
bcm frci^citsburftigen 3<i)wenf«^en ift alte So^narbeit äutoibcr. ®er burd)
unb burdj unfojialc Gljarafeter ber hinter uns liegcnbcn ©ciftcscpoc^e
fptegelt firf) in biefer 2tblct)nung. ©onft ^ötte fic cmpfinben muffen, bafe
biefc ^od)mütigc Entwertung bes So^ngebantietts — bcnn es gilt als
Seldien abcligcr ©efinnung, nid)t um Sohnes mitten ju arbeiten — ein
— 272 —
2lImofen gibft, fo la% bctne Itnfee %anh nlc^t tolffcn, roos btc rechte
tut; wenn bu bcteft, fo getjc In bcin Kämmerlein; unb — bas
6(^n)erfte oon allem — roenn bu fafteft, roenn bu tnncrlt(^ ge-
beugt unb in Sirauer bift, fo Iq§ es keinen fe^en, bann, aber
aud) nur bonn rolrb beln 95oter, ber Ins Verborgene fielet, es
blr oergelten öffentlich. Stur was in ber ©tltte unb In ooUer
6eIbftoergeffent)elt gef(^lef)t, Ift bagu berufen, oon ®ott gur ^In*
erKcnnung gefüt)rt, ein £ld)t für ble 9BeIt gu merben. „§err,
mann t)aben mir bl(^ hungrig gefe^en unb Ratten bld^ gefpelft?''
Ift ble tji^age berer, bie In bas Seben elnge{)en werben. ®le in
95erad)tung unb ©d)ma(^ um ber 9Ba^r^elt mlUen llnred^t litten,
f ollen Im ^Immel' roo^I belohnet werben. „®e^e ^In, oerkoufc
alles, roas bu I)aft, unb glb's ben Firmen, fo wirft bu einen 6d()aö
Im §lmmel ^aben." QBjer ^at bas QUec^t, Im 3lngcflc^te blefcr
QBorte gu fagen, ber cdjte Sot)ngebanke ber 9lellglon Ijobe Irgenb*
etroas gu tun mit einem felbftfüct)tlgen SBolIen?
9lur ble wirbelt erf)ätt ben fio^n. QBlfet U)x, roas Arbeit
Ijcl^t? 5lrbelt Ift bas gro^e 6ld)felbftoertleren bes SÖIenfdien an
ein t)eltlges über ll)m fte^enbes 3Derk. ^n bem SKla^e, mte hu
bld^ fetbft oertlerft, role bu arbclteft, roöc^ft oor belnen ftaunenben
2lugen ein 2Berfe t)erauf, gro^, ^elllg, eroig, bas QCerk bes ©c^öpfers.
S)as Ift ber Sol^n bcrer, ble fld) felbft oerloren. 9Ble Ift es mög-
lich, bafe es 3Jtcnfcl)en gab, ble auf blefen fiotjn aller I)et§en
Slrbclt, ble bur(^ ble QBelt gle^t, oerglc^ten gu können glaubten,
rocll es flttlld^ mlnberroertlg fei, um blefcs So{)nes rolUen gu
arbeiten! 5)en „6(^aö Im §lmmel", lafet.l^n unangetaftet, benn
er Ift bas QBerk ©ottes. gu arbeiten unb gu wirken, bis ha^
©Ott fei alles In allen, es Ift ble le^te ©e^nfud)t alles fiebens,
ble Ic^te ^Öffnung aücr Arbeit.
5)enn es gibt allerblngs eine folt^e le^te Hoffnung. ®s
6d)lag Ins ©cft(^t für bic 2:aufcnbe Ift, ble Int ©rfjrocifec llftes ^ngcftdjts
um 2o^n orbcitcn muffen. 3ft es eine 6djmadj, So^narbeltcr ju fein?
3^r Dcrblcnbcten unb ^od)müttgcn SHoraliften! 93t5 jur ^öd)ftcn ftttlt(^en
93ollcnbung ift alle menf(f)Itcl)c ^beit So^narbeit. 3^^ ^^bt ben SHlcifter
meiftem wollen, unb ^abt nidjt gemerkt, ba^ baburctj ber legte 2lbel aller
Arbeit, ber bes felbftlofen SBtrkens für eln^Ö^eres ©ntroicfelungsatel, md)
unter ben ^änben entglitten Ift.
— 273 —
wirb etn legter Zag Kommen, an bcm ©ott b!c ^ruc^t aller
3trbett fommeln wirb in fetne ©ebenem, einmal wirb bas le^tc
Siel aUer fiebenscntroldilung th fetner ^ütte unb ^lar^ett heraus-
treten, einmal roirb ftci) burc^ alle (Seburtsroc^en bcr QKenfc^^etts»
gefd)tc^te eine legte 2Diebergcburt ^inburc^ringen. 9Bann? —
Q33er roiQ bas fagen? 95on bem S:age unb oon ber ©tunbe roeife
niemanb, aud) bie ®nget nidjt im ^immel, fonbern allein ber
93ater. <£s unterliegt roo^I keinem ^roeifel, bafe 3efus blefen
legten Sag ber (gntrolcfetung cor fic^,fat). S)er fiebenstag feines
SDotlies, ja bes SDöIfeerfirelfes, bcffen legier unb pc^fter ^rop^et
er mar, roor abgelaufen, ©en fiebenstag, ber t)inter biefem Sage
aus anbercn fiebensfc^l<^ten ^erauffüeg, konnte er nlc^t fe^en,
er märe fonft nlc^t bie 95ollenbung ber 3Belt geroefen, bie er gu
i^rem glele gu führen ^atte. 9leue fiebenstage fliegen herauf, bie
ben gleichen ©efegen folgten role ber Sag, ben er ooHenbet ^attc.
9Bleolele no(^ oor uns liegen, mel§ allein ber SJater aller (Ent-
rotdilung. ^ür uns gilt: (£s ift genug, hQ% ein ieber Sag feine
eigene «plage ^abt unb an ber $anb ber oerfloffenen Sage feine
2tufgabe ooUenbe. lieber alle elngelnen Sage aber rolrb role über
ben legten Sag bas ©erlebt gefpro(^en roerben nad^ bem Urgefeg,
bem alle Sebensentrolcfelung legtllc^ bleut unb bas fle oollenben
rolll: „9Bas l)aft bu getan an einem unter blefen meinen gerlngften
95rübern?'' QBelc^es mar beln 913ert für bas ©efamtleben, für
©Ott? 9Ble roelt relcl)te beln Slenft unb belnc Eingabe in bie
Slefe? S)er legte Sag rolrb bann ba fein, roenn alle ^ö^cn unb
alle Stefen burc^fd|rltten flnb. Sr rolrb bie ^uföntmenfaffung alles
beffen fein, roas bas Seben ber ©d^öpfung In feinem 6(^ofee birgt,
bie legte 95ergelftlgung, b. ^. ©ammlung bes ßebens. In ber ©ott
Ift alles In allen.
5)enn ber legte ©Inn unb bas legte "Si^l aller (£ntrolcfelung
Ift bie S)urd^fegung ber §errfd)aft ©öttes, Ift ein Immer ftärfeeres
6l(^losrlngen ber ©d^öpfung oon bem ^IgenrolUen, ben ber ©d)öpfcr
In fie hineinlegte, um bmd) feine Ueberrolnbung eine 9Belt herauf*
anführen, bie ll)m ganj gehört mit ber ^el^en filebe bes erlöften
©efc^öpfs. 9Darum ©ott blefen 2Beg roäl)ltc? — ^ragt aud) ber
Son ben Söpfcr: „9Bas macl)ft bu?"
€s Ift genug, ha^ rolr ben 2Deg ber 9Ca^rt)elt unb bes
2. öeitmann, ©rofeftabt unb «eligion. 3. Seil. 18
— 274 —
ficbens kennen, bö§ er uns aufgeätDungen wirb. Z^m. folgen, bas
Ift ^ret^ett, tt)m btenen, bas ift fieben.
Unb bie %xaQi nad) ber perfönllc^en ^ortejtfteng, nad) ber
©cttgliett? ©te ift, als le^te ^mge ber SReligion gefteEt, eine
irreligiöje '^xag^. 2Ber auä) nur leife no(^ eine ^rage, einen ^n=»
fprud^ für fic^ fteHt, ^at bie le^te 2Betf)e ber Sleligion nic^t
empfangen. S)ie gro^e ^reube, bie ben buri^fdiauert, ber oon
©Ott ergriffen würbe, ift nic^t gefuc^t roorben, fie ift nic^t bas
Siel ber (gntroidilung, fie ift ein ©efd^enk, ein ntitfd^roingenber
Zon eines größeren Erlebens, fie ift bas t)eilige 9Hittet ber großen
äie^enben Siebe. So ift aud^ bie Unfterblic^lieit bes eingelnen
Rein gicl, keine (grroartung, keine Hoffnung. 9!Ber fie fuc^t, roer
auf fie ^offt, I)at ben ^eiligen ©oben ber 9leIigion fd()on oerlaffen.
Safe ©Ott lebt, bas ift ber 3n^alt unb bas giel aller SReligion.
©afe unfer Seben mit hineingezogen mirb in fein Seben, es ift
ganä unb gar ©efc^enfe. 5)ies ^ineingegogenroerben in fein un='
oergänglic^es Sebcn, bas ift bas retigiöfe Erlebnis, ©ott lebt,
bas ift ber ^ubelruf bes ©laubens; ni(^t: 933 ir merben leben.
©Ott ift ni(^t ein ©ott ber Soten, fonbem ber fiebenbigen, bas
allein ift bie ©prac^e ber 3leIigion. 5)as emige fieben in ©ott
ift nichts als ein mitft^roingenber Son, ber gang unb gar fic^ ein*
fügen unb oerfcliminben roiü, ba^ bie grofee 3Helobie bes ©ottes=*
lebens ooll unb rein ba^inrooge. „^n ber ^uferfte^ung werben
fie rocber freien nod^ fi(^ freien laffen, fonbem fie finb gleit^ mie
bie (Engel ©ottes im ^immel." ^n ber 2I3elt bes großen ©ottes*«
lebens ^ört alles .menf(^lid^e (EigenrooEen auf; in it)r ft^liefeen fid^
alle ^ingelftimmen §ufammen gu bem (£f)or, ber nur no(^ bie eine
9Beife kennt: „^eilig, heilig, heilig ift ©ott, ber ^err Sebaot^."
^uc^ in biefem funkte ^at bie Ueberlieferung oon bem
größten fieben, bas biefe (£rbe fa^, bie ooße §ö^e ber SReligion
geroa^rt, menn fie als le^te Qleufecrung biefes fiebens ein Woxt
ber ooQen Eingabe uns aufbewahrt l)at: „95ater, in beine $änbc
befehle id) meinen ©eift."
^reilic^ — biefe ^ö^e ift mit biefem legten §auc^ auc^
ba^in gcmefen. ®s ift bekannt, ba% bie erften (£^riftengemeinben
bie ooHe ©egenmartsroirklid^keit bes neuen Sebens n)ot)t nod^
tapfer feftgu^alten fui^ten, nat^bem fie htn ^errn als ben lebenbigen
— 275 —
©cfft erlebt fjatten, ha^ fte aöer fd^on fe^r balb in bic §artc
©egentDortsiDelt jurüc&fanlien unb nun burc^ Stufen feftsu^alten
trad^tcten, roas nlci^t ract)r Icbenbtger 95eftö roat. 9luf bei einen
6ctte trat ble ^rabltlon, bte ^Berufung auf btc Slugengeugcnfc^oft
an bic ©teßc bcr lebcnbtgcn SBlrliltc^feett, auf ber anbem ©ette
ble alte esc^atologlf c^e ^offnungsroelt, ble nun als©egjcngen)lc^t
gegen ble trübe ©cgenroart roleber l^ren <£lnäug In ble ©entütcr
^lelt. S)lc ^pofeal^ptlfe ber jüblfc^en ©cfe^esrellglon rourbe faft
TOörtllc^, nur ein wenig überarbeitet unb mit ben Sleften c^rlft*
litten Erlebens oerbrämt, roleber aufgenommen. ®le QBcIt ber
Hoffnung Ift an Umfang balb beängfügenb gemac^fen, an Slefe
unb 9[BlrltIt(i)lieltsferaft Ift fle fd)nett oerfallen. 3" ^^^^^ Serfc^ung
fplegelt fld) ble ganje Sraglk ber folgenben (EntrolcMung.
(£s Ift nlt^t notroenblg, l{)re Etappen Ins ^Injelne gu ver-
folgen. (£s Itam eben aUes mleber, roas 3efus burd^ feinen fleg-
^aften Sleuanfa^ überrounben I)atte: ble alte ^^antaftlft, ble Immer
me^r Ins Unflc^ere unb tJKmmembe ^Inüberglltt, bis fle In ben
nebelhaften ^tmixt bes Jüngften Sages oerfdiroanb unb nur bas
groue, nüchterne ^lUtagsIeben jurüdillefe ; ber ^nblolbuallsmus ber
Hoffnung, ber roenlgftens bas eigene kleine Si^hztt aus bem SIenb
ber ©egenroart retten rooUte; ble llnfät)lgkelt unb SHutloflglielt,
bas fieben felbft mit flttll(^en Gräften jur QBlebcrgeburt ju führen,
ienes ^äufleln, bas fld^ Immer ftärfecr auf ber 5tucf)t oor ber
QiDelt befanb — oergl. ble ^affloltät bes SJBlberftanbes unb. ber
Hoffnung In bem erften ^etrusbrlefe, In bem nur no(^ lelfe ble
alte Eingriff skraft In elnjelnen ^Beübungen nadiglttert — unb
fc^ttefellc^ mit ber 9Bctt einen ^ompromlfe fc^Iofe. S)le ^rc^e fteUte
balb ble (£ln^eltsllnle ^er. S)le 9BeIt mar 2DeIt geblieben, nur
ein n)ent0 mit neuen fltttlc^en Prüften burc^tränkt unb »erbrämt,
ble Qßelt ber Hoffnung aber t)atte ft(^ Ins ferne ^enfetts geflüchtet.
S)ort ttjronte fle, In ©tcln genauen, unb ble elnjelnen ^^ommen
fi^auten fel^nfüt^tlg ju l^ren ^tnnen hinüber, In ble fle, menn ber
^ob l^r 2luge f(^Iofe, elnguäle^en gebat^ten, um bort ju flnben,
roas ble fc^nöbc 9Belt l^nen oerfagt ^atte. ©le ^Irc^e l^aitt ble
©c^lüffet In ber ^anb unb fc^Io^ freigebig auf, wenn fle ©e^or-
fam gegen l^re eigenen 2tbflc^ten fanb, ober fc^Iug ble 2üre ju,
menn fle 9Blberftonb erlebte. 95on 3ßtt ju "^tit, menn neroöfc
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^bbesgudiuitgcn burc^ bcn 95oIfisftör;)cr gingen, machte root)! bic
3bce bc5 tanfenbjä^rigcn 3leicl^c5 roteber auf, hinter ber bic bunte
2(po!iaI;)ptife roartete. 3Ibcr fie fc^Iuntmerte .roieber ein, wenn bie
Sucfeungen oorübcrroaren. 3>cfu ^offnungsujelt unb ^offnungs*
glut ift nid)t rotebcr erroac^t.
Sofür.^at |reitt(^ eine anbete SJorfteQungsroelt i^rcn ©Icges*
gug in bas fianb ber Hoffnung angetreten: bie ^eHeniftifc^e ^been«
njcit. ©er fc^neHe 95erfatt ber ^offnungsroelt ^t\u t^at itjren ©runb
nid^t nur in bent aögenteinen 9lad^Ioffen ber ^offnungsfpannung
fd(|on in ben erften ©enerationen feiner 2In^önger, fonbem au(^
in bem äußeren Umftanbc, ha% fie auf bem ©oben bcs SRömcr*
ftaatcs auf eine oöHig frembartige SJorftcUungsroelt ftie^. ®en
§offnungsp^antaficn, bie ber inbioibualiftifc^en ^uflöfung bcs
Orients entfprungen roaren, gelang es relatio leicht, bic 95emtö^Iung
im ©noftigismus au üoöäietien, guntal ha ^icr bie in ben Sötgftericn-
Rulten lebcnbe finnlic^ * auf (^aulic^e 95otfesrcIigion noc^^olf. 5)ie
©pannung aber jroifcfien ber c^r ift liefen unb ber ^eUeniftifc^cn
^offnungsroclt roar, gunäc^ft roenigftens, fo ftarli, ha^ ^ier ein
fd^roercs ©ilcmnta entftanb, bas um fo füf|Ibarer fid| geltcnb machte,
Je nö^er bic ^offnungsftimmung noi^ ber 3Belt ^t\u tag.
S)iefe ©pannung ift oöllig unausgcgli(^en bei ^aulus. 2Bir
fa^en fd^on bei feiner ?5öffung bes Srlöfungsroerlies, ha^ bie
fogenanntc mriftifc^c 3luffaffung ^ier kämpft mit ber inbiüibua«
liftifc^cn bcs ©cfcöesiubcn. QSon ber inbioibuatiftifc^en ©runb-
frage ber Frömmigkeit ift er nie gang losgekommen. S)as ift be-
fonbers ocr^ngnisooll für feine ^offnungsroelt geroorben, gumal
ba f)ier bic ^eöcniftifc^c ©cbankcnroelt, oon ber er fclbft fc^on als
geborener 3ubc ber Siaspora berührt mar, bic it)m aber bagu
no(^ auf 6c^ritt unb Sritt in feinen ©cmclnben entgegentrat, i^n
noc^ cntfc^iebcncr auf bic 6eite bcs S^bioibualismus brängtc.
©a^cr ift feine ^offnungsroclt innerlich gebrochen unb unklar, ja
in feiner SSerkünbigung an feine ©emeinben, mic man an me^r
als einer ©teile fü{)It, gerabegu unfic^cr. *)
^wnäc^ft gibt es eine fiinic in feinen Sukunftsgcbanken, bic
*) 2Bir ftnb fdjon in einem anbeten 3ufammen^angc auf biefc
S;atfa(Jjc geftofeen. Sßetgl. ben 5lbf(^nitt: „^eilstatfattjen unb teligiöfc
aBtt^t^eit.«
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bie gerabc ^ortfegung bcr ©cbanfecttiocit 3cfu ift. (£r fie!)t in
bem 93oIlie ©ottes — bct ifim nur übertragen oufben Körper
ber ©emcinbe — ben Präger ber Hoffnung, ^ter treten feine
^offnungsgebanfien fogar in ben Sla^men einer gangen gefc^ic^t-
lic^en ©ntroiclilungst^eorie, bercn ©rofeäügigfeeit kaum }e über-
troffen roorben ift. 95on 5lbams '^aü fü^rt über bie 95er^eifeung
an 2lbrat)am unb bas groifd^cneingefiontntene ©efe^, bas päbagogifc^e
SBebeutung für bie SDoHenbungsäeit t)at, eine grofee (Entroicliiungs«
Knie bis f)in ju C^riftus, in bem bie bent 95oIfe gegebene ©er*
tjeifeung fic^ erfüllt, bantit nun in ber ©nbäeit bas rooljre 95olfe
©ottcs ber SDoUenbung gugefütirt werbe. ®s ift feine Slufgabc,
ju ber er fic^ oon ©ott berufen roei^, bies SSolk ©ottcs ju
fantnteln, ous ben 3uben, bencn bie 95erl)ei§ung juerft gegeben
war, unb befonbers aus ben Reiben, beren ©antmlung i^m ins-
befonbere anoertraut ift. 2Die ber Stagarener bie ©rengen feines
95olfes, fo burd^roanbert er ben (Erblirels, roie er i^n bamals fa^,
um bas SDolfe ©ottes für bie Su^unft gu fammeln. ©ie ©rofe»
jügigfieit feiner SHifftonsrcifen unb feiner 3"^unftsplöne berocift,
roie emft il)m biefe Hoffnung geroefen ift. (£r erwartet, bo§ „bie
^üUe ber Reiben eingetie", unb ha^ bann noc^ bie »ausgebroc^cncn
öelgroeige", bie Je^t noti) oerftodfeten 3itben, fi(^ ju bent 95oIfie
f(^aren. ^n ber 2at, ^ier ift bie oolle ^ö^e ber Hoffnung bcs
^lagareners innegehalten. 3^ ^^^ QDelt, roie fie oor i^m liegt,
roöc^ft fie burd) bie ^ö^itaufenbe ^Inburc^ langfam herauf, burc^
bie unermüblic^e fittlic^e Slrbeit an bicfer SBelt oerroirftlic^t fie
fic^ ; bas eigene fieben ift nichts roeiter als ein SDerfegeug, um bas
grofee SBcrli ©ottes, „oon bem, burc^ ben unb gu bem alle S)inge
finb," SU oollenben. ^n biefem Sufammcn^ange ^at er bas ^en-
lid^e 2Dort gefproc^en, bas roo^l oon allen SDorten, bie überhaupt
je gefproc^en roorben finb, bie inbioibualiftifc^en 3lnfprüc^c am
entfcl)loffenften oerleugnet: „3<^ füi meine ^erfon roünfc^e oer-
bannt unb getrennt ju fein oon (£^riftus jum Seften meiner ©rüber,
metner ©tammcsgenoffen nac^ bem ^leifc^." ^ier fc^rocigt aUc
perfönlic^e Hoffnung auf bie „©eliglieit" unb auc^ alle esc^atologift^c
^^antafie oor bem großen ©ottesroerli, in bas er berufen ift. $ier
fe^en mir bie legten §ö^en feiner Hoffnung unb bie legten liefen
feiner fittlic^en fieibenft^aft: .©ie fiiebc «grifft bringet mi(^ alfo.*
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5lber |o gcrolfe ^ter aud) bte legten aitottoc feines arbeits-
reichen fiebens liegen, banebcn leben — In roelt^er ©tärfee, bleibt
groelfet^aft, ha er ^Icr erft rec^t ben ^uben ein ^ube, bcn ©riechen
ein ©rlc(^e geworben Ift — aud) anberc formen ber Hoffnung.
(Einen breiten 9laum net)men, foroelt ble erhaltenen fc^rlftllc^en
geugnlffe einen 6c^Iu§ gulaffen, In feiner 95erliünblgung offenbar
au(^ noc^ ble apofeaigptlfd)en gultunftsbllber ein. ^Denlgftens
^at er flc feinen ©emelnben oerkünblgt, role ber ältefte erhaltene
2Illfflonsbrlef, ber 1. S:^effaIonl(^erbrlef, unb ble^orlnt^erbrlefe
begeugcn, unb' s^ar offenbor oeranlafet unb gebröngt burc^ '3ln=»
fragen, ble aus ©räberftlmmung heraus an l{)n gerld)tet roorben
roaren. ©aneben l)at ble llngebulb ber unter ber I)arten, troft*
lofen ©egenroart 95cbrilditen l^n ble alten ^offnungsbllber bes
fterbenben Orients roleber f)erausI)oIen laffen. 3^"^^^^^^^ — ^^^
SBefc^ränfeung jelgt aud) ^ler ben jünger bes Stagarencrs, unb
ble ^atfat^e, hQ.% es gang unmöglld^ Ift, In bas bunte 95lelerlel
oon SBlIbern unb 95orftelIungen über ble (Enbäett, bh i^ler unb ba
jerftreut auftauchen, Sln^eltllc^Kelt gu bringen, beroelft bei blefer
fgftematlfc^ angelegten 9latur roo^I am beutllc^ften, ha^ fein
3ntereffe anbersroo lag als bei blefen übernommenen ^offnungs»
bllbem. S)as fc^Ilefet nlc^t aus, ha^ er ble (Erfüllung als folc^e,
bas grofee kommen bes §erm mit ber ©erl(^tsliataftropt)e unb
ber (Enettung bes auserroät)Iten 95oIlies, role auc^ S^fus, gang
na^e rou^te. 5)le Satfac^e, ha^ flc^ belbc einer fterbenben QBelt
gegenüberfa^en, ergroang elnfat^ blefe ©tlmmung.
^relllc^ — blefe apoltalgptlfc^e «p^antaflc ^atte einen Mafien,
roenlgcr für lt)n — benn feine ^offnungsroelt unb fltttli^e Spann-
kraft f)aüi tiefere OBurseln — , als für feine ^ettenlftlfc^en ©e-
mclnben. ©enn blefen lag belbes fem, foroo^t ble Söolks^offnung
als folc^e role auc^ ble csc^atologlfc^en ^offnungsbllber, ble bei
«Paulus ein felbftoerftönbllc^es (Erbe ber Vergangenheit rooren.
^olgerec^t Ift er mit l^nen auc^ angelaufen. S)as fü^lt man
fc^on aus hm Slusfü^rungen bes 1. 5:t)effalonl(^erbrlefcs heraus,
ble allerlei groelf eisfragen oorausgufe^en f (feinen; bas rolrb aber
oölllg beutllc^ In bcm 5. Kapitel bes 2. Äorlnt^erbrlefes unb
bem mit einer gang neuen Orientierung ber §offnungsgebanlten
auftreten"ben 15. Kapitel bes 1. Äorlnt^erbrlcfcs. 1. Äor. 15
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kämpft ber 3ube mit bcm ^etlenen, unb groar nic^t of)ne Erregung
unb — voas bei ^aulue befotibcrs auffattenb tft — mit ber 956««
rufung auf beseugte 5atfact)en ber Vergangenheit. *) ©äs ®e-
merfeensroertefte ift aber, roooon im Sf)effaIonic^erbrief noct| keine
©pur 3U entbecken ift: er mirb ^ier ben ^eUencn ein ^ellene.
®r oerfuc^t es roenigftens, inbem er ifjnen bii 5(uferfte^ung Der«
ftönblict) gu madjen fuc^t burcf) bie 2I)eorie oom natürlichen unb
geiftlic^en Seibe. S)er „®eift, ber ha lebcnbig mac^t", als ben er
ben er^ö^ten ^^riftus erlebt ^at, ift ^ier bie SBrücke gu bicfer
oergeiftigten 2luffaffung ber ?luferftel)ung (in ber ®sc^atologie jener
2age t^anbtlt es fiel) bekanntlid) um eine ^uferfte^ung bes ^leifc^es).
©ang bie gleidje S:t)eorie finbet fid), nur in ber ^orm ber Heber-
kleibung ber irbifd^en mit einer l)immlif(^en SBeljoufung, 2. ^or. 5,
Ja, ^ier roirb fie eingeleitet burd^ ben gong l)eUeniftifd^ klingenben
6a^: „Was fic^tbar ift, bas ift geitlic^, roas aber unfic^tbar ift,
bas ift eroig." 3Bie roeit biefe 35ermittlung groifclien ber finnlit^«
escl)atologif(^en ^offnungsroelt bes Orients unb ber Sluffaffung
bes ©eiftigen, ber ^hii als bes SBleibenbcn im ^eQenismus tat-
fäc^lic^ bie ^roeifel gerftreut t)at, bleibt uns oerborgcn. ^n einem
entf(^eibenben funkte mufete fie geroife bem ^eflencn genügen:
in feinem ^Bebürfnis nad) inbioibueller Unfterblic^keit. S)os
roar bem Hellenen bie ^auptfad^e, benn ber ©ebanke bes oolU
enbeten 95olkes ©Ott es als ber legten Hoffnung ift i^m nie
gang eingegangen. S)cr ^ampf um bie ©emeinbe in ber
9Hiffionsarbeit bes ^autus ^at nie aufge^rt, benn ber ^etlenc
rooHte perfönlic^e Unfterblic^keit. S)ie f ogenannten ©emcinben
ober richtiger Vereine ber 3Il^fterienkulte rooUten nur biefe ©eroi^»
^eit »ermitteln, ^autus bagegen rooHte in feinen ©emeinben fel^r
oiel met)r, er roollte ein roarfffenbes unb fid^ oottenbenbes 95olk
©ottcs. QBo^l klingt bei i^m ie länger befto me^r ber ©ebanke
ber mijftifd^en Vereinigung mit ^l)rtftus nad^ bem 2^obc oor —
^ier ^anbelt es fid) roirklid) um SJtijftik, bie immer inbioibualiftifc^
*) (gs ift geroife ntdjt 3wfaU, ha^ *ipaulus an allen "ipunktcn, roo
ber Qillznt ocrftänbnlslos ablehnte, ft(^ ouf bas beruft, roas er über«
kommen ^at. ein beutlid)eres 3cid)en ber inneren 't^ofitionsunfidier^elt
gegenüber ber neuen SBelt tft bei blcfcm SHanne, ber aus ©ottes ©nabe
war, roas er war, ntdjt roo^l benkbor.
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ift — ; bas Ift getotfe ntc^t o^ne Sufatnntcn^ang mit ber ju«
ne^menben ^cllcntjierung feines etgenen ©enfecns. 2t5er ber
Slömerbrtef beroclft, bafe unoermtttclt hanebtn btc anbete grofee
Hoffnung in i^m lebte, ber 93otIenbung bes 95otke0 ©ottes ent«
gegcnauget)en.
®iefe ^Öffnung aber ^at in iijm rootjl bcn legten großen
95crtreter get)abt. 95on nun an traten immer beutlit^er ausein«
anber bie esd^atologifd^-jübifd^e unb bie {)elleniftif(^=gciftige $off*
nungsrocit. (£s konnte nid^t ämeifeltjoft fein, roelöje oon beiben
fd)Iiefetid) ben ©ieg baoontrug. Töpfer ^at bie S^riftengemeinbe
nod^ einige ©enerationen ^inburd^ i^re 95oIfe6^offnung feftget)atten,
aber bie gunetimenbe ^^antaftilt bewies, wie fdjnell fie fid^ ger«»
fe^te. 3^"^c^^in genügte fie no(^, fid) ber inbiöibualiftif(^en
^offnungsmett erfolgreid) gu erroefjren. 3(ber ber Siegeslauf ber
3bee, ber geiftigen 35ottenbung bes eingetnen liefe fi(^ um fo
roeniger auft)atten, je weiter bas kommen bes ^errn fi(^ tatföi^tit^
^inausfc^ob. ©erabegu rounberbar ift bie QSerWörung ber c^rift*
Iid)en ^offnungsroelt burd^ ben geiftigen 95ottenbungsgcbonfeen
bes ^ebräerbriefes. 3)a ift no(^ bas „95oIfe ©ottes", aber in
feiner 6c^itberung ift es bo(^ bereits bie ®(^ar ber ooUenbeten
©ere(^ten. S)a ift nodt) bas anfdjauttd^ gcf(^ilberte ^immlif(^e
^erufalem, aber es ift bo(^ fd)on bas „unberoeglic^e 9flei(^" tjcUe"
nifdjer Hoffnung geroorben. Dilles ©i(^tbare ift bod) nur ©d^cin,
bas 9Befen liegt in ber 2DeIt bes Unfid)tbaren. ©iefe Sntroidilung
ift ooUenbet im ^o^anneseoangelium, bas gu ber ©runbpofition
ber 9!leUgion 3efu gurüdifee^rt, inbem es bie ooHe ©egenroörtigkeit
bes religiöfen ©efi^cs feft^ält, aber — unter bem oallen SDergid^t
auf bie ^offnungsroelt ^^\u. Sie i)at fiö) ^ier gemanbelt in bie
grofee 95er^eifeung bes ^aroljleten, ber „in alle 2Ba^r^eit leiten
roirb." 95or bem eroig lebenbigen Sogos ift bie csd^atologift^e
SBelt gufammengefc^rumpft. €ine grofee ©efc^ic^tsouffaffung, bie
aUmä^tic^ — nictjt ftufenroeife — fic^ ooIIäief)enbe Offenbarung
bes Sogos, umrahmt no(^ bas ©ange, aber bas 95oIk unb bas
9leii^ finb oerfc^rounben, ber Kosmos unb ber eingelne finb an
itjre ©teile getreten. i?lo(i) lebt bie ©emeinbe, ober aUein in ber
Siebe, bie bas ©iegel ber (Erlöfung für ben Singeinen ift. 5)as
eroige fieben ift gegenroärtigfte ©eroifetjeit; fofem es gufeünftig ift,
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ift es btc 3tufcrfte^ung bcs einzelnen. STlod^ fd^tmmert bte ©c*
f(^t(^tc unb bas 25oIk t)ier unb ba leitet t)tnburd^, aber bas aUes
Ift nur ber ^intergrunb, ouf bem m ble eroige 3i>cc in ooll*
enbcter ^lor^eit unb oIs 95eftö bes cingelnen ^^ommen abt)ebt.
„Söleine Sieben, rolr flnb nun ©ottcs ^Inber, unb Ift noc^ nlc^t
erfcfjtenen, roas rolr fein roerben. 9Blr rolffen aber, roenn es er-
f(j^elnen wirb, bafe rolr lt)m glcld^ fein roerben; benn rolr roerben
l^n fel)cn, rote er Ift. Unb ein jeglicher, ber folc^e Hoffnung ^at
3U lt)m, ber reiniget flc^, glelc^role er and) rein Ift." 3)os Ift ble
io^annelfrf)e Hoffnung. ®er ^ettcnlsmus f)at geftegt, unb ble
gelt Ift nl(^t nte^r fern. In ber ber (£f)rlft alter ©d^ule, ber nod^
ble tebenblgen 93oIlisf)offnungen feftfjött, mltlelblg abgetan rolrb
als einer, ber „rcd^t feleln an 95erftanb Ift."
9Blr flnb fo ausfü^rlli^ auf ble (EntrolcÄlung ber ^offnungs»
roelt um ble 9Benbc ber fetten eingegangen, roell In lt)r ble
SDurgel ber bis t)eute tebenblgen ^offnungsoorfteHungen unb and)
ber großen ©(^rolerlglielten Unb ber unfagbaren SDerrolrrung Hegt,
ble blefes rostige ©eblet rellglöfen fiebens betaften. S)a5 erfte
unb bas le^te ^^^ßi^ff^i ^uf bas }ebe neu erroaci^enbe unb jebe
abfterbenbe ^röntmlglielt fld) rolrft, Ift ble 2BeIt ber Hoffnung,
unb alle Kritik ber 9letlglon5abIet)nung roenbet fl(^ oorrolegenb.
Ja faft ausfi^llcftllt^ gegen ble ^offnungscorfteUungen. S)as Ift
him nldjt auffaHenb, ber flc^ felar ntat^t, ha^ ble ©runbfrage
aUes Safelns ble »Jwge nac^ fieben unb 2ob Ift. ©lefes ©eblet
nur anl)angsroclfe als fie^re von hm legten ©Ingen gu bet)anbeln,
ge^t f(^lec^terblngs nlc^t an, bagu be^errfc^t es gu ftarfe ble gange
rcllglöfe (Entroldilung. 2lu(f| Ift es gang unmögliä), burd) los«
gelöfte 3lrguntente bcs loglfc^en S)enliens blefem ©eblet gereift
gu roerben ober auc^ nur na^c gu kommen. ®le Slrbclt bcs
groelfclnben unb fudjenben 95erftanbes Ift, role In aUen fragen
bes rellglöfen fiebens, fo In blefer i^ioge gang befonbers 6i)mptom
bes SDerfaUs. Dt)ne bas rellglöfe Urerlebnls, otjne ble grofee
prafetlfc^c SDlUcnscntfc^clbung, ble allem ©cnfeen oorausgefit,
fc^rocbt ble 2BcIt ber Hoffnung oöülg In ber fiuft unb bleibt ein
©ebanfecngefplnft. 95on ber SHätie ober ^eme eines Zeitalters
ober einer eingclcntroldilung oon bem rellglöfen Urerlebnls pngt
ble ©Ic^cr^elt, ble ©tärlic unb ble ^Jorm ber ^offnungsoorftettungen
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fc^Icc^terbtngs ab. 3ft bie grofee (Entfc^etbuttg oom Sc^^iö^ii
äum ©ottesrolUcn Mar unb burciigretfcnb getroffen, bann roirb
bas gange ficben oont großen fiebensftrom gefaxt unb ocrroanbelt
fic^ ba^er in ein eingiges, aUes bc^errfc^cnbcs, oöEig im ©rieben
ber ©egenroart ru^enbcs, oon il)m genährtes, in unb an i^m
arbeitenbcs hoffen, bas gtü^enb ber Sufew^fl^ njartct unb il)rer
pöEig geroi^ ift. 3^ öÖc" anberen <3tabkn löft ficJ) bie ^offnungs»
weit oon ber 2Birfetic£)lieit unb n)irb, eben roeil fie oon ©ott als
bent allein ^Dirfelic^en losgelöft ift, gu einer inbioibuatiftifd)en
®ef)nfu(f)t ober gum ^roß^f^I ober, bei bem oöUigen 5ieg bes
3(^n)iIIcns, gur rabikalen 91ble^nung. 3Han Itann bas burdE) alle
Zeitalter aud^ ber neueren religiöfen (gntroiclitung oerfolgen.
S)ie römifdie ^irdje, bie bie inbiüibualiftifd)e tjrömmig&eit,
untrafjntt oon einer il)r entfprei^enben erftarrten ^cilsanftalt, gum
©tiftem erl)oben t)at, kennt nur bie ^offnungsroelt ber perfönlidjen
©eliglieit, bie oon i^r fogar nacli ben prafitifc^en Sebürfniffen
burc^ bie Se^rc oom Fegefeuer weiter ausgebaut ift. $icr wirkt
ein Icgter SReft bes lebenbigen Sntroidilungsgebanliens in inbi»
oibiialiftifc^er t5orm nact|. ©onft ift bas ©efxtmtreid} ber Zukunft,
bas fie enoartet, eine nur quantitatio, ber 3«^ ^^^ m ßi^t'
roickelnbe ober richtiger fi(^ enocitembe ©röfee. 9Ius ber ^ird^e
als einer ©efamtgrö^e ift ber lebenbige ©ntroicklungsgebanke ge»
fd^njunben, benn ben ^icr unb ha fid^ ooUgic^enben Slnbau an
i^r buri^ bie 3:rabition feftgclegtes fie^rfqftem kann man nic^t
me^r für i^n in 2tnfprucl) nehmen. 6ie offenbart geroife noc^
immer ein ftarkes Slnpaffungsoermögen an bie roedifelnben ^ctt*
oeri^ältniffe, aber nur um fie baburd) leidster unb fidtjerer in it)r
fcftes ©Aftern ber SBefeligung bes eingelnen ^ineingugie^en. 3n
htm Zeitalter bes ^nbioibuatismus unb ber ftarren Organifationen,
in bem mir fielen, ^at fie bie ftörkften Chancen. 95on bem
lebenbigen ©ntroicklungsftrom als folc^cm ^at fie fid^ me^r unb
me^r ausgefc£)altet unb wirb in bem gefc^icl|tlicl)en ^ortfdjritt immer
me^r gum ©e^äufe roerben, bas ben abgefplittertcn ficbensrcften
immer nod) ein roiUkommencr ^uflud^tsort fein rolrb, aber ben
— in unfern Sagen aUerbings kleinen — Strom ber S^iefe nic^t
mefjr gu faffen oermag.
?tuf bie Tragik ber £utt|erkirc^e wirft t^rc ©tcHung gur
— 283 —
^offnungsroctt noc^ einmal ein fc^arfes Stc^t. Qluf btcfer ©ette
bcr Q^leltglott t)ot ftc übertjouptr nt(^ts etgcntüntltj^es aufgurocifen,
roenn man ntc^t etwa bas Sutüdifc^nelbcn ber kat^oIif(^en ^tn»
feltsoorfteßungen auf ble 5tbltf(f|en ^offnungsbtlber — nt(^t auf
bie biblifc^e Hoffnung! — ober bte gemütöoII*beutfc^e ^nfc^auUc^-
lielt ber ^cnfcttsbllber als etroas 95efonberes tn'^Infpruc^ nehmen
mill. ®tc Offenbarung 6t. 3of)annis Ift fintier aus einem gc-
funben SDlrfetlc^lieltsflnn heraus unb aus ©rünben ber 3lble^nung
ber rotebertöuferifc^en ©(^roarmgelfteret guroiber gcroefcn. ©le
Sufeunft bes 95oIfees ©ottes befd)öftlgt l^n nlc^t, ha auc^ fein
Älrdienbegrlff nur ble ©cfiar ber elngelnen ©täubigen kennt. S)as
2Bort ©ottes unb ber bur(^ es gemedite ©taube — natürlich bes
elngelnen — Ift für l^n ble ^auptfac^e. 3^ älter er wirb, befto
mefjr ©orgen mod^t er fld| um ble 2lncrfiennung unb bas Saufen
bes SBortes ©ottes. SSon einer gtü^enben ^bffnungsftlmmung
für feinen ©legcslauf burct) ble gange 3Bett, ble man bei btcfem
auf bas 9Bort tro^enben 9Hanne a plriori erroarten fottte, Ift
merferoürblg menlg bei l^m gu flnben. ,©ler fle^t man roleber
gonä bcuttlc^, t>a^ bie Inblolbuollftlfc^e ^römmlgkeltsfrage legttlc^
bei l^m ble oorf)errfd^enbe Ift. Sie gum ^elfecn ©diaffen In ble
QBett oorroörtsbröngenbe ^offnungsfttmmung eines ^aulus fe^It
bei l^m gängtlt^. Sr Ift In blefem funkte 3nön(^ geblieben.
3a, nldjt einmal bas kann man fagen! S)enn Im SHönt^tum
fteckt eine oerborgenc Seite, ble gur "gitlfflon brängt. ®as ^at
bas 3Ilönc^tum bes 3HltteIatters unb ber Sleuäelt (Befüllen!) me^r
als einmal berolefen. ^ler offenbart fld| olelme^r roleber ble
grofee Sücke feines rctlglöfen 2Burfs. ®r rolrft ble ^raft bes be*
frelenben ©laubens In ble QBett, fteckt lt)r aber kein überragcnbes
3let. <£x töfet fle taufen, rote fle tauft, ©ott rolrb ft^on bafür
forgen, ha^ fle l^r S^ct finbet, roenn nur bas SDort ©ottes ble
elngetnen fettg mac^t. ©as 9lelc^ rolrb uns boc^ btelbcn, bas
Ift l^m, ble ööuptföcf)e; ha^ bas 9lclc^ btelbt, Ift ©ottes ©ac^e,
nlc^t ber SHenfc^en 2lntlegen. 9Belt fein ©taube nlc^t jur un-
ermübllt^ fc^affenben 2at ber Siebe rourbe, t)at er flc^ auc^ nlc^t
gur attes übergrelfenben Hoffnung für ble 3Bett oottenbet. 3Illt
ber 9BeIt ber Siebe Ift auc^ ble 2Dett ber ©Öffnung bei lt)m gu
kurg gekomm'en. S)lc ©etlgkelt bes elngetnen Im ^cnfelts — bas
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ift bte ^offnungsroelt, bic in feinem Oloitben fd^Iumntcrt.
32tQn cerfteijt es, ha^ bie lut^erifdjen S^eologen bie fiepte
oon ben legten 5)ingen nur antjangsroclfe gebracf)t ^abcn, unb
ha^ je länger befto me^r biefe 9BeIt unfic^cr unb glcid^gültig gc-
roorben ift. S)ie Wut rourbe unter bcm Sötangel an einem felar
geftecfeten ilberroetttic^en unb bod^ in ber QBelt fic^ burc^fefecnben
3iel immer biesfeitiger geftimmt. S)cr S^eifel unb bie 3lblet)nung
troten folgerecht auf ben ^lan. §eute ift auf proteftantifd^em
©oben bie religtöfe ^offnungsroclt bas traurigfte unb ä^wiffcnfte
Kapitel bes religiöfen Sebens, barum befonbers fo oergroeifclt
oerfat)ren, roeil bie 9Henfd|en, foroo^t hit frommen roie bie
3n)eifler unb bie ^t^eiften unb bie ©udjer, ftci) famt unb fonbers
auf bie 5 Kapitel suerft ftürgen. ®as am meiften oernac^Iöffigte
©cbiet bes religiöfen Sebens ift für bie nacl| fieben, nic^t guerft
nac^ ©tauben lec^äcnben 3Henfc^en bie ^auptfac^e! ©o röc^t
fic^ iebe Sücfee, bie man in ©ottes feftgefc^Ioffener SBelt löfet.
S)er Teufel finbet fie boc^ unb frifet fic^ burc^ fie ins 3""^^^
t)inein.
9Uan tiann root)! fagen, ha% fid^ bie retigiöfe ^offnungs-
roelt in unferen S:agen in einem roatirtjaft t)offnungsIofen ^uftanb
bcfinbet. ©ie ^Jrommen alter ®(^ule, gumal pietiftifd)er Färbung,
reben in gcfü^liger ©egeifterung oom ^immlifdien ^wufalem, oon
(gngelsd^ören, oom ^immelsfaal, oom ^ofaunenton unb äi^nli(^cn
genufereidjen Singen, bie, äufammengebac^t, eine roatir^aft merk*
roürbige 9Rif(^ung ergeben; bie äft^ctifd^=»religiöfen 'iperfönlic^fecits-
fdiroärmer hoffen auf eine 93oEenbung unb ooQe (Entfaltung ber
aller Srbenfeffeln entlebigten ©inselfeelc, machen fic^ aber garkeinc
©ebanlften barüber, wie atte biefe anfprud^sooßen ooUenbeten
©inselfeelen in ben ^immlifc^=«geiftigen ©paaren unter einen $ut
gebracht roerben unb miteinanbcr auskommen follen; bic auf»
geWärten 3lationaIiften, bie fonft allen ©loubensroa^r^eiten mit
Iogif(^ gerfeöenbem ©c^arffinn gu fieibe rüclicn, betonen mit einer
gang merkroürbigen ©efliffentlii^lieit itjren feften ©tauben an i^re
perfönlic^e ^ortcjifteng, bie i^nen fc^r roid^tig ift, unb an ein
9Bieberfe^en, gumat mit i^ren '©efinnungsgenoffen — mit i^rcn
fc^roargen ^Brübern mirb es fc^on peinlicher fein — ; bic roelt«
freubigen unb arbcitsroütigen ^Iculut^eraner benlicn an ein un-
— 285 —
entroegtcs QBcltcrorbeitcn im S^^fß^ts, n)ä{)renb ble fcitgfeeits»
bßbürftigcn 9Hi)fttfecr eine eratgc 2BeIt bes Erlebens unb fc^auenber
©etractjtung ooräie^en; in hm ©efeten feiert bie apoköIi)ptifc|e
9DcIt eine glüi^enbe 3luferfte^ung; bie S^eofopi^en unb ©piritiften
laffcn ftd^ fc^on auf (Erben einen regelrechten 9}erliel)r mit ben
ooHenbetcn Oeifte^n angelegen fein; ber ©urd^fc^nittsbiebermelcr
lö^t fic^ an ©röbern in „troftreirfien ^Borten" ben Ocbanfeen- an
ein 9Biebcrfet)en in einer anberen 2DeIt gern fuggerieren, oergifet
biefe anbcre 3BeIt aber f(f)on mieber auf bem 0larf)J)oufen)cgc; ber
aufgefelörte 3Rateriatift unb Siesfeitslebemann aber mad^t einen
©trid^ burd^ bie gange ^cnfeitsroelt, an bie nur ^inber unb 2Bciber
glauben, burd^ bie fid^ aber ein benKenber Sßlenfd^ nid^t im S)les-
feitsgenufe ftören V&%t; jo ber 3ufeunftsftaatsgläubige pit bie
gange ^ßiifcttsmelt für eine bösmillige Grfinbung ber ^riefter unb
ber ^apifetliftcn, burc^ bie fie i^n nur ^interliftig täufc^en unb
oon feinem fio^nfeam^jf abplten wollen.
3" ^cr Zat, im 2tngefi(^te biefer t)errlid| mannigfaltigen
^offnungsroelt ift es fc^roer, keine ©atire gu fdireiben. ^n biefem
erften unb legten funkte aUer religiöfen SBa^r^eit wirb es beut*
lid), in mas für einem 9Ha§e bas ^eilige cor bie §unbe geraten
ift. 9Ber noc^ an bas Siecht bes ^nbioibuatismus glaubt, ber
fc^e fic^ biefe elenb gerriffene ^offnungsmelt an! ©as gß^alter
bes S^i^toibualismus ^at Jebes Siecht auf bie eroige Hoffnung
oerloren. S)ie 3nf«^rtft über bem 3)antefd)en ^öUentor ift nod^
gu gut für biefes Schalter. S)as SDort eines unfterblic^en ©ic^ters
ift 3U fc^abe bafür.
©otangc bie (Erbe ftc^t, \)ai noc^ kein Sltenfc^, ber fic^ felbft
für ben '^rotdi ber ©d)öpfung t)iclt, eine fiebere QBelt ber Hoffnung
gefunben. ©ie ift i^m immer gerronnen in ©timmungcn, in bi(^-
terif(^e ^pntafien, in 5lutofuggeftionen ober ift gur Mrd^Iit^ oer*
feftigten ^tjrafc geroorben. Sie ^aft ber unbebingten inneren
©eroi^^cit ift nur bem gu ^eil geroorben, ber bem aUes be^err*
fc^enben „(Sott aUetn" bie (E^re gab. ^eln uraltes (Glaubens-
bekenntnis, feeine feirdjlic^e ^lutorltöt, feeine 95erftanbesfc^ärfe, feein
mi|ftif(^cs (Ericben, feein (Experiment feann bie S:ore ber ©roigfecit
öffnen, lieber i^nen .\tztit mit eherner ©c^rift bas unerbittliche
9Bort gefri^rieben, bas oHein fie crfc^Iiefeen feann : »SDcrteugne bic^
— 286 —
felbft!" 9lur toer b<i6 fiebcn im DoUen ©Inne oertoren ^at, rotrb
CS tm Collen ©tnne finbctt.
S)arum tft bte unbebtngte ©erolfe^eit ber Hoffnung nur auf
ber ©tufe bes ooUenbetcn rcUgtöfcn (grlcbmffcs oort)anben, S)te
^üUc ber Hoffnung loirb nur bem 9ncnfc^en gcfc^enlit, ber has
gro^e ©terbcn au €nbc ftorb'unb bte ooQc Siebe fanb. 2luf ollcn
oor^erge^enben unb noc^folgenben ©tufen bes fiebensprogeffcs ift
bie ^offnungsroelt irgenbrote crroeidit, oerbunlielt, ftü^ungsbebürftig,
oon 3n)cifcln umflattert. 5In bem äufeerften ^ol bes ^t^lfttebens
ift fic ööUig erftorben. 5)le uncrf(^ütterli(f)e Hoffnung ift ber fio^n
ber bis gum €nbc burct)gcfü^rten fittUt^en 'Jlrbeit, bes ooUenbeten
Opfers unb ber ^öc^ften Eingabe. 5lus bem Sobe bes ^c^^^J^ßcns
ftcigt fie herauf als bte ^eilige QBunbertoett ©ottes.
SDie rounberbar unb gerecht finb bie 3Bege ©ottes! Sic
Ijöc^ffc fiebensgerotpeit knüpft er an bas ^öc^fte Se^ensopfer,
unb bas ©rö^tc fd)enkt er bem, bem er am meiften genommen
^at. (Es gibt nur einen Q33eg in bie emigc ^offnungsroelt, ben
ber felbftlofen Slrbcit. S)as feIbftfücJ)tigc ©trebcn bes 3<^n)iIIens
aber ift ber fidjerfte 2Beg in ben 3Ibgrunb. 9Ber fein ficben ge*
minnen miß, ber wirb es oerliercn, mcr es aber oerlicrt um bes
großen 9Ilcifters roiUcn, ber ficf) oöUig felbft opferte, ber roirb es
flnben.
SDir rootlen oerfuc^en, bie ©d^lcicr oon bicfcm großen Sebens*
gefcfe ber Hoffnung ein roenig gu lüften, nict)t als feönntcn mir
fein ©et)eimnis oerftanbesmöfeig erklären ober als könnten mir
einem Snenfdien, ber ben 2Beg ber felbfttofen Zat nic^t gegangen
ift, oon bicfcm ©cfe^ überäcugcn. (Es rotrkt überjcugenb nur für
ben, ber es lebt. 5lber für it)n mag es ein ©ru§ aus einer it)m
bekannten 3BeIt, eine Erinnerung an eigenes Erleben unb eine
SBeftätigung eigener ©eroife^eit fein, bie i^m in gleicher 3Beifc ge-
fc^enkt rourbc.
(Es gibt im 9Henfc^enlebcn sroct ^uroen, bie im ^Bec^fcl*
kämpf mitcinanber um bie §errf(^aft ringen: bie bes äußeren,
finnlidjkeitsgebunbcnen fiebens unb bie bes inneren, gciftigcn
SDerbens. 5)ie erftere f)at ben 95ortritt, inbem fie im 3"geitblcben
gunödift kröftig anfteigt, balb i^ren Kulminationspunkt erreicht,
ein menig in ber §öt)cnlagc ocnocilt unb bann langfam mieber
— 287 —
abfaßt. S)as ift btc ^uroe bcs normalen QHcnfc^cnlebcns, fofern
CS als (ginäcHeben betrai^tet wirb: ber golbene Uebcrflu^ bcr
3ugcnb, bie ebene 93at)tt ber reifen ^^^re, bte abfterbenbc %aft
bes langfant erlöfdjenben Filters. 5)te rein inbioibualiftifd^e 95e-
trac^tung bes fiebens kennt nur biefe ^uroe. ©ie ift fo oft oon
gjlenfd^en gelebt unb oon 5)i(i)tern bef(f)rieben n)orben, ba% roir
fie nic^t näf)er gu beft^reiben brauchen.
3nbeffen läuft, oft genug unftt^tbar unb unberoufet, neben
biefer ^uroe oon Anbeginn an eine ^raeite etnt)er. 3^ ^^^ crften
^inb^eit fc^eint fie gang mit ber erfteren oerfc^Iungen äu fein, *)
trennt fi(^ bann aber mit bem erften Cinfefeen ber fogenannten
€ntn)icfelungsja^rc oon i^r unb finlit nat^ unten, brängt in ber
groeitcn ^älfte biefer ^atiit roieber na(^ oben unb fü^rt nun an
bem ^reujungspunfite, ber betiannten .gefährlichen (gdie" bes jur
Sfleife brängenben Sllters, gum Gntfc^eibungsliompfe. ^ier cnt*
fd)eibet es fic^, ob bas nun folgenbe fieben gum bauernben 3tuf*
ftieg ober, nad) ber ebenen 5Bat)n bes reifen Filters, gum natur*
notmcnbig fi(^ ooltgiefienben 3lltersabftieg wirb, ©iegt bie 6{nnli(^*
keitsRuroe, bann kann bas Sieben burc^aus pr äußeren Äraftent*
faltung gelangen, auc^ fi^roingt ber ©eift in ber ^orm pat^ctifc^er
©efü^Ie nad| — bas 95ebürfnis bes normalen ©ierp^iliftcrs nad^
fentimentalen unb pot^etifc^en 3lnregungen ift bekannt ^, aber
ber ^bftieg ift unoermeiblid) : bas fieben roirb mit bem gune^menbcn
95erfiegen ber Staturliraft ärmer unb ärmer. 5)er ftarke Optimismus
ber 3ugcnb fd^tägt in Qflefignation unb ^effimismus um. 9nan
»kennt bas Seben" unb kann nl(^t met)r fo ^offcn roie bie ^ugenb.
SBer ptte nictit in unfern Sagen gu Saufenben bie traurigen
©eftalten erlebt, bie nur noc^ eines aIkot)oIifc^en Optimismus unb
©laubens an fic^ felbft fä^ig finb, ben „©laubcn att bie 3Ilenfc^-
^elt" aber längft oerloren ^aben. ®ie ^Kelt bleibt eben, mie fie ift.
QBie anbers läuft bas fieben, mcnn bie (Entfc^eibung on bei
*) ®le SRelnung eUcn ^egs, bafe bie crfte Äinb^elt nur bas ftnn»
Itd)fecitsgebunbene Seben unb ben ©elbftbc^auptungsbrang kenne, ift ein
grober ^rrtum. Sic crftc ^ugcnb mit i^rem ?lnfd)micgungsbcbürfnts unb
t^rcr gerabeju rounberbaren Offenheit für geifttge ©cfcge, bie erft roteber
bem reiferen 2tltcr aufgeben, tftfetjrotel ftärfecr oont „®elft* getragen als
bas „3a^r^unbcrt bes Äinbcs" fici) träumen läfet.
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„gcföfjrlici^cn edie" \id) ber gelftigeit ^uroc guneiöt! 6t(^ % 5U«
neigt! ©cnn es i^anbelt fid^ in biefen ©arungsja^ten feeincsrocgs
um eine glatte unb medjamfd^e 3BQ^t groifi^cn groei ousgetretenen
QBegen. €in jtt^eres ^cnngeic^en, ha% bie geiftige ^uroc fic^
bur(f)3ufe^en beginnt, ift bie peffimiftifdEje Stimmung in biefen
3af)ren. (£s ift eine gong oberflödjlid^e Sebensbetrad^tung, roenn
man ben ^effimismus bes ^üi^öK^iÖsatters für eine „Itranli^afte*'
€rfc^einung ^ölt. Wo ^ampf ift, gibt es oucf) 2Bunbcn, Sepreffionen
unb 9lieberlagen. ©iefer "«peffimismus kann bei ben 0laturen, in
benen bie Strömungen ganger geitalter miteinanber kämpfen, eine
gerabegu erfdjreclienb büftere ^ovm annehmen unb feine Spuren
bem gangen fieben aufprägen. 9Iber aus i^m mirb aud^ bie grofec
^offnungskuroe geboren, bie als ftetig aufroörts fteigenbe Sinie
bas gange fieben bet)errfd^t. 9lur mer in feinem Seben Hoffnungen
gu ®rabe getragen ^at, geroinnt bie Hoffnung, bie ni(i)t ftcrben
kann. Stur mer aus einem Sterben ben fiebensfunken f)erau5«
get)oIt f)at, fietjt i^n aus allem 95ergängli(^en aufbüken. Sas ift
eben bas gro^e ©el^eimnis, bas kein 9Ilenfc^ ausbeuten kann, ba§
fi(^ ber gange Sebensproge^ me^r unb me^r in ein QBerben, in
eine gro^e Xlmroanblung oom Soten gum Sebenbigen, oom Sinn-
Ut^en gum ©ciftigen oermanbelt. 3)as „als bie Sterbenben, unb
fie^e, mir leben!" mirb gum bleibenben (Sefe^. S)as ift ber
Optimismus, ber nid^t me^r erfd^üttert werben kann, meil er in
bem großen QiBcrbeprogefe murgelt, ber ben "Kufang mit bem (£nbc
ber ©ntmicklung oerbinbet. ^f)m wirb alle 95ergängli(f|kcit gur
S8otf(^aft oom Unoergänglidjen. Siefe Hoffnungsbeftimmtfjeit bes
fiebens ift ein praktifc^cs Sebensgefeg, bas man ni(^t biatektifd)
anbemonftrieren kann, fonbern bas aus ber fiebenscrfa{)rung,
'fü^rung unb «arbeit erroäc^ft. ^^genbeine noö) fo fict)ere ^unbe
aus einer ienfeitigen 2BeIt kann bas ni(^t erfe^en, mas bies aQcs
bet)errf(^enbe unb burc^ keine Sd)idifalserfat)rung gu erfd)üttembe,
babmd) oieImef)r nodE) beftötigte unb immer ftärker befeftigte fiebens«
gefeö bebeutet. 2lIIen 3Henfc^en, bie eine geroiffe, bemeisborc i^unbc
oon einer eroigen ^offnungsraelt forbem, kann man nur bas 2Bort
bes Stagareners entgegentjalten : „Sie ^aben aJIofcs unb bie
^rop^eten, lafe fie bie t)ören!" 9Ilit unfern 9Bortcn: „Sie ^abcn
bie grofee geiftige, aufroärtsfteigenbe fittlic^e fiinic, hk burc^ aöes
— 289 —
ficöcn ifinbmdiiUtjt, lafe fie iift folgen!" (Einen anbem 9Beg in
blc crolge ^offnungsroelt gtbt es ntd|t. 3m 9Henfcf)cnIeben felbft
liegt fc^on bie proktifc^e «ntfc^eibung über bos 3ukünftige.
©iefes fiebcnsgefeö ^ot aber no(^ eine anbete 6eite. (Es
tft ntd)t nur ber 6icg ber geiftigen über bh finnlic^e fiebensfeuroc,
fonbern in feiner 2iefe fc^Iuntntert no(^ eine härtere ^lusctnonber-
fe^ung : ber ^antpf graifc^en bent 3^1 unb ©ott. D^ne ben fc^roeren
Sailobskantpf, ber eine ^arte fiebensfc^ule abft^Iiefet, bur(^ bie ber
(EigenTOiUc ft(i| me^r unb niel)r bent ©ottesrotUen unterroirft, gibt
es ni(f)t bas „'2Iufge^en ber Sonne". S)ie ^offnungsroett kommt
jum 9nenf(^en nur als eine 9Bett unbebingter llnabt)öngigkeit
unb Dbiektloitöt. Willem (EigenrooHen ftirbt unb gerbröckelt bie
3ukunft unter ben ^änbcn. 5)er Egoismus tft nod| immer in
ber ?Irmut unb ber §offnungsIofigkeit geenbet. S)as ©ctiickfat bcs
großen Torfen ift bas tgpifc^e ®d)ickfal bes 3c^incnf(i)en, bas fic^
roo^I nirf)t in ber ^lufeenroelt, aber ftets in ber Snitenentroidilung
mit naturgefeglictjcr ^lotroenbigkeit ooHgietit. ®as 95ebürfni6 nac^
ru^elofer S^J^ftieuiing unb Sngfttid) gef netter '2lnregung im äußeren
fieben ift bas ftci)erfte 6i)mptom ber t)offnungsIofen fieere, bie bem
fiebcn bro^t, bas bie grofee 0eIbftoergeffent)eit unb Eingabe nl(^t
fanb. 5>as ©efü^I ber öebc unb (ginfamkeit kann für ein folc^es
fieben bis gur OSeräweiflung roat^fen. 3Ber ben großen ©etjorfam
ni(^t fanb, bem bleibt bie Wtlt ber Hoffnung eroig oerfd^Ioffen.
S)er ©c^lüffel gu biefer 2DeIt liegt in ber Eingabe. ®as
^inb trägt it)n in feinen §önben, folange fein fieben gang §tn«
gäbe utib Vertrauen ift. S)as 3ugenbparabies fte^t unb fäUt mit
bem kinblic^en ©e^orfam. QBenn ber (Eigeitroitte erroac^t, ftnkt
es ba^in, unb ein neues ^offnungslanb, bas ber flc^tbar-ftnntic^en
2DcIt, tritt an feine 6tette. 6obaIb aber „ber erfte 9leif in ber
e5iüt)tingsna{^t" fällt, fe^t ber ^ampf groifrfien ben beiben'^offnungs-
roelten ein, ber nur bann gum 6iege ber bteibcnben Hoffnung
roirb, roenn bie Sntroidfelungsgeit gu einer bas gange fieben inner-
lich feffelnben unb binbenben Qlufgabe fü^rt. £)^ne einen mit
allen ^a\im ergriffenen fiebensberuf, ber bie gange Eingabe forbert
unb an fic^ gie^t, ^at ftt^ nocl) nirgenb bie unerfc^ütterlic^e^offnungs-
beftimmt^elt bes fiebens burc^gefc^t. 35on ^ier aus fie^t man crft
beutlic^, roarum bas Zeitalter bes 3Ilancl)eftertums gur ootlen
8. ^eitmann, ®iogftabt unb SleUgton. 3. Seil. 19
— 290 —
tnnercn ^offnungsloftgfictt fütjrcn mufete, ob nun mtt ober o^nc
^cg. 3Bo bic Qltbelt ntc^t gefunben rolrb als bte Eingabe an
etn oom 3(f) oöUtg unabhängiges ©ottesroerfe, ha tft bas Zox
ber Hoffnung bauernb oerfc^Ioffen. „SBetkaufe ottes, was hu f)aft,
bann rotrft bu einen ©c^ag im öintmcl tjaben", btes ©efe^ ift
nod) I)eute in ©ültigfeett. 9lur bem arbeitenbcn unb in feiner
5lrbeit jic^ oöEig oergeffenben 3Henfc^en roinfet bie eroige 2DeIt
©ottes in i^rer unoergänglidien 6d^ön^ett unb in iljrcnt uner»
fd^öpflid^en 3lei(^tunt. 35or feinen klugen fteigt ein eroiges Q'leicfi
ouf, beffen getftige Sinien oom Einfang bis sunt ®nbe ber Sd^öpfung
laufen, roirb eine (Entroiditung lebenbig, bie aüer 95ergönglic^lieit
fpottct, ber ^u bienen 2zhin unb ©eligkeit ift. ^n i^r gibt es
kein Sterben me^r, fonbern nur ein eroiges ^uferftet)en neuer
6pt)ären bes lebenbigen ©ottes.
®o offenbart fid^ in biefem Sebensgefcfe ber Hoffnung nod^
eine britte ©eite: fie ift gang unbenkbar o^ne ben 95Iidi ouf bas
roerbenbe 95oIfi©ottes. ®ie {nbit)ibualiftifcf)e reltgiöfe Hoffnung
bleibt immer ein ^^antom unb arbeitet foIgered)t auc^ om liebften
mit p^antaftif(^en SBilbem. Sie roirfelid^e Hoffnung fief)t bie
fiinien ber eroigen QUelt aus ben oor i^r liegenben "Slufgaben bes
täglit^en ©t^affens t)erauffteigen. 3n bem ©rabe, roie ber 92tenf(^
für anbere tätig ift, roirb i^m bas road|fenbe 3lei(^ lebenbig.
9Bie bie fittlid)e Energie ber ©elbft^ingabe über bie lebenbige
©lut ber Hoffnung entf(^eibet, fo bie Sliefe bes foäialen ©ic^felbft»
oerlierens über i^ren Umfang unb it)ren Sleic^tum. SJlur oor htm.
felbftlos für anbere arbeitenben 9Henf(i|en taud^t bas gro^e '^i^tt"
felb ©ottes aus bem Giebel ber 3ufeunft empor. SÖIögen bie An-
fänge bes SBcrbens, bas er fc^aut, norf) gering fein, er fief)t fd^on
bas 5le^renfelb roogen, bas nad^ unoerbrüc^lic^en ©efe^en gur
9leife Itommen mufe.
^ü^rt bie Sötenfc^en auf hth vidier ber 5trbeit für anbere,
unb i^r öffnet i^nen bas 5or ber eroigen SBelt. Se^rt fie ben
9Beg bes bienenben Sötcnfd^enfo^nes ge^en, unb it)r fcEienlit i^nen
bie Hoffnung, bie nic^t fterben fiann. ^n ben foäialen liefen bes
3nenfc^engef(^Ied^ts roerben bie ftarlien Optimiften geboren, nidjt
auf ben glangooHen $ö^en, auf bcnen nur juoiete Slebel bes
2Beltüberbruffes unb ber 9Jlenfc^^eitsffeepfis lagern. fiet|rt bic
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gitenfc^cn, ben ©ottesacfecr, ouf bcm ®xab an ®tab ffc^ rcilif, als
©otteö ©aotfelb öitaufdiauen, unb ber ort bcs Sobcs unb bcr
Trauer rolrb gur ®tättc bcr Hoffnung ouf ein unerfc^öpftic^ toot^«
fcnbcs fieben. ®ibt es ein tjetltgeres ©Ictd|nts bcs fiebens als
btcfcn 3lcfecr bcr Soten? 9Bie otele oon bencn, bie ba nt^en,
„fucl)ten bos 3^16" ! 9lun würben ftc pfommengebettet. Ob fic
wollten ober ntc^t: ftc würben sunt ©oatfelb gereift. ^Is ein»
gclnc ftarben fic, als QSoIfe würben fic bcr (Erbe übergeben unb
gießen nun bic 9Jlenf(^cn wie mit Söubergewatt immer wicbcr ^tn
an ben „95erfommIung6ort," ben bas ^obesfc^idifal fc^uf. Stun
würben fic gu SScrkünbcm bcs großen ©efe^es: „S)icnct cinanber,
benn es ift eine ©(^idifalsmad)t, unter ber it)r ftc^t." Sfbiti würben
fic p ^otcn bcs ewigen ©ottes, ber bie 3Kcnfc^en als SDoIfe will,
ntcf)t oIs cinäelnc. S)ic einaclncn finfeen bot|in, ©Ott aber unb
fein 3leic^ bleiben. 9lur in i^m unb für it)n bleiben unb wirltcn
fort bic Soten. Stur foweit fic für i^n lebten, gilt it)ncn bic 95ot-
fc^aft bcs gufeünftigcn fiebens. 5lltc anbercn ficbenstjoffnungen finb
Sor^eit unb Sanb.
3)ic lebenbigc Sleligion wirb immer auf p^antaftifc^c ^ctifcits-
bilber oeräict)ten, fo fc^r. auc^ gumal bic irrcligiöfe 93taffe, bic fic^
oor bem großen ©efe^ ber Eingabe ftröubt, fie als 95eruf)igungs*
mittel i^rer inneren Unfi(^crt)cit forbert. Unerbittlid) wirb fic alte
^Öffnung knüpfen an bic t)arte 3lrbcit bcs ^agci^, bic bas ©efe^
bcs Opfers forbert, unb an bas burd) fittli(^e ^ingobe werbenbe
9lei(^. 0ie wirb es immer wieber erbarmungslos fagcn muffen:
®s gibt keine Hoffnung o^nc bas grofee 6icl^fclbftoerlicren an bas
9Berk ©ottcs. „^roftreic^c 2Dortc" an 3Hcnfc^cn, bic garniert
baran benken, i^r fieben bem ©c^öpfer unb einem wcrbenben 3iei(^
{jingugcbcn, finb unfittli(^, weil fie bas SBerk bcs ewigen ©ottcs
ocrbunkeln unb t)inbcm. O^nc ben ©ang burc^ bas enge 2or
gibt es kein fieben.
•Jlbcr gu ben 3ncnf(f)cn, bie bas enge S:or fanben, wirb bic
9^etigion allerbings fprecljcn oon him I)ciligcn SDerben, in beffen
©trom i^r fieben eingetreten ift. 35on bcm, was werben will unb
mu^, unb gwar aus ber ©egenwart fjeraus, bic bicfcs 3Dcrbcns
5lnfänge in fiel) birgt, wirb fie glü^enb 3ß"9ntö ablegen. ®as
grofec ©terbctt ber gßit» bas wir erlebten, was für ein Untergrunb
19*
— 292 —
berlcbenbigcn ^Öffnung tft es! ^a, roir leben ttt einer fterbenben
9BeIt, o^ne (Erbarmen n3trb bte lebenbigc 9fleltgion es oerfeünbigen.
^ber mitten in biefer fterbenben 9Bett roäi^ft nun leife herauf bas
neue fieben. ©ie 9loc^t ift oergongen, ber Sog aber tft im 3ln-
bred)Cn, an bem ble 9Henf c^cn ermatten, bic i^n miebcr fe^en, ben
lebenbigen ©ott, ber im (Bericht fo furchtbar burc^ bie 9BeIt fctirttt,
ble i^m mieber bienen moHen mit ber gangen Eingabe bes crlöften
Sebens, bie mieber bas Oefe^ ber Siebe fanben, auf bas l^in ber
6ci^öpfer feine 9BeIt gefc^affen ^at. 0ic feommen ^erbeigeftrömt,
unb ii^re ©d^ar roirb größer unb größer, i^re (£rlienntnis klarer,
{f)r 3BiIle fefter, if)r fieben reicher unb fidlerer. S)ie erftc grofee
(Entbediung, ble fie überm öltigt, ift bie, bafe fie gufammen-
ge^ören, bafe fie Äinber eines lebenbigen 6tommes, ha^ fie
ein 95oIfe finb. 3" i^^w SHitte fte^t ber fprubeinbe Scbensborn
ber S(^öpfung, um ben fie \\d) arbeitenb unb ^offenb äufammen-
fdiarcn, bie neue 3u9cnb, in ber ©Ott feinen QBitlen. herauf-
fteigcn liefe aus geheimnisvollen ^tiefen. Um biefes neuen 95oIfecs
mitten 50g ber ^ob, ber grofee (Srlöfer, burd^ bic QBelt; burd^ bies
neue fieben roarb er überrounben. S)er Stjor ber Soten fteigt
t)erauf in neuen ®efd)Ie(^tem, bie burdE) i^ren Xob gum Seben
geboren unb geroeit)t finb. Uebcr bem 6taub unb SHufe ber ©rofe-
^taU, ber Sobesftabt, get)t mieber bie 6onne auf. €in neuer
©(^öpfungstag*fteigt empor: ber lebenbige ©Ott gie^t oon bleuem
in bie SDelt ein. ?lod) gögert er, aber er fte^t unmittelbar hinter
ben Soren. ©d|on fteigen bie ©äftc, ein neuer Q^ing mill fid; um
bas grofee oon ben Hrgeiten ^er fid^ ooUgie^enbe QBerben legen.
S(f)on grüben bie ©efc^Iec^ter ber 95crgangen^eit, bie ben lebenbigen
©Ott kannten, bie Äinber ber ©egenroart. S)as 95oIfe ©ottes
fdtiart ]\äj mieber um ben St)ron bes (Emigen. (Eine neue 0tufe
foH erklommen roerben gu bem legten ^eiligen Siel aller (Entmick-
lung, in bem „©Ott fein roirb altes in allen.*
S)er Serkünbiger ber 3leligion ift mieber ^u^unftsprebiger
gemorben. ©ein 3lugc ift gang unb gar bem kommenben 3lei(^
gugemanbt. lieber ruft er in bie 9Belt bas 2Dort hinein: „%aht
ac^t auf bie Seichen ber ^eitl" SDieber fteigt aus kleinften 3tn-
fängcn bas 95olk ©ottes l)erduf. SDieber ift bie glül)enbc Hoffnung
bas ^enngeic^en ber ©otteskinber gemorben. 9Högen bie im
— 293 —
'2lu6feoftcn bcr 6tnntid)liett oerborrtcn, im 3<^w)tÖß" ocrftodtten
unb in '3(eufeerlt(^feeiten blinb unb gefühllos gctoorbencn SÖXcitfc^en
bos ©cfiroärmerci nennen unb laut nad) ftc^tbaren 3eicf)en unb
„35en)cifen" ftfjreien, roer klugen ^at gu fe^en unb ÖI)ren, gu ^ören,
ber fietjt ben Sleubrue^ unb Ijört bie t)eranbraufenben 'gtuten bes
^ommcnben. " Unb bmd) bie neue S^genb äietjt bas gto^e 3luf*
^ordien, fie oerftet)t ben ^crolbsruf ber gutiünftigen QBcIt. ®ie
ift roiebcr ^ntjolt unb Trägerin ber großen fiebenst)offnung ge-
roorben. „S)er bas ^at angefangen, ber roirb es auc^ ooUenben."
IV. t)ettDitWi<i)ung6ftufen
der reUgiöfen XOat)tt)eit
1. ^te gefc^td)tltc^en ^etratrkltd)ung6ftufen.
5)aö Seben tft nl(i)t ein ©ein, fonbern etn ^Derben. 95on
btefer Urtatfadje mußten rotr ausgcticn, um an bte rcltgiöfe Wa^X"
^ett In itjrent ^ern unb in tl)rer alles untfaffenben (Srö^e l^eran-
§ufeommen. 5)arin rourgelt if)re liöftlid)e fiebenbigfeeit unb if)re nie
rutjenbe fdiaffenbe ^aft, barin liegt i^r §crrf(i)aft5anfpru(^ für bte
gegenroörtige ©tunbe unb für bie (Eroigfeeit begrünbet, barin liegt
aber aurf) bie ^cfifte ^nforberung für l^re 25crMnblgung. S)le
„fiei^re" Int überlieferten ©Inne als eine ©arfteüung, regelniöfelge
?Dleberl)olung unb Sßarlotlon feftllegenber 6ö^e rolrb i^r auf keine
3Belfe gered)t. S)le religlöfe ©erkünblgung ntu^ t)lclnte^r In iebem
3lugenblldie neufdiaffenb bie ©egenroart, ll)re SSlenfd^en, if)rc be»
fonbere fioge, i^re bröngenbe 3lufgabe, ll)ren Inneren ^ntroicfelungs-
ftanb erfaffen unb beut Sebensgefe^ ber 2Do^r^elt entfpre(^enb
roelterfütiren, eine Q^llefenaufgabe, ber nur f)öd)fte fiebenblgkelt,
^Ingebenbfte Siebe, fclbftlofefte 2lnpaffung gen)a(^fen Ift. Slur bas
Seben kann beut Seben bleuen. ^iXx blefen 3^edi aEcln aber
flnb mir ^ler ben ©puren, blc bie religlöfe QBa^r^elt burcl) bas
Seben älef)t, nachgegangen. 5)cr reine ^Iffensburft bes ©ele^rten
— TDenn es ben In ber ^orm oölltger ©lelcfigültlgkelt gegen bas
Seben ber gegenro artigen ©tunbe überhaupt gibt — liegt uns
üöHlg fern. SDas rolr Ijeron^olten aus ben 3öl)rtaufenben ber
Söergongen^elt, follte nur $ülfe fein für bie ©egenroart. 2luf
biefe ©egenroart unb l^re praktlfc^en 3lufgabcn richten n)lr
— 295 —
jegt au6fd)ftefelic^ unfct ^lugenmcrfe, nic^t als oö rotr fte im ©ts*
^erigcn ntrf)t immer im ^ugc gci^abt I)öttcn, fonbcrn in bcm ©innc,
ba^ roir nun bas analgttfcJie 95erfa{)ren, bas ben 9Beg ber 9[Bof)r-
l^eit aus ben 2:atfa(^en ber ©egenroart unb ben fie beutcnbcn ber
33ergongenf)ett fjerausguorbciten |i(^ bemühten, hmd) bic ft)nt^etifd)c
95cfc^äftigung mit ber '2lufgabc ber ^tnctnarbeitung biefes
3Bcge5 in bie ©cgcnroart unb bie Sufeunft ablöfen. S)ic ®(^rotcrig-
Ijcit biefer Aufgabe ift jcbem Mar, ber bie (£ntroiclilungsfütte bes
fiebens feennt. S)a^ mir fie in ber bisherigen 5)arfteIIung auf
©(^ritt unb Xritt fc^on ftreiftcn, mac^t es bestialb nict)t überflüffig,
ba^ mir fie nun in gefammelter 3lufmerlifamfeeit auf bie 6c^roierig»
Iieiten ber pralitifcEien 93erl{ünbigung in ber ©egenroartsroett anf äffen.
5)enn bas €ntroicRlungskongIomcrat ber ©rofeftabt unb ber
von ber ©rofeftabt beftimmten SDelt, bas oor uns liegt, ift in ber
Zat ein buntes ©emifdi oon Sebensftufcn, bas ben 95erbünbiger
ber SReligion mit 35erän)eiflung erfüllen feann. S>iefe unüberfe^*
bare snonnigfaltigficit menfd)Ii(i)er ©Übungen, 6tanbpunfete unb
(gntroicfelungsftufen mag für uiete SHeligionsbiener ber entfdieibenbe
©runb gemefen fein, ficf) gang bem ^nbioibualismus in bie ^rmc
3U roerfen. „©ib ben 9Henf(^en bas, roas bir am meiften liegt,
unb bu mirft immer eine grofee ^Insai^I miUiger ^örer t)aben, bie
eben bies fudjcn. 'SInbere mögen naä^ i^ren Einlagen etroas anberes
bieten. 60 kommt fti^Iicfelicl^ jeber gu feinem 2led)tc." (Eine fe^r
t)crfüt)rerifcl^e 2lrgumentation für bie mand^efterltd)e Sluffaffung h^s
religiöfcn ©icnftes, ber ungegötilte ^rebiger erlegen finb! 3" ber
'S:at, es feommt bei biefer Sluffaffung oieEeicEit — t^eoretifc^
roenigftens — jeber su feinem Siechte, nur ber eine nict)t, um ben
es fic^ in ber 3leIigion ausfc^tiefelic^ ^anbelt: ©Ott. Stac^ bem
SDort bes aufgeklärten Königs mag es mögtt(^ fein, ta^ jeber
nadf) feiner ^agon „felig mirb". 3lber — l^ier geigt fi(^ erft bie
Xeufetsklaue bes „©eligroerbens," — es ^anbelt fic^ in ber
Sleligion um etroas oöUig anberes als um bie ©eligkeit bes ein-
zelnen, es ^anbelt fid^ in i^r um bie Surctife^ung ber ©ottes-
f)errfc^aft. S)ie Spotte, bie in bem Seligkeits- ober — nad) bem.
aufgeklärten QBorte — ©lückfeligkeltsftreben i^r pdjftes 21nliegen
fat), enbete in bem ^luc^ bes SBöIkcrkrieges. S)er ^at grünbtlc^
aufgeräumt mit ber manc^efterltc^en Sebensauffaffung, aut^ —
— 296 —
©Ott gebe es, ha% roenigftcns btc ÄeliglonsocrMnbtgcr fetnc 6ttmme
ntc^t überhören! — auf bem ©ebtete ber ^Religion. €s ift aßcr»
btngs etne fe^r bequeme ©acf/e, ben 3Ileu|(^en bas §u bieten, ujas
einem „perfönlti^ liegt", ober bas ^Inliegen ber Sleligion ift es,
bie SHenfc^en bagu gu führen, roas ©ott mill.
3)a atterbings fteigt riefengro^ bie 5lufgabe empor, bie h^m
©iener ber 2letigion geftcHt ift. 3ft fie in bem (Entmicfelungs-
roirrmarr, ber In ber ©ro^tabt oor uns liegt, überhaupt gu löfen?
6ie mufe gu löfen fein, benn es ift bie^orberung bes eroigen
©ottes, i>a% fie gelöft roirb. §icr Reifet es ge^orc^en unb arbeiten,
nidits roeiter. Unb bie ^orberung, bie biefe 3Iufgabe in fic^ fc^Iiefet,
ift gar keine anbere als bie grofee ©runbforberung aller Sleligion:
Sie oöEige Eingabe. 2Der fie niä^t aufbringen kann unb roiU,
fott nic^t bie ©tirn Ijoben, \xd) einen S)iener ber 3leligion gu
nennen. 9lur ber großen Eingabe öffnen fid) bie Sore in bas
fiabgrint^ ber ©ro^ftobtroelt, it)r aber öffnen fie fic^ aud^ gang
beftimmt. 9Ber irgenbroie noc^ fic^ fetbft fuc^t ober fic^ felbft hin
9Henf(f)en bieten roill, ber ke^re bem ^eiligen S)ienft ber QUeligion
ben SRücken! ^f^m roirb fie immer bes „Himmelreichs Sc^lüffel"
oorentf)alten. S)em aber, ber fi(^ fetbft oerlor, öffnet fie bie Sorc
bis ^inab gu ben Söttnern unb ©ünbern.
SItlerbings muffen biefe 5:ore gefudjt roerben mit ber großen
Siebe ies Sßtenfclienfo^nes. 6ie ift ber €in^eitsroiUe, gu hzm ber
(£roige bie 2Henf{i)l)eit emporfü^ren roitl, fie allein ift auc^ bas
nie oerfagenbe SHittel unb SDcrkgeug, um bie (Bifentore bes oer«
ftockteften ^c^nJtßeits gu brechen. S)ies SZlittcl unb ^Derkgeug gu
fd^ärfen, bas allein kann bas Slnliegen fein, roenn roir nun bie
praktifdjen QBege ber SReligionsoerkünbigung in ber ©rofeftabt
fuc^en.
®ies Sntroicklungskonglomerat ber ©ro^ftabt ift Ja keines-
roegs, roie bie ^nbioibualiften gur Qflec^tfertigung unb 5Beru^igung
iljres eigenen 3<^tDillens meinen, eine gufammenljangslofe 6umme
oon 2ltomen — fo fpiegclt fic^ bie ©oc^e nur in ber oberfläch-
lichen Betrachtung bes Sigenftrebens — , fonbern ein ollerbings
gerrlffenes ©eroebe älterer organifc^er 95olksbilbungen. S)as barf
roo^rlic^ nic^t überfe^en roerben, am roenigften oon ber Sieligion,
bie bas ^crriffene feilen unb bas Verbrochene gufammenfügen miß.
— 297 —
QBer In bie ®ccle bes cingclnen (Srofeftabttnenfc^cn f)tnetnlaufc^t,
ber t)ört bort gu feinem Grftaunen oft genug fiautc erklingen, bie
er gonä anbersroo fc^on einmal ge^rt ^at. 5>as ©löcfetcin ber
©orfkirrfie fc^Iögt ha plö^Iid) an, ober bie alten Sieber aus ur-
alten fetten Iänbli(^cr 6tille tönen bort weiter, ober bie felfen=»
^arte iji^ömmiglteit unb bie ftrenge 3led)tli(i)lieit ber SBäter brSngen
in gebrodienen Sauten f)eraus. ^er roill bcfrfireiben, was für
^Itaoismen noc^ in eines ©ro^ftäbters 6eele nadifc^roingen unb
beim - leifeften Slnf (plagen roieber lebenbig roerben? 2lu(^ ber
®rofeftäbter ift unb bleibt ein ©croöc^s ja^rtaufenbealtcr ©efd^ic^te,
bas nur ins Sreib^aus getragen rourbc, bort red)t eEtraoagonte
„inbioibuoIiftifrf)e" SBilbungen geitigte, aber immer noc^ bie alten
95llbungsliröfte, menn aud^ gum 2eit oerfeümmert, in fic^ trögt.
Dtjne eine buri^bringcnbe Kenntnis ber reli*
giöfen 95ergangen^eit ift ba^er ber Sienft ber gfleli-
gion in ber ®ro§ftobtn)elt gang unmöglich), ©as ift
beileibe feein ^iftorigismus, ber ^ier geforbert roirb. S)a§ bie
religiöfe ^o^r^ett i^re unbebingte ©üttigfeeit unb i^re roirfecnbe
Äraft nid|t aus ber 95ergangen^eit gie^t, barüber f)aben mir genug*
fam gefpro(f)en. 2lber ol^ne bie Kenntnis ber oergangenen €nt-
roicfelungscpoc^en ber Sieligion ift ber Sienft ber ^elfenben, be»
freienben, erlöfenben, fü^renben Siebe nit^t möglid), roeil aUe biefc
©ntroi&lungsftabien in ber ©egenroart not^ oort)anben flnb,
}a immer miebcr neu ^eraufroaclifen. 9lic^t nur für bie beutlic^
ausgeprögten religiöfen Sebensöufeerungen gilt biefe SBiebcrfec^r ber
Söcrgangen^cit, fonbern auc^ für bie ftc^ oft genug im 95crbor»
gencn unb in rafc^er, feaum gu faffenber Stufenfolge ootlgiet)enbe
Sugenbentroidilung. aUer ^ier*bienen unb weiterführen rojU, mu§
bie ©tabien ber 95ergangent|cit feennen, unb groar nic^t blos in
ber Sorm »^iftorifc^en QBiffens" — bas mcc^anifc^ be^crrfc^tc
äufeerc ^otfac^enmaterial ift für bas Scbcn oon geringer ^e*
beutung — , fonbern in lebenbiger feelifc^cr ©urc^bringung bes
(gntroicfelungsoorgangcs. Sie neuere ©efc^ic^tsroiffenfc^aft t)at ^ier
ber 3leligion einen gang großen 5)ienft geleiftet. 2lls l)abi fic ge-
ahnt, ha^ bie ^ortentroicfelung bes Sebcns ber lebenbigen 5)urc^-
bringung ber SDcrgangcn^cit bebürfe, ^at fie je länger befto me^r
aus bem toten Satfac^enftoff eine lebenbigc fortf(^reitenbc (Ent-
— 298 —
rotdilungsltcttc gemocht, ober rtc^ttgcr: 6ic ift, loie in ber 9Iatur-
Totffenfc^oft bte patöontologifdie unb btologifc^c ^orfcfiung, in bem
f(^einbar erftarrten 6toff ber 95ergangen^eit roieber auf ben aEes
burcfiäie^cnben fiebensftrom gefto^en, ber nid^t aneinanberrei^t,
fonbem ausetnanbcr rooc^fen töfet. ©os ift ein Sienft, ben bie
QBiffenfc^aft ber religiöfen 2tufgabe ber ©egenroart geleiftet f)at,
ber garniert ^od^ genug eingefrf)öfet werben kann, ^reilic^ mag
bie QI3iffenfcf)aft bei ber 95orfteIIung, b(X% fie ^ier als Wienerin in
bie prafetifdjen 5tufgoben ber S^eligion eingeftellt roirb, gunäc^ft
ein geroiffcs Unbefjagen empfinben. '^u lange ift fie bie Wienerin
ber SHeligion in einem ©inne geroefen, ber ber ^Ürbe ber un-
befto(^enen 3Do^rt)eit5erforf(i)erin fet)r roenig angemeffen mar.
3lber ^eute roirb es beutlid^ : inbem fie fidt) oon einer §errf(^erin
emanäipierte, bie niö)t met)r bie SIrägerin bes roirlilic^en religiöfen
Sebensftromes unb ber ooßen religiöfen QBa^r^eit mar, ^at fie
einer neuen, üollgültigeren 35ern)irlitid)ung5ftufe biefcr 9Ba^rl)eit
bie 95at)n bereitet. 30, i^r fc^einbar gang unabpngig gemadites
6uti^en naäi ber 3Bal)r^eit mar bereits ber ©et)prfam gegen bie
ooUere, l)errfd^aftsferäftigere Q33al)rf)eit, bie ous ber gufiunft ^eran-
30g. 3ebe Serfefeung älterer §errfcl)aft5mUcl)tc ift bereits bie 5In-
liünbigung eines neuen, roeitergreifenben ^errfd^aftsroittens. ^f)m
biente bie QBiffenfc^aft, ols fie bie MrcEjlic^e ©ebunben^eit fprengte
unb if)re eigenen 9Bege ging. 9'lun aber mäd^ft aus i^r heraus
unb über fie hinaus ber größere ^errfc^aftsroille, bem fie nun
biencn mufe, ob fie roill ober nid)t.
9Ber je aus bem reinen 95orn ber 9Biffenfc^aft getrunken
^at, ber roeife, ba^ es niemals eine im legten unb tiefften ©inne
unabt)ängige QCiffenfi^aft gegeben f^ixt ^n il)rer 5:iefe hbt^ immer
ein lefetes 2DoEen, bas nid^t mct)r „oorausfegungslos" mar, ein
geheimer ©laube, ber il)rc l^cifee 2lrbeit leitete, eine gro^e Hoffnung,
ba^ einmal nid)t nur bas Riffen, fonbem aud) bas Sebcn roieber
eine gro^e, lebenbige Sin^eit werben mürbe. QBcil fie an bie
SDa^r^eit unb an i^re 3Ha(^t glaubte, f)at fie immer in it)rer
S^iefe an bm lebenblgen ©ott geglaubt, fo meit fie bte 9Belt bcs
©laubens aud^ immer oon fic^ abfc^ob. S)a^ bie 2Diffenfc^aft
immer mieber mit t)eifeer ©e^nfu(^t in bie pralitifc^en ^J^^agen bes
fiebens hineingreift, oerrät i^re tiefftc innere 93eftimmt^eit nur gu
299
bcuttlc^. Uttb tiaben ntci)t btc pralitlfc^cn 6trömungen bes fiebens
intmcr rolebcr in t^rc ^orfctjungen t)lnelngegriffen, fic befrudjtenb
uttb toetterfütirenb ? 5)te ®cf(^td)te ber ticuäettlt(i)eti QBiffctifdiaft
Ift kcttic gerabe fittilc, fonbcrti cltte fc{)r lebctibtgc ©tttitJtciilung,
in bcr fic^ nur gu bcutlic^ bic (gntrolc&Iung ber 3ett fptcgctt. S)as
ficbcn unb bcr tcbcnbige ©ott finb boc^ gröfecr als aUcs QBtffcn.
Unb tDurgcItc nid^t bereits if)r Heiligtum, if)re unbeftocf)ene QBofir«
t)citserforf(f|ung, bas, tüQS fte „SorausfcöungsIoftgKeit" nannte,
in bem legten Heiligtum ber 3leIigion, ber großen felbftlofen Ein-
gabe? Wa^ bebeutet benn bie ©runbforberung ber QBiffenfdjQft
an l^rc jünger, nur ber ©ad^e unb ber Waf)if)iit gu bienen,
anberes als bie ©runbforberung ber Sleligion? ®ie ftei^t ber
legten Ouelle ber Sleligion oicl näi^er oIs fie felbft es a^nt unb
in ber ©egcnroart jugibt. 3Benn mir fie jefet als Wienerin ber
9leIigion in ^Infprud) netjmen, fo muten roir it)r garniddts anberes
gu, als bem §errn gu bienen, bem fie felbft ben SBeg bereitet ^at.
Unb aud) bie 3letigion, bie nun roieber bie ^errfc^aft über
bas fieben angutreten beginnt, fie^t ficf) gegroungen, fi(^ bem neuen
§errn gu beugen, bem bie 9Biffenfd)aft oora^nenb unb ba^n*
bereitenb biente. ©as grofec „Dbjefetioe", bas bie QBiffenfctiaft
fucJjte, ift auc^ für fic bic übcrroältigenbc §errf(i)aft6mad)t ge*
toorben. ®ic ^irdic im alten ®inne ift feit langem im SBcgriffc,
t)or i^m, njcnn aud) roiberftrebcnb, gu Kapitulieren. ^f)xt „apo*
logetifc^e" Gattung beroelft, ha% fie bereits innerli(^ überrounben
ift. S)ic (£t^ili ber 933iffenfd)aft, bic ber gang felbftlofen Eingabe
an ben legten ^atbcftanb ber 5Dett, ift mct)r unb me^r aud) il)re
€tt)ife gcroorben. Z^x 6ct)roä(^cäuftanb gegenüber bem Sebcn ift
bas (5t)mptom, ha% au6) in i^r bcr (gigenroitte burtf) bas enge
2or äu gc^cn gcgroungcn totrb. 5>ic Sebensmädjtc finben ficf|
roieber äufammen gum 5)ienft ber großen fiebcnsmacf)t, bic hinter
ben 2oren roartet. Satföc^Iic^ t)ängen Scben unb 5ob bcr QUcIigion
baoon ob, ha^ fic gong roieber ben felbftlofen 9BiUen finbet, bcr
9Bat)r^eit, bic nur bcr ^öc^ftcn ©clbfttofiglicit aufgebt, fid^ gu beugen.
S)ic 5urd)t, ha% hmd) irgenbrocld|c ^ingcbcnbe €rforfd)ung
bes ficbens unb bcr 95crgangent)cit i^r ©tüfeen für bie ©egcnroart
entriffen roerben fiönnten, ift bereits 9IbfaII oon bcr pdiftcn
fiebcnsmac^t, ift 2Hangcl an ®laubzn. 5)ie ^urcfjt tjor bcr immer
— 300 —
erneuten 3)urd^forf(^ung ber Sergangenlielt unb tt)ren neuen ©r-»
gebniffen tft oteIIetcI)t bas ftörfefte ©öjroäc^efijntptont ber römtfc^en
^tr(^e. Sie 6orge um i^re „^tftorif(^e" ©tcüung bebeutet bte
^i5d)fte ©efa^r für it)re gegenwärtige Sebensliroft. 5)enn bie ^raft,
bie ©egenroart gu be^errfc^en, roöd^ft in bemfelben 931afee, n)ie bie
25ergangent)eit tiefer, innerlidier, lebenbiger burc^brungen roirb.
S)os tebenbige Steue, bos f)ier gefunben roirb, roirb gum roert-
oottften §ilf0ntittel, bie ©egenroart lebenbig gu erfaffen unb fidler
roeiferäufü^ren. Sie grofee (Einj)eit bes fiebensftromea, ber SInfang
unb ®nbe ber ©djöpfung burd^gietit, fiann man gorni(^t ernft
genug nefjmen. ®ie ift bie ftärfefte Helferin ber in ber ©egen«
roart fc^affenben Siebe. S)arum mufe es fd)arf verurteilt roerben,
roenn im ©ienfte irgenbroetd^er ftir(^Ii(^er S:agesintereffen bie ©e-
f(^{(^te ber 95ergangent|eit äurerfjtgeftuöt roirb, roenn aus oppor-
tuniftifrf)en ©rünben Singe Derfd)teiert ober aud^ nur gured^t*
gcf(f)oben roerben, bamit bas einfältige ©cmüt feeinen 6d()aben
erleibe. Sie erbaulichen Sarftettungen für bie ©egenroart bei
3ubitäumsfeiem unb ä^nlic^en ©elegen^eiten, an benen bie Äirc^e
gerabegu liranitt, finb bie gefä^rlic^ften ^Jeinbe ber QBa^r^eit unb
ber f(^affenben Siebe. 3Bcr gegenüber ber 95ergangcn^elt nic^t
bie grofee ©elbftlofigfeeit aufbringt, f^at fie auc^ bereits für bie
©egenroart oerleugnet. Sa^ bie ^irc^e fo manches aus ,er-
gie^erifdien ©rünben* gurec^tfrifiert, ift ein SBeroeis bafür, ha^ fie
fe^r felbfpc^tige ?lbfict)ten oerfolgt ober fic^ fet)r junfit^er fü^It,
ha^ fie i^r lefetes Heiligtum, i^re felbftlos fc^affenbe Siebe, oer*
loren t)at. Sarum ift bie 9'leligion oerpfli(f)tet, unermübtic^ gu
lernen, alte ^ofitionen aufzugeben, roenn i^r felbfttofcs '^oi^ditn ♦)
neue ©rfeenntniffe fc^enkt, — um bes Sienftes ber ©egenroart
roiHen. Sie 'roiffenfd^aftlid)c Surd^bilbung unb unermüblic^e
9Beiterbitbung ber 3leIigionsbiener ift nic^t ttma in erfter Sinie
bie 95orausfeöung bafür, ba^ Jie bie religiöfe 9Da^r^cit rlct)tig
oerfeünbtgen — biefe roirb nur burd^ bas Seben erroorben, —
fonbem fie ift eine unentbetjrlici^e ©runblagc itjrer C;^aral{ter-
bilbung unb i^rer feelforgerlic^en 2(ufgabe. Sie fetbfttofe (£r-
*) yiaiüxlid) nur blefcs! ®5 gibt and) fc^r felbfpt^tigc unb
cigcnroiUige, im frf)Iimmftcn ©Innc tenbcnaiöfe „roiffenfc^aftlictic* (grgebnlffe,
au^ auf beutft^en Unioexfitöten.
301
forf(i^ung ocrgangener Sebenscpod^cn tft bie ftttltc^c QSorausfcgung
bes felbftlofcn 5)lcnfte6 an ber ©egenroart unb bie tc«^ntf(^e
©runblagc für bie fpürenbc unb t)elfcnbe 3lrbctt ber Siebe. 6trengfte
rotffenfc^afttic^e ©urc^bilbung ift ein fittli^es ©ut, bas ber ©icnft
ber QUeligion in unfern Sagen forbert.
^untal in ber ©ro^ftabt! SRic^t ^tma, um ben fogenannten
„gebilbcten" '^m^i^ittn unb anma^enben S^^nötiiicn bialeRtifc^
bie ©tauge' au lialten unb mit einem gelef|rten 9lpparat unb
3Biffensn)uft, ber nur ben Oberfläc^ennaturen imponiert, auf ben
fieib äu rüclien — bie Sieligion barf niemals imponieren
rooUen — , fonbem um bie '^Mq ber Srfd^cinungen gu burt^-
bringen unb bem Ccin^eitsroiUen gugufü^ren, ben burt^äufc^cn i^re
2luf gäbe ift. S>enn bas~9leic^ ©ottes mill nic^t fc^oblonifieren
unb alles auf bie Sin^eit einer ^Iö(f)e bringen, fonbem einen
Organismus fc^affen, in bem bie ^öc^fte Qltannigfaltigfeeit einem
Pdiften QDillen bient. 3^ mac^tooller ein ^errfc^erroille ift, befto
bifferengierter finb bie Gräfte, bie er binbet. ©ie ilniformierung
bes fiebens ift nur bas ^ngeic^en bafür, ha^ eine oerfprüf)enbe
©(^einencrgie oor^anben ift, bie fid^ buri^ eine f)arte Prüfte beÄt,
ba^ aber ber burc{)bringenbe geiftige ^Biüe fe^It, ber roac^stümlit^
ineinanberfügt, nic^t nur mec^anifd) ancinanbcrrcif|t. S)ie roirfe-
lic^e Siebe forbert Pc^fte SebensfüUe, unb biefe roicberum ift nur
ber ©egen pc^fter fittlic^er ©elbft^ingabe.
SRrni ift es freiließ nidjt bie 3lufgabe bes „^Iftorift^cn
©innes", oQes Slltübcrfeommene für „beredjtigt" ober gor für ollcirt
rocrtooll gu crMörcn. S)ie üblen iJi^üc^te bes^iftorifc^en ©Inncs
finb nur äu befeannt. dtt ^at fid) mit einer rec^t anmafeungs-
ooüen, eigenmittigen, bequemen unb ^errfcf|fü(^tigen Unfö^iglieit,
bie ©egenroart lebenbig gu erfaffen, oerbünbet. ©ie Sleftaurations-
ocrfuc^c bes testen 3öf)rt|unbcrts finb roa^rlit^ oft lebensfeinblic^
unb felbftfüc^tig genug gerocfen. 913o immer bie ©cfct|ic^tc unb
bie ©efct)ic^tsn)iffenfc^aft als ^errfc^erin auftritt, ift fie im Flamen
ber 9fleIigion erbarmungslos aufs $aupt 5u fc^lagen. ©ie ift
bann nur ©ecfeflrmo für eigcnroiHiges ©trcben. Wo fie mit bem
i^r inneroo^nenben 9flec^t auftritt, ift fie ©i euer in ber gegen-
roörtigen Sebcnsnotroenbiglieit. ©ie roiü meiterfü^ren, nic^t feft-
legcn. S)as in i^r mo^nenbe Seben ift oorroärtsbröngenbe ^roft,
— 302 —
nic^t läl^ntcnbcö @efe^. 3(Ue ©emü^ungcn, alte ficbensftufcn
etnfat^ gu feonferöteren, an betten es in bcr ©ro^ftabt n)öl)rlt(^
ntd)t fel)lt, finb üon ber lebenbtgen SReligion aus abgulc^nen unb
3u bekämpfen. 3" i^^^'^ ©rofeftabt gibt es natnentltd) ous kon»
fetoattoen IönbItcE)en ©egenben äugetoanbertc ^rebiger, bic es für
tl^re 3tufgabc Ratten, in ber allgemeinen ©ünbt)aftigfecit bie allein
berei^tigte altöäterlictje Frömmigkeit gu pflegen. ®o großen Erfolg
fie oft unter ben Greifen ^aben, bie fic^ in ber ©rofeftäbt in i^rem
alten 3le(^t unb i^rer altoäterlirf|en ©timmung bebrängt fül)lcn,
fo unt)erfeennbar oerrät boc^ i^r bobenlofer (gigentoitte i^re irreligiöfe
Haltung. ^\)x „€tfer um ben §errn" ift garnidjts anberes als
ganä gemö^nlidie 6elbftfu(^t unb 9Hangel an opferwilliger Eingabe
an bie gro^e feelifd)e ©ro^ftabtnot, bie nicl)t "iMbltapfelung, fonbern
fetbfttofefte Siebe forbert.
^urf) jene gtoeite, roeid)cre ^orm ber Sleftaurationsftimmung
ift oon ber lebenbigen 9flcligion abgulelinen, bie in mel)r äft^etifd^«
inbit)ibualiftif(i)er 9Beife fi(^ oEer alten ijormen roo^lmollenb freut,
fid^ in fie hineinfällt, ja fie fogar „pflegt", roeil es boct) eine
getoiffe urioüc^fige '3lrt nod) an \xd) trage, bic man nid)t fterben
laffen bürfe. 95on biefen romontifdjen Staturen, bie jebe ältere
Form ber F^^ömmigkeit für berecl)tigt t)alten unb glauben, ba%
es mit einer roo^lmoUenben gegenfeitigen Qlnerfiennung ber oer=
f(^iebenen rcligiöfen Stimmungen getan fei, gibt es [in neuMrcf)=«
lid)en Greifen eine nid^t geringe ^af)l. ©ie roerben bem (grnft
bcr 3leligion ni(^t gerecht, Frömmigkeit ift feeine „Scbensftimmung",
fonbern birgt eine fe^r ^artc prafetifdic (Entfc^eibung in i^rem
Sc^o^c. ®en Sujus bes ©ammlers, ber alle mögli(^en alten
^Raritäten gufammenftapelt unb fie gelegentlich n)ol)lgefällig fxt"
trad)tet, roeil er in aEcn eine (Erinnerung an eigene frül)erc Sebens»
guftänbc fie^t, können mir uns im Zeitalter ber ©rofeftabtnot nirfjt
mc^r gcftattcn. ^ad) bicfem furchtbaren Kriege kommt es gu
bitter, emft barauf an, bie 9Höglid)keit eines gefunben fiebens unb
eines QBieberaufbaucs gu fd^affen, für bie bie Sfleligion ben ©runb
legen foU. 3lus einem 3larttätcnkabinett flicken nic^t bie Gräfte,
bic ein tobrounbes Seben t)cilen können. Was man bisher „re*
ligiöfes S^^^ß^^ßffß" nannte, ift lä(f)erlicl)er ^inberkram. Stur ein
ganä ftarker, entfd)loffener QUille, bem fieben bie ©efunbungs*
— 303 —
rtrf)tung toiebersugcbcn, kann uns ^cute f)elfen. 3^" 9^^ es aus
bcn oorfianbenen rcligiöfen ©Übungen ber Sergangenl^cit I)eraus*
gu^olen. ®s barf nie cergeffen roerben, bafe 'aEe njtrfelid^en rell«
giöfen ^äfte bie grofee (gtnt)eitsltme fud)en, auf bte bas Seben
^tnbrängt. 3ebe neu erroac^enbe lebenbtgc Frömmigkeit bebeutet
eine neue, tiefere '^orm bes 9Ilonott)ei5musi £)t)ne ben großen
^eilenben Sin^eitsroillen ift in unfern 3:agen Sebensgefunbung
nic^t benkbor.
Sa^er ift für uns ber ^iftorifd^e ®inn nidjt nur bas Organ,
um bas 95or^onbene gu burd)bringen unb ju erfaffen, fonbcrn
oiel me^r noc^ bas 9KitteI, es roeitergufü^ren unb ber neuen
©tn^eit einaufügen.- ^as ift kein leichtes 6tücfi 2Irbeit. Senn
bie näd^fte Vergangenheit, bie hinter uns liegt, ift \a gcrabe bie
95ergangenl)ett bes ©tgenroiHens. ^IHerbtngs liegt in ber 9leftau^
rationsftimmung als foldjer immer bereits ber 3lnknüpfungspunkt
für bie Ucbcnoinbung bes Sigenroitlens. Sllle Sleftaurottons-
bcmü^ungen finb fc^on in irgenb einer ^orm er meierte SJer»
gangenf)eitskräfte. (£s ift norf) keiner 9leftauration gelungen, hen
l^arten Urroillcn ber 95ergangent)eit in bie ©egcnroart ^inübcrgu«
retten, ^ßes SJtad|erteben unb 9lac^füf)Ien ift bereits ein ©terben.
©iefes Sterben gilt es bis äu bem 5)urd)bru(i)spunkt bes neuen
Scbensroillens gu füt)ren — bas ift bie 3Iufgabe. Wir roollen fic
auf einigen Sinien oerfolgen. 5)enn bie gange ^ütle ber oor uns
liegenben (£rf(^einungen können mir in biefem 58u(^c md)t berück»
fi(^tigcn. ^^^er Sag fteüt ben Praktiker o^nei^in oor neue
2Iufgaben.
Unter ben SKenfc^en, bie aus ber kirchlichen Srabition bes
Sanbes in bie ©ro^ftabt gemanbert finb, mu^ man mit brei fi(^
befonbers ^eraus^ebenbcn ©c^ic^ten rechnen. ®ie grofee 9He^r^eit
oolläie^t mit ber fogialen fioslöfung, bie i^re ^Ibmanberung bc?
beutet, aud) in ^o^em 9Hafee bie kircf)Iict)e Soslöfung. 92lan barf
nie oergeffen, ha^ bie 95inbung burd^ bie kir(^Iidt)e ©itte in erfter
Sinie eine fogiale 95inbung mar, unb erft in sroeiter fiinic bei
einem engeren Greife burc^g^bitbeter 93lenfd^en aui^ eine bas gange
Senken unb ^anbeln burc^gie^enbe unb bei^errfrfienbe innere
93inbung. S)as fcgiate ^rei^eitsgefüf)!, bas bie ©rofeftabt gibt,
gic^t barum unmittelbar nac^ fic^ eine gönglic^e ©leic^gültigkelt
304
gegen Ätrc^e unb 3leItgion, ble nur bei gang befonbers füljlbarcn
Erinnerungen an bte Mrc^Iti^e Xrabttion, on I)bl)en ijcfttagen, bei
Saufen, ^odigetten unb ©egräbnlffen, ben alten ^ahm roteber
aufgreifen löfet. Dft genug ^erretfet bcr Strubel bes neuen Slrbeits'
unb ©enufelebens auc^ noc^ btefen legten ^aben. ^Icr flnbet
alfo ber 9fleltgtonsbiener in 93eäug auf lebenbige religiöfe 95er*
gangen^eitsferäfte fo gut n)ie tabula rasa oor. ©eroiffe religiöfe
©runbüberäeugungen gibt es natürlid^ aud| ^ier, oft ein fel)r
ftarftes bis gu merltroürbigen 2leu§erungen bes 2lberglaubens
fü^renbes Abhängigkeitsgefühl, bas in ©tunben ber Slot plöglic^
gum Pfarrer fü^rt, ber nic^t blofe bei ^inberliranfet)eiten unb in
©terbcnsnot, fonbern and) in (Selb-, 3trbeits« oxnb ^tltersfd^roierig-
lieiten ber alleinige Reifer fein foU. '3lber bas finb fe-^r alte, bis
ins ^eibentum gurüdireidienbe ^^öntmiglteitsinftinlite, W mit
eoangelifdiem ^eils» ober gar ^atet^isntusglauben fet)r roenig äu
tun ^aben. SHan könnte e^er fagcn, ha% ^ier bie ^römmiglteits»'
ergie^ung ber römifd)en ^irc^e nod) in geroiffer 9Beife nadjroirlit.
Sie „Qflec^tfertigung aus bem ©lauben" ^at bie uhterften natur*
gebunbenen 35olksfcl)i(^ten roo^l kaum erreicl)t. §ier l)at bie
©rofeftabt einen oößigen SJteubruc^ gu fdjaffen. 93iellei(^t ift fie
baju berufen, in bies nun gelockerte ©eftein bie erften 'funken
d|rifflicl)er ^Frömmigkeit ^ineingutragen. S)er gang natur^afte
©elbfter^altungstrieb, ber nodi gang in ber ©innenroelt lebt, be*
^errfc^t in biefer ©p^Sre alles. Sas SBemü^en, ^ier lebiglic^ bie
Sflefte ber kird^lidien ©itte roieber aufgubauen unb roeitergufü^ren,
bürfte ein oerfe^ltes Untemetjmen fein. Siefe 9Haffe mufe erft
bur(^ ben j^ßucrproge^ ber ©rofeftabt ^inburd), ber in biefer 6cl)id^t
naturnotroenbig feine gerfegungsarbcit oollgie^t. Sie tjartc ficbens-
not mu^ ^ier bie erfte 3l^nung einer roeltüberlegenen (Frömmigkeit
auffteigen laffen. Siefer 9Belt mufe bie Qfleligion guerft als bie
grofee Helferin in äußeren fiebensnöten, als bie überlegene 9Had^t
^elfenber unb beratenber Siebe entgegentreten, um ben ©runb eines
neuen fiebensgefeges gu legen. S)em 9Jlanne, ber mit i^r lebt
unb mit i^r fü^lt, kommt fie entgegen. S)te ^jraktifc^e Zat ift
t)ier bie allein bur(^f(f)lagenbe ^Jorm ber Se^re. '^üt bie 3lrt, roie
auf biefer ©tufe 3leligion oerkünbigt werben mu^, kann man oon
ben 9Htffionaren ber alten ©eutfc^en, etroa oom ^eiligen Ansgar,
— 305 —
tnancfics lernen, über^oitpt oon ben Pionieren her 9Hlffion. Heber*
rafc^enb ift bic ^atfttcJ)e, bafe blefe alten (Soangeltumsoerftünber
gang beutUc^ gefe^cn ^aben, ba^ neben ber äußeren ^ulttoiemngs-
arbeit unb ber ^elfenben Sot bie (£rale^ung ctnjelner ^ugenbltd^et
ein roid^tiger QBeg in bie Sukunftsentroicfelung fei. 2Bir kommen
auf blefen QBeg in ber Betrachtung ber foätaten 95em)irlilid|ungs*
ftufen ber religiöfen 9Bof)r^elt jurücfe. 3luf bicfer unterften ©tufe
ber ©rofeftabtäugeroanberten geigt [ld| f(^on, bo§ mir es in ber
religiöfen ©rofeftabtarbeit mit einer, atlerbings oer&ürjten, SBieber*
^olung ber 95ergangenbeit ju tun ^oben. ^ür eine finnootte 3Irbeit,
bie nic^t nur ^nttöuft^ungen erleben ober fi(^ hinter bequeme Er-
fahrungen attgemeiner ©ünb^aftiglieit surüc&äic^en miU, ift eine
eingct)enbe Kenntnis ber primitioen Sleligionsftufen gong unerlä^«
lief), fieiber können mir im Q^a^men biefcs SBuc^es nur onbeuten,
was für eine t^unbgrube bie ©efc^ic^te ber Vergangenheit für bie
?praji0 ber ©cgenraart ift.
S)iefe religiöfe 95ergangen^eit tritt uns nun ober fe^r oiet
ausgeprägter in ber groeiten 6c^icf)t ber oom fianbe 3ugcroanberten
entgegen. ®s finb bas bie 3Henfct)en, bie gu einer me^r ober
mcniger burctigebilbeten ^irctjen*. ©ibel« ober Äated^ismusfrömmig*
feeit gelangt finb. ®iefe fuc^en natürlich in ber ©rofeftabt mit
ber ^rc^e fofort roieber ^Jü^lung unb geraten t)ier nun in einen
komptigicrten feetifc^en (gntroicfelungsprojefe. ^unäc^ft erleben fie
alte, bofe bas, was auf bem fianbe — in ber neueren "^eit ift
bas allerbings f(^on oielfac^ anbers — fefte 6itte unb felbftoer*
ftönblidie SDa^r^eit mar, es in ber ®ro§ftabt keinesrocgs me^r
ift. 3ft ^ß^ itt i>ßtt meiftcn 95ertretern auc^ biefer ©c^icfjt fc^on
boi^renbe 3crfe§ungsproäe§ noe^nidit eingetreten, bann gibt es
oerfdjiebene 9Dege, auf benen fie fid) mit biefer Slatfat^e ansein*
anberfegen. ®ntroeber fie geraten — roas aUerbings feljr feiten ift —
bei einer giemlid) bi(^tgef(^loffenen fojialen 3folierung i^res eigenen
fiebens ober Familienlebens in ben S^fömmenliang mit einer
kird^lirfien Frömmigkeit, bie fi(^ oI)ne ©djroierigkeiten in bie eigene
einfügt, bann können fie Jai^relang auf ber alten SBal)n roeiterleben,
unb erft bei hm ^eranroa(|fenben Äinbern erleben fie fc^merälic^e
Ueberrafd)ungen unb fdiroere ©orgen; ober fie ftofeen auf einen
ben ©rofeftabtjmeifeln nö^er fte^enben ^rebiger ober treten in
8. öeltmann, ©rofefiobt unb SReltgton. 3. Seit. 20
— 306 —
einen foatalen' ^rets innerer Stuflöfung. 3)ann roenben fte ftd^
entroeber |d)arf oon allem „bleuen", in bent fie bes Teufels SÖTac^t
roittcm, ab, fcfjlie^en fic^ nun einer bewußt unb äui« ^cÜ fanatifc^
bas ^Ite feonteroierenben ©emetnbe an unb werben beren Sölit-
Kämpfer gegen ben ©ünbenpfu^t ber ©rofeftabt, ober ber ^luf*
löfungsproge^ ergreift auc^ fie, unb fie gleiten nun in bie britte
6(^i(^t hinüber, oon ber roir weiter unten fpred^en werben.
Siefe groeite ©c^ic^t, fo klein fie ift, bilbet ein tragifctjes
Kapitel in ber ©rofeftabtfeelforge, bas jebem ernften Pfarrer fdiroer
äu f(i)affen gemad)t ^at. ©ie finb bie äu i^nt feomntenben el)r*
lid^en, übergeugten, guten ^irdienc^riften, bie ein ©tücli roertooUfter
Sergangen^eitsreligion oerkörpern. Unb gerabe i^nen gegenüber
gerät ber gen)iffent)afte ©ro^tabtpfafrer in bie allerfdjwierigfte
fiage. ©ogar wenn er felbft innerlich nod^ gang in ber alten, feft=
gefd^Ioffenen ^römmigfeettswelt leben foEte, fiann er es nid^t t)inbern,
ha% bie auflöfenben Gräfte bes prafetifc^en ©rofeftabttcbens auf
biefe 9Henfc^cn einftürmen unb fie innerli(^ germürben. S)ie alte,
oon ber feften ©itte getragene ©laubcnswelt kann er i^nen nid)t
fc^ü^en, unb er felbft mufe fd^on feine 5Irbeit gang auf ben bat)in=
braufenben ©ro^ftabtftrom einftellen, mu§ gang neue Strbeitswege
einfd^Iagen, gang neue ©ebankenba^ncn getjen, gang neue bcm
reifeenben ©trom gewac^fenere formen ber ^römmigkeitspflege
f(^affen. (£ines S:ages werben i^m biefe 3Ilenf(^en borf) fagen,
ba^ fie in feiner ^irct)e unb ©emeinbe nic^t bas finben, was i^re
otte 3Bett i^nen war. (Es fehlen eben taufenb ^i^^ponberabtlien.
S)as S)itemma ift gang unoermeiblid) : entweber flüchten fie fid^
in ben ^Jönatismus Jener abgekapfetten ©emeinben unb finb bann
mit it)rem wertooHen ^römmigkeitsfonbs bem großen Sienft am
©angen oerloren, ober fie gleiten in bie britte ©d)i(^t hinüber, in
ber fie bann oft genug einer um fo f(f)merglid)eren rabikalen '2luf«
löfung oerfatten. 9Jlit ber erftcn fiücke fäUt für fie bas ©ange.
Siefe Sluflöfung kann fic^ freiließ auc^ in fjoffnungsoolleren
formen ooUgietjen, wenn fie fi(^ ru^ig unb langfam ausreift.
S)a ftetjt nun biefe 3w)tfd)enftufe aber fdion auf ber ©rengc ber
britten ©djid^t, ber wir uns je^t guwenben. S)as Sanb ift Ja
keineswegs fo unberüt)rt oon ben gciftigen ©trömungen an ben
äußeren (£ntwicklungsgentren, wie man gemeinhin annimmt.
— äöf —
3)cr 3latlonaItsmu5 uhb anatcrialtsmus f)at auc^ auf beirt
fiattbc fcfjon gang ^anbfeftc ctnäcine Vertreter forool)! unter bcn
gctfttgcn 95crufen rote and) unter bem roeltfetugen ©auerntunt^
Sie 2luftöfung ber tiirc^Iic^en ©Ute gtng auc^ bem fianbe oon
bem neu erroad^ten „QCettfinn" aus. ®ben btefer ^Deltjtnn tbat
es, ber biefe britte 6rf)ic^t in bie ©rofeftäbte trieb, um bort reichere
e^onccn, beffere Seiftungsgelegen^eiten, uollere Sebensmöglic^liettcri
äu f)aben. ©iefe Sltcnfc^cn bringen noc^ eine grofee fogiole 5t(^tuttg
t)or ber ^irdje unb itjren 95ertretem mit, aber fie ftneifen fc^on
ein 2luge gu: „3f^ er liberal ober ort^oboj?" Qk kennen bic
fragen uub S^^W ^^^ i^öu t)aben konn. 6ie ge^en äunäc^ft
noc^ gern unb regelmäßig in bie Äirc^e, aus ©rünbcn foäiater
^rabition, bie fie fe^r ^oc^ fc^äfeß"» ö^^r fie fudjen fc^on ben
intereffanten Slcbner, bei bem fie aucf; f(f|on eine gemiffe Slufklörung
unb QiDeltoffen^eit mittern. ®ie finb nic^t fidier genug, um mit
bem Pfarrer über biefe 5)inge ju fprec^cn, auct) gu ^öflic^, aber
es genügt i^nen fc^on, roenn fie an cinselnen funkten beuttic^
gu füllen meinen, ba^ er „liberal" benkt. Unter biefen 9ncnfd)en
finben fic^ oft rü^renb harikhaxt unb „bcgeiftertc" S^Prer für
^rebigten, bie nic^t aus ber ©pracf)e Kanaans ftammen. 6ie finb
für fie ein ©tück bes ©rlebniffes ber neuen ^Ji^eilieit, eine beruht»
gcnbe 93eftötigung iljrer eigenen inneren Sage.
5lber — biefe 2tnt)ängtic^keit taufest. €in 3Iusbruck reli*
giöfer ©ebunbcn^eit ift fie ni(^t me^r. Ob fie motten ober
ni(^t — biefe 9Henf(i)en muffen hinein in ben großen 3(uftöfungs*
progeß, o^ne hm eine Sleugeburt nicfjt mögtid^ ift. (gs ift bos
©(^idifal bes fog. liberalen 95ürgertums, in bas biefe oom fianbe
gugeroanberte ©c^ic^t gerabesmegs ^ineinroäc^ft. 3lu(^ ^jer finbet
fid) balb ber mand)efterlic|^e 5lrbeits= unb ©enußmenfct), bem bie
SHeligion im bcftcn ^aüe noclj eine ©acl|e gefc^öftlic^er Slückfic^t
unb äußerer Dekoration ift. 3Iber nac^ bem 3lbftrtcl) biefer atter-»
bings rec^t großen ^ußenfeite bleibt in biefer ©c^ic^t eine ^tmen*
feite, auf bie unfer 9Bort oon ber l)offnungsöoUeren iJorm ber
5luflöfung gutrifft. Stnes ift auf biefer 3nncnfcite tro^ otter 2luf*
löfung geblieben — ber gute ^itte, es nic^t gang mit ber 3fleli*
gion gu ocrberben. 5)as ^onferoatioe bes SBauerntums unb —
kann man t)ingufügen — bes altcingefeffenen ©täbters bringt nac^
20*
. — 308 —
oHenCrfc^ütterungen bod^ rotcbcr ^litburd}. ©as rotrb nad) bcr furcht*
boren Ärlcgscrfafiruitg crft gan^ bcutlt(^ heraustreten; nton roilt nod)
unb barunt roteberbieSlefiglon. ©er neue ^elnt knüpft an ben alten an.
Um In biefcm ^Inpfungs« unb QBteberanfinüpfungsproäefe
Reifen unb führen ju können, bagu ntufe man oollenbs ben ge-
ft^l^tltc^en ^ntrotcfetungsproje^ ber legten 3at)rl)unberte kennen.
Ö^er elnfad) mit beuten bretnjufclilagen ober in Älagelieber über
ben allgemeinen 3lbfaII auszubrechen, roenn \id) bie (Entmicklung
nic^t in ben Sekenntnismec^anismus einfteöen läfet, ift Jor^eit
unb 3nangcl on Eingabe. 9Beiterfüt)ren unb ber neuen Sinbung
ben 9Beg bereiten, bas ift bie 3tufgabe. ©as erreid^t man roeber
baburd), ha% man bas 3llte in feiner SSortrcfftit^keit unb Unüber*
bietbarkcit in ben ^öc^ftcn Sönen fcf)ilbert, nod) baburc^, ha^ man
ben aufgeklärten Optimismus preift unb ben ^ortgefc^rittenen
morkiert. S)aburc^ ftörkt man ^öc^ftens bie Uebergangsftimmungen
bes großen ^luftöfungsprogeffes, bie, je nod) ber (gntroidilungslage,
mc^r nadj rückroörts ober nac^ oorroörts fdjauen. ©iefer ^rogefe
läuft — man braucJjt keine tJurdit gu ^aben, ha% er ins ©tocken
gerät. i?latürli(^ bringt es immer ben größeren ^tugenblidiserfolg,
ben 9Hcnfc^en gerabe bas gu fagen, mas fie in it)rem gegen*
roärtigen ^uftö^^c gerabe ^ören motten. Sie 3(ufgabe bes 9leli«
glonsoerkünbigers aber ift, i^nen bas gu fagen, worauf bie €nt*
mlcklung ^inbrängt. ®as ift immer mit einem geroiffen Uxi"
besagen für ben ^örer oerknüpft, weil es nic^t erleichtert, fonbern
binbet. ©iefe Qlrt ber 95erkünbigung gie^t, aber in einem gang
anberen ©inne als eine gern get|örte SBeftätigung eigener €rleb*
niffe: fie roedit oietme^r f(^Iummembe iDtotroenbigkeiten. $ier
muffen mir no<^ einmal fagen, ha^ atte religiöfe 95erkünbigung
pofitio, oorn)ärtsf(^auenb gehalten fein mufe, niemals apologetift^,
niemals kritifc^, fonbern immer energetifc^. Q5erkünbige bas 3tlte,
aber niemals, um es gu oerteibigen, fonbern immer fo, ha^ es
bcm §örer gang neue Verpflichtungen für bie ©egenroart offen-
bort. ®ei gang roeltoffen unb bem Steuert jugeroonbt. Ober niemals
mit einem 0eitenf)ieb ouf bas 93ergangene — 93erottetes gibt es
In ber Sieligion nic^t — , fonbern fo, bofe es als binbenbe
aHoc^t gegenroärtiger Slotroenbigkeiten auftritt. 3<^ ^öbe bie
JBeoboc^tung gemocht, bo^ bei biefer 3lrt ber 93erkünbigung fid^
309
bic fdjioäracftc Ort^obojtc, ber kraffcftc Slbcrallsmus unb bos
cjtremfte ©ektentum unter einer Äonjel äufammcnflnben. ©Ic alle
werben in i^rem oermeintlic^en religiöfen Sef^ftanb nic^t gcftört —
benn es faßt nie ein 3Dort bes Singriffs — , aber alle roerben
gesogen oon einer gel^eintnisoollen 3Hac^t guMnftigen fiebens, ber
audi ber abgefc^loffenfte unb eigenroiUlgfle SHenfc^ fic^ nlc^t ent*
gielien liann. ©ogu ge^rt freiließ eine grojje ©e^errfc^ung ber
religiöfen SJergongen^eitsepoc^en, beren inncrfte 2öne unb bcrcn
aJoUenbungsfe^nfuc^t roiberftlingcn muffen, unb eine grofec ©in-
gobe an bie SXotroenbiglieit ber gcgenroärtigen ©tunbe. ©as ift
aQes anbere als ®t)ntiretisntus unb Q3emtittlungst^eologie. <£$
ift geroi^ attes Qllte irgenbroie brin, aber es fügt fid^ au ber
rocrbenben ^uliunftslinie jufamnten. 5luf bies fiepte kommt alles
an. S>ic größte Uebenofc^ung, bie ic^ als ©rojjftabt^jrebiger er*
lebt fiabt, ift bie geroefen, ha^ trog bes furchtbar fc^roeren ^effi-
mismus, ber je länger befto mel)r mic^ felbft unb m^ine Sßrebigtcn
belaftete, *) bie ^örer mir immer mieber fagtcn: »2Bir beneiben
©ie um O^i^cn Optimismus". €s ift bas, was alle ©efc^öpfc
untereinanber unb an i^ren 6d)öpfer binbct, bie grofec Hoffnung,
bie nicl)t fterben kann. S)iefe Hoffnung kommt nii^t ous bem
9lic^ts, fonbem fie möc^ft ous ber 35ergangen^eit herauf, aus bem
Sebensftrom ©ottes, ber trog aller QSergmeigungcn eine (gin^eit ift
unb biefer ©in^eit immer roieber guftrebt. SBer bic ©ergangen*
l)eit nic^t kennt, kann niemals S^kunftsprcbiger fein. Qlbcr i^rc
Kenntnis barf niemals jur ©klaoerei werben, fonbem mu§ oon
hem entfd|loffenen SBiUen geleitet fein, bie Vergangenheit roeitcr-
aufü^ren unb äu ootlenben. S)abei fällt unmerklich oiclcs ab,
mar nur ©t^ale mar; bie lebcnbigen Gräfte aber wirken fort
QUan erfährt gerabe in ber roeiterfü^renben Slrbeit fe^r batb, boft
alle kompligierten SBekenntniffe ber 95ergangen^eit nie lebenbigc
gSolkskräfte waren, \a ha^ felbft ber Katechismus ni(^t weit über
bic ©c^ul* unb Äonfirmanbenfälc hinaus wirkte, ha^ aber bic
©prac^e, bie ©eftalten unb fiebcnskräftc ber 93ibel bas Icbcnbigftc
©tück bes fiut^crtums gerieben finb. ajlan fic^t immer wicbcr:
*) S>cr «pcffimismus bes 2. 95anbc5 ftammt nic^t erft aus beut
jtxiege.
— 310 —
h^t Sebcnsftrotn bletöt, aber bie äußeren ©c^atcn ocrtrocfencn.
9lun barf man fretltd^ ntc^t oergeffen, ha^ biefe Fortführung
bcr ©ebonfecnroelt fc^Kc^Iic^ nur ber ^lusbrudi unb bas antttcl
etncr inneren 9BtIlcnsfortbtIbung ift. 3lUc 2luflöfung religtöfer
95crgangcn^cttsbilbungcn burc^ bas (Brofeftabtlcbcn tft nur bas
©urc^gangsftabiunt gu einer neuen ^Billensbinbung. ©as ift ein
fe^r röbiftalcr ^rogefe, ber erft bie ^ei^en formen fancttifc^cr Ser«-
gangentieitsoerteibigung unb rüc&fi(^tsIofcr ^lufktärungsgerfegung
oerftänblic^ mac^t. 5)enn roas oont Sanbe ^ercinliommt, ift bcr
errooic^te fiöroe bes ^c^roillens. Ser bis gum t)öd)ften 3Zlifetrouen
^cgen aUe Steuerungen gefteigerte Srabitionatismus ber ®orf-
frömntigtieit etwa bes oftfriefifc^en 95auem um^üQt bod) nur einen
gang fanatifc^en ®igenn)iflen. ®iefc rechtgläubige ©orfreligion t)at
hod) aud) ni(i)t Icife ben ©tolg, ben Egoismus unb bie unfogiale
iÖefinnung bes 95auerntums angunogen oermod^t, fonbern fid) norf)
roie ein f(f)ü^enber ganger um bas alles f)erumgelegt. ©iefes
SBauerntum mar einer anberen QUetigion als berjenigcn bes per*
fUnlii^eh ©eliglteitsftrebens, bie t)ö(^ften6 einer pietiftifc^en (Er«
roeii^ung b. t). 6teigcrung fät)ig mar, übert)aupt nid^t gugänglid).
3lu5 biefem (gigenrooUen ftammt ber SRüdifall in ben Fanatismus
bcr ataoiftif(^en ©emeinben, aus it)m allein au(^ bas^incinftrömen
in bie S^^^feiittO ^^^ Q^^i inbioibualiftifd^cn 5luffelärung. ©ie
Seibenfc^aftli(i)feeit bes Kampfes gmifcfien ben „9lic^tungen" ift nur
ein 6i)mptom bafür, ba% ^ier ein gang harter 9BiUe gegen feine
Ueberminbung Kämpft. 2lber burct) ben menf(f)cnmorbenbcn Strubel
ber ©ro^ftabt wirb er überrounbcn, märe er aud) in, }a^rgel)ntc*
langem Kampfe überrounben roorben, roenn ber ^rieg nidit ge*
Itömmen märe, ©er ^at nun freiließ bie akute ^rifis fe^r oiel
fdjneHer l)erbeigcfüt)rt, als 9nenfd)en at)nen unb f)offcn konnten,
^n einem «punkte ift biefer SBillc bcfonbers ^art getroffen morben:
an bcm großen Opfer, bas er in ber nad)macf)fcnben 3w9ßn^
bringen mufete. SBieoielc perföntic^e Hoffnungen, mieoiel ^amilim*
ftolg, mieoiel eigenroittiges Sukunftsftreben ift Ijicr gebrochen roorben!
©as 3lleffer bes ©c^ickfals traf ben gcntralften ^nkt bes tanb-
gcborenen F^milienegoismus.
. ©enn für bie ^nber arbeitete, oerbiente unb ftrebtc ber
Sauer, aud) noc^ bcr in bie 6tabt geroanbcrte. ^n feinen ^inbcm
— 311 —
liutmtmerte fein 3«^ftoIä. frcttic^ in bcr 3(rbcit für fie erlebte er
auä) bie erfte Hmbicgung in bas foätale 9BoIIen. ;$)er Slatur*
brang, für bie nac^roac^fenbe ^WQ^"^ h^ leben, ^at i^n fogar ben
erften ®d)ritt aus him ^amilienegoismus Ijeraustun laffen —
fdEjon in ^riebcnsgeiten. ®em ©täbter als foldjem gob er nid^ts,
wie er überf)aupt — abgefe{)cn oon ben gefellf(f|aftli(^cn ©tanbes*
t)erpflid)tungen ber „^of)Itätigfeeit" — nie etroas abgegeben i]at.
^ber ber äu i^m ^inausroanbernben ^ugenb gab er — wenn
fie nicfit burc^ ungehöriges 95etragen feinen ©tolg feränftte — nic^t
nur bas 6trot)lager in feiner ©dieune, fonbern auc^ 93rot, ©(^infeen
unb 3nil(^, fooiel fie rooEten — oft genug umfonfti — unb, was
bas 9Keifte roar, feine lebenbige 9Hitfreube. 5)as ©eft^öpf ent=»
rinnt nicf)t beut S)ienft bes ©djöpfers. ^^^Ö^^^^^ I^Ö* ß^ ^^^
an ber 5(ngel bes lebenbigen Oottes feft. ?lun aber trof ber
lebenbige ©ott norf) fo fc^ntergtic^ f)art biefen perfönitcfien ^unfet,
an beut er fdjon angefefet t)atte, unt if)n nun oottenbs an bie
anitroelt brausen gu binben. 5)er ^unlit, an bem bie Sßelt
bes S^wJtUens pralitifcf) gur ©efunbung unb ^ut neuen
SBinbung geführt werben wirb, ift jefet unentrinnbar bie
na(^n)ac()fenbe 3"9ßJi^ geroorben. §ier wirb ber neue (Ein^eits«
miöe prafetifdj erroat^fen, ouf hm bie (gntroi&lung ^inbröngt.
<3UU.t bie neue 3"9ßn^ ^^ ^en 2HitteIpunfet aUer ©ebanfeen, unb
eure 93erfeünbigung roirb fieg^aft aUe gegenroirfeenben Gräfte ber
3luftöfung überroinben unb ben neuen ®inJ)eitsn)itlen t)crauffüt)rcn.
3n ber 5trbcit für bie S^genb wirb bie ftarre Orttjobojie lebenbig
unb roettoffen, bcr gerfe^enbe Siberatismus aufbauenb unb oer-
gangen^eitstreu werben; benn in ber S^genb putft ber fiebens«
ftrom aus ber Vergangenheit in bie Suliunft, in ber S^genb lebt
bcr (gtn^eitsrolöe ber ©egenwart. ^n ber Eingabe an fie wirb
bas 35erfenö(i)erte roeit^ unb bas 93erfprül^enbe feft werben. Slur
aus ber ^u^ii^ft kommt ber ewige QBille bes lebenbigen ©ottes
ba^ergefd)ritten. QBas oor it)r fic^ bewährt, bas bleibt; was il)r
bient, bas wirb fiegen.
5)a^ wir in ber S^iößitberäie^ung oon ber 95ergangcn^eits»
rcligion garniert loskommen, t>a% it)r gegenüber eine in bie fiuft
gebaute „95emunftreligion" gerabeju lüi^erlidi wirkt, wirb uns im
olcrtcn 2lbfcl|nitt ausführlicher befc^öftigen. 3lbcr bie Söerantwortung
312
für bic 3ugcttb arotngt and) bas 3lltcr, bcn 93Ucfe oon feiner „per-
fönltc^en ©eltglictt", oon ber gur SDoHenbung ftrebc^ben (Etnäcl-
fcete, oont Kampfe um btc „reine fie^re", oon ber gangen 3^1"
rtffcn^ett „perfönllc^er" ©tanbpunfete fet)r cnergtfc^ abgulenlien unb
ftc^ auf ble ©runbpftic^t aller Sleltgion, auf bte gro^e Eingabe
gu befinnen. 5)enn alle jene formen egotftlfc^er triebe tnüffen
unbebtngt gerftörenb auf bte 3ugß"i> rotrfien. Sie forbert bie (Ef)r=»
furcht t)or ber 33ergangen^eit, weil in i^r felbft bie 95ergangent)eit
njicber auferftet)t, fic forbert aber auc^ ben (Ein^eitsroilleh für bie
©egenroart unb bas ©it^felbftöerlieren an bie Sufeunft. ©ie roirfet
im pd)ften ©innc konferoatit) unb bodj gugteic^ im ^ö(^ften ©innc
fortfc^rittlic^. SBos ängfllic^ ficf| an bie SRec^tgläubiglieit ber 95er*
gangen^eit lilammernbe €ltem an ©egenroirfeungen in ifjren ^inbem
erlebt ^aben, baoon roeife bic ©egenroart genug gu ergötilen, unb
was bte ooDe 9fleligionslofiglieit unb ungebunbene ^luflilörung an
ben Äinbem cerfäumt t)at, bürfte unferm Zeitalter auc^ langfam
bömmem. Stur bie lebcnbige, non aller äußeren ^ormenfklaocret
freie SBinbung an ben eroigen 9Billen roirlit in ber 3^196"^ fott,
bie ängftlic^ gel)ütete ©efe^lic^fieit roirb immer oon i^r gefprengt,
bie „S)reffur in ^reiticit" aber fü^rt in ben 3lbgrunb ober $n
einem ©egenfc^lag ber gefunben SHatur. S)afe ber Sigenroille in
jeber ^orm, ob roirtfc^apc^, ob geiftig, ob fittlic^, ob religiös,
ftc^ in ben ^luc^ für bie nac^roadifenbe 3«9ßnb oerroanbelt, bürfte
bur(^ bas Seitalter bes ©rofeftabtauffc^rounges unb bes 95ölfeer*
fericges bem nädiften ^a^rtaufenb als lebenbigfte Crfatirung ein*
ge^mmert roorben fein, ©as Seitalter ber ©efc^ic^tslofiglieit unb
bes ©cfc^ict)t5fanatismus roirb allein burc^ bie 3lrbeit an ber
3ugenb ^inübergefüt)rt roerben in bas Seitalter gef(^ic^tttc^cr Sreue
unb organifc^ roac^fenben tJortfc^ritts.
^
2. S)tc fosialen ^ertDirklidöungsftufcn.
S)ie gcfc^l(i)tlt(i)cn ficbcnsftufcn roirkcn ttoc^ in einem onberen,
bem ^tuge firf)t5areren ©inne in bie ©egenroart hinein. 3" ^^^
fogialcn 6rf)i(^tiingen roirb i^t Stadjeinanber fogar gunt SJlcben-
einanber. ©ie toglolen Sd)id)ten finb nid^t etroo, wie bcr auf*
gelttörte, attes nioeHierenbc ^"biotbualismus meint, eine fiösmifligc
€tfinbung f)errf(f)füd|tigcr SHIenfcfien, aud) nidit überlebte SHefte
ntcberer ©ntroicfelungsepocficn, bie burd| bie ®ntbecftung ber att»
gemeinen SHenft^enroürbe überrounben finb, fonbem nidjts anberes
als ein ftets gegenroärtiger 3(u6bru(Ä bes eroig gültigen (Ent*
roicfelungsgcfe^es, bas fic^ auf keine 3Deife „abfc^affen" löfet, bem
oielme^r aUcs Sebenbige ge^orc^en mufe. (Es ift ein ®eroeis bafür,
roie roeit fi(^ bcr ^nbioibualismus uom fieben entfernt t)at, t>Q%
man allen Smftes baran gebadet ^at unb no(^ baran benlit, bas
allem Qehm inneroo^nenbe Cntroic&lungsgefeö felbft aufju^eben,
inbem man alles Sebenbige, roenigftens foroeit es 9Ilenf(f)enantli§
trägt, auf eine ^läc^e gu gießen fuc^t, eine erneute Seftätigung
für bie QBa^r^eit, hQ.% aller Sn^ii'ii^iiölismus bcr organificrten
S^obesftarre guftrebt unb bie organifc^c ©ntroidilung bes fiebcns
abmü unb auftöft.
9Bo immer roac^fenbes fieben roar, gab es -auc^ fogiale
©d)icl)ten. tJreilic^ ftonben bicfe immer in organifc^cm Sufammen*
l)ong unb in tebenbig fortfc^rcitcnbem 2lustaufc^ mitcinanber.
®rft bem S^italter bes ^nbioibnalismus ift es oorbe^alten geroefen,
bie Icbenbigen Schichtungen in „klaffen" gu ocrroanbeln, b. ^. bie
lebcnbigen S^öroänbe, bie bem 3lustauf(^ bienten, gu einem ah'^
geftorbencn, Dcrljärteten ®en«be gu ocrbirfien, burc^ bas nic^t me^r
bie Säfte ftrömen, fonbem an bem fie fic^ ocrgcblic^ gerreiben,
um fc^lie^licli aus 2nongel an lebenbigem ^äftecrfag ousjutrodmen.
S)ie klaffen« unb Stanbesgegenf{!^e, bie gefcUfc^aftlic^cn Sc^i(^ten,
314
bte ©onbcrocrtretungen unfcrcr 5:agc ftnb gornit^ts anberes als
bas m f(f)ncU ftcigembe ©gmptom ber atlgemcinen Xobesftarrc
bcs ©cfcUfctiaftsfeörpers. 9Htt ber tectintfc^ organifierten Srftorrung
roac^fcn bte Inneren ©egenfäge unb bic (Erregungsäuftftnbc ber
aßgemcinen 95erfealfeung.
Safe ble QUettgion aus btefer ^rt ber f oktalen ©ctjtc^tung
keine ©eftc^tspunltte für t^re wirbelt ^olen kann, liegt auf ber
§anb. 3^^ 2tnliegen ift es oielme^r, fie mit aEen SÖIitteln gu
bekämpfen unb aufgulöfen, um bie SBa^n für bie gefunbe fiebens"
entroicklung roieber frei ju machen. *) 5)aau mu§ fie aber bic in
ber ©d)öpfungsorbnung felbft liegenbe ©(i)id)tung um fo klarer
ins 2tuge faffen. 2lUcrbings finb bie einer äunet)menben (grftarrung
an^eimfaUenbcn fogiaten ©d^ic^ten ber ©egenroart nod) Slefte
gefunber Scbensepodien. 3Im beutlidjften geigt \iä) auf bem Sanbe
in bem gum 5eil nod^ oortjanbenen patriarc^atifd^en 95er^ältni6
groifc^en b^m ^JeuboIIjerrn unb feinen SBeifoffen noc^ ein 3left ber
alten oerpflic^tenben Staturbinbung. ^reilic^ nur ein 9left! Senn
au(^ t)ier ^at bereits bas 3led)t bie ^bgrengung oerfeftigt. S)ie
95erbinbung ge^t nur no(i) „über ben goun". 3Ilit Staturnot«
rocnbigkeit führte biefe ftarre 5Ibgrengung gum ausfd^roärmenben
3ubit)ibualismus, ber fic^ in ber Slbroanberung gur Orofeftabt
feinen 9Deg fudjte» S)ie leifefte 93crkalkung entroidiett fid^ immer
weiter bis gur oollcn fogialen 3luflöfung — bas ift ber uncrbitt«
Iid)e 2Bcg ber eroigen yiatux. 3" bet ©ro^ftabt fretlicfi fanb ber
3inbir»ibuati6mu6 nur fd^einbar unb für ben erftcn ^lugenblidi bm
freien ^ustaufd) ber Gräfte roieber. Sie ^üufd^ung bes Qlmerika-
nismus, bo§ bie ^Jrei^eit bcs eiitgelnen bie „freie 95at)n für ben
3:üd)tigcn" fc^affe, bürfte im ^eitatter ber S:rufts unb ber ^on*
kurrengklaufeln beutlic^ genug gero.orben fein, gang gu fc^roeigen
Bon ber großen 95ergeroaltigung unb 3foßß^ii"9 bix tüct)tigen
^aft, bie ber SSöIkerkrieg barftellt. S)er Snbiuibualismus fefetc
ous fid) heraus fe^r oiel ftarrerc SSlauern, als fie bie anma^mb\te
^eubal^errfc^aft ie aufgerichtet ^atte. ®er fogiale Qlbgrengungs*
roiUe ift im S^ttatter ber ^laffenkämpfe, ber ^arteigeroalten, ber
„gefellfd)aftliii|en Verpflichtungen", ber ^lubs unb bes nationalen
♦) Sögt, ben 2. 93anb.
— 315 —
g3oi)fiotts fc^r olct brutaler, als er in ber Spo(f)e bes nitttelaltcr*
liefen Äirc^en«, Tibets« unb Sunftroefens je geiDefen ift. 3« ^^^
©ro^ftabt ift auä) nod) ber le^te SReft bes fogiaten ^tustaufc^*
roiHen^, ber in hm 9BoI)Itätigfeeits5ebürfniffen ber 95ergongenf)eit
nod^ ein Iiümmertid)es Safein behauptete, gefd^rounben. S)ie or*
ganifierten 9Bof)lfa^rtsbeftrebungen ber ©egenroart, fo grofejügig
unb bas SRedit bes eingelnen ancriiennenb fie aud) bem oberftä(^=»
lictjen 95ticfe erfctieinen, finb bodj bie Sobesftanc bes QBiUcns
äum lebenbigen 5lustauf(^. 3Bie i^re legten Snotioe aus
bem SigenrooUen fliegen, fo bienen fie tatfä(i)lid) ba^u, ben foäialen
SDillen nur noc^ me^r gu befcitigen unb gu germürben. Xcc^nifc^e
hülfen finb ftein ©rfafe für ben lebenbigen 3lustaufd)n)iDen, roeil
unter it)nen bie einzelne ©(f)id)t innerlid} bleibt roie fie ift. Stur
in ben ©(^ii^ten, bie fid) aus ber 95ergangcn^eit nod) einen alten
fiebcnsabel unb einen klaren Q^Iidi für 95oIfesäufammen^änge be»
voai)xt ^aben, lebt nod) ber 2BiIIe, mit anberen 6d|id)ten in
lebenbige ^ü^Iung gu treten. ®r mu^ freilict) in ber gcfellfdiaft*
lid^en ©Maoerei ^art genug um feine ©jiftenä kämpfen. S)er
normale mand)cfterli(^ gefinnte ©rofeftäbter ^at fid) in fo enge
gefeßfc^aftlic^e 95erpflic^tungsfeffeln gefdjlagen, ha^ er bui^ftäblic^
in einem Qtffenfiäfig fi^t, um bort, bem ©ränge feiner 95orfa^rcn
folgenb, möglii^ft auf ben ^8rf)ften ^unfet gu klettern, aber aud)
oon bort aus ni(^t bemerkt, ha^ er immer nod) im 3lffenkäftg
fi^t. SBas man in ber ©rofeftabt nod| ©tanbesberoufetfein, ©tanbes«
oerpflic^tungen, gefellfd|aftli(^e Srgieljung nennt, ift eine ^arrikatur
öfterer gefunber ^flid)tbegriffe unb ein ©emifd^ oon (Eitelkeit,
Unfelbftönbigkeit, 9lnmafeung unb Unfähigkeit, bie ^ufeenfeite bes
fiebens gum 3lusbrudi rourgel^after ^äftebinbungen gu machen.
S)cr öu^ere ©d/ein, bie tote '^otm, bie fjeig^eit unb bie fiügc
I)aben alles ©efunbe überroudiert.
Siefe (Entroidilung ^at nid)t etroa nur ben untcme^menbcn
911ittclftanb unb me^r unb me^r auc^ bie t) öderen ©djic^ten, ja
felbft bas 95eamtentum ergriffen, fonbern finbet fid^ gang ent«
fprec^enb auc^ im fog. oicrten ©taube. €r f)at bem ©taubes*
berou^tfein ber anberen ©(^ic^ten fein „^taffenberou^tfein* cnt«
gegengeroorfen unb auf biefe 2Beifc fein 9lcc^t an ben großen
Affenkäfig behauptet. (£r oerurtcitt genau fo mie bie anbern
— 316 —
©tänbe olle ©c^id^ten mit anbercn Scbcnsaufgabcn, anbcrcit ©c*
roo^n^etten unb anbercr ÄIcibung, nur mit feräfttgercn 9lusbrücfeen
itnb elementareren moraltfd)en ^Inroürfen. S)te grojge ®pHtterfud)t
ift atigemein. 9Bir l^ah^n in ber ©rofeftabt keine lebenbige foäiale
6«^id|tung mcfjr, beren SBefen im organifdjen ^ufoinmentjang nnb
ftetigen ^lustaufd) liegt, fonbem nur no(^ abgeliapfelte ©ruppen,
^irtfc^aftsgruppen, ©efeßfc^aftsgruppen, SBerufsgruppen, ^ortei«
gruppen, ©tanbesgruppen. ^tht ©ruppe fiet)t in ber anbem, bem
innerften S)range bes 3"i>i''i^itali5mu5 folgenb, a priori i^re
Seinbin unb läfet fic^ mit it)r nur inforoeit ein, als es i^ren per-
fönlic^en ^ntereffen gutröglic^ ift. (£s finb «profitfeontralite auf
^nbigung, bie ^ier unb ha gefd)Ioffen roerben, keine unauflös«
liefen Sebensbünbniffe. *)
S)urc^ biefen 9Birm>arr oon ^ntereffengruppen, in bie bos
foäiate fieben immer ftärker äerfäUt, äiet)en nun atterbings, ^ler
unb btt no(^ beutlicf} firf)t5ar, bie 6(^icf)tungslin{en bes Icbcnbigen
foglalen Körpers, ber ber eroig gültigen unb immer roieber fic^
burdife^enben 6(i)öpfungsorbnung entfpric^t. ^^nm allein f)at hh
3leIigion nat^gufpilren, fie f)at fie jur ©eltung gu bringen in
it)rer umfc^affenben unb neubilbenben 3lrbeit. ^Itterbings ift biefe
lebenbige foäiate Struktur, auf bas (£inäelgeroebe gefetjen, äufeerft
kompliaiert — ber unenblic^en ^üllc bes fiebens entfprec^enb.
$ier wirken unb roeben Gräfte ^bes QSoIkstums, ber Slaffe, bes
©tammes, ber ^amilientrabition, ber Serufsfc^ulung, bes (Einäel*
fd^ickfals unb oiele anbere burc^einanber. Stber hutd) bicfes bunte
©ingelgeroebe laufen ©c^ic^tungslinien, bie bie fiebens ftufen
im ©inne ber großen ©efamtentroicktung, bie um bas religiöfe
Urerlebnis kreift, kenngeic^nen. ©ie finb mitten in ben taufenb
©eroebelinien ber oben ermähnten 3lrt bie Icbenbigen ®ntroi(klungs«
Knien, bie bas ©anje be^errfc^en unb roeiterfü^rcn. ©inb
iene bie ©eftaltungs*, fo finb biefe bie fjü^rungslinien bes fiebens.
*) ^ud) bet nationale ©ebanke kann ntc^t erfegen, was nur aus
eimm gefunben ®efamtlebensn»illcn flicken feonn. 3^ ber Scbcnsnot ber
9lation tauchte allerbings nod) einmal bie ^oft bes alten ^Bolkspfammen«
Ranges aus ber Xlefe, aber er rourbe je länger bcfto me^r oud) im ^ege
5um ^rofttkontralit, ber fi(^ muffelig genug eine aeitlang gehalten ^at,
bis er gonjlid^ jerbrac^.
— 317 —
©ie ©cftaltungslimcn rocdifcln in bcn ocrfd^iebencn fogiQlcn Körpern
unb geben i^nen bas bletbenbe c^atafetertfttfcfie ©eptögc, blc
5üf)rungsltnicn kel)ren überall roteber unb begelt^nen ifjren xoaä)5*
tümlt(^cn (Entroidilungsftanb. 3cne gelegnen ble ru^cnbcn £luoUf
täten, btefe geigen bie lebenbigcn SBac^stuntskräfte an.
3l(f)ten n)ir auf Mefe fiinien ber öornjörtstrcibenben €nt*
njicIiIungsKräfte, fo fe^en rair in jebem fosialcn Körper, |ber noc^
nic^t gänäli(^ bem Slbfterbcn ocrfalten tft, ringfönnig umeinanber
gelagerte 6(^id)ten, bie »erfc^iebene ©tabien ber fiebensentroidilung
barftettcn. (£ine breite ©(^i(^t ber 9laturgebunbent)eit
umlogcrt bas ©onje. 6ie ftellt bie am roenigftcn burc^gebilbete,
no(^ relatio d)aotif(^e Urferaft bcs Sebens bar. S)er ungebro^ene
iJonbs körperlicher ^raft ift i^r Kapital, ber junger unb ber
fejueHe S)rang finb i^re treibenben 3näc^te. 3lus i^r quillt bas
immer fic^ »erjüngenbe fieben roie aus einem geheimnisvollen
Urborn. ©ie ift ber oegetatioe Untergrunb aller foaialcn (gnt*
micitlung. 6tirbt biefe ©c^ic^t ab, ober roirb fie burc^ irgcnb*
roeli^e lebensfcinblic^en Gräfte ocrgiftet, germürbt, ausgebörrt, bann
ift es um ben gangen fogialen Körper gefd)e^en. Sie ift freili(^
ungemein Iebensfät)ig. 3leu§ere 31berlaffe oermögen i^rc Sebens»
kraft n\ä)i gu- brecljen. '^n i^rem c^aotifc^en ©emin unb i^rcr
Ungegügelt^eit ge^en tatföc^lit^ taufenb ©ingelkeimc gu ©runbc.
3lber fie fc^afft bafür ge^ntaufenb neue, ^uc^ finfeen aus ben
Rotieren fiebensfc^ic^tcn bauemb abgefplitterte Gräfte in fie gurück,
aber aus i^rcm ^ejcnkeffel fteigen fie irgenbroie geläutert unb
mit neuer oegetatioer ^aft ocrfe^en mlebcr empor.
3n biefer ©d|ic^t t)at bie Qflcligionsftufe, bie 3ßf"5 oon
Stagarett) oerfeörpert, nod^ kein ^cimatredjt. S)as beginnt crft
bort, mo ber ^unke feiner göttlichen Sotfc^aft auf gebüßt ift, bafe
„ber ancnfc^ nic^t oom SBrot allein lebt." S)amit ift freiließ noc^
lange nic^t gefagt, ha% biefe 6c^icf|t t)):)m Sleligion ejifticren
könnte. 3m ©cgentcil! S)ic ©efunbt)eit biefer ©c^id^t t|ängt
unentrinnbar baoon ob, ^a^ in ben übergeorbneten ©(^ic^tcn hit
^äfte ber Sleligion entfc^eibenb t)errfcJ)en. 3ft i'ös nic^t ber tJaH,
bann fickert Fäulnis unb ©ift in biefen 9laturuntergrunb ^inab
unb tötet feine ^eime ah, e^e fie gur weiteren ©ntroicklung ouf=»
märts bringen können. 3n bicfem ^c^ften unb entfd^eibcnben
— 318 —
©innc ift biefc 6dE)t(i)t fojiat abt)öngig: ot)tte bcn lebenbigcn
^räftcaustoufc^, ber t^re ^lufroärtscntrotcfelung fiebert, 'fttrbt ftc ober
wirb gum oulkantjc^cn Hntetgrunbc, beffen ©mpttonen ottes ficbcn
ocrmd^tcit feönnen. 6elbft itod^ innerti(^ ungegügelt unb nur burc^
gerotffc ©djrankcn. ber Statur gcbänbtgt, bebarf fie unbebtngt ber
formcnben, ^^oltenben, fü^renben Gräfte ous einer oberen QBelt.
®as ift ntct)t ttwa eine aufgegroungene 93eoormunbung. (Sine firf}
bicfer Staturfdiit^t anbietenbe ^üfjrung, bie irgenbroelt^e bem
tnnerften Staturgefeg roiberfpredjenbc egotfttfd)e giele oerfolgt, rcirb
fdinctt als betrügerifct) gewittert unb erntet balb 2lble^nung, SBibcr«
fprudj, §a§. 3^ Zeitalter bes ^^i^ii'töitalismus ift bas fefjr
beutli(^ t)eroorgetreten. S)ic 5luflef)nung ber Sölaffen gegen jebc
^orm ber i5üf)rung, bie bem Sigenroillen entfprungen ift, l)at
fe^r reale Sfloturgrünbe. ©in entartetes ©efc^Iedjt bes ^«^wittens
f)at kein 3lec^t, fic^ über smangel an 5Iutoritätsgefü^t unb q3ietät
gu befdjroeren. ©s foU an feine eigene SBruft fdjlagen. ©s f)at
feine ^ü^reraufgabe mifebroui^t unb bie 9latur gu betrügen oer»
fud^t. 2lber biefe lö^t fid) ni(^t fpotten.
Satfäctjlid) TOO^nt in biefer naturgebunbenen llntcrfcf)i(^t
oEcs fogialen Sebens ein fet)r ftarkes '3lutoritätsbebürfnis. 6te
brängt pr geiftig überlegenen ^ü^rung t)in unb unterroirft fic^
it)r, wenn fie ect)t ift, roillig. S)er gerabegu btinbe ©laube an bie
92ta(^t bes QBiffens t)at ^ier feine OBurgeln. ®er gröbfte 93auern=»
junge beugt firf) oor feinem fie{)rer, roenn biefer roirklid) geiftige
©tsgiplin beft^t. S)er formlofe SJlenfrf) erkennt immer bie lieber*
legen^eit ber i5ot"^ßii^ß^c^i^f<i)uitg an. ®ie ©(^einbisgiplin unb
bie ©c^einform bagegen mirb frf)nell burc^fc^aut unb erntet bann
^rec^tjcit unb oöüige guc^tlofigkeit. 5)abei tut es garnid|ts ^m
6ad)e, ha^ bk ^oxtn unb it)r ©inn nod) nid^t oöüig oerftanben
roirb. ©erabe bas ^rembartige fc^afft bie 3lutorität. S)enn bie
Slaturgebunben^eit trögt in fi(f) bas ©efüf)I, ha^ fie über firf)
felbft t)inausroad^fen unb bat)er ^^^embes lernen mufe. §ier liegt
eine roic^tige OueUe ber 3lutorität ber mit gang unoerftanbenen
formen arbettenben römtfrf)en ^irrfjc. '^n bem „ultra montes"
liegt eine ge^eimnisooEe 5tnäiet)ungskraft auf bie QHaffe. QBittert
freiließ biefe in bem ^rembartigen ben Egoismus, bann roe^c ber
^ü^rung! S)er rabikatc Abfall bes 95olkes oon ber römifc^en
— 319 — '
^trcJ)e in bcr S^tt bcr Sieformatton f)at in biefer QBtttcrung feine
tieffte Urfac^c.
Siefc Statumtaffe läfet aus inncrftcnt ©ränge it)re 3ii9C"^
„etroas lernen." 2DetI fie fü^tt, was it)r fe^it, foU bie roeiter«
brängcnbe ^itöcni» ^^^f^ Südke ausfüllen. SHit roas für einer
(£l)xpitd)t unb Erwartung fc^aut bas ungebilbete fionboolk auf
bie garteren unb „inroenbigen" 9laturen unter feinen nac^roadifenbcn
^inbern! (gs wirb niemals gelingen, biefer Slaturfdiic^t bie lieber*
geugung beizubringen, ha% ber 93eruf bes fietirers ober bes formen*
gen3anbten $anblungsget)ilfen barum weniger erftrebensrocrt fei,
metl er n)irtfd)afttid) nid)ts abmerfe. S)er 5)rang äu ben geiftigen
^Berufen ift ein Staturbrang. ©o wirb fi(^ aurf) niemals in biefer
6rf)id)t bie 3ld)tung oor ben geiftigen Sßerufen ausrotten laffen.
i5reilid| gilt bies ©efefe nur, folange bie llnterf(^i(^t innerlid^
gefunb unb lebensftarft ift. (Erfüllt, mie es in unferen klagen bcr
^att ift, bie näc^ftfolgenbc fogiale 6if)lct)t nicl)t i^re ^flic^t, fo
gerät es ins QBanfeen, mit i^m aber auc^ bie gefunbe ©ntroicfelungs«
feraft ber Unterfi^idlt. 9Bir Iiommcn barauf gleit^ gurüdi.
®ie '2Iufgabe ber Sleligion gegenüber biefer ©(^ic^t ift klar.
6ie wirb fie niemals gang burct)bringen, fie roirb fie aber auf*
roärtsgie^en unb führen können. ®ie pcf)fte ©elbftlofigkeit ber
3trbeit, bie and) nidjt leife einer 9legung fclbftfüj^tigen OBoIIens
nachgeben barf in bem Sinne einer SBeoormunbung gu ©unften
irgenbroelc^er 6taats*, QCirtfc^afts*, Partei* ober Sigenäroecke, ift
gegenüber biefer 6d)i{^t bas ©runbgefeö alles ^anbelns. Sic
fclbfttofe Sat ber ^elfenben, beratenben, fü^rcnben, formenben Siebe
kann allein ben ©runb gu aller roeiterfü^rcnbcn Qlrbcit legen.
S)ic 9Bciterfüt)rung felbft aber kann nur in ber nac^roac^fcnbcn
3ugenb anfe^en, oon ber biefc 6(^id)t roitt, ha% fie „oergciftigt"
roerbe. 3" i^i ober roirb fie nur bie für bie 2lufroärtsentroicktung
reife 2luslefe, ben gum ©eiftigen ^inbröngenbcn Äem faffen können.
Äurg muffen mir ^ier nun auf bie '^xag^ eingeben, ob bicfe
naturgebunbene Unterft^ic^t bes lebenbigen jovialen Körpers mit
irgenb einer ber „klaffen* ober „©ruppen" bes mobernen ©c*
feUfc^aftskörpers ibentifc^ fei. 3Dir muffen fie mit einem glatten
9lcin beantroorten. 2öer etroa meint, roir t)ötten bei biefer ^4le^t
bie 2lrbeiterkloffe ober bas ^roletoriat ober htn oicrten ©tanb im
— 320 —
5tuge, ift fel)r auf bcm ^olarocgc. *) Unter blcfcn ^otegoticn bcs
mcdfantficrtcn ntoberncn Sebens gibt es gerolfe bicle Sßertrcter
bicfer ©(^t(i)t, aber id) roage ntd)t gu entf(^etbcn, ob nit^t tn bcm
fogcnannten 91ltttelftanbc bcr ©rofeftabt no(^ mtijt t{)rcr Vertreter
gu flnben finb. Crroö^nt I)abcn lolr fd^on, bafe fclbft aus bcn oberften
©d|irf)ten, Ijter nun im mobcrn«gefettf(^aftIld)cn ©innc genommen,
baucrnb 9Henf(i)en auf btefen 9laturuntergtunb gurücfefinken bejm.
nie über il)n hinausgekommen finb. 60 einfocf) unb fdfematifd),
mie \id) ber moberne 9Birtf(^aftspoIitifeer bie 6a(^e benkt, finb
bie QBege ber erotgen Slatur nid^t. „S)er ©eift n)et)et, roo er
miß," aud^ in ber ©rofeftabt. (Sx flribct fid) in ben arbeitenben
klaffen genau fo wie in ben fog. freier geftellten 6d)ic^ten. (£5
roöre auc^ ein Unglücfe, wenn es anbers märe. S)er 3lrbeiter
braucht feine 5üt)rer im geiftigen unb fittlic^en ©inne genau fo
mie ber felbftänbige ^anbmerker, ber Unternehmer unb ber 956=»
amte. S)ie fiinien ber eroigen 6(i)öpfung rid)ten fi(^ nid)t nac^
ben 3nauern menfd^Iic^er (£igenfu(i)t.
Raffen roir nun bie groeite ®(i)id)t ins 5Iuge, fo muffen mir
fie, wie es im 93is^erigen fd)on angebeutet mar, als bie form«
gebenbe djarafeterifieren. ©er orbnenbe unb planmäßig ftrebenbe
9BiIIe offenbart t)ier feine Ueberlegen^eit über ben bafjinroogenben
Sricb. §ier roirb erftmalig bie 3lrbeit, bie in ber naturgebunbenen
Unterf(^i(^t unter bem ©rurfi bes 6elbftcrt)attungstriebes getan
roirb, gum roiUig unb freubig gefud)ten fiebensinl)alt. 3)ie giet«
beroufete ©trebfamkeit be^errf(^t bas fieben. ©as 5)afein in
Häuslichkeit unb ©efelligkeit geroinnt ©til. SÖIit ber ©parfam»
keit fe^t ber orbnenbe ©inn ein, in ber roo^Iabgeroogenen unb
oorroärtsf(^auenben ©eftaltung bes fiebens oottenbet er firf). ©er
Äinberergie^ung roirb roarfjfenbe ©orgfalt gugeroenbet. S)as rein
Xriebt)aftc roirb met)r unb met)r auf allen Sebensfeiten gebönbigt
unb äurüdigebröngt. S)ie SBegie^ungen gur Sölitroelt nehmen ge*
regelte unb peinti(^ innegetjaltene tjormen an. 2Bät)renb man in
ber Unterf(^icf)t „fi(^ fdilögt unb fic^ oertrögt" unb fitf) gang natur^aft
*) Qtls fctbftocrftänbltd) fege id) »oraus, bofe buri^ biefc Unter*
fu^ung bes fojialen Körpers kein Urteil über ben rcligiöfcn 2Bcrt bcr
etnjclncn 6d)t(^tcn ausgefprodjcn roirb. ©as ©letj^nis oon ben Slrbcitem
im ^Beinberg ^at unbebingte ©ültigkett für alle @cf)id)ten.
— 321 —
In ber UmtDctt äurcc^tioü^tt, tft man ^icr fcl^on forgfältig in ber
^tusroa^l ber 9Henfc^en, benen man ftc^ an|d)tte^t, Ic^nt ab unb
pflegt um fo aufmerkfomcr bie für rtcfittg erkannten 95eäte^ungen.
9tod| hmkt man im ©mnbe genommen gong egotftlf(^, biegt aber
bcn Egoismus f(i)on überall um burdj 9^üdiftc^tnal)me, ©eföHig»
ketten, gefeUfc^aftltc^c ^Jo^ttcn. 5)ic finnlic^en SBcbürfntffe bes
fiebens merben auf bas redjte QHafe bcfd)ränlit. '2lus allen fiebens*
öufeerungen leud^tet lieKer unb geller ber formgebenbe ©ctft heraus.
5)ie SDürbe unb 6ttte verklärt bas Seben.
3Han tft geneigt, biefe 6c^tcf)t ots 3ntttetftonb gu begeic^nen,
unb fte nimmt aud^ tatföc^lidl bie SHlitte äroifc^en ber natur^aften
Unterfc^ic^t unb ber gleich gu befc^reibenben britten fojialen 6tufe
ein. 3lber man mufe fid^ fet)r ^üten, biefe 6(^i(^t mit bem ^eutc
fogenannten 3nittelftonb ber ©ropabt gu ibentifiäieren. ©ie ^at
in ber Slrbciterfelaffe bereits gang ousgeprägtc 95ertreter. ©ort
flnben fiel) Familien oon einem ftarfe bmdiQebilheten Drbnungs*
finn. S)ie fauberen ©arbinen, bie blenbenb roei^e S:ifcl)becfee, bie
roo^lergogenen ^inber, bie unermüblid^ tätige Hausfrau, ber ftrenge
^omilienoater, bie 6onntogsnac^mittagc mit Familien* unb S8e»
kanntenbefud^ um ben ^affeetifd) ober in ber freien 9latur, bie
forgfältig burc^gefe^enen ©d)utarbcitcn, bie überlegte 95erufsn>oI)I
ber ^inber, bie ^Screinsäuge^rigfeeit, bie klare politifc^e Heber*
jeugung, bie gctefenen Leitungen unb ©üc^er, bie 93lumen om
^enfter »erraten ben „©eift" bes Kaufes, ©o geroife oor ber ^n«
buftrialifierung ber 3Jlittelftanb biefe ®c^i(^t am reinften oer"
körperte, fo geroife kann man bas oon bem heutigen grofe*
ftäbtifi^en saiittelftanbc nicl)t mel^r behaupten. 5)as Beamtentum
^at fi(^ oieUei(^t am erfolgreii^ften in biefer ®(i)i(^t gef)alten.
3lber ber gemerblidtie SRittetftanb ift it)r gum großen Seil ent«
glitten. Ss ift felbftoerftänblii^, ta^ bie §ö^e ber (Einnahme
nic^t ben „©eift" garantiert. *) QBo^l aber f^at gerabe bie fc^nell
roac^fenbe einnähme ben l)eraufbrängenben ©eift oerfprü^en laffen
unb bas Seben trofe oerfc^menberifcfier äußerer ^ulturallüren auf
bie Unterftufe gurückgeroorfeg, unb groar in einem oergifteten unb
*) öielmc^r mufe man fagcn, bafe ber ©ctft ber Orbnung bie (£in*
nal^me garantiert unb ft(i)er ftcllt.
S. ^eitmann, ®io§ftabt unb Kelißtort. 3. $exl. 21
— 322 —
ttoturrütbrtgcn ^uftanbc. ©er 3lrbettöftnn tft in ftnntofen 3lrbetts«
fatiattsmus ausgeartet, ber mc^t 3BtIlen atmet, fonbern ungezügelter
2rteb tft. Sie ^re^gier l^ot alles gu übenoud^em begonnen, oft
genug nocf) oerftörfet burct) aIfeo^oIifct)e Safter. . ®er fejuelle Srieb
ift in raffinierte ©enufefuc^t übergegangen. Sin prat)Ierif(^er Cujus
of)ne 0til unb 3Ha§ bröngt fic^ aufbringlic^ nac^ au^en. Sie
Äinbcr foUen oud) „etroas lernen", aber was für traurige (£r=»
äict)ungsprobufete liefern fie bcn „pf)eren" ©jaulen! ^ein n)irkli(^
emfttjaftes ^lufroärtsftreben in bie SDelt bes ©eiftes ftet|t batjinter,
fonbern bas profeen^afte SRac^dffen ber ^ö^eren Sebensftufe. Siefc
©c^idjt ift bas traurigfte Kapitel ber ©rofeftabt. ®ie ift ein 9^üc&«
faß fc^ümntfter 3trt in ben ?laturäuftanb, barum fo gefät)rlicl|, weil
es nac^ einem folc^en SRücfefall fiein ^uffte^cn me^r gibt. 55iefe
©(^id^t oerfprü^t nad) einigen ©enerationen. Hnb mä)t nur bas !
©le wirkt oergiftenb äurücfe auf, bie naturgebunbene Unterfc^id)t.
Siefer ©d)id)t allein ^aben mir bie t)a|ooEen, neibifc^en, reoolutio*
nören ©timmungen in b^m 9Taturuntergrunbe ber ©ro^ftabt gu
oerbanfeen. ©a^ bort bas €mporftreben in eine bisgiplinierte getftige
QBelt auf roeite ©trecken bur(f)f(i)nitten ift unb fic^ in einen un*
gebönbigten ©innlicfikeitstrieb oermanbelt l)at, get)t auf biefe un«
gegügelte ^arocnügeneration zurück, ©ie \)at ben gefunben ©nt-
roicÄlungsftrom unterbrochen unb in bie Siefe abgelenkt. Siefe
©eneration tritt mit bem 5Infpru(^ auf, fütjrenb gu fein, unb i^at
bo(^ Jebe innere SBered^tigung gur ijü^tung oerloren. SFlur bie
brutale äußere ^ad^t, bie fie mit oerftanbesf(^Iauer — nit^t
getftiger! — (Energie gu ^anb^aben fuc^t, blieb i^r als i^ütirungs*
mittel in ber §anb unb oerfagte natürlich, roeckte oielme^r ben=
felben blinben 3nact)tbetrieb, geführt oon 95erftanbesfcl)täue, in ber
Stiefe. 5)as tft bie furd^tbare Xatfac^e, oor ber mir fielen: burc^
bas 3nbuftrieäeitatter, bas oorgeitig eine gro^e ©djar oon 9Henf(f|en
o:^ne bie ^arte ©cl)ule formgel^enber 3lrbeit*) in bie äußere Sage
ber 9Hittelfc^ic^t emportrug, ift bie lebenbige fogiale (gntroicktungs-
linie burc^brocljen. ®iefe ©ruppe, bit äum ^Jü^ren berufen ge*
Toefen raöre, ^at i^re ^^ülirerkraft nid)t geroonnen ober oerfct)leubert
*) bie einfettig ted)ntfd)e 6d)ulung barf nid)t mit geiftig*fittll(i)er
^ormenkultur oerroci^fclt toerbcn.
— 323 —
unb ^at Titelt nur ftd) felbft, fonbem and) bte auf i^rc empor-
älcf)enbc ^raft angctotcfene Untcrfc^tdit haltlos gcmat^t. ^In
kümmerlicher 9left äufeerltd) angeeigneter „gefellf(^aftltd)er ©itte"
unb eine ro^e äußere 3Itad^tf(f)ranlte foU erfe^en, mas fie an geiftigcr
Äraft perlor. S>as ©efefe bes ^lustaufdies ift burc^broc^en: man
f)at eben niciitö mel)r, mas mon ber anbern ©c^ic^t entporjie^enb
geben könnte, fonbem kämpft nun gegen fie mit einer geroiffen
oerftqnbesmäfeig * te(^ntfd)en llebcrlegenf|eit um bte gleidien ®ütcr
ber ©innlic^keit, ju benen man fic^ burd^ luftbic^t abfc^Iiefeenbc
SHtauem bte Zugänge fidjert.
^ier fte^t bie SHeligion cor ber ft^raerftcn Qlufgabe, \a por
einer fogialen fiücfee, bte für fie einen unerfe^Iid)en 95erluft be*
beutet. Senn es kann keinem Sroctfßl unterliegen, ha^ in biefer
9HitteIfct)i(^t, fofem fie gefunb ift, ber erfte ©oben gegeben ift, auf
bem fie feften ^u^ faffen kann. 3" ^^^ '^lugenblidi, mo man
fid) mit Seroufetfein unter orbnenbe Oefege bes Safeins beugt
unb an i^re (£rfüEung bes fiebens ^ortfcf)ritt geknüpft roei^, ift
ber 'Stcker oorbereitet äur 'Slufnal^me ber 93otfd)aft oon einem emigen
^Bitten, ber alles fieben be^errft^t. 5)ie erften f(^merslid)en (Er-
fahrungen, bie fi(^ mit bem 'Slnpratlen bes 9laturtriebes gegen bie
©djöpfungsorbnung oerbinben, finb t)ier übermunben, bie erfte
6tufe bes ©e^orfams, allerbings noc^ ber einer me^r ober menigcr
lebenbigen ©efe^liciikeit, bie nocö mit Singelregeln, no(i) nid)t mit
einem ©efamtraillen arbeitet, ift erreidjt. ©egen ben Srieb ift ber
2Bilte aufgeftanben, bie SUelt ber ©innlid)keit roirb burd^brungen
oon Säften bes ©eiftes. 9loc^ ift ber Egoismus bie lefete 2rieb*
feber, barum mu^ aud) nodj bi^ ^Religion an ben frommen
Egoismus anknüpfen. Sie 9Kotioierung etroa bes 4. ©ebotes
ober bie ©runbfrage aller ©efegesreligion fdilögt allein kräftig
burij^. 'Qlber ber religiöfe 5luftrieb ift ba, ber ©eift bes eroigen
©ottes ^at ^u| gefaxt. SBefonbers ift ^ier bie ?lotroenbigkcit
religiöfer Srgie^ung erftmalig ooU erkannt. 3" einem „orbent*
lid)en fiebensroanbel" gel^ört für biefe ©(j^ii^t — immer ooraus-
gefcfet, bafe fie gefunb ift -^ bie SReligion.
9^un aber l)at bie ©rofeftabt aus biefer ©c^ic^t ein gang
großes Stück ^erausgefi^lagen. Stoc^ roirb fe^r oft auc^ in biefer
rückfälligen SJlaffe bie religiöfe ©Itte aus äußeren ©tanbesgrünbcn
21*
— 324 —
mttgemaci^t, aber fic Ift aufecit aiigel)ängt unb nt(f)t Tüuräel^aft mit
bem fieben cerbunben. ®le toiberioärttgften ©ttuattoncn, hzi betten
er attt liebftett auf uttb bot)oitIaufe'tt tttöi^te, erlebt ber 9fleItgtotts*
bietter bei 3lttttöt)errt(^tuttgett ttt biefer QKittelftattbstttaffc. (Es totrb
eitte fdjtoere 2lufgabe fein, bte in ber Su^unft unbebingt begroungcn
werben ntu§, bicfe antna^enbe, finnlit^feeitsgebunbene 3Jtoffe bes
©ro^ftabttnittelftanbes rüdifi(^tsl05 abgufdjütteln, oor bie 5:ür ber
3leIigion gu fteHen unb fid^ ausfd)Iie^li(^ an benjenigen Zül ber
anittelfc^ic^t SU f)alten, ber bie gefunbe geiftige Sinbung t)erfeörpert.
S)ie pu5li(^e Orbnung, bie forgfältige ^inberergie^ung, bas fogiale
95erpflt(^tung6gcfüt)l finb untrüglld)e ^enngeidien, utn l)ier bie
©d^afe t)on ben SBödfeen gu fd)eiben. S)ie rüdifällige 9Haffe mu%
roegen ber gefunben Elemente unb wegen ber fogialen 35erant«
roortung für bie onberen, guntal bie naturgebunbenen 0(i)i(^ten,
moralifd) unmöglich) gentadit werben. %üt bie ^üi nad) bem
^iege wirb ber ^antpf gegen bk ^egsgeroinnler ein roittfeontntenes
öffentliches ^Ibroe^rntittel gegen biefe ^äulnisprobufele ber fosiolcn
(Entroidilung fein.
(Eine 5Iufgabe bleibt freilicEj aucf) biefer abgefallenen Sltaffe
gegenüber: bie 3lüdifüf)rung it)rer ^inber auf ben gefunben (Ent«
widilungsftrang. 5)iefe 5Iufgabe ift fecinesroegs immer tjoffnungs-
los, roenn and) bie f(^meräti(^ie 2atfad)e t)orliegt, t>a% bei bem
ooHen SRüdfefaU in bie 6innli(^l{eitsbinbung bie nä(f)ften (Generationen
meiftens gu ©runbe ge^en. ^ber es gibt in biefer 9Haffe fe^r
oicie ©rengfäHe unb 3Ibftufungen, oud| SRüdilenfeungen ber ge*
funbcn Slatur gur normalen ^tufioärtsenttoirfilung bei ben ^inbern.
3Ilir ift biefe 3Iufgabe eine ber mertoollften in ber gangen ®xo^'
ftabtarbeit getoorben. S)ie neue ^uö^nb ift oft oon einem tierr«
Iid)en entfc^Ioffenen SfleafttionsmiUen gegen bie „^Itur" ber Altern
burc^feelt. (Es ift noc^ nic^t gu fpät, um noc^ ein gut ©tücfe einer
t)erirrten (EntroicÄtung äurücftgu^olen. S)er ^ricg ift aud) ^ier ber
grofee Reifer geworben. Suroeiten ift ber Slüdifdiroung in ber
3ugenb fo ftarfe, ha^ fie bereits ouf bie britte ©tufe fogialer (Ent*
roicfetung ^inüberbrängt.
S)enn biefe 9nittelfc^ict)t ift in ber Zat, auf bas ©ange bes
foäialen Körpers gefe^en, eine Uebergangsftufe. ©enauer beobad^tet,
ift aUcs in i^r noc^ unfertig, unfic^er, meiterbrängenb. ©ie ftrebt
— 325 —
einer Soflenbung p, blc nun auf ber brttten fo^ialen 6tufe, ber
einfjeitfc^Qffenben, gejuckt roirb. 2Btr ern)öf)nten fc^on,
bö§ ber geiftige gCtUc, ber in ber 5n)eitcn 6(f)i(^t gur ^errfc^oft
bröngt, fii^ noc^ nte^r in Ginjctgeje^cn unb eingelnen fiebcnsregeln,
on bie ber einjelne fein ©c^idifal unb feinen Srfolg geknüpft
roeife, oerfeörpert. ©er eroige 9BiIIe nimmt bie ^orm ber Sebens-
roeis^eit an. Siefe trägt in ficf) bereits ben S)rong gur (Einheit *)
unb fu(^t fi(^ felbft gum 6t)ftem für bas ©efamtleben ju ergeben.
%ber gur ooHen inneren ©ic^ert)eit liommt biefe 92littetf(^i(^t nit^t,
ha fie nod) ni(^t ben aUes be^errf(^enben (£int)eitspunlit gefunben
I)at, oon bem aus bas gange Seben eine 9lid)tung, einen
QBiUen, einen 3^^att empfängt. 5)as offenbart fic^ in einer
Slei^e von (Symptomen, oon benen roir einige aufgä^Ien rooUen.
3n ber Sötittelfctiic^t roirb bas ©efe^ bereits litar empfunben,
ha% ber 9Henf(^ nid^t üom 95rot attcin lebt. ®er ©innlii^keits«
brang roirb beroufet auf bas 3Jta§ befc^räniit, aber — mit bem
©nbgiet, bas eigene fieben cor hzm. Untergange gu beroa^ren,
it)m ben fidleren Erfolg in ber ©inntid^feeitsroelt gu oerbürgen.
„2Ber leben roill unb gute Sage fe^en, ber ft^rocige feine gungc,
er roenbe fid) pom 95öfen unb tue ®utes." '^n biefe 9flid^tung
ge^t bie Sebenset^ife ber snittelfc^ic^t. 6ie reidit auf roelte
©tredien bes Sebens aus, oerfagt aber bei ben legten ^J^^agen,
bem „fieiben bes ©erediten", bem ©teHoertretungsgeban&cn ufro.
®ang entfprec^enb reicht bie fcgiale Steife nic^t bis in bie
legten Untergrünbe. S)ie Sölittelfc^ic^t ^at bie Slufgabe, innerhalb
bes fogialen Körpers ben ^tufroärtsbrang gu ficJiem. 6ie ftrcbt,
unb ^tt^n baburc^ gibt fie ber Unferfc^ict)t ben 3inP"fe. obtt fie
fafet nt(^t ^ctfenb gu, um mitgugie^en. Sie ^at guoiel mit fic^
felbft gu tun, oIs ha^ fie noc^ ^aft behielte, anberes fieben mit«
gune^men. 5)a^er ift bas ©ebiet i^res fogialen ^mpfinbcns be»
fc^ränfet. 3^^ß gefettfc^afttic^en Siegeln binben fie an i^rcs»
gleichen, nic^t an bie nac^ftrebenbe llnterfd)ic^t, bie fie oietmc^r
burcf) 5lble^nung anfpornt ober auc^ abftö^t. 3^^^ ©ogialet^fk
ifi ein burc^ bie gefettfc^aftlie^e ^orm gebämpfter Egoismus. 5)te
e^re ift it)r lefetes 9Hotio, noc^ nic^t bie ooQe Eingabe.
*) oergl. bie öqpoftafierung ber SaSeis^elt In ber oltfiibifc^cn
SBels^cltsßteratur.
— 326 —
©atnit t)ängt es ferner sufammcn, ba^ l^rc Frömmigkeit
oorljcrrfdienb ^rnd^t, ttocl) ntc^t „bte oöEtge fitebe" ift. S)as
gange gefellfdjaftltcJie unb roirtfc^aftlic^e Seben mirb oon einer
großen 3lengftltcf)kett be^errfc^t. ®ie ©ottoertrouensprcbigt bcs
Sutl^ertums mar l^r fe^r notroenbtg, um tl)rer gum Seil aber«
gläubifdjcn Slengftlic^keit bor ben legten ®d)ickfal5ge^elmntffen
bes fiebens bte 2Dage gu f)alten unb — um fie langfam einer
t)öt)eren Stufe gugufü^rcn. ®ie Frömmigkeit bes fiut^ertums mar
in if)ren roefentlic^en ©runbgügen Qltittelftanböfrömmigkeit, bie*
aber bereits übet bie 9HitteIftufe ^inousbrängte : ein frommer
3nbiDtbualismu5, ber aber fc^on burci^ einen bem 3<^ i^^^^ ^^^^
gegenroirkenben ©laubensbegriff gcbömpft mar; eine ett)if(^e Un*
ftd^erf)eit unb llneinl)eitli(f)keit, bie rooI)t fet)r oiele fcljöne ©inäet"
formen unb (gingelregeln für bie perfönlidje £ebensfüt)rung, bas
Familienleben, ben Seruf, has Söotksleben gefunben, aber kein
einheitliches g^et bes ^anbelns oufgebrat^t ^ot, bie fd^on über
bie „^erke" I)inausgeroad^fen mar unb bod) no(^ nlcljt bas gro^e
„QBlrken" für bas ©ange gefunben t}aüt; eine pelnlld) Innege«
Ijattene klrd^lldje ©Itte, bie bodi nld|t ausrelcf)te gur üoüen Inneren
SBlnbung.
55as 2Befen ber Sltlttelfc^lc^t liegt In ber Hnflc^er^elt bcs
Ucbergangsftablums. ©le brängt auf aßen funkten jur 95ollenbung,
gur äufammenfcl)tle^enben (Sln^eltskraft. ^n biefer Unflc^er^elt
liegt es aud) begrünbet, ha% fle hmd) ben fle überfattenben 31^*
buftrlallsmus fo furchtbar fc^nell unb Uxäjt unb auf fo roelte
Strecken aus ber 5Ba^n gefcl)leubert merben konnte. Z^x 5)rang
nad) oben gur gelftlgen 95ollenbung mar no(^ nld^t fl(^er genug,
unb — bie foglale lleberfcl)l(^t, bie fle l)alten unb gleiten konnte,
mar nl(f)t ftark genug ober überhaupt nod^ nldjt oorl)anben, um
fle gum Siele gu fül)ren. 9Bell l^r gelftlges Streben noc^ nlc^t
kräftig genug von bem ^In^eltspunkte ber näd)ften foglalen Stufe
gegogen rourbe, konnte es nod) gerfaEen In tec^nlfcl)C ©efc^lckllc^»
kelten, bie ben (Erfolg In ber Slnnllcl)keltsroelt plö^llc^ l)erbel-
führten, konnte es noc^ ber 3:öufc^ung erliegen, ha^ mlrtfdjaftllc^er
unb tedjulfclier Fortfc^rltt auc^ foglaler FortfcI)rltt fei, konnte es
fic^ fonnen in bem gSemu^tfcin: „9Bte l)errlic^ roeit l)aben rolr's
gebracht!", o^ne gu merken, bafe es unter bie Sc^mclne geraten mar.
— 327 —
Sie brttte foätalc 6c^t(^t Ift barum eine Scbensbebingung
für bte gefunbe (gntrotdtlung ber groeiten 6(i)i(J)t. Ol/ne bie oon
bort^er flutcnben ^lustaufd^ferüfte, bie fie langfam einer Pieren
(Einheit gufütiren, äerfpitttert unb oerfprüfjt fie in i^rent eigenen
©treben.
S)iefe britte, bie innerfte unb naturgemäß Meinfte Oc^ic^t
bes f Opiaten Körpers, beftet)t ous ben Sölenfc^en, bie no(^ brei
3li(i)tungen I)in „ferttg" geworben finb, nii^t in i^rem tatföd^Iid^en
fiebensbeftonbe, aber in il)rer fiebensbeftimmt^eit. ^ür fie fte^t
es als unbebingte Sebensgenjißtjeit feft, ha% „bcr snenfdj nid^t
oont SBrot attein lebt, fonbern oon einem jcglit^en 2Dort, bas
burc^ ben 9Bunb ©ottes ge^t". Qßenn ein 95ertreter ber Unter«
f(i)id)t bem QUetigionsbiener entgegentjält, ha% i^m bie 3letigion
nod) keinen Sßiffen SBrot eingebracht f)abe, fo barf man fi(^ nic^t
barüber rounbem. SBenn man fid| barüber rounbert unb ent*
ruftet, fo bemeift man nur, ha% man bas fieben unb feine ©tufen
nid^t kennt. '2luc^ auf ber äit)eiten ©tufe barf man fic^ ni(^t
borüber rounbem, ba% es fc^roerften 3lnftofe erroecfet, roenn es hsm
faulen unb fc^Iauen SBöferoid^t gut ge^t unb ber fleißige, orbnungs*
liebenbe SÖlann barbt. ©iefe 3lnftöße finb baju ha, ba^ fic^ biefe
©(^i(^ten bie ^öpfe baran blutig ftoßen, bamit fie burc^ lang»
fame S^^wtürbung i^rcs ©innli(^lieits- unb CigenroiHens reif
roerben für bie folgenbe ©tufe. ^uf ber britten ©tufe aber ^ren
biefe 3lnftöße auf, fie roerben oielme^r gur SBeftätigung i^res Sebens«
gefe^es, ha'^ alles baljinflutenbe Qehm mit feinen Slriebcn unb
feinem Sigenrooßen gu einem legten fitttid^en ^Dillen emporgefüfjrt
roerben fotl, ber bas SBIeibenbe ift in ber Srfd^einungen ^lui^t.
§ier muß es feftfte^en, ha% aEes 95ergängtic^c nur ein ©leic^nis
ift. S)ie 95ergeiftigung ift noc^ nict)t oottenbet — ber ©innlic^keits*
kämpf bleibt aud) auf ber legten fogialen ©tufe — , aber bas
Seben t)at enbgültig bie 3fli(i)tung auf fie t)in gefunben. 3"ncre
Hnab^öngigkeit oon allen 9Höcl|ten ber 95ergönglid|keit unb burc^"
geiftigte ^^oi^inbe^errff^ung ift ber 5lbel biefer ©tufe, ber bei oHen
gefunb empfinbenben Vertretern ber anberen ©c^ic^ten unbebingte
2lnerkennung flnbet. S)as fiebensibeal S^fu oon Stagaret^ ^at no(^
kein 9Ilenfc^, ber gefunb empfanb, angutaften geroagt. 3)ie britte
f oktale ©tufe ift mit berOBelt „fertig", um fie nun oblligju bc^crrfc^en.
— 328 —
9^oc^ naä^ einer äroclten SRtcfjtuttg bewährt ftc^ btefe§errfcf)afts'
kraft. Ste fte^t bes Sebens le^te Aufgabe im unbebmgten foätQlen
S)ienft. ©te ftrebt nicf)t mef)r, rote bie groeite ©c^ic^t — bcr im
öufeeren Erfolge liegenbe 2tnfporn ber ©innlic^feeitstoelt für bas
6trebcn füllt eben fort — , fonbern fie mirfet, meil fie oon bem
großen 2Jlu§ ber Eingabe ergriffen ift. Sas 3iel it)res ^Birlicns
liegt md)t mel)r im eigenen fieben unb feinem Erfolg, fonbern im
©efamtleben unb feiner (gntmicfetung. 3^r ift hit gro^e ^raft ber
3ufammenfaffung, bes jufammenfü^renben S)ienftC5 gegeben, TOcil
fie bie ©tufen bes fiebens bur(^gelebt ^at unb borum mirlilid)
pfammenfaffenb n)eiterfüt)ren kann, ©ie ift bie ©c^idit ber ge»
borenen tJüfjrer, nict)t aus 5Inmafeung, fonbern aue erworbener
SReife. QKeil fie ben oöEigen ©ienft gefunben ^at, gebührt it)r
has prf)fte 3le(f)t ber ^ü^rung. ©ie braurf)t um bie 3lnerliennung
biefes 3lec^t5 nict)t erft 5U werben, fie fällt i^r gu, weil nichts
fiebenbiges fict) auf bie ®auer ber gie^enben unb sufammenfügenben
3Ilad)t ber Eingabe entgietjen kann, ©er roaf)xt 5)iener ift oon
Slatur ber 95orne^mfte. *) Sas ift bas äroeite ^ennäet(^en biefer
©c^idjt: ©ie ift „fertig" gum ©ienft.
SUod) in einem brttten ©inne ift biefe ©(i)ic^t „fertig", ©ie
ftef)t bas 3iel aUer (gntroidilung in feinem umfoffenben ©efamt-
d^arakter, nocf) nidjt in feinem oolten Umfange, roo^I aber in feiner
aUbeljerrfd^enben S:enbenä. ©ie ift fertig mit aHen ©ingelintereffen
bes 3iiÖioibuaIismus unb t)at biefen grunbfö^Iid^ bur(^ bie grofee
Eingabe übenounben. ©ie allein t)at ba^er auci^ bas innere 9fle(^t
unb bie ^ä^igkeit, bem auseinanberbrängenben ©treben ber gmeiten
©cE|icf)t burc^fc^Iagenbe ©efamtgiele äu ftecken, mie fie in ber Slot»
roenbigkeit bes j[en) eiligen (gntroicklungsftanbes liegen. 2Di^ fie
am meiteften oormdrtsfd^auen kann, fo überfielt fie auä) am klarften
ben bistier zurückgelegten 9Beg. ©ie fie^t bie ©efamttinien ber
95ergangent)eit unb kann fie am fi(i)erften nac^ oorne TOeitergiclien,
*) ^ein ©ertngercr als 'ipiato t)at, lange beoor ^t\u5 oon SJla«
aarett) btes ©efeg in fetner ooUen Sebenbtgkett ousgcfprodjen ^at, in feinem
^bealftaat ben roa^ren "iß^ilofop^en bie gütjrung äugefprodjcn. S)ic 6tarr*
^eit unb SBeltfrembtieit bes ©cbanfeens in bem ©croanbc ber t|eltenifc^cn
•^^ilofop^te tut feiner ©runbroa^r^eit keinen Stbbrud). Stur bie roa^r^aft
Unabhängigen unb 6elbftlofen finb bie geborenen gü^rer.
— 329 —
o^ne aus bcnt (Entroidfelungsgangc gu faUett. ©te ift barum bic
äufommenfaffenbe unb einticttgebenbc ©diti^t, bic für blc grofec
^orbcmng bcr Qfleltgton „©Ott ottctn" bcn erfdjöpfenbftcn unb über»»
geugcnbftcn ^usbrucfe flnbet. Sie SDa^r^clt, bic fie fc^aut, ift
ni(i)t ein oon irgenbeinem 3wbiotbuunt entbedites ^ünblein, fonbcrn
trägt ifjre SBtrItungskraft in fidj fclbft. 3^^^ beugen ficf) auäf bie
unter i^r fte^enben 6d)i(^ten, roeil if)r 2Iufn)örtsftrebcn barin ent-
halten ift unb möd)tige ^örberung finbet. QUeil fie ganj felbftlos
ift, ift i^r ©c^auen bas übergeugenbfte. ^üx atte unter i^r ftcl)enben
©c^ic^ten finbet fie bie treffenbfte ijotnt, fie bienenb n)eiteräufüt)ren.
95on ber ^raft — ni(^t oon ber 3^^^'- — ^^^f^^ eint)eit*
gebenben ©rfjidjt ^ängt bas ©djidifal ber 3leIigion in jeber <£nt-
roidilungsepodie ab. ©ie ift gleidjfant bas religiöfe §trn ber
9Ilenfc^t)eit. 93erliümmert es, bann ftirbt ber gange fogiate Körper
ab ober jerfliefet ins rein 95egetatioe. 95on biefer ^erntruppe
roiffen aßc religiöfen Spodien äu ergätilen, roenn fie audi ftets im
95erborgenen fa§. 2lls bie „©tillen im Sanbe" galten fie boc^
bas ©anje gufammen. 3"^^^^ ^^^ ^tit bie 3nenfc^t)eit fic^ cor
ber fittlid)en ^o^eit, wo fie fie oufbli^en fa^, gebeugt, weil fie
wu^ti, ha% I)ier ber ^em iijvts ficbens liegt.
Siefe ©d)id^t ift ooßenbs ni(^t mit irgenb einer ber ©ruppen
bes mobemen ©efettfctjaftsfeörpers gu ibentifigieren. ©ie fi^t bort,
mo ©Ott fie ^at roac^fen unb reifen laffen, in ber glitte foroo^I
roie im ©(^lofe. (£ine reiche 95ergangent)eitsentroi(jfetung, bic freiließ
in bcn fettenften ^öUen fic^ aufroeifen läfet, ift immer i^re 95or*
ausfefeung. S)ic ©tammbäume, bie naioe SeWöIter für i^rc fitt*
Ii(f)en öeroen fjerausäufpinttfieren fudjten — etma für ^e\us — ,
entfpringen bem rid)tigen ©efü^l für biefe ^orbebingung. 3luc^
meift bie ®t)rfurc^t oor allen alten ©efc^lecf)tem in bie gleiche
9flicf)tung. ®s ift burc^aus nirf)t fo naturroibrig, ha^ alte Familien
bcn größten ^errfc^aftsanfpruc^ in bcn 95ölticm ^aben. 5)as
entfpric^t burdjaus bem richtigen ^nftinfet ber 95öllier felbft, roenn
au(^ oft genug hinter bem 3ltter nur eine oerkümmertc SntroiÄ«
lungslinie liegt, bie alles anbere als roirltlidie ^errfdjaftsferaft ge-
roö^rleiftet. Steue ©efc^lec^ter, ^^bie ben alten bie ^errfc^aft cnt»
reiben, ftnb keincsroegs fo neu, roie fie bas menf(^li(^e ^uge fte^t.
©a^inter liegt, roenn fie roirfelic^e ^errfc^aftsliraft entfalten, ein
— 330 —
langer WiQ ber im 95crborgenen toirfeenben Statur. „&)t bcnn
3Ibra^am roar, bin id)" lä%t ber oierte Goongelift ben Jla^arener
ben auf i^ren Stammbaum pod)enben ^uben fagcn.
S)iefe fogiale ®(^i(i)tung, bic mir ^ier gu geic^nen oerfut^ten,
ift nun keinesroegs in, fo klarer ^Ibgrengung im Sebcn Dor^anben,
rcie bas nadjfpürenbe 2Dort fie barftellen müfe. S)a3n)if(^en gibt
es unge3ä{)Ite Uebcrgangsftufen. (£s kommt nur barauf an, ba%
ber burct) attc ©tufen t)inburd^5ie^enbe Gntroicklungsgang gefet)en
mirb. Q33ir brauöjen kaum ^w ermähnen unb geroife ni(i)t im
einzelnen au65ufüt)ren, ba% biefer ®ang bem fid^ ftufenroeife oer-
roirklic^enben religiöfen Urerlebnis entfpricf)t. Ot)ne ben 93Ii& auf
bies Urerlebnis bleibt atte fo^iale €ntroidilung ein ocrf(^lo|fenes
93u(^. ^ein nod) fo geleierter Sogialmiffenft^aftler, kein nod) fo
fanatifrfjer Politiker, kein nod) fo boktrinärer öogialreformer, kein
nod) fo finbiger ©taatsredjtler kommt um biefe Sebensftufen l^erum,
bie bte 9i5irklid)keit ber (5(i|öpfung aus fid^ ^erausfegt unb un=
erbittlid) gu oern)irkIi(^en fud^t. 2IIIe poIitif(^en kämpfe, atte
ftaatlid)en ©eftaltungsoerfudbe, alle fogialen 3lei)oIutionen ent=
fprangen irgenbroie biefen ^ntroidfelungsnotroenbigkeiten, fud^ten
fie ruiÄroeife gu oerroirktit^en, i^re Stufen gefe^Iid^ gu oerfeftigen,
i^nen geroaltfam gu entrinnen. Su^^Öt mußten fie itjuen hoä)
irgenbroie get)or(^en unb roerben i^nen get)ord)en muffen, folange
nod) ber 9nenfd)^eitskörper um fein ^id kämpft, bis bie eroige
©(f)öpfung fi(^ burdjgefefet ^oben roirb. ©erjenige Staat roirb
ber fortgefc^rittenfte fein unb am roenigften gerftörcnben (£rfct)ütte«
rungen unterliegen, beffen formen bem eroigen Sc^öpfungsgefeö
am nöc^ften fielen, ^uc^ für bie «Politik gibt bie 3leIigion bie
legten ©efefec. 25on SHeligion unb "ipoUtik als oon groei QUelten
gu fpred^en, bie oerf(i)iebenen ©efe^en folgen, ift nid^t nur 9leIigions=
lofigkeit, fonbem and) ftaatsmännifc^e ^urgfidit. S)er roa^re 3leat»
Politiker ift berjenige, roeld)er ben legten 2DirkIidt)keiten bes Sebens
am nädiften fte^t. (£in Zeitalter, bas bie ©ütcr ber Sinnlichkeit
für bie attein realen tjölt, konnte ba^er nur Staatsformen fctjaffen,
bie gur fdjuetten S^rftörung prdbeftiniert roaren. S)ie fidtj in rafc^en
^ataftropt)en ablöfenben QBeltretd^e bes alten Orients ^aben bies
©efefe fctjon oor 3at)rtaufenben fcftgeftettt. Slus 95ergönglic^em
lä§t fic^ nichts SBleibenbes fc^affen. Sie 95ifion bes 3)aniclbuct)es
331
trifft bcn Äernpunlit ber 93ölkerentn)icferung fc^örfer, oIs eine ößcr«
ftöcf)Itd)e etaatsraifon ficf)t. (£rft ble (ptaatsentiotclitung, bte bcm
(gnttoldilungsgefeö bes Sebcns gcrect)t rolrb, tft tnnerltcfi gefunb
uttb guliunftsferäfttg. S)as gettalter, bas feine 6taatsniänner aus
ber ftnnltc^kettsgebunbenen llnterf(i)t(^t bes Sebens na^nt unb öon
i{)nen nur bte tecfjnifc^e 3louttne als 3left ber ©etftesbtnbüng
»erlangte, t)at burd) ben 95öll{erferteg fc^ncH genug feine ®rlebigung
gefunben. SHur fittlictje ^raft erroeift fic^ auf bte 2)oüer oIs erfolg»
reiche $errfd)aftsnta(^t. S)ie roatjren ^ü^rer erroad^fen nur aus
ber 3^i"^i^f<^id|t i>es Sebens, nirf)t ous t^rer naturgebunbenen
5lufeenfeite. *)
2I3ir fprad^en f(^on in einem anberen Sufamnten^ange baoon,
ha% liein Staat es roagt, bie 3leIigion oöUig ausäufdjalten, röeit
er füf)It, ha% er bamit feine lefetfen SebensqucIIen oerftopft. **) ©ic
3leIigion aber ntufe fic^ ^üten, fic^ gu eng an ben Staat auäu»
fdimiegen, um t^rer felbft unb um bes <3taaits roillen. SHiemals
barf es groeifel^aft werben, t>a% ber Staat Don ber 3leIigion bas
fieben empfängt, unb nic^t bie 3lcligton oom Staat. Sieber
fct)örffte Xlnterbrücfeung leiben als bie ©efe^e bes fiebens preis«
geben! Sie t)aben tiefere ^Burgeln unb unbebingtere ©ültigKeit
als aEe Staatsgefefee. QBeil bie 3letigion oerantmortlicf) ift für
bie gefunbe ©ollis* unb Staatsentmicfetung, mufe fie im tjöc^ften
Sölafee mifetrauifc^ gegen eine aUgu bereite politifctje Betätigung
fein. 93ei bem gegenroörtigen Sntroidilungsftanb bes Staatslebens
gilt es für bie SReligion, oller Politik fern gu bleiben unb von
innen I)er ber ©efunbung bes 25oIkslebens gu biencn, bis biefes
*) ®amit tft nt(^t ausgcfprodjen, ba% bte hinter uns Itcgcnbe
(gnttoi&Iung bes ©taatsicbens mcf)t eine notroenbigc gcrpcfen toäre. ®ic
burd) bas aHofcfjinenäettoIter entfeffeltcn Statur&räfte bcbingtcn bte 2Bu(^e«
rungen ber 2Iufeenfd)i(i)t unb bie 93erkümmerung ber 3nncnfd)td)t bes
Sebens, forbcrtcn alfo ©taatsmänncr oom bekannten „reatpoltttfrf)en"
6cf)Iagc. S^bes 3eitalter ^at bie 3legtcrung, bte es nerbtent I)at.
•*) ©as an feinem burd) eine ftarreXec^nik noc^ äufammenge^altcncn
3nbioibuaIismu5 langfam fterbenbefranjöftfdjeStaatsrocfen ift etnklaffifdjes
^eifpiel bafür, woijin eine ©taatsenttoidilung gerät, bas bk Qfleligion
n)irkli(^ ousäufdialten fudit. 3wifd)6« krojfer 51ufklärung, nerfprü^cnbcr
Sinnliiikett unb l)o{)Icr Bigotterie nebft poIitifd)en ^onkorbaten mit 3lom
fdimankt es ^in unb ^er. 2tud) ein iobestanj!
— 332 —
reif tft, ftd) eine neue, bent ©(^öpfungsgefefe entfpred)cnberc ©taats-
form äu geben.
2lIIc 5lrbeit im Sienft ber SReligion mufe fic^ baran gen)öt)nen,
mit bcn fogialen Sebensftufen gu rechnen. ®ie gonge Sor^eit bcs
95efeenntnisfd^ematismu6 kommt bem erft jum 95erou§tfein, ber
biefc n)ad)stümli(^e ©diit^tung bes foäialen fiebcns fiet)t. ©urd^
i^rc auf eine ^lödie • gezogene „Se^re" I|at bie ^ir(f)e tatfödjlid^
gonge 6d)ic^ten oon ber religiöfen SBotfc^oft ousgcfc^ottet, bis fie
in unferen S:ogen in keiner ©d)!d|t met)r einen ^u^ ouf ber ®rbe'
t|ot. ^eute fogen bie einen, man muffe erft bie „©ebilbeten"
roiebergeroinnen, bann mürben bie SHoffen longfom folgen: bie
onberen ober, man muffe erft roicber in bcn 3Haffcn feften ^u§
foffen, bann mürben bie 6äftc longfom nadf) oben fteigen, roie ja
oud) bos Urdjriftentum fii^ guerft on bie „"Jlrmen" geroenbct t)obe; *)
bie britten ober rooHen befonbers im folibcn 3HitteIftonb bie feird^»
Ii(^e ©itte pflegen, meil bort 5fufgeroe(Jitt)eit'unb Sreue einanber
bie ^onb reichten, ©ie irren oUc. S>ie 3leIigion mufe ollen
©c^ic^ten bienen, fonft ift fie keine SReligion. ®enn es Hegt
im 9Dcfen ber 9fleIigion, bofe fie bos ©onge ber (Entroicklung um«
fponnt. Seben unb Slob Rängen für fie oon ber ^roft ber fogiolen
3nnenf(^i(^t ob, biefe ober ift gufoninienföffiinö» 35oIIenbung unb
bienenbe Äroft für ben gongen fogiolen Körper. Was mir über
bie ^erntruppe ber ©emeinbe im gmeiten 93onbe gefogt l^oben,
tritt ^ier erft ins ooße fiic^t. Z^h^ gefunbe ©emeinbe mufe bie
oolle 6(f)i(i)tüng bes fogiolen ©efomtkörpers in fi(^ tragen. ®ie
mu% bos Urbitb ber ©(fjöpfung fein, bos fid) longfom fortfrfircitcnb
in bos ©ongc bcs fiebens t)ineinprägt. ©ic mufe immer, oUerbings
ie noc^ ber gufälligen fogiolen ©truktur ber örtitdien ©emeinbe
in roc(^felnber ^Breite, oon innen nod) ciufeen 9lingc um fid^ logem,
bie im lebenbigen 3Iu6touf(^ miteinonber ftct)en, einanber förbernb
unb meiterfü^renb. 2Bir rooHen i^rc ©runbgügc mit einigen Sinien
fkiggieren.
Sie innerfte ©(^ii^t konn mon ots bie 5tbenbmot)Isgemeinbe
bcgcic^ncn. ©ic fte^t unb föHt oßerbings ni(^t mit bem 9litus
bcs 2Ibcnbmof)Is — es ift fct)r bie iJroge, ob es nod^ ber kird^*
*) (gin grober 3w4um!
— 333 —
Ifd^en ©eftaltung bes 2l5enbmaf|l5 in hen legten 3öf|rJ)unbcrtcn,
ja 3ö^ttQufenben gelingen roirb, im feommenben ^a^^^unbcrt
roicber gu einer bcm urfprüngli(^en ©inn entfpred)enbcn natür*
lid^en ^5°^^ ^^^ 5Ibenbntot)l6fcieT gu kommen — , n)ot)I aber mit
bcm religiöfcn ©runberlebnis unb bcr fittlit^en SBeftimmt^eit, ble
CS in |{Iaffif(^er '^otm ^um. '2lu5brudi bringt. 6ie ift bic ©cmcinbc
ber oom großen Opfcrroillen Ueberrounbenen unb aur großen ^in*
gäbe ^Berufenen, bic bur(^ bas oottc 6tirb unb 2Dcrbe ^inburt^*
gegangen ift. ®ic t)at nichts mit einem ^nfpruc^ auf eine „93oE»
kommen^cit" im »crfcftigtcn ©inne gu tun, ober i^r ©runbroillc
ift ber bes unbebingten ©icnftes am ©angen. ©ie ift ^elfcr-
gemeinbc unb eben barum füt)renbe unb gufammcn^altcnbe ©c*
meinfc^aft. ©ie ift bic Trägerin bes fc^öpferifcf|cn ©ciftcs bcr
Eingabe, ^n i^rer fclbftlofcn Zat liegt i^re mcrbcnbe 3Da^rt)cit,
in bcm umfaffenben ©inn für bas ©angc bie QucHc i^rcr Gr«
lienntnis.
Um fic ^crum lagert fi(^ ein roeitercr, fcf)r oiel umfang*
reidjcrcr 9ling, ben mir als bic ©(^ar bcr „©ottcsfürf^tigcn* bc-
gcidincn können. *) ©ie bilbct keine in fid) gefdiloffene, roac^s-
tümli(^ äufammen^ngcnbc, fdfjaffenbc unb roerbenbe ©emeinf(^aft,
fonbem fie ift bie Qdjax bcr einzelnen, bic fid| gur Otcligion gc*
jogen füllen, bic es miffcn, ha^ fic o^nc bicfen $ialt nid|t leben
können, ©ic ^ren gern unb roiHig bie rcligiöfc Sotfc^aft, ju
ber ein innerer ©rang fic immer roiebcr ^infü^rt. ©ic füllen,
ha% i^r fieben o^nc biefe jcntralc Äraft äcrfaücn mürbe, ober fic
I)abcn bas lefete Zox nod) md^t burt^fdjrittcn. Sflod) bc^crrfc^t
bas inbioibuelle ^iitwcffc it)r Scben. 3)ie grofec Eingabe ^aben
fic no(^ nid)t gefunben. (£s finb bas bie e^rlid)cn fonntögIi(^cn
i^r(^end)riftcn. ^ür fid) genommen, finb fic alles anbere als eine
©cmcinbc. ©ic mürben auseinanbcriaufen, wenn bic gcntralc
rcligiöfc Äraft fehlte, an bie fic fi(^ fjalten. 2lbcr als bur(^ hm
innerften S)rang i^rcs fiebcns gegogenc 2lnglicbcrungsfc^ic^t finb
fic ein notroenbiger 95eftanbteil ber ©cmcinbc. 3tus biefcr ©c^ic^t
fpeift unb erneuert fic^ ber ^em. ©ic finb gunäc^ft bic ©cicgcn*
*) 9lad) bcm fc^r trcffcnbcn Slusbrudi asßojievoi xov Oeov auf
bem Soben bes bleuen ^eftaments.
— 334 —
^cttsorbettcr, bic, roie ber Hauptmann oon ^apcrnaum, gclcgent«"
llc^ gern Don t^rcm Ueberflu^ on ©elb, 3ett unb ^raft abgeben.
'sUber fie muffen melft noc^ gebeten roerben, unb au^ bann, rocnn
tf)re ^Inpngltd^ftett unb SJonfebarfeett üon felbft kommt, geben fie
nie has ©önge. ®ic oolle fiebenstjingabe ift nod) nicf)t itjre ®ad^c.
3n bem entfc^eibenben Dpfer tritt ber ^ern ftelloertretenb — im
alten 6tnn — für fie ein, roie fie überhaupt no(^ unter bem
SBanne bes alten religiöfen ©telloertretungsgebarifeens fielen. 2Iu5
btefer ®rf)ar aber, gumal aus itjrer nocfjroac^fenben 3w9enb, bie
fie ous innerer U^bergeugung ber fitttidjen ^ürforge ber fo^ia*
arbeitenben ^emtruppe übergeben, njadEjfen bann bem ^crn felbft,
wenn bie ©tunbe für bas DoIIe religiöfe Erlebnis gekommen ift,
bie neuen Gräfte gu. Of)ne biefen 2ling unb bie '2trbeit an it)m
unb für i^n mürbe ber ^em felbft oerkümmern unb eingeben.
®in gefunber 9HitteIftanb ift eine fiebensbebingung für bie ©emeinbe.
S)as ©leic^e gilt nun aber aud^ oon ber britten ©{^id^t,
bie in breitem ©ürtel bas ©onje umlagert, obrootjl fie in it)rem
gä^en, maffigen SBeftanbe bem S^aos im beginn ber ©djöpfung
gleitet, über bem bas Sic^t ber Qfleligion erft aufbüken fott. O^ne
biefen auf Urbarmacfjung tjarrenben Slaturboben ftet)t bie ©emeinbe
in ber fiuft. ^n i^m liegt nict)t nur hu hammh rinnenbe öueHe
für i^re aufroärtsfteigenben Gräfte, fonbem aud) bie 95orbebingung
für bie gefunbe religiöfe fiebensbetätigung ber anbern ®c|ict)ten.
®as kann nid)t fc^arf genug betont merben. ®ine abgekapfelte
©emeinfi^aft oon „^eiligen", bie unter fid) fein roollen, ober ein
bekenntnismäfeig abgegrenzter ^reis oon ©leic^gläubigcn ift ein
in fi(^ felbft abfterbenber 5orfo. (Es mar ber 9left eines richtigen
religiöfen ^nfrt^^tes, ha% ber äur Qlbkapfelung neigenbe roelt"
flüdjtige Pietismus ein ©egenroid)t biefer jur inneren 95erborrung
fü^rcnben Slenbeng in ber ^eibenmiffion ober in ber SHettung ber
finfeenben SBoIksfc^ic^ten fuc^te. *) ^n biefer SHliffionsarbeit ^at
*) ®a5 Urteil bes erften iBanbes, ba^ bie einfeitige §tnit)enbung
8U ben primitioen Aufgaben ber SHiffton bereits ein Sd)n)ä(^efqmptom
bes '^Pietismus fei, bleibt trofe ber obigen ^usfü^rung befielen, fo ftatkcn
Stnfto^ man baran aud) genommen ^at. Sie in fic^ ftdjere ^raft greift
bie näc^ftliegenben SBtberftänbe an, aud) roenn fie fdiroerer gu überrainben
finb. 92lon fdiaue auf bie 9lble^nung ber ^eibenmifjion burd) 3ßfws,
folange bos „Sßolk" nid)t geroonnen roarl
335
ber ''Picttsmus eine roertüotte Ouelle eigener Sebcnsförberung ge=»
funbcn, obroo^I biefe „'^emarbett" fein inneres '2lbfterben auf ble
©Quer mä)t üerl)inbern konnte, roeil fie bie ©emeinben nid)t un«
mittelbor genug onfpannte unb i^re ^bfeapfelung in ber eigenen
fogialen ©pt)äre nidjt überroanb. €rbauli(f)e 9Hiffionsfeftc unb
reid)Ucf)e ©elbfpenben können ni(^t erfefeen, was bie unmittelbar
perfönlid)e 95erpflic^tung unb ^arte ©rgie^ungsarbeit für bie ©c*
meinbe bebeutet.
(£5 ift ber- untrügli(^fte ©rabmeffer ber ßebenskraft einer
©emeinbe, in roelcfiem 9Hafee fie i^re oorgeft^rittenen 0(i)id)ten
an bie naturgebunbene Unterfc^ic^t kettet. ^e^It biefe 5Binbung,
fo ift has äunäd)ft ein fidjeres ^ixä^m bafür, hQ.% bie ein^eit»
f(f)affenbe, im ooUen 0inne religiös gcbunbene 3nnenfd|i(i|t fc^It
ober unentmidielt ift. ©enn biefe forbert if)rem innerften SBefcn
na(^ bie %inQQb^ an bas ©efamtleben, bie fid) gerabe im ©reifen
in bie 3:iefe bewährt, '^i^t Hrteil mirb unentrinnbar nac^ bem
6prud) gefällt: „2Bas ^aft bu getan an einem unter biefen meinen
geringften SBrübem?" Leiter aber kann biefe 3^nenf(^it^t i^re
raeiterfü^renbe "Slufgabe an ber 9Itittelfcf)id)t gami(i)t erfüllen ol^ne
bie aUmä^lidje SBinbung biefer 9Hittelfd^ic^t an bie llnterfd)id)t.
S)er 3nbioibualismu6 ber 9Hittelf (^icl|t roirb nur baburc^ praktifd^
übcrmunben, ha^ fie in förtfdjreitenber ©c^ulberkenntnis bie 95cr*
pflid)tung für bie llnterfd)ic^t erfaßt. ®rft mit ber oölligen fo^ialcn
iBinbung ift bie (£rtöfung grunbfäfelit^ oolljogen (ogl. bie früheren
Kapitel). S)er fogiale ^nf(^lufe an feinesgleid)en ift no(^ keine
fogiale SBinbung im ooEenbeten religiöfen 6inne. (Es ift bie
praktifc^e 5lufgabe ber „^Ibenbma^lsgemeinbe", bie 6c^ar ber
„©ottesfürt^tigen" me^r unb me^r in bie oolle ©emeinf(^afts-
oerpflii^tung gu führen. S>a$ „Streben" roirb erft gum „SBirken",
menn es bie fogiate 9fli{i)tung nad^ oben mit ber fogiaten Sflid^tung
nad) unten oertaufc^t. ©0 liegen bie brei ®d)i(^ten in ber religiöfen
^ntmicfelung in ooHer 35erfd)lungen^eit ineinanber.
9lun mürbe es freiließ eine oöllige 95erkennung biefer Sc*
äiet)ungen bebeuten, rocnn man fie ttma fo oerftänbe, als ob ble
naturgebunbene Unterfd^ic^t nur ^as 9Htttel ober bas Uebungs-
p^antom märe, um bie anbcrn ©(^it^ten i^rcm 95ollenbungsäielc
^ugufü^ren, roie beifpielsmeife ber 3lrme bcs SHittelalters gleic^fam
— 336 —
haö oon ©Ott gcfd^affcne unentbehrliche Dbiekt ber QKo^Itättgfecit
war, um ben begüterten ©penber in ben Fimmel gu bringen.
95ielme^r finb aße ©c^ic^ten füreinanber t>a unb einanber unent-
behrlich, um fic^ gegenfeitig bem (gntroicfelungsgiele äupfütiren.
S)er gange fogiale ^rojefe ift, religiös angefetjen, eine €räiet)ung
ber 6(f)i(^ten burd^einanber unb füreinanber, um bie lefete grofee
(£int)eit gu |ct)affen, in ber ®ott ift alles in aUen. 3)ie 93eftimmung
ber Unterfc^id^t ift es, bie t)9t)eren (gntroicfetungsftabien it)rer 93oU=«
enbung gujufü^ren, bie SBeftimmung ber ^ö^eren ©c^ic^ten aber,
ben i5unlien bes (Söttttc^en in ber Unterfc^ic^t gu roeöien.
®as feann nur gefdje^en bur(^ unermüblic^e, fc^mcrglit^e
Qlrbeit, bcren ^aupttaft ouf ber ^nnm\d)id)t ruf)t, bk ja bafür
auc^ bie ftäriiften religiöfen Gräfte gur 95erfügung ^at. '^reilic^
fd^eint es gunäc^ft fo, als ob bie gnjeite ©c^idjt bie entfct)eibenbe
5trbeit leiften müfete. 5)enn es ift jo bie erfte unb gunöc^ft eingig
mögliche "Slufgabe, in ber naturgebunbenen 9Haffe ben ijormenfinn,
bie orbnenben Gräfte, bie fittli(^en unb geiftigen funken gu roeclien.
®as könnte allerbings bie groeite, ber geiftigen S)ur(f)bilbung gu*
geroanbte ©d)ic^t am e^eften leiften, roeil fie felbft ber 91atur=
gebunben^eit nod) am näc^ften fte^t, wenn nirf)t — in biefer
©c^ic^t ein ftarkes ©efe^ ber 9Ibftofeung gegen bie i^r noc^ nic^t
aUgu femfte^enbe llnterfc^idit roirltfam märe, ©ie roirfit gunöc^ft
l^öc^ftens burct) bas ©eifpieL S)iefes roirlit aber ebenfo oft gurücfe-
ftofeenb wie angiet)enb. 3^ift^^i^ biefen beiben ©(^i(^ten mögen
bie ©efüf)Ie bes ^oc^mutes, ber QSeraditung, ber fogialen 95er«'
ftönbnislofigfieit unb 'Slble^nung auf ber einen ©eite unb bes
Sleibes, ber D^nmad)t, bes ^roteftes, ber Stufle^nung auf ber
anberen ©eite. (Es ift ein faures ©tücä "2lrbeit, biefe beiben
©c^ic^ten miteinanber in ^ü^Iung gu bringen. (£in 9Heer oon
SHifetrauen unb gegenroirfeenben Gräften ift ha gu überminben.
©iefe Ueberroinbung gelingt nur ber über beiben ©(^irf)ten fte^enben
innerlid^ ruhigen unb feften ©elbftlofigkeit. 3ntmer nur roirb
freiließ aus beiben ©djidjten ein kleiner 'Slusfd^nitt aus ben roogenben
©efü^len ber 2lbfto^ung herausgeführt werben können, ©ottes
saiü^len mahlen im fogialen fieben fe^r langfam. 9tber mas fie
fdjaffen, ift aud) auf beiben ©eiten lebenbig aufroärts brängenbe
^crnkraft.
— 337 —
3n btcfcm Sufammcn^atigc tnüffcn rotr barauf I)tnroe{fen,
ha^ ber ^Ingclpunfit ber foäialen %xaQt foroo^I in bcr ©emctnbc
wie erft red)! im ©ef amtleben in ber 3IlitteI«, nicf|t in bcr
Hnterfc^ic^t liegt, ©ei bem 2Dorte „Mal" bockte bislang Jcber
an bie notleibcnbc unb naturgebunbene Sttaffe. 9Bir muffen barin^
oötlig umbenfeen lernen. S)ie inneren 6d)öben ber naturgebunbencn
Unterfc^ic^t ge^en auf bie inneren 6d)äben ber 3nittelfc^id)t äurücfe.
6inb fic geseilt, bann läuft ber fogiale ^rogefe uon felbft roicber
in gefunbe 95a^nen aurücfe. ©er ^unlie bes ©eiftigen unb Sitt-
lichen brängt o^ne menfcijUc^es gutun »on unten herauf, es kommt
nur barauf an, ha^ er entfacht unb gepflegt rocrbe. ^itt liegt
bas "iproblcm! »Sie Smte ift grofe. ©arum bittet bcn §errn bcr
ernte, ha% er 3lrbeitcr in feine €mte fenbe!" €s fe^It an
9nenfd)en, bie ben SCillen {)abcn, bie Gräfte oon
unten ^eraufgu^olen unb fic^ entfalten ju laffcn.
S)ie gentrale fogiale 9Iufgabe ift bie Umbiegung bes abgefplitterten
eigenroillens ber SHittelfc^ic^t, bie, anftatt i^re Gräfte gu gc-
fammeltem ©cf)affen für bas ©ange anäufcgen, fie in t)0(^mütigem
©onberftreben oerfprüf)en Iie§. ©er ©taat, roeld^er meint, fogial
gu fein, roenn er ben unteren ®d)i(i)ten geroiffe £cbenserlei(^terungcn
fd)afft, ^at noc^ ni(i)t einmal angefangen, fo^ial gu benfeen. So-
lange er fi{^ ber 5lufgabe. gegenüber, ber geiftig=«te(^nif(^en Sur«^-
bilbung bie 9licf)tung auf bas ©efamtrooHen gu geben, fo günglit^
ot)nmö(i)tig erroeift, f)at er bie ©runbfrage bes fogialen Sebens
übert)aupt nod| ni^t angerührt. $ier liegt barum bie gentralc
Qlufgabe bcr Sleligion, bie au(^ ^icr roicbcr, wie immer, bcr gc*
funben ©taatsentroicfelung hk ®a^n bereiten mufe.
3IIIe religiöfc 3Irbcit ift ^rgie^ungsarbeit, bie bie Stufen
bes fogialcn fiebens ancinanberfiettet unb burd) biefe unermübli(^c
95inbung roeiterfü^rt. 5)amit ift ni(^t ausgefprodicn, ha^ jeber
religiöfc ®inäetbienft . alle Stufen umf äffen mufe. 2ln fid^ ift es
natürli(^ bas ©efunbe unb Stormalc, ta^ jebe ©emeinbc aUc
Stufen umfaßt. '2lber bies ^ängt baoon ab, wie roeit bie ^ern-
truppe entroicfeelt ift. 5)as liegt nic^t in 3nenfc^cn^änben. ©Ott
nur kann bas SJlarfe bes fogialen Körpers roac^fen laffen. ^n
ber ©ro^ftabt freiliä) foUtc überall' bie oollc ©emeinbc oor^anbcn
fein, benn in i^r liegen alle Stufen unmittelbar nebeneinonbcr
fi. $ettmann, ©rofeftabt unb SSeligion. 3. ZeiU 22
— 338 —
unb incittanbcr. ^ic roeit bas auf bcm fianbe ober ctroa in
rctnen 3"^"f*ttebörfem möglich iff, ift etnc ^tage für fiel), bie
nic^t in bcn 9flaf)mcn unfercs 95uc^es fällt. 9lber roo oud) bic
fojialc 6trulitur eines 35oIfesfeörperö bie uerfd^iebene ©ctonung
cingelner (gräie^ungsaufgaben forbert, immer foUte bie ©cfamt*
leitung bes religiöfen Sienftes ben filaren SBItcfe für bas ©anje
bcr (Entmi&Iung ()aben, um bie Gräfte organifc^ gu oerteilen unb
bie innere Cin^eit, guföinmenarbeit unb QSoIIroertiglieit bes ©efomt*
bienftes am SJoIfisftörper gu gen)äf)rleiften. 5)afe eine ^irc^cn-
rcgierung, bie bic (£inl)eit bes religiöfen S)ienftes nur burdj ein
©pruc^geric^t magren gu Können meint, biefer tjü^rungsaufgabe
nic^t gcroa^fen ift, bürfte ouf bcr ^anb liegen. £>^ne eine burc^*
greifcnbe Kenntnis bcr ftufenroeifc fortfc^rcitenben ^ü^rung ©ottcs
aud^ im fogiatcn ficbcnsfeörper unb o^nc ben entfc^Ioffcncn Tillen,
fic^ ben QBcgcn bes lebenbigen ©ottes bienenb gu beugen, bleibt
Jebcr rctiglöfe ©tcnft ein "ipfufdiroerfe.
3. S)te innerfamtixären ^erroirklidiungsftufen.
QBenn bte ©emeinbe bas UxbUb für ben fogtalett ©efomt*
körper tft, fo loetft btcfes roiebcrum auf ein noc^ utfprünglicleres
Urbilb äurücfe, auf bic UrgeHc aller Seöcnsentrotcfeluitg, bie ^amlK€.
3luf bic 93ebeutung ber ^amillcngemetnfc^aft für bas teltgiöfc
ficben finb rotr 0U5füi)rIt(^ im ätüeiten 95anbe eingegangen. 2Bfe
muffen f)ier barauf gurücfirocifen. ^n unfcrem gufommen^ange
ift es {c^t no(^ bie 5lufgabe, klarguftellen, roie bie Scbcnsbegte^ung
groifdien 3leIigion unb ^amilie bie profetif(^en QBege ber religiöfcn
2Dat)r^eit6oer{iünbigung beeinfluffen mufe. 3tIIe ©eme^bearbett
mu^ gcfunbcnb, oertiefenb, Ijeiligenb auf ha& Seben ber Urgetlc
gurückmirfeen. ®arin liegt aber befc^Ioffen, baft fic^ in i^r Mefti^
Sieben felbft bis in feine innerftcn 3lcgungcn unb ^öfteoertctlungcn
fpiegetn mufe. (Es f d^eint gunäc^ft fo, als ob bie fojial aufboucnbe^
roeiterfü^renbe, gufammenfügenbe Slätigfeeit ber ©emeinbe, oon ber
mir im legten 3Ibfd)nitt fprac^en, keine Q^lückfidit auf bic Slufgabcn
bes Familienlebens ne^me, }a biefc fogar gurücfebrängcn unb scr»-
fplittem muffe. S)ie gro^ftübtifc^e ©emeinbearbeit ber legten ^a^*
8et)nte mit it)ren aufreibenben 'Slnfprüc^en an it)re Präger ^üt mc^r
als einmal roarnenb barauf tjinroeifen laffen, ba^ es bcffer fei,
bie ©ef(^loffcn^cit bes Familienlebens gu ^ütcn, als feine cinjefeien
©lieber an eine geroi^ fe^r fcgcnsrei(^e, aber hm 95crluft an f)äas»
lieber Sammlung nid)t aufroicgenbe 'JTrbeit gu binben.; es fei beffsr,
fi(^ in ber religiöfen 9trbeit auf bie 95erfeünbigung bes Portes gli
befd)rönken, um ni(^t bur(^ eine oUgu anfprudjsuoHc öffentK(ä^
fogialc Tätigkeit auc^ noc^ bie legte 3ßQß für innerliche ^thtnä"
pflege -gu äcrftören.
QiDie biefes ©ebcnken praktifct} oor einer wirklich gefunben
unb gefunbcnben ©cmeinbcarbeit itic^t ftanbplt, mag mon in hat
©c^ilbcrung ber ,,neuen ©cmcinbe" im ämeiten ^anbe nac^lefen.
22*
— 340 —
Stun aber gilt es noc| WaräuftcIIctt, ha% bcr 5tuf5au bes iJamtltcn«
Icbcns auc^ Inncrltdi, fac^Itc^ bte grofee (gräte^ungsarbctt bcr fo*
gtalen 6tufcn ancinanbcr forbcrt. ®cnn bte ^atntlte ift gar kein
abgefc^Ioffener Ärcis, bcr ein üon aller foäiolen ^lu^enentioicfelung
unab!|ängigc5 Sebcn fü^rt. 95iclmef)r ift fic nur ein S^n^nrinö
innertjalb bcs fogialcn ©efamtkörpcrs, ber ben gleicl)en ^ntroicfelungs*
gcfe^en unterliegt nsie biefer. 2Birb er oon i^m obgcliapf cit, bann
ocriiert er nad) unb nad| feine eigene lebenbige Struktur unb
oerknöc^ert genau fo rote etroa bte \x6) t>on ber 3Belt abkapfeinben
pietiftifdjen ©cmeinben. S:atfö(i)Ii(^ fc^affen bic fid) aus ber ©ro^=
ftabt aufs Sanb ober in bie ©artenftabt ftüd^tenben ^antilten
roö^l noc^ eine gang gefällig antnutenbe ^atnilienkultur im äfttjc*
tifdien ©inne, nidit aber bte unoüdjfige ^antilienkraft, bic nur im
©trom bcs ©cfamtlebens gebeifjt. 3"niöl ^iß 3ugenb barf nid)t
irgenbnjie im 9flouffeaufd()en Sinne tjom Seben abgefonbert tjerauf*
roac^fcn, rocnn fie bic grofe ^aft bcr Eingabe finben foH, bic
bas ©egcnroartsleben forbcrt.
Ucbcrgcugcnb klar roirb bas freilid) erft, rocnn roir uns oer*
gcgenroörtigen, ha% bas, roas man Familienleben nennt, bie ur«
fprühglti^fte Verkörperung bes großen Sntroidklungsgefcges ift,
bcm aUcs Sebcn get)or(i)en mu^. €s ftcUt in nuce ben <£nU
roicktungsproacfe bar, ber um bas rcligiöfc Hrcrlcbnis krcift. (£s
ift gar keine rutienbc ©rö^c, fonbcm in iebem 3lugcnblickc roac^"
fenbes ünb fid^ neränbernbes fieben, bcffen ©tabicn fi(^ rooI)I in
eroigem ^cislauf roicbert)oIen, aber mitten in biefer QBicbcr^oIung
fld^ einem t)ö^ercn Kreislauf in ber fogialen utib gcf(^i«^tlici)en
(Entroiditung einfügen. Gs beftef)t eine naturnotroenbige 333c(^fcl«
Wirkung grotft^en ben tjcrfc^iebenen (gntroidfelungskreifen. 5)as
3I3ort: „2Die bie ^amilie, fo bas 33oIk" gilt in einem oicl tiefre»
greifcnbcn Sinne als bie 2(ütagsraifon annimmt, bic in ber
Familie nur bic Siiefcrantin bcr ^inbcr ftc^t, bcrcn bas 95olk
bcbarf. 5lu(^ gilt in ooUcm Umfange bic Hmkc^rung jenes QBorts:
„9Bic bas 95oIk, fo bic Fß^iKe-" 3)ic Sntroicklungsgcfa^rcn unb
©ifte, bic im ©angen bcs fogialcn Körpers roirkfam finb, greifen
unroeigcrli(^ and) in bie (Entroicklung bes Fotuiücnlebcns t)inein.
2ln biefer groangsoerbinbung kann roo^l im ©ro^ftabtäcitalter
kein S^^cifet wie^r fein. Sie Satfac^e, hü^ bie SBismarckcpoc^c
341
bem "^amilknlehtn an bie QBurgel gegriffen ^at, Ift bas ftc^crftc^
6i)mptom bafür, bafe auc^ i^rc 23oIkscntn)icfelung im tiefften Sinne
lebcnsfeinblicf) war. S)arübcr Itann Itcin ftaatli(i)er, n)irtfd)afttic^cr,
tedjnifcficr, kultureller ^tuffc^roung tjinnjegtäufc^en. Sas 2tbtn
i)at ft(f)ercre Kriterien als foIcf)e Sc^einoberfläc^en.
S)aö i5öniilienleben ift nur bann gcfunb, wenn es bcn ^ets
barftellt, ben bas religiöfe Urerlebnis forbert. ®s ift nic^t not*
roenbig, ha% bas eingeinc ^amitientebcn ben gangen Äreis
f(i|Iiefet, aber feine Sinicn muffen fi(^ in hh QHunbung fügen, bcren
Slbfc^Iufe Dielleid)t erft kommenben ©ef(^Ie(^tem aufbehalten ift.
3nit anberen SDorten: (Es braudjt in ber (£ln5clfamittc feeinesmegs
gum ©urdjbrud) bes ooflen retigiöfen (Erlebniffes gu kommen, rootil
aber muffen bie (Entroidilungsftabicn, bie fie bur(^Iöuft, fiti^ bem
fortf(^reitenben ©ange religiöfer Sebensentroidilung einfügen.
3ebe i^ainüie umfpannt ja, felbft roenn mir oon hm ©roß*
eitern abfegen, oon i^rem %VL\)m, bem 95ater, bis ^in gu bem
iüngften ^inbe ein gang großes 6tücfe bes fiebensprogeffes. 3Jtan
mo(i)t fiel) feiten klar, was für einen ©ntroidilungsreic^tum eine
normale t^owitlie umfaßt. 3nan brauest nl(^t erft ©ef(^l(^te unb
Qlrdiäologie gu ftubieren, um bie ©efege bes fiebens gu fe^en.
©ie fpielen fid) fetjr oiel nät)er oor bem 2luge aud) bes einfac^ftcn
SHlenfc^en ab. Sas Seben oer^üüt feine ©efege nlc^t in gefc^ictjt*
Iicf|e ©e^eimniffe ober ^eilstatfac^en, fonbern offenbart fie oer-
fd^roenberif(^ iebem in bem Greife, ben es unmittelbar um it|n
^erumlegt. Sa^er bebarf bie lebenbige religiöfe 2Bal|r^eit au(^
keines großen tt)eoIogif(f)=«^iftorif(^en ©eroeisapparates, fonbern fie
fprid^t unmittelbar übergeugenb gu Jebem, ber fi(^ feinem nö(^ft-
liegenben fiebenskreife nic^t entgie^t 93ltt ber 2iefe unb (Ec^t^eit
bes Familienlebens fteigt unb fällt auc^ bie ^errfdjaftskraft ber
^Religion.
^ier freiließ fi^t in unferen 2:agcn ber §aken, foroo^t für
bie Familie mie für bie 9leIigion. ©er gefunbe fiebenskreis, ben
bie Fömilie umfpannen follte, ift gerfprengt unb gerriffen. 2Do
ift im S^^talter bes 3"*>^^^^w(*ttsmus bie oon allen gefunben
fiebensepodjen praktif(^, roenn aut^ oft genug unberoufet, feftge-
^altene ©runberkenntnis geblieben, bafe iebe Föwt^^^e oom SDatcr
bis gum iüngften ^nbe fiebens ftwfen umfaßt, bie auf keine
— 342 —
QBelft auf eine ^läc^e gebogen raerben können, bie ftd) aber gegen-
feitig tn tt)rer ®ntrotclilung bcbtngen! ©ie ^rau feöntpft mtt bem
9nanne um ©letc^berec^ttgung, ber 3Itantt fte^t in ber ^amilte
eine (£r{)oIungsftätte, unb in bcn ^inbern fte^t mon entroeber
amüfonte ©pielgeugc für bie ^rroad^fenen ober „^erfönlic^liciten",
für bie gönnerf)ofte ©Ieid)arf)tung angemcffener fei als burd^*
fc^Iagenbe ?Iutorität. Wir rooüen ouf bies traurige Kapitel nic^t
njieber cingef)en, fonbern uns auf bie Darlegungen bes groeiten
5Banbes bef(f)ränfeen. ®ie pojitiue (gntroicklungslinie bes normalen
fiebens fott uns i^ier befc^äftigen.
9Bie im jogialen ©efamtfeörper roäd^ft aud^ in ber gefunben
Familie in ber nod^mad^fenben ^nberfd^ar ber oegetatioe Xlnter-
grunb herauf, ben ber Sdjöpfer freilid^ in normalen Seiten reid)er
unb mannigfaltiger geftoltet, als es eine oerfaflenbe Gpodie nod^
kennt. S>iefer fprubeinbc SBorn bes ficbens ift bas Heiligtum ber
Familie, wie aud) bie fogiole Hnterfd^id^t bas Heiligtum bes 95oIkes
fein foUte. S)iefe ®f)rfur(i)t gilt freilid) beileibe nic£)t ber oegetatioen
2lrt bes narfjroad^fenben Scbens — oon bicfer 35erirrung bes
„3oI)rI)unbert6 bes ^nbes" möd^ten mir fo rocit mie möglid) ab"
rüdien — , fonbern bem oerborgenen fiebensquell, ber immer neues
2ebm aufwärts füt)ren roill. S)ie (£^rfur(i)t cor bem ^iü alles
fiebens gibt ber <£f)x\ux(i)t oor feiner OueHe bie 9BeiI)e. ^n keinem
2lugenblicke borf btm ^inbe gegenüber oergeffen roerben, t>a% es
ein burdjous unfertiges, fid^ entroidieinbcs Seben ift. ^n keinem
Qlugenblidie barf aber aurf) oergcffen roerben, ba% bicjenigen, bcnen
bas ^inb anoertraut ift, auf einer fet)r oiel roeiter oorgefrfirittenen
fiebensftufe fielen unb bat)er bagu berufen finb, bas Äinb roeiter«
anführen. 9lic^t umfonft oertraut hh 91atur bas ^nb erft einem
gereifteren fiebensftabium an. ©as bebeutet freiließ nic^t, bafe
biefes fiebensftabium bereits ausgereift fei. 3m ©egenteil! 3n
ber bauernben @ebunbenf)eit an bas fid^ roeiter unb roeiter ent*
roickeinbe unb barum immer neue Aufgaben ftellenbe Äinb roäc^ft
CS felbft au immer größerer Qfleife t)eran. ©iefem entroicklungs*
progefe motten mir je^t auf ber ©eite ber eitern etroas nä^er
nac^ge^en, roö^renb bie 5Bebeutung ber ^inbesentroicklung für
bie religiöfe <Mrbeit uns im näc^ften Slbft^nitt befc^äftigen fott.
3)er 5lugenblicfc, in bem groei Junge gjtenfc^en in bie (E^e
343
treten, tft ort ftd) in keiner 9Beife ein religiöfer §ö^epwn{it hes
Sebens. ®r kann es burrf) bie ^Jütirungcn, bie oor^erge^en, ober
burcf) befonbere fiebensumftänbe werben. Was aber bas (griebnis
bes (g^eeintritts jelbft anlangt, fo ift es kein Äulminationspunftt
religiöfer 5lrt. 3Han barf nic^t bie retigiöfen ©efü^lsmomentc,
bie ben Slbfc^icb oon 3ugcnb unb (EItern{)au5, hii (Erreichung
bes erften t)eifeerfe^nten ^xtls ber ^ugenbarbeit, bie Ungeroife^clt
über bas gukunftsfc^idifal, bie ^J^^eube über bas neu gewonnene
©tücfe begleiten, einfad) mit einem retigiöfen Erlebnis gleicfife^en.
€tn ber n)trMid)en 9leIiglon entfrembetes ©efd^Iec^t ^at fi(^ leibcr
feit langem gewöhnt, ©efü^Isaufroattungen ber ©ankbarfeeit, ber
Slü^rung ober bes geheimen SBcbens als ooflgültigc ^cu^erungen
religiöfen Erlebens ausuferen, anftatt fie als bas ju betracf)ten,
mas fie wirklich finb: ein gefül)l6mä|iges ^nbegie^ungfegen ftarker
Sinbrüdte gu trabitioneflen ©ebanken aus ber religiöfen 9Delt.
S>as rolrklidje religiöfe (Erlebnis kommt nie um bie Sphäre bes
SDiUens tjerum unb ift immer mit einem ©id^losrei^en oon einer
alten fiebensric^tung unb mit einer ^inkctjr p einem neuen
Sebenstn^alt oerbunben. S^latürlidi kann bei befonberen (Ent-
midilungskrifen, berenfiöfung mit bem ©diliefeen bes (E^ebünbniffcs
äufammenfäUt, biefcr ^Jall eintreten. S)as Stormale ift es beim
€^ef(^lu^ nid|t. S)a^er entfprad) es ni(^t nur ber biblifcl^en
Srabition, fonbern auc^ einem richtigen fiebensgefü^l, rocnn fiut^er
bie S^e als Sakrament nidjt gelten laffen rooHte. 5)ie ber äußeren
Sebensentfaltung gugeroanbte egoiftifdie ^uroc bes fiebensbranges
^errf(^t in ber (E^efdjlie^ung burc^aus oor, rocnn hit'it aud^ bereits
in ben (Entroidfelungsja^ren bie entf(^loffene Umbiegung ins ©elfttgc
erfahren ^aben folltc. S)ann roirb ber (Eintritt in bie €^e gemeint
burd^ bas oorl^er (Erroorbene, roas in einem gefunben Seben immer
ber '^aü fein folltc. 2lber ber Sl)ceintritt als folc^er ift no(^ keine
2Bei^c bes Scbens.
©ie fc^lummcrt freilid^ in i^m als oerborgener Äcim, ber
erft in. ber €rfa^rung ber ^atjxe ans fiit^t tritt. S)er lebenbigc
©Ott kommt immer gu hm aJIcnfc^cn, ot|ne t>a^ fie fein kommen
merken. (Er roirft feine ^äben bahn aus, rocnn bie SHcnf c^en am
cntfc^loffenften it)re eigenen QUege gu ge^en fc^einen. ©arum ift
es ber 5lusbruc& uralter Sebenserfa^rung, roenn bis ^cute beim
344
®{)efct)lufe btc rcitgiöfc ©Ute felbft in Greifen t^ren «pia^ behauptet
^at, btc öom religtöfen (Erlebnis kaum aus ber t^^^^nc gcftretft
roorben jinb. ®as ©efüt)I, bafe mtt bcm (gtntritt in bie (E^e ein
9Deg angetreten wirb, an bent trgenbrao bie grofee ge^eimnisooEe
3Kac^t roartet, oon ber fid) felbft ber roeltfreubigfte Sötenfct) noct)
bunfeet abhängig roei^, roirb ntcfit erftcrben, folange 9Ilann unb
9Beib auf biefer (Erbe genteinfom if)r S(i)iclifal tragen. Sro^ aller
ftatiftif(f)en ©orgen hxaud)i bie ^irc^e ntcf)t gu fürchten, ha'^ ber
religiöfe (Einfc^Iag bei ber €^efct)Iiefeung, ben bie 3:rauung bar»
ftellt, je oöEig oerfc^rotnben könnte. 3tuc^ in fe^r oiel gottloferen
Seiten, als rair fie erlebt ^aben, — roenn foldje benfebar finb — ,
roirb biefer ®infc^Iag ftc^ betjaupten. Sie immer erneute ^arte
Sebenserfo^rung, bie keiner ®t)e erfpart bleibt, roirb i^n immer
roieber gum fieben erroedien. ®er QUeligionsbiener roirb biefer all-
gemeinen fiebenserfa^rung ?lusbruck geben muffen, ernft unb er*
muttgenb, t)ietteic|t me^r gu ben ^Iten als gu ben jungen fprect)enb,
ben jungen nur letfe bie ©eelen bafür öffnenb, ba§ ein tangfam
fortfcfjrcitenbes (Erleben ©ottes hinter i^rem äußeren ©lück roartet.
9lur fon er fiel) nic^t ber Säufc^ung Eingeben, ta^ ber Eintritt
in bie ®t)e oIs ein burd^f(i)Iagenbes religiöfes (Erlebnis für bie
(EI)ef(^Iiefeenben gebeutet roerben könnte. 9Denn ber ©egen ©ottes
für bos mit emften ©efü^Ien unb t)eiligen ©elübben tjingenommene
©Iü(k erbeten roirb, fo tft für ben 'S.ag bcs €t)cf(f)Iuffcs genug
gef(f)ct)en. ®in nic^t unroirfjtiges 2tnliegcn bes religiöfen S)icnftes
ift es freilid), gumol in ber ©rofeftobt, bie 'Slusroüd^fe fogenannter
^od)5eitIid^er ©timmungen auf eine größere ©et)alten^eit unb einen
roürbigeren (Ernft prücfepfütjren, foroo^I um ber (E^efct)Iiefeenben
roie aud) um bes ©efamtlebens roiüen. S)enn es ift für bie
Sleligion an fid) f(i)on nid^t gleichgültig, ob bie ^reube bes fiebens
3ur ^usfc^roeifung roirb ober itjre ©tral)Ien in bie 3^nenroelt
roirft. ^ür bie (E^e aber, bereu llnoerbrü(i)Ii(f)keit unb Unouf«
IÖ6li(f)keit ein burd) bie S^^^t^ufc^be erroorbener fittli(^er SBefig
ift, roirb es immer eine bebrot)Ii(^e ©djäbigung fein, roenn an
it)rem 3lnfonge bie fiei(i)tfertigkeit an ber ©teüe bes Serant*
roortungsgefül^Ies fte{)t. einen ja^rtaufenbealten fittlid^en 95efiö
ber 9Henfd^t)eit gilt es tjier burc^ bie ©itte gu fd^ü^en unb fi(^er
äu ftellen.
345
9Hit bent gemeinfanteit fieben ber ©fjegatten, bas
mit bem pd^ften ©idjfclbftioollcn boc^ fd|on ble oollc äußere
6clbftt|tngabe oerbtnbet, beginnt nun auc^ eine innere Untbilbung,
bic fic^ auf bic rcligiöfc 95inbung ^inberoegt, fei es, ba§ fie eine
fci^on oor^anbene ©inbung oerftärM unb an bem neuen ©rieben
meiter äur ^leifc fü^rt, fei es, ha% fie biefe 5Binbung erftmalig gu
fc^affen fudjt. ©elbft in SHenfc^en, bei bcnen in ben ©ntroidilungs-
iafjren oor ber (St)e bie 6innli(^keitsfeurt)e obftegtc, feonn in ben
gntroicfelungsja^ren ber (E^e — benn auct) bie erften S^eja^rc
getreu noc^ , in bie ©ntroicfelungsftufe im fpejififc^en 6inne t)inein
— ber Hmfc^roung in bie geiftige Äuroe eintreten. 5)enn bic
®^c mirb immer, roenn fie innerlich feft uub gefunb ift, gur Sdjulc
ber ©elbftoerleugnung, ber (Entfagung, ber fogialen 93inbung. 5)a5
ift oft genug ein fdimerglidier ^rogefe, ber \\ö) unter ber Dberfläd)c
bes 25oUbefi^es äußeren ©lücties ooUgietit. Stets muffen beibe
5eile Opfer bringen, um bie gemeinfame Sebenslinie gu finben.
5)er QBiUe, bem fic^ beibe ©eiten lernenb unb opfemb beugen
muffen, ift bereits ber anfegenbe grofee ©(^öpfungsroille, 'auf ben
bas £eben I)inbrängt. Sas grofee ©el)or(i)cn gittert erftmalig in
bk ©runbtjaltung bes Sebens tjinein. 93ei feineren SJlaturen äußert
ft(^ bas gelegentütf) fd)on im erften S^cjatire barin, ha% fie eine
gemeinfame SBelt über i^nen fudjcn ober, falls fie aus ber Suöcwb*
entmicfelung eine folc^e bereits befifeen, biefe um fo forgfältiger
pflegen. S)as QBic^tigfte bleibt freilief), ha^ bie gemeinfame fiinie
praktifc^ gefunbcn roirb.
§ier nun greift ber ©diöpfer felbft f)elfcnb unb rociterfü^renb
ein, inbem er bas erfte ^inbesleben crmactien lä^t. 35on ber
SReligion aus gcfetjen, greift blefes (Erlebnis üiel tiefer in bie ®nt»
roidilung ein als bie ©^efdjliefeung. ®s Kommt geroi^ au^ in
ber äußeren ^orm eines beglüöicnben ©ef rfienks, aber es ift ge=»
geidinet burd) bie frf)arfen Spuren bes großen Opfergefe^es, unb
Smat nidjt blofe für bic SHutter, bie i^r Seben für bief es ©ef(^cn!i
aufs ©piel fefet, fonbcm au(^ für ben 95ater, oon bem nun bcibes
unausroeidilic^ gcforbert roirb: ©erjidit unb Eingabe. 93eräi(f)ten
mu§ er infofern, als er bas b^fte StücÄ ber Siebe feines QBcibes,
bas 95eroufetfcin ber 3llteinberect)tigung, um feines ^inbes roittcn
oufgeben mu^; Eingeben infofcm, als er nun fein fieben unb feine
346
3lrbett gekettet roet^ an ein jüngetes 5)afetn, bas oon je^t ah
fetncm Scben bte nte auf^örenbe 3(ufgabe unb bie für immer
fcftgclegte ©a^n metft. konnte bie S^e r>or ber Ätnbesgeburt
immer nod) als ein Kontrakt für gemeinfame Sebensgeftaltung
gefaxt roerben, fo fdirocigt je^t attes (Eigene Dor hzm anfprudis»
ooHeren Seben, bas nun ben 2Beg beftimmt. QUie oiel ftärfeer
bos not^ für bie Sötutter gutrifft, brautet nid^t betont merben.
Sie grofee Sinie, bie alles Sithm be^errft^t, tritt nun f(^on f(^örfer
heraus. Sas ©efe^ ber Familie, bas gugleic^ bas ©runbgefe^
ber SBelt ift, beginnt gu i^errfdjen. S>ic grofee Eingabe ift bie
©runbforberung bes Sebens geworben.
®5 lionn lieinem 3n>etfßl unterliegen, ha% ber ®ienft ber
SReligion an biefem ^unfet ber (Entroicfetung eine fel^r oiel oer-
antroortungsootlere 'Slufgabe t)ot, bem Erlebnis bie burct)fd)Iagenbc
5)eutung gu geben, als bei ber S^efd^Iie^ung. ©as grofee Stirb
unb 9Berbe, bas t)ier erftmalig fo fühlbar feine Spuren in bas
Familienleben ^ineingräbt, mufe aud) in ber ^orm ber religiöfen
QBci^e, bie bies Erlebnis forbert, klar gum 5lusbru(k kommen.
§ier nun offenbort bie ^inbestaufe *) i^ren tiefften religiöfen Sinn.
?Denn burc^ bte Saufe bas ^inb in bie SDelt ©ottes gerückt wirb,
menn burcf) fte bie Verpflichtung ber Familie für bas ^inb ben
religiöfen 2lusbruc& ertjält, fo geroinnt bas alles erft feine tiefften
Regierungen burclj bas hamit oerbunbene ©leiiiinis ber QUaffer»
taufe, bas nad^ feiner urfprünglid)en SBebeutung bas Stirb unb
SBerbc anfc^aulii^ gur ©arftellung bringt unb in bie ©emüter prägt.
Sut^er l^at Siecht, roenn er bie Slaufe als Sakrament feftljält, menn«
gleidi mir auc^ l)ier, roie beim ^benbma^l, bie Sakramentsauffaffung
bes Suttjertums roie aöe älteren fakramentalen ^uffaffungen im
Sinne ^ßfu ablehnen muffen. Sakramente im Sinne ber Sieligion
3efu können nur ©leidjtiiffe fein, burd^ bie nic^t ^immlifdie ©naben«
guter oermittelt, roo^l aber eroig gültige Sebensgefe^e gur ©ar«
ftellung unb QBirkfamkeit gebracht werben. §ier aber t)anbelt es
fic^ um bos centrale fiebcnsgefeö ber 9leligion, bas bem großen
(grtebnis ber ^inbesgeburt unb bem bamit oerbunbenen €ntroick='
lungscinfc^nitt bes Familienlebens bie QUei^e gibt. 9Zlan beachte
*) oergl. SBanb 2 Seite 237 ff.
— 347 —
habet lüo^I, roas mit im grociten 53anbe über bic Zau\e als
^amüten» (unb ©etneinbe») feter gefogt ^oben. ©enti bte Siaufe
erft^öpft t^re SBebeututig ItcincsfaUs tnit tt)rer Segie^ung auf bas
^inb als für ftd) beftc^enbes ©ottesgefd^öpf, fonbcrtt fle forbert
uttbebingt ben t5<JWiW6n3uf<i"i^c"^öng- öl^ttc t^n bleibt bas €rbe,
bas bein ^inbe in hu QBtege gelegt tüirb, unb bas t)erpfli(^tenbc
©clübbe, bas es in bie Sufeunft geleitet, in ber fiuft ^ängenb unb
jinnlos. €ine me^r ober weniger ntagif(^e ^emroiritung, bie fi(^
burd) bas^^Bort" tjoügie^t, ^at in ber 3leIigion Zt\u keinerlei
Serecfjtigiing, rocber in ber Slaufe nod| itn 3lbenbmaf)I. S)ie Sebcns*
aufammen^cinge finb ^ier fet)r oiel unmittelbarer unb realer.
S)os 6tirb unb QBerbe als eroig gültiges ©ottesgcfcfe gilt für bas
^inb als ^-amili eng lieb, bas ben göttlict)en Segen biefes
©efe^es eben baburd) empfängt, ha% bie (Eltern burd| bas (Er*
lebnis ber ^inbesgeburt in bie neue Sebensric^tung für bas ^inb
hineingezogen roorben finb, unb bas nur babur(^ an bem Segen
biefes ©efeges Anteil geroinnt, bafe bie (Eltern es in bies ©efe^
burd) emporfüt)renbe 3lrbeit ^ineinäiefjen. (Eine ungetjeure 23er»
antroortung ber (Eltern, bem ^nbe gegenüber Stelloertreter ©otfes
unb S:räger feines roirkenben Sebensgefefees gu fein! "Slber man
gebe fit^ gar keiner ^öufi^ung barüber ^in: roas nid|t bas 0tern*
l^aus burd^ 95ererbung unb (Eräiet)ung bem ^inbe mitgibt, kann
auf keine QBeife burd^ ein „göttlidjes 95ertjei^ungsroort" in ber
2aufe erfe^t roerben. ©ott roirkt nid)t ins 35Iinbe l^inein, fonbern
allein auf ben Sebensroegen, bie er in feine 6(^öpfung hinein*
gelegt ^at. Siefe ungeheure 95erantroortung ber Altern für bas
Mnb mu^ in ber S^auffcier 5um anbringenben 2lusbruck kommen.
^as ©leidjnis ber 9Baffertoufe mufe gerobe ben (Eltern gegen«
über — benn bas Äinb oerfte^t noc^ nid^ts baoon — feine ^us=
beutung in ber ^orberung finben, ha% in ber (Ergie^ung bes
^nbes ein « tägliches Sterben unb ^uferftet)en" fic^ ooUgietien
mufe, bamit bas ^inb roerbe unb fit^ entroickle, b. f). oud) in
basgöttli(f)e Stirb unb 2Derbe tiefer unb tiefer ^ineingegogen
roerbe.
91un roirb freilid} gerabc«bas tiefer empfinbenbe (Elteniljerä,
bas in bem ^inbe bem großen Unbered)enbaren unb Unbekannten
— 348 —
gegenüberftel^t, blc tiotte Uncrtrögl^fiett, ja Unmögni^feett ber
oEeimgen 93erantroortung für bos Ätnb füf)Ien. §icr wirb gum
erftcn aziale bcutUd}, ha^ bie tfottcrte f^omtlte für bte ^inbcrcr*
gtctjung gang unmöglich ift. QKct bem großen Sebensgcfe^, bos
bte ©d^öpfung burt^giel^t, gcgcnüberftc^t, ber fü^It tnfttnlfetit), \>a%
man nur m einem größeren ^uföntmen^angc ben ©c^orfam gegen
CS finben unb feine "iMufgaben erfüllen feann. *) ©orum ift bas
Äinb ber erfte QBegmeifer ber t^ömilic in bie ©emeinbe. S)er
©eelforger ber ©rofeftabt roeife, ha% ber mtitaus größte S:eit ber
feelforgerlic^en fragen, bie an i^n gericfitet merben, fi(^ auf bie
^Inber begießen. 2)arum barf bei ber Xauffcier bie ©emeinbc
nid^t fehlen, unb möre fie aud| nur oertreten burd^ bie 5:aufpaten,
bie bie Oltitoerantroortung übernel)mcn. 5)06 gilt f elbft unb erft
redjt für bie ungesätjiten ^ätle grofeflöbtifcfjer Siaufen, in benen
bei ber allgemeinen fittlidtjen ©eltobenä unferer ^e\t bie ©rö^e
ber SJerantroortung für bie ^inber aud^ nidE)t lelfe me^r cmpfunben
roirb. S)a mufe gerabe bie ©emeinbc als ^clfcrin unb ©eroiffens«
fd^örferin batjinter treten, um bem großen Sebensgefefe, foroeit es
irgenb möglid) ift, bie SBat)n 3U -brechen. **) ©erabc ben gteid^»
gültigen unb oerantroortungslofen Altern mu% es auf jebe erbenK-
Ii(^e, njenn ni(f|t anbers, ouf aufbringlic^e QBeife gu ©emüte ge»
füf)rt merben, bo^ bas ^inb nid|t ^rioatbefig ift, bem man gegen«
überftel)en feönne roie man motte. S)ie gro^e ©orge um bie na(^=
road^fenbe ^ugenb, bie 33oIlt unb ©taat na^ bem Kriege fet)r
ftarfi befdjöftigen rolrb, mirb fjier aut^ f(^on bie 9Bege bahnen
Reifen, ^ier gerabe wirb bie neue ©emeinbc i{)rc ^aft baburd^
beroä^ren muffen, ha'^ fie auf atte möglicffc QBeife bie ©eroiffen fc^ärft
unb bas 93crantroortungsgefül)I roeöit. ^reilic^ ber S^on mufe bei
ber Saufe immer auf ber ^amilic liegen, bie ©emeinbc ift ^ier nur
mitöcrantroortlid^e Helferin, bie lebenbigc Vertreterin bcs göttlid)en
ficbensgefeöcs, bie Slüdk^alt unb ©tüge für attc i^rc i^ötnilien ift.
*) S)as SBebürfnis ber aituttcr, ftrfj 3lat5 ^u ^olen unb fid) aus«
Sufprerfjen, ift ebenfo aUgemcin rote bie Sorge ber SBätcr, i^ren f|cran«
roa^fenben ^inbern gegenüber bte rechten 2I3ege gu finben.
**) SSlan oergeffe ni(i)t, ha^ mir t|tcr bie im groetten 93onbc ge«=
fd)tlbettc „neue ©emcinbe", bie merbcnbc unb arbeitenbc, in bcren aHittel*
punitt blc 3"9^«ö \i^¥i iitt Slugc f)aben.
— 349 —
SHIit jebeiTt neuen ^tnbe roteber^olt flcti bie ^aufe, ho^xt ftct)
mit ben galten ber 6orge aud^ bas grofee Dpfergefe^ tiefer in
bie ^omilte hinein. ®as fiebensgefe^ bes ©djöpfers finbet mef)r
unb me^r felbftoerftänblic^en unb roittigen ©e^orfam. ^ebes ältere
^inb roirb gum 9ltiteräiet)er ber jüngeren ©efc^roifter. (Jrßiß«^
n)5c^ft aud) mit ber "^oi}! ber Mnber unb i^rem gune^menben
3llter bie SKlannigfoItigkeit unb ©c^roierigfieit ber Ccräietiungsauf*
goben, unb bicfe roiebcrum forbern guneljmenbe 9leife ber (Eltern.
3t)rer (gntmicfelung menben mir uns je^t mieber gu.
3Dir ^Qben bisher bie (Altern als eine (Einheit betrachtet.
5)iefe Ccint)eit faltet fic^ fofort in i^re beiben ©eiten auseinanber,
roenn mir bas '3Iuge auf bie (Ergie^ungsarbeit rid^ten. 30 öud^
bas (Erlebnis ber €f)ef{^Iiefeung unb öollenbs bas ber ^inbesgeburt
tragen für 9Hann unb QBcib fd^on einen oöUig uerfi^icbenen
S^araliter nac^ ber 95erfci)ieben^eit ber beiberfeitigen ödjöpfungs-
anlagen. darüber brandet feein 9Bort meiter verloren gu rocrben.
3n ber ®räie{)ungsarbcit aber roirfeen nun biefe uerf(^iebenen
Sebensanlagen nad) au^en unb merben äum ftetigcn 95eeinfluffungs*
fafetor für bas ^inb. §ier mufe alfo bie gcfonberte ^Betrachtung
einfefecn.
5)a mufe nun oon ber ^atfac^e ausgegangen merben, bafe
bie 9Hutter bem Äinbe am nöc^ftcn ftct)t, i^r (Einfluß alfo fic^erlic^
ber grunblegenbe ift. ©ic fioft ber erften Äinberja^re liegt fo gut
mie ausfct)liefeli(^ auf ber OHutter. 5)er 6(f)öpfer t)at i^r barum
eine ftarfee ©runblage oegetatiuen fiebcns mitgegeben, um biefe
fiaft gu beroöltigcn. ^Ijxt roeid^e, ben 9flegungen bes ^ugenblidis
mühelos nadjgebenbe, fid^ äure(^tfd)miegenbe 9latur, bie ni(^t oon
bem gefefteten, auf jiciftrebige 5trbeit angelegten QKillen bes
SZlannes eingeengt roirb, gibt i^r bie ^ätjigfeeit, bas rein oegetatioe
fieben bes ^tnbes gu f)üten unb 3U fc^ü^en, otjne es geroaltfam
gu bebrängen unb burc^ oorgeitiges ©gftematifieren ju gefä^rben.
Sie läfet bas Äinb fic^ gurec^troü^Ien unb glättet liebeoott unb
oorfic^tig nur im (Eingelnen. 5)as ift ein gang geroaltiges ©tücfi
5lrbeit, oor bem ber SHlann um fo ^öt)ere Gf)rfurc^t empfinbet,
}c rocniger es iljm gugängllc^ ift. 2(us bem c^ootlfc^en 9latur-
untergrunbe burc^ leifes SHac^fpüfcen, Socfeen unb Pflegen bie erften
Sinien gcorbneten fiebens ^erausgu^olen unb langfam gu fcftigen,
— 350 —
tft allein bcr "^vau gegeben. <£s roöre natunotbrtg, roenn bte '^xau
btefe ttjre koftborftc Slaturgabc gering fdiööen rooUte. Unb bocl)
ift biefc StaturiDibrigfeeit in unfern Sagen 9BirfeIt(f)feett geraorben.
3)em ©rängen ber ^rau in bie fiebensfp^äre bes Sölannes liegt
gomic^ts anberes §u ©runbe als bte 25erad^tung i^rer eigenen
Sebensfppre. 3^^ fog- 3Iufroörtsbrang bebeutet bie Soslöfung
üon i^rent ^Burjelboben. 6ie mag noc^ jo fe^r betonen, ha% fie
aud^ i^re urfprünglic^e 3Iufgabe nod) unb t)or aßen fingen rooUe,
bofe fie b aneben nur bie ^iilöffung in bie Sphäre bes SSlannes
niotle, um bann in ber ©teüung bes SHannes um fo .energifdjer
bie 6p^äre ber "^rau fi^ü^en unb förbern gu können — es ^ilft
i^r ni^ts. S)te 9latur tft unerbittlich auf ergängung angelegt,
unb fie fteEt i^re (gingelaufgaben fo umfaffenb unb ft^roer, ha^
CS in it)r ein daneben nic^t gibt. SDeil ber SHlann ber Pflege
unb Srgie^ung ber grunblegenben ^inberja^re Ijülflos gegenilber-
fte^t, barum mufe bie ^rau i^r gang gehören. 5lIIe i^re ^aft,
and) bie ^aft ber unoere^elidjten ^xau — bie ?latur fci)afft ben
Ueberfc^u^ nit^t umfonft — mu% auf biefe 2lufgabe gefammelt
fein, fonft kommt bas nacf)n)acf|fenbc ©efc^lecfit gu feurg. 5)ie tjrau
allein oerbinbet in il)rer 9Iatur ben oegetatioen Untergrunb mit
ber ^raft ber orbnenben 6itte, bie Unter* mit ber 9Hittetf(^t(^t
bes ficbens. 5)icfe it)re feoftbare 9Iaturgabe oerbietet es i^r, fid)
in bie britte fiebensfc^it^t tiineingubrängen, fo geroife fie i^rer als
ergängung unb ^alt bebarf. Sarin liegt beileibe feeine reltgiöfe
Sntroertung ber '^xan. 9lo(^ einmal oerroeifen mir in biefem 3u*
fammen^ang auf bas ©leit^nis oon hm 2lrbeitem im Q33einberg.
©as gro^e (Entraic^lungsgefefe bes Sebcns, feine unoerbrü(f)lic^e
6tufenfotge t)at and) bte ^xan kein 3lec^t gu fprengen.
Sie '^xau bient bem glei(^en retigiöfen Hrgefe^ mie ber
3Ilann, aber auf einer anberen (Entroidfelungsftufe. €s ift it)re
Slufgabe, ben göttlichen ijitnken in ber S:iefe gu meclien, bas
oegetatioe fi^ben ^eraufgu^olen in bie 2Delt bes orbnenben ©eiftes.
6parfam{ieit, peinlic^fte Orbnungstiebe, forgfältig gel)ütete 6ittc,
empfinblidiftes ^^rgcfü^l, oorfid)tige f oktale ^usma^l, unerbittliches
•Slbfto^en bes SRlnberiüertigen, aber um fo l)ingebenbere Pflege
ber ols mertooE gefüllten Sejie^ungcn, unermübli(^ geftaltenbe
^rb€it, i56fi"ßn|iiin, ^unftliebe — es ift ein unerft^öpflic^cr ^leic^
— 351 —
tum, bcn bcr formgebenbc ®etft bcs ®Mlid)m in bie ^rQucnnotur
l^inemgclegt t)at. 95erleugnet eine fjrou biefen formgebenben ®clft,
Tütrb fie unorbentlic^, oerfdiTüenberifdi, gcfdimacfetos, foätal un»
roätjlertfd), bann roirb fie fofort oeräd)tIi(^. SBeibes rotrb oon ber
^rau ge|orbert, foroot)l t^re oegetatbe, ber ©innenroelt pgeroanbte
Seite, bie i^r Staturboben, i^re eroige ^Ingie^ungsmoc^t ift, roie
aucf) bie formgebenbe ^roft, bie bie Statur in jebent ^tugenblidi
bänbigt unb geftaltet. ©ie ift bie 6penbcrin ber Siebe unb bie
Trägerin ber ©itte. ?8eibes mufe fie fein, um i{)rer ^ü^rungs*
aufgäbe für bas na(i)road)fenbe ©ef(f)Ie(f)t gered)t gu roerben. S)afe
es geroaltige ©pannungen finb, bie fie in il^rer Statur äufantmen»
t)ält, bürfte Iilar fein. 9)m liegt bie grofee fittlic^e fieiftung, bie
bas ©diöpfungsgefefe oon if)r forbert, gröfe genug, um aUe i^re
Gräfte 5U binben. ^reilic^ roirb ber ©ieg bes ©eiftes über bie
Sinnlicfjfeeit, ber 'gorm über bos 95egetatioe erft ftufenroeife errungen,
unb groar in ber 9Irbeit an htm ^inbe. €rft mit bcn ^eran»
roac^fcnben Äinbern unb ber an i^nen unermüblicii gclelfteten (£r-
3iet)ungsarbeit entroidfeelt fii^ bie ooHe ^errft^aftsliraft ber ^rau,
roirb bie 9Hatrone gefd)affen, in ber feber ©ebanfee, jebe 95eroegung,
jebes SDoHen 9Bürbe unb burctjgeiftigte ©üte atmet.
3n bicfer Stellung ber ^rau innerhalb ber ©d^öpfungsent-
roiclilung rourjelt ouc^ it|re ^J^^ömmiglieit. ^ür bie i^rau ift bie
Sleligton bieOBelt besaitetes, ber SReintieit, ber geiftigen QJoIIenbung,
ber ifjre Statur äuftrebt. 6ie trägt geroiffe Senngeit^en, bie eroig
bie gleichen bleiben roerben. ^raucnfrömmtgkelt roirb immer
inblolbuallftlfcl) fein. (£lne Qtellglon, bie l^r nlc^t perfönttc^c
SßoQenbung oer^el^t, roirb nie bcn 2Deg In i^r 3"iißi^ftßs flnben.
(£s Ift nlc^t SufoH, ha^ foroo^I blc feat^ollfc^c role bie lut^crlft^c
iJrömmlgfeclt flc^ rourjelt)aft am tiräftlgftcn In ber ^raucnroclt gc*
Ijaltcn fjat. 9nan t)at boraus bcn 6c^Iu^ gcgogen, ha^ blc fjrau
eine ftärfeerc rcllglöfc Einlage bcflgc als bcr 3Itann. 933clt gcfe^Itl
5)le Sntrolclilungsftufcn bes Äat^oUglsmus unb bcs Sut^crtums
flnb nld|t über bcn S^tblolbuallsmus ^Inausgcbrungen unb mußten
ba^er In bcmfclbcn 92tofee, role in bcr ©cfamtcntrolcfelung blc
Snannesnatur ausreifte, oon bicfer abgelehnt unb ouf blc ^raucn-
roclt bcfc^rftnfet roerben. 3)lc „6cllg!iclt" als Icgtcs 'S^d bcr €nt-
rolclilung bcbcutct für blc ©cfamtcntrolcfelung cntrocber 95crfoIl —
— 352 —
fo im gefc^ßd^cn ^ii^cittum — ober Unooßcnbung — fo im
Sut^ettum — , füi bie ^rou aber bas ctnätg mögtidie Sebcnsgict.
^raucnfrömmigkeit roirb ferner immer gur ©efefelictifeeit neigen.
3Beil bie ^rau felbft mit bcr ©itte fte^t unb fällt, roirb fie jebe
2luflöfung religiöfcr 6ittc ft^mcrglid) empfinben unb i^re forg-
fältige ^^ne^altung qIs fiebensbebingung ber 3leIigion anfc^en,
gnon l)at bas bie konferoatioe Einlage ber %xau genannt. 5)as
ift hoä) nur Ijalb richtig. S)ie roa^rt)aft lionferootioe ©efinnung
atztet fe^r oiel ftärfeer auf bie S^nß^öttitiiÖ ^e^ innerften fiinie
bcs ©ef(^et)ens, roö^reub bie ^rau ^ier einen 9[De(^fel leidjt er*
trägt ober garni(^t füt)It, roo^t aber ben 313ed)fel in ber ^^oJ^m
ablehnt. S)afe man in ber ^irc^e Sid)tbiIberoortröge tf'dlt ober
bie 3lbenbma^Isfitte abänbert, ift i^r fe^r oiel fct)mersli(i)er als bie
©crfeilnbigung eines neuen 95erftönbniffes bes (goangeliums.
^rauenfrömmigfeeit roittert mit großer 6ic^er^eit innere ^lein*
t)eit unb ©elbftlofigfeeit. ©ie fud)t ben aUenfdjen unb feine inneren
Gräfte, nicl)t bie 6ad)e unb bie burd) fi(^ felbft roirkenbe SBa^r*
^eit. Z^n bur{^f(^tagenbe ^raft, bie gamict)t nac^ ben Sirägem
unb i^rer perfönli(^en QBürbigkeit fragt, ift it)r eine unbekannte
QBelt. Sie roill roiffcn, roie ber 3Ilenfc^ ift, ber fie oerMnbigt.
©ie oergei^t i^m oieles, niemals aber bie einfeitig - ^arte Objek-
tioität bes QUottens. ©ie ift für fie kalt unb ^art roie Gifen unb
roirb bärum abgelehnt. QDärme unb perföntidfes ©efü^t mufe
babei fein, fonft fliegt fie.
9Ber roitt barüber riiiiten? 2Dir aUe fjaben an ben SBrüften
biefer Frömmigkeit gelegen unb aus i^r bie erfte ^raft unferes
fiebens gefogen. S)ie ®^rfur(^t cor ber 9Hutter roirb nicljt fterben
unb bamit aud^ nic^t bie (£t)rfurii)t oor i^rer ^Ji^ömmigkeit. ^J^eitid^
gibt es norfj einen oierten gug biefer Frömmigkeit, ber über fie
felbft ^inausroeift unb il)re Stellung innerijalb ber roeiterft^reitenben
Gntroidklung fiebert "Sluf i^n roerben roir unten eingeben.
€s ift eine fet)r roidjtige Aufgabe bes religiöfen ©ienftes,
ber Frauenfrömmigkeit geret^t gu roerben — um bes nad^roarfjfenben
©ef(^lec^tes ioillen. 3Bäre bie ©cmeinbe nur eine ©emeinf(i)aft
©lei(i|gläubiger — im ©inne ber 5Bekenntniskird)c — , fo roöre
biefe Aufgabe auf bie Sauer unlösbar. S)ie 95erfc^iebenartigkeit
ber 95crroirklicl)ungsftufen ber religiöfen 2Bat)r^eit fc^on in ber
^amiftcn — gäna güfc^toeigcn oon bcrt Walen 6tufcn — toürbc
btc ©ctncinbc auflöfcn ober — rote es t)cute n)eltl)tn bcr ^aU
tft — TOcf entließ Quf ein ©cfctjlec^t unb auf eine f oktale ©tufe
bcfdjrättfien. ©os l^at man ftc^ in bem Stfer um bos ©cfeenntnis
oIs (gtn^eitsbanb fet)r fetten klar gentacfjt, obwohl liclnem bte (Etn-
fetttgfeclt ber Sufömmenfeöüng ber fitrd)Iicf)en ^römmigfeeitsfireife
oerborgen bleiben konnte. 3)ic Iut^crifd|e Sefeenntnisklrc^e wirb
niemals über i^ren aziittelftanbs« unb ^rauenc^arafeter f)inaus*
kommen, unb jebe anbete SBekenntniskirtfie wirb eine anbete (Ein*
fcitigkeit htt ©c^ic^tung aufroetfcn. S)as «ntroicklungsgefeö bes
fiebens fpottet Jebet ©c^ablonifietung. Stun abet ift bie „neue
©emeinbe" alles anbete als eine 95ekenntnisgemeinbc im ^ergc*
btad)tm Sinne. 6ie ift eine fe^t lebenblg roadifenbe, oonoötts
atbeitenbc, ctaieljenbe unb botum and) gef(^i(^tete ©emeinbe,
in beten 9HitteIpunkt bie immet neu t)etaufn)a(^fenbe unb atte
Sntroicklungsftabien butc^Iaufenbe 3w9^ni> ft^^t- 3" i^i fi^^t füt
bie '^tan htt ooUgüttige unb i^tet ©c^öpfungsaufgabe entfprci^enbe
^laö beteit, unb ^max roitb et bott gu fuc^en fein, roo es gitt,
in bet Qugenb ben ^Junken bes göttlichen ©eiftes, ben ©inn füt
3uc^t unb Otbnung, ben ©tiefe füt bie fii(i)troclt hi:t 9fleinl)eit unb
©Ute äu roedien. 5)ie ^tau ift bagu berufen, bet 3wgenb bas
leligiöfe 3i>^fll i>«s petjönlic^en fiebens gu geftalten unb in bie
©eele gu fenken. 3" i^tem $aufe le^tt fie i^te^inbet bas etftc
©ebct, etää^ft fie bie etften 9Hötc^en unb ©efc^ic^ten aus ber
reinen Sic^troett ber 95ergangen^eit, löfet' fie bie ©eftatt (Et)rifti oot
bem inneten 2lugc bet 3ugenb oufftta^ten. 3^ ^^^ ©onntags-
f(^ule t)ilft fie bie ©tof^e geftatten Unb bie tellgtöfen SBilbet bet
95etgangenl)eit lebenbig machen. S)ie oolle gött^eit unb bie teic^e
^ülte bet ©efialtungsktaft befifet ^iet allein bie ^tau, fo geroife
i^t bet 9Hann bie ©toffe in i^tet t)etben 3Ba^t^eit äumetfen mufe.
®iefe ®abt bet '^xau fotl man nut einfpannen, fie roitb fi(^ fc^on
bemalten. 3" ^^^ beroa^tenben, fammetnben, tettenben ©emeinbe-
aibeit ge^ött bet ^tau in etftet Sinie bie ^inbt)eit. Sie ^amitic
ge^tt i^t, roo es gitt, füt bie 3ugenb ben ©eift bet Otbnung
unb bet fiiebe gu et^atten obet »iebettjetäufteüen. ©ie roeiblic^e
3ugenb ge^tt i^t bis 8ut Sleife. S)as ^anke unb ©c^roac^e
roitb t^tet pftegcnben unb linbetnben^anb anoetttaut. ©ie könn
fi. ©eitmann, ©ro&ftabt unb «eltgtou. 3. 2cil. 23
— 354 —
fldd ttld^t beklagen, bo^ es t{)r in bcr neuen ©entetnbe an ooU«
roerttger 3lrbett gebre(^e.
^bcr rote rolrb es ba, roo es flc^ borum ^anbclt, i^re „per*
fönllc^c" ^römmigfeettsroelt — auf ble fte als iJrau ein 9lec^t
f)at — gu pflegen? ^\t bas aud) „^Ji^auenfadEie"? §ter nun
f preisen roir etn entft^lebenes „Sfletn". ^tt muffen nun auf bcn
oterten S^^Ö ^^^ ^raucnfröntntigfeeit kommen unb gu feiner ^tar-
ftcUung etroas roetter ausholen.
QBir muffen ba ben — fc^etnbar — l^crben ®aö ausfpredjcn,
ha^ troö alles perfönti(^en35oUenbungsftrebens, tro^- aller e^rfurdit"
gcbietenben €;^araliterabrunbung ber reifen '^xau in ber ©ntroicfe:«
lung ber roeiblid^cn STlatur immer eine le^te Unooüenbung bleibt,
bie über fic^ felbft ^inausroeift. ®as ooUe ^tUeinfte^en unb ^n*
fid^felbftrul)en t)at if)r bie Statur oerfagt. ®s bleibt ein te^tes
^nle^nungsbebürfnis, bie ©ebunben^eit an eine ^aft, bie i^r erft
bie 25oIIenbung f(^enkt. (Erft in bem 9Hanne finbet fie ben ru^enben
^unfet, ber i^r bie oolle innere 6i(^er^eit gibt, ©er legten fiebens*
roirfelic^fieit gegenüber ift fie immer bie ©efü^rte, nic^t bie ^Jü^renbe.
Sas gilt fogar für it)r 95erpttnis gu it)rem ureigenften Sefi^,
it)rem ^inbe. 0elbft roenn fie in i^rer ^ü^rungsaufgabe ber garteften
3ugenb gegenüber oon bem SSIanne gar feeinen feunbigen 3lat
^olen kann — fie mufe bas ©efü^I f)aben, ha% fie i^rem ^inbe
gegenüber ntd)t allein fte^t. 5)ie Ic^te 95erantroortung mufe fie
mit einem ftörkeren 9BiEen teilen, ©o fouoerön fie bie ©ittc
be$ fiebens bet)crrfct)t, bas Urteil über bie legten fiebensentfi^ci*
bungen föllt nic^t fie felbft, fonbern nimmt fie ^in. 6ie tritt für
i^rcn 3nann ein, auc^ roenn ber ^ugenfc^ein i^m oor ber QBcIt
Unred)t gibt, roeil fie fü^It, ha% fie mit i^rem 9Honne fte^t unb
faßt. 3^re leöte fittlic^e ^raft ift bas g5ertrauen.
Sarum ift bie iJ^^ömmigkeit ber ^raU bie Frömmigkeit bes
©ottoertraucns. Sas „93efic^I bu beine 9Bege" ber fiut^erkirc^e
ift bas fiieb ber ^xau. ®arum braucht fie nic^t über bas perfön-
lic^e Sebensibeal ^inausguftreben, roeil für fie bas ileberperfönlic^c,
o^ne bas bie QUelt verfallen roürbe, in ber ®(^öpfungsorbnung in
einem anbern oerkörpert ift, h^m fie fi(^ oertrauensooU Eingibt.
S>ie Ic^te SSerantroortung ber ©ntroicklung liegt nic^t in i^rer
§anb. 3)arum f^at fie aud^ nirgcnb in ber 92lenfc^^eitsgefc^ie^tc
Ä Ä. ^
^ 355 --
Jcmntroerfcnb unb oörroörtsfc^offenb gcroir&t. €0 gob ^crrfc^et»
naturen auc^ unter ben ^rouen, aber ntcl)t In bcr 2BeIt bcs ocr-
ontnjortungsooH f(^offenben ©elftes. S)ie 9Henfc^^ettsgcfc^lc^te
kennt feeine Sleligionsftiftertnnen unb keine ®at|nbrc(^erinnen jer-
ftörenber unb oües untbouenber SDo^r^eit. ©ie ^arte SBelt bes
Obiektioen, bas 00m perfönlid^en ©ditcfefal unabhängig ift unb un-
abpngig ntac^t, war oon i^r nie be^errfc^t, wenn auc^ ftets geahnt.
'©eat)ntl Obroofjl fie nie Trägerin ftegf)aft umgcftaltenbcr
QBa^r^elt roar, I)at fie immer ben fc^ärfften 93Iick für fie gehabt.
3efus oon Stagarett) f)at in feinen €rbentagen keinen QHann ge«
funben, ber nic^t oon 6tunben ber ©t^roödie unb bes gii'cifets
gepadkt roorben märe. Stur grauen tjaben flrf) in it)rem ©tauben
an feine fittlid^e ©rö^e ni(i)t irre marfien laffen. €in elenbcs
93tännergef(i)Iec^t fa^ feinen 3Beg auf ben Sobesberg, aber roeinenbe
iJrauen geleiteten i^n. Sie l^öc^fte ©tufe bcr ©ottesgebunben^ett
ift bem aktioen ^anbeln ber ^mu oerfagt, offenbart fic^ aber
i^rem a^nenben ©efü^I mit untrüglicher ®ic^ert)eit. *)
3n biefem „f(i)Icct)t^inigen 3lb^ängigkcitsgefül^r **) liegt es
ouc^ begrünbet, ha^ bie '^xau für bie Pflege i^rer Frömmigkeit
ben 9Hann forbert. 5)ie ©runbbeftimmt^eit i^res ficbensgefüt|Is
gebietet es, bofe in bem Seiten, roooor fie fid) beugt, ein oon i^r
praktifd) Unlösliches, nur a^nenb in feiner 93ebeutung ©efü^Ites
oort)anben ift. Sie ^Frömmigkeit 3cfu tft ^erbfte SRannesfrömmig-
keit unb ^at eben baburc^ bie ftärkfte 3lnäie^ungskraft auf iJrauen
ausgeübt. (£r f)at nie baron gebac^t, eine t^^au gur Trägerin
feiner ©otfc^aft gu ma(i)en,***) unb l)at boci) gemufet, ba§ grauen
bas fdjörffte Ol)r für feine Qßo^r^eit Ratten, ja ^at geforbert, ha^
fie fic^ bem „Sinen, roas not ift", gang öffneten. Sie grauen
finb nie ®ntfad)erinnen bes ^eiligen ^eucrs, aber immer feine
treuften Hüterinnen geroefen.
*) Sas fdjönftc Scnfemal, bas je einer grau gefegt roorben ift, ift
btc ®ef(^trf)tc oon ber 6albung 3efu in 93et^anicn.
•*) ©djlciermadjers Si^cologie Ift rote bie gange ©ctftesrii^tung ber
3lomantik rocfcntKc^ rocibttc^ befttmmt.
**•) ®cr anariinkult bcr kati^oUfd^cn Äird)c ift gcroife eine 95ercin*
fad)ung bes 'iproblems ber grauenfrömmigkcit, aber jugicldj md) eine
SBerflac^ung.
23*
^ 356 —
©arum gilt für alle gottcsblenftlic^en 95erfamtnlungcn, bte
her 95erfeünbigung bcr legten Scbcnsroal^r^eit bicncn, ungcI)ro(^en
berSag: „®lc ^rau f(^n)etgc in bcr ©cmeinbc!" 3tt)er er forbcrt
btc Srgänjung: »Hm fo oufmcrkfomer t)örc fie!" ^ören! ©as
^el^t ntc^t blo^: fi(^ etroas ungeprüft Eingenommenes aneignen,
fonbern bos Reifet: laufdien auf bie legten fiebensqueüen unb fie
umfe^cn in perfönftdjes Sebensgut unb perfönlidje fiebensforberung.
3n bcr ^nwenbung unb (ginformung in bas Seben, in bcr un*
cr5lttli(^en Prüfung bcs bcm ficben S)iencnbcn ift bie %xau SHlcifterin.
6tc fofet alles „pcrfönlic^", b. ^. für bie iji^au, unmittelbor pralitifc^.
S)afe oon ber Mangel bie mirklid^c Scbcnsroa^r{)cit quillt, bafür
finb bie ^^röuc« öic unbeftodjenften 3li(^tcrinncn.
93ci ber Darlegung ber ^Frömmigkeit bcs 9Hannes werben
UJir erkennen, ha^ in i\)t troö alter gerben Objektioität immer
bte 95rüdie jur „pcrfönlic^en" ^Inroenbung oor^onben ift. 3^^^
fotgenbc fiebensftufe trägt bie oortjcrge^enbe unb bie i5ül)lung mit
i^r in iljrem ®cl)ofee.
3:atfä(^li(^ verkörpert bie ^Frömmigkeit roie bie gange innere
Haltung bcs 3Hanne6 eine anbere fiebensftufe als bie ber iji^aix.
(Er t)CLt eine anbere Stellung jum nadiroac^fcnben ficben unb bamit
im ganscn fiebensproge^ als biefc. (£r ift oerantroortlic^ für bas
Sßcr^öltnis ber iJöniWic unb bes ^inbes gum ©anjcn bes fiebcns.
Cr wirb barum bcm Äinbe nie fo na{)e fielen wie bie aHuttcr.
Sie Siftang, bie fi(^ gang öon fclbft in 3lutorität umfe^t, ift natur*
^aft begrünbet. ©eine Statur ragt geroife auä) in ben oegetatioen
Untergrunb alles fiebens ^inab — bte ^Fowiilicngrünbung kettet
i^n fogar gang feft an biefen — , aber bte SBinbung ift ni(f)t fo
fpft; unb alles be^errfd^enb mic bei ber ^rau. S>ic geiftigc fitnic
ift bei i^m feftcr gefügt unb unbcbingtcr ^crrfd)enb, n)cnnglci(^ fic
keinesroegs feiner organiftert, in ben meiften fällen fogar gröber
geartet ift als bei ber ^rau. ®as Sc^miegfame ift bei t^m gur
Porten (Struktur geroorben. Saburrf) roirb er für bie ^rau gum
^olt, bie %tau aber für il)n gur SBerci(^crung bes fiebens. So
Pertritt bie SHuttcr bcm ^inbe gegenüber bie pflegcnbc unb gc*
ftaltcnbe, ber 35atcr aber bie Ijaltcnbc unb ftcjig fü^renbc Äraft.
Sbcr €rgict)ungseinflu§ ber 9Hutter erl)ält buxd) ben 95atcr bas
fittlic^e SRückgrat, bie Unbebingt^cit feiner 9Birkung. Sie 9lalj-
— 357 —
Tütrilung bcr Snüttcr rotrb burrfj btc ^crnibirfeung bcs 35ätcrs er*
t)ö^t, gemett unb gefefttgt Scs 35atcts ©nflufe auf bas ^Inh
ift barunt, gumal in bcn crftcn ^mberjatiren, feein ©nfUife nc&cit
bem ber 9Hutter, fonbern burd) bic SÖIuttcr ^inbürd}. 2Do eine
^onfeurrenä bes ^influffcs cntftc^t, ift fdjon bic gefunbc ©Kebcrung
bes ^amincnlebens getrübt
^ernroirfeung ift bas 3Dcfen bes oöterlic^ctt €tnfliiffes. ©cnit
btc SHannesnatur ragt ebeit — borin rourgelt bie größere «Jcfttg«
helt i^rer gciftigcn fiinie — in eine anbere SBelt tjlnein, bic bct
aHutter unb bem ^inbc nic^t sugönglid) ift. (£s ift bos 9Dcfcn
bes Sölannes, ha^ er auf einen größeren fiebensäufammen^ang
bröngt unb in einer objelitioen 2BeIt feine Sebensaufgabc_ erfüllt
S)ie €int)eit bes ©efamtlebens ift feine ©ptjäre. 3^1 ärociten 95anbe
t)aben roir genugfam baoon gcfprorfien, wie roeit fid) ber SÖIann
ber ©egenroart oon biefer feiner Sebensbeftimmung entfernt unb
barum au(^ bie oäterli^e €räiet)ungsferaft oerlorcn ^at ©os ^t\i*-
olter ber inbioibualiftifdi* femininen gHännerroelt ift freiließ bur«^
ben ^rieg jM) 3um 3lbfc^Iufe gebracht roorben, unb bie t)orten
6d)üöengrabeniat|re roerben ^offentlid^ bie ridjtige ©iftang groifd^cn
ben oon ber 6c^öpfung gefegten Staturen roieber^ergeftellt ^abcn.
Sie 2Delt bes o^bjefetio fc^offenben ©eiftes ift bas Scbensgcbict
bes SRannes. ©ibt ber '^tau bie nacf} innen gerichtete Eingabe
ben umt)egenben unb bis ins ^ingelne geftaltcnbcn (ginflufe auf
bas ^inb, fo gibt bem aitanne bie nac^ oufeen gerichtete Eingabe
an bas grofee ©c^öpfungsroerK bie ^Dirftung auf bas näc^-
mac^fenbc ©efcf|Iec^t, bie in ber Unab^öngiglicit Unb Unantaftbar-
lieit feiner 9lutorität rourscit
SDelc^e 95ebeutung biefe 93erfc^icben^eit bes (ginftuffcs in
ben einäclncn ©tabicn ber ^nbcsentmicfelung ^at, mu§ bem näd^ftcn
^bfc^nitt oorbc^attcn bleiben. §ier nun ^anbelt es fic^ barum,
bic in ber befonberen Aufgabe bes 95atcrs rourseinbc Eigenart her
aHannesfrömmiglieit ^erausäuftcllcn.
6ic kann, roenn fic roirfelic^ ausgereift unb burc^gebilbct
ift, niemals inbioibualiftifi^ fein. 6ic mufe aöcrbirtgs burd^ bie
©tabien bes 3Tii>iotbuaIismus ^i^burd^, unb gmar — roic mir im
nöc^ften Olbfc^nitt fe^cn roerben — ftufenmeife oon ber Älnb^cit
bis in bie Sntnjidilungsja^rc. SUoc^ bic ^^efc^Hefeung liegt, roenn
— 358 -:-
auc^ bei gcfunber Sntroxditung bereits in gebümpfter unb ge-
brochener i5orm, auf ber ®eite ber inbiolbualifttfc^en fiebensituroe.
3lber fpäteftcns mit ber erften Äinbesgeburt fe^t in normalen ^üt»
lauften bie entfdjloffcne ^Beübung jur 9DeIt ber objclitioen 3Bcrte
ein. ©ie mufe ben ©rang gum 6c^affen für bie Su^unft einer
oom Singefleben unabhängigen ©ntioicfelung gum ooUen S)urc^-
bru(^ bringen, ©ie ©teUung weiblicher fiiebe gum ^inbe ift in
i^rer Siefe immer egoiftifdi beftimmt, bie 6tettung oäterlic^er
9Bürbe forbert ben Slidfe auf ein Sebensmerli, in bas bas ^inb
^ineinroac^fen, unb bas oon i^m meitergcfü^rt merben foU. S)as
Sukunftsft^affen ift bes 9Hannes 5lbel, ben bas ^inb erft gang
^erauslocfet,
§ier nun roirb beutlid}, ba% roeber bie featt)oIif(^e nod^ bie
luti^crifc^e, gumal no(^ burd^ ben Pietismus erweichte, ^^J^ömmig*
lieit ber fi(^ ie^t micbcr unter bem Spange ber S^itentroicfelung
ausreifenben aJtannesnatur ooH genügen konnte, ^m ^atfjoli«-
gismus ift ber 9Itann feit langem roirfetid) inncrlid) gefeffelt nur
bur(^ bie poIitifd)e ©eite; bas anbere mac^t er um feiner iJ^öuen
unb Äinber willen mit unb empfinbet bod| babei ein Icfetes Un-
behagen, ^m fiutl)ertum aber f)at er bie inbioibualiftifd^e ©elig-
keitsprebigt, befonbers in ber tjorm ber Oottoertrauensprebigt,
längft innerlii^ abgelehnt, ^ein SHlönncroerein roirb ^ier gurüdi-
tjolen, roas bie (£ntroidilung längft übert)oIt ^at. S)er 3nann roill
bas 9flei(^ bes objelitioen QBerbens fe^en, in bas er hineingebort,
©eine jj^ö^^^nttglieit mu§ ^raft bes ©(^affens fein, feine eroige
Hoffnung ein unabhängiges 3flet(^, bas jebe afetioe tJöfer an»
fpannt. (Er roill nic^t fiodiungen unb ^röftungen, er roiQ ^or-
berungen ^ren. 3leligion als reine ^rioat» unb ^ergensfarfie
ift für i^n oeräc^tlic^. ©ie mufe als ©efamtforberung ber Seit
oor i^n Eintreten, ©ie QBärme bes ®efül)ls ft^roingt bei it)m
mit, aber ben Dberton \)at ber anfpannenbe 933ille. 9Hit ber „per»
fönlicfien (£rlebnistt)eologie" roirb man bie 9Zlännerroelt unferer Zagt
nicl|t metjr faffen, roo^l aber mit ber ^^eologie eines roerbenben
unb gu fcljaffenben ©ottesoolks.
€s ift klar, ba^ f)kt bie eine gro^efiüdie alles religiöfen
©ienftes in unferen S;agen liegt. O^ne bie grofegügig — bas
braucht nic^t grofefpurig unb roeltumfaffenb gu fein — fc^affenbe
— 359 —
©cmcinbc ift bicfc fiücfec ntdjt ausgufüHcn. ©er 3Hann toirb nur
burc^ bie 2lrbett an bcn centralen 95oIfisaufgabcn, btc i^m auf
©cliritt unb ^rttt in feinem Berufe begegnen, ber Qfleligion roieber
gugcfü^rt werben können, unb groar l^ot bii ©emeinbc bie 3luf-
gäbe, biefe 3lrbeit aus ber unerhörten 9berflöc^licf|fecit bes I)euttgen
politifc^en ©eba^rens in bie Siefe ber roirWic^en fiebensfragen gu
fül)ren. 9Iur bie 9Hönner,.bie bas gange (Elcnb unferer gegen*
roörtigen öffentlicf>en 95oIfestötigIiett empflnbcn, finb für bie bcn
legten Sebensgrünben nac^ge^enbc öffentlicl)e Xätlgltelt ber ©e»-
tneinbe reif. 5)afe bie legten 2lufgaben ber 93oIfisentn)icfeIung fitt»
Ii(^e (Erjictiungsaufgaben mit bem gangen Umfang unb ber uncr-
bitttid)en $örtc t)öd)fter QBiUensforberuugen finb, mufe t)on bem
3nännergcfc^Ied)t ber neuen ©emeinbe mit ooUer ^Iarf)c{t erfaßt
fein. 3)onn aber bietet fic^ ^ier eine %Mi con Qlufgaben unb
eine QInfponnung bes 9BiIIens, bie bie SHannesnatur bis in if)rc
innerften liefen feffeln mu§. S)abei ift eine ^onfeurreng mit ber
in ber ©emeinbe ft^affenben ^rauenltraft gang ausgefd)Ioffen. ©er
anann beftlmmt bie 9li(f|tung ber 2lrbeit, entwirft bie ©efamt»
ptöne, orbnet hk Gräfte ein unb f(^altct bas Untaugliche ous,
greift an, mo es 9Bibcrftänbe gu überroinben gilt, certeibigt, roo
böfer ^Bille gu ^inbern fud)t, bearbeitet bie Deffentlict)licit, oer-
roaltet bas ©rroorbene unb bel)nt bas ©cbiet aus, übernimmt für
aUes bie le^te 95erantn)ortung unb forgt, t>a% bie innerfte ©runb*
rid^tung geroatjrt bleibt. Sabei wirb bie ©timme ber '^lau, gu-
mal für bie t^rer 9latur allein oöUig gugängltc^en ©ebicte, von
itjm immer gc^rt werben. ®ie lefetc (Entfd)eibung in ber 5tufecn-
entwicfelung aber liegt in feiner ^anb. (tx baut bas §aus, bie
5rau wirkt geftattenb in bem §aufe. ©er 3nann ift Kämpfer,
oorwörtsbrängenber Entwerfer, ein^citfc^affenber QBitte, bie ^rau
Hüterin, ausgeftaltenbc fiiebe, wärmefpenbcnbe ©üte. ©rel 3luf«
gaben ber ©emeinbe gehören bem SJlanne allein: S)ie ber Äijbemefe,
bie ber (grgief)ung ber männlichen 3ii9ß"i> i^ ^^^ ©ntwlcfelungs*
jähren unb bie bes wa^r^eltliünbenbcn unb gielfefeenben 9Dorts.
3n bem aUen ift er nic^t ber Konkurrent ber ^rau, fonbern
it)r %alt, if)re ©tü^e, it)rc «rgfngung, i^re SDoIIenbung. 3m 95c-
fonbercn gilt bas für bie rcligiöfc 3Da^rt)cttsocrkünbung, blc i^m
anvertraut ift.
— 360 —
5)lcfc mufe, TDO- immer fic f)errfc^aftskräftlg, überjcugenb unb
forbernb auftreten lüifl, aus ber obiefetlpcn %M^ bcs ©efamtlcb'cns
^erauöToac^fcn. 9Bo^I mufe fte burct) bas (griebnts bes einzelnen
^inburdjgeljen, finbct aber feeinesroegs il)ren legten ©ültlgliettsgrunb
unb i^re burc^fc^Iogenbe 3flec^tferttgung burc^ bas perfönltc^e €r*
lebnts. ©iefes (griebnts mufe ein burd^ bas Oef amtleben ber
©egenroart unb burcl) bte im prafetif(^en ^anbeln geroonncne
^ü^Iung mit i^m erjroungenes fein. ®s mufe ben 9BiIIen atmen,
ber nic^t nur bem eingelnen gugeroanbt ift, fonbern ber ben einzelnen
gipingenb in ben unabpngigen fiebensftrom ^ineinreifet unb an
fein obiefitioes giel binbet. ®ie 2Baf)r^eit biefer SBotfc^aft ä"
füllen unb prafetifd) anguroenben, ift ber ^rau gegeben, fie geugenb
unb bcgroingenb gu tragen, ift bem 9Hanne oorbet)altcn. SDo^l
ift bamtt Iieinesroegs ausgefprorf|en, i)a% ni(l)t bic ^rau fül^tenb
bas ©efamtteben buri^bringen könnte, nod^ rocniger, i>a^ fte nid)t
bas t^eoretifc^e 3Biffen über religiöfe fragen unb bic 2c(^mfi
i^rer ©erkünbigung ju bet)errft^en imftanbe märe. S)ic Slcligions*
oerkünbung ift ni(i)t in entfc^eibenbem 6inne on bas QBiffcn unb
an bie Seti^nili gebunben, fonbern rourselt in einer prafetif(i|en
fiebensbeftimmtf)eit, bereu ooUe 95orau6feöungen ber ©c^öpfer allein
in bie 9latur bes 9Hannes tjineingelegt ^at. ®s ift roeit^in ber
3rrtum verbreitet, ba^ eine pfi)(f)oIogif(^ burrfibringenbc unb roat)r-
tjaftige S)arftellung inneren fiebens genüge, . um 3leIigfon gu oer»
Mnbigen. (£s gibt religiös oöllig unfruchtbare ^prebiger, bic biefe
^ä^igkeit bis gum 9laffinemcnt be^errfc^en, gang gu f(^roeigen oon
ben 95ielen, bie eine fet)r roirkungsoolle 9ll)etorik mit 9fleligions-
uerkünbigung ocrmec^feln — foroo^l unter ben ^rebigem mic
unter ben Hörern. 5)ic ^rebigt ber ^Ba^r^eit im uolten 6innc
erforbert immer in irgenb einem aHafec bie „SJottmac^t", oon ber
bie €oangelien fprcdjen, b. l|. bie ©olle ©elbftlofigkcit unb $in-
geriffen^cit bes fiebens an bas alles „^erfönlic^c" tibcrragcnbc
©cfamtgiel aller ©ntroicklung. 5)as fc^licfet frcilid) immer in fic^
bie^ü^lung mit bem pcrfönlic^en 93otlenbungsftrcben, rocil nämtic^
biefes legtlic^ auf bas ob}cktioc ^ißl öHßs SDcrbcns ^inftrebt, roenn
es auc^ nic^t mit biefem ^tcl ibentifc^ ift unb es doU ausfc^öpft.
§ier liegt bie QBurgel jener gcljcimnisoollen ^rfdicinung, auf bic
mir frül)er bereits ^inroiefen, ha^ bic objektiofte ^prm ber 95cr-
— 361 —
Itünbtgiing öu(^ btc ftörlifte fubjcfetloc QDlrkung öuslöft. (Eine
SJcrfeünbtgung, blc ausfc^Uefetlc^ btc "ipetfönUt^liett pflegen unb
rocitcrfü^rcn rolQ — barauf roütbe ^raucnoerliünbigung immer
Jjlnauslonfen — , roürbe bat)er gerabe bie legte ^raft ber ^erfönlic^"
KeitsooIIenbung oermiffen laffen.
Sflun mürbe freiließ and) eine 95er!iünbigung, bie ausfddliefe-
ti(^ bie legte Objelitioitöt aßer 2Bo^rt)eit barfteUte, jo gemife biefc
bie 33orausfegung ber ooQen Wirkung ift, auf roeite ®trerfien bes
äu fü^renben fiebcns roirltungslos bleiben. 9Bir ermähnten fc^on,
ha^ bie ^rau bie einfeitig ^arte öbiefetiüität ber gßat)r^eit inner-
lich ablehnt, unb nic^t nur fie, fonbem oiele no(^ in ber €nt=»
roicfelung begriffene ©eelen. S)arum mu§ bie SSerkilnbigung, fo
feft ber legte ®runb il)rer Objefetioität liegen mufe, immer auc^
iene roeictjeren, jielienbcn 5öne anfc^logen, bie fo unoergleit^lic^
gort aus ber gerben öbjefetioitöt ber Sotfdiaft 3cfu ^erousfelingen.
©as locfeenbe: „6elig finb", ha$ jie^enbe: „kommet ^er", bos
oer^eifeenbe: „©o mirft bu einen ©c^ag im ^immel ^aben", bas
ermutigenbe: „^ürc^te bic^ nic^t" gehört unbebingt mit jur ©ollen
erjielierifc^cn Äraft ber religiöfen 93otfcl|aft. *) 3lber barin liegt
nicf)t i^re legte ^aft! 9lls gerabegu fc^roöc^licl) mufe es begeic^net
roerben, wenn tjeutige religiöfe Siebner meinen, ha bie alte ^Jotni
autoritatioer ®ele^rung — bie bialelttifc^e „fie^re" im altproteftan*
tifc^-fc^lmeifterlic^en ©inne ift immer roirfeungslos geroefen —^
bei ber heutigen „grei^cit ber ^ßerfönlic^feeit" nic^t me^r möglich
fei, muffe man oorfic^tig feinen „perfönlidien" ©tanbpunlit gur
95eguta(^tung oorlegen, bem eingelnen muffe es überlaffen bleiben,
was er fic^ baoon „perfönlic^" aneignen motte. ®iefe 2(rt ber
religiöfen gSerkünbigung, bie nur 9Reinungen gur ^usroö^l oor*
*) 3ft «5 -SttfttU» bafe blc ganj welchen 3:önc in ber Sotft^dft 3ef«
roie «2Öeine nl^tl" unb »Sei gcttoft, meine 3:o^tcr!" nur an Stauen
gerichtet finb, mä^renb bas lierbe „^olgc mir nadj!* nur snännem ent"
gegcngektungcn ift? SKan adjte barauf, meiere garte gorm bies „$otge
mir nac^!" in ber (Ergö^lung uon SZloit^a unbSltatia angenommen ^at:
„3naria ^at bas gute Seil ermattet, bas foU ni(^t oon t^r genommen
roerben." ^icr ift perfönlidjcr ©efig bas Scgte, bei bcn älännem btc
ooUe Eingabe an bas SBerli. ^t^ bie roeite ^oxm ber in St^ug
nel^menben filebe „Safet fie in ^^cben, roos bekümmert i^r fic?* -ftnbet
ft^l nur einer grau gegenüber.
362
legt, i)at mrf|ts mc^r mtt 9fleIigton gu tun. 5)ie religlöfc 95otf(^aft
TDtll immer, roeil fie ntc^t im „^erfönlit^en", fonbern in ber oollcn
Eingabe an bas ©öttli(f)c muräclt, übenoältigen unb groingen,
au(^ ni(^t Überreben unb n)at)rf(^einti(^ matten, empfet)Ien unb
anpreifcn, fonbern übergeugen unb mitreisen. Xob ober Seben ift
bie fiofung ber 9fleIigion, nit^t Stufen ober ©djabcn. 6ie lä^t
Ifeeinc „freie 9Ba^r, fonbern fie groingt gur Wal^l S)iefes Heber«
roöttigenbe unb 3w)ingenbe, bas bo(^ nid)t SJergeroaltigung ift,
fonbern bas innerfte SDoHen anpodit, ift nur bem 9Hanne gegeben.
®iefe Frömmigkeit bes 9Hannes fd^liefet bas Oottoertrauen
in fi(^ unb ragt bod^ barüber hinaus. S^i^c^flcf (Se^orfam ift
guglei(^ 95ertraucn unb ift bo(^ met)r als bas. 3ft biefes bie
paffioe Eingabe an @ptt, fo jener bie afttioe. Sie Frömmigkeit
bes aiTannes unb bie F^^ömmigfeeit ber Frau laff en firf) beibe mit
bem 2Dorte „©tauben" umf (^reiben, aber in bem ©lauben bes
3nanncs liegt ein ^lus bes ^ingeriffenfeins in bas f(^affenbe
Wirken, *) roö^renb in bem ©tauben ber Fi^au eine ©teigerung
ber 3unigkeit ab^ngigen gSertrauens liegt. 60 kann bie ^lan
hm ©tauben bes 3nannes bereichern unb ocrfinnigen, ber 9Ilann
aber ben ©tauben ber F^^au feftigen, oerankem unb galten. 313olIten
mir ben gangen Umfang bes Unterfc^iebes ber beiben F^ömmigkeits»
rocitcn bcftreidjen, fo müßten mir oieles mieber^olen, roas mir in
ben Kapiteln über bas religiöfe Urerlebnis unb feine Segiet)ungen
gefagt ^aben. 5lIIgcmein nur möchten mir barauf ^inroeifen, bafe
bort, mo bie ©renge bes £utt)ertums, gemeffen an ber 9leIigion
3efu, liegt, aud) ein großes ©tück ber ©renglinie ber beiberfeitigen
Frömmigkeitsfp^ören entlangläuft.
^Inroeifen rooUen mir nur nod^ auf bie Sebeutung ber
©efe^Iictikcit für bie F'^öui^töfectt ^cs SHannes. 3Bo fie ^ier auf*
tritt, ift fie immer ein ©d)n)8(^efgmptom. Xatföd^Iid) ift mit ber
©efeölidjkeit in ber religiöfen ©p^äre bes SHannes ftets in irgenb-
roelc^en Fo^wten bie %iiQt)i\t, bie politifdje S^trigue unb ber
SHajoritätsbrang oerbunben, untrüglidie ^enngeic^cn oeräct|tIict)er
93cm)eibli(^ung ber aJIannesfrömmigkeit. S)iefe forbert bie un*
bebingte Offenheit, Freimütigkeit unb ben in fi(^ ru^enben, nid|t
*) ogl. ben Slbfc^nitt „©laube unb 9P3erke''.
— 363 —
an aHaiorttätcn gcbunbencn ©laubcn on bic SJlac^t ber QBa^r^elt.
3lIIe cdjtc anannesfrömmtgfeeit mufe bas gcic^en bcr liönigltc^en
^rcilielt 3efu ön ber 6ttrn tragen. Heber ben ^rablttonallsmus
bcr äußeren iJorm fte^t fie letcf)t ^tnroeg, um fo rotc^tiger tft t^r
bas 3lnttegen innerlirf| foIgert(^tlger Cntroidilung aus ber 95cr'
gangen^ctt. Mcr ooHenbenbe ©orroörtsbrang bes SHannes tft
gebänbigt unb gehalten burc^ bte Äraft ber 2reue. Sctc^tgefc^ürstc
Sleuerungsfuc^t tft unmönnlic^. Sas „Snoberne" ge^rt nic^t in
bte QBcIt bes 9Hanncs. ©eine ©p^öre tft bas (groige, bas fic^
eben in bem unentrinnbaren '^mangt ber gegcnroärtigcn ^prberung
als fold^es erroeift. ©eine ^röntmigfeeit ntufe "Jlnfong unb €nbc
ber (gntroicfelung umfpannen, foroeit überhaupt 9Henfd|enliraft Ein-
fang unb €nbe überfefjen kann, gugleic^ aber auc^ beibes gu-
famnienft^Iieften in ber garten ©diaffensforberung ber ©tunbc.
©tetigfeeit ift bes Sötanncs 3lbel, ^nniglieit ber grauen 9Dürbe.
Sroeierlei bürfte beutlict) geroorben fein. 3uerft: bie i^öwiitts^i*
fröntmiglieit ift feein einförmiges ©ebilbc im ©inne einer bekennt«
nismöfeigen ©laubensein^eit, roo^I aber ein ein^eitlid)er Organis«
mus, in bem ein ©lieb bos anbere bebingt, ^ätt unb weiterführt.
5)as mirb crft ooUcnbs ficf)tbar merben, rocnn mir bie (Entroiclilung
ber 3u9cnb ins Stuge faffen.
©obann: bie tjomilienfrömmigkeit ^ängt in ollen i^ren bc-
fonber'en ©eiten in ber fiuft, toenn fie nid)t roadistümlic^ mit ber
©emeinbefrömmigkeit oerbunbcn ift. 5)ie religiöfc 3Bclt bes
aHannes, ber ^rau unb bes ^inbcs forbcrt in gleicher QCeije
biefen ^intergrunb, wenn aud^ in gang oerfdiiebener 9lid)tung.
3m Greife ber tJömilie unb im Greife ber ©emeinbe entfaltet fiti^
bas religiöfe Urerlebnis, beibe Greife aber bebingen unb förbern
fic^ in feiner 2lusfaltung. QBic roeit bie ^amilie bas religiöfc
Urerlebnis tjollcnbet, t)ängt oon bem größeren gefrf)ic^tllt^cn
unb fogialcn Greife ab, innerhalb beffen fie lebt. 3Birb ber «nt-
roicklungsgang in einem ber brei Greife jerriffen, fo übertrögt fic^
natumotroenbig biefe ^crriffen^cit auf aUe Greife, ©o ^at bas
Seitalter ber ^raftmafc^ine mit bcr familiörcn auc^ bic fogialc
unb bie gef(i)ic^tlicf)c Sntroicklung unb TDCt^felrocifc umgekehrt
gcrftört. ®ic Teilung aber kann nur bur(^ bic ineinanbcrgrcifcnbc
©cfunbung aller ^cifc roicbcrkommcn. ©as Scbcn ift eine in
— 364 —
Qiffen feinen SBeftdnbteilen Innerltdi äufammen^Sngenbe' ©riJfee.
S)arln jc^lummert eine furchtbare ©cfa^r für feinen Oefamtbeftanb,
bic bie ^öt^fte 5DQ(f)famlieit unb bas fdjärffte Söerantroortungs«
gefügt aUcr feiner ©lieber forbert, aber aui^ bie grofee Hoffnung
auf feine ©efamtgefunbung, wenn fie nur an einem ^unfete ent«
fc^ieben eingefe^t ^at.
4. S)ie QSerroxrkltc^ungsftufcn im (EtnscHebcn.
9Blt treten nun in bas inncrftc ©cblet ber ficbensentrotdilung,
bem bte profittfcfie 95crfeünbigung ber reltgtöfcn 3Ba^rt)ett nat^*
fpüren mufe, um l^re ^aft rolrkfam anfefeen 5u können. (£5 tft
bas roic^ttgfte, ntrfit roeil bos (£ln3clleben bos ^kl aUer ®nt«
n)t(Älung Ift, roo^I aber besroegcn, roctl in it)m ble innerllc^ftcn,
äartcften, empfinbli(^ftcn, urfprünglid)ften ^äben ber Sntroidilung
laufen, bereit gefunbes 3Dac^6tum bic ©runbbebingung oller
Sebensgefunbt)eit ift. (£s ift oufeerbem, fo kurgfriftig bas (Einjel-
leben ber gcit nad) ift, bem ^n^ölt nadj bas für menf(^Iid)e SBe»
trac^tung umfaffcnbfte. 3" t^w^ brängen fid; bie gefdjit^tlic^en,
bie foäialen, bie innerfamiliören fiebensftufen roie in einem Äom*
penbium äufammen, jo in i^m bli^cn Sebenserfdiclnungen mlebcr
auf, bie ber ©efd|i(^tsforf(^er aus feinen Ouellen in ber ©efamt*
entroidfelung ni(^t me^r aufroeifen kann, ^n bem Sinselleben oer-
binben fid) immer oon neuem bie älteften mit ben jiüngften ©c^icj^ten
bes fiebens. Ser innerfte ^reis ift ber feteinfte, aber auc^ ber
umfaffenbftc.
€s liegt in ber 91atur ber 6ac^e, ha^ bie Seiten bcs QBac^s-
tums in erfter Sinie unfere 2tufmerlifamkeit f orbern. ©enn für.
eine oerantroortlic^e tjü^rung kommen fie oorroiegenb in ©etrac^t.
SBas in ber SuQcnb oerfäumt unb oerfe^It mürbe, kann im Alfter
nic^t nac^gc^olt werben. 3>ie in ber 3"9eni> ßcmeckten Äröftc
aber roadifen fic^ in ber "^üt ber 35erfeftigung ganj oon felbft sur
Sleife ous.
QBir muffen mit einem SJerjic^t anfangen. 9Bir können in
bem Sla^men biefcs ©uc^es keine ausfütjrlic^e 9^eIigionsp8bagogik
geben, menn fie auc^ für bie religi^fe Cr^ie^ung in jjamilie, ©c^ulc
unb ^irc^e in unferen 3:agen fo nötig ift wie bas tägliche 93rot*
3n ber religiöfen ^ugenberaic^ung unb im rcligiöfcn Unterricht
— 366 —
^crrfcfjt eine berartlge Unftc^erl)ctt, Unfelar{)ctt unb SSerroirrunö
bcs Urteils, ^ter l)a5cn btc Ictbcnfc^aftttrficn ©trebungcn bcr (Er*
roa(^fenen in ber (Epo(^c bcr aUgcmetnen inbtotbualtfttfc^cn 'Stuf«
löfung eine foldje 95ergen)altigung bcr ^tnbcsnatur gcäcittgt, bafe
nur eine entfd)Ioffcnc 3urücfebefinnung auf bic Slotfac^cn bcr jugcnb-
Iid)cn (Entroidklung I)icr Reifen kann. ®o oorfidittg bic fiofung:
„35om ^tnbc aus!" ha aufäune^mcn ift, roo fte eine un|ad)gcmäfee
95erfelbftänbigung bcs ^inbcs im Sinne eines btinben ^nbioibualis*
mus bedien foU, fo notroenbig ift fic t)ier, roo es gilt, bas ^inb
Dor bcn brutalen 3«^infttnfeten gügellofcr (Erroadifcncr gu fc^ü^cn.
©cm ^inbc bic 9^eIigion uorguent^altcn unb gu ocrefeeln, roeil ber
(Erroarfifene fic aus irgcnbroelc^cn „perfönlic^en" Orünben Raffen
gelernt ^at, ge^t nid)t an. (gbcnforocnig aber ift es ^u oerant*
roorten, bas ^nb in eine ^orm bcs religiöfen fiebens ^inetnäU"
äroängen, bic man in einem oergifteten öffentlichen fieben für allein
fd)Iagfer5ftig tjält. .^ier ftcl^cn mir oor ber gangen Sd^roere ber
im äroeitcn ©anbc entroidielten i5^^agc: 3it9cnb unb Qllter. §ier
gilt es, bas ^inb als ®ef(i)öpf bes crotg roirlienbcn ©ottes aus
einem gottlofen unb geroalttötigcn ®cfct)Ie(^t bcr 3«^^uttur t)eraus=
jufd)lagcn. ®afe nur eine gang grünblii^c Q5cf(^äfttgung mit bcn
^atfac^cn ber jugcnblid^en ^fgc^e burd^gretfenb roirlicn Rann, liegt
auf ber ^anb. 5)ie neu crroa(^cnbe €^rfur(^t tjor bem ®d)öpfer
roirb fi(^ an biefem funkte gucrft prafetifc^ beroä^ren muffen.
00 ftarfe mir bic 93crpf(id)tung füllen, ^icr gang grünblid) unb
ausfüt)rli(^ gu roerbcn, fo notrocnbig ift es, ha^ mir uns um bcs
©angen roillcn, bas lieinc Sinäeluntcrfud)ungen guläfet, auf bie
roic^tigften Sinien befc^rSnfeen, bic aUerbings um fo kräftiger
^erausguftettcn finb.
3u allererft mufe ^ier noct| einmal mit bem ftärltftcn 91ac^»
brucli gefagt werben, ha^ bic Sleligion aud) im (EingcÜcbcn eine
fic^ cntroicfeclnbc ©röfec ift. Sic me^r als einmal in i^rcr fiebens«
frcmbf)cit gefecnnäcic^nctc 5Iuffaffung, ha^ bic religiöfe 9Ba^r^eit
eine im logifc^-bcgrifflic^cn ©inne gu faffcnbe (Einheit fei, bic fic^
bcr ancnfcf) ftücferoeifc aneignen könne, oerfagt bcn Satfac^cn ber
Cingelentroicklung gegenüber ooUfeommen unb mu^ immer gu einer
ungcfunben €inf (^nürung, \a 95crgen)altlgung bes oon bcr ©(^öpfung
gefegten Sntroicklungsrocgcs füljrcn. Ungcgä^lt finb bic einklagen
— 367 —
gegen (£Itern^Qus, ©c^ulc unb Äird^e, ble uns ous ben S^genb*
erlnnerangen ber t)erf(i)tebcnQrttgften Snenfc^en entgegcnklingen.
©afe btc Sleltgton in fo oielcn fällen ben 9Kenfd)en bis ins Alfter
hinein als bas hoffnungslos ^rcmborttge, Unioa^re, ficbensfeinb*
Iid)c erfc^ienen ift, kann nict)t in i^rem 3Befen begrünbet liegen,
obn)ot)l biefcs immer für bie oberflächliche Statur ben ^ug bes
5lbfurben an fiel) trägt, ©iefes 5lbfurbe ift bod) nicl)t naturroibrig,
fonbern offenbart fic^ in ber Siefe bes Sebens immer als bas
9laturnotn)ettbige, ha% als folt^es fii^ immer in irgenb einem
3nafee burc^fe^en mufe. Sine unerhört oberfläc^lidje unb bequeme
rcligiöfe €räiet)ung ^at bas roa^re ©e^eimnis ber 9leligion —
roie weit ift baQ ber oerftanbesglatten Äatec^ismusroeis^eit ver-
loren gegangen! — in einen finnroibrigen unb lebensfeinblic^en
groang oerroanbelt, ber nur no(f) bas ©e^eimnis bes unoerbouten
^ortfetüngels kennt. S)te ©c^ulb gumal ber Äirc^e, aber aut^
ber 6cl)üle, ift ^ier unermefelid) grofe. S)afe bie Sieligion fid| troö
i^res medianifierten 9Ba^r^eitsunterrid)ts nod) fo tief in ben ©e«=
mütem gehalten ^at, ift roa^rlic^ nictjt menfc^lic^es 95erbienft,
fonbern bas 2Berk bes 6(f)öpfers, ber bie emigen Einlagen, bie
er in feine (Schöpfung hineingelegt ^at, felbft burd) bie finnlofeftcn
menf(^li(^en 95emüt)ungen nid)t oemit^ten läfet. 3)ie Qual, bie
ble Äirc^e i^ren Äinbem auf bie ©emüter gelegt ^ot, ift alles
anbere' als bas fieiben, bas aller religiöfen Sntroicfelung innewohnt.
(£s ift bie £lual bes nad) QUeligion bürftenben Sebens, bent ©teine
ftatt ®rot gegeben werben. Was befagen alle „©tufen", in bie
man ben ©toff bes religiöfen Unterrichts eingeteilt f)at, tt)enn biefc
ben roirfelid^en ©tufen bes Sebens ^o^n fprec^en unb nur unter
einer mec^anifc^en intellefetualiftifc^en Slbftufung oom „Seichten
äum ©c^meren" ober „oom einfachen gum 95em)icfeelten" ble eine
in ben 93ekenntniffen niebergelegte ©tufe religiöfen Sebens fämt-
lic^en Sebensaltern aufämingen roiH! 2Ber ^at fic^ bie 9Ilü^e
gegeben, au(^ nur äu fragen, mann bas Sut^ererlebnis, mann
bas ©efefe bes ftelloertretenben Seibens ber Sebensentroidilung ju-
gänglicl) roirb? Sc^njö^i^tge ^Inber fc^nunen es altklug ab, ha%
„(S^riftus für i^re ©ünben gefto^ben" fei, oierje^njä^rigc Äonflr*
manben glauben mit ^obesoerac^tung „an ben tjeiligen ©eift, eine
l)eilige c^riftlic^e Äirc^e ufro." unb fagen ben Unterfc^teb srolfc^en
— 368 —
fiüt^ers unb Stüinglis ^bcnbtna^lslc^re ^cr* 5)le Jugenbltc^c 6cetc
»ertragt einen ungeheuren Salloft frembortiger ®tnge, rote, bie
^ofentafc^e eines 6trafeeniungen. 9Benn ober unter blefent SBaflaft
alles roa^rljaft 5lneignungsföt)ige ocrfd^roinbet unb erfticlit roirb,
bann ift bas 95crgeroaltigung ber 9leIigion unb SScrgeroaltigung
ber Äinbesfeele. Slic^ts kann blc ^trd)e, bie oorgibt, oon ^^riftus
crlöft 3U fein, ^ier entfc^ulbigen/ ©ie ^at bie grofee Siebe, hmd)
bie unb für bie fie erlöft roorben ift, oerleugnet. ^n itixet Wal)i*
I)eitsoerkünbigung on bas nac^roadifenbe ®efd)Icd|t t)at fie oon
ber feelforgerlii^en ©röfee 3^1"» i>w jebcr ©ingelfeele nachging unb
für jebe bas re^te 9Dort fanb, aucf) ni(^t einen ^aud) fid) an-
geeignet — um i^res ©ö^en roiUen, ben fie um jeben ^reis au(f|
in ber Suö^"^ burc^fe^en gu muffen glaubte: it)re „fie^re".
(£s gibt keine einf)eitiic^e Setjre für bas gange 9Henfct|cn='
leben, roo^I ober gibt es ein eint)eitlic^es fiebensgefe^, htm trog
ber 3HannigfoItiglieit feiner 95ern)irfiIic^ungsformen feein 9nenfd)en«'
leben gong entrinnt. S)cnn es ift nun auö) feeinesroegs an bem,
ha^ einzelne 91lenf(^cn mit ber rettgiöfcn Einlage geboren merbcn,
bie onbcrn ober ot)ne fie buri^s Seben ge^en. ©os ift bie ent=»
gcgengefe^te, nid^t minber bequeme ^luffoffung, bie in ben oon ber
^rdje obgeroanbten Greifen bie ^errfd^enbc geworben ift. S)er
SSerluft einer ^öd)ften fiebensbeftimmtt)eit in bem geitofter ber
oößigen inbioibuoliftifd^en Sobesouflöfung wirb mit ber fie^re oon
ben oerfc^iebenen menf(^Ii(^en „'Anlagen" bemäntelt. 9Bie man
bie feünftlerifc^e, bie tec^nifc^e, bie ftommergielle SBegobung mit in
bie 2Delt bringt, fo oud) bie rcligiöfe Einlage. S)er eine ^ot fie
unb mag fi(^ borin glücfelidj fügten, ber onbere ^ot fie nidit unb
roirb aud) ot)ne fie glücfeli(i|. '^m ©runbe ift borum eine all*
gemeine religiöfe (grjie^ung nldjt fot^cntfprec^enb. 9Denn bie
^robition bes (gltem^oufes es nahelegt, f o feann man ben ^inbern
jo ben religiöfen Unterricht pteil roerben loffen, genou f o mie
man bie ©d)ule unb mont^e '^'dditt für bie ^nber roö^Ien feonn,
roie etroo anufife. ®iefe ^luffoffung ift, roenn aud) oft unous-
gefproc^en, weithin ^crrft^enb. ©ie roirb freili(i|, gumol in ©d)ul*
fereifen, burc^ bie Erkenntnis gebämpft, bofe bie 9flellgion in ber
©efc^i^te ber QHenfd^^ett ju ben allgemein oerbreiteten Kultur*
erfc^eihungeng^prt, beren Kenntnis boc^ für bie allgemeine SBilbung .
369
unertäfelid^ ift. QBte roelt aus folcficr ^enntntsoermtttlung eine
perfönlt(f)e ?lnetgnuitg rotrb, ift bann ©ac^c ber perfönli(^en (gnt«
roiclilung, bie fc^on i^re 9Bege finben roirb.
S)tefe 3Iuffaffung, bic in ntannigfoc^en -93ariattonen auftritt
unb begeic^nenberroeife immer an bem ©egenfag gegen bie Un»
ooUlipmmen^eiten bes Iiird|Iic^en Untenic^ts orientiert ift, ift gum
minbeften ebenfo oberflöd)Iid) unb bas ^inbesleben oergemaltigenb
roie bie {tird)Iid)e, nur nad) ber gerobe entgegengefe^ten QUic^tung
t|in. 9Bas jene an pofitioer 3lufbrängung fünbigte, bas fünbigt
biefe an negatioer QSorent^altung. Sin „objefetioer" Sleligions-
unterridit in bem obigen ©inne ift an fic^ fc^on eine Sor^eit, bie
nur einem S^italter möglict) ift, bas bie Sleligion tatföc^lic^ nur
noc^ als ein foffiles ©ebilbe, b. f). übert)aupt nic^t kennt. 9Bo
immer fie in ber QBirltlic^lieit auftritt, ift fie (gntfc^eibung forbernb,
ift fie in irgenb einer ^orm bie 2Ba^I srotfi^en Seben unb Sob.
Sine nur gur Kenntnis gebrad)te, an bem 3BiIlen aber oorüber*
get)enbe 3fleIigion ^at aufgehört, Ofleligion gu fein, ©as SDiffen
über bie Qfleligion ift unausroeic^Iit^ an bas ^anbeln in i^rer ^raft
geknüpft. 2lls befonbers törid)t aber erroeift fi(f) jener „objelitioe"
Unterricht im 351{di auf bie ^inbcsnatur. €s get)ört bis gu einer
beftirftmten Sebensftufe, oon ber mir Unten nät)er fprei^en roerben,
5um SBefen ber ^inbesfeele, ha^ ficf| nur bas für fie als über«
f)aupt t)ort)anben erroeift, was fid) irgenbroie mit it)rem perfönlid^en
Seben oerbinbet. (£s gibt, roie jeber Cräicfjer raeife, gange (Sebietc
bes fiebens, bic jenfeits ber ^inbesfeele liegen, roeil fie fici^ auf
keine QBeife mit it)ren ^nncn^raften oerbinben laffen. ©afe aUer
3ugenbunterri(^t bamit rechnen mufe, bürfte eine 95infenroat)r^eit
fein. 9tun aber ausgerect)net für bie 3leIigion, bie nur als lebenbige
3nnenkraft ejiftiert, bie ^orberung eines Unterridits gu ftellen, ber
bie '^vaqe , ber ^neignungsfä^igkeit ausfc^altet, ift bie auf bie
äu^erftc 6pifee getriebene Sor^cit, bie nur in ben unglüdilic^en
3uftänben konfeffioneller gernffeu^eit unb kirdilii^er 9BeItfremb^eit
eine geroiffe (£ntfd)ulbigung finbet. 3"^ßffßn — ^^^ ^äbagogen
können bie größten ©c^roierigkeiten bes öffentlidien fiebens nit^t
entlaften. S)enn er ift nid^t oerai^troortlid) für bie ^onfeffion, aud^
nict)t für bie ^ircfje, fonbern für bas ^inb. 2luf bie inneren
9Iotn)enbigkeiten ber ^nbesentroicklung ^at er fein 5luge gu richten
8. ^eitmanit, ®rofeftabt unb Keligion. 3. Seil. 24
— 370 —
i«tb baraus für fctnc QIrbctt bie Folgerungen ä« äte^en. Wh ftd)
ble Sflotrocnbiglictten btefer Arbeit mit bcr feonfefftonetten SBeftimmt«
^ett bcr Umgebung oeretnbareu unb tu jtc ^tnetnfügen, ift eine
äroeite %taQe, beren fiöfung fc^r oiel fict)erer unb fat^Iic^er ge=
funben rocrben Ijonn, roenn erfi. einmal bie unabrocislic^en '^oxhi"
rungen ber jugenblidien (Entroic&Iung fid)er gefteüt finb.
S)er ^äbagoge oon ^eute gibt im allgemeinen gu, ha% bie
9leligion, gum minbcften in ber 23ergangen^eit, eine oügemein öcr»
breitete ^ulturerft^einung ber QHenfd^^eit ift. (Er mei^ ferner unb
red^net bamit, ha^ bas ^eranroarfifenbe ^inb im %Iuq^ bie großen
©tabicn ber aUenfdilieitsentroidilung roicber burdjlebt, natürlirf)
nii^t t^rem ftofflid)en ©e^alt, roo^I aber i^rer inneren ©trufitur
nad). QBarum giei^t er baraus nic^t bie Folgerung, bafe es ge*
roiffe SXotrocnbiglieiten in ber ^inbesentmiclilung gibt, bie ben
inneren Stotmenbigkeiten ber 9Hcnfd)t)eitsgefd)id)te cntfpred^en?
©clbft roenn er ber Söteinung fein foUte, ha^ t)eute bie religiöfe
<£pod^e ber SSIenfd^^eitsgefdiic^te abgelaufen fei, gibt it)m biefe
SHeinung bas Siecht, mit bicfcm §cutc, in bos bas junge Seben
bod| erft gonj am ©nbpunlit feiner SBacfjstumsäeit ^ineinmünben
kann, hit gange Snttoiöilung ber ^itgcnb gu oergeroaltigen? ©in
I)iftorif(^ ungebilbeter ^äbagoge ift aurf) pfgd^ologifc^ unge5ilbet
unb ebenfo roenig geeignet für feinen SBeruf roie ber tjiftorifcf) unb
pfr)(^oIogif(^ ungebilbctc 3leIigionsbiener. ®r kann bem ^inbc
gcroiffe tedjuifi^e ^Wertigkeiten beibringen, aber ni(^t fein €r§ie^er
im oollen ©inne fein. Sie Kategorien „oomfieid)ten5um6(^meren",
oom „einfachen gum QSerroicfeelten", oon „ber '2lnf(^auung gum
SBcgriff", unb roie aUe biefe intellektualiftifd^en Kategorien lauten,
genügen burd)aus nit^t gur fiöfung ber legten Srgie^ungsfragen.
S)ic religiöfe Srgie^ung erforbert aber unbebingt bas ^wrücfege^en
ouf bie legten unb tiefften ©ntroicklungsgefe^e bes Sebens. S)enn
bie 5leIigion ift in keiner SUeife ein „^ad)" roie 3lcc^nen, Schreiben,
fiefen, fonbern fie ift bas grofee Sebensgefe^, bas bas gange S)afein
umfpannt unb buri^bringt. ©(^on in bie nid)t rein ted)nif(^en
Fächer roie ©efct)icf)te, Literatur, 95ioIogie, (öeograp^ic fpielt bie
3lüdift(i)t auf bas innere ©ntroidilungsgefeö ber 3"9eii^ Ö^ng ge*
roaltig f)inein, am ftörkften jiebcnfalls in bie SReligion, benn biefe
ift ibentifc^ mit bem legten Sebensgefeg. <£s ift burc^ous nic^t
— 371 —
Stnmafeung, roenn roir fagcn, ha% bte pf^c^otogifc^c Sicfc bes
religiöfen Unterrtdjts über bic ©üte ber ©cfamtarbctt eines gangen
©(^ulfijftems entf(i)etbet. ^n bem g^^tölter ber ted)nlfd^en €r»
ftarrung, bos an bic ©teile ber uniöerfalen (£t)arafetcrbilbung ble
möglicfift ^oc^ getriebene tectinifc^e fieiftung gefegt f)at, roirb bas
aUerbings als 'Slnmafeung gurücfegeroiefen. Solan ^at ben religiöfen
Untcrrid^t roie bie gefamte Cljoratiterbilbung an bie 3Banb gebrüclit
nnb baburd) aUerbings bie legten unb f(^n)ierigften fragen ber
Sugenbergie^ung fet)r gefdiicfet umgangen. S)ie (£poct)e ber alt"
gemeinen te(^nif(^en £ebenserleid)terung ^ält ja überhaupt ben
leic^teften unb me(^anif(^ am fi^nellften gu be^errfc^enben QUeg
für ben ridjtigen. 9Bir f)offen aUerbings auf ein ^dtalttt, bas
mieber ben 93tut ^at, bte (Eräiet)ungsfrage an i^rem fd)n)ierigftcn
3nnenpun!Jtc anzugreifen, ^m 3HitteIpunljt fetner 2lrbeit mirb
immer bie i5^^age bes 3fleIigionsunterricf)t5 fielen. S)ie einfädle
fiöfung, ben 3leIigion6unterricf)t aus ber 6d)ulc gu oerbannen, roeil
bie t)on ben konfeffionellen '3tnfprü(^en unb ben Stternftimmungen
^er erroactifenben ©d^roierigfieiten gu gro^ feien, ift als feige $tucl)t
cor bem innerften Problem aller ^rgie^ungsarbeit gu begeii^nen.
Sem ^äbagogen mufe bas SRciJ^t bes Mnbes tjö^er fielen als alle
anbern 9led)t5anfprüct|e in ber ^ett.
2Bir motten nun ben 93erfuc^ mad)m, bie roii^tigften fiinien
ber 3ugenbentroiclilung gu geid)nen, bie bie religiöfe SBeftimmtt)cit
ber (Srgie^ungsarbeit unbebingt forbert, unb bie gugleii^ ber ^orm
unb bem 3"^<^Ii ^^^ religiöfen ©rgie^ung bie QBege weifen. ®ie
®ntroicfelung ber ^ugcnb ift feein grabliniges 9Ba{f)Stum, bas fid>
lebiglic^ in quantitatioer 2lusbet)nung bes Sebenskreifes ooUgie^t
unb nur ein Su^e^men an 3llter, ©röfee, ^enntniffen unb (^igen»
fd)aften kennt, fonbern ein ^rogefe mit inneren Umlagerungen ber
©efamtftruiitur, mit qualitatioeit 2tenberungen ber Sebensbeftimmt-
f)eit. 9totürIi(f| ooögiefjen fidi biefe Hmlogerungen langfam, in
meiten Zeiträumen unb in unmerklichen Uebergängen, bie nur gc*
legentlic^ bem 3tuge nad^ aufeen ^in als plöglicfie Srüt^e fidjtbar
merben. Srogbem laffen fict), menn man auf ben ©efamtroeg ftet)t,
grofee ©tabien untcrfd)eiben, bie fic^ fe^r beutlicf) oon cinanber
abgeben. Sie n)id)tigften werben burd) bas 10. — 12. unb roiebcrum
burcfi bas 18. — 20. Sebensja^r abgcgrengt, roobei . mancöerlet
24*
— 372 —
6c^it)ankungcn unb ^Ibroelc^ungen, auc^ ein mc^r ober minbcr
ftarkcs ^tnüberroirfecti ber ^äfte aus bem einen in bas anbete
©tabium möglich finb.
Wiv bejeic^nen bas erfte 6tabium als bas ber ^inbt)ett.
(Es ift bie ^etiobe ber ootten inneren Abhängigkeit, bas Stäbium
ber müttertii^en 35or^errf(i^o|t. €s ift bie Seit bcs reinen, man
möi^te fagen, blinben "Jlnfnatimebranges. ♦) S)as Äinb fangt bie
©ingc in fic^ hinein, feft unb tief, unb löfet fie ni(^t roieber los.
S)ies ©tabium ift barum bie Seit ber ftörkften Sinbrucfesfäljigfecit
Unenblid^ fd^nell unb fc^orf äupadicnb arbeitet tjier bie 9latur.
6ic mu§ ja audj bie (Entroidilung ber ^ö^rtaufcnbc burc^eilen,
um bie ©runblage für ben 2lnf(^Iufe an bie ©egenroart ju f(^affen.
(£s wirb croig ein QBunber bleiben, wie rafcti unb fieser bie Statur
im ^nbe ben erften SBilbungsgang burt^fc^reitct unb jebcn (£in=
brucfe ausnufet, um bas neue Srbenleben in bie ©prac^c, bie ©itte,
\>k umgebenbc fiebensfp^äre, bie ©efü^Isroelt, bk ^Biüensric^tung
ber ©egenraart ^ineingufteUen. ©aju gef)ört eine €tnbrucftsfä^ig*
feeit, bie gang #ngabe unb $innat)me ift. 9Bie fdjon ber Säug-
ling in ber 5Diege nat^ jcbem gelten fiit^t greift unb blinselt, fo
brängt fi(^ bie gange receptioe ^raft bes roac^fenben Äinbes auf
jeben ©inneseinbrurfi t)in, ber fid) aus bem Sunfect ber Umroctt
ahf^eht STlic^t umfonft lebt noc^ in ber fpäteften Crinnnerung
biefc 3eit, bie boc^ nur feurje ^ö^te umfaßt, als eine ©panne
langer ^o^räe^ntc.
2nit biefer ©runbbeftimmt^cit ber ^inb^eitsperiobe ^ängt
nun eine SRei^c wichtiger ^ntroidilungskennäeii^en ^ufammen. '211s
erftes tritt uns ha bas attes be^errf^enbe ©runbgefü^l „fd^tec^t*
Einiger Abt)ängiglieit" entgegen, bos in biefer ^eriobe am reinften
oerliörpert oor uns liegt. S)ie unbebingte An^änglii^feeit, bas
oöUige ©id^ausliefem, bas fid^ in ooöer ©orglofigbeit ©eborgen-
roiffen ift ber ©runbjug ber ^inbesfeelc. S)as gange fieben ift
auf bas reine ^inne^men geftellt. S)em oberflächlichen 2luge er*
fc^cint biefer 3"9 rü^renb, für ben 2ieferblidienben aber birgt er
etwas beängftigenb ^orbernbes in fit^. QDelc^er SHenfc^ füfjtt fic^
*) SHJir rocrbcn roettcr unten fe^cn, bafe bas Äinb aud) ablehnt
unb abftögt, aber nid^t aktto, fonbem infolge bev ©renken, Me i^nt bie
fürforglic^e SHutter Statur gefegt ^at.
— 373 —
fo Icbcnsfit^cr, bofe er einem fo bitnb ijtngegebenen 95ertraucn ge-
TOodifen ift? €lne ber gemeinten, oieUctdit bie tleffte ^Durjel ber
©orge um bie ^inbcr liegt in biefem alles erroartenben Äinbcs-
augc. 9Ber bicfe ©cite ber Äinbesnotur gan^ auf fit^ mirlien
läfet unb i^r mit ber ooUen 3lufric^tiglieit gegenübertritt, ber roeife,
ha^ er feinem Äinbc gegenüber o^ne 9leIigion nic^t beftetjen fiann.
9Ber glaubt, er könne feinem Äinbe alles geben, roas bicfes \id)
oöttig ausliefcrnbe SBertrauen ^eif(j^t, roer glaubt, er liönnc bie un-
bebingt fiebere ^ütirung übemel)men, bie bas Äinbesauge unbcroufet
crroartet unb forbert, bem finb bie legten S^iefen ber ^inbesfeetc
oerborgen geblieben^ 9Ber i^r bis in ben legten 3lbgrunb fc^aut,
ber erfdjriclit unb fc^leic^t bapon ober — er beugt fit^ oor bem
2Dillen, ber größer ift als aller anenfctjenroiHe. §ier liegt ber
®runb, ber jebe SKutter, bie im ooUen 6inne SRutter ift, groingt,
mit itjrem ^nbe gu beten. €s ift bas Urgefü^t ber primitiocn
anenfdi^eit, gu bem bie SHlutter mit i^rcm ^nbe roieber ^inab*
fteigt: bas ooHe ^bl)änglglieitsgefü^l üon einer ^ötjercn ^ad^t
©ie 9Hutter guerft! S)enn fie fte^t bem Äinbe unb him tlrgrunbe
aller fiebensentroidilung am nöt^ftcn. 3lber it)r wirb ber 95ater,
roenn aud^ in anberer ^orm, folgen. S)as SDerantroortungsgefü^l
fd)aüt au^ il)m aus bem ^nbesauge entgegen, unb unbemu^t
wirb unter biefem 5luge fein ©t^ritt feftcr, feine 2lrbcit treuer, fein
Sukunftsbrang oerantroortungsfc^roerer. Sllit bem ^nbe jie^t bort,
roo bas Seben noc^ gcfunb unb empfinbungsftarli ift, immer bie
«^rfurc^t, bie ©e^alten^cit, ber ©e^orfam bes Sebens in bas §aus
ein. Sine unfit^tbare ^lutoritöt beginnt bas ^Jamilicnleben gu bc*
^enft^en. €s bebarf kaum ber ©rroä^nung, ha^ biejenige Familie
einen großen 35orfprung an ergie^erifcficr ^raft unb Älar^eit l)at,
in ber bie innere Haltung, bie bas Ätnb forbert unb f c^afft, in
ooHem anklang mit ber fie oerkörpemben religiöfen ©itte fte^t.
©c^on in biefem elementarften 3wge ber ^nbesnatur wirb
bie ^orberung ber religiöfen Seftlmmt^eit aller ^inbtieitsergie^ung
offenbar, ©le wirb aber nod) fe^r oiel beutlic^er, roenn mir ben
SDegen ber ^inbesfeele roeiter naclifpüren. 9Ilit ber receptioen unb
naip oertrauenben 3lrt ber kinbflc^en ^fgc^e ^ängt es jufammen,
bofe fie aus allen» ©ingen unb (Einbrücfeen eine oöllig gefc^loffenc
unb groar auf fic^ felbft bejogene ^elt baut, ©ie 5Dctt ift tatföc^llc^
374
für bas Älnb bas abgefc^Ioffcnc «parabics, in bas ber böfc ^ctnb
nod^ nt(i)t ciTigebro(f)cn tft. (£s ruitbet bic ®tnge ob, gcftoltet fie
in feine eigene 9BeIt hinein unb üerroonbelt fie in einen Pc^ft
lebenbigen ©ottesgarten. ®5 grengt ans QBunberbare, roie or»
ganifcf) ein ^inb geftolten kann. 3luö einem Raufen bunter ©teine
baut es eine 9Körc^enroelt auf. lieber alle Sücfeen unb Srüc^e
in ber QBelt fä^rt es fouoerün mit ber ausfüllenben ^t)ttntafie
ba^in, fo ha^ keine ftörenbe 9Hoc^t i^m etwas angaben feonn.
S)as 5:ote roirb unter feinen Rauben lebenbig. ®s mufe i^m
alles bienen.
Siefe naioe ©teflung gur 9DeIt ift nur ber oöHig oertraucnben
©eele möglid). €s ift bic erfte 6tufe ber 93ern)trkli(i)ung ber
Pd^ften ^römmigkeitsliraft: „Senen, bie (Sott lieben, muffen atte
S)inge gum SBeften bienen." %a^t man biefe kinblic^c SBefeelung
ber 9BeIt ins 9Iuge, bann fief)t man erft, roas für eine 95er=
geroaltigung ber ^inbesnatur es bebeutet, roenn it)r aus ©rünben,
bie in ben ®ntt(iufct)ungen unb £eibenf(^aftcn €rroac^fener rourseln,
bie „QBeltfeele" oorent^alten wirb. S)er „liebe ©ott" ge^rt gum
Äinbe wie bas lebenbige QCeltbilb gu feiner oertrauenben ©eele.
9Ilan gebe fic^ feeinen Säuf(^ungen ^in: bas ift no(^ keine Sebens*
frömmigkeit, bic bem roirktidjen SBeftanbe ber ©egennjartsroelt
gen)a(4)fen ift. Stber es ift eine uralte i^oJ^in i>er Frömmigkeit,
bie es aud) in ber 93tenf(^t)eitsgefcE)ic^te einmal gegeben t)at: bie
95efeelung ber S)inge unb Gräfte, roic mir fie etma im gried)ifrf)en
ober altgermanifc^en 9Hr)tps finben. 9Iicf|t umfonft lebt bas ^inb
in ber SOlärcficnroelt, bic aus jener ©ppre in bie ©egenroart no(^
^crüberroebt, als märe es bie eigene.
9lun ift CS freiließ eine oöllige 95crkennung bes eräie^erif(i)en
(Ernftes, menn man über bicfc 2leufeerungen „kinblit^er ^^antafie"
Iäd)elt ober fic^ amüfiert. 55er ncugeitlicEie Sebensc^nismus freilief}
kennt kaum eihe anbere ©teßung p biefem ^inb^eitsparabies.
S)cm emften ^inbt)eltsbeobad)ter unb "fü^rer aber roirb biefe
rounberbar gcfcEjIoffene 2DeIt ber ^inbesfeele gu einer fcfimerglidien
Erinnerung an bic grofee fiückc ber burcf) IcibooQe Erfahrungen
t)inburcf)geäogenen eigenen ^nnmmzlt, gugleict) aber gum ftärkften
5lnfporn, in einer t)ärteren 9BeIt bie ©eelc gu fuct)en, gu ber ^in
bas 2nenfc^cnlcbcn gcfcfiaffcn ift. O^nc eigenen religiöfen 93efiö
375
tft es gang unmögficfi, gu bcr ^inbesroclt eine ernft^aftc ©tcHung
äu geroiniten, rote etroa fiutt)er fte gefunben fjot. (£6 bleibt bei
einem neugierigen unb amüfierten 95etrac^ten ober einer fpielcrifc^en
^nbequemung an bie kinblictje ^lusbrucfesroeife unb 95orftelIungs=«
roelt. Sunt 9nörc^cnerääf)Ien unb pr 95eantroortung unb ^ü^rung
kinblicf)er i5^agcn ge^rt (Ernft, Siebe unb oor üUen Singen ©laubc,
ber roo^l auf einer ^öt)eren unb realeren Sebcnsftufe lebt, aber
t)on i^r ous aud) bie tieferen gu burc^bringen unb gu ^eiligen
roeife. S)as lebenbige ®efcö ber ^Religion trägt alle feine 95or-
ftufen nerftetienb unb roertenb in feinem ©c^ofee.
^reilid) ift biefe ^inb^eitsfrömmiglicit noc^ gang egogentrifc^.
Stur bie ^rauenfeele ift it)r ba^er gang geroarfifen. (Es ift burc^*
aus nic^t '^u^aü, bo^ aUe kinblid)e 3Bertung oon S)ingen unb
^erfönlic^lieiten ganj oom SHlotit) ber ©anfebarfeeit be^errfcf)t ift.
S)ie fcl)enljenbe ©üte ift bie allein burc^fc^lagenbe ^raft für bas
^tnb. «ine «objelttioc« «mürbigung fittlic^er ©röfee unb 2lein^eit
ift biefem ©tabium noö) gang ungugönglidi. 5)iefe egogentrifc^e
2lnloge bes ^inbes gcf)t fo roeit, bofe i^m beifpielsroeife ber Slob
eines Sieres, mit bem es täglid) fpielte, unter Umftänben fe^r oiel
fd^merglic^er ift ols ber Zob bes 93aters. 5)os ift gang ungel)cucr
roi(J)tig für bie ^usroafyl ber religiöfen Stoffe unb "ipcrfönlic^lieiten
für biefe 6tufe. 9Han foll fid) boä) nidjt oorneljmen, bem ^inbc
in biefem ©tabium bie ünabt)ängige ©röfee bes ©ittengefe^es ober
ben Heroismus fidj für eine ^öf)ere 2Daf)r^eit opfernber ^erfönlit^»
leiten na^e bringen gu roollen! 2Dic ©röfee opferroilligcr Siebe
roirb oon i^m nur an ber ©röfee bes felbftempfunbencn ®ef(^enlts
erfaßt, öbjektioe 9lotroenbigfeeiten unb Oefefee gibt es für bas
Äinb noc^ nicf)t. Sropem roürbe bas ^tnbesleben haltlos werben
unb untergeben, roenn es biefem egogentrifi^en ©ränge ganj aus-
geliefert roäre. S)ie Siebe, ber es fi(^ ocrtrauenb Eingibt, mu§
eine burd^ ^ö^ere ©efe^e get)altene Siebe fein, aud) roenn i^m
felbft für biefe ©efe^e ber SQlafeftab noc^ gang abgebt unb erft
tangfam ein inftinktioes ©efüf)t für il)rc ©ültigfeeit unb 93ebeutung
aufgebt. (Ein ^inb -ift gang unbenfibar o^ne autoritatioe Seitung,
bereu feffelnbe ^aft bie fpenbenbe ©üte ift, beren verborgener
fitttic^er SDiUe aber bie unmerMi(^c ^ü^rung in bie guliunft über=»
nimmt. S)as geiftige ©efeg aus bem rein 95egetatioen heraus»
376
ju{)oIcTt, bas ift bie crftc rnih oornct)mftc ^rgtc^ungsaufgabe, bie
in erfter fitnte bcr 9nuttcr anocrtraut ift. 3f)re ©ütc tft bie Äraft,
bie bas ^inb feffett, bie Otbnung bcs Kaufes abtt ber im Un*
beroufetcn TOirkenbe QKiUe, bcr es fü^rt. ©asfelbe Srgiefjungs»
gefeö gilt für bie 6teIIung gur feinblic^en ^^antafie. (£s ift gang
überflüffig, fie anregen gu rootten, fei es burc^ möglid)ft buntes
6pieläcug, fei es burd^ ©d)arrelmannfd|e (Ergätilungen. ®os ^inb
^errf(^t über eine oiel größere 2lnfc^auungsfüIIe als anbere i^nt
fuggerieren Können. Sie unmerfelid) in bie ©efc^e bes roirfelicf)en
fiebens ^inüberpfütiren, ift bie 5lufgabe. 5)arum ift es auct) fo
töridjt, bie biblifd^en ©rgäfilungen — abgefe^en oon ber 9Ius*
nterpng nöUig antlquarifc^er unb unoerftänbüd)er 2eilc — bcm
^inbe buri^ '31u5malungen äugänglidjcr gu madjen. 5)05 ^inb
fe^t fie fetjr oiel firf)erer unb anfö|auungsrei(^er in feine eigene
aUelt f)inein, oIs ein nad^fü^Ienber Srroad^fener bas oemtag. 3^r
Berber, gebröngter Siealismus wirb unbewußt gum t)altenben SRücli«
grat ber ins 93reite flie^enben ^inbesp^antafie. (gs ift bie (Er»
füCung bes gleid)en (grgie^ungsgefe^es, wenn bie SHeigung bes
^inbes gur Uebertreibung unb gur ^lunfeerei liebeooU, aber un*
erbittlic^ auf ben 93oben ber QBafjr^eit gurüdigefü^rt roirb. QBieber
fielen mir ^ier nor ber retigiöfen 93eftimmt^eit aller ^inb^eits*
ergie^ung: fie mu^ htm Eilten bie SBa^n bereiten, ber bas 9Belt*
gefd)c^en im ^i^ncrn trägt, bem eroigen ©efeg ber ^Ba^rljeit. Sie
innere Haltung, bie 0elbftbel)errfd^ung, ber fittlic^e ©e^orfam bes
Kaufes ift unbebingt notroenbig für eine gcfunbe ^inbescntroiclitung.
^ier ftofeen roir nun gum erften 3Hale auf bas ^rembe, bas
bzm liinblic^en ©mpfinben gunftd^ft finnlos ®rfrf)einenbe, bas in
bie ^elt bes ^inbes ^ineinroirfet. - ©o überraft^enb ft^neU unb
fidjer bas ^inb bas in feinen ©efic^tsfereis tretenbe 91eue in feine
933elt ^ineinbaut, fo unmerklich fic^ biefer Qlffimilationsproäefe in
ben meiften ^Mim ooUgie^t — es gibt ©renjen, oor benen bie
^inbesnatur gurücferoeid^t. (Es finb bas (Entroicfelungsfcfiranlien,
bie gum Seit oon ber eroigen 9latur aus ©rünbcn bes ©djuges
unoerbrüc^li(^ gegogen roorbcn finb, fo ha^ feeine 9Henfc^enmad)t
fie bre^en feann, bie gum STeil aber aucf| ^emmniffe finb, bie oon
ber 0latur aus ©rünben ber ^äfteroecliung für gufeünftiges Seben
bagroifdiengefc^oben roerben, bamit fie burc^ftofeen roerben unb in
— 377 —
bcr t)lcrfür aufgcroanbtcn ©ncrgtc eine ©pannung für ftommenbc
(Entroidilungsorbctt fc^offcn. Sine unocrbrüe^Ilc^e 9laturf(^ronfic
ber feinbiic^en ^fgc^e liegt beifpielsroetfc in ber 3lble^nung jeglicher
objcfettoen ^Betrachtung rote bcs gcfc^tc^tltdjen 95erftänbntffc5. 3lUes
ift no(^ ouf feine €ntroicfelung etngefteUt; barunt forgt bic ^lotur
bofür, ha^ es bie 5)lnge auf eine 'Siaä)^, unb groar auf feine
^lää)t äiet)t. Was nic^t in feine 2DeIt pafet, Iel)nt es ab, roic
^cter 3lofeggers 95ub ben Ijerrlidien ©tefansbom in SBien. €inc
nüd)terne Betrachtung bcr S;f)riftbauntgefd)enfee gleitet bis gu einem
beftimmten 2llter immer roieber in bie feinblit^^ptiantafieooüc hin-
über, aud) roenn aufgeklärte ©pielgenoffen ifjm bie ©a^e nod) fo
beutlid^ matten. S)as Söerftönbnis für ©t)ftematilt, roie etroa bas
Sinnefd^c ©t)ftem, get)t it)m glüdilitfjerroeife fe^r oiel länger af>,
als orbnungsbefliffenen Set)rem Heb ift. (£s Itann biefe 5)inge
fi(^ muffelig mec^anifd} aneignen, aber gegen fein inneres ©tröubcn
t)ilft keine ©eroolt ber 9BeIt. Sic logifc^ äerglicbernbc^atct^ismus«
betrad|tung unb bie fietjrc oom ©agbau madit es getreulich lernenb
mit, aber feine ^^^nenroeft tangiert bas alles nic^t. S)er 2Deg
oon ber „3(nfd)auung gum SBegriff" liegt i^m feljr oiel ferner,
als bie ^übagogen annehmen. (£s gibt fc^r öicle S)ingc, bie bas
^inb garnid)t fietjt, roat)rlicl^ eine roeife 95orfi(^t ber Statur, bic
es oft genug unroürbigcn €rroa(^fencn anoertraucn mufe.
(£s ift ein fe^r roidjtiges 21nlicgen ber ^äbagogili, biefe
9toturf(^ranKcn ber ^inbespf^<^e fij^arf ins ^uge äuf äffen., ©c^r
oiel (gräiet)ungsqual gct)t auf ben 9HangeI i^rer Kenntnis gurücfe,
au(^ in bcr SReligionspäbagogili. *) 9lo(^ roii^tiger inbeffcn als
bie 95ertraut{)eit mit biefcn ©djranlicn, bie in bcr ^inbescntroi^Iung
automatifd^ roirlien, ift bic Kenntnis ber ©i^ranfeen, bie bie €nt=»
roicfelung fclbft überroinben roiH, unb in beren Ueberroinbung ein
wichtiges ^5ottf(^rittsfermcnt bcs road^fcnbcn Sebcns liegt. (£s
finb bcis bic SDibcrftönbc, bie bie Statur in ben ©trom cinfd^altcti
bamit biefer, fi(^ ftauenb, eine ftärlicre ^trfeungsliraft noti^ oom
crpit 95on ber erften 3itgcnb an roirkt in bas ^inbeslcbcn nic^t
nur bie gleicf)fam fpietcnbc ©eroättigung frcmbcr ^inbrücfee, fonbcm
t
*) 3Bir kommen auf einige gxunbicgenbc ®eftd)tspunfete für bic
Slusroa^I bcs rcügtöfen ^Ubungsftoffcs rocitcr unten jurücit.
— 378 —
auc^ btc fc{)r fd)meräHd)e Ueberrotnbung üon ^ntroidilungsrolbcr-
ftänben hinein. ®tefe Seite ber ^tnb^eitscntrotcRtuttg bro^t ben
ncugeltlidien ©rgteijungöbeftrcbuhgcn unter ben 95emü^ungen, ber
^tnbesnatur „oom Ätnbe aus" geredjt gu werben, oerloren gu
ge^en ober jum 9Kinbeften gu oerfeümmern. 5)orum muffen mix
befonbers etnbrtngltc^ auf fte ^tnroetfen, roeti fie eine fet)r roi{^tig.c
95orauöfe^ung einer gefunben fittlicEjen Gntroicklung — bie ja mit
ber religiijfen ibentifd) ift — barftettt.
6c^on bie erfte ©orge ber jungen Sltutter, mas fie mit bem
fdfireienben ^inbe onfongen foU, gehört in bies ©ebiet. ®5 feoftet
fie fc^merfte ©elbftüberroinbung, roeil it)r fieben ja ganj naturf)aft
mit bem i^res ^inbes gufammenliängt, t)ier bie nötige 9BiIIens=
entfc^Ioffentjeit aufäubringen, bie bos ^inb in bie erfte fiebens-
orbnung fjineingroingt. ®iefe ©elbftüberroinbung roanbelt fid) aber
gugleirfi in Ueberminbungsferaft für haB ^inb, bas fd)on burd)
biefen erften ©rjie^ungsgroong eine bleibenbe Kraftquelle für bie
äufeünftige (Entroirfitung mitbeltommt. 5)icfe \\6) bem natur^often
Sebenstrieb bes Kinbes entgegenroerfenben Hemmungen, fei es,
ba% fie aus ber SHaturumgebung ungerooUt tjerausfpringen, fei es,
t)a^ bie Altern als bie reiferen Kenner ber Sebcnsmirkli(f)feeit fie
abft(^tlic^ f «Raffen, ^ören nie auf, fonbern folgen 6(f)Iag auf <©(^lag
in immer neuen '^otmm unb in immer ftärlieren Sofcn. €s ift
burdjaus fad|entfprecf|enb, ta^ man biefe (£infd|altung oon QDiber-
ftönben im engeren ©inne (Ergie^ung genannt ^at. 5)enn biefe
2Biberftänbe fd)affen bie eigcnttict)e gufeunftsferaft bes Kinbes. ®s
ift einfeitig unb fc^ief, roenn man als bie erfte 95orbebingung einer
gefunben fiebensentmicfelung eine fonntge Kinb^eit begeic^net f)at
©emi^ ift es ridjtig, ha^ ein oöUiger 2HangeI an ©onne, ^Jrei^eit
unb ^reube in ber Kinb^eit bas Seben hoffnungslos gur 95er*
fiümmerung bringt. 9tur barf man ni(f)t oergeffen, ba^ bas Kinb
audi unter öufeerlid) Ijümmerlic^en 93erf)(iltniffen einen großen
SReicEjtum an 6onne, ^rei^eit unb i^^eube in fic^ felbft trägt.
Sßefonbers aber barf man ficE) nid^t ber Xäuf(^ung Eingeben, als
ob eine 3ugenb in ber 6onne fdjon eine firaftoolle ^u^it^ftö*
entmicfelung gen)8f)rleifte. 5)iefe t)üngt üielmel)r oon ben über*
TOunbenen QDiberftünben ah, burd) bie erft ber fieg^aftc SDorroörts*
brang gefi^affen roirb. 933ir muffen t)ier an bas erinnern, roas
— 379 —
rolr in einem früheren 5tbfct)nitt über „^iUe unb Stieb* gefagt
^oben. „QBille ift roirficnbe Äroft, bie nad) oben unb nad) innen
gebunben ift: S:rieb ift oerfprü^enbc ^raft, bie nad) unten unb
nad^ aufeen gerflie^t." ®iefe „beiben 2Dege" roirKen oon ber
erften ^tnbt)eit an in bas Sntenfdienleben hinein unb muffen in
immer neuen kämpfen ouseinanbergeft^Iagen werben, bis ber 'Stuf*
mörtsbrang bcs ^Dillcns fic^ fieg^aft burd^gefcgt ^ot. ©er SBille
roödift mit ben ^Diberftönbcn, bie er t)at begroingen muffen. *)
„©as ©Ute mufe aus bem Sßlenfdjen heraus gcfrf) lagen werben."
®er ^ampf groifdien ©eift unb ^^^eifc^ gehört unbebingt gu ben
9Xotit)enbiglieiten ber auf bie Sit^^u^^f^ gerit^teten ®ntroidilung.
§ier wirb oom ^inbe aus pm erften 331ale beutlirf}, warum hinter
ber ergie^enben .'2lrbcit ber QKutter bie unerbittliche 2tutoritöt bes
93aters ftet)en mufe. <£t ift ber 95ürge für bie rechte SBa^l unb
bie burd^f(^Iagenbe QDirftung ber ein^ufci^altenben 3Biberftönbe.
92Ian mufe fic^ lilar barüber fein, ha% biefe Hemmungen
oom ^inbe als etroas ^J^embes, \a ©innlofes empfunben roerben«
3^re 9Had)t fe^t fict) rüdifict)tsIos unb o^ne ©egrünbung burd),
roie ber QBiUe bes eroigen ©ottes. 5)as ©ertrauen ber ^inbes-
feele kommt ber 95eu'gung unter fie entgegen, oermag fie aber
nid)t letdjt unh fpielenb roie hu meiften (£inbrüclie ber Umroelt
in bie eigene QBelt aufgulöfen unb cingugliebern. S)ie tiefftc ^raft
bes ©e^orfams unb bes erobernbcn QBirkens entroicfeelt fic^ auct)
im ^inbe nur bmd) fieiben. 3I5er ein oergrocif elt ft^reienbes ^inb
nic^t erträgt, ift nii^t gefdjidit gum Srgie^en. 2Dieber roirb beut-
ticfi, ta^ nur ein fieben, bas ben unbebingten ©efjorfam ber reit"
giöfcn ©ebunben^eit fanb, ber legten (Ergie^ungsaufgabe geroac^fen
ift.**)
*) 213tr Toerbcn fe^cn, ba% . in ber nät^ften (gntroidilungspcrtobe
bie jugcnblicfje 9lotur biefe 2Biberftänbe gerabegu gerooltfom fudjt, bas
beutüc^ftc 6gtnptom bafür, ba^ es fidj hierum eine unumgängliche ©nt*
roidlungsnotrocnbigkett Ijanbelt.
**) öier geigt firf), was übrigens ein allgemeingültiges ©cfeg ift,
ba^ bas Sittlidje tefp. Sleltgiöfc bem 9nenfd)en immer guerft als bas Wb»
futbe entgegentritt. S)cr fittlid)c SBillc roirb immer gunät^ft als fcinb*
lieber Ucberroinbungsroillc erlebt, bep erft nod) ooUenbctcm 6icgc — üergt.
ben ^Ibfc^nitt über 6t^ulb unb (grlöfung — feine lebcnförbcmbc 6eite
offenbart, ©eine unbebingtc ©ültigkcit fc^t fiö) burd) bie fdjmerglii^e
380
Samnt Ift btefe Aufgabe fo fc^rocr, roctl fic totfäc^Iid) bas
^tnb^ctts^jQrabtcs serftört, um bas Ätnb bic crftcn 6d|rittc auf
ben SDcg ju einer t)ö^eren Stufe ber ^rel^cit tcfp. ©cbunbentjett
äu füt)ren. O^ne bos Stirb unb 3Derbe ift bas aurf) im ^inbes*
leben nidjt möglic^. 5)ie crften 3BeIIen bcs rcligiöfen Urerlebniffes,
bic burd^ bte Porten ^atfocf)cn bes Seibens, bes ©djulbberoufetfcins,
bes gebrod)enen ^Billens, ber 95ergebung, ber neuen ©emcinfc^aft
gefeennjeic^net finb, fc^roingen bereits in bic SDcIt bcs Äinbes
hinein. S)ie neue QBelt bes 95crtrauens roirb burc^ eine Ijorte
frembc 32To(^t, bic oft genug oIs oöllig unoerftanbenc bem ^inbe
gegenübertritt, gerftört, um einer fjö^ercn 6tufc ber ocrtrauens»
BoUcn Eingabe ben 9Beg gu bereiten. 5)as naioe ^inne^men
wirb longfam in ben afetioen ©c^orfam übergeführt. Ss ift niifit
nur ber eltcrlict|c 5BiUe, ber biefe frembe 9Had)t oerliörpert, fonbem
ebenfo oft bic Umroclt, bic bas ^nb fid^ immer roicber bic ^i^gcr
ocrbrcnnen unb bic $aut ^erfc^inben ISfet. (Es ift keinesmcgs
immer bic '^tuäit oon ©efpenftcrgefc^id)tcn, roemt bas Äinb im
Sunliel ber 9Ia(^t ober ouf cinfamcn SBcgen fd)reÄf|aft wirb unb
bie 3BeIt oon böfen ©eiftem bcoölkcrt fiet)t ®as finb (Erinnerungen
an uralte kämpfe ber SJtenfc^^eit mit ben furchtbaren OTibcrftänbcn
ber Slatur, bie aus ber 2iefc mieber emportauc^cn. 6oId^e "Sn»
ftönbc, oon bencn namcntlid) empfinbfame Äinbcr ^cimgefut^t
roerben, finb Erinnerungen für ben ®räiet)cr, nid)t ha^ er crfcj^redicn,
roo^l aber burc^ bie rc(^tcn unb redjtäcitigen Hemmungen ftät)Icn
unb.llebern)inbungsferaft rocdien foU. S)as frembe tritt bo^ eines
9Ba^t jTüifc^cn Scbcn unb 'Siob burtf) — oudj für bie feinbUdjc ©rfa^rung.
®s ift eine fe^r rf)arafeterlftifc^c (Etfc^ctnung, bafe Äinber, roenn fic jum
crftcn 3nalc in ber Scgrünbung oon g^cunbfdjaftcn unb bcrgl. eigene
— nic^t cinfad) burd) ©uggeftion übertragene — fittli(^e SBertungen aus«
fprccf)cn, bies burdjrocg in ncgattoer gorm tun: „(£r klotfdjt ni(^t; fic ift
ni(i)t faifcf) u. bgl." ^tcr jcigt fid), ba% bas 6ittengcfeg, fo geroi^ es fi^
auf weite 6tredicn unmerliüd) bem Äinbc einprägt, ho^ crft feine unoer*
brücf|Itd)e (Srfa^rungsgültigkeit burd) fd)mer5Hc^e(ErIcbmffe geroinnt. Q3ergl.
Seite 49f. S)icfc (Erfc^einung ift übrigens fe^r niic^tig für bic Beurteilung
ber »93orbiIbcr* in i^rcm craic^erifc^en 2Berte für Urteils* unb (E^arafeter«
bilbung ber Äinber. ®ic feat^otlf(^c ^irc^c^ au(^ gr. 9BiI^eIm Sörfter,
f c^ägt fic fc^r f)od) ein. 3Bir fc^cn nur einen fe^r bebingten 3Bcrt. ^ix
kommen borauf unten jurüdi.
— 381 —
$agc6 oor bte Äinbcsfccic I)in unb rotrb oon t{)Tn empfunbcn,
ja gcfuc^t. S)arum tft es gut, wenn es i^m quc^ unb crft rcc^t
oon bcn tljm junöc^ft ftcfjcnben 9Henfc^en ocrfiörpcrt roirb, roeU
fie ollcin es in biefen erftcn Ucbcrroinbungsfeämpfcn äui t)öl)cren
^raft unb ^ux neuen ©id^crljcit führen können, ^n bas lilnbUc^c
25crtrauen gum „lieben ©Ott" mufe beutli^er unb bcutlic^er bos
92Ioment ber ^urcfit ©ottcs ^ineintrcten, benn nur ous biefer
anifc^ung crroäc^ft langfam bie ®t|rfurc^t unb ber ©c^orforn.
3n btefcr Ueberfü^rung ber ^inbl)eit in bie (Entroiclilungs-
jQfjre — benn barunt ^anbelt es ftd| — fpielt eine rot^ttgc 9floflc
ber Eintritt in bie ©«^ule. 6ic ntac^t bas ^Ji^embe gur bleibenben
2Qtfod)e in ber ^nbcsentroicfelung. (£s roirb keiner noc^ fo forg-
föltigen ©(^ulpäbagogife gelingen — benn bos roöre unnatürli«^ — ,
für bas ^inb bas 93toment ber gurdjt — bie aüerbings etroas
oöUig anberes ift als ©direcken — ausäufrfialtcn. 'S.ut fie es hoti),
bann ^at bie 6(^ule i^rc ticffte 2lufgabe oerfe^It. 3)enn bie St^ulc
ift bie grofee llebergangsfül)rertn oont rein reccptioen unb ocr*
trauenben Äinbesleben in bas mit afetioem 95ertrauen erfaßte ©egcn*
roartsleben. 6ic ift gong Uebergangsgröfee unb foUte biefc i^rc
bienenbe unb fic^ felbft überflüffig mat^enbe 3loUc nie ous bcnt
Sluge oerlieren. Sro^bem trägt fie bas roicfjtigfte ©tabium ber
^ugcnbentroicklung in i^ren ^önben unb ift für bie fiöfung ber
^giel^ungsaufgaben in ber gegenroärtigen ^ulturroelt gang unent*
bct)rli(^. S)ie neueren 93crfu(^c, bie ©t^utergie^ung burc^ ^inc
roeiterrci(^enbe reine j^öntiliencrgieljung gu erfegen, um bem ^nbe
fo lange roie möglit^ bas '^temb^,Unpir^önlid)Q, 3Ile(^anifc^e, €in-
cngenbe unb ^rcublofc ju erfparcn, ftnb ni(^t nur ous öufecrcn,
proktifc^en ©efic^tspunkten, fonbern ouc^ aus innerpübogogifc^en
©rünbcn als kurgfic^tig ju bejeic^ncn.
3)enn gerobe bos ^rembc unb gunöt^ft Hnoerftonbene, bos
uncrbittlid) ^orbernbc unb ©id^burc^fc^enbe ber ©djulerjie^ung
ift bos für bie Äinbesfü^rung in ber Uebcrgongsaeit ju ber Snt*
Toicfetungsperiobe innerlich 9lotroenbige. 9Hon oerfteljc mic^ rcc^tl
3cnc oben ermähnten (Sntroicfclungsfc^ronkcn in ber Äinbesnotur
^ot auc^ bie ©c^ute kein 9\^c^t %vl überfc^rciten. §ier foüte ein
immer forgföltigercs ©tubium ber Ätnbesfeele oUes ousfc^oftcn,
mos bie grofec erjic^crin Statur öusgcfc^oftet roiffcn roiU. Qlbcr
— 382 —
jene 6d)ranken, bte bie ftttitdie ©pannferoft roeelien unb er^ö^en
unb ben fcf)affenben SitfeunftsiDtUen t)eroorrufen, planmäßig auf«
priemten, ift bie oornet)mfte ^lufgobe ber ©c^ule. Sie mufe ^Irbeits»
ji^ute in bem 6tnne |ein, bafe jte ^rbeiisfetaft unb St^offensroitlen
für bie gufeunft roecfet. ®arin liegt bie 58ebcutung ber 6d)ule
für bie fittlidie refp. religiöfe (gntroicfelung ber 3ugenb.
9lid^t oergeffen borf werben, ha% bie 6cf)ule, bte bas ^inb
in ber 9leget mit beut 6. fiebensja^r erpit, fofort eine Uebergangs*
aufgobe in bie ^onb nimmt. ®ie bekannten brei 6tufen (Unter»,
3nittel=> unb Oberftufe) *) mögen für bie tec^nifd)e Einteilung
tedinifc^er ^äd)er itjre unbeftreitbare 93ebeutung pben. '5ür bie
SBetradjtung bes inneren Entroidilungsganges ber 3119^"^ muffen
mir fie gong au^er 5l(^t loffen. ®ie ©d)ule empfängt bas ^inb
in bem ^lugenblicke, in bem es nocJj ber gefcfjloffenen 9BeIt oer*
trauenber SHeceptiüität gang na^e fte^t, unb bod) fc^on mit gu^»
ne^menber Deutlichkeit bie Sinien ber ^ampfperiobe fii^tbar werben.
3n i^ren erften 3lnfängen reid)en biefe Sinien, wie mir gefe^en
l^aben, ja fc^r roeit gurück, aber nun treten fie langfam fc^ärfer
heraus. 9Iod) fie^t bas ^inb gum Se^rer unb gur fie^rerin mit
bem SBIidi bes unbebtngten 95ertrauens auf roie au 95ater unb
3Hutter — eine Satfat^e, bie bie ©d^utergielier ber 'Slnfangsklaffen
nie cergeffen foUten! — , unb bod) brängt bas ©efü^I, einer fremben,
unerbittlii^en 3DiIIen5mad)t gegenüberäufte^en, f(^on langfam gur
93ort)errfc^aft. 9lod) ift bas ©d)uläimmer bie erroetterte ijamilien«
ftube unb hoä) f<^on bte erfte Söerkörperung bes roeitcn Scbens»
marktes. (£s ift roa^rpftig keine leitete Qlufgabe, bies fdjtoierige
Ucbergangsftabium, bas baju no(^ in ben oerfc^iebenen ^inbern
in t)erf(^iebener 93etonung oorliegt, rictitig angufaffen, o^ne oor»
jettig etnjufc^üc^tern unb eine nod) nid)t äur Qluflöfung beftimmte
SDertrauensroelt geroaltfam gu gerftören unb hod) aud) nid)t bie
notroenbig roerbenben ftä^Ienben Hemmungen gu oerfäumen. S)as
eine kann für alle Zukunft bie ^raft bes 25ertrauens verkümmern,
bas anbere gur matten S:röumerei führen, ©d)äben, bie nur fe^r
fc^roer fpöter roieber einäut)oIen finb.
S)as iJi^embe, fid) bem ^inbe gegenüber Surdife^enbe liegt
*) SBtr ^abcn ^ier bte 93oIk5fd)uIe im Stuge.
— 383 —
in ber ^orm unb bcm 3iif)aW ^^^ ®d)ulunterrt(i)t5. ©ans neue
Drbnungen, btc als unbebingt gültige bem ^inbe gegenübertreten,
greifen, gum Seil fc^nterglict), in has ^inbesleben ein. ®ie fc^ieben,
audj roenn bie SSItIbe fie ^onbljobt, burc^ it)re unoerbrüc^lic^e
^eierlid^heit bas feelifd^e SHIotio ber '^md)t in-ben 95orbergrunb.
®05 ift nid)t etroa 95ergen3altigung, fonbern entfprid)t burdjaus
bem Sntroicfelungsftanbe bcs ^inbes, beffcn innere Spannungen
biefent guftanbe ber ©efeöes{)errfd)aft entgegenkommen. Sic er»
roac^enbe gielftrebige ^Ikttoität bes ^inbes forbcrt bie anfpornenben
Gräfte bcs Sohnes unb ber ©träfe. 3Bic in ber SDlenfi^^eitsgc«
f(^i(^te ermoc^t ^icr bie ^eriobe ber 5urd)t unb Hoffnung, bie
bie naio ocrtrauenbe ©eftaltung ber QBelt ablöft. S)as ^inb
wittert bie unbekannte Q33elt, bie huidj Erfüllung beftimmter Sei-
ftungen unb ©efege erroorben fein roill. (£s ^orct)t gcfpannt auf
bas Hrteil bes fie^rcrs, ber biefe QBcIt gu oerroalten \)at, nnh ift
t)oc^erfreut, menn bie fieiftung ben 3u9ön9 ergroang, aber tief be-
trübt, roenn ein brotjcnbes '2luge bas 3HifeIingen anzeigt. S)ie
QBeltfeele äcrfällt beutlici) in groei Sphären, bie ber to^ncnbcn
©Ute unb bie bes ftrafenben gorns. 2ln bie ©teile ber egojcn-
trif(i)en ©eftaltung tritt me^r unb me^r bie cgoiftifrf|c Eroberung
ber 2Belt. ©s ift burc^aus ber ^inbesnatur roibcrfpree^cnb, rocnn
®rn)ad|fene aus fet)r.t)iel roeiter oorgefrfirittencn ©cbonkengängen
l^eraus bas So^n« unb 6traffi)ftem, ben ©^rgeig aus ben 6(^ul=
räumen bannen rooUen. S)as §anbeln aus bem „©efcfe ber ^rei^cit"
ift biefem ©tabium n)a^rt)aftig nod) nid)t gugänglic^. SHlit bcnt
ftärker unb ftärker erroac^enben Sigcnroillcn crroai^t auä) ein neuer
©tun für bas unbcrc(^enbarc ^rembc, bas ber Eroberung ^arrt
©cftaltete bie 9lotur in ber erften ^inb^eit oon innen ^cr, fo fängt
fic nun an, oon aufeen ^er bie Prüfte aus bem Äinbc ^crausäU*
gießen. 95is ba^in runbetc bas ^inb bie SBclt ah, nun beginnt
bie Q33elt bas ^inb guäuftuöcn unb nad) fictj gu bilbcn. 5)as
^inb roirb gcfpannt, neugierig, bem großen ©e^eimnis noc^fpürcnb,
bas es fjinter ben S)ingen mittert. 5)ie rutjcnbe SReceptioität ge^t
in bas ru^elofc ©uc^cn über. 3)as träumenbc ^inbcsgcmüt, bas
fic^ mit bem aufrieben gibt, joas i^m äugeroorfcn roirb, roirb äum
fragenben ^inbesaugc, bas kritifc^ untcrfuctjt unb ausroä^tt. (Es
fängt an, ä^ roertcn. Sloc^ ift biefe SDertung gong cgoiftlfc^
384
bcfttmmt, aber In gang anbcrcr 3Beifc als in bcn crften ^nb^eits-
tagen. Sic natoc, gcfütilsmöfeig t)tnnc^menbe ©anttbarfteit für
alles, roas bcm ^inbe als fpenbcnbc ©üte entgegentritt, roeid^t
ber 3lbn)ögung, roas es für fic^ aus ben 5)ingen machen feann,
roas fie it)nt nü^en. ®iefe 5tbn)ägung Itann fe^r unbanfebar unb
eigenwillig fein. €s roill befifeen uub für fid^ ausnu^en, nic^t
blofe für ben ^lugenbltdfe genießen. Sitclliett, (E^rgcij unb Oteib,
biefe tgpift^en ^ennseit^cn aUes oergletc^enben unb gur ©eltung
bröngenben ^c^f^cbens, beginnen i^re erften QBellen gu gietien.
©as alles ge^t §anb in §anb mit ber Srroeiterung ber Untroelt
unb bes fogialcn Greifes, bie bas 6d)uIIeben mit ftc^ bringt.
gSor allen ©ingen aber ift es ber 3«^ ölt ^ßs ©c^ul*
unterrid)ts, ber biefe Umlagerung in ber ^inblieitsentroidfelung aus
ber paffio«egoäentrif(i)en Oflegeptioität in bie afetio-egoiftifi^e (£r*
oberungsfudjt ftü^t unb förbert. ®ine '^ülle gang neuen unb
fernliegenben © toff es bringt auf bas ^inb ein. S^erft gliebert
es bie S)inge, befonbers bie religiöfen ®ef(^i(^ten, nocE) gang in
bie QBelt bes Kaufes ein, bann aber ft^rumpft biefe ^elt me^r
unb me^r gufammen; ber ©(f)n)crpunfet bes ^^itereffes rückt nact)
aufeen, bis in ben ©ntroicfelungsjatiren bas rii^tige 5Iusf(^n) armen
beginnt.
Sie 6(^n)ierigfeeit ber (grsie^ungsaufgabe in biefem lieber*
gangsftabium liegt auf ber §anb. 6te liegt in ber 3Ba^I ber
Uebcrgangsformen unb ber Uebergangsftoffe, gumal auf rcligiöfem
©ebiet. 93efonbers in htn erften beiben ©(^uljafiren t)errf(i|t bie
Mnbti(^c aieseptioität no(^ oor. .5)er familiäre Son, ber bie ftarren
©efc^esformen nod} erroeij^t, bie fpietcnbe '^Ineignung roie über»
^aupt bas geftaltenbe ©piel follten norf) ben breiteften Slaum cin-
net)men. Sie feffetnbe unb erfreuenbe ©üte ift tjier äugleid) bie
ftärltfte autoritatioe Äraft. Sic ©toffc aus bcn naio geftaltenbcn
3ugenbtagen ber 95ölfecr, bas 9Härd()cn unb bie "ipatriarc^enpoefie
bieten \i(Sj biefer ^eriobe gang oon felbft an. Sie fd)miegen fi(^
in bie Äinbesroclt hinein, als märe es bie eigene. Ser 2lccent
ocrlcgt fi(^ aber fdjon ganj bebeutenb in bcn beiben ober bcn
brei folgenben ©d^uljatiren. 2Die mit bem erobcrnben ©elbft*
be^auptungsbrang ber primitlocn 95ölfeer ftets ber orbnenbc ©efefe"
geber erfd^ien, fo forbert ber roai^fenbc afetioc ©roberungsbrang
— 385 —
ber ^tnber bcn gcfc^gcbcnbcn QDiUen. 2)cr crobcmbc Sc^roiße
unb bte tec^ntfc^e (Erftatrung bes ©cfcfees als bte ©leitbo^n bes
(Erfolges bcbingcn ftc^ ouc^ ^icr gcgenfeittg. ^npoc^fcnc fpottfen
roo^I t)on gang anbeten ficbcnsftufen ^er über ben „Snoralismus",
bic „ftarre S)tsatpltn", has „SoI)n unb ©traffgftem" in ber ©djule,
bebenken aber fe^r roentg, bafe ^ier notroenbtge Uebergangsftufen
ber (Entrotcfelung oorliegen. 9Btrb ^ter ntdjt bte ftd| ftörkcr unb
ftärlier geltenb ntai^enbe unb unter Umftänben fd)on kräftig jured^t*
ftu^enbe orbnenbe fiinie gefunben, fo ift für bic ^ntroicfelungs*
ja^re, beren überfdEjäumenber S)rang eine f(^arf bönbigenbe ^effel
für feine ^onfolibierung brandet, eine wichtige 33prausfeöung uer«>
f öuntt roorben. 95orou5fid)t ift bie roit^tigfte Xugenb bes "ipäbagogenj
^n biefem gTOeiten ©tabium ber Uebergangsgeit f ^rümpft
folgerecht aud) bie alte religiöfc SBelt gufaninten. 3)cr „liebe ©ott"
luftroanbelt nii^t ntet)r im ©arten (£ben, feine ©eftalt oerfd^njimntt.
®r ift geroife nod^ ha als gütige unb nun au(^ furdjterregenbc
9Jla(f)t — bas „@ott ift überall" fängt an gu roirken ^, aber
bie geftaltenbe 'ip^antafie befc^äftigt fi(^ roeniger mit itjm. Sleatere
unb menfct)Iic^ere ©eftalten treten an feine ©teile, unter benenfid^
nun aber bie ©uten unb bie QSöfen fet)r plaftifd) gu fc^eiben ber
ginnen. 9la^m in ber erften ^inb^cit bas ®öfe eine me^r mi)fttf(^e
unb unbeftimmt«fd)recfe^afte ^^orm an, fo gewinnt es jc^t gong
fefte 3üge. S)ie QUelt wirb bualiftifd) beftimmt. 5)as Äinb wertet
bie 3Henf(^en ab: fie gefallen ii)m ober fie gefollen if)m nic^t.
iöas ift nodj keinesroegs eine fitttic^e QiBertung im oolten ©innej
aber eine ^taffifigicrung ber SHenfc^en nad) feinen eigenen Gr»
fa^rungsgcfict)tspunkten: faul ober fleißig, ftreitfüc^tig ober frieblic^,
p^lirf) ober fc^ön, feige ober mutig.
5)arum muffen bi.e ©eftalten, bie bas ^inb mtrklic^ innerlid)
befdiäftigen, fe^r kräftige ©egenfa^farben ^aben, auf bie fein ^uge
eingeftellt ift. (Es roill kräftig ablehnen unb kräftig lieben können,
(Es märe aber übereilt, aus biefcn gujubelnben unb ablel)nenben
Urteilen ben ©(^tufe gu gießen, bas ^inb fei nun reif für ^,95or?
I)itber." 95orbilbcr roolien gießen, mitreisen. 3" biefem ©tabium
^.ä%t fid} bas ^inb aber burdj i{)m gufagenbe ©eftalten noc^ nic^t
mitreisen, ©eine QBertun^ ift lebiglic^ bie SBeftätigüng bes int
eigenen fieben inftiitktio ipirkfamen Urteils, bas ^ö(^ftens heraus*
8. ^eitmann, ©rofeftabt unb SReltgion. 3. ZtlU 25
— 386 —
gclocfet unb geklärt, nid)t ober burd) bas 95orbtIb gefc^offen roirb.
S)tc einfcittg=cgotfltf(i)e Orientierung bes Rollens fcfjlie^t bie
fc^öpfcrifdjc unb roecfeenbe ^raft bes ©orbilbes nocl) aus. ®as
geigt ft(^ ouc^ bortn, bofe has ^inb in bicfcm ©tobium nie bmd)
ein 95orbiIb befc^ämt wirb. O^ne biefe QBirftung aber äief)t feetn
95orbUb. ^uräfi(^tige ©Item unb ^rgielier glauben aüerbtngs, bos
^inb burc^ ^inroeis auf 93orbtIbcr befc^ämen ju können. QBas
bas Äinb beft^ömt, ift ber unmittelbar unb f^merälic^ gupacfeenbc
ftrafenbe 2abel, ber fic^ roof)! bes Sßorbilbes bebient, nic^t aber
biefcs felbft unb feine in itjnt root)nenbe ^raft.
©arunt ift es t)ier auct) md)t bie 3lufgabe bes 3lcIig{on5»=
unterrtJ^tes, bem ^tnbe 95orbiIber gu geigen. €s mufe lebensroarme
(öefd)i(^ten mit allen ^ontraften natur^aft empfinbenber 93ötker
Pren unb gang mit burd^teben, bamtt an t^ncn fein Urteil ftc^
betätige unb ftärk'c. 3n ber Q^leligionsgefc^tcfitc, gumal bes bitten
Seftaments, gibt es eine grofee ^ülle oon (grgä^lungen, bie fe^r
kräftig fc^roarg^roei^ malen. Ss roill erleben, roie ber 95öfe ^inab«
geton unb ber ©ute emporgehoben wirb, roeil es felbft auf btefer
naiö»gefeöltd)en ©tufe ber fiebensbeurteitung lebt. *) Sas ^inb
flnbct barin bie SBeftätigung bes ©efej^es, in bem es felbft ^anbelt
unb cmpflnbet. Sie im Sleligionsuntcrrii^t fo beliebte „"JlnTDenbung
auf bas kinblic^e fieben" ift nic^t nur fe^r fc^roterig — bas kinb«
lidje Smpfinben ift fe^r oiel feinfühliger unb gegen mangelnbe
©od^kenntnis ablel)nenber, als man benkt — unb barum in ben
meiften '^'äUm roirkungslos, fonbern Dernirf)tet audj bie im Un*
bemühten fiel) oollgietjenbe SBirkung ber ®rgä^lungen. S)as ^inb
t)at allerbings einen ftarken STladia^mungstrieb. 5)icfer begießt
ft(^ aber bis roeit in bie €ntn)icklung5jat)re hinein gang unb gar
auf bie Oberfläd)e ber 5)tnge, nidjt auf it)rc inneren ©efefec. Söer«
fut^t man biefen 9tac^al)mungstrieb im 93lick auf alte gefc^ic^t-
lit^c ®rgö^lungen, bie fic^ burdimeg in ber 9Belt ber (Erroac^fenen
abfpielen, in 9Xacl)eiferungstrieb gu ocrmonbcln, fo erlebt man ein
*) Sic (Seftalt S^f« gcffört na(^ i^tcr fonntgsgütigcn Seite in bos
©tabium ber reinen ^inb^cit, alfo eben no(^ in bie erftcn bciben @d)ul«
ia^re. ®ie tragifcf)*^eroifd)e Seite geprt erft in bk (Bntroicblungspcrtobe,
unb bie Beurteilung ber ^nncnfeitc feines Sebensfc^ickfals gehört erft in
ben 2lbf(i)lufe ber ganjen (Sntroirfilungssctt.
— 387 —
oötitgcs ^lasfeo, b. ^. mon gerftört btc ^armloftgltctt bcs Äinbcs
btcfcn eraö^Iungcn gegenüber unb läfet bas in t^nen Icbcnbtgc
©efeö nic^t ^m QBlrfeung kommen. S)tcfc ^räö^Iungcn foßen bie
2ltmofppre oerftärfeen, Wären, errocitern, In bcr bas Älnb felbft
lebt, unb baburc^ feiner eigenen ©efamtentroicfelung bienen, nit^t
aber bas Äinb ^n Sinjel^anblungen unb «geftnnungen begciftcm.
3n aller Srgictiungsorbeit finb gefunbe <£ntn)icfeIungsfortfc^rittc im
©cfamtleben fe^r oiel rotc^tiger als „Sinäelergebniffc", bie mon
oorseigen kann. S)as foßte man im 3leIigtonsuntcrri(^t nie oer*
geffen. 5)ie ^Itmofp^öre, bie er fc^afft, ift immer bas (Entfc^eibcnbe,
nid|t feine not^roeisbaren ©inäelmtrliungen.
Stoc^ ein 2Dort über bie ©prüt^e, bie fi(^ bem herkommen
gcmäfe an eine fold)e Srgätilung angufc^Iiefeen pflegen unb i^r
inneres Ergebnis äufammenfaffen foUen. ©iefes herkommen ift
nid^t fo uneben, mie mon es neuerbings unter bem aUerbings
berechtigt able^nenben ^inroeis auf bie alte ^ated)ismus*6pru(^*
9Ilet{)obe ^inguftcUen pflegt, ^reitic^ kann es nic^t fc^arf genug
üerurteilt werben, roenn man burct) folt^c nai^einanbcr gefunbenen
äufammenfaffenben 6prüd)e attmä^lic^ ein Softem bcr (£t^ik, auf
bas man l)inausn)ill, sufammcnflidien ober ben gangen 95erei(^
bes ^atcc^ismusftücks, bas ber £e^rplan äufäUig oorfc^rcibt, bc-
ftretc^en roill. ©iefe ©gftematifierung ber Sieligion, bie äubcm
nod), um au bem geroünft^ten Ergebnis 5u füf)ren, bie ©ef(^i(^tcn
oergcroaltigt unb aus i^nen ^erauskloubt, roas gamii^t unmittel-
bar aus i^nen ^erausfpringt, ift nic^t nur 95erkennung bcr ^inbcs»
natur, bie minbeftcns auf blcfer 6tufc keiner ©qftematificrung su-
gönglic^ ift, fonbern auc^ 93crkcnnung bcr 9leligion, bie auf icbcr
®tufe eine einheitliche ijorm bes fiebcnsgcfcöcs barfteltt, nic^t aber
ein ©qftem oon ©ö^en. ©as.^inb fängt attcrbings auf bicfcr
©tufc an, unter bcr 3nac^t bes ©efefees gu fielen, ober es ift gan^^
gleichgültig, an roelc^cm funkte fiel) feine Orbnungen i^m ols
gültig erroeifen. S)er (g^ebrud) unb bas SBeget)rcn nad) bes 9läc^ftcn
§aus, ber ajtifebrauct) bes STlamcns ©ottes unb bas falfcf)e Scugnis
roiber ben Släc^ftcn braucht ba n)a^rf)aftig nic^t „bcr SBotlftänbig-
keit rocgen" mit ern)ät)nt gu rocrben, um bics ©tabium bes ©c-
fc^cs äur oollen 2Dirkung kommen gu löffln. S)afe es überhaupt
8ur Qßirkung kommt, in bcr ©c^ulorbnung unb im gcmcinfamcn
25*
— 388 —
5;tet6cn bcr Mnber,. bas tft baa 5Btc^ttgfte. 3)iefe fiebensfp^öre
oerftätfecn tft bic Slufgabc, nt(f|t bie erf(^öpfenbe^erftcllung eines
ßonjcn Scbensjgftems. 5)ie im öffenttirfiett fieben gültigen SÖIorat
igefc^e kämmen ja glüdinc^cnoeife aud) noc^ auf anbcrem 3Bege
ätt bos Äinb ^eran. 9nan braucht nic^t jü fürd)ten, ha% bas
^inb be&roegen. leichter einen "Xotfc^Iag bcgcfjt, roeil es bos fünfte
®"cbi>t nebft (grfelärung nid^t orbentlic^ gelernt I)at, unb man foll
fi^ ni(f)t ber 5äufd)ung ^ingebien, bofe eine ousfü^rlidie (Erklärung
beö 6. ©ebots in ben ©d^uliatjren für bie Söfung ber fejuellen
^rage in ben cntfd)cibenben 3ö^^ßit etroos Jlenncnsroertes austrage*
S>as alles fdjliefet aber nic^t aus, bafe bem ©pruc^ unb bem
©ebot iocf) eine , organift^e (Stellung im llnterri(^t gubomme.
5Ston foll bq(^ nid^t oergeffen, ha% bas Volksleben an 9Beisl)eits«
fprü(^en unb ©prix^roörtem überrcid) ift, unb ha.% biefc in it)rer
ürn)ü(f|figen ^raft unb Srefffit^erl^eit gu einem guten ^eil aus
bjcn Jugenblidicn 6tabien ber 25ölkerentn)icklung flammen. S)ie
crfteh ©eiftesfpuren, burt^ bie ein jugenbftarkes 93olk in bie geiftige
9Henfct)^eitsentn)icklung t)ineintritt, finb folc^e 35olk6fprücl^e. ©ie
firtb bie 33orboten ber fc^affenben ©ic^tung. ©rofee (Erfahrungen
ünb fc^roer erworbene ©efe^e ber Jlad^roelt gu überliefern, ift ber
ütieftfe ©runbtrieb oller fid^affenben ^unft. . ©oUte ha, roo in ber
-gugenbentroidklung bie erften (Erfahrungen in ber aktioen QBelt«
Eroberung gemacf)t werben, es fo finnlos fein, bas (Erlebte urib
Önitcrlebte .im 6prurf| fortleben gu laffcn? 3)cr kennt bie ^inbes«
]ttU fd)le(^t, ber nic^t i^e ^reube an treffenben ©innfprüdjen unb
i^re ^ä^igkeit leictjter 9lncignung nrroüc^figer QBortung kennt,
llnberftanbene fiel)rfprü(^e, bie eine ft)ff ematifierte ^atedjismus»
Weisheit biblj\(i) begrünben foHcn, lel)nt bas ^inb aUerbings mit
QDiberroiUcn ah, weil fic bie Schranken nic^t berückfidjtigcn, bie
ber Älttbesnatur gefegt finb. Oft aÜerblngs kann bie klaffifc^e
äußere Prägung, gu ber bas ^inb ftc^ ^tngegogen fü^tt, unb bie
i^m leitet cingct|t, über biefen SBibermillen i)inn)egtöufd|en. Slber
ioö bie klaffifc^e Prägung fiel) mit einer bem kinblic^en (Erleben
3ugänglicl)en 9Ba^r^eit äufammenfinbet, ha foll man fröf)licf) lernen
iöffcn. ©erabc bie SBibelj aber auc^ unfer beutfc^es QSolkstum
fittbreit^ an I>errlirf)en ^Prägungen oon ©innfprüt^en unb croig
Öültigen ©efe^en. 9Hon mufe ft.e allerbings nac^ anberen ©efic^ts«
— 389 —
punkten als nac^ benen bcs Äotec^tsmusuntcrric^ts unb fiit or»
ganlf(^en ^ufamnien^ang mit bcm (Eigenleben bes ^inbes unb
feinem 3Hiterlcbcn alter 93oIkserää^Iungen ausfucfien. Stijc^ eine
3lufgabe, unb smar eine fel^r fc^öne, künftigen SHeligionsutttcrric^ts!
Uebrigens geigt fic^ in biefer '^aijiQMt bes ^inbes, bic
SDa^r^eit eines im 3Inf(^Iufe an Erlebtes lebenbig geprägten
©prud^es — ber etwas oöttig anbercs ift als ein aus ber 2tnf
fi^auung ^erausgeklaubter „SBegriff " — gu empfinben, roie na^c
bie ©Iei(i)nisfprad)e aud^ bem Äinbe ftet)t. Sänge e^e ein ^nb
roei^, roas ein ©leidjnis ift, nö^rt es fic^ oom ©Iei(^nis. ©ic
unoergöngH(i)e QBirkungskraft ber alten 95oIksmär(^en auf bic
3ugenb unb it)re rätfel^afte Ueberlegenlieit über alle „^unftmärc^en*
ge^t barauf gurück, ha^ in jenem eckten 95otksgut, beffen ^Iter
nic^t 5U beftimmen, bas geroorben, nii^t gef troffen ift, fid^ uralte
Srfa^rungsroa^r^eiten fpiegeln, bie buri^ bic ^a^rtaufenbc bcmätjrt
finb, burd^ ungegälilte ©enerationen i^rc klaffifific ^Jorm crtjaltcn
unb i^ren Croigkeitsgc^alt crroiefen t)aben. Sic finb met)r als
erfunbene ©efd^ic^ten, fie finb lebenbige ©Iei(^niffe. ©as ^nb
fü^lt bas unberoufet unb fte^t unter i^rem 95anne, roie es über-
haupt unter bcm 93annc ber iat)rtoufenbeaIten 9Henf(^^eitsgef(^i(^tc
ftc^t. 3" bicfem ©inne finb aud) bic alten OSolkserää^tungcn ber
58ibel ©teicljniffc. @ic finb 3nenfcl)f)eitsgut, beren fogcnannter
„femitif(^er (Einfdilag'' nur oon folc^cn unangenehm empfunbcn
roirb, benen ber 93lick für bas SlUgemcingültigc ber primitioert
SÖIenf (^t)eitsftufcn pöUig abgebt. ®m)äf)nt mag rocrben, hä^ aut^
mand^e unter ben ©Icic^niffcn 3^!", bic eine au5füt)rti(^e ^anblurig
aus bem fiebcn benufecn, bem Äinbc fd^on früt) gugänglic^ finbj
natürlich nic^t als Sc^rftü&e, bic eine cingc^cnbe Erklärung unb
5lusbeutung aus ber ©ebankenroett ^efii . fo^i^ß^") fo^^^^ öIs
ficbenserää^lungcn, bie i^re 9Ba^r^eit in fl(^ felbft tragen. S)ie
gang konjentrierte ©tei(^nisfprad)e 3cfu, bie einen großen fiebens«
überblick oorausfefet, kommt natürlich nic^t für biefe ©tufe roie
überhaupt kaum für bie ^ugenb in SBctrac^t. 3"^ übrigen gilt
gerabe für bic SDittcrung teöter unb tiefftcr Sebensroa^r^citcn bas
©ic^terroort: „aUos kein 95erftanb ber 95crftönbigen fietjt, bas
a^net in Einfalt ein kinblic^ ^emüt."
$ier fc^on mufe gefagt roerben, ha^ bic Stjronologic ber
390
9fleKgtons9cfcf|icf|tc für ben Unterricht felbft ganttc^t in SBctroc^t
liommt. S)cnn er foü, gumal auf blefer ©tufe, feeine ©cfd)id|t5'
roiffenfc^aft vermitteln. QBenn für ben ^orfc^er bic c^ronologifc^e
^ufcinanberfotgc ber S)ingc äuglcic^ ein roii^tigcr ^ingergetg für
i^r entn)idilungsgefcf|ic^tli(i)es 3lac^einanber ift, fo ift für ben
3ugenbunterric^t aUcin bie entroidilungsgefc^ic^tlic^e 6tufe mofe*
gebenb. S)a foH man frö^Iicf) 3efus unb bie ^atriorcfjen guein*
anberftellen. S)a5 ^ihb ätel)t fie bocfi auf eine ficbcnsflä(^e. (£ine
©efdjic^te bes a^lcidies ©ottes als ein rcIigion5gcfd|ic^tIi(4)er 2Iuf*
rife ift innert)oIb ber 95oII{5fd)uIe borf) eine Unmöglid^feeit. Sa«
burc^ mirb bie Wertung ^t\vL als überragenber ©rö^e natürlich
ni(^t berührt.
9Bir feel^ren nun gum jugenblic^en (Entroiclilungsgange gurücft.
95on nun an roirb bie ©ituation infofern klarer, als ber fid) in
ben legten, bie ^inb^eit im engeren ©inne abfd^liefeenben '^aljxm
langfam anbat)nenbe ^rogefe gmifi^en bem 10. unb bem 12. Sebens*
iat)rc, mandjmal aud} crft fpäter, felar heraustritt. S)ie (Entroidilungs-
periobc fegt ein. konnten mir bis ^ier^er bie ^ntrotditung ber
Knaben unb ber 9Häbc^en als eine in ben mefentlidien ©runb-
jügen einheitliche anfe^en, fo muffen mir jegt fdjeiben. 9Bcnn
mir ber SBcfd)äftigung mit ber €ntroidilung ber Knaben aud) in«
lialüid) ben 93orrang geben, fo liegt bas baran, ha^ in itjr in ber
Zat bie fiinien fel)r oiel fdjörfer f)erausfpringen, roö^rcnb fid) bie
ber 9näb(^en ein^ettüd^er unb ftitter ooUgie^t.
S)er ber QKelteroberung gugeroaubte 3<^i>Tfö"9 ^^ jungen
fegt fid) nun fiegljaft burc^. S)ie Familie ift nic^t me^r feine
feclifd)e ^eimat; bie l)at fid| nun fd)on unoerfeennbar an bas
onbcre (£nbe ber QBelt oerlegt, bort^in, roo SRobinfon (£rufoe auf
einfamer ^n\ü feine §üttc baut unb aßein ben ^ampf mit ben
Elementen oufnimmt. 5)ie ^f)antafie ift auc^ fegt nod) bas ^enn-
geic^en ber jugenblid)en ©eele. ^ber wie anbcrs ift biefe ^t)antafic
als biejenige ber ^inb^eit! ©ic runbet nid)t me^r bie Singe ab
unb befeelt fie, fonbern fie proteftiert gegen fie unb baut fid) f)ocö
über i^nen eine gang neue, abenteuerliche 3Bett. Sie iämmerlic^e
QBirlilic^feeit ber ^öuslic^en unb ber ©c^ulroelt fängt an, ben
jungen anguefeeln. €s finb keine freubigen ©efül)le, mit benen
er fic^ bes 2Ilorgens auf bie ©c^ulbanli unb bes SJtittags gur
— 391 —
rechten Seit — o btefe ^ousorbnung! — an bett 3:if(f) fcfet. ©as
ift eine Itümmerttcfic 3BcIt, in ber ge^äffig feorrigicrenbe unb auf-
paffenbe ^auKcr unb /kleinliche iJamiHcnrückficfitcn bos Slegtmcnt
fül)ren. 6 eine 933elt fie^t anbers aus. S)arin lebt man für
^ö^ere ^ielc unb nö{)rt man fid) oon größeren Säten. 5)arin
gibt CS Urroälbcr mit roilben Sieren, bie man tobcsmutlg burd^s
S)icfei(^t jagt — menn aud| in ber leibigen 2BtrliIicf)feeit nur in
ber ©eftalt »on §unben, ^a^cn, ^aninc^en, $ül)nern unb ö^n»
li(f)em unfc^ulbigcn ©etier. S>a roerben auö) noc^ ©c^Iac^ten gc*
fd^Iagen wie in ben großen Sagen ber ®ef(^t(^te — roenn fie audj
nur mit äerbrod)enen tjcnfterfdieiben unb geniffcncn §ofcn cnbigen.
S)a äie^t man noci^ aus, um bie QBelt gu entbecfeen unb gu er*
obem — roenn bas Ergebnis auc^ nur ein 2lpfel aus bem 9tad^bar-
garten ober eine §ofentafcf|e oott feltfamfter S)inge ift, bie bie
traurige QBelt aUerbings menig gu fctjäfeen mei^. lleberI)oupt biefc
9üett! 3^^^ fcf)tt jegliches 35erftänbnis für bas ma^re fiebcn.
3Han ge^t i^r am beften aus bem SBege unb fdjleid^t um fic
^crum. "2lber man gerät immer roteber mit i^r gufammen! 2Denn
Keine fonftigcn 95ef(^n)crben kommen, fo ift bod) immer roiebcr
bos fragenbe *2Iuge ber SHutter — warum fte anäj immer alles
fte^t unb roiffen roiU! — ober ber ftrenge 95 tick bcs 95aters ober
bie fcinbfelige Sötiene bes fief|rcrs ba. 3a, bie OBelt ift feinbfelig,
man kann it)x nid^t trauen, man mufe fie Sinters fiii^t fül^ren.
5lber fie ift un^eimlict) mäcf)tig, unb fte pa^t auf! Snittcn in bie
f(i)önfte ^Ibenteuerroelt ^agelt fte mit ©djularbeiten unb mit bem
6todt bagroifc^en. S)a mufe man ma^r^aftig bie ijlügel tjängen
laffen unb an ber 9DeIt oergroeifeln. 3lber t)at es nit^t fc^on
immer tragifc^e gelben gegeben, bie bie SBelt oerkannt t)at? 3nit
fo tief traurigen ©cbanken mufe man einfd)Iafen. ?Iber am näi^ften
3Horgen ^at man glückltd^crroeife aUes oergeffen. 3)as Seben ^at
ein neues Sor aufgetan, unb hinein geht's im 6turmlauf, neuen
.^ntbeckungen unb (Erlebniffcn entgegen.
9Ber kennte nidjt biefe ^ungenfa^re, biefes erfte (Erroac^en
bcs 3d|menfct)cn mit feinem glü^enbcn ©lauben an eine ferne
5Delt ber Äönigs^errtid)keit, mit feinem rückfic^tslofen ©clbft-
be^auptungsbrangc unb feineVn feinbfeligen ^roteft gegen bie
nüchterne 9BirkIi(i|keit! ®s ift in ieber ©egic^ung bas für bie
— 392 —
Srgfcfiung fc^Toicrigfte unb c6cn bantm ocrantroortungsreitfiftc unb
ocr^eifeungsooUftc Sebcnsotter. ©einen Sorbetten mit überlegenem
fiöc^eln gegenübcrgutreten, Itegt roa^rlicf) kein ©runb oor. ©iefem
gärenben 2Hoft bie gefunbe 3lbklärung gu fiebern, bas tft bie 3Iuf-
gäbe. ®as erreicht man roeber burd| pibanü\(i}en 3roang, ber fic^
^ütflos gegen biee 3llter gu mehren fut^t, noc^ burc^ nadigiebigcs
®ef)enlaffen, has i^m bie 9Biberftänbe oerfagt, bie es felbft in
gefunbem ©ränge geroaltfam fuc^t. S)enn ber 3^"9ß beurteilt für
fein (Entroirfilungsftabium bie QBelt burdjous richtig, wenn er fie
afe eine feinbfelige 9llac^t anfleht. S)ie grofee, umfaffenbe ®tufe
ber.SDöIfeerentroicfelung fteigt ^ier roieber ous ber Siefe empor,
auf ber man bie QiBelt fi{^ im Kampfe gegeneinanber eroberte,
ouf ber ber Staturinftinlit in jebem anbern SBiÜen ben feinblid)en
fa^, auf ber ber ^ampf bie tecfjnifdjen QBaffen unb bie t)arte
QBiberftanbsliraft fi^miebete, bie bie 93tenf(^^eit für it)ren (Ent-
roicklungsgang bxandjt 5)er '^uriQ^ mufe anrennen, fid) ftofeen
unb fd)inben, mu^ Sift unb ©eroalt gebraurf)en lernen, mu^
t^einbfd^aft unb QBiberftanb roittern unb finben, um bie ©runb*
lagen für fein gufeünftiges fiebensroerk gu geroinnen. (Er roill
keinen ^reunb l^aben, es fei benn ben 92litoerf(f)roorenen, ben
©Iei(f|geri(^teten in ber roeltüberfpringenben ""P^antafie unb im
entfd)Ioffenen ^roteft gegen bie feinbfelige Umroelt. 65 ift p'dha*
gogif(i) eine oerfe^Ite ©teüung, roenn ber (Erroac^fene fid} praktif (^
— innerlich mu§ er natürlid^ hn ©tufe burt^fd^auen — mit bem
jungen auf eine fiinie ftetten roitl. ®ine richtige, ^ungenklaffe
biefer 3ö^re kann begeiftert fein für i^ren Se^rer, roenn — biefer
bie ©iftanj gu roa^rcn roeife, ben unerbittli(^en QUillen, ber eine
3Ila(^t für fid) oerkörpert, freilit^ eine 9Had)t, bie bem jungen
hi(^t bie ^ebanterie, aber einen feiner ^"J^enroelt entfpredjenben
unb geroad)fenen QBiberftanb entgegenroirft. S)ie 9Deict)t)eit, bie
©leidjftellung mit bem jungen, bas ^ineinbröngen in feine ^i^eunb-
fc^oft läfet i^n eines Slages bod} entbedien, ha^ bies 2llter i^n
fc^mö^ttc^ t)interge^t unb an ber 0lafe fü^rt. Senn ber ^ampf
ift fein Clement, bem felbft bie »äterlic^e 5lutorität nic^t entrinnt.
3a, bie 95äter! QDer kennte fie nic^t, bie in ©tunben ber
©ekümmernis unb bes 9lergers über bie kriegerifc^en ©c^anbtaten,
bie fd^Iec^ten ©djutteiftungen, bie gefjeimen 2Bege i^res ©prö^Iings
— 393 —
lange Sieben polten über Unbanfebarfiett, über ble oerborbenc 3u-
kunft, über ben „Stogel junt ©arge" unb öf)nlid^e erf(^ütternbe
©inge unb fie nac^ äufeerer unb tnnerer (grfc^öpfung abfcf|Iief;en
mtt ber ^errtlc^»ti)ptf(^en^rage, ble fo überjeugcnb Ititngt: „<$ie^ft
bu bas nun ein?" Unb wenn bann ein ^alb roe^Ieibiger, f)alb.
trogiger Son felbft ben [ 93atcr übergeugen mu^, ba^ feine er»
fc^üttcmbcn 2(rgumente bod) nodj nic^t gong burdjgebrungen finb,
bann kommt bas anbere Slegifter: „6te^, roir meinen es ja fo
gut mit bir u. f. m." ^f)x traurigen 25äter! (£ure moralprieftcr»
Ii(^e 9Deis^eit roill, liann unb foU euer ^^nge ni(^t einfe^en.
SBenn euer unerbittlich f efter SDifle ober euer kraftooU gefc^roungencr
6tocli fic^ nid)t unbebingt burdife^t, bann ftedit euren 6pröfeling
ins eiskalte QBaffer unb bann ins 95ett. 5) a s fie^t er ein. 5)er
unbebingt überlegene SBiUe, ber fiel) gcmaltfam burc^fegt, wirb
oon biefem (Entroidilungsftabium einfadj geforbert.
S)ie 6taf)In)anb geprt gu biefem fiebensalter. ©enn bt^
bis ba^in fic^ lelfe anba^ncnbe (Entrotcklung gur gefeilteren 5luf*
faffung bes fiebens erreidjt nun iljren ^ö^epunkt. S)er <£igen*
roiUe forbert hk t)axt umklammernbe tec^nifj^e Srftarrung. 3Bie
bie (Eroberungsepodjen ber 95ölker ftets auc^ burc^ einen ftä^Iernen
9Hititarismus, eine ftarre tedjuifdie Drganifatiön, ja burdj eine ^arte
Despotie gebönbigt roaren, fo fOrbert ou(^ biefe Cntroidilungs»
epo(^c ber 3u9^iii> «in oon einem ftarken QBiUen gel)anbt)abtes
(Sefe^esgerüft, bas keine 95egrünbung gulöfet, fonbem burd| bie
Satfadje feiner fta^Itjarten QBönbe roirki Sa^t biefe 3u9ß"^ o^"ß
bie eiferne Sroangsfeffel ber Autorität, unb i^r erlebt nit^t nur
fef)r oiete Unanne^mlicfjkeiten — bie finb noc^ bas QBenigfte — ,
fonbem xf)t oerfäumt es, i^r biejenige Spannkraft für hm 3ukunfts*
kämpf mttgugeben, hie fie gu iljrer , kraftoollen (Sntroidilung ein-
fach brautet. Gin fc^neß oerfprüt)enbes unb in ben entfc^eibenben
3nanne$iaf)ren leiftungsunfö^iges ®cf(i|Iei^t roirb bas Ergebnis
fein. 5)ie 6d)üIerfeIbftmorbe in ben fpöteren Gntroicklungsia^ren
finb nur auf ben erften ©lidi ^olgeerfc^einungen einer übertriebenen
©trenge, bie eben bann nidft me^r ertragen roirb, rocil fie nid^t
rcc^tgeitig in ber frühen Gntroicklungsperiobe ein»
gefegt ^at. 3^^^^ 9BurgcIn liegen weiter gurücfc als man mit
oberfläd^Iic^em 3luge fief)t. 3n ber fe^r oiel ftrengeren 93ätergcit,
394
bte ble jungen f(i)on fef)r frii^ kräftig prügelte, gab es btcfe ®r*
fd)etnuTtg ntd^t. Sic tft erft aufgekommen, als bte bekannte „5)reffur
in ^xüf^üt" bte fiofung für bie Sntroicklungsja^re rourbe. *) '^üx
hin fcjucUen ^ampf ift ber t)arte QDiberftanb in 91atur unb €r=
,äief)ung, bcn bie ^ugcnb oon 95eginn ber Sntroicklungsäeit an
fanb, bie befte Orunblagc. 9Bir mieberliolen es: 93orous|id|t ift
bie roidjtigfte 5:ugenb bes ^äbagogen.
S)a^ biefes tec^nif(i)=ftarre ©erüft gu biefer €ntroicklungs«
pcriobe gehört, offenbart fid^ oud) barin, ha% ble 3"genb felbft in
biefen 3a^ren einen ftarken Sinn für bie tecf)nif(^e Seite bes
Sebens entroickelt. 9li(f)t nur fängt fie an, fid) Slpparate gu bauen,
eine SDaffcn* unb ©eräteted^nik gu entrotdieln, tedjnifc^ kompligierte
©ebilbe intereffiert 3U beobad^ten, fonbern fie fd^afft au(^ im ^n*
fammenleben bie fefte Spielregel, ben ftarren €t)renkobej, ja bie
^leiberorbnung, bie fie graufam peinlit^ burdjfü^rt. Sie ftö^t
bcn unerbittlich aus, ber fic^ i^ren ©efefeen nid)t beugt. Sic kann
fc^on gang kräftig fpotten, oeradjten unb oerfe^mcn, roic es alle
gcfe§lid)en '^titzn konnten. S)afe fie bie fefte iJorm forbert,
tritt aud) in ooticr S)cutli(f)keit in ben ©cfict)tspunkten gu Slagc,
nac^ benen fie i^re Sc^rer beurteilt, ^tite 5l(^tung unb {t)r Spott
trifft nur bie ^orm. 5>as gcroaltigfte Söiffcn unb können unb
ber oUerbcftc 9BitIe kann it)r gegenüber nid)t erfegen, Toas an
^ormenfidjer^eit fet)It. Stur ber ocrblüffenben Scf|Iagbereitfd)aft,
bie in jebem Qlugenblidk unbebingt fid)cr i^ren QBillcn kunbtut,
bie bas SStöglit^e forbert, aber au(^ rüdifi(^tsIos burdjfefet, bie bes
Erfolges gcroife ift unb niemals etroas gurüdknimmt, beugt fi(^
biefe 3ii9enb, roeil fie in i^r hk SHteifterfc^aft bes. ficbens ficf)t.
5)ie pcinlid^ft innegehaltene S(i)ut= unb Sebensorbnung, bie aus
ber 3Hürfic unerbittlid) ^^n Siefanten mad)t, bie kginen ^pit^^t
überfielt, gehört gur Sisgiplinierung biefer 3ugenb. ^^t fiebens«
brang mu§ burdd bie fiebensorbnung in bauernber §o(^fpannung
gehalten merben, benn fie felbft lebt in ftetig lauernber unb an«
griffsluftiger ^oc^fpannung, bie graufam unb ^ö^nifc^ }ebe Sc^roöcl)c
ausnugt. Sic kennt kein 9Hitleib, kein 95erfte^cn, fonbern nur
ben ^ampf, ben 3^einfaU ober bie Siegesfreube.
*) 3«^ perfönlic^ I)abe in ben mir bekannt gcroorbenen unb burdja
fcf)auten 6eIbftmorben junger 9Zlenfct)cn immer biefe SBurjcI gcfunbcn,
— 395 —
9loc^ nad) einer anbeten ®elte ^in offenbart es ftd), ha^
bie gefe^ltc^c fiebensanf(f|auung t)ter i^ren §öt)epunfet errctd)t: ber
äu^erltd)e C^rgetg unb fictftungsftolg erroai^t immer flörker. 9Ber
i^n in biefen ^ö^ren ridjtig einfpannt, ber ^at gewonnenes ©piel,
ber binbet bie SuQcnbferaft bur(^ bie in i^r felbft liegenben Oefefee.
®ie ^rcubc an ber tecfinifc^en 93etätigung auf feörperlicfiem unb
geiftigem ©ebiet, bie einen fic^tbaren ijortfc^ritt ^erousfpringen
lä^t, geroinnt bie 95or^errfcf)aft. ©er ©ebanfee, ba^ bas fieben
eine mec^anifc^ gu erklimmenbe 6tufenleiter fei, be^errfc^t bie
jugenblictie ©eele. 3n ben gemeinfamen Spielen tritt ber ©egcn*
faö äroifcfien i5ü{)rern unb ©efü^rten ^eraue. ^n biefer ^^tfl^"^
ein Slrbeiten aus innerem eintrieb, aus „ijrcube an ber (oad^e"
burc^fe^en gu rooUen, I)eifet i^re innerfte 2Irt oerfecnncn. ©ic ift
gebunben an bte äußere ^ielfefeung, an Sot)n unb Strafe, an (£r=«
folg unb SHifeerfoIg, an ben Dualismus bes fiebcns, ber ^ier
ganä bie §errfct)aft geroonnen ^at. 5)ie innere ^rcubiglieit bes
Schaffens ftet)t unb fäüt für fte mit ber locfeenben ^raft bes ^ietes.
QiDie fte^t nun bicfes Stabium, bas mir Ijier in fd)arfen
Sügen,biein3BirfeIicf)feeitnatürIi(f|fe^roicIeHebcrgangsfct|atticrungen
aufroeifen, gegeictinet ^aben, äur QUeligion? 3unäct)ft ift biefe (Epoche
in religtöfer SBcjie^ung fc^Iec^t^in eine Oluflöfungsgcit. 5)ie QBelt
bes 93ertrauens, bie ftd) fdion in bem früher befdiriebenen 95or«
ftabium ftarli lodiertc, finlit nun ooUenbs batjin. S)ic große innere
Sin^eit ber 9BeIt ift cnbgülttg gerbroc^en. 2lu5 ber QUelt ber
9[DirIiIid)kcit ft^aut überall bie 'geinbfeligfeeit heraus, roeit jenfcits
aber fteigt eine neue lidjte QBelt für bas glü^cnb ^offenbe Streben
empor. 3)iefc 3ugenb ift tiefinnerlid^ roettfremb unb benimmt fi(^
in ben 9lealttöten bes fiebens bementfprec^enb oft tapfig unb fct)eu
genug, ^ber man t)at nid|t mit Unrecht gefagt, hQ% in i^r crft»
matig ber ^bealismus erroac^t. ®r ift freiließ noc^ finntlc^keits«'
färben genug unb oert)ätt fid^ in feinem erften Stabium gum
felaffift^en 3ii>ßölismus wie eine roilbe ^arbenklejerei gu einem
9laffaclf(^cn ©emälbe. 3lus biefem bunten 2tbentcuerlanbe ber
<p^antafie aber entroicfecft fi(^, mie bekannt, im groeiten Stabium
biefer (Epod)e me^r ober weniger rein ber abgeklärte ^ugcnbibea-
lismus. S)lefer Cntroidilung gilt es ^elfcnb unb förbernb beigu*
fpringen. ^m SBlick auf biefcs ^offnungslanb foll man bie alten
— 396 —
religtöfcn SBtnbungen, bie fidj mit S^otumotrocnbtglicit bo(^ lodicrn,
gctroften ©tnncs bQl)tnfat)ren laffcn.
€s tft ja freiließ guitäc^ft bitter, gu fef)en, rote bic Heilig-
tümer ber ^inb^eit nad) unb nod) guf ommenftüraen. 3)ie S^it
bcr „ft^lec^t^inigen ^b^öngigfeeit", ber mütterlichen 95ort)crrfd)aft
ift unroicberbringlic^ baf)in. S)ie SHärdienroelt, bas kinblid) ge-
ftaltenbe 6piel, bie lebenbige 3BeItfecle, ber „liebe ®ott", bic naiü
l^inne^menbe ©anfiborfteit, bie ^armlofe ^In^änglic^keit — bas
oßes ift jerftoben. S)er Swnge ftreift bas ah mic ein altes ©eroanb.
5:ritt CS i^m hod) no(^ roicber entgegen, bann roedfet es nid)t feiten
©pott, 95era(i)tung, unoer^o^Iene 5lblet)nung, bie aurf) nid)t §alt
madit oor ben e^rroürbigen ©efd)ic^ten, 95ü(i)em, ^erfönIid)keitSn
aus ber religiöfen ©p^öre. QDas für nieberfdjmetternbc (Erfahrungen
knüpfen fid) oft genug an bie in bicfes erfte Cntroidilungsftabium
fallenben Äonfirmanbenftunben ! Hnb bic SRcligionsftunben ber
6(^ulc, finb fie no(^ roei^ccrfüUt, oon Iauf(^enber 3lnba(^t burt^»
äögen? Ääfet fid) bic ftraffe 3ud|t, ber fdjarfe Slabcl, ben ^craus-
forbembe Riegelet gebietet, no(^ mit ber ftiHen, c^rfurt^tforbcrnbcn
QBclt ber 3leIigion vereinbaren?
Gs ift fc^njcr, auf bicfer ©tufe 3leIigion5untcrrid)t gu geben,
©as ^eilige, Unantaftbare fc^t fid) bem ungebänbigten 3<^triebe
bcs jungen gegenüber nic^t mc^r buri^. ^üx bic innere 95inbung
ift ber gang auf äußere SBänbigung angelegte 3unge nod^ ni(^t
reif. 3ft bas 2Bort öon bcr „©d^onjcit" — man motzte roeniger
an ©(^onung bcs 3""9cn als an ©d^onung bcr 3leligion benkcn —
ni(^t bod) bcre(^tigt?
©en)i§ märe es bas, roenii bie SRcligion eine fefte ©röfec
roöre, bie immer nur in i^rcr 95olIkraft auftritt, um ben 3nenf(^en
gur (Ef)rfur(^t unb gum ©et)orfam gu groingen. 2lbcr fie kennt
bie Cntroidilung, fie roeife, ba% bas QKcnfc^enlebcn burc^ Tiefpunkte
unb gottesferne Reiten ^inburt^mufe, unb gerabc biefc begleitet fie .
im ©cf)eimcn mit i^rcr tiefften ©orgc unb i^rer I)ciligften Hoff-
nung. 3nbem fie ocräid)tct auf i^r fie^tcs, bereitet fie bas Seötc
unb Höc^fte oor.
®cnn Dcrgid^tcn mu§ bic QUcligion in bicfer Gntroidilungs-
geit, baran kann kein S^^cifcl fein. 95ergid)tcn mufe fie barauf,
it)rc ooHc ^a^r^eit wirken gu laffcn, me^r ols in jiebcm onbcrit
^ 397 ^
©tabtum bcs Scbcns. 2lu(i| ein ^onfiTmanbcnuntcrrt(^t, ber bie
poUe c^riftlfc^c 335at)rf)eit beftrct(f)cn roill, ift im 14./15. fiebeits*
jo^rc eine Untnöglic^keit. 3lbcr uergiditett barf fte ni(^t ouf bie
^ü{)rung bcs ficbens, bas auf ber ©rcnge gipifc^en Slbgrunb unb
5lufftieg entlangftürmt. 2Bas fte leiften feanit unb leiften ntufe,
ift biegeffclung bcs jugcnblidden 2Iuges an bie fonncnbcftraf)Ite^ö{)C.
6ic mufe eingctjen auf bie roilbc, bunte, glü^enbc ^p^antafie«
weit bes 3wn96n, benn t)inter it)rem «Jarbcngeroirr liegt fern, fern
noc^, aber für fie bod) fdjon fidjtbor, i^re eigene fjeilige 3DeIt.
6ie mufe fjinabfteigcn in bos (S^aos finnlic^-irbifc^er ^offnungs*
gebanken ber 3"wgenfeele, um bies bunte tJöi^benfpefetrum Icife,
unmerfelidj ju fammeln gum reinen £i(^tftro^l bcs (SöttUc^en, ju
htm. CS einft äufammcnflicfeen foll.
gft es nidjt eine ber großen 3lufgaben ber Slcligion, bie |o
oft ocrgeffcn, ja bisftrcbitiert roirb, bas 3r^if<^ß longfam gu ent-
roirren unb in bie göttli(^e QBelt empor5U3ieI)en? 6eitbem man
fie in bie 92touem ber ^irc^c eingcfperrt unb als eine „^prouinj"
für fic^ 5U betroc^ten gelernt ^at, ift i^re „melttic^c" 3lufgabc nur
p oft p fiurg gekommen, ^icr t)at jic eine meltütiie 'Slufgabe,
bie boi^ im t)öd)ften 6inne i^rem göttlidjcn gielc bient. 6tc mufe
bie 3u9ß"^ ftü^en unb füt)ren in i^rem ^rci^eitsbrange, *) bamit
biefer langfam reife für bie gro^e ©ebunbcn^eit. 6ic mufe mit
t^r jic^ctt in bas fianb bes Kampfes, bes ^rotcftes, bes C^r-
geiges, ber Slet^nik, bcs ©elbftbc^auptungsbranges, in bas Sanb
ber großen ©infamkeit unb ber glü^enbcn Hoffnungen jenfeits bcs
93lceres. ^ennt fie bics fianb ni(i)t aus i^rer eigenen tragifd^en
3ugenbcntn)icklung ? QBar bas Sanb ber großen SHcffias^offnung,
bie eine fo übcnafd)enb anbcrsartlge, unb boc^ bie inncrlii^ not»
roenbige (Erfüllung fanb, nid|t aucl) ein fianb, „barinnen 93lil(i^
unb öonig flicht", ein fianb ber glü^cnbften ©innlic^kcitsforbcn
unb einer glanspollen ^&jnigs^errtic^keit ? aHufetc i^r 9Bcg jur
Hö^c nic^t auc^ ^inburc^ burc^ €robcrungskampf unb ®efe§es-
Sroang, burc^ ®^rgeij unb ©etbftbc^auptung ? Sic gßtt ber rcli»
giöfctt gelben unb 3lbentcurer, ber ©ibeonnaturen unb ber ©imfon*
*) ©er rcligiöfc gü^rer mufe für bas ©eroufetfein ber ^^gcnb
gegen ©Itern^aus unb 6d)ulc ^nnerlic^ auf i^rcr 6eitc fielen unb bd^
ber SScrtrmicnsmann beiber fein.
— 398 —
kröftc, ta%t fie toteber aufcrfte^cn ! fiafet bic OSoIfesKöntge roieber
lebenbtg roerben, ben Saoib ber ®efd)i(^te — nl(^t ber frommen
"ipfalmen — unb ttc 3Hafefeab5er^eIben! Safet ftc in t^rer rouI)cn
^raft roieber unter bte S^genb treten, ha% fid| im gef)eimen 9Hit*
erleben iljre Ränfte ballen ! 2Iber la%t aud) leife bie €nttäufd)ung
mit t)ineinfelingen, bie fie alle erlebten, bie ©diroäci^en, benen fie
alle erlagen, bie Tragik, bie über i^nen oUen ftanb. 5)ie 3ngenb
oerftet)t aud) biefcn ^lang, fie füf)It in aller i^rer ^roberungs»
freubigkeit bie unerfüllte Hoffnung unb bic unooUenbete 6e^nfuc^t.
^ter fteigt nun langfam bie S^it ber 9flcife für bas 95orbtIb
herauf. QBd^rcnb gan^ attmä^Iid) bic QBelt ber p^antaftift^en
Hoffnungen in bie ^clt ber gctftigcn SBirklici^keit ^tnübergleitet,
^cbcn ftd) ous ber 6d)ar ber gelben mit ber 3ett beftimmte Sgpen
t)craus, benen fid) bie SSorliebc guroenbet, bis fdjliefelid) ein Sgpus
bie 95or^crrfd)aft unb baburct) roirklidj baucrnb beftimmenben
(£influfe geroinnt. 5)er fiieblingsfelbj)err ober =ted)nifeer ober =bid)tcr
ober =rf)araktcr tritt auf hm ^lan. 3"^ tT^\t&n 3lbfd)nitt ber (Ent«
roi(^Iungsj[at)re fc^roankt bie 3"9ß"^ i^ ^^^ ö^" abfälligen €in*
brücken nod) ftark oom einen gum anbern, ein beutlic^es ^n^eic^en
bafür, tia% bic roirkli(^ innerlid) äte^enbe unb feft beftimmenbc
^aft bes SBorbilbes no(^ nid^t oor^anben ift. 95on it)r kann man
crft ha roirklit^ fpredien, roo bie (gntroicktung fo roeit bie innere
fiinic gefunben t}at, ha^ bie ®runbric£)tung bes oorbitbtict|en Sebens
gum ftänbigen ^orrektio unb 9lnfpom roerben kann. 5)er fiel) ab'^
klärenbc 3ngcnbibeatismus ift bie Sorausfegung für bie roirkenbc
Äraft bes 95orbitbes.
®inc mü^eooUc, unb bod) ungeljeuer roit^tige ^lufgabc, bic
3ugenb ftufenroeife §u biefcm 3ielc gu führen, bie ^ettc ber Könige
unb gelben gu reiben, oon benen an, bie ein glangoofles ^önig*
xzid) fu(^tcn unb nur gang teid)t oom 5)orn ber ©ntfagüng ge*
ftod)cn rourben, über bie oielen, für bie ^i^^M^ß^ unb ^immlifc^es
no(^ bunt ineinanberfloffen, bis ^in gu ben ^eroen bes ©eiftes,
bie bie 933ett überroanben! SiJtet ja nic^t bie Hoffnungen burd)
nüt^ternen "JUtltagsfinn, ?peffimismus unb 9Horalismus, fonbern
fü^rt fie gur SReife ! ®as Söteffiasbilb ber 3nenfd)l)eit mu§ für
bie 3u9cnb roieber burc^ alte ^orbenfkaten gietjcn, unb roo immer
in ber 9Hcnf(^f)e{t6gef(^i(^te ein neuer ^arbenton auffd^immert, ba
— 399 —
Ijole man tt)n f)er, m(f)t nur aus ber SBtbct, fonbcrn aus bcm
uncrmefetti^en Ofletd) ber §crocn ber 9BeItgej(i)tc^tc, bis btc 'färben
äufammenftie^cn gu bem reinen Sicijtbtlbe bes crotgen 31len[d)cn*
fo^nes. SDett ift ber QBeg bis gunt roirfelic^en QJlefftas. (£r fü^rt
I)tnburc^ burc^ bas grofee ©terbcn. 9Ibcr btcfcs rotU \id) gang
langfam ooUgic^en, bis ber Jüngling ^raft genug gefammelt \)at
oon innen ^er, um burd) bas bunftle Sor gu ge^en, hinter bem
bas croige fiictjt aufglimmt.
©s liegt auf ber ^anb, ha% bie gegcnroärtige 95oIfesfc{)ute,
bie nur bcn Einfang biefer Sntroicklungsperiobe no(^ in ber ^onb
^at, ^ier nur ein ^ru(^ftücfe fct)affen kann. S)er "Jlbbru(^ ber
3ugenbfü{)rung mit bem 14./15. fiebensja^re mirb i)cute immer
felarer als eine ber |d)mcr5li(^ftcn UnDoUkomment)eiten ber ^ugenb*
ergie^ung ernannt. 9lid)t als ob ber Eintritt in bie prafitif(^c
Sef)re gu bcbauern raöre! Hm biefc f)crrli(^e fiebensfct)ule finb
aEe ^inber bes 95oIfees oor ben bis gum 18./19. fiebcnsiaf)rc bcn
6(^ulftaub atmenben „dotieren Schülern" gu bcneiben. S)enn bicfe
^art anfaffenbe Srgie^ung burc^ bie Qüealitäten ber "Jlrbeit cnt»
fprid)t roie nii^ts anberes ben ^ntroidilungsnotroenbigkeiten biefes
Qllters, bas bie feftc ©ta^Imanb unb bie körperliche *2ln|pannung
als (grftes braudjt. 2lber über biefer garten QUelt ber 9BirkIi(^*
keitsmauern barf bie QBelt ber oorauseilenben 3ii^i9ß"P^ö"töfie
nidit fehlen! 5)ie Sortbilbungsfdjule in it)rer gcgenroörtigen ©c*
ftatt kann fie roalir^aftig nidjt erfe^en. 2lber es ift gu t)offcn,
ha^ mit bcm 2lbfttegc bes geitaltcrs ber 2ed)nifierung neben bcm
rein SccJjnift^en auc^ ^icr bas rein 9Hcnfc^li(i)e roiebcr gu feinem
9fled)te kommen wirb. S>ann crft roirb ber ^ü^rungsrocg gur
9flcife, wie er fid) in bcm 6toff bes religiöfcn Unterrichts fpicgclt,
cin^eitlid) gu gcic^ncn fein. SBis ba^in mirb btc freie ^^genbarbclt,
ber }a immer eine gcroiffc 3crriffcnt)cit unb ^lanlofigkcit anhaften
roirb, nacf) i^ren Säften bcm inneren ©tanb bes Cntroicklungs»
alters auc^ i^rc Silbungsftoffe anpaffen muffen. *)
*) 2teufeerti(f) liegen bie ©inge ja in bcn fog. fjö^crcn ^ilbungs«
anftolten günftiger. $icr kann bie rcltgtöf e ^wgenbfü^rung bis ju einem
rclatiuen 2lbfcf)lufe gcbroctjt werben. ®tc reine ^enntnisübermittclung
überwiegt ^icr aber in ber bisherigen Untciri(i)t5auffaffung berartig, bafe
»on biefer SRöglic^keit bie Sugcnb'e^cr ©c^aben als 9luöen ^at. (gs
— 400 —
(Es ift überhaupt ju bcbauern, ha^ blc 93oIfesfd)uIbUbung
fo früti unb plöfeltj^ abbricht. 6te mufe, ha jic natürlich auä)
ein gcroiffes 9JtQfe oon ficbeitskunbc ocrmttteln foU, unb groar
au(^ ouf religüJfem ©cbictc, fe^r olcl 2lrbctt obfeits oon tf)rcm
efgcnflid^cn Srätel^ungsrocgc letften unb notrocnbtgc Ucbcrmittlung
prolittf(^cr ^enntniffc in Imrge ^al)xt äufammcnbrängen, für bic
bte fpäterc ©elegenl^ett feijit. 5)er bebauerltd)e ^nteüektualismus
unb Saftige Sernbetrieb bcr ©djulc ^at Ijier feine etgentlirfje ^Durgel.
^ür bic 9leIigion ift bas ganj bcfonbcrs fd)Iimm. S)enn it)re gut
3leifc fü:^renbe Arbeit beginnt eigentlid) erft, njenn bie 3ii9ß"i>
intern Unterricht entgleitet. 5)ie ^ird)e entläßt mit bem ^onftr*
mationstage bie 3w9C"^ ouf bem Tiefpunkt i^res religiöfen ®nt*
TOidilungsrocgcs. §ier gilt es etroas oöHig 9teues gu frf|affen, oor
bem oUc Qnbern 95emü^ungen um SReligionspflcge äurücfeftef)en
follten. 5Dir ^aben im 2. 95anbe in bem ^Ibfc^nitt über ^ugenb-
arbeit ben 323eg gu geirfinen oerfu(f)t, bcr fjier ausgugeftalten ift.
Was mir bort gefogt ^aben, betonen mir norf) einmal: bie
pra&tifd^e 95efd)äftigung mit ber S^genb unb itjre perfiJnlicJje
^ü^rung ift bie ^auptfac^e. S)ie bele^renbe ©eeinfluffung fte^t
erft in groeiter fiinie. 6ie bient nur bagu, bie innere Sntroidilung
gu Mären, gu begleiten, gu ftärfeen unb unberoufet gu führen. 91ur
bcr 95ertrautc bcr 3ii9cn^ — i^ perfönlit^cn unb fa(i^ti(i|en ©inne
— foUte fic in bie §anb. ncf)men. ®er ^Ji^embe roirb ouf bicfem
inncrften ® cbictc gang bcfonbcrs energif(^ oon bcr 3119^"^ tib*
gelernt. 5)cnn baran kann kein gw^^if^^ 1^^^' ^^^ ™i^^ ^^^
3ugcnb in bicfem ©tabium bis jur äufecrftcn ffimpfinblit^feeit in
i^ren legten 9Rottoen cgoiftifc^ bcftimmt. 3^» ^^^ (Kigenmille er«
reicht t)ier einen Kulminationspunkt, an bem er erft umfrf)Iagen
ftonn in bos objefetioc 9BoIIen. SBo^I ober trifft biefes Um-
f(^logcn — mieber tritt bic meife SDorousfid^t bcr SHotur ^croor —
4mmer bcutIi(^er,äumoI im ärocitcn^Ibfc^nittbcr Sntrotdilungspcriobc,
i^rc 95orbereitungen. 3'^"^^^ muffen mir etroos genauer noc^gc^cn.
kommen nocf) bic für bie ©ntroicfelung biefes Sllters fet)r fdirocrtoicgcnbcn
:®cfa^rcn ber cinfeitig inteUcfetuellen ©efomteräic^ung.^tnäu, fo bafe bie
rcUgiöfe (giäie^ung Ijier faft nod) ft^tüicrigcr liegt als in bcr Söolksfdjuls
jugenb. 935ir können auf bicfe fc^roicrigcn fragen in bem 3la^mctt bicfer
.^arfteUung nic^t cingc^cn.^
— 401 —
S>cr ©rang gu fcften gcfe^Iic^cn formen, bcr m in ntonnig*
fachet SBcifc in bicfcr 3"9cnb offenbart, ift }a bereits, fo geroife
er unmittelbar im ©ienfte bes e^rgeiäigen 3<^ftrebcn5 ftet)t,
mittelbar ber Qlnf ang §u feiner Ueberroinbung. ©er €^renltobej,
bie ftarre ©Icitba^n ju Srfolg unb ©eltung, bie Sänbigung ber
überfdjöumenben ^raft burc^ fefte örbnungen ift ber erfte Statur»
groang in bie 9BeIt objelitioer 9lormen hinein. QBas fic^ junäc^ft
als 2Iu^engerüft um bie^ugcnb ^erumtegt, bas fc^afft unbewußt
unb im ©titten in i^rem ^^i^^i^ ßtn ©egenbilb — bie lebenbig
geroac^fene SUorm bes innerlic^«fittlict)cn SBoUens. S)er äußere
Sroang erroeift fic^ als bas ©patier, an bem ficf| bie Icbenbigen
QUanken eines langfam roac^fenbcn inneren ©efe^es cmporroinben.
9Benn ber S^ag liommt, an bem mit bem perfönlit^en SigenrooIIcn
bas äußere gmangsgefeg bat)infinlit, bann ftef)t ber Saum bes
lebenbigen ©ittengefe^es fertig ha. ©iefer QBat^stumsprojefe ge^t
gang unmerfelii^ oor fi(^. Solan burc^fdjaut itjn baran, bofe im
fiaufe ber Sntmicfelungsja^re bie 31lögli(^lteit, ben 3iiit9cn oer-
antn)ortIi(^ auf fi(^ felbft gu fteHen unb i^m felbftänbige j^ü^iuitös-
aufgaben gu übertragen, an ©ic^er^eit geroinnt.
3n bemfelben SKIafee aber, mie biefe ©id)er^eit gunimmt,
nimmt ber Cigenfinn, bie ®igenbröbetei, ber oerftänbnislofe unb
oerftoÄte S^^^i^e an ©id|er{)eit ab. ©ang fidler füt|It fi(^ ber
(gigenroillc in keinem, auci^ nid^t bem ungugänglit^ften ©tabium
ber (Entroicfelungsperiobe. 2Der biefe 3^19^'^^ roirktit^ burc^fc^aut,
ber ^ört hinter aller Riegelet, ^J^^ec^^eit, SRuppigkeit, ©pott* unb
fiäfterfuc^t gang in ber Sicfe ber ^ungenfeele immer noc^ ein lefetcs
Um^ülfefle^en, einen ©c^rei ber ©et)nfuc^t nac^ 95efreiung oon
ftd| felbft, nad) ber grofeen 3Rad^t, ber er gang oertrauen kann.
3ft nid)t bie ©lut ber in allen färben roet^felnben unb fi(^ rcifeenb
änbemben ^offnungsroelt aud) tin ^zid^m ber großen ©e^nfut^t
na(i) bem „Dbiektioen", ein 3cid|en tiefinncrlid)er Unfidier^eit unb
Unbefriebigt^eit? S)iefe Srfa^rung gehört gu ben ergreif enbften
ber gangen ^ntroicfelungsja^re. Q33er fie nicf)t kennt, mer biefe
le^te grofee 3uliunftsfe^nfuct)t in ber Xtefe biefer 3ii9cnb nii^t
fü^It, ber roirb fie nie im tiefften ©inne führen können, ©er
gro^e 3unge ift ja in aller feiner ©eltungsfuc^t, feinem empfinb»
lic^ften S^rgeig, feiner ^rat)Ierei unb feiner Ungugänglit^keit in
Jä. öeitmanit, ©roöftobt unb SReligtoit. 3. 5eil. 26
— 402 —
bcr legten ^tcfc t>on ctner rü^rcnben HTtft(f)crt|elt, Unbe^oIfenl)eit
unb einem gerobeju ktnbltdien SSertroucnsbebürfnis. 5)em SHonne,
ber bos rotttert unb i^nt entgegenkommt — niemols ober es füllen
löfet, ha^ er bies fiepte burd)fc^aut — , kommt er roteber mit ber
ooHen fiiebe feiner ^ungenfecle entgegen, bie er freilief) oft genug
gan§ tief oerbirgt. %VLt biefes SDertrouen&oer^ältnis gilt oicUcid^t
bas ©iö^terroort in no(^ tieferem ©inne als in feiner urfprüng*
liefen 93ebeutung: „^ein iJcuer, keine ^o^Ie kann brennen fo
^clfe roie bie Siebe im ^er^en, oon ber niemanb nichts roeife."
3Die Statur reifet i^ren legten ^aben, ber QSergangenl^eit unb 3"*
kunft miteinanber oerbinbet, nie gang ah. 5lber im fiaufe ber
3a^re entroickelt fi(^ nun biefer sur Eingabe neigenbe Sinn immer
ftärker. S)cr ^ampf gegen fic^ felbft mirb tiefer unb fd^roerer,
bie 3(ufti)fung unb gcrfe^ung bes 3<i|i^ittcn6 greift fd)ärfer unb
f(^ärfer gu, bie ©c^nfuc^t nai^ erlöfenber QCiUcnskroft wirb größer,
bis an ber kritifdjen (Edic ber ^ünglingsjatire, oft erft über ^a^u
^inroeg, ber' ge^eimnisooUe Umfc^Iag erfolgt, ber i^n ber neuen
9BeIt bes großen, alles be^errfdjenben ^DiUens unb ber Eingabe
an fein QBerk in bie '3lrme wirft.
9Bie biefer objektioe SDiUe praktifc^ gur S)urd|feöung gu
führen ift, fiat uns im 2. SBanbe ausführlich befc^äftigt. t^ür bie
religtöfe 9Bat)r{)eitsübermittIung gilt bas ©efe^, ben 3ui^9C" ^ß"
Heroismus ber Eingabe fd^rittroeife weiter gu eröffnen, i^n ftufen*
meife aus feinen finnli(^ften formen bis gu feiner ^öc^ften geiftigen
95oßenbung *) gu führen. Sieben bie lebenbtge ^erfönlidjkeit tritt
f)ier aud) oiel ftärker nod^ afs auf ber früher gegeii^neten 95or=
ftufe bas lebcnbige ©efe^, bas nun f(f)on oiel met)r als felbftänbige
©röfee oon ber S^genb erfaßt werben kann, roeil für it)r eigenes
Seroufetfein burc^ bos fieben bie fiinien bes ©efe^es gu laufen
beginnen, es ift bekannt, ha^ biefe 3ugenb fid) felbft ©efe^e
gibt, ja fogar für ftarre ©efe^esgrunbfö^e — 2lntialko^olismus,
6pra(^reinigung, ^leiberreform — einzutreten unb gu werben an*
fängt. 6ie beginnt „pringipiell" gu werben, ©ie btskuticrt leiben»
fc^aftlic^ über le^te Siele, meint freiließ immer noc^ im tiefften
♦) öicrl)cr gcprt ber Qnoismus bcr alttcftamentlid)en "tprop^eten,
ber im jweitcn ^cftiia kulminiert.
— 403 --
©runbc itire legten ^ünfcEje. ^ber es liegt auf ber %anb, ba^
^ier nun ber Drt ift, grunbfööKcl)e «rfc^einungen ber Sleligions*
unb ©eiftesgefc^ic^te mit ber Sugenb ju befprec^cn unb i^r bie
QBett ber formen unb ^Jormcln gu eröffnen. *) 9loc^ ift bie grofec
©elbftlofiglieit gefc^tc^tttc^er QKertung nid)t fertig, aber fie ift im
^Inguge. §ier feommt aud^ bie ©tunbc, in ber bos innere (Er-
lebnis bes "ipaulus unb £utt)ers unb bie ^n^ß^fßite i>es Sebens=»
fd)itfefal5 3^fw i5i^öge unb 3lntn)ort finben muffen. S)ie legten
9Ba^rt)eiten ber 3leIigion gietjen langfam herauf.
QDir ftetjen t)ier an bem funkte, mo in ber ^ugenbentroicfelung
\\6) gugleid) eine 3Iusreifung bes ©efamtlebens ooUjie^t. Sic
hinter uns liegcnbe (£pO(^e, gumal ber beutfi^en 95otfisentn)idiIung,
ift über ben gulegt gegeid^neten (Entroidilungsftanb überhaupt nic^t
hinausgekommen, ^ug für 3itg finben fid) im 93ismordiäeitaIter,
bos man mit 3fled|t als bie 3eit ber bcutf«i)en %UQd}Q.\)n bc*
äeid^nct t^at, bie Sigentümlid)feeiten ber (gntroicklungsja^re micber.
6d)on uor hem Kriege aber geigten fici) in ber ausreifenbcn 3it9ßi^^
neue S^gc, bie nid)t me^r in bas alte SBilb paßten, ©urd) bos
tiefgreifenbe Erlebnis bes Krieges _aber finb bicfe 3üge nod) fe^r
t)iel entfc^iebener herausgetreten.
Q33ir übergeben bh bereits im grocitcn SBonbe ^eroorgefjobencn
Symptome ber neuen Seit unb rid)ten t)ter unfer 2Iugc befonbers
ouf bie religiöfe Beübung an ber feritifdjen <£c&e ber Jünglings»
jo^re. ©ong überrofrfienb nimmt nämli(^ {)ier in bem ^crn ber
3ugenb bie ®ntroicfelung bie QBenbung gu einer ousgefproctjcn
*) 3"i 93orübergc^cn rooUcn mir borauf ^inroctfen, ba% tjicr auc^
bie SJlotroenbigkcit auftautet, blc ©ottesanfc^auung neu gu gcftaltcit. Sie
naioc ©ottcsoorftcUung ber ^{nbf)eit oerfdjioimmt, rote bereits angebeutet,
mit ben ^eraufäie^cnben (gntroidtlungsjaliren unb löft fid) in bicfcn felbft,
oft frciltdj unbcroufet, oollcnbs ouf. ©rft in ber gTOciten §älfte ber ®nt*
roicklungsperiobe tritt bie Qllöglidifeeit ein, ®ott als ben lebenbigcn SCillcn,
bas.roirkenbc 2BcItgefcö 5u erf offen. Scr SReligionspöbogoge mufe forg«
föltig ouf bie religiöfe Slnfc^ouungsentroicklung oc^tcn. 933trb fie ucrnod)«
(öffigt, fo kann ^ier ein unüberroinblic^es §cmninis ber religtöfcn (gnt*
roicklung entfielen. (£s gibt Soufenbc, bercn rcttgtöfe ©ntroidilung borum
für immer obgefcbnittcn blieb, roett fie niemals über bu Ätnbtieitsan*
fdjouung ^inousgefüljrt mürbe.» 2lud) eine SBirkung bes uorgeitigcn W)*
brudjs bes religiöfen Unterridjts !
26*
— 404 —
rcHglöfctt 6ttTnmung. QÜlan möchte fic oIs ^^pertnbioibuoltftifc^
begcic^nen. ®er ®rong gur (£tnfamfecit, jur ©clbftbetrat^tung,
5ur QBcItoemeinung unb jum ftürmifc^cn *iprotcft nimmt btc bcnfe*
bor fc^ärfftcn tJotmctt an. Sic ©cfü^tsfc^Toärmcrct bicfcr ^o^re
mirb gut 9Zl^ftik, bic bic rocItDCtleugncnben 'formen bcs auB"
gc^cnbcn 9Jllttctalters rotcbcr fuc^t. 9Hetfter Cdte^art ift oon btefcr
3ugcnb roieber entbccfet roorben. ©er brutale, oerfprüt)enbc ^tf)"
mitte 9Xieöf(^es, ber bie ®efal)r ber 3it9ß^ö i" ^^^^ 95ismarcfecpoc^e
mar, ift ber finnigen 93erfcnltung in bie liefen ber eigenen Seele
nrib ber S)ur(^li(^tung ber SDelt üon biefem ^'^^^^Pii'^^t^ ^^^
mit ben ©onncnftra^tcn ber göttlid)cn ©üte geroii^cn. ©ie 9Ht)ftife
ift immer bie lefete Sammlung bes ©ciftes cor einer Sleugeburt
ber mirlienben 3leIigion geroefen. 9Benn ber 3d|n>iUe bes fiebens
reif wirb gur ootten Heberroinbung, giefit er fi(^ in bic legten liefen
unb Ginfamfeeiten ber Seele gurücfe, um tjier mie im SHluttcrfc^o^e
bic 95efrud)tung burd} ben großen ©ottesroitten gu empfangen,
©ang in ber StiUe, in ber 213elt fdjrocbenbcr ©efü^Ie oottgie^t
fi(^ biefe Ucberroinbung, bis in ber Stunbe ber ©eburt bas neue
fieben t)cröorbri(^t unb nun fieg^aft mirkenb in bie SDelt greift.
95or ber fo^ialen SBinbung bes Sebcns liegt immer bie ooUe 95er«=
leugnung bes Sebens in einfamer Scibftgenügfamfeeit. So fern
biefe beiben fiebcnspolc fitf) für bas äußere ?Iuge gu liegen fc^einen,
fie berühren fic^ in ber 9BirfiIic^fecit bes fiebens fel)r eng. ®er
plö^Iit^e Hcbergang bes einen in ben anbern ift ber ge^eimnis*
»otte Surc^gangspunkt bcs Stirb in bas QBcrbe. So roibcrfpru^s*
oott es klingen mag, fo fcft fte^t es bod|, tio.'s ber gunc^menbc
Snbioibualismus ber 9Ht)ftik in ber reifenben ^ugcnb bas oer«
^eifeungsoottfte ^Inaelc^cn bafür ift, ha^ ber objektioe ©ottcsroittc
unb bie gro^e fogialc SBinbung bcs fiebens t)inter ben Soren märtet.
5)afe bie 3itgßnb in biefem Uebergangsftabium trog ber
©runbric^tung auf bie eigene Sn^enroett bas ©cmeinfc^afts*
leben im gleid)geftimmtcn Greife fuc^t, barf nic^t barübcr
^inmcgtöufct)en, ba§ i^r ©runbäug "not^ burc^ unb burc^ inbi-
oibuoliftifc^ ift. S)ie platonifc^en Stimmungskreife, bic auf bim
, Erlebnis ", auf einem gemeinfamen fiebens gefütj! ru^cn, l^ahtn
not^ nichts mit fogialcr ©inbung gu tun. Sie fc^aren fid) um
einen burc^ bic ©lut bes (Empfinbens ausgcscic^neten ^Jü^rer, ber
405
bos Erlebnis bcr clnsclncn befonbcrs ferSftfg ocrfeörpert unb barunt
aud^ gu luecften ücrmag. ©tefe ©ttmmungsfirclfc kommen unb
ocrgcl)cn rote btc QBoIken am tJrü^Hngs^tmmel. ©o überfc^äumenb
fie an Qflcformgebonfeen unb rudtroeife auftretenben Sflcform-
beftrebungen finb, fo fern ftnb fie nocf) oom t)arten, oon ctnct
großen 3bee übenoälttgten, ftettgen unb opfcrftarlien 9DoUcn.
S)05 grofee innere 9Hüffen ber Eingabe an anbere ift no(^ ntd^t
it)re ©oc^e, aber es roartet hinter ben 2oren unb trifft ble 93or*
berettungen auc^ fctjon burd) bas ©emelnfc^aftsleben.
2Dann unb in roelt^cr ^5°^^» ob bur(^ einen fc^merglid^cn
SBruc^ ober ein langfames QBcrben, fi(^ bie grofee Umlagcrung
enb gültig ooHgietit, ob fie über^oupt gur ooUen 9leife kommt,
liegt nidjt in aJtenfc^en^anb. (£ines Sages fragt roo^I ber junge
9Jtenf(^ übenaf(^enb feinen älteren '^ü\)Kt ober ^J^eunb: „3Bic
kommentßie bagu, ha^ ©ie uns bie freien 5lbenbe unb bie ©onn»
tage geben?" S)as ift bie ©tunbe, in ber ber reife SHlcnfc^ unb
ber 9Hitarbeiter geboren werben kann, ©er ^auptmeg ber reli-
giöfen Cntroicklung ift burc^fdiritten. <£s kommt bie 9Hannes*
arbeit unb bas 2Da(^fen ber (Erkenntnis „in bie 2iefe unb in ble
Sötie", bie SBefeftlgung bes (£t)arakters burd} immer roeitergrelfenbe
fd)merälld)e unb empor^ebenbe (grlebniffe. S)em gur magren ^5^^^*
^elt refp. ®ebunbcnt|eit t)inburd^gebrungenen SHenfc^en öffnet bas
Seben unb feine 2Ba^r^elt oon felbft bie 5ore. 9Dtr können i^n
^ier fic^ felbft überlaffen.
' ®s ift bas ©efeg bes fiebens, beffen ©puren mir in ber
Cinäelentroldilung nachgegangen finb, fprungroeife, lüdienl^aft, oiel*
Iclctit ungulöngllt^ genug. S)enn bas fieben ift relc^ an unerfc^öpf*
liefen Variationen. 2lber beutlic^ mirb geroorben fein, ba^ alles
im ^ingelleben um bas religiöfe Urertebnis kreift, ba^ ber 5)urc^-
fe^ung bes einen großen Sebensgefefees alle (£ntn)icklung bleut.
95om göttlichen Urquell t)er fpringt bas fieben auf, beroegt fic^
oon it|m fort bis jur oollcn inbioibualiftift^en fioslöfung, um bie
(Einheit mit i^m tiefer unb fefter, \a ungerftörbar s" ftnben. SlUe
(Erjie^ung kann fic^ nur bienenb in bie ^fabe biefes croigcn
fiebensgefe^es ^ineinfteKen. 91ie barf fie es oergeroaltigen unb
^emmen, aber feiner Surc^fe^ung mufe fie fclbftlos ^elfenb bleuen.
S)ie Waf)tf)t\t ift nichts anJieres als bas ©piegelbilb unb ble
— 406 —
©c^rtttmact)crin bcs Scbcns. S)as Seben aber birgt In ftc^ als
lefetcs, attes tragcnbcs ©efe^ bic QBa^r^clt.
©attä unöerantroortttc^ Ift es borunt, ber Sugcnb etn fcftes
©Aftern t)on ©efe^en ober ^etlstatfac^en mit auf ben 9Beg ju
geben in ber Hoffnung, ba^ fte es etntnal hod) oerfte^en unb \id)
aneignen roerbe. 5)as ift aUes anberc als „©aat auf Hoffnung",
bas ift ein fe^r bequemes ©idiabfinben mit einer öu^erlicf)en '2ln*
^ängung, roo eine tiefinnerlic^e ^ü^rung gur jReif e aUein genügen
kann. S)as eroige ©efe^ bes Sebens bulbet feeine 93erfteinerung,
am roenigften in ber 3ugenb! Sie logifc^^oerftanbcsmä^ige SBer«
{möct)erung ift gubem für bie S^genb bie aüergefä^rlidiftc, roeit
fie ^ier am fdjnellften abgefto^en roirb. QBer bie kämpfe, burd^
bie febe S^genb :^inburd)mu§, belaftet ober — roas in it)rer
9Birfeung auf bie ®ntfcf)eibung gegen bie aflcligion häufiger ber
^ott ift — erlei(f)tert burc^ reine SJerftanbesgroeifel, ob Mefe ober
jene ^ifiorifc^e Satfac^e gu 3lec^t beftet)t, ber ftört unb gerftört ben
(Entroicfelungsgang ber 3ugenb in ben meiften %'iiVim hoffnungslos.
t5ür bie 3ugenb barf bas gro^e, unerbittlich gültige innere fiebens»
gefeö ni(^t ab^ngig gematf)t werben oon ben Xatfact)en bes
3lpoftoIiliums. 6ie Könnte gu Ieict)t mit il)nen fertig roerben. *)
*) ®er „©taube" borf auf keiner 6tufe bes reßgiöfen ^wgenb*
unterrid)ts mit ber 2Inerfiennung gef(^id)tli(i)cr S:atfa(i)en au(J) nur oer«
quiM roerben. 95on it^m barf nur in ber SBeäicIjung auf ben lebenbtg
rotrkenben unb alleseit gegenroärtigen ®ott gefproi^en roerben. 3lUe Qt^
fd)i(^tlt(^en ©toffe ftnb nur SHittel jur 2Be(feung, Seutung, SScrgegen"
roörtigung, 93ert{cfung bes ©loubens, ber on bem ©rieben ber ©egcnroart
ft(^ gu bcroä^ren ^at, niemals Objekt bes ©laubens. S)a5 ift nur ber
lebenbige ©Ott, ber als fold)er nur in ber gegenroärtigen ©tunbc, t^rer
gorberung unb i^rcm ©ricbnis uoU ergriffen roerben kann. ®ie 3eit, in
ber btc ^ugenbrcif roirb für bie tjiftorifi^e Kritik, barf nie unb nimmer
5U einer ^rifis für ben ©tauben roerben. 6te^t er nid)t gang unabpngig
oon attcn 6d)roankungen gefd)id)tti(J)er ©rkenntnis in ber S^^fl^i^b fcft,
roirb beifpielsroleife bic kritifrfje 55etra(i)tung ber £)fterberirf)te gu einer ©r«
fdjüttcrung bes jugenblic^en religtöfen ©efifecs, bann ^at bie retigiöfe
3ugenberäie^ung ftd^ fdjroer an ber 3w9C«b oerfünbigt unb ift bem ©ünbcn«
falt ertegen, ber in ber d)rifttid)en ^ird)engcfd)ict)te eine fo oer^ängnisoolle
aflotle gefpiett ^at. Sitten ^tftorifc^en Stoffen o^ne Slusna^me mufe f(^on
bie 5ii9enb mit ber Unabl)ängigkcit unb grci^eit gegenübcrfte^en roie bem
92tärd)en. Um fo kröftigcr mufe i^r aber ber lebenbige ©ott unb fein
Sebensgefeö in ber ©egenroart na^e gebracht fein.
— 407 —
S)er crotgc @ott Itennt eine einbringltc^cre unb burc^ftf)Iogenbcre
©pracfje, bte ber fic^ burc^fe^enbcn inneren Sebcnsnotocnbigiiett,
bte ber Icbenbtgen Q33a^rt)eit. S)ie aber kommt auf anbercm
2Bege als hm6) bas 'Slusroenbiglemen unoerftonbener <ö'd^t unb blc
Anerkennung gef(^tc^tli(f)er Satfac^en, fic roäc^ft aus bcm Scbcn
felbft heraus, roenn bie ©tunbe bafür gekommen ift. 5>as treue
Stufen ber ©tunbe ift aller (Erjic^ung Ic^te ^Beis^eit.
(£s bleibt uns noc^ bie 9lufgabe, bie roic^tigften Sinien ber
religiöfen Cntroicfelung ber roeiblidien S^gcnb aufäUäcigen. ©te
ooUätefjt ficf| nid)t fo ftürmifd) unb roeitausgreifenb, wie bii bcs
jungen, meil xt)x giel ja auc^ ber ^inb^eit nö^cr bleibt. Sat*
fö(i)Iic^ mirb in ber roeiblic^en 9latur bie religiöfc SBelt ber ^inb»
^eit nie fo rabiital aufgelöft, wie in ber mönnti(^en. S)ic recep«
tioe %it, bie geftaltenbe ^öf)iglieit, bas QSertrauen gur QBettfeelc
bleibt immer in irgenbeinem SHafee erhalten. 95on einer religiöfen
„©(^onjeit" kann bat)er in ber roeiblit^en ^rgie^ung keine 9lebc
fein. S)as ©efü^l ft^ledjt^iniger 5lb^ängigkeit, bas örgon für
bie 513elt e^rfurd)tgebietenber innerer ©rö^e, bie ©ebunben^cit on
eine li(f|te ©pljäre göttlidjer QUein^eit getjt h^m 3nöbd)en nie gang
oerloren. ^rofebem gibt es aud) für fie eine geit ber Xeilauflöfung
unb ber Eroberung neuer fiebensfeiten. ©ie fe^t olettci(^t fii)on
früher ein als bei bem jungen, aber in anberer ^^o^i"« ^n bzi
©fette ber aktioen ftet)t bie paffioe QUetteroberung. S>te ego*
gentrifd^e 2Deltbefeelung ber ^inbt)eit oerengt fid) gur eigenroittigen
3Belteinglieberung in bie eigenen ©efü^lssroecke. S)as ^eran-
roac^fenbe SHlübc^en negiert auc^ bie SDelt unb betrachtet fie mit
kritifdien fingen, aber nid)t um i{)r ben ^teg ju erklären, fonbern
um fie lounifd/, ft^mottenb ober fpöttifi^ abgule^nen unb fie ha»
burd) nur um f o gefügiger gu machen. 5)er 3<^roiUe tritt fe^r
beutli(^ bei i^m heraus, oft in einem unerträglichen (Etgcnftnn
ober in einem fi(^ unbefriebigt gurückgielienben unb grottenbcn
SBeltfc^merg, ober aud| in einer moquanten Hebcrlegen^eit. ^ofitio
äußert fid) biefer 3d)n)ittc in ber 9leugierbe nac^ aufeen, in ber
abroartenben, anreigenben ober gar l)erausforbemben ©teUung gu
ber Umwelt, bie ft(^ bis gur 3lbenteuerfud|t fteigern kann. Slber
immer fuc^t es an fid| ^erangugie^en, gu feffeln, bie eigene SBc*
beutung burc^ bas ^rembe gu er^tien. ®s erweitert feine Greife,
— 408 —
feine Äcnntntffe, feine tjcrtigfeeiten, um perfönlic^ baburc^ äu gc*
rotnnen. ©ie «p^ontafte fcfiroörmt auc^ f)ier feräftig aus, aber
nic^t in bas rotibe Sanb ber feriegerifd)en Abenteuer, fonbern in
bie bas ®efüt)lsleben feffeinbe unb anreisenbe 3BeIt ber romantif(i)en
©riebniffe unb ber buntfarbigen fiebensfc^ön^eit. 6ic ^ängt auct)
oiel ftörfeer am ^erfönli(i|en als beim Knaben, ber me^r bie
^anblungen fud)t. 3In ber 0telle ber Qltac^t unb ®^re fte^t beim
anöbcfien bie ©c^önl)eit unb bie ©üte. Gs fiel)t überhaupt me^r
auf ben 3Itenf(i)en unb feine Oefinnungen als auf bie fieiftung
unb it)ren Erfolg. 5)as 9Henfc^enfd)icftfaI feffelt es ftärfeer als
ber §elbenrut)m.
(£5 fireift eben beim 9Häbii)en alles um bas perfönlid^e
9Berben, nxd)t, roie beim Knaben, um bie ^erausarbeitung bes
überperft)nli{^en QBillens.^ ©ementfprec^enb ift audj bie gefeglid^e
ijeffelung, auf bie ber ^din^ille ber roeiblit^en Statur tjinbrängt,
ni(^t bie oon au^en f)er bänbigenbe überlegene ^raft, fonbern bie
oon innen t)er binbenbe 6itte. S)as, roas fi(^ giemt, feffelt bas
SHtäbd^en, nirfjt bas, roas fid) geroaltfam burtfife^t. 35or ber über»
legenen ^eintjeit unb ^IbgeWärt^eit ber ©urdibilbung beugt fid)
bie roeibltrf)e Statur, nirf)t cor ber erfolgreid^eren Tatkraft. 5)ie
Äraft i^res ©efe^es liegt in ber filigranartig feinen organif(^ett
93ilbung feiner anafdjen, bie ^aft bes ^ungengefeges in ber ge*
bieterift^ gefd^roungenen fiinie feines SBaugerüftes.
(Es ift felar, ha^ bie entft^eibcnbe perfönlii^e ,5üt)rung bes
9näb(^ens in ben (Entroicfelungsfaliren nur oon ber ^rau geleiftet
roerben kann. 6te allein oerfügt über ben ©efü^lsreic^tum, über
bas 33erftänbnis für bie roeiblic^e ^^antafieroclt, für bas „©tfiroärmen",
oor allem aber über bie roirfifame ^orm ber gefeilteren 58inbung,
bie bie 3näbd)ennatur forbert. S)er Sötann fiann burd) bie iJcfttö*
kett unb Dbjefetiottät ber ^ernrotrfeung ftü^cn unb Ratten, niemals
aber bie perfönlit^e ^ü^rung ber ^nrnnvotlt überneljmen. ©eine
ergöngenbe Tätigkeit ift unentbe^rlicli, namentlid) in ber^cran»
bringung ber reltgiöfen ©toffe an bie 9Iläbc^enfccle.
9luc^ ^ier muffen biefe ©toffe an bie <pi)antafieroelt bes
reifenben 9Häbcf)ens anknüpfen. 2ln ber ©teile bes großen 3u«
kunftskönigs ftel)t ^ter bie innerlich reiche ^erfönlit^keit. ^lue^
l)ier mufe ftufenroetfe ber fiebensreict)tum unb bie fiebenstiefc
409
Ijerausgcarbeitct rocrben. ^m Slöl^men einer bunt ausgeftaltcnben
^uttur* unb ©tttengefd)i(i)te — bie für ben 9Höbd)enuntcrri(^t
nod) Dtcl 3U roenig ausgedeutet tft — muffen in ben ©ntroicfelungs*
ia^ren namentlich ^raucngeftaltcn unb ^rouenf(f)iclifaIe i^re btibcnbe
^raft in bie roeiblid^e ®eele werfen, ^ier kann man oon 95or=»
bilbern fprecfjen, meil in Sebensform unb Lebensführung biefe
©eftalten emporgietienb unb gur 9Xad)geftaItung anregenb roirfeen
fotten. 5)er 3^l^att unb bie ^orm bcs ^rouenlebcns finb im
fiaufe ber 9Ilenfd|t)eitsgcfd|id|te fel^r oiel gleidjartiger geblieben
als bie ^i^h unb bie ^Jormen männlichen ®(^affens. 9lud) ift
mit ber ®itte für bie SKöbd^ennatur äugleirf) etroas innerlid)
SBinbenbes gegeben, fobafe SRac^a^mung unb 9lac^bUbung ^ier
einanber oiel nö^er liegen.
3"^cffen roöre es oerfeljlt, fic^ in ber 9Ilöbcf)eneräiel)ung auf
biefe geftaltenben Kultur» unb ^Jrauenbilber — bie am fi(i|erften
oon grauen an bie meiblidie Sugenb i^crangcbrac^t merben können
— äu befdiränfeen. 5)ie objektioe QBelt männlichen ^anbelns,
bie burrf) 95ergangenl)eit unb ©egenmart äiet)t, gel)ört burrfiaus
in bie roeiblic^e ^UQmt)tti\<tl)unQ hinein. Sas 9Häb(^en mufe
aitönnermürbe unb ft^öpferifc^es ^etbentum werten lernen unb
bie ^erbe SBelt objefetioen ^anbelns fül)lenb mit burcl)leben. 93ei
aller ©ubjektioität feines Smpfinbens mufe bas Organ für bie
3Bertung objefetiuer 32Ienf(i)engröfee forgfältig entroidielt merben,
benn biefes Organ fotl es einft fitfjer burd^ bie OTelt geleiten,
in ber es o^ne feine 5üt)rung tiülf« unb fdjuglos märe. 3iii"ißf
aber mirb in ber 95e^anblung gef(^icl)tli(^er ^erfönli(^feeiten ber
Sölenfc^ im 95orbergrunbe fielen, ©ein SDerfe ift ^ier nur bie
9lufeenfeite feines inneren 3Berbens. ^rofebem ift es roict)tig, ha^
bas 9näbcl)en es im llnterricl)t auä) erlebt, mie SHtänner 9Hönner-
roerfe betrachten. €ine rein meiblidie 3ii9cnberäiel)ung ift auf bem
©cbicte ber SHeligion immer oon einer Südie belaftet. 5)as Sefetc
•kann aud) ^ier nur oom 3Hanne geleiftet roerben.
5)enn ber lefete 6inn ber ®ntn)i(Älungsiot)re für bos SHäbt^en
ift ber, bie tieffte i^orm ber Eingabe gu ft^offen, beren bie roeib»
lic^e Slatur für i^re Sukunftsoufgobe bebarf. S)arum fül)rt fie ber
©cljöpfer burcl) ben (gigenroilten, ber alles ouf fiel) begieljen möchte,
^inburcl), bamit biefer ®igeniyille laufcljen lerne auf alle inneren
— 410 —
Gräfte ber Hmtoelt, ftd^ gon^ on fic t)eranfüt)tc unb fte rcrf)t roerten
Itönnc. 3nößwt jic I)enf(^cn unb • ftd) unterroerfen mödjtc, roirb fie
3um f)öd)ften Stcnft gcrüftet. 3"ößwt fte ftd) abkapfelt unb fidjert
in bcr fc^ügenbcn Sitte, begibt fie fi(^ in biejenige 95inbung hinein,
burdj bte fic fpöter roieber fdiü^en, füt)rcn, oergeifttgen fionn.
3nbem fie auf bas ^eu^erfte etnpfinbli(^ tüirb gegen bie llmn)elt,
ja fie abletjut unb befpöttelt, fammelt fie biejenige '^ein^eit bes
©mpfinbens, buttf) bie fie einft fegnen, bereid)ern unb in bie 3BeIt
bes kleinen unb ©öttlit^en emporfü^ren kann. 5tu6 ber reinen
Sertrauensroelt ber Mnbt)eit niu^ fie burd) bie firitift^en 5luf*
löfungsjo^re tjinburd^gefü^rt werben, bantit fie ben untrüglichen
SBIidi für bie beftimmenbe 9lorbnabeI bes fiebens, bas unerfct)ütter=»
Ii(^e 95ertrouen auf bas roa^r^aft ©ute unb ®öttlid)e finbe.
5)er ^rets fd^Iie^t ft(^. 2Dir tjoben bie gef(i)icf|tltd|en, bie
foäialen, bie innerfatniliären, bie perfönlic^en 95ern)irttli(^ungsftuf en
ber reltgüJfen SBafjr^ett an uns oorübergleiten laffcn, nid^t um
i^re 3HannigfaItig6eit im eingelnen ausgufc^öpfen, fonbem um tm
Slidi für bie fiinien gu fctjärfen, benen aller religiöfe S)ienft na(^=
get)en mu^, um bem QUeg ber 9Dat)r^eit in ber QBelt gu bienen.
llnerfd)öpf(id| ift bie 3Iufgabe biefes ^eiligften ©ienftes an ber
9Ilenf(^^eit. 9lur bas im ^öc^ften Sinne lebenbige unb n)at)rt)aft
Eingegebene Seben ift i^r geroarfifen. ®er 2Beg ber ^Ba^r^eit
unb ber 9Beg ber Arbeit liegen ^ier oöUig ineinanber. O^ne
entfd^Ioffene fittlic^e Selbft^ingabe ift alle ^Datir^eitsüerfeünbigung
6(f)ein unb Srug. 9Dte nur bas in I)ei^er Slrbeit gur oollen
©elbftlofigfeeit gereifte fieben bie 3DaErt)eit fiel)t, fo Itann bie
Selbftoerleugnung allein it)r eine ©äffe bahnen. ^Da^r^eit ot)ne
Siebe ift ein abgeftorbener 95"aum o^ne fru(^tf(^affenbe Säfte,
Siebe o^ne 9I3al)rEeit eine taube 58lüte, bie nur für bie ©egen«
wart buftet unb leudjtet, aber liein Saatkorn in bie S^feunft trägt.
V. Das teügiöfe Bekenntnis*
1. ®te religtöfe 2Bal)r^ett unb bas Bekenntnis.
3Dir finb bcn manntgfalttgen 3Begen nadjgcgangen, bencn
btc 95erkünbtgung ber SDo^r^ctt unermüblt(^ unb forgfälttg nad)»
fpüren mu^, um tt)r tebcnbtgcs ©cfcfe roirlifam in ben ©ong bes
Sebens etngufütiren. Unehblid) tft btc 9lett)c ber ^unMe, an bcnen
ftc roetterfü^renb anfefecn, unerfdjöpfttd) btc ^Jorntcn unb ©toffc,
btc fic bcnugcn, enblos ftc^ cmeucmb bic ®clegcni)cttcn, bcnen ftc
btcncn ntufe. Unb bo(^ ift es etn cnjtgcs ©cfc^, bcnt fic bicnt,
tin "^ul, äu beffen 95ern)irfetid^ung fic ^inftrebt. 3cbcr il)rcr un-
gcäät)Itcn 3InfQö= unb '2lrbcitspunfetc trägt in fi(^ bic 9flid)tung
auf einen ^cntrolpunfit, bem alles fieben itn SDcrborgencn pftrebt.
©0 unau6f(^öpfbar bic QÜlannigfaltiglieit bes religiöfen S)icnftes
ift, fo einfach unb ftlar ift feine innere fiinic. Was unfere 95äter
„einfältig" nannten, ift ha^ ©runbmcriimal alter religiöfen flebens»
beftimntt^eit. <£rft bos Scitatter, bas ben legten €in{)eitspunlit
preisgab unb fi(i^ fclbft an bie 95em)orrent)eit ber ©inncnrocit oertor,
bas in ber routinierten 3Iufecnbc^errfd)ung ber ©inge bas 3eid)en
ber Sebens^errft^aft fa^, t)at biefent 3Kortc ben OKaket angct)eftet,
ber in einem oiet bcbrot)Iid^eren ©inne feine eigene ^o^I^eit trifft.
S)ic (Einfalt bes ^eräcns unb ber fcf)affenben Zat ift tatfä(i|Ii(^ bas
©röfetc, bas bem 9Henfc^cn überhaupt gugänglic^ ift unb feine
Slrbeit abelt.
S)iefer großen (£int)citslinic unb mad^tooHen (ginfa(^f)eit bes
religiöfen ©ienftes roenben mir uns jegt gu, nact|bem mir bie
SHannigfaltigfeelt ber QKege bienenber Siebe ftennen gelernt ^aben.
9Xic^t als roolltcn mir biefe baburd) aufgeben! 3m ©egentcit! 3)ie
gange Sltannigf altigfeeit ber fpüren^en^ingabe an bcn3Dal|r^elt5bicttft
— 412 —
Ift erft auf bcm §tntcrgrunbc einet legten Scbensetn^clt unb »ein«
fad)t)ett ntöglid). 933ie btc iJüDe ber 6(i)öpfung gang unbenlibar
roöre unb \i(i) felbft gcrftören TOÜrbe o^ne ben fie burc^gte^enben
unb t)attenben ^in^eitsroiUen ©ottes, fo roöre ber bem fiebcn bis
in leine legten 3lcgungen nad)ge^cnbe 5?ienft gang unmöglld) unb
roürbe gcrfltcfeen o^nc bte innere Gtnfalt, bte i^n trägt. Sarunt
roar ber Stagarcncr ber ^Ba^r^eitströger für bie ©ntroicklungsfülle
unüberfcl)barer 3öt)rtaufenbe, roeit fein 9Bort unb fieben oon ber
©infttc^^ett unb ©urcf)ft(^tigfeett einer ^inbesfeele roor. ©ie (Sin»
falt biefes S^ntmermannes aus Ölajaret^ ift bas fiöftlid)fte ®ut,
bas ber SÖTenfdi^eit gefdjenfit roorben ift. (£s gibt tieinen crbge«
bunbenen 9Itenfd)en, beut es nict)t guganglid) roöre, unb es gibt
Iieinen SDcifen auf ben §öt)en bes Sebens, ber es ausfrfjöpfen könnte.
9330 immer bie religiöfe Qüa^r^eit fi(^ it)ren QBeg in bie
(Entroidilungsfüöe bes fiebens fudjt, ha mufe biefe fonnenfelare unb
mit einem SBIidt gu erfaffenbe (Einfadj^eit a^s i^r t)erausleucf)ten.
(£s liegt in if)rem innerften 2Befen begrünbet, ha% fie felbft immer
roieber nad^ bem einfat^ften, burctjfidjtigften, unmittelbarften unb
ot)ne gebanfelidje Umroege roirlifamen 3lusbrurfi fud^t 3ur reli*
giöfen 5I3a^rt|eit unb i^rer bem fieben gugeroanbten ^raft gehört
ba^er immer bas äufammenfaffcnbe SBefecnntnis. SBeil fie
roirfeenbe 9Ba^r^eit ift, barum mufe fie it)re ©tra^IenfüUe immer
roieber rote in einem §of)Ifpieget fammeln. 6ie mufe ureinfai^e
Sidjtsentren fc^affen, beren klarer ©lang unb gefammeltc SDärmc
bas 2Iugc fofort feffeln unb i^re belebenbe ^raft Konzentriert an*
fe^en. ©ie ro'öiß immer ben feürjeften, einfa(f)ften unb roirlifamftcn
9Beg, um bas ©anje it)rer ^raft in bas Qthm ^ineinguroirlien.
Sie ^ä^igkeit, SBekenntniffe gu formen, ift ber fic^erftc SHlafeftab
ber religiöfen ^raft eines Zeitalters. Sticht bas SBekenntnismft^ige,
fonbern bas Sekcnntniskräftige entf(f)eibet über ben religiöfen ©tanb
einer ^rc^e. S)ie S8emüf)ungen um bie forgföltige ^nwe^öltwitö
älterer SBckenntnisIinien ift f(^on ein ganä unoerkennbares Symptom
religiöfen 93erfatls. 5)enn bas roa^re „^Bekennen" roiß nid^t in
erftcr fiinie beroa^ren, Otiten, abgrenzen, fonbern gerabe erobern,
übergeugen, roirken. ©et)t biefe aktioc ^raft bes SBekcnntniffes
oerloren, bann fliegt feine ^orm ins ©reite, Hnüberfe^barc, logifci^
gergliebembe. (£s ocrliert gerabe bas, roas fein QBcfen unb feine
— 413 —
«IDirliungsferaft ausmacht: btc (Einfai^^ctt, S)urtf)ji(f)tlg{ieit, Unmittcl*
öarfeeit. ®o ift bte fogcnanntc ^ontiorbtcnformcl überhaupt fecin
©cftcnntnts ntc^r. Scti 9Ränncrn, bic es in ®trcitfuc^t, Siedet*
^Qberct, Qlcngftltc^kctt, btalefettfi^er Ältigetct gcf(f)affcn ^abeit, fehlte
eben bas, was bte 95orQusfeöung alles roirfeungsoottcn 93e{iennen5
ift : bie Einfalt bes ^erjens. Sie SBc&enntmsfanatlker mögen ftc^
einmal bie ©oktorfrage (teilen, roo biefes ©efeenntnis im SJollis»'
leben mirfefam geworben fei. 3^ ^^m 95e(i)er kalten SDoffers, oon
bem ber aJleifter fpric^t, liegt me^r Sekenntniskraft als in biefem
bicken SHtadiroerk menfc^lic^en ^igenrolUens.
<£& ift überhaupt ber '^hidj ber fiut^erkiri^e, ha% fie bas
religiöfe Sekenntnis nur in ber ^Jorm bes ÜBortes kennt. 9Beil
bas 933ort, gumol im Seginn ber Steugeit, ber oornel)mfte Slröger
bes ©eiftes mar — mas es t)eute ja nidjt mel)r ift — , fo mufete
i^m allerbings eine ^eroorragenbe SBebeutung in ber roirkfomcn
Normung bes religiöfen 93ekenntniffes aufaßen. 2lber es Ijat fid}
bitter gerö(^t, ha^ man bie onbern Präger ber ©eifteskraft — bie
roirkenbe Sot, bie barftellenbe ijoi^m — um bes ^Bortes millen
an bie 9Banb gebrückt f^at ©amit mar ber allumfoffcnbe ©eift
auf ben 3ntellekt gufammengefc^rumpft. 9Bille unb ©cfü^l, bie
in ber 5:iefe roirkenben 6eiten bes geiftigen Sebens, roaren aus*
gefi^altet. ©er Intellektualismus ^atte fcljon im Slnfaö gefiegt.
©0 ^ot unter ollen ^irdjen ber ©egenmart bie fiutl)erkir(^e bas
gertngfte Qfled^t^ fic^ über bie Oberflächlichkeit ber gett au beft^roeren.
Sie t)at fie felbft kräftig mit ^erauffü^ren Reifen, fic^erlic^ am er-
folgrei(^ften burcf) i^re „SBekenntntsgemäfe^eit". ©cnn ein wert-
oolles Erbgut, bas bie 9flcformatoren t^r mitgegeben Ratten, ^aben
bie oberflächlichen bialektif(^en SBemü^ungen um bie 95ekenntniffc
bes 16. ^ö^t^unbcrts rabikol oemic^tet: ben 93lick für bas Volks-
tümliche. S)ie ©efc^ic^te ber proteftantift^en S^eologte, bie un*
mittelbat ober mittelbat butc^ bie Vekenntniffe beeinflußt ift, ift
bie ©cfc^ic^te einer ©elftesentroicklung, bie fic^ in june^menbcm
SRaße oon bem gSoben bes utroüc^ftgen Volkstums entfernt ^at.
©elbft oon ben ^oc^gebilbeten Vetttetein unfeies Volkslebens, bie
nic^t t^eologifc^c ©pejiattften finb, kann man nic^t oetlangen, ba^
fie fic^ mit bet roeltfernen ©ebanfeenarbeit unb «fotmung unfetet
t^eologifc^en Fakultäten unb unfercr kirchlichen Äanäelteben bc-
— 414 —
f(^äftigen, gcfdjTüctgc bcnn t)on ben in bcr {)ortcn wirbelt bcs Sebcns
fte^enbcn 9Hcnf(^en. S)te ^irdic bes 3Dortes i^at tro^ aller SBc«
tonung i^rer Selicnntntsgcmä^^ctt t^rc 95elienntntskroft oott«
kommen elngebüjgt. *)
Um fo roid^ttgcr tft es, bofe mir uns ^eute barauf gurüdi-
befinnen, mos bas rcitgiöfc 95cfecnntms eigentlich roiU. €s will
ber QDal^r^eit eine ©äffe bat)nen.. ©ogu mu§ es ber Präger ber
2Baf)r^eit, unb groar in i^rer umfaffenben ©röfee, aber in ber benfe«
bar einfod^ften, felarften, roirkfamften, oolfestümlic^ften ^Jorm fein.
€ine liuräe ^ufammenftellung oon fie^rftücfeen, bie fic^ als retigiöfe
SDo^r^eit anbieten, ift barum norf| feeinesmcgs ein Bekenntnis,
fo gefd^irfit biefe audj auf einen feurgen Qlusbrudfe gebracht fein
mögen, '^f^nm fe^It eben bas, roas bas ^Bekenntnis erft jum 5Be=
kenntnis maditf hie unmittelbar ins Seben f)inetngreifenbe unb
biefes in ein lebenbiges ©efe^ ^ineingm^ngenbe ^raft. SRm ber
oon ber lebenbigen 9leIigion ergriffene 9Henf(^, ber in i^r Urgcfe^
f)ineingeän)ungen rourbe, kann „bekennen", b. f). ben fortret^enben
unb mitgie^enben ^lusbruck für bas ©efeg finben, in beffen ©e=
tjorfam er felbft fte^t. 9Die bie ©Ieic^nisfpracl)e nur oon bem
religiös gebunbenen 92lenf(^en wirklich be^errfcl)t mirb, fo aud) bie
®ekcnntnisfpra(^e, nur ha% biefe noc^ fe^r oiel gefammelter, ein-
fad)er, bem ©angen einer ^üt unb einer (gntroicklungsepoc^e gu*
geroanbter fein mufe, als jene, bie fid) beroufet in bie bunte, aus*
gefaltete Sltannigfaltigkeit bes Sebens roirft. 3" ©leic^nis unb
SBekenntnis fpiegclt fid) in gleicher SBeife bie oolle religiöfe QBa^r*
^eit, in jenem nur mit bem 93lidi auf bie inbioibuelle ©tunbe unb
©elegenljeit, in biefem bagegen mit bem ©tidi auf bas Sebens«
gange unb bie 95olksgemeinf(^oft. S)as Bekenntnis roill immer
gemcinf(^apilbenb, ein gemeinfamcs (Erleben barftellenb unb gu
*) Uebrigcns ift es eine Tronic ber ©cf djt^tc, btc es nur gu beut«
Itrf) belcurf)tet, auf mas für einen Gtrang bas „c^ttftüc^e SBefeenntnts" tnt
Saufe oon kaum äroct ^tt^rtaufenben überhaupt geraten ift, bafe bie alles
bcäroingenbc fammcinbe 2Biffcnfc^aft es bis ^eutc nod) nidjt fertig ge«
bra^t ^at, eine einigermaßen erf(^öpfcnbe cbriftlii^c 6gmboItk gu fc^affen.
2Bcnn btefcr SJBirrroarr oon fogenannten djriftttdjen ©ekcnntniffen aus
lauter n)irklid)en ©ckenntniffcn beftänbc, wie müßte bann bie ^irc^e
(S^rifti ^eute baftelien! (Sx ift aber ni(f)ts als bas f(^mad)t)oUfte Dokument
(^riftlirfj ocrbrämten ©igenrotüens.
— 415 —
gemctnfontem 6d)Qffen fortretfeenb fein. 9Han kann es kurg fo
ausbrü(Äen: S)as SBcfeenntnis ift bas lebenbtge ©leidjnis ber
©cmcinbc.
5)a^er trifft bas QDort „©^mbol" foroo^I in feinem urf^rüng«
Iid)en 6inne oIs ^rfeennungsgeic^en (aü|ißäXXsiv) roie aud) in feiner
übertragenen 93ebeutung als ©innbilb burd)ous bie ®ad)e. ^w
fantmengel)örige 9nenfd)en erkennen fid) als folc^e an beftimmten
Qlusbrucfesformen unb 3ei«^ett, bie unverkennbar i^re Herkunft unb
3ttnenn)elt »erraten, bie bot)er bas ©innbilb it)res tieferen QBefcns,
in bcnt fie äufammenftimnten, unb bantit i^rer ©emeinf(i)aft werben.
Stur ift biefcs innere QBefen ber religiöfen ©emeinbe kein ru^enber
3uftanb, fonbern ein lebenbiges Srgriffenfcin oom Sebensftrom
©ottes, bas, roo immer es auftritt, fic^ als ^aft ber r^ingabe unb
ber roerbenben Siebe kunbtut. S)os religiöfe 6t)mboI begnügt fid|
alfo nidjt bomit, einen beftimmten 33efiö an^ugeigcn unb gu fiebern,
rote etroa eine gefeüfdjaftlidie klaffe ober ein geheimer Orben fid}
bur(^ geroiffe äußere ©ijmbole i^re (Eigenart fidlem unb if)re (£j«
klufioität TOO^rcn, fonbern es mirkt bereits als ©ijmbol ogreffio,
äiet)enb, fc^eibenb, merbenb. 0elbft bas lebensfrembefte 6qmbot
auf bem SBoben bes (£t)riftcntums atmet nod) etwas oon bem on-
bringenben ©eiftc bes 9Heifters. S)arum ift (mä) ber ©rang, 6i)mboIe
5U fd)affen, gerabe bann am ftärkften ^eroorgetreten, wenn es galt,
bie ous ber Siefe neu t)eraufbringenbe 2Dat)rt)eit in bie 9Belt gu
tragen ober bie gefäf)rbetc 9Bat)rt)eit gu fict)crn. STlur ftanb in
bem lefeteren %(i&.z bie ©ijmbolbitbung bereits unter bem geic^cn
bes oerfiegenben fiebensftromes unb ift bat)er nid)t metjr bas ^robukt
bes geugenben, fonbern bes alternben Sebens. 3)ie offenfioc ocr*
manbelte fid) unmerklich in bie befenfioe Haltung. 60 fte^t bas
fogcnannte apoftolifd^e ©gmbol gang unoerkennbar unter bem
3eid)cn bes '2tbfterbens ber altc^riftlid)cn ©eifteskraft, mä^renb bas
Slugsburgifj^e 93ekenntnis feiner ©runb^altung — ni(^t feinen ouf*
genommenen SBeftonbteilen — nad) bie ^raft jugenbfrifdjer Slcligion
atmet. Sticht nad) bem 3llter, fonbern nod|- ber ^ugenbkraft foHtc
man ba^er bie ©gmbole werten. 3)ie SBckcnntniffe ber alternben
©pochen, bie fic^ unoerkennbar burc^ aufää^tenbc SBreite, ängftlit^en
SoUftänbigkeltsbrang, bialcktifc^e ^ebanterie oerraten, foUte man
nur foroeit berüdific^tigcn, als in i^nen t)ier unb bo noc^ funken
— 416 —
einer Kräftigeren 3^96"^ nad)gltmmen. 3^^^ ®efünttt)altung tft
auf jeben %q.U als läljmenb unb lebensfctnbltc^ abguletinen. ®as
lebenbtge ©gmbol geftottet oom S^titiunt aus kurg, burc^fid^ttg,
ein^etttt^, ernfad), embru(^st»oö bte t)mter tt)m roirkenbe 2Dat)r^ett.
9Iun ift ja fretttd) bie 6^mbolfprad)e gerabe burcf) tt)re ©e«
bunbent)eit an bte ©cmeinfd^aft, bte bie oerfi^icbenften ®(^id)ten,
3nbiüibuen, Sitten umfpannt, oon einer faft unüberroinbllcfien
6(^n)ieriglieit belaftet. QBenn es im fieben kaum eine ©emein-
fd^aftsfprac^e gibt, bie für alle in glei(f)er QDeife burdifiditig,
oerftänblid) unb roirfeungsferäftig ift, gibt es bann oottenbs ein
©enieinf(^aftsgleid)nis? 9Benn bas ©leid^nis bie eroige 9Bat)r='
^eit ftets in bas (Ereignis ber ©tunbc trägt unb in bas inbit)ibueUe
©eroanb feleibet, kann es bann übert)aupt ber über bie ©tunbe
unb bas inbioibuelle fieben t)inausragenben ©emeinfd^aft bienen ?
9Birb ha nic^t gang oon felbft bas ®r)ntböl sunt Qlllgenteinbegriff
unb oerliert feinen ©Ieid)nisd)arafeter? ©egrifflid^ Itann man
^erausferiftattifieren, roas eine ©emeinfd^aft feenngeic^net. ^ber
eben baburd^ oerliert biefes audt) feinen unmittelbar roirkfamen
unb lebenbig anpacäenben Charakter. S)as ©leic^nis roiU ja oiet
me^r als begrifflid) rubrizieren unb juriftifc^ abgrengcn. ®s
roill unmittelbar in feinen fiebensr^gt^mus ^ineinäie^en. §ier
ftofeen roir auf bie ©runbfrage atter SBekenntnisfdiroierigfjeiten, ber
roir ein roenig genauer na(^get)en muffen.
3Denn es rit^tig ift, roas in einem früheren 5lbfd^nitt bar-
getegt rourbe *), ha^ bie lebenbige religiöfe SBa^r^eit \iä) auf keine
2Deife auf bie ^bene eines begrifflichen S^ftems projigieren lä^t,
fo liegt barin aßerbings eine oernic^tenbe Kritik faft aller ©e*
kcnntniffe, bie in ber ©ef(i)id)te ber d)riftlid)en ^ird)C mit biefem
Stamcn begeit^net roorben finb. Sie finb alte me^r ober roeniger
ober gar gäuälid^ oon ber trockenen begrifflidien ^onftruktion be«
laftet. ©elbft fo lebensroarme ^rgeugniffe roie bas 2tugsburger
Bekenntnis ober ber fiut^erfc^e Katechismus finb baoon nic^t
frei geblieben. Siatfädilid} ^aben fie bementfprec^enb alle nur in
gang befd^ränktem 9Hafec als lebenbige 6gmbole für bie oon ber
rcligiöfen QDa^r^eit getragene ©emeinbe geroirkt. (£s ift bekannt,
•) 93gl. ben 3lbfd)nitt „®ic ©pradje ber lebenbigcn 9leltgton".
— 417 —
ha% bclfpicisioctfc in bcr fiut^erfetrc^c bic Sibcl gona überragcnb
otel ftärlter oIs Icbenfc^offenbcs unb roa^r^etttragcnbcs 6ginboI
gerolrlit f)at als fömtlic^c ©clicnntniffe. 9lur foiocit In iljncn bcr
Icbcnbtgc ^uvkt noc^ noc^glomtn unb fidj fclbft unter bcr ocr-
Knöc^crtftcn begrifflichen %otm bic roirfecnbc QBa^r^cit no(^ lebcnbig
erhielt, finb fie gum 3lusbrucfe bcr croig gülttgcn 2Ba^r^cit gcroorben,
me^r oUcrbings für bic mit bcn ^erauslöfenbcn 9Ilittcln bcr roiffen-
fc^aftIic^»t)iftorif(^cn ©c^ulung oertroutcn ^^cologcn oIs für bic
Ocmcinbc, bic nur mittelbar on bicfc Slcftbcftönbc bcr urfprüng»
liefen fiebensma^r^eit ^crQngcbra(^t merben konnte. 6qmboIc im,
roirfelic^cn ©inne finb alle bicfc rc(^tnc^»t^eoIogif(^en 3Ilat^n)crlic
nie gcmcfen. S)Q9 93oIk ®ottcs l^at in itjncn ju fieiner "S^it bcn
aböquatcn ^usbrudk feines inneren fiebcns unb feiner roirfecnbcn
3DoI)r^eit gefunb^n. ©iefcr Satfoc^e f oH man offen ins 3lugc
frfiauen. 6ie mag für bic crfc^rccfeenb fein, bic baburc^ bcn 95e*
ftanb bcr Äirc^en hoffnungslos erfc^üttert fe^cn. 3lbcr biefer 95e»:
ftanb ift in bcr QBirfeIid)fecit bes fiebcns bereits berartig erfc^üttert,
ha% bic ^ufbccfeung bcr ^Burgcln bicfcs 3uftonbes nur befreicnb
roirfeen ftann. S^^i^tö^^^ii ^^^^ l^c nichts mc^r, roas nic^t bereits
tatfäc^lic^ äcrftört ift. SDo^t aber mufe fic bcn SBlicIi um fo
Kräftiger auf bic roirfelic^cn ®i)mboIc rid)tcn, an benen es glücfell(^cr*
roeife in bcr ©cft^it^tc bcr ct)riftlic^en ^rd|c ni(^t fc^It, roenn fic
auc^ nur in bcn feltenftcn Ratten in 95üc^ern gu finben finb.
®s ift nömlic^ burd)aus bic tjragc, ob bas 2Bort bcr alleinige
ober au(^ nur bcr bebeutfamfte Präger bes ©gmbols, b. f). bes
für eine ©cmcinfdjaft gültigen ©leic^niffcs bcr roirfeenben QBa^r^eit
ift. 9Bir miefen früher fc^on barauf ^in, ha^ 3cfus oon 9lajarct^
fecin gefc^ricbencs QBort ^intcrlaffen ^at, roo^t bas fi(f|erfte ©qmptom
bafür, ha^ er in bcn oon i^m gcfproc^cnen 9Bortcn ni(^t bleibcnbc
3lusbrucfe6formen unb immer roieber gur QBirfeung ju bringenbc
Präger feiner 9Ba^r^cit gefe^en ^at. €r ^at gomic^t bic Slot-
mcnbigbeit empfunben, feinem 95olke ober feinem 3üngcrkreife
einen äufammenfaffenben 9Bortausbrucfe feiner 9Ba^r^cit gu geben,
fei CS für bic mcrbcnbc Qlrbcit bcr ©egenroart, fei es für bic 2luf*
gaben bcr Sukunft. Mc feine 3Bortc unb ©Icic^niffc -^ fclbft
bas größte ©cbot, bas 95atcrunfer, bas 5lbcnbmaf)l — finb aus
bcr ©tunbc geboren unb moöten bcr oorlicgcnben inbioibuelictt
S. ^eiimann, ®togftabt unb SReltgton. 3. Seil. 27
— 418 —
Stotrocnbtgfeeit bienen, ftnb aber nic^t im Slicfe auf eine baucrnb
fortroirkcnbc unb fein Söolk äufammcnfc^Iie^cnbe ^ukunftsarbeit
gcfprot^cn roorbcn, fo geroife mandje oon i^nen im fiaufe ber ©c
f(^icl)tc 5u bauemben ©Embolen feiner 2Da^r{)eit geworben finb, roie
bas 95aterunfcr unb bas 3lbenbmaf)I. Dbrool)! alle feine SBortc
auf gcmeinfames Seben abfielen, liegt i^m borf) bos ©emetnfc^afts"
glcic^nis im fijmbolifc^en 6innc burd)aus fern. *) 3lu(^ bie SReidis*
gottcsgleic^niffe finb alles anbere als SBekenntniffe, bie bauernb
roirlicn unb immer roieber neu bie roedicnbe unb günbenbe ^raft
feiner 3ln^änger ocrfeörpcm unb tragen roollen. 6ie finb für bie ©tunbe
gcfproc^cn, in ber fic offenbarcnb, rid^tunggebenb, forbernb roirlien
motten. Zaty&öß6) finb fie aud) niemals in ber ©efc^ic^tc feiner
Äirt^e als 6t)mbole aufgetreten, obmo^l mandje oon it)nen, mie
ctroo bas ©lei^nis oom oerlorenen ©oI)n, bur(^aus bagu ptten
werben können. €s liegen keine ^Injeid^en bafür oor, ha^ S^fus
irgcnbeinem feiner 933orte burci^ baucrnbe 'JBieber^olurtg unb ®in*
fc^ärfung eine befonbere Sßebeutung gegeben ^ätte. <£t gibt feinen
Süngetn nidjts ©ekcnntnisartiges mit auf ben 2Beg, fonbern er*
mutigt fic gefliffentli(^ äum freien Sieben aus bem ©ebot ber
©tunbe heraus: „QBenn fic cud) nun übcrantmorten mcrben, fo
forget nidjt, roie ober roas i^r rebcn foUt; benn es foU cud) äu
ber ©tunbe gegeben mcrben, roas i^r rcbcn foflt. S>cnn i^r feib
es nid^t, bie ba reben, fonbern eures 95aters ©eift ift es, ber burd^
eu(^ rcbct."
%m fd)immert aut^ burt^, roarum er bas QlDortbekenntnis
oermicbcn t)at. €r roittcrt feine lä^menbe Äraft. <Sx roeife —
bie SJIct^obc ber ©d)riftgelel)rten unb ^l)arifäer fagte t)icr genug — ,
ha^ bie mitgegebene fcftc QBortung gcrabc im cntfd)eibcnbcn 'Jtugcn-
blickc it)re 2Birkung ocrfc^len kann, rocil fic nicl|t in bie (£nt-
fi^eibungsftunbe pa^t, ja bie eigcntli(^ äcugcnbc ^raft bes ißckcnncns
gcrabcju ausft^atten mufe. S)iefc mufe bas ^cic^cn ber Unmittelbarkeit
unb ber aus ber ©tunbe geroac^fencn inneren Slotrocnbigkcit an
*) (Es roärc fretltd) gänjlic^ ocrkcljrt, baraus bcn ©djlufe ju gießen,
ba§ er für feine Sotfi^oft nur bm cinjclncn im Slugc get)abt, an eine
i23olksgemeinfd)aft alfo garniert gebacfjt ^ätte, bemnac^ aud) nicf)t einen
5tusbnidi für gcmeinfames ©rieben unb 2Birken ^ätte fdjaffcn können.
3)as geilen bes SCortbekcnntnijfes ^at anbere ©rünbe.
— 419 —
bcr 6ttrn tragen. 5)ie SBelt ber Formeln, fclbft bcr Icbenbigften,
f^at immer eine lebensfeinbltdie unb ertötenbe 6eite. S)as SDort
als folc^es trägt fc^on bie Senbeng gur ©rftarrung unb 95eräufeer*
Itc^ung in jtc^. €s ift bereits feft geworbene ^ufeenfeite bes Sebens,
bie nie oon feiner ^iinenfßtte getrennt unb felbftönbig gemacht
werben barf. 6onft ift ber tötenbe S8uct)fta6e, ber lö^menbe Sc-
griff fertig. 3)as Seben aus bem lebenbigen ©efe^ ber 5ö3a^r^eit,
aus „bes 93aters ©eift" ift bas (£ntf(i)eibenbe. Qlus i^m fließt
immer neu bas geugenbe QDortbefeenntnis mit ber ^raft organifc^cr
^lotroenbigfeeit heraus.
S)araus ergibt fi(^ — wie beutlic^ ^at ber 9laäarencr bas
gefet)en! — , roie oorfic^tig bie Qfleligion mit ber 2Dertung bcs
feften 9Dortbefeenntniffes für bie ©emeinfdjaft fein mu% 3Bie
taufenbfad} ift in ber ©efc^i(^te ber Qfleligion bas 3Bort bcs Sßxo"
pt)eten 2DirfeIicf)feeit geroorben: „©ies 25oIk na^et fid) gu mir mit
feinem 92lunbe unb e^ret mic^ mit feinen Sippen, aber xf}x ^erj
ift ferne oon mir!" 2Bie ein eroiger ©rbflud) t)at fid^ an bie
SReligiort bie tote '^oxmü unb ber tötenbe ©ucfiftabe gef)eftet, roalir*
lid) ©runb genug, um in unfern Sogen ben ^ampf gegen bie
antife'ft^olaftift^c 95erknöc^erung ber religiöfen 3Ba^rt)eit bis aufs
'Jleufeerftc burd^gufü^ren, unb groar gerabe im SBlidi auf bas 9Bort«
beljenntnis. 5)as oerfeftigte 9Bort ift hk oerfängIi(^fte unb barum
an allerlefeter ©teile fte^enbe ^orm bes ©gmbols, hk erft bann
angeroanbt roerben barf, roenn bie tiefergreifenben unb ber lebenbigen
religiöfen ^af^ri^eit nät)cr ftci^enben formen bes SBelienntniffes in
i^rer überragenben SScbeutung fi(^er geftellt unb anerkannt finb.
5)ds QDort gehört ber ©tunbe unb ber inbioibuellen ©elegen^eit,
bie es immer roiebcr neu gu geftalten ^at. (£rft auf bem hinter«
grunbe ooHgüttigerer ©qmbole barf es, roenn überhaupt, jum äu»
fammenfaffenbcn unb gemetnfdjafttragenben 3lusbrudk ber religiöfen
QBa^r^eit roerben. 2Bir roerben in bem 5lbfd)nitt, hm roir bem
Sßortbekenntnis roibmen roerben, fet)en, roie fc^roierig es ift, ein
roirklic^ gufammenfd^ließenbes unb gu gemeinfamem ©(Raffen fort«
reißenbes ©t)mbol in biefcr ©ppre gu finben. 3Beil es für ben
^lugenblidi unb bie befonbere ©elegen^eit, in ber es ber Wat^t"
^eit einen SBeg gu bal)nen gilt, gefc^affen ift, ftrüubt es fiel) gegen
bie 95erroenbung im gemeinfdjaftbinbenben ©inne, es fei benn, ha%
27*
— 420 —
CS in bcr ^orm oon begriffttj^en ©eftiHaten aus bcm fieben ober
oon iurlfttfd^ 3urc(^tgcfciltcn <paragropt)cn auftritt, ©a kann es
trcfflic^ pföii^wicnltoppeln unb bas Unmögliche mitetnanbcr in (£in-
Iilang bringen, wie ble ®lnt)eltsformeIn ber SRed^tsgelefirten, bcr
Organlfatorcn unb bcr 5:^eoIogen Immer rolebcr ocrblüffenb be»
roetfcn. 9Bell es felbft Inblülbuallfierenb Ift, brängt es auf bic
(Einheit ber te(i)nlfd)»bcgrlfflicf)cn Organlfatlon, nlt^t ober auf ble
(gln^elt unb Einfalt, ble bas ^crrfc^aftsäclc^en ber rellglöf cn Wat^X"
^clt Ift. Stur bcm aus bcr Slefe f(^affenbcn religiöfen ^ü^rcr ift
bas 9Bort nl(i)t nur als lebcnblgcs 95et)tkel feiner Inbblbuatl»
ftercnbcn wirbelt, fonbcrn aut^ als Präger gcmelnf(^aftbct)crrf(^enbcr
SBa^r^elt gegeben. S)le ©clbftbcfd^ränfeung bcs Slajareners frcUit^,
ber role kein anberer ble 0prad)c, unb ble 6prarf)e bcs 95oIfees,
be^errfc^tc, gebietet in jebem '^aVi äufeerfte 95orflcf)t unb Surück««
Gattung. S)ie ®cfd^l(^te bcroelft, ha^ jebe SRcIlglon, bic bas QBort»
bekenntnis an eine bc^errfc^enbc ober gar ble erftc 6tcIIe rückte,
in Scrfplltterung unb ©treltfuc^t ^inabgefunken unb an bcr ^itlk
bcs 3ii^ioti>"ums äugrunbc gegangen Ift. Vestigia terrent!
^n bemfclben 9Ha§c hingegen, In rocldiem ^efus bcm formu«
Herten QBortbckcnntnts ben Eintritt In feine roerbenbe 9lcl(^sgottes-
arbelt oerfagte, ^at er feinen Jüngern eine anbcre ^orm bcs SBc*
kcnhtnlffes für ble Ocmelnff^aftsmclt, ble er fdiaffcn roolltc, auf
ble ©celc gelegt: 5)as 93ekenntnls ber Zat Gr kann ]idj
nl(^t genug barin tun, fle äu ermahnen, bafe fie ^anbelnb feiner
QBa^r^eit eine ©äffe bahnen. S)as bckanntefte unb bcäclt^ncnbftc
2Dort nac^ biefcr SRic^tung Ift blcfes: „^f)v fclb bas Slc^t bcr
QBcIt (£6 mag ble Stabt, ble auf einem 95crge liegt, nlc^t oer*
borgen fein. 3Han jünbct aud^ nlc^t ein filc^t an unb fc^t es
unter einen ©c^cffel, fonbcrn auf einen Scuct)tcr; fo leuchtet es
benn allen, ble Im ^aufe ftnb. 2ttfo laffct euer filc^t leuchten oor
ben ficuten, ha^ fle eure guten 9Bcrkc fe^cn unb euren 95atcr Im
§lmmcl prelfcn." S)as ift eine ^Jo^n^ i>es 95ckenntnlffcs, ble auf
bic ©cfamt^eit berechnet ift, bic bas 93olk sieben unb blnben, bic
alten leuchten foß. S)ie Qtabt auf bcm 93crge unb bas Slt^t Im
§aufe — fie bebeuten mct)r als eine Offenbarung für ble ©tunbc
unb einen 2lnfpom für ble InblolbucUc ©elegcn^cit, fie roollcn
bleibcnbe unb untcrf (^leblos allen geltcnbc 6i)mbolc ber rolrken-
421
bcn QKa^r^clt onbcutcn. ©tc Zat aus bcr ^aft bcr QBa^r^cit
^at für tf)n offenbar bic ftörkfte unb keinem 2BanbeI untenoorfenc
geugenbe Sebeutung für bte QBa^r^eit. QBo^I birgt auä) bic
2at, roie bas 213ort, in fid) eine lebensfeinbli(^e nnb ber Crftarrung
gugeroanbte ©eite: bas Oetue ber ^{)oriföer ift »on i^m fc^arf
genug gegeißelt roorben. 2tber als fc^affenbe 5at bleibt fie
beut Zentrum ber SDa^r^cft immer fo na^e, hQ% aud) bcr ein*
fac^fte 3nenf(f) mühelos i^rc Scf|t^eit burc^fd)aucn kann. 3^^^
ftc^tbaren ,5'^üc^tc unb bcr ©eruc^ bes ©c^roeifecs unb ber 9lot,
ber i^r anhaftet, lö^t fie fc^ncU, leicht unb fic^cr oon ber ©c^ein-
tat unterf(^eibcn, n)äf)rcnb bas QBortbefeenntnis leitet bur(^ ©e=»
f(^icklid)tieit, ^ompliäicrt^cit, ®Iattt)cit unb «Pathos äu Säuft^ungen
mi^braud^t ujcrben kann. S)ie Sinfolt ift bas ^ennäcic^en jeber
c^ten Sat. 5)icfc €rfal)rung ift fo allgemein, ha^ barübcr kein
9Bort roeiter ocrtorcn gu roerben braucht. SJer t)anbelnbc 9Hcnf(^
ftet)t bcm Urgrunbe ber ©inge immer nö^cr als ber rebenbe.
2Dot)l tritt auc^ bic Sat, menn fie ec^t ift, ftets inbioibucll
auf roie bas 9Bort, ja bas untcrfdicibet fie oon allem gcfcöli(^cn
Sun, bas nad) einem allgemeingültigen 6(^ema arbeitet : fie fliegt
eben aus htm lebenbigcn ©cfe§ bcr SDa^r^eit, bas ooUenbet
eint|citli(^ unb botj^ immer neu gcftaltenb ift. ®arum fal) ber
Stagarencr in bcr Zat bas ©emeinfdjaftkenngcidinenbe unb *binbcnbe,
bas ©gmbol feines 93olkcs. Surc^ bas alle fiebcnscntroicklung
umfpannenbc 3Deltgeric^tsgleicl|nts l)at er bicfc'il)rc bic ©emein*
ft^aft fqmbolifierenbc ®cbeutung klar herausgehoben. 3)as ^enn«
5ei(^en ber in feinem 95olkc fi(^ ocrrolrklii^cnben eroigen 9Bat)rt)eit
liegt in bcm, roas „i^r getan ^abt an einem unter biefen meinen
gcringften SBrübern". ®ic Sat bcr in bic Siefc greif cnben fiicbc
ift bas fc^le(!)tt)inigc, für aUe Reiten unb ©clcgcn^citcn gültige
^Bekenntnis feines 95olkcs, bas bic ooEe 9Bat)rl)eit roerbenb gum
Slusbruck bringt unb alle Sitten überfpannt. ©ie ift bas ©emein-
fd)aftsglci(^nis xa-c's^oxVjv. gt)re roic^tigftcn ©runbmerkmale, bic
mir noc^ einmal herausgeben roollen, madjcn fie bagu. ©ic ift
juerft oon einer nic^t metjr gu überbictenben €infa(^f)cit unb
3lllgcmclnocrftänbllc^kclt. ®ic ©cfjranken ber (£ntroick=»
lungsftufcn, bcr 93ölker unb ©prac^cn, bes 3lltcrs unb bcr ©ilbung
gibt CS für lt|r ©erftäubnis nfc^t. Sic allbcl|crrfcl|cnbc ^raft bcr
— 422 —
rcligtöfcn 9Da^rI)ett finbet ba^cr in ti)r bcn ooUgütttgcn Slusbrucfe.
6te fte^t fobann, in roeldier ijorm fiö immer auftritt, bcm innerften
fd^öpferift^cn funkte aller lebenbigen religiöfen SDa^rtieit
ftets glei(^ no^e. ©ie flicht immer aus bem £lucllpunkt bes
Scbens. S)ie roirkenbe Zat ber Eingabe roirb fofort roirKungs«
los, wenn jie gur äußeren ^orm erftarrt. ®ie ©d^eintat ftreif^t
über bie Oberflöi^c ba^tn. Stur bte TOirklit^c Siebe fafet in bie
3Iiefe. ©ie allein ift fcfjaffenbes unb QDiber^aü roedienbes Seben
im ^öd)ften ©inne. ©ie ift batjer brittens roirktic^ gemeinfd^aft»
bilbenb. ©ie kann nur in ber ©emeinfct)aft leben unb fct)Iie^t
ba^er jebe rein perfönlicf)e Frömmigkeit aus. ©ie ift im üoEen
©inne bas lebenbige ®Ieid)nis ber ©emeinbe. Sas ^Bekenntnis
ber Zat ift besl^alb öiertens bas allein üollgültigc ^Bekenntnis,
roeil fie bas oollenbete religiöfe (Erlebnis oorausfe^t unb
umfofet. 3^^^ anbere '^orm bes SBekenntniffes kann, roic etma
bie ©gmbole ber lut^erifd|en Äircl)e, bie legte ^usreifung bes
religiöfen Srlebniffcs »ermiffen laffen. ©ie Zat allein ift bas
©gmptom unb ba^er bas ©^mbol ber mirkenben religiöfen WaJ^X"
t)eit in it)rer ooEen 5lusfaltung. ©ie roitt fünftens aud^ nirf)t nur
einen oorl^anbenen SBeftanb tjüten unb beroaliren. ©ie ift oielme^r
äcugenbe ^ekenntniskraft im Pi^ften ©inne. Dilles in
allem: fie ift bas SBekenntnis.
Um biefes ©gmbot aller ©gmbole gruppieren fid) alle anberen
formen bes 95ekenntniffes l)erum, um oon i^m il)re ©ültigkeits*
kraft 3u empfangen, '^üx fidt) attein finb fie roert-« unb roirkungs»
los. ©ofern fie in bie ©ppre ber roirkenben Zat hineinragen,
erhalten fie fieben unb £icl)t. . 3luf biefen ^ufontmen^ang roerben
mir ftets adjten muffen, roenn mir bie Fülle ber religiöfen ©gmbojle
burd)f(^reiten. ©ie roerben aUerbings um fo mannigfaltiger, je
roeiter fie fiel) oon it)rem 9Hittelpunkt, ber unmittelbar fc^affenben
2^at, entfernen. Um fo notmenbiger ift es, fie gang feft on biefen
SHittelpunkt gu knüpfen, um hit innere (Einheit irt i^rer Sötannig»«
faltigkeit gu magren.
2atföcl)lic^ kennt fcljon S^fus eine ärocite Form bes SBekennt*
niffcs, bie im engften gufammen^ange mit ber erften unb grunb*
legenben auftritt, freilid) keinesroegs fie erfefeenb ober fic^ gleid)-
roertig unb felbftänbig neben fie ftellenb, obwohl feine Äirc^c fie
— 423 —
t^r übcrgeorbnct f)at. 9Btr meinen bas Bekenntnis gu itint
felbft. €6 ift bcftannt, ba% bicfe ^orm bes Bcfeenntniffes in
fetner ^trctjc eine grofee 9loUe gefptett ^at, wnb äroar int 6innc
bcs SHcifters mit ooüem 3lec^t, \o geroife es in bie fc^merglic^ften
35cränfeerli(f|ungen hineingeraten ift.
(Er t^at fie oon feinen Jüngern geforbert unb i^r bie gleiche
(Entft^eibungsferaft für bas Snbgeric^t jugefpro(i|cn wie bem g3e*
Kenntnis ber Sot. „3Der nun mic^ bekennt oor bcn aUcnfc^cn,
ben roitt idj bekennen oor meinem f|immlif(^en 95atcr. 9Dcr mid)
aber oerleugnet oor ben SHenfdjen, ben roill id) auc^ ocrieugnen
oor meinem f)immlifd)en 93ater." *) S)as Bekenntnis su i^m als
Präger ber 3Da^r^cit ift i^m offenbar als roirkcnbc ^oft für
feine 2Bat)r^eit unb als (Erkennungsjeic^en feines 93oIkes fe^r
n)irf)tig geroefen. »Ji^eilid) ift es niemals bem le^tlicti entfcf)cibenben
Bekenntnis ber Zat gleid^juat^ten, fonbern gewinnt burc^ bicfcs,
b. \). wenn es als Satbekenntnis auftritt, erft B5irkungskraft. „€s
werben nid^t alle, bie gu mir fagen: ^err, ^err! in bas Himmel-
reich kommen, fonbern bie ben ^Bitten tun meines 95atcrs im
Himmel." S)iefer QBitte kann burd)aus o^ne irgenbroclc^cn be-
raubten 3ufammenf)ang mit feiner iperfönlid)keit erfüllt werben
unb ift rein als erfüllter Xatroille entfc^eibenbes Bekenntnis, darüber
^at bas ©leic^nis oom 9Beltgericl)t, bas gerabeju biefen %aü als
ti)pifcf)en ^eraus^ebt, keinen S^'^ifßl gelaffen. Hö^cr als alles
Bekennen gu i^m felbft ftet)t i^m bie alles entfc^eibenbc Sat.
S)as ^inbert aber nicf)t, t>a% eben biefe Sat in ber ^orm
bes Bekenntniffes ju i^m felbft für it)n oon größter Bebeutung
ift. H^cr offenbart fic^ roiebcr eine ganj tiefe Kenntnis ber 3«-
fammentjänge bes menf(^li(^en fiebens, gcrabe fofern es ©emein»
fc^aftsleben ift. 2Bo fiel) bie fc^neibcnbe B3at)r^eit in bie QBelt
^ineinbo^rt, roo fic^ unter ber B3u(i)t bes fit^ anba^nenben unb
burt^fe^enben religiöfen Urerlcbniffes bie beiben 3Bege fc^arf oon-
einanber fdieiben, ha gruppieren fic^ bie 9Zlcnfc^cn, nic^t roie groci
burd^ eine ©d^eiberaanb auscinanbergctrennte innerlich gleichförmige
9Ilaffen, fonbern in ber 5lrt, ha^ fic^ ein lebenbiger, um einen
*) Bergl. btc parallele Suc. 12. 8—9, blc noc^ objcktioer klingt,
unb bie weitooUe ^oppelparallete Suc. 9. 26.
— 424 —
Selllicrn fid| roäc^stümlic^ aufammcnfügcnbcr Organismus in
eine ouscinanbcrfaHenbc SHaffc ftcrbenbcr (Etnjcläcllcn f)tneinf(i)icbt.
S)a5 2Da(^6tümIt(^c bes ©ottcsrctc^es forbcrt bte ^Jonn bcs reli«
glöfcn Scfecnntnlffcs gu einem tebenbigen 2Ba^r^ettsträget. QBcll
has Qr)n(bol bas Icbenbtge ®Ietrf)nts ber ©cmetnbc fein rolU,
borum mu§ es ble ^orm bes Selienntnlffcs ju einem lebenblgen
ijü^rei annehmen. S)as Ift in bei 3lellglon5gefc^l(i|te immer
rolebcr bcutllc^ ^eroorgetreten. 3" ^orlnt^ ftrltt man m um ben
3|lann, gu htm. man flc^ bekennen rooUte, unb ^aulus t)atte ^öc^fte
Jlot, ben ^ellenlfttfc^en ^nbblbuallsmus burc^ ben „rechten SHann"
äu überrolnben. 9Bo Immer neue formen rellglöfer SBltbungcn
lebenblg geworben flnb, Ijaben fle einen 3Hann auf ben 6cf)llb ge«
^oben, ber l^re befonbere 9iBal)rI)clt lebenblg oerliörperte. 3" ^^^
aieformatlon ^at, man fld^ niemals um ble formulierten SBeliennt*
nlffe gef(^art, fonbern um ben Snann, beffen roa^rlieltocrfeörpcmbe
^aft man fpürte.
5lu^ ^ler offenbort ft(^ mleber, bafe ble rellglöfe 2BaI)r^elt
feein ©gftem Ift, bas aUenfc^en organlfatorlfc^ pfammenfaffen feann,
fonbern ein lebenblges ©efe^, bas organlfc^ flc^ burt^fe^t unb nur
In organlfc^en ©ebllben leben feann. 9lur In ber lebenblgen €ln»
^elt bes ajlenfc^cn feann es flc^ rolrfefam oerfeörpem, nlc^t In be*
griffigen Äonftrufetlonen. ®s fü^rt bte 2nenfc^en um einen
lebenblgen 31llttelpunfet gufammen, ber In feinen Sebensr^r|tf)mus
^Inelnäle^t ober äcrftörcnb unb jcrfcöenb abflögt; es bllbet ©c»»
melnben, nlt^t 93erelnc.
6oI(^e tebenbigen 3nittelpunfete entftel)en nur bann, roenn
ber ©efamtroat^stumsprosefe bes Sebens bafür reif Ift unb bagu
ärolngt. ©le ungeheure 93crantn)ortung, ble In ber rettglöfcn
iJü^rerfc^aft Hegt, feann feein noc^ fo begabter, genialer, unloerfaler
©elft tragen, es fei benn, ha^ er mlUenlos In fle ^Inelngegmungen
rolrb, oon Innen ^er burd^ überrodttlgenbe Berufung, oon au^en
Ijer burc^ ben foglalen 'S^anq bes Sebens. ©er ©rö§te ber ®rb«
geborenen f)at oor blefer 95erantroortung gegittert unb fle oor ber
Oeffentllc^feelt mit allen 3Illtteln oon flc^ abgefc^oben, bis l^n ble
Slot ber QBa^rl^elt gu l^rer Qlnerfeennung groang. Stur Im engften
3üngerferelfe t^at er fle offenbar gunäctift auf fld) genommen, bis
er Im legten Cntfc^clbungsanfturm fle ber oollen Ocffentllt^feelt
425
gegenüber anerkannte. (£5 ^anbelt fic^ beim ^lajarener alfb
fteinesrocgs um ein ^errfc^enrooUen, bas, roie bei SHo^ameb, auf
5lnerliennung perfönlic^er ^nfprüdie brängt, fonbem um ein ^ü^ren-
muffen, bas fic^ unter bie ^ö^ere STlotrocnbigkeit bes 9Bat)rt)eits-
bienftes beugt.
©iefer 3Dat)r^eitsbienft forbert für bie ©emeinfc^aft bie 95er-
fiörperung bes eroigen ©efeges burc^ lebenbige 95crtreter. Äeine
Clnljcitsformel kann erfegcn, roas nur in lebenbigen SITenfti^en
roirlifam oerliörpert werben kann. 5)ie aßgemeingüttige fiet)rformct
^at S^fiis feinen Jüngern oorent^alten, nic^t aber bie 95erant-
roortung, burd) i^re eigene ^erfon bie SBa^r^eit barguftellen, bie
er i^nen anoertraute: „5Ber eud^ ^öret, ber t|öret mid^; unb rocr
eu(^ oerac^tet, ber oerac^tet mii^, roer aber mic^ oera(^tet, ber oer*
ad^ttt ben, ber mii^ gcfanbt t|at" ©ie religiöfe 9Baf|rtieit roirkt
alfo nic^t fort burd^ bie ^rabition ber fie^re — fie ift ein totes
©eleis — , fonbem burc^ bas oon 9ncnf(f| ju 3nenf(^ überfpringenbc
unb fortgeugcnbc ©cfe^: „2Bcr bicfer ©eringften einen nur mit
einem SBec^er kalten ^Baffcrs tränkt in eines Jüngers Flamen,
roa^rlic^, id) fage euc^, es roirb i{)m nid^t unbclo^net bleiben." *)
S)araus ergibt fi(^ nun aber unmittelbar, ha^ bas ^Bekennt»
nls äu bem lebenbigen SDertreter ber 2Bat)r^eit niti^t gleic^bebeutenb
ift mit ber Anerkennung bcftimmter ^räbikate, bie feine ^ütjrer*
f(^aft begrifflich oerfeftigen. ®as ^Bekenntnis au bem S^riftus ift
etroas oäüig anberes als bie Anerkennung einer beftimmten
(£^riftotogie. S)icfc bebeutet oielme^r fc^on ein ^inübergleiten bes
SBekenntniffes aus ber ©pPre ber lebenbigen 2at in bie ©p^äre
bes ertötenben ^Begriffs. S)afe fi(^ bas Bekenntnis in ber ©c«
f^i(f)te ber Äirc^e mit bem äune^menben 95erfatt ber lebenbigen
religiöfen 2Bat)r^eit hain cntroickelt ^at, ift bekannt. 5)ie c^riftolo*
gifc^en SBekenntniffe finb keine €t)riftusbekenntniffe me^r. 3"
bemfelben 3Ilafee, roie bie unmittelbare ©egenroärtigkeit feines
fiebensgefeges bal)infc^roanb, rouc^fen bie i^m beigelegten ißröbi-
kate gu ben ftanen fiinicn eines oerftcinerten ©ögenbilbes empor.
Aus bem lebcnbig roirkenben ®t)riftus roarb ein gefpcnftifc^es
*) 93erg(. bie Ausführungen über bie fortjcugenben A3irkungen
bes fteltoertretenben Seibens. "
— 426 —
begriff Itc^es 'ip^ontom, gubeffcn^üfecnftd) bic fogenännten ©laubigen
bcn unroürbigften Orgien ber 6treitfud)t, bcs SigcnroiUens unb
ber 'SInmafeung t)ingaben. ©as lebenbtgc ©efc^ aber, bas nur
ber organifcJ)en (£inf)eit bes lebensooUen Cfiaroliters entftrömt,
niemals aber aus ftanen fiinien einer begriffli(i^en Äonftrulition
geholt roerben kann, ^atte fi(^ aus ber QUelt gurücfegegogen unb
roirkte ^ier unb ha nur noc^ im ©tiüen fort, auf ben 31ugcnbliöi
roartenb, in bem es aus einem neuen ^eimpunfet, b. f). in einem
neuen Icbenbigen 95ertreter, ans Sic^t treten könnte.
5)as Bekenntnis gu bem lebenbigen Vertreter ber 9Da^rl)eit
bebeutet gami(^ts anbercs als bie entfd^Ioffene ^inke^r gu i^rcr
roirkenben Äraft in bem ^rogefe ber 6(i)eibung, ben fie in bie
9BeIt hineinträgt. (£s ift ba^er nur bort angebracht, wo biefer
©(^eibungsprogefe bereits im ©ange ift unb oon ben bereits buxdf
bie 2DaI)r^eit Ergriffenen bie ootte Eingabe forbert, bamit er fit^
immer klarer unb entfc^loffener burdjfege. S)iefe ijorm bes 93e-
kcnntniffes ift bal)er immer Zat, ha fie ftets ijeinbfc^aft heraus»
forbert unb ^ampf entfacht. ®in ^Bekenntnis äu ß;t)riftu5, bas
biefe QCirkung nid)t ^at, t)at kein 3le(^t auf biefen SJlamcn. *)
5)as fonntäglidie ^erfagen geroiffer ^räbikate in einer ©ptjäre,
in ber kein SÖIenfd^ anberer SHeinung ift, ^at garnitf)ts mit bem
SBekenntnis gu tun, bas 3cfus forbert. 5lber in einem Staats«
leben, in bem aßes auf ben sacro egoismo fdjroört, es öffentlich
fagen, ha% biefes trofe atter d)riftlid^en 93erbrämung undiriftlic^
fei, unb fict) entfc^Ioffen ouf bie Seite bes SHenfi^^citsbieners ftetten,
bas ift eine '3lrt bes SBekenntniffes, bas Z^\us forbert.
Unb groar ift feine lebenbige ©eftalt als bie Verkörperung
bes praktif(^ forbernben fiebensgefe^es bas ®ntfd)eibenbe. ^n ber
legten ^Jorberung ber religiöfen 9Da^rt)eit, ber unbebingten ^in«
gäbe, ift fie fo eint)eitlid), einfach unb burd)fi(^tig, ha^ fie oon
jcber Stufe ber ©ilbung unb bes Sllters unmittelbar erfaßt roerben
*) ©05 fog. ^ctrusbekenntnis t)at garmt^ts mit einem Bekenntnis
im ©tnne 3efu tun, rotrb aud) In ben Soangelten mit keinem SCort als
foId)C5 In ^nfpruc^ genommen. Ss Ift ber Slusbruck ber auflcucl)tenben
©rkenntnls über blc Bebeutung bcs SHelftcrs, rolrb aber oon blefem fo
mcnlg als SBekenntnis oor ber Oeffcntlld)kcit geforbert, bafe er es gerabeju
oerbletet, barübcr 5U fprcctjcn.
— 427 —
kann. Was btefcr SHann wollte, borüber tft in ber 9Hcnf(f|^ctt,
foroeit flc et)rttc^ roar unb ntct)t tt)re 3c^tnftin!ite ^Intcr rcligiöfcn
SSerbräntungen oerbergen wollte, nie ein gwcifel gerocfen. 0loi^
^cutc roeife jeber 3lrbciter, foroeit er guten SBillens ift, roas Zt\us
oon Slagarett) rooUte. Sqs SBelienntnis gu i^m auf biefe urein«
fac^e entfc^eibung, auf bie int ^rogefe ber roirlienben 2Ba^rt)eit
alles anitommt, äurücfegufüfjren, bas ift bie 2lufgobe. 2lUe djrifto*
IogifcI)en Debatten finb Sort)eit unb QSerfd^Ieierung ber in 3ß|w5
unmittelbar greifbar oerfeörperten 9Ba^rt)eit.
S)a§ uns aus ben Srbentagen biefes Sebens fooiele ©puren
ert)alten finb, ift t)öc^fte 2Do^Itat für ben roirlienben ^Ba^r^eits*
bienft. 5)ie ©ültigfeeit ber eroigen SDa^r^eit pngt oon biefen
©puren nic^t ab. SDo^I aber ert)ätt i^re roirkenbe^raft burc^
fie eine ^örberung ohnegleichen. Xrofe aller ©(^roierigheiten ber
gef{i)i(i)t.li(i)en Ueberlieferung leuchtet ^ier aus ber ©eft^idjte ein
lebenbiges S;t)ara!iterbilb oon einer €in^eitli(^kcit unb (ginfalt
l^erüber, ta^ i^m für bie lebenbige 95crf{i)rperung ber eroigen
9I3at)r^eit f{i)Ie(^terbings nidjts an bie ©eite gu ftetlcn ift. $ier
ift ein ©gntbol oon einer nid)t me^r gu überbietenben äufantnten*
faffenben unb roirfefamen ^raft. §ier ift bas in einem anft^au*
lidjen Qebm oerfeörperte lebenbige ©letdjnis ber ©emeinbe.
©(^lagt es immer neu unb immer reiner t)erau5 aus bem ocr»
roitterten ©eftein ber ©efcf)ic^te, ha% es allen leuchte, bie im §aufc
finb! ^s ift fo, roie ber oierte Soangelift fagt: 9Ber it)n fietjt,
ber fiet)t ben 95ater ; unb er fietjt i^n nid)t Uo% fonbern er füt)It
unentrinnbar feine gietjenbe unb @ef)orfam forbernbe ^raft.
SHiemals roirb bie ©emeinbe auf biefes ©gmbol in i^rer
roirkenben unb roerbenben 2lrbeit oeräid)ten können. €s ift bas
koftbarfte ©efct)enk, bas bie ©ef{f)i(i)te i^r ^interlaffen ^at. 95on
ben 5tnfängen ber ct)riftlid)en ©emeinbe ^er ift es auc^ roirkfam
gerocfen. 5)er lebenbige ^err, b. ^. feine eroig roirkenbe 2Dat)rt)eit,
ift huxdj bies ©gmbot feines einheitlich * anf(i|aulid)en irbifc^en
e^arakterbilbes in bie QBelt eingeführt roorben. ©elbft ber 5tpofteI,
bem attes barauf ankam, ha^ „ber ^err als ber ©eift", b. ^.
als bie eroig roirkenbe 933a^rf)eit erfaßt rourbe, ^at nic^t auf bies
anf(^aulic^c Crbenbilb oergic^ten können. €r f)at feinen ©emeinbcn
„e^riftus 3efus cor bie 3Iug^n gemalt, als roäre er unter i^ncn
— 428 —
gcfircustgt." ^reiltc^ Hegt, rote rotr gletc^ fe^en roerben, fein §au|)t»
oerbienft für bte ©tjmbolbilbung in ber Slebugierung bes ooUcit
Scbensbtibcs auf bcit sentratcn "ipunfet. Srofebem rolrlit aud) in
feine 95erMnbigung bas in ben fpäteren Soangelien ausführlich
gegelc^nete fiebensbilb beutlic^ hinein, aüerbings als einheitliches
(£t)aralitcrbilb, nic^t oIs SBiograp^ie. Senn bas ift bas Cntfc^ei-
benbe in ber Stellung bes lebcnbigen Ur(^riftentums gunt ,I)ifto-
rift^en 3^fit5", ba^ biefcr immer nur als ein^eitlid)e Sebensgrö^e,
als in fic^ gefct)Iof[ene SBillenspotenä, niemals als ©umme ge*
fcfjit^tlic^er einjeläüge in ©etract)t kommt. 5lUe Singelfieiten finb
nur ^lusftra^Iungen eines gefc^Ioffenen Sf)arafeterbilbes, bas, roo
immer es angezogen roirb, als unmittelbar oerftönblic^ unb oer«
traut be^anbelt roirb. Sliemals ift bas 95ilb ^t\u ©egenftanb
bes ©treites ober bes S^J^ifcts geroefen. 5)as ift bem Zeitalter
ber „^iftorif(^en ^orfd)ung", für bas bas (£t)araliterbilb 3cfu, oon
ber Parteien $a§ unb ©unft oerroirrt, roie feaum ein anberes in
ber ©ef(^ic^te fc^roanltt, faft unoerftänbli(^ geworben, ge^rt aber
ha, roo nocf) ein 9left urfprünglic^ d)riftti(f)en Sebens oor^anben
ift, aud) l)eute no(^ gu ben ©elbftoerftSnblid^lieiten. 9Do nur ber
„9tame S^fus" genonnt roirb, fü^lt bas unbefangene ©emüt
unmittelbar ben Äomplej oon 9Dillensimpulfen, ber bamit um«
fc^rieben ift.
S)as ift nun freilid) in ber €ntroidfelung bes Urrfiriftcntums
balb anbers geroorben. 5lus bem SBefeenntnis ju ^^\U5 rourbc
unter bem 5)ru& ber inbioibnaliftift^^fpefeulatioen gcrfe^ung bas
SBeKenntnis gu beftimmten ^räbikaten, bie feine einzige ^ütjrer*
fteHung ficf)ern foUten. Stoc^ nic^t bei ^aulus ! ©eine S^riftus*
fpefiulation ift in keiner QBeife an irgenbroel(^en kämpfen, Zweifeln
ober apologetif(^en ^ntereffen orientiert, ©eine unbefangene prall«
tifc^e ©tellung gu ber Sö^iwfc^aft bes SHeifters ^at no(^ ben
Waffifc^en ©aö geprägt: „Sliemanb kann 3cfus einen §erm t)ei§en
o^ne burc^ ben ^eiligen ©eift," b. f). o^ne bie ooüe prafetifcf)e
Ergriffenheit oon feinem lebenbig gegenroärtigen Sebensgefe^. 5lber
in bie ^cUeniftifc^en ©(^riften — ben ^ebräerbrief unb bie Johanne«
ifc^en ©c^riften — roirkt fc^on fe^r ftarfe bie 3lnerfiennung ge»
roiffer fpefeulatioer ^räbifeate ols 95orbebingung ber rechten ©tettung
3u (S^riftus hinein, ©as cin^eitliclie, klore, unmittelbar rolrkfame
— 429 —
6^tnboI tritt in bcn ^rojefe ber ^lltersgerfcöung ein. S)cr S^riftus
bcr 6gmboIe prt me^r unb mc^r ouf, lebcnbtg roirlicnbcs ©gmbol
gu fein. 3^ i>^nt Snafec, roie er fid| oon ber Zat ber prafetifd)en
3BiIIen5entfrf)eibung für bas üon i^m ocr&örpertc fiebcnsgcfe^ los*
löft, ftirbt CS in fi(^ felber, in fo ooUtöncnben ^Borten es aud^
bal)crf«^reitet. 3ßfus felbft kannte nur bas 95efeenntnis ju i^nt
ot)ne alle erläuternben 2lttribute. S)abei wirb es für alle Seiten
bleiben muffen. ®onft ftirbt bie Icbcnbig roirfeenbe Äraft bicfes
6t)mboIs unb mit i^r bie QBa^rtjeit, bie es oerkörpcrt. S)ic iJorm,
in ber 9Hattt)ias (£Iaubius feinem ©o^n ^o^onnes bas c^riftlic^e
SBeltenntnis aufs ©eroiffen legt: „®e^e ni(^t aus ber 3BeIt, o^nc
beine Siebe unb ®^rfur(i)t für ben 6tifter bes S^riftentums burc^
irgenb etroas öffentli(^ bezeugt gu ^aben" ift bis ^eute bie allein
ooUgüItige unb cd^te ^Jorm bes ©cfeenntniffcs gu 3cfu5. »Gurc
Siebe fei: 3a, ja! 9lein, nein! Was barüber ift, bas ift oom
Uebel."
5)ie ©efa^r nömlid), bie biefer ^orm bes ©efeenntniffes fc^on
roeit näf)er liegt als bem Bekenntnis ber Zat, ift bie ber 95er-
öufeerlid)ung unb bcr fiostöfung oom lebcnbigen ^^^cnpunkt ber
QiDatir^cit. ©clbft bas anfc^aulic^fte unb ein^citlid)fte S^arakter*
bilb ift bo(f) fd)on Slufecnfcitc unb ocrfeftigtc ^orm bes lebcnbigen
©cfcfecs, bas CS ocrkörpert. Sritt es nit^t in unlösbare unb
attegeit roirkfame SBcäie^ung gur lebcnbigen Zat, roirb es für fic^
befte^enber ©cgcnftanb bcr 3lnerkcnnung unb 95cret)rung, fo ift
ber 3Bcg äum ©ögcnbilbc fc^on bcfdirittcn. 3lückt bas OSekcnnt*
nis äu einem lebcnbigen 95crtrcter bcr 9Ba^rt|eit aus bcr 6p^ärc
bes 3Dillcns aud) nur in bie alleinige Spl)üre bes ®efül)ls hin-
über, bann ift bie 25eräufecrlicf)ung unb «rftarrung bur(^ ben rein
bcgrifflii^cn 3ntcllcktualismus unoermciblid^. 5)ic 2Barnung 3«fu
oor bem „$crr«§err»fagcn" ift nur gu berechtigt, ©ein ©(i^roeigen
über fic^ felbft unb fein ©(^ickfal unb feine bcfliffcnc ©leicfigültig-
keit gegen bie Slufbcroa^rung bcr Sinjeläügc feines fiebensbilbcs
f)at gute ©rünbe. ®s ift ein roenig beachteter, aber fe^r beac^tens*
roerter gug ber ©efc^ic^tc bcr erften brci diriftlic^cn 3al)r^unbertc,
t>a^ man eine 93cranfc^aulic^ung bes irbifc^en fiebens 3cfu burc^
bie 9Hittel ber barfteHenben Äunft offenbar oermicb. ©ic 5lb-
neigung ber monot^ciftifc^cn 9leligipnen gegen bcn Bilbcrblcnft
— 430 —
gcl^t grocifellos auf btefcn S^ftinW gurücfe, bie SHeligton xtot t)off»
nungslofcr 95cräufeerltd)ung gu fd)ü§en.
ein großes 93erbtenft in bcr ®d)affung ber gerabcgu asfee«
tifd)en ©tellung bcr urd)riftli(f)en i5i-*öntmigfeeit gu ben Sinselsügen
bes Sebcnsbilbes ^ßfu ^öt fte^crlid) bcr 3IvoftcI 'ipaulus. g^m ift
bos lebcnbigc ©cfefe, bas bas ficbcn bcs SHeifters tjerfeörpert, bie
alles be^errf(^cnbe §auptfod)e, (£r ^at bas ©öongclium 3efu in
bas QBort com ^reug oerroanbelt unb baran fc{)r rec^t getan.
Sroeierlei \)at er baburd) erreicht. ®r t)at bie 9Ba^rt)eit an bas
Icbenbige Silb 3efu geknüpft unb boct) i^rc urfprünglicf)e (Sinfact)«
^cit gewährt. 5)a6 grofee Stirb unb ^Berbe liegt für i^n in feiner
ooUen Xiefe oerfeörpcrt im Slobesleiben (S^rifti. „2Dir prebigen
ben gefereugigtcn S^rift" (l.^or. 1. 23), barin ficljt er gegenüber
aller ^Deltroeis^eit ben erfd)öpfenben '^rü)alt ber religiöfen 93ot*
fdjaft. *) SBis auf ben heutigen Slag ^at bas ©ijmbol bes ^reuges
feine urcinfact)e, unmifeoerftänblirfic, unmittelbar mirkfame unb bas
©ange ber religiöfen 3Da^rt)eit ausfdjöpfenbe 95ebeutung behalten.
(Es ift bie kongentrierte ^orm bes ©^mbols; bas bas Sebensbilb
bes 9Hcifters barftellt. (Es ift n)ict)tig, biefen 3ufammcnt)ang feft=»
gu^alten 5)enn losgelöft oon bem lebenbigen (£^arakterbilbe 3efu,
oerroanbeltfit^ bas ^reug in ein ^ödiftunlebenbiges, erftarrtes begriff*
Itc^cs <p^antom, um bas fi(^ bie lebensfrembeften @ebttnkenfr)ftemc
*) ©s ift nid)t richtig, roenn man in bcr gormung „bcr (Sckreu*
äigtc unb Sluferftanbcnc" eine S>oppcUatfac^e fiet)t. Slls ber
©efereuäigtc ift er für i^n rote übert)aupt für bie (i)riftU(^c grömmig*
ficit ber croig Scbenbige. ©as Äreuj (£t)rifti roie fein ganjcs ©rbenbilb
ift bas 6qmboI ber croig roirkcnben SBalir^eit. ©as tritt beutlii^ genug
anä) in ben ©riefen bes SIpoftels ^eröor. greilid) ^at bicfer, roie früher
ausgeführt rourbc, bas unöcrgänglirfjc Scben bes §errn burd) bie gcfc{)id)t«
Üd) gefaxte S:otfa(^e ber ^tuferfte^ung ftd)cr fteUcn ju muffen geglaubt
unb baburc^ eine foIgenf(^rocre llnfid)ert)cit in feine Sftcligion bes ©ciftes
getragen. 6o tritt immer roieber bei il)m ber 2Iuferftanbcnc neben btn
©ekrcuätgten, roäl)renb tatfäc^Iirfj audf für if)n bcr lebcnbigc §crr unb
ber ©cfereuäigte incinanbcr liegen. (£I)riftu5 lebt in it)m, unb jroar bcr
S^riftus, bcr „i^n geliebt unb ft(^ felbft für i^n bargcgcbcn ijot." ®cr
©ekrcuäigtc ocrkörpert als folrfjer bas croig lebcnbigc ©cfcö, bas it)n in
feine W.a(i)t gcgogcn f)at. (Er ift bcr lebcnbigc §crr, unb jroar kraft bcr
in i^m root)ncnbcn croigen 933a^rt)eit5ma(^t, nid)t erft burc^ bie angeblid)
gcfc^ic^tlic^ barauf folgenbe 2lufcrftc^ung.
— 431 —
I)crumranfeen. S)te ®ef(^tci)te ber (^rtftltd^en Spekulation ^at bas gc»
tiugfam berotcfcn. "Jln bte ©teile ber lebenbig roirkenben QBa^rtjctt
tritt bic begrifflich ocrKIaufuIiertc ^eilstotfac^e. Scfion bie ^reujes«
fpeltulationen bes 3IpofteIs geigen bie ©efa^r ber gefefeli(^en €r*
ftorrung, bie in b'er Soslöfung bes ^reugcstobes oon feinem leben«
bigen ^intergrunbe fd)Iunimert. ^reitid) niirb bei it)nt felbft biefer
©efo^r nod) bie SDoge get)alten burd) bie anwerft lebenbige SBe-
jic^ung, bie bos Äreug S^rifti gur roirfeenben Zat ber ©egenroart
^ot. ©as. „3c^ bin mit et)rifti gefereujigt" gibt für it)n biefcm
©gmbol bie unlösliche 58cäie^ung foroot)! gum anf(f)aulid)4eben=«
bigen Silbe C^rifti roie auc^ gur eigenen Sebenstat. 'gür i^n ift
CS bos ooUgüItige ©gmbol ber roirkenben 3Ba^r^eit gemefen, für
bie ^irc^e nur gü oft bas ©gmbol ber erftorbenen unb erftarrten
^roft St)rifti. Söerfeörpert es nidjt für bie ©egenroort bic^erum«
roerfenbc unb gur S:ot ber Eingabe gmingenbe ^roft bes allejeit
roirkfamen ftelloertrctenben fieibens, roirb es ^um Sräger ber einmal
ooUgogenenftelloertrctenbenöenugtuung — im I)eibnif(i)en 6inne — ,
bann ift fein ft)mboIifd)er Q33ert erlofc^en. Gs ift bann oon bem
lebenbigen ^^nenpunfet ber roirfeenben religiöfen QBa^r^cit los*
gelöft. (£in untrüglid)es ©ijmptom für biefe Soslöfung ift es auci^,
roenn bas Ärcug feinen bie religiöfe QBa^r^eit für bie ©c»
meinbe oerfeörpernben S^orafeter oerliert. S)ie inbioibuttliftif(f)e
Frömmigkeit oertrögt fict) nidjt mit biefem roie überhaupt mit
keinem ©gmbol. 5)os roirkenbe ^reug ift im tiefften ©innc fojtal
binbenb, roie auc^ bas Stjarakterbilb 3efu, auf beffen ^intergrunbc
es oupeud)tet. Stur als ©leic^nis ber tötigen ©cmctnbe ift
CS vollgültig.
5tllc ©timbolc behalten nur inforoeit QBert unb ^aft, als
fic in bie©p^äre bes ©t)mbols aller ©^mbote, ber felbftlos fc^affenben
Sat ber ^öingobe, hineinreichen unb aus it)m i^r Sebcn gießen,
um es febft immer tiefer in bic bunte Sötannigfaltigkeit bes fiebcns
^incingutragen. 3^ weiter ein ©^mbol in bie Sßelt ber fic^tboren
formen ^tneinrückt unb bo^cr gunöc^ft nur auf 3luge unb
©cfü^l roirkt, befto notroenbiger ift es, feinen 3wföntmenl)gng mit
ber roirkcnben 2at unb ber fct)affcnben ©emcinbe auf bas ©org»
fältigfte gu root)ren, ja es nur bort gu oerroenbcn, roo biefer 3^*
fommen^ang unbcbingt fic^ergeftellt ift. 2Bir fprac^cn fc^on pon
— 432 —
ber ^oufc unb bcm ^tbcnbntü^I, btc fiut^cr in rld^ttgcm Ocfü^l
für t^ren bictbenbcn 6gmboIn)crt oIs fogcnanntc öaferamcntc feft*
gehalten f)atf unb bte mit nun als ®t)mboIe füc bte rotrfienbe
2Da^t^clt in bcr Wut bcr tjonncn ganä cntfc^Ioffcn fcftäu^altcn
^abcn, TOeit fie nit^t nur am 9Infangc unb am ®nbc bes fiebcns*
bitbcs 3cfu fielen, fonbern genau fo roic bas ^cuj fein innerftes
©efeö lebcnbtg ocrkörpcm. 9Hit bcr Saufe 3^1" ^f^ f^^ne SBc-
rufungsftunbe, ble i^n gum Präger bes ewigen 9Dat)r^eitsgefeöe5
machte, unauftöslir^ »crbunben; bas grofec ©tirb unb 3Berbe ber
3ncnf(^t)eit, bas in it)m crftmalig in feiner allumfaffenben Oröfec
nnh Siefc roirlifam warb, ^at burcf) fie ben (Einäug in bie 2BeIt
gehalten, ©as 3lbcnbma^I aber bringt, fo geroife es junädjft ganj
inbioibueü bcm engeren 3üngerfereife galt, bie Sat feines fiebens
unb bamit bas ooHc religiöfe Erlebnis in unoergöngtidtjcr, urcin*
fac^er unb roirfefamcr ©^mbolik gum 3lusbrucfe. SBeibe 6gmboIe
verlieren aber — mir muffen t)ier auf unferc früheren ^lusfü^rungen
jurüdirocifen — i^ren QBert für bie ©cgenroart, wenn fie nic^t
in unaupslii^er ©ebunbenf)eit an bie tötige Oemeinbe unb bie
<Pfti(^t ber gegenroörtigen ©tunbe auftreten. Sie fogenannten
^eiligen ^anblungcn ber feat^olifc^en — unb leiber aud) n)citt)in
ber eoangelifd^en — ^irctjc, bie mit bcr ©emeinbe im beften '^aU^
als $uf(^auenbcr unb gefüt)Ismäfeig ergriffener ©röfee rechnen, t)aben
ben roirlienben ©^mbolrocrt fo gut wie gang oerloren. S)ie Saufe
ot)ne bie fi(^ gur t)eiligcn (Erziehungsarbeit oerpftid^tenbc unb biefe
faktifc^ uncrmüblic^ ausübenbe ©emeinbe, bas ^bcnbma^I als
opus operatuin ober als 3ufid)erung für ben einäclncn o^ne bie
fic^ als ^anbelnbe fiebensein^eit bcroä^renbe ©emeinbe fjaben auf*
gehört, ©^mbolc ber roirlienben 9Ba^rI)eit gu fein. Saufe unb
5lbenbma^I muffen immer bas lebenbige ©efeö ber Eingabe mirk*
fam in bas Sieben tragen, fonft erftarren fie jur äufeerlit^cn ^orm
unb regen ^öc^ftcns bas ©cfü^I an, anftatt ben QBitten mit neuer
®ntf(^loffen^eit eingufpannen. <3r)mboU bulbcn keine rein cr-
Icbenbcn 3uf<^aucr, fonbern oertragen fi(^ nur mit ^anbclnben
anenfd^en. 6ie finb au(^ nic^t aufrieben mit gefühlsmäßig er-
griffenen (gingelf eclen, fie können nur leben in bcr f cf)affcnben ©emeinbe.
Uebrigens ift mit biefen uns aus ber 93ergangent)eit über*
kommenen f^mbolifc^en formen bcr Umkreis ber ©^mbole, bie;
^ 438 r-r
als äußere ^orm auftreten, nlc^t erfc^öpft. SBte bas relifllöfc Ur*
gcfeö bos gotiäe fieben burc^bringt unb tn ftd| ^tneinaie^t, fo
fc^afft es ouc^ auf allen ficbensgebieten ijormen, in benen es fic^
fptegelt unb burc^ bie es fic^ roteberum burc^äufegen trachtet. SBts
^In äu bcm ©au bcs Kaufes, In bem bte ©entetnbe fic^ oerfontmeIt>
unb äu bem ^ricb^of, auf bem i^re ©Heber gebettet werben, foU
in ber 9BeIt ©ottes aUcs feinen ©eift atmen unb feinem fieben
bienen. 2Dir roerben im ijolgenben einen 95Iicli auc| in biefen
weiteren Umftreis ber ^emeinbef^imbolik tun. ^i^Ji^^r ober mu|;
feftge^alten werben, ha^ o^ne bie lebenbtg frfjaffenbc ©emeinbe
oUc ijormen gu Prägern oerfc^roebenber ©efü^Ie ober ju leeren
hülfen werben. S)ie SBefeenntniskraft entfc^cibet über i^ren 2Dcrt,
nic^t bie 95elienntnisgemöfet)eit. .Ö^torifc^er Slntiquitätenbrang unb^
pebantifct) nac^atimenbe Korrektheit finb in ber 9BeIt ber rcligiöfen
©^mbolc nicf|t berechtigt.
9Bir fe^en nun auö) beuttid) bcn ^laö, an bem allein bas
formulierte 9Bort als ©gmbol auftreten kann. 9lur auf bcm
^intergrunbe ber fc^affenben ©emcinbe ^at es ^Berechtigung. 3lls
lebenbiges ©leic^nis bes corpus S^rifti barf es ollcin auftreten^
Sine ©ammlung oon fie^rftüeken, bie nur ber gefc^ulte S^eologc
kennt unb burdjfc^aut, ^at garkeincn ©^mbolwert. <£in Symbol,
bas erft auf Umwegen an bie lebenbige ©egenmart Ijerangebrai^t
werben mufe, ^ört auf, ©gmbol gu fein. €s mufe unmittelbar in
hzn fiebensftrom ^ineinwirken. (£s ift bekannt, ha^ neben bem
freien 9Dort ber ©tunbc — bem in ber QBortoerkünbung immer
ber 93onang gebührt — bie djriftlidie ©cmeinbe feit i^ren Urtagen
auc^ bie fefte, fogenannte liturgifc^e ^orm bcs ^Dortes gefuc^t i^at.
9Bie fc^wierig es ift, biefe Icbenbig gu ermatten, bürfte fic^ in ber
^atfac^e fpiegeln, ha% in ber eoongelifc^en Kirche gerabe unter ben
3Henf(^en, bie einen lebenbigen ijunken ber 9fleligion fui^en, bie
5lbneigung gegen ben liturgifc^en 2eil bes ©ottesbienftes fo gut
wie aUgemein ift. S)ie wirre 3ufammcnfteQung oon liturgifd^en
©tücken, bie etwa bie SÖIeffe ber katl)olifc^en ^rcf|e barftettt, bürfte
bas ooUenbete ©egenteit bes wirkcnben 9Bortfi)mbols fein, unb
oon bcn mit „l)iftorif(^cm 6innc" äufammengcfteHtcn ©ottesbienft-
orbnungcn ber coangelifdien Kirt^c kann man getroft bas ©leiere
behaupten, ©erabe in i^rer fct)iftorifc^en" 3ufammcnftoppelung
8. ^eitmann, Gttfgfiabt unb Sleligion. 3. Zeil. 28
— 434 —
treffen ftc immer an bem pfr)<i)oIogtfrf)en «Punkt oorbci, an bem
bic tötige ©emetnbc rotrlifam gefaxt werben feann. 9lur ble rolrli*
Itc^e Kenntnis ber Stot unb 2trbett, in ber bic heutige grofeftäbtifc^e
©emcinbe lebt, kann ju ben fcften ijo^men führen, bie oon bem
gerriffenen 91ufeenleben in bas S^ntrum religiöfer Sebcnsgcbunben«
t)cit unb -frei^eit führen, ©iefes fiepte aber in QBorte äu faffen,
bic äuglei(^ allgemcinoerftänblic^, fogial gufammenfd^lie^enb, bos
gange religlöfe Erlebnis umfaffenb unb lebenbig roirfifam finb, ift
eine fet)r ft^roierige, aber bod^ unumgängliche ^lufgabe, an ber jebes
gettalter feine SBekenntnisferoft neu erroeifen foU. 3" ^^m ®rabe,
mle ber (gin^eitsmille, ben bie 9letigion forbert, fi(^ burdjgefe^t
t|aben mirb, wirb bie Äraft jur »Jormung burd)f(^Iagenber ©tjmbole
roac^fen, roie anbererfeits bas S^italter bes rabifeolen inbioibua*
Kftifc^en QBillens auc^ in Sejug auf bie 6^mboIbilbung mit oöfliger
Unfruchtbarkeit gefcl)lagen mar.
Alternats barf bas Woxt, feine 2(ncrkennung unb feine ge*
füt)Ism(lfeige QBirkung ©elbfigmeck rocrben. 3^nmer mufe es aus
bem flutenben fiebensftrom ber ©emeinbe geboren fein unb oorroörts«
bröngenb, fdjöpferlfd) auf i^n äurückrairfecn. S)ic Sat ift unb bleibt
bas erfte unb bas le^te 6^mboI, aus bem attc anberen erroat^fen
unb um has fid) atte bienenb t)erumf(^aren.
^
2. S)te ratrkcnbe 3:at.
9Btr treten nun tn bas tnnerfte Heiligtum bcr Sleligion, in
ben ftillen Tempel ber ft^offenben Zat S^oft rotö es uns oIs
(£ntn)clt)ung erf(^clnen, bafe rolr oon i^nt reben muffen, benn In
i^rtt felbft I)errfd)t bos göttltcf)e ©c^roetgen. ®te ct^te Sat gle^t
t^ren 9Bcg burd| bte erotge 6ttUe. Z\)x Oefdjret t)ört man ntii^t
auf ben ©äffen. 6ie geprt einer anbern 3BeIt an als bte „'^atm",
tjon benen bte 9Henfd)en rütjmenb fprerfien, bte tn ®tetn getjauen
unb tn ®ü(^ern aufgegetc^net ftnb. ©te 3:oten ber ^elb^erren, ber
5)t(i)ter, ber Grfinber, ber Röntge unb dürften ber irbtf(f|en SBelt
^aben ntdjts gu tun mtt bcr Sat bes reltgtöfen 95elienners. 3^
tt)rer ®pt)öre metfe bte Itnkc §onb nidjt, roas bte rechte tut. S)arum
gebot 3cfus fetnen Jüngern, ilber fetne Säten gu fd^mctgen, roctl
bte rotrfeltc^e Sat rootil rotrfet, aber ntd)t laut fprtd^t.
(Ss ift btes bas entfdietbenbe 2Befensmerkmal ber 3!:at tm
reltgtöfen ©inne. SBtr muffen es ba^er tn fetrter gangen SBebcü»
tüng l)erausftcllcn, gumal ba bte ^tr(^e es tm Saufe bcr ^atjv
taufenbe immer ftörtier öerbünfielt, ja rocitfjin gang ausgefj^aftet
t)at. ®er SRagarencr ^at ftcinen Sw'ßifcl baran gelaffen, meld^er
2lrt bte 2at fei, bte er oon feinen Jüngern als Bekenntnis forbertc,
3il)re SBo^nftötte liegt im Verborgenen. „S)er 95ater, ber ins 95er*
-borgene fie^f^ kennt fie allein unb kann fle beurteilen. 93or bet
heugierigen, e^rfüditigen, fenfotionslüfternen £)effentlid)kett oerbirgt
fie fid| gefltff entließ. S)as orme QBeib, bas ficf| am ©otteskaftcn
borüberf(^leid)t, um i^re gange ^a^i ^ineingulegen — fie ift bie
95erkörperung ber eckten ^at ©omett reidjt il)re Verborgenheit,
ba]5 fie bis ins Unberoufete ^inabfinkt. „©crr, mann ^aben mir
bic^ hungrig gefe^en unb i^ätten bic^ gefpeift?" ift bie erftaunte
^ragö ber magren Säter. S)ie aber ooll rü^menben ©tolgcs ^in»
mcifeit auf i^re Vekenntnistat«n gu i^m: „§abcn mir ni(^t in
28*
— 436 —
bclncnt Stamcit oiele Säten getan?" werben bos ©erid)tsn)ort
I)örcn: „3<^ ^öbc eu(^ nod| nie criiannt, weichet ollc oon mir,
i^r Ucbeltäter!"
®cnn bie Zat int retigiöfen ©inne ift bic 'S.at ber öollenbetcn
Scibftlofiglteit. 3^^^ ^^if^ SBiflensregung, bic auf ©eltung gc*
richtet ift, bie oor ber 9BeIt glöngen mödite, tötet fie in it)rem
Äcm. 2lu(^ bic ana^nung: „Saffet euer Si(^t Icu(^tcn cor bcn
ficuten!" roiberfpric^t hem ni(^t 3)cnn bicfes fieu(^ten f)Ot gar»
nid^ts gu tun mit bem ©lang ber (£t)rc oor ben 9Henfd^en, fonbern
CS gleicht bem Scuc^tcn bcs 3lbenb^immcls, bas nur ein ^Ibglang
bes großen ©cftimcs ift, fo ha% bie 2nenf(^cn oor it)m ftillc rocrben
unb ben eroigen ©d^öpfer loben. 60 bicnt alles ficud)ten ber
9Berfec nur bem alles bet)crrf(i|enben gtel, »ba§ fie euren 95ater
im ^tmmel preifen." (Es lä^t bie 9nenfc^en unb i^rc fieiffungen
oöQig ocrgcffen unb lenftt bcn 95Iidi nur aufwärts gu ber unoer«
gSnglii^cn fiidjtquctte. §icr liegt bas ©e^eimnis ber rcligiöfcn
SBcfeenntnistat, bas fie oon aüen Säten, bie oon SHcnfc^cn fo ge«
nannt roerben, unterf(^eibct: fie tä^t bic 9Henf(^cn gang in bcn
©chatten treten; fie ift bie Sat ber Slamcnlofcn. S)ic c(^tc 9flcli*
gion kennt keine gefeierten gelben, keine aiutjmes^allch unb keine
gepricfencn 95orbilbcr. 6ie kennt nur roirkenbe Sätcr.
^cinc 95orbilbcr! 91od| einmal muffen roir ^icr, biesmal
oon bcn legten ©runbfäöen ber 3flcligion aus, uns mit i^nen aus*
cinanbcrfc^cn. S^fws oon Stagarett) \)at kein SDorbilb fein rooHen
unb icbcn Sobpreis feiner felbft 43on fic^ gcroiefen. ©clbft bem
trcul)cräigcn 9Hüttcrlcin, bas, oon feiner ©röfee übcnoöltigt, i^m
äuruft: „6clig ift ber ficib, ber bi(^ getragen t)at, unb bie 95rüftc,
bie bu gcfogcn ^aft!" ruft er fd^roff ablc^nenb gu: »9lein, feiig,
bie bas 9Bort ©ottes ^ören unb bcroa^ren!" €r roeife nur gu
gut, i>a% hinter icbem berounbernben 2luffd)aucn bic Eigenliebe
unb bic eigene Eitelkeit lauert, ©pürt man ni(^t I)inter Jenem
fd^roärmerif(^cn 9Bort ber 95ere^rung nur gu bcutlid) ben aUgu
mcnfc^lic^cn ©tolg eines fclbftif(^ mütterlich cmpfinbenben öcrgcns?
©afe er in biefcm funkte felbft ber ^rau gegenüber, bcren (Emp*
finbcn er fonft fo nat^fic^tig entgegenkam, kein SHai^gcbcn kennt,
bcrocift bcn unerbittlichen Srnft, mit bem er alle jjormcn ber 95c»
rounbcrung oon fi(^ roeift. ©olangc ber Eigcnroillc unb bic (Eigenliebe
— 437 —
bas fieben bc^errfc^cn, fuc^t es 95orbtIbcr, an bcncn es ftc^ ht*
tauftet, ergebt unb cmpotäte^t. *) S>a§ ben jugcnbttcl)cn ^Icjanber
bas 95orbUb bes Slc^tfles nlc^t fc^Iafcn Hefe, tft nur ein SBctocts
bafür, bafe in it)m ein unbönbigcr ^c^brang lebte, ber ben- ^ett«
eroberet f(^uf. Z^\ub uon Stagoret^ roor fertig mit biefer €nt-
roicftlungsftufe. (£r roar größer als 3IIejonber. 3^^ feiner 6:pt)ärc
gibt es roeber 25orbiIber noc^ nac^eifernbe 95en)unberer, benn in
it)r ift ber Sdli^i^önö i>cnt roirfeenben ©ottesroiHen gereiften, ©eine
3:at roiU roeber 95en)unberung nod^ Slad^eiferung roec&en, fonbem
ben ©e^orfam unter Oottes QßiUen fc^offenl 3" ^^^ ©pt)äre bes
nationalen fiebens gibt es gefeierte gelben, beifaHsumrauft^te
®rö§en, ^od^gepriefene 95orbiIber. 3" i>cr ©p^öre ber 9leIigion
gibt es nur fc^öpferif^e SBa^nbret^er filr ben göttlitj^en QBiöen.
9Bie f)at bie ^r(^e bas ouf it)rem langen (gntroicfelungsroege
oergeffcn! 9Das für einen roelttidjen §elbententpert)ot fie fid^ ge»
baut, ben fie anfüllte mit il)ren legenbenumroobenen 3n(irtr)rem,
mit i^ren angefe^enen ^rd)enoätem, mit i^ren ^oc^gepriefenen
©ottesftreitem unb Set)rem! Unb fie t)at nitf|t gemerkt, ha^ biefe
9lut)mestempel nidits waren als bie fteinemen ©rabmonumcnte,
unter benen bie lebenbig roirifeenbe 'Zat oermauert lag. ©ie t)al
ben eroig lebenbigen §erm felbft in bies ©rab gebettet, inbem fie
i^n mit ben ^öc^ften ^räbiliaten umkleibete unb it)m uncrmüblic^
^reis unb S^re bdrbracl|te. 3^ ^öt)er fie i^n aber pries, je weiter
feine göttlid^en (Eigenf(j^aften in ben ^immel emporrouc^fen, befto
eitler roarb fie felbft in i^rem Streben, befto el)rfüc^tiger rourben
i^re g5ertreter, befto roeltförmiger i^r Scben. S)ie ©taffei ber ?lttri»
bute ^^rifrt ift ber fit^erfte gjlafeftab für bie 95erroeltlif^ung feiner
^irc^e geworben. S)ie C^renleiter ber römifc^en §ierarc^ie unb
bie ©d^ar i^rer ^eiligen f)at fi(^ um bie lebcnbige S:at tjerum*
gelagert unb it)re ft^affenbe ^a\t t)offnungslos erfticlit. ®er 3"*
biläumsbrang unb bie ^elbenoere^rung ber eoangelifdjen ^irc^e
aber finb i^ren ©puren nur ju balb gefolgt. 95ielleic^t ^at kein
©efc^lec^t ber Sat ber Sfleformation fo fern geftanben, roie bas
©efc^lec^t bes 9leformations}ubiläums unferer Sage. 3ln 95orbilbem
*) S)a^er f)abcn bie SBorbitber i^re ©ebeutung für bie ©tufe bei
reifenben (Entroi&lungsio^re. *
-TT 438 —
fe^tt es n)a{)rlicf) aud) ber fiut^erfiird)e nic^t, i^rc fcfiaffcnbe 2at oder
liegt iömmcrli(|| am ©oben. Sie €^rc biefer QBelt ift auc^ für
ble in ben ^(^ften Sönen i^re 95ergangen^ett6^elben unb =»Ieiftungen
prctfenbe eoangclifd^e ^irt^e has roii^ttgfte '31nlicgen geroorben.
S)a^ fte itwas gelte in ber OeffentIid)lieit, ha^ man jie anerkenne
unb e^re, barum ift fic S:ag unb 9la(i^t beforgt, bafür treibt fte
Qlpotogctife, oeranftaltet fie 9Haffeniiunbgebungen, bearbeitet fie bie
treffe unb merkt nt(f)t, ba^ itjre (Btjre immer tiefer finfet, meil fie
ben felbftlofen Sienft bcs ©ottesroillens oerlor. 3^ ^cn 9Bett>»
krieg jog fie weniger in ©orge borum, bafe fie i^re geroiffen*
metlienbe unb ^eilenbe 5lufgabe nidit üerfäumte, fonbern allein
unter bem ©efictitspunlit, ha^ and) fie an ber allgemeinen (£^re,
bie man burd) ben 'Ärieg gu erwerben ^offte, i^ren 5lnteil er«
:^af(^te. ©ie ^at nid^t empfunben, ha% ber 5)rang i^rcr Söcrtreter
noc^ militärifdjen (gtjrengeidien fie gerabe unter bem kämpfenben
§cer bem iJ^ud^ ber 2äd)erli(^keit auslieferte. S)enn nirgenb ift
ber ©tun für bie C(i)te Zat, bie in ft(i) felbft oerleugnenbem Sienft
fttll itjxm 2Beg ge^t, fo lebcnbig rote unter f(^roer kömpfenben
unb letbenbcn aUenfdien. 5)ie ^ofe in feber ^orm ift immer bie
ft^Itmmftc ^einbin ber magren 9leltgion geroefen.
^lucf) bie oerfteckte 'ipofe, unb gerabe fie! .€s gibt aud^ in
ber ^irt^e ein gef)eimes kokettieren mit 9Bot)ltätigkeitsfinn, ©emut,
"2lrmeleuteintereffe, SBefc^eiben^eit, bas immer ben richtigen klugen»
blick abgupaffen roei^, um oom Sic^tftra^l ber Deffentlic^keit leifc
geftreift gu werben. 3nit 95ekennertum l)at es ebenforoenig gu
tun wie bas laute ^Bekenntnis gu „3cfus C^riftus, bem ein*
geborenen ©o^ne ©ottes, ^oc^gelobt in (£roigkeit." ©ie ^cufc^*
^eit ber erf)ten Siebe ift bas (Empfinbliclifte, roas es gibt. 2Ber
fie nur gang teife, für bas oberflächliche 2luge nict|t ficfjtbar, oer*
le^t, trifft fie tiefer als ber grobe ^ral)ler mit feinen c^riftlic^en
3:aten, wie auc^ bie oerfteckte fiüftern^eit oiel gefäf)rticf)er ift als
ber grobe fitttid|C 95erftofe.
Stun aber ergebt ftc^ bie ^rage, roie benn bie 2at, bie ge*
ftiffentlic^ bas Sicl)t ber Oeffentlic^keit meibet, gum ^Bekenntnis
ber roirkenben 9üaf)r^eit roerben könne. 2Hufe nicJjt gerabe altes,
roas wirken roiH, bie ftc^tbare ©eite bcs Sebens fu(f)en? 3efus
oon Slagaret^ ^at bekanntlich auc^ oor biefer ^rage geftanben,
— 439 —
oIs t^n ber 95erfucf)cr Quf bte Sinken bcs Tempels führte. 3(6ct
er \iat fit^ bort für bcn 3Beg ber 95erborgcn^eit cntfc^Ioffen. 2Dtc
kam er bogu?
3n bret ©runberlicntitnlffen über bte totrkenbe ^raft ©ottes
liegt bte 9BuräeI bicfes ®ntfct)Iuffe6. 0tc liegen roo^I ineinaitber,
kommen ober gu größerer ^Iart)cit, wenn man fte gefonbert bc*
trachtet. Srftens: ©ottes Äroft roirfit immer oon innen
t)er, Qus ber 2DeIt bcs u.nburd|bringti(^en ©et)eim*
niffes. „(Er roo^nt in einem fiidjtc, ha niemonb zukommen
kann." S)iefe Satfac^e ift taufenbfac^ erfat)ren unb ausgefproc^en
TOorben, and) oom SHajarencr. „9liemanb kennt ben SDoter, benn
nur ber 'oo^n", b. t). ber aus ber Sliefe feines 3Befens get)eimnis-
oott ©eborene unb SBerufene. ©Ott offenbart fic^ bo^er niemals
an ber 3lufeenfeite bes Sebens. S)er „in ber §öf)e unb im §eilig«
tum rootjut", fteigt Ijernicber äu bencn, bie gerfditagenen ©eiftes
finb, gu ben Unbekannten unb Unmünbigen. S)en „QBeifen unb
klugen" bleibt er oerborgen. ©as S^ttöW^i^» ^ös in ber äußeren
SBet)errfc^ung bcs Sebens bas roi(^tigfte 9tnliegen fie^t, muß ba^cr
gottlos fein. 9leligiös lebt es in „ijinftcmis unb ©diatten bcs
Sobes." S)at)er ift auc^ bie ^oc^gcpriefenc „Xat" im mobemcn
6inne bas konträre ©egenteil ber Zat im rctigiöfcn ©innc.
Unfere großen ^Jclb^erren, Srfinbcr unb fiebcnskünftler ftet)en als
foldjc auf ber oon ©ott abgeroanbten ©cite bes Sebcns, fo gcroife
in ben meiftcn oon it)nen no(^ ein €di(^en ber ^raft gc^rt, oon
ber au(^ fic ausgingen. *)
S)iefc ©runberkenntnis über bas 2Defen ber roirkenben ^aft
©Ottfes groingt bagu, bie rcligiöfc 93ckenntnistat in bie ©p^örc
bes Verborgenen gu legen. Senn nur in i^r konn ber SDillc
©ottes roirkf am unb feine 3Baf)rt)eit lebenbig merben. Slur rocnn
bem 9Henfc^en bie Zat oom ©unkcl bes ©el)eimniffes umfüllt,
aus ber Slarfit überrafj^enb cmportau(^enb begegnet, wirb fic oon
it)m als roirkcnbe unb übenoältigenbe ^raft ©ottes, als 9Bunbcr,
erlebt, ^lllc religiöfcn 9laturen finb fid) Ibarin einig, ha^ it)ncn
©Ott fo begegnet ift, als gratia praeveniens, als unoerbicntc
*) 92lan fpric^t oon ber oerborgencn „2nijft{fe". Oft ift es aud)
ein merkn)ürbiger Aberglaube. *
— 440 —
fitcbc, qIs ge^clmnisooflc Äroft. 2Dcnn btc ö^nb eines unbefeonntcn
SÖlcnfc^en fic^ uns entgcgenftreclit, wenn l^re SBerocggrünbe fic^
fc^Iec^terbtngs bem 5luge ber Oberfläche entätc^en, rocnn ble Sat
uns als uncrfelörlit^e Siebe begegnet — bann, bann gang allein
rolrlit fte geugenb unb übergeugenb für ble grofee 9Ba^rt)clt, ble
rolr ©Ott nennen, für ble objeiittüe ©röfee, ble nlc^t fragt naä)
3Ilcnfc^engunft, ble l^re ©onne oufge^en löfet über ble SBöfen unb
über ble ©Uten.
S)arum, roenn bu Siebe üben rolllft, tue es um ©ottesroitlen
nlcf|t Im 9Xamen einer menf (^tl(f)cn (£lnrl(i|tung, au(S) nld^t Im
Flamen ber ^rt^e, tue es niemals gu eines SHenfd^en ®t)re, erft
re(^t nlc^t $a beiner (B^re, \onhem tue es fo, ha^ ber, h^m fle
gilt, nlc^t merkt, mer fle an l^m übt, unb nlc^t roelfe, warum fle
geübt rolrb. S)ann bcfeennft bu bld^ gu bem, ber beln Seben über*
röanb, unb srolngft ben ju l^iit ^In, ben bu für ll)n überrolnben
rolUft. ®ann Ift belne Zat bas Bekenntnis, hinter bem bas ooUe
rellglöfe (Erlebnis ftet)t, unb bas roleberum öuf bas t)otte rellglöfe
(Erlebnis ^Inbröngt: „5iaes aus ©nabcn unb für ©ott allein! "
5Dle :^at ble Älrd^e bot^ bas QCefen blef er fifjaffenben S:at oer*
ftannt! 3^^cm fle auf alle l^re ^anblungen l^ren ©tempel fe^te,
um fld) In ftetcr (Erinnerung bei ben SHenfdien gu erhalten unb
auf blefe QBelfe für flcl| gu „roerben", ^at fle ben ©ott oerleugnet,
bem fle bleuen foHte, ^at fle ben ^ft abgefägt, auf bem fle felbft
fl^t. ?lur burd) ble Zai ber Slamenlofen rolrb „fein SHame ge«
t)clllgt." Stur burc^ ble Unbekannten rolrb ber (Eroige bekannt.
Sticht auf ben lichten ^ö^en ber QHöc^tlgcn Unb 3lut)mgekrönten
ber €rbe, fonbern In ber bunklen 6pt)äre ber gerlngften ©ruber
ftra^lt fein eroiges fild)t In ble QBelt ^Ineln.
S^^eltcnS: ©ottes ^raft ttad)ttt nlc^t nac^ rafdjer
S>ur(^feöungroleber(Eroberungsbrangber 9Zlenfc^en,
fonbern fle rolrkt unmerklich fort role ble rooc^fenbe
©aat bes gelbes, ©eine SHü^lcn matten langfam; feine
«piöne flnb langfrlftlger 9latur; feine ^raft fcfet In ber ©tlße Sllng
an Silng role ble 9Dac^stumskraft ber €lc^e. (Es Ift bekannt, bafe
3efus blefe Erkenntnis me^r als einmal gum Qlusbrudi gebraut
unb grunbfööllcl) Immer nac^ Iftr ge^anbett t)at. ©ott Ift für l^n
ber ©äemann, ber gebulblg roartet, nlc^t ber ^crrfc^er, ber ^aftlg
^ ^41 —
ocrgänglic^e SBeltreic^e auftürmt, ©oraus folgt für bie fc^offenbe
Zat, bie In feinem ©ienfte fte^t, unausroeic^ttc^, bo§ fic noc^ fttllcr
©urc^brthgung h^s Siebms von intim tjer trad/tcn mu§. 3cbc
€rfoIgfüc^t Ift bereits 5lbfaII oon ber lebenblgen Qflellglon. 3^rc
Zat milkt In äüljer Srcue Im 95erborgcncn. 6tc greift grunbfäg*
Ilc^ nat^ ben kleinen ©etegen^elten ber ©tunbe, ble fle forgfältlg
(iusnu^t, giert ober nlt^t nad^ großen C;t)ancen. 3" ^^i größten
eturibe ber QBeltgefc^lc^te ^left ^^fus *(£f)rtftus keine Sieben on
ble ancnfd^^clt, fonbem fpro(^ nur SBörte, ble an einen oer»
kontmenen 95erbre(^er unb eine trouernbe 9Hutter gerichtet roaren.
®er ©lenft ber SRuttcr an l^rem ^eranroai^fenben ^nbe fte^t ber
fc^offenben ^aft ber 9leIlglon unenbllc^ »lel nö^er als ber geniale
©c^a(^äug bes ^elb^enn, ber 95ölkerf(^l(kfale entft^elbet 2tu(j^
feine grofec Äunft Ift aus folc^em S)lenft ber SHutter erroac^fen,
ftel)t aber bereits auf ber gottabgeroanbteit <5elte bes Sebens, benn
fle roecfct unb förbcrt nlc^t Keimkraft, fonbem fc^ügt unb fiebert
Im beften %aVit l^re ijnu^t, roenn fle blefe nlc^t etroa, was ebcnfo
oft ber Satt Ift, gerftört.
®le 5at Im rellglöfen ©Inne Ift QKac^stumspflege, jeugenbc
^aft ber Eingabe, belebenbe 2Dlttensencrgle. 6le ftelgt ^Inab; In
ben bunkicn ©c^ofe ber 5lttmutter, um aus l^r Immer neue ^elm^
kräftc ^eraufäu^olen, fle ftelgt nlc^t hinauf auf ble flc^tbarcn ^ö^cn
bes fiebens. e^rlftl fieben ftleg In bas ©unket ^Inab, In ble
^ö^Ien ber SöUner unb ©ünbcr, ble bas fitc^t f ebenen, In ble
flnftem Kammern ber SSeräroelflung, In ble Stacht bes SBerbrec^er-
tobes. ®os mar feine 95ekenntnlstat für ble göttliche 3Da^r^elt.
3n blcfen bunklen Untergrünben ft^Iummern ble tlefften Äelme
bes fiebens, In t^nen oottglelit flc^ bas le^te ©tlrb unb 3Berbe.
SDarum f)at ble ^Irc^e G^rlftl ocrgeffen, baft blefer 2Deg
l^res 9Helfters, ber Ins ©unkel ^Inabfü^rt, ber QBeg bes fiebens
Ift? QBarum arbeitet fle Immer roleber auf fc^nette Erfolge ^In?
3Darum fc^ä^t fle hm QBert lf)rer ©lener nac^ ben SHaffen ab,
ble fle um flc^ fc^aren? 9Barum ftettt fle lf)re Arbeit nlc^t auf
langfrlfüge ^lönc ein? 2Barum ert)offte fle oon ber erften ^egs*
frömmlgkelt einen 5Iuff(^n3ung l^res fiebens? SBleolele (Ent-
töufc^ungen mufe fle noc^ erleben, e^e fle bas ©efeg l^res 9Helfters
burc^fd^aut? QBarum brängt fle In einer gelt. In ber fl(^ taufenb
— 442 —
^ctmferöftc In ber Xtefc regen, nitt rotiber §aft in ble Oeffentttt^»
fieit? 9Barunt oeranftaltct fie Äongreffc unb 9lepräfentattons»
ocrfommlungen, reo alles auf gefammeltc, fttüc 3lrbeit ankommt?
9Barum oerliauft |ic t^re liöftltd)e ^crle an ctn rotib aufflutcnbcs
nationales ©treben, roä^rcnb in ber Siefc ein neues 95oIfe im
€ntftet|en ift? 3" i>cr i^rage fc^on liegt bas ©eric^t. S)as fieben
aber fc^Iuntntert oui^ für fie in ber ©unlielftommer ber SBufee.
2Bänn wirb bie ^irc^e (£t)rifti roieber fc^affenbc Xäter, nic^t be*
rühmte 95ertrcter oIs if)re SBeltenner tjaben?
Siittens: ©ottes ^raft roirlit unbcbingt burc^«
f(^Iagenb unb bis in bie 5:iefcn überroinbenb. ©ott
ift ber ^lUmäc^tige, beffen glitte nic^t auf falbem ^ege ftcf)en
bleibt er begnügt fid) nt(^t mit einem OberfIäd)enfiege. ®r
bringt bis auf bcn ©runb burd^. <Sx ift unerbitttii^ im ©eri^t
unb überftrömenb in ber ©nabe. ®r kann fieib unb ©cele oer*
berben in bie ^öUc unb ftöfet fie bis in ben unterften ^bgrunb
^inab, aber er. gibt aucf) bie ©laubenskroft, ber nid)ts me^r un*
möglich ift. 6ein 3BiIIe gilt immer bem gangen 3}Ienf(i|cn.
„Wit feine $anb an ben ^flug legt unb fc^auet gurüdi, ber ift
ni^t gef^iciit gum 9leic^e ©ottes." 933er mdjt alles oerfeauft,
roas er t)at, roirb nie bie köftlidje ^erle gcroinnen.
S)arum mufe aud) bie Sat, bie biefer ^raft bienen roiU,
burrfjfc^Iagenb unb bis in bie ^liefen greifenb fein, '^a^t fie nur
bie Oberfläche an, fo oerliert fie i^ren religiöfen (£^arafiter. (£iner
glängcnben unb im roelttidien ©inne mac^tootten ^irc^e, bie oon
(Erfolg gu CSrfolg fdjreitet, fe^lt bie legte aCirkungsferaft ber 9le»
tigion. 95on bem erfotgreic^ften aller ^öpfte erjä^lte ber 95olks«
munb — ber ^ier roie oft inftinfttio bie 9Da^rl)eit fprod) — , t>a^
er nur mit fenapper 9lot ber §ölle entronnen fei. Sagegen be*
roeift bas legte 9Bort jenes Cluniagenfers: „^d) ^abe bie ©erec^tig*
fieit geliebt unb bie Ungererfitiglieit ge^a^t, barum fterbe id) in
ber 95erbannung'', ha^ fein ^ampf auf ber fittli(^en fiinic feiner
3cit gelegen t)atte. 3Deil ^^\u ^ampf bis in bie legten liefen
griff, barum mu^te er in bie legten S^iefen öufecren Sufammen«
brucl|S ^inabftelgen. ®er QBeg gum 6iegc ©ottes fü^rt burc^
bas tieffte Sunliel.
9liemals finb ba^er äußere Erfolge bas Slnjeic^en ber ficg^aft
443
anpocfeenbcn^roft ©ottcs. ®rft in ber gong fpötcn ^olge treten
ble |ict)tboren 2Dtrfeungen ans fiict)t. ^m ^lugenbllcti ber an*
gretfcnbcn Sat aber begctc^ncn ?lbte^nung, ^Dibcrfpruc^, ©erac^tung
unb Untcrbrücfeung i^ren 2Bcg. 3Bctl fic bie legten ©runbfeften
crf(^üttert, erbeben bie 2Iufecnn)erfee bes ficbens gu n)ilbcm ^rotcft.
S)er SBeifaU ber SZlenge ift has ©^ntptom ber erftorbenen ^raft
ber 3leIigion. 9Beil fie bas ©ange überroinben roiU, ntu^ fie bie
aHajoritöt unb ben £)berflöcf)enfcf|ein gegen fid) tjaben.
91od) in einem anh^m ©innc mü% fie, roeil fic tfas ©angc
roiU, ins 3)unliet tjinobfteigen. 5)as ©ange bes fo^ialcn fiebens-
fiörpers ift bann no(^ ni(^t gefaxt, wenn fie bie „ntafegebcnben
^cife" für fit^ f)at. Ss ift ein grober S^J^tum ltird)ttd)cr Otrebcrei,
roenn fie hie ©unft ber %üx\tm, ber fieuc^ten ber 2Diffcnfd|aft,
ber bebeutenben 3nänner als 3eid|en ber ^errfdiaftskraft ber 3le-
tigion ausgibt. ®ie ^Berufung auf bie ©timnten ^croorragenber
©cifter ift irreligiös. 5)ann oielnte^r ^at bie ^raft ber 9leßgion
bas ©ange gefaxt, roenn fie bie öu^erften Slbgrünbe bes fo^ialen
Sebens in if)ren 95annfereis gebogen, roenn fie bie „gööner unb
©ünber" auf it)rer 6eite i^at, S)ie foäiate Siefenniirliung ift bas
Äennäeidjen ber Zat int religiöfcn ©inne. Sie Äraft ber aflcs
umfaffenben unb bie legten QUiberftänbe überroinbenben Eingabe
ift bas königliche 'Sdd)m bes Satbefeenntniffcs.
S)cnn bas ift bie gc^cintnisDoIle QBunberferaft ber üöUigen
Siebe, ha% fie atte 3Biberftänbe bricht unb bie legten Stefen er»«
fafet. ®s gibt keinen SBiberfprud^ gegen bte'^bcäroingenbe ^raft
ber Döttigcn ©clbftlofigfieit. ^n hem 2lugenbIi(Ä, in him. ble fit^
ftröubenbe 95os^eit fie öufeerlid) nicberfd)Iägt, bricht fie beren ftanen
SBillcn, fo ha^ er mitten im äußeren ©iege befc^ämt unb über»
rounben bie SBaffen ftrecfet. S)er Sob bes Slagareners unb feiner
3(n^önger erroies fict) als fieg^aftefte Sukunftsferaft, bie biefc i^rc
©iegfjaftigkeit freiließ erft langfam offenbarte, aber eben in i^rem
langfamen Ueberroinbungsäuge and) bas ©ange unterroarf. Ser
äußere ©ieg läfet immer ben unüberrounbenen ©tacket im ^ergen
bes Ueberrounbenen gurück. (£rft ber ficJ) opfernbe ©ekenner fc^neibet
biefen ©tac^el heraus unb oermanbelt i^n in bie Äraft innerfter
Eingabe.
3)as ift bas mirkenbe Satbekenntnis, bas afles be^crrfd)enbe
— 444 —
<3gmbot bcs gSotfees ©ottes. 5)enen, bie es nt^t für ooügülttg
galten ober gor oIs oon fckunbörcr SBebeutung neben ben formu-
lierten „Wrc^ltdicn" 95efeenntntffen gu bcjelc^ncn roogen, gilt bos
©ert(^tsroort bes 9Hetfters: „3<^ ^obe eud^ no(^ nte erkannt,
roctc^et afle oon mir, i^r Uebeltäter."
©lefes ©ijmbot ins Seben gu tragen, tft bie erfte unb oor*
ne^mfte SBefeenntnisaufgabe ber religiöfen ©emeinbe, ber gegenüber
aüe anberen Aufgaben bienenber SRatur finb. ®ie ift oon nic^t
metjr ju überbietenber (ginfadj^eit unb umfd^Iiefet boc^ bie ooHe
21lannigfaltigfecit bes Sebens. 6ie ift bem fif)tid^teften 9nenfrf)en
8ugängli(^ unb kann bo(^ oon ben ^J^i^^^i^ tm ®eifterrei(^e nl<j^t
ausgefc^öpft werben. 6ie ift fo leicht, ha^ fie in jebem 3lugenblicfe
ot)ne alle Sßorbereitungen angegriffen werben kann, unb ift boc^
bie fdjroerfte oon aflen, meil fie ben gangen 9Henf(i|en forbert. 6ie
fe^t keine Kultur ooraus unb Ift bod) Im prf)ften ©Inne liultur=»
fc^affcnb. 6le Ift bie fc^öpferifc^e fiebenstat fc^Iec^t^ln.
5)le "Jlrt, In ber l{)rc Äraft im fieben roirkfam mlrb, bebarf
no(^ einer kurzen ®etro(^tung.
3)le felbftlofe Sat ber Eingabe rolrkt, fo fem fie flc^ aud^
oon ber Oberpödje bes fiebensgetrlebes gu t)alten fud)t. Im ftörkften
Sinne fc^elbenb, 2Blberfpru(^ roedienb, bie ©efü^Ie aufpeltf(^enb,
gur €ntf(^etbung brftngenb. 6le n)lberftct)t bem Inrierften fiebens*
r^^t^mus äumal ber ©rofeftabt unb rolrb barum fofort gewittert.
<£s Ift, als ob In einem kompllglerten Organismus ein oerborgenes
Clnäclorgan feine iJunktlon änbert: bos ©efü^l bes ©c^merjes
ober bes Unbehagens geigt fofort an, ha^ ^ler ein 2Dlberftanb flc^
äuftut. 9Hlt was für einem QBlDenolüen wirb in einer ®pt)öre
Oon ©enufemenfc^en, oon ©efc^äftsleuten, oon ©c^roäöem unb
^ra^Iern ober oon Irgenb einer anberen klaffe felbftfüc^tlger 910*
turen and) nur elnOKenfc^ ertragen, ber gamldits für fld^ bean*
fpru(f|t, als bofe er rein negatlo nid^t mittut! 2Dos für 3nü^e
rolrb aufgeboten, um l^n In ben gleldjen 9fl^t)tf)mus ^Inelngugle^en!
Sie Qlbroe^rmlttel bes gottrolbrlgen Sebens gegen ben fetbftlos
fc^affenben 9Henfd)en flnb tec^nlfc^ bis Ins ^JcM^c burc^gebllbet
Unb In ungegä^Iten formen gur ^anb. 9Blr rooUen l^re §aupt-
kategorlen anbeuten. 3nan übergebt l^n fd^roelgenb, aber fo, ha%
bcutUc^ genug empfunben rolrb: man nimmt lf)n nlc^t ernft.
— 445 —
9Dcitcr ge^t fd^on bas Qtdjfclsudicn: id) oerfte^c t^n ntd^t. €s
folgt bas Säd)cln bcr Ucberlcgcn^ctt: er liennt bte 9DeIt ntt^t.
(Ein ©djittt ift nod| bis t)iit gutn 6pott: feine geiftigen '^äfjig*
fictten reld^cn nicf)t gan^ aus. 9lun fd^Iägt bte 2lbtcf|nung um in
ben pofitiocn 95orn)urf: er ift ein Streber, er ocrfolgt feine ge*
Iieimen fclbftfüditigen ^löne, inöem er Sbealismus unb Selblofig»
lieit oorf(^icbt. ' 9Zlit allen 9HitteIn roirb nac^geroiefen, bafe jebem
menf(^Ii(^en 3Dotten ein felbftfüt^tiges anotit), unb fei es auä) nur
ein oerborgenes religiöfes, gu ©runbe liege, ©c^on ift ber ftärlierc
93orn)urf äur ^anb: er ift ein §eu(^Ier. 3^, nun ert)ebt fit^ laut
bie ainkloge: er ift ein Urnftürgler, ber 6taats- unb ©efeUfc^afts*
orbnung oemeint; er roill bos Untere nad^ oben ketiren. ©ic
„^eiligften ©üter" ber Station rocrben gegen it)n aufgerufen. ®erabe
bie ©tille feines 3BirIicns roiberfprtc^t ber ©runbforberung ber natio-
nalen Gitelfeeit, fic^ felbft burc^jufe^en unb taut gettenb gu machen.
3nwiitten eines gang auf ben 3tt)n)inen eingeftettten fiebens-
getriebes mu^ febes 9Dirfeen im religiöfen ©inne ju ©(Reibung,
SDiberftanb unb ^ampf führen. SBcil bcr innerfte 3BiIIe i^m
entgegenftet)t, ift ber Konflikt unoermciblid). €inen glütjenberen
%a^ gibt es nid^t in ber QBelt als ben bes finnlic^fecits»gefeffettcn
9Zlenf(^en gegen geiftige iJrci^ßit unb fittlit^e 9leinl)eit. ©er gange
ganger ber gefeUfd)aftli(^«'te(^nifd|en ©rftarrung ift nii^ts roeitcr
als ein SJergeroattigungsmittel gegen bie bcm ^c^rotüen entgegen-
ftet)enbe Sebensri^tung. 3cbe ©(^n)ä(^e, ja jebe ©ünbe unb jebes
95erbre(^en oergei^t bie „©efeUfc^aft" it)ren ©Hebern, nur ni(^t bie
©c^roäc^e ber fo^iaten Steigung unb bas 95erbrec^en bes 95ergid^tcs
auf ©tanbesoorurteile. ^er bies „^eiligfte" anrührt, ift gerichtet.
9Ber ben 9Beg ber felbftlofen Sat antritt, barf nie oergeffen, ha^
biefcr 9Beg i^n burc^ nie auft)örenbe SBiberftänbe, Slble^nungen
unb kämpfe füf)rt.
S>iefe (Erfahrungen aber finb bereits bos beutlic^fte ainjeic^en
bafür, ha^ bas Bekenntnis ber ^at mirftt. 3^, nton mu§ fogor
fagen: o^ne folc^e 3Birkungen bes ©c^eibens unb 3lbftofeens ift
bie Zat kraft- unb wertlos, ©ie 93erfoIgungen oon i^ren feinften
bis ju i^ren gröbften iJormen gefjören jum SBcfen bes religiöfen
©ekennertums. 2Der ben ©pott, bas überlegene fiäc^etn, ben ge*
feUfc^apc^en 93ogkott, bie offene ^einbfc^aft fürchtet, ge^rt nit^t
— 446 —
in bie 9let^e bcr 95cfecnncr. S)abct mu^ freiließ auf bcs ©c^ärfftc
betont roerbcn, hQ.% fold^c ^etnbfcligfeclten bcr totbcrftrcbcnbcn
9Haffc nlc^t itma gefuc^t unb ^erousgcforbcrt rocrben bürfcn. S)tc
^ampfluft bes ^t^menfc^cn, bcr auf ©elöftburc^fcgung unb Kampfes*
et)rc bcbac^t tft, Ift ctroas funbamcntat anbcrcs als bcr Äampf«
Sroong unb btc ©tanb^afttg&elt bcs SBciicnncrs. S)tc ^clnbfdjaft
feommt otjnc fein gutun auf it)n gu. €r rocrfif fic nid^t burii^
Äantpfanfagc, fonbcrn burd) 95erlcugnung h^s '^(i)htanq^s. 3Bas
er ben 93tcnf(^en entgegentrögt, tft immer fclbftlos rocrbcnbe unb
unter allen Hmftönben frtebltdje Eingabe. 5)te 2t5Ief)nung bicfcr
933iUensri(^tung, bie im ©eroiffen bcs anbern bas llnbet)agcn rocöit,
tft bie ^Burjcl bcr ^Jßinbfdjaft, bie i^m entgegenfpringt. €r f orbert
i)om anbern 2lufgabc feiner felbft, b. ^. bas fdjroerftc Opfer, bas
bcr 3<^TOiQe bringen kann, unb erregt baburd^ bie ^ifee bes Qßiber«
ftanbes, bie nid^ts anbcrcs ift als bas Sic^ftröubcn bcr 3<^iiötur
gegen bas Xlrgcfe^ bes Opfers. Sticmals barf ba^cr erlebte ^cinb«
fc^aft gur Oegenrotrkung bcr 93crgeltung führen, es fei bcnn, ha^
bos 95öfc mit ©utcm, bcr 3c^i>rang mit boppcitcr ©elbftlofigfeeit
öergotten roerbc. ©tanb^aftigiicit in bcr ©runbridjtung bcs SBoIIens
ift bie 3Ibroet)rfteUung bcs SBcIicnncrs, bie äugleid) bie ftärfefte
Qtngriffsftellung ift. S)er 93orn)urf, ha^ foI(i)e Haltung 9BiUcns*
fdjroäd^c fei, ift aurf) ein SÖIittcI bes fid) felbft fträubcnben ^d)"
iBiltens, bcr ben ftörlieren fittlic^cn ^Bitten auf feine ®citc gießen
möd^tc. <£s gibt fecinc ftär&ere Q13ittensmact)t als bie bcr Gelbft»
lofigkcit, benn fic ift bie 9iBiIIensmad)t ©ottes. ^m ^raft ber
Sat gct)ört immmer bie ^raft bes ©(^rocigens, roeil aud) ©ottes
^aft in ber ©titte roirkt. *)
*) S)icfc oben bef(^ricbene Haltung bcr ©ckenntnistat tft frcllidj
ttUcs anbete als eine paffioe Haltung. ®iefcr 93om)urf wirb mit großer
93orttcbe oon bcm auf Surdjfeöuhg ber eigenen untere jfen bebac^tcn ^d)*
roiUcn gegen bie rcitgiöfe Scftimmt^eit bes ^onbelns erljoben. 9Q3etI er
fü^It, bafe bie felbftlofe S:at nic^t in feine Äidjtung läuft, glaubt er, auf
ein geilen icglid)er 2BtUen5feraft f(^Iiefeen 5U muffen, Unb finbet für biefe
5Intta^me fdjeinbar eine Seftätigung in ber 23erborgen^eit, Hnaufbring»»
üc^feeit unb ©e^altent)eit bes religiöfen SBirkens. S:atfäd)K(^ ift bie konfe*
qucnte 9lu^e unb innere 6i(^ert)eit ber fclbfllofen S;at im ^öd)ften Sinne
aktio, wie umgekehrt auc^ alles roa^rtiaft ficg^cfte 5:un ben Stempel einet
faft paffio ontnuttnben Selbftoeiftönbüdjkeit unb SBerttauensktoft ttngt.
— 447 —
Otun freiließ ift folc^cs ©c^roetgert utib i5cftftcf)en gegen an*
bronbcnbc »JcmbfdiQft nur blc eine ©ette ber roirkenben Sot, unb
groor — borin liegt für ben SBekcnner bic fieg^afte ^aft feiner
«pofitton — bie nod) rücferoörts liegenbe ©eite. (£t felbft fielet
fie fiaum, benn fein 3luge ift nac^ oorn, auf bie anbcre ©eite ber
S:atn)irkung, gerid^tct, bie nun freiließ ein gonj onberes SBilb bietet.
€s ift einer ber überroältigenbften 3üge im fiebensbilbe 3efu, ba§
er fo müt)el06, faft fpicienb mit ber ungeheuren ^einbfc^aft, bie
i^n umbronbet, fcelifd) fertig wirb. ®5 geprt jU ben ge^eimnis-
ooUen 9Bunbem feines Sebens, ha^ in ber UeberfüUe feiner fee-
lift^en Erregungen eine Erf(^einung oöUig fe^lt: bie 95erbitterung.
S)ie gerobegu crbrüciienben, fi(^ bis jur furc^tborften ^einbfc^aft
fteigemben (Enttöufc^ungen feines fiebens gleiten an feiner ©ccle
roie QBoffcr oom Reifen ob. 95is gum '^üxbittgtbit am ^reu^ ^ot
er bicfen oUe 95erbitterung fieg^aft obfto^enben feelifd)en Optimismus
ungetrübt bctiauptet, eine übermenf(^Iid|e fittßt^e ficiftung, bereu
lefete SBurgel in ber ®runbri(i)tung feines 3BilIens auf bie pofitioe
Seite bes fiebens liegt, ©ein 3luge {)aftet nid)t auf ben taufenb
9Biberftänben, bie er oielmetjr nur hinter fic^ fü^lt, fobafe fie
Sie neroöfe ®efd)äfttgkeit unb aufbxtngltc^e ®eltungsfu(^t ift ftets bas
3eirf)cn einer lefeten inneren Unfic^er^eit. 9lur in ganj fcitcnen Rotten
nimmt bic religiöfc 95ckenntnistat bic äußere Qaltunq bcs aggrefftt>ch
Sc^roiUcns an, bann nämlit^, rocnn fie auf i^rcr ftitt fortfc^rcltcnbcn ^a^n
an ben "ipunftt gelangt, mo ber Scöo'itte feine legten 6treitferäftc roie in
einer ^oc^burg gefammelt ^at. ^n foldjen (Entfdjeibungspunitten mu^
aud) ber reltgiöfe 2BiUe roie im ®en)itterfturm ba^erfa^ren, mie mit es
in 3efu fieben bei ber Sentpelreinigung, ja überhaupt bei bem gansen
großen Kampfe in ^erufalem feben. (&& ift aber roic^tig, bag ficb ^i^us
oon allen ^rop^eten ber 9Sergangent)eit bis auf 3o^annes baburc^ unter«
fc^eibet, baß er biefen großen^ meitbin ftcbtbaren Schlag nur einmal
fü^rt, mäbrenb alle anbern bauernb unb grunbföglicb bie fi^tbar aggreffioe
Haltung einnebmen. (Sr ift eben größer als fie alle. 2Bie fiat feine ^trd^e
biefe Gattung tbres 32leifters oergeffen! 3itbem fie bauernb bem äußeren
®inbru(& nachlief unb bie ^aft bes ftiUen 3Birkens nerleugnete, ift fie
bm großen Sntfc^eibungsftunben nie geroacbfen geroefen. ®te große ®e«
legenbeit bes SBeltkrieges bat bas mieber traurig beftätigt. ®ott mirftt
^abrtaufenbe binburcb in ber 6tille, unb nur an ben ^otenpunkten ber
Sntmidtlung tritt er somfunhelnb in bie (Erfc^einung. ®as ift aucb ber
SBeg bes ^ekenners: 2Birken Unb märten, bis bie eine 6tunbe kommt,
in ber ber @turmn)inb in ben morfc^en ^ußenbau bes fiebens fahren kann.
^ 448 — -
gcrabcgu gut oorroörtstrelbcnben ^raft für i^n Tocrbcn. ©ein 93Itcfe
tft ixad) oom gerichtet, auf bic gerolnncnbc unb fd^affcnbc
QBlrfeung feiner roerbenben Zat 3luf biefer ©eite entging i^m
nic^t ber leifefte ^unlie feeimenbcn fiebens unb ber fc^roöc^ftc
©c^intmer ^offnungsooQen QBac^stums. *) 5atfä(i)Iic^ trögt bic
ec^te Eingabe eine onäief)enbe unb lebenfdiaffenbe ^Birliungsliraft
oon unbcbingter €rfoIgfi(^cr^eit in i^rer §anb. ©er Optimismus
ber fi(^ opfernben Siebe ift aUes anbcre als Iei(^tfertige unb Icbens*
frembe 95ertrauensfeligfeeit, roofür i^n ber „roeltftunbige" 3rf|brang
fo gern ausgibt S)er unmittelbare unb ber in bie klugen fpringenbe
erfolg freili^ roirb i^r feiten äuteil; er mürbe au(^ it)rem innerften
3Befen roiberfprec^en. 3lbcr um fo fieserer äiel)t fie langfam bie
tieferen fiebcnsfi^id^ten in i^ren ©annfereis. ©o gemift aQcs Qihm
ber 3lcifc äuftrebt, fo geroi§ erliegt es le^tlicf) ber großen Sltac^t,
auf bie ^In es gefi^affen ift. ©er ©t^cibeprogefe, ben bie ^at ber
Eingabe in bie SDelt trögt, ift garnitf)ts anberes ats bas ©tirb
unb 2Berbe, bas fic^ immer neu ooQäie^t unb ooUäie^en mufe.
(£s ift eine ber munberbarften fiebenserfat)rungen, bic \\d)
immer micber überrafc^enb beftötigt, bafe jebe edjte S^at ber ©elbft«
lofigfeeit i^ren 2Biber^all flnbet. ^us irgenb einem 5Dinfect klingt
i^r (£d)o jurücfe, oft genug nac^ langer Qßarteaeit, in ber i^rc
©c^roingungeh löngft oer^allt äu fein fdjienen. €ine get)eime
3na(^t äie^t bie 3Henf(^cn gueinanber ^in, bie oon einem ©tra^I
ber eroigen Siebe getroffen rourben. ,2lls bie Unbeliannten, unb
boc^ be&onnt", bas ift bas grofee Erlebnis ber 9Henf(^en, bie, oon
ber 9Haffe unoerftanben unb ausgeftofeen, bei beri 'Sluserroö^rten
i^re ^eimat flnben, als fei fie oon Croigkelt ^er bort geroefenl
©ottes ^inber kennen fic^ oft auf ben erften 95Iicfe. ©le 2at
ber Siebe roirkt barum immer gemeinbefd|affenb. ©ie ift bas
9Bat)r5ei(i)cn ber organifc^ pfammenfügenben QBai^stumsfiraft, bie
bie 3^0^^ ^cs Sebens in ben fterbenben Körper ber ^clt trögt
^er in bie ©pt)öre biefer neuen, gufammenfügenben Sebenskraft
^ineingetreten ift, ber fie^t nur nod| bie überall keimenben unb:
ans Sic^t ringenbcn SHöc^te, mit benen er fic^ oerbünbcn mu§.
*) 99 w rjetQkid}t etroa feine «Stellung jur ©c^roöc^c ©impns, jum
iBerrötei ^nbos, gum i:eid)en Jüngling, pm 6d)nftgele^rten, gum 6ct)ä(i|er:
am Ärcuj. ; ;
— 449 —
Sic 9Biberftänbc ober, bcnen er begegnet, treiben lt)n nur kräftiger
unb fc^netter bem fiebcnsäentrum gu, Sie ^elnbft^oft ber QBcIt
rolrb unter ber §anb bes 6d^öpfers gur bauenben unb jufantmen-
fd)n)ctfeenben Äraft. ©er S:ob Ift au(^ t)ler ber ejörberer bes fiebens.
3)le %at bes rcllglöfcn 95efeenncrs tft barum Immer auf*
boucnber, gemelnfd)QftblIbenber Statur. 3)as untcrfd^elbet fle grunb-
föfettc^ oon bem Selftungsbrange bes ^t^iolUens. ©lefer kommt
oon ber ^onkucrenäoorftettung nid)t los. €r miß etroas fd^affcn,
um flc^ über bcn Surc^fc^nltt ju ergeben. (Er rolfl rolrtfc^aftllc^,
foälal, gefeUf(^aftIl(^ äur Oeltung kommen. 6etne ©teöung ju
ben 9Hltmenf c^cn Ift ble bes 9BettIäufers äu feinen Konkurrenten.
Gr t)at ein ^ntcreffe boran, ha^ ber anberc fdiroac^ Ift unb l^m
naclifte^t. ^ür ein ganges 3eltalter Ift bles Sllotlo bes 9Bett-
ftreltes bäs lefete unb t)öd^ftc gerocfen. Sarum roaren ble fo^lalen
©runbgefü^Ie blefes Zeitalters ber ®toIä, ber (E^rgelj, ble 3lb-
le^nung, ble 95era(i)tung, ber STlelb, ber ^afe. Sie normale ©tellung
jum 9läd)ften mar ble fiaucrftellung. Sic ©runbgefü^tc bes rcll-
glöfcn 33ekenncrs laufen In cntgegcngcfe^tcr 3llcl)tung. 5luc^ fein
5lugc fc^aut fdjarf auf ben 9Illtmcnfd|en, aber es fud^t bei lt)m
nlcl)t ble ©d)n}äd)e, fonbcm ble Stärke, ble f(i)öpferlf(^c (Ent-
roldklungsfötjlgkelt, ble 3ukunftskraft, ble es gu mcdien unb In ben
großen fiebensbau elnjuftellcn gilt. Sas 2DoI)ln)ollen, ble 91llt-
freube, ble anfpornenbe ©üte bcfümmen feine foglale Haltung.
60 laut fl(^ auiii ber lauernbe 3<i)brang ril^mt, ble 91tenfc^en gu
kennen. Im Slefften oerfagt feine fiebenskenntnls oötllg. Sie n)at)rc
anenfd)enkenntnls cm)ä(^ft nur ber felbftlofen Eingabe. ®le allein
Ift f(i)öpfertf(^c ficbcnstat Im ^öc^ften Sinne, fle aücln flefjt ble
lebenblgen Kräfte unb fül)rt fle §u gcmelnfamem ©(Raffen ju-
fammcn. Sarum roenbet fle fld) aud^ bemüht ben oerborgenen
liefen, ben lelfe kelmenben Kräften In ber 9Dclt gu. 6lc bringt
In ble (Elnfamkelt ber 91ot ^Inab, mctl fle bort ben Sur(^bru(^s-
punkt bes 6tlrb unb QBerbe, ble ern)a(f)enben Slefenkräfte mlttert.
3n ber 9Bclt ber gelftllcli 3lrmen fuc^t fle ble 0cl)äc^te, aus benen
fle hm magren 3lelct)tum ^olt. Sös noc^ nlc^t ^J^rtlge, bas
QBac^fcnbe Ift l^re Somänc. Sarum Ift auc^ ble SitÖ^nb bas
^eilige Sanb l^rer wirbelt, dts Ift ein gang ausflc^tslofes Unter*
nehmen, ble ^J^cui^c am Klnberfegen auf anbere QiBelfe roleber gu
S. ^eitmann, ®ro|fiabt unb Sleligton. 3. SIeil. 29
— 450 —
roecfeen als burc^ bte Umfteüung bes ©cfamtiriflcns in bte rcitgiöfc
©runbtlc^tung. 3)urc^ grämten, Stü^Itc^lteitsgcbanfecn, fiaatllc^c
©cmtsputtfetc bcn (Egoismus cor bicfc tteffte ^tagt alter ficbcns-
cnttoidfelung gu fpanncn, t|ci§t bcn Seufel mit 95ecläcbub aus-
treiben. 2nit bem neuen ficbensroitten aber roöc^ft ber Sinn für
bcn Stadtrandes als bic natürlid^c ^rut^t oon innen ^er. 5)as
fiebcn urib ©terbcn für bics rooc^fcnbc Sebcn ift SBcIicnntnlstat.
Sie ficbcnsltroft Eingeben für '^tuäiti, bie ber 9Hcnfc^ felbft nic^t
ernten kann, fid| tiincinrocrfen in einen (Entroidilungsftrom, ber
über allem mcnfd^Iidicn (Eigcnroiflcn feine Sal)n äief)t — bos ift
bic roiriienbc Sat bes 95efeenners. Sie müfe mirfien, benn es ift
©ottes roirkcnbc ^taft, in beren Sienft fie fte^t. 6ic fc^cint nidjt
nat^ aufeen, fonbern oolläicfjt fi(^ im Verborgenen roie bic Sat
ber SZluttcr. 3tber fie fpinnt bic unfid)tbaren %'6.hzn, bie in bie
Sufeunft laufen, unb ber Sag wirb Kommen, an bem bas fertige
QBerfe bes 6(^öpfcrs entf(^eiben wirb, mos bie S^otcn ber aUenfdien
TOcrt maren, an bem ber SRciftcr bcn 93eliennem es fagen mirb:
„Was i^r an bcn ©eringften getan ^abt, bas ^abt i^r mir getan."
3. ®ic lebenbtgc Sotm.
S)ic Zat bcs SBcfecnncrs rotrfet, fo fa^cn rotr, mit innerer
9lotn)cnbigfeclt jufommenfügenb, gemcinbebilbcnb. ©ic ift immer
im tiefftcn <5inne f ojiale Zat, inbem ftc fic^ f clbft on onbcre l)in«
gibt unb roicberum bic onbcm jur Eingabe ämingt. Dbmoljii
felbft gang innerlich unb ocrborgcn, brängt fic boc^ nacf) aufecn,
unb groor in einem boppelten ©inne. ®ic gic^t bie Greife i^rer
SBillensbeftimmt^cit weiter unb roeiter, unb fie roir&t bamit äugleic^
tiefer unb tiefer in bic ©ic^tbarfeeit ber ^lu^enraelt hinein.
S)a§ biefe beiben ^Jormen ber ^tufecnroirfeung äufommcnl^ängen,
muffen mir uns klar machen, ©cfion roenn gmei 9Henfc^en mit-
einanber in innere ©emeinfj^aft treten, offenbart fid^ ber S^J^ng,
bie 3lu§enfcite bes ficbens jur $ülfe gu rufen, um bie ©emein*
famlieit bes ^BoQens unb ©(^affens ju fiebern. 3^^^^ neugegrünbete
S^ebunb ift bafür ber Sßeroeis: mit bem gemeinfamen fieben ent*
fte^t noturnotroenbig bie ©itte. S)as Familienleben ift bie ©eburts-
ftötte ber gebunbenen fiebensform, ber fic^tbaren Orbnung, bes
na(^ aufeen geftaltenben fiebenstriebes. ®in formlofes tJöntilien*
leben ocriiert unroeigerlic^ aut^ bie tiefere ©emeinfamlieit bes
Füllens unb QBoIIens, bas immer roicbcr gu feiner ©elbfterl)altung,
95ertiefung unb ®ereid)erung bie ^lufeenfcite bes Sebens geftaltenb
gu beetnftuffen fuc^t. ^n biefcm formgcbunbcnen ©c^affen aßein
bleibt bas ^eilige ^euer ber Siebe lebenbig. ^ier liegt ber tieffte
Sufammen^ang gmifc^en ©ittlic^lieit unb ©itte, gmifc^en (Etl)os
unb Kultur. 35ie Sieligion ift roa^r^aftig nictjt gleichgültig gegen
bie Kultur, ©ie lebt unb roirftt burc^ fie ifinbrnd). 9Bcr bcibe
trennt, tötet bie 3Bac^stumsliraft ber Sieligion unb ^ö^lt bie
Äultur aus.
Freiließ ^ot bie Kultur ben ©rang, fic^ oon i^rem lebenbigen
3nnenpunfet ju löfen. 3« i>cm Se^oftcr ber oöUig ausgehöhlten
29*
— 452 —
Kultur, bercn * 3uf£tnitnenbru(^ rotr erlebten, bcbarf bos keines
95cn)elfes. 5)te ©efd)tct)te le^rt es überbtcs auf jebcm t^rer 93Iätter.
Stefcn fioslöfungsbrong ntenfd)Iid)en ^ulturftrebens muffen mit
oon oornt)erein fet)r f(^Qrf ins 5Iuge faffen, roenn rotr nun bos
©ebtet ber fti^tbaren ejoj^^ißit betreten, burc^ bte ft(^ bie rcttgiöfe
QBaf)r^elt im Seben ju geftalten unb burdiäufe^en trachtet. 3^
größer nömfid^ ber ^reis bes ©emeinfc^oftslebens roirb, bcn ber
religiöfe SBiUe umfpannt, befto größer roirb bie ©efa^r ber ®r«
ftanung unb fioslöfung bes Stufeenringes, ben er naturgemäß
fdiafft. Um bas roieber an einer (Erfdjeinung bes kulturellen
fiebens aufgugeigen, oerroeifen roir auf bie Sntroldilung ber Staaten.
S)ie ©runblage aller ftaatHd)cn 93tlbungen ift immer bas fieben
bes ©olkes, bas roieberum aus bem Familienleben erroöi^ft. §at
bie ©Ippft^aft fi(^ gum 95oIfe crroeitert, fo ergibt fic^ üon felbft
bie Snotrocnbigkeit einer reicf)ercn, ftrafferen, mannigfaltigeren 3lus*
geftoltung ber Lebensformen, ©cfe^e muffen gcfc^affen, 6pra(^c
unb 6itte bereid^ert, taufenb formen bes Umganges, ber 95oIks»
bilbung, ber te(^nif(J)en Sebensbel)errfd^ung neu gefunben roerben.
anit bem 3Da(^stum bes 95oIkes bilbet fid) bas komplizierte
atufeengetriebe bes ©taatslebens. *2lber eben biefes geroinnt nun
nad| unb na(^ ein foId)es ©(^roergeroid^t, eine fo roeitge^enbe
95erfeftigung, ha^ es gu einem felbftänbig laufenben 2lpparat gu
roerben bro^t. ^a, bie ©efd)id)te geigt immer roieber, bafe es fid^
f(^ließli(^ roirklic^ oon feinem lebenbigen Untergrunbe loslöft unb
nun, oft genug mit oöUig neuen unb fremben SDoIkskräften an«
gefüllt, fein eigenes 5)afein gu führen beginnt, ©tets aber folgte
ouf foti^c <£ntroiditung früher ober fpöter ber ;3u[ömmenbru(^.
S)er 9flömerftaat ift bas bekanntefte ©eifpiel, aber aucf) bie mobernen
Staaten geigen bie gteidje (Sntroidilung.
©asfelbe ©d^aufpiel fet)en roir immer roieber in ber QBelt
ber religiöfen 93tlbungcn, nur ha^ ^ier, ber Xiefe bes fiebens ent-
fprec^enb, bie 5lufeenroerke fe^r oicl fefter unb bauer^after gu fein
pflegen. 5)as barf ober nicl)t barüber ^inroegtäufd)en, ba^ es ftc^
bei jeber (£rftarrung unb 95erfelbftänbigung ber ^ufeenformen um
eine (£ntroicklung gum Xobe ^anbelt. (£s ift bie ^arbinalangelegen«
t)eit ber lebenbigen SHeligion, it)re innere fiebenskraft ni(^t burc^
ein ftarres ©erüft oon formen urnfjüHen unb fc^licfeltc^ erftickcn
453
äu laffcn. 5>a5 ficgtcrc kann nun fretltc^ nie enbgülttg eintreten.
S)as fieben ^ilft fic^ fc^Itcfelic^ burc^ öulfeamfc^e ^rupttoncn, auf
btc alle (gpoc^en gefegtic^cr €rftarrung ^tnauslaufcn. 2lber folc^e
Eruptionen laffen |d)n)erc ^unben unb 95rü(i)e jurürfi, bie nie
ganj austjeilen. 95or aUent ober äcrftören fte altget)eiligte, in
langen 3a^r^unberten geroaj^fene ^Jorntenarbeit, bie fie nid|t er*
fegen können ober bo(^, roeil fie fic^ nid^t fc^nell neufd^affen läfet,
nur fct)r feümmerli(^ erfegen. 60 ^at bie ^ormenamtut unb -un«
fic^er^eit ber 3leformationsliird|cn jum guten 3:eil il)re 3Birfiungs-
lofigfeeit in ber S)urd^bringung bes neuäeitlid|en 33oIksIebens oer*
frf)ulbet. *) 9Dir t)aben allen (Srunb, uns auf eoangetifc^er ©eitc
mit aller ^raft biefent ®ebiet religiöfer Sebensgeftaltung äuäuioenben.
95ieUei(i)t kann uns ber in ber äft^etifd^en SBeroegung ber legten
3at)r^unberte, in beren Greife fic^ bie mi^ac^tete ^ormenkultur
geflüd^tet ^atte, gepflegte 'gormenfinn, obn)ot)l er fid) fo gut roic
günätic^ oon ber SRcligion abgcroanbt ^at, nod) einmal Reifen,
bas 95crfüumte nad^jutjolen. 3)ic ^^o^incnunkultur unb "Unroa^r-
Ijaftigkeit ber eoangelifc^cn ^irt^en ft^reit gum §immel. Cs ift
eine ber oome^mften 3lufgaben religiöfer Sukunftsarbeit, bie religiöfe
93olksfitte gu geftalten, ja tiefer unb tiefer in bie ganje ^üUe
geiftigen, fojialen unb materiellen fiebens ha5 Urgefeg ber religiöfen
9Bal)r^eit ^ineinjuprägen. ®ie lebenbige^orm ift eine gang
n)id)tige Seite 'bes religiöfen SBekenntniffes.
5reili(^ muffen mir roieber bamit beginnen, t)a^ mir auf bas
9Dort „lebenbig" ben ^auptton legen, ©ott fertige bie religiöfe
fiebensgeftaltung ber Si^^wnft oor neuen Crftarrungen, nai^bem
mir 3o^rtaufenbe ^inburc^ fo furchtbar bitter unter it)nen unb ben
fie fprcngcnben fc^arf kantigen 95rüc^en gelitten ^aben! 9Höge nie,
nie roieber oergeffen werben, ha^ bie fc^affenbc Zat ber fic^
opfernben fiicbe, bie tiefoerborgenc, ftiHe, reine, felbftlofc, ber alles
*) Set Sut^cr Iiängt ber SHangel an geftaltcnben 3n^'«lf«« ß^
bie Gntrot&lung feiner ^ir(^c bamit äufammen, bafe er m<^t bie rechte
Stellung äu ben „gBcrkcn" fanb (ogl. ben Slbfdjnitt über „®laube unb
SBerke"), bei (£alt»ln bamit, bafe er nidjt btc DoUe ^nnerli^keit ber 9lcltglon
errettete, fonbem in einer gefegUdjen (Erftommg gongen blieb, bie an
blc Stelle alten, allerbings crftarrten, Formenreichtums eine neue, fe^r
nüchterne unb ormfeltge gefeglii^e ^ormenkultur fegte.
— 454 —
tragenbc Icbenbtgc Untcrgrunb aßet roirfecnbcn göttlichen 3DQ^r^ett
Ift. 2Iu(^ bie fernftc Slntcnfüf|rung bes 3lufeenlebcns mufe auf
btefcn legten ^crgpunlit aUcs ficbcns gutücferoclfen unb oon i^m
^raft, 2ebcn, ©inn unb 2Dct^e empfangen.
S)te geftaltcnbe 3trbcit felbft freiließ lionn ntd^t burc^ 95üc^er
geletftet werben. ®as fieben allein kann ^ier langfom, oielIei(i)t
erft burc^ 3a^rt)unbcrte ^inburc^, rooc^fen laffen. Was in ben
^a^rtaufenben — unb nic^t nur ben c^riftlic^en — ber 95ergangen*
^eit gefc^affen roorben ift unb nac^ beut ®efeö ber 3Ilneme not^
I)eutc roirfefam nact)f(f)n)ingt, has roirb ^ineinroac^fen in ben neuen
Sebensbau ber roirkenben 3Ba^r^cit. ^^h^s neu ^eraufftcigenbe
©efc^Iec^t wirb es benugen muffen, ^ebes ®ef(^Iec^t aber fte^t
auc^ t>or ber eroig neuen Slufgabe, es mit bem lebenbigen 3nnen*
punlfet feiner Gntroicfelung gu oerbinben, ha% bas Sllte neu unb
lebenskräftig bleibe, ^ahü roirb es organifc^ fortgeftalten, ein-
fc^melgen, neuformen muffen nac^ bem SHafee ber fortfc^reitenben
(Entroiclilungsfiraft, bie (Sott i^m gibt. 5)er einselne ftann ber
religiöfen ^ormenbilbung im .2DefentIi(^en nur inforoeit bienen,
als er mit bem innerften ®mpfinben bes 95oIfestums oerroad)fen
ift. Sleligiöfe ^ormenfc^öpfung ift 6act)e ber ®emeinf(^aft, nic^t
bes einselnen. S)a5 entfpridjt ja aud^ burc^aus bem (£t)arafeter
bes religiöfen ©^mbols, bas bem fieben ber ©emeinbc, nic^t bem
religiöfen SBebürfnis bes einjelnen bienen roill. S)er fct|öpferifct)e
SBille feann fic^ roo^I für ein ganges ©efd)Iec^t in einem ein»
gelnen o'er&örpcm; niemals aber kann biefer ber Präger unb
©ct)öpfer ber formen fein, in bie fic^ biefer ^Bille gu feiner ©elbft-
burc^fe^ung in einer religiöfen ©emeinbe hineingießt, ©elbft eine
fo bet)errfc^enbe QDillensnatur roie ^oulus mar bo(^ in ^Begug
auf bie formen ber oon i^m gefdiaffenen ©emeinben im ftärfeften
©inne abhängig unb feonferoatio, gang gu fctjroeigen oon ber be*
roa^renben unb er^altenben 3artt)eit bes größten 9leufc^öpfers ber
9nenfcf)^eit, bes SRagareners. 95ilberftürmerifc^e ^rt ift ein Seichen
religiöfer ^ulturlofigkeit, ja fittlic^er ^uc^tlofigkelt. Ot)ne bie große
Eingabe an bas fieben bes ©angen unb bas felbftlofc Saufc^en
auf feine innerften 2legungen foll fic^ Reiner oermeffen, ©c^öpfer
religiöfer formen fein gu rooHen. ©o roirb auc^ unfer ©efc^tec^t
auf bicfem ©ebiete Konferoatio fein muffen bis gu ben äUßerften
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©renken, b. ^. bts äu bcm ^punkte, ipo btc SJerbinbung mit bcm
3nnenpunlit aUcs rcligiöfcn Scbens auf bem ©pietc ftc^t. 3Bo
bic ©cftaltung bcr rcligiöfcn 3CBa^r^clt neue ^Jonnen fuc^t, kann
man ftc roo^I taftenb gelegnen unb 9IlögUd)feelten aufroeifen, nie*
mals ober — bcffen muffen mir uns ftets beroufet bleiben, — fic
fd^affcn. SUur mit ben SDiclcn unb in htn 95ielcn, bic oom gleicf)cn
QUillen gejogcn merben, roerben fie Icifc t)eraufroad)fen, bis fic
eines Slages fertig baftcljcn unb oon ©efdilcd^t gu ©ef(^lcd)t rocitcr
getrogen roerben. S)ic ©age unb bic ©itte fiennen Seine Urheber,
fie ftammen aus ben gc^cimnisooUcn liefen bes fein 93olfe
fdjaffcnbcn ®ottcs.
5)as gilt bereits für basfenige ©gmbol, mit bem roir t)ier
beginnen muffen, für bas Scbcnsbilb bes C^riftus. ob-
wohl uns bic Slamcn bcr SHönner aufberoa^rt roorben finb, bic
bic erften fcl)riftli(^en 3Cuf5cic^nungcn barüber gemaclit ^aben,
kennen roir nid)t bic 9lamcn berer, bic es gef(j^affcn f)aben. 3Bir
roiffen nur fooiel, ha^ es in bcr (^riftlidjcn ©emeinbc cntftonben
ift, in bcr bic ^ermroorte unb bic ©cfc^id^ten aus feinem ficben
oon 9Ilunb gu Sllunb gingen. 5)ic ©emeinbc bes aUciftcrs f^at
bic 3lusroa^l getroffen, bic ^inäclgügc gcäeic^nct. Ja fclbft bic
9Bortung beftimmt. S)arin liegt bic 2Duräel bcr gcfc^ic^tlic^en
3:rcuc bes (S^aralitcrbilbes unb fo manches (Einäcläugcs, barin
liegen aber au(^ bie eigcntümlid)cn ©(^roierigkeiten, bic bas fo*
genannte fi)noptifrf)e Problem rein litcrarifd) in fi(^ birgt. €s
roirb nie gelingen, bur<^ ausf(^tie§li(^ literarifc^c £lueItcnforf(^ung
bas fgnoptifc^e 3flötfet ju löfcn. S)ie 9lbl|ängigfeeit aller brei
Soangcliften oon bcr ©emcinbctrabition ift bas roidjtigftc SHomcnt
für bas 95crftänbnis auc^ bcr litcrarifcl)cn Eigentümlichkeit, ©er
fogenannte Hrmarkus fc^eint mir roeniger eine literariftfje S:atftt(^c
als bas SDerk bcr formbilbcnbcn ©emeinbc ju fein, aus bcm
bann bie oorlicgenben literarifc^cn Eräeugniffc entftanben finb. *)
9Die roeit bancbcn noc^ eine litcrarifc^c ^b^ngigkeit bes einen
oon bem anbem Eoangcliftcn eine SRoHe fpielt, ift eine unter«
georbnetc tJragc. 95on pc^ftcr 2Dict|tigkeit aber für bie ©emeinbc
e^rifti bis in unfere Sage hinein bleibt bic ^atfac^e, ha^ ^icr
*) Sic 6pru(i)quelle als litcrarifdjc 2:atfad)e bleibt baoon unberührt.
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ntc^t 3Bcrfic oon ^tfioriogrop^en vorliegen, fonbcrn ®d)öpfungen
ber ©cmcinbe, aUerbings überarbeitet oon ©c^rlftftellem. Was
bas für ble ^iftortfc^e Satfac^cnforfc^ung bebeutet, möge ber ^ifto"
rtitcr im ^lUgcmeinen barlegen unb im (gingctnen entfc^eiben. ^ür
bie fc^affenbc ©emeinbe unb bie roirlienbe 9Ba^r^eit aber liegt
^ier ein ®d)a^ von un6erglei(^licf)em SDerte oor. €ine nod) fo
ausfüt)rlid^e unb gefc^id)tlic^ treue 95iograpt)te feönntc nic^t erfe^en,
was biefes im ©trom bes religiöfcn (Erlebens entftanbene unb für
bie fiebenbigert)altung biefes 6tromes oon ber erften ©emeinbe
gefdiaffenc fiebensbilb an unoergönglit^ roirfeenber ^raft in firf)
trägt. ®ie ^atfac^e, ta% biefes kunfttofe unb bod) oon Keiner
Äunft erreicfjte (S^arofeterbitb über bie 93erfc^iebent)eiten ber Reiten
unb 95ölker I)inn)eg bis ^eutc oon ungebrochener oolfestümliclier
9BirfiungsIiraft geblieben ift, beftätigt biefe aDertung. S)cm 93ilbe,
roie es „in ben (goangelien fd)immert unb leud^tet", Itann fi{^
keine noc^ fo l)iftorifc^ treue unb geitgefc^ic^ttic^ anfcf)aulic^e, keine
noc^ fo kunftooflcnbcte ©arfteHung bes „Sebcns ^^\u' bis in
unfere Sage an bie Seite ftellen. 2atfä(^lic^ ^abcn mir bis ^eutc
kein ^^arakterbilb bes SHeiftcrs, bas aus him Untergrunbe einer
lebenbigen ©emeinbe, unb oollenbs einer fott^en ©emeinbe,
^erausgeroad^fen roöre. (gs finb immer (Erjeugniffc cingelner ^^fus»
oerel)rer ober — oon ^iftorikem geroefen. Sie legte rcligiöfc
^Birkungskraft, bie bas 95olk ©ottes fammeln unb bauen will,
gel)t allen ah.
®ies ©ammeln unb SBauen aber ift bas legte, wenn aud^
oft genug unberoufete, 5lbfef)en aller religiöfen fjormbilbung. ©ie
trägt bie ©diroingungen bes QKillens, ber l)inter it)r lebt unb
roirkt, in bie Hmroelt. ©ie gie^t an ober ftöfet ah, weckt tieffte
5:eilnaf|me ober ©pott unb ^ble^nung. 9Ii(^ts erregt bas '^üx
unb QBiber ftärker als ein frfjarf geprägtes S^arakterbilb. 3)te
ooUe Eingabe an Cl)riftus als ben ^erm, an ben f(^öpferif(^cn
3DiUen bes neuen ©ottesoolkes wirb, roie mir früher ausführten,
root)l grunblegenb burc^ bie Zat ber fic^ opfernben Eingabe gcroeckt.
©leic^ hinter ber Zat ahn ftel)t bos Silb ber fic^ opfernben
Siebe, roie es in ben (goangclien in unoergleii^lic^er ©(f)lic^tf)eit
unb ©rö^e geäeict)net roorben ift. S)ies 95ilb ift geroife ni(^t ber
unmittelbar gugreifenbcn 2at in feiner roirkenbcn 93ckcnntniskraft
457
gleicfiäuac^tcn. ®s läuft tmmer ©efatjr, in ©efüfjle au oerflüc^ttgen,
roas als QUlUc in bte SBirKUc^lictt treten foU. *) 3löer wo bte
Slic^tung ouf bicfcn ^Dillen bcrctts oor^anben tft, b. ^. in bcr
bereits gewonnenen ©emeinbe unb in ben äur 9leifc ftrebcnben
©entütern, t)a vonkt es immer er^altenb, ftärltenb, auslöfcnb, ge-
roinncnb. 5)arum ift es bic bauernbe ^lufgabe ber fc^affenben
©emeinbe, bies ®ilb lebenbtg gu erl)alten. (£s mu§ für bie ©e*
meinbc gum Urbilb bes fiebcns werben, bas fic^ wie oon felbft
bei aßen fiebensfunlittonen ber ^inäelnen unh bes ©angen rit^tenb,
filörenb, ermutigcnb, forbernb oor bie ©eele ftellt. 5)as „Seben
in (S^rifto" mufe bamtt oöttig oerroat^fcn. «s ift felbftoerftönblid),
bofe bie ©emeinbe, mo immer fie äufammenliommt, fi(^ um bies
93ilb fd)aren mufe, in bem fie fid) felbft immer neu miebcrfinbet,
unb umgelie^rt: Wo nur groei ober brei „in feinem Flamen",
b. t|. unter ber roirkenben SHac^t feines fiebensgefe^es, oerfammelt
finb, ha ftcUt fic^ automatifd^ fein 93itb ein, ha ift er „mitten
unter itinen."
S)ie Sckenntniskraft ber ©emeinbe roirb fid^ immer barin
fpiegeln, mte fie bas (£t)rlftusbitb lebenbig 5u erhalten unb neu
äu geftalten roeife. ©agu genügt es keinesfalls, ha^ fie bie coon-
gelifc^cn ©crid|te immer roiebcr lieft unb fic^ oortefen lä^t, fonbcrn
bagu get)ört uncrmüblid^ geftaltenbe 3(rbeit, bie bie fiinien bicfes
(£f)orolitcrbilbes in bie mogenben '3lufgaben unb bröngenben Stöte
ber Seit tjineinroirkt. ©er mit ben 9Hitteln seitgcnöffifc^cr 3ln-
fcfiauungen barftellenbe §iftoriker ober ber nac^empfinbcnbc
„^ünfttcr" finb freilief) nic^t bie berufenen Präger biefer ©c*
ftaltungsarbcit. 9lur bie in ber 9lot ber gcit unb i^rer 2lrbeit
fteljenben S)iener ber roirkenben 2Bat)rl|eit, nur bie im großen
Opfergcfeö lebenben Stamenlofen tjaben bie innere ©erufung, an
bem ©eroanbe (£^rifti gu roeben. ©ie tun es, o^nc es gu miffen,
bis bas SBilb, bos ber 3^^* ^^^ emige 9Dat)r^cit fiünbet, fertig
ift unb bann oielleidit irgenbroo ooßenbet geftaltct ans fiic^t tritt.
S)as S^ttalter ber „fieben-3ßfu=^orfc^ung* ift am roenigften berufen
gemcfcn, bas ©itb bes 9Henfc^enfot)nes ben 3Zlenfc^en ju ä^igen.
*) SBergl. bcfonbers bic ^tusfü^rungen über bte 9BirKung bes ftctl*
»crtretenben Seibens.
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3ll6 unroürblg ift es gu bcäctdincn, loenn gor „^ünftlcr" fic^ on
bies ^ciligfte tjerarnuagten, bie ben SBeruf bcs Wieners €;t)rlftt
barum aufgaben, toetl er fte nur auf bie bunitle ©eite bes fiebens
füf)rte. 95teIIetd^t aber rolrb aus ber Stot, hit jefet über bie 6rbc
f (Streitet, einmal ein ©cf(^Ied)t ber Dpfcrtat unb bes ftiU roirfeenben
©ienftes herauf [teigen, bas roürbig ift, bas SBilb bes SHeifters mit
neuer, burc^fd^Iagenber 95elienntnisferaft ber narfi bem fiid^te
ringcnben 9nenf(^t)eit gu geigen. STlur auf bem ^intergrunbe ber
Icbenbigen Sat cnoüt^ft bie lebenbige %otm.
2öer biefen gufammen^ang bead^tet, oerftetjt auc^, ha^ bie
gefamte bllbenbe ^unft ber S^leugeit kein Silb bes Söleiftcrs ^at
fdiaffen können, bas aud) nur entfernt bem (S^arakterbilbe (£t)rifti
angemcffen geroefen märe, gefdjroeige benn irgenb meldte oollis«
tümlic^e aDirfeungskraft ausgeübt If'dtti. 5)ie Äunft ber legten
3a^rf|unberte erroud^s eben auf bem Untergrunbe ber fogcnannten
^erfönlii^KeitskuItur, ja in it)r ^at biefe fogar i^ren eigentlichen
^tusbrudi gefunben. SDarum konnte fie roeber religiös no(^ oolks«
tümlid} fd^affen. Was mir an fogenanntcr religiöfer ^unft ^ier
unb ha geroatiren, ift entrocber aus ber ©p^öre pietiftift^er ^^^ömmig-
kcit obermobemer Sentimentalität unb 91aturreIigiont)erDorgegangen
ober gar mit „objektioer" ^ü^Ie gefrf)affcn roorben, bringt aber
an keinem funkte bie ©c^öpferkroft ber Opfertat ficg^aft gum
2lusbrudi. 5)en S:gpus ber 6;i)riftusgeftalt ^at fie — barin offen*
bart fic^ it)r ganges Unoermögen — ber 95crgangent|cit entlehnt,
bcren Frömmigkeit ein oöUig anberes ©epröge trägt als bie ber
QHcformationskirc^en. ^rcilit^ konnten biefe ber ^unft \a aud)
kaum neue 3^npu^ß geben. 9Die fie bas SDolksteben feine felb-
ftänbigen 93a^nen ge^en liefen, fo ^aben fie auc^ bie Äunft in
©naben entlaffen. 60 ift benn ber S:t)riftustgpus ber mittclalter*
lidE)c geblieben unb wirb t)eute, fo geroife er bas rcligiöfe 95olks-
empfinben bes Sötittetatters getreulich roieberfpiegelt, allgemein als
unroat)r, fc^roäc^lic^ unb wirkungslos empfunben. 95iellcic^t läfet
bie Sukunft roieber einmal Äünftler erroac^en, bie, wie bie Huftier*
mönt^c bes 9Ilittelaltcrs, mitten in ber 923oge bcs religiöfen 93olks«
Icbens fd^roimmen unb ben in it)m ft^lummcmben Sgpus t)eraus«
I)olen können. Freiließ gcl)ört bagu ein anberes ^ünftlcrgcfc^tcc^t
als bas heutige, ein ©cfc^lct^t, bas bienen, ni(^t ^crrfc^en will.
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aHan barf aücrbings fragen, ob es bas je rolcbcr geben roirb.
Sic ,,Ätat^elt ©ottcs auf bem 2lngcmte (£t)rlftt" aufleuchten 3U
laffcn, ben ftörfeften ^BtUen unb bie ^c^ftc ©elbftloftgfeeit, bie un*
bcbingtcfte ^Jorberung unb bie gortefte ©ütc ineinonber au fc^auen,
baäu get)ört ein burd^ unb burd) in opferftariier 6elbft^ingabe
get)eiUgtcs Sieben. 3Iuc^ has lebenbigc Äunftrocrk crroöc^ft nur
aus bcr tebenbigen 5at.
^urg muffen roir t)ier bic^rage ftreifen, ob fotc^er „5Bitber«
bienft" ni(^t bent 9Defen ber lebenbigen 9fleIigion guroiberloufe.
©ie ^rage ift burt^aus nic^t gleidigültig. 2Dir roiefen fc^on barauf
f)in, ha^ bie lebcnsferöftigenntonot^eiftif d|en 3lettgionenunb 9leligions*
ftufen nantenttid) im 6ntftet)ungsftabium eine ftarlie 3lble^nung
gegen jebe bilblic^e ©arftellung bes ©öttlic^cn ^aben. „®ott ift
©eift, unb bie i^n anbeten, muffen it)n im ©eift unb in ber
SDa^r^eit anbeten." S^Qcnbroie filingt biefc 9Ha^nung in aßen
monott)eiftif(^en ^Religionen mieber. ©a^inter fte^t bie gro^e Sorge,
ha^ allen bilblic^en ©arfteflungen eine Scnbeng gur Soslöfung oon
bem lebenbigen ^nnenpunfet ber 9leligion, gur 95erfelbftänbigung
bes rein ^Jormalen innewohne. S>iefe ©orge ift, mie bie Qflcligions-
gef(^id|tc bcroeift, nur gu bereclitigt. 9Dieber muffen roir bas ^eilige
^Inliegen alles SBeltennens burc^ bie ^orm unterftreic^en, ha^ es
bie ^ü^lung mit ber tebenbigen 5at nic^t oerliere. 3^ rociter fic^
bie ^orm auseinanberfaltet, bcfto größer ift bie ©efa^r. ®s roar
ba^cr ein religiöfes 3lnliegen im ^öc^ften ©innc, als Suttjer ben
gangen (£^or ber ^eiligen mit €infc^lufe ber Sölaria ftric^. 2Da§
aber felbft bie lebenbige (S^riftusgeftalt, bie fintier allein übrig
liefe, bicfcr ©cfa^r nid^t entgangen ift, geigt bie bogmatifc^c (Er*
ftarrung bes C^riftusbilbes foroo^l in ber alten roie in ben
SReformationsfeirc^en. S)ie ^enofisftreitereien ber fiut^erfeirc^e geigen
beifpielsroeife, auf roas für einen ©trang and) bie e^riftusbetrac^tung
geraten ftann. ^ier roirb bas eoangelift^e fiebensbilb S^rifti einfach
gerriffen, gerpflüclit unb bis gur fiebensfremb^eit entfteHt. <£s roirb
gum ©egenftanb oerftanbesmäfeiger ^Betrachtung unb ^öc^ftens ge-
fühlsmäßiger Slnbetung, oerlicrt aber feine ins roirfeliri^e fieben
greifenbe ^aft.
Uebrigens ift bie §eiligenoerel|rung, insbefonbere ber SHarien-
feult ber römifc^en Äircfie, fieinesroegs nur eine ^ortfe^ung unb
460
Utnbllbung ^eibnift^er 95oI^strlebc,- fonbern eine fcl)r notrpenbige
(^rtftltd)e *) ©rgünaung bcr entarteten (£t)nftu6oerct)rung. (£tn
S^rtftusbtlb, has äunt roicfeUc^lieitsfremben 95egrtffspt)antom unb
Sroetnaturengögen geroorben war, ja fid^ fdjKe^Itc^ gur ftarren
ijolte etnes crftarrten (grlöfungs* unb ©enugtuungsroerlies cnt-
rotdielt ^atte, konnte unmöglich bem lebenbigcn rcUgtöfen ijottnen-
bcbürfnts genügen. 5)as S^riftusbilb bes antttelalters, \a ber
römtfdjen ^irt^e überf)aupt, rotrb, für firf) genommen, bte norf)
fieben unb fitebe ledjgenbe 9Henfd)enfeeIe immer featt unb leer
laffen. (£5 bebarf unbebingt ber ©rgöhgung burcfi bie menf(f)Ii(^e
©Ute ber 9HartengeftoIt. 9Bte ber ftarre ^ettsapparat ber römlfd^en
Ätr(^e nur bte ^ütte für eine fet)r egogentrift^e unb irbifc^ gerid)tete
^römmiglieit ift, fo ift bas (£t)riftu5bilb biefer ^irt^e nur ber
büfter»emfte ^intergrunb für bie menf(^It(^, atläu menfdjlit^ roeid^e
SÖTutter ©ottes, bie für bie Rleinften '2lnliegen bes töridjten 9Henf(^en*
Ijeräens ein offenes £)f)x l)at ©er S)urd)frf)nittsfromme ber römtfdjen
Äirt^e roenbct fid^ ba^er aud) fo gut roie ausfdjliefelid^ an 9Hario,
bie i^rem unnat)baren unb ernften ©otjue gegenüber bie ^ür-
bitterin unb 95ermtttterin ift. Safe aus bem 95oIfesbebürfnis l^eraus
eine foI(^e (Ergängung notroenbig mürbe, ift eine bleibenbe 9Hat)nung,
bcr St)riftusgeftalt bie Sebensroörme unb 9BiriiIid^fieitskraft gu er*
galten, bie i^r bie erfte St)riftcngemeinbe gegeben t)at. 9Benn
§o^cit unb ©Ute auseinanberftreben, roeil bie 3<^fittJ^t ^^^ fieben
äu bet)errf^en begonnen ^at, fpaltet fi(^ bie SHeligion unb mit it|r
bie lebenbige (Jorm, bie fie oerliörpert. Sie tebenbige SReliglon
wirb nie oon bcr t^o^öerung laffcn Itönnen, bafe es nur eine
©eftalt fein barf, in ber fid) i^r roirfifamcs Scbensgcfcö' oerfeörpert,
unb um bie fi(^ ifjrc SBcfecnner f(^aren. „€incr ift euer 9Heiftcr,
G^riftus; i^r aber feib aUe SBrüber."
„3^r aber feib alle QSrüber!" §ier betreten mir nun ein
rocitercs ©ebiet formfc^affcnben 93elicnnen5. fiicgt bas C^riftus-
bilb an bcr innerften ©eitc aller rcligiöfen tJoiin^ttbung, ift es
bas Uebergangsglieb aus ber 6pt)äre bcr oerborgenen Zat in bie
QBcIt bcr fic^tbaren ©cftaltungcn, Ja roirlit es als folc^cs, roo
•) ©as offenbart fid) ja audj in bcr rounbcrbarcn SRctn^cit bcr
iungfröuli^en aHariengeftalt, bie bem mittelaltcrßciienSebenstbcai entfprad).
461
immer es ecl)t ift, unntlttclbor äitfammenfügenb unb ben „fieib
(Stirifti" fc^offenb, fo bröngt es nun über \xä) felbft tiinaüs In bte
3Be(t bcr foätalcn t5ormcn, burc^ bte bcr fietb S^rifti m
aufbaut. unb fort unb fort bas Scbcn fic^ cingtiebert. ^u ben
lebcnbig mirfeenben ^Jormen, bte bas Oefefe ber Qßa^r^ett in bie
QBelt tragen, gehören unbebingt bieSebensorbnungen ber
©emeinbe. S)a^ ^ier eine gang n)t(f)ttge Seite bes rellgiöfcn
^ekenntniffes , liegt, ift im fiaüfe ber c^rtftli(f)en ©efc^ic^te, gumal
ouf bem ©oben bes fiut^ertums, faft gönättc^ oerbunfeelt roorben.
Um fo kräftiger muffen mir in unfern Sogen auf bie Ueberliefcrung
ber erftcn St)riftengcmcinben gurücfegreifen, bie in ben formen itjres
3ufammenlebens ein gang roi(f)tiges ©tücli ber geugenbcn ^raft
il)rcs ©laubcns fa^cn. S)ur(^ atte ©emcinbescugniffe bes 9leuen
S^eftamcnts gie^t bas t)o^e 95crantn)ortungsben)ufetfein, burti) bas
3ufommenIeben ber C^riften untereinanber nidjt nur keinen ©runb
äur Sdfterung gu geben, fonbern ou(^ ber 3Bo^rf)eit i^res ^erm
eine ©äffe in bie nod) unbekc^rte QBelt gu bahnen. S)as ©e-
meinbclcbcn, bie Sreue gur SBrüberfdjoft, bie SReinl^eit bes QBanbets,
bie ungetrübte Sinorbnung ins ©onge burd) bas königliche ©efe§
ber bienenben Siebe mär 95ekenntnis im l^öd^ften 6inne. Sie
Sufammenkünfte mit allen i^ren mannigfaltigen Sebensdufeerungen
bienten bem einen ^roedi, bas ©efeö ber 9BoIjr^cit unter ben
©liebern gu ftärken, bie ©emeinbe gu fcftigen unb gu grünbcn,
baburc^ aber i^re ^Ibroe^r« unb ©topraft nac^ au^en ftettg ju
er^öf)cn. ©as ift bis tief hinein in bie 3eit ber Äirc^cnoäter gu
beobad)ten. ©as liegt aud| in ber 9Iatur bcr ©ac^e. S)ie Zat
bes religiöfen 5Bekenntniffes, bie nur im Sufammenteben roirkfam
werben kann, bröngt um fo ftärker auf ©eftaltung ber Scbens-
formen unb S)urd|fü^rung lebenbiger Orbnungen, \t weiter i^re
^eifc werben. 3)es großen ©cmeinbcfd)öpfers mid^tigfte Arbeit
ift es geroefen, in feinen ©emeinben lebenbigc Orbnungen gu
fc^offen.
Äeine 9led)tsorbnungen! 9toc^ einmal muffen mir mit aller
©c^ärfe betonen, bafe er nie baran gcbac^t ^ot, juriftifc^ feftgelcgte
SScrfaffungsformen gu fc^affen. ©otange er lebte, unb noc^ weit
barüber hinaus, blieben bie S)inge burc^aus ftiefeenb unb fic^ nac^
ben örtlichen unb pcrfönlic^en 93erpitniffen immer neu geftottcnb.
— 462 —
5lber bas gto^e (Brunbgefeg (S^rlftl fügte fort unb fort blc oor-
tjonbcncn Gräfte in bcn f|etltgen 5)tcnft bes ©onjcn ein. Ob es
bie ^öfte ber fiettung, bcr 95erliünbigung, ber QBeie^eit, ber Er-
kenntnis, bes (Slaubens, bcr Teilung, bcr 3clct)cn, bcr ^Dctsfagung,
bcr ©eifterfc^cibung, bes gungenrebens unb feiner ©eutung waren,
bie ©cmeinbe ftcUte bie gange ^ülle bcr QSoIfesferäftc, bie bas
antike Sieben in fi(^ barg, ein, um in atten ©tüdicn su road^fen
an bem, bcr bas §aupt ift, CC^riftus.
(£s Ijanbclt fi(^ Ja hzi bcr S)urd)fe3^ung bcr rotritenben 3Ba^r*
^cit in bcr 2Delt um garnic^ts anbcrcs als um eine UmftcUung
bes ©cfamtlebcns in eine anbere ©runbric^tung. S)tefc UmftcUung
Dofläict)t fid^ in ben ^mtx^n bcr ©cmcinbcn, bie man mit Um*
f(^alteftcllcn bes großen fiebensftroms oergleidicn kann. QBas an
Slufgabcn, 0trömungen, Scftrcbungcn burc^ bie gcit flutet, ^icr
rotrb es in bas ©cfe^ bes fic^ opfemben Sicnftes ^inetngcämungen.
(Snblos ift bicfc 2Iufgabe, ha fie immer neue formen unb Drbnungen
forbcrt, um bie taufenbfältigcn Stngclftrömungcn gu bänbigcn unb
in ben ©efamtftrom t)inctnfd^iefeen gu laffcn.
QlBcr ben ©oben ber ©cmeinbe betreten will, rotrb an i^ren
Slorcn gefragt: „9Das kannft bu?" ^ennt er feine Berufung —
role oft freiließ mufe i^m bas ficben in ber ©cmeinbe erft bie
Slugen bafür öffnen! — fo rolrb i^m feine 3lufgabe geftetlt. .Kann
er bcr 5"9ßn^ bleuen, fo rolrb 3clt unb Kraft nad^ bem SRa^c
feines Könnens oon i^m geforbert, flt^ l^r fclbftlos ^Ingugcbcn.
§aben bes ©dildifals ©türme fein ficben gereift, fo rolrb l^m bie
9BcIt ber kämpfenben 9Iot geöffnet: S)ort ift belnc Berufung.
§at l^n bas ficben einfam gemacht, fo rolrb er bos ©Infame jur
^reube ber ©emclnfd^aft gu fül)rcn ^abcn. ^tbn clngclnc rolrb
genötigt, feinen 2öeg praktlf(^ gu flnben, bcr l^n gum Raupte
«^riftus füfjrt. ©ie ^ütte ber ^ufgoben unb 3nögli(^kcltcn, bie
eine ©roMiöbtgemclnbc umfaßt, löfet flc^ nlc^t umfc^relbcn. (Eine
oollftänblge ©cmelnbcorbnung kann es ^ler nie geben. 6le
mufe ftänbig roac^fen unb fic^ ocroollkommnen, je nac^ ben SHenf c^en,
©aben Unb 5lufgaben, blc in lt)rcn 95annkrcls treten.
3tber roer ben ©oben ber ©cmeinbe betritt, mufe Im crften
Slugcnblickc füllen: ^icr ift ein 3Bitte, ber ben €igenroiflen oöttig
ausfc^oltet unb einem ^eiligen ©efefe bcr flc^ clnorbnenben filebe
— 463 —
bicnt. ^cr gegen bicfen ^iüett fic^ ftröubt — rote ft^ncÖ roirb
jict) bas ^crausfteUcn! — , roirb balb i^r bcit 9lücften kehren, roeil
bie t)ler ^ctrfd^cnbe fiebeitsorbnuttg auf 6rf)rttt unb Stritt mit bcr
®runbrid)tung feines ^anbelns juf ammenftöfet. 3Der aber buri^
bie grofec 2Dicbergcburt gegangen ift, roirb aufjubeln roie ber
Setticr, ber in feines Königs 6aoI tritt unb oon göttUt^er 2id)t«
fütte fic^ umftutet fie^t. 2Bic bie i^Qniißß» i« bcr bos gro^c
©c^orfantsgefeg gegen ben göttlicfien QKiflcn ^errfc^t, hm ©aft
roie mit einem ^öubcr^aud^ bes ^riebcns umfängt unb il)n, ben
mübcn, ousrut)en lä§t roie auf roei«^ gebettetem fiager, fo roirb
bie ©emcinbe ©ottcs burc^ bie t)eilige örbnung, bercn unfid)tbare
tjäben il)r fieben I)alten, bie müben, im S'^fi'^cben abgearbeiteten
93Ienf(^en umfangen roie eine SHutter, bie alles gibt, inbcm fie
alles forbert. „3^^ f^t^ nun nic^t me^r ©äfte unh »Jremblinge,
fonbern QStirger mit ben ^eiligen unb ©ottes ^ausgcnoffcn", roie
eine überroältigenbe SBa^r^cit mufe bics Erlebnis über hm kommen,
ber bie ®d)roclle ber ©emeinbe überfd)reitet. 5)a5 3)raufeen unb
©rinnen bcr nac^ ^Jricben fuc^enben QBelt Sag für ^ag burc^ bie
ftiü roirfeenbc Orbnung bcr bicnenbcn Siebe ins 93eroufetfein ju
fi^icbcn, es ift roat)rli(^ eine t)eilige 93elienntnisaufgabe ber form-
fd^affenben ©emcinbe.
3tuc^ ^ier muffen roir fagen, bo§ bie oon ©cfc^lcc^t au
©efc^lcc^t fid^ ocrerbcnbcn iJormen ni(^t oon cinjclncn, fonbern
nur oon ben 95ielen gefc^affen roerben können, bie oon bem neuen
fiebensroiUcn ergriffen roorbcn finb. Ucberlicfcrungen ber 35äter
unb örtliche S8räu(f|c roerben gerabc ouf biefem ©cbictc forgföltig
gefd^ü^t roerben muffen, nic^t als ftarre ©cfegc, fonbern als oer-
e^rungsroürbigc Präger bes ^cimatgcfü^lcs. ©ooicl roirb man
fagen können, bo§ bie neu gu fc^affenben formen bes
kommenben Scitaltcrs fic^ ganj befonbers ^cgcnb, geftaltcnb, f orgcnb
um bie 3*106«^ legen muffen. ^uöCJibarbcit unb ©emcinbcfittc
roerben in Zukunft nic^t me^r oon einanber getrennt roerben können.
Ser roac^fenben 3wgcnb ben ^alt einer tragcnbcn Sebcnsfittc in
bem äcrfplittcrten ©ro^ftabtc^aos roiebcräugcbcn, bamlt aber ber
©emeinbe ben Icbcnbigen unb nie fertigen (S^arakter i^rer fiebens-
orbttung ju fit^cm, roirb bie grofec Qlufgabc bcr formcnfc^affenbcn
Zukunft fein. S)as 95ckenntttis ber roirkenben Sat unb bas
— 464 —
93ckenntms ber ledcnbtgen ^orm werben ^ler unauflöslich mit*
elnonber ocrbunbcn bleiben.
(£s TOöre für einen, ber mitten in ber 3u9cnbarbeit fte^t,
eine lodicnbe Aufgabe, ein ^bealbilb einer ©enteinbeorbnung gu
entwerfen, in beren 9HitteIpunkt bie ^ugenbarbeit fte^t. QBer bie
^rajts Itennt, roeife, ha% gbcalbilber roo^I 2Inf|)orn unh Slnregung
fein können, bafe bie 2DirkIi(f)feeit ober oon ungä^Iigen Höften
unb 9BiberftSnben geformt wirb, bie fic^ ni(^t nad) 9Bünf(^en
unb Hoffnungen rid^ten, fonbern fid) nur burc^ müMcKgc "Slrbeit
langfom gu einer Orbnung sufommenfügen, bie bann atterbings
fträftigcr, t)altbarer unb roirkungsooQer ift als menf(^Ii(^e ^heaU
bilbcr. 9lur bie felbftlofe Arbeit oicier ^änbe unb forgenber ©eclen
ift berufen, in bie ©rofeftobtgemeinbe bas 93ilb bcs 9Hcifters hinein-
^uroirfien, bas roerbenb unb umgeftaltenb bem ©angen bes fiebens
gegenübertreten feann. SHur in langer, ää^er '3lrbeit roirb es auc^
gelingen, bie 5aufe unb bie Konfirmation, biefe ber 3"9^"^ Q^"
^örenben ©tüdic ber ©emeinbeorbnung, aus prioatcn %t\tm in oer*
pftii^tenbe 'formen unb 33efeenntnisotite ber ©emeinbe umsuroanbetn.
3n er^öt)tem 9Hafee gilt bas oon ber 5lbenbmat)Isfeier, bie
TOO^I erft ganä langfam aus Weinften Greifen heraus roieber gur
lebenbigenijorm ber f)ö(f)ften QBa^rtjeit rocrben rotrb. Wiv bürfen
nid^t oergeffen, ha^ bmdj bas Zeitalter ber ^erfönlid)fieitsfeultur
ber foäiale ^ormenfinn bis in bie legten liefen gerriffen roorben
ift. S)ie fiebensgeftaltung,. bie oon bem ©efefe ber Eingabe an
bas ©anje ausgebt, feann erft in bemfelben 9Ila^e langfam fic^
entroicfeeln, rote biefcs ©efe^ felbft fic^ burc^fe^t. ^ier im 95oraus
Äonftrufitioncn ju forbern ober 5U entroerfen, märe nur bas beut-
Ii(^fte ^Ingeic^en bafür, ha^ man bie 9lufgabc ber Seit nic^t oer*
ftanben ^at. 9Der ni(f)t ous feleinften 3lnfängen heraus arbeiten
unb ge^orfam roartenb bie ©inge fic^ cntroicfeeln laffen kann, f)at
bas ©cfeö bes ^Dac^stums bes ©ottesreic^es nic^t begriffen,
©erabe bie tebenbige ^orm forbert ^eit, ©ebulb unb roartenbe
Hingabe. Soktrinöre Konftrufetionen ertöten it)r QBac^stum fc^on
im Keime, ©as ©leidjnis oon ber roac^fenben ©aat follte als
bleibenbefiofung über allen SBemü^ungen um bie lebenbigeSukunfts»
form ber emigen 3Ba^rt)eit fielen.
9Bo^I aber mufe bas 3luge in ^öc^fter QBac^famfeeit auf aUe
— 465 —
«Punkte bcs 95oIfisIcbens gerichtet fein, an benen bie formbtibenbe
Stacht ber erotgen 9Bo^r^elt anfe^en kann, ^retltc^ bie Seiten
ber 93ergangenfjeit, in benen bas v^Hit ®ott!" im ^auptbud^e
bes Kaufmanns ber ^lusbrudi ber 9Bei^c aud^ für bas kauf*
männiftfie fieben roar, bürfen mir nic^t in eine allgu na^e gukunft
legen. Stad) ben langen 3ttf)rf)unbertcn, in benen ber 9Henfc^
ausfd^liefelicf) für fid) arbeiten gu foUen glaubte, wirb er lange für
ben tjiembling arbeiten muffen, et)e er roieber begreift, ha^ bie
3lrbeit für ein über bem ^6) licgenbes 3iet bem Seben allein 2lbel
unb ^reube oerleiI)cn kann, ^ber in unmerklich fid) anba^nenber
9leubur(^bringung bes Sebens mirb bocf) in ben Reiten ber 9lot,
bie t)or uns liegen, bas grofec Opfergefe^ bes fiebens ^ier unb
ha auc^ fid)tbar über bem ba^influtenben Sebensftrom aufblifeen.
S)as ^reu3 auf ben ©räbern mirb roieber eine beutlid)erc 0prad)e
fprec^en als in ben S^tt^ii» i" benen man gefd)macklofe €^ren«
monumente auf ben legten §ügel fegen gu muffen glaubte. S)äs
^reu3 bes SJIenfc^enfo^nes roirb roieber onfangen, ju ben 9Jlenfd^en
äu reben, bie fo oiele fd^lidite ^oläkreuje auf ©röbcm oon 9lamen-
lofen aufrichten mußten. SJietteic^t roirb es auc^ an ben großen
fiebensftrafeen an ftiüen '^uvktm roieber auftaudjen, roie gu ben
Seiten unferer 93äter, unb fein memento mori in bie 91tenf(^en-
feelen roerfen, bie roieber bas grofee Opfergefeg fo fühlbar an fic^
^aben erleben muffen. 6olc^e Erinnerungen roerben ben 9Henf(f)en
nic^t me^r peinlich, fonbern eine 2Bo]^ltat fein, roeil fie i^ncn
mitten in ber SHot unb 3Hüt)e bes Sebens einen 5:runk aus bem
£luell ber eroigen QBal^r^eit fpenben unb fie gu freubigem Opfer»
fc^affen uorroörtstreiben.
Unb um unfere Xoten roirb fid^ roieber bie Icbenbige, burd^
bie eroige 3Bal)rf)eit geroei^te ©itte fpinnen. 2Bir brauchen barum
nidjt gu forgen. 5)ie Seiten ber roürbelofen S:otenfeiern finb not*
über. S)as grofee 6terben ^at htn Sob roieber gum 95oten bes
©ottes gemacht, oor bem roir uns e^rfürd^tig beugen, bem roir
mit allen %a\im bienen foUcn. S)er Zag ber Xotcn roirb in
®l)ren gehalten unb burd^ ernfte ©itte geroeit)t roerben. Sie ©tötte,
an ber bie 5oten ru^en, roirb aus lebenbigen SHaturformen unb
toten ©teinen bas eroige ©efeg bes Sebens künben. S)ie fc^merj»
lidifte Erinnerung an bie Vergänglichkeit bes EinäcEebens roirb
8. $ettittatin, ©rogftabt unb SReligton. 3. S:etl. 30
— 466 —
ftc^ bort in hi^ ©erotfel)ctt ber unoergänglic^en Gräfte unb ^i^U
bes ©efomtlebens roanbeln. 5)Qfe ]iä) an bem ©cbädjtntsort bcr
5:otcn bte 95telen, bofe ftd) bort olle .^ufammcnfc^arcn muffen,
bas roirb gong oon felbft bcn formen, mit benen mir tt)n um*
^üQcn, bas allgemeingültige ©efe^ bes 9nenfc^enfot)nes ein*
prögen. 5tn unüberfet)baren ©räberreil)en mlrb ber 3<^"tcnfc^ aum
©(^roeigen kommen unb ber 9BiIIe bes emigen ©ottes onfangen
äu rcben. ©ort roirb oieHeidit guerft bie oolfestümlidie religiöfe
^unft mieber ermac^en, meil bort ber Gingelmenfc^ gegroungen
wirb, fi(^ bem 95oIfee eingufi^oren. ®os ©tirb unb QBcrbe bes
religiöfen Urerlebniffes barf t)offen, on bem Ort ber Xoten guerft
roieber einen ooUgüItigen Slusbrucfe and) in ber äußeren ^Jorm gu
geroinnen. 9lid)t nur 2^roft unb (Erinnerung für ben einzelnen,
fonbern 2Dcil)e für tm ©ienft bes ®ct)öpfers unb feines 3Beriies
roirb ben ^riebfiöfen ber guftunft cntftrömen. hieben ber Trauer
roirb t)ier bie Hoffnung, neben ber fef)nfüd)tigen Erinnerung ber
fd)öpferif(^c '^ukunftemiüe, neben bem Senfenmann ber fiebensfürft
tcbenbigen ^tusbrudfe finben. lieber ber Stätte unferer 5:oten mufe
t)ett bie QBafjrtjeit aufleu(^ten, bofe bas Seben bagu berufen ift,
bcn Xob gu oerfdjlingen. deiner barf oon il)r 3urüdfeliel)ren, ber
nic^t ftärker rourbe, bas Seben in feinen S:iefen gu begmingen.
3)ie formgebenbe ^raft ber ^H^unftsgemeinbe mirb fid| aber,
gumal in ber ©ro^ftabt, aud) auf bie äußere ^eimftätte i^rer
Iebenfd)affcnbctt 2Irbett merfen muffen. 3fi es eine ber mii^tigften
Seiten bes religiöfen ©ro^ftabtbienftes, ber gerriffenen unb ^eimot-
los geworbenen 9Ilenfd)^eit bas §eimatgefüf)I gurüc&gugeben, fo
roirb bas §aus ber ©emeinbe gang befonberer Pflege bebürfen.
€s ift eine ber fct)meräli(^ften S:otfa(f)en bes ©rofeftabtiebens, in
ber fi(^ ber gange 33ankrbtt bes gro^ftöbtifdjen (Stjriftentums fpiegelt,
ha% bie ^ird)e in ben erften 3öl|täel)nten grofeftäbtifdjer Sntroicfelung
©eböube oon gerabegu grauenl^after ^älte unb ijormlofigfeeit auf«»
gefütjrt f)atf fobafe felbft ber ^unftgefd^madfe einer bis in bie
SDurgeln irreligiöfen "S^it bagegen aufftanb unb fi(^ um neue
tjormcn bemühte. 93lan roirb inbeffen auc^ fjier fagen muffen,
ba^ mit einem rein nad^fü^Ienben ^unftfinn bas 91eue nid^t roirb
gefd^affen roerben können. S)ie bem neuäeitlidien ^unftgefdjmadi
angemeffene ^orm altein genügt roa^r^aftig nic^t, um h^m ©ro§-
— 467 —
ftöbter fd^on aus bcr §elmftatt ber ©entcinbe bas ficbensgcfcg
entgcgcnleuc^tcn gu loffen, bas Itjit erlöfen unb in eine neue,
I)eintatlid)e 9BeIt oerfe^cn kann.
snian fpric^t oon einem proteftantif(^en ^rrfienbau. aHan
barf mit SRec^t beäroeifeln, ob es i^n Je gegeben t)at. ©c^on bic
S^atfadje gibt au beulten, ha^ biejenigen ^Trd)en, bie ben angcblid^
proteftantifdjen ^irdienftil, b. I). bie uoHenbete ^rebigtfeirt^e, mirk"
Ixd) oerfeörpem, p gälten ftnb. 5)ie überroältigenbe 93tet)räat)l
aller oom ^roteftantismus aufgeführten Äirc^en ftellt garni(f)ts
anberes bar als eine mc^r ober weniger gef(i^idite 9la(^a^mung
ober Umbilbung mitteIatterHc^*feat^olifd)er SBauformen. 3)ie oer*
blüffenbc 5;atfa(^e, bafe bis in bie neuefte 3^^ t)inein ber ^ro-
teftantismus bie größte 35ortiebe für gotifd^e (!) formen gegeigt
^at, bie ber mittelalterlirf) erftarrten ©tufe ber katt)oIifd)en '^törnrniQ»
keit bas entfprecEjenbfte ©eroanb gelief)cn ^aben, berocift frf|on
allein, ba^ ber ^roteftantismus auf hem ©ebiet bes ^ird^enbaus
überf)aupt kein (£igengefüf)I nnh keine (Stgenftänbigkeit gegeitigt
^ot. (£r ift künftlerifd) rabikal unfruft)tbar geroefen. 2I3eil er
roeber ein ©emeinbelcben no(^ ein irgenbroie buxä) feine ^römmig*
kcit d)araktcriftif(^ beftimmtes 95olksIeben gekannt ^at, ^at er
aud^ kein §aus für bie ©emeinbe ober bas 95oIk unb keinen
tt)pif(i)en 93auftil f(f)affen können. 3lu5 feiner 6pra(^e, feinen
©ebanken, feinen ©ottes^äufern leud^tct no(^ bas gange QHittet-
alter heraus, fo ha^ bas ooIkstümIirf)e SBeroufetfein bis ^eute noc^
einer mittelalterli(f)en ©rö^e gegenüber gu fte{)en glaubt, roenn es
fid^ mit kird)lic^en fingen auseinanberfe^t.
Safe man bie „^rebigtkiri^e", b. t). eine 95auform, bie bie
Serftönbigung eines 9lcbners mit einer tunlidjft großen 6(^ar oon
9Itenfcl|en ermöglidit, für ben t^pifd) proteftantifc^en Äird^cnftit
erklärt t)at, beroeift bie gange Sbecnarmut ber proteftantifc^en
'Slrd^itektur. 3<^ ^ob^ '^^ %üh^ bie S8eobad)tung gemad)t, ba^
eine ©d^eune, ein ^inofaal, ein laufc^iges SBalbpläfec^en, ein
Unterftanb ober ein 6d)ulgimmer biefem Sro^ck gum minbeften
ebenfo gut, ja bcffer gu bienen geeignet finb als bie Frauenkirche
in ©resben, .3)qs 9Ile^r aber, bas ein reic^ ausgeftatteter ©ottes«
bienftraum bem eoangelifdien §örer gu bieten oermag, ift eben
— bas ^atfjolifc^e ober — bas oom l)erben ©eift bes (Soangeliums
30*
— 468 —
21blcnlicnbe, bas Uncfirifttic^e. S)enn es tft burc^aus nic^t ^ufatt,
ha^ man bcn angcbltd) proteftanttfc^en Ätrt^enftll erft entbedit
I)at in bcr 3^^, als bic ^luflilärung btc eoangelifrfjc Frömmigkeit
bereits bis in bie QBurjeln gerfe^t f)tttte. 5)ie fogenannten ^rebtgt«
liir(^en finb — bis auf bic fcftgetjaltenen kat^olifdien 9le[tc —
fc^r roeltlid^ anmutcnbc ijß^ßtfttte, bie für ben \i(i) an bas öft^cttfd^
unb intctiefetuett rec^t anfprucf)sooIIc 3"ötotbuum roenbenben
„(Srlebnisgottesbienft" eine roürbige ^oßc bieten. 9Han gebe fi(^
keinen Xäufd^ungen I)in. Sie fogenannten proteftantifi^en ^trd)cn
finb entroeber ^Jeierftätten mit feat^oItfd|cr ©runbftimmung ober
roeltlic^e XempeL ^ür bas „SBoIk ©ottes" im 6inne (£f)rtfti finb
fie keine ^eimftötten mef)r. ©agu finb fie entroeber gu egoiftifdj*
roeltflüdittg ober gu finnli(f|='rocltfreubtg ober iu nü(^ternnntellektuell.
S)er <proteftantismu5 konnte keinen tgpif(^en ^ird)enftit f(^affcn,
roeil er keine ©emeinbe kannte.
Um fo roicf|ttger ift es, in bem '21ugenblick, roo auf bcm
SBoben ber ©rofeftabt eine neue ©emeinbe entfielen roill, mit
ganzer Siebe bie 5Iufgabe ber SJleuf(^affung einer §eimftätte für
bas „95oIk ©ottes" ins 3lugc äu f äffen. ®ie '^lagt bes „mobernen
©tils" f ehaltet babei gunädift ooEkommen aus. 3Han mufe 5uerft
roiffen, roas man bauen roill, roel(f)e 3lufgabe bas ©ottesf)aus
für bie ©emeinbe t|at, bann ergibt fic^ bas „3Bie" unter kunbigen
§änben oon felbft. ^n ber Unabgeklärt^eit unb ber Stot ber
Uebergangsäcit roirb man fogar, roie in ben Sagen ber erften
St)riftengemeinben, auf ein befonberes $aus oeräiditen muffen.
(Es ge^t root)! nidjt nur meiner ©emeinbe fo, fonbem and) un*
geäötjlten anbern, ha% fi(^ bas ©emeinbeleben im engeren ©inne
3U neun 3ct)ntetn im "=pfarrt)aus, in öffentli^en Sokalcn ober in
^rioatt)8ufern abfpielt. ®as kird^Iit^e ©eböubc kann nur nod)
einen gang kleinen S^eil ber mannigfaltigen formen bes gemeinb*
liefen Sebens faffen. Sie 95erftänbnisIofigkeit für bic 3luf gaben
unb bas QBefen einer fd)affenben ©emeinbe aber ift in bcn cnt*
fc^eibenben 95erroaltungskörpcrn ber ^^irc^e" noc^ fo gro§, ha^
man roo^I noc^ auf lange ^ö^^äc^nte, }a ^a^r^unbcrte hinaus
roeiter fogenannte ^irc^en bauen roirb, bie man, abgefe^en oon
„künfttertfdien" ^Jetern, Sonntags einige 0tunben für bie ©rbouung
oon Cingelmenfc^cn öffnet, bann aber ^crmctifd) roieber abfc^Iiefet.
— 469 —
Scr elgentltc^c Scbcnsftrom tüirb m feine g5at)n neben ber
Ätrc^e fu(^en muffen, ©er ec^te unb ttefe ^etmotflnn, ben bte
SReltgion fc^offt, entfielt auc^ grunblegcnb nur unter einem 95olli
oon ^cimotlofen, bie ftd) im cngften 3laum, oft genug ^in» unb
t)ergeftofeen, gufammenbrängen muffen. Qlber eines 2ages wirb
bocf) it)re ^raft foroeit erftarfit fein, t>a^ fie baran benken können,
fic^ für i^rc fcfiaffenbe Tätigkeit audj ein %au5 gu bauen, bos
als foti^cs oon i^rem ©eift unb 935oUen S^uQ^is ablegt. S)as
roirb nun aUerbings keine „"iprebigtkirc^e" fein, fonbern }eber
9iaum unb jebe fiinie wirb ben ®eift ber fc^affenben Zai atmen,
unb bie gange SHannigfaltigkeit unb ©tufenfotge bes Sebens rotrb
barin einen Sammelpunkt fud)en.
€s ift nun freilid) aud) ni(^t möglii^, einen foli^en Sammel-
punkt in bem gu finben, mas man t)eute „®emeinbet)aus" nennt.
60 uncntbe^rlid) unb rotditig feine Slöume für bie ©ro^ftabt-
gemeinbe finb, fo ftark finb fie no(^ oon ber gangen 'ipianlofigkeit
unb ©efd^öftstiaft bes Drganifationsfanatismus belaftet. Sarin
finbet aQcs matjUos einen ^la^, mos bie ^irc^e an fogialen Hilfs-
aktionen für aUe erbenktid)en 95ebürfniffe ins Seben fe^t, oon ber
^inberkrlppe bis gum 3lrbeitsna(^meis, oon ber Krankenpflege
bis 3um 9Hänneroerein. ®as gro^ftöbtifc^e ©emeinbe^aus ber
Sc^tä^it atmet noc^ ben unerträgtid^en ©eift grofeftäbtiftf)er Sewiffen-
l)eit unb llnternet)mungsl)aft, ben bie ©emeinbe ^bm überroinben
miß. ®ie rein tec^nifc^en ^ilfeleiftungen fott bie ©emeinbe ent-
roebcr — roogu bie gegcnroärtigc 6toatsentroi(klung fie fogar
bröngt — bem ©toat übertaffen ober, foHs fie nur burc^ ben
fpegififc^ (^riftlic^en ©eift getragen werben können, begentralifieren
unb befonberen ^"ftttuten überlaffen (Banken-, 93erroat)rloften-
unb 5lrmenfürforge, Krippen, 2Dartefc^uten unb bergl). S)icfc
S)inge roerben bamit ni(i)t ber ©emeinbe entzogen. 95ielme^r
wirb fi(^ biefe in bem Sienft an fold)er ^ilfsarbeit bauernb als
^atgemeinföiaft beroö^ren muffen, roie anbererfeits fclbft bie Ein-
richtungen bes ©taats ber tätigen §itfe matir^aft diriftlic^ gerichteter
SRenfclien ntc^t entroten können. S)os olles gehört aur 2Iusftrat|lung
bes ©emeinbegeiftes in bie 9Belt, nitf)t ober gur ©ommlung
ber ©emeinbe. ®as ©emcinbe^ous mu^ gong ausfc^liefelic^
im S)ienfte ber ©ommlung fielen.
— 470 —
®as §aüs bei ©cmcinbe mufe ein erroeitcrtes
t^amtltcn^aus fettt. S)as f erliefet, um mtt ber ^Ibgrenäung
äü beginnen, }eglicf)en „öffentlid)en Charakter" aus. Ss ift bie
§eintatftatt ber 9Jlenf(f)en, bie firf| gunt ©runbroillen ber ©emeinbe
bekennen, barf alfo nic^t gu irgenbraelc^en öffentlid)en 95eranftat*
tungen feünftlerifc^en, politifc^en, intellelituellen ober fonfttgen
3n^alt5 mifebrouc^t werben, bie gornic^ts mit bem ©emeinberoiUen
gu tun t)aben. (£in ©emeinbe{)QUS ift feein SDoIfesfjaus, in bem
fid) bie ©eifter beliebig tummeln können, ©as bebeutet keine
^jtjarifäifcfje (gjklufioität, fonbern liegt in htm. S^orakter ber ©e*
m^'einbe begrünbet, bie bei atter Offenheit für bie mannigfac{)en
9Iufgaben bes 25oIk6leben6 ber inbioibuQliftifc^ gerriffenen 2Dett
bes QBettftreits gegenüber einen entf(f)Ioffenen QBtQen ber (gint)eit,
bes ©idjeinfügens unb bes ©emeinf(^aftslebens oertritt. ©er
organifd)e Aufbau gibt bem fieben in bem ^aufe ber ©emeinbe
has ©epröge. Sine forgfältige '2lbn)ägung ber geit* unb 3lQum-
oerteilung auf bie oerfj^iebenen Sebensäufeerungen unb fiebens»
ftufen ber ©emeinbe fdfjafft eine n)o^lburd)bacf)te lebenbige Orbnung,
bie allen 58efud)ern bes §oufes in '^M](i) unb ©lut übergeben
unb oon aQen geachtet unb innegehalten roerben mu^. ®in roo^l*
tuenber regelmäßiger Qi^^t^mus be^errfct)t bas fieben, bas bas
§au5 burc^flutet. S)ie Qtgitation unb bie Sleklame t)aben i^ier
keine ^eimftätte, roo^l aber bie alten vertraute lebenbige ©itte.
3eber kennt ^ier feine ^fli(f)ten, unb jeber meife, roas er fjier gu
beftimmtcn Reiten üorfinbet. §ier ^at bie 3ii9c^^<^^^ßtt i^re
3läume, unb l^ier oerfammetn fid) bie eilten gur 3tusfpracl)e unb
^Beratung; ^ier roirb ernfte ©ebankenarbeit gepflogen, l^ier finbet
aber auä) bie S:agesarbeit i^ren ^eierabenb in ber ^reube an
^unft unb ©efeßigkeit. ©ie große Familie, bie ^ier ein- unb
ausgebt, umfaßt aUe fiebensalter unb burc^lebt alle ©runb«
ftimmungen gemeinfamer fiebensgeftaltung.
3m 9Hittelpunkt biefes Kaufes liegt bas Heiligtum, ber
SDerfammlungsort, ber alle gur 95erfenkung in bie eroigen dueHen
gufammenfcliart. ©iefer SHaum getjört ausfc^ließlit^ ben ernften
i5eierftunben, bie fic^ allerbings nic^t auf bie fonntäglidien ©ottes»
bienftgeiten befdjränken, fonbern oerf(^iebenen Greifen (Filter, Sugenb,
^rauernben, ^ro^geftimmten) unb oerf(f)iebenen^eierformen (neben
— 471 —
ben allgctncinen ©ottcsbtenftcn aurf) ^ibeloorlefcftunben, Kturgtfd^en
i5etem, ©cbenfefctern, örgeloorträgen, feurgen 3tnbad)ten ufro.)
btcnenb, fe^r otel häufiger ftattfinben muffen. S)icfen SHaum mit
rocit)eooUer ^unft ausäuftattcn, tft eine bankbore Qlufgabe eine©
neuen ^ünftlergefc^lec^ts, has ben neuen ©emetnberotUen innerlich
begriffen l^aben wirb. 5)te "Slnlage bes gangen ^oufes, bas mitten
im ftillofen Winmatt bcs grojgftäbtifctien ^äufermeeres bas 3^^=»
trum eines neuen, oon innen ^er- organif«^ umfi^affenben Sebens*
roiUens oerliörpem foll, bietet unbegrenzte ted^ntf(^e unt) künft-
Ierlfd)e SSlöglidjkeiten, oon bem ouf engen 9loum gepreßten unb
barum me^r in bte ^ö^e ftrebenben ©ro^ftabt^aufe, bas no(^ um
(gjiftenä ringen mufe, über bie f(^on weiter auslabenbe Einlage,
bie fi(^ um bie olten, felbftoerftänblid) in bas 9leue eingufügenben
^ird^en gruppiert, bis f)in gu ber breiten ©ruppenanlage, bie an
bie mittelalterlichen Älöfter erinnern mirb. ^t weiter bie Gebens*
mögli(^keit unb SBeroegungsfrei^eit ber neuen ©emeinbe fort*
fi^reiten mirb, befto klarer roirb i^r ^aus ben Sebensroillen einet
neuen g^it verkörpern unb fdjon als foldjes ein ^Bekenntnis ber
fd^affenben ©emeinbe fein. f
4. ©as raerbenbe Wort.
Xtefcr unb tiefer ^at uns bas SBelicnntnis in bos fid^tbar
ba^influtenbe Seöen geführt. 9lun ftei^en roir an feiner eroig
roed^felnben 3lufeenfette, roenn roir int gcfprodjenen ober gefrfjriebenen
933 r t nad| einem f^m5oIifcE)en ^lusbrucfe für bie eroige 2Dat)r^eit
fu(i)en. 2Iuf feine 93efeenntniskraft ^in angefe^en, ift bas 9Bort —
noö) einmal muffen roir es I)etonen — nur mit äufeerfter 95orfirf|t
äu roerten. ©o geroife es roegen feiner ^ö(i)ften 95eroegli(^lieit unb
unbegrenzten ^nfcfjmtegungsfäfiigkcit ber 9Iotroenbiglieit ber ©tunbe
ben treffenbften ^tusbrudi gu r)erleii)en üermag, fo geroife olfo ber
religiöfe Kämpfer, ber ber ©tunbe bienen mu^, in i^m ftets bie
nödiftliegenbc 2Baffe fc^en mu^, fo fe^roer ift es gum Präger bes
bie Sitten, bie ©elegen^eiten, bie Sntroidilungsftufcn unb bie
menf(f)Ii(f)en 95erf(^ieben^eiten Übergreifenben ©leic^niffes für bas
25oIk ©ottes gu madjen. S^fus oon STlagaret^, ber roie feein anberer
bas 9Bort unb feine bie ©tunbe begroingenbe 9Ha(^t be^errfdjte,
t)ot feinen Jüngern feein QKortbefeenntnis ^intertaffen, burd^ bas
fie bas ©efc§ feines fiebens bauernb unb überall gültig in bie
QBelt t)ötten tragen feönnen. 5Benn roir tro^bem bas befeennenbc
2Bort nid)t ausftfjatten rooUen, fo muffen roir es gang feft in bem
3ufammen^ang mit ber fd^affenben Zat unb ber lebenbigen tJoi^ni
oeranfeem.
(gs ift burc^aus nid^t SufaH, ha^ bie erften geprägten 9Borte
ber alten Stjriften^eit uns in feften ©emcinbeformen begegnen.
S>er ® reifelang „SDater, 6o^n unb ©eift", ber befeanntlid) für bie
SBefeenntnisentroidklung oon großer 95ebeutung geroorben^ ift, tritt
uns im fogenannten ^aufbefetjl entgegen, f|at olfo offenbar Iiturgifd|C
95ebeutung für bie 2auft)anblung geroonnen. S)ie '5orm, bie in
ber alten C^riftent)eit gugleid) Zat im f)cJd)ften 6inne roar, legte
fid) fc^üfeenb um bas befeennenbe 9Dort, bas baburd) gugleic^ in
— 473 —
unlösbarem ^u\ammmiianQi mit bent SBclicnntnts ber Seficnntnlffc
ölicb. 00 roerben audj mix uns nur bogu entfd|Uefecn können,
für bas bekennenbe 2Bort innerhalb geprägter ijormen bes gemelnb«
liefen fiebens hen £)xt unb bte ©elegen^ett ^u fuc^en.
3)le feulttfdjc ^eier ber ©emetnbc tft ber ge«
rotefcne 'Hßla^ für has in SBorte gefaxte ©tctd)nts
berOemeinbc. 3^^ 95oIIi5oerf ammlungsräuntcn, im öff entttd^en
©treit ber SÖTeinungen, in ber jurtftifc^en ^Ibgrenjung bes „213efent*
lidjen", im logifdjen S)isput oerliert bos geprägte 2Dort feine
überroinbenbe SBefeenntnisferaft, gerflattert gu begrifflichen %a\ixn
unb roirb gum 3ei^tbilb unb ©pott. S)tc „SBefeenntnisftreitiglieiten"
ber Sleugeit bürften bies gur ©enüge erroiefen ^aben. ©Iü&U(^er*
meife ^anbelte es fi(^ bei biefen ©treitigfeeiten auti) ftets nur um
foI(^e fögenannten 95elfenntniffe, bie nux 'S<ixxbilhtx oon roirMit^en
SBcKenntniffen ber ©cmeinbe Ctjrifti waren, bie 3ß^ßÖii"9 olfo
i^rer Eigenart nad) ucrtrugen, ot)ne bofe bas innerfte (Empfinben
ber ©emeinbe angetaftet mürbe. Solan benlie fid) aber einmal
bas SDaterunfer in eine foId)e Umgebung unb SBe^anblung hinein,
unb man fü^lt unmittelbar, ha% ein in bie 5:iefen faffenbes ©gmbot
bas einfacf) nic^t erträgt. Xatfäc^lic^ ^at ja auc^ bie alte ©Triften»
t)eit bies ©gmbol forgfältig oor Profanierung bewahrt, inbem fle
es in feierlicher ^anblung ber ©emeinbe erft bei ber Saufe mitteilte
unb es alten 5ur ^flidjt machte, es nic^t ber oerftänbnislofen
2tufeenroelt preisgugeben. ^ier trof ber religiöfe Staturinftinfet
bas 9li(f)tige, roeit er nod) roufete, roas ein roirlilid^es 5Belienntnis
bebeutet.
9nan ift berechtigt, gu fragen, ob burd) biefe 93inbung bes
SBelienntnisroortes an bie gemeinblicE)e 'gorm bas Woxt nic^t gerabe
feinen erobernben, belkenntnisliröftigen ©^arafeter oerliere. ^\t nicfjt
bas 2Dort gerabe bagu berufen, bas ©efe^ bes Sebens in bie ber
3leligion nod) fernfte^enben SStaffen gu tragen? ©emife ift es bas,
aber nict)t als ©gmbol bes Söolkes ©ottes, fonbem als 3lusbrucfe
ber inbioibuellenStotroenbigfeeit ber6tunbe. 3nunenblic^roec^felnber
5orm — oergl. ben 5lbf(^nitt über bie ©pracE)e ber lebenbigen
9leligion — mirb es bas ©efeg bes Sebens in bie oerfd)iebenen
fiebensfereife, Sntroi&lungsftufen, ^Tagesaufgaben ^ineinjuprägen
unb bie 9Zlenf4)en auf ben 9Deg ber ^af)r^eit ju bringen fuc^cn.
— 474 —
9lbcr In bem aßen tft es bte SDaffc bes ^ugcnblicfes, blc Stus»
ftra^Iung bes ewigen ©efe^cs in ein inbiotbueUes ©tücjfe Seben,
ni(f)t aber ein bie ^titm unb bie (Gelegenheiten überfpannenbes
6t)mbol bes 95oIfees ©ottes, bos nid)t nad) ber Stunbe unb ben
befonberen 3Henfd)en fragt, ^a^u feann bas 9Dort, bos grunb*
f ö^Itt^ bem Slugenblidi gu bienen berufen ift, nur baburi^ roerben,
ha^ es feine inbioibueEe 95en)egli(f)feeit befdEiränIit unb fi(^ bienenb
einer gebunbenen ^orm einfügt, beren 2Dirfeungskraft es bann er*
^öt)t unb oerlebenbigt. ^ür fic^ allein wirb bas 9Bort nie gum
gufammenfaffenben ^usbrucä ber tebenbigen 9Baf)rt)eit werben
können, es fei benn, ba^ man es gum oerlfnödicrten ^Begriff er*
ftarrt. 5)ann ijat man es ober feines lebenbigen CC^oro&ters ent-
Heibet unb bomit oud^ für bie ©^ntbolik unbroud^bor gentod^t.
9lur wenn man es in bie gebunbene %oxm, wie mir fie im legten
3Ibfrf)nitt fdjilberten, einfügt, wirb es äwor nidit äum felbftänbigen
©i)mboI, bient ober ber ©qmbolik, wie etroo lebenbige 95tumen
unb ®träud)er, bie man in einen formgeret^ten ©orten pflonät:
fie ^oben i^r freies 9toturbafein oufgegeben, er^^en ober hrnd)
ifjre ^orbenfütte unb i^rcn SHoturglang bie 2Birfeung ber 'Slnlogc.
5luf biefe SDeife leiftet bos 9Bort ber fc^offenben unb be*
liennenben ©emeinbe nod) einen gong bcfonberen S)ienft: es ftcHt
bie Srüclie ^er gmifi^en ber bie Seiten Übergreifenben Symbolik
unb ber 5lufgabe bes Soges, bie ber ©emeinbe obliegt. Sos bie
Seiten Iteberfponnenbe unb bos ber ^zit ©icnenbc gum Slusbrudfe
gu bringen, ift nun bie Stufgobe bes ©emcinbcgottesbienftes.
9Iur in feinem 5lat)men ^ot bos befeennenbc QBort feinen ^log.
9Hit ber fi(^ ous ber Jloturgebunben^eit ^erouforbeitenben
©eiftigfeeit ber QUeligionen f)at and) bos 2Bort im Kultus eine
3unet)menbe 93ebeutung geroonnen. 95on bem ^Deitjroort, bos über
bem geft^loc^teten öpfertier gefprodien mürbe, bis jum rein geiftigen
©ottesbienft ber proteftontifcfien ^irc^en ift ein weiter 9Beg. 2lbcr
biefer 9Beg füt)rt über melc 3lüclif erlöge unb Srftorrungcn, in
benen ficf) $ö^en unb 5:iefen bes religiöfen Urcrlcbniffes fpiegcln.
®em Öpferbienft im Scmpel öon ^erufotcm, in bem fcf)on bie
Symbolik me^r unb me^r ben QUeoIismus ocrbrängte, trat im
fgnogogolen ©ottesbienft eine geiftigc ^orm gur Seite, hiz no(f)
ber gerftörung bes S:empels fic^ oUcin beljouptete. %kt fcf|on
475
fittbcn rotr neben h^m altc^rroürbtgen, gebunbenen 2Bort bie leben«»
btge 95erfeünbtgung, bie ber ®tunbe btent. S)tefe roöc^ft ous
jenem heraus, tft feine Seutung unb ^nroenbung. ®as ©firlften-
tunt ^at btefe ^orm bes ©ottesbtenftes übernommen, freilief) äunäc^ft
bas „freie SBort" gang in bejt Söorbergrunb gefc^oben, mit ber
äuneljmenben 93erfeirc^Iic^ung bes Sebens aber ben feften Prägungen
mieber bas Uebergemic^t oerfc^afft. 3m SHefegottesbienft ber
feat^oIifd)en Äirc^e triumphierte fc^liefelic^ bie ftarre ^orm gönättd^,
\a lenkte in oergciftigter »Jorm jum alten Opferkult gurücfe. S)as
lebenbige OB ort für bie ©tunbe nimmt nur nod) einen feieinen
9laum innerhalb bes ©angen ein, beffen ©(^roergeroidit fo grofe
mirb, bafe bie ^rebigt foft neben bem Kultus fte^t. S)as Sut^er-
tum gibt bem lebenbigen QBort roieber bie §errfd)aft im Oottes*
bienft, erroeift fid) aber, mie in atter ^ormenftultur, als gänglidi
unfruchtbar in SSegug auf bie umrat)menbe ^orm. S)ie Iiturgifd)cn
95eftanbtcilc, bie man aus ber 25ergangen^eit ausgrub, finb, eben
megen itjres Ijiftorifc^-foffilen Gtjaraltters, oon hm ^rebigt^örem
— oon einer ©emeinbe Iiann man ja kaum fpree^en — je länger
befto kräftiger abgelehnt roorben. ^uc^ ^ier fte^t bie Sukunfts«
gemeinbe oor ber 'Jlufgabe, ein Steues äu fd^affen.
S)iefe neu tierausguarbeitenbe ^Joi^ni bes ©ottesbienftcs mufe
ein SBefeenntnis ber neuen ©emeinbe fein, unb smar
roeniger in itjren einzelnen SBeftanbteilen — ein formuliertes 58c*
k^nntnis im alten ©innc gehört nic^t in fie hinein — als in
i^rem ©efamtaufbau. Sas ©angc mu^ ben ©ekenntnisc^arakter
tragen, bas ©inselroort aber, bas immer irgenbroie bem inbioibucUen
fieben gugeroanbt bleiben roirb, gewinnt crft im ©angen unb burd)
bas ©ange bekennenbe ^raft. Sie ooUe religiöfe 9Dal)rt)eit lä^t
fid| ja aud) garnicl^t auf eine begriffliche €bene bringen, fonbem
fie mirb nur im flutenben fieben als bas fie bur(^äiel)enbe lebenbige
©efefe fi(^tbor. ®o ergibt fid^ als erfte iJorberung für ben be*
kennenben ©emeinbegottesbienft, ha^ er nur als lebenbige §anblung
gcbacf)t roerben kann, burcl) bie bas gro^e ©runbgefeg bes fiebens in
allen feinen ©tabien l)inburc^äie^t. S)as religiöfe Urerlebnis oolIäiel)t
fic^ in i^m immer oon Sleuem, nur trügt bas lebenbige 2Bort, bas in
jebem©ottesbienftnac^berinbioibueUen2ebensfcite, ber er äugemanbt
ift, ein anberes ift, es in bie befonbere Slufgabe bes Sages hinein.
— 476 —
9Btr rooUen bcn 95erfuc^ madieit, einen folöjcn ©ottcsbienft,
ber oIs Qvjmhol ber oon ©Ott in feinen 5)ienft gerufenen ©emeinbe
roirfeen foü, gu ffetägteren.
6(f)on ber 'Slnfong entfd^eibet über ben SIenor bes ©onäcn.
Sie eine grofee 2Birf{Ud)iieit, ber alle 9fleIigion gu bienen berufen
tft, in ber Urfprung, 3"^tilt unb "^id alles Sebens liegt, mufe in
itjrer gangen QHajeftät oor bie 32Ienf(^cn Eintreten. SDie ein tjels"
btocfe ntufe es fiingeroorfen roerben: „©er §err ift in feinem {)ciligen
Sentpel, es fei ftiUe oor it)m aUe 213elt." 5)as grofee „Objefitioe"
mu^ fofort fdjeibenb unb fantmelnb roirfefam werben, ^ud} nidit
ein Icifer S^^^ifc^ ^^^ ^^^ ^^^ beliennenben ©emeinbe baran ge«
laffen roerben, ha^ fie im ^Begriffe ftc^t, einen ©ottcsbienft, keinen
9Henfc^enbienft ju feiern. ®as „©Ott allein!" fte^t als SSefeenntnis*
Toort am Einfang. 5tm einbrudisooUften unb mudjtigften bürfte
bas burcfi ein oon allen ftel^enb gefungenes ©otteslieb gum
5lu6brudi gebradit roerben. *)
S)ie Qflüdiroirliung ber oor bie ©emeinbe ^intretenben SHajeftät
©ottes ift nun bas SBefeenntnis ber oollen S>emut unb
5lb^ängigkeit. 3)cr "ipf arrcr fprid^t es als 32lunb ber ©emeinbe :
„§err, hu kenneft, mas für ein ©emöcEjte mir finb, hu gebenfeeft
baran, bafe mir ©taub finb. €in 9Henf(i) ift in feinem Seben roic
©ras; er blü^t roic eine 58Iume auf bem ^elbe. QDenn ber QKinb
barüber gei^t, fo ift fie nimmer ba, unb i^rc ®tötte Kennet fie
nic^t me^r. 3Das ift ber 9Henfrf), ha^ bu fein gebenfeeft, unb bes
SHlenfd^en ^inb, ha^ hu bic^ feiner annimmft?"
S)a5 ©runboerI)äItni6 alles frommen Sebens, bie S:atfact)e,
auf ber alle Waf)xf)üt rutjt, bie gro^e 2lbl)ängigfeclt alles Safeins,
liegt feft. ^ber aus biefem Uroer^Öltnis ringt fid^ nun im ^an*
belnben groiefprui^ ber SDille ©ottes mit feinem 93olfe heraus,
ganä entfpred^enb bem 3Dege, ben bie Sßa^r^eit bur(^ bie 9Belt
fdireitet. ©ottes SBille als bie S^^lbeftimmung feiner
*) 3" ber coangeltf(^en ^ird)c finb bie obfcktioen ©ottesßcber
leibcr fcljr feiten geroorben, aud) ein 3eic^cn it)rcs inneren 93erfalls. S>te
^raft bes mtttelalterli(i)en „®ro§er ®ott, rolr toben bic^* ober bes
6anctum („heilig, ^ciltg, heilig ift ©Ott, ber ^crr 3«baot^, alte Sanbe
finb feiner ®^re ooll") ift feit Sut^ers ^iru^lieb nic^t me^r oon it|r
erreicht roorbcn.
— 477 —
©(i^öpfung tritt nun oor btc ©emctnbc tjin. „60 fpri(f)t ber
^crr: 3<^ ^^^ i>er allmächtige ©ott, roanble ryox mir unb fei fromm.
3^r foUt mi(^ fud^en unb finben. ®o i^r mid} öon gangem ^ergen
fu(f)en werbet, roiti ic^ mi(^ oon eud) finben laffen." *)
3m'2lngefi(i)t biefer emigen 6d)öpfungs5eftimmung fpringt nun
in ber ©emeinbe bie grofee ®(^ulberinnerung ouf, Kommt ber ^ampf
roieber gum SBeroufetfein, ben fie in erbittertem 6icE)fträuben gegen bcn
^Bitten ©ottes burdigeMmpft f)at, beffennad^n)irlicnbe2Bef)enficno(f)
täglid) fpürt. (Es folgt alfo, 00m ^Pfarrer gefpro(^cn, bas 6 (^ u I b *
bciienntnis, bas, je naü) bem ©runbt^ema bcs ©ottcsbienftcs unb
ber inbioibuelIen33eftimmtt)eit ber 6tunbe, in jebem ©otteöbienfte feine
neue, konkrete ©eftaltung finbet. ©iefes ©djulbbekenntnis enttjüllt
ein ©tücfe bes innerften (Erlebens ber ©emeinbe, e& offenbart eine
mic^tige ®eite ber 9Dat)rl)cit, bk burdj il)re ^ergcn gefi^ritten ift.
Otun aber kommt bas aus ber Xiefe ber ©cf|ulb I)crauf«=
reifeenbe unb gum unbebingten S)ienft berufenbe ©rlöfungsmort
©ottes**): „®o fpri(^t ber ^err: 2Denn eure Sünbe glei(^
blutrot ift, fo foH fie bod) fc^neemeife werben; unb wenn fie glei(i^
ift wie Qd^atlad), foll fie bod) wie 3DoIlc werben. S^^riftus ift
batum für alle geftorben, auf bas bie, fo ba leben, t)infort nid)t
\xd) felbft leben, fonbern bem, ber für fie geftorben unb auferftanben
ift. 3^^^ feii> ^lun bos ausem)äi)Ite ©efd)Iec^t, bas königlii^e
«pricftertum, bas ^eilige 35oIk, bas 95otk bes (Eigentums, ba^ i^r
oerkünbigcn foQt bie S;ugenben bes, ber eud) berufen ^ot oon ber
^infternis ju feinem rounberbaren fiidit."
S)as gro^c (Erlebnis ©ottes ift roieber burc^ bie ©emüter tjinburt^*
gegittert unb t)ot ber ©emeinbe i^re ^eilige ^Berufung roieber ooll jum
® eroufetf ein gebracht. ?lun klingt bie ^reube über i^rcn unoerlierbarcn
SBefi^ aus in ein ©ottcsbienftlieb, bas bem ©runbgebanken bcs
©ottesbienftcs entfprcc^enb ausgeroä^It fein unb gang gefungen
roerbcn mufe, bamit bas ooUc (Erlebnis bes S)ic^ters gu feinem
3lec^te komme. ***)
•) ©cfungcn ober gefprod)cn oom Cfior ober einer ©ingelftimme.
**) 9a3tcbcr vom (E^or gefungen ober von ber Gingelflimme gefprodjcn.
**•) ©5 ift ttotürIi(i) nic^t möglid), im 9lQl)men biefer ©feiggc, bie
bie 93ckcnntnisfeitc bes ©ottcsbienftcs ^eroort)cbcn roiU, bie Iiturgifd|en
fragen gu berühren, bie in biefcm ©ottcsbicnft gu löfcn finb.
— 478 —
3cÖt ifi ^ßf Slugenbltdt gekommen, bte tnbtoibuelle ^eils*
oerfeünbtgung für bte ©tunbe itnb bte ^orberuttg bes 5:age6 aus
bem ©runbcriebms ouffteigen gu toffen. (£6 folgt bte ^rebtgt
oIs bie Söerkünbigung bes ©ottesToillens für bie ©egentoart. (£tne
fro^e SBeJQ^ung unb Sufttmmung fc^aflt in ber %oxm. eines gemein«
famen Sieboerfes aus ber ©emetnbe gurück.
Stun aber kommt bie groeite ©eite bes ©ottesbienftes, bie
bas im erften S:eile oorfc^Iagenbe „95on ©ott" in bas afetioe
„^ür ©Ott" f)inüberfüt)rt. «in ©emeinbcöttefter bringt bie prak-
tift^e ^orberung bes ^ages gum ^usbrudi. 5)er 6d^Iu^
aber beftefjt — gang abroeit^enb oon ber in ber eoangeltft^cn
^ir(^e t)errf(i)enben ^rajis — in einem n)uct)tigen ©elübbe ber
©emeinbc, it)re SBerufung in ber QBelt im tötigen ©d^affen „aUein
für ©Ott" gu erfüllen. 5)as kann in oerfc^iebenen 'formen ge-
fclje^en. Ser ©ottesbienft kann in bas QBei^gebet ausklingen,
bas bas gange Qebm unter hm ©eift unb in ben ©ienft bes
§ö(f)ften ftettt, *) ober er kann bie feierlidjen ©elöbnisfragen an
aße SebensaÜer fteHen, ober er kann mit einer ^auffeier — (£r*
gie^ungsgemeinbe ! — ober ber %tki bes 3lbcnbmat)Is als bes
ooltgültigften '3Iusbrudis bes religiöfen (griebniffes unb ber gött*
lid^en ^Berufung ber ©emeinbe fd|Iiefeen. ©er 6egen ©ottes unb
feine freubige §inna^me burc^ bie ©emeinbe — „bie ©nabe
unferes ^crm '^<i\n S^rifti unb bie Siebe ©ottes unb bie ©e-
meinfi^aft bes fjeiligen ©eiftes fei mit uns allen" — geleiten bie
©emeinbe in bie QKelt unb i^re 3lrbeit.
5>tefe ©ottesbtenftform ift kein ©djema, fonbem eine lebenbige
§anblung, in ber fic^ bas oolte religiöfe (Erlebnis ber ©emeinbe,
wie es unferergeit gegeben ift, fpiegelt. ©ie ^at bie 3luf gäbe,
bie ©emeinbe gur immer erneuten SBefinnung auf if)r ©runberlebnis
unb i^re ^lufgabe gurü&gufü^ren, fie gu erbauen — im ©inne
bes STleuen Scftamcnts. ©ie roirkt klörenb, hmtenb, oertiefenb,
ausbauenb, oorroärtsfü^renb auf bie um i^re ^Berufung unermüblid^
ringenbe ©emeinbe, giet)t aber, inbem fie i^ren innerften Sebens*
r^i)t^mus offenbart, bie nod) ^Jernfte^enben, Unfertigen, QiDeiter»
brängenben in it)r Sebensgefe^ hinein, ©ie ift barum Verkörperung
*) kulmtnierenb im Söaterunfcr.
— 479 —
bcr roctbenbcn 9Ba^r^eit. ^nbctn bas lebenbtgc QBort fid) in
i^rcn *2lufbQU btenenb l)mein|ügt, roirb es in biefer ^ormgcbunben»
fjeit 5um lebcnbtgen (5i|inboI. 5luf bem §mtergrunbe ber |rf)affenbcn
(Semeinbe gerät es nid)t in ©efot)r, gu erftarren ober ju 5er-
fliegen.- ®s Ift unauftösitcf) geknüpft an bte roirkenbe 'Sat unb bie
lebenbige ^ornt.
91ur in biefem lebenbtgen ^ufcintmen^angc wirb bas ^ort
gum ©tjntbol. QBürbc man es t)crau6rei§en unb tfoliercn, fo
würbe es feinen ©gntboldjarofeter oerlicren. Sas gilt felbft für
biejenigen QBortprägungcn, benen man gemeinhin ©tjmbolroert
guft^reibt. 60 ^at bas 25atcrunfer nur als (Bemeinbcgcbet im
Sufammen^ange bcs ©cmeinbegottesbienftes f;)mboIif(^en ^i^aiakUx,
nid^t als QBortausbrudi beftimmter religiöfer 95orftcttungcn, bie
mon begrtffltd) borous ^erouskriftalltfieren könnte. Qlucf) hh $aufe
unb bas 2lbcnbma^t kann man nur oIs ©emeinbefeiern als 6t|mboIe
in ^nfpru(^ nehmen, nid)t als {folterte „fict|rftü(te". 2(uf biefem
^intergrunbe aUcin mirken fic jeugenb unb roerbcnb für bie croige
QCa^r^eit. ©as ooUgogene 6akrament als opus operatum ift
gönglid^ roertlos für bie lebenbige Oßa^r^cit. Srft bie lebenbige
©emeinbe, in benen es lebt unb mirkfam mirb, ma(^t es gum
Slröger unoergöngItd|er unb fdiaffenber SBaljrljeit. ©ott o^nc bas
Söotk ©ottes ift tot, Ctiriftus o^ne feine lebenbige ©emeinbe ift
ein ^^antom, bie 2Bg^r^eit o^ne bas Seben ift ©c§ein unb 5rug,
bas 9Bort ot)ne bie lebenbige 2at ift ein ©c^attcnfpiel ber Oberpd^e.
?lur inbem man bie gfleligionsoerkünbigung burc^ bas 2Dort
in biefen gebunbencn ^ufammen^ang fefet, kann bas 2Bort in
unferen S:'agen überhaupt roicber gum öffcntlirfjen Präger religiöfer
3Bat)r^eit werben, ^uf bem 9Harkt bes fiebcns ift es gur ©(^leuber*
roare gcroorbcn. 3" einer 9Belt bes Kampfes aller gegen alle
mirb CS gum fing» unb Srugmittel. Stur inbem es fic^ bienenb
in bas Siehm bes ©ottesoolkes einfügt, inbem es allen ^onkurrenj*
bcftrcbungen entgogen unb gum SÖIittel aufbauenber fiiebc mirb,
geminnt es feine religiöfe 35cbcutung gurück. ©te ©iskuffion gc*
Prt in keiner »Jonn, au(^ nic^t in ber i^ottn ber apologetifc^en
^rebigt, in bcn ©ottesbienft hinein. ®r ift 00m erften bis gum
legten ^ort pofitioe 95erkünbigung bes Qüillens ©ottes. Stur
unter f c^affenben 9Hcnfc^en ift ouf bieS)auer eine f olc^e ©runb^altung
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möglt(^. 5Ifle tnbit)tbualtfttf(i)e Sßtfegung mad^t bcn iJttcbcit ©ottes,
roeld^er p^er tft oIs alles etgenrotEtge ©enfeen, gunme. ®te
^raft itnb bie ^Ibgeklörtfjeit, bie bcr ©ottesbtenft ber ©cmetnbe
atmet, ift ber ftdjcrfte ©rabmcffer tfjreö inneren Sebens. ®o genjtfe
er bcr ^orbcrung ber ©tunbe gu btenen berufen tft, fo gerotfe gibt
i{)m bie Unantaftbarlieit eroiggültiger 9Ba^rt)ett bie QUei^c.
S)arum ge^rt es gum 2Befen bes ©ottcsbienftcs, bafe er
bie für bie ©egenroart gültige 2Da^r^eit aus et)rn)ürbigen ^Borten
ber 93ergongent)eit ^erausplt. Wittes unb bleues muffen fic^ in
i^m in oöUiger 95erfc^Iungcn^eit grüben. 9To(^ einmal betonen
mir freiließ, ba§ bie ©ültiglieit ber QBatjr^eit fic^ ni(i)t ^tma
aus ber ^Jergangenl^eit herleitet, ©ic ift nur barum gültig, meil
ber lebenbige ©ott fie für bie ©egenroart forbert. 3lber ba^ 95cr-
gangent)eit unb ©egenroart fid| im ^eiligen Sienft bes $öd)ften
gufammenfinben, bas eben t)ebt bie oerkünbete 3Ba^r^eit für bas
^croufetfein ber ©emetnbe aus bem ©igenrotöcn ber ©cgenroort
heraus unb in bie ©p^re eines eroiggüttigen ^Bittens hinauf.
S)ie Befreiung oom (Sigenroillen, bie bie ©emeinbe ©ottes fuct)t,
finbet in bem aus ber 35ergangent)eit t)erü&ergrü^enben QBort i^re
beglüdienb cmpfunbene 'gorm. QBirb otterbings bas 'Slltertümelnbe
gum 6elbftgroedfe, fo oerfeeljrt fidi btefe SUtrltung in bas ©egen«
teil. S)as ©efü^t ber ^Befreiung roirb gum ©efütjl ber ^nec^t-«
fdiaft unter eine unoerftanbene unb bat)er innerlicE) abgelefjnte ^orm.
S)er ©rufe ber 95ergangen^cit mufe gur (£rlöfung für bie ©egen»
roart roerben. S>at)cr ift forgfältigfte ^usroa^I nad^ ber inneren
Slotroenbigkeit ber <S>iunhe bie ©runbforberung für bie ©eftoltung
icbes ©ottesbienftes. ^ud^ oon ^ier aus geigt fic^ roieber, ha%
bie grünblid^fte gefc£)id)tlic^e S)urc^bilbung eine roicf)tige 93oraus*
fcfeung für ben „S)iener am QBorte" ift. Unenblic^ oiel roidjtiger
freiließ bleibt bie SDorausfegung, bafe er mitten im f(^affenben
Scben ber tätigen ©emeinbe ftel)t. ©onft pit er aus ber etjr*
roürbigen 23ergangen^eit nur bas 2DortgefeIüngeI unb bie SBegriffs«
Klauberei ober ein öft^etifctjes 9Ta(i)empfinbcn heraus, nid)t aber
ben für bie ©egenroart gültigen unb i^r forbernb gegenübertretenben
SlDillen bes lebenbigen ©ottes.
5)iefe gebunbene ^orm bes QBortbefeenntniffes trägt eine
nicf)t gu unterfdjä^enbe roerbenbc ^raft für bie eroige QBa^rl^eit in
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i^rcm ©c^ofec 3^i i>ct unmittelbaren 2Birfeung ift if)r allerblngs
'bie 2lgttatton, ble fit^ mit allen 3RitteIn ber fuggcftiocn 5Iuf*
pcitfc^ung on bie triebe ber aHaffen menbct, roeit überlegen. @te
fe^t eben f(^on ein geroiffcs ©egogenrocrben gu ben 4>ueUen ber
Qfleligion oorous. *) S)ie ^fo^rung aber ^at löngft geIeJ)rt, ha%
o^ne bicfe 35orausfeönng alle QBerbeferaft ber SUcIigion ücrgeblic^
anfe^t. ©ie kann nur pr Klärung führen unb oottenben, mas
©ottes ^raft im 35erborgenen begonnen I)at. tjür bie QUeligion
gilt unbebingt ber ©a^: „S^ur mer fuc^t, roirb finben." 2Ber
ober ernft^aft fu(^t, ber wirb audj ben 2Beg gu ber QtMt finbcn,
an ber feiner ©et)nfud|t bie Erfüllung roinfet. UnmifeoerftänbIi(^
ober muj5 es i^m biefe ©tötte gum SBeroufetfein bringen, ha^ nur
bie voUt Eingabe on ben ©trom bes burc^ ©ott gebunbenen ge»
meinfomen fiebens i^n bauernb in ber 9BeIt ber 3leIigion I)eimat*
berechtigt modjen feonn. €in §örcn unb Stippen, um perfönlit^e
SBebürfniffe ber ©eele gu befriebigen, mu§ fid) it)m f)ier oIs oöUig
ungenügenb errocifen. Sos QBort mu^ gum unroiberfte^Iic^en
fjü^rer gur Sot ober gum ©(^eibemeffer än)ifd)cn ©ott unb bem
3c^ roerben.
€s liegt auf ber §anb, ha% bie SBemü^ungen um €injc(*
Prägungen bes im ©ottesbienft gu oenoenbenbcn SBorts ni(^t in
ben SBereic^ uhferer 2lufgabe fallen, ©ie unausfc^öpflid)e SHonnig-
foltigkeit ber ber gottesbienftlic^en ©eftottung bienenben QBort-
Prägungen ge^rt gum SDefen ber <oaä)^. 2Der 3Borte ouf 'Jlofc^en
gießen miU, ^ot roeber bie Sleligion noc^ bos 3Befen bes it)r
bienenben QBorts begriffen, ^ier forbcrt jeber Sog unb jebe be*
fonbere ©clegen^eit neue tjormen unb neue ^usmo^I. 31^ ©ottes*
bienft berührt fi(^ eben bie mod)toolle innere Gin^eitslinie bes
©^mbols unmittelbar mit ber gongen ^üUe bes auf bie 9Kannig-
foltigfeeit bes fiebens gerichteten ©ienftes ber Siebe.
©0 f(^liefet fic^ ber Ärcis unferer Vorlegungen, bie ben
5Degcn noc^gufpüren fuc^ten, bie hh eroige QBo^rfjeit burc^ bie
SDcIt f errettet, uralt unb bod) eroig neu, unenbli«^ einfach in ben
©runblinien unb boc^ unerfc^öpftic^ in ber Slusfoltung. S>ie
^o^r^elt freiließ fclbft ift größer oIs olle menfc^Uc^en ©ebonlien
*) 93crgl. bie asßdjjLSvot xöv dsdv bes bleuen Seftaments.
S. $ettmann, ®toM«tbt unb 9leHoton. 3. Seil. 31
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Über fie, ooßeTtbs bas na(^|pürcnbe QBort berührt Im beften ^ctöc
nur hin 6oum i^res ©eroonbcs. 3^rc SBo^nftätte tft bds uns
untbranbenbe fieben; bas ^ud) üermog fie über^oupt ni(^t gu
faffcn. QBer oon ber eraigcn '9Ba^r^ctt aud) nur einen ^Junfeen
\ai), ift tief burd^brungen oon ber anbetenben S)emut bes urdjrift-
lit^en Zenkers: „^ic gor ünbegreiflid) finb ©eine ©eric^te ünb
unerforfd^Ii(^ ©eine 9Bege!" 5lber 5I3egn)eifer unb Reifer für ben,
ber ton ber Wa^it^eit im. 2ehm gepaclit rourbe, feonn bos 93ü(^
^ier unb ha werben. 5)en 9Beg ins branbenbe ©ro^ftabtlcbcn
unb bie in i^m ficf) onba^nenben ©efe^e bes lebenbigen ©ottcs
fu(i)ten mir in biefent SBu(^e. 93töge es biefent ober jenem anit*
fiömpfer für bie 333a^r^eit in bem SBirrroan ber ©egenmart einige
©puren beffen öufbli^cn loffen, oon h^m, burdj ben ünb gü bem
äUe Singe finb!
S?erKag tnJit ^* ^nt^fett in ^am^ittg 36«
grüner tft erfd)tcnen:
©rofjftadt und Heügion
tjon
Subiotg ^ettmann.
I. S:ett: Sic teltgiöfe Sttttation ttt bcr (Stofeftabt.
©rofe Dhtao, 176 Seiten, geheftet M. 5. —
II. Seit: S)ct? ^ttmpf tttn blc gHeKgion in t>et ©to^tabt.
®rofe Oktao, 287 ©eiteit, geheftet ........... M,.iO.—
Die nottDendigfieit
reügiöfer Di6fiuf|iön6abende
93ortrag, gehalten auf ber ^onferenj liberaler S:^eoIogett in Hamburg
oon
WalÜjn eiaffen.
16 6. ©r. 80. ©e{)eftet A— .85
©roßftadt^eimat
SBeobadjtungen gut 9laturgefd^i(^te bes ©ro^ftabtoolfees
oon
QBoIt^er Claffen.
Snjcite tiecmeiö^^te ^luflage.
213 ©eilen 8». 3u ^appbanb M. 3.50, in Seinenbanb A 4.50
®er 93erfajfer fd)tlbert barin in Icbt)after, pa&enb anfc^aulid)er
;, SJBeife bas junge 93oIk feiner §eintatftabt Hamburg, fü^rt bie gewaltigen
* 6c^n)ierigkeiten cor 2lugen, bie beut jungen 9Ilenf(^en burd) Herkunft
unb £eben5üer£)ältniffe innenjoijnen, aber aud) bie fjoffnungsooUen Seiten
feines SQSefens. SBas fe^r roo^Ituenb in beut gangen ^uci)e berührt,
ift bie roarnte, immer ^offenbe Siebe gu feinem 93oIke, bie aus jeber Seite
fprid)t unb bie bem ®ro§ftabt*SeeIf orger, nor allem bem SwQCnbbilbner
bes tlrbciteroolkes, mit 9nad)t ans ^erg greifen mufe.
Die pi)ilofop^ie
5riedtid) Hdolf (Trendelenburgs
oon
«p.. ^eterfen.
208 Seiten 8°. ©e^eftet M. 5.—, in Seinenbanb M. 3.50.
®iefe Sd)rift mürbigt bu Stellung unb SBebeutung ber ^^itofop^te
Sircttbclenburgs im ©eiftesleben bes 19. S^^J^llunberts.