Cibe
it^ of Cbica^o
KHbraries
BUCHHANDLUHG
Neuteftameritliehe
Zeitgefdlidite
oder
Judentum und Heidentum
zur Zeit Chrifti und der Apoftel
von
Dr. Jofeph Felten
Apoftolischer Protonotar
Profeffor der Theologie zu Bonn
Zweite und dritte Auflage
Erfter Band
Regensburg 1925. Verlagsanftalt vorm. G. J. Manz,
Budi- und Kunftdruckerei A.-G., Miinchen- Regensburg,
V
Imprimatur
Den 23. April 1925
Das Erzbisdiofliche Generalvikariat
Dr. Vogt
J.-Nr. 1403/25
Drudt der Verlagsasftalt vorm. 0. J. Manz in Regensburg.
79681O
Vorwort.
Die erfte Auflage diefes Budies erfchien im Jahre 1910.
In der vorliegenden ift die Anlage im wefentlichen
diefelbe geblieben. Nur ift das Kapitel fiber das Ge-
fetj und das Leben nadi dem Gefetj aus dem Abfchnitt fiber
die inneren fozialen und fittlidien Zuftande des jiidifdhen Vol-
kes in der neuteftamentlichen Zeit herausgehoben und rich-
tiger an den Anfang des Abfchnittes fiber die theologifchen
Anfchauungen gefetjt worden. Hinzugekommen ift u. a. eine
zufammenfaffendere Darftellung der rechtlichen Lage der Ju-
den in der Diafpora, woffir auch die trefflichen Ausffihrungen
von Sdifirer, Gefchidite des jfidifchen Volkes im Zeitalter
Chrifti, Band III 4 , Leipzig 1909 und von Jean Jufter, Les
Juifs dans 1' Empire Romain, leur condition juridique, eco-
nomique et sociale, 2 Bde, Paris 1914 benutjt wurden.
Ich habe geglaubt, im Anfchlufc an den SadduzSismus
auch einen Oberblick fiber ,,die Gemeinde des Neuen Bundes
(im Lande Damaskus)", woruber wir erft durch die Publi-
kation von E. Schechter, Documents of Jewish Sectaries,
vol. I., Fragments of a Zadokite work, Cambridge 1910
Kenntnis haben, geben zu follen. Eine oftere Erweiterung
der Anmerkungen liefe fich trotj des Strebens nach mog-
lichfter Kurze fchon durch die notwendige Erwahnung und
Beruckfichtigung der wichtigeren neueren Literatur nicht ver-
meiden.
In einer gedankenreichen Rezenfion der Theologifchen
Revue, 1912, Nr. 4, wird das ihrem Verfaffer vorfchwebende
Ideal einer neuteftamentlichen Zeitgefchichte entwickelt. Dabei
IV Vorwort.
wird grower Nachdruck auf die Behandlung religionsgefchicht-
lieher Fragen gelegt. In befonders widitigen Punkten, z. B.
hinfichtlich der heidnifchen Myfterien, ift vielleicht auch in
diefem Buche das Notwendigfte bemerkt worden. Im ubrigen
durfte eine ausfuhrliche Erorterung folcher Fragen fiber den
Rahmen einer neuteftamentlichen Zeitgefchiehte hinausgehen.
Dag in einer folchen die Darftellung des Judentums mehr
Raum einnimmt als die des Heidentums liegf m. E. in der
Natur der Sache.
Bei der Korrektur der Druckbogen konnte ich mich der
ftets bereiten, freundlichen Hilfe des Direktors des hiefigen
Kollegium Leoninum, Dr. W. Stockums, erfreuen. Idi danke
ihm auch hierdurch beftens.
Bonn, den 29. April 1925.
Der Verfaffer.
Inhaltsverzeidinis.
Erfter Band.
Die politifchen und fozialen Verhaltniffe des jiidifchen
Volkes im neuteftamentlichen Zeitalter.
Seite
Vorwort f Ill
Einleitung: Begriff, Einteilung u. Nutzen der neuteft.
Zeitgefchichte, ihre Quellen. Literatur . . . 3-19
Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden
feit dem Jahre 63 v. Chr.
I. Kapitel. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der
Apoftel 19-92
1. Land und Leute im allgemeinen [2039]. 2. Galilaa
[39-46]. 3. Samaria [46-51]. 4. Judaa [51-79]. 5. Das
Oftjordanland (Peraa) [79-92].
II. Kapitel. Die politifche Gefchichte Palaftinas feit der
EroberungJerufalemsdurchdieR6merimJahre63
v. Chr. bis zum Tode des Konigs Herodes im Jahre4
v. Chr 92-156
1. DieSchickfaleJudaasbiszumJahre63v.Chr.[92 101].
2. Die letjten Makkabaer und die Idumaer Antipater und
fein Sohn Herodes von 63-40 v. Chr. [101111]. 3. He-
rodes und KOnig Antigonus (40-37 v. Chr.) [111-115].
4. K6nig Herodes (37-4 v. Chr.) [115-156]. a) Die
Sicherung (einer Macht vom Jahre 3725 v. Chr. und
feine weiteren politifchen Erfolge [116 128]. b) Die
Glanzzeit des Herodes von 25-13 v. Chr. [128-136].
c) Die letjten Lebensjahre des Herodes und fein haus-
liches Elend [137147]. d) Die ftaatsrechtliche Stellung
des KOnigs Herodes zu Auguftus und die Schatjung des
Quirinius [147156].
Ill Kapitel. Palaftina unter den Sohnen des Herodes
und den erften romifchen Landpflegern bis zum
Jahre 41 n. Chr. . . . . . . . . . . 157196
1. Der Ethnarch Archelaus [157-162]. 2. Judaa unter
den erften romifchen Landpflegern von 641 n. Chr.
VI Inhaltsverzeichnis.
Seite
[163-180]. 3. Der Tetrarch Philippus (f 34 n. Chr.) und
fein Qebiet [180-182]. 4. Herodes Antipas, Vierfurft
von Galilaa und Peraa vom Jahre 4 v. Chr. bis 40 n.
Chr. [182-196].
IV. Kapitel. Die Regierung des K6nigs Herodes
Agrippa I. vom Jahre 4144. Sein Sohn Agrippa II.
und andere Verwandte 196214
1. Konig Herodes Agrippa I. [196-206]. 2. Konig
Agrippa II. [206-214].
V. Kapitel. Die romifchen Landpfleger Judaas vom
Jahre 44-66 n. Chr. . 215-230
CufpiusFadus [215-217]. Tiberius Alexander [217-218].
Ventidius Cumanus von 4852 [218-220]. Antonius
Felix [220225]. Porcius Feftus [225228]. Albinus
(62-64) [228]. Geffius Florus (64-66) [228^-230],
VI. Kapitel. Der judifche Krieg von 66-73 n. Chr. . 230-261
1. Vom Ausbruch des Krieges bis zur AnkunftVefpafians im
Jahre 67 [230238]. 2.-Der judifche Krieg vom Jahre 67
bis zur Belagerung Jerufalems durch Titus [238248].
3. Die Belagerung und Eroberung Jerufalems durch
Titus im Jahre 70 und das Ende des Krieges [248261].
VII. Kapitel. Die Juden in der Diafpora .... 261298
Allgemeines [261264]. 1. Die Juden in Mefopotamien,
Medien und Babylonien [264268]. 2. Die ,,Zerftreu-
ung" in Syrien und Kleinafien [268 271]. 3. Die Juden
in der Zerftreuung in Agypten und Gyrene [271-283].
4. Die Juden in Europa, befonders in Mazedonien, Grie-
chenland und Italien, namentlich in Rom [283290].
5. Die rechtliche Lage der Juden in der Diafpora [290
bis 298]. A. Organifation der judifchen Gemeinden in der
Diafpora [290293]. B. Politifche Rechte der Juden in
der Diafpora [293296]. C. Die Privilegien der Juden
[296-298].
VIII. Kapitel. Die letjten vergeblichen Kampfe der
Juden urn ihre Frelheit 299-312
1. Die Zuftande in Palaftina [299-301]. 2. Die Kriege
gegen die Juden unter Trajan im Jahre 115 117 [301
bis 304]. 3. Kaifer Hadrian und der Aufftand des Bar-
kochba 132-135 [305-312].
Zweiter Abfchnitt. Die innern foziaJen und fittlichen Zuftande
des judifchen Volkes in der neuteftamehtlidien Zeit.
IX. Kapitel. Die Verfaffung der judifchen Stadte Pa-
laftinas. Der Hohe Rat zu Jerufalem . . . .313-328
1. Die Verwaltungsbezirke [313-315]. 2. Die Orts-
Inhaltsverzeichnis. VII
Seite
behorden und LokalgericWe [315-317]. 3. Der Hohe
Rat zu Jerusalem [317-328].
X. Kapitel. Die judifche Priefterfchaft und derTem-
peldien[t 328-365
Allgemeines [328-329]. 1. Der judifche Priefterftand als
erblicher und heiliger Stand [330-334]. 2. Die Hohen-
priefter [335 - 342]. 3. Die Dienftabteilungen der Priefter.
Die Stellung und die Pflichten der Leviten [342-347].
4. Einzelne wichtige Tempelamter [347-351]. 5. Der
Opferdienft im Tempel [352-357]. 6. Die Einkunfte
der Priefter und Leviten [357-363]. 7. Das Tempelver-
mOgen [363-365].
XI. Kapitel. Die Schriftgelehrten, Synagogen und
Sehulen 365-402
1. Die Sdiriitgelehrten [366-384]. 2. Die Synagogen ,
[384 - 400]. 3. Die Schule [400 - 402] .
XII. Kapitel. Das jiidifche Parteiwefen in neutefta-
mentlieher Zeit 402448
1. Die Herodianer [402-403]. 2. Die Pharifaer und die
Sadduzaer [403-426]. a) Urfprung, Gefchichte und Ver-
haltnis der Pharifaer zu den politifchen Machthabern
[404-408], b) Die Haupteigentumlichkeiten der Phari-
faer [408-414]. c) Der Urfprung und die Gefchichte der
Sadduzaer [414-417], d) Die Haupteigentflmlichkeiten
der Sadduzaer [417 419]. Anhang: Die Gemeinde des
Neuen Bundes im Lande Damaskus [419-426], 3. Die
Effener [426440], a) Ihre Gebrauche und Anfchauungen
gemag den alien Berichten [426-434], b) Urfprung des
Effenismus und Wiirdigung feines Wefens [434440].
4. Die Therapeuten {440-448].
XIII. Kapitel. Das hausliche und foziale Leben der
Juden 449-503
1. Die Wohnung [449-456], 2. Die Nahrung [456-464],
3, Die Kleidung [464-469]. 4. Die Familie und ihre
Sitte [469-484]. 5. Mage, Gewichte, Geld und Kalen-
der [484-500]. 6. Handel und Gewerbe [500-503],
XIV. Kapitel. Die Profelyten des Judentums . . . 504-531
1. Beurteilung der Juden in der griechifch - rOmifchen
Literatur und Welt [504-511]. 2. Mittel zur Verbrei-
tung des Judentums unter den Heiden [511 520]. 3. Die
Profelyten des Judentums [520-531],
XV. Kapitel. Die judifche Literatur der neuteftament-
lichen Zeit bis zur Zerftorung Jerufalems . . 531-595
'Allgemeines [531-532]. 1. Die letjten kanonifchen
Schriften aus der hellenifch - jiidifchen Zeit [532-537].
VIII Inhaltsverzeichnis.
Seite
2. Die Henochbficher und andere Schriften aus der letjten
Zeit vor Chrifti Qeburt [537-557]. a) Die Henoch-
bucher [538-547]. b) Die Pfalmen Salomos [547-549].
c) Die fibyllinifchen Orakel [549-557]. 3. Die jfidifchen
Schriften aus der nachherodianifdien Zeit bis zur Zer-
ftOrung des Tempels [557-595]. a) Das Targum des
Onkelos zum Pentateuch und das des Jonathan zu den
Propheten [558-563]. b) Das Buch der Jubilaen, das
Martyrium des Propheten Ifaias und andere Legenden-
bficher [563573]. c) Die apokalyptifche Himmelfahrt
Mofis [574-578]. d) Philo [578-592]. e) Das dritte
Buch der Makkabaer [592-595].
XVI. Kapitel. Die jfldifche Literatur von der Zer-
\lQrung Jerufalems bis zur Zeit Hadrians . . 595-642
Allgemeines [595 - 596], 1. Apokalyptifche Schriften [596
623]. a) Das Gebet des Manages. Das dritte und
vierte Buch Esdras [596-608]. b) Die Apokalypfe Ba-
ruchs [608 614], -Die Apokalypfen Abrahams, des Elias
und des Sophonias [614616]. c) Die Testamente der
zwSlf Patriarchen [616-623]. 2. Flavius Jofephus [623
-641]. 3. Das vierte Buch der Makkabaer [641-642].
Abkurzungen 643
Erfter Band.
Die politifchen und fozialen Verhaltniffe des
judirchen Volkes imneuteftamentlichen Zeitalter.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefchidite. I. 2. u. 3. Aufl.
Einleitung.
Die neuteftamentliche Zeitgefchichte, 1 ) wie man kurz die Begriff der
Gefchichte der neuteftamentlichen Zeit nennt, ift die neute ^ Zeit ~
Wiffenfchaft, welche die gefchiditlidien Verhaltniffe, d. h.
die Ereigniffe, Zuftande und Ideen, welche zur Zeit der Ent-
ftehung des Neuen Teftamentes beftanden und fur defien
Verftandnis und das Verftandnis der Anfange der chriftlichen
Religion wichtig find, auf Grund der Quellen darftellt. Der
Heiland hat perfonlich unter den Juden Palaftinas, fur die er
zunachft gefandt war, gewirkt. Die damaligen politifehen Er-
eigniffe, die fozialen und fittlichen Zuftande wie die religiofen
Anfchauungen feiner Zeitgenoffen bilden gewiffermafjen den
Hintergrund des Gemaldes, auf welchem fich fein ganzes
wunderbares Leben und Wirken um fo fcharfer abhebt. Was
aber von ihm gilt, gilt auch in ahnlicher Weife von der
Tatigkeit der Apoftel unter den Juden und Heiden des erften
diriftlichen Jahrhunderts. Sie find Menfchenfifcher gewefen in
den gro&en Zentren der griechifch-romifchen Welt und haben
die Glaubenslehren vielfaeh unter Polemik gegen judifche und
heidnifche Vorftellungen dargelegt und verteidigt.
Somit ift die neuteftamentliche Zeitgefchidite keineswegs
blofc eine Gefchichte des judifchen Volkes zur Zeit Chrifti und
der Apoftel, aber ebenfowenig die Gefchichte aller Verhalt-
niffe aller Volker jener Zeit. Denn nach dem wiffenfchaft-
lichen Sprachgebrauch umfafet die Zeitgefchichte etwa eines
gro&en Fflrften pder Schriftftellers nicht alles, was uberhaupt
zu feiner Zeit gefchichtlich merkwiirdig ift, fondern nur was
fiir das Verftandnis feines Charakters, feines Strebens und
Wirkens Wichtigkeit hat.
l ) Der Ausdrudc ift zuerfl von dem im Jahre 1848 zu Bern verftor-
benen Gelehrten Matth. Schneckenburger (vgl. feine M Vorlefungen fiber
neuteftamentl. Zeitgefchichte". Aus deffen handfchriftl. Nachlag herausg.
von Dr. Th. LOhlein, mit Vorwort von Hundeshagen, Frankf. a. M. 1862)
angewandt worden.
1*
4 Einleitung.
Unfere Wiffenfchaft fetjt die im Neuen Teftamente er-
zahlten Dinge, bezw. die neuteftamentliche Gefchichte felbft
als bekannt voraus, ift aber ein Hilfsmittel zur Erklarung
des Neuen Teftamentes und gehort wie z. B. audi die bibli-
fche Archaologie zur Einleitung in die Heilige Schrift" im
weitern Sinne des Ausdruckes. Sie ware keine Wiffenfchaft,
wenn fie nur willkurlich einige fur die Erklarung des Neuen
Teftamentes wichtige Erorterungen zufammenfafcte. Das tut
fie aber auch nicht, fondern fie bietet vielmehr den wiffen-
fchaftlichen Nachweis des Zufammenhanges des Judaismus
und des Heidentums mit dem Chriftentum, wie es uns im
Neuen Teftament entgegentritt, und behandelt fomit einen
Stoff, der natiirlich zufammenhangt und in fich abgefchloffen
und gegliedert ift.
ihre Ein- Entfprechend dem Verlauf der neuteftamentlidien Gefchichte
teiiung-. jjt zuer jt die jiiciifche, dann die heidnifche und zwar die grie-
chifch-romifche Zeitgefchichte des Neuen Teftamentes darzu-
ftellen. Jeder diefer zwei Teile zerfallt in drei Unterabtei-
lungen, worin die politifche Gefchichte, die innern fozialen
und fittlichen Zuftande und die religiofen Anfchauungen der
judifchen bezw. heidnifchen Zeitgenoffen, foweit fie fur das
Verftandnis des Neuen Teftamentes wichtig find, behandelt
werden. Die hier zu fchildernde Zeit umfagt im wefentlichen
das erfte chriftliche Jahrhundert. Jedoch wird die politifche
Gefchichte der Juden, weil fie im Jahrhundert des Heils durch
die romifche Herrfchaft bedingt ift, am beften mit der Erobe-
rung Jerufalems durch Pompejus im Jahre 63 v. Chr. be-
gonnen und bis zum Jahre 135 n. Chr., der Unterdriickung
des Aufftandes unter Hadrian fortgefuhrt, weil damit das
Schickfal des judifchen Volkes befiegelt und dem letjten grofcen
Verfuche des Volkes, feine Selbftandigkeit herzuftellen, ein
Ende gemacht wurde.
ihr Nu^en. Wahrend die Einleitung in das Neue Teftament, wie fie
heutzutage aufgefajgt wird, eine literarifche Einleitung ift, ift
die neuteftamentlidie Zeitgefchichte eine gefchichtliche, welche
uns die neuteftamentlidie Gefchichte im Rahmen und im Lichte
der Zeitverhaltniffe verftehen lehrt. Wenn man mit Recht
die Ardiaologie als ein wertvolles Hilfsmittel der Exegefe
fcha^t, darf man auch die neuteftamentlidie Zeitgefchichte
Einleitung. 5
weldie fo vielfadi zum Verftandnis des Neuen Teftamentes
beitragt, niciit vernadilaffigen.
Ihre Bedeutung Mr die Kirdiengefchidite als einer Real-
einleitung in diefelbe wird von faft alien kirchengefchiditlichen
Lehrbudiern durch einen Uberblick fiber die heidnifchen und
jiidifchen Verhaltniffe zur Zeit der Entftehung des Chriften-
tums anerkannt. Wie wollte man auch ohne Kenntnis diefer
Dinge das Leben der alteften Kirdie verftehen? Eine ahn-
lidie Bedeutung hat fie fur die Apologetik namentlich wegen
der durdi fie vermittelten wiffenfchaftlidien Erkenntnis, daft
das Chriftentum weder ein naturliches Erzeugnis des Juden-
nodi des Heidentums, nodi des judifch-hellenifchen Geiftes
fein kann und Chriftus felbft zwar in diefer Welt, aber dodi
hodi fiber derfelben fteht.
Die Quellen find teils monumentale Denkmalei 1 des Altertums, Die Quellen.
Bauten, Statuen u. dgl., teils Infchriften, Mtinzen, Urkunden und Schrif-
ten jener Zeit.
Fur die griechifchen Infdiriften ift das Hauptwerk die Inscriptiones Infchriften.
Qraecae. Ed. consilio et auctoritate acad. regiae Borussicae, Berol.
1873 sqq., welche 14 Bande umfaffen werden. Vgl. audi W. Dittenberger,
Sylloge inscriptionum Graecarum 2 I III, Leipz. 18981901 und ders.
Orientis Graeci Inscriptiones selectae. Supplementum Sylloges Inscrip-
tionum Graecarum. I II, L. 1903-5.
Die lateinifdien Infchriften finden fich im Corpus inscriptionum Latina-
rum. Ed. Th. Mommsen etc. Vol. I, 1 (ed. II). II-X, XI. 1. 2, 1. XII. XIII.
1, 12. 2, 1-2. 3, 12. XIV. XV, 1. 2, 1 und Suppl. zu vol. II. III. IV,
1. VII (2 pts). Berol. 1863 sqq. Eine Auswahl bietet J. G. Orelli, Inscrip-
tionum latinarum selectarum amplissima collectio, 2 voll. Ace. vol. 111.
Supplementa emendationesque, ed. G. Henzen, Turici 18281856. H. Dessau,
Inscriptiones latinae selectae, B. I. 1892. II, 1. 1902. Das Monumentum.
Ancyranum, eine umfangreiche Oberjicht der Taten des Augustus, welche
er felbft an den Marmorwanden des Tempels des Auguftus und der Roma
zu Ancyra in Galatien anbringen lieg, ift herausgegeben von Th. Mommsen,
Res gestae divi Augusti . . . iterum ed. B. 1883.
Die femitifchen Infchriften werden gefammelt in dem Corpus In-
scriptionum Semiticarum ab acad. Inscript. et Litt. Human, cond. atque
digestum. Paris. 1881 sqq. Pars I. Inscriptiones Phoenic. torn. I. fasc.
1 4; II, 1 4. Pars II. Inscript. Aramaic, torn. I, 1 4; torn. II. fasc. I.
Pars IV. Inscriptiones Himyariticas et Sabaeas continens I, 1-4. II, 1-2.
Das von der Kommiffion des Corpus publizierte Repertoire d'Epigraphie
semitique Par. 1900 ff. enthalt neue Texte. M. Lidzbarski, Handbuch der
nordfemitifchen Epigraphik [Palaftina und das petraifche Arabien ist mit ein-
gefchloffen]. 2 Teile. Weimar 1898; feine Ephemeris fur femitifche Epi-
6 Einleitung.
graphik, Giessen, 3 Bde., 19021915 enthalt nicht neue Texte, fondern
Bearbeitungen des gefamten neuen Infchriftenmaterials. Mandies derartige
findet fich audi in Ch. Clermont-Ganneau, Etudes d'archeologie orientale.
2 Bde. Paris 18957 und ebd. Recueil d'archeologie orientale 7 Bde.
Paris 1888-1906. H. A. Cooke, A text-book of North-Semitic Inscriptions,
Moabite, Hebrew, Phoenician, Aramaic, Nabataean, Palmyrene, Jewish,
Oxford 1903, ift ohne Oberfetjung und Kommentar. Obrigens find hebraifche
Oder andere femitifche Infchriften aus der Zeit vor Chriftus in Palaftina
felbft hochft felten. Dort beginnt die Epigraphie er{t mit der romifchen
Herrfchaft und mit der Griindung rOmifcher Stadte. Am zahlreichften find
unter den griechifch oder lateinifch erhaltenen palaft. Infdiriften der heidnifehen
nachchri[tlichen Zeit von Trajan bis Konftantin die auf Meilenfteinen. Vgl.
Germer-Durand, Note sur 1'epigraphie en Palestine. Compte rendu du
4. congres scientifique des Catholiques. Sciences exegetiques Frib.
1898 p. 23 ss.
Urkunden. Unter den vielen neuentdeckten Papyrusurkunden beanfpruchen be-
fondere Wichtigkeit die zehn aramaifchen Papyri aus dem 5. Jahrhundert
v. Chr., welche im Jahre 1904 auf der Nilinfel Elephantine am erften
Katarakt Affuan [dem alten Syene] gegenuber gefunden wurden und die
Befitjverhaltniffe einer jQdifchen Familie behandeln (Aramaic Papyri di-
scovered at Assuan ed. by A. H. Sayce with the assistance of A. E. Cowley
London 1906; auch fur Vorlefungen und Obungen herausg. v. W. Staerk,
Die judifch-aramaifchen Papyri von Affuan, Bonn 1907). Noch wichtiger
find die auf derfelben Infel gefundenen n Drei aramaifche Papyrusurkunden"
(Herausg. von E. Sachau aus den Abhandl. der Ak. d. Wiff. B. 1907),
welche fiber das jfidifche Heiligtum dafelbft Aufjchlufj geben. Unter
den griechifchen Papyrusurkunden, worflber Wilcken, Archiv fiir Papyrus-
forfchung L 1901 .ff. andauernd unterrichtet, find zu nennen The Oxyrhynchus
(^ Behnesa in Mittelagypten) Papyri. Ed. by B. P. Grenfell and A. S. Hunt.
London 1898 ff. Weiterhin vgl. Fayum towns and their Papyri. Ed. by
Grenfell and Hogarth. L. 1900; The Tebtunis Papyri. Ed. by B. P. Grenfell
Hunt and Smyly P. I. L. 1902; The Amherst Papyri. Ed. by B. P. Grenfell
and A. S. Hunt. 2 Bde. L. 19001901. Das wichtigfte Werk uber judifche
Miinzen. Munzen ift Madden F. W., Coins of the Jews. L. 1881. Gemeinfajglich
handelt davon Levy M. A., Gefchichte der judifchen Mflnzen. L. 1862. FQr
die fibrigen vgl. Eckhel J., Doctrina nummorum veterum. Vindob. 1792 98.
8 Bde. Cohen H., Description historique des monnaies frappees dans
1'empire romain, communement appelees medailles imperiales. Paris 1859
sqq. 5 Bde.; continuee par. Feuardent. torn. 6-8. 2. ed. Paris 18801892.
Barclay V. Head, Historia nummorum. A manual of Greek numismatics.
Oxford 1887. Seth W. Stevenson, A dictionary of Roman coins, Republican
and Imperial, revised in part by C. Roach Smith and completed by
F. W. Madden. Lond. 1889. Fur die griechifchen und rOmifdien Munzen
Palaftinas vgl. auch DeSaulcy, Numismatique de laTerre sainte. Description
des monnaies autonomes et imperiales de la Palestine et de 1'Arabie Petree.
Paris 1874.
Einleitung. 7
Unter den Schriften, welche als Quellen der Gefdiichte diefes Zeit- g ue u en .
raumes in Betracht kommen, find die folgenden am ofteften anzufOhren. fchriften.
(Vgl. u. a. A. Sdiaefer, Abrig der Queilenkunde der griediifchen und
rbmifdien Qefchichte. Zweite Abteilung. Rom. Qefchiehte bis auf Justinian.
Zweite Aufl. von H. Miff en. L. 1885; far die Daten f. die Kultur der
Gegenwart. Herausg. von Paul Hinneberg. Teil I. .Abt. VIII. B. 1905,
worin S. 1236 die griech. Literatur des Altertums von Ulridi von
Milamowitj-Mollendorff und S. 313373 die rOmifche Literatur des Alter-
tums von Friedr. Leo behandelt ift. Fur die nichtjudifchen griechifchen
und lateinifdien Klaffiker werden, wenn nidit das Qegenteil befonders an-
gegeben ift, die Textausgaben der Bibliotheca Scriptorum Graecorum
et Romanorum Teubneriana benutjt).
Strabo (von ca. 68 v. Chr. bis 20 n. Chr.) aus Amafia im pontifchen
Kappadozien, welcher feit 29 v. Chr. meift in Rom lebte, fdirieb gegen
Ende feines Lebens die uns nodi erhaltene M Geographie" in 17 Buchern.
Darin legt er meift auf Grund der von ihm mit grofjer Umficht gefam-
melten Nadirichten die phyfikalifchen, hiftorifchen und politifchen Verhalt-
niffe der von ihm befchriebenen Lander anfchaulich dar. Am beften ift
ihm Kleinafien bekannt. n Seine kurzen Befchreibungen find wunderbar
genau und fur den Augenzeugen wunderbar klar" (Ramsay W. M., The
historical geography of Asia minor. L. 1890. p. 96).
Plutarch (urn 40120 n. Chr.), geb. zu Chaeronea in Boeotien,
lebte unter den Flaviern als geehrter Lehrer der Rhetorik zu Rom, die
letjten Jahrzehnte feines Lebens aber in Delphi als Priefter des Apollo.
Neben feinem Hauptwerk, den Parallel - Biographien hervorragender
Griechen und Romer, und einem Werke fiber die Kaifer Galba und Otho
fchrieb er viele moralifche und religionsphilofophifche Schriften, in denen
u. a. die Damonologie ftark hervortritt.
Dio Caffius, geb. um 155 n. Chr. zu Nicaea in Bithynien, kam
um 180 nach Rom und verwaltete fpater als Prokonful und Legat nach-
einander Afrika, Dalmatien und das obere Pannonien, ftarb um 235 n. Chr.
Von feiner rOmifchen Gefchichte in 80 Buchern find die fiber die Jahre
68 v. Chr. bis 47 n. Chr. handelnden Bficher (XXXVI LX) erhalten, (wenn
auch von LV an vielfach verftOmmelt). ')
Von den lateinifdi fchreibenden Schriftftellern ift aus der Zeit der
Republik namentlich Cicero (10643 v. Chr.), wegen feiner philofophifchen
Schriften oft zu erwahnen. In der Kaiferzeit lebten C. Plinius Secundus,
der Altere (23 79 n. Chr.) und fein Neffe, C. Plinius Caecilius Secundus,
der Jfingere (62113 n. Chr.), beide geb. zu Como in Oberitalien. Der
erftere hinterlieg in feiner Naturalis historia, 37 Bficher, ein reichhaltiges
vortreffliches Sammelwerk, worin naturwiffenfchaftliche, geographifche und
andere Nachrichten enthalten find, der letjtere Briefe, die fich fiber eine
Ffille von Gegenftanden verbreiten.
') Zitiert wird nach der Ausgabe von Ursulus Philippus Boisse-
vain, Cassii Dionis Coccejani Historiarum Romanarum quae supersunt
Berol. 1895-1901. 3 vols.
8 Einleitung.
Corn. Tacitus (um 55-116) der grOgte romifehe Hiftoriker, ge-
dankenfchwer, ernft und von edlem Streben nach Wahrheit geleitet, be-
handelt in den erhaltenen Buchern 16 und 1116 feiner Annalen die
Gefchichte des Tiberius mil einer Liicke, die des Claudius und des Nero
vom J. 47 61; in den erhaltenen Buchern 1 5 der Hiftoriae fchildert er
die Zeit der Kaifer Galba, Otho und Vitellius und die Anfange Vefpafians.
Von C. Suetonius Tranquillus (um 75150 n. Chr.), dem Geheim-
fchreiber Hadrians find uns u. a. die Kaiferbiographien von Cafar bis
Domitian fa[t ganz erhalten.
Unter den Philofophen ragt an Bedeutung L. Annaeus Seneca
(4 v. Chr. bis 65 n. Chr.), aus Corduba in Spanien, der Erzieher und
Minifter Neros hervor, der in fchcmen moralphilofophifchen Werken vom
Standpunkte der ftoifchen Lehre aus Tugend und Pflicht preift, aber audi
in einer Satire den eben verftorbenen Kaifer Claudius verhOhnt hat.
Sein Bruderssohn M. Annaeus Lucanus (3965 n. Chr.) hat in einem
Epos Pharsalia 1. 1 10 den Entfcheidungskampf zwifchen Cafar und
Pompejus gefchildert.
An die Dichter der augufteifchen Zeit P. Vergilius Maro (70 19 v. Chr.),
Q. Horatius Flaccus (65-8 v.'Chr.j, P. Ovidius Nafo (43 v. Chr. bis 17
n. Chr.) fchliefcen fich im erften Jahrhundert die Satiriker Petronius
Arbiter, der im Jahre 66 ftarb, A. Persius Flaccus (3462 n. Chr.), der
Epigrammatiker M. Valerius Martialis (geft. um 102), und der die
moralifche Verkehrtheit feiner Zeit fo fcharf geijgelnde groge Satiriker
D. Junius Juvenal is (um 57 138 n. Chr.). Das erfte Budi feiner
Satiren erfchien wahrfcheinlich zwifchen 112 und 116, das funfte naeh 128.
(Vgl. L. Friedlander, D. Junii Juvenalis Saturarum libri V. .Mit er-
klarenden Anmerkungen, 2 Bde. L. 1895. Einl. S. 6 ff.)
Von den namentlich fur die judifche Gefchichte fo hoch bedeutfamen
judifchen Schriftftellern Philo aus Alexandrien, der nach dem Jahre 41
n. Chr. ftarb und dem judifchen Priefter, Feldherrn und Freund der Flavier,
Flavius Josephus (geft. nach 93) wird fpater noch ausfuhrlich gehandelt
werden, ebenfo von den zahlreichen andern vielfach apokalyptifch gehaltenen
judifchen Schriften, welche um die Zeit des erften chriftlichen Jahrhunderts
entftanden find. (S. unten das 15. u. 16. Kapitel).
Die rabbi- Eine befondere Bedeutung hat die Frage, ob die altere rabbinifche
nifch-talmudi- Literatur, namentlich der Talmud in feinen einzelnen Beftandteilen, als
fche Literatur. eine Quelle der neuteftamentlichen Zeitgefchichte angefehen und benutjt
werden kann.
Mit dem Namen Talmud (eigentlich das Studium, die Lehre) als
Buchtitel bezeichnet man heutzutage ein Sammelwerk, welches aus der
Die Mifchna. Mifchna und der Gemara befteht. Mifchna (eigentlich Wiederholung, Lehre,
dann im Gegenfa^ zu der Mikria Oder dem Gelefenen, das mtindlich fort-
gepflanzte Gefe^) ift der Name einer im zweiten chriftlichen Jahrhundert
veranftalteten Sammlung von Oberlieferungen angefehener jfidifcher Lehrer
uber das mofaifche Gefe^. Es kommen darin ungefahr 150 wahrend der
zwei erften chriftlichen Jahrhunderte lebende Lehrer zu Worte, welche im
Einleitung. 9
Gegenfatje zu den fpateren Lehrern die Lehrer, nach dem Aramaifchen
Tannaim, die Tannaiten heigen und meift den Titel Rabbi (eigentlich mein DieTannaiten
Lehrer, fpater Lehrer) in feltenen Fallen den ehrenvolleren Titel Rabban
(unser Lehrer) fiihren. (Vgl. W. Bacher, Die Agada der Tannaiten, 2 Bde.
1 2 , Straub. 1903 u. 1890). Man unterfcheidet vier Generationen derfelben
(vgl. z. B. Schechter, art. Talmud in Dictionary of the Bible, ed. by J. Haftings
[vol. I -IV, Edinb. 1900-1902]. Extra Volume. Edinb. 1904, p. 57 ff.).
Zu der erften von etwa 10-90 n. Chr. rechnet man die Mitglieder der
Schule von Hillel (vgl. fiber ihn unten 11. Cap.), unter denen Rabban
Gamaliel der Alte, den wir aus der Apoftelgefchichte kennen und der
fpatere in Jamnia oder Jabne wohnende , Rabban Jochanan ben Zakkai
die beruhmteften find und die der Schule von Schammai. Der zweiten
Generation (von 90-130) gehoren u. a. an der Rabban Gamaliel II., ein
Enkel des eben erwahnten und feine Zeitgenoffen R. Josua ben Chananja
und der Schammaite R. Eliezer ben Hyrkanos. JQngere Lehrer diefer
Generation find R. Ismael und der beruhmtefte aller Tannaiten R. Akiba,
welcher den Barkochba als Meffias anerkannt haben foil und als Begrunder
der Mifchna gilt, indem er das Studium des mfindlichen Gefetjes feines
bisherigen Charakters eines Bibelkommentars entkleidete und feine Be-
ftimmungen fyftematifch einteilte und ordnete (vgl. J. S. Bloch, Einblicke
in die Gefchichte der Entftehung der talmudifchen Literatur. Wien 1884,
S. 2242). In der dritten Generation (130160) ragen vor alien Gelehrten
die Schfiler Akibas hervor; der bedeutendfte ift R. Meir, der die fyftematifchen
Arbeiten feines Lehrers fortfetjte. Auf der Grundlage der Mifchna des
R. Meir fchuf dann in der vierten Generation (160200 n. Chr.) Juda
Ha-nafi (= der Ffirft oder Patriarch), der meift blog Rabbi, der Meifter
fchlechthin, oder auch Rabbenu hakkadofch d. h. unfer Lehrer, der Heilige
heigt und wahrfcheinlich um 135217 n. Chr. lebte (H. Strack, Einleitung
in Talmud und Midras. 5. Aufl., Munchen 1921, S. 16 f. und 133) die uns
erhaltene Mifchna.
Ob er aber fein Werk nicht blog zufammengeftellt, fondern auch
felbft niedergefchrieben hat oder die fchriftliche Fixierung desfelben erft
nach Jahrhunderten erfolgte, ift eine alte, noch immer unentfchiedene Frage.
Auf der einen Seite weift man auf den herkQmmlichen Ausdruck Mifchna"
d. h. mfindliches Gefetj, auf die in derfelben enthaltenen verfchiedenen
Hilfsmittel der Erinnerungskunft (vgl. z. B. Megilla 1, 411) und auf ein
altes Gefetj oder eine alte Gewohnheit, welche das Niederfchreiben des
Inhaltes der Gefetjesuberlieferung verbot, hin, auf der andern Seite ift
wenigftens in dem Falle der Megilla Taanith , eines kurzen aus dem
zweiten chriftlichen Jahrhundert ftammenden Verzeichniffes von freudigen
Erinnerungstagen, an denen nicht gefaftet werden durfte (vgl. dasfelbe
bei Derenbourg, Essai sur 1'histoire et la geographic de la Palestine,
Paris 1867, p. 439-446), das Verbot nicht beobachtet worden. (Vergl.
Schechter p. 62, der felbft von der Frage meint, dag die Beweisgrunde
auf beiden Seiten ungefahr gleich feien). Jedenfalls war der Einflug des
Juda Ha-nafi fo grog, dag feine Sammlung fur die rabbinifchen Schulen
1 Einleitung..
ausfchliefcliche Auktoritat erhielt. Sie wurde der eigentliche Kodex des
mundlichen Gefetjes.
Die Mifchna befteht nadi dem Lehrftoffe aus fechs Buchern Oder
Ordnungen, die zufammen 63 Traktate bilden; jeder Traktat zerfallt in
Kapitel, jedes Kapitel in Lehrftucke. Die erfte Ordnung mit dem Titel
Zeraim (eigtl. Saaten) handelt im grofjen ganzen von den Vorfchriften
fur den Landbau. Sie umfafct folgende 11 Traktate: 1. Berakhoth
= Segensfprtiche (handelt vom Qebete u. dgl.) 2. Pea, Winkel (von den
Acker ecken, die man Armen beim Ernten laffen foil). 3. Dammai,
Zweifelhaftes (vom Zweifel uber die Frage, ob Fruchte fchon verzehntet
find Oder nicht). 4. Kilajim, Vermifchung (von der widergefetjlichen Ver-
mifchung des Samens verfchiedener Arten und Gattungen der Tiere und
Tuchftoffe). 5. Schebiith, das Siebente (vom Sabbatjahr). 6. Terumoth,
Gaben (uber die den Prieftern zukommenden Gaben und Opfer). 7. Maa-
seroth, Zehnten. 8. Maaser scheni, der zweite Zehnte. 9. Challa,
Teighebe (von der Abgabe, welche von jedem Teig dem Priefter gegeben
werden mujgte). 10. Or la, Vorhaut (vom Verbot, die Fruchte von Baumen
in den erften drei Jahren zu geniefjen). 11, Bikkurim, Erftlinge.
Die zweite Ordnung Moed (eigtl. Feftzeit) enthalt die Traktate uber
die Feft- und Feiertage. 1. Schabbath, Sabbat. 2. Erubin, Ver-
mifehungen (kunftliche, oft nur in Gedanken gemachte Verbindung getrennter
Raumlichkeiten, um die Sabbatbefchrankungen zu erleiditern). 3. Pesa-
chim, Oftern. 4. Schekalim, Sekeln (von den Sekeln zur Unterhaltung
des Gottesdienftes). 5. Joma, der (groge) Tag (vom Verf6hnungsfe[t).
6. Sukka, Laube (vom Laubhxittenfeft). 7. Beza, Ei (fogenannt von dem
Anfang, in welchem die Frage, ob man ein an einem Feiertag oder Sabbat
gelegtes Ei ef[en durfe, erQrtert wird. Der Traktat handelt von den an
Feiertagen erlaubten und verbotenen Arbeiten). 8. Rosch ha-schana,
Neujahr. 9. Taanith, Faften. 10. Megilla, Rolle (des Buches Efther;
Vorfchriften fur das Purimfeft). 11. Moed qatan, kleine Fefte (von den
Tagen zwifchen dem er{ten und letjten Tag des Ofter- und Laubhfittenfe[tes)-
12. Chagiga, Feftopfer (von den Opfern, welche man an den drei hohen
Wallfahrtsfeften in Jerufaiem darzubringen hatte).
Die dritte Ordnung, Nafchim d. h. Frauen, hat nur fieben Traktate,
vorzuglich Qber Eherecht, dann auch uber Geliibde, z. B. das Nasiraat.
1. Jebamoth, Schwagerinnen (von der Levirats- oder Schwagerehe).
2. Kethuboth, Ehevertrage. 3. Nedarim, Gelflbde. 4. Nasir, Nasiraer.
5. Sot a, das (des Ehebruchs) verdachtige Weib. 6. Gittin, Scheidebrief.
7. Qiddushin, Verlobungen.
Die vierte Ordnung Nesiqin, Schadigungen, mit 10 Traktaten er-
Ortert die Fragen des Kriminal- und Zivilrechts. Die erften drei Traktate
Baba qamma, erfte Pforte, Baba mezia, mittlere Pforte und Baba
bathra, die leljte Pforte bildeten urfprunglich drei Abteilungen eines
zufammenhangenden Traktats uber die Schadigungen; die erfte handelt
von den Nachteilen, die jemand durch einen andern zugefQgt werden, die
zweite von den Pflichten in Bezug auf gefundene und geliehene Sachen,
Pfander u. dgl., die dritte von den verfchiedenen Gefetjen uber den Er-
Einleitung. 1 J
werb von Eigentum, Handel, Erbfchaft etc. 4. Sanhedrin, Synedrium.
5. Makkoth, Schlage (von der Strafe der Geiglung). 6. Schebuoth,
Eidfchwfire. 7. Edujoth, Zeugniffe (Entfeheidungen berfihmter Lehrer fiber
verfchiedene ftrittige Fragen). 8. Abodazara, GOtjendienft (fiber die Be-
handlungderGOtjenbilderuridGotjendiener). 9. Aboth oder Pirke Aboth,
Altvater oder Ausfprfiche der Altvater. 10. Horajoth, Entfeheidungen (von
Entfeheidungen des Hohen Rates, die aus Verfehen irrig find u. a.).
Die f finite Ordnung Qodaschim, heilige Dinge, hat 11 Traktate.
1. Sebachim, Schlachtopfer. 2. Menachoth, Speifeopfer. 3. Chullin,
Unheiliges, Gemeines (vom Schlachten der Tiere ffir den gewohnlichen
Gebrauch und den Fallen, in welchen fie zum Effen untauglich werden
u. dgl.). 4. Bekhoroth, Erftgeburt. 5. Arakhin, Schatjungen (von Gott
geweihterf Perfonen und Dingen und ihrer Auslofung). 6. Temura, Ver-
wechslung (der Opfertiere). 7. Kerithoth, Ausrottungen (was zu tun ift,
wenn man unvorfatjlich etwas getan hat, worauf Ausrottung fteht). 8. M e il a,
Obertretung (von Sakrilegien die durch Aneignung von dem Tempel oder
dem Altar gehOrigen Dingen begangen werden). 9. Tamid, M dauerndes"
Opfer (fiber das im Tempel taglieh darzubringende Opfer und den Tempel-
dienft). 10. Mid doth, Mage (namlich des Tempos, Befchreibung des-
felben). 11. Qinnim, Nefter (vom Taubenopfer der Armen).
Die fechfte Ordnung, Teharoth d. h. Reinigkeiten, handelt in 12 Trak-
taten von den Beftimmungen fiber Reinheit und Unreinheit. 1. Kelim,
Cerate (von den Hausgeraten u. dgl. und deren levitifchen Reinigung).
2. Ohaloth, Zelte (und deren levitifchen Verunreinigung, befonders durch
eine Leiche). 3. Negaim, Ausfatj. 4. Para, rote Kuh (von dem Ge-
brauch, den man von der Afche der verbrannten Kuh bezw. dem Spreng-
waffer zur Entffindigung derer macht, die unrein geworden find, vergl.
Num. 19, 2 ff.). 5. Teharoth, Reinigungen (von den verfchiedenen Arten
und Graden der Unreinheit). 6. M.iqwaoth, Waff erf am mlun gen (betrifft
das zum Baden und Wafchen geeignete Waffer). 7. Nidda, die blut-
flfiffige (levitifche Unreinheit von Frauen unter beftimmten Umftanden).
8. Makhschirin, Tauglichmachendes (von den Umftanden, unter welchen
beftimmte Dinge durch Flfiffigkeiten, mit denen fie in Berfihrung kommen,
levitifcher Verunreinigung fahig werden). 9. Zabim, die mit einem un-
reinen Flufc Behafteten. 10. Tebul jom, n gebadet am Tage" (von der
Lage einer Perfon, die das wegen einer levitifchen Unreinigkeit vorge-
fchriebene Bad genommen hat, aber bis Sonnenuntergang warten mug,
urn als ganz rein zugelten). 11. Jadajim, Hande (von der Verunreinigung
und Reinigung derfelben). 12. Uqsim, Stiele (inwiefern die FrQchte un-
rein werden, wenn ihr Stiel von etwas Unreinem berfihrt wird).
Zitiert wird die Mifchna unter Angabe des Traktates, des Kapitels
und des Satjes, alfo z. B. Berakhoth 1, 1. Ubrigens wird auger der
Kenntnis der zu erklarenden Schrifttexte auch oft eine der Obungen des
mundlichen Gefe^es vorausgefe^t. Z. B. beginnt Ber. 1, 1 mit den Worten:
Wann fangt man an, des Abends das Schma zu fagen? Von der Zeit
an, dag die Priefter (im Falle fie levitifch unrein geworden find, vom
Reinigungsbade) zurfickkommen, um ihre Hebe (ihre heilige Gaben) zu
12 Einleitung.
effen d. h. nach Sonnenuntergang, vgl. Levit. 22, 7, bis zum Ende der 1. Vigilie.
Dies ift die Meinung R. Eliezers. Die andern Gelehrten fagen, es fei nodi
Zeit bis Mitternacht. Rabban Gamaliel aber will, man diirfe es fagen bis
zum Anbruch der MorgenrOte." Jedenfalls wird hier die Gewohnheit,
taglich das Schma zu fagen, als bekannt vorausgefetjt.
Es gibt nur zwei Mifchna-Traktate, weldie nicht gefetjliche Beftim-
mungen enthalten, Pirke Aboth und Middoth.
Die Sprache der Mifehna ift neuhebraifch. Es gibt aber drei Rezen-
fionen derfelben, wovon die eine in den Handfchriften und Ausgaben der
Mifehna, die zweite im palattinenfifchen, die dritte im babylonifchen Talmud
enthalten ift.
Unter den Ausgaben feien erwahnt: Mischna sive totius Hebraeorum
juris etc. systema cum Maimonidis et Bartenorae commentariis integris
etc. Latinitate donavit ac notis illustravit G. Surenhusius. 6 voll. fol.
Amsteld. 1698 1703; The Mishnah on which the Palestinian Talmud rests,
edited from the unique manuscript by W. H. Lowe. Cambridge 1883;
Mifchnajoth, Die 6 Ordnungen der Mifehna. Hebraifcher Text mit Punk-
tation, Deutfcher Oberfetjung und Erklarung von A. Sammter, Berlin 1887 ff.
(noch unvollendet). Vgl. auch' Mifehna oder der Text des Talmud, aus
dem Hebraifchen uberfetjt, umfchrieben und mit Anmerkungen erlautert
von Joh. Jak. Rabe. 6 Teile. Onolzbach 1760 - 63. Abgefehen von
Einzelausgaben gibt es 3 deutfche Sammlungen von Mifchnatraktate,
namlich die Leipziger von H. L. Strack, Ausgewahlte Mifchnatraktate nach
Handfchriften und alten Drucken herausgegeben, uberfetjt und mit Berfick-
fichtigung des Neuen Teftaments erlautert (erfchienen find Berakhoth,
Schabbath, Pesachim, Joma 8 , Sanhedrin, Makkoth, Aboda zara, Pirke
Aboth); dann die Giegener herausg. von Georg Beer und Oskar Holtj-
mann: ,,Die Mifehna, Text und Oberfetjung und ausfiihrliche Erklarung"
(feit 1912 erfchienen Berakhoth, Pea r Kilajim, Challa, Orla, Bikkurim,
Pesachim, Joma, Rosch ha-schana, Baba qamma, Horajoth, Middoth); fo-
dann die Tubinger (feit 1907 ff. : Ausgewahlte Mifchnatraktate in deutfcher
Oberfetjung herausg. von Paul Fiebig (erfchienen find u. a. die Traktate
Schabbath (G. Beer), Sanhedrin und Makkoth, und Megilla (vgl. Strack,
Einl. 5 , S. 154 ff.) Von englifchen Ausgaben feien erwahnt Taylor, Sayings
of the Jewish fathers in Hebrew and English? Cambridge 1897, und Her-
ford, R. Travers-, Pirke Aboth: The Sayings of the fathers in Charles, the
Apocrypha and Pseudepigrapha vol. II. Oxford 1913 p. 686714 (engl.
Oberfetjung mit Einl.)
Auger den in der Mifehna enthaltenen Ausfpruchen der Tannaiten
find den Talraudiften noch andere bekannt gewefen, welche man aramaijch
Baraitha. Baraitha d. h. die ,,aujgere" Mifehna oder Tosephta d. h. ,,Zufat5" zu der
Mifehna nannte. Im Talmud werden folche Satje mit den Worten ,,Unfer
Lehrer lehrte" oder ,,er lehrte" oder dgl. eingefuhrt.
Es gibt aber auch ein im aufteren Aufbau der Mifehna entfprechendes
Die Tosephta. Sammelwerk, welches die Tosephta (= Hinzufiigung) heigt und feinen
Stoff in derfelben Ordnung wie jene behandelt nur mit dem Unterfchied,
dag die Traktate Aboth, Tamid, Middoth und Qinnim fehlen. Die Ge-
Einleitung. 13
fchichte der Entftehung der Tosephta und ihr Verhaltnis zur Mifchna ift nodi
nicht aufgeklart. Sie wird oft als ein der Mifchna ebenbfirtiges Werk
angefehen und auf einen Schuler Akibas, den R. Nehemias, zuriickgefuhrt,
deffen von R. Meir abweidiende Oberlieferung der R. Chija der altere,
ein Freund und Sender des Juda Ha-nasi, kodifiziert habe. Vgl. z. B.
Bloch S. 54-56. M. S. Zuckermandel will, zuletjt in dem Werke Tosefta,
Mifchna und Boraitha in ihrem Verhaltnis zu einander Frankf. a. M. 2 Bde.
19089, Erganzungsheft 1910 beweifen, dafc die Tosephta die palaftinen-
fifche Mifchna fei, unfere Mifchna aber in Babylonien neu redigiert worden
ware. Vgl. gegen diefe fchon an fich unwahrfcheinliche Annahme u. a.
Schiirer, Gefch. d. jud. Volkes I, 124. Th. Reinach in REJ Bd. 67, P. 1913
p. 308. L. Blau, Tosefta; Misctiha et BaraTta dans leurs rapports reci-
proques, REJ 68, 1914 p. 123. H. Strack, Einl. S. 76. Spanier, Arthur,
Die Toseftaperiode in der tannaitifchen Literatur B. 1922 vertritt die
Meinung, die Tosefta fei aus Randbemerkungen zu Mifchnaexemplaren
verftanden, welche von einem oder mehreren Kompilatoren zufammenge-
ftellt wurden. Solche Zufammenftellungen waren dann zum Teil wieder
von der letjten babylonifchen Redaktion berfickfichtigt worden. Vgl. hiezu
Dalman, Th. Lz. 1923, 16/17 S. 342 f.
Wieder andere erklaren die Tosephta als eine Sammlung von Reften
alterer Mifchnawerke oder als eine Art Commentar der Mifchna.
Jedenfalls enthalt das Werk in feiner jetjigen Form viele Lehrfatje
und Ausfpruche der fpateren rabbinifchen Lehrer, der fogen. Amoraer und
ift erft in fpattalmudifcher Zeit entftanden oder redigiert worden. Die
befte Ausgabe ift: Tosefta, herausgegeben von M. S. Zuckermandel, Pase-
walk 1880. Supplement, enthaltend Oberficht, Regifter und Gloffar., Trier
1882 83. Alle in der Tosephta vorhandenenen Traktate des erften, zweiten
und funften Seder find ins Lateinifche flberfe^t in Ugolini, Thesaurus
antiquitatum sacrarum t. XVII XX. Venetiis 1755 57.
Die vom dritten bis fechften Jahrhundert n. Chr. lebenden judifchen
Lehrer heigen Amoraer (eigentl. Sprecher), Erklarer, da fie fich neben Die Amoraer.
den ihnen vorangegangenen Tannaiten als bloge Affiftenten betrachteten
und fich vorziiglich mit der Erklarung der Mifchna abgaben. Dies gefchah
fowohl in Palaftina als in Babylonien, wofelbft grojge rabbinifche Schulen
entftanden waren (vgl. Strack 135 149. W. Bacher, Die Agada der
babylon. Amoraer. Stragb. 1878. Der 2. Aufl., einem anaftatifchen Neu-
druck 1913 find 14Seiten ,,Erganzungen und Berichtigungen" beigegeben;
derf., Die Agada der palaftinenf. Amoraer. 3 Bde. Stragb. 189299).
Der fo gefammelte Stoff wird im Unterfchied von der Mifchna Gemara,
d. h. Vollendung, heutzutage im Sinne der Vollendung der. Mifchna ge-
nannt. Derfelbe ift fowohl in Palaftina als auch in Babylonien kodifiziert
worden.
Der palaftinenfifche Talmud, oder der Talmud von Jeru- Derpalafti-
salem ift, wie heute allgemein tro^ der gegenteiligen Anficht des Mai- nenfifche Tal-
monides zugegeben wird, ganz ficher nicht von dem in Tiberias wirkenden mu< ^ O( ^ er ^ er
R. Jechonan bar Nappacha (geft. 279 n. Chr.) verfafct worden. Denn es m ^ von
find noch manche Amoraer, welche uber ein Jahrhundert fpater als Jechonan eru l a em -
] 4 Einleitung.
wirkten, in dem Werke vertreten. Im wefentlichen entftand es im 4. und
5. Jahrhundert n. Chr., wenngleich auch Baraithas d. h. nidit in der Mifdina
befindliche Lehrfatje der Tannaiten angefuhrt werden. Diefe wie die
Rechtsfatje uberhaupt werden immer und die fich daran fchliegenden Er-
Orterungen meift hebraifch gegeben, wahrend ein Teil der Erzahlungen
aramaifch abgefagt i{t. (Vgl. Q. Dalman, Grammatik des judifdi-palafti-
nenfifchen Aramaifch. 2. Aufl. L 1905. S. 19 f. Er meint, befonders in
den aus dem Leben gegriffenen Erzahlungen batten wir n das von den
Juden Qalilaas im 3. und 4. Jahrhundert gefprochene Aramaifch" vor uns).
Bekannt waren bis vor kurzem nur Erklarungen zu den vier erften Teilen
der Mifchna. Eine Oberrafchung bot deshalb das Werk: Der V. Teil des
Jerufalemifchen Talmuds, herausgegeben von Rabbiner Dr. Salomon Fried-
lander, Traktate: Chulin-Bechoreth. Szatmarhegy (Ungarn) 1907. Fried-
lander wollte im ganzen die vier erften Traktate und ein StQck des funften
Traktats der funften Ordnung auf Qrund einer im J. 1212 n. Chr. von
Isaak ben Jofeph aus Barcelona gefchriebenen Handfchrift entdeckt haben.
Tatfachlich enthalt aber der verOffentlichte Text grogenteils nur Exzerpte
aus den ftets bekannt gewefenen Teilen diefes Talmuds. Vgl. Strack,
Einl. in .den Talmud S. 68.
Die er[te Ausgabe des palaftin. Talmuds erfchien bei Bomberg zu
Venedig 15231524. Auf ihr beruht die bekanntefte Ausgabe, die zu
Krakau 1609 erfchien. Nach diefer wird meift mit Angabe des Traktates,
des Kapitels, des Blattes und der Kolonne (Die Ausgabe hat auf jeder
Seite vier Kolonnen) zitiert. Ein vorgefetjtes j (= jerufalemifch) dient zur
Unterfcheidung von b, dem babylonifchen Talmud. Vgl. noch B. Ratner,
,,Varianten und Erganzungen des jerufalemifchen Talmud" nach alten
Quellen und handfchriftl. Fragmenten edirt. Wilna 19011912. Neun Hefte.
Mehrere Traktate find in lateinifcher Oberfetjung von Ugolinus in feinem
Thesaurus antiqq. sacr. herausgegeben worden, namlich Pesachim in
t. XV11, die Traktate 4-12 der zweiten Ordnung in t. XVIII, Traktat 7
und 911 der erften Ordnung in t. XX, 4 und 5 der vierten Ordnung
in t. XXV, 2, 5 und 7 der dritten Ordnung in t. XXX. Eine vollftandige
franzOfifche Oberfetjung gab M. Schwab, Le Talmud de Jerufalem. 11 Bde.
Paris 187890. Bd. 1 in 2. Aufl. 1890. Der Band erfchien als Teil des
Gefamtwerkes unter dem Titel ,,Traite des Berachoth du Talmud de Jerus.
et du Talmud de Babylone" etc. fchon 1871. Vgl. auch A. Wtinfche, Der
Jerufalemifche Talmud in feinen haggadifchen Beftandteilen ins Deutfche
ubertragen. Zurich 1880.
Der babylo- Der babylonifche Talmud ift faft funfmal fo umfangreich wie der
nifche Talmud palaftinenfifche, von diefem ganz unabhangig und auch viel angefehener.
Er geht in feinem Urfprung zuruck auf die judifchen Schulen Babyloniens,
von denen die erften zu Sura und Nehardea fchon zu Anfang des dritten
chriftlichen Jahrhunderts entftanden. Das in den Arbeiten diefer in ihren
ErOrterungen und Entfcheidungen von einander unabhangigen Schulen
zutage geforderte Material wurde von Rab Afchi (geft. 427) redigiert, von
den folgenden Amoraern aber noch vermehrt, Als letter der Amoraer
wird im Talmud felbft Rab Abina (oder Rabina), geft. 499, genannt. (Die
Einleitung. 15
babylonifdien Lehfer haben gewohnlich den Titel Rab im Uhterfdiiede von
den palaftinenfifchen, weldie man Rabbi nannte). Der babylonifche Talmud
ift aber erft von den Gelehrten des fediften Jahrhunderts, welche Saboraer Die Saboraer.
hiegen, vollendet. Der Name bedeutet foviel als Erklarer, Nadidenkende
und bezeichnet diefe nur fur Babylon nachweisbaren Qelehrten als foldie,
weldie iiber die Worte ihrer Vorganger nadifannen.
Der babylonifdie Talmud ift abgefehen von den hebraifdi mitgeteilten
Reditsfa^en und Ausfprudien alterer Gelehrten in dem mit dem Syrifdien
verwandten oftaramaifchen abgefagt. Es werden aber nicht alle Traktate
der Mifchna behandelt. Die der erften und letjten Ordnung mit Ausnahme
von Berakhoth und Nidda fehlen ganz, im zweiten Seder fehlt nur Schekalim,
im Vierten Edujoth und Aboth, im funften Middoth und Qinnim und die
Halfte von Tamid.
Der babylonifche Talmud ift oft gedruckt worden. Die erfte voll-
ftandige Ausgabe erfchien bei Bomberg in Venedig 152023; eine durch
die Zenfur verftummelte zu Bafel 1578-81. Pol. In den fpateren Ausgaben
z B. der zu Krakau 16025, Fol., find die meiften Textverftiimmelungen
erganzt (vgl. .Strack, S 86). Wertvolles Material fur eine kritifdie Aus-
gabe bietet die Variantenfammlung von R. Rabbinovicz, Variae lectiones
in Mischnam et in Talmud Babylonicum. 16 Bde. Mundien 186897.
(Der 16. Bd. ift von Ehrentreu herausg.) Eine photographifche Repro-
duktion der einzigen erhaltenen Handfchrift des ganzen babylonifdien Tal-
mud ift ,,Talmud Babylonicum codicis Hebraici Monacensis 95 ... arte
phototypica depingendum curavit, praefatione et paginarum argumentis
instruxit Hermann L. Strack. 2 Bde. Leiden 1912. Neuerdings wurde
der Text des bab. Talmud mit englifcher Uberfequng herausgegeben von
L. Rodkinson, New Edition of the Babylonian Talmud, original text edited,
corrected, formulated and translated into English. 20 Bde. New-York
18961903; Derfelbe [by Rev. J. M. Wise]. 10 Bde. London 1920. Den
Text mit deutfdier Oberfefrjung bietet die noch nicht ganz vollendete Aus-
gabe von Lazarus Goldfchmidt, Der Babyl. Talmud .... herausg. nach
der erften zenfurfreien Talmudhandfchrift .... nebft Varianten .... der
Munchener Talmudhandfchrift, moglidift finn- und wortgetreu uberfe^t
L. 1897 ff. (Der 1. Band erfchien in 2. Aufl. 1906). Eine n ftreng wiffen-
fchaftliche, riditige und gut deutfche" Talmudubertragung kQndigt im
Sept. 1921 der Burgverlag in Wien an: Der babylonifche Talmud. Ober-
fetjt und kurz erlautert von Dr. Nivard Schlogl, O. Cist."; die erfte
Lieferung erfdiien 1921. - Ober Oberfe^ungen einzelner Traktate vgl.
Strack, Einl. in den Talmud S. 163 ff. Ugolini Thesaur. hat lateinifch nur
die zwei erften Traktate des funften Seder, Sebachim und Menachoth,
torn. XIX, wozu in t. XXV noch der Traktat Sanhedrin kommt. Die
haggadifchen Stiicke f. in A. Wunfche, Der babylon. Talmud in feinen
haggadifchen Beftandteilen wortgetreu Gberfetjt etc. 5 Teile. L. 1886 89.
Man zitiert den babylonifdien Talmud, deffen gebraudilidie Ausgaben in
den Seiten inhaltlidi ubereinftimmen, durch Anfuhrung des Traktates, des
Blattes und deffen Vorder- und Ruckfeite (a b) z. B. Pesachim 2 b = Traktat
Pesachim, Blatt 2 Ruckfeite.
16
Einleitung.
Kleine GewOhnlich ftehen in den Ausgaben des babylonifchen Talmud am
talmudifche Ende der vierten Ordnung nodi fieben andere kleine Traktate, welche
Traktate. teils aus talmudifcher teils aus nodi fpaterer Zeit ftammen. So z. B. ift
der halachifdie Traktat Sopherim, weldier in 21 Kapiteln Vorfchriften fur
den Sdireiber und Vorlefer des Gefetjes enthalt, naditalmudifdi. Vgl. fiber
diefe Traktate Zunz, Die gottesdienftlidien Vortrage der Juden hiftorifdi
entwickelt 2 , Frankf. a. M. 1892, S. 94 f., 100 f., 114-119: Strack, S. 72 74,
der auch S. 74 fiber fieben andere ahnliche kleine Traktate, weldie Raph.
Kirdiheim, Septem libri Talmudici Hierosolymitani, Frankfurt a. M. 1851
herausgegeben hat, handelt.
Die Die Midrafdiim unterfdieiden fidi von den bis jetjt erwahnten
Midrafdien. rabbinifchen Sdiriftwerken dadurdi, dag fie keine fyftematifchen Werke
find, fondern dem Sdirifttext folgen. Man verfteht namlidi unter einem
Midrafdi (= Forfdiung, Studium, Auslegung) im allgemeinen ein alteres
iiidifdies Werk, weldies Sdiriftauslegung enthalt. Hier find drei fiber-
wiegend haladiifdie Midrafdie zu erwahnen, in denen fidi einzelne Be-
ftandteile finden, deren Alter bis in die Zeit der Tannaim hinaufreidit.
Es find der Midrafdi Mechilta (eigentl. Mag, dann Regel, Richtfdmur)
fiber einen Teil des Budies Exodus, Siphra (= das Budi) fiber Levi-
Mediilta. ticus und Siphre (= Bfidier) fiber die Bfidier Numeri und Deuterono-
mium. In der Mediilta werden manche Ausfprfidie angeffihrt, weldie im
Talmud unter dem Namen des R. Ismael, eines Zeitgenoffen Akibas, Oder
eines feiner Sdifiler erfcheinen. Deshalb wird das Werk in feiner Grund-
lage oft auf ihn zurfickgeffihrt. Auf jeden Fall fteht feft, dag es erft be-
deutend fpater ift redigiert worden. (Vgl. Zunz S. 51. Ausgaben der
Mechilta beforgten J. H. Weig, Wien 1865 und M. Friedmann, Wien 1870;
eine lateinifche Uberfe^ung f. in Ugolini Thesaurus t. XIV, 1-586, eine
deutfdie beforgten J. Winter und A. Wfinfdie, Mechiltha, ein tannaitifdier
Midrafdi zu Exodus, erftmalig ins Deutfdie ubertragen und erlautert.
Siphre. L. 1909. Ahnlidies ift fiber den Midrafdi Siphre zu fagen. Er befteht
aus einem Midrafdi zum Budie Numeri aus der Sdiule des R. Ismael und
einem andern zu Deuteronomium, deffen haladiifdier Teil (12, 126, 15)
aus der Sdiule Akibas ftammt, wahrend der haggadifdie Teil im wefent-
lichen auf die Sdiule Ismaels zurfickgefuhrt wird. Jedenfalls find beide
in ihrer jetjigen Geftalt jfingeren Urfprungs. (Vgl. Blodi S. 30 f. Ausgabe
von M. Friedmann. I. Teil: Text, Noten und Erklarungen. Wien 1864.
Ein zweiter Teil ift nidit erfdiienen. Lateinifdi fteht der Text im Ugolini
Siphra. Thesaurus t. XV, 1-996). Das Buch Siphra (Ausgabe von J. H. Weig.
Wien 1862. Lateinifche Oberfegung in Ugolini, Thes. t. XIV p. 587-1630)
wird als ein Produkt der Sdiule Akibas bezeidmet. (Vgl. Sdiediter p. 63).
,,Es fdieint frfiher zum Abfdilug gekommen zu fein als unfere Mifchna."
,,Denn obwohl diefer Midrafdi," wie G. Aidier, Das Alte Teftament in
der Mifchna, Freiburg 1906, S. 169 (= Bibl. Stud. XI, 4, 463) fagt, ,,die
Mifchna des Traktates Chullin fleigig benu^t, kennt er diefelbe in der
Bearbeitung, wie fie jetjt in der Mifchna vorliegt (Gefetje, die innerhalb
und augerhalb des Landes, zur Zeit des Tempelbeftandes und hernadi,
beobaditet werden mfiffen) nidit." (Nadi Aidier, S. 153 haben fchon die
Einleitung. 17
Tannaiten den n fehr getrfibten exegetifchen Sinn" der fpateren talmudifchen
Lehrer befeffen).
Die haggadifchen Midrafchen ftammen erft aus dem fechften Jahr-
hundert oder aus noch fpaterer Zeit (vgl. Zunz 184195 und 262 ff.).
Mandie find von A. Wflnfdie ins Deutfche ubertragen fo z. B. die ,,Pefikta
des Rab Kahana" L. 1885 (fie behandelt die biblifchen Lektionen der Feft-
tage und einzelner Sabbate). Das Werk bildet einen Teil der von Wunfche
herausgegebenen Bibliotheca rabbinica. Eine Sammlung alter Midrafdiim,
L. 1880-85; derf. Midrasch Tehillim oder haggadifche Erklarung der
Pfalmen. 2 Bde. Trier 189193. Derf. Aus Israel Lehrhallen, zum erften
male uberfe^t. 5 Bde. L. 1907-10. J. Winter und A. Wunfche, Die
judifche Literatur feit Abfchlufj des Kanons. 3 Bde. Trier 1884-96.
Hermann L. Stradc hat feiner ,,Einleitung in den Talmud" 4. A.
Lp. 1908, in der ganz neu bearbeiteten 5. Aufl. eine befondere ,,Einfuhrung
in die Midrajchim" (Einleitung in Talmud und Midras, 5, Munchen 1921
S. 195-226) beigelQgt.
Die Glaubwurdigkeit der rabbinifchen Autoritaten, aucb der in der Die Glaub-
Mifchna enthaltenen ift fur die neuteftamentliche Zeit eine fragliche. Ab- wiirdigkeit
gefehen von der Frage, ob die Ausfpruche lange Zeit nur mundlich fort- der rabbini-
gepflanzt wurden, find viele anonym und deshalb chronologifch uberhaupt fchen Quellen.
fchwer feftzuftellen. Bei der Obereinftimmung oder grogen Ahnlichkeit
der Namen maneher alterer Lehrer ift es aber auch bei den genannten
keineswegs immer ficher, ob ein frQher oder fpater lebender Trager des
Namens als Urheber eines Ausfpruches anzufehen ift. Oberdies fehlt es
noch immer an einer kritifchen auf Vergleichung aller Handfchriften be-
ruhenden Textausgabe. Endlich haben die Ereigniffe des Jahres 70 den
allertiefften Einflug auf die Entwicklung und die Anfchauungen der judifchen
Lehre gehabt.
Da die eigentlich gefetjlichen, die halachifchen Beftimmungen diefer
Literatur verbindlidien Charakter haben, lagt fich annehmen, dag bei ihrer
Oberlieferung grOgere Sorgfalt angewandt wurde und ihr Wert infofern
grOger ift als der der nicht verbindlidien haggadifdien Beftandteile. Von den
letjteren fagt ein genauer Kenner diefer Literatur (Derenbourg p. 409, 1):
,,Die lange und muhfame Reife, welche ieh durch die Haggada gemacht
habe, hat midi uberzeugt, dag fidi nur einige unbeftimmte gefchichtliche
Erinnerungen dureh diefes oder jenes in die improvifierten Ausfuhrungen
der Prediger, welche ihre fittlichen Mahnungen durch Erzahlungen wurzten
und ihre Zuhorer nicht blog erbauen, fondern zugleich auch gern unter-
halten wollten, verirren konnten. Urn in den Schlackenmaffen ein wenig
Gold zu finden,.mug man die fchon feftftehende echte Gefchichte zu Hilfe
nehmen. Bisweilen gibt dann das geringe Refultat, welches man erreicht,
mehr Licht und lagt das fchon Gewugte beffer verftehen."
Am eheften kommt als Quelle die auch an halachifchen Ausfpriichen
befonders reiche Mifchna fchon wegen ihres hdheren Alters in Betracht,
obwohl auch hier die verfchiedenen Anfichten gerade wie im Talmud oft
blofj hintereinander ftehen, ohne dag gefagt wird, welche Beftimmung
eigentlich auktoritativen Charakter haben foil. Die allergrOgte Vorficht ift
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl 2
18 Einleitung.
bei einer etwaigen Benutjung des eigentlidien Talmud notig, weil er flber-
haupt eine fpatere Entwicklung des Judentums darftellt und es fich nur
darum handeln kann, einige wenige oft entftellte und verzerrte alte Ober-
lieferungen religiOfen oder gefchichtlichen Charakters herauszufchalen. Zu
welchen Verwirrungen und Nachteilen die zu vertrauensvolle Benutjung
einer derartig trflben Quelle fuhrt fieht man an Werken wie z. B. Eders-
heim, The life and times of Jesus the Messiah. 2 Bde. 2 L. 1884.
Megilla Dag Qben ^ ^ genannte Faftenbuch Megilla Taanith ift in feiner
laanith. j e ^jg en Form in der erften Halfte des zweiten chriftlidien Jahrhunderts
verfagt. Einige Qedenktage weifen auf die Zeit Hadrians hin (Vgl.
Zunz 134 f., Strack 12; Dalman Gramm. bemerkt S. 8, dag die Beftim-
mungen des Werkchens nach Taan. II., 8 nodi um 200 rechtsgultig waren,
aber nach Ned. 4Qa, Meg. 69^, Taan. 66* fchon fQnfzig Jahre (.pater nicht
mehr anerkannt wurden).
Werke iiber go reich auch die Literatur iiber einzelne Teile des im folgenden
neuteftament- zu behandelnden Stoffes ift, fo find doch bis jetjt nur wenige Werke er-
liche Zeit- fchienen, welche fieh die quellenmagige Darftellung der neuteftamentlichen
gefchichte. Zeitgefchichte im vollen Sinne des Wortes zur Aufgabe ftellten.
Gfrorer, Das Jahrhundert , des Heils, 2 Abtlngn., Stuttgart 1838, be-
fchaftigt fich nur mit dem Judentum, namentlich den Lehren desfelben und
zwar auf Grund fpaterer Quellen. Joh. Jos. Ign. Dollinger, Heidentum
und Judentum. Vorhalle zur Gefchichte des Ghriftentums, Regensb. 1857,
hat aber das Heidentum der vorchriftlichen Zeit und das griechifch-romifche
Heidentum bis auf die Zeit der Antonine, bis gegen die Zeit von 150
bis 160 n. Chr., dargeftellt und auch das Judentum nach feinen politifchen,
fozialen und fittlichen Zuftanden und feinen religiofen Lehren in klaffifcher
Weife behandelt, fo dag fein Werk auch fur unfere Disziplin eine dauernde
Bedeutung hat. Schneckenburger ftellt in feinen Vorlefungen fiber neu-
teftamentliche Zeitgefchichte (f. S. 3, 1) die Zuftande im rOmifchen Reiche,
vornehmlich in Beziehung auf Religion und das Judentum der neuteftament-
lichen Zeit dar. Der geiftige Gehalt der judifchen Religion wird nur kurz
im Anhang behandelt. A. Hausrath, Neuteftamentliche Zeitgefchichte,
4 Bde., 2 Heidelb. 1873-77 (I 3 1879) ftellt auch die Gefchichte des Ur-
chriftentums felbft dar und geht in feinem tibrigens auf rationaliftifdiem
Standpunkte ftehenden anziehend gefchriebenen Werke nicht nur auf die
Verhaltniffe des Juden-, fondern auch des Heidentums ein. Hingegen
befchrankte fich Emil Schurer ,,Lehrbuch der neuteftamentlichen Zeitge-
fchichte", L. 1874, auf die Darftellung der erfteren. Er gab in den folgen-
den Auflagen dem immer umfangreicher werdenden Werke den Titel:
Gefchichte des judifchen Volkes im Zeitalter Chrifti, 3 Bde. (I 3 u. 4 L. 1901,
5. unveranderte Aufl. 1920, Einleitung und politifche Gefchichte; II*, L 1907,
Die inneren Zuftande; III*, L. 1909, Das Judentum in der Zerftreuung und
die judifche Literatur, dazu Regifter, L. 1911). Das monumentale Werk,
die reife Frucht der Arbeit eines Menfch en alters, hat fur die neuteftament-
liche Zeitgefchichte dauernden Wert. Es zeichnet fich ebenfo fehr durch
Oberfichtlichkeit in der Anordnung des Stoffes und durch Vollftandigkeit
und Genauigkeit in der Mitteilung und Verwertung des Quellenmaterials
Einleitung. 19
und der in Betracht kommenden reichen Literatur wie durch das [tets
beachtenswerte befonnene Urteil des gelehrten Verfaffers aus. Oskar
Holtzmann, Neuteftamentliche Zeitgefchichte, 2. Aufl., Tub. 1906 hat den
Charakter eines Lehrbuches und bildet einen Teil des von mehreren
proteftantifchen Gelehrten herausgegebenen ,,Qrundrig der theologifchen
Wiffenfchaften". Die in der Sammlung Gofchen erfchienene kurze n Neu-
teftamentliche Zeitgefchichte" von W. Staerk, B. u. Lp. 1907, 2. A. 1912,
behandelt im erften Bandchen den hiftorifchen und kulturg-efdiichtlidien
Hintergrund des Urchriftentums, im zweiten w Die Religion des Judentums
im Zeitalter des Hellenismus und der Romerherrfchaft". Einzelne Fragen der
Neuteftamentlichen Zeitgefchichte befpricht das Werk von K. A. Heinrich
Kellner, Jefus von Nazareth und feine Apoftel im Rahmen der Zeit-
gefchichte. Regensb. 1908.
Erfter Abfchnitt.
Die politifche Gefchidite der Juden
felt dem Jahre 63 v. Chr.
I. Kapitel.
Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel.
1. Land urid Leute im allgemeinen.
Der Name, Welch heilige Gefuhle der Verehrung und Liebe erweckt
das heilige nicht fchon der blofee Name das heilige 1 ) oder das gelobte 2 )
oder gelobte <j ^ t $ as verheifeene Land! Den Juden war es das heilige
Land, weil Gott felbft es in befonderer Weije fein eigen
nannte 3 ) und es ihnen verhiefc und zum Befitj gab. Den
Chriften aber ift es geheiligt durch das Leben und Wirken
des Erlofers. Seitdem wir als Kinder mit den Patriarchen
und Propheten des Alten Bundes und befonders mit dem
Leben Jefu vertraut wurden, haben die Orte, die ihr Fug
betrat, die Hohen, auf denen fie im Gebet mit Gott verkehrten,
kurz hat diefer Schauplatj der Offenbarung der Liebe und des
Zornes Gottes eine Bedeutung fur uns ahnlich der unferer
eigenen trauten Heimat.
Wir miiffen uns aber auch tatfachlich mit dem Lande
felb[t vertraut machen, wenn wir die fur die Menfdiheit fo
unendlich wichtigen Ereignifje, die Jich dort zugetragen haben,
richtig verftehen wollen.
') Vgl. Zadi. 2, 12. Weish. 12, 3. 2 Mac. 1, 7. Ober den Namen
vgl. Reland, Palaestina ex monumentis veteribus illustrata. 2 Norimbergae
1716 I, 4 p. 16-21.
2 ) Hebr. 11, 9. Vgl. ,,das Land Israel" in Matth. 2, 20.
) Lev. 20, 24. Jerem. 16, 18. Joel 1, 6. 3, 2.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Ghrifti und der Apoftel. 21
Geographifch bildet das heilige Land 1 ) einen Teil des
nordlidien fruditbaren Endes der arabifchen Halbinfel, Sy-
') Die wichtigften Quellen der Palaftinakunde find in folgenden Samm-
lungen vereinigt. Itinera Hierosolymitana saeculi IV VIII ex recens.
P. Geyer (Corpus Scriptorum ecclesiasticorum latin, vol. XXXVIII). Vindob.
1898. Itinera Hierosolymitana et descriptiones terrae sanctae bellis sacris
anteriora et latina lingua exarata edd. T. Tobler et A. Molinier (bezw. II,
1 edd. A. Molinier et C. Kohler) I und II, 1. Genevae 1879-1885.
Auger den Nachrichten im N. T., bei Josephus, Strabo, Plinius und Ptole-
maeus ift von hohem Wert das fogen. Onomasticon des Eufebius von
Caefarea (aeyl twv rontxiuv ovondrow TO~)V ev rfj &iia ygaqi-fi), welches der
heilige Hieronymus mit einigen Anderungen und Zufatjen ins Lateinifche
iiberfetjte. Beide Schriften find zuletjt herausgegeben von E. Kloftermann,
Eufebius Onomasticon der biblifchen Ortsnamen ( Die griechifchen Schrift-
fteller der erften drei Jahrhunderte. Eufebius Dritter Bd.), L. 1904. Vgl.
audi die Berichte des hi. Hieronymus fiber feine Orientreifen im Jahre
372 u. 385 Epist. 3 (Migne P. L. XXII 333) und Adv. Rufin. Ill C. 22
(Migne P. L. XXII 1 475 bezw. Molinier et Kohler 75 f.) und feine Lebens-
befdireibung der hi. Paula (Tobler-Molin. 27-40), fowie den Brief der
hi. Paula und ihrer Toehter Euftochium ad Marcellam (Tobler-Molin. 4147).
Faft um diefelbe Zeit wie Eufebius fchrieb ein Pilger aus Bordeaux
(Anonymus Burdigalensis), Itinerarium a Burdigalia Hierusalem usque
(Geyer 1-33), der im Jahre 333 das hi. Land befucht hatte, einen Reife-
berieht, worin die Entfernungen der befuchten Orte und die Hauptfehens-
wflrdigkeiten kurz angegeben find. Ebenfalls aus dem 4. Jahrhundert
ftammt die Peregrinatio ad loca sancta bei Geyer p. 35 101, weldie ihr
erfter Herausgeber Gamurrini (S. Hilarii Tractatus de mysteriis et Hymni
et S. Silviae Aquitanae Peregrinatio ad loca sancta, Romae 1887) der
hi. Silvia aus Aquitanien zufchrieb. Wahrfcheinlich hieg aber die Ver-
fafferin Aetheria. Vgl. Bardenhewer, Gefch. der altkirdil. Literatur, Bd. 3,
Freib. 1912, S. 416-421. Aus dem 6. Jahrhundert ftammen die kleinen
Schriften des ura 530 fdireibenden Theodosius, de situ terrae sanctae
(bei Geyer p. 135 - 150) und der Breviarius de Hierosolyma (bei Geyer
p. 151 155). Erft um 580 entftand das Itinerarium Anonymi Placentini
(bei Geyer 157191 bezw. in einer weniger guten Textesform 193 218),
welches frflher irrtumlich dem Antoninus Martyr zugefdirieben wurde.
(S. H. Grifar, Zur Palaftinareife des fog. Antoninus M. in Innsbr. Z K Th.
1902. 760 770 und nochmals das Palaftinaitinerar des Anonymus von
Piacenza, ebd. 1903, 776780). Weitere Literatur z. B. in A. Baumftark,
Abendlandifche Palaftinapilger des erften Jahrtaufends und ihre Berichte.
Koln 1906 [Gorres-Gef. II. Ver. Schr. 1906]. Sehr nu^lich ift P. Thomfen,
Loca sancta, Verzeichnis der im 1. bis 6. Jahrhundert n. Chr. erwahnten
Ortfchaften Palaftinas, 1. Bd. Halle 1907. Nodi immer ift mit Nutjen zu
gebrauchen des gelehrten Utrechter Orientaliften Hadrian Relands fchon
erwahnte Palaestina illustrata. Auf eingehenden Forfchungen beruht die
Befchreibung der Stadte, DOrfer und Ruinen des Weftjordanlandes durch
22 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
Guerin, Description geograph. hist, et archeologique de la Palestine. Jud ee.
3 Bde. P. 1868-9. Samarie. 2 Bde. 1874-5. Galilee. 2 Bde. 1880.
Jerusalem. 1889. Der im Jahre 1865 gegrfindete englifche Palestine Ex-
ploration Fund hat das Weftjordanland wie einen Teil des Oftjordanlande s
vermeffen laffen. Vgl. The Survey of Western Palestine. 9 Bde. L. 1881 88,
worunterThe memoirs of the Topography etc. (1. Galilee, 1881. 11. Samaria
1883. III. Judaea 1883), das heutige Weftjordanland befdireiben. Von
dem ahnlichen Werke ,,The Survey of Eastern Palestine", L. 1889 ff. find
bis jeljt nur 4 Bande erfchienen, The 'Adwan Country von Conder 1 889,
ein Band von Hart fiber Fauna and Flora of Sinai, Petra and the W ady
Arabah und 2 Bande Archaeological Researches von Clermont-Ganneau.
Manche Beitrage enthalten die Zeitfchriften Pal. Exploration Fund. Quarterly
Statements feit 1869, ,,die Zeitfchrift des deutfchen Palaftinavereins", L.
1878 ff., ,,Das heilige Land", Organ des Vereins vom heiligen Grabe,
bezw. des deutfchen Vereins vom heiligen Lande, Koln 1857 ff. und die
Revue biblique Internationale, P. 1892 ff. Die ,,Biblifche Zeitfchrift", heraus-
gegeben von J. Gottsberger und J. Sickenberger, Freib. i. B. 1903 ff. gibt
von Zeit zu Zeit Bibliographifche Notizen auch fiber die Geographie des
heiligen Landes. Vgl. audrF. Buhl, Geographie des alten Palaftina,
Freib. und L. 1896 und das anfchaulich und anziehend gefchriebene Werk
von G. A. Smith, The historical geography of the holy Land 4 , L. 1897;
weiterhin das von G. Dalman herausg. Palastina-Jahrbuch, Berl. 1905 ff.
Atlanten: R. v. Riess, Bibel- Atlas 3 , Freib. 1895. Lat. Ausgabe: Atlas
scripturae sacrae. Ed. 3. Recogn. et emend. Lud. Heidet, Fr. 1924.
Atlas biblicus ed. M. Hagen, S. J., Paris 1907. Bibelatlas in 20 Haupt-
und 28 Nebenkarten von Herm. Guthe. Mit einem Verzeichnis der alten
und neuen Ortsnamen. L. 1911. G. A. Smith, Atlas of the Historical
Geography of the Holy Land (mit 60 von J. G. Bartholomeu gezeichneten
Karten), L. 1915. Karten: The great map of Western Palestine in
26 Sheets conducted forthe Committee of the Pal. Explor. Fund by Conder
and Kitchener L. 1880 wurde 1882 in einer von Saunders beforgten Re-
duktion herausgegeben. Eine grofje auf 12 Blatt berechnete Karte des
Oftjordanlandes, im Auftrage des Deutfchen Vereins zur Erforfchung Pa-
laftinas aufgenommen von Baurat Dr. G. Schumacher, herausg. von dem
D. P. V., erfcheint L. 1908 ff. H. Fifcher und H. Guthe, Neue Hand-
karte von Palaftina, L. 1890 erfchien in Neuausgabe unter Mitwirkung von
G. Dalman 1912. Vgl. H. Fifcher, Referat fiber die moderne Topographic,
Siedlungs- und Verkehrsgeographie Palaftinas in ZD P V, 1913, 136162
und 211-219. Von H. Fifchers und H. Guthes Wandkarte erfchien die
3. Auflage. Lp. 1911. Von H. Kieperts Neuer Wandkarte, berichtigt von
R. Kiepert, die 9. Auflage. B. 1911. Im Jahre 1896 fand man zu Madaba
Oftlich vom Toten Meere einen dem Anfcheine nach aus der Zeit des Kaifers
Juftinian ftammenden, nur ftfickweife erhaltenen Mofaikboden mit einer
geographifchen Darftellung Palaftinas und des Deltas, woruber feitdem eine
kleine Literatur entftand. Vgl. u. a. La carte mosai'que de Madaba, P. 1897;
Lagrange, La mosaique geographique de la Madaba, R. b. VI (1897)
165184 und Jerusalem d'apres la mosaique de Madaba ebd. 450458.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti tmd der Apoftel. 23
riens, 1 ) deffen naturliche Grenzen im Weften das Meer, im
Often und Suden die Wiifte, im Norden der Taurus find.
Afiatifche, afrikanifche und fpater, nachdem Alexander d. G.
zuerft durch Syrien nach Agypten zog, auch europaifche Volker
haben auf diefer naturlichen Brucke oder Landftrafce von
Afien nach Afrika ihre Kampfe gefochten.
Der fudweftliche Teil Syriens zu beiden Seiten des Jor- Der Name
dans heifct Palaftina. Der Name (hebr. Peleschet), welcher Pala f tina -
urfprimglich nur dem fudweftlicb vom ifraelitifchen Gebiet ge-
legenen Lande der Philifter (Pelischtim, die Eingewanderten)
zukommt, 2 ) wird fchon von Herodot auf das ganze fudliche
Syrien mit Einfchlujj von Judaea angewandt. 3 ) In diefem
Sinne reden die griechifchen Sdiriftfteller von Syria Palaftina
oder von Palaftina. 4 )
Die naturlichen Grenzen Palaftinas find im Weften das Die Grenzen
Mittelmeer, im Siiden das petraifche Arabien, im Often die Pala f tin as.
fyrifche Wufte, im Norden gegen den Libanon bin der untere
Lauf des tie! ins Land fchneidenden Leontes-Fluffes (Nahr-
el-Litani) und weiter oftlich weniger beftimmt die Auslaufer
des Antilibanon. Rechnet man die Ausdehnung des Landes
von Norden nach Siiden von 31 33 l /2 nordlicher Breite,
fo ift das Land nur etwa 280 km lang. Im Durchfchnitt ift
Fonck, die zu Madaba entdeckte Mofaik-Karte des heiligen Landes in
StML. 1897, S. 390-400. Quthe H. und P. Palmer, Die Mofaik-Karte
von Madaba, 2 Teile. L. 1906 und 1912. n Eine internationale Biblio-
graphic in fyftematifcher Ordnung" bietet P.Thomfen, Die Palaftina-Literatur.
3 Bde. Lp. 1908-16. Ober die Vorgefchichte Palaftinas unterriditet uns
Dr. Paul Karge, Rephaim. Die vorgefchichtliche Kultur Palaftinas und
PhOniciens, Ardiaologifdie und religionsgefchichtliche Studien. Paderborn
1917 (Erfter Band der von der Q6rres-Gef. herausgegebenen Collectanea
Hierosolymitana). Vgl. auch P. Thomfen, Palaftina und feine Kultur in
fiinf Jahrtaufenden. Nach den neueften Ausgrabungen und Forfchungen
dargeftellt. 2 Lp. u. B. 1917. P. Karge, Die Refultate der neueren Aus-
grabungen und Forfchungen in Palaftina (= Bibl. Zeitfragen. 3. Folge,
Heft 8/9), MQnfter 1910.
*) Kurzere Form von Affyrien.
'-) Noch Jofephus gebraucht das Wort bisweilen in diefem Sinne
vgl. Ant. 13, 5, 10.
3 ) Vgl. Jofeph. c. Apion. 1, 22 und Herodot 2, 104; 3, 5, 91; 7, 89;
Vgl. auch Herod. 1, 105 ev rfj nalniSTivr] 2v<jir].
*) Strabo 16, 4, 18 p. 776 T^V naXmgrlvjjv x<>>ev. Ptolem. 5, 16, 1 : 17 /7a-
Svqiot ^Tiq xcci'lovdaist xaXtlrai. Vgl. Reland 1, c. 7 Sq. (p. 28-35).
24 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
es etwa 100 km breit, und fomit betragt der ganze Fladien-
inhalt etwa 28000 qkm. Damit ift es ungefahr fo grog wie
Belgien (29000 qkm). 1 )
Palaftina ift ein Gebirgsland, welches vom Norden nach
geographi- giiden durch den Jordan und das Jordantal in eine weftliche
U " d dnG ftlidie H * lfte geteilt wird ' Zu be]den Seiten des
Jordantales ziehen fich von den Hohen des Libanon aus-
gehende Gebirgsketten nach Suden.
Beide Gebirgsmaffen beftehen meift aus lichtgrauem Kalk-
ftein der Kreideformation, wenngleich es namentlich im Oft-
jordanland nicht an vulkanifchen Eruptivmaffen, Bafalt und
Lava fehlt. Der weftliche, iiberhaupt oft von Talern durch-
fchnittene Gebirgszug finkt in Galilaa zur grofcen Ebene Es-
drelon oder Jezreel herab, erhebt fich dann aber wieder in
dem Berglande Samaiia, von wo der Seiten- Gebirgszug des
Karmel nach Nordweften zum Meere gent, bis zur durch-
fchnittlichen Hohe von 600 m und hat im judaifchen Berg-
lande mit einer Durchfchnittshohe von 750 900 m den Cha-
rakter einer fchmalen Hochebene, 2 ) die fich fudlich wieder
fenkt in das Negeb oder Siidland, aber nach Often zum
Toten Meere hin in hohen, fteilen Abfturzen abfallt. Im
Weften liegen in Judaa zwifchen der Ebene am Saume des
Meeres und dem Hochplateau von diefem durch Taler ge-
trennt die Hugel der Wiiftenebene Sephela. 3 ) Diefe findet
nordlich von Joppe bis zum Karmel in der von 13 bis 19 km
breiten Ebene Saron und vom Karmel bis zur fogen. tyrifchen
Leiter, dem Vorgebirge Ras en-Nakura in der Ebene Akka
eine Fortfetjung. Somit konnen wir im grofeen und ganzen
den Boden Palaftinas in vier lange, parallel laufende Streifen
J ) A. Kirchhoff, Palaftinakunde zur Erlauterung der biblifchen Ge-
fchlchte. Halle a. S. 1898, S. 3.
2 ) Im Alien Teftament wird das Bergland von Samaria Gebirge
Ephraim und Ifrael, das Gebirge nordlich von Esdrelon Nephtali, das
weftlich vom Toten Meere Juda genannt, das Oftjordanland fuhrt bis-
weilen den Namen n das Land Galaad". Ebenfo findet fich der Name
Galaad fur das oftliche Gebirge, deffen nOrdlicher Teil auch Gebirge
Hauran oder Basan und deflen fudlicher Teil im Often des Toten Meeres
Moab oder Phasga heigt.
3 ) Vgl. Smith, The historical geography p. 202 und ebd. Jeru-
salem II, 119, 2.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 25
einteilen, die Ebene langs der Kiifte, den weftlichen Gebirgs-
zug, das Jordantal und den oftlichen Gebirgszug. *)
Diefer letjtere bildet ein vom Hermon bis zum Edomiter-
gebirge fich erftreckendes Tafelland von 600900 m Hohe.
Die Kiifte des Landes ift flach und ohne einen guten
Hafen, da der von Jaffa Oder Joppe gewijj nidit diefen Namen
verdient. Es gibt zwar viele Schluchten oder Wadis, welche
im Sommer trocken, im Winter reifcende Bache enthalten, aber
Fluff e, welche die Schiffahrt erleichtern, gibt's nicht.
Der bedeutendfte Plug des Landes ift der Jordan, der
herabfteigende, heute Scheriat el-Kebire. Von feinen drei
Quellarmen entfpringt der langfte, der Nahr el-Hasbani, am
nordweftlichen, die beiden andern am fiidweftlichen Fufce des
fich 2759 m u. M. erhebenden, felbft im Sommer nicht ganz
fchneefreien Hermon (arabifch Dschebel esch-Schech = Berg
des ,,Bejahrten, Weifchaarigen"). Der oftlichere diefer zuletjt
erwahnten Arme hat feinen Urfprung bei dem alten Paneas
(Casarea Philippi), dem heutigen Dorfe Banijas. Sie ver-
einigen fich kurz vor dem Hule-See, den Jofephus den Same-
chonitifchen See nennt. 2 ) Von hier fliefct der Jordan (lurch
ein erft in den letjten Jahrzehnten von judifchen Koloniften
der Kultur zuruckgewonnenes Tal 15 km lang mit einem Ge-
fall von 14 m auf 1 km in den See Genefareth, den er im
Suden verlagt, um fich dann in vielen Krummungen in einer
Breite von etwa 80 Schritt und einer je naeh der Jahreszeit
wechfelnden Tiefe auf dem Wege noch weitere 186 m fallend
ins Tote Meer zu ergiejjen, welches fein Grab wird.
Von Often, der iiberhaupt wafferreicher ift als der Weften,
ergiefcen fich 2 Fliiffe in den Jordan, der Jabbok (= Nahr
ez-Zerka), und weiter nordlich 2 Stunden unterhalb des Sees
Genefareth der dem Jordan an Grofce gleichkommende Jar-
') Vgl. E. Robinfon, Phyfifehe Geographie des heiligen Landes,
L. 1865, S. 17 f.
2 ) Vgl. Jof. B. J. 3, 10, 7; Der Name Hule-See hangt mit der dortigen
Landfdiaft Ulatha (Ant. 15, 10, 3) zufammen. Dag er mit dem Merom-See
(Josue 11, 57) identifch fei, wird wohl oft gefagt, aber ohne zureichenden
Qrund. Die offene Seeflache heigt heutzutage bahret el-diet, der Papyrus-r
fumpf nordlich vom offenen See bahret el-Hule. Vgl. Dalman, Palaftina-
jahrbuch III. Jahrg. S. 10, 4; Z D P V, Bd. 38, 1915, S. 241, 1. Vgl. auch
E. W. G. Mafterman, Studies in Galilee, Chicago 1909 p, 25 ff.
26 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juderi etc.
muk Oder Hieromyces (= Scheriat el-Menadire). Ein dritter
Flufc des Oftjordanlandes, der Arnon (= Seil el-Modsdiib)
ergiejjt (ich in das Tote Meer.
Das Das eigentliche Flufctal des Jordans ( ez-Zor) ift etwa
ugta des e j ne Viertelftunde weit und fieht von weitem wie ein filber-
Jordans und ' , _
durdizogenes grunes Band aus, da es an manchen Stellen
mit einem grunen Dickicht von Bufchwerk und hohen Baumen
bedeckt ift. Von hier gelangt man auf einer meift fteilen
Anfteigung von durchfchnittlich 15 m Hohe zu der 23 Stunden
die breiten Jordansau, dem fogen. el-Ghor, d. h. Einfenkung, die
or ansau. au j ^eiden Seiten von hohen Felfen eingefchloffen wird und
meift nur eine unfruchtbare Wufte 1 ) ift, an einzelnen Stellen
aber, namentlidi in der Gegend von Skythopolis und weiter
unten von Jericho aufcerft fruditbar ift.
Die grofte Landeinfenkung des Jordantales ift wohl die
tieffte der Erde. Wahrend namlich die tieffte Stelle der
Liukkun- Steppe in Zentralafien nur 154 m und andere be-
kannte Senkungen der Erdoberflache kaum 95 m unter dem
Meeresfpiegel liegen, betragt die Gefamttiefe diefer Erdfpalte
im Toten Meere nicht weniger als 793 m. Denn das Jordan-
tal, welches am Sudende des Hule-Sees unter den Meeres-
fpiegel finkt, erreicht am See Tiberias eine Tiefe von 208 m
und beim Toten Meere von 394 m. Letjteres ift aber ftellen-
weife 399 m tief. Begrenzt wird diefe Einfenkung im Norden
durch den Hule-See, im Suden jenfeits des Toten Meeres
durch die kahle Wiifte Araba, 2 ) an deren Sudende fich die
Wafferfcheide zwifchen dem Toten und dem Roten Meere
250 m uber dem Mittelmeer erhebt. Geologifch wird die tiefe
Lage des Jordantales durch ein ungleichmaftiges Einfinken
eines parallelrandigen Erdftreifens erklart, der im Siiden
immer durch die erwahnte Wafferfcheide vom Ozean getrennt
war, fo dag von einer friiheren Verbindung des Toten und
des Roten Meeres keine Rede fein kann. 3 )
') Vgl. auch Marc. 1, 4 f.
2 ) Als genaue Grenzlinie gilt eine Reihe weiger Felsklippen, welche
einen quer fiber das Tal laufenden HOhenzug bilden. Sudlich davon ift
die Araba, nOrdlich bis zum Galilaifchen Meere das Ghor. Vgl. z. B.
Smith, 507, 3.
3 ) Blankenhorn, Das Tote Meer und der Untergang von Sodom und
Gomorrha. Berlin 1898, S. 34.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 27
Das Tote Meer, welches die Araber Bahr Lnt = Meer Das
des Lot nennen, deffen tiefblaues Waffer man fcnon von der Tote Meer -
Hohe des Benediktinerklofters auf dem Berge Sion fehen
kann, macht auch in der Nahe gewohnlich den Eindruck eines
ruhigen, friedlichen Sees, deffen Ufer an manchen Stellen
einer gewiffen Vegetation nicht ermangeln. Am Sudweftufer
befindet fich ein Steinfalzberg, den die Araber Dschebel Usdum,
d. h. Berg Sodom nennen. 1 ) Der Salzgehalt des Meeres ift
uberhaupt fo grog, dag alles organifche Leben dadurch er-
totet wird. Im Waffer fchwimmen oft, fo z. B. nach heftigen
Stfirmen, Asphaltklumpen, welche auf Asphaltlager im Boden
hinweifen und es erklaren, daft griechifche und romifche
Schriftfteller diefes Wafferbecken Lacus asphaltites genannt
haben. Der Wafferftand des' Toten Meeres, welchem durch
den Jordan, den Arnon und andere kleinere Fliiffe groge
Waffermengen zugefuhrt werden, fchwankt nicht blog alljahr-
lich durch den Wechfel von trockenem Sommer, in welchem
auch die Wafferverdunftung des Sees grog ift, und naffem
Winter, fondern ift auch durch den Wechfel von langeren
regenreicheren und dann wieder regenarmeren Perioden be-
dingt. 2 ) Die durchfchnittliche Tiefe des Toten Meeres betragt
300m, feine durchfchnittliche Breite 12km, feine Lange 76km.
Im Siiden tritt aber eine von Often kommende Halbinfel (arab.
el-Lisan = Zunge) bis auf 3,5 km an die Weftfeite, fo dag
man von einem tieferen nordlichen und einem fiidlichen Becken
reden kann.
Der Unterfchied der Bodenbefchaffenheit und des Klimas Klima.
bewirkt in diefem fo eng begrenzten Lande die grogten Ge-
genfa^e. Landet man im Friihjahre in Jaffa, fo ift man ent-
ziickt uber die Fruchtbarkeit des Bodens mit feinen herrlichen
Orangenpflanzungen, um mit der Bahn bald zu dem kahlen,
') Ebd. 25 f. Vgl. auch F. M. Abel, Une croisiere a la mer morte.
Rb. 1909, p. 213242. 386-411. 592-605. 1910, p. 92-112. 217-233.
Audi befonders erfdiienen.
2 ) Vgl. Hans Fifcher ZD P V, Bd. 36, 1913, S. 143 ff. Nach E. W.
G. Mafterman, Summary of the observations on the rise and fall of the
level of the Dead Sea, 1900-1913. in PEFQSt, Octob. 1913, p. 192-197.
Der Wafferftand fiel zwifchen 19001904 allmahlich um 0,90 m, hob fich
aber feitdem; der Stand von Mai 1913 war 1,80 m hoher als der von
Oktober 1904.
28 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
fteinigen Hodiland von Judaa gebracht zu werden, welches oft
kaum fur Schafe und Ziegen Nahrung bietet. In der Gegend
von Jericho herrfcht im Sommer eine tropifche Hitje, im
Norden aber fieht man die Schneefelder des Hermon.
Niederfchiage Man kann m Palaftina wie auch fonft in den Mittelmeer-
landern zwei Jahreszeiten unterfcheiden, die regnerifche Winter-
und die regenlofe heifte Sommerzeit. Erftere beginnt gegen
Ende Oktober mit dem Friihregen, der befonders ftark vom
Dezember bis Februar fatlt, das Erdreich lockert und die Be-
ftellung der Saat ermoglicht und die Quellen fpeift, und endigt
mit dem Spatregen im Marz und April. Von Mai bis Oktober
ift meift wolkenlofer Himmel. Gewitter find faft unbekannt.
Faft ganz trockene oder ganz feuchte Jahre find felten. Im
Durchfchnitt hat Jerusalem im Jahre 55 Regentage mit einer
Regenmenge von 660 mm, wahrend die Regenfummen im
Jordantal vom See Gene.fareth bis zum Toten Meere weniger
als 450 mm betragen. Dies erklart fich daraus, daft die regen-
bringenden We[twinde an den we[tlichen Hohenzugen, die
fogar 700750 mm Niederfchlag erhalten, den grogten Teil
ihrer Feuchtigkeit abfe^en und fomit fiir das Jordantal ver-
haltnismafcig weniger Nu^en bringen. 1 )
emperaur. ^ j' em p era ^ urver j 1 aitniffe wechfeln ftark. In Jerufalem,
wo felbft im Sommer vom Meere her ein erfrifchender Wind
zu wehen pflegt, die Abende und Nachte aber eine ftarke
Abkiihlung bringen, herrfcht im kalteften Monat Januar eine
Mitteltemperatur von 8,5 Celfius, im warmften, dem Auguft,
eine folche von 24,4 Celfius, die Mitteltemperatur fiir das
ganze Jahr ift 17,3 Celfius. Das Jahresmittel im Jordan-
tal wird auf ungefahr 24 Celfius berechnet. Welche Maxi-
malwerte aber felbft in Jerufalem vorkommen konnen, be-
weift, dag im Auguft 1881 dafelbft eine Temperatur von
44,4 Celfius beobachtet worden ift.
! ) Vgl. Hilderfcheid, die Niederfchlagsverhaltniffe Pala[tinas in alter
und neuer Zeit. ZDPV. Bd. XXV, Leipz. 1902, (S. 1105) S. 65 f.;
Klengel, Ober das Klima von Palaftina im Globus, Bd. LXXXVIII, 8
(Braunfchw. 1905), S. 117129. Exner, Zum Klima von Palaftina. ZDPN.
Bd. 33, 1910, 106-164. Audi als Separatdruck erfdiienen. H. Vincent,
Jerusalem 1 (1912) p. 98-103. Hugo Klein, Das Klima Palaftinas auf
Grund der alten hebraifchen Quellen. ZDPV, Bd. 37, 1914, S. 217 247.
297327.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 29
Im Winter kommt der Wind meift von Weften bezw. Windverhait-
Siidweften und bring! vom Meere feuchte Luft, welche Regen ni ^ e
oder Schnee verurfacht. l ) Im Soffimer herrfcht meift trockener
Nordweftwind, welcher, da er auf feinem Wege blofc Warme
trifft, etwas Kuhlung aber keinen Regen bringt; im Oktober
meift Nordwind, der vom Libanon her trockene Kalte mit fich
fuhrt. Sehr fchlimm ift der von der Wufte her wehende Oft-
und Sudoftwind, der Sirocco, da er gewohnlich die Atmofphare
mit feinem Wuftenfand ffillt und Entzundungen, Kopffchmerz
und Sdilaflofigkeit hervorruft.
Die Winterfaat beftand damals wie heute vorziiglidi aus Flora
Weizen, Gerfte und Spelt Roggen und Hafer (vgl. aber des Landes -
Mischna Challa 1, 1 a) gab es nicht die Sommerfaat aus Hirfe,
Bohnen, Kummel, Flachs u. dgl. Das Land war aber auch reich
an manch edler Frucht und edlem Baum, 2 ) wie Balfam, dem
Weinftock, dem Olbaum, der Feige, dem Palmbaum u. dgl.
Zur Zeit Chrifti war Palaftina die Kornkammer Phoni- Balfam.
ziens. 3 ) Beriihmt war namentlich fein Balfam, der aus dem
nicht hohen Balfamftrauch, 4 ) der befonders in den zwei Garten
bei Jericho und Engaddi wuchs, 5 ) gewonnen wurde, fei es,
!) Luc. 12, 54.
2 ) Ober die heutige Flora orientiert kurz K. Baedeker, Palaflina und
Syrien 5 , L. 1900, S. XLV1II LI, ausfuhrlicher z. B. Tristam, The Fauna
and Flora of Palestine im Survey of Western Palestine, 1885; Boissier,
Flora orientalis sive enumeratio plantarum in Oriente a Graecia et Aegypto
ad Indiae fines hucusque observatarum, 5 tomi und 1 torn, suppl. Basileae
et Genevae 1867-88; Post, Flora of Syria, Palestine and Sinai, Beirut 1896
(fur Botaniker). Vgl. auch Leop. Fonck, Streifzuge durch die biblifche Flora
(Bibl. Stud. V, 1), Freib. 1900. Vgl. auch u. S. 33, 1. H. Vogelftein, Die
Landwirtfchaft in Palaftina zur Zeit der Mifchna, I. Der Getreidebau. B. 1894.
Dinsmore J. E. und Dalman G., Die Pflanzen Palaftinas. ZDPV, 1911,
S. 1-38. 147172. 185241. (Auch als Sep. Abdruck erfchienen). S. Killer-
mann, DieBlumen des heiligen Landes, Botanifche Auslefe. 2Teile. Lp. 1915.
3 ) Apg. 12, 20.
*) ,,Modica arbor" Tac. Hist. 5, 6.
B ) Vgl. Strabo 16, 2, 41 p. 763 und Plin. N. H. 12, 25: omnibus odoribus
praefertur balsamum, uni terrarum Judaeae concessum, quondam in duobus
tantum hortis, ostendere arbusculam hanc urbi imperatores Vespasiani.
Noch um 250 fpricht Solinus in Collectanea rerum memorabilium 35, 5,
it. ed. Th. Mommsen B. 1895 p. 154 von diefen Pflanzungen: In hac terra
balsamum nascitur, quae silva intra termino's viginti jugerum usque ad
victoriam nostram fuit. . . ,
30 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Qefdiichte der Juden etc.
dafc der Balfam von felbft, fei es, dajg er infolge kunftlicher
Einfdinitte im Baum aus demfelben flofe. ') Der Balfam bildete
einen wertvollen Handelsartikel. 2 )
Weinftodc. Ebenfalls bliihte damals noch der Weinbau, namentlich
audi auf den Bergen und Hiigeln des Landes Juda. Schon
Jakob hatte in [einem Segen fiber Juda gefprochen: 3 ) Er
bindet an den Weingarten fein Fiillen, an die Rebe feine
EJelin. Sein Kleid wafcht er im Weine, im Blute der Trauben
{einen Mantel." Will Michaas den ungeftorten Frieden der
mefiianifchen Zeit fchildern, fo fagt er, A ) es werde jeder unter
feinem Weinftock und {einem Feigenbaum fitjen. Der Heiland,
der {eine Bilder aus {einer Umgebung zu nehmen pflegte,
hat nicht blofr in den Parabeln von den Arbeitern im Wein-
berge, und von den bofen Winzern auf den Weinbau Bezug
genommen, {ondern {ieh {elb{t auch als den eigentlichen Wein-
{tock bezeichnet. 5 ) Am haufigften kam in Palaftina die rote
Traube vor, worauf auch der Prophet 6 ) mit den Worten hin-
wei{t: ,,Warum i{t dein Gewand rot und {ind deine Kleider
wie die der Keltertreter?" Noch zur Zeit Gregors von Tours
galten die Weine Pala{tinas als die edel{ten und {tark{ten, bis
der Einbruch der Araber der Weinproduktion dort ein Ende
machte. 7 ) Sie hat {ich er{t in den letjten Jahren nicht zum
wenig{ten durch die Bemiihungen von deutfchen Koloniften
wieder gehoben.
Der oibaum. Neben der Traube war die auch heute im heiligen Lande
nidit ausgeftorbene Olbeere oder Olive eine Quelle des Reich-
turns fur das Land. Nicht nur in den Talern, {ondern auch
hier und da auf den Bergen, wie z. B. auf dem Olberge bei
Jerufalem, gab es ganze Pflanzungen von immergriinen 01-
baumen. In Palaftina mugte der Baum, der das Meer und
das Kalkgebirge liebt, gut gedeihen. Das 01 aber fand dort
!) Tac. 1. c. Plin. 1. c.
2 ) Justin. Hist. 36, 3: Opes genti ex vectigalibus opobalsami crevere,.
quod in his tantum regionibus gignitur.
3 ) Gen. 49, 11.
4, 4.
6 ) Matth. 20, 1 ff., 21, 33 ff. etc. Job. 15, 1 ff.
6 ) Is. 63, 2.
7 ) Greg. Turon. Hist. Franc. 7, 29. Vgl. Hehn, Kulturpflanzen und
Haustiere 3 , Berl. 1877, S. 83.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 31
zu Speifen, bei Opfern, zum Brennen in der Lampe oder
zum Salben des Haares und des Korpers vielfadien Gebraudi. *)
Zwei Fliiffigkeiten, fagt Plinius, 2 ) gibt es, die dem menfchlichen
Korper angenehm find, innerlidi der Wein, aufcerlich das 01.
Wahrend nun der veredelte Olbaum folch grofcen Nutjen
brachte, lieferte der wilde Olbaum, der naeh Plinius ein hohes
Alter erreicht, 3 ) ein hartes Holz, das eine fdione Politur
annimmt.
Dazu kam der Feigenbaum/) der im femitifchen Vorder- Der Fei g en -
afien, in Syrien und Palaftina feine eigentliche Heimat hat und baum '
dort das iippigfte Wachstum und die fufcefte Fruchtfiille er-
reicht. In dem heifcen Lande gab der Baum mit feinen rie-
figen Blattern an gliederreichen Zweigen erquickenden Schat-
ten, 5 ) wahrend feine Friichte in zwei Ernten im Sommer und
im Spatherbft gepfluckt werden konnten.
An Orangen und Zitronen ift das Land noch immer reich.
Audi kommen z. B. in Gaza die Granate und die Dattelpalme
vor. Aber in der Neuteftamentlichen Zeit war der Palmbaum, 6 ) Der
der Konig des Pflanzenreidies, wie ihn Linn6 nennt, der Palmbaum -
Konig der Oafen, wie er bei den Arabern heigt, eine herr-
liche Zierde Judaas, und wurde befonders in Jericho, der
alten Palmenftadt, 7 ) gepflegt. Die dortigen Palmenhaine er-
ftreckten fich hundert Stadien, d. h. funf Stunden weit. 8 )
') Vgl. Matth. 6, 17; 25, 3. 4. 8. Luc. 10, 34 etc. Ober den medizin.
Gebrauch des Ols vgl. Plin. H. N. 15, 4. 7. 23, 3. 4. Vgl. auch Fifcher,
Der Olbaum, feine geograph. Verbreitung, feine wirtfchaftliche und kultur-
hiftorifche Bedeutung, Gotha 1904 (in Petermanns Mitteilungen, Erganzungs-
heft Nr. 147). Ober den 01- und Weinbau im heiligen Lande vgl. auch
S. Krauss, Talmud. Archaologie, Bd. 2 (L. 1911) S. 214247 und 594-619.
2 ) 14, 22, 150.
b ) 16, 44, 240. Vgl. Nehem. 8, 15. R5m. 11, 17 ff.
*) Vgl. J. L6w, La figue en Palestine a Pepoque de la Mischna.
REJ., Tome LXII, P. 1911, p. 216-235 und Fortf. von F. Goldmann ed.
Tome LX1V, 1912, p. 185-209.
5 ) Vgl. Nathanael unter dem Feigenbaum, Job. 1, 50. Zachaus auf
demfelben, Luk. 19, 4.
6 ) Fonck 6 ff.
7 ) Deuter. 34, 3 u. 6. Vgl. auch Horat. Epp. II, 2, 184.
8 ) Strabo 16, 2, 41 1. c. Vgl. auch Plinius 13, 4, 44. Tac. Hist. 5, 6.
Justin. 36, 3. Der Palmbaum als Sinnbild Judaas findet fich fowohl auf
MQnzen aus der Makkabaerzeit als auf rOmijchen Munzen, z. B. denen des
Vespasian und des Titus mit der Infchrift Judaea capta".
32 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
Weniger koftbar ift der ebenfalls in Palaftina einheimifche
und audi jetjt nodi uberall dort wachfende Johannisbrotbaum,
ein immergruner, langfam fidi maditig ausbreitender, nidit
fehr hoher Baum, deffen braune horn- oder fichelformig ge-
krummten Sdioten die Nahrung des armeren Volkes bildeten
und audi als Sdiweinef utter dienten. 1 )
Wie am Nil und in Babylon, fo wuchs audi am Merom-
See die Papierftaude, die ubrigens audi heutzutage am Hule-
See wie an der Kufte und im Jortantal bis herab zum Toten
Meere vorkommt. 2 )
Fruchtbarkeit )} e Fruditbarkeit des Bodens, wovon jeder Befudier des
des odens. ^gjjjggjj Landes fidi an zahllofen Orten durdi den Augen-
fdiein uberzeugt, wird von judifchen wie heidnifdien Sdirift-
ftellern jener Zeit gefdiildert. 3 ) Allerdings meint Strabo, 4 )
der fteinige, unfruditbare Boden der Gegend von Jerufalem
habe kaum die Miihe, die man fidi um feinen Befitj unter
Mofes gegeben, gelohnt. Aber Jerufalem ift nidit Palaftina,
und Strabo kannte das Land nur unvollkommen.
Gewifc ift ein grower Unterfdiied zwifdien der heutigen
Wirklidikeit und der Vorftellung, die man fidi auf Grund der
Heiligen Sdirift und anderer Berichte von dem Lande madit,
weldies von Milch und Honig troff, audi wenn man dem Um-
ftande Rechnung tragt, daft die Sdirift das Land den
') Luc. 15, 16. Vgl. P. Ernft Sdimi^, Der Johannisbrotbaum im
heiligen Lande, in: Das heilige Land. 1916, S. 171 ff.
2 ) Vgl. Kirchhoff, S. 7 Fondc, S. 36. Hysop (vgl. Joh. 19, 29;
Hebr. 9, 19), ein ftrauchartiges Kraut, welches von den Hebraern vielfach
als Weihwedel gebraucht wurde (vgl. Exod. 12, 22. Lev. 14, 4 f. Num.
19, 18) ift wahrfdieinlich mit dem Origamum Maru L. identifch. Es hat
einen 34 Fug hohen, geraden und [tarken Stengel, der n >caia/io9 (Matth.
27, 48. Marc. 15, 36) genannt werden kann." Vgl. Fondc, a. a. 0. S. 105110.
Ihm ftimmen u. a. zu J. Low, Der biblifche ez&b (S. B. d. W. A. Phil. hist.
Kl., Bd. 161, 3, 1909). Heidet, Der Hysop iu feiner rituellen, botanifdien
und fymbolifchen Bedeutung. Das heilige Land, Koln 1910, S. 6076
und 113-118 (vgl. auch Kandler ebd. 1911, 34-37 und Qisler ebd. 1911,
S. 80) ftellt die Hypothefe auf, dag Hysop mit dem einheimifchen Thymian
identin'ziert werden miiffe. S. dagegen J. E. Dinsmore, Die botanifdie
Erforfdiung.'Palaftinas in den le^ten Jahren. ZDPV. Bd. 37, Lp. 1914,
S. 286-288.
3 ) Jos. B. J. 3, 3, 2-5. Tac. Hist. 5, 6: Rari imbres,. uber solum:
fruges nostrum ad morem, praeterque eas balsamum et palmae.
*) 16, 2, 36 p. 761.
I." Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 33
den der Wufte,' wozu die Ifraeliten gehorten, preift. Das hangt
aber fchwerlich mit der Zerftorung der Walder durch die Tur-
ken und der niditbeweisbaren Verminderung des Regenfalles
und der bisweilen behaupteten Veranderung des Klimas uber-
haupt zufammen. Wie heute die Baume in Palaftina, felbft
am Karmel eher dick als hoch werden, und man verhaltnis-
mafcig wenig Unterholz fieht, fo wird es wohl immer gewefen
fein. Selbft ffir den Tempel braudite man Zedernholz vom
Libanon. 1 ) Vielmehr ift der Grund in der Vernachlajfigung
der Kultur, der Verringerung der Bevolkerung durdi die vielen
Kriege, der fchlediten Verwaltung der Turken und in den
Raubzugen der Nomaden zu fuchen. Audi mag es einiger-
mafcen mit den religiofen Grundfatjen der Turken, denen der
Wein verboten ift, zufammenhangen, daft nun fo zahllose
Hiigel, die friiher mit Weinbergen bedeckt waren und keine
andere Kultur zuliejgen, jetjt blofje Steinmaffen find. Was aber
aus dem Lande gemacht werden kann, fieht man aus den
Refultaten fo maneher europaifcher Koloniften. 2 ) Den Mangel
an Waffer erfetjten ehedem zum grofcen Teile Zifternen und
Wafferleitungen.
Von wilden Tieren, 3 ) die in der Heiligen Schrift erwahnt Die Tierwelt.
werden, befi^t auch das heutige Palaftina nodi Schakale,
Fudife, Wildfdiweine und Hyanen, wahrend Panther und
Wolfe fehr felten find, der Bar nur bisweilen am Libanon
vorkommt und der Lowe in Syrien iiberhaupt ausgeftorben
') Zedern werden Ifai. 9, 10 erwahnt; Eichen ebd. 2, 13. Ezech. 27, 6.
Zach. 11, 2.
2 ) Vgl. z. B. Wimmer, Palaftinas Boden mit [einer Pflanzen- und
Tierwelt vom Beginn der biblifchen Zeiten bis zur Gegenwart. Kdln 1902,
S. 125 ff. Vgl. S. 35, 4.
3 ) Ober die Zoologie des hi. Landes vgl. befonders Bochart, Hie-
rozoicon. London 1663. Neue und befte Ausg. von Rosenmuller, Lips.
179396; Wood, Wild animals of the Bible. London 1887. - Ober das
Vorkommen von Leoparden, des Sumpfluchfes und des Steppen- Oder
Wtiftenluchfes in Palaftina und die dortigen Tag-RaubvOgel und Nacht-
,Raubv6gel beridhtet in neuerer.Zeit P. Ern[t Schmitj, Das hi. Land, 1912,
1,23-27; 1913, 4, 210-213; 224230; 1914, 4, 216-224. Sehr an-
fdhaulich fchildert er aueh die furchtbare Verwiiftung des Landes und der
Fluren durch die an den Propheten Joel c. 12 erinnernde plOt$lich
maftenweife auftretende Heufchreckenplage im Jahre 1915. Ebd. 1915, 4,
192-199.
Felten, Neuteflamentlidie Zeitgefdiidiie. I. 2. u. 3. Aufl. 3
34 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
i[t. Das einhockerige Kamel wurde fdion herdenweife von
den Patriarchen gehalten. J )
Ochfen braudite man als Zug- und Lafttiere. Zahllofe
Rinder warden alljahrlich als Opfer gefchlachtet. Efel fanden
in dem gebirgigen Palaftina, wie auch fonft bei den orienta-
lifchen Volkern vielfach als Reittiere Verwendung, 2 ) wahrend
Pferde, die bei den Afiaten wie bei den Agyptern nur zu
kriegerifchen Zwecken gehalten wurden, 3 ) felten waren 4 ) und
als Haustiere bei den Hebraern uberhaupt nicht vorkamen.
Um fo mehr gab es bei ihnen Ziegen und Sdiafe. Sollera
dodi zur Zeit des Jofephus fiir ein Ofterfeft 256500 Lammer
gefchlachtet worden fein. 5 ) Wir lefen zwar auch von einer
grofcen Schweineherde in der Gegend oftlich vom See Tiberias. 6 }
Die durfte aber, da die Gegend zum Teil von Nichtjuden be-
wohnt war, hellenifchen Bauern gehort haben. Hunde galten
wie noch heutzutage bei faft alien orientalifchen Volkern als
unrein und wurden deshalb nicht als Haustiere gehalten. 7 )
Die Pflege der Taube, des Opfers der Armen, hatte fchon
aus gottesdienftlichen Ruckfichten Wichtigkeit.
Kurz, man iibte damals in Palaftina alle drei Arten der
Bodenbenut5Ung, die Tierweide, welche Fleifch, Milch und
Wolle lieferte, den Ackerbau, der die Halmfrucht brachte, und
die Baumpflanzung, als deren befte Frucht der Wein und das
01 galten. Dadurch kam es, dajj auch damals wie heute
noch die Bevolkerung zum Teil, um Weide zu finden, wan-
derte (Nomaden, Beduinen), grofjtenteils aber fefchaft war
(Stadtbewohner und Bauern, jetjt Fellachen).
!) Gen. 32, 15. Vgl. auch Gen. 12, 16. 24, 19 etc. 30, 43. Richt. 6,
5. 7, 12. 8, 21 etc.
2 ) Vgl. 2 KQn. 17, 23. Isai. 30, 6 ff. uud 66, 20. Zach. 9, 9. 1 Par,
12, 40. Matth. 21, 2 ff. Marc. 11, 2 ff. Luc. 19, 29 ff. Vgl. Smith, Je-
-rufalem 1, 326 f.
3 ) Vgl. Hehn, S. 28 ff. Die ifraelitifchen KOnige follten keine Er-
oberungsziige machen. Schon Mofes verbot, viele Roffe (Reiterei) zu
halten. Deut. 17, 16.
J ) Vgl. 3 Kon. 10, 28 f. 4 KOn. 3, 7. 18, 23. Prov. 21, 31. Job
39, 25. Jef. 8, 6.
6 ) B. J. 6, 9, 3.
6 ) Marc. 5, 11. 13.
7 j Vgl. aber Tobias 11, 9.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 35
Wenn wir dem hinfichtlich feiner Zahlenangaben nicht Bev&ike-
gerade zuverlaffigen Jofephus glauben durfen, ift das Land
im erften diriftlidien Jahrhundert fehr didit bevolkert gewefen.
Wie er bericfatet, haben die Priefter unter Nero bei einem Ofter-
fe[t ermittelt, dag, wie eben erwahnt wurde, 256500 Opfer-
iiere gefchlachtet wurden. Da aber urn jedes Opfer fich eine
Gefellfchaft von zehn, oft audi von zwanzig Mannern fammelte,
ware damals die grofce Zahl von zwei Millionen und fieben-
hunderttaufend Mann ermittelt worden. 1 ) Audi behauptet er,
daft von den zahlreichen Stadten und Flecken Galilaas, es
gab deren dort 204, 2 ) der kleinfte Fiecken uber 15000 Ein-
wohner gehabt hatte. 3 ) Folglich mtijgte diefe Landfchaft allein
eine Bevolkerung von etwa drei Millionen und ganz Palaftina
eine foldie von etwa fiinf Millionen Einwohner gehabt haben.
Nehmen wir diefe Ziffer als wahrfcheinlich richtig an, jo ent-
fpradi die Diditigkeit der Bevolkerung ungefahr der von
Belgien. Heutzutage leben in Palaftina nach allgemeiner
Sdia^ung 700000 Perfonen, darunter etwa 76000 Juden. 4 )
') B. J. 1. c.
*) Jof. Vita 45.
3 ) B. J. 3, 3, 2. E. W. G. Mastermann, Studies in Galilee. Chicago
1909 p. 131 halt diefe Angabe fur manifeftly abfurd. Er nimmt nur eine
GefamtbevOlkerung von 400000 Einwohner far Galilaa zur Zeit Chrifti
an, da die noeh exiftierenden Ruinen von alten galilaifchen Ortfchaften
einen fehr geringen Umfang hatten. Allein wie viele Ortfchaften find
nicht in den vielen Kriegen ganz vernichtet worden.
4 ) Es gibt eine ganze Anzahl judifcher landwirtfchaftlicher Siedlungen
in Palaftina, namlich nach dem Stand yon 1914 in Judaa bei Jaffa 18,
in Samaria bei Haifa 7, in der Esdrelonebene bei Haifa 1, in Untergalilaa
bei Tiberias 12, in Obergalilaa 5. Vgl. A. Ruppin, Syrien als Wirtfchafts-
gebiet, B. 1917 und hiernach D. Trietfch, Palaftina und die Juden. Tat-
fachen und Ziffern. 7,8 Heft von Pro Palaftina. Schriften des deutfchen
Komitees zur Forderung der judifchen Palaftina-Siedlung. Berl. 1919,
S. 30 f. Niederlaffungen des in Wurtiemberg im Jahre 1856 gegriindeten
Deutfchen Tempels" gibt es acht, unter denen die von Haifa (gegrflndet
1868), Jaffa (1869), Sarona (1871) und WilhelmaX1902) die bedeutendften
find. Vgl. Loffler, Der Zionismus und die Zukunft des HI. Landes. Mit
einem Anhang uber die deutfchen Anfiedlungen in Palaftina (= Frank-
furter Zeitgem. Brofchuren 39. Jahrg., Heft 2) Hamm, 1919. S. 40 ff.
Nach dem Bericht eines jungft aus Palaftina heimgekehrten amerikanifchen
Forfchers in der Kolner Volkszeitung 1923, 10. Dez. Nr. 898 hat fich der
Kolonifationsplan der Zioniften nicht durchfuhren laffen. Die Jerufalemer
Zeitung Dear Home fehreibe, in Jerufalem erlebe man das Schaufpiel
3*
36 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Mifdmng der R e j n jfidifch waren audi damals, wenn man von dem
Bevolkerung. Ho dilande Judaa und etwa dem fudlichen Teile von Galilaa
abfieht, nur wenige Orte. Die Kiiftenftadte batten fogar ab-
gefehen von Joppe und Jamnia eine uberwiegend heidnifche
Bevolkerung, geradefo wie die Gebiete der nichtjudifchen
Stadte im Siiden und Sudoften des Sees Genefareth. Samaria
hatte aber von alters her eine aus der Mifdmng von Juden
und heidnifchen Koloniften entftandene Bevolkerung.
In den nicht-judifchen Gebieten fand die griechifche Kultur
und Sitte, auch nadidem die rivalifierenden Monarchien der
Ptolemaer in Agypten und der Seleuciden in Syrien unter-
gegangen waren, meift eine dauernde Statte. Dies fand u. a.
feinen Ausdruck in den religiofen Kulten, z. B. des Pan in
Panias (Cafarea Philippi) und den periodifchen Feftfpielen,
welche z. B. in Cafarea feit Herodes alle vier Jahre gefeiert
wurden.
Aber felbft in den -judifchen Gebieten konnte der da-
malige Jude fich dem Einflug der ihn umgebenden griechi-
fchen und romifchen Welt nicht ganz entziehen. Hatte doch
Herodes fogar in Jerufalem ein Theater fur Schaufpiele und
ein Amphitheater fur Gladiatorenkampfe u. dgl. gebaut. x ) Das
Geldftuck, weldhes man dem Herrn brachte, war eine romifche
Silbermunze mit dem Bilde des Kaifers. 2 ) Selbft in Palaftina
hatten viele Juden griechifche und romifche Namen, wie Ale-
xander, Ariftobul, Herodes, Archelaus oder unter den Apofteln
Andreas und Philippus. 3 ) Audi in der gewohnlidien Sprache
des Volkes gab es griechifche und lateinifche Worte. 4 )
einer allgemeinen Auswanderung. Die Juden verliegen das Land in
groger Zahl. Den Grund fur den ,,vollftandigen Zufammenbruch des
Zionismus" findet der Amerikaner in den befonderen Verhaltniffen des
Landes und in der Veranlagung der eingewanderten Juden . . . Der
Boden, der feit Jahrhunderten verlaffen war, erfordert viel Arbeit . . .
Die Mehrzahl der Eingewanderten ift an die Landarbeit nicht gewOhnt.
Selbft der Jude, der fOr fie geeignet ift, gibt fie bald auf, um fidi dem
Handel zu widmen. . . . Haufig find ferner die anfteckenden Krankheiten.
50 Prozent der Eingewanderten kommen aus Wefteuropa und kOnnen fich
an das Klima Palaftinas gar nicht gewOhnen.
') Jof. Ant. 15, 8, 1. B. J. 1, 21, 8.
*) Matth. 22, 17 ff. etc.
3 ) Vgl.Zunz, Namen der Juden in GefammelteSchriftenll, 1 82. B. 1876.
4 ) Viele Beifpiele bei Schflrer II, 5989 und Kraufc, Griechifche und
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 37
Die Spradie der Maffe des Volkes war zur Zeit Chrifti
und der Apoftel nicht das Griediifche, audi nidit das He- die Ve rbrei-
braifche, fondern wie fchon feit Jahrhunderten das Aramaifche tung des
oder, wie es oft hei&t, das Syrifche. Diefes war nidit etwa Griechifchen
eine ungebildete Volksfpradie, fondern die in Tyrus und Si-
don wie in Samaria und dem fich vom alanitifchen Meer-
bufen bis naeh Damaskus bin erftreckenden Nabataerreiche
gefprochene erfte Spradie Vorderafiens. Bereits zur Zeit der
perfifdien Weltherrfchaft war fie die Amtsfpradie, in weldier
der Verkehr der Reichsregierung mit ihren vielfpradiigen
Untertanen aufredit erhalten wurde. Gewifc gab es kleine
Verfdiiedenheiten der Ausfpradie, aber dariiber darf das Ge-
meinfame nidit vergeffen werderi. l ) Audi der Heiland unter-
hielt fich in diefer Spradie mit dem Volke, fo mit der Sama-
riterin am Jakobsbrunnen und der Phonizierin. Nodi am
Kreuze betete er: 'EM &ott Xo^a aa^ax9avn'. z ) Diefes Ara-
maifch, welches erft der Islam, der das Arabifche an feine
Stelle fetjte, aus feiner herrfchenden Stellung in Vorderafien
verdrangte, wird im Neuen Teftament wie in der altkirch-
lidien Literatur gerade wie die Urfprache des Alten Tefta-
mentes ,,Hebraifch" genannt. 3 ) Das eigentlidie Hebraifch blieb
neben dem Aramaifchen als die heilige Spradie in Ehren,
infofern als in diefer Spradie die biblifchen Lektionen in den
lateinifdie Lehnworter im Talmud, Midrafch und Targum, 2 Bde. B. 1897
bis 99. Die Beifpiele ftammen zwar meift aus einer jungeren als der hier
behandelten Zeit, aber die Worte find ficher, wie fich aus den Verhalt-
niffen des Staats- und Volkslebens ergibt, vielfach fchon fruh in Gebraucn
gewefen.
') Vgl. Arnold Meyer, Jefu Mutterfprache, Freib. i. B. 1896; Th. Zahn,
Einleitung in das Neue Teftament 1. L. 1897, S. 1 ff. Dalman, Die Worte
Jefu. Bd. I. L. 1898, S. 110; ebd. Grammatik des judifch-palaftinen-
fifchen Aramaifch 2 . L. 1905,. S. 1 ff. Zum Beifpiel Eufeb. Demonftr.
evang. Ill, 7, 10 nennt die Mutterfprache der galilaifchen Apoftel fyrifch.
Zu den Verfchiedenheiten der Ausfprache in Judaa und Galilaa vgl.
Matth. 26, 73, Mark. 14, 70 und die Kommentare; Meyer, S. 59. Der
babyl. Talmud (Erub. 53 b) wirft den Galilaern nachlaffige Ausfprache,
befonders der Gutturale vor. Vgl. dazu Dalman, Gramm. 5 u. 57-61.
Audi Jon. Buxdorf, Lexicon chald. Talmud, et Rabbinicum ad v. b^i-
(Basil. 1640, p. 434 sqq.) gibt eine Anzahl von Beifpielen.
*) Joh. 4, 7 ff. Luk. 17, 16. Marc. 7, 24 ff. Marc. 15, 34.
3 ) Joh. 5, 2. 19, 13. 17. 20. 20, 16 vgl. Zahn, S. 18 f.
38 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Synagogen vorgelefen wurden, urn alsbald Vers fQr Vers in
die Landesfprache iiberfetjt zu werden. 1 ) Cbrigens i[t die
Abfaffung der aramaifchen Targumim ein weiterer Beweis
dafur, dag damals die Mafte des Volkes- aramaifch redete. 2 )
Man nannte auch die griechifch redenden Juden Helleniften. a )
Selbft der den Juden in Jerufalem fo verhagte Paulus konnte
mitten im Aufruhr ihre Sympathie dadurch gewinnen, dag
er fie ,,in hebraifcher (d. h. aramaifcher) Sprache" anredete. 4 )
So lagt es [ich verftehen, dag bei der Belagerung Jerufalems
durch Titus Jofephus das Volk aramaifch anredete. 5 ) Auch
ift es hochft bezeichnend fur den Gebrauch des Aramaifchen
felbft bei hochgebildeten, vornehmen Juden, dag Jofephus
die Ausarbeitung feines Werkes ,,Die judifchen Altertumer"
verfchob, weil er es, wie er in der Vorrede zu diefem Werke
fagt, fchwer fand, feine Gedanken in griechifcher Sprache aus-
zudriicken. 6 ) Man darf fich durch die griechifchen Namen
mancher Stadte, wie z. B.-Skythopolis 7 ) oder ihre griechifchen
Kulte oder Munzen nicht zu dem Irrtum verleiten laffen, es
ware in ihnen nur Griechifch gefprochen worden. Das war
fo wenig der Fall, als z. B. in Bruffel nur Franzofifch oder
nur Flamifch geredet wird. Abgefehen von den vieleri auch
in jenen helleniftifchen Stadten wohnenden Juden waren die
meiften Einwohner Syrer, d. h. Leute, welche das Syrifche
als ihre Mutterfprache redeten.
Immerhin braucht die Kenntnis des Griechifchen nicht aus-
fchlieglich auf die gebildeteren Juden Palaftinas und die nahe
J ) Megilla IV, 6, 10.
2 ) S. u. iiber die jiidifche Literatur der neuteftam. Zeit. Kap. XV. f.
3 ) Apg. 6, 1; 9, 29.
*) Apg. 21, 40. 22, 2.
5 ) B. J. 5, 9, 2. 6, 2, 1.
6 ) Ant. Prooem. c. 2. Die Gefchichte des jiidifchen Krieges war zuerft
aramaifch gefchrieben. S. u. Kap. XVI.
7 ) Ln der chriftlichen Gemeinde zu Skythopolis gab es (nath Eufeb.
de mart. Palaestinae gemag dem vollftandigeren fyrifchen Text bei Zahn,
Tatians Diateflaron 1881, S. 19 u. Violet, Die Pala'ft. Martyrer des Eufeb.
von Gafarea in Tezte und Unterfuchungen von O. v. Gebhardt und Har-
nack XIV, 4, 1896, S. 4) zur Zeit Diokletians einen offiziellen Dolmetfcher
fur die Obertragung der n griechifchen Sprache in die aramaifche" beim
Gottesdienft.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 39
der griechifchen Sprachgrenze wohnenden befchrankt gewefen
zu fein, 1 ) vielmehr darf zur Zeit Chrifti eine geringe, not-
durftige Kenntnis des Griechifchen auch fonft bei andern im
Binnenlande vorausgefety werden. Derm es ift nicht anzu-
nehmen, daft fich alle im Verkehr mit den romifchen Be-
amten, welche nur Griechifch und Lateinifch fprachen 2 ) und
mit den im Lande ftationierten fremden Truppen, fur welche
die griechifche Sprache die gemeinfame gewefen fein mug,
und mit den griechifch redenden Juden oder Profelyten,
welche alle Jahre zu den Feften nach Jerufalem kamen und
zum Teil dort als ,,Helleniften" blieben, eines Dolmetfchers
bedient haben.
2. Galilaa. 3 )
Die Einteilung Palaftinas in die vier Landfchaften Gali-
laa, Samaria, Judaa und Peraa, d. h. das Jenfeitige oder das
Oftjordanland ift, wie dem Neuen Teftament und Jofephus,
fo auch den griechifchen und romifchen Schriftftellern ganz
gelaufig.
Der Name Galilaa 4 ) eigentlich Kreis, Bezirk, fcheint zu-
nachft den ,,Bezirk der Heiden", 5 ) d. h. den Norden der fpa- Grenzen -
teren Landfchaft G.alilaa bezeichnet zu haben, wird aber nach-
weislich wenigftens fchon .zur Zeit der Makkabaer 6 ) von der
Landfchaft in dem weiteren Sinne, wie zur Zeit Chrifti, ge-
braucht. Sie erftreckte fich 7 ) im erften chriftlichen Jahrhundert
J ) Vgl. u. a. Gla, Die Originalfprache des Matthausevangeliums,
Paderb. 1887, S. 122143. Zahn, Einl. I, 24 51.
2 ) Jof. c. Apion. 1, 9 behauptet, auf3er ihm hatte im rOmifchen
Heere keiner die judifdien Oberlaufer zur Zeit des judifchen Krieges ver-
ttanden. Fur Infdiriften u. dgl. bedienten fich die romifchen Beamten
Jeit Cafar der griechifchen und lateinifchen Sprache. Vgl. Ant. 14, 10,
2 sq. 14, 12, 5. Jon. 19, 20.
3 ) S. o. S. 21, 1; vgl. Oehler, Die Ortfchaften und Qrenzen Qalilaas
nach Jofephus. ZDPV. (1905) XXVIII 126. 4974.
5 ) Is. 9, 1. Jos. 20, 7. 21, 32 und IChr.- 6, 76 bezeichnet es den
Bezirk im Norden Palaftinas mit der Hauptftadt Kedes. Er heigt 3 Kon,
9, 13 Kabul, d. h. w abgegrenztes Land und wurde von Salomon dem
KOnige Hiram von Tyrus gegeben.
) S. 1. Mace. 5, 14.
7 ) Jos. B. J. 3, 3, 1 und 4. Vita 37;
40 Erfter Abfdinitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
vom tyrifchen Gebiet im Norden bis nach Ginaa, dem heu-
tigen Dschenin an der Sudgrenze der Ebene Esdrelon, wo
die Berge Samariens anfangen, und Skythopolis, dem alten
Bethsean (heute Besan), einer damals zur Dekapolis gehoren-
den heidnifchen 1 ) Stadt, im Suden. Im Weften grenzte fie an
Ptolemais auf der engen Seekufte im Weften, welche wie
audi der Karmel den Phoniziern gehorte und heidnifch war,
wahrend im Often der Jordan und das Oftufer des Sees
Genefareth, welches aber geographifch felbft nicht mehr zu
Galilaa gehorte, die Grenze bildete. Man unterfchied damals
Ober(Nord)- und Unter(Sud)- Galilaa, 2 ) eine Unterfcheidung,
die, abgefehen von der Ebene Esdrelon, den naturlichen Ver-
haltniffen entfpricht. Denn nordlich von einer zwifchen Ptole-
mais und dem Nordende des Sees Genefareth gezogenen
Grenzlinie erreichen die Berge eine Hohe von 6501300 m,
wahrend ffidlich davon die HohenzQge nirgends fiber 600 m
fich erheben 3 ) und breite Taler'haben.
Charakterder Die Landfchaft war aujjerft fruchtbar und dicht bevolkert
Bewohner. g s wohnte dafelbft ein arbeitfamer, kraftiger, kuhner, aber
auch zu Neuerungen und Aufftanden geneigter Menfchen-
fchlag. 4 ) Die Galilaer, fagt fpater der Talmud, 5 ) liebten die
Ehre mehr als das Geld, Judaa aber zog der Ehre das Geld
vor. Jedenfalls hatten fie fich mitten in der fie rings um-
gebenden Heidenwelt eine reinere und ftarkere Meffiashoffnung
') Vita 6. Damals war Skythopolis, weldie Stadt dem Johann
Hyrkanus unterworfen war (Ant. 13, 10, 3), aber durch Pompejus im
Jahre 64 ihre frflhere Unabhangigkeit wieder erlangt hatte (Ant. 14, 4, 4),
die grofcte Stadt der Dekapolis (B. J. 3, 9, 7) und befag ein weites und
fruchtbares Gebiet (Vita 9).
*) Nach B. J. 3, 3, 1 gingf Ober-Galilaa von Baka im Norden an
der tyrifchen Grenze bis nach Berfabe, und von Thella am Jordan bis
nach Meroth im We[ten, Unter-Galilaa (mit den Orten Tarichea, Tiberias,
Sepphoris f. Vita 37) yon Berfabe bis Exaloth (je^t Iksal fudOftlich von
Nazareth) und von Tiberias bis nach ChabuToh' in der NShe von Ptole-
mais. Die Orte find aber meift unbekannt. Eufebius Onom. p. 72
unterfcheidet Galilaa der Heiden am tyrifchen Gebiet und das andere
Galilaa um Tiberias und den gleichnamigen See.
3 ) Smith 416. Der Dschebel es-Stdi nw. von Nazareth ift 488 m
u. M., der Tabor 562 m ii. M. hoch.
4 ) B. J. 3, 3, 2. Vita 17. ,
5 ) Jer. Talm. Kethuboth 4, 14.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 41
als die Eiferer fur das Gefe^ in Judaa bewahrt, fo dafe von
Galilaa nicht blog Manner, wie Johannes von Gisdiala, im
Kriege gegen die Romer kamen, fondern auch die meiften
Apoftel und Jiinger des Herrn Galilaer waren.
Die fich durch Galilaa hinziehenden Wege 1 ) waren zum Stragen.
grogen Teil Weltftragen, fo namentlich die groge Weftftrafje,-)
weldie von Damaskus zum Meere ffihrte und Afien mil Afrika
verband. Zwifchen dem Hule-See und dem See Genefareth
uberfchritt fie in der Romerzeil an der Stelle, wo die fogen.
Brucke der Tochter Jakobs (Dsdiisr Benat Jakub) liegt, den
Jordan und teilte fich bei dem heutigen Chan der Grube
Jofephs (Chan Dschubb Jusef) fudoftlich von Safed in mehrere
Arme. Bin Arm ffihrt von dort fiber Safed nach Tyrus, ein
anderer quer wefttlich durch Galilaa nach Ptolemais, ein
dritter bildete die wichtige, Afien mil Afrika verbindende
Sudftrafje, welche fich in fudweftlicher Richtung zwifchen dem
Tabor und den Anhohen von Nazareth durch Esdrelon nach
Megiddo und von dort durch die Ebene Saron nach Lydda
und Ramie in das Philifterland und nach Agypten zog; ein
vierter endlich ging zunachft fudoftlich bis nach Tiberias und
weiter bis nach Skythopolis. Hier traf fie mit einer andern
grojsen, von Damaskus kommenden Strafes zufammen, der
Oftftra&e, welche etwas nordlich von Skythopolis den Jor-
dan uberfchritt und fiber diefe Stadt entweder durch die Ebene
Esdrelon nach Megiddo und bis ans Mittelmeer Oder fudlich
den Jordan entlang nach Jericho und weiter fudlich fuhrte.
Im Norden von Galilaa, in einer Schlucht des Hermon- Cafarea Phi-
gebirges und im Quellgebiet des Jordan lag die Stadt und lj ppi-
Landfchaft Panias, deren Name fich in dem heutigen Banijas,
fibrigens einem unbedeutenden Dorfe, erhalten hat. Einft
hatte Herodes Stadt und Landfchaft von Auguftus erhalten
und neben dem Heiligtum des Pan einen Marmortempel zu
') Vgl. Smith 425431. S. auch F. Buhl, Geographic 125 ff. und
feinen Artikel Roads and Travel in OT. in Hastings Diet. Extra vol.
p. 368 ff.
'-') Im Mittelalter nannte man fie die via maris nach einem Ifaias
9, 1 (vgl. Matth. 4, 15) ftehenden Ausdruck, der bei ihm aber nicht eine
Strage, fondern ein Gebiet, namlich das in der Richtung zum Meere hin-
liegende, bezeichnet.
42 Erjter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Ehren des Kaisers gebaut. 1 ) Sein Sohn Philippus erbaute
die Stadt neu und nannte fie Cafarea. 2 ) Der grofjte Ruhm
von Cafarea Philippi ift aber, daft hier vor dem Heilande
der heilige Petrus im Namen der ubrigen Jiinger zuerft klar
und beftimmt den Glauben an die Gottheit Chrifti bekannte. 3 )
See und Wahrend der nordlidi gelegene, von Schilf iiberwachfene
Ebene Hule-See mit feiner fumpfigen Umgebung wenig Anziehendes
hat, ift ein anderer See fur immer fchon durch feine Ver-
bindung mit dem Heiland ehrwurdig. In der Heiligen Schrift
heifct er bald nach der gleichnamigen Ebene See Genefareth, 4 )
bald nach der an ihm liegenden Stadt der See von Tiberias, 5 )
bald das galilaifche Meer. 6 ) Er hat die Form einer Harfe mit
der Ausbuchtung nach Nordweft, ift 21 km lang, 12 km breit.
Es betragt die durchfchnittliche Maximaltiefe feines Waffer-
ftandes 4045 m. 7 ) Seine hellen, reinen, blau fchimmernden
Fluten fiifeen, trinkbaren Waffers waren und find 8 ) wegen
ihres Fifchreichtums beruhmt. Damals, zur Zeit Christi, nahrten
fidi Taufende von Familien davon, wie denn die Stadt Tarichea 9 )
am See damals gepockelte Fifche in die ganze Welt verfandte.
Siidweftlich von dem Eintritt des Jordan in den See,
von der Stelle an, wo das Seeufer fich entfchiedener nach
Siiden wendet, breitet fich dem Ufer entlang bis zu dem
alten Magdala, dem heutigen Dorfe Medfchdel, wo die Hugel
') Ant. 15. 10, 3. B. J. I, 21, 3.
2 ) Ant. 18, 2, 1. B. J. 2, 9, 1. Agrippa II., welcher die Stadt feit
dem J/53 befag, nannte fie Neronias. Ant. 20, 9, 4.
a ) Matth. 16, 3. Marc. 8, 27.
*) 1 Mace. 11, 67. Luc. 5, 1. Jos. Ant. 18, 2, 1. Vita 65. Strabo 16,
2, 16, p. 755. Uber den Namen der Ebene, der von ].>=. Garten" ab-
geleitet wird, vg-1. Buhl 113.
6 ) Job. 21, 1.
6 ) Matth. 15, 29. Marc. 7, 31. Joh. 6, 7.
7 ) Vgl. Barrois in PEFQS. 1894, p. 211-220 und GObeler, Barrois
Unterfuchung des Tibetias-Sees im Globus, Bd. LXV (1894), S. 135 f.
") ZDPV IX, 102. Intereffante Nachrichten Qber die Fifdie im
See, fowie uber den audi heute nodi bedeutenden Verfand von Fifdien
vom See Genefareth und die dabei gebrauchten Ne^e z. B. ein Schlepp-
net5 von 400 m Lange, de[fen obere Seite vermittelft Korken fdiwimmt,
w&hrend der untere Saum durch kleine Bleigewichte niedergehalten wird,
gibt E. W. G. Masterman, Studies in Galilee, p. 3748.
'-) Tarichos (rd^/oc) heigt Pockelfleifdi. Vgl. S. 41 ft".
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 43
nahe an den See herantreten, die Ebene Genefareth aus.-
Damals war fie von wunderbarer Schonheit und Fruchtbar-
keit, da wegen der Fettigkeit des Bodens und des ausge-
zeichneten Klimas die verfchiedenften Gewachsforten dort ge-
diehen und angepflanzt waren. ,,Nugbaume," fagt Jofephus, 1 )
,,welche am meiften Kuhle bedurfen, gedeihen in grofeer
Menge neben Palmen, die nur in der Hi^e fortkommen;
nahe bei ihrien wachfen wiederum Feigen- und Olbaume,
denen eine gemafcigtere Temperatur zufagt . . . Der Boden
bringt nicht nur die verfchiedenften, fcheinbar unvereinbaren
Fruchte hervor,. fondern bewahrt fie auch lange. Die konig-
lidien Fruchte, Trauben und Feigen, liefert er zehn Monate
hindurch ununterbrochen, wahrend die ubrigen FrUchte mit
ihnen das ganze Jahr hindurch reifen."
Heutzutage bieten allerdings Ebene und See einen ganz
andern Anblick. Der unanfehnlidie Flecken Tiberias und
einige 45 Dorfchen nehmen die Stelle der fruher zahl-
reichen Stadte und Dorfer ein, das Land ift zum grofeen
Teil nidit angebaut, felten fahrt ein Segel auf dem See, und
die nackten, duftern Bafaltfelfen, die fidi von den gaulani-
tifchen Bergen her an das Oftufer herandrangen, fcheinen zu
klagen um eine untergegangene Herrlichkeit. Eines hat fidi
nicht verandert, das Auftreten plo^licher Sturme auf dem See,
wenn entweder die von Weften kommenden kalteren Winde
auf den tiefliegenden, der brennendften Sonnenhitje ausge-
fe^ten See durch Luftwirbel herabgezogen werden Oder etwa
durch enge Schluchten vom Nordoften, dem obern Dscholan,
auf denfelben einfturmen.
Um den See herum lagen viele Stadte und Dorfer. Auf dem Nord- Ortfchaften in
ufer lag Oftlich*) von der Jordanmundung Bethfaida (was fo viel wie Galilaa.
Fifdihaufen heigt), die Heimat der Apoftel Petrus, Andreas und Philippus
in der Nahe der n WufteV) wo der Herr einft die Fflnftaufend fpeifte
') BTT 3, 10, 8.
*) Ant. 20. 8, 4. B. J. 2, 13, 2. Plin. N. H. 5, 15, 71.
3 ) Marc. 6, 31. Matth. 14, 13. Der Tetrarch Philippus vergrOgerte
den Ort durch Zuzug vieler Einwohner und gab ihm den Namen Julias.
(Ant. 18, 2, 1. B. J. 2, 9, i.) Deshalb i[t es nicht wahrfcheinlich, dag
daneben noch Bethfaida als Hafen von Julias, wie Buhl S. 224 meint,
fortbeftand. Aus Marc. 6, 45, wonach die Jflnger dem Heiland voraus-
gehen follten il? TO ntyav ^5? Bri&gaUdv folgt nicht, wie Reland p. 487
u. a. meinen, dag es noch ein zweites Bethfaida weftlich von der Jordan-
44 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
und nur ei-nige Kilometer von der Einmtindung in den See entfernt
Kapharnaum ,,die Stadt Jefu",') 4 km nordlich hiervon Chorozain.*)
SudOftlich von Magdala 1 ) und der Ebene Genesareth auf einem erft
gegen Suden breiter werdenden fchmalen Landftreifen zwifchen dem Berg-
abhang und dem See erbaute Herodes Antipas fruheftens vom J. 2022
n. Chr. eine Stadt, die er zu Ehren des Kaif ers Tiberius Tiberias nannte und
mit einem Palafte, einem Forum und einer grofjen Synagoge fchmtickte. 4 )
mundung, etwa, wie einige wollen, am Orte der deutfdien Anfiedlung
Tabgha oder Tabigha, ffldlich von der Quelle Ain et-Tabigha (= Hepta-
pegon ,,Sieben Quellen"), vgl. u. a. Ernft Schmitj, Tabgha u. feine bibl.
Erinnerungen, Das hi. Land, 60. Jahrg., 1916, S. 164-173. 225-231 fo-
wie den von Bug. Huber bearbeiteten Pilgerfiihrer ,,Durch'sHeiligeLand"
von B. Meiftermann, Trier 1913, S. 502 ff. gegeben hat (vgl. folg. Anm.),
da der Ausdruck auch fchon bei einer Fahrt von einem fudoftlichen zu
einem nordoftlichen Punkte berechtigt ift.
') Matth. 9, 1. FOr die Identitat von Tell Hum mit Kapharnaum
( Caphar [Dorf] des Nahum) fpridit Theodofius (circa a. 530) De situ
terrae sanctae (bei Geyer p. 135 150), der fagt: ,,De Magdala usque ad
septem fontes, ubi domnus Christus baptizavit apostolos, milia II, ubi et
saturavit populum de quinque panibus et duobus piscibus. De septem
fontibus. usque in Capharnaum milia II. De Capharnaum usque Bethsaida
milia VI." (1. c. p. 138). Arculf (670) fpficht fich fur das weiter fudlich
am See gelegene Chan Minje aus. FQr Tell Hum find u. a. Buhl 224 f.,
Kirchhoff 31, Maftermann p. 71-89, fQr Ghan Minje u. a. Smith 456 f.,
677 f. und Sepp, Neue hochwichtige Entdeckungen, Mflndien 1896 I 115
bis 126.
2 ) Die heutigen Ruinen von Keraze. Hierfur fchon das Itiner. S. Willi-
baldi (723726) in Tobler 1. c. I, 289. Vgl. fiber Chorozain Maftermann
p. 93 ff.
3 ) S. o. S. 39. Gegen Buhl S. 226, der fagt: Die talmudifdien
Schriften .kennen verfdiiedene Ortfchaften namens Magdala oder Migdal
in diefer Gegend, vgl. Sam. Klein, Beitrage zuf Geographic und Ge-
fchidite Galilaas Lp. 1909. Er zeigt S. 78 ff., dag in Wirklichkeit nur
zwei Orte mit dem Namen ,,Migdal" genannt werden, deren einer mit
dem galilaifchen El-Medschdel identifch ift, der andere aber im Oftjordan-
lande zu fuchen ift.
4 ) Jof. Vita 12. 17. 54. Das Grfindungsdatum ergibt fich aus Munzen
von Tiberias, wovon eine aus dem 81. Jahre der Stadt den Trajan blofc
Germanicus und nicht auch Dacicus, welchen Titel er erft im Jahre 103
erhielt, nennt (De Saulcy, Numism. de la terre sainte 336 Nr. 4 PL XVII)
und uns fomit ins Jahr 22 n. Chr. als Sugerfte Grenze der GrQndung
der Stadt ffihrt. Eine andere unter Klaudius (geft. 54) gejchlagene Mflnze
(De Saulcy 334) hat das Datum des 33. Jahres der Stadt, ffihrt alfo ins
Jahr 21. Angefichts diefer Tatfachen ift es unmOglich, dag Tiberias erft
um 26 n. Chr. (vgl. SchQrer II, 217) erbaut ift, obwohl Jofephus Ant.
18, 2, 13 die Grfindung von Tiberias erft nach dem Amtsantritt des
Pilatus (26 n. Chr.) erwahnt. Vgl. Smith 448, 2.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 45
Von den alteften Juden wurde fie aber als unrein gemieden, weil fich
bei der Legung der Fundamenle eine Menge menfchlicher Gebeine ge-
funden hatte. Die Stadt exiftiert noch immer (Tabarija) und zahlt gegen
9000 Einwohner. Am Sudende augerhalb der Stadt, heutzutage etwa
eine halbe Stunde ffidlich von der je^igen Stadt lagen die auch damals
fchon beruhmten heigen Bader von Tiberias. 1 )
In der Heiligen Schrift wird auger Tiberias, welches aber auch nur
im Johannesevangelium erwahnt wird, 2 ) kein Ort ftidlich von der Ebene
Genefareth am See genannt, auch nicht die 30 Stadien 3 ) von Tiberias
gelegene Stadt Tarichea, welche ihren Namen von dem griechifchen
Worte tarichos, Pockelfleifch, Salzfifch 4 ) hatte und deshalb fuhrte, weil von
hier aus eingefalzene oder gepOckelte Fifche in die ganze Welt verfandt
wurden. 5 ) In ihrer Nahe fpielte fich die groge Seefchlacht des jttdifchen
Krieges ab, wozu die rOmifchen Floge in der an Schiffsmaterial und
Schiffsbauern reichen Stadt gemacht wurden. 6 )
Das weftlich vom Jordantal gelegene Hugelland Galilaas bietet von
den nordweftlichen Hohen den Blick auf das alte Tyrus, von den fudweft-
lichen auf den unmittelbar zum Meere abfallenden Karmel. In diefem
Hugellande lag im Weften unweit eines Zufluffes des fich bei Haifa in
das Meer ergiegenden Kison Sepphoris (heute Saffurije), welche Stadt
Herodes Antipas neu aufgebaut und zu einer ,,Zierde von ganz Galilaa"
gemacht hatte. 7 ) 1m rOmifchen Kriege ftand die Stadt von Anfang bis
zu Ende auf rOmifcher Seite gegen ihre eigenen Stammesgenoffen. 8 ) Siid-
oftlich hiervon liegt Kan a (jetjt Kefr Kenna), 4 ') wo der Heiland Waffer
J ) Plin. N. H. 5, 15 Ant. 18,. 2, 3. B. J 4, 1, 3. Vgl. auch Sepp
I, 241 ff. u. a.
2 ) Joh. 6, 1. 23. 21, 1.
3 ) Jof. Vita 32 lagt es unentfchieden, ob die Stadt 30 Stadien nord-
lich von Tiberias lag und mit Magdala identifch ift, wie Kirchhoff undOehler
S. llff. glauben, Oder 30 Stadien ffldlich von Tiberias bei Kerak lag,
wofQr Plinius N. H. 5, 15, 71 n am Judlichen Ende des Sees" ift. Vgl.
hierfflr Sepp I, 234 ff. Buhl, Schiirer, Smith u. a.
4 ) Ober den Verfand augeritalifcher eingemachter Fifche vgl. J. Mar-
quardt, Das Privatleben der Romer L. 1886, S. 435 ff.
6 ) Strabo 16, 2, 45.
6 ) B. J. 3, 10, 9 und 6.
') Ant. 18, 2, 1.
b ) B. J. 3, 2, 4 (wo fie dftoifvim Stammesgenoffen der Juden heigen)
und 3, 4, 1. Der Ort hieg fpater feit dem 2. Jhdt. n. Chr. Diocaesarea
(vgl. z. B. Hier. Onomast. ed. Klostermann p. 17). Eufebius gebraucht
ftets im Onpm. letjteren Namen. Ober Sepphoris und feine Gefchichte
vgl. Sam. Klein, Beitrage zur Geographic und Gefchichte Galilaas Lp.
1909, S. 26-41.
) Vgl. Theodofius, De situ (p. 139): De Diocaesarea usque in
Canan Galileae milia V. De Diocaesarea usque in Nazareth milia V.
Vgl. Guerin, Galilee 1. 175 ff. Bus. Onom. p. 116 verlegt das Wunder
46 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
in Wein verwandelte. Von hier gelangt man fiber die bewaldeten Kalk-
felfen in fudweftlicher Richtung zu den ffidlichften Teilen der HGhen von
Unter-Galilaa. Hier liegt gerade oberhalb der Ebene Esdrelon in einer
Talmulde teils in der Talfohle teils an den Gehangen des Tales das alte
Nazareth (jetjt en-Nafira mit etwa 11000 Einwohnern). Von den die
Stadt umgebenden HOhen hat man, wie ich aus eigener Anfchauung weig,
eine ganz herrliche weite Ausficht, im Often auf das Jordantal, das Ge-
birge Gilead und den Tabor, im Nordweften auf den Karmel, im Weften
fieht man das wie heute von Dampfern fo damals von Tarfisfahrern
durchzogene Mittellandifche Meer bei Haifa. 1m Suden aber liegt vor
dem Befchauer die Ebene Esdrelon, wo Ifrael in den Tagen der Richter,
der KOnige Saul und Jofias und der Makkabaer fo manche Schlachten
fchlug. Hier lag am Ende der Ebene, beim Eingang des Hauptpaffes
naeh der Ebene Saron und fomit nach Agypten das alte Megiddo,')
wo Jofias von dem gegen die Babylonier ziehenden Pharao Necho ge-
fchlagen wurde, oftlich davon, wo fich das Tal zum Jordan hin offnet,
Jezreel oder Esdrelon, wo die Hunde Jezabels Leiche zerriffen, n6rd-
lich hiervon Nairn, wo der Herr den Jungling auferweckte, und mehr
nadi Often hin Endor, wo Saul den Geift Samuels rief. Im Norden von
Endor erhebt fich etwa 400 m fiber der Ebene und 562 m fi. M. der
auf den Abhangen bewaldete Tabor (Dschebel et-T6r). Von Nazareth
und uberhaupt von Sxidweft gefehen hat er die Form einer Halbkugel,
wahrend er von WNW gefehen die eines abgeftumpften Kegels hat.
Jofephus hat im Anfang des jfidifchen Krieges die groge ebene Flache
auf dem Gipfel des Berges mit einer 26 Stadien langen Mauer befeftigt.
Das Holz und Waffer dazu mugte von unten heraufgebracht werden.*)
3. Samaria.
Die Grenzen. Die Grenzen Samarias find, wenn man von dem fich in
ffidoftlicher Richtung hinziehenden Karmel abfieht, im Weften
der Sau'm der Ebene Saron, welche felbft zu Judaa gehorte,
im Norden die Ebene Esdrelon, im Often der Jordan und
im Suden Judaa. 3 ) Eine naturliche Grenze zwifchen Samaria
naeh Kana fudoftlich von Tyrus, fpatere z. B. Robinfon und Kirchhoff S. 30
nach einem zwei Stunden NW von Kefr Kenna gelegenen Ort Chirbet
Kana, den wie Robinfon behauptet, die Anwohner Kanat el-Dschelil
nennen.
') Aller Wahrfcheinlichkeit nach das heutige El-Leddschun.
2 ) B. J. 4, 1, 8. Da es dort hergt, dag auch die Anfiedler nur
Regenwaffer gehabt hatten (ai yng rot? enoixmt; povov r,v o/;^.r) meint
Guerin 1. c. p. 155, es hatten oben auf dem Gipfel einige Familien ge-
wohnt, die das Land bebauten. Allein dag die oben gewohnt hatten,
gent aus dem Texte nidit hervor.
3 ) Jofephus B. J. 3, 3, 4 fagt, Samaria fange in Ginaea (dem
heutigen Dschenin am Saum der Ebene Esdrelon) an (vgl. auch Ant. 20,
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Ghrifti und der Apoftel. 47
und Judaa gibt es nicht, und felb[t eine politifche war damals
infofefn nicht vorhanden, als die beiden Landfchaften unter
Herodes, feinem Sohne Archelaus und den romifchen Land-
pflegern zufammengehorten.
Vom Meere aus fieht die Landfchaft aus wie ein Hoch- Samaria im
land mit einem Pafe, namlich dem, in welchem zwifchen dem aiigemeinen.
868 m hohen Garizim und dem noch hoheren (938 m) Ebal
das alte Sichem liegt. Tatfachlich befteht aber das Gebirge
von Samaria (das alte Gebirge Ephraim) nicht wie das von
Judaa (Gebirge Juda) aus einem Plateau, fondern aus einer
Gruppe von Bergen, welche fowohl nach dem Meere wie
nach dem Jordan hin fchone offene Ebenen und geraumige
Taler aufweifen.
Der Boden Samarias, auch des Hochlandes ift fehr frucht-
bar, und auch heute noch in einem verhaltnismafcig guten
Kulturzuftande. Jofephus 1 ) riihmt zu feiner Zeit befonders
die durch zahlreiche Regenguffe befruchteten Baumpflanzungen
und das Weideland Samarias, fowie feinen Reichtum an
Mannern. Allein an Schonheit ift die Landfchaft mit den Ber-
gen und Ta'lern Galilaas nicht zu vergleiehen. Auch fehlten
ihr die grofeen Stragen, an denen jenes fo reich war. Die
Hauptftrafce war der Karawanenweg, welcher Galilaa mit
Jerufalem verband.
Ging man von Nazareth nach Jerufalem, fo lag Galilaa zunachft an Ortfchaften.
einem Kreuzpunkte verfchiedener galilaifcher Stragen die Grenzftadt Gi-
naa,') das heutige Dschenin, wo der fich bei Haifa am Karmel ins
Meer ergiegende Kison (jetjt Nahr el-Mukatta) entfpringt. Von dort kam
man an Dothain (Dotan) vorbei in funf Stunden nach der Hauptfladt
Sebafte, dem alten Samaria (jetjt das Dorf Sebastije). Die Stadt lag
auf einem ifolierten, etwa 100 m hohen Hugel, der die Ausficht auf.das
Meer bietet, in fruchtbarer Umgebung. Die von Johannes Hyrkanus zer-
6, 1) und endige in der Toparchie von Akrabe (das heutige Akrabatta
lag etwas nordlich von Selun, dem alten Silo). Waren die Grenzen auch
zur Zeit Jefu fo, fo hatte diefer, wenn er uber Sychar nach Jerufalem
reifte, nur etwa 8 Stunden durch famaritahijches Gebiet zu gehen. Obrigens
enthielt die Toparchie der Akrabatener, obwohl fie von der romifchen
Verwaltung zu den Toparchien von Judaa gezahlt wurde, meift famari-
tanifche Flecken. Vgl. B. J. 3. 3, 5. Plin. 5, 14, 70. Ptol. 5, 16.
l ) B. J. 3, 3, 4. Vgl. Leo Hafeli, Samaria und Peraa bei Flavius
Josephus (= Bibl. Studien, herausg. v. O. Bardenhewer XVIII. 5). Freib.
1913, S. 26 ff.
-) Ant. 20, 6, 1. B. J. 3, 34; vgl. B. J. 2, 12, 3.
48 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
ftorte, aber von dem romifchen Legaten Qabinius wieder aufgebaute ')
Stadt hatte Auguftus im Jahre 29 dem Herodes gefchenkt, 2 ) der fie neu
begrfindete, zu Ehren des Kaifers Sebafte-Augusta nannte und in ihr
einen Tempel des Auguftus erbaute. 3 ) Von hier kam man in zwei Stun-
den nach dem in einem engen, kaum 500 Schritt breiten Tale zwifchen
dem Ebal und dem Garizim gelegenen alten Sichem (Nacken, Berg-
riicken). Die Stadt wurde unter Vefpafian wieder hergeftellt und erhielt
den Namen Flavia Neapolis, woraus Nabulus, jetjt eine Stadt von 24,000
Einwohnern, geworden ift. Etwas nordOftlich von Sichem, eine romifche
Meile oder rund 1 l /z km von Sichem entfernt 4 ) lag Sychar s ) (wohl das
heutige Dorf Askar).") Zwifchen Sichem (Nabulus) und "Sychar (Askar)
lag der Jakobsbrunnen und in deffen Nahe das Grab Jofephs. 7 ) Der
Brunnen ift heutzutage 23 m tief und hat einen Durchmeffer von 2,3 m.
Auf dem fudlich von Sichem gelegenen Berge Garizim, deffen Gipfel
eine groge Plattform bildet, ftand feit dem fiinften Jahrhundert v. Chr.
der Tempel der Samaritaner, bis Johannes Hyrkanus ihn ganz zerftorte.
An der Oftgrenze Samarias, aber keineswegs immer zu diefer Land-
fchaft gerechnet, lagen mehrere in der Zeit des Herodes und des jfidi-
fchen Krieges hervorragende Orte; im Jordantal, nordlich von Jericho,
am Wege von Jericho nach Skythopolis, das von Herodes zu Ehren feines
Bruders Phasaelus benannte Phasaelis (Chirbet Fasail), wofelbft zur
Zeit des Jofephus eine groge Palmenpflanzung war. 8 ) Das von Archelaus
gegriindete Archelais lag in der Nahe von Jericho' 1 ). Die Spitje des
') Ant. 14, 5, 3. B. J. 1, 8, 4.
2 ) Ant. 15, 7, 3. B. J. 1, 20, 3.
3 ) Ant. 15, 8, 5. B. J. 1, 21, 2. Hier mordete Herodes die Mariamme
und feine zwei Sohne. Ant. 15, 7, 7; 16, 11, 7. Die Neugrflndung von
Sebafte erfolgte nach Ant. 15, 8, 5. 9, 1 im 13. Jahre des Herodes, d. h.
im Jahre 25. (Schurer, 3, 366, 8 und Otto, Herodes find fur das Jahr 27.)
Der Beweis, dag fich das Datum bei Jofephus nicht auf den unmittelbar
vorhergehenden Bericht iiber die Grundung von Sebafte bezieht, ift aber
nicht erbracht. Vgl. Gratj, Gefch. der Juden III s . L. 1905, S. 218, 2.
Vgl. fiber die Stadt Samaria-Sebaste L. Hafeli S. 4251; eine Befchrei-
bung der Ruinen von Sebastije s. bei Dalman, Palaftina - Jahrbuch II,
39 ff; fiber die Ruinen des von Herodes auf der hochften Stelle der Stadt
erbauten, dem Augustus gewidmeten, .impofanten Kaifertempels vgl.
H. Thierfch, Archaol. Jahresbericht ZDPV, 36, 1913, S. 4957.
4 ) Itin. Burdigalense p. 20: (a Sechim) passus mille.
5 ) Joh. 4, 5. Audi Euf. Onom. p. 164 unterfcheidet Sychar von Sichem.
6 ) Vgl. u. a. Smith 365-375.
J ) Jos. 24, 32.
8 ) B. J. 2, 9, 1.
9 ) Ant. 17, 13, 1. 18, 2, 2. Vgl. Guthe, in Mitteil. u. Nachrichten d.
P. V., 1911, S. 65-70.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 49
weithin fichtbaren, ficii 728 m iiber dem Jordantal und 379 m fiber dem Meere
erhebenden Karn Sartabe kronte die wahrfdieinlich von Alexander Jar-
maus erbaute, [tark befeftigte hasmonaifdie Feftung Alexandreion. 1 )
Die Bewohner der Landfchaft, weldie nach dem griedii- Die
fchen Namen der Stadt bezw. des Gebietes Samaritaner oder Samariter.
Samariter heigen, werden bei Jofephus 2 ) Kuthaer genannt,
vermutlidi weil der grogte Teil der heidnifchen Koloniften, 3 )
weldie nadi der Wegfuhrung der Bewohner des Reidhes
Ifrael in die affyrifche Gefangenfchaft in deren fruhere Wohn-
jitje gefchickt wurden und [i* dort mit den im Lande zuruck-
gebliebenen Juden vermifchten, aus Kutha in Babylonien
ftammte. Die[em Mifchvolke nun ftellten [i* audi die aus der
babylonifchen Gefangenfchaft zuruckgekehrten Juden feindlidi
gegenuber und wollten von ihrer Teilnahme an dem Wieder-
aufbau des Tempels nichts wiffen. 4 ) Im funften Jahrhundert
v. Chr. veranlafete der von den Juden feines Prieftertums
^ntfe^te Manaffes, der fich mit einer Heidin, der Toditer des
perfifchen Statthalters Sanaballat, verheiratet und zu diefem
nadi Samaria begeben hatte, daJ5 der Tempel auf dem Gari-
zim gebaut, der famaritanifche Kultus eingeriditet und von
den alttejtamentlidien Biidiern nur der Pentateudi als majj-
gebendes Budi angenommen wurde. 5 ) Sie hielten fidi fur
edite Nadikommen der Patriardien und die Vertreter des
fiditen Mofaismus.
Aber der Haft zwifdien ihnen und den Juden wudis nodi Feindfdiaft
im Laufe der Jahre. Zur Zeit Jefu gait das Wort Samariter" zwifdien Sa-
1 ) Ant. 14, 3, 4. Am Fug des Berges lag Koreae. Vgl. F. M. "^
Abel, Exploration de la Vallee du Jordan. VIII. X. Rb. 1913, 218 ss.,
fiber Phasaelis und Archelais 234-238; fiber Alexandreion 227-234.
2 ) Ant. 9, 14, 3. 11, 2, 1. 11, 4, 4. 13, 9, 1.
3 ) 4) K6n. 17, 24.
) 1 Esdr. 4, 3.
5 ) Vgl. 2 Esdr. 13, 28 mit Ant. 11, 8, 2. 13, 3, 4. 13, 9, 1. Unter
Antiochus Epiphanes ift ihr Tempel dem Zeus geweiht worden und zwar
auf Befehl des KOnigs (2 Mace. 6, 2). Jofephus behauptet (Ant. 12, 5, 5),
die Samaritaner batten, um fich den Bedrfickungen des Konigs zu ent-
ziehen, felbft, als fie fahen, wie es den Juden ging, den Konig gebeten,
ihren Tempel dem griediifdien Zeusweihen zu dfirfen, und vorgegeben,
fle feien Sidonier. Jedenfalls wird weder im Neuen Teftament, nodi bei
den Vatern den Samaritern der.Vorwurf des QO^endienftes gemadit. In
<ier Z. d. m. G. 62. Bd. Leipz. 1908, S. 209-279 hat M. Qafter den von
ihm entdeckten hebrSifdien Text des Buches Jofue in famaritanifdier Re-
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 4
Juden.
50 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
bei den Juden als Sdiimpf wort x ) und der Samariter felbft
als ,,Fremdling". 2 ) Man nahm nicht einmal einen Trunk
Waffers von ihnen an. 3 ) Sie hingegen verfchloffen den Juden
erft recht ihre Haufer 4 ) und griffen gelegentlieh nadi Jeru-
falem ziehende Karawanen galilaifcher Juden tatlich an. 5 ) Es
kam vor, daft einige Samariter, nur um die Juden zu argern,
nach Anbruch des Ofterfeftes Totengebeine in den Tempel
zu Jeru[alem warfen, fo dafc die Feier unterbrochen werden
mufcte, weil fonft das Volk unrein geworden ware. 6 )
Es ift aber auch zwifchen den Samaritanern und den
Romern zu blutigen Zufammenftofeen gekommen, namentlich
als Pilatus im Jahre 35 eine Zufammenrottung der Sama-
riter, denen ein Betruger auf dem Garizim angeblich die
dort von Mofes verborgenen Tempelgefafce zeigen wollte,
mit Gewalt verhinderte. 7 ) Im judifchen Kriege befe^ten Sama-
riter den Berg Garizim, wurden aber von einem Tribunen
Vefpafians niedergemacht. 8 )
Die Sprache Die Spradie.der Samariter 9 ) war im wefentlichen die-
der felbe femitifche Mundart, wie fie auch fonft in Palaftina nach
Samariter. dem Exil gefpro^gn wur de. Wie man aber die Galilaer an
der harten Ausfprache ihres Idioms erkannte, fo die Sama-
zenpon befprochen und herausgegeben: Das Buch Jofua in hebraifch-
famaritanifdier Rezenfion. Entdeckt und zum er[ten Male herausgegeben.
Es handelt fich um eine Bearbeitung des Textes, der vielfach verkurzt,.
aber auch wieder durch Einfchiebung von Gebeten und Gefangen erweitert
ift. Kap. 1621 enthalten als Zufatj die Sage vom Kampfe Josuas mit
Sebobach. Allein felbft alle in Europa vorhandenen Handfchriften des
hebraifchen Pentateuchs der Samaritaner gehoren erft dem zweiten chrift-
lichen Jahrtaufend an. Vgl. Der hebraifche Pentateuch der Samaritaner,.
Hrsg. von Aug. Frhrn. v. Gall, 5 Teile, Giegen 19141918. I. Teil, Prole-
gomena u. Genefis, Giefcen 1914. Vgl. auch Theol. Ltztg. 1915 Nr. 25/26
Sp. 533-636.
') Joh. 8, 48.
2 ) Luc. 17, 18.
3 ) Joh. 4, 9. -
*) Luc. 9. 53.
) Ant. 20, 6, 1 ff. B. J. 2, 12, 3 ff. Vgl. Tac. Ann. 12, 54.
6 ) Ant. 18, 2, 2. '.
7 ) S. u. Kap. 3, 2.
) B. J. 3, 7, 32.
'') Vgl. H. Petermann, Brevis linguae Samar. grammat. etc. Berol 1873.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 51
riter an ihrem weidien, die fcharfen Kehllaute vermeidenden
Dialekt. Die Spradie gehort aber, feitdem im fiebenten Jahr-
hundert die Mohammedaner das Gebiet okkupierten und das
Arabifdie einfflhrten, zu den toten.
Heutzutage gibt es nur nodi etwa 200 Anhanger der
alten Samaritanerfekte, welche in einem befonderen Quartier
in Nabulus wohnen. 1 )
4. Judaa.
Der Name Judaa, weldier bisweilen ganz Palaftina be-
zeidinet, 2 ) ift der gewohnliche, aus der Schrift bekannte Aus-
druck fiir die fiidlich von Samaria gelegene Landfchaft. Diefer
Teil ift feiner Natur nadi der unfruchtbarfte und unfchonfte
Teil Palaftinas, trocken und fteinig. Es ift ein fchmales Land,
weldies fich von Samaria im Norden 3 ) bis zur petraifch-
arabifchen Wiifte im Siiden und vom Jordan im Often bis
zum Mittelmeer im Weften erftreckt.
Die Mitte, gewiffermafjen das Riickgrat des Landes, bildet Der
das einformige felfige Tafelland, weldies fidi von 2 3000f tenJudaas -
Fufc u. M. erhebt und 46 Stunden breit und etwa 12 Stun-
den lang ift. Gegen Often finkt das Land, von dem man an
vielen Punkten, z. B. von Bethel, von Jerufalem, von Beth-
lehem in die Tiefe des Jordantales und des Toten Meeres
hinabfieht, rafch von feiner Hone bis zu einer Tiefe weit
unter dem Meeresfpiegel. Ober diefe weg fieht man auf der
andern Seite des Toten Meeres die faft ununterbrochene
Linie des kahlen, hohen und abfchuffigen Gebirges Moab
mit dem Nebo, von wo aus Mofes kurz vor feinem Tode
') Vgl. z. B. den Artikel von Fell, Samaritaner im Kirchenlexikon-
10, 1655 ff. Zu den dort Sp. 1666 f. erwShnten gefchichtlichen Biidiern
ware hinzuzuffigen: Une nouvelle chronique samaritaine ed., avec une
traduction francaise, par Elkan Nathan Adler et M. Seligsohn. Paris 1903.
Vgl. dazu Clermont-Ganneau, Recueil 6, 85-107. Die Liturgie der
Samaritaner in ihrem ganzen Umfang hat A. E. Cowley, The Samaritan
Liturgy. 2 vols. Oxford 1909 bekannt gemadit. Vgl. daruber W. Bacher,
Theol. Lz. 1910, 22, 680682.
*) Luc. 23, 5. Apg. 10, 37. 26, 20. Jof. Ant. 1, 7, 2, auf den Munzen
Vefpafians etc. Vgl. Reland p. 24. ff.
3 ) Jofephus B. J. 3, 3, 5 erwahnt als ndrdliehen Qrenzort das Dorf
Anuath mit dem Beinamen Borkeps, als {udlidien das Dorf Jardas.
52 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefehichte der Juden etc.
das Gelobte Land fchaute. Es ift, als ob man von einer Berg-
fefte in eine furchtbare Tiefe und daruber weg gegen eine
furchtbare Mauer fchaute. Von Jerufalem bis zum Jordan
und dem Toten Meere geht man 4000 Fug hinunter und
ebenfo hodi mufcte man wieder hinauf, um auf der andern
Seite auf die Hodiebene von Moab zu kommen.
Die Die felfige Abdadiung Judaas im Often zum Toten Meere
wafte Jud a- bin ift eine wafferlofe, 5 8 Stunden breite, nur ab und zu von
etwas niedrigem Bufchwerk und Dornftrauchern bewachfene
fandige, ode Wufte. Audi das Hodiland felbft ift teils Wfifte,
teils oft mit wenig Griin bewachfene Weide, fo daft das Land
von vornherein zu einem Hirtenland beftimmt ift. Die Be-
wohner Judaas hatten damals wie heute die Wufte und da-
mit das Verderben fozufagen vor ihren Toren. Tatfachlich ift
die Wiifte von Hebron, Bethlehem oder Jerufalem nur 2 Stun-
den entfernt.
Der letjte grime Or.t, den der von Jerufalem nordoft-
lich nadi Jericho Reifende jieht und fah, war das nur 3 /4 Stun-
den von Jerufalem gelegene Bethanien. Von da an zieht
fich der faft ftets fallende Weg fiber fiinf Stunden lang zwi-
fchen kahlen Kreidefelfen durch eine ganz wafferlofe, men-
fchenleere Gegend hin. Damals war Jericho, welches in der
Nahe einer ftarken, fur die Bewafferung der Fluren fehr
dienlichen und auch auf einer grojjen BodenflSche dazu be-
nutjten Quelle lag, noch die weltbertihmte Palmenftadt, 1 )
deren gottgefegneter Boden die feltenften und koftbarften
Erzeugniffe der Natur hervorbrachte, namentlich auch Bal-
fam. 2 ) Hier ftarb Herodes, und hier kehrte der Heiland, als
die Stadt unmittelbar unter romifcher Verwaltung ftand, in
das Haus des Zachaus 3 ) ein.
Am Weftufer des Toten Meeres lag in einer Oafe der
Wufte Engaddi (jetjt Ain Dfdiidi), ein nur von einigen Ara-
bern bewohnter Ort, deffen Weinberge das hohe Lied preift 4 ),
und 4*/2 Stunden fudlich hiervon die von dem Makkabaer
Jonathan auf einem Felskegel 519 m fiber dem Toten Meere
Jericho.
Engaddi.
Masada.
>) S. oben S. 31.
2 ) S. die begeifterte Schilderung von Jof. B? J. 4, 8, 23. Plin. 12, 25.
8 ) Luc. 19, 2.
*) 1, 13. Vgl. Plin. N. H. 5, 17 fiber die Palmenhaine von Engaddi.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 53
gebaute Feftung Mafada (heute es-Sebbe), welche Herodes
fpater noch mehr befeftigte und in der fich noch fpater die
hierin geflohenen letjten Refte der Sicarier, als die Romer
felbft dies Felfenneft eroberten, den Tod gaben. 1 )
Im Suden war JudSa von Asypten und Arabien durch Der Suden
Edom oder Idumaa getrennt gewefen. Urfprunglich wohnten
die Idumaer im Gebirge Seir, fiidlich vom Toten Meere bis
zum Meerbufen von Akaba. Ihre Hauptftadt war Sela oder
Petra, die fpatere Hauptftadt der Nabataer. Seit dem baby-
lonifchen Exil hatten fich aber die Idumaer in dem entvolker-
ten Lande Juda niedergelaffen und wohnten im fudlichen Teile
JudSas. Unter ihnen war der Hellenismus fehr verbreitet. 2 )
Allein fie wurden im Jahre 125 v. Chr. von Johannes Hyr-
kanus ganzlich unter worf en und zurBefchneidung gezwungen. 3 )
Seit der Zeit wurden fie von einem judifchen Prafekten, der
in Gaza feinen Sitj hatte, regiert. Ffir die hier behandelte
Zeit ift fomit zwifchen Idumaa und JudSa geographifch kein
Unterfchied zu machen, wie auch politifch die Idumaer im judi-
fchen Kriege auf feiten der Juden gegen die Romer fochten.
Die . ffidlichfte Stadt des alten ifraelitifchen Gebietes fiber- Beerfeba.
haupt ift das fdion in der Patriarchenzeit vielgenannte Beer- Hebron -
seba (Chirbet Bir es-Seba), fo daft das Alte Teftament das
heilige Land von Dan bis Beerseba" fich erftrecken lafct. 4 )
Die Stadt lag an dem Karawanenweg, der von Agypten nach
Hebron fuhrte, der Stadt, wo fchon Abraham unter den Eichen
des Amoriters Mamre fein Zeit auffchlug, 5 ) wo David fieben
Jahre lang refidierte. 6 ) Im judifchen Kriege ift die Stadt von
den Romern verbrannt worden und wurden ihre Einwohner
getotet.
') B. J. 7, 8, 3. 7, 9, 1. Vgl. Lagrange, Excurfion a Sebbe Rb. Ill
(1894) 263-76.
2 ) Beweis dafiir bieten u. a. die jfingft ausgegrabenen Grabanlagen
mit Malereien und Infdirifien in dem idumSifchen Marisa, dem heutigen
Tell Sandahanna bei Eleutheropolis oder Bet Dschibrin (vier Stunden
nordweftlich von Hebron). Vgl Peters and Thierfdi, Painted Tombs in
the Necropolis of Marissa. London 1905. Vgl. Sdiurer II, 4, 8.
3 ) Ant. 13, 9, 1. B. J. 1, 2, 6.
4 ) Richt. 20, 1. 1 K5n. 3, 20. 2 K6n. 3, 10 etc. Im Griechifchen
wie in der Vulgata heifet die Stadt Berfabee.
ft ) Gen. 13, 18. 14, 13. 23, 17. 19.
6 ) 3 K6n. 2, 11.
54 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
Nach Weften bildete das Mittellandifche Meer die natur-
liche Grenze Judaas, wenngleich die Kuftenebene fehr oft
den Juden nicht gehort hat. Die Weftgrenze von Judaa im
engeren Sinne bildete der Saum des Hochlandes. Damals
aber {tand auch die Kiifte und das ganze Unterland unter
romifcher Herrfchaft.
Die pho- Die phonizifchen Stadte Sidon und das etwa fieben Weg-
mzifche Kufte. jtunden fudlicher gelegene Tyrus find nie in den Handen der
Hebraer gewefen. Sie waren damals ,,ebenfo beriihmt und
reich als fruher; weldie von beiden man die Hauptftadt
Phoniziens nennen foil," fagt Strabo, *) ,,ift fchwer zu entfchei-
den." Uberall waren nodi die Gla[er und Parfumerien von
Sidon gefucht, 2 ) wahrend die Purpurfarbereien, Webereien
und Metallarbeiten von Tyrus noch inrmer der Stadt grofjen
Reichtum verfchafften. 3 ) Aber wenngleidi Jefus auch bis in
das Gebiet von Tyrus und Sidon gekommen iff, 4 ) fo hat er
doch nicht hiergepredigt,.ebenfowenig wie in dernur2 1 /sWeg:-
[tunden vom Karmel entfernt liegenden alten heidnifchen Pho-
nizierftadt Akko, Ptolemais oder Akka. 5 ) Wohl aber hat der
heilige Paulus fowohl Tyrus wie Akka befucht, 6 ) ein Zeichen,
dag das Chriftenium fruh dorthin gekommen ift. Haifa
aber, welches im Siidwinkel der Bucht von Ptolemais an der
Miindung des Kifon am Fuge des Karmel liegt und heut-
zutage von Jahr zu Jahr an Hafenverkehr wie an kommer-
zieller Bedeutung zunimmt, wird in jener Zeit iiberhaupt nie
genannt.
Sudlich vom Karmel bietet die fteile Kufte fiir einen
grofeen, guten Hafen keinen Raum, zumal auch die parallel
! ) 16, 2, 22.
2 ) Strabo 16, 2, 25.
3 ) Strabo 16, 2, 23.
4 ) Marc. 7, 24. Vgl. auch Matth. 11, 21 f. Luc. 10, 13.
s ) Hier ift der Makkabaer Jonathan verraterifdierweife von Tryphon
gefangen genommen worden. 1 Mace. 12, 45 ff. Seitdem der Kaifer
Klaudius im Jahre 54 in der Stadt eine Veteranenkolonie angefiedelt
hatte, hieg fie Colonia Ptolemais. S. Plin. 5, 19, 75. Vgl. fiber die Na-
men, Aren und autonomen Mfinzen der Stadt von 198 v. Ghr. bis 54
n. Chr. Rouvier, Ptolemais-Ace. Rb. VIII (1899), p. 393-408. W. Ku-
bitfchek, Zur Gefch. der Stadte des rOm. Kaiferreidies. Epigraph, numis-
mat. Studien 1. Heft, Wien 1916, 80 ff.
6 ) Apg. 21, 3 ft. 21, 7.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Juden. 55
mit der Kiifte laufende Stromung Sand und Nilfchlamm zum
Norden bringt, und dadureh die wenigen kleinen Flujgchen
an d.er Mundung verftopft. 1 ) So ift es gekommen, daft die
Ifraeliten nie wie die Phonizier zu Seefahrten fich hingezogen
fuhlen konnten.
Der einzige kleine ifraelitifche Hafen, der aber fur die Joppe.
Einfahrt damals 2 ) geradefo wie heute viele Schwierigkeiten
und Gefahren bot, war Joppe, das heutige Jafa. Diefen er-
langten aber die Ifraeliten erft durch die Makkabaer, nament-
lidi durdi Simon Makkabaus, der urn das Jahr 144 v. Chr.
eine jiidifche Befatjung in die Stadt legte und Joppe befeftigte. 3 )
Allerdings hat fpater Pompejus die Stadt wieder den Juden
abgenommen und fie zu einer freien erklart, 4 ) aber fchon
Cafar gab ihnen die Stadt wieder. 5 ) Da auch Auguftus die
Anfpruche der Juden anerkannte, 6 ) blieb fie nun feit Hero-
des mit Judaa vereinigt und trug bis zum Feldzug des Vefpa-
fian einen unvermifcht jiidifchen Charakter. 7 ) Geographifch
der haturliehe Hafen von Jerufalem, mit dem fie auch heute
durch die erfte in Palaftina gebaute Eifenbahn verbunden ift,
war es fehr bezeichnend, dajj gerade hier, wo allein die
Moglichkeit auf Verbreitung des chriftlichen Glaubens von Pa-
laftina nach dem Weften fich bot, Petrus das Geficht von den
reinen und unreinen Tieren, die er effen follte, hatte. 8 )
Etwa zehn Stunden weiter nordlich lag Stratons-Turm, Cafarea.
welchen Ort mit Joppe, Gaza u. a. Herodes von Auguftus
erhalten hatte. 9 ) Diefen Ort, der einen kleinen naturlichen
Hafen hatte, Heft Herodes zu einer herrlichen Stadt ausbauen
und grofcartige Hafendamme dort anlegen. 10 ) Zu Ehren des
; ] ) Ant. 1.5, 9, 6, ; :.
. 2 ) B. J. 3, 9, 3.
3 ) 1 Mace. 12, 33 f. 13, 11. 14, 5.
*) Ant. 14, 4, 4. B. J. 1, 7, 7. . .
6 ) Ant. 14, 10, 6.
) Ant. 15, 7, 3. B. J, 1, 20, 3.
7 ) Sie kam an Ardielaus Ant. 17, 11, 4. B. J. 2, 6, 3. Ober die
antirOmifche Haltung der BevGlkerung im Kriege \. B. J. 2, 18, 10.
3 >9, 2-4.
*) Apg. 10, 9 ff. . iv ..'...-.
9 ) B. J. 1, 20, 3. ,;oL
) Ant. 15, 9, 6. 16, 5, 1. B. J.-. 1-, 21, 5-8.
10
56 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefdiidite der Juden etc.
Kaifers nannte er den Hafen Sebastos Limen, 1 ) die Stadt
aber, die er audi mit einem weithin fichtbaren Tempel des
Auguftus und der Roma fchmiickte, 2 ) Cafarea. Bald wurde
die vorwiegend romifche und heidnifche Stadt 3 ) politifch die
bedeutendfte Stadt Palaftinas. In ihr refidierten die romifchen
Prokuratoren. 4 ) In ihr erfullte fidi durch die Aufnahme des
Heiden Kornelius in die Kirdie die Vifion des heiligen Petrus,
Hierhin kam Paulus von Ephefus her. Hier war er gefangen
und von hier aus fuhr er naeh Rom.
Nordlich von Cafarea fuhrt die fdimale Kuftenebene
weftlidi vom Karmel bis nadi Haifa und weiter nach Pto-
lemais und Tyrus. Sudlich aber erftreckt fich von Cajarea
bis nach Joppe und dem fudoftlich davon gelegenen Lydda
ein durchfdmittlidi drei bis vier Stunden breiter und frucht-
barer Kuftenftrich, die Ebene Saron, welche ihrerfeits fudlich
von Joppe ihre Fortfetjung in der nach Gaza fuhrenden
Lydda und Ebene Sephela findet 5 ) Lydda, das alte Lod, der Grenzort
die Phiiifter- der Juden nach dem PhiHfterlande hin, war in romifdier
Jtadte - Zeit eine echt jOdifche Stadt. 6 ) Die alten Philifterftadte Gaza, 7 )
') Ant. 17, 5, 1. B. J. 1, 31. 3.
2 ) Ant. 15, 9, 6. B. J. 1, 21, 7.
3 ) B. J. 3, 9, 1.
4 ) Audi Agrippa 1. refidierte hier. Tac. Hist. 2,78 nennt die Stadt
als Repdenzftadt M Judaeae caput". Hier war audi die Hauptgarnifon der
den Prokuratoren unterftehenden Truppen. B. J. 2, 12, 5 etc., vgl. audi
Apg. 23, 23. 24, 27. 25. 1.
5 ) Ober die Kfiftenftrafte von Sidon bis Gaza und weiter vgl. auch
Thomfen, Palaftina nadi dem Onomaftikon des Eufebius ZDPV XXVI
(1903, S. 97 ff., 145 ff.) 170-173.
) Vgl. Ant 14, 11, 2. 10, 6. B. J. 1, 11, 2. 4, 8, 1. Die Stadt
hieg fpater unter Septimius Severus Diospolis und wurde ganz heidriifdi
gemadit. Vgl. Sdilatter, Zur Topographic und Gefchichte Palaftinas.
Calw u. Stuttg. 1893, S. 29 43.
7 ) Die heute etwa 40000 Einwohner zahlende Stadt (vgl. zur Ge-
fdiidite der Stadt Stark, Gaza und die philiftaifdie Kflfte, Jena 1852 und
Martin A. Meyer, History of the city of Gaza from the earliest times to
the present day, New-York 1907), weldie fdion Gen. 10, 19 erwahnt ift
und als Hauptfabrikationsort der nadi ihr n Gaze" genannten dQnnen,
luftffihrenden Gewebeftoffe mittelbar auch unferm von n Gaze" abgeleite-
ten OT Gas" den Namen gegeben hat (vgl. Waldeyer Feftrede K. A. d. W.
Berlin 1897 p. 24), verdankt ihre Bedeutung ihrer Lage am Rande der
agyptifdien WOfte. Acht Tage lang mufcte der Reifende von Agypten
1. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Juden. 57
Anthedon, 1 ) Askalon, 2 ) Azotus, 3 ) Ekron war eine judifche
Stadt geworden 4 ) und Jamnia, das altteftamentliche Jabne,
waren griechifche Stadte, die fdion feit Alexander d. Grofcen
unter griediifchem Einflufc ftanden. Jamnia hatte einen gleich- Jamnia.
nach Syrien durch den Sand, bis man zu dem erften grogeren Ort Gaza
kam. n Oaza is the outpost of Africa, the door of Asia". Smith p. 184-
Es gab eine befondere Ara von Gaza, die mit dem 28. Oktober 61 v. Chr.
begann. Siehe daruber Clermont-Ganneau, Arch. Researches II, 400 ff.
und Recueil VI (1903), p. Ill s. Vgl. auch Schurer II, 116, 89. - Gaza
wurde von dem Makkabaer Alexander Jannaus erobert und zur Wufte
gemacht. Ant. 13, 13, 3. B. J. 1, 4, 2. Nach Strabo 16, 2, 30 blieb fie
Wufte (filvovaa s(ii}t*o<;.) Unter dem rOmifchen Feldherrn Gabinius wurde
die Stadt wieder aufgebaut (Ant. 14, 5, 3), aber an einer andern Stelle
(Hier. Onom. ed. Kloftermann, p. 63). Auguftus gab die Stadt dem
Herodes (Ant. 15, 7, 3. B. J. 1, 20, 3), nach deffen Tode fie als ,,grie-
chifche Stadt" (Ant. 17, 11, 4. B. J. 2, 6, 3) mit der Provinz Syrien
vereinigt wurde. In der Apg. 8, 26 wird nidit gefagt, dag Gaza (Alt-
Gaza) WQfte war, was an fich nidit unrichtig ware, fondern es wird
vielmehr von dem Wuftenweg von Jerufalem nach Gaza geredet, vgl.
Felten, Apoftelgefdiichte, Freib. 1892, S. 177. Von Gaza mug der Hafen-
ort Gaza (rafaiwv iinijv Strabo 16, 2, 30) unterfchieden werden, der von
Konftantin d. Gr. zur Stadt erhoben wurde (Bus Vita Const. IV, 38)
und den u. a. auch Theodosius De situ, p. 138 unter dem Namen Ma-
joma (Hafenort) erwahnt. Vgl. fiber Gaza und feine Umgebung auch
G. Gatt, Das HI. Land, 1917, 4, 204-209. Es wird von G. Gatt Das
HI. Land 58 Jahrg. 1914, 1, 49-51 (vgl. auch ebd. 61. Jahrg. 1917,
S. 206 f) auf Grund eines anonymen geographifchen Fragments in
Geographiae scriptores Graeci minores, ed. Hudson (Oxon. 1717) IV, 39:
oc T 'Ptvoxopov^a ij via. JTce'Ca xeirat nokt? oioa, *ai avrij, ei&-' 17 ifp^oe
afa, etza rj 'A<s*d).<av jzoitc; (vgl. auch SchOrer II, 114, 79) vermutet, es mflffe,
da hier nachdrQcklich hervorgehoben werde, dag auch das neue Gaza eine
Stadt war, das t^t*o? Fd^a. erft recht eine Stadt gewefsn fein. Somit
bedeute der Zufa ep^o? hier weder wQfte noch verlaffen, fondern
terrestris, auf xlem Lande gelegen, bezeichne alfo die Landftadt Gaza im
Gegenfatj zur Seeftadt. Allein diefe Bedeutung von c'e^o? = terrestris
ifl nidit nachgewiefen. Oberdies kannte, felbft wenn fie richtig ware, hier
an den frQheren Zuftand des nun n wfiften u Alt-Gaza gedacht fein.
1 ) Der von Jofephus oft erwahnte Ort lag zwifdien Gaza und As-
kalon (Theodosius, De situ ed. Geyer, p. 138). Gatt (ZDPV VII 1884,
p. 5-7; vgl. auch N6ldeke und Gildemeifter, ebd. 140 -142) identifiziert ihn
mit einigen, etwa 25 Minuten nOrdlidi vom Hafen von Gaza gelegenen
Ruinen, welche die Eingebornen Teda nennen. Dag der Ort am Meere
lag, ergibt fich aus Jos. Ant. 13, 15, 4. 18, 6, 3. B. J. 1, 21, 8.
2 ) Die Bedeutung der alien Philifterftadt druckt fchon die Klage
Davids uber den Toe' Sauls aus: Madiet es nicht kund in Geth und ver-
58 Er[ter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
namigen Hafen, 1 ) deffen Trummer eine Stunde nordweftlich
vom heutigen Jebna liegen. 2 ) Zur Zeit Chrifti waren die
Einwohner der Stadt, welche Herodes feiner Schwefter Sa-
lome vermachte, 3 ) die ihrerfeiis fie wiederum der Kaiferin
Livia fchenkte, 4 ) vorwiegend Juden. 5 ) Der Ort erhielt be-
kiindigt es nicht in Askalons Strafcen, damit fich nicht freuen die Tochter
der Philifter und nicht jubeln die Tochter der Unbefchnittenen (2 KOn. 1, 20).
Die Stadt (nebenbei bemerkt die Heimat einer befonderen Art von Zwie-
bel, der Schalotte, woruber fchon Plinius N. H. 19, 6 und-Strabo 16, 2, 29
berichten, vgl. Reland, p. 439) lag wie das heutige Askalon am Meere,
da auch Ptolemaus 5, 16, 2 von ihr als Kiiftenftadt fpricht. Allerdings
wird im Jtin. An. Plac. p. 180 im 6. Jahrhundert Askalon von einem
Hafenort Majuma Ascalonis unterfchieden. 1m Jahre 104 v. Chr. machte
fich die Stadt von den Seleuciden unabhangig und datiert von dem
Jahre eine eigene Zeitrechnung (vgl. Chron. paschale zu Olymp. 169, 1,
d. h. zum Jahre 104 v. Chr. ed. Dindorf 1, 346; Schwartj in GGN. 1906,
S. 342345; Schurer II, 121 f). Herodes [der in Askalon geboren war],
lieg in der Stadt, obwohl fie nicht ihm gehorte, prachtige Bader und
Brunnen bauen, B. J. 1, 21, 11. Philo, Leg. ad Cajum 30 (ed M. II,
576) fpricht von der dauernden Feindfchaft Askalons gegen die Juden.
Dag aber eine ziemlich ftarke Zahl Juden zur Zeit Vefpafians dort unter
den Heiden wohnte, fieht man aus B. J. 2, 18, 5. Nach dem Tode des
Herodes hatte Auguftus den Konigspalaft zu Askalon der Salome, Hero-
des' Schwefter, gefchenkt. Jos. Ant. 17, 11, 5. B. J, 2, 6, 3. Vgl. fiber
die Lage der Stadt Askalon den archaolog. Jahresberieht von H. Thierfch
ZDPV, 37, 1914, S. 67-73 und dazu Tafel XXXIII, 4-10 (Mtinzen).
3 ) Azotus Oder Asdod (jetjt Esdud mit 4-5000 Einwohnern), halb-
wegs an der Strage von Gaza nach Joppe gelegen, hatte am Meere
(1 Stunde weftlich) einen Hafenort (auch auf der Mofaikkarte von Madaba
wird " A^wroq naydLas und 'Aa3<[3 q vvv "Ao>Tos] unterfchieden. Vgl. die
Ausgabe von Schulten, Abhandlungen der Gott Gef. d. W. N. F. Bd. IV,
Nr. 2, 1900, S. 20, 21. Schurer II, 125, 127). Von den Makkabaern wurde
fie zerftort (1 Mace. 10, 84. 11, 4)j von Gabinius aber neu aufgebaut
(Ant. 14, 5, 3. B. J. 1, 8, 4). Nach dem Tode des Herodes erhielt feine
Schwefter Salome die Herrfchaft fiber Azotus. Ant. 17, 8, 1. 11, 5. B, J.
2, 6, 3. Philippus hat. hier gepredigt. Apg. 8, 40.
') Ekron, welches mit dem weftlich von der Eifenbahn, die.von Jafa
nach Jerufalem fuhrt, gelegenen Akir identifiziert wird, war von den Sy-
rern den Makkabaern ubergeben worden (1 Mace. 10, 89) und war im
erften Jahrhundert eine gut judifche Stadt.
J ) Vgl. Plin. N. H. 5, 13, 68: Jamheae duae, : .altera.intus.
. 2 ) Badeker, S. 145. . :, . :
3 ) Ant. 17, 8, 1. 11, 5. B. J. 2, 6, 3..
... .. *) Ant.. 18, 2, 2. B. J. 2, 9, 1.
.. , 5 ) Philo, Leg. ad Caj. 30,
1. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 59
fondere Bedeutung nach der Zerftorung Jerufalems als
einer bluhenden rabbinifchen Sdiule. 1 ) Jamnia liegt anmutig
im Sorektal (Wadi es-Sarar), durch welche heutzutage die
Eifenbahn von Jafa nadi Jerufalem fiihrt. Oftlich von der
Eifenbahn liegt die ausgedehnte Ruinenftatte Tell Dschezer,
auf der Stelle der im Alten Teftamente haufig genannten
Stadt Gezer, Gazer oder Gazara, welche die Konigsftadt der
Kanaaniter vor der Ankunft der Ifraeliten war 52 ) und auch
noch in der Makkabaerzeit als wichtige Fe[tung eine Rolle
gefpielt hat. 3 ) Gezer liegt gerade 6 km nordojtlich von
dem altteftamentlichen, in den Makkabaerbiichern oft er-
wahnten Orte Emmaus, 4 ) dem heutigen Amwas, welcher Ort
oft mit dem neuteftamentlichen Emmaus identifiziert wird. 5 )
') S. u. 8. Kap.
*) Jos. 10, 33. 12, 12.
3 ) 1 Mace. 4, 15. 7, 45. 9, 52. 13, 54. 14, 7. 15, 28. 16, 1. 2 Mace.
10, 32 In Ant. 12, 7, 4. 14, 5, 4. B. J. 1, 8, .5 heigt der Ort Gadara.
Vgl. auch Strabo 16, 2, 29 u. 45. Ober die Ruinenftatte vgl. Clermont-
Ganneau, Arch. Researches II, 1896, p. 224275 und im Recueil III,
116126 u. 264268. Vgl. auch R. A. Macalister, The excavation of
Gazer 1902-5 und 19079. 3 vols. Ld. 1912.
') 1 Mace. 3, 40. 57. 4, 3-25. 9, 50 f. Vgl. Jos. Ant. 13, 1, 3.
Der Ort wurde mit andern von Caffius 44 v. Chr. feiner Selbftandigkeit
beraubt (Ant. 14, 11, 2 B. J. 1, 11, 2), war aber fpater Si<3 einer Toparchie
(B. J. 3, 3, 5). Vefpafian hat im jiidifchen Kriege dort ein feftes Lager
errichtet (B. J. 4, 8, 1). Deshalb wurde Emmaus zur Erinnerung an die
Siege der Romer von diefen, als fie um 220 die Stadt wieder aufbauteri,
auf Betreiben des Julius Africanus Nicopolis genannt, vgl. Euseb. Chren.
ed Schoene 11, 178 sq. Nach dem Pilger von Bordeaux p. 25 lag Jeru-
falem von Nicopolis 22 r&mifche Meilen, d. h. 176 Stadien oder 31 km
entfernt.
5 ) Dies gefchieht auf Grund einer fchon durch den Cod. Sinaiticus
bezeugten Lesart in Luc. 24, 13, wonach die Entfernung ^mdiov? ixartlv
igtjxuvra" 160 Stadien betragen habe, wahrend allerdings die alexandri-
nifche und vatikanifche Handfchrift mit vielen andern, wie auch die Vul-
gata nur ,,60 Stadien" angeben. Auch Euseb. Onom. p. 90 und Hier.
Onom. p. 91, ep. 108, 8 u. 6. fehen Nicopolis fur das neuteftamentliche
Emmaus an; ebenfo Sozomenus H. E. 5. 21 und Theodofius, De situ
p. 139: Emmau, quae nunc Nicopolis dicitur ... in qua Emmau sanctus
Cleopas cognovit Domnum in confractione panis. Vgl. befonders M.
Schiffers, Amwas, das Emmaus des hi. Lukas. Freib. 1890 und ebd. im
Katholik 1893 I. 337 ff., 398 ff. und ebd. Rb. II. (1893) 2640. S. auch
Heidet, Das HI. Land, Jahrg. 55, 1911, S. 211-216. Jos. B. J. 7, 6, 6
erwahnt ein 30 (vgl. Niefe auf Grund von 6 Handfchriften ; nur eine
Gezer,
Gazara.
Emmaus.
60 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchidite der Juden etc.
Zu den Orten Judaas, wekhe durch grofeere Fruditbar-
keit ausgezeidmet find, gehort Bethlehem. Schon der hebr.
Bethlehem. Name Bethlehem = Brotort, ubrigens audi ein prophetifcher
Name des Ortes, an weldiem ,,das Brot des Lebens" vom
Himmel herabftieg, weift auf die Fruditbarkeit hin. Audi
heutzutage wadifen in der Umgebung des freundlidien, jetjt
etwa 12000 meift diriftlidie Einwohner zahlenden Ortes
Oliven, Granaten, Mandeln, Feigen und Trauben. Die grofete
Merkwiirdigkeit des Ortes ift die aus konftantinifdier Zeit
[tammende fiinffchiffige ehrwurdige Marienkirche mit der
Kapelle der Geburt Jefu. Nocii fruditbarer als das 8 km
von Jerusalem entfernt liegende Bethlehem ift der heutzutage
von den lateinifchen und griediifchen Pilgern viel befudite
lieblidie Ort St. Johann im Gebirge (Ain Karim), wo fidi
eine Niederlaffung der von P. Ratisbonne geftifteten Kongre-
gation Unferer Lieben Frau von Sion befindet.
Der oiberg Hier find wir nur nodi. 6 1 /* km von Jerufalem entfernt.
Auf der Hohe des Weges ift der Olberg fiditbar, ein oftlich
von Jerufalem gelegener Bergzug, weldier durdi zwei fladie
Einfattlungen in drei von Nord nadi Sfld nur wenig abneh-
mende Kuppen geteilt ift. Gewohnlidi verfteht man aber
unter dem Olberg nur die 812 m 20 ii. M. hohe mittlere
Kuppe, weldie fidi 60 m fiber den Tempelberg erhebt. Von
hier, wo der Heiland oft weilte, 1 ) fieht man auf die Stadt
hat tifxovra) Stadien von Jerufalem entfernt liegendes Ammaus
o Ko/UtTdt pev 'Aftftaovs, welches 800 Veteranen Vefpafians *?
gegeben worden fei). Diefes Ammaus ift vielleicht mit dem nordweftlidi
von Jerufalem an der Strafte nadi Jafa gelegenen Dorfe Kalonije identifdi.
In letjterem wollen Sepp u. a. das neuteftamentliche Emmaus finden
(vgl. Sepp, Jerufalem 2 I, 54-73, Buhl 166 f. und 186; SdiQrer I, 640,
142 etc.). 1m Mittelalter hat man das heutige mohammedanifdie Dorf
el-Kubebe als Emmaus angefehen, welches allerdings, was die Entfernung
angeht (64 Stadien, d. h. etwa 3 Stunden nordweftlidi von Jerufalem),
zu dem Texte des Lukas paffen wurde. Fur el-Kubebe find auch u. a,
Holzammer, Art. Emmaus im Kirchenlexikon 4, 446, P. Barnabe, Deux
questions d'arch^ologie Palestinienne: I. L'glise d'Amw^s, 1'Emmaus-
Nicopolis. II. L'Eglise de Qoufoeibehj 1'Emmaus de S. Luc. Jerufalem
1902 und B. Bazzochini, L'Emmaus di S. Luca Roma 1906; vgl. auch
Belfer, Die Gefdiichte des Leidens und Sterbens, der Auferftehung und
Himmelfahrt des Herrn. 2. Aufl. Freib. 1913, S. 498 u. 507 f.
') Vgl. Matth. 24, 3. Marc. 13, 3 u. 6. .
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 61
Jerufalem und hat einen weiten Blick gegen Often auf das
Tote Meer und das Jordantal, im Norden auf den Ebal und
Garizim, im Suden auf die Hohen von Bethlehem. Durdi
die Einfattlung fiidlidi vom eigentlidien Olberg und nordlich
von der Berg des Argerniffes genannten Kuppe fuhrte die
Jerufalem mit Jericho verbindende Romerftrafce und fomit
auch der Weg zur Zeit Chrifti nach dem 3 U Stunden von
Jerufalem entfernten, auf einem Hugel am oftlichen Abhang
des Olbergs gelegenen Flecken Bethanien (je^t ein arm-
feliges Dorf el-'Azarije, deffen Name wohl urfpriinglich mit
el-Azar, der arabifchen Form fur Lazarus zufammenhangt),
wo Lazarus mit feinen Schweftern Martha und Maria wohnte.
Etwas oftlich hiervon lag die jetjt ganz verfchwundene Ort-
fchaft Bethphage. 1 )
Am Fufce des Olberges im Zedrontal, im Often von
Jerufalem, tag der Gai ten Gethfemani (= Ikelter), wo der
Herr in der Todesangft blutigen Schweifj vergojj und ge-
fangen wurde. a )
) S. Luc. 19, 29. Matth. 21, 1. Die Worte Matth. 26, 32. Mark.
14, 28 ,,ich werde euch vorausgehen nach Galilaa" werden bisweilen auf
einen angeblidi bei Jerufalem liegenden Ort bezogen. So verjteht Refch,
Das Galilaa bei Jerufalem. Eine biblifche Studie. Lp. 1910, darunter
die Oftlich von Jerufalem gelegene Gegend mit dem Olberg und mit dem
an feinem Oftabhang gelegenen Bethanien; Gebhard Kreffer M Praecedam
vos in Galilaeam" in den Berichten der Palaftinapilger. Tub. Q. Schr.
1911, S. 505524 eine Bergfpitje fiber dem Tale Jofaphat rechts vom
Olberg. Wir haben aber keinen Beweis fur diefe Benennung. In Jof.
18, 17 wird von Geliloth = Hugeln geredet, die nach Jof. 15, 7 Galgala
heifjen. Ezech. 47, 8 wird nur von den Waffern gefprodien, weldie von
Jerufalem nach Often ftromen. Die Sept. uberfe^t die Stelle zwar S TO
V&MQ' TOVTOTQ ixno(jev6fifvov el<; Ttjv rnktkaiav rrjv TTQns ctraroAa?," gemeint
ft aber iiberhaupt die Gegend im Often. Eufebius und Hieronymus u. a.
wiffen von diefem angeblichen Galilaa nichts. Tertull. Apol. c. 21 (cum
discipulis autem quibusdam apud Galilaeam, Judaeae regionem, ad
quadraginta dies egit docens eos quae docerent) gebraucht Judaea im
weiteren Sinne, fo dag Galilaa hier die nOrdliche Landfchaft des Landes
Judaea ift. Die orthodoxen Griechen befi^en auf der nordlichen Kuppe
des Olbergs ein Anwefen , welches fie Galilaa nenneri. Der Berg heiftt
der Berg von Galilaa feit dem 16. Jahrh. und Viri Galilaei feit dem
14. Jahrh. Vgl. den Pilgerfuhrer von B. Meiftermann w Durch's Heil
Land" bearbeitet von Bug. Huber, Trier, 1913, S. 227.
Matth. 26, 36. Marc. 14, 32. Luc. 22, 39 ff. Joh. 18, 1 ff. Zu
den biblifdien Angaben pafjt die heute als Gethfemanigarten verehrte,
62 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Lage Auf einem von Nordwefien nach Siidoften gefenkten
jerufaiems. kahlen, zungenformigen Vorfprung des Gebirges oftlich von
der Waflerfcheide *) zwifchen dem Jordan und dem Mittel-
landifchen Meere liegt die Stadt Jerufalem, 2 ) weldie fchon
fehr ftimmungsvolle ftille Statte, 5 Minuten von der Stadtmauer, der
Nordoftecke des Tempelplatjes gegenuber. Im Garten ftehen noch 8 ur-
alte, geborftene und faft auseinander fallende Olbaume. Vgl. B. Meifter-
mann, Gethsemani. Notices historiques et descriptives. Paris 1920.
-J- H. Vincent et F. M. Abel, Jerufalem, T. II. L. 3. p. 301-327, und
328337.
') Vgl. G. A. Smith, Jerufalem 1, 10: ,,Nor is Jerusalem perched
upon the watershed itself, but lies upon the first narrow plateau to the
east of this."
*) Vgl. Kiimmel, Materialien zur Topographic des alten Jerufalem.
Halle 1906; ebd. Karte der Materialien etc. Halle 1904. George Adam
Smith, Jerufalem: The topography, economics and history from the
earliest times to A. D. 70. With maps and illustrations, 2 vols. London
1907. 1908, der auch I, 250265 fiber den Namen Jerufalem und feine
Gefchichte ausfuhrlich handelt. Die augerft grojge Literatur fiber die
Topographic Jerufaiems wachft fortwahrend. Es wird fiber die einfchla-
gigen Erfcheinungen berichtet, z. B. in der Zeitfchrift des deutfchen Pa-
laftina-Vereins feit 1878, der Zeitfchrift n Das Heilige Land", Koln 1857 ff.,
der Revue biblique internal, feit 1892. Vgl. noch u. a. Guerin, Jerufalem
1889; Lagrange, Topographic de Jerufalem (Rb. I, 17-38); Ruckert, Die
Lage des Berges Sion, Freib. 1898. Gatt, Die Hugel von Jerufalem.
Neue Erklarung der Befchreibung Jerufaiems bei Jofephus, Bell. Jud. 5,
4, 1 u. 2. Freib. 1897; ebd. Sion und Jerufalem, wie es war und wo
es lag, Brixen 1901. G. Mommert, Topographic des alten Jerufalem,
3 Teile, L. 1902 ff.: vgl. auch deffen Werke: Die hi. Grabeskirche zu
Jerufalem, 1898; die Dormitio und das deutfche Grundftuck auf dem
traditionellen Zion, 1900; Golgotha und das heilige Grab, 1900; Das
Pratorium des Pilatus, 1903; Der Mauerbau des Nehemias, die Akra
der Syrer, die Baris Antonia, der Konigspalaft Herodes d. Gr., die
Agrippamauer und Jerufaiems alte Graber, 1907. Unter den vielen
Werken des in Jerufalem lebenden Franziskanerpaters Barnabe d'Alsace
(Meiftermann), der die traditionellen Anfchauungen feines Ordens fiber
die heiligen Orte in Palaftina vertritt, vgl. La ville de David. Paris 1905.
Die jetjige Stadt ift gut befchrieben von Socin-Benziger in dem Reife-
Handbuch von K. Badeker, Palaftina und Syrien 7 , L. 1910. - Von dem
grojgen reich illuftrierten Werke Jerufalem, Recherches de topographic,
d'archeologie et d'histoire behandelt Tome 1. Jerusalem antique par le
P. Hugues Vincent, Tome 2. Jerusalem nouvelle, par les P. P. Hugues
Vincent et F. M. Abel find erfchienen von Band 1 Fascicule I: Topo-
graphic Paris 1912, von Band II, Fasc. I et II. Paris 1914. Sie behandeln
Aelia Capitolina, Le saint sepulcre und Les sanctuaires du mont
des Oliviers.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 63
im Alten Teftament den Beinamen die ,,heilige Siadt" hat 1 ) und
audi heute nodi bei den Arabern El-Kuds, die Heilige, heifcL
Die Steinzunge, welche die Stadt tragt, hangt nur im
Nordweften mit der Hochflache von Judaa zufammen und ift
im Often, Stiden und Weften von tiefen Talern umgeben, aus
denen fich wieder hohere Berge erheben. Daher kann die
Stadt nicht fehr weit gefehen werden. Die Taler find im
Often das Tal des Zedron Oder das Tal Jofaphat, im Weften
das fich fpater rechtwinklig nach Suden ziehende, im Siiden
Hinnom oder Gehenna genannte Tal. Dort, wo fich das
Zedrontal mit Gehenna im Siidoften von Jerufalem vereinigt,
liegt eine tief eingefchnittene Schlucht (jetjt Wadi en-Nar),
durch welche der Zedron zum Toten Meere abflofc. Im
Norden der Stadt liegt der Scopus, 2 ) wo bei der Belagerung
der Stadt Titus fein Lager auffchlug, im Often der Olberg r
deffen fudliche Kuppe der Berg des Argerniffes hergt, 3 ) im
Siiden des Hinnomtales der Berg des bofen Rates, der fo
heigt, weil dort Kaiphas ein Landhaus befeffen und mit den
Juden beraten haben foil, wie man Jefus toten konne.
Die Stadt Jerufalem lag auf zwei einander gegenuber liegenden
Hugeln, die durch das fudlich bis zur Quelle Siloe gehende Tal Tyro-
poion getrennt waren. In diefes mfindeten von beiden Seiten die Haufer
ein. 4 ) Der eine Hugel, welcher die Ober[tadt trug, war viel hoher als
derandere 5 ) und in Bezug auf die Lange grader. Wegen feiner Feftig-
keit wurde er von dem Konige David . . . Burg genannt. Zur Zeit des
Jofephus, dem wir diefe Befchreibung entnehmen, hieg er Obermarkt.
,,Der andere Hugel, welcher Akra hie und die unlere Stadt trug, war
von beiden Seiten gekrOmmt." 6 )
J ) Nehem. 11, 18.
! ) Warte, Ausblick, weil man von dort Jerufalem und den Tempel
fchaut. S. B. J. 2, 19, 4. 5, 2, 3.
3 ) Nach 3 Kon. 11, 7; 4 K6n. 23, 13.
*) B. J. 5, 4, 1. GewOhnlich tiberfetjt man j TMV TVQOTIOIMV mit
n Kafemachertal." J. BGhmer, Studien zur Geographic Palaftinas, befon-
ders im Neuen Teftament (ZNTW, 1908, 216-229) S. 223 ff. meint
TvQonottav fei nur Grazifierung eines femitifchen Aquivalents NSiTO und
bedeute Giegbach, was wohl moglich ware.
5 ) Der fiidweftliche Hugel ift 777 m hoch, der Tempelberg 744, der
Hugel n. davon 770 m; die Hohe bei der nw. Ecke der heutigen Stadt-
mauer 789 m u. M. Badeker, Palaftina und Syrien J. 1900, S. 32.
') B. J. 1. c.
64 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Der die Oberftadt tragende Hiigel war nach allgemeiner Auffaffung
der fudweftliche; 1 ) der andere mit der Unterftadt, der Tempelberg. An
und auf dem fudlichen Teile desfelben lag die Unterftadt. Denn Jofephus
berichtet. dag nach der Verbrennung des Tempels vor der Eroberung'der
Oberftadt, Titus die Stadt in Brand zu ftecken befohlen habe. Es feien
das Archiv, Akra, das Rathaus und (der Bezirk) Ophla in Afche gelegt
worden. Das Feuer habe fieri bis zum Palafte der Helena, der mitten
in (dem Stadtteil) Akra {land, verbreitet. 4i ) Ophel lag aber fudlich vom
Tempel. 3 )
Jofephus fpricht noch von einem dritten Hugel, welcher dem Akra
genannten gegeniiberlag, aber von Natur niedriger als Akra und von
ihm durch ein breites Tal getrennt war. ,,In fpaterer Zeit aber," fagt er,
,,als die Hasmonaer regierten, fchutteten diefe, um die Stadt mit dem
Tempel zu verbinden, das Tal zu. Augerdem trugen fie die Hohe von
Akra ab und machten ihn niedriger, damit der Tempel auch ihn uber-
rage." 4 ) Er felbft gibt uns an anderer Stelle eine Erklarung. Antiochus
Epiphanes hatte ,,die Stadt Davids", weldie David den Jebufitern entriffen
und zu feiner Refidenz gemacht hatte, 5 ) erobert, befeftigt und zu einer
fyrifchen Burg gemacht. 6 ) Als es dem Makkabaerfurften Simon im J.
142 v. Chr. gelang, fie zu erobern, hatte er diefe Zwingburg dem Erd-
boden gleich gemacht. Auch lieg er den Hugel, auf dem die Burg
geftanden hatte, ablragen, eine Arbeit, welche 3 Jahre in Anfpruch nahm. 7 )
Wo lag denn diefe urfprungliche Jebufiterburg oder ,,die Stadt
Davids."? Sie lag fudlich vom Tempel auf dem Oftlichen Hugel Jerufalems.
Der alte Name der Stadt wahrend der Herrjchaft der Jebufiter war
Sion, bezw. Berg Sion. Denn wir lefen in. der Schrift: David nahm die
Burg Sion, das ift die Stadt Davids ein" und wohnte dafelbft (2 K6n.
5, 79. 1 Par. 11, 57). Unter Salomon brachten die Haupter des
Volkes die Bundeslade ,,aus der Stadt Davids, das ift von Sion" in den
Tempel (3 Kon. 8, i. 2 Paral. 5, 2). Fur die Zeit des KOnigs Ezediias
bezeugt die Chronik, dafj er, um die Belagerer des Waffers zu berauben,
die obere Quelle der Waffer von Gihon verfchlofj und die Waffer an die
Weftfeite der Davidftadt hinunterleitete (2 Paral. 32, 2. 30. 4 K6n.
20, 20.) Gemeint ift der Siloakanal, der das Waffer unterirdifch in den
innerhalb der alten Stadtmauern gelegenen Siloateich 8 ) fuhrt. Somit
lag die Stadt Davids auf dem Ofthugel oberhalb des Gihon, der, wie
') Der nOrdlidie Teil des nw. Hugels ift der Kalvarienberg, wo fich
der Riditpla^ Golgotha oder die Schadelftatte befand. S. S. 68, 1.
2 ) B. J. 6, 6. 3.
3 ) Nehem. 3, 26 f. 11, 21. Vgl. 2 Paralip. 27, 3. Vgl. S. 66, 2.
*) B. J. 5, 4, 1.
5 ) 2 Kon. 5, 7. 9 u. 1 Par. 11, 5. 7.
6 ) 1 Mace. 1, 35. 2, 31. 7, 32. 14, 36. Nach Ant. 12, 9, 3 lag fie
neben dem Heiligtum auf dem Tempelberg.
7 ) Ant. 13, 6, 7.
8 ) Vgl. Jon. 9, 1-39. .
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 65
durdi Ausgrabungen bewiefen ift, mit der Marienquelle identifch ift
(vgl. zu S. 66, 3). Nach dem Exil fpricht Nehemias (3, 15 f. 12, 37) von
den Stufen, die von der Davidftadt zum Teiche Siloe herabfuhren, und
erwahnt in diefem Zufammenhang das Haus und das Grab Davids zwifchen
dem Tempel und dem Siloe (vgl. Wilfon, Art. Zion in Hastings Diet.
4, 983). Kommen wir endlich zu der Makkabaerzeit, fo finden wir, dag
auch nadi dem erften Makkabaerbuch die Stadt Davids auf dem Tempelberg
lag. S. vor. Seite.
Damit ift auch die urfpriingliche Lage von Sion, infofern als Sion
gleichbedeutend mit Stadt Davids ift, bewiefen. Sion lag auf dem fud-
flftlichen Hugel. Ob fehon zur Zeit der Jebufiter der Tempelberg flberhaupt
Sion hieg, wiffen wir nicht. Jedenfalls ift der Name oft dem Tempelberge
gegeben worden, z. B. im erften Makkabaerbuch ift ,,Berg Sion" ftets
der Tempelberg im Unterfchied von der Stadt Davids und dem ubrigen
Jerufalem (vgl. 4, 37. 60. 5, 54. 6, 48. 62. 7, 33. 10, 11. 14, 27. Vgl. auch
Esdras 8, 81. Eccli. 24, 15). Aber auch fonft finden fich im A. T. viele
Stellen, welche Sion und Tempelberg als topographifch identifch anfehen,
fo z. B. wenn der Sion der heilige Berg (Pf. 2, 6) als die Wohnung
Gottes (Pf. 9, 12. Isai 8, 18. Jer. 8, 19 u. a.), wo Gott fich offenbart
(Pf. 13, 7. 52, 7 u. 6. Amos 1, 2), wo er verehrt werden mug (Pf. 64, 2.
Jer. 31, 6. Joel 2, 1. 15), genannt wird; Ausdriicke, die es erklaren, dag
der Sion im N. T. als ein Typus des Himmels angefehen wird (Geh.
Off. 14, 1. vgl. Hebr. 12, 18). Allein der Ausdruck Sion und Tochter
Sions findet fich auch fur die ganze Stadt Jerufalem und ihre Be-
vOlkerung (z. B. Pf. 125, 1. 145, 10; Isai 51, 3, 11. 53, 7 f. Jerem.
4, 6. 8, 19 etc. Threni 1, 17: Sion ftreckt ihre Hande, aber niemand
trOftet fie).
Jofephus erwahnt den Namen Sion nicht; allein er hat die Stadt
Davids auf den fudweftlichen Hugel der Stadt verlegt (B. J. 5, 4, 1. S.
oben). Er hat fich durch die offenbare Feftigkeit des fudweftlichen Hti-
gels zu diefem Irrtum verleiten laffen. Wie durch ihn, fo ift uberhaupt
feit dem 4. Jahrhundert n. Chr. der Sion mit dem fudweftlichen Hugel
der Stadt identifiziert worden.
Die Frage, ob Sion der Ost- oder der Wefthiigel gewefen ift, darf
heutzutage als zu Gunften des erfteren entfchieden angefehen werden. 1 )
Denn Nachgrabungen, welche in den Jahren 1909 1911 am Ophel vor-
J ) Aus der Literatur feien als Vertreter der traditionellen Anficht
erwahnt Ruckert 1. c., Gatt 1. c. ,,zur Topographic Jerufalems" ZDPV
1902, S. 178-194 und in M Das Heil. Land", 1903, S. 126-133; Mommert,
Topographic I (1903); fur die neuere Anficht Cafpari, Chronologifch
geographifche Einleitung in das Leben Jefu. Hamburg 1869, S. 232 ff.
Schegg, Bibl. Archaologie, Freib. 1887, S. 46 f. Schurer I (1901) S. 198 f.;
befonders Lagrange, Topographic, Rb. (1892) I, 17-38. Smith, Jerufalem
1, 134-180. H. Hansler, Streiflichter in die Topographic des alten
Jerufalem in ,,Das Heil. Land" 1913, 202-210; 1914, l-f3. 99106.
130-142; 1916, 25-42.
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefchichte. I. 2. u. 3. Aufl. 5
66 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
genommen wurden, haben den Nadiweis jebufitifcher Befeftigungen und
kanaanitifcher Graber auf dem Sudofthiigel erbracht, wahrend auf dem
Wefthiigel derartige Funde nicht gemadit wurden. Vgl. H. Vincent in
Rb. 1911, 566 ss. 1912, 82 ss. 424 ss. 544 ss. und kiirzer auf Grund des
Berichtes v. H. Vincent, E. Baumann, Die Ophelfunde von 190911
ZDPV, 36, 1913, 127. Dafur auch u. a. Dalman, Zion, die Burg Jeru-
falems. Palaftina-Jahrbuch B. 1915, 39-84. Vgl. noeh H. Vincent, La
cite de David d'apres les fouilles de 191314. Rb. 1921, 3, 400-433.
Vincent, Jerusalem 1, 142 ss.
Fur die Chriften bleibt der ffldweftliche Sion, wenn er auch nicht die
Davidsftadt trug, ein geheiligter Berg. Denn dort lag der Abend-
mahlsfaal, dort ift der heil. Geift auf die Jiinger herabgekommen.
Nordlich vom Tempelberg lag Beze.tha 1 ) (d. h. Oliven-
hain), der von Natur am leichteften einzunehmende Teil der
Stadt. Den [udlichen Teil des oftlichen Hiigels oder des
Tempelberges bildete der felfige Platj-) Ophel.
Waffer- Fur die Wafferbediirfniffe der Stadt war teils durdi
reichtum. kunftliche Sammelftellen der grofcen, in den Talern fidi
fammelnden Regenwafjermajfen, teils durch kunftliche Waffer-
leitungen geforgt. 3 )
Die Mauern Die Stadt war an vielen Punkten fchon durch die fteil
der Stadt. abfallenden Abhange gefchutjt, aber auch an den iibrigen
Stellen durch Mauern gedeckt, deren es zur Zeit des Jofe-
*) B. J. 5, 4, 2, wonach diefer Stadtteil auch Kainopolis-Neuftadt
(vgl. B. J. 2, 19, 4) hiefc.
a ) Ophla oder Ophel (hebr. ErhOhung, Hugel) ift nach dem Sprach-
gebrauch des Jofephus kein vom Tempelberg unterfchiedener Hugel,
fondern nur ein Pla (B. J. 2, 17, 9. 5, 4, 2. 5, 6, 1. 6, 6, 3). Vgl. iiber
Ophel Vincent, Jerusalem 1, 187 ss.
3 ) Vgl. fchon Eccl. 2, 6 und Eccli. 48, 19. S. G. Schick, Die Waffer-
verforgung der Stadt Jerufalem ZDPV 1878, S. 132-176 und Smith,
Jerusalem I, 75133. Aus welcher Zeit zwei Wafferleitungen , welche
das Waffer von . den fogen. Teichen Salomos bei Bethlehem nach Jeru-
falem brachten und die Zufiihrungen zu diefen Wafferleitungen ftammen,
ift nicht ficher. Die Infchriften auf einem dem Salomo, dem Pontius
Pilatus, oder dem Herodes zugefchriebenen Aquadukt mit zum Teil
fteinernen Sifonrohren, weifen auf die Zeit des Septimius Severus hin
(vgl. Clermont-Ganneau, Recueil IV, 206 ss.). Vielleicht beziehen fich
aber diefe Infchriften -nicht auf die urfprungliche Anlage, fondern auf ihre
Wiederherftellung. S. Smith I, p. 128 ff., II, 462 f. Die einzige Quelle
in Jerufalem, welche etwas Quellwaffer hat, ift die Marienquelle ('Ain
Sitti Marjam, oder 'Ain Umm ed-Derefch, Stufenquelle; vgl. die Unter-
fuchungen von Vincent, Jerufalem 1, 93 ss.) im Zedrontale. Sie fuhrt
ihr Waffer dem Teiche Siloe (lag innerhalb der Mauer f. o. S. 64) zu. Der
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 67
phus im Norden fogar drei gab. Die altefte, nodi aus der
Zeit der Konige von Juda ftammende Mauer begann im
Nordweften der Stadt bei einem nach Hippikus, einem im
Partherkriege gefallenen Freunde des Herodes genannten
Turme, und lief von hier in oftlicher Riehtung in ziemlich
gerader Linie bis zur weftlichen Halle des Tempels und in
fudlicher Riehtung um die Weft- und dann oftlich um die
Siidfeite der Oberftadt (oder des fiidweftlichen Hiigels) herum
iiber das Tyropoion bis zu dem Platje Ophla und weiter bis
zur Ofthalle des Tempels, 1 ) fo daft fie alfo den ftidweftlichen
Hugel und im weiteren Verlauf den fudlichen Teil des Tempel-
berges umfdilofc. Die zweite Mauer, welche ebenfalls nodi
aus alterer Zeit ftammte, begann bei dem Tore Gennath
(d. h. Gartentor), das nodi zur er[ten Mauer gehorte und
oftlidi vom Turme Hippikus lag, und umzog die Nordseite
von Akra und erftreckte fidi bis zur Burg Antonia an der
nordweftlichen Edce des Tempels 2 ) Allem Anfdieine nadi
zog fich die Mauer oftlidi und fudlich von der heute wie von
alters her als Kalvarienberg oder Golgotha angefehenen
Statte auf dem nordweftlichen Hugel hin, fo daft damals
diefe Statte aufjerhalb der Stadtmauer lag und fomit, da der
Kalvarienberg und das heilige Grab notwendig aufcerhalb
der alten Stadt Jerufalem zu fuchen find,") gegen die Edit-
heit des heiligen Grabes keine begriindete Einwendung
Name Siloam (Job. 9, 7) ift das gracifierte Schiloach = der Entfendete.
Es erklart fich daraus, dag ihm das Waffer aus der intermittierenden
Marienquelle in Zwifchenraumen zuflog. S. Badeker S. 98 f. und Vincent
1. c. p. 93. Ober die Identitat der Qihonquelle (1 Kon. 1, 33) mit der
Marienquelle vgl. u. a. Lagrange p. 31 ss. Hansler 1916, 1, 25 ff.
x ) B. J. 5, 4, 2. Ober den Lauf der erften Mauer f. Sejourne, Les
murs de Jerufalem, Rb. (1895) IV, 37-47. Riickert, S. 47 ff. Smith, Je-
rufalem I, p. 242 f.
2 ) B. J. 5, 4, 2. Das Tor mug ( fich etwa in der Mitte der Nord-
mauer befunden haben. Hatte es nahe dem Hippikusturme gelegen, fo
warde Jofephus von diefem bekannten Turme aus den Anfang der Mauer
benannt haben. Uber die mutmagliche Lage des Gennathtores vgl. Vin-
cent, La deuxieme enceinte de Jerusalem Rb. (1902) XI [3157], p. 39 ss. ;
Wilson, The Walls of Jerusalem PEFQS, 1905 [231243], p. 237 ff.
Smith 1. c., p. 243 f.
*) Matth. 27, 32 f. Marc. 15, 20. 22. Jon. 19, 17. Hebr. 13, "12.
5*
68 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
gemadit werden kann. 1 ) Die dritte Mauer, welche im Norden
die Neuftadt Bezetha und im Nordweften auch den Kalvarien-
berg 2 ) mit der nahen Grabftatte Jefu umfchlofc, fo dag diefe
nun innerhalb der Stadt zu liegen kam, ift naeh dem Tode
Chrifti von Konig Agrippa I. gebaut worden. Audi diefe
Mauer nahm wie die erfte ihren Anfang am Hippikusturm,
ging von da nordlich bis zum achteckigen, 33 m hohen Pse-
phinusturm, in deffen Nahe fpater Titus lagerte und zog fich
von dort gegenuber dem noch erhaltenen Grabmal der K6-
nigin Helena von Adiabene (heute ,,K6nigsgraber" genannt,
vor dem Damaskustor) um die Stadt herum bis zu der alten
Mauer im Zedrontal (an der Ofthalle des Tempelbezirks).
Die aus den grojjten Quadern gebaute Mauer hatte nicht
weniger als 90 Turme. 3 )
Der Paiaft Gewaltige, turmahnlidie fefte Burgen waren die von K6-
des Herodes. n jg Herodes auf der alten nordlichen Stadtmauer nahe bei-
x ) Dartiber herrjcht kein Zweifel, dag die wenigftens feit dem vierten
Jahrhundert nach der Uberlieferung als richtig angefehenen Orte der
Kreuzigung und des Grabes Chrifti, fiber weldie Kaifer Konftantin eine
Kirche bauen liefj, in der Grabeskirche zu Jerufalem zu finden find.
Vgl. Bus. Vita Const. 3, 25; De laud. Const. 9; Onomast. p. 75.
It. Burdig. 22. S. Silviae peregr. p. 74 ff. Eucherius Ep. ad Faustum
presb. (ed. Geyer It. Hier. p. 126). Jt. Anon. Plac. p. 171 sq. Eusebius
Vita Const. 3, 26 bezeugt auch, dag unter den Chriften fruherer Zeiten
die Kenntnis der heiligen Orte ungefchmalert erhalten geblieben fei.
Allein eine Anzahl Forfcher haben ausfchlieglich auf Grund der Angaben
der Heiligen Schrift die Lage der Schadelftatte anders beftimmen und fie
an den verfchiedenften Orten der hi. Stadt finden wollen. Vgl. Mommert,
Golgotha und das hi. Grab zu Jerufalem, S. 3 ff. G. Dalman, Golgotha
und das Grab Chrifti. Palaftina-Jahrbuch IX (1913) S. 98 - 123.
Von dauerndem Wert ift die Gefchichte und Befchreibung des heil.
Grabes und feiner heiligen Statten bis auf die Gegenwart von P. Vincent
und P. Abel in Jerufalem, Bd. 2, Buch 2, S. 89300.
*) Golgotha, im jiid. Aramaifchen Golgoltha, heigt n Schadel", oder
,,Schadelort". Die Schadelform des Berges ift vielleicht (vgl. F. Dunkel,
Das Heil. Land, LV, 1911, S. 231 ff.) erft durch den bei dem Bau der
dritten Mauer gemachten Einfchnitt in den Felfen entftanden.
3 ) B. J. 5, 4, 2 3. Ober den Lauf der Mauer herrjcht unter den
Forfchern keine Einigkeit Vgl. u. a. Gatt, die Mauer des Agrippa,
Th Q. 1905, S. 264 70 und Vincent, La troisienne enceinte de Jerusalem
Rb. N. S. V (1908), p. 182204 und p. 367381. Vgl. auch H. Vincent
uber Ausgrabungen am Turm Psephinus RB. 1913, S. 8896. Smith
1. c. p. 244 ff.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 69
einander errichteten Turme, der fchon genannte viereckige
Hippikusturm, der Phalael und der nach der Mariamme ge-
nannte dritte Turm. Die Gefamthohe des erften betrug an
80, die des Phafael an 90, die des Mariammeturmes 55 Ellen. 1 )
Den Grundftock diefer Turme bildeten gewaltige behauene
Blocke weigen Marmors, woriiber fich koftbar ausgeftattete
Wohngebaude erhoben, die oben mit Turmchen und Bruft-
wehren verziert waren. 2 ) An diefe Turme fchlofj fich im Nord-
weften der Oberftadt der prunkvoll ausgeftattete und mit
einer hohen Mauer umgebene, mit Parkanlagen und kiinft-
lidien Seen ausgeftattete Palaft des Konigs Herodes an. 3 )
Wahrend diefer Palaft zugleieh durdi feine feften Turme Die Burg
eine Feftung der Oberftadt war, war die eigentliche Tempel Antonia.
und Stadt beherrfchende Feftung die von den Hasmonaern
in der nordweftlichen Ecke des Tempelberges erbaute Feftung
Baris, welche Herodes mit grofcen Koften umbaute und An-
tonia nannte. Sie lag auf einem 25 m hohen Felfen, und
war durdi vier Turme flankiert, von welchen der fudliche
und oftliche 35 m hoch waren, fo dafc man von dort aus
das ganze Tempelgebaude uberfchauen konnte. Das Innere
der Burg war ganz wie ein Konigspalaft eingerichtet und
hatte Hallen, Bader und geraumige Kafernenhofe. Hier war
das Standquartier der romifchen Befa^ung. Dort, wo die
Burg an die nordlidie und weftliche Tempelhalle angrenzte,
fiihrten von der Burg Treppen in die Hallen hinab. 4 )
') B. J. 5, 4, 3. Die Elle, nadi der Jofephus rechnet (S. Kap. 13, 5),
ift = I 1 /,, Fug = 0,444 m. !
2 ) B. J. 5, 4, 34. Der Phafael ift noch in dem gewaltigen Nordoft-
turm der fogenannten Davidsburg, der Zitadelle am Jafator des heu-
tigen Jerufalem, erhalten.
3 ) B. J. 1, 21, 2. 5, 4, 4. 2, 15, 5. 2, 17, 6 u. 6. Ant. 15, 9,. 3. 17,
5, 2. 17, 10, 2. 3. B. J. 5, 5, 8 heigt der Palap die Feftung der Ober-
ftadt (rfjc avta jroleox; idtov yfjovyiov (jv, ret c H(/a.'efoi< /9T//lea). Unter dem
Prokurator Geffius Florus, der bei feinem le^ten Befudie Jerufalems im
K6nigspalafte abgeftiegen war (B. J. 2, 14, 8) und vor demfelben wieder-
holt auf dem Richterfiuhl fag (2, 14, 8. 9), batten die romifdien Truppen
ihr Lager bei dem Konigspalaft (TO *(>o> rf? p<*adeio t <; ^aroneSov
B. J. 2, 15, 5), verlief3en dasfelbe aber fpater, da es leicht zu erfturmen
war, und flohen in die kOniglichen Turme (B. J. 2, 17, 8).
4 ) B. J. 5, 5, 8. Vgl. B. J. 1, 3, 3. 21, 11. Ant. 15, 8, 4. 11, 4.
18, 4, 3. Nach der Rede des Agrippa I. bei Philo, Leg. ad Cajum 38
70 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefdiidite der Juden etc.
DerPaiaftder An der Nordoftfeite der Oberftadt, hoher als der dort
"und" Ter^ gelegene > mit bedeckt en Saulenhallen gefchmiickte grofce Pla^
Xyftuspiatf. x yf tus la S der alte Palaft der Hasmonaer, 1 ) den [pater K6-
hat Pilatus, um die Juden zu argern, vergoldete Weihefchilde in dem in
der Stadt befindlichen Herodespalaft, den er ( 39) ,,Wohnung der Pro-
kuratoren" (sv olxlp rolv SJUTQOITWV} nennt, anbringen laffen. Daraus folgt
aber nicht, dag die Landpfleger nicht auch gelegentlidi auf der Burg
Antonia refidierten, wenn fie zu den Feften von Cafarea nach Jerusalem
heruberkamen. Das n Pratorium" des Pilatus in Jerusalem (Job. 18, 28)
ift entweder im Herodespalaft oder auf der Antonia zu fuchen. 1m Neuen
Teftament bezeichnet der Ausdruck nicht die Amtswohnung des Land-
pflegers uberhaupt, wie van Bebber, Das Pratorium des Pilatus, Th Q. 1905
[S. 179230], S. 181 ff. will, fondern, genauer gefprochen, feine mit der
Kaferne in Verbindung ftehende Wohnung, in welcher fich dann auch die
Feldzeichen befanden. Das ergibt fich aus Marc. 15, 16: ol de 6-cQctnw-
ttx.i ctTiyyayov avxov efiio rfj? ai'A^?, o e&rir ftgatTuiytov, xtu tivvxakovtiiv o'A^v
x^v tnslgav, vgl. Matth. 27, 27. Bei Joh. 18, 29. 33. 38. 19, 4. 9 geht
der Landpfleger aus und ein im Pratorium. Apg. 23, 35 fagt Felix, der
doch felbft im Palafte des Herodes wohnte, Paulus folle verwahrt werden
ev XM 7t(j<xirttjl(a rov 'Hywdov. (Die Kaferne alleinvvird Apg. 23. 10. 16. 32
na.^s^ol>- ( genannt.) Der Richterftuhl, auf welchem Pilatus zu Qericht fiber
Jefusfag, befand fich augerhalb des Pratoriums (vgl. Joh. 19, 13u.9)et?T07iov
isydfttvov Ai&oGrQMTfiv, 'Efcaicii di- Fa^a&a. Lithoftroton war die kunft-
lichfte Art der Mofaik (vgl. z. B. J. Marquardt, Das Privatleben der Ro-
mer, (L. 1886) II, 627 f.); auch im Tempel war Lithoftroton = ein Mofaik-
pflafter, vgl. B. J. 6, 1, 8. 3, 2. Was Gabbatha bedeutet, ift unbekannt
(vgl. Neftle, art. Gabbatha in Haftings II, 75). Die Lokaltradition in
Jerufalem fucht feit dem 13. Jahrhundert den Ort, wo Jefus von Pilatus
verurteilt wurde, in der turkifchen Kaferne, welche auf dem Platje der
Burg Antonia fteht (vgl. dafur befonders Barnabe d' Alsace, Le Pretoire
de Pilate et la Forteresse Antonia, Par. 1902 und Hanfler, Die Richt-
ftatte des Pilatus. Das HI. Land, 62. Jahrg., 1918, S. 1829. 58-73.
97- 107, wahrend K. Mommert, Das Pratorium des Pilatus, L. 1903, ihn
im Stadttal auf dem Terrain des alien Sultanbades am Weftfujge des
Antoniafelfens gefunden zu haben glaubt (ihm ftimmt u. a. zu: Herbert
Thurfton, The praetorium of Pilate and the pillar of the scourging. The
Dublin Review 1906, vol. 138, p. 120-142). Nach van Bebber (1. c.) ift
das Pratorium der Herodespalaft auf dem Sion. Der altefte Pilgerbericht
fpricht aber jedenfalls gegen diefe letjtere Annahme (vgl. It. Burd. p. 22:
Inde ut eas foris murum de Sion, euntibus ad porta Neapolitana ad
partem dextram deorsum in valle sunt parietes, ubi domus fuit sive
praetorium Pontii Pilati).
J ) 'EndvM TOV t-vtiroij TI^O'? TO Trt'^av TIJ? avw noktia? B. J. 2, 16, 3.
Srrith, Jerufalem II, 490 f. verlegt den Xyftosplatj in das Tyropoion, was
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 71
nig Agrippa II. bewohnte, 1 ) und in dem auch wohl die Hero-
dianer, wenn fie, wie z. B. ,,K6nig Herodes", d. h. der
Vierfurft Herodes Antipas, zum Ofterfefte oder bei andern
Gelegenheiten nach Jerufalem kamen, wohnten. Der er-
wahnte Xyftusplatj war durch eine Briicke mit dem Tempel-
berg verbunden. 2 ) Etwas oftlich von dem Platje, aber eben- Das Rathaus,
falls an der alten nordlichen Mauer lag auch das Rathaus, das Archiv
welches fomit nicht mehr auf dem Sion, fondern fchon i
Tyropoion ftand, 3 ) wahrend das Archiv, worin auch die Schuld-
urkunden verwahrt wurden, in der Oberftadt war. 4 ) Hier
hat auch das Haus des Hohenpriefters Ananias geftanden, 5 )
wie auch dort etwas nordlich von der Stelle, auf der fich
heute die deutfche Kirche der Dormitio erhebt, das Haus des
Hohenpriefters Kaiphas gefucht wird. 6 ) Auch die Unterftadt
war nicht ganz grofcerer Gebaulichkeiten bar. Dort erhob
fich z. B. allerdings wohl erft einige Jahrzehnte nach Chri-
ftus der Palaft der Konigin Helena von Adiabene. 7 ) In der
aber doch nach Jofephus 1. c. nicht richtig fein kann, well von dem Plarje
eine Brucke zum Tempelberg fiihrte.
') Ant. 20, 8, 11. Vgl. auch B. J. 2, 17, 6: rd 'Ay$inna. xai zd
Beyevixqc; pa.6iA.tta.
2 ) B. J. 2, 16, 3. 6, 3, 2. 6, 2.
3 ) Ober die Lage vgl. B. J. 5, 4, 2 (fiovA/,') und 6, 6, 3 (jBorA^T^^ov).
Es wird wohl mit Recht an der Stelle des heutigen Gerichtshaufes im
Tyropoion, nahe dem Tempelberg, gefucht. Vgl. auch unten.
') B. J. 2, 17, 6. 6, 6, 3.
l ) B. J. 2, 17, 6.
6 ) Nach dem Pilger von Bordeaux lag das Haus auf dem Sion
(d. h. in der Oberftadt, cf. Itin. Burdig. p. 22, wo er, nachdem er von
dem Teiche Siloe gefprochen, fortfahrt: In eadem ascenditur Sion et
paret, ubi fuit domus Caifae sacerdotis). Zur Zeit des Theodofius (de
situ terrae f. p. 141: De sancta Sion ad domum Caiphae, quae est modo
ecclesia sancti Petri, sunt plus minus passi numero L) war auf der
Stelle eine Kirche des heiligen Petrus gebaut (auch der Breviarius de
Hierosolyma [aus dem 6. Jahrh.] fagt p. 155 [ed. Geyer]: ubi est basilica
grandis sancti Petri). Auf der Stelle liegt heute das armenifche Zionsberg-
klofter, nordlich von der deutjchen Dormition. Vgl. U. Coppens, Le palais
de Caiphe et le nouveau Jardin Saint-Pierre. Paris 1904; A. Ceyssens,
Le palais de Caiphe et le Jardin Saint-Pierre. Brux. 1905; H. Vin-
cent, RB. 1905, 149-158; Germer-Durand, La maison de Caiphe et
1'eglise S. Pierre a Jerusalem RB. 1914, 71-94. 223-246.
7 ) B. J. 6, 7, 3.
72 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
Neuftadt wird es naturgemag manche villenartige Gebaulich-
keiten gegeben haben. Aber fonft waren die Stra&en eng 1 )
und wurden erft unter Agrippa II. mit weifcem Stein ge-
pfiaftert. 2 )
DerTempei. Der Mittelpunkt des religiofen und nationalen Lebens
der Juden war der Tempel. Der Tempel, welchen die Ifrae-
liten unter Zorobabel an Stelle des durch Nabuchodonofor
zerftorten falomonifchen Tempels gebaut und den, nach feiner
Entweihung und Pliinderung durch Antiodius Epiphanes, Ju-
das Makkabaus gereinigt und feierlich geweiht hatte, war
in Bezug auf das Tempelhaus und die Vorhofe von Herodes
feit dem 18. Jahre feiner Regierung (20-19 v. Chr.) um-
gebaut, erweitert und verfchonert worden. Seine Nachfolger
haben an den Nebengebauden und der Ausfchmuckung des
Ganzen weiter gearbeitet bis zum Jahre 64 n. Chr. 3 )
Der ganze Umfang des Tempelareals ift nodi aus dem
heutigen Haram esch-Scherif (= das edle oder beruhmte
Heiligtum) zu erfehen, wobei aber zu bedenken ift, dag zur
Zeit des Herodes an der Nordfeite die Burg Antonia lag.
Der Platj bildet ein unregelmafciges Viereck, deffen Siidfeite
283 m lang ift, wahrend die Lange der Nordfeite 317, die
der Oft- und Weftfeite 474 und 486 m betragt. Die Gesamt-
flache ift 144000 qtn 4 ) ode'r 14 ha 40 a oder ungefahr
') B. J. 2, 14, 9.
2 ) Ant. 20, 9, 7.
3 ) Ant. 20, 9, 7. Wir folgen dem Beridit des Jo{ephus Ant. 15, 11
und B. J. 5, 5, da diefer den Tempel nodi aus Augenfchein kannte. Der
fpatere Beridit der Mifdina, namlidi der Traktat Middoth, enthalt zwar
viele Einzelheiten, ift aber wegen feiner bisweilen phantaftifdien Sdiil-
derungen mit Vorfidit zu gebraudien. Unter den alteren Werken ift
Lundius, Die alten jGdifchen Heiligtiimer, Hamburg 1701, S. 237403,
fehr ausfuhrlidi. Von neueren Werken ift befonders C. Schick, Die Stifts-
hiitte, der Tempel in Jerufalem und der Tempelplatj der Jetjtzeit, B. 1896,
wegen der fadikundigen Behandlung des letjteren von Wert. Odilo
Wolff, Der Tempel von Jerufalem und feine Mage, Graz 1887, und von
neuem in ,,Der Tempel von Jerufalem, eine kunfthiftorifche Studie fiber
feine Mage und Proportioned', Wien 1913, fucht namentlidi' die Harmonic
des Ganzen klarzuftellen. Von kurzeren Befdireibungen vgl. z. B. F. Spieg,
Der Tempel zu Jerufalem wahrend des letjten Jahrhunderts feines Be-
ftandes nach Jof., B. 1880, u. F. Diifterwalds Artikel ,,Tempel" im Kirchen-
lexik.'^ 12, 1304 ff., fowie Smith, Jerufalem II, 499 ff.
') Schick, S. 240.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 73
56 preufcifche Morgen grog. Diefe grofce Flache war dadurdi
gewonnen worden, dafc namentlidi nadi Siiden bin die obere
Flache des Tempelberges durch gewaltige Unterbauten er-
weitert worden war. Dadurdi waren die oftliche und weft-
lidie Halle, welche fruher nur wie die ubrigen ein Stadium
(= 177,6 m) lang waren, auf zwei Stadien 1 ) verlangert und
hatte man Raum gewonnen fiir einen dritten grofcen Vor-
hof, den der Heiden, den Jofephus das erfte Oder aufcere
Heiligtum nennt. 2 )
Um den ganzen Tempelbezirk lief eine Umfaffungsmauer, Der Vorhof
an deren Weftfeite vier 3 ) und an deren Siidfeite zwei Tore 4 ) der Heiden -
waren. Im Innern der Umfaffungsmauer, an welche der grofete
Tempelhof, der Vorhof der Heiden ftiefc, welcher feinen Namen
davon fuhrte, daft zu demfelben auch Heiden Zutritt hatten,
liefen an der Nordweft- und Oftfeite der Umfaffungsmauer
doppelte Hallen, welche 30 Ellen breit waren und flache,
auf 25 Ellen hohen, weifcen Marmorfaulen ruhende Dacher
von Zedernholz hatten. 5 ) An der Oftfeite fiel die Tempel-
terraffe fteil ab ins Zedrontal. Die fich auf ftarken Mauern
diefem Abgrunde entlang ziehende oftliche Halle hiefc nach
ihrem erften Erbauer die Halle Salomos. ) Befonders pracht-
voll war aber die Sudhalle, welche die konigliche Halle hiefc
und 162 Saulen mit korinthifchen Kapitalen befafc. Diefe
Saulen waren in vier Reihen von einem Ende der Halle bis
zum andern einander gegenuber aufgeftellt und zwar fo, dag
die vierte Reihe in die fteinerne Mauer eingelaffen war. So
) Vgl. B. J. 5, 5, 1 ff. Ant 15, 11, 3. Der Flacheninhalt ware
demnach 63048 qm = 6 ha 30 a 48 qm. Obrigens durfte Jofephus die Ent-
fernung-en nach dem AugfenmaJ3 abgefchat5t oderwenigftens abgferundet haben.
B. J. 5, 5, 9. 6, 5, 1.
z ) Ant. 15, 11, 5.
4 ) Jos. 1. c. Tri'Aac. Nach Middoth 1, 3 waren es 2 fogen. Hulda-
pforten, d. h. Wiefel- oder Schleichtore, die fo hiegen, weil man durch
eine Art Tunnel auf die Tempelarea hinaufkam. Refte derfelben find noch
heute vorhanden. Vgl. Schick 185, Badeker 52. Middoth 1. c. erwahnt
im Often das Sufantor, auf welchem wohl zur Erinnerung an die per-
fifche Herrfchaft der Palaft von Sufan abgebildet war. Jofephus erwahnt
B. J. 2. 19, 5. 6, 4, 1 ein Tor im Norden, welches Middoth 1, 3 das nur
fur Priefter beftimmte Tadi (= dunkle) Tor nennt.
5 ) B. J. 5, 5, 2. Ober die Elle des Jofephus s. o. S. 69, 1.
6 ) Ant. 20, 9, 7. Joh. 10, 23. Apg. 3, 11. 5, 12.
74 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
bildeten fie drei Hallen, wovon die mittlere 45 Fufe, die beiden
andern je 30 Fug breit waren. Die mittlere war zweimal
fo hoch als die iibrigen, obwohl auch letjtere iiber 50 Fug;
Hone batten. 1 ) Der gefamte nicht iiberdachte Raum des Vor-
hofes der Heiden war mit Mofaik von allerhand Steinen ge-
pflaftert. 2 ) In diefem Vorhofe herrfchte ein reges Leben.
Denn hier war der Tempelmarkt mit Tauben-, Ochfen- und
Schafhandlern, hier ftanden die Wechfeltifche, wo man Tempel-
mimzen einwechfeln konnte, um die Tempelfteuer zu be-
zahlen. Das Feilfchen und Handeln und Betriigen war oft
derart, dafc der Herr von einer Rauberhohle fprechen konnte.
Hier ergingen fich nicht nur die Befucher, fondern lehrten
und disputierten die Rabbiner und fanden Volksredner leicht
willige Ohren. Hier hat auch der Heiland das Volk belehrt.
Innerhalb des fo eingefchloffenen Raumes, nicht weit von
der aufcern Umfaffungsmauer entfernt 3 ) lag eine zweite Ein-
friedigung, zu der einige Stufen hinauffuhrten. Sie war durch
ein drei Ellen hohes Steingitter gebildet. An demfelben
waren in gleichen Abftanden Saulen angebracht, welche teils
in griechifcher teils in lateinifcher Sprache jedem Nichtifraeliten
den Zutritt zu dem Heiligtum unterfagten. 4 ) Zu letjterem,
dem innern Tempelraum ftieg man, wenn man das Stein-
gitter paffiert hatte, von Nord, Oft und Sud auf 14 Stufen
empor, und kam dann zu einer 10 Ellen breiten, ebenen
Terraffe. Durch die 14 Stufen, welche nur an der Weftfeite
*) Ant. 15, 11, 5.
2 ) B. J. 5, 5, 2.
3 ) Ant. 15, 11, 5 ev fiedo) ctfzfxwv ov nni.v.
4 ) Ant. 1. c. B. J. 5, 5, 2. 6, 2, 4. c. Apion. 2, 8. Philo, Leg-, ad Caj.
31. Vgl. Apg. 21, 26 ff. Eine Infdirift ift im Jahre 1871 von Clermont-
Ganneau (Revue archeol. N. S. t. XXIII, 1872, p. 214-34, 2906) ent-
deckt WOrden. Sie lautet: uri&iva, a'JUoytvif tl(SnO(javs6&ai evroV TOV Tiefji
to itfiov T(tv<p<x.*t<iv xai 7ie^t^oJi.ov' o? d'civ ^.tiy&ij, envTw ntrto? i-Groti did TO
egctKolovfrelv d-dvaror. Keiner von anderm Volke trete in das das Heilig-
tum einfchliegende Gitter! Wer dabei ergriffen wird, ift felbft fchuld, dag
der Tod ihn trifft. Dag dies keine bloge Drohung mit dem Strafgeridit
Gottes (Derenbourg, Journ. asiat. 6. serie t. XX, 1872, p. 178-195)
ift, ergibt fich ganz klar aus B. J. 6, 2, 4. Die Tafeln find nicht etwa
von der rOmifchen Regierung aufgeftellt worden, wie Mommfen RG. V,
513, 1 meint, vielmehr hatten die Romer nur Erlaubnis gegeben, die
Obertreter der Warnung zu beftrafen. S. B. J*6, 2, 4.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 75
nicht angebracht waren, wurde an der Nord-, Oft- und Sud-
{eite des innern Heiligtums eine an der Weftfeite fichtbare
ftarke Mauer, welche aufcerlich 40 Ellen hoch war, zum Teil,
d. h. bis zur Hohe der Terraffe, verdeckt. 1 ) Von der Terraffe
nun ftieg man auf fiinfftufigen Treppen zu den Toren der
genannten Mauer. Im Siiden und Norden waren je 4 Tore,
im Often aber ein Doppeltor. 2 ) Jedes hatte Doppeltorflugel,
die 30 Ellen hoch und 15 Ellen breit waren. Da jedes turm-
formig gebaut war, ftellte es eine Torhalle dar, deren Breite
und Lange 30 Ellen betrug. Die Tore an der Nord- und
Siidfeite waren iiberall mit Gold und Silber bekleidet, eines
aber, das Aufcentor des innern Heiligtums (das Ofttor), war
aus korinthifchem Erz, d. h. aus reinem Kupfer und uber-
ragte die iibrigen aus Erz (Bronze) hergeftellten, verfilberten
und vergoldeten Tore an Wert. Vermutlich ift dies das Tor,
welches in der Heiligen Schrift das fchone heifet, an welchem
Petrus den Lahmgebornen heilte. 3 )
Ging man nun durch diefes aufjere Ofttor in das Heilig- Der Vorhof
turn, fo kam man zunachft in einen viereckigen Hof oder der ifraeiiten.
Raum, zu welchem auch von Siiden und Norden je eine Tur
fuhrte. Diefer Raum hiefc der Vorhof der Frauen, weil diefe
fiber denfelben nicht hinausgehen durften. 4 ) Zwifchen den
') B. J. 5, 5, 2. 6, 2, 4.
2 ) Das heijgt nur ein Augentor. B. J. 5, 5, 2 wird von 2 Toren
nach Often gefprochen, weil, wie der Zufammenhang ganz klar macht,
das diejem Augentor im Innern zwifchen dem Vorhof der Frauen und
dem der Ifraeiiten gegenuber liegende Tor mitgezahlt wird. Auch B. J.
5, 5, 3 wird diefes unter die 9 Tore gezahlt und davon das Augentor
des Heiligtums unterfdiieden.
3 ) B. J. 5, 5, 3. 6, 5, 3. Apg. 3, 2. Vgl. Schurer, Die M^a oder OT'AT; o>Q<*ia.
Act. 3, 2 u. 10. ZNW. VII (1906) 51- 68, wahrend O. Hol^mann, Tore
und Terraffen des herodifchen Tempels ZNW. IX (1908) 7174 die An-
ficht vertritt, das korinthifche Tor fei zwifchen Manner- und Frauenvorhof
gewefen. Es heigt auch Tor des Nicanor, nach dem Erbauer Nicanor
von Alexandrien. S. Middoth 1, 4 und 2, 6. Vgl. Joma 3, 10 und b.
Joma f. 38a. Clermont-Ganneau, La porte de Nicanor du temple de
Jerufalem in Recueil V, 334 40. tiber die in einem Grabe bei Jeru-
falem gefundene Infchrift: OIT rwvror JVe* xavo^oe '^Af ewtf^Ew?, Ttuttianvru?
ra? tfY^rts- vgl. auch Dittenberger, Orientis Graeci Inscr. 2, p. 296 zu
n. 599.
4 ) B. J. 5, 5, 2. 6, 9, 2. Er ift nur die Verlangerung des Vorhofes
der (mannlichen) Ifraeiiten nach Often hin. ,,Weil aber das urfprungliche
76 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
Toren diejes Vorhofes fanden jidi vor den Mauern nach
innen einfache Saulengange, welche zu den Schatjkammern
fuhrten. Audi ftanden hier Opferftocke, in deren einen die
Witwe im Evangelium ihr Sdierflein legte. 1 )
An der Weftfeite des Vorhofes der Frauen, weldien die
durdi das Ofttor eintretenden Manner durdifchreiten mufeten,
offnete fich dem korinthifchen Tore gegeniiber, aber hoher
als dasfelbe, ins innere Heiligtum ein Tor, zu welchem 15
Stufen hinauffiihrten. Diefes Tor, welches eine Hone von
50 Ellen und Turen von 40 Ellen Breite hatte, audi koft-
barer als andere gefchmuckt war und eine reiche Silber- und
Goldbekleidung hatte, fuhrte in den weftlichen Teil des innern
Vorhofes, der ausfchliejpch fur die Manner beftimmt war. 2 )
Der Vorhof Derfelbe war nur dureh ein niederes, fchon gearbeitetes
der Priefter. Steingitter von dem nodi etwas weftlidier fidi erftreckenden
Vorhofe der Priefter getrennt. Diefer letjtere Vorhof umgab
das Tempelhaus von alien Seiten, war aber feinerfeits fo-
wohl im Often wie im Norden und Suden von dem Vor-
hofe der Ifraeliten eingefchloffen. In dem Vorhofe der Priefter
erhob fich unter freiem Himmel der grofce, 15 Ellen hohe
und 50 Ellen lange und ebenfo breite Brandopferaltar, vier-
eckig von Geftalt und an den Ecken mit hornartigen Vor-
fpriingen verfehen, zu welchem von Suden her ein bequemer
Aufgang hinauff uhrte. 3 )
Terrain fich hier ftark fenkt, wurden zwei, ungleich hoch gelegene Hof-
flachen hergeftellt, was eine formliche Abteilung in zwei H6fe nOtig-
machte." Schick 127. A. Buchler, The fore-court of women and the brass-
gate in the temple of Jerusalem. Jew. Quart. Rev. 1898, p. 678 - 718
meint, der Vorhof der Frauen fei erft nach Herodes gebaut worden auf
Koften der Konigin Helena von Adiabene. Vgl. dagegen Schurer (fiehe
o. S. 75, 3).
l ) B. J. 5, 5, 2 (yctto<tvl<xKia), Marc. 12, 41 ff. u. Luc. 21, 1 ff. be-
richten von der armen Witwe, welche ihr Sdierflein legte '? TO yCo-
?.?-Artxov. Nach Schekalim 6, 5 hatten 13 trompetenahnliche Almofen- und
OpferftOcke im Vorhofe der Frauen geftanden.
a ) B. J. 5, 5, 3 6, 5, 2.
3 ) B. J. 5, 5, 6. Nach Pfeudo-Hekataeus bei Jos. c. Ap. 1, 22 war
zu feiner Zeit, im 3. Jahrh. v. Chr., der Altar 10 Ellen hoch und bildete
feine Flache ein Quadrat von 20 Ellen. Nach Middoth 3, 1 war die
Grundflache nur 32 Ellen lang und breit und nahm nach oben ftufen-
weife um eine Elle ab, fo dag der obere Raum, auf welchem geopfert
wurde, nur noch 24 Ellen im Quadrat hatte. Vermutlich hat der Altar
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 77
Das Tempelhaus lag 12 Stufen hoher 1 ) als der Vorhof Das Heilige
der Priefter und zerfiel in 2 Abteilungen, wo von die erfte und
aus der Vorhalle, die le^tere aus dem eigentlidien Tempel- Allerheili ^ e -
haus beftand. Das le^tere, welches 60 Ellen hodi, ebenfo
lang und 20 Ellen breit war, zerfiel der Lange nach in zwei
Raume, das 40 Ellen lange Heilige, in deffen Mitte der
Rauchopferaltar, nordlich hiervon der goldene Schaubrote-
1ifch und fiidlich vom Altare der fiebenarmige goldene Leuchter
ftanden, 2 ) und das von dem Heiligen durch einen Vorhang
getrennte 20 Ellen lange Allerheiligfte, welches ganz leer
war 3 ) und nur einmal im Jahre, am Verfohnungsfefte, vom
Hohenpriefter betreten wurde. Ober dem, wie gefagt, 60 Ellen
hohen Tempelhaus, alfo iiber dem Heiligen und dem Aller-
heiligfien, war noch ein oberes Stockwerk, welches 40 Ellen
hoch war, fo dafe alfo die Gefamthohe des zweiftockigen
Tempelhaufes 100 Ellen betrug. 4 ) An den Seiten des Tempel-
haufes lagen neben dem Heiligen und Allerheiligften viele
durcheinandergehende dreiftockige Gebaude, deren Gefamt-
hohe 60 Ellen betrug, fo dafc alfo, ahnlich wie manche chrift-
liche Gotteshaufer ein hoheres Mittelfchiff und niedrigere
Seitenfchiffe haben, in der Mitte das Tempelgebaude 40 Ellen
hoher war als auf der rechten und linken Seite. 5 ) Den Bin-
gang zu dem Tempelhaus, alfo zu dem zunachft liegenden
,,Heiligen" bildeten 55 Ellen hohe und 16 Ellen breite gol-
dene Turen, vor welchen fich ein gleich langer, aus Hyazinth,
Byffus, Scharlach und Purpur gewebter babylonifcher Vor-
auf dem noch heute fichtbaren, 17,7 m langen und 13,5 m breiten Hei-
ligen Felfen ge[tanden, der fich 1,25 bis 2 m uber den Boden erhebt
und den Mittelpunkt der grogen Omarmofchee bildet, welche gewOhnlich
der Felfendom, Kubbet es-Sachra genannt wird. Sie liegt ungefahr in
der Mitte des Tempelplatjes, aber mehr nach Weften hin.
') B. J. 5, 5, 4.
2 ) B. J. 5, 5, 5. 7, 5, 5. Ant. 3, 6, 68 (vgl. Exod. 25, 30. 37.
26, 35. 40, 22. 24. 1 Mace. 1, 21 f., 4, 49). Philo, vita Mos. 3, 9-10.
Von Fenftern jagt Jofephus nichts. Vielieicht fiel vom obern Stockwerk
her Licht in das ,,Heilige". Audi muffen doch wenigftens Luken, um
den Dampf abziehen zu laffen, vorhanden gewefen fein.
3 ) B. J. 5, 5, 5. Vgl. Matth. 27, 51. Marc. 15, 38.
4 ) B. J. 5, 5, 5.
6 ) B. J. 5, 5, 5. Ant. 15, 11, 2. Nach Middoth 4, 3 enthielten die
Crebaude 38 Gemacher.
78 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchiehte der Juden etc.
hang befand, auf welchem das Bild des Himmels, mil Aus-
nahme der Bilder des Tierkreifes, gejtickt war. 1 ) Audi die
das Tor umgebende Wand war ganz vergoldet. t)ber dem
Tore aber befand fich ein. goldener Weinftock mit herab-
hangenden Trauben 2 )
Die Vorhalle reidite nadi oben in ununterbrochener
Hohe bis zum Dach und war im Innern 90 Ellen hodi, in
der Riditung von Nord nach Slid 50 Ellen breit, und 20 Ellen
tie!. 3 ) Da an beiden Seiten diefer Vorhalle Nebengebaude
lagen, durch welche man zu den erwahnten dreiftockigen
Gebaulichkeiten gelangen konnte, 4 ) erklart fich auch die An-
gabe des Jofephus, dafe die Vorhalle (augen) iiber das um
40 Ellen fchmalere Hinterhaus mit dem Heiligen und dem
Allerheiligften und feineri Nebengebauden rechts und links
fliigelformig um 20 Ellen hinausragte. 5 ) Dadurch erkl art fich
aber auch die Breife der Front der Vorhalle, welche 100 Ellen
hoch und ebenfo breit war. Hier an der Front war ein 70
Ellen holies und 25 Ellen breites, an der Vorderfeite wie
an der Innenfeite vergoldetes Tor, welches keine Tiiren hatte,
da es ein Bild des weiten offenen Himmels fein follte. So-
mit fchaute man durch diefes offene Tor ungehindert auf das
eigentliche Tempelhaus. 6 ) Ober dem Tore hatte Herodes den
Namen feines Gonners Agrippa einhauen 7 ) und einen riefen-
grofjen Adler aus Gold anbringen laffen, ein romifches Em-
blem, an welchem die Juden fchon deshalb Anftog nahmen,
weil das Gefetj die Dar[tellung lebender Wefen verbot. In
der le^ten Krankheit des Konigs, als es hieg, er {ei ge-
J ) B. J. 5, 5, 4.
) B. J. 5, 5, 4. Ant. 15, 11, 3.
3 ) Jof. B. J. 5, 5, 4 ftrjxvvofievos Je enl nevcyxnvTa, xcu dia.ftniv<av
knl ettoGtv. Dag die Brette und nicht die Lange 50 Ellen betrug, folgt
fchon daraus, daf3 das Tor 25 Ellen breit war, 1. c. Dag bei der Angabe
von 20 Ellen Tiefe die des Augentores mit eingefchloffen war, fagt Jo-
fephus nicht. Die Dicke der Mauern des Tempelhaufes betrug nach ihm
8 Ellen. B. J. 6, 5, 1.
4 ) B. J. 5, 5, 5. Auch von Norden her hatten fie einen Zugang.
S. B. J. 6, 4, 5.
6 ) B. J. 5, 5, 4.
6 ) L. c.
7 ) B. J. 1, 21, 8.
1. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 79
ftorben, wurde der Adler mitten am Tage von den Juden
hinabgeworfen und zerftort. 1 )
Aufcerlich bot der Tempel einen herrlidien Anblick dar. Anbiick des
Er war namlich ganz aus blendend weijgem Stein gebaut, Tem peis.
auf alien Seiten mit fchweren Goldplatten bedeckt, und oben
fiber dem Dach mit goldenen Spiegen gefchmiickt, damit fich
nicht die Vogel darauf niederlaffen und ihn verunreinigen
konnten. Beim Sonnenaufgang ftrahlte er im hellften Feuer-
fchein und fchien den Fremden, die ihn von feme fallen, wie
ein fchneebedeckter Berg. 2 )
Die gewohnlidie Bevolkerung der Stadt, welche bei den Einwohner-
Feften von unzahligen Fremden befucht wurde, 8 ) betrug allem zahl -
Anfcbeine nach 100000 Perfonen/)
5. Das OJtjordanland (Peraa).
Der Name Peraa beruht auf einer griechifchen Ober- Umfang-von
fetjung (HfQav) des hebraifchen Wortes Eber = jenfeits, d. h. Peraa.
jenfeits des Jordans. Das Neue Teftament gebraucht den
Namen Peraa uberhaupt nicht, fondern redet immer von Jen-
feits des Jordans". 5 ) Im weiteften Sinne wird mit dem Na-
men Peraa oder Oftjordanland das Land vom Fuge des
Hermon bis zum Arnon im Siiden bezeichnet. Oft wurde es
aber im engeren Sinne fur das Land zwifchen Jarmuk und
Arnon, welches heute el-Belka und 'Adfchlun heifjt, gebraucht.
In noch engerem Sinne fteht es bei Jofephus fiir das Land
von Macharus im Siiden bis Pella im Norden und von Phila-
delphia (jetjt Amman) im Often bis zum Jordan im Weften. 6 )
Nehmen wir es im weiteren Sinne, fo haben wir es
mit einem im allgemeinen fruchtbaren Lande zu tun, durch
') B. J. 1, 33, 2-4. Ant. 17, 6, 2-4.
2 ) B. J. 5, 5, 6. Ant. 15, 11, 3.
3 ) B. J. 6, 9, 3 rechnet Jofephus in ubertreibender Weife aus, dag
nicht weniger als 1 Million 700000 reine und geweihte Perjonen bei
einem Ofterfeft zur Zeit des Nero in Jerusalem gewefen find.
4 ) Jof. c. Ap. 1, 22. Dort fuhrt Jofephus eine Stelle aus des Heka-
taeus Werk uber die Juden an, deffen Abfaffung er ins 3. Jahrh. v. Chr.
Jeijt, worin es heigt: ('Je^ofJoAv^a) oixovGiv dv&QWTTiav Ttfgi d'oidsKa ftvgtcid'ei;,
alfo ,,etwa 120000".
6 ) Matth. 4, 15. 19, 1. Marc. 3, 8. Joh. 1, 28. 3, 26. 6, 1. 17. 10, 40. 18, 1.
6 ) B. J. 3, 3, 3.
80 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gejchichte der Juden etc.
welches fich vom Jarmuk bis zum Toten Meere das Gebirge
Gilead hinzieht. Das Land hat durch den Jarmuk (Scheriat
el-Menadire), den Jabbok-Flufc (Nahr ez-Zerka) und den
Arnon (Sell el-Modschib) und ihre zahlreichen Nebenflufjchen
viele wafferreiche Taler und Nebentaler, ist aber aueh immer
den Einfallen der Nomaden aus der benachbarten Wfifte her
ausgese^t gewefen.
Jofephus nennt das ganze Oftjordanland Coelefyrien. 1 )
Die einzige, weftlich vom Jordan gelegene Stadt, welche
politifch dazu gehorte, war Skythopolis. 2 ) Damals bildete der
Jarmuk die Hauptteilungslinie des Landes in politifcher Hin-
ficht. Nordlich vom Jarmuk lagen die Lander, welche zur
Zeit Chrifti die Tetrarchie des Philippus bildeten, namlich
Gaulanitis, Auranitis, Batanaa, Trachonitis und Ituraa, fudlich
davon lag Peraa im engeren Sinne mit der Dekapolis. Erftere
hatten eine meift griechifche Bevolkerung, Peraa aber eine
vorzuglich jiidifche. 3 )
Eine genaue Be[timmung der Grenzen der einzelnen
Diftrikte ift deshalb kaum moglich, weil das Land von arabi-
fchen Nomadenftammen bewohnt ift, die [ich nicht an fefte
Wohnfitje binden, und es auch friiher im grojgjen ganzen
nicht anders war.
Qauianitis. Die Niederung Gaulanitis oftlich von See Genefareth vom
Hermon bis zum Jarmuk hat ihren Namen von der Stadt
Gaulon (hebr. Golan) in dem urfprunglich nordweftlichen Teile
des alten Reiches Bafan 4 ) und heifct heutzutage Dscholan. 5 )
Der Boden ift im nordlichen Teil bafaltifches Hiigelland, wah-
rend der fiidliche Teil, das ,,untere" Gaulanitis, worin die
Stadt Gamala 6 ) lag, flach und fruchtbares Ackerland ift.
') Ant. 12, 3, 3. 4, 1. 13, 13, 3. 15, 2.
2 ) Ant. 13, 13, 2.
3 ) Ant. 20, 1, 1. B. J. 2, 3, 1. 4, 7, 3-6. In B. J. 3, 3, 5 heigt
es von den nordlichen Landfchaften <,ix<n~6iv 6k avrf^v niyddt? 'lovdui-d xe
xal 2v^oi [ein Gemifch von Juden und Syrern].
4 ) Deut. 4, 43.
6 ) Vgl. Schumacher, Der Dscholan mit Karte in ZDPV Bd. IX. 1886,
S. 165363 und Bd. XXII 1899, S. 178-188.
6 ) B. J. 4, 1, 1. Der Ort wie die Oftktifte des Galilaifchen Meeres
iiberhaupt gehorte politifch oft zu Galilaa. So heigt Judas von Gamala
in Gaulanitis (Ant. 18, 1, 1) auch der Galilaer (B. J. 2, 8, 1). S. u. S. 87.
I. Kap. Das heilige Land.zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 81
Auranitis hat allem Anfchein nach in der herodianifchen Auranitis.
Zeit nur das Haurangebirge, den mons Alsalamos des Ptole-
maus, weldies Dschebel Hauran oder, da heutzutage viele
Drufen im Hauran wohnen, Dschebel ed-Druz, Drufengebirge
heifct und aus einer von Norden nadi Siiden laufenden Gruppe
alter Vulkane befteht, umfafct. Denn das fudweftlich vom Ge-
birge liegende alte Bostra (Bosra, heute Eski-Scham, d. h.
Alt-Damaskus, ein Name, der auf die ehemalige Bedeutung
der Stadt hinweift), von dem der Syrer fagt, die Bliite Bos-
ras fei die Bliite Haurans und umgekehrt, in welcher Stadt
auch der Statthalter der fpateren romifchen Provinz Arabia
refidierte, gehorte damals nicht zu Auranitis, fondern zum
Nabataergebiete. 1 )
Batanaa entfpridit im Namen dem altteftamentlichen Basan, Batanaa.
einem Landftricii im Norden des Oftjordanlandes, auf deffen
Charakter das Wort Bafan, welches fteinlofe Erde, befon-
ders den zerfetjten torfbraunen, fehr fruchtbaren Bafalttrap 2 )
bedeutet, hinweift. Geographifch verfteht Jofephus an den
Stellen, worin er Batanaa von den iibrigen Teilen des Oft-
jordanlandes unterfcheidet, 3 ) unter erfterer Landfchaft die Hoch-
ebene en-Nukra, d. h. ,,die Hohlung", welchen Namen das
durch Berge und Hohenziige, namlich im Often vom Drufen-
gebirge und der Ledschah, im Weften von Dscholan begrenzte
Land wegen feiner keffelformigen Lage fiihrt. Die Landfchaft
ift aufcerft fruchtbar und fowohl als Kornkammer Syriens,
als auch wegen ihrer eigentumlichen ,,fchwarzen" Ortfchaften
beriihmt. Man hat namlich faft nirgendwo Holz, woran jene
J ) Dies folgt aus einer zu Bosra gefundenen nabataifchen Infchrift
aus dem 11. Jahre des Konigs Malchus II., d. h. aus ungefahr 40 v. Chr.
Vgl. de Vogue, Syrie centrale, Inscriptions semitiques, P. 1868, p. 103
<= Corp. Inscr. Semit. P. II. Aram. n. 174). Vgl- Smith 617, 1. - Eine
Karte des Dschebel Hauran von H. Fifcher gibt ZDPV, XII (1889). Vgl.
auch Rene Dussaud et F. Macler, Voyage archeologique au Safa et dans
le Djebel ed-Druz. Paris 1901. Sejourne, A travers le Hauran Rb. VII.
(1898), p. 275-87, 596-611.
*) S. Buhl, S. 117.
8 ) Ant. 15, 10, 1. 17, 2, 1 f. B. J. 1, 20, 4. Er nennt aber bis-
weilen den nOrdliehen Teil des Oftjordanlandes iiberhaupt Bafan, Ant. 4
7, 4. 9, 8, 1 und gebraucht auch Batanaa bisweilen im weiteren Sinne'
Z. B. Vita 11. fiera ro,v sv Barnvala rQa^mvirwv.
Felien, Neutejtamentlidie Zeitgefchidite. I. 2. u. 3. Aufl. 6
82 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc,
Gegend fehr arm 'iff, fondern vielmehr Steinbalken zum Bau
der Haufer benutjt, und wie die Balken beftehen audi die
Decken, Tiiren, Riegel u. dgl. aus Bafalt, der durdi die ftarke
Sonne fchwarz geworden ift. 1 ) Am Siidrande von en-Nukra
liegt die Stadt Der l at, das alte Edrei.
Trachonitis. Trachonitis (d. h. ,,Rauhland") 2 ) fiihrt feinen Namen von
den fudo[tlich von Damaskus gelegenen fogenannten Tra-
dio.nen (vom griech. trachon = fteiniger, rauher Boden),
zwei grofcen Lavabetten, wovon allerdings nur das grofce
Lavaplateau el-Ledschah (= Zufluditsort, Afyl) mil feiner
Umgebung in Betracht kam, da das andere es-Safa (die
,,leere, nackte") kein Waffer und keine Vegetation hat und
auch zu weit entfernt .von zivilifierten Gegenden in der
Wiifte liegt. Noch um das Jahr 25 v. Chr. horen wir von
ganz verkommenen Menfchen, welche in der Trachonitis in
unterirdifdien Schlupfwinkeln und Hohlen mit ihrem Vieh
lebten und das Damaszenifche Gebiet plunderten. 3 )
uiatha und Nordweftlich von der Trachonitis lag der Bezirk Ulatha,
Panias. an welchen Namen der Hule-See erinnert, und die Land-
fchaft Panias und ihre Umgebung, wo zur Zeit des Herodes
Zenodorus herrfchte, nach deflen Tode Herodes die Land-
fchaften erhielt. 4 )
Das Gebiet Ituraa und das Trachonitifctie Gebiet bildete nadi dem
der ituraer. Neuen Teftamente 5 ) die Tetrarchie des Philippus. Der Name
') Vgl G. Smith 615, 629 ff. Schumacher, Das fiidliche Bafan [d. h.
der oftliche und fiidliche Hauran], ZDPV, Bd. XX. (1897), 67-227. G. Rind-
fleifch, Die Landfchaft Hauran in romifcher Zeit und in der Gegenwart
ZDPV, XXI. (1898), 146 [und feparat, Marburg 1898. Es ift eine zu-
fammenfaffende Arbeit], Noch immer wertvoll ift Wetjftein, Reifebericht
uber den Hauran und die Trachonen. Berl. 1860.
2 ) Jofephus fagt bisweilen 6 T^a/wr, fo Ant. 13, 16, 5; 15, 10, 1.
B. J. 1, 20, 4. 2, 6, 2. Er redet Ant. 17, 2, 1 f. von der an Trachonitis
grenzenden Toparchie Batanaa. Ant. 17, 8, 1 und 18, 4, 6 fteht Trachoni-
tis im weiteren Sinne, mit Einfchlug von Auranitis (Ptolem. 5, 15, 26
redet von T^a/wvira? "./^a^i ,,unter" dem Mons Alsalamos) und Ant.
18, 5, 4 kurz von der ganzen Tetrarchie des Philippus. In letjterer Be-
deutung wird Trachonitis auch von Philo, Leg. ad Caj. 41 gebraucht.
3 ) Ant. 15, 10, 1. B. J. 1, 20, 4.
*) Ant. 15, 10, 3.
5 ) Luc. 3, 1. Der fonft nicht ficher nachgewiefene Name Ituraa (bei
Jos. Ant. 13, 11, 3, wo Dindorf 'Itovyaiuv hat, ift nach Niefe 'It
I.-Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 83
Ituraa weift auf das von den Ituraern bewohnte Gebiet bin.
Sie waren in der romifchen Kaiferzeit als Bogenfchutjen be-
ruhmt 1 ) und gehorten einem ifmaelitifchen Stamme von Ara-
bern an, 2 ) der allerdings aus unruhigen Nomaden, ahnlich
den heutigen Beduinen, beftand, aber im erften Jahrhundert
einigermafcen fefte Wohnfitje hatte. Nadi Strabo bewohnten
fie diefelben Gebirgsgegenden wie die Araber oberhalb der
Ebene Massyas (jetjt El Bika) zwifchen Libanon und Anti-
libanon. Ihre Wohnfitje muffen fich aber uber die Weft-
und Siidabhange des Antilibanon hinaus nach Sudoften er-
ftreckt haben. Denn Strabo erwahnt audi, nadidem er von
Damaskus und den Traehonen gefprochen hat, gleidi darnach
}) wilde Gebirge mit grofcen Hohlen naeii den Gebieten bin,
welche die Araber mit den Ituraern bewohnen." Somit
haben fie bis nach Trachonitis hin 3 ) gewohnt, wenn auch
zu lefen) wird von Euseb. Onom. p. 110 als gleichbedeutend mit dem
trachonitifchen Lande gebraucht, leljteres aber ift ihm i/ jta^axet^lvt] x^a^*
crj tQ^fiu> rij xr BdffTQav TIJ? '^4(a/9/af.
J ) Caesar, Bell. Afric. 20. Cicero, Philipp. 2, 8, 19. 2, 44, 112. 13,
8, 18. Virgil. Georg. 2, 448. Lucan. Pharsal. 7, 230 und 514.
") Der Name hangt ficher mit Jetur, einem Sohne Ifmaels zufammen .
S. Gen. 25, 15. 1 Par. 1, 31. Vgl. 1 Par. 5, 19.
3 ) Strabo 16, 2, 18: r fikv ovv OQSIVOI U/ov6t ndvta'hov^alol -ce xal
; 16, 2, 20: e'rrtitct TT^O? T ^.(tcifiwv /Aegrj xai ToJv 'iTovga-imv ava-
041*7 6v6^ara, Vgl. Smith, Hist. Geography p. 544547. Nach einer
Infdirift um das Jahr 6 n. Chr. (Ephemeris Epigraphica, IV, 1881,
537 542) fagt Q. Aemilius Secundus, Unterfeldherr des Varus n adversus
Ituraeos in Libano monte castellum eorum cepi". Den Sohn des Pto-
lemaus Mennaus, welchem die Ebene Massyas und die Gebirgsgegend
der Ituraer gehorte (Strabo 16, 2, 10), Lysanias, welcher zur Zeit des
Triumvir Antonius das Land von Damaskus bis zurri Meere befag und
feine Hauptftadt in Chalcis oberhalb der Ebene Massyas im Antilibanon
hatte, (vgl. u. S. 89) nennt Dio Cassius 49, 32 KOnig der Ituraer. Aus
diefen CrQnden und wegen Strabo 16, 2, 10 und 18 vertritt Schurer I,
707 ff. die Anficht, dag die Ituraer um die Zeit vor Chrifti Geburt in
dem die Ebene Massyas im Often begrenzenden Gebirgszuge, dem Anti-
libanon, wohnten. So auch Sejourne Rb. VI, 1898, p. 2779. Das mag
ja zu einer Zeit richtig gewefen fein, war aber fchon zu Strabos Zeiten
wenigftens nicht ausfchliefclich richtig. Vgl. Strabo 1. c. Ober die Hohlen
in Trachonitis f. Seite 82. Im Jahre 38 v. Chr. wird ein Kdnig der
Ituraer, Soemus, erwahnt. Denn es heigt bei Dio Cass. 59, 12, dag
Caligula ihm (im Jahre 38) die Herrfchaft uber die Ituraer verlieh.
Nach feinem Tode wurde fein Land mit Syrien verbunden. Vgl. Tac.
6*
84 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchidite der Juden etc.
zerftreut unter Arabern. Moglicherweife hat der heilige
Lukas mit den Worten Tetrardi von ,,Ituraa und dem
trachonitifchen Gebiet" zwei Namen fiir ein und dasfelbe
Gebiet gebraucht, 1 ) wahrfcheinlidi meint er aber verfdiiedene
Teile, da dies feinem fonftigen Verfahren entfpricht.
Peraa im en- Kehren wir zuruck zu Peraa im engeren Sinne, fo er-
geren Sinne. ftreckte fich dies nadi Jofephus von Macharus am nordliehen
Saum des Hodilandes von Moab bis nach Pella im Norden. 2 )
Da nun Pella, eine fchon zur Dekapolis gehorige Stadt,
nordlich vom Jabbok liegt, fo war Peraa nadi Norden weiter
ausgedehnt als das alte Land der Ammoniter, welches vom
Arnon bis zum Jabbok reichte 3 ) und heute el-Belka heifct.
Geographifch zog man aber die Grenze auch noch weiter
bis zum Jarmuk. Denn in diefem Sinne nennt wohl Jofephus
Gadara, unmittelbar fudlich vom Jarmuk, die Hauptftadt Pe-
raas. 4 ) Es wurde fomit auch bisweilen noch das Land zwi-
fchen Jabbok und Jarmuk (heute "Adschlun) zu Peraa gezahlt.
El-Belka und Adfchlun zufammen bilden das altberuhmte
wafferreiche Weideland Gilead. Macharus lag im alten Moa-
biterland, welches fich der Makkabaer Alexander Jannaus
tributpflichtig gemacht hatte. 5 ) Die von ihm erbaute Feftung
Macharus am Toten Meere hatte fpater Herodes, der auch
noch zuletjt die in der Nahe gelegenen beriihmten warmen
Bader von Kallirrhoe befuchte, 6 ) zu einem zweiten Masada
gemacht. 7 )
ann. 12, 23: Ituraeique et Judaei defunctis regibus, Sohaemo atque
Agrippa, provinciae Suriae additi.
') Vgl. Smith, p. 554 und art. Ituraa in Hastings II, 521 f. und
Schurer I. 711 gegen Ramsay (Expositor, 1894, IX, p. 51 ff., 143 ff., 288 ff.),
der das ituraifche und das trachonitifehe Gebiet als identifch [vgl. auch
Bus. Onom., p. 110] anfehen will. Da Lukas das Gebiet des Pilatus (3, 1)
kurzweg Judaa, das des Vierfurften Herodes Galilaa nennt, wurde er
doch wohl, wenn kein fachlicher Unterfchied zwifchen den beiden Aus-
drucken ware, auch blog ,,das trachonitifehe Gebiet" gefagt haben, ahn-
lich wie Agrippa bei Philo Leg. ad Caj. 41 die kurze Bezeichnung n Tijv
TQay.oivlriv ^Byoiisv^ xal trjv JTAAa/r" fur die beiden Tetrarchien ge-
braucht. Reland, p. 77 ff. identifiziert Ituraa mit Auranitis.
2 ) Siehe S. 81 f.
8 ) Ant. 4, 5, 2.
<) B. J. 4, 7, 3.
5 ) Ant. 13, 13, 5. 14, 2. 15, 4.
e ) Die Bader von Kallirhoe liegen an der Oftfeite des Toten Meeres,
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 85
Im Oftjordanland war, feitdem das ganze Land von Ale- Die
xander Jannaus mit Ifrael vereinigt war, 1 ) nach Moglidikeit Dekapoiis.
jadifche Sitte eingefuhrt worden. 2 ) Allein dem widerftanden
die zahlreidien helleniftifchen Stadte jener Gegend, deren Lage
zur Zeit Chrifti wieder eine viel unabhangigere geworden
war. Durch Pompejus hatten fie wieder ihre ,,Freiheit" er-
langt, 3 ) d. h. fie waren wie fruher ,,freie Stadte" mit freier
einheimifcher Verwaltung, Munz-, Afyl- und Vereinigungsreeht,
die jedoch von Anfang an zur Provinz Syrien gehorten und
in politifcher und reditlicher Beziehung unter der Oberauf-
fidit des dortigen Statthalters ftanden. Audi mufcten fie
Reidisfteuer bezahlen und konnten zum Heerdienfte einge-
zogen werden. Audi mufcten ihre Miinzen das Bild des
Kaifers tragen. 4 ) Zehn diefer griediifdien Stadte bildeten
zufammen die Dekapoiis. Das Wort Dekapoiis findet fidi erft
in romifdier Zeit und wird wie ein geographifcher Ausdruck
zur Bezeidinung eines beftimmten Teiles von Syrien bezw.
von Palaftina gebraudit. 5 ) In den Evangelien i[t es der Di-
wo nun die Ruinen von Zara fich finden, fudlich von dem Einflug des
Zerka in's Meer. Von dem Orte fagt Plinius H. N. 5, 10, dag er den
Namen Kallirhoe (= die fchOne, gute Quelle) mit Recht verdiene (aqua-
rum gloriam ipso nomine praeferens). Nach Jofephus Ant. 17, 6, 5,
B. J. 1, 33, 5 lagen die Quellen direkt am toten Meere. Bei den frflher
oft als Kallirrhoe ange[ehenen Quellen bei Baaras (Jof. B. J. 7, 6, 3),
welche die Araber Hammam ez-Zerka d. h. Zerka-Bad nennen, trifft das
nicht zu. Audi die Karte von Madaba nennt eine Gruppe von Badern
unmittelbar am Meere ,,Bader von Kallirhoe." Vgl. u. a. F. M. Abel,
Une croisiere etc. Rb. 1909, 233 ss. Heidet, Eine Badekur in Kallirrhoe
u. die Dampffchiffahrt auf dem toten Meere. Das hi. Land 1909, 2, 65 ff.
7 ) Ant. 14, 5, 2. 6, 1. B. J. 7, 6, 2. Plin. H. JJ. 5, 16, 72. Vgl.
iiber die durch die Ermordung des Johannes des Taufers beruhmte
Feftung, die zugleich auch Palaft des Herodes war, Abel 1. c. p. 386 -397.
J ) Ant. 13, 13, 13. B. J. 1, 4, 2.
) Ant. 13, 15, 4.
3 ) Ant. 14, 4, 4. B. J. 1, 7, 7.
*) Vgl. Marquardt, R6m. Staatsverw. I, 69 ff. Mommfen, R6m. Staats-
recht III, 1, 645 ff.
5 ) PliniUs 5, 18, 74: Decapolitana regio a numero oppidorum, in
quo non omnes eadem observant [die Zahl der Stadte wird ver"
fchieden angegeben]; 15, 15 heigt es, die kleinen Oliven wuchfen Deca-
poli Syriae. Jos. B. J. 3, 9, 7 nennt zur Zeit Vefpafians Skythopolis
,,die grogte Stadt der Dekapoiis". S. auch Jos. Vita 65 (r'? ev rfj Sv^la
3e*ct ^o'Ae<? enole/tsiTe) und 74 (ot7i(>~ ottoi rolv rrj? 2v(>la<; dexa, nolewv).
86 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
ftrikt, der durch den See Genefareth und den Jordan von
Galilaa getrennt ift. 1 ) Zu den Stadten der Dekapolis ge-
horte 2 ) eine als Mittelpunkt vieler Strajgen wichtige griediifdie
Stadt im Weftjordanland, namlidi Skythopolis, 3 ) dann im Oft-
jordanland neun an Haupthandelsftrafcen liegende Stadte.
Hierzu gehort Pella (wahrfcheinlich das ffiddftlidi von Skytho-
polis fiber dem Jordantal liegende Fahil), 4 ) eine im judifchen
Kriege den Romern treu ergebene Stadt, wohin die Chriften
Jerufalems wahrend des romifdien Krieges fliichteten ; 5 )
dann weiter nach Norden, auf den Hohen unmittelbar fudlidi
vom Jarmuk Gadara, 6 ) deffen umfangreiches Stadtgebiet fidi
fiber den Jarmuk hinuber bis ans Galilaifche Meer erftreckte. 7 )
Daft die Stadte der Dekapolis einen Stadtebund, etwa zu Zwedcen des
Handels oder der Verteidigung, gebildet hatten, wird oft angenommen,
lajgt fich aber nidit dartun. Vgl. dagegen auch Schwartj, Die Aren von
Gerasa und Eleutheropolis, GGN 1906 (S. 340395), S. 372 ff., dejfen
eigene Vermutung, Dekapolis fei urfprfinglich Name einer feleucidifchen
Provinz gewefen, von Schurer II, 149, 215 bekampft wird.
a ) Matth. 4, 25. Marc. 5, 20. 7, 31. Bus. Onom., p. 80 nennt die
Dekapolis richtig die Gegend um Hippos, Pella und Gadara.
2 ) Nadi Plinius N. H. 5, 18, 74. Befonders ausfuhrlich handelt uber
die einzelnen Stadte der Dekapolis Schurer II, 148194, wo auch die
neuere Literatur forgfaltig verzeidinet ift.
3 ) Siehe o. S. 38. 40. 41. Die Stadt, welche hebraifch Beth-Sean,
griech. Bijsdv oder B<*iffdv heigt (in Judith 3, 11 und 2 Mace. 12, 29
S*vv noKiq), lag auf einer Terraffe 100 m fiber dem Jordan, etwa 7
Kilometer vom Fluff e entfernt in einer wafferreichen Gegend. Jofephus
B. J. 3, 9, 7 fagt von ihr: 17 6e fan, (tyl'STy tfj<; JsKamiieu,?. Ober die
bewegte Gefchichte der Stadt vgl. Schurer 2, 170-173; F. M. Abel, Ex-
ploration de la vallee du Jourdain, VII., in Rb. 1912, 409423.
*) Vgl. befonders Schumacher, Pella. London 1888.
6 ) Bus. H. E. Ill, 5, 23. Epiphan. haer. 29, 7; de mensuris et
pond. 15.
6 ) Plin. 5, 18, 74; Gadara Hieromice praefluente. Der Ort wird
allgemein in der Ruinenftatte Mukes (MkSs), die 364 m uber Meer auf
der weftlichen Spitje eines Gebirgskammes liegt, gefunden. Siehe Schu-
macher, Northern Ajlun, London 1890, p. 46-80; Badeker, S. 185 f.
Warren, art. Gadara in Hastings II, 79 f. Abel, Exploration de la vallee
du Jourdain. Rb., 1911, 424436.
7 ) Nach Schurer II *, 161 reichte das Gebiet von Gadara bis an den
See, wie nicht nur aus Ev. Matth. 8, 28 (wo die Lesart fchwankend fei)
fondern auch aus den Munzen folge. Auf diefen wurde ofters ein Schiff
abgebildet, ja einmal (auf einer MQnze Mark Aurels) eine v,tt<t*n (/la)
erwahnt (vgl. de Saulcy, pi. XV n. 9-11). Eine ahnliche Munze befchreibt
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 87
Die befonders wegen ihrer warmen Quellen 1 ) beruhmte Stadt
hat zeitweilig geradefo wie eine andere Stadt der Dekapolis,
Hippos (etwas vom 6ftlichen Ufer des Galilaifchen Meeres ent-
fernt) 2 ) dem Herodes gehort. a ) Beide find aber nach feinem
Tode mit der romifchen Provinz Syrien verbunden worden. 4 )
Etwas weftlich von Hippos und fomit unmittelbar am See
Genefareth lag auf einem nur von Often zuganglidien Hu-
gel, wie Jofephus fagt, ,,gegeniiber Tarichea jenfeits des
Sees," die fefte Stadt Gamala, welehe aber nicht zur Deka-
polis, fondern zum untern Gaulanitis gehorte. 5 ) Den Ort
nehmen jetjt die Ruinen Kal c at el-H6sn ein. 6 ) Die nordlidi
hiervon liegenden Ruinen von Khersa Oder Kursi, ebenfalls
am Ufer des Sees, die einzige Stelle an der Kiiftey wo die
Berge als fteile Felswand unmittelbar ans Waffer heraiitreten, 7 )
weifen noch in ihrem Namen auf Gergesa oder Gerasa 8 )
bin, wo der Heiland den Befeffenen heilte.
aueh Dalman, Infchriften aus Palaltina ZDPV, Bd. 37, 1914 S. 143). Sie
ftammt aus der Zeit Mark Aurels (aus dem Jahre 224 = 160/161 n. Chr.)
und hat auf der Ruckfeite die Auffchrift rrfo(,v TTJS xarn n()r (nnov)
vwnn f/v?' = Der Gadarener von der Schiffska'mpfe veranftaltenden
Stadt am Fluff e (Jarmuk). Dalman meint, fie beweife nichts fur die
Herrfchaft der Stadt fiber den See. Die Schiffskampfe wurden wohl unten
bei den Badern im Fluffe oder in einem dort leicht herzuftellenden Baffin
ftattgefunden haben.
') Bus. Onom., Ausg. Kloftermann p. 74 u. 22, erwahnt fie.
*) Die Stadt lag am oftlichen Ufer des Sees Genefareth (Plin. 5,
15, 71), 30 Stadien von Tiberias (Jos. Vita 65), nicht weit von Gadara
(Vita 9), nach Bus. Onom., p. 22 nahe bei Afeka. Letjteres wird iden-
tifiziert mit dem jetjigen Dorfe Fik. Nahe dabei liegt die Ruinenftatte
Susije, welehe vermutlich das alte Hippos iff.
3 ) Ant. 15, 7, 3. B. J. 1, 20, 3.
4 ) Ant. 17, 11, 4. B. J. 2, 6, 3.
*) B. J. 4, 1, 1. Siehe o. S. 80, 6.
6 ) Badeker, S. 282. Vielfach wird el-H6sn mit Hippos identifiziert,
auch von Schurer II, 156, 240. Bei der damaHgen dichten BevOlkerung
des Landes beweift der Umftand, dag, wenn Hippos "= Susije und Ga-
mala = el-HOsn ift, zwei bedeutende Stadte n unmittelbar nebeneinander"
gelegen haben, nichts.
7 ) Vgl. Smith 458 f. und Buhl 243.
8 ) Es gab mehrere Orte des Namens Gerasa. Vgl. Furrer, Noch-
mals Gerasa, ZDPV XXI. (1899), 184 f. Fur Khersa auch Kaulen im
Kirchenlex. 5, 350. Warren, art. Gerasenes in Hastings II, 159 f. u. a.
Vgl. noch Lagrange, Geraseniens ou Gergeseniens in Rb. IV (1895),512-522.
88 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Eine fiinfte Stadt der Dekapolis, namlich Dium, lag etwas
fiidoftlich von Pella, 1 ) und- welter fiidoftlich die grofce Stadt
Gerasa,-) von welcher noch fehr bedeutende, allerdings er[t
aus dem zweiten und dritten Jahrhundert [tammende Refte
eines grofcen heidnifchen Tempels, zweier Theater und an-
derer offentlichen Gebaude in den Ruinen von Djerafch er-
halten find. 3 )
Noch 9 l /2 Stunden Wegs fudlicher als Gerasa lag die
ebenfalls zur Dekapolis gehorige Stadt Philadelphia, welche
im Alten Teftament Rabba (Hauptftadt) der Ammoniter, oder
einfaeh Rabba hiefc. Ihren alten Namen hat fie aber doch
auch behalten, und heute noch heifcen die grojgartigen Ruinen
der Stadt die Ruinen von 'Amman. 4 )
Die Lage von Raphana, welches Plinius unter den Stadten
der Dekapolis erwahnt, ift nicht bekannt, 5 ) wohl aber die
von Kanatha, dem heutigen Kanawat am Weftabhang des
Haurangebirges an der alten Romerftrafee, die von Bosra
nach Damaskus fiihrte. ) Endlich gehorte noch Damaskus
nach Plinius zur Dekapolis. 7 )
In diefen Stadten, zu welchen oft ein grofces Gebiet mit
mehreren Dorfern gehorte, 8 ) pulfierte in den Stra&en, Am-
phitheatern, Badern u.'dgl. machtig das griechifch-romifche
Leben der damaligen Zeit, und in ihren Tempeln fanden
x ) Ptolem. 5, 15, 23; vgl. Smith 598, 2. Deshalb i[t die Vermutungf
von E. Schwartj, S. 359 ff., dag Dium auf dem heutigen Tell-el-Asch'ari
(oftlich vom See Genefareth und nordoftlich von Pella) lag, fdiwerlich riditig.
2 ) Alexander Jannaus hatte die Stadt erobert (B. J. 1, 4, 8 und
Ant. 13, 15, 3, wo ftatt *E66av r^aoav zu lefen i{t). Plinius 5, 18, 74
nennt urrter den Stadten der Dekapolis auch Gelasam, wofur Gerasam
zu lefen ift.
3 ) Schumacher, Dscherasch ZDPV, XXV. (1902), S. 109177. Vgl.
auch Badeker, 163-169 und P. Thomfen, Palaftina und feine Kultur in
funf Jahrtaufenden, 2. Aufl. Lp. 1917, S. 103 ff.
4 ) The Survey of Eastern Palestine I. (By C. R. Conder), L. 1889, p. 19 - 64.
Vgl. auch Badeker, 169 171. Den Namen Philadelphia erhielt die Stadt von
Ptolemaus II. Philadelphus. S. Hieron. in Ezech. c. 25 (Migne PL. 25, 233).
5 ) Vgl. Buhl, S. 250. Schurer II, 163 f.
6 ) Vgl. Schurer II, 167-170. Sejourne Rb. VII, 603-606. Badeker
191193.
7 ) S. u. S. 90.
b Jos. Vita 65.
I. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 89
die heidnifchen Cotter ihre Verehrer. In Gadara zum Bei-
fpiel, deffen Gemarkung fo ausgedehnt war, daft man von
einer Landfchaft Gadaritis reden konnte, 1 ) wurden Zeus,
Pallas, Herkules und Aftarte verehrt. 2 ) Von hier ftammten
der Lehrer des Kaifers Tiberius, der Rhetor Theodorus, der
um die Zeit Ciceros lebende Epikuraer Philodemus und der
ebenfalls im erften Jahrhundert vor Chriftus lebende Epi-
grammendichter Meleager. 3 )
In der Dekapolis lag auch oftlich von Gadara ein Ort namens
Abila. 4 ) Aber nicht von diefem, fondern von einer gleichnamigen Stadt
Abila, 5 ) welche identifdi ift mit dem auf der Strafce von Damaskus nach
Heliopolis (Baalbek) etwa 6 Wegftunden oberhalb Damaskus am Barada
gelegenen Dorfe Suk 6 ), fuhrt die im Neuen Teftamente erwa'hnte Tetrar-
chie von Abilene 7 ) ihren Namen. Das Qebiet von Abila gehSrte um die
Mitte des erften Jahrhunderts einem gewiffen Ptolemaus, Sohn des.Men-
naus, welcher Furft der Ebene Maffyas mit der Hauptftadt Chalcis und
des Berglandes der Ituraer 8 ) war. Sein Reich grenzte an das Gebiet von
') B. J. 3, 10, 10.
2 ) De Saulcy, Numism. de la terre sainte, p. 294303.
8 ) Strabo 16, 2, 29, der allerdings die judifche Stadt Gadara = Ga-
zara (f. S. 59) mit dem heidnifchen Gadara vervvechfelt (fo Lightfoot, Cen-
turia chorographica Matthaeo praemissa cap. LXXV. Opera 1 . Ultrajecti
1699 II, 225. Reland, p. 577).
*) Bus. Onom., p. 32.
5 ) EUS. I. C. 'jifttlci tfje 'IiOMtxSli ftun&i Ann.ct6M-v xai IJaveci$os.
Ober das Abila des Lysanias vgl. Ptolem. 5, 14, 22. Jos. Ant. 19, 5, 1.
6 ) Man fand 2 Meilen von Suk einen Meilenftein rnit der Aufjchrift
Mil. pass II. Vgl. Clermont-Ganneau, Recueil II, 35 - 43. In der Na'he
findet fich auf einem Felfen eine Infchrift, wonach (f. diefelbe bei Orelli
4997) die Kaifer Mark Aurel und L. Verus viam fluminis vi abruptam
interciso monte restituerunt per Jul. Verym leg. pr. pr. provinc. Syr. et
amicum suum, impendiis Abilenorum. Der Plug ift der Chrysorrhoas,
der jetjt Barada heigt, an dem auch Damaskus liegt. Man hat auch
Abila mit einer Stadt Leucas am Chrysorrhoas, wovon man zahlreiche
Munzen hat, identifizieren wollen (f. z. B. Marquardt RStV. 1, 402). Allein
es gab eine ganze Anzahl von Flilffen, welche den Namen oder Beinamen
Chrysorrhoas fuhrten (Perdrizet in Rb. 1900, 442). Ob das auch von dem
Fluffe Valania gilt, an welchem Banijas, das alte Balanaia, worin neuer-
dings Leucas gefucht wird (von J. Rouvier, Balanee-Leucas Rb. N. S. I.
1904, p. 572-576) gilt, ift aber unbekannt.
7 ) Luc. 3, 1.
8 ) Strabo 16, 2, 10 (f. o. S. 83, 3). Jos. Ant. 14, 7, 4 nennt ihn
ryro rw Aifidvw
90 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Damaskus, fur welche Stadt er ein gefahrlicher Nachbar war, 1 ) da er feine
Maeht {tets auszubreiten 2 ) fuchte. Von Pompejus erkaufte er fich den Fort-
beftand feiner Herrfdiaft urn 1000 Talente. Da er mit einer Makkabaerin
verheiratet war, 3 ) unterftutjte er deren Bruder Antigonus in feinen Be-
muhungen um den Thron, 4 ) Nach feinem Tode im Jahre 40, der zur
Zeit des Einfalls der Farther erfoigte, kam {ein Reich an feinen Sohn
Lyfanias. 5 ) Der Kleopatra zuliebe liefc Antonius der Triumvir diefen
unter dem Vorgeben, er habe mit den Parthem ein Btindnis gefchloffen,
im Jahre 36 v. Chr. umbringen und gab fein Gebiet der Konigin von
Agypten. 6 )
Als Pachter, 7 ) d. h. als tributpflichtigen Befitjer des Gebietes des
Lyfanias finden wir f pater Zenodor, 8 ) Dynaft von Ulatha und Panias,'-)
a ) Ant. 13, 16, 3: /9p?V r\v rfj noltt, yeiTixv. Nach Jos. Ant. 14, 15, 2.
B. J. 1, 4, 8 haben die Damaszener aus Hag gegen ihn den Araber-
konig Aretas herbeigerufen und diefen zum Konjg von Coelefyrien ge-
macht, Spater hat die K6nigin Alexandra ihren Sohn Ariftobul mit einem
Heere nach Damaskus gefchickt, angeblich um die Stadt vor Ptolemaus
Mennai zu fchQtjen. Ant. 13, 16, 3. B. J. 1, 5, 3.
*) Ant. 14, 3, 2.
a ) Ant. 14, 7, 4. B. J. 1, 9, 2.
*) Ant. 14, 12, 1.
5 ) Ant. 14, 13, 3. B. J. 1, 13, 1. (Siehe u. S. 91.) Jofephus nennt
ihn nidit Tetrarch, fondern K6nig (fl**et\t-vi) B. J. 1, 22,3. Audi Dio Cass.
49, 32' und Porphyrius bei Bus. Chron. ed. Schoene I, 170, der ficher
nicht von Lyfimachus, fondern von Lyfanias fpricht, nennen ihn Kdnig.
Erft nach dem Tode diefes Lyfanias fpricht Jofephus von einer ,,Tetrarchie
des Lyfanias" Ant. 18, 6, 10. 20, 7, 1. In 20, 7, 1 wird Chalcis von der
Tetrarchie Abila unterfchieden.
6 ) Vgl. Ant. 15, 3, 8 fin. und 15, 4, 1, woraus fich ergibt, dafj, als
Herodes im Jahre 34 zu Antonius kam, Lyfanias bereits tot und fein Reich
der Kleopatra gefchenkt war. Porphyrius 1. c. fagt: TO ^ex
[das 16. Jahr der Kleopatra ift das Jahr 36 v. Chr.] wvonda&t) TO
TfXevTijOtxvToi; jivQindzov (z. 1. ift jivGaviov) Tys lv
?, M.a.gxo<; > AvTMVto<; o avroxgdroiQ Tr\v re XaAw'rfa xnl
TOTHVC itnfjifitnxe zfj lO.ennaT&a. Somit fe^t et; die Schenkung
auch ins Jahr 36. Ebenfo Plutarch, Anton. 36 und Dio Cass. 49, 32.
Allerdings hat damals, im Jahre 36, die Kleopatra verfprochen, auf Judaa
keinen Anfpruch zu machen (Ant. 15, 3, 8 fin.), hat aber dies Verfprechen
nicht gehalten und hat im Jahre 34 Stucke von Judaa erhalten (Ant.
15, 4, 1-2. B. J. 1, 18, 5). (Schurer I, 362, 5 fe^t die Hinrichtung des
Lyfanias ins Jahr 34. Vgl. auch ebd. 1, 707725: I. Beilage Gefchichte
von Chalcis, Ituraa und Abilene.)
7 ) Ant. 15, 10, 1. B. J. 1, 20, 4.
8 ) In einer zu Heliopolis gefundenen und nur bruchftuckweife er-
haltenen Infchrift wird von einem n Zenodorus, Sohn des Tetrarchen
Lyfanias" geredet (vgl. den Text nebft Kommentar bei Renan, Memoire
1. Kap. Das heilige Land zur Zeit Chrifti und der Apoftel. 91
der aueh Herr von Trachonitis, Auranitis und Batanaa war. 1 ) Da er fich
aber an den Raubereien gegen die Bewohner des Damaszenifdien Ge-
bietes beteiligte, wurden die drei zuletjt genannten Landfdiaften im
Jahre 23 v. Chr. von Auguftus dem Herodes fibertragen.*) Nachdem
Zenodorus im Jahre 20 zu Antiodiien geftorben war, erhielt ,,deffen nicht
kleinen Befitj, der zwifdien Trachonitis und Galilaa lag und Ulatha, Pa-
nias und daran grenzende Gebiet einfchlog", ebenfalls Herodes. 3 )
Abilene wird unter den dem Herodes gefchenkten Landfdiaften nicht
erwahnt, vielmehr hOren wir erft wieder von Agrippa I., dag ihm Kaifer
Caligula im J- 37 n. Chr. auch ,,die Tetrarchie des Lyfanias"*) und der
Kaifer Claudius ihm im Jahre 41 das ganze Reich, wie es Herodes be-
feffen, und dazu w aus feinen eigenen Befitjungen Abila des Lyfanias
und das ganze Gebiet im Libanon" ubertrug. 5 )
Zur Zeit Chrifti hatte Abilene noch eigene Fflrften. Denn im Lukas-
evangelium wird ,,Lyfanias Tetrarch von Abilene" erwahnt. 6 ) Ohne Zweifel
handelt es fich um einen AbkOmmling 7 ) des altern Lyfanias, dem von
sur la dynastie des Lysanias d'Abilene (in Memoires de 1'Acad. des
Inscr. et Belles-Lettres t. XXVI. (1870), p. II. p. 49 84), p. 70 ss.}. Da
Lyfanias I. fonft nicht Tetrarch heigt, ift die Beziehung unficher. Vgl.
Schurer 1, 715.
9 ) Ant. 15, 10, 3. Dio Cass. 54, 9.
') Ant. 15, 10, 12. B. J. 1, 20, 4. Man hat Munzen von ihm aus
den Jahren 32, 30 und 26 v. Chr. Vgl. Renan, 1. c., p. 63. Vigouroux,
Le nouveau testament et les decouvertes archeol. modernes 2 . Paris 1896
(handelt p. 131 141 von Lyfanias dem Tetrarchen von Abilene], p. 136.
) Ant. 15, 10, 1. B. J. 1, 20, 4.
3 ) Ant. 15, 10, 3, vgl. B. J. 1, 20, 4.
4 ) Ant. 18, 6, 10.
5 ) Ant. 19, 5, 1. Vgl. B. J. 2, 11, 5 ,,pa6dtiav Tijv Avdaviov
6 ) Luc. 3, 1.
7 ) Der altere Lyfanias kann nicht gemeint fein, da fein Reich einen
viel grogeren Umfang afs die Tetrarchie Abilene hatte. Siehe S. 89 f.
Die Exiftenz eines jungeren Lyfanias wird durch eine bei Abila gefundene
Infdirift bezeugt (vgl. Renan, Memoire sur la dynastie des Lysanias etc.
1. c. p. 67. Die Infchrift ift oft veroffentlicht, z. B. auch von Schurer 1,
718 f. und Vigouroux 1. c. p. 137 s. und nach einem ebenfalls bei Abila
gefundenen vollft&ndig erhaltenen Exemplar von R. Savignac, Texte
complet de 1'inscription d'Abila relative a Lysanias Rb. 1912, 533 540
<S. auch ZDPV, Bd. 36, 1913, S. 220). Hiernach n baute fur das Heil
unferer Herren Auguften und ihres ganzen Haufes (r*c rJ? toir m-^twv
Stfiet'ttar oo>Tt:fiin<; x n TOI* ovtinairtHt: nrmlv i.tKuti) Nymphaus, Sohn des
Abimmeos, Freigelaffener des Tetrarchen Lyfanias, einen Weg und er-
richtete den Tempel und pflanzte alle Pflanzen auf eigene Koften. Dem
Herrn Kronos und der Vaterftadt in pietatvoller Gefinnung. M Da die
Tetrarchie des Lyfanias fchon feit dem J. 37 n. Chr. nicht mehr exiftierte
92 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Augustus diefe Landfchaft uberlaffen fein dQrfte. Werin Jofephus hiervon
nidits erwant, fo erklart fich dies daraus, dag er iiberhaupt von Abilene
als einem augerhalb Palaftinas gelegenen Diftrikt nur gelegentlich fpricht.
Immerhin bemerkt er, dag im Jahre 53 n. Chr. Agrippa II. nebft andern
Landern auch ,,Abila, die Tetrarchie des Lyfanias", erhielt. ')
II. Ka p i t e 1.
Die politifche Gefchichte Palaftinas }eit der Eroberung
Jerujalems durch die Romer itn Jahre 63 v. Chr. bis
zum Tode des Konigs Herodes im Jahre 4 v. Chr. 2 )
1. Die Schickfale Judaas bis zum Jahre 63 v. Chr.
Alexander d. Zwei grofee weltgefchichtHche Perfonlichkeiten haben fich
Or. und feine w j e f ru h er Cyrus dem judifchen Volke fehr wohlwollend be-
oger " wiefen, Alexander der Grofce und Julius Cafar. Letjterem
verdankte es die grofeen Privilegien, deren es fich im R6-
merreiche zu erfreuen hatte, erfterem, der [elbft im Tempel
(vgl. S. 90), nehmen wie Renan (p. 49 ss.) auch z. B. Schurer 1, 718 und
Savignac p. 539 an, dag die beiden gleichzeitigen Auguften in der Zeit
von 37 n. Chr. zu fuchen find und es fich handelt iim Tiberius und feine
Mutter Livia, welche nach dem Tode des Auguftus den Titel Augufta
fuhrte. (s. Tac. Ann. 1, 8). Sie ftarb im J. 29 n. Chr. Lysanias I
(S. S. 90) kann nicht gemeint fein, da diefer zur Zeit des Tiberius fchon
50 Jahre tot war.
>) Ant. 20, 7, 1. Vgl. B. J. 2, 12, 8.
*) Ygl. zur politifchen Gefchichte des Volkes Ifrael iiberhaupt Ewald,
Gefchichte des VoJkes Ifrael, 7 Bde 186468. Bd. IV VII. Wellhaufen,
Ifraelitifche und judifche Gefchichte, 1894. 4. Ausg. B. 1901. Schlatter,
Ifraels Gefchichte von Alexander d. Gr. bis Hadrian, Gal w u. Stuttg. 2. Aufl,
1906. E. Schurer, Gefchichte des judifchen Volkes im Zeitalter Jefu
Chrifti. Erfter Bd. 4. Aufl. (behandelt die Zeit von Antiochus Epiphanes
175 v. Chr. bis zum hadrianifchen Kriege 135 n. Chr.). C. HOlfcher, Pa-
laftina in der perfifchen und helleniftifchen Zeit (= Quellen und Forfchun-
gen zur alien Gefchichte und Geographic, H. 5) B. 1903. Gratj, Gefchichte
der Juden von den alteften Zeiten bis auf die Gegenwart, 11 Bde.,
18531876. Bd. 3. Gefchichte der Judaer von dem Tode Juda Makkabis
bis zum Untergange des judaifchen Staates. 5. verb. u. verm. Aufl. Be-
arbeitet von M. Braun, L. 1905. Guthe H., Gefchichte des Volkes Ifrael. 3
Tub. 1914.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 93
zu Jerufalem ein Opfer dargebracht 1 ) haben foil, die Erlaub-
nis, fowohl in Palaftina, als auch in Alexandrien, wo er bei
der Grundung der Stadt den Juden diefelben Vorrechte wie
den Mazedoniern einraumte, 2 ) nach den eigenen judifchen
Gefetjen zu leben.
Nach dem Tode Alexanders d. Gr. im Jahre 323 ftand
Palaftina bis zum Jahre 198 v. Chr. faft ununterbrochen unter
der Herrfchaft der Ptolemaerkonige von Agypten, welche die
Juden mil Milde behandelten und fich mit den Abgaben be.
gniigten. 3 ) Im Jahre 198 traten, nadidem der Konig Antio-
<iius III (223-187 v. Chr.) von Syrien die Agypter bei
Paneas an der Jordanquelle befiegt hatte, die Setettziden an
ihre Stelle. Antiodhus III. felbft erwies den Juden viele Zu-
gefiandniffe und Gunftbezeigungen 4 ) Aber fchon fein Nach-
iolger Seleucus IV. (187175 v. Chr.) machte fich durch den
Verfuch feines Strategos Heliodor, den Tempelfchatj in Jeru-
falem zu plundern 5 ), und durch die fchweren, dem Lande auf-
erlegten Steuern mifcliebig. 6 )
') Ant. 11, 8, 3 5. Da von diefem Ereignis famtliche andere Quellen
fchweigen, wird dasfelbe von vielen z. B. von Ewald a. a. O. Bd. Ill,
S. 276 ff. und Niefe, Qefchidite der griechifchen und makedon. Staaten.
.3 Bde. Gotha 18931903 I, 83 als Erfindung eines helleniftifchen Juden
aus den erften Jahrh. v. Chr. erklart. H. Willrich, Juden und Griedien
vor der makkabaifchen Erhebung, Gott. 1895 S. 1 ff., kommt fogar zu
dem Paradoxon, dag die Quelle des Jofephus nach dem Jahre 52 n. Chr.
gefchrieben ift, alfo junger ift als er felbft. Jedenfalls wird Alexander
im Alten Teftamente nur 1 Mace. 1, 18 und 6, 2 mit Namen erwahnt,
ohne dag aber dort oder in Daniel 'irgend eine Andeutung, dag er zu
-Jerufalem in einer Beziehung geftanden hat, fich findet. Vgl. auch Smith,
Jerufalem (London 1908) II, p. 372375. F. Pfifter, Eine judifche Griin-
dungsgefchichte Alexandrias. Mit einem Anhang fiber Alexanders Befuch
in Jerufalem (= SB der Heidelberger Ak. d. Wiff. Phil.-hift. Kl., Jahrg.
1914. 11. Abhdlg.) Heidelberg 1914. S. 22-30.
2 ) c. Apion. 2, 4. Vgl. J. P. Mahaffy, The empire of the Ptolemies,
London 1895 p. 86, der fich auf Papyrus-Fragmente beruft.
3 ) Vgl. Mahaffy p. 292 ff.
*) Ant. 12, 3, 3 f. Ober die Regierungszeiten der Seleuziden von
312 - 129 v. Chr. vgl. die auch auf neue keilinfchriftl. Quellen fich ftu^enden
Unterfuchungen von Kugler, Von Mofes bis Paulus, Miinfter 1922,
:S. 309338.
5 ) 2 Mace. 3.
G ) Vgl. Mahaffy p. 310. Ober die Steuern f. 1. Mace. 10, 29-31.
3. 1 , 34 f .
94 Erfter Abfchnitt. Die politifdhe Gejchichte der Juden etc.
Verbreitung Wie uberhaupt die Regierung Alexanders d.Gr.und feiner
des Heiienis- Nachfolger der Verbreitung des Hellenismus den gewaltigften
mus in Paia- Vorfchub leiftete, fo batten fich auch in Palaftina griediifche
ftma. . Bjiduug unc j sme feit dem Ende des vierten Jahrhunderts
immer mehr verbreitet. Es konnte bei der Lage des Landes
zwifchen den beiden Zentren helleniftifcher Beftrebungen auch
nicht anders fein. Diefe waren namlich im Siiden Alexan-
drien, im Norden aber die von Seleucus I. gegrundete Stadt
Antiochia. Beide Stadte waren auch Sitj der Regierung, die
eine Agyptens, die andere Syriens, und traten dadurch in urn
fo innigere Beziehungen zur griechifchen Welt. Auger ihnen
gab es noch in beiden Landern wie in ganz Vorderafien eine
Menge griechifcher Stadte. Vielfach waren es nur neugegrun-
dete und nun anders benannte Orte, welche aber durch ge-
waltigen Zuzug von Mazedoniern und Griechen und die An-
nahme einer griechifchen Verfaffung einen neuen Charakter
erhielten. Dabei erhielt fich .aber in folchen Stadten auch die
durch Zuzug vom Lande vermehrte einheimifdie Bevolkerung,
welche auch ihre eigene Sprache beibehielt. Solche Stadte
waren an der palaftinenfifchen Kiifte, wie bereits gefagt wurde, 1 )
z. B. Gaza und Askalon, im Binnenlande z. B. Samaria, Sky-
thopolis, Gadara u. a. Diefe wurden nun felbft wieder Mittel-
punkte griechifchen Wefens. Noch ein weiterer Umftand trug
zur Verbreitung des Hellenismus in Palaftina bei, der rege
Verkehr, welchen die in der Fremde wohnenden Juden mit
dem Mutterlande unterhielten. Selbft in Jerufalem fand grie-
chifches Wefen immer mehr Eingang, namentlich bei den
oberen Standen, welche naturgemafc am meiften mit den
Machthabern Agyptens und Syriens und anderer Lander ver-
kehrten.
Der Heiienis- Wie ftark die helleniftifche Stromung in Jerufalem war,
mus in Jeru- zeigte fich unter der Regierung Antiochus IV. Epiphanes
[aiemunter (174164 v. Chr.), als der Hohepriefter Jefus oder Jafon,
A tl .* us 1V ' wie er fich griechifch nannte, nachdem er feinen Bruder, den
pip anes. H jj en p r j e ^ er Qnias aus feinem Amte verdrangt und felbft
durch Verfprechung grower Geldfummen die eigene Ein-
fe^ung in die hohepriefterliche Wurde vom Konige erlangt
hatte, in der heiligen Stadt ein Gymnafium baute. Sogar
J ) S. o. S. 36 ff.
II. Kap. Die politifche Qefdiichte Palaftinas von 634 v. Chr. 95
Priefter nahmen dort ohne Sdieu an den Spielen teil. Jafon
fandte zu den Feftfpielen des Herakles in Tyrus 300 Silber
Drachmen als Opfer fiir Herakles. 1 ) Aber audi ihn ereiite
die Abfetjung, als Menelaus, der als Benjaminite nidit einmal
aus priefterliehem Gefchledite war, dem Antiochus gro&ere
Geldverfprechungen zur Erlangung des Hohenprieftertums
machte. 2 )
Der Verfudi des Jafon, wahrend der Abwefenheit des
Antiochus in Agypten fich Jerufalems zu bemachtigen, ge-
lang zeitweilig, aber Antiochus liefj im Jahre 170 v. Chr. bei
feiner Ruckkehr viele in Jerufalem toten und den Tempel
pliindern. 3 ) Zwei Jahre fpater liefc er Jerufalem fdileifen,
die Bewohner morden und plundern und legte in die neu
befeftigte Burg eine fyrifche Befatjung hinein. 4 ) Jetjt verbot
er fogar bei Todesftrafe, die judifchen Satjungen, namentlich
die des Sabbats und der Befchneidung, zu beobachten, und
fchaffte den judifchen Kultus ab. In alien Stadten Judaas
wurden heidnifchen Gottheiten Altare errichtet und felbft der
Brandopferaltar in Jerufalem zu einem Altare des Zeus
Olympius umgebaut. 5 )
Damals fielen viele ab, damals ftarben aber auch viele,
wie der neunzigjahrige Eleazar und die fieben makkabaifchen
Briider, eines glorreichen Todes fur den Glauben. 6 ) Mattha-
thias, ein Priefter von Modein (heute el-Med!jeh), einem Ge-
birgsftadtchen oftlieh von Lydda, begann den offenen Kampf
fiir den Glauben, 7 ) den feine funf Sohne Johanan, Simon, j u das
Judas, Eleazar und Jonathan erfolgreich fortfe^ten. Der Makkabausu.
feine Briider.
1 ) 1 Mace. 1, 15. 2 Mace. 4, 11, 20.
2 ) 2 Mace. 3, 7 ff. 4, 23 -25.
3 ) 1 Mace. 4 und 5. 1 Mace. 1, 20 ff.
4 ) 1 Mace. 1, 30-42. 2 Mace. 5, 2426. Damals hatte Antiochus
auf einem neuen fiegreichen Zuge gegen Agypten, auf dem er hoffte,
Alexandrien einzunehmen und (ich der kOniglichen Prinzen Ptolemaus VII.
und feines Bruders Euergetes zu bemachtigen, vor Alexandrien auf Be-
fehl der Romer umkehren muffen. Vielleicht waren die nationalgefinnten
Juden, welche in Agypten viele Verbindungen hatten, mit daran fchuld
gewefen, dag fein Marfch nach Alexandrien Verzogerungen erlitten hatte.
Vgl. Mahaffy 341 und 494 f.
b ) 1 Mace. 1, 4360. 2 Mace. 6; 117.
6 ) 2 Mace. 6, 18-7, 42.
7 ) 1 Mace. 2, 1 ff.
96 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Fuhrer war Judas mit dem Beinamen Makkabaus oder der
Hammer. 1 ) Er eroberte Jerufalem, liefc den Tempel neu
weihen und erlangte wenigftens das Zugeftandnis der freien
Ausubung der jiidifdien Religion, fiel aber in der Schlacht im
Jahre 161 v. Chr. 2 ) In feinem Geifte wirkten und kampften
dann als Heerfuhrer Jonathan, der tatfachlich in den Befitj
der Herrfchergewalt gelangte und als Hoherpriefter anerkannt
wurde, und nadi deffen Gefangennahme und fpaterer Hin-
richtung 3 ) Simon (142135), weldier im Jahre 141 von dem
Konige Demetrius II. von Syrien wie vom judifchen Volke
als Fiirft anerkannt wurde. 4 ) Von feiten des letjteren gefchah
es in der Form, daft Simon auf ewig (alfo mit dem Rechte
der Vererbung) Hoherpriefter, Heerfuhrer und Furft fein folle,
bis ein zuverlaffiger Prophet aufftunde. 5 ) Dadurch wurde er
der Begrunder der hohenpriefterlichen und furftlichen Dyna-
ftie der Makkabaer, wie fie nach Judas Makkabaus oder der
Hasmonaer, wie fie nach Asmonaus, 6 ) dem Ahnherrn der
Familie des Matthathias, genannt werden.
Johannes Simons Sohn und Nachfolger, Johannes Hyrkanus I.
Hyrkanus i. (135 105), 7 ) ein Mehrer des Reidies, hat die Idumaer im
') ojfts
2 ) 1 Mace. 3, 19, 22. 2 Mace. 8, 115, 37.
3 ) 1 Mace. 9, 23-12, 54. 13, 12-24.
*) 1 Mace. 13, 116, 24.
5 ) 1 Mace. 14, 41.
6 ) Der Name ift nicht im erften Maccabaerbuch, wohl aber bei Jo-
fephus Ant. 12, 6, 1. 14, 16, 4. 16, 7, 1 erwahnt. Vgl. auch Mifchna,
Middoth 1, 6 und Targ. Jonathan zu 1 Sam. 2, 4.
"') Simon ftarb im Februar 135 v. Chr. (1. Mace. 16, 14); die K5-
nigin Alexandra nach Ant. 14, 1, 2 im Jahre 69 n. Chr. Da nun Hyrkan
(nach Ant. 13, 10, 7 und 20, 10, 3 [ed. Niefe]) 31 Jahre regierte [damit ift
B. J. 1, 2, 8, wo 33 Jahre [tent, korrigiert], Ari[tobul 1 Jahr (Ant. 13,
15, 5), Alexander Jannaus 27 Jahre (Ant. 13, 15, 5), Alexandra 9 Jahre
(Ant. 13, 16, 6) regierte, die alien Hi[toriker aber das Jahr, in welchem
ein Wechfel in der Regierung [tattfand, entweder dem verftorbenen oder
dem neuen Regenten anzurechnen pflegen (vgl. fiber Porphyrius und
Eufebius z. B. Schiirer I, 168), [o i[t fur Hyrkanus die Zeit von 135105,
fur Ariftobul die von 105-104, fur Alexander Jannaus die von 104-78, fur
Alexandra die von 77 69 anzunehmen. Niefe, zur Chronologic des Jofephus,
Hermes Bd. 28 (1893), S. 194-229 halt die Stelle Ant. 14, 1, 2 nicht fur
entfcheidend, ihm folgt Schurer I, 256, 1. Unger, Zu Jofephus II. Die
Regierungsjahre der makkab. Fiirften S. A. Munchen 1896, S. 357-382
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 97
Siiden Palaftinas zur Unterwerfung und zur Annahme des
judifchen Gefetjes und der Befchneidung gezwungen, den
Tempel der Samaritaner zerftort und Samaria, wie Michaas
vorhergefagt hatte, dem Erdboden gleichgemadit und u. a.
audi die bedeutende Stadt Skythopolis in feine Hand be-
kommen. Im Innern machte er fich aber gegen Ende feiner
Regierung die Pharifaer zu Feinden, indem er fich den Sad-
duzaern anfchlofr und die pharifaifchen Satjungen zu beob-
achten fogar unter Strafe verbot. 1 ) Der Grund fur die Un-
beliebtheit diefes Fiirften bei der pharifaifchen Partei lag dem
Anfcheine nach darin, dafe letjtere iiberhaupt die Vereinigung
der hohenpriefterlichen Wiirde mit der furftlichen, zumal bei
einer nicht aaronitifchen Familie, miftbilligte. 2 ) Jofephus gibt
allerdings einen andern Grund an. Nach ihm hatte ein Pha-
rifaer bei einem Gaftmahle dem Fiirften keck den noch dazu
unbegriindeten Vorwurf gemacht, von einer friiher kriegs-
gefangenen Mutter abzuftammen und fomit aus unreinem Ge-
fchlecht zu fein, weshalb er auf das Hoheprieftertum verzieh-
ten muffe. Hyrkanus habe aber geglaubt, diefe Schmahung
[ei mit Wiffen und Willen der Pharifaer erfolgt. 3 )
Ihm folgte fein altefter Sohn Ariftobul I. (105104), Ariftobui i.
welcher den Konigstitel annahm. Aus Herrfchfucht lie er
feine 'eigene Mutter, welcher Hyrkan die Verwaltung des
Staates iibertragen hatte, ins Gefangnis werfen und dort
verhungern. Audi legte er drei feiner Briider in Ketten und
liefc den vierten auf eine blojge Verdachtigung hin ermorden.
Er erwarb fich aber dadurch ein Verdienft um fein Volk, dag
er die Ituraer bekriegte und einen Teil ihres Landes, deffen
Bewohner, wenn fie ihre Wohnfitje behalten wollten, die
bringt fur Johann Hyrkanus 33 Jahre nach B. J. 1, 2, 8 in Anrechnung.
Vg-1. auch u. S. 99, 4.
J ) Ant. 13, 8 -10. B. J. 1, 2, 3-7.
2 ) Dies ergibt fich aus ihrer Anfchauung von der Bedeutung und
abfoluten Geltung des . mofaifchen Gefe^es. Vgl. auch Wellhaufen, Die
Pharifaer und die Sadduzaer, Greifswald 1874, S. 92 ff. Montet, Essai
sur les origines des partis saduceen et pharisien. Vienne 1883, p. 205 ss.
3 ) S. Anm. 1. Kein Priefter durfte ein Madchen, welehe Kriegs-
gefangene der Heiden gewefen war, heiraten, weil fie des Umganges
mit Heiden verdachtig war und den Verdacht der eigenen Unreinheit auf
ihre Kinder vererbte. Jos. c. Ap. 1, 7.
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiichte I. 2. u. 3. Aufl. 7
98 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Befchneidung und das jtidifche Gefetj annehmen mufcten, mit
feinem Reiche verband. 1 )
Alexander Nach feinem Tode wurden von feiner Frau Salome Ale-
Jannaus. xandra die bis dahin gefangenen Briider des Verftorbenen
befreit. Der altefte, Alexander Jannaus (104-78), beftieg
den Thron. Er hat viele, oft ungliiddiche Kriege gefuhrt,
aber im Oftjordanland Gerafa, Gamala und andere Stadte,
und im Philifterlande z. B. die Stadt Gaza erobert. Bei fei-
nen kriegerifchen Neigungen fchien er aber den Pharifaern
erft recht des Hohenprieftertums unwiirdig, wie er audi beim
Volke nidit beliebt war. Als er einft am Laubhuttenfeft am
Altare ftand, um zu opfern, wurde er vom Volke verhohnt
und mit Zitronen beworfen. Damals unterdruckte er die Be-
wegung mit Gewalt, indem er durdi feine Mietstruppen 6000
Juden niedermetjeln liefr. Spater aber, als er nach einer
gegen den Nabataerfurften Obodas verlornen Schlacht nach
Jerufalem floh, verbanden {ich feine jtidifchen Gegner fogar
mit den Syrern. Erft nach fechsjahrigem Kampfe gelang es
ihm, den Aufftand zu unterdriicken. 8000 retteten fich durch
die Fluent, aber 800 vornehme Gefangene wurden von ihm
gekreuzigt. Sterbend riet er aber feiner Frau Alexandra,
auf jede Weife die Pharifaer zu verfohnen, da fie fonft nicht
im Frieden herrfchen konne. 2 )
DieKonigin Das tat Alexandra (7769) auch. Aber nun benut^ten
Alexandra, die Pharifaer ihren Einflug auf die Regierung dazu, um fich
') Ant. 13, 11, 1-3. Vgl. B. J. 1, 3. Unter dem von Ariftobul
eroberten und judaifierten Stuck des Landes der Ituraer vermutet
Schurer I, 275 f. fei der Hauptfache nach Qalilaa verftanden. Allein die
Ituraer (f. S. 82 f.) wohnten am Antilibanon. Somit fetjt eih Angriff auf
. ihr Land die Eroberung Galilaas voraus. Allerdings heigt es 1 Mace.
5, 45 54, Judas Makkabaus habe alle Ifraeliten aus Galaaditis d. h.
dem Oftjordanland nach Juda gebracht, 1 Mace. 5, 23 weniger be[timmt,
fein Bruder Simon habe die Juden aus Galilaa und Arbat (wohl == mDli? .
den Niederungen am Jordan) nach Judaa gefiihrt. Allein Jof. Ant. 12,
8, 2 bezieht dies mir auf die von den Heiden in Galilaa gefangenen
Juden. Jedenfalls Nvird fchon zur Zeit des Jonathan von den Bezirken
von Samaria und Galilaa gefprochen, welche Juda zugeteilt find. I. Mace.
10, 30. Auch hat nach Jof. Ant. 13, 12, 1 Johannes Hyrkanus feinen Sohn
Jannaus in Galilaa erziehen laffen. Das ware aber doch ficher nicht ge-
fchehen, wenn die Landfchaft damals vorztiglich heidnifch gewefen ware.
2 ) Ant. 13, 1215. B. J. 1, 4.
II. Kap. Die politifche Gefehichte Palaftinas von 634 v. Chr. 99
an ihren Gegnern zu rachen. Alexandra hatte ihren alteren,
fchwachlichen und die Ruhe iiber alles liebenden Sohn Hyr-
kanus zum Hohenpriefter ernannt, hielt aber den jungeren,
Ariftobul, einen Mann von entfchloffenem, kuhnem Charakter
von den offentlichen Gefchaften fern. Der trat aber nun an
die Spitje der Oppofition und bemachtigte fich wahrend einer
lebensgefahrlichen Erkrankung feiner Mutter zahlreidier Fe-
ftungen und warb ein Heer, um fich die Herrfchaft zu fichern. 1 )
Kaum war Alexandra tot, als der Biirgerkrieg zwifchen Burg-erkrieg
ihren beiden Sohnen ausbrach, der far Hyrkan unglticklich zwifchen
ausfiel. Bei feiner Bequemlichkeit mufcte ihm der Vergleidi, Hyrkanusii.
wonadi er als Privatmann 2 ) im ungeftorten Befitj feiner Ein- undAri f tobul -
kunfte bleiben, Ariftobul aber die Herrfchaft fflhren follte,
angenehm fein. Zum Ungluek fur ihn und den judifchen
Staat ftand Hyrkanus unter dem EinfluJ5 eines ehrgeizigen
und reichen Idumaers namens Antipater, deffen Vater von
Jannaus und der Alexandra zum Statthalter von Idumaa be-
ftellt worden war. 3 ) Diefer wufcte den Hyrkan zu dem Glau-
ben zu bringen, Ariftobul ftrebe nach feinem Leben, und ihn
zur Fluent nach Petra an den Hof des'Nabataerfurften Aretas
zu bewegen. 4 ) Le^terer befiegte den Ariftobul und belagerte
Jerufalem. Jetjt mifchten fich aber die Romer in den Bru-
derftreit.
1 ) Ant 13, 16. B. J. 1, 5.
2 ) Das heigt, ohne fich um die offentlichen Qefchafte zu kiimmern
(dffQayftovwq) Ant. 14, 1, 2. Hyrkan hatte nur 3 Monate bis zu diefem
Vergleich regiert. S. Ant. 15, 6, 4.
3 ) Ant. 14, 1, 3. B. J. 1, 6, 2. Nach Jof. B. J. 1, 6, 2 (vgl. Ant.
14, 1, 3) war der Vater des Herodes ein Idumaer von vornehmer Her-
kunft. Juftinus M. (Dial. c. Tryph. c. 52) kennt aber die Behauptung der
Juden, er Jei aus Askalon gewefen. Julius Africanus bei Euf. H. E,
1, 6, 23 und 1, 7, 11 berichtet fogar, der Vater des Antipater fei
Hierodule im Tempel des Apollo zu Askalon gewefen. Antipater fei als
Knabe von den Idumaern geraubt worden und bei ihnen aufgewachfen.
Vgl. Schiirer I, 292, 3.
*) Ant. 14, 1, 3-4. B. J. 1, 6, 2. Dem Anfcheine nach nahm erft
jetjt Ariftobul auch die hohepriefterliche Wurde an. Ant. 14, 6, 1 fagt
namlich Jofephus von ihm, er fei 3 Jahre und 6 Monate KOnig und
Hoherpriefter gewefen. Das wurde uns, wenn wir von feiner Abfetjung
im Jahre 63 zuruckrechnen, etwa zum Ende des Jahres 67 fuhren. Dag
Hyrkanus von feinem Bruder der hohenpriefterlichen Wurde beraubt
wurde, fagt Jof. Ant. 15, 3, 1; wann das gefchah, ift aber nicht ficher.
7*
100 Erfter Abfchnitt. Die politifehe Gefchichte der Juden etc.
Einmifchung Im Jahre 65 war namlich Scaurus, der Unterfeldherr des
der Romer in Pompejus, nadi Syrien gekommen und nach Judaa gezogen.
den Bruder- Er ent fchi ed f icn fur Ariftobul und zwang den Aretas, die
Belagerung von Jerufalem aufzuheben. Als nun Pompejus
im Friihjahre 63 felbft nach Damaskus kam, wurde er nicht
blofc von den entzweiten Briidern, fondern auch von Ver-
tretern des judifchen Volkes, welch letjtere die Monarchic
abgefchafft und die alte Priefterverfaffung eingefiihrt haben
wollten, angegangen. Pompejus verfchob die Entfcheidung
und zog mit Ariftobul gegen die Nabataer. Da aber nun
Ariftobul, der fortwahrend in feinen Entfchliiffen hin und her
fchwankte, nach Alexandreion 1 ) floh, folgte ihm Pompejus
dorthin und weiter nach Jerufalem. Hier begab fich Arifto-
bul ins Lager des Pompejus und verfprach ihm, Jerufalem
zu ubergeben, und wurde, als Jerufalem den romifchen Trup-
pen die Tore verfchlofc, gefangen genommen. Die Stadt
wurde nun zwar von den Anhangern des Hyrkanus den
Romern ubergeben, aber der Tempelberg wurde von der
Partei des Ariftobul verteidigt und erft im dritten Monat
der Belagerung genommen. 2 ) Pompejus tat felbft nach der
Anficht des Romerfreundes Jofephus dem Tempel eine grofce
Schmach an. Er betrat mit feinen Begleitern das Aller-
heiligfte, was doch nur dem Hohenpriefter erlaubt war. 3 )
Das Ende der Unabhangigkeit der makkabaifchen Fiir-
ften und ihres Landes war gekommen. Der romifche Adler
nahm es in feine Gewalt. Die Mauern Jerufalems wurden
grofctenteils zerftort und die Stadt wie das ganze Land den
Romern zinspflichtig gemacht. Hyrkan wurde zwar zum Hohen-
priefter und zum Ethnarch (nicht zum Konig) gemacht, aber
als tributpflichtiger Klient der Romer. 4 ) Die an der Kiifte
Ant. 20, 10, 1 heigt es namlich, Hyrkanus fei 9 Jahre bis zum Tode
feiner Mutter Hoherpriefter gewefen. Dann fei nach feinem Siege iiber
Hyrkanus Ariftobul Hoherpriefter und Konig gewefen. ,,Im dritten Jahre
feiner Regierung nachdem eben fo viele Monate verfloffen waren," fei'
Pompejus gekommen, habe Jerufalem erobert und den Ariftobul mit
feinen Kindern nach Rom gefchickt.
J ) S. o. S. 49.
2 ) Ant. 14, 1-4. B. J. 1, 6-7.
3 ) Ant. 14, 4, 4. Psalmi Salom. 2, 2 f.
") Ant. 14, 4, 4 und 5, 2. B. J. 1. 7, 6.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 634 v. Chr. 101
und im Oftjordanlande gelegenen griediifchen Stadte, weldie
fich friiher die Juden unterworfen batten, wurden wie auch
die Stadte Skythopolis und Samaria ihnen wieder abgenom-
men und als ,,freie Stadte" der romifchen Provinz Syrien
einverleibt. 1 ) Ariftobul aber wurde mit feinen Sohnen Ale-
xander (der aber auf dem Wege entkam) und Antigonus
und zahlreichen Juden nach Rom gebracht, 2 ) um dort im
Jahre 61 den Triumphzug des Pompejus zu verherrlichen.
Viele derfelben find dort fpater freigelaffen worden und haben
die Judengemeinde in Rom, wenn nicht erft gegriindet, fo
doch bedeutend verftarkt.
2. Die letjten Makkabaer und die Idumaer Antipater
und fein Sohn Herodes von 6340 v. Chr.
Nadi dem Abzug des Pompejus blieb Hyrkanus einige Neue Kampfe
Jahre im ruhigen Befit* feiner Herrfchaft, wenn man von einer u. Aufftande
folchen reden kann. Denn tatfachlich regierte nicht er, fon- in Pala f tina
dern Antipater, der fich feinerfeits wieder auf die R6me
ftiitjte. Diefen leiftete er auch grofce Dienfte, fo im Jahre 62
dem von Pompejus in Syrien zuriickgelaffenen romifchen Feld-
herrn Scaurus auf feinem Kriegszuge gegen die Nabataer,
die Antipater im Intereffe der den Romern wiinfchenswerten
Beendigung des Krieges zur Zahlung von 300 Talenten be-
wog. 3 ) Dann unterftiitjte er auch den Statthalter von Syrien,
Gabinius, auf feinem Feldzuge nach Agypten im Jahre 55 Qabinius und
mit Getreide, Waffen und Geld und bewog die Juden in die
') Vgl. Ant. 14, 4, 4. B. J. 1. 7, 7. Vgl. iiber den Begriff ,,freie
Stadte" o. S.,85. Zum Andenken an die Erlangung der Autonomie
durch Pompejus haben mit Zuftimmung der romifchen Regierung manche
Stadtgemeinden, die einen etwas fruher, die andern etwas fpater, durch
Miinzen und Infchriften beglaubigte befondere Stadtaren eingefiihrt, die
man, obwohl die Jahreszahlungen nicht gleich find, unter den Namen
,,Pompejanifche Ara" zufammenzufaffen pflegt. Vgl. Schurer II, 94 ff.
E. Schwar^ [f. o. S. 85, 5] 341 und 358 ff.
2 ) Ant. 14, 4, 4, 5. B. J. 1, 7, 7. Vgl. Psalmi Salom. 8, 18-21.
3 ) Ant. 14, 5, 1. B. J. 1, 8, 1. Antipater war mit einer vornehmen
Idumaerin Kypros verheiratet und ftand auch mit den Nabataerfurften und
andern in freundfchaftlichen und verwandtfchaftlichen Beziehungen. S. Ant.
14, 7, 3. B. J. 1, 8, 9.
102 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Agypten auf die Seite der Romer zu treten. 1 ) Spater hat er
in ahnlicher Weife dem Cafar gedient.
Die Romer haben auch die wiederholten Bemfihungen
der Hasmonaer, wieder zur Herrfchaft zu gelangen, vereitelt.
Zunachft madite Ariftobuls Sohn Alexander, der ein Heer
von 10000 Fugfoldaten und 1500 Reitern gefammelt hatte
und fidi einiger Feftungen, namentlich Alexandreions 2 ) und
Macharus', 3 ) bemachtigt hatte, einen foldien Verfuch. Erwurde
aber von Gabinius, in deffen Heer fich der heldenmiitige
Reiteroberft Antonius, der fpatere Racher Cafars befonders
auszeichnete, bei Jerufalem und Alexandreion gefchlagen und
mufcte die Feftungen den Romern ubergeben, blieb aber felbft
in Freiheit. 4 ) Audi ein zweiter, im Jahre 56 von Ariftobul
felbft, der mit feinem Sohne Antigonus aus Rom entkommen
war, gefiihrter Aufftand endete wieder ungliicklich. Ariftobul
wurde von neuem gefangen und nach Rom gefchickt. 5 ) Im
Jahre 55 griff Alexander wieder zu den Waffen und fiihrte,
trotjdem Antipater fidi bemuhte, die Juden vom Kampfe
gegen die Fremdherrfchaft abzubringen, nodi 30000 Mann
gegen Gabinius ins Feld, wurde aber beim Berge Tabor
gefdilagen und verlor 10000 Mann. 6 )
Antipater wurde dadurdi belohnt, daft nunmehr Gabinius
wieder alles nach feinen Wiinfchen ordnete, 7 ) nadidem er
vorher im Jahre 57 nach der erften Befiegung des Alexander,
urn alien Selbftandigkeitsgeliiften der Juden ein Ende zu
machen, der Regierung Judaas eine neue ariftokratifche Form
gegeben hatte. Er hatte namlich dem Hyrkan nur die Sorge
fur den Tempel gelaffen, das Land aber in fiinf voneinander
unabhangige Bezirke, deren jeder von einem Synedrium
verwaltet werden follte, geteilt. 8 ) Als Si^e diefer Synedrien
hatte er die Stadte Jerufalem, Gazara und Jericho in Judaa,
') Ant. 14, 6, 2. Vgl. auch Dio Cass. 39, 56-58. S. uber die
Statthalter Syriens unten.
*) S. o. S. 49.
3 ) S. o. S. 84.
*) Ant. 14, 5, 2-4. B. J. 1, 8, 2-5.
6 ) Ant. 14, 6, 1. B. J. 1, 8, 6. Dio Cass. 39, 56.
6 ) Ant. 14, 6, 2-3. B. J. 1, 8, 7.
7 ) Ant. 14, 6, 4. B. J. 1, 8, 7.
8 ) Ant. 14, 5, 4 : 'Yqxuvov Karfjyev ti? 'Isgotioivtia, 6%f6ovT(t rt}v for
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 103
Sepphoris in Galilaa und Amathus im Ojtjordanland 2 ) be-
ftimmt, als ob nidit das Judenvolk durdi den Tempel und
das Hoheprieftertum aufs engfte zufammengehalten worden
ware und deshalb derartige Verbande geringe Bedeutung
gebabt batten.
Daft aber die Emporungen in Palaftina nidit aufhorten,
waren die Romer felber fchuld. So hatte der Statthalter von
Syrien, Licinius Craffus, urn fich Geld zu einem Feldzuge
gegen die Farther im Jahre 54 zu verfchaffen, 2000 Talente
Geld und 8000 Talente an Goldfachen aus dem Tempel fort-
gefchleppt. 3 ) Nachdem er im Jahre 53 v. Chr. bei Karra in
Mefopotamien gefchlagen und bald danach ermordet worden
war, brach ein vierter Auf[tand aus, an deffen Spitje ein An-
h anger des Ariftobulus, namens Pitholaus, ftand. Allein audi
diefer wurde von den Romern unter Caffius Longinus, dem
Nachfolger des Graff us in Syrien, niedergefchlagen und 30000
Juden als Sklaven verkauft. 4 )
Als im Jahre 49 v. Chr. der romifche Biirgerkrieg zwi-
fchen Pompejus und Cafar ausbradi und letjterer [ich Roms
bemachtigt hatte, liefc er den gefangenen Ariftobul frei, um
ihn mit zwei Legionen nach Syrien zu fchicken, da der Often
auf feiten des Pompejus ftand. Allein Ariftobul wurde nodi
vor feiner Abreife von Rom von den Anhangern des Pom-
pejus vergiftet und fein Sohn Alexander auf Befehl des-
Pompejus in Antiochien enthauptet. 5 )
Im Auguft des Jahres 48 wurde Pompejus bei Pharfa- Cafar wird
lus gefchlagen und am 28. September bei feiner Ankunft in von Antipater
r 1 . . u - den Juden
leyov entfisisiav. Ilivrs de dwedgia nara(?r;tfa? ei? trf? poiya? Sieveifte To , ti- M
k'&voc . . . noil fjl nev otTzijiiay^Evoi tijs dwcttSTEiaQ ev dgitftoxQctTict diffyov.
Im B. J. 1, 8, 5 nennt er die Bezirke dvvoSoi, fahrt aber audi fort a6ns-
vo>q 6s z*i<s i eve? (namlidi des Hyrkanus) fTn.^nrela/; iXev&eQot&evTss, TO
Ao7ToV etpetfToxpaTt'a JKOXOVVTO. Der Ausdrudc (Jvvorfo? konnte auf Gerichts-
fprengel (conventus juridici, vgl. Marquardt RStV. 1, 500 f.,) hinweifen,
allein der Ausdrudc 6wi3(>ta. und der Zufammenhang macht es klar, dag
es fich um eine politifche Einteilung gehandelt hat.
2 ) Amathus am Jordan (Ant. 13, 13, 3) fiidlich von Pella (Euseb.
Onom., p. 22). Ober Gazara \. S. S. 59.
3 ) Ant. 14, 7, 1 (alle Juden der Welt batten feit langem ihre Gaben
in den Tempel gebracht, ibd. 7. 2). B. J. 1, 8, 8.
*) Ant. 14, 7, 3. B. J. 1, 8, 9.
5 ) Ant. 14, 7, 4. B. J. 1, 9, 1-2. Vgl. Dio Cass. .41, 18.
104 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Agypten verraterifcherweife ermordet. Alsbald wandte fich
Antipater, ,,der nach Hyrkans Wille Judaa verwaltete," *)
dem grofcen Gegner des Pompejus, Julius Cafar, zu, der fich
mit einer kleinen Truppenzahl mit Miihe in einem kleinen
Teile von Alexandria gegen die agyptifchen Truppen und die
ihm feindliche Burgerfchaft behauptete, und leiftete ihm die
grofcten Dien[te. Denn er war es, der es erft einem vom
Konig Mithridates von Pergamum gefiihrten Erfatjheere er-
moglichte, von Askalon weiter nach Agypten zu kommen, in-
dem er mit 3000 judifchen Truppen zu ihm ftieg, dem Cafar
die Freundfchaft der arabifchen Stammeshaupter und der
Syrer verfchaffte und das feindliche Pelufium mit den Seinigen
zuerft betrat. Er veranlagte agyptifche Juden unter Berufung
auf Befehle des Hohenpriefters Hyrkan, das Heer zu ver-
proviantieren und fich Cafar freundlich zu zeigen, und hatte
fowohl an dem Siege des Mithridates wie an dem Cafars
uber den jungen Konig Ptolemaos Dionyfos, der felbft im
Nil ertrank und deffen erft 2.1 jahrige Schwefter Kleopatra
nun die Gunft Cafars gewann, wefentlichen Anteil. 2 )
Die Dankbar- Cafar erwies fich dankbar. Teils bei feinem Aufenthalte
keit Cafars. in Syrien im Jahre 47, 3 ) teils durch einen von ihm veran-
lafcten romifchen Senatsbefchlufc vom Jahre 44 gab er den
Juden viele Gunftbezeigungen. 4 )
KatSctQi no}.e.uovvTi VHXT Allyvmcov el? rcoXid %(tri<Si{tov avtdv
o twv 'lovdaluiv ent/Jteiytqt;, | evzokije 'Ygxavuv. Allt. 14, 8, 1.
Vgl. S. 102, 7.
2 ) Ant. 14, 8, 1-3. B. J. 1, 9, 3-5.
3 ) Ant. 14, 8, 4 f. B. J. 1, 10, 1-3.
*) Ant. 14, 10, 7. Durch einen neuen Senatsbefchlufc wurde die
Niederlegung des friiheren Befchluffes im Archiv angeordnet, ebd. 14,
10, 9 10. In welche Jahre die bei Jos. Ant. 14, 10, 210 mitgeteilten
Urkunden fiber die von Cafar den Juden gewahrten Privilegien gehoren,
i[t infolge des fchlechten Zuftandes der Texte fehr ftrittig. Vgl. u. a.
Schurer I, 344-348; Qra^ s , 662-673. O. Roth, Rom und die Hasmonaer.
Unterfuchungen zu den jiidifch-romifchen Urkunden im erften Makkabaer-
buche und in Jofephus' judifchen Altertumern, XIV, Lp. 1914 (= Beitrage
z. Wiffenfchaft von A. T., her. von R. Kittel, Heft 17). Von den vier von
Jofephus mitgeteilten Senatsbefchlirffen bezieht fich nur der Ant. 14, 10, 10
mitgeteilte auf Hyrkan II., die iibrigen drei in Ant. 13, 9, 2 (der auch
richtig eingereiht ift), Ant. 14, 8, 5 und Ant. 14, 10, 22 auf Hyrkan I.,
uber deren Datierung befonders G. Unger, Zu Jofephus I. Die unpaffend
II. Kap. Die politifche Gefchidite Palaftinas von 634 v. Chr. 105
In Syrien beftatigte Cafar, ohne auf die perfonlich von
Ariftobuls Sohn, Antigonus, erhobenen Rechtsanfpriiche und
die Stellung der Familie gegen Pompejus Riickficht zu neh-
men *), in Erwagung der vielen ihm von Antipater und Hyr-
kanus geleifteten Dienfte den Hyrkanus als erblichen Hohen-
priefter 2 ) mit alien Rediten und Befugniflen, womit feine
Vorfahren diefe Wflrde inne gehabt batten 3 ), und als Eth-
narchen, und beftimmte, dajg er und feine Kinder als Bundes-
genoffen und perfonlidie Freunde der Romer anerkannt fein
follten. Es wurde ausdriicklich verboten, dag in feinem Lande
Winterquartiere bezogen oder Kontribution von ihm gefor-
dert werden follte. 4 ) Audi befabl er, dag kein Beamter oder
Feldherr oder Legat innerhalb der judifdien Grenzen (Hilfs-)
Truppen ausheben diirfe. 5 ) Audi geftattete er den Wieder-
aufbau der von Pompejus zerftorten Mauern Jerufalems. 6 )
Dem Antipater aber gab er nicht nur das romifche Btirger-
redit und Steuerfreiheit, fondern ernannte ihn auch zum
Prokurator von Judaa. 7 ) Die Stadt Joppe und die Platje in
der Ebene Esdrelon, welche die Hasmonaer fruher befeffen,
wie audi die fyrifch-phonizifchen Orte, weldie ihnen von den
fyrifchen Konigen und den Phoniziern gefdienkt worden waren,
eingelegten Senatskonfulte. SA. Miinchen 1895, S. 551 604 zu ver-
gleichen ift.
*) Ant. 14, 8, 4. B. J. 1, 10, 1-3.
2 ) Ant. 14, 8, 3-5 f.
*) Ant. 14, 10, 4. Damit war auch das Recht der Forderung von
Abgaben far den Tempel verbunden (B. J. 6, 6, 2).
*) Ant. 14, 10, 2 u. 6. '
) Ant. 14, 10, 6: *at oinaq firjSeli; IA,Y\TK a(t%tov fifae OT^urtjyo? rj nyeti-
fievrqi? ev rolq o^om ttav 'JovSaltav lvt,6t<i tivftfiaxiav. Dies bedeutet nidlt
dag die Juden in Palaftina vom Militardienft frei fein follten, fondern
nur, dag damals, da die palaftinenfifchen Juden noch ihre Landesflirften
hatten, kein romifcher Beamter direkt Hilfstruppen dort ausheben konnte.
Das war ein dem judifchen Landesherrn zuftehendes Recht. Vgl. Jufter,
Les Juifs dans PEmpire Romain. Paris 1914, 2, 272.
6 ) Ant. 14, 8, 5 u. 10, 5. B. J. 1, 10, 3. Ober ihre Wiedererbau-
ung Ant. 14, 9, 1.
7 ) Ant. 14, 8, 3 u. 5. B. J. 1, 10, 3. Damit war er keineswegs
zum Landpfleger, fondern zum oberften Finanzbeamten ernannt, eine
Stellung, die fich aus der Pflicht des Hyrkan, Tribut an die Romer zu
zahlen, erklart. Vgl. Marquardt, RStV 1, 407 f. Ober den Titel Proku-
rator in diefem Sinne fiehe unten.
106 Erfter Abfchnitt, Die politifche Gefchichte der Juden etc.
wurden den Juden zuriickgegeben. Audi follte der Zehnte,
wie er den Hasmonaern entrichtet worden war, dem Hyrkan
und feinen Sohnen zukommen, und weiterhin ganz Judaa,
mil Ausnahme von Joppe, eine jahrliche Abgabe an die "
Stadt Jerusalem leiften. Endlidi wurde dem Hyrkan das
Recht zuerkannt, alle Streitigkeiten fiber judifche Einrich-
tungen zu entfcheiden. 1 ) Cafar gewahrte audi den Juden das
Recht, iiberall nach ihren Gebrauchen zu leben, namentlidi
auch Verfammlungen und Geldfammlungen zu gemeinfamen
Mahlen und Opfern zu halten. 2 ) Es find grojje Zugeftand-
niffe, die es erklaren, daft kein auswartiges Volk fo wie das
judifche den Tod Cafars am 15. Marz 44 beklagte. 3 )
Antipaterund Antipater fuchte nun auch feinerfeits die grofce, ihm durch
feine Sohne eigene Energie und Klugheit und die Tragheit und Unfahig-
Phafaei und ^ e jt (j es Hyrkanus zugekommene Gewalt feinen Sohnen zu
vererben - Er hatte aus ^ einer Ehe mit der Nabataerin Ky-
'pros vier Sohne, Phafael, Herodes, Jofeph und Pheroras
und eine Tochter Salome. 4 ) Erfteren ernannte er zum Be-
fehlshaber von Jerufalem und Umgebung, den Herodes, dem
fchon der Effener Manahem als Schulknabe geweisfagt haben
foil, 5 ) er werde dereinft Konig werden, zum Befehlshaber
von Galilaa. Diefe Landfchaft hatte damals viel von Rau-
bern zu leiden, die fich in den Biirgerkriegen in den Gali-
laifchen Bergen feftgefetjt und fortwahrend durch Fliichtlinge
und Verarmte verftarkt, den nationaljudifchen Gedanken der
Emporung gegen die Fremdherrfchaft aufgegriffen hatten.
So war es moglich, dag der Rauberhauptmann Ezechias,
der befonders gern Syrer angriff, fich der Sympathien an-
gefehener und vornehmer Kreife in Jerufalem erfreute.
Damals war Herodes 25 Jahre alt, 6 ) kiihn und energifch
und ein ausgezeichneter Reiter und Schfitje. 7 ) Er fauberte
') Ant. 14, 10, 6 u. 2.
2 ) Ant. 14, 16, 8.
3 ) Suet. Caes. 84: In summo publico luctu exterarum gentium multi-
tude circulatim suo quaeque more lamentata est, praecipueque Judaei,
qui etiam noctibus continuis bustum irequentarunt.
4 ) Ant. 14, 7, 3. B. J. 1, 8, 9.
5 ) Ant. 15, 10, 5.
6 ) Ant. 14, 9, 2.
') B. J. 1, 21, 13.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 107
das Land mit ftarker Hand und liefe den Ezechias mit vielen
Raubern ohne weiteres hinrichten. Das machte nun wieder
bofes Blut in Jerufalem, und die den Idumaern ohnehin
feindfelig ge[innten Grogen wugten den Hyrkan durdi die
Vorftellungen, daft ihm allein der Blutbann zustehe, zu be-
wegen, den Herodes zur Verantwortung nach Jerufalem zu
laden. Der kam aber im Purpurgewand, bewaffnet mit einer
bewaffneten Bedeckung, in den erfchreckten Rat, wo aber
doch der Schriftgelehrte Sameas ihn kiihn anklagte. Er ware
verurteilt worden, wenn nicht Hyrkan, den der im Jahre 47
zum Statthalter von Syrien ernannte Sextus Cafar aufgefordert
hatte, den Herodes freizufprechen, die Sitjung auf einen an-
dern Tag verfchoben hatte. Heimlich liefc er ihm dann raten,
fich aus der Stadt zu entfernen. Das tat Herodes auch, ging
naeh Damaskus und wurde von Sextus Cafar zum Statt-
halter von Colefyrien ernannt. Jetjt, da er Macht hatte, zog
er mit einem Heere naeh Jerufalem, um sich zu rachen und
wurde nur dureh die Bitten feines Vaters und Bruders von
einem Angriff auf die Stadt abgehalten. Er hatte aber hin-
langlich gezeigt, was von ihm zu erwarten war. 1 )
Als im Jahre 46 Sextus Cafar durch einen Anhanger des
Pompejus, den Cacilius Baffus, ermordet worden war und
fich in Syrien der Kampf um die Obergewalt zwifchen der
pompejanifchen und cafarifchen Partei hinzog, ftanden die
Sohne des Antipater treu zu letjterer. 2 ) Da wurde Cafar
am 15. Marz 44 ermordet. Einer feiner Morder, Caffius caffius und
Longinus, welcher fchon 53-51 in Syrien befehligt hatte, Herodes.
kam nach Syrien und hatte bald grojge Streitkrafte dort ge-
fammelt, fur deren Unterhalt er dem Judenlande eine Ab-
gabe von 700 Talenten auflegte. Antipater fugte fich ihm.
Am dienfteifrigften war aber Herodes, der auch zuerft den
auf Galilaa fallenden Teil, 100 Talente, aufbrachte und dem
Caffius gab. Dafur wurde er von Caffius, der die Bewohner
der Stadte Gophna, Emmaus, Lydda und Thamna, die ihren
1 ) Ant. 14, 9. B. J. 1, 10, 4-9. Vgl. u. S. 111. - Wahrend B. J.
1, 10, 8 fagt, Herodes sei zum j^rpmr^yo'c" von Coelefyrien und Sa-
maria ernannt worden, heigt es in 14, 9, 5 nur, Sextus habe den Herodes
gegen Bezahlung zum sr^aTtjyoq von Coelefyrien gemacht.
2 ) Ant. 14, 11, 1. B. J, I, 10, 10.
1 08 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Anteil nidit aufbringen wollten, als Sklaven verkaufen liefc,
als Statthalter von C6le[yrien anerkannt und ihm die mili-
tarifche Verwaltung von Judaa gegeben und die Konigskrone
in Ausficht geftellt. 1 )
DieErmor- Als fo der Stern der Idumaer immer hoher ftieg, [tieg
dung des auch bei mandien der Hafr gegen fie. Von diefem geleitet,
Antipaten u e g em Hofling Hyrkans, namens Malidius, 2 ) den Antipater
durch einen Mundfchenken Hyrkans bei einem Mahle im
Jahre 43 v. Chr. vergiften und bemachtigte [ich der Stadt.
Mil Antipater ftarb ein ebenfo kluger wie tatkraftiger Staats-
mann, der aus Politik ein Freund der Romer ftets die In-
tereffen feiner Familie zu wahren und zu fordern gewufct
hatte. Immerhin waren ihm die Erhaltung der Herrfchaft des
Hyrkanus und die Begiinftigungen der Juden durch Cafar
zu verdanken, wenn er auch durchaus kein Patriot im judifch-
nationalen Sinne war.
Aus Furcht, einen Aufftand der Juden zu erregen, gaben
fich feine Sohne den Anfchein, den Unfchuldsbeteuerungen des
Malichus zu glauben, liejgen ihn aber, fobald als ihr Conner
Caffius im Jahre 43 den von Antonius, dem Racher Cafars,
zur Obernahme von Syrien abgejandten Dolabella befiegt
hatte, bei Tyrus ermorden. Auch die Mitverfchwornen des
Malichus, die fich einiger Feftungen bemachtigten und den
Phafael in Jerufalem mit Waffengewalt angriffen, wurden
zur Unterwerfung gezwungen. Die klaglichfte Rolle fpielte
bei all diefem der fchwache Hyrkanus, der einerfeits die
Feinde der Idumaer begunftigte, anderfeits aber nach der
Ermordung des Malichus diefen als das Verderben feines
Vaterlandes bezeichnete. 3 )
Herodes be- Im Jahre 42 v. Chr., als Caffius mit feinem Heere zu
fiegt den Brutus nach Mazedonien zog und die Idumaer in Judaa durch
Antigonus. ^ Q Anhanger des Malichus befchaftigt waren, machte auch
der letjte iibriggebliebene Sohn des Ariftobul, der Hasmo-
!) Ant. 14, 11, 2-4. B. J. 1, 11, 14. An erfterer Stelle fteht
(STQartiyov nrTovKoiiy? vela<; enoirjGav (Ant. 14, 11, 4) an letjterer 2v(jia?
dndtir;?. Die fpateren Ant. find vorzuziehen und ift deshalb auch wohl
nicht anzunehmen, dag in Ant. 14, 11, 4 xottq Svyta ein Schreibfehler ftatt
2v$i.n ift, wie z. B. Kellner, Jefus von Nazareth, S. 39, 1 vermutet.
2 ) Vgl. uber ihn auch Ant. 14, 5, 2. 14, 11. 2-3. B. J. 1, 8, 3. 11, 2.
3 ) Ant. 14, 11, 4-7. B. J. 1, 11, 3-12, 1.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 109
naer Antigonus, unterftiitjt von feinem Schwager Ptolemaus
Mennaei von Chalcis ') und dem von Caffius als Alleinherrfcher
von Tyrus zurfickgelaffenen Marion einen Verfudi, den Thron
feiner Vater zu gewinnen. Marion rifc einige galilaifche Ort-
fchaften an fich, 2 ) Antigonus wurde aber von Herodes ge-
fchlagen und zum Riickzug gezwungen. Jetjt nahm der arme
Hyrkanus den Herodes wie einen Triumphator in Jerujalem
auf und gab zu, dafj er fich mil einer Hasmonaerin, der Die Verlo-
Mariamme, 3 ) deren Mutter eine Tochter Hyrkans war und bung des He-
deren Vater Alexander ein Sohn des Ariftobul gewefen war, r desmitMa-
verlobte, ein ungliickfeliger Entfchlufc, der nur nodi viel mehr namme -
Leid fiber die Hasmonaer braehte. 4 )
Dem Gluck und der Gewandtheit des Herodes beugte Antonius er-
fich alles. Bei Philippi wurden feine Conner Brutus undnenntdieBru-
Caffius befiegt und toteten fich felbft. Das Triumvirat Okta- derPha f aelu -
vian, Lepidus und Antonius war nun im Befifee der Macht, ^erodeszu
Oktavian verwaltete das Reich im Abendland, Lepidus in
Afrika, Antonius in Afien. Aber vergebens fuchten die Ju-
den durch eine Gefandtfchaft zu Bithynien vor letjterem die
Cbergriffe des Herodes und des Phafael darzulegen. Sie
wurden merit einmal vorgelaffen. So viel vermochten die
Gefchenke des Herodes, die bekannte romerfreundliche Ge-
finnung der Familie und die fruheren freundfchaftlichen Be-
ziehungen des Antonius unter Gabinius mit Antipater. 5 )
Spater kamen zwar zu Daphne in Antiochien die jiidi-
fchen Anklager gegen die Briider zu Wort. Da aber auch
Hyrkanus dem Herodes ein glanzendes Zeugnis ausftellte,
ernannte nun der Triumvir die beiden Briider Phafael und
Herodes zu Tetrarchen und ubertrug ihnen die Verwaltung
von ganz Judaa. Damit war Hyrkanus tatfachlich, wenn auch
') S. o. S. 89.
2 ) Sie wurden fpa'ter auf Bitten Hyrkans von dem Triumvir Anto-
nius zuruckgegeben, der auch die Ruckgabe der von Caffius gefangenen
Juden anordnete. Ant. 14, 12, 2 6.
3 ) Griedi. fj.utJtu/*(trj.
*) Ant. 14, 12, 1. B. J. 1, 12, 2-3. Herodes war bereits mit Doris,
von der er einen Sohn Antipater hatte, vermahlt. Ant. 1. c. B. -I. 1. c.
S. unten S. 137.
a ) Ant. 14, 12, 2. B. J. 1, 12, 4.
110 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchidite der Juden etc.
nidit ausdriicklich feiner politifchen Stellung enthoben. 1 ) Als
zu Tyrus gar 1000 Juden verfuchten, den Antonius umzu-
ftimmen, lieg er mit blogen Sehwertern auf fie einhauen und
die gefangenen Juden hinrichten. 2 )
Mit Hiife der Von Tyrus eilte Antonius nach Alexandrien zur Kleo-
Parther be- patra, in deren Umgang feine Staats- und Feldherrnkunft
maditigt fich un( j er j e ib er ZU grunde gehen follte, und vergag in den aus-
Tchweifenden Feftlichkeiten des Winters 41/40 die Not der Zeit.
Dann ging er zu Anfang des Jahres 40 nach Griechenland
und von da nadi Italien. Denn um die Wende des Jahres 41
fielen die Farther unter dem Befehle des Pakorus, des Sohnes
ihres Konigs Orodes und des pompeianifchen Parteigangers
Labienus, in das romifche Gebiet ein, 3 ) bemachtigten fich wie
Kleinafiens fo auch des nordlichen Syriens und ganz Phoni-
ziens mit Ausnahme von Tyrus, und drangen in Judaa ein,
um auf Betreiben des Lyfanias von Chalcis den Hasmonaer
Antigonus, der ihnen 1000 Talente und 500 Weiber fur ihre
Hilfe verfprochen hatte, auf den judifchen Thron zu erheben.
Auch das politifche Intereffe, die romerfreundliche Familie des
Herodes zu vernichten, fpielte dabei naturlich eine Rolle.
Dem Antigonus, den die am Karmel wohnenden Juden
unterftiitjten, gelang es vor Pfing[ten des Jahres 40 4 ) in Je-
rufalem hineinzukommen, wo Herodes mit feinem Bruder
Phafael auf die Konigsburg Baris befchrankt wurde. Phafael
lie)5 fich tro^ des Abratens feines Bruders bewegen, mit
Hyrkanus in das Lager des parthifchen Befehlshabers nach
Galilaa zu gehen, in der torichten Hoffnung, den Frieden
vermitteln zu konnen, wurde aber dafelbft hinterliftig ge-
Fiucht des fangen genommen. Auf diefe Kunde floh Herodes in der
Herodes. Nacht mit feiner Familie und feiner Dienerfchaft und brachte
fie im haufigen Kampfe mit den ihn verfolgenden Parthern,
nachdem er auch noch drei Stunden fudlich von Jerufalern
an der Stelle der fpateren Feftung Herodeion 5 ) mit den nach-
ftromenden Juden fiegreich gekampft hatte, glucklich in die
Ant. 14, 13, 1. B. J. 1, 12, 5.
8 ) Ant. 14, 13, 2. B. J. 1, 12, 6-7.
3 ) S. Dio Cass. 48, 24-26. Vgl. Mommfen, Rom. Gefdi. V, 357 ff.
) Ant. 14, 13, 4. B. J. 1, 13, 3.
5 ) S. unten S. 130.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. Ill
Feftung Mafada am Toten Meere. Hier lieg er die Seinigen
unter dem Schutje feines Bruders Jofeph und ging felbft
nach Petra in Arabien. 1 ) In diefer Gefahr, in der er fdion
nahe daran war, fich felbft in fein Schwert zu fturzen, aus
Furcht, lebend in die Hande feiner Feinde zu kommen, hatte
er eine bewundernswerte Tatkraft an den Tag gelegt und fich
grower gezeigt 2 ) als der Schlag, der ihn getroffen hatte.
Dem gefangenen Hyrkan, den die Farther mit in ihr Verftumme-
Land fortfiihrten, hatte Antigonus die Ohren abfchneiden lung des
laffen, damit er, weil er als Priefter mit einem korperlichen gefangenen
Fehler nicht zum Altare fchreiten durfte, zur abermaligen Er- H y rkanus -
langung der hohenpriefterlichen Wiirde untauglich fei. 3 ) Pha-
fael aber zerfchmetterte fich auf die Kunde, dafc er zum Tode
beftimmt fei, den Kopf an der Kerkermauer. 4 )
3. Herodes und Konig Antigonus (4037 v. Chr.).
Antigonus nahm, nachdem er Konig geworden, wie feine Konig Anti-
Munzen zeigen, den Titel an ,,Mattathias Hoherpriefter, Konig gonus.
Antigonus". 6 ) Allein von der Tatkraft nd der kriegerifchen
Tiichtigkeit feines Grofcvaters, des Alexander Jannaus, war
er weit entfernt. Er verstand es auch gar nicht, die Zeit-
umftande fich zunutje zu machen und vergeudete feine Kraft
im erften Jahre mit dem vergeblichen Verfuche, dem Bruder
des Herodes, Jofeph, die Feftung Mafada zu entreifcen. 6 )
Ganz anders Herodes, deffen Kraft mit feinem Mifcgefchick Herodes wird
zu wachfen fchien. Nach Petra kam er gar nicht, da der in Rom zum
Konig der Nabataer, Malchus, ihn erfuchen liefc, umzukehren, Konige er-
weil die Farther ihm die Aufnahme des Herodes unterfagt nannt.
hatten. 7 ) Er ging vielmehr direkt durch die Wufte fiber Pelu-
fium nach Alexandrien zur Kleopatra und fchiffte fich tro^
der Herbftfturme nach Brindifi ein und kam noch im Spat-
herbft des Jahres 40 nach Rom. Damals weilten Antonius
) Ant, 14, 13, 2-9. 14, 14, 3. B. J. 1, 13, 19.
2 ) F. de Saulcy, Histoire d'Herode roi des Juifs. Paris 1867, p. 75.
3 ) Ant. 14, 13, 10. B. J. 1, 13, 9 u. 11.
*) Ant. 14, 13, 10. 15, 2, 1. B. J. 1, 13, 10.
5 ) Levy, S. 65-67. Madden, Coins, p. 99193.
6 ) Ant. 14, 14, 6. B. J. 1, 15, 1.
7 ) Ant. 14, 14, 1. B. J. 1, 14, 1.
112 Erfter Abfdmitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
und Oktavian dort, weldie erft jungft zu Brindifi einen Ver-
trag gefchloffen batten, wonach Oktavian die Verwaltung der
weftlidien, Antonius, der fidi nun nadi dem Tode feiner
Frau Fulvia mit der Oktavia, der Schwefter des Oktavian,
verlobte, die oftliehen Provinzen verwalten follte. 1 ) Beide
nahmen ihn gut auf. Er hatte anfangs nur gehofft, feinen
Schwager Ariftobul, den Bruder der Mariamme, zum Konig
madien und als deffen Majordomus die Gewalt ausiiben zu
konnen. Allein dank der Unterftiitjung des Antonius, der
auf die Wichtigkeit hinwies, fich fiir den bevorstehenden par-
thifchen Krieg eines Mannes wie Herodes bedienen zu konnen,
wurde er vom romifchen Senat im Jahre 40 zum Konige er-
nannt und brachte, von Antonius und Oktavian geleitet, auf
dem Kapitol ein Opfer dar. Naeh kaum fiebentagiger An-
wefenheit konnte er Rom als Konig verlaffen. 2 )
Die Kampfe Im Jahre 39 wurden zwar die Farther durdi den romi-
des Herodes jchen Feldherrn Ventidius aus Syrien vertrieben, allein Anti-
gegen gonus wugte letjteren, der fdion bei Jerufalem ein Lager
gonus. k ez0 g en hatte, durdi Beftechung zum Abzug zu bewegen.
Zwar blieb ein romifcner Unterfeldherr Silo mit einem kleinen
Heere zuriick, aber diefer verhielt fidi auch untatig. 3 )
Als nun Herodes im Jahre 39 aus Italien in Ptolemais
ankam, hatte er bald ein Heer gefammelt und eilte durdi
Galilaa 4 ) dem Antigonus entgegen. Je weiter er kam, desto
mehr Leute fielen ihm zu. Er nahm Joppe, entfetjte Mafada,
mufjte allerdings von der Belagerung Jerufalems abfehen,
weil die Truppen des Silo fruh die Winterquartiere bezogen,
nahm Sepphoris in Galilaa und reinigte jetjt die ganze Land-
fchaft von Raubern, die fieh vergebens zuerft in die unzu-
ganglichen Felshohlen von Arbela, 5 ) dann in Siimpfe und
unwegfame Gegenden zuruckgezogen hatten. 6 )
') Dio Cass. 48, 27 u. 28.
*) Ant. 14, 14, 2-5. B. J. 1, 14, 2-4.
3 ) Dio Cass. 48, 39-41. Ant. 14, 14, 6. B. J. 1, 15, 2.
*) B. J. 1, 15, 3.
B ) Gemeint find die nodi heute angeftaunten HOhlen von Irbid, dicht
am See Genefareth, nordweftlich von Tiberias. Vgl. u. a. Guerin, Galilee I,
198203. Herodes legte auf der Hone der Felsklippen Balken, die uber
den Abgrund hinausragten und lieg von dort in grofcen, durch eiferne
Ketten auf und ab bewegten Kaften Soldaten herab, die von den Kaften
her in die Hohlen eindrangen. Ant. 14, 15, 4-5. B. J. 1, 16, 2 u. 4.
) Ant. 14, 15, 1-6. B. J. 1, 15, 3-16, 5.
II.- Kap. Die politifche Gefdrichte Palaftinas von 63-4 v. Ghr. 1 13
Am 8. Juni 38 hatte Ventidius die Farther in einer grogen
Schlacht, in weldier Pakorus fiel, gefchlagen ') und fandte nun
auf Befehl des Antonius dem Herodes zwei Legionen und
1000 Reiter. Da aber auch diefe, von Antigonus beftochen,
fidi laffig zeigten, ging Herodes zu Antonius nach Samofata
am Euphrat, wo diefer den Bundesgenoffen der Farther, den
Konig Antiochus von Commagene, belagerte und erlangte
dort die Zuficherung, dag der zum Statthalter von Syrien
ernannte Cajus Sofius ihm gegen Antigonus helfen werde. 2 )
In Antiochien erfuhr Herodes, dag fein Bruder Jofeph
bei Jericho gefdilagen und felbft in der Sdilacht gefallen
und in Galilaa wie in Judaa der Aufftand ausgebrochen
Jei. Allein nun brachte er mit Hilfe der Romer bald Galilaa
wieder in feine Gewalt und fchlug bei Ifana (wohl das heutige
Ain Sinja, etwas nordlich von Bethel) 3 ) die von Pappus be-
fehligten Truppen des Antigonus. 4 )
Nach dem Winter 5 ) zog er im Jahre 37 nach Jerusalem. Herodes ver-
Wahrend feine Werkmeifter im Norden der Stadt Walle auf- mahit fieh mit
warfen, um von dort die Mauern mit Mafchinen zu berennen, Mariamme.
ging er felbft nach Samaria, dejjen Bevolkerung aus Hag
gegen die Juden und die Makkabaer ihm ftets groge Treue
bewiefen hatte, und wo fich auch feine Mutter und Verwandten
befanden, feitdem er Mafada entfetjt hatte, und feierte dort
mit der fchonen Hasmonaerin Mariamme Hochzeit. 6 )
Gleich danach kam er mit neuen Streitkraften wieder Einnahme
vor Jerufalem. Seine eigenen Truppen waren 30000 Mann jerufaiems
ftark; dazu ftiegen noch 11 Legionen und 6000 Reiter unter i
dem Befehl des fyrifchen Statthalters Sofius. Tro^dem hielt
fich die Stadt, in welcher fich Juden aus dem ganzen Lande
zufammengefunden hatten, fiinf Monate lang, 7 ) bis endlich
') Dio Cass. 49, 1921. Vgl. Clinton, Fasti Hell. Ill, 220.
a ) Ant. 14, 15, 7-9. B. J. 1, 16, 6-7.
3 ) Vgl. Schiirer I, 357, 9 und die dort angegebene Literatur.
*) Ant. 14, 15, 10-13. B. J. 1, 17, 18.
5 ) Ant. 14, 15, 14; vgl. B. J. 1,- 17, 8.
6 ) Ant. 14, 15, 3-4 u. 14. B. J. 1, 16, 1. 1, 17, 8.
7 ) B. J. 1, 18, 2. Gerechnet ift hier nicht vom Anfange der Schanz-
arbeiten iiberhaupt, fondern von der Riickkehr des Herodes aus Samaria,
da 6S heijgt ,,T//A/xotrr^? drvauewc Hi()t,xafri>/4.Vf]c; nevte nqrti diriv^Y.nv
roAtu^xi.xv." Ant. 14, 16, 4 fagt Jofephus, die Erftiirmung fei gefchehen
Felten, Neutejtamentlidie Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 8
114 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
im Oktober des Jahres 37 1 ) am Verfohnungstag audi der
Tempel und die Oberftadt erfturmt wurden. Weder Kinder
nodi Frauen wurden von den durch den langen Widerftand
erbitterten Soldaten verfchont, und nur mit der grofeten Muhe
konnte Herodes verhindern, dag die Romer nicht das Innere
des Tempels betraten. Um die Pliinderung der Stadt abzu-
wenden, mugte er, da er nicht Konig fiber eine Einode fein
wollte, aus feinem Vermogen jedem Soldaten eine Belohnung
geben 2 )
Antigonus hatte wahrend des Strafcenkampfes die Burg
Baris verlaffen und fich dem S.ofius zu Ftigen geworfen, der
ihn fpottend Antigona genannt haben foil, ihn gefangen
nehmen und dem zu Ende des Jahres 37 3 ) wieder nach
dem Orient zuriickgekehrten Antonius uberfenden liejg. Der
hatte ihn gern bis zum Triumph am Leben gelaffen. Aber
die von einer bedeutenden Geldfumme unterftiitjten dringen-
Hinrichtung den Vorftellungen des Herodes, dag, folange Antigonus lebe,
ff QQ _
n im dritten Monat am Fefttage des Faftens". Hier wird gerechnet von
Antigonus. der Fertigftellung der drei Walle und der Berennung der erften Mauer.
Vgl. Ant. 14, 16, 2.
a ) Vgl. Ant. 14, 16, 4. Danach wurde die Stadt genommen, unter den
Konfuln Markus Agrippa und Caninius Gallus, in der 185. Olympiade,
im 3. Monat, am Fefttage des Fastens (r// o,,r^ r>]e v^r tins ), an weldiem
vor 27 Jahren (gemeint find jiidifche Mondjahre) Pompejus die Stadt er-
obert habe. Allerdings {e^t Dio Cass. 49, 2223 die Eroberung in das
Konfulat des Claudius und Norbanus ins Jahr 38. Allein mit Recht haben
faft alle Neueren das Jahr 37 angenommen, da der ausfiihrliche Bericht
des Jofephus der fummari|chen Darftellung diefer Dinge durch Dio Gaf-
fius uberhaupt vorzuziehen fei. Bin Grund zur Bezweiflung des von
Jofephus angegebenen Tages, der ein Fe[ttag und ein Fafttag, alfo der
Verfohnungstag, der 10. Tischri war, liegt nidit vor (f vor. Anm.) Diefer
10. Tischri entfpricht nach den aftronomifchen Berechnungen (f. Gardthaufen
im Rhein. Muf. 1895, 2, S. 311314; vgl. auch Kellrier, "Jefus von Nazareth,
S. 74 f.) dem 3. Oktober des Jahres 37. Nach Kugler, Von Mofes bis
Paulus, Miinchen 1922, S. 420 (vgl. uber die Daten der beiden Er-
oberungen Jerufalems, ebd. S. 415422) entfpricht der 10. Tischri des
J. 37 v. Chr. im Julian. Kalender Oktober 5/6. Vgl. auch Unger, Die Seleu-
kidenara der Makkabaerbucher S A. Miinchen 1895, S. 274-277 u. S. 316.
Kellner, Die Regierungszeit des Herodes und ihre Dauer, im Katholik
1887. II, 65 75. Ebd. Jefus von Nazareth und feine Apoftel im Rahmen
der Zeitgefchichte. Regensb. 1908, S. 27 f.
*) Ant. 14, 16, 13. B. J. 1, 17, 9-18, 3.
3 ) Vgl. Clinton, Fasti Hell. Ill, 224.
II. Kap. Die politifdie Gefchichte Palaftinas von 63 4 v. Chr. 115
die Juden nicht im Zaume gehalten und auch dureh keine
Marter bewogen werden konnten, ihn felbft Konig zu nennen,
bewogen ihn, den Antigonus zu Antiochien mit dem Beile
hinrichten zu laffen. 1 )
In diefer fchmachvollen Weife endete durdi Henkershand
der letjte Herrfcher aus dem Haufe der Hasmonaer, welches
grog geworden war durch die inneren Streitigkeiten der
Seleuziden und die nationale Tatkraft und unterging durdi
inneren, von Antipater aus Ehrgeiz geforderten dauernden
Zwift, aber doch fchliepch nur vor der gewaltigen Madit des
Romerreiches, der fidi die Idumaer wieder, um ihre eigene
Macht zu fordern, ganz unterordneten, in den Staub fank.
Jetjt war Herodes wirklieh Konig der Juden, was er von
4037 nur dem Namen nadi gewefen war.
4. K6nig Herodes (374 v. Chr.).
Alle die vielen Bemuhungen der Juden zugunften der Aiigemeine
Hasmonaer batten nichts vermocht. Uber viele Leidien bin- Charak-
weg war Herodes zum Thron emporgeftiegen. Er bradite ten f tlk des
LJ f^f/Af^ ^Q
mit fieh grojge korperliche Kraft und Ausdauer, grofje Kriegs- .
erfahrung, gewaltige Energie und ein trotj aller ihm eigen-
tiimlichen Sinnlichkeit und Leidenfchaftlichkeit kaltes, grau-
fames Herz, welches ihn unbeirrt und unbeengt durch irgend-
welche Rfickfichten als Jeinen eigenen Nu^en durch Strome
Blutes {elb[t feiner eigenen Angehorigen waten lie, um feine
Ziele zu erreichen. Die Romer batten ihn auf den Thron
gebracht. Ihrer Freundfchaft {ich ftets und unter alien Um-
ftanden zu verfichern, war auch in Zukunft das Hauptziel
feiner Politik. Wie er fein Konigtum im Jahre 40 mit einem
Opfer auf dem Kapitol zu Rom angefangen hatte, fo hat er
fpater in Cafarea am Meere zu Ehren des Auguftus und
der Roma einen Tempel erbaut. Dabei war er aber eben-
falls aus Politik bemiiht, die religiofen GefQhle der Juden
zu fchonen und forgte als Konig der Juden, wenn fie ihm
nur gehorchten, fur ihre Intereffen innerhalb und aufcerhalb
') Ant. 14, 16, 4. 15, 1, 2 (Zeugnis des Strabo). B. J. 1, 18, 3.
Dio Cass. 49, 22. Da der Tod erft einige Wochen nadi der Gefangen-
nahme erfolgt fein kann, dGrfte er, wie Lewin, Fasti sacri, L. 1875, p. XVII
meint, in den November des Jahres 37 gefallen fein.
8*
116 Erfter Abfdhnitt. Die politifche Gefchidite der Juden etc.
Palaftinas. Ehrgeizig und prachtliebend fuchte er durch viele
dffentlidie Bauten und reiche Gefchenke fowohl dem Auguftus,
der darauf grogen Wert legte, fich angenehm zu madien,
als auch feinen Namen auf die Nachwelt zu bringen und zog
fogar Gelehrte, wie z. B. den Nikolaus von Damaskus, deffen
Biographic des Herodes von Jofephus benutjt wurde, an
(einen Hof. Aber bei allem aufcern Firnis romifcher Kultur
war er ein orientalifcher Defpot fchlimmfter Art, gegen die
jeweiligen romifchen Madithaber gefiigig, aber gegen feine
Untertanen iiberaus ftreng und hart, mit zehn Frauen ver-
heiratet und voll ungebandigter Leidenfchaft, und doch dabei
gegen die Reize der Kleopatra blind und verfchlagen, rach-
fuchtig und hinterliftig zugleich und dabei ftets, namentlich
aber in den letjten Lebensjahren, voll Argwohn, man ftrebe
nach feinem Leben Oder feinem Throne, an aujgeren Erfolgen
reich, aber in feinem Familienleben ungliicklidi, befahigt,
durch eigene Kraft und kluge Politik ein Konigreich zu er-
werben und zu erhalten, aber nicht imftande, es Jo zu kon-
folidieren, dag ihm eine langere Dauer hatte befchieden (ein
konnen.
Man kann drei Perioden in feiner Regierung unter-
fdieiden, die der Sicherung feiner Macht vom Jahre 3725,
an deren Darftellung fich die feiner weiteren politifchen Er-
folge am beften anfchlie^t, die namentlich durch eine grojj-
artige Bautatigkeit ausgezeichnete Glanzzeit feiner Regierung
vom Jahre 25 13, und die feiner letjten Lebensjahre und
feines hauslichen Ungliickes von 134 v. Chr.
a) Die Sicherung feiner Macht vom Jahre 37 25 v. Chr. und feine
weiteren politifchen Erfolge.
Hinrichtung Wie er bei Antonius mit Erfqlg darauf gedrungen hatte,
vieier dag Antigonus getotet werde, fo Heft er auch gleich nach
Geg-ner ^em Antritt feiner Regierung fiinfundvierzig der vornehmften
des Herodes. des Antigonus hinrichten und ihr Vermogen ein-
ziehen. Denn er brauchte viel Geld, fchon um fich die Freund-
fchaft des Antonius durch groge Gefchenke zu erhalten. 1 ) Da
ohne Zweifel viele der Ermordeten Mitglieder des Hohen
Rates waren, erlangte er dadurch auch eine Sauberung des-
) Ant. 15, 1, 1-2.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 634 v. Chr. 117
felben in feinem Intereffe^ Auch die Mitglieder diefer Be-
horde, welche friiher fur feine Verurteilung geftimmt hatten,
lieg er hinrichten, 1 ) mit Ausnahme der Haupter der Phari-
faer Pollio und Sameas, weil fie geraten hatten, zur Vermei-
dung des Blutvergiegens ihm die Tore zu offnen. 2 ) Ober-
haupt fcheint es, dag fein Hag mehr die Sadduzaer als An-
hanger des hasmonaifchen Konigshaufes getroffen hat.
Schon als geborener Idumaer konnte Herodes die hohe-
priefterliche Wiirde nicht felbft bekleiden, wie das die Has-
monaer getan hatten. Hyrkanus war wegen feiner Verftiim-
melung dazu nicht fahig. 3 ) Allein es war immerhin moglich, Hyrkanus
dag der alte Mann, welchem der Partherkonig Phraates den kehrt p n , adl
Aufenthalt in Babylonien geftattet hatte, wo er (vielleicht zu
Naharda), verehrt und geliebt von den zahlreichen Juden
Mefopotamiens, lebte, 4 ) einmal von den Parthern oder den
Juden wieder auf den judifchen Thron erhoben wiirde. Des-
halb fuchte Herodes ihn unter dem Vorgeben, fich gegen ihn
dankbar beweifen zu wollen, in feine Gewalt zu bekommen
und erlangte auch durch die Vermittlung des judifchen Ban-
kiers Saramalla von Antiochien, des reichften Mannes von
Syrien, eines alten Freundes der Familie des Herodes, der
ihm auch wohl die Mittel zur Werbung eines Heeres im
Jahre 40 verfchafft hatte, dag der Partherkonig ihn gegen
reiche Gefchenke frei gab. Hyrkanus kam felbft gern nach
Jerufalem und wurde dort im Jahre 36 fo freundlich von
Herodes aufgenommen, dag er keinen Verdacht fchopfte. 5 )
Das nachfte Anrecht auf die hohepriefterliche Wiirde hatte Der
nun Ariftobul, der Bruder der Mariamme. Da diefer aber Hohepriefter
wegen feiner Abkunft ihm ein gefahrlicher Nebenbuhler wer- Ananel -
den konnte, auch erft 16 Jahre alt war, glaubte Herodes
ihn iibergehen zu konnen und berief zum Hohenpriefter einen
unangefehenen Priefter namens Ananel von Babylon, der feine
Abftammung von einer hohenpriefterlichen Familie herleitete. 6 )
J ) Ant. 14, 9, 4. Sie fahen in Herodes eine Geigel Gottes.
2 ) Ober Sameas f. o. S. 107.
3 ) S. o. S. 111.
4 ) Ant. 15, 2, 12.
5 ) Ant. 15, 2, 2-4. B. J. 1, 13, 5. Vgl. Ant. 14, 13, 5.
6 ) Ant. 15, 2, 4. 3, 1. 3, 3.
118 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
Der Bruder Dadurch fuhlte fich aber die Mutter des Ariftobul und
der Mariam- der Mariamme, Alexandra, gekrankt und fie wufcte durch die
me, Anftobui, Cberfendung eines Bildes des jugendlidien fchonen Ariftobul
wir ri er " an den finnlichen Antonius diefen zu dem Wunfche zu ver-
anlaffen, den Jiingling zu fehen. Es gelang dem Herodes die
Erfullung des Wunfches durdi die Vorftellung, daft die Ent-
fernung des Ari[tobul aus dem Lande die Juden zu fehr er-
regen wiirde, zu hintertreiben. 1 ) Er machte aber nun, zumal
ihn auch Mariamme fortwahrend mit Bitten beftfirmte, den
Ariftobul zum Hohenpriefter und fetjte den Ananel ab. a )
Die Ermor- Herodes konnte aber den Argwohn nicht unterdrucken,
dung des jun- die Alexandra wolle ihrem Sohne auch zur koniglichen Wiirde
gen Ariftobul. verb elf en und liefc fie ftreng iiberwachen. Diefe fafcte nun
auf den Rat der Konigin Kleopatra den Entfchluft, mit ihrem
Sohne nach Agypten zu entfliehen und wollte fich mit ihm
in zwei Sargen nachts an einen Seehafen, wo ein Schiff
bereit ftand, bringen laffen. Der Plan wurde aber verraten und
Herodes befchlofc nun, fich des Jiinglings zu entledigen. 3 )
In diefem Vorhaben wurde er beftarkt, da bei dem erften
feierlichen Auftreten des jungen Hohenpriefters am Laub-
huttenfefte im Jahre 35 v. Chr. diefem die Menge freudig
zujubelte. 4 ) Herodes wollte und konnte aber nicht offen gegen
ihn vorgehen. Deshalb veranlajjte er ihn, bei einem Fefte
in Jericho mit andern zu baden und liefc ihn durch diefe,
dem Anfcheine nach zum Scherz, fo lange unter dem Waffer
halten, bis er ertrank. 5 ) Es war eine Schreckenstat, die ihm
auch das Herz der von ihm heiftgeliebten Mariamme ent-
fremdete, der erfte aus bofem Argwohn und Hag erzeugte
Schritt auf der blutigen Bahn der Ermordung der nachften
') Ant. 15, 2, 6 f.
2 ) Ant. 15, 2, 5-3, 1.
3 ) Ant. 15, 2, 7. 3, 2.
*) Das Jahr fteht durdi die Bemerkung Ant. 15, 2, 6 (B. J. 1, 22, 3)
feft, dag Alexandra kurz vorher die Bilder des Ariftobul und der Ma-
riamme dem Antonius nach Agypten fandte. Diefer war aber erft Ende 36
nach einem ungluddichen Feldzug gegen die Farther nach Agypten ge-
kommen.
5 ) Ant. 15, 3, 3-4. Nach B. J. 1, 22, 2 ware Ariftobul in der Nacht
nach Jericho gefandt und dort auf Befehl des Herodes in einem Teiche
ertrankt worden.
II. Kap. Die politifche Gefchifchte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 1 19
Anverwandten. Auf die Kunde hiervon {e^te die Kleopatra
es dureh, dag Antonius, der fich auf feinem Zuge nach Ar-
menien im Friihjahre 34 in Syrien aufhielt, den Herodes
nach Laodicea zur Verantwortung lud. 1 )
Damals war ein Onkel des Herodes, namens Jofeph, Salome ftiftet
der zugleich durch feine Heirat mit der Salome des Konigs Zwietracht
Schwager war, Statth alter von Idumaa. Diefen machte nun zwl f* enH e-
Herodes, als er fich zu der wegen des Haffes der Kleopatra Mariamme
nicht ungefahrlichen Reife entfchlofc, zum Reichsverwefer und
gab ihm den geheimen Befehl auf die Kunde, daft ihm ein
Leid zugeftofren fei, die Mariamme mit ihrer Mutter zu toten,
erftere, damit die wegen ihrer Schonheit beriihmte Frau 2 )
nicht in die Hande des Antonius Oder eines andern falle.
Wahrend feiner Abwefenheit verbreitete fich in Jerufalem
das Gerucht von feinem Tode, woraufhin die Alexandra den
Jofeph zu bewegen fuchte, fich mit ihr und der Mariamme
unter den Schutj einer romifchen Legion zu ftellen, welche
gerade damals in der Nahe von Jerufalem lagerte. Aber
das Gerucht war falfch. Herodes hatte durch feine Gefchenke
und feine Berufung auf die Rechte, die einem Konige zu-
ftehen miigten, den Antonius fiir fich gewonnen, und erfuhr
nun von feiner Schwefter Salome und feiner Mutter Kypros
den Plan der Alexandra. Zwifchen diefen Frauen herrfchte
iiberhaupt eine groge Spannung, weil le^tere und ihre Tochter
jene wegen ihrer niedrigen Geburt und ihrer idumaifchen
Abftammung mit Verachtung behandelten. Die Salome ging
fogar fo weit, ihren Mann des verbotenen Umgangs mit der
Mariamme bei Herodes anzuklagen. Diefe warf ihm aber den
von ihm erteilten Befehl, fie eventuell zu toten, vor, den
Jofeph, wohl um fie von der grofcen Liebe ihres Gatten zu Herodes lagt
uberzeugen, ihr verraten hatte. Herodes fah aber darin nurfeinen Onkel
einen Beweis, daft Jofeph aus Liebe zur Mariamme dies Jofeph
getan habe und lieg ihn toten. 3 ) hinrichten.
J ) Ant. 15, 3, 5. Der Zug gegen Armenien (Ant. 15, 4, 2) heifct
auch (Ant. 15, 3, 9. B. J. 1, 18, 5) ein Zug gegen die Farther, da Arme-
nien wegen der Verbindung- mit den Parthern geziiehtigt werden follte.
Vgl. Dio Cass. 49, 39-40.
2 ) Ant. 15, 2, 6. 3, 5. B. J. 1, 22, 3.
3 ) Ant. 15, 3, 5-9. B. J. 1, 22, 4-5.
120 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
Kieopatra in Eines hatte aber dodi die Kleopatra gegen Herodes bei
Jerusalem. Antonius, den fie im Jahre 34 auf feinem Zuge gegen Arme-
nien bis an den Euphrat begleitete, worauf fie fiber Jerufa-
lem zuriickkehrte, erreicht. Sie hatte ihn namlich bewogen, 1 )
ihr nicht blofc faft den ganzen Kiiftenftrich vom Fluffe Eleu-
therus (nordlich von Tripolis) bis Agypten, mit einziger Aus-
nahme von Tyrus und Sidon und einen Teil des dem Nabataer-
fiirften Maldius gehorigen Arabiens, fondern auch die frucht-
bare und reiche Landfchaft Jericho mit ihren Palmbaumen
und Balfamplantagen 2 ) zu fchenken. Herodes mugte fie nun
fogar ehrenvoll in Jerufalem aufnehmen 3 ) und zufrieden sein,
ihr fein eigenes Land gegen einen jahrlichen Tribut von
200 Talenten abzupachten und begleitete fie bis nach Agypten. 4 )
Ihn durch ihre Reize zu beftricken, war ihr nicht gelungen.
Sie hatte aber noch einen andern Plan, ihn zu verderben.
Sie hatte ihn namlich zum Biirgen fur den ihr von Malchus
zu zahlenden Tribut machen laffen. Als diefer nun zu zahlen
aufhorte, erwirkte fie im Jahre 32 von Antonius den Befehl,
Krieg des He- Herodes folle den Nabataerfiirften bekriegen. Sie hoffte
rodes gegen aus (j er gegenfeitigen Schwachung beider Nu^en ziehen zu
k nnQn ' Der Krieg endigte aber ' tro ^ dem Herodes anfangs
eine grojje Schlacht verier, im Jahre 31 mit der vollftandigen
Niederlage der Araber/)
Nach der Ware der Befehl des Antonius zu diefem Kriege nicht
Schlacht von ergangen, fo hatte Herodes in dem gerade im Jahre 32
Actmm gent an f an g e nden Biirgerkriege zwifchen Antonius und Oktavian
Oktal ZU er ^ erem J em ^ eer zugefiihrt. 6 ) Jetjt hatte er wenigstens das
uber. Gluck, nicht direkt auf feiten des Antonius gekampft zu haben.
Ant. 15, 4, 12. B. J. 1, 18, 5. Vgl. o. S. 90, 6.
2 ) S. o. S. 52 und 31.
3 ) ,,The scene at Herod's palace must have been inimitable. The
display of counter-fascinations between these two tigers; their volup-
tuous natures mutually attracted; their hatred giving to each that deep
interest in the other which so often turns to mutual passion while it
incites to conquest; the grace and finish of their manners, concealing
a ruthless ferocity; the splendour of their appointments what more
dramatic picture can we imagine in history!" J. P. Mahaffy, The empire
of the Ptolemies, L. 1895, p, 472 f.
') Ant. 15, 4, 2.
*) Ant. 15, 4, 4-5, 5. B. J. 1, 19, 1-6.
6 ) Ant. 15, 5, 1. B. J. 1, 19, 1.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 121
Denn das Kriegsgliick entfchied am 2. September 31 in der
Seefchlacht am Vorgebirge Actium an der Westkfifte Griedien-
lands gegen diefen. Aber diefer Schlag und der Abfall des
Prokonfuls Quintus Didius von Syrien und der kleinafiatifchen
Furften von Antonius war fur Herodes Grund genug, nun
auch auf die andere Seite jidi zu fchlagen und den Prokonful
im Kampfe gegen eine Gladiatorenfchar des Antonius, weldie
fich von Cyzikus nach Agypten durchfchlagen wollte, zu unter-
ftuljen. 1 )
Als nun Oktavian im Frfihjahre 30 von Korinth fiber
Rhodus nach Syrien reifen wollte, begab fich Herodes zu
ihm nach Rhodus. Gewifc war die Reife fiir einen fo alten
Gunstling und Anhanger des Antonius, wie Herodes war,
nicht ohne Gefahren. Deshalb wollte er fich in feiner herz-
lofen, graufamen Art vorfehen. Er liefj namlich den gut- Ermordung
mtitigen, iiber 80 Jahre alten Hyrkanus aus Furcht, man des
konne ihn als letjten Hasmonaer auf den Thron fetjen, um- Hyrkanus.
bringen, unter dem nichtigen Vorwande, der alte Mann habe
mit dem Nabataerkonig Malchus gegen ihn konfpiriert. 2 ) So
mufcte diefer durch Abkunft, Stand und Alter ehrwurdige
Greis feine gutmutige Schwachheit wie zuerft dem Antipater,
fo jetjt dem Herodes zu viel vertraut zu haben, bfifcen. Zum
Reichsverwefer ernannte Herodes feinen Bruder Pheroras und
brachte dann Mutter, Schwefter und Kinder in die von ihm
ftark befeftigte Fefte Mafada, feine Frau und deren Mutter
Alexandra aber nach Alexandreion unter die Aufficht des
Scha^meifters Jofeph und des Ituraers Soemus, denen er
den Befehl gab, beide, falls er umkomme, zu toten. 3 )
In Rhodus fand Herodes bei Oktavian, der fiber fein ab- Herodes und
hangiges Verhaltnis zu Antonius hochherzig wegjah und in Oktavian in
jenen Gegenden einen Mann wie Herodes gut brauchen konnte, Rh odus und
. wohlwollende Aufnahme und gewann fo, nachdem er jedes-
mal zeitig von Pompejus zu Cafar, von Cafar zu Graff us,
von Craffus zu Antonius fibergegangen war, auch an Augu-
1 ) Ant. 15, 6, 7. B. J. 1, 20, 2. Plut. Ant. 71. 72.
2 ) Ant. 15, 6, 3. Jofephus berichtet ebd. 6, 2 aus den ,,Jahrbuchern
des Herodes", Hyrkan habe im Einverftandnis mit dem Nabataer Malchus
zu diefem nach Arabien fliehen wollen, um dort die Ereigniffe abzii-
warten, halt aber felbft den ganzen Bericht fur unglaublich.
3 ) Ant. 15, 6, 5.
122 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
ftus einen Conner. Er zeigte aueh feine Dienftfertigkeit fo-
gleich bei dem Zuge des Auguftus nach Agypten im Jahre 30,
indem er ihm in Ptolemais einen herrlichen Empfang bereitete,
das romifche Heer verproviantierte und dem Auguftus noch
obendrein 800 Talente gab. 1 ) Antonius wurde zu Alexandrien
am 1. Auguft 30 von neuem gefchlagen, wahrend die Flotte
zu Auguftus iiberging. Da fich nun fowohl Antonius wie
auch die Kleopatra 2 ) den Tod gaben, war Herodes auch
diefer fchlimmen Gegnerin ledig und konnte ahnlich wie
damals Horaz jubeln: ,,nunc est bibendum, nunc pede
libero pulsanda tellus." 3 ) Er reiste voll Freude zu Augustus
nach Agypten und erhielt von ihm nicht nur die ihm friiher
von Antonius zugunften der Kleopatra entzogenen Lander wie-
der zuriick, fondern obendrein noch die Stadte Gadara, Hip-
pus und Samaria und an der Meereskiifte Gaza, Anthedon,
Joppe und Stratonsturm (Cafarea). 4 )
Herodes lagt Zu Haufe erlebte allerdings Herodes, den feine Mutter und
Mariamme Sdiwefter durdi allerhand Verleumdungen gegen die Mariamme
hinrichten. einzunehmen fuchten, wenig Freude. Mariamme felber zeigte fidi
gegen ihn gereizt, weil fie in Alexandreion wie in einem Ge-
f angnis eingefchloffen gewefen und von Soemus iiber den ihm
gewordenen Auftrag unterrichtet worden war, 5 ) und ging
l ) Ant. 15, 6, 57. B. J. 1, 20, 1-3.
*) Vgl. Edmund Groag, Beitrage zur Qefchichte des zweiten Trium-
virats. III. Das Ende der Kleopatra in ,,Klio, Beitrage zur alten Ge-
fchichte". Bd. 14, 1. L. 1914, S. 57-68.
3 ) Od. 1, 37. Vgl. Hausrath I, 230.
*) Ant. 15, 7, 3. B. J. 1, 20, 3.
5 ) Ant. 15, 7, 1-3. In B. J. 1, 22, 3-5 wird der Tod der Ma-
riamme zugleich mit dem Jofephs nach der Ruckkehr des Herodes von
Antonius gefetjt und das Ant. 15, 6, 5 und 7, 16 Erzahlte iibergangen.
Die Mariamme kann aber nicht fchon im Jahre 34 geftorben fein, da fie
nach B. J. 1, 17, 8 er{t im Jahre 37 heiratete, nach B. J. 1, 22, 2 aber
von Herodes funf Kinder hatte, die ihm als Konig geboren waren. Ge-
rade der fruhere, dem Jofeph gegebene Befehl (f. o. S. 119) hatte die
Mariamme argwohnifch gemacht und fie veranlagt, dem Soemus das Ge-
heimnis zu entlocken. Siehe Ant. 15, 7, 1. Nach Ant. 15, 7, 4 dauerte
das fchlechte Verhaltnis der Mariamme zu ihrem Manne ein halbes Jahr
nach feiner Ruckkehr aus Agypten fort. Diefe war aber erfolgt Ende 30.
Auguftus reifte zu Ende des Jahres 30 aus Agypten nach Antiochien,
begleitet von Herodes (Ant. 15, 7, 4). Somit fallt der Tod der Mariamme
ins Jahr 29 v. Chr. Auger Alexander und Ariftobul hatte Mariamme
II. Kap. Die politifche Gefchidite Palaftinas von 63-4 v. Chr. 123
eines Tages fo weit, ihn als den Morder ihres Vaters und
ihres Bruders zu fchmahen. Als nun feine Schwefter Sa-
lome nodi 01 ins Feuer go)5, indem fie einen Mundfchenken
des Konigs zu der Ausfage bewog, Mariamme habe ihn
verfuhren wollen, dem Herodes einen Liebestrank darzu-
reichen, liefj der Konig einen vertrauten Diener der Mari-
amme foltern, der zwar von dem Liebestrank nichts wufcte,
wohl aber ausfagte, die Konigin fei wegen des ihr von
Soemus Mitgeteilten fo erziirnt. Voll Wut befahl nun Herodes
den Soemus, den er fur des Ehebruchs mit Mariamme fchuldig
hielt, hinzurichten. Er felbft aber klagte feine Frau vor einem
Tribunal feiner vertrauteften Freunde des Ehebruchs und des
Vergiftungsverfuches fo leidenfchaftlich an, dafc fie zum Tode
verurteilt wurde. Das Urteil wurde, da Salome dem Herodes
vorftellte, das Volk konne leicht einen Aufftand zur Befreiung
der Konigin erregen, alsbald vollftreckt. Aus Furcht, felbft
der Mitwiffenfchaft diefes angeblichen Verbrechens ihrer Toditer
angeklagt zu werden, hatte Alexandra die feige Roheit, auf
der Strajge ihrer Tochter fdilechtes, undankbares Wefen gegen
ihren Mann vorzuwerfen. Die Konigin aber blieb gelaffen
und ftarb im Jahre 29 v. Chr., ohne auch nur die Gefichts-
farbe zu andern, wiirdig ihrer edlen Vorfahren. 1 ) Von fel-
tener korperlicher Schonheit, *) Wurde und hoher Geftalt, 3 )
keufch und hochherzig, wenn auch nicht immer frei von
Streitfucht und hochfahrendem Wefen, 4 ) ftarb fie vorzuglich
als ein Opfer des Haffes und der Verleumdungen der Salome.
Kaum war Mariamme tot, als die friihere leidenfchaft- Die Mutter
liche Liebe zu ihr mit der verzweifelten Reue iiber das ihr der
bereitete Schickfal in Herodes fo ftark wurde, dafe er in Sa- Mariamme
maria in eine fchwere Krankheit und Geiftesverwirrung fiel . e * ra
und man an feiner Genefung verzweifelte. Kaum hatte Ale- r id,tet
xandra hiervon gehort, als fie fich in den Befi^ der feften
einen dritten, jungeren Sohn, der in Rom ftarb. B. J. 1, 22, 2. Die zwei
Toditer hiegen Salampfio und Kypros. Erftere heiratete Phafael, den
Sohn von Herodes' Bruder Phafael, letjtere Antipater, den Sohn der
Salome und des Koftobar. Ober ihre Nachkommen vgl. Ant. 18, 5, 4.
!) Ant. 15, 7, 4-6.
2 ) S. o. S. 119.
3 ) Ant. 15, 2, 6. 15, 7, 6.
*) Ant. 15, 7, 6.
Ebenfo der
Schwager des
Herodes, Ko-
[tobar.
Gebiets-
zuwachs des
Herodes
durch die
Gunft des
Auguftus.
124 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefdiidite der Juden etc.
Platje Jerufalems angeblich im Intereffe der Sohne des Herodes
zu fetjen fuchte, daftir aber von Herodes ebenfalls hinge-
riditet wurde. 1 )
Zuletjt wurde auch nodi im Jahre 25 v. Chr. der vor-
nehme Idumaer Koftobar, den die Salome nach dem Tode
ihres Gatten Jofeph 2 ) geheiratet, 3 ) dem fie aber fpater nach
einem Zwift gegen das Gefetj einen Scheidebrief gefandt
hatte, 4 ) von ihr bei Herodes verraterifcher Umtriebe ange-
klagt 5 ) und ebenfalls auf deffen Befehl hingerichtet. 6 )
Die folgenden Jahre der Regierung des Herodes find
angefullt mit weiteren den Rornern erwiefenen und von ihnen
belohnten Dienften, mit einer gewaltigen Bautatigkeit und
mit Verfchworungen, Verbredien und Hinriehtungen.
Zu dem in die Jahre 25 24 fallenden erfolglofen Feld-
zug der Romer gegen das gluckliche Arabien fandte Herodes
500 Reiter, welche dem romifchen Befehlshaber Alius Gallus
grojse Dienfte leifteten. 7 ) Im Jahre 23 reifte der Konig felbft
nach Rom, um dem Auguftus feine beiden Sohne Alexander
und Ariftobul, SprofcHnge feiner Ehe mit der unglucklichen
Mariamme vorzuftellen. Bei diefer Gelegenheit erhielt er
einen bedeutenden Gebietszuwachs durch die Landfchaften
Trachonitis, Batanaa und Auranitis. 8 ) In Trachonitis lebten
damals viele Rauber, welche die Nachbarlande, namentlich
1 ) Ant. 15, 7, 8. Dag es erft je^t gefchah, mag damit zufammen-
hangen, dag fie fruher den Herodes vor den Parthern gewarnt hatte
(Ant. 14, 13, 6, vgl. o. S. 119).
2 ) S. o. S. 119.
3 ) Ant. 15, 7, 9. Herodes machte ihn zum Statthalter von Idumaa
und Gaza, ebd.
') Ant. 15, 7, 10. Vgl. Deut. 24, 1.
5 ) Er war zuerft verdachtigt worden, Idumaa von Herodes unab-
hangig machen zu wollen (Ant. 15, 7, 9). Die Salome verdarb ihn aber
durch die Anzeige, dag er fchon zwolf Jahre lang hervorragende An-
hanger des Antigonus, die Sohne des Babas, verfteekt halte, welche er
feiner Zeit bei der Eroberung Jerufalems im Jahre 37 gefangen ge-
nommen, aber wegen ihres Anfehens beim Volke an einen ficheren Ort
gebracht hatte. Siehe Ant. 15, 7, 10.
6 ) Ant. 15, 7, 10.
7 ) Ant. 15, 9, 3. Vgl. Strabo 16, 4, 22-24 und dazu Mommfen R.
Gefch. V, 608 ff. Schiller, Gefch. der rom. Kaiferzeit, Gotha I (1883), 198 ff.
s ) Ant. 15, 10, 1. Vgl. B. J. 1, 20, 4.
II. Kap. Die politifehe Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 125
das damaszenifche Gebiet pliinderten. Aber wie ehedem in
Galilaa, fo wufcte audi hier Herodes bald durch gewaltfame
Unterdruckung der Rauber den Nachbarn Ruhe und Sicher-
heit zu verfchaffen. 1 ) Er trat auch alien Verfudien des Zeno-
dorus, ihn in feinem neuen Befit* zu ftoren, mit Erfolg ent-
gegen. 2 ) Als aber Zenodorus im Jahre 20 an einem Darm-
bruch zu Antiochien ftarb, erhielt Herodes auch noch deffen
Bezirk, welcher Ulatha am Hule-See, Panias und das an-
grenzende Gebiet umfafcte. 3 ) Wie grofc das Anfehen des .
Konigs bei den Romern war, batten die Gadarener erfahren
miiffen, welche ihn des Raubes und der Pliinderung ihres
Tempels befchuldigten. Als fie ihre Klagen zu Mitylene auf
der Infel Lesbos bei Agrippa, der feit dem Jahre 23 eine
Art Statthalter aller Lander jenfeits des Jonifchen Meeres
war, vorbrachten, wiirdigte fie diefer, der mit Herodes be-
freundet war, keiner Antwort und fchickte die Gefandten ge-
bunden an Herodes. Auguftus nahm aber die Boten der
Gadarener im Jahre 20 fo unfreundlich auf, dafc fie fich aus
Furcht, dem Herodes ausgeliefert zu werden, felbft urns Le-
ben brachten. 4 )
Ja, Auguftus ging fogar fo weit, den Prokuratoren (Finanz- Weitere
beamten) von Syrien zu befehlen, nichts ohne die Gutheigung Gunftbezei-
des Konigs zu tun, 5 fo dafc diefer gewiffermagen der Stell- gungen des
vertreter des Statthalters von Syrien, als welcher damals der Au u f tus -
allerdings viel in Rom fich aufhaltende Agrippa gelten konnte, 6 )
war. Unter diefen Umftanden erlangte Herodes von Auguftus
: ) Ant. 15, 10, 1. Vgl. o. S. 91.
2 ) Ant. 15, 10, 2.
3 ) Ant. 15, 10, 3. B. J. 1, 20, 4. (Vgl. dazu Marquardt RStV 1,
408, 2), Dio Cass. 54, 9 ,,Zr;vodoJ(jov TWO? Tr^a(>.W.
*) Ant. 15, 10, 2-3. S. Anm. 3.
5 ) Ant. 15, 10, 3.
6 ) Agrippa warnach Ant. 15, 10, 2 v ro>v Tte^nv'Iavlov cTof<fo/o? KaltictQi."
und blieb es nach Ant. 16, 3, 3 zehn Jahre lang (von 2313 v. Chr.).
Allerdings war er nur von 2321 in Mitylene und ging dann nach Rom
(Dio Cass. 53, 32. 54, 6. Sueton. Aug. 66). Dann kam er wieder in den
Orient und blieb bis zum Jahre 13 (Dio Cass. 54, 19. 24. 28. Ant. 16, 2,
1-3, 3). Nach Mommsen, Res gestae d. Augusti 2 (1883), 163 ff. war er
eine Art Mitregent fowohl fur das Morgenland wie fur das Abendland.
Jedenfalls war er Statthalter nicht blofj fiber Syrien, fondern den ganzen
Often. Das erklart die dem Herodes eingeraumte Stellung.
126 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
ohne Muhe die Erlaubnis, feinen Bruder Pheroras zum Vier-
fiirjten von Peraa machen zu durfen. 1 )
Unruhen in Einmal iff aber doch Herodes zeitweife aus einem poli-
der Tracho- tifchen Grunde bei Auguftus in Ungnade gewejen. Die Ver-
nitIS - Herodes anlaffung, weldie zwar fchon in die letjte Lebenszeit des
K A 261 6 Konigs fallt, aber beffer hier erwahnt wird, war folgende.
Dwl /\UgUjiUS m
in Ungnade. Als lm J anre 12 v. Chr. Herodes in Rom weilte, ) fingen
in der Trachonitis wieder die gewohnten Raubziige an. Allein
vierzig Hauptrauber retteten fich nach Arabien in das Gebiet
des Nabataerfttrften Obodas. Damals war Syllaus, dem He-
>) Ant, 15, 10, 3. B. J. 1, 24, 5.
-) Herodes war in Rom im Jahre 23 v. Chr. (f. o. S. 124), dann
wenn nicht in Rom, fo doch in Italien um das Jahr 18 (Ant. 16, 1, 2.
Er holte feine SOhne ab), dann im Jahre 12 in Rom. (Ant. 16, 4, 16,
vgl. B. J. 1, 23, 35, um gegen feine SOhne bei Auguftus zu klagen).
Die Ruckkehr von diefer Reife wird auch Ant. 16, 9, 1 erwahnt (ytvuuevoi
fit sv rfj 'Pi,>nrj xaxei&fn sit'ivuxovri fivviftrr} 7roA>jUO? nydt; T'<uc v ^4^/?a.) Denn
der Auiftand der Tradioniten wird Ant. 16, 9, 1 in init. als der erfte feit
ihrer Unterwerfung durch Herodes dargeftellt und wird gefagt, fie feien
durdi die Feldhefren, die ir^ar^y../ des Konigs, wieder unterworfen wor-
den. Ihre Unterwerfung durch die arvn-cw-i ift fchon Ant. 16, 4, 6 in
init. erzahlt, wird aber Ant. 16, 9, 1 wieder erwahnt, weil jetjt die fich
daran kniipfenden Schwierigkeiten mil den Arabern gefchildert werden
follen. Ebenfo wird das Ant. 16, 4, 16 ausiiihrlich Erzahlte durch die
Bemerkung in Ant. 16, 9, 1, Herodes fei nach Rom gereift, um feinen
Sdhn Alexander zu verklagen und den Antipater dem Kaifer vorzuftellen,
kurz wiederholt. Dag nur Alexander, nicht auch fein Bruder Ariftobul,
genannt wird (fo auch B. J. 1, 23, 3), mag darin begriindet fein, dag
auch vorher Ant. 16, 8 nur von dem alteren Alexander die Rede ift.
Dag diefe Reife ins Jahr 12 fallt, ergibt fich, wie Schurer 1, 371, 16 be-
merkt, befonders aus Ant. 16, 4, 5. Danach hat namlich Auguftus bei der
Anwefenheit des Herodes in Rom Qefchenke an das Volk verteilt. Er
machte acht folcher Schenkungen (vgl. Monum. Ancyranum III, 7 21 bei
Mommsen, Res gestae 2 , p. 58 sq.), wovon die funfte ins Jahr 12, die
fechfte ins Jahr 5 v. Chr. fallt. An letjtere kann natfirlich hier nicht ge-
dacht fein. Vgl. auch fchon Sanclemente, De vulgaris aerae emendatione.
Romae 1793, p. 334 sq. u. a. Bei diefer Anwefenheit gab Auguftus
dem Herodes die Halfte der Ausbeute der (kaiferlichen) Kupferbergwerke
auf Cypern und die Verwaltung diefer Halfte. Nach Jos. Ant. 16, 4, 5
hatte damals Herodes dem Auguftus 300 Talente gefchenkt. Walter Otto,
Herodes. Beitrage zur Gefchichte des letjten judifchen KOnigshaufes,
Stuttgart 1913, S. 93 erklart die Stelle wohl richtig dahin, dag damals
Herodes die Ausbeute der Bergwerke zur Halfte gegen einmalige Zah-
lung von 300 Talenten ubernahm.
II. Kap. Die politifdie Gefchichte Palaftinas von 634 v. Chr. 127
rodes frfiher die Hand feiner Schwefter Salome abgefchlagen
hatte, angeblich weil der Nabataer fidi weigerte, das jtidifche
Gefetj anzunehmen, 1 ) der allmachtige Minifter feines Furften.
Syllaus hatte auch die Rauber aufgenommen und ihnen die
Feftung Raipta als Wohnort angewiefen. Von hier aus plfin-
derten fie Judaa und ganz Coelefyrien. Ihre Zahl wuchs
durdi Zuzug immer mehr. Als nun Herodes von Rom zu-
riickgekehrt war, lieg er im Zorn die in feinem Gebiet woh-
nenden Angehorigen der Rauber niedermadien und forderte
die Auslieferung der Rauber und die Rtickerftattung von
60 Talenten, welche er ehedem dem Nabataerkonig geliehen
hatte. Da diefe Forderung erfolglos blieb, drang er dann
mit Erlaubnis der romifchen Feldherren Saturninus und Vo-
lumnius 2 ) in Arabien ein, fchleifte Raipta und fchlug das ara-
bifche Heer in die Fluent. Um aber die Trachonitis dauernd
gegen die Rauber zu fichern, legte er dort idumaifche Militar-
kolonien an. Syllaus gab nun dem Augustus einen fo fal-
fchen Bericht fiber das Gefchehene, dag diefer gegen Herodes
in grofeen Zorn geriet und feine Gefandten gar nicht an-
horte. Es fehlte gar nicht viel, fo hatte er fogar den Syl-
laus, da damals gerade Obodas geftorben war und fein
Nachfolger Aneas, der fich Aretas nannte, das Reich ohne
Erlaubnis des Augustus angetreten hatte, zum Konige der
Nabataer gemacht. Endlich gelang es dem Nikolaus von Da-
maskus an der Spitje einer neuen Gefandtfchaft des Herodes,
welche durch eigene Briefe des Syllaus beweifen konnte,
daft diefer viele aus der Umgebung des Obodas umgebracht
habe, Gehor zu finden, den Herodes zu entfchuldigen und
wieder mit Auguftus zu verfohnen. Ware nicht damals fchon
Herodes mit feinen und der Mariamme Kindern in Streit
gewefen, fo wfirde er fogar noch Arabien erhalten haben.
Nunmehr beftatigte aber Auguftus den Aretas als Konig der
Nabataer. 3 )
Im Laufe des Streites waren die in dem trachonitifchen Anfiediung
Gebiete angelegten idumaifchen Militarkolonien von den Tra- von babyio-
nifchenJuden
, 7, 6.
2 ) Ant. 16, 9, I v 3ifMyTO HBQI torrtav TOt? KotidnQoc ifye/wotftv '" BatanSa -
re xai OJoAo/trtw". Saturninus war von 96 v. Chr. Statthalter von
Syrien.
3 ) Ant. 16, 9, 1-4. 16, 10, 8-2.
128 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
dionitern und den Arabern ausgepliindert und vernichtet wor-
den. Deshalb verlieh nunmehr der Konig babylonifchen Ju-
den, berittenen Bogenfchutjen, an deren Spitje Zamaris ftand,
einen Landftrich der an das trachonitifche Gebiet grenzenden
Landfchaft Batanaa zur fteuerfreien Benutjung. Diefe bauten
dort die Feftung Bathyra und andere Feften und konnten fo
die Trachoniter in Schach halten. 1 ) In fpaterer Zeit ift der
Enkel des Zamaris, Philippus, Oberbefehlshaber der Truppen
des Agrippa II. gewefen. 2 )
b) Die Glanzzeit des Herodes von 2513 v. Chr.
Die Zu den vielen Verdienften, welche fich Auguftus um das
Bautatigkeit romifche Reich erwarb, gehorten der Schu^ und die Unter-
des ftiitjung von Handel und Induftrie, die vielen Wiederher-
ftellungen und Neubauten offentlicher Gebaude, wie Tempel
und Amphitheater, die Sorge fur Wafferleitungen, Wege und
andere gemeinnutjige Werke. 3 ) Sein Wunfch und fein Bei-
fpiel in diefer Hinficht wurden von Agrippa und den ro-
mifchen Grofeen in der Stadt Rom und den Provinzen, aber
auch von den verbiindeten und befreundeten Konigen, die
dadurch ihre Anhanglichkeit an den Kaifer und an Rom dar-
tun wollten, nachgeahmt. 4 ) Gewig; ein herrliches Beifpiel und
eine riihmenswerte Nacheiferung.
Bei dem Charakter und der Politik des Herodes ift es
zu begreifen, dafj diefer fich, [obald er zur ruhigen Herr-
fchaft gekommen war, mit der ganzen Energie, ja Leiden-
fchaftlichkeit feines Wefens auch in derartigen Beftrebungen
auszuzeichnen fuchte. Tatjachlich liefen fie auf eine grofjere
Hellenifierung des Landes hinaus und konnten vielfach nur
mit Verletjung jiidifcher Anfchauungen durchgefe^t werden.
Aber dariiber fe^te er fich, um den Romern zu gefallen,
leicht hinweg.
x ) Ant. 17, 2, 12.
2 ) Ant. 17, 2, 3. ,
3 ) Vgl. u. a. Schiller, Gejch. der rom. Kaiferzeit I, 237 ff. V. Qardt-
haujen, Augustus und Jeine Zeit. 2 Teile in je 3 Bden. L. 1891-1904.
*) Sueton. Aug. 59 60: Provinciarum pleraeque super templa et
aras ludos quinquennales paerie oppidatim constituerunt. Reges amici
atque socii et singuli in suo quisque regno Caesareas urbes condiderunt.
II. Kap. Die politijche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 129
Um feine Ergebenheit gegen Auguftus zu bezeugen, fiihrte spiele und
er im Jahre 25 in Jerufalem die Abhaltung der vierjahrigen x ) Bauten in Je-
Aktiaden, welche Auguftus zur Erinnerung an feinen Sieg iiber ru f alem -
Antonius feit dem 2. September 28 v. Chr. wieder erneuert
hatte, ein, und baute in der Nahe der heiligen Stadt ein gropes
Amphitheater, zu deffen Wettkampfen, Tierhetjen u. dgl. viele
Zufchauer aus der Feme kamen, aber wenige Juden, da
diefen derartige Dinge als heidnifche Greuel galten. 2 ) Audi
baute er in Jerufalem fur Schaufpiele ein Theater. 3 ) Die an
demfelben angebrachten Nachbildungen romifcher Siegeszeichen
und Adler erregten einen folchen Unwillen, dafc fich zehn
Manner, darunter fogar ein Blinder, verfchworen, den Herodes
im Theater zu erdolchen. Zwar wurde die Verfchworung
verraten und die Verfchworer zu Tode gepeinigt. Aber der
Angeber wurde von dem wutenden Volke in Stiicke geriffen
und diefe den Hunden vorgeworfen. 4 )
Der Haft des Volkes liefc aber den Herodes auf Mafc-
regeln zu feiner eigenen grofeeren Sidierheit finnen. In Jeru-
falem befafj er bereits die alte Makkabaerburg, welche er
fchon friiher hatte umbauen laffen und Antonia genannt hatte, 5 ) Grogartige
und den fpa'ter ebenfalls umgebauten Palaft in der Oberftadt. 6 ) Bautatigkeit
Je^t baute er auch fonft im Lande Feftungen, um die Juden des Herodes
in Schach zu halten und verftarkte feine Leibwache, zu denen m Pala ^ tma -
auch Thrazier, Germanen und Gallier gehorten. 7 ) Unter an-
J ) Ant. 15, 8, 1. 16, 5, 1.
2 ) Ant. 15, 8, 1. Ob eine Rennbahn, die Ant. 17, 10, 2. B. J. 2, 3, 1
erwahnt wird, von ihm herruhrt, weig man nicht. Dag hellenijierende
Juden felbft in Palaftina an den Spielen [ich beteiligten, fieht man aus
1 Mace. 1,14 ft. 2 Mace. 4, 9 ff. Vgl. fiber die Beteiligung von Juden an
heidnifchen Spielen in Palaftina und der Diaspora J. Jufter, Les Juifs
dans 1'Empire Romain. 2, Paris 1914, p. 238241.
3 ) Ant. 15, 8, 1. Vgl Smith, Jerufalem II, 493, fiber die mutmaft-
liche Lage. Er meint 1. c., es feien die vor 22 Jahren im Siiden der
Stadt von Schick entdeckten Oberrefte eines grogen Theaters, welche
diefer felbft unrichtig ein Amphitheater nannte, Refte des Theaters des
Herodes.
*) Ant. 15, 8, 1-4.
5 ) Vgl. o. S. 69.
6 ) Ant. 15, 8, 5. 9, 3. Vgl. o. S. 69.
7 ) Ant. 15, 9, 3 (Die aus 400 Galliern beftehende Leibwache der
Kleopatra wurde dem Herodes im Jahre 30 von Auguftus gefchenkt.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 9
1 30 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
dern befeftigte er die von ihm [lets fehr geliebte Stadt Sa-
maria, wofelbft er 6000 Anfiedlern, teils fruheren Soldnern
teils Auslandern, Land gab, und nannte fie zu Ehren des
Auguftus Sebafte. x ) Er befeftigte, erweiterte und verfchonerte
in grofcartigfter Weife den Stratonsturm am Meere und
nannte die Stadt, an der zwolf Jahre gebaut wurde, jetjt
Cafarea, den Hafen aber, in dem eine grofee Flotte bequem
unterkommen konnte, Sebaftos. 2 ) Weiterhin befeftigte er zur
Beherrfchung Galilaas Gaba 3 ) am nordoftlidien Abhang des
Karmel und zur Beherrfchung Peraas Esbon oder Hesbon
oftlich von Jericho. 4 ) Er baute das alte Anthedon wieder auf
und nannte es Agrippeion, 5 ) und wollte die Namen feiner
Anverwandten verewigen, und feinen eigenen durdi die von
ihm gebauten Sta'dte Ann'patris, 6 ) Phafaelis, 7 ) Herodeion 8 )
und die Burg Kypros oberhalb Jeridios. 9 ) Audi Alexandreion 10 )
und Hyrkania 11 ) wurden neu befeftigt, mit Recht aber ganz
befondere Sorgfalt auf die Sicherung der Feftungen Macharus 12 )
undMafada 13 ) gelegt, weil fie durch ihre fefte Lage in Zeiten
der Gefahr ihm befondern' Schutj gewahren und zugleidi
Stiitjpunkte im Kampfe gegen die Araber fein konnten.
Ant. 15, 7, 3. B. J. 1, 20, 3). 17, 8, 4. Diefe Truppen wurden von Arche-
laus und [pater von den Romern beibehalten.
>) Ant. 15, 8, 5. B. J. 1, 21, 2. Vgl. o. S. 48.
2 ) Vgl. o. S. 55 f.
3 ) Ant. 15, 8, 5. B. J. 3, 3, 1. Vita 24. Vgl. Scburer II, 199 f.
*) Ant. 15, 8, 5. Vgl. Sdiiirer II, 200^202.
6 ) B. J 1, 21, 8. Vgl. Ant. 13, 13, 3 u. B. J. 1, 4, 2. Siehe o. S. 57.
6 ) Ant. 16, 5, 2. B. J. i, 21, 9. Sie lag zwifchen Cafarea und Lydda.
Vgl. Apg 23, 31. B. J. 2, 19, 1. 9. 4, 8, 1.
7 ) Ant. 16, 5, 2. B. J. 1, 21, 9. S. o. S. 48.
8 ) Ant. 15, 9, 4. B. J. 1, 21, 10 J. o. S. 110). Der nach B. J. 4, 9, 5
in der Nahe von Thekoa liegende Ort ift identifiziert mit Dschebel-el-
Furedis (Berg des kleinen Paradiefes), den die Europaer den Franken-
berg nennen. Vgl. u. a. Guerin, Judee III, 122132, Badeker 5 S. 131
und den Palaftinafuhrer von Meiftermann-Huber S. 334. Bin anderes.
Herodeion lag in Peraa an der Arabergrenze. Siehe B. J. 1, 21, 10.
Vgl. GreUj 219, 2. .
") Ant. 16, 5, 2. B. J. 1, 21, 4.
) Ant. 16, 2, 1. S. o. S. 49.
n ) Ant. 16, 2, 1. Die Lage ift unbekannt.
12 ) B. J. 7, 6, 2. S. o. S. 84.
13 ) B. J. 7, 8, 3. S. o. S. 52 f.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 634 v. Chr. 131
Am meiften hatte fidi aber die dem Kaifer Auguftus zu
Ehren gegrundete Stadt Cafarea, durch deren- Glanz er dem
Kaifer und den Romern gefallen wollte, {einer Gunft zu er-
freuen. Hier in der zweiten Stadt feines Landes, welche ftets
mit Jerufalem rivalifierte, baute er auch einen Tempel des
Auguftus. 1 ) Dasfelbe gejchah in Sebafte 2 ) und in Paneas. 3 )
Um dem Kaifer zu gefallen, half er audi in der von
Auguftus bei Actium gegriindeten Stadt Nikopolis die offent-
lichen Gebaude errichten. Aber er gab auch fonft mit vollen Bautatigkeit
Handen aus Ruhmfueht an viele Stadte Syriens und Griechen- augerhalb
lands, nur um gepriefen zu werden. So baute er den Rho- Palaftinas.
diern ihren pythifchen Tempel, liefc die lange Hauptftrafee
von Antiodiien mit Marmorplatten belegen und mit breiten
Saulengangen fchmucken, und baute in Askalon, Ptolemais,
Berytus, Tyrus und Sidon, in Tripolis und Damaskus, ja
fogar in Sparta und Athen Gymnafien, Theater, Bader,
Brunnen u. dgl. 4 ) Dafiir mufcten denn allerdings immer
neue Wege ausgefonnen werden, um Geld von feinen Unter-
tanen zu erpreffen. Er entfchuldigte aber feine mit jiidifchem
Gelde bezahlten Bauten von Stadten und Tempeln in frem-
den Gegenden damit, dafc er diefes auf hoheren Befehl tue. 5 )
Diefer fo gefliffentlich an den Tag gelegten Wertfcha^ung Ausianderam
griechifchen Wefens entfprach es auch, dafc Herodes hervor- Hofe des He-
ragende Auslander an feinen Hof zog. Der hervorragendfte rodes.
unter diefen war Nikolaus von Damaskus, fein Freund und
Vertreter bei Prozeffen und wichtigen Gefandtfchaften. 6 ) Wie
er mundlich feines Herrn Sadie mit grower fophiftifcher Ge-
fchicklichkeit ffihrte, 7 ) fo hat er auch in fehr ferviler Weife
die Taten des Herodes in einem grojjen, von Jofephus viel
benu^ten Gefchichtswerke gefchrieben. 8 ) Audi fein Bruder
Ptolemaus gehorte zu den Vertrauten des Herodes 9 ). Weiter
x ) B. J. 1, 21, 2.
2 ) S. o. S. 48.
3 ) Ant. 15, 10, 3. B. J. 1, 21, 3.
*) Ant. 16, 5, 3. B. J. 1, 21, 1112.
5 ) Ant. 15, 9, 5.
6 ) Vgl. fiber ihn Schurer I, 5057.
7 ) Ant. 16, 2, 3-5. 16, 10, 8. 17, 5, 4 ff. etc.
8 ) Urteil des Jofephus 16, 7, 1.
9 ) Ant. 17, 9, 6. B. J. 2, 2, 3. Spater ftand er auf feiten des Antipas
9*
132 Er[ter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
zahlten dazu Andromachus und Gemellus, die Erzieher feiner
Sohne, deren -Gegenwart er fich aber verbat, wenn er bei
ihnen entfchiedenen Widerftand gegen feine Plane zu finden
erwartete. 1 )
Seine Sohne Er ging fogar nodi weiter, indem er im Jahre 23 feine
zu Rom er- beiden Sohne Ariftobul und Alexander, die damals etwa
zgen. 13 und 12 Jahre alt warenj nadl Rom fchjckte. Dort nahm
fie Afinius Pollio, der als Konful mil Antonius und Okta-
vian den Herodes im Jahre 40 zum Tempel des Jupiter ge-
leitet hatte, 2 ) ein als Heerfiihrer, Staatsmann und Gelehrter
bedeutender Mann, der damals den Mufen lebte, 3 ) in fein
Haus auf. 4 ) Dort blieben fie bis zum Jahre 19 oder 18 v. Chr. 5 )
Von weldiem Nachteil fiir ihre Sittlichkeit aber der Aufenthalt
in Rom gewefen, follte fich bald zeigen. 6 ) Trotjdem fandte
Herodes auch feinen alteften Sohn Antipater im Jahre 13 in
Begleitung des Freundes des Auguftus Agrippa dorthin. 7 )
Herodes und wie freundlich ihm Agrippa, der Sdiwiegerfohn und
Agnppa. machtige Freund des Auguftus, gefinnt war, wurde bereits
erwahnt. Diefer befudite auch den Herodes in Judaa im
Jahre 15 v. Chr. 8 ) und brachte im Tempel zu Jerufalem
Opfer und Weihgefchenke dar. 9 ) Im folgenden Jahre zog
Herodes zu Agrippa nach Sinope am Schwarzen Meere,
machte fich ihm nutjlich in feinem Krimfeldzuge und reifte
mit ihm zuriick bis Ephefus. Cberall teilte Herodes reiche
Gefchenke aus und zeigte fich namentlich auch der judifchen
(1. c.), wahrend ein anderer Ptolemaus, der erfter Minifter des Herodes
war (Ant. 16, 7, 2. B. J. 1, 24, 2), fpater auf feiten des Archelaus ftand
(Ant. 17, 8, 3. 9, 4 f. B. J. 1, 33, 8. 2, 2, 1 u. 4).
') Ant. 16, 8, 3.
2 ) Ant. 14, 14, 5.
3 ) Horat. Sat. 1, 10, 12. Vgl. Prosopographia imperii Romani sae-
culi I., II., III., Edd. E. Klebs, H. Dessau et P. de Rohden. 3 Bde.
B. 1897-98. I, 163167.
*) Ant. 15, 10, 1. Vgl. Ant. 16, 8, 2. Auch der Kaifer nahm fie gut
auf. Ant. 15, 10, 1.
ft ) Ant. 16, 1, 2.
6 ) B. J. 1, 24, 7.
7 ) Ant. 16, 3, 3.
8 ) Im Jahre vor dem Krimer Feldzug (Ant. 16, 2, 2), der nach Dio
Cass. 54, 24 in das Jahr 14 v. Chr. fallt.
) Ant. 16, 2, 1. Philo Leg. ad Caj. 37. Gardthaujen 1, 840 f.
II. Kap. Die politifehe Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 133
Bevolkerung allerorts giitig ') und erwirkte von Agrippa ein
neues Dekret, wodurdi den Juden in Afien ungefahrdete
Ausiibung ihrer Religion zugefichert wurde. 2 )
Stolz verkiindete er diefe wirkliche Wohltat zu Jerufa- steuereriaffe.
lem und erliefc in der Freude feines Herzens den vierten
Teil der Steuern fur das verfloffene Jahr. 3 ) Etwas Ahnlidies
hatte er fchon einmal zur Hebung der Unzufriedenheit im
Jahre 20 getan 4 ) und im Jahre 25 bei einer Hungersnot,
die von einer Peft begleitet war, fogar alles Gold und Silber
in feinem Palafte zu[ammenfchmelzen laffen, um Brot und
Saatfrudit fiir das kommende Jahr zu kaufen. 5 ) Den gro&ten
Anfprudi auf die Dankbarkeit des Volkes erwarb er fich durch
den Ausbau und die Verfchonerung des Tempels. 6 ) Bei deffen Ausbau des
Bau, den er im achtzehnten Jahre 7 ) feiner Regierung, d. h. Tem P els -
' ') Ant. 16, 2, 2.
2 ) Ant. 16, 2, 35. Er beftatigte damit die ihnen fchon zur Zeit
Cafars zugeficherten Reehte. Vgl. die fruheren Urkunden in Ant. 14, 10
und zwar fur Ephefus (12 f. 16. 19. 25), Delos (14 vgl. 8), Cos (15),
Sardes (17 u. 24), Laodicea (20), Milet (21), Pergamum (22. Vgl. dazu
J. Unger, Zu Jofephus S. A., Munchen 1895, 551-3 und 590-604, wo-
nach nur die 2. Halfte des Befchluffes in die Zeit Cafars fallt), Hali-
carnass (23).
3 ) Ant. 16, 2, 5.
*) Ant. 15, 10, 4.
6 ) Ant. 15, 9, 12. Damals find von ihm in Judaa an 80000 Kor
(zu je 10 attifchen Metreten [nicht Medinnen, wie es I. c. 9, 2 verfehent-
lich heigt]; der Metretes fagt aber 39,366 Liter) = 31493280 Hektoliter
und an Auswartige noch 10000 Kor (= 3936660 Hektoliter) Getreide
verteilt worden.
6 ) Ant. 15, 11. B. J. 1, vgl. B. J. 5, 5. S. o. die Befchreibung
S. 72 ff.
7 ) Ant. 15, 11, 1. Vorher Ant. 15, 10, 3 ift for das 17. Jahr der
Befuch des Auguftus in Syrien angefe^t, welcher nach Dio Cass. 54, 7
in den erften Monaten des Jahres, in welchem Apulejus und Publius
Silius Konfuln waren, d. h. im Jahre 734 a. u. c. = im Jahre 20 dort-
hin kam. Da der Regierungsantritt des Herodes im Oktober 37 v. Chr.
(J. o. S. 114, 1) erfolgte, ware alfo der Tempel Ende 20 Oder Anfang 19
v. Chr. (735 a. u. c.) angefangen worden (B. J. 1, 21, 1 ,,im 15. Jahre"
ift ein Irrtum. Der Befuch des Auguftus in Syrien wird fchon B. J. 1,
20, 4 erwahnt). Joh. 2, 20 heigt es zur Zeit eines Paffahfeftes, man habe
bereits 46 Jahre am Tempel gebaut. Je nachdem diefe 46 Jahie als
noch nicht ganz vollendet, oder als bereits abgelaufen angefehen wer-
den, kommen wir fomit zum Paffahfeft des Jahres 780 (= 27 n. Chr.)
oder 781 (= 28 n. Chr.).
134 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefdiichte der Juden etc.
im Jahre 20 bis 19 begann, fuchte er audi den judifchen
Anfchauungen in jeder Weife gerecht zu werden. So z. B.
wurde der Bau des inneren Heiligtums von Prieftern aus-
gefuhrt und war Sorge getragen, dafc wahrend des Baues
der Opferkult nicht unterbrochen wurde. Audi betrat er felbft
den Vorhof der Priefter nidit, weil er felbft kein Priefter
war. In adit Jahren waren die Hallen und aufteren Raume, in
weiteren anderthalb Jahren audi der innere Tempel vollendet.
Dann wurde an dem Tage, an welchem Herodes den An-
tritt feiner Regierung zu feiern pflegte, eine grojje Tempel-
weihfeier gehalten, 1 ) bei weldier der Konig 300 Odijen
opferte.
Er vergallte aber feinen Untertanen die Freude fiber
diefes groge Werk wieder dadurch, dafc er uber dem Tem-
peltor einen riefengrojgen Adler aus Gold anbringen liefc,
was die Juden als gegen das Gefetj verftoBend anfahen. 2 )
Ubrigens wurde an dem Tempel nodi gebaut bis zum
Jahre 64 n. Chr. unter Agrippa II.
3 ) Ant 15, 11, 6. Ob Herodes wie Jofephus den Antritt feiner Re-
gierung vom Jahre 37 (oder vom Jahre 40) rechnete, ift unbekannt.
Nehmen wir erfteres an und rechnen wir 9 l fz Jahre (Ant. 15, 11, 56)
auf den ganzen Bau, fo hatte die Einweihung im Oktober (f. o. S. 114,
Anm. 1) des Jahres 10 v. Ghr. ftattgefunden,
2 ) Ant. 17, 6, 2, Wann der Adler dort angebracht wurde, ift unbe-
kannt. Man hat in Jerusalem kleine Kupfermfinzen mit einem Adler ge-
funden, welche vermutHdi dem Herodes angehOren (vgl. Madden, Coins,
p. 114. Schiirer I, 397, 87), obwohl die fonft von ihm bekannten Munzen nur
dieAuffdirift BA21AEJi2HPSl/loYu. einige nicht auf lebendeWefen fich be-
ziehende Embleme haben (Madden, Coins, p. 105 1 14, vgl. auch Levy, Gefch.
der jud. Munzen 6772). Reinach, Les monnaies juives 1887, p. 32 = R E J
1887 p. CXCVIII meint, die erwahnten Munzen gehOrten in die letjten
Regierungsjahre des Herodes, als er auf das jiidifche Gefetj und die
Juden weniger Rflckficht nahm wie friiher. Ift dem fo, fo darf man daf-
felbe wegen des Zufammentreffens diefes Miinztypus mit dem Adler des
Tempels auch far diefen annehmen (vgl. Otto, Herodes S. 105 und 143).
Wie dem auch fei, es ift eher anzunehmen, wie Walzinger (Kohl und
Walzinger, Antike Synagogen in Galilaa. L. 1916. S. 195) meint, dag der
Adler des Tempels ein Bild des Wappentieres des Herodes war, als dag
er fymbdlifch die romifche Herrfchaft andeuten und eine Huldigung des
KOnigs vor dem romifchen Kaifer fein follte, da auch Auguftus den Adler,
das Wappentier der Ptolemaer, als kaiferliches Wappen ubernommen
und auf feine Munzen gepragt habe.
II. Kap. Die politifdie Gefdiichte Palaftinas von 634 v. Chr. 135
Das Gefamteinkommen, welches Herodes wenigftens inEinkunftedes
den letjten Jahren feiner Regierung an Steuern aus feinen Herodes. Er-
Gebieten bezog, betrug 1160 1200 Talente, 1 ) d. h. wenn es P re ff un g en -
fich, wie wahrfcheinlich ift, um hebraifche Talente handelte, 2 )
iiber 9 Millionen Mark. 3 ) Die Hauptabgabe bildete jahr-
lich die Bodenabgabe. 4 ) Daneben wurde auch eine Steuer
von alien auf dem Markte gekauften Oder verkauften Gegen-
ftanden erhoben und mit grofeter Strenge eingetrieben. 5 ) Ja,
man mufcte, um grofceren Ungerechtigkeiten zu entgehen, den
Konig, feine Freunde und Vertrauten und die Zolleinnehmer
mit Gold und Silber beftechen. 6 ) Weiterhin bot dem Konig
der grofce Widerwille fo vieler gegen [eine Herrfchaft will-
kommene Gelegenheit, fie dafur an Hab und Gut zu ftrafen
und fo feine eigenen Senate zu vermehren. 7 ) Er liefc aber,
als all diefes fur feine grofcen Ausgaben nicht ausreichte,
fogar heimlich nachts das Grab Davids offnen in der Meinung,
dort Geld zu finden. Darin taufchte er fich, aber er liefc
doch die wirklich dafelbft gefundenen Goldfachen und fonftige
Koftbarkeiten mitnehmen, 8 ) Ja, er ging im Jahre 19 oder
18 v. Chr. 9 ) fogar fo weit, zu beflimmen, da& Diebe auger
Landes verkauft werden follten, wodurch er fie ftrafte und
J ) Seine S6hne bezogen nach Ant. 17, 11, 4 zufammen aus ihren
Landern 900 Talente. Dazu kamen aber noch etwa 200 Talente, um
welche {ich das Einkommen des Archelaus aus Judaa, Idumaa und Sama-
ria verringerte (vgl. Friedlander, Sittengefchichte Roms 3, 155; Marquardt
RStV 1, 408, 2; Mommfen, RQ. V, 511, 1), 60 Talente, welche Auguftus
der Schwefter des Herodes, Salome, als Jahreseinkommen anwies (Ant.
17, 11, 5) und vielleicht noch andere Einkiinfte, aus welchen die von
Herodes feinen iibrigen Verwandten ausgefetjten Legate (1. c.) beftritten
wurden.
2 ) Vgl. Mommfen 1. c., der darauf hinweift, dag die Einkunfte unter
Claudius nach Jof. 19, 8, 2 auf 12 Mill. Denare (etwa 10 Mill. Mark)
angefetjt werden.
3 ) Das altere hebraifche Talent berechnet Hultfch, Griech. und r6m.
Metrologie 2 , B. 1882, S. 605 f. auf 7830 Mark.
*) Jos. Ant. 15, 9, 1.
6 ) Ant. 17, 8, 5. Vgl. unten.
6 ) Ant. 17, 11, 2.
') Ant. 16, 5, 4 u. 17, 11, 2.
8 ) Ant. 16, 7, 1.
9 ) Ant. 16, 1, 1. Das Gefetj war nach 16, 1, 2 in init. um die Zeit
der Reife nach Italien erlaffen.
136 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
zugleidi den eigenen Sackel fiillte, wahrend das alte Gefetj 1 )
hochftens einen Verkauf an Juden und nur bis zum Sabbat-
jahre zuliefc.
Bedriickung Zu diefen driickenden Erpreffungen kamen nodi viele
des Voikes. andere Griinde der Unzufriedenheit. Er fetjte die Hohen-
priefter ein und ab, wie es ihm beliebte, 2 ) und nahm fogar
die Amtstracht des Hohenpriefters in Verwahr. 3 ) Die Leute
muftten beftandig an der Arbeit bleiben und durften fich weder
auf der Strafe noeh in Haufern verfammeln. Oberall hatte
er feine geheimen Spione, und ftrenge Strafe traf jeden Ober-
treter der koniglichen Anordnungen und jeden, der als Un-
zufriedener verdachtig war. Viele wurden teils offentlich teils
geheim ergriffen, in die Feftung Hyrkania gefuhrt und dort
getotet. 4 ) Nur die Effener hielt er in Ehren, des Manahem
wegen, der ihm einft die Konigswurde vorausgefagt hatte, 5 )
aber auch weil fie fidi uberhaupt um Politik nicht kummerten.
Um das Jahr 20 liefc er das Volk fchworen, dem Kaifer und
ihm die Treue zu bewahren; allein 6000 Pharifaer, an ihrer
Spitje Pollio und Sameas, weigerten fich, kamen jedoeh mit
einer Geldftrafe davon, weldie die Frau des Pheroras, die
eigene Schwagerin des Herodes, fur fie zahlte. 6 )
So grofc war aber die Furcht vor ihm, dafe, folange er
lebte, es zu keinem offenen Aufftand kam. Um fo mehr
Leid hatte er aber in feinem eigenen Haufe.
') 2 Mof. 22, I ff.
*) S. u.
3 ) Ant. 18, 4, 3.
*) Ant. 15, 10, 4.
) Ant. 15, 10, 45.
6 ) Ant. 15, 10, 4 u. 17, 2, 4. Schurer I, 399, 96 meint, es fcheine
fich um zwei verfchiedene Falle der Eidverweigerung zu handeln, in
Ant. 15, 10, 4 handelte es fich um einen Eid fur den Konig, in Ant. 17, 2, 4
fcheine der Eid fur den Kaifer die Hauptfache gewefen zu fein. Dag
auch die Bevolkerung unterworfener Provinzen, nicht blojj die Soldaten
und Beamten, dem Kaifer Treue fchworen, fieht man aus dem im Jahre 4.'3
v. Chr. von den Paphlagoniern fur Auguftus abgelegten Eid, in welchem
fie fich verpflichten, im Dienfte des Kaifers weder Leib noch Seele, weder
ihr Lebert noch das Leben ihrer Kinder zu fchonen, und die als Feinde
anzufehen, welche er als Feinde anfieht (vgl. den Eid bei Cumont, Comp-
tes rendus de 1'Acad. des Inscr. et Belles-Lettres 1900, p. 687 691, und
Revue des etudes Grecques 1901, p, 2645). Schurer, . 1. c. Vgl. den
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63 4 v. Chr. 137
c) Die le^ten Lebensjahre des Herodes und fein hauslidies Elend.
Nadidem Herodes feine Sohne Alexander und Ariftobul Paiaft-
aus Rom zuriickgeholt hatte, lieg er fie zu Jerufalem bei fich intriguen in
wohnen und vermahlte den Alexander mit Glaphyra, Toditer J eru f alem -
i j -ri. is* A t- i J vf ui u -A Die Frauen
des kappadozifchen Komgs Archelaus, den Anftobul aber mit des Herodes
der Tochter der Salome, Berenice. 1 ) Man hatte meinen fallen,
dajj die alte Feindin der Mariamme, die Salome, ihren Hag
vergeffen habe, aber je mehr die beiden fchonen 2 ) Sohne
der Mariamme vom Volke geliebt wurden, defto mehr hagte
fie diefelben und fiirchtete mit andern, welche ehedem das
Ungliick der Mutter verfchuldet hatten, die fpatere Rache der
Sohne. Der Palaft des Herodes in Jerufalem wurde der
Schauplatj von Intriguen, deren Ende neue Mordtaten waren. 3 )
Herodes hatte fich im Jahre 24 mit einer ebenfalls Ma-
riamme genannten Tochter eines gewiffen Priefters Simon,
der durch feinen Vater Boethus einer agyptifchen Leviten-
familie entftammte und den Herodes nach Abfetjung des
Hohenpriefters Jefus, des Sohnes des Phabes, zum Hohenpriefter
machte, 4 ) verheiratet. 5 ) Seine erfte Frau Doris, die er ehe-
dem der fchonen Hasmonaerin zuliebe verftogen hatte, 6 ) nahm
er fpater wenigftens zeitweife um des Antipater, ihres Sohnes,
willen in fein Haus auf. 7 ) Auger diefen hatte er noch fieben
Frauen, alfo im ganzen neun auf einmal, darunter die Sa-
mariterin Malthake, welche ihm den Herodes Antipas und
Archelaus, und die Kleopatra aus Jerufalem, welche ihm den
Herodes und Philippus gebar. 8 ) Auger all diefen und ihren
Text auch in Dittenberger, Orientis graeci inscr. selectae n. 532 und
Lagrange, Le Messianisme chez les Juifs. Paris 1909, 15, 1.
') Ant. 16, 1, 2.
2 ) Ant. 16, 4, 4.
3 ) Ant. 16, 1, 2.
4 ) Ant. 15, 9, 3. 17, 4, 2.
5 ) B. J. 1, 28, 4. Diefe Mariamme gebar ihm einen Sohn, der den
Namen Herodes fiihrte. Ant. 17, 1, 2. Auger diefem hiegen noch zwei
andere Sohne des Herodes wie ihr Vater, Herodes Antipas, der Sohn
der Malthake, und Herodes, der Sohn der Kleopatra (vgl. Ant. 17, 1, 3;
18, 5, 1 etc.). S u. S. 142, 4.
6 ) Nebft ihrem Sohne Antipater. Ant. 16, 3, 3. B. J. 1, 22, 1.
7 ) Ant. 16, 3, 3. Er entlieg fie [pater von neuem. Ant. 17, 4, 2
fe ) Siehe Genaueres in Ant. 17, 1, 3 und B. J. 1, 28, 4. Jofephus
behauptet Ant. 17, 1, 2 und B. J. 1, 24, 2, es fei jiidifche Sitte, dag ein
Mann zu gleicher Zeit mehrere Frauen habe.
138 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
zum Teil fchon verheirateten Kindern wohnten nodi im Konigs-
palaft zu Jerusalem die bofe Rankefchmiedin Salome und ihr
und des Herodes wiirdiger Bruder Pheroras, 1 ) der Vierfurft
von Peraa, 2 ) ein Menfch, der gegen feinen Wohltater, den
Herodes, wiederholt konfpirierte und ihn fogar falfchlich bei
Alexander der verbotenen Liebe zu Alexanders Frau, der
Glaphyra, befchuldigte. 3 ) Diefe beiden, Salome und Phero-
ras, verbundeten fich zum Verderben der beiden jungen un-
erfahrenen Manner, nachdem zunachft Klatfch und Zank unter
Die intnguen den Frauen geherrfcht batten. Glaphyra pochte hochmutig
gegen die auf ihre vornehmere Abkunft, 4 ) und die Berenice klagte ihrer
beiden Sohne Mutter, ihr Mann Ariftobul werfe ihr vor, dag fie keine
., . er Konigstochter fei, und man rede in der Umgebung des Ale-
Manamme. . , * - , r ,,7, .. . t . ,.
xander davon, dag er, wenn er emmal felbft Komg fei, die
Frauen femes Vaters zu den Magden an den Webftuhl fchicken
und ihre Sohne zu Dorffchreibern machen werde. Die Bru-
der Alexander und Ariftohul liegen fich leicht zu offener Aus-
fpradie uber das ihrer Mutter Mariamme angetane Unrecht
hinreigen und von ihren gewandten Gegnern zu grower Hef-
tigkeit verleiten, wenn fie fich auch von offener Gewalt, zu
der man fie treiben wollte, fernhielten. 5 )
Dem Herodes ftellten endlich Salome und Pheroras vor,
die Jiinglinge wollten den Mord ihrer Mutter rachen und
eine neue Unterfuchung des Prozeffes gegen diefelbe erwir-
ken. Um die beiden Sohne nun zu demiitigen, rief Herodes
zu feinem und der Seinigen Ungluck den Sohn der Doris,
Antipater, einen augerft boshaften und ehrgeizigen Menfchen
an feinen Hof, 6 ) der feine beiden Stiefbruder fortwahrend
zu kranken und durch andere bei Herodes anzufchwarzen
verftand, fich felbft aber bei feinem Vater }o in Gunft fetjte,
dag felbft die Doris, wie fchon erwahnt, wieder an den Hof
1 ) Ant. 17, 3, 3. B. J. 1, 29, 4.
2 ) S. o. S. 126.
3 ) Ant. 16, 7, 4 f. Pheroras war zweimal mit einer Tochter des
Herodes verlobt, zog aber jedesmal eine Sklavin feiner Verlobten vor.
Ant. 16, 7, 3.
4 ) B, J. 1, 24, 2.
) Ant. 16, 3, 1,
6 ) Er hatte bis dahin nur an Fefttagen nach Jerusalem kommen
durfen. B. J. 1, 22, 1.
II. Kap. Die politifche Gefdiichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 139
kommen durfte und Antipater felbft im Jahre 13 nach Rom
gefchickt wurde. 1 ) Audi von hier he^te er denHerodes immer
auf, bis diefer endlich im Jahre 12 nach Aquileja zu Kaifer
Auguftus reifte und offen feine Sohne verklagte, nach feinem
Leben und feinem Thron zu ftreben. Diefe, fiir welche der
altere Alexander in wiirdevoller, verftandiger Weife die Ver-
teidigung fiihrte, erregten allgemeines Mitleid, und Augustus
felbft brachte durch giitige und kluge Worte eine Verfohnung
zuftande, woriiber Herodes felbft nach feiner Ruckkehr in
Jerufalem offentlich berichtete. 2 )
Aber auch jetjt horte Antipater mit feinen boshaften und
gefchickt durch andere dem Herodes zugetragenen Verleum-
dungen der beiden nicht auf. Machte Ariftobul eine ver-
trauliche Bemerkung zu feiner Frau, fo uberbrachte diefe fie
gleich der Salome, und Pheroras oder Salome fuchten fogar
den Alexander glauben zu machen, die Keufchheit feiner
eigenen Frau fei vor feinem Vater nidit ficher. 3 ) Anderfeits
gab Alexander felbft zu neuen Verwicklungen Anlafc, indem
er fich mit drei Eunuchen feines Vaters einlieg. Zwar fagten
diefe auch auf der Folter nichts aus, was fiir hochverraterifche
Abfichten des Alexander fprach. 4 ) Aber Antipater forgte da-
fur, daft der Argwohn und Hag feines Vaters immer finn-
lofer wurde. Immer mehr Leute wurden gefoltert, bis nach
der Ausfage eines Gefolterten, Alexander wolle feinen Vater
eines gegen Rom gerichteten Biindniffes mit dem Parther-
konig Mithridates befchuldigen, der junge Mann ganz ver-
zweifelt fich als fchuldig, aber die Salome und den Pheroras
und alle vertrauten Freunde des Konigs als mitfchuldig be-
zeichnete. Erft der Klugheit des Konigs Archelaus von Kappa-
dozien gelang es, den rafenden Herodes noch einmal zu
befanftigen. 5 )
Das Feuer wurde von neuem gefchurt durch einen fitten-
lofen, verworfenen Abenteurer Euryklus aus Sparta, der als
Gaftfreund Antipaters an den Hof kam und auf Betrieb des
') Ant. 16, 4, 2-4. B. J. 1, 23, 1-2.
2 ) Ant. 16, 4, 1-6. B. J. 1, 23, 2-5.
3 ) Ant. 16, 7, 2-5.
*) Ant. 16, 8, 1. B. J. 1, 24, 6.
5 ) Ant. 16, 8, 26. B. J. 1, 25, 1-6.
140 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Antipater harmlofe Aufcerungen Alexanders bosartig aus-
gefchmuckt dem Herodes uberbrachte. 1 ) Die Ausfagen zweier
Leibwachter auf der Folter, wonach Alexander den Mord
feines Vaters plane, 2 ) und ein gefalfchtes Schreiben Alexanders
an den Kommandanten der Feftung Alexandreion, der an-
geblidi den beiden Briidern die Obergabe der Feftung
verfprochen hatte, 3 ) taten das Ihrige. Jetjt wurden die
Briider zu Jericho, wo die Sache unterfucht wurde, in Ketten
gelegt, 4 ) und den Herodes hielt nur die Furcht vor dem
Kaifer ab, fie zu toten. Der gab ihm Vollmadit dazu, wenn
fie fchuldig waren, 5 ) riet ihm aber, in Berytus, wo auch
Romer anfaffig waren, 6 ) einen Gerichtstag zu halten. Dort
trug Herodes in eigener Perfon und in grenzenlofer Wut
feine Anklagen etwa 150 Perfonen vor. Ohne dafc die An-
geklagten auch nur gehort wurden, erklarten inn die Ver-
fammelten, mil. Ausnahme des Statthalters Saturninus von
Syrien, feiner drei Sohne und weniger anderer, fur be-
rechtigt, nach feinem Willen gegen feine Sohne zu verfahren. 7 )
Hinrichtung Er zogerte noch eine Weile mil dem Urteil. 8 ) Als fich aber
der Sohne der un { er ^en Offizieren das Mitleid regte und ein alter Kriegs-
anamme. mann jj im Vorftellungen machte, lieg er in feiner Wut 300
ihm verdachtig gewordene Hauptleute auf offenem Markte
hinrichten und feine Sohne nach Sebafte bringen, wo fie
nach feinem Befehl durch den Strang ftarben. 9 )
') Ant. 16, 10, 1. B. J. 1, 26, 1-4.
2 ) Ant. 16, 10, 3, wonach B. J. 1, 26, 3 zu erklaren ift. Auch der
am Hofe weilende Koer Evaratus, der zugunften Alexanders ausgefagt
hatte (B. J. 1, 26, 5), wurde des Bundniffes mit letjterem angeklagt.
Ant. 16, 10, 2.
3 ) Ant. 16, 10, 4. B. J. 1, 26, 3.
*) Die Bruder felbft gaben nur zu, an Fluent zu Archelaus und von
da nach Rom gedacht zu haben. Glaphyra fagte zugun[ten des Alexan-
der aus. Ant. 16, 10, 58.
5 ) Ant. 16, 10, 8-11, 1. B. J. 1,27, 1.
6 ) Agrippa hatte dort die Veteranen zweier rom. Legionen ange-
fiedelt (Strabo 16, 2, 19), nach Bus. Chron. ed. SchOne II, 142 im
Jahre 15 -v. Chr.
7 ) Ant. 16, 11, 13. B. J. 1, 27, 2-3.
8 ) Ant. 16, 11, 3.
fl ) Ant. 16, 11, 4-7. B. J. 1, 27, 3-6.
II. Kap. Die politifche Gefehichte Palaftinas von 634 v. Chr. 141
Wenngleich nun Antipater fein 'nachftes Ziel erreieht Verfthworung
hatte und tatfachlich Mitregent war, 1 ) war er noch nicht ^ e ^Anti pater
zufrieden 2 ) und ftrebte auch nach dem Leben des Herodes. un ***'
roTEis 2j6ff6i*
Er fe^te fich zu dem Zwecke mit Pheroras, der gegen den Herodes.
Willen des Herodes eine Sklavin geheiratet hatte, mit deffen
Frau, Sdiwiegermutter und Schwagerin in Verbindung. Diefe
hielten geheime Zufammenkunfte ab und gewannen auch
den Eunuchen des Herodes, Bagoas, fur fich. Die Frau des
Pheroras wie auch ihre weiblichen Anverwandten waren An-
hanger der Pharifaer. Diefe, welche fich mit den meffiani- Meffiashoff-
fchen Hoffnungen auf die baldige Ankunft des Meffias trugen, nun&en a
' , . , _ j rau r i r j Hofe des He '
hatten der Frau des Pheroras vorausgefagt, es fei dem rodes
Herodes und feinen Nachkommen von Gott beftimmt, das
Reich zu verlieren, das dann (unter der Oberherrfchaft des
Meffias) an die Frau des Pheroras und an diefen und ihre
Kinder kommen werde, Bagoas aber werde der Vater und
Wohltater des von ihnen verheifcenen Konigs heifcen, der
alles unter feine Hand bringen werde. 3 ) Die Salome, welche
nebenbei bemerkt trots ihres Alters als dritten Mann den
Alexas, einen vertrauten Freund des Herodes, geheiratet
hatte, 4 ) zeigte dem Herodes an, was verging. 5 ) Diefer liefc
den Bagoas und alle Diener, welche den Reden der Phari-
J ) Ant. 17, 1, 1 u. 5, 5. Er bezog 50 Talente jahrlicher Einkunfte.
Ant. 17, 5, 3.
2 ) Volk und Heer waren gegen ihn. Ant 17, 1, 1 f. B. J. 1, 28, 1.
Auch lebten 2 Sohne Alexanders, wahrend Ariftobul 3 Knaben und
2 Tochter hinterlieg. Ant. 17, 1, 2. B. J. 1, 28, 1. Die Kinder lieg
Herodes erziehen (Ant. 17, 1, 2. B. J. 1, 28, 15). Glaphyra kehrte nach
Kappadozien zuruck. Ant. 17, 1, 1.
3 ) Ant. 17, 2, 4. Da Bagoas ein Eunuch war, kann fich die Ver-
heigung von dem kiinftigen Konig, der ihm die Kraft verleihen folle, zu
heiraten und eigene Kinder zu erzeugen, nicht auf Pheroras oder deffen
Sohn, fondern nur auf den Meffias beziehen. Denn von der Zeit des
Meffias hatte If. 56, 3-5 geweisfagt, dag dann nicht mehr der Eunuch
fich einen durren Baum nennen werde. Es ergibt fich daraus, dag die
Pharifaer das Auftreten des Meffias nahe glaubten und felbft im Palaft
des Herodes Glauben fanden. So auch Hausrath l,-267 f. u. Wellhaufen,
S. 292, 1. J. van Bebber, Zur Chronologie des Lebens Jefu, Munfter 1898,
S. 145 meint, Vater heige in der Sprache der Morgenlander Grogwefir,
und verweift dafiir auf 1 Mof. 45, 8. Efth. 3, 13 LXX, 1 Mace. 11, 32.
4 ) Ant. 17, 1, 1. B. J. 1, 28, 6.
5 ) Ant. 17, 2, 4. B. J. 1, 29, 1. ,
142 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
faer geglaubt batten, hinriditen. 1 ) Den Pheroras aber fandte
er in feine Tetrarchie, wo diefer bald nachher unerwartet
ftarb. 2 ) Man dachte an Vergiftung. Die Unterfuchung ergab
zwar, dafc dies unriditig fei, daft die Frau des Pheroras
aber Gift verwahrt hatte, womit Pheroras, dem aber zuletjt
fein Vorhaben leid geworden fei, und Antipater den Herodes
hatten ermorden wollen. Audi die Mariamme, die Frau des
Herodes, hatte von dem Plan gewufct. 3 )
Oefangen- Antipater war damals in Rom, wohin ihn fein Vater
nahme des gefchickt hatte, um das Teftament, wodurch er zum Erben
Antipater. emge j e ^ t wur de, beftatigen zu laffen. 4 ) Gerade als fein Ver-
giftungsplan entdeckt war, langte noch weiteres Gift von ihm
an Pheroras und ein Brief an, worin er feme Bruder Arche-
laus und Philippus in derfelben Weife verleumdete wie friiher
Alexander und den Ariftobul. Jetjt lud itin Herodes, um
ihn in feine Gewalt zu bekommen, durch ein moglidift herz-
lich abgefafctes Sdireiben ein, zuruckzukehren. Er tat dies
und ahnte erft in Cafarea,,was bevorftand, als er dort bei
feiner Landung von keinem empfangen oder begriifct wurde. 5 )
Gleidi nadi feiner Ankunft fand das Geriditsverfahren in
Gegenwart des aus dem Teutoburger Walde bekannten
damaligen Statthalters Quinctilius Varus ftatt. Er konnte
gegen die Zeugen nichts vorbringen und wurde in Ketten
gelegt, worauf Herodes an den Kaifer berichtete. 6 )
Krankheit Herodes aber fiel in eine fdiwere todlich fcheinende
des Herodes. Krankheit. 7 ) Sobald zwei angefehene fanatifche Rabbiner
>) Ant. 17, 2, 4.
2 ) Ant. 17, 3, 3. B. J. 1, 29, 4. (Er hatte .fich geweigert, feine Frau zu
entlaffen, woraufhin Antipater und feine Mutter dem Herodes verfprachen,
nicht mehr mit Pheroras zu verkehren. Ant. 17, 3, 1. B. J. 1, 29, 2.
Vgl. audi Ant. 17, 4, 1).
3 ) Ant. 17, 4, 1-2. B. J. 1, 30, 1-7.
4 ) Ant. 17, 3, 2. B. J. 1, 29, 2. Falls Antipater vor feinem Vater
ftarb, follte Herodes, der Sohn der Tochter des Hohenpriefters (f. o.
S. 137, 5), an feine Stelle treten.
b ) Ant. 17, 4, 3. B. J. 1, 31, 12.
6 ) Ant. 17, 5, 17. B. J. 1, 31, 4-32, 5. Vgl. fiber weitere Be-
weife der. Verruchtheit des Antipater Ant. 7, 5, 7-8. B. J. 1, 32, 6-7.
7 ) In diefer machte er ein neues Teftament, worin er, da ihm infolge
der Verleumdungen des Antipater Arthelaus und Philippus verhagt waren,
den Antipas zum Erben einfetjte. Ant. 17, 6, 1. B. J. 1, 32, 7.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 634 v. Ghr. 143
davon horten, trugen fie ihren Schtilern vor, all das Ungluck
fei fiber Herodes gekommen, well er durch die Anbringung
des goldenen Adlers uber dem Tempeltor das Gefetj uber-
treten habe. Als es nun auf einmal hieg, der Konig fei ge-
ftorben, zerhieben einige junge Leute am hellen Tage den
Adler mit Axten in Stucke. Herodes liefc aber die later
und ihre beiden Lehrer verbrennen, etwa 40 andere, die
mit ihnen ergriffen worden waren, enthaupten und fetjte den
Hohenpriefter Matthias, weil er die Tempelordnung nicht
aufrecht erhalten habe, ab. 1 )
Seine Krankheit nahm indeffen immer mehr zu. Ge-
fchwure in den Eingeweiden verurfachten ihm die furcht-
barften Schmerzen, feine Fiifce und fein Unterleib waren an-
gefchwollen, an einzelnen faulenden Teilen wuchfen Wiirmer,
in alien feinen Gliedern wiihlten Krampfe und er konnte
nur ftehend atmen. 2 ) Vergebens lieg er fidi uber den Jordan
bringen, urn in den heifcen Sehwefelbadern von Kallirrhoe
Heilung zu fuchen. Er konnte die Kur nicht ertragen und
lieg fich deshalb nach Jericho zuriickbringen. Dort ,,erbitterte
ihn die fchwarze Galle gegen alle fo," dafr er unter Todes-
ftrafe alien vornehmen Juden befahl, fich in Jericho einzu- Dievomeh-
finden. Hier liefe er fie in die Rennbahn einfchliefcen und men Juden
befchwor mit bitteren Tranen diQ Salome und ihren Ge- in der
mahl, bei ihrer Liebe zu ihm und bei ihrer Ehrfurcht gegen
die Gottheit, fobald er den letjten Atemzug getan habe, die
Rennbahn von Soldaten, denen fein Tod nicht bekannt ge-
geben werden durfe, umzingeln und dann alle dafelbft ein-
gefchloffenen Juden mit Pfeilen erfchie&en zu laffen, damit
fo das ganze Volk bei feinem Tode traure und klage. 3 )
. Mittlerweile kam die Erlaubnis des Kaifeis an, Herodes Hinrichtung
moge mit Antipater nach feinem Gutdunken verfahren. Er desAntipater
wurde nun etwas beffer, zuzeiten waren aber feine Qualen
fo grofe, dajs er fich felbft mit einem Meffer durchbohren
wollte. Den Antipater lieg er aber hinrichten, 4 ) fo dag diefer
') Ant. 17, 6, 2-4. B, J. 1, 33, 24.
2 ) Ant. 17, 6, 5. B. J. 1, 33, 5.
3 ) Ant. 17, 6, 5 f. B. J. 1, 33, 6.
*) Nach Ant. 17, 7. B. J. 1, 33, 7 auf die Nachricht von unvorfich-
tigen Augerungen, die Antipater im Glaubten, fein Vater fei geftorben,
gemacht hatte. Nach B. J. 1, 33, 1 ftand aber der Entfchlug des Hero-
144 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
elende Brudermorder nodi fiinf Tage vor dem Konige felbft
Teftamentdesftarb. Es machte auch Herodes, der wiederholt feine tefta-
Herodes. mentarifchen Beftimmungen 1 ) geandert hatte, ein neues Tefta-
ment, 2 ) wodurch er Archelaus zum Thronfolger, den Philippus
zum Vierfurften von Gaulanitis, Tradionitis, Batanaa und
Panias, den Antipas zum Vierfiirften von Galilaa und Peraa
machte. Seiner Schwefter Salome vermachte er u. a. die
Orte Jamnia, Azot und Phasaelis. Auch die ubrigen Ver-
wandten, fowie der Kaifer und die Kaiferin wurden reich
bedacht.
Sein Tod. Herodes felbft ftarb vor Oftern [= vor 1 0. April] des Jahres
4 v. Chr. im Alter von etwa 70 Jahren- 3 ) Er hatte 34 Jahre
nach Antigonus' Ermordung und 37 Jahre nach feiner Er-
nennung zum Konige durch die Romer regiert.*) Ehe noch
des, fobald wie er felbft beffer fei, den Antipater toten zu laffen, beim
Konige feft. Macrobius, Saturnaliorum lib. 2, c. 4 beriditet, auf die
Nachricht von dem blutigen Ende des Antipater habe Auguftus gefagt,
es ware beffer die Sau als der Sohn des Herodes zu fein (Melius est
Herodis porcum esse quam filium). Alleiri Macrobius hat die Hinrich-
tung des Antipater und den bethlehemitifchen Kindermord als eins auf-
gefagt. Denn er fagt: Quum audisset (Auguftus) inter pueros, quos in
Syria Herodes rex Judaeorum intra bimatum jussit interfici, filium quo-
que ejus occisum, ait: melius est etc. Faft gleichzeitig mit beiden
Ereigniffen ift der Bericht in der fogen. Himmelfahrt des Mofes (f. dar-
uber unten), worin es cap. 6 heigt: Er totet die alteren und die jungen
fchont er nicht. Bittere Furcht vor ihm wird in ihrem Lande fein und er
wird Qericht halten unter ihnen, wie es die Agypter unter ihnen getan
haben vierunddreigig Jahre lang.
') Im Jahre 6 v. Chr. hatte Herodes zu feinem Nachfolger den Anti-
pater, und falls diefer vor ihm fterbe, feinen Sohn Herodes, den er von
der Hohenpriefters Tochter Mariamme (S. o. S. 137) hatte, beftimmt,
(Ant. 17, 3, 2. B. J. 1, 29, 2). Nachdem ihm aber die Anfchlage des
Antipater bekannt geworden, ernannte er mit Obergehung feiner durch
Antipater verleumdeten Sohne Archelaus und Philippus den Antipas zum
Nachfolger (Ant. 17, 6, 1. B. J. 1, 32, 7).
2 ) Ant. 17, 8, 1. B. J. 1, 33, 7 f.
3 ) B. J. 1, 33, 3 ,,<J;^rfoV eriav epdnri*ovTct. u
*) B. J. 1, 33, 8, vgl. Ant. 17, 8, 1. - Ober das zur Beftimmung
des Geburtsjahres Chrifti wichtige Todesjahr des Herodes vgl. u. a. San-
clemente, De vulgaris aerae emendatione. 1793, p. 307 394. Lewin,
Fasti sacri, p. IX -XXII. Rieg, Nochmals das Geburtsjahr Jefu Chrifti.
Freib. 1883, S. 1 -68. H. Kellner, im Katholik 1887 II, 75-82. 166182
und in Jefus von Nazareth, S. 54 ff. Hontheim, Das Datum der Geburt
Chrifti im Katholik 1907, II. 15 ff., 113 ff. Nach Sanclemente ftarb He-
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 634 v. Chr. 145
der Tod des Konigs ruehbar geworden war, fetjte Salome
mit ihrem Manne die in der Rennbahn Eingefchloffenen wie-
rodes im Jahre 749 a. u., nach Rieg unmittelbar vor Oftern 753 a. u.
(= 1 v. Chr.), nach Kellner zu Anfang Dezember 751 u. c. (3 v. Chr.),
nach den meiften Forfchern, z. B. Petavius, Ussher, Eckhel, Clinton, Lewin,
Schiirer (1, 415, 167), Hontheim etc. im Jahre 750 a. u. == 4 v. Chr.
Aus Jofephus wiffen wir, dag Herodes kurz vor einem Ofterfefte
(Ant. 17, 9, 3. B. J. 2, 1, 3) ftarb und dag, kurz ehe er in die Bader
von Kallirrhoe ging, alfo einige Wochen vor feinem Tode eine Mond-
finfternis war (Ant. 17, 6, 4). In dem Todesjahre des Herodes trat fein
Sohn Archelaus die Reife nach Rom an, und zu der damals wegen der
event. Beftatigung des Teftamentes des Auguftus abgehaltenen kaifer-
lichen Ratsverfammlung war auch Cajus eingeladen, ,,der Sohn des Agrippa
und der Julia, der Tochter des Augustus, den Auguftus felbft an Kindes
Statt angenommen hatte und dem er im Rat den erften Sitj einraumte"
(Ant. 17, 9, 5). Ob man nun die 37 Jahre vom Jahre 40 v. Chr. an
bis zum Tode des Herodes als voile Jahre rechnet oder nicht, jedenfalls
mug der Tod des Herodes zwifchen 750753 U. C. fallen. Somit ware
von der am 23. Marz 749 (5 v. Chr.) abends ftattgefundenen totalen Mond-
finfternis abzufehen und kamen nur die aus 750 753 in Jerufalem ficht-
bareii Mondfinfterniffe in Betracht, eine partielle in der Nacht vom 12. auf
den 13. Marz 750 und eine totale in der Nacht vom 9. auf den 10. Ja-
nuar 753. (Vgl. Rieg, Das Qeburtsjahr Jefu Chrifti, S. 13 ff. u. 189 ff.,
f. auch Kellner, Jefus von Nazareth, S. 60). Kurz vor der Mondfinfternis
fallt aber das Vergehen an dem goldenen Adler, welches eben am Tage
vor der Mondfinfternis gefuhnt wird. Dies Vergehen fand ftatt, als
Herodes bereits ,,ungefahr in feinem 70. Jahre war" (Ant. 17, 6, 1; vgl.
B. J. 1, 33, 1: ,,er war faft 70 Jahre alt." Somit ftand er damals in
feinem 69. Jahre). Da er nun im Jahre 47 v. Chr., als er Unterftatthalter
von Qalilaa wurde, n noch fehr Jung" (B. J. 1, 10, 4) oder ,,erft 25 Jahre
alt" war (Ant. 14, 9, 3), folglich erft im 26. Jahre ftand, war er in feinem
69. Jahre im Jahre 750 U. C. (4 v. Chr.). Es ergibt fich hieraus, dag
die kurz vor dem Tode des Herodes fallende Mondfinfternis die des
Jahres 750 gewefen ift und er fomit vor Oftern des Jahres 4 v. Chr. ftarb.
Der erwahnte Enkel des Auguftus, Cajus, konnte fchon im Jahre 750
an einer Staatsberatung teilnehmen und hatte es fchon im Jahre vorher
gekonnt. Denn er erhielt die mannliche Toga im Jahre 749 U. C. 5
v. Chr., wahrend fein jiingerer, auf der Verfammlung nicht anwefender
Bruder Lucius fie erft im Jahre 2 v. Chr. bekam (vgl. Sueton. August. 26).
Archelaus ift im Jahre 759 U. C. abgefe^t worden (Dio Cass. 55, 27)
und zwar im zehnten Jahre feiner Regierung (Ant. 17, 3, 2-3, vgl. Vita
c. 1. Dadurch wird die fruhere Angabe in B. J. 2, 7, 3 ,,im neunten Jahre"
verbeffert). Folglich trat er die Herrfchaft im Jahre 750 U. C. = 4
v. Chr. an.
Man kann hiergegen nicht mit Grund einwenden, dag, wenn Herodes
im Jahre 4 v. Chr. geftorben fei, die Zahlung der Regierungsjahre von 34
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgerdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 10
146 Erfter Abjchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Das Leichen-der in Freiheit und gab vor, der Konig befehle, fie follten
begangnis n^ Haufe zuriickkehren. 1 ) Seine Leidie wurde mit groger
des Herodes.
oder 37 bei Jofephus nicht riditig fei. An fich waren, abgefehen von
der Abrundung der Zeit, drei verfchiedene Zahlweifen derfelben moglich.
Erftens konnte man von dem wirklidien Tage der Ernennung im Jahre 40,
oder dem Tage der Ermordung des Antigonus im Jahre 37, zweitens,
nach dem jtidifchen Jahr, welches mit dem 1. Nifan (Marz oder April)
begann, und drittens nach dem romifchen Jahr, welches mit dem 1. Januar
begann, za'hlen. In den beiden letjteren Fallen konnte das erfte Jahr
des Herodes vom 1. Nifan bezw. vom 1. Januar vor deni wirklichen Re-
gierungsantritt gerechnet werden. Jofephus berechnet nach der erften
Weife die Regierungsjahre der rGmifchen Kaijer, wie es ja uberhaupt
uberall gefchah. Allein fonft hat er nachweislich oft nach unferer Art der
Auffaffung der Sache ein Jahr zu viel gerechnet. So z. B. heif3t es
Ant. 15, 5, 2 und B. J. 1, 19, 3 die Schlacht bei Actium, welche am
2. September 723 U. C. (= 31) ftattfand, habe im 7. Jahre des Herodes
ftattgefunden, wahrend fie tatfachlich, wenn man auf den wirklichen An-
fang der Regierung zu Ende des Jahres 37 zuriickgeht, in fein 6. Jahr
fallt. Hat er aber die Regierungsjahre abgerundet, oder vom 1. Nifan
oder vom 1. Januar 37 an gerechnet, Jo fiel die Scnlacht wirklich in das
7. Jahr. Oder, um noch ein Beifpiel zu geben, Ant. 14, 16, 4 werden
von der Eroberung Jerufalems durch Pompejus bis zu der Eroberung
der Stadt durch Herodes 27 Jahre gerechnet, wahrend es doch nur 26
find (vgl. o. S. 100). Rechnet nun Jofephus das Jahr, in welchem Hero-
des die Regierung antrat, diefem ganz zu (f. o. S. 96, 7), fo konnte er
bis gegen Oftern des Jahres .4 die Regierungszeit des Konigs rund auf
37 bezw. 34 Jahre angeben. Folgte er aber der judifchen Zahlweife vom
1. Nifan, fo konnte er, wenn Herodes, wie wahrjcheinlich ift, erft nach dem
1. Nifan des Jahres 4 (der 1. Nifan fiel damals auf den 7. Marz) ftarb,
ebenfalls abrundend fagen, er habe 37 oder 34 Jahre regiert und konnte
es noch mehr, wenn er fich etwa, weil er zu Rom fchrieb, der dort ub-
lichen Rechnung nach Konfularjahren, die mit dem 1. Januar anfingen,
bediente. Ein. ganz fpater hebraifcher Kommentar bemerkt zu der
Notiz des Faftenbuches der Megilla Taanith (bei Derenbourg, 1. c. 442 ss.
n. 21 und 25), daf3 der 7. Kislev und der 2. Schebat als Freudentage
anzufehen feien, der 7. Kislev (Ende November oder Anfang Dezember)
fei der Todestag des Herodes. Kellner, Jefus von Nazareth, S. 71 ff.
halt diefes Datum far hiftorifch zuverlaffig. Dagegen fpricht aber u. a.
dag dasfelbe Buch auch den 2. Schebat als Todestag des Herodes und
des [Alexander] Jannaus erklart. Dafj aber auch hier Herodes I. gemeint
ift, ergibt fich aus der Begriindung, da fowohl die Einfperrung der Vor-
nehmen [in Jericho] wie die Erwahnung der Salome auf ihn hinweifen.
Deshalb ift an Herodes Agrippa 1., der auch den Juden nicht befonders
verhagt war, nicht zu denken. Vgl. auch Gratjlir, 571 u 573.
J ) Ant. 17, 8, 2. B. J. 1, 33, 8. Nach Ant 17, 9, 5 ift dem Arche-
laus vorgeworfen worden, mit Anmagung koniglicher Rechte die Ent-
laffung der Eingefchloffenen verfugt zu haben.
II. Kap. Die politifche Gefchidite Palaftinas von 634 v. Chr. 147
Pracht nach Herodium gebracht und dort feinem Befehle ge-
mafe beftattet. 1 )
1m Leben hatte feine Dienftbefliffenheit gegen die romi- Urteii feines
fchen Machthaber und feine eigene graufame Energie jeden Voikesuber
Widerftand niedergefchlagen. Als er geftorben war, fagten lhn *
die judifchen Gefandten in Gegenwart des Vertreters feines
Sohnes Ardielaus, der Konig habe in feinem Lande wie ein
wildes Tier gehauft, eine unerhort grofce Anzahl Menfchen
umbringen laffen und den Edlen feines Volkes, denen er
das Leben gelaffen, wenigftens Hab und Gut geraubt. 2 )
Immer ein graufamer Defpot, zeigte er fidi in feinen letjten
Lebensjahren am fchrecklidiften, da felbft die Reue dariiberj
dafe er jemand ohne Verhor hatte umbringen laffen, ihn
blofc veranlagte, den Angeber nun ebenfo zu beftrafen. 3 )
Wer immer die blutige Gefchichte feines Lebens Heft, Herodes
wird auch im Evangelium feinen Charakter getreu gezeidinet in den
finden, den Charakter eines argwohnifchen, verfchlagenen, Evan ^ ehen -
graufamen Tyrannen, der fdhon in einem Kinde eine Gefahr
fur feinen Thron erbliekt und, um das eine zu treffen, viele
umbringen lafct, naehdem er mit aller Schlauheit feine Ab-
fichten den Weifen aus dem Morgenland verborgen hat.
Immerhin war die Ermordung von etwa 20 Knabchen in
Bethlehem und Umgegend etwas Geringes, wenn fie mit
feinen fonftigen Untaten verglidien wird. Jofephus hat fie
auch wohl deshalb gar nicht erzahlt.
d) Die ftaatsrechtliche Stellung des Konigs Herodes zu Auguftus
und die Scha^ung des Qutrinius.
Als Herodes wenige Jahre vor feinem Tode den Nabataerkonig Staatsrecht-
Obodas anf eigene Verantwortung mit Krieg uberzog, 4 ) fchrieb Auguftus Hche Stellung
J ) Nach B. J. 1, 33, 9 zog man mit dem Leidmam [von Jericho] des Herodes
200 Stadien weit nach Herodium; nach Ant 17, 8, 4 nur 8 Stadien. Die zu Auguftus.
Angabe ift unrichtig. Die Entfernung Herodiums von Jerufalem betragt
fchon 60 Stadien. Vgl. 14, 13, 9.
2 ) Ant 17, 11, 2.
a ) Ant. 16, 8, 2. Jofephus nennt ihn Ant. 18, 5, 4 den Grogen, ver-
mutlich nach dem Vorgang des Nikolaus von Damaskus, den doch Jofephus
felbft wegen feiner Parteilichkeit tadelt (Ant. 16, 7, 1) 1m Unterfchied
von feinen in den Augen der Romer unbedeutenden Nachfolgern mag
aber auch der Name ,,der Groge" fur Herodes bei den Romern verbrei-
tet gewefen fein.
*) S. o. S. 127.
10*
1 48 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
ihm voller Entrtiftung, er werde ihn in Zukunft nicht mehr wie einen
Freund, fondern wie einen Untergebenen behandeln. ') Staatsrechtlich 2 )
war er dazu berechtigt. Denn Herodes war von ihm im Jahre 30 v. Chr.
zu Rhodus nicht als ein Bundesgenoffe, der aus eigener Machtvollkom-
menheit den Konigstitel fiihrte, angenommen, fondern nur als ein aus
befonderer Qnade und Freundfchaft des Cafar regierender Konig be-
ftatigt worden. Denn er hatte fein Reich ,,durch Schenkung des Auguftus
und einen Befchlug des romifchen Senats" 3 ) und war in derfelben Lage
wie die iibrigen Konige, welche dem Antonius gegen Auguftus beige-
ftanden hatten und ihre Reiche nur durch die Gute des Auguftus zuruck-
erhielten. *) Solche Konige hatten zwar in ihren Reichen konigliche
Gewalt, hingen aber derart von Auguftus, der fie nach Belieben abfetjen
konnte, ab, dag fie tatfachlich ihm gegeniiber wie Landpfleger mit dem
koniglichen Titel waren. 5 ) Man fieht dies am beften aus der Gefchichte
des Herodes und Judaas.
Seine Untertanen mugten fowohl dem Kaifer als auch dem Konige
Gehorfam geloben. 6 ) Das Land, welches fowohl unter Pompejus 7 ) wie
unter Cafar 8 ) dem romifchen Reiche tributpflichtig war, mugte fogar dem
befondern Conner des Herodes, dem Antonius, Tribut zahlen y ), ein Um-
ftand, der es faft ficher macht, dag es fo auch unter dem Gegner des
Antonius, dem Auguftus, gewefen ift, zumal Herodes, wie er wenigftens
den Juden fagte, Tempel und Bildfaulen augerhalb Judaas ,,auf Befehl
und im Auftrag" des Kaifers errichtete. 10 ) Er hat gerade wie feine Nach-
folger nur ein befchranktes Munzrecht gehabt, indem er nur kupferne
Munzen pragen laffen durfte. u ) Er durfte nicht ohne Erlaubnis des
Kaifers Krieg fiihren, 1 ' 2 ) bedurfte einer Vollmacht des Auguftus, um die
Sohne der Mariamme und feinen Sohn Antipater zu ftrafen, 13 ) und fein
!) Ant. 16, 9, 3, vgl. 16, 10, 8-9.
*) Vgl. Mommfen, RStR 3, 1, 645-715.
3 ) Ant. 15, 6, 7.
*) Suet. Auguftus 48.
5 ) Vgl. Sallust. Jug. 14: Patres conscripti, Micipsa pater meus
moriens mihi praecepit, uti regni Numidiae tantum modo procurationem
existumarem meam, ceterum ius et imperium eius penes vos esse.
6 ) Ant. 17, 2, 4,
7 ) Ant. 14, 4, 4.
8 ) Ant. 14, 10, 5.
9 ) Nach Appian. Bell. civ. 5, 75 hat Antonius nach Gutdunken einige
gegen Auflage eines Tributs zu Konigen ernannt, den Darius von Pontus,
den Herodes uber die Idumaer und Samariter, den Amyntas iiber die
Pisidier etc
10 ) Ant 15, 9, 5-6 Vgl. 15, 10, 3. B. J. 1, 21, 3-8.
X1 ) Von famtlichen herodianifchen Furften gibt es nur Kupfermiinzen.
Dag bei den Juden romifche Munzen in Gebrauch waren, zeigt Matth.
22, 20.
") S. o. S. 127.
13 ) Ant. 16, 11, 1. B. J. 1, 27, 1. - Ant 17, 5, 7-8. B. J. 1, 32, 5 u. 7.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 149
Teftament mugte vom Kaifer beftatigt werden, um rechtskraftig zu fein, 1 )
wie denn auch der Kaifer entfchied, dag Ardielaus der Nachfolger des
Herodes werden folle 2 )
Deshalb ift es audi nicht auffallend, dag der von Auguftus befohlene
Cenfus n des ganzen Erdkreifes" auch in Judaa unter der Regierung des
Herodes und dann gewig auch direkt gemag feinen Weifungen vorge-
nommen wurde. Denn dag der augerordentliche kaiferliche Kommiffar
fur den Cenfus in Syrien, der fpatere Statthalter Quirinius, 3 ) fich fur die
Durchfflhrung feiner Aufgabe in Palaftina zu Lebzeiten des Herodes an
diefen als den Konig zu wenden hatte, ift felbftverftandlich.
Hinfichtlich der Schatjung des Quirinius, woriiber eine ganze Litera-
tur vorhanden ift, 4 ) berichtet Lukas, 5 ) dag Auguftus befohlen hatte, der
ganze Erdkreis folle ,,aufgefchrieben" werden, unddagdiefe erfte Schatjung
in Palaftina ausgefuhrt wurde, als Quirinius n die Hegemonie" von Syrien
hatte. Lukas gebraucht fur diefen Cenfus das griechifche Wort anoyQcupij, Begriff der
descriptio, worunter nach feinem Sprachgebrauch 6 ) nicht blog die Re-
giftrierung des Namens, Alters, Gefchlechtes und Standes der Perfonen
eines Haushalts, fondern auch des Eigentums zu verftehen ift. Man weifj, Regelmagige
wie ein folcher rdmifcher Cenfus in Agypten im Jahre 48 n. Chr. und Schatjungen
wenigftens in den Jahren 63257/8 n. Chr. alle 14 Jahre gehalten in Agypten.
wurde. 7 ) Jeder Hausbefiijer hatte feinen Namen und fein Alter fowie
') AntTl7, 8, 3, 5. 17, 9, 7. B. J. 1, 33, 8
2 ) Ant 17, 9, 4-9. B. J. 2, 2, 1-7.
3 ) S. S. 152 ff.
4 ) Vgl. u. v. a. Schttrer, I, 508-543, der uberhaupt einen Reichs-
cenfus des Auguftus leugnet. Fur die Zuverlaffigkeit des lukanifchen
Berichtes, den fie aber verfchieden erklaren, vgl. u. a. Zahn, Die fyrifche
Statthalterfdiaft und die Schatjung des Quirinius in Neue kirchl. Zeitfchr.
Erlangen u. L. 1893, S. 633-654 und Einl. in das N. T. L. 1899 II, 394 ff.,
415 f Knabenbauer, Ev. sec. Lucam. P. 1896, p. 103-114. Vigouroux,
Le nouveau testament et les decouvertes archeol. modernes. 2 P. 1896,
p. 89130. Me Kinnon, the census of Quirinius in the Catholic Univ.
Bulletin V, 3. Washington 1899, p. 315-336. R. S. Bour, L'inscription
de Quirinius et le recensement de s Luc. Rome 1897; vgl. daruber
Rb. 1898, p. 313314. Ramsay, Was Christ born in Bethlehem? A study
on the credibility of St. Luke. New-York & London 1898, und den fich
an Ramfay anfchliegenden Sanday, Art. Jefus in Hastings D. II, 646.
Hontheim, Das Datum der Geburt Chrifti [welches er 1. c. S. 127 auf
den 25. Dezember 8 v. Chr. (!) fetjen will]. Kellner, Jefus von Naza-
reth S. 200209. A. Mayer, Die Scha^ung bei Chrifti Geburt in ihrer
Beziehung zu Quirinius. Innsbr. 1908. Lagrange, Ou en est la question
de recensement de Quirinius? Rb. 1911, p. 60-84, Ramsay, The bearing
of recent discovery on the trustworthiness of the New Testament L. 1915;
The Expositor 4 (1912) 385-407; 481-507.
5 ) Luc. 2, 1-2.
6 ) Vgl Apg. 5, 37.
7 ) Vgl. die Nachweife in The Oxyrhynchus Papyri. Part. II Von
150 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
den Namen imd das Alter aller iibrigen Hausbewohner, Kinder und
Sklaven mit eingefchloffen , anzugeben, damit die Kopffteuer erhoben
werden konnte. 1 ) Es ift audi bekannt, dag wenigftens der Statthalter
von Agypten unter Trajan, C Vibius Maximus, im Jahre 104 n.. Chr. be-
fahl, dag wegen der bevorftehenden Volkszahlung alle, die fich augerhalb
ihres Bezirkes aufhielten, nach Haufe zuriickkehren follten, urn die her-
kommlichen Angaben fiir die Volkszahlung zu machen und zugleich ihr
Land zu beftellen. 2 ) Daneben gab es noch ebenfalls drtoyQa<pal genannte
Erklarungen des beweglichen VermOgens, 3 ) die alljahrlich fdiriftlich ab-
zugeben waren.
Ober Die Tatfache, dag eine folche allgemeine Schatjung des ganzen
die Frage des Rei dies von Auguftus angeordnet worden ift, 4 ) n'ndet fich fonft nicht be-
Reichscenfus. zeugt, wenngleich es von ihm wohl bekannt ift, dag er groge Sorgfalt
auf die Befchaffung genauer ftatiftifdier Nadirichten legte, und wenigftens
dreimal einen Cenfus der rOmifchen Burger vornahra, 5 ) die von Cafar
den drei Cenfusberiditen ift n. CCLV datiert Okt. 48; die Herausgeber
meinen n. CCLIV in das Jahr 6 des Tiberius, alfo 19-20 n. Chr. ver-
weifen zu kOnnen; das Datum von n. CCLVI ift unbeftimmt Fur die
Volkszahlungen in 201/2, 215/6, 229/30, 243/4 und 257/8 vgl Wessely,
Studien zur Palaographie und Papyruskunde II (L. 1902), S. 26 ff. Die
Erhebung der Kopffteuer in Agypten ift fur das Jahr 94 oder 61 v. Chr.
bewiefen durch The Tebtunis Papyri, Part I, ed. Grenfell, Hunt and
Smyly 1902, n. 103 p. 445 ff. Vgl. auch fiir die wahrfcheinliche Erhebung
der Kopffteuer in Agypten im 3. bis 2. Jahrhundert v. Chr. die von
Mahaffy und Smyly herausgegebenen Flinders Petrie Papyri, R. Irish
Acad., Cunningham Memoirs Nr. XL, Dublin 1905, n. LIX; vgl. Vieredc
im Jahresbericht uber die Fortfdiritte der klaffifchen Altertumswiffenfchaft
Bd. CXXXI (1906), S. 81.
') The Oxyrhynchus Papyri 1. c. n. CCL1X Census Return, p. 207
bis 214; vgl. noch Wilcken, Griech. Ostraka I. Leipz. u. Berlin 1899, 435 ff.
2 ) Vgl. das Schreiben in Greek Papyri in the British Museum.
Catalogue, with Texts. Ed. by F. G. Kenyon and H. J. Bell. L. 1907,
III, 124-126; vgl. auch den von U. Wilcken hergeftellten Text in A.
Deissmann, Licht vom Often, Tub. 1909, S. 201 ff.
3 ) Vgl. The Oxyrhynchus P. II, 177 sqq. S. auch Schurer, I, 515, 25.
*) Lage bei Luc., cap. 1 2, eine hebraifch abgefagte Kindheits-
gefchichte Jefu zugrunde, fo konnte der Ausdruck bei Luc. 2, 1 na.6a.v
T^V oixov/tevijv eine Oberfetjung von Y>N>ij""' | 2 fein (fo Refch, Augerkan.
Parallelftellen zu den Evangelien, Heft 5. L. 1897, S. 119 f. u. 213) und
das ganze Judenland bedeuten. Diefe erfte anoy^aqnl Palaftinas wiirde
dann von einer andern zweiten unterfchieden. Kellner, Jefus von Naza-
reth S 93 meint, Lukas habe die gefamte auf Neuordnung des Abgaben-
wefens im Reiche zielende Tatigkeit des Auguftus im Auge. Fur Judaa
kOnne eine fpezielle Verordnung erlaffen fein, oder der Befehl in Judaa
mit diefer Neuordnung vorzugehen, kOnne auch in einem generellen Edikt
fchon enthalten gewefen fein.
~ a ) In den Jahren 726, 746 und 767 U. C. fand folch eine
II. Kap. Die politijche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 151
angelangene Reichsverme{fung vollendete 1 ) und felbft ein Buch, worin
alle offentlichen Hilfsquellen des Reiches aufgeffihrt waren, befag. 2 ) Allein
auch die Einteilung (descriptio) Italiens durch Auguftus in elf Regionen,
auf welcher, falls fie zunachft nur einen ftatiftifchen Zweck hatte, jeden-
falls fpater die ganze Adminiftration und Provinzialeinrichtung Italiens
ruhte, wird nur von einem Schriftfteller, Plinius, berichtet. 3 ) Erft Caffiodor,
der 480 575 A. D. lebte und altere Quellen, die Schriften der Feldmeffer,
benutjte, fpricht von einer Einteilung des Reiches unter Auguftus nach
Grundftficken und einer Schatjung. 4 ) Audi das Zeugnis des gelehrten
Lexikographen Suidas, der um das zehnte Jahrhundert lebte, fiber den
Cenfus der Perfonen und VermOgen im ganzen Reich des Auguftus darf
deshalb angeffihrt werden, weil auch Suidas alte Quellen benutjt hat 5 )
Dag in einem Reiche, wie dem romifchen, derartige allgemeine Er-
laffe nicht Qberall immer fofort und nicht in derfelben Weife ausgeffihrt
wurden, liegt auf der Hand/)
Dag die von Rom befohlene Schatjung in Palaftina durch romifche Unter
Beamte oder auch nur nach rOmifchen Grundfaljen vorgenommen wurde, Herodeshat
fagt Lukas nicht. Die Tatfache aber, dag unter Herodes ein Cenfus einromifcher
Cenfus ftatt-
ftatt. Vgl. Res gestae divi Augusti. Iterum ed. Th Mommsen, p. XLVI sq. o-efunden
LXXXII sq. und p. 36 ff
') Vgl. die Quellen bei Marquardt, RStV 2, 207211.
2 ) Er befag ein von feiner Hand gefchriebenes ,,rationarium imperii"
(Sueton. Aug. c. 28) oder breviarium totius imperii (1. c. c. 101), worin
ftand: ,,quantum civium sociorumque in armis, quot classes, regna, pro-
vinciae, tributa, aut vectigalia, et necessitates ac largitiones" Tac.
ann. 1, 11. Am ficherften und am beften hatte ihn fiber den Steuerertrag
der einzelnen Provinzen und die Zahl der waffenfahigen Manner in den
Teilen des Reiches ein Reichscenfus vergewiffern kOnnen.
3 ) Plin. N. H. 3, 46. Vgl. dazu Marquardt 1, 220 ff.
4 ) Cassiodor, Variarum III, 52: Augusti siquidem temporibus orbis
Romanus agris divisus censuque descriptus est, ut possessio sua nulli
haberetur incerta, quam pro tributorum susceperat quantitate solvenda.
Hoc auctor Hyrummetricus [zu lefen ift entweder Hyginus Gromaticus
oder blog Gromaticus. Hyginus mit dem Beinamen Gromaticus fchrieb
unter Trajan fiber Landvermeffung] redegit ad dogma conscriptum, qua-
tenus studiosus legendo possit agnoscere, quod deberet oculis absolute
monstrare."
5 ) Suidas s. v. aTtoy^a^ fagt, dag Auguftus, als er Alleinherrfcher
wurde, zwanzig Manner von anerkannter Rechtfchaffenheit uberallhin im
Reiche fandte, damit fie einen Cenfus der Perfonen und VermOgen auf-
nahmen. Es konnte Suidas gar kein Intereffe daran haben, Angaben
fiber den Cenfus zu erfinden, da zu feiner Zeit kein Menfch die Glaub-
wurdigkeit des Lukas beftritt (Knabenbauer, p. 105).
8 ) Dag in vielen Provinzen zur Zeit des Auguftus ein Cenfus ftatt-
gefunden hat, zeigt Zumpt, Das Geburtsjahr Chrifti, L. 1869, S. 147 f.,
163 ff., 211 f.; ebenfo, dag es in einigen Provinzen nicht der Fall war,
152 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
ftattgefunden hat, berichten fowohl Juftinus wie Tertullian. Erfterer be-
ruft fich in feiner an den Kaifer Antonin gerichteten Schutjfchrift fiir die
Geburt Chrifti zu Bethlehem auf die dnoy(>a<tfi, welche ,,unter dem erften"
romifchen ,,Prokurator von Judaa, Cyrinius", gemacht worden fei, 1 ) letjterer
aber fpricht von dem unter Auguftus n in Judaa dutch Sentius Saturninus
abgehaltenen Cenfus". 2 ) Moglicherweife hangt die von Jofephus be-
richtete Weigerung von 6000 Pharifaern, dem. Kaifer den Treueid zu
leiften, mit dem Cenfus unter Herodes zufammen. 3 )
Die Nachrich- P. Sulpitius Quirinius gehdrte zwar der alien Patrizierfamilie der
ten iiber Sul- Sulpitier nicht an, gelangte aber wegen feiner Kriegstiichtigkeit und
pitius Quiri- feiner Verdienfte zu den hochften Ehren. *) Er war mit M. Valerius
nius. Meffalla zufammen Konful im Jahre 12 v. Chr. Wie er vorher die
Marmariden (zwifchen Cyrenaica und Agypten) und die Garamanten
(im Innern Afrikas) erfolgreich bekriegte, 5 ) fo nachher die Homonadenfer
an der Grenze von Pamphylien und Cilicien. 6 ) Als Cajus Cafar im
Jahre 1 v. Chr. hauptfachlich wegen der Sdiwierigkeiten in Armenien,
welches unter parthifchem Einflufj ftand, als Reprafentant des Kaiferhaufes
in den Orient gefchickt wurde, war zuerft fein offizieller Ratgeber der im
Jahre 2 n. Chr. 7 ) geftorbene M. Loll.ius, dann, als deffen unwiirdiges,
S. 176 f. Die Bataver zahlten noch im zweiten Jahrhundert keine Steuern.
Tacitus, Hist. 4, 12; Germ. 29.
') Apol. I, 34. 46. Migne PP. G. 6, 384. 397. Es gab im gewOhnlichen
Sinne des Wortes keinen rom. Prokurator von Judaa vor dem Jahre 6 n. Ch.,
wenn nicht darunter ein bloger kaiferlicher Finanzbeamter verftanden wird.
2 ) Adv. Marc. 4, 19. ,,Sed et census constat actos esse tune in
Judaea per Sentium Saturninum apud quos genus ejus inquirere po-
tuissent."
3 ) Jos. Ant. 17, 2, 4.
*) Tac. ann. 3, 48: (Quirinius) impiger militiae et acribus ministeriis
consulatum sub divo Augusto, mox expugnatis per Ciliciam Homonaden-
sium castellis insignia triumphi adeptus, datusque rector Gajo Caesari
Armeniam optinenti Tiberium quoque Rhodi agenttsm coluerat.
8 ) Florus Epitoma 2, 31. Vermutlich fiihrte er diefen Krieg als
praefectus Aegypti, welchem Heeresmacht zur Verfugung ftand. Unter
Auguftus wurden die Statthalter von Agypten aus dem Ritterftand ge-
nommen. (Tac. hist. 1, 11.)
6 ) Tac. ann. 3, 48. Vgl. Strabo 12, 6, 5. Den Krieg, der zwifchen
die Jahre 12 v. Chr. und 2 n. Chr. fallen mug, konnte er nur als Statt-
halter einer Provinz fuhren. Hilgenfeld, P. Sulpitius P. f. Quirinius in
ZWTh XXXVI, 2 (L. 1893, S. 196-222) vermutet (1. c. p. 199-213),
Cilicien fei damals mit Pamphylien verbunden und die Provinz eine
konfularifche und kaiferliche gewefen, Wahrfcheinlich war aber damals
Cilicien wie fonft oft mit Syrien verbunden und Quirinius Statthalter
von Syrien, und zwar entweder im Jahre 9 vor Saturninus Oder nach
Varus, der unmittelbar dem Saturninus folgte und wenigftens bis zum
Jahre 4 v. Chr. im Amte blieb.
7 ) Vellej. Paterc. 11, 102.
II. Kap. Die politifche Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 153
kaufliches Wefen an den Tag getreten war, Sulpitius Quirinius. 1 ) Cajus
Cafar hat im Jahre 2 n. Chr den Krieg gegen Armenien begonnen,
wurde aber in demfelben verwundet und ftarb am 21. Februar des Jahres
4 n. Chr. auf der Ruckreife nach Rom. Dag Quirinius Statthalter von
Syrien gewefen ift und dort einen Cenfus veranftaltet hat, ift durch
eine Infehrift ganz fidier. 2 ) Es fdieint, dag er es fogar zweimal war. 3 )
Denn allem Anfcheine nach war er es das erfte Mai im Jahre 3 2 v. Chr.
und fuhrte damals den Krieg gegen die Hamonadenfer,*) jedenfalls aber
war er Statthalter von Syrien im Jahre 6 oder 7 n. Chr. 5 ) und [tarb im
Jahre 21 n. Chr. in Rom. 6 )
') Tacitus 1. c. Vgl. Schiller, Gefch. d. r6m. Kaiferzeit. Gotha,
1883-87, I, 204 und 195 f.; Mommfen, Res d. Aug. 173 sqq.
2 ) Vgl. diefelbe bei Mommsen, Ephemeris epigraph, vol. IV, 1381,
p. 537-542 und im CJL. Ill Suppl. I. n. 6687, fowie bei Vigouroux, p 116
und Kellner, Jefus von Nazareth, S. 131. Darin erwahnt der Q. Aemilius
Q. f. Pal. Secundus die Ehren, welche er (in) castris divi Aug(usti) s(ub)
P. Sulpicio Quirinio le(g. Aug.) Caesaris Syriae erwarb und bezeugt
weiter: idem jussu Quirini censum egi Apamenae [Stadt in Syrien] civi-
tatis millium homin(um) civium CXVII [= 117000 Einwohner]. Idem
missu Quirini adversus Ituraeos in Libano monte castellum eorum cepi.
Bin Grund, weshalb fich diefe Infdirift auf die Statthalterfchaft des Quiri-
nius im Jahre 6 oder 7 und nicht auf die im Jahre 3 -2 v. Chr. be-
ziehen foil (fo Mommfen, Ephem. p. 541, Res divi Aug. p. 166. 176,
Schurer I, 327), ift nicht abzufehen.
3 ) Ob die im Jahre 1764 bei Tibur gefundene Infehrift (vgl. Sancle-
mente, De vulgaris aerae emendatione, Romae 1793, p. 414 426, Mommfen
1. c. p. 161 ff., Vigouroux p. 118 126), die von einer doppelten fyrifchen
Statthalterfchaft eines ungenannten fruheren Statthalters von Afien zur
Zeit des Augustus zu reden fcheint, mit Mommfen auf Quirinius zu beziehen
ift, ift nicht ficher.
*) S. 152, 6.
5 ) Er kam nach der Abfetjung des Ethnarchen Archelaus nach Syrien,
urn in Syrien wie in Judaa eine Einfchatjung des VermOgens vorzuneh-
men und fiber das VermOgen des Archelaus Beftimmungen zu treffen
(vgl. u. S. 169 f.) und nahm alsbald, wahrend Coponius Landpfleger in
Judaa war, den Cenfus dort vor. Vgl. Jos. Ant. 17, 3, 5; 18, 1, 1. 2, 1.
Damals war er aber Statthalter. Denn abgefehen davon, dafj ihn Jo-
fephus (18, 1, 1) nicht blog TIH^T^, d. h. Einfchatjer, Steuertaxator (vgl.
auch Ant. 20, 5, 2), fondern auch dtxaioSoTri? rot~ eQ-vnv?, d. h. einen Mann,
der dem [judifchen] Volke Recht zu fprechen hat, nennt, ftand er deshalb
uber dem Coponius, mit dem er zugleich gekommen war (Ant. 18, 1, 1.
2, 2), da nicht diefer, fondern er felbft den Hohenpriefter Joazar abfetjte
und einen andern an feine Stelle fetjte (Ant. 18, 2, 1). Er hatte auch
allgemein den Auftrag, ,,das Vermogen in Syrien einzufchatjen" (Ant.
17, 13, 5: aTzoTi/ttjtSopevos ret iv Sv(iia), ein Auftrag, der nicht blog auf
den Teil Syriens, welcher die bisherigen Lander des Archelaus umfagte,
befchrankt werden darf.
6 ) Tac. ann. 3, 48. Vgl. uber ihn Prosopogr. imp. Rom. Ill, 287 - 289.
154 Erfter Abfehnitt. Die politifche Gefdiidite der Juden etc.
Wenn nun Lukas fagt, die Schatjung habe ftattgefunden
Lukas will t-evovro? rjj? Svqiou; Kvpi/Wow", 1 ) fo heijgt das nicht notwendig: ,,als Qui-
vermutlich rinius Statthalter von Syrien war", denn Lukas pflegt die Beamten nadi
den Quirinius ihrem Amtstitel zu nennen. 2 ) Einem Statthalter von Syrien, welches
als oberften unter Auguftus eine kaiferliche Provinz war, kam aber der Titel TT^-
Cenfus- ptnTijt; TOV Sf^ctstov avrttfr^ar^yo?, 3 ) legatus Augusti pro praetore zu. Ge-
beamten be- wig k5nnte Lukas, der den Titel yytpotv dem Prokurator von Judaa gibt, 4 )
zeichnen. hier eine fur alle Arten von Statthaltern mOgliche allgemeine Titulatur
gebraucht haben. 6 ) Er konnte aber auch den Titel fur einen Beamten,
dem die Schatjung der Provinz iibertragen war, gebrauchen, 6 ) zumal er
gar kein Intereffe daran hatte, den Statthalter von Syrien" zu erwahnen,
wohl aber den, der in der Provinz nach kaiferlichem Auftrag den Cenfus
auszufiihren hatte. Deshalb empfiehlt fich die Annahme, 7 ) dag Quirinius
damals wirklich aufjerordentlicher, kaiferlicher Kommiffar fur den Cenfus
in Syrien gewefen ift und Lukas ihn als jplchen bezeichnen will. Ob
dann Quirinius fein Amt zur Zeit des Saturninus oder, wie wahrfchein-
lich ift, des Varus angefangen hat, bleibe dahingeftellt.
') Luc. 2, 2; vgl. diefelbe Wendung 3, 1; jyc/tavevovros
IJetidrov TIJS 'Jo Woe tec?.
2 ) Die Statthalter der fenatorijchen Provinzen heigen dv
proconsules (vgl. Apg. 13, 7 f., 12. 18, 12. 19, 38). Lukas kennt Politarchen
von Teffalonich (Apg. 17, 6, 8), Afiarchen zu Ephefus (Apg. 19, 31) und
nennt, urn beim Evangelium zu bleiben, den Landpfleger von Judaa
ftets jrw> v (praeses Vulg.) (cf. Luc. 3, 1; 20, 20. "Apg. 23, 24; 26, 33;
24, 1, 10; 26, 30; vgl. auch Matth. 27, 2. 11. 14. 15. 21. 27. 28, 14).
3 ) Dio Gass. 53, 13.
4 ) Bei Jofephus wird 16, 9, 1 von rot? Kaitiaqot; yyepottiv geredet.
Es find darunter der Statthalter Saturninus und Volumnius verftanden.
Beide heigen Ant. 16, 9, 1 ol 2vyla<; e'/nrfraTotVre?. Letjterer wird
B. J. 1, 27, 2 als eniryojios, procurator, bezeichnet. Auch neben dem
Statthalter Varus findet fich ein kaiferlicher Prokurator Sabinus, nicht for
den Genfus, fondern fur die kaiferlichen Domanen in Syrien erwahnt
(Ant. 17, 9, 3 KaL6aQog eniTQontx; TMV dv Svpt'ct 7rpay^'rwr; vgl. auch B. J.
2, 2, 2; 2, 5, 1). Auguftus fchreibt dem Herodes, er folle die qyepovts
nach Beirut einladen. Diefe waren Saturninus und feine drei Sohne,
,,welche bei ihm als Legaten waren" (etnovto yoip uvrw r^ei? ovre? nqei;-
/?evrt) nebft Volumnius (Ant. 16, 11, 1. 11, 3).
6 ) Marquardt RStV 1, 547, 8 erwahnt unter andern ungenauen Be-
zeichnungen, die fur die dv&vnaroi oder proconsules gebraucht werden,
auch f\yen<av. Vgl. Ariftides vol. I, p. 532 Dind.
6 ) Vgl. Mommfen.RStR II, 1016, 1091 ff. Marquardt RStV II, 215 f.
und O. Hirfcnfeld, Die kaiferl. Verwaltungsbeamten bis auf Diokletian 2 .
B. 1905, S. 55 f.
') So auch Sanclemente 1. c. p. 413-448; Ideler, Handbuch der
Chronologie II, 395. Kellner, Die r6m. Statthalter von Syrien und Judaa
zur Zeit Chrifti ZKTh 1888, S 477 u. a.
II. Kap. Die politifdie Gefchichte Palaftinas von 63-4 v. Chr. 155
Andere meinen, um nur einige wichtigere Anfichten anzufuhren, das Erklarungen
milita'rifdie Kommando der Provinz oder das Amt des yyeftuv fei ent- von
weder unter Saturninus 1 ) oder Varus von dem des ordentlichen Legaten Luk. 2, 1 ff.
getrennt und in den Handen des Quirinius gewefen, oder Saturninus
oder Varus habe die Schatjung angefangen, Quirinius fie aber beendigt.' 2 )
Es fei die Schatjung nach ihm als dem in Syrien beffer bekannten Manne,
der fiberdies bei feiner zweiten Statthalterfchaft in Syrien im Jahre 7
n. Chr. einen zweiten Cenfus in Judaa vornahm, genannt worden, Lag-
range, 3 ) der im Jahre 1911 die Frage von Neuem unterfucht hat, halt
die LOfung von Calmet, Wallon, Wieseler u. a. fur am wahrfcheinlichsten,
nach der Luk. 2, 2 zu uberfet5en ift: ,,Diefe erfte Schatjung gefchah, bevor
] ) Vgl. befonders Ramfay, The bearing of recent discovery on the
trustworthiness of the New Testament. L. 1915, p. 238 ff. Ramfay
hat in den Jahren 1912 und 1913 im pifidifchen Antiochien zwei Infchriften
gefunden. (Vgl. diefelben in The bearing p. 285 und 291; f. auch F.
Bleckmann in ZDPV, 1915, 229 f., Lagrange Rb. 1913, 617; Wickenhaufer,
Die Apoftelgefchichte und ihr Gefchichtswert [= Neuteft. Abhandlungen
herausgegeben von M. Meinertz VIII, 3-5] Munfter i W. 1921, S. 317),
welche beide eine Widmung fur C. Caristanius, ,,praefecto P. Sulpici
Quirini duumviri" enthalten. Die erfte lautet: C. Carista[nio] C. F. Ser.
Front[oni Caesiano Juli[o, praef[ecto fabr[um], pon[tif(ici), sacerdoti,
praefecto P. Sulpici Quirini duumv[iri, praefecto M Servili. Huic primo
omnium publice d[ecurionum] d[ecreto] statua posita est. Die zweite
unvollftandige: C. Caristiani[o C. F. Ser[gia] Frontoni Caesiano Julio
praef. fabr. tribuno mil. leg[ionis] XII fulm[inatae], praef[ecto] coh[ortis]
Bos[porianae], pontif[ici], praef[ecto] P. Sulpici Quirini II vir[i], praef[ecto]
M. Servili, praef[ecto]. Ramfay halt es fur wahrfdieinlich, dafj Quirinius,
der im Jahre 12 v. Chr. Konful war (f. S. 152), fdion im Jahre 11 v. Chr.
nach Syrien gekommen fei, und von 10 8 v. Chr. den Krieg gegen die
Homonadenfer gefiihrt habe. Er fei eine Zeit lang zugleich mit Sentius
Saturninus Statthalter von Syrien gewefen, namentlich im J. 8 v. Chr.,
in welchem Jahre die Schatjung ftattgefunden habe. Waren beide im
Jahre der Schatjung Statthalter von Syrien, fo konnte diefe fowohl auf
Quirinius oder mit Tertullian (vgl. S 152 Anm. 2) auf Sentius Satur-
ninus bezogen werden. Es ware auch moglich, dafj fie unter Quirinius
angeordnet und unter Saturninus ausgefuhrt wurde.
Gegen diefen Erklarungsverfuch fpricht aber, dag dann Jefus, als
er feine offentliche Tatigkeit begann, nicht wie Luk. 3, 23 fagt, etwa 30,
fondern vielmehr etwa 33 Jahre alt gewefen fein mugte.
*) Z. B. Zumpt, S. 207 ff. Knabenbauer p. Ill, Polzl im Kirchen-
lexikon III, 5ff. Me Kinnon, p. 335. Auch A. Mayer, Die Schatying etc.
ift der Anficht, dafj der Cenfus unter dem Statthalter Sentius Saturninus
anting und unter Quirinius beendigt wurde und etwa vom Jahre 7
(refp. 6) bis fpateftens 3 v. Chr. gedauert hat.
3 ) Oft en est la question du recensement de Quirinius? Rb. 1911,
N. S. Tome VIII, p. 60-84; vgl. auch Rb. 1913 p. 617 s.; 1921 p. 147.
156 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Quirinius Statthalter von Syrien war." Er hat auch viele Beifpiele dafiir an-
geffihrt, dag Tr^oTro? mit folgendem Qenitiv bisweilen als Zeitbeftimmung
im Sinne von nQo-e^oq ,,vor jemand" gebraucht wird, fo z. B. auch
Job. 1, 15, 30; 15, 18. Jedenfalls kommt es aber in diefem Sinne nicht
bei Lukas vor. Bin wegen feiner klaren Schreibweife fo geriihmter
Schrrftfteller wie er hatte fich ficher unzweideutiger und be[timmter aus-
gedruckt, wenn er das ihm Zugefdiriebene hatte fagen wollen, 1 ) Man
mag uber den Grad der Wahrfcheinlichkeit folcher Vermutungen ver-
fchiedener Anficht fein. Immerhin find fie berechtigter als die Annahme 2 )
dag Lukas ,,etwas, was vor dem Marz des Jahres 4 v- Chr. gefchehen
fein foil, mit einem Ereignis, welches frfilfe{tens, am Ende des Jahres
oder im Anfang des Jahres 3 v. Chr. fich zugetragen hat, als gletchzeitig
betrachtet und in innigfte Verbindung zu demfelben gefetjt" hat. 3 )
') So u. a. Knabenbauer z. d. St.
*) Vgl. Zahn, Die fyrifche Statthalterfchaft etc. S. 633 ff. Einleitung 1,
395 f. Nach feiner Anficht ift der Bericht des Jofephus iiber die Ereignifje
vom J. 4 v. Chr. bis 37 n. Chr. augerft unzuverlaffig. Er bringe die-
felben Tatfachen zweimal vor, einmal nach dem Tode des Herodes, das
andere Mai nach der Abfetjung des Archelaus. Quirinius fei nur einmal,
namlich zwifdien Herbft 4 bis 1 v. Chr. Statthalter von Syrien gewefen
und habe nur einmal, nicht vor, ,fondern nach dem Tode des Herodes
eine Schaljung vorgenommen. Lukas habe fich in der Anfetjung der-
felben, mindeftens um einige Monate, vielleicht urn 1-2 Jahre geirnt.
Friedr. Spitta, Die chronologifchen Notizen und die Hymnen in Lc. 1
und 2. Zeitfchr. f. d. neuteft. Wiff. Jahrg. VII, 1906, 281-317 nimmt das
Urteil Zahn's uber Jofephus an, meint aber, dag der Bericht des Lukas
nichts Unwahrfcheinliches enthalte. Wm. Weber, der Cenfus des Quiri-
nius nach Jofephus, Zeitfchr. etc. Jahrg. X, 1909, 307319 kommt fogar
zu dem Refultat, dag es fich nicht blog bei Jofephus um eine einzige
Schaljung Palaftinas und zwar im J. 4 v. Chr. handele, fondern dag der
mit ihrer Aufnahme betraute ROmer, den Jofephus Sabinus nennt, ein
und diefelbe Perfon mit Quirinius fei. Vgl. hiergegen Lagrange, Ou en
est la question etc. p. 63 ss, 72 s.
3 ) J. van Bebber, Zur Chronologie des Lebens Jefu. Munfter 1898,
S. 110 120 will zeigen, dag Quirinius vor Titus Statthalter von Syrien
war und im Jahre 742/43 U. C, = 12/13 v. Chr. die Scha^ung vor-
genommen habe. Folgerichtig lagt er dann Chriftus im Jahre 743 oder
744 U. C. geboren fein. Dann ware er bei feiner Taufe nicht ,,ungefahr
30 Jahre" (Luc. 3, 23), fondern ungefahr 40 Jahre alt gewefen, was ganz
unglaublich ift.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 157
HI. Kapitel.
Palaftina unter den Sohnen des Herodes und den erften
romifchen Landpflegern bis zum Jahre 41 n, Chr.
1. Der Ethnardi Ardielaus.
Da das Teftament des Herodes keine Giiltigkeit hatte, Unruhen in
bis es von Auguftus beftatigt war, beabfichtigte Ardielaus Jerusalem.
nach den Trauerfeierlichkeiten fiir feinen Vater alsbald zur
Erlangung diefer Beftatigung nadi Rom zu reifen. Zunachft
ging er nadi Jerufalem, wo er der ihn begriijgenden Menge
im Tempel allerlei Verfprechungen madite, fiir den Fall, daft
er von Auguftus beftatigt werde. Allein eine Anzahl Leute
verlangte mit grofcem Ungeftiim die Beftrafung der Ratgeber
des Konigs, welche den Tod der Adlerzerftorer Matthias und
feiner Genoffen verfdiuldet batten, 1 ) und die Abfetjung des
von Herodes eingefetjten Hohenpriefters. Sie liefcen fich
durdi niemand von ihrer unzeitgemajjen Forderung ab-
bringen, hielten fich im Tempel zufammen und fchlugen, vom
Volke unterftutjt, die zur Herftellung der Ordnung gefandten
Kriegsleute in die Fluent, fo daft ein formlicher, wegen des
ftets vielbefuchten Ofterfeftes gefahrlicher Aufftand drohte.
Deshalb griff Ardielaus mit feiner ganzen Macht ein und
liefc durch feine Reiterei dreitaufend Mann niedermachen.
Je^t fugte man fich feinem Befehl, das Feft zu verlaffen und
nach Haufe zuriickzukehren. 2 ) Aber gewifc war diefer An-
fang feiner Regierung nur zu geeignet, den Ardielaus von
vornherein verhafct zu machen.
Nachdem nun Ardielaus feinen Bruder Philippus zum
Reichsverwefer eingefe^t hatte, reifte er, begleitet von der
Salome, der Schwefter des Herodes, und andern Bluts-
verwandten nach Rom, wohin fich auch fein Bruder Antipas
begab, der das Reich fiir fich felbft erlangen wollte. In
Rom traten alle Verwandten auf die Seite des Antipas, unter
dem fie beffer zu fahren glaubten als unter dem von ihnen
') S. o. 143.
Ant. 17, 8, 4-9, 3. B. J. 2, 1, 1-3.
158 Er(ter Abfchnitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
gehafcten Archelaus. Am meiften wunfchten fie jedoch, das
Land moge unter die Verwaltung eines romifchen Land-
pflegers geftellt werden, da fie dann audi am freieften fein
wiirden. 1 )
Mittlerweile war in Judaa nach der Abreife des Arche-
laus ein neuer Aufftand ausgebrochen, den der durch feinen
unruhmlichen Kampf gegen die Germanen bekannte Pro-
konful von Syrien, Q. Varus, mit Gewalt unterdruckte. Er
glaubte durch die Zuriicklaffung einer Legion in Jerufalem
hinreichend fur die Ruhe geforgt zu haben und ging nach
Antiochien. Allein die Unruhen wurden aufs neue durch das
Das ruck- riickfichtslofe Vorgehen des Sabinus angefacht, der als Pro-
fichtsiofeVor- kurator oder Schatjmeifter des Kaifers deffen Rechle zu
gehen des wa h ren hatte, dem Varus aber verfprochen hatte, die naheren
Beftimmungen des Kaifers abwarten zu wollen. Daran hatte
er fich aber nicht gehalten, fondern hatte, nachdem Varus
das Land verlaffen, den koniglichen Palaft in Jerufalem in
Befitj genommen, und von den Befehlshabern der konig-
lichen Burgen und offentlichen Verwaltern Rechenfchaft ver-
langt. Diefe hielten fich aber ftreng an die Befehle d'es
Archelaus und erklarten, alles der Entfcheidung des Kaifers
zu iiberlaffen. Sabinus ging foweit, den Archelaus felbft beim
Kaifer zu verklagen.' 2 ) Durch feine Bewaffneten fuchte er die
Schloffer wie auch den koniglichen Schatj mit Gewalt in feine
Hande zu bekomme'n und bedruckte das Volk. Am Pfingft-
fefte kam es zwifchen den judifchen Feftgenoffen und den
Romern zum offenen Kampf. Le^tere griffen den Tempel
felbft an, zerftorten die von den Juden verteidigten Tempel-
hallen durch Feuer und bemachtigten fich des Tempelfcha^es,
von welchem Sabinus 400 Talente an )ich nahm. Die nachfte
Folge hiervon war, da feibft ein Teil der koniglichen Truppen
zu den Aufftandifchen iiberging, die den auf die Hilfe des
Varus vertrauenden Sabinus und die Seinigen in dem hero-
dianifchen Palafte belagerten. 3 )
NeueEmpo- Der Angriff auf den Tempel rief iiberhaupt im ganzen
rungen. Lande den Aufftand hervor. In Idumaa bekampften 2000
') Ant. 17, 9, 3-7. B. J. 2, 2, 1-7.
2 ).Ant. 17, 9, 3 u. 4. B. J. 2, 2, 4.
3 ) Ant. 17, 10, 1-3. B. J. 3, 1-4.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 159
Veteranen des Herodes die koniglidien Truppen. In Galilaa
bemaditigte fidi Judas, der Sohn des Rauberhauptmanns
Ezediias, mit feiner Sdiar der zu Sepphoris angefiauften Judas.
koniglidien Waffenvorrate und des koniglidien Schatjes, in
Peraa fammelte ein Sklave des Konigs Herodes namens
Simon viele um fidi, fteckte den koniglidien Palaft in Jeridio Simon.
in Brand und pliinderte dort wie in andern koniglidien Pa-
laften, wurde aber von den Romern iiberwaltigt und ent-
hauptet. Eine andere Rotte fteckte den koniglidien Palaft bei
Betharamathon (fpater Julias oder Livias genannt) 1 ) am Jor-
dan in Brand, und ein Sdiafhirt von riefiger Korperkraft Athronges.
namens Atbronges fetjte fidi felbft die koniglidie Krone auf
und kampfte lange Zeit nicht ohne kleinere Erfolge mit feinen
groge Rotten befehligenden vier ihm ahnlichen Briidern gegen
die Romer und die koniglidien Truppen. 2 )
Endlidi kam Varus, der alfo nodi immer Statthalter von Gewaitfame
Syrien war, mit den beiden andern ihm nodi zur Verfugung Unter-
ftehenden Legionen und Hilfstruppen, namentlidi des Naba-
taerkonigs Aretas, deffen Truppen den von ihnen gehafcten
Juden durdi Mord und Brand vielen Sdiaden zufiigten, zu
Hilfe. Sepphoris wurde verbrannt und feine Bewohner als
Sklaven verkauft. Jerufalem wurde von den Aufftandifchen
beim Anzug des Varus, dem iibrigens auch Sabinus nidit vor
die Augen zu kommen wagte, verlaffen. Oberall wurden im
Lande die Sdiuldigen aufgegriffen und zweitaufend ans Kreuz
gefchlagen. Genu^t hatte der Aufftand den Juden nichts.
Eine Legion blieb in Jerufalem als Befatjung zuriick. 3 )
Ehe in Rom die Entfcheidung fiel, wer das Land be- Judifche Ge-
herrfdien folle, kamen fiinfzig Gefandte des iiidifdien Volkes f andtfchaf t f ur
dorthin, welche um die Abfchaffung des Konigtums, die Ein- die Ab r* af -
tung des
J ) Wahrend Ant. 17, 10, 6 von dem KOnigspalaft zu Amatha (lv
'Afiafrolc) fpricht, nennt die Parallelftelle B. J. 2, 4, 2 inn den Konigs-
palaft bei Batharamathon (xr Bti&aydna&ov) am Jordan. Gemeint ift der
Ant. 18, 2, 1 mit. dem Namen Betharamphtha bezeichnete Ort, den fpater
Herodes Antipas Julias, zu Ehren der Julia, der Gemahlin des Auguftus
nannte. Vgl. fiber Julias oder Livias wie der Ort fpater heigt, Schiirer
2, 218 216, der in Ant. 17, 10, 6 einen Textfehler fur lv B^d-a
annimmt.
2 ) Ant, 17, 10, 4-8. B. J. 2, 4. Tacit, hist. 5, 9 (iiber Simon).
z ) Ant. 17, 10, 9-10. B. J. 2, 5.
160 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
verleibung des Landes in die Provinz Syrien und die Ober-
tragung der Verwaltung Judaas an einen romifchen Land-
pfleger, unter dem die Juden nach ihren eigenen Gefetjen
leben diirften, baten. Das Gefuch, welches fie dem Kaifer
im Apollotempel zu Rom vortrugen, wurde von nicht weniger
als achttaufend romifchen Juden fo ftark war fchon damals
die jiidifche Bevolkerung der Stadt 1 ) - unterftiitjt. Begriindet
wurde es mit den Ungerechtigkeiten des Herodes und der
Tatfache, daft Archelaus, nodi ehe er in der Herrfchaft be-
ftatigt war, dreitaufend Volksgenoffen im Tempel abgefchlachtet
habe. 2 )
Die Erinnerung an die Zeit, in welcher ein Mann von
edler Abkunft in ein fremdes Land zog, um ein Konigreich
zu erringen und feine Mitbiirger, die ihn hasten, ihm eine
Gefandtfchaft nachfchickten und fagen liefcen, ,,wir wollen
nicht, dajj diefer fiber uns herrfche," ift noch dreifcig Jahre
fpater lebendig gewefen. Denn Jefus fpielt darauf an in
dem Gleichnis von den Pfunden. 3 )
Beftatigung Archelaus ift aber in die Lage gekommen, fich fpater
des an f einen Feinden rachen zu konnen. Denn einige'Tage
Teftamentes nac h j ener Verfammlung im Apollotempel gab Auguftus feine
des Herodes. gntfcheidung, die im wefentlichen das Teftament des Herodes 4 )
bejtatigte. Archelaus erhielt zwar nicht den Titel Konig, der
ihm erft fur fpater, wenn er fich desfelben wiirdig gemacht
habe, in Ausficht geftellt wurde, aber doch den Titel Ethnarch 5 )
und die eine Halfte des Gebietes des Herodes, namlich Judaa,
IdumSa und Samaria mit den Stadten Cafarea, Samaria,
Joppe und Jerufalem. Jedoch wurden die griechifchen Stadte
Gaza, Gadara und Hippus davon abgefondert und mit Syrien
verbunden. Archelaus bezog aus feinem Gebiete jahrlich
600 Talente. 6 )
1 ) Bald hiernach haben fich die romifchen Juden fur den falfchen
Alexander, einen zu Sidon erzogenen Juden, der fich fiir den Sohn der
Mariamme und des Herodes ausgab, begeiftert, bis er von Auguftus
felbft entlarvt wurde. Ant. 17, 12.
2 ) Ant. 17, 11, 13. B. J. 2, 6, 1-2.
3 ) Luc. 19, 1227.
4 ) S. o. S. 144.
5 ) Der Titel fteht auch auf feinen Miinzen. Siehe Levy 73 f. Madden,
p. 114-118.
6 ) Ant. 17, 11, 4.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Ghr.
161
Die andere Halfte des urfpriinglich herodianifchen Ge-
bietes wurde in zwei Tetrardiien 1 ) geteilt. Die eine mit den
Landfchaften Pera'a und Galilaa erhielt Antipas, die andere
mit Batanaa, Auranitis, Tradionitis und einem Teile des Ge-
bietes des Zenodorus erhielt Philippus, der Bruder des Arche-
laus. Antipas bezog aus feinen Landern eine jahrliehe Ein-
nahme von 200, Philippus aus den feinen eine von 100 Talenten.
Audi die Vermachtniffe an die Schwefter des Herodes, Sa-
lome, wurden beftatigt und ihr noch der konigliche Palaft in
Askalon dazu gegeben. Ihre jahrlichen Einkunfte belief en
fidi auf 60 Talente. 2 ) Sie hat nodi die Zeit der romifchen
Prokuratoren erlebt und ihre Befitjungen der Kaiferin Livia
vermadit. 3 ) Auguftus zeigte fidi audi darin grogmutig, dag
er die ihm felbft von Herodes vermaditen 1500 Talente den
Sohnen desfelben uberlieg und nur einige Gefage als An-
denken behielt. 4 )
So waren die Bemiihungen, den Ardielaus vom Throne Regierung
fernzuhalten, vergebens gewefen, und feine Feinde hatten nun des
feine Rache zu furditen. Es entfpricht ganz der allgemeinen Archeiaus.
Anfdiauung vom Charakter des Ethnarchen, dag, als Jofeph
horte, dag Ardielaus ftatt feines Vaters in Judaa herrfdite,
er fich furditete, dorthin zu gehen. 5 ) Zunachft fe^te Ardie-
laus, wie mandie friiher von ihm verlangt hatten, 6 ) den
Hohenpriefter Joazar, Sohn des Boethus, ab, weil er es mit
den Aufftandifdien gehalten habe. An deffen Stelle machte
er den Eleazar und nadi deffen Abfe^ung den Jefus, Sohn
des See, zum Hohenpriefter. 7 ) Nodi mehr als an diefen Ge-
fetjwidrigkeiten ftiegen fidi viele daran, dag er nadi Ver-
ftogung feiner eigenen Gemahlin gegen das jiidifdie
a ) Der Name, welcher eigentlich ,,Viertelsherrfchafteri" bedeutet,
kommt zuerft bei Euripides, Alcestis 1154, hinfiditlieh Theflaliens, welches
in vier Bezirke geteilt war, vor. Spater ift der Ausdruck iiberhaupt Be-
zeichnung eines kleinen Furftentums. Vgl. z. B. Ant. 14, 13, 1. Schiirer 1,
423, 12.
2 ) Ant. 17, 11, 4-5. B. J. 2, 6, 3.
3 ) Ant. 18, 2, 2. B. J. 2, 9, 1. Sie [tarb unter dem zweiten romi-
fchen Prokurator von Judaa um das Jahr 10 n. Ghr.
*) Ant. 17, 11, 5. B. J. 2, 6, 3.
B ) Matth. 2, 22. ;
) S. o. S. 157 und 153, 5.
') Ant. 17, 13, 1. i!
Felten, Neuteffamentliche Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 1 1
162 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
die Witwe feines hingerichteten Bruders Alexander, Glaphyra,
welche von ihrem zweiten Manne, dem Konige Juba von
Mauretanien, gefchieden 1 ) war, heiratete. Obrigens ftarb fie
bald nach ihrer Ankunft in Jerufalem. Wie durch feine Grau-
famkeit, fobewies fich Archelaus ebenfalls durch feine Bauten,
durch die er gewifj auch das Wohlwollen des Auguftus zu
erwerben fuchte, als echten Sohn des Herodes. Er ftellte den
Palaft in Jericho wieder glanzend her, 2 ) legte in der Ebene
nordlich von Jericho Palmenpflanzungen an und grundete in
der Gegend die Stadt Archelais.
Er war aber wegen feiner Graufamkeit und Tyrannei
derart verhafct, dafc fich die fonft einander fo feindfeligen
Juden und Samariter gegen inn verbanden und ihn beim
Kaifer verklagten. Er wurde zur Verantwortung nach Rom
geladen, mit Entziehung feines Vermogens beftraft und nach
Vienne in Gallien verbannt. 3 )
Dies Schickfal traf ihn im zehnten Jahre feiner Regierung
im Jahre 6 n. Chr. 4 )
2. Judaa unter den erften rdmifchen Landpflegern
von 641 n. Chr. 5 )
Verhaitnis Nach der Abfe^ung des Ardielaus wurde fein Gebiet
von Judaa zu in eine romifche prokuratorifche Provinz verwandelt, 6 ) welche
Synen feit a b er infofern wie ein Annex mit der benachbarten wichtigen
dem Jahre 6 p rov j nz Syrien verbunden war, 7 ) als wohl in Beruckfichtigung
n. Chr.
J ) Jos. Ant. 17, 13, 4. B. J. 2, 7, 4 fagt n nach dem Tode" des.
Juba. Allein der {tarb erft im Jahre 23 n. Chr.
2 ) Vgl. o. S. 159.
3 ) Ant. 17, 13. B. J. 2, 7, 3-4.
*) S. o. S. 145.
f ) Nach dem Vorgang von andern wird in den allgemeinen Erorte-
rungen S. 162 ff. auch fchon die zweite Periode der Prokuratoren von
44-66 mit beruckpchtigt.
6 ) B. J. 2, 8, 1. Tac. ann. 2, 42 (z. Jahre 17 n. Chr.): provincia&
Suria atque Judaea fessae oneribus, deminutionem tributi orabant. Auch
Luc. 3, 1 nennt den Pilatus Landpfleger von Judaa, verfteht aber unter
Judaa wie auch Tacitus ebenfalls Samaria und Idumaa. Dag Samaria
zur Provinz des Pilatus gehorte, ergibt fich auch aus Ant. 18, 4, 1.
7 ) Vgl. Ant. 18, 1, 1: sis rrjv *Iovdaitv 7tQo69^xrjv rfj<; 2vpia,? ytvoftevqv.
Auch Tac. ann. 12, 23 fagt von der Zeit des Claudius: Ituraei et Judaet
defunctis regibus Sohaemo atque Agrippa provinciae Syriae additi.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 163
der durch die religiofen Eigentumlichkeiten der Juden be-
Jonders fchwierigen Verhaltnifie Palaftinas, dem Statthalter
von Syrien das Recht zuftand, bei 'aufjerordentlichen Anlafjen,
wie fie eben bei den fo fchwer zu regierenden Juden leichter
als anderswo entftehen konnten, einzugreifen. 1 )
Von derartigen aujserordentlichen Fallen abgefehen, wurde ttber proku-
Palaftina wie jede prokuratorifche Provinz verwaltet. Augustus ratorifche
hatte im Jahre 27 v. Chr. die Provinzen eingeteilt in impe-
ratorifche, weldie eine militarifche Befafjung erforderten und
deren Statthalter von ihm felbft ernannt wurden, und in fena-
torifche, weldie als beruhigt galten und deren Statthalter vom
Senat ernannt wurden. Die kaiferlidien Provinzen verwaltete
er durch Stellvertreter, welche, feitdem er im Jahre 23 v. Chr.
felbft die prokonfularifche Gewalt iiber die Provinzen erhalten
hatte, Legaten hiefcen und in {einem Namen die prokonsu-
larifche Macht ausubten. Die[e Legaten hie&en in den grofceren
und wichtigeren Provinzen legati Augufti pro praetore
J ) So i(t wohl Ant. 18, 1, 1 (f. vorige Anm.) wie Ant. 17, 13, 5
v /o'(a? vnorshtvi; TTgoGvepri&ti'iqs rfj SVQMV" ZU erklaren. VitelliuS
hat als Statthalter von Syrien eine judifche Befchwerde gegen Pilatus
angenommen und ihn abgeje^t (Ant. 18, 4, 2). Gewijg mag er das kraft
feines augerordentlidien Imperium fiber die benachbarteh Provinzen, wo-
von Tacitus Ann. 6, 32: cunctis quae apud orientem parabantur L. Vi-
tellium (Tiberius) praefecit fpricht, getan haben, wenn fich diejes Imperium
nicht blog auf die Ordnung der parthifch-armenifchen Schwierigkeiten be-
zog. Von Petronius, der ebenfalls in die Verhaltniffe Judaas eingriff
(vgl. Ant. 18, 8, 2-9. B. J. 2, 10, 15), ift es bekannt, dafj er im be-
{ondern Auftrag des Caligula handelte; vgl. Mommfen, RG, V, 509, 1.
Audi kann nichts Be[timmtes aus dem Urteil des Statthalters Ummidius
Ouadratus fiber die judifdien Prokuratoren Felix und Cumanus gefolgert
werden, da Quadratus fur diefen beftimmten Fall das jus statuendi etiam
de procuratoribus erhalten hatte (Tac. ann. 12, 54). Allein es beftand
doch ein engeres Verhaltnis zwifchen Judaa und Syrien als zwijchen den
prokuratorifchen Provinzen im Abendland und den an fie angrenzenden,
wie Hirfchfeld, Die kaiferl. Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian 2 ,
B. 1905, S. 407 f. fagt. Denn audi der Statthalter Caflius Longinus ift
unter Claudius mit Truppen in Jerufalem und geftattet mit dem judifdien
Prokurator, eine judifche Gefandtfdiaft an den Kaifer zu fenden (Ant. 20,
1, 1). Unter Nero kommt Ceftius Gallus zunachft zur Befdiwichtigung
des Volkes nach Jerufalem (B. J. 2, 14, 3) und an ihn bringen nadi
feiner Ruckkehr nach Syrien die Juden und der Prokurator ihre Be-
fchwerden, woraufhin er zunachft einen Tribun nach Jerufalem fendet, da-
mit der ihm Bericht erftatte (B. J. 2, 16, 1).
11*
164 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
xal dvTiGiQdTqyoi TOV Stficunov}, in den kleincren, in welchen
nur eine Legion [land, legati praetorii (nQtofievTal GTQCIJ^-
ytxof). 1 ) Allein es gab aiich kaiferliche Provinzen, deren
Verhaltniffe entweder wie bei Noricum und Rhatien in den
Alpen durch die Bodenbefchaffenheit, oder wie in Thrazien
und Mauretanien durch den Kulturzuftand der Bewohner, oder
wie in Agypten durch eine ftarre eigentumliche Kultur fo
eigentumliche waren, daft die Einfiihrung der gewohnlichen
romifchen Provinzialverwaltung nicht oder noch nicht tunlich
war. 2 ) Deshalb wurden fie Mr fich behandelt und nicht durch
Prokonfuln und Legaten, fondern durch Statthalter aus dem
Ritterftand verwaltet, welche in der er[ten Kaiferzeit nicht
blofe in Agypten, fondern auch fonft den Titel praefectus
fuhrten. 3 ) Sie waren aber wie Vizekonige wirkliche Statt-
halter, deren Amtsdauer vom Willen des Kaifers abhing, bei
feinem Tode aber von felbft erlofch. 4 )
Der Titel per Statthalter von Judaa fiihrte, wenn nicht von An-
Prokurator. fjyig ^n, j dodl j e denfalls fchon unter Claudius den Titel
Prokurator, 5 ) Landpfleger, ein Titel, der auch den fpwohl
in den imperatorifchen wie den fenatorifchen Provinzen fich
findenden hochften kaiferlichen Finanzbeamten gegeben wird, 6 )
. *) Vgl. Marquardt RStV 1, 548 ff.
2 ) Tac. Hist. 1, 11: duae Mauritaniae, Raetia, Noricum, Thracia et
quae aliae procuratoribus cohibentur.
3 ) Vgl. Mommfen RStR 3, 554 ff.; Hirfchfeld S. 382.
4 ) Mommjen 1. c. 2, 259; Marquardt RStV 1, 554 f.
5 ) 'EnirQonnq. Vgl. den Erlag an die Juden bei Jof. Ant. 20, 1, 2.
Man follte annehmen, dag nach der Analogic von Agypten und der iibrigen
Ritterprovinzen auch in Judaa der Statthalter urfprunglich praefectus
genannt worden jei (vgl. Hirjchfeld, S. 385). Immerhin nennt Tac. ann.
15, 44 den Pilatus procurator. Jofephus braucht oft inlrgonoc; (pro-
curator) vgl. Ant. 20, 6, 2; B. J. 2, 8, 1; 9, 2; 11, 6; 12, 8; bisweilen
aber e^ra^o? (Ant. 18, 2, 2; 19, 9, 2; 20, 9, 1. B. J. 6, 5, 3) oder
yyeftwv = praeses (Ant. 18, 3, 1; 18, 1, 1 fteht yyytiotievoc, 20, 7, 1
7T(joSTij<softtvo/; und an einer Stelle Ant. 18, 4, 2 e^^e^tTf?). Die Evan-
gelien und die Apg. nennen den Statthalter von Judaa aber flets jye/to>v,
entfprechend dem lateinifchen praeses. In der Heil. Schrift Apg. 23, 26.
24, 3. 26, 25 findet fich fur den Prokurator von Judaa die .Anrede
x^a'rttfro?., welches unferem ,,Exzellenz" entfpricht. Auch fur die Pro-
konfuln Afiens ift diefer Titel nachgewiefen. Vgl. W. H. Waddington,
Pastes des prov. Asiat. 210. 213. 225.
c ) S. unten fiber die romifche Provinzialverwaltung.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 4.1 n. Chr. 165
obwohl die Prokuratoren von Judaa durchaus nicht blofce
kaiferliche Finanzbeamte waren.
Der Landpfleger von Judaa refidierte in Cafarea. 1 ) Dort Re[idenzder
war fein Pratorium, wie man die Wohnung eines Statthalters Landpfleger
nannte, der von Herodes erbaute Palaft. 2 ) Kam er bei be- von Judaa -
fonderen Veranlaffungeh nadi Jerufalem, fo wohnte er dort
entweder in dem Konigspalaft des Herodes in der Oberftadt
oder in der Burg Antonia. 3 ) Als Landpfleger hatte er audi
den Oberbefehl iiber die in Palaftina fiationierten Truppen,
hatte die Oberverwaltung, wozu die Einziehung der Steuern
gehorte, und die oberfte Zivil- und Kriminaljurisdiktion.
Legionstruppen ftanden dem Landpfleger zwar nicht zur Die Truppen
Verfiigung, 4 ) aber doch Hilfstruppen, welche meift aus Sama- desLand-
ritern und fyrifchen Griechen beftanden. 5 ) In Cafarea lagen P fle g" ers von
In d jip
wenigftens feit dem Tcde des Agrippa funf Kohorten Fug-
volk und eine Reiterabteilung, 6 ) von denen die erfteren wie
oft je 600, letjtere 120 Mann ftark gewefen fein durften. 7 )
Eine diefer Kohorten hie)5 um das Jahr 40 die italifche, 8 )
wohl weil fie mehrere aus Italien ftammende Freiwillige
hatte oder ihre Offiziere von dort ftammten. Ob fie mit der
zur Zeit des Apoftels Paulus erwahnten den Ehrennamen
,,die auguftanifche" fiihrenden Kohorte 9 ) identifch war, weig
man nicht. Auch in Jerufalem und zwar auf der Burg An-
tonia lag eine von einem Tribunen befehligte Kohorte, 10 )
wozu wie ublich auch eine Reiterabteilung gehorte. 11 ) Da
} ) Vgl. z. B. Ant. 18, 3, I. B. J. 2, 9, 2. Tac. Hist. 2, 78: Caesa-
ream . . . Judaeae captrt.
2 ) Apg. 22, ,35. '
3 ) S. o. S. 69.
*) Eine rOmifche Legion wurde erft nach dem jiidifchen Kriege in
Palaftina ftationiert. S. unten.
5 ) Ant. 20, 8, 7. B. J. 2, 13, 7. Vgl. Mommfen, RQ V. 510.
6 ) Vgl. Ant. 19, 9, 1-2; 20, 6, 1. B. J. 2, 12, 5; B. J. 3, 4, 2.
') S. unten Qber das romifche Heerwefen.
8 ) Apg. 10, 1.
) Apg. 27, 1. 6nflQn Stpaarrj = cohors Augufta (Vulg.).
10 ) Apg. 21, 31-37; 22, 24 ff.; 23, 10, 15 ff.; 24, 7, 22. Vgl. auch
Jof. B. J. 5, 5, 8 xa&ijdTH yctf) del tn 'avrrji; ray no. [== Cohorte wie Ant.
20, 6, 1 U. fonft.] 'Pufiaiow.
") Apg. 23, 23 u. Felten, Apg. 418 f.
166 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
auch in den fonftigen feften Platen des Landes fidi kleinere
Truppenabteilungen befanden, 1 ) ift felbftverftandlich.
Die in der Die Steuern wurden in den prokuratorifchen Provinzen
Provinz j er Kaiferzeit nicht durch einen Quaftor bezw. kaiferlichen
judaa erho- p ro kurator wie in den fenatorifchen bezw. kaiferlichen Pro-
steuern vnizen fondern durch den Landpfleger felber verwaltet, der
fich aber bei der Eintreibung derfelben der einheimifchen
Behorden zu bedienen pflegte. Die{e Steuern beftanden in
der erften Kaiferzeit aus der Grund- Oder Bodenfteuer und
der fogen. Kopffteuer, einer ficb nach der Hohe des Einkom-
mens richtenden Vermogensfteuer. 2 ) Dag die Steuern in
Syrien und Judaa driickend waren, lehrt das Bemuhen der
beiden Provinzen, im Jahre 17 n. Chr. eine Verminderung
der Steuern wegen ihres Druckes zu erlangen. 3 )
Die Zolle. Neben diefen direkten Steuern liefen die Zolle, wozu
namentlich die Abgaben von den ins Land eingefuhrten
Waren, das Wegegeld u. a. gehorten. Solche Zolle wurden
z. B. an der Oftgrenze Judaas nach Peraa bin zu Jericho
erhoben 4 ) und in ahnlicher Weife von dem Vierfurften Anti-
pas von Galilaa bei Kapharnaum ebenfalls nahe der Grenze. 5 )
Die mit der Erhebung diefer oder auch der Kommunalzolle
befchaftigten Perfonen heifeen in der Heiligen Schriit Zollner
Awveu, publicani. Zur Zeit der Ptolemaerherrfchaft in Pala-
ftina waren dafelbft die Abgaben jeder Stadt Jahr ffir Jahr
an den Meiftbietenden verpachtet worden. 6 ) Damals hiegen
folche Pachter ,,Z6Uner". Dasfelbe Syftem beftand zur Zeit
der Republik auch in Rom, infofern als die famtlichen Zolle
einer Provinz an einzelne oder mehrere romifche Ritter ge-
wohnlich auf fiinf Jahre verpachtet wurden, die ihrerfeits
z. B. an den Provinzial-Zollftatten Erhebungsbeamte (ex-
actores, portitores) anftellten und felbftverftandlidi auf Gewinn
') Fur den Anfang des jQdifchen Krieges s. B. J. 2, 18, 6; 3, 7,32.
Vita 24.
2 ) S. unten iiber die rOmifche Provinzialverwaltung.
3 ) Tac. ann. 2, 42.
') Luc. 19, 1 f.
6 ) Matth. 9, 9. Marc. 2, 14. Luc. 5, 27. Romifche Burger genoffen
in den von den Romern als autonom anerkannten Staaten und Stadten
Zollfreiheit. Liv. 38, 44. Vgl. Mommfen, Rom. Staatsrecht III, 1, 697.
6 ) Ant. 12, 4, 15.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 167
hofften. 1 ) In der romifchen Kaiferzeit beftand diefe Sitte zwar
nicht mehr fur die direkten Steuern, wohl aber nodi fur die
Zolle der romifchen Provinzen. 2 ) Somit wurden damals audi
nodi die Zolle von Judaa in diefer Weife verwaltet, und die
Erhebung gefchah entweder durdi Beamte des Generalpach-
ters oder, wenn auch diefer weiter verpachtet hatte, feiner
Unterpachter. In letjtefem Falle waren nodi mehr Leute,
die profitieren wollten, und es ift nidit zu verwundern, dag
das ganze Syftem auf Bedriickung und widerrechtliche Er-
preffung hinauslief. Denn wenn es auch Tarife gab, 3 ) [o
waren dadurch Ubervorteilungen und Willkurlichkeiten der
Zollbeamten, z. B. bei der Berechnung der Abgaben nach
dem Werte der Waren, nicht unmoglich gemacht, und es war
nicht jedermanns Sadie, einen oft recht fchwierigen und koft-
fpieligen Prozefc dieferhalb gegen die Zollpachter durchzu-
fuhren. Ahnlich wie in Judaa wird fich die Sadie auch in
den Landern der Herodaer Antipas und Philippus verhalten
haben/) da fie ja durch die ptolemaifche und romifche Sitte
in diejer Hinficht beeinflufet werden mufcten. Das Sy[tem der
Verpachtung der Zolle mit all feinen iiblen Einwirkungen auf
den Charakter derer, die [ich als Beamte fo oft mit diefen
Erpreffungen abgaben, madi-t.es verftandlich, dag im Neuen
Teftamente Zollner mit Sundern, Huren und Heiden zu-
fammengeftellt find, 5 ) und man verfteht die Bedeutung der
Mahnung des Taufers an die Zollner: ,,Fordert nicht mehr,
als was euch feftgefetjt ift." 6 )
') Vgl. z. B. Cic. pro Cn. Plancio 9.; ad Quint, fratr. 1, 1, 11. Tac.
ann. 4, 6. 13, 50; Germ. 29. Dio Cass. 42, 6.
'0 Marquardt RStV 2, 302 f. Vgl. unten.
3 ) Vgl. den aus der Zeit Hadrians ftammenden Zolltarif von Palmyra
in der Ausg. von Reckendorf ZDMG 188S, S. 370-415 und dazu Ro-
ftowzew, Gefch. der Staatspacht in der romifchen Kaiferzeit. Philologus
Suppl. IX, 3, S. 406, wonach die Stadt die Abgaben nicht blofc fur fich,
fondern auch fur den Fiskus einzog und dabei von kaiferlichen Beamten
unterflutjt oder beauffichtigt wurde.
Schurer I, 478.
6 ) Matth. 9, 10 f.; 11, 19. Luc. 5, 30; 7, 34. Matth. 21, 31 f.
Matth. 18, 17. Die ebenfalls den ZOllnern fehr ungunftigen Urteile der
rabbin. Literatur vgl. z. B. in Lightfoot, Horae Hebr. (Opera II , Ultra-
jecti 1699), p. 295 sq., 344, 502, 555.
6 ) Luc. 3, 13.
168 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Sonftige Ab- Auger den erwahnten Steuern und Zollen gab es auch
gaben. n och befondere Abgaben, z. B. in Jerufalem den von Hero-
des eingefuhrten 1 ) und erft von Vitellius im Jahre 36 ab-
gefchafften 2 ) Marktzoll, und eine noch unter Agrippa I. exi-
ftierende Hauferfteuer. 3 ) Endlidi mugten die Juden auch die
Tempelfteuer zahlen, welche zur Zeit Chrifti eine Doppel-
drachme (ungefahr 1 Mk. 32 Pfg.) betrug. 4 )
DieRechts- Wie uberhaupt den kaiferlichen Statthaltern der Provin-
pfiege in der ze n die oberfte Gerichtsbarkeit zuftand, fo auch der Blutbann,
Provinz das Recht flber Leben und Tod der Provinzialen. 5 ) In Judaa
] udaa
haben allerdings die Romer fowohl die lokalen Gerichte
wie den Hohen Rat 6 ) beftehen laffen, allein dag der Land-
pfleger von Judaa felbft auch gerichtliche Entfcheidungen
fallte 7 ) und Jein Recht fiber Leben und Tod von den Juden
felbft anerkannt wurde, 8 ) wiffen wir aus der Heiligen Schrift
und wird durch Jofephus beftatigt 9 ) Hier finden wir auch,
wie es iiberhaupt der Gewohnheit entfprach, da vom Statt-
halter gefallte Oder vollzogene Todesurteile durch Soldaten
ausgefiihrt wurden. 10 )
Riickficht- Das Volk mufete den Kaijern Treue geloben, 11 ) diefe aber
nahme der juchten ihrerfeits das Volk zu gewinnen, indem z. B. Augu-
Romer auf ^ die ftaiferin Livia 12 ) und andere Mitglieder des kaifer-
lichen Haufes 13 ) Weihegefchenke an den Tempel fandten und
Juden. a ) S. o. S. 135.
2 ) Ant. 17, 8, 4; 18, 4, 3.
3 ) Ant. 19, 6, 3.
*) Matth. 17, 23. Vgl unten.
5 ) Vgl. Marquardt, RStV 1, 556 f.; fiber die Rechtfprechung der
Statthalter uberhaupt f. Mommfen, RStR 2, 267 ff. und 967 ff.
6 ) Ober beide f. unten. .
7 ) Apg. 25, 12 zeigt, dag er fich dabei eines Rates von Beifitjern
bediente
s ) Job. 18, 31.
9 ) B. J. 2, 8, 1.
10 ) Bei der Kreuzigung Jefu find Soldaten 6tQo.Ti.Mrai, (vg\. Matth.
27, 27; Marc. 15, 16; Luc. 23, 36; Job. 1.9, 2. 23 f. 32, 34) unter einem
Centurio (Marc. 15, 39. 44 f.; Matth. 27, 54; Luc. 23, 47) tatig.
11 ) Vgl. Ant. 18, 5, 3 beim Regierungsantritt des Claudius.
) B. J. 5, 13, 6 (Weinkruge) und Philo, Leg. ad Caium 23 u. 40.
") Cber Marcus Agrippa cf. Philo 1. c. 37. Diejer Schwiegerfohn des
Auguftus lieg audi Opfer im Tempel darbringen (Ant. 16, 2, 1), ebenfo
Vitellius (Ant. 18, 5, 3.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 169
Auguftus beftimmte, dag taglich auf Koften des Kaifers ,,ftir
den Kaifer und das romifche Volk" ein Rind und zwei Lammer
geopfert wurden. 2 ) Audi wurden dem Anfcheine nadi wegen
der judifchen Bilderfcheu auf den in Judaa gepragten Munzen
nicht wie fonft der Kopf des Kaifers gepragt, 2 ) wie auch die
romifchen Soldaten, wenn fie nach Jerufalem zogen, die fonft
an den Feldzeichen in Form von Medaillons angebrachten
Kaiferbilder nicht mitnahmen. 3 ) Daft daneben zahlreidie Mifr-
griffe, Willkiirlidhkeiten und Rechtsverletjungen der romifchen
Prokuratoren liefen, konnten die oberften romifchen Behorden
kaum verhindern. So z. B. wurde das Feftkleid des Hohen-
priefters, welches unter den Hasmonaern und Herodes in
der Burg Antonia verwahrt wurde, auch von den Romern
dort verwahrt und nur an den drei Hauptfeften und am Ver-
fohnungstage zur Benutjung ausgeliefert, bis der Statthalter
von Syrien, Vitellius, im Jahre 36 auf Bitten der Juden und
mit Erlaubnis des Kaifers es ihnen zuftellte. 4 ) Aber gleich
der erfte Prokurator nach Agrippa I. Heft es auf Befehl des
Kaifers Claudius von neuem auf die Antonia bringen, bis
der Kaifer auf Verwendung des jiingeren Agrippa einer
judifchen Gefandtfchaft die fruhere Anordnung des Vitellius
wieder beftatigte. 5 )
Der erfte von Auguftus gefandte romifche Landpfleger
von Judaa war der romifche Ritter Coponius, welcher fein Landpfleger
Amt im Jahre 6 antrat. Coponius.
Zugleich mit ihm war Quirinius 6 ) dorthin gekommen, um Aufftand
eine Einfchatjung des Vermogens in der fruheren Eparchie infoige der
J) Philo 1. c. 23 und 40. Jof. B. J. 2, 17, 2-4. Auch B. J. 2, 10, 4 Scha ^ un ^ des
erwahnt er das Opfer fur den Kaifer, fagt aber nicht, wer die Koften y uirimus -
beftritt; c. Apion. 2, 6 behauptet er aber, das Opfer ware auf Koften des
judifchen Volkes dargebracht worden. Vermutlich wurden, wie Ed. Meyer,
Die Entftehung des Judentums, Halle 1896, S. 53 f., meint, die Koften
aus den judifchen Steuern an den rOmifchen Fiskus beftritten.
2 ) Vgl. Levy, Gefch. d. jfld. Munzen, S. 74-79. De Saulcy, Numis-
matique de la terre sainte. P. 1874, p. 6978. Plate III -IV. Madden,
Coins, p. 170187. Gold- und Silbermunzen wurden nicht in Judaa ge-
pragt, kurfierten aber dort und trugen das Bild des Kaifers. S. Matth.
22, 20. Me. 12, 16. Luc. 20, 24.
3 ) Vgl. Ant. 18, 5, 3.
*) Ant. 15, 11, 4; 18, 4, 3.
5 ) Ant. 20, 1, 1-2.
6 ) S. o. S. 142 f.
170 Erfter Abfdmitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
des Archelaus vorzunehmen und fiber de[fen Privatvermogen
zu verfugen. Seine Bemuhungen wurden von dem friiher
von Archelaus abgef etjten *) Hohenpriefter Joazar, der nun
wieder in den faktifchen Befitj des Hohenprieftertums ge-
kommen war, unterftutjt. 2 ) Es waren auch nicht religiofe,
aus dem Gefets herriihrende Griinde, fondern patriotifche, 3 )
welche den Schriftgelehrten Judas, einen aus Gamala Itam-
menden Gaulaniter, und den Pharifaer Sadduk veranlafcten,
ihre Landsleute wegen ihrer Unterwurfigkeit gegen die Romer
zu fchmahen, da die Scha^ung offenbar eine Knechtung mit
fidi braehte, und viele zum Aufruhr zu bewegen. Der Auf-
[tand verlief ungliicklich, Judas felbft kam um und alle feine
Anhanger wurden zerftreut. 4 ) Trotjdem blieb fein Geift lebendig
bis zum Untergang des Volkes. Denn gerade diefer Auf-
ftand fuhrte zur Bildung der fpater Zeloten und dann Sika-
rier genannten Partei, welche in fonftigen Dingen mit den
Pharifaern uberein[timmend, ,,Gott allein als Herrn und Konig
anerkannten" und bei der Vertretung diefes Grundfatjes jede
Todesart und auch den Tod ihrer Freunde und -Verwandten
fur nichts achteten. 5 ) Die Hauptkampfer und Vorkampfer im
Kampfe gegen Rom waren aber immer Judas' des Galilaers 6 )
Sohne 7 ) und Verwandte, und es war einer von diefen Ver-
wandten, Eleazar, der fchliejglich nodi allein in Judaa gegen
') S. o. S. 161.
2 ) Ant. 18, 1, 1.
3 ) Trotjdem Ant. 18, 1, 1 u. 6, B. J. 2, 17, 8 dies ausdrucklidi "
fagen, hat man neuerdings meift nur religiofe Grunde annehmen wollen.
Das Richtige hat Wellhaufen, Ifrael. und jud. Gefchichte. B. 1894, S. 299.
*) B. J. 2, 17, 8; 2, 8, 1; 7, 8, 1. Apg. 5, 37 in der Rede des
Gamaliel.
5 ) Ant. 18, 1, 6. B. J. 2, 17, 8.
6 ) Jof. nennt ihn Ant. 18, 1, 1 einen Gaulaniter aus Gamala, aber
Ant. 18, 1, 6; 20, 5, 2; B. J. 2, 8, 1 ; 17, 8 den Galilaer. Beides ift
richtig, da Gamala zwar geographifch zu Gaulanitis, politifch aber zu
Galilaa gehcirte. In meiner Apg. S. 135 habe ich gefagt, Galilaa (ei der
Schaupla^ [einer Tatigkeit gewefen. Das kann aber nicht richtig fein,
weil fich die damalige Schaljung gar nicht auf Galilaa bezog.
7 ) Ant. 20, 5, 2 (Jakob und Simon wegen Aufruhrs von Tiberius
Alexander gekreuzigt) und B. J. 2, 17, 8 f. Vita c. 5 (Manahem im
Jahre 66 ein Ffihrer der Emporer).
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 171
Rom kampfte und nodi im Tode im brennenden Palafte der
Burg Mafada den Romern Bewunderung abzwang. 1 )
Aus der Verwaltung des Coponius ift nur. bekannt, daft
der Hag zwifchen Samaritanern und Juden dadurch neu auf-
flammte, dag wahrend des Ofterfeftes in der erften Nadit
Samariter in den Tempelhallen Menfchengebeine zerftreuten,
durdi weldie Verunreinigung alle vom Tempel abgehalten
wurden. Auf Coponius folgte zuerft M. Ambivius, dann
Annius Rufus. Letjterer war nodi im Amte, als Auguftus im
Jahre 14 n. Chr. ftarb. 2 )
Tiberius pflegte die Perfonen, denen er ein Amt fiber- Der Land-
tragen hatte, moglidift lange in demfelben zu laffen, weil pfiegerVa-
er glaubte, je kurzer jemand meine ein Amt bekleiden zu lenus Qratus
konrien, dejto mehr werde ihn die Habfudit verleiten, die '
.
Vermogenden zu plundern. Verfdieudie man die Fliegen,
die fidi bereits am Korper eines hilflofen Verwundeten ziem-
lidi vollgefogen hatten, Jo kamen neue hungrigere, die ihn
ganz ausfaugen wiirden. 3 ) Deshalb hat er audi nur zwei
Prokuratoren von Judaa eingefetjt, den Valerius Gratus und
den Pontius Pilatus.
Valerius Gratus blieb elf Jahre im Amte, 4 ) d. h. vom
Jahre 1526 n Chr. 5 ) Er fe^te bald nadi feiner Ankunft,
alfowohl nodi im Jahre 15, den Hohenpriefter Ananus oder
Annas ab und fetjte nidit weniger als vier Hoheprie[ter ein,
zuletjt den Sdiwiegerfohn des Annas, den Kaiphas. 6 ) Gut
haben es audi fonft die Juden unter ihm nicht gehabt. Denn
unter ihm baten die Juden im Jahre 17 den Kaifer um Er-
leichterung ihrer Abgaben. 7 ) Ja, im Jahre 19 n. Chr. ver-
trieb Tiberius, weil einige Juden zu Rom eine vornehme
) B. J. 7, 8, 1-9, 2. Vgl. 2, 17, 9.
*) Ant. 18, 2, 2. Auguftus pflegte nach Dio Cass. 52, 23 die Pro-
pratoren wenigftens drei Jahre im Amte zu laffen. Handelte er bei der
Einfetjung der Prokuratoren ahnlich, fo blieb Coponius etwa von 6-9,
M. Ambivius (Niefe nennt ihn Ambibulus) von 9-12, Rufus von 1215
im Amte.
3 ) Tac. ann. 1, 80. 4, 6. Jof. Ant. 18, 6, 5.
*) Ant. 18, 2, 2.
5 ) 1m Jahre 26 wurde Pilatus fein Naehfolger.
6 ) Ant. 18, 2, 2.
7 ) S. o. S. 166.
172 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Dame namens Fulvia, die Gemahlin des Senators Saturninus,
zur Annahme des Mofaismus bewogen und hierauf ihre an
den Tempel gefendeten Schatje von Purpur und Gold fiir
fich behalten batten, die Juden aus Rom und Italien. 1 ) Denn
das Beifpiel der Herren findet bei den Dienern Nachahmung.
Pontius Pila- Pontius Pilatus 2 ) ift zehn Jahre lang 3 ) vom Jahre 26 36 4 )
tus (26-36 Landpfleger gewefen. Vermutlich gehorte er der alten famni-
n - Chr -)- tifehen Familie der Pontier, die fidi in den Kampfen der Sam-
niter gegen die Romer ausgezeichnet hatte, und aus der fo-
wohl unter Tiberius wie unter Nero einzelne das Konfulat
erlangten, an. 5 ) Dann ware er nicht wie manche Sohne
reichgewordener Freigelaffenen durch Gliicksfall, fondern von
Geblut Ritter gewefen. 6 ) Daraus, daft die Juden ihm den
Titel ,,Freund des Kaifers" gaben, 7 ) folgt dies nodi nicht, da
derfelbe alien hoffahigen Perfonen gegeben wurde. 8 ) Seine
Frau hatte ihn nach Judaa begleitet, wie denn fchon feit
Augustus das alte Gefetj, welches den Frauen der Statth alter
verbot, ihre Manner in die Provinzen zu begleiten, nicht
mehr in Obung war. 9 ) '
') Ant. 18, 3, 5. Tac. Ann. 2, 85. Ober den judenfeindlichen Ein-
flug des Minifters Sejanus \. u. S. 173, 1 u. Kap. 7.
2 ) Vgl. u. a. Guftav Adolf Miiller, Pontius Pilatus, der fiinfte Pro-
kufator von Judaa und Richter Jefu von Nazareth, Stuttg. 1888. H. Kell-
ner, Pilatus im Freib. KL. 10, 15. M. J. Ollivier, Ponce Pilate et les
Pontii Rb. V (1896), p. 247-254; 594-600. Herm. Peter, Pontius Pi-
latus, der r6m. Landpfleger in Judaa in N. Jahrb. f. d. Waff. Altert. 1907
(10. Jahrg. Bd. XIX u. XX) I, 1-40.
3 ) Ant. 18, 4, 2.
*) Er wurde abgefetjt (Ant. 18, 4 2), ehe Vitellius zum erftenmal
nach Jerusalem kam, kurzvor Oftern, wie es fcheint, des Jahres 36 (Ant.
18, 4, 3; vgl. 18, 5, 3). Da nun Pilatus erft in Rom ankam, als Tiberius
{chon geftorben war (Ant. 18, 4, 2) er ftarb aber im Marz 37 ift er
entweder nicht gleich nach feiner Abfetjung (falls diefe in den Anfang 36
fallt) abgereift, oder die Abfetjung erfolgte erft zu Ende des Jahres 36,
in welchem Falle der Bericht des Jofephus (Ant. 18, 4, 2 mit 3) ungenau
und das Ant. 18, 4, 3 erwahnte Ofterfeft mit dem 1. c. 5, 3 erwahnten
identifch und das Ofterfeft 37 ift.
5 ) Vgl. Mommfen RG I, 368 f., 384; II, 331, 333. Ollivier, p. 252 ss.
6 ) Tac. ann. 15, 44 fagt nicht von ihm wie von Felix (ann. 12, 54;
h. 5, 9), dafj er ein Emporkommling war.
7 ) Joh. 19, 12.
8 ) Mommfen RStR 2, 2, 834 f. 3, 556.
9 ) Tac. ann. 3, 33 sq. Die Frau heijgt in den Apokryphen (fiehe
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 173
Schon die Ernennung des Pilatus zur Zeit, als der Ju- Charakter
denfeind Sejanus bei Tiberius einflufcreich war, 1 ) lafct bei de s Pilatus.
ihm auf kein befonderes Wohlwollen fiir die Juden fchliefcen.
Der wohlunterrichtete Herodes Agrippa I, nennt in einem
Briefe an Caligula 2 ) den Prokurator von Juda'a, 3 ) Pilatus, ,,un-
beugfam, rtickfichtslos und ftarrfinnig" und wirft ihm ,,Beftech-
lichkeit, ubermutige Gewalttatigkeit, Raubereien, Mifchandlun-
gen, Kra'nkungen, dicht aufeinanderfolgende Hinrichtungen
ohne Urteilsfpruch, fortdauernde, kaum zu ertragende Grau-
famkeit" vor. Dem entfpricht das uns fonft von ihm Be-
richtete. Er war der erfte Prokurator, der die Truppen bei Er lagt die
Naeht in Jerufalem mit den Kaiferbildern einrucken liefc. Auf Truppen mit
die Bitten der nach Caefarea geeilten Juden, die Bilder denKaifer-
wieder zu entfernen, drohte er, fie, wenn fie die Bilder nicht bi ^ ^
aufnahmen, alle niederzume^eln. Sie aber warfen fidi in Z j e h e n
der grojjen Rennbahn zu Caefarea, wo der Landpfleger fie
eingefchloffen hatte, auf die Erde, entblofcten ihren Nacken
Acta Pilati Graece B. cap. 4 bei Tifchendorf, Evang. apocr. 2 L. 1876,
p. 296 I/eo'xAa; ebenfo in dem Briefwechfel des Pil. und Herodes, ed.
James, Apocrypha Anecdota, Second Series (Texts and Studies V, 1,
p. 65 ff.) und bei Jpateren Kirehenfdirift[tellern (Joa. Malalae Chronogr.
1. .10 Migne PP. Gr. 97, 369; Nicephori Callisti E. H. 1, 30) Procula,
gr. JlgnxXa und wird in dem fehr unzuverlaffigen fog. Ghronicon Dexters
(bei Migne PPL. 31, 70) mit der 2 Tim. 4, 21 genannten romifchen Chri-
ftin Claudia identifiziert. Nach den apokryphen Acta Pilati Graece A.
cap. 2 (bei Tifchendorf 1. c. p. 223) ware fie eine judifche Profelytin gewefen.
Origenes (Comm. in Matth. n. 122 ed. Lommatjfch V, 37) la'gt die Rich-
tigkeit der Behauptung apokr. Schriften, fie fei Chriftin geworden, dahin-
geftellt fein. Sie {tent aber wie auch Pilatus im athiop. Heiligenkalender
am 25. ;(19.) Juni. Vgl. Ludolfi, Ad suam hist. Aethiopicam Comm.
Francofurti ad Moen. 1691, p. 419. 433. Ollivier, p. 252 weift auf das
fonderbare Zufammentreffen der Namen Cajus Pontius Nigrinus und
Cnejus Acerronius .Proculus als Konfuln am Ende der Regierungszeit
des Tiberius hin.
J ) Sejanus war Minifter vom Jahre 23 bis zum 18. Oktober 31 n. Chr.
Philo Leg. ad Caj. 24 fagt, dag er auf den Tiberius zuungun[ten der
Juden eingewirkt habe.
2 ) Philo, Leg. ad Caj. 38.
3 ) IntTQonog -. . . rfj? 'Invdata? (1. c.) Es fei erwahnt, dag Tertull.
Apol. c. 21: ,,Pontio Pilato Syriae tune [im Todesjahre Jefu] ex parte
Romana procuranti" zu glauben fcheint, dag Judaa wie im dritten \o auch
im erften chriftlichen Jahrhundert mit Syrien eine Provinz gebildet habe.
174 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
und erklarten, lieber fterben als eine Ubertretung ihrer Gefet5e
zulaffen zu wollen. Jetjt erft gab er nach. 1 ) Spater rief er
neue Unruhen dadurch hervor, daft er mit den Geldern des
Tempelfchatjes eine Wafferleitung nach Jerusalem bauen wollte.
AndereVer- Jetjt liefc er aber die nach taufenden zahlende laut fchreiende
letjungen der Menge durch {eine Soldaten mit Knutteln auseinandertreiben,
Gefuhie der wo tj e j v j e j e verwundet und getotet wurden. 2 ) Immerhin war
Piiatus un ter Tiberius, der gerade auf die Verwaltung der Provinzen
grofee Sorgfalt verwandte, 3 ) nicht jede Willkiir moglich. So
z. B. hatte Piiatus in dem Palaft des Herodes zu Jerufalem
vergoldete Schilde mit dem Namen- des Kaifers angebracht,
,,um das Volk zu betrfiben", und [ich auch nicht durch die
Bitten der vier Sohne des alten Herodes zur Wegnahme
bewegen laffen, erhielt aber, als [ich die Juden an Tiberius
wandten, von diefern den Befehl, die Schilde im Auguftus-
tempel zu Cafarea aufzuhangen. 4 )
Augenfcheinlich war Jomit Piiatus ein Mann, der fich um
die religiofen Eigentumlichkeiten und Empfindlichkeiten der
Juden nicht kummerte und das Volk verachtete, ohne dafr
er deshalb z. B. fchlimmer als Gratus gewefen zu fein braucht.
Auch in den Evangelien erfcheint er als ein gewalttatiger
Mann, der eine Anzahl Galilaer, wahrend fie opferten, toten
liefe, 5 ) weshalb, ift unbekannt. Sie fchildern ihn als einen Feind
x ) Ant. 18, 3, 1. B. J. 2, 9, 2-3.
2 ) Ant. 18, 3, 2. B. J. 2, 9, 4. (Nadi er[terer Stelle follte die Lange
der Leitung 200, nach le^terer 400 Stadien betragen.)
3 ) Vgl. Schiller, Gefch. d. r6m. Kaiferzeit 1, 286 ff.
*) Philo, Leg. ad Caj 38. H Peter 1. c. S 11-15 halt die Be-
richte Philos und des Jofephus iiber Piiatus fiir parteilich und will S. 40
nur die Evangelien und deren Erganzung durch die allgemeinen ftaat-
lichen und religi&fen Verhaltniffe als zuveriaffige Zeugen anfehen. Denn
es erwecke von vornherein Argwohn gegen ihre Angaben, dag Tacitus
Hist. V, 9 ,,sub Tiberio quies" ausdrucklich fur die Regierung des Tiberius
Rune in Judaa bezeuge und fich nur der einzige Barabbas als ein wegen
Blutvergiegens bei einera Aufftand zum Tode Verurteilter im Gewahrfam
des Piiatus gefunden habe (Marc 15, 7). Dag Barabbas allein im Ge-
wahrfam gewefen, fteht nirgends und die Bemerkung des Tacitus ift
relativ zu verftehen. Die Echtheit des Briefes des Agrippa hat auch
Peter S. 7 nicht bezweifelt. Philo gibt aber nicht feine Anficht, fondern
die des Agrippa.
& ) Luc. 13, 1.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 175
des Herodes Antipas das war er wohl infolge des Eintre-
tens auch diefes Sohnes des Herodes in der Sache der Weihe-
fchilde der aber, um einer Verlegenheit zu entgehen, die-
fern eine Aufmerkfamkeit erweift. Diefer Verachter der Juden
gibt auch dort, tro^dem er von der Schuldlofigkeit Jefu uber-
zeugt ift, wie zu Cafarea fchliefjlich dem Anfturmen der Juden
nach, aus Furcht, nicht als Freund des Kaifers zu erfcheinen,
wenn er ihnen nicht willfahre. 1 )
Das Ende des Pilatus wurde durch eine Gewalttat gegen Die Gewaittat
die Samariter herbeigefuhrt. Diefe hatte .em Lugenmeifter, des Pilatus
der um jeden Preis Gunft beim Volke erwerben wollte, 2 )
vielleicht der bekannte Simon Magus, 3 ) im Jahre 35 n. Chr.
auf den Garizim berufen unter dem Vorgeben, er wolle ihnen
die heiligen Gerate zeigen, welche Mofes dort verborgen
habe. Wie es fcheint, kniipfte das Volk an diefe von ihm
geglaubte Verheifeung A ) allerhand meffianifche Hofmungen.
1 ) Die Naehridit Tertullians Apol. 21: ,,et omnia super Christo Pilatus
Caesari tune Tiberio nuntiavit" i[t nicht einfach als falfdi abzuweifen. Denn
auch Jof. Ant. 18, 8, 4 erwahnt einen Bericht des fyrifchen Statthalters
Petronius uber judifche Angelegenheiten. Ober die Verpflichtung der
rOmifchen Beamten, in der Kaiferzeit Protokolle zu fuhren, die dem Staats-
archiv des betreffenden Sprengels einverleibt wurden, f Mommfen, R5m.
Strafrecht, S. 514 ff Vgl. auch Justin M. Apol c 35 B xi ravra (uber
die Kreuzigung und das Lojen um den Rock des Herrn) on ylyove,
SvvaS&e paVeiv ex TMV FlovTinv IlildTHV yivofievaiv axrwv", Vgl. auch C. 48.
Wohl aber find fowohl der angebliche Brief des Pilatus an den Kaifer
Claudius (bei Tifchendorf, Evang. apocr. p 413-416; vgl auch eine
Epistola Pontii Pilati an den Kaifer Tiberius ebd. p. 433 sq.), wie die
fogen Acta Pilati und andere erft auf Qrund diefer aus dem vierten
oder funften Jahrhundert ftammenden fogen. Acta Pilati entftandenen ahn-
lichen Machwerke (bei Tifchendorf 1. c. p. 210 sqq.) apokryph. Vgl. u. a.
Edgar Hennecke, Handbuch zu den Neute[t Apokr., TQb. 1904, S 143-153,
wo auch S. 143 die ubrige Hauptliteratur angegeben ift
2 ) Ant. 18, 4, 1.
3 ) So Hausrath 1, 338 unter Berufung auf Apg. 8, 4 f. und die
Nachricht der clementin. Homilien 2, 22, wonach Simon Magus Jerufalem
leugne und den Qarizim aufrichte. Vgl. auch Felten, Apoftelg! S. 170.
*) Nach 2 Mace. 2, 4 ff. hat Jeremias das Zelt (,vgl. 3 KOn. 8, 4;
2 Par 5, 5) die Lade und den Rauchopferaltar auf dem Berge Nebo
verborgen und foil der Ort unbekannt bleiben, n bis Qott fein Volk fam-
meln und ihm gnadi j fein wird".
176 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Pilatus verbot aber die Wallfahrt. Jetjt 1 ) griffen die Sa-
mariter zu den Waffen; um, wie es fpater hiefc, vor den
ubermutigen Gewalttaten des Pilatus ficher zu fein, verfam-
melten fie fich in dem Flecken Tirathana und zogen immer mehr
Volk an fich, um in moglichft grower Anzahl den Berg zu
befteigen. Allein Pilatus befe^te die Wege zum Berge mit
Truppen und liefc die Samariter angreifen, wobei manche
niedergemaeht oder gefangen genommen wurden. Die vor-
nehmften derfelben wurden hingerichtet. Nun verklagte der
Landtag (n fiovlii) der Samariter den Pilatus wegen des Mor-
des der Ihrigen bei dem Statthalter von Syrien, Vitellius,
dem ihre Behauptung, fie batten keinen Abfall von Rom
beabfichtigt, um fo glaubhafter erfcheinen mufcte, weil die
Abfetjungdesbeften Hilfstruppen Palaftinas aus der Gegend von Samaria
Pilatus. kamen. 2 ) Deshalb befahl Vitellius dem Pilatus, naeh Rom
zu gehen, um fidi bei Tiberius zu verantworten. Ehe er
aber dort ankam, war Tiberius bereits geftorben. 3 )
') So fcheint Ant 18, 4, 1 mit der Entfchuldigungj der Samariter
(Ant. 18, 4, 2) zu vereinigen zu fein.
2 ) S. o. S. 165
3 ) S. o. S. 172, 4. In ,,Des hi. Irenaus Schrift zum Erweife der
apoftol. Verkundigung" in armen. Verjion entdeckt, herausg. u. ins Deutfche
uberjetjt vonKarapetTer-Mekertschian und Edw. Ter-Minassiantz. L. 1907,
Kap. 74 heigt ,,Pontius Pilatus, der Prokurator des Kaifers Claudius".
Dies erklart {ich daraus, dag Irenaus, weldier fur die Wirkfamkeit Jefu
viele Jahre annimmt, auf Grund von Joh 8, 57 den Tod Uefu in die
Regierungszeit des Claudius je^t. Nach Eufebius (der fich H E. 2, 7
dafur auf die griechifchen Annaliften, im Chron. ed Schoene II, 150 sq.
auf die romifchen Hiftoriker bezieht) endigte Pilatus durdi Selbftmord.
[Nach der aus dem 5. Jahrh. ftammenden riayddotii? ntidrov bei Tifchen-
dorf, 1. c. p. 449455 wurde er von Tiberius hingerichtet und ftarb als
reumutiger Chrift.] Die Sage hat (vgl. z. B. Jacobus de Voragine, Legenda
aurea, Rec. Graesse' 2 , L 1850, p. 234) hieran angeknxipft und berichtet, dag
der in die Tiber geworfene Leichnam des Pilatus furchtbare Gewitter und
Stiirme erregte. Deshalb brachte man ihn nach Vienne in Frankreich, wo
man ihn in die Rhone warf, dann naeh Laufanne, und weil er auch hier
keine Ruhe gab, in einen kleinen Alpenfee hoch oben am BergeFrakmund
gegenuber Luzern , der nun nach ihm Pilatus genannt worden fei. (Letj-
teres Wort ift keltifchen Urfprunges; ftammt von pila, pilat und piladr, die
alle drei Pfeiler bedeuten. Pilatus heifct [o viel wie der hone Berg,
der wie ein Pfeiler den Himmel tra'gt.) Hier fei endlich der .bofe Geift
des Pilatus durch einen Gei{terbefchworer bewogen worden, fich ruhig zu
verhalten. Vgl. z. B. Mors Pilati bei Tifchendorf, Ev. apocr. 456-458
und G. Miiller 48-54.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 177
Nach der Abfetjung des Pilatus beauftragte Vitellius einen
feiner Freunde, Marcellus, mit der Verwaltung Judaas. 1 ) Ver-
mutlich ift derfelbe audi von Caligula beftatigt worden und
bis zur Vereinigung der Provinz Judaa mit dem Reidie des
Herodes Agrippa I. im Jahre 41 Landpfleger geblieben.
Damals unter der Regierung des Caligula batten die Bedruckung
Juden fchlimme Tage, trotjdem des Kaifers vertrauter Freund der J uden
ein Herodaer war, Herodes Agrippa I., dem Caligula im u " ter
Jahre 37 die fruheren Tetrarchien des Philippus und des Ly-
fanias famt dem Konigstitel verlieheri hatte. Gerade das
Auftreten diefes neuen Konigs In Alexandrien auf der Reife
nach Palaftina und die larmenden Begru&ungen desfelben
durch die alexandrinifchen Juden gaben dort den nachften
Anlafc zu einer Verfolgung der Juden, die dadurch einen fur
fie unter Caligula befonders gefahrlichen Charakter annahm,
dafe die Judenfeinde mit Gewalt Kaiferbilder in den judifchen
Synagogen zu Alexandrien aufftellten. 2 ) Denn wahrend bis
dahin die Kaifer erft nach ihrem Tode durdi ein eigenes
Dekret ihres jeweiligen Nadifolgers und des Senates zu
Gottern erhoben worden waren, lebte Caligula fich ganz in
den Gedanken an feine Gottheit hinein und beanfpruchte
alien Ernftes gottlidie Verehrung. In Alexandrien ift auch erft
der Friede wieder durch Kaifer Claudius hergeftellt worden.
Allein auch Palaftina wurde in Mitleidenfchaft gezogen. Konfiikt in
Der Konfiikt entftand zuerft in der alten Philifterftadt Jamnia, Jamnia.
welche von Salome der Kaiferin Livia vermacht worden
war 3 ) und damals fur den kaiferlidien Fiskus durch Heren-
J ) Ant. 18, 4, 2: Md^xeD-ov rtav arrov qitioiv Ixneuyai;
TO?? 'lovdaiot? yevytiofAsvov. Jofephus erwahnt keinen andern Procurator
yon Judaa, fagt aber Arit 18, 6, 10, dag Caligula, der dem Agrippa
die Tetrarchien des Philippus und des Lyfanias und den Konigstitel ver-
liehen hatte, den Marullus zum Befehlshaber (intcifjyriv) der in Judaa
jtehenden Truppen ernannt habe. Da nun der Befehlshaber der Truppen
der Prokurator felber war, ift entweder Marcellus nach dem Tode des
Tiberius abberufen worden oder ift, da ja auch Vitellius Statthalter blieb,
von Caligula beftatigt worden und durfte dann mit Marullus ein und
diefelbe Perfon fein.
*) Philo, in Flaccum 5 sqq. und Leg. ad Cajum 20. Vgl. tiber das
Auftreten des Agrippa u. Kap. 4 S. 199 und fiber die alexandrinifche
Verfolgung weiter unten.
3 ) S. o. S. 161.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefchichte. I. 2. u. 3. Aufl. 1 2
178 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
nius Capito verwaltet wurde. 1 ) Er war ein Feind der Juden,
welche die Mehrzahl der Bewohner der Stadt bildeten, und
hatte ihre Klagen gegen feine ungerechte Verwaltung zu
furchten. Um nun die Juden zu argern, erriditeten die heid-
nifchen Bewohner der Stadt dafelbft gegen Ende des Jahres
39 zu Ehren des Kaifers einen aus Lehm und Backfteinen
gebauten Altar, den aber die Juden alsbald niederriffen.
Nun beriditete Capito in iibertriebener Weife fiber diefes
Vergehen an den Kaifer, der darauf befahl, es folle ihm in
Befehi des Jamnia ein koftbarer Altar gebaut und im Tempel zu Jeru-
Caiiguia,im j a i em j e i ne Bildfaule aufgeftellt werden. 2 ) Diefer Befehi er-
SmTe^e ging ZU Anfa " g deS Jahr6S ^
Biidfaieauf- ^it der Ausfuhrung des Befehls wurde der neu ernannte
zufteiien. Statthalter von Syrien, P. Petronius, beauftragt, der mit zwei 4 )
Legionen in Palaftina einrucken follte, urn jeden Widerftand
gegen die Mafcregel zu brechen. Mit diefen und fo viel
Hilfstruppen, als er aufbringen konnte, zog er von Antiochien
nach Ptolemais. Wahrertd die Statue des Kaifers in Sidon
Verhaitendesangefertigt wurde, berief Petronius die vornehmften Juden
Statthaiters zu fich nach Ptolemais und fuchte fie zu bewegen, felbft der
pet j^ von Ausfuhrung des kaiferlidien Befehls nidits in den Weg zu
ynen ' legen und audi das Volk zur Rune zu bewegen. Allein fie
erklarten, lieber Augen und Leben verlieren als eine Statue des
Kaifers im Tempel dulden zu wollen. Auf die Kunde von dem
geplanten Greuel ftromten Taufende von Juden mit Weib und
Kind nach Ptolemais zu Petronius und flehten ihn an, ihnen
zu geftatten, ehe er den Befehi des Kaifers ausfiihre, fich an
diefen felbft zu wenden. Der Statthalter war ein verniinf-
tiger, wohlwollender Mann. Er erlaubte zwar die Abfen-
dung einer Gefandtfchaft nicht, weil dies fur die Juden fehr
gefahrlich gewefen ware, und wollte audi nicht durch offenen
Ungehorfam fein eigenes Leben preisgeben. Aber er fuchte
l ) Ant. 18, 6, 3-4. Philo, Leg-, ad Caj. 30.
5 ) Philo, Leg. ad Caj. 30. Jos. Ant. 18, 8, 2.
3 ) Bereits zur Erntezeit, alfo April des Jahres 40, war Petronius
mit den Truppen in Ptolemais. Philo, Leg. 33.
4 ) Jos. Ant. 18, 8, 2 [nach B. J. 2, 10, 1 irrtumlich drei]. Vgl. auch
Philo 31, der von der Ha'Ifte der Armee am Euphrat,.d. h. in Syrien,
fpricht. Unter Tiberius [tanden vier Legionen in Syrien ,,usque ad flumen
Euphraten". Tac. ann. 4, 5.
HI. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 179
zunadift die Erledigung der Sache moglidift hinauszufchieben,
indem er den Kiinftlern in Sidon einfcharfte, die Statue mog-
lidift fchon und dauerhaft zu madien. Dann fchrieb er an
den Kaifer, der im Herbfte 1 ) Agypten und Palaftina bereifen
wollte, man muffe in Syrien und zwar befonders in den See-
ftadten groge Provifionsmagazine gefiillt halten. Es fei aber
zu befiirditen, dajg die Juden, wenn ihre Religion verniditet
werde, nun, da die Getreidefrucht und alles in der Reife fei,
die Ernte zerftoren und eine Hungersnot veranlaffen wurden.
Audi bediirften die Kunftler langere Zeit zur Fertigftellung
der Statue. 2 ) Da ein Statthalter mit einer Armee in einer
Provinz wie Syrien leidit eine Emporung veranlaffen konnte,
wufcte audi Caligula. Deshalb liefc er fidi von feinem Zorn
iiber den Ungehorfam des Petronius nidits merken und
fchrieb ihm, fofort nach der Ernte mit der Aufftellung der
Statue vorzugehen.
Kurze Zeit hiernach kam Agrippa, ohne etwas von dem Verhaiten des
Briefwechfel zwifdien Petronius und dem Kaifer zu wiffen, A g ri PP a in
: diefer Sadie.
*) Namlich im Herbfte des Jahres 40. Caligula hatte im Jahre 39
feinen germanifch-gallifchen Feldzug angetreten (im Januar 40 war er in
Lyon, vgl. Sueton. Calig. 17) und kehrte am 31. Auguft 40 nach Rom
zuriick (Suet. Calig. 49).
*) Vgl. Philo, Leg. ad Caj. 33. Da der Brief des Petronius mahnt,
zu warten, damit die Halmfrucht und die Baumfriichte ungeftort einge-
heimft werden konnten, aber bis zur Aberntung aller Fruchte fich langere
Zeit hinziehen konnte, zumal es eine FrQh- und Spaternte gibt, und wei-
terhin eine Gefandtfchaft der Alexandriner an Caligula er[t im September
des Jahres 40 zu Puteoli von dem Befehl des Cajus, feine Bildfaule im
Tempel aufzu[tellen, h6rte (Philo, Leg. ad Caj. 29. Ober das Datum f. u.),
ift der Brief frflhe[tens im Juli des Jahres 40, vielleicht aber noch fpater
gefchrieben. Nach Jofephus i[t Petronius zue'r[t in Ptolemais, wo er Win-
terquartiere bezogen hatte, und dann wieder auf feinem Wege von Pto-
lemais nach Tiberias von den Juden angegangen worden, und haben
die Juden damals trotj der Saatzeit 40 Tage dasFeld unbeftellt gelaffen,
bis der Statthalter ihnen in Tiberias verfprach, fich beim Kaifer fur fie
zu verwenden (Ant. 18, 8, 2 6). Dann habe er in Ptolemais fein Heer .
geholt und fei nach Antiochien zuruckgekehrt (B. J. 2, 10, 5). Wir halten
uns lieber an die Darftellung Philos, weil er unter dem unmittelbarften
Eindrucke des Gefchehenen als ein perfOnlich dabei Beteiligter er war
Fiihrer der alexandrinifchen Gefandtfchaft fchrieb und fein Bericht durch-
aus logifch und glaubwxirdig ift, auch in der Bemerkung, dag damals, '
als Petronius fchrieb, die Erntezeit nahe war (Gratj III 5 , p. 761772 be-
ftreitet dies. S. aber oben S. 178, 3).
12*
180 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
zu letjterem und wurde von ihm durch die zornige Bemer-
kung, die Juden wollten fidi wohl durch ihre Weigerung,
ihn als Gott anzufehen und feine Statue in ihren Tempel
aufzunehmen, urns Leben bringen, fo erfchreckt, daft er in eine
lange Ohnmacht fiel. Moglicherweife hat der fchlaue Menfchen-
kenner Agrippa die Ohnmacht nur fingiert, um den Caligula,
der fo wahrnehmen konnte, welchen Schrecken fein gottlicher
Zorn einflo&te, milder zu ftimmen. Jedenfalls hatte er den
Mut, in einem Schreiben den Caligula um Zurucknahme
feines Befehls zu bitten, indem er den Auguftus und Ti-
berius, die den Tempel gefchutjt, fur denfelben flehen lafct. 1 )
Caligula lieg darauf dem Petronius fchreiben, im jiidifchen
Tempel nichts zu verandern. 2 ) Aber aufcerhalb Jerufalem
diirfe keiner gehindert werden, dem Kaifer oder feinen Ver-
wandten Altare, Tempel oder Bildfaulen zu errichten. Gluck-
licherweife machte niemand einen derartigen Verfuch, da ein
folcher auch fchon die grofjten Unruhen nach fich gezogen hatte.
Bald reute es allerdings den Caligula, fo mild gewefen
zu fein. Er liefr zu Rom eine andere Koloffalftatue maehen,
um gelegentlich einer projektierten Reife nach Agypten die
Bildfaule plotjlich im Tempel aufzuftellen. 3 ) Auch fcheint er
dem Petronius gefchrieben zu haben, er folle fich zur Strafe
fur feinen Ungehorfam felbft das Leben nehmen. Der Brief
verfpatete fich aber infolge einer ungunftigen Fahrt und kam
27 Tage fpater als die Nachricht vom Tode Caligulas an. 4 )
Der wurde namlich am 24. Januar 41 ermordet.
3. Der Tetradi Philippus (f 34 n. Chr.) und fein Gebiet.
Das dem Philippus nach dem Teftamente des Herodes
zugefallene Gebiet beftand aus den Landfchaften Batanaa,
') Vgl. den Brief bei Philo, Leg. 36-41. Jofephus erzahlt Ant. 18,
8, 7 8 die Vermittlung des Agrippa anders. Diefer habe bei einem
Gaftmahl dem Kaifer [olche Beweife feiner Ergebenheit gegeben, dag
jener ihn aufforderte, fidi eine Gnade zu erbitten. Da habe er den
Verzieht auf die Aufftellung der Statue im Tempel gefordert und erhalten.
2 ) Nach Ant. 18, 8, 8 gefchah dies, noch ehe Caligula den Brief
des Petronius erhalten hatte.
3 ) Philo, Leg. 4243. Die beabfichtigte Reife erwahnt auch Sueton.
Calig. c. 49.
*) So berichtet wieder Jos. Ant. 18, 8, 8 und B. J. 2, 10, 5, der
aber diefen Befehl als Antwort auf den Bericht des Petronius anfieht.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 181
Trachonitis, Auranitis, Gaulanitis und Panias, 1 ) obwohl die
Sdiriftfteller des erften Jahrhunderts, wenn fie von dem Ge-
biete reden, naturlich nicht immer alle einzelnen Beftandteile
auffuhren. 2 ) So z. B. nennt der heilige Lukas den Philippus
,,Vierfurft von Ituraa und dem tradionitifchen Gebiet". 3 ) Die
Tetrardiie umfafcte im grofjen und ganzen das oftlich vom
Jordan von feinem Urfprung bis zum Einfluft des Jarmuk
gelegene Land. Es war zum grofeen Teil von Heiden be-
wohnt, wenngleieh tiberall audi Juden zu finden waren. 4 )
Philippus war def Sohn des Herodes und feiner Frau
Kleopatra, die aus Jerufalem ftammte, 5 ) und war mit Arche-
laus in Rom erzogen worden. 6 ) Von feiner Bautatigkeit
wiffen wir nur, daft er das an den Quellen des Jordans ge-
legene Panias ausbaute und zu Ehren des Kaifers Cafarea
nannte. 7 ) Gewohnlich heifct die Stadt zum Unterfchiede von
Cafarea am Meere Cafarea Philippi. 8 ) Audi erhob er den
Flecken Bethfaida zur Stadt und gab ihm nach der Tochter
des Kaifers Auguftus den Namen Julias. 9 )
Seine Regierung war mild und friedlich, 10 ) fo dafc auch
Jefus im Lande des Philippus eine ungeftorte Zufluchtsftatte
finden konnte. Philippus brachte fein ganzes Leben in feiner
Tetrardiie zu..
Er hat fidi befonders durch Eifer in der Rechtfprechung
ausgezeichnet und deshalb, da damals nach romifcher An-
l ) Dies ergibt ftch aus Jofephus, der Ant. 17, 8, 1 Qaulanitis, Tra-
chonitis, Batanaa und Panias, ebd. 17, 11, 4 Batanaa, Trachonitis, Aura-
nitis und einen Teil des Gebietes des Zenodorus, ebd. 4, 6 Trachonitis,
Qaulanitis und Batanaa, B. J. 2, 6, 3 Batanaa, Trachonitis, Auranitis und
Teile des Gebietes des Zenodorus bei Panias (im Texte fteht hier irrtum-
lich 'Tdfjivtav ftatt HavidSa) als Beftandteile der Tetrarchie angibt VgL
fiber die Landfchaften o. S. 80 ff.
*) Ober Jofephus J. Anm. 1 u. S. 82, 2; uber Philo \. o. S. 82, 2.
3 ) Luc. 3, 1. Vgl. zu der Stelle o. S. 82, 2.
4 ) B. J. 3, 3, 5. Ober die Anfiedlungen von Idumaern und baby-
lonifchen Juden durch Herodes in der Trachonitis vgl. o. S. 128.
5 ) Ant. 17, 1, 3. B. J. 1, 28, 4.
) Ant. 1. c. B. J. 1, 31, 1.
7 ) Vgl. o. S. 41 f.
s ) Matth. 16, 13. Marc. 8, 27.
u ) S. o. S. 43, 3.
10 ) Ant. 18, 4, 6.
182 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
fchauung die formelle Gultigkeit eines Riditerfpruches da-
durdi bedingt war, 1 ) daft der Richter bei der Fallung des-
felben auf der sella curulis fafr, auf feinen Reifen, die er ge-
wohnlich nur in Begleitung einiger Freunde zu machen pflegte,
den Richterftuhl mil fich gefiihrt, um fo iiberall, wo feine
Hilfe verlangt wurde, Redit fprechen zu konnen. a )
Politifch war er den Romern treu ergeben, wie [ich auch
in der Benennung der Stadte Cafarea und Julias zeigt. Seine
Munzen zeigen teils den Kopf des Augustus teils des Tiberius. 3 )
Bei einem iudifchen Fiirften konnte da auffallend erfcheinen,
allein bei Philippus erklart es fieh aus dem vorwiegend heid-
nifchen Charakter feines Gebietes.
Erwar vermahlt mil der aus dem Evangelium bekannten
Tanzerin Salome, der Tochter feines Stiefbruders Herodes
und der Herodias, ftarb aber, ohne Kinder zu hinterlaffen 4 ),
im Jahre 34 n. Chr. 5 )
Sein Reidi blieb zunachft mit der Provinz Syrien un-
mittelbar verbunden, 6 ) bis es im Jahre 37 von Caligula dem
Agrippa I. fiberwiefen wurde. 7 )
4. Herodes Antipas, Vierfflrft von Galilaa und Peraa
vom Jahre 4 v. Chr. bis 40 n. Chr.
Der im Neuen Teftamente als Vierfurft von Galilaa 8 ) oft
genannte Herrfcher, der iibrigens dort gerade fo wie auf
feinen Miinzen 9 ) ohne weiteren Beinamen nur Herodes heigt,
Vgl. Mommfen, RStR 1, 399 ff. Beifpiele f. Matth. 27, 19. Job.
19, 13. Apg. 25, 6.
") Ant. 18, 4, 6.
3 ) Auf der andern Seite haben [ie das Bild eines Tempels mit der
Auffchrift QtUnnov Teif>d(rx ov - Madden, Coins of the Jews, p. 123127.
*) Ant. 18, 5, 4.
5 ) Nadi Ant. 18, 4, 6 im 20. Jahre des Tiberius (deffen Regierung
am 19. Auguft d. J. 14 n. Chr. begann) nadi 37jahriger Regierung. Ober
eine Munze aus dem 37. Jahre des Philippus vgl. Madden, History of
Jewish coinage and of money in the Old and New Testament. L. 1864,
p. 102.
6 ) Ant. 18, 4, 6.
7 ) Vgl. u. S. 200.
8 ) Matth. 14, 1-11. Marc. 6, 14-28; 8, 15. Luc. 3, 1. 19 f.; 8, 3;
9, 7-9; 13, 31 f.; 23, 7. 12. 15. Apg. 4, 27; 13, 1.
9 ) Vgl. u. S. 195, 1.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 183
trat naeh der Beftatigung des Teftamentes feines Vaters die
Herrfchaft fiber die beiden fruchtbaren Provinzen an, von
denen Galilaa wenigftens zum Teil didit bevolkert war.
Wie fein Bruder Ardielaus war Herodes Antipas in Rom Sein
erzogen. 1 ) Im allgemeinen energielos und apathifch, 2 ) ober- Charakter.
flachlich und verweichlicht kommt er einem wie ein an das
Serailleben gewohnter fchlaffer Sultan vor, dem es aber an
einer gewifien Schlauheit 3 ) nicht fehlte. Von feinem Vater
hatte er die Bauluft geerbt, deren Befriedigung aber zugleich Seine Bauten.
als fcbmeidilerifche den Romern dargebrachte Huldigung die-
nen mugte. Denn als er die Stadt Sepphoris mit'Mauern um-
gab, weihte er fie zugleich dem Kaifer; 4 ) als er zum Schutje
gegen die Einfalle der Araber im fudlichen Peraa das alte
Beth Haram befeftigte, nannte er es zu Ehren der Kaiferin
Mutter Livias Oder Julias. 5 ) Sein Hauptbau war die von
ihm am See Genefareth gegriindete Stadt Tiberias, die er
zu Ehren des Kaifers Tiberius benannt hatte und zu feiner Re-
fidenz erkor, fo daft fie die Hauptftadt von Galilaa wurde. 6 ) Die
urfprungliche Bevolkerung be[tand aus zufammengelaufenen
Fremden und zur Anfiedlung gezwungenen Untertanen des
Herodes, und fogar im Lande aufgegriffenen Bettlern, welche
durch Wohnfi^e, Freiheiten und Vorrechte an die Stadt ge-
feflelt werden follten. Allein die echten Juden mieden die
zum Teil auf einem Grabfeld erbaute Stadt, obgleich Antipas
auch eine fur eine fehr grofce Volksmenge ausreichende Syna-
goge darin hatte bauen laffen. 7 )
Mit dem romifdien Landpfleger Pilatus ift er zeitweife Steiiung zu
verfeindet gewefen, 8 ) vielleicht weil diefer Galilaer, welche im
1 ) Jos. Ant. 17, 1, 3.
2 ) Ant. 18, 7, 2.
3 ) Vgl. Luc. 13, 32.
*) Ant. 18, 2, 1. Ygl. o. S. 45.
5 ) Ant. 18, 2, 1. B. J. 2, 9, 1. Vgl. Eufeb. Onom. p. 48. Hier.
Onom. p. 49 und zu Julias oder Livias uberhaupt Schfirer II, 213216
S. o. S. 159, 1. Die Kaiferin Livia ift erft im Jahre 29 n. Chr. geftorben.
) S. o. S. 44 f.
7 ) Ant. 18, 2, 3. B. J. 2, 9, 1. Vita 54. Zur Annahme (von W. Otto,
Herodes S. 183), dafo Ant. 1. c. unter cino^oi nicht Bettler, fondern Leute ver-
ftanden waren, welche das fur Liturgien erforderliche VermOgen nicht
befagen, liegt kein Grund vor.
8 ) Luc. 23, 12.
184 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Tempel opferten, hatte niedermetjeln laffen, 1 ) wahrfcheinlich
aber wohl, well er fich an der Klage gegen diefen wegen
der Anbringung der Weihefchilde beteiligt hatte. 2 )
Unbeiiebtj>ei Wie in diefem Falle, fo hat aucii Herodes Antipas fonft
den Juden. gewifle Ruckfichten auf die Juden genommen, fo z. B. liefc
er auf feinen Munzen, obwohl fie teilweife den Namen des
Kaifers trugen, wenigftens kein Bild anbringen. 3 ) Audi kam
er zu den judifdien Feften nach Jerufalem. 4 ) Aber fchon als
Sohn eines Idumaers und einer Samariterin 5 ) konnte er bei
den Juden nicht beliebt fein, wie denn audi der Evangelift
die Anhanger des Vierfiirften mit dem Parteinamen ,,die
Herodianer" bezeiehnet. 6 )
Seine Verbin- Das Ungliiek feines Lebens war feine blutfchanderifche
dung mit Verbindung mit der Herodias, einer Enkelin des Herodes I.
Herodias. durch ihren Vater fatyo^ un d der Salome und des Koftobar
durch ihre Mutter Berenice. Sie war vermahlt mit dem Stief-
bruder des Antipas, Philip.pus, 7 ) in deffen Haus Antipas
') Luc. 13, i.
*) S. o. S. 174.
3 ) S. u. S. 195, 2.
4 ) Luc. 23, 7 ff.
5 ) S. o. S. 137.
6 ) Marc. 3, 6; 12, 13. Vgl. Matth. 22, 16.
7 ) Marc. 6, 17. Vgl. Matth. 14, 3 und Luc. 3, 19. Dag diefer der
Tetrarch Philippus war, fagt Markus nicht. Jofephus Ant. 18, 5, 4, vgl.
ebd. 5, 1, nennt inn ,,Herodes, einen Sohn des Herodes des Grogen und
der Mariamme, der Tochter des Hohenpriefters Simon". Hieraus haben
manche, z. B Winer BRWB Art. ,,Philippus" mit Reeht gefchloffen, dag er
Herodes Philippus hieg. Schiirer 1, 435, 19 will dies allerdings nicht
gelten laffen und ein Verfehen des Evangeliften Markus annehmen, J. Duret
(Der Tetrarch Philippus mit Bezug auf Marc. 6, 17 und die eigentliche
Veranlaffung zur Enthauptung desTaufers Johannes. Luzern 1902. Separat-
abdruck aus den kathol. Schweizerblattern) aber als erften Gemahl der
Herodias den Tetrarch Philippus erweifen. Jofephus, Jo meint Duret,
habe den Sachverhalt im Intereffe der Salome, welche eine Tochter der
Herodias und des Antipas gewefen fei (hiergegen ift aber Ant. 18, 5, 4,
wonach die Herodias aus ihrer erften Ehe eine Tochter Salome hatte, und
das Evangelium, worin fie Tochter der Herodias genannt wird, f. S. 191, 4)
und fpater den erften Mann ihrer Mutter, alfo ihren Stiefvater Philippus
geheiratet habe, verdunkelt. Der von Jofephus erwahnte Herodes (jun.)
fei fchon im Jahre 6 tot gewefen, da von der Zeit an Jofephus den
Herodes Antipas blog noch Herodes genannt habe, weil der Herodes
(junior) nicht mehr exiftiert habe. Allein Jofephus nennt ihn vielmehr
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 185
auf einer Reife nach Rom, vermutlich wohnte Philippus zu
Rom felbft, in heftiger Liebe entbrannt war. 1 ) Er kam mit
ihr uberein, fie nadi feiner Ruckkehr fofort in fein Haus
aufzunehmen, vorher aber feine eigene Frau zu verftofeen.
Antipas war namlich verheiratet mit einer Nabataerin, einer
Tochter des Konigs Aretas IV, und lebte fomit in einer
ehelichen Verbindung, welche politifch vorteilhaft war, in-
fofern als dadurch das Oftjordanland vor den arabifchen An-
griffen gefchutjt war. Ohne Zweifel waren mit der Tochter
des Aretas auch einzelne Nabataer an den Hof des Antipas
gekommen, wozu der aus dem Evangelium 2 ) bekannte Chuza
gehort haben durfte. 3 ) Sie erfuhr nun zeitig das zwifdien
,,Herodes, der Tetrarch", vgl. z. B. Ant. 18, 2, 3. 4, 5. 5, 1 etc. Wenn
er aber B. J. 2, 9, 1 fagt, nach der Verwandlung der Ethnarchie des
Archelaus in eine Provinz hatten n die ubrigen Philippus und Herodes
mit dem Beinamen Antipas ihre Tetrarchien verwaltet" , fo wird doch da-
durch nicht ausgefchloffen, dag auch noch andere .nicht zu Herrfchern be-
ftimmte Verwandte lebten. Dag folche noch lebten, fagt ausdriicklich Ant.
17, 11, 5. Auch W. Otto, Herodes S. 199 will den Doppelnamen Herodes
Philippus fur den erften Mann der Herodias nicht gelten laffen, Der
eine Grund ift, weil Doppelnamen fich von Haus aus bei den Herodeern
nicht fanden. Allein geradefo gut wie Herodes Archelaus und Herodes
Antipas zwei Namen fuhrten, konnte dies ihr Stiefbruder Philippus tun.
Der andere Grund, dag im Neuen Teftament ,,gerade die Individualnamen
gegeniiber den Dynaftienamen zuriicktreten," z. B. bei Herodes Antipas,
beriickfichtigt nicht die Tatfache, dag z. B. Matth. 6, 14 von ,,K6nig He-
rodes" gefprochen wird, ebenfo 2, 1. Vgl. auch Matth. 2, 22 fiber
Archelaus u. Matth. 14, 1. Luc. 3, 1, 19. 9, 7 iiber den ,,Tetrarchen Herodes."
- Es fteht auch nichts der Annahme entgegen, dag es zwei Bruder mit
Namen Philippus gab, geradefo, wie zwei den Namen Herodes fuhrten
(Ant. 18, 5, 4), obwohl Herodes geradefowenig ein Familienname ift wie
Philippus. Daran andert fiir die eigenen Sohne des Herodes die Tat-
fache, dag diefer der Stammvater einer Dynaftie wurde, nichts.
a ) Dagegen ift nicht Ant. 18, 5, 1: (?rAAo^evo? d'eni 'Pw^;/c, xazceysrat
ev 'H(>(t>-dv cidektpov.
2 ) Luc. 8, 3.
3 ) F. G. Burkitt, The Expositor 1899, Febr. weift auf eine in Cooks
Glossary of the Aramaic inscriptions angefuhrte Grabfchrift aus dem
erften Jahrhundert zu El-Hegr in Arabien hin: ,,Dem Hagyan, Sohn des
Kuza (= Chuza)' feine Nachkommenfchaft." (Vgl. The Biblical World,
1899, p. 198.) Chuza wird im Martyrologium Rom. zum 24. Mai erwahnt.
In dem fyrifchen Verzeichnis der Jttnger Jefu, welches fich in der aus
der erften Haffte des 13. Jahrh. ftammenden Schrift des Salomo von
Bafforah ,,die Biene" (in der Sammlung der Anecdota Oxoniensia,
186 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
ihrem Manne und der Herodias getroffene Abkommen, er-
fuchtejhren Mann, 1 ) nadidem lie fdion vorher nadi Macharus
und in das ihrem Vater untertanige Gebiet 2 ) Boten gefandt
und der ,,Stratege" des Aretas alles zur Abreife Notwendige
vorbereitet hatte, :l ) fie in die Grenzfeftung Macharus, wofelbft
[ie dem arabifchen Gebiete ganz nahe war, bringen zu laffen,
und entfloh von dort nach Arabien, von den Strategen ihres
Vaters geleitet, und eroffnete letjterem die Plane des Herodes.
Aretas verfchob die Rache fur den feiner Tochter'angetanen
Schimpf auf eine gunftige Zeit, verwirklichte fie aber, wie
weiter unten berichtet werden wird, erft im Jahre 36, in
welchem er dem Herodes in der Schlacht bei Gamala eine
fchwere Niederlage beibrachte. 4 )
Nach der Flucht feiner Gemahlin heiratete Antipas die
Herodias, ein leidenfchaftliches, rankevolles, ehrgeiziges und
graufames Weib, welches den Charakter des Herodes, aber
ohne feine Schlauheit, befafc.
Johannes der Um jene Zeit, als Antipas diefe 'ehebrecherifche Verbin-
Taufer. dung eingin^ war es, dafc der groge Bufcprediger und Vor-
laufer des Herrn, Johannes der Taufer, zuerft in der Wiifte
von Judaa, dann in der ganzen Gegend des Jordans auf-
trat und im Geifte und der Kraft des Elias wirkte. Selbft
der jiidifche Gefchichtfchreiber Jofephus bezeugt, dafe Jo-
Semitic series vol. I P. 11, neu herausgegeben, englifch und fyrifch, von
Ernft A. Wallis Budge, Oxford 1886, p. 103-115 der engl. Uberfetying)
findet, wird Chuza als Apoftel von Ptolemais genannt. Einige, z. B.
Haneberg, Schegg und Le Camus identifizieren inn mit dem Apg. 13, 1 er-
wahnten Manahen.
') Ant. 18, 5, 1.
2 ) Nach alien Handfchriften ift mit Niefe zu lefen: v els rov Maxai-
Qovvm T(O Te TifuzQl arr^s v'TroreAci*. Demzufolge tiberfe^t auch Schurer 1,
436, 20: ,,nach Macharus und an das ihrem Vater Untertanige (an die
ihrem Vater untertanigen Stamme)". Da Herodes felbft feine Frau nach
Macharus bringen lagt und diefe von dort nach Arabien flieht, und Ant.
18, 5, 2 von Macharus ausdrucklich gefagt wird, dag es dem Herodes
gehorte (18, 5, 1 heigt es nur nt&nQiov TIJ? rt 'Agfaa, *ai 'Hgwdov p/^?),
kann die Feftung damals nicht dem Aretas gehOrt haben. S. f. Anm.
3 ) Gemeint ift der Scheich (Stratege) des benachbarten arabifchen
Diftrikts, obwohl auch ein Beamter des Aretas in Macharus zur Wanning
der Handelsintereffen der Nabataer gewohnt haben mag.
* S. u. S. 191 f.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 187
hannes der Taufer ein gerechter Mann" war, der ,,die Juden
anhielt, der Tugend nachzuftreben, gegen ihre Nachften Ge-
reditigkeit und gegen Gott Frommigkeit zu uben und fo zur
Taufe zu kommen." 1 ) Aller Wahrfcheinlichkeit nach i[t der
Anfang feiner Tatigkeit, 2 ) da er trachten mufcte, eine langere
Wirkungszeit bis zur trockenen Sommerzeit zu haben, in
den Herbft zu verlegen. In der heifren Jahreszeit ift ja
ohnehin das Zufammenftromen grower Volksmaffen im Ghor
des Jordans, wie fie die Wirkfamkeit des Taufers hervor-
rief, undenkbar. Sie war erfolgt, wie Lukas fagt, 3 ) im
funfzehnten Jahre der Regierung des Kaifers Tiberius, als
Pontius Pilatus Landpfleger von Judaa war, d. h. da der
Evangelift die Regierungsjahre des Tiberius von dem An-
tritt feiner Regierung -als Mitregent des Auguftus zahlt, im
Herbfte des Jahres 26 n. Chr. 4 ) Seine grogartige Wirkfam-
') Ant. 18, 5, 2. Die dem Origenes bekannte Stelle (c. Gels. 1, 47),
weldie auch Eufebius (H. E. 1, 11, 4-6. Demonstr. evang. IX, 5, 15)
anfiihrt, wird faft allgemein als echt angefehen. Dag der Taufer der
Prophet des kommenden Meffias war, verfchweigt Jofephus. Er hat auch
die Johannestauf e nicht richtig verftanden, wie feine weiteren Bemerkungen :
,,Denn fo werde auch die Taufe Gott angenehm fein, indem fie diefelbe
nicht zur Suhne fur ihre Vergehen anwendeten, fondern zur Heiligung
des Leibes, da ja dann fchon die Seele durch Gerechtigkeit gereinigt fei"
zeigen. Denn ebenfowenig wie die Johannestaufe von der Stinde reinigte,
fetjte fie eine Entfiindigung bereits voraus, bereitete vielmehr auf eine
folche in der mefjianifchen Geiftestaufe vor.
2 ) Vgl. Matth. 3, 1 ff. Marc. 1, 1-11. Luc. 3, 1 ff.
3 ) Luc. 3, 1.
*) Wie es verfchiedene Arten gibt, den Anfang der Regierung des
Auguftus zu beftimmen (vgl. Zumpt, Das Geburtsjahr Chrifti. L. 1869,
S. 286), fo kann man auch den Regierungsantritt des Tiberius entweder
vom Tode des Auguftus an (19. Auguft 767 U. -C. = 14 n. Chr.) oder
von dem Jahre, in welchem er Mitregent des Auguftus wurde, beftimmen
(vgl. Zumpt 1. c., S. 289 ff.). Nach Sueton. Tib. 21 wurde durch die
Confuln ein Gefeij gegeben, dag Tiberius die Provinzen gemeinfam mit
Auguftus verwalten follte. Wie wir aus Vellejus (Hist. rom. 2, 121)
wiffen, erhielt dadurch Tiberius gleiche Rechte wie Auguftus ,,in alien
Provinzen und beim Heere", alfo auch in der kaiferlichen Provinz Syrien
(vgl. Mommfen RStR 2, 1145 ff.). Diefem Sachverhalt entfpricht es, dag
ihn auch Tacitus (Ann. 1, 3) collega imperii nennt (vgl. auch Monum.
Ancyr. Lat. 2, 8. Graec. 4, 22 und dazu Mommfen, Res divi Aug., p. 31. 38).
Lukas hat nicht vom Tode des Auguftus an gerechnet, wenn er fagt
(Luc. 3, 23), Jefus fei bei feinem erften Erfcheinen am Jordan ungefahr
188 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefcbichte der Juden etc.
keit hat, wie fich aus der Heiligen Sdirift ergibt, wenigftens
30 Jahre alt gewefen. Denn fonft waren damals feit Jefu Geburt, die
fpateftens gegen Ende des Jahres 749 U. C. vor dem Tode des Herodes
(im Jahre 750 U. C.) fallen mug, bis zum 15. Jahre des Tiberius 33 Jahre
verfloffen gewefen. Zahlt er aber die Jahre, in denen Tiberius fur das
judifche Volk und die Provinzeh flberhaupt Mitregent war, ift alles in
Ordnung. Denn das Gefetj iiber die Mitregentfehaft des Tiberius und
damit der Antritt desfelben ijt nadi Vellejus (1. c.) und nach Suetonius
(1. c. 19-21) einige Zeit vor dem Triumphe gefallen, den Tiberius nach
feiner Ruckkehr aus Deutfchland am 16. Januar des Jahres 12 n. Chr.
(vgl. die fasti Praenestini bei Orelli, Inscript. lat. II, 382) feierte (vgl.
audi Dio Cass. 56, 25, wonach Tiberius bis zum Herbfte des Jahres 764
U. G. in Germanien weilte und dann nach Rom zuruckkehrte). Somit
fing das 15. Jahr des Tiberius Anfang 27 oder, wie wahrfcheinlicher ift,
Ende 26 an. Denn die Taufe Jefu im Jordan mug im Spatherbft 26
oder Anfang 27 erfolgt fein, weil zwifdien ihr und dem erften Ofterfeft
des Offentlichen Lebens Jefu (Joh. 2, 13) im Jahre 27 (780 U. C.) der
40tagige Aufenthalt in der Wiifte und die Reife nach Cana in Galilaa
und die Ruckkehr nach Jerufalem zum Ofterfeft liegt. Die weiteren Ofter-
fefte fallen in die Jahre 781 (Joh. 5, 1 ff.), 782 (Joh. 6, 4) und 783. Der
Oftertag des Jahres 783, namlieh der 15. "Nifan, fiel auf einen Freitag
und entfpricht unferm 7. April 30. Dies ift der Todestag des Herrn.
Vgl. u. a. Achelis, Bin Verfuch, den Karfreitag zu datieren, Nachrichten
der Gott. Gefellfch. der Wiffenfch., Philol. hist. Klasse, 1902 S. 707717;
Ladeuze, La date de la mort du Christ, Rev. d'hist. eccl. Tome V. (1904),
894 903 und die verfchiedenen Anfchauungen fiber ,,Die Dauer der offent-
lichen Wirkfamkeit Jefu" u. a. in der gleichnamigen Studie von Dr. W.
Homanner (= Bibl. Stud. XIII, 3), Munchen 1908 und den gleichnamigen
Artikeln von Nagl in ,,Der Katholik", 1900, II, 200 ff., 318 ff., 417 ff.,
481 ff.
Mommfen RStR 2 3 , 1159 fagt: ,,Die effektive Mitverwaltung aller
Provinzen ,,gemeinfchaftlich" mit dem Kaifer ift nur ein einziges Mai und
zwar dem Tiberius, geraume Zeit, nachdem er nicht blog die prokon-
fularifche, fondern felbft die tribunizifche Gewalt erhalten hatte, nicht lange
vor dem Tode des hochbejahrten Princeps, durch befonderen konfularifchen
Volksbefchlug (vgl. Vellejus 1. c., Suetonius 1. c.) eingeraumt worden."
Vgl. auch Pick, zur Titulatur der Flavier. Zeitfchrift filr Numismatik 13
(Berlin 1885) 190 ff. 355 ff.; 14 (1887) 294 ff. Hiergegen fucht Hermann
Dieckmann, Die effektive Mitregentfehaft des Tiberius (Klio, Beitrage zur
alten Gefchichte, 15. Bd., L. 1918, S. 339-375; vgl. auch H. Dieckmann,
Das funfzehnte Jahr, des Tiberius (Lk. 3, 1), Bibl. Zeitfchr. 16, 1922,
S. 5465) zu zeigen, dag diefe keine wirkliche Teilnahme an der Ober-
gewalt, fondern nur die feierliche Beftatigung der bisher fchon von
Tiberius innegehabten Stellung als defignierter Princeps und Thronan-
warter war. Handelte es fich aber z. B. bei Vellejus blog darum, fo
fieht man nicht ein, weshalb denn diefe Tatfache fo befonders hervorge-
hoben wird. Er begriindet den Volksbefchlug mit den Worten: ,,etenim
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 189
ein Jahr gedauert. 1 ) Ein Ende wurde ihm gefetjt durch den
Tetrardien Herodes Antipas felbft, der ihn ins Gefangnis
werfen liejj, weil der grofee Prophet ihm gefagt, 2 ) er diirfe
absurdum erat non esse sub illo, quae ab illo vindicabantur, et qui ad
opem ferendam primus erat, ad vindicandum honorem non judicari parem".
Die Tatfache, dag man die Regierung des Tiberius erft vom Tode des
Auguftus (19. Aug. 14 n. Chr.) rechnete, erklart fich aus der uberwiegen-
den Bedeutung des Auguftus und der Tatfache, dag die erwahnten Mag-
r.egeln nicht lange vor feinem Tode fielen. Obrigens ift auch der Re-
gierungsantritt des Auguftus verfchieden berechnet worden, bald vom
Tode des Caefar, bald von der Schlacht bei Aktium u. f. w. Vgl. Knaben-
bauer Evang. sec. Lucam, Paris 1896 p. 153.
Eine andere LOfung der Schwierigkeit bietet Conr. Cichorius in der
ZNW 22 Bd., 1923, S. 17-20. Seit den Unterfuchungen von Eckhel,
Doctrina nummorum IV, 418 und den Ausfuhrungen von Mommfen
RStR II 3 803 f. und Pick in Sallets numismat. Zeitfehrift XIV, 331 f. ftehe
feft, dag in Syrien und damit ficher auch in Judaa eine befondere offizielle
Zahlung der Regierungsjahre fur die r5m. Kaifer von Augustus bis Nerva
in Gebrauch gewefen fei, welche befonders auf den Tetradrachmen von
Antiochia vorkomme. Fur diefe Zeit fei (Mommfen S. 803 fagt ,,ver-
mutlich") als erftes Regierungsjahr die Zeit vom Antritt der Regierung
bis zum nachften 1. Oktober, dem fyrifchen Neujahr, gerechnet worden,
das zweite Regierungsjahr ift dann das mit dem 1. Oktober beginnende,
welches wie alle weiteren mit dem alten fyrifch-feleukidifchen Jahr zu-
fammenfalle. (In Agypten rechnete man ahnlich, nur trat an die Stelle
des 1. Oktober vielmehr das agyptifche Neujahr, der 29/30. Auguft.
S. Mommfen S. 804).
Da nun Tiberius am 19. Aug. 14 den Thron beftieg, rechnete man
nach fyrifcher Zahlung fein erftes Regierungsjahr vom 19. Aug. 1. Okt. 14;
das zweite vom 1. Oktober 14 1. Oktober 15 und das 15-te Jahr
vom 1. Okt. 27 1. Oktober 28. Jefus ift nun, da Herodes kurz vor
Oftern des J. 4 v. Chr. [= 10. April 4] (vgl. o. S. 144 ff.) ftarb, fpateftens urn
den Marz 4 v. Chr. geboren. Als er anting zu lehren, war er ,,ungefahr
30 Jahre alt." Luk. 3, 23. War er im April 4 geboren, dann wurde
er im April 27 n. Chr. 30 Jahre alt. Lukas fagt aber nur, er fei ,,un-
gefahr 30 Jahre alt" gewefen. Nimmt man nun an, ,,der fpatefte mOgliche
Zeitraum, zu dem Jefus als 30 Jahre alt bezeichnet fein konnte, wenn er
noch bei Lebzeiten des Herodes geboren war," fei ,,der von April 27
April 28", fo wurden allerdings ,,die letjten Monate d. h. Oktober 27 -
April 28" noch in das 15. Regierungsjahr des Tiberius fallen und damit
n jeder Widerfpruch zwifchen den beiden Stellen des Lukas (3, 1 und 3, 23)
befeitigt" fein (Cichorius S. 19).
') Die Zeit der Gefangennehmung des Taufers (vgl. Luc. 3, 19 f.
Matth. 14, 35, Marc. 6, 17-20) fallt in den Herbft des Jahres 27.
Denn da Jefus auf die Kunde von der Gefangennehmung Judaa verlieg
190 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc,
nidit gegen das Gefetj 1 ) feines Bruders Weib nodi dazu
in doppeltem Ehebruch haben. Ausgeliefert aber haben
nach der Heiligen Schrift dem Herodes den Johannes die
Pharifaer, 2 ) die fich durdi feine ftrengen Bu&worte veriest
fiihlten und auf feinen Einflufc eiferfuchtig waren. Nach Jo-
fephus 3 ) ware der Grund der Einkerkerung und auch der
fchlie&lichen Hinrichtung des Taufers die Furcht des Herodes
gewefen, der Einflujg; eines folchen Mannes konne die Menge
leicht zu einem Aufftande verleiten. Dann ware die Tat eine
blofte politifche Vorfichts- und Willkurmafcregel gewefen. Ver-
mutlich liegt aber die Sache fo, daft zu dem Groll des Te-
trarchen gegen den Taufer wegen deffen Kiihnheit noch die
Furcht vor politifchen Unruhen, die durch dejfen freies Wort
erregt werden kohnten, hinzukam. Diefe Furcht 4 ) hat Anti-
pas langere Zeit abgehalten, trots des Einfluffes feines rach-
ffichtigen Weibes, 5 ) den Johannes, deffen Heiligkeit auch ihm
Ehrfurcht abzwang, 6 ) aus dem Leben zu fchaffen, fo dafc
diefer faft ein ganzes Jahr im Kerker gefeffen hat. 7 ) Diefer
und auf der Reife nach Galilaa (Matth. 4, 12. Marc. 1, 14. Luc. 4, 14.
Job. 4, 13) in Samaria war, waren es noch vier Monate bis zur Ernte
(Jon. 4, 35). Die Ernte beginnt aber Mitte April (am 16. Nifan wurde
die Erftlingsgabe im Tempel dargebracht, Lev. 23, 10 ff. Ant. 3, 10, 5),
fo dag es alfo damals Dezember war. Vgl. die Kommentare von Schanz,
Knabenbauer u. v. a.
2 ) Matth. 14, 3 ff. Marc. 6, 17 ff. Luc. 3, 19 f.
1) Lev. 18, 16.
2 ) S. Matth. 4, 12; 17, 12 f. und Joh. 4, 1-3. Vgl. Th. Inni^er,
Johannes der Taufer, Wien 1908, S. 305 f.
3 ) Ant. 18, 5, 2.
4 ) Matth. 14, 5.
5 ) Marc. 6, 19.
6 ) Marc. 6, 20. Danach unterhielt fich Antipas mit dem Taufer,
ahnlich wie einft der Konig Sedecias den von ihm in den Kerker ge-
worfenen Jeremias um Rat fragte. Vgl. Jerem. 32, 2 f.; 37, 16 f.
7 ) Dag Johannes einige Zeit im Kerker zugebracht hat, folgt aus
der Gefandtfchaft an Jefus (Matth. 11, 2-19. Luc. 7, 18-35) und der
Nachricht fiber feinen Verkehr mit Antipas (Marc. 6, 20). Die Gefandt-
fchaft fallt, wie ein Vergleich von Luc. 6, 1 mit 7, 18 zeigt, nach dem
zweiten Ofterfeft (781 U. C.). Wenn damals Jefus vom Taufer fagte, M er
war eine Leuchte" (Joh. 5, 35), fo hieg das nicht, er fei tot, fondern nur,
er habe aufgehOrt, eine folche Leuchte fur das Volk zu fein, was aber
Jchon durch feine Einkerkerung der Fall war. Da nun die Ausfendung
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Ghr. 191
befand fich nach Jofephus 1 ) zu Macharus am Toten Meere,
einem auf einer faft unzuganglichen, auf drei Seiten von
tiefen Abgrunden umgebenen Felfenhohe gelegenen Orte,
den Herodes I. durch kiinftliche Mauern und Turme nodi un-
angreifbarer hatte machen laffen. Um die eigentliche Burg
war, da der Plat* tiefe Zifternen hatte, zur Zeit des Hero-
des I. eine kleine Stadt entftanden, und der Konig hatte fich
dort ahnlich wie auf Mafada einen fchonen und geraumigen
Palaft erbauen laffen. 2 )
Hier hat aueh allem Anfcheine nadi das Mahl ftattgefun-
den, welches der Vierfiirft an feinem Geburtstage 3 ) den Spitjen
der Zivil- und Militarbehorden und den Vornehmften von
Galilaa und PerSa gab, bei welchem er grofcfprecherifch der
fchon erwachfenen Tochter der Herodias, der felbft als
Tanzerin auftretenden Salome, verfpradi, ihr zu geben, was
immer fie von ihm verlange, fei es auch die Halfte feines
Konigreiehes. Sie aber ging zu ihrer Mutter und auf deren
Rat verlangte fie, dafc ihr auf einer Schuffel das Haupt Jo-
hannes des Taufers gegeben werde, was denn auch wirk-
lich gefchehen ift. 4 ) So ftarb der grofjte vom Weibe ge-
der Apoftel (Marc. 6, 7-13. Vgl. Matth. 10, 1, 514 und Luc. 9, 16)
vor der Enthauptung des Taufers ftattfand und Jefus auf die Kunde da-
von (Matth. 14, 13. Luc. 9, 6-10. Vgl. Marc. 6, 29 f.) die wieder zu-
riickgekehrten Apoftel mit fich nach Bethfaida nahm, vor der wunderbaren
Brotvermehrung (Joh. 6, 2-15. Luc. 9, 1117. Marc. 6, 33-46. Matth.
14, 13-23) und dem dritten Ofterfeft (Joh. 6, 4), folgt, dag die Ent-
hauptung zwifchen dem zweiten und dritten Ofterfeft des Offentlichen
Lebens Jefu ftattfand. Vgl. auch Innitjer, 366 ff.
l ) Ant. 18, 5, 2.
") B. J. 7, 6, 1-2. Vgl. o. S. 84.
3 ) Vgl. Matth. 14, 6 ^svtaioiq (Vulg. die natalis) und Marc. 6, 21
roi? yfvseiint: (Vulg. natalis). In der Bedeutung ,,Tag des Regierungs-
antrittes" ift ytvsala. iiberhaupt nicht nachweisbar. Vgl. Schurer I, 439, 27.
Die nach Gen. 40, 20 fchon bei den alten agyptifchen KOnigen beftehende
Sitte, den Geburtstag zu feiern, herrfchte bei den Herodeerfurften (vgl.
Ant. 19, 7, 1 uber Agrippa) gerade fo wie die, den Tag des Regierungs-
antrittes feftlich zu begehen (Ant. 15, 11, 6). Vgl Wilh. Schmidt, Ge-
burtstag im Altertum (RVV Bd. 7, 1) Gieffen 1908; derfelbe, r tv sho?
^nifja bei Pauly-Wissowa VII, 1135. Zur Erhartung der Glaubwurdig-
keit der biblifchen Taufergefchichte, befonders des Auftretens der Salome
als Tanzerin vgl. u. a. Hans Windifch, Zum Gaftmahl des Antipas in
ZNTW, Gieffen 1917 (Jahrgang 18), 7381.
*) Das Madchen verlangte, dag ihr fofort (vgl. Marc. 6, 25
1 92 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
borne im Herbfte des Jahres 28 n. Chr. 1 ) durch die Radi-
fucht eines hoehmutigen Weibes und die Sdiwachheit eines
finnlich erregten toriditen Furften.
Es pafct zum Charakter diefes Konigs, dag er den ihm
von Pilatus zugefandten Heiland zwar nidit richtet, aber
ebenfowenig einen Verfudi macht, ihn zu retten, und meint,
der Gefangene werde ihm zuliebe einige Wunder tun, und
als das nicht gefchieht, wagt, ihn zu verhohnen.
Aretas hielt die Zeit zur Rache fur den feiner Tochter
Antipas von angetanen Schimpf angebrochen, als er mit Antipas zu Grenz-
Aretas bei [treitigkeiten in Gamalitis-) im Sudoften des Galilaifehen
Gamaia be- Meeres gekommen war, da damals die Romer mit einer feit
dem Tode des Germanikus im Jahre 19 unerhorten Energie
von neuem in die Verhaltniffe Armeniens und des Oftens
das Haupt gegeben werde. Das wurde fie aber fchwerlich verlangt haben,
wenn erft der Henker etwa von Tiberias Oder von Sepphoris in den
Kerker des Johannes nach Macharus hatte gefchickt werden miiffen. Neuer-
dings ift Sollertinsky, The death of St. John the Baptist (Journal of theol.
studies July 1900, p. 507-528' dafur eingetreten, daf3 der Taufer wahr-
fcheinlich zu Sepphoris enthauptet worden fei. Allein es ift nicht einzu-
fehen, warum nicht die Grogen Galilaas zu einem Fefte nach Macharus
hatten eingeladen werden konnen. Fur Macharus auch Innitjer, S. 351 ff.
Die Salome (die Lesart Marc. 6, 22 r^s frvyaTyo? nvruv 'Howdtoerfo?
i[t nach den befferen Textzeugen zu verwerfen) heigt Matth. 14, 11. Marc.
6, 22 xoQctaiov, Madchen. Sie hat jedenfalls bald nach der Enthauptung
des Johannes den Tetrarchen Philippus geheiratet (S. o. S. 182). Nach
deffen Tode heiratete fie, alfo doch nicht vor 35 n. Chr., den Sohn des
Herodes von Chalcis, Ariftobul, welcher im Jahre 55 von Nero zum
Konige von Kleinarmenien gemacht wurde (Ant. 20, 8, 4. B. J. 2, 13, 2.
Tac. ann. 13, 7; 14, 26) und dem fie drei Sohne gebar (Ant. 18, 5, 4).
Nichts weift darauf hin, dag fie alter war als Ariftobul, der aber nicht
vor dem Jahre 10 n. Chr. geboren fein kann. Denn Herodes von Chalcis
war jiinger als fein im Jahre 10 v. Chr. geborner Bruder Agrippa und
alfo felbft fruheftens im Jahre 9 v. Chr. geboren. Ob die Mutter der
Salome, Herodias, eine Schwefter des Agrippa, alter oder junger als
diefer war, ift unbekannt. Nicephorus E. H. 1, 20 berichtet die Legende,
Salome fei dadurch umgekommen, dag fie im Winter beim Oberfchreiten
eines zugefrornen Fluffes durch das Eis brach und die Eisfchollen ihr
den Kopf abfchnitten:
') S. S. 190, 7.
2 ) Ant. 18, 5, 1. Zu einer Anderung von Gamalitis in Galaaditis
^Schurer 1, 445) liegt kein Grund vor. Denn dag Gamaia zu dem fruheren
Herrfchaftsgebiet des Tetrarchen Philippus gehort hat, ift keineswegs
ficher. Vgl. S. 80. 87.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 193
eingriffen und den L. Vitellius, der von 3539 Statthalter
der Provinz Syrien war, mit weitgehenden Vollmaditen aus-
jtatteten. 1 ) Es kam im Jahre 36 zum Kriege und zur Schlacht
bei Gamala, in weldier Antipas' Truppen vollftandig ge-
fchlagen wurden. Das Volk erkannte darin die Strafe Goites
fur die Ermordung des Taufers. Antipas aber verklagte in
feiner ohnmaehtigen Wut den Aretas bei Tiberius, der nun
allerdings voll Zorn fiber das Vorgehen des Aretas dem
Vitellius Befehl gab, den Aretas gefangen zu nehmen oder
zu toten. 2 ) Diefer riiftete zum Kriege und kam, wahrend
fein Heer von Ptolemais an der Kiifte des Mittelmeeres vor-
bei u.m Judaa herum nach Petra zog, felbft nach Jerufalem
und verweilte dort aus Anlafc eines Feftes, wahrfcheinlicfa des
Ofterfeftes, drei Tage. Am vierten Tage kam die Nachricht,
Tiberius fei geftorben (am 16. Marz 37), 3 ) worauf Vitellius
feine Vollmacht zum Kriege fur erlofchen erklarte und nach
Antiochien zuriickkehrte. 4 ) Somit hatte Herodes Antipas das
Nachfehen.
Der neue Kaifer Caligula war feit feiner Jugend mit Das ungiuck-
Agrippa, dem Bruder der Herodias, befreundet und gab, fo- liche Be ~
muhen des
Antipas, die
1 ) Tac. ann. 6, 32. Vgl. fiber die romifch-parthifche Gefchichte der Konigskrone
damaligen Zeit Tac. ann. 6, 31-37 und 4144. Dio Cass. 58, 26. zuerlangen.
S. Schiller, Gefch. der rom. Kaiferzeit 1, 270 ff. Mommfen, Rom. G.
5, 375 ff.
2 ) Ant. 18, 5. 1.
3 ) Da fiir den Bericht des Antipas an den Kaifer und die Riiftungen
des Vitellius einige Monate angefe^t werden miiffen, fiel fomit der Krieg
mit Aretas ins Jahr 36.
*) Ant. 18, 5, 3. Jofephus gibt Ant. 18, 4, 5 als Grund fur dief.es
Verfahren des Vitellius deffen Unzufriedenheit fiber das Benehmen des
Antipas bei einem friiheren Anlag an. Als namlich Vitellius mit dem
parthifchen Konige Artabanus perfonlich aiif einer fiber den Euphrat ,
gefchlagenen Brficke fiber ein freundfchaftliches Verhaltnis unterhandelt
hatte, habe Antipas der Vierfurft die beiden in einem auf der Brficke
errichteten koftbaren Zelte bewirtet und den Kaifer durch einen Eilboten
fiber alles fo genau unterrichtet, dafj des Vitellius Bericht fiberflfiffjg ge-
worden fei. Darin habe diefer eine grofje Krankung erblickt. Nadi Dio
Cass. 59, 27 und Sueton. Calig. 14 hat aber diefe Zufammenkunft zwi-
fchen Artabanus und Vitellius erft unter Caligula ftattgefunden ; wohl aber
hat Vitellius, wie Tac. ann. 6, 37 fagt, unter Tiberius den parthifchen
Pratendenten Tiridates bis an den Euphrat geleitet.
Felten, Neuteftamentlidie ZeitgefAichte. I. 2. u. 3. Aufl. 13
194 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
bald er zur Regierung gekommen war, diefem die fruhere
Tetrarchie des Philippus famt dem Konigstitel. 1 ) Dies war
im Jahre 790 U. C. = 37 n. Chr. Allein Agrippa blieb einft-
weilen noch in Rom und reifte erft im zweiten Jahre des
Caligula (Marz 38 39) von Brindifi nach Alexandrien 2 ) und
von dort nach Palaftina.
Dort trat er im koniglichen Schmucke auf. und erregte
dadurch fo fehr den Neid der Herodias, die es nidit ertragen
konnte, dafe ihr Mann dem Agrippa nachftehen follte, dajj
fie den Antipas fortwahrend drangte, nadi Italien zu reifen,
um dort ebenfalls die konigliche Wurde zu erlangen. Antipas
trat auch wirklieh nadi grofeen koftfpieligen Vorbereitungen,
begleitet von der Herodias, die Reife an. Als er abgereift
war, fchickte aber Agrippa feinen Freigelaffenen Fortunatus 3 )
an den Kaifer mit einer Anklagefchrift, worin Antipas be-
fchuldigt wurde, fich fruher mit Sejanus (f 31) gegen die
Herrfchaft des Tiberius, nun aber mit dem Partherkonig
Artabanus gegen Cajus verfchworen zu haben. Fortunatus
kam fo bald nadi Herodes in Puteoli an, daft er noch dem
Kaifer, wahrend diefer den Antipas zu Baja empfing, die
Anklagefchrift uberreichen konnte. Tatfachlidi hatte Antipas,
fei es nun zum Kriege gegen Aretas, jei es, um im romifch-
parthifchen Streit eine Rolle fpielen zu konnen, fur 70000
Seine Ab- Mann Waffen aufgehauft. Das konnte er auch, als der Kaifer
fe^ungund ihn dieferhalb befragte, nicht leugnen, woraufhin ihn Cali-
Verbannung. gula fflr jfa u[ fi g an j ahj ihm j e i ne Tetrarchie abnahm, die
nun Agrippa erhielt, und ihn in die Verbannung ,,nach Lug-
dunum in Gallien" fchickte. 4 ) Der Kaifer wollte der Herodias
als der Schwefter des Agrippa ihren Privatbefitj laffen und
') Ant. 18, 6, 10. Philo in Place.. c. 5.
2 ) Ant. 18, 6, 11. Philo in Place. 5 erwahnt, dag Agrippa auf der
* Reife nach Alexandria die initial benutjte, eine Art Paf[atwinde, welche
vom 20. Juli an 30 Tage wehen. Vgl. Plin. N. H. 2, 47. 18, 28.
3 ) Ant. 18, 7, 2. Nach B. J. 2, 9, 6 ware Agrippa felbft dem Anti-
pas nachgereift.
*) Ant. 18, 7, 2; in B. J. 2, 9, 6 fteht aber ti? 'lanaviar. Einige,
z. B. Schiller I, 383, auch Kellner, Jefus von Nazareth S. 100, 6 wollen
hieraus fchliejgen, dag nicht Lyon, fondern Lugdunum Convenarum in
Aquitanien, d. h. Lugdunum im Lande der Convenen, in den Pyrenaen
(jetjt St. Bertrand des Comminges) gemeint fei, weil die Lage leichter
den in den Antiq. verbefferten Irrtum des Jofephus erklare.
III. Kap. Palaftina bis zum Jahre 41 n. Chr. 195
fie unter den Sdmtj ihres Bruders ftellen. Sie verfdimahte
aber diefe Gnade und zog es vor, ihrem Manne in die Ver-
bannung zu folgen, der einzige von ihr bekannte edelmutige
Zug, woraufhin Cajus ihren Privatbefitj dem Agrippa fdienkte. 1 )
Die Abfetjung des Antipas erfolgte allem Anfcheine nach
im Jahre 40 n. Chr. 2 )
5 ) Jos. Ant. 18, 7, 2.
2 ) Qanz klar ift die Sadie nicht. Agrippa erhielt nach Ant. 19, 8, 2
die Tetrarchie des Herodes im 4. Jahre des Caligula [dag er fie ein Jahr
unter ihm regiert hat, fteht nicht da] = 16. Marz 4041. In Ant. 18, 7, 2
ift aber die Sache fo dargeftellt, als ob die Obertraguag der Tetrarchie
an Agrippa gleichzeitig mit der Abfetjung und Verbannung des Herodes
erfolgt fei; diefe letjtere wird aber dort mit der Audienz in Verbindung
gebracht, welche Antipas beim Kaifer zu Baja in Campanien hatte. Dag
diefe ins Jahr 38 n. Chr. gefallen fei, ift fchon deshalb unmoglich, weil
Agrippa erft gegen Ende des Jahres in Palaftina anlangte. Im Jahre 39
war Cajus aber zweimal in Campanien (vgl. Dio Cass. 59, 13. 17), weilte
danach an feinem Geburtstag, dem 31. Auguft (Dio Cass. 59, 20. Sueton.
Calig. 26) in Rom und trat nun feinen Feldzug nach Gallien, Germanien
und Britannien an (Dio Cass. 59, 21-25, Suet. 1. c. 17, 4349). Am
1. Januar 40 war er in Lyon (Suet. Gal. 17) und hielt natali sua, d. h.
am 31. Auguft 40 feinen Einzug in Rom (Suet. Calig. 49, vgl. ebd, 8).
Vom Herbfte des Jahres 40 an bis zum Tode des Caligula war auch
wieder Agrippa bei ihm (Philo Leg. ad Caj. 35 ff. Ant. 18, 8, 7 ff. Dio
Cass. 59, 24), deffen Reife wohl die B. J. 2, 9, 6 gemeinte ift. Im Herbfte
des Jahres 40 ift Agrippa nachweislich im Befitje von Galilaa (S. Philo
Leg. ad Caj. 41). Es ergibt fich hieraus, dag, falls die Audienz des
Antipas und des Fortunatus zu Baja im Jahre 39 ftattgefunden hat, ent-
weder noch kein definitives Urteil fiber die Abfetjung des Antipas er-
folgte, oder, falls dies gefchah, zwifchen der Abfetjung und der Obertragung
der Tetrarchie an Aprippa, wie Schurer I, 448, 46 meint, mehrere Monate
lagen, was unwahrfcheinlich ift. In beiden Fallen ift der Bericht des Jofe-
phus Ant. 18, 7, 2 ungenau. Wahrfcheinlich erfolgte aber fowohl die Ab-
fetjung des Antipas wie die Obertragung feiner Tetrarchie an Agrippa
wahrend des gallifchen Feldzuges des Caligula im Jahre 40. Fur diefes
Jahr fprechen auch die Mfinzen des Antipas. Auger Munzen feiner Re-
gierung, welche auf der einen Seite die Auffchrift Howrfow Tez^n^xov mil
den Jahreszahlen 33, 34, 37, 38, auf der andern Seite den Namen der
Stadt Tiberias haben, gibt es auch folche mit der Auffchrift H^wdy?
TtTyapxtjc auf der einen, und Fana Kainagt reypavixw auf der andern,
wovon drei die Jahreszahl Mr = 43 (alfo 39/40 n. Chr.) tragen (Madden,
Coins of the Jews 1881, p. 121 sq.). Es gab auch eine mit dem Datum
M.A = 44 (vgl. daruber fchon Sanclemente, p. 315319 und Eck'hel,
Doctr. Num. Ill, 487 sq.; f. auch Madden, 1. c., p. 122, fowie SchQrer I,
13*
196 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
416 f. 434. 448, der auch S. 417 iiber eine unechte Munze mit der Jahres-
zahl 45 (ME) zu vergleichen ift). Kellner, Katholik, 1887 II 176 und Jefus
von Naz., S. 102 will allerdings uberhaupt die Regierungsjahre des Antipas
nicht vom Tode des Herodes an zahlen, da Antipas fchon vorher, nam-
lich als Nachfolger feines Onkels Pheroras Tetrarch gewefen fei. Allein
Jofephus fagt davon gar nichts, lagt vielmehr den Antipas erft nach dem
Tode des Herodes Tetrarch werden (Ant. 17, 11, 4).
IV. K a p i t e 1.
Die Regierung des Konigs Herodes Agrippa I. vom
Jahre 41 44. Sein Sohn Agrippa II. und andere
Verwandte.
1. K6nig Herodes Agrippa I. 1 )
SeinLeben . Die Lebensgefchichte diefes Enkels des Herodes I. und
wie ein Ro- der Mariamme, des Sohnes des ungluddidien Prinzen Arifto-
man - bul, Heft fich wie ein Roman. Bald am romifchen Hofe hoch
geehrt, bald verbannt und auf der Flucht vor feinen Glau-
bigern, wird Agrippa aus dem Gefangnis heraus auf einen
Furftenthron berufen, greift in krilifcher Zeit erfolgreich in
die Schickjale des romifdien Reiches felbft ein, veranlafet mittel-
bar die Trennung der Apoftel und das Wirken des von ihm
verfolgten Apoftels Petrus zu Rom und befchliefct ein aben-
teuerliches Leben als Konig von Jerufalem.
Erziehung Herodes Agrippa, im Neuen Teftament heifct er blofe
und Leben zu Herodes, war als altefter 2 ) Sohn des Ariftobul und der
Rom. Berenice, einer Tochter der Salome- und des Koftobar, im
Jahre 10 v. Chr. geboren. 3 ) Seine Mutter fiedelte, ohne
Zweifel mit Zuftimmung des Herodes, kurz vor de[fen Tode
nadi Rom iiber und lebte dort in inniger Freundfchaft 4 ) mit
der edlen Witwe des im Jahre 9 v. Chr. verftorbenen Clau-
dius Nero Drufus Germanicus, der Schwagerin des Kaifers
') Quellen Jos. Ant. 18, 6. 19, 5-9. B. J. 2, 9. 11. Philo in Flaccum
und Leg. ad Cajum. Apoftelgefchichte Kap. 12. Ober feine Munzen f. u.
*) Ant. 18, 5, 4. Vgl. B. J. 1, 28, 1,
3 ) Ant. 19, 8, 2.
*)'Ant. 18, 6, 1. 3.
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 197
Tiberius, Antonia. Mit ihren zwei Sohnen, Germanicus
Cafar und Claudius, und dem Sohne des Tiberius, dem
jiingeren Drufus, 1 ) wuchs Agrippa auf. Er lernte, fidi
mit grofcem Gefchick auf dem fchlupfrigen Hofpflafter be-
wegen, lernte aber auch allerlei Lafter, wurde ein Ver-
fchwender und hatte nach dem Tode feiner Mutter bald fein
eigenes Vermogen durdigebradit und fich tief in Schulden
gefturzt. Als nun im Jahre 23 n. Chr. Drufus durch Gift
ftarb, Tiberius aber die Freunde des Verftorbenen, um nicht
an deffen Andenken erinnert zu werden, nicht mehr fehen
wollte, konnte fich Agrippa fchon aus Armut nicht langer in
Rom halten 2 ) und fchiffte fich, um feinen GlSubigern zu ent-
gehen, nach Judaa ein.
Er begab fich in einen einfamen Burgflecken Idumaas, Agrippa ais
namens Malatha, und wollte fein Leben durch Selbftmord Marktauf-
endigen. Da wurde feine Gemahlin Kypros, ebenfalls eine ^ her von
Tiberias
Herodeerin, 3 ) fein guter Engel. Sie verwandte fich fiir ihn
bei feiner Schwefter Herodias, welche damals fchon mit An-
tipas vermahlt war, und der gab ihm das unbedeutende Amt
eines Marktauffehers von Tiberias und wies ihm Geld zur
Sieherung feines Lebensunterhaltes an. Da er ihm aber dies
eines Tages bei einem Gaftmahl in Tyrus vorwarf und ihn
einen Bettler nannte, begab fich Agrippa nach Antiochien zu
dem ihm von Rom her befreundeten 4 ) Pomponius Flakkus,
der feit dem Jahre 32 Statthalter von Syrien war. Er machte
fich aber auch hier unmoglich, weil herauskam, dafc er fich
von den Damaszenern hatte beftechen laffen, um ihnen in
Grenzftreitigkeiten gegen die Sidonier bei Flakkus zu helfen.
Jetjt wollte er wieder nach Italien. Er verfchaffte fich
in Ptolemais von einem Freigelaffenen feiner Mutter Geld
und ftand im Begriff von Anthedon, im Siiden Palaftinas,
abzufahren, ais Herennius Capito, der Prokurator der kaifer-
lichen Domane Jamnia, durch Soldaten das Schiff mit Be-
J ) Tac. ann. 1, 76 wirft ihm zu groge Freude an den blutigen Gla-
diatorenkampfen vor.
2 ) Ant. 18, 6, 1.
3 ) Ant. 18, 5, 4. Ihre Mutter Salampfio war eine Tochter des Hero-
des I. und vermahlt mit ihrem Vetter Phafael, deffen Vater, ein Bruder
des Herodes, ebenfalls Phafael hieg.
*) Ant. 18, 6, 2.
198 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der. Juden etc.
fchlag belegte, bis Agrippa eine nodi dem Sohne des Kaifers
fchuldige Summe bezahlt habe. Aber Agrippa liefc in der
Nacht die Taue durchfchneiden und entkam nadi Alexandrien,
wo es ihm gelang, auf Burgfchaft feiner Frau hin eine grofce
Anleihe zu machen.
Von36n.Chr. So kam er im Jahre 36 nach Italien, 1 ) wo er zu Capri
an wieder in^ei Tiberius anfangs gute Aufnahme land, dann aber auf
om ' die Klage des Herennius Capito vom Hofe verwiefen wurde,
bis er feine Schulden bezahlt habe. Das ermoglichte ihm
die alte Freundin feiner Mutter, Antonia. Jetjt vertraute ihm
Tiberius feinen Enkel, den Sohn des Drufus, an, damit er
diefen ftets begleite. Allein aus Dankbarkeit gegen Antonia
fchlojg fich Agrippa mehr an deren Sohn, den fpateren Kaifer
Cajus Caligula, an. Den fur diefen Umgang notigen Aufwand
ermoglichte ihm ein Freigelaffener des Kaifers namens
Thallus. 2 )
Agrippa im Es war begreiflich, dafc Agrippa, um feine Lage zu ver-
Gefangnis. beffern, den Wunfch hegte, Tiberius moge bald dem Cajus
Platj auf dem Throne machen. Da er aber eines Tages
feinen Wunfch vor Cajus laut in Gegenwart feines Kutfchers
Eutychus, eines Freigelaffenen, geaufcert hatte, zeigte diefer 3 )
den Agrippa, welcher ihn bald danach wegen eines Mantel-
diebftahls hatte ergreifen laffen, beim Kaifer an. Jetjt wurde
Agrippa auf Befehl des Tiberius in Ketten gelegt, die er
fechs Monate lang bis zum Tode des Kaifers (16. Marz 37)
trug. Damals foil ihm ein deutfcher Mitgefangener feine Er-
hebung zur hoheren Macht vorherverkiindet, aber auch zu-
gleich vorhergefagt haben, dafe, wenri er einen Uhu, der fich
gerade auf einen Baum herabliefc, wiederfehe, er nach fiinf
Tagen fterben miiffe. 4 ) Eines Morgens kam ein Freigelaffener
und fagte dem Agrippa auf Hebraifch ins Ohr: Der Lowe
ift tot. Aber erft am folgenden Morgen> nachdem dem Agrippa
inzwifchen die ihm zuerft auf jene Nachricht hin abgenommenen
1 ) Ant. 18, 6, 3. Vgl. 18, 5, 3.
2 ) Ant. 18, 6, 4. Er lieh ihm eine Million Sefterzen (159000 Mk.),
fo dag Agrippa jetjt fogar feine Schuld bei der Antonia bezahlen konnte.
3 ) Ant. 18, 6, 5.
*) Ant. 18, 6, 6 f.
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 199
Ketten wieder angelegt worden waren, erfuhr man beftimmt,
Tiberius fei wirklidi geftorben. 1 )
Sobald Tiberius beftattet war, befreite fein Nachfolger Seine Er-
Caligula den Agrippa aus dem Gefangnis, gab ihm ftatt der nebu ng zum
eifernen Kette eine gleicb fchwere goldene, ernannte ihn zum om e -
Tetrarchen der fruheren Tetrardiie des Philippus und der
des Lyfanias und verlieh ihm den Konigstitel.*)
Der Konig blieb nodi anderthalb Jahre 3 ) als der ver-
traute Freund des Kaifers in deffen Umgebung. Daft er
feinen Torheiten und Schlechtigkeiten irgendwie entgegen-
getreten fei, horen wir nicht. Und doch zwang Caligula
gegen Ende des Jahres 37 den Zogling Agrippas, den erft
fiebzehnjahrigen Enkel des verftorbenen Kaifers, der wie
diefer Tiberius hiefc, fich felbft den Tod zu geben.
Erft im Herbfte des Jahre 38 kehrte Agrippa nach Pala- SeinAuf-
ftina zuriick. Er nahm der giinftigeren Winde wegen den A ! reten . m
Weg fiber Alexandrien und trat in der Stadt, ohne Riickficht und
auf den anwefenden Statthalter Flakkus zu nehmen, offent- p a iaftina.
lich im Konigsgewande mit einem reichgekleideten Gefolge
auf und wurde in alien Strafcen von einer larmenden Juden-
menge enthufiaftifdi mit dem fyrifchen ,,Marin! Marin!" (das
heigt ,,unfer Herr" begruf(t. d ) Dadurch wurde aber die fchon
ohnehin dureh den Judenfeind Apion u. a. gegen die Juden
verhetjte griechifche Bevolkerung nodi mehr gegen diefe ge-
reizt. Den Agrippa, der felbft auch fchon hohnifdie Zurufe
vernehmen mufjte, trifft die Sdiuld, durch fein Auftreten zu
der bald eintretenden Verfolgung der Juden in Alexandria 5 )
mit Veranlaffung gegeben zu haben.
Wie infolge feines Auftretens in Paiaftina die Herodias
den Antipas zu der ungliicklichen Reife nach Rom veranlafcte,
wo er fich den Konigstitel holen follte, wurde fchon erzahlt.
Ebenfo daft im Jahre 40 n. Chr. Agrippa auch noch die
Tetrarchie des Antipas erhielt. 6 )
1 ) Ant. 18, 6, 10.
2 ) B. J. 2, 9, 6. Ant. 18, 6, 10. Philo in Place. 6 (der aber nur
von der Tetrarchie des Philippus, vgl. S. 200, 9, redet), Dio Cass. 59, 8.
3 ) Ant. 18, 6, 11.
*) Philo in Place. 5. Vgl. o. S. 194, 2.
5 ) S. unten.
6 ) S. o. S. 194.
Cahguia
200 Erfter Abfchnitt. Die politifcbe Gefchichte der Juden etc.
Seine Ver- Vom Herbfte des Jahres 40 an war er wieder bei Cali-
dienfte um g u ia in Rom 1 ) und erwarb fich damals das grofee Verdienft,
j^jj wen ig[tens zeitweife zum Verzicht auf die Aufftellung feiner
Bildfaule im Tempel zu Jerufalem bewogen zu haben. 2 )
Er war auch in Rom anwefend, als Caligula am 24. Ja-
nuar ermordet wurde, 3 ) er eilte auf die Kunde von der Er-
mordung herbei und hob die Leiche auf. 4 ) Audi machte er
dem von Natur wie durch friihere Kranklichkeit und Zuruck-
fetjung angftlichen und unbeholfenen Oheim des Verftorbenen,
Claudius, den die Pratorianer aus dem Palaft, wo er fich
aus Ang[t verfteckt hatte, in die Kaferne geholt batten, um
ihn zum Kaifer zu maehen, 5 ) Mut. Ja er verftand es, den
Senat, der uberhaupt keinen Tyrannen mehr wollte, 6 ) hint-
anzuhalten, bis immer mehr Anhanger dem Claudius zu-
ftromten und die Senatoren iroh fein mujgten, dag Claudius
fie auf Bitten Agrippas mild behandelte und fich auch im
Senate beftatigen liefc. 7 ) Vergebens hatte der Hauptmorder
Caligulas, der Tribun Caffius' Charea, die Soldaten be-
fchworen, doch nicht ftatt eines Verriickten einen Efel wie
Claudius auf den Thron zu fetjen. 8 )
Er erhait das Die Dankbarkeit des neuen Kaifers Tiberius Claudius
ganze Reich G erma nicus gegen Agrippa zeigte fich aber nun darin, dajj
er ihn nicht nur in f einen Tetrarchien beftatigte, fondern ihm
' . q . , J ' '
auch noch Judaa und Samaria verlieh, ) fo dag er das ganze
Reich, wie es fein Grofcvater Herodes inne gehabt hatte,
befajj. Auch dem jiidifchen Volke kam die Dankbarkeit des
Claudius zugute. Denn der Kaifer befahl durch ein Dekret
1) S. o. S. 195, 2.
2 ) S. o.'S. 179 f.
3 ) Vgl. Ant. 19, 1, 3-15.
*) Ant. 19, 4, 1.
5 ) Ant. 19, 2, 1. 3, 1-3.
) Ant. 19, 2, 2 f.
') B. J. 2, 11, 1-5. Ant. 19, 4, 13. Sueton. Claud. 10. Dio
Cass. 60, 1, 4.
8 ) Ant. 19, 4, 4.
y ) B. J. 2, 11, 5 und genauer Ant. 19, 5, 1. Wenn es hier heigt,
der Kaifer habe dem Agrippa noch ,,Abila, das Lyfanias beherrfcht hatte,
und die Gegend am Libanon" gegeben, fo ift dies, da fchon Ant. 18, 6, 10
die Obertragung der Tetrarche des Lyfanias durch Caligula an Agrippa
berichtet wurde, nur von einer Beftatigung zu verftehen. Vgl. S. 199, 2.
d ! s .
Herodes 1.
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 201
die Wiederherftellung des fruheren Zuftandes in Alexandrien
und ficherte den dortigen Juden freie Religionsiibung zu. 1 )
Weiter verlieh er durch ein anderes Dekret den Juden in der
Diafpora und damit auch in Italien diefelben Redite, die den
Juden in Alexandrien gewahrt waren, und beftatigte ihnen
die von Auguftus gemachten Zugeftandniffe, ermahnte fie
aber auch zugleich, nun damit zufrieden in ihren Schranken
zu bleiben und die Religionen der ubrigen Volker nidit zu
verachten. 2 )
Bald nach die[en Erlaffen ging Agrippa im Jahre 41 Seine
nach Jerufalem und bewies hier diefelbe GeFchmeidigkeit wie Freundhcn -
am romifchen Hofe. Denn er trat auf wie ein theokratifcher *
Konig und ftutjte fich auf die beim Volke angefehenen Phari-
faer. Kaum in Jerufalem angelangt, brachte er Dankopfer
im Tempel dar, beftritt fiir eine groge Zahl Nafiraer die
Koften ihrer Opfer und liefr die ihm von Caligula im Jahre 37
verliehene goldene Kette als Weihegefchenk im Tempel auf-
hangen. 3 ) Jofephus, der iiberhaupt groge Sympathien fiir
ihn zeigt, lobt an ihm, 4 ) daft er gern und anhaltend in
Jerufalem wohnte, die Gefetje des Landes gewiffenhaft be-
obachtete und keinen Tag ohne Opfer vorflbergehen lieg. 5 )
Seine Toditer Drufilla verlobte er mil Epiphanes, dem Sohne
des Konigs Antiochus von Commagene, nur gegen deffen
Verfprechen, dag er die judifche Religion annehme, welches
diefer allerdings fpater nicht hielt und auf die Drufilla ver-
zichtete. Er wu&te es auch bei Petronius, dem damaligen
Statthalter von Syrien, durchzufetjen, dag diefer junge Leute,
welche aus Obermut zu Dora in Phonizien in einer Juden-
') Ant. 19, 5, 2.
2 ) Ant. 19, 5, 3. Qenaueres f. unten.
8 ) Ant. 19, 6, 1.
4 ) Ant. 19, 7, 3.
6 ) Ant. 20, 7, 1. Die Mifchna Sota VII, 8 berichtet, dafe Agrippa
beim Laubhiittenfeft das Deuteronomium vorgelefen und bei der Stelle
(Deut. 17, 15): M Du follft keinen Fremdling uber dich fe^en, der nicht
dein Bruder ift" in Tranen ausgebrochen fei. Das Volk habe ihm aber
zugerufen: ,,Furchte nichts! Du bift un[er Bruder! Du bift unfer Bruder."
Die Stelle wird von Derenbourg, Histoire 217, 1 u. a. auf Agrippa II.,
von SchQrer 1, 555, 27 mit mehr Wahrfcheinlichkeit auf Agrippa I., zu
deffen ganzes Verhalten fie befonders gut pagt, bezogen.
202 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gejchichte der Juden etc.
fynagoge eine Statue des Kaifers aufgeftellt batten, dafiir
zur Rechenfchaft zog. 1 )
Sein Verhait- Sonft waren ihm die Romer allerdings nicht fo gefallig.
nis zu den Denn als er im Streben nadi Voiksgunft die Stadt Jerufalem
Rome. j tarker zu befeftigen anfing und die den neuen Stadtteil Be-
zetha oder die Neuftadt einfchlieftenden Mauern breiter und
hoher bauen liefe, mufcte er auf Befehl des Kaifers, der durdi
den neuen Statthalter von Syrien, Marfus, unterrichtet wor-
den war, von der Vollendung der Mauer abftehen. 2 ) Nodi
fchlimmer erging es ihm, als er zu Tiberias in Galilaa funf
romifche Vafallenfiirften, namlich die Konige Antioehus von
Commagene, Sampfigeram von Emefa in der {yrifchen Land-
fchaft Apamea, Cotys von Kleinarmenien, Polemon von Pon-
tus 3 ) und feinen eigenen Bruder Herodes von Chalcis 4 ) zu
Gaft hatte. Denn es erfchien audi der {yrifche Statthalter
Marfus und befahl, augenfcheinlich weil er eine Konfpiration
gegen Rom argwohnte, den fiinf Konigen ungefaumt nach
Haufe zu gehen. Trots femes' guten Verhaltniffes zu Clau-
dius mufjte Agrippa die Beleidigung, ohne Genugtuung zu
erhalten, hinnehmen. 5 )
Er verfoigt Dem Streben des Agrippa nach Voiksgunft und feinem
die Apoftei. an blutigen Schaufpielen fich ergo^enden Gemiite 6 ) entfprach
es, da er aucii die Apoftei verfolgte und den Jakobus, den
Sohn des Zebedaus, mit dem Schwerte umbringen liefe. Der
heilige Petrus ift ihm nur durdi ein Wunder entkommen. 7 )
Sein Leben Es ware ein grower Irrtum, wenn man wegen der Er-
aufcerhaib zahlungen des Jofephus uber die Freigebigkeit, Leutfeligkeit
Paiaftinas. un( j Judenfreundlidikeit des Agrippa 8 ) fidh diefen als einen
') Ant. 19, 6, 3 f.
2 ) Ant. 19, 7, 2. B. J. 5, 4, 2 f. und 2, 11, 6. Vgl. o. S. 68.
3 ) Vgl. unten.
*) S. u. S. 205 f.
5 ) Ant. 19, 8, 1.
6 ) S. S. 197, 1 und 203.
7 ) Apg. 12, 1-19. Zu Oftern 41 kann Agrippa noch nicht in Jeru-
falem gewefen fein. Er wird aber auch nicht mit einer folchen auf das
Volk berechneten Magregel gezogert haben, fobald er die Stimmung des
Volkes kannte. Deshalb ift der Mord des Jakobus Oftern 42 anzufe^en.
s ) Erlag der Abgaben von den einzelnen Haufern in Jerufalem.
Ant. 19, 6, 3. Andere allgemeine Bemerkungen f. Ant. 19, 7, 3. 8, 2.
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa 1. und feine Familie. 203
gutmiitigen, innerlich fur das Judentum begeifterten Mann
vorftellte. Er fpielte nur mit Gefchick eine politifche Rolle
und dachte nidit daran, etwa mit Rat der Pharifaer nun fein
Leben ganz nach ihren Grundfatjen einzuriditen. Schulden
hat er bis an fein Lebensende gemacht 1 ) und felbft einen
feiner treueften und verdienteften Anhanger, Silas, den er
felbft zum Oberbefehlshaber ernannt hatte, in Ketten legen
laffen, weil derfelbe ihm gegeniiber oft einen zu freien Ton
anfdilug. 2 ) Wenn er nidit in Jerufalem war, erfreute er fieri
auch fchon zu Cafarea an den Geniiffen des Heidentums,
feierte Spiele im Theater 3 ) und liejg in feinem Haufe zu
Cafarea feinen Tochtern Bildfaulen errichten/) In der be-
fonders von ihm begiinftigten romifchen Kolonie Berytus er-
richtete er aufjer einem Theater auch ein fehr koftbares
Amphitheater mit Badern und Saulengangen, 5 ) zu deffen
Einweihung fidi vierzehnhundert Gladiatoren (nach Jofephus
Verbrecher aller Art) gegenfeitig mordeten. 6 )
Unter diefen Umftanden ift es zu begreifen, dafe feine
augerhalb Jerufalems gepragten Miinzen ein Bild, namlich
bald das des Agrippa felbft, bald das des Kaifers haben.
Auf diefen Miinzen hat er den Titel ,,K6nig Agrippa" oder
,,grofeer Konig Agrippa, Freund des Kaifers". 7 )
Seiner Herrfchaft ift keine lange Dauer befchieden ge- Sein Ende.
wefen Wahrend er in einer Volksverfammlung zu Cafarea in
koniglichem Kleide auf dem Throne fafc und eine Rede an
die Gefandten von Tyrus und Sidon, welche Stadte durch
feine Begiinftigung von Berytus naturlich in ihrem Handel
fich beeintrachtigt fuhlten, hielt, rief ihm das Volk zu: ,,Eines
Gottes, keines Menfchen Stimme." Weil er aber, fo fagt
die Apoftelgefchichte, 8 ) Gott nicht die Ehre gab, d. h. diefe
Ant. 19, 8, 2.
2 ) Ant. 19, 7, 1. Sobald Agrippa tot war, lieg Herodes von Chalcis
den Silas im Qefangnis umbringen. Ant. 19, 8, 3.
3 ) Ant. 19, 7, 4.
4 ) Ant. 19, 9, 1.
6 ) Ant. 19, 7, 5.
6 ) Ant. 19, 7, 5.
7 ) ZJao'iAer? /tteya? ^yfiana? q>tioxai(fct^. Ober feine Miinzen vgl. Levy
80 f. Madden, Coins p. 129139.
8 ) Apg. 12, 1923.
204 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
gotteslafterliche Schmeichelei annahm, fchlug ihn ein Engel
des Herrn, und er gab, von Wurmern zerfreffen, feinen Geift
auf. Im wefentlichen ftimmt hiermit der Benefit des Jo-
fephus *) iiberein. Darnadi ereilte ihn fein Schickfal, als er zu
Cafarea im Theater in Gegenwart der vornehmften Manner
der Provinz zu Ehren des Claudius ,,wegen deffen Rettung"
Kampffpiele abhielt. Bei der Gelegenheit erfchien er in einem
ganz aus Silber gewirkten Kleide, welches im Glanz der
Morgenfonne ftrahlte. 2 ) Von alien Seiten begriigten ihn die
Schmeichler, ohne dafc er fie zuriickwies, als Gott. Als er
aber bald nachher nach oben fchaute, fah er fiber fich auf
einem Strick einen Uhu fitjen und erinnerte fich an die Weis-
fagung des fruher mit ihm gefangenen Germanen. 3 ) Bald
empfand er einen immer furchtbarer werdenden Schmerz in
den Eingeweiden, iiefc fich nach Haufe tragen und ftarb nach
fiinf Tagen. Man fieht, die Angaben des Arztes Lukas iiber
die fchreckliche Krankheit des Agrippa ift genauer als die
des Jofephus, der fie nur im allgemeinen angibt. 4 )
Die Zeit Er ftarb im Jahre 44, 5 ) als das Feft ,,wegen der Rettung"
femes Todes. $ QS Kaifers Claudius gefeiert wurde. Darunter ift nach dem
Wortlaut ein befonderer Anlafc zu verftehen und deshalb
weder an den Geburtstag des Kaifers (1. Auguft) 6 ) noch an
den Jahrestag feiner Thronbefteigung (24. Januar) noch an
die von Herodes I. gegrundeten alle vier Jahre zu Cafarea
ftattfindenden Kampffpiele 7 ) zu denken. Es handelt fich viel-
mehr um die Feier der glucklichen Ruckkehr des Claudius
') Ant. 19, 8, 2.
2 ) Ein Gegenftiick dazu war der goldene Mantel, welchen die Kai-
ferin Agrippina bei dem Schiffskampfe auf dem Fucinerfee trug. Tac.
ann. 12, 56. Dio. 60, 31. Plin. N. H. 33, 3, 63.
3 ) S. S. 198.
4 ) Vgl. Felten, Apoftelgefchichte, S. 245 f. Von dem Throne (p^it,
Apg. 12, 21) konnte er die Spiele anfchauen und zugleich die Qefandten
anreden. Schon Euf. H. E. 2, 10 weift auf die wefentliche Obereinftim-
mung beider Beridite bin.
6 ) Nachdem er drei Jahre unter Claudius regiert hatte. Ant. 19, 8, 2.
8 ) So Kellner, Jefus von Nazareth, S. 105.
7 ) So Wiefeler, Chronologic des apoftol. Zeitalters, GOtt. 1848,
S. 129 ff., (wogegen Sdhurer I, 562, 44) und E. Schwar^, Zur Chrono-
logic des Paulus G. G. N. 1907, H. 3, S. (263-299) 265 f.
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 205
aus Britannien/) weldie im Januar 44 erfolgte, 2 ) in Judaa
aber wohl erft im Marz oder zu Anfang April bekannt ge-
worden ift. Ihre Feier ift dort, da auch die Vorbereitungen
dazu einige Zeit in Anfpruch nehmen mufeten, vermutlidi erft
Ende April oder Anfang Mai 44 gehalten worden, und in
diefe Zeit ift auch der Tod des Agrippa zu verlegen. 3 )
Aus Anlafe des Todes des Agrippa haben auf die Kunde
davon die Burger von Cafarea und Samaria und die daher
ftammenden Soldaten formliche Freudengelage*) gehalten,
letjtere wohl auch aus Zorn fiber die Behandlung des fruheren
Oberbefehlshabers Silas, alle aber am meiften wegen der
Judenfreundfchaft des Verftorbenen.
Agrippa hinterliefc vier Kinder, drei Tochter, wovon die Seine Kinder.
altefte, Berenice, an ihren Oheim Herodes von Chalkis ver-
heiratet war, und einen fiebzehnjahrigen Sohn, der auch
Agrippa hiefc. Diefer wurde am kaiferlichen Hofe zu Rom
erzogen und war noch. zu jung und unerfahren, um das
Reich feines Vaters, das ihm Claudius gern iibertragen hatte,
zu verwalten. Deshalb wurde nunmehr das ganze Reich in
romifche Verwaltung genommen und Cuspius Fadus zum
Landpfleger von Judaa ernannt, 5 ) wahrend an Stelle des
Marfus jetjt Caffius Longinus Statthalter von Syrien w.urde.
Agrippa I. hatte zwei jiingere Bruder, von denen der Herodes von
jungfte, Ariftobul, als Privatmann lebte und ftarb, 6 ) der andere, Chaicis.
Herodes, aber im Jahre 41 mit der Erhohung des Agrippa
auch felbft emporftieg, indem ihm Claudius auf Bitten des
Agrippa das Fiirftentum Chaicis famt dem Konigstitel ver-
lieh. 7 ) Zu diefem Eintreten ffir feinen Bruder bewog den
Agrippa auch noch der Umftand, daft fein Bruder auch fein
eigener Schwiegerfohn war. Denn Herodes von Chaicis
hatte in zweiter Ehe 8 ) die obenerwahnte Berenice, die trot)
J ) So auch Anger, Schiirer, Lewin u. a.
2 ) Dio Cass. 60, 23 erwahnt ihre Feier in Rom im Fruhjahr 44.
3 ) Vgl. Lewin, Fasti sacri, Lond. 1865, p. 279 sq. n. 1674.
*) Ant. 19, 9, 12.
5 ) B. J. 2, 11, 6. Ant. 19, 9, 1-2.
6 ) B. J. 2, 11, 6.
7 ) B. J. 2, 11, 5. Ant. 19, 5, 1.
8 ) Er war zuerft mit Mariamme, einer Enkelin des Herodes I., ver-
heiratet (Ant. 18,' 5, 4) und hatte von ihr einen Sohn namens Ariftobul,
fiber den o. S. 191, 4 u. 206, 3 zu vergleichen ift.
206 Erfter Abfdmitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
ihrer Jugend 1 ) fchon einen Gemahl, Marcus, den Sohn des
Alabardien Alexander durdti den Tod verloren hatte, ge-
heiratet. 2 ) Das Ftirftentum Chalcis hatte feinen Namen von
der Stadt Chalcis im Gebiete des Libanon. 3 ) An das viel
weiter nordlich auf der Strafje von Gyrrus nadi Emefa, fiid-
lich von Beroa (= Aleppo) in der Landfehaft Chalcidice ge-
legene Chalcis 4 ) (= Kinnesrin) 5 ) zu denken, verbietet fchon
die geographifche Lage. Herodes von Chalcis erhielt einige
Zeit nach dem Tode des Agrippa von Claudius das Recht,
die jiidifchen Hohenpriefter zu ernennen, und die Oberaufficht
iiber den Tempel und den Tempelfchatj. 6 ) Er ftarb aber fchon
wenige Jahre fpater, im Jahre 48, oder genauer vor dem
24. Januar des Jahres 49, im achten Jahre des Claudius. 7 )
2. Kdnig Agrippa II.
Markus Julius Agrippa, ,,der groge Konig, Freund des
Kaijers, Frommer, Freund von Rom," wie er auf Infchriften 8 )
heifct, der Sohn des Agrippa I., war am Hofe des Claudius,
wofelbft er beim Tode feines Vaters weilte, erzogen wor-
') Sie war beim Tode ihres Vaters erft 16 Jahre alt. Ant. 19, 9, 1.
2 ) B. J. 2, 11, 5 f. Ant. 19, 5, 1. Aus der Ehe ftammten zwei
Sohne Berenikianos und Hyrkanos. S. B. J. 2, 11, 6. Ant. 20, 5, 2.
3 ) Vgl. o. S. 83, 3. Das Furftentum ift fpater an Agrippa II.- ge-
fallen, der es aber nur bis zum Jahre 53 befag (B. J. 2, 12, 8. Ant. 20,
7, 1). Vgl. u. S. 194. Aber noch im Jahre 72 wird ein K6nig von Chalcis
erwahnt, Namens Ariftobul (B. J. 7, 7, 1), der wohl mit dem Sohne des
Herodes von Chalcis (B. J. 2, 11, 6, f. S. 205, 8), den Nero zum Konig-
von Kleinarmenien gemacht hatte, identifch ift. Ob aber auch Chalcis fchon
vor dem Jahre 41 von der Tetrarchie des Lyfanias getrennt war, weig
man nicht.
*) Vgl. iiber Chalcis auch Marquardt, RStV 1, 400 f., der mit No-
rifius die Einverleibung der Stadt Chalcis in die Provinz Syrien, weil
die Stadt eine Ara von 845 = 92 n. Chr. hat, in diefes Jahr verfetjt.
4 ) Kinnesrm heigt Adlerneft. Die Turken nennen den Ort Eski
Haleb = Alt-Aleppo. Vgl. Badekers Palaftina und Syrien, S. 421 f.
6 ) Ant. 20, 1, 3. Urn diefelbe Zeit wurde den Juden die Verwah-
rung der hohenpriefterlichen GewSnder geftattet. Vgl. das Refkript vom
28. Juni 45. Ant. 20, 1, 2.
7 ) Alfo zwifchen dem 24. Januar 48 und 49". S. B. J. 2, 11, 6.
Ant. 20, 5, 2.
8 ) Waddington, Inscript. Qrecques et Latines de la Syrie P. 1870,
n. 2365.
IV. Kap. K6nig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 207
den. Er hatte bei diefem gelehrten Grammatiker einen ge- Seine
wiffen Sinn fur Wiffenfchaft fidh angeeignet. x ) Daft er aber Erziehung.
fonft am Hofe der Meffalina, der Gattin des Claudius, etwas
Gutes gelernt hat, ift nicht zu erwarten. Da er beim Tode
feines Vaters erft 17 Jahre alt war, fetjten die Ratgeber des
Claudius es durch, dafe diefer auf feinen Wunfch, ihn zum
Nachfolger feines Vaters zu madien, verzichtete, weil ein fo
junger Menfch wirklidi ein fo grofces und unruhiges Reich
nicht verwalten konnte. So blieb der junge Agrippa einft-
weilen als Privatmann in Rom. 2 )
Als aber fein Onkel Herodes zu Chalcis im Jahre 48 Nachfolger
ftarb, wurde Agrippa vermutlich fchon bald nach deffen Tode des Herodes
im Jahre 49 zu feinem Nachfolger ernannt. 3 ) Audi erhielt von Chalci s
er die Oberaufficht fiber den Tempel wie das Redit, die
Hohenpriefter zu ernennen. 4 )
Dem Anfcheine nach blieb er auch jetjt in Rom. Denn
wie er fruher 5 ) die wegen der Verwahrung der hohenpriefter-
lichen Gewander nach Rom gefchickten judifchen Gefandten
bei Claudius eingefuhrt hatte, fo nahm er fich auch feiner
Landsleute in einem Streite gegen den Landpfleger Cuma-
nus und die Samariter an. 6 ) Bei der Abfetjung des Cuma- Er erhalt im
nus wurde aber doch nicht Agrippa zum Konige von Judaa Jahre 53 zwei
ernannt, fondern die Verwaltung des Landes dem Landpfle- Tetrarchien -
ger Felix ubertragen. Aber er erhielt doch gegen den Ver-
zicht auf Chalcis im Jahre 53 die fruhere Tetrarchie des
Philippus fowie die des Lyfanias und das ehemalige Gebiet
des Varus. 7 ) Dazu kamen noch unter Nero im Jahre 54
') Mit dem jQdifchen Qefchichtfchreiber Jofephus unterhielt er einen
lebhaften Briefwechfel fiber deffen Gefchichtsauffaffung. Jof. Vita 65.
2 ) Ant. 19, 9, 1 f.
3 ) Ant. 20, 5, 2. B. J. 2, 12, 1. Nach Ant. 20, 7, 1 erhielt Agrippa
die zwei Tetrarchien des Philippus und Lyfanias im 13. Jahre des Clau-
dius, nachdem er vier Jahre Chalcis befeffen hatte. Das 13. Jahr des
Claudius beginnt am 24. Januar 53. B. J. 2, 14, 4 heijgt es allerdings,
der judijche Krieg habe im Mai 66 angefangen im 17. Jahre der Konigs-
herrfchaft des Agrippa, wonach man meinen follte, Agrippa habe Chalcis
erft im Jahre 50 erhalten.
*) Ant. 20, 8, 11. 20, 9, 7.
B ) S. o. S. 169.
6 ) Ant. 20, 6, 3.
') Ant. 20, 7, 1. B. J. 2, 12, 8. Den Varus halt Schurer I, 587, 6
208 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
Oder 55 ein Teil Galilaas, namlich die Stadte Tiberias und
Tarichea, fowie die Stadt Julias in Peraa famt 14 umliegen-
den Dorfern. 1 )
Aus Dankbarkeit nannte Agrippa die von ihm erweiterte
Stadt Cafarea Philippi Neronias. 2 ) Keine Stadt hat er aber
mehr begiinftigt, als die fchon von feinem Vater bevorzugte
Stadt Berytus, die er ganz mit Statuen und Bildern fchmuckte
und wo er ein Theater zur Abhaltung jahrlicher Sdiaufpiele
baute. 3 )
Was er fur Piir Jerufalem tat er wenig. Wir horen nur, dafc er
Jeru[aiemtat. edaubtej die Stadt mit we j em Marmor zu pflaftern, damit
die friiher am Tempelbau befchaftigten achtzehntaufend Bau-
leute ein Verdienft hatten, und daft er mit Erlaubnis des
Hohen Rates den levitifchen PJalmenfangern zum grofcen
Argernis des Jofephus geftattete, wie die Priefter leinene
Gewander zu tragen. 4 )
und 720 f. fur einen Sohn des zur'Zeit des Caligula lebenden Soemus
Konigs der Ituraer (f. o. S. 83, 3). Sein Gebiet lag nach Schiirers An-
ficht am Libanon.
') Vgl. Ant. 20, 8, 4 und die Parallel[telle B. J. 2, 13, 2, wo auger
Julias noch Abila in Peraa (gegenuber Jericho; genannt wird. Da Ant.
20, 8, 4 Qberhaupt nur das erfte Jahr des Nero ohne jedes ,,darauf" oder
,,nachher" erwahnt wird, ift auch diefe dem Agrippa erwiefene Gunft in
diefe Zeit zu fetjen. Audi Jof. Vita 9 heigt es, dag Tiberias unter
Agrippa 1. und bis auf den Landpfleger Felix (alfo bis 52 f. u.) die.
Hauptftadt von Galilaa gewefen fei.
2 ) Ant. 20, 9, 4. Es gibt Munzen, auf welchen das 25. und 26. Jahr
einer [tadtifchen Ara von Cafarea Philippi dem 12. Konfulate des Domitian
gleichgefetjt wird (Madden, Coins p. 157 f.). Vgf. dazu De Saulcy, Numis-
matique de la Terre sainte, Paris 1874, p. 315. Smith, Hift. geogr. 623, 2
gegen Sdiiirer 1, 588, 7 der an eine Ara Agrippa II. denkt. Das 12. Kon-
Julat des Domitian war das Jahr 86, alfo begann die hier erwahnte Ara
im Jahre 61. In diefe Zeit ware fomit die Neubenennung der Stadt zu
verlegen. Von einer Ara Agrippas II. kann man iiberhaupt nicht reden.
Wohl findet fich auf einer in Sanamen im Hauran gefundenen Infchrift
{ZDPV VII, 1884, 121 f.) das doppelte Datum.: ,,Das 37. Jahr, welches
auch das 32. Jahr des Konigs Agrippa ift." Dasfelbe wird aber meines
Erachtens richtig von Smith 623, 2 auf das Recht des Agrippa auf die
Nachfolge feines Vaters in 44/45 und feine tatfachliche Thronbefteigung
funf Jahre fpater bezogen.
3 ) Ant. 20, 9, 4. S. o. S. 203.
*) Ant. 20, 9, 7 und 6. B. J. 5, 1, 5 wird von Bauholz gefprochen,
welches Agrippa mit vieler Muhe und grogen Koften kurz vor dem judifchen
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 209
Er felbft gab den Juden grofcen Anftog durdi die hochft
buchftabliche Art, in welcher er fein Auffichtsamt fiber den
Tempel ausubte. Denn er errichtete auf der ehemaligen Burg
der Hasmonaer im Weften des Tempels und diefem gerade
gegeniiber ein turmartiges Gebaude, von wo er auf dem
Polfter liegend, allem, was im Tempel gefchah, zufehen konnte.
Allein die Juden hielten dies fur unpaffend und fuhrten des-
halb nun oberhaib der Halle, die fich an der innern Weft-
feite des Tempels befand , eine hone Mauer auf, wodurch
dem Konige die Ausficht wieder verfperrt wurde. Auf Fiir-
bitte der Poppaa erlangten fie aueh trotj der gegenteiligen
Bemuhungen Agrippas von Nero, dajgj die Mauer ftehen blieb. 1 )
Gegen das Chriftentum zeigte er fieh weriigftens nicht Seine
feindlich. Denn als er mil [einer Schwefter Berenice nach - nun g ' mit
Cafarea kam, um den neuen Landpfleger Feftus zu begrugen, Paulus -
jetjte diefer ihm den Fall des Paulus, der, obwohl felbft Jude,
wegen eines gewiffen Jefus, wovon Paulus behaupte, er lebe,
von den Juden angefeindet werde, auseinander und fuhrte
ihm feinem Wunfche gemag den Gefangenen vor. Damals
hielt der Apoftel eine Rede uber feine Bekehrung und fein
Wirken, die einen gewiffen Eindruck auf Agrippa machte.
Er fuchte fich aber desfelben mit den Worten zu erwehren:
Mit wenigem beredeft du mich, ein Chrift zu werden. Audi
gab er feiner Oberzeugung von der Unfchuld des Paulus in
den Worten Ausdruck, er hatte, wenn er nidit bereits an den
Kaifer appelliert hatte, in Freiheit gefetjt werden konnen. 2 )
Im iibrigen erwies fich Agrippa in allem als Freund der Seine Romer-
Romer und ftand natfirlich auch auf deren Seite im judifchen freundHch-
Kriege. Als fich im Fnihjahre 66 das jiidifche Volk gegen keit -
die Romer emporte, war Agrippa gerade in Alexandrien zur
Begrugung des neuen Statthalters von Agypten, Tiberius
Alexander. 3 ) Auf der Ruckreife traf er in Jamnia fowohl
einen Abgefandten des Statthalters Ceftius von Syrien, fo-
Kriege vom Libanon habe bringen laffen, um gemag einem Befchlug der
Priefter und des Volkes den Tempel unten zu [tu^en und ihn um zwanzig
Ellen zu erhohen.
1 ) Ant. 20, 8, 11. Ober f einen Aufenthalt auf der Burg vgl. auch
B. J. 2, 16, 3.
2 ) Apg. 25, 13 - 26, 32.
3 ) B. J. 2, 15, 1.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiidite. I. 2. u.3. Aufl. 14
210 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
wie eine jiidifche Gefandtfchaft, weldie ihm die Bedrfickung
des Landes durdi den Landpfleger Florus fchilderte. 1 ) Audi
in Jerusalem flehte man ihn um Beiftand gegen Florus an.
Allein er wollte fich nidit durch Zulaffung einer Gefandtfchaft,
die den Florus bei Nero verklage, Feindfchaft zuziehen. 2 )
Obgleich es ihm gelang, durdi eine lange, die Madit der
Romer fdiildernde Rede das Volk zum Wiederaufbau der
niedergeriffenen Hallen der Antonia und zur Zahlung der
nodi riickftandigen Abgaben an den Kaifer zu veranlaffen, 3 )
fdilug fein Verfudi, das Volk audi zum Gehorfam gegen
Florus, bis der Kaifer einen andern Landpfleger fchicke, zu
bewegen, fehl. Die Menge forderte ihn auf, die Stadt zu
verlaffen, und die Aufrflhrer warfen fogar mit Steinen nadi
ihm, fo daft er voll Unwillen in fein Reich zuruckkehrte. 4 )
Audi jetjt fuchte er nodi den Krieg zu verhindern und
fandte deshalb den Vornehmen in Jerufalem, die fich be-
miihten, der aufruhrerifchen Bewegung Herr zu werden,
3000 Reiter zu Hilfe. 5 ) Allein diefe wurden von der ftarkeren
Kriegspartei aus der oberen Stadt hinausgedrangt und die
Palafte des Agrippa und der Berenice wurden verbrannt. 6 )
Seine Be- Da nun der Krieg nicht mehr aufzuhalten war, ftellte
teiiigung am fich Agrippa ganz auf die Seite der Romer, begleitete den
Kriege gegen fynjchen Statthalter Ceftius auf dem Zuge nach Jerufalem
die Juden. und unter j m ^ te jhn durdi Hilfstruppen und Proviant. 7 ) Der
Zug hatte aber keinen Erfolg und von den Boten, die
Agrippa an die Aufrflhrer fandte, wurde der eine gleich er-
mordet, der andere verwundet und zur Fluent gezwungen. 8 )
Audi dem Vefpafian fandte Agrippa Hilfstruppen gegen die
Juden 9 ) und bewirtete ihn mit feinem Heere im Jahre 67
^TO'. 2, 16, i f.
2 ) B. J. 2, 16, 2-3.
3 ) B. J. 2, 16, 4-17, 1.
*) B. J. 2, 17, 1.
) B, J. 2, 17, 4.
6 ) B. J. 2, 17, 6.
7 ) B. J. 2, 18, 9.
8 ) B. J. 2, 19, 3.
B ) B. J. 8, 4, 2. Agrippa, der fich bis zum Frtihjahr 67 in Berytus
aufgehalten hatte (Jof. Vita 36 und 65), vereinigte feine Truppen mit
denen des Vefpafian in Antiochien (B. J. 3, 2, 4) und zog nun mit ihm
nach Tyrus (Vita 74) und Ptolemais (Vita 65).
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 211
zwanzig Tage lang in Gafarea Philippi. Zum Dank hierfur
brachte Vefpafian die abgefallenen Stadte Tiberias und
Tarichea wieder unter die Botmafcigkeit des Konigs. 1 ) Die
Romer verfchafften ihm audi die ebenfalls von ihm abgefallene
Feftung Gamala, bei deren Belagerung Agrippa felbft ver-
wundet worden war, 2 ) wieder, 3 ) fo daft er zu Ende 67 fidi
des Refines feines Reidies in jenen Gegenden wieder er-
freuen konnte. Bemerkenswert ift die Tatfache, dag Agrippa
die aus feinem Reidie ftammenden und ihm von Vefpafian
gefchenkten judifchen Kriegsgefangenen einfadi als Sklaven
verkaufen liefe.*)
Als Vefpafian in Syrien und Agypten zum Kaifer ausge-
rufen wurde, reifte Agrippa, der fidi damals gerade zu Rom
befand, ohne Wiffen des Vitellius naeh Palaftina ab, 5 ) wo wir
ihn bald danadi in der Begleitung des Titus finden, 6 ) dem
Vefpafian die Fortfe^ung des Krieges gegen die Juden uber-
tragen hatte. Ohne Zweifel war er audi als Landesherr
zugegen, als zu Cafarea Philippi der Sieg iiber Jerufalem
von Titus durch mandierlei Spiele gefeiert wurde. 7 ) Daft
Vefpafian ihm fein bisheriges Land beftatigt hat, ift zweifel-
los. 8 ) Allem Anfchein nach hat er ihm fogar nodi einen Gunftbezei-
Gebietszuwachs gegeben. 9 ) Spater im Jahre 75 hat ihm gungen Ve-
Vefpafian den Rang eines Prators verliehen. 10 ) fpafians.
') B. J. 3, 9, 7-10, 10.
-) B. J. 4, 1, 3. Die Stadt hatte fich gegen Agrippa fieben Monate
gehalten B. J. 4, 1, 2. (Vgl. B. J. 2, 20, 4. 6. 2, 21, 7, Vita 24. 35-37.)
3) B. J. 4, 1, 1-10.
4 ) B. J. 3, 10, 10.
5 ) Tac. Hift. 2, 81. Vgl. ebd. 2, 1-2. B. J. 4, 9, 2.
) Tac. Hift. 5, 1.
>) B. J. 7, 2, 1.
8 ) Es wird B. J. 3, 3, 1 und 7, 5, 1 vorausgefetjt.
u ) So Juftus v. Tiberias in dem Auszug einer Chronik der jfidifchen
Konige von Mofes bis Agrippa II. bei Phot. Bibl. cod. 33: Tra^Aa/Se ,ukv
ii\v a.(jxn v * nt -KAawd't'oi;, -jjiif-i/tf-iy de enl JVspoivot; xat en ftaXiov VTTO Ovsd-
naGiavov, reJisvra de srei r^irot Tfjatavo-v. Dajj aber diefe Qebietser-
weiterung fich bis nadi Arcae nordlich von Tripolis erftreckt hat, wie
Schtirer I, 594, 36 meint, ift nicht wahrfcheinlich. Allerdings wird B. J.
7, 5, 1 von Arkaia im Lande des Agrippa gefprochen. Es gab aber
auch eine Stadt Arke oder Ekdipus im frtiheren Stammgebiet von Afer
zwifchen dem Karmel und Sidon (Ant. 5, 1, 22). Audi heigt es B. J.
14*
212 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefdiichte der Juden etc.
Fur die Gefchidite des Krieges hat er naturgemafj grofees
Intereffe gehabt. Mit Jofephus hat er daruber einen leb-
haften Briefwedifel gefiihrt 1 ) und er hat den andern Ge-
fdiiditrdireiber des Krieges, Juftus von Tiberias, fogar eine
Zeitlang als Sekretar in feinem Dienfte gehabt. 2 )
Sein Tod. Agrippa II. ftarb zwifchen 86 und 94 n. Chr. 3 )
3, 3, 5, das Gebiet des Agrippa beginne beim Libanongebirge und den
Quellen des Jordan.
10 ) Dio Cass. 66, 15.
') Vita 65.
*) L. c.
3 ) Seine Regierungszeit ift wegen der o. S. 211, 9 arigeffihrten Stelle
bei Photius oft von 48 100 angefetjt worden. Es gibt noch MQnzen von
ihm aus dem Jahre 86, f. S. 208, 2. Andere vom Jahre 35 des Agrippa
mit dem Namen des Domitian AvToxQa[zoQa] 2/o/ma|Voy] Katdaya,
re^finri[xnvj) fuhren uns in das Jahr 84 n. Chr., in welchem Domitian
auch den Titel Germanicus annahm. Schon Tillemont, Hist, des empereurs
t. I, Bruxelles 1732, p. 2930, Note XLI hat die Behauptung, daft Agrippa
im 3. Jahre Trajans geftorben fei, mit Redht beftritten. Fur Tillemont
traten u. a. ein BrQll, Jahrbb f. jiid. Gefch. u. Literatur, VII. Jahrg. 1885,
S. 5153. Erbes, Das Todesjahr Agrippas II. in Hilgenfelds Zeitfchr.
f. wiff. Theol. 1896, S. 415-432. Dag Agrippa vor dem Jahre 94 tot
war, folgt keineswegs blog aus der Annahme, dag die Selbftbiographie
des Jofephus, welche nach c. 65 gefchrieben wurde, als Agrippa bereits
tot war, unmittelbar nach den Altertumern etwa urn das Jahr 94 entftand,
vielmehr wird fchon in den Altertumern felbft der Tod des Agrippa
vorausgefetjt, da ihm in der Herrfchaft fiber Batanaa die Romer gefolgt
find (vgl. Ant. 17, 2, 2 mit B. J. 3, 3, 5). Dag Agrippa II. im Jahre 86
nur in Irrfinn verfallen und deshalb fein Land von andern verwaltet
worden ware, wie Gutfchmid, Kleine Schriften IV, 354 f. annimmt, ift
gegen Jof. Vita 65, wo Jofephus den Juftus von Tiberias tadelt, dag er
nicht feine Gefdiichte des jfidifchen Krieges bei Lebzeiten des Vefpafian
und Titus und wahrend Agrippa noch lebte, verOffentlicht habe. Die
Notiz bei Photius (S. 211, 9) fiber das dritte Jahr des Trajan dfirfte auf
eine gewiffe Unordnung des im Laufe der Zeit fiberarbeiteten Textes der
Chronik der jfidifchen KOnige von Mofes bis Agrippa II. hinweifen. Denn
Eufeb. Chron. Aug. yon Schoene II, 162, fetjt das genannte Werk In das
erfte Jahr des Nerva, alfo in 96 (nach dem armenifchen: Nervas a I et
mens III: Justus Tiberiensis Judaeorum scriptor cognoscebatur), die
aus dem IX. Jahrhundert ftammende Chronik des Syncellus (ed. Dindorf
1, 655: 'Iv6ro<; TifieytevQ 'lovdato? avyygayevg syvwfjl^tTta) in den Anfang
der Regierung Trajans. Vgl. Schflrer I, 61; Vincent, Chronologie des
oeuvres de Josephe, Rb. 1911, 379 ss.).
IV. Kap. Konig Herodes Agrippa I. und feine Familie. 213
Allem Anfcheine nadi ftarb Agrippa, ohne legitime Kinder Sein
zu hinterlaffen. 1 ) Es ift auch uberhaupt unbekannt, ob er ver- Charakter.
heiratet gewefen. 2 ) Er war ein weidilidier, fittlidi verkom-
mener Hofling, ohne wahre Liebe zu feinem eigenen Volke,
kriechend gegen die, von denen er Vorteil erwarten konnte,
im grofcen und ganzen ein Seitenftuck zu dem Vierfurften
Herodes Antipas, nur nodi etwas erbarmlicher. Nadi dem
Tode des Herodes von Chalcis lebte deffen Frau Berenice, 3 ) Seine Schwe-
die im Jahre 28 geboren war, langere Zeit bei ihrem Bruder f tern Bere "
Agrippa 4 ) und zwar, wie es allenthalben hieft, in einem nice ' a "
unerlaubten Verhaltnis. Urn dem Gerede, fie lebe mit ihrem
Bruder im Inceft, ein Ende zu machen, heiratete fie den
Konig Polemon von Cilicien, der fidi als einen Konvertiten
zum Judentum ausgab und fich befchneiden liefc. 5 ) Sie ver-
lieJ5 ihn aber, wie es Weft, aus blower Unenthaltfamkeit
wieder 6 ) und kehrte zu ihrem Bruder zuriick. 7 ) Kurz vor
dem Kriege war fie zur Erfullung eines Nafirarergelubdes
in Jerufalem und flehte barfufc den Landpfleger Florus an,
dodi dem Morden in der Stadt ein Ende zu madien, wurde
aber unehrerbietig behandelt und geriet felbft in Lebens-
gefahr. 8 ) Durdi reidie Gefdienke wu&te fie fich audi fpater
*) Nadi Jof. Vita 11 fchrieb ein gewiffer Philippus an die Kinder
des Agrippa und die Berenice.
') Im Talmud (bab. Sukka 27 a, bei Derenbourg 1. c. p. 252254)
wird eine von dem koniglidien Verwalter Agrippas im Namen des Konigs
an den Rabbi Eliezer geftellte Frage berichtet, die von der Vorausfetjung
ausgeht, dag der Fragende zwei Frauen zur gleichen Zeit hatte. Dag
aber der KOnig felb[t zwei Frauen hatte, fteht nicht da.
3 ) Ant. 19, 5, 1. 19, 9, 1. Vgl. Juven. Sat. VI, 156-160. S. o.
S. 206, 2.
4 ) Er erwies ihr Offentlich koniglidie Ehren. Apg 25, 13. B. J. 2, 16, 3.
B ) Ant. 20, 7, 3.
6 ) Ant. 20, 7, 3. Polemon II. war feit 38 Konig von Pontus und feit
41 audi von einem Teile von Cilicien (vgl. Dio Cass. 60, 8). Jof. Ant. 20,
7, 3 nennt ihn Beustitvn KiU*laq. Das konnte er audi deshalb, weil Pole-
mon als Konig von Cilicien geftorben ift. Es gibt nodi Munzen von ihm
aus der Zeit Qalbas; auf Pontus hatte er aber im Jahre 63 n. Chr. zu-
gunften der Romer verziditet. (Suet. Nero 18. Vgl. Prosop.imp. Rom. Ill, 59
und namentlidi Sdiflrer I, 557 ff.)
7 ) Apg. 25, 13. 23. 26.
8 ) B. J. 2, 15, 1. Vgl. ebd. 2, 16, 1.
214 Erfter Abfthnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
dem Vefpafian angenehm zu machen. 1 ) Spater kam fie als
Maitreffe des Titus nadi Rom, gab aber dort foldien An-
ftofc, dafc Vefpafian den Titus zwang, fie nach Haufe zu
fchicken. 2 ) Nach der Thronbefteigung des Titus im Jahre 79
kehrte fie zwar nach Rom zuriick, aber da er nun Kaifer
geworden war, ignorierte Titus fie. 3 )
Die zweite Schwefter des Agrippa, Mariamme, war im
Jahre 34 n. Chr. geboren und heiratete zuerft den Julius
Archelaus, Sohn des Chelkias, 4 ) aus welcher Ehe eine Tochter,
Berenice, hervorging. Trotjdem verliefe Mariamme ihren Mann
und heiratete nun den reichen und vornehmen Juden Deme-
trius aus Alexandrien, der damals auch die Steuern ge-
pachtet hatte. 5 )
Die dritte Schwefter, Drufilla, war beim Tode ihres
Vaters im Jahre 44 erft fechs Jahre alt. Sie war von ihm
mit dem Sohne des Konigs Antiochus von Commagene,
Epiphanes, verlobt, heiratete aber, da diefer fich fchliejslich
weigerte, die judifche Religion anzunehmen, den Azizus,
Konig von Emefa. 6 ) Derfelbe ftarb fchon im erften Jahre
des Nero, 7 ) aber fchon vorher hatte fich feine Frau bewegen
laffen, ihn zu verlaffen und dem Landpfleger Felix die Hand
zu reichen. 8 ) Diefem gebar fie einen Sohn namens Agrippa,
und kam mit diefem im Auguft 79 in den Flammen des
Vefuv urn, 9 )
*) Tac. Hift. 2, 81.
2 ) Vgl. Dio Cass. 66, 15. Juven. Sat. VI, 156-160. Aurel. Victor,
Epitome c. 10. Sueton. Tit. 7. Vgl. Hausrath 4, 53-56.
3 ) Dio Cass. 66, 18.
4 ) Vgl. fiber ihn Ant. 19, 8, 3.
5 ) Ant. 18, 5, 4. 19, 9, 1. 20, 7, 1. 3.
") Ant. 18, 5, 4. 19, 9, 1. 20, 7, 1. Aus diefer Stelle ergibt fich, dag
die Heirat im Jahre 53 ftattfand, nachdem Agrippa II. von Claudius
ftatt Chalcis andere Lander erhalten hatte.
') Ant. 20, 8, 4.
8 ) Ant. 20, 7, 2. Apg. 24, 24 f.
) Ant. 20, 7, 2. Es ift nicht ganz [icher, ob der Sohn der Drufilla
mit jeiner Mutter oder mit feiner Frau (o vsaviaq exelvoi; avv rfj
umgekommen ift.
V. Kap. Die rSmifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 4466 n. Ghr. 215
o
V. Kapitel.
Die romifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 44 66
n. Chr.
s-
Als Agrippa I. geftorben, ward bekanntlich fein Reich,
wie friiher das des Ethnardien Archelaus, einem romifchen
Prokurator unterftellt. Es war ein Obelftand, der bittere
Frudit'bringen follte. Denn das judifche Volk mufcte mehr
als jedes andere mit weifer Scheming feiner Eigentumlich-
keiten, namentlich auch {einer religiofen Empfindlichkeit, re-
giert werden. Dafur zeigten aber die Landpfleger, wenn
wir von den zwei er[ten abfehen, gar kein Verftandnis,
reizten vielmehr das Volk auf jede Weife.
Als erfter Prokurator fiber das Reich des Agrippa wurde
beftellt 1 )
Cufpius Fadus.
Sein erfter Auftrag ging dahin, die Burger von Sebafte Cufpius Fa-
und Cafarea fiir die dem Andenken Agrippas zugefiigten dus (um 44
Schmahungen 2 ) zu ftrafen, die aus Burgern von Cafarea und bis 46 )-
Sebafte beftehenden fiinf Kohorten in das weit entlegene
Pontus zu fenden und durch fyrifche Truppen zu erfe^en.
Allein die Schuldigen wugten durch Gefandte den Claudius
zu bewegen, ihnen den weiteren Aufenthalt in Judaa zu ge-
ftatten. 3 ) Audi ein Zeichen, dag eine den Juden weniger
giinftige Zeit angebrochen wan
Die aufjere Ordnung hatte Fadus bald hergeftellt. Bei
feinem Amtsantritt fand er die Juden in offener Feind-
feligkeit gegen die heidnifehe Stadt Philadelphia wegen
Grenzftreitigkeiten. Er fdiaffte Ruhe, indem er die Radels-
fQhrer der fchuldigen Peraer beftrafte. 4 ) Auch lieg er Ptole-
maus, den Anfuhrer von Rauberbanden, die nach Agrippas'
Tode den Idumaern und Arabern vielen Schaden zufugten,
') Ant. 19, 9, 2.
2 ) S. o. S. 205.
3 ) Ant. 19, 9, 2.
*) Ant. 20, 1, 1.
216 Erfter Abfdmitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
hinriditen 1 ) und hatte bald wieder ganz Judaa von Raubern
gefaubert.
Er zeigte auch Entgegenkommen gegen die Juden in
einer ihr religiofes Empfinden beruhrenden Sadie. Der
Kaifer hatte befohlen, die hohenpriefterlichen Gewander
follten wieder auf der Burg Antonia von den Romern be-
wahrt werden, und der Siatthalter von Syrien, Caffius Lon-
ginus, kam felbft mit Truppen zur Durchfuhrung diefer Mafe-
regel nach Jerufalem. Fadus und Caffius Longinus geftatteten
aber, dafc die Juden wegen diefer Angelegenheit fich durdi
eine Gefandtfchaft direkt an den Kaifer wenden durften, die
durch Vermittlung des jungen Agrippa Erfolg hatte. 2 )
Es kam aber doch aus einem andern Grunde unter
Fadus zum Blutvergiefcen. Bin gewiffer Theudas namlich,
der fich fur einen Propheten ausgab, hatte grofcen Anhang
gefunden und verfprach einer ungeheur en Menfdienmenge,
die ihm an den Jordan nachzog, einen bequemen Durch-
gang durch den Flufc zu ' verfchaffen, indem er durch fein
Wort, wie in den Tagen der Vorzeit, die Fluten des Jor-
dans teilen werde. Vermutlich handelte es fich um die an-
gebliche Vorbereitung des meffianifchen Reiches und einen
Angriff auf die Heiden im Oftjordanland. Es ift fehr begreif-
lich, dafj Fadus in dem ganzen Unterfangen eine Bewegung
zum Aufruhr gegen die Romer witterte, die audi ohne
Zweifel, wenn audi vielleicht nicht gleich in erfter Linie, be-
abfichtigt war. Er lieg die Menge durch Reiterei fiber-
fallen und zerftreuen, wobei viele getotet, andere gefangen
wurden. Dem Theudas felbft wurde der Kopf abgefchnitten
und als Siegeszeidien nach Jerufalem gefandt. 3 )
Fadus diirfte fein Amt von 44 46 4 ) innegehabt haben.
') Ant 20, 1, 1.
2 ) Ant. 20, 1, 12. Vgl. S. 207.
3 ) Ant. 20, 5, 1. Der Apg. 5, 36 von Gamaliel erwahnte und nach
diefem noch vor Judas Galilaus, alfo vor der Scha^ung- des Quirinius
aufgetretene Theudas, ift von dem obigen verfchieden. Vgl. Kirchen-
lexikon XI, 1607 1, Art. Theudas.
4 ) Claudius gab den an inn Gefandten einen Brief, datiert vom
28- J un * 45, mit, in welehem auch von Weifungen an Fadus die Rede ift
(Ant. 20, 1, 2).
V. Kap. Die romifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 4466 n. Chr. 217
Sein Nachfolger, der ficher fchon im Jahre 48 abberufen
wurde, 1 ) war
Tiberius Alexander,
der Sprogling einer reichen, vornehmen und angefehenen Tiberius
alexandrinifchen Familie. Er war namlich der Neffe des be- Alexander
ruhmten Gelehrten Philo und Sohn des Alabardien Alexan- um 46 bis 48 -
der Lyfimachus, der Sachwalter der Mutter des Claudius,
Antonia, war. 2 ) Tiberius Alexander war vom Judentum zum
Heidentum iibergetreten. Vielleidit hat diefer Umftand neue
Unruhen hervorgerufen. Wir horen wenigftens, dag der
Landpfleger die Sohne des Judas Galilaus, der wahrend der
Schatjung des Quirinius einen Aufftand erregt hat, Jakobus
und Simon, ans Kreuz fchlagen lieg. 3 )
Um diefe Zeit 4 ) trat eine groge Hungersnot ein, wah-
rend welcher die gerade zum Befudi des Tempels nach Je-
rufalem gekommene judifch gewordene Konigin Helene von
Adiabene eine groge Menge Getreides in Agypten und Feigen
in Cypern kaufen und an die Durftigen in Judaa verteilen
lieg. 5 ) Es ift diefelbe Hungersnot, von welcher, wahrend
Paulus und Barnabas in Antiochia predigten, der Prophet
Agabus weisfagte, fie werde fiber den ganzen Erdkreis
kommen, 6 ) was nach dem Evangeliften Lukas auch wirklich
unter Claudius eintraf. 7 ) Dag fie auf einmal zur gleichen
') Das Datum ergibt fich aus Ant. 20, 5, 2, wo die AblOfung des
Tiberius durch feinen Nachfolger Cumanus in die Zeit des Todes des
Herodes von Chalcis im achten Jahre des Claudius gefetjt jcheint. Vgl.
audi B. J. 2, 11, 6 und 2, 12, 1.
2 ) Vgl. Ant. 18, 6, 3. 8, 1. 19, 5, 1. 20, 5, 2.
3 ) Ant. 20, 5, 2.
4 ) Ant. 20, 5, 2. Niefe lieft mit der Epitome inl zov-eov. Allein
nach den griech. Handfchr., der latein. Verfion und Eufeb. H. E. 2, 12, 1
ift vielmehr Inl rovroiq zu lefen. Nach Zahn, Einl. II, 631 erfordert der
Zufammenhang die Bedeutung ,,um diefe Zeit".
6 ) Ant. 20, 5, 2.
6 ) Apg. 11, 2730.
7 ) Apg. 11, 28. Wahrend der Regierung des Claudius gab es
assiduae sterilitates (Sueton. Claud. 18). Selbft in Rom war im 2. Jahre
Dio Cass. 60, 11) und wieder im 11. Jahre (Tac. ann. 12, 43) groge
Hungersnot, der naturlich Migwachs in den Kornlandern am Mittelmeer -
voranging. In Griechenland, war im 8. oder 9. Jahre des Claudius Hungers-
not (Eufeb. Chron. ed. Sch6ne II, 152 sq.). Von der in Palaftina fpricht
218 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Zeit fiber den ganzen Erdkreis kommen werde, haben auch
die Antiochener nicht geglaubt, welche zunadift an die Arrnen
in Jerufalem dachten und ihnen zeitig eine Unterftutjung
fchickten. 1 )
Bald verlieg auch Tiberius das Land, um fpater nadi
einer glanzenden Laufbahn diesmal als Generalftabschef des
Titus zur Zeit des Krieges wieder dorthin zu kommen. 2 )
Ihm folgte als Landpfleger
Venti'dius Cumanus von 4S-52. 3 )
Ventidius Unter ihm entftanden wiederholt groge Unruhen. Das
Cumanus von er j te Mal wur d en fie durch einen der romifchen Soldaten,
48 bis 52. wdche der Sitte gemafc beim Ofterfeft in die Tempelhallen
zur Aufrechterhaltung der Ordnung geftellt wurden, hervor-
gerufen. Er verhohnte namlich in unanftandiger Weife die
Menge, worauf diefe drohend Beftrafung des Sdiuldigen ver-
langte. Da einige arifingen, die Soldaten mit Steinen zu
bewerfen, liefc Cumanus aus Fureht vor einem grogeren An-
griff Schwerbewaffnete heranriicken. Nun floh alles voll
Schrecken in die Stadt und es entftand dabei ein Jo furchter-
liches Gedrange, dag viele unter den Fugen der Nachf olgen-
den zertreten wurden. 4 )
Ein anderes Mal liefc Cumanus, als ein kaiferlicher
Diener in der Nahe von Jerufalem beraubt worden war,
ohne dag man den Tater entdecken konnte, die nachft
gelegenen Dorfer pliindern. Dabei zerrijj ein Soldat eine
ihm in die Hande gefallene mofaifche Gefetjesrolle unter
allerhand Lafterungen und Verhohnungen. Nun rotteten fich
aber viele Juden zufammen, kamen nach Cafarea und ver-
Jof. (Ant. 3, 15, 3. 20, 2, 5. 5, 2), fo, dag gewift Lukas von einer Hungers-
not unter Claudius in der ganzen (zivilifierten) Welt reden konnte. Vgl.
Ramsay, St. Paul the traveller and the Roman citizen, L. 1896, p. 48 f.
Zahn, Einl. 11, 415 f.
! ) Uber das Datum der fogen. Kollektenreife vgl. u. a. Felten,
Apoftelg. 43 f., 50. 299.
2 ) S. u. 6. Kap. Vgl. J. Reach, Ein Lebensbild a. d. Z. d. Zer-
ftOrung Jerufalems (Progr.), Prag-Neuftadt 1914.
3 ) S. o. S. 217.
4 ) Nach Ant. 20, 5, 3 waren ,,zwanzigtaufend tt , nach B. J. 2, 12, 1
vnep TOV? (wnpioi'c M mehr als zehntaufend" [Niefe Heft iwep r^t6^vgiuv<;,
vgl. auch Euf. H. E. 2, 19, 1. Chron ed. Schone 2, 152 sq.] umgekommen,
was ficher iibertrieben ift.
V. Kap. Die romifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 4466 n. Chr. 219
langten die Beftrafung des Sdiuldigen, den audi Cumanus
mit dem Beile hinriditen liefc, um in diefer Weife einem
Aufruhr zuvorzukommen. 1 )
Ein anderer Vorfall gab beinahe zu einem formlichen
Kriege zwifchen Juden und Samaritern Veranlaffung. Gali-
laifche Pilger waren bei dem Dorfe Ginaa in Samarien an-
gegriffen und getotet worden, ohne daft der, wie es hiefr,
beftochene Landpfleger Cumanus einfehritt. Deshalb [tiirmte
ein bewaffneter jiidifcher Haufe auf Samaria zu und pliinderte
und verbrannte unter Beihilfe des Raubers Eleazar einige
famaritanifche Dorfer. Jetjt griff Cumanus mit Truppen-
macht die Juden an, madite eine grofce Anzahl nieder und
nahm viele gefangen. Auf die Klagen fowohl der gefcha-
digten Samariter wie der Juden unterfuchte der Statthalter
Ummidius Quadratus die Sadie in Samaria felbft, lieg die
von Cumanus eingekerkerten Juden hinriditen, fandte den
Hohenpriefter Ananias und den Hauptmann Ananus gefangen
zur Verantwortung nach Rom und befahl audi den Vor-
nehmften der Juden und Samaritern wie dem Landpfleger
Cumanus und deffen Tribun Celer, fidi in Rom vor dem Kaifer
zu reditfertigen. 2 ) In Rom, wo Cumanus und die Samariter
maditige Freunde fanden, nahm fich der junge Agrippa der
Juden an. Zu ihren Gunften lautete audi die kaiferliche
Entfcheidung, der zufolge die Samariter als fdiuldig befunden
und einige von ihnen hingeriditet wurden. Cumanus wurde
verbannt und der Tribun Celer nach Jerufalem gefdii&t und
dort enthauptet. 3 )
J ) Ant. 20, 5, 4. B. J. 2, 12, 2.
2 ) Ant. 20, 6, 1-2. B. J. 2, 12, 3-6.
3 ) Ant. 20, 6, 3. B. J. 2, 12, 7. Nach Tacitus ann. 12, 54 ware
audi der Landpfleger Felix (f, u.) ,,jam pridem Judaeae impositus" (vgl.
auch Tac. h. 5, 9) an den Unruhen beteiligt gewefen. Ihm hatten die
Samariter gehorcht, die ,,Qalilaeorum natio" dem Cumanus. Beide waren
gegen die Galilaer und Samariter, die fich formliche Treffen geliefert
hatten, nicht eingefdiritten, fondern hatten fogar Anteil an der Beute ge-
nommen. Ein fOrmlicher Krieg in der Provinz ware nur durch den fyri-
fchen Statthalter Quadratus verhindert worden, der vom Kaifer Vollmacht
erhalten habe, uber beide Landpfleger Qericht zu halten. Bei der Unter-
fuchung habe diefer aber den Felix, deffen Bruder Pallas Minifter des
Kaifers war, begunftigt und ihn unter die Richter gefetjt. Dadurch waren
die Anklager abgefchreckt und Cumanus allein verurteilt worden. Der
220 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
Jetjt wurde entfprechend dem ausdruddichen Gefuche des
judifchen Hohenpriefters Jonathan 1 )
Antonius Felix
Felix von 52 zum Landpfleger von Judaa ernannt, ein Freigelaffener 2 ) der
bis um 60. Antonia 3 ), der Mutter des Claudius, und ein Bruder des am
kaiferlichen Hole allmaditigen Pallas, des Gfinftlings der
Agrippina 4 ), der Tochter des Germanicus und Mutter des
Nero, welche nach der Ermordung der Meflalina im Jahre 48
in zweiter Ehe ihren Onkel, den Kaifer Claudius, geheiratet
hatte. Er trat fein Amt im Jahre 52 an. 5 )
Beridit ift aber mit dem des Jofephus unveaeinbar. Die Frage, weldier
von beiden vorzuziehen ift, mug man zugunften des Jofephus entfcheiden,
weil der in der damaligen Zeit im Lande felbft lebte und iiberhaupt fiber
judifche Verhaltniffe bejfer unterrichtet ift, als Tacitus. So auch Schfirer I,
570, 14. - Kellner (Z. f. k. Th. 1888, S. 639 f. und Jefus von Nazareth,
S. 152 ff.) nimmt die Richtigkeit des Berichtes des Tacitus an. Ebenfo
O. Holtjmann, Neut. Zeitg. 2 , Tub. 1906, S. 64 f., 135 ff. Uber die Zeit
des Amtsantritts des Feftus f. ,u. S. 225, 2.
') Ant. 20, 8, 5.
2 ) Tac. hist. 5, 9. Suet. Claud. 28.
3 ) Tac. hist. 5, . 9 nennt inn Antonius Felix. Dag fein Bruder Pallas
ein Freigelaffener der Antonia war, fagt Ant. 18, 6, 6. Nach Ant. 20,
7, 1 ed. Niefe hat Felix auch nodi den Namen Claudius gefuhrt. Die
Lesart ift aber nicht fierier. Vgl. Schurer 1, 571, 18.
*) Ober ihr Verhaltnis zu Pallas vgl. Schiller, Gefch. der rom. Kaiferz. I
(Gotha 1883), S. 340.
6 ) Das Datum ergibt fich aus Tac. ann. 12, 54, zu welchem Tacitus
die Abfetjung des Cumanus (deffen Nachfolger Felix war) berichtet. Fur
das Jahr 52 fcheint auch Jof. Ant. 20, 7, 1 (vgl. auch B. J. 2, 12, 8) zu
fprechen. Er erwahnt, dag Felix von Claudius gefandt wurde, und fahrt
fort, ,,als er aber das zwOlfte Jahr feiner Regierung fchon vollendet hatte
[alfo nach dem 24. Januar 53], gab er [Claudius] dem Agrippa die
Tetrarchie des Philippus". Es konnte allerdings auch das Jahr 53 ge-
meint fein, nach dem Zufammenhang ift dies aber weniger wahrfcheinlich.
Allerdings werden alle Amtshandlungen des Felix (Ant. 20, 8, 1-8,
B. J. 2, 12, 813, 7) erft unter Nero berichtet. Die Chronik des Eufebius
(ed. Scheme II, 152 f.) fetjt nach der latein. Bearbeitung die Sendung
des Felix zu Abr. 2066, Claudii 10, die armen. Verfion zu Abr. 2067,
Claudii 11. Nach Turner Art. Chronology of New Test, in Haftings,
Diet. I, 418 rechnet Eufebius, der das erfte Jahr eines jeden Kaifers mit
dem September nach feiner Thronbefteigung beginnen laffe, das 11. Jahr
von September 51 bis September 52. Ift das richtig, dann ftimmt Eu-
febius mit Jofephus und Tacitus uberein. Vgl. auch Zahn, Einl. 11,
635. 637 f.
V. Kap. Die rOmifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 4466 n. Ghr. 221
Es war etwas Ungewohnliches, dajj ein friiherer Sklave
ein derartiges hohes Amt erhielt, und es gereichte der Provinz
nidit zum Segen. Denn Felix hat in Judaa ,,konigliches
Redit mit fklavifcher Gefinnung in aller Graufamkeit und
Wolluft geubt", 1 ) und dies um fo mehr, weil er als Bruder
des Pallas ,,alle Sdiandtaten ungeftraft veruben zu durfen"
glaubte. 2 ) Wie er in feinem Privatleben war, fieht man dar-
aus, daft er im Jahre 54 die Schwefter des Agrippa II., Dru-
filla, welche erft kurze Zeit mit dem Konige Azizus von Emefa
verheiratet war, bewog, fich gegen das jiidifche Gefetj mit
ihm, einem Heiden, zu vermahlen und ihren eigenen Mann
zu verlaffen. 3 )
Als Claudius ftarb und fein Stieffohn Nero am 13. Ok-
tober 54 die Regierung antrat, wurde Felix von neuem als
Landpfleger von Judaa beftatigt. 4 )
In dem Lande wuchs unter ihm die Zerriittung von Tag
zu Tag. Immer mehr wuchs die Partei der Rauber, wie
Jofephus fie nennt. Es waren dies keine Rauber im ftrengen
Sinne des Wortes, fondern politifeh Unzufriedene, welche von
ihren Verftecken in der Wildnis allerdings auch gelegentlich
Raubereien verubten, deren Ziel aber war, ihren politifchen
Gegnern und der Staatsgewalt moglichft zu fchaden. Felix
He viele ergreifen und kreuzigen. Er bewog den Rauber-
hauptmann Eleazar, der fchon zwanzig Jahre das Land ver-
heert hatte, gegen das Verfprechen vollftandiger Sicherheit an
feinen Hof zu kommen, nahm ihn dann, ohne fich um den
Treubruch zu kummern, gefangen und fchickte ihn nach Rom.
Auch viele Burger liefj er als Verbiindete der Rauber beftrafen. 5 )
Um fo mehr wuchs aber nun das Unwefen der Sikarier, 6 )
Meuchelmorder, welche ihren Namen von den kleinen krum-
a ) Tac. hist. 5, 9.
2 ) Tac. ann. 12, 54.
3 ) Ant. 20, 7, 2, f. o. S. 201. - Er war dreimal verheiratet, jedes-
mal mit einer ,,K6nigin" (Suet. Claud, c. 28). Eine feiner Frauen, die
Tac. hist. 5, 9 wohl durdti eine Verwechflung mit der KOnigin von Emefa
Drufilla nennt, war eine Enkelin der Kleopatra und des Markus Antonius
(Tac. 1. c.).
4 ) B. ,). 2, 13, 2. Ant. 20, 8, 5. Vgl. S. 220, Anm. 1.
5 ) Ant. 20, 8, 5. B. J. 2, 13, 2.
6 ) B. J. 2, 17, 6. Ant. 20, 8, 10. Vgl. auch Apg. 21, 38.
222 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
men Dolchen (sicae) fuhrten, weldie fie unter den Kleidern
verfteckt hielten, urn in Jerufalem befonders an Fefttagen
fogar im Tempel, ihre Feinde oder Romerfreunde unvermerkt
im Gedrange niederzuftofjen und dann, wenn ihre Opfer nie-
derfturzten, unbefangen in die lauten Rufe des Unwillens ein-
zuftimmen. Der erfte, weldier von ihnen und zwar auf An-
ftiften des Landpflegers Felix felbft erdoldit wurde, war der
damals allerdings nicht mehr im Amte befindliche Hoheprie-
fter Jonathan, den Felix wegen der fteten Mahnung, das Land
gut zu verwalten, hafjte. Der Mord blieb ungeftraft und reizte
dadurch zu andern Sdiandtaten. 1 )
Unter diefen Umftandenfanden religiofe Sdiwarmer, weldie
auf Umwalzung und Aufruhr unter Berufung auf eine gott-
liche Sendung hinarbeiteten , leidit Aufnahme. Sie fuchten
die Menge zu bereden, ihnen in die Wiifte zu folgen, wo fie
durdi Gottes Hilfe Wunder und Zeiehen tun wurden. Damals
erfullte fidi das Wort des Herrn: ,,Viele werden in meinem
Namen kommen und fagen: Idi bin Chriftus und werden
viele verfuhren. Wenn fie aber fagen: Seller, er ift in der
Wufte, fo gehet nicht hinaus." 2 )
Felix liefc viele von denen, weldie den Sdiwarmern in
die Wiifte nadigezogen waren, ergreifen und hinriditen. Der
fdilimmfte Betruger war damals ein Agypter, der fidi als einen
Propheten ausgab und die Menge aufforderte, mit ihm auf
den Olberg zu ziehen. Dort werde er ihr zeigen, wie auf fein
Geheijs die Mauern Jerufalems einftiirzen wurden, und er werde
ihnen einen Eingang in die Stadt barmen. Er wollte augen-
fcheinlich fidi der Stadt bemachtigen. Felix kam ihm aber zuvor,
griff ihn an, machte vierhundert feiner Anhanger nieder und
nahm zweihundert gef angen. Der Agypter felbft entkam aber. 3 )
J ) Ant. 20, 8, 5. B. J. 2, 13, 4.
2 ) Matth. 24, 5. 26. Ant. 20, 8, 6. B. J. 2, 13, 4.
3 ) Ant. 20, 8, 6. Der romifche Hauptmann Apg. 21, 38 fcheint den
Paulus ffir den Agypter gehalten zu haben: ,,Bift du nicht der Agypter,
der vor diefen Tagen Aufruhr erregte und viertaufend Sikarier in die
Wiifte fiihrte?" Nach B. J. 2, 13, 5 belief fich die Zahl der Anhanger
des Agypters auf 30000 Die meiften feiner Anhanger wurden nieder-
gemacht oder gerieten in Gefangenfchaft. Der fpatere Bericht Ant. 20, 8, 6
durfte aber den Vorzug verdienen.
V. Kap. Die romifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 4466 n. Chr. 223
Audi je^t gab es kerne Ruhe. Denn die fluchtigen Be-
truger und Rauber rotteten fieh nun zulammen, reizten das
Volk zum Kriege gegen die Romer und bekampften alle, die
denfelben irgendweldien Vorfchub leifteten, und plunderten
und verbrannten ihre Dorfer. 1 )
Es war, als ob es gar keine Obrigkeit mehr gabe.
Selbft die Hohenpriefter lagen mit den Prieftern und vor-
nehmften Biirgern von Jerufalem in offenem Streit und fcheu-
ten fich nidit, unter dem Vorgeben, allein ein Reeht auf den
Kornzehnten zu haben, ihre Knechte auf die Tennen zu
fchicken, damit fie den den Prieftern gebiihrenden Zehnten
mit Gewalt wegnahmen, fo dag manche Priefter aus Mangel
umkamen. 2 ) Namentlich beteiligten fich an diefen Gewalt-
taten die Knechte des Ananias, der in der Erwerbung von
Geldmitteln fehr erfinderifch war und durch Gefchenke den
Landpfleger zu gewinnen wugte. 3 ) Es ift derfelbe, der den
Apoftel Paulus auf den Mund fchlagen liefc. 4 )
Felix verftand nicht einmal an feinem eigenen Wohnfhj
in Cafarea Ordnung zu halten. Dort entftand zwifchen den
judifchen und fyrifchen Einwohnern ein Streit wegen des An-
rechtes an den burgerlichen Rechten. Erftere verlangten, weil
ein Jude, Herodes, die Stadt erbaut habe, einen Vorzug und
brufteten fich mit ihrem Reichtum. Letjtere verliefeen fich
darauf, dag der grofcte Teil der zu Cafarea liegenden Trup-
pen Syrer waren. Es kam zu offenen Strafcenkampfen, bis
Felix, da die fiegreichen Juden feinem Befehle zur Ruhe nicht
gehorchten, viele niedermachen und einige mit Reichtiimern
angefullte Haufer ausplundern lieg. 5 ) Als auch je^t die
Reibereien nicht aufhorten, fchickte Felix Abgefandte beider
Parteien nach Rom, um vor dem Kaifer ihre Sache auszu-
machen. 6 ) Dort haben aber f pater die Syrer durch Beftechung
des Sekretars des Nero, der deffen griechifche Korrefpondenz
Ant. 20, 8, 6. B. J. 2, 13, 6.
*)' Ant. 20, 8, 8. 9, 2.
3 ) Ant. 20, 9, 2.
*) Apg. 23, 2 f. 24, 1. Er war fo verhagt, dag er beim Ausbrudr
des Krieges unter den erften von Sikariern ermordet wurde. B. J. 2, 17,9.
*) Ant. 20, 8, 7. B. J. 2, 13, 7.
6 ) B. J. 2, 13, 7.
224 Erfter Abfchnitt. Die politifdhe Gefchichte der Juden etc.
fuhrte, ein Refkript erlangt, wodurdi die Juden in Cafarea
fogar der Gleichftellung im Biirgerrechte mit den Syrern be-
raubt wurden. 1 ) Das Refkript wurde in Cafarea im Artemi-
fios (Mai) 66 bekannt, worauf fofort der Aufftand ausbradi
und damit der judifch-romifdie Krieg anfing. 2 )
Den Apoftel Paulus hat Felix zwei Jahre lang in der
Hoffnung, Geld fur feine Befreiung zu erhalten, gefangen
gehalten und ihn, um Gunft bei den Juden zu erwerben, 3 )
auch nidit befreit, als er felbft im Jahre 60 n. Chr. abbe-
rufen wurde. 4 ) Daft Felix viele Jahre Riditer des jiidifchen
') Ant. 20, 8, 9.
2 ) B. J. 2, 14, 4. Vgl. Ant. 20, 8, 9, wonach fofort nach dem Amts-
antritt des Feftus die vornehmften judifchen Einwohner von Cafarea den
Felix in Rom verklagten, aber wegen des Einfluffes des Pallas nichts
gegen ihn ausrichten konnten. Es mug fich um eine andere Gefandtfchaft
handeln, als die B. J. 2, 13, 7 erwahnte.
3 ) Apg. 24, 2427.
*) Diefes Datum wird yon den meiften wenigftens als wahrfcheinlich
richtig angenommen. Vgl. u. a. Zahn, Einl. II, 634 ff., Schurer I, S. 577,
38; Steinmann, Die Abfaffungszeit des Galaterbriefes, Munfter 1906,
S. 152 ff. Es folgt befonders daraus, dag der Nachfolger des Felix,
Feftus, fpateftens im Juni 62 ftarb (f. u. S. 225, 2), feine Amtszeit aber,
wie fich aus Ant. 20, 8, 10 11 (vgl. B. J. 2, 14, 1) ergibt, zwar kurz
war, aber doch langer als ein Jahr dauerte. Nach Anordnung des Claudius
(vgl. Dio Cass. 60, 11 und 17) traten die Statthalter ihr Amt mit dem
1. Mai an. Somit fallt fein Amtsantritt in. den Mai des Jahres 60.
Die in den letjten Jahren wiederholt geaugerte Anficht, Felix fei
jchon im Jahre 54 (fo Kellner wiederholt, zuleljt Jefus von Nazareth,
S. 153165) Oder 55 (V. Weber halt feine friihere Anficht, dag Paulus
von 53 55 in Cafarea gefangen war, nicht mehr aufrecht, vgl. Weber, Die
Abfaffung des Galaterbriefs vor dem Apoftelkonzil, Ravensb. 1900, S. 389.
394 f.) oder 56 (fo Harnack, Gefch. der altchriftl. Literatur II, 1, 1897,
S. 233239) abberufen worden, lagt fich nicht halten, da Felix nicht mit
dem Tode des Claudius abging, fondern von Nero beftatigt wurde (f. o.
S. 221). Man fagt (1), als Felix nach feiner Abberufung durch eine judifche
Gefandtfchaft beim Kaifer verklagt wurde, habe fein Bruder Pallas, der
damals bei Nero in grogtem Anfehen geftanden, fur ihn nach Jof. Ant.
20, 8, 9 Furbitte eingelegt. Pallas fei aber fchon im Jahre 55 in Un-
gnade gefallen. Richtig ift, dag Pallas, der vertraute Gehilfe von Neros
Mutter Agrippina (Tac. ann. 13, 2), vom Hofe entfernt wurde, um der
Agrippina, welche fich der Leidenfchaft Neros zu der Freigelaffenen Akte
widerfetjte (1. c. 13, 12 f.), diefen Vertrauten zu entziehen (1. c. 13, 14).
Es gefchah dies nach Tac. (1. c.) fchon im Jahre 55 kurz vor dem Ge-
burtstage des Britannicus (1. c. 13, 15), d. h. dem 15. Februar 55 (vgl.
V. Kap. Die rOmifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 4466 n. Chr. 225
Volkes gewefen, fagt audi Paulus in der ApoftelgefchiditeJ)
Porcius Feftus,
der Nadifolger des Felix, bekleidete fein Amt nur kurze Zeit
vom Jahre 60 62. 2 )
Suet, Claud. 27). Nero hatte aber erft am 13. Oktober 54 die Regierung
angetreten. In die kurze Zeit von Oktober 54 bis Januar 55 kann aber
doch nicht die Reife des Feftus nadi Palaftina und die des Felix und
der Gefandtfchaft nach Rom ufw. (vgl. Jof. Ant. 20, 8, 19. B. J. 2, 12,
8 14, 1) zufammengepregt werden (vgl. u. a. Zahn 11, 636 f.). Pallas,
der erft im Jahre 62 ftarb, ift von der Anklage des Hochverrates im
Jahre 55 freigefproehen worden (Tac. ann. 13, 23), nidit weil er dem
Kaifer verhagt war, fondern weil diefer fieh feines Geldes bemSchtigen
wollte (Tac. ann. 14, 65. Dio Cass. 62, 14). Was Pallas vermOge feines
Reichtums fur Felix im Jahre 55 oder 56 tun konnte, konnte er auch
nodi im Jahre 60. Die Bemerkung des Jof. Ant. 20, 8, 9, dag Pallas
bei Nero im hSchften Anfehen geftanden habe, ift unrichtig. Man beruft
fich (2) auch auf die Chronik des Eufebius, nach welcher die Abberufung
des Felix in das zweite Jahr des Nero verlegt werde (fo auch Hieronymus
cf. Chron. Euf. ed. Schone II, 155; nach dem armen. Text 1. c. p. 152
ware 'fie im letjten Jahr des Claudius erfolgt; Kellner, S. 159 ff., meint
fogar, das Zeugnis des Eufebius fur den Abgang des Felix im Jahre 54
n. Chr. fei gefchOpft aus einheimifchen offiziellen Quellen; Eufebius fpreche
als Lokalhiftoriker , da er Bifchof von Cafarea in Palaftina gewefen fei),
wahrend nach der Kirchengefchichte des Eufebius Felix noch unter Nero
Prokurator (H. E. 2, 20, 1) und Feftus von Nero eingefetjt ift (1. c. 2, 22, 1).
Qegen die Anficht fpricht (3) auch Jofephus in feiner Vita 3. Dort berichtet
er, er habe im Jahre 64 (d. h. nach feinem 26. Lebensjahre; er war aber
zwifchen dem 13. September 37 und dem 15. Marz 38 geboren, f. u.) eine
Reife nach Rom unternommen und dort einige befreundete Priefter, die
von dem Landpfleger Felix wegen geringer Vergehen dorthin zur Ver-
antwortung gefandt worden waren, mit Hilfe der Poppaa befreit. Dag
diefe Leute aber fchon feit dem Jahre 54 oder 55 oder 56 in Unter-
fuchungshaft gewefen fein follen, ift doch nicht anzunehmen.
') Apg. 24, 10.
2 ) S. o. S. 224, 4. Der Landpfleger Albinus, der Nachfolger des
Feftus, ift an einem Laubhuttenfeft in Jerufalem gewefen, als ein gewiffer
Jefus 4 Jahre vor dem Ausbruch des Krieges anfing, Weh fiber Jerufa-
lem zu rufen, was er 7 Jahre und 5 Monate zu tun fortfuhr, bis er bei
der Belagerung Jerufalems ftarb (B. J. 6, 5, 3). Aus beiden Angaben
ergibt fich, dag Albinus beim Laubhuttenfeft des Jahres 62 in Jerufalem
war und fpateftens im Herbft dorthin gekommen ift. Da nun doch die
Reife des Boten, der die Nachricht vom Tode des Feftus nach Rom
brachte und die Reife des Albinus fiber Alexandrien, wo er aufgehalten
wurde, nach Jerufalem (Ant. 20, 9, I) mindeftens drei Monate in Anfpruch
nahm, ftarb Feftus fpateftens im Juni 62, vermutlich aber noch einige
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3. Aufl. 1 5
226 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
Feftus tat, was er konnte, um das Land zu beruhigen,
und liefc viele Rauber aufgreifen und hinrichten, ebenfalls
liefc er einen neuen Betruger, weldier die Menge durch Ver-
fprechungen betorte und in die Wufte lockte, famt feinem
Anhang niedermachen. 1 ) Seine entgegenkommende Gefin-
nung zeigte er auch bei einem Streite der Juden mit Agrippa
wegen einer Tempelmauer, welche fogar den romifchen Sdmtj-
wachen in der weftlichen Halle bei den Feften jeden Anblick
verfperrte, indem er nicht auf feinem Befehle, die Mauer ab-
zubrechen, verharrte, fondern den Juden geftattete, die Sache
dem Nero vorzulegen. 2 )
Audi dem als Gefangenen von Felix zurfickgelaffenen
Paulus zeigte er fich als ein billig und reditlidi denkender
Mann und Heft ihn, da er an den Kaifer appelliert hatte,
nach Rom fiihren. 3 )
Monate fruher. DafQr, dag fein Amtsantritt in den Mai des Jahres 60
fallt (f. o. S. 224. 4), fpricht auch die wenngleich nidit urfprungliche, fo
doch auf alter Uberlieferung beruhende Lesart Apg. 28, 16, dag der
Hauptmann den gefangenen Paulus zu Rom TM ffr(>aro7rJa>/to iiber-
geben habe. Der er^moaeSa(fxij<: ift der Praefectus praetorio, der Garde-
kommandant (an den princeps [castrorum] peregrinorum, wie Mommfen
in dem Auffatj ,,Zu Apoftelgefch. 28, 16" von Th. Mommfen u. A. Harnack,
SB. Berl. A. d. W. 1895, S. 495 meint, ift nicht zu denken, da die Ein-
richtung der castra peregrina er[t ffir das 3. Jahrh. nachweisbar ift. Vgl.
Belfer, Beitrage zur Erklarung der Apoftelg., Freib. 1897, S. 146 154.
Zahn, Einl. I. 389391). Seit der Abfe^ung der beiden Prafekten Lufius
Geta und Rufrius Crifpinus durch Agrippina unter Claudius bis zu feinem
im Jahre 62 erfolgten Tode war Burrus der einzige Praefectus praetorio
(vgl. Tac. ann. 12, 42; 14, 51; er erwahnt bis zu dem nach Suet. Nero 57
am 9. Juni 62 erfolgten Tode der Octavia J4, 5164 fo viele Ereigniffe,.
dag der Tod des Burrus in den Januar gefetjt werden mug) ; ihm folgten
wieder zwei praefecti praetorio, Rufus und Tigellinus (Tac. ann. 14, 51).
Jedenfalls kann man nicht den Amtsantritt des Feftus deshalb ins
Jahr 61 fetjen, weil nach J of. Ant. 20, 8, 11 unter dem Landpfleger Feftus
fich die ,,Gattin" des Nero, Poppaa, einer judifchen Gefandtfchaft angenom-
men habe. Nero habe fie aber erft im J. 62 nach der Verftogung feiner
Frau Octavia (f. u. Kap. 24) geheiratet. Allein die Poppaa unterhielt
fchon feit dem Jahre 58 ein Liebesverhaltnis mit dem Kaifer (Tac. ann.
18, 45 sq.) und konnte proleptifch fchon vor dem Jahre 61 feine Gattia
genannt .werden.
J ) Ant. 20, 8, 10. B. J. 2, 14, 1.
2 ) Ant. 20, 8, 11. Vgl. o. S. 209.
) Apg. 24, 27; c. 25; c. 26; 27, 1-2.
V. Kap. Die rOmifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 44 66 n. Chr. 227
Feftus ftarb, ehe feine Amtszeit abgelaufen war. 1 )
Die Zwifdienzeit, welche bis zur Ankunft feines Nadi-
folgers .verflofc, benutjte der eben erft von Agrippa zum
Hohenpriefter ernannte jungere Ananus, Sohn des gleich-
namigen in der Heiligen Sdirift Annas genannten Hohen-
priefters, ein hartherziger, verwegener Sadduzaer, dazu, fei-
nem Haft gegen die Chriften genugzutun. Er klagte namlidi,
wie Jofephus fagt, ,,den Bruder Jefu, der Chriftus genannt
wird, Jakobus mit Namen nebft nodi einigen andern" beim
Hohen Rate als Obertreter des Gefetjes an und liefe sie zur
Steinigung verurteilen." 2 ) Gemeint ift der Apoftel Jakobus
der Jungere, 3 ) der Bruder des Herrn, welcher Bifchof von
Jerufalem war 4 ) und felbft bei den Juden der Gerechte hiefj. 5 )
Sein Tod erregte gerade bei den eifrigften, dem Gefetje er-
gebenften Burgern foldien Unwillen, dag fie den Ananus bei
Konig Agrippa verklagten, der ihn nun als Hohenpriefter ab-
fetjte. Einige gingen fogar dem von Alexandrien her kommen-
den Albinus entgegen und ftellten ihm vor, Ananus habe
gar kein Recht gehabt, ohne Genehmigung des Landpflegers
l ) Ant. 20, 9, 1.
-) Ant. 20, 9, 1. Die Echtheit der Stelle, welche fich in alien Hand-
fehriften findet und von Bus. h. e. 2, 23, 21 wie auch dreimal von Ori-
genes angefiihrt wird, namlich Comm. in Matth. (ed. Lommatzsch, torn. III.
p. 46, zu Matth. 13, 55), c. Celsum I, 47 und II, 13 fin., ift auch aus innern
Griinden (wie Lippus, Die apokr. Apoftelgefchichten u. Apoftellegenden, 2, 2
[Braunfchw. 1884] 242, 1 unter Hinweis auf Keim u. a. ausfuhrt) nicht zu
bean[tanden, da Jofephus in den Worten ,,Bruder des Jefu, der Chriftus
genannt wird","keinen eigenen Glauben ausfpricht. Eine Interpolation, die
fich in keiner der vorhandenen Jofephus-Handfchrifteh findet, ift die von
Bus. h. e. 2, 23, 20 zitierte angebliche Augerung des Jofephus, dag die
ZerftOrung Jerufalems eine Strafe fur die Totung des Jakobus gewefen
fei. Diefelbe findet fich auch noch frflher bei Orig. c. Gels. 1, 47 (vgl. auch
c. Gels. 2, 13 fin.) und wird von ihm (zu Matth. 13, 55) auf die Archaologie
des Jofephus zurfickgefuhrt. Nach Hegefipp bei Bus. h. e. 2. 23, 11 18
wurde Jakobus von der Zinne des Tempels herabgeftiirzt, gefteinigt und
dann von einem Walker mit einem Kniittel totgefchlagen.
3 ) o /utxpo?, Marc. 15, 40.
*) Bus. h. e. 2, 1, 2 f. Vgl. Apg. 12, 17.
5 ) Vgl. Bus. h. e. 2, 28, 12. 1517. Auch Hegefipp (bei Bus. h. e.
2, 23, 18; 4, 22, 4) und Klemens von Alexandrien (bei Bus. h. e. 2, 1,
3 f.) nennen ihn fo. Obnr feine ftrenge Lebensweife f. Hegefipp bei Bus.
h. e. 2, 23, 46.
15*
228 Erfter Abfdmitt. Die politifche Gefchiehte der Juden etc.
fo zu verfahren. 1 ) Der Tod des Jakobus fallt, wie fich aus
Jofephus ergibt, nicht fpater als 62. 2 ) Nach Hegefipp ware
er erfolgt, wahrend das Volk zur Ofterfeier verfammelt war. 3 )
Albinus (62-64),
der fein Ami im Jahre 62 antrat und .bis zum Jahre 64
fiihrte, hat in der kurzen Zeit feiner Verwaltung durdi Be-
ftechlichkeit, Raubereien und tyrannifdies Wefen viel zum
Ausbrudi des romifchen Krieges beigetragen. Anfangs liefe
er zwar eine grofce Anzahl Sikarier niedermadieh, aber vom
Hohenpriefier Ananias beftochen, Heft er den Hohenprieftern
freie Hand in der Beraubung der auf den Zehnten angewiefe-
nen Priefter und befreite fogar viele Sikarier. Nur der Rau-
ber, fagt Jofephus, blieb als Obeltater im Gefangnis, der
nicht zahlen konnte. 4 ) Albinus beftahl die offentlichen Kaffen,
brandfchatjte mil Hilfe feiner Anhanger friedliebende Burger,
beraubte manche Privatleute ihres Vermogens und belaftete
das ganze Volk mit Abgaben. Ja, er Heft fogar die Reichen,
wenn fie ihn beftadien, unbehelligt den Aufruhr fdiiiren. So
hatte bald jeder Bofewicht eine Rotte um fieh gefammelt, ja
fogar zwei Verwandte des Konigs Agrippa folgten diefem
Beifpiel und iibten iibermutig Gewalt gegen Schwachere.
Zuletjt, als Albinus abberufen wurde, liefc er alle Ge-
fangenen, welche offenbar den Tod verdient hatten, hinriditen,
die ubrigen aber, darunter viele Rauber, fur eine beftimmte
Summe freigeben. 5 )
Der folgende Landpfleger,
Geffius Florus (64-66), 6 )
war der fchlimmfte von alien. Er hatte das Amt durch Ver-
!) Ant. 20, 9, 1.
2 ) Vgl. S. 225, 1. Bus. Chron. ed Schoene II, 154 fe^t den Tod
in das fiebente Jahr des Nero; ebenfo Hier. de viris ill. c. 2 am Ende.
Hegesipp ap. Bus. h. c. 2, 23, 18 fetjt ihn naher an den Anfang des
jiidifchen Krieges: XCM ev&v? OveOnadtnvo? Jiokiogxel arzovg.
3 ) Vgl. Heges. ap. Bus. h. e. 2, 23, 10. Vgl. Lipfius, Die apokr.
Apoftelgefch. 2, 2, 247 ff. und Erganzungsheft S. 81 und 93. Kellner,
Heortologie, Freib. 1901, S. 168 ff.
*) B. J. 2, 14, 1. Vgl. auch Ant. 20, 9, 2-4.
5 ) Ant. 20, 9, 5.
6 ) Er trat das Amt im Jahr 64 an, denn der Krieg begann im
Mai 66 (B. J. 2, 14, 4); nach Ant. 20, 11, 1 n im zweiten Jahre der Ver-
waltung des Florus, im zwolften von Neros Herrfchaft".
V. Kap. Die rflmifchen Landpfleger Judaas vom Jahre 44 - 66 n. Chr. 229
mittlung der Kaiferin Poppaa, mit weldier feine Gattin Kleo-
patra befreundet war, 1 ) erhalten. ,,Er fdireckte, als ob er
wie ein Henker zur Beftrafung Verurteilter gefandt worden
ware, vor keiner Art von Raub und Mifchandlung zurack" 2 )
und veriibte feine Sehandtaten fo offen und zeigte fich fo
unbarmherzig, habgierig unjd rudilos, dafc die Juden im
UbermaJ5 ihres Blends im Vergleich zu ihm Albinus als Wohl-
tater priefen. Die Rauber konnten fidi darauf verlaffen, dag
fie, wenn fie ihm einen Anteil an der Beute uberliefcen, frei
ausgingen. Ganze Stadte raubte er aus und richtete ganze
Gemeinden zugrunde. Deshalb verliefjen nun manehe Juden
ihre Wohnfitje und fliichteten fidi ins Ausland. 3 ) Als aber
der fyrifche Statthalter Ceftius Gallus zum Ofterfeft nadi Jeru-
falem kam, fuhrten alle, die zum Fefte gekommen waren,
Klagen fiber den Florus, erreiditen aber nur das Verfprechen
vom Statthalter, er wolle ihn milder ftimmen. 4 ) Florus ging
fdiliefjlidi darauf aus, das Volk in einen Krieg zu verwickeln,
damit feine eigenen Sdiandtaten ungeahndet blieben. 5 )
Voll trfiber Ahnung erzahlte man fidi allerhand Dinge
und Vorzeichen 6 ) einer nodi viel dufteren Zukunft, die ihre
drohenden Sdiatten fdion vor fidi warf. Gerade vor dem
Aufftand am Fefte der ungefauerten Brote umftrahlte um die
neunte Stunde ein ftarkes Lidit wie ein Feuerbrand den Altar
und den Tempel, und als ob der letjtere den Feinden feine
Tore offnen wollte, offnete fidi um Mitternadit von felbft das
fchwere erzene, oftliche Tor des innern Vorhofes, weldies
1 ) Ant. 20, n, i.
2 ) B. J. 2, 14, 2.
3 ) Ant. 20, 11, 1.
*) B. J. 2, 14, 3. Nadi diefer Stelle find es nicht weniger als drei
Millionen Juden gewefen, weldie fidi klagend um den Ceftius Gallus
fcharten, eine runde Zahl, die aber audi als folche ubertrieben erfdieint.
5 ) B. J. 2, 14, 3. Man kOnnte dies fur die ubertriebene Sdiilderung
des Jofephus halten, wenn nidit audi Tac. hist. 5, 10 fagte: duravit
patientia Judaeis usque ad Gessium Florum. Der B. J. 6, 4, 3 ge-
nannte Markus Antonius Julianus heifct zwar o rfc 'lovJaia? 'tnl^oao?,
war aber nicht Landpfleger, fondern nur ein unter Titus ftehender kaifer-
licher Prokurator oder Staatsbeamter. Denn feit der Ernennung des
Vefpafian zum kaiferlichen Legaten von Judaa gab es keine Land-
pfleger mehr.
6 ) B. J. 6, 5,|3.
230 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
abends von zwanzig Mann gefchloffen wurde. Am Pfingft-
fefte vernahmen die Priefter in der Nadit, als fie den innern
Vorhof betraten, um ihren Dienft zu verfehen, ein Getofe
und Raufchen und darin den vielftimmigen Ruf (wie der hei-
ligen Geifter): Laffet uns von hinnen ziehen.
Schon im Jahre 62, beim Laubhuttenfefte, fing ein Bauer
namens Jefus, des Ananus Sohn, plotjlidi an zu rufen: M Eine
Stimme vom Aufgang, eine Stimme vom Niedergang, eine
Stimme von den vier Winden; eine Stimme fiber Jerufalem
und den Tempel, fiber Brautigame und Braute und fiber das
ganze Volk. Weh, weh, Jerufalem." So fchrie er Tag und
Nacht, wahrend er in alien Gaffen der Stadt umherlief. Man
zfiditigte ihn mil Sdilagen, Albinus liefc ihn fogar bis auf
die Knochen geifceln, 1 ) aber bei jedem Hieb fchrie er nur:
,,Weh, Jerufalem!" Audi in der Folge fluehte er keinem,
der ihn fchlug, und dankte keinem, der ihm zu effen gab.
Fur niemand hatte er eine andere Antwort, als: ,,Weh, weh,
Jerufalem!" Sieb en Jahre und ffinf Monate liefj er, befon-
ders laut an Fefttagen, diefen fchrecklichen Ruf erfchallen,
bis ihn wahrend der Belagerung bei dem gellenden Rufe:
,,Weh der Stadt, dem Volke und dem Tempel," ein von
einer romifchen Wurfmafchine gefchleuderter Stein traf und
er mit dem Rufe: ,,Weh audi mir!" tot zufammenbradi.
VI. Kapitel.
Der judifche Krieg von 66 - 73 n. Chr. 2 )
1. Vom Ausbruch des Krieges bis zur Ankunft Vefpafians
im Jahre 67.
Feindfeiig- Zu Cafarea, wo die Spannung zwifdien Juden und
keiten in Syrern fchon fo wie fo aufs hodifte geftiegen war, kam es
Cafarea. aus einem geringffigigen Anlag zum Streit. Die Juden
hatten eine Synagoge auf einem Pla^, der den Griechen
J ) Vgl. Juster, 2, 148: II est evident, que nous sommes, ici aussi,
en presence d'un cas pouvant dtre interprete comme rebellion: car .la
ruine predite devait surement etre la peine meritee pour la tolerance
du joug etranger.
' 2 ) Von neuen Werken feien erwahnt : Bertholet Alf , Das Ende des
judifchen Staatswefens, Tub. 1910. Luther H., Jofephus und Juftus von
VI. Kap. Der judifche Krieg von 66-73 n. Chr. 231
zugehorte und von diefen nun mil Werkftatten fo zugebaut
wurde, dag den Juden nur em fehr unbequemer Eingang
blieb. Letjtere batten vorher dem Florus acht Talente gegen
das Verfprechen, den Bau der Werkftatten zu unterfagen,
gegeben. Als er aber das Geld hatte, kummerte er fidi
urn nichts und reifte ab. Am f olgenden Sabbate opferte ein
Grieche einige Vogel vor der Synagoge, um dadurch auf das
mofaifche Opfer der Ausfatjigen, die rein werden wollten,
hinzuweifen und die Juden als Ausfa^ige hinzuftellen. 1 ) Es
kam zu einem Handgemenge, in weldiem die Syrer die
Oberhand behielten, woraufhin deren judifche Gegner 2 ) nach
einem 60 Stadien von Cafarea entfernten Ort Narbata zogen.
Ihre Gefandten wurden von Florus gar nicht vorgelaffen. 3 )
In Jerufalem wuchs die Erregung, als Florus 17 Talente, Florus wird
wie er fagte, fur den Kaifer, wie man aber glaubte, fur fich in Jerufalem
felbft aus dem Tempelfehafe nahm. Zum Hohn f ammelten o verh ^ nt ;
. . i i , o. ,. r - j Seine Rache.
nun einige Leute in der Stadt Almofen ,,fur den armen,
ungliicklichen Florus". Darauf kam der aber voll Wut mit
Truppen in die Stadt, lieft einen Teil plundern und viele
Burger, darunter fogar romifche Ritter, ergreifen, geigeln
und ans Kreuz fchlagen. 3600 Leute follen an dem Tage
umgekommen fein. 4 ) Selbft die gerade in der Stadt anwe-
fende KQnigin Berenice geriet in Lebensgefahr und mufcte
fich vor den Soldaten in den Konigspalaft fliichten. 5 )
Dies gefchah am 16. 6 ) Artemifios des Jahres 66. Am Florus raumt
f olgenden Tage, den 17. 7 ) Artemifios, beftimmten die Vor- die Stadt.
Tiberias. Ein Beitrag zur Qefdiidhte des jfidifchen Au![tandes (Diss.)
Heidelberg 1910. Windifdi H., Der Untergang Jerufalems im Urteil
der Chriften und Juden. Theol. Tijdsch, XL VIII, Leiden 1914, 6, 519550.
Weber W., Jofephus und Vefpafian. Unterfuchungen zu dem judifchen
Krieg des Flavius Jofephus. L. 1921.
) S. Levit. 14, 4. Vgl. Ant. 3, 11, 4. C. Apion. 1, 26 f.
2 ) D. h. die am Kampfe Beteiligten; f. B. J. 2, 18, 1.
3 ) B. J. 2, 14, 4 f. .
*) B. J. 2, 14, 6-8.
8 ) B. J. 2, 15, 1. Vgl. o. S. 213.
6 ) B. J. 2, 15, 2.
7 ) Nach Wiefeler, Zur Gefch. der neut. Schrirt und des Urchriften-
tums, Leipz. 1880, S. 93, 1 (vgl. auch Wiefeler, Des Jofephus Zeugniffe
uber Chriftus und Jakobus in Jahrb. f. deutfche Theol. 1878, S. 103) ift
der 17. Artemif. 66 = 1. Mai.
232 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
nehmen und Hohenpriefter mit grofeter Mime die Juden
dazu, nach dem Verlangen des Floras zum Zeichen ihrer
Unterwiirfigkeit zwei von Cafarea anriickenden Kohorten zur
Begrufcung entgegenzuziehen. Die Truppen erwiderten aber,
wie Jofephus fagt, auf Befehl des Florus, den Grug der
Juden nidit und drangen, als nun einige auf Florus fchimpften,
auf fie ein. 1 ) Viele wurden totgefchlagen oder von den
Pferden zertreten oder von der wild in die Stadt zuruck-
fturmenden Menge zu Tode gedriickt. In der Stadt hielt
aber das Volk dem Angriff ftand und bradi, um den Tempel
vor Florus zu fchutjen, die Saulenhallen, welche den Tempel
mit der Burg Antonia verbanden, ab. Jetjt raumte Florus,
indem er den Hohenprieftern und dem Hohen Rate eine
Kohorte zur Aufrechthaltung der Ruhe und Sidierheit zuriick-
liefc, die Stadt. 2 )
Friedens- Der Statthalter von Syrien, der fowohl von Florus,
bemuhungen we^er ^{ Q Juden des Abfalls befchuldigte, wie auch von der
des Agnppa. g eren j ce un( j ^en Vo'rnehmert Jerufalems benachrichtigt wor-
den war, fandte nun einen Tribunen nach Jerufalem, um
Erkundigungen einzuziehen, der aber wieder heimkehrte,
nachdem er in Jamnia den gerade aus Alexandrien kom-
menden ;! ) Konig Agrippa, bei dem fich auch Gefandte aus
Jeru[alem einfanden und dem das niedrige Volk entgegen-
zog, getroffen hatte.
Agrippa wollte zwar dem Verlangen der Juden, den
Florus beim Kaifer felb[t zu verklagen, nicht zuftimmen, be-
rief aber eine Volksverfammlung, in welcher er in langer
Rede das Volk vor einem Kriege mit dem uberma'chtigen
Rom warnte, der das grogte Ungluck fiber die Stadt, den
Tempel und das ganze Volk bringen wurde. Es gelang ihm
aber nicht, das Volk zum Gehorfam gegen Florus zu be-
wegen und er kehrte in fein Konigreich zuriick.
Anfang des In der Stadt waren die vornehmen Sadduzaer und auch
Kneges. manche einfichtige Pharifaer gegen den Krieg, den fie fur
ausfichtslos hielten: Aber die Zeloten wollten ihn um jeden
>) B. J. 2, 15, 2-5.
*) B. J. 2, 15, 5 f.
3 ) B. J. 2, 16, 5-17, 1. Vgl. o. S. 209 f.
VI. Kap. Der jiidifche Krieg von 6673 n. Chr. 233
Preis und bemachtigten fich der Feftung Mafada. 1 ) Ihre Ge-
finnungsgenoffen in Jerusalem befchloffen um diefelbe Zeit
auf Betreiben des Befehlshabers der Tempelwache, Eleazar,
Sohnes des Hohenpriefters Ananias, in Zukunft die her-
kommlichen Opfer fur die romifche Obrigkeit zu unterlaffen
und iiberhaupt keine Opfer von Nichtjuden mehr anzu-
nehmen.^) Der Befchlufj blieb trotj aller Vorftellungen der
Hohenpriefter und anderer Vornehmer und der angefehenften
Pharifaer beftehen. 3 ) So fehr war diefen bereits die Bewe-
gung uber den Kopf gewachfen. Es bedeutete der Befchlufc
aber nichts geringeres als den Abfall vom romifchen Kaifer
und er gilt deshalb als der eigentliche Anfang des Krieges.
Die Gemafcigten fuchten nun durdi Gewalt ihren Zweck
zu erreichen und wandten fich an Florus und Agrippa um Erfoige der
Hilfe. Er[terer antwortete gar nidit, le^terer fchickte aber
3000 Reiter, welche, da der Tempelbezirk und die Unterftadt
bereits in den Handen der Aufftandifchen waren, die obere
Stadt befetjten. 4 ) Allein im Monat Loos (Auguft) 5 ) wurden
fie von den Emporern, weldie von aufeen immer neuen Zu-
zug erhielten, auch hier mehr und mehr verdrangt und in
dem Konigspalaft des Herodes eingefchloffen. Die Aufftan-
difdien verbrannten das Haus des Hohenpriefters Ananias,
die Palafte der Berenice und des Agrippa und das ftadtifdie
Archiv, wo die Schuldurkunden verwahrt wurden Audi ge-
langten fie einige Tage fpater in den Befit* der Antonia. 6 )
Die Trupen im Konigspalaft konnten fich nicht halten. Die
Koniglichen und Einheimifchen erhielten freien Abzug, die
Romer fluchteten aber in die feften Tiirme der Burg, die
felbft am 6. Gorpiaios (September) in Brand gefteckt wurde. 7 )
In der Wafferleitung des Palaftes iand man den dort ver-
borgenen Richter des Paulus, den Hohenpriefter Ananias,
der von den Banditen umgebracht wurde. 8 ) Endlich ergab
J ) B. J. 2, 17, 2.
2 ) L. c.; vg-1. unten.
3 ) B. J. 2, 17, 3-4.
4 ) B. J. 2, 17, 5.
6 ) B. J. 2, 17, 6 f.
a ) B. J. 2, 17, 5, 7.
') B. .1. 2, 17, 8-9. Vgl. uber die Tiirme o. S. 69.
8 ) B. J. 2, 17, 9.
234 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
fich auch die romifche Befatjung gegen das eidliche Ver-
fpredien freien Abzugs, wurde aber nadi Niederlegung der
Waffen treulos von den Leuten Eleazars an einem Sabbate
niedergemacht. 1 )
Kampfe in Es gefchah dies an demfelben Tage, an welchem zu
Syrien und Cafarea mit Begunftigung des Landpflegers Florus fiber
Agypten. 20000 Juden von ihren heidnifchen Mitbiirgern niedergemadit
wurden. 2 ) Diefe Tat gab nun wieder den Juden Anlafr zu
Angriffen auf fyrifche Dorfer und zu Verwuftungen in den
Stadten Sebafte, Askalon, Anthedon und Gaza und bald
bekampften fich faft in jeder Stadt Syriens Juden und Nicht-
juden und riff en das Vermogen der Ermordeten an fidi. So
z. B. wurden in Skythopolis 13000 Juden niedergemetjelt,
ebenfalls viele in Ptolemais und Tyrus, ja felbft in Alexan-
drien brach der Streit wieder los, in welchem 50000 Juden
teils durch die Grieehen, teils durdi die romifdien Soldaten
umgebradit und ihre Haufer eingeafchert wurden. 3 )
Der ungiuck- Endlidi brach der Statthalter Ceftius von Syrien mit
Hche Feidzug einer grofeen Truppenmaeht, zu weldier die Konige Agrippa,
des Ce{tms Antiochus von Commagene und Soemus von Emefa 4 ) Hilfs-
fiallus
truppen geftellt hatten, von Antiochien auf und lagerte, nadi-
dem Joppe und Lydda verbrannt worden waren, wahrend
des Laubhiittenfeftes (Oktober) 66 vor Jerufalem. 5 ) Am
30. Hyperberetaios (Oktober) 6 ) befetjte er die Vorftadt Be-
zetha und verbrannte fie, und griff einige Tage f pater die
Nordfeite des Tempels ohne Erfolg an. Dann trat er aber,
vermutlich weil er fich zu fchwach fiihlte, den Riickzug an,
der unter fortwahrenden Angriffen der Juden, die ihre Gegner
bis nach Antipatris verfolgten, in eine Fluent ausartete, auf
der viele Gegner der Juden getotet und der grofete Teil
des romifchen Kriegsmaterials verloren ging. Am 8. Dios
(November) zogen die Aufftandifchen, gegen die vergebens
ein Heer von gegen 30000 regularer Truppen, abgefehen
J ) B. J. 2, 17, 10.
2 ) B. J. 2, 18, 1.
3 ) B. J. 2, 18, 2-8. Vita 6.
4 ) Dag er Kflnig von Emefa war, ergibt fich aus Ant. 20, 8, 4.
Vgl. B. J. 2, 18, 9.
5 ) B. J. 2, 18, 9-19, 2.
) B. J. 2, 19, 4.
VI. Kap. Der judifche Krieg von 6673 n. Chr. 235
von den Hilfstruppen der Stadte, 1 ) gekampft hatte, unter
Siegesgefangen in die Hauptftadt ein. 2 ) Viele angefehene
Jiiden, weldie zur Partei des Agrippa gehorten, verliefcen,
die Stadt, 3 ) andere Romerfreunde wurden aber teils mit Ge-
walt, teils mit Uberredung auf die aufftandifche Seite ge-
zogen.*) So grofc war aber nodi immer das Anfehen der
judifchen Ariftokratie, daft fie, obwohl fie nur mit halbem
Herzen bei der Bewegung war, nun die Fuhrung im Kriege
gegen die Romer erhielt.
In der Stadt erhielten den Oberbefehl Jofephus, Sohn Die judifchen
des Gorion, und der Hoheprie[ter Ananus. Eleazar, der Befehishaber.
Sohn des Hohenpriefters Ananias wurde mit Jefus, Sohn
des Sapphias, nach Idumaa gefchickt und damit gewiffer-
maffen kalt geftellt, 5 ) wahrend der bekannte judifche Ge-
fehiditfchreiber Jofephus, Sohn des Priefters Matthias, das
wichtige Kommando in Ober- und Unter- Galilaa und in Ga-
mala erhielt. 6 ) Er war damals erft 29 Jahre alt, hatte die
Macht des romifchen Reiches bei einem Befuche Roms im
Jahre 64 felbjt kennen gelernt, war dem Aufftande abge-
neigt und fur feinen hochft fchwierigen Poften in einer Pro-
vinz, welche den romifrhen Angriffen am meiften ausgefe^t
war, ganz ungeeignet. Es follte fidi auch bald zeigen, wie
wenig er im Herzen mit den Aufftandifchen fympathifierte
und wie fehr er fich durch allerhand geheime Dienfte bei
dem Konig Agrippa und den Romerfreunden den Riicken
zu decken fudite. So waren den Prieftern und Sdiriftge-
lehrten wie ehedem das Sdiickfal Je(u nun das Schickfal des
Volkes anvertraut.
Neben Jofephus waren noeh andere Priefter, Joazar
und Judas, mit der Organifation und Fuhrung des Krieges
*) B. J. 2, is r 9.
2 ) B. J. 2, 19, 49. Auf die Kunde von dem Siege der Juden
braditen die heidnifdien Bewohner von Damaskus, deren Frauen meift
die judifche Religion angenommen hatten, ihre judifchen Mitburger unter
einem Vorwande in die Ringfchule zufammen und machten 10000 von
ihnen nieder. B. J. 2, 20, 2.
3 ) B. J. 2, 20, 1.
*) B. J. 2, 20, 3.
8 ) B. J. 2, 20, 4.
6 ) B. J. 2, 20, 4. Vgl. fiber ihn unten.
236 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefdiiehte der Juden etc.
Tatigkeit desin Galilaa beauftragt. 1 ) Zunachft ernannte er nach dem Vor-
Jofephus in fcjide des hohen Rates ein Kollegium von 70 Alteften zur
Qahiaa. Entfcheidung der wichtigeren Rechtsfaile und beftellte in jeder
Stadt 7 Riditer fur die weniger wichtigen Falle. 2 ) Edit phari-
faifch wollte er audi die Leute in Tiberias zur Zerftorung
des Palaftes des Herodes bewegen, weil derfelbe mit Tier-
geftalten gefchmfickt war, was das Gefetj nidit geftatte. 3 )
Immerhin befeftigte er aber doch audi eine Anzahl ge-
eigneter Platje in Galilaa. Dasjelbe tat er z. B. in Taridiea,
Tiberias, Gamala, weldie Orte zu dem Gebiete des Konigs
Agrippa, welches von diefem abgefallen war, gehorten. Selbft
Sepphoris erkannte wenigftens zum Scheine die Autoritat
des Jofephus an, beforgte aber den Bau feiner Mauern
felbft. 4 ) Zu einer geniigenden Schulung der Truppen kam es
fdion aus Mangel an Zeit nicht. Er hatte fchliefclich ein Heer
von 60000 Mann zu Fug, 250 Reitern und nodi etwa 4500
Soldnern zufammengebracht. Seine Leibwache beftand aus
600 Mann. 5 ) '
Seine Aber es fehlte audi nicht an gewaltigem Widerfpruch.
Gegner. An (j er spi^e der Oppo[ition in Galilaa ftand Johannes,
Levis Sohn aus Gifchala, ein gewalttatiger Menfch, der {ich
durch Ollieferungen an die Juden in Syrien grofcen Reich-
turn erworben hatte, mit einer Bande von 400 verwegenen
l ] Vita c. 7. Nachdem fie viel Geld aus dem Zehnten erhalten hatten,
wollten die beiden wieder nadi Jerufalem zuriickkehren und blieben nur
auf Bitten des Jofephus. Vita c. 12.
2 ) B. J. 2, 20, 5. Vita c. 14.
3 ) Vita c. 12.
4 ) B. J. 2, 20, 6. Vgl. Vita 37. In Tiberias hatte die romerfeindlidie
Kriegspartei die Oberhand; vgl. Vita c. 9 und 12. Gamala war an-
fangs den Romern treu (Vita c. 12), fiel aber bald ab (B. J. 2, 20, 4.
6; 21, 7. Vita 24. 3537). Sepphoris, die feftefte Stadt Galilaas, hatte
fchon die rOmifchen Truppen des Ceftius im Jahre 66 freudig aufge-
nommen (B. J. 2, 18, 11) und fich nur zum Scheine dem Jofephus unter-
worfen (B. J. 2, 20, 6; 21. 7; dag die Stadt tatfachlich den ROmern treu
blieb, ergibt fich aus Vita c. 8. 22. 25. 45. 65). Jofephus erlaubte der
Stadt die Verbindung mit der Stadt Dora in Phonizien, wo fich die von
Sepphoris dem Ceftius geftellten Geigeln befanden (B. J. 2, 19; Vita c. 8).
Er nahm die Stadt einmal mit Gewalt ein (B. J. 2, 21, 10. Vita c. 67),
wahrend er ein anderes Mai zuruckgefchlagen wurde (Vita c. 71).
5 ) B. J. 2, 20, 7-8.
VI. Kap. Der judifche Krieg von 66-73 n. Chr. 237
Raubern plundernd in Galilaa umherzog und felbft nach dem
Oberbefehl ftrebte. Er ftreute iiberall das Geriicht aus, Jo-
fephus wolle das Land den Romern verraten. Anlafc dazu
gab deffen Nachficht gegen Sepphoris und feine Abficht, die
von einem Beobaditungskorps einem Beamten des Konigs
Agrippa abgenommene Beute diefem wiederzugeben. In
Tarichea wollte deshalb eines Morgens eine wiitende Menge
den Jofephus lebendig verbrennen. Er wufete aber einen
Teil der Leute durch die Behauptung, er habe das erbeutete
Geld zur Befeftigung von Taridiea zuriickgehalten, fur fich
zu gewinnen. 1 ) Bald danaeh mufjte er in Tiberias vor einer
Mordbande des Johannes von Gifchata fich in einem Nachen
auf die offene See fltichten. 2 ) Endlich fe^te fein Gegner es
doch in Jeru[alem durdi, daft eine Kommiffion von 4 Man-
nern mit 2500 Schwerbewaffneten nach Galilaa gefchickt
wurde, um ihn zur Rechenfchaft zu ziehen. Aber jetjt gelang
s ihm durch Lift fowohl die vier Manner als auch manche
der Bewaffneten in feine Gewalt zu bekommen, um fie nach
Jerufalem zuruckzufchicken, und der Befchlujg; gegen ihn wurde
in Jerufalem wieder riickgangig gemacht. 3 )
In Jerufalem hatte man mittlerweile die Stadtmauer Rfl . tun en .
wieder inftand gefe^t und wohl auch den unterbrochenen j er ufaiem.
Neubau des Agrippa (vgl. o. S. 202) durftig vollendet, Kriegs-
gerat verfertigt und planlofe Waffeniibungen abgehalten. 4 )
Einen Angriff auf das ftark befeftigte Askalon hatte die
dortige kleine romifche Garnifon fiegreich abgefchlagen. 3 )
!) B. J. 2, 21, 15. Vita 13. 2630. In der Vita verteidigt fich
Jofephus gegen die Behauptung des Juftus von Tiberias, er trage die
Schuld, dag fich die Stadt Tiberias am Aufftand beteiligt habe, und fueht
fich als ROmerfreund darzuftellen. Er erzahlt auch Vita c. 13, er habe
fich zu Tiberias bemuht, alles bewegliche Eigentum des Agrippa in feine
Hand zu bekommen, um es diefem zurQckzugeben.
2 ) B. J. 2, 21, 6-7. Vita 16-21.
3 ) B. J. 2, 21, 7. Ausfuhrlich handelt uber die Beftellung und Qe-
fchichte der Kommiffion Vita c. 3864. Auch gelang es dem Jofephus,
fich wieder Tiberias, deffen Einwohner die Hilfe Agrippas angerufen
hatten, zu unterwerfen. B. J. 2, 21, 8-10. Vita 3235. Gifchala mugte
fich auch dem Jofephus unterwerfen, wurde "aber zur Strafe gepliindert.
B. J. 2, 21, 10.
*) B. J. 2, 22, 1.
*) B. J. 3, 2, 1-3.
238 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefdiichte der Juden etc.
Wie in Galilaa Johannes von Gifchala, fo verlegte fich
im Bezirke von Akrabatta Simon, des Gioras Sohn, auf
Raubereien, fo dag Ananus von Jerufalem Truppen gegen
ihn fchickte. Jetjt floh Simon nach Mafada und beunruhigte
von dort Idumaa, fo dafc die dortigen Behorden Befatjungen
in die Dorfer legen mufcten. 1 )
Es war ein troftlofer Zuftand des Wirrwarrs und der
innern Zwiftigkeiten, welche viele den kommenden Unter-
gang vorausfehen liefc. 2 )
2. Der judifche Krieg vom Jahre 67 bis zur Belagerung
Jerufalems durdi Titus.
Vefpafian und ^Is ^ Qro m Achaja die Kunde von der Niederlage des
Ce * tius und den Zu f tanden Palaftinas erhielt, ubertrug er die
Fuhnmg des Krieges gegen die Juden einem bewahrten
Feldherrn, dem Vefpafian, 3 ) der fidi namentlieh durdi feine
Kriegstaten gegen die Germanen und in Britannien ausge-
zeichnet hatte. Diefer befand fidi damals ebenfalls zu Achaja
bei Nero und begab fich nun nadi Syrien, wahrend er feinen
Sohn Titus nach Alexandrien fchickte, um von dort die funf-
zehnte Legion zu holen. d )
In Antiochien traf Vefpafian die ganze Streitmacht des
Konigs Agrippa und ging mit ihm nach Ptolemais, 5 ) wo das
von Suden kommende Heer des Titus zu ihm ftieg. 6 ) Noch
ehe diefer let;tere ankam, hatte fchon die romifch gefinnte
grofcte und feftefte Stadt Galilaas, Sepphoris, eine romifche
Befa^ung erbeten und erhalten. 7 ) Ihr Befehlshaber war Pla-
cidus, der nun mit feinen 1000 Reitern und 6000 Fugfoldaten
nicht blog den Angriff des Jofephus leicht abfchlug, fondern
!) B. J. 2, 22, 2.
2 ) B. J. 2, 22, 1.
3 ) Geboren im Jahre 9 n. Chr.
4 ) B. J. 3, 13. Der Text in B. J. 3, 1, 3 fpricht von der 5. und
10. Legion. Aus B. J. 3, 4, 2 ergibt fich, dag Titus nur eine Legion,
die funfzehnte, heranfuhrte. Vgl. auch Sueton. Tit. 4, der fagt, dag Titus
wahrend des Krieges eine .Legion befehligte.
6 ) B. J. 3, 2, 4.
6 ) B. J. 3, 4, 2.
7 ) B. J. 3, 2, 4.
VI. Kap. Der judifche Krieg von 6673 n. (Jhr. 239
auch ganz Galilaa verwuftete, fo daft nur nodi die befeftigten
Stadte einen ficberen Zufluchtsort bildeten. 1 )
Das gefamte romifche Heer, zu welchem die Konige
Agrippa, Antiochus von Commagene, Soemus von Emefa
und der Araber Malchus Hilfstruppen geftellt batten, war
etwa 60000 Mann ftark. Den Kern bildeten die funfte, zehnte
und fiinfzehnte Legion. 2 ) Im Friihjahre 67 kam Vefpafian
mit feinem Heere an den Grenzen Galilaas an und lieg dort
ein Lager auffchlagen. Auf die bloge Nadiridit hiervon ftoben
die nidit weit von Sepphoris bei einem Orte narnens Garis
lagernden Truppen des Jofephus in wilder Fluent auseinander.
Der Feldherr felbft floh mit den wenigen treu Gebliebenen
nach Tiberias, 3 ) dachte an einen Vergleich und fchrieb nach
Jerufalem, wenn man den Krieg fortfetjen wolle, folle man
ihm ein Heer fchicken, welches es mit den Romern auf-
nehmen konne, 4 ) als ob nicht gerade die Organifation eines
folchen feine Aufgabe gewefen jei. Allerdings fanden iich
von den Zeloten, die aus ganz anderm Stoff waren, keine
bei {einem Heere.
Die meiften Leute des Jofephus waren in die ftarke Beiagerung
Bergfeftung Jotapata (nordlich von Sepphoris, auf dem Wege von Jotapata.
von Ptolemais nach Nazareth), welche auf einem hohen run-
den Hugel (Tell Dfchefat) lag, der nur mit den nordlichen
Bergen durch einen niederen Bergfattel verbunden ift, 5 ) ge-
fluchtet. Dort kam auch Jojephus am 21. Artemifios (Mai)
an, 6 ) nur einen Tag fruher als die ganze Streitmacht des
Vefpafian, der die Stadt Gadara genommen und in Brand
gefteckt hatte und nun mit einem Schlage das Schickfal Ga-
lilaas entfcheiden wollte. 7 )
Die Stadt war an der einzig zuganglichen Seite im Nor-
den dur;ch eine ftarke Mauer gefchtt^t. Tro^dem hier die
Romer fchon am 23. Artemifios und den folgenden Tagen
Angriffe machten, gelang es den Belagerten, nicht nur die-
') B. J. 3, 4, 1 und 3, 6, 1.
2 ) B. J. 3, 4, 2.
3 ) B. J. 3, 6, 2-3.
4 ) B. J. 3, 7, 2.
5 ) Vgl. Querin, Galilee I. p. 476 ss.
a ) B. J. 3, 7, 3.
') B. J. 3, 7, 4 und 1.
240 Erfter Abfchnitt. Die politifehe Gefchichte der Juden etc.
felben abzufchlagen, fondern trotj des beftandigen Gefchog-
hagels hinter einer von Jofephus erfonnenen kiinftlichen
Deckung die Mauer zu erhohen. So fah fidi Vefpafian ge-
zwungen, die Stadt formlidi zu belagern, und fuchte nun fie
auszuhungern. 1 ) Jofephus, der iiberhaupt damals groge Er-
findungsgabe und Schlauheit an den Tag legte, taufchte auch
den Feind uber den Waffermangel in der Stadt, indem er
von Waffer triefende Kleider an den Bruftwehren aufhangen
liefc. Tatfachlich mufcten fidi aber die Belagerten mit Zifternen-
waffer begnugen, in der Sommerzeit regnete es aber in
jener Gegend felten. 2 ) Jetjt griff Vefpafian zur Freude der
an ihrer Rettung verzweifelnden Juden wieder zu den Waffen.
t)ber den Jofephus felbft, der ernftlich an die eigene Ret-
lung durch die Fluent gedacht und fchliefclich nur aus Furdit,
die Menge werde ihn mit Gewalt zuruckhalten, den Ge-
danken aufgegeben hatte, 3 ) kam nun etwas vom Mute der
Verzweiflung. Er fugte den Romern durch kiihne Ausfalle
grogen Schaden zu, wugte die Gewalt des Sturmwidders an
der Mauer durch herabgelaffene Spreufacke zu brechen und
lieg auf die anfturmenden Romer fiedendes 01 und auf die
Bretter der Sturmbriicken abgekochtes griechifches Heu giefcen,
fo da die Romer ausglitten und hinabrutfchten. 4 ) Vefpafian
felbft wurde beim Angriff auf die Stadt leicht am Fug ver-
wundet, 5 ) und die Belagerten entwickelten unter den fort-
wahrenden Angriffen und der Tatigkeit von 160 Wurfma-
fchinen 6 ) des romifchen Heeres auf der Mauer Wunder der
Tapferkeit und fchlugen auch einen Sturm der Romer am
20. Daifios (Juni), denen es gelungen war, eine Brefche in
die Stadtmauer zu legen, ab. 7 ) Nun liejg Vefpafian auf von
ihm errichteten Wallen drei je funfzig Fug hohe Turme mit
Bruftwehren bauen, um die auf der Stadtmauer ftehenden
Juden leichter fehen und treffen zu konnen. 8 )
') B. j. 3, 7, 5-n.
*) B. J. 3, 7, 1213.
3 ) B. J. 3, 7, 15-17.
*) B. J. 3, 7, 17-29.
) B. J. 3, 7, 24.
6 ) B. J. 3, 7, 9.
v ) B. J. 3, 7, 21. 23 ft
*) B. J. 3, 7, 30.
VI. Kap. Der jiidifche Krieg von 66^-73 n. Chr.
241
Wahrend diefer Vorbereitungen griff ein Teil des ro-
mifchen Heeres eine Nachbarftadt Jotapatas mil Namen Japha
an und nahm fie am 25. Daifios nach einem furchtbaren
Blutbad, in welchem 15000 Juden umkamen, ein. 1 ) Zwei
Tage fpater wurden 11600 Samariter, welche fich auf dem
Berge Garizim verfammelt batten und ebenfalls an Aufftand
gegen die Romer dachten, von Cerealis mit der fiinften Le-
gion umzingelt, und da fie fich nicht ergeben wollten, nieder-
gemacht. 2 )
Kurz danach, am 1. Panemos (Juli), 3 ) fiel auch Jotapata
durch Verrat. Ein Oberlaufer verriet dem Vefpafian, daft gegen
Morgen felbft die Wachtpoften vor Ermudung zu fdilafen
pflegten. Dies benutjte der Feldherr. Um die angegebene
Zeit erftieg zuerft Titus mit einigen Leuten die Mauer und
das ganze Heer war fchon in der Stadt, fiber 'die gerade
ein dichter Nebel lagerte, ehe die Belagerten es wufcten. Im
ganzen find bei der Einnahme und in den vorangegangenen
Kampfen 40000 Juden umgekommen/)
Jofephus felbft rettete fich in eine tiefe Zifterne, die fich
feitwarts zu einer von oben unfichtbaren, geraumigen Hohle
erweiterte. Hier traf er vierzig andere Manner, die fur eine
Reihe von Tagen mit Lebensmitteln verfehen waren. Nach
zwei Tagen wurde er entdeckt und wollte fich den Romern,
die ihm das Leben verburgten, ergeben. Allein feine Ge-
fahrten drohten ihn niederzuftoften, wenn er das tue, und
verlangten, er folle fich, wie jeder von ihnen auch tun wurde,
1 ) B. J. 3, 7, 31.
2 ) B. J. 3, 7, 32.
3 ) B. J. 3, 7, 36. Ift dies Datum richtig und ebenfalls riditig, dag
Vefpafian am 22. Artemifios vor der Stadt ankam und fie am folgenden
Tage angriff (B. J. 3, 7, 5; vgl. ebd. 7, 3-4), fo kann die Belagerung
vom 22. oder 23. Artemifios gerechnet nicht 47 Tage gedauert haben,
wie doch zweimal B. J. 3, 7, 33 und 8, 9 beftimmt gefagt ift. Es konnen
aber auch die 47 Tage vom 17. Artemifios an gerechnet fein, da an dem
Tage fchon von Truppen Vefpafians mit der Ebnung des Bergweges be-
gonnen wurde, um dem Heere/.eine breite Strage zu eroffnen (B. J. 3,
7, 3). Vgl. auch Niefe, Hermes XXVIII, 1893, S. 202 f. Unger, Die
Tagdata des Jofephos [S. B. der Munchener Ak. 1893, II, 453-492]
S. 490 f. meint, es fei vielleicht ftatt 47 die Zahl 37 zu lefen, wozu aber
kein Anlaft vorliegt, da die Zahl 47 in B. J. 3, 8, 9 wiederholt wird.
4 ) B. J. 3, 7, 33-36.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgerdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 16
Romifche
Unter-
nehmungen
gegen Japha
und die
Samariter.
Fall
Jotapatas.
Gefangen-
nahme des
Jofephus.
242 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
felbft toten. Er behauptet nun, fie bewogen zu haben, jedes-
mal das Los daruber beftimmen zu laflen, wer an der Reihe
fei, von einem andern getotet zu werden. Schlieglich fei er
mit noch einem andern iibrig geblieben, und diefen habe er
veranlafjt, fich mit ihm den Romern zu ergeben. 1 )
Als er zu Vefpafian gefuhrt wurde, wollte ihn diefer
zu Nero fchicken. Aber Jofephus wufete fich auch jetjt zu
helfen. Er gab vor, fich eines gottlichen Auftrages entledigen
zu miiffen, nahm eine Prophetenmiene an und fagte voraus,.
fowohl Vefpafian wie fein Sohn Titus wiirden die Kaifer-
wiirde erlangen. Nun wurde er, zumal auch Titus fich fur
ihn verwandte, freundlicher behandelt, wenngleich er einft^
weilen in Feffeln blieb. 2 )
Unter- Am 4. Panemos zog Vefpafian von Jotapata iiber Pto-
werfungvon lemais nach Cafarea am Meere, und begab fich von dort
Tibenas, ^^ c a j area philippi, wo ihn Konig Agrippa zwanzig Tage
'"To * I pVi oo
lang feftlich bewirtete und ihn die Berenice durch Gefchenke
zu gewinnen wufete. 3 )
Bald danach wurde die Stadt Joppe, die im Jahre 66
durch Ceftius zerftort, 4 bald aber wieder von judifchen Flucht-
lingen neu befeftigt worden war, durch die Romer von neuem
zerftort. 5 )
Die Unterwerfung Galilaas wurde noch im Jahre 67 be-
endigt. Tiberias offnete dem Vefpafian freiwillig die Tore
und blieb auf die Fiirbitte Agrippas hin von Pliinderung und
Gewalttatigkeiten verfchont. 6 ) Tarichea, deffen eingeborne
Bevolkerung fich ergeben wollte, wurde von Titus zu An-
fang des Monats Gorpiaios (September) eingenommen und
!) B. J. 3, 8, 17.
2 ) B. J. 8, 8-9. Vgl. auch Sueton. Vespas. 5. Ei unus ex nobilibus
captivis Jojephus, cum conjiceretur in vincula, constantissime asseveravit,
fore ut ab eodem brevi solveretur, verum jam imperatore. Vgl. auch Dio
Cass. 66, 1. Vermutlich war dem .Jofephus die (teigende Unzufriedenheit
mit Nero, welcher im folgenden Jahre ermordet wurde, bekannt. Kohout,.
Flavius Jofephus' jiidifcher Krieg. Linz 1901, S. 634 f. (vgl. auch a. a. O.-
S. 633, 351) tritt fur die Moglichkeit einer ,,hoheren Anregung" bei Jo-
fephus ein.
3 ) B. J. 3, 9, 1 und 7. Tac. Hist. 2, 81.
4 ) S. o. S. 234.
5 ) B. J. 3, 9, 24.
6 ) B. J. 3, 9, 78.
VI. Kap. Der jtidifche Krieg von 66-73 n. Chr. 243
die Zeloten, welche fich in Fifcherboten auf den See Gene-
fareth gefluchtet batten, auf Floffen verfolgt und in einem
Seegefedit niedergemaeht, fo dafc der ganze See voll Leidien
war. Im ganzen batten 6500 in diefen Kampfen ihr Leben
eingebiifct, weitere 1200 liefc Vefpafian in der Rennbahn zu
Tiberias niedermadien, 6000 wurden an den Ifthmus von Ko-
rinth gefchickt, deffen erft im Jahre 1893 vollzogene Durch-
ftechung fchon von Nero geplant war, und 30400 wurden
verkauft. 1 )
Noch fchonungslofer verfuhren die Romer in Gamala, Unter-
weldie Feftung voll von Fliichtlingen war und fich fieben werfungvon
Monate gegen den Landesherrn Agrippa und einen Monat Gamala und
noch gegen Vefpafian gehalten hatte. Die Stadt fiel nach
verzweifeltem Widerftande am 23. Hyperberetaios (Oktober).
Die wutenden Romer fchonten nicht einmal der Sauglinge
und keiner blieb am Leben als zwei Frauen, die fich ver-
fteckt gehalten batten. 2 ) Wahrend der Belagerung Gamalas
fiel auch der Berg Tabor, auf welchem fich die judifche Be-
fatsung bis jetjt gehalten hatte, in die Hande der Romer. 3 )
Endlich fiihrte zu Ende des Jahres 67 Titus auch taufend
Reiter gegen Gifchala, wofelbft der Zelotenfiihrer Johannes,
Sohn des Levi, kommandierte, und forderte die Stadt zur
Obergabe auf. Da es gerade ein Sabbat war, bat Johannes
um einen Tag Auffchub, entfloh aber mit feinen bewaffneten
Anhangern in der Nacht und entkam nach Jerufalem. 4 ) Da-
mit war nun ganz Galilaa in den Handen der Romer, nach-
dem fie Samaria 5 ) und Gaulanitis, deffen Hauptftadt Gamala
war, fchon bezwungen batten.
Vefpafian Heft die zehnte Legion in Skythopolis und be-
J ) B. J. 3, 10. Sueton. Tit. 4.
2 ) B. J. 4, 1, 210. Titus drang zuerft mit 200 Reitern in die
Stadt ein (B. J. 4, 1, 10), weshalb Suet. Tit. 4 ihm die Eroberung der
Stadt zufchreibt.
3 ) B. ,). 4, 1, 8. Schon nach der Unterwerfung von Tarichea batten
fich alle Feftungen und Stadte Galilaas mit Ausnahme des Tabor und
Gijchalas den Romern iibergeben. B. J. 4, 1, 1.
*) B, J. 4, 2. Gifchala lag in der Nahe des fyrifchen Gebietes, wo-
hin Titus fein Lager verlegt hatte. B. J. 4, 2, 3.
: ) S. o. S. 241.
16*
244 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefdiiehte der Juden etc.
zog mit den beiden iibrigen Legionen die Winterquartiere
zu Cafarea. 1 )
Streitig- Unter den Juden herrfehte iiberall Hader und Zwie-
keiten unter tradit, indem die Emporungsluftigen und Kriegsfuchtigen fich
den Juden. zu f am menrotteten, die iibrigen bedriickten und die Landbe-
volkerung auspliinderten.
Am fchlimmften war der Streit in Jerufalem felbft, wo-
hin nicht blofe Johannes von Gifchala mit feinen Leuten, fon-
dern iiberhaupt immer mehr Banditen gezogen waren, und
Tyrannei der wo die Zeloten immer tyrannifcher auftraten. 2 ) Zunachft wur-
Zeioten in den Angehorige der koniglichen Familie der Herodeer und
Jerufalem. an dere Vornehme unter dem Vorwande, fie batten mit den
Romern wegen der Obergabe der Stadt unterhandelt, ins
Gefangnis geworfen und dort ermordet. 3 ) Dann fchaffte man
die Vorredite der Familien ab, aus denen in beftimmter
Reihenfolge die Vorfteher der 24 Priefterfamilien ernannt
wurden, und gab die Wurde Leuten niederen Standes. 4 )
Dann vereinbarten 'fich die Frevler fogar, den Hohenpriefter,
deffen Wiirde eine erbliche war, durchs Los zu wahlen, und
iibertrugen demzufolge das Hoheprieftertum einem ganz un-
gebildeten Priefter vom Lande, namens Phannias. 5 ) Man
wollte eben mit alien Mitteln den Krieg. Dafr diefer aber
Leuten wie dem damaligen Hohenpriefter Matthias, dem
Sohne des Theophilus, der nodi von Konig Agrippa einge-
fe^t war, ebenfowenig fympathifch fein konnte, wie feinen
Freunden und den Verwandten des Konigs, lag auf der
Hand und deshalb mufcten diefe befeitigt werden.
Kampf der Wie die Dinge nun fo weit gekommen waren, bemuhten
Ariftokraten jj^ au fa die Ariftokraten, fowohl auf Volksverfammlungen
gegen die w j e j m p r j va t en Verkehr, mit Erfolg das Volk zum Sturz
der Tyrannei zu bewegen. Namentlich waren in diefer Hin-
ficht tatig der fruher genannte Oberbefehlshaber der Stadt,
der Hohepriefter Ananus, fodann der Hohepriefter Jefus, der
') B. JL 4, 2, 1. Vefpafian hatte noch die Stadte Azot und Jamnia
unterworfen und Befa^ungen hineingelegt. B. J. 4, 3, 2.
*) B. J. 4, 3, 1 3.
)'B. J. 4, 3, 4 5.
*) B. .1. 4, 3, 6.
5 ) B. J. 4, 3, 7-8.
VI. Kap. Der jiidifche Krieg von 6673 n. Chr. 245
beriihmte Pharifaer Symeon, Sohn des Gamaliel, und Gorion, 1 )
Sohn des Jofeph. Es brach nun der Btirgerkrieg aus, in
welchem die Zeloten infoweit im Vorteil waren, als fie den
Tempel, den fefteften Teil der Stadt, in ihrer Gewalt batten.
Ihre Gegner befetjten zwar die aufcerften Vorhofe, konnten
fich aber nicht entfchliejsen, die heiligen Tore felbft zu er-
ftiirmen." 2 ) Zum Ungliick bediente fich der durch Johannes
von Gifchala getaufchte Hohepriefter Ananus diefes Mannes
als Vermittlers zwifchen den Zeloten im Tempel und dem
Volke. Denn Johannes hetjte nun die Zeloten nur noch
mehr durch die Behauptung, Ananus wolle die Stadt dem
Vefpafian in die Hande fpielen und bedrohe namentlich die
Anfuhrer der Zeloten, auf. 3 ) Es gelang ihnen, Boten an die
Idumaer um Hilfe zu fenden, welche auch alsbald 20000 Die Idumaer
Mann ftark vor Jerufalem erfchienen und wahrend der Nacht in Jerufaiem.
in einem fchrecklichen Unwetter, durch den heulenden Sturm
und den anhaltenden Donner begiinftigt, von den Zeloten
in die Stadt eingelaffen wurden.*) Idumaer und Zeloten rich-
teten nun vereint ein furchtbares Blutbad an. Zwolftaufend
Leute wurden umgebracht, auch die Hohenpriefter Ananus
und Jefus. 5 ) Selbft noch nach dem Gemetjel ftiefcen zwei der
frechften Zeloten einen der vornehmften Manner, Zacharias,
den Sohn des Baruch, welcher vom Gerichte von der An-
klage, mit Vefpafian in Verbindung geftanden zu haben, frei-
gefprochen worden war, mitten im Tempel nieder. 6 ) Von
folchen Vorgangen wurden auch die Idumaer angewidert und
zogen wieder heim. 7 ) Nun waren aber die Zeloten vollftan-
dig Herren der Stadt und brachten auch den Gorion um.
Uberall, in der Stadt und auf den Landftrajgen lagen Hugel
unbeerdigter Leichen. 8 )
J ) B. J. 4, 3, 9. Er ift wohl, wie Derenbourg 1. c., p. 270, 1 meint,
identifeh mit dem B. J. 2, 20, 3 (f. o. S. 235) erwahnten Jofephus.
2 ) B. J. 4, 3, 912.
3 ) B. J. 4, 3, 13-4, 1.
4 ) B. J. 4, 4, 27.
5 ) B. J. 4, 5, 13.
6 ) B. J. 4, 5, 4. Er ift nicht mit dem Matth. 23, 35. Luc. 11, 51
erwahnten Zacharias zu verwechfeln.
7 ) B. J. 4, 5, 5-6, 1.
8 ) B. J. 4, 6, 1 und 3.
246 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Damals verliegen viele die Stadt, denn die Zeloten
liegen diejenigen, welche ihnen Geld gaben, durch. 1 ) Die
Chriften durften wohl fchon fruher die Stadt verlaffen haben.
Sie flohen in die heidnifche, den Kriegsgefahren nidit aus-
gefefcte Stadt Pella in Peraa. 2 )
Unter- Vefpafian, der durch Oberlaufer von den Zuftanden in
nehmungen der Stadt unte rrichtet war, iiberliefj fie einftweilen ihrer eigenen
Zwietracht. 3 ) Im Fruhjahre des Jahres 68 befe^te er am
4. Dyftros (Marz) Gadara, die Hauptftadt von Peraa, 4 ) wah-
rend fein General Placidus die von Gadara geflohenen und
von der Landbevolkerung verftarkten Emporer bis in die
Gegend von Jericho verfolgte und 15000 niedermachte, an-
dere in den von Regen hochangefchwollenen Jordan trieb.
Audi die ubrigen Orte Peraas mit einziger Ausnahme von
Macharus kamen teils freiwillig, teils gezwungen in den Be-
fi^ der Romer. 5 )
Vefpafian hatte fich im Winter 67/68 mit der Sicherung
der eroberten Orte durch romifche Befa^ungen befchaftigt
und manche verwiiftete Orte wieder neu aufbauen laffen. 6 )
Im Friihjahr 68 zog er, nachdem er von Gadara nach Ca-
farea zuriickgekehrt war, von dort fiegreich durch die Ku[ten-
gegend Judaas nach Idumaa, wo er einen Teil feiner Truppen
als Befa^ung liefe, und von dort durch das Land der Sama-
riter dem Jordan zu. In Jericho, wo am 3. Daifios (Juni)
Truppen aus Peraa zu ihm ftiefren, wie in Adida in der
Sephela im We[ten Judaas errichtete er ein Lager. Dasfelbe
hatte er zu Emmaus getan, wo er die funfte Legion zuruck-
liejs. 7 ) Tatfachlich war fchon jetjt Jerufalem von alien Seiten
eingefchloflen.
i)~B. J. 4, 6, 3.
2 ) EuJ. h. e. 3, 5, 23. Nach Jof. B. J. 2, 20, 2 verliegen fchon
manche Juden Jerufalem nach der Niederlage des Ceftius (f. o. S. 235).
Vgl. die Mahnung des Herrn Matth. 24, 15 ff.
3 ) B. J. 4, 6, 2-7, 3.
*) B. J. 4, 7, 3.
5 ) B. J. 4, 7, 4-6.
6 ) B. J. 4, 8, 1.
7 ) B. J. 4, 8, 1. 9, 1. Verftanden ift hier unter Emmaus das heutige
Amwas, welches 160 Stadien von Jerufalem entfernt liegt (f. o. S. 59).
Hier hat man auch Infchriften von Soldaten der 5. Legion gefunden; vgl.
daruber Michon, Inscription d' Amwas, Rb. Vll (1898) S. 269271.
. VI. Kap. Der judifche Krieg von 66-73 n. Chr. 247
Eben als fich Vefpafian zur Belagerung Jerufalems an- Thron-
fchickte, vernahm er zu Cafarea, dag Nero am 9. Juni 68 ftreitigkeiten
geftorben fei. Er verfchob nun einftweilen den Zug nach in Rom -
Jerufalem und fandte feinen Sohn Titus an Neros Nach-
folger, Galba, um Verhaltungsmagregeln entgegenzunehmen.
Auf der Reife horte Titus zu Achaja, dag Galba (am 15. Ja-
nuar 69) ermordet fei, und kehrte nach Cafarea zuriick. 1 )
Beide, Vater und Sohn, hielten aber, da fich nun Otho und
Vitellius um den romifchen Thron ftritten, einen Angriff auf
Jerufalem fiir zunachft untunlich. 2 ) So kam es, dag fich Ve-
fpafian von Mitte 68 bis Mitte 69 untatig verhalten hat.
Es wurde aber Vefpafian wieder zur Tatigkeit durch die Simon Bar
Unternehmungen des Simon, des Gioras Sohn, welcher fchon Gioras in
gegen Ceftius mit Erfolg gekampft hatte, 8 ) gefuhrt. Derfelbe Jeru f alem -
hatte fich zeitweife an die Sikarier, welche Mafada befetjt
hielten, 4 ) angefchloffen, fich aber nach dem Tode des Ana-
nias wieder von ihnen getrennt und allmahlich ein Heer von
fiber 40000 Mann um fich gefammelt, mit welchem er zu-
nachft Idumaa verwuftete. 5 ) Um fich nun der immer driickender
werdenden Tyrannei des Johannes von Gifchala und der
Zeloten zu entziehen, 6 ) verfielen deren Gegner in Jerufalem
auf den unglucklichen Gedanken, den geffirchteten Simon zu
Hilfe zu rufen. Der machte fich fchon im Monat Xanthikos
(April) 69 zum Herrn der Stadt, wahrend Johannes und die
Zeloten den Tempel befetjt hielten und auch gegen einen
formlichen Angriff Simons verteidigten. 7 )
Vefpafian brach nun am 5. Daifios (Juni) 69 wieder von Vefpafian
Cafarea auf und kam bis in die Nahe von Jerufalem, wan- kommt in die
rend Cerealis Idumaa unterwarf. Mit Ausnahme der von den Nahe von
Juden befet5ten Feftungen Herodeion, Mafada und Macharus a em '
fowie der Stadt Jerufalem felbft war nun ganz Palaftina den
Romern unterworfen. 8 )
x ) B. J. 4, 9, 2. Vgl. Tac. Hist. 2, 14 fiber die Reife des Titus.
*) B. J. 4, 9, 2.
3 ) B. J. 2, 19, 2.
*) B. J. 2, 22, 2. 4, 7, 2.
5 ) B. J. 4, 9, 38.
6 ) B. J. 4, 7, 1; 9, 10 f.
7 ) B. J. 4, 9, 11-12.
8 ) B. J. 4, 9, 9.
248 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gejchichte der Juden etc.
Vefpafian Inzwifchen iiberfturzten fich die Ereigniffe in Italien. Otho
wird zum wurde gefchlagen und gab fich felbft den -Tod. Sein Heer
Kaifer aus- gmg zu vitellius uber und zog in Rom ein. Die Truppen
gem en. des y e jp a jj an> der w i e d er nac h Unterwerfung der nachften
Umgebung Jerufalems nach Cafarea gekommen war, 1 ) wei-
gerten fich, dem Vitellius den Huldigungseid zu fchworen,
vielmehr riefen die Legionen in Syrien und Palaftina, wie
es die in Agypten fchon am 1. Juli 69 getan batten, 2 ) nur
einige Tage f pater 3 ) den Vefpafian zum Kaifer aus. In Bery-
tus empfing diefer die Gliickwunfche der fyrifchen Stadte und
des fyrifchen Statthalters Mucianus und liefe nun dem Jo-
fephus, deffen Weisfagung fich erftillt hatte, die Ketten ab-
nehmen. Mucianus wurde mit einem bedeutenden Heere
nach Italien gefchickt, 4 ) wohin aber auch fchon Antonius Pri-
mus, Statthalter von Mofien, zog, der bald Rom fur den
Vefpafian in feine Gewalt bekam. 5 ) Vitellius wurde am
21 Dezember 69 auf der Strafce zu Rom ermordet. 6 ) Nun
Titus Ober- bereitcte fich Vefpaffan in Alexandrien zur Abreife nach Rom
befehishaber vor 7) un( j ubertrug die Beendigung des Krieges gegen Ju-
im Kriege ^ ^ {nQm Sohne Titus .s)
gegen die '
Juden. unc j Eroberung Jerufalems durch Titus
im Jahre 70 und das Ende des Krieges.
Burgerkrieg In der ungliicklichen Stadt Jerufalem war inzwifchen zu
der drei ^en fich bekampfenden Parteien noch eine neue gekommen,
kampfenden mdem ^ em Teil der Zeloten unter der Fiihrun des
Parteien in _____
Jerufalem. ,j B j 4> 10? 1 _ 2 .
2 ) Tac. Hist. 2, 7981. Sueton. Vefp. 6. Nach Jos. B. J. 4, 10, 2-6
batten aber die palaftinenfifchen Truppen ihn zuerft zum Imperator aus-
gerufen.
3 ) Nach Tac. Hist. 2, 79 ,,quintum Nonas Julias", nach Suet. 1 c.
,,V. idus Jul.".
*) B. J. 4, 10, 4-11, 1. Tac. Hist. 2, 79-82. Suet. Vefp. 6. Jo-
fephus erhielt von Vefpafian die Freiheit und begleitete ihn fpater nach
Alexandrien (Vita 75), kam aber mit Titus wieder nach Palaftina und
Jerufalem (Vita 75; c. Ap. 1, 9).
*) B. J. 4, 11, 2-4.
6 ) Das Datum ergibt fich aus Tac. Hist, 3, 67. 79 f;
7 ) B. J. 4, 11, 5; iiber feine Reife ebd. 7, 2, 1 und den glanzenden
Empfang in Rom 7, 4, 1.
s ) B. J. 4, 11, 5.
VI. Kap. Der jiidifche Krieg von 66-73 n. Chr. 249
Priefters Eleazar, des Simons Sohn, 1 ) der bis zur Ankunft
des Johannes von Gifchala Anfiihrer der Zeloten gewefen,
von den iibrigen trennte. Eleazar hielt den hoher gelegenen
inneren Tempelraum be{e^t, Johannes von Gifchala den Tem-
pelberg, Simon des Gioras Sohn die obere Stadt und einen
grofeen Teil der unteren Stadt. So wurde nun Johannes
von Gifchala, dem aber eine Anzahl Wurfmafchinen zu Ge-
bote ftand, von oben her durch Eleazar und von unten her
durch Simon bekampft. Am fchlimmften waren aber die
Opfernden daran, welche von den Anhangern Eleazars nach
genauer Unterfuchung in den Tempel zugelaffen wurden.
Denn die Wurfgefchoffe des Johannes von Gifchala flogen
oft bis an den Altar und trafen Priefter wie Opfernde. Das
Blut der Erfchlagenen bildete einen formlichen See in den
heiligen Raumen. Man war wie wahnfinnig. Gelang es dem
Johannes yon Gifchala einmal, den Simon in die Stadt
hinunterzutreiben, fo fteckte er ftets die mit Getreide und
andern Vorraten gefiillten Haufer in Brand, und Simon tat
dasfelbe, wenn er dem Johannes nachfetjte, als ob man fich
felbft der Mittel, gegen die Romer auszuhalten, berauben
wollte. 2 )
Inzwifchen war Titus von Alexandrien aufgebrochen und Der Generai-
iiber Pelufium, Rhinokorura, Gaza und Joppe nach Cafarea pabschef und
gereift. 8 ) Im Friihjahr des Jahres 70 brach er mit einem die Qenerale
dcs Titus
Teile feines Heeres von Cafarea auf und befahl der 5. und
10. Legion, in Jerufalem zu ihm zu ftofcen. Sein Heer be-
[tand aus der 5., 10., 12. und 15. Legion und den Hilfsheeren
der Konige und Bundesgenofien aus Syrien. 4 ) Als oberfter
') Vgl. B. J. 2, 20, 3; 4, 4, 1. Er ift naturlidi von Eleazar, dem
Sohne des Ananias (f. o. S. 233 und 235), zu unterfcheiden.
2 ) B. J. 5, 1, 1-5. Die drei Parteien befchreibt Tac. Hist. 5, 12:
Tres duces, totidem exercitus; extrema et latissima moenium Simo,
quern et Bargioram vocabant, mediam urbem Joannes, templum Elea-
zarus firmaverat. Multitudine et armis Joannes ac Simo, Eleazarus loco
pollebat.
3 ) B. J. 4, 11, 5.
4 ) B. J 5, 1, 6. Die 5. Legion, die fpater wieder wie fruher in
Mofien ftand (vgl. ihre Gejchichte in Victoria Vaschide, Hiftoire de la
conquete romaine de la Dacie et des corps d'armee qui y ont pris part.
Paris 1903, p. 92 103) folgte nach dem Kriege dem Titus nach Alexan-
drien (uber die in Emmaus gefundenen Grabinfchriften von Soldaten
250 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Ratgeber in den Kriegsangelegenheiten, oder, wie man jetjt
fagen wiirde, als Chef des Generalftabs 1 ) ftand ihm der
friihere Landpfleger von Judaa und fpatere Statthalter von
Agypten, welcher als folcher zuerft feine Truppen fiir Vefpa-
fian vereidigte und dadurch diefem den Weg zum Kaifer-
throne bahnte, 2 ) Tiberius Alexander, ein kriegserfahrener
Mann, 3 ) zur Seite. 4 )
Ankunft des Das Heer des Titus zog durch Samarien und langte
Heeres vor k urz vor d em \^ Xanthicos (Nifan Oder April) des Jahres 70
Jerufaiem. vor den j^ auern j er ufalems an, 5 ) als dorthin das Volk aus
dem ganzen Lande wegen des Ofterfeftes zufammengeftromt
war. 6 ) Als die Truppen noch etwa 30 Stadien von der Stadt
entfernt waren, eilte Titus mit etwa 600 Reitern voraus, um
die Feftungswerke auszukundfchaften, wurde aber in der Nahe
des Pfephinusturmes plotjlich von den Juden angegriffen,
diefer Legion f. o S. 246, 7); die 10. Fretenfis blieb in Jerufaiem; die
12. Fulminata kam an die Grenze Armeniens und Kappadoziens ,B. J. 7,
1, 3), die 15. Apollinaris kam nach Pannonien (B. J. 7, 5, 3; vgl. Stille,
Historia legionum auxiliorumque inde ab excessu divi Augusti usque ad
Vespasiani tempora. Kiel 1877, p. 60).
1 ) Iltxvriav r<av tfr^otrev^aTwv enap^wv. B. J. 6, 4, 3 (vgl. auch B. J.
5, 1, 6). Renier, Memoire sur les officiers qui assisterent au conseil
de guerre tenu par Titus in Memoires de 1'Acad. des inscr. etc. torn.
26, 1 [1867, p. 269-321] p. 299 ss. meint, der Titel fei gleichbedeutend
mit praefectus praetorio, den fchon Sejan fuhrte.in einem vom Kaifer
befehligten Heere. Vgl. uber den Tiberius Renier 1. c. p. 294302,
Mommfen, RG. V, 494, 527, 566 und Kellner, Jefus von Nazareth,
S. 148 ff.
2 ) Tac. Hist. 2, 79. Vgl. B. J. 4, 10, 6.
3 ) Er war fchon im Kriege gegen die Farther im J. 63 General-
ftabsehef des Corbulo gewefen (Jac. ann. 15, 28) und im Jahre 66 Statt-
halter von Agypten geworden (B. J. 2, 15, 1; 2, 18, 7 f. Tac. Hist. 1, 11;
2, 74; Sueton. Vesp. 6).
*) Auger ihm traten in den Vordergrund die Befehlshaber der Le-
gionen. An der Spit5e der funften ftand Sextus Vetullenus Cerealis, die
zehnte befehligte Larcius Lepidus, die fiinfzehnte M. Tittius Frugi (dag
dies (ein Name, f. bei Renier 1. c., p. 314); vgl. uber diefe Perfonlich-
keiten die Prosopographia imperii Romani III, 415 f.; II, 263; III, 330.
Der Befehlshaber der 12. Legion wird nicht genannt.
& ) Vgl. B. J. 5, 3, 1. Nach Unger 1. c. 1893, p. 482 war der 14. Ni-
fan 70 = 28. April.
B ) B. J. 6, 9. 3.
VI. Kap. Der jiidifche Krieg von 6673 n. Chr. 251
von dem grofcten Teil feiner Reiter getrennt und nur wie
durdi ein Wunder gerettet. 1 )
Auf der Skopus genannten Hochebene im Norden der
Stadt, fieben Stadien von letjterer entfernt erriditete Titus,
wie fruher Ceftius Gallus getan hatte, ein Lager fur zwei
Legionen; die funfte erhielt ihren Standort drei Stadien
weiter ruckwarts, die zehnte den ihrigen auf dem Olberg. 2 )
Als die letjtere ihr Lager am verfchanzen war, machten die
Juden einen Ausfall, wurden aber mit Hilfe des Titus felbft
in das Kedrontal zwifdien der Stadt und dem Olberg zuriick-
gedrangt. 3 )
In der Stadt felbft gelang es am Ofterfefte (14. Nifan) Die Partei
einer Anzahl von Anhangern des Johannes mit den Leuten, des J o hannes
welche zur Verrichtung ihrer Andacht von Eleazar in den Tempel
gelaffen wurden, unerkannt hineinzukommen. Einmal drinnen
warfen fie ihre Oberkleider ab, zeigten fich in voller Riiftung und Tempeis.
bemachtigten fidi nun des inneren Tempeis. 4 ) Damit gab es
von nun an nur noch zwei Parteien in der Stadt, die des
Simon in der Ober- und Unterftadt und die der Zeloten,
welche unter Johannes von Gifchala den Tempel und einen
betrachtlichen Teil feiner Umgebung befetjt hielten. 5 )
Inzwifchen hatte Titus fein Lager im Norden der Stadt, Beiagerung
von wo wegen der Bodenbefchaffenheit am eheften ein An- der Stadt -
griff unternommen werden konnte, naher an die Stadt ge-
ruckt. Er felbft lagerte zwei Stadien von der Stadtmauer
entfernt dem Pfephinusturm gegenuber im Nordweften der
Stadt, wahrend der ubrige Teil feiner Streitmacht ein Lager
beim Hippikusturm im Weften Jerufalems bezog und die
10. Legion auf dem Olberg, im Often der Stadt blieb. Jo-
fephus mufcte nuri die Stadt im Auftrag des Titus zur Ober-
!) B. J. 5, 2, 1-2.
2 ) B. J. 5, 2, 3. Ober den Skopus vgl. auch B. J. 2, 19, 4 und
o. S. 63.
*) B. J. 5, 2, 4-5.
*) B. J. 5, 3, 1. Tac. h. 5, 12.
5 ) B J. 5, 6, 1. Den ftreitbaren Anhang des Simon, zu dem auch
die Idumaer hielten, berechnet Jof. 1. c. auf 15000 Mann, den des Jo-
hannes auf 6000 Schwerbewaffnete, an die fich die fruheren 2400 Mann
ftarken Anhanger des Eleazar anfchloffen.
252 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
gabe auffordern, hatte aber naturlich keinen Erfolg. 1 ) Fur
Friedensvorfchlage war kein Raum mehr. 2 )
Die Wurfmafchinen des Titus verm ochten fch were Fels-
blocke zwei Stadien weit gegen den Feind zu fchleudern
und da der Boden im Nordweften der Mauer geebnet wor-
den war, konnten die Mafchinen naturlich auch ziemlich nahe
an die Mauer gebracht werden. Schon konnte die Mauer
von den Sturmbocken erreicht werden, da gelang es den
Juden, wenigftens einen Teil der Belagerungswerke in Brand
zu fetjen. 3 ) Aber das Arbeiten der Sturmwidder wurde er-
leichtert, weil Titus auf den von ihm aufgeworfenen Wallen
50 Ellen hohe Turme gebaut hatte, auf welchen leichtere
Mafchinen erriditet waren, welche die Juden zwangen, fidi
Eroberung auger Schugweite zu halten. So kam es, dag am 15. Tage
der Vorftadt der Belagerung, dem 1. Artemifios (Mai), die augere Mauer
Bezethaund un(J damit die Vorftadt Bezetha in die Hande der Romer
der
Unterftadt kam. 4 ) Nach weiteren fiinf Tagen eroberten die Romer trot*
heftigfter Gegenwehf der Juden auch die mittlere Mauer und
drangen nun in die Akra oder Unterftadt ein, welche fie
ebenfalls nach einem 3 Tage lang fich hinziehenden Stragen-
kampfe behaupteten. 5 )
Um auch die dritte Mauer anzugreifen, lieg Titus vom
1 2. bis zum 29. Artemifios vier Walle, zwei gegen die An-
tonia und zwei gegen die von Simon verteidigte Oberftadt
errichten, um von den Wallen aus mit Sturmbocken die
Mauer erfchiittern zu konnen. Aber alle vier Walle wurden
von den Juden zerftort. 6 ) Neue Walle aufzufiihren, war fchon
wegen Mangels an Bauholz fchwierig. Auch die fchonen Re-
den des Jofephus, 7 ) welcher auger Schugweite aber doch in
Horweite, hinter fich die ihn antreibenden Romer, vor fich
die uber den Verrater wiitenden Juden, die Belagerten in
J ) B. J. 5, 3, 2-5.
2 ) B. J. 5, 6, 2.
3 ) B. J. 5, 6, 2-5.
*) B. J. 5, 7, 1-2.
5 ) B. J. 5, 7, 38, 2.
6 ) B. J. 5, 11, 1. 4-6. Nach Unger 1. c. 482 ware der 29. Arte-
mifios 4. Juni.
7 ) Seine eigenen Eltern waren in der Stadt. Vgl. B. J. 5, 9, 4
und 13, 1.
VI. Kap. Der jiidifche Krieg von 66-73 n. Chr. 253
ihrer Mutterfprache zur Obergabe aufforderte, machten gar
keinen Eindruck. 1 )
Nun entfchlofc fich der Feldherr, die Stadt auszuhungern,
und damit jede Proviantierung der Stadt unmoglich gemadit
werde, diefelbe mit einem Steinwall zu um^eben. Derfelbe Erriditung
wurde in nur drei Tagen erbaut, war 31 Stadien lang und eines
hatte 13 Wachkaftelle, in weldie Truppen hineingelegt wur- Steinwaiies.
den, die auch nachts die Zwifchenraume zwifchen den ein-
zelnen Kaftellen begingen, fo daft niemand aus der Stadt
heraus konnte. 2 )
War fchon vorher in der Stadt Mangel an Lebensmitteln, Hungersnot
jo wuchs die Hungersnot nun immer mehr. Viele verkauften in der stadt -
ihr ganzes Vermogen fur ein einziges Mafr Weizen und
Kinder riffen die Speife ihren Eltern, ja felbft Mutter den
Sauglingen die Nahrung aus dem Munde. Die Aufruhrer,
durch deren Schuld die grojgen Getreidevorrate verbrannt
waren, drangen mit Gewalt in die Haufer.und folterten die
Befitjer, um zu erfahren, wo fie Getreide verfteckt hielten.
Sie beraubten die Armen, welche mit Lebensgefahr wild-
wachfende Krauter in der Nahe der romifchen Poften ge-
fammelt batten, und toteten wegen angeblicher geheimer
Umtriebe und Verrat die Reichen. Nie war ein Gefchlecht
erfinderifcher in Werken der Bosheit. 3 )
Wer von den Romern auf der Suche nadti Lebensmitteln
ergriffen wurde, wurde gegeifeelt, gefoltert und dann ge-
kreuzigt. An jedem Tage wurden 500 und mehr Juden er-
griffen, fo dafe es bald an Raum fur die Kreuze und an
Kreuzen fur die zu Kreuzigenden fehlte. 4 )
J ) B. J. 5, 9, 210, 1. Spater wurde er bei einer ahnlichen Qelegen-
heit, derm er liejg mit feinen Ermahnungen nicht nach, von einem Stein-
wurf an den Kopf getroffen und: ware faft von den freudig hinzueilenden
Juden. in die Stadt gefchleppl worden; B. J. 5, 13; 3. Vgl. auch B. J. 5,
3, 3. 6, 2. 7, 4. 9, 2-4; 6, 2, 1-3. 2, 5. 7, 2. Vita 75.
2 ) B. J. 5, 12, 1-2. Vgl. die Weisfagung Jefu Luc. 19, 43. Auch
Mafada ift fpater fo eingefchloffen worden. S. B. J. 7, 8, 2.
3 ) B. J. 5, 10. Vgl. auch 5, 12, 3 und 5, 13, 7. Spater kaute man
das Leder an Gurteln, Schuhen und Scnilden. Ja eine vornehme, reiche
Frau aus dem Dorfe Bethezob in Peraa, Maria, die Tochter Eleazars,
fchlachtete aus Hunger ihr eigenes Kind, briet es, verzehrte die eine
Halfte und bot den Raubern, die, vom Bratengeruch angezogen, in ihr
JHaus drangen, die andere Halfte an. B. J. 6, 3, 4.
4 ) B. J. 5, 11, 1. Spater wurden den um Gnade flehenden Ober-
254 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefchichte der Juden etc.
Da in der Stadt immer mehr Leute an Entkraftung [tar-
ben, warfen die Juden die Leichen einfach von den Mauern
in die Schluchten hinab. 1 )
Eroberung Um nun wenigftens den Re[t der Biirgerfchaft zu retten,
der Burg An- Keg jit us mnerhalb 21 Tagen neue Walle gegen die Burg
toniadurch Anton j a au ff u h r *en, obwohl man, urn das dafiir notige Holz
die Romer. . , ,-,<.. , * r * * f /%
zu gewmnen, das ganze Gelande um Jerusalem bis auf 90
Stadien im Umkreis vollig kahl machen mujgte. 2 ) Bin An-
griff des Johannes von Gifchala in der Antonia gegen die
romifchen Belagerungswerke wurde am Neumond des Pane-
mos (Juli) abgefchlagen, 3 ) und es gelang den Romern am
5. Panemos, nachdem man von drei Uhr nachts bis ein Uhr
mittags gekampft hatte, in den Befitj der Burg zu gelangen.
Am 17. Panemos wurde fie, damit das Heer leichteren Zu-
gang zum Tempel habe, gefchleift. 4 ) An demfelben Tage er-
fuhr Titus, dafc das tagliche Opfer im Tempel aus Mangel
an Mannern eingeftellt worden fei. 5 )
^
Nach dem Fall der Antonia war auch der Tempel
nicht zu halten. Vergebens forderte Jofephus den Johannes
von Gifchala auf, zur Schonung des Tempels eine Schlacht
auf freiem Felde einzugehen. Audi vornehme jiidifche Ober-
laufer flehten die Emporer von der romifchen Linie her an,
wenigftens den Tempel zu erhalten. Die pflanzten vielmehr,
dureh diefe Bitten nur noch mehr gereizt, die Wurfmafchinen
fiber den heiligen Toren auf. Einen nachtlichen Angriff
fchlugen die Juden ab. 6 )
Zerftorung Darauf wurde nun von den zerftorten Grundmauern der
mehrerer Antonia her ein breiter Weg zum Tempel geebnet und vier
Hallen des _
aufteren ] au f ern ^ e Bauche aufgefchnitten, weil fich das Gerucht verbreitet hatte,
Vorhofes. dje Flflcht i irl g e hatten Goldftiicke, damit fie von den Romern nicht ent-
deckt wurden, verfdiludkt. In einer einzigen Nacht wurde gegen 2000 Per-
fonen der Leib aufgefchlitjt. B. J. 5, 10, 1 und 13, 4 f.
') B. J. 5, 12, 3.
2 ) B. J. 5, 12, 4; 6, 1, 1.
3 ) B. J. 6, 1, 3.
*) B. J. 6, 1, 6 f.; 2, 1. Vgl. 1. c. 6, 2, 7, wonach die Zerftorung
der Grundmauern und die Ebnung eines Weges zum Tempel fieben Tage
dauerte.
5 ) B. J. 6, 2, 1.
6 ) B. J. 6, 2, 3-6.
VI. Kap. Der jiidifche Krieg von 6673 n. Chr. 255
Walle gegen die Tempelmauern aufgeworfen. 1 ) Da aber die
Juden auch in den Gefediten fortwahrend fchwere Verlufte
erhielten, 2 ) ziindeten fie felbft die fchwer zu verteidigende
nordweftliche Tempelhalle, dort wo fie mil der Antonia zu-
fammenhing, an und riffen fie noch auf eine weitere Strecke
nieder. 3 ) Die Romer afcherten die Halle noch weiter ein und
zerftorten am 28. Panemos die nordliche Tempelhalle ganz. 4 )
Tags zuvor hatten die Juden es geradefo mit der weftlichen
Halle gemacht, wobei eine Anzahl Romer, die fich durch den
Abzug der Juden aus der Halle hatten verleiten laffen, letj-
tere mit Leitern zu erklettern, umkamen 5 )
Am 8. Loos (Auguft) waren die Walle vollendet. Aber Angriff auf
auch der ftarkfte Sturmbock vermochte nichts gegen die den Tem P el
gro&en feft zufammengefugten Quadern des Tempels. Audi
der Verfuch, die Fundamente des nordlichen Tores des innern
Vorhofes zu untergraben, fuhrte nicht zum Ziele. Auch ge-
lang es den Romern nicht, auf Leitern bis in die innern
Hallen zu gelangen. Jetjt befahl Titus, Feuer an die Tore
zu legen, wodurch auch die Hallen des innern Vorhofes er-
griffen wurden, 6 ) und liefc am 9. Loos an den Toren einen Bahnung
Weg anlegen, um den Legionen den Aufftieg zum Tempel eines Weges
zu erleichtern. Der Tempel felbft, fo hatten die Romer in
ihrem Kriegsrat befchloffen, folle erhalten bleiben. 7 )
Als die Juden nun am 10. Loos (Auguft) zweimal aus Brand und
dem innern Vorhof einen Ausfall machten, fetjten beim Untergang
zweiten Ausfall einige der mit dem Lofchen der Hallen des des Tem P els -
innern Vorhofes befchaftigten Romer ihnen bis zum eigent-
lichen Tempelgebaude nach, und hier fchleuderte ein romifcher
von einem Kameraden emporgehobener Soldat durch ein
Fenfter an der Nordfeite der den Tempel umgebenden Ge-
macher einen Feuerbrand in das Tempelhaus. Als die Flamme
aufloderte, eilten die Juden mit gewaltigem Gefchrei herbei,
1 ) B. j. 6, 2, 7.
2 ) B. J. 6, 2, 7-9.
3 ) B. J. 6, 2, 9.
*) B. J. 6, 2, 9. 3, 2.
5 ) B. J. 6, 3, 1-2.
6 ) B. J. 6, 4, 12.
7 ) B. J. 6, 4, 3.
256 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefehichte der Juden etc.
um zu lofchen. 1 ) Audi Titus mit feinen Offizieren eilte herbei
und befahl zu lofchen, wurde aber in dem fiirchterlichen Ge-
tummel nicht verftanden und vermochte dem Ungeftum feiner
wie rafend gewordenen Soldaten, welche von neuem Feuer
in den Tempel warfen und alles, was ihnen in den Weg
kam, niedermetjelten, nicht zu wehren. Als das Feuer immer
mehr um fich griff, betrat Titus mit feinen Offizieren das
Allerheiligfte und gab, da das Innerfte des Tempels noch
nicht vom Feuer ergriffen war, fondern nur die anftofcenden
Gemacher, wie Jofephus berichtet, noch einmal Befehl, zu
lofchen. Aber die Erbitterung gegen die Juden, die allge-
meine Kampfeswut und die Hoffnung auf Raub waren ftarker
als fein Befehl. 2 )
Titus wird Wahrend fo am 10. Loos 3 ) oder dem 6. Auguft 4 ) des
Tempel j a hres 70 der Tempel unter dem Wehgefchrei der Menge
in der Ober f tadt und dem Geheul der von Feuer und Schwert
umringten Emporer in Flammen aufging, pflanzten die R6-
mer ihre Feldzeicheh im Vorhofe gegeniiber dem oftlichen
Tore auf, opferten dafelbft und begriifeten den Titus als
Imperator. 5 )
Dem Johannes von Gifchala war es mit einem Teile
feiner Leute gelungen, in die Stadt zu entkommen. Aber
') B. J. 6, 4, 4-5.
2 ) B. J. 6, 4, 67. Sulpicius Severus Chron. 2, 30, 7 fagt, Titus
habe im Kriegsrat ausdriiddich fur die ZerftOrung des Tempels geftimmt,
um fo defto leichter die jfidifche und chriftliche Religion zu verniditen
(quo plenius judaeorum et christianorum religio tolleretur). Die Moti-
vierung ift fidier dem Verfaffer eigen, die Nachricht felbft wird aber von
Bernays, (Jber die Chronik des Sulpicius Severus. Breslau 1861, S. 48 ff.
u. a. als richtig angefehen. Bernays meint, [ie fei vielleieht aus den uns
verlornen Teilen der Hi[torien des Tacitus entnommen, da Sulp. Severus
vielfaeh aus Tacitus fchopfe. Dag er dies in diefem Falle nicht getan hat,
zeigt auf Grund der Unterfuchungen von Valeton auch SchQrer I, 631, 115.
Dag im Kriegsrat befchloffen war, den Tempel mit Gewalt zu erfturmen,
ergibt fich aus Dio Gass. 66, 6. Darin liegt aber nodi nicht notwendig
die Abficht, den Tempel zu zerftOren. Obrigens {chreibt auch Orofius,
Histor. adv. Paganos VII, 9, 5-6 die Zerftorung dem Titus zu.
3 ) B. J. 6, 4, 5.
*) Vgl. Unger 1. c. 484. Kugler, Von Mof.es bis Paulus, Munfter 1922,
S. 477 fagt ,,Aug. 5/6".
6 ) B. J. 6, 6, 1. Sueton. Tit. 5. Dio Cass. 66, 7.
VI. Kap. Der judifche Krieg von 6673 n. Chr. 257
die einzige noch unverfehrte Halle, in welche fich ein Volks-
haufe von etwa 6000 Menfchen mit Weibern und Kindern
gefltichtet hatte, wurde, ohne dafc jemand gerettet wurde,
ebenfalls von den Romern verbrannt. 1 )
Jetjt endlich liefcen Simon und Johannes von Gifchala
den Titus um eine Unterredung bitten, der ihnen das Leben
verfprach, wenn fie fich unterwiirfen. Sie wollten das aber
nur gegen freien Abzug mit Weibern und Kindern tun, .
woraufhin Titus den in feinem Befits befindlichen Teil der
Stadt, d. h. die Unterftadt und den Bezirk Ophla verbrennen
und pliindern liefe. 2 ) Endlich fiel auch die Oberftadt, nach- Eroberung
dem die Romer vom 20. Loos (Auguft) bis zum 7. Gor- der
piaios (September) Belagerungsdamme errirhtet und dann Ober f tadt -
durch Sturmbocke einen Teil der Mauer eingeftofcen hatten,
faft ohne Gegenwehr in die Hande der Sieger. Die Be-
lagerten flohen felbft aus den feften Turmen Hippikus, Pha-
fael und Mariamme in die unterirdifchen Gange, aus denen
fie hofften, fpater entfliehen zu konnen. Auch die Oberftadt
wurde gepliindert und verbrannt, 3 ) und nunmehr war am
8. Gorpiaios (September) 4 ) die ganze Stadt in den Handen
der Romer.
Titus liejj nun auch den letjten Reft der Stadt zerftoren Zerftorung
und ihre Mauern fchleifen. Stehen blieben nur die genannten d er Stadt.
drei Tiirme als ein Denkmal der Feftigkeit der Stadt, weiter-
hin die weftliche Strecke der Ringmauer, welche helfen follte,
ein feftes Lager fiir die zukunftige Befatjung zu bilden. 5 )
Von den noch lebenden Einwohnern der Stadt wurden LOS der Ge-
viele getotet, andere in die Bergwerke Agyptens gefchickt fangenen.
oder zu Gladiatorenkampfen in die Provinzen verfchenkt.
Die fchonften und grogten Manner wurden fur den Triumph-
zug beftimmt, 6 ) befonders auch Simon Bar-Giora, der fich
') B. J. 6, 5, 12. Die Leute waren gerade an jenem Tage von
einem falfchen Propheten bewogen worden, zum Tempel hinaufzufteigen,
wo fie die Zeichen ihrer Rettung fehen wflrden. I. c. n. 2"; vgl. Matth.
24, 5 f.
2 ) B. J. 6, 6 und 6, 7, 2.
3 ) B. J. 6, 7, 3 und 6, 8.
4 ) B. J. 6, 8, 5 und 6, 10, 1.
s ) B. J. 6, 9, 1; 7, 1, 1.
6 ) B. J. 6, 9, 2; vgl. B. J. 7, 5, 3.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefchidite. I. 2. u. 3. Aufl. 17
258 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchiehte der Juden etc.
eine Zeitlang in den unterirdifchen Gangen verborgen ge-
halten hatte, 1 ) und Johannes von Gifchala, welcher die Gnade
der Romer angerufen hatte und zu lebenslanglicher Einker-
kerung beftimmt ward. 2 )
Zahl der Die Gefamtzahl der in diefem Kriege gefangenen Juden
Umge- w j r d auf 97000, die der wahrend der Belagerung Umge-
kommenen. kommenen auf e j ne Million und hunderttaufend beftimmt.
Wenn auch le^tere Zahl ubertrieben erfcheint, fo i[t immer-
hin zu erwagen, dag der Anfang der Belagerung kurz vor
dem Ofterfeft, zu welchem das Volk aus dem ganzen Lande
nach Jerufalem zufammengeftromt war, fiel. 3 )
Siegesfeier Als Befa^ung liejg Titus die zehnte Legion mit einigen
des Titus. Reiterfchwadronen und kleinen Abteilungen Fu&volk unter
dem Befehl des Terentius Rufus zuriick 4 ) und ging felbft
mit dem ubrigen Teil des Heeres und der unermejpchen
Beute nach Cafarea am Meere. 5 ) Dann verweilte er langere
Zeit in Cafarea Philippi 6 ) und in Berytus, 7 ) von wo er der
Reihe nach die Stadte Syriens befuchte und in jeder der-
felben prachtvolle Spiele gab, in welchen die judifchen Kriegs-
gefangenen entweder gegen wilde Tiere kampfen oder als
Gladiatoren fich gegenfeitig abfchlachten mugten. 8 )
J ) B. J. 6, 9, 4; 7, 2,
2 ) B. J. 6, 9, 4. - Eine Anzahl Burger wurden von Titus be-
gnadigt. Vgl. B. J. 6, 8, 23.
3 ) B. J. 6, 9, 3. Tac. Hist. 5, 13 gibt die Zahl der Belagerten nur
auf 600000 an: multitudinem obsessorum, omnis aetatis, virile ac mu-
liebre secus, sexcenta milia fuisse accepimus. Arma cunctis, qui ferre
possent, et plures quam pro numero audebant. Obstinatio viris femi-
nisque par; ac si transferre sedes cogerentur, maior vitae metus quam
mortis.
*) B. J. 7, I, 2 2, 1. Die Anwefenheit der Legion X. Fretensis in
Jerufalem wird durch mandi'e in Jerufalem aufgefundene Infchriften, Ziegel
u. a. bezeugt. Eine Zufammenftellung der in Jerufalem und fonftwo in
Palaftina gefundenen Infchriften diefer Legion f. bei Schurer I 4 , 634, 123.
Dazu kommen auf dem Olberg gefundene Ziegelftempel in Rb, 1910, 264.
Vgl. auch F. Bleckmann, Bericht fiber griech. und latein. Epigraphik
ZDPV Bd. 36, 1913, S. 221 ff.
5 ) B. J. 7, 1, 3. Viele Koftbarkeiten wurden noch f pater in den
Trummern gefunden. B. J. 7, 5, 2. Vgl. auch 6, 8, 3.
6 ) B. J. 7, 3, 1 (erwahnt die Feier des Geburtstages des Vefpafian
am 17. November 70 in Berytus) und 7, 5, 1.
7 ) B. J. 7, 5, 1.
8 ) B. J. 7, 2, 1. 3, 1. 5, 1.
VI. Kap. Der judifche Krieg von 6673 n. Chr. 259
Von Antioehien, wo er ubrigens trofc der entgegenge- Triumph uber
fefcten Bitten der Burger die Gereditfame der Juden be- die Juden in
wahren hieg, 1 ) reifte er an den Trummern Jerufalems vorbei m '
nadi Alexandrien 2 ) und von dort nadi Rom. Hier feierte er
im Jahre 71 gemeinfam mit feinem Vater Vefpafian und
feinem Bruder Domitian einen Triumph, in dem auch Jo-
hannes von Gifchala und Simon Bar-Giora mitgefuhrt wurden.
Im Zuge trug man aueh die Prachtftucke des Tempels, einen
goldenen Tifch und den gleidifalls goldenen fiebenarmigen Die Triumph-
Leuditer, fowie die Gefe^esrolle, 3 ) wovon die beiden erfteren prunkftucke.
fpater in den von Vefpafian erbauten Friedenstempel, die
Rolle und die purpurnen Vorhange des Allerheiligften aber
in den kaiferlichen Palaft kamen. 4 )
Noeh heute zeigt man die damals gefdilagenen Denk- Der Titus-
munzen aus Gold, Silber und Kupfer, mit der Auffchrift Ju- bo s en in
daea devicta oder mit dem Bilde der als Judin unter einem Rom-
Palmenbaume zu Fufjen des Siegers fitjenden Judaea. 5 ) Aber
das bedeutendfte den Untergang des Judentums durch das
heidnifche Rom verfinnbildlichende Denkmal ift der herrliche
vom romifchen Senate und Volke am Fufce des Palatin dem
Titus erriditete Triumphbogen. Nahebei fteht der Bogen Kon-
ftantins wie ein Sinnbild des Falles des romifchen Heiden-
tums vor der Macht des Chriftentums. 6 )
>) B. J. 7, 3, 24. 4, 2.
*) B. J. 7, 5, 2-3.
3 ) B. J. 7, 5, 36. Dio Cass. 66, 7. Die im Triumph getragenen
Schauftficke find abgebildet in den Reliefs des nodi erhaltenen Titus-
bogens in Rom. Eine Abbildung z. B. in Qrijar, Gefchichte Roms und
der Papfte im Mittelalter. Freib. 1901, I, 77. Vgl. ebd. S. 176 f.
4 ) B. J. 7, 5, 7. Genferich hat fie dort im Jahre 455 geraubt und
nach Karthago gebracht. Von dort brachte Belifar fie im Jahre 535 nadi
Konftantinopel (Procop. de bello Vandalico II, 9). Juftinian foil fie von
dort an eine der diriftlidien Kirdien Jerufalems gefdiidct haben (Procop.
1. c.). Ob fie dann bei der Einnahme Jerufalems durch die Araber zu-
grunde gingen, weig man nicht, wie Qberhaupt feit dem Jahre 535 nidits
Sidieres fiber ihren Verbleib bekannt ift. Vgl. Bludau, Der Verbleib der
Gerate des Tempels zu Jerufalem. Katholik 1902 I, 109119; fodann
Hasak, Der fiebenarmige Leuditer und die andern Tempelgerate. Das
Heilige Land, 59. Jahrg., 1915, S. 200-208.
) Madden, Coins of the Jews, p. 207229.
6 ) Auf den Gegenfatj madit Grifar 1. c. S. 176 f. aufmerkfam. w Beide
Triumphbogen befiegelten," fagt er 1. c. p. 177, ,,in gleicher Weife die
17*
260 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
Eroberung Die Unterwerfung der Feftungen Herodeion, Madiarus
von und Mafada lag dem neuen Statthalter von Palaftina 1 ) Lu-
Herodeion u. c j|j us Baffus ob. Herodeion wurde alsbald zur Obergabe
Art o pri o l"|t Q
' gezwungen 2 ). Madiarus leiftete zwar Widerftand, ergab fidi
aber gegen freien Abzug der Befatjung und Loslaffung des
bei den judifchen Truppen hoctift angefehenen, tapferen Ele-
azar, weldier in romifche Gefangenfchaft geraten war. 3 )
Der Fail von Nach dem Tode des Baffus im Jahre 73 n. Chr. iiber-
Mafada. n ahm Flavius Silva das Kommando in Palaftina und rfickte
mit alien Truppen gegen Mafada am Weftufer des Toten
Meeres vor. Die Feftung wurde von den Sikariern unter
Fiihrung des Eleazar, eines Nadikommen des Judas des
Galilaers, der zur Zeit der Schatjung des Quirinius einen
Aufftand erregt hatte, verteidigt. Es war eine Heldenfchar,
die, als Silva eine Ringmauer um die Feftung gebaut und
mit vieler Miihe eine Brefche in die Feftungsmauer gelegt
hatte, und jede Hoffnung auf Rettung gefchwunden war, die
Burg in Brand ffeckten und darauf zunadift ihren Ange-
horigen und dann fidi felbft am 15. Xanthicos (April) 73
den Tod gaben. 4 )
Mit dem Falle Mafadas war die Unterwerfung Palaftinas
beendet. Die von Jerufalem entflohenen Sikarier haben wohl
nodi in einigen Gegenden Unruhen erregt, z. B. in Ale-
xandrien und Gyrene, 5 ) wurden aber bald unfdiadlidi ge-
madit. In Agypten wurde aber doch aus Vorficht nun audi
der judifdie Oniastempel in Leontopolis gefdiloffen 6 )
Schickfai des Das ganze judifdie Land in Palaftina behielt Vefpafian
Landes. als perfonlidies Eigentum und liefj es durdi Baffus und den
Macht des Chrifteng-ottes, der die neuen Gefchicke der Weltg-ebieterin
Rom vorbereitete."
B. J. 7, 8, 1. Vgl. B. J. 7, 6, 1. '
*) B. J. 7, 6, 1. Ober die Lage {. o. S. 130.
3 ) B. J. 7, 6, 15. Ober Madiarus vgl. o. S. 84. Den Eleazar
hatte ein romifcher Soldat namens Rufus, ein Agypter von Geburt, ge-
fangen (B. J. 7, 6, 4). Auf ihn bezieht fich vielleidit eine jiingft in Baal-
bek gefundene Infchrift, woruber Mommfen, Infdirift aus Baalbek, SB d.
Berliner A. d. W. 1903, S. 817824 zu vergleichen ift.
4 ) B. J. 7, 8, 19, 2. Ober Mafada f. o. S. 52 f.
5 ) B. J. 7, 11, 13. Vgl. unten VIII. Kap.
6 ) B. J. 7, 10.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 261
Prokurator Liberius Maximus verwalten. 1 ) Nur 800 Veteranen
gab er im Bezirk von Emmaus, 30 Stadien von Jerufalem
entfernt, Landereien. 2 ) Eine den Juden furditbare Strafe
war, dafc die bisherige jahrliche Kopffteuer, weldie alle Ju-
den fur den Tempel zu Jerufalem entrichten mufjten, in Zu-
kunft fur den Tempel des kapitolinifchen Jupiter zu bezahlen
war. 3 ) Cafarea wurde durdi Vefpafian in eine romifche Ko-
lonie, die ,,erfte flavifche Kolonie", umgewandelt.*)
VII. Kapitel.
Die Juden in der Diajpora.
Wie in der Gegenwart fich Juden in der ganzen zivili-
fierten Welt finden, lebend unter andern Volkern und dodi
1, <-, , -. M r -ivi i- ri. j der
nidit vermifcht mit ihnen, fo ift es auch fchon in der neu-
1 ) B. J. 7, 6, 6.
2 ) B. J. 7, 6, 6. An das 160 Stadien von Jerufalem entfernt lie-
gende Emmaus-Nikopolis (vgl. o. S. 59, 5 und S. 246, 7), wofelbft zeit-
weife die 5. Legion geftanden hat, ift wegen der Entfernung nicht zu
denken, felbft wenn nicht mit den beften Handfchriften ,,<sraSlov? rgta-
KOVTCI", fondern nach der Emendation ,,lfif>tovrrt" gelefen werden follte,
vielmehr an Kalonije; vgl. iiber den Ort o. S. 59, 5. Jofephus Vita 76
bemerkt, dag das Land in der unmittelbaren Umgebung von Jerufalem
der 10. Legion (vgl. o. S. 258) uberwiefen wurde.
3 ) B. J. 7, 6, 7. Dio Cass. 66, 7. Wie ungerecht oft diefe Steuer
eingetrieben wurde, bezeugt Suet. Domit. c. 12: ludaicus fiseus acerbis-
sime actus est. Von dem im Jahre 96 Kaifer gewordenen Nerva ruhmt
eine Miinze (bei Madden, History of Jewish coinage, p. 199): ,,Fisci lu-
daici calumnia sublata". Wie es fcheint, ift damit aber nur die Denun-
ziation verboten worden, da noch Origenes (Ep. ad African. 14, Ed.
Lomrnaijjch XVII, 44) fagt ,,xa,l vi>vlovda.i<av TO dldguxnov avTois [SC. 'Pw-
riaiutt;] relovvTinv. Vgl. Gorres, Z. f. w. Th., Jahrgang 49. N. F. XIV>
L. 1906, S. 143.
4 ) Plin. N. H. V, 13, 69. Plinius erwahnt auch I. c. Neapolis quod
antea Mamortha dicebatur. Der Ort wird ebenfalls als n Neapolis, oder
wie er bei den Eingebornen heigt, Mabortha" von Jof. B. J. 4, 8, 1 er-
wahnt. Es ift die Stadt Flavia Neapolis, in deren Nahe (nach Eufeb.
Onom. ed. Klostermann, p. 150 sq. V nQoaOxsLoK; JVa? TTOACW? = in sub-
urbanis Neaspoleos) Sichem lag.
262 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
teftamentlidien Zeit 1 ) und zum Teil fdion fruher gewefen.
Die Tatfadie ift fur die genannte Zeit nicht bloft in allge-
meinen Ausdrucken, welche ]a hyperbolifdi fein konnten, von
Sdiriftftellern des erften diriftlichen Jahrhundefts wie Strabo, 2 )
Jofephus 3 ) und Philo 4 ) bezeugt, fondern folgt audi aus den
genauen Angaben glaubwurdiger Zeugen. Die Apoftelge-
fchidite fagt, 5 ) dag auf dem erften Pfingftfeft in Jerufalem
Juden aus Parthien, Medien und der Landfchaft Elamitis am
perfifchen Meerbufen, Mefopotamien, Kappadocien, Pontus
und Alien, aus Phrygien und Pamphylien, aus Agypten und
den Gegenden Libyens bei Gyrene, Fremdlinge aus Rom,
fowohl geborne wie neubekehrte Juden und Juden aus
Kreta und Arabien anwefend waren. Konig Agrippa I. fpridit
aber in einem an den Kaifer Caligula geriditeten Sdireiben 6 )
von judifdien Aniiedlungen in Agypten, Phonizien, Syrien
und Colefyrien, in Pamphylien, und Cilicien, in den meiften
Gegenden Aliens bis nach Bithynien und den entlegenften
Winkeln von Pontus hin, weiter von andern Anfiedlungen in
Europa, Theffalien, Bootien, Mazedonien, Atolien, Attika,
Argos, Korinth und den meiften und beften Teilen des Pelo-
ponnes. Audi die anfehnlidiften Infeln Euboa, Cypern und
Kreta feien voll judifcher Einwohner. Von den Landern jen-
feits des Euphrats wolle er fchweigen, da alle, mit Ausnahme
eines kleinen Teiles, Babylon und die umliegenden Satrapien
judifche Einwohner hatten.
Wie richtig derartige Angaben find, ergibt fidi audi aus
der Tatigkeit des Weltapoftels Paulus, der fidi flberall auf
feinen Reifen zunaehft an die Juden in den Synagogen wen-
den konnte. Allerdings handelt es fidi bei faft alien der-
') Vgl. u. a. Hausrath, Neut. Zeitg. II, 91 ff., 283 ff., Ill, 383 ff.;
Sdiflrer III 4 , 1-134 und art. Diaspora in Hastings, Diet. Extra vol.
p. 91-109; Mommfen, RG V, 489499; Bertholet, Die Stellung der
Ifraeliten und der Juden zu den Fremden, Freib. 1896, S. 257 ff. Jufter 1,
180-209. Altere Literatur f. bei Winer, Bibl. Realworterbuch 2 Bde.
L. 18478, art. Zerftreuung.
2 ) Bei Jof. Ant. 14, 7, 2.
3 ) B. J. 2, 16, 4. 7, 3, 3.
*) In Place. 7. -
5 ) Apg. 2, 9-11.
6 ) Bei Philo, Leg. ad Caj. 36.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 263
artigen Anfiedlungen, abgefehen von den Euphratlandern,
nur um Stadte und deren unmittelbare Umgebung, und auch
in diefen entfprach die zahlenmajgige Grofce der iiidifchen
Bevolkerung keineswegs der Bedeutung, welche fie fich durch
ihren engen Zufammenfchlujs, ihre Riihrigkeit und durch ihre
vielen lauten Klagen zu erwecken wufcten. 1 )
Die Grflnde fur diefe Verbreitung der Juden find zum Qrunde
Teil in den gewaltfamen Deportationen zunachft der zehn die f er ro 6 en
Stamme, dann der Bewohner des Reiches Juda und fpater Verbreitun -
der kriegsgefangenen Juden durch Pompejus u. a. zu fuchen.
Audi die Flucht von Juden aus ihrem Jo oft von Kriegs-
unruhen heimgefuchten Lande befonders nach Agypten wirkte
mit. In den letjten Jahrhunderten v. Chr. hat aber der Han-
del viele veranlafct, fich in den grofcern auswartigen Stadten
anzufiedeln. Oberall blieben fie im Verkehr mit Jerufalem,
pflegten das religiofe Gemeindeleben in den Synagogen ,
lebten nach ihrer eigenen Sitte 2 ) und waren doch zugleich
meift im Befi^e aller biirgerlichen Rechte. So fehr fie auch
oft uber Bedruckung klagen mochten, waren fie dank der
Privilegien, welche ihnen befonders Cafar, dann auch Au-
guftus 3 ) und friiher die ptolemaifchen und feleuzidifchen K6-
!) Vgl. Hausrath II, 92.
2 ) In der Mifdina (Sola 7, 1) heigt es, dag das Gebet: Hore Herr
(das fog 1 . Sdima), die (g-ewohnlichen) Gebete [das Schmone Esre] und
das Tifchgebet in jeder Sprache gefagt werden durfen. Die heiligen
Schriften durfen nach Megilla 1, 8 in jeder Sprache g-efchrieben werden.
Rabban Simeon ben Gamaliel fagte allerdings (1. c.), man habe nur er-
laubt, die heiligen Schriften griechifch zu fchreiben.
3 ) Vgl. S. 104 ff. Das von Julius Caefar den Sidoniern mitgeteilte
Dekret, dag wenn irgend eine Streitigkeit uber judifche Einrichtungen
entftand, die Entfcheidung- beim Hohenpriefter liegen follte (Ant. 14, 10, 2),
bezieht fich in feiner Allgemeinheit auch auf die Juden in der Diajpora.
Ebenfo das andere Dekret Caefars (Ant. 14, 10, 3), dag der jedesmalige
Hohepriefter und Ethnarch fich der Juden, denen Unrecht gefchieht,
(n<jtieSrrjra.i TMV ad'ixovftevmv) annehmen foil.
Das gefchah z. B. nach Caefars Tod im Jahre 43 durch die Vor-
ftellungen des Hyrkanus bei dem Statthalter Dolabella von Afien, feine
Landsleute kOnnten am Kriegsdienfte nicht teilnehmen, weil fie am Sab-
bate weder Waffen tragen noch marfchieren durften und fich ihre vor-
fchriftsmagigen und gewohnten Nahrungsmittel nicht verjchaffen kOnnten.
Daraufhin befreite fie Dolabella, wie feine Amtsvorganger es getan
264 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefdiidite der Juden etc.
nige verliehen batten, 1 ) eher ein wenigftens von der Staats-
gewalt, der fie treu anhingen, bevorzugtes Volk. Die Zahl
der Juden im romifchen Reiche betrug mit Einfchlufc Pala-
ftinas vor dem J. 70 n. Chr. ficher etwa 7 Millionen, da
fchon allein Agypten etwa eine Million zahlte. 2 ) Dazukommen
die Juden, welche in den nur teilweife und nur von Zeit zu
Zeit oder gar nicht zum romifchen Reiche gehorigen Lan-
dern Mefopotamien, Medien und Babylonien wohnten.
Es empfiehlt fich der beffern Uberficht wegen einzelne
Gruppen befonders zu behandeln.
1. Die Juden in Mefopotamien, Medien und Babylonien.
In diefe Lander waren ehedem die Bewohner des Reiches
Ifrael und des Reiches Juda in das affyrifche und babylonifche
Exil fortgefiihrt worden.
Die zehn Die Bewohner Samarias waren von Salmanaffar im
stamme in j a h re 722 in der affyrifchen Landfchaft Hala und am Fluffe
der Ver- chaboras, dem heutigen Chabur, einem Nebenflufc des
annung. g u pjj ra t m ^ Qr Landfehaft Gauzanitis in der Nahe des be-
kannteren Nifibis in Mefopotamien und in den Stadten der
Meder angefiedelt worden. 3 ) Von dort verbreiteten fie fich
auch nach andern Orten. Ninive, Rages und Ekbatana wer-
den als Hauptwohnfitje genannt. 4 ) Die Exilierten hingen von
der Laune des Konigs ab und wurden auch wiederholt ver-
), vom Kriegsdienft und geftattete ihnen
audi, einer weiteren Bitte des Hyrkan entfprechend, bei den herge-
brachten Verfammlungen zum Opfer und Gottesdienft ihrem Gefetj zu
folgen und Geld zur Befchaffung von Opfern beizutragen (Ant. 14,
10, 11 f.). Vgl. Jufter, Les Juifs 1, 146; 2, 275 s.
Augu[tus hat den Juden im romifchen Reiche alle ihnen von Caefar
verliehenen Privilegien beftatigt (Ant. 16, 6, 2 4). Natiirlich kam das
perfonliche freundfchaftliche Verhaltnis des Herodes und Jeiner Nachfolger
auch der Beobachtung diefer Privilegien zu gut, ebenfo auch die im
Grogen und Ganzen vorhandene Anhanglichkeit der Juden in der Diajpora
an die romifche Herrfchaft und die romifchen Einrichtungen. Vgl. Jufter
1, 213 ss. 234 s. 240 s.
J ) Vgl. Ant. 12, 3 und 4. 13, 10, 4.
2 ) Vgl. u. S. 276.
3 ) 4 Kon. 17, 6. 18, 9 ff. '
4 ) Hala i[t identifch mit 'XaAxtr/?. S. Ptolem. Geogr. 5, 18. Der Chaboras
ergiefct fich bei Abu Sera], dem alten Karkemifch (Circesium), in den
'VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 265
folgt. Allein anderfeits erfreuten fie fidi grofeer Freiheii Sie
konntenz. B. aus Handelsintereffe grofce Reifen unternehmen. 1 )
Gewifc mogen mandie fich wie Tobias durdi Anhanglichkeit
an Gott und das Gefetj ausgezeichnet haben, 2 ) aber im all-
gemeinen wirkte die Verbannung auf die meiften, die ja
ohnehin fchon im Reidie Ifrael den Kultus heidnifcher Gotter
kennen gelernt batten, in religiofer Beziehung fehr nach-
teilig. Sie haben fich unter den Heiden, mit denen fidi mandie
vereheliditen, verloren. 3 ) Zur Zeit des Jofephus ift zwar nodi
Nifibis ein Mittelpunkt der judifchen Bewohner Babyloniens,
aber dorthin konnten naturlich fdion feit langem andere Ju-
den gekommen fein und fidi mit den wenigen glaubig ge-
bliebenen Nadikommen der zehn Stamme vermifcht haben. 4 )
In viel gunftigerer Lage waren die Exilierten des Reidies Die
Juda. Sie bildeten in religiofer und nationaler Beziehung Exill <^ ten
r$ n o I? CM f*fl f^O
ein viel widerftandsfahigeres Volk und wurden auch nidit
zerftreut, fondern in der Hauptftadt Babylon felbft und deren
Umgebung angefiedelt. 5 ) Hier lag audi Naharda (fyr. Nu-
hadra) am Euphrat, welches die fpatere jiidifdie Tradition 6 )
Euphrat und ift von dem Fluffe (oder Kanal des Euphrat bei Babylon)
Chabor, wovon Ezechiel 1, 1 fpricht, zu unterfdleiden. Vgl. Vigouroux,
La bible et les decouvertes modernes, Paris 1896, III 6 , p. 561 ss.
') Tobias 1, 16. 3, 7. 5, 8.
2 ) Tobias 1, 14 ff. 4, 21 ff. Vgl. Vigouroux 1. c. p. 567 s.
3 ) Jof. Ant. 11, 5, 2 ftellt die Sache ungenau fo dar, als ob die
Stamme Benjamin und Juda unter Esdras zurudcgekehrt feien, die ubrigen
aber als eine gar nicht zu zahlende Menge jenfeits des Euphrats wohnten.
Das 4. Buch Esdras (13, 3947), welches als Wohnfitj der zehn Stamme
Arzareth (ni~N yiK = terra alia, vgl. Deut. 29, 27) angibt, erwartet die
Wiederkehr der zehn Stamme am Anfang der meffianifchen Zeit. Auch
Pfeudo-Baruch 78, 1 nimmt an, dag ,,die neun und einhalb Stamme
am jenfeitigen Ufer des Fluffes Euphrat" wohnen und fchickt ihnen einen
Brief 78, 2 ff., worin er [ie zur Buge und Treue gegen Gott mahnt und
ihnen ihre einftige Erlofung verkundet (78, 5. 7. 84, 10). Nach M. San-
hedrin 11, 3 hat unter Berufung auf Deut. 29, 27 R. Akiba gefagt, fie
wurden nie wiederkehren; aber R. Eliezer ben Hyrcanos hat das Gegen-
teil gelehrt. Vgl. u. a. Haneberg, Gefch. der bibl. Offenbarung*, Regens-
burg 1876, S. 389-397.
4 ) Ant. 18, 9, 1. 9.
*) Vgl. 4 K6n. 24, 15. 25, 7, II. Par. 36, 6. 10. 20. Jerem. 24, 1.
39,, 7 ff. 52, 11 ff. Bar. 1, 3 ff. 6, 1.
u ) Vgl. daruber Art. Exil im Kirchenlex, 4, 1139 f. und iiber die
266 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
als eine der alteften Niederlaffungen nennt. 1 ) Die Juden
konnten ungehindert ihre gottesdienftlichen Verfammlungen 2 )
und das ganze Gefetj Mofis, abgefehen von dem an den
Tempel gekniipften Opferdienft, halten, konnten fidi bald
auch uberall im babylonifdien Reiche anfiedeln, Gefchafte trei-
ben und Reichtum erwerben. 3 ) Unter den Perfern wurde ihre
Lage nodi gunftiger, fo dag nur wenige von der Erlaubnis,
nach Palaftina zuriickzukehren, Gebrauch machten. 4 ) Im Laufe
der Zeit vermehrte fidi durch Zuzug die Zahl der Juden in
jenen Gegenden, 5 ) fo dag zur Zeit des erften Herodes ,,viele
Taufende des jiidifchen Volkes im babylonifdien Lande an-
gefiedelt waren". 6 ) Herodes madite fogar einen babylonifdien
Juden Ananel zum Hohenpriefter. 7 )
der Audi Alexander d. G. hatte den Juden in Babylonien
Juden in und Medien geftattet, nach ihren Gefeijen zu leben. 8 ) Die
Babylonien. Seleuziden begiinftigten fie, ja Antiochus d. Gr. hielt fich
von ihrer Treue fo uberzeugt, dag er 2000 judifche Familien
aus Mefopotamien und Medien in Lydien und Phrygien an-
fiedelte. 9 )
Um die Zeit Chrifti verwahrten die Juden in den Stadten
Naharda und Nifibis die fur den Tempel beftimmten Gelder.
Wenn zu den feftgefetjten Terminen das Geld nach Jeru-
babylon. Wohnfi^e der Ifraeliten Qberhaupt die fpateren rabbinifchen
Nadirichten in Lightfoot, Hor. hebr. in Ep. I ad Cor. Addenda ad cap. XIV,
Opp. II, 929-932.
J ) Bei Jof. Ant. 18, 9, 1. 9 heigt die Stadt Naarda.
2 ) Bar. 1, 3 ff. Ezech. 3, 15.
3 ) Vgl. Dan. 13, 4. 62. Kirchenl. 4, 1139 f.
*) Esdr. 1, 3. 7, 13. Esdr. 2. Neh. 7. Jof. Ant. 11, 5, 2.
5 ) Z. B. hat der perfifdie Konig Artaxerxes Ochus jiidifche Ge-
fangene um die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. in Hyrkanien am
Kafpifchen Meere angefiedelt. Bus. Chron. ed. SdiOne II, p. 112.
6 ) Jof. Ant. 15, 3, 1. Vgl. Ant. 15, 2, 2. Philo, Leg. ad Caj. 31.
') Ant. 15, 2, 4. 3, 1.
8 ) Jof. Ant. 11, 8, 5. Das nadi Hekataus in Jos. c. Apion. 1, 22
Erzahlte liegt fruher.
) Ant. 12, 3, 4. - Ober die perfOnliche, foziale und religiofe Lage
der Exilierten vgl. u. a. Job. Nikel, Die Wiederherftellung des judifdien
Gemeinwefens nadi dem babylon. Exil (= Bibl. Stud. 5, 2-3) Freib. 1900;
Erich Klamroth, Die judifchen Exulanten in Babylonien (Beitrage zur
Wiffenfchaft vom alten Teftament, Hrsgb. von R. Kittel, Heft 10), Lpz. 1912.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 267
falem gefchickt wurde, begleiteten jedesmal viele taufend
Menfchen aus Furcht vor den Raubereien der Farther, denen
damals Babylonien zinspflichtig war, den Zug. Derartige
kriegerifche Ziige hoben wieder das Selbftgefuhl der Juden
iiberhaupt. Zwei abenteuerliche jiidifche Briider, Afinaus und
Anilaus, welche urfpriinglich Weber gewefen waren, fcharten
andere junge Leute, die nichts zu verlieren batten, um fich,
fuhrten mit ihnen ein Rauberleben und gelangten zu folcher
Macht, da& fie in der Nahe von Nabarda wie unabhangige
Fiirften herrfchten. Ihre Macht wurde fogar von dem par-
thifchen Konig Artabanus HI. dadurch anerkannt, dafe er mit
ihnen einen Vertrag fchlofc und ihnen den Schutj des baby-
lonifchen Gebietes anvertraute, um fich ihrer gegen die eigenen
zum Abfall geneigten Satrapen zu bedienen. Als aber {pater
Anilaus im Cbermute fogar die Befitjungen des Mithridates,
des Schwiegerfohnes des Artabanus, anzugreifen wagte,
wurde er in einer Schlacht befiegt und kam bald nachher
felbft um. 1 ) Nach feinem Tode ffihlten fich die Juden, welche
wegen der Religion in fteten Streitigkeiten mit den Baby-
loniern lebten, ihren Gegnern nicht mehr gewachfen und
zogen nach der von Mazedoniern, Griechen und Syrern be-
wohnten Stadt Seleucia an einem Kanal, der den Tigris mit
dem Euphrat verbindet. Dort verbanden fich aber fechs Jahre
fpater ihre Mitbiirger gegen fie und brachten mehr als 50000
Juden um. 2 ) Audi in Ktefiphon in der Nahe von Seleucia
waren fie nicht ficher, weshalb fich die meiften Juden in die
feften Stadte Naharda und Nifibis zuruckzogen. 3 )
Zur Zeit des Kaifers Klaudius befafc die Landfchaft Ni- Bekehrung
fibis der Konig Izates von Adiabene, welcher in einem Ab- der
hangigkeitsverhaltnis zu dem parthifchen Reiche ftand. Er familie von
Adiabene.
J ) Ant. 18, 9, 17. Die beiden Bruder haben fich 15 Jahre lang-
in ihrer Macht behauptet (1. c. 9, 4). Afinaus ftarb durch Gift, welches
ihm die Frau feines Bruders beigebracht hatte (1. c. 9, 5).
'=) Ant. 18, 9, 19. Als das Blutbad angerichtet wurde, war, wie
fich aus einem Vergleich von 18, 8, 9 mit 18, 9, 1 und 9, 8 ergibt, Ca-
ligula fchon tot. Vgl. auch Philo Leg. ad Caj. 31, wonach Petronius v es
im Jahre 40 fur gefahrlich hielt, die babylon. Juden gegen die ROmer
zu reizen. In Seleucia hatten die Juden das Burgerrecht und ftanden
darin den ubrigen Einwohnern gleich. Ant. 12, 3, 1.
3 ) Ant. 18, 9, 1.
268 Erfter Abfdinitt. Die politijche Gefchichte der Juden etc.
trat mit feiner Mutter Helena zum Judentum fiber und liefe
fich fogar befchneiden. Spater folgten feinem Beifpiele fein
Bruder Monobazus und deffen Verwandte trots des Unwillens
der Grofcen des Reidies iiber diefen Schritt. 1 )
Wahrend des grofcen Krieges gegsn die Romer ver-
fuchten die palaftinenfifchen Juden durdi Gefandte audi jen-
feits des Euphrats den Aufruhr zu predigen, batten aber
damit infolge der fdhlimmen Lage ihrer dortigen Glaubens-
genoffen keinen Erfolg. 2 )
2. Die ,,Zerftreuung" in Syrien und Kleinafien.
Die Juden in Die Lage von Syrien im Verhaltnis zu Palaftina erklart
Antiochien. es> d a g in diefer Provinz der grofcte Prozentfatj judifcher
Bevolkerung war, und es ift wieder leicht erklarlich, dafj dies
am meiften in Antiochien, zu jener Zeit der drittgrofcten
Stadt des romifchen Weltreiches, der Fall war. Erjt im Jahre
301 v. Chr. gegriindet war die Stadt dank ihrer Lage am
Orontes in einer fehr fruchtbaren Ebene in der Nahe des
Meeres und dank der Tatfache, dag fie zuer[t Refidenz der
feleuzidifchen Konige, 3 ) dann der romifdien Statth alter von
Syrien war und unter diefen als eine freie nach eigenen
Gefetjen lebende Stadt gait, 4 ) rafch emporgebliiht. Sehon der
Grunder der Stadt, Seleukus I. Nikator, hatte die Juden in
die Stadt mit vollem Biirgerrecht aufgenommen. 5 ) Audi unter
den Romern blieben fie im Genufc diefes Rechtes, 6 ) ohne
aber dadurch das Recht, nach ihren eigenen Gebrauchen
') Jo{. Ant. 20, 24. Vgl. auch B. J. 2, 19, 2. 4, 9, 11. 5, 2, 2. 3, 3.
4, 2. 6, 1 und 6, 6, 3. 4. In Jerusalem war ein Palaft der Konigin Helena
(B. J. 6, 6, 3), ein Palaft des Monobazus (B. J. 5, 6, 1) und ein von
der Grapte, einer Verwandten des Izates, erbauter Palaft (B. J. 4, 9, 11).
5. unten.
2 ) B. J. 6, 6, 2.
3 ) 1. Mace. 3, 37. 7, 2. 11, 13 f.
4 ) Plin. 5, 21, 79: Antiochia libera, Epi Daphnes cognominata;
Oronte amne dividitur.
3 ) Jof. Ant. 12, 3, 1; c. Apion. 2, 4. Audi in alien andern in Afien
oder Syrien von ihm gegrundeten Stadten ftellte Seleukus I. in Bezug
aui das Bflrgerrecht die Juden dem mazedonifchen und griechifchen Teile
der Einwohner gleich. S. Ant. 12, 3, 1.
6 ) Jof. Ant. 12, 3, 12.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 269
leben zu durfen, zu verlieren. Trotj der Klagen der Griedien
hatte ihnen z. B. Markus Agrippa dies zur Zeit des Auguftus
beftatigt. 1 ) Dag fie in der Refidenz des romifdien Statthalters
wohnten, rettete fie zur Zeit des Krieges, als der Judenhafe
uberall zur gewaltigen Flamme emporfchlug, vor grofceren
Angriffen. 2 ) Audi Titus fdilug die Bitten der Syrer zu An-
tiochien, die Juden aus der Stadt zu vertreiben oder wenig-
ftens die ehernen Tafeln, auf welchen ihre Gerechtjame ge-
fchrieben waren, 3 ) fur ungiiltig zu erklaren, ab. 4 ) In Da-
maskus befafcen die Juden mehrere Synagogen 5 ) und hatten
unter den Frauen viele Konvertitinnen gemadit, aber 10000
Juden wurden zu Anfang des judifch-romifchen Krieges von
den Damaszenern ermordet. 6 )
Es diirfte die Behauptung Philos nicht iibertrieben fein, Die Juden in
dag in jeder kleinafiatifchen Stadt viele Juden wohnten. 7 ) Kieinafien
Denn man weifc von einer ganzen Reihe diefer Stadte, daft und lhre
die Juden dafelbft Synagogen befa&en. 8 ) Audi Jofephus be- Privile ien -
zeugt die grojje Verbreitung der Juden in den kleinafia-
tifchen Stadten. 9 ) Weiterhin gibt es eine grofce Anzahl von
*) Ant. 12, 3, 2. Vgl. B. J. 7, 3, 3. Zur Zeit des Herodes war der
reichfte Syrer Saramallas, der fidi audi in den Befit} wichtiger politifdier
Geheimniffe zu fefyen wugte, ein Jude. B. J. 1, 13, 5.
2 ) B. J. 2, 18, 5. 7, 3, 3-4. .
3 ) Vgl. auch Ant. 14, 10, 1. 3. 26.
*) B. J. 7, 5, 2. Ant. 12, 3, 1.
5 ) Apg. 9, 2. Ober Damaskus f. unten.
6 ) B. J. 2, 20, 2. Nach Eleazar von Mafada waren fogar 18000
mit Weibern und Kindern umgekommen, B. J. 7, 8, 7.
7 ) Philo, Leg. ad Caj. 33. Vgl. Apg. 2, 9 ff.
h ) Apg. 13, 14. 14, 1. 18, 19. 19, 8.
9 ) Ant. 14, 10. 16, 6. Cicero pro Flacco 28 erwahnt, dag jiidifche
Tempelgelder in Apamea, Laodicea, Adramyttium und Pergamum kon-
fisziert wurden. Vgl. befonders Schurer III 4 , 12 ff. und in Hastings 1. c.
p. 93 f. Vgl. noch Chapot, La province romaine proconsulate d'Asie.
Paris 1904, p. 182-186. Ober die groge Zahl der Juden und ihre ein-
flugreiche Stellung in den Provinzen Galatia und Afia unter der ro-
mifdien Herrfdiaft vgl. u. a. Ramsay, The cities and bishoprics of Phrygia
vol. 1, Part. 2 p. 667676; derf., The bearing of recent discovery on
the trustworthiness of the New Testam. London 1915 p. 353 369.
Reinadi Ad. Noe sangarion. Etude sur le deluge en Phrygie et le syn-
cretisme Judeo-Phrygien RE J, Tome 65 (Paris 1913) p. 161-180; Tome 66
(P. 1913) p. 1-43 und 213244, befonders p. 214 ss.
270 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Dekreten Cafars, des Auguftus und anderer, worin den Ju-
den in Ephefus, 1 ) Sardes, 2 ) Laodicea, 3 ) Tralles, 4 ) Milet, 5 )
Pergamum, 6 ) Halikarnaffus 7 ) und andern Stadten 8 ) gro&e
Privilegien verliehen werden. Namentlidi wird dadurch das
Recht der Juden, nach ihren eigenen Gebrauchen zu leben
und fich zu verfammeln, 9 ) die Sabbate und Fefte zu feiern, 10 )
Geld zu gemeinfamen Mahlzeiten und Opfern beizutragen 11 )
und die Tempelfteuer und die Erftlinge nach Jerufalem zu
fenden, 4 ' 2 ) anerkannt und ihre Befreiung vom Kriegsdienft
ausgefprochen. 13 ) In den Dekreten fur die Juden in Sardes
und Ephefus wird ihnen auch das Redit eines eigenen
Gerichtshofes, bei weldiem fie ihre Vertrage bekraftigten
und ihre Streitigkeiten fchliehten laffen konnten, beftatigt. 14 )
Die Juden befafcen auch in mandien kleinafiatifchen Stadten,
z. B. in Ephefus und den jonifchen Stadten uberhaupt, das
Biirgerrecht. 15 )
Das find grofce Privilegien, weldie die nichtjudifche Be-
volkerung gar nicht gern fah. Denn meift find fie erft er-
laffen worden, naehdem die Gemeindeverwaltungen den bis-
') Ant. 14, 10, 12 f. 16. 19. 25; 16, 6, 4 7.
) Ant. 14, 10, 17 und 24; 16, 6, 6.
3 ) Ant. 14, 10, 20.
*) Ant. 14, 10, 20.
5 ) Ant. 14, 10, 21. Einen kritifchen Kommentar zu einem Teile der
Texte in Jof. Ant. 14, 10, 821 gibt Walter Judeich, Cafar im Orient,
Kritifche Oberpdit der Ereigniffe vom 9. Auguft 48 bis Oktober 47.
Leipz. 1885, S. 119-141.
6 ) Ant. 14, 10, 22.
') Ant. 14, 10, 23.
8 ) Die von M. Agrippa beftatigten Privilegien der Juden in den
jonifdien Stadten, f. Ant. 16, 2, 3-5.
9 ) Ant. 14, 10, 23 i. 16, 6, 2.
10 ) Ant. 14, 10, 20 ff. 16, 2, 3. 16, 6, 2.
1 ) Ant. 14, 10, 11 f. 16, 2, 3. Von gemeinfamen Mahlzeiten, die wohl
eine Nadiahmung der Opfermahlzeiten in Jerufalem fein follen, fpridht
Jof. Ant. 14, 10, 8.
12 ) Ant. 16, 2, 3. 16, 6, 2. 4 ff.
") Ant. 14, 10, 11 ff.
14 ) Ant 14, 10, .17. 19.
u ) Ant. 12, 3, 2. Vgl. ebd. 14, 10, 17. Nach Jos. c, Apion..2, 4 ift
es den Juden in Ephefus und in Jonien uberhaupt durch die Diadoehen
verliehen worden.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 271
herigen Rediten der Juden entgegengetreten waren. Die
pqlitifchen und religiofen Intereffen waren in jener Zeit zu
eng verbunden, als dag nidit immer wieder von feiten der
Nichtjuden betont worden ware, daft Leuten, welche nicht
diefelben Goiter wie fie verehrten, auch nicht diefelben Rechte
zuteil werden konnten.
3. Die Juden in der Zerftreuung in Agypten und Cyrene.
In Agypten batten fich fchon zur Zeit des Propheten Judifche
Jeremias Juden aus Palaftina angefledelt und waren bis Miiitar-
Pathros, Oberagypten, gekommen: 1 ) Man wugte auch fchon k lomen m
lange, dag Pfammetich fchon in feinem Feldzuge gegen den gyp en '
Konig der Athiopier jiidifche Soldner gehabt hatte und dag
unter den perfifchen KSnigen von Agypten viele Juden nach
Agypten verpflanzt wurden, von denen manche in die fejten
Platje des Landes zum Schutje desfelben gelegt und dort
als xdiotxoi, d. h. als aktive Soldaten und nicht etwa als Ve-
teranen angefiedelt wurden. 2 )
Eine folche judifche Militarkolonie zum Schutje Oberagyptens gegen
Nubien gab es im 6. und 5. Jahrhundert v. Chr. auf der Nilinfel Ele-
phantine in der Feftung Jeb und der auf dem rediten Nilufer unweit
Elephantines gelegenen Feftung Syene, dem heutigen Assuan. Ober
diefe und ihre wirtjchaftlichen und religiofen Verhaltniffe und ihre poli-
!) Jerem. 44, 1. Vgl. 41, 17-18 und c. 42-44.
2 ) Aristeae ad Philocratem epistula ed. Wendland, L. 1900; deutfdi
von Wendland in Kautjfdi II S. 1 ff. n. 12 f. und n. 35; englifdi mit
einer Einleitung von H. Andrews in Charles, The Apocrypha and Pseud-
epigrapha of the Old Test. vol. II ^Oxford 1913). p. 83-122. Vgl. auch
Jos. c. Apion 2, 4 und Ant. 12, 1. Jos folgt dem Aristeas. Aus Herod. II
161 weig man, dag Pfammetich II.. (594589 v. Chr.) einen 'Feldzug
gegen Athiopien unternommen hat. InantikenRuinenbeidemDorfeEl-Hibe
in Mittelagypten ift eine Urkunde gefunden worden, worin ein Zug des
Psammetich II. in feinem vierten Jahre (590) nach Palaftina erwahnt (vgl.
Griffith, Catalogue of the Demotic Papyri in the John Rylands Library,
Manchester 1909, 3 Bde IX. Urkunde 14, 6 16, 1) wird. Nach einer geift-
reichen Vermutung von A Alt, Psammetich II. in Palaftina und in Ele-
phantine ZAW 1910, 288-297 waren an dem Athiopenzug von 589
nach Aristeas jfldifche Krieger beteiligt gewefen. Die judifchen Seidner
hatten aber durch die Entwicklung der Dinge um oder vor 586 keine
MOglichkeit gehabt, in die Heimat zuruckzukehren, und hatten nun in
Elephantine Jahwe ein Heiligtum gebaut. Es ift nur eine Vermutung des
Verfaffers. , . . . ...',:
272 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
tifchen Beziehungen zu Agypten und der per[ifehen Regierung in den
Jahren 494-400 v. Chr. find wir durth aus diefer Zeit ftammende in
Elephantine aufgefundene aramaifche Papyrusurkunden und Ostraken feit
1906 genauer unterriehtet. 1 )
Sie batten das Redit freier Religionsubung, befafcen ein Heiligtum,
eine Art Tempel mit einem Altar und konnten fich in einem Schreiben
an den perfifchen Statthalter von Judaa, Bagohi oder Bagoas, 2 ) ruhmen,
dag der Perferkonig Kambyses, der Sohn des Cyrus, bei einer Er-
oberung Agyptens (im Jahre 525 v. Chr.) ihr Heiligtum beftehen lieg,
wahrend er die agyptifchen Tempel zerftorte. 3 ) Dag ein folches Heilig-
tum augerhalb des Heiligen Landes gegen das Gefetj war, 4 ) ift ihnen
wohl nidit zum Bewugtfein gekommen, und wenn es der Fall war, wer-
den fie es mit ihrer Lage in Agypten entfchuldigt haben. Sie nennen es
') Zehn Originalurkunden aus der Zeit der perfifchen K&nige Xerxes,
Artaxerxes und Darius (470-411 v. Chr.), die man im Jahre 1904 fand,
vgl. in Aramaic Papyri discovered at Assuan, ed. by A. H. Sayce with
the assistance of A. E. Cowley. L. 1906. Vgl. auch W. Stark, Die
judifch-aramaifchen Papyri v. Assuan (= Lietjmann, Kleine Texte Heft 22/23),
Bonn, 1906. Nodi bedeutendere Funde brachten Ausgrabungen von
1906 1908 zu Tage. Vgl. E. Sachau, Drei aramaifche Papyrusurkunden
aus Elephantine. Abhdlgn. d. A. d. Wiss. Berlin 1907. Neudruck 1908.
W. Stark, Aramaifche Urkunden zur Gefchichte des Judentums im VI.
u. V. Jhdt. v. Chr. (Kleine Texte Nr. 32) Bonn, 1908. Lagrange, Les
nouveaux papyrus d' Elephantine, Rb 1908, 325-349; tUberfetjung nebft
Commentar. - Eine vollftaridige Textausgabe der Funde von 1906-8
gibt E. Sachau, Aramaifche Papyrus und Ostraka aus einer judifchen
Militarkolonie zu Elephantine. Bd. I, Text. Bd. II. 5 Tafeln. Leipz. 1911.
Kleine Ausgabe von A. Ungnad, Aramaifche Papyrus aus Elephantine,
L. 1911. Aus der augerft reichen Literatur uber die Funde vgl. u. a.
J. Levi, La colonie juive d' Assuan au Ve siecle avant 1' ere chre-
tienne REJ tome L IV. 1907, 3544; ebd. Le temple du dieu Jahou et
la colonie juive d' Elephantine 1. c. 153 ss.; ebd. Nouveaux Papyrus
Arameens d' Elephantine 1. c. 161 184. N.Peters, Die judifche Ge-
meinde von Elephantine Syene u. ihr Tempel im 5. Jahrh. v. Chr. Ge-
burt. Freib. i. B. 1910. Anneler Ph. Hedwig, Zur Gefchichte der Juden
von Elephantine. Bern, 1912. Ed. Meyer, Der Papyrusfund von Ele-
phantine. L. 1912. E. KOnig, Die Elephantinegemeinde u. der Mono-
theismus. N. Kirchl, Zeitfchr. 1915, 5, 383-402; deff. Religionsgefchichtl.
Hauptmomente in den Elephantinetexten ZAW 1915, 2, 110-119. Jon.
Nikel, Das Alte Teftament im Lichte der altoriental. Forfchungen III,
48-54 (= BZfr III 3 /4) ; MQnfter i. W. 1910.
2 ) Bei Jof. Ant. 11, 7, 1 heifet er Bagoses.
3 ) Pap. 1 (bei - Sachau 1907). Ober ihren Tempel vgl. Levi 1. c.
Lagrange 1. c. 337 ss. Smend, Th. Lz. 1907, 26, 708. Anneler 78 ff.
*) S. Deut. 12, 1 ff; Nikel a. a. O. S. 54 weift darauf hin, dag nach
Deut. 12, 1 das Gefetj uber die Einheit des Kultusortes nur fur Pala-
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 273
,,das Heiligtutn des Gottes Jah6 in der Stadt Jeb." 1 ) Jaho heigt aber
foviel wie Jahwe, der eine Gott Ifraels. Dag fie im wefentlichen diefen
verehren wollten, fieht man nicht blog aus diefer Bezeichnung, fondern
audi daraus, dag:fie Jaho M Gott des Himmels" nennen, 2 ) dag fie Profe-
lyten aufnahmen 3 ) und fich nach der ZerftOrung ihres Heiligtums im
Jahre 411/10 vertrauensvoll an den Hohenpriefter und die Juden in Je-
rufalem wenden. 4 ) Von dort waren fie fruher aufgefordert 5 ) worden, das
Mazzenfeft vom 15. 21. Nisan zu feiern. 6 )
ftina felbft gait und die fortfchreitende Zerftreuung der Juden allmahlich
die Auffaffung vorbereitete, dag der Wert der augern Anbetung Gottes
von dem Orte derfelben unabhangig fei.
>) Pap. 1, 1. 6. 24. Dag der Name des Gottes Jah6, nicht Jahu
heigt, zeigen die Ostraken, auf denen Clermpnt-Ganneau oft nnv einmal
nfcCS nrp = Gott der Heerfcharen gelefen hat. Vgl. Lagrange Rb 1908,
261, 2. So auch Peters, Anneler u. a.
*) Pap. 1, 15. 27. 28. .
3 ) Die Jttdin Mibtachja hat, obwohl fie in einem Prozeg kein Be-
denken trug, bei der agypt. GAttin Sati zu fchwOren (S.. Sayce-Cowley F 5),
ihren zweiten Gemahl zu ihrer Religion herubergezogen (1. c. Pap. H
und J). Vgl Schfirer, Th. Lz. 1907, 1, S. 4.
*) Pap. 1, 1719. Pap. 2, 16. 17. S. u. S. 274.
& ) Durch den Juden Hanani aus Jerufalem, Sachau, Taf. 6, Pap. 6.
6 ) Schwierigkeiten hinfichtlich der reinen Gottesverehrung der Juden
von Jeb ma At befonders eine von Sachau im J. 1911 herausgegebene
Lifte der Beitrage, welche im Jahre 419 y. Chr. yon den Mitgliedern
der jQd. Gemeinde zu den Kultuskoften gezahlt wurden. Es heigt am
Anfange dort: ,,dies find die Namen des jQdifchen Heeres, welches Geld
gab fQr den Gott Jaho, Mann fflr Mann 2 Sekel Silber" (der Sekel
= 2 M. 30). Am Sdilug heigt es, dag jich (am 6. Juni 419) in den
Handen des Oberhauptes der judifchen Gemeinde, Jedonja, 31 Karfch
(= 310 Sekel) 8 Sekei Silber befanden; ,,darin Mr Jahu 12 Karfch 6 Sekel,
fur 'Schm bet' el 7 Karfch, fur 'Anat bet' el 12 Karfch.". Es fcheint
fich fomit noch um andere Gottheiten zu handeln. Die .Schwierigkeit
dGrfte fich am beften dahin Idfen laffen, dag im w jiidifchen Heere", dejfen
Mitglieder bald als Juda'er, bald als Aramaer bezeichnet werden (ygl.
z. B. Smend, Th. Lz. 1912, 389 f. Anneler 44. 45. 55 u. a.), fich auch
Nichtjuden befanden und das Oberhaupt der Judenfchaft yon der per-
fifchen Regierung mit dem Einziehen der Abgaben fur Kultuszwecke
im judifchen Heere auch far die Gottheiten der nichtjudifchen Heeres-
Mitglieder betraut war. (So z. B. Anneler 83 ff,, die auch fQr andere
Schwierigkeiten zu vergleichen ift.) Andere anders.. Z B. Smend, Th.
Lz. 1912, 13, 389 vermutet, n dag die Judaer von Jeb zu einem Teil
wenigftens von den Koloniften abftammten, die yon Asarhaddon im
7. Jahrh. auf dem Boden des ehemaligen Nordreichs angefiedelt waren,
in Bethel ihren Mittelpunkt hatten und hier den Kultus ihrer heimat-
lichen GOtter mit dem Jahvekultus verbanden (2 Reg. 17, 24-34;
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. Jg
274 Erfter Abfchnitt. Die politifehe Gefdudite der Juden etc.
Im Jahre 411/10 ift dies Heiligtum in Elephantine auf Anftiften der
den Juden feindlidi gefinnten agyptifchen Priefter des Gottes Chnub
oder Chnubis, wie er bei den Griedien heigt, durdi einen perfifchen
Unterbeamten zerftdrt worden. Die Opferfdialen aus Gold und Silber und
andere Koftbarkeiten wurden geraubt. Nadi der Ruckkehr des zur Zeit
der Zerftorung beim GrogkOnige weilenden Statthalters Arfames wurden
zwar die Schuldigen geftraft? aber der Tempel nidit wieder erbaut. Bin
Gefuch der Juden von Jeb an den perfifdien Statthalter Bagohi von
Judaa und an den Hohenpriefter und die Vornehmen in Jerufalem blieb
ohne Antwort, 1 ) wohl weil die leljteren den Bau eines Tempels auger-
halb Jerufalems als ungefetjlich betrachteten. Drei Jahre fpater, 408/7,
wandten fie fich wieder an Bagohi und diesmal nidit nach Jerufalem,
fondern an die Sohne (Delaja und Sdielemja) des Statthalters Sana-
ballat von Samaria.*) Ihr Bote erhielt den mfindlichen Befcheid, man folle
bei Arfames vorftellig werden, um den Tempel wieder aufbauen und
dort Speifeopfer und Weihraudi opfern zu kOnnen. 3 ) Von Brandopfern,
wovon die Bittfteller in ihrem Schreiben ebenfalls gefprochen hatten, 4 ) ift
keine Rede, vermutlich infolge der Miggunft der Samariter/)
Ob der Tempel wieder erbaut wurde, wiffen wir nicht. Drei Jahre
fpater, 404 v, Chr., wurde die perfifdie Herrfdiaft .fiber Agypten befeitigt.
Der Von einem andern iiidifdien Tempel, der aber viel
Tempel zu jungeren Urfprungs i|t, wufete man ftets. Namlidbi im zweiten
Leontopoiis. jahrhimdert v. Chr. gejtattete Ptolemaus VI. Philometor dem
gleidinamigen Sohn des judifchen Hohenpriefters Onias und
f einen aus ' Jerufalem vertriebenen Anhangern zu Leonto-
poiis im Bezirk von Heliopolis fich einen Tempel nach Art
des falomonifchen zu bauen. Dort ift ein formlicher Tempel-
kultus eingerichtet gewefen, der fogar bis zum Jahre 73 n. Chr.
in welchem Jahre der Tempel durch die romifchen Prafekten
Ezra 4, 2)." Dag die Juden in ihrem Briefe an Bagohi (f. oben) und
in E 15 und 16 den in Elephantine von den Agyptern hochverehrten
Chnub als Gott bezeidmen, ift eine Anpaffung an den allgemeinen Spradi-
gebrauch. Vgl. Peters 23. Anneler 89.
a ) Papyrus 1, 18-19. 2, 16 f.
-) Pap. 1 und 2.
3 ) Pap. 3.
*) Pap. 1, 21. 25. 28. 2, 20. 24. 26.
") Vgl. Anneler S. 142 ff., die audi auf Grund von Pap. 5, 10. 11
ausfuhrt, dag die Juden von Elephantine keine Widder, wenigftens nidit
den Widder mit ausgebreiteten Hornern (der Gott Chnub oder Chnum
wurde als ein foldier dargeftellt, f. die Abbildung in Anneler S. 6)
opferten. Deshalb ift die Annahme vonTSmehd Th. Lz. 1907, 707, das
Brandopfer, zu welchem audi das Opfer von Widdern gehorte, fei als
eine Conceffion an die Agypter nicht erlaubt worden, unrichtig.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 275
gefchloflen wurde, gedauert hat. Die Schliejjung erfolgte auf
Befehl Vefpafians, damit fidti die emporungsfiiditigen ag v P~
tifchen Juden nicht wieder fo leidit zu grofceren Sdiaren
zufammentun kpnnten.')
Zu Alexandrien hatte Alexander d. G. den Juden das De Juden in
gleidie Burgerredit wie den Mazedoniern verliehen. 2 ) Unter Alexandrien
[einen Naehfolgern, von denen gleidi der erfte, Ptolemaus I.
Lagi Oder Soter, viele palaftinenfifche Juden nadi Agypten
zog, 3 J damit fie, wie Jofephus fagt, unvermifcht mit Fremden
die Reinheit ihrer Lebenswei|e beffer bewahren konnten, 4 )
wurde ihnen ,,am hafenlofen Meere in der Nahe des konig-
lidien Palaftes" 5 ) ein befonderes Stadtviertel angewiefen.
Dasfelbe lag im Nordoften der Stadt am Strande oftlidi von
') Vgl. befonders Ant. 12, 9, 7. 13, 3, 1-3. B. J. 7, 10, 2-4. Die
Oberrefte der Stadt und des Tempels finden fich bei dem heutigen Tell
el Jehudije (= Hflgel der Juden). Die Stadt war in ihrer augern An-
lage eine Nachahmung Jerujalems und der Tempel hatte die Proportionen
des falomonifchen, wie Petrie, Hyksos and Israelite cities, London 1906,
S. 1927 feftgeftellt hat. Obrigens durften nadi der Mifchna, Mena-
choth 13, 10, die Priefter des Oniastempels nicht im Tempel zu Jerufalem
dienen und wurden die dort dargebrachten Brandopfer nicht als wahre
Brandopfer angefehen.
) Jos. c. Ap. 2, 4. B. J. 2, 18, 7. Ant. 19, 5, 2.
3 ) Jof. Ant. 12, 1, 1. Hekataus bei Jos. c. Ap. 1, 22. Die unter
Ptolemaus (III. Euergetes von 247222) und feiner Gemahlin Berenice
zu Schedia (etwa 20 Kilometer von Alexandrien entfernt) gebaute Syna-
goge (uber die dort gefundene Infchrift vnkg pn<SiUo>c Jlroiitnuiov *ai
/9<Jt/t<icijj<,- Btqevixris ocd'eAgiif? xni yvvvtixos xt T(Sv fixvutv TIJV Tipotitvxijv oi
'luvdaiof, vgl. Reinach, Sur la date de la colonie. juive d'Alexandrie
[REJ] Tome XLV 1902, p. 161164) war Jicher nur eine Filiale der
grojgen Synagoge von Alexandrien. Audi in der nordweltlich von Ale-
xandrien gelegenen Stadt Xenephyris gab es nach einer aus der Re-
gierung des Ptolemaus VII. Physkon 143-116 v. Chr. (tammenden In-
fchrift eine jadifche Niederlaffung und Synagoge. S. PEFQS 1914, Jan.,
p. 45. Reinach, Les Juifs de Xenephyris in REJ 65, 1913 p. 135137.
Die bis 1909 bekannten Zeugniffe, befonders auch der Papyrus- und In-
fchriften-Funde, fiber die Verbreitung der Juden in Agypten find von
Schurer III 4 S. 4051 uberfichtlich zufammengeftellt und gewurdigt.
4 ) B. J. 2, 18, 7.
6 ) C. Apion. 2, 4. Der groge Hafen von Alexandrien (der heutige
Ofthafen, welcher damals den weftlich vom Heptoftadium gelegenen
Hafen von Eunoftus, den heutigen Haupthafen, an Bedeutung fiberragte)
lag einem grogen Teil von Alexandrien entlang zwifchen der Landfpi^e
18*
276 Erfter Abfdinitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
der Landfpitje Loehias. Denn auf diefer Landfpitje lag, wie
Strabo x ) fagt, der koniglidie Palaft. Zu Philos Zeiten hie&en
von den Stadtteilen Alexandriens zwei die judifchen, 2 ) ver-
mutlidi weil darin die Juden, obwohl fie fchon fiber die
ganze Stadt zerftreut waren, vorzfiglidi wohnten. Einen wie
grofcen Prozentfatj fie aber in der damals fiber 500000 Ein-
wohner zahlenden Stadt gebildet haben mfiffen, ergibt fitfi
aus die[er Angabe von felbft. 3 ) Zu ihrer Vermehrung in
Agypten und fpeziell in Alexandrien batten auger den Be-
gunftigungen der Ptolemaer auch die Zuzfige aus Palaftina
zur Zeit der Bedrudjungen unter Antiodius Epiphanes bei-
getragen.
Zur Zeit der Romerherrfchaft, welehe mit der Eroberung
Alexandriens nadi der Sdiladit von Actium beginnt, gab es
in Agypten eine Million Juden, 4 ) woven die meiften in Ale-
xandrien lebten. Hier befafjen fie viele Synagogen, 5 ) er-
langten grofce Reidittimer und manche von ihnen foldies
Anfehen, dajg fie in koniglidie Familien hineinheirateten. 6 )
Sie erfreuten fidi, abgefehen von der Kultusfreiheit, grofjer
Privilegien, 7 ) batten eigene Geriditsbarkeit 8 ) und ftanden
Loehias im Often und der durch ihren Leuchtturm beriihmten Oftfpitje
der ehemaligen I.nfel Pharos, welehe mit dem Feftlande durch einen
P.amm von 7 Stadien (= 1300 m) Lange, das Heptpftadium, verbunden war.
') Strabo 17, 1, 9. Vgl. das reiche Material u. a. in Friedlander
SG. 2 6 , S. 148 ff.; \. auch Badecker, Agypten 5 , L. 1902, S. 10 f. mit .zwei
Planen des alten Alexandria.
*) Philo in Place. 8. Gemag die[er Stelle wurden die funf Stadtteile
mit den fiinf erften Buchftaben des griediifchen Alphabets benannt. Nach
Jos. B. J. 2, 18, 8 hatten die Juden {pater nach der Verfolgung unter
Flakkus (f. u. S. 278 f.) im Bezirk Delta zufammengewohnt, der ver-
mutlich dem urfprtinglichen Wohnfi^ der Juden oftlich von der Land-
fpi^e Loehias entfpricht. Dafur fcheint auch Jos. c. Ap. 2, 4 zu fprechen.
a ) Nach Diodori Biblioth. histor. 17, 52 wohnten auger den aus dem
Binnenlande kommenden und fich in Alexandrien aufhaltenden Agyptern,
Fremden und Sklaven uber 300000 freie Burger in Alexandrien Wie
die Epist. Aristeae n. 37, vgl. nn. 19 und 12, (vgl. auch Jos. Ant. 12, 2,
1. 3) fagt, hatte Ptolemaus II. Philadelphus (285-247) 100000 judifche
Gefangene ireigegeben.
*) Philo in Place, n. 6. .
5 ) Leg. ; ad Caj. n. 20.
6 ) S. o. S 205 f. und S. 214.
7 ) Ant. 14, 10, 1. B. J. 2, 18, 7.
8 ) Strabo bei Jos Ant. 14, 7, 2. Vgl. Ant. 19, 5, 2.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 277
unter einem eigenen Ethnardien, der ihre Handel fdiliditete,
ihre Vertrage beftatigte und fidi ihrer Angelegenheiten an-
nahm, als ob er ein felbftandiger Herrfdier gewefen wa"re. J )
Neben ihm ftand eine Geroufia, ein Rat. 2 ) Allem Anfcheine
nach find die vornehmen und reidtien alexandrinifdien Juden,
Alexander, der Bruder Philos, 3 ) und Demetrius, 4 ) denen der
Titel Alabarch gegeben wird, 5 ) aueh zugleidi Ethnardien
gewefen.
Die Verbindung mit Jerufalem hielten die agyptifchen
Juden aufredit 6 ) und zahlten auch die Tempelfteuer. 7 ) Sie
bedienten fidi aber, da fie griediifch fpradien, einer fchon
l ) Strabo bei Jos. Ant. 14, 7, 2. Vgl. Ant 19, 5, 2.
z ) Die peroufia ift erft von Auguftus nach dem Tode des damaligen
Ethnardien eingefetjt worden (Philo in Place. 10), und zwar nidit an
deffen Stelle, fondern zur Unterftfitjung des Ethnardien in der Sorge fur
die judifdien Angelegenheiten. Denn Kaifer Claudius fagt ausdrucklich
(bei Jos. Ant. 19, 5, 2), dag Auguftus' die Wahl eines neuen Ethnardien
nidit gehindert und diefer letjtere dem Auguftus gehuldigt habe. An
der Spitje der Qeroufia ftanden Archonten. Vgl. Philo 1. c. n. 10 und 14.
:i ) Ant. 18, 6, 3. 8, 1. 19, 5, 1. 20, 5, 2.
4 ) Jos. Ant. 20, 7, 3.
6 ) Es liegt nahe, den Ausdruck Alabardies als gleidibedeutend rhit
Ethnardi der Juden zu nehmen, da wenigftens allem Anfdieine nadi, die
Alabardien in Alexandrien audi Ethnardien gewefen find. Allein es
kommen audi fonft Ethnardien in Agypten vor (Strabo 17,' 1, 13 p. 798,
vgl. Marquardt RStV I 2 , p. 455, 4), und es gibt audi anderswo Ala-
bardien, fo zu Xanthos in Syrien (C. J. Or 4267, audi in Dittenberger,
Orient, graeci Inscript. 2 n. 570, vgl. Marquardt 1. c. 446, 8). Der ale-
xandrinifche Alabarch fdieint nadi dem Cod. Juft. 4, 61, 9 befonders den
Zoll fur Viehtransporte verwaltet zu haben- und war fomit ein vornehmer
Steuerbeamter. Sdiurer III, 132 und 132, 42 (der.im; God. Juft. 4, 61, 9
Arabardiiae ftatt Alabardiiae, wie der Codex Cafinas und Kriiger haben,
f. Marquardt 447, 1, Heft) halt ihn fur den. Qber-Zollpaditer auf der
arabifdien Seite des Nils, indem er A/9^? . mit ^mySp/j;? identifi-
ziert. Audi Dittenberger 1. c. 2 zu n. 570, p. 25fr sq. und zu n. 674,
p. 414 ift derfelben Anficht. Vgl. aber u. a. Marquardt, S. 445 ff., der
446, 4 darauf hinweift, dag fdion Cicero ad Atf. 2, 17, 3 fdierzhaft den
Pompejus als einen Alabardien, d. h. als einen Zdllner bezeidinet und
meint, dag der Name in der Kaiferzeit einen kaiferlicherc Prokurator
bezeidme.
6 ) Philo, De monardiia 2, 1. Vgl. Apg. 6, 9. ,
7 ) Philo, De monardiia 2, 3. Audi liegen die agyptifchen Priefter,
weldie heiraten wollten, den Stammbaum ihrer Frau' in Jerufalem prufen.
Jos. c. Ap. 1, 7.
278 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefchichte der Juden etc.
zur Zeit der Ptolemaer hergeftellten griechifchen Bibeluber-
fetjung, der Septuaginta, die fowohl zur Bewahrung der
helleniftifdien Juden im Glauben<wie zur Verbreitung der
judifchen Religion viel beigetragen hat.
Verfoigung Das Verhaltnis der fich auch unter den Romern mancher
der Juden m p r ivilegien erfreuenden Juden zu der ubrigen Bevolkerung
Aiexandrien Alexandr i ens war keineswegs immer das befte. 1 )
zur Zeit des
Caligula. Mit elementarer Gewalt bradi aber der Hafc der Griedien
gegen die Juden unter Caligula aus.
Die Veranlaffung dazu hatte, naturlidi fehr gegen feinen
Willen, Agrippa durdi fein Auftreten in Aiexandrien im Jahre
38 n. Chr. gegeben. 2 ) Naeh feiner Abreife trug man einen
in der ganzen Stadt bekannten Narren Carrabas, dem man
einen Binfenmantel umgelegt und ftatt einer Krone ein Pa-
pyrusblatt aufs Haupt gelegt hatte, durdi die zwei Juden-
viertel, wahrend die Menge, wie frfiher die Juden dem
Agrippa, ihm ihr Marin! Marin! (d. h, unfer Herr) zubrullte.
Es kam auch zu allerhand Tatlichkeiten zwifchen den Juden
und ihren Gegnern. Viel fdilimmer und gefahrlicher war
aber das Verlangen der Judenfeinde, es jolle in den ju-
difchen Synagogeri das Bild des Kaifers Caligula, der durdiaus
feine Gottlichkeit anerkannt wiffen wollte, aufgeftellt werden.
Solange Tiberius regierte, hatte der Statthalter Agyptens,
Flakkus, fein Amt zur Zufriedenheit der Juden verwaltet. 3 )
Seitdem aber Caligula zur Regierung gekommen war, be-
J ) Auger politifdien, fozialen und religiOfen Grflnden - die Juden
galten als avuomt, unheilige, gottlofe Menfdien gab es auch wirtfchaft-
lidie Grande des alexandrinifdien Antifemitismus, die durdi ihre nicfat
immer einwandfreie Betatigung im Handel und Gewerbe geftfl^t wurden
(f. Ulrich Wilcken, Zum alexandrin. Antifemitismus in Bd. XXVII der
Abhdlgn. d. phil. hift. Kl. der k. fachf. Gef. d. Wiffenfchaften N. 23. L. 1909).
Sie fanden ihren Ausdruck in der typifchen Warnung: &Une onvrov dno
rwv 'lovdaiiov, hflte dich vor den Juden (vgl. 1. c. Nr. 23 S. 790.).
2 ) S. o. S. 199. Vgl. zu folgendem u. a. Bludau, Juden und Juden-
verfolgungen im alien Alexandria, Mfinfter 1906, S. 66 ff. - Dort wird
auch fchon auf die in neuerer Zeit bekannt gewordenen Papyrus-Frag-
mente fiber Verhandlungen vor Kaifer Claudius und anderen Kaifern
Bezug genommen, wovon die Verhandlungen vor Kaifer Claudius wirklich
geffihrt fein mOgen. Vgl. die Stucke bei Reinach REJ t. XXXV11, 1898,
p. 218-22^. Vgl. auch Schurer, I, 65-70 und Bludau, S. 94128.
3 ) Philo in Place, n. 3.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 279
gunftigte er die alexandrinifchen Griedien, um durch fie die
Gunjt des Kaifers zu erlangen. 1 ) Jetjt liefr er nidit nur zu,
dag man mit Gewalt die Kaiferbilder in den Synagogen
Alexandriens aufftellte, fondern erklarte audi in einem Edikt
die Juden als Fremde, wodurdi fie ihrer Privilegien beraubt
wurden, 2 ) und erlaubte, dajj man die Juden aus der ganzen
Stadt in eine Ecke des funften Stadtteils zufammentrieb, wo
fie am Strande lagerten und fich teilweife in den Grabmalern
und Kloaken aufhalten mu&ten. Vierhundert 3 ) verlaffene
Haufer der Juden und ihre Kaufladen 4 ) und felbft die an-
kommenden jiidifchen Sdiiffe wurden gepliindert und manche
Juden mi&handelt und getotet. 5 ) Ja Flakkus liefe fogar
38 Mitglieder der Geroufia der Juden im Theater vor ihren
Feinden offentlidi geifceln. 6 ) Selbft judifche Frauen wurden
im Theater gezwungen, Sdiweinefleifch zu effen, 7 ) fo dajj es
alfo zu einer formlidien Judenhetje gekommen war.
Dem Flakkus felbft nufjte all diefes nichts, denn er wurde
nodi im Herbfte des Jahres 38, in welchem fidi all diefes
zugetragen hatte, um die Zeit des Laubhuttenfeftes 8 ) auf
*) Philo in Place, 3-4. Flakkus war von vornherein als Freund
des Tiberius bei Caligula nicht gut angefchrieben. Seine Lage ver-
fdilediterte jich-nodi 1 mehr; nadidem der junge Tiberius Gemellus, Sohn
des Drufus, dem Tiberius in feinem Teftamente die gleidien AnfprQche
auf die Nachfolge wie dem Caligula zugefprochen und den Caligula
bei f einer Thronbefteigung adoptiert hatte, fchon Ende 37 zum Selbft-
morde gezwungen worden war (Philo, Leg. ad Caj. 45. Sueton. Calig.
15 und 23. Dio Cass. 59, 1. 3. 8). Audi ein Freund des Flakkus, Makro,
weldier feit dem Sturze des Sejanus Prafekt der Pratorianer war, wurde
von Caligula zum Selbftmord getrieben. Philo in Flacc. 3, Leg. ad Caj.
68. Suet. Calig. 12 und 26. Dio Cass. 59, 10.
') Philo in Flacc. 68.
3 ) Philo in Flacc. 11.
*) Die Kaufladen wurden erbrochen, als fie gerade wegen der Trauer
um Drufilla, der Schwefter des Caligula, gefchloffen waren (in Flacc. 8).
DSefelbe ftarb aber im zweiten Jahre des Claudius, alfo im Jahre 38
(Dio Cass. 59, 10-11).
5 ) Philo in Flacc. 9. Leg. ad Caj. 19.
6 ) Philo in Flacc. 10 (weil fie dem Kaifer die von ihm verlangte
Verehrung verweigerten). Dies gefdiah (1. c.), als man in Alexandrien
den Geburtstag des Kaifers feierte ,(31.' Augufl. Vgl. Suet. Calig^ 8).
7 ) Philo in Flacc. 11.
*) Philo in Flacc. 14.
2$0 Erfter Abjchnitt. Die politifche Gefdiidit der Juden etc.
Befehl des Kaifers, fei es nun,, daft er fidi art ihm als dem
Gegner feiner . Anfpruehe auf den Thron rachen wollte, fei
es, dafc er von Agrippa zum Einfchreiten gegen ihn be-
wogen war, gefangen nadi Rom gebraeht und zuerft naeh
der Infel Andros im Agaifchen Meere verb'annt und .bald
darauf getotei 1 )
Gefandtfch aft Es ging mm noch im Herbfte des Jahres 38 eine jiidifche
der aiexan- Qefandtfchaft von ffinf Alteften aus Alexandria, an deren
Spi ^ e der S elehrte Phil foph Philo ftand, zum Kaifer. Allein
audi die Judenfeinde fchickten eine Deputation an den Kaifer,
an deren Spitje ein alexandrinifcher Gelehrter, Sdiriftfteller
und Wander-Redner Apion, deffen Sdimahfehrift gegen die
Juden f pater von Jofephus bekampft worden i[t, ftand. In
Rom gelang es den Juden nur, durch einen Beamten dem
Kaifer eine Befchwerdefchrift, ahnlieh der wie fie ,,vor Kurzem"
Agrippa in ihrem Namen gefchickt hatte, 2 ) einzuhandigen,
dann folgten fie dem Kaifer naeh Puteoli, ohne aber eine
Audienz zu erhalten, Ihre Befflrditungen wurden inzwifdien
noch durdi die Nadiricht, -d'af Caligula befohlen habe, feine
Bildfaule im Tempel zu Jerufalem aufzuftellen, vermehrt. 3 )
Endlidi, vermutlidi im Herbfte des Jahres 40j 4 ) erhielten fie
!) Philo in Place. 12-21.
*) Philo in Place. 12 und Leg. ad Caj. 28.-
3 ) S. o. S. 178 ff.
*j Sie machten die Reife wahrend des Winters (Leg. ad Caj. 29). Dag
dies der Winter 38/39 war, mug deshalb angenommen werden, weil die
Juden {ich doch nicht er[t bis Ende 39 befinnen konnten, zumal der Fall
des Flakkus im Herbfte 38 {ie ermuntern mugte. Caligula fah die Ge-
fandten zuerft auf dem Marsfelde zu Rom (L c. 28) und verfprach, fie
zu gelegener Zeit zu hOren. Dann folgten fie dem Kaifer nadi Puteoli
(1. c. 29). Caligula war nun von Herbft 39 bis zum 31. Auguft 40 auf dem
gallifdien Feldzug abwefend. Im Herbfte des Jahres 40 hOrten die Ge-
fandten zu Puteoli, wo fich der Kaifer wieder befand (Plin. NH. 82, 1, 4
bemerkt von Caligula nicht lange'vor feinem Tode, dag er ,,von Aftura
naeh Antium" zuruckgekehrt fei,\ von dem Befehl des Kaifers wegen der
Aufftellung feiner Bildfaule im Tempel zu Jerufalem (Leg. ad. Caj. 29)
Endlidi erhalten fie die Audienz in Rom und berufen fidi dabei darauf,
dag die Juden Opfer fGr die glflckliche Heimkehr des Kaifers aus Ger-
manien dargebracht hatten. Vgl. Lewin, Fasti sacri n. 1539 1540. Andere
fetjen die : Abreife der Gefandten von Alexandrien in den Winter 39/40
und den Empfang zu Ende 40 (fo z. B. Tillemont, Hist, des empereurs
Brux. 1732, I, 191 und Note X und Schurer I, 501, 174). Man verfteht
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 281
zu Rom in Gegenwart ihrer alexandrinifchen Gegner unter
den demutigendften Umftanden die lange gewunfchte Audienz.
Sie land ftatt, wahrend der Kaifer mit der Infpektion einer
Villa befdhaftigt war und von einem Raum zum andern lief
und den unter den bofen Wi^en Apions und f einer Freunde
hinter ihm herlaufenden Juden bald zurief, ihre einem andern
Gott dargebrachten Opfer fur das kaiferlidie Wohl nii^ten
{einer Gottheit nidits, bald fie fragte, ohne auf eine Antwort
zu warten, weshalb ihnen verboten fei, Sdiweinefleifcn zu
effen. Sie mufeten froh fein, dafe der Kaifer, deffen Zorn
fidi dodi gemildert hatte, fie mit den Worten entlieg: Diefe
Sciiwadikopfe find mehr zu beklagen als zu tadeln, dag fie
nidit an meine Gottheit glauben wollen. 1 )
So blieb die alexandrinifche Frage einftweilen unent- Wiederher-
fchieden. Erft Kaifer Claudius ftellte den Frieden wieder her, fteiiung des
indem er, ,,auf Bitte der Konige Agrippa und Herodes" 2 ) Friedens zu
A I^vjinfit"i55
den Juden von Alexandrien alle friiheren Redite nebft der
unter
Freiheit, nach ihren eigenen Gewohnheiten zu leben, be- Claudius.
ftatigte. In dem Dekret wird freimutig von dem Wahnfinn
des Caligula geredet, der das judifche Volk bedrudct habe,
weil es ihn nicht als Gott anerkennen wollte. 3 )
Schon unter Nero kam es aber wieder bei einer Gelegen- streitig-
heit im Amphitheater zwifen den Griechen und Juden zu keiten der
einem gewaltigen Streit und Kampf, fo dag der Stadtkomman- G r ri ^ chen u " d
& & r v Juden nach
' der Zeit des
dann aber nicht, weshalb die Juden erft fo, fpat von. Alexandrien ab- Claudius
gereift fein follen. Bludau, S. 81 f. verfetjt die Abreife der alexandrin.
Gefandtfchaft in den Winter 3839 und meint, S. 82: ,,Die Audienzen
hab'en al[o wohl vor dem germanifchen Feldziig, d. h. vor Herbft 39,
ftattgefunden."
J ) Philo, Leg. ad Caj. 44-46.
") Des Herodes von Chalcis (f. o. S. 205 L).
3 ) Jos. Ant. 19, 5, 2. Zwei der Hauptgegner der Juden, , Isidorus
und Lampon (Philo, in Place. 4 und 15-17), find nach Papyrusfrag-
menten (deren eins in Berlin, das andere in Gizeh iff, vgl. Th. Reinach,
L'empereur Claude et les antisemites Alexandrins d'apres un nouveau
papyrus RE J t. XXXI, 1895, p. 161 178) von Claudius zur Verant-
wortung gezogen und zum Tode verurteilt worden. (Dag fie wirklich
auch getOtet wurden, wird in einem aus der Zeit der Antonine ftammen-
den Fragmente, welches in The Oxyrhynchus Papyri P. I,, ed. by B. P.
Qrenfell and A. S. Hunt, London 1898, n. XXXIII veroffentlicht ift, gefagt.
Vgl. Th. Reinach. RE J t. XXXVII, 1898, p. 221 - 224.)
282 Erfter Abfdmitt. Die politifdie Gefdiidite der Juden etc.
dant Tiberius Alexander das romifche Militar gegen die auf-
ruhrerifdien Juden fchidcte und den Soldaten geftattete, die
Juden umzubringen und ihre Haufer zu plundern. Nadi dem
Berieht des Jofephus follen damals 50000 Leidien in Haufen
umhergelegen haben. 1 ) Audi nach dem judifdi-romifdien
Krieg kam es unter den alexandrinifchen Juden zu Unruhen,
indem dorthin geflohene Sikarier vornehme Juden, weldie
nidit mit ihnen gemeinfame Sadie gegen die Romer madien
wollten, angriffen und mordeten, aber nun felbft ergriffen
und umgebradit wurden. Als Vejpafian hiervon horte, liefe
er, um weitere Anfammlungen der Juden zu verhindern, den
Tempel zu Leontopolis fdiliefcen. 2 )
Die Juden in ,,Bis an die Grenzen Athiopiens bin" 3 ) gab es damals
Gyrene. Juden in Agypten. Aber audi im Weften Agyptens, befonders
in Oberlibyen Oder, wie man damals fagte, Cyrenaica waren
die Juden verbreitet. Denn wie in der Hauptftadt des Landes
Gyrene, fo hatte audi in andern Stadten Libyens fdion
Ptolemaus I. Lagi Judeiti angefiedelt, 4 ) fo daft wir, als Libyen
im erften Jahrhundert v. Chr. romifdie Provinz war, audi
Juden unter den Einwohnern Gyrenes finden. 5 ) Die Konige
von Agypten, denen feit der Zeit des Ptolemaus I. audi
Libyen untertan war, batten den Juden dafelbft vollige Gleidi-
bereditigung mit den.ubrigen Bflrgern verliehen. 6 ) Immerhin
mufete fdion ' Aiiguftus befehlen, dafe die Juden von Gyrene
an der altherkommlidien Abfendung der Tempelgelder nadi
Jerufalem nidit gehindert werden follten. 7 ) In Jerufalem
batten die Juden aus Gyrene mit andern zufammen eine
Synagoge. 8 ) Von Gyrene ftammen nidit wenige aus der
Heiligen Sdirift bekannte Perfonlidikeiten. 9 ) Nadi dem jfidi-
] ) Jos. B. J. 2, 18, 7f.
") Jos. B. J. 7, 10, 1-2. 4.
3 ) Philo, in Place. 6.
*) Jos. c. Ap. 2, 4 Vgl. 1 Mace. 15, 23.
6 ) Strabo bei Jof. Ant. 14, 7, 2.
6 ) Jos. Ant. 16, 6, 1. Nadi einer judifdien Infdirift aus dem 1. Jhdt.
v. Chr. (C. J. Or. 5361 vgl. Sdiurer III, 4, 79 f.) bildeten die Juden in der
Stadt Berenike in Cyrenaica ein befonderes noUrevnn unter 9 Archonten.
7 ) Ant. 16, 6, 5.
8 ) Apg. 6, 9.
9 ) Manner von Cypern und Gyrene predigten zuerft den Heiden in
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 283
fdien Kriege veranlajjte der Sikarier Jonathan aus Palaftina
Unruhen in Cyrene. Diefelben wurden aber von den Romern
rafch und gewaltfam unterdruckt. 1 ) Um fo furditbarer war die
Emporung der Juden von Cyrene unter Trajan. 2 )
4. Die Juden in Europa, bejonders in Mazedonien,
Griechenland und Italian, namentlich in Rom.
Als der heilige Paulus in Mazedonien und Griechenland Juden in
predigte, traf er wie in Philippi, Theffalonidi und Beroa, fo Mazedonien,
audi in Athen und Korinth Profeudien und Synagogen der Gne * enland
den
T i v . * . , ~ , , T - , ,
Juden an. 3 ) Audi in den Synagogen auf der Infel Cypern hat
er gepredigt. 4 ) Audi auf Euboa und Kreta 5 ) und den kleinern i n f e in.
Infeln Delos, Cos, Melos, Paros gab es nadiweislich damals
Juden, welche fidi alle freier Religionsubung zu erfreuen
hatten. 6 )
In Rom find fchon geraume Zeit v. Chr. Juden anfaffig Verbreitung
gewefen. 7 ) Allerdings hielten fidi im zweiten Jahrhundert der Juden in
v. Chr. die Gefandten der Makkabaer, weldie .iinteir dem om '
Furften Sinjoii im Jahre 139 einen Senatsbefchlufc . erlangten,
wodurdi die Selbftandigkeit des judifdien Staates anerkannt
und dem Hohenpriefter die Jurisdiktion fiber alle Juden,
audi die aufcerhalb Palaftinas Lebenden, ubertragen wurde,
nur vorfibergehend dort auf. 9 ) Aber fchon zu Anfang des
Antiochien. Apg. 11, 20. Auf dem Pfingftfeft waren audi die von
Cyrene vertreten. Apg. 2, 10. Ober Jafon von Cyrene vgl. 2 Mace. 2, 24;
fiber Simon von Cyrene Matth. 27, 32 (Marc. 15, 21, Luc. 23, 26); fiber
Lucius von Cyrene in Antiochien Apg. 13, 1.
) Jos. B. J. 7, 11, 1-4. Vita 76.
a ) S. u. VIII. Kap.
3 ) Apg. 16, 1-3. 17, 1, 10. 17; 18, 4 ff . Vgl. auch Leg. ad Caj. 36.
S. oben S. 262.
*) Apg. 4, 36. 11, 20. 13, 4 ff. Vgl. audi fiber die Juden Cyperns
Jos. Ant. 13, 10, 4. Philo, Leg. ad Caj. 36.
b ) Philo, Leg. ad Caj. 1. c. Ober Kreta f. auch Ant. 17, 12, 1.
B. J. 2, 7, 1. Vita 76.
6 ) Ant. 14, 7, 2 und 14, 10, 15 (Cos); 14, 10, 8. 14 (Delos, Paros);
Ant. 17, 12, 1. B. J. 2, 7, 1 (Melos). Ffir die frfihere Zeit vgl. 1 Mace. 15,
23, wofelbft u. a. auch von Juden in Sparta, Samos u. Rhodus die Rede ift.
7 ) Vgl. u. a. Schfirer III*, 57-66. Bludau, Die. Juden Roms im
erften chriftl. Jahrhundert. Der Katholik, 1903, I, 113134. 193229.
8 ) 1 Mace. 8, 1732. 12, 1-4. 16. 14, 24. 15, 1524 Jos. Ant. 13,
284 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchidite der Juden etc.
erften Jahrhunderts v. Chr. fcheinen Juden in Rom gelebt
zu habenj da fdion vor dem Jahre 62 v. Chr. alljahrlich
Tempelgelder ,,aus Italien" wie aus den ubrigen Provinzen
nadi Jerufalem gefandt warden. 1 ) Jedenfalls find aber von
Pompejus, welcher im Jahre 63 v. Chr. Jerufalem erobert
hatte, viele Juden als Kriegsgefangene nadi Rom gebradit
und als Sklaven verkauft worden. 2 ) Allein da fie durdiaus
an den heimifdien Sitten, der Sabbatruhe, dem Genufc reiner
Speifen u. dergl. fefthielten, 3 ) wurden fie von ihren Herren
freigelaffen, vermutlidi meift um geringes Entgelt. Diefe Freige-
laffenen oder libertini bildeten nun den Kern der judifchen
Einwohnerfchaft Roms. 4 ) Sie erhielten als libertini das
ihre Wohn- romifche Burgerrecht und wohnten nicht etwa in dem im
fifje in Rom. Jahre 1887 niedergelegten Ghetto, welches den Juden viel-
mehr erft durch Papft Paul IV. im Jahre 1556 als Wohnfi^
angewiefen war, fondern in Traftevere, d. h. auf dem rechten
Tiberufer. 5 ) Erft Auguftus hat die Regio Transtiberina als
XIV. der Stadt Rom einverleibt. Das Judenquartier lag dort
am Abhange des Vatikans am Hafen von Rom, in einef
Gegend, in welcher auch die Lohgerbereien, die Salb- und
Darmfaitenfabriken, uberhaupt die fchmutjigen Gewerbe be-
trieben wurden und wofelbft die niedrigfte Klaffe der Be-
volkerung verkehrte und meift auch wohnte. 6 )
ihre Begun- Schon Cicero betont im Jahre 59 v. Chr. ihre Einigkeit
ftigung durch und ihre Gefchaftigkeit. 7 ) Als Cafar am 15. Marz 44 ermordet
Cafar und
Aug-uftus 5 8 - 14 ' 8 > 5 ~ ^ m ^ ahre 139 v. Chr. find fremde Juden in Rom, die
vielleidit zum Qefolge Simons gehorten, durdi den Fremdenprator His-
palus zur Riickkehr in die Heimat gezwungen worden, Valer. Max. I,
2, 3. Vgl. Bludau, S. 114-116.
J ) Cicero pro Flacco 28. Flakkus, von 6261 Statthalter in A[ien,
war angeklagt, fich felbft der in Afien gefammelten Gelder bemaditigt
zu haben. Von alien judifchen Niederlaffungen in Italien ift auger Rom
nur die von Dicaarchia-Puteoli bekannt. Dort waren Juden im Jahre 4
v. Chr. Vgl. Jof. Ant. 17, 12, 1. B. J. 2, 7, 1. Im Jahre 61 n. Chr.
fand Paulus dort eine Gemeinde von Chriften.
2 ) Philo, Leg. ad Caj. 23. Von Gefangenen des Pompejus fpricht
Jof. B. J. 1, 7, 6.
s ) Philo 1. C. orrfev Twv nctTQlotv 7ra.(jaxa()ciai fliati&evte?.
4 ) Apg. 6, 9. Vgl. Tac. ann. 2, 85.
b ) Philo, Leg. ad Caj. 23.
6 ) Vgl. Juven. 14, 202. Martial. 1, 108. 6, 93. Vgl. Bludau S. 119.
7 ) Cic. pro Flacco 28.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 285
war, haben viele Juden nachtelang an feinem Scheiterhaufen
geklagt. 1 ) Er hatte es um fie verdient. Denn wahrend er
fonft alle Vereine aufeer den althergebrachten verbot, hatte
er den Juden allein geftattet, fich nach ihren hergebrachten
Sitten und Gebrauchen in Rom zu verfammeln und Geld zu
gemeinfamen Mahlen und Opfern beizutragen. 2 ) Ganz im
Geifte Cafars zeigte fich auch Auguftus ihnen wohlwollend. 3 )
Zu feiner Zeit hatten fie fich bereits in Rom fo vermehrt,
daJ5 nach dem Tode des Herodes im Jahre 4 v. Chr. 8000
romifche Juden fich einer palaftinenfifchen Gefandtfchaft an
den Kaifer anfchloffen.* 1 )
Unter Tiberius wurden fie infolge eines von mehreren inreVer-
Juden an einer edlen Dame verubten Betrugs aus Rom treibun & von
vertrieben 5 ) und gezwungen, ihre gottesdienftlichen Gerat- R unter
fdiaften und Gewander zu verbrennen. 6 ) Da unter ihren
Privilegien die Befreiung vom Kriegsdienfte am anftofeigften
war, wurden 4000 waffenfahige Manner nach Sardinien de-
portiert, um dort gegen die Rauber zu kampfen. 7 ) Die meiften
liefcen fich aber lieber andere fchwere Strafen gefallen. 8 )
Nach dem Tode des Minifters Sejanus im Jahre 31, der ein
Hauptfeind der Juden war, 9 ) hat Tiberius den Juden die
ihnen von Cafar und Auguftus gewahrten Rechte wieder
beftatigt und damit auch die Ruckkehr der Juden nach Rom
wieder moglich gemacht. 10 )
J ) Sueton. Divus Julius 84.
2 ) Jos. Ant. 14, 10, 8. Vgl. Suet. D. Julius 42: cuncta collegia
praeter antiquitus constituta distraxit.
3 ) Ant. 16, 6, 2. Auch von Auguftus wiffen wir: Collegia praeter
antiqua et legitima dissolvit (Suet. Aug. 32). Allein er hat z. B. den
Prokonfuln von Afien befohlen, die Juden an der Abhaltung von Syna-
gogenverfammlungen nicht zu hindern (Philo, Leg. ad Caj. 40).
*) Ant. 17, 11, 1.
) Ant. 18, 3, 5. Tac. ann. 2, 85. Sueton. Tiber. 36.
6 ) Suet. 1. c.
7 ) Wahrend Jofephus 1. c. und Sueton 1. c. von 4000 Juden reden,
ipricht Tacitus 1. c. von 4000 Agyptern und Juden.
8 ) Jos. 1. c.
) Philo Jagt in dem verlorenen zweiten Buche feiner Gefandtfchaft
<vgl. Eufeb. Chron. ed. Schone II, 150), die Vertreibung der Juden fei
auf das Betreiben des Sejanus erfolgt. S. o. S. 173, 1.
10 ) Philo, Leg, ad Caj. 24.
286 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Caligula, mit dem Konig Agrippa I. freundfchaftlich ver-
kehrte, hat niehts gegen die romifdien Juden unternommen,
ja fogar fie indirekt begfinftigt, infofern als er die Gefelje
gegen die gefchloffenen Gefellfdiaften (ineia,. sodalitia)
aufhob. 1 )
Vertreibung Sein Nadifolger Claudius, weldier dem Agrippa I. den
derjudenausThron verdankte und mit dem Alabarchen Alexander, dem
* rimeren Sadiwalter feiner Mutter, bef reundet war, 2 ) hat auf
Bitten der Konige Agrippa und Herodes den Juden die
ihnen von Auguftus gewahrten Privilegien fur das ganze
romifche Staatsgebiet erneuert. 3 ) Allein gegen Ende feiner
Regierung, wahrfcheinlidi, wie Orofius fagt, 4 ) im neunten Jahre
des Claudius, d. h. im Jahre 49/50, befahl er alien Juden,
fidi aus Rom zu entfernen. 5 ) Veranlaffung zu diefer Aus-
weifung batten die fteten Unruhen unter den Juden felbft
gegeben, weldie Unruhen allem Anfcheine nadi eine Folge
de^ Predigten fiber die Meffiaswurde Jefu waren. 6 ) Da fidi
aber jdie allgemeine Vertreibung der Juden wegen ihrer
grojsen Zahl hidit ohne grofeen Tumult durdiffihren liefj, gab
fidi Claudius fdiliepdi mit dem Verbote der Zufammenkfinfte
zufrieden, wekhes, da es audi das Verbot der Zufammen-
kfinfte am Sabbate in den Synagogen in fidi fdilofc, ein Ver-
bot der Ausfibung des Gottesdienftes war und fomit gewifc
viele bewog, die Stadt zu verlaffen. 7 )
l > Dio Cass. 59, 6.
') Ant. 19, 5, 1.
3 ) Ant. 19, 5, 3. S. o. S. 200.
*) Orofius, Hiftor. 1, 7, 6, 15.
s ) Apg. 18, 2. Sueton. Claud. 25 fagt etwas ftarker: Judaeos im-
pulsore Chresto assidue tumultuantes Roma expulit.
6 ) Der Name Chriftus = der Gefalbte konnte von den Heiden mit
dem bekannten Namen Chreftus = gut, nutjlich leicht verwechfelt werden.
Tertull. Apol. c. 3 bemerkt, dag der Name Chriften oft unriditig Chreftiani,
als ob er von dem griediifdien Worte ^/?<jro? herkomme, ausgefprochen
werde. Vgl. Hug, Einl. in das N. T., 3. Aufl., Stuttg. u. Tub. 1826. II, 391.
7 ) So fcheint die Nachricht des Dio Cass. 60, 6 (roiJ? re 'lovdaiovs
TrAtovexflarre? av&ts, ojOrs -/nitnoli; civ uvtv za^a^ij? vnu ro\i o%iov <Jg>wvT//?
noisoa? fi^d-nvnt, ovx l^ijia^e ftev, TW df dj nar^iw /?t'w j^oWvovc e*e).ev6e
w 6v*a l ,uRegcu) aufzufaffen zu fein. So auch Sdiurer IIP 62. Wenn
Bludau S. 128 meint, CJaudius habe zunadift alle Verfammlungen der
Juden verboten und als trotjdem die Unruhen fortdauerten, die Juden
vertrieben, fo fpricht woM dageg-en das >'> J ijA*ffe" des Dio Cass.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 287
Unter dem Nachfolger des im Oktober 54 geftorbenen
Claudius, dem Kaifer Nero, treffen wir wieder viele Juden
in Rom, 1 ) fei es, dafc fie dorthin wieder eingewandert waren,
fei es, dag fie trot* des VerJ>otes, Zufammenkunfte zu halten,
fidi aus der Sia^t nidit entfernt batten. Von einer Bedrflckung
der Juden als Juden unter ihm oder den fpatern romifdien
Kaifern bis auf Hadrian horen wir nichts. Nur trieb Domitian
die zwei Dradimen, weldie feit Vefpafian ftatt an den Tempel
in Jerufalem an den Tempel des kapitolinifchen Jupiter zu
zahlen waren, mit befonderer Strenge ein. 2 )
In Rom erfreuten fidi die Juden, deren Religion im Jfidifche
romifchen Reidie ftaatsreditlidi anerkannt war, naturlidi wie
uberall anders, der ihnen gewahrten Privilegien, 3 ) al[o der
Freiheit des Kultus,*) der eigenen Vermogensverwaltung, 5 )
der eigenen Gerichtsbarkeit") und der Freiheit vom Militar-
dienfte. 7 ) Audi nach dem Untergang Jerufalems find ihnen
diefe Freiheiten geblie|)en. 8 ) Audi jetjt konnten fie fidi wie
andere retigiofe Genoffenfdiaften fur auswartige Kulte zu
freien Vereinigungen oder collegia zufammenfdiliefcen und
fidi felbftandig organifieren. 9 ) Selbftverftandlidi mugten foldie
') Vgl. Apg. 28, 17 ff.
2 ) Suet. Dom. 12. Vgl. Bludau, S. 129-134.
3 ) Vgl. Philo, Leg. ad Caj. 23 fiber das Verhalten des Auguftus zu
den rdmifchen Juden.
*) In Rom lagen die Heiligtumer der dort rezipierten fremden Gott-
heiten bis ins zweite chriftliche Jahrhundert augerhalb des Pomerium.
Vgl. Marquardt RStV 3*, 36.
B ) Vgl. Ant. 14, 10, 8; Philo, Leg. ad Caj. 23 und B J. 6, 6, 2
(fiber die Bewilligungen Cafars, des Augu[tus und der Romer fiberhaupt).
8 ) Dag die Juden fie tatfachlidi ausubten, fieht man aus Apg. 9, 2.
22, 19. 26, 11; 2. Cor. 11, 24. Vgl. Apg. 18, 12-16. Auguftus hatte den
Juden auch nodi das Privileg verliehen, dag fie am Sabbate nicht vor
Qeridit zu erfcheinen brauditen (Jos. Ant. 16, 6, 2 und 4). Fanden am
Sabbate offentliche Geld- oder Getreidefpenden ftatt, fo wurden die Juden
am folgenden Tage beruckfiditigt (Philo, Leg. ad Caj. 23).
7 ) Jos. Ant. 14, 10, 6. 11-12. 16. 18. 19. Es hing dies Privileg
damit zufammen, dag die Juden am Sabbate keine Waffen tragen und
nur einen Sabbatweg weit gehen durften.
8 ) Ant. 12, 3, 1 f.
s S. o. S. 285.
288 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
Gemeinden ihre Kultuskoften und fonftige Laften tragen,
waren aber in der Vermogensverwaltung ungehindert.
Wie lange die Juden auf die Wohnungen in Traftevere
befchrankt geblieben find, lagt fidi riidit feftftellen. Juvenal 1 )
entruftet fidi dariiber, dafe man fie auch an der Porta Capena
am Calius, durdi welches Tor die appifche Strafce nadi
Capua ging und in deffen Nahe der heilige Hain der Egeria
lag, traf:
,,Tempel und Hain mil der heiligen Quelle haben die Juden
Jetjo gepachtet, die Heu und Tragkorb fuhren im Hausrat."
Allein es handelt fidi nur um jiidifche Bettler, welche
gegen eine geringe Abgabe dort ihren Stehplatj nehmen
durften. Im Laufe der Zeit find verfchiedene alte judifche
Begrabnisftellen in Rom entdeckt worden, die der Haupt-
fadie nadi aus dem 2. bis 4. Jahrhundert n. Chr. ftammen. 2 )
J ) Sat. 3, 11 ff. Vgl. dazu Reinadi, Textes d'auieurs grecs et remains
relatifs au Judaisme reunis, trad, et annot. (= Fontes rerum Judai-
carum I.), Paris 1895, p. 290, 2. Vgl, auch Juven. Sat. 3, 296, wo ein Be-
trunkener einen Armen fur einen Bettler halt, wie man fie in der Nahe
von Betplatjen fand: ,,Ede, ubi consistas: in qua te quaero proseucha?"
Sag', wo du ftehft, an welchem Betplatj ich didi treffen kann.
2 ) Man kennt fiinf derfelben in Rom. Die altefte, vor der Porta
Portefe am Monteverde, war fchon 1602 von Ant. Bofio entdeckt worden
(Vgl. Bofio, Roma Sotteranea, 1. II. c. XXII, Romae 1632 p. 141 sqq.).
Sie wurde 1740 45 und von Neuem im Jahre 1904 entdeckt. Vgl. R6m.
Quartalfchr. 1905, 97 und 140-142. Nik. Miiller, Die jfid. Katakombe
am Monteverde zu Rom, der altefte bisher bekannt gewordene judifche
Friedhof des Abendlandes (= Schriften, herausgegeben V. d. Gef. zur
Forderung der Wiff. des Judentums) L. 1912; ders., Die Infchriften der
jiid. Katakombe am Monteverde zu Rom entdeckt und erklart. Nach
des Verf. Tode vervollftandigt und herausgegeben von Dr. Nikos A. Bees
< Schriften etc.) L. 1919. Die Infchriften ftammen der Hauptfache nach
aus dem 2. bis 4. Jahrhundert, nur ganz wenige find aus dem 1. bezw.
5. Jahrhundert (vgl Kaufmann i. d. Theol. Revue 1920, S. 280). - Zwei
andere Friedhdfe liegen an der Via Appia, einer in der Vigna Randanini,
der andere in der Vigna Cimarra. Hierzu kommt noch das Coemeterium
an der via Flaminia und die im Jahre 1885 entdeckte Katakombe an der
via Appia Pigriatelli. In Palaftina find gemeinfame Begrabnisftellen ver-
haltnismagig wenig in Gebrauch gewefen, da man dort feine Toten lieber
auf eigenem Grund und Boden begrub. In der Diafpdra war das anders,
obwohl auch dort die Juden nicht iiberall befondere FriedhOfe hatten.
Wo das nicht der Fall war, nahm man keinen Anftofj, Juden neben
' ' VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 289
Nicht viel anders liegt die Sache hin[khtlich der jiidifchen
Synagogen, von denen durch Infchriften nieht weniger als
zehn fur Rom nachgewiefen find. 1 ) Sie fiihren zuni teil
ihren Namen nach bekannten Perfoneh, 2 ) oder nach dem
Stadtteil, worin ihre Mitglieder wohnten 3 ) und beweifen, dafc
wenigftens in der fpateren Kaiferzeit mehrere* felbftandig
orgaiiifierte Gemeiiiden in Rom beftanden, jede mit eigener
Synagoge, eigener Geroufia und eigenen Gemeindebeamten. 4 )
In analoger Weife mug dies auch von der friiheren Kaifer-
zeit gelten.
Die romifchen Schriftfteller die[er Zeit, Cicero, Horaz, Die Verach-
Seneca, Juvenal, Martial, Perfius u. a. [ind voller Verachtung tun g" der r -
fiir die romifchen Juden, 5 ) deren Treiben und deren Gewohn- mirdienJuden
. . . . bei den zeit-
Heiden zu begraben. Vgl. iiber altere jiid. Friedhofe und die Leichen- jf , .J, ..
feierlichkeiten im nachbiblifchen Judentum z. B. Jufter, Les- Juifs etc. 1,
477485 mit reichen Literaturangaben.
] ) Infchriftlich bezeugt find 10 altjudifche Gemeinden oder Synagogen
in Rom, die der Auguftefier (Muller, Die jiid Katakomben, Anharig n. 2)
der Agrippesier (1. c. n. 3), der Bolumnesier (ebd. ri. 4), der Kalkaresier
(ebd. 5-7), der Hebraer wohl = der hebraifch Redenden (ebd. n. 8-9
und S. 109 ff.), der Bernaclesier (Bf$va(xtyeato>i' Vernaculorum = derer,
die fich mit der Sprache des Volkes, unter denen fie lebten, abfanden
(ebd. 1012 und S. Ill f.). .
Weiter find infchriftlich bezeugt die Synagoge der Campesier (s.
Anm. 3) und der Suburesier (s. Anm. 3), der Herodier und der von
Elaia ( J EAt'a?). Nach Kohl und Watjinger, Antike Synagogen in Ga- ,
lilaa, L. 1916 ift dies die Gemeinde, deren Mitglieder aus Elaia in der
Aeolisftammen; Schurer III 4 , 84erklart,,nach dem Sinnbild des Olbauines".
2 ) Zwei derfelben nennen fich nach Auguftus und Agrippa, fei es
nun, dag diefe Patroneder Synagogengeme^inden waren, fei es, dag. lelgtere
aus Freigelaffenen der beiden beftanden, fei es, dag maa durch den
Namen das Andenken diefer um die Juden verdienten Manner ehren
wollte. Vgl. Schurer 111 4 , 82. Unter Agrippa konnte : ubrigens auch
Agrippa I oder Agrippa II gemeint fein. S. Muller, S. 108.
3 ) Das gilt fur die Synagogengemeinden der Kapnijdtoi (nach dem
Campus Martius) und der ^iftov^dtm (nach der Subura, einer Strage
zwifchen dem Calius und dem Esquilin, dem belebteften Teile des alten
Rom, clamosa bei Mart. Ep. 12, 18). .';. '
*) Vgl. Schflrer, Gemeindeverfaffung der Juden in Ro^ in der Kaifer-
zeit nach den Infchriften dargeftellt, L. 1879 und Gefch. des jud: Volkes
III 4 , 81-91.
5 ) Eine Zufammenftellung f. in Hausrath III, 383-392; Bludati a. a. O.
198-202. '
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 1 9
290 Erfter Abfchnitt. Die politifche defchichte der Juden etc.
heiten ihnen als die Verkorperung der bettelhafteften Armut,
des fchwindelhafteften Sdiacherns und des fdimu^igften Aber-
glaubens erfchienen. Martial fpottet fiber den judifchen Hau-
fierer, ,,weldier gelblidie Schwefelfaden eintaufcht fur zer-
brodienes Glas". 1 ) Er wird durch Judenknaben, von denen
der eine, von der Mutter belehrt, Bettelkunft ausfibt, der an-
dere triefaugig Schwefel feilbietet, im Sdilafe geftort. 2 ) Die
judifchen Bettelweiber nahren fich wie die Zigeunerinnen vom
Wahrfagen.
. . . Ihr Heu und den Tragkorb verlaffend,
Bettelt die zitternde Judin verftohlen ins Ohr dir,
Die legt aus das Gefetj von Jerufalem, ift auch des Baumes
Grofce Prophetin und allzeit getreue Botin des Himmels.
Ihr auch ftillt fich die Hand, doch karglicher. Fur wenig Geld nur
Wird der Jude verkaufen, wie viel man der Traume begehret." 3 )
Allein es waren keineswegs alle Juden Roms arm oder
ungebildet. Jofephus wohnte als Gunftling der Flavier in
deren Palaft, 4 ) und Martial fpottet uber den Juden, der ihn
rezenfiert, aber feine Verfe pliindert, 5 ) und fiber die, welche
in den offentlidien Badern die beften Pla^e einnehmen, aber
ihre Abkunft zu verbergen fuchen. 6 ) Wir horen auch von
einem Juden, der als Schaufpieler den Hof entzfickte. 7 )
5. Die rechtliche Lage der Juden in der Diafpora.
A. Organifation der judifchen Getneinden in der Diafpora.
Bildung von Es ware fur die Juden im rOmifchen Reiche unmoglieh gewefen,
Oemeinden. ihre Religion und ihre Sitten zu bewahren, wenn fie fich nicht hatten zu
Genoffenfchaften oder Gemeinden zufammenfchlieften dQrfen. Das Recht,
fich zu verfammeln, war an fich fchon mit der Geftattung der freien Re-
ligionsubung gegeben, wurde aber auch noch ausdrucklich als befonderes
Privileg gewahrt, als Caefar und Auguftus das Verfammlungsrecht ge-
fet^lieh regelten. Als Julius Caefar im Jahre 46 v. Chr. alle w Verfamm-
lungen" (collegia) in der Stadt aus politifdien Griinden verbot 8 ), geftattete
Mart. I, 41, 3 f.
2 ) Mart. XII, 57, 13 f.
3 ) Juven. 6, 541 sqq.
*) Jos. Vita 76.
5 ) Mart. XI, 94.
6 ) Mart. VII, 82.
7 ) Jos. Vita 3.
8 ) S. oben S. 285.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 291
er den Juden, fich nadi ihren hergebrachten Sitten und Gebrauchen zu
verfammeln und ihre Geldfammlungen zu gemeinfamen Mahlen und
Opfern zu veranftalten. 1 ) Dies gait nicht etwa blog fur Rom, fondern
ffir das ganze Reich. 2 ) Als Auguftus ein ahnliches Verbot erlieg, 3 ) er-
laubte audi er ausdrficklich den Juden, fich zu verfammeln. Die Juden
feien bei ihrem eigenen Gefelj und ihren herkdmmlichen Einrichtungen
zu belaffen. 4 )
Wo die Zahl es den Juden ermOglichte, fich zu organifieren, haben
fie es getan. Viele Urkunden und alte Infchriften legen Zeugnis dafiir
ab. Die Gemeinden heifjen bisweilen nur ,,die Juden" oder ,,das Volk
der Juden , 6 ) bisweilen n die Burgerfchaft der Juden" 6 ) oder ahnlich. 7 )
Am bekannteften und fpater am gebrauchlichften ift die Bezeichnung der
Gemeinde als n Synagoge", ein Name, der auch z. B. im Neuen Teftament
nicht blog das Verfammlungslokal der Gemeinde, fondern auch die Ge-
meinde uberhaupt bezeichnet. 8 ) Es waren, fo verfchieden fie auch von
einander gewefen fein mogen, wirkliche Gemeinden mit den ftarken
national-jfidifchen EigentQmlichkeiten. Von den rOmifchen collegia (Vereine)
unterfcheiden fie fich jchon dadurch, dag man ein Mitglied der judifchen
Gemeinde durch die Geburt wurde und kein Nicht-Jude dazu gehOren
konnte. 9 ) Eine folche Gemeinde war eine juriftifche PerfSnlichkeit mit der
Befahigung, Vertrage fiber Kauf und Verkauf u. dgl. abzufchliegen.
Genauer find wir fiber die innere Organifation der jfidifchen Ge- Innere
meinde in Alexandrien und Rom unterrichtet. Von erfterer hOren wir in Organifation
einer aus dem Anfang des erften Jahrhunderts v. Chr. ftammenden Schrift
des Pfeudo-Arifteas, welche Jofephus in feinen Altertfimern paraphrafiert
hat. Es wird darin von der Oberfetjung des judifchen Gefetjes in's
Griechifche geredet und bemerkt, n die Priefter und die Alteften der Ober-
feljer und der Angehorigen der Gemeinde und die Oberften der Ge-
') Ant. 14, 10, 8.
*) Dag dies der Sinn ift, ergibt fich aus der Verffigung eines
rOmifchen Beamten an die Stadt Paros 1. c.
3 ) S. oben S. 285, 3.
*) Philo, Leg. 40. M. II, 592. Auch die Nachfolger des Auguftus
haben, wenn wir von der Verfolgung der Juden unter Tiberius abfehen,
fich hieran gehalten. S. oben S. 285 ff. Jufter 1, 410 ss.
5 ) Vgl. Schfirer III*, 71. 73 f. Jufter 1, 416 s.
6 ) TO noliTevpa, z. B. Jos. 12, 2, 12. Vgl. C JG nr. 5361, eine Infchrift
vermutlich aus dem J. 13 v. Chr., worin fich die Einwohner von Berenike
fonennen: e3oev rot? ctQ^ovOiv xal TW nokctevtiaTt T<a ev Bepevlxfl 'lovSctiotv.
Strabo gebraucht bei Jos. 14, 7, 2 den Ausdruck nohreict fur die Gemeinde.
7 ) ciToiia (Ant. 13, 3, 1 ; 14, 7, 2), d-ideos (Ant f 14, 10, 8), tfv'votfo?
(z. B. Ant. 14, 10, 17).
8 ) Apg. 9, 2. Vgl. z. B. die rom. Synagogenangaben oben S. 289,
9 ) Vgl. Jufter, 1, 418424 (gegen Mommfenu.a ); fiber die rfimifchen
collegia s. Marquardt RStV. Ill 2 , 137 ff.
19*
292 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gejchichte der Juden etc.
meinde" oder, wie Jofephus kurzer fagt, ,,die Priefter und die Alteften
der Oberfe^er und die Vorfteher der Gemeinde" hatten das ihnen vor-
gelefene Werk gebilligt. 1 )
An der Spi^e der in Alexandrien fehr zahlreichen und machtigen
Judenfchaft, die audi dort das voile Bfirgerrecht hatten, ftand, wie Strabo
berichtet,-) der Ethnarch, der das Volk regierte, richterliche Entfcheidungen
fallte und fiir die Innehaltung der aus dem Handel entfpringenden Ver-
pflichtungen und die Beobachtung der Verordnungen forgte , wie ein
Vorfteher einer felbftandigen Stadt. Als Kaifer Claudius den Juden von
Alexandrien ihre fruheren Rechte beftatigte, hob er befonders hervor, -)
dag nach dem Tode des jiidifchen Ethnarchen zur Zeit des Statthalters
Aquila (11 n. Chr.) Auguftus nicht gehindert habe, dag Ethnardien (auch
weiterhin) da waren. Er hat namlich durch einen Erlag an den Nach-
folger des Aquila eine Gerusia, alfo einen Rat fur die Angelegenheiten
der Juden eingefetjt. *) Ohne Zweifel follte diefe zur Unterfttitjung des
Ethnarchen dienen, da Claudius von einer Abfchaffung der Wiirde des
Ethnarchen nichts fagt. Wie viele Mitglieder diefe Gerusia zahlte, wiffen
wir nicht. Bekannt ift nur, dag der Statthalter Flakkus unter Caligula
38 Mitglieder der Gerusia offentlieh geigeln lieg. 6 ) Philo fpricht bald
von Archonten, bald von der Gerusia. 6 ) Wahrfcheinlich find die Archonten
nicht mit den von Jofephus erwahnten oberften Mitgliedern des Rates 7 )
identifch, 8 ) fondern fuhrte jedes Mitglied der Gerusia in Alexandrien
den Namen ,,Archon".
In Rom ftand in der romifchen Kaiferzeit an der Spilje jeder Gerusia
als ihr Haupt und Vorfitjender ein Gerusiarch. 9 ) Daneben kommt
fowohl in Rom als anderswo 10 ) oft der Titel ,,Archon" vor. Man hat
darunter ein Mitglied des gefchaftsfuhrenden Ausfchufjes der Gerusie
verftehen wollen, ") richtiger ift dabei wohl einfach an ein Mitglied der
Gerusie iiberhaupt zu denken. Denn fonft wurde ein folches fich auf den
>) Vgl. den Arifteasbrief (ed. Wendland) 310. Ant. 12, 2, 12.
) Bei Jos. Ant. 14, 1,2.
3 ) Ant. 19, 5, 2.
*) Philo, in Flaccum 10.
5 ) Philo, in Flaccum 10.
6 ) In Flacc. 10 ed. Marg. II. 528: rwv <xno Ttj? yfgovtiia? ryei? a
ebd.: rov? ^Vere^ov? ap/ovra?- ebd. 528 sq. roi7? a^ot-ra?, rtjv
7 ) B. J. 7, 10, 1: ot itQia-cevovcet; Ttjs yfQovtiia.q.
8 ) Dafiir Schiirer III 4 , 78 f.
'>) Vgl. N. Mailer, Die jiidifchen Katakomben, Anhang n. 2:
dvvayiaytjs Avyr>v6Tt}6i<uv S. 1 ! 2 und n. 3: yeg. 6vv. 'Ay^tTiTCi
10 ) Vgl. Schflrer 1. c. 85 f. Lietzmann S. 128. ZWTh. 1913 (Zur
altchriftl. Verfaffungsgefchichte [97-153]).
u ) So Schiirer S. 86, der weiter auf Grund einer falfchlich dem hi.
Chryfoftomus zugefchriebenen Homilie bemerkt, dag der Ausfchug all-
jahrlich zum judifehen Neujahr gewahlt wurde.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 293
romifchen Grabinfchriften gar nicht gekennzeichnet haben,.was doch nicht
anzunehmen ift. 1 ) Eher konnte ein Archon hoher Ordnung" (alti ordinis) 2 ).
zu'einem derartigen Ausfchug gehort haben. Nach den Infchriften gab
es Arehonten, die zweimal, 3 ) und folche, die lebenslanglich die WQrde
bekleidet batten. 4 ) .
Zu den jiidifchen Gemeindebeamten gehorte auch wenigftens in Rom
der Grammateus, der Sekretar der Synagoge oder Gerusie. 5 ) Es ift
bekannt, dag in den hellenifdien Stadten der ,,Schreiber" des Rates oder
der Vollverfammlung oder beider zugleich eine bedeutende Rolle fpielte,
fo z. B. in Ephefus, wo er bei dem durch den Silberfchmied Demetrius
gegen Paulus erhobenen Aufruhr die Volksmenge befchwichtigte. (Apg.
19, 35 ff.)
B. Politifche Rechte der Juden in der Diafpora.
Es gab, politifch gefprochen, 4 Klaffen von Juden im rOmifchen Reiche,
die peregrini, die Inhaber des lokalen Bfirgerrechtes einer Stadt, die
Inhaber des rOmifchen Biirgerreehtes und die Sklaven. 6 )
') Vgl. H. Lietzmann S. 128.
2 ) Der Stifter einer Infchrift L. Maecius L(ucii) filius nennt fich fo.
Vgl. Muller n. 1 und Stephan Brassloff, Zu den Katakonibeninfchriften
von Monteverde in den Mitteilungen d. k. deutfchen ardiaolog. Inftituts,
Rom. Abt., Bd 28, Rom 1913, S. 123 I. Die Infdirift gehort nach der
Meinung des Herausgebers dem 1. Jhdt. n. Chr. an.
3 ) Muller n. 6: xaAxa^rftW tTi? a^wv. Vgl. auch Schiirer III*, 86, 40.
4 ) Muller n. 10: Safhivos did plov BeQwiAqcluv. Andere Beifpiele
bei Schiirer III*, 86, 42.
8 ) Vgl. Muller 115 f. ebd. n. 7: ygatt,f*,aTei>c <1rvnyo>yq<; xa
ebd. n. 12: y^/w^tarei'? 6vvay<i)yfji<: Bepvaxlrigfov. Auch dieTitel
und idQ%<av kommen vor (vgl. Schiirer I.e. 44 u. Muller n. 9:
roTr e /9(?0)i'), ebenfo die Namen ayxuv VIJJH.Q? (unmtindiger Archon, vgl.
Schiirer 88, 44) und VQXOW fieUdezoiv (zukunftiger Archon, vgl. Schiirer I. c.
und Muller n. 4, wo. ein Kind von 2 Jahren namens Sabinus als
/ueAAa'p^ojv bezeichnet wird) Aus diefen Infchriften fcheint hervorzugehen,
dag wenigftens in Rom die Arehonten, fei es nun alle oder ein Teil der-
[elben, aus beftimmten Familien genommen wurden Vgl. Lietzmann
S 127 - Die Titel ,,Vater der Gemeinde", deffen Trager (z B.
in einer jfidifchen zu Caftel Porziano in Latium gefundenen, lateinifchen
Infdirift, vgl. diefelbe in Jewish Notes, By Jos. Offord PEFQS. 1914,
p. 46 47 und Jufter I, 429, 1.) vor dem Gerusiachen erwahnt wird,
fowie der Titel w Mutter der Gemeinde" (vgl. z. B 6 E. Diehl, Latein.
altchriftl. Infchriften, mit einem Anhang jGd. Infchriften 2 = Kleine Texte,
Bonn 1913 N. 26-28, Nr. 363 ,,mater synagogarum Campi et Bolumni")
find ficher Ehrentitel fur befondere Verdienfte um die Gemeinde. (Andere
Beifpiele bei Schiirer 88 f.) - Nach M filler S. 117 bezeichnet die infchrift-
liche Bezeugung von Perfonen als tsgev? bezw. einer weiblichen Perfon
als legits to. die Abftammung von Aaron, nicht etwa den Charakter eines
geiftlichen Amtes.
6 ) Vgl. Jufter 2, 1 ss. Schflrer III*, 97 ff.
294 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefdiichte der Juden etc.
I Viele Juden befagen nur das Bfirgerrecht ihrer palaftinenfifchen
Heimat. Das rOmifche Recht betrachtete fie als peregrini d. h n Fremd-
linge", welche einem mit dem rOmifchen Reiche in Vertrag ftehenden
Staate angehOrten l ) Die ROmer batten einen folchen Freundfchafts- und
Bfindnis-Vertrag mit Judas Makkabaus und dem jfldifchen Volke im
Jahre 160 v. Chr. gefchloffen. 2 )
II Juden, welche oft von Geburt her das lokale Bflrgerrecht einer
be[timmten Stadt befagen. Das war aber der Fall in Bezug auf Antio-
chien und alle von Seleucus I. Nicanor in Kleinafien und Syrien gegrun-
dete Stadte 3 ) und die jonifchen Stadte. 4 ) Audi beanfpruchten die Juden
ein folches Bflrgerrecht in Caefarea 5 ) Es gab eine groge Zahl von
Juden, welche fur fich perfOnlich ein Bflrgerrecht in einer Stadt erworben
hatten. Man darf deshalb nicht aus der Tatfache, dag ein einzelner, z. B
Paulus in Tarfus, das lokale Bflrgerrecht hatte, 8 ) fchliegen, dag alle Ein-
wohner es hatten. 7 )
Ein folches Bflrgerrecht fchlog auch Pflichten ein, namentlich die
Teilnahme an dem Kult der StadtgOtter.
Es gab nun griechifche Stadte, welche in Phylen (vvlai, tribus) ein-
geteilt waren, und folche, wo dies nicht der Fall war. In erfterem Falle
gehOrte auch der Jude einer folchen an; vielleicht durften die Juden
eine Phyle fur fich oder eine befondere Abteilung bilden Jedenfalls
mflffen fie, in Rflckficht auf die fhnen gewahrte Freiheit des Kultes, von
der Teilnahme an dem ftadtifchen Kult difpenfiert gewefen fein. Eine
folche Difpens fiel am wenigften in Orten auf, wo keine Einteilung in
Phylen beftand. 8 )
In Alexandrien haben die Juden von der Grflndung der Stadt an
diefelben Rechte wie die Mazedonier gehabt; 9 ) fie gehOrten hier der
Phyle an, welche M die Mazedonier" hieg. 10 ) In Gyrene waren die Juden
fpater als andere zur Bildung einer Phyle gelangt, nachdem eine Anzahl
jfldifcher Anfiedler von anderen Stadten Libyens aus dorthin gefandt
worden war (unter Ptolemaus Lagi). So erklart es fieh wohl, dag
Stiabo die 4 Phylen von Gyrene alfo aufzahlt: Bflrger, Ackerbauer
Beifaffen (Metoiken), Juden. 11 )
a ) S, Mommfen RStR III, 1, 598 f. - Fur griech. Stadte hiegen fie
evr>,. oder ndpotKot, je nachdem fie das Domizilrecht nicht hatten oder
es hatten.
2 ) 1 Mace. 8, 22 ff Vgl. auch 1 Mace. 12, 14; 14, 24; 15, 1524.
3 ) Jos. Ant. 12, 3, 1; c. Ap. 2, 4.
*) Ant. 12, 3, 2. 16, 2, 35.
5 ) B. J. 2, 13, 7; 2, 14, 4-5; 2, 18, 1; Ant. 20, 8, 7-9.
6 ) Apg. 21, 39.
7 ) Vgl. Jufter 2, 13.
8 ) Vgl Ramfay, The Jews in the Graeco-asiatic cities in Expositor
1902 t. 5 p. 22 ff. Schurer III 4 , 121. Jufter 2, 12 ss.
9 ) Philo in Place. 44 (M. II 598); Jos c. Ap. 2, 4. B. J. 2, 18, 7.
10 ) c. Ap. 2, 4.
1 ) Strabo bei Jos. Ant 14, 7, 2
VI I. Kap. Die 'Juden in der Diafpora. 295
Es liegt kein Grund zu der Annahme vor, dag die Juden wegen
ihrer Nichtteilnahme an dem Kult der Stadt-Gotter weniger politifche
Redite als die Heiden gehabt batten. Aber gerade diefe Gleidiheit der
Redite in den ubrigen Angelegenheiten der Stadt machte die Ungleich-
heit der Pfliditen in religiSfen Dingen um fo deutlidier und fuhrte oft
genug zu erbitterten Kampfen, fo z B., wie bereits ausgeftihrt wurde, 1 )
in Alexandrien.
III. Die Juden als rSmifche Burger. Im Jahre 63 v. Chr. hatte
Pompejus viele Juden als Kriegsgefangene nach Rom gebradit und dort
als Sklaven verkaufen laffen. Diefe wurden durch ihre befonderen Sitten
ihren rOmifehen Herren unbequem und freigelaffen. Damit erhielten fie
das rOmifche Burgerrecht, 2 ) welches fie auf ihre Nachkommen vererbten. 3 )
Unter Tiberius wurden 4000 rdmifche freigelaffene Juden als Soldaten
nadi Sardinien gefchickt. 4 ) Audi unter den AngehOrigen der Synagoge
der Libertiner zur Zeit des Paulus find vermutlich manche aus Rom
gewefen. 5 )
Audi in den Provinzen gab es viele Juden mit rQmifchem Burger-
redit. Es konnte in mannigfacher Weife erworben werden, fei es, dag
es einzelnen Stadten und damit auch ihren jiidifdien Einwohnern, foweit
fie lokales Burgerrecht hatten, fei es, dag es einzelnen Perfonen wegen
ihrer Verdienfte um die ROmer verliehen wurde. Als im Jahre 49 v. Chr.
der Conful Lentulus in der Provinz Afia zwei Legionen romifcher Burger
aushob, befanden fich unter diefen in Ephesus und andern Stadten audi
viele Juden, 6 )
IV. Die judifqhen Sklaven. 7 ) Seit Pompejus im J. 63 v. Chr.
kriegsgefangene Juden als Sklaven verkaufte, 8 ) hat fidl ein ahnlicher
Vorgang nodi 5fter wiederholt. Im J. 52 v. Chr. verkaufte C. Caffius
Longinus gegen 30000 Juden von Taridiea in die Sklayerei; 9 ) ebenfo
madite er es im J. 44 v. Chr. mit den Juden von Gophna, Emmaus,
Lydda und Thamna, welche nicht den verlangten Tribut zahlten. 10 ) Im
!) Vgl. S. 278 ff. Ober die feindfelige Haltung der Heiden gegen
die Juden in Antioehien, s. Ant. 12, 3, 1. B. J. 7, 3, 3; in Gyrene
Ant. 16, 6, 1 Und 5; in Caefarea B. J. 2, 13, 7. 2, 14, 4-5. 2, 18, 1.
Ant. 20, 8, 79.
? ) Es war allerdings kein vollkommenes, fondern ein zuruckgefetjtes.
Vgl. uber das zurflckgefetjte Burgerrecht, insbefondere des Freigelaffenen,
Mommfen RStR III, 420-457.
3 ) Philo, Leg. od. Caj. 23.
Vgl. S. 285.
5 ) Apg. 6, 9; vgl. 2, 10.
6 ) Vgl. Ant. 14, 10, 13. 14. 16. 18. 19. s. u. S. 298. Vgl. uber das
rdmifdie Burgerrecht und die Freigelaffenen u. Kap. 25 Nr. 2.
7 ) Vgl. Jufter 2, 17 s.
s ] S. o. S. 101.
9 ) B. J. 1, 8, 9; vgl. Ant. 14, 7, 3..
10 ) B. J. 1, 11, 2 Ant. 14, 11, 2.
296 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
J. 4 y. Chr. eroberte Varus die Stadt Sepphoris; fie wurde in Brand
gefteckt und ihre Einwohner als Sklaven verkaufi ') Furchtbar war die
Verfolgung der jiidifch en Burger von Caefarea kurz vor dem Kriege.
In einer Stunde wurden dort 20000 der letjteren hingefchlachtet. Die
Fliichtigen lieg Florus aufgreifen und als Gefangene nach den Schiffs-
werften fiihren, 2 ) Die Gefamtzahl der im jiidifchen Kriege gefangenen
Juden belief fich auf 97 000. 3 )
C. Die Privilegien der Juden.
Wenn nun auch die politifche Lage dereinzelnen Juden in derDiafpora
eine verfchiedene war, fo batten fie doch, wo immer fie waren, Anteil an
den Privilegien, die ihnen in reichem Mage zur Zeit der Rorherherrfchaft
iiber Palaftina zuerft Caefar und Augustus verliehen batten. Es waren
namentlich die Freiheit des Kultus; die ffeie Gerichtsbarkeit und in be-
fchranktem Mage die Freiheit vom Militardienfte.
Kultus- Dag Julius Caefar bei feinem Verbot der collegia in Rom ausdriick-
freiheit. lien die jiidifchen ausgenommen und ihre Verfammlungen fowie auch ihre
Geldfammlungen zu gemeinfamen Mahlen und Opfer geftattet hatte, war
fur die romifchen Beamten maggebend. So z. B. befiehlt ein rOmifcher
Beamter der Stadt Paros unter Berufung auf die Verordnung Caefars,
die Juden nicht zu hindern, nach ihren Gebrauchen zu leben, 4 ) und be-
fchliegt die Gemeinde von Halikarhag, es ftehe alien Juden frei, die
Sabbate zu feiern und die Opfer nach jiidifchen Gebrauchen darzubringen. 5 )
Wie Caefar verhielt fich auch Auguftus 8 ) und verhielten fich mit nicht
lange dauernden Befchrankungen und kurzeren Unterbrechungen auch
feine Nachfolger. Der Gefchichtfchreiber des jiidifchen Krieges, Flavius
Jofephus, lagt den Kaifer Titus fagen: Wir geftatteten euch, fQr euren
Gottesdienft Steuer zu erheben und Gaben zu fammeln . . . wir fuchten
nicht zu hindern, dag ihr, die Feinde, reicher wurden als wir felbft. 7 )
Auf Auguftus geht das Privileg zurtick, dag die Juden am Sabbate nicht
zu Rechtsgefchaften herangezogen werden durften. 8 )
') B. J. 2, 5, 1-3. Ant. 17, 10, 9-10. 17, 11, 1.
) B. J. 2, 18, 1.
3 ) B. J. 6, 9, 3. - Vgl. auch S. 310 iiber den Verkauf der im J.
135, nach dem Aufftand des Barkochba, gefangenen Juden.
4 ) Ant. 14, 10, 8, s. o. S. 290 f.
6 ) Ant. 14, 10, 23; vgl. auch 14, 10, 10-12. 21. 24 f.
6 ) Philo, Leg. ad Caj. 23.
7 ) B. J. 6, 6, 2. .
8 ) Ant 10, 6, 2 und 4; vgl. 1 Mace. 10, 34 ff. Philo de. Migr. Abra-
hami 16. M. 1, 450; vgl. Jufter 2, 121 s. Auguftus beftimmte auch, dag,
wenn die Offentliche Verteilung von Geld oder Getreide durch die Obrig-
keit am Sabbate ftattfand, den Juden ihr Anteil am darauffolgenden
Tag gegeben werden folle. Phil. Leg. ad Caj. 23. Jufter 2, 236 ss.
Ober den Anteil der Freigelaffenen an den Burgerfpenden vgl. Mommfen
RStR III, 444 ff.
VII. Kap. Die Juden in der Diafpora. 297
1m rOmifchen Redit gait der Grundfa^: jeder Burger unterfteht dem Gerichts-
Zivilrecht des Gemeinwefens, dem er angehort. Das befondere romifche barkeit.
Redit (jus civile, jus Quiritium) war nur ein Redit fur den rGmifchen
Burger. Allerdings wurde das romifdie Biirgerrecht immer mehr fowohl
Einzelnen wie Gemeinden verlieheri, bis im Jahre 212 Caracalla alien
Gemeinden (alien freien Gemeindeburgern) das rOmifdie Biirgerrecht
verlieh.')
In Palaftina felbft befagen die Juden fur Streitigkeiten unter einan-
der und felbft iiber die auf wirklich judifdiem Boden wohnenden Griedien
nach romifcher Rechtsanfchauung das Jurlsdictionsredit.*) Audi in der
Diafpora waren fie durch kein griechifches Oder romifches Redit verhindert,
bei Streitigkeiten unter einander fich an die von ihnen gewahlten Riditer
zu wenden und deren Entfcheidung anzuerkennen. 15 )
Sie befagen aber audi dort durch Privileg eine befondere Gerichts-
barkeit. Denn fie batten z. B. in Alexandrien, wo allerdings audi ihre
politifdie Madit bedeutend war, einen Ethnarchen, der, ihre, Handel
fdilichtete und ihre Vertrage bekraftigte, als ob er ein felbftandiger
Herrfdier ware.*) Natiirlirfi konnte er das nidit alles felbft tun. Ef war
nur der Prafident eines autonomen Geriditshofes fur die Juden. 8 ) Audi
die Juden, welche in den kleinafiatifchen Stadten das romifdie Burger-
recht befagen, hatten dasfelbe Privileg. In einem Schreiben vom J. 49
an die Gemeinde von Sardes beftimmt der Proprator von Afien, 6 ) dag
die Juden, weldie von Alters her nadi ihrem Gefetje eigene Zufammen-
kiinfte und einen eigenen Gerichtshof hatten, im ungeftorten Befi^ diefer
Einriditung zu belaffen feien 7 )
Aus der Apoftelgejchichte fieht man, dag eine Jurisdiction in reli-
giofen Dingen ausgeiibt worden ift. Paulus ging mit Vollmadit des
Hohenpriefters nadi Damaskus, um dortige Chriften gebunden nach Je-
rufalem zu bringen. Audi an anderen Orten hat er Judendiriften ein-
kerkern und durch die Synagoge geigeln laffen. 8 ) Er felbft ift funfmal
von den Juden gegeigelt worden.' J ) Als die Juden in Korinth den Paulus
beim Prokonful Gallic verklagten, wies fie diefer vom Richterftuhle fort.
Hatte es fidi um ein fchlimmes Vergehen gehandelt, wurde er fie ange-
"hOrt haben. Er wolle aber nich't Richter uber Obertretung ihres Gefetjes
fein. Da moditen fie felbft zufehen. 1 ")
1) Vgl. R. Sohm, Inftitutionen. Gefchidite und Syftem des romifchen
Privatrechtes. 15 L. 1917 S. 201 ff.
2 ) Jufter 2, 94: La juridiction propre, en matiere civile, est le droit
commun dans les pays sujets de 1'Empire romain.
3 ) Jufter 2, 110 s.
*) Strabo in Ant. 14, 7, 2.
.) Jufter 2, 111, 1.
8 ) Ant. 14, 10, 17.
7 ) Vgl. Juster 2, 111, 4.
8 ) Apg. 9, 2. 22, 19. 26, 11.
'-) 2 Kor. 11, 24.
1C ) Apg 1 ' 18 > 12-17. - Ober die Gerichtsbarkeit der Juden in der
298 Erfter Abfchnitt. Die politifdie Gefdiichte der Juden etc.
Befreiung Unter den von J. Caefar den Juden verliehenen Privilegien be-
vom findet fich audi dies, dag kein ro'mijcher Beamier Oder Feldherr oder
Militardienft. Legat innerhalb des Gebietes der Juden Hilfstruppen ausheben darf.')
Caefar ift felbft von den Juden militarifch unterftutjt worden. Von einer
Befreiung der Juden vom Kriegsdienft ift uberhaupt keine Rede, erft
recht nidit im Judenlande, welches der Oberhoheit des Ethnarchen Hyrkan
unterftand.
Wohl aber hat der Conful Lentulus, welcher zu Anfang des Biirger-
krieges im J. 49 v. Chr. in der rOmifchen Provinz Afien zwei Legionen
rOmifcher Burger aushob, 2 ) die rOmifchen Burger aus den Juden dort
wegen ihrer religiOfen Oberzeugung vom Kriegsdienfte befreit. 3 ) Wahrend
des Burgerkrieges im Jahre 43 v. Chr. hat dem Feldherrn Dolabella,
einem Anhanger des Triumvir Antonius, der fich Kleinafiens bemachtigte
und bis nach Syrien vordrang, 4 ) eine Gefandtfchaft des Ethnarchen Hyr-
kanus das Gefuch unterbreitet, feine Landsleute vom Kriegsdienfte zu
befreien, weil fie am Sabbate weder Waffen tragen noch marfchieren
durften. In einem Schreiben an die Gemeinde von Ephefus hat dann
Dolabella wirklich M wie feine Amtsvorganger" die Juden von allem Kriegs-
dienfte befreit. 5 )
In den Makkabaerkriegen ift es fur die Juden viel wert gewefen,
dag fchon gleich am Anfang der Priefter Mattathias ihnen den Zweifel
benahm, ob fie fich auch am Sabbate gegen feindliche Angriffe verteidigen
diirften. 6 ) Jofephus fagt, 7 ) daher fei bei den Juden n bis auf den heutigen
Tag" die Sitte geblieben, auch am Sabbate zu fechten.
Ein allgemeines Privileg, wodurch die Juden des rOmifchen Reiches
vom Kriegsdienfte befreit wurden, ift nicht bekannt. Tatfachlich haben
fowohl unter den Herodianern wie den ROmern viele Juden Kriegsdienft
geleiftet.*)
Kaiferzeit handelt fehr ausfiihrlich Jufter, Les Juifs dans L'empire Romain.
Tome 2. Paris 1914, befonders 93-214.
') Ant. 14, 10, 6 Vgl. oben S. 105, 5.
a ) Caefar, B. civ. 3, 4: (Pompeius) legiones effecerat civium Ro-
manorum .... duas ex Asia, quas Lentulus consul conscribendas
curaverat.
) Ant. 14, 10, 13; vgl. auch 14, 10, 14. 16. 18. 19. Das Recht der
Befreiung ftand dem Lentulus als Aushebungsbeamten zu. VgL H. E.
Dirkfen, Ober die BehOrden, welche im rom. Reiche Privilegien erteilten,
in Civilift. Abhandlgn. 1, 243-315, S 273, 80 und 81; bei Jufter 1, 240, 2.
*) Appian. Civ. III. 78. DiO Cass. XLVII, 29-30 IV, 60.
5 ) Ant. 14, 10, 12. - Ober das romifche Militarwef en s. a. Kap.XXV,4.
tt ) 1 Mace. 2, 34 ff.
') Ant. 12, 6, 2.
8 ) Der KOnig Antiochus VII Sidetes wartete auf,Bitten des damals
mit ihm verbundeten Johannes Hyrkanus 2 Tage mit dem Aufbruch des
Heeres, um das gerade auf den erfteii Tag nach dem Sabbat fallende
Pfingftfeft abzuwarten, da, wie Jofephus Ant. 13, 8, 4 fagt, die Juden
weder am Sabbate noch an jenem Fefttag reifen durfen.
VIII. Kap. Die le^ten vergeblichen Kampfe der Juden. 299
VIH. Kap it el.
Die le^ten vergeblidien Kampfe der Juden um ihre
Freiheit. '
1. Die Zuftande in Palajtina.
Nadi der Eroberung Jerufalems ift Judaa niclit mehr Judaaunter
durdi Landpfleger verwaltet, fondern in eine imperatorifche fenatonfchen
Provinz verwandelt worden, 1 ) an deren Spitje, ftatt der frtiheren
Prokuratoren aus dem Ritterftande, aus dem Senatorenftande
hervorgegangene kaiferliche Legate ftanden, weldie die zehnte
Legion und verfchiedene Auxiliartruppen befehligten 2 ) und
audi einen Prokurator unter fich batten. 3 ) Der erfte diefer
Statthalter war Vetullenus Cerealis, deffen Truppen dann der
fdion oben erwahnte Statthalter Lucilius Baflus iibernahm, 4 )
dem dann Silva, der Befieger von Majada, folgte. 5 )
Der Legat refidierte in Cafarea, 6 ) die zehnte romifche
Legion aber hatte ihr Standquartier in Jerufalem. 7 ) Natiir-
lidi brachte die Legion ihren heidnifchen Kultus mit. . Dag
ficii in der Nahe des Lagers bald audi wenigftens einige
heidnifdie Anfiedler einfinden wurden, war natiirlidi. Denn
die Bedflrfniffe der Soldaten fchaffen foldie Anfiedlungen
von felbft.
1 ) Aurel. Viet. De Caesar. 9, Epit. 9
2 ) Jos. B. J. 7, 1, 3. Dio Cass. 55, 23.
3 ) Vgl. B. J. 7, 6, 6, wonach Liberius Maximus Prokurator des
Statthalters Lucilius Bassus war.
*) B. J. 7, 6, 1; f. o. S. 260.
^ S. o. S. 260. Judaea Oder Syria Palaestina (Ptolem. 5, 16, 1) ift
nun jahrhundertelang felbftandifche romifche Provinz geblieben. Vgl.
Marquardt, RStV 1, 419 ff. Zu der von ihm gegebenen Lifte der Statt-
halter diejer Provinz vgl. audi Liebenam, Forfchungen zur Verwaltungs-
gefchichte des r6m. Kaiferreiches, 1. Bd. Die Legaten in den r6m. Pro-
vinzen von Augustus bis Diokletian, L. 1888, S. 239-244. Schurer I,
643649. In einem aus dem Fajjum ftammenden Diptychon wird fQr das
Jahr 93 n. Chr. ein bisher unbekannter Sex. Hermetidius Campanus als
Statthalter von JudSa erwahnt, u. a. bei Mispoulet, Comptes rendus de
J'Ac. des Inscr. et Belles Lettres, 1910, 795 ff. ZDPV, Bd. 36, 1913 p. 220 ff.
6 ) ,,Judaea caput" Tac. Hist. 2, 78.
7 ) S. o. S. 258.
300 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
juden zu Juden waren zunachft keine mehr in der Stadt, ab-
Jerufaiem. g e | e hen von einigen armen Greifen, , welche bei der Afche
des Tempels lagen, und, wie der Verteidiger von Mafada,
Eleazar, zu feinen Gefahrten fagte, einigen Weibern, welche
fiir die Luft der Feinde aufbewahrt waren. 1 ) Spater find
audi von draufcen manche gekommen, um am Tempelpla^
zu weinen und zu beten.-)
Die Rabbiner Mit der Zerftorung des Tempels horte die Darbringung
zu Jamnia. von Qpfern von felbft auf. 3 ) Audi die Bedeutung des Priefter-
tums war dahin, um nie wiederzukehren, ebenfo naturlich
die des Hohen Rates. An Stelle beider traten die Rabbinen
Palaftinas. Zu Jamnia (Jabne) wie zu Lydda hatte Vefpafian
fchon im Jahre 68 Juden, die |ich ihm ergeben batten, an-
gefiedelt. 4 ) In der Folge kamen manche angefehene Leute
dorthin und bald ftand Jamnia im Rufe, dafc dort die be-
deutendften jiidifchen Gelehrten wohnten und die befte Be-
lehrung fiber die Thora gegeben werde. Es wurden nun
viele Anfragen dorthin gerichtet. 5 )
Die Meffias- In das tiefe Dunkel jener furchtbaren Zeit leuchtete diefen
hoffnung. un( j anderen Mannern die Hoffnung auf beffere Tage, falls
nur das Volk fich von. Herzen zu Jahwe wende. Troft fpen-
deten manchen in das Gewand alter Weisfagungen gekleidete
Werke voll religiojer Glaubens- und Willenskraft, in denen
die Vernichtung des Adlers, d. h. des romifchen Kaifertums
und die Ankunft des Mefiias verheifcen wird, der mit dem
Feuerhauch feines Mundes das gegen ihn zufammengeraffte
Heer der Heiden vernichten werde. 6 )
a ) B. J. 7, 8, 7.
2 ) Vgl. die Apokalypfe Baruchs 13, 1. 21, 2. 25, 1.
3 ) B. J. 6, 2, 1. Dasfelbe bezeugt auch Juftin. Dial. c. Tryph. c. 40
und 46. Vgl. auch Derenbourg, 1. c. p. 480 483.
*) B. J. 4, 8, 1.
5 ) Vgl. z. B. Derenbourg, p. 302 ss., 366 ss. Auger Jamnia wird
in der Mifchna auch Lydda oft als Sits bedeutender Schriftgelehrten er-
wahnt. Vgl. z. B. Rosch ha-schana 2, 8 9. 4, 12. Sanhedrin 11, 4.
Aboth 4, 4. Rosch haschana 1, 6. Taanith 3, 9. Jadajim 4, 3. Vgl.
A. Kaminka, L'Academie de Lydda REJ 60, 1910, p. 259 s. - Spater,
im dritten und vierten Jahrhundert n. Chr. ift Tiberias der Hauptfitj der
rabbinifchen Gelehrten gewefen.
6 ) 4 Esdr. 6, 9. 11, 37 ff. 12, 1 ff. 13, 9 tf. Apoc. Baruch c. 40.
VIII. Kap. Die letjten vergeblichen Kampfe der Juden. 301
Die Hoffnung auf den Meffias war eine derUrfachen
des grofcen judifchen Krieges gewefen 1 ) und auch jetjt wurde
fie wegen ihrer politifchen Auffaffung wieder mit Veranlaffung
neuer grower Unruhen. ..'..
Den Romern ift diefe Hoffnung nidit unbekannt ge- Verfoigung
blieben. Denn fie find durch diefelbe veranlafct worden, d e n derAbk0mm '
Abkommlingen des koniglichen Gefchledites Davids nach- lmge avids '
zufpuren, um fie urns Leben zu bringen. Zuerft hat dies
fchon Vefpafian getan.*) Audi Domitian hat zwei Enkel des
Judas, ,,des Bruders Jefu", als Nachkommen Davids nach
Italien kommen laffen, und fie felbft verhort. Von ihrer
rauhen Feldarbeit zeugten fchon ihre fchwieligen Hande.
Was .ihre Meffiaserwartung angeht, fo erklarten fie, kein
weltlidies und irdifches, fondern nur ein himmlifcries Reich
zu erwarten, welches am Ende der Welt, wenn Ghriftus in
feiner Herrlichkeit die Lebendigen und die Toten richten und
einem jeden vergelten werde nach feinen Werken, kommen
werde. Darauf wurden fie freigelaffen. 3 ) Aber dennoch ift
allem Anfcheine nach auch Simeon, der Sohn des Klopas
und Bifchof von Jerufalem, als Abkommling Davids und als
Chrift bei dem Statthalter Atticus von Judaa im zehnten
Jahre des Trajan angeklagt, gefoltert und im Alter von
120 Jahren gekreuzigt worden. 4 )
2. Die Kriege gegen die Juden unter Trajan im Jahre
115117.
Wahrend die niedergetretenen Juden Palaftinas in der Kriegerifche
Trauer um die Stadt und den Tempel und im Studium des Erfolge
Gefe^es Troft und Hilfe fuchten, war dem romifchen Reiche Tra i ans -
J ) Jof. B J. 6, 5, 4.
2 ) Hegefipp bei Euf, HE. 3, 12, der fagt, diefer Befehl fei Veran-
laffung zu einer grogen Verfolgung der Juden gewefen. Die Nachricht
mag fich auf die erfte Zeit nach der Eroberung Jerufalems beziehen.
) Euf. HE. 3, 19-20. 3, 22, 6.
4 ) Hegefipp bei Eufeb. HE. 3, 32, 6, vgl. ebd. 32, 3 ff. Vgl. auch
den Art. Simon im Kirchenlexikon 11, 306309. Das Martyrium fand
nach Euf. HE. 3, 32 [tatt ,,i7ii T^ai'avoiT xatCay ? xa * vnanxuv
nach Euf. Chron., p. 163 ed. SchOne, im zehnten Jahre des Trajan; rT
consularis heigt zur Zeit des Eufebius jeder Legat. Vgl. Marquardt
RStV 1, 420, 1.
302 Erfter Abfdinitt. Die politifdie Gefchidite der Juden etc.
in der Perfon des M. Ulpius Nerva Trajanus, den Nerva
wenige Wodien vor feinem Tode, er ftarb am 27. Januar 98,
im Jahre 97 adoptiert hatte, ein grofjer, tatenreicher Kaifer
gegeben worden. Geboren am 18. September 53 in Spanien,
von Jugend auf an das Kriegsleben und Harte gegen fidi
felbft gewohnt, war er erft nach Sidierung von Unter- und
Obergermanien gegen Ende des Jahres 99 von Koln nach
Rom gezogen, hatte den Senat und das Volk, unter anderm
anch durch das Verbot, ihn Herr und Gott zu nennen, fur
fich gewonnen, dann fich Dacien unterworfen und kurz trier-
nach durch Cornelius Raima auch das Gebiet von Gerafa,
Boftra, Philadelphia und der Nabataerftadt Petra zu einer
romifchen Provinz Arabia gemacht. Im Jahre 114 n. Chr.
brach der Kaifer felbft nach Armenien auf und erklarte auch
diefes Land zur romifchen Provinz. Hiermit noch nicht zu-
frieden, ruckte er im Spatherbft des Jahres 114 in Mefopo-
tamien ein und befetjte bis zum Ende des Jahres 115 das
ganze Land zwifchen dem obern Euphrat und dem Tigris.
Im folgenden Jahre fugte er noch das Land jenfeits des
Tigris, wo er fogar fiegreich in Ktefiphon, die Refidenz des
Partherkonigs, eingezogen war, als Provinz Assyria dem
Reiche hinzu. Schon ruftete er eine Flotte aus, um felbft
Indien der Romerherrfchaft zu unterwerfen. Da horte er,
daft alle Provinzen hin'ter ihm im Aufftande feien. Er eilte
zuruck nach Babylonien, wofelbft nun fein Feldherr Lufius
Quietus das abgefallene Nifibis, in welchem viele an dem
Abfalle ficher nicht unfchuldige Juden wohnten, wieder er-
oberte und Edeffa verbrannte. Aber von nun an bis zu feinem
Tode im Auguft 117 follte der grofce Kaifer nur noch Ent-
taufchungen erleben. Als er nach Syrien kam, horte er von
einem furchtbaren Aufftande der Juden von Gyrene.
Aufftand der Vermutlich ift die Kunde von dem Mifcgefchick des Kaifers
Juden in die Veranlaffung gewefen, dafc auf einmal die Juden in
Agypten und Agy p t en un( j Gyrene, ,,wie von einem wilden Geift des Auf-
yrene. Tu fa s fortgeriffen, fich gegen ihre heidnifchen Landsleute er-
hoben". 1 ) Im Jahre 115 brach ein Aufftand aus, der im
Jahre 116 sich zu einem formlichen Kriege auswuchs. 2 ) Dabei
J ) Euf. HE. 4, 2.
2 ) Nadi Euf. HE. 4, 2 fing der Aufftand im 18. Jahre des Trajan.
VIII. Kap. Die le^ten vergeblichen Kampfe der Juden. 303
zeigten die wie rafend gewordenen Juden 1 ) uberall in Agypten,
in Gyrene und auf Cypern die ganze Wut eines lange auf-
gefpeidierten unauslofchlichen Durftes nadi Radie.
In Agypten konnte nicht einmal die Maeht des Statt-
halters M. Rutilius .Lupus den fich zufammenrottenden Auf-
wieglern widerftehen. Nun flohen aber die im Gefecht
befiegten ,,Griedien" nach Alexandrien, griffen dort mit uber-
legener Macht die Juden an und liefjen keinen einzigen am
Leben. 2 ) In den furditbaren Strafcenkampfen wurde die Stadt
zum Teil zerftort. 3 ) Selbft der heilige Hain, in welchem
Cafar das Haupt des Pompejus beigefetjt hatte, war zu
Kriegszwecken niedergehauen worden. 4 ) Mit weldier Wut
gekampft wurde, fieht man daraus, dag die Juden auch die
Sehiffe mit Fluchtlingen uberfallen batten. 5 )
In Gyrene kamen 220000 Menfchen um. 6 ) Denn die
Juden maditen alles, was Romer oder Griedie hiefe, nieder.
Dio Caffius 7 ) erzahlt, fie batten in ihrer damonifchen Wut
fogar das Fleifch der Erfchlagenen gegeffen, fich die Ein-
geweide derfelben umgewunden und fich mit ihrem Blute
beftridien. Andere batten fie von oben nadi unten durch-
fagt Oder fie wilden Tieren vorgeworfen oder fie gezwungen,
fich gegenfeitig im Zweikampfe umzubringen.
(=115) an undwuchs im f olgenden Jahre (=116) zum Kriegean. Vgl. fiber
das Datum Tillemont, Hist, des Emp. II, 235 und Clinton, Fasti Romani I,
p. 100, wahrend Mommfen RQ V, 542 das 18. Jahr des Trajan als das
vorletjte Jahr des Kaifers = 116 faffen will.
') Quasi rabie efferati. Oros., Hist. adv. Paganos. Rec. C. Zange-
meister. Vind. 1900. VII, 12, 6.
*) Euf. HE. 4, 2.
3 ) Vgl. Euf., Chron. ed. SchOne II, 164 sq., wonach Hadrian das
von den Juden (nadi Hier. irrtumlidi ,,von den R6mern") zerftOrte Alexan-
drien wieder herftellte. VOllige Ruhe fdieint er[t unter Hadrian in Ale-
xandrien wieder eingekehrt zu fein. Denn das Chron. Euf. 1. c. berichtet
zum erften Jahre Hadrians, diefer habe die zum zweiten (fo die Ober-
fetjung des Hier.) oder zum drittenmal (fo die armen. Oberfetjung) auf-
ruhrerifchen Juden unterworfen.
*) Appian, Bell. civ. 2, 90.
5 ) Vgl. das Fragment Appians in Mfiller, Fragmenta historicorum
Qraecorum. Tom. V, 1 (Par. 1870), p, LXV.
6 ) Dio Cass. 68, 32.
') Dio Cass. 68, 32.
304 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
: Zur Bezwingung des Aufftandes fandte nun der Kaifer
den Feldherrn Marcius Turbo mit einem Heere und einer
Flotte, dem aber erft nadi langerer Zeit und vielen Gef echten,
in welchen yiele Taufende Juden von Gyrene und von
Agypten> fiber weldie ein gewiffer JudeLucuas als ,,K6nig"
gebot, getotet worden waren, die Niederwerfung des Auf-
ftandes gelang. 1 )
Aufftand der Der Aufftand hatte fieh audi nadi Cypern verbreitet, wo-
.Juden in ^i^ Artemion der Ahfuhrer der Juden war. Die Stadt Salamis
yp ern - wurde damals ganz zerftort, 2 ) und es kamen nidit weniger
als 240 000. Menfdien auf Cypern um. Dio Caffius, der uns
dies erzahlty fugt hinzu, dafe feit jenem Aufftande kein Jude
mehr die Infel betreten durfte und jeder, der etwa durch
einen Sturm dorthin verfchlagen werde, fterben muffe. 3 )
Der Feidherr Trajan fiirditete audi die Verbreitung des Aufftandes
Quietus in nadi Palaftina. Denn nadidem auf Befehl des Kaifers der
Paiaftma. r Q m jjy ie Feidherr Lufius Quietus die audi in Mefopotamien
fich anfammelnden aufftandigen Juden aus der Provinz weg-
gefegt und dabei fehr viele derfelben getotet hatte, wurde
diefer aus Mauretanien ftammende Berberfurft zum Statt-
halter von Palaftina ernannt. 4 ) Abgefehen von diefer Er-
nennung liegt kein Grund zur Annahme vor, daft audi Pa-
laftina an dem Aufftande unter Trajan beteiligt gewefen ift. 5 )
Trajan felbft ftarb am 8. Auguft 117 zu Salinus an der
cilicifchen Kiifte auf der Reife nadi Rom.
') Euf. HE. 4, 2. Bei Dio Cass. 68, 32 heigt der Fiihrer der Juden
Andreas.
8 ) Euf., Chron. ed. Schone II, 164 sq. Oros. 1. c. VII, 12, 8.
3 ) Dio Cass. 68, 32. Nadi einer zu Beirut gefundenen lateinifchen
Infchrift (Comptes rendus etc. 1912 p. 248256; s. audi ZDPV, 1915, 230 1.)
ift unter andern ein Militartribun der legio VII Claudia, der den Parther-
krieg Trajans mitgemadit hatte, C.Valerius Rufus, damals mit Truppen
nadi Cypern gefandt worden.
*) Dio Cass. 68, 32. Euf. HE. 4, 2.
5 ) Nur der Biograph Hadrians, Spartian (Scriptores historiae Augu-
stae, Hadrianus 5) fagt: ,,Lycia denique ac Palestina rebelles animos
efferebant." Die rabbinifdie Literatur weig nidits von Aufftanden Palaftinas
in diefer Zeit. Vgl. Derenbourg, p. 405 sq. Sdilatter, Die Tage Trajans
und Hadrians (= Beitrage' zur Forderung diriftl. Theologie I, 3), Quters-
loh 1897, S. 88-99, beruft fich fur das Qegenteil (S. 91) auf Midrasch
rabba zu Efther, Anfang und Mediiltha zu Ex. 14, 13 (in der deutfchen
VIII. Kap. Die letjten vergeblichen Kampfe der Juden. 305
3. Kaifer Hadrian und der Aufftand des Barkochba
132135.
Trajan ftarb kinderlos. Ihm folgte ein nach faft jeder Charakter
Richtung menfchlichen Wiffens und Konnens hochbegabter, des Kaifers
aber audi launifcher und reizbarer Mann. ,,Ernft und Scherz, Hadnan -
Herablaffung und Strenge, Ausgelaffenheit und Bedachtfamkeit,
Feftigkeit, Freigebigkeit, Verftellung, Mut und Milde waren
in ihm geeint. In alien Dingen war er nie derfelbe. Daher
kam es, dag er alle feine Freunde und Giinftlinge nachher
als feine Feinde hagte." 1 ) Er pflegte raftlos von einer Provinz
in die andere zu reifen, die Gegenden und Stadte in Augen-
fdiein zu nehmen 2 ) und uberall felbft allerhand Einrichtungen,
namentlieh bezuglich des Baues von Stadten, Tempeln und
Theatern, Brucken und Stragen zu treffen. 3 )
Um den Wirren im Often des Reiches ein Ende zu Quietus wird
machen, gab er nach {einer Thronbe[teigung Armenien und ermordet.
Mefopotamien ganz auf. Den Lufius Quietus rief er nicht
nur aus Palaftina zuriick, fondern lieg ihn fogar zwei Jahre
fpater unter der Befchuldigung, mit andern die Ermordung
des Kaifers auf der Ja?d geplant zu haben, umbringen.
Gewijj konnten nun die palaftinenfifchen Juden in derUrfachen des
Abberufung des Lujius Quietus eine ihnen erwiefene Gunft Aufftandes
erblicken. Es mag auch fein, dag [ie fogar die Wiederher- der Juden in
Jtellung des Tempels von Hadrian erwartet haben. Jedenfalls a ^' t
haben wir keine glaubwiirdige Nachricht, dag er ihnen die
Erlaubnis dazu in Ausficht geftellt habe/) Das ware auch da-
Oberfe^ung der Mechiltha durch J. Winter und A Wunfche, L. 1909, p. 92).
Vgl. aber zur Erklarung der Stelle Derenbourg, p. 412.
J ) So Hadrians Biograph Spart. c. 14 und 15.
2 ) Dio Cass. 69, 8. Tertull. Apologeticum c. 5 nennt den Hadrian
einen ,,omnium curiositatum explorator".
3 ) Vgl. Gregorovius, Der Kaifer Hadrian 2 . Stuttg. 1884, S. 62 ff.
und 468 ff.
*) Derenbourg, p. 412 ss. halt es fur jieher, dag Hadrian den Juden
im Jahre 117 vage Ver[prechen, Jerusalem und den Tempel wieder auf-
^ubauen, gegeben, aber nur das heidnifche Alia und einen fchlieglich dem
Jupiter Capitolinus gewidmeten Tempel gebaut habe. Infolgedeffen hatten
fich die Juden emport. Andere reden ahnlidi, fo z. B. Schlatter, Die
Tage etc., wonach Hadrian den Juden im Jahre 130 den Tempelplatj*
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefchidite. I. 2. u. 3. Aufl. 20
306 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc.
mals unmoglidi gewefen, well dodi kein romifcher Kaifer in
diefer Weife die erft vor 40 Jahren von den Romern ver-
niditete nationale Selbftandigkeit des jiidifchen Volkes wieder
anerkennen konnte, was doch mit jener Erlaubnis tatfachlich
gefchehen ware. 1 )
zuriickgab. Nach den Quellen liegt aber die Sadie f olgendermafjen : Im
V. fibyllinifchen Buch (f. daruber u.), weldies bis auf die Zeit Hadrians
geht, wird diefer als Friedensfiirft begrugt (5, 46 sq.) und wird die Hoff-
nung auf einen Priefterfiirft ausgefprochen, der den Tempel zu Jerusalem
und den Oniastempel in Agypten wieder aufbauen wird (5, 492495,
501 sq.). Eine fpatjudifche rabbinifche Quelle (Bereschit rabba c. 64;
vgl. die Stelle in Derenbourg, p. 416 s. und Wiinfche, Der Midrasch
Bereschit Rabba, L. 1881, S. 307 f ) verfetjt allerdings die von den Romern
gewahrte Erlaubnis zum Wiederaufban des Tempels in die Zeit des
R. Josua ben Chananja, der unter Hadrian lebte. Der Bau fei aber un-
moglidi geworden, weil der Kaifer fich von den Samaritern gegen die
Juden habe beeinfluffen laffen und deshalb auch in Bezug auf den Bau
andern Shines geworden fei. Allein es kann hier nach dem Urteil von
Zunz, Die gottesdienftl. Vortrage der Juden 2 , Frankf. 1892, S. 186 nur
die von Kaifer Julian gegebene' Erlaubnis gemeint fein. Obrigens lafjt fich
aus dem erft im 6. Jahrhundert entftandenen Traktat (vgl. daruber Zunz 1. c.
184 189 und 265267) mit feinen verworrenen Angaben uberhaupt keine
derartige gefdiichtliche Frage beantworten. Audi der angeblich urn
117 120 abgefagte Barnabasbrief foil in c. 16, 4 v>~v xnl arm). <,i twv
e-/&()iav vnrjQimt n.voixnSonrj6ov6tv airov auf den heidnijchen Tempelbau
in Jerufalem unter Hadrian gehen. Allein der Verfaffer des nadi c. 4
zur Zeit Nervas abgefagten Briefes fpricht uberhaupt von keinem fteinernen
Tempel, fondern von einem Tempel in den Herzen der Glaubigen (vgU
O. Bardenhewer, Qefch. der altkirdilichen Literatur, 1. Bd., Freib. 1902^
S. 92-95). Wenn aber Chrys. Orat. adv. Judaeos V, 10 fagt, die
Juden hatten dreimal verfudit, den Tempel wieder aufzubauen, unter
Hadrian, Konftantin und Julian (vgl. auch die fpateren Georgius Cedrenus
ed. Bekker 1, 437 und Niceph. Call. HE. 3, 24, Migne PG. t. CXLV,
p. 943), fo wird hier auf die EmpOrung der Juden und ihren damaligen
Verfudi, den Tempel zu bauen, Bezug genommen. Das Chronicon
paschale ed. Dindorf I, 474 behauptet, Hadrian habe nach Unterdruckung
des Aufftandes, den es iibrigens irrtumlich ins Jahr 119 n. Chr. fetjt, den
jiidifchen Tempel zerftort. Epiphan. De mensuris et ponderibus 14
fagt, Hadrian habe ,47 Jahre nach der Zerftflrung der Stadt, als er auf
feinen Reifen nach Jerufalem gekommen ware das ware alfo im
Jahre 117 gewefen befohlen, die Stadt (nicht den Tempel) wieder
aufzubauen. Wenn das uberhaupt etwas heijgen foil, kann es fich nur auf
fpatere Reifen Hadrians beziehen, da diefer erft im Jahre 117 zur Re-
gierung kam.
) Vgl. Gregorovius I. c. S. 38 f.
VIII. Kap. Die letjten vergeblichen Kampfe der Juden. 307
Hadrian hat aber, wahrfcheinlidi ohne es zu wollen,
durdi zwei Beftimmungen die Juden fo gereizt, daft der Auf-
ftand erfolgte. Die eine Beftimmung war allgemeiner Art.
Er befahl namlich, nadidem fchon Domitian die Kaftrierung
als ein ftrafbares Verbredien erklart hatte, 1 ) diefelbe wie
Mord zu beftrafen. 2 ) Allein die Befchneidung wurde mit der
Kaftrierung auf gleidie Stufe geftellt 3 ) und fomit war durdi
dies Gefetj das Judentum in f einem Beftand bedroht. Es
ent(prieht diefem Tatbeftande, dafc der Biograph Hadrians
als Urfache des judifchen Aufftandes das Verbot der Befchnei-
dung angibt. 4 ) Die andere Beftimmung forderte die Juden
nodi direkter heraus. Es war der Befehl des Kaifers, der
auf feinen Reifen durdi das Reich im Jahre 130 nach Pala-
ftina gekommen war, in Jerusalem eine heidnifche Stadt als
romifche Kolonie mit einem Jupitertempel zu grunden. 5 )
Sieher hat er zunachft an die Bedurfniffe des Legionslagers
ZH Jerufalem, deffen Veteranen ja bei der Neugriindung zu-
erft zu berudtfichtigen waren, gedacht und fidi von feiner an
Jo vielen Orten betatigten Bauluft leiten laffen. 6 )
Die Juden hielten fidi aber nur fo lange ruhig, wie Ha- Der Aufftand
drian in Agypten und Syrien weilte. Sobald er den Often unter der
Fahrung des
!) Dio Cass. 67, 2. Sueton. Domit. 7. Barkochba.
2 ) Vgl. Ulpian, Digest. XLVIII, 8, 4, 2: Divus Hadrianus rescripsit:
Constitutum quidem est, ne spadones fierent, eos autem, qui hoc crimine
arguerentur, Corneliae legis [de Sicariis et veneficis] poena teneri.
3 ) Vgl. Modestinus, Digest. XLVIII, 8, 11: Circumcidere Judaeis filios
suos tantum rescripto divi Pii permittitur (Antoninus Pius [138 - 161] ift
der Nachfolger Hadrians, der eben wegen des Aufftandes diefe Ausnahme
fur die Juden gemacht hatte; fur die Samariter beftand das Gefetj Ha-
drians noch zur Zeit des Origenes, vgl. Orig. c. Gels. 2, 13), in non
eiusdem religionis qui hoc fecerit, castrantis poena irrogatur. Vgl. fiber
die diesbezuglidie Gefetjgebung der ROmer Jufter I, 263271, 2, 194 s.
*) Vita Hadriani c. 14: moverunt ea tempestate et Judaei bellum,
quod vetebantur mutilare genitalia. Vgl. Mommfen RG. V, 549.
B ) Hadrian war im Jahre 130 in Syrien, im November 130 in Agypten,
danadi alfo 131 wieder in Syrien, wie bereits Eckhel, Doctrina Numorum 6,
489491, dem die Neueren, auch Clinton, Fasti Romani I, p. 114 sqq.
zu den Jahren 129 131, folgen, zeigt. Dio Cass. 69, 12, der die Grfin-
dung von Aelia Capitolina zu Jerufalem und die Errichtung des Jupiter-
tempels als Grund des Aufftandes angibt, fetjt voraus, dag beim Ausbruch
des Aufftandes der Bau fdion begonnen hatte.
6 ) Vgl. Mommfen RG 5, 544 f.
20*
308 Erfter Abfchnitt. Die politifche Ciefchichte der Juden etc.
verliefc 1 ) und fich nadi Athen begab, im Jahre 132, 2 ) brach
der Aufftand aus, der, da er von den Juden der ganzen
Welt unterftutjt 3 ) wurde, an Dauer und Furchtbarkeit felbft
dem unter Vefpafian nicht nachftand. Vergebens fuchte der
Statthalter Tineius Rufus von Judaa den Aufftand durch Aus-
rottung ganzer Ortfchaften mit Mannern, Weibern und Kin-
dern 4 ) niederzutreten. Selbft Jerufalem fiel in die Hande
der Aufruhrer. 5 ) An der Spitje der Emporer ftand ein durch
gewaltige Korper- und Willenskraft fidi auszeichnehder Mann
namens Simon, 6 ) welcher bei den chriftlidien Vatern den
Namen Kocheba oder gewohnlieher Barkochba, d. h. Stern
Oder Sternenfohn fiihrt, 7 ) wie fieri denn auch Barkochba
*) Dio Cass. 69, 12.
a ) Auch Euf. Chron. ed. Scheme II, 166 sq. fetjt den Aufftand in das
16. Jahr des Hadrian, alfo 132/133.
3 ) Dio Cass. 69, 13.
*) Euf. HE. 4, 6.
5 ) Dies folgt aus der Angabe Appians (De rebus Syriacis 50), dag
Hadrian abermals die Stadt Jerufalem zerftorte (vgl. Mommfen RQ 5,
545, 2), und aus den Mtinzen (vgl. die judifchen Aufftandsmiinzen bei Madden,
Coins of the Jews, p. 188206 und 230246; vgl. auch Levy, Gefch. der
jtid. Munzen, S. 83131). Denn man kennt Silber- und Kupfermunzen von
urfpriinglich romifchem Qeprage, welche auf der einen Seite die Auffchrift
Simon, auf der andern die ,,lecheruth Jeruschalem" = ,,der Freiheit
Jerufalems" tragen und fomit die Befreiung Jerufalems auf Simon zuriick-
fuhren. Vgl. Madden, p. 233-241; Levy, Gefchichte, S. 93-96, 105-108.
Die verfchiedenen Auffaffungen iiber das Alter der judifchen Aufftands-
munzen f. bei Schurer I, 765772; vgl. auch Kennedy, art. Money in
Hastings D. Ill, p. 430 f.
6 ) Vgl. Anm. 5.
7 ) So heigt er bei Juftinus Apol. I, 31 und Euf. HE. 4, 6. Euf. Chron.
ed. Sehone II, 168 sq. nennt ihn Chochebas. In den rabbinifchen Quellen
heigt er Barkofiba oder Benkofiba = Sohn des Kofiba, fei es nun, dag
unter Kofiba fein Vater oder feine Heimat verftanden ift. Vgl. Derenbourg,
p. 423, 3 und Schurer I, 683. Erft in fpaterer Zeit (vgl. den nach Zunz,
Vortragen, S. 189191 nicht vor der zweiten Halfte des 7. Sakulums
abgefchloffenen und von Wunfche L. 1881 tiberfetjten Midrafch Echa rabbati,
S. 100) erklarte man den Namen im Sinne von ,,Sohn der Luge", indem
man ihn Benkoseba (rCTiS = liigenhaft, vgl. Levy, Neuhebr. WOrterb. II,
312) nannte. Ein Schriftfteller des 8. Jahrhunderts, Georgius Syncellus,
Corpus Scr. hist. Byzant. t. I, p. 660 fagt: Der Befehlshaber des Auf-
ftandes der Juden war ein gewiffer Chochebas, der einzige Sohn, der
mit Stern" in der Oberfetjung wiederzugeben if
VIII. Kap. Die le^ten vergeblichen Kampfe der Juden. 309
felbft ffir einen ,,Stern vom Himmel" ausgab. 1 ) Fiir den
Aufftand war befonders der beriihmte erfte Gefetjeslehrer der
damaligen Zeit, der Rabbi Akiba, tatig. Diefer foil audi den
Simon als den Meffias, den Konig Ifraels bezeidinet haben,
indem er die Stelle der Heiligen Schrift 2 ) von dem Sterne,
der aus Jakob aufgehen werde, auf ihn deutete. 3 )
Damals erfullte fieri das Wort der Heiligen Schrift: 4 ) ,,Ich
bin in meines Vaters Namen gekommen und ihr nehmet mien
nicht an. Wenn ein anderer in feinem Namen kommt, den
werdet ihr annehmen." Denn ganz Ifrael nahm den Simon
auf, obwohl er weder davidifchen Gefchlechtes war, nodi
Wunder tat, 5 ) noch fich durch befondere Frommigkeit aus-
zeichnete, wahrend die Chriften in Judaa, welche den Pfeudo-
meffias nicht anerkennen wollten, von ihm mit fdiweren
Strafen heimgefucht wurden. 6 )
Der Aufftand verbreitete fich bald uberall hin, fo dag Derromifche
fchliefclich ,,die ganze Welt in Bewegung war". 7 ) Hadrian FeidherrJu-
mugte, um des Aufftandes Herr zu werden, den beften romi- hus Severus
fchen Feldherrn, Julius Severus, aus Britannien herbeirufen.
Und auch diefem gelang die Unterdruckung des Aufftandes
ai; n?, o novoyevtja yysiTo, o? epfievsvero atfriff). Theodor Reinadi,
Monnaies juives 1888, p. 57, 1 bemerkt zu o novoyevrc n i\ est possible,
que se cache le mot '/^tfo^o'voyei^'?, descendant des Asmoneens. Clermont-
Qanneau, Barcochebas o fiovoyevys," Rb 1920, 540555 halt zwar die
Korrektur palaographifch fiir moglich, will aber felbft ftatt o novnyev*j?
das eine Wort opotoysvqs oder onoyevfe lefen. Dann ware der Sinn ,,qui
est de meme race", d. h. die Juden waren befehligt von Barchochba,
der felbft ein Jude war.
*) Bus. HE. 4, 6.
2 ) Num. 24, 17.
3 ) Jer. Taanith, fol. 68 (deutfdi bei Wiinfdie, Der jerufalemifche
Talmud, Zurich 1880, S. 157).
*) Joh. 5, 43.
5 ) Nach Hier. Contra Rufinum 3, 31 hatte Barkochba auch durch angeb-
liche Wunder, fpeziell durch Feuerfpeien, die Menge betort (,,Stipulam in
ore succensam anhelitu ventilabat, ut flammas evomere putaretur 1. c.). Die
judifchen Quellen fagen von Wundern nichts. Vgl. Klausner, Die meffian.
Vorftellungen des judifchen Volkes im Zeitalter der Tannaiten, Berlin
1904, S. 5.
B ) Justin. M. Apol. I, 31. Bus. Chron. ed. Schone II, 168 sq.
7 ) Dio Cass. 69, 13.
310 Erfter Abfchnitt. Die politifche Gefchichte der Juden etc,
nidit durdi eine grofce Schladit, fondern er mufcte einen Ort
nach dem andern erobern. Wir lefen von 50 Feftungen,
weldie genommen, von 985 Ortfdiaften, weldie befetjt wur-
den, von 580000 Menfchen, welehe in diefem Aufftande um-
gekommen find. 1 ) Bis zuletjt hielt fidi die ftarke Bergfefte
Beth-ther, in der Nahe von Jerufalem, 2 ) (das heutige Bittir, 3 )
eine Station der Bahn von Jafa nadi Jerufalem, 11 km fud-
weftlidi von Jerufalem). Audi fie wurde aber im 18 Jahre
Hadrians, 4 ) im Jahre 135, 5 ) erobert und Barkodiba felbft
bei der Eroberung getotet. 6 )
Faft ganz Judaa war eine Einode geworden. 7 ) Die
zahlreidien uberlebenden Gefangenen wurden auf offentlidien
Markten zu geringen Preifen verkauft. 8 ) Aber audi die R6-
mer batten fo grofce Verlufte erlitten, daft Hadrian in feinem
Beridite an den Senat die ublidie Eingangsformel, dag er
und das Heer fidi wohl befanden, wegliefc. 9 )
Grundung Nadidem die erfte Griindung einer neuen Stadt auf dem
von Aeiia Boden Jerufalems dureh den Krieg eine fo blutige Unter-
Capitoiina. brechung gefunden hatte, liefc Hadrian nach dem Kriege mit
begrimdeter Hoffnung auf Erfolg die neue Stadt bauen,
Aelia Capitolina, 10 ) weldie die Verfaffung einer romifdien Kolo-
nie erhielt. 11 ) Alia hiefj fie zu Ehren Hadrians, deffen Fami-
lienname Alius war, 12 ) Capitolina zu Ehren des capitolinifdien
x ) Dio Cass. 69, 13. 14.
2 ) Euf. HE. 4, 6.
3 ) Vgl. u. a. Clermont-Qanneau, Etudes d'archeologie orient. I, 141 s.
*) Euf. HE. 4, 6. Das 18. Jahr Hadrians erftreckt fich vom 11. Auguft
134 bis 11. Auguft 135.
B ) Vgl. Anm 4. Aus Anlag der Beendigung des Krieges hat Hadrian
den Titel n zum zweitenmal Imperator" (hnpferator] II) angenommen, den
er im Jahre 134 in einem Militardiplom vom 15. September 134 (CJL. Ill,
p. 878 = CJL. X, n. 7855) noch nicht fQhrt. Vgl. Sdiiller, Gefch. d. r.
Kaiferz. I, 614, 4; Schurer I, 697, 139.)
6 ) Euf. HE. 4, 6.
') Dio Cass. 69, 14.
8 ) Hier. ad Zachar. 11, 5 (Ed. 2 Vallarsi 6, 885); ad Jerem. 31, 15
(1. c. 4, 1065).
8 ) Dio Cass. 69, 14.
10 ) Dio Cass. 69, 12.
n ) Vgl. Ulpian, Digest. L, 15, 1, 6: In Palaestina duae fuerunt colo-
niae, Caesariensis et Aelia Capitolina, sed neutra jus Italicum habet.
) Euf. HE. 4, 6.
VIII. Kap. Die letjten vergeblichen Kampfe der Juden. 311
Jupiter, dem nun auf dem Tempelpla^e felbft ein Tempel
erriditet wurde. 1 ) Dort ftand audi eine Bildfaule Hadrians. 2 )
Die Heidendiriften durften fidi in Alia niederlaffen, wo fie Heiden-
von nun an unter heidenchriftlichen Bifchofen wohnten. 3 ) Es & T W en in
A <%1 1 o '
mag dies damit zufammenhangen, dafc Hadrian im Verhalt- c& itolina
nis zu andern Kaijern fidi den Chriften gunftiger erwies und,
wenn er auch nicht, wie behauptet worden ift, durdi fein
Edikt an Minucius Fundanus 4 ) den Chriftusglauben geradezu
freigab, den Magiftratsperfonen doch damit die Moglidikeit
bot, die Anklagen gegen die Chriften zu erfchweren und
zuriickzudrangen. 5 )
') Dio Cass. 69, 12. In einem Fragment des Hippolytus zu Matth.
24, 15 f., welches in dem fyrifchen Kommentar des Dionyfius bar Salibi
in Apocalypsim, Actus et Epp. catholicas (= Corpus script. Christ,
orient. Scriptores syri. Series II Tom. C I., ed. J. Sedlacek, Paris 1909)
erhalten ift (vgl. auch den fyrifchen Text in Qwynn, Hermathena, A series
of papers etc. Dubl. VII, 1890 p. 137150; fodann Hippolytus Werke,
herausg. von Achelis, L. 1897, I, 2, p. 244 ff.) heigt es nach der latein.
Uberfetjung von Sedlacek (1. c. Tom. C I, 1910): ,,Et Vespasianus non
erexit idola in Templo, sed ilia legio quam collocavit Trajanus Quintus,
vir nobilis Romanorum, erexit ibi idolum, quod vocatur Kore." Nach der
Oberfeijung von Clermont-Qanneau, Recueil VI (1905) p. 1945 ware zu
lefen: Quietus, Befehlshaber der ROmer, errichtete dort ein GOtjenbild."
Dag nicht Quietus, fondern Quintus z. 1. ift, fcheint nach Qwynn, Achelis
und Sedlacek zweifellos. Schurer hat gemeint, 1, 3. u.4. Aufl., S. 701, unter
Trajanus Quintus fei der Kaifer Decius verftanden, es liege hier eine
fpatere Gloffe eines Lefers aus der decianifchen Verfolgungszeit vor.
Das ift aber nach der Oberfetjung von Sedlacek unnOtig ,,M6glich ift
auch", wie E, Neftle, Th. Ltztg. 1911, 13 Sp. 397 fagt, ,,mit Annahme eines
Anakoluths zu uberfe^en: fondern (bei der) Legion, welche Trajan fandte,
errichtete Quietus ein Bild der Kore."
2 ) Vgl. Hier. Comm. in Ifai. 2, 9 (Vallarsi 4, 37) und Hier. Comm.
in Matth. 24, 15 (Vallarsi VII, 194). Auch Chrys. adv. Judaeos V, 11
fpricht von einer Statue Hadrians. Der Pilger von Bordeaux (Itin. Hier.
ed. Qeyer, p. 22) fagt allerdings: sunt ibi et statuae duae Adriani. Das
ift ein Irrtum, wozu er durch die Auffchriften zweier zu f einer Zeit dort
befindlichen Statuen gekommen war, wovon die eine dem Trajanus
Hadrianus und die andere dem Aelius Hadrianus Antoninus gewid-
met war. Vgl. Clermont-Qanneau, Recueil VI, 1905, p. 194.
3 ) Euf. HE. 4, 6.
*) Vgl. dasfelbe bei Juftin. M. Apol. I, 69 und bei Euf. HE. 4, 9.
5 ) Vgl. u. a. Wehofer, Die Apologie Juftins des Philofophen und
Martyrers in literarhiftorifcher Beziehung zum erftenmal unterfucht
(=6. Supplem. der R5m. Quartalfchrift), Rom 1897, S. 52 ff.; Callewaert,
312 Erfter Abfchnitt. Die politifche Qefdiichte der Juden etc.
Den Juden ift Den Juden war es bei Todesftrafe verboten, uberhaupt
das Wohnen das Gebiet von Alia zu betreten. 1 )
m Aeha Capi- g r ^ j n jpaterer Zeit erlangten die Juden wenigftens die
tomaver- Vergiinftigung, einmal im Jahre, am Tage der Zerftorung
der Stadt, diefelbe befudien zu dtirfen. So war es audi in
der Zeit des Hieronymus, der erzahlt, 2 ) wie damals die Juden
fur Geld fich die Erlaubnis kaufen mufcten, auf den Trummern
Jerufalems weinen zu durfen. ,,An dem Tage," fagt er, ,,an
weldiem Jerufalem von den Romern genommea und zerftort
wurde, fieht man eine klagende Menge. Abgelebte Frauen
und alte Manner in Lumpen ftromen zufammen . . ., um fiber
die Trummer des Tempels zu klagen . . . Aber wahrend
nodi ihre Wangen feudit von Tranen find urid fie mit aus-
geftredkten Armen und aufgeloften Haaren beten, erfcheint
der Soldat und verlangt feinen Lohn dafur, dafc er fie noch
langer weinen lagt."
Heutzutage geht kein Jude auf den Tempelplatj, um
nicht irgendwo auf die Stelle des Allerheiligften zu treten.
Aber Freitags abends und an hohen judifchen Fefttagen
kommen fie zu der Klagemauer, traurig die alien Steine
kuffend, und betend, dafc der Herr fidi Zions erbarme und
die trofte, welche trauern uber Jerufalem.
Le rescrit d'Hadrien a Minucius Fundanus. Rev. d'hist. et de litterature
religieuses, Paris 1903, Tome VIII, p. 152-189.
J ) Juftin, Apol. I, 47; Dial. c. Tryph. c. 16. Arifto von Pella bei
Euf. HE. 4, 6 u. a. Unter Zugrundelegung- fchriftlidier Nadirichten und
aufgefundener alter Refte hat H. Vincent, Jerusalem, Paris 1914, 2, 1-81
ein grogartiges Bild der romifchen Kolonie Aelia Capitolina gezeiehnet.
2 ) Hier. in Sophon. 1, 15 sq. (ed. Vallarsi VI, 692). Der Pilger
von Bordeaux (ed. Geyer, p. 22): ,,Nicht weit von den Statuen (des
Hadrians) ift ein durchlocherter Stein, den alljahrlich die Juden falben
und klagend mit ihren Tranen benetjen. Dann zerreigen fie ihre Kleider
und entfernen fich wieder." Vermutlich ift der 17,7 m lange, 13,5 m
breite und 1,252 m fiber demBoden fich erhebende Pels in der heutigen
fog. Omarmofchee oder der Kubbet es Sachra, d. h. dem Felfendom ge-
meint, auf welchem nach der judifchen Tradition (vgl. z B. Art. Jerufalem
im Kirchenlexikon 6, 1330 f ) Melchifedech geopfert haben foil, und auf
welchem wohl der groge Brandopferaltar geftanden hat.
Z weiter Abfchnitt.
Die innern fozialen und fittliehen
Zuftande des jiidifchen Volkes in der
neuteftamentlichen Zeit.
IX. Kapitel.
Die Verfaffung der jiidifchen Stadte Palaftinas.
Der Hone Rat zu Jerufalem.
1. Die Verwaltungsbezirke.
Das Neue Teftament unterfcheidet zwar 1 ) zwifchen Fiecken Fiecken und
wie z. B. Emmaus, Bethlehem, Bethanien und Stadten Stadte.
wie z. B. Nazareth, Kapharnaum und Nairn. 2 ) Es ift
aber keine fcharfe Unterfcheidung , wodurch etwa eine Ver-
fchiedenheit der Verfaffung hervorgehoben werden foil, fon-
dern eine populare, fchwankende. 3 ) Geradefo verhalt es fich
ubrigens auch mit Jofephus, der z. B. die fehr bevolkerte
und mit Mauern umgebene Ortfchaft Japha in Galilaa einen
Fiecken nennt. 4 )
In Judaa hat es zur Zeit des Jofephus elf Toparchien Die
Oder Verwaltungsbezirke, die mit unfern Kreifen Ahnlichkeit Topardiien
haben, gegeben. Es wird namlich von den betreffenden
x ) S. das Material fchon bei Winer RWB., Art. Stadte *II, 510.
2 ) Vgl. Luc. 7, 11. 24, 13. Job. 7, 42. 11, 1 etc. In Marc. 1, 38
wird fogar von xw/*o7ro'A? geredet, d. h. Marktflecken, Orten, die an
Gr6ge und Einwohnerzahl Stadten ahnlich waren.
3 ) Z. B. Bethfaida heifct Marc. 8, 23 xoi^, Job. 1, 44 noliq..
4 ) Jos. Vita 45. Vgl. auch Ant. 20, 6, 2, wo Lydda ein Fiecken
heigt, der einer Stadt an GrOge nichts nadigab. Gifchala wird B, J. 4,
2, 1 ein Stadtdien aotixvri genannt; ebenfo Engaddi B. J. 4, 7, 2, ob-
wohl es nach B J. 3, 3, 5 wie Lydda Sitj einer Toparchie war.
3 1 4 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Kreisftadten ausdriicklich gefagt, da& ihre Umgebung ihnen
untergeordnet gewefen ift. Die Namen der elf Topardiien
find Jerufalem, Gophna (an der Strafe von Jerufalem nadi
Neapol s, das heutige Dfdiifna), 1 ) Akrabatta (fudoftlich von
Neapolis, jetjt Akrabeh), 2 ) Thamna (das heutige Tibne,
zwifchen Akrabeh und Lydda), 3 ) Lydda, 4 ) Ammaus 5 ) (oder
Emmaus, fudoftlich von Lydda, das heutige Amwas), Idumaa, 6 )
Engaddi 7 ) (am Weftufer des Toten Meeres), Herodeion, 8 )
Jericho. 9 ) Weitere Kreisftadte waren in derfelben Zeit im
Weften Judaas Jamnia JO ) und Joppe 11 ), wahrend fur das
Gebiet des Konigs Agrippa vier Topardiien erwahnt find,
Gamala, Gaulanitis, Batanaa und Tradionitis. Vermutlidi hat
>) Vgl. auch B. J. 1, 1, 5. 2, 20, 4. 4, 9, 9.
2 ) Vgl. auch B. J. 2, 12, 4. 20, 4. 22, 2; 3, 3, 4; 4, 9, 3-4 und 9.
3 ) Vgl audi Jos. B. J. 2, 20, 4. 4, 8, 1. Nodi zur Zeit des Eufebius
zeigte man in Thamna das Grab des .Tofue. Vgl Bus. Onom. ed. Klofter-
mann, p. 70 und p. 100 und Hier. Ep. 108 ad Eustochium c. 13.
*) Vgl. auch B. J. 2, 20, 4. S. o. S. 56.
E ) Vgl. auch B. J. 2, 20, 4. S. o. S. 59 f.
6 ) JOS. B. J. 3, 3, 5 hat ,,xai 'Annauvs xot IJ&lr] xal 'ISovftctia' 1 . Da
aber Pella in Peraa liegt, fcheint ein Textverderbnis vorzuliegen und ift
vielleicht zu lefen xal y Be&kenzriqni>v ev 'Idovftaia. Denn nach B. J. 4, 8, 1
begab fich Vefpafian von Ammaus ,,lnl ryv Be&lenrijqxuv Tonaqxia.?"
Diefe ift aber nach dem Zufammenhange 1. c. identifch mit Idumaa. Denn
6S heiftt alsbald: Ilvql de avrijv re xai TIJV yetrvtoJOav aveAwr, xai let
TIJ? J It)en;,uata? ipQQVQia, rot? InixalQoit; TOTIOI? eneTel%i6e.
Se d'vo xtopct? tat; ^6tniTara.q T^? *Idov(ia.ittt; .... ai?ro? .
ek 'Ani*a.ovvra. Es ware dann auch' B. J. 3, 3, 5 ueyiterai d'e ek Svdexa
**.*iQovxla<; zu verbeffern in ? di-/.a. etc. Auch Plinius N. H. 5, 14 fagt,
dag Judaa in 10 Toparchien eingeteilt worden: n Hiericuntem . . . Em-
maum, Lyddam, Jopicam, Acrabatenam, Qophaniticam, Thamniticam,
Betholeptephenen, Orinen, in qua fuere Hierosolyma . . . Herodium cum
oppido inlustri eiusdem nominis." Es find diefelben wie bei Jofephus,
nur dag hier Engaddi ausgelaffen und Joppe genannt wird. Schurer II,
230 will an Stelle -Fellas bei Jofephus Bethletepha lefen, welches nach
feiner Auffaffung von B. J. 4, 8, 1 zwifchen Emmaus und Idumaa gelegen
habe und vielleicht (Schurer II, 232, 37) mit dem heutigen Bet-Nettif
identifch fei. An Bethleptepha erinnert das heutige Beth-palet-phelet
Oftlich von Beerfeba.
7 ) S. o. S. 52.
8 ) S. o. S. 130 und S. 110.
9 ) Vgl. auch B. J. 2, 20, 4. S. o. S. 48.
") S. o. S. 57 ff.
") S. o. S. 55.
IX. Kap. Die Verfaffung der jiidifchen Stadte Palaftinas. 315
auch vor der hier gefchilderten Zeit des Konigs Agrippa II.
eine ahnliche Einteilung beftanden, da fchon das erfte Makka-
baerbuch drei Toparchien von Samaria kennt. 1 )
2. Die Ortsbehdrden und Lokalgerichte.
Sowohl fur die friihefte Zeit der Gefchichte Ifraels wie Die alte f ten
fur die Zeit der Konige und die nadiexilifche Zeit nennt das
Alte Teftament M die Alteften der Stadt" als Vertreter de
Gemeinden 2 ) und als Ortsobrigkeit mit riditerlidier und poli-
zeilicher Gewalt. 3 ) Deshalb ift es felbftverftandlich , dafc es
fidi geradefo wenig wie bei den romifchen Senatoren not-
wendig um an Jahren vorgeriickteren Mannern gehandelt
hat, fondern dag der Name ,,die Alteften" ein Amts- und
Ehrenname gewefen ift.
Fiir die romifdie Zeit hat nadiweislidi ein Rat (Povtf) als Die Ortsbe-
Lokalbehorde an der Spifce der palaftinenfifchen Gemeinden
geftanden, weldiem auch die Polizeigewalt zukam. 4 ) Ver-
mutlieh hat diefer Rat gewohnlich auch die Funktionen des
im Neuen Teftament 5 ) erwahnten Ortsgerichts oder des Syne-
driums des betreffenden Ortes ausgeiibt. Schon im Buche
Deuteronomium wird die Einrichtung von Ortsgeriehten be-
fohlen 6 ) und macht dasfelbe Buch es klar, dafc die Richter
eben die Alteften 7 ) oder der Gemeindevorftand gewefen find
Jofephus umfchreibt die Vorfchrift des Deuteronomiums in
der Weife, wie fie zu feiner Zeit von den Pharifaern gelehrt
und ohne Zweifel auch praktifch geiibt wurde. Er fagt nam-
lich: ,,In jeder Stadt follen fieben tugendhafte und gerechtig- SiebenRich-
keitsliebende Manner den Gemeindevorftand bilden, welchem ter m j eder
zwei Leviten als Diener beigegeben werden follen. Die- Gemeinde -
!) 1 Mace. 11, 28.
2 ) Deut. 19, 12. 21, 3. 6. 22, 15. 1 Sam. 11, 3. 16, 4. 1 K6n. 21,
8. 11. Esdr. 10, 14. 2 Mace. 14, 37.
3 ) Deut. 22, 15 ff., 25, 7 f. Ruth 4, 2 ff. Judith 10, 6.
*) Vgl. Jos. B. J. 2, 14, 1, der von Raubern redet, die von ihrer
OrtsbehOrde (vno rf^ na,^ extfTot? ^vA^?) in Gefangnis geworfen wurden.
5 ) Matth. 5, 22. Vgl. Matth. 10, 17. Marc. 13, 9.
8 ) Deut. 16, 18.
7 ) Vgl. Deut. 21, 19. 22, 15. 25, 7. In fehwierigen Fallen follen aber
die Priefter befragt und ihr Ausfpruch als verbindlich angefehen werden.
Deut. 17, 8 f. 19, 17. 21, 5.
316 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
jenigen, die in den einzelnen Stadten Redit fpredien, foil
man in Ehren halten und deshalb in ihrer Gegenwart weder
fchmahen, nodi fonft etwas Unziemliches tun." l ) Audi konnte
entweder von den Parteien appelliert werden oder vom Orts-
gericlite felbft eine Rechtsfache direkt ,,an die heilige Stadt"
verwiefen werden und dort ,,der Hohepriefter, der Prophet
und die Geroufia fidi verfammeln und naeh ihrem GutdiinkeH
entfcheiden." 2 ) Dem entfpricht es audi, daft, als Jofephus
Statthalter von Galilaa war, er in jeder Stadt fieben Riditer
zur Entfdieidung unwiditiger Streitigkeiten einfetjte, die wieh-
tigeren Angelegenheiten und die peinlichen Falle aber fidi
felbft und einer Behorde von 70 Alteften vorbehielt. 3 )
Fur die fpatere Zeit bemerkt die Mifchna, daft ein Lokal-
gericht (Synedrium) aus 23 Mitgliedern beftehe. 4 ) Zugleidi
zahlt fie aber auch eine Reihe von Fragen auf , zu deren
Entfcheidung drei Perfonen geniigen, z. B. bei Geldprozeffen,
Drei Riditer. bei Raub und korperlidien Verletjungen. 5 ) Letjteres mag
audi fchon in fruherer Zeit fo gewefen und dabei an einen
Riditer mit zwei Beifitjern zu denken fein. Denn wenn
Jefiis im Gleidmis ermahnt, fidi mit dem Glaubiger auf dem
) Ant. 4, 8, 14. In Ant. 4, 8, 38 und B. J. 2, 20, 5 wird wohl
von den 7 Richtern, aber nicht von den Dienern geredet. Dag es (ich
um Diener und nicht etwa um 2 levitifche Beifitjer, wie z. B. Baudissin,
art. Priests and Levites in Hastings IV, 97 meint, handelt, ergibt fich aus
dem Ausdrucke vjttj^srri? (Luc. 4, 20 gebraudit ihn von Synagogen-
dienern) und aus Siphre Deut. P. 15 (f. 68 ed. Friedmann), wo von Le-
viten, die mit dem Riemen fchlagen (bei der Geiglung) geredet wird.
Vgl. H. Weyl, Die judifchen Strafgefetje des Flavius Jofephus in ihrem
Verhaltnis zu Sdirift und Halacha (Diss.), Berlin 1900, S. 16.
2 ) Ant. 4, 8, 14.
3 ) B. J. 2, 20, 5. Er tut allerdings fo, als ob er die ganze Einrich-
tung iiberhaupt erft getroffen hatte, was von dem Rate der Siebzig fur
jene Zeit richtig fein mag. In friiherer Zeit hatte einmal der romifche
Feldherr Gabinius (f. o. S. 102 f.) zu Sepphoris fur Galilaa ein Synedrium
eingerichtet. Ant. 14, 5, 3. Vgl. B. J. 1, 8, 5.
4 ) Sanhedrin I, 6. Vgl. Selden, De synedriis et praefecturis juri-
dicis veterum Ebraeorum libri tres. Ed. nov. Francofurti et Lipsiae
1734, II, 5.
5 ) Sanh. I, 1. Vgl. Selden II, 10, 4. Schflrer II, 225 meint hingegen,
es fei nirgends in der Mifchna gefagt, dag es Ortsgerichte gegeben
habe, welche aus 3 Perfonen beftanden. .Die kleinften OrtsbehOrden
hatten aus 7 Perfonen beftanden, wofur er fidi dann auf Jos. Ant. 4,
8, 14 beruft. Es find aber die verfchiedenen Zeiten auseinanderzuhalten.
IX. Kap. Die Verfajfung der judifchen Stadte Palaftinas. 317
Wege zu vertragen, fo redet er von dem Richter, vor den
fonft der Schuldner gefchleppt werde. 1 )
Zur gerichtlidien Feftftellung des Tatbeftandes waren
mindeftens zwei Zeugen notwendig. 2 ) Audi mufjte dem
Riditerfpruch eine gerichtliche Unterfuchung und ein Verhor
vorausgehen. 3 )
Zur Zeit Chrifti hatten folehe Lokalgeriehte fogar (in
erfter Inftanz) fiber fo fdiwere Kriminalfalle wie Mord zu
entfcheiden. 4 )
Gewifc war mit der romifchen Herrfchaft unter den Land- Schommg der
pflegern zunachft in Judaa, Samaria und Idumaa feit der einheimifdien
Abfetjung des Archelaus der romifche Landpfleger audi der Behorden
hochfte Richter im Lande. Allein wie die Romer iiberail
die Eigentiimlidikeiten der ihnen unterworfenen Provinzen
fchonten, fo haben fie es befonders auch in Judaa getan.
Die einheimifdien Gerichte, fowohl die jiidifchen Lokalgeriehte
wie der oberfte iiidifdie Gerichtshof, das Synedrium oder
der Hohe Rat in Jerufalem, blieben beftehen, 5 ) wie denn
iiberhaupt die einheimifchen Behorden in Samaria, in Ca-
farea und namentlich in Jerufalem ein gropes Mag von
Rediten behielten. 6 )
3. Der Hohe Rat zu Jerufalem. 7 )
Eine Behorde von Alteften mit Strafgewalt hat allem Gefchichte des
Anfcheine nach fchon in der perfifchen Zeit zu Jerufalem be- judifchen
Rates bis auf
x ) Matth. 5, 25. Vgl. auch Luc. 18, 5 von dem Richter, welcher Archelaus.
fchliefclich der Witwe recht gibt, weil fie ihm iiberlaftig ift.
*) Deut. 17, 6. 19, 5. Jos. Ant. 4, 8. 15. Vita 49. Matth. 18, 16.
3 ) Deut. 17, 413. 19, 16-20. Jos. Ant. 4, 18, 15. Joh. 7, 51.
4 ) Matth. 5, 21-22. Auch in der Mifchna wird den Synedrien von
23 Mitgliedern diefe Kompetenz zuerkannt. S. Sanhedr. 1, 4 und 1, 1.
Vgl. auch Selden II, 10, 3.
6 ) Matth. 5, 21.
6 ) Der Landtag von Samaria (^a^a^ewv -q povkri} wird Ant. 18, 4, 2
erwahnt. Uber Cajarea vgl. Ant. 20, 8, 7. S. auch Mommfen RQ 5, 511 ff.
7 ) Die talmudifche Hauptquelle ift der Traktat Sanhedrin, Text und
lat. Uberf. in Ugolini, Thesaurus antiq. sacrarum Bd. 25. Venetiis 1762.
S. auch M. Rawicz, Der Traktat Sanhedrin. Ins Deutfche iibertragen und
mit erlauternden Anmerkungen verfehen. Frankf. a. M. 1892. Andere
deutfche Oberfe^ungen f. Einl. S. 12. Vgl. das 316, 4 angefiihrte Werk
von Selden. Langen, Das jtidifche Synedrium und die romifche Prokuratur
318 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
ftanden. 1 ) Sidier aber exiftierte eine Geroufia, d. h. ein
oberfter Senat in Jerufalem fowohl in der griediifchen Zeit 2 )
als aueh in der Zeit der Makkabaer Judas, Jonathan und
Simon. 3 ) Als die Konigin Alexandra fchon fchwer erkrankt
war und ihr Sohn Ariftobul fich der Feftungen bemachtigt
hatte, gingen die ,,Alteften der Juden" mit Hyrkan, dem
Hohenpriefter, zur Konigin und erhielten von ihr Vollmaditen,
alles nadi Gutdunken ins Werk zu fetjen. 4 ) Unter dem
romifchen Feldherrn Gabinius ift fpater voriibergehend das
Land in funf voneinander unabhangige Bezirke (ffw&Qia)
geteilt worden. 5 ) Cafar hob diefes wieder auf und ernannte
den Hyrkan zum Ethnarchen. 6 ) Unter diefem hat der Hohe
Rat oder das Synedrium den Herodes wegen feines gewalt-
tatigen Vorgehens in Galiiaa zur Verantwortung gezogen. 7 )
Zwar hat Herodes felbft mit blutiger Gewalt den Hohen Rat
gefaubert und die Hohenpriefter naeh Belieben ein- und ab-
gefetst, aber er hat ihn keineswegs unterdriickt. 8 )
Der Hohe Rat Nadi dem Tode des Herodes und der Abfetjung des
zur Zeit Archelaus, als die romifchen Prokuratoren von Cafarea aus
nd re S ierten > ^ der H he Rat nidlt bl ? als Geridlts -
> I ndern audl als ober f te Verwaltungsbehorde fo zu An-
lehen gekornmen, dag Jofephus fagen konnte, 9 ) damals fei der
in Judaa. Tub. Q Schr. 1862, S. 411463. Kuenen, tiber die Zu[ammen-
jetjung- des Sanhedrin, Gefammelte Abhandlungen zur biblifdien Wiffen-
{iiiaft, uberj. von Budde, Freib. i. B. u. L. 1894, S. 49-81. Blum, Le
Synhedrin ou Grand conseil de Jerusalem, son origine et son histoire,
Strasbourg 1889. Biidiler, Das Synedrion in Jerufalem und das grojge
Beth-Din in der Quaderkammer des jerufalemifchen Tempels (IX. Jahres-
beridit der ifraelitifdh-theol. Lehranftalt in Wien) 1902.
J ) Esdras 10, 8.
2 ) Die judifche ye^ovgla wird zuerft unter Antiochus dem Grogen
erwahnt. Jos. Ant. 12, 3, 3. Vgl. 2 Mace. 11, 27. 1 Mace. 13, 36.
Der Name awtfytov ift im 2. Jahrh. v. Chr. beglaubigt durch die Sep.tua-
ginta des Buches der Sprichworter 31, 23. Das im Talmud gebrauchte
Wort Sanhedrin ift nadi dem Griechifch. geformt und nadibiblifch.
3 ) Vgl. z. B. 2 Mace. 1, 10. 1 Mace. 12, 6. 13, 36.
*) Ant. 13, 16, 5.
5 ) Ant. 14, 5, 4. Im B. J. 1, 8, 5 fteht dafur der Name
6 ) S. o. S. 105.
7 ) S. o. S. 107.
8 ) S. o. S. 116,
9 ) Ant. 20, 10 am Ende. Vgl. Ant 4, 8, 14. S. u. S. 319.
IX. Kap. Die Verfaffung der jfidifchen Stadte Palaftinas. 319
Staat ariftokratifch verwaltet worden, die Auffidit fiber das
Volk aber dem Hohenpriefter anvertraut gewefen. Es liegt
darin die Wahrheit ausgefprodien, dafc der Hohe Rat im
allgemeinen diefelben Befugnifte hatte, welche den Behorden
der von den Romern als autonom anerkannten Stadte zu-
kamen. 1 ) Da der Hohe Rat die geiftlidie Vertretung der ge-
famten Judenfchaft darftellte, die weltlidien Intereffen aber
namentlidi bei den Juden in Jerufalem mit den geiftlidien aufs
engfte verbunden waren, konnte das audi kaum anders fein.
Sdion aus diefer allgemeinen Erwagung ift fur Jerufalem Der Hohe Rat
an ein Nebeneinanderbeftehen einer judifchen Geroufia oder war Ver ~
eines Rates (jSow^), weldier die hodifte politifche Behorde waitungsbe-
, .. . . , t i_ / 1- -~r T i- horde und
der Stadt war, und einer andern, weldier das rehgiofe Leben Geridltsno f
der Bewohner der Stadt und Judaas und den Tempeldien[t ZU gi e ich.
leitete und etwa aueh als oberfter Geriditshof fungiert hatte,
nidit zu denken. 2 ) Aber audi im Neuen Teftamente erfdieint
das Synedrium nicht blofe als der oberfte judifche Geriditshof, 3 )
fondern als die oberjte politifche Behorde der Juden iiber-
haupt, 4 ) wie denn audi Jofephus die Ausdrudce Synedrion
und Rat ((SouAjf) als gleidibedeutend gebraudit. 5 )
') Vg-l. Mommfen RG 5, 511 ff
2 ) Biichler (f. o. S. 317, 7) will zwifdien der pwM, als der Ver-
waltungsbeh6rde Jerujalems und feiner Bewohner, dem awedpmv als
einem Priefterkollegium, welches nur fiber Vergehen, die innerhalb des
Tempelgebietes begangen wurden, zu entfdieiden hatte, und dem in den
rabbinifdien Quellen oft erwahnten w grogen Sanhedrin", weldier fiber
die Ausfuhrung der herrfchenden Anfdiauungen in Bezug auf das Opfer-
wefen und das religiOfe Leben wachte, unterfdieiden. Lauterbach, Art.
Sanhedrin in The Jewish Encyclopedia XI, 1905, p. 4144 unterfcheidet
zwei Beh&rden, das rabbinifche Sanhedrin und die povlrj, der audi die
nach Bfichler dem GwiSQmv obliegenden Funktionen zukamen. Houtsma,
Teylers Theol. Tijdfchrift, II. Jaarg. 1904, p. 297316 lagt neben dem
rabbinifdien Sanhedrin, welches er mit dem griediifdien ffweSytov iden-
tifiziert, eine bejondere politifdie Behorde Jerufalems (ye^ovdla oder
povlr.) exiftieren, welche nach ihm aus den vornehmen Prieftern und den
Alteften beftand. Vgl. dagegen Schfirer II, 246 f. und Smith, Jerufalem I,
418422.
3 ) Matth. 5, 22. 26, 59. Marc. 14, 55. 15, 1. Luc. 22, 66. Apg. 5,
21 ff. 6, 12 ff. 22, 30. 23, 1 ff. 24, 20. Apg. 5, 21 heigt es: gwndlea
TO Owed yiov xii [=namlidl] i^tSnv rrjv yepovGictv roiv vtMv'ldycoj).. Vgl. U.S. 321.
*} Joh. 11, 47. Apg. 4, 15. Jofeph von Arimathaa wird Marc. 15, 43
und Luc. 23, 50 /9ovAei-r/? genannt.
3 ) Er gebraudit den Ausdruck ewidqiov Ant. 14, 9, 3-5. 15, 6, 2 fin.
320 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Seine In innerjiidifchen Angelegenheiten war die Kompetenz
Kompetenz d es Synedriums felbft unter romifcher Verwaltung keineswegs
augerhaib auf das e i gen tiich e Judaa befchrankt. So z. B. fandte es eine
itif^xiJiQ ^^
Gefandtfchaft an Johannes den Taufer nadi Bethanien, jen-
feits des Jordans, 1 ) und gab {pater dem Saulus Vollmadit,
die Chriften auch aufjerhalb Palaftinas in Damaskus gefangen
zu nehmen und zur Aburteilung nach Jerufalem zu bringen. 8 )
Untergang Im judifchen Kriege hat das Synedrium anfangs eine
des udifchen fuhrende Rolle gefpielt, 3 ) trat aber bald ganz in den Hinter-
Synedriums. gmndj alg die Zeloten die Madlt bekamen. 4 ) Diefe verhohnten
den Hohen Rat fogar, indem fie ein machtlofes Scheingeridit
von 70 Burgern beriefen, um fiber einen vornehmen Mann
namens Zacharias zu Gerieht zu fitjen. 5 ) Als mit Jerufalem
der Mittelpunkt des judifchen Nationalwef ens. verfch wand und
damit eine ganze Anzahl von Privilegien, welche die Romer
den Juden gewahrt hatten, gegenftandslos geworden war,
ging audi der Hohe Rat fur immer unter. Das rabbinifche
Judentum hat fidi zwar f pater, zuerft in Jamnia, dann in
Tiberias einen neuen Mittelpunkt in den iudifchen Spruch-
kollegien gefchaffen. Allein diefe waren dodi nur ein Schatten
des alten Synedriums.
Drei Kate- Was die Zufammenfetjung des Synedriums zur Zeit Jefu
gorien von und auc j 1 jpater betrifft, fo war dasfelbe keine blojge faddu-
MU def 6 zai ^" che Adelsver f ammlun g priefterlichen Charakters, fondern
Hohen Rates es entm ' e l t auc ^ eine Anzahl pharifaifcher Sehriftgelehrten. 6 )
Die Zahl der Mitglieder betrug, den Hohenpriefter einge-
rechnet, 7 1 7 ) und entfprach damit der Zahl der Alteften,
welche den Rat des Mofes bildeten.
20, 9, 1. Vita 12; den Ausdruck pvtf B. J. 2, 15, 6. 2, 16, 2; 2, 17, 1
fteht povlevrai. Vgl. Ant. 20, 1, 2. B. J. 5, 13, 1.
J ) Joh. 1, 1928.
2 ) Apg. 9, 2. 22, 5. 26, 12.
3) S. o. S. 235.
4 ) S. o. S. 244 f. In der Vita nennt Jofephus den Hohen Rat nidit
wie fonft 6wid(>i<>v oder /9ovA^, {ondern faft immer TO Y.OIVOV r<!iv 'Js^o6o-
IVHITWV (vgl. Vita 12. 13. 38. 49. 70) oder kurzer TO KQIVOV Vita 52. 60.
5 ) B. J. 4, 5, 4.
6 ) Vgl. S. 322.
7 ) Vgl. S. 321. In Galilaa machte JoJ. nach B. J. 2, 20, 5 fiebzig
Altejte zur hOchften Behorde in Galilaa. Audi die Mifdina gibt die Zahl
der Mitglieder des Synedriums auf 71 an. Vgl. Sanh. 1, 6. Schebuoth 2, 2.
IX. Kap. Die Verfaffung der jiidifchen Stadte Palaftinas. 321
Dem Hphen Rate gehorten als Mitglieder an ,,die Hohen- ,,Die Hohen-
priefter, die Alteften und die SchriftgelehrtenV) Statt Hohe- priefter."
priefter fagt die Heilige Sdirift auch ,,die Vorfteher". 2 ) Jo-
fephus umfchreibt die verfchiedenen Kategorien der Ratsmit-
glieder durch den Ausdruck ,,die Hohenpriefter und die Vor-
nehmen" 3 ) oder redet gar von den ,,Hohenprieftern und
Vornehmen der Juden famt dem Rate", 4 ) ein Ausdruck, der
an die Apoftelgefchichte 5 ) erinnert, nach welcher der Hohe-
priejter ,,den Hohen Rat und (d. h. namlich) die ganze Alteften-
verfammlung der Kinder Ifraels" beruft. Daft es fich nicht
etwa um zwei yerfchiedene, nur gelegentlich zufammentagende
Behorden, wovon die eine das Synedrium, die andere die
Alteftenverfammlung war, handelt, [ieht man daraus, daft
der Verfaffer der Apoftelgefchichte an einer andern Stelle
die Hohenpriefter und Sdiriftgelehrten als das Alteftenkol-
legium bezeidinet. 6 ) Gerade wie die Heilige Schrift aber oft
kurz, ftatt alle Kategorien des Hohen Rates anzufuhren, von
den ,,Hohenprieftern und Schriftgelehrten" 7 ) oder von ,,den
Hohenprieftern und dem ganzen Synedrium" 8 ) redet, fo ge-
braucht Jofephus dafiir die Ausdriicke ,,die Vorfteher in Je-
rufalem", ,,die Vorfteher und die Mitglieder des Rates", ,,die
Vorfteher famt den Angefehenften". 9 )
Die erfte Kategorie der Ratsherren ift fomit die der
Vorfteher" oder der ,,Hohenpriefter". 10 ) Die Hohenpriefter, 11 )
1 ) Marc. 14, 53. 55. Vgl. Matth. 16, 21. 27, 41. Marc. 8, 31. 11, 27.
14, 43. 15, 1. Luc. 9, 22. 20, 1. 22, 66.
2 ) In Apg. 4, 5. 8 wird von den a'^orrc? neben den n^ee^vT^oi
und den j^a/u^arit? geredet.
3 ) B, J. 2, 14, 8. 15, 2. 3. 17, 2. 3. 5. 6.
f) B. J. 2, 16, 2.
5 ) Apg. 5, 21.
6 ) Luc. 22, 66. Apg. 22, 5.
7 ) Matth. 2, 4. 20, 18. 21, 15. Marc. 10, 33. 11, 18. 14, 1. 15, 31.
Luc. 22, 2. 22, 66. 23, 10. An andern Stellen heigt es ,,die Hohen-
priefter und Alteften". Matth. 21, 23. 26, 3. 26, 47. 27, 1. 3. 12. 20. 28,
11-12. Apg. 4, 23. 23, 14. 25, 15. . :...
8 ) Matth. 26, 59. Marc. 14, 55. Apg. 22, 30. ...-;
9 ) B. J. 2, 16, 1 uiid 17, 1. ; X
10 ) In Luc. 23, 13. 24, 20 .ftehen oi a^^epei? und oi .aexoiKi? neben-
einander. .....,: .'.":.:..' . -.; '
u ) S. die alteren verfchiedenen Erklarungsyerfuche des, Namens bei
Haneberg, Die relig. Altertumer der Bibel. 2 Munchen 1869, S. 562 ff.
Felten, Neuteftamentlidie .Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. ,'; " ,v21- -
322 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
weldie naturlidi von dem Hohenpriefter, der an der Spitje
des ganzen Kollegiums fteht, zu unterfcheiden find, konnen
nicht etwa einfach fruhere, abgefetjte Hohepriefter fein, da
deren Zahl dodi immer eine kleine gewefen fein mug. Es
ift auch nicht wahrfcheinlich, dag fie Sproglinge oder Ver-
treter priefterlicher Familien, aus denen feit dem Untergang
der hasmonaifchen Familie abwedifelnd die Hohenpriefter
ernannt wurden, waren. Allerdings fpridit Jofephus von den
,,Gefchlechtern, aus welchen abwedifelnd die Hohenpriefter
ernannt zu werden pflegten", 1 ) aber erft zur Zeit des jii-
difchen Krieges, als die Zeloten einen Mann niedriger Her-
kunft zum Hohenpriefter einfe^ten. Dag aber aueh fchon zur
Zeit Jefu, fur welehe der Ausdruck ,,Hohepriefter" beglaubigt
ift, gewiffe Gefchlechter abwedifelnd den Hohenpriefter zu
ftellen gewohnt gewefen feien, ift damit nicht gefagt. Wahr-
fcheinlidi find vielmehr unter den ,,Hohenprieftern" die-Haupter
und Vertreter der 24 Priefterfamilien verftanden, 2 ) welehe,
um fie von den gewohnlichen Prieftern zu unterfcheiden,
Hohepriefter im weiteren Sinne des Wortes genannt wurden.
Jedenfalls waren fie die Vornehmften der Priefterfchaft und
gehorten wenigftens vorwiegend in jener Zeit, in welcher
die Hohenpriefter im engften Sinne des Wortes fadduzaifch
gefinnt waren, der fadduzaifchen Richtung an. 3 )
Die Schrift- Die Sdiriftgelehrten 4 ) waren zur Zeit Jefu meift Phari-
geiehrten. faer 5 ). Sie befafeen als Gefe^eskundige, da eben viele Fragen
fich auf das Gefets und feine Auslegung und Anwendung
bezogen, naturgemag einen grofjen Einflug im Hohen Rate.
' J ) B. J. 4, 3, 6. Sehurer II, 274 ff., welcher wie Kuenen 1. c. meint,
die a^iepetc feien der fungierende Hohepriefter und die, welehe fruher
dies Amt bekleidet hatten, fowie die Mitglieder der bevorzugten Fa-
milien, aus welchen die Hohenpriefter genommen wurden, beruft fich aueh
auf Apg. 4, 6, wo von folchen, ,,die aus hohepriefterlichem Gefchlechte
waren," als Richtern fiber Petrus und Johannes geredet wird. Vorher
werden aber 4, 5 die ayxovief, 7i^s6^vTetJoi und yyapnaTti? erwahnt, und
fcheint es fich 4, 6 nur um Blutsverwandte des Annas und Kaiphas zu
handeln.
2 ) Sie heiften ,,Hohepriefter" 2 Paral. 36, 14, fowohl im hebr. Text
wie in der Vulgata. In diefem Sinne fteht der Ausdruck aueh wohl
Jos. Ant. 20, 8, 8 und Vita 5. 38. 39. Vgl. noch Luc. 1, 5.
3 ) Apg. 5, 17. Ant. 20, 9, 1.
*) Vgl. fiber fie unten XI. Kap.
5 ) Apg. 5, 34. 23, 6. Vgl. aueh B. J. 2, 17, 3.
IX. Kap. Die Verfaffung der jiidifchen Stadte Palaftinas. 323
Die fchledithin als ,,die Alteften" bezeichneten und da- Die Aiteften.
durch von den Hohenprieftern wie von den Schriftgelehrten
unterfchiedenen Mitglieder des Hohen Rates waren Bei-
fitjer, die zum Teil auch aus priefterlichem Gefchleehte ge-
wefen fein mogen. Allerdings heigen fie bisweilen auch
,,die Alte[ten des Volkes". 1 ) Allein an Stammesaltefte ift
nicht zu denken. Eher diirften es Vertreter alter Adelsfa-
milien gewefen fein, da die ganze judifche Regierungsform
keine demokratifche, fondern vielmehr eine ariftokratifche
war. 2 )
Der Vorfifjende des Hohen Rates war ftets der Hohe- Der Vor-
priefter. Das folgt fowohl aus feiner ganzen Stellung als
oberfter Richter 3 ) und Auffeher fiber das ganze Volk 4 ) als
auch aus der durch das Neue Teftament 5 ) wie durch Jo-
fephus 6 ) bezeugten Praxis, wonach z. B. Kaiphas im Prozefc
gegen Jefus und Ananias zur Zeit des Paulus als Hohe-
priefter den Vorfitj fuhrten. Wenn die fpatere judifche Tra-
dition der Mifchna behauptet, es habe regelmafcig ein phari-
faifcher Schriftgelehrter den Vorfitj gefuhrt, |o find darin un-
gefchichtlich im Gegenfatj zu den Tatfachen Verhaltni[Je, wie
fie nach der Zerftorung Jerufalems exiftierten, einfach in die
Vergangenheit ubertragen worden. 7 )
1 ) Matth. 26, 3. 27, 1.
2 ) Vgl. Jos. Ant. 20, 10 in fin. d(iiOT<,^a,xia ^v ^ nolirdn. Die Ge-
fchlechtshaupter nla^n ^Nl bei Esdr. 4, 3 jtanden mit Zorobabel und
dem Hohenpriefter Jofua unter Cyrus an der Spitje der nadi Palaftina
zuruckkehrenden Emigranten (Esdr. 2, Nehem. 7).
a ) Ant. 4, 8, 14; c. Apibn. 2, 23.
) Ant. 20, 10 fin.
^ Matth. 26, 3. 57. - Apg. 5, 21. 27. 7, 1. 23, 2. 24, 1. Es ift nur
eine Ungenauigkeit, dag Annas als friiherer Hoherpriefter Luc. 3, 2 und
Apg. 4, 6 vor Kaiphas genannt wird.
6 ) Ant. 14, 9, 3-5. 20, 9, 1.
7 ) In der Mifdina, Traktat Aboth c. 1 werden die Namen bekannter
judijcher Gelehrter als Sdiulhaupter angefuhrt, und zwar fiir die Zeit
vom 2. Jahrh. v. Chr. bis um die Zeit Chrifti paarweife. Es wird nun
Chagiga 2, 2 behauptet, der erfte eines Paares fei Nafi (NT;), d. h. Pra-
{ident, der zweite Ab-beth-din (p. JV2 2i<), d. h. Vizeprafident des Syne-
driums gewefen. Von den folgenden Schulhauptern follen z. B. Gamaliel I.
fur die Zeit Jefu und Symeon ben Gamaliel fiir die Zeit des jiidifchen
Krieges Prafidenten des Synedriums gewefen fein, obwohl gerade diefe
21*
324 Zweiter Abjchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Kompetenz Was nun die Kompetenz des Synedriums anlangt, fo
des Hohen war es no fa zur 2eit des Jofephus die oberfte richterliche
In * tanZ lm ^ JudQnlandQ '^ Vor die f em Gerichte ftanden Je-
' fus, fpater Petrus und Johannes, dann Stephanus und auch
Paulus. 2 ) Es konnte in romifcher Zeit Haftbefehle geben
und vollziehen laffen 3 ) und auch Leibesftrafen, wie die Geifc-:
lung verhangen. 4 ) Unter den romifchen Prokuratoren konnte
es zwar ein Verbrechen, worauf nach judifchem Gefetj die
Todesftrafe {land, unterfudien und [ein Urteil dariiber ab-
geben, 5 ) allein diefes Urteil bedurfte, um vollzogen zu wer-
den, von Anfang an, feitdem Judaa unter romifche Ver-
waltung gekommen war, 6 ) der Beftatigung des romifchen
Prokurators, 7 ) dem es felbftverftandlich auch zuftand, die Be-
rechtigung des Todesurteils fowohl vom Standpunkte des
jiidifchen wie des romifdien Rechtes zu prufen. 8 ) Da diefes
Manner durch Apg-. 5, 27. 34 bezw. Jos. Vita 38. 39 als bloge Beifitjer
des Synedriums zu erweifen find. Die Refultate der von Kuenen, Well-
haufen, Schiirer u. a. hieruber angeftellten Unterfuchungen werden nun
auch von judifchen Gelehrten als richtig anerkannt. Vgl. z. B. Sack, Die
altjudifche Religion im Obergange vom Bibeltume zum Ta'lmudismus.
Berlin 1889, S. 398 f. und Bacher, Art. Sanhedrin in Hastings IV, 397 ff.,
der wenigftens im wefentlichen zuftimmt.
J ) S. o. S. 316.
*) Vgl. Matth. 26, 15. Job. 19, 7. Apg. 4 und 5. Apg. 6, 13 ff.
Apg-. 23. Vgl. Winer RWB. II, 552.
3 ) Matth. 26, 47. Marc. 14, 43. Apg. 4, 3. 5, 17 f.
) Apg. 5, 40. 2 Kor. 11, 24. Vgl. B. J. 6, 5, 3.
5 ) Marc. 14, 64.
6 ) B. J. 2, 8, 1. Vgl. Artt. 20, 9, 1. Dag dies fchon wahrfcheinlich
feit dem Jahre 7 n. Chr. (.0 war, fagt Keim, Qefchichte Jefu von Nazara.
3 Bde. Zurich 186772 III, 350, 2. Die Bemerkung des Talmud (Jer.
Sanhedrin fol. 24 b): ,,Viefzig Jahre vor der Zerftorung des Tempels
wurden die Urteile uber Leben und Tod von Ifrael genommen" kann,
foweit es fich um das Jahr handelt, in keiner Weife als eine gefchicht-
liche Cberlieferung angefehen werden.
7 ) Die Juden durften aber felbft Romer, wenn fie die Schranken
des Vorhofes iibertraten, mit dem Tode beftrafen (B. J. 6, 2, 4). Vermut-
lich mugten fie jedoch auch dann, wenn ein folch'er Obeltater ergriffen
wurde, die Beftatigung des Todesurteils durch den Prokuratur nachfuchen.
8 ) Jefus war wegen Gotteslafterung vom Hohen Rate des Todes
fchuldig erkannt (Matth. 26, 65. Joh. .19, 7). Vor Pilatus klagten ihn
aber die Juden politifcher Verbrechen an, er wiegle das Volk auf, ver-
biete, dem Kaifer Steuer zu zahlen, und behaupte, er fei der Meffias, ein
IX. Kap. Die Verfaffung der judifchen Stadte Palaftinas. 325
Redit der Beftatigung dem Prokurator zukam, lag in feiner
Stellung als Vertreter der Reichsgewalt l ) und wurde auch
ausdriicklich im Falle Jefu von den Juden anerkannt mit
den Worten: es ift uns nicht erlaubt, jemand zu toten. 2 )
Das Recht, das Synedrium zu berufen, ftand fur ge- Das Recht der
wohnlich dem Hohenpriefter als Vorfifcenden zu. Allerdings Berufun des
haben einige gefetjeifrige Juden den Hohenpriefter Ananus, s y nednums -
der den Jakobus, den Bruder des Herrn, zur Steinigung
verurteilen Heft, bei dem Landpfleger Albinus verklagt und
gefagt, es habe dem Ananus nicht zugeftanden, ohne des
Landpflegers Zuftimmung den Gerichtshof zu berufen. 3 ) Sie
meinen aber augenfcheinlich, es habe ihm nicht zugeftanden,
ein ohne Genehmigung des Landpflegers zu vollziehendes
Todesurteil fallen zu laffen. Aber aus der Tatfache, daft
der Tribun der Truppen in Jerufalem das Synedrium berief,
um zu hfiren, welche Anklagen die Juden gegen den im
Tempel ergriffenen Paulus vorzubringen hatten, 4 ) darf ge-
fchloffen werden, daft er als Bevollmachtigter und Vertreter
KOnig (Luc. 23, 2). Als Pilatus keine Schuld an ihm findet, berufen fie
fich wieder auf ihr Gefetj, welches Jefus durdi Gotteslafterung iibertreten
haben follte (Joh. 19, 7), Pilatus will inn aber nun formlich freifprechen
(Joh. 19, 12). Jetjt heben fie wieder die politifche Anklage hervor und
drohen indirekt, den Pilatus wegen Begunftigung von Hochverrat beim
Tiberius zu verklagen (1. c.). Nun erft fallt Pilatus fein Urteil gegen
Jefus (Joh. 19, 13 ff.). Vgl. Rob. von Mayr, Der Prozefc Jefu, in: Archiv
fur Kriminalanthropologie und Kriminaliftik XX (1905) 269-305; F. Doerr,
,,Der Prozeg Jefu in rechtsgefchiehtlieher Bedeutung", in : Archiv fur Straf-
recht und Strafprozeg LV (1908) 12-64; K. Kaftner, Jefus vor Pilatus
(= Neuteftam. Abhdlgn., herausgegeben von M. Meinertj IV, 23) 1912,
Munfter i. W.
') Vgl. Mommfen, Rom. Strafrecht, Leipzig 1899, S. 240 und ,,Die
Pilatusakten" (Z. f. NTW. Ill, 1902, S. 198-205).
2 ) Joh. 18, 31. Die Steinigung des Stephanus Apg. 7, 54 ff. kann
hiergegen nicht angefuhrt werden, da diefelbe ohne eigentlichen Urteils-
fpruch tumultuarifch erfolgte. Apg. 26, 10 (vgl. auch Apg. 9, 1) fagt
Paulus, wenn die Chriften hingerichtet wurden, habe er auch feine Stimme
abgegeben. Wie es fcheint, redet er hier allgemein von der Hinrichtung
des Stephanus. Aber felbft wenn in jener Zeit der Verfolgung noch an-
dere Chriften getotet worden find, folgt daraus nicht, dag der Hohe Rat
das Recht dazu gehabt hatte.
3 ) Ant. 20, 9, 1.
4 ) Apg. 22, 30; vgl. 23, 15. 20. 28.
326 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
des Prokurators in dringenden Fallen das Redit hatte, wohl
audh dann durch Vermittlung des Hohenpriefters, das Syne-
drium zu berufen.
Es ift felbftverftandlich , da an den Sabbaten und an
hohen Feften keine Gerichtsfitjung abgehalten wurde. 1 )
Verfamm- Der Verfammlungsort des Synedriums war naturgemafc
lungsort. das Rathaus. 2 ) Ober feine Lage wiffen wir, dafe die erfte
beim Hippikusturm beginnende Stadtmauer von dort bis zum
Xyftus ging, fich darauf an das Rathaus anfchloJ5 und an der
weftlichen Halle des Heiligtums endigte. 3 ) Von dem Xyftus
genannten Platje fiihrte eine Briicke bis an den weftlichen
Rand des aufceren Tempelvorhofes, wo oberhalb des Xyftus
ein Tor angebracht war. 4 ) Das Rathaus kann nicht in der
Oberftadt etwa nahe bei dem Xyftus genannten Platje ge-
wefen fein, da unmittelbar von jenem Platje die Briicke auf
den Tempelberg fiihrte und das Rathaus fpater von den
Romern mit dem Stadtteil Akra und dem Bezirk Ophla ver-
brannt wurde, ehe fie noch die Oberftadt in Befitj genommen
hatten. 5 ) Auf dem Tempelberg felbft aujjerhalb des Vorhofes
war aber augenfcheinlich kein Plat? dafur. Somit lag es im
Tyropoion nahe dem Tempelberg. 6 )
') Vgl. Selden, De Synedriis II, 10, 2. Audi Philo (De migratione
Abraham! 16) fuhrt unter den am Sabbate verbotenen Dingen das Ge-
ridithalten auf.
2 ) Vgl. auch o. S. 71.
3 ) B. J. 5, 4, 2. Ober den Xyftus f. o. S. 70 f
*) B. J. 6, 6, 2. An diefem Tore ftand Titus, als er 1 c. zu den
EmpOrern in der Oberftadt, zwifchen denen und ihm die Brucke lag, redete.
6 ) B. J. 6, 6, 3.
6 ) S. o, S. 257. Nach der Mifdina (vgl. die Tractate Middoth 5, 3,
Pea, 2, 6, Edujoth 7, 4) war der Verfammlungsort des grogen Synedriums
die Lischkath ha-gasith (IV^~ r?^'?), d. h. ,,die Halle von Quaderfteinen",
und diefe lag nach derfelben Quelle (vgl. Middoth 5, 3) innerhalb des
eigentlidien Tempelvorhofes an der Siidfeite. Der Traktat Middoth 5,
3, 5 fagt ausdrucklich, ,,in der Halle Gasith fag das groge Sanhedrin
Ifraels", und identifiziert dadurdi die Sanhedrin 11, 2 ,,das groge Beth -
die in der Quaderkammer" genannte BehOrde mit dem Sanhedrin.
Schurer II, 263 f. identifiziert die Lischkath ha-gasith mit der povfj des
Jofephus, meint aber, der erftere Name bedeute nicht Quaderkammer,
fondern ,,die Halle am Xyftus" ( W IV7$ = tva? wie LXX 1 Chron. 22, 2.
Amos 5, 11" Schurer II, 264), obwohl fie nach ihm (1. c. S. 263) ,,auf
IX. Kap. Die Verfaffung der judifchen Stadte Palaftinas. 327
Es fteht nidits der Annahme entgegen, dag hier audi Wohnung
die Wohnung des Hohenpriefters zu fuchen ift, fei es nun, desHohen -
dag fie eben im Rathaufe felbft fich befand oder doch un- pneferb -
mittelbar mit diefem verbunden war. Jedenfalls hat das
Synedrium bei der Verurteilung Jefu 1 ) im Haufe des Hohen-
priefters getagt, Es iff aber naturlich moglich, dag die
Sitjungen wenigftens ausnahmsweife in feinem Haufe ftatt-
finden durften, wenngleidi es wahrfcheinlicher ift, dag man
in einem einzelnen Falle aus Hag gegen Jefus und um
Auffehen zu vermeiden, uber das Ungefetjliche der Verfamm-
lung des Hohen Rates augerhalb des eigentlidien Rathaufes
hinwegfehen mochte.
Ober das Geriehtsverfahren des Synedriums zu Jamnia Das Gerichts-
wiffen wir einiges. Es ift zwar nicht fidier, 2 ) aber doch verfahren
nidit unwahrfcheinlich, dag gerade diefe erfte Behorde zu f l ines J u ^g"
Jamnia in ihrer Praxis fich im wefentliehen nach den vor- driums na( j,
handenen Oberlieferungen iiber den Hohen Rat gerichtet jpateren
hat. Nach den Nachrichten der Mifchna hieruber fagen die Queiien.
Ratsmitglieder im Halbkreis. 3 ) Zwei Gerichtfchreiber waren
da, wovon der eine die Reden fur, der andere die Reden
gegen den Angeklagten auffchrieb. 4 ) In Fragen des Zivil-
oder des Zeremonialrechtes begann die Abftimmung mit den
Vornehmften, in Halsfacheri ,,auf der Seite" d. h. bei den
jiingeren Gerichtsmitgliedern, damit ihre Abftimmung nicht
dem Tempelberg felbft an deffen weftlicher Grenze" zu fuchen ift und
Jof. B. J. 6, 6, 2 das dort Gelegene als ,,oberhalb des Xyftus" (ruly tor
Svatt'iv) bezeichnet. Nach der babylonifchen Gemara (vgl. z. B. Sanhe-
drin c. 5 fol. 41 a, Aboda zara fol. Sb und andere fchon von Selden II,
15, 7. 8 mitgeteilte Stellen) hatte das Synedrium in den letjten Jahren
des judifchen Staatswefens feine Sitjungen von der Quaderhalle in die
Kaufhalle (chanuth) und fpater von dort in die Stadt Jerufalem verlegt.
Vgl. u. a. Keim, 1. c. 351, 5 und 352, 1 u. 2. Auch Bacher, Art Sanhe-
drin in Hastings 1. c. halt diefe Oberlieferung fur im Kerne richtig. Allein
es fpricht fchon dagegen, dag die Mifchna nichts von diefer angeblichen
Oberlieferung weig.
a ) Marc. 14, 53 ff. Matth 26, 57 ff.
2 ) Bacher, art. Sanhedrin in Hastings IV, 398 meint: What was
true of the new institution was transferred to the ancient one, and the
historical picture of the latter was thus essentially changed.
3 ) Sanhedrin 4, 3. Vgl. Selden II, 6, 1.
4 ) Sanh. 4, 3.
328 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
durch die der alteren beeinflufrt werde. 1 ) Bei Verbrechen,
worauf die Todesftrafe ftand, 2 ) mugten wenigftens 23 Mit-
glieder als Richter der Verhandlung beiwohnen. Ergab die
Abftimmung eine Majoritat von blofr einer Stimme fur
,,fchuldig", fo mufcte die Zahl der Richter um zwei vermehrt
werden und dies, wenn keine grofcere Majoritat fich land,
folange bis entweder Freifprechung erfolgte Oder 36 gegen
35 fich fiir ,,fchuldig" ausfprachen. 3 ) Bin freifprediendes Ur-
teil konnte an dem Tage, an welchem die Verhandlung be-
gonnen hatte, ein verdammendes aber erft am folgenden
Tage gefallt werden. 4 ) Wichtiger war, dafc zum Erweis der
Wahrheit einer Anklage zwei Zeugen 5 ) nptig waren, und
nur freie Ifraeliten, aber keine unmoralifch Lebende oder
notorifche Verbredier u. dgl. zur Ablegung des Zeugniffes
zugelaflen werden konnten. 6 )
X. Kapitel.
Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 7 )
Der Mittelpunkt des geiftigen Lebens der Juden war der Tempel 8 )
und der Tempeldienft. Die mit letjterem betrauten Perfonen genoffen
') Sanh. 4, 2.
2 ) Es werden 36 folcher Verbrechen aufgezahlt. Auf 17 ftand die
Strafe der Steinigung, auf 10 die des Verbrennens, auf 2 die der Hin-
richtung durch das Schwert, auf 6 die der Erdroffelung. Sanhedr. c. 7.
Vgl. Selden 1. c. II, 13, 5 und II, 13, 4.
3 ) Sanhedr. 4, 5.
*) Sanh. 4, 1. 5, 5. Vgl. Selden II, 10, 2.
3 ) Deut. 17, 6. 19, 15-21. Sanhedr. 4, 5 und 5, 1-4.
6 ) Jof. Ant. 4, 8, 15. Vgl. Selden II, 13, 11.
7 ) Lightfoot, Ministerium templi quale erat tempore nostri Salva-
toris. Opera omnia, Ultrajecti 16991,671758. Joh. Lu.ndius, Die alten
judifchen Heiligtumer, Gottesdienfte und Gewohnheiten fur Augen geftellet,
in einer ausfuhrlichen Befchreibung des ganzen levitifchen Prieftertums.
Hamburg 1701. Ugolinus, Thesaurus antiquarum sacrarum. Vol. IX,
XII XIII. Venetiis 1748. 1751 sq. Aus neuerer Zeit befonders Ederftein,
The Temple, its ministry and services as they were at the time of Jesus
Christ. L. 1874. Haneberg, Die heil. Altertumer der Bibel." Munchen
1869, S. 508 ff. Van Hoona.cker, Le sacerdoce levitique dans la loi et
dans 1'histoire des Hebreux. Louvain 1899.
s ) Audi Baudiffin, Die Gefch. des altteftam. Prieftertums. Leipz. 1889
X. Kap. Die jfidifche Priefterfdiaft und der Tempeldienft. 329
wegen der Heiligkeit ihres Amtes das grogte Anfehen. Es war ein alt-
hergebrachtes Anfehen, denn es ging auf Mofes felbft zurfick. In unferer Der mofaifche
hyperkritifchen Zeit hat man zwar auch den mofaifchen Urfprung des Le- Urfprung des
viten- und Prieftertums geleugnet, und die Berichte der aus der Zeit nach Leviten- und
dem Exil ftammenden Bficher Paralipomenon fiber die alteren gottes- Prieftertums.
dienftlichen Einriditungen der vorexilifchen Zeit als Zuruckdatierung f pa-
terer Einriditungen ausgegeben und eine fteigende Bedeutung des Priefter-
tums nach dem Exil angenommen. Allein die gefchichtliche Wahrheit
fpricht dagegen. Nach dem Exil haben nicht die Priefter, fondern die
Schriftgelehrten, von denen wir fchon bei Nehemias l ) lefen, immer mehr
an Anfehen gewonnen. 2 ) Oberhaupt ift die Einfuhrung eines machtigen,
auf genealogifcher Grundlage fieh aufbauenden Prieftertums in der Zeit
des Exils oder am Anfang der nachexilifchen Zeit wegen der damaligen
armlichen Verhaltniffe der Juden ganz ausgefchloffen. Auf der andern
Seite ift es bekannt, dag in Agypten fchon vor Mofes eine zahlreiche,
wohl organifierte Priefterfchaft, die allerdings dem Polytheismus diente,
beftand. Diefer Umftand macht es auch rein menfchlich erklarlich, dag
Mofes (nach gottlichem Willen) fur die Erhaltung und FOrderung des
wahren Kultus durch die Einfflhrung und Organifation der im Buche Le-
vitikus gezeichneten und in den Bfichern der Chronik verherrlichten levi-
tifchen Hierarchic Sorge trug, und dag gerade diefe Anordnungen an der
Spitje der ifraelitifchen Gefchichte ftehen. Das Buch Deuteronomium und
der Prophet Ezechiel befchaftigen fich nur mit einzelnen Punkten diefer An-
ordnungen und verandern fie bisweilen den Zeitverhaltniffen entfprechend. 3 )
und art. Priests and Levites in Hastings D. IV, 6997 gent von zu fub-
jektiviftifchen Anfchauungen fiber das Alter und das Verhaltnis der alt-
teftam. Bficher zueinander aus. Er lagt den nach feiner Anfchauung alte-
ften Teil des Pentateuchs, den Priefterkodex (Leviticus, Numeri zum
grogten Teil und Exodus zum grogen Teil) erft gegen Ende der Konigs-
zeit, etwa in der erften Halfte des 7. Jahrhunderts v. Ghr. entftanden
fein. S. 274.
') Nehem. 13, 13.
' 2 ) Van Hoonacker, p. 635. Auch O. Eissfeldt, Erftlinge und
Zehnten im Alten Teftament. Ein Beitrag zur Gefchichte des ifraelitifch-
judifchenKultus (= Beitrage zur Wiffenfchaft vom Alten Teftament, Heft 22),
L. 1917, der in feinen Unterfuchungen die Refultate der modernen Pen-
tateuchkritik als gegeben und gefichert anfieht (als chronologifche Schichten
unterfcheidet er: Gefe^gebung des Jehoviftifchen Buches Deutero-
nomium - Ezechiel das Heiligkeitsgefetj der Priefterkodex
Esdras und Nehemias die Chronik die Septuaginta u. s. w. Vgl.
S. 26, 1), kommt zu Ergebniffen, welche diefer Schule nicht gfinftig find.
So z. B fagt er zufammenfaffend : ,,Was Umfang und Material betrifft,
ift bei den uns angehenden Abgaben in dem zwifchen der Jehoviftifchen
Gefetjgebung und der Chronik liegenden Zeitraum eine wefentliche Ver-
anderung nicht eingetreten." S. 163 f. Auch die Anfchauungen fiber die
Vergrogerung des priefterlichen Anfehens und Einfluffes nach dem Exil
teilt er nicht. (Vgl. S. 166). Er fchliegt fein Buch mit den Worten: ,,So
330 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
1. Der jadifdie Priejterftand als erbttdier und heiliger
Stand.
Der stamm Vor Mofes waren die Erftgebornen jeder Familie Gott
Levi. geweiht 1 ) und kam es vorzugsweife den Hausvatern zu,
Opfer darzubringen. 2 ) In den neuen - Verhaltniffen des der
Abficht nach theokratifchen Einheitsjtaates mit einem Zentral-
heiligtum fur das ganze Volk wurde nach dem Willen Gottes
der ganze Stamm Levi, dem Mofes und Aaron angehorten,
zum heiligen Dienfte beftimmt 3 ) und fo der Zerfplitterung,
unbedeutend, fo fehr hinter den nadiexilifchen Verhaltniffen zuriickftehend,
wie das haufig dargeftellt wird, war die Madit und der Einflug der
Priefterfdiaft vorm Exil keineswegs. Vielmehr werden wir auch in vor-
exilifcher Zeit das Vorhandenfein einer zahlreichen und einflugreichen
Priefterfdiaft anzunehmen haben."
3 ) Vgl. van Hoonacker, Le sacerdoce etc. Der Artikel desfelben
Verfaffers ,,Les pretres et les levites dans le livre d'Ezechiel" in Rb
1899, p. 177-205 fteht in Le sace'rdoce etc. p. 184-220. Obrigens ver-
tritt der Verfaffer den Standpunkt, dag Nehemias im 20. Jahre des Ar-
taxerxes I., im Jahre 445 444 nach Jerufalem gefandt wurde und dort
bis zum Jahre 433 blieb, aber fpater noch einmal dorthin zuriickkehrte,
die Sendung und das Werk des Esdras (f. Esdras VII X) aber erft in
das 7. Jahr der Regierung des Artaxerxes II. (alfo ins Jahr 398) fallt.
Vgl. dagegen Nikel, Die Wiederherftellung des judifchen Qemeinwefens
nach dem babylonifchen Exil, Freib. 1900, S. 146 ff., der wieder fur das
7. Jahr der Regierrng des Artaxerxes I., d. h. das Jahr 458 eintritt und
hierzu die Entgegnung von van Hoonacker, Notes sur 1'histoire de la
restauration juive apres 1'exil de Babylone in Rb 1901, p. 526 und
175 199. Van Hoonacker nimmt aber an (1. c. p. 175), dag Esdras
auch wahrend des erften Aufenthaltes des Nehemias von 445-433 in
Jerufalem gewefen fei. Auch S. Mowinckel, Ezra den Skriftlarde, Kristi-
ania 1916 lagt den Esdras erft im Jahre 398/7 in Jerufalem auftreten.
Vgl. Th. Lz 1918, Nr. 6/7, Sp. 7678. - Ober die Frage des zeitHchen
Verhaltniffes von Esdras und Nehemias vgl. die jungft veroffentlichte
Unterfuchung von Kugler, Von Mofes bis Paulus. Miinster i W. 1922, S.215
bis 233. Er zeigt, dag der Zug des Esdras und feine Reform der Ehe
(Esdras 710) in das 7. Jahr des Artaxerxes I. (458/7 v. Chr.), der
Mauerbau des Nehemias und die Kultreform des Esdras in das 20. Jahr
des Artaxerxes I (445 v. Chr.) fallen.
) Exod. 23, 2. Num. 3, 39 f.
2 ) Job 1, 5. Vgl. Fr. von Hummelauer, Das vormofaifche Priefter-
tum in Ifrael. Freib. 1899. -
3 ) Num. 3, 41-45. Der Name Levi und Leviten wird bisweilen
X. Kap. Die judifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 331
wie fie die Eiferfudit der Stamme und Familien hervorrufen
konnte, vorgebeugt.
Als Priefter follten aber aus dem Stamme Levi nur Abftammung
Aaron und feine zwei Sohne, Eleazar und Ithamar, und der Pne f ter -
deren Nachkommen dem Heiligtume dienen und die iibrigen
Leviten ihnen untergeordnet fein. Einer der Priefter follte
als der Hohepriefter einen befonders hohen Rang einnehmen
und feine Wurde fidi von Aaron auf Eleazar und weiter
ftets vom Vater auf den Sohn vererben. 1 ) Dem entfpricht
das fpatere Verhalten der Ifraeliten. Wer nidit den genealo-
gifchen Nadiweis einer Abftammung von Levi erbringen
konnte, wurde nicht als Levit, und wer nidit nachweislich
zum Haufe Aarons gehorte, nicht als Priefter anerkannt. 2 )
Deshalb wurden auch die Gefchleditsregifter mit grower Sorg-
falt gefiihrt und berief man fidi fur feine priefterliche Ab-
kunft auf foldhe Regifter als ,,6'ffentliche Urkunden". 3 )
Nach dem Gefetj durfte ein Priefter nur eine reine Jung- Heiraten der
frau Oder Witwe, der Hohepriefter nur eine rein ifraelitifche
Jungfrau heiraten.*) Selbft die Namen der aujgerhalb Pala-
ftinas z. B. in Agypten und Babylon gebornen Kinder priefter-
nicht als urfpriinglicher Name einer Perfon und eines Stammes, fondern
als ein Amtsname aufgefagt. Man leitet dann Levi von der Wurzel ni"
= fidi an jemand oder an etwas anfchliegen, her und bezieht es, wie
z. B. Baudiffin, Gefchichte S. 73 f. tut, auf die ,,Begleitung" der heiligen
Lade, wovon dann der Stamm, dem diefes Gefolge angehorte, feinen
Namen erhalten habe. Vgl. hiergegen van Hoonacker, p. 287 ss. Bau-
diflin felbjt halt es in dem art. Priests and Levites, Hastings IV, 68 fur
wahrfcheinlicher, dag ,,lewi was at first actually a tribal name".
') Vgl. van Hoonacker, p. 221 ss. Die Wurde kam dem Eleazar
und feinen Nachkommen zu (vgl. Num. 3, 1 ff. 25, 13). Der Hohepriefter
Heli [tammte allerdings von dem zweiten Sohne Aarons Ithamar ab
(vgl. 1 Par. 24, 16. Jos. Ant. 8, 1, 3) und diefe Linie behielt nun die
hoheprie{terliche Wurde, bis Salomon den Abiathar abfetjte und den Sa-
dok aus der Linie Eleazars zum Hohenpriefter machte (1 Par. 24, 1-6.
3 Kon. 2, 26 f. 35). Die Makkabaer, welche zwar aus einer vornehmen
Priefterfamilie waren (1 Par. 24, 7; 1 Mace. 2, 1) aber nicht von Sadok
abftammten, wurden nur wegen der Verdienfte des Judas Makkabaus und
feiner Bruder zur hohenpriefterlichen Wurde berufen.
2 ) Vgl. Esdr. 2, 61 f. Nehem. 7, 63 f.
3 ) Jos. Vita 1.
*) Levit. 21, 78. 13-15. Nach Philo, de monarchia 2, 11 mugte
die Frau des Hohenpriefters aus priefterlichem Gefchlechte fein.
332 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
lidier Familien wurden mit einem Stammbaum und der Un-
terfchrift von Zeugen, welche wohl audr-bezeugten, dafj der
betreffende Vater als Priefter anerkannt werde, nadi Jeru-
falem gefandt. Frauen, die kriegsgefangen gewefen waren,
waren verdaditig, entweiht worden zu fein. Deshalb wurden
nach den Kriegen von den ubrig gebliebenen Prieftern neue
Urkunden hergeftellt. l )
Einweihung. Die erfte Einweihung der Priefter zu ihrem Amt, welche
zugleich mit der Weihe des Hohenpriefters ftattfand, 2 ) wie
auch die der Leviten, 3 ) gait dem Anfcheine nadi zugleidi
auch fur ihre Nachkommen. Jedenfalls weife man von einer
Weihe der fpateren Priefter und Leviten nichts. Die Hohen-
priefter fcheinen aber alle, wie man aus der Salbung des
Sadok 4 ) fdiliefcen darf, bis zum Exil gefalbt worden zu fein.
Nadi demfelben geniigte, da das heilige Salbol 5 ) bei der
Zerftorung Jerufalems verloren gegangen war,, die Weihe
durdi Einkleidung 6 ), d. h. es genugte, zur Initiation die hohen-
priefterlidien Gewander anzuziehen. 7 )
Freiheit von Aber nicht jeder von Aaron abftammende Priefter konnte
korperiichen auch gefetjlidi erlaubte Kulthandlungen vornehmen. Blinde,
Qebrechen. Lahme und andere Brefthafte waren davon ausgefchloffen
und fomit, wie man nadi dem kanonifchen Redite fagen
') Jos. c. Ap. 1, 7. Vg-1. Ant. 3, 12, 2. 13, 10, 5 fin. Philo, de
monarchia 2, 811.
2 ) Ex. 29, 1-37. 40, 12-14. Lev. 8, 1-36
3 ) Num. 8, 522.
*) 1 Par. 29, 22.
3 ) Exod. 30, 22 ff.
6 ) Maccoth 2, 6. Megilla 1, 9 etc. Vgl. z. B. Lundius 1, 29 und
van Hoonacker, p. 351 s. Sfeinraetjer, Das heilige Salbol des Alten
Bundes (Bibl. Zeitfchr. 1909, S. 1729) meint, man habe bis zum Exil
die Stelle Exod. 30, 32, wonach das heilige Salbol auf keines Menfchen
Leib gegoffen und nach feinem Mifchungsverhaltniffe kein Gleiches bereitet
werden folle, nicht in dem rigorofen Sinne erklart wie fpater. ,,Man
hielt die Bereitung des heiligen Salbols fiir erlaubt, wenn es fich um
religiofe Zwecke handelte. Nur zu profanen Salbungen glaubte man das-
felbe nicht verwenden zu durfen" (1. c. S. 29). Gewohnlich wird das
Qegenteil angenommen. S. de Hummelauer, Comm. in Exodum et Levit.
Paris 1897, p. 305. Schegg, Bibl. Archaologie, Freib. 1887, p. 519 u. a.
7 ) Vgl. iiber des Hasmonaer Jonathan 1 Mace. 10, 21 und Jos.
Ant. 13, 2, 3 und uber den ebenfalls Jonathan genannten Sohn des Ana-
nus Ant. 19, 6, 4. Vgl. Haneberg, Relig. Altertumer p. 531.
Levitifche
Reinheit.
X. Kap. Die judifche Priefterfcnaft und der Tempeldienft. 333
wurde, irregular, ohne aber dadurdi auch des Anteils an
den Einkiinften des Standes verluftig zu gehen. 1 ) In der
fpateren Zeit wurden nodi viele andere, nadh rabbinifchen
Quellen nicht weniger als 142 korperliche Fehler ebenfalls
als Irregularitaten angefehen. Natiirlich liegt derartigen Be-
ftimmungen der Gedanke zugrunde, dafc die Heiligkeit des
Priefterftandes fich auch fchon in der korperlichen Makellofig-
keit zeigen folle. 2 )
Ein ahnlicher Gefichtspunkt verlangt von den Prieftern
fogenannte levitifche Reinheit. Da aber nach dem Gefetje
jede Beriihrung einer Leiche verunreinigte, follten fie fich
iiberhaupt nicht an Trauerfeierlichkeiten, ausgenommen beim
Tode der nachften Blutsverwandten, beteiligen, der Hohe-
priefter aber fogar den Feierlichkeiten fur feine eigenen ver-
ftorbenen Eltern fern bleiben. 3 )
Beim Dienjte im Heiligtum felbft durften die Priefter
keinen Wein oder fonftige beraufchende Getranke trinken
und mujsten [ich auch wahrend der Zeit des ehelichen Um-
ganges enthalten.*)
Auch war ihnen fur die Zeit des Dien[tes eine feiner Die Amts-
Heiligkeit entfprechende befondere Kleidung, welche mit Aus-
nahme des Gurtels ganz weijj war, 5 ) vorgefchrieben, wahrend
lie im gewohnlichen Leben, 6 ) geradefo wie fie jedes ehrbare
Gefchaft betreiben konnten, auch die Kleidung der gewohn-
lichen Burger trugen, d. h. ein durch einen Giirtel zufammen-
gehaltenes Unterkleid, woriiber das Oberkleid geworfen
wurde, nebft einem Turban als Kopfbedeckung und Sandalen
Mr die Fufee 7 )
Die Amtstracht der Priefter 8 ) umfafjte vier Stiicke. Sie
trugen ein Bein- oder vielmehr Huftkleid aus Byffus, welches
a ) Levit. 21, 17 ff. Die hier angegebenen Falle fagte man fpater
Tiur als beifpielsweife gegeben auf.
2 ) S. Selden, De successione in Pontificatum Ebraeorum. Francof.
ad Oderam 1673, L. II. c. 5, p. 211 sqq. Haneberg, S. 532.
a ) Levit. 21, 1 ff. Vgl Num. : 19, 11 ff.
4 ) Levit. 10, 8 f. 22, 3 ff.
b ) Auch die agyptifchen Priefter trugen weifte leinene Gewander.
Vgl. Herodot. 2,^37.
6 ) B. J. 5, *5, 7.
') S. u. Kap. 13.
8 ) Das Hauptwerk i[t Job. Braun, Vestitus sacerdotum Hebraeorum.
tracht der
Priefter.
334 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
um die Mitte des Leibes gebunden wurde und bis zu den
Schenkeln hinabreidite, damit audi fur den Fall, dafc fich die
Priefter am Altare tief biicken mujjten, jede Unanftandigkeit
vermieden werde. 1 ) Uber diefes Huftkleid trug man einen
ebenfalls aus Byffus hergeftellten, ungenahten (gewebten), -)
bis auf die Knochel reidienden langen Leibrock mil engen
Armeln, der am Halfe durdi Bander zugezogen war. 3 ) Der-
felbe wurde zufammengehalten durch einen buntgewirkten,
yier Finger breiten Giirtel, deffen Enden bis an die Knochel
herabfielen, beim Opferdienft aber zur freieren Bewegung
um die linke Schulter geworfen wurden. 4 ) Hierzu kam end-
lidi noch die Kopfbedeckung aus weifcem Byffus, eine Art
Miitje. 5 ) Diefe Kleider der Priefter wurden im Tempel ver-
wahrt. Eine Fufcbekleidung trugen die Priefter im Tempel
merit. )
Erft in ganz fpater Zeit haben die beim Tempelgefang
tatigen Leviten unter Konig Agrippa II. die Erlaubnis er-
wirkt, ebenfalls bei ihren Dienften die weijge priefterliche
Kleidung tragen zu durfen. 7 )
Ed. 2. Amstelodami 169798. 2 Bde. Vgl. auch die biblifchen Archao-
logien, z. B. Haneberg 534555. Schegg 543548.
L ) Exod. 28, 42. 39, 27. Jos. Ant. 3, 7, 1. Der hebr Ausdruck (Lev.
6, 3. (Vulg. 6, 10) 16, 4) ift ^""5f? = Hullen der Reinheit. Allem An-
fdieine nadi war Byffus nicht Baumwolle (dafur Haneberg S. 536 ff.),
fondern Leinen. Vgl. Marquardt, Das Privatleben der Romer II 2 , 483 f. r
aber ganz befonders Yates, Textrinum antiquorum. An account of the
art of weaving among the ancients. Part. I. London 1843, p. 267 280
und Heyes, Bibel und Agypten. Abraham und feine Nachkdmmen in
Agypten. I. Teil. Munfter 1904, S. 238-242.
*) Vgl. Exod. 39, 27 (Vulg. 39, 25).
3 ) Jos. Ant. 3, 7, 2. Vgl. Haneberg 539 und Welte, Art. Priefter
im Kirchenlexikon 10, 398.
*) Jof. 1. c.
5 ) Jos. Ant. 3, 7, 3 unterfcheidet nicht zwifchen der Exod. 29, 9 Mig-
baah genannten Kopfbedeckung des gewOhnlichen Priefters und der des
Hohenpriefters, die Exod. 28, 39 Miznepheth heigt. Vermutlich ftimmten
in der fpateren Zeit beide faft miteinander uberein. Denn dag er die
eine mit der andern verwechfelt haben foil, ift wohl nicht anzunehmen.
6 ) Ezech. 42, 14. Jos. B. J. 6, 8, 3. - Vgl. Exod. 3, 5. Jos. 5, 16.
7 ) Ant. 20, 9, 6. S. o. S. 208.
X. Kap. Die judifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 335
2. Die Hohenpriefter.
Seit den Tagen Aarons war das judifche Hohepriefter- Das
turn in den Augen des Volkes mit dem ganzen Nimbus der Hohepriefter-
von Gott eingefe^ten hochften religiofen Wurde auf Erden tum als ! e ~
umgeben. Die Tatfache, dag diefe Wiirde eine lebenslang-
liche und erbliche war, mufcte einerieits das Gefuhl derVer-
ehrung fiir diefelbe und anderfeits den machtigen Einflufc
der Hohenpriefter audi in politifchen Dingen fteigern. Nach
dem Exil mufjte dies bei der verhaltnismajgig grofcen Selb-
ftandigkeit, deren fich die Juden unter fremder Herrfchaft zu
erfreuen hatten, noch mehr der Fall fein, bis unter dem Druck
der fyrifchen Konige das Hoheprieftertum kauflich wurde.
Anders wurde es wieder, als die Hasmonaer feit Simon die
Wiirde des Hohenpriefters mit der des Fiirften vereinigten. 1 )
Herodes, der feinen vom Volke als Makkabaerfohn Haufiger
freudig begrufeten Schwager, den jungen Hohenpriefter Ari- Weehfei der
ftobul, umbringen liejg, ubertrug von da an das hohepriefter- Hohen P ri efter
liche Amt, ohne Rtickficht auf die Abftammuiig aus hohen- ero es '
priefterlichem Gefchtechte und andere vom Gefetj vorgefchrie-
bene Eigenfchaften zu nehmen, nach Willkur an unbedeutende
Perfonen, deren Willfahrigkeit er fich verfichert hielt. 2 ) Die
Romer und diejenigen, denen fie das Recht der Ernennung
zugeftanden, machten es ebenfo, fo da& Ariftobul bis zur
Zerftorung Jerufalems 26 Nachfolger hatte. 3 )
Selbft die hohenpriefterlichen Gewander wurden zeit- Verwahrung
weife nicht im Tempel, fondern von den Romern auf der der hohen -
Burg Antonia verwahrt und nur zum Gebrauch bei hohen
Fefttagen herausgegeben, bis Vitellius auf die Klagen der
Juden dies anderte. 4 ) Immerhin war der Hohepriefter auch in
der romifchen Zeit nicht nur der Vorfitjende des Hohen Rates,
fondern auch das geiftliche Haupt aller Juden, ob fie nun in
Palaftina felbft Oder aufjerhalb des Heiligen Landes lebten.
] ) 1 Mace. 14, 41-45. Vgl. auch Eccli. c. 50 und 45, 7 ff. Zur
Gefchichte des Hohenprieftertums uberhaupt f. van Hoonacker, Le sacer-
doce, p. 317382.
*) Ant. 20, 10.
") Vgl. unten S 337 ff.
4 ) Ant. 18, 4, 3. Vgl. o. S. 169. Bei der Eroberung Jerujalems kam
auch das Prachtgewand des Hohenpriefters an die R6mer (B. J. 6, 8, 3).
336 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Die Amtstradit 1 ) des Hohenpriefters entfpradi in Bezug
Amtstracht auf Leibrock, Gurtel und Huftkleid dem der gewohnlichen
des Hohen- Priefter. Allein fiber den Leibrock trug er ein ganz gewebtes,
pnefters. a jj Q un g en ahtes, baumwollenes, armellofes Oberkleid, das
fogenannte Meil, von dunkelblauer Farbe. Es hatte Ofmungen
fiir den Kopf und die Arme, war aber an den Seiten ge-
fchloffen. Da es nur bis an die Knie reichte, waren darunter
die herabhangenden Enden des priefterlichen Gurtels zu
fehen, gerade wie an den Armen das weifee Priefterkleid
fichtbar war. Am unteren Saume des Meil waren abwech[emd
goldene Glockchen und kunftliche farbige Granatapfel aus
Baumwollfaden angebracht. 2 )
Ober diefem Kleide trug er das Ephod, d. h. ein nach
Art der Megkafeln aus zwei Blattern, von welchen das eine
Blatt die Bruft, das andere den Riicken bedeckte, beftehendes
Kleidungsftiick. Es war aus Goldfaden und .bunten Lein-
wandfaden gewirkt, jedodi iiberwog der Goldftoff. 3 )
Vorn auf der Bruft befand fidi am Ephod das C.hofdien
Oder Behaltnis, das rationale, wie die Vulgata es nennt, ein
1 ) Exod. 28 und 39. Eccli. 45, 7 ff. 50, 5 ff. Jof. B. J. 5, 5, 7.
Philo, Vita Mosis 3, 11-14 und de monarchia 2, 56 ( de spec, leg-
I, 83 sqq. ed. Cohn).
2 ) Exod. 28, 31 ff. 39, 20 ff. Jos. Ant. 3, 7, 4 ff. B. .1. 5, 5, 7. Der
Glockchen waren nach dem glaubwurdigen Bericht des Protev. Jacobi
c. 8 zwolf. (Vgl. auch Juftin. Dial. c. Tryph. 42, 1). Das Gewand war
ahnlich der Tunika und Dalmatik der Bifchofe. Vgl. Haneberg S. 542 ff.,
der meint (539, 424 und 554 f.), der Trierer ungenahte ,heil. Rock, welcher
purpurgefarbter Byffus ift, fei ein abgelegter Meil eines Hohenpriefters
aus der hasmonaifchen Zeit, womit Herodes Chriftum habe bekleiden
laffen (Luc. 23, 11). :
: 3 ) Exod. 28, 6 ff ? 39, 2 ff. Jos, Ant., 3, 7, 5 und 7. B. J. 5, 5, 7.
Ausfuhrlich i handelt uber das Ephod van Hoonacker p. 370 ss. Ober
das linnene Ephod, welches Samuel, Priefter, und David vor der Bundes-
lade trugen vgl. 1 Ron. 2, 18. 22, 18. 2 Kon. 6, 14. Ober die Bedeu-
tung von Ephod in dunklen Stellen wie z. B. Richt. 8, 27 und 1 Kon 1 .
23, 6 ff., wo es einen feften Gegenftand zu bedeuten fcheint, vgl. u. a.
\V. R. Arnold, Ephod and Ark. A study in the records and religion
of the Ancient Hebrews (Harvard Theological Studies III.). Cambridge,
Mass., 1917. K. Budde, Ephod und Lade. Z. alt. Wiff. 1921, 1-42. Vgl.
auch H. J. Elhorft, Das Ephod in Z. alt. Wifl. 1910, 259276. Joh.
Doller, Die Wahrfagerei 'im Alten Teftament (=.Bibl. Zeitfr. X, 11/12)
Munfter 1923, S. 26-38. .
X. Kap. Die judifche Priefterfchaft-und der Tempeldienft. 337
viereckiger Bruftfchild. Es war ahnlich wie die Burfa fur
die Keldizubereitung ein doppelt zufammengelegtes Quadrat,
eine Art Tafcbe, und von demfelben Stoff wie das Ephod.
Auf der Aufcenfeite waren 12 Edelfteine in 4 Reihen von je
3 Steinen, worauf die Namen der 12 Stamme Israels an-
gebracht waren, befeftigt. An den 4 Enden hatte es je einen
goldenen Ring. Die 2 oberen Ringe waren durch goldene
Kettchen mit den Achfelftiicken des Ephod verbunden, wah-
rend durch die 2 unteren Ringe blaue Schnure, die mit
andern goldenen Ringen unter den Armen am Saume des
Schulterblattes des Ephod befeftigt waren, gingen. 1 )
Die Kopfbedeckung 2 ) des Hohenpriefters war wie die
der Priefter, nur mit dem Unterfchied, dag dariiber noch ein
purpurblauer Auffatj angebracht war. 3 ) An dem unteren
Rand diefer Kopfbedeckung war mittels einer purpurblauen
Schnur eine goldene Platte befeftigt mit der Auffchrift t&'ip
H'" 1 " 1 = Heilig dem Herrn.
Am grofcen Verfohnungstage bediente .fieri der Hohe-
priefter, wenn er in das Allerheiligfte ging, abgefehen von
der Kopfbedeckung, der gewohnlichen Prieftertracht, fonft trug
er aber bei der Verrichtung priefterlicher Funktionen die
Amtstracht. 4 ) Er iibte aber folche Funktionen nur an Sabbaten
und an den hohen Feften aus. 5 )
Die Trager des hohenpriefterlichen Amtes in der hero-
dianifchen und nachherodianifchen Zeit bis zum Untergange hcher Ober "
, , ,, r . , , , , B \ blick iiber die
der Stadt find bekannt. 6 ) Hohenpriefter
) Exod. 28, 15 ff. Jos. Ant. 3, 7, 5 und 3, 8, 9. Nach Exod. 28,JeitHerodesI.
30 und Lev; 8, 8 wurden in das Bruftfchild des Hohenpriefters ,,Urim und
Thumim" gelegt, welche nach dem Exil nicht mehr exiftierten (Vgl.
Esdr. 2, 63 = Nehem. 7, 65). Worin fie beftanden, ift unbekannt. Hane-
berg S. 544 ff. identifiziert fie mit den 12 Edelfteinen. Vgl. van Hoon-
acker p. 380-382; Kirchenlexikon 12, 463 f. Doller a. a. O. 21 -26.
2 ) Miznepheth. Exod. 28, 36 ff. 39, 30 f.
3 ) Jos. Ant 3, 7, 6. B. J. 5, 5, 7. Jofephus fpricht Ant. 3, 7, 6
auch von einer dreifachen goldenen Krone an der Kopfbedeckung des
Hohenpriefters. Der Pentateuch weig davon nichts. Wahrfcheinlich ift fie
erft unter den Makkabaern, welche zugleich weltliche Furften waren, hinzu-
gekommen. So Welte, Art. Hoherpriefter im Kirchenlexikon 6, 169; van
Hoonacker p. 345.
*) Lev. 16, 4. Jos. B. J. 5, 5, 7.
6 ) B. J. 5, 5, 7.
6 ) Durch Flavius Jofephus. Es gibt viele Zufammenftellungen der
Fellen, Neuteftamentliche Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3. Aufl. 22
338 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Unter den von Herodes I. eingefetjten *) ift der Priefter
Simon zu Jerufalem, Sohn des Boethus aus Alexandrien,
zur Ehre und Wiirde des Hohenprieftertums erhoben worden,
damit Herodes deffen fchone Toditer Mariamme heiraten
konne. Durch diefe Verwandtfchaft find fpater noch mehrere
Glieder der Familie des Boethus Hohepriefter geworden.
Joazar, Sohn des Boethus, ift noch von Herodes kurz vor
dejfen Tode zum Hohenpriefter gemacht, dann von Archelaus
abgefetjt worden. Er kam erft nach dem Falle des Archelaus,
der zuerft den Eleazar, Bruder des Joazar, dann Jefus, Sohn
der See, zu Hohenprieftern gemacht hatte, a ) wieder in den
faktifchen Befitj der hohenpriefterlichen Wurde. 3 ) Da er aber,
allem Anfchein nach wegen Begiinftigung der romifchen
Schatjung, mit dem Volke in Streit geriet, wurde er von Quid-
Annas, nius abgefetjt. 4 ) Diefer hat nun die Wurde dem Ananus, dem
Sohne des Seth, dem aus der Heiligen Schrift unter dem Namen
Annas bekannten Schwiegervater des Kaiphas, iibertragen.
Ananus hat die Wurde in den Jahren 6 15 n. Chr. innegehabt
und ift von dem Landpfleger Valerius Gratus abgefetjt worden. 5 )
judifchen Hohenpriefter. Vgl. z. B. Calmet, Dictionnaire historique, criti-
que etc. de la Bible. Paris 1730, 4 Bde. vol. Ill, p. 275278. Graetz,
Gefchichte der Juden 111, 6 ) S. 723-754. Schurer II, 267277. Holfcher,
Der Sadduzaismus, Leipz. 1906, S. 4348. Kellner, Jefus von Nazareth
S. 169-175.
*) Er ernannte zuerft den Ananel (f. o. S. 117), dann feinen Schwager
Ariftobul, dann nach deffen Ermordung (f. o. S. 118) wieder den Ananel
(Jos. Ant. 15, 3, 3), dann Jefus, Sohn des Phabes oder Phabi (Jos. Ant.
15, 9, 3), der abgefetjt wurde zugunften des Simon, des Sohnes des Boethus
(der ungefahr von 24 v. Chr. bis 5 v. Chr. Hoherpriefter war. Vgl. Ant.
15, 9, 3 mit 9, 1). Diefer wurde aber auch abgefetjt, als feine Tochter
Mariamme von Herodes verftofcen wurde (Jos Ant. 17, 4, 2. B. J. 1, 30, 7.
Vgl. oben S. 142). An feine Stelle trat Matthias, Sohn des Theophilus
(Ant. 17, 4, 2. 6, 4). Da diefer am VerfOhnungstage levitifch verunreinigt
war, erhielt er fur den Tag einen Stellvertreter in Jofeph, Sohn des
Ellem (Ant. 17, 6, 4), wurde aber auch abgefetjt (f. o. S. 143) und Joazar
an feine Stelle gefe^t, (Ant. 17, 6, 4).
2 ) S. o. S. 161.
3 ) Vgl. iiber inn o. S. 157, 161 und 170.
4 ) Vgl. Ant. 18, 2, 1 mit 18, 1, 1.
B ) Ant. 18, 2, 1 und 2. Vgl. auch Ant. '20, 9, 1 und B. J. 5, 12, 2.
Vgl. oben S. 171.
X. Kap. Die judifche Priefterfdiaft und der Tempeldienft. 339
Mit feinem Amte verier Annas oder Ananus aber keineswegs
auch feinen Einflujg. Jofephus nennt ihn 1 ) einen der gliick-
lichften Menfchen, well er fiinf Sohne hatte, welche alle zur
Wiirde des Hohenprieftertums gelangten. 2 ) Diefelbe Wurde
erlangte audi fein Schwiegerfohn 3 ) Kaiphas. Wie die Dinge
damals lagen, ware dies ohne grofcen Reichtum der Familie,
dem auch vermutlich fchon Annas feine Erhebung zum Hohen-
priefter zu verdanken hatte, 4 ) unmoglich gewefen. Annas
fiihrte noch nach feiner Abfetjung feinen Titel weiter 5 ) wie
wohl alle gewefenen Hohenpriefter 6 ) und befafc noch folches
Anfehen, daft ihm zuer[t Jefus nach feiner Gefangennahme
vorgefiihrt wurde und er, um fo fchon dem Gerichte vorzu-
arbeiten, den Herrn verhorte. 7 )
Der Landpfleger Valerius Gratus (1526 n. Chr.), der
den Annas abfetjte, hat vier Hohepriefter ernannt, 8 ) zule^t
den Jofeph, genannt Kaiphas, 9 ) den Schwiegerfohn des Annas, Kaiphas.
vor welchem Jefus ftand, um gerichtet zu werden. 10 ) Er war
1 ) Ant. 20, 9, i.
2 ) Sein Sohn Eleazar wurde von Valerius Qratus eingefetjt (Ant.
18, 2, 2), Jonathan von Vitellius (Ant. 18, 4, 3. 5, 3), Theophilus eben-
falls von Vitellius (Ant. 18, 5, 3), Matthias von Agrippa I. (Ant. 19, 6, 4),
Ananus von Agrippa II. (Ant. 20, 9, 1). Jonathan ift von MeuchelmOrdern
(f. o. S. 222, Ananus wahrend des jtidifchen Krieges (f. o. S. 245) er-
mordet worden.
3 ) Joh. 18, 13.
4 ) Nach fpateren rabbinifehen Quellen jtammte der Reichtum der
Familie des Annas aus den n Bazars der Sohne Annas", worin gefetjlich
reine Gegenftande, u. a. auch Tauben, zum Opfer verkauft wurden. Vgl.
Derenbourg p. 466 - 468. Allein etwas Sicheres lagt fich nicht feftftellen.
5 ) Luc. 3, 2. Joh. 18, 13-24. Apg. 4, 6.
B ) Vgl. Jos. Vita 38. B. J. 2, 12, 6. 4, 3, 7. 9. 10. 4, 4, 3.
7 ) Joh. 18, 1324. GewOhnlich nimmt man, und zwar wohl mit Recht,
an, 18, 15 fei der Apoftel Johannes gemeint. Einige denken an jemand
anders, z. B. Belfer, Gefch. des Leidens und Sterbens des Herrn, Freib.
1913, S. 319 f. an einen vornehmen Jiinger Jefu vom Schlage des Niko-
demus oder. des Jofeph von Arimathaa.
. 8 ) Er ernannte zuerft Ismael, Sohn des Phabi, der bald dem
Eleazar, Sohn des Annas, weichen mufcte, der aber auch fchon nach einem
Jahre dem Simon, Sohn des Kamith, Pla$ machte. Auch diefer blieb
nur ein .'ahr im Amte (Ant. 18, 2, 2).
) Ant. 18, 2, 2. 4, 3.
10 ) Vgl. Matth. 26, 3. 57. Luc. 3, 2. Joh. 11, 49. 18, 13. 14. 24. 28.
Apg. 4, 6. Er ift wohl auch der Hohepriefter, welcher weiterhin die Kirche
verfolgte. Apg. 5, 17. 21. 27. 7, 1. 9, 1. 22*
340 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
wie die meiften Hohenpriefter diefer Zeit ein Sadduzaer 1 )
und, wie fidi aus der Heiligen Schrift ergibt, ein anmafcender,
gewalttatiger Menfch, der ohne jedes Gefiihl fur Gerechtig-
keit und religiofe Empfindungen, nadidem die f alfchen Zeugen
gegen Jefus nichts genutjt batten, diefen befchwor zu fagen,
ob er ,,der Chriftus, der Sohn Gottes" fei und dann auf die
klare Antwort Jefu triumphierend ausrief, ,,was brauchen wir
noch Zeugen, er hat Gott gelaftert." Kaiphas hat das hohe-
priefterliche Amt wahrend der ganzen Verwaltung des Pilatus
bekleidet und ift erft von Vitellius nach der Abreife des Pilatus
zur Ofterzeit, alfo im Jahre 36, abgefetjt worden. 2 )
Die beiden von Vitellius eingefetjten Sohne des Annas,
Jonathan 3 ) und Theophilus, 4 ) haben ihr Amt nidit lange be-
kleidet. Selbft der judenfreundliche Konig Agrippa I. hat in
der kurzen Zeit feiner Regierung, von 4144, drei Hohe-
priefter ein- und abgefefjt. 5 ) Der einzige, der wieder langere
Zeit das hohepriefterliche Amt inne hatte, namlich von unge-
fahr 47 59 n. Chr., war der von Herodes von Chalcis 6 ) ein-
Ananias. gefetjte Ananias, Sohn des Nebedaos. 7 ) Er ift der Hohe-
priefter, der den angeklagten Paulus auf den Mund fchlagen
Heft und der vor dem Landpfleger Felix zu Cafarea gegen ihn
auftrat. 8 ) Bald danach ift er abgefetjt worden, lebte aber
J ) Apg. 4, 1. 5, 17. Vgl. Ant. 13, 10, 6. 18, I, 4.
2 ) Ant. 18, 4, 3.
3 ) Ant. 18, 4, 3. 5, 3. Vgl. 19, 6, 4, wonaeh er die Wahl des Agrippa I.
auf feinen Bruder Matthias lenkte. Er ift fpater in die Unruhen unter
Cumanus verwickelt und vom Statthalter von Syrien nach Rom gefchickt
worden (B. J. 2, 12, 6). Ober fein Ende f. Ant. 20, 8, 5. B. J. 2, 13, 3.
Vgl. o. S. 222.
4 ) Ant. 18, 5, 3. Er i[t von Agrippa I. im Jahre 41 abgefetjt worden
(Ant. 19, 6, 2).
6 ) S. vorige Anm. Er fetjte zuerft den Simon Kantheras, Sohn des
Boethus (Ant. 19, 6, 2), dann den Matthias, Sohn des Annas (Ant 19,
6, 4; 4, 8), dann den Elionaus, Sohn des Simon Kantheras (Ant. 19, 8, 1
und 20, 1, 3), ein.
e ) Vgl. fiber ihn o. S. 205. Er fetjte 'zuerft den Elionaus ab und
den Jofeph, Sohn des Kami (Ant. 20, 1, 3) oder Kamydos (Ant. 20, 5, 2)
ein [Kamydos = Kamith. Vgl. 339, 8].
7 ) Ant. 20, 5, 2.
8 ) Apg. 23, 1 ff. 24, 1 ff. Vorher war er unter Cumanus in die
Streitigkeiten mit den Samaritern verwickelt und vom Statthalter Qua-
X. Kap. Die judifche Priefterfchaft iind der Tempeldienft. 341
noch langere Zeit und wugte durch feinen Reichtum noch
grofcen Einflug auszuuben. Er war aber ebenfo habgierig
wie reidi und nahm z. B. keinen Anftand, die den Prieftern
gehorigen Zehnten von den Tennen durch feine Knedite
rauben zu laffen. 1 ) Der Hag gegen ihn verurfachte, dag zu
Anfang des judifchen Krieges fein Haus in Brand gefteckt
und er felbft ermordet wurde. 2 )
Unter den fechs von Agrippa II. eingefetjten Hohen- Ermordung
prieftern 3 ) war Ananus oder Annas II., Sohn des aus der des heiligen
Heiligen Sdirift bekannten alteren Annas, von hef tiger, ge- Jakobus -
walttatiger Gemiitsart, die fich namentlidi aueh darin bekun-
dete, dag er in der Zeit zwifchen dem Tode des Landpflegers
Feftus und der Ankunft feines Nachf olgers Albinus den heiligen
Jakobus, den ,,Bruder des Herrn", eigenmachtig toten lieg.
Deshalb wurde er nach nur dreimonatlieher Amtszeit von
Agrippa II. abgefetjt. 4 ) Er ift fpater im judifchen Kriege von
den Idumaern erfchlagen worden. 5 ) Audi der Hohepriefter
dratus von Syrien nach Rom gefchickt (f. o. S. 219), dort aber durch die
Furfprache des jiingeren Agrippa freigefprochen worden. Ant. 20, 6, 2
B. J. 2, 12, 6.
*) Ant. 20, 9, 2 und 4. Es wird hier von ihm als Privatmann ge-
fprochen.
') S. o: S. 233.
3 ) Vor Ananus oder Annas II. war es Ismael, Sohn des Phabi
(vgl. Ant. 20, 8, 8 und 11). In Ant. 3, 15, 3 wird ein Hoherpriefter Ismael
zur Zeit der Hungersnot unter Claudius erwahnt, den Kellner 1. c. 173
mit dem Sohn des Phabi identifiziert. Allein der Sohn des Phabi hatte
fein Amt unter Nero und diirfte der Ant. 3, 15, 3 erwahnte Ismael =
Elionaus (f. o. S. 340, 5 und vgl. Wiefeler, Ghronologie des apoftol. Zeit-
alters, Gott. 1848, S. 159 f.) fein. In B. J. 6, 2, 2 wird von den Sohnen
eines gewiffen Ismael, der zu Gyrene enthauptet worden war, ge-
fprochen. Ismael ging mit einer Gefandtfchaft nach Rom und wurde
dort von der judifchen Profelytin Poppaa zuruckgehalten (Ant. 20, 8, 11).
Deshalb ernannte nun Agrippa den Jofeph Kabi, Sohn des Hohen-
priefters Simon Kantheras, der das Amt zur Zeit des Prokurators Feftus
(61 - 62) bekleidete, nach deffen Tode aber von Agrippa abgefetjt wurde
(Ant. 20, 8, 11 und 9, 1).
*) Ant. 20, 9, 1. . Vgl. o. S. 227 f.
5 ) Mit ihm wurde ermordet (B. J. 4, 5, 2. S. o. S. 245) fein
Nachfolger im hohenpriefterlichen Amt, Jefus, Sohn des Damnaus, der
gegen 62-63 die Wiirde bekleidet hatte. Vgl. Ant. 20, 9, 1 und 4.
B. J. 4, 4, 3 5. Von diefem Jefus, der B. J. 4, 4, 3 der altefte der
342 Zweiter Abfdhnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Matthias, 1 ) der den Simon, des Gioras Sohn, gegen Johannes
von Gifchala zu Hilfe gerufen hatte, ift nebft drei Sohnen
von Simon erfchlagen worden, 2 ) nachdem noch bei feinen
Lebzeiten die Zeloten einen ganz ungebildeten Mann, Phannias,
Sohn des Samuel, zum Hohenpriefter beftellt hatten, 3 ) mit
dem das in feiner Perfon verhohnte jiidifche Hoheprieftertum
ein Ende nahm.
3. Die Dienftabteilungen der Priefter. Die Stellung und
die Pfliditen der Leviten.
In welchem Alter die Priefter in den heiligen Dienft
traten, ift niciit ficher, wahrfcheinlidi gefchah es aber im
zwanzigften Lebensjahre. 4 )
Aite Priefter- Schon David hatte die Priefter, damit fidi alle trotj ihrer
kiaffen. grojjen Zahl in geordneter regelmagiger Weife an der Vor-
nahme gottesdienftlieher Handlungen beteiligen konnten, in
24 Klaffen eingeteilt, ?) von denen jede der Reihe nadi je
eine Woche beim Heiligtuni in Jerufalem den Dienft verfah.
Sie fuhren im Neuen Teftamente denNamen ,,Tagesklaffen", 6 )
im Alten Teftamente heifcen fie allgemein ,,Abteilungen" 7 )
Hohenpriefter nadl AnanUS (o tA,troi"Ava.vov yeyaimroi; rolv d(t*/it(}i<av 7
heigt, i[t fein ebenfalls von Agrippa II. ernannter Nachfolger Jefus, Sohn
des Gamaliel, zu unterfcheiden. Vgl. iiber ihn Ant. 20, 9, 4. B. J. 4, 3, 9
und 6, 2, 2. Vita 38. 41.
*) Er ift von Agrippa II. ernannt worden und heigt Ant. 20, 9, 7
,,Sohn des Theophilus". Unter ihm nahm der jiidifche Krieg feinen An-
fang (I.e.). ,,Der Hohepriefter Matthias" B. J. 4, 9, 11 ift wohl identifch
mit Matthias, des Boethus Sohn, einem von den Hohenprieftern", welcher
die Burger Jerufalems iiberredet hatte, den Simon, des Gioras Sohn, in
die Stadt aufzunehmen (B. J. 5, 13, 1). Ob aber, wie Kellner, Jefus von
Nazareth S. 174, 1 annimmt, Jofephus irrtumlich diefen mit dem alteren
Matthias, Sohn des Theophilus (f. o. S. 338, 1), ,,zufammengewurfelt
hat" oder in Ant. 20, 9, 7 die Angabe von B. J. 5, 13, 1 verbefferte,
wiffen wir nicht.
2 ) B. J. 5, 13, 1. Vgl. 6, 2, 2.
3 ) B. J. 4, 3, 6-8. S. o. S. 244.
*) Vgl. 2 Par. 31, 17.
6 ) 1 Par. 24, 3 ff.
6 ) ,,Ephemerien" Luc. 1, 5.
7 ) nlpr-ntt. Vgl. 1-Par. 28, 13. 21. 2 Par. 8, 14. 23, 8. 31, 2.
15-16.
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 343
oder nach ihrem Dienfte ,,WachenV) wahrend Jofephus fie
bisweilen ,,Vaterhaufer" nennt. 2 ) An der Spitje einer jeden
Priefterklaffe ftand ein eigenes Oberhaupt. 3 ) Diefe Einteilung
findet fich audi in der nachexilifchen Zeit und erhielt [ich bis
ans Ende des jiidifchen Staates. 4 )
Daneben gab es aber auch fchon zur Zeit des Esdras
eine andere Einteilung der Prie[ter in vier Abteilungen, 5 )
welche auch noch zur Zeit des Jofephus, der die Zahl der
Priefter uberhaupt auf 20000 angibt, 6 ) exiftierte. 7 )
Natiirlich hatten die Priefter, weil fie meift jedes Jahr
nur einige Wochen im Tempel befchaftigt waren, gewohnlich
noch irgend eine andere Befchaftigung. Namentlich waren
viele als Richter oder Lehrer tatig. 8 )
Die Leviten waren nach dem mofaifchen Gefetj vom Amtsantritt
25. bis zum 50. Jahre dienftf ahig ; 9 ) fpater aber, als der der Leviten.
Dienft an einem feften Heiligtum leichter war, 10 ) und nament-
S'f??. Vgl. 2 Par. 31, 16. Nehem. 13, 30.
2 ) Ant. 7, 14, 7. Vgl. aber auch 1 Par. 24, 4 und 6.
3 ) 2 Par. 36, 14. Audi in Ezech. 8, 16 ift die Rede vom Hohen-
priefter und den Vertretern der 24 Priefterklaffen. Vgl. van Hoonacker
p. 215220 und Knabenbauer, Comm. in Ezech. Paris 1890, p. 94.
4 ) Nehem. 12, 1 ft; 1 Mace. 2, 1; Luc. 1, 5. Jos. Ant. 7, 14, 7. Vita 1.
) Vgl. Esdr. 2, 36 ft". Nehem. 7, 39 ff.
6 ) Jof. ad Apion. 2, 7. Der griech. Text ift verloren. Der latein.
Text fagt: Licet enim sint tribus quattuor sacerdotum et harum tribuum
singulae habeant hominum plus quam quinque milia" . . . Nach dem
Zufammenhang ift gar nicht daran zu denken, dag unter den 5000 Mit-
gliedern jeder Abteilung auch Leviten oder auch Frauen oder Kinder
einbegriffen find. Auch ift die Lesart quattuor" nicht zu bezweifeln.
Vgl. van Hoonacker p. 213 ss. Der Talmud fagt allerdings (jer. Taanith
iol. 68 a. Vgl. die Stelle auch in Lightfoot, Horae hebr. zu Luc. 1, 5), es
feien nur 4 Dienftklaffen der Priefter aus dem Exil zuriickgekehrt und nun
einzelnen Prieftern oder Priefterfamilien die Namen der 20 andern nicht
zuriickgekehrten Klaffen gegeben worden. Allein dies ift keine Ober-
lieferung, fondern nur ein Verfuch, biblifche Nachrichten, befonders Esdr.
2, 36-39 und Nehem. 7, 3942 zu erklaren.
7 ) Jof. ad Apion. 2, 7.
8 ) Vgl. 1 Par. 23, 4. 2 Par. 17, 7 ff. 19, 8 ff.
9 ) Num. 8, 24 ff. In Num. 4, 3 ff. heifjt es vom 30. Jahre, weil
dort von Verrichtungen, die eine befondere Kraft erforderten, geredet
wird. Vgl. Welte, Art. Leviten im Kirchenlex. 7, 1867 und de Hummel-
auer, Comm. in Numeros. Paris 1899, p. 37.
10 ) 1 Par. 23, 25 ff.
Leviten im
weitern und
engern Sinne.
Obliegen-
heiten der
Leviten im
engern Sinne,
befonders
nach den
Biichern
Para-
lipomena.
344 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
lich in der nadiexilifchen Zeit, weldie kein beftimmtes Lebens-
jahr fur den Dienftantritt kannte, vom 20. Jahre an. 1 )
Im weitern Sinne nennt die Heilige Schrift alle Nach-
kommen Levis,-) beziehungsweife als Diener des Heiligtums
alle Nacbkommen Aarons, 3 ) Leviten, im engeren Sinne verfteht
fie aber unter Leviten nur diejenigen Stammesangehorigen,
welche der Familie Aarons nicht angehorten und die Priefter
in der Verwaltung ihres heiligen Dienftes zu unterftiitjen
batten. 4 ) Nach der Chronik oder den Bucbern Paralipomena
gehorte es zu den Obliegenheiten der Leviten in diefem engern
Sinne, in Palaftina taglich an den Toren des Heiligtums die
Wacbe zu halten, 5 ) den Tempel zu offnen und zu fchliefcen, 6 )
fiir die Reinheit des Tempels und der heiligen Gefafoe zu
forgen, 7 ) die Schaubrote und das iibrige Opferbackwerk zu
bereiten 8 ) und iiberhaupt fiir die Tempelvorrate zu forgen/')
Beim Gottesdienft lag ihnen der Gefang und die Tempel-
mufik zu. 10 ) Sie unterftiitjten die Priefter beim Schlachten
und Enthauten der Opfertiere,- 11 ) fingen das Blut der lectern
auf 12 ) und fchlachteten fiir die unrein gewordenen Perfonen
die Paffahlammer. 13 ) Audi beaufficbtigten fie etwa notige
Tempelreparaturen und hielten die Kollekten dafiir ab. 14 )
J ) 1 Par. 23, 24 (23, 3 fteht dutch Schreibfehler das 30. Jahr). 2 Par.
31, 17. Esdr. 3, 8.
2 ) Exod. 6, 25. Lev. 25, 32. Jof. 3, 3.
3 ) Deut. 21, 5. Ezech. 44, 614. 2 Par. 11, 14. 13, 9-12 u. a.
4 ) Num. 3, 6 ff. 18, 3. 8, 19, 22. 18, 6.
c ) 1 Par. 26, 1219. Vgl. uber die Tempelpolizei S. 350 f. Ober die
Glaubwurdigkeit der Chronik bzw. der Biicher Paralip. befonders in ihren
Angaben uber den Stand der Leviten vgl. Kugler, Von Mofes bis Paulus
S. 122 ff. und S. 234 ff.
6 ) 1 Par. 9, 27. 23, 32. 26, 12 ff.
7 ) 1 Par. 9, 28 ff. 23, 28. Vgl. 2 Par. 29, 16.
8 ) 1 Par. 9, 31 ff. 23, 29.
'>) I Par. 26, 20 ff. 2 Par. 31, 12 ff. Nehem. 13, 13.
10 ) 1 Par. 15, 16 ff. 23, 5. 25, 1 ff. 2 Par. 5, 12. 7, 6. Esdr. 3, 10.
Nehem. 12, 27.
J1 ) 2 Par. 29, 34. 30, 17. 35, 11.
12 ) 2 Par. 30, 16.
13 ) 2 Par. 30, 17. -
") 2 Par. 34, 9. 12 f.
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 345
Endlich unterwiefen fie das Volk im Gefetj, 1 ) welches fie nach
dem Exil in aramaifcher Sprache erklart haben. 2 )
Wenn nun diefe vielen und zum Teil wichtigen Obliegen-
heiten von der Chronik den Leviten zugefchrieben werden, fo
wird dadurch doch nichts fiber die tatfachlichen Verhaltniffe
der fpatern Zeit gefagt. 3 ) Vielmehr handelt es fich nur um
eine Schilderung gefchichtlicher Verhaltniffe auf Grund alterer
Quellen iiber die Gefchichte der Konige, geradefo wie bei
der Bemerkung, daft David die Leviten in vier Klaffen, Priefter-
diener, Tiirhuter, Sanger und Mufiker, Richter und Amtsleut
einteilte.*)
In der nachexilifchen Zeit tritt im praktifchen Gebrauch Hervortreten
der Name Levit immer mehr hinter den Namen, welche ein- der Sanger
zelne Funktionen der Leviten, wie z. B. Sanger oder Tur- und Turhuter
, ... . . - i e,\ T\ I-- i~i i j -A nachdemExil.
hitter, anzeigen, zuruck. ) Das hmg mcnt etwa damit zu-
fammen, dag z. B. Sanger und Turhuter iiberhaupt nicht
mehr Leviten waren oder als folche angefehen wurden, fon-
dern kam daher, dag man zwei Kategorien von Sangern
und Turhutern unterfdiied, wovon die eine die andere an
J ) 2 Par. 17, 8 f. 35, 3.
2 ) Nehem. 8, 7 f.
3 ) Vgl. van Hoonacker p. 25 ss. 52. 70 ss. 74 ss.
4 ) 1 Par. 23 ff. (Vgl. van Hqonacker p. 64-70 daruber, dag dies
fich nicht auf die nachexilifche Zeit bezieht). Vgl. Jo[. Ant. 7, 14, 7. 11,
5, 1. Ober die Sanger vgl. auch Eccli. 47, 11.
6 ) Vgl. Eccli. 50, 18. 47, 11. Jos. Ant. 20, 9, 6. Philo, De praemiis
et poenis 3. Schon unter der Regierung des Konigs Jofias werden ein-
mal (2 Par. 35, 15) die fonft (1 Par. 23 ff.) zu den Leviten gerechneten
Sanger und Torhiiter von diefen unterfchieden. Die Bucher Esdras und
Nehemias machen ebenfalls bisweilen denfelben Unterfchied (Esdr. 2
40-42. 70. 7, 7. 24. 10, 23 f. Nehem. 12, 4446. 13, 5. 10), aber nicht
immer (Esdr. 1, 5. 3, 8. 12. 7, 13 etc. Nehem. 8, 13. 10, 34. 38 f. etc.),
ja nennen fpeziell die Sanger oft ausdrucklich Leviten (Esdr. 3, 10. Nehem.
li, 15-18. 22 f. 24-29) und behandeln (Nehem. 13, 5) die Qebiihr der
Torhiiter genau wie die der Sanger (vgl. KOberle, Die Tempelfanger im
Alten Te[tament. Erlangen 1899, S. 171), wie uberhaupt pen nirgends
eine Spur davon findet, dag man die Sanger, aber nicht die Torhuter
zu den Leviten gezahlt habe (vgl. KOberle S. 172). Die Tempeldiener
(Nethinim = Qegebene, d. h. die Nachkommen von zum Judentum uber-
getretenen Kriegsgefangenen Esdr. 8, 20), werden auch 1 Par. 9, 2 von
den Leviten unterfchieden.
346 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Wurde iiberragte und deshalb auf den Titel Levit in fpe-
ziellerem Sinne Anfpruch zu haben fchien. 1 )
Schwinden Nach dem Exil waren iiberhaupt wenige Leviten zurtick-
des Anfehens gekehrt. 2 ) Wenn fich deren Zahl auch durch den Zuwachs
der Leviten m von ( j en j n Palaftina zuruckgebliebenen fteigern mochte, 3 )
rru" a -7" * 1 wurden doch die Reehte der Leviten oft den finanziellen
exihfchenZeit. '
Intereffen der Priefter geopfert, 4 ) und wurden die Funktionen
und damit das Anfehen der Leviten von den Prieftern fehr
ftark reduziert. Audi die fteigende Bedeutung der Schrift-
gelehrten mufcte dem Anfehen der Leviten nachteilig fein. 5 )
So erklart es fich, daft Jefus Siradi 6 ) voll Begeifterung das
Verfohnungsfeft und das erfte Makkabaerbuch die Einweihung
des Tempels befchreibt, 7 ) ohne dafc dabei der Leviten ge-
dacht wird. Oberhaupt ift in den beiden Makkabaerbudiern
von Leviten gar keine Rede, wohl aber von Prieftern, welche
heilige Hymnen fangen. 8 ) Selbft das Neue Teftament fprieht
nur an zwei Stellen von Leviten. 9 )
J ) Vgl. van Hoonacker p. 49 und 210 s. Bekanntlieh zeigen die
genealogifchen Liften der levitifchen Familien fowohl in der Chronik wie
in Esdras und Nehemias Verfchiedenheiten und Verwirrung. Diefe ift
teils auf die Verderbtheit des Textes, teils auf die verfchiedenen Ober-
lieferungen levitifcher Familien fiber ihre vorexilifchen Anfprflche und die
dadurch zu verfchiedenen Zeiten notig gewordene Neuordnung diefer An-
fpriithe zuruckzufiihren. Vgl. van Hoonacker p. 24 s. Baudiffin S. 153;
Kaulen, "Einl. n. 242 f. 254; de Hummelauer, Comm. in I Paralipomenon
Paris 1905 p. 4 sqq.
2 ) Esdr. 2, 4042. 8, 1520. Nehem. 7, 4345.
3 ) Nehem. 10, 10-14. 11, 15-18. 20. 36.
4 ) Schon unter Ptolemaus Lagi werden die Priefter nach Hekataus
bei Jof. c. Ap. 1, 22 als Befitjer der Zehnten dargeftellt. Nach Ant. 20,
8, 8. 9, 2 waren die Priefter fpater auch unter Agrippa in direktem Be-
zug der nach dem Gefetj durch die Leviten zu erhebenden Zehnten. Aber
auch fchon Nehemias klagt, dag trolj des erneuerten Qebotes den Le-
viten die ihnen fchuldigen Zehntanteile nicht gereicht wurden (Nehem.
13, 10; vgl. ebd. 10, 37 ff.), und Malachias (1, 7 ff. 13. 2, 1 ff. 8-10)
klagt fiber die materiellen Intereffen zu fehr hingegebehen Priefter.
5 ) Vgl. van Hoonacker p. 62 ss
6 ) Eccli. 50, vgl. ebd. 47, 11.
7 ) 1 Mace. 4, 36 ff. Vgl. auch 6, 54. 13, 54. 2 Mace. 1, 30.
10, 7. 38.
8 ) 2 Mace. 1, 30. -
) Luc. 10, 32. Joh. 1, 19
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 347
Am meiften ragen in der letjten Zeit des jiidifchen Ge- Die Sanger in
meinwefens unter den Leviten die Sanger hervor. Ob uber- der le ^ ten
haupt die alte nach Jofephus davidifche Einteilung der Le- ^ J r an em
viten in 24 Dienftklaffen in der nachexilifchen Zeit beftan- des Tempeis.
den hat, mufc dahingeftellt bleiben. 1 ) Jedenfalls muff en da-
mals aber die Sanger, weldie nach der Chronik 2 ) fruher in
24 Klaffen eingeteilt waren, mehrere Dienftabteilungen gehabt
haben, da taglich wenigftens zwei miteinander tatig waren. 3 )
Die Bedeutung der Sanger zeigt fich aueh darin, daft fie von
Agrippa II. die Erlaubnis erhielten, priefterliche Kleidung
tragen zu diirfen. 4 ) Cbrigens war ihre Stellung wenigftens
nach der Mifchna nicht am Altare, zu deffen Seiten nur
Priefter mit Trompeten ihren Platj hatten, fondern auf den
15 Stufen, welche aus dem Vorhof der Frauen in den der
Ifraeliten fuhrten. 5 )
Selbftverftandlich wohnten weder die Priefter noch die
Leviten alle in Jerufalem. Wiffen wir doch, daft der Priefter
Zacharias im Gebirge wohnte. 6 )
4. Einzelne widitige Tempelamter.
Der Hohepriefter war als oberfter Priefter durch das Der
Gefe^ nur verpflichtet, alle Jahre einmal am Verfohnungs- Hohepriefter.
tage unter feierlichen Zeremonien das vorgefchriebene Ver-
J ) Ant. 7, 14, 7. Vgl. van Hoonacker p. 4144.
2 ) 1 Par. 25.
3 ) Nehem. 12, 8. 24. Vgl. Koberle 1. c. S. 66 f.
*) S. o. S. 208.
6 ) Middoth 2, 5 f. Sukka 5 f., 4.
6 ) Luc. 1, 39. Die fpateren Ereigniffe haben die genaue Ausfuhrung
der Beftimmungen von Num. 35 und Jofue 21 fiber die 48 Stadte, in
welchen die Leviten wohnen follten, gehindert. Vgl van Hoonacker
p. 423435. Zur Zeit des Tempeis wohnten die Priefter meift in
Judaa. Das ift von vornherein wahrfcheinlidi, weil jeder Priefter wenig-
ftens zweimal im Jahre fich am Tempeldienft beteiligen mugte, lafct fich
aber auch aus den talmudifchen Nachrichten (vgl. Buchler, Die Priefter
und der Kultus im le^ten Jahrzehnt des jerufalemifchen Tempeis. Wien
1895, S. 161 ff. 178 ff.; Sam. Klein, Beitrage zur Geographic und Ge-
fchichte Galilaas. L. 1909, S. 4 f.) dartun. Nach dem Jahre 70 und dem
Aufftande des Barkochba haben fich viele in Galilaa niedergelaffen.
Vgl. befonders S. Klein 1. c. S. 22 .ff. 94 f.
348 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
fohnungsopfer darzubringen, das Allerheiligfte zu betreten
und diefes wie das Heilige und den Vorhof durch Blut-
befprengungen zu heiligen. 1 ) An andern Tagen durfte er
fich zwar an den priefterlichen Funktionen beteiligen, tat dies
aber in der nachexilifchen Zeit nur an den Sabbaten, den
Neumonden und den hohen Feften. 2 )
Er hatte aber die Pflicht zu forgen, dag taglich auf feine
Koften das Speifeopfer fiir die Priefter dargebracht wurde,
fei es, dafc er felbft opferte oder durch feinen Stellvertreter, :t )
der dann ein gewohnlicher Priefter 4 ) aus einer der Klaffen,
die gerade den Dienft hatte, war.
Der Einen ftandigen Stellvertreter des Hohenpriefters hat es
1'ogen. Segan n j c j 1 t gegeben. Allerdings fagt die Mifchna, man habe immer
der neer. vor ( j em Verfohnungstage ,,einen andern Priefter"
als Stellvertreter des Hohenpriefters fiir den Fall, dag diefer
an dem Tage etwa an der Ausiibung feines Amtes verhindert
fei, beftimmt. 5 ) Diefer Stellvertreter wurde aber eben alle
Jahre neu beftimmt. Wenn ihn auch bisweilen Archaologen 6 )
Segan genannt haben, fo haben fie nur den eventuellen
Stellvertreter fiir das Verfohnungsfeft, der gar nicht Segan
hieg, mit dem Segan der Priefter" 7 ) d. h. dem Priefter,
welcher unter dem Hohenpriefter die befondere Aufficht fiber
die Priefter und den Priefterdienft hatte, 8 ) verwechfelt. 9 )
1 ) Lev. 16. Vgl. auch Lev. 23, 2632. Num. 29, 7-11. Hebr.
9, 7. 25. Jos. Ant. 3, 10, 3.
2 ) B. J.. 5, 5, 7.
3 ) Lev. 6, 1216. Ant. 3, 10, 7. Hierauf bezieht [ich die Bemer-
kung Philos, des pecialibus legibus III, 23, der Hohepriefter opfere ta'g-
lich fv-/di; xnl &v6iag. S. auch Eccli. 45, 17. Das Speifeopfer des Hohen-
priefters beftand aus in 01 gebackenen Mehlkuchen. S. Haneberg, Die
relig. Altertumer, S. 422.
*) 4 Ron. 23, 4. Vgl. 4 Kon. 25, 18. Jerem. 25, 24.
b ) Joma 1, 1. Vgl. Megilla 1, 9. Zwar fagt Philo, de monarchia
2, 12 ( de spec, legibus I, 113 ed. Cohn), es fei niemand geftattet, im
Falle der Verunreinigung des Hohenpriefters deffen Dienft zu verfehen,
jedoch erwahnt Jos. Ant. 17, 6, 4 einen Fall. S. o. S. 338, 1.
6 ) Z. B. Haneberg S. 558 f.
7 ) Pirke Aboth 3, 2.
8 ) Der vollftandige Titel des Segan war c^ron pD=>.P ri efterfurft".
Vgl. Levy, Neuhebr. und chald. Worterbuch III, 475 und Lightfoot, Mini-
sterium templi c. 5, 1 p. 687 sq. Das Wort kommt her von 3D eigentl.
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 349
Ein widitiges Amt war das der Tempelfchatjmeifter, 1 ) DieTempei-
welchen die Sorge fur die Aufbewahrung und Verwaltung f
der dem Tempel zufliejjenden Gelder und Wertgegenftande
oblag. Diefe leijteren wurden in den oft im Alten Tefta-
mente und bei Jofephus erwahnten Schatjkammern 2 ) im
inneren Vorhof des Tempels aufbewahrt, wahrend es auch
Schatjkaften 3 ) gab, in welche Gaben hineingelegt werden
konnten. An der Spitje diefer Schatjmeifter ftand, wie wenig-
ftens aus Jofephus hervorzugehen fcheint, der Tempelfcha^-
viel, grog, vornehm fein. Nach der Mifchna ftand ,,der Segan der
Priefter" im Range dem Hohenpriefter am nachften. So z. B. ftand, wenn
letjterer am Verfohnungstage das Los iiber die beiden Bocke zog (vgl. u.),
der Segan zu feiner Rechten, der Vorfteher der Priefter-Abteilung des
Tages (vgl. u. S. 354) zu feiner Linken. Joma 3, 9; 4, 1. Vgl. auch
Joma 7, 1. Sota 7, 7 8. Tamid 7, 3).
9 ) Vgl. Winer BWB I, 506 f. Welte, Art. Hohepriefter, Kirchenlex.
6, 170. Buchler, Die Piiefter und der Kultus im letjten Jahrzehnt des
jerufalemifchen Tempels, Wien 1895, S. 113 f. meint, ftatt des ,,andern
Priefters" (f. S. 348) fei erft nach 63 v. Chr. der Segan Stellvertreter des
Hohenpriefters geworden. Aber davon ift nichts bekannt. Vgl. Baudiffin
in Hastings IV, 96. Schurer, dem fich u. a. auch Buchler . anfchlog,
halt den Segan fur den Tempelhauptmann. S. S. 351, 8. A. Schwarz,
Der Segan (Monatfchrift fur Gefch. und Wiff. des Judentums. 64. N. F-
28. Jahrgang, Breslau 1920, S. 30 55) meint, der Segan fei der von
den Vorftehern der 24 Wochen-Dienftbeiftande (nftJ/'En ^WX~\ vgl. S. 354)
aus ihrer Mitte zu ihrem Prafidenten gewahlte Obmann (S. 47) gewefen,
den fie Segan nannten, urn inn als ,,vornehmen Wurdentrager" der
landlichen Priefterfchaft zu bezeichnen (S. 53). Dag er dem Range nach
der Nachfte nach dem Hohenpriefter war, habe darauf beruht, dag er
,,der eigentliche Vertreter der ganzen Priefterfchaft des Landes war"
(S. 55). Der bekanntefte Segan war Rabbi Chananja, welcher in den
talmudifchen Schriften (vgl. z. B. Mifchna Aboth 3, 2; Pesachim 1, 6 etc.
vgl. Strack, Einl. 3 , S. 121) den Namen c^HDH pD = Segan der Priefter
fuhrt. Dag er zum ftandigen Vertreter des Hohenpriefters vom Synedrium
(nach dem Verfohnungstag des Jahres 62 n. Chr. vgl. Schwarz 42 f. 54 f.)
ernannt worden fei, wie Schwarz vermutet, ergibt fich aus dem Bei-
namen nicht.
*) Vgl. Ant. 14, 7, 1. 15, 11, 4. 18, 4, 3. B. J. 6, 8, 3
z ) Nehem. 12, 43. 13, 5. 9. 12. 13. 2 Mace. 3, 6. 23. 28. 40. 4, 42
5, 18. Jos. Ant. 19, 6, 1. B. J. 5, 5, 2. 6, 5, 2.
3 ) Marc. 12, 41. 43. Luc. 21, 1; vgl. Joh. 8, 20. Die Mifchna Sche-
kalim 6, 5 fagt, es habe im Tempel 13 trompetenartige Schatjkaften
gegeben.
350 Zweiter Abjchnitt. Die innern foz. u. fittl. Verhaltniffe des jud. Volkes.
meifter. 1 ) Die oberften diefer Beamten find wohl als Priefter
anzufehen, 2 ) wofiir fchon die Bedeutung ihres Amtes fpricht.
Die Mifchna nennt die Schatsmeifter, ob alle oder nur
einzelne ift nicht recht klar, Gisbarim, 3 ) von welchen fie die
allerdings nur einmal 4 ) erwahnten Amarkelim unterfcheidet.
Der Name wird bisweilen aus dem Perfifchen als Zahl- oder
Redinungsmeifter erklart, 5 ) heifet aber nach dem Hebraifchen
,,Herr von allem". 6 ) Tatfachlich ftehen die Amarkelim in
der rabbinifchen Literatur bisweilen hoher als die Gisbarim. 7 )
Audi werden in der Mifchna 8 ) noch mehrere andere unter-
geordnete Tempelbeamte erwahnt, welche wenigftens in den
Untergeord- letjten Jahren der Exiftenz des Tempels dem Anfcheine nach
nete Tempei- als [tandige Beamte fiir einzelne Gefchafte, befonders des
beamte. Opferwefens, z. B. fiir die Anfertigung der Schaubrote und
das Raucherwerk oder fiir die Leitung des Gefanges 9 ) be-
ftimmt waren.
') Er fagt B. J. 6, 8, 3 n o yrxcoipi/Aaf iov 'UQOV <t>iva? tt und nennt
Ant. 20, 8, 11 den Schatjmeifter Helkias gleich hinter dem Hohenpriefter.
2 ) Vgl. Anm. 1.
3 ) Vgl. Pea 1, 6. 2, 8. 4, 8. Schekalim 2, 1. 5, 2. 6 etc. Nach Sche-
kalim 5, 2 follten ihrer wenigftens drei fein.
*) Schekalim 5, 2. Ihrer follten wenigftens fieben fein.
5 ) So fchon Haneberg S. 560.
6 ) Schabbath jer. 10 c. 13. In Horajoth 13 a wird das Wort her-
geleitet von rffiD "i^N = alles befehlend. Vgl. Levy, Neuhebr. u. chald.
Worterbuch I, 103.
7 ) Vgl. Levy 1. c. Dagegen Schurer II, 327. Die eigentliche Auf-
gabe der Amarkelim i[t unbekannt. Nach der Tofephta Schekalim II, 15
(in Ugolini Thes. ant. vol. XVIII p. XIII; ed. Zuckermandel p. 177) hatten
die fieben Amarkelin (oder Amarkelim, s. Lightfoot 1. c. p. 689 f.) die fiebea
Schluffel zu den fieben Toren des Vorhofes in Verwahr gehabt. Im jeru-
falem. Talmud Schekalim fol. 49 a werden noch die (rp^ v ' n p) Katholikin
als Scha^meifter erwahnt. Vgl. Buxtorf p. 2164 und Lightfoot p. 688 sq.
Ad. Schwarz, Die Schatjkammer des Tempels in Jerusalem (in Monatsfchr.
f. Gefch. u. Wiff. des Judentums 63, N. F. 27. Jahrg. Breslau 1919,
S. 227-252) durfte S. 244 das Richtige mit feiner Bemerkung treffen:
,,Die Gisbarin waren die Kaffen-Beamten und Scha^ungs-Meijter, die
Amarkelin waren die eigentlichen Scha^meifter und die Katholiki die
alien ubergeordneten Revidenten der Schatjkammer."
8 ) Schekalim 5, 1.
'>) Die Familien Garmu und Abtinas, von denen erftere die Schau-
brote, letjtere das Raucherwerk nach Schekalim 5, 1 beforgte, werden
auch Joma 3, 11 erwahnt. Vgl. auch 1. c. fiber das Amt des Gefangleiters-
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 351
Zur Ausubung der Tempelpolizei [tanden in der von DieTempei-
uns gefchilderten Zeit Wachpoften an den Toren des aufceren wachen.
und den Eingangen des inneren Vorhofes und gingen Wachter
bei Tag und bei Nadit iiberall im Tempel umher. 1 ) Um alle
Tore des Tempels zu fchliefcen waren nach Jofephus 200
Mann erforderlidi, allein 20 fiir das eherne Tor im Often
des Vorhofes. 2 ) Die Schliiffel wurden von den Prieftern,
deren Dienftabteilung gerade im Tempel befchaftigt war, ver-
wahrt und von einer Abteilung am Schlufc ihrer Funktionen
der jedesmal neu antretenden Abteilung iibergeben. 3 ) Die
Tore wurden bei Tagesanbruch vor dem Morgenopfer, beim
OJterf efte aber fchon um Mitternacht geofmet. 4 )
In der naehexilifchen Zeit ftanden die Tempelwadien DerTempei-
unter einem eigenen Tempelhauptmann, dem GTQaTqyog, 5 ) dem hauptmann.
wieder andere Offiziere unterftanden 6 ) und der auch einen
eigenen Sekretar batte. 7 ) Bei der Bedeutung des Amtes ift
anzunehmen, daft er nicht aus der Zahl der Leviten, fon-
dern der der Priefter genommen war, obwohl dies nicht
ficher ift. 8 )
>) Philo, De praemiis sacerdotum 6 (= De spec, legibus I, 156
ed. Cohn). Nach Middoth 1, 1 batten die Priefter an 3, die Leviten aber
an 21 Orten die Wache.
2 ) c. Apion. 2, 9. - B. J. 6, 5, 3.
3 ) c. Apion. 2, 7.
*) Ant. 18, 2, 2. Ahnlich war es am Pfingftfefte B. J. 6, 5, 3.
6 ) Er ift im Neuen Teftamente Apg. 4, 1. 5, 24 26 erwahnt. Vgl.
auch B. J. 6, 5, 3. 2, 17, 2. Ant. 20, 9, 3. Einmal (Ant. 20, 6, 2) wird
er in Verbindung mit dem Hohenpriefter erwahnt.
6 ) Vermutlich find diefe nebft dem Tempelhauptmann unter dem
Namen 6r^o,xi\yol bei Luc. 22, 4. 52 gemeint.
7 ) Ant. 20, 9, 3.
8 ) Schiirer II, 320 ff. halt den Tempelhauptmann und feine Offiziere
fur Priefter und identifiziert den erfteren mit dem Segan, der ,,im Rang der
nachfte nach dem Hohenpriefter war" (1. c. 321). Denn das Wort C*::
des Alten Teftamentes werde in der LXX faft konftant durch tfr^ar^/oi
iiberfetjt (fo Jerem. 51, 23. 28. 57. Ezech. 23, 6. 12. 23. Esdr. 9, 2.
Nehem. 2, 16. Daniel 3, 2, 27. 6, 8 etc.; es wird aber durch a^
wiedergegeben Ifai. 41, 25. Nehem. 4, 13. 5, 7. 7, 5 und durch
Daniel 2, 48). Weiterhin handle es fich in der Mifchna Bikkurim 3, 3,
wo es heige, dag den FeftzOgen der Landleute, welche die Erftlings-
fruchte nach Jerufalem brachten, die rV)~2 [nach Schurer = $>/(>?] und
352 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Verhaltniffe des jiid. Volkes.
5. Der Opferdienft im Tempel.
Aiigemeines Der Opferdienft fand in der Weife ftatt, dafj jede Woche
uber den von einem Sabbat bis zum andern eine andere der 24 Priefter-
Opferdienft f am ilien den Dien[t hatte. 1 ) Die einzelnen Dienftverriditungen
der . wurden durdlg LQS verteilt> 2) D}e dienfttuenden Priefter
muftten die vorgefchriebene weifte Kleidung tragen und fidi
wahrend der Zeit ihres Dienftes des Genuffes. von Wein
oder andern beraufchenden Getranken enthalten. 3 ) Vor An-
tritt des Tagesdienftes batten fie ein Tauchbad zu nehmen 4 )
und alsdann - noch die Hande und Fiifce in dem ehernen
zwifchen dem Tempelhaufe und dem Brandopferaltar ftehen-
den Wafchbecken zu wafchen. 5 )
Verfchiedene Es werden im Einklang mit den gefetjlichen Beftim-
Arten von mungen auch von Philo 6 ) und Jofephus 7 ) zwei Arten von
Opfer. opfer unterfchieden, folche, die fur Privatperfonen, und folche,
die im Namen des ganzen Volkes Gott dargebraeht wurden.
Bei beiden kann man blutige Opfer von Rindern, Schafen,
Ziegen und Widdern und unblutige Opfer d. h. Speife- und
Trankopfer von Mehl, 01 und Wein unterfdieiden.
Die unblutigen Opfer waren mit den blutigen Brand-
und Friedopfern verbunden, wenngleich es auch felbftandige
Speifeopfer gab. Z. B. wurde ein folches von dem erften
geerntetenGetreide (Gerfte) am zweiten Oftertag dargebraeht. 8 )
2Vv? und %;' entgegenzogen feien, um die vornehmften Priefter.
Letjteres ift zum wenigften recht zweifelhaft (vgl. Buchler, Die Priefter
S. 114 f.), und erfteres beweift fiir unfere Zeit nichts.
') Jos. Ant. 7, 14, 7. diirue re i*,iav naryinv d'taxuvelff&-ai tu &toi eni
rjnsf)<i<; ur.tiu dno oafjftarov enl ffafijSarov,
2 ) Luc. 1, 5. Nach Schekalim 5, 1 gab e.s einen befonderen Be-
amten ,,uber die Lofe", welcher fur die Verlofung der einzelnen Amter
unter den Prieftern jeder Abteilung zu forgen hatte.
3 ) Lev. 10, 8 ff. Ezech. 44, 21. Jof. Ant. 3, 12, 2. B. J. 5, 5, 7.
Philo, De monarchia 2, 7 = De spec, legibus I, 98 ff. ed. Gohn.
*) Testam. XII Patriarch. Levi 9, 11. Vgl. auch Joma 3, 3.
5 ) Testam. XII Patr. 1. c.; Philo, Vita Mosis 3, 15. Vgl. Exod. 30,
17-21. 40, 28 ff.
8 ) De victimis 3 =- De spec, legibus I, 168 ff. ed. Cohn.
7 ) Ant. 3, 9, 1.
8 ) Lev. 23, 10 ff.
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 353
Soldie Erftlinge gehorten den Prieftern. Dfefen fielen iiber-
haupt die Speifeopfer zu, 1 ) abgefehen von einer Kleinigkeit,
weldie verbrannt wurde. 2 )
Die blutigen Opfer zerfielen je nach der Veranlaffung in
drei Klaffen, Brandopfer, bei denen, nachdem das Blut um
den Altar gefprengt war, das ganze Tier am Brandopfer-
altar verbrannt wurde, 3 ) Friedopfer (auch Dank- oder Geltibde-
Lobopfer genannt), bei denen nur die Fettftucke verbrannt,
das iibrige Fleifch aber teils (namlieh die Bruft und hintere
Keule) von den Prieftern und ihren Angehorigen, teils von
den Opfernden verzehrt wurde, 4 ) und endlich Siihnopfer
(Siind- 5 ) und Schuldopfer, 6 ) bei denen die fetten Teile auf
dem Altare oder in felteneren Fallen aufcerhalb der Stadt
verbrannt, die tibrigen von den Prieftern verzehrt wurden.
Es gab eine grofce Menge von Privatopfern, fowohl frei-
willigen als durch das Gefetj vorgefchriebenen. 7 )
Dazu kamen die Gemeindeopfer, unter denen das tag- Dastagiiche
liche Brandopfer eine ganz befondere Bedeutung hatte. Das Brandopfer.
Gefet5 fchrieb fowohl fur den Anbruch als den Sdbluft des
') Lev. 2,3. 10. 6, 9-11. 7, 9-10. 14. 10, 12-13. Num. 18,9-10.
Jos. Ant. 3, 9, 4. Dazu gehoren auch die Schaubrote, welche jede Woche
neu aufgelegt wurden (Lev. 24, 59).
2 ) Man nannte fie Askarah d. h. Erinnerung (an die Beftimmung
des Ganzen fur den Altar). Vgl. Haneberg 432 f.
3 ) Lev. 1> 317: 6, 8-13.
*) Lev. 3, 1-17. 7, 1121. 7, 2834.
5 ) Lev. 4, 1-5, 13. 6, 24-30.
6 ) Lev. 5, 15. 17. 6, 2 f. Bei den Schuldopfern im Unterfchied von
den Sundopfern handelte es fich um eine mehr wiffentliche, nicht etwa
blog verfehentliche Obertretung des Gefetjes und dabei um eine folche,
welche eine Reftitutionspflicht in fich fchlog,
7 ) Das Gefetj fchrieb Brandopfer fiir die Reinigung der Wochnerinnen
etc. vor (f. Anm. 5). Freiwillige Brandopfer wurden auch von Heiden
angenommen. Von hoher politifcher Bedeutung war das kaiferliche Opfer,
welches aus einem Stier und zwei Lammern beftand und auf Befehl des
Kaifers Auguftus taglich im Tempel dargebracht wurde. Nach Philo, Leg.
ad Caj. 23 hatte der Kaifer die Koften des Opfers getragen. Wahrfchein-
lich ift aber das Opfer fiir den Kaifer und das romifche Volk (Jos. B. J.
2, 10, 4), wie Jos. c. Apion. 2, 6 fagt, aus den von den Juden erhobenen
Steuern (ex impensa communi omnium Judaeorum) bezahlt worden.
Sein eigentiimlicher Charakter bleibt ihm aber. Es wurde erft beim Aus-
bruch des judifchen Krieges fiftiert. S. o. S. 233.
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiichte. 1. 2. u. 3. Aufl. 23
354 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Tages einen Gottesdienft vor, bei weldiem jedesmal ein ein-
jahriges mannliches Sdiaf als Brandopfer geopfert werden
follte. Zugleidi mufcte ein Speifeopfer, namlidi eine Mifchung
von etwa 4 Liter (Vio Epha) Mehl und anderthalb Liter
(V* Hin) f einen Ols und ein Trankopfer, beftehend aus
anderthalb Liter Wein, geopfert werden x ) und follte mit dem
Brandopfer das Rauchopfer und die Bedienung des ewigen 2 )
Liehtes verbunden fein. Das Abendopfer fand um die neunte
Stunde d. h. gegen 3 Uhr ftatt. 3 )
Die An andachtigen Teilnehmern fehlte es in der letjten Zeit
Teiinehmer des Tempels bei diefen Gottesdienften nicht. Denn nadi dem
am tagiichen Beridlt der Mifchna 1 ) war ganz Ifrael entfprediend den 24
T^nTei" Dienftklaffen der Priefter in fogen. Standmannfdiaften 5 ) von.
Die stand- Prieftem, Leviten iind Ifraeliten eingeteilt, denen es oblag,
manner, je eine Wodie lang dabei zu ftehen, wenn die Qpfer dar-
gebradit wurden. Die Priefter und Levite r n fowie die in Je-
rufalem wohnenden Laien der betreffenden Standmannfchaft
taten dies perfonlich, die von Jerufalem entfernt wohnenden
Laien verfammelten fieh aber in den Synagogen ihrer Stadte
und lafen die Schopfungsgefchichte.
DieRitenund Aus dem Mifchnatraktat Tamid ift bekannt, wie wenig-
Gebrauche [tens in der letjten Zeit des Tempels das taglidie Opfer
bei der Dar- mor g ens dargebradit wurde. 6 ) Die dienfttuenden Priefter mit
rl t a^2f en eS den Leviten und Standmannern liejsen fidi abends vorher
Morgen- Tempel einfchliefeen und fchliefen dort in einem grofeea
opfers. Gemach. 7 ) Sie wurden frflh im Sommer nachts um 2 Uhr
*) Exod. 29, 38 ff. und ebenfo Num. 28, 3 ff.
) S. 355, 6.
3 ) Ant. 14, 4, 3. Ober die 9. Stunde als Gebetsftunde vgl. Apg-. 3^
1. 10, 3. 30.
4 ) Taanith 4, 14, wofelbft 4, 2 fur diefe Einrichtung auf 4 Mof. 28, 2
Bezug genommen und diefelbe auf die er[ten Propheten [Samuel und
David] zuruckgefuhrt wird.
5) l^u v i^N = Standmanner heigen pe Taanith 4, 3. Nach dem
Vorgange von Maimonides haben einige Gelehrte (Lightfoot, p. 700 sq.,.
Lundius 5, 1, S. 922, Schurer II, 338) gemeint, es hatten fidi allw6chent-
lich bejtimmte Deputierte der Ifraeliten, d. h. der Laien, als Standnjanner
in Jerufalem eingefunden. Dagegen ift aber Taanith 4, 2; f. o. im Text.
Vgl. van Hoonacker, p. 42 s.
6 ) Soldie Befehreibungen nadi dem Traktat Tamid f. audi bei Ligth-
foot, p. 716 sqq. Lundius 5, 1, S. 919929 u. v. a.
7 ) Tamid 1, 1.
X. Kap. Die judifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 355
geweckt. Nachdem geloft war, wer die Reinigung des Brand-
opferaltars von der Afche vorzunehmen hatte, und derjenige,
auf den das Los gefallen war, fich in dem vor dem Altar
im Freien befindlidien grofjen Wafchbecken gewafchen 1 ) hatte,
ging diefer an fein Gefchaft, wahrend die ubrigen mit Fak-
keln in der Hand die Vorhofe muftern gingen. Einige Priefter
hatten die Oberrefte der Opfer zu entfernen und neues Holz
auf den Altar zu tragen. 2 ) Nun folgte, nachdem fidi alle
Priefter in dem Wafchbecken Hande und Fujje gewafchen
hatten, eine zweite Verlofung iiber die Arbeiten beim Opfer
felbft. 3 ) War nun die Morgenrote gekommen, 4 ) fo wurde das
Lamm aus der Lammerkammer und die 93 Dienftgerate aus
den Nebenkammern des Tempels geholt. 5 ) Dann gingen
zwei Priefter in den Tempel, um den Raucheraltar fur das
Raudiopfer zu reinigen und den fiebenarmigen Leuchter herzu-
richten, 6 ) es wurde das Lamm unter Beobachtung beftimmter
Vorfchriften 7 ) gefchlachtet und der Tempel geoffnet. Jetjt
wurde das Blut des Lammes an den Altar gefprengt und
wurden die einzelnen Opferftucke an den Altar gebracht,
wobei neun Priefter tatig waren. Nun beteten alle Priefter
zufammen das Sdima, 8 ) das Morgengebet. Dann legten an-
J ) Tamid 1, 4.
2 ) Tamid 2, 3 ff. Nadi Lev. 6, 12 f. follte das Feuer auf dem
Brandopferaltar ftets brennen. Schon unter Nehemias war deshalb an-
geordnet, dag alle Ifraeliten in einer durch das Los beftimmten Reihen-
folge der n Vaterhaufer" Holz fur den Altar zu liefern hatten (Nehem. 10,
35. 13, 31). Nadi Jos. B. J. 2, 17, 6 (vgl. mit 2, 17, 7 Anfang) gefdiah
die Lieferung jahrlich am 14. Ab ; nach Megilla Taanith 1 1 (bei Deren-
bourg, p. 443. 445) befonders am 15. Ab. Vgl. audi Taanith 4, 5. 8.
3 ) Tamid 3, 1.
*) Tamid 3, 2.
& ) Tamid 3, 3 ff.
6 ) Die Lampen wurden (alle) abends angeziindet und brannten
uber Nadit (vgl. Exod. 27, 2021. 30, 78. Lev. 24, 3. Num. 8, 14.
2 Par. 13, 11. Philo, De sacrificantibus = De spec. leg. I, 296, ed. Conn);
nach Jofephus (Ant. 3, 8, 3) brannten am Tage drei Lampen, in der
Nadit alle fieben; nach Tamid 3, 9. 6, 1 bei Tag eine, in der Nacht alle
fieben. Vgl. de Hummelauer, Gomm. in Exodum et Levit. Paris 1897,
p. 277 sq. . . . n Moysen lampades noctu lucere jussisse, etiam interdiu
lucere non prohibuisse."
7 ) Tamid 4, 1 ff.
8 ) Tamid 4, 13. S. u. Kap. 11, 2.
23*
356 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u fittl. Verhaltniffe des .jii'd. Volkes.
dere Priefter die Opferftticke vollends auf den Altar 1 ) und
auf das Feuer. 2 ) Dann wurde das Speifeopfer dargebracht
und im Anfchlug hieran das befondere Speifeopfer des
Hohenpriefters 3 ) und das Trankopfer. Auf ein Zeichen mit
der Zimbel*) fangen nun die Leviten den fur den betreffenden
Tag beftimmten Pfalm, bei deffen Abfchnitten die Trompete
dem Volke das Zeichen zur Anbetung gab. 5 )
Das Rauch- Als die ehrenvollfte Opferhandlung gait die beim tag-
opfer. lichen Opfer ftattfindende Raucherung auf dem innern Altare.
Deshalb wurde fie zu gewiffen Zeiten unter denen, welche
fie noch nicht hatten darbringen konnen, verloft. 6 ) Morgens
fand das Rauchopfer vor, abends aber nach dem Brandopfer
ftatt. 7 ) Zu dem Zwecke ging der betreffende Priefter mit der
Schale, worauf fich das Raucherwerk befand, in -den -'Tern-pel,
wahrend ein anderer Priefter auf einer goldenen . Pfanne
vom Brandopferaltar geholte Kohlen trug und fie auf den
Rauchopferaltar legte. Jetjt legte der erftere Priefter das
Raucherwerk, wahrend ein anderer Priefter ihm die Schale
abnahm, auf die Kohlen, betete, wie die iibrigen vor ihm,
an und ging hinaus. 8 ) Wahrend aber das Rauchopfer ftatt-
fand, betete draugen das Volk. 9 )
DerSegenam Am Schlujg der ganzen Opferhandlung traten die Priefter,
Sdiiug des namentlich die fiinf, welche bei der Herrichtung des Leuchters,
Morgen- ^ Qs Raucheraltars und beim Rauchopfer tatig gewefen waren,
pers. au | jjjg gt u f en dgg Vorhofes und fegneten das Volk mit dem
1 ) Tamid 5, 2.
2 ) Fur diefe Reihenfolge fpricht Tamid 3, 1 und 4, 3 (vgl. Lundius
3, 39 und 5, 1 auf S. 593 und 927 f.). Der Hebraerbrief c. 7, 27 fteht
damit nicht im Widerfpruch. Vgl. Zill, Brief an die Hebraer, Mainz 1879,
S. 360 ff., Westcott, The Ep. to the Hebrews, 2 L. 1892, p. 195 L u. a.
3 ) S. o. S. 348. : , . '
*) Sie beftand aus zwei ehernen Becken, welche zufammengefchlagen
wurden. S. 1 Par. 15, 19. Jos. Ant. 7, 12, 3.
6 ) Tamid 7, 3. Gefungen wurde nach Tamid 7, 4 am Sonntag (hebr.)
Pfalm 24, am Mont. Pf. 48, am Dienft. Pf. 82, am Mittw. Pf. 94, am
Donn. Pf.. 81, am Freitag Pf. 93, am Sabbat Pf. 92.
6 ) Tamid 5, 2.
7 ) Joma 3, 5.
s ) Tamid 5, 46, 3. - . ' ;
) Luc. 1, 10. Vgl. dazu Lightfoot, 1. c. p. 721 sq. . ( .
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft urid der Tempeldienft. 357
priefterlichen Segen. 1 ) Ift dies jchon fo zur Zeit Chrifti ge-
fchehen, fo ift nach dem Evangelium 2 ) anzunehmen, dag der
Priefterj weldier gerauchert hatte, den Segen fprach.
Das Aberidopfer fand in ahnlicher Weife ftatt. 3 ) Am
Sabbate wurde das tagliche Morgen- und Abendopfer yer-
doppelt 4 ) und an hohen Fefttagen nodi mehr verftarkt 5 )
6. Die Einkunfte der Priefter und Leviten.
Das Einkommen der Priefter fe^te fich hauptfachlich zu-
fammen aus den Abgaben von Bodenerzeugniffen und der
Viehzueht, namentlich den Er[tlingsfruditen und den Zehnten,
fowie aus den Abgaben bei den Opfern und fonftigen be-
jonderen Anlaffen. 6 )
Art fich war die Darbringung der Erftlingsfrudit im Tern- Die Erftiinge.
pel 7 ) keine eigentliche Steuer, fondern eine fymbolifche An-
erkennung der Oberhoheit Gottes. 8 ) Sie gefchah durch jeden
Landwirt, Guts- und Gartenbefitjer von Weizen, Ger[te,
Trauben, Feigen, Granatapfeln, Oliven und Honig 9 ) unter
be[timmten im Gefetj 10 ) angegebenen Zeremonien.
Nach der Mifchna 11 ) wurden die Erftiinge von gewiffen
Stadten und Flecken Palaftinas gemeinfam dargebracht und
J ) Num. 6, 22 ff.
2 ) Luc. 1, 9. 22.
3 ) Vgl. Lundius 5, 2 (S. 930-934).
*) Num 28, 9 f
5 ) Z. B. wurden am erften Tage des Laubhuttenfeftes 13 junge
Stiere, 2 Widder und 14 Lammer als Brandopfer dargebracht, wozu noch
die entfprechenden Speife- und Trankopfer kamen (Num. 29, 12-34).
Daneben gingen dann noch an den Fefttagen (Neumonden, Ofter-, Pfingft-,
Laubhiittenfep, VerfOhnungstag) befondere Feftopfer (Num. 28, 15. 22. 30.
29, 5. 11. 28. Levit. c. 16 und 23).
6 ) Vgl. im allgemeinen auger Num. 18, 8 ff. und andern biblifchen Stellen
Jos. Ant. 4, 4, 4.; Philo De praemiis sacerdotum (= De spec. leg. 1, 131161,
ed. Cohn). Vgl. dazu Lundius 4, 3140 (S. 878-914); Haneberg565 -582;
van Hoonacker, Le sacerdoce, p. 384-423; Schurer 11, 297317.
7 ) Vgl. Exod. 23, 19. 34, 26. Num. 18, 12 f. Deuter. 26, 1 11.
Nehem. 10, 36. Vgl. Prov. 3, 9. Tob. 1, 6. 1 Mace. 3, 49.
8 ) Diefe Erftiinge kamen nicht auf den Altar, fondern wurden von
den Prieftern verzehrt. Deut. 18, 3 f. Ezech. 44, 30.
) Deuter. 8, 8. Vgl. Bikkurim 1, 3.
10 ) Deuter. 26, 1 ff.
") Traktat Bikkurim = Erftlingsfriichte. (Eine fchone Schilderung
358 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
fuhrten die Leute an der Spitje ihres Zuges ein Opfertier
mit vergoldeten Hornern und einem Olivenkranz, Grojjere
Zuge warden feierlidi abgeholt. Die nahe bei Jerufalem
Wohnenden braditen das Obft frifch, die andern getrocknet
dar. Audi aus nidit palaftinenfifdien Landern, nachweislidi
aus Kleinafien 1 ) und Rom, 2 ) wurden in den letjten Zeiten
des Tempels die Erftlinge, beziehungsweife die denfelben
entfprediende Geldfumme, 3 ) nadi Jerufalem gefchickt.
Die fogen. Nadi den Rabbinen batten audi alle Juden, felbft die
Teruma. aufjerhalb Palaftinas lebenden, den Prieftern audi nodi die
fogen. Teruma, 4 ) d. h. einen Teil aller efebaren Erzeugniffe
des Bodens, fomit nicht blog der oben genannten fieben
Arten von Friiditen, fondern audi von Gemufearten zu ent-
riditen gehabt. Dabei riditete man fich nadi dem Grundfatj,
dag der Grofjmtitige V*o, ein Geiziger 1 /eo feines Einkommens
gebe, fo dag alfo die Abgabe von Vso die Regel war. 5 ) Ob
aber diefe Abgabe wirklidi vor der Zerftorung des Tempels
als verbindlidi angefehen und entriditet worden ift, wiffen
wir nidit.
Die Eine andere widitige Abgabe war aber in der gefetj-
Darbringung lidien Beftimmung, dag der Oder das Erftgeborne, wenn es
der mann- mSnnlidien Gefdiledits war, Gott geheiligt fein follte, 6 ) ge-
lichen Erft- grfln( jet. Es ergab fidi namlidi hieraus, da& die mannlidie
ge ur . Erftgeburt nidit blog von reinen wie von unreinen Tieren,
fondern audi des Menfdien dargebradit und eventuell einge-
eines Bikkurim-Zuges gibt Deli^fch, Jiidifches Handwerkerleben zur Zeit
Jefu. Erlangen 3 1879, S. 66 ff.). Vgl. Philo, De festo cophini in Philonis
Jud. Opera omnia. Ed. stereot. Lips. 1852. V, 5153 (= De spec. leg. I,
215233 ed. Cohn).
l ) Jos Ant. 16, 6, 7 fpricht von den Erftlingen, welche die Juden
zu Ephefus aus eigenem freien Entfchlug in gottesfurchtiger Gefinnung
zahlten.
2 )' Philo, Leg. ad Caj. 23.
3 ) Philo 1. c. 31.
4 ) Teruma (~^'1^> eigtl. Hebe, Hebung, Abgabe) bezeidinet audi
Abgabe im allgemeinen.
fi ) Vgl. Terumoth 4, 3. S. auch Hier., Comm. in Ezedi. 45, 13-14
(Op. ed. Vallarsi 5, 565). Vgl. z. B. Haneberg 568 f. Winer BRW I,
343, 4.
c ) Exod. 13, 2. 15.
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 359
16ft werden mufjte. Die Erftgeburt von reinen, d. h. opfer-
baren Tieren, alfo von Rindern, Sdiafen und Ziegen, mufcte
in den Tempel gebracht und dort als Friedensopfer behan-
delt werden, d. h. das Fett wurde auf dem Altare verbrannt,
das Blut an den Altar gefprengt, die Bruft und das redite
Sdiulterftflck den Prieftern gegeben, 1 ) wahrend das ubrige
von dem Darbringer und feiner Familie im Heiligtum ver-
zehrt werden konnte. 2 ) Bin Tier, welches einen Fehler hatte,
gehorte aber dem Priefter allein 3 ) und konnte von ihm auch
an Nichtpriefter verkauft werden. 4 ) Die mannliche Erftgeburt
von unreinen Tieren, z. B. Efeln und Kamelen, war gegen
Geld auszulofen, wobei noch V& uber den Schatjungswert
des Tieres bezahlt werden mufjte. 5 ) Aber am allereintrag-
lichften war die Einlofung des mannlichen erftgebornen Kin-
des, 6 ) denn der Lofepreis dafiir betrug 7 ) funf Sekel des
Heiligtums, d. h. etwa 13 Mark. 8 )
Zu den Erfth'ngsabgaben gehorten endlich noch die im Andere
Gefetj 9 ) vorgefchriebene Abgabe von Brotteig fur den Altar, Erftiings-
welche Challa hiefc, 10 ) und die Erftlinge von der Wolle bei
der Schaffchur. 11 )
') Levit. 7, 30 ff.
2 ) S. o. S. 353. Vgl. Num. 18, 17 f. Deuter. 15, 19 f. Nehem. 10, 37.
3 ) Deuter. 15, 21-23.
*) Bekhoroth 4, 7 zeigt, dag auch bisweilen aus Eigennutj Tiere
als untauglich zum Opfer erklart wurden.
5 ) Num. 18, 15. Levit. 27, 27.
6 ) Exod. 13, 13. Num. 18, 15 f. Vgl Num. 3, 47 f. Levit. 27, 6.
7 ) Num. 18, 15 f.
8 ) Nach Bekhoroth 8, 7 waren die fflnf Sekel nach tyrifchem Gewicht
zu beftimmen. Danach wird ein folcher Sekel zu ungefahr 2 Mk. 62 Pfg-.
gerechnet. S. daruber unten. Daft die Lofung im Tempel ftattfinden
mugte, kann man aus Num. 18, 15 f. (vgl. 3, 47 f. Levit. 27, 61) fchliegen,
weil die AuslOfung an Stelle der Darftellung trat, welche nach Num. 18,
15 f. im Tempel erfolgen mugte. Vgl. uber die Darftellung Jefu im
Tempel Luc. 2, 22 f.
9 ) Num. 15, 20 f.
10 ) Nadi dem Mifdina-Traktat Challa 2, 7 hatten Privatleute 1 /2i,
Backer '/^s vom Ganzen zu geben. Die Abgabe mugte den Prieftern ge-
geben werden (Jos. Ant. 4, 4, 4), und zwar (nach Philp, De praemiis etc.
1 = De spec. leg. I, 132 ed. Cohn) als ausgebackenes Brot. Aus
Challa 4, 8 f. fcheint hervorzugehen, dag man die Challa nicht nach Jeru-
falem, fondern zu dem nachften Priefter brachte. S. Haneberg S. 572.
u ) Vgl Deuter. 18, 4. Tob. 1, 6. Jos. Ant. 4, 4, 4.
360 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u jittl. Zuftande des jud. Volkes.
Unter Berufung auf das Gefetj behaupten fowohl Philo
wie Jofephus wie die Mifchna, es muffe fogar von den zu
Haufe fur ein gewohnliches Gaftmahl gefchlachteten Tieren
Magen, Kinnlade und der rechte Vorderfufc den Prieftern ge-
geben werden. 1 ) Wie weit aber diefe Praxis verbreitet war,
laftt fich nicht fagen. Obrigens war auch, wenn man von
den Opfermahlen abfieht, der Genufc von Fleifdi iiberhaupt
verhaltnismafcig felten.
Der Zehnte. Die bedeutendfte Abgabe, die der Ifraelit zu leiften
hatte, war der Zehnte, der auch bei andern alien Volkern,
befonders den Phoniziern, Athenern und Romern, fur Tern-
pel und Priefter beftand. 2 ) Bei den Juden ging nun die
gefetjliche Beftimmung 3 ) dem Sinne nach dahin, daft der
zehnte Teil von den Haupt-Bodenerzeugniffen, Getreide und
Obft, an die Leviten gegeben werden muffe. Die Pharifaer
hatten die Beftimmung aber auch auf Kraufeminze, Anis,
Kummel und anderes, was nicht zu den Hauptfruchten ge-
horte, ausgedehnt. 4 ) Es konnte nach dem Gefetj ftatt der
Abgabe in Frucht u. dergl. der Schatjungspreis und ein Fiinftel
dariiber gegeben werden. 5 )
Ein Viehzehnt von Rindern, Schafen und Ziegen ift wenig-
ftens in fpaterer Zeit nicht mehr erhoben worden. 6 )
') Deuter. 18, 3 wurde nicht auf Opfertiere, fondern auf fonft ge-
fchlachtete Tiere, d. h. Kinder, Schafe und Ziegen bezogen. Vgl. Philo,
De praemiis etc. 3 = De spec. leg. I, 147. Jos. Ant. 4, 4, 4 (vgl. mit
3, 9, 2); Chullin 10, 1. Vgl. auch Haneberg 576 f. und 485 ff. Van
Hoonacker, p. 416-419. Letjterer meint p. 417: chez les Hebreux 1'immo-
lation du betail eut toujours un caractere sacre.
") Vgl. Haneberg S. 573 f. Nach Aristot. Oeconom. 2, 1, 4 (vgl.
Buhl, Die fozialen Verhaltniffe der Ifraeliten. B. 1899, S. 117, 2) wurde
auch in Perfien durch die Konige ein Zehnter von den FeldfrQchten
erhoben.
3 ) Num. 18, 21. Levit. 27, 30 f.
*) Vgl. Matth. 23, 23. Luc. 11, 42.
5 ) Levit. 27, 31. 33. Ober die Tempelfpeicher zur Aufnahrae des
Abgelieferten f. 2 Par. 31, 4 ff. Nehem. 10, 39.
6 ) Ein Viehzehnt ift Lev. 27, 32-33 (vgl. 2 Par. 31, 6) vorge-
fchrieben, aber dem Anfcheine nach fonft nicht, auch nicht Num. 18, 21 32
(Hoberg, Mof.es und der Pentateuch, Freib. 1905 [= Bibl. Stud. 10, 4],
S. 63 fchliegt daraus, dag er aufgehoben worden fei), wenngleich Num. 18,21
,,alle Zehnten Ifraels habe ich den Sohnen Levis zum Befitj gegeben"
fich darauf beziehen konnte. In nichtbiblifchen Quellen hat ihn vielleich
X. Kap. Die jiidifche Priefterfchaft und der Tempeldienft. 361
Die' Leviten mufcten nach dem Gefe^ von dem ihnen zu- DerZehnte
kommenden Zehnten wieder einen Zehnten, den Zehnt vom Zehnten -
vom Zehnten", 1 ) an die Priefter abgeben. Es fcheint aber,
dag wenigftens zur Zeit des Jofephus nur die Priefter den
Zehnten und zwar direkt vom Volke felbft erhielten. 2 )
Eine weitere reiche Einnahmequelle waren die Opfer-
und die freiwilligen Gaben. Von erfteren fielen, wie bereits
bemerkt, den Prieftern betrachtliche Teile zu. Bei den fehr
haufigen Brandopfern erhielten fie wenigftens das Fell 3 ) und
hatten damit eine befondere grofce Einnahmequelle.
Die freiwilligen Gefchenke hingen oft mit Gelubden zu- Freiwuiige
fammen. 4 ) Man konnte z. B. irgend etwas als Korban, d. h. Gefchenke
ein Opfer dem Tempel weihen. 5 ) Hatte fidi jemand felbft O und andere
. Einkommen-
quellen der
Philo (De humanitate 10, in der Ausgabe von Cohn und Wendland vol. V, p - e er
203) zu den priefterlichen Einkunften gerechnet, und jedenfalls gefchieht
dies im Buch der Jubilaen 32, 15. Die Rabbiner haben aber (vgl. Lundius
4, 38, S. 901904) den Viehzehnt zu dem fogen. ,,Zweiten Zehnten" ge-
rechnet. Nach Deut. 14, 2226 (vgl. ebd. 12, 6. 11. 17) follte namlich der
Landwirt den zehnten Teil deffen, was ihm nach der Abfonderung der
Erftlinge, der Teruma und des erften Zehnten iibrig blieb, zu Opfermahl-
zeiten in Jerusalem fur fidi und feine Familie verwenden (vgl. iiber die-
fen Zweiten Zehnt den Mifchna-Traktat Maaser Scheni). Jedes dritte
Jahr aber follte diefer Zweite Zehnt nach Deut. 14, 28-29. 26, 12 mit
den Leviten, Fremdlingen und Armen geteilt werden. Dies ift in fpaterer
Zeit fo verftanden worden, dag auger dem Zweiten Zehnten jedes dritte
Jahr noch ein weiteres Zehntel zu Mahlzeiten fur Arme, wobei befonders
die Leviten zu berudcfichtigen waren, gegeben werde (Tobias 1, 78
(griech. Text; der Codex Sinait. vgl. die Ausgabe von Swete
fchliegt fich an Deut. 1. c. an, Jos. Ant. 4, 8, 22). Man nannte dies den
dritten Zehnt oder den Armenzehnt. Vgl. uber diefe Zehntarten Schurer II,
306, 22, der auch die betreffenden Stellen der Mifchna angibt.
!) Num. 18, 20 - 32. Nehem. 10, 38 f.
2 ) Jos. Vita 12. 15. Ant. 20, 8, 8. 9, 2. Vgl. van Hoonacker, p. 401.
Vielleicht lajfen fich die Stellen aber auch fo auffaffen, dag fowohl die
Leviten als auch die Priefter ihren Anteil am Zehnten direkt vom Eigen-
tfimer erhielten. Dag Esdras die Leviten von der Teilnahme am Zehn-
ten ausgefchloffen und diefen den Prieftern referviert habe, ift nicht richtig.
Vgl. Nehem. 10, 3739. S. Winer WB'BR II, 724 und Welte, Art. Leviten
im Kirchenlex. 7, 1868.
3 ) Lev. 7, 8. Philo, De praemiis etc. 4 (= De spec. leg. I, 151
ed. Cohn). Jos. Ant. 3, 9, 1.
*) Vgl. Lev. 27. Deut. 23, 21-23. Jos. Ant. 4, 4, 4.
B ) Vgl. Matth. 15, 5. 6,
Beurteilung
der den
Prieftern zu-
ftehenden
Vergiin-
ftigungen.
362 Zweiter Abfchnitt. .Dieinnernfoz. u. fittl. ZuftSnde des jfid. Volkes.
dem Heiligtum geweiht, fo mufjten von einem Manne 50,
von einer Frau 30 Sekel den Prieftern zur Auslofung des
Gelubdes gezahlt werden. 1 )
Den Prieftern gehorte namentlidi alles Gebannte, d. h.
fo als Banngut geweihte, daft es nicht auslosbar war, 2 ) fowie
der Erfatj fur unrechtmafjig erworbenes Gut, deffen recht-
mafeiger Eigentumer nieht aufzufinden war. 3 )
Im allgemeinen wurden, foweit es tunlieh war, alle Abgaben
nadi Jerufalem gefandt und dort an die Priefter verteilt. 4 )
Die Priefter waren felbft von Abgaben frei. 5 )
Gewifc machen alle diefe Vergfinftigungen zunachft den
Eindruck, daft fie fur die zu leiftenden Dienfte zu grofe waren. 6 )
Allein die Einkunfte kamen eben oft nicht ein, da fie zum
grofcen Teil von dem guten Willen und der religiofen Ge-
finnung des Einzelnen abhingen. Selbft die Zehnten werden
zumal bei Mijjernten fchwerlich immer regelmafcig einge-
kommen fein, zumal das Gefetj weder -cine Kontrolle fur
deren richtige Ablieferung, nodi eine Strafe fur deren Unter-
laffung feftgefetjt hatte und fomit die Entrichtung des Zehnten
eine blo&e Gewiffenspflicht war. 7 ) Naturgemafe vermehrten
fich die Zehnten nicht mit der fteigenden Zahl der Priefter,
weil ja die Zahl der zehntbaren Acker eine befchrankte war.
Oberdies mochte die Ablieferung der Zehnten auch deshalb
wenig driickend empfunden werden, weil das Land fruchtbar
war und infolge des Jubeljahres dem Eigentumer nicht auf die
Dauer verloren ging, die Priefter und Leviten aber, obwohl
fie an fich Anfpruch auf den dreizehnten Teil des Grund-
eigentums hatten, nichts davon befafcen. 8 ) Uberdiefc mufeten
felbftverftandlich von jenen Einkunften der Priefter und Leviten
auch ihre Familien unterhalten werden. 9 ) Hatten die Priefter
J ) Lev. 27, 3 f. Jos. Ant. 4, 4, 4.
*) Lev. 27, 28. Num. 18, 14. Ezech. 44, 29.
3 ) Num. 5, 6-8.
*) 2 Par. 31, Il-rl9. Nehem. 12, 43. 13, 5. Malach. 3, 10. Philo,
De praemiis etc. 4 (= De spec. leg. 1, 152 ed. Cohn).
5 ) Esdr. 7, 24. Jos. Ant. 12, 3, 3.
6 ) Vgl. Lundius 4, 35-37. 40, S. 894-901. 908-914.
7 ) Vgl. Malach. 2, 8. 10.
8 ) Vgl. Winer BRW-II,' 273, 6.
) Nur die Speifeopfer, fowie die von den Suhneopfern auf die
X. Kap. Die judifdie Priefterfdiaft und der Tempeldienft. 363
und Leviten wirklidi ubermafcig hohe Einkunfte gehabt, fo
wfirden wir im Laufe der ifraelitifchen Gefchichte davon
horen. Allein im Gegenteil treten fie uns als Bedurftige
gegenfiber. 1 )
Als Klaffe haben fidi die Priefter, abgefehen von den
Hohenprieftern, keineswegs fo feindfelig Jefu gegeniibergeftellt
wie die Pharifaer. Denn fchon bald nach der Himmelfahrt hat
eine _ grojje Zahl Priefter das Wort Gottes angenommen. 3 )
7. Das TempelvermOgen.
In der nadiexilifchen Zeit beftand das Tempelvermogen, Die Wert-
abgefehen von foldien Koftbarkeiten wie dem fiebenarmigen fachen.
Leuchter, dem Schaubrottifch, dem Raucheraltar u. dergl., zu-
nachft in den heiligen Geraten und dem heiligen Zierat,
alfo in vielfadi filbernen oder goldenen Becken, Schiiffeln,
Mifdigefafcen, Leuchtern, Tifchen u. dergl. 3 ) Diefelben waren
oft als Weihegefchenke, felbft heidnifcher Furften, dem Tern-
pel verehrt worden. 4 ) Dazu kamen die Vorhange und die
Gewander und Gurtel der Priefter und die zur Anfertigung
diefer Dinge beftimmten Vorrate koftbarer Stoffe, 5 ) gro&e
Mengen von zum Opferwefen gehoriger Dinge, namentlich
von Mehl, 01 und Wein, von Zimmet, Kaffia und andern
zum Raucherwerk notiger wohlriechender Stoffe, 6 ) die fur
die Priefter gelieferten Abgaben und grofce Summen baren
Geldes. 7 )
Priefter fallenden Teile mugten von den Prieftern im Heiligtume felbft
verzehrt werden. Num. 18, 10. Jos. Ant. 4, 4, 4.
J ) Vgl. Ant. 20, 9, 2.
*) Apg. 6, 7.
3 ) Esdr. 1, 9-11. 8, 26-27. Vgl 1 Mace. 1, 2123. Ant. 14, 4, 4.
16, 4. 19, 6, 1. B. J. 1, 7, 6. 2, 17, 3. 5, 13, 6. 6, 8, 3. c. Apion. 2, 5.
Audi hiftorifch wertvolle Alterttimer wurden im Tempel aufbewahrt, z. B.
hingen um den Tempel herum die fremden VOlkern im Kampfe entriffenen
Ruftungen (Ant. 15, 11, 3 in fin), und im Tempel oberhalb der Sdia^-
kammer die goldene, dem Agrippa von Caligula gefchenkte Kette
(Ant. 19, 6, 1).
*) 2 Mace. 3, 2. Ant. 14, 16, 4. B. J. 4, 3, 10. 5, 5, 3. 13, 6!
6, 5, 2. 8, 3. Philo, Leg. ad Caj. 23. 37. 40.
5 ) B. J. 6, 8, 3.
6 ) Ant. 14, 4, 4. B. J. 1, 7, 6.
7 ) Cicero pro Flacco 28, 67 ff. klagt, dag die Juden aus den Pro-
364 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jxid. Volkes.
Das Letjtere riihrten teils aus Weihegefchenken und fonftigen
bare Geld, freiwilligen Gaben, *) teils aus der Tempelfteuer her. Die
Veranlaffung zu diefer letjteren ift wahrfcheinlich die Erzah-
lung im Buche Exodus 2 ) von einer einmaligen Abgabe fur das
Zelt des Zeugniffes gewefen. Auf das darin enthaltene Prin-
zip, daft das Volk felbft zu den Kultuskoften beitragen folle,
berief fich fchon Joas, als er eine jahrliche Steuer zur Aus-
befferung des von Athalia und ihren Sohnen verwufteten
DieTempei- Tempels ausfchrieb. 3 ) Die Tempelfteuer batten alle fiber zwan-
fteuer. zig Jahre alten Ifraeliten, auch die aufcerhalb Palaftinas leben-
den, zu zahlen. Sie betrug zur Zeit des Nehemias J /3 Sekel
jahrlich, 4 ) wurde aber fpater, als die Bedurfniffe und auch der
Wohlftand wuchfen, auf einen halben Silberfekel 5 ) oder eine
Doppeldrachme erhoht, was nach unferm Gelde ungefahr
1 Mark 32 Pfennige ausmacht. Bei einem fo ftark fich ver-
mehrenden Volke wie dem judifchen mugte dieje Steuer all-
mahlich grofee Summen einbringen. Die -Steuer war zwifchen
dem 15. und 25. Adar (im Marz) zu entrichten 6 ) und zwar
in althebraifcher oder tyrifcher Wahrung, fo daft man in
Palaftina, wo Miinzen in romifcher Wahrung im Gebrauch
waren, das Geld vielfach umwech[eln mujgte. 7 ) Die Steuer
diente zunachft zur Erhaltung des Gebaudes und zur An-
fchaffung der fur den Kultus notwendigen Dinge, wie z. B. der
Opfergerate, Priefterkleider u. dergl., dann aber auch bejonders
zur Beftreitung der Koften des taglichen Brandopfers. 8 )
vinzen fo viel Qeld nach Jerufalem fchicken. Craffus raubte aus dem
Tempel 2000 Talente in bar und 6000 Talente in Koftbarkeiten. Ant. 14, 7, 1.
B. J. 1, 8, 8.
! ) 1 Mace. 10, 39. Das Scherflein der armen Witwe Marc. 12, 41-44.
Luc. 21, 1-4.
2 ) Exod. 30, 11 ff.
3 ) 2 Par. 24, 5 ff. Vgl. van Hoonacker, p. 421 s.
4 ) Nehem. 10, 32. Nach perfifcher Wahrung war I t 3 Sekel ungefahr
40 Pfg. Vgl. Meyer, Die Entftehung des Judentums. Halle 1896, S. 210
5 ) Matth. 17, 24. Ant. 18, 9, 1. B, J. 7, 6, 6.
) Schekalim 1, 4.
7 ) Vgl. Matth. 21, 12. Marc. 11, 15. Joh. 2, 15. Nach Bekhoroth 8, 7
waren alle Abgaben gemafc dem heiligen Sekel in tyrifcher Wahrung,
welche der althebraifchen entfpricht, zu entrichten, wie auch fonft der Talmud
als Norm aufftellt, dag alle im Gefetj erwahnten Abgaben in tyrifchem
Geld zu zahlen find. Vgl. Kennedy, art. Money in Hastings III, 422.
8 ) Nehem. 10, 33-34. Vgl. Schekalim 4, 1-3.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen tind Schulen. 365
Wie heidnifche Tempel, z. B. der von Ephefus wegen
ihrer Heiligkeit von Privatleuten als fichere Qrte zur Aufbe-
wahrung ihrer Kapitalien erwahlt wurden, fo waren auch im
Tempel zu Jeru{alem folche Schatje deponiert. 1 ) Natiirlich
konnten habgierige Machthaber dadurch leicht zur PlGnderung
des Tempels gereizt werden. Bekanntlich hat Heliodor einen
Verfuch dazu gemacht, 2 ) wahrend Antiochus Epiphanes tat-
facblich den Tempel mit Gewalt beraubte. 3 ) Ahnlich machten
es romifche Feldherren 4 ) und die Landpfleger Pilatus und
Florus. 5 )
Zur Aufbewahrung all diefer oft erneuerten Ko[tbarkeiten Die
dienten die Scha^kammern im innern Vorhof des Tempels, kammern des
fiir deren Verwaltung es zur Zeit des Jofephus auger den Tem P els -
Beamten niedern Ranges, wie Schreiber, Kammerauffeher
u. dergl., mehrere Scha^meifter gab. 6 )
XI. Kapitel.
Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen.
Zur Zeit Chrifti drehte fich das ganze Leben des jiidifchen
Volkes um das Gefe^ und der grofcere oder geringere Eifer
fiir dasfelbe charakteri[ierte in den Augen des Volkes den
mehr oder weniger vollkommenen Juden. Die Gefetjeslehrer
waren aber nunmehr vorzuglich die Sehriftgelehrten. Es gab
in und augerhalb Palaftinas Synagogen, in denen von alters
her das Gefet^ Mofis jeden Sabbat vorgelefen 7 ) und auch
erklart wurde. Das Gefetj lefen lernte man in den Schulen.
Somit konnen wir unter diefem Gefichtspunkte hier im Zu-
fammenhang von den Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen
fprechen.
J ) 2 Mace. 3, 10-12. 15. B. J. 6, 5, 2.
2 ) 2 Mace. c. 3. .
3 ) 1 Mace. 1, 2123.
*) Ant. 14, 7, 1..B.-J. 1, 8, 8. - Ant. 17, 10, 2 fin. B. J. 2, 3, 3.
6 ) Ant. 18, 3, 2. B. J. 2, 9, 4. B. J. 2, 14, 6.
6 ) S. o. S. 349 f. -
7 ) Apg. 15, 21.
366 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
1. Die Sdiriftgelehrten. 1 )
Erftes Auf- Der Name Schriftgelehrter im Sinne 8 ) eines Gelehrten,
tretendesNa-der im Gefetje erfahren ift, begegnet uns fchon im 5. Jahr-
mens Sdirift- hundert v. Chr. zur Zeit des Esdras und Nehemias. Esdras
geiehrter. ^ lb ^ wird oft als ^ Schriftgelehrte", der ,,Sopher be-
zeichnet, 3 ) und er wird gelobt, weil er feine ganze Energie
darauf verwandte, ,,das Gefetj des Herrn zu erforfchen, es
zu beobaditen und die Beftimmungen des Gefetjes in Ifrael
zu lehren." 4 ) In diefer Hinfidit ift er wie fur feine nachften
Nachfolger, fo audi fur die fpateren Schriftgelehrten vor-
bildlich gewefen.
ihre Be- Sdiriftgelehrte hat es ohne Zweifel audi im Exil ge-
deutung nach geben. 5 ) Da)5 fie aber nach demfelben immer grofcere Be-
dem Exil. deutung erlangten, hatte mehrere Grunde. Zunachft mugte
die Wiederbelebung des Intereffes an dem Gefe^e beim
ganzen Volke 6 ) von felbft zur wiffenfchaftlidien Erforfchung
und Erklarung des Gefe^es fuhren. Dazu kam aber bei dem
immer mehr fchwindenden Verftandnis des Hebraifchen, welches
in und nach dem Exil dem Chaldaifchen gewichen war, 7 ) die
Notwendigkeit, die heiligen Biicher dem Volke durch fchrift-
kundige Manner erklaren zu laffen. Endlich brachte aber
auch die nachexilifche Zeit mit ihren neuen Verhaltniffen
immer mehr Fragen, befonders praktifcher Art, fur die man
a ) Vgl. befonders Derenbourg, Histoire etc. Paris 1867; Bacher,
Die Agada der Tannaiten. 2 Bde. Stragb. 1884-1890. 1. Bd. 2., verb,
und verm. Aufl. Strafeburg 1903. Sdiurer II, 373-447. Lightley, Les
scribes. Etude sur leuf origine chez les Israelites. These. Paris 1905
(ver[teht bereits C'lyiD Jerem. 8, 8 im Sinne einer Klaffe. Vgl. Biblifdie
Zeitfchrift V, 1. Freib. 1907, 73).
z ) Vgl. Esdr. 7, 10 f.
3 ) Esdr. 7, 11 f. 21. Neh. 8, 1. 4. 9. 13. 12, 26.
*) Esdr. 7, 10. - Der Name n Sopher" kommt ubrigens nadi Aus-
weis der Lexika im Alten Teftamente oft in einer andern Bedeutung
vor, z. B. in der Bedeutung n Schreiber" Esdr. 4, 8 f. Pfalm 45, 1. Jerem. 36,
26. 32. Ezedi. 9, 2. 3. Vgl. Eaton, art. Scribes in Hastings IV, 420.
6 ) Vgl. Nikel, Die Wiederherftellung des judifchen Gemeinwefens
nadi dem Exil. Freib. 1900 (= Bibl. Stud. 5, 2 u. 3), S. 23 f. u. 226.
6 ) Nehem. 8, 1 ff.
7 ) Nehem. 13, 24.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 367
eine Antwort im Gefetje fuchte, aber nur durdi juriftifche
Deduktionen, welche naturgemafc nur von wenigen Gefetjes-
kundigen gemadit werden konnten, zu finden vermodite. 1 )
All die[en Bedurfniffen konnten die Priefter und Leviten
allein, denen ja zunachft andere Pflichten oblagen, nicht ent-
fpredien, fo daft fchon fruh audi Laien dafur eintraten.
Was nun zunachft Esdras angeht, fo war diefer nicht
blojj Schriftgelehrter, fondern auch Priefter. 2 ) Unter Nehe-
mias finden wir gelegentlich 3 ) die Leviten mit dem Unter-
richt des Volkes im Gefetj befdiaftigt. Aber es lafet fidi auch
fchon damals der Gefetjeslehrer, der weder Priefter nodi
Levit war, nachweifen. 4 )
Trotjdem mujg die Anfchauung der fpateren Talmudiften, 5 )
als ob Esdras die fogenannte grojje Synagoge, d. h. eine Die fogen.
Verfammlung von Schriftgelehrten, welche in der Zeit von grofeeSyna-
Esdras und Nehemias bis auf Alexander d. G. befonders ins e hat nie
religiofer Beziehung die hochfte Autoritat fur die Juden ge-
bildet haben foil, gegrundet habe, als irrig bezeichnet werden.
Oberhaupt ift die grofee Synagoge nur ein phantaftifches
Spiegelbild des viel fpateren Hohen Rates, eine bloge Mythe,
welche das fpatere pharifaifche Rabbinertum verherrlichen foil.
Sie wird an Nehemias Kapitel 8 10 angeknupft, allein dort
wird nur von einer einmal fur einen beftimmten Zweck zu-
fammenberufenen Volksverfammlung geredet. 6 )
1 ) Vgl. Montet, Essai sur les origines des partis saduceen et pha-
risien. Vienne 1883, p. 80 ss.
2 ) Esdr. 7, 1. 11 u. 6.
3 ) Nehem. 8, 9.
*) L. c. 13, 13.
5 ) Vgl. z. B. jer. Berachot 1, 7 bei Derenbourg 32, 1. Die einzige
ErwShnung der grogen Synagoge in der Mifdina fteht Pirke Aboth 1, 1
und 2 und ift, wie fo manches in dem Traktat, weleher 5, 23 auch von
der Gemara fpricht, jflngeren Datums. Weder das Alte Teftament, noch
Jofephus, noch Philo, noch die Apokryphen wiffen etwas von der grogen
Synagoge, fQr welche tibrigens noch Samuel Kraujg, The great Synod,
in The Jewifch Quart. Rev. vol. X. London 1898, p. 347-377 eintritt.
6 ) Vgl. befonders Kuenen, Oefammelte Abhandlungen , uberf. von
Budde, Freib. 1894, S. 125-160 n Ober die Manner der gro&en Syna-
goge" und Loeb, La chatne de .la tradition dans le I. chapitre de
Pirke Abot in Bibl. de 1'ecole des hautes etudes, Sciences relig. t. I.
Paris 1889, p. 307322. Selbie, art. Synagogue the Great in Hastings
IV, 643 f.
368 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jfld. Volkes.
Aiimahiiche Wir haben uns vielmehr die Entwicklung des Schrift-
Entwickiung gelehrtentums als eine allmahliche zu denken. Hohes Lob
^eieMeT" wird den Vertretern desfelben von Jefus Sirach gefpendet. 1 )
turns Sie haben fich in der Makkabaerzeit, als unter andern auch
der greife Eleazar zu ihnen gehorte, dureh ihr Eintreten
fiir die freie Bedbachtung des Gefetjes grofee Verdienfte
Die sdirift- erworben. 2 ) Zur Zeit Chrifti finden wir fie im Befit* des
geiehrten zur anerkannten Vorrechtes, dafc ihr Stand dureh eine Anzahl
ZeitChnfti. Mitglieder im Hohen Rate vertreten ift, ein Vorrecht, welches
fie wahrfcheinlich der groften Gonnerin der Pharifaer, der
Konigin Alexandra, zu danken haben. Sachlich war es darin
begrundet, daft gerade diefe Korperfchaft, der Hohe Rat, auf
zugleich juriftifch und theologifch gebildete Gelehrte grogen
Wert legen mugte. Die meiften Schriftgelehrten gehorten
der Partei der Pharifaer an, obwohl es auch Schriftgelehrte
der Sadduzaer gab. 3 )
ihre Ver- I nr Beruf an fich mujste fie uberall den gefe^eifrigen
breitung. Juden, namentlich auch fiir Vortrage in der Synagoge, emp-
fehlen. 4 ) Deshalb finden wir fie nicht nur in Jerufalem, wo
fie naturgemag befonders zahlreich waren, fondern auch in
Galilaa, 5 ) und es lagt fich nicht bezweifeln, daft fie auch in
manchen grogeren Gemeinden der Diafpora fich fanden.
ihre Ehrfucht. Neben dem Namen ,,Schriftgelehrter" fuhren fie im Neuen
Teftamente auch die Namen ,,Gefe^esgelehrter" und,,Gefe^es-
lehrer", 6 ) ohne dag ein fachlicher Unterfchied dazwifchen ge-
macht wird. 7 ) Sie felbft liefeen fich gern von den Leuten
mit Rabbi, d. h. ,,mein Herr" oder ,,mein Lehrer", anreden 8 )
x ) Eccli. 38, 25-38. 39, 1 ff.
2 ) 1 Mace. 7, 12 f. 2 Mace. 6, 18 31.
a ) Denn es heigt z. B. Luc. 5, 30: ,,Die Pharifaer und ihre Schrift-
gelehrten". Alfo gab es auch andere.
*) Marc. 1, 22.
6 ) Matth. 9, 3. Luc. 5, 17.
6 ) y^uftfiarevg: eigentlich jemand, der fich mit den ypaV^ar, den
Schriften befchaftigt; VO^MO? kommt Matth. 22, 35. Luc. 7, 30. 10, 25 etc.
Tit, 3, 13 vor ; KOAtotftrfa'tfxoAo? bei Luc. 5, 17. Apg. 5, 34. ' Tim. 1, 7.
7 ) Vgl. Luc. 5, 17 mit 5, 21 und Matth. 9, 3. Marc. 2, 6. Jofe-
phus nennt die Schriftgelehrten bisweilen 6o<pi6rai (B. J. 1, 33, 2. 2,
17, 8 f.), aber auch H Erklarer der vaterlichen Gefetje" (Ant. 17, 6, 2,
Vgl. 18, 3, 5) Oder is^ny^annaTtl? (B. J. 6, 5, 3).
s ) Vgl. Matth. 23, 511 (wofelbft auch die Namen ,,Vater" und
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 369
und zwar aus Hochmut, wahrend der Heiland feinen Jiingern
verbot, fich fo nennen zu laffen. 1 ) Audi liebten fie die erften
Platje bei den Gaftmalern und in den Synagogen 2 ) und den
erften Grufc auf dem Markte und fuchten fich dadurch von
andern zu unterfcheiden, dafe fie die ebenfalls von andern
Ifraeliten getragenen 3 ) aufceren Merkmale des jiidifchen Be-
kenntniffes, namlich die Tephillin oder Phylakterien, d. h. die
Gebets-oder Spruchbander, welche jeder Ifraelit beim Ge-
bete auf der Stirn und am linken Arm, und die blauen
(hebraifch Zizith genannten) Franfen, welche jeder an den
Enden des Oberkleides trug, befonders breit und grofe
batten. 4 ) Diefem Hochmute entfpricht es, daft die Schrift-
gelehrten von ihren Schulern, wie wenigftens die Mifchna
fagt, eine grojgere Ehrerbietung als gegen den eigenen Vater
verlangten. 5 )
Da vom Charakter der Schriftgelehrten die Rede ift,
mu{5 auch ihre Habfucht erwahnt werden. Unter dem Vor-ihreHab[ucht.
wande langer Gebete faugten fie, wie Jefus ihnen vorwarf, 6 )
die Haufer der Wih^en aus. Diefer Umftand macht es fchon
fehr unwahrfcheinlich, daft ihr Unterricht unentgeltlich gewefen
ift. Abgefehen davon, daft es fich nicht beweifen laftt, dafc
= Lehrer vorkommen) und Joh. 1, 38. Obrigens wurde auch
Jefus 6fter nicht ,,Herr" oder ,,Meifter", fondern ,,mein Herr", ,,mein
Lehrer" d. h. Rabbi angeredet (vgl. Matth. 26, 25. 49. Marc. 9,5. ll, 21.
14, 45. ,loh. 1, 38. 49. 3, 2. 4, 31. 6, 25. 9, 2. 11, 8), wie auch der Tauter
von feinen Jiingern fo genannt wurde (Joh. 3, 26). Leute aus dem Volke
reden auch wohl den Herrn an mit t/rf/t/oiw unfer Herr (Marc. 10, 51.
Joh. 20, 16). In der Mifchna ift Rabbi nicht mehr Anrede, fondern
Titel. Ober den Titel Rabban = unfer Lehrer, der einigen hervorragen-
den Lehrern gegeben wird, vgl. Buxtorf, Lexicon Chaldaicum etc.
col. 2176 sq. und Levy, Neuhebr. u. chald. Worterb. IV, 416 f. z. W. 12~
') Matth. 23, 7 f.
a ) Matth. 23, 6-7. Marc. 12, 38 f. Luc. 11, 43. 20, 46.
3 ) Gernag der Vorfchrift in Exod. 13, 16. Deut. 6, 8. 11, 18. Vgl.
Num. 15, 37-41. Jos. Ant. 4, 8, 13.
4 ) Matth. 23, 5. Vgl. ebd. 9, 20. Vgl. uber die Tephillin oder Phy-
lakterien Kap. 18, 4, fiber die Zizith Kap. 13, 3. Statt des Ausdruckes
a Hcyaivvvvotv rd x^atftttda" magnificant fimbrias findet fich bei Luc. 20,46
<vgl. auch Marc. 12, 38) der fur die Heidenchriften verftandlichere
,,7if(ji7i'tTtlv ev otoAwtf (ezoi-ij ift das Kleid der Vornehmen).
B ) Aboth 4, 12.
6 ) Marc. 12, 40. Luc. 20, 47. Vgl. auch Luc. 16, 14.
-Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefchidite. I. 2. u. 3. Aufl. 24
370 Zweiter Abfchnitt. Die innern \ oz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
dies grundfatjlich [o fein follte, l ) fprechen audi die Stellen
des Neuen Teftamentes dagegen, wonach der Arbeiter feines
Lohnes wert ift 2 ). und der, welcher das Evangelium predigt,
fich dafiir von denen, weldien er predigt, den Lebensunterhalt .
geben zu laffen ein Recht hat. 3 ) Allerdings wird nirgendwo
gefagt, dafe man damals judifchen Lehrern einen beftimmten
Lohn fur ihren Unterricht gegeben habe, aber man konnte
doch eine Vereinbarung treffen Oder auf die der Sitte ent-
fprechende freiwillige Dankbarkeit von Eltern und Schulern
reehnen.
Die Gefetjes- Abhangig fiir den Lebensunterhalt war ein Schriftgelehrter
lehrer viei- allerdings nicht von dem Entgelt fur den Unterricht. Denn
Hatdwerkl? damals ubten viele neben dem Lehr erberuf Hand- und Hand-
" werksarbeit aus und verdienten fich dadurch das tagliche
Brot,*) wie ja auch z. B. der Apoftel Paulus ein Handwerk
ausgeubt hat. 5 ) Schon dem Lehrer des beruhmten Rabbi Hillel
Schemaja wird der Spruch zugefdirieben ,,Liebe die Hand-
arbeit", 6 ) und die fpateren Rabbiner betonen, es fei loblich,
') Nach M. Nedarim 4, 3 darf ein Priefterf der gelobt hat, einem
Ifraeliten nichts zunutjen.zu tun, demfelben zwar Halachoth und Haggadoth
und Midrafch lehren, aber nicht die Schrift (weil man, wie die Kommen-
tatoren ad I. erklaren, fur erfteres nach Deut. 4, 14 keinen Lohn annahm
und, indem man es tat, ein Qebot erfiillte, fur letjteres aber einen Loha
erhielt). Man beruft fich aber auf Aboth 4, 5 : ,,R. Zadok fagte: Mache die
Gefetjeskunde weder zur Krone, damit zu prangen, noch zum Grabfcheit,.
damit zu graben. Hillel pflegte zu fagen: Wer [ich der Krone (des Ge-
fe^es) bedient (zu augeren Zwecken), fchwindet dahin." Allein wann der
hier erwahnte R. Zadok lebte, ift ungewig. Nach Bacher, Die Agada etc.
1, 50, 2 find wenigftens zwei Trager des Namens zu unterfcheiden. Der
altere lebte gegen Ende des erften chriftlichen Jahrhunderts (f. Bacher
1. c. 43 ff.). Die Verhaltniffe nach der Zerftorung des Tempels find aber
nicht einfach auf die Zeit vor jener ZerftOrung zu ubertragen. Der Aus-
fpruch Hillels findet fich aber auch Aboth 1, 13 und ,,s'explique tout aussi
bien a la couronne de la Loi" qu'a ,,celle de la royaute". Derenbourg
1. c. p. 182, 2. - Das Wort des Heilandes Matth. 10, 8 ,,umfonft habt
ihr empfangen, umfonft gebet" bezieht fich auf die Charismata.
2 ) Matth 10, 10. Luc. 10, 7.
3 ) 1 Kor. 9, 3-18. 2 Kor. 11, 8 f. Phil. 4, 10-18.
*) Vgl. Deli^fch, Jiidifches Handwerkerleben zur Zeit Jefu. Erlangen 3 -
1879. S. 74.
5 ) Apg. 18, 3. 20, 34 u. 6.
6 ) Aboth 1, 10. Nach Aboth 2, 5 hat Hillel felbft gefagt: ,,Nicht
jeder, der feine Gefchafte vermehrt (ausbreitet), wird weife."
XI. Kap. Die Schrittgelehrten, Synagogen und Schulen. 371
das Studium des Gefetjes mit irgend einem burgerlichen Ge-
fchafte zu verbinden. *) Tatfachlich haben auch nach der jiidi-
fchen Uberlieferung die beriihmteften Rabbiner Handarbeit
getrieben. Rab Jofeph drehte die Muhle, Rab Schefcheth
fchleppte Balken, zwei waren Schufter, wenigftens drei Schnei-
der, R. Ifaak Nappach war ein Schmied, R. Nechemcha Hak-
kadar war ein Topfer, R. Juda Hanechtom ein Backer u. dgl. 2 )
Ubrigens war, wie auch fchon mehrfach hervorgehoben Die dreifache
wurde, die Tatigkeit der Schriftgelehrten keineswegs blofc Tatigkeit der
eine unterrichtende. Sie mufc vielmehr im allgemeinen als Schnft -
eine gefe^geberifche, als eine richterliche, und an dritter eeren -
Stelle als eine Lehrtatigkeit bezeichnet werden. 3 )
In erfterer Beziehung darf allerdings der Zuftand der ge- Das Anfehen
fetjgeberifchen Tatigkeit nach der Zerftorung des Tempels und ihrer
dem tatfachlichen Untergang des Hohen Rates, wie er fi(
im Talmud darftellt, da man eine Sadie einfach ,,vor die Ge-
lehrten" brachte, die dann entfchieden, 4 ) nicht mit dem der
friiheren Zeit identifiziert werden. Allein praktifch waren
auch fchon zur Zeit Chrifti die Ausfpruche und Lehren der
angefehenften Schriftfteller majggebend. 5 ) Denn damals und
fchon lange gait der von der Mifchna auf die grofce Synode"
zuruckgefiihrte Spruch: ,,Machet einen Zaun um dasGefe^." 6 )
Um namlich auch unter den neuen Verhaltniffen gegenuber dem
Hellenismus, welcher ins Volk einzubrechen drohte, jeden
Bruch des Gefe^es unmoglich zu machen, wurde die treuefte
Beobachtung zahlreicher teils wirklich alten teils als alt aus-
gegebenen oder angefehenen Schul-Oberlieferungen, die als
gleich verbindlich wie das Gefetj felbft erklart wurden, 7 ) ein-
x ) Vgl. z. B. den Ausjpruch des R. Gamaliel III in Aboth 2, 2:
,,Jedes Studiurn, weldiem kein Handwerk zur Seite geht, i{t eitel und
fuhrt zu Vergehen." Andere Stellen in Jos. Simon, L'education et 1'in-
struction des enfants chez les anciens Juifs. 3. ed. Leipz. 1879, p. 60.
*) Vgl. die Zufammenftellung bei Delitjfch 1. c. S. 77 f. '
3 ) Diefe Unterfcheidung madien Ferd. Weber, Judifche Theologie etc.
2. Aufl. L. 1897. S. 130 und Schurer II, 381.
4 ) Vgl. z. B. Bekhoroth 5, 3.
5 ) Matth. 23, 2 f.
6 ) Aboth 1, X.
7 ) Matth. 15, 2 ff. Marc. 7, 5 ff. Aboth 3, 11. 5, 8.
24*
372 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
gefcharft, 1 ) welche ganz unabhangig von der Heiligen Sdirift
waren und alle moglichen Falle des religicifen und biirger-
licben Lebens autoritativ zu entfcheiden fuchten. In den Fallen,
in weldien weder Gefeij nodi Oberlieferung ausreichten, er-
ganzte man beide durch ebenfalls als verbindlidi erklarte
und angefehene neue Be[timmungen. Die Mifchna geht in
der Wertfchatjung diefer fo weit, keck zu behaupten: Eine
Siinde gegen die Ausfpriidie der Schriftgelehrten ift fchlimmer
als eine foldie gegen die Sdirift. 2 ]
Bei diefer dem praktifchen Erfolg nach gefetjgeberifchen
Tatigkeit wurden namentlidi die Gebote, welche fich mit den
Opfern, dem Sabbat,* dem Faften, den Abgaben an Priefter
und Tempel, der levitifchen Reinheit u. dgl. befchaftigten, be-
ruckfichtigt und zwar in einer fehr augerlichen Wei[e, wie
das Neue Te[tament zeigt. 3 ) So konnte es kommen, daft
nach diefer Lehre ein mijgratener Sohn feinen Eltern den
Lebensunterhalt verweigern durfte, wenn er nur Sorge trug,
letjteren durch ein (naturlich fundhaftes) Gelubde, dem Tempel
fei alles geweiht, was von ihm, dem Sohne, aus den Eltern
niitjen konnte, dem Tempel und damit Gott zu weihen.*) Minze
und Kiimmel und Anis verzehnteten fie und Gereditigkeit,
Barmherzigkeit und Treue beaditeten fie nicht. Das Augere
des Bediers und der Schuffel hielten fie rein, inwendig aber
waren fie voll Raub und Unreinigkeit. 5 )
ihre Tatigkeit Obwohl man nidit berufsmagig das Gefetj ftudiert zu
als Richter. h a b en braudhte, um Richter zu werden, fo waren dodi natur-
gemafc die Schriftgelehrten wegen ihrer Bildung befonders
dazu geeignet und ift es ebenfo begreiflich, dafc mehrere von
ihnen dem Hohen Rate angehorten wie dafe fie in demfelben
einen grofcen Einflug ausiibten. 6 )
ihre Lehr- Was aber die Lehrtatigkeit der Schriftgelehrten angeht,
tatigkeit. j [ft ^er Sa^ der Mifchna, welche diefe wieder auf die an-
') Jos. Ant. 13, 10, 6. S. Matth. 15, 3. Marc. 7, 13. Vgl. Aidier,
Das Alte Teftament in der Mifchna. Freib. 1906 (= Bibl. Studien XI, 4),
S. 59.
2 j Sanh. 11, 3.
3 ) Luc. 18, 12. Matth. 6, 1 ff. 6, 5 ff.
4 ) Matth. 15, 4 ff. Marc. 7, 9 ff.
5 ) Matth. 23, 23 ff.
6 ) Vgl. Apg. 5, 34 ff. S. o. S. 322.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 373
gebliche grojje Synode zuruckfiihrt, ,,Madiet viele Schiller", 1 )
jedenfalls alt und entfpricht auch dem tatfachlichen Verhalten
der Schriftgelehrten. Wenigftens die beruhmteren unter ihnen
fammelten viele junge Manner um fich, welche {ie, wie Gamaliel
den Paulus, in die genauere Kenntnis des Gefetjes einffihrten.
So machten es z. B. zur Zeit des Herodes Judas und Matthias,
von denen es heifct: ,,Wem es um wahre Vollkommenheit
zu tun war, war taglich in ihrem Haufe." 2 )
Da das ,,mundliche Gefetj" 3 ) oder die Oberlieferungen der Die Art
Vorfahren den Hauptgegenftand des Unterrichts der Schrift- ihrer Unter-
gelehrten bildete, beftand derfelbe in einer fortwahrenden wei f un -
Wiederholung des Gefagten, bis die Schiller es im Gedacht-
nis hatten. Mit andern Worten: das gedachtnismafcige Be-
herrfchen der vielen uberlieferten Vorfchriften war das Ziel
des Unterrichts. Daher kommt es, dafj bei ihnen ,,wieder-
holen" foviel hiefc wie ,,lehren", 4 ) und derjenige, der das
be[te Gedachtnis hatte, der befte Schuler war. Die Mifchna
nennt den Schuler, welcher leicht lernt und fchwer vergifct,
weife, 5 ) und der Rabban Jochanan ben Zakkai lobte unter
feinen Schfilern den Eliezer ben Hyrkanos deshalb am meiften,
weil er wie eine mit Kalk ausgefugte Zifterne fei, welche
keinen Tropfen verliere. 6 )
Obrigens richtete der Lehrer auch Fragen an die Schuler,
wie diefe ihrerfeits Fragen an den Lehrer richten konnten. 7 )
Dafe die Lehrer felbft fchwierige Fragen in mtindlicher Dis-
ku[{ion untereinander erorterten, ergibt fich aus manchen
) Aboth 1,1.
2 ) Jos. Ant. 17, 6, 2. Vgl. B. J. 1, 33, 2.
3 ) Philo (Leg. ad Caj. 16) fagt ausdrucklich , die Gewohnheiten
der Juden Jeien nicht aufgefdirieben ( nulv nydrsfjov zwv itguv vcuwv, xai
f'n Tdlv ayynqiwv tfrwv, eva voni^etv TcV narsfjot, xal TtoirjT^v rov xoffftov
t6v). Vgl. Zunz, Die gottesdienftlichen Vortrage der Juden S. 47.
') ~fi' wiederholen heigt in der damaligen Schulfprache foviel als
lernen und Mifchna eigentlich Wiederholung = Die Lehre. Vgl. die Be-
weife in Bacher, Die altefte Terminologie der jiidifchen Schriftauslegung.
Leipz. 1899, p. 193 ff.
5 ) Aboth 5, 12.
6 ) Aboth 2, 8. Auch Josephus Vifa 2 ruhmt {ein Gedachtnis.
7 ) Luc. 2, 46. Vgl. dazu Lightfoot, Horae hebr. ad 1. Wetftein Nov.
Test. Graecum. Amstel. 1751. 52. 2 Bde. ad 1.
374 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Stellen der Mifchna. 1 ) Diefe Disputationen wie aueh die
Unterweifung der Schtiler fanden zur Zeit der Mifchna in
befondern, von den Synagogen verfchiedenen ,,Lehrhaufern U:i )
ftatt. Zur Zeit Chrifti lehrten aber die Schriftgelehrten zu
Jerufalem im Tempel, 8 ) d. h. im Vorhof des[elben. Die
Schuler fafcen auf dem Boden, die Lehrer auf einem erhohten
Die Haiacha. Schon in der tannaitifchen Zeit der rabbinifchen Gefetjes-
lehrer laffen fich verfchiedene Difziplinen der mundlichen
Lehre unterfcheiden. Die erfte ift die Haiacha (eigentl. Gang,
Wandel, tropifch Gefetj fur den Wandel), wodurch in der
Schulfprache die aufcermofaifche Satjung Oder geltende Vor-
fchrift ohne Riickficht auf ihre etwaige Herleitung aus der
Heiligen Schrift verftanden wird, ob fie nun auf einer Uber-
lieferung oder einem Befchlufc der Schulen beruht. 5 ) Die
einzelne Satjung heifet Haiacha, die .Gefamtheit Halachoth.
Trotjdem die Verbindlichkeit der Haiacha von der heiligen
Schrift ganz unabhangig ift, ^) wird doch in unferer Mifchna
oft zu einer Haiacha eine fie beftatigende Schriftftelle beige-
bracht. 7 ) Es hangt dies aber mit der durch die Ereigniffe
des Jahres 70 n. Chr. bewirkten Veranderung aller Verhalt-
niffe zufammen. s ) Denn nach jenem Jahre konnten viele
') Vgl. z. B. Schabb. 8, 7. Pesachim 6, 2. 5 etc.
2 ) Bin folches Haus hieg TZh^ij n*2, das Lehrhaus eigtl. das Haus
der Schriitauslegung, Schriftforfchung.. Vgl. Berakhoth 4, 2. Terumoth
11, 10. Schabb. 16, I. 18, 1. Pesachim 4, 4 etc.
3 ) Matth. 21, 23 26, 55. Marc. 14, 49. Luc 2, 46. 20, 1. 21, 37.
Joh. 18, 20.
4 ) Luc. 2, 46. Matth. 26, 55. Aboth 1, 4.
5 ) Vgl. Baeher, Terminologie f. v. riDT>r] S 42 f. Aicher, Das Alte
Teftament in der Mifchna. Freib. 1906 (= Bibl. Studien XI. 4), S. 63.
Bisweilen heigt die Haiacha ,,Schematha" (Xrtt>sr) d. h. das Rezipierte
als Richtfchnur fur die Praxis tatfachlich Angenommene. S. Zunz, Vor-
trage. S. 44 f.
8 ) Vgl. z. B. Baba mezia 7, 8: Diejenigen, welche Fruchte hiiten,
eflen davon nach der Sitte des Landes, nicht aber kraft des Gefetjes.
Vgl. auch die von Aicher p. 58 ff. angefuhrten Stellen Orla 3, 9. Chagiga
1, 8. Pea 2, 6 Jadajim 4, 3.
7 ) Z. B. wird Baba qamma 3, 9 die Haiacha fe{tgefetjt und R. Je-
buda disputiert dann mit R. Meir, welche Schriftftelle dazu gehore.
8 ) Vgl. Aicher p. 60 ff.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 375
Ofoerlieferungen gar nicht mehr beobachtet werden, andere
waren zweifelhaft geworden, und neue Fragen verlangten
eine Lofung. Deshalb fammelte man nun mit Fleifc die vor-
handenen Halachoth und warf fich mit Eifer auf das Studium
des Gefetjes, welches nunmehr, da die Beobachtung desfelben
in fo vielen Punkten unmoglich war, als etwas Verdienftliches
angefehen wurde. Man fuchte die Halachoth durch Schrilt-
ftellen zu ftutjen und durch logifche Schlugfolgerungen u. dgl.
aus der Schrift herzuleiten. Die Auslegungen der halachifchen Die
Teile der Schrift, namentlich der gefe^lichen Teile des Pen- Midrafchen.
lateuchs, nannte man Midrafchen oder Midrafchoth. Somit
gehoren die Halachoth und die Midrafchoth als einander
erganzende Teile des Gefetsesftudiums zufammen. 1 )
In der Mifchna iiberwiegt die Halacha; fei es nun, daft Die Haiacha
es fich um eine fchon ohnehin rechtsgiiltige Halacha handelt, in der Mifchna.
fei es, da diefelbe hier auf Grund des Majoritatsbefchluffes -)
der rabbinifchen Gelehrtenkollegien feftgeftellt wird. Dafe im
Laufe der Zeit rechtsgiiltige Satjungen oder Gebrauche durch
diefe Autoritaten wieder abgeandert werden, kommt nur in
Arerhaltnismafcig feltenen Fallen vor. r> ) Wohl aber werden
bisweilen die verfchiedenen Anfichten der disputierenden
Lehrer, ohne da eine Entfcheidung gegeben wird, neben-
einandergeftellt. Hermeneutifche Grundfa^e fur die Ablei-
tung neuer oder die Entfcheidung ftrittiger Sa^e aus der
Schrift oder aus andern Halachoths werden zum Teil fchon
auf Hillel, 4 ) zum Teil auf den R. Ismael zuruckgefiihrt. 5 ) Allein
') Vgl. Bacher, Die judifche Terminologie S. 34 f. 42. 103 f. Bacher,
Die Agada der Tannaiten p. 475 ff. 483 zeigt, dag die von Jofua b.
Nechemja im 4. Jhrdt. erwahnte Dreiteilung der Traditionswiffenfchaft in
Midrafdi, d. h. die Auslegung des Bibeltextes und zwar befonders der
gefet5lichen Teile des Pentateuchs, in Haladioth, d. h. fefte, ohne Rfickficht
auf ihre Herleitung aus der Heiligen Schrift uberlieferte Satjungen und
in Haggadoth, d. h. die nicht halachifchen Schriftauslegungen und die
daran fich knupfenden Ausfpruche ethifchen und fon[tigen Inhaltes auf die
frflhe Tannaitenzeit zuruckgeht.
2 ) Vgl. Edujoth 1, 5: Die Halacha lautet nur nach dem Ausfpruch
der Mehrheit. Vgl. auch Schabbath 1, 4. Horajoth 1 und 2. Miqwaoth
4, 1. Jadajim 4, 1. 3. S. auch Weber S. 135 f.
3 ) Vgl. z. B, Schekalim 7, 5. Joma 2, 2. Edujoth 7, 2. Vgl. Schurer
11, 396, 16.
4 ) Sie find aufgezahlt in der Tofephta Sanhedrin VII, 11 (ed. Zucker-
376 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
ein nach diefen Grundfatjen eingeriehtetes fy[tematifches Ver-
fahren lafct fidh nicht nachweifen. 1 )
Die Haggada. Im Gegenfatj zur Halacha fteht die Haggada oder
Agada, 2 ) d. h. die aus der Schrift flieftende Lehre. 3 ) In der
Schulfprache ift der an fich auch auf halachifche Schrifttexte
anwendbare und tatfachlich davon in dem entfprechenden
Verbum, welches lehren bedeutet, gebrauchte Ausdruck fchon
in friiher Zeit auf die Auslegung der nichtge[e^lichen Bibel-
texte und ihre Anwendung Oder Verwertung zur Beftatigung
einer oft fehr phantaftifchen Idee befchrankt worden. 4 )
mandel p. 427), in den Aboth de Rabbi Nathan c. 37 und in der Ein-
leitung zum Buche Siphra in Ugolini Thesaur. torn. XIV p. DLXXXVI1.
Vgl. diefelben auch z. B. bei Strack, Einl. in den Talmud 5 S. 96-99 und
Aicher S. 142 ff. Sie lauten: 1) Leichtes u. Schweres, der Schlug a minori ad
majus und umgekehrt. 2) Gleiche Satjung d. h. der Analogiefchlug. 3) Ein
Hauptfalj aus einer Schriftftelle, d. h. inhaltlich zufammengehorige Beftim-
mungen werden aus einer nur bei einer diefer Beftimmungen fich findenden
Schriftftelle erklart. 4) Ein Hauptfat5 aus zwei Schriftftellen. 5) Allgemeines
und Befonderes und Befohderes und Allgemeines, d. h. das Allgemeine
wird durch das Befondere und das Befondere durch das Allgemeine er-
klart. 6) ,,Dem Ahnliches an einer andern Stelle" d. h. Erklarung einer
Bibelftelle durch eine andere. 7) ,,Eine Sache, die fich lernt aus ihrem
Zufammenhang", d h. die nahere Beftimmung lagt fich aus dem Zu-
fammenhang fchliegen.
6 ) In den 13 Middoth oder hermeneutifchen Qrundfa^en, welche dem
R. Ismael zugefchrieben werden (vgl. diefelben in der Einleitung zu
Siphra 1. c., auch z. B. bei Strack a. a. 0. S. 99 t, Weber S. 109 ff.),
wird die 3. und 4. Regel Hillels in eine Regel (es ift die 3. des Ismael)
zufammengezogen, die 5. des Hillel wird auf achtfache Weife fpezialifiert,
die 6. des Hillel ift ausgefallen. Die 13. Regel ift neu. Sie lautet:
,,Wenn zwei Verfe einander zu widerfprechen fcheinen, fo mug man war-
ten, bis der dritte Vers fich findet, der zwifchen ihnen ausgleicht."
') S Aicher S. 141-149.
2 ) Der babylonifche Talmud fchreibt meift n~:.~ Haggada, die pala-
ftinenfifchen Quellen haben aber, wie Bacher, die Agada S. 474 f. fagt,
die aramaifierte Nebenform (^des urfprunglichen hebraifchen Wortes) ~".*X
Aggada. Statt deffen fchreibt man aber gewohnlich Agada.
3 ) Aicher p. 63.
') Bacher, Die jiidifche Terminologie p. 30 ff. z. Worte ~V.~ und
ebd. Die Agada derTannaiten, I, 451475. ,,0ber den Urfprung des Wortes
Haggada (Agada)" tut dar, dag der Ausdruck Haggada von w 2*rcn ~\v:
oder "w ~*.*;D abzuleiten ift. Diefes zeige in dem Midrafch der Schule
Ismaels, welcher in manchen Beftandteilen den Sprachgebrauch der alteren
palaftinenfifchen Bibelexegefe vertrete, an, dag der Schrifttext etwas lehre.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 377
Wie man die Schrift nicht fo fehr auslegte, als allerhand in
fie hineinlegte, zeigt die Mifchna. Wenn es z. B. bei Ifaias
heifct: Und es wird fein von Neumond zu Neumond, von
Sabbat zu Sabbat kommt alles Fleifch, um fich vor mir zu
beugen, fpricht der Herr, fo foil dies heifcen von Zeit zu
Zeit. Aber nach dem R. Akiba beweifen die Worte ,,von
Neumond zu Neumond", daft das Gericht fiber die Gottlofen
im Gehinnom zwolf Monate dauert, wah'rend fie nach
R. Jochanan b. Nuri von Oftern bis Pfingften drinnen bleiben,
weil es heifjt ,,von Sabbat zu Sabbat". 1 )
Die gewohnliche Form der Haggada ift die der vielfach
mit Legenden und Fabeln vermifchten allegorifchen Erklarun-
gen oder ganz fubjektiven Ausfiihrungen zu dem Schrifttext
oder Anwendungen desfelben. Namentlich hat man fich gern
mit der zukunftigen und himmlifchen Welt befchaftigt, wobei
erft recht der Phantafie der einzelnen der grofete Spielraum
fich darbot. 2 ) Von Regeln konnte bei einer folchen Art der
Auslegung oder Anwendung der Schrift keine Rede fein. 3 )
Daft die Juden in der neuteftamentlichen Zeit auch manche Die
richtige Gefchichtsuberlieferungen hatten, wird niemand leug- Qefchichts-
nen wollen. Denn auch im Neuen Teftamente finden fieh uber "
manche Angaben fiber altteftamentliche Dinge und Perfonen,
welche vielleicht aus verloren gegangenen echten Schriften,
""ft kommt aber auch bei halachifcher Exegefe vor. Vgl. Bacher, Ter-
minologie S. 33. Vgl. auch Aicher S. 66 i.
. l ) Edujoth 2, 10. Aicher, der S. 76 f. die Stelle anfuhrt, gibt S. 67
bis 107 bezw. 107 140 eine grojge Anzahl von Beifpielen uber die Schrift-
anwendung bezw. die Schriftauslegung der Mifchna, fowohl die halachifche
als die haggadifche.
2 ) Vgl. u. a. Edersheim, The life and times of Jefus the Messiah.
2. ed. 2 Bde. London 1884. I, 106 ff. Schiirer II, 400 ff., wo manche
Beifpiele haggadifcher Schrifterklarung angegeben find, ebenfo Aicher
S. 69 ff. 109 ff. (die haggadifchen Schriftanwendungen und Schriftausle-
gungen find von ihm mit einem Afteriskus verfehen).
s ) Es foil R. Eliezer, Sohn des R. Jofe des Qalilaers, 32 folche
Regeln aufgeftellt haben. Sie find zuerft von Abulvalid Jbn Ganah (um
1030) zitiert, finden jich in dem Werke Efchkol Hakkofer des Karaers Jehuda
Hadassi (um 1149) und wurden fpater in den Anhang zum Traktat Bera-
khoth der Talmudausgaben aufgenommen (vgl. Bacher, Die judifche Ter-
minologie S. 101, 1). Vgl. uber ihren Inhalt und ihr Verhaltnis zu den
Regeln Hillels und Ismaels Aicher 1. c. S. 149- 153. Strack 1. c. S.100-108.
378 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
vielleicht -aber auch aus der miindlichen Uberlieferung ge-
fchopft find. Dazu gehort, abgefehen von chronologifchen
Angaben, *) z. B. die, dag das Gefetj von Gott dem Mofes
durch die Vermittlung von Engeln gegeben wurde, 2 ) dag Pau-
lus im Hebraerbrief bei feinem Bericht fiber die im Budie
Exodus erwahnte Bundesweihe auch von Waffer, fcharlach-
roter Wolle, Hyfop und dem Befprengen des Buches, des
Zeltes und der 'Gerate des heiligen Dienftes redet, 3 ) dag der
Erzengel Michael mil Satan iiber den Leichnam des Mofes
ftritt, J ) dag bei den Martyrien des Alten Bundes auch die
Zerfagung vorgekommen ift, 5 ) und dag die Zauberer, welche
fich dem Mofes widerfe^ten, die Namen Jannes und Mam-
bres fuhrten. 6 )
Die Dag man auch damals den Schriftbeweis anzuwenden
Anwendung wugte, ohne ihn aber in Verbindung mit der Halacha zu
des Schnft- k rm g en un( j O hne von den fpateren dem Hillel und dem
imN? I smae l zugefchriebenen hermeneutifchen Grundfa^en beein-
flugt zu fein, zeigt ebenfalis das Neue Teftament.
Bedeuten- Die erften bekannten bedeutenderen Schriftgelehrten aus
dereSchrift- j ener Zeit 7J | ind Hillel und Schammai. An beide fchliegt fich
gelehrte.
5 ) Vgl z. B. Luc. 4, 25. Jac. 5, 17 mit 3 Kon. 17, 1 ff.
1) Vgl. Apg. 7, 38. 53. Gal. 3, 19. Hebr. 2, 2. Deuter. 33, 2. Nach
Jos. Ant. 15, 5, 3 fagt Herodes, dag die Juden r otftw'zara rwv lv rol?
ro/u,bi? ()l ayys).o>v 7T(/a TOV &eoi~ lernten.
3 ) Hebr. 9, 19. 21. Vgl. audi Jos. Ant. 3, 8, 6, der zum Teil die-
felben Umftande hervorhebt.
4 ) Jud. 9.
5 ) Hebr. 11, 37. Vgl. die Ascensio Isaiae c. 5. Juftin M. Dial.
c. Tryph. c. 120.
6 ) 2 Tim. 3, 8. Vgl. Targ. Jonathan zu Exod. 1, 15. 7, 11. Num.
22, 22 und Wetstenii Nov. Test, graecum ad 1.
7 ) In Aboth 1, 411 werden auger Hillel und Schammai noch vier
Paare von Schriftgelehrten erwahnt, Jose ben Joeser und Jose ben Jo-
chanan, Josua ben Perachja und Nittai aus Arbel, Juda ben Tabbai und
Simon ben Schetah, Schemaja und Abtaljon. Sie werden paarweife auf-
gefuhrt, weil man fich in den fpateren judifchen Schulen einen Gefahrten
erwahlte, um mit ihm zu ftudieren. Vgl. u. a. Loeb, La chaine de la
tradition dans le premier chapitre de Pirke Abot in der Bibl. de Pecole
des hautes etudes. Sciences religieuses. vol. I. Paris 1889 p. 307322
(p. 321: Us ne sont pas autre chose qu'une image embellie des couples
des rabbins qui ont existe plus tard) und Schurer II, 415 ff. S. auch
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 379
Hillel, 1 ) der bis zum Jahre 5 n. Chr. gelebt haben foil, 2 ) Hillel.
wird zum Unterfchied von einem im vierten Jahrhundert
lebenden andern Hillel, auf den der heute noch geltende
jiidifche Kalender zuriickgeht, der alte (hazzaken) s ) genannt.
Faft alles, was die Talmudiften von ihm erzahlen, ift Legende.
Nach ihrem Bericht ftammte er aus einer verarmten Familie
in Babylonien, welche ihren Urfprung auf den Konig David
zuriickfuhrte. 4 ) Er kam von dort um das Jahr 50 v. Chr/')
oder etwas fruher nach Jerufalem und widmete fich hier,
wahrend er als Taglohner fiir fich und feine Familie den
Lebensunterhalt erwarb, unter den Schriftgelehrten Schemaja
und Abtaljon 6 ) dem Studium des Gefetjes. Dafiir mufcte er
dem Hausmeifter der Schule einen halben Tropaicon (d. h.
etwa */* Denar, ungefahr 20 Pfennige) zahlen. Als er das
eines Abends im Winter nicht konnte und deshalb draufcen
am Fenfter zuhorte, fand man ihn morgens fa[t erfroren dort
liegen und konnte ihn nur mit Miihe wieder ins Leben zuriick-
rufen. 7 ) Ein Reformator wie Esdras ift er nicht gewefen,
wenngleich feine Volksgenoffen an feinem Grabe klagten:
,,Ach der Sanftmutige, der Fromme, der Schiller des Ezra." 8 )
Wohl aber hat er fich nach den jiidifchen Oberlieferungen
durch groge Gutmiitigkeit, weitgehende Milde und Feindes-
liebe ausgezeichnet. Als Beweife dafiir wird u. a. angefuhrt,
er einmal im Tempel einen Ochfen, den er fur fich als
oben S. 322. Ober Simon ben Schetah finden [idi verhaltnismagig
viele Nachriditen in der rabbin. Literatur. Er foil ein Bruder der Konigin
Alexandra gewefen fein. Vgl. liber ihn R. Leszynsky, REJ 1912, 63,
216-231.
') Vgl. tiber ihn Derenbourg p. 176 - 192; Delitjfch, Jefus und Hillel. 3
Erlangen 1879; Himpel, Art. Hillel im Kirchenlexikon 5, 2102 2107; Bacher,
Die Agada der Tannaiten I 2 p. 1 11.
2 ) Vgl. Gra$, Gefch. der Juden III 5 S. 206.
3 ) Schebiith 10, 3. Arakhin 9, 4.
*) Jer. Taanith IV, 2 fol. 68 a.
5 ) Joma 35 b. Vgl. Deli^fch S. 9.
6 ) Pesachim 66 a, jer. Pes. 33 a. Vgl. Grat} 1. c. Unter Schemaja
und Abtaljon werden bisweilen, fo z. B. von Schiirer II, 422424, die
aus der Zeit des Herodes bekannten Pharifaer Pollio und Sameas (vgl.
o. S. 117 und 136) verflanden.
7 ) Joma 35 b.
8 ) Jer. Sota 9, 6; b. Sanhedrin 11 a bei Delitjfch S. 39.
380 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Opfer fchladhten liefc, fiir eine Kuh ausgab, um nidit mit den
Schulern Schammais wegen einer Gefetjesfrage in Streit zu
kommen, 1 ) und dafc er lehrte, beim Hochzeitsgejang muffe
man, wenn audi die Braut nodi fo hafrlich fei, fingen: ,,Ei
du liebliche anmutige Braut." 2 ) Er kam befonders dadurdi
zu Anfehen, dafc er, als der Riifttag des Pafchafeftes auf einen
Sabbat fiel und nun die Frage entftand, ob das Pafchaopfer
das Sabbalsgebot aufhebe, die Frage im Sinne der echten
Uberlieferung bejahte, zuerft durch exegetifche Schlufcfolgerung
aus der Schrift, dann aber unter Berufung auf die Ober-
lieferung feiner Lehrer. 3 ) Sein Wirken be[tand nidit in einer
Belebung des Glaubens oder im Antrieb zum wahrhaft reli-
giofen Handeln, fondern in einer weitern Ausbildung der
pharifaifchen Satjungen in gemaftigtem Sinne, wahrend
Schammai und feine Schule gefetyiche Fragen im allgemeinen
im erfchwerenden Sinne entfchieden.
s
Viel bewundert wird befonders die Antwort, welche
Hillel einem Auslander gab, der das ganze Gefetj lernen
wollte, wahrend er auf einem Bein ftehe. Zu ihm fagte
Hillel: ,,Was dir unlieb ift, tue auch deinem Nachften nicht.
Dies ift das ganze Gefetj. Das Obrige ift nur Erlauterung.
Gehe bin, dies lerne." 4 ) Allein die Gefetjgebung auf Sinai
J ) Beza 20 a. Vgl. Deli^fch S. 33: n Er bewegte wedelnd den Schweif
des Tieres, um deffen Qefchlecht zu verbergen."
2 ) Kethuboth 16b. 17 a bei Deli^fch 1. c.
3 ) Pesachim 66a; j. Pesachim 33a. Vgl. Derenbourg p. 177 ss
und zur kritifchen Beurteilung des aus relativ fpater Zeit [tammenden
Berichts, worin z. B. Hillel zum Synedrialprafidenten gemacht wird (vgl.
o. S. 296), Aicher a. a. 0. S. 145 f.
*) Schabbath 31 a. Der Sa{3 o ^^ei? n^Ssvl 7totij6t,<; {teht fchon im
Buche Tobias 4, 15 (Vulg. 4, 16). Es ift deshalb nicht verwunderlich, dag
auch Philo bei Bus. Praepar. evang. VIII, 7 (Rec. Th. Gaisford Oxon.
torn. II. 1843, p. 255) fagt: r? mtfrtlv B/d-algn, nij nnislv av-cov. Aber
wie fruher Geiger und Renan (vgl. Delitjfch S, 17) wegen obigen Spruches
Jefus zum Nachtreter Hillels machen wollen, fo will Bacher, Die Agada etc.
S. 4, 5 den Apoftel Paulus Gal 5, 14 und Rom. 13, 8 aus Hillel fchopfen
laffen, deffen Sat} in dem Ausfpruche Jefu bei den Synoptikern (Matth.
22, 39 f. Marc. 12, 31 f. Luc. 10, 27) eine Erweiterung gefunden habe.
Es fei noch bemerkt, daft obiger Spruch Hillels gerade wie Tob. 4, 16
und Philo 1. c. nur eine negative Vorfchrift, niemand etwas zu leide zu
tun enthalt. Jefus gab aber mit den Worten: ,,alles was euch die
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 381
war nidit blofe Moral, und eine Sittenregel ohne religiofe
Grundlage ift hinfallig. Nach dem Gefetje ift vielmehr die
Liebe Gottes die Summe des Gefetjes, 1 ) und das von Hillel
angefuhrte zweite Grundgebot der Liebe des Nachften 2 ) be-
darf als Grundlage des Gebotes der Gottesliebe. Deshalb hat
auch nicht Hillel, fondern Jefus, der die beiden Gebote mit-
einander verband, 3 ) den Geift des Gefetjes zur Geltung gebracht.
Schammai war nadh dem Talmud fo [treng, daft er Schammai.
jeinen kleinen Sohn am Verfohnungsfefte zum Faften ver-
pflichten wollte, und am Laubhuttenfefte die Zimmerdecke im
Gemach feiner Schwiegertochter durchbrechen und das Zimmer
in ein Laubzelt verwandeln liefc, damit deren eben erft ge-
borner Sohn die Vorfchrift des Feftes erfullen konne. 4 )
Von welchem Geifte beide, Hillel und Sdiammai, erfiillt
waren, zeigt folgendes Beifpiel. Beide waren dariiber einig,
dafc ein Ei, welches eine Henne am Sabbate gelegt halte,
nicht gegeffen werden diirfe. Aber Schammai erlaubte wenig-
ftens, obwohl er fonft ftrenger als Hillel war, den Genufc eines
Eies, welches an einem Sabbate ausgetragen und an einem
unmittelbar darauffolgenden Fefttage, der an Heiligkeit dem
Sabbate gleichgeachtet wurde, gelegt war. Hillel hielt aber
iiberhaupt ein Ei, das an einem Sabbat oder Fefttage fertig
geworden, fur ungefetjlich entftanden und wollte deshalb auch
Menfchen tun, tut auch ihr ihnen" (Matth. 7, 12) ein pofitives Qebot, welches
auch die Feindesliebe einfchlog. Vgl. Bifchoff, Jefus und die Rabbiner.
Jefu Bergpredigt und ,,Himmelreich" in ihrer Unabhangigkeit vom Rabbi-
nismus (= Schriften des Instit. Judaicum Nr. 33), L 1905. S. 63 ff. 93 ;
vgl. auch ebd. Strack S. 104107 gegen die Behauptung, Hillel habe
bereits vor Jejus die univerjale Nachftenliebe fur den Inbegrif! der ganzen
.judifchen Lehre erklart. Auch in dem Satje Hillels (Pirke Aboth 1, 12):
,,Liebe die Menfchen und leite fie zur Thorah an" ift das nicht der Fall.
Denn gemeint find nur Ifraeliten oder folche, die es werden wollen.
Bifchoff S. 65.
') Deut. 6, 4 f.
*) Lev. 19, 18.
) Marc. 12, 2834. Auch Matth. 7, 12 fteht das Qebot der Nach-
ftenliebe im Zufammenhang mit dem Vorhergehenden, wo die Liebe
Qottes zu tins als Vorbild unferer Liebe zum Nachften bezeichnet wird.
Vgl. iiberhaupt Deli^fch a. a. O. S. 17 ff
') Tos. Joma c. 4, 1 (Ugolini Thes. t. XVIII p. 18^); Jer. Succa 2, 9
(ibid. p. 425).
382 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
nicht erlauben, es an dem unmittelbar folgenden Sabbat Oder
Fefttag zu geniefren. Man durfe es audi nicht aufheben, und
damit man nicht in Verfuchung komme, dies doch zu tun, folle
man es iiberhaupt weder anriihren nodi anfehen. 1 ) Eine andere
Meinungsverfchiedenheit beider Lehrer betraf die Frage, ob
das Schandende, wegen deffen der Mann feiner Frau den
Scheidebrief geben konne, nur, wie Schammai meinte, etwas
fittlich Schandendes fei Oder irgend etwas, denn nach Hillel
konnte der Mann feine Frau ,,auch fchon" danri entlaffen,
wenn fie das Effen hatte anbrennen laffen. 2 ) Sonft find die
manchen uns noch iiberlieferten Meinungsverfchiedenheiten
der beiden Lehrer geringfugiger Art. 3 )
Die Dem Hillel werden aber nicht blofc manche fehr fchone
Einrichtung un( } treffliche Spriiche zugefchrieben, z. B. das Wort: ,,Wo
QS ke ' men Mann ibt ^ { didl an ' ein Mann ZU f ein '" 4 )
Er foil auch durch feinen Einflufc die nutjliche Einrichtung
des fogenannten Prosbol Oder Verwahrungsfcheines durch-
gefetjt haben. Darunter verfteht man die Ausftellung einer
gerichtlichen Ermachtigung, jederzeit, alfo auch im Sabbat-
jahre, die ausftehenden Schulden einfordern zu durfen. Nach
dem Gefe^ 5 ) follten alle Schulden im fiebenten Jahre er-
laffen werden. Diefe Beftimmung hatte nun die Folge, daft
man Anftand nahm, den Armen vor.dem Sabbatjahre Geld
zu leihen, und gerade diefem den Armen ungiinftigen Be-
denken follte der Prosbol fteuern. 6 )
] ) Beza 1,1. Edujoth 4, 1. Vgl Delitsfch, S. 21 f.
3 ) Qittin 9, 10. Vgl. Deli^fch, S. 25.
3 ) Vgl. die Stellen der Mifdina, an welchen Differenzen der beiden
Schulen von Hillel und Schammai erwahnt find, in Schurer II, 426, 38.
Vgl. iiberhaupt Ad. Schwarz, Die Erleichterungen der Schammaiten und
die Erfchwerungen der Hilleliten. Wien 1893. Auch Bacher, Die Agada,
handelt I, 1122 uber die Schule Hillels und Schammais.
4 ) Vgl. Kirchenlex. 5, 2103.
3 ) Deuter. 15, 111.
6 ) Schebiith 10, 3. Gittin 4, 3. Das Wort Prosbol (hebr. '^p"5)
wird am beften als gleichbedeutend mit TTQO? ^ovlr, v oder nyns fiovif; von
dem Orte, wo die betreffende Erklarung hinterlegt werden follte, erklart.
Schurer II, 428 will das Wort mit Wilcken = lat. adjectio in der Be-
deutung n Klaufel" Zufat}, Beifa^ erklaren, meint aber felbft 1. c. 428, 46,
dag die judifche n^<,6^o\ij keine Klaufel in dem Schuldvertrag Jelbft ge-
wefen zu fein fcheine.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 383
Ob der aus der Heiligen Schrift bekannte Lehrer des Gamaliel der
heiligen Paulus, 1 ) Gamaliel, 2 ) ein Enkel Hillels gewefen ift, Alt e-
ilt zum wenigften fehr fraglich, da es an jedem Beweis da-
fur fehlt. 3 ) Zum Unterfchiede von feinem eigenen Enkel,
Rabban Gamaliel II., welcher um das Jahr 100 an der Spitje %
des Gerichtshofes von Jabne ftand, heiftt er in der Mifchna
Rabban Gamaliel der alte" 4 ) und wird als die perfonifizierte
Ehrfurdit vor dem Gefetje ausgegeben. Denn es heifct von
ihm: ,,Mit dem Tode des Rabban Gamaliel des Alten horte
die Ehrfurdit gegen das Gefetj auf und mit ihm ftarben auch
Reinheit und Enthaltfamkeit." 5 ) Die kleine, von der milden
Gefinnung des grofcen Gefe^eslehrers zeugende Rede, weldie
uns in der Apoftelgefchichte aufbewahrt ift, 6 ) wurde wohl die
Veranlaffung, daft man ihn fpater als geheimen Chriften an-
gefehen hat. 7 )
') Apg. 22, 3.
2 ; Vgl. iiber ihn Derenbourg, p. 239-246 und 480 s.; Qinsbury in
Smith and Wace, Dictionary of Christian biography t. II, 1880, p. 602-604;
Bacher, art. Gamaliel in The Jewish Encyclopedia V, 1903, p. 558 560.
3 ) Denn dag im babylonifchen Talmud Schabbath 15 a zwifchen Hillel
und Gamaliel ein fonft nirgends erwahnter Simon als Inhaber der Na[i=
Wurde bezeichnet wird, beweift nicht einmal, dag der Talmud ihn als
Verwandten beider betrachtete. Manche Gelehrte bezweifeln uberhaupt
die Exiftenz jenes Simon Vgl. z. B. Schurer II, 429, 47.
4 ) Orla 2, 12. Rosch haschana 2, 5 Jebamoth 16, 7. Sota 9, 15.
Gittin 4, 23
6 ) Sota 9, 15. Nach Gittin 4, 2 ordnete er die Aufftellung des Schei-
debriefes, damit nicht, falls die Frau fich wieder verheirate, die Legitimitat
diefer Ehe angefochten werden konne. Auch die Be[timmung, wodurch
einer Witwe der Bezug der ihr von ihrem Manne im Ehekontrakt ver-
fchriebenen Summe erleichtert wird (Gittin 4, 3;, und eine andere, wonach
einer Frau die Erlaubnis zur Wiederverheiratung gegeben wird, wenn
auch nur ein Zeuge den Tod ihres Ehemannes bekunde (Jebamoth 16, 7),
werden auf ihn in der Mifchna (1. c.) zurtickgefuhrt. In Orla 2, 12 findet
fich eine Augerung von ihm fiber die Durchfauerung eines Teiges; in
Aboth 1, 16 wird ihm der Spruch zugefchrieben: ,,Erwahle dir einen
Lehrer, damit du das Zweifelhafte vermeideft. Gib deinen Zehnten nicht
nach blogem Uberfchlag."
) Apg. 5, 35-39.
7 ) Clem. Recogn. 1, 65 sqq. Nach dem Bericht des Presbyters
Lucianus von Jerufalem (vgl. den latein. Text De inventione et trans-
latione S. Stephani u. a. in Migne, PL. XLI, 807- 818; fiber die fyrifche
und griechifche Rezenfion und den Bericht uberhaupt vgl. auch die reichen
Gamaliels
Sohn Simon.
Die
Schriftge-
lehrten nadi
der Zer-
ftorung Jeru-
falems.
Die Syna-
goge und
Profeuche.
384 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Sein Sohn Simon beteiligte fich nach Jofephus an den
Staatsgefchaften in den fchwierigen Jahren 6668 n. Chr. 1 )
und wird iiberhaupt als ein kluger und einflufcreicher Mann
bezeichnet. 2 ) Er foil Urheber des Spruches fein: ,,Ich bin
unter den Weifen aufgewachfen und habe nichts dem Menfchen
Befferes gefunden als Schweigen. Nicht die Erklarung des
Gefetjes, fondern das Halten desfelben ift die Hauptfache.
Wer viele Worte macht, bringt Siinde." 3 )
Nach der Zerftorung des Tempels find die Schriftgelehr-
ten, 4 ) deren Mittelpunkt zuerft Jamnia oder Jabne, 5 ) dann feit
der Mitte des zweiten Jahrhunderts Tiberias war, die ein-
zigen Fiihrer des jiidifchen Volkes geworden. Die Friichte
ihrer gelehrten Tatigkeit liegen im Talmud und den damit
verwandten rabbinifchen Schriften vor.
2. Die Synagogen. 6 )
Der im Neuen Teftament fehr oft vorkommende Aus-
druck ,,Synagoge" bezeichnet an fich eine Gemeinde oder
die Verfammlurtg der Gemeinde, 7 ) wird aber gewohnlicher
Literaturangaben bei Schiirer II, 430, 49) iiber die Auffindung der Ge-
beine des heiligen Stephanus bei Kaphargamala in der Nahe von Jeru-
falem wurden mit jenen Gebeinen auch die des Nikodemus, Gamaliel und
feines Sohnes Abibus, die fomit alle als Chriften angefehen wurden, gefunden.
J ) Jos. B. J. 4, 3, 9. Vita 38. 39. 44. 60. Vgl. Derenbourg p. 270
bis 272. 474 s
*) Jos. Vita 38.
3 ) Aboth 1, 17.
4 ) Die beruhmteren Tannaiten vgl. S. 9. Eine Lifte der Tannaiten
uberhaupt f. in Strack 5 S. 119-135.
5 ) S oben S. 300.
e ) Vgl. u.a.Vitringa, Desynagoga veterelibritres Franequerae 1696.
2. Aufl. Leucopetrae 1726. L6w, Der fynagogale Ritus, Monatsfchr. fur Gefch.
u. Wiff. d. Judent. 1884 (6 Artikel, auch abgedruckt in L. Low, Gefamm.
Schriften IV. Bd., 1898, S. 1-71). Bacher, art. Synagogue in Hastings
IV, 636-643. Schiirer *, 497-544; Jufter 1, 456-472 und 497500.
Antike Synagogen in .Galilaa von H. Kohl und C. Watjinger (29. Wiff.
Verdffentlichung der Deutfchen Orient-(je{elljchaft). Leipz. 1916. Vgl. auch
kurz Rucker, Die Synagogenruinen Galilaas, Das Heil. Land Jahrg. 60,
1916, S. 144155.
7 ) So z. B. LXX Eccli. 4, 7. 41, 18 (im Hebr. n'i') Apg. 9, 2. - Im
Aramaifchen wird ."Hi? oder nwayoiytj durch K?.'*ir (bezw. rpr Verfamm-
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 385
fur den Verfammlungsort der Juden zu religio[en Zwecken
gebraucht. Bin anderer griechifcher Name fiir Synagoge i[t
Proseuche, 1 ) den befonders Philo oft anwendet. Er bezeich-
net aber nicht notwendig ftets ein feftes Haus, fondern kann
auch im weitern Sinne von einem freien Platje verftanden
werden. Allem Anfcheine nadi ift der ,,Betort" aufcerhalb
der Stadt beim Fluffe zu Philippi, den der Apoftel Paulus
mit feinen Begleitern auffuchte,-) ein foldier Gebetsplatj unter
freiem Himmel gewefen. Da ein paar jiidifche Frauen, die
damals die judifche Gemeinde zu Philippi ausmachten, eine
eigentlidie Synagoge befeffen batten, i[t fchon an fich un-
wahrfcheinlich. Oberdies hielten auch fonft die Juden ,,ge-
mafc der Gewohnheit ihrer Vater" in heidnifchen Gegenden
am Meere Gebete ab, wie wir z. B. von Halikarnaffus in
Karien wiffen. 3 ) Der Grund dafur lag weniger in der Mog-
lichkeit, dort am Waffer leichter die gefetjlichen Abwafchungen
vornehmen zu konnen/) als vielmehr in dem Wunfche, aufter-
lung) oder vollftandiger durch NiiT^r- ^ (bezw. i"!pj?n fP2) wiedergegeben.
Diefe beiden letjteren Ausdrucke konnen aber auch den Ort der Verfamm-
lung bezeichnen (vgl. Levy, Neuh. u. chald. WOrterb. II, 355 f. u. 359 f.
Bacher 1. c. IV, 636).
x ) 7iQ6tvy,n iP abgekflrzt von odxo? nQntievxijs.
2 ) Apg. 16, 13. 16.
3 ) Jos. Ant. 14, 10, 23 wird den Juden erlaubt, den Sabbat zu feiern,
Opfer darzubringen tat ra? Tr^otfti'/a? noitl6d-at ^4/0? ri] frnhdnfifi xa-ra TO
ndTQiov e*.ff. Von einer Synagoge (wie Low S. 168 meint) ift hier keine
Rede, fondern nur von Gebet im Freien (vgl. zu n^n6evxoi<; nomia&ai
= Gebete verrichten 1 Tim. 2, 1. Luc. 5, 33. Phil. 1, 4). Ebenfowenig
bezieht fich die Stelle auf die Abhaltung offentlicher Gebete an den Faft-
tagen (wie Schurer II, 522, 72 meint). Denn die fanden nach der Mifchna
nicht in der Synagoge, fondern auf dem Marktplatj ftatt (vgl. Taanith
2, 1. Meg 3, 1. Sanh. 10, 6), aber natiirlich nur im heiligen Lande
(Low S. 166168). Wohl aber gingen auch die Juden von Alexandrien
in ihrer jchwierigen Lage an die Meereskiifte, um dort zu beten V TM
xad-nQMTdrq) (Philo, in Flacc. 14), d h. an dem von den heidnifchen
Greueln der Stadt am wenigften beriihrten Ort. Vgl. Mechilta am Anf.,
in der deutfchen Oberf. S. 2. Vgl. Bacher, 1. c. p. 638. .
'*) Man wufch die Hande vor dem Gebet. Vgl. Judith 12, 7. Arifteas
ed. Wendland, 305306 Die auf der kleinen Infel Delos. aufge-
iundene Synagoge lag allerdings am Meere (vgl. A. Plaffart, La syna-
gogue juive de Delos, Melanges Holleaux, 1913, p. 201215. Jufter
Felten, Neuteftameiitlidie Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 25
386 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
halb der durch Gotjendienft entweihten Stadt den ,,reinften",.
d. h. den vom Gotjendienft am wenigften entweihten und
deshalb fur das Gebet paffendften Platj zu finden. 1 )
Der Wenngleich jiidifche Schriftfteller den Urfprung der Syna-
Urfprung der gog en auf Mofes zuruckfuhren, 2 ) fo ift iiberhaupt ihr vor-
Synagogen. ex iijjch er Urfprung unbeweisbar 3 ) und hochft unwahrfcheinlich.
Allem Anfcheine naeh i[t er vielmehr durch die Schriftgelehrten
bedingt gewefen und haben die Synagogen mit ihnen eine
auf[teigende Entwicklung gehabt. 4 ) In dem Sinne diirften fie
1, 498 s.), allein fiir die rituellen Wafchungen diente im Vorhofe des
Gebaudes eine Cifterne (vgl. Plaffart 203 und 210; Kohl und Watjinger
138 und 144).
') Der Ausdruck n^o6evxn im Sinne von Synagoge findet fich be-
reits in der aus dem 3. Jahrh. v. Chr. ftammenden Infchrift zu Schedia
bei Alexandrien (j. o. S. 275, 3; Injchriften, welche n(j6evyni = Bethaujer
erwahnen, find allein in Unteragypteri wenigftens fiinf gefunden [vgl.
Strack, Infchriften aus ptolemaifcher Zeit im Archiv fur Papyrusforfchung
1903, II, 4, 541], darunter eine aus dem Jahre 37 v. Chr., welche fich
auf die Weihung der Synagoge von Alexandrien bezieht [vgl. Strack 1 c.
n. 41, S. 559]), dann bei Philo, in Place. 6. 7. 14. Leg. ad Caj 20. 23.
43. 46. Jos. Vita 54. Jos. wendet Ant. 19, 6, 3 B. J. 2, 14, 4 f. 7, 3, 3
das Wort away my n an, welches bei Philo nur in Quod omnis probus
liber 12 fteht. Philo fpricht aber auch Vita Mofis 3, 27 von einem
Gebetsplatj, 7z^n6tvr^tov, wahrend in einem Edikt des Auguftus bei
Jos. Ant. 16, 6, 2 der Name Sabbathaus, aappaitiiiv vorkommt.
2 ) Jos. c. Apion. 2, 17. Philo, Vita Mosis 3, 27; de septenario 6
= de spec. leg. II, 56 ff. ed. Cohn; Fragm. bei Euseb. Praep. ev. VIII, 7,
12-13.
3 ) Deuter. 31, 11 f. fpricht nur davon, daf3 das Gefetj in jedem
7. Jahre vorgelefen werden folle. In Pfalm 74 (Vulg. 73), 8 heigt es
allerdings nach dem maforetifchen Text: Sie haben alle Gotteshaufer
P^"^~^.^) im Lande verbrannt. Da aber doch nicht alle Synagogen wie
der Tempel als Gotteshaufer bezeichnet werden konnen, liegt vermutlich
eine Korruption des Textes vor, zumal die LXX o^r gelefen hat (die
Vulg. hat: quiescere faciamus omnes dies festos Dei a terra). VgL
Thalhofer, Erklarung der Pfalmen 3 . Regensb. 1871. S. 427 f. Haneberg,
Altert. S. 349. - LSw will (S. 98 108) die Synagogen der vorexilifchen
Zeit zufchreiben, weil damals in offenti. Gemeindeverjammlungen und zwar
in den Munizipalgebauden auch religiofe Belehrung gegeben worden feu.
Er denkt wohl an 2 Paral. 17, 7-9. Vgl. auch 2 (4) Ron. 4, 23.
*) Rofenmann, Der Urfprung der Synagoge und ihre allmahliche
Entwicklung. Berlin 1907 leitet den Synagogen-Gottesdienft aus dem
Inftitut der Standmannfchaft (f. o. S. 354) ab, indem er meint, fiir die-
felbe fei ein opferlofer Gottesdienft beim Tempel eingerichtet worden^
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 387
zuerft in dem babylonifchen Exil aufgekommen fein, daff da-
mals mandie fromme, gefetjeskundige Manner nach Moglidi-
keit wenigftens bei beftimmten Gelegenheiten andere um fich
fcharten, um das Gefetj zu lefen und gottesdienftliche Obungen
gemeinfam zu pflegen. Denn an den Ufern der Fliiffe Baby-
Ions bewahrten viele die Liebe zur Heimat und zu dem Gefetj,
die einen fo ergreifenden Ausdruck in den Worten fand:
Wenn ich dein vergeffe, o Jerufalem, fo moge meine rechte
Hand vergeffen werden; meine Zunge moge an meinem
Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke, wenn ich
nicht dieh, Jerufalem, hoher ftelle als jede Freude. 1 ) Zu
folchen Verfammlungen mugte notwendig, nachdem einmal
die Schriftgelehrten aufgekommen waren, das Leben in der
Diafpora uberhaupt drangen. Ahnlich aber lagen die Ver-
haltniffe in Palaftina, als Esdras und die Schriftgelehrten dort
ihre Tatigkeit zu entfalten anfingen.
Der Bau einer Synagoge wurde in Palaftina wie iiber- von wem der
haupt an Orten, an welchen faft nur Juden lebten, von der Bau unter-
Gemeinde veranlagt. 2 ) In andern Orten mufcten natiirlich die "ommen
jiidifchen Einwohner dafiir aufkommen, wenn ihnen nicht wurde -
jemand, wie z. B. in Kapharnaum der heidnifche Hauptmann,
die Laft abnahm. 3 )
Zur Zeit Chrifti gab es wenigftens in jeder einigermafcen verbreitung
bedeutenden judifchen Stadt, fo z. B. nicht blofc in Kaphar- der
naum 4 ) oder Cafarea 5 ) und Tiberias, 6 ) fondern auch in Synagogen.
Nazareth 7 ) und in Dora, 8 ) Synagogen. In Jerufalem gab es
der fich allmahlich im Lande Ifrael uberhaupt verbreitet habe. Von einem
folchen Gottesdienft ift aber nichts bekannt und nicht einmal richtig, dag
uberhaupt beftimmte Laien-Deputationen nach Jerufalem als Standmanner
gekommen find. Vgl. o. S. 354, 5. Auch weig man nichts dariiber,
wann die in der Mifchna erwahnten Standmannfchaften aufgekommen find.
J ) Pf. 137 (Vulg. 136), 5-6.
2 ) Megilla 3, 1. Nedarim 5, 5.
3 ) Luc. 7, 5.
4 ) Marc. 1, 21. Luc. 7, 5. Joh. 6, 59. Ober die angeblichen Syna-
gogenruinen dafelbft vgl. Badeker S. 284.
6 ) B. J. 2, 14, 4-5.
) Jos. Vita 54.
') Matth. 13, 54. Marc. 6, 2. Luc. 4, 16.
8 ) Jos. Ant. 19, 6, 3. Dora nOrdlich von Cafarea in Phonizien ge- *
horte wenigftens bis auf Pompejus zum judifchen Gebiet. S. Ant. 14, 4, 4.
B. J. 1, 7, 7. 25*
388 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Vblkes.
neben dem Tempel mehrere Synagogen. 1 ) Dasfelbe war
der Fall in denjenigen heidnifchen Stadten, worin eine grofcere
Anzahl Juden wohnten, wie z. B. in iAlexandrien, 2 ) Damas-
kus 3 ) und Rom. 4 ) Audi in Salamis auf Cypern waren zur
Zeit des heiligen Paulus, der auch in Kleinafien, Mazedonien
und Griechenland mit den jiidifdien Synagogen in Verbindung
trat, mehrere Synagogen. 5 ) Hieraus ergibt fidi, daft Philo
nicht ubertreibt, wenn er fagt, es gebe in jeder Stadt jadifche
Gebetjtatten. 6 )
Die Be[ondere Vorfchriften, wo die Synagoge zu bauen fei,
Synagogen- fcheint es in der neuteftamentlichen Zeit nicht gegeben zu
Bauten. haben, 7 ) namentlich auch nicht die fpatere talmudifche Vor-
fchrift, daJ5 die Synagoge nur .auf dem hochften Punkte der
') Vgl. Apg. 6, 9. Nach dem Pilger von Bordeaux (Itin. Hier. ed.
Geyer p. 22) hat es auf dem Sion 7 Synagogen gegeben. Ebenfo fagt
Epiphan., De mensuris et ponderibus 14. Fur die Obertreibungen des
Talmud ift es bezeichnend, dag es nach dem einen (bab. Kethub. 105 a)
394, nach dem andern (jer. Megilla 73d) 480 Synagogen in Jerufalem
kurz vor dem Untergang der Stadt durch Titus gegeben haben foil. Vgl.
Bacher 1. c. p. 637. Eine bei Ausgrabungen in Jerufalem gefundene
Infchrift in grieeh. Sprache aus dem 1. Jahrhdt. n. Chr. macht Mitteilung
von der Qrundung einer Synagoge ,,fur Fremde", einer Badeanlage und
eines Gafthaufes. ZDMG, 68, 1914, S. 723. Ober eine Synagoge filr
Freigelaffene berichtet L. H. Vincent, Decouverte de la ,,Synagogue des
Affrancnis" a Jerufalem. Rb 1921 r 2, 247-277.
") Philo Leg. ad Caj. 20.
3 ) Apg. 9, 20; vgl. 9, 2.
*) Philo Leg. ad Caj. 23 n^o6&v/,ni.
5 ) Apg. 13, 5 - vgl. 13, 14. 14, 1. 18, 19. Apg. 17, 1. 10.
Apg. 17, 17. 18, 4. 7. Ober die groge Synagoge im fyrifdien Antiochien
f. Jof. B. J. 7, 3, 3.
6 ) Vita Mosis 3, 27.
. 7 ) Die Mifchna fagt nieht, dag eine Synagoge nur in einer Stadt
gebaut werden durfe, wo zehn Batlanim d. h. gefchaftsfreie Manner
wohnten (die auch Montags und Donnerstags dem Synagogal-Gottes-
dienfte beiwohnen konnten), fondern fagt nur Megilla 4, 3 und Sanhedr.
2, 3, dag bei den Gottesdienften zehn Perfonen zugegen fein mtigten,
und Megilla 1, 3, dag ein Ort, wo zehn Batlanim wohnten, eine Stadt
fei; wohnten weniger da, fo fei es ein Dorf. Lightfoot, Horaehebr. zu Matth.
4, 23 (Opera II, 278 sq.) hat diefe Batlanim irrtumlich als Beamte der
Synagoge angefehen. - Nach Megilla 3, 3 (vgl. ebd. 3, 2) mug felbft
nach der ZerftOrung einer Synagoge der Ort, wo fie ftand, als heilig
angefehen und behandelt werden.
XI. Kap. Die . Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 389
Stadt gebaut werden folle, 1 ) eine Vorfchrift, die, wenn fie wirk-
lidi beftand, nur dort verwirklidit werden konnte, wo die Juden
den grofcten Einflug befafcen. 2 ) Audi der gefchichtliche Wert
einer alteren talmudifchen Halacha, 3 ) wonadi der Eingang
der Synagoge wie bei der Stiftshiitte im Often fein folle, ift
ein geringer. Denn es war zwar allerdings fchon in fruher
altteftamentlicher Zeit die Sitte verbreitet, das Geficht beim
Gebete in Palafiina zum Allerheiligften bezw. zum Tempel, im
Auslande nach dem Heiligen Lande bin zu riciiten. 4 ) Deshalb
mag fich jene Halacha auf Babylonien Oder andere Lander
oftlich von Palaftina beziehen, wo fie der Gebetsvorfchrift
entfprodien haben wiirde. Allein tatfaehlich ift im nordlichen
Galilaa der Eingang vieler vielleicht aus dem zweiten bis
vierten Jahrhundert ftammenden Synagogen im Suden, 5 )
wahrend fpater die europaifchen Juden die Riickfeite ihrer
Synagoge nach Often zu richten und den Eingang im Weften
zu haben pflegten.
Aus den uns erhaltenen Ruinen alter Synagogen Galilaas
erkennt man, dafr diefe viereckig und im Innern dureh Saulen
') Tos. Megilla IV p. 227, 16 sq. ed. Zuckermandel. Andere Stellen
f. b. Bacher 1. c. p. 638. Vgl. auch L6w a. a. o. S. 215 ff.
2 ) Die galilaifchen Synagogen (f. u. Anm. 5) halten faft alle eine
landfchaftlich fchOne Lage, die erwahnte Vorfchrift ift aber in den 11 von
Kohl und Waljinger befehriebenen Synagogen nur bei 3 erfiillt (vgl.
dort S. 138).
3 ) Tos. Megilla IV 22 ed. Zuckermandel, p. 227, 15. Vgl. Num. 3, 38.
*) 3 Kon. 8, 44. 48. 2 Par. 6, 34. 38. Ezech. 8, 16. Daniel 6, 10 f.
Berakhoth. 4, 5-6. Vgl. Low S. 305 ff.
5 ) Zum Beweis des Alters diefer Synagogen kann man fich nicht
auf eine in den Trummern eines Gebaudes in Kasiun gefundene griechifche
Infchrift (bei Wa^inger S. 209) aus der Zeit des Kaifers Septimius
Severus aus dem .J. 197 berufen. Man fah fie irrtumlich als Weiheinfchrift
einer jiidifchen Synagoge an. Das Oebaude ift aber nach Watjinger 1. c.,
der an die Widmung eines Kranzes oder eines Schildes aus Edelmetall
denkt, keine Synagoge, fondern vielmehr ein heidnifcher Tempel gewefen.
Watjinger S. 139 will aus der Tatfache, dag die Fronten der Syna-
gogen in Galilaa mit dem Haupteingang im Norden nach Siiden, im
Often nach Weften und weftlich von Jerufalem nach Often fich -wenden,
alfo alle mit der Front nach Jerufalem orientiert find, fchliegen, dag dort
die Betenden!mit dem Geficht gegen die Eingangswand geftanden haben.
Das ift aber wenfg wahrfcheinlich. Auch im, Talmud (vgl. Baba Bathra 25 a.
Lflw I.e. S. 314 und 322) wird die Anficht vertreteri, dag es gleichgultig
fei, nach welcher Himmelsgegend man beim Gebete fein Antlitj wende.
Ob in den
Synagogen
die Frauen
'deren "
batten.
Die
innere Ein-
390 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
in mehrere Schiffe eingeteilt waren und in der Regel ein
Hauptportal mit zwei kleineren Seitentiiren batten. 1 ) Somit
waren es grofce Prachtbauten oder Bafiliken, wie dies wenig-
{tens nach dem Talmud audi von der grogen Synagogen-
bafilica zu Alexandrien gilt, welche eine doppelte Saulenreihe
hatte. 2 ) Natiirlidi mufcte fidi aber der Bau wie die Aus-
ftattung der Synagoge nach den Verhaltniffen der Gemeinde
richten, wofiir [ie beftimmt war.
Im Tempel hat es eine orientalifch ftrenge Scheidung
d er Manner und Frauen nicht gegeben, da der Vorhof der
p rauen au fa von ^en Mannern durchfdiritten wurde. Sicher
w * rc * es ^ tir ^ e damaligen Synagogen nidit anders gewejen
f em - Allem Anfcheine nach waren die Frauen, welche in
den neueren Synagogen gewohnlich ihren Platj auf Galerien
haben, damals weder durch eine Wand noch durch eine
Bruftwehr noch durch irgend eine andere architektonifche Vor-
kehrung von den Mannern gefchieden, da im Talmud nichts
davon erwahnt wird. 3 )
In der rabbinifchen Zeit haben die Synagogen folgende
Einrichtung gehabt, 4 ) die wohl auch der zur Zeit Chrifti be-
ent fP radl -" Das wichtig[te Stuck war die Tebah,
Schrein oder Schrank, 5 ) in welchem die in Tiicher ge-
') Vgl. E. W. G. Mafterman, Studies in Galilee, p. 109-125. Kohl
u. Wa^inger S. 139 ff. S. auch Badeker S. CXI I, der flbrigens meint, die
Synagogen Galilaas feien vom 3. bis 6. Jahrh. entftanden.
a ) Jer. Sukka fol. 55 etc. (vgl. Sukka bab. f. 51 b), deutfch bei Hane-
berg S. 352 f. Nach Bacher 1. c. p. 639, der fich auf einen Schriftfteller
des 4. Jhrdts. (Midr. Tehillim fiber Pfalm 93. Vgl. Bacher, Agada der
pal. Amoraer. 3 Bde. Stragb. 1892 ^-1899, III, 672) beruft, hatte die Syna-
goge von Tiberias diefelbe Form.
3 ) Vgl. Low a. a. O. S. 367 ff. 458 ff. Vielleicht find die Emporen
in den galilaifchen Synagogen fur die Frauen beftimmt gewefen, wie
Kohl und Watjinger S. 140 annehmen. Bei den Therapeuten war aber
in der Andachtsftatte das Gemach der Frauen von dem der Manner durch
eine Zwifchenwand, welche vom Fugboden 34 Ellen hoch reichte, ge-
fchieden, S. Philo, De vita contempt, c. 4 (in ed. Conybeare p. 69).
*) Vgl. Bacher in Hastings IV, 639.
~) ~2*P, griech. X/./S&JTO? (bei Chrys. Orat. adv. Judaeos VI, 7). Die
Tebah wird Megilla 3, 1, Nedarim 5, 5, Taanith 1, 2 erwahnt. Sie war
tragbar und wurde bei den Offentlichen Feften getragen. S. Megill. 26 b.
Taan. 15 a. Edersheim I, 436.
XI. Kap. Die Scnriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 391
wickelten 1 ) Biidier verwahrt wurden. In der Mitte der Syna-
goge war in grofceren Synagogen ein erhohter Plat*, 2 ) wo
das Gefet5 vorgelefen wurde. Fur die Gemeinde waren Sitje
angebracht, 3 ) wahrend die Altejten und die Schriftgelehrten
be[ondere Ehrenfitje, ,,die erften Sitje", inne hatten. 4 ) Ge-
legentlich wird in der Mifchna auch von dem in den Syna-
gogen gebrauditen 01 geredet. 5 ) Es .brannten die Ollampen
dort am Verfohnungstage den ganzen Tag/)
Der vornehmfte Beamte der Synagoge war der Syna- Die
gogenvor[teher, 7 ) dem die Sorge fur die Ordnung und den Beamtender
Gottesdienft in der Synagoge oblag und der deshalb auch vna & en
beftimmte, wer beim Gottesdienft an die Gemeinde das Wort
richten follte. 8 ) Bisweilen werden auch mehrere Synagogen- Der
vorfteher erwahnt. 9 ) Synagogen-
vorfteher.
') Kilajim 9, 3. Megilla 3, 1. Kelim 28, 4. Negaim 11, 11. Siehe
omten fiber den Kanon des Alt. Teft.
2 ) Schon von Esdras heigt es (Nehem. 8, 4), dag er auf einer hol-
^ernen Tribune (y^~b~^ ~bl> ; LXX ft^na vhvm>) ftand, als er das Qefetj
vorlas. In kleineren Synagogen fcheint der Platj in der Nahe der Tebah
gewefen zu fein. Vgl. jer. Megilla 73d, bab. Megilla 32a. Bacher in
Haftings IV, 639. Beim Verlefen der Schrift bediente man fich eines
Lefepultes. Vgl. Kelim 16, 7.
3 ) Matth. 23, 6. S. o. S. 369. Vgl. auch Jac. 2, 3. Der Talmud (jer.
Meg. 73d) fpricht von "p^DCC = subsellia (eigentl. niedrige Schemel vgl.
Levy, Worterb. Ill, 568) oder Sitjplatjen der Qemeinde und auch von m^bp,
wofiir nach der Emendation von Bacher p. 639 mTttp, d. h. cathedra
2U lefen i[t.
') Matth. 1. c. Marc. 12, 39. Luc. 11, 43. 20, 46. Nach der
Tosephta Succa IV, ed. Zuckermandel S. 198, 20 ff. fagte R. Jehuda, in
der grogen Synagoge von Alexandrien feien 71 Sitje (x<*erY(jat) von Gold
gewefen, entjprechend den 71 Alteften. Vgl. Kohl und Watjinger S. 141 f.
und 180 ff.
*) Terumoth 11, 10.
') Pesachim 4, 4.
7 ) Der dvxrfwayvyos (Marc. 5, 22. 35-38. Luc. 8, 49. 13, 14. Apg.
18, 8. 17) oder aq%wv rrj? ownywyrjc Luc. 8, 41. Vgl. Vitringa ed. 2.
p. 580-592, 695-711. Schurer 4 , II, 509-512. 111,88. Jufter 1, 450-453.
) Apg. 13, 15.
v ) Apg. 13, 15 von Antiochien in Pifidien (vielleicht auch Marc. 5, 22
obgleich dort Jairus wohl nur als einer aus der Klaffe der Synagogen-
vorfteher bezeichnet wird). Die d(f%K?vrdymyin werden Apg. 14, 2 Codex D
(vgl. Blag, Acta Apoftolorum Ed. philol. G5tt. 1895. p. 157 z. d. St.) von
den a^oiTe? ToJv'Iuvduiwvt d. h. den Magiftratsperjonen unterfchieden. Der-
392 Zweiter Abfchnitt. Die innern joz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Wer das Recht hatte, die im Neuen Teftamente erwahnte
Strafe der Ausfchliejgung aus der Synagoge 1 ) und die Strafe
der Geifeelung in der Synagoge 2 ) zu verhangen, wird nicht
ge[agt. Vermutlich aber ftand das Recht dazu dem Alteften-
kollegium der Gemeinde zu und mag die Gemeinde oft ton-
mell 3 ) ihre Zuftimmung dazu gegeben haben.
Der In keiner Synagoge fehlte der Chazzan oder Synagogen-
Synagogen- diener, 4 ) deffen Aufgabe es auch war, beim Gottesdienfte
iener- die Heilige Schrift herbeizubringen und wieder fortzulegen. 5 )
Der Vorbeter aber, welcher als Vertreter der Gemeinde in
felbe Unterfchied wird auch auf Infchriften (wie Schurer II, 511, 33 und
III, 47 ff. zeigt) gemacht. Spater fcheint der Titel dyztcwdywyo? als blofter
Ehrentitel auch Frauen und Kindern verliehen worden zu fein (vgl. die
Infchriften bei Schurer II, 512, 37).
>) Luc. 6, 22. Joh. 9, 22. 12, 42. 16, 12. Auch in der Mifchna er-
wahnt, Taanith 3, 8. Moed qatan 3, 1 2. Edujoth 5, 6. Middoth 2, 2.
Die Rabbiner unterfcheiden den Ausfchlug aus der Synagoge als den
eigentlichen Bann (Cherem) von dem milderen, der "TO genannt wird.
Letjterer fchlog den Gebannten nur auf 30 Tage von dem offentlichen
Leben aus. Vgl. Buxtorf, Lexicon talm. et rabb., Basileae 1646, p. 827 sqq,
1303 sqq. 2466 sqq. Kirchenlexikon -, 1, 1932 f. Ferd. Weber, Judifche
Theologie auf Grund des Talmud und verwandter Schriften, L. 1897,
S. 142 f. Joh Doller, Der Bann (Herem) im Alten Teftament und im
fpateren Judentum. ZKTh (Innsbruck) 1913, S. 1-24.
2 ) Matth. 10, 17. 23, 34. Marc. 13. 9. Luc. 12, 11 (21, 12). Apg.
22, 19. 26, 11. Nach der Mifchna, Makkoth 3, 12 f. beftand die Geifcel aus
einem Lederriemen und erhielt der zu Beftrafende durch den Chazzan
der Synagoge (f. Anm. 4) 13 Schlage auf die bloge Bruft und 13 auf jede
Schulter Nach Deut. 25, 2 f. follte die Zahl der Hiebe nicht 40 iiber-
fchreiten. Um ficher zu gehen, gab man 39. Vgl. 2 Kor. 11, 24.
3 ) Aus 1 Kor. 5, 4 la'gt fich das allerdings nicht mit Sicherheit
fchliegen.
*) rc:rri "jin oder kurz "i" griech. vn^irti?. Vgl. Levy, WOrterb. 11,29.
In der Mifchna wird Joma 7, 1 und Sota 7, 7 8 von dem Chazzan der
Gemeinde im Tempel geredet. In Makkoth 3, 12 erfcheint der Chazzan
als Gerichtsdiener, der die Geifeelung zu vollziehen hat. Die fpateren
rabbin. Nachrichten uber ihn f. bei Bacher, art. Synagogue p. 640 f. Epi-
phanius haer. 30, 11 kennt eine gracifierte Form von Chazzan 'A^avixolv
titiv nay ai'Tols dictxdvwv .eyju rjvevifievMv i\ vnrjfieTiav.
5 ) Luc. 4, 20. Vgl. Sota 7, 7-8 und Joma 7, 1. Spater tritt der
Chazzan als Vorfanger auf. S. Haneberg p. 587. Namentlich in kleineren
Synagogen wird der Chazzan fchon in alterer Zeit auch die Lektionen
aus der Heiligen Schrift vorzulefen gehabt haben. Bacher 1. c. -p ; 641
verweift dafur auf bab. Meg. 25 b.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 393
der Synagoge laut die Gebete fpradi und ,,Bevollmachtigter
der Gemeinde" *) heifct, war kein Beamier. Vielmehr unter-
nahmen einzelne Mitglieder der Gemeinde freiwillig das Vor-
beten. 2 )
Audi die Almofen-Sammler, deren Obliegenheit natur- Die Aimofen-
gemafc nur vorwurfsfreien Leuten ubertragen wurde, 3 ) waren fammier.
keine Synagogenbeamten, obwohl fie auch in den Synagogen
ihres Amtes walteten 4 ) Aber wie nach der Mifchna im Tern-
pel gottesfiirditige Leute heimlich Geld zur Unterftiitjung der
Armen ,,in die Kammer der Heimlichkeit" legten, 5 ) fo mag
auch in den Synagogen eine ahnliche Einrichtung vorhanden
gewe[en fein. In der rabbinifchen Zeit wurde das Almofen
von zwei Per[onen gefammelt, aber von drei ausgeteilt. (i )
Gottesdienftliehe Verfammlungen 7 ) fanden regelmagig an Die Zeit
den Sabbaten und den Fefttagen ftatt 8 ) und zwar an den derVer f amm -
lungen in den
') "W23 n*b$ , vgl. Berakhoth 5, 5. Rosch ha-schana 4, 9. Synagogen.
2 ) Sie wurden, da das Qebet fprechen als gleichwertig mit dem
Opferneines Opfers betraditet wurde, nach einer tannaitifchen Oberlieferung
dazu mit den Worten aufgefordert: Komm' und opfere (j. Berakh. 8b 2t .
Vgl. Bacher, art. Synagogue p. 641).
3 ) nj?T f - ^23 = Almofenfammler. Vgl. Dammai 3, 1. Quiddufchin 4, 5.
S. Buxtorf p. 375 ad V. "N23.
4 ) Vgl. Matth 6, 2, wo vom Almofengeben in den Synag-ogen und
auf den Stragen geredet wird. Vgl uber Armenpflege in der talmudifchen
Zeit Winer, Bibl. Realworterbuch, Art Almofen, Haneberg 1. c. S. 583 f.
Bouffet, Volksfrommigkeit und Schriftgelehrtentum. Berlin 1903, S. 30, 1.
5 1 Schekalim 5, 6. - Von den 13 Opferftocken ([. o. S. 349, 3) waren
nach Schekalim 6, 5 fieben zur Aufnahme der Tempelfteuer, zur Be[treitung
der Koften bejtimmter Opfer, zum Einkauf des Holzes, des Weihrauches
und fur die Koften der beim heiligen Dienft gebrauchten Gefage beftimmt,
wahrend auf den iibrigen ftand ,,freiwillige Gabe".
6 ) Pea 8, 7.
7 ) Ober die Entftehung und Entwicklung des jiidifchen fynagogalen
Gottesdienftes handelt in anerkannt vortrefflicher Weife Ismar Elbogen
in dem umfangreichen gelehrten Werke w Der judifche Gottesdienft in feiner
gefchichtl. Entwicklung" (= Schriften hrsg. v. d. Gef zur FOrderung der
Wiff. des Judentums), L 1913.
B ) Auch an den Neumonden kam man nach Megilla 4, 2 zur Lefung
des Gefeljes zujammen. Auch am Dienstag und Donnerstag jeder
Woche wurde nach Megilla 3, 6 und 4, 1 (vgl. auch Tos. Taanith 2, 217 u ,
worauf Bacher, art. Synagogue p. 642 verweift) das Gefetj in der Syna-
goge gelejen.
394 Zweiter Abfchnitt. Die innern jbz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Vormittagen, 1 ) aber auch an zwei Wochentagen, namlich Mon-
tags und Donnerstags. 2 ) Schon auf dem Wege zur Synagoge
pflegte man wenigftens zu Alexandrien eine befondere Hal-
tung in der Wei[e zu beobachten, dag man die Hande ver-
borgen hielt, 3 ) vermutlich um dadurch die Ruhe von aller
Handarbeit anzuzeigen. 4 )
Der Qottes- Der Synagogal-Gottesdienft beftand damals wie ubrigens
dienft. zu a u en Zeiten vorziiglich in der Verlefung und Erklarung
des Gefetjes. 5 ) Die Mifchna 6 ) erwahnt im einzelnen als Be-
[tandteile des Synagogal-Gottesdienftes das Schma, das Ge-
bet, das Vorlejen des Gefetjes und der Propheten und den
Priefterfegen. Laffen wir die Angaben der Mifchna auch fur
die Zeit vor der Zerftorung des Tempels gelten, [o erhalten
wir das folgende Bild.
Das Schma. Ehe das eigentliche Gebet begann, wurde das Schma,
welches jeder erwachfene mannliche Ifraelit morgens und
abends zu beten hatte, 7 ) rezitiert. Es fuhrt feinen Namen
Schma = Hore! von den Anf angsworten : Hore (Ijrael, der
Herr unfer Gott ift ein einziger Gott). Es war ein Glaubens-
bekenntnis. Denn es beftand aus drei kleinen Abfchnitten
des Pentateuchs, 8 ) in welchen Jahwe als der alleinige Gott
Ifraels bekannt wird, und wurde von einigen Dankjagungen 9 )
eingeleitet und gefchlo[fen. Es war ficher fchon langere Zeit
') Philo bei Bus. Praep. ev. VIII, 7, 13 fagt, die Verfammlungen
am Sabbat batten pszyi 6-/tS<lv defies o^/? gedauert. Das bezieht [ich
auf die lange Dauer des Morgen-Gottesdienftes. Nach Megilla 3, 6 und
4, 1 fand auch nachmittags Gottesdienft ftatt.
*) Megilla 3, 6. 4, 1. Vgl. 1, 2. 3
3 ) ,,Die gewohnte Haltung" war, die Rechte zwifchen der Bru[t und
dem Kinn zu verbergen, wahrend die linke Hand vom Kleid umhullt an
der linken Seite herabhing. So Philo, De somniis 2, 18. Nach der Schrift
De vita contemplativa (ed. Conybeare p. 67) nahmen die Therapeuten
bei ihren Zufammenkunften am Sabbate diefelbe Haltung an.
4 ) So Massebieau nach Conybeare, Philo about the contemplative
Life p. 214.
5 ) Vgl. Philo, Fragm. bei Bus. Praep. evang. VIII, 7, 1213 und
De septenario c. 6 (= De spec. leg. II, 62 f. ed Conn).
6 ) Megilla 4, 3.
7 ) Berakhoth 1, 1-4 Nach Berakhoth 3, 3 brauchten Frauen, Sklaven
und Kinder es nicht zu beten.
) Deuter. 6, 4-9. 11, 1321. Num. 15, 37 41.
9 ) Berakhoth 1, 4.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 395
vor Flavius Jofephus im Gebrauch, da diefer feinen Urfprung
irrtumlidi fogar auf Mofes zuruckfuhrt. 1 ) Hochftwahrfcheinlich
wurde in den alteften Synagogen fowohl in Palaftina wie in
Agypten vor dem Schma der Dekalog gebetet, der nach der
Mifchna 2 ) auch von den Prieftern im Tempel mit dem Schma
zufammen rezitiert wurde.
Auf das Schma folgte 3 ) das eigentliche Gebet, bei welchem Das Gebet.
der vom Synagogenvorfteher dazu Aufgef orderte 4 ) vor die Das
Lade, welche die Gefe^esrolle enthielt, trat 5 ) und vorbetete, Schmone -
wahrend die Gemeinde Amen und fonftige Refponforien der
fprach. 6 ) Nach dem Zeugnis der Mifchna war fchon damals 7 )
diefes Gebet das in alien jiidifchen Gebetbuchern ftehende
Schmone-Esre, d. h. ,,Achtzehn-Bittengebet", s ) welches auch
') Ant 4, 8, 13.
'-) Tamid 4, 3 am Ende. 5, 1. Es exiftiert noch ein aus dem zweiten
chriftlichen Jahrhundert ftammender hebraifcher Papyrus agyptifcher Her-
kunft, welcher den Dekalog und das Schma, aber ohne die Lobfpriiche
enthalt. Vgl. Cook in Proceedings of the Society of biblical archaeology,
L. 1903, vol. XXV p. 3456. Levi, Un Papyrus biblique in REJ, XL VI.
Paris 1903, p. 212-217. Peters, Die altefte Abfchrift der zehn Qebote, der
Papyrus Nasch. Freiburg 1905 meint, das Blatt fei urn das Jahr 100 zu
Gebets- und Unterrichtszwecken gefchrieben worden. Die Sitte, den Dekalog
vor dem Schma zu beten, wurde nach Levi 1. c. p. 214 bereits vor der
Mitte des zweiten chriftl. Jhrhdts. abgefchafft, weil, wie jer. Berakhoth 3c
gefagt wird, die Minim (= die Chriften f. u.) in der Wahl des Dekalogs
eine Beftatigung ihrer Behauptung fanden, dag nur die zehn Gebote dem
Mofes auf Sinai offenbart worden feien.
3 ) Nach M. Megilla 4, 3. Vgl. auch Tamid 5, 1.
4 ) Vgl. o. S. 391. 393, 2.
5 ) v gl. Taanith 2, 2, 5. Deshalb nannte man vorbeten ."i?* 1 ?" *:?? ~}2?
= vor die Lade treten.
6 ) Vgl. Deuter. 27, 15 ff. etc. (f. Kirchenlex. 2 1, 704 f.); Berakhoth
5, 4. Taanith 2, 5.
7 ) Vgl. Berakhoth 4, 8. Rosch ha-schana 4, 5. Taanith 1, 1-2. 2, 2.
s ) In der jetjt gebrauchlichen Form, welche die babylonifche Rezen-
pon des Gebetes darftellt (vgl. diefelbe auch bei Schurer II, 539 ff.)
welche ficher er[t nach der Zerftorung Jerufalems entftanden ift, da diefe
in der 14. und 17. Bitte vorausgefetjt wird, hat das Gebet nicht 18,
fondern 19 Bitten, indem die urfprunglich 14. (mefjianifche) Bitte in
2 Bitten, die 14. und 15., zerlegt ift. Vgl. Emil Schwaab, Hiftorifche Ein-
ffihrung in das Achtzehngebet (= Beitrage zur FOrderung chriftl. Theo-
logie 17, 5). Gfltersloh 1913, S. 116 ff.
396 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
einfadi das Gebet 1 ) heifet, weil jeder 2 ) Ifraelit es dreimal 3 )
am Tage, morgens, nadimittags und abends zu beten hat.
In der erft neuerdings bekannt gewordenen palaftinenfifchen
Rezenfion 4 ) des Schmone-Esre findet fich auch das von den
alten Kirchenvatern wiederholt erwahnte Fluchgebet oder die
Verwunfchung gegen die Chriften, wahrend jeder Hinweis
auf die Zerftorung Jerufalems fehlt. 5 ) Die Verwunfchung
bildet die zw61fte Bitte: ,,Den Abtriinnigen fei keine Hoffnung
und das hochmutige Reich zertrummere in Eile in unfern
s ) Berakhoth 3, 3.
3 ) Berakhoth 4, 1.
4 ) Diefelbe gibt Sehechter Jew. Quart. Rev. X, 1898 p. 654-659
und Dalman, Die Worte Jefu I., L. 1898, S. 299-301. W. Staerk, Alt-
judifche liturgifche Qebete (= Kleine Texte, hrsgbn. von Hans Lietjmann,
Nr. 58), Bonn 1910, S. 1114; die heutige Form ebd. 14-19.
5 ) Juftin Dial. c. Tryph. 16 fagt, in den Synagogen wiirden die
Chriften verflucht (urtrapw^evot lv talc tivvayoiyalc V/AMV TOV<; niOTevovtait;
inl rdv X{*ffTo'r). Vgl. fur die fpatere Zeit Epiphan. haer. 29, 9 und Hier.
ad Ifai. 5, 1819 ed. Vallarsi 4, 81. Die[e Sitte wird auf einen Befchlug
einer Synode in Jabne unter Gamaliel II. zuriickgefuhrt (vgl. Berakhoth
28 b). Die Rabbinen berichten: Simon der Flachshandler ordnete die
18 Segensfpruche zur Zeit des Rabban Gamaliel nach ihrer Reihenfolge
in Jabne. Da fprach Rabban Gamaliel zu den Gelehrten : Ift denn jemand
da, der es ver[teht, eine Beracha gegen die Ke'tjer feftzuftellen ? Da ftand
Samuel der Kleine auf und ftellte fie feft. (Oberfet5ung nach Schwaab
S. 22; uber Gamaliel II., der um 90-110 n. Chr. ,,den Juden als hochfte
Autoritat gait", vgl. Strack 5 , S. 122 f.) Vgl. Schlatter, Die Kirche Jerufalems
vom J. 70130 (= Beitrage etc. 2, 3), Gutersloh, 1898, S. 17 19. Nach
Tosefta Chullin 2, 20 und Schabb. 13, 5 (Zu. 503, 13 und 129, 2; deutfch
bei Schlatter S. 8 u 16) verbot die Synagoge auch Brot und Wein der
Ketjer (Minim f. u.) zu geniegen. Ihre Schriften follten unterfchiedlos
verbrannt werden. Ober die Entftehung und den Wortlaut des Schmone-
Esre Oder der Tephila vgl. E. Schwaab (S. 395, 8) und Elbogen, Der
judifche Gottesdienft in feiner gefchichtlichen Entwicklung (Schriften hrsgbn.
v d. Gefelljchaft z. Forderung derWiff. des Judentums), L. 1913, S.27 60.
Auch er meint, es fei kaum daran zu zweifeln, dag das Fluchgebet fich
tatfachlich auf die Chriften bezogen hat, es bildete eines der Mittel zur
vOlligen Scheidung der beiden Religionen, ein Judenchrift habe das
Gebet nicht beten konnen (S. 36, 38). Vgl. iiberh. die rabbinifchen An-
gaben uber das Verhaltnis der Juden zu den Chriften bei Schlatter a. a. O.
S. 7-21 und vorher in Derenbourg 1. c. Ch. XXII p. 347-365. H. Strack,
Jefus, die Haretiker und die Chriften nach den alteften judifdien Angaben.
Texte, Oberfetjung und Erlauterungen. L 1910, 21, S. 64.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 397
Tagen. Und die Nazaraer (=. die Chriften) und die Minim
( die Ketjer) 1 ) follen plotjlich umkommen; fie follen aus-
gelofcht werden aus dem Buche des Lebens und nidit mit
den Gerechten eingefchrieben werden. Gelobet feift du,
Jahwe, der du zerfchmetterft die Frevler." Nach dem jetjt
gewohnlichen Texte, welcher auf der babylonifchen Rezenfion
beruht, heijgt es aber: ,,Und den Verleumdern fei keine Hoff-
nung; und alle die Bofes tun, mogen fdmell zugrunde gehen,
und fie alle baldigft ausgerottet werden; und lahme und
zerfchmettere und ftiirze und beuge die Ubermutigen bald in
Eile, in unfern Tagen. Gelobet feift du, Herr, der du zer-
fchmetterft Feinde und beugeft Obermiitige." 2 )
In der palaftinenfifchen Rezenfion fehlt ein Hinweis auf
die Zerftorung Jerufalems, und ift deshalb nicht zu leugnen,
daJ5 das Schmone-Esre wie in andern Teilen, fo auch in
Bezug auf das Fluchgebet gegen die Chriften aus der Zeit
vor der Zerftorung Jerufalems ftammen und fchon damals
in den Synagogen gebraudit worden fein kann. 8 )
') Unter andern identifizieren Weber S. 152 f. Levi, Un Papyrus
biblique p. 214 und Herford, Christianity in Talmud and Midrasch. Lon-
don 1903 die Minim mit den Judenchriften, was nach obiger Bitte fur
das erfte chriftliche Jahrhundert nicht richtig ift. Min, plur. Minim, ift viel-
mehr der Haretiker, Sektierer uberhaupt, wozu ja allerdings vom Stand-
punkte der damaligen Juden aus auch die Judenchriften gerechnet wer-
den konnten. Vgl. u. a. auch Levy, Neuhebr. und chald. Worterb. Ill,
104 f. z. d. W. i"? und n^S; Hoennicke, Das Judentum im erften und
zweiten Jahrhundert, Berlin 1908, p. 387-389 (vgl. ebd. iiber den Minais-
mus uberhaupt S. 381 400); Lagrange, Le Messianisme chez les Juifs,
P. 1909, p. 290 ss. Noch weniger richtig ift es, die Minim mit Fried-
lander, Die relig. Bewegungen innerhalb des Judentums im Zeitalter
Jeju. Berlin 1905, S. 169 ff. zwar nicht als Judenchriften (dagegen
polemifiert Friedlander felbft S. 196234), aber als judifche Gnoftiker
anzufehen. Vgl. Levi, Le mot Minim" designe-t-il jamais une secte
juive de Gnostiques antinomistes ayant exerce son action en Judee avant
la destruction du temple? in der REJ. t. XXXVIII 1899 p. 204-210.
Schilrer, Th. Ltrtzg. 1906, 164 f. Hoennicke a. a. O. S. 385 f. Zur Er-
klarung der 12. Bitte vgl. noch Schwaab, Hift. Einf (inning S. 143 ft.
-) Vgl. Schiirer II, 540. Bouffet, Die Religion des Judentums im
neuteftam. Zeitalter, B. 1906, S. 204.
3 ) Nach der fchon S. 396, 5 erwahnten Berakhoth 28 b (vgl. auch
Megilla 17b) wurde das Schmone-Esre um das Jahr 100 n. Chr. zu Jabne
redigiert unter Gamaliel II., Samuel der Kleine fugte aber noch eine
Die Vor-
lefung aus
dem Gefetj.
Die
Vorlefung
aus den
Propheten.
398 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Dag man beim Gebete in den Synagogen ftand, ift viel-
fach ficher bezeugt. 1 ) Audi ift es bemerkenswert, dag nidit
einmal das Schma nach der Mifchna in hebraifcher Sprache
gebetet werden mug, [ondern in jeder andern Sprache ge^
betet werden kann." 2 )
Auf das Gebet folgte die Verlefung von Abfchnitten der
Heiligen Schrift und zwar zunachft des Gefetjes. Nach Philo
hat ein Priefter oder einer der Alteften das Gefetj vorge-
lefen. 3 ) Jedoch fcheint dies nur in der Diafpora Sitte ge-
wefen zu fein. 4 ) Denn die Mifchna fagt allerdings auch, dag,
wo ein Priefter oder Levit zugegen fei, diefer den Laien bei
der Lektion vorgehen folle, 5 ) es wird aber weiter dort be-
merkt, daft fich am Sabbat fieben, an den Fefttagen fiinf,
am Verfohnungstage fechs, an den Neumonden und den
halben Feiertagen, z. B. des Ofterfeftes, vier Perfonen fich
fo in die Lefung des Gefetjes teilen follten, dag jeder wenig-
ftens drei Verfe las. 6 )
An die Lefung eines Abfchnittes aus dem Gefetj fchlog
fich am Sabbate die eines Abfchnittes aus den Propheten. 7 )
19. Bitte gegen die abtrunnigen Minim hinzu. Bouffet 1. c. 156 meint,
das fei falfch, da das Qebet gegen die Minim vielmehr in die fchon vor-
handene 12. Bitte eingefchoben worden fei. Aber das ift nur eine Anficht.
Schwaab S. 58 ff. fucht zu zeigen, dag das Achtzehngebet ficher in phari-
Jaifdien, antifadduzaifchen Kreifen entftanden ift. Es ift richtig, dag ein-
zelne Bitten, z. B. die dritte, welche Qott wegen der Totenerweckung
preift, einen pharifaifchen Charakter an fich zu tragen fcheinen. Daraus
folgt aber noch nicht, daJ3 diefe Bitten in der zweiten Halite des letjten
vorchriftlichen Jahrhunderts entftanden find. Was von den Pharifaern in
Bezug auf die Bitten gilt, gilt auch von den Frommen iiberhaupt. Es
ift auch bemerkenswert, dag das Neue Teftament keinen Hinweis auf die
Exiftenz des Schmone-Esre enthalt.
') Matth. 6, 5. Marc. 11, 25. Luc. 18, 11. Berakhoth 5, 1. Taanith 2,2.
2 ) Sota 7, 1.
3 ) Philo, Fragm. bei Bus. Praep. evang. VIII, 7, 13; rwv it^suiv rfe
XMV
ara./<ii())'o"xf/. ruvc
4 ) Wenigftens fagt j. Megilla IV, 75 a bei Levy, Neuhebr. WOrterb.
II, 515 a z. W. *i^, dag bei den fremdfprachlichen Juden immer einer die
ganze Parasche vorlas.
s ) Gittin, 5, 8.
6 ) Megilla 4, 24.
7 ) Luc. 4, 17. Apg. 13, 15. Vgl. Megilla 4, 1-5. In Megilla 3, 4-6
wird bereits von fur einzelne Tage beftimmten Abfchnitten der Paraschen
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 399
Der Abfchnitt aus den Propheten konnte frei gewahlt werden 1 )
und wurde blofc durch eine Perfon, weldie moglicherweife
auch das Gebet und das Schma vorgebetet hatte, 2 ) verlefen,
und zwar ftehend. 3 ) Das Redit, die Perfonen zu. beftimmen,
welche die Schrift-Lektionen vortrugen, ftand dem Synagogen-
vorfteher zu. 4 )
Da das Hebraifche felbft in Palaftina der Maffe des Die uber-
Volkes nicht gelaufig war, pflegte man mit der Vorlefung der \ e $ m s der
Heiligen Sdirift eine Uberfe^ung des Gelefenen in die Lan- kebraifchen
j r u r> i-w ir j n -TU ,_ Lektionen.
desjpracne, m Palaftina alfo in das Aramaifche, zu verbm-
den. Bei der Vorlefung des Gefetjes gefchah dies fo, dafj,
fobald ein Vers vorgelefen war, alsbald auch die Ober-
fetjung folgfe. 6 ) Die Perfon, welche in den Synagogen eine
folche Uberfetjung zu geben hatte, hiefc Targumift oder Me-
thorgeman 6 )
An die Lektion der Heiligen Schrift fchlofe fich eine Er- . Die
klarung derfelben oder eine Predigt. Da diefelbe jedera Erklarung-
der Sdirift.
des Pentateuchs und ebd. 4, 1 ff. von Abfchnitten aus den Propheten
oder Haphtaren (vgl. uber den Urfprung derfelben Zunz 1. c. S. 6 f.;
vgl. auch L. Venetianer, ,,Urfprung und Bedeutung der Propheten-Lec-
tionen" in ZDMQ 63 (1909) S 103 - 170) geredet. Ob man aber fchon
zur Zeit Chrifti den fpateren im Talmud (b. Megilla 29 b) far Palaftina
angenommenen Gebrauch hatte, den gesamten Pentateuch in einem drei-
jahrigen Zyklus zu vollenden, ift ungewig. Vgl. Zunz 1. c. S. 3 ff.
') Luc. 4, 17 ff. Megilla 4, 4
2 ) Megilla 4, 5.
3 ) Luc. 4, 16. Vgl. Jofna 7, 1. Sota 7, 7.
J ) S. o. S. 391.
5 ) Megilla 4, 4. 6. 10. Vgl. Zunz, S. 9 ff. Als in jpaterer Zeit
ein Teil der Juden, die doppelte Vorlefung aus den hi. Buchern abfchaffen
und ftatt der Vorlefung aus dem hebraifchen Text nur eine nach dem
Griechifchen einfuhren wollte, widerfe^ten fich dem die iibrigen. Der Streit
wurde durch die Novelle 146 ne^l 'Es^nimv des Kaifers Juftinian vom
Jahre 553 dahin entfchieden, dag die Juden, die es wunfchten, die Vor-
tefung in Hebraifch beibehalten, die iibrigen aber, wo immer es Juden
gab, das Recht hatten, in ihren Synagogenverfammlungen die Bibelab-
fchnitte nach dem griechifchen Texte der LXX oder des Aquila, oder in
irgend einer Sprache je nach dem Orte zu lefen, damit das Vorgelefene
von alien verftanden werden konnte. Vgl. Jufter 1, 369 ss.
6 ) Irvl?, )W r ' oder }^^ Vg 1 - uber die Ausfprache Bacher,
Terminologie 1, 206. Meift gab der Lehrer die Oberfetjung. Nach Me-
gilla 4, 6 konnte aber felbft ein Minderjahriger dies tun, wenn er dazu
fahig war Vgl. Bacher, art. Synagogue p. 641.
400 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Kundigen geftattet war, 1 ) bot fich dadurch dem Heilande und
den Apofteln die von ihnen oft benutjte Gelegenheit dar, in
den Synagogen zu lehren. 2 ) Bei die[em Vortrag fag man
auf einem erhohten Plat}. 3 )
Der Schlug- Am Schluffe des Gottesdienftes wurde, wenn ein Priefter
fegen. zugegen war, der Segen erteilt, worauf das ganze Volk
antwortete: Amen. 4 )
3. Die Schule. 5 )
DieVerbrei- Die Tatfache, dag in den Synagogen allgemein das Ge-
tung der Ele- fetj und zwar keineswegs von Schriftgelehrten, fondern von
mentarkennt- foi^e^ weldie der Synagogenvorfteher als geeignet anfah,
vorgelefen wurde, macht es klar, dag zur Zeit Jefu, der felbft
das Gefetj vorlas und, als die Ehebrecherin zu ihm gebracht
wurde, etwas auf die Erde fchrieb, auch auger den Ge-
lehrten manche lefen und, wie man dann weiter fchliegen
mug, auch fchreiben konnten.
Der Der Unterricht bezog fich aber hauptfachlich auf das Ge-
Unterricht im fet3. Bei feinen Vqlksgenoffen, fagt Jofephus, ) feien ,,die-
jenigen nicht geachtet, die vielerlei Sprachen verftehen und
nach Schonheit im Ausdruck jagen, weil diefe Kun[t als Ge-
meingut nicht blog der Freien, fondern auch der Sklaven
gilt. Nur die gelten bei uns als Weife, welche [ich auf das
l ) Philo, De Septenario c. 6 (= De spec. leg-. 11, 62 ed. Cohn).
Ober die Predigt in den Synagogen nach fpateren talmudifchen und rab-
binifchen Quellen gibt Edersheim 1. c. I, 445450 eine lehrreiche Zu-
fammenftellung.
*) Matth. 4, 23. Marc. 1, 21. 6, 2. Luc. 4, 15. 6, 6. 13, 10. Job. 6,
59. 18, 20. Apg. 13, 15 etc.
3 ) Matth. 26, 55. Luc. 4, 20. Paulus ftand nach Apg. 13, 16.
) Vgl. Nehem. 8, 6. 1 Kor. 14, 16. Berakhoth 5, 4. Megilla 4, 3.
5. 6. 7. S. den Segen felbft Num. 6, 22 ff. Ober den Zufammenhang
des Synagogenritus mit der chriftlichen Vormeffe vgl. Cabrol et Leclercq,
Monumenta ecclesiae liturgica. Vol. I. Sect. I. Paris 1902, p. 'XI -XXV.
5 ) Vgl. Winer BRW Art. Kinder" und M Unterricht"; Jos. Simon,
L'education et 1'instruction des enfants chez les anciens Juiis d'apres
la Bible et le Talmud. 3. ed., Leipz. 1879 (p. *25 ss. find willkurlich tal-
mudifche Angaben auf die fruhere Zeit ubertragen). Schurer II, 491 497.
Kennedy, art. Education in Hastings I. p. 646652. Fur die talmud.
Zeit vgl. Krauss, Talmud. Archaologie 3 (L. 1912), 199-239 u. 336-358.
) Ant. 20, 11, 2.
XI. Kap. Die Schriftgelehrten, Synagogen und Schulen. 401
Gefetj verftehen und die Heilige Schrift nach Wort und In-
halt erklaren konnen." Deshalb wurden fchon die Kinder
gelehrt, die Gefetje und die Taten der Vorfahren zu kennen, 1 )
und von friihefter Jugend auf in der Kenntnis des Gefetjes
unterwiefen. 2 ) Diefen Unterricht erteilten naturgemafc zunachft
<iie Eltern. 3 ) Knaben, die fich bei einem Schriftgelehrten dem
Studium des Gefe^es widmen wollten, erhielten wahrfchein-
lich befonderen vorbereitenden Unterricht. 4 ) Audi die Sohne
von Fiirften und andern vornehmen und reiehen Perfonen
wurden naturlich von befonderen Lehrern unterrichtet. 5 )
Eigentliche Elementarfchulen laffen fich aber fur das Zeit- Das
alter Jefu in Palaftina nicht nachweifen. 6 ) Auch die talmudifche Aufkommen
Oberlieferung fagt, 7 ) dag erft R. Jofchua ben Gamala = Jefus,
Sohn des Gamaliel, welcher von 63 65 Hoherpriefter war,
beftimmt habe, dag in jeder Provinz und in jeder Stadt
Lehrer angeftellt und die Kinder im Alter von 6-7 Jahren
zu ihnen gebracht werden follten.*) Wie es fcheint, i(t diefe
Oberlieferung richtig. Wenigftens finden fich fchon in der
Mifchna Stellen genug, welche auf die Exiftenz von Schulen
fchliegen laffen. Befonders wichtig ift die Bemerkung, dag
der Chazzan am Abend vor dem Sabbat beim Licht einer
Lampe zwar fehen durfte, welche Gefe^esftelle die Kinder
*) Jos. c. Apion. 1, 12. 2, 18. 25.
2 ) Philo, Leg. ad Cajum 16. 31.
3 ) 2 Tim. 3, 15.
*) Jos. Vita 2. Vgl. Winer, RWB Art. Unterricht.
3 ) Jos. Ant. 15, 10, 5. 16, 8, 3. Der Sohn des Jofephus hatte zu
Rom einen Erzieher. S. Jos. Vita 76.
) Die vonodidri6xa).oi des N. T. find keine Elementarlehrer, [ondern
Schriitgelehrte. Vgl. o. S. 368, 3.
7 ) Bab. Baba Bathra 21 a. Die Stelle Aboth 5, 23, wonach ein
Knabe von funf Jahren anzuhalten ift, das Gefetj zu lernen, gehort gar
nicht der Zeit der Mijchna an, da fie auch fchon vom Lernen der Ge-
mara fpricht.
fe ) Eine folche Schule heigt im Talmud bezeichnenderweife "l??~ ri'2
= Schule des Buches d. h. der Bibel bezw. der Thora. Vgl. J. Kethu-
both 8, 11 (32 c), wofelbft fich die gefchichtlich nicht verwendbare Legende
findet, Simon ben Schetach, welcher Aboth 1, 8 als Vorganger von Scha-
maja und Abtaljon der Lehrer Hillels genannt wird, (er lebte zur Zeit
des Alexander Jannaus und der Konigin Alexandra; vgl. fiber ihn
R Leszynsky in der REJ 63, 1912 p. 216231) habe befohlen, dag die
Kinder ,,die Schule des Buches" befuchen follten.
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiichte. I. 2.'u. 3. Aufl. 26
402 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
zu lefen anfangen follten, felbft .aber nicht mitlefen durfte r
damit er nicht verfucht werde, das Licht heller zu machen.
Da aber der Name Chazzan fonft von dem Synagogenauf-
feher oder Diener gebraucht wird, macht die Stelle 1 ) es
wahrfcheinlich, dafc die Schule mit der Synagoge verbunden
oder letjtere als Schule benutjt wurde und der Chazzan der
Synagoge zugleich Lehrer war. Ein Unverheirateter durfte
keine Elementarfchule halten. 2 )
Das Verbot, einen Sohn griechifch lernen zu laffen, wird
in der Mifchna in die Zeit des grofeen jiidifchen Krieges mit
Vefpafian gefetjt. 3 )
XII. Kapitel.
Das judijche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit.
1. Die Herodianer.
Wahrend Jofephus im Beftreben, unter den Juden paral-
lele Erfcheinungen zu den heidnifchen philofophifchen Schulen
nachzuweifen, wiederholt von drei Arten philofophifcher Rich-
tungen unter den Juden redet,*) den Pharifaern, Sadduzaern
und Effenern, und fie auch mit dem Namen Parteien (aiQ&us)
bezeichnet, 1 ) fpricht das Neue Teftament nur von den Par-
teien (alQfaei,g) der Pharifaer und Sadduzaer, 2 ) erwahnt aber
J ) Schabbath 1, 3. Vgl. dazu Levy, Neuhebr. WOrterb. II, 29. Nach
einer andern Erklarung, die davon ausgeht, dag IM an {ich ,,Auffeher*
heigt, und die nahere Bedeutung jich nach dem Zufammenhang richtet,
bedeutete Chazzan hier Schulauffeher, Schulmeifter. Allein der Zufammen-
hang entfcheidet in Schabbath 1, 3 nichts, da dort nur fur eine Reihe von
Fallen gefagt wird, was zu tun fei, wenn es am Sabbatabend finfter
werde.
2 ) Qiddufchin 4, 13. In Kethuboth 2, 10 wird davon geredet, was
ein Erwachfener als Kind in der Schule gefehen hat.
3 ) Sota 9, 14. Dag in den Grenzftadten Qalilaas manche. Juden
Griechifch verftanden, brachte der tagliche Verkehr mit den griechifch
Redenden mit fich (vgl. auch Jos. Vita 9 fiber die griechifche Bildung
des Juftus von Tiberias). _.
*) B. J. 2, 8, 2. Ant.* 18, 1, 2-6.
J ) Ant. 13, 5, 9. 18, 1, 2 ff. Vita 2 fin.
2 ) Apg. 5, 17. 15, 5. 26, 5.
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 403
neben den Pharifaern als Feinde Jefu auch die Herodianer.
Wir treffen letjtere nicht nur in Galilaa, 1 ) fondern auch in
Jerufalem. 2 ) Deshalb haben wir wahrfcheinlich in ihnen nicht
etwa die befonderen Anhanger des Tetrarchen Herodes Anti-
pas von Galilaa, fondern die Anhanger der Dynaftie des
Herodes iiberhaupt zu erblicken, deren Wunfch, die Herrfchaft
der Herodianer iiber ganz Palaftina wiederhergeftellt zu fehen,
fur kurze Zeit durch Agrippa I. befriedigt worden ift. Ihre
Verbindung mit den Pharifaern gegen Jefus weift keines-
wegs auf eine Ahnlichkeit religiofer oder politifcher Anfchau-
ungen iiberhaupt hin. Denn beim Tode Jefu finden wir die
Pharifaer auch mit ihren fadduzaifchen Gegnern verbiindet.
Die Herodianer mochten eben gern eine Gelegenheit er-
greifen, die meffianifchen Hoffnungen in ihrem vom Volke
verehrten Vertreter zu vernichten. 3 ) Eine Volkspartei find
die Herodianer nie gewefen. Dag es ihnen aber, folange
die Dynaftie des Herodes noch nicht ausgeftorben war, an
Einflug bei den Vornehmen nicht fehlen konnte, liegt auf
der Hand.
2. Die Pharifaer und Sadduzaer.
Wenn man die Herodianer als eine politifche Partei be-
zeichnen mug, fo mug man dies auch von den Sadduzaern
in der Zeit der Makkabaer fagen. Denn fie waren ihrem
Wefen nach die Partei des hasmonaifchen Haufes, die da-
durch eine religiofe Farbung erhielt, dag fich die Hasmonaer
in einen Gegenfa^ zu den Pharifaern fetjten und dag fie
felbft wenigftens der Theorie nach ausfchlieglich am Gefe^
im Gegenfatj zu den Oberlieferungen fefthielten. Die Phari- Die Pharifaer
faer hingegen find keineswegs an fich eine eigentlich poli- find keine po-
tifche Partei und auch nicht eine Sekte im gewohnlichen
Sinne des Wortes gewefen, welches ja eine Gemeinfchaft
folcher Leute bezeichnet, die fich zu allgemein angenommenen
Uberzeugungen und Grundfa^en anderer in Gegenfatj ftellen.
J ) Marc. 3, 6.
*) Matth. 22, 16. Vgl. Marc. 12, 13. Es fteht iibrigens nidits der
Annahme entgegen, dag fich unter den Herodianern auch Sadduzaer be-
fanden. Vgl. Zahn, Das Evangelium des Matthaus. L. 1903, S. 631.
3 ) Vgl. o. S. 141.
26*
404 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Denn [ie wichen von der Menge der Juden in der nachexi-
lifchen Zeit im Glauben und Leben nicht ab. Jedodi waren
fie im uneigentlichen Sinne eine Sekte, infofern als fie nach
den Weifungen der Schriftgelehrten dem religiofen Glauben
und Leben des Judentums den vollkommenften Ausdruck
geben wollten. 1 )
a) Urfprung, Gejchidite und Verhaltnis der Pharifaer zu den
politifchen Machthabern.
Nach der Riickkehr aus dem Exil hatte fich, wie oben
ausgefuhrt wurde, der Stand der Sopherim Oder Schriftge-
lehrten, welche das Studium und die Beobachtung des Ge-
felges zu ihrer Lebensaufgabe machten, immer weiter ent-
wickelt. Als nun nach dem Tode Alexanders des Grofcen
fich die Konigreiche Agypten und Syrien unter den Ptole-
maern und den Seleuciden bildeten, ftand Judaa zunachft
unter agyptifcher Herrfchaft und erfreute fich dabei trotj der
vielen griechifchen Stadte in feiner Umgebung religiofer Frei-
heit. Aber der Hellenismus trat als ein fowohl die politifche
wie die religiofe Selbftandigkeit der Juden mit dem Unter-
gange bedrohender feindlicher Faktor mit furchtbarer Macht
unter den fyrifchen Gewalthabern auf. Unter dem Konige
Antiochus IV. Epiphanes kam es dann zu den grofcen Frei-
heitskampfen der Makkabaer.
DieAffidaer. Kurz vor diefen Kampfen erfcheinen die Affidaer, ,,die
Frommen", Ifraeliten, welche fich zum Widerftand gegen den
eindringenden Hellenismus zufammengefchloffen hatten. 2 ) Ver-
J ) Vgl. bejonders die Monographien von Wellhaufen, Die Pharifaer
und die Sadduzaer. Greifswald 1874. Montet, Essai sur les origines des
partis saduceen et pharifien et leur histoire jusqu' a la naissance de
Jesus Christ. Paris 1883. Davaine, Le Saduceisme, etude historique
et dogmatique. Montauban 1888. Lafay, Les Sadducees (These), Lyon 1904.
(Das Werk von Holfcher, Der Sadduzaismus, eine kritifche Unterfuchung
zur fpateren judifchen Religionsgefchichte 1906 verwirft ohne hinreichende
Griinde eine Anzahl hiftorifcher Zeugnijfe und kommt dadurch zu falfchen
Anfchauungen. Vgl. Schurer II 4 , 488, 43. Theol. Ltrztg. 1907, 200-203).
Vgl. auch die entfprechenden Artikel von Kaulen im Kirchenlexikon, von
Eaton in Hastings Diet. S. noch Edersheim, The life and times of Jesus,
London 1884, I, 310324 und Schurer II*, 447489, der S. 449-452 die
betreffenden Zeugniffe des Jofephus und S. 452455 die der Mifchna
zufammengeftellt hat.
2 ) 1 Mace. 2, 42.
XII. Kap. Das jiidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 405
mutlich beftanden fie aus Schriftgelehrten. 1 ) Sie waren nicht
die erften, welche die Fahne des Aufruhrs gegen die Syrer
aufpflanzten. Vielmehr taten dies der vaterlicherfeits von
Asmonaus abftammende Priefter Matthias und fein Anhang,
dem fich die Affidaer anfchloffen. Diefe letjteren haben fich
aber allem Anfcheine nach nicht mehr am Kampfe beteiligt,
feitdem Alcimus, ein Nachkomme Aarons, Hoherpriefter ge-
worden war, 2 ) weil ihnen damit das gefichert fchien, was
ihnen am Herzen lag, der Schutj der Religion. Trotjdem
behauptete Alcimus von ihnen, fie feien die Seele der unter
Judas Makkabaus hervortretenden Be[trebungen, und Heft
viele von ihnen hinrichten. 3 )
Die Affidaer mag man als die Vorlaufer der Pharifaer
betrachten, nur darf man fie nicht mit diefen verwechfeln.
Jof ephus behauptet gelegentlich, ,,ungef ahr um die Zeit" steiiung und
des Makkabaerfiirften Jonathan habe es fchon unter den La ederPha '
Juden drei Sekten, die Pharifaer, Sadduzaer und Eff ener , n ' a6 u
' d.en Hasmo-
gegeben, 4 ) aber nach ihm traten die beiden erfteren erft
unter der Regierung des Johannes Hyrkanus (135 105)
auf. 5 ) Als diefer in politifcher Hinficht groge Fiirft durch
gluckliche Kriege die Grenzen des Reiches nach Nord und
Siid erbreiterte, fiihlten fich die Schriftgelehrten und ihre
Anhanger ftrengfter Richtung in vielen Beziehungen veriest
und geftoften. Die Kriegsziige in zum Teil von Nichtjuden
bewohnte Gegenden, 6 ) das Leben im Felde, das fich natur-
gema griechifchen Kulturformen mehr oder weniger an-
paffende Leben am Hofe felbft erfchwerten die genaue Be-
obachtung des Gefetjes und der Oberlieferung und machten
fie in manchen Punkten unmoglich. Wahrend die einen nun
') Vgl. 1 Mace. 7, 12.
2 ) 1 Mace. 7, 9 ff.
) 2 Mace. 14, 6. Vgl. Montet 1. c. p. 149 ff., wofelbft die falfchen
Anfchauungen anderer, als ob damals die Pharifaer die Hauptanhanger
der Makkabaer und die Sadduzaer dem Hellenismus freundlich gewefen
feien, zurtickgewiefen werden. Vor ihm hat fchon Wellhaufen a. a. O.
S 76 ff. dasfelbe getan.
*) Jof. Ant. 13, 5, 9.
5 ) Ant. 13, 10, 5 f. Vgl. o. S. 97.
B ) Johannes Hyrkanus beteiligte fich z. B. an dem Kriegszug des
Antiochus gegen Parthien (Ant. 13, 8, 4).
406 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
die politifche Grofce des Landes und die Unterftiitjung der
darauf abzielenden Plane der Hasmonaer als Ideal betrach-
teten, glaubten andere in all diefem die Spuren des ins Ju-
denvolk eindringenden hellenifchen Wefens zu erkennen, wo-
gegen man die Theokratie fchiitjen miiffe. Dadurch kam es,
daft damals folche gegenfatjliche Auffaffungen fich aueh au&er-
lich kundgaben und zwei Parteien, eine politifche und eine
religiofe auftraten, die Sadduzaer und die Pharifaer, welche
fpater eine fo bedeutende Rolle fpielten. Es la&t fich auch
aus diefen Verhaltniffen heraus verftehen, dajj, als die Phari-
faer zunachft aus religiofen Grunden dem Johannes Hyr-
kanus entgegentraten, diefer felbft fich der feine Beftrebungen
billigenden fadduzaifchen Partei zuwandte. 1 )
Unter Alexander Jannaus (104 78) kam es fogar zum
offenen Kampfe zwifchen ihm und den Pharifaern, auf deren
Seite infolge des graufamen abftofcenden Charakters des
Fiirften auch die grofce Menge des Volkes ftand. Sterbend
empfahl er feiner Frau, die Pharifaer zu verfohnen, damit
fie ruhig regieren konne. Tatfachlich erwies fich die Konigin
Alexandra als die grogte Gonnerin der Pharifaer, rief aber
dadurch die fcharffte Oppofition der von ihrem zweiten Sohne
Ariftobul unterftii^ten fadduzaifchen Partei hervor. Der Krieg
zwifchen Ariftobul und feinem Bruder Hyrkanus fiihrte dann
das Eingreifen der Romer und den Untergang der jiidifchen
Unabhangigkeit herbei. 2 )
ihre Lage Herodes ftand im Gegenfatje zu den Sadduzaern, wah-
unter rend er fich anfangs den Pharifaern freundlich erwies. 3 ) Allein
Herodes. W enn er auch den Tempel ausbaute, fo konnte er fich felbft-
verftandlich noch viel weniger als die Hasmonaer ihre Sym-
pathien erwerben und trat ihnen am Ende feiner Regierung
in fcharffter Weife entgegen, obwohl auch damals ihr Ver-
halten gegen ihn nicht durch politifche und eigentlich natio-
nale, fondern durch religiofe Griinde beftimmt war. 4 )
ihre Steiiung Die Stellung der Pharifaer zu den politifchen Machthabern
nadi den Pfal- iiberhaupt zeigen uns die um das Jahr 48 v. Chr. entftan-
menSalomos
1 ) S. o. S. 97.
2 ) S. o. S. 98 ff.
3 ) S. o. S. 117.
* S. o. S. 141 ff.
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 407
denen Pfalmen Salomos. 1 ) Da heigt es: ,,Herr, du bift unfer
Konig immer und ewig ... lag ihnen erftehen ihren Konig,
den Sohn Davids, zu der von dir, o Gott, erwahlten Zeit,
auf dag er herrfche fiber Ifrael, deinen Knecht, und nicht
vertraut er auf Rog und Reiter und Bogen, nodi hauft er
Gold fur den Krieg auf, und er fet$t feine Hoffnung nicht
1iir den Tag des Krieges auf die Menge des Volkes. Seine
Hoffnung geht auf den Herrn. Wer wird etwas gegen ihn
vermogen?" 2 ) Man fieht, fie leben in einer geiftigen Welt
fur fich und finden in den Triibfalen der Zeit Troft in der
Hoffnung auf den Meffias. Die Triibfale felbft erfcheinen da
nur als Pnifungen. ,,Gott reinige Ifrael fur den Tag, an
weldiem er feinen Gefalbten zur Herrfchaft fuhrt." 3 )
Weil Gott allein Konig iiber Ifrael und nur ,,der Sohn
Davids" fein Stellvertreter fein konnte, waren fie wie gegen
die Herrfchaft der Hasmonaer, fo auch gegen die des Herodes
gewefen, hatten fie aber als eine Prufung Gottes ertragen 4 )
So kam es, dag manche von ihnen, wie fiefriiher dem Herodes
den Huldigungseid verweigert hatten, 5 ) auch im Prinzip da-
gegen waren, dag den Romern Zins gezahlt wiirde. 6 ) Auch
die Fiihrer der Zeloten, welche die Grundfatje der Phari- Die Zeioten
faer gegen die Romer auf die Spitje trieben, z. B. Judas, f md
der Galilaer, waren PharifSer, und ihre Anhanger vertraten an f aer -
deren Meinungen. 7 ) Aus den Pharifaern find die Zeloten
hervorgegangen. Sie waren nicht etwa 8 ) eine vierte Partei
neben Pharifaern, Sadduzaern und Effenern, fondern nur
eine Abart der erfteren.
Die Sadduzaer horten als politifche Partei mit dem Er-
lofchen des Hasmonaerhaufes auf zu exiftieren und konnten
1 ) S. die Ausgabe von O. v. Gebhardt, Die Pfalmen Salomos.
L. 1896, S. 128 ff.
2 ) Pfalm Salom. 17, 1. 21. 33. 39.
3 ) Pf. Sal. 18, 5.
4 ) Ant. 14, 9, 4. 15, 1, 1.
5 ) Ant. 15, 10, 4. 17, 2, 4. S. 136.
6 ) Matth. 22, 17 ff. etc.
7 ) Ant. 18, 1, 16. Vgl. B. J. 2, 8, 1. Ober ihren Anteil am Kriege
gegen die Romer [. B. J. 4, 3, 1 ff. 5, 1. 6, 3. 7, 8, 1. Vgl. o. S. 245.
8 ) Jos. Ant. 18, 1, 6 B. J. 2, 8, 1. 4, 3, 9 befchreibt fie wie eine
vierte Partei.
408 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
nur nodi ihren religiofen Unterfchied von den Pharifaern
betonen, aber fie kamen unter den romifchen Landpflegern
wieder zu Anfehen, well damals der Hohe Rat, an deffen
Spitje ein fadduzaifcher Hoherpriefter ftand, 1 ) fiir die Juden
wieder groftere Bedeutung gewann. Allerdings gehorten dem
Hohen Rat aber auch Pharifaer an. 2 ) Ihr Anfehen war beim
Volke fo groft, daft die Sadduzaer fich in Gefetjesfragen
nach ihnen riditen muftten. 3 )
Die Sadduzaer find mit der Zerftorung des Tempels ganz
verfchwunden, aber die Pharifaer und namentlich die phari-
faifchen Schriftgelehrten lebten in dem fich immer mehr ent-
wickelnden Rabbinismus fort und fe^ten fich in der Mifchna
ein Denkmal ihrer Arbeit und ihres Lebens.
b) Die Haupteigentumlichkeiten der Pharifaer.
ihreBeobach- Nach dem Zeugnis des Jofephus galten die Pharifaer
tung des Qe- v or allem als befonders kundige Erklarer des Gefe^es^) und
fetjes und der als genaue Reobachter desfelben 5 ) und hielten ,,die Ober-
lieferuno-en ^ e ^ erun S ^er Vater" iiir geradefo verbindlich wie das mo-
faifche Gefetj. 6 ) Eben dies fagt auch das Neue Teftament,
nach welchem fie diefe Oberlieferung in Bezug auf das Wa-
fchen der Gefafce, auf den Zehnten, die Faften und die Be-
obachtung des Sabbatgebotes hielten. 7 ) Ja die Oberlieferung
von Menfchen gait ihnen mehr als das Gefetj Gottes felbft. 8 )
Es ergibt fich hieraus, daft fie das, was die Schriftge-
lehrten lehrten, praktifch iibten und mit diefen im wefent-
lichen ein und diefelbe Partei bildeten. ) Ihr ganzes Beftreben
ging dahin, im nationalen, gefellfchaftlichen und privaten Leben
1 ) Apg. 5, 17. Ant. 20, 9, 1.
2 ) Apg. 5, 34. 23, 6.
3 ) Ant. 18, 1, 4.
*) B. J. 1, 5, 2. 2, 8, 14. Vita 38. Ant. 17, 2, 4.
5 ) Ant. 18, 1, 3.
6 ) Ant. 13, 10, 6. 16, 2.
7 ) Matth. 15, 2. Luc. 18, 12. Matth. 9, 14; 12, 1 ff. etc.
) Worte Jefu Marc. 7, 8.
a ) Darauf wei[t auch die HI. Schrift bin, wenn fie z. B. Matth. 5, 20.
12, 38. 15, 1 etc. Apg. 5, 34. 22, 3 die Verbindung ,,die Pharifaer und
Schriftgelehrten" fo oft gebraucht. Es gab aber auch Schriftgelehrte, die
nicht Pharifaer waren. S. o. S. 368, 3.
XII. Kap. Das jiidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 409
das Gefetj und die Uberlieferung der Vorfahren zur Geltung
zu bringen und felbft danach zu leben. So wurde ihre
Frommigkeit eine ganz gefetjmajgige und, foweit es fich um
Augerlichkeiten handelte, fkrupulofe und der Pharifaismus
,,die ftrengfte Richtung" der judifchen Religion ] ) Ihre genaue
Kenntnis aller Beftimmungen und ihre aszetifche Strenge
verfchafften ihnen, wenn auch nicht die Nachahmung, fo doch
die Bewunderung der grogen Menge. 2 )
Ihre dogmatiFchen Anfchauungen waren aber die der lm Giauben
meiften ihrer judifchen Zeitgeno[fen, wenn wir von den wichen fie von
Sadduzaern abfehen. Sie glaubten an die Unfterblichkeit der den " bri ^ en
Seele, die Auferftehung des Leibes und die kunftige Ver- nicht ab
geltung. Es ift nur eine mifcverftandliche, auf philofophifch
gebildete Lefer beredinete Ausdrucksweife des Jofephus
wenn er ihnen den Giauben an die Seelenwanderung zuzu.
fchreiben fcheint. 3 ) So heiftt es auch in den apokryphen
Pfalmen Salomos, dafe der Gottlofe (de[fen Leben ewiger
Strafe nicht den Namen Leben verdient) fur immer zugrunde
geht, die den Herrn furchten, aber auferftehen werden zum
ewigen Leben. 1 )
Auch den Giauben an die Exiftenz der Engel und Geifter
teilten fie mit den Juden und dem Alten Teftamente uber-
haupt. 5 ) Dasfelbe gilt vom Giauben an die Allmacht und die
Vorfehung Gottes und [eine Mitwirkung zu den Handlungen
') Apg. 26, 5.
a ) Die Pirke Aboth 2, 6 lajgt den Hillel fag-en: ,,Der Ungebildete
wird nidit fromm", und bei Job. 7, 49 verfluchen die Pharifaer Jogar den
,,P6bel, der das Gefe^ nidit verfteht".
3 ) Jos. B. J. 2, 8, 14, wonach die Pharifaer glauben, dag die
Seelen unfterblich (ind, aber nur die der Guten nach dem Tode in^einen
andern Leib iibergehen, wahrend die der Bofen ewiger Strafe anheim-
fallen, findet feine Erklarung in Ant. 18, 1/3. Hier heigt es namlich, dag
die Seelen, je nachdem der Menfch tugendhaft oder lafterhaft gewefen,
unter der Erde Lc-Sn : --der Strafe erhalten, die Lafterhaften wurden aber
nach pharifaifcher Lehr^ in immerwahrender Gefangenfchaft gehalten,
wahrend die Tugendhaften die Freiheit behielten, ins Leben zuruckzu-
kehren. Die von ihm den Pharifaern zugefchriebene Lehre ift einfach die
von der leiblichen Auferftehung und der zukiinftigen Vergeltung, wie
fie auch Daniel 12, 2 ausgedriickt ift.
*) Pf. Sal. 3, 11 ff.
') Apg. 23, 8.
410 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
des Menfchen auf der einen und an die Freiheit des menfch-
lichen Willens und die Verantwortlichkeit des Menfchen fur
feine Handlungen auf der andern Seite. 1 ) So fagen die
fchon mehrmals erwahnten Pfalmen Salomos: DCs Menfchen
Teil ift bei dir, o Gott, abgewogen, und du gibft ihm nicht
mehr, als du ihm zuerkannt haft, 2 ) unfere Werke find in
unferer Wahl und unfere Seele hat die Macht, Gerechtes und
Ungerechtes zu tun durch die Werke unferer Hande. Wer
Gerechtigkeit ubt, erwirkt fich Leben beim Herrn, und wer
Ungerechtes tut, macht fich des Verderbens feiner Seele
fctiuldig. 3 )
Die Meffiashoffnung teilten fie mit dem ganzen Volke
Ifrael. 4 )
ihr Name. Die Partei der Pharifaer zahlte um die Zeit des Herodes
6000 Mitglieder. 5 ) Es hangt diefe verhaltnismafcig geringe
Zahl ohne Zweifel mit der Schwierigkeit zufammen, welche
das Volk in der Beobachtung der faft uniiberfehbaren Vor-
fchriften der Schriftgelehrten fand. Spottifch nannte das Volk
diefe Legaliften Pharifaer" (Perufchim, aramaifch Perifchim), 6 )
d. h. ,,Abgefonderte" oder ,,Auserwahlte", ein Name, der,
wie es oft bei Parteinamen gefchieht, bald von den Ver-
fpotteten felbft als Auszeichnung 7 ) gebraucht wurde. Der
Name bezog fich nicht auf ihre Abfonderung von den Hei-
den, denn die teilten fie mit den ubrigen Juden, fondern
auf ihre Abfonderung von dem eigenen Volke, welches nicht
alle pharifaifchen Vorfchriften beobachtete und deshalb von
den Pharifaern als unrein angefehen und zum Schutj der
eigenen gefetjlichen Reinheit gemieden wurde.
ihre steiiung Eine folche formaliftifche Legalitat war naturgemafc vor
zur Maffe des a n em e ine mechanifche, welche das Herz nicht veredeln konnte,
Vgl. Jos. B. J. 2, 8, 14. Ant. 13, 5, 9. 18, 1, 3. Wenn hier von
i, Verhangnis, gefprochen wird, fo ift das nur ebenfalls eine der
griechifchen Philo[ophie entlehnte Ausdrucksweife des Jofephus, deren
Sinn fich aus den genannten Stellen ergibt.
2 ) Pf. Sal. 5, 4.
3 ) Pf. Sal. 9, 5. Vgl. Eccli. 11, 14 und 15, 11 ff.
*) S. o. S. 141 u. o. S. 407.
5 ) Ant. 17, 2, 4.
6 ) D^-ns aram. r^15- Vgl. Jadajim 4, 6-8. Chagiga 2, 2. Sota 3, 4.
Die Stellen auch bei Schiirer II, 452 f.
7 ) Vgl. Kaulen, Art. Pharifaer im Kirchenlexikon 9, 1991 f.
Volkes.
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 411
wohl aber zum felbftgefalligen Hochmut und zur Heuchelei
fuhrte. Deshalb nannte audi der Heiland mil Recht die
Pharifaer ,,ubertunchte Graber". 1 ) Diefe hochmutige Gefin-
nung war die Urfache, dafj die Pharifaer das Volk, welches
das Gefel3 nicht (genau genug) verftand, verfluchten. 2 ) Wie,
die Mifchna fagt, 3 ) nannten fie alle, welche nicht zu ihrer
Partei gehorten f 4 n cj? am-ha-arez, eigentl. das Volk des
Landes, dann das gewohnliche Volk, die Unwiffenden, und
brauchten fo von ihren eigenen Volksgenoffen einen Namen,
djen in den Buchern Esdras und Nehemias die Heidenvolker
im Unterfchiede von den Juden fiihren. 4 )
Sich felbft aber nannten fie nach derfelben Quelle 5 )
Chaberim (cnsn), d. h. ,,Genoffen" oder ,,Nachfte". Nach
dem Alten Teftament war jeder Ifraelit ein Nachfter des an-
dern, nach den Pharifaern waren aber nur die genauen Be-
obachter des Gefetjes, befonders auch der Reinheitsgefetje,
wahre Ifraeliten, -mit denen ein Pharifaer umgehen konnte.
Hieraus erklart es fich, dag der pharifaifche Gefetjeslehrer,
der den Herrn verfuchte, fich durch die Frage rechtfertigen
wollte: Wer ift mein Nachfter? 6 ) und dafe die Pharifaer an
dem Umgange des Herrn mit Zollnern und Siindern folchen
Anftoft nahmen. Ein Chaber (alfo ein Gefetjeskundigef jm
pharifaifchen Sinne) durfte einem Am-ha-arez weder etwas
') Matth. 23, 27.
8 ) Job. 7, 49. Vgl. auch Luc. 18, 11.
8 ) Dammai 2, 3. 6, 9, 12. Schebiith 5, 9 = Gittin 5, 9. Teharoth 7,
4. 8, 5. Die Stellen auch bei Schurer II, 454 f.
4 ) Vgl. Esdras 9, 1 f. 10,- 2. 11. Nehem. 10, 28-31. An andern
Stellen bezeichnet der Name das Volk uberhaupt 2 Chron. 23, 13. 20 etc.
2 Kon. 11, 14. 18-20 etc. Jerem. 1, 18 etc. Ezech. 7, 27 etc. Chwol-
son D., Beitrage zur Entwicklungsgefchichte des Judentums vor ca. 400
v. Chr. bis ca. 1000 n. Chr., L. 1910, will unter den Am-Haarez der tan-
naitifchen und amoraifchen Zeit die Anhanger der fortlebenden faddu-
zaifchen Richtung innerhalb des Judentums verftehen, aus der fich noch
fpater die Karaer gebildet haben. Vgl. dagegen die Ausfiihrungen von
W. Bacher in der Th. Ltztg. 1910, 22, 679 f., wonach Am-Haarez den-
jenigen bezeichnet, der fich keine Kenntniffe auf dem Gebiete des reli-
giofen Wiffens und feines Schrifttums erworben hat.
6 ) Vgl. die in Anm. 3 genannten Stellen, fowie Dammai 6, 6 und
Bikkurim 3, 12 ebenfalls bei Schurer II, 454 f.
6 ) Luc. 10, 29.
412 Zweier Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Trockenes noch etwas Fliiffiges verkaufen, noch Fluffiges von
ihm kaufen. Audi herbergte ein Chaber nicht bei einem
Am-ha-arez und beherbergte diefen nicht in feinem eigenen
Gewande, 1 ) da dasfelbe der Unreinheit verdachtigt war.
Allerdings haben fich die Pharifaer wie in der Lehre,
fo auch im Gottesdienft, fei es nun im Tempel oder in der
Synagoge, von den iibrigen Ifraeliten nicht getrennt und
waren deshalb keine Sekte 2 ) im ftrengen Sinne des Wortes.
Allein lie machten doch den vorhandenen Unterfchied auch
aufcerlich erkennbar, gerade wie die Schriftgelehrten. Denn
auch fie trugen wie jene 3 ) die religiofen Abzeichen befonders
auffallig, wie fie auch befonderen Wert auf diejenigen Ge-
fe^esvorfchriften legten, welche, wie z. B. die Gefetje iiber
die Sabbatheiligung, befonders in die Augen fielen. Denn
,,alles tun fie, um von den Menfchen gefehen zu werden". 4 )
Das fchlimmfte war, dafc fie infolge ihrer falfchen Schrift-
erklarung und ihrer blofc aufcern Werkheiligkeit nicht nur
fich felbft, fondern auch andern das Himmelreich verfchloffen. 5 )
Denn trotj ihrer verachtlichen Anfchauung iiber das gewohn-
liche Volk ftanden fie bei demfelben teils durch ihre auger-
lich ftrenge dem Gefe^ entfprechende Lebensweife, 6 ) teils
durch ihre im Verhaltnis zu den Sadduzaern aufeerlich freund-
lichere Haltung zum Volke 7 ) und ihre Milde als Richter 8 ) im
grogten Anfehen. So kam es, dag famtliche gottesdienftliche
Handlungen, Opfer und Gebete nach ihrem Gutdiinken dar-
gebracht wurden 9 ) und die Pharifaer fogleich Glauben fan-
den, wenn fie auch gegen Konig oder Hohenpriefter etwas
fagten. 10 )
1 ) Dammai 2, 3.
2 ) Apg. 15, 5. 26, 5.
3 ) S. o. S. 369.
*) Vgl. Matth. 23, 2 ff.
8 ) Matth. 23, 13. Luc. 11, 52.
6 ) Ant. 18, 1, 3.
7 ) B. J. 2, 8, 14 lobt die Eintracht der Pharifaer,- wahrend die
Sadduzaer fogar gegen ihresgleichen unfreundlich waren.
8 ) Ant. 13, 10, 6. 20, 9, 1.
'') Ant. 18, 1, 3.
10 ) Ant. 13, 10, 5.
XII. Kap. Das judifche Parteiwejen in neuteftamentlicher Zeit. 413
Sie fasten Gott nur als Gefetjgeber und Riditer auf,
nicht als Vater und die Religion nur als gefetjmaftigen Wan-
del vor Gott, um jo als Belohnung die Teilnahme an den
meffianifchen Gutern zu erwerben. Ihnen war der Buchftabe
des Gefetjes alles und der ein Gerechter, welcher aufjerlich,
mechanifch, formaliftifch feine Beftimmungen erfiillte. Jefus
mufcte kommen, um in Ifrael zu lehren, daft die Religion
die Verbindung des Menfchen mit Gott iff, der uns durch die
Verdienfte feines Sohnes feine Gnade fchenkt, und dem wir
uns in lebendigem Glauben und liebevollem Gehorfam hin-
geben, um das Ziel, die Vollendung der Annahme als Kinder
Gottes, zu erreichen. Er mugte kommen, um das Verftandnis
des Gefetjes nach dem Geifte und der Wahrheit zu er-
fchlieften und zu zeigen, dag das, was den Menfchen wirklich
verunreinigt, die bofe Gefinnung des Herzens ift. J ) Er lehrte
wie einer, der Gewalt hat, 2 ) und fagte offen: Wenn eure
Gerechtigkeit nidit vollkommener fein wird als die der
Schriftgelehrten und Pharifaer, werdet ihr in das Himmel-
reich nicht eingehen. 3 ) Offen tadelte er ihre Heuchelei und
nennt fie blinde Fiihrer, welche die Miicke feihen und das
Kamel verfchlucken. 4 )
Diefer Gegenfatj macht es erklarlich, daft die Pharifaer
und Schriftgelehrten von Anfang an gegen Jefus eine feind-
Jelige Haltung einnahmen. Sie ftiefcen fich nicht blofc daran,
dafc er am Sabbate heilte, mit Zollnern und Sundern um-
ging 5 ) u. dergl. Um fein Anfehen zu untergraben, befchul-
') Matth. 15, 11 ff. etc.
2 ) Matth, 7, 28.
3 ) Matth 5, 20
4 ) Matth. c. 23. Vgl. Matth. 16, 6. 12. Der babylonifche Talmud
(Sota 22 b. Buxtorf, Lexicon col. 1852, vgl. auch Lightfoot, Horae hebr.
in Ev. Matth. 3, 7 = Opera II. p. 272 sq.) zahlt {ieben Klaffen von Pha-
rifaern, deren Anmagung und Heuchelei er verfpottet, auf. Nur eine
Klaffe habe reine Liebe zu Gott und zur Tugend befeffen.
6 ) Matth. 9, 3. 12, 1 ff. 9, 11 etc. R. T. Herford , Das phari-
faifche Judentum in feinen Wegen und Zielen dargeftellt, L. 1913 (das
englifche Original, R. T. Herford, Pharisaism: its aim and its method
erfchien L. 1912), ein in talmudifcher Literatur bewanderter unitarifcher
Geiftlicher, will ,,einer [ympathifchen und vorurteilslofen Anerkennung des
innern Wertes der pharifaifchen Religion zum Durchdringen verhelfen"
um zu zeigen, ,,was der Phari[aismus dem Pharifaer bedeutete" (S. 268).
414 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
digten fie ihn des Bundes mit Beelzebub, verlangten ein
Zeichen vom Himmel und fuchten ihn durch Fragen, wie,
ob es erlaubt fei, dem Kaijer Zitis zu geben, in Verlegen-
heit zu bringen. 1 ) Sie felbft mufcten aber bekennen, ,,alle
Welt geht ihm nach". 2 ) Schlieglich haben fie fich zur Ret-
tung ihres Einfluffes mit den Sadduzaern verbunden, um ihn
zu toten. Aber aus ihrer eigenen Mitte follte dann einer der
grofcten Jiinger Jefu erftehen, der Weltapoftel Paulus.
c) Der Urfprung und die Gefchichte der Sadduzaer.
Die Saddu- Die Sadduzaer werden unter dem Makkabaer Jonathan 3 )
zaerunterden unc i dann unter Johannes Hyrkanus genannt. 4 ) Aber ihre
Hasmonaern. Anfange ij egen weiter zuruc k. Sie find wenigftens geiftig
die Abkommlinge der judifchen Priefter, welche mit dem
Hellenismus, der 'feit Alexander d. Gr. audi in Palaftina ein-
gedrungen war, fympathifierten und ihn in Palaftina forderten.
Als aber die Makkabaer in fo glanzender Weife fiir die
nationale Unabhangigkeit und die alte Religion tatig waren,
gewannen fie auch diejenigen, welche friiher hellenifierende
Tendenzen gezeigt hatten.
Der Verfajfer macht fich die Sache leicht, indem er das Zeugnis Jefu und
des Apoftels Paulus liber die Pharifaer ablehnt, weil ihre Religionsauf-
faffung zu verfchieden gewefen ware (S. 135 f. 142. 154 ff.). Alles was zu
feiner Religion gehorte, fand der Pharifaer irgendwo in der Thora an-
gegeben, und es war fein Ergotjen zu lernen, was Qott ihm darin lehrte"
(161 f.)- Beer hat Recht, wenn er (Th. Ltztg. 1915, 11, 247 f.) fagt: ,,Es
hat ficher Pharifaer gegeben, die beffer waren als die Theorie des Pharifa-
ismus [z. B. Nicodemus und Jofeph von Arimathaa] . . . aber nach folchen
Ausnahmen darf man nicht die Maffe beurteilen . . . Ich kann nicht finden,
dag Herford uns zu einer richtigeren Anficht iiber den Pharifaismus ver-
hilft. Wo feine Anficht richtig ift, ift fie nicht neu."
!) S. u. a. Matth. 12, 24 ff. Matth. 12, 38 f. 16, 1. Matth. 22,
15 ff. Vgl. ebd. 22, 34 ff. 19, 3.
2 ) Joh. 12, 19.
3 ) Ant. 13, 5, 9.
4 ) Ant. 13, 10, 5 L Vgl. o. S. 96 f. Gegenfa^e zwifchen denen, welche
die Verbindung mit Fremden begiinftigten, und denen, welche fie ver-
boten, haben auch fchon zur Zeit des Esdras exiftiert. Vgl. Esdr 9,
1-2. 10, 15. 914. 16 f. und f. Lafay 1. c. p. 10 ss., welcher aber an
eine natiirliche Entwicklung der damaligen Qegner des Esdras zu Sad-
duzaern glaubt.
XII. Kap. Das jtidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 415
Johannes Hyrkanus war der erfte Jude, welcher, wie
wenigftens Flavius Jofephus bemerkt, 1 ) Mietfoldaten hielt
Er fcheute fieri als Hoherpriefter weder davor, Krieg zu
fiihren nodi mil den Romern ein Freundfchaftsbundnis ein-
zugehen. 2 ) Unter ihm erhielt uberhaupt der judifche Staat
in manchen Dingen ein Geprage wie die benachbarten Staaten.
Im Gegenfatje zu den Pharifaern, weldie gegen foldie fremde
Elemente nur um fo mehr einen Zaun um das Gefetj zu
machen fuchten, waren die Sadduzaer, welche fo als die
Nachfolger der Helleniften unter den Juden erfcheinen, mit
diefen Beftrebungen ganz einverftanden und erfcheinen auch
in der Folge als die treuen Anhanger und Diener des has-
monaifchen Haufes. Die Pharifaer find nur einmal unter der
Konigin Alexandra im Vollbefi^ der politifchen Macht ge-
wefen. Die Sadduzaer haben damals den Ariftobul fur fich
gewonnen und haben diefen in feinen Kampfen gegen feinen
Bruder, wie auch in feinen Bemuhungen, die hasmonaifche
Dynaftie herzuftellen, unterftiitjt, aber dafiir unter Pompejus
und Herodes fchwer gebufct. 3 ) Nach dem Falle des hasmo-
naifchen Haufes haben fie noch eine Rolle gefpielt im Hohen
Rat, da die Hohenpriefter Annas, Kaiphas und andere zu
ihnen gehorten. 4 ) Bis zuletjt haben fie die Worte des Jo-
fephus wahr gemacht: Es find zwar nur wenige Manner,
welche der Sekte der Sadduzaer anhangen, diefe gehoren
aber zu den vornehmften 5 ) und den reichften. 6 )
Ober den Urfprung jdes Namens Sadduzaer gibt es nur Der Name
Vermutungen. Einige Kirchenvater und neuere Gelehrte 7 ) ,er- Sadduzaer.
klaren den Namen im Sinne von ,,die Gerechten", fei es
nun, da& fie diefen Namen wegen ihrer Strenge als Richter
oder ihrer ausfchlieftlichen Anhanglichkeit an das Gefe^ (im
Unterfchied von der Oberlieferung) erhalten haben. Allein
Ant. 13, 8, 4.
2 ) Ant. a. a. O.
3 ) S. o. S. 98 ff. 117.
4 ) Vgl. Ant. 20, 9, 1. Apg. 5, 27. Vgl. Apg. 4, 1. 23, 1 ff. Vgl. o. S. 340.
5 ) Ant. 18, 1, 4.
6 ) Ant. 13, 10, 6.
7 ) Epiphan. haer. 14. Hier. Comm. in Matth. 22, 23 (Vallarsi VII,
1, 177). S. auch Derenbourg, Edersheim u. a.
41 6 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
diefe Erklarung i[t etymologifch nicht haltbar. 1 ) Vielmehr ift
der Name wahrfcheinlich von einem Eigennamen Zadok ab-
zuleiten. Dabei ift dann aber nicht an ein fonft unbekanntes
einflufcreiches Mitglied oder Haupt der Partei zu einer nicht
zu beftimmenden Zeit zu denken, 2 ) fondern vielmehr, wie
jet5t allgemein als fehr wahrfcheinlich gilt, 3 ) an den zur Zeit
der Konige David und Salomo in Jerufalem lebenden
Hohenpriefter Zadok, welcher griechifch Sadduk (Saddovx)
hiefc. 4 ) In der Linie Zadoks ift feit Salomos Zeiten das
Hoheprieftertum geblieben. 5 ) Somit ift der Schluft berech-
tigt, daft man zunachft von gegnerifcher Seite den Familien-
namen der Sadokiten Oder Sadduzaer der priefterlichen
ariftokratifchen Partei gab, welche in der griechifchen Zeit
teils aus Politik, teils infolge ihres haufigen Umganges mit
den heidnifchen Gewalthabern der griechifchen Bildung zu-
neigte, dann aber, nachdem das Hoheprieftertum an die
Makkabaer gekommen war, die Fiirften diefes Haufes unter-
ftiitjte. Tatfachlich haben auch im allgemeinen in der neu-
teftamentlichen Zeit alle Familien, welche das hohepriefter-
liche Amt bekleideten, der fadduzaifchen Partei angehort. 6 )
Ihnen lagen die politifchen Intereffen mehr am Herzen als
die religiofen, und Erziehung, Umgang und Gewohnheit
halten in ihnen die materialiftifche Lebensanfchauung grofe
1 ) Aus P^JA (Qerechter) kann nicht Q'jp'PTS entftehen, weil die Um-
wandlung von i in u nicht zu erklaren ware. Vgl. Montet, Essai etc.,
p. 53 ss.
2 ) So z. B. Montet 1. c. p. 59. Der aus fpater Zeit ftammende
Kommentar des Rabbi Nathan uber den Mijchna-Traktat Aboth (Aboth
de Rabbi Nathan c. 5) enthalt die apokryphe Legende, zwei Schiller des
Antiochus von Socho, Zadok und Boethus hatten [ich vom Gefetje ge-
trennt und jeder habe eine Sekte gegriindet, wahrend doch die An-
hanger des Zadok fich nicht vom Gefetje trennten und die Boethufianer
nicht bis etwa 200 v. Chr., fondern bis auf Boethus zuruckgehen, deffen
Sohn Simon unter Herodes Hoherpriefter war. Vgl. u. a. Lafay, p. 8 s.
b ) So nach dem Vorgange von Qeiger, Schiirer, Kaulen, Eaton etc.
*) 1 Paral. 15, 11. 16, 39 f. Aus dem griechifchen .^ueMWx erklart
fich dann das doppelte d in dem Worte Sadduzaer. Diefe Form Sad'd'ov*
kommt in der LXX oft vor, z. B. Ezech. 40, 46. 43, 19. Esdras 7, 2.
Nehem. 3, 29. 10, 21.
5 ) 3 Kon. 2, 35.
s ) S. o. S. 415.
XII. Kap. Das jiidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 417
gezogen, weldie in dem Genuft und dem Vorwartskommen
in der Welt das Ziel diefes Dafeins fieht. Waren [ie im
Amte, fo fchloffen fie fich in ihrem amtlichen Leben ge-
zwungen den Anfchauungen der Pharifa"er aufcerlich an, weil
das Volk fie fonft nicht ertragen hatte. 1 )
d) Die Haupteigentiimlichkeiten der Sadduzaer.
In bezug auf die Lehre werden die Sadduzaer fowohl ihre reii-
von Jofephus wie vom Neuen Teftamente mit Recht eine giofen Mei-
Sekte genannt 2 ) Denn fie leugneten die Auferftehung 3 ) und nun g en
die Exiftenz der Engel und Geifter. 4 ) Wenn Jofephus aus-
drucklich behauptet, fie hatten uberhaupt die Fortdauer der
Seele, fowie die zukunftigen Belohnungen und Strafen ge-
leugnet, 5 ) fo ift dies fchon daraus erklarlich, dag man damals
im Judentum die Lehre von der Unfterblichkeit der Seele
mit der von der Auferftehung des Leibes aufs engfte ver-
band. 6 ) Es pafct aber aueh ganz zu dem, was die Heilige
Schrift von ihnen fagt, da fie ja mit der Leugnung der Geifter
iiberhaupt audi die Unfterblichkeit der Seele leugneten. Aller-
dings berichtet felbft der Pentateuch viele Engelerfcheinungen
und erklart fich die Leugnung der Geifter durch die Sadduzaer,
welche doch die Heilige Schrift annahmen, aus ihrer religiofen
') Ant. 18, 1, 4. Die f rimer herrfchende, befonders von Geiger,
Urfchrift und ttberfe^ungen der Bibel, 1854, S. 101-158 und Wellhaufen,
Die Pharifaer und Sadducaer bekampfte Anfchauung, dag die Sadduzaer
in erfter Linie nidit die Vertreter des Hellenismus , fondern vielmehr
iiberzeugte Vertreter der Anfidtt waren, dag nur die Thora als Regel des
religiofen Lebens anzufehen fei, nicht auch die Oberlieferung der Vater, ift
von R. Leszynsky, Die Sadduzaer, B. 1912 wieder von Neuem vertreten
worden. Eine gewiffe Stii^e erhalt fie durch die von Schechter 1910
herausgegebene Schrift der Sekte des Neuen Bundes im Lande Damaskus
{S. 419 ff.) und wird als folehe auch von R. Leszynsky verwertet (S. 142167).
Allein die Mitglieder der Sekte waren keine Sadducaer, wenn fie auch
deren Anfchauung von der ausfchliejglichen Bedeutung der Schrift teilten.
*) Apg. 5, 17. B. J. 2, 8, 14 Ant. 18, 1, 2.
3 ) Matth. 22, 23. Marc. 12, 18. Luc. 20, 27. Apg. 4, 1. f. 23, 8.
4 ) Apg. 23,8 O?jTe ayyekov nijre nvev/ta). Davaine 1. c. p. 100 f. meint,
hier fei von der Leugnung der Exiftenz der guten und der b6fen Geifter
(der Damonen) die Rede. Allein nvevpa, heigt nicht bofer Geift.
5 ) B. J. 2, 8, 14.
6 ) S. Langen, Das Judentum in Palaftina. Freib. 1866, S. 347 f.
Vgl. u. 21. Kap.
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3. Aufl. 27
418 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
Gleichgultigkeit und rationaliftifchen Gefinnung. Diefe macht
es auch gar nicht unglaublich, dafc [ie, wie Jofephus fagt,.
jeden ubernaturlichen Einflufc Gottes auf das Tun und Laffen
des Menfchen und fomit die Vorfehung fiir den Menfchen,
deffen freier Wille allein fein Gefchick beftimme, leugneten. 1 )
Somit waren fie Materialiften und Deiften, wie wenig fie fich
auch fpekulativ mit folchen Fragen befchaftigt haben mogen.
Es ift eine irrige Annahme einiger Vater, 2 ) daft die
Sadduzaer wie die Samaritaner von den altteftamentlichen;
Buchern nur den Pentateuch angenommen batten. Denn,
nach dem Zeugnis des Jofephus fahen alle Juden 22 alt-
teftamentliche Bticher als gottliche an. 3 ) Um fo ficherer ift
aber, daft fie die von den Pharifaern fo hochgeftellte ,,Uber-
lieferung der Vater" nicht als verbindlich anfahen.*) Wenn.
die Pharifaer verlangten, dajg alle Tempelgefafje nach jedem
Fefte purifiziert werden miifoten, fo fragten die Sadduzaer
ironifch, ob fie nicht auch die Sonne mit Reinigungswaffer
befprengen wollten. 5 ) Wenn nun auch die Sadduzaer bei
ihrer Amtsfiihrung auf die Oberlieferungen der Pharifaer,.
um nicht anzuftofcen, mehr Oder weniger Riickficht nahmen,' 5 )-
fo gab es doch auch eine Anzahl von Fallen, in welchen die.
einen das Gefe^ anders auslegten als die andern, 7 ) z. B.
verlangten die Sadduzaer nieht nur, wie das Gefetj vorfchrieb,
Schadenerfat3, wenn jemandes Ochs oder Efel Schaden an-
gerichtet hatte, fondern auch wenn ein Knecht dies getan
hatte. 8 )
Jefus und die Gegen den Heiland find die Pharifaer und Sadduzaer
Sadduzaer. einig gewefen und da beide vom Herrn, um ihn auf die
1 ) B. J. 2, 8, 14. Ant. 13, 5, 9. 18, 1, 3.
2 ) Orig. c. Gels. 1, 49. Comm. in Matth. 22, 31 f. (Ed. Lomma^fdi
IV, 169). Hieron. Comm. in Matth. 22, 3132 (Vallarsi VII, 1, 179)..
Vgl. diefe u. a. Texte auch bei Schiirer II, 480, 26.
3 ) Jos. c. Apion. 1, 8.
4 ) Ant. 13, 10, 6. 18, I, 4.
5 ) Chagiga 3, 8; jer. Chagiga 3, 8. Vgl. Montet 1. c. p. 241 sq.
6 ) S. o. S. 408 und 412.
7 ) Vgl. uber diefe Meinungsverfchiedenheiten u. a. Montet p. 236245,
Leszynsky, Die Sadduzaer S. 38 ff. Im allgemeinen haben fie wenig.
Bedeutung.
*) Jadajim 4, 7.
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 419
Probe zu ftellen, ein Zeichen vom Himmel verlangten, 1 ) hat
er das Volk aueh gegen den Sauerteig der Sadduzaer ge-
warnt. 2 ) Aber bei ihrem geringen Einflufc auf das Volk ge-
riet er nur felten mit ihnen in Konflikt. Um fo mehr war dies
aber in feinen letjten Lebenstagen, als er als Sohn Davids
begriiftt worden war, der Fall. Jetjt verbanden fie fich mit
den Pharifaern und Schriftgelehrten gegen ihn, 3 ) fragten ihn
um feine Autoritat 4 ) und fuchten ihn durch die Frage, ob es
erlaubt fei, dem Kaifer Zins zu zahlen, zu diskreditieren. 5 )
Gerade die fadduzaifchen Hohenpriefter nahmen den tatigften
Anteil an der Verurteilung und Kreuzigung Jefu, augerlich
,,weil er Gott gelaftert habe", 6 ) hauptfachlich aber, weil fie
aus feiner wachfenden Anerkennung als Meffias Verwicklungen
mit den Romern befiirchteten. 7 ) Die Sadduzaer haben auch
die Jiinger Jefu verfolgt 8 ) und die Steinigung des Jakobus,
des ,,Bruders" des Herrn, veranlafct. 9 ) Aber an ihnen erfiillte
fich das Wort: ,,Der Stein, den die Bauleute verworfen
haben, der ift zum Eckftein geworden. Jeder, der auf diefen
Stein fallt, wird zerfchmettert, auf wen er aber fallt, den
wird er zermalmen." 10 )
Anhang.
Die Gemeinde des Neuen Bundes
(im Lande Damaskus). 11 )
Zwei im Jahre 1910 zuerft veroffentlichte, aus dem 10. bzw. dem 11. i n halt
Jahrhundert n. Chr. ftammende, leider nur fragmentarifrfi erhaltene Hand-
fchriften, deren Erhaltung wir der Geniza in Cairo verdanken, machen
) Matth. 16, 1.
2 ) Matth. 16, 6. 11.
3 ) Matth. 21, 15 ff. Marc. 11, 18. Luc. 19, 47. 20, 19.
*) Matth. 21, 23 ff. Marc. 11, 27 ff. Luc. 20, 1 ff. Sie fuchten auch
durch eine Frage, wem eine fiebenmal verheiratete Frau angehOren werde,
zu zeigen, dag der QIaube an die Auferftehung unfinnig fei. S. Matth.
22, 23 ff. Marc. 12, 18 ff. Luc. 20, 27 ff.
5 ) Luc. 20, 20 ff.
6 ) Matth. 26, 63 ff. Marc. 14, 61 ff. Luc. 22, 66 ff.
7 ) Joh. 11, 47 ff.
8 ) Apg. 4, 1 ff. 5, 1-7 ff. 23, 1 ff.
y ) Jos. Ant. 20, 9, 1.
10 ) Luc. 20, 17 f.
") Vgl. S. Schechter, Documents of Jewish Sectaries, vol. I. Frag-
27*
420 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
uns mit einer jtidifchen Sekte bekannt, welche fich felbft den Neuen Bund
nennt. Zur Zeit eines grogen nationalen Ungliicks ift fie aus Jerufalem
ausgewandert und in das Land Damaskus gezogen. Die Schrift wendet
fich oft in fcharfen Ausdrucken gegen das offizielle Judentum. Sie be-
zwedct die Mitglieder der Sekte vor der Gefahr des Abfalles zu fchutjen
und uber die Gefchichte der Sekte und ihre Statuten zu unterrichten. Sie
zerfallt in einen gefchichtlichen und einen gefetjlichen Teil.
Der Grunder der Sekte ift ein Jude, der den auch fonft oft vor-
kommenden Namen Sadok fuhrt. Der Name ,,Sohne des Sadok" (4, 3 ff.;
vgl. Ezedi. 44, 15) wird in der Schrift nicht etwa den Mitgliedern der
Sekte tiberhaupt, fondern ausdriicklich nur den Auserwahlten, den Sphnen
der Zukunft am Ende der Zeit gegeben. 1 )
Der Grunder heifjt auch einigemale der Gefalbte (2, 12 und 6, 1).
Durch ihn wurde das feit den Tagen Jofua's verborgene und felbft dem
David unbekannt gebliebene Gefetj geoffenbart (5, 2 ff.). Allein die
Juden haben die Lehren des Mofes und diefes Gefalbten verachtet (5, 11).
Dafur ift die Nation durch den Furften der Konige von Javan (8, 11)
wohl eine Anfpielung auf die Romer dem Schwerte iiberliefert worden.
ments of a Zadokite work, ed. from" Hebrew Manuscripts in the Cairo
Genizah Collection now in possession of the University Library, Cam-
bridge, and provided with an English translation, introduction and notes,
Cambridge 1910. (Der Text A befteht aus 8 Blattern oder 16 Seiten;
Text B aus S. 19 und 20). Zitiert wird nach den Seiten und Zeilen
diefer Ausgabe und der ihr entfprechenden Ausgabe von Lagrange.
Aus der reichen Literatur feien erwahnt Ifrael Levi, Un ecrit
sadduceen, anterieur a la destruction du Temple. REJ 61 (1911) 161 205
(mit franzofifcher Oberfetjung) und 63 (1912) 119. M. J. Lagrange,
La secte juive de la nouvelle alliance au pays de Damas. Rb 1912,
213240 (mit eng an den Text fich anfchliegenden Oberfetjung) und
321 360. R. J. Charles, The Apocrypha and Pseudepigrapha of the
old Testament. Oxford 1913 vol. II, 785-834. J. Jufter, Les Juifs
dans i'Empire Romain I [Paris 1914) p. 2531. Ed. Meyer, Die Ge-
meinde des Neuen Bundes im Lande Damaskus. Eine judifche Schrift
aus der Seleukidenzeit (Abh. d. Preufj. Ak. Wiff. 1919. Ph. Hi. Kl.)
Berlin 1919. W. Staerk, Die judifche Gemeinde des Neuen Bundes in
Damaskus. Uberfelgung mit Noten. Gtitersloh 1922.
') Der Name ,,S6hne Zadoks" findet fich auch einmal in einem
ebenfalls aus der Geniza in Cairo ftammenden, von Ifrael Levi (Document
relatif a la communaute des fils de Sadoc REJ 1913, 65, 2431) heraus-
gegebenen Fragment.
Nach Levi ift es eine Anf rage "uber die Sadokiten und ihre befon-
deren Gebrauche. Er meint, die Schrift fei die des 10. Jahrhundert.
Unter den Sohnen Zadoks konnten nicht die Karaer (s. u.) gemeint fein,
weil diefe nie fo genannt worden wa'ren. Levi will aus dem Alter des
Dokuments fchlieften, dag die Sekte der Zadokiten noch im 10. Jahrhdt.
n. Chr. beftand.
XII. Kap. Das jUdifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 421
Aber ein kleiner Re{t ift gerettet worden (1, 4. 3, 13). Dies ift der nach
Damaskus ausgewanderte Teil, deffen Auszug ftattfand, als die Opfer
noch brannten und das Heiligtum noch offen ftand (6, 11 ff.).
Gott felbft ift diefen Getreuen durch eine Offenbarung zu Hilfe ge-
kommen (3, 13 ff.). Er hat die Sekte feft gegrfindet auf den Saulen der
Gefeijesbiicher, der Verfammlung, den Biichern der Propheten und der
Unterweifung des Sternes (Num. 24, 17), des Erklarers des Gefetjes
(7, 15-19), des Lehrers der Gerechtigkeit (1, 11), der nach Damaskus
kam und, nachdem der kleine Reft der Juden 20 Jahre lang wie Blinde
im Dunkeln getappt war (1, 8 ff.), fie belehrte. Aber nicht alle horten
feine Stimme, fondern liefjen fich verfuhren durdi den Mann der Luge
(1, 14 f. 8, 13. 19, 25 ff. 20, 25) und verfielen nun der Strafe Gottes.
Der Lehrer der Gerechtigkeit ift nicht der Meffias, von dem er Meffias-
vielmehr ausdrucklich .unterfchieden wird (20, 1), fondern ift vielmehr hoffnung.
identijch mit dem Stern, dem einzigen Lehrer (19, 35. 20, 1). Er war,
als das Werk abgefagt wurde, bereits weggenommen (19, 35).
Die Sekte, die es fich zur Pflicht machte, fich von den Sohnen des
Verderbens fern zu halten, den Tag des Sabbates nach feinem wahren
Sinn zu begehen und die Fefttage und den Fafttag, verbotene Verbindungen
zu vermeiden und den Heiligen Geift (der in uns ift) nicht zu beflecken
(6, 147, 4), erwartet die Ankunft des Meffias. Der kommt aber nicht
etwa aus Juda, aus dem Haufe Davids, wie jedermann erwartete. Die
Sekte will durchaus nicht, dag man fich weiter in Zukunft dem Haufe
Juda's anfchliege (4, 11). Der Meffias kommt vielmehr aus Aaron und
Ifrael (20, 1), d. h. aus der Sekte felbft, die wie das alte Ifrael aus
Prieftern und Laien beftand (vgl. Lagrange p. 365 u. Rb 1914, 135).
Im gefetjlichen Teile (von S. 9 an) wird nicht etwa wie in der Mifchna Der gefetj-
auf die Autoritat von Rabbinen verwiefen, fondern auf die Heil. Schrift. Hche Teil.
Die Gefetje fiber die Beobachtung des Sabbats find bisweilen ftrenger
als das rabbinifche Gefetj. So z. B. heifjt es 11, 14: keiner folle ein Tier,
welches in einen Brunnen oder Graben gefallen ift, am Sabbate heraus-
ziehen.
Die Sekte war eine geheime, infofern als ihre Statuten keinem vor
der Aufnahme mitgeteilt werden diirfen (15, 11). Die Aufnahme erfolgte
nach einer Priifung (13, 11) und einem feierlichen Eide, ohne Anrufung
des Namens Gottes (15, 1 ff.).
Jede Gemeinde foil aus wenigftens 10 und hochftens 1000 Mitglie-
dern beftehen. Zu jeder mug ein Priefter gehOren, welcher das Buch
Hegou (= ,,denket daran", fo fing wohl das Statutenbuch der Sekte an)
kennt. Der oberfte Gerichtsrat befteht aus 10 Mitgliedern im Alter von
25 bis 60 Jahren, 4 Prieftern und 6 Laien.
An der Spitje eines jeden Lagers (= Gemeinde) fteht ein Mebaker,
ein Name, der foviel wie Auffeher bedeutet und an .die episcopi der
Urkirche und die Curatoren der Essener (B. J. 2, 8, 5) erinnert. 1 ) An
der Spitje aller Lager fteht ein Oberauffeher, der 30-50 Jahre alt fein
l ) Vgl. Levi, Un ecrit sadduceen REJ 63, 1912, 7 ss.
422 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
follte, nadi deffen Urteil jeder feine Stelle im Lager erhalt und mit dem
jeder feine Klagen und Streitigkeiten befprechen foil (14, 8 ff.). Ihm
warden aueh die monatlichen Abgaben gegeben, von denen ein Teil zur
Unterftutjung der Diirftigen dient (14, 12 ff.).
In dem Buche (20, 13 f.) heigt es, dag feit dem Tage, an welchem
der einzige Lehrer weggenommen wurde, bis zu der Zeit, da alle, welche
mit dem Manne der Luge in den Krieg.^ gezogen find, verfchwunden
waren, ungefahr 40 Jahre verfloffen find. Somit ift die Schrift etwa 40
Jahre nadi dem Tode des einzigen Lehrers (nachdem bereits die erfte
Generation der Emigranten geftorben war (8, 1718 = 19, 28 ff.\ der
felbft etwa 20 Jahre nach dem Kriege ftarb, gefchrieben. J )
Sprache. Was das Hebraifche des Schriftfttickes angeht, fo hat bereits der
Herausgeber eine Anzahl von Ausdrucken und Redewendungen hervor-
gehoben, welche fich nur in der Mifchna Oder fogar nur in der rabbinifchen
Literatur aus den erften Jahrhunderten des Mittelalters h'nden- 2 )
Die Schrift Unfere Schrift hat mannigfache Beruhrungen mit den apokalyptifchen
beruhrt fich judifchen Werken des erften vorchriftlichen und des erften nachchriftlichen
mit apo- Jahrhunderts. 3 ) Auf das Teftament Levi's 4 ; in dem Werke ,,Die Tefta-
kalyptifchen mente der zwolf Patriarchen" wird (4, 18) ausdriicklich Bezug genommen.
Werken. Am meiften ift das Buch der Jubilaeri benu^t, welches hier unter dem
Titel ,,Buch der Einteilungen der Jahreszeiten gemag ihren Jubilaen und
ihren Wochen" angefiihrt ift (16, 2 f. Vgl auch 3, 1316. 6, 18 f.). 5 ) Wie
die Jubilaen den Zeitgenoffen vorwerfen, in die Irre zu gehen in Bezug
auf die Neumonde und die Sabbate und die Fefte und Jubilaen und
Verordnungen, fo machte es unfere Schrift 3, 14 f. Auch durfte unfer
Werk, wie aus der Berufung auf die Jubilaen hervorzugehen fcheint,
gerade wie diefe (vgl. u. Kap. 15) ein Sonnenjahr von 364 Tagen, 30 Tage
fur jeden Monat und 4 Schalttage, angenommen haben, 6 )
') Vgl. Lagrange p. 237, 7. Jufter 1, 29, 3.
3 ) Schechter p. XI. Auch Landauer, Th. Ltztg. 1912, 9, 263 findet
ein fehr ernftes Bedenken gegen das hohe Alter der Schrift in der
Sprache, die in n sklavifcher Abhangigkeit von den Phrasen und dem
Vokabular der Bibel fteht," fo dag fogar von ,,Lagern u ftatt Gemeinden
gefprochen wird. Lagrange Rb, 1914, p. 134 fpricht von der Plumpheit
des Ausdruckes, welche auch eine zu hohe Anfetjung ausfchliegt.
3 ) Vgl. den Index zu References in Schechter p. LXIII f
*) Text Levi 14, 5-8 (Ausgabe von Charles).
3 ) Vgl. damit den Prolog zu Jub. : Dies ift die Gefchichte der Ein-
teilung des Gefetjes und des Zeugniffes nach den Ereigniffen der Jahre,
gemag ihrer Einteilung in Jahrwochen und Jubilaen in alien Jahren
der Welt.
. 6 ) Vgl. 16, 3; S. Schechter p. XIX ff., der darauf hinweift, dafj
Kirkisani, einer der fruheren Karaer, fagt (vgl. das Citat bei Schechter
p. XIX; vgl. ebend. p. LX), die Sadduzaer fetjten fur jeden Monat 30 Tage
an. Lagrange p. 334 meint, die Autoritat fur feine Meinung fei eben
unfer Werk gewef en, welches dem Kirkisani noch vollftandig vorgelegen
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 423
Es ift auch auffallend, dag weder die Jubilaen noch .unfere Schrift
inen Eigennamen eines Engels anfuhren, wohl aber beide die bofen
Qeifter Beliar oder Belial und den Mastema kennen. ') Diefen und
andern Beruhrungspunkten ftehen aber dodi auch wieder Verfdiiedenheiten
rgegenuber. Befonders wichtig erfcheint, dag in Jub. 31, 13 ff. Levi zwar
von Juda gefegnet wird, aber nach .Jub. 31, 18 f. der Meffias aus Juda
hervorgehen wird. In Juda wird das Heil Ifraels gefunden. Auch nach
den Teftamenten der 12 Patriarchen wird der Meffias aus Juda hervor-
gehen. 2 ) Ganz anders aber fpricht unfere Schrift. Nicht genug, dag die
Fiirften von Juda fcharf angegriffen werden (8, 3 ff. 19, 15 ff.), wird aus-
drucklich gefagt, dag der Meffias aus Aaron und Ifrael hervorgehen
wird (19, 11). 3 )
Leider herrfcht uber die Entftehung der erwahnten 2 Bucher keine Meinungen
Einigkeit die einen . verfetjen die Abfaffung in die Makkabaerzeit, uber die Ab-
-andere in das erfte chriftliche Jahrhundert. *) Auch find in unferm Werke, f affungszeit.
wie das in der apokalyptifchen Literatur Sitte i(t, die Ereigniffe mehr
angedeutet, als fachlich und chronologifch genau beftimmt. So ift es be-
greiflich, dag fur die gefchichtliche Wurdigung des Bruchftackes faft das
Wort gilt: ,,quot capita, tot sensus." 5 )
habe. Le^terer habe aus dem von ihm als eine fadducaifche Schrift
angefehenen Werke auf die Oberlieferung der alien Sadducaer gefchloffen.
l ) Vgl. Jub. 1, 20 mit 4, 15; 5, 18; 12, 2 und Jub. 10, 8; 11, 5, 11 ;
19, 28 etc. mit 16, 5. S. Lagrange p. 355.
) Vgl. Levi 8, 1415.
3 ) S. o. S. 421.
*) S. u. zur jiidifchen Literatur Kap. 15 und 16.
5 ) Levi RE J 1912, 63 p. 3 s. meint, wie die Argerniffe unter den
Hohenprieftern Jason und Menelaus (S. o. S. 94 f.", deffen Nachfolger
der gottlofe Alcimus wurde, zur Veranlaffung wurden, dag Onias IV.
Jerufalem verlieg und zu Leontopolis in Agypten einen Tempel grQndete,
fo hatte die Profanation des Tempels auch andere Priefter veranlagt nach
Damaskus zu gehen. Ahnlich E. Meyer (S. o. S. 420), nach deffen
Meinung das Schisma durch die gegen das Gefetj geriehteten Beftrebungen
der helleniftifchen Juden unter Fiihrung des Jason und die damit zufam-
menhangende religiofe Unzufriedenheit der eschatologisch gefinnten
Frommen entftanden ift. Zur vermeintlichen Stiilje feiner Hypothefe nimmt
er irrtumlich an, das Buch der Jubilaen und die Teftamente der 12 Pa-
triarchen ftammten aus dem Anfang des 2. Jahrhunderts v. Chr.
Charles (f o.) verfetjt das Auftreten der Sekte in's Jahr 196 (390 Jahre
nach der Eroberung Jerufalems durch Nabuchodonosor, vgl. 1, 4 ff.). Sie
jei 20 Jahre fpater nach Damaskus gezogen. Von dort ware fie wie
Miffionare nach Palaftina zuruckgekehrt. Unfere Schrift fei vor dem Tode
der SOhne der Mariamme, der Gemahlin des Herodes des Grogen, alfo
vor dem Jahre 8 v. Chr. gefchrieben. Denn man hatte den Meffias aus
der Nachkommenfchaft der Mariamme erwartet. Vgl. hiergegen Lagrange,
Rb 1914, p. 133 136. Nach Gressmann (Zeitfchr. d. Morgenl. Gef. 1912,
424 Zweiter Abfdhnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Verhaltnis Samaritanifch kann die Sekte nicht gewefen fein, denn dann hatte
der Sekte zu {ie nicht die Autoritat der Propheten in dem Mage anerkannt, wie es
andern. von der Sekte gefchieht. Audi ware [ie nicht von Jerusalem nach Da-
maskus, fondern zum Berge Qarizim ausgewandert. Schechter hat mit
grogem Scharffinn und mit grower Gelehrfamkeit die Meinung vertreten,
dag unfere Sekte mit der der Dositheaner identifch gewefen fei, fei
es nun, dag man glaubt, dag fie aus unferer Sekte hervorgegangen feien 1 )
oder dag die Sektierer in irgend einer Weife mit den Dositheanern fich
verfchmolzen hatten und vielleicht von ihnen abforbiert wurden. 2 ) Wenn es
auch zwifchen den Dositheanern und unferer Sekte allerhand Analpgien gibt,
z. B. dag beide das Tetragramm fur Gott durch das Wort Elohim erfetjten
und verboten, am Sabbate den Tieren zu trinken zu geben, fo ift doch,
wie viel auch in der Gefchichte der Dositheaner dunkel ift, dies ficher,
dag fie eine famaritanifche Sekte waren. 3 )
Sie find auch keine Pharifaer gewefen, da fie vielmehr deren
Vertreter, die Rabbiner, jcharf bekampften, und keine Sadduzaer, fo
wie fie nach der Heil. Schrift und Jofephus waren; denn wie hatten die
Leute, welche nur die Heil. Schrift des Gefetjes, aber ohne Tradition an-
nahmen, mit den Sektierern Gemeinfchaft halten follen, welche meinten,
ihnen habe Gott durch eine befondere Offenbarung die verborgenen
Dinge, in Bezug worauf ganz Ifrael irrte, kund getan, feine heil. Sabbate
und feine herrlichen Fefte, feine gerechten Zeugniffe und die Wege feiner
Wahrheit und das Wohlgefallen feines Willens. 4 )
Die Schrift Wie die Sprache fo weift auch der Zufammenhang unferer Schrift
ift friiheftens mit der judifchen apokalyptifchen Literatur auf eine fpatere Entftehung
um200n.Chr. hin. Ihr ift eine groge nationale Kataftrophe (20, 13 f.), die durch einen
gefchrieben. einzelnen, den Mann der Luge, veranlagt ift, vorausgegangen. Wahr-
fcheinlich ift unter dem Manne der Luge 5 ) mit Lagrange 6 ) an Barkochba
= Sternenfohn zu denken, der von Rabbi Akiba als der Meffias be-
3 u. Th. Ltztg. 1912, 17, 541) ftammt das fur die Damaszener- Juden
gefchriebene Werk eine ,,Jeremias-Elisa-Apokalypse" nicht aus
fektiererifchen Kreifen. Am wahrfcheinlichften fei als Abfaffungszeit das
meffiashungrige Zeitalter der Makkabaer anzufetjen. Andere, z. B. Les-
zynsky, Die Sadduzaer, B. 1912 verfetjen die Entftehung der Schrift in
die Zeit der Konigin Salome und des damaligen Sieges der Pharifaer
fiber die Sadduzaer.
1 ) Schechter p. XXII.
2 ) L. c. p. XXVI.
3 ) Levi REJ 1912, 63, p. 10-19.
) S. 3, 13-16; vgl. 6, 1819 und Jub., 6, 3. 34 ; ff. Vgl. auch
Schechter p. XXI: The term Zadokites naturally suggests the Sadducees;
but the present state of knowledge of the latter's doctrines and practices
does not offer enough points of resemblance to justify the identification
of them with our sect.
5 ) Vgl. o. S. 308 f.
6 ) Rb 1912, 328 ss. 358 ss.
XII. Kap. Das jiidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 425
grtigt wurde, der aber auch der einzige heigt und der Fiihrer des Auf-
ftandes unter Kaifer Hadrian war. Unfe.re Schrift gibt allerdings diefe
Namen nicht dem Barkochba, fondern dem Lehrer der Gerechtigkeit
(7, 18. 20, 14 33), vermutlich um gegen die Usurpation diefer dem
wahren Stern zukommenden Titel fur Barkochba zu proteftieren. Letjterer
hieg mit feinem eigentlichen Namen Simon. Man hat aus dem ,,erften
Jahre der Befreiung Ifraels" Miinzen mit der Auffchrift Simon, Furft
Israels" und andere mit dem Namen ,,Eleafar der Priefter"; die aus dem
zweiten Jahre der Freiheit Ifraels haben nur noch den Namen ,,Simon"
oder Jerufalem." ') Lagrange fchliegt daraus, dag nach dem Jahre 135
der Hohepriefter Eleafar fich von Barkochba trennte und feine Anhanger
aufhorten, das Feuer auf dem Altare zu unterhalten, Jerufalem verliegen
und nach Damaskus zogen. a ) Vergleichen wir hiermit die obigen 3 )
chronologifchen Angaben uber die Zeit zwifchen dem Tode des einzigen
Lehrers und der Abfafjung der Schrift, fo kommen wir zu dem Refultat,
dag die Schrift um das Jahr 200 n. Chr. gefchrieben 4 ) ift, vielleicht aber
noch fpater entftanden fein kann. 6 )
Man wendet gegen eine Anfetjung der Abfaffung der Schrift nach
der ZerftOrung des Tempels im J. 70 n. Chr. ein, fie fetje vielmehr deffen
Exiftenz voraus, fo z. B. 5, 7. Allein dort heigt es von den Opfernden,
(der Vergangenheit), fie hatten das Heiligtum befleckt, indem fie mit
Frauen, die am Monatsflug litten, verkehrten. 6 ) Wenn aber 6, 11 von
denen gefprochen wird, welche den Bund gefchloffen haben, nicht in das
! ) Vgl. uber die Aufftandsmunzen Schurer I 3 u. *, 765 ff., Lagrange,
Le Messianisme. Paris 1909, p. 317 s.
2 ) Rb 1912, p. 330.
3 ) S. o. S. 422.
4 ) Damit foil aber nicht geleugnet werden, dag die Urfprunge der
Sekte viel weiter als das Jahr 135 n. Chr. liegen mogen.
5 ) Aus 1, 6: am Ende des Zornes (vgl. 5, 20 am Ende der Ver-
wuftung des Landes) ,,390 Jahre, nachdem Gott fie (die Ifraeliten) dem
KOhige von Babylon, Nabuchodonofor, iiberliefert hatte, gedachte er feines
Bundes", lagt fich nichts Sicheres zur chronologifchen Beftimmung ent-
nehmen. Wir kamen 390 Jahre nach der ZerftOrung Jerufalems im J. 58
auf das Jahr 197/6. Damals ift aber keine nationale Kataftrophe erfolgt.
Auch keine 490 Jahre nach jenem Ereignis, wie Scnechter zu lefen ge-
neigt ift. Ebenfowenig pagt die Korrektur 590 (von Jufter 1, 29 X),
die uns in's Jahr 4 v. Chr. nach dem Kriege des Varus brachte. Die
Zahl 390 ift dem Ezechiel 4, 5 entlehnt ,,pour marquer un temps d'incer-
titudes, depuis le jour de la prise de Jerusalem par Nabuchodonosor,
jusqu' au second cataclysme" meint Lagrange p. 331.
6 ) Levi p. 181 uberfe^t ,,ils profanent le temple" etc. Zu iiberfetjen
ift aber: ils ont souille le sanctuaire etc. Vgl. dazu Lagrange, Rb 1914,
p. 134. Vgl. zur Sache Pfalm Salomos 8, 13, wo den Sadduzaern vor-
geworfen wird, dag fie des Herrn Altar nach jeder Verunreinigung und
im Blutflug betreten.
426 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Heiligtum hineinzugehen, urn das Feuer auf dem Altare zu fchuren und
welche die Pforte gefchloffen haben, fo hat fchon Lagrange darauf auf-
merkfam gemacht, dag man auch zur Zeit des Aufftandes unter Hadrian
Opfer darbrachte. ') Eher konnte man fich vielleicht darauf berufen, daft
im gefetjlichen Teile (11, 17) Vorfchriften uber die Darbringung von
Opfern gegeben werden. Allein auch in der Mifchna werden Gefege
gegeben, als ob fie noch aktuelle Bedeutung hatten. 2 )
Der fchon erwahnte Gelehrte fagt: ,,Weder pharifaifch noch faddu-
zaijch find unfere Sektierer vom reinften reaktionaren Geifte befeelt, der
durch Apokalypfen unterhalten wurde. Sie glaubten, dem Geifte des
Gefetjes treuer als die Pharifaer und dem Geifte des Prieftertums treuer
als die Sadducaer zu fein. Von ihren Urfprflngen her haben fie letjteren
Titel bewahrt, den die Karaer 15 ) anerkannten und den fie naturlich genug
mit dem der Sadduzaer der Gefchichte verwechfelten." *)
3. Die Effener. 5 )
a) Ihre Gebrauche und Anfchauungen gemafe den alten Berichten.
Wahrend die Pharifaer und Sadduzaer auch in der neu-
teftamentlichen Zeit vielfach einen Gegenfat; zueinander bilden,
zeigen die Efjener eine auffallende Mifchung jQdifcher und
fremder Elemente.
Das Alter der Es gibt allerdings keine fpeziell effenifche Schrift. 6 ) Aber
Effener. w i r haben doch die Nachrichten des Jofephus iiber fie, der
1 ) p. 223, 4 und p. 357.
2 ) L. c. zu 11, 17. Obrigens konnte man fonft auch aus einigen
Gefet5en der Gemeinde des Neuen Bundes fchliegen, dag bei ihnen die
Todesftrafe in Geltung war. Vgl. 9, 6; 10, 1 und 12, 2 ff. S. Jufter
2, 156 ss. und Schechter p. XVIII ff.
3 ) Die Verwandtfchaft unferer Sekte mit den Karaern Oder Karaiten
(von K'ra = Schrift), einer judifchen Sekte, welche fich in religiOfen Dingen
nur an die Heil. Schrift halten will und im 8. Jahrhundert n. Chr. aus
Oppofition gegen die talmudifche Casuistik und die rabbinifche Hierarchic
entftand (vgl. Kirchenlexikon 7, 139-144), ift allgemein zugegeben.
*) Lagrange p. 360. Vgl. auch ebd. 332-335 uber das Zeugnis
der erften Karaer fur unfere Sekte.
s ) Vgl. u. a. Bellermann, Gefchichtliche Nachrichten aus dem Alter-
tum Ober Effaer und Therapeuten. B. 1821. Lightfoot, S. Paul's Epistle
to the Colossians and to Philemon". L. 1882, p. 82-98. 349-419. Lucius,
Der Effenismus in feinem Verhaltnis zum Judentum. Stragb. 1881. Henle,
Koloffa und der Brief des heiligen Paulus an die Koloffer. Munchen
1887, S. 59-80. Schurer II, 651680. Bouffet, Die Religion des Juden-
tums, B. 1903, S. 431443. Friedlander, Die religiofen Bewegungen
innerhalb des Judentums im Zeitalter Jefu. B 1905, S. 114-168. V. Er-
XII. Kap. Das judifdhe Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 427
fie aus eigener Anfchauung kannte, und einige nodi altere
Mitteilungen Philos. 1 ) Audi Plinius erwahnt fie, wenn audi
nur kurz, 2 ) fo dajg wir wenigftens daruber genau unterriditet
find, was man um die Mitte des erften diriftlidien Jahrhun-
derts von ihnen wufcte oder glaubte.
Die Exiftenz der Effener im zweiten Jahrhundert vor
Chriftus neben Pharifaern und Sadduzaern 3 ) kann nicht be-
zweifelt werden. Audi wird beriditet, dafc ein Effener
namens Judas die Ermordung des Antigonus, eines Sohnes
des Johannes Hyrkanus I., durch feinen Bruder Ariftobul I., 4 )
ein anderer, Manahem, die Erhebung des Knaben Herodes
zum Konige, 5 ) und ein effenifcher Traumdeuter dem Arche-
laus, dem Sohne des Herodes, das baldige Ende feiner
moni, L'Essenisme (R. des Quest, hist. t. LXX1X, Paris 1906, p. 5-27),
wofelbft p. 5 - 7 reiche Literaturangaben.
fi ) Dag die apokalyptifche Literatur nicht mit dem Effenismus in
Verbindung gebracht werden kann, zeigt auch Baldensperger, Die meffia-
nifch-apokalyptifchen Hoffnungen des Judentums. Strafcb. 1903, S. 196
bis 203. Der Talmud enthalt allem Anfcheine nach gar keine fich auf die
Effener beziehende Stelle. S. Lightfoot p. 356370.
') Jos. B J. 2, 8, 2-14. Ant. 18, 1, 5. Vgl. auch Ant. 13, 5, 9.
Vita 2. Der hier erwahnte Einfiedler Banus , bei dem Jofephus drei
Jahre wohnte, war, .wie ausdrucklich (1. c ) bemerkt wurde, kein Effener.
Philo, Quod omnis probus liber 12-13 und das bei Euseb. Praep.
evang. VIII, 11 aus Philos n Apologie fur die Juden" mitgeteilte Frag-
ment. Vgl. dazu Lucius 1. c. S. 13 - 23 und Wendland, Die Therapeuten
und die philon. Schrift vom befchaulichen Leben, L. 1896 (Abdruck aus
dem 22. Suppl.-Band der Jahrb. f. klaff. Philologie), S. 702 ff. Fur die
Echtheit und Zuverlaffigkeit der Berichte bei Philo, Eufebius und Jofephus
auch R. Treplin, Die Effenerquellen gewurdigt in einer Unterfuchung der
in neuerer Zeit an ihnen geflbten Kritik. Theol. Studien und Kritiken,
Gotha 1900, S. 28 - 92.
2 ) Plinius N. H. 5, 17. Hiermit verwandt ift der auf Plinius be-
ruhende und nur wenig erweiterte Bericht des Solinus in der 2. Halfte
des 3. Jhrdts. Collectanea rerum memorabilium (ed. 2 Mommfen) 35, 9 - 12.
Von den ubrigen Quellen folgen Hippolytus Haer. 9, 18 -28 und Por-
phyrius, De abstinentia IV, 11-13 im wefentlichen Jos. B. J. 2, 8, 2 ff
Epiphanius, Haer. 10 u. 19 (f. u. 439, 4) befpricht 2 Sekten, die Offener
und die Effener, worunter aber ohne Zweifel (vgl. Lightfoot p. 83) die-
felben Perfonen verftanden find.
3 ) Ant 13, 5, 9.
4 ) B. J. 1, 3, 5. Ant. 13, 11, 2. S. o. S. 97.
5 ) Ant. 15, 10, 4.
428 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Verhaltniffe des jud. Volkes.
Herrfchaft vorherverkiindet habe. 1 ) Jedenfalls beweifen diefe
Stellen, dafc man den Effenern Anfehen bei den Groften 2 )
und die Vorausficht zukiinf tiger Dinge zugefchrieben hat. 3 )
ihr Name. Wenn nun auch die Effener felbft Anfpruch darauf ge-
macht haben, die Zukunft vorherzuwiffen, fo liegt diefer
Anfpruch doch nicht in ihrem Namen, als ob Effener oder
Effaer/) wie fie auch bisweilen heifcen, gleichbedeutend fei
mit ,,Seher". Der dunkle Name bedeutet aber weder ,,Seher" 5 )
noch auch, wie bisweilen irrig gefagt wird, ,,Arzt", 6 ) noch
,,Frommer", 7 ) fondern wahrfcheinlich heifjen fie Effener im
Sinne von ,,die Schweigenden, die fiber Geheimniffe Nach-
denkenden". 8 )
') Ant. 17, 13, 3. B. J. 2, 7, 3.
2 ) Dag fie diefes wirklich hatten, folgt aus Philo 1. c. 13, wonach
den Effenern fowohl die graufamen als auch die liftigen und tiickifchen
Qewalthaber (zu denken ift wohl an Herodes I. und die romifchen Land-
pfleger) gtinftig gefinnt waren.
3 ) Jos. B. J. 2, 8, 12 fagt: Es find unter ihnen auch folche, die das
Zukunftige vorauszufehen unternehmen, nachdem fie fich an heiligen
Schriften, verfchiedenen Reinigungen und Ausfpruchen .von Propheten
geiibt haben. Und es ift felten, dag fie jemals bei ihren Verkiindigungen
fehlgehen." Vgl. Chr. Bugge, Zum Effaerproblem ZNTW 14, 1913,
145 174, der vielfach von den Qedanken der 1855 erfchienenen fchwedifchen
Schrift: Prophetarne och Essenarne bland Judafolket Gebrauch macht.
4 ) Philo nennt fie immer "Etftfatot, Jofephus gewohnlich 'EffGyvoi (fo
auch Plinius 1. c. Esseni), an mehreren Stellen aber auch 'Eddatot (in B.
J. 1, 3, 5. 2, 7, 3. 2, 20, 4. 2, 1. Ant. 15, 10, 4. 17, 13, 1).
5 ) Dafur Holljmann, Neuteftam. Zeitgefchichte 215 f. Allein gegen die
Ableitung von N*i~ = fehen fpricht, dag ,,in the transliteration of the LXX
the * is persistently represented by . and the i by <?." Lightfoot p. 353.
6 ) Von N5$ = heilen, weil die Effener fich nach B. J. 2, 8, 6 auch
mit dem Studium der Heilkraft von Pflanzen und Mineralien befchaftigten.
Allein das Studium hatte bei ihnen eine zu untergeordnete Bedeutung,
als dag es Grund fur ihren Namen geworden ware. Mit den Thera-
peuten hatten fie aber nichts zu tun.
7 ) Von dem aram. tf$n plur. "pD" oder status emphat. fc^Ou die From-
men. Hieraus wiirde fich erklaren, weshalb Philo 1. c. 12 das Wort mit
ottos heilig zufammenbringt. (Vgl. Lightfoot p. 350.) Auch Ghrys. Horn. 46
in Acta (Migne LX, 324) erklart den Namen 'Eeoyvoi als identifch mit
otiioi. Vgl. Neftle, Zum Namen der Effaer, ZfNW. 1903, S. 348.
& ) Von dem aram. ">t$r] plur. D^Ti d. h. die Schweigenden. Nach
Schekalim 5, 6 hieg eine der Tempelhallen die der Verfchwiegenen. Vgl.
Levy, Worterb. II, 122. Es entfpricht die Ableitung der griechifchen Um-
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 429
Auf Grund der Queilen, unter denen befonders Jofephus, ihre Zahi,
der die Eflener felbft kannte, Glauben verdient, ergibt fidi Wohnorte.
nun, da& es fiber 4000 x ) Effener gab, diefe geborene Juden
waren 2 ) und in Palaftina wohnten, 3 ) und zwar zuerft, um
den fteten Streitigkeiten der Stadtleute zu entgehen, in
Dorfern, 4 ) fpater aber auch in Stadten. Sie haben, fagt
Jofephus, nidit eine Stadt, fondern in jeder Stadt (Judaas
bezw. Palaftinas) wohnen viele. 5 ) In diefen Niederlaffungen
waren befondere Beamte angeftellt, um die durchreifenden
Angehorigen des ,,0rdens", wenn man fo fagen darf, mit
Kleidung und iiberhaupt allem Notwendigen zu verfehen. 6 )
Ohne Zweifel dienten aber {olehe Niederlaffungen audi als
Verkaufsftellen. In Jerufalem war fogar ein Tor nach den
Effenern genannt. 7 ) Ihre Hauptniederlaffung fcheint aber am
Weftufer des Toten Meeres in der Wiifte Engaddi gewefen
zu fein. 8 )
Sie glaubten, dafc die Tugend in der Enthaltfamkeit und ihre Afzefe
der Beherrfchung der Leidenfchaft beftehe. 'Von der Ehe und ihre Be-
fchaftigung.
fchrift (vgl. Lucius, Der Eflenismus S. 90, 1), da das anlautende ~ mit
folg-endem Zifdilaut im Griediifchen durch iso - wiedergegeben werden
kann und im afiatifch-griechifchen Gebrauch die Endungen auf ouo? und //vd?
unterfchiedslos gebraucht werden. Fur diefe Ableitung vgl. Lightfoot 1. c.
p. 354. Mittwoch, Die Etymologic des Namens ,,Eper", Zeitfchrift fur
Affyriologie XVII, 1903, 75-82.
!) JoJ. Ant. 18, 1, 5. Philo 12. Wenn Philo bei Bus. H E. VIII, I
den Urfprung der Effener auf Mofes zurtickfuhrt und dabei von ,,zahl-
lofen" (nvqioi) Effenern fpricht, fo mag er an die Zahl in der ganzen
Zeit von Mofes an gedacht haben.
2 ) B. J. 2, 8, 2.
3 ) Philo 12 17 naiaiSTivrj Zvqia.
*) Philo 1. c.
B ) B. J. 2, 8, 4. Mia, Je ovx e6rw uvttav TroAt?, aAA. 3 ev Exdarti xaToittovOi
noU.oi. Spater heigt es,in jeder Stadt des Inftituts (iv txatsttj TtdXei rovrdyfiaroy)
fei ein Pfleger far die Fremden. Wahrfeheinlich heigt auch an der erften
Stelle ,,ev IxatfT^'' in jeder Stadt, in welcher das Inftitut eine Niederlaffung
hatte. Audi Philo fagt bei Euf. 1. c., fie bewohnten viele Stadte und Dorfer
Judaas xar (fo ift mit Wendland, Die Therapeuten 702, 3 ftatt xi zu
lefen) fteydiov? nokvav&iioinov? 6(itt.ov<; = in ftarken Genoffenfchaften.
6 ) B. J. 2, 8, 4. S. Anm. 5.
7 ) B. J. 5, 4, 2. Vielleicht lag eine Kolonie von Effenern in der
Nahe des Tores.
s ) Plinius 1. c. kennt fie nur als eine Gemeinde am Toten Meere.
430 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
dachten fie gering. Viele hielten es iiberhaupt fur ein Un-
redit, zu heiraten. 1 )
Ihre Hauptbefchaftigung war der Ackerbau. Sie trieben
aber auch andere friedliche Befchaftigungen. 2 ) Nur Waffen-
fehmiede und Handelsleute duldeten fie nicht unter fich. 3 )
Den Reichtum veraditeten fie 4 ) und waren gegen Geld gleich-
gultig, und bemfihten fich nur, das zum Leben Notige zu
haben. 5 ) Seit langen Jahren batten fie eine in jeder Hin-
ficht vollkommene Gutergemeinfchaft. 6 ) Wer ihnen beitrat,
mufcte fein Vermogen der Gefamtheit iiberlaffen. Zur Ver-
waltung diefes gemeinfamen Vermogens, wie auch ihrer
Einkiinfte und der Feldfriichte erwahlten fie tiichtige Manner,
Priefter, wegen der Bereitung von Brot und Speifen. 7 ) Von
Salbungen der Haut mit 01, die in heifcen Gegenden vielfach
ublich find, wollten fie nichts wiffen und hielten eine rauhe
Haut fur ebenfo ehrenvoll, als ftets in weijjen Gewandern
zu gehen. 8 ) Schuhe und Kleider wurden nicht eher ge-
wechfelt, als bis fie ganz verfchliffen und zerfetjt waren. 9 )
] ) B. J. 2, 8, 2. Ant. 18, 1, 5. Philo 12 und ap. Bus. 1. c. Plinius
fagt 1. c.: gens aeterna est, in qua nemo nascitur. B. J. 2, 8, 13 fagt,
dag es auch Effener gebe, die fich verheirateten der Nachkommenfchaft
wegen, aber erft nachdem [ie die Braute auf die Fahigkeit, Kinder zu
erzeugen, drei Jahre erprobt batten. Vermutlich war diefe 2. Klaffe
gering, da fonft nicht davon geredet wird.
' 2 ) Ant. 18, 1, 5. Nach Philo bei Euseb. 1. c. trieben einige den
Ackerbau, andere Vieh- und Bienenzucht.
3 ) Philo 12 und bei Bus. 1. c. Sie trugen aber auf der Reife Waffen
zum Schuhe gegen die Rauber (B. J. 2, 8, 4) und nahmen auch am Kriege
gegen die Romer teil (B. J. 2, 8. 10. vgl. ebd. 2, 20, 4 und 3, 2, 1).
*)'_B. J. 2, 8, 3.
5 ) Philo 12.
6 ) Ant. 18, 1, 5. B. J. 2, 8, 3. Philo 12 und Fragm. bei Bus. 1. c.
7 ) B. J. 2, 8, 3. Ant. 18, 1, 5. 'Anodsxra? e rojv nqoOodtav xeiyo-
rovovCi *at 671060. j yfj vtpoi. avS^aq dya&ovc; iegek, Sid noi^tv 6ir.nv xai
fowftdTon: Der Sinn fcheint zu fein, dag fie fowohl Verwalter wie auch
Priefter felbft wahlten. Vgl. Bouffet, Die Religion etc. 438, 2. Vgl. auch
Philo 12 und bei Bus. 1. c.
s ) B. J. 2, 8, 3. Jeder Neueintretende erhielt ein weiges Qewand
1. c. 2, 8, 7. Nach Philo bei Bus. 1. c. hatten fie fur den Winter dichte
Mantel, fur den Sommer leichte Oberwiirfe.
') B. J. 2, 8, 4.
XII. Kap. Das judifehe Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 431
Sie wohnen nach den Beriditen in eigenen Haufern der
Genoffenfchaft zufammen, beobachten vollige Stille 1 ) und
iiben vollkommenen Gehorfam gegen die Obern. 2 ) Audi
verwerfen fie das Schworen. 3 ) Knechte halten fie nicht, well
dies die Urfache der Streitigkeiten fei 4 ), und die Sklaverei
verwerfen fie als eine Verletjung des Naturgefetjes, weldies
alle Menfchen gleichgeboren werden lafct. 5 ) Gerichtliche Ent-
fcheidungen werden gefallt, wenn 100 Mitglieder zugegen
find.") In allem ehren fie das Alter und die Entfcheidung
der Mehrheit. Sie fpucken nie nach der rechten Seite und
vor andern iiberhaupt nicht. 7 )
Von Sonnenaufgang bis elf Uhr morgens (die fiinfte ihre Tages-
Stunde) arbeiten fie, dann kommen fie wieder an einem ordnung.
beftimmten Ort zufammen und wafchen ihren mit einer
linnenen Schurze als Lendentuch bekleideten Leib in kaltem
Waffer. Hierauf begeben fie fich in ein befonderes Gebaude
und betreten dort, gereinigt, als ob fie zu einem Heiligtum
gingen, den Speifefaal, um gemeinfam das aus Brot und
einem Gericht beftehende Mahl einzunehmen. Vor und nach
dem Mahle fpricht der Priefter ein Gebet. Nach dem Mahle
legen fie ihre Kleider als heilige ab und arbeiten wieder
bis zur Dammerung. Dann fpeifen fie in derfelben Weife
zu Abend.' s )
Obwohl fie fremde Kinder in zartem, bildungsf ahigem Das Noviziat
Alter aufnahmen und wie ihre Angehorigen behandelten, 9 ) bei den
Effenerru
') PhilO bei EUS. 1. C. oixovtit rf' evautu xatd d-icttiov? izctigictt, xai 6v66izia,
notovuevoi. B. J. 2, 8, 5 fagt, fie kamen zu den Mahlzeiten zufammen (swladtv)
? tdiov ol'xrjfta. und oiu)e xyavyq Tiore zov oi.xov oi'rfe &6(}i>(io<; ftoivvei.
2 ) B. J. 2, 8, 5.
3 ) B. J. 2, 8, 6.
*) B. J. 2, 8, 6. Philo 12. Vgl. auch Ant. 15, 10, 4, dag Herodes
fie nicht zum Eidfchwur zwang.
5 ) Ant. 18, 1, 8.
6 ) Philo 12.
') B. J. 2, 8, 9. Hier heijgt es auch, dag, wer Gott und Mofes
laftere, mit dem Tode beftraft wiirde.
8 ) B. J. 2, 8, 5. Wenn Hier. adv. Jovin. 2, 14 fagt, dag fie fich
ftets von Fleifch- und Weingenug enthalten hatten, fo durfte das nur
eine Folgerung aus ihrem afzetijchen Leben iiberhaupt fein, da weder
Philo noch Jofephus dies ausdriicklich behaupten.
8 ) B. J. 2, 8, 3.
Ausfchlug.
Mitglieder-
klaffen.
Verhaltnis
zum
Judentum.
432 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
vermehrte {ich ,,die Sekte" hauptfachlich durch den Eintritt
von Erwachfenen. Diefe erhielten bei ihrem Eintritt eine kleine
Axt 1 ) (deren fie fidi bedienten, urn an einem entlegenen Platje
eine Grube zu graben, worin fie ihre Notdurft verrichteten),
das fchon erwahnte Lendentudi und ein weifjes Gewand und
mufcten ein Jahr lang wie im Noviziat die Lebensweife der
Effener fuhren. Nach einem Jahre wurden fie zu der reini-
genden Wafferweihe und nadi zwei weiteren Jahren zu den
gemeinfamen Mahlen und damit zum formlichen Eintritt in
die Genoffenfchaft zugelaffen. Vor der Aumahme mufcten fie
fich eidlich verpflichten, die Gottheit zu ehren, die Ungerechten
zu haffen, den Gerediten beizuftehen und befonders die
Treue gegen die Obrigkeit zu iiben, Diebftahl und unrechten
Gewinn zu vermeiden und niemals, auch nicht unter den
grofcten Martern, die Geheimniffe des Ordens zu offenbaren
und befonders die Bucher der Sekte und die Namen der
Engel geheim zu halten. 2 )
Der Ausfchlujj aus der Genoffenfchaft erfolgte, wenn
jemand fchwerer Siinden iiberwiefen war. Da ein Ausge-
fchloffener infolge feiner Eidfchwiire und der Ordensgebrauche
von Nichtmitgliedern keine Nahrung annehmen durfte, mufete
er fich von Krautern nahren und mochte, wenn er wirklich
gewiffenhaft am Effenismus fefthielt und man ihn nicht aus
Mitleid wieder aufnahm, vor Hunger zugrunde gehen. 3 )
Die Mitglieder zerfielen je nach der Lange ihrer Zuge-
horigkeit zu der Genoffenfchaft in vier Klaffen, zwifchen denen
ein fo grower Unterfchied beftand, dafe die Alteren, wenn
fie von den Jiingeren beriihrt wurden, fich wafchen mufcten,
als ob fie von einem Auslander beriihrt waren. 5 )
Nachft Gott verehrten fie am meiften den Namen des
Gefetjgebers Mofes, deffen Lafterung mit dem Tode beftraft
') B. J. 2, 8, 7. di-tvdgiov: 1. c. 9 wird fie genauer als ein Spaten
bejchrieben (tfj 6*a,l.ldi>, toiovtov ydy sdn TO dtduftevov vn avTiav dtvidtov
2 ) B. J. 2, 8, 7. Vgl. iiber ihren Starkmut auf der Folter B. J.
2, 8, 10.
3 ) B. .1. 2, 8, 8,
4 ) B. J. 2, 8, 10. Aus dem Vergleich mit B. J. 2, 8, 8 ergibt fich
dag die 1. 3. Klaffe aus denen, welche im 1. bezw. 2. oder 3. Jahre
der Probezeit waren, beftand.
XII. Kap. Das jtidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 433
wurde. 1 ) Den Sabbat hielten fie nodi peinlidier als andere
Juden, da fie an dem Tage nicht ein Gefafc von der Stelle
zu riicken wagten. 2 ) In den Tempel fchickten fie zwar Weihe-
gefchenke, braehien aber keine Opfer dar, weil fie heiligere
Reinigungen zu haben glaubten. Deshalb war ihnen auch
der Zutritt zu dem gemeinfamen Heiligtum unterfagt 3 )
Mit befonderer Vorliebe ftudierten fie die Schriften der
Alien, befonders, um daraus zu lernen, was fur Leib und
Seele heilfam fei. Namentlieh fuditen fie Wurzeln zur Ban-
nung von Krankheiten und trachteten vermutlich ebenfalls
aus medizinifchen Grflnden die Eigenfchaften der Steine
kennen zu lernen. 4 )
Philo bemerkt, daft fie unter den philofophifchen Difzi- ihr studium
plinen befonders die Ethik ftudierten, namentlidi am Sabbate, der
an weldiem fie zufammenkamen und fich die Bibel vorlefen
liefeen, deren Dunkelheiten dann ein befonders Erfahrener
aufhellte. Das meifte erklarten fie aber durdi Symbole. 5 )
In dogmatifcher Beziehung glaubten fie, daft der Korper
verweslich und verganglich fei, die Seele aber, die aus dem Dogmatik.
feinften Ather ftamme und durch einen nattirlichen Zauber
aus der Hohe herabgezogen und im Korper wie in einem
GefSngniffe eingefchloffen fei, nach der Befreiung vom Korper
ewig fortlebe. Die Guten lebten ewig jenfeits des Ozeans
an einem von Sdinee und Hitje und Regen nidit belaftigten
Orte, die Bofen aber in einer finftern kalten Hohle voll
*) B. J. 2, 8, 9; vgl. ebd. 2, 8, 10.
2 ) B. J. 2, 8, 9. An dem Tage verrichteten fie ihre Notdurft nicht,
weil fie fonft mit der Axt ein Loch in den Boden hatten graben miiffen
(f. S. 432).
3 ) Ant. 18, 1, 5: eV avrmv ra? frvtsiut; Enire\.ov6i. Der Sinn ergibt
fich aus B. J. 2, 8, 5, wonach fie ihre Mahlzeiten wie Opfer, ihren Speife-
faal wie einen Tempel und ihren Vorfteher wie einen Priefter anfahen.
Auch Philo 12 fagt, dag fie keine Tieropfer darbrachten. B. J. 1, 3, 5
heigt es, der Effener Judas habe den Fiirften Antigonus (um das Jahr 100)
durch den Tempelraum fchreiten fehen (nayiovTa did rov ieyov), aber
nach Ant. 13, 11, 2 fah er ihn vielmehr am Tempel vorb.eifchreiten (KOIQI-
uvm r6v lefjiiv). Jedenfalls konnte auch ein Effener fich im Vorhofe der
Heiden aufhalten.
) B. J. 2, 8, 6.
5 ) Philo 12. .
Felten, Neuteffamentliche Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3. Aufl. 28
434 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jfid. Volkes.
ewiger Qual. 1 ) Von Gott lehrten fie, dag er an allem Guten,
aber an keinem Bofen fdiuld fei und dag alles von feiner
Vorfehung abhange. 2 ) Vor dem Aufgange der Sonne fpradien
fie kein unheiliges Wort und richteten auch an die Sonne
altherkommlidie Gebete, als ob fie ihren Aufgang erflehen
wollten. 3 ) Um den Lichtglanz Gottes nicht zu beleidigen,
verhullten fie fidi und die Grube, weldie fie behufs der Ent-
leerung gegraben batten, ehe fie fkh entleerten, mit einem
Mantel und wufchen fich dann, als ob fie fidi verunreinigt
batten. 4 )
b) Urfprung des Effenismus und Wurdigung feines Wefens.
In der apoftolifchen Zeit haben die Effener, fo wie fie
uns aus den eben gefchilderten Berichten des Jofephus und
des Philo gegeniibertreten, auger den jfidifdien Ziigen der
Verehrung Mofis, der Sabbatheiligung, der Reinigungen u. a.,
in der Verwerfung der Opfer im Tempel, der Geringfchatjung
der Ehe, der Verehrung, die fie der Sonne zollen, u. dergl.,
foldie Eigentfimlichkeiten, 'dag auch fremde heidnifche Ein-
fluffe auf fie eingewirkt haben muffen.
Sie waren Deshalb lagt fidi die Anfchauung judifcher 5 ) und dirift-
keine biogenjieher 6 ) Gelehrten, der Effenismus fei nur der Pharifaismus
Phanfaer. j n e j ner na fa d er ftrengen afzetifchen Seite hin gefteigerten
Form, nicht ; batten. Ebenfowenig wird die Annahme 7 ) den
O 6 - J- 2 8, 11. Vgl. Ant. 18, 1, 5. Es folgt hieraus, dag fie an
die Praexiftenz der Seele glaubten und eine Auferftehung der Toten nicht
annehmen konnten.
2 ) Ant. 13, 5, 9 und 18, 1, 5. Letjtere Stelle erklart die erftere.
3 ) B. J. 2, 8, 5.
4 ) B. J. 2, 8, 9. Vgl. u. S. 437 f.
5 ) Frankel, Joft, Gratj, Derenbourg, Qeiger.
6 ) Z. B. Ewald, Hausrath. Schflrer II, 668 ff. meint, der Effenismus
fei zunachft nur der Pharifaismus im Superlativ; in feinen nicht judifchen
Zugen berQhre er fich am meiften mit der pythagoraifchen Richtung der
Griechen.
') Von Lucius, Der Effenismus S. 75 n> - A. Hilgenfeld vertritt
in der Zeitfchr. f. wiff/ Theologie, 1900, S. 180211: w Noch einmal die
Effaer" und 1903 S. 294-315 n Die Effaer ein Volksftamm" die bereits
von Lundius 4, 15 S. 804 u. a. bekampfte Anficht, M dag die Effaer ein
von alters her mit Ifrael verwandter (kenitifcher, rechabitifcher) Stamm
waren, welcher bei allem Anfchlufe an die abfchliegende Geftaltung des
XII. Kap. Das jQdifdie Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 435
Tatfadien gerecht, fie feien rein judifchen Urfprungs und
ftanden mit den Affidaern oder Frommen der erften Makka-
baerzeit in Verbindung und batten mit dem Opfer- und Audi nicht mit
Tempeldienft gebrodien, weil fie die Hohenpriefter, audi die den Affidaern
Hasmonaer, nidit als legitime batten anerkennen konnen. ^"kf*-
Denn dann verfteht man nicht, weshalb fie Weihegefchenke
an den Tempel fchickten und die Ehe fo gering achteten.
Jofephus felbft fagt, fie kamen den dacifchen Stammen, inwieweit {ie
welche Poliften heigen, am nadiften, und anderswo, ihre den p y tha g-
Lebensweife fei der der Pythagoraer unter den Griedien raern 5hnlidK
ahnlich *) Ohne Zweif el gibt es manche Analogien zwifchen
den Effenern und der orphifch-pythagoraifchen Richtung der
Griedien. 2 ) Allein diefe erklaren fidi durch den beiden ge-
Judentums feit Ezra doch feine Eigentfimlichkeit behauptete" (1. c. 1900,
S. 191). Die Nachkommen des im 9. Jhrdt. y. Chr. lebenden Rechabiten
Jonadab (2 K5n. 10, 15. 23) batten in einem Orte namens Effa (=Grun-
dung) weftlich vom Toten Meere gewohnt. Das bei Eufebius mitgeteilte
Stack von Philo, welches die Ehelofigkeit der Effaer lehre, fei unecht
(vgl. auch Hilgenfeld 1. c. 1888, 49 ff., 1889, 481 ff., und ebd. Ke^er-
gefchichte des Urchri[tentums, Leipzig 1884, S. 87149). Allein auch aus
Jos. B. J. 2, 8, 2 und 13 folgt, dag fie von der Ehe gering daditen.
Bin Ort Effa lagt fich nicht nachweifen; denn Ant. 13, 5, 3 fteht zwar
n Effa", ein Ort jenfeits des Jordans; es mug aber nach B. J. 1, 4, 8
Oerafa heigen. Auch ift Effa in Ant. 13, 5, 3 nicht etwa ein anderer
Name Mr Geraf a, da Geraf a fo oft bei Jofephus vorkbmmt, fondern eine
Textverderbnis. Die Rechabiten (vgl. auch die Artikel uber die Recha-
biten und die Ciniter von Kaulen und Konig im Kirchenlexikon 10,
846 ff. 3, 366 f.) trieben uberhaupt keinen Ackerbau, dem doch die Effener
vorzuglich oblagen.
a ) Ant. 18, 1, 5. 15, 10, 4.
2 ) Am beften und nachdrflcklichften ift die Analogic zwifchen beiden
behandelt von Zeller. Vgl. Zeller, Die Philofophie der Griechen III 2*.
L. 1902, S. 298 bis 384 und ebd. Zur Vorgefchichte des Chriftentums.
Effener und Orphiker in ZWTh, L. 1899, S. 195-269. Er hat u. a. bei
DOllinger, Langen und mit gewiffen Einfchrankungen auch bei Schflrer II,
668 ff. Zuftimmung gefunden. Dagegen hat fich neuerdings u. a. Bouffet,
Die Religion S. 434436 ausgefprochen. Naher lage es, an einen
gewiffen Einflug des Parfismus (f. u. S. 437) zu denken, fo dag die
zoroaftrifchen Ideen, welche fich im rOmifchen Reiche u. a. im Mithras-
dienft verbreitet haben, auch in die judifche Sekte eingedrungen wSren.
S. dafflr Lightfoot 1. c. p. 387390. Gegen deffen Anfchauung, dag die
Effener n a very definite form of dualism" gehabt hatten (p. 387) vgl.
Henle, Colossae etc. (f. o.) S. 72 ff. Es ift auch vorubergehend die
28*
436 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
meinfamen afzetifchen Zug und gerade die Haupteigentum-
lidikeiten der Pythagoraer, die Seelenwanderung und das
Zahlenfyftem fehlen bei den Effenern.
Sine Allem Anfcheine nach haben wir es bei den Effenern
heiieniftifche iiberhaupt nidit mit einer palaftinenfifch-judifchen oder hebrai-
Sekte. fche^ fondern einer hellenifcn-jiidifchen Sekte zu tun, weldier
fidi auch einzelne Palaftinenfer angefchloffen haben mogen.
Wenn Jofephus betont, dag fie von Geburt Juden waren, 1 )
fo lagt er uns ahnen, dag fie es der Sprache nach nidit
waren. Plinius aber fagt, 2 ) zu ihnen ka'men von weither
viele, die mude des fchweren Kampfes mit den rauhen Wogen
des Lebens ihrer Lebensweife fich anfchloffen. Diefer nicht
palaftinenfifche Urfprung einer Sekte von Juden, die von der
Sehnfucht erfagt waren, im Heimatlande der Ifraeliten, nament-
lidi in der Gegend, wo Abraham und Lot gewohnt hatten,
fich einem afzetifchen Leben'zu widmen, erklart auf der einen
Seite das hyperjudifche, auf der andern Seite das fremde
Element des Syftems.
Die hellenifchen Juden mugten naturgemag von Jugend
auf fidi begniigen, ihr eigenes Herz, wie Philo fagt, 3 ) Gott
aufzuopfern und konnten fich auf den Propheten, der von
dem iiberall aufzuopfernden, reinen Speifeopfer redete, be-
rufen. Bei ihnen verfteht fich am einfachften, dag fie die
Darbringung von blutigen Opfern im Tempel unterliefeen,
ohne dag deshalb eine eigentliche Feindfchaft zwifchen ihnen
Behauptung aufgeftellt worden, der Buddhismus, deffen M6nditum eine
Analogic zu dem Leben der Effener darbieten kann, fei auf die Bildung
des Effenismus von wefentlidiem Einflug gewefen. S. Hilgenfeld, ZWTh
1867, S. 97 ff., 1868, S. 343 ff. 1871, S. 50 ff. Aber abgefehen von der
Nachricht fiber einen indifdien Fanatiker, welcher eine von KOnig Porus
an Auguftus abgefandte Gefandtfdiaft begleitete und fich felbft lebendig
zu Athen verbrannte (Nikolaus v. Damaskus in Strabo 15, 1, 73 p. 720
und 15, 1, 4 p. 686. Dio Cass. 54, 9. Das Grab wurde nach Plutarch
Vit. Alex. 69 zu Athen gezeigt. Auf die Selb[tverbrennung dief.es Fa-
natikers fcheint Paulus 1 Cor. 13, 3 anzufpielen), werden die Buddhiften
innerhalb des rOmifchen Reiches, folange es Effener gab, weder bei heid-
nifchen noch bei chriftlichen Schriftftellern erwahnt, vgl. Lightfoot 1. c.
p. 390-396. Zeller, Zur Vorgefchichte etc. S. 209-213.
') B. J. 2, 8, 2.
2 ) N. H. 5, 17.
3 ) Philo 12. S. o. S. 433.
XII. Kap. Das jiidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit? 437
und den palaftinenfifchen Juden beftand. Ihnen dienten als
Vorbild fur ihr gemeinfames Leben zunachft die Propheten ihrVorbiid,
und die Prophet enfchulen, 1 ) denen fie audi in der Verkundi- die
gung der Zukunft nachfolgen wollten. Vermutlich find fie Pr <>pheten.
unter den Makkabaerfurften zu einer Zeit der aufcern Sicher-
heit des Landes und der innern religiofen Begeifterung,
welche naturgemafc audi auf die aufeerhalb Palaftinas Leben-
den einwirkte, zuerft aufgetreten. 2 )
Einzelnes in ihren Anfchauungen und Gebrauchen er- Erkiarung
klart fich einfaeh aus ihrem iiberfpannten Begriff des Juden- ihrer Anfchau-
tums, namentlidi nadi der afzetifchen Seite bin. So z. B.
ihre Verehrung des Mofes, ihre ftrenge Beobachtung des
Sabbats und der Reinheitsgefetje, deren ubermagig angftliche
Beobaehtung angefidits der Gefahr, jeden Augenblick durch
eine anftreifende Beriihrung einer Frau der levitifdien Ver-
unreinigung ausgefetjt zu fein, audi zu einer Mifcachtung
oder Vermeidung der Ehe fiihren konnte. 3 ) Jedenfalls er-
klart fich aus ihrem afzetifchen Grundzug die Verwerfung
des Salbols und die Einfaehheit des Mahles. 4 ) Um nicht
unbedacht zu fchworen, 5 ) vermied man das Schworen iiber-
haupt
Unjudifch ift aber Jedenfalls die eigentumliche Verehrung
der Sonne, wenn fie auch nicht notwendig mit dem Mono-
theismus unvereinbar gewefen fein mag. Sie fand fich auch
fonft im Orient 6 ) und ift eine Eigentumlichkeit des Parfis-
mus. 7 ) Unjudifch waren auch die anthropologifchen Ideen
J ) Vgl. 1 Kon. 10, 5. 19, 18. 20. 3 Kon. 22, 6. 18, 4 4 Kon. 2, 3.
5. 4, 1. 38.
2 ) Friedlander, Zur Entftehungsgefchidite des Chriftentums. Wien
1894, S. 98-142 will den Effenismus als den ,,auf pala{tinenfifdien Boden
verpflanzten jiidifchen Alexandrinismus, der hier allerdings ftark gedampft
erfcheint" (S 7), anfehen. Allein dafur ift der Unterfchied zwifchen den
Effenern und den Therapeuten (\. u.) zu grog.
3 ) Vgl. Lev. 15, 18 ff. S. Gra^, Gefchichte der Juden III 5 , 91. Die
Sitte bei der Entleerung und das Bedecken der Lenden beim Bade er-
klart fich wohl durch Deuter. 23, 13 f.
4 ) S. o. 430 f.
5 ) Lev. 5, 4.
6 ) Tacit. Hist. 3, 24: Undique clamor, et orientem solem (ita in
Syria mos est) tertiani salutavere.
7 ) Vgl. Lightfoot 1. c. p. 387.
438 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
der Effener, welche fie mit den Griechen teilten und die am
meiften Ankiange mit dem Platonismus 1 ) haben.
Im nationalen Leben haben die Effener fdion wegen
ihrer geringen Zahl und ihrer Zurudcgezogenheit, vermutlieh
aber auch wegen ihres hellenifchen Charakters keine Rolle
gefpielt.
Der Effenis- In fruherer Zeit hat man bisweilen den Effenismus als
mus und das einen Vorlauf er des Chriftentums darftellen 2 ) und Johannes
Chriftentum. den Taufer wie j akobus> den Cruder" des Herrn, mit den
Effenern in Verbindung bringen wollen. 3 ) Aber der Taufer,
der nidit wie die Effener ein Conobit, fondern ein Einfiedler
war und audi in Kleidung und Nahrung fich von ihnen unter-
fchied, hat weder in feinen Lehrfatjen, wie fie in jeiner Bufc-
predigt an die grofje Volksmaffe zutage treten, noch in feiner
Tatigkeit der fofortigen Taufe aller, die bugfertig zu ihm
kamen, Beruhrungspunkte 1 mit den gemeinfam lebenden und
von der Menge fich abfchliejgenden Effenern. Er hat feine
Vorbilder nur in den Propheten. Jakobus, der ,,Bruder" des
Herrn, hatte aber fo wenig mit den Effenern zu tun, dag er
am Tempel-Gottesdienfte und den taglichen Opfern dafelbft
teilnahm, geradefo wie es auch die erften Chriften taten.
Es ift nicht einmal richtig, dag der Effenismus, in deffen
Syftem von einer meffianifchen Idee oder Erwartung fich
keine Spur findet, einen Einflug auf die Irrlehre gehabt hat, 4 )
J ) Vgl. befonders den Phadrus PJatos.
2 ) Vgl. Konig, Art. Effener im Kirchenlexikon 4, 91216 und P.
Chapuis, L'influence de 1'Essenisme sur les origines chretiennes in der
Rev. de theol. et de philos., Lausanne 1903, t. 36 p. 193-228. Bine An-
zahl Karmelitermonche des 17. Jahrhunderts hatten die Effener mit den
Chriften identifiziert und den Karmeliterorden auf den Effenerorden zurudc-
gefiihrt. Vgl. die Literatur bei Lucius 1. c. S. 8 f.
3 ) Vgl. z. B. Gralj, Gefchichte der Juden III 5 , 276 ff. 311 ff. In
Bezug auf den Taufer teilt auch M. Friedlander (der die Anfchauung von
Gra^, der Effenismus fei nur ein Zweig des Pharifaismus in feinem
Werke, Die religiofe Bewegung ete. S. 114168 fcharf bekampft) diefen
Standpunkt, uberfieht aber z. B. ganz, dag der Einfiedler Banus (f. o.
S. 427, 1) gar kein Effener war. Vgl. dagegen u. a. Lightfoot 1. c.
p. 397 ff. Zurhellen, Johannes der Taufer und fein Verhaltnis zum Juden-
tum, Bonn 1903 (Differt.), S. 54 ff. Innhjer, Johannes der Taufer, Wien
1908, S. 161.
*) Dafur Lightfoot 1. c. p. 409 und Klopper, Der Brief an die Co-
loffer, B. 1882, S. 76 ff.; dagegen Henle 1. c. S. 59-93.
XII. Kap. Das jQdifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 439
welche fidi in der Kirche zu Koloffa in den Tagen des Apoftels
Paulus geltend madite, wenngleidi zwifdien jeder Irrlehre,
einem gnoflifch angehauditen Judaismus und dem.Effenismus
jich einige verwandte Zuge finden.
Wie follte audi eine judifche Sekte mit einer fo weit-
gehenden Sabbatheiligung und einer folchen Anfchauung von
dem Werte und der Notwendigkeit der Abwafchungen mit
der Lehre Chrifti, der gerade wegen diefer Dinge fchon mit
den PharifSern fo oft in Konflikt kam, etwas zu tun haben!
Er aft und trank und wurde deshalb ein Schlemmer und
Weintrinker genannt, 1 ) er liefj fieh falben,' 2 ) er wirkte auf
einer Hodizeit fein erftes Wunder, kurz, er ift in Wort und
Beifpiel das Gegenteil von einem Effener. Dag der Effenis-
mus einige Ziige einer hoheren Moral hat, beweift nur das
natiirliche Wachstum des dem Menfchen angebornen fittlichen
Sinnes unter Verhaltniffen, welche diefem Wadistum giinftig
find 3 ) Wie wenig Wert aber auf folche Analogien als Be-
weife eines inneren Zufammenhangs zu legen ift, zeigt z. B.
die Gutergemeinfchaft der erften Chriften, welche bei ihnen
eine ganz freiwillige war und keineswegs das Aufgeben
jeden Eigentums bedeutete, wie auch ihr gemeinfames Leben
dem der Effener durchaus nicht ahnelte/)
l ) Matth. 11, 19. Luc. 7, 34.
a ) Luc. 7, 46. Vgl. Matth. 6, 17.
3 ) Lightfoot 1. c. p. 415.
*) S. Apg. 5, 4. Nach Epip*!ianlus, Haeres. 19, 1 sqq. 20, 3. 53, 1
(vgl. auch Hippol. Haeres. 9, 13-17 und Origen. bei Euseb. H. E. 6, 38)
hat wenigftens eine chriftliche Sekte ihren Urfprung aus den Effenern,
namlidi die der Sampfaer, welche zur Zeit des Epiphanius an den
Kiiften des Toten Meeres und in Moab exiftierten. Er nennt fie auch
Offener und Elkefaiten und fagt, fie feien weder Chriften, noch Juden,
noch Heiden. Auf die Effener kGnnen die bei den Sampfaern ubliche
Beibehaltung der Befchneidung , des Sabbats und anderer mofaifcher
Einrichtungen und die oftere Wiederholung der Taufe hinweifen. Vgl.
Lightfoot 1. c. p. 88 und 374 f. Funk, Art. Elkefaiten im Kirchenlexikon
4, 404407. W. Brandt, Elchasai ein Religionsftifter und fein Werk.
Beitrage zur judifchen, chriftlichen und allgemeinen Religionsgefchichte.
L. 1912, 25 ff. 43. 104 f. 118. Der Standpunkt der Elkefaiten ift im
wefentlichen auch in den klementinifchen Homilien vertreten (Barden-
hewer, Qefch. der altkirchl. Literatur I, 354). Ober die in le^teren fich
findenden Analogien mit den Effenern vgl. Zeller, Zur Vorgefchichte etc.
5. 217-223.
440 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
Kein Zu- In der irrtumlichen Meinung, die Therapeuten feien in
fammenhang Agypten lebende Effener gewefen, ift man auf den Gedanken
mi ^ d 6 e ^ r n iftl -gekommen, chriitlidi gewordene Effener, die in Agypten ihre
friihere Lebensweife fortgefetjt hatten, waren fiir die Ent-
ftehung des agyptifchen Mondislebens von Bedeutung ge-
wefen, und es beftande zwifchen den Efienern und den chrift-
lichen Monchen ein Zufammenhang. 1 ) Allein es gibt nur ganz
naturliche Analogien, wie fie fich auch z. B. bei den Buddhi-
ften finden. Die Sehnfudit der Menfdien nach einer voll-
kommenen Vereinigung mit Gott durch Abftreifung alles
Irdifchen ift eben ein allgemein menfchlicher Zug, der nur
feine reinfte Auffaffung und vollkommenfte Auspragung im
chriftlichen Monchsleben gefunden hat.
4. Die Therapeuten. 2 )
Mit den Effenern hat in afzetifcher Hinfieht eine andere
allerdings aujgerhalb Palaftinas vorkommende Sekte, deren
Bliite in das erfte chriftliche Jahrhundert fallt und uber deren
Wefen uns Philo in feiner Schrift vom kontemplativen Leben
berichtet, Ahnlichkeit. 3 )
x ) Wuku, Die Effener nach Jos. Flavius und das MOnchtum nach
der Regel des heiligen Benedikt, Studien und Mitteilungen aus dem
Benediktiner- und dem Zifterzienferorden. XL Jahrg. 1890, S. 223 -230.
Vgl. dagegen Ermoni 1. c. p 25-27.
2 ) Vgl. Lucius, Die Therapeuten^ und ihre Stellung in der Gefchichte
der Afzefe. Stragb. 1879." Nirfchl, Die Therapeuten, Mainz 1890. Cony-
beaie, Philo about the contemplative life, critically edited with a defence
of its genuiness. Oxford 1895. P. Wendland, Die Therapeuten und die
Schrift vom befchaulichen Leben in den Jahrbb. fur kla[f. Philologie XXII.
Supplementbd 1896, 693 ff (auch befonders Leipz 1896). Gut orientiert
auch Zeck, Die Therapeuten im Kirchenlexikon 11, 15991601.
3 ) Heyl -ftl'iv &*M$>]Tixr,f, lat. de vita contemplativa. Ausg. Mangey
II, 471486; Conybeare s. Anm. 2; Ausg. von Cohn, in Philonis Alexan-
drini opera vol. VI, 32 50. Ober Philo s. u. Die Schrift ift nach dem
Vorgang von Lucius (f. Anm. 2) von vielen Gelehrten als eine um das
Jahr 300 n. Chr. verfagte chriftliche Tendenzfchrift, welche das eben erft
entftehende MOnchtum als eine altere Inftitution darftellen follte, angefehen
worden. An der Echtheit ift aber nach den Unterfuchungen von Masse-
bieau (Le traite de la vie contemplative et la question des Therapeutes
in Revue de 1'hist. des relig. XVI, 1887, 170-198, 284-319 und feparat
Paris 1888), Conybeare 1. c. p. 258358 und Wendland 1. c. (vgl. auch
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 441
Nach feiner Darftellung gab es in vielen Gegenden der Therapeuten
Erde, befonders aber in alien Gauen Agyptens und am im weitem
meiften bei Alexandrian, Leute, die ihren Befit?, ihre Ver- Smne '
wandten und Freunde und ihr Vaterland verliejjen und, urn
fich der Unruhe, den Sorgen und den Verfuchungen der
Stadte zu entziehen, die Einfamkeit auffuchten. 1 ) Er fchildert
aber in feiner Sdirift nur eine Gemeinfchaft von judifchen
Afzeten oder Therapeuten am mareotifchen See, im Siiden Therapeuten
von Alexandrien, ,,zu weldier von iiberall her die beften im engem
uberfiedeln", die fomit als Mufter aller gelten foil. Es fei Sinne -
gleieh bemerkt, daft diefe Schilderung mit der Anfchauung
von einer fiber die ganze Welt verbreiteten judifchen Genoffen-
fchaft unvereinbar ift und deshalb feine allgemeinen Bemer-
kungen nach der ubrigens gewohnlichen Auffaffung von
Therapeuten im weiteren Sinne verftanden werden muffen,
d. h. von Leuten, die eine afzetifeh-myftifche Denk- und Le-
bensweife hatten wie die Therapeuten am mareotifchen See.
Vermutlich rechnet aber Philo zu diefen Leuten nicht blofe
jiidifche Schriftgelehrte, fondern auch griechifche Philofophen,
wie z. B. die Platoniker und Neupythagoraer. 2 )
Sie heigen nach Philo Therapeuten, entweder weil ihre Der Name
Heilkunft die Seele von ihren durch allerhand Leidenfchaften Therapeuten.
verurfachten Krankheiten, wie z. B. Unruhe, Furcht, Traurig-
keit u. dergl. befreit oder weil fie durch die Natur und heilige
Gefe^e belehrt worden find, Gott als das Seiende, das beffer
noch Brehier, Les idees philos. et religieuses de Philon d'Alexandrie.
Paris 1908, p. 321-324) nicht mehr zu zweifeln. Sie bildete nach
Wendland (S. 720 ff.) wahrfcheinlich die Fortfetjung des bei Bus. Praep.
ev. VIII, 12 fich findenden Fragments fiber die Effaer und wie diefes
einen Teil der Schrift n v^e^ 'JoudatW djioh<,yln, die wahrfcheinlich identifch
ift mit der philonifchen Schrift 'YxH&ertxri (Unterftellungen, d. h. Anklagen
gegen die Juden), aus welcher andere Fragmente in Euseb. Praep.
ev. VIII, 6-7 erhalten find. Vgl. auch u. die Erorterung fiber die Schriften
Philos. Im folgenden ift der Text von Conybeare benutjt, aber nach
Mangeys Ausgabe, Bd. II, S. 471 sqq., dererf Seitenzahlen fowohl bei
Gonybeare wie auch bei Richter -u. a. angegeben find, als der verbrei-
tetften zitiert.
') Philo in M. I, 474.
'0 Vgl. Wendland 1. c. S. 733 f.
442 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. jittl. ZuftSnde des jiid. Volkes.
ift als das Gute, einfacher als das Eine und urfprfinglicher
als die Einheit zu verehren. 1 )
Die Die Niederlaffung bei Alexandrien beftand aus M&nnern
Mitgiieder, un( j Frauen, d. h. meift bejahrten Jungfrauen. 2 ) Sie wohnten
Wohnung, m e jnf a dien,. nidi't weit voneinander entfernt liegenden Woh-
fdiaftigung nungen. Jede derfelben enthalt ein heiliges Gemach, 8 ) in
weldiem fie allein die Myfterien des heiligen Lebens iiben. 4 )
Dort hinein bringen fie weder Speife nodi Trank, fondern
nur das Gefetj, die Propheten und Hymnen und anderes,
wo durdi die Einficht und Gottfeligkeit vermehrt und vollendet
wird. 5 ) Somit muft die Wohnung wenigftens noch ein zweites
Gemaeh, in weldiem Nahrung genommen wurde, enthalten
haben. Im Winter waren die Therapeuten mit einem wolle-
nen, im Sommer mit einem leinenen Gewand gekleidet. 6 )
Zweimal am Tage, namlich morgens und abends, beteten
fie. 7 ) Den ganzen iibrigen Tag widmeten fie fich der Afzefe
und zwar dem Studium der Heiligen Schrift, welche fie im
Glauben, dag der Wortlaut der Heiligen Sdirift einen ver-
borgenen Sinn in fidi fdiliege, allegorifdi erklarten. Bei
diefen Studien bedienten fie fich als Vorbilder der ,,Schriften
alter Manner, welche die Stifter der Sekte waren" und viele
Denkmale allegorifcher Erklarung hinterlaffen haben 8 .) Audi
darin, fo fagt Philo, ahmen fie ihnen nach, daft fie in ver-
fchiedenen Versmafcen und allerlei Melodien mit ernftem
J ) Philo M. I, 471 sq. &e^anfveiv helfai fowohl n heilen", als audi
,,verehren, dienen". Wendland 1. c S 735 macht darauf aufmerkfam,
dag Philo hier den Therapeuten feinen eigenen, ab[trakten Gottesbegriff
unterfchiebt.
2 ) Philo M. 476, 26. 482, 3. Vgl. Wendland S. 738.
3 ) Es heiftt ae/j.vtiov = Heiligtum und ^ovatfr/f^ov, hier ein Zimmer,
in welchem man allein ift.
*) M. 475, 1416. 476, 5 f.
5 ) M. 475, 17 22: vouovs *ai Idyia &e6ni6&ivta, 3ta irgoqirjtuv, xul
.al Ta AAa [wohl andere Schriften] ol? in 16^^ unl svUEftsm gwav-
xai- reJiBtnvvTai. Unter den Hymnen find nach philonifdiem Sprach-
gebrauch die Pfalmen ver[tanden. Vgl. Massebieau, p. 288. Conybeare,
p. 312.
6 ) M. 477, 22.
7 ) M. 475, 25 ff.
8 ) M. 475, 3443.
XII. Kap. Das jfidifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 443
Rhythmus Gefange und Hymnen auf Gott verfaffen. 1 ) Erft
nach Sonnenuntergang verlaffen fie ihr Heiligtum und nehmen
je# erft Speife und Trank zu fidi. 2 ) Was fie an gewohn-
lidien Tagen nahmen, wird nidit gefagt, am fiebenten Tage
nahmen fie aber nur Waffer, Brot und Salz, welch letjteres
eiriige mit etwas Hyfop wurzen. 3 ) Einige nahmen nur alle
drei Tage Nahrung, andere fogar erft nadi doppelt fo langer
Zeit. 4 )
Der fiebente Tag 5 ) wurde feftlich begangen. Nachdem Feier des
fie namlich fur die Seele geforgt, falbten fie an dem Tage 7-Tages.
den Leib 6 ) und verfammelten fich im gemeinfamen Heiligtum,
welches durch eine drei bis vier Ellen hohe Scheidewand in
zwei Abteilungen, eine fur die Manner und eine fur die
Frauen, geteilt war. 7 ) Dort fetjten fie fidi nun nach dem
Alter 8 ) und hielt der Altefte und in den Lehren Erfahrenfte
einen Vortrag, 9 ) wahrenddeffen die Zuhorer ihren Beifall
nur durch Augen- und Kopfbewegungen kundtun. 10 )
Das grofcte Feft begingen die Therapeuten bei Alexan- Das grogte
drien am 50. Tage, d. h. wahrfcheinlich am 50. Tage nach
Oftern, obwohl dies nicht ausdriicklich gefagt ift, alfo am
Pfingftfefte. 11 ) Am Vorabende, dem 49. Tage, verfammelten
') M. 476, 1-5.
2 ) M. 476, 38.
3 ) M. 477, 79. Dort ift nur von der Speife am 7. Tage die Rede.
Massebieau, p. 295 sq. meint, nur die, welche uberhaupt blog zweimal
in der Woche agen, batten fich auf diefe jchmale Koft befchrankt. Jeden-
falls nahmen andere wenigftens Wein. Denn es heigt M. 483, 4: n in
jenen Tagen [des Feftes] wird kein Wein hereingebracht." ,,Probablement
ils ne se reduisaient pas non plus au pain et au sel mele d'hysope",
Massebieau, p. 295. So auch Conybeare 1. c. p. 246.
4 ) M. 476, 43 ff.
5 ) Qemeint ift allem Anfcheine nach der Sabbat, den hier (M. 476, 24.
477, 2) Philo wie oft (vgl. Wendland, S. 741) spdow nennt.
') M. 477, 5.
7 ) M. 476, 8 f.
8 ) M. 476, 24 ff.
) M. 476, 14 f.
10 ) M. 476, 22 f.
11 ) Vgl. ZU M. 481, 22 nvroi TO f.ikv nyiarov d9-polovcci'- <tl enrri i()3o-
die trefflichen Ausfuhrungen von Conybeare 1. c. p. 337 f. Vgl.
M. 481, 25: ton dk n^usi'^ri^ fteyinTrjf; fOyTfji; r^v "evrtjxovTo? ?i/er,
l <pvdixoiTaxos dfi&no'v etc. Wendland, p. 741 meint, wie fchon
444 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
fich Manner und Frauen weifcgekleidet zu einem Freuden-
mahle. Nachdem fie fich an ihre Platje geftellt batten, er-
hoben fie in Reihen ftehend auf ein Zeiehen des Auffehers
Augen und Hande zum Himmel und flehtenjzu Gott, es moge
ihm das Freudenmahl wohlgefallig fein. 1 ) Dann nahmen
fie Platj und zwar nach der Zeit des Eintritts in die Gemein-
fdiaft, 2 ) die Manner zur Rechten, die Frauen zur Linken. 3 )
Die jungeren Mitglieder bedienten die andern, durften aber
nicht wie Sklaven, da die Therapeuten die Sklaverei verab-
fcheuten, aufgefchurzt fein. 4 ) Wein wurde nicht aufgetragen,
fondern nur Waffer, welches fur die Schwacheren gewarmt
wurde. Auf dem Tifche ftanden Brot und Salz, welches einige
mit Hyfop mifchten. 5 ) Wenn nun alle fich zu Tifch gefetjt
hatten, erklarte einer der Alteften allegorifch eine Schriftftelle
oder beantwortete eine aufgeworfene Frage. 6 ) Am Schlufc
klatfchten alle mit den Handen Beifall. Dann ftand einer
auf und fang einen von ihm oder von einem alteren Dichter
verfafeten Hymnus auf Gott, dem andere in beftimmter Ord-
nung folgten, wahrend die ubrigen, wenn fie nicht gerade
die Schlufeverfe mitfingen mufcten, ruhig zuhorten. 7 ) Dann
brachten die Diener ,,den vorhin erwahnten Tifch mit der
heiligften Speife, Brot und Salz gemifcht mit Hyfop, hinein".
Philo erklart dies aus der Ehrfurcht vor dem heiligen Tifche
vorher Massebieau, p. 304 ss., die Therapeuten hatten fich alle 50 Tage,
alfo 7mal (mitunter 8mal)-im Jahre verfammelt, und bringt 741,3 einige
Stellen zum Beweife, dag , W iir<i iptua#mv" in M. 481, 23 ,,alle50Tage"
heige. Man kann aber doch nicht 7- oder 8mal neyisrn BOQTJ feiern. Daj^
die Therapeuten auch die ubrigen jiidifchen Fefte, fpeziell das Ofterfe[t
feierten, wird nicht geleugnet. Aber das Ofterfeft wurde in ftiengerer
Weife gefeiert und das Pfingftfeft, welches Philo" als das grogte Feft an-
fah (vgl. de Septenario M. 2, 281 und f. Conybeare, p. 101 und 306),
diente ihm beffer als ein anderes Feft dazu, eine Analogic und zugleich
einen Kontraft zu den heidnifchen Banquets, die gerade vorher von ihm
befchrieben worden find, darzuftellen. Vgl. Conybeare, p. 306 ff. 313 f.
1 ) M. 481, 25 ff.
2 ) M. 481, 40 f.
3 ) M. 482, 14.
4 ) M. 482, 24-483, 1.
l ) M. 483, 215.
6 ) M. 483, 16-484, 8.
7 ) M. 484, 9-21.
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 445
im heiligen Vorhofe, auf weldiem ungefauertes Brot und
Salz ohne Gewurz lagen. Denn es fei geziemend, daft die
reinfien und einfachften Speifen als befondere Belohnung
fur ihren Dienft der beften Klaffe von Menfchen, den Prie-
ftern, dargebracht werde. 1 )
Nadi dem Mahle begann ,,die heilige NachtfeierV) Es
fangen namlich zwei Chore, ein Manner- und ein Frauen-
Chor, jeder unter einem beftimmten Reigenfuhrer, teils zu-
lammen, teils in Wechfelgefang Hymnen auf Gott und fuhrten
dabei, zuerft getrennt, dann in einen Chor vereinigt, feier-
lidie Tanze auf. Philo meint, dies fei zur Nadiahmung der
Gefange und Tanze nach dem Durchgang durdi das Rote
Meer 3 ) gefchehen. Erft am Morgen fand die Feier ihr Ende.
Beim Sonnenaufgang erhoben alle die Hande zum Himmel
und beteten um einen gliicklichen Tag, um Wahrheit und
Scharfe des Geiftes. Dann ging jeder in fein Heiligtum
zurfick.
Was nun das Urteil fiber die Therapeuten angeht, fo sie waren
hat Eufebius, 4 ) dem fich die fpateren Sdirift[teller bis zum keine chrift-
16. Jahrhundert anfchloHen, 5 ) die Vermutung ausgefprochen, lichen
die Therapeuten feien chriftliche Afzeten gewefen, deren Auf- A f zeten -
enthalt gerade in Agypten fich durch die Predigt des heiligen
Markus dafelbft erklare. 6 ) Man hat fie auch mit noch ge-
ringerer Wahrfcheinliehkeit fur der Hauptfache nach ehemalige
zum Ghriftentum bekehrte judifche Priefter, welche fich aus
Furcht vor den Nachftellungen des Hohen Rates von Jeru-
falem naeh Alexandrien gefluchtet hatten, anfehen wollen. 7 )
x ) M. 484, 22-33.
a ) ncm> x k. M. 484, 33-485, 40.
3 ) Exod. 15, 1. 10.
*) Euseb H. E. 2, 16. 17.
5 ) Vgl. befonders Gonybeare, p. 318-320.
6 ) 1ft De vita contemplativa, wie Conybeare, p. 276. 290 meint, eine
altere Schrift des Philo und etwa um 22 oder 23 p. Chr. entftanden, [o
kann felbftver[tandlich von einer Kenntnis des Chriftentums in Alexan-
drien um diefe Zeit keine Rede fein.
7 ) Nirfdil, die Therapeuten, Mainz 1890 hat die Hypothefe des Eufe-
bius zwar wieder aufgefrifcht, aber durch feine Erklarung ficher nidit ver-
beffert. Er fagt z. B. alien Ernftes, die angefehenften Mitglieder hatten
nicht einmal von weitem aus ihrer Zelle hinausgefdiaut, um nicht von
446 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Allein wenn audi die Wertfdiatjung der Jungfraulidikeit und
des afzetifdien Lebens an fich auf Chriften hinweifen konnte
und auch die Beibehaltung einzelner judifcher Gebrauche und
Sitten bei Chriften, die aus dem Judentum hervorgegangen
waren, erklarlich ware, fo liegt dodi kein Grund vor, das
Zeugnis des Verfaffers, welcher den Verein als einen judifchen
bezeiehnet, zu bezweifeln. 1 ) Eine Anfpielung auf die chrift-
lidien Agapen lafjt fich in dem Genufc von Waffer und Brpt
und Salz vermifcht mit Hyfop fdilechterdings nicht erkennen,
wie audi das ganze Werk vom befdiaulidien Leben keine
fpeziell diriftlichen Vorftellungen enthalt. Markus ift fruheftens
in den vierziger Jahren nadi Alexandrien gekommen und
das Leben des Philo fiel zu friih, als dag er mit den dirift-
lichen Ideen hatte bekannt werden follen.
Sie waren F ur den \ e W gewohnlich 2 ) anerkannten judifdien Cha-
Juden. rakter der Therapeuten fpricht, dajg fie die jJidifchen Schriften
ftudieren, den Sabbat und die judifdien Fefte feiern u. dergl.
Auffallend ift allerdings bei einem judifdien Verein die Hoch-
fchatjung der Jungfraulidikeit. Allein diefe findet fich auch
fonft bei Philo, der uns allein das Leben der Therapeuten
fdiildert, bezeugt. 2 )
Haben mit Mit den Effenern haben fie, abgefehen von der afzetifchen
den Effenern Richtung und einigen andern Ahnlichkeiten, nidits zu tun. 4 )
nidits zu tun.
den alexandrinifchen Juden als ehemalige judifche Priefter erkannt zu
werden (S. 49). Sie hatten fich auch von Philo ferngehalten und inn nur
fo weit in ihr Religionswefen eingeweiht, dag er die Vorftellung erhielt,
es handle fich um eine kontemplative jQdifche Sekte (S. 53 f.). Sie hatten,
um ihren Charakter als eine chriftliche Gemeinde zu verbergen, ihren
Urfprung auf alte Manner zuruckgefuhrt, daruber aber dem Philo keinen
weiteren Auffchlufc gegeben (S. 56).
') Vgl. auch Wendland, S. 756 ff.
2 ) Nach dem Vorgang der Magdeburger Centuriatoren. Vgl. Cony-
beare, p. 320 ff. Lucius vertritt in feinem Werke Die Therapeuten 1879
die Theorie, De vita contemplativa fei eine Tendenzfchrift, eine etwa zu
Ende des 3. Jahrhunderts unter dem Namen Philos zugunften der dirift-
lichen Afzefe verfagte Apologie (Lucius S. 198). Vgl. dagegen u. a.
Conybeare p. .326 ff. Sie darf nach den Darlegungen von Massebieau,
Conybeare und Wendland als faft ganz uberwunden angefehen werden.
Vgl. auch Bouffet, Die Religion etc. S. 443, 1.
3 ) Vgl. Gonybeare 302 ff. 317. Wendland 743 ff.
*) G. Fayot, Etude sur les Therapeutes et le traite de la vie con-
XII. Kap. Das judifche Parteiwefen in neuteftamentlicher Zeit. 447
Ihre Organifation, ihre Stellung zur Arbeit u. a. ift ganz ver-
fchieden. 1 )
Neuerdings ift die Anficht geaufcert worden, 2 ) fie feien Sind keine
aus den Kreifen der judifchen Schriftgelehrten hervorgegangen, ideaiifierte
deren Anfchauungen und Gebrauche Philo faft unbewujjt nadi jfldif*e
den treibenden Gedanken und Motiven feiner eigenen Lebens- " *"
anfchauung idealifiert habe. Er habe ein Gegenftuck zu einer gee T en '
Sdiilderung des Stoikers Chairemon liefern wollen, 8 ) weldier
in idealifierter Weife das Leben der oberften Klaffen der
heidnifchen agyptifchen Priefter befchrieben habe. 4 ) Der Name
Therapeuten fei in heidnifchen Infchriften befonders von fol-
chen gebraucht, weldie fidi der Verehrung agyptifcher Gott-
heiten widmeten, und dtirfte fidi der von Philo gefchilderte
judifdie Verein nach Analogic foldier Kultvereine genannt
haben. 5 ) Aber trotj diefer feinen Beobaditungen geht's nicht
an, die Therapeuten als idealifierte judifche Sdiriftgelehrten
anzufehen. Denn Philo hat fie allerdings als einen judifchen 6 ) Sie waren ein
Verein, 7 ) aber als einen Verein von Philofophen 8 ) aufgefafet judifdier
und dargeftellt, und betont zu Eingang feiner Schrift befon- Verein von
ders ihre hiftorifche Wahrheit. 9 ) Philofophen.
Dajj die Therapeuten den philonifchen Gottesbegriff, die
templative, Geneve 1889 fdbreibt das Werk einem im 2. Jhrdt. n. Chr.
lebenden zum Chriftentum bekehrten alexandrinijchen Juden zu. Es fei
eine n fiction imitee de la societe essenienne et con9ue d'apres un ideal
de 1'auteur" (p. 114). Friedlander, Zur Entftehungsgefdiidite des Chriften-
tums, Wien 1894, S. 59 ff. halt die Therapeuten fur Effener der Diafpora
und den Verfaffer der Vita contemplativa fur einen alexandrinifdien Juden
aus dem Zeitalter Philos.
1 ) Vgl. u. a. Lucius, Die Therapeuten S. 35 ff.
2 ) Wendland S. 748 ff.
3 ) Wendland S. 754 ff.
*) Bei Porphyrius; De abstinentia IV, 6. 7.
6 ) Wendland S. 735.
6 ) Vgl. M. 481, 11 oi MoifaEM yvo>eipot. SchQler Mofis; M. 483, 11
von der allegorifdien Exegefe der Gefetje. Vgl. Wendland S. 744 ff.
7 ) Derartige Korporationen, welche fich <sta6oi, 6rwSoi oder collegia
nannten, waren in Alexandrien und im ganzen rOmifdien Reiche verbreitet.
Vgl. z. B. Massebieau 298 Conybeare 297 ff.
8 ) Sogar in den Traumen befchaftigten fich die Therapeuten mit n den
Lehren ihrer heiligen Philofophie". M. 475, 25. Vgl. auch z. B. t
in 474, 2. 475, 36. 476, 39.
8 ) M. 471, 5 ff.
448 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. jittl. Zuftande des jud. Volkes.
philonifche Geringfchatjung des Sinnlidien haben, daft fie aus
Furcht vor der anfteckenden Kraft des Bofen die Einfamkeit
auffuchen u. dergl., 3 ) erklart fidi vielmehr entweder daraus,
daft die Anfchauungen Philos und der Therapeuten eine ge.-
meinfame Quelle in der alexandrinifchen jiidifchen Spekulation
haben, a ) Oder daraus, daft der Verein fich eben unter dem
Einfluft der philonifchen Lehre gebildet hat und Philo felbft
demfelben zeitweilig angehorte. Das erftere erfcheint wahr-
fcheinlicher, allein audi das letjtere ift nicht von vornherein
abzuweifen. Denn wenn auch Philo in dem Traktate von
den Schriften alter Manner fpricht, welche Stifter der Sekte
waren und zahlreiche Denkmale allegorifcher Schrifterklarung
hinterlaffen haben, deren man fich als Vorbilder bediene, 3 )
fo gebraucht er doch, wie fchon zu Anfang gefagt wurde,
das Wort Therapeuten in einem. weitern und in einem
engern Sinne. In erfterem find alle Vertreter der am
mareoritifchen See gepflegten afzetifch-myftifchen Lebensweife
die Vorvater der dortigen Therapeuten und die hervorragend-
ften unter ihnen die Stifter. Wenn man aber einen Einfluft
des Philo auf die Therapeuten und feine Verbindung mit
diefen annimmt, fo braucht man fich nicht daran zu ftojsen,
daft er in feiner Vaterftadt Alexandrien Amter und Wtirden
bekleidet und lange dem Studium griechifcher Philofophen
und Schriftfteller obgelegen hat. Denn bei der geringen
Kenntnis, welche wir von feinem Leben befitjen, bleibt die
Moglichkeit offen, dag er jahrelang ein derartiges zuriick-
gezogenes Leben wie die Therapeuten gefiihrt hat.
') Vgl. Conybeare p. 40-42. 51 ff. 260 ff. Wendland S. 735 f. 747.
Massebieau p. 316 fagt: Le traite de la vie contemplative s'explique done
a. peu pres d'un bout a 1'autre par les oeuvres de Philon, surtout par
1' Explication de la loi, mais en partie aussi par le Commentaire alle-
: gorique. Im letjteren wolle aber Philo, dag man fich erft nach vorher-
g-egangenem tatigem Leben, wenn man 50 Jahre alt geworden, der vita
contemplativa widme. (De profugis c. 6. Vgl. auch die bei Conybeare
p. 269 ff. aus De Profugis angefuhrten Stellen und ibid. p. 275 f.)
2 ) Dafiir fpricht fich u. a. Massebieau p. 290 f. 305 f. aus, welcher
die Entftehung der Therapeuten auf die groge Miffionstatigkeit der Juden
unter den Ptolemaern, womit der Name des Ariftobulus verbunden ift,
2uruckfuhrt.
3 ) M. 475, 40 ff.
XIII. Kap. Das hSusliche und foziale Leben der Juden. 449
XII!. Kapitel.
Das hausliche und foziale Leben der Juden.
Von dem Orientalen ift bekannt, dafc er {ehr am Alt-
hergebraditen hangt und infolge der hoheren und mehr
gleichmafcigen Temperatur und der mei[t fflr weite Strecken
gleidien Bodenbefdiaffenheit zur Veranderung feiner augern
Lebensweife wenig Veranlaffung hat. Deshalb haben die
Beobaditungen des jetjigen Lebens im Morgenlande, fpeziell
in Syrien und Palaftina, felbft fur die neuteftamentlidie Zeit
nodi einen gro&en Wert. Man darf aber doch bei deren
Einfcha^ung nidit vergeffen, daft der Islam und die Araber
den von ihnen beherrfchten Volkern ihren Charakter aufge-
drfidct haben, dafj in der damaligen Zeit das Volk in Pala-
ftina uberhaupt auf einer hoheren Stufe der Kultur ftand, als
dies im allgemeinen jetjt der Fall ift, und daft die griechifdien
und romifchen Einfluffe wenigftens in den Stadten, die an der
Kufte oder an grofceren Verkehrsftragen in der Nahe helle-
niftifcher Orte lagen, mit in Rechnung gezogen werden muffen.
1. Die Wohnung. 1 )
Der Unterfdiied zwifchen einer modernen Wohnung und Modeme und
einer antiken, wie fie auch heutzutage noch im Oriente antikeWoh-
fidi oft findet, befteht nadi einer fcharffinnigen Ausfuhrung
Niffens befonders darin, daJ5 die Alten kein Glas hatten und
deshalb gezwungen waren, Luft und Licht durdi die Haus-
tiir oder durch eine Lichtoffnung im Dache und durdi andere
Maueroffnungen in das Haus eindringen zu laffen. Aller-
dings ift das anders geworden in der erften Kaiferzeit. Denn
J ) Vgl. Schegg, Biblifche Ardiaologie. Freib. 1887, S. 21-62. Ben-
zinger, Hebraifche Archaologie, Freib. u. Leipz. 1894, S. 111133. Warren,
art. House in Hastings Diet. II, 432. A. Rofenzweig, Das Wohnhaus in
der MiSnah. B. 1907. J. Krengel, Das Hausgerat in der MiSnah. Frank-
furt a. M. 1899. Samuel Krauss, Talmudifdhe Archaologie, Band 1, L. 1910
iiandelt ausfflhrlidi fiber Wohnung und Hausgerat S.I -77 u. 268-416.
Karl Jagers, Das Bauernhaus in Palaftina mit Ruckficht auf das biblifehe
Wohnhaus unterfudit und dargeftellt. OOtt. 1912.
Felten, Neuteftamentlidie Zcitgefdiidite. I 2. u. 3. Aufl. 29
450 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
1m erften Jahrhundert hat es in Italien Glasfabriken gegeben
und haben fich die Romer wenigftens bei Prachtbauten und
in befchranktem Mage auch bei Wohnhaufern des Fenfter-
glafes bedient. Vorher war man zum Verfchliefcen der Fenfter
auf Laden Oder Gitter oder auf Fenfterglimmer, der Licht
einlafct, aber die Sonnenftrahlen abhalt, angewiefen, 1 )
Die Wohnung Im Heiligen Lande erforderte das Klima eine Wohnung,
abhangig i n weldier man einerfeits vor dem Regen, anderfeits vor den
vom Khma heifcen Sonnenftrahlen gefcnutjt war. Letjtere werden am
^ r ~ einfachften durch kuhle, kellerartige Raume abgehalten, wah-
Baumaterial rend man gegen den Rege-n fchon in einer recht einfachen,
luftigen Wohnung Schutj fand und fidi damit um fo eher
begnugen konnte, weil faft das ganze Jahr hindurch ein
Aufenthalt im Freien moglieh war.
Wie vom Klima, fo v hangt die Wohnung naturgemafc
uberall vom Baumaterial ab. Palaftina war aber an Bau-
holz, befonders an Langholz ftets arm, dadurch war man
gezwungen, Lehmziegel und. in gebirgigen Gegenden, wo
leidit Kajk[tein gebrochen werden konnte, diefen zu ver-
wenden.
Die Haufer Von diefem Gefichtspunkte aus lafjt fidi annehmen, dafe
der Armeren. die Haufer der Armeren damals wie heute in Palaftina meift
viereckige, einftodcige, aus gebrannten oder an der Sonne
getrockneten Lehmziegeln gebaute Hutten gewefen find,
welche mit einem flaclien Dach von Baumftammen, Zweigett
und Aften verfehen waren, woruber eine, etwa einen Fug didte,
feftgeftampfte Erdfchicht lag. Heutzutage enthalten fie nur
einen Raum, worin der fur die Familie beftimmte Teil zwei
oder mehr Fujj hoher als der andere fur dias Hausvieh be-
ftimmte Teil liegt. Fenfter fehlen entweder ganz oder be-
ftehen nur aus Offnungen in der Mauer. Das Lieht kommt
durch die Tur, welche zugleich auch Kamin ift.
l ) S. Marquardt, Das Privatleben der R6mer, 2. Aufl. L. 1886 t
S. 215 ff. und S. 757 f. Ober Fenfterglimmer, lat. lapis specularis (Plin.
N. H. 36, 160 ff. u. 6.), griedi. TO <J<a<fve? (vgl. Philo Leg. ad Cajum
45 fiber Alexandrien) vgl. Marquardt 1. c. p. 757. Die Angaben der
fpateren talmudifdien Literatur fiber Glaswaren Jtellt Herzfeld, Handels-
gefdiichte der Juden des Altertums, 2. Ausg. Braunfdiweig 1894, S. 125 f,
zufammen.
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 451
Im habataifchen Petra und im Hauran hat es auch damals
zum Teil grofeartige aus vielen Gemachern beftehende Hohlen-
wohnungen gegeben, wie aus den Reifebefchreibungen ef-
fiditlich ift. Jedenfalls find aber von den Ifraeliten die vielen
Hohlen in den Kalkfteinfelfen Palaftinas damals nur voruber-
gehend, wie z. B. bei der Uberfulle der Herberge in Beth-
lehem 1 ) oder in Kriegszeiten, 2 ) benutjt worden. Den RSubern
boten fie aber einen gelegenen Zufluchtsort. 3 ) Audi von
Zeltwohnungen kann fur diefe Zeit keine Rede fein, weil
die Ifraeliten fchon lange keine Nomaden mehr waren.
Die Haufer der wohlhabenden Leute find jetjt vielfadi Haufer der
fchwere Gewolbebauten, d h. fie beftehen aus mit dicken Vor ~
Mauern verfehenen RSumen, deren Dadigewolbe auf grofeen nenmeren -
maffiven Pfeilern ruhen. Diefe erfordern ein gutes Fundament,
weil fonft der ftarke Winterregen dasfelbe unterfpult, die
Erde lockert oder fortfchwemmt und das Gebaude felbft zum
Wanken bringt. 4 )
In neuteftamentlidier Zeit find die grofceren Haufer der
Vornehmen wohl gewohnlidi mehrftodcig 5 ) gewefen. Es lajjt
fich annehmen, dag fie regelmafcig aus vier Flflgeln beftan-
den, welche einen Hof umfchloffen, 6 ) in deffen Mitte fidi ein
Brunnen oder Wafferbehalter befand. 7 ) In folche HSufer kam
man von der Strafee her zunadift durdi einen Vorhof oder
eine Vorhalle, 8 ) in weldier fieh ofter ein Turhuter oder eine
Turhuterin aufhielt. 9 ) Aus diefem Raum fuhrte eine Tur
zum Aufgang zu den oberen Stockwerken und das Dach,
eine andere Tflr in den erwahnten Hofraum. Erft von
diefem aus gelangte man in die unteren Gemacher. 10 ) Wie
') Luc. 2, 7.
8 ) Vgl 1 Mace. 2, 31. 2 Mace. 6, 11.
3 ) Jos. B. J. 1, 16, 4.
*) Matth. 7, 24 ff. Vgl. Benzinger S. 116.
') Apg. 20, 9.
6 ) Nehem. 8, 16. Matth. 26, 69.
7 ) Jos. Ant. 12, 4, 11.
8 ) neoavhov bei Marc. 14, 68; nvliiv Luc. 16, 20. Apg. 10, 17. Ob
I; bei Joh. 18, 15 der Haushof oder das Haus felbft bezeidinet, ift
zweifelhaft.
9 ) Joh. 18, 16. Apg. 12, 13. Jos. Ant. 17, 5, 2.
10 ) Winer BRW Art. Haus I, 467.
29*
Heizung.
Tafelung.
Mangel an
Fenftern.
Tiiren.
452 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jQd. Volkes.
nodi jefct im Oriente werden die hintern Zimmer oder der
obere Stock den weiblidien Infaffen des Haufes zugewiefen
gewefen fein. Hier waren audi die Sdilafzimmer, 1 ) wahrend
in den vorderen Raumen die GSfte bewirtet wurden. 2 ) Arme
fdhliefen entweder in dem einen gewohnlidien Raume oder
dodi in einem Zimmer zufammen. 3 )
Im Winter konnten die Zimmer durdi ein Kohlenbecken
mit glfihenden Kohlen oder trodcenen brennenden Sdieiten
erwarmt werden. 4 )
Die Wande der Zimmer waren innen oft mit Mdrtel, 5 )
in vornehmen Haufern mit einem farbigen Anwurf beworfen
und die Zimmerdecke oft getafelt. 6 )
Wenn audi, wie z. B. aus den Ausgrabungen von Pom-
peji bekannt ift und fdion oben erwahnt wurde, 7 ) Glas im
erften diriftlidien Jahrhundert bekannt und auch bei den
Wohnhaufern reidier Leute in Italien und anderswo ver-
wendet worden fein mag, fo begniigte man fidi fidier in
Paiaftina gewohnlidi mit blofeen Offnungen, weldie mit Git-
tern 8 ) oder Laden verfehen waren. Heutzutage liegen im
Orient die Fenfter in der Regel nach dem innern Hof. Allein
fdion nadi dem Alten Teftamente kamen audi Ausnahmen
hiervon vor, 9 ) wahrend das Neue Teftament, wenn audi nidit
in Paiaftina, die Exiftenz grofeer, faft bis auf den Fugboden
reidiender Fenfter vorausfe^t. 10 )
An Privathaufern offneten fidi, wie es fdion wegen der
Enge der Strafce notig war, die Tfiren gerade wie bei uns
nadi innen. Tagsuber waren fie gefdiloffen, aber nidit ver-
fdiloffen. Man meldete fidi durdi einen eifernen, Klopfer 11 )
oder durdi Rufen 1 *) an. Wollte man die Tflr verfdiliegen,
s )
s )
*)
8 )
)
7 )
8 )
9 )
10 )
ll
Jos. Ant. 12, 4, U.
Luc. 22, 12. Apg. 1, 13. 9, 37. 39. 20, 8 f.
Luc. 11, 7.
Sdion Jerem. 36, 22 f. Vgl. Schegg. 1. c. S. 39.
Vgl. Ezech. 13, 10-15.
Jerem. 22, 14.
S. o. S. 449 f.
Vgl. Cant. 2, 9. 'Prov. 7, 6.
4 KOn. 9, 30 f. Prov 7, 6 f.
Apg 20, 9. Vgl. 2 Kor. 11, 33.
Luc. 12, 36 13, 25. Apg. 12, 13. Vgl. Matth. 7, 7. Apoc. 3, 20.
Apg. 12, 14. Apoc. 3, 20.
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 453
fo fchob man von innen den Riegel vor. 1 ) Um eine Tur
z. B. bei Gefangniffen, Vorratskammern u. dergl. von auften
fperren oder offnen zu konnen, bediente man fich Riegel,
welche von aufcen mit einem Sdiluffel zuruckgefdioben werden
konnten. 2 )
Schon im alien Agypten hat man Tfirfiberfdiriften ge- Tur-
kannt. 3 ) Daran erinnert die Vorfchrift des Gefefces:*) Du uberfchriften.
follft diefe Worte 5 ) auf die Pfoften deines Haufes und an
die Tore fchreiben. Die Rabbiner und vielleicht fchon vor
ihnen die Schriftgelehrten haben dies wortlich aufgefafjt und
hefteten, wie es nodi jei?t bei den Juden^Gebraudi ift, ein
Holzkaftchen mit einem Pergamentblatt, worin die betreffen-
den Bibelabfchnitte 6 ) aufgefchrieben waren, an den oberen
Teil der rediteri Turpfofte. 7 ) Allgemein war aber fidier der
Gebrauch in der .neuteftamentlichen Zeit nidit.
Die Dadier waren flach, aber mit einer geringen Neigung, Das Da*,
fo daft das Regenwaffer abfliefcen konnte und, wie das Ge-
fetj vorfdirieb, 8 ) mit einem Gelander verfehen, welches aber
nidit notwendig hinderte, dafe man von einem Da die auf
das andere und fo eine ganze Strafte entlang gehen konnte. 9 )
Die engen Strafcen der Stadte und damit der Mangel an
frifcher Luft und freier Ausficht brachten es mit fich, dag man
fich in Palaftina viel auf dem Dache aufhielt und audi fdilief,
zumal man leicht durdi Zelte, Matten u. dergl. eine Art
) Luc. 11, 7. Vgl. Eccli. 22, 33. Cant. 5, 6.
2 ) Vgl. z. B. Matth. 16, 19.
3 ) Vgl. z. B. Wilkinson, Manners and customs of the ancient Egyp-
tians, L 1842, IP, 102. 123.
*) Deut. 6, 9.
) Deut. 6, 4-5.
6 ) Deut. 6, 49 und 11, 13-21.
7 ) Die Rolle heigt nr,;^. Vgl. Levy, Worterb. Ill, 63. ttber die
je^ige Sitte vgl. Mayer, Das Judentum in feinen Qebeten^Qebrauchen,
Gefe^en und Zeremonien, Regensb, 1843, S. 443 446. Rosenau, Jewish
ceremonial institutions and customs. Baltimore 1903, p. 107 ff.
8 ) Deut. 22, 8.
9 ) Matth. 24, 17. Marc. 13, 15. Luc. 17, 31. Jos. Ant. 13, 5, 3.
In Chester in England hat man in einigen Strafeen im erften Stockwerk
der Haufer an Stelle der nach der Strage gewandten Zimmer fortlaufende
Qalerien oder Arkaden. Diefelben enthalten eine Reihe von Laden, zu
denen man an den Strafeenecken auf Treppen hinauffteigt.
454 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuflande des jfld. Volkes.
Gemach dort herftellen konnte, in dem man ungefehen ver-
weilte. Auf dem Dache betete Petrus. 1 ) Vom Dache redete
man bisweilen zum Volke. 2 ) Auf das Dach konnte man zu-
mal bei einftockigen Haufern auf einer unter freiem Himmel
in einer Ecke des Hofes oder fonft im Freien vor dem Haufe
angebrachten Treppe oder auf einer Leiter hinauffteigen. 3 )
Ift es doch aus der Zeit Jefu bekannt, dafc einige Manner
einen Gichtbruchigen hinauftrugen und ihn auf feinem ,,Bett"
,,durch die Ziegel hinunter" liefcen mitten vor Jefus. 4 ) Die
Ziegel diirften in diefem Falle auf der fiber das Dach ge-
legten Erdfchicht 5 ) zum Schu^e gegen den Regen gelegen
haben. 6 )
Das Das audi im Neuen Teftamente erwahnte Obergemach
Obergemach. war nicht auf dem Dach, fondern war der fiber das ganze
Haus hingehende Seller oder Saal eines zweiftockigen
Haufes. 7 )
Zimmer- Die Zimmereinrichtung war damals auch in vornehmen
einnchtung. romifchen Haufern eine einfache und beftand vorzuglich aus
Sophas und Betten, Tifchen, Banken, Stuhlen, Schranken und
Kaften. 8 ) In Palaftina gehorte in der alteren Zeit zur Aus-
ftattung eines Zimmers ffir einen Gaft in einem vornehmen
Haufe Ruhebett, Tifch, Stuhl und Lampe. 9 ) Wahrend die
Armeren meift in ihrem Mantel auf einem Teppich oder auf
blower Erde oder in einem Feldbette, einer Pritfche, die man
wie einen Klappftuhl zufammenlegen konnte, fchliefen, 10 ) be-
!) Apg. 10, 9.
2 ) B. J. 2, 21, 5. Vgl. Matth. 10, 27.
3 ) Sdiegg S. 31 f. 42. Warren S. 432
*) Luc. 5, 19. Vgl. Marc. 2, 4.
8 ) S. o. 450.
6 ) Vgl. Schegg S. 42.
7 ) Apg. 1, 13. 9, 37. 39. 20, 8. Jos. .Vita 30.
8 ) Vgl. Marquardt 1. c. S. 723 ff.
9 ) Vgl. 4 Kon. 4, 10.
l6 ) Das Beit der Armeren hieg !()a'y9/9aro?, grabatus, vgl. Marc. 2, 4.
9. 11. Joh. 5, 8. Apg. 5, 15. 9, 33. ,,Das Belt" worauf der Gicht-
briichige lag, heifct Matth. 9, 2. 6. Luc. 5, 18 *Uvn (xJUWdW Luc. 5, 19. 24),
welcher Ausdruck aber auch Marc. 4, 21. 7, 4. Luc. 8, 16 fQr den lectus
triclinaris, auf welchen man zu Tifche lag (vgl. fiber die Einriditung
z. B. Marquardt 1. c. S. 302), gebraucht wird. Im Unterfdiied vom Bett
des Armen fteht Apg. 5, 15 xhvdfjtov fur das des Reidien. Die Mifchna
XIII.. Kap. Das hausliohe und foziale Leben der Juden. 455
dienten fidi die Vornehmeren zum Ruhen wie zum Sehlafen
verfchiedener Arten von Betten und Ruhebetten. Es waren
dies gewohnlich mil Fuften verfehene holzerne Geftelle, weldie
mit Gurten befpannt waren. Hierauf wurden Polfter, Decken
oder Teppiche, Tucher und Kiffen, wie fie befonders von
Agypten oder Damaskus geliefert wurden, gelegt. 1 ) Der
Stuhl wird in den Biidiern der Konige wohl erwahnt, 2 ) weil
die Ifraeliten in der alteren Zeit wie die Agypter zu Tifche
fafeen. 3 ) Die Lampe, eine Ollampe mit Docht, hing in der
Mitte des Zimmers und brannte in der alteften Zeit, gerade
wie heute bei den Fellachen in Palaftina, fortwahrend, und
wie diefe mit den Worten ,,er fchlaft im Finftern" fagen
wollen, daft jemand nidit einmal mehr Geld hat, um 01 zu
kaufen, fo hiefe es damals von jemand, der zugrunde ge-
gangen war, ,,feine Lampe ift erlofchen."*) Zu diefen not- Haus-
wendigen Einrichtungsgegenftanden kamen dann Kochge- einrichtung.
fchirre, Schlauche und Kriige zum Aufbewahren von Fluffig-
keiten, Korbe, Schalen, Sdiiiffeln und Becher zum Effen und
Trinken, ein holzerner Laden oder Kaften zum Aufbewahren
der Kleider 3 ) u. dergl.
Die Strafcen in den Stadten waren im allgemeinen eng, 6 ) Die stragen.
wie fie es iibrigens im Morgenlande, wo man Schutj gegen
die Sonne fucht, noeh immer find. Schon Jeremias fpridit 7 )
von einer Backerftrafce, woraus man wohl fchliefjen darf,
Kethuboth 5, 8 erwahnt fur armere IJraeliten als gebrauchlich ein Bett>
eine Decke und ein Unterbett.
J ) Vgl. z. B. Amos 3, 12. Sprichw. 7, 16.
? ) 4 Kon. 4, 10.
3 ) S. u. S. 461 f.
4 ) Vgl. Jerem. 25, 10. Sprichw. 13, 9. 20, 20 etc. Ober die Form
der Lampen vgl. Porter, art. Lamp in Hastings Diet. Ill, 23 i. H. Hansler,
Die Lampe, ihre Bedeutung und Entwicklung in Palaftina. Das Heil. Land
(57) Koln 1913, 219-224. 1914, 13-22. 79-87. 167-175. Vgl. aucn
Fonck, Die Parabeln des Herrn. Innsbr. 1902, S. 476 f. 509 und Krauss
1, 68 ff. 201 ff. In fpaterer Zeit brannte man die Lampen nur in der
Dunkelheit. S. Schabb. 2, 5 und 7 u. 6. Die Wirkung der Ollampe
wurde vermehrt, wenn man fie auf einen hohen Leuchter fetjte. Vgl.
Matth. 5, 15. Lee. 11, 33
5 ) Vgl. Marquardt S. 727.
6 ) Ant. 20, 5, 3. B. J. 2, 14, 9. 2, 15, 5. 6, 8, 5.
7 ) Jerem. 37, 21 (hebr. Text).
456 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
dajj die heutigen Bazarftrafcen, d. h. Strafcen, in weldien be-
ftimmte Gewerbe betrieben werden, uralt find. Zur Zeit des
Herodes Agrippa II. i[t Jerufalem mil weijjem Marmor ge-
pflaftert worden. J ) Vermutlich war aber die Hauptftadt des
heiligen Landes audi vorher fchon, wenn auch weniger koft-
bar, gepflaftert. Denn wir lefen, dafc fchon Herodes I. die
Hauptftrafje von Antiochien mit geglattetem Stein hatte
pflaftern laffen. 2 )
2. Die Nahrung.
Das Brot. Unter alien Nahrungsmitteln war das Brot das vorzug-
lidi[te, fo daft in der Heiligen Schrift 3 ) Brot oft fur Nahrung
uberhaupt dafteht. Man hatte befleres Brot aus Weizen und
geringeres aus Gerfte. 4 ) Alle Tage wurde frifches Brot ge-
backen 5 ) und das Mehl dazu von der Hausfrau oder von
Sklavinnen gemahlen. 6 ) Man bediente fich dazu der audi bei
den Grieciien und Romern gebrauchten Handmuhle, 7 ) weldie
noch heute vielfach im Orient im Gebrauch ift. Diefelbe be-
fteht aus zwei runden Steinen, einem feftliegenden untern
Stein und einem obern, dem Laufer, welcher eine triehter-
f ormige Offnung fur die Korner hat und durch einen Griff
1 ) Ant. 20, 9, 1.
2 ) Ant. 16, 5, 3. B. J. 1, 21, 11.
*) Qen. 18, 5. Prov. 30, 8. Jer. 41, I. Welsh. 16, 20. Matth. 15, 22.
Vgl. auch Ecker, Art. Brotbacken im Freib. K. L. 2, 1316 f. Macalister,
art. Bread in Hastings I, 315 319. Ober ,,Nahrung und ihre Zube-
reitung" in der talmud. Zeit vgl. Sam. Krauss, Talmudifche Archaologie
I, 78-126. 417-516.
*) Gen. 30, 14. Joh. 6, 9. 13.
3 ) Matth. 13, 33. Luc. 13, 20 i. Deshalb durfte nach Deut. 24, 6
die Handmuhle nidit gepfandet werden. Am Sabbate war nadh M. Schabb.
7, 2 Mehl zu mahlen verboten.
a ) Vgl. Exod. 11, 5. Isai. 47, 2. Matth. 24, 41. Plinius N. H. 18,
II, 28 n. 107 fagt: ipsi panem faciebant Quirites, mulierumque id
opus maxirhe erat, sicut etiam nunc in pluribus 'gentium. M. Ke-
thuboth 5, 5 heigt es, eine Frau muffe ikrem Manne das Mehl mahlen,
badcen, wafchen, kochen, ihr Kind faugen, ihm das Bett madien und
in Wolle arbeiten. Hat fie eine Magd, fo darf fie nicht mehr mahlen,
backen und wafchen.
7 ) Vgl. aber die im Altertum gebrauchten Muhlen auch Marquardt
1. c. S. 421 ff.
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 457
oder eine Kurbel um einen Zapfen gedreht wird. 1 ) Das
Mehl fiel am Rande des unteren Steines herab und wurde
in ein Tueh ge[ammelt. Man kannte aber auch in Palaftina
grofeere, meift von Efeln gedrehte Mfihlen. 2 ) Fur die rab-
binifdie Zeit ift bewiefen, dafj wenigftens damals das Mehl-
mahlen bereits ein Gewerbe 3 ) war, wahrend eigene Badser
fchon lange vor Chriftus in den judifchen Stadten nachweis-
bar find. 4 )
Das Mehl wurde in holzernen Backtrogen 5 ) zu Brotteig
geknetet und oft mit Sauerteig durchfauert. 6 ) Aus dem Teige
formte man die einzelnen Laibe Brot mit der Hand und
zwar in runde, dunne Sdieiben, weldie leicht gebrodien
werden konnten, 7 ) aber den Brotkuchen die Form fladier
Steine gaben. 8 )
Gebacken wurde das Brot gewohnlich, wie nodi heute
bei den Felladien Palaftinas, 9 ) in tragbaren, irdenen oder
fteinernen Backtopfen oder Of en, die ungefahr drei Fujj
hodi waren und im Innern mit Holz oder mit trockenem .
Gras 10 ) oder im Notfalle audi mit getrocknetem Dunger 11 )
geheizt wurden.
Aufeer dem Brot ift Milch und damit auch Butter und Milch, Fieifch
Kafe ftets ein Hauptnahrungsmittel des Landes, welches von und Butter.
Milch und Honig flofe, gewefen. 12 )
Der Genufc von Fleifch war bei den Ifraeliten, wenn
man von Fefttagen abfieht, felten. Bekanntlich war der Ge-
a ) Abbildungen z. B. bei Benzinger, Archaologie S. 85 und No-
wack, Lehrbuch der hebraifchen Archaologie. Freib. und Leipz. 1894, S. 110.
') Vgl. Matth. 18, 6.
3 ) Dammai 3, 4.
4 ) Ofeas 7, 4. 6. Jerem. 37, 21 (hebr.). Jos. Ant. 15, 9, 2.
5 ) Exod. 8, 3 (hebr. 7, 28). 12, 34. Deut. 28, 5. 17 (hebr.).
e ) Vgl. Matth. 13, 33'. 16, 6. Marc. 8, 5, Luc. 12, 1. 1 Kor. 5, 6 f.
Gal. 5, 9. Ober verfdiiedene Arten von Sauerteig f. Plinius 18, 11, 26
n. 102104. Vgl. auch Fonck, Die Parabeln S. 163 f. Man liejj den
Sauerteig oft beim Backer machen. M. Challa 1, 7.
') Matth. 14, 19. 15, 36. 26, 26. Luc. 24, 35. Apg. 2, 42. 20, 11.
) Matth. 7, 9. Luc. 11, 11.
9 ) Abbildungen z. B. bei Benzinger S. 86 f. Nowack S. 146 f.
10 ) Matth. 6, 30.
) Ezech. 4, 12. 13.
") Vgl. 2. B. Schegg 84 f. Macalister, art. Food 1. c. p. 36.
458 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Verhaltniffe des jiid. Volkes.
nuft des Fleifdies beftimmter Tiere, z. B. der Schweine, die
als unrein galten, uberhaupt verboten. 1 ) Wie grog der Ab-
fcheu der Juden vor dem Genufc des Blutes, welches man
als den Sit; der Seele und des Lebens anfah, 2 ) des Er-
ftickten und des Fleifches, welches den Gottern geopfert ge-
wefen, war, ergibt fidi daraus, dag das Apoftelkonzil den
Heidenchriften in Syrien und Cilicien den Genufc diefer
Dinge im Interefje ihres Zufammenlebens mit den Juden-
chriften verbot. 3 )
Gemufe und Als Zukoft zum Brot kamen befonders die auch im
Fruchte. Alten Teftamente erwahnten Bohnen, Linfen, Gurken und
Melonen in Betracht, 4 ) fowie Knoblauch, Zwiebel und Lauch 5 )
und von Fruchten Feigen, Trauben, Datteln und Oliven. 6 )
Wie das Alte Teftament, fo kennt auch die Mifchna die Obft-
kuchen, z. B. Feigenkuchen, welehe aus zufammengeprefctem
trockenem Obft beftanden. 7 )
Der Honig-. Der Honig vertrat bei den Alten die Stelle des Zuckers, 8 )
und zwar hatte man fowohl den Bienenhonig 9 ) wie auch
') Vgl. Lev. 11, 3 ff. Deut. 14, 4 ff.
2 ) Gen. 9, 4 f. Lev. 17, 11. Deut. 12, 23 ff. Es waren verboten,
Fleifch mit dem Blute zu effen. S. Gen. 9, 4. Lev. 7, 26 f. 17, 10 ff.
Deut. 12, 23 ff.
3 ) Apg. 10, 14. 15, 29. 21, 25. 1 Kor. 8, 1. Vgl. u. a. z. B. Felten,
Die Apoftelgefchichte, Freib. 1892, S. 46 ff. 300 ff.
4 ) Vgl. z. B. Gen. 25, 29 ff. 2 Kon. 17, 28. 4 Kon. 4, 39 etc. Vgl.
M. Salomonski, Gemiifebau- und gewadife in Palaftina zur Zeit der
Mifdmah. Diss., Tubingen 1911.
5 ) Num. 11, 5. Die nach Knoblauch .Jtinkenden Juden" wurden von
den Griechen und Romern verfpottet. S. Ammian. Marcell. 22, 5. Vgl.
Macalister p. 29.
6 ) S. o. S. 30 f.
') 1 K6n. 25, 18. 30, 12. 2 K6n. 16, 1. 4 K6n. 20, 7. Ifai. 38, 21.
1 Paral. 12, 40. M. Dammai 2, 1. Terumoth 4, 8. Baba mezia 2, 1. Nach
Kethuboth 5, 8 mufjte jemand feinem Weibe, wenn er nicht felbft mit
ihr fpeifte, fur eine Woche wenigftens 2 Kab Weizen oder 4 Kab Gerfte
(I Kab = 2,1870 Liter), l l Kab Hulfenfruchte, V Log 01 (1 Log =
0,5468 Liter), 1 Kab durre Feigen oder 1 Mine (f. u. Kap. 13, 5) fchwere
Feigenkuchen geben.
8 ) Exod. 16, 31. Vgl. auch Schegg S. 102 ff.
9 ) Matth. 3, 4. Luc. 24, 42.
XIII. Kap. Das hSusliche und foziale Leben der Juden. 459
eine Art Fruchthonig, z. B. den Dattelhonig, der an Gute
dem Bienenhonig nidit viel naehftand. 1 )
Fifdie waren ein bei den Juden beliebtes Nahrungs- Fifche.
mittel. 2 ) In Jerufalem fuhrte das Fifditor feinen Namen von
einem in der Nahe befindlichen Fifdimarkt. Man kannte audi
fdion lange die Kunft, Fifche einzufalzen, 3 ) wie in einem
Lande, deffen Gewaffer, wie z. B. der See Genefareth, fo
reidi an Fifchen verfchiedener Art waren, 4 ) zu erwarten ift.
Heufchrecken find von alters her, wie nodi heute in Heufchrecken
Arabien, fowohl in Palaftina wie fonft im Morgenlande fo-
wohl geroftet als gekocht gegeffen worden. 5 )
Salz gait damals fo fehr als die Wurze jeder Speife, Saiz.
dafc es ein Symbol der Gaftfreundfchaft wurde und Brot und
Salz mit jemand effen der Ausdruck fur das Eingehen einer
engen Freundfdiaft mit jemand wurde. 6 ) Das Salz wurde
befonders von den weitausgedehnten Salzbergen am Toten
Meere rein gewonnen. 7 ) Ebenfo bekannt wie das kleinfte
unter den Samenkornern, das Senfkdrnlein, waren der Senf 8 )
und andere Ingredienzen, wie z. B. Minze, Anis und Kummel. 9 )
Das gewohnliche Getrank, Waffer, war in dem heifcen Waffer.
und in weiten Strichen an Quellen und Fliiffen armen Lande
eine befonders grofce Koftbarkeit. In Jerufalem hatte man
durch Wafferleitungen und Sammelteidie und durdi Zifternen,
wie fie jedes Haus hatte, fur Trinkwaffer geforgt. 10 ) Aber
auch auf dem freien Felde hatte man in ahnlicher Weife
') Jos. B. J. 4, 8, 3.
2 ) Vgl. z. B. Matth. 14, 17, Marc. 6, 38, Luc. 9, 13, Joh. 6, 9.
21, 9 ff.
3 ) Soph. 1, 10. Nehem. 3, 3. 12, 38. 2 Paral. 33, 14.
*) Die Stadt Tarichea an der Sudweftfeite des Sees Genefareth
fuhrte ihren Namen von rd^ixo? (ra^i/svftv = einfalzen, einpOkeln, ein-
machen). Vgl. o. S. 45.
5 ) Matth. 3, 4. Marc. 1, 6. Vgl. Schegg S. 108-110. Macalister
art. Food. 1. c. p. 37.
6 ) Lev. 2, 13. Num. 18, 19. 2 Paral. 13, 5. Vgl. Esdr. 4, 14. Im
Tempel gab es eine eigene Salzkammer, worin das Salz zum Opfer
aufbewahrt wurde. Middoth 5, 3.
7 ) S. o.-S. 27.
8 ) Matth. 13, 32. 17, 19. Luc. 13, 19. 17, 6. Kilajim 1, 5.
9 ) Matth. 23, 23. Schebiith 7, 1 und 2. Maaseroth 4, 5. Dammai 2, 1.
10 ) S. o. S. 66.
460 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jQd. Volkes.
fidi bemiiht, an vielen Orten das Regenwaffer in Zifternen
zu fammeln.
Wein. Von fonftigen Getranken ift, von der Milch abgefehen,
befonders der Wein zu erwahnen. Denn damals war nodi
Palaftina ein Weinland, 1 ) wie fich aus zahllofen Stellen des
Alten und Neuen Teftaments und den vielen, noch jetjt er-
haltenen alten Felfenkellern ergibt. Genannt wurden die
Weine wie bei uns nach den Urfprungsorten, 2 ) aufbewahrt in
grofcen Steinkrugen oder Faf|ern und abgezogen in lederne
Flafchen oder Schlauche. 3 ) Man trank den Wein gewohnlieh
mit Waffer vermifcht, 4 ) kannte aber auch den mit Gewurzen
gemifchten Wein, 5 ) wahrend die armen Leute fich oft mit
einer Mifchung von Weineffig und Waffer begniigten. 6 ) Audi
Sicera. das fogenannte Sicera, ,,beraufchendes Getrank", welches oft
in der Heiligen Schrift in Verbindung mit Wein erwahnt
wird, 7 ) war ein kunftlfcher Wein, iiber deffen Beftandteile
aber fchon Hieronymus nichts Beftimmtes weife. 8 )
Die Mahl- 1 der damaligen Zeit hatte man in Palaftina gewohn-
zeiten. lich zwei Mahlzeiten, das Mittageffen um zwolf Uhr 9 ) und
') Vgl. Zapletal, Der Wein in der Bibel (= Bibl. Studien XX, 1).
Freib. i. B. 1920, S. 1-23.
*) Cant. 1, 13. Nidda 6, 7. Menachoth 8, 6.
3 ) Matth. 9, 17. Marc. 2, 22. Luc. 5, 37. Von Faffern redet z. B.
Menachoth 8, 6. 7.
*) 2 Mace. 15, 40. Schabb. 8, 1. Pesachim 7, 13. Der Talmud
Schabb. f. 77 (bei Reland p. 139) ruhmt von dem Wein von Sarona,
dag er eine Mifchung- mit doppelt fo viel Waffer vertrage. Sonft gait
das Wort des Plinius N. H. 23, 38: vetus vinum copiosiore aqua mi-
scetur. Ober die palaft. Weine vgl. auch o. S. 30.
5 ) Vgl. das Hohelied 8, 2. Marc. 15, 23. Matth. 27, 34.
6 ) Marc. 15, 36. Man nannte das Getrank bei den Romern posca.
Vgl. Plautus, Miles Qloriosus 3, 2, 23 : alii ebrii sunt, alii poscam potitant.
S. Schegg S. 180 f.
7 ) Z. B. Luc. 1, 15. Vgl. Lev. 10, 9. Num. 6, 3. Deut. 29, 6.
Mich. 2, 11.
) Hier. ad Nepotianum 2, 11 (ed. Vallarsi 1, 266): Sicera Hebraeo
sermone omnis potio nuncupatur, quae inebriare potest; sive ilia, quae
frumento conficitur, sive pomorum succo, aut quum favi decoquuntur in
dulcem et barbaram potionem, aut palmarum fructus exprimuntur in li-
quorem, coctisque frugibus aqua pinguior coloratur."
9 ) Vgl. Luc. 11, 37 14, 12. Apg. 10, 1 ff. Jos. Vita 54: '^
XI 11. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 461
die wichtigere Hauptmahlzeit um adit Uhr. 1 ) Dajj letjtere
auf den Abend gelegt wurde, hing mit der Hifje zufammen.
Diefe Einriditung befteht audi jetjt nodi im Orient und war
audi bei den Griechen und Romern tiblich. Audi das Friih-
ftudt war bekannt 2 ) und war ohne Zweifel dem Friihjtudt,
weldies heutzutage im Morgenland vielfadi aus einer Taffe
Milch und Butter Oder 01 auf Brot befteht, ahnlidi. 3 )
Bei den gewohnlidien Mahlzeiten im eigenen Haufe
haben fidi ohne Zweifel audi die damaligen Juden, wenig-
ftens die Armeren, um den Tifdi gefdiart oder wie die
Beduinen auf den Boden gefetjt. Aber bei feftlicheren Ge-
legenheiten lag man nach griediifdi-romifdier Weife zu
Tifdie, 4 ) d. h. man lag auf gewohnlidi fiir drei Perfonen be-
jtimmten Diwans, in dem man fidi auf den linken Ellbogen
ftiitjte und den rediten Arm freihielt, um in die Tifchfchuffel
greifen zu konnen. Dabei waren die Fiifce nach hinten aus-
geftreckt, 5 ) wahrend man mit dem Kopf gewifjermaften an der
Bruft des linken Nadibarn ruhte. 6 ) Man aft ohne Meffer und
Gabel mit den Handen, 7 ) indem man, falls nicht der Haus-
') Luc. 14, 12. 16 f. 17, 8 u. 6. Die erfte Mahlzeit hieg" a
die zweite tftlnvov. Vgl. Luc. 14, 12: OTUV ytoifj? u^torov $ dtlnvov. Die
Stunde des Selnvov ergibt fich aus Jos. Vita 44: %v 3k o"^a wxzo$ jjdq
, KU&-' r t v tTi'y%at>ov fierd rwv q>i)iiav xai T<av JTaA*ita? TtytoTW i<Sti(a-
?. Vgl. auch B. J. 1, 17, 4.
*) Dagegen Eccl. 10, 16: vae tibi, terra, cuius rex puer est, et cuius
principes mane ("ip.2?) comedunt.
3 ) Vgl. Macalistef, art. Food in Hastings II, 36.
4 ) Im A. T. fehlt es an jedem Hinweis, dag man zu Tifche lag, und
auch im N. T. ift immer erft aus dem Zufammenhang zu erkennen, ob
der Ausdruck zu Tifche liegen" (z. B. Matth. 9, 10. 26, 7. Marc. 6, 22.
14, 3 18. Luc. 5, 29. 7, 36 ff. 11, 37. 14, 10. 17, 7. 22, 14. Joh. 13, 27. 28.
21, 20) ein wirkliches Liegen im griechifch-rOmifchen Sinne bedeutet. Un-
zweifelhaft ift dies z. B. Luc. 7, 36 ff. 22, 14 ff. Joh. 13, 12 23, 20 der
Fall. Berakhoth 6, 6 unterfcheidet zwifchen zu Tifche fitjen und um den
Tifch herum liegen. Aber beim Paschamahl follte nach Pefachim 10, 1
auch der Armfte nicht davon effen, ehe er fich niedergelegt habe, zum
Zeichen, dag die Kinder Ifraels aus Knechten, die ftehend ajgen, Freie
geworden waren. Ober antike Gaftmahler vgl. etwa Th. Birt, Aus dem
Leben der Antike, L. 1918, 20-47.
l ) Luc. 7, 38.
fl ) Joh. 13, 23. 25. 21, 20.
') Matth. 26, 23.
462 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
vater die Speifen verteilte, 1 ) ein Stuck Fleifch das Fleifch
kam fchon gefchnitten auf den Tifch 2 ) ergriff und fich das
Gemufe auf den Brotkuchen wie auf einen Teller legte oder
ein Stuck Brot in die Bruhe eintauchte. 3 ) Da man mit den
Handen aft, wufch man diefe vor und nach dem Effen, woraus
die Schriftgelehrten eine rituelle Vorfchrift machen wollten. 4 )
Tifchgebete. Das Alte Teftament erwahnt wohl das Gebet nach dem
Effen, aber nicht vor demfelben. 5 ) Wie aber Jefus das Tifch-
gebet fprach, fo haben auch die Apoftel und erften Chriften
vor dem Effen gebetet. 6 )
Auf die Reife nahm man Brot und Friichte, aber auch
Wein und 01 mit. 7 )
Feftmahlzeiten aus befonderen feftlichen oder freudigen
Anlaffen fanden z. B. bei der Befchneidung oder Ehefchliefcung
und dergl. ftatt. 8 ) Ein folches Feft fiihrte bezeichnenderweife
feinen Namen Mifchteh 9 ) vom Trinken. Man fchlachtete fchon
fruhmorgens 10 ) und lud kurz vor dem Anfang der Mahlzeit
durch Sklaven nochmals ein. n ) Die Gafte wurden mit einem
Kufc empfangen 12 ) und wurden ihnen, wenn fie von auswarts
kamen, die Fiifee gewafchen 13 ) und ihnen auch Waffer zum
Handewafchengereicht. 14 ) Auch kamen Salbung desHauptes 15 )
1 ) Joh. 13, 26.
2 ) Esdras 24, 4.
*) Matth. 26, 23.
4 ) Matth. 15, 2. 20. Luc. 11, 38.
5 ) Deut. 8, 10. Vgl. Berakhoth 6, 6 8 etc. 1 KOn. 9, 13 fpricht
von etwas be[onderem, dem Segnen der Opfermahlzeit durch Samuel.
Dag aber auch das Gebet vor dem Effen ublich war, erfieht man unter
anderm aus Berakhoth 3, 3-4.
6 ) Matth. 14, 19. 15, 36. 26, 26 f. Marc. 8, 6 f. 14, 22 f. Luc. 22, 17 ff.
Job. 6, 11 (vgl. Margreth, Das Gebetsleben Jefu Chrifti, Munfter 1902,
S. 134 ff.). Apg. 27, 35. Rdm. 14, 6. 1 Tim. 4, 3 ff.
7 ) Luc. 10, 34. Joh. 6, 9.
8 ) Matth. 22, 2. Luc. 1, 58 f. 15, 23 etc.
9 ) n^i? 7 ? = der Trank, das Trinkgelage, das Mahl von nm> trinken.
Vgl. Gen. 19, 3 u. a. Von xw/*ot Trinkgelagen fpricht ROm. 13, 13. GaL
5, 21. 'l Petr. 4, 3.
10 ) Matth. 22, 4.
") Matth. 22, 3. Vgl. Esth. 6, 14. Sprichw. 9, 3.
) Luc. 7, 45. Vgl. Tob. 7, 6.
13 ) Luc. 7, 38 ff. Joh. 13, 4. 1 Tim. 5, 10.
") Marc. 7, 3.
lfi ) Luc. 7, 38. 46. Joh. 12, 3.
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juderi. 463
und Bekranzung mit Blumenkranzen l ) vor. Frauen und
Manner fafeen ofter zufammen, 2 ) und zwar fafc man dem
Range nach. 3 ) Die Diwans wurden um den Tifch in Huf-
eifenform geftellt, fo dajg wie bei den Romern eine Seite fur
die Diener frei blieb. 4 ) Die Gafte wurden bisweilen aueh
mit Mufik 5 ) und nadi griechifch-romifcher Sitte durdi das
Auflreten von Tanzerinnen 6 ) unterhalten.
Wie noch heute die Araber die Bewirtung von Fremden Gajt-
als eine Ehre betrachten, fo gait auch damals die Gaftfreund- freundjaaft.
fchaft, deren Obung das Neue Teftament als eine chriftliche
Tugend empfiehlt, als eine heilige Pflidit. 7 ) Darauf waren
die Reifendeh vielfach angewiefen. Allein in der neu-
teftamentlidien Zeit 8 ) gab es audi im heiligen Lande Her-
bergen, 9 ) welche den heutigen Chans oder Karawanfereien Herberge.
entfprochen haben werden, d. h. Gebaude, in weldien fo-
wohl Reifende als audi deren Reit- und Lafttiere Aufnahme
linden. Dort konnte man gegen Bezahlung audi Nahrung
erhalten.
Von diefen Herbergen ift das Fremdenzimmer 10 ) in
Privathaufern zu unterfcheiden, weldies befonders in Jerufalem
') Jos. Ant. 19, 9, 1. Vgl. Weish. 2, 8. Plutarch. Symp. Ill, 1, 3.
Martialis 10, 20.
2 ) Luc. 10, 40.
3 ) Luc. 14, 8. Marc. 12, 39. Jos. Ant. 15, 2, 4.
') Dies ift Pesachim 7, 13 vorausgefetjt.
5 ) Luc. 15, 27.
6 ) Matth. 14, 6. Luc. 15, 25.
7 ) Die Praxis bezeugt 2. B. fur das A. T. Job 31, 32. Dag aber
ein Gaft auch allerhand unangenehme Erfahrungen mach en konnte, fieht
man aus Jef. Sir. 29, 11 ff. Ffir das N. T. vgl. Matth. 10, 40. 25, 35.
Luc. 7, 44 ff. ROm. 12, 13. 20. 1 Tim. 3, 2 Tit. 1, 8. Hebr. 13, 2.
1 Petr. 4, 9.
8 ) In fraherer Zeit hOren wir nuf von n Halteplaen" (hebr. ]ibv,
vgl. Gen. 42, 27. Jerem. 9, 1 etc.), an welchen die Reifenden ein Zeit
auffchlugen oder in einer Hdhle lagerten.
9 ) Uavdoxelor Luc. 10, 34 f. Bei Luc. 9, 52 ift an ein Einkehfen in
PrivathSufern zu denken.
10 ) Kardlvfia Marc. 14, 14. Luc. 22, 11. Vgl. auch Luc. 9, 12. 19, 7
(xaraMetv) und totrdlvfta Luc. 2, 7, welche Stelle fich ebenfalls auf ein
Privathaus, in welchem Jofeph gehofft hatte, Unterkommen zu finden,
beziehen kOnnte. (Winer BRW I, 478 und Ewing, art. Inn in Hastings
Diet. II, 474 erklaren Luc. 2, 7 fo.) Dann mugte man annehmen, dag
464 Zweiter Abfdmitt. Die innern foz. u. Jittl. ZuftSnde des |ud. Volkes.
zur Zeit der grofjen Fefte, Oftern, Pfingften und Laubhutten,
fehr in Anfprudi genommen wurde. Man pflegte zwar nidit
direkt etwas fiir die Benutjung foldier Raume zu bezahlen,
allein doch zum Zeichen der Dankbarkeit die Felle der Ofter-
lammer und die bei den Zeremonien gebrauchten Gefa&e
zuriickzulaffen. l )
3. Die Kleidung.*)
Das Kleidungsftiicke, weldie im wefentlidien wie nodi heute
Unterkicid. j m Morgenlande fowohl von Mannern wie von Frauen ge-
tragen wurden, waren das Unterkleid und das Oberkleid.
Erfteres 3 ) ift auch ,,der Rode" des Herrn*) und feiner Jiinger 5 )
gewejen. Es war ein weites, faltiges, durdi einen Giirtel
zufammengehaltenes Gewandftiick mit Armeln, weldies bis
auf die Knie oder die Knochel reidite und wie die Hemden
an den Seiten zugenaht war. Es gab audi ganz zufammen-
gewobene Unterkleider, ungenahte Rodce. 6 ) Diefe Unter-
kleider, deren Stoff meift Wolle Oder Fladisleinwand, bei
alle Haufer und auch die eigentlidie Herberge wegen der Schatjung flber-
Mllt gewefen feien. Allein wahrfdieinlich heigt xatAv/i Luc. 2, 7 Her-
berge, da das Wort auch Exod. 4, 24 als Oberfetjung des hebraifdien
V^ (f. o. Anm. 8) gebraucht ift.
') So fagt wenigftens der babylonifdie Talmud Joma fol. 12, 1 und
Megilla fol. 26, 1 (bei Lightfoot, Horae hebr. et talmud. Opera II,
185. 697).
2 ) In der fpateren talmudifchen Erkiarung von M. Sen abb. 16, 4 werden
nicht weniger als 18 Kleidungsftiicke aufgezahlt (f.Schabb. 120a; jer.Schabb.
15 d). Allein die Bedeutung vieler dort gebrauchter Ausdrflcke ift zweifelhaft
(vgl. Edersheim, The life and times of Jesus I, 621, der fich flbrigens
1. c. p. 621-626 felbft faft blofj auf fpStere rabbinifdie Autoritaten be-
zieht) und die Quelle felbjt ohnehin fflr unfere Zeit kaum zu verwerten.
VgL u. a. Kirchenlexikon, Art. Kleider biblifche 7, 757-765. Nowack I. c.
p. 120 ff. Mackie, art. Dress in Hastings Diet. II, 625. Rofenzweig,
Kleidung und Schmuck im biblifchen und talmudifchen Schrifttum. B. 1905.
Schemel, Die Kleidung der Juden im Zeitalter der Mifdinan. Roftbck 1914.
Fur die talmud. Zeit vgl. auch S.Krauss, Talmud. ArchSologie 1, 126 207.
516-666.
*) r\5h?, ^*Tu'r, tunica. .'
*) Joh. 19, 23.
5 ) Matth. 5, 40. 10, 10. Marc. 6, 9. Luc. 6, 29. 9, 3.
') Joh. 19, 23.
XII 1. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 465
den Vornehmen aber auch Byffus 1 ) war, warden gewohnlich
auf dem blofeen Leib getragen, und da man fiber dem Unter-
kleid nodi das Oberkleid trug, gait fchon derjenige, weldier
nur das erftere anhatte, als naekt. 2 ) Von dem Unterkleid
find vermutlich die im Alten Teftament sedinim, 8 ) awdovtg,
; genannten Gewander zu unterfcheiden, die meift als fein-
leinene unter dem Unterkleid getragene Hemden angefehen
werden. 4 ) Man trug aber auch bisweilen zwei UnterRleider
fibereinander. 5 )
Der Gfirtel, weldier bisweilen von Leder, gewohnlich o er cartel.
aber von Leinen oder Wolle war, war. fo lang und breit,
daft er mehrmals fibereinandergelegt werden und dann als
Borfe Oder Tafche dienen konnte. 6 )
Es gab zwei Arten von Oberkleidern, 7 ) einmal lange, Das
lo[e anliegende Roben mit weiten Armeln, welche Priefter, Oberkleid.
Beamte und Vornehme fiber dem Unterkleid trugen, 8 ) und
Mantel. 9 ) Der Mantel war ein etwa fieben Fuft breites und
viereinhalb Fufc langes Stuck Tuch, welches man wie einen
Plaid oder ein Umfchlagetuch benutjte. Oft hatte man es an
jeder Seite etwa eineinhalb Fufc eingefalten und diefe Falte
felbft von oben nach unten bis zur Halfte genaht, damit man
durch die an beiden Seiten oben gelaffenen Schlitje die Arme
ftecken konnte. 10 ) Jedenfalls war es ein hochft nfi^liches
') S. o. S. 333 f.
8 ) Vgl. 1 KOn. 19, 24. Job 22,. 6. 24, 7. 10. Isai. 20, 2 f. Amos 2, 16.
Job. 21, 7. Auch die Qriechen vgl. Dionys. Halic. 1, 80; Plutarch. Romul.
c. 21; Eurip. Rhesos v. 307 ff. nannten den nur mit der */ITMV bekleideten
rvvviie. Vgl. auch z. B. Virgil Georg. I, 299 vom Landmanne: nudus ara,
sere nudus, was doch nicht heigt, er folle pflugen und faen ohne jede
Bekleidung.
3 ) Im Sing. ^-JD, LXX aivtw.
*) Rich t. 14, 12. Ifai. 3 23. Sprichw. 31, 24. Vgi. Nowack S. 121.
5 ) Vgl. Jos. Ant. 17, 5, 7. Matth. 10, 10. Luc. 3, 11. 9, 3.
6 ) Malth. 10, 9. Marc. 6, 8.
') Das Oberkleid heif3t inevSitw, nfciftniamv Joh. 21, 7. Hebr. 1, 12.
s ) Hebr. 5$l? f griech. TroA^f. Vgl. Marc. 12, 38. 16, 5. Luc. 15, 22.
20, 46. Apoc. 7, 13.
9 ) Hebr. n^p'27, ludrw, pallium. Vgl. Matth. 9, 20. Marc. 5, 27.
Luc. 8, 44. Joh. 19, 2. Apoc. 19, 16; im Gegenfa^ zu-*r<uV Matth. 5, 40.
Luc. >6, 29. Apg. 9, 39.
10 ) Vgl. Kirdienlexikon 7, 759 f. Mackie 1. c. I, 625.
Fellen, Neuteflamenflidie Zeilgefdiidile. 1. 2. u. 3. Aufl. 30
466 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Kleidungsjtiick, welches feinen Trager bei Wind und Wetter
fchufjte, in der Nadit als Decke diente und deshalb nicht ver-
pfandbar war 1 ) und bei Tage von Hirten u. a. notigenfalls
als Transportmittel fur allerlei Utenfilien benu^t werden
konnte. 2 ) Bei der Arbeit ware aber ein folches Kleidungs-
ftiick hinderlich gewefen, weshalb man es dabei ablegte oder
zu Haufe liefr 3 )
Gemafe der Vorfchrift des Gefe^es l ) trug jeder. Ifraelit
auch in der neuteftamentlichen Zeit r> ) zur Erinnerung an die
Pflicht, das Gefet? Jahwes zu beobachten, an den vier Zipfeln
feines Obergewandes 6 ) die fogen. Zizith, namlich Quajten
aus hyazinthblauer oder weifeer Wolle, 7 ) wie fie auch noch
heutzutage bei den Juden im Gebrauch find.*)
: ) Exod. 22, 26. Deut. 24, 13.
2 ) In 2 Tim. 4, 13 wird der <peAov7?? lat. paenula (Reifemantel) des
Paulus erwahnt, worin Biidier und Pergament eingewickelt waren. Ein
folcher Mantel wurde von den Romern iiber der Tunika getragen (Sueton.
Ner. 48) und war mit einer Kapuze verjehen. Cic. pro Mil. 20, 54. Juven.
5, 78. Seneca Ep. 87, 2. Horat. Epp. 1, 11, 18. Vgl. Winer, RWB I, 664
und Marquardt, Rom. Privatleben S. 564 f.
3 ) Matth. 24, 18. Apg. 7, 58.
*) Num. 15, 38-41. Deut. 22, 12. Vgl. de Hummelauer, Comm.
in Numeros. Paris 1899, p. 127.
5 ) Aristeas, ed. Wendland 158. Matth. 9, 20. 14, 36. 23, 5. Marc.
6, 56. Luc. 8, 44. Onkelos, Targum zu Num. 15, 38 und Deut. 22, 12.
M. Moed qatan 3, 4. Edujoth 4, 10. Menachoth 3, 7. 4, 1. Aus Matth.
9, 20 und 14, 36 ergibt fich, dag auch Jejus an feinem Obergewande
die Zizith, griech. x^dtiTisSnv (vgl. Num. 15, 38 f., wo Zizith durch xpdiiTied'ov
wiedergegeben ift) trug. Das blutflflffige Weib hatte das Vertrauen, dag>
wenn fie auch nur die Quafte an einer Ecke des Saumes feines Gewandes
beruhre, fie geheilt werde.
6 ) 1m Talmud heijjt diefes Gewand 'J^t?. Vgl. Levy, Neuhebr. und
chald. Worterb. II, 160. Krauss, Talmud. Archaologie 1, 167 f.
) TlTS im Plur. nl^S. Nach Num. 15, 38 follte die Farbe der
Faden hyazinthblau fein. Deut. 22, 12 fagt nichts iiber die Farbe. In
der Mifchna, Menachoth 4, 1 wird es als geftattet angefehen, blog weige
oder b'log hyazinthblaue Faden ftir die Zizith zu gebrauchen. Vgl. auch
Edersheim I, 623. Jetjt find die Faden weif3- Vgl. Hamburger, Real-
Enzykl. des Judentums, Supplement II., L. 1891, S. 158 f. Rosenau, Je-
wish ceremonial institutions and customs. Baltimore 1903, p. 62 fagt,
dag fction in talmudifcher Zeit ,,white was substituted for the purple cord
owing to the difficulties of procuring the proper shade of purple. Ober
die Zizith tiberhaupt vgl. u. a. auch Winer BRW Art Saum. Haneberg^
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 467
Hofen wurden damals, abgefehen von den Prieftern, 1 )
in Palaftina nicht getragen. 2 )
Welche Form die Kopfbekleidung der gewohnlichen Kopf-
Ifraeliten gehabt hat, wiffen wir nicht. Vielleicht i[t lie der bedeckung.
der heutigen Beduinen ahnlich gewejen, bei denen die Kopf-
bedeckung aus einem viereckigen, etwa einen Meter langem
und breitem leinenen oder baumwollenen Tuche von irgend
einer Farbe befteht, .welches in ein Dreieck zujammengefalten
fo auf den Kopf gelegt wird, daft die Augen befchutjt werden
und der eine Tuchzipfel iiber den Nacken, die beiden andern
aber an den Wangen herunterfallen. Das Ganze wird durch
eine dicke, mehrmals um den Kopf gefchlungene Wollfchnur
feftgehalten. Die heutigen Fellachen tragen ein baumwollenes
Kappchen, um wefthes ein in ein langes Band gefaltenes
Stuck weifeen Muslins oder griinen Tuches gewunden wird. 3 )
Als Fufebekleidung waren Schuhe, wie [ie in dem im Sandaien.
allgemeinen kalteren Perfien fchon lange ublich waren, 4 )
Rel. Altertiimer 592594. Edersheim 1, 623. 626. Johannes, Die Schau-
faden bei den Juden. Theol. prakt. Monatsfchr. 25 (1915), 565-579.
s ) Die Zizith werden heutzutage von den Juden nur an zwei vier-
eckigen wollenen Tiichern getragen, welche bei ihnen auch Tallith heigen.
Das eine, das kleine Tallith, welches auch ,,das viereckige Tuch", arbah
kanfoth (niWD 22~iN), vgl. Deut. 22, 12, heifjt, wird auf dem Leibe unter
dem augeren Gewand getragen und ift ein Stuck Tuch mit einer Oftnung
in der Mitte, durch die man den Kopf ftecken kann; das andere, das
grojge Tallith wird beim Qebete in der Synagoge von Mannern und
Knaben nach dem 13. Geburtstage um den Kopf oder die Schulter ge-
fchlungen. Eine Abbildung [tent bei Maekie, art. Dress in Hastings D.
1, 627. Vgl. auch Kennedy, art. Fringes in Hastings D. 11, 6870 unfl
Mayer, Das Judentum. Regensb. 1843, S. 3639. Rofenau 1. c. p. 59-65.
') S. o. S. 333 f.
") Bei den Medern und Perfern wurden fie getragen. Vgl. Herod.
5, 49. Xen. Cyrop. 8, 3. 13. Strabo 11, 13, 9. In der Mifchna, Traktat
Sanhedrin 6, 4, heijgt es, dag bei der Steinigung dem Verurteilten 4 Ellen
vom Orte der Steinigung entfernt die Kleider ausgezogen werden. Ein
Mann wird vorn verhullt, ein Weib vorn und hinten. Die Acta Pilati
(Ed. Tifchendorf 1. c. p. 246 und 305) erwahnen, was an fich wahrfchein-
Jich ift, dag man Jefus> nachdem er feiner Kleider beraubt war, auf der
Rithtftatte mit einem weigen Linnentuch (fo Acta Pilati A. 10 ne
Unnov) oder einem fcharlachroten Wolltuch (fo B. 10 tveSv6av
umgijrtet habe. Vgl. auch Joh. 21, 18.
3 ) Vgl. z. B. Nowack, S. 126 f. Maekie, p. 626.
*) Xenoph. Cyrop. 8, 1, 41. Strabo 15, 3, 19. -
30*
Schweig-
tucher und
Handfdiuhe.
Fe{t- und
Trauer-
kleider.
Frauen -
kleider.
468 Zweiter Abfchnitt. Die innern Joz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
nidit im Gebraudi. Man bediente fich vielmehr aufcerhalb
des Haufes der Sandalen, welche mit Riemen am Fufee be-
feftigt waren. ')
Schweifctiicher, unfern Tafchentiichern ahnlich, werden im
Neuen Teftamente wiederholt erwahnt. 2 ) Die Mifchna fpridit
auch von ledernen Handfchuhen, namentlidi von folchen, deren
man fich bei gewiffen Arbeiten bediente. 3 )
Bei befonderen Gelegenheiten, z. B. bei feftlichen Gaft-
mahlern, Hochzeiten u. dergl. trug man beffere Kleider, die
fidi durch feineren Stoff und Verzierungen von den andern
unterfchieden. 4 ) Die Trauerkleider aber, welche man sakkim
nannte, waren, wie fchon der Name anzeigt, aus Sackzeug,
d. h. aus grobem harenem Stoff gemacht. 5 )
Die Frauen unterfchieden fich zwar von den Mannern
in der Kleidung, 6 ) aber fie hatten doch auch Unterkleider,
Gurtel und Oberkleider wie diefe, nur war die weibliche
Kleidung im allgemeinen langer und auch wenigftens bei
den Vornehmeren aus befierem Stoffe gemacht und reicher
verziert als die Kleidung der Manner. 7 ) In den altteftament-
lichen Schriften wird zwar der Schleier der Frauen oft er-
wahnt. 8 ) Man darf aber nicht annehmen, dafe die judifchen
Frauen, felbft die gewohnlichen Standes, ftets verfchleiert aus-
gegangen feien. 9 ) Denn eine folche ftrenge Abfonderung
der jiidifchen Frauen hat nie beftanden.
Die Kleider wurden gewohnlich von Frauen angefertigt. 10 )
Das Gefetj fchrieb nur vor, dafe man nicht Wolle und Leinen
zugleich zu einem Kleidungsftiick nehmen folle. 11 )
) Matth. 3, 11. 10, 10. Marc. 1, 7. Luc. 3, 16. 7, 38. 15, 22. Apg. 12, 8.
2 ) Luc. 19, 20. Job. 20, 7. Apg. 19, 12.
3 ) Megilla 4, 8. Kelitn 16, 6. 26, 3.
) Ifai. 3, 22. Luc 15, 22.
5 ) Gen. 37, 34. Matth. 3, 4. Apoc. 6, 12.
)' Deut. 22, 5.
7 ) I[ai. 3, 16 ff. Jer. 13, 22. 26. Nahum 3, 5.
8 ) Z. B. Ifai. 3, 19 (hebr.).
9 ) Dagegen fchon Gen. 12, 14. 24, 15 f. Vgl. Art. Kleidung im
Kirdienlexikon 7, 763 f.
10 ) Vgl. Apg. 9, 39.
11 ) Lev. 19, 19. Deut. 22, 11.
XIII. Kap. Das hausliche und joziale Leben der Juden. 469
Wie zahlreich und mannigfaltig die Schmuckgegenftande Schmuck.
fchon der alien Hebraerinnen gewefen find, erfieht man aus
Ifaias 3, 1623, wofelbft, abgefehen von Ohrringen, Arm-
bandern und Fingerringen , auch Riechflafchchen, Spiegel,
Schleierkleider u. v. a. erwahnt find. 1 )
4. Die Familie und ihre Sitte. 2 )
Bei den alten Hebraern find die Ausdriicke Familie und
Vater- oder Stammhaus 3 ) zunachft Bezeichnungen fur die
Abteilungen der Manner gewefen. Der Vater war das mit
hochfter Gewalt fiber Frau und Kinder ausgeftattete Haupt
der Familie. 4 )
Wie bei den alten Volkern iiberhaupt, fo ift auch bei P Ql yg amie
den alten Juden Polygamie ofter vorgekommen. 5 ) Selbft ., un .
, . . r , _ , . ' , f . , , ru- j r> n- Monogamie.
das mofaifche Gefe^ hat fie zwar durch verfchiedene Beftim-
mungen erfchwert/) aber nicht verboten.) Die Ausftellung
') Vgl. Schroeder, De vestitu mulier. hebr. Lugd. Bat. 1745; Hart-
mann, Die Hebraerin am Putjtifch und als Braut. STeile. Amfterd. 1809 10.
Rofenzweig f. o. S. 464, 2. G. Beer, Die foziale und religiofe Stellung-
der Frau im ifraelitifchen Altertum, Tub. 1919. J. DoIIer, Das Weib im Alten
Teftament (--= Bibl. Zeitfragen, 9. Folge, Heft 7/8), Munfter i. W. 1920.
2 ) Vgl. L. G. Levy, La famille dans 1'antiquite israelite (These).
Paris 1904 (handelt ausfuhrlicher p. 123231 fiber Ehe und Eheleben).
Th. Engert, Ehe und Familienrecht der Hebraer [--. Studien zur altteftam.
Einleit. u. Gefdiichte. Herausg. von Dr. C. Holzhey, III. Heft], Munch. 1905.
1m Gegenfatj zu Engert bezweckt Andr. Eberharter, Das Ehe- und Fa-
milienrecht der Hebraer, Mit Riickficht auf die ethnologifche Forfchung
dargeftellt, Munfter i. W. 1914 (= Altte[t. Abhdlgn. Herausg. von Prof.
Dr. J. Nikel) zu zeigen, dag die Anwendung der evolutioniftifchen Grund-
{a^e auf das gefellfchaftliche Leben der Hebraeir haltlos ift. Jufter,
Les Juifs 2, 41 61. J. Neubauer, Beitrage zur Gefdiichte des biblifch-
talmudifchen Ehefchliefjungsrechts (= Mitt, der Vorderafiat. Gefellfchaft
24. und 25. Jahrg.), L. 1920.
3 ) ftfflfy und 2$ n*.?. Vgl. die Lexika.
4 ) Gen. 34, 16. Exod. 21, 7. 22, 17. Deut. 5, 16. 22, 29
) Gen. 28, 9. 29, 1 ff. 37, 2. 46, 10.
B ) Z. B durch das Verbot, bei Lebzeiten der Frau deren Schwefter
als Nebenweib zu nehmen. Lev. 18, 18. (Vgl. Jos. c. Ap. 2; 24.) S. Schegg
S. 640 ff. i
7 ) Vgl. Exod. 21, 9 f. Deut. 21, 15 }. Richti 8, ; 3p. Vohi KOnige
heifjt es Deut. 17, 17, er folle nicht fehr vielb Weibef habeh; tfanlit fein
Hefz nicht abgelenkt werde. ; " '
470 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zu(tande des jtid. Volkes.
eines Scheidebriefes war wegen der Herzensharte der Juden
direkt erlaubt. 1 ) Es fdieint aber, daft fich die Ifraeliten ge-
wohnlich mit einer Frau begnugt haben. 2 ) Sicher ift dies
nach dem Exil der Fall gewefen, 3 ) wenngleidi nodi Jofephus
zunachft allerdings mit Bezug auf die Herodeer fagt, 4 ) es
fei bei den Juden Sitte, dafc ein Mann mehrere Frauen zu
gleidier Zeit habe. Ware dies auch nur einigermafcen bei
den Juden zur Zeit Jefu praktifch geiibt worden, fq wiirde
er, da er fogar dem Weibe, welches einen Scheidebrief er-
halten hat, verbietet, fieri wieder zu verheiraten, "') erft recht
gegen die Vielweiberei eingefchritten fein.
Das mofaifche Gefe<3 hatte einerfeits beftimmte Ehe-
hinderniffe feftgefetjt, ) anderfeits aber auch ein Madchen
oder eine Witwe, welche die einzige Erbin der Familie war,
verpflichtet, in ihrem Stamme und in ihrer Verwandtfchaft
zu heiraten, damit ihre Giiter derfelben erhalten blieben. 7 )
Die Beftimmungen uber die Ehehinderniffe find befonders
viel von den Herodeern iibertreten worden, s ) erhielten aber
infofern fpater noch eine Verfcharfung , als die Ehen von
Juden mit Nichtjuden, welche das Gefetj zunachft nur in Be-
zug auf Kanaaniterinnen verboten hatte,' 1 ) allgemein verboten
wurden. 10 ) Die Beftimmung uber die Heiratspflicht einer Erb-
!) S. u. S. 472 f.
2 ) Bei den Propheten ijt die Ehe das Sinnbild der Verbindung
Israels mit Qott. Siehe Ofeas 2 und Ifai. 50, 1. Vgl. Maladi. 2, 14 f.
Sprichw. 12, 4. 19, 14. 31," 10 f. Pfalm 128. Tob. 1, 11. 2, 19.
3 ) Sir. 25, 2. 26, 1 ff. Matth. 18, 25. Luc. 1, 5. Apg-. 5, 1.
4 ) Ant. 17, 1, 2. Anders druckt er fich aber c. Ap. 2, 24 aus: raim/
(mit der eigenen Frau) oweivat. del TOV ytjftnrra (tovy. Er [elbft hat zwar
auch eine Frau entlaffen, um eine andere zu heiraten, aber doch nicht
mehrere Frauen zugleich gehabt. Vgl. Jos. Vita 75 und 76. Zur Zeit
des Ju[tinus (vgl Dial. c. Tryph. 134) haben aber judifche Lehrer jedem
Manne vier oder funf Frauen geftattet. Dafur auch die Mijchna, z. B.
Kethuboth 10, 1. 4. 5. Vgl. auch Levy, p. 151-155.
5 ) S. u. S. 472 f.
6 ) Lev. 18, 6 ff. 20, 11 ff. Deut. 27, 19 ff. Vgl. die Zufammen-
[tellung bei Schegg, S. 637 ff.
7 ) Num. 27, 1 ff. 36, 1 ff.
s ) Jos. Ant. 17, 1, 3. 13, L 18, 5, 1 und 4. Vgl. Matth. 14, 4.
) Exod. 34, 11. 16. Deut. 7, 3 ff. Vgl. Gen. 24, 3. ; : ,
10 ) Esdr. 9, 2 ff. 10, 3. Neh. 13, 23 ff. Jos. Ant. 11, 8, 2. 12, 4, 6. 18, 9, 5,
XIII. Kapitel. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 471
toditer hat eine Analogic in der vom Gefetj vorgefchriebenen
Levirats- oder Schwagerehe. Danach mufcte namlich der Leviratsehe
Bruder oder nachfte Verwandte die Witwe des kinderlos
verftorbenen Bruders oder Verwandten heiraten und der in
diefer Verbindung erzeugte Erftgeborne gefet5lich als Kind
des Verftorbenen angefehen werden. Falls fich jemand
weigerte, diefer Pflicht nadizukommen , fo follte die ver-
fchmahte Witwe ihm den Schuh vom linken Fujj ziehen zum
Zeidien, daft er auf ihr Eigentum keinen Fufc fetjen folie,
und ihm ins Gefidit fpucken. 1 )
Vermutlich hatte diefe auch bei andern Volkern 2 ) vor-
kommende Sitte der Leviratsehe, welche auch noch zur Zeit
Chrifti als verbindlich angefehen wurde, 3 ) in dem Wunfche,
den Familienbefitj zu bewahren, ihren Grund. 4 ) Dazu kam
dann nodi der Wunfch, feinen Namen zu vererben und in
feinem Nachkommen den Meffias zu fchauen.
Das Gefetj, 5 ) welches auch zur Zeit Chrifti noch zu Recht Ehebruch.
Vgl. Tac. hist. 5, 5 von den Juden: alienarum concubitu abstinent. Fur
die fruhere Zeit vgl. Richt. 3, 6. 14, 3. 1 Kdn. 11, 1 f.
') Deut. 25, 5-10. Die Mifdina dehnt die Pflicht auch auf den
verheirateten Bruder aus, fo dag die Leviratsehe bisweilen wirkliche
Polygamie gewefen ware. Vgl. Jebamoth 4, 11, wonach der uberlebende
Bruder alle Witwen feiner verftorbenen Bruder, wenn er wollte, nach dem
Gefetje der Leviratsehe heiraten konnte. Zur Zeit Chrifti ift aber gleich-
zeitige Polygamie auch bei Leviratsehen nicht gebrauchlich gewefen. Denn
die Sadduzaer fetjen in ihrer Frage bei Matth. 22, 23 ff. nur voraus, dag
fieben Bruder hintereinander diefelbe Frau hatten, wahrend, wenn etwa
der eine oder andere von ihnen zu gleicher Zeit mehrere Frauen gehabt
hatte, das Argument anders hatte gefagt werden muffen.
*) Z. B. frflher bei den Indern und Perfern und jetjt noch bei den
Afghanen u. a. Vgl. Levy 1. c. 193, 1 und mit genaueren Angaben bei
Winer BRW II, 19 f.
3 ) Matth. 22, 24 ff. Sehr ausfiihrlich handelt von der Leviratsehe
der Mifchna-Traktat Jebamoth.
*) Jos. Ant. 4, 8, 23.
3 ) Deut. 22, 22. Lev. 20, 10. Fur eine Verlobten (die Verlobung
war rechtlich von der Ehefchliegung nicht verfchieden f. u. S. 473), die fich
verging, war die Strafe der Steinigung. Deut. 22, 24. Jon. 8, 5. (Eine
fchuldige Prieftertochter wurde nach Lev. 21, 9 verbrannt, S. auch Jos
Ant. 4, 8, 23.) Nach M. Sanhedr. 11, 1 und 6 wurde der, welcher mit
einer Verlobten Ehebruch ; getriebe hatte, erdroffelt; ebenfo derjenige,
welcher mit einer bereits in das Haus ihres Mannes heimgefahrten Ehe ; -
frau Ehebruch trieb.
472 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande desjud. Volkes.
beftand, 1 ) beftrafte den Ehebruch einer Frau, falls derfelbe
gerichtlich bekannt war, mit dem Tode der beiden Sctiuldigen,
Trotsdem die Ehe gottlicher Einfetjung und ihrem Wefen
Seheidebrief. na( j 1 unau fioslich war, fo dag der Menfch nicht trennen foil,
was Gott vereinigt hat, hatte Mofes wegen der Herzensharte
der Juden geftattet, dag der Mann, deffen Frau in f einen
Augen keine Gunft mehr fand, weil er an ihr etwas Schand-
liches entdeckt hatte, ihr einen Seheidebrief ausftelle und
fie damit aus feinem Haufe frei entlaffe. 2 ) Die Scbule des
Schammai erklarte den Ausdruck ,,etwas Schandliches" von
einer fchandlichen Sadie, namentlich der Unzucht, die des
Hillel aber lehrte, der Mann konne feine Frau verftogen,
wenn fie auch nur fein Effen anbrennen liege oder verfalze r
und der Rabbi Akiba fand fchon einen genugenden Grund
darin, dag jemand eine andere Frau fande, welche fchoner
als die feinige fei. 3 ) Die Auslegung der Hillelianer ift Halacha,
' "" d. h. Praxis, geworden. 4 ) Wenn nicht die fittliche Roheit
diefer Auffaffung, welche fpater auch die Rabbiner durch
allerhand Beftimmungen iiber die Gultigkeit des Scheidebriefes
zu mildern fuchten, 5 ) fo ift doch die praktifche Bedeutung
der Frage der Grund gewefen, dag fie auch dem Heilande
vorgelegt wurde, der dann uber Mofes hinaus auf die gott-
liche Einfetjung der Ehe zuruckgriff und die Unaufloslichkelt
J ) Vgl. Matth. 1, 19. Job. 8, 5. S. auch .Jos. c. Ap. 2, 24, der fagt,
auf den Mifjbrauch der Frau oder der Braut eines andern ftunde die
Todesftrafe. Fiir die Haufigkeit des Ehebrudis auf feiten der Manner
vgl. Rom. 2, 22. Job. 8, 7. S. auch Apg. 15, 20. Gal. 5, 19. Hebr.' 13, 4.
2 ) Matth. 19, 3 ff. Vgl. Deut. 24, 14 und 22, 13-19. 28-29.
: ! " 3 ) Gittin 9, 10. S. die Stelle auch bei Lightfoot, Horae hebr. zu
Matth. 5, 31 (vol. II, 290 sq.).
4 ) Gittin 1. c. Vgl. Eccli. 7, 21. Auch Jofephus war Jowohl in der
Praxis (f. Vita 76) wie in der Theorie (f. Ant. 4, 8, 23) Hillelianer. Im
Seheidebrief follte nach Jos. Ant. 4, 8, 23 der Mann feiner Frau die fchrift-
liche"'Verficherung geben , dag er kunftig keinen Anfpruch auf eheliche
Gernernfchaft an {ie, stellen werde [ygdunndt, ^FV ns^l rw uridinort awfi-
&elv l6xvtii^io&M\ , Dadurd^ i erlarige fie erft die Macht, fich mit einem
andern zu verehelichen. , i! . :
':.) : .. .-;;' ob : . : : : :,.. '' . .- -
v ; . . '") Der ganze Mifchna-Traktat Gittin handelt hiervon. Vgl. L; Blau,
'ip;i^ i: ifldifdie:.]Stefcheidung und der judifche Seheidebrief, 2 "feile, "Stfag-
burg 1911. 1912. J
XI11. Kap. Das hausliche und {oziale Leben der Juden. 473
der Ehe dem Bande nach ausfpradi. 1 ) Schon die Propheten
batten geklagt, dafc die Juden ihre alt gewordenen Weiber,
welche ihnen Kinder geboren batten, ungerechterweife ver-
ftiefeen. 2 ) Bei den Herodeern kam es aber vor, daft gegen
das Gefetj fogar Frauen ihren Mannern einen Scheidebrief
fandten. 3 )
Der Heimfuhrung der Frau in das Haus ihres Mannes Veriobnis
ging bei den Juden fchon von alters her, wie z. B. die Ge- und Ene ~
fchichte der Rebekka zeigt, 4 ) das Veriobnis von Braut und f* lie fc un -
Brautigam vorher, bei welchem der Brautigam dem Vater
oder beziehungswei[e den Brudern der Braut nach Oerein-
kunft eine beftimmte Geldfumme zahlte. 5 ) Wahrend aber bei
den Griechen und Romern das Veriobnis ein bloftes Ehe-
verfprechen war, gait es bei den Juden der Ehe gleich.* 5 )
Die : Braut trat durch das Veriobnis in dasfelbe rechtliche
Verhaltnis zu ihrem Brautigam wie fonft eine Ehefrau zu
ihrem Ehemanne, fo dag [ie im Falle der Untreue als eine
Ehebredierin beftraft wurde 7 ) und der Bra'utigam |ich nicht
anders von ihr losfagen konnte, als indem er ihr wie ein
Mann feiner Frau einen Scheidebrief gab. s ) Es lag aber,
') Matth. 19, 3 ff. Vgl. Matth. 5, 31 f. Luc. 16, 18. In Matth. 5, 32
find zwei Beftimmungen enthalten, eine allgemeine, namlidh, n wer immer
eine entlaffene Frau heiratet, begeht Ehebruch", und eine befondere. In
diefer le^teren wird der Ehemann, welcher feiner Frau einen Scheide-
brief gibt, nur fur den Fall, dag der Scheidebrief wegen vorausgegangenen
Ehebruchs gegeben wurde, von der Verantwortlidiheit dafiir losgefprochen?
da^ fich die Frau wieder verheiratet und dadurch die nodi zu Recht be-
fteheride erfte Ehe bridit. ;
' ') Mich. 2, 9. Malach. 2, 11 ff;
a ) Jos. Ant. 15, 7, 10. Der Herr erklart, Marc. 10, 12, dag das
Weib, welches ihren Mann verlagt und einen andern heiratet, die Ehe
bricht'/ ' ' ; : : ' ;; "'; ' : ""' ' '
: \-j Qen. 24. ;
' ' *) Qen. 34, 12; Exod. 22, 16 f. Die Mifchna, Traktat Qidduschin 1, 1
kenrit drei Arten des VerlObriiffes,. namlich durch-Geldzahlung des 'Br&u-
tigams, durch fchriftlichen Vertrag und durch copula, welch letjtere' Art
die fpatereii- Rabbiner unter Strafe verboten. Vgl. Hamburger, Artikel
Trauung un : d Artikel Veriobnis. ' Mit
6 ) PhilO, De Spec, leg : 3, 12: dl yap nftolnyiat yauoi? Itiodnvntiofdiv.
Es entfprach fomit das Veriobnis nicht den sponsalia de future (dem
Eheverfprechen), fondern den sponsalia de praesenti.
7 ) Deut. 22, 23 f . !
") Jofeph und Maria waren bei der Verkflndigung Verlobte, heifcen
474 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
zwifchen dem Verlobnis und dem Anfang des Zufammen-
wohnens oder des Ehelebens der Brautleute meift eine ge-
wiffe Zeit, 1 ) innerhalb weldier die Braut ihre Vorbereitungen
machen konnte. Nach der Mifchna dauerte diefe Zeit bei
einer Jungfrau zwolf Monate.-) Bei diefer Bedeutung der
Verlobung ift es natiirlidi, dafj wir in dem Alten Teftamente
nichts von religiofen Zeremonien bei der Ehefchiefcung horen.
Es fanden eben gar keine ftatt. Vielmehr beftanden die. vor-
ziiglichften Feierlichkeiten in dem Hochzeitszug und dem
Hochzeitsmahle. 3 )
Bei dem Hochzeitszug holte der mit dem Hochzeitskranz 4 )
gefchmiickte Brautigam in Begleitung [einer Freunde 5 ) die
Braut, welche von ihren Gefpielinnen begleitet wurde, 6 ) aus
dem Hau[e ihrer Eltern ab und geleitete fie in feierlichem
Zuge unter den Klangen,der Mufik 7 ) und abends beim Scheine
aber, noch ehe fie zufammenwohnen, Mann und Frau. Vgl. Luc. 1, 27.
Matth. 1, 20.
') Vgl. Deut. 20, 7. 28, 30. Richt. 14, 8. Jer. 2, 2. Matth. 1, 18.
Ober den Fall der Rebekka und der Michol f. Gen. 24, 6367. 1 Sam.
'18, 27.
-) Kethuboth 5, 2. Man ftiitjte fich fur dieje Oberlieferung auf Gen.
24, 55, indem man 7NW iN Wft* (Vulg. saltern decem dies) mit dem
Targum als ,,ein Jahr oder zehn Monate" erklarte. Statt ~\WS ift aber
zu lefen Enn (vgl. de Hummelauer ad 1.), fo daf5 von einem Jahre oder
einem Monate die Rede ift.
3 ) Heutzutage wird bei -den Juden die Ehe unter dem Trag- oder
Brauthimmel augerhalb der Synagoge in Gegenwart eines Rabbiners oder
deffen Stellvertreters gefchloffen. Diefer legt die Hande der Brautleute zu-
fammen, deckt uber ihr Haupt den Talith oder Gebetsmantel und fpridit
einen fiebenfadien Segen. Die Ehe wird dadurch eingegangen, dag der
Brautigam der Braut einen Ring an den^ Finger fteckt mit den Worten:
Siehe, du bift mir vermahlt vermittelft diefes Ringes nach dem Gefetje
Mofis und Ifrael. Vgl. Mayer, Das Judentum. Regensb. 1843, S. 290 bis
297. Rofenau 1. c. 155 166. Welte, Hochzeit bei den neueren Juden im
Kirchenlexikon 6, 107109.
4 )-Hohel. 3, 11. Ezech. 16, 13. Die Mifchna fagt Sola 9, 14, im
Kriege mit Vefpafian feien die Kranze der Brautigame und die Trom-
meln, in dem mit Titus die Kranze der Braute abgefchafft worden.
5 ) 1 Mace. 9, 39. Matth. 9, 15 u. a.
) Pfalm 44, 15. 1 Mace. 9, 37.
7 ) 1 Mace. 9, 39. Vgl. Sota 9, 14.
XIII. Kap. Das hausliche und joziale Leben der Juden 475
von Fackeln und Lampen 1 ) in fein oder feiner Eltern Haus.^)
Dort fand auch meift das Hochzeitsmahl ftatt, 3 ) bei welchem
die Braut in ihrem Brautftaat 4 ) mit dem Brautkranze aufDie Freuade
dem Haupte 5 ) erfchien. Unter den Gaften oder ,,Freunden des
des Brautigams" hatte einer eine ahnliche Stellung ais der
Freund des Brautigams wie bei uns der Brautfuhrer. ) Am
Schluffe des Hodizeitsmahles wurde von irgend jemand
ein Segenswunfch iiber die Neuvermahlten gefprochen. 7 ) In
alterer Zeit dauerten die Hochzeitsfeierlichkeiten eine ganze
Wodie, 8 ) wie es ubrigens bei den Fellachen in Syrien nodi
jefct ublich ift. !1 )
') Matth. 25, 1 ff.
a ) Hohel. 3, 6 ff. Jer. 7, 34. 16, 9. 25, 10. 1 Mace. 9, 37-39.
(Altere Abweichungen f. Richt. 14, 10. Tob. 7, 1517). In der Parabel
von den 10 Jungfrauen Matth. 25, 1 13 wird der Hochzeitszug mit
Braut und Brautigam aus dem Wohnorte des Brautigams von Jung-
frauen abgeholt. Vgl. Fonck, Die Parabeln S. 507 f.
3 ) Matth. 22, 1-14. Joh. 2, 1 ff. Vgl. Richt. 14, 10. Man pflegte
viele einzuladen. Vgl. Luc. 14, 8. Joh. 2, 2.
*) Gen. 29, 22. Pfalm 44, 14 f. Ifai. 49, 18. 61, 10. Jer. 2. 32.
5 ) Jer. 2, 32. Ezedi. 16, 913. Apoc. 21, 2.
6 ) Den griech. Ausdruck oi viol [wtt^uivoi; uberfetjt die Vulgata in
Marc. 2, 19 durch filii nuptiarum, die Kinder des Brautgemaches, d. h-
die zur Hochzeit gehOrigen; in Matth. 9, 15 und Luc. 5, 34 durch filii
sponsi. Der Ta'ufer fpricht bei Joh. 3, 29 von J (j-uo? rov wfupiov. Nach
dem Talmud (Kethub. 12a; jer. Kethub. I, 1, p. 25 a bei Edersheim 1,
355) follen die viol zov w^ifiuvu? = die Hochzeitsgafte von den iptim
TOV wftyiov = ,,Freunde des Brautigams", welche den Brautigam ins
Brautgemach der Braut gefuhrt hatten, verfchieden fein. Le^tere wSren
zwar in Judaa, aber nicht in Qalilaa, wo einfachere Sitten herrfchten, be-
kannt gewe[en. Fonck, Die Parabeln S. 214 erklart auf Grund diefer
Annahme in Anfchlug an Edersheim I, 355, dafj der augerhalb Galilaas
redende TSufer bei Joh. 3, 29 von einem Freunde des Brautigams rede,
die Evangeli[ten aber fiir Galilaa (auch bei der Hochzeit zu Kana) nicht
,,Freunde des Brautigams", fondern Kinder des Brautgemaches = Hoch-
zeitsgafte erwahnten. Allein es lajgt fich weder aus der fpziten Ouelle
noch aus dem Ausdruck bei Joh. 3, 29 etwas Zuverlaffiges fur die Zeit
Jefu entnehmen. Nach Tobias 8, 1 fflhrten die Eltern der Braut den
Brautigam zu. Vgl. aber noch Tobias 6, 13. 7, 14 f.
') Vgl. Gen. 24, 60. Ruth 4, 11. Tob. 7, 15.
*) Gen. 29, 27. Richt. 14, 12. 17. Tob. 11, 21.
') Wetjftein in der Zeitfdmft fQr Ethnologic, Berl. 1873, S. 287 ff.
Vgl. auch Nowack, Archaologie, S. 163 f.
476 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud, Volkes.
steiiung der Der Frau lag die Fuhrung des Haushaltes ob. 1 ) Sie
Frau. biiob nach der Mifchna fowohl im Befitj des von ihr in die
Ehe Gebrachten, 2 ) wie audi des ihr als Erbteil Zugefallenen, 3 )
fo daft in beiden Fallen der Mann nur die Nutjniefrung hatte.
Was "fie aber fonft in der Ehe erwarb, gehorte ihrem Manne
als Eigentum. 1 )
Die Kinder zu haben gait als das grofcte Gliick und nodi
gefe^Hche Kindeskinder fchauen zu konnen als befonderer Segen Gottes. 5 )
Reinigung. Das Qefe^ fur die Wochnerinnen, daft eine Frau 40 Tage
lang nach der Geburt eines Knaben und 80 Tage nach der
Geburt eines Madchens unrein fei und nach diefer Zeit zur
Reinigung ein einjahriges Lamm und eine Taube oder im
Falle der Armut ein Paar junge Tauben oder Turteltauben
opfern folle, 6 ) hatte auch einen naturlichen Grund in der
zeitweifen Ruhebedurftigkeit der Frau und diirfte alter als
Mofes fein. Es kommt in ahnlicher Form auch bei andern
Volkern vor. 7 )
Die Be- Nach dem Gefetj mugte ein Knabe am achten Tage 8 ) nach
fchneidung. jeiner Geburt, auch wenn diefer Tag auf einen Sabbat fiel, 9 )
befchnitten werden. Es gefchah dies im Haufe, da die Be-
fchneidung von jedem Ifraeliten, auch von einer Frau, 10 ) vor-
genommen werden konnte. .Die Befchneidung bejtand fiir
den Hebraer fchon feit Abraham, dem fie auch zugleich fiir
feine Nachkommen als Zeichen des Bundes Ifraels mit Gott
gegeben war. 11 ) Dadurch hatte die auch bei andern Volkern 12 )
J ) Kethub. 5, 5.
''*) Jebam. 7, 12. .
3 ) Kethub. 6, 1.
*) L. c.
5 ) Vgl. Gen. 1, 28. 12, 2. 7. 13, 16. Pjalm 127, 5. 1 Kon. 1, 6.
Luc. 1, 25.
6 ) Lev. 12, 18.
7 ) Vgl. de Hummelauer, ' Comm. in Ex. et Levit. Paris 1897,
p. 435 sqq.
8 ) Gen. 17, 12. 21, 4. Lev. 12, 3. Vgl. Luc. 1, 59. 2, 21. Phil. 3, 5.
;) i Joh. 7, 22. ,
10 ) Exod. 4, 25. 1 Mace. 1, 63. Jos. Ant. 12, 5, 4. 20, 2, 4. Ge-
wohnlidi gefdiah {ie durch den Vater. Gen. 17, 23. Ober die Befdineidung-
bei den Ifraeliten in der neweren Zeit vgl. Mayer 230 244. Rofenau,
p. 131-141. Vgl. auch Schegg, S.V515. .;-j 7 . , ,v
!') Gen. 17, 9 if. '"' '. ' .^ ' ".-'' "'''''''v.'.:^-.', .-.' ' .::',7-'s" :
") Nach Herodot 2, 104 war die Befchneidung bei den Agyptefn,
XIII. Kap. Das hausliche uncTjoziale Leben der Juden. 477
vorkommende Wegfdineidung der Vorhaut fur den Ifraeliten
eine religiofe Bedeutung.
In der neuteftamentlichen Zeit wurde der Name dem Die Namen-
Knaben nidit fchon gleich nach der Geburt, wie im Alien
Teftamente, fondern erft am achten Tage mit der Befchnei-
dung gegeben. 1 ) Denn erft durch letjtere trat der Knabe
nach ifraelitifcher Anfchauung in den Bund mit Gott.
Zu dem Eigennamen wird fchon friih noch der Name
des Vaters hinzugefiigt und fogar diefes Patronymicum als
Eigenname gebraucht, wie z. B. Barjona, Sohn des Jonas, 2 )
Barjefu u. a. In der romifchen Zeit trifft man auch ofter auf
Zunamen, welche die Heimat oder irgend eine Eigenfchaft
des Betreffenden ausdriicken. 3 )
Kolchern und Athiopiern gebrauchlich und kam von Agypten zu den
PhOniziern und den Syrern in Palaftina. Jos. c. Ap. 2, 13 bezeugt von
den agyptifchen Prieftern, dag fie zu feiner Zeit befchnitten wurden. Die
Sitte der Befchneidung hat aber beim agyptifchen Volke nach den ver-
fchiedenen Perioden feiner Gefchichte gewechfelt, da, wie Wiedemann,
Oriental. Lit. Zeit. 6 (1903), Sp. 97 ff. ausfuhrt, die Mumien vieler
Agypter die Befchneidung erkennen laffen, aber auch viele Agypter, da-
runter felbft KOnige, trot} ihrer priefterlichen Stellung unbefchnitten ge-
blieben find. Vgl. noch Heyes, Bibel und Agypten. Miinfter 1904, S. 48
bis 52, der meint, die Befchneidung habe im Niltale, wenig[tens in fpa-
terer Zeit die Bedeutung eines Priefterzeichens gehabt. Vgl. iiberhaupt
iiber die Befchneidung Plog, Gefchichtliches und Ethnologifches fiber Knaben-
befchneidung in Deutfches Archiv'ffir Gefchichte der Medizin und medizin.
Geographic VIII (1885), 3, S. 312343, Glagberg, Die Befchneidung in
ihrer gefchichtlichen, ethnographifchen, religiofen und medizinifchen Be-
deutung 1896.
J ) Luc. 1, 59, wobei nach 1, 61 auf die bereits in der Verwandt-
fchaft vorhandenen Namen Ruck[icht gegeben wurde. Fruher war das
anders. Vgl. Jakob der Fefthalter, Edom = der Rotliche etc. S.
Gen. 5, 29. 21, 3-6. 25, 25. 30. 38, 29. 41, 51. Exod. 2, 22. 1 Kon. 1,
20 etc. Gewohnlich gab die Mutter den Namen. Luc. 1, 31. Vgl. Gen.
4, 1. 2. etc. Ridit. 13, 24. 1 K6n. 1, 20. 4,;21. Ifai. 7, 14. Ausnahmen
z. B. Gen. 16, 15. Exod. 2, 22. 2 Kon. 12, 24^ Vgl. Lightfoot, Horae
hebr. in Ev. Luc. 1, 59: Deus una simulque instituit circumcisionem et
nomina mutavit Abrahae et Sarae; nine mos nominandi filios cum circum-
ciderentur. Bei den ROmern erhielt ein Knabe am neunten, ein Madchen
am achten Tage nach der Geburt den Namen. Macrob. Sat. 1, 16, 36.
Vgl. Marquardt 1. c. S. 83.
'0 Z. B. 1 KOn. 22, 9. 23, 6. 30, 7 2 Kon. 8, 17 u. a.
3 ) Judas von Karioth, Simon Niger etc.
478 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Lohnarbeiter Die Mietlinge oder Lohnarbeiter, die fich fiir einen Tag
und Skiaven. verdingten, 1 ) gehorten nidit zur Familie, wohl aber die
Sklaven, deren Los bei den Hebraern kein eigentlich hartes
war und fich nidit wefentlich von dem der iibrigen Haus-
genoffen unterfchied, weldie audi rechtlich der Gewalt des
Hausherrn unterftanden. 2 ) Es gab heidnifche und ifraelitifche
Sklaven. Erftere waren entweder Kriegsgefangene, die, wenn
fie nicht getotet wurden, zu Leibeigenen gemacht wurden, 3 )
oder gekaufte Sklaven, 1 ) oder im Haufe des Herrn geborene
Kinder von Sklaven. 5 ) Das mofaifche Gefetj fuchte ihr Los
gefetjlich zu regeln und milder zu geftalten. Deshalb be-
ftimmte es z. B., daft der Sklave, dem fein Herr ein Auge
oder einen Zahn ausgefchlagen hatte, befreit werden muffe. 6 )
Die Freilaffung erfolgte formell dadurdi, daft der Herr feinem
Sklaven einen Freibrief ausftellte. 7 ) Waren die Sklaven, wie
das meijt der Fall war, befdmitten,*) fo nahmen fie am
Oftermahl teil") und feierten audi den Sabbat. 10 ) Kein Sklave,
der jemand im Heiligen Lande von auswarts zugelaufen
war, durfte ausgeliefert werden, weil er Anjpruch auf Gaft-
freundfchaft hatte. 11 ) Im zweiten Jahrhundert v. Chr. war der
Preis eines Sklaven 120 Drachmen = etwa 80 Mark. 1 -)
1 ) Lev. 19, 13. Deut. 24, 14 f. Tob. 4, 15. Matth. 20, 8. Man konnte
aber auch Leute auf ein Jahr mieten. S. Lev. 25, 53.
2 ) Vgl. Winer BRW, Art. Sklaverei. Schegg, 653 ft.
3 ) Num. 31, 26 ff. Vgl. Deut. 21, 10- 14.
*) Gen. 17, 23. Lev. 25, 44.
) Exod. 21, 4.
*) Exod. 21, 26 f. Ober die Behandlung fchlediter Sklaven vgl. Sir.
33, 25. 27 ff. Matth. 25, 30. Luc. 12, 46.
7 ) Vgl- Qidduschin 1, 3. Nadi Pea 3, 8 konnte es auch durdi ftill-
fdiweigende Anerkennung gefchehen. Nach Schflrer (III, 18 und 53 f.)
gefchieht die Befreiung von Sklaven auf den aus dem erften diriftlichen
Jahrhundert ftammenden Urkunden von Pantikapaum (Kertsch am cim-
merifdien Bosporus), welche bei Latydier, Inscriptiones antiquae orae
septentrionalis Ponti Euxini graecae et latinae vol. II. 1890 n. 52 und 53
gedruckt find, Inl rfjc nQofitv/ts in der Synagoge und wird zwar dem
Sklaven darin voile Freiheit gefchenkt, aber ,,abgefehen von der Ehrfurcht
gegen die Synagoge und dem regelmafcigen Be[uche derfelben".
s ) Gen. 17, 23.
'') Deut. 12, 12. 18. 16, 11. 19. .
10 ) Exod. 20, 10.
1J ) Deut. 23, 15. Vgl. de Hummelauer 1. c. S. 406. .
12 ) 2 Mace. 8, 9 ff. (90 Juden wurden fiir ein Talent verkauft). Vgl.
audi Jos. Ant. 12, 2, 3.
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 479
Audi ein Ijraelit konnte Sklave eines andern Ifraeliten
werden, denn er konnte fich aus Armut felbft in die Knechf-
fchaft verkaufen. 1 ) Er konnte aber auch durdi gerichtlidien
Sprudi entweder zum Sklaven des von ihm Beftohlenen, um
ihm fo Erfatj fiir den Diebftahl zu leiften, 2 ) oder zum Sklaven
eines Glaubigers, dem er fonft nicht feine Schuld bezahlen
konnte, 3 ) gemacht werden. Hatte er fich felbft an einen
Ifraeliten verkauft, fo mufcte er von diefem wie ein gemieteter
Knecht gehalten 4 ) und famt feiner Familie nach fechs Jahren 5 )
oder, falls in diefe Zeit ein Jubeljahr fiel, noch fruher 6 ) frei
entlaffen werden. Er konnte aber auch natiirHch zu jeder
Zeit durch Loskauf befreit werden. 7 ) Im Jubeljahre, d. h.
jedem 50. Jahre, wurden iiberhaupt den Schuldnern die Schul-
den erlaffen, die leibeigenen hebraifchen Knechte befreit und
die Acker ihrem vorigen Befitjer wieder zuruckgegeben. 8 )
Jedenfalls war durch derartige Beftimmungen eine grofce
Ausdehnung der Sklaverei bei den Hebraern nicht moglich.
>) Lev. 25, 39. Vgl. Exod. 21, 2. Deut. 15, 12.
2 ) Exod. 22, 4. (Da Frauen nicht erwahnt werden, wurde das Ge-
fetj in praxi auf die Manner befchrankt. Sota 3, 8. Vgl. Winer RWB. II,
475, 4.) Erft Herodes beftimmte (f. Ant. 16, 1, 1), dag die Diebe auger
Landes verkauft werden follten.
3 ) Im Gefetj fteht hieruber nichts. Vgl. aber 4 Kon. 4, 1. Ifai. 50, 1.
Neh. 5, 5. Matth. 18, 25.
*) Lev. 25, 40 f.
5 ) Exod. .21, 1-6. Deut. 15, 1218. Vgl. Jos. Ant. 16, 1, 1. Siehe
u. iiber das Sabbatjahr Kap. 17, 3.
6 ) Lev. 25, 40 f. Qidduschin 1, 2. Ob man in der nachexilifchen
Zeit uberhaupt das Jubeljahr gefeiert hat, ift zum wenigften zweifelhaft.
S. u. Kap. 17, 3.
') Lev. 25, 48 ff. Lebte aber ein Ij'raelit bei dem Kaufer mit einer
Unfreien in ehelicher.*Verbindung und hatte Kinder mit ihr erzeugt, fo
fah das Gefet> nur die Befreiung des Mannes felbft vor, ftellte es ihm
aber frei, feiner Frau und Kindern auliebe mit diefen in der Knechtjchaft
zu bleiben (Exod. 21, 46). Es war aber Praxis, dafj er im Jubeljahre
mit Frau und Kindern in Freiheit gefetjt wurde (Jos. Ant. 4, 8, 28. Vgl.
de Hummelauer, Comm. in Ex. p. 215. Nach Qidduschin 1, 2 wurde ein
ewiger hebraifcher Knecht auch durch den Tod feines Herrn frei). Ein im
Lande anfaffiger Fremder mugte fiir den etwa bei ihm dienenden Ifrae-
liten das Redit der AuslSfung anerkennen und den Kaufpreis unter Be-
riickfichtigung der bis zum Jubeljahre nodi ubrigen Jahre beftimmen
(Lev. 25, 50. Qidduschin 1, 2)..
) Vgl.. Lev. 25, 155. Jos. Ant. 3, 12, 3.
480 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Die voile Lofung der aus der Sklaverei fich ergebenden
Schwierigkeiten ; braciite allerdings erft das Chriftentum mil
der Lehre der Beziehungen der Menfchen zu Gott und zu-
einander. 1 ) Die war der Sauerteig, der allmahlich die ganze
Welt durchdringen follte.
Gefeiiige In alterer Zeit trafen Freunde und Bekannte fich, abge-
Zufammen- fehen von den Feften und ahnlichen Veranlaffungen, am
kanfte. stadttore a ) und auf dem Lande am Brunnen. 3 ) Gewifc batten
in der neuteftamentlichen Zeit Theater und Amphitheater in
Jerufalem foldie Treffplatje werden konnen, aber diefe Bauten
des Herodes fanden nicht den Beifall der orthodoxen Juden, 4 )
und wenngleich das Neue Teftament manche Anfpielungen
auf griechifche Wettka'mpfe und Spiele enthalt, fo ruhren fie
doch meift von dem Heidenapoftel her. 5 )
Der Grufi. Der neuteftamentlidie Grufc ,,Friede fei mit'dir" oder
,,gehe in Frieden" reidit in die graue Vorzeit zuriick, da es
von alters her iiblich war, jemand bei der Ankunft und beim
Weggang mit einem Segenswunfche zu begriijsen. 6 ) Seine
voile Bedeutung erhielt er aber erft dureh Chri[tus.
Tod und Be- Schliefclich fei auch noch das Wefentlidie iiber die Trauer-
grabnis. gebraudie beim Tode und beim Begrabnis in diefer Zeit
gefagt. Beim Tode wurden dem Verftorbenen die Augen 7 )
und der Mund 8 ) gefrhloffen, dann der Leichnam gewafchen 9 )
und ofter gefalbt 10 ) und hernach in ein weifees Tuch gehullt. 11 )
In diefes legte 1 -) man Spezereien u. dergl. oder verbrannte 13 )
J ) Vgl. den Brief an Philemon und Gal. 3, 26 ff.
2 ) Sprichw. 31, 23. 31 u. 0.
3 ) Gen. 29, 3.
*) Jos. Ant. 15, 8, 1. Vgl. 2 Mace. 4, 14 f.
s) Z. B. I Kor. 9, 24-27. Gal. 5, 7. Phil. 3, 12-14 u. a.
") Marc. 5, 34. Luc. 24, 36. Jon. 20, 26. Vgl. Gen. 29, 6. 1 Kon.
1, 17. 20, 42 etc.
1) Gen. 46, 4. 50, 1. Jub. 23, 1.
8 ) Jon. 11, 44. Schabb. 23, 5.
9 ) Apg. 9, 37. Schabb. 1. c.
10 ) Marc. 16, 1. Luc. 24, 1. Joh. 12, 7. Verfdiieden hiervon ift ; die
Gen. 50, 2 ff. 25 erwahnte, bei den alten Agyptern fibliche Sitte der
Einbal[amierung. Vgl/ Herod. 2,'86-88.
") Matth. 27, 59. Luc. 23, 53. Joh. 19, 40. Vgl. auch Sir. 38, 16.
ia ) Joh. 19, 40. Jos. Ant. 17, 8, 3. B. J. 1, 33, 9.
13 ) Das ift wohl beim Tode des Herodes mit dem grofcten Teil der
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 481
auch bei den Leichen vornehmer Leute derartige Sadien.
Hande und Fiijje der Verftorbenen waren mit Binden, der
Kopf mit einem Schweifttuch verhullt. 1 ) Bei vornehmen
Perjonen, z. B. Furften, wurden dem Verftorbenen auch
allerhand Koftbarkeiten mit ins Grab gelegt. 2 )
Wahrend bei den meiften Volkern des Altertums, aueh
bei den Indern, Griechen und Romern eine zweifache Art
der Beftattung, das Begraben und Verbranntwerden, nach-
weisbar ift, 3 ) wurden die Toten, wie im Orient iiberhaupt,
jo auch bei den Juden begraben*) und zwar, wie es nodi
heute im Orient Sitte ift, am Tage des Todes felbft. 5 ) Eigent-
liche Sarge waren unbekannt, vielmehr wurden die Toten
auf einer Bahre die Stadt hinausgetragen. 6 ) Die Begrabnis-
ftatten befanden fich, abgefehen von denen hoher Perfonen,
aufeerhalb der Stadte und Dorfer. 7 ) Die Graber waren ge-
wohnlich entweder Senkgraber wie bei uns Oder, wie z. B.
aueh in chriftlicher Zeit in den unterirdifchen kellerartigen
Begrabnisftatten von Kloftern fur die Ordensgenoffenfchaft,
Schiebgraber, bei welchen eine Leiche fiber die andere in
offene Seitenwande der Mauern hineingefchoben wurde. s )
von 500 Dienern getragenen Spezereien (vgl. Ant. 1. c. B. J. 1. c.) ge-
fdifehen. Vgl. auch 2 Par. 16, 14. Jer. 34, 5.
) Job. 11, 44. 20, 67.
s ) Ant. 13, 8, 4. 15, 3, 4. 16, 7, 1.
*) Vgl. Marquardt, Das Privatleben etc. S. 374 ff.
*) Tacit, hist. 5, 5. Selbft die Leichen der Verbrecher wuiden be-
graben. Vgl. Matth. 27, 58. Jos. B. J. 4, 5, 2. 6, 7, 2. Deut. 21, 23. Jofue 8, 29.
10, 27. Zu 1 Kor. 13, 3: M wenn ich meinen Leib zu verbrennen gSbe"
^vgl. Jos. B. J. 7, 8, 7, wonach auch Jofephus wujgte, dag die Inder den
Leib den Flammen ubergaben. Zur Zeit des Augustus hatte fich in
Athen ein Inder felbft verbrannt. Vgl. Nikolaus von Damaskus bei
Strabo 15, 1, 73. Dio Cass. 54, 9.
5 ) Matth. 27, 57 ff. Joh. 11, 39. Apg. 5, 1^ 11. Vgl. Deut. 21, 22 f.
6 ) Luc. 7, 14. Apg. 5, 6. Vgl. 2 Kon. 3, 31. 4 K6n. 13, 21. Jos.
Ant. 17, 8, 3. B. J. 1, 33, 9. Berakhoth 3, 1. Baba bathra 6, 8. Der
^gyptff* 6 Jofeph war nach agyptifchem Gebrauch in einen Sarg gelegt
worden, Gen. 50, 25. Vgl. Exod. 13 19. Jos. 24, 32.
7 ) Matth. 8, 28. Luc. 7, 12. Joh. 11, 30. Vgl. v. Himpel, Art. Be-
grabnis im Kirchenlexikon 2, 186. Nach Baba bathra 2, 9 mujjten Aas,
Oraber und Gerbereien 50 Ellen von der Stadt entfernt fein.
8 ) Matth. 27, 60. Luc. 11, 44. 23, 53. Vgl. v. Himpel 1. c. 187 f.
Nicol, art. Sepulchre in Hastings IV, 454 ff.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefchidite. I. 2. u. 3. Auf I. , 31
482 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Familiengraber find auch bei den Juden recht haufig gewefen. 1 )
Man hatte aber auch gemeinfame Begrabnisftatten. 2 )
Denkmaier. Denkmaier fiir einzelne Perfonen werden fchon in der
alteften Zeit erwahnt. 3 ) Man legte auch zur Zeit Chrifti
einen Wert darauf, die Grabdenkmaler der Propheten und
anderer beruhmter Perfonlichkeiten zu reftaurieren. 4 ) Man
pflegte die Graber dureh Steine zu verfchlje&en, und diefe
Steine wurden nach der Regenzeit neu mil Kalk ubertuncht, 5 )
um [o die Voriibergehenden aufmerkfam zu machen. Denn
die Beriihrung eines Grabes verunreinigte. 6 ) Noch jetjt fieht
man an dem Grabdenkmal der Konigin von Adiabene und
ihrer Familie, den fogenannten Konigsgrabern, vor dem
Damaskustor bei Jeru[alem, wie viele Kammern ein folches
Grab oft enthielt, aber auch den eigenturnlichen Verfchlug;,
der runden niedrigen Offnung, welche durch einen gewal-
tigen Stein, der genau in die Offnung pagt, verfchloffen
werden kann.
Auj5erungcn Dem Orientalen erfcheint es unnaturlich, die Trauer
der Trauer. n icht laut werden zu laffen und in [tillem Zuge den Toten
zu Grabe zu geleiten. Er will der Trauer einen aujgern
Ausdruck geben. Von den Juden gait das Wort des Jefus
Sirach: ,,Weine um den Verftorbenen und traure um ihn,.
damit man nicht bofe von dir fpreche." Sie zerriffen zum
Zeichen der Trauer und eines Schmerzes, der fich Luft ma-
chen mufc, oder der Armut, weil man des Verftorbenen, der
das Leben reich machte, beraubt war, fichtbar vorn an der
Bruft das Gewand, 7 ) fchlugen fich an die Bruft, 8 ) kleideten
J ) Vgl. z. B. Gen. 23, 20. Tob. 14, 12. 1 Mace. 2, 70. Die Mifchna
gibt in Baba bathra 6, 8 Beftimmungen iiber die Anlage von Familiengrabern.
'-) 4 Kon 23, 6. Jer. 26, 23. Matth/27, 7.
3 ) Gen. 35, 20. Job 21, 32. 2 Sam. 18, 18. Vgl. auch 1 Mace. 13,.
27 ff. und Schekalim 2, 5.
^) Matth. 23, 29 ff.
5 ) Matth. 23, 27. Maaser scheni 5, 1. Dies Ubertunchen gefdiah.
nach Schekalim 1, 1 am 1. Adar. Vgl. auch Moed qatan 1, 2.
f ) Sir. 38, 16 f. Vgl. Num. 19, 1120.
') Gen. 37, 34. 44, 13. Richt. 11, 35. 2 Sam. 13, 31. Schabb. 13, 3..
Vgl. Sir. 38, 17 f. u. 483, 1.
*) Luc. 18, 13. 23, 48. Vgl. auch Matth. 11, 17. Luc. 8, 52. 23, 27.
Apoc. 1, 7. 18, 9. Dag folche Ausbriiche des Schmerzes auch bei deni
Leichenziigen der Romer vorkamen, zeigt Marquardt S 356, 5.
X11I. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 483
fidi in ein fackleinenes oder harenes Gewand, 1 ) verhullten
ihr Haupt, 2 ) um gewifterrnagen das Schrecken einflo&ende
Ungluck nidit zu fehen, 3 ) und beftreuten es mit Staub und
Afche 4 ) und fafteten. 5 ) Selbft der Armfte mufcte nach einer
in der Mifchna erwahnten Anficht den Leidienzug feiner Frau
durch wenigftens ein Klageweib und zwei Flotenfpieler be-
gleiten laffen, 6 ) und nidit blofc beim Begrabnis, fondern auch
fchon im Haufe wurde alsbald nach dem Tode von den
Freunden und Verwandten und berufsmafcigen 7 ) Klagewei-
bern oder Klagemannern die Totenklage 8 ) veranftaltet. Die
Form derfelben beftand zumeift in einer Hervorhebung der
Eigenfchaften des oder der Verftorbenen, z. B. ,,Ach, du
junge, ach, du fo friih den Eltern Entriffene" und erinnert
an die fpateren Leidienreden.
J ) Gen. 37, 34. 2 Sam. 3, 31. 2 Mace. 3, 19. Lagrange, Etudes
sur les religions semitiques. 2. ed. Paris 1905, p. 321 geht davon aus,
dag der Sack urfprunglich eine um die Lenden gehullte Gewandung, das
Kleid der Armen, war und man durch das Anlegen desfelben ausdrucken
wollte M qu'on se regarde comme prive, par le depart du defunt, de tout
ce qui fait le luxe et le bien-etre de la vie". Monseur, La proscription
religieuse de 1'usage recent in der Revue de Fhistoire des religions
t. Llll. n. 3 (Paris 1906, p. 290 - 306) fieht darin einen Reft der alten
Trauerfeierlichkeiten aus der Zeit, in welcher der Hebraer uberhaupt nur
mit einem Sack bekleidet war, gerade wie die hebraifche Sitte in Trauer
mit blofcen Fufcen zu gehen (Ezech. 24, 17), zeige, dag die Trauerfitten
alter feien als der Gebrauch der Sandalen (p. 294 s.).
2 ) 2 Sam. 15, 30. Efth. 6, 12. Jer. 14, 3. Ezech. 24, 17.
3 ) Vgl. Lagrange 1. c. 322.
*) 1 Sam. 4, 12. 2 Sam. 1, 2. 2 Sam. 13, 19. Apoc. 18, 19. Job (2, 8)
fitjt auf der Afche vor Leid. Stade, Schwally und zuletjt Lods, La cro-
yance a la vie future et le culte des morts dans 1'antiquite Israelite,
Paris 1906 fuchen aus den ifraelitifchen Trauergebrauchen zu beweijen,
dag bei den Juden ein Totenkultus exiftiert habe, Derartige Gebrauche
kcmnten aber, injoweit [ie urfprunglich mit einem folchen Kultus zufam-
menhangen follten, auch von andern VOlkern ubernommen fein, ohne dag
fie in derfelben Bedeutung wie bei jenen ubernommen worden waren.
Allein die im Texte gegebenen Erklarungen fcheinen den Tatfachen beffer
und naturlicher zu entfprechen.
6 ) 1 Sam. 31, 13. 2 Sam. 12, 16 f.
6 ) Kethuboth 4 ,4. Vgl. fiber die Flotenfpieler Jer. 48, 36. Siehe
Matth. 9, 23. Jos. B. J. 3, 9, 5.
') 2 Sam. 3, 31 ff. 2 Par. 35, 25. Amos 5, 16. Jer. 9, 17. Zachar. 12,
1015. Matth. 9, 23. Marc. 5, 38 f.
s ) Vgl. Luc. 8, 52. Apg. 8, 2.
31*
484 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Wer immer dem Leichenzuge begegnete, ging eine
Strecke mit demfelben. 1 ) Aus der Sitte, den Trauernden
Nahrung zu geben, um fie aufzurichten, 2 ) ift vielleidit die
Sitte des Leichenfchmaufes entftanden, eine Sitte, die bei
einer fiebentagigen Dauer der Trauer 3 ) bisweilen fehr aus-
artete. Denn Jofephus berichtet, man fei faft genotigt, die
Leidtragenden zu bewirten, weil die UnterlaHung als Mangel
an Pietat gegen den Verftorbenen angefehen werde. 4 ) Audi
an den Grabern felbft kamen Mi&braudie und aberglaubifche
Dinge vor, z. B. dafe man, wie der Siracide fpottend erwahnt,
den Toten Speife und Trank auf das Grab ftellte. 5 )
Gewohnlidi dauerte die Trauerzeit fieben Tage. 6 ) Den
Aaron wie den Mofes batten die Kinder Ifraels fogar 30 Tage
lang in der Wufte beweint. 7 )
5. Mafee, Gewidite, Geld und Kalender.
Langenmajje. Ausgangspunkt fur alle metrologifdien Syfteme ift das
Langenmafc. 8 ) Wahrend aber im Abendland meift der Fufe
als Mafeeinheit gait und zum Teil nodi gilt, ift es bei den
Orientalen und fpeziell audi bei den Hebraern der Unterarm
von der Spitje des Ellenbogens bis zur Spitje des Mittelfingers,
1 ) Jos. c. Ap. 2, 26 fagt, dies fei von Mofes angeordnet.
2 ) Ofeas 9, 4. Jer. 16, 7.
3 ) Vgl. Gen. 50, 10; 1 Kon. 31, 13. Judith 16, 29. Eccli. 22, 13.
Jos. Ant. 17, 8, 5: ,,Archelaus hielt zu Ehren feines Vaters nadi herge-
brachter Gewohnheit eine Jiebentagige Trauer ein; nach beendeter Trauer
bereitete er dem Volke ein Mahl."
*) Jos. B. J. 2, 1, 1. Vgl. Ant. 17, 8, 4.
6 ) Sir. 30, 18 ff. Vgl. auch Deut. 26, 14 und dazu de Hummelauer,
Comm. in Deut. Paris 1901, p. 425 sq.
) Gen. 50, 10. 1 Sam. 31, 13. Judith 16, 29. Sir. 22, 13. Jos.
B. J. 2, 1, 1. Ant. 17, 8, 4.
7 ) Num. 20, 30. Deut. 34, 8. Ober die Totengebrauche, Beerdi-
gung und Trauer bei den Juden vgl. Art. Begrabnis im Kirchenlex. 2,
184186. 189. Mayer, l)as Judentum, S. 456469. Rosenau, Jewish
cerem. institutions etc., p. 177 182.
b ) Hultfch, Griech. und r6m. Metrologie. 2. Bearbeitg. Berlin 1882.
H. Niffen, Griech/ und rom. Metrologie, Mfinchen 1892. Hultfch, Die Ge-
widite des Altertums nach ihrem Zufammenhang dargeftellt. L. 1898.
Welte (Kiel), Art. Mage im Kirchenlex. 8, 968 ff. Kennedy, art. Weights
and Measures in Hastings IV, 901913.
X11I. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 485
d. h. die Elle, gewefen. Diefelbe zerfiel im Orient in zwei
Spannen von je drei Handbreiten zu je vier Fingerbreiten.
Diefe naturlichen Magftabe find aber bei den einzelnen ver-
fchieden. Somit bedurfte es einer , gefepchen Beftimmung,
um diefe Sadie fur den Verkehr zu regeln.
Die fogenannte heilige Elle war eine Handbreit grower Die Eiie.
als die gewohnliche, 1 ) und die beiden verhielten fidi, wenn
die gewohnliche hebraifche Elle, wie es fonft 5m Orient ub-
lich war, zu fechs Handbreiten angenommen wird, wie fieben
zu fechs. Leider fehlt es aber fowohl im Alten Teftament
wie auch in der Mifchna 2 ) an einer genauen Angabe zur
Beftimmung der Grofce der Elle nach unferm Mag. Wahr-
fcheinlich haben die Hebraer ihre Elle aus Agypten entlehnt, 3 )
wofelbft die konigliche Elle 525 bis 528 mm, die gewohn-
liche 450 mm betrug und hat auch wohl die heilige Elle der
Juden 0,525 m, die gewohnliche 0,450 m betragen. Aber
etwas Sicheres weifj man fur die altere Zeit nicht.
Fur die neuteftamentliche Zeit find wir beffer daran. 4 )
Zunachft bemerkt die aus romifcher Zeit ftammende Siloa-
infchrift, die Lange des Siloakanals, welcher nach genauen
Meffungen der Neuzeit 537,60 m lang iff, 5 ) betrage 1200 Ellen,
fft diefe Angabe ganz genau und nicht blofe von einer ab-
') Ezech. 40, 5. 43, 13. Dag der falomonifdie Tempel nach altem
Ellenmafj gebaut war, folgt aus 2 Chron. 3, 3 und 3 K6n. 6, 2.
2 ) Aus Kelim 17, 9 f. folgt nur das Vorhandenfein einer heiligen
Elle. In Baba bathra 6, 8 wird von Grabftatten, die 4 Ellen lang fein
mugten, geredet, ohne dag fich etwas Weiteres entnehmen lagt.
3 ) In Babylonien betrug die fogen. kdnigliche Elle, welche bei den
babylonifdien und affyrifdien Bauten verwandt wurde und 3 Finger breiter
war als die gewOhnlidie, ungefahr 556 mm, die gewOhnlidie 495 mm.
Shaw-Caldecott, The linear measures of Babylonia about 2500 B. C.,
with appendix of the biblical cubit, Hertford 1903, zeigt, dafj man in
Babylonien im 2. Jahriaufend v. Chr. ein metrologifdies' Sy[tem hatte,
weldies zugleich sexagefimal und dezimal gewefen fei. Man habe eine
Elle von 3 Handbreiten c. 274 mm, eine von 4 Handbreiten = 366 mm
und eine von 5 Handbreiten = c. 457 mm gehabt. Vgl. Revue biblique
1904, S. 141 s.
4 ) Die Elle wird erwahnt Joh. 21, 8. Apoc. 21, 17. Vgl. auch Matth.
6, 27. Luc, 12,. 25.
5 ) Vgl. Guthe, Die Siloahinfthrift, .ZDMG. XXXVI. 1882. S. 744.
(S. Conder, The Siloam Tunnel in PEFSt. 1882, 122;- 131.]
486 Zweiter Abfchnitt. Die innern joz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
gerundeten Zahl zu verftehen, fo war damals die Elle unge-
fahr 0,448 m lang. Jofephus rechnet nach der attifchen Oder
griediifch-romifchen, 0,444 m langen Elle l ) und f agt nirgend-
wo etwas davon, dag zwifchen der jiidifchen und der griechifch-
romifchen Elle im praktifchen Gebraudi ein Unterfchied ge-
madit wird. 2 ) Es ware moglich, dag die vielleidit urfprunglich
agyptifche Elle von ungefahr 0,448 m im Laufe der Zeit auf
0,444 m reduziert 3 ) oder zugunften der griechifch-romifchen
Elle abgefchafft wurde. Jedenfalls betrug damals zur Zeit
des Jofephus die Lange der Elle 0,444 m, die Spanne war
0,222m, die Handbreite - 74 mm, die Fingerbreite 18,5mm.
Ein Fug war vier Handbreiten*) = 296 mm.
Das Stadium. Das Stadium ift kein hebraifches, fondern ein attifches
Langenmag gewefen, welches feit Alexander d. Gr. auch im
Oriente angewandt wurde. 5 ) Das attifche Stadium, eigentlich
die Entfernung in tier Rennbahn zwifchen dem Ablaut und
dem Endziel, betrug 600 griechifche Fug 6 ) oder 400 Ellen
= 177,6 m. Nach diejer Berechnung wurden, da die romifche
Meile 7 ) 1000 Paffus 5000 Fug oder 1480 m enthalt, ftreng
genommen 8 L /3 Stadien einer romifchen Meile entfprechen.
Gewohnlich wurde aber von den Romern der Bequemlichkeit
wegen 1 Meile 8 Stadien gefetjt. 8 )
') Nadht Ant. 15, 11, 3 hatte der Tempelraum 4 Stadien im Umfang,
da jede Seite ein Stadium lang war; nach Ant. 20, 9, 7 war eine Seite
400 Ellen lang. Da nun nach attifchem Langenmag ein Stadium gleich
400 : : i)>e? oder Ellen gefetjt wird, aber 600 Fug (der romifche-attifche
Fug war 296 mm lang) hatte, ift die Elle I 1 /* Fug = 0,444 m.
Ant. 20, 8, 6 heigt es, der Olberg fei von Jerufalem 5 Stadien entfernt
gewefen. Nach Apg. 1, 12 betrug die Entfernung einen Sabbatweg,
d. h: (vgl. Exod. 16, 29 und Num. 35, 5) 2000 Ellen. Funf Stadien find
aber = 3000 griechifche Fug, fomit die Elle = 1 l /-' Fug. Vgl. auch
Ant. 3, 6, 5 mit Exod. 25, 10. Nach Jofephus 1. c. war die Arche 5 Spannen
lang, 3 Spannen breit und hoch, nach Exodus 2 ' - Ellen (die Elle hat
2 Spannen) lang und I' 1 /* Elle breit und hoch.
!i ' a ) Vgl. Anm. 1:
3) DafQr ift Kennedy 1. c. p. 908 f. :; .
") Vgl. Herodot 2, 149.
') 2 Mace. 12, 9 ff. u. 0. Luc. 24, 13. Joh. 6, 19. 11, 18. Apoc. 14,
20. 21, 16.
6 ) 600 griechifche Fug find = 100 Klafter (d ? yv*, vgl. Apg. 27, 28)\
Ein Klafter := 4 .aqx*K oder Ellen und. 100 d^yvtd = I aradiuv.
') Matth. 5, 41.
*) Strabo 7, 4. S. Niffen 1. c. S. 55 f. Aus der Mifchna Joma 6, 4
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 487
Die hohlen oder kubifchen Mage der HebrSer 1 ) zerfallen
in folche fiir trockene und folche fur fliiffige Dinge. Das
Verhaltnis beidef zueinander ift aus dem Alien Teftamente
bekannt." 2 ) Bei den Hohlmafcen fiir Trockenes hat 1 Chomer
oder Kor 10 Epha, 1 Epha 3 Sean, 1 Sean 6 Kab, alfo ift
1 Chomer oder Kor 10 Epha 30 Seah 180 Kab. :>> )
Bei den Hohlmafcen fur Fliiffigkeiten hat 1 Chomer oder
Kor 10 Bath, 1 Bath 3 Seah, 4 ) 1 Seah 2 Hin, 1 Hin 3 Kab,
1 Kab 4 Log, alfo ift ein Chomer oder Kor 10 Bath
30 Seah = 60 Hin 180 Kab 720 Log. Zu der Be-
ftimmung der Grofce diefer Mafee fehlt es uns fiir die altere
Zeit nodi an ganz zuverlaffigen Vergleichungsspunkten, fo dafe
die meiften Gelehrten. erft von den Angaben des Jofephus
ausgehen, 5 ) ein Verfahren, welches fich ohnehin fiir die neu-
teftamentliche Zeit empfiehlt. Nach Jofephus ift aber 1 Bath
72, 6 ) 1 Seah 24, 7 ) 1 Kab 4 Sextaren^ 1 Log - 1
ergibt fich aber, dag die .Juden jener Zeit auf die Meile nur 7 '/a Stadien
Oder Ris rechneten. Dabei wird das Stadium wie bei den Hellenen alterer
Zeit (vgl. Nifjen S. 55) nach Schritten und zwar zu 266 gerechnet, der
Schritt zu 740 mm Oder 1 "/s kleiner perpfcher Elle. Ober die Unpcher-
heit des Sprachgebrauchs, wonach die rOmifche Meile bald S'/s oder 8,
bald 7'/2 oder audh nur 7 Stadien gleidigefetjt wird, vgl. Niffen S. 55 f.
') Vgl.'.z. B. Nowack, Arehaologie, S. 202 ff. Benzinger, S'^ 181 ff.
Kennedy, 910 ff. Germer-'Durahd, Mesures de capacite des Hebreux
au temps de PEvangile, in'Cdrifererices de Saint-Eltienne 1909-1910.
Etudes palestiniennes et orientales. P. 191'0, p. 89 - 105.
'-) Vgl. aber auch M. Menadioth 7, 1. Para 1, 1 etc.
3 ) Der Oberficht wegen ift das Omer oder Issaron, vy.elches '/io Epha
(= 3,936 Liter f. S. 488) ift (f. 488, 1) und das nur Ofeas 3, 2 erwahnte
Letech, nach Hier. ad 1. '/2 Kor, ausgelaffen. Bei Ifai,40, 12 und Pf. : 80, 6
wird das Scholifch (= ein Drittel) enyahnt, welches dem Seah = l jz Epha
entfpricht. r
4 ) Der Talmud kennt das Seah auch als ein Mag fur Fluff igkeiten.
Vgl. z. B. Menachoth 12, 4. :, '. : r
E ) Vielleicht ift ein anonymes Fragment ne^i nizQmv (in^Hultsch,
Metrologicorum Serfptorum reliquiae, 2 Bde. 1864 1, 258), welches das'
phonizifche Kor ~ -30 Seah fe^t und beifugt: Das Seah ift t a / s Mo^ii"
alfo = 24 -Sextare alter- als Jofephus (f; Kennedy, p; 911). "U
6 )' Anf. 8^ 2, 9: o de /?do? SiivaTat .^earac; tgdntyxuv-ca "dfo. ' " \\[
.. if f) Ant. 9, 4, 5: Ityiei de rd ffdrov (grieich. Ausdruck fflr Seah) sutfio*
xai.,fi(*iGv 'JTaiiKdv alfo = I'/VJViodii oder rOmifche Scheffel: %' 24 Sextare.
488 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jttd. Volkes.
Sextar. 1 ) Da aber 1 Sextar - 0,5468 Liter ift, 2 ) fo erhalten
wir folgende Oberfidit. Es ift
1 Chomer (Kor) . 393,666 Liter,
1 Epha Oder Bath 3 ) = 39,366
1 Seah (ff<m>*) 4 ) ; = .-13,122
1 Hin 3 ) .... 6,561
1 Kab = 2,187
1 Log : .... 0,546 )
J ) 4 KOn. 6, 25 wird gefagt, dag, als Konig Joram in Samaria be-
lagert wurde, ein Viertel Kab Taubenmift (Man bediente fich desfelben
ftatt des Salzes. Vgl. Jos. Ant. 9, 4, 4) 5 Mark koftete. Jos. Ant. 9, 4, 4
fetjt {tatt x /4 Kab 1 Seary?, [omit ift nadi ihm 1 Log = 1 Sextar. Dazu
pagt, dag er Ant. 3, 8, 3 und 3, 9, 4 das Hin (tiv = 12 Log) 2 attifdien.
Choen (ein -/ovs ift = "12 attifdien Metretes (f. Anm. 6), alfo 2 Choen
= . V Metretes = 7 */e Sextaren) = 12 Sextaren gleich fe^t. Allerdings
heigt CS Ant. 15, 9, 2: ,,o tfe x5^o? di'vara* (teSlnvovg 'Arrmov? dsxct." Alleln
hier wird der nedinvos, weleher 288 xoTviat enthielt (Nadi Niffen 1. c.
p. 9 = 58,941 Liter) mit dem um 1 /a kleineren jter^rf/'c, weldier 192 xorvAoce
hatte, verwechfelt. Denn fonft wiirde das Kor 589 Liter gefagt und damit
viel mehr als das Zehnfadie des /Jarfo? (Vgl. S. 487, 6. Das Bath ift =
39 Liter, f. S. 487) betragen ,haben (vgl. auch Nowack, Ardi. S. 203).
Somit hat er offenbar fagen wollen, das hebraifche Kor fei = 10 attifdien
Metreten, d. h. = 720 Sextaren. Die einzige nachweislich unrichtige
Angabe bei ihm ift Ant. 3, 6, 6, wonach das hebr. Issaron Oder Omer
(LXX yofioQ, Vulg. gomor f. S. 487, 3) 7 attifche Kotylen, d. h. nur c. 3
Sextaren hatte (nadi Niffen S. 9 ift eine xozvA*/ = 0,2047 Liter). Tat-
fachlidi ift aber ein Omer = Vi Epha, alfo = 7 1 f& Sextar. Vgl. Epiphan.
De mens. et pond. 21.
2 ) So der gewOhnlidie Anfat5. Vgl. Kirchenlexikon 8, 972; Niffen^
S. 10 hat 0,5458 Liter.
3 ) S. Luc. 16, 6. Obrigens wird das Epha nur fur Trockenes, das
Bath nur fur Fliiffigkeiten gebraudit.
*) S. Matth. 13, 33. Luc. 13, 21.
5 ) Das agyptifdie Hin enthielt nur 0,455 Liter Vgl. Clermont-
Ganneau VII, 294 ss. v Rev. Bibl. 1907, 315.
6 ) Im Neuen Teftament finden wir einige Namen griediifdi-romifdier
Mage fur Hausgerate gebraudit, den f&jrjfs oder sextarius bei Marc. 7, 4. 8
(in der Vulg. urceus, Krug) und den tiaSiog (modius, Sdieffel bei Matth.
5, 15. Marc. 4, 21. Luc. 11, 33 (f. S. 487, 6). Der ^"W^? (bei Joh. 2, 6)
entfpradi nadi 2 Par. 4, 5 dem hebrSifdien Bath und fagte fomit ungefahr
72 Sextar. Unter dem Joh. 12, 3 u. 19, 39 erwahnten tir^o. verfteht man
meift wohl mit Recht das romifdie Pfund =' 12 Unzen = 327,45 Gramm,
wahrend einige (Hultfdi und O. Hol^mann, Neuteft. Zeitgefdi.; S. 116)
unter dem von Maria zu Bethanien gebrauditen Pfunde koftbafer Narden-
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 489
Die Namen der Gewichte der Hebraer, 1 ) welche fich in Das Gewidit.
der Heiligen Schrift linden, find Talent, 2 ) Mine, 3 ) Sekel 4 ) und
Gerah/') Die beiden letjteren find auch Namen von Miinzen.
Das gebrauchlichfte Gewidit war der Sekel. In der vorchrift-
lichen Zeit find wenig[tens drei verfchiedene Gewiditsfyfteme
bei den Hebraern in Gebraudi gewefen, zunachft das baby-
lonifche, 6 ) dann das fyrifche oder hittifdie 7 ) und endlidi das
Sy[tem, nadi welchem der jiidifdie Handel im erften chrift-
lichen Jahrhundert und vermutlich audi in den letjten Jahr-
hunderten v. Chr. gefiihrt wurde, das phonizifdie. Die Ge-
wichtseinheit diefes Syftems ift der phonizifdie oder, wie er
gewohnlich heifct, der makkabaifdie Sekel von durchfchnittlich
falbe ein von den rOmifchen Arzten fur folche Salben gebraudites durch-
fichtiges Horngefag verftehen, auf welchem augerlich durch eingeritjte Linien
die Unzen von 1 12 markiert waren. Dasfelbe fagte 0,27 Liter. In der
Heiligen Schrift wird noch Apoc. 6, 6 das kleine griechifche Mag /omf
erwahnt. Ein /otvtf ift = 1 /t8 nedwvo? = 6 xo-rvf.cn = 1,228 Liter.
') Vgl. Fr. Hultfch, Die Gewichte des Altertums nach ihrem Zufam-
menhang dargepellt. L. 1898; Kennedy, art. Weights and Measures in
Hastings IV, 901 ff.
) Hebr. 1|? wortlich Kreis.
3 ) Hebr. n;^.
*) Hebr. ^ d h. Gewicht LXX a/xAo?.
5 ) n 73 etgentl. Bohne, Korn.
6 ) Wie die Griechen und Perfer haben auch die Hebraer fchon frQh
auf die Mine nicht wie die Babylonier 60, fondern 50 Sekel gerechnet
(fo wenigftens fchon vor Ezechiel. Vgl. Ezech. 45, 12 LXX), fo dag ein
Talent = 60 Minen = 3000 Sekel war (Gerah war der zwanzigfte Teil
eines Sekels). Nach der fogen. kOniglichen Norm wog der fchwere Sekel
16,83 Gramm, der leichte 8,41 (vgl. Lehmann, Das altbabylonifche Mag-
und Gewichtsfyftem, Leiden 1893, S. 6 ff.); nach der gemeinen babylo-
nifchen Norm, der die Hebraer folgten, unterfchied man einen fchweren
Sekel von 16,37 Gramm unH eineh leichten von 8,18 Gramm und dem-
entfprechend audi fchwere und leichte Minen und Talente. Jos. Ant. 14,
7, 1 rechnet eine Mine = 2 l /2 rOmifche librae oderPfund = 818,62 Gramm.
Gemeint ift die Mine zu 50 Sekel, fomit ift ein Sekel = 16,37 Gramm.
Vgl. Kennedy 1. c. p. 903.
7 ) Der fyrifche oder hittitifche Sekel ift wenigftens vom 16. bis
6. Jahrh. v. Chr. in Agypten, Syrien und Palaftina in Gebrauch gewefen.
Der leichte Sekel wog 10,368 Gramm, der fchwere 20,736 Gramm. Vgl.
Kennedy 1. c. p. 904 f; uber einige noch erhaltene Gewichtfteine diefes
Syftems vgl. auch Clermont-Ganneau, Recueil d'archeoi. orient.' IV (1901)
p. 24 ss.
490 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
14,55 Gramm. 1 ) 50 folche Sekel (oder 100 leichte Sekel von
je 7,27 Gramm) maditen eine (fchwere) phonizifche Mine,
60 Minen ein Talent aus.
Der Sekel. Das Geld 2 ) wurde urfpriinglich bei den Hebraern nicht
gezahlt, fondern gewogen. 3 ) Die Werteinheit bildet der
Sekel. Ein Normalfekel war beim Heiligtum hinterlegt und
hiefe wohl deshalb der heilige Sekel. 4 ) Da im erften chri[t-
lichen Jahrhundert die Tempelfteuer ein halber Sekel war,
diefe Steuer aber auf das Gef etjbuch 5 ) zuriickging, muft fie
die Halite eines heiligen Sekels gewefen fein. Zur Zeit
Chrifti bezahlten aber zwei Perjbnen zufammen die fchuldigen
zwei halbe Sekel durdi einen Stater, 6 ) d. h. durch vier
Drachmen tyrifcher Wahrung, 7 ) welehe der althebraifchen ent-
') Vgl. Hultfch, S. 17 f. 25. 34 f. Der phonizifche Sekel ift fchon fur
die Mitte des dritten Jahrtaufends v. Ghr. nachgewiefen. S. Hultfch, S. 7.
Vgl. auch Kennedy p. 905 f. Wie es fcheint (vgl. Hultfch S. 43 f. Dai-
man, Neugefundene Gewichte in ZDPV Bd. XIX [1906] S. 92-94) ift
diefes Gewichtsfyftem von der alteften gefchichtlichen Zeit an in Palaftina
in Gebrauch gewefen. .^- In der Mifchna (vgl. Kennedy p. 906) wird die
dem romifchen Denar gleichgefe^te griechifche Drachme als Gewichts-
einheit eines fynkretiftifchen Gewichtsfyftems gebraucht. Sie heigt dort
Sus ("") und hat 6 Maahs oder Obolen. Zwei Sus (odef Denare) machten
einen Sekel, vier eine Tetradrachme (>"b?), hundert eine Mine (",;?:),
fechstaufend ein Talent. S. u. S. 494, 2.
2 ) S. Levy, Gefchichte der judifchen Munzen. Breslau 1862. De
Saulcy, Numismatique de la Terre sainte. 1874. Erman, Kurze Ober-
ficht der Munzgefchichte Palaftinas, in ZDPV II (1879) 75 ff: Madden,
Coins of the Jews, London 1881. .Reinach, Les mbnhaies juives in REJ
Tome XVI. Paris 1888, p. CLXXXIH GdXIX; Kennedy, art. Money
in Hastings D. Ill, 417 432. Lambert, Les cfiangeurs et la monnaie
en Palestine du ier au Hie siecle de 1'ere vulgaire d'apres les textes
talmudiques in der REJ, Paris 1906. Tome LI p. 217244, Tome LII
p. 24-42. Vgl. auch Schiirer I, 243-245. 761772. II, 71 76. P. Thorn-
sen, Kompendium der Palaftinenfifchen Altertumskunde. Tubingen 1913,
S. 93-101. : * 1 ' -'"' --v:.:;j.. : U.^:??- ; = -.-
3 ) Jer. 32, l5. ''. - ( - :: - "- : -'- : . ; - : - ; -'^ "'"~ '_-"- ' '
4 ) Exod. 30/13. Lev. 27, 25? ' '''" "-' - ' -- ! ::
5 ) Exod. 30, 13 ff. Ober die Tempelfteuer/ f. o. S.-364. "
6 ) Matth. 17, 24 ff. Vgl. Jos. Ant. 18, 9, 1; B. J. 7, 6, 6. S. auch
Ant. 3,,8, 2;; S.-ii. S. 494 f. ; " ^^-.'-_-' ^ ' ' " -
H 7 ) : Dag die Tempelfteuer, 51 iiberh&upt J die- im ;Alten Teftamente er-
wahriten Abgabeny: ,,nach dem Sekel des Heiiigtums; der tyrifcheTi (d. ii.
phOnizifchenj Miinze", bet echnet wufd'en, fagt die Mifchna Bektiorbth ; 8; 7
ausdrucklich. S. o. S. 364, 7.
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. " 491
fprach. In deutfchem Geld ') machte dies ungefahr 2 Mark
62 Pfennige.
Die altefte eigentliche Miinze, deren man fich in Palaftina Die Munz-
und zwar bald nach der Riickkehr aus dem Exil bediente, pragung in
war die perfifche Darike, ein von Darius Hyftaspes gepragtes Judaa -
Goldjtiick im Werte von etwa 21 Mark; die entfprechende
Silbermiinze, der fogenannte medifche Sekel, betrug dem
Werte nach etwa ein Zwanzigftel der Golddarike. 2 ) Es find
dann fpater der Reihe nach die Miinzen Alexanders des
Grofcen, der Seleuciden und der Ptolemaer in Palaftina ver-
breitet gewefen. 3 ) Einer der Hasmonaerfiirften, Simon, hat
auch Silbermunzen pragen laffen. 4 ) Die ubrigen haben nur
Kupfermtinzen gepragt, 5 ) ebenfo Herodes 6 ) und feine Nach-
folger. 7 )
') Hultfch, Griechifche und romifche Metrologie 2. Aufl. 1882. S. 420.
'0 Vgl. Schegg S. 305 f. Benzinger S. 194 f. Kennedy, art. Money
in Hastings III, p. 421 ff. K. Regling, Dareikos und Kroiseios. Klio,
Beitrage zur alten Gefdrichte. Bd. XIV, 1 L. 1914, 91-112.
'*) Alexander d. G. und die Seleuciden bedienten fich fur ihre
Miinzen des attifchen, die Ptolemaer des leichten phSnizifchen Syftems.
Nach erfterem war eine Silber-Tetradrachme 17,28 Gramm, nach letjterem
ungefahr 14 Gramm fchwer (s. o. S. 489 !.). Vgl. Kennedy, p. 423 f.
Niflen S. 44.
4 ) Das Recht dazu verlieh ihm Antiochus VII Sidetes im Jahre
139/138 v. Chr. Vgl. 1 Mace. 15, 5 f. Simon hatte aber fchon frQher
diefes Recht ufurpiert. Denn obwohl er fchon i. J. 135 ftarti, gibt es ihm
zugehOrige halbe Sekel aus den Jahren 1, II, III, IV und ganze Sekel
aus dem Jahre V jeiner Regierung. Schurer I, 243-245 und 761765,
fdwie Kennedy 1. c. p. 424 f. 429 f. fuchen darzutun, daJ5 diefe Miinzen
er[t in den Jahren 6670 n. Chr. gepragt feien, wahrend, wie Schurer
1, 765 felbp zugibt, viele Numismatiker dies wegen des altertiimlichen
Ausfehens jener Sekel fur unmoglich erklaren. S. auch Schegg S. 311.
') Vgl. z. B. Kennedy, p. 425 f. und Schurer I, 268 f. 275. 284 f.
"287. 355. " .". ._ . ' '..' " ; " '-.'.." . " . ';.. .
6 ) -S. o S. 134, 2. , v
7 ) Vgl. o. S. 160, 5; 182; 195, 2; 203; 208, 2; 212, 3. Es gibt kleine
Kupfermiinzen, auf deren einen Seite cheruth Zion '(]V < X min) = die Frei-
heit Sions fteht, wahrend die andere Seite die Jahreszahl II oder
HI hat. Nach der faft allgemeinen Annahme ftammen diefe Munzen aus
der Zeit des vefpafianifehen Krieges, f. Schegg S. 312, Schurer 1, 766 f.
771 f. Ober die jQdifchen Silber- und Kupfermiinzen .aus der Zeit des
Barkochba f. o. S. 308, 5.
492 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Wie nun felbft zur Zeit der Makkabaer die Juden ihre
Silbermunzen aus heidnifchen Prageftatten beziehen mufcten,
fo erft recht feit dem Anfange der Herrfchaft der Romer. In
Judaa felbft wurden audi unter den Prokuratoren nur Kupfer-
miinzen gepragt. 1 )
Munzen mit Die Silber- und Goldmimzen aber, welche damals in
romifdien Palaftina zirkulierten, waren teils fpezififch romifche, teils
Namen. trugen fie griechifche Namen. Unter den erfteren wurde als
Goldmunze damals in Palaftina der romifche aureus (nummus)
Der Gold- gebraucht, 2 ) dem an Wert, wie in Rom, fo audi in Palaftina
denar. 25 Silberdenare gleich kamen. 3 ) Ejn aureus war in der
erften Halfte des erften Jahrhunderts nadi unferm Geld un-
gefahr 21 Mark 73 Pfg. wert. 1 ) Man konnte fur einen Gold-
denar ein Kor, d. h. etwa vier Hektoliter Weizen kaufen. 5 )
Fur zwolf Golddenare jahrlich wurde zu Sepphoris eine Bade-
Der Silber- anftalt verpachtet. 6 ) Der Silberdenar hatte damals eine Be-
denar deutung wie bei uns die Mark, fo dajj audi grofje Summen
nach Denaren geredinet wurden. 7 ) Als der 25. Teil eines
aureus wurde fein Wert 87 Pfennig betragen haben. Allein
') S. o. S. 169, 2. Die in einzelnen Stadten wie Samaria oder der
Dekapolis gepragten Kupfermiinzen, welche fflr die Gefchichte der Stadte
von groger Bedeulung find, haben im allgemeinen nur eine befchrankte
Zirkulation gehabt. Vgl. Schurer, Regifter S. 70 f.
*) Er heigt bei Jos. B. J. 5, 13, 4 wie bei den Griechen iiber-
haupt zgvtsov? (erarfni), in der Michna 2riT i^. Er war als Goldgeld
audi in Palaftina fo verbreitet, dag, wenn man ein GoldftQck fur das
Heiligtum gelobt hatte, man nach Schekalim 6, 6 und Menachoth 13, 4
(vgl. auch Tofephta, Baba bathra 6, 2) einen aureus zahlen mugte (f Lam-
bert 1. c. p. 225).
3 ) Dies ergibt fich z. B. aus Baba qamma 4, 1, wofelbft ein gol-
dener Denarius = 25 Silberdenare oder Sus gerechnet wird.
4 ) Der Aureus war von Julius Cafar auf "V libra fixiert (Plinius
N. H 33, 3, 47), wog aber von Auguftus bis Nero nie mehr als 7*2 libra
(vgl. Hultfeh, Metrologie S. 309 ff.), d. h. 7,79 Gramm (die libra zu
327,45 Gramm gerechnet). Das Gramm Gold zu 2 Mark 79 Pfg. ge-
rechnet, gabe fOr 74-2 libra 21 Mark 73 Pfg. Unter Nero fank nach
Plinius 1. c. der. aureus auf */ libra = 7,28 Gramm. Die erhaltenen
aurei aus feiner Zeit find aber fchwerer. Vgl. Marquardt RStV. 11, 71, 1 ;
vgl. ebd. 11, 26, 5.
5 ) Baba mezia 5, 1.
6 ) Baba mezia 8, 8.
7 ) Matth 18, 28. Marc. 6, 37. 14, 5. Luc. 7, 41. Jon. 6, 7. 12, 5.
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 493
fein eigentlicher Metallwert bis auf Nero war in deutfdier
Wahrung nur 70 Pfennig. 1 ) Jedenfalls war damals ein Denar
ein Tagelohn. 2 ) Ein zur Zeit Chrifti unter Tiberius gepragter
Denar, womit man damals die Steuer zahlte, 3 ) hatte auf der
einen Seite das Bild des Tiberius und die Umfchrift Ti.
Caesar Divi Aug. F(ilius). Auguftus, auf der andern das Bild
der Kaiferin Julia Livia mit Szepter und Blume und der
Umfchrift Pontif. Maxim/)
Die gebrauchlidijte romifche Kupfermiinze war das As, 5 ) AS und Qua-
welche damals und fchon lange nieht wie urfprtinglich ein drans.
zehntel, fondern ein fechszehntel Denar 13 ) war und deffen
Wert nadi unferm Geld ungefahr funf Pfennig betrug. Fur
ein As erhielt man drei bis funf Feigen, eine Weintraube,
einen Granatapfel oder eine Melone. 7 ) Ein mit der Viehbe-
fchauung beauftragter Tierarzt erhielt fur die Infpektion eines
Hammels vier As, eines Ochfen fechs As. 8 ) Wie das As fo
wird audi das Zweiasftiick, der fogenannte Dupondius, in
der Heiligen Sdirift erwahnt; 9 ) ebenfo das Viertel vom As,
der Quadrans. 10 )
Die erwahnten Munzen folgen dem romifchen oder itali- Das jadifche
fchen Miinzfug, nach welchem damals alle Steuern und Zolle Lepton.
') Der Denar hatte damals ein Silbergewicht von Vs* libra
3,89 Gramm. Ein Qramm Silber war = 18 Pfennig.. Unter Nero fank das
Silbergewicht des Denars auf l /6 libra, behielt aber feinen gefetjlichen
Wert als '/ss aureus.
2 ) Matth. 20, 2 ff.
3 ) Matth. 22, 19. Luc. 20, 24.
4 ) Abbildung bei Kennedy p. 428, Munztafel n. 13.
5 ) As, griech. dffaugiov, {. Matth. 10, 29. Luc. 12, 6. Kennedy, art. Money
p. 429, meint, dag der griechifdh-romifdie Name diico^tnv der volkstumliche
Name fur den attifchen dichalcus (= J /2 Drachme) war, und das Tarif-
oder romifche As (in der Mifchna z. B. Qiddufchin 1, 1 issar italki
"Dbtt^ ID"*}, genannt) den doppelten Wert des dichalcus gehabt habe.
6 ) Denarius heigt eigentlich decem asses. Sclion feit dem zweiten
punifchen Kriege (217 v. Chr.) war das As nur VV, Denar.
') Maajeroth 2, 5 f.
8 ) Bekhoroth 4, 5.
9 ) Luc. 12, 6. (Der hebr. pondion, \f^f^.) Vgl. Pea 8, 7. Baba
bathra 5, 9. In Kelim 17, 12 fteht der Ausdruck ,,i1alifcher Pondion".
l ) Matth. 5, 26. Marc. 5, 42. Der Sefterz oder das Viertel-
denar (das Vierasftfick, nach unferm Geld 21,7 Pfennig) ift nicht in der
hi. Schrift erwahnt; auch nicht das halbe Asftuck, der Semis. 1000 Se-
fterzen waren == 250Denare 217,3 Mark; 10,000 Sefterzen = 2173 Mark.
494 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
bezahlt werden mufcten. Nur ganz kleine Summen unter
einem Denar konnten in der Landesmunze bezahlt werden. 1 )
In Palaftina gab es eine derartige Munze, die mit dem ganzen
romifchen Mtinzfyftem nichts zu tun hat, das Lepton; zwei
dief'er Geldftuckchen, welehe im Werte je einem halben Qua-
drans oder einem Aditel As gleidi kamen, warf bekanntlich
die arme Witwe im Evangelium in den Opferkaften. ? )
Munzen mit Es wurden aber in Palaftina audi Silbermimzen mit
griechifchen griedhifdien Namen gebraucht. Die kaiferliche Miinzftatte zu
Namen. Antiodiien pragte befonders Tetradrachmen mit griediifcher
Umfchrift, die zu Cafarea in Kappadozien feit dem Jahre 17
Die Tetra- n. Chr. befonders Draehmen und Didradimen nadi dem
drachme. phonizifdien Miinzfufe. 3 ) Allein diefe Munzen diirften nur in
befdirankter Anzahl nadi Palaftina gekommen fein, wahrend
um jo mehr Munzen von der grofcen Miinzftatte zu Tyrus,
namentlich die tyrifche Tetradradime, dorthin kommen mu&-
ten. 4 ) Die Tetradradime phonizifcher Wahrung ift etwas
leichter als die attifdie Tetradradime, 5 ) wurde aber im ge-
wohnlidien Verkehr diefer gleichgefetjt, 6 ) wie man audi
1 ) Vgl. das Refkript des Germanicus , welcher 1719 n. Chr.
Oberftatthalter der Frovinzen des Oftens war, in dem Zolltarif von
Palmyra (der Text ift herausgegeben von Schroder, Neue Palmyrenifche
Infchriften, S.B. der Berliner Akademie 1884, S. 434). S. Kennedy p. 429.
2 ) Marc. 12, 42. Luc. 12, 59. 21, 2. Hebraifch heigt diefe Munze
nttil?. Eine Prutah war nach Qiddufchin 1, 1 und Edujoth 4, 7 der achte
Teil eines assarius italicus. Die, z. B. Schekalim 1, 7 und Menachoth
13, 4 genannte Maah war eine kleine SilbermQnze, welehe dem grie-
chijchen Obolus entfprach = '/n Drachme = I /G Denar. Lambert 1. c.
p. 231 haM es fur wahrfcheinlich, dag die Maah (f. o. S. 490, 1) die romifche
Sefterze ([. S. 493, 10) war, die in Palaftina wie in Rom = 4 As gewefen
fei. Allerdings habe man in Rom auf den Denar 4 Sefterzen a 4 As,
in Palaftina 6 Sefterzen a 4 As gerechnet.
3 ) Vgl. Warwick Wroth, Catalogue of the Greek coins [in the Brit.
Mus.] of Galatia, Cappadocia and Syria, 1899, p. LVIII und p. 158-232
und p. XXXVI f. und p. 45-93. Vgl. Kennedy p. 427. Barclay V. Head,
Historia Numorum. A manual of Greek Numismatics. New and enlarged
edition. Oxford 1911.
4 ) Exemplare der von 15 v. Chr. bis 57 n. Chr. in Tyrus gepragten
Tetradrachmen f. in Babelon, Catalogue des monnaies grecques de la
Bibliotheque nationale. Les Perses Achemenides, Chypre et Phenicie.
Paris 1893, n. 2093 ss.
5 ) Hultfch, Metrologie S. 595 f.
e ) Vgl. Jos. B. J. 2, 21, 2, der als Wert des Tv^ov vofuts^a vier
attifche Draehmen angibt.
. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 495
gewohnlich eine Drachme = ein Denar rechnete. 1 ) Die
Doppeldrachme wurde darnals felten gepragt. Deshalb zahlten
gern zwei Perfonen zufammen die Tempelfteuer, bei weldier
man fich tyrifcher Wahrung bedienen mugte, indem fie eine
Tetradrachme, die man auch Stater nannte, entrichteten." 2 )
Man fprach auch ftatt von Drachme 3 ) oder Denar von einem Der
Silberling. 4 ) sterling.
In diefer Zeit [hid auch Talent und Mine nicht mehr Talent und
Gewicht gewefen. Man verftand unter einem (romifch-atti- Mine
fchen Talent 5 ) eine Summe von 6000 Denaren oder Drach-
men. 6 ) Eine Mine 7 ) war der fechzigfte Teil eines Talents,
alfo = 100 Drachmen.
Die eigentumlichen Verhaltniffe Palaftinas, wo griechifches Qeidwechfier.
und romifches Geld nebeneinander kurfierte, die Abgaben
an den Tempel aber in tyrifchem Geld s ) bezahlt werden
mufcten und die oft aus entfernten Landern kommenden
Pilger ihre Miinzforten in Palaftina gegen dort gangbare
umtaufchen mufcten, machten Geldwechfler notig. Der Name
Collybiften, den fie im Neuen Teftamente tragen, 9 ) von Col-
lybos, d. h. Aufgeld, macht es klar, dafc fie fur ihre Dienfte
ein Aufgeld fordern durften. Es beftand fur einen Sekel in
einem Obolus (V'si Sekel), d. h. vier Prozent. 10 ) Wahrend
J ) Bei den Abgaben an die Romer wurde jedodi die Tetradrachme
zu drei denarii, alfo 1 Drachme =. 3 /* denarius gerechnet. Vgl. Kennedy
p. 429.
*) S. o. S. 490 f.
3 ) Luc. 15, 8.
4 ) Apg. 19, 19 dgyvQiov nvgiddnc; nivzt. Qemeint find hier wohl
attifche Drachmen = Denare. Die 30 Silberlinge, wofiir der Herr verkauft
wurde (Matth. 26, 15. 27, 3 ff.), waren den Umftanden entfprechend
(f. o. 490, 7) phonizifche Tetradrachmen = 30 X 2 Mark 62 Pfg. =
78 Mark 60 Pfg.
5 ) Matth. 18, 24. 25, 15.
6 ) Hultfch, Metrologie S. 252.
7 ) Luc. 19, 13-25.
) VgL Tofephta Kethuboth 13, 3; jer. Qiddufchin 1, 3 (59 d) bei
Lambert 1. c. p. 223. S. o. S. 490, 7 und 364, 7.
) Matth. 21, 12. Marc. 11, 15. Joh. 2, 15. - Einmal fteht dafur
(Joh. 2, 14) xe^otTtflrn'? von xeji^nt '== Scheidemunze (da fie fur grogere
Stucke Kleingeld gaben) und bei Matth. 25, 27 (Luc. 19, 23) x(>^ne^izt)i;
von r^a7rC der ( Wechfel-) Tifch.
lo ) Dies ergibt {ich aus Schekalim 1, 6 und 7, worin gefagt wird,
496 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz.-u. fittl; Zuftande des jud. Volkes.
natiirlidi die Wechfler felbft gegen falfches Geld auf der Hut
fein mufcten, konnte der gewohnliche Mann, dem eine genaue
Kenntnis der verfchiedenen Miinz[orten, in welche gewechfelt
wurde, fehlte, leicht zu der Meinung kommen, er werde
beim Wechfeln iibervorteilt. Da nun aber den Wechflern
befonders zur Bequemlidikeit der aus fremden Landern
kommenden Pilger erlaubt worden war, ihre Tifche in dem
aujgern Vorhof des Tempels aufzuftellen, wurde der Tempel
felbft oft durch Zank und Streit entweiht. 1 )
Bankiers. Die reicheren Wechfler haben aber auch noch eine ganz
andere Tatigkeit entwickelt, weldie fie auf eine Stufe mit
unfern Bankiers fetjt. Sie haben namlich auch von folchen,
welche ihr Vermogen nicht felbft verwalteten, Kapitalien gegen
geringere Zinfen geliehen, die fie entweder zu hoheren
Zinfen ausliehen oder zu andern nutjbringenden grofeen
Unternehmungen, z. B. Handel, Zollpacht u. dergl., verwen-
deten. Von einem folchen Bankier fpricht Jefus zu dem
bofen und faulen Knecht: Du hatteft mein Geld den Wechflern
anvertrauen follen. 2 ) Auch ift wohl der Knecht, der feinem
Herrn 10000 Talente fchuldete, 3 ) ein folcher Bankier gewefen.
dag der Preis des tyrifchen Stater ((. o. S. 490), welcher 24 ni2tt oder
Obolus enthielt, 25 Obolus war. Somit war der 25. Obolus das Agio.
Vgl. Kennedy, art. Money-changers in Hastings III, 432 f.
J ) Vgl. Matth. 21, 12 ff. Marc. 11, 15 ff. Job. 2, 13 ff.
2 ) Matth. 25, 27. Vgl. auch Luc. 19, 23 in der Parabel von deo
zehn Pfunden. Ober die Bankgefchafte und Handelsunternehmungen
einzelner oder von Gefellfchaften in der rabbinifchen Zeit vgl. Lambert
1. c. p. 34-37 und 3742; uber die Bankgefchalte bei den Romern
Marquardt RStV II, 64 ff. Der normale Zinsfug bei den ROmern, bei
welchen [eit Sulla die griechifche Sitte aufkam, nicht auf Jahre, fondern
auf Monate zu leihen (f. z. B. Horat. Epod. 2, 67. Sat. 1, 3, 87), war
ein Prozent monatlich oder 12 Prozent jahrlich (vgl. Marquardt S. 60).
In der fruheren Kaiferzeit war aber infolge der Anhaufung groger
Kapitalien der Zinsfug ein majgiger, {o dag 11 und 12 Prozent als wuche-
rifche Zinfen galten (1. c. S. 62). Vgl. Billeter, Qefchichte des Zinsfuges
im griechifch-rOmifchen Altertum bis auf Juftinian. L. 1898. S. 163 ff.
3 ) Matth. 18, 24. Die altteftamentlichen Zinsverbote (z. B. Exod. 22, 25.
Lev. 25, 36. Deut. 23, 20 f.) wurden umgangen, indem man nicht Zins
im ftrengen Sinn des Wortes nahm, fondern entweder beftimmte, dag
der Schuldner vom Tage der Falligkeit des Darlehens, welcher im Dar-
lehensvertrag genau angegeben war, den Zins in Form einer Konven-
tional[trafe zu entrichten hatte, oder am Tage der Ruckerftattung ein
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 497
Nachdem Judaa direkt unter romifche Herrfchaft ge- Die jfldifche
kommen war, wurde zwar dafelbft offiziell nadi Jahren der Zeitrechnun &<
romifchen Kaifer gerechnet, fonft blieb es aber bei der jfidi-
fdien Zeitrechnung. 1 )
Das burgerliche Jahr der Juden beftand aus zwolf Mond- Das jadifche
monaten von zufammen 354 Tagen 8 Stunden 48 Minuten Jahr.
38 Sekunden, da ein Mondmonat nur 29 Tage 12 Stunden
44 Minuten 3 Sekunden hat und fomit nur Monate von 29
Tagen und foldie von 30 Tagen miteinander abwechfeln
konnen.
Zur Ausgleidhung mit dem Sonnenjahr, welches 365 Tage
5 Stunden 48 Minuten 48 Sekunden, alfo 10 Tage und 21
Stunden mehr betragt, wurde ungefahr alle drei Jahre ein
dreizehnter Monat eingefchaltet. Nach der judifchen Ober-
lieferung felb[t hatten die Juden weder zur Zeit Chrifti noch
auch fpater bis zum vierten Jahrhundert n. Chr. einen fixierten
Kalender, fondern fingen auf Grund blofc empirifcher Beob-
achtung einen neuen Monat an, fobald das Neulicht erfchien.
Am 30. des Monats wurden die Zeugen, die das Neulicht
gefehen hatten, verhort, woraufhin der Hohe Rat den Tag
als Tag des Neumondes erklarte und durch Feuerfignale,
{pater durch Boten den entlegener Wohnenden den Neu-
mond anzeigte. Waren keine Zeugen vorhanden, fo gait
der folgende Tag als Neumond, da der judifche Monat nie
mehr als 30 Tage hatte.
In ahnlicher empirifcher Weife ohne Vorausberechnung Der Schait-
wurde auch im dritten oder zweiten Jahre ein Schaltmonatmonatunddie
Monate uber-
haupt.
gewifles Aufgeld verlangte, weldies die Different des Kaufpreifes der
Viktualien etc. am Tage, an welchem das Darlehen gegeben, und dem
Tage, an welchem es zurQckerftattet wurde, dar[tellte. Vgl Hejcl, Das
alttepamentlidie Zinsverbot im Lichte der ethnologifchen Jurisprudenz,
Jowie des altorientalifchen Zinswefens (= Bibl. Stud. XII, 4) Freiburg
1907, S. 82 ff. : : ;, /
') Ober den judifdien Kalender vgi. Ideler, Handbuch der mathe-
matifchen und technifcheri Chronologie, zwer Bande; B.i825^-26 : 1, 477583.
F. K. Ginzel, Handbuch der mathematifcheh und technifcheh Ghfdnologie
(3 Bde. L. 1906-1914), Bd; 2 (1911)i S. l^il9^EdKK6i%,iKalender-
iragen im althebraifchen Schrifttum, -ZDMG, Bd, : 6tt '(LJ 1'906)> S. 605- 644 ;
Jiifter, 1, 362-364, Ed. Mahler, Handbudi ; fler ?judifcheK i 'Qhi;onologie
<Schriften hrsg. v. d. Qef. zurFOfderung der Wiff. di iJudentums), ^
Felten, Neutefiamentlidie Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 32
498 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
eingefchoben. 1 ) Mafcgebend war dafur, dag unter alien Um-
ftanden das Pafchafeft, welches am Vollmond des Nifan, am
14. Nifan, zu feiern war, nach der Friihlings-Tag- und Nacht-
gleiche fallen mufcte. Merkte man am Ende des Jahres,
dafc Oftern vor der Tag- und Nachtgleiche fallen wiirde, fo
fchaltete man einen Monat vor dem Nifan ein. 2 )
Die Namen der jiidifchen Monate, wie fie nach dem Exit
und im Zeitalter Jefu gebrauchlich waren, find Nifan, der
zum grogen Teil unferm Marz und zum Teil unferm April
entfpricht, Ijjar, Sivan, Tammus, Ab, Elul, Tifdiri, Marchefchwan,.
Kislev, Tebeth, Sehebat, Adar. 3 ) Der Sehaltmonat war eine
') Vgl. Rosch haschana (= Neujahr) 1, 3 ff. 2. 3, 1, 4, 4. S. dazu
Cafpari, Chronologifch-geographifche Einleitung in das Leben Jefu. Ham-
burg 1869, S. 10 ff. Qinzel 2, 40-45. Fur das fiinfte Jahrhundert
v. Chr. beftatigen die Papyri von Affuan, dag die Juden damals ihre
Monate mit dem Sichtbarwerden des Neumondes begannen. Sie lehren.
uns weiter, dag die Juden damals nodi keine fefte Schaltungsregel hatten,
um das judifche Mondjahr mit dem Sonnenjahr in Einklang zu bringen.
Vielmehr lagt ,,die Abweichung von jedem Syftem darauf fchliegen, dag;
nur nach Bedarf, d. h. nach der Beobachtung dabei vorgegangen wurde".
Qinzel 2, 49. Vgl. uber den jiidifchen Kalender nach den erwahnten
Papyri, Schurer, Th. Lz. 1907, 6569. Ginzel 2,' 45-52 und 3, 375 L
H. Pognon, Chronologic des Papyrus d'Elephantine. Journ. asiat. 1911,.
II, 337 365, nach deffen Ausfuhrungen [ich die Schreiber der Papyrii
des babylonifchen Kalenders bedienten, welcher im 5. Jahrh. v. Chr. der
offizielle Kalender der den perfifchen Konigen unterworfenen femitifchen.
Volker gewefen zu fein fcheine. Vgl. Comptes rendus des seances de
1'Acad. d. Inscript. et B. L., Paris 1911, p. 504 s.
2 ) Vgl. hierfur das Zeugnis des Anatolius, Bifchofs von Caefarea,.
im 3. Jhdt. bei Bus. H. E. 7, 32. Vgl. dazu Ginzel 3, 213 und 232 f.
und Kugler, Von Mof.es bis Paulus S. 23, 1. Die Anfichten uber die.
Zeit der Einfuhrung des jetjigen judifchen Kalenders gehen auseinander.
Manche verfetjen fie in das 4. Jahrhundert, andere in eine fpatere Zeit.
[Vgl. Jufter 1, 363, 5. Ginzel 3, 70 ff. u. 3, 376 f.]. So fucht z. B. A.
Lorenz, Das Alter des heutigen judifchen Kalenders, Hift. Jahrb. 1905,.
84-99 zu beweifen, dag er aus dem Jahre 770 n. Chr. ftammt (Dagegen
Ginzel 2, 70, 2). M Als die atteften judifchen Datierungen nach dem jetjigen
Kalender gelten gegenwartig diejenigen eines Monuments aus Aden von
717 n. Chr. und zwei andere Daten von 846 u. 929 n. Chr. Ginzel 2, 72.
3 ) Die Monate Nifan, Sivan, Elul, Kislev, Tebeth, Sehebat und Adar
find auch in der HI, Schrift angefuhrt, alle aber in der Megilla Taanith,.
welche bereits in der Mifehna Taanith erwahnt ift (f. o. S. 18). S. die
alteften Belege fur die einzelnen Namen bei Schurer I, 746 und Abrahams*
X11I. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden, 499
Verdoppelung des Adar und hiefc ,,der zweite Adar". 1 ) Das
kirdilidie Jahr begann mit dem erften Nifan, 2 ) das burger-
lidie mit dem erften Tifchri. 3 )
. Die Tage der Woche hatten meift keine befonderen Die Woche.
Namen, fondern warden vom Sonntag an, welcher der erfte
Tag -der Woche hiefe, 4 ) gezahlt. Der fiebente Tag hatte aber
art. Time in Hastings IV, 765. Die folgende Lifte enthalt nach dem
Vorgange von Cafpari, Schiirer, Abrahams u. v. a. in der zweiten Ko-
lonne die von Jofephus (vgl. u. 16. Kap.) den jfldifchen gleichgeftellten
mazedonifchen Monatsnamen, in der dritten die entfprechenden Monate
unferes Kalenders.
1. Nifan "JD" 1 ; Xanthicus Marz 'April
2. Ijjar TK Artemifius April/Mai
3. Sivan ]VC Dafius (Jatgio?) Mai/Juni
4. Tammus "TOP, Panemus Juni/Juli
5. Ab 3X Lous (Awo?) Juli/Auguft
6. Elul W& Gorpiaus Auguft/September
7. Tifchri *T$P, Hyperberetaus September/Oktober
8. Marchefchwan llfC'l' 5 Dius Oktober/November
9. Kislev ibp? Apellaus November /Dezember
10. Tebeth rQB Audinaus (4vSwalo?) Dezember/ Januar
11. Schebat 22' Peritius Januar/Februar
12. Adar TJ& Dyftrus Februar/Marz
J ) "$0 Tig Megilla 1, 4.
a ) Jos. Ant. 1, 3, 3 Mofes felbft hat fiber die Form des Jahres,
die Anzahl der Monate und Tage oder das Schaltverfahren nichts beftimmt,
trotj der Vorfchriften fflr die Fefte. Vgl. Schegg S. 330. Jos. Ant.
1, 3, 3 fagt: Mofes fetjte als erften Monat fflr die Fefte den Nifan, der
fonft Xanthicus genannt wird, feft . . . auch rechnete er von diefem Mo-
nate an alles, was fich auf den Gottesdienft bezieht, wahrend er fflr
Kaufe und Verkaufe und die ganze burgerliche Ordnung die Rechnung
nach dem erften Monat beibehielt (d. h. dem erften Monat der alten
Ordnung = Tifchri)."
3 ) Rosch haschana 1, 1, wofelbft ubrigens auch noch der 1. Elul und
der 1. Schebat als Neujahrstage oder Jahresanfange bezeichnet werden,
erfterer fur die Beftimmung des Viehzehnten (von, dem Tage an wurde
fur den Zehnten das Alter des Viehes berechnet), leljterer fur die Baume,
d. h. fflr den Zehnten von Baumfruchten. Die in Assuan gefundenen
Papyrusurkunden (f. o. S. 6 u. S. 498, 1) einer dort im 5. Jahrhundert
v. Chr. lebenden judifchen Familie nehmen in Bezug auf die Datierung
der Vertrage den 1. Nifan als Neujahrstag an. Vgl. Schflrer, Th. Lz.
1907 Nr. 1 und 3. Wiener Zeitfchr. fur die Kunde des Morgenlandes
Bd. XXI, 2 (1907) S. 169.
, 4 ) Marc. 16, 2. 9. Luc. 24, 1. Apg. 20, 7. 1 Kor. 16, 2. Vgl.
32*
500 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
den Namen Sabbat und der Freitag hiefe ,,Zuruftung M1 ) oder
Vorfabbat. 2 )
Die Der religiofe Tag der Juden dauerte vom Sonnenunter-
Einteiiung gang des einen bis zum Sonnenuntergang des andern Tages. 3 )
des Tag-es. D es h a lb nennt ihn Paulus treffend ,,NachttagV) Von alters
her wurde die Nacht in drei Nachtwachen eingeteilt, 5 ) eine
Einteilung, die ficfa fur die Tempelwachen vielleicht bis zur
romifchen Zeit erhaiten hat. 6 ) Jedenfalls beftand aber in
der neuteftamentlichen Zeit die romifche Einteilung in vier
Nachtwachen (von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens). 7 ) Markus
hat fur letjtere die Namen Abend, Mitternacht, Hahnenruf,
Morgen. 8 ) Wenn man aber den Tag genauer nach Stunden
einteilte, fo rechnete man diefe von Sonnenaufgang bis zum
Sonnenuntergang. 9 )
6. Handel und Gewerbe. 10 )
Der Handel. Die Juden find urfprunglich ein Ackerbau treibendes
Volk gewefen und in Palaftina dies im wefentlichen auch
geblieben. 11 ) Zum uberfeeifchen Handel, zu welchem an fich
SehQrer, Die fiebentagige Woche im Gebrauche der chriftlichen Kirche
der erften Jahrhunderte. ZNW 1905, S. 1 ff.
J ) jt a (ja6Y.tr tj Matth. 27, 62. Marc. 15, 42. Luc. 23, 54. Joh. 19, 31. 42.
Jos. Ant. 16, 6, 2.
") ruioGa^oiTfjv \. Marc. 15, 42. Judith 8, 6.
3 ) Vgl/z. B. Lev. 23, 32. Pf. 54 (55), 18. Vgl. Kugler S. 11 f.
*} Nv/O-iwr 2 Kor. 11, 25.
) Jer. Klagel. 2, 19. Richter 7, 19. Exod. 14, 24. 1. Sam. 11, 11.
6 ) In Bab. Berakhoth 1, 1, 6 werden nur drei Nachtwachen gezahlt,
indem die vierte fchon als Morgenzeit des folgenden Tages aufgefagt
wird. Vielleicht haben aber die Talmudiften an der Stelle nur der alten
vorexilifchen Sitte, wie Winer BRW Art. Nachtwache meint, einen Aus-
druck geben wollen.
7 ) Matth. 14, 25. Vgl. Apg. 12, 4.
8 ) Marc. 13, 35: oye, neGovvxnov, dtlexToyofptuvia (vgl. LuC. 22> 60)
und 7i(jo>i.
9 ) Vgl. Schegg S. 324 ff. Benzinger S. 203. Ramfay, art. Numbers,
hours and years in Hastings, Diet. Extra vol. (p. 473484), p. 477.
10 ) Herzfeld, Handelsgefchichte der Juden des Altertums. Braun-
fchweig, 2. Ausg. 1894. Deli^jch, ;Judifches Handwerkerleben zur Zeit
Jeju. 3. Aufl. Erlangen 1879.
n ) S. o. S. 29. Buhl, Die fozialen Verhaltnijfe der Ifraeliten.
B. 1899, S. 6593, handelt von den verfchiedenen Berufsarten auf Grund
XIII. Kap. Das hausliche , und foziale Leben der Juden. 501
das hohe Meer einlud, fehlte es fchon vor allem an einem
geeigneten Hafen. Selbft als der Hasmonaerfurft Simon
Joppe erwarb, 1 ) war nicht viel gewonnen, da der Ort damals
wie jetjt den Namen eines Hafens kaum verdiente. Beffer
wurde die Lage aber, nadidem Herodes in Cafarea einen
guten neuen, wenn audi kleinen Hafen angelegt hatte. 2 )
Immerhin fagt nodi Jofephus, 3 ) [daft die Juden keine See-
kufte bewohnten und den Handel nicht liebten. Allerdings
fagt er dies, urn zu erklaren, weshalb fie den alten Griechen
nicht bekannt waren. Es ift ja auch, felbft wenn wir von
den fruheren glanzenderen Handelszeiten unter den Konigen
und Propheten abfehen, 4 ) unmoglich, dajj ein zwifchen zwei
grofcen Handelsvolkern, den Phoniziern und den Arabern
gelegenes Volk, deffen Gebiet die Briicke zwifchen zwei
Kontinenten bildete, und durch welches aufjer den an die
Kufte fflhrenden Strafeen eine grofce Karawanenftrafee ging,
dem Handel ganz fern geftanden haben foil. Die Juden
batten fich feit ihrer Zerftreuung in entlegene Lander in
grogen Handelspla^en, wie z. B. Alexandrien, Rom und
Antiochien zufammengefchloffen und fowohl die Verbindung
mit Palaftina und namentlich Jerufalem, wohin fie zu den
Hauptfeften reiften, wie auch die Verbindung untereinander
aufrecht erhalten. 5 ) Derartige Umftande muffen aber auch
auf den Handel in Palaftina eingewirkt haben, zumal das
Land an Wein, 01, Balfam u. a. fo reich war. 6 ) In der
Mifchna finden fich eine Menge fremder Artikel, welche nach
Palaftina importiert wurden, angegeben. 7 ) Der Binnenhandel
des Alten Teftamentes. Vgl. M. B. Sdiwalm, La vie privee du peuple
juif a I'epoque de Jesus-Christ. Paris 1910. Das Werk handelt in L. I,
p^j.l 193 vom n type social du paysan juif"; in L. II, p. 195 ss. fiber
jL'industrie et les Artisans." Vgl. auch Jufter 2, 291310 von den
yerfchiedenen Befdiaftigungen der Juden u. dgl.
] ) 1 Mace. 14, 5..S. o. S. 55. '
a ) Jos. Ant. 15, 9, 6. S! o. S. 55 f. ,
3 ) Jos. c. Apion. 1, 12.
*) Vgl. darfiber z. B. Buhl 1. c. S. 77|ff. ;
5 ) Vgl. Philo in Flaccum 8, wofelbft von judifdien Rhedern und
Kaufleuten geredet wird. ',
) S. o. S. 29. /
7 ) Vgl. Herzfeld 1. c. S. 88-117. Schiirer II, 76^82. }.
502 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
wurde fchon durdi die grofeen Wallfahrten zu den drei Haupt-
feften nadi Jerufalem begiinftigt, da die Vereinigung fo vieler
Menfehen an einem Orte den Kaufleuten die befte Gelegen-
heit bot, ihre Waren anzubringen. Zu weldien Auswudifen
man kommen konnte, zeigt das Beifpiel des Johannes von
Gifchala, der fidi ein Monopol fiir den Zwifchenhandel
zwifchen den Olproduzenten Galilaas und den Handlern in
Cafarea zu verfdiaffen gewufct hatte. 1 )
Die Haupt- Schon das Alte Teftament 2 ) zeigt, daft es einzelne Zunfte
gewerbe. gegeben hat, z. B. die der Salbenhandler und Goldfdimiede, 3 )
wie der BaumwOllenweber. 4 ) Die widitigften im Alten Tefta-
mente erwahnten Handwerkszweige find die der Backer, 5 )
Salbenbereiter, 6 ) Weber, 7 ) Walker, 8 ) Topfer, 9 ) Schmiede, 10 )
Metallgiefeer, 11 ) Zimmerleute, 12 ) Steinmetjen, 13 ) Bauleute, 11 )
>) Jos. Vita 13. B. J. 2, 21, 2.
a ) Vgl. Buhl 1. c. S. 72 ff.
8 ) Nehem. 3, 8. 31.
*) 1 Paral. 4, 21.
5 ) Jer. 37, 21.
6 ) Nehem. 3, 8. Eccl 10, 1. Eccli. 49, 1, als Apotheker 38, 3
7 ) Exod. 26, 1. 28, 32. 1 Kon. 17, 7. Das Weberhandwerk ge-
horte bei den Juden, wie im Oriente iiberhaupt (f. von Kremer, Kultur-
gefchichte des Orients II [Wien 1877] 186), unter die geringgefchatjten.
Das fieht man aus Jos. Ant. 18, 9, 1, wo es als merkwurdig hervorgehoben
wird, dag damals in Babylonien Manner die Leinweberei erlernten, da
dies dort nicht fur unpa[fend gelte und dort Manner fogar Wolle fpannen.
Vgl. aueh Edujoth 1,;3. In Baba qamma 10, 6 wird vorausgefe^t, dag die
Frauen in Galilaa befonders Leinen machten upd verkauften, die von Ju,daa
befonders Wolle. (Ober den Wollmarkt in Jerufalem f. Erubin 10, 9.
Jos. B. J. 5, 8, 1.) Gerade weil das Weben gewohnlich von Frauen
betrieben wunje, war es gering gefcha^t.
'*) Isai. 7, 3 wird vorrt Walkerfelde gefprochen. Es war ,,offenbar
ein freier Plat;, wo die Walker ihr Gewerbe trieben, wufchen und Kleider
trbdcneten , vielleicht audi wohnten." Dredisler, Der Prophet Jefaia,
1. Teil, Stuttgart 1845, S. 272. Der hi. Jacobus wurde^ als er riadi der
Steinigung (Jos. Ant. 20, 9, 1) nodi nicht ganz tot war, von einem
Walker mit einem Knuttel erfchlageh (f. Heges. bei Bus. h. e. 2, 1 23).
'>) Jer. 18, 2. 19, 1. etc. Jes. Sir. 38, 29 (Vulg. 38, 32).
10 ) Isai. 44, 12, Jer. 24, 1. etc. Sir. 38, 29. ';
1J ) 3 K5n. 7, 13 ff. ( ' (
12 ) Isai. 44, 13. 2 Kon. 12, 12. j ; : " ;
) 2 Kon. 5, 11. ' '' !',' J
14 ) Pfalm 117, 22 ' 4 K6ri. 12, 12. Diefen und andern Handwerkern
XIII. Kap. Das hausliche und foziale Leben der Juden. 503
Maurer, 1 ) Tuncheftreicher, 2 ) Goldfchmiede, 3 ) Graveure 4 ) und
Barbiere. 5 ) Obrigens fehlte es auch nicht an Gerbern,* 5 )
Schreinern, 7 ) Sdineidern, 8 ) Farbern 9 ) u. a.
Oberhaupt war das Handwerk fo geehrt, dag auch die
meiften Scbriftgelehrten ein Handwerk trieben, 10 ) und die
Rabbiner in der Mifchna lehren, jeder folle feinen Sohn ein
Handwerk lernen laffen. 11 )
Einige Handwerke wurden allerdings geringgefcha^t, fei
es nun, dag fie wie das der Weber von Frauen alisgeubt
wurden, 12 ) [ei es, dag fie wie die Handwerke der Gerber,
Walker und Badheizer, die das Handwerk ausubenden Per
fonen in zu nahe Rerunning mit Unreinem brachten und
die levitifche Reinheit gefahrdeten. 13 )
gaben die Herodeer viele Arbeit, da z. B. Herodes den Tempel, Arche-
laus die Stadt Archelais, Herodes Antipas Tiberias, der Vierfiirft Philip-
pus Casarea Philippi erbaute. Am Tempelbau waren (nach Ant. 15, 12, 2)
10000 Werkmeifter befchaftigt gewefen (f. o. S. 133 f.).
J ) Sir. 38, 28.
2 ) Ezech. 13, 11.
3 ) Ridit 17, 4 u. 5. Dag man zur Zeit der Mifchna falfche, mit
Gold ausgefullte Zahne kannte, ergibt fich aus Sdiabb. 6, 5.
*) Sir. 38, 28. Vgl. Jer. 17, 1.
5 ) Ezech. 5, 1. Cber den Barbier des Konigs Herodes f. Jos.
Ant. 16, 11, 6.
) Apg. 9, 43.
') Baba qamma 10, 10.
8 ) Ebd. 10, 10.
) Pefachim 3, 1.
10 ) S. O. S. 370 f. ;;;.
") Qiddufchin 4, 14.
12 ) S. o. S. 502, 7.
") Megilla 3, 2, Es wurden auch Handwerke als bedenklich an-
gejehen, welche jemand in zu nahe BerQhrung mit weiblichen Perfonen
brachten (Qiddufchin 4, 14).
504 Zweiter Abfehnitl. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
XIV. Kapitel.
Die Profelyten des Judentums.
1. Beurteilung der Juden in der griediifch-rdmifchen
Literatur und Welt. 1 )
Die Schilderung der Lage der Juden in der Diafpora,
wovon in einem fruheren Kapitel geredet wurde, zeigt, wie
fehr der Jude in- der heidnifchen Welt als ein laftiger Fremd-
korper empfunden wurde. Dem Haffe, der fich oft in ge-
waltfamen Kampfen gegen fie geltend'machte, entfprach aber
die Verachtung ihres Glaubens und ihrer Sitten, wofiir die
griediifch-romifche Literatur gar viele Beweije enthalt.
Literarifche Diefe literarifchen Angriffe gehen vielfach auf alexandri-
Qegner der nifdie und agyptifche Judenfeinde zuruck. Schon der um die
Juden. Miite des dritten vorchriftlichen Jahrhunderts fchreibende
agyptifche Priefter Manetho hatte in feiner agyptifchen Ge-
fchichte allerlei Fabeln fiber den Urfprung der Juden, welcher
auf in Agypten lebende Ausfa^ige zurudcgefuhrt wurde, zu-
fammengeftellt. 2 ) Alexandrinifche Schriftfteller, wie Lyflmadius, 3 )
Charemon 4 ) und der aus Agypten ftammende Grammatiker
Apion, haben fpater ahnliche torichte Legenden uber den
Auszug der Juden aus Agypten verbreitet. 5 ) Die agyptifche
') Eine bequeme Sammlung der Texte bietet Th. Reinach, Textes
d'auteurs grecs et remains relatifs au Judaisme. Paris 1895. Vgl. u. a.
audi Q6{er, Die Beridite des klaff. Altertums aber die Religion der
Juden. Tub. th. Qu. 1868, S. 565637. Sdieuffgen, Unde-Romanorum
de Judaeis opiniones completae sunt. P. 1. KOln 1870 (Bedburger Pro-
gramm).^ BOhl, Die Juden im Urteil der griediifdien und r^raifdien Schrift-
fteller, Theol. Tijdfdirift XL VIII. Leiden 1914, S. 371-389. 473-498. Eine
22 Nummern zahlende Lifte der Hauptanklagen gegen die Juden unter
ftetem Hinweis auf die bezuglichen Fundorte bei heidnifchen und alten
chriftlichen Schriftftellern gibt Ju[ter, Les Juifs 1, 45-48. Zur Literatur
vgl. auch Jufter 1. c. 32 ss:
2 ) Bei Jos. c. Ap. 1, 26-27.
3 ) Jos. c. Ap. 1, 34.
*) Jos. c. Ap. 1, 32.
*) Jos. c. Ap. 2, 12. Vgl. fiber diefe und andere Hterarifche
Gegner des Judentums auch Sdiurer III*, 529 545.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 505
Gefchichte des Apion, weldier zur Zeit des Kampfes gegen
die Juden zu Alexandrien unter Caligula als Gefandter der
antijudifchen Partei nach Rom kam, 1 ) i[t fo voll der heftigften
Angriffe gegen die Juden, daft Jofephus fich veranlafct fah, 2 )
diefelben in einem eigenen Budie zuruckzuweifen.
Aber felbft Tacitus 3 ) erzahlt die von den Judengegnern Angebiiche
aufgebrachten Marchen getreu nach und gibt folgendes als Abftammung
die von der Mehrzahl feiner Gewahrsmanner 4 ) gehegte An- v n . Aus ~
ficht uber den Ur[prung und die Anfange der Juden wieder. a l en -
Sie feien ausfatjige Agypter, welche vom Konige Bocchoris
in die Wiifte getrieben und von dort durch Mofes, einen
Priefter aus Heliopolis, ins judifche Land gefuhrt worden
waren. Dort batten fie nach Vertreibung der Einwohner
Stadt und Tempel gegrundet. Mofes habe unter andern
neuen Gebrauchen auch eingefuhrt, da das Bild eines Efels Efeikuitus.
im Allerheiligften verehrt und ihm wie zur Verfpottung des
Ammon Widder und Ochfen gefchlachtet wurden. Er fei
dazu durch den Umftand veranla^t worden, dag, als die
Ifraeliten in der Wiifte aus Waffermangel am Verfchmachten
gewefen feien, er eine Herde wilder Efel zu einem wald-
befchatteten Felfen habe laufen fehen und fie dort, als er
ihnen voller Erwartung nachgegartgen fei, im Grafe bei
Quellen gefunden habe. 5 )
') Jos. Ant. 18, 8, 1....S. o. S. 280.
2 ) Vgl. Jos c. Apion. Ober Jofephus als Apologeten vgl. Fried-
lander, Gefchichte der judifchen Apologetik als Vorgefchichte des Chriftentums.
Zurich 1903, S. 328 ff. Vgl, auch uber die Entftehung mancher Vohvurfe
gegen die Juden Bergmann, Jfidifche Apologetik im neuteftamentlichen
Zeitalter. Berlin 1908, S. 146 ff. Ober das Werk des Jofephus c. Apionem
f. u. Kap. 16, 2.
3 ) Tac. Hist. 5, 2 3.
*) Vgl. Lyfimachus bei Jos. c. Ap. 1, 26, 34; f. ebd. 1, 32. 33 die
Erz&nlungen des ChSrenion und des Manetho.
5 ) Vermutlich hat Apion (Jos. c. Ap. 2, 7) feine Behauptung, An-
tiochus Epiphanes habe im Tempel zu Jerufalem einen goldenen Efels-
kopf gefunden, den die Juden anbeteten, aus dem grogen Gefehicbts-
werk des Pofidonius (Philofoph und Hiftoriker, der nach Suidas Lex. f. v.
noieido'ivio? noch im J. 51 v. Chr. lebte; feine fcropuu werden von Strabo,
Plutarch u. a. oft angefflhrt. S C. Mflller, Fragmenta historicorum Grae-
corum III, 245-296), den Jofephus c. Ap. 2, 7 als Gegner der Juden
anfuhrt, gefchdpft. Vgl. Scheuffgen 1. c. p. 11. Audi Plutarch fagt Quae-
506 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Verachtung Gewohnlicher aber wurde gegen die Juden der Vorwurf
der Cotter, erhoben, fie verachteten die Goiter. Man dachte dabei an
die Goiter des Staates oder der Stadt, worin fie lebten. Da
aber gerade diefe Goiter fur die fonftigen Burger des be-
treffenden Staates oder der Stadt den Inbegriff der Gottes-
verehrung darftellten, galten die Juden iiberhaudt als a&foi,
als Gottlofe. 1 ) Denn nach den Anfchauungen der Heiden
batten fie neben ihrem Nationalgott auch die Goiter ihrer
Mitburger verehren, oder aber doch wenigftens ihren Gott
nach heidnifcher Weife und nicht als bilderlofen Gott anbeten
Das miiffen. So fagt z. B. Tacitus ohne ein Wort der Billigung:
Unbeftimmte M Die Juden wiffen nur von einer Gottheit und zwar einer
ihrer bilderlofen. Unheilig waren, die fich aus verganglichem Stoff
Gottheit. Gottheit nach der Ge j talt der Menfchen machten.
Jenes hochfte und ewige Wefen fei weder nachahmbar noch
verganglich. Daher ftellen fie keine Gotterbilder in ihren
Stadten und noch viel weniger in den Tempeln auf. Nicht
den Konigen wird diefe fchmeichlerifche Verehrung zuteil,
nicht den Kaifern diefe Ehre." 2 ) Er berichtet, daft auch Pom-
pejus das jiidifche Heiligtum bilderlos inania arcana 3 )
gefunden habe. Tacitus macht gar keinen Verfuch, den Wider-
fpruch zwifchen diefer Tatfache und der von ihm epwahnten
Verehrung eines Efelsbildes im judifchen Heiligtum zu er-
klaren, bekampft aber die Meinung einiger, 4 ) die Juden ver-
ehrten den Bacchus. Denn Liber habe feftliche und frohe
Gebrauche angeordnet, aber ihre Sitten feien abgefchmackt
und gemein. 6 ) ,
stionum convivalium 1. 4, 5, die Juden beteten einen Efel an. Vgl,
uberhaupt tiber den angeblichen Efelskult der Juden GOfer 1. c. S. 583 ff.
und Scheuffgen 1. c. p. 1116. Vgl. auch Bergmann S. 152 154.
') Vgl. Apollonius Molon (ein im 1. Jhrdt. v. Chr, in Rhodus le-
bender Rhetor) bei Jos. c. Ap. 2, 14: we dfy&nv? .. . . koidofiti mit Apollo-
nius Molon (und Posidonius) bei Jos. c. Ap. 2, 6: accusant nos, .quare
.nos eosdem deos cum aliis npn colimus. .-y- Tac. Hist. 5, 5 j.eontempere
deos". - Plinius, N. H. 13, 4, 46: Gens contumelia numinum insignis.
2 ) Tac. Hist. 5, 5. . ,-. ; .'-..'. .'..
3 ) Tac. Hist. 5, 9. . ; . . : .
*) Vgl. die Fabel von der Bacdiusverehrung bei Plutarch, Quaestiones
convivales IV, 6. : : ., , :
5 ) Mos absurdus sordidusque. Tac, Hist, 5, 5,,. , j. i ,
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 507
Andere heidnifche Schriftfteller haben aus der Abwefen-
heit eines Bildes im Tempel zu Jerufalem gefchloffen, die
Gottheit der Juden fei etwas Unbeftimmtes. 1 ) So will z. B
Juvenal mit feinem Vorwurf, die Juden beteten anders nichts
an als Wolken und Himmelsgottheit Nil praeter nubes
et coeli numen adorant wie fich aus dem Ausdruck ,,Wol~
ken" ergibt,' 2 ) das Unbeftimmte ihrer Himmelsgottheit im
Unterfchiede von den griechifch-romifchen Gottern dartun.
Petronius, ein Zeitgenoffe Neros, fagt fogar hohnend, wenn
der Jude auch die Gottheit des Schweines anbete und die
hohen Ohren des Himmels anrufe, fo muffe er doch, wenn
er fich nicht befchneiden laffe, als ein Ausgeftofcener zu den
Stadten der Griechen wandern. 3 ) Auch bei Plutarch wird die
Frage erortert, ob fich die Juden des Schweinefleifches wegen
einer dem Schweine erwiefenen gottlichen Verehrung oder
aus Abfcheu enthalten.^) Juvenal begniigt fich aber, dariiber
zu fpotten, dafe bei den Juden Schweinefleifch fiir ebenfo
wertvoll gelte als Menfchenfleifch/')
Befonderes Auffehen mufjte in der Diafpora die judifche Sabbatfeier
Sabbatfeier erregen, 6 ) weil die Juden an dem Sabbate keinerlei und Be-
Arbeiten verrichteten und gerade wegen des Sabbates auch f*neidung.
vom Militardienft befreit waren. Tacitus halt den Sabbat
als etwas Althergebrachtes fiir entfchuldbar und fagt, nach
den einen fei er aufgekommen zur Erinnerung daran, dafj
die Juden nach fechstagiger Wanderung am fiebenten nach
Palaftina gekommen waren, nach andern aus Verehrung des
1 ) Z. B. Lucanus Pharsal. II, 593 fpricht deshalb von einem ,,deus
incertus".
2 ) Vgl. J. Bernays, Die Qottesffirchtigen bei Juvenal in <3ef. Ab-
handlungen II, 79.
3 ) Fragm. 37 (in Petronii Satirae et liber Priapeorum, ed. Biidieler 3
Ber., 1882, p. 117): Judaeus licet et porcinum numen adoret Et caeli
summas advocet auriculas.
*) Plut. Quaest. conviv. IV, 5.
5 ) Nee distare putant humana carne suillam. Juv. XIV, 18. Nach
Tac. Hist. 5, 4 enthielten fich die Juden des Schweinefleifdies in Erinne-
rung- an den Ausfa, der fie ehedem befleckt habe und dem das Schwein
befonders ausgefe^t fei ( n Sue abstinent, memoria cladis qua ipsos sca|)ie^
quondam turpaverat, cui id animal pbnoxium"). ; . ( . ,.
6 ) Vgl. Paul Lejay, Le sabbat ju|f et.les ppetes Latins in der, Re,v,ue
d'histoire et de litterature religieus.es t. VI 1 1 (Paris 1903) p_.,-;30j5.-335.
508 Zweiter Abjchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Saturn. 1 ) Urn jo mehr verfpotteten aber andere romifche
Schriftfteller die Sabbatfeier als eine auf Aberglauben be-
ruhende Form des Nichtstuns. 2 ) Eigentiimlicherweife meinte
man vielfadi, weil die Juden am Sabbate nicht arbeiten
durften, fie fafteten an dem Tage 3 ) So hat der Satiriker
Perfius einen Juden beobaditet, der am Vorabende des
Sabbates, um nicht gegen das Verbot des Feueranzundens
am Sabbate zu handeln, die Lichter anzundet und die Ge-
bete fpricht: ,,wenn des Herodes Tage fich nahen und am
fchmierigen Fenfter wohlgeordnete Lampen, von Veilchen
umgeben, verbreiten einen fehr dicken Qualm und die rot-
liche Schuffel der Thunfifch ganz mit dem Schwanze ausfullt
und der weifje Krug von Wein ftrotjt, dann bewegft du die
Lippen und erbleichft ob des judifchen Sabbats." 4 )
Neben der Sabbatfeier wurde die judifche Sitte der Be-
fchneidung von den Heiden viel verfpottet. Allerdings kam
fie auch bei andern Volkern vor, fo z. B. bei den agyptifchen
Prieftern. 5 ) Allein den Heiden gait fie doch als das unter-
fcheidende Merkmal der Juden. Tatfachlich machte fie auch
in der damaligen Zeit, in welcher die offentlichen Bader und
Ringfchulen in den Stadten eine fo gro&e Bedeutung hatten,
den Juden das gemeinfame Leben mit den Heiden, welche
die Befchnittenen verfpotteten, ganz befonders unangenehm,
ja faft unmoglich. Daft fie das eigentliche judifche Kenn-
zeichen fei, fagt z. B. Petronius mit den Worten, wenn ein
') Tac. Hist. 5, 4.
x ) Seneca, De superst. Fragm. XII, 41 (bei Aug. De civ. Dei 11).
Juven. XIV, 105. Ovid, De arte amandi I, 416.
3 ) Vgl. Petronius Fragm. 37 (ed. Bucheler) v. 6: Non jejuna sabbata
lege premet. Der Kaifer Auguftus fdireibt an Tiberius: Ne Judaeus qui-
dem, mi Tiberi, tam diligenter sabbatis jejunium servat quam ego hodie
servavi (Suet. D. Aug. 76). Vgl. auch Martial 4, 4 (jejunia sabbatariorum) J
Strabo XVI, 2, 40 und Pompejus Trojus in dem Auszuge des Justinus
XXXVI, II, 14. Vgl. auch Bludau, Die Juden Roms im erften chrijtlichen
Jahrhdt. Der Katholik 1903, I, S. 210 ff.
4 ) Pers. Sat. 5, 180 ff. Die Tage des Herodes, der in Rom als Re-
prafentant der jfidifchen Religion gait, bedeuten den Sabbat. Das,, Er-
bleichen" bezieht fich auf das Faften. Ober das Verbot, am Sabbate
Feuer anzuzunden, vgl. Exod. 35, 3. Vgl. Schabb. 2,6-7. Seneca Ep. 95, 47 r
Accendere aliquem lucernas sabbatis prohibeamus.
5 ) Jos. c. Ap. 2, 13. S. o. S. 436, f.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 509
Jude nicht befchnitten fei, werde er von feinem Volke aus-
geftofcen, 1 ) und Juvenal fagt von den Profelyten des Juden-
tums riehtig, daft fie bald auch die Vorhaut fidi wegnehmen
laffen. 2 ) Daher hiegen die Juden auch einfach die Befchnit-
tenen, 3 ) und fuchten Juden, welche fich dem Spott der Heiden
im Bade oder der Palaeftra entziehen wollten, ihre Befchnei-
dung entweder zu verdecken 4 ) oder fuchten gar durch eine
Operation 5 ) oder fonftige Mittel 6 ) fich wieder eine Vorhaut
zu verfchaffen, urn als unbefchnittene angefehen zu werden.
Aber wie grog auch der Spott und Hohn fein mochte, 7 ) ihr Hag des
den man fiber die Juden wegen ihrer Enthaltung vom Menfchen-
Schweinefleifch und wegen ihres Sabbates und ihrer Be-
fchneidung gelegentlich ausgofc, fo erklaren diefe, da damals
auch andere fremde Kulte bekannt waren, nicht an fich die
wirklich feindfelige Stimmung der Heiden gegen die Juden.
Die beruhte vielmehr auf ihrer angeblichen ,,Gottloiigkeit"
und ihrem praktifch verwirklichten Beftreben, jede nahere
Beriihrung mit den Heiden zu vermeiden. Gewifc ging letjtere
vorzuglich aus dem religiofen Wunfche, die judifchen Rein-
heitsgefe^e 8 ) zu verteidigen, hervor, allein den Heiden er-
fchien fie als eine horfimutige Verachtung aller andern Volker
und Religionen, ja als ein frevelhafter Hag des Menfchen-
gefchlechts uberhaupt. Schon dem Antiochus Sidetes hatte
man geraten, das judifche Volk, weil es fich gegen andere
abfchliejje, auszurotten, 9 ) und Jofephus mufc die Juden auch
gegen den Vorwurf, fie wollten keine Gemeinfchaft mit an-
dern, verteidigen. 10 ) Apion ftellte fogar in feinem Werke die
boswillige Behauptung auf, die Juden fehlachteten alljahrlich
1 ) Petronius Fragm. 37.
2 ) Juven. XIV, 99: mox et praeputia ponunt. Vgk auch Tac. H. 5, 5.
3 ) Vgl. z. B. Mart. XI, 94. Juv. XIV, 104 B verpus". Persius V, 185.
recutitus.
*) Bei Mart. VII, 82 heigt es von einem Sehaufpieler: Dum ludit
media populo spectante palaestra, Delapsa est misero fibula: verpus erat.
5 ) Celsus, De medicina VII, 25 (Lugd. Bat. 1730).
6 ) Dioscorides, De materia medica (ed. Wellmann, L. 1906 f.) IV, 157.
7 ) Vgl. auch o. S. 289 f.
8 ) S/ Kap. 17, 5. (
) Jos. Ant. 13, 8, 3 und Diod. 34, 1. (
10 ) Jos. c. Ap. 2, 36. Der Vorwurf war von Apollonius M61on (f.
S. 506, 1) erhoben.
5 10 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
einen Heiden und fchworten bei feiner Opferung, gegen die
Hellenen Feindfchaft zu iiben, 1 ) oder wie es an einer andern
Stelle heijst, keinem Fremdlinge gut zu fein, am wenigften
aber einem Hellenen. 2 ) ,,Alles was wir verehren," fagt Ta-
citus, ,,wird dort (im mofaifchen Gefetj) verabfcheut, und alles
was wir fur unrein halten, ift ihnen erlaubt 3 ) ... Gegen-
einander haben fie hartnackige Zuneigung, tatiges Erbarmen,
aber gegen alle andern feindfeligen Hafc. Sie effen und
fchlafen nicrit mil andern zufammen und heiraten, obwohl fie
fonft im hochften Grade zur Sinnlichkeit neigen, keine frem-
den Frauen. Unter ihnen ift alles erlaubt. Sie haben die
Befchneidung eingefetjt, um fi'di an diefem Unterfcheidungs-
zeichen zu erkennen. Die, welche zu ihnen iibertreten, be-
obachten diefelben Sitten. Zuerft werden fie gelehrt, die Gotter
zu verachten, das Vaterland aufzugeben und Eltern, Kinder,
Oefchwifter zu mifcachten." 4 ) Nur eins weifc er an ihnen zu
loben: 5 ) ,,Sie forgen fur die Vermehrung des Gefchlechtes.
Denn ein neugebornes Kind zu toten, gilt als Frevel. Sie
halten die Seelen derer, die im Kampfe oder durdi Strafen
fterben, fur unfterblich. Daher ihr Verlangen nach Nach-
kommenfchaft und ihre Todesverachtung."
Es find Vorwiirfe, die allerdings zum Teil Ahnlidikeit
mit den gegen die erften Chriften gerichteten 6 ) haben, aber
auch im einzelnen den Hauptvorwurf des Haffes gegen alle
Nichtjuden, wie fich Tacitus ausdriickt, 7 ) erklaren. Diefen
Hauptvorwurf driickt Juvenal in den Worten aus, das jiidifche
Gefetj verbiete den Juden, Nichtjuden den Weg zu zeigen
oder Unbefchnittene zur Quelle zu fuhren. 8 ) Selbft Quincti-
lian, 1 ') der unter Domitian, als das judifche Volk danieder-
J ) Bei Jos. c. Ap. 2, 7: Et jusjurandum facere in immolatione
Graeci, ut inimicitias contra Graecos haberent.
2 ) Jos. C. Ap. 2, 10: n^Sttl evvuijseiv aAAo>i!Aw, /iaAttfra de "JEAA^tfr.
3 ) Tac. Hist. 5, 4.
*) Tac. Hist. 5, 5. Das Verbot der Ehen mit Fremden wird Esdr.
9, 12 ff. 10, 3. Neh. 13, 23 von neuem eingefeharft. Vgt auch u. Kap. 17, 5.
*) Hist. 5, 5.
6 ) Vgl. Justin. Apol. I. c. 612.
7 ) Tac. Hist. 5, 5: n adversus omnes alios hostile odium".
8 ) Juven. XIV, 103 f.
a ) Inst. orator. Ill, 7, 21: ,,perniciosam ceteris gentem".
XIV. Kap. Die Prof ely ten des Judenturris. 511
geworfen war, fchrieb, nennt es ein den iibrigen verderb-
liches Gefchlecht.
Wie ftark nun auch derartige Aufcerungen klingen und Anerkennung
wie gewichtig fie auch durch die Bedeutung der Schriftfteller, der Jden.
welche fie anfuhren, find, fo ftellen fie doch nur die An-
fchauung eines mehr oder weniger grofcen Bruchteiles der
Bevolkerung dar. Denn batten die Juden viele Feinde, fo
batten fie, abgefehen von den Gewalthabern, die lie be-
fchutjten und fiber ihre Privilegien wachten, auch viele Freunde
und die Verachtung, womit manche fie anfahen, wurde in
ihren Augen vollftandig iiberwogen durch die Erfolge der
Propaganda unter den Heiden.
2. Mittel zur Verbreitung des Judentums unter den
Heiden. 1 )
In einem herrlichen Schriftchen ,,Von dem Zeugnis der DieReinheit
Seele" 2 ) hat einft Tertullian ausgefuhrt, da& die rnenfchliche und Hoheit
Seele von Natur Chriftin fei, ,,anima naturaliter chriftiana". ihres Gottes -
Auch der Heide, fagt er, gibt Tag fur Tag, gewifferma&en be riffs -
wider Wiffen und Willen in taufend Ausdriicken, ,,wie Gott
will", ,,vergelt's Gott", ,,Gott fieht alles" u. dergl. von einer
naturlichen religiofen Erkenntnis Zeugnis, worin fich das
Bewufctfein des Menfchen um das Dafein und die Einheit
Gottes, die Exiftenz des Bofen, das Fortleben des Menfchen
nach dem Tode und die jenfeitige Belohhung oder Beftrafung
offenbart. Er ruft die einfache, fchlichte, nicht in Akademien
und attifchen Saulenhallen gefattigte Seele an. Aber nicht
blofj Leute diefer Art, fondern audr viele andere, welche
durch die Vielheit der menfchenahnlichen, oft nur dem Lafter
als Schutjmantel dienenden Gotter fich abgeftofcen fiihlten,
zog es zu dem jiidifchen Glauben an den einen, allmachtigen,
) Vgl. Axenfeld, Die jfldifche Propaganda inMiHionswiffenfdi.Studien,
Feftfdir. fur Warneck, B. 1904, S. 1 ff. Meiner^, Jefus und die Heiden-
miffion. Miinfter 1908, S. 17 ff. Sieffert, Die Heidenbekehrung im Alten
Teftament und im Judentum." 1908 (= Bibl. Zeit- und Streitfragen IV, 3).
*) De testimonio animae. Vgl. Apologeticum c. 17: testimonium
animae naturaliter christianae. Vgl. dazu Efjer, Die Seelenlehre Ter-
tullians, Paderborn 1893, S. 166-176 und Bardenhewer, Gefch. der alt-
kirchl. Literatur II, 355 f.
51 2 Zweiter Ab'fchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
ewigen Gott, den Schopfer Himmels und der Erde, wie denn
die Romer jener Zeit iiberhaupt eine Neigung zu fremden
Kulten an den Tag legen.
ihr {ittiiches Audi die treue Anhanglichkeit der Juden an ihr Gefetj
Leben. unc j d er moralifche Wert des Lebens nadi dem Gefetje, ver-
bunden mit der Einfadiheit des Synagogendienftes, zeigte in
der Diafpora vielfach noch die ewig wahren, fittlich hohen
Gedanken des Alien Teftamentes in ihrer fchlichten Groge,
wie fehr audi in Palaftina die enge Verbindung des religio-
fen Lebens mit den nationalen Beftrebungen und der Prunk
des Tempeldienftes mit der pharifaifchen Veraufcerlichung
des religiofen Lebens zu den aus dem Evangelium bekannten
Zuftanden gefuhrt hatte. In der Diafpora mufjte auch von
felbft mandie Anforderung des Gefetjes .wegfallen, mandies
konnte aber dort auch ein nach Frieden und Wahrheit rin-
gender Heide um Jo williger auf fich nehmen, je mehr ihn
das Gefiihl der eigenen Siindhaftigkeit, Hilflofigkeit und Er-
lojungsbedurftigkeit driickte. Beruhigt fich ja der Menfch ,,am
leichteften und liebften bei dem Bewujjtfein eines in beftimm-
ten, ftreng vorgefchriebenen Formen geleifteten Dienftes." ] )
Selbft weniger lautere Motive mogen manchem in der Diafpora
die Annahme des Judentums empfohlen haben, namentlich
gewiffe politifche und foziale Vorteile, wie z. B. die Freiheit
vom Kriegsdienfte.
ihre Propa- Das Judentum, wenigftens das in der Diafpora, hat auch
ganda. damals feine Bedeutung in der heidnifchen Welt wohl ver-
ftanden. Zur Zeit Chrifti durchzog man Lander und Meere,
um einen Profelyten zu machen. 2 ) Wenn das felbft von den
Pharifaern gait, um wie viel grower mujgte da der Eifer in
der Diafpora fein, wo fich der Jude erft recht als ,,das Licht
derer, die in Finfternis wandeln'VO betrachtete. Sagt doch
Horaz, ,,wie die Juden werden wir dich zwingen, zu unferer
Schar iiberzutreten." 4 )
') DOllinger, Heidentum u. Judentum, S. 628 f.
2 ) Matth. 23, 15. . .
3 ) ROm. 2, 19.
4 ) Horat. Sat. 1, 4, 142 143: ac veluti te - Judaei cogemus in h.anq
concedere turbam. i:
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 513
Eine Unterftii^ung erhielten folche judifche Beftrebungen Die
durch die Septuaginta, 1 ) die bekannte in Agypten entftan- ^g 6 .*^* 6
dene beriihmte griechifche Oberfe^ung des Alien Teftaments. flb erfetjung.
Es ift eine durch glaubwurdige alte Schriftfteller bezeugte
Tatfache, daft der Pentateuch fchon kurz nach dem Jahre
300 v. Chr. ins Griechifche iiberfe^t wurde. 2 ) Bald folgten
auch die iibrigen hebraifchen Bucher des Alten Teftaments. "
Die Uberfetjung war fpateftens um das Jahr 130 v. Chr.
vollendet. 3 ) Der Text der Septuaginta ift, wie im Neuen
Teftamente, fo auch von Philo und Jofephus benu^t und
wurde noch zur Zeit Juftins im zweiten chriftlichen Jahr-
hundert in den Synagogen gebraucht. 4 )
Neben diefer Uberfe^ung hat es auch eine ganze An- Literarifche
zahl von Bearbeitungen biblifcher, meift aus der Zeit vor dem Be ~
_ . , , ,' *. , ,, ' T ,T\, arbeitungen
Exil entnommener Stoffe gegeben, welche in hellemftifchem b ibiifdier
Gewande teils in Profa, teils auch dichterifch die Kenntnis der- Stoffe
felben den Heiden vermittelten. Von diefen Werken Jind uns
nur Bruchftucke erhalten. 5 ) In Proja behandelten die vorexi-
1 ) Vgl. Swete, An introduction to the Old Testament in Greek,
Cambridge 1900. Kaulen, Einleitung in die Heilige Schrift Alten und
Neuen Teftaments. 4 Freib. 1898. S. 89-94. Hoberg,. Art. .Septuaginta
im Kirehenlexikon 11, 147159. Vgl. auch A. Thumb, Die griech. Sprache
im Zeitalter des Hellenismus. Beitrage zur Gefchichte und Beurteilung
der xotvtj. Stragb. 1901.
2 ) Vgl. den Brief des Arifteas an Philokrates (Aristeae ad Philo-
cratem Ep., ed. P. Wendland L. 1900; deutfch von Wendland bei Kautfch,
Die Apokryphen II, 1 ff. ; englifch von H. Andrews in Charles, The
Apocrypha II, 83 f. Der Brief ift nach Schurer III 4 , 608616 nicht viel
fpater als um 200 v. Chr. entftanden. Andere verfe^en ihn allerdings
in eine fpatere Zeit, z. B. Wendland zwifchen 9693 v. Chr.; Andrews
p. 87 meint, er habe feine jetjige Form am Anfang der chriftlichen Zeit
erhalten, ein groger Teil ftamme aber aus 13070 v. Chr.). In dem
Brief e wird berichtet, dag Konig Ptolemaus II. Philadelphus (283247
v. Chr ) das judifche Gefelj fur feine Bibliothek in's Griechifche uberfe^en
Heft. Vgl. auch die Nachricht des jiidifchen Philofophen Ariftobul (S.u. S. 518 f.)
bei Bus. Praep. evang. XIII, 12 sq. und Philo, Vita Moysis 2, 5-7.
Juftin M., Apol. I, 31.
3 ) Um diefe Zeit fchrieb Jefus Sirach im Prolog zu der griech. Ober-
fetjung des von feinem Grogvater herruhrenden Spruchbuches von den
Verfchiedenheiten der Oberfe^ung, welche avrog o vd/uo? /.i t 7ioq>^reiai
r ioiKci roJv pifiMwv haben.
*) Dial. c. Tryph. 137 Vgl. auch ebd. 72. Juftin. I. Apol., 31.
5 ) Sie find zunachft erhalten in der Schrift ns^l 'lovdaitov des wahr-
Felten, Neuteftamentliche Zeitgerchichte. I. 2. u. 3. Aufl 33
514 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
lifche Gefdiidite oder Teile derfelben Demetrius, Eupolemus, 1 )
Artapanus, Arifteas 2 ) und Kleodemus. Von dem Epiker
Philo dem Alteren haben wir noeh Bruchftucke fiber Abra-
ham, Jofeph und die Quellen und Wafferleitungen Jerufa-
lems; von dem Samaritaner Theodotus ein poetifches Stuck
fiber Sichem und endlich von dem Tragodiendichter Ezechiel
ein Fragment fiber den Auszug der Juden aus Agypten. 3 )
Die Bedeutung diefer Art Literatur liegt darin, dafe fich darin
jiidifche, in der Zeit der Makkabaer lebende Schriftfteller be-
miihen, zu beweifen, daft den Juden die ganze Kultur zu
verdanken fei. Nach Eupolemus ift Mofes der Erfinder der
Buchftabenfchrift; 4 ) nach Artapanus begriindete aber Mofes
uberhaupt die agyptifche Kultur. 5 )
Das Zeugnis Daft derartige Schriften oder uberhaupt eigene Empfeh-
der(judifchen) lungs _ oder Verteldigungsfchriften der Juden viel von den
1 y e> Heiden gelefen wiirden, konnte man nicht erwarten. Man
legte deshalb, um fiir das Judentum Propoganda zu machen,
Empfehlungen, fei es mm des Judentums uberhaupt oder
einzelner Lehren, bei den Heiden angefehenen Schriftftellern
oder gar der bei den Heiden fo fehr angefehenen Sibylle,
welche die gottlichen Ratfchluffe fiber die zukfinftigen Schidc-
fale der Menjchen und der Reiche weisfagt, in den Mund
und fuchte fo judifche Gedanken in heidnifchem Gewande an
den Mann zu bringen.
So wendet fich die altefte jtidifche Sibylle aus der Glanz-
fcheinlich um 40 v. Chr. fchreibenden Alexander Polyhistor bei Euseb.
Praep. evang. IX, 1739 und Clem. Alexandr. Strom. I, 21, 141. 23,.
153156 (auch Josephus Ant. 1, 15 gibt ein Fragment des Kleodemus
Malchus unter Berufung auf Alexander Polyhiftor).
*) Freudenthal, Alexander Polyhistor und die von ihm erhaltenen.
Refte judifcher und famaritanijcher Gefchichtswerke, Breslau 1874, S. 208 f.
halt es fur wahrfcheinlich , daf3 auch ein bei Euseb. Praep. ev. IX, 39
ftehendes anonymes Fragment, worin die Eroberung Jerujalems durch
Nebukadnezar erwahnt ift, dem Eupolemus angehort.
2 ) Vgl. das von ihm herruhrende Fragment uber Job bei Euseb.
Praep. ev. IX, 25. Er ift nicht identifch mit dem S. 513, 2 genannten
Arifteas.
3 ) Vgl. iiber die genannten Schriftfteller u. a. Schurer III 4 , 472-482.
497503.
*) Eupol. bei Euseb. Praep. ev. IX, 26.
5 ) Artapanus bei Euseb. Praep. ev. IX, 27.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 515
zeit der Makkabaer um 140 v. Chr. 1 ) an die Heidenwelt mit
der Aufforderung, den einen ewigen Gott zu verehren:
,,Ein Gott ift, ein einiger Gott, unendlich und ewig,
Herrfcher des Alls, unfichtbar, felbft jedoch alles erblickend;
Aber er felbft wird nimmer gefehen vcn fterblichen Wefen.
Ihn, den alleinigen Gott verehrt als Herrfcher des Weltalls,
Ihn, der allein in Ewigkeit ift und von Ewigkeit her war." 2 )
Sie fchreitet dann welter zur Bekampfung des agyptifcheii
Tierdienftes und des Gotjendienftes iiberhaupt 3 ) und preift
das Gefchlecht der gerechten Menfchen, der Juden, welches
fich nicht um die Flugzeidien der Augurn und die Wahrfager,
Zauberer, Befchworer kummert und nicht aus den Sternen
die Orakel der Chaldaer fucht, da dies alles nur Trug iff. 4 )
Diefes heilige Gefchlecht frommer Manner wird den Tempel
des grofcen Gottes verherrlichen. Ihnen allein hat der grofce
Gott verftandigen Rat und Glauben gegeben, die da nicht
Werke von Menfchen und Bilder holzerner und fteinerner
Gotter, fondern nur den immer herrfchenden Unfterblichen
ehren. 5 ) Ober die Volker der Erde werden gottliche Straf-
gerichte verkiindet und fie werden aufgefordert, Gott zu ver-
fohnen, den Go^endienft zu fliehen, wahre Sittlichkeit zu
iiben. 6 ) Dann wird Gott ein (meffianifches) Reich fiir alle
Zeiten iiber alle Menfchen errichten, Gott, der einft den
Frommen das heilige Gefetj gab. Von der ganzen Erde
wird man Weihrauch und Gaben zu dem Haufe des grofcen
Gottes bringen und es wird kein anderes Haus bei den
Menfchen der Zukunft fein als das, welches Gott den glau-
bigen Mannern zu verehren gegeben hat. Man fieht, auch
hier wird eine einfeitige, dem Pharifaismus entfprechende
Anfchauung vom me([ianifchen Reiche vertreten. 7 )
J ) Im Anfang des dritten Buches der fibyllinifchen Orakel, woruber
im folg. Kapitel gehandelt wird.
2 ) Die Oberfetjung ift nach J. H. Friedlieb, Die fibyll. Weisfagungen
mit krit. Kommentar und metrifcher deutfcher Oberfe^ung. L. 1852, S. 5.
(In der Ausgabe von Geffcken S. 227 f. 1. Fragm. v. 79 und 1516.)
3 ) Ed. Geffcken p. 228 ff. Fragm. 1 und 3.
*) Buch 3, 219 ff.
6 ) Buch 3, 573 ff. Vgl. auch 3, 702 ff.
6 ) Buch 3, 767 ff.
7 ) Vgl. Friedlieb, Das Leben Jefu. Munfter 1887. S. 124.
33*
516 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Demjenigen aber, der vielleidit foldien Weisfagungen
die Schonheit und das Alter des herrlichen Homer gegen-
uberftellen will, erwidert die Sibylle:
Aus Chios wird er fidi felber
Nennen und llions Los befchreiben; doch nicht wie es wahr ift;
Aber offenbar fich meiner Worte und Verfe bemacht'gen;
Denn mit den Handen zuerft wird er meine Bucher entfalten.')
Angebliche . Neben der Sibylle mugte die mythifche Perfon des thracijchen Heros
orpheifche Orpheus, den die Griechen nicht nur als den Vertreter der alteften reli-
Zeugniffe. giofen Poefie, fondern auoh als Begriinder des myftifchen Dionyfusdienftes,
ja uberhaupt als erften Urheber und Anordner der Myfterien anfahen, fur
die Verbreitung theologifcher Qedanken unter den Heiden als geeignet
erfcheinen. So erklart es fich, dag man fogar in Verfen den Orpheus
feinem Sohne Mufaus gegentiber unter ausdrucklicher Widerrufung aller
ubrigen dem Polytheismus gewidmeten Qedichte den wahren Qott ver-
kunden und das Judentum preifen lagt. 2 )
Gefalfchte Man fcheute aber auch nicht davor zuruck, den alien Klaffikern, dem
Zeugniffe der Afchylus, dem Sophokles, dem Euripides u. a, gefalfchte Verfe unter-
alten zufchieben, in welchen von der Erhabenheit Gottes uber alle Kreatur, 3 )
Klaffiker. der Einheit Gottes, der Himmel und Erde gemacht hat, der Torheit des
Gotjendienftes 4 ) und_der Unfichtbarkeit des Allwiffenden 5 ) geredet wird.
Selbft von der zukunftigen Vernichtung der Welt durch Feuer foil Sopho-
kles ahnlich wie die jfldifche Sibylle reden. 6 ) Allerdings ift nicht ficher,
') Buch 3, 423 ff. (nach Friedlieb S. 69).
") Die Verfe finden fich in Pseudo-Justin De monarchia c. 2 (Ottos
Corpus apologet. ed. 3 vol. III. p. 132 sq.) und ebenfalls in Pseudo-
Justin Cohortatio ad Graecos c. 15 (1. c. p. 59 sq.), dann in langerer
Rezenfion nach Ariftobul bei Bus. Praep. evang. XIII, 12, 5; endlich auf
Grund einer im wefentlichen mit Pseudo-Justin ubereinftimmenden Rezen-
fion in Zitaten bei Clem. Alex. Protrept. VII, 74, Strom. V, 12, 78 und V,
14, 123 127. Vgl die Verfe und Genaueres uber das Vernal tnis der
Rezenfionen in Elter, De Gnomologiorum Graecorum historia atque
origine. Pars V. und P. VI, Bonner Univ.-Programm 1894, p. 152-187.
Vgl. auch Schurer III, 457460. Ober den Verfaffer vergleiche das auf
S. 517, 2 Gefagte.
*) Aeschylus bei Pseudo- Justin De monarchia c. 2, Clem Alex.
5, 14, 131 (Bus. Praep. evang. Xllh 13, 60), an welchen Stellen fich auch
die folgenden Zitate finden. Vgl. Elter, De Gnomolog. etc. Pars V,
col. 150.
*) Sophocles in De monarch, c. ?; Clem. Alex. 5, 14, 113 (Bus. XIII,
13, 40) und Protrept. VII, 74. Elter col. 151.
") Euripides bei Clem. Al. Protrept. VI, 68 (bei Pseudo- Justin
De monarchia c. 2 dem Komodiendichter Philemon zugefchrieben). Vgl.
Elter col. 152.
6 ) Sophocles in De monarchia c. 3, Clem. Alex. 5, 14, 121122
(Bus. XIII, 13, 48). Vgl. Elter col. 187. - Sib. Ill, 63-96.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 517
wann diefe und ahnliche 1 ), allgemein als unecht angefehenen Verfe ent-
[tanden find, und ift ihr Urfprung fogar in das 2. Jahrhundert n. Chr.
gefetjt worden. Allein alle diefe verdachtigen Verfe find uns iiberliefert
von Pseudo-Juftinus und Clemens Alexandrinus, die beide |aus einer
gemeinfamen Quelle fchOpften. *) Nach Clemens von Alexandrien war
diefe Quelle eine Schrift des Pseudo-Hekataus iiber Abraham. 3 ) Pseudo-
Hekataus lebte urn das Jahr 150 v, Chr. 4 ) Es gibt auch ein dem An-
') Diefelben finden fich faft alle bei Pseudo-Justin, De monarchia
c. 3-5 und Clem. Alex. Strom. V, 14, 107-133 (Bus. XIII, 13). Vgl.
auch Elter p. 187 sqq. und Schiirer III, 460 f.
2 ) Vgl. Pseudo- Justin, De monarchia c. 2 4 mit Clem. Al. Str. V,
14, 113133. Vom textkritifchen Standpunkte aus kommt Elter 1. c.
col. 149 206, der zeigt, dag Pseudo- Justin den beffern Text der Samm-
lung darbietet, dazu, iiberhaupt die Sammlung dem Verfaffer des Buches
De monarchia zuzufchreiben und fie in das zweite Jahrhundert nach
Chriftus zu verfeljen. Der Schlug gent aber wohl zu weit, da fchon der
beffere Text des Pseudo-Juftin fich aus einer befferen ,Vorlage erklart.
3 ) Clem. Alex. Strom. V, 14, 113 (Bus. Praep. evang. XIII, 13, 40
ed. Gaisford) beruft fich fur ein angebliches Wort des Sophokles auf
die Schrift des Hekataus iiber Abraham. Man mug aber diefen von
einem Pseudo-Hekataus unterfcheiden. Hekataus von Aberda, ein Zeit-
genoffe Alexanders des Grogen und des Ptolemaus La^i (f. Jos. c.
Ap. 1, 22), hat eine Gefchichte Agyptens (Diodor 1, 46, 8) in mehreren
Buchern (Laertius Diog. 1, 10, vgl. Elter col. 250) gefchrieben, welche
fich auch mit der Gefchichte der Juden und der Gefchichte Abrahams
befagte. Vermutlich bildete letjtere den erften Teil der Gefchichte der
Juden und diefe einen befonderen Abfchnitt des Gefamtwerkes. So
erklart es fich, dag Josephus, der, wie auch Diodor v. Sicilien (Dio-
dor, 40, 3 und bei Reinach, Textes etc. p. 1420) das echte Werk des
Hekataus in Rom benutjte, bald von einer Schrift iiber die Juden, bald
von einer iiber Abraham redet (Jos. c. Ap. 1, 22 sq. 2, 4. Ant. 1, 7, 2).
Es hat aber auch eine unechte Schrift des Hekataus ,,iiber die Juden",
vielleicht eine Erweiterung der echten Schrift gegeben, welche von
Herennius Philo (bei Orig. c. Gels. 1, 15) im Anfang des zweiten Jahr-
hunderts n. Chr. als im hochften Grade judenfeindlich bezeichnet wird.
Ohne Zweifel ift diefe Schrift identifch mit der von Clemens Alexandrinus
erwahnten Schrift des Hekataus iiber Abraham.
J ) Schiirer IIP, 596 f. 603-608 meint, Pseudo Hekataus falle noch
in das dritte Jahrhundert v. Chr., wahrend Elter 1. c., der col. 247-254
mit Recht den falfchen Hekataus von dem bei Jofephus benutjten unter-
fcheidet, inn bis in die zweite Halfte des zweiten Jahrhunderts n. Chr.
hinabdrtidct und .Willrich, Judaica, Gottingen 1900, S. 86130 ihn in
das erfte chriftliche Jahrhundert verfetjt. Zunachft ift (gegen Schurer
p. 607) daran feftzuhalten , dag Pseudo-Hekataus keineswegs fchon in
dem Briefe des Arifteas iiber die griechifche Bibeliiberfetjung erwahnt
ift. Vielmehr heigt es bei Arifteas nur, Hekataus habe gefagt, ,,die in
518 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
fcheine nach von einem alexandrinifchen Juden herrQhrendes Lehrgedicht,
welches in fchOnen Hexametern allerhand fich an das Alte Teftament
anlehnende Moralvorfchriften allgemeinen Charakters vortragt, die unter
dem Namen des im 6. Jahrhundert v. Ghr. lebenden griechifchen
Spruchdichters Phokylides verbreitet wurden. Die Zeit der Abfaffung
lagt fich aber nicht feftfe^en. 1 )
DerPhilofoph Welch eine Verbreitung manche fur die Propaganda des Judentums
Ariftobul. nicht unwichtige Falfchungen gehabt haben, zeigt uns der in Agypten,
wahrfcheinlich in Alexandrien, zur Zeit des Kcmigs Ptolemaus Philometor
ihnen (den jiidifchen Buchern) ausgefprochenen Anfichten find heilig und
ehrwurdig". Das konnte auch ein Heide wie Hekataus fagen. Josephus
Ant. 12, 2, 3 hat aber die Stelle des Arifteas, welche er frei wiedergibt,
unrichtig fo aufgefagt, als ob Hekataus gefagt habe, die griechifchen.
Dichter und Hiftoriker erwahnten die Heiligen Bflcher der Juden deshalb
nicht, weil die darin vorgetragene Lehre eine heilige fei. Daraus folgt
aber nicht, dag er uberhaupt nicht den Hekataus, fondern den Pseudo-
Hekataus benutjte, denn fonft wiirde er gewig auch deffen Zitate gegen
Apion verwertet und auch den Widerfpruch zwifchen der Bemerkung
und der fortwahrenden Erwahnung des Gefetjes durch (angeblich) alte
Dichter und Philofophen entdeckt haben. Somit lebte Pseudo-HekatSus
zwifchen Arifteas, der ihn noch nicht kannte und Ariftobul (f. u.), der
inn benutjte.
') S. den Text u. a. bei Bergk, Poetae lyrici Graeci ed. 4. L. 1882 II,
74109. (Ein von einem Chriften uberarbeitetes Stuck des Gedichtes
fteht auch Sibyll. II, 56-148.) Vgl. befonders Bernays, Ober das Phoky-
lideische Gedicht, Breslau 1856 (= Gef. Abhdlgn. 1885 I, 192261). -
Ob der fiebente und (zum Teil) der vierte von neun angeblichen Briefen
des Heraklit, worin -die hellenifche GOtterverehrung und Sittenlofigkeit
bekampft werden, jiidifchen oder chriftlichen Urfprunges find, mug man
mit Bernays, Die heraklitifchen Briefe (mit Text und deutfcher Oberfetjung)
Berlin 1869, dahingeftellt fein laffen. Vgl auch Schurer III 1 , 624 f.
Gelehrte, z. B. Harnack, Die Apoftellehre und die judifchen beiden Wege,
L. 1886, P. Drews, in Hennecke, Neutest. Apokryphen, L. 1904, 184 ff.
und in Hennecke, Handbuch zu den Neuteftam. Apokryphen 1904, S. 256 ff.
Seeberg, Die beiden Wege und das Apofteldekret, L. 1906 u. a. haben
die Hypothefe vertreten, dag der Didache in ihrer Urform ein judifcher
Profelytenkatechismus zu Grunde liege, der wie die ZwOlfapoftellehre
(cap. 1 6) Sittenregeln uber die beiden Wege, den (der Gerechtigkeit
und Liebe) zum Leben oder den zum Tode enthielt. H. Klein, Der
altefte chriftliche Katechismus und die judifche Propaganda-Literatur,
B. 1909 will das Judifche in der Urdidache ,,noch klarer" als es bis
dahin gefchehen war (S. 157) darlegen. Allein es gibt kein augeres
Zeugnis fur die angebliche Urform der Didache oder eine derartige
judifche Schrift. Die Didache tragt vielmehr in all ihren T.eilen durchaus
chriftliches Geprage. Parallelen zu einzelnen Sa^en oder Ausdrucken
aus talmudifchen oder gar mittelalterlichen Werken wie z. B. der Schrift
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 519
(181-145 v. Chr.) lebende judifche Philofoph Ariftobul. Derfelbe fchrieb 1 )
ftir heidnifche Lefer eine an den genannten Konig gerichtete Erklarung
der funf Bficher Mofis, worin er, nadi den erhaltenen Fragmented) zu
urteilen, befonders zeigen will, dag die griechifche Philofophie vom Ge-
fetje Mofis abhangig ift. 3 ) Er behauptet mit Unrecht, dag fchon lange
vor der griechifdien Uberfe^ung des Gefe^es unter Ptolemaus Philadel-
phus der wefentliche Inhalt des Pentateuchs ins Griechifche iiberfetjt ge-
wefen fei 4 ) und dag daraus namentlich Pythagoras, Sokrates und Plato
ihre Weisheit gefchopft batten. 6 ) Damit nicht genug, behauptet er weiter,
dag auch die griechifdien Dichter, namentlich Homer und Hefiod, diefelbe
Quelle benu^t hatten, 6 ) und fQhrt unter dem Namen des Orpheus, Linus,
Homer, Hefiod 7 ) und Aratus eine Anzahl meift gefalfchter Verfe an, die
er vermutlich vorgefunden und in gutem Glauben als edit angefehen
hat. 8 ) Er felbft zeigt unter anderm in feinem Werke, wie die im Gefe$
Orchoth Chajjim (bei Klein S. 101-137) beweifen nichts. Vgl. auch
O. Bardenhewer, Gefch. der altchriftl. Literatur I', S. 95 f
') Man nimmt gewOhnlich an, dag er mit dem 2 Mace. 1, 10
erwahnten Ariftobul, ,,dem Lehrer des Konigs Ptolemaus, der vom
Gefchlechte der gefalbten Priefter ift", identijch ift, und fomit, dag das
2 Mace. 1, 10-2, 19 an Ariftobul und die agyptifchen Juden gerichtete
Sendfchreiben der palaftinenfifchen Juden an inn mitgerichtet ift.
2 ) Bei Euseb. Praep. ev. VIII, 10 und XIII, 12. Die Echtheit wird
nach dem Vorgange von Richard Simon, Histoire critique du V. Testam.
Rotterdam 1681, p. 189, 499 von manchem Neueren, befonders auch von
Elter, De Gnomologiorum Graec. hist., atque origine Pars V IX(Bonnae)
Univ. Progr. 1894 col. 152254 und Nachtrage dazu in Ramenta 1897),
der den Ariftobul fogar ins dritte chriftliche Jahrhundert fe^t, beftritten.
Fur die Echtheit u. a. Valckenaer, Diatribe de Aristobulo Judaeo, philo-
sopho peripatetico Alexandrino. Lugd. Bat. 1806 und in Gaisfords Aus-
gabe von Bus. Praep. ev. IV, 339-458, fodann Schurer III', 512521
und Oberweg-Heinze, Grundrig der Gefchichte der Philofophie des Alter-
tums 9, Berl. 1903, 352 ff. Vgl. auch Hundhaufen, Art. Ariftobulus im
Kirchenlexikon I, 13001303.
3 ) So fagt Clem. Alex, (der nach Strom. 1, 22, 150 das Werk felbft
benutjte) Strom. 5, 14, 97.
*) Bei Bus. 1. c. XIII, 12, 1.
5 ) Bei Bus XIII, 12, 1. 3.
6 ) Bei Bus. XIII, 12, 16.
7 ) Er zeigt die Bedeutung des fiebenten Tages als Ruhetages u. a.
durch Berufung auf erdichtete Verfe des Hesiod, Homer und Linus bei
Eus. XIII, 12, 9-16.
8 ) Vermutlich hat er die Verfe aus der Sammlung des Pfeudo-
Hekataus, die in den erften Jahrzehnten der Makkabaer entftand, gejchopft,
f. o. S. 517, 3 u. 4. Valckenaer, Hausrath u. a. meinen, Aristobulus habe
felber die Verfe erdichtet, Schurer III*, 516 f. vertritt, wie Ewald u. a.
die Anficht, fie feien in gutem Glauben entlehnt.
Heiden
520 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
vorkommenden Anthropomorphismen, z. B. vom Wandeln Gottes u. dgl.
zu verftehen find '), und lehrt, dag alles durch die Wirkung Gottes gewor-
den ift. 2 ) Die Vater nennen den Ariftobul einen Peripatetiker. 3 ) Genaueres
iiber fein philofophifches Syftem ift jedoch nicht bekannt. Er ift aber in
feiner allegorifchen Interpretationsweife und der Verbindung jiidifcher
Theologie mit griechifcher Philofophie ein Vorlaufer Philos gewefen. 4 )
Anjchauungen Audi Philo und Jofephus haben oft den Gedanken von dem ab-
Philos und foluten Vorrang der Religion und der Moral des Judenvolkes vor andern
des Jofephus ausgefproehen, und auch nach Philo haben die griechifchen Philofophen,
von dem Vor- befonders Zeno 5 ) und Heraklit 6 ), aus Mofes gefchopft. Dasfelbe fagt
rang der ju- Jofephus von Pythagoras 7 ) und meint uberhaupt, die Juden feien den
difchen Reli- ubrigen Volkern im grogten und beften, was fie hatten, Fuhrer ge-
gion u. Moral, wefen. 8 )
3. Die Profelyten des Judentums. 9 )
Verbreitung Faft geradefo verbreitet wie die Juden felbft find in der
jiidifcher damaligen Zeit die Anhanger und Freunde des Judentums
Sitten und gewefen. Zum Beweife dafiir braucht man nur an die Er-
fahrungen des heiligen Paulus zu erinnern. Zu Antiochien
m Pifidien redet er neben den Juden auch die frommen
Neubekehrten an, 10 ) in Iconium predigt er in der Synagoge
auch den Griechen, 11 ) in Philippi nimmt eine Neubekehrte,
die Purpurhandlerin Lydia aus Thyatira, ihn und feine Be-
gleiter in ihr Haus auf, 12 ) in Thenalonich, in Beroa, in Athen,
in Korinth find es auch Profelyten, welche feine Worte
glaubig annehmen. 13 ) Und wie hier, fo gab es in Cafarea, 14 )
') Bei Bus. VIII, 10.
2 ) Bei Bus. XIII, 12, 1-8.
3 ) Clem. Alex. Strom. 1, 15, 72. 5, 14, 97. Bus. Praep. evang.
VIII, 9. IX, 6, 6.
*) S. Hundhaufen S. 1301.
5 ) Philo, Quod omnis probus liber 9. (Mangey II, 454).
6 ) Philo, Quis rer. divin. heres 43, 214; Legum allegor. lib. I,
33, 108.
7 ) Jos. c. Ap. 1, 22.
8 ) Jos. c. Ap. 2, 41. Vgl. auch Ant. 4, 8, 49.
'') Vgl. auger den oben S. 511, 1 angefuhrten Werken u.a.Schiirer III,
150188. Levi, Le Proselytisme juif in der Revue des Etudes juives.
Paris 1905, tome L p. 1-9, tome LI (1906) p. 1-31, tome LIII (1907)
p. 56-61. Jean Jufter 1, 253337, befonders 254-259 u. 274277.
10 ) Apg. 13, 16. 26. Vgl. ebd 13, 43. 50.
) Apg. 14, 1.
12 ) Apg. 16, 14.
13 ) Apg. 17, 4. 10-12 17. 18, 7.
u ) Apg. 10, 1 ff.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 521
in Kapharnaum 1 ) und in Antiochien ? ) Leute, welche den
wahren Gott Ifraels verehrten. Jofephus*) fagt fogar allge-
mein, daft, wahrend die griechifchen Philofophen in ihren
Lehren iiber Gott, die Einfachheit des Lebens und die Be-
ziehungen der Menfchen zueinander dem Mofes folgten,.
aber dem Anfcheine nach die vaterlichen Sitten beibehielten,
fich bei der Menge fchon feit langem eifrige Nachahmung
der jiidifchen Religion finde. ,,Es gibt," fagt er, ,,weder eine
Stadt bei den Griechen oder Barbaren, noch ein Volk, zu
welchem nidit die Feier des fiebenten Tages, den wir ohne
Arbeit zubringen, gedrungen ift und wo nicht das Faften,
das Anziinden der Lichter 4 ) und viele unferer Speifeverbote
beobachtet werden." Bei manchen war das allerdings nur
zeitweife der Fall. 5 ) Andere aber blieben treu und ihre
Kinder oder Enkel fchloffen fich, wenn der Vater nur einzelne
jiidifche Lehren und Sitten, fei es aus Aberglaube, fei es aus
wirklieh religiofem Sinn, angenommen hatte, um fo enger
an das Judentum an. So fagt z. B. Juvenal, 6 ) dafe, wenn
der Vater jeden fiebenten Tag untatig verbringe und kein
Schweinefleifeh effe, er die Schuld trage, daft der Sohn nur
die Wolken und die Himmelsgottheit verehre und fich bald
auch befchneiden laffe, blofe das jiidifche Gefetj verehre und
nur feinen Glaubensgenoffen einen ( Dienft erweife. Seneca
fagt aber von den Gebrauchen der Juden, befonders vom
Sabbate, fo ftark fei die Sitte jenes verruchten Volkes ge-
worden, daft fie faft uberall verbreitet fei; die Befiegten hatten
den Siegern Gefetje gegeben. Allein jene kannten die Griinde
ihres Gebrauches, der grofeere Teil des Volkes aber be-
obadite inn, ohne zu wiffen weshalb. 7 ) Auch ein Freund
!) Luc 7, 5.
2 ) Jos. B. J. 7, 3, 3.
3 ) Jos. c, Ap. 2, 39.
*) S. o. S. 508.
5 ) Jos. c. Ap. 2, 10.
. 6 ) Juv. Sat. 14, 96 ff.
7 ) Seneca, De Superstitione Fragmenta XII, 42 sq. (Opera III, 427)
und bei Aug. De civ. Dei 6, 11, der als Veranlaffung zu der Bemerkung
die ,,sacramenta Judaeorum et maxime sabbata" angibt: Cum interim usque
eo sceleratissimae gentis consuetude convaluit, ut per omnes jam terras
recepta sit; victi victoribus leges dederunt ... Hi tamen causas ritus
sui noverunt; maior pars populi facit quod cur faciat ignorat."
522 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. ZuftSnde des jud. Volkes.
des Horaz, Fuscus Ariftius, bekennt mit frohlichem Spott,
,,die Schwache" zu haben, wie viele andere den Sabbat zu
feiern. 1 )
Verbreitung Befonders die Frauen hingen vielfaeh dem Judentum
des Juden- afij j o z< B j n Damaskus faft alle Frauen. 2 ) Audi in Rom
er waren die Frauen allem Anfcheine nach dem Judentum viel
Frauenweit g un Higer gefinnt als die Manner. Die Gemahlin des Auguftus,
die Kaiferin Julia, hatte eine judifche Sklavin, namens Akme. :i )
Die Gemahlin Neros, Poppaa Sabina, welche fich bei ihrem
Gemahl fur judifche Priefter verwandte, wird von Jofephus 4 )
als M Gottesfurchtige" bezeichnet und ift auch nicht nadi ro-
mifcher Sitte verbrannt, fondern ,,nach der Gewohnheit aus-
landifcher Konige" einbalfamiert worden. 5 ) All diefes fpricht
wenigftens fur .ihre Zuneigung zum Judentum. Als eine
Judenfreundin darf auch die Schwagerin des Tiberius und
Witwe des alteren Drufus, Antonia, angefehen werden. )
Wir lefen von einer vornehmen Dame Fulvia, deren Mann
Saturninus mit Tiberius befreundet war, welche das mofaifche
Gefe^ angenommen hatte, aber von einigen Juden um Pur-
Bedeutung pur und Gold betrogen wurde. 7 ) Gewife darf man nicht blofc
der Annahmeaus der gelegentlichen gefchaftlichen Verbindung einer hohen
judifcher Dame mit einem judifchen Bankier, z. B. der Antonia mit
Sitten. Alexander von Alexandrien Oder aus der
Mode gewordenen Beobachtung einzelner judifcher Gebrauche
l ) HOT., Sat. I, 9, 70-72. Vgl. Tibull. Eleg. 1, 3, 17-18. Ovid,
Ars amatoria 1, 76 416; Remedia amoris 219 sq.
") Jos. B. J. 2, 20, 2.
3 ) Jos. Ant. 17, 5, 7. 7, 1 (18, 6, 4). B. J. 1, 32, 6. Audi Kaifer
Claudius hatte eine judifche Sklavin. Vgl. Corpus Inscr. Lat. t. X n. 1971 :
(Cl)audia Aster (Hi)erosolymitana (ca)ptiva.
4 ) Jos. Ant. 20, 8, 11. Vita 3.
5 ) Tac. Ann. 16, 6. Der Vetter Domitians, Flavius Clemens, und
feine Gemahlin Domitilla waren keine Juden, fondern Chriften (Dio
Cass. 67, 14. Sueton. Domit. 15. Vgl. Lightfoot, The apostolic fathers
Part I: S. Clement of Ro.me, vol. I. 1890, p. 14103). Audi Pomponia
Qraecina, die Gemahlin des Konfularen A. Plautius, war nicht dem
n fremden Aberglauben" (Tac. Ann. 13, 32) des Judentums ergeben, denn
judifchen Profelytismus kannte man, fondern war eine Chriftin. Vgl.
auch Bludau 1. c. S. 226.
6 ) Jos. Ant. 18, 6, 1. 6, 6. Tac. Ann. 3, 3.
7 ) Jos Ant. 18, 3, 5. S. o. S. 285.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 523
auf eine Vorliebe fur das Judentum felbft fchliefcen. Nament-
lidi die Sabbatfeier hatte fich zwar aus dem armen Juden-
viertel auch in die elegant en Quartiere der vornehmen Welt
in Rom verpflanzt, allein fie bildete doch nur, wie die Teil-
nahme an den Myfterien der Ifis, den Feften des Adonis u. a.
eine Form der Frauenmode und, wenn es hoch kam, des
weiblichen Aberglaubens. In den Dichterkreifen hat man
fich teils dariiber amiifiert, wie z. B. Horaz und fein Freund
FUSGUS Ariftius, 1 ) teils geargert, wie Juvenal, 2 ) teils den Ge-
brauch zu allerhand Liebesintriguen benutjt, wie Ovid fagt. 3 )
Im Grunde des Herzens teilte man die Verachtung der Ju-
den, wie fie die ernften Romer zeigen. Wenn aber Tacitus
behauptet, der Wohlftand der Juden fei dadurch gewachfen,
dafe die fchlechteften unter Mifeachtung der vaterlandifchen
Religion reidilich Steuer und Gefdhenke nadi Jerufalem
fchickten,*) fo fpricht er als Hifto'riker von der Zeit vor dem
Untergang Jerufalems und fucht das Wachstum der Bliite
der Stadt in fruherer Zeit zu erklaren.
Wie weit an einer bewufeten und planmagigen Prop a- Propaganda
ganda des Judentums damals die leitenden Kreife Jerufalems des pa-
beteiligt waren, wifien wir nicht. 5 ) Von den Schriftgelehrten laftinenpfdien
und Pharifaern aber fagt der Herr: ,,Weh euch, ihr Heuchler, Judentums -
da ihr das Meer und das Land durchzieht, um einen einzigen
Bekehrten zu gewinnen; wenn einer aber es geworden ift,
1 ) S. o. s. 522.
2 ) S. o. S. 521.
3 ) Ovid, Ars amatoria, 1, 75 (wenn du eine Maitreffe fucbft an
geeigneten Orten: M Nec te praetereat Veneri ploratus Adonis Cultaque
Judaeo septima sacra Syro." Vgl. ebd. 1, 415 sq.).
*) Tac. hist. 5, 5: cetera instituta (vgl. o S. 510), sinistra foeda,
pravitate valuere. Nam pessimus quisque, spretis religionibus patriis,
tributa et stipes illuc congerebant; unde auctae Judaeorum res etc.
5 ) Unter Domitian find vier Gefetjeslehrer, R Gamaliel, R. Eleazar
ben Azarja, R. Josua und R. Akiba im Herbfte von Jamnia in Judaa
nach Rom gereift. (Dag J'ie auf einem Schiffe waren, berichtet die Mifdma
Maaser scheni 5, 9. Schabb. 16, 8. Erubin 4, 1 2.) Es find aber nur
fagenhafte Berichte aus fpaterer Zeit dariiber vorhanden (f. Derenbourg,
p. 334 340. Gratj, Die jiidifchen Profelyten im Romerreiche unter den
Kaifern Domitian, Nerva, Trajan und Hadrian. Jahresberidit des jud.
theol. Seminars Breslau 1884, S. 27 ff. Badier, Die Agada der Tannaiten 1 2 ,
79 ff.) und ift fiber die Dauer des Aufenthaltes nichts bekannt.
524 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
macht ihr ihn zu einem Kind der Holle, zweifach fchlimmer
als ihr." 1 ) Bei ihnen war nidit der Glaubenseifer, fondern
der Wunfch, fich durch die Bekehrten mehr Geld und Ehre
zu verfchaffen, maggebend. 2 ) Deshalb vernachlaffigten fie
auch diefe Profelyten, wenn [ie fich einmal dem Judentum
angefchloffen hatten, und kiimmerten fich um ihre Unwiffen-
heit und Gottlofigkeit nicht. 3 )
Von hervorragenden Profelyten des palaftinenfifchen
Judentums find nur der Kammerer der Konigin Candace, 4 )
die beiden Schwager Agrippas II., Azizus von Emefa und
Polemon von Cilicien, welche aus politifchen Griinden die
Befchneidung annahmen, 5 ) dann aber befonders zur Zeit des
Claudius die Angehorigen des Konigshaufes von Adiabene,
jenfeits des Euphrats, welches damals in einem Abhangig-
keitsverhaltniffe zu dem parthifchen Reiche ftand, bekannt.
In Adiabene war fowohl der Konig Izates wie feine Mutter
Helena und andere Verwandte zum Judentum iibergetreten.
Erfterem hatte fein eigener judifcher Lehrer von der Be-
fchneidung abgeraten. Denn er fiirchtete, felbft in Lebens-
gefahr zu kommen, wenn die Sadie ruchbar werde. Man
werde ihn als Lehrer befchuldigen, den Konig zu der Be-
fchneidung veranlafct zu haben. Der Konig konne auch, ohne
fich befchneiden zu laffen, Gott verehren, wenn er nur die
gottesdienftlichen Gebrauche der Juden befolge. Da aber
ein anderer Jude ihn auf die gefetjliche Vorfchrift hinwies,
liefc fich Izates befchneiden. 6 ) Er Hefc auch feine fiinf Sohne
') Matth. 23, 15 f.
2 ) Gal. 6, 13.
3 ) Vgl. u. S. 528 ff. Im babylonifchen Talmud wird viermal (vgl.
Levi, Le Proselytisme juif in REJ tome LI Paris 1906 p. 1) ein Wort
eines im 3. Jahrhundert in Palaftina wirkenden Rabbiners Helbo zitiert:
Die Profelyten find wie ein Ausfatj fur Israel (vgl. auch Lightfoot Horae
hebr. zu Matth. 23, 15 und die Kommentare zu d. St.). Nidda 13b fteht
das Wort zur Erklarung einer Baraitja: Proselyti et paederastae impe-
diunt adventum Messiae (Levi 1. c. p. 2. Lightfoot 1. c.). Einzelne
Rabbiner haben jedenfalls, wie aus dem Worte folgt, Profelyten als
eine Gefahr fur das Judentum angefehen, obgleich man im allgemeinen
auch in der talmudifchen Zeit Konverfionen zum Judentum gern fah.
(S. Levi p. 4 ss.)
*) Apg. 8, 26 ff.
5 ) Jos. Ant. 20, 7, 1. 3. S. o. S. 213 .
6 ) Jos. Ant. 20, 24. S. o. S. 267 f.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 525
in Jerufalem erziehen, wo die Familie fich auch Palafte er-
baute, 1 ) und gab zu, dafc feme Mutter dorthin zum Tempel
wallfahrtete. 2 ) Audi find Konig Izates wie feine Mutter nach
ihrem Tode in dem von letjterer erbauten Grabmale in
Jerufalem begraben worden. 3 )
Die Gefdiichte des Izates macht es aber klar, dag damals Eigentliche
wenigftens die ftrengeren Juden nur denjenigen Nichtjuden Pr feiyten.
als einen wirklich Bekehrten, einen Konvertiten, anfahen, der
auch formlich durdi Annahme der Befchneidung zum Juden-
tum iibergetreten war. Im Alten Teftamente bezeichnet der
Ausdruck Profelyt immer einen Fremden, der in Palaftina
dauernd wohnt, mag er nun befchnitten Oder unbefchnitten
fein/) aber im Neuen Teftament bezeichnet Profelyt einen
durch Annahme der Befchneidung zum Judentum Oberge-
tretenen. 5 ) Diefe befchnittenen Fremdlinge hatten das ganze
Gefe^ zu erfullen. 6 )
Diefe find die einzigen eigentlichen Profelyten. Von diefen Die ,,Gott-
mufc eine zweite Klaffe urfprimglicher Heiden ftreng unter- furchtenden"
fchieden werden, welche fchon die Apoftelgefchichte ,,die Gott- [ md nicht
iiirchtenden" Oder die ,,Gottesverehrer" nennt und darunter ^ entll * e
" Konvertiten.
folche Perfonen verfteht, welche den wahren Gott verehrten,
] ) S. o. S. 268, 1.
*) Jos. Ant. 20, 2, 6.
3 ) Ant. 20, 4, 3. B. J. 5, 2, 2. 3, 3. 4, 2. Das Grabmal ift hOchft
wahrfcheinlich mit den fog. Qrabern der Konige (f. o. S. 68) identifch.
*) 71^06?; Auro? hebr. 1;* Porter, art. Proselyte in Hastings D. IV,
134 f. Vgl. Bertholet, Die Stellung der Ifraeliten und der Juden zu
den Fremden. 1896, S. 259-261. - Den Sinn von ,,bekehrter Fremd-
ling" hat 1j? in der Mifchna z. B. Dammai 6, 10, Schebiith 10, 9 etc. Vgl.
auch Schiirer III, 125, 67 iiber den Sprachgebrauch. Philo verfteht
das nqoGrtlvrrtQ der LXX in dem Jchon zu feiner Zeit ublichen Sinne von
Konvertit (f. Bertholet S. 285290), wofiir er aber lieber das Wort
enr}iv<; (emjlrTt;?, enrjXvroi) gebraucht. Jofephus bezieht fich oft auf
,,bekehrte Fremdlinge" Oder Profelyten im eigentlichen Sinne des Wortes,
z. B. Ant. 18, 3, 5 20, 2-4. c. Apion. 2, 31, ohne aber den Namen
Profelyt" anzuwenden (vgl. Porter p. 133 f.).
5 ) Matth. 23, 15 Apg. 2, 10. 6, 5. In Apg. 13, 43 ,,ol
Tcynaijlvrai" ift durch den Zufatj -i e^^evni der Sinn von
befchrankt. Es handelt fich um diefelben Leute, welche Apg. 13, 16 als
qpo/Sorjtevot roV &eov bezeichnet find.
6 ) Gal. 5, 3.
526 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. flttl. Zuftande des jud. Volkes.
ohne aber formlich zum Judentume fibergetreten zu fein. 1 )
Ohne Zweifel gehoren ihr auch die meiften aus dem Heiden-
tum hervorgegangenen Anhanger des Judentums an, von
welchen die griechifchen und romifchen Sdiriftfteller reden. 2 )
J ) Es gibt viele Infchriften, welche dem Hochften, dem Hypsistos,
g-ewidmet find. Vgl. Schurer SB A. Berlin, Bd. XIII (1897) S. 200 f. und
Cumont, Hypsistos in der Revue de PInstr. publ. en Belgique, XI, 1897.
Suppl. Derfelbe, Die oriental. Religionen im rom. Heidentum, 2. Aufl.
Lpz. 1914, S. 75. Es ift nach Cumont (vgl. a. a. O. S. 75 und Revue
d'histoire des religions, Tome 66, 1912, p. 165) der Name, womit die
judifch-griechifchen Kolonien der Diafpora und diejenigen Heiden, welche
mehr oder weniger ihren Glauben angenommen batten, den Gott Ifraels
bezeichneten und ihm als dem hOchften Gotte einen exklufiven Kult
widmeten.
2 ) ol fiefii'/uEvoi oder <pn/3nr/uevoi (mit oder ohne #). Vgl. die
S. 520 f. aus der Apoftelgejchichte angefflhrten Stellen. Ganz ficher war
der Hauptmann Cornelius, zu dem ein Jude nicht ins Haus gehen und
mit dem er nicht fpeifen konnte, ,,ein unbefchnittener Fremdling". Trotj-
dem heigt er Apg. 10, 2. 22. v /9..i>tvo? tv &edv. Josephus Ant. 14, 7, 2
erwahnt neben den Juden auch fieponivm, rdv & t nv als Leute, die
zum Reichtum des Tempels beigetragen haben. Immerhin find die
Ausdriicke nicht fehr beftimmt. Daraus erklart fich, dag Bertholet, der
S. 295302 zugibt, dag manche Heiden fich judifchen Anfchauungen und
Gebrauchen in freierer Form anfchloffen, S. 328334 die fiffto^tv.i oder
q>Hftnvfitvoi x6v veer fur identifch mit den befchnittenen Profelyten halt.
Allein auch die alteren rabbinifchen Schriften haben den Unterfehied
zwifchen den Profelyten der Gerechtigkeit und den Gottesfurchtigen, fiehe
Mechilta zu Ex. 22, 20 (in der Oberf. von Winter u. Wunfche S. 305) u. a.
(Vgl. Levi, Le proselyt. p. 56 ss.). S. auch Schurer III *, 172177 u. Porter
1. c. p. 134 f. - Der Ausdruck n Profelyt des Thores" pi^ti "13) hat mit
dem tii-finnevos TOV &tnv nichts zu tun, ift vielmehr, wie Schurer klar-
gelegt hat (III, 127), eine erft feit dem 13. Jahrhundert nachweisbare
rabbinifche Bezeichnung fiir den in den Toren oder im Lande Ifrael
wohnenden Nichtjuden. Diefer heigt in der Mifchna 2'fiH 13 = Fremdling
der Wohnung, im Unterfehied von dem Profelyten, den die Mifchna nur
13 nennt. Spatere Rabbiner fe^en dafiir zur grogeren Deutlichkeit
P J - V~ "$ = der gerechte (d. h. das Gefe^ beobachtende) Fremde oder
der Profelyt der Gerechtigkeit. Auch der ,,Fremdling der Wohnung"
ift nach der iibrigens nur gelegentlich ausgefprochenen und nicht etwa
auch in der Praxis verwirklichten juriftifchen Theorie des Talmud (f. Aboda
zara 64b, vgl. dazu Levi 1. c. p. 57) verpflichtet , die fieben Gebote der
Kinder Noes, welche nach judifcher Meinung iiberhaupt von der nicht
judifchen Menfchheit zu beobachten find, zu halten. Nach Sanhedrin 56b
und Tosephta Aboda zara IX verbieten fie die Widerfetjlichkeit gegen
die Obrigkeit, die Gotteslafterung, den Gotjendienft , die Blutfchande,
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 527
Neben der Verehrung des wahren Gottes beobachteten diefe
,,Gottfurchtenden" gewohnlich auch nodi einzelne Stiicke des
judifchen Gefetjes, meift das Sabbatgebot und die Speifegefetje.
In der neuteftamentlichen Zeit erfolgte die Aufnahme Bedingungen
eines Profelyten in das Judentum durch die Befchneidung. zur form-
Dag diefem Akte fchon damals bei Mannern ein Bad zum "^^
Zwecke der levitifchen Reinigung und, fo lange der Tempel das j uden .
ftand, auch ein Opfer gefolgt fei, und man erft danach als t um.
wirklicher Jude gegolten habe, 1 ) i[t fiir jene Zeit nicht wahr-
fcheinlich, zumal nicht in der Diafpora. In dem Bericht des
Jofephus 2 ) iiber die Bekehrung des adiabenifchen Konigs-
haufes ift von Bad und Opfer gar keine Rede, und die nach
dem Evangelium an Johannes den Taufer abgefandten Boten
fetjen voraus, daft keiner das Recht zu taufen habe als der
Meffias Oder Elias oder der Prophet. 3 ) Wahrfcheinlich ift das
Tauchbad 4 ) oder die Profelytentaufe, welche nicht etwa fchon
den Raub und den Genug eines noch lebenden Tieres. (Vgl. Weber,
Syftem der altfyn. Theologie, S. 262 f.) Zur Zeit des Jofephus war
aber diefe Theorie unbekannt. Denn er fagt c. Apion. 2, 28, dag Mofes
diejenigen, welche nach den judifchen Gefetjen leben wollen, gern auf-
nimmt, aber diejenigen, welche beilaufig zu den Juden kommen, nicht
verpflichtet, die judifchen Sitten anzunehmen.
') Es heigt in Kerithoth 9a (auch bei Levy, Worterb. I, 266 und
bei Selden, De synedriis I, 3 p. 23): ,,Wie eure Vater in den ifraeli-
tifchen Bund (unter Mofes vgl. Selden p. 15 ff.) nur durch Befchneidung,
Baden und Sprengung des Opferblutes aufgenommen wurden, fo follt
auch ihr verfahren, namlich bei Aufnahme der Profelyten" und Jeba-
moth 46a (auch bei Selden p. 23, vgl. auch Levy I, 353 f. v. ")): ,,In
Ewigkeit ift einer kein Profelyt, wenn er nicht fowohl untergetaucht als
befchnitten ift, wenn er nicht untergetaucht ift, bleibt er ein Heide ....
Die Rabbiner fagen, von dem, der befchnitten, aber nicht untergetaucht
worden fei, habe R. Eliezer gefagt: er ift ein Profelyt; denn fo finden
wir's bei unfern Vatern, dag fie befchnitten, aber nicht untergetaucht
wurden. Von einem, der untergetaucht, aber nicht befchnitten worden ift,
hat R. Josue gefagt, er ift ein Profelyt; denn fo finden wir's bei unfern
Muttern, dag fie untergetaucht, aber nicht befchnitten wurden. Die
Gelehrten aber haben fich dahin ausgefprochen, es fei keiner ein Profelyt,
bis er fowohl untergetaucht als befchnitten fei."
2 ) Jos, Ant. 20, 24.
3 ) Jon. 1, 25.
*) nb^to.
528 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Verhaltniffe des jud. Volkes.
in der Mifchna die redet weder hiervon noch von Opfern 4 )
wohl aber im fpatern Talmud neben der Befchneidung fiir
Profelyten vorgefchrieben 5 ) wird, fiir Manner erft nach der
Zerftorung Jerufalems aufgekommen. 6 ) Wenn aber eine Frau,
die ja nicht befchnitten wurde, vom Heidentum zum Juden-
tum ubertrat, war es, da der Heide an fich als unrein gait,
felbftverftandlich, dafc fie fich zum Zweck der levitifchen Rein-
heit badete, ohne daft aber damit diefem Bade eine ahn-
liche Bedeutung wie der Befchneidung zukam. Der mannliche
*) Schurer HI*, '182:.ff., 82 u. 88 fiihrt fur das Tauchbad Pesachim
8, 8 = Edujoth 5, 2, fur das Opfer Kerithoth 2, 1 an. Pesachim 8, 8
heigt es: ,,Von einem Profelyten, der am Ofterabend ein Profelyt geworden
ift (gemeint ift augenfcheinlich durch die Befchneidung), fagt die Schule
Schammais, er bade fich und effe fein Pascha am Abend; die Schule
Hillels aber fagt: Wer fich trennt von der Vorhaut, ift wie jener, der
fich trennt von dem Grabe." Diefer letjte Abfatj fteht auch Edujoth 5, 2.
(Wer von einem Grabe kam, mugte nach Num. 19, 16 ff. am 3. und 7.
Tage mit Reinigungswajfer befprengt werden.) Hier haben wir wohl in
der Praxis der Schule Hillels den Urfprung der fpateren talmudifchen
Anfchauung. Das von der Schule Schammais angeordnete Bad bezog
fich auf eine Wafchung fiir einen fpeziellen Zweck, die Oftermahlzeit. Vgl.
Jerus. Pesachim 36, 6. Die Hillelianer, fagt z. B. Rabe zu Pesach. 8, 8
in feiner Ausgabe der Mifchna 2, 130, gingen von der Anfchauung aus,
dag der Betreffende als Heide noch keiner Verunreinigung fahig gewefen,
und trafen ihre Beftimmung nur, um.zu vermeiden, dag er im nachften
Jahre auch erft glaube, es geniige, am Abend ein Bad zu nehmen, auch
wenn er fich fonft verunreinigt habe. Dag ein Profelyt ein Opfer zur
Verfohnung darbringen muffe, fagt Kerithoth 2, 1 nicht, erwahnt vielmehr
nur, dag ein einzelner Rabbiner R. Eliezer ben Jakob wolle, auch ein
einzelner Profelyt muffe (um Geheiligtes effen zu konnen) ein Sundopfer
darbringen.
5 ) S. vorige Anm.
6 ) Weder Philo, noch Jofephus (Ant. 13, 9, 1.^20, 2, 4, wo er vom
Ubertritt zum Judentum fpricht), noch Juvenalis Sat. 14, 96 erwahnen
die Profelytentaufe. Wilh. Brandt, Die jiidifchen Baptismen oder das
religiofe Wafchen und Baden im Judentum mit Einfchlug des Juden-
chriftentums (= ZAW, Beiheft XVIII, Giegen 1910) will die Wichtigkeit,
die diefem Schweigen als Zeugnis gegen das Alter der judifchen Pro-
felytentaufe innewohnt, nicht anerkennen. Die Taufe der Profelyten fei
gegen Ende des erften Jahrhunderts gut bezeugt. Nur fei wahrfcheinlich,
dag fie bis ungefahr zu jener Zeit noch nicht von alien Lehrern oder
nicht in alien Landern als eine zum Obertritt ins Judentum gehCrige
Zeremonie betrachtet wurde (a. a. O. S. 58 f.). Es liegt aber doch die
Sache keineswegs fo, dag fie etwa von vielen Lehrern oder in manchen
Landern als notwendig angefehen wurde.
XIV. Kap. Die Profelyten des Judentums. 529
Heide horte durch die Befchneidung auf Heide und unrein
zu fein und bedurfte deshalb nach der alien Anfchauung
ebenfowenig wie ein befdinittenes Judenknablein einer wei-
teren Reinigung. Es erklart fich aber die Zuftigung des dem
Judentum fiir levitifche Verunreinigungen ftets bekannten
Reinigungsbades zur Befchneidung in fpaterer Zeit durch die
wachfende Abneigung gegen Profelyten iiberhaupt. 1 ) Audi
fonft lafet fich kein Beweis fiir die Notwendigkeit der Profe-
lytentaufe neben der Befchneidung fiir die genannte Zeit er-
bringen. 2 ) Aber ein dogniatifches Interefie hat die Frage
nach dem Alter der jiidifchen ,,Profelytentaufe" in keiner
Wei[e, zumal fchon die vielen ,,Abwafchungen" der Juden
Vorbilder der Johannistaufe und, wenn man will, der Taufe
Jefu waren. 3 )
Die Pflichten der eigentlichen Profelyten entfprechen Die
denen der gebornen Ifraeliten, infofern, als fie das ganze Pflichten der
Gefetj zu beobachten 4 ) und mit alien alten Gewohnheiten
und Verbindungen zu brechen hatten. 5 ) In der Mifchna wird
Sorge getragen, dafc fie in Bezug auf die Abgaben und die
') S. o. S. 524, 3.
2 ) Schurer III*, 184 beruft fich auf den im zweiten chriftlichen Jahr-
hundert lebenden Arrian und die sibyllin. Bucher. Erfterer fagt Dissertat.
Epicteti II, 9, 20: Wenn jemand die Laft (TO nri&ot;) des Qetauften und
Erwahlten auf fich genommen hat, ift er wirklich.und heigt er ein Jude.
Allein felbft wenn {ich die Stelle auf die Profelytentaufe eines Heiden
bezieht und nicht etwa Juden und Cnriften hier verwechfelt find, beweift
die nach der Zerftorung Jerujalems gefchriebene Stelle nichts fQr deren
Alter. Dasfelbe gilt wegen der fpaten Abfaffung des vierten fibyllinifchen
Buches (f. u.) von Sib. 4, 164.
b ) Fiir das hohe Alter der Profelytentaufe (ind in neuerer Zeit
u. a. eingetreten Edersheim, The life and times of Jesus the Messiah II,
745747. Schurer III*, 182-185 und Seeberg, Das Evangelium Chrifti.
Leipzig 1905, S. 98 ff. Dagegen Winer, Bibl. Realworterb. II, 285 f.
Schegg, Bibl. Archaologie, S. 517.
*) Gal. 5, 3.
5 ) Sie haben die vaterlichen Sitten verlaffen (Philo, De sacrificanti-
bus 10 = De sp. leg. 1, 308 sq.), fich dem Umgang mit ihren Volks-
genoffen verfchloffen (De justitia 6 = De sp. leg. 4, 178), ihre Bluts-
verwandten, ihr Vaterland, ihre Sitten, Anfehen und Ehre drangegeben
(De humanitate 12). Vgl. auchTac. Hist. 5, 5: Transgressi in morem eorum
idem (circumcidere genitalia) usurpant ; nee quidquam prius imbuuntur quam
.contemnere deos, exuere patriam, parentes, liberos, fratres vilia habere.
Felten, Neuteftamentliche Zeiteefchichte. I. 2. u. 3. Aufl. 34
530 Zweiter Abfchnitt. Die in nern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Leviratsehe nur naeh der wirklichen Zeit der eigenen Zuge-
horigkeit oder der Zugehorigkeit ihrer Mutter zur judifchen
Gemeinde beurteilt werden. 3 ) Auch darf man entfprechend
dem Gefetje Mofes nicht zu dem Sohne eines Profelyten
ihre [agen: Gedenke der Werke deiner Vater. 2 ) Aber die Rechte
befchrankten der Profelyten waren doch, trotjdem das Gefet5 das Prinzip
Rechte. der Gleichberechtigung der Profelyten mit den geborenen
Ifraeliten ausgefprochen 3 ) hatte, wenigftens nach dem. Unter-
gang Jerufalems zur Zeit der Mifchna und wahrfcheinlich auch
fchon fruher in mannigfacher Weife befchrankt. So z. B.
durfte ein Priefter nicht die Tochter eines Profelyten heiraten,
es fei denn, dag ihre Mutter aus Ifrael ftammte. 4 ) Allerdings
nahm man, wenn ein Profelyt oder ein Heide aus fremdem
Lande ein Brandopfer fchickte, ohne das dazu gehorige Speife-
oder Trankopfer, die Koften fur diefes letjtere aus der Tempel-
kaffe. 5 ) Allein auf eine Profelytin bezieht fich das Gefetj
nicht, dag, wer eine Frau fo fchlagt, dag ihr das Kind ab-
geht, Schadenerfa^ leiften mug. 6 ) Auch konnte ein Profelyt
nicht Mitglied eines judifchen Gerichtshofes werden 7 ) und
ftand im Range hinter einem Baftard und einem Nathiraer. 8 )
Tritt eine fchwangere Frau famt ihrem Manne zum Juden-
tum iiber, fo hat das Kind nicht das Recht, als Erftgeborner
zu erben, weil es nicht in Heiligkeit empfangen ift. 9 ) Das
') Pea 4, 6. Challa 3, 6. Chullin 10, 4. - Jebamoth 11, 2.
2 ) Baba mezia 4, 10 mit Bezug auf Exod. 22, 21.
3 ) Exod. 12, 49.
4 ) Bikkurim 1, 5. Vgl. Qiddufdiin 4, 1 und Jebamoth 6, 5.
6 ) Schekalim 7, 6.
e ) Baba qamma 5, 4. Hatte jemand einen Profelyten beftohlen^
o m ugte er nach Baba qamma 9, 11 nach deffen Tod die Summe und
ein FQnftel dariiber (\. Num. 5, 7 f.) nicht deffen Erben, fondern als ob
kein Erbe da ware, dem Herrn geben. Denn ein Profelyt g-alt als einer
der keinen (?$.?<) Ooel (eigentlich Zurflckfordernden), d. h. keinen Ver-
wandten hatte. So auch Rabe, Mifchna Bd. IV, S. 32 z. d. St. - Man
war auch nicht verptlichtet , den Kindern eines Profelyten, die mit ihm
Juden geworden waren, nach dem Tode des Vaters diefe Schuld. abzu-
tragen. Schebiith 10, 9.
7 ) Horajoth 1, 4.
s ) Horajoth 3, 8 Ober die Nathiraer oder Nethinim vgl. o. S. 345, 5.
") Bekhoroth 8, 1. Die Augerungen der fpateren Talmudiften
find den Profelyten noch weniger gunftig, als die der Mifchna. > Vgl. die-
felben z. B. bei Bertholet S. 340349.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 531
find gewifc alles Aufoerungen, welche, wenn fie audi fchon
fiir die neuteftamentliche Zeit Geltung hatten, den formlichen
Obertritt zum Judentum nicht erleichterten.
Obrigens find die Profelyten des Judentums fur die Ver- Bedeutung
breitung des Chriftenturns von gar keinem Nutjen gewefen, der Pr f e ~
wie fie auch den Gegenfatj zwifchen Juden- und Heidentum J.f" un j""
nicht milderten, fondern vielmehr verfcharften. In ihrer Ge- furchtenden
fchichte zeigt fidi der Triumph der Engherzigkeit und zugleich fur die Ver-
des Hodimuts des Pharifaismus. breitung des
Ganz anders ift es aber mit den ,,Gottfurchtenden" ge- Chriftentums.
wefen. Weil fie iiberhaupt keine eigentlichen Juden waren,
hat fich auch die rabbinifche Gefetjgebung mit ihnen nicht
befchaftigt. Wie fehr fie in den wefentlichen Punkten als
Heiden angefehen wurden, fieht man klar aus der Gefchichte
des Cornelius, in deffen Haus Petrus nicht gehen wollte.
Erft das Chriftentum hat fich deshalb auch mit der Frage
zu befchaftigen gehabt, wie folche, die aus dem Judentum
ftammten, mit den aus dem Heidentum ftammenden Unbe-
fchnittenen verkehren konnten. Immerhin hat aber das
Judentum eine grofee Aufgabe erfullt, indem es auch den
Heiden feine Synagogen offnete.
XV. K a p i t e 1.
Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit bis
zur Zerftorung Jerufalems.
Um ein uberfichtliches Bild uber die literarifcnen Be-
ftrebungen diefer Zeit und die geiftigen, namentlich die reli-
giofen Anfchauungen der damaligen Juden zu gewinnen, ift
ausfuhrlicher von den ganz oder teilweife in der neutefta-
mentlichen Zeit entftandenen Schrifteh zu handeln.
Die kanonifchen Schriften, welche unmittelbar diefer
Periode vorausgingen, haben gewife eine grofce Bedeutung
fiir die Kenntnis der judifchen Literatur und Theologie,
fallen aber nicht in den Rahmen diefes Buches und werden
deshalb nur kurz befprochen, zumal von ihnen in den Ein-
leitungen zum Alten Teftament gehandelt wird. Es
34*
532 Zweitep Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
nahe, die palaftinenfifchen und die helleniftifchen Sdiriften in
befonderen Kapiteln zu befprechen, da die erfteren im allge-
meinen mit der moglichft ftrengen Anhanglichkeit an das
Gefetj eine moglichft fcharfe Abfperrung gegen alles heidnifche
Wefen verbinden, letjtere aber zwar auch auf dem Boden
des Gefetjes ftehen, aber der hellenifchen Anfchauungs- und
Denkweife doch mehr oder weniger grofcen Einflufc ver-
[tatten. Praktifch lafct fich aber diefer Unterfchied kaum fireng
durdifiihren, wie z. B. das dritte Buch der Makkabaer zeigt,
welches trotj feines helleniftifchen Urfprungs im palaftinen-
fifchen Geifte gefdirieben ift.
1. Die letjten kanonifchen Sdiriften aus der hellenifch=
jfldifchen Zeit.
Das erfte und Die Gefchichte der pala'ftinenfifchen Juden von Antiodius
zweite Buch Epiphanes an bis zum Tode des Hohenprielters Simon
der Makka- ^ 75 _i35) hat uns m it e iner auf der Grogartigkeit und Ein-
heit des Gegenftandes beruhenden, faft epifchen Schonheit ')
das erfte Buch der Makkabaer gefchildert. Die gro&e
gefdiichtliche Treue des in hebraifcher Sprache, allem An-
fcheine nach wahrend der Regierung des Johannes Hyrkanus'-)
fchreibenden unbekannten Verfaffers ift allfeitig anerkannt.
Das zweite Buch der Makkabaer ift mehr rhetori[ch und auf
Erbauung gerichtet, fchildert nur die erften fiinfzehn Jahre
der{elben Zeitperiode und i[t nach der Vorrede 3 ) ein Auszug
aus dem Gefchidhtswerk des fonft unbekannten Jafon von
Gyrene. Letjteres war ohne Zweifel griechifch gefchrieben.
In diefer Sprache ift auch das zweite Makkabaerbuch ver-
fafet. Im Anfange desfelben ftehen zwei Briefe, worin die
palaftinenfifchen Juden ihre Glaubensgenoffen in Agypten zur
Mitfeier des Tempelweihfeftes einladen. Das erfte Schreiben,
welches fich als ein Begleitfchreiben zur Oberfendung des
J ) Westcott, art. Maccabees in Smiths Bible Dictionary 3 vols. L. 1863.
2 ) Seine Jahrbiicher werden 1 Mace. 16, 23 erwahnt.
3 ) Vgl. 2 Mace. 2, 20-33. Das 1, 10 erwahnte Jahr 188 der Jeleuci-
difchen Ara ift = 124 v. Chr. Unter den Kommentaren fei erwahnt Jof.
Knabenbauer, Commentarius in duos libros Machabaeorum. Paris 1907.
Vgl. auch Herkenne, Die Briefe zu Beginn des 2. Makkabaerbuches
(1, 1 bis 2, 18). Freib. 1904 (= Bibl. Stud. VIII, 4).
XV. Kap. Die jtidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 533
Auszuges darftellt, ift im Jahre 124 v. Chr. verfafct und fallt
fomit die Abfaffung des Werkes, welches mit dem Siege
des Judas Makkaba"us fiber Nicanor im Jahre 160 endigt,
zwifchen die Jahre 159 und 124 v. Chr.
Die Weisheit Jefus, des Sohnes Sirachs, oder das Das Buch
Buch Ecclefiafticus ift ein teils aus einzelnen Spruchen, Je f us Sirach -
teils aus zufammenhangenden langeren Ausfiihrungen fiber
die grofcen Manner I{raels, welche Gott in ihrem Volke ver-
herrlichten, fiber die Grofce Gottes in der Natur, fiber das
Wefen und den Wert der Weisheit beftehendes Werk. Es
lehrt befonders, wie der wahrhaft Weife fidi in den Vor-
kommnifien des Lebens zu verhalten hat, ausgehend von
dem Grundfatj, dafc der Anfang und das Ende menfchlicher
Weisheit die Furcht des Herrn i[t. Die menfchliche Weisheit
ift dem Verfaffer aber ein Ausflufc der gottlichen Weisheit.
Gerade in der Entwicklung des Begriffs diefer letjteren liegt
die Hauptbedeutung des Buches.
Das Werk ift urfprunglich hebraifch gefchrieben. Der
lange als verloren geltende hebraifche Text wurde zum
grofceren Teile jungft in einer aus dem Ende des elften
oder dem Anfang des zwolften Jahrhunderts ftammenden
Handfchrift wieder aufgefunden und veroffentlicht. 1 ) Das Ori-
ginal ift aber von einem im Jahre 132 v. Chr. nach Agypten
gekommenen Nachkommen des Verfaffers ins Griechifche
fiberfetjt worden. Er nennt in der Vorrede den am Schlufc
des Werkes genannten Verfaffer Jefus, den Sohn Sirachs,
aus Jerufalem" o namrog ^ov. Gewohnlich wird dies durch
] ) Vg-l. Facsitniles of the fragments hitherto recovered of the book
of Ecclesiasticus in Hebrew. Oxford-Cambr. 1901. Peters, Der jtingft
wieder aufgefundene hebraifche Text des Buches Ecclesiasticus, unter-
fucht, herausgegeben, uberfetjt u. mit krit. Noten verfehen. Freiburg 1902.
Liber Jesu Filii Sirach seu Ecclesiasticus secundum codices nuper repertos
vocalibus adornatus addita versione latina. Ed. N. Peters, Frib. 1905.
Peters N., Das Buch Jejus Sirach oder Ecclesiasticus. Oberfetjt und
erklart (= Exeget. Handbuch z. A. T. Ausgabe von J. Nickel, 25. Bd.)
Munfter i. W. 1913. Smend, Die Weisheit des Jefus Sirach (hebraifcher
und deutfcher Text nebft Erklarung). Berlin 1906. Ebd. Griechifch-fyrifch-
hebraifcher Index zur Weisheit des Jefus Sirach. B. 1907. Vgl. auch
Herkenne, De veteris latinae Ecclesiastici capitibus I XL1II. Leipz. 1899
und Knabenbauer, Commentarius in Ecclesiasticum. Paris 1902.
534 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. [ittl. Zuftande des jud. Volkes.
mein Grofevater" iiberfetjt und dann die Abfaffung des
Budies, welches den Hohenpriefter Simon, Sohn des Onias,
ruhmend erwahnt, 1 ) um das Jahr 190 angefetjt. Der Hohe-
priefter ift dann Simon II., welcher zu Anfang des zweiten
Jahrhunderts v. Chn lebte. 2 ) Allein der erwahnte griediifche
Ausdruck konnte auch allgemein ,,mein Vorfahre" heifcen
und ware dann vielleicht an den Hohenpriefter Simon I.,
der ebenfalls Sohn eines Onias war und zu Anfang des
dritten Jahrhunderts v. Chr. lebte, 8 ) zu denken. In letjterem
wenig wahrfcheinlichen Falle ware die Abfaffung des Buches
100 Jahre friiher anzufetjen.
Das Buch der Nodi deutlicher tritt der Begriff der gottlichen Weisheit
Weisheit. hervor in dem herrlichen Buch der Weisheit. Das Buch,
fagt ein nichtkatholifcher Schriftf teller, ,,kann man nicht vor-
urteilslos ftudieren, ohne zu fiihlen, dajj es einen der letjten
Ringe in der Kette der providentiellen Verbindung zwifchen
dem Alten und dem Neuen Bunde bildet." 1 ) Es handelt
von der Weisheit in den erften neun Kapiteln theoretifch, in
den letjten Kapiteln 10 bis 21 gefchichtlich. Wir werden be-
lehrt, da die Weisheit und das ihr zugrunde liegende religios-
tugendhafte Leben die Quelle der Unfterblichkeit, der Leucht-
itern der Regierenden, die Erklarerin des Weltalls, kurz die
Fuhrerin des praktifchen und geiftigen Lebens ift, die durch
demiitiges Gebet erlangt wird. Die Gefchichte der Offen-
barung von den Tagen der Patriarchen bis zum Auszug der
Ifraeliten aus Agypten zeigt aber, dag Gott wirklich das Volk
Ifrael grog gemacht und verherrlicht hat und beftatigt fomit
die vorhergehenden Bemerkungen und Ermahnungen. Die
beiden Teile des Werkes ftehen in innerem Zufammenhang
und riihren, wie die Einheit des Gedankens und der Behand-
lungsweife fowie die wefentliche Obereinftimmung der Sprache
zeigt, von einem Verfaffer her.
Als der Reprafentant, die Verkorperung der Weisheit,
gait bei den Juden Salomon. Deshalb ift auch durch den
Inhalt erklarlich, weshalb man dem Buche die griechifche
')! Eccli. 50, 1-26.
*) Jos. Ant. 12, 4, 10.
3 ) Jos. Ant. 12, 2, 4.
4 ) Westcott, art. Wisdom in Smiths Bible Dictionary.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 535
Auffdirift ,,Die Weisheit Salomos" gegeben hat. Der wirk-
liche Verfaffer ift aber unbekannt. Wahrfcheinlich war er
ein alexandrinifcher Jude, welcher das Buch in der Sprache
des Griechen, aber im Geifte des Hebraers fdirieb, um feine
unter Gotjendienern 2 ) in augern Schwierigkeiten 2 ) lebende
Briider in der Liebe zur Weisheit und zum wahren Glauben
zu beftarken. Denn der Verfaffer bedient fieri zwar arinlicher
Ausdrucke wie die alexandrinifchen Philofophen, wendet fie
aber nicht im heidnifchen Sinne an.
Deutlicher als in andern Buchern des Alten Teftamentes
wird in diefem Buche die unerfchaffene, gottliche Weisheit
von der erfchaffenen menfchlichen Weisheit, die auch oft er-
wa'hnt wird, unterfchieden und nicht blog als ein wefentliches
Attribut Gottes, [ondern auch als die perfonliche, gottlidie
Weisheit, der Logos, 3 ) gefchildert, fo dag der heilige Johannes
in feinem Evangelium hieran ankniipfen konnte. Der Hoheit
der Gedanken entfpricht die Schonheit des Ausdruckes, wie
befonders die herrliche Befchreibung der Weisheit, Kapitel 7,
22-8, 1 zeigt.
Dag der Verfaffer vor Philo lebte, ift allgemein zuge-
geben, ebenfo, dag er nach Jefus Sirach fchrieb. 4 )
Bisweilen wird, wie der Urfprung einzelner Pfalmen, fo Andere kano-
audi der anderer kanonifcher Biicher, namentlich der Biicher ni ^ che Schrif -
Tobias 5 ) und Judith 6 ), in die Zeit der Makkabaer verfe^t. ie " ' dere " Ab "
' J fajfung bis-
weilen in
') Weish. Cap. 13-15. diefe Zeit
) Weish. Cap. 2-5, 10 ff. verfetjt wird.
s ) Weish. 18, 15 f.
4 ) Von den meiften wird die Abfaffung des Buches in die Zeit von
15050 v. Chr. verlegt. Vgl. z. B. Feldmann, Textkritifche Materialien
zum Buche der Weisheit. Freib. 1902, S. 2 und Heinifch, Die griech.
Philofophie im Buche der Weisheit (= Altte[tamentl. Abhandlungen 1, 4).
Miinfter i. W. 1908, S. 2. Vgl. auch Heinifch, Das Buch der Weisheit
iiberfetjt und erklart (= Exeg. Handbuch z. A. T., hrsg. von J. Nickel.
24. Bd.). Mun[ter i. W. 1912. K. Siegfried, Die Weisheit Salomos in
Kautjfch, Die Apokryphen u. Pseudepigraphen des A. T. Bd. 1, S. 479. -
Comely, Comm. in Librum Sapientiae, Paris 1910,- p. 6 sq. meint, das
Werk fei wahrfcheinlich gegen Ende des 3. Jh'dts. v. Chr. entftanden.
6 ) So z. B. glaubt Vetter, Das Buch Tobias und die Achikar-Sage,
Theol. Q. Tub 1904, S 321 ff. 512 ff. 1905, 321 ff. 497 ff., das Buch Tobias
fei etwa zwifchen 250 und 150 v. Chr. verfagt, jedenfalls nicht vor dem
3. und nicht nach dem 2. Jahrhundert. Es fei in hebraifcher Spracbe in
536 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. ZuftSnde des jtid. Volkes.
Allein die bisher dafur vorgebraehten Griinde find nicht ftark
genug, um die[en Annahmen die entfpreehende Sicherheit
der affyrifch-babylonifchen Diafpora gefchrieben und bearbeite ,,eine durch
die Volksiiberlieferung gebotene und auf wirklichen Tatfachen beruhende
Familiengefchichte im Intereffe eines didaktifchen Zweckes mil kunftlerifcher
Freiheit" (1904, S. 538 f.). Das Achfkarbuch wurde nach Vetter in hebrai-
fcher Sprache zwifdien 100 v. Chr. und 100 200 n. Chr. von einem jfl-
difchen Schriftfteller verfagt (1905, S. 543 f) und ftellt ,,eine formliche
Kopie des Buches Tobias, wenigftens nach der formalen Seite hin" dar
(eb. 1905, S 544). Dies diem docet, man weig jetjt in Bezug auf das
Alter des Achikarromans, dag derfelbe ficher fchon im 5. Jahrh. v. Chr.
in Elephantine gelefen worden ift, da Fragmente desselben dort entdeckt
wurden. (Vgl. Sachau, Aramaifche Papyrus und Ostraka. L. 1911, Taf.
40-50. Pap. 49 59). Inhaltlich zerfallt das Werk in Weisheitsfprtiche
und die Erzahlung. Nach dem arabifchen Text gibt Achikar, der weife
Kanzler des Konigs Sancharib von Affyrien, der keinen Sohn hat, feinem
Neffen Nadan allerhand gute Lehren. Schliefjlich gibt er ihm feinen
Befit} und verforgt ihm das Kanzleramt. Da aber Nadan anfangt, den
Befitj zu verfchwenden, nimmt Achikar ihm denfelben wieder ab und gibt
ihn einem andern Neffen. Aus Rache verdachtigt nun Nadan den Achikar
beim Konig, Jo dag Achikar zum Tode verurteilt wird. Der Henker t6tet
aber jemand anders an Stelle des Achikar, der nun felbft fich in einem
Keller verborgen halt Als aber der Konig in grofjer Bedrangnis um
den Tod des weifen Kanzlers trauert, gefteht der Henker die Wahrheit.
Achikar kommt wieder zu Ehren und hilft dem Konig durch feine Weisheit.
Nadan aber erleidet den Tod in demfelben Keller, worin Achikar gefeffen.
In ahnlicher Weife wird die Gefchichte, aber (tets mit vielen Lehrfpruchen
in andern, befonders oriental. Sprachen erzahlt; auch kurz in den Zufatjen
zu den drei griech. RecenfiOnen und der Itala des Buches Tobias
(cap. 1, 21-22; 2, 10; 11, 17-18; 14, 10), wahrend der Vulgatatext, den
Hieronymus aus dem chaldaifchen uberfetjte, nichts derartiges hat, wohl
aber in 11, 20 von den zwei consobrini des Tobias, Achior und Nadab
(im Griech. 'A/in/a^in}, redet und fagt, dafj fie dem Tobias Gluck wiinfchten.
Fur die Abfaffung des Buches Tobias folgt aus den Zufatjen, die nach
: 50 und zwifchen 250-150 v. Chr. entftanden fein mogen, nichts. Vgl.
Schulte A., Beitrage zur Erklarung und Textkritik des Buches Tobias
(= Bibl. Studien 19, 2) Freib. i. B. 1914, S. 144 f. Nach ihm (vgl. S. 31 ff.)
hat uns die Vulgata den urfprunglichen Text am treueften bewahrt An
dem hiftorifchen Charakter (f. S. 35) des Buches ift feftzuhalten. Aus
der reichen Literatur fei noch erwahnt Schurer III 4 , 247 258, Histoire
et sagesse d'Ahiqar 1'Assyrien. Par. 1909 und Ahiqar et les Papyrus
d'Elephantine in Rb 1912, 68-79; F. C. Conybear'e, J. Rendel Harris
and Agnes Smith Lewis, the Story of Ahikar from the aramaic, syriac,
arabic, armenian, ethiopic, old turkish, greek and Slavonic versions.
2 ed. enlarged and corrected, Cambr. 1913. Vgl. auch die in demfelben
Jahre 1913 in Charles, The Apocrypha II, 715-784 erfchienene englifche
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlidien Zeit. 537
zu verfchaffen. Fiir den Zweck diefes Buches hat ohnehin
die Frage, ob ein kanonifches altteftamentliehes Budi vor
oder wahrend der Makkabaerzeit entftanden fei, keine we-
fentliche Bedeutung, da dadurch an feiner gefchichtHchen Be-
deutung als einer Quelle fur die religiofen Anfchauu-ngen der
Juden nichts geandert wird.
2. Die Henodibticher und andere Schriften aus der lefcten
Zeit vor Chrifti Geburt. 1 )
In Palaftina find zur Zeit der Makkabaer und unter dem
Einflufle der damaligen religiofen Erhebung, aber audi der
erbitterten Kampfe zwifchen den Pharifaern und ihren Geg-
nern, die fur die geiftige und politifche Garung jener Tage
Uberfetjung (von Harris, Lewis und Conybeare): The Story of Ahikar.
Stummen, Der krit. Wert der altaramaifchen Achikartexte aus Elephantine
(Altteft. Abhdlgn. 5, 5), Munfter i. W. 1914.
6 ) Fur den Urfprung des Buches in der Makkabaerzeit tritt ein
Steinmetjer, Neue Unterfuchung uber die Gefchidilichkeit der Judith-
erzahlung, ein Beitrag zur Erklarung des Buches Judith, Leipz. 1907;
auch in dem katholifchen Bibelwerk Biblia sacra Veteris testamenti, dat
is de Heilige Boeken van het Oude Verbond. Deel III, 4. Het Boek
Judith, met Aanteekeningen voorzien door Dr. Andreas Jansen en
Dr. A. W. H. Sloet 1906 wird die Abfaffung des Buches, welchem ein
hiftorifcher Kern zugrunde liege, in die Zeit der Makkaba'er verlegt.
Vgl. Bibl. Zeitfchr. 1908, S. 18 4f. Auch Joh. Nikel, Das Alte Te[tament
im Lichte der altoriental. Forfchungen V (= Bibl. Zeitfragen VIII, 5, 6)
Munfter i. W. 1916, S. 36- 45 neigt zur Anficht, dag die Oberlieferung
uber das in Judith Erzahlte im 2. Jahrhundert v. Chr. ,,von einem Juden
in freier Weife zu erbaulichen Zwecken dichterifch verarbeitet worden" ift.
') Vgl. zur gefamten, im folgenden behandelten judifchen apokryphen
Literatur Kau^fch, Die Apokryphen und Pfeudepigraphen des Alten
Teftamentes, 2 Bde., Tflbingen 1900, worinvauch in wertvollen Einleitungen
die literarifchen Fragen hinfichtlich der einzelnen Schriften erOrtert werden.
Dasfelbe gilt von dem englifchen Parallelwerke : Charles R. H., The
Apocrypha arid Pseudepigrapha of the Old Testament in English. Vol. I
Apocrypha; vol. II Pseudepigrapha, Oxford 1913. Das Werk ift umfang-
reicher als Kautjfch, da auch z B. der Mifchnatraktat Pirke Aboth, die
Texte des Achikarromans und fogar die friiheftens um 200 n. Chr. (s. o.)
entftandenen Schechter'fchen Fragmente einer fadokitifchen Sekte hier
behandelt werden. Von Szekely Steph., Bibliotheca apocrypha. Intro-
ductio historico-critica in libros apocryphos utriusque testamenti cum
explanatione argumenti et doctrinae. 2 Bde., ift der 1. Band: Intro-
ductio generalis, Sibyllae et apocrypha Vet. Test, antiqua Freiburg 1913
538 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Zeugnis ablegenden Henochbiicher entftanden. Am Ende. der
Makkabaerzeit aber entftanden die fogenannten Pfalmen
Salomons, fchone Dichtungen voll edit glaubiger und natio-
naler Begeifterung, die aber auch einen Beweis fur die Feind-
[eligkeit der Pharifaer gegen die Makkabaer darbieten.
In Agypten trat um die Mitte des zweiten Jahrhunderts
vor Chriftus, in welcher Zeit das Judentum unter Zuhilfe-
nahme von Falfchungen heidnifcher Schriftfteller 1 ) eine grojge
Propaganda-Tatigkeit entwickelte, im Gewande der heidnvfchen
Sibylle ein Bufce predigender Jude auf, welcher die fiindige
Welt unter Hinweis auf den Meffias und die nieffianifche
Zeit zur Einkehr mahnt. 2 ) An ihn fchliefct fich gegen Ende
des erften vorchriftlichen Jahrhunderts ein anderer jiidifcher
Sibylli[t an.
a) Die Henochbucher.
Unter dem Namen des Patriarchen, der nach der Schrift
vor Gott wandelte und von der Erde entriickt wurde, wer-
D.as den in einem merkwiirdigen .Sammelwerke, welches das
athiopifche athiopi{che Buch Henoch 3 ) heigt, allerhand angebliche
Buch Henoch,
Jein An{ehen erfchienen. Der 2. Bd. foil die jungern altteftam. Apokryphen u. famtliche
Inhalt und Apokryphen des N. T. behandeln. Das Werk bietet eine gekurzte
Charakter. paraphraftijche Inhaltsangabe, zum Teil mit erklarenden Anmerkungen.
Es gibt die nadi Anficht des Verfaf[ers wichtigeren Stellen, aber nicht
den vollfiandigen Text der Apokryphen. Schiirer behandelt die palafti-
nenfifch-judifche Literatur III*, 188420, die helleniftifch-judifche III 4 ,
420633. Vgl. noch Bardenhewer, Qefchichte der altkirehlichen Literatur,
2 Bd., Freib. 1903, S. 644-657; Bouffet, Die Religion des Judentums
im neuteft. Zeitalter, B. 1903, S. 648; Baldenfperger, Die meffianifch-
apokalyptifchen Hoffnungen des Judentums (= Das Selbftbewujgtfein Jefu
im Lichte der mejfianifchen Hoffnungen [einer Zeit. Erfte Halfte). StraJ5b.
1903, S. 10-55. Von jiidifcher Seite M. Friedlander, Qefchichte der
jiidifchen Apologetik als Vorge(chichte des Chriftentums. Zurich 1903.
Von alteren Werken fei erwahnt Langen, Das Judentum in Palaftina zur
Zeit Chrifti. Freib. 1866. S. 34 ff.
! ) S. o. S. 513 f.
2 ) S. o. S. 514 f.
3 ) Athiopifch herausgegeben von Laurence (Libri Enoch versio
Aethiop! Oxon. 1838), Dillmann (Liber Enoch aethiopice. L. 1851), Flem-
ming (in Texte u Unterf. z. Gefch. d. altchriftl. Lit. N. F. VII, 1. L. 1902)
und Charles (The Ethiopic version of the book of Enoch in Anecdota
Oxon. Semitic Series P. XI. Oxford 1906); deutfch iiberfe^t von Dillmann
(Das Buch Henoch viberf. u. erklart L. 1853), Beer (in Kautsfch, Apocr. II,
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 539
Offenbarungen fiber die Geheimnifle des Himmels und der
Erde, des Paradiefes und der Holle, der Engel und der
Menfchengefchlechter mitgeteilt. Das urfprunglich hebraifch
oder aramaifch 1 ) gefdiriebene Buch ift in 108 Kapiteln in
einer athiopifchen (Jber[e^ung, welche im fiinften oder fechften
Jahrhundert n. Chr. aus einer griechifchen gemacht wurde,
und zum Teil auch in einer alteren, fchon den Kirchenvatern
bekannten griechifchen Uberfetjung erhalt^n. Es ift auch fo-
wohl von apokryphen Schriften des erften chriftlichen Jahr-
hunderts, 2 ) wie audi von alteren Kirchenvatern und Kirchen-
fchriftftellern wie eine Autoritat benutjt worden. 3 ) Sein An-
236310), Flemming und Radermacher, Das Buch Henoch L. 1901 (= Die
griechifchen chriftl. Schriftfteller der erften drei Jhrdte. Bd. 5). In letjterer, im
folgenden benutjten Oberfetjung find die erhaltenen Fragmente des griech.
(cap. 1, 1-32, 6. 89, 4249) und lateinifchen (cap. 106, 1 -18) Textes
in der Rec. von Radermacher den betreffenden deutfchen Abfchnitten
gegenubergeftellt. Eine franzofifche Oberfetjung beforgte F. Martin, Le
livre d'Henoch. Paris 1906; eine englifche R. H. Charles Jelbft in ,,The
book of Enoch translated from Prof. Dillmanns Ethiopic text . . . With
Greek and Latin fragments ... in full." Oxford 1893; die 2. Aufl. erfchien
Oxford 1912: The book of Enoch or I Enoch. Ihr liegt die athiopijche
Textausgabe von Charles 1906 zu Grunde. Wie die Textuberfetjung, fo
ift auch die Erkiarung im Vergleich zu der Ausgabe von 1893 vielfach ver-
beffert. Die poetifchen Abfchnitte, welche [ich ofter in den als urfprunglich he-
braifch gefchriebenen Teilen (15; 37104) h'nden als in den auf einem
aramaifchen Original beruhenden (c. 6 36), find, wie fchon in der athiop.
Ausgabe von 1906, in Versform gedruckt. Obrigens ift diefe Oberfetjung
auch in dem von Charles herausgegebenen Sammelwerke, The Apo-
crypha etc. 1913, II. 188281 enthalten. S. 163-187 geben die Einleitung.
Vgl. auch Szekely, Bibliotheca apocrypha, Freib. Breisg. 1913>
p. 169-227.
l ) Nach Charles, The Ethiopic version etc. Oxf. 1906. Introd.
p. XXVII ff. find die capp. 1-5 hebraifch, 6-36 aramaifch, 3770 he-
braifch, 72-82 fehr wahrfcheinlich ebenfalls hebraifch, 8390 hebraifch
(oder aramaifch), 91 104 hebraifch gefchrieben.
v ) Es ift befonders von dem Buch der Jubilaen benutjt. S. Charles,
a. a. O. p. 34 f
3 ) Vgl. z. B. Ep. Barnabae c. 4, 3. 16, 5. Iren. adv. haer. 4, 16, 2. Tertull.,
de cultu fern. 1, 3. 2, 10; de idololatr. c. 4 und c. 15. Aber fchon Ori-
genes C. Gels. 5, 54 (sv ral? txxP.^tJt'a/? or ndvv ipepfrcu w? dela. TO. emye-
yyapMevci roil 'Evwy pipiia.) hielt das Henochbuch fiir apokryph. In dem
kanon. Brief des Judas heigt es v. 14 irrtjo^revsev . . . 'EVM-/ Uyw xr/.
Somit wird kein Buch zitiert, fondern nur eine Weisfagung angefuhrt,
540 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. Jittl. Zuftande des jud. Volkes.
[ehen verdankte es ohne Zweifel der Tatfache, dafc es im
Gegenfatj zum Heidentum wie dem verderbten Judentum
ein Syftem der reinen biblifdien Weltanfchauung und Weisheit
aufzuftellen verfudite 1 ) und die meffianifchen Hoffnungen des
Judentums in Anlehnung an altteftamentliche Weisjagungen
zeichnete. 2 )
Das athiopifche Henochbudi befteht inhaltlich aus ffinf
klar unterfchiedenen Teilen. Der erfte Teil umfafet die Kapitel
1 bis 36 oder, wenn wir von der ,,Segensworte Henodis"
iiberfchriebenen Einleitung abfehen, die Kapitel 6 bis 36 und
enthalt eine legendenhafte Erzahlung des Falles der Engel
(c. 6 bis 16) und die Himmelsreifen Henodis (c. 17 bis 36),
welcher von einem Engel gefuhrt und belehrt, alle geheim-
nisvollen Orte und Gegenftande des Himmels und der Erde
fieht.
Der zweite Teil enthalt in Kapitel 37-71 die Bilder-
reden, deren erfte (38-44) iiber die Gerechten und Heiligen,
die zweite (45 57) vom B6[en und dem me|fianifchen Ge-
richt, die dritte (58-69) von der Seligkeit der Gerechten
und Auserwahlten handelt- Die zwei Kapitel 70 71 fiber die
Verjetjung Henoehs ins Paradies bezw. feine Himmelfahrt
bilden einen Anhang.
die auch aus der miindlichen Oberlieferung gefchopft fein kann. Aber im
wefentlichen ftimmt die Stelle mit Henoch 1, 9 uberein (vgl. die Zufammen-
[tellung des athiop., griech. u. lat Textes von Henoch 1, 9 mit Jud. 1415
bei Zahn, Einl. II, 105). Tatfachlich faffen auch z. B. Tertull. de cultu
femin. 1, 3 und Hier. de vir. ill. c. 4 (vom Judasbrief fagt er: quia de
libro Enoch, qui apocryphus est, in ea assumit testimonia, a plerisque
rejicitur) die Stelle als ein Zitat auf. Naturlich konnte auch ein apo-
kryphes Buch manches Wahre und auch ein uberliefertes Wort eines
Patriarchen enthalten. Wie wenig aber der Verfaffer des Judasbriefes
das Henochbuch, falls es ihm iiberhaupt bekannt war, als eine Autoritat
anfah, zeigt eine andere Parallele mit Henoch. Wie Henoch 10, 4 ff.
fpricht namlich auch Judas v. 6 (vgl. auch 2 Petr. 2, 4) fiber die Ver-
dammung der Engel. Wahrend aber das Henochbuch als Urfache ihrer
Verdammung angibt, dag fich die Engel fleijchlich mit den Menjchen-
kindern verfiindigten, gibt Judas als Urfache ihren Stolz an.
3 ) Vgl. Dillmann S. XIV.
4 ) Der Meffias heigt hier ,,der Gefalbte" (48, 10. 52, 4), ,,der Ge-
rechte" (47, 1. 53, 6, vgl. Ifai. 11, 3 ff. Apg. 3, 14 etc.) ,der Auserwahlte"
(40, 5. 49, 2. 4, vgl. Ifai. 42, 1), ,,der Menfchenfohn" (46, 24, vgl. Dan.
7, 13. Matth. 9, 6 etc.).
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit, 541
Der dritte Teil (c. 72-82) ift das aftronomifche Buch oder
,,das Buch iiber den Umlauf der Himmelslichter" (72, 1) mit
allerhand aftronomifchen und phy[ikalifchen Belehrungen. 1 )
Der vierte Teil (c. 83-90) ift das Buch der Traumge-
fichte. Das erfte (c. 83 84) handelt von der Sintflut oder
dem erften Weltgericht, das zweite (85 90) ift eine Gefchichts-
vifion und zwar iiber die Gefchichte Ifraels bis zum Anbruch
der meffianifchen Zeit.
Endlich gibt der ftinfte Teil oder das Buch der Lehr- und
Strafreden (Weisheitsrede 92, 1) c. 91-105 Ermahnungen
und Warnungen Henochs an feine Kinder.
Hierauf folgt noch c. 106108 ein Anhang mit zwei
Nachtragen, wovon der erfte (c. 106-107) fiber die Bedeu-
tung Noes handelt, der zweite (c. 108) ein Wort der Er-
mahnung und Lehre an die Gefetjestreuen und Frommen
der letjten Zeiten richtet.
Schon die bunte Mannigfaltigkeit des Stoffes zeigt, daft Beftimmung
wir es mit einem Sammelwerk zu tun haben. Darin find der Abfaffung
verfchiedene von verfchiedenen Verfaffern herriihrende Henoch- der einzelnen
T'rtCIrt /1/^Q
uberlieferungen zu einem Ganzen vereinigt worden. Henoch
Mit aller Klarheit heben fich von dem Refte, wie auch f aft buc h es u der
allgemein anerkannt ift, die Bilderreden c. 37-71 ab. Sie Redaktion
bilden, abgefehen von einigen eingefchobenen Stucken, ein des Ganzen.
einheitliches Ganzes und unterfcheiden jich von den iibrigen
Teilen durch den Gebrauch der Gottesnamen, die Engellehre,
Eschatologie und Meffiaslehre. 2 ) Den Zufammenhang unter-
brechen aber c. 65, 169, 25 und erweifen fich durch An-
fuhrung des Buches der Bilderreden Henochs in c. 68 Vers 1
als einen Einfchub. Sie fcheinen, wie fich aus ihrem Inhalte,
einem Gefichte Noes, fchliejgen lafet, einer Apokalypfe Noes
anzugehoren. 3 ) Es gibt auch noch andere Stucke, die den-
felben Charakter haben und teils von Noe handeln, teils von
') Hierhin waren auch beffer c. 17-18 fowie c. 41, 38, c. 43-44
und c. 59 gezogen.
2 ) Genaueres bei Charles, The book of Enoch, p. 2932. 106109.
Vgl. auch Schurer III 4 , 279-281.
3 ) Leon Gry, La composition litteraire des paraboles d'Henoch. Le
Museon 1908, p. 27-71 verfucht auger den noachifchen Stucken noch
andere Quellen diefes Abfchnittes nachzuweifen. Vgl. dariiber Lagrange,
Le messianisme chez les Juifs, Paris 1909, p. 87, 1.
542 Zweiter Abjchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud, Volkes.
ihm herruhren wollen. 1 ) Es lafct fich aber weder fagen, ob
fie alle aus einem Werke ftammen, nodi in weldier Zeit fie
entftanden find.
Kapitel 1-36 und 72-105 pflegt man im Unterfchied
von den Bilderreden die Grundfchrift zu nennen, mit welchem
Namen man aber nur fagen. will, daft die Kapitel im allge-
meinen geiftesverwandt find, ohne aber ihren kompilatorifchen
Charakter leugnen zu wollen. Die Art der Zufammenftellung
bietet jedoch viele Ratfel, deren Lofung bis jetjt nidht gelungen
ift. 2 ) Zur Beftimmung der Abfaffungszeit diefer Grundfchrift"
hat man nur an der Gefchichtsvifion (c. 85-90) und der
Schilderung der fittlichen Verhaltniffe in c. 92 105 einen
Anhalt. 3 ) Erftere redet von 70 Hirten oder Engeln, denen
Gott die Sorge fur Ifrael je eine Zeitlang anvertraute.
Diefe 70,, Zeiten" (cap. 89, 59 ff.), fur die ohne Zweifel die
70 Wochen Daniels vorbildlich waren, find in vier Perioden
entfprechend den vier Zeitraumen der Heidenherrfchaft ein-
geteilt. Die erfte geht vom Auftreten Affurs bis Cyrus, die
zweite bis Alexander d. Or, die dritte beginnt mit der griechifch-
agyptifchen, die vierte mit der griechifch-romifchen Herrfchaft
iiber die Juden. Die letjte geht bis zum ,,grofeen Horn"
(cap. 90, 9 ff.), worunter gewohnlich entweder Judas Makka-
b&us oder Johannes Hyrkanus (135-105 y. Chr.) verftanden
wird. Auf jeden Fall fuhrt uns diefe Vifion in die Makka-
baerzeit. Einen befferen Anhaltspunkt fiir die Beftimmung
der Zeit des Entftehens der Grundfchrift bietet uns das Buch
der Lehr- und Strafreden, cap. 91 105. Denn es handelt
fich in demfelben um einen hochft fchroffen Gegenfatj zwifchen
einer orthodoxen unterdriickten Partei einer- und jiidifchen
Freigeiftern und reichen Materialiften anderfeits, welche die Auf-
erftehung der Toten und Sunde und Gericht leugnen 4 ) und
an denen am Tage der Vergeltung die Gerechten blutige
') Noachifche Stiicke pnd nodi c. 6-11; 39, 1. 2a; 54, 755, 2;
60; 106 und 107.
'') Einen Verfuch dazu machte neueftens Appel, Die Kompofition des
athiopifchen Henochbudies (= Beitrage zur Forderung chriftl. Theologie.
Herausg. von Schlatter und Lutgert. 10. Jahrg. H. 3). Gutersloh 1906.
3 ) Vgl. befonders Baldenfperger S. 13-16. Vgl. auch Beer S. 230 f.
4 ) C. 94, 7. 97, 7 f. 98, 7. 100, 10. 102 f.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 543
Rache nehmen werden. 1 ) Alles pajjt auf erbitterte Kampfe
zwifchen den Pharifaern und den mit den Herrfchern ver-
biindeten Sadduzaern. Das Ganze wird aber, da die Kampfe
fchon eine Zeitlang gedauert haben (c. 94 ff.), am beften nicht
auf die Zeit des Johannes Hyrkanus, fondern auf die des
Alexander Jannaus (104 78 v. Chr.) bezogen. 2 )
Ungefahr aus derfelben Zeit ftammen allem Anfcheine
nach audi die Bilderreden (cap. 37 69). Da fie fich fowohl
in der Chriftologie wie in der Eschatologie vielfaeh mit dem
Neuen Teftamente berfihren, 3 ) hat man fie ofter entweder
fur diriftlichen Urfprungs oder fur von Chriften interpoliert
angefehen. 4 ) Allein zu erfterer Annahme liegt keine Veran-
laffung vor, da fie keine eigentlich chriftliche Lehre enthalten
und fich auch in ihnen keine Anfpielung auf die gefchichtliche
Perfon Jefu findet. Auch wird nur von der Erfcheinung des
Herrn in feiner Herrlichkeit, nicht in feiner Niedrigkeit ge-
fprochen. Einige Stellen fprechen aber fur eine gelegentliche
chriftliche Uberarbeitung. 5 ) Fur die Beftimmung der Zeit der
Abfaffung ift von befonderer Wichtigkeit, dag nach c. 56, 5 ff.
nicht etwa von den Romern, die iiberhaupt gar nicht erwahnt
find, fondern von den Parthern und Medern gefagt wird,
dag fie in der Endzeit heraufziehen und an der Stadt der
Gerechten ein Hindernis fiir ihre Roffe finden und fich gegen-
feitig vernichten werden. Denn von den Parthern, die tat-
1 ) C. 98, 12 heifjt es von den Ungerechten: Wiffet, dag ihr in die
Hande der Gerechten werdet gegeben werden, und fie werden euch den
Hals durchfdineiden und werden euch toten ohne Erbarmen.
2 ) Vgl. o. S. 98.
a ) Vgl. z. B. Hen. 37, 5 mit Apoc. 3, 10; 38, 2 mit Matth. 26, 24;
47, 4 mit Apoc. 6, 10; 61, 10 mit Rom. 8, 38 und Eph. 1, 21; 63, 10 mit
Luc. 16, 9; 69, 27 mit Joh. 5, 27.
4 ) Chriftliche Farbung nehmen an Hilgenfeld, Volkmar, Colani r
Cornill, K6nig. Vgl. Baldenfperger S. 16, 2. Dagegen Langen S. 4249
und Friedlieb, Das Leben Jefu, 1887, S. 135 f.
5 ) Als befonders ftarke Beriihrungen fuhrt Lagrange, Le Messia-
nisme chez les Juifs. Paris 1910, 90, 1 u. a. an: Matth. 19, 28: Wenn bei
der Wiedergeburt der Menfchenfohn auf dem Throne feiner Herrlichkeit
fitjen wird; Hen. 62, 5: wenn fie den Menfchenfohn auf dem Throne feiner
Herrlichkeit fit5en fehen werden. Matth. 26, 24: Es ware gut fur ihn,
wenn jener Menfch nicht geboren ware; Hen. 38, 2: Es ware ihnen
beffer, fie waren nie geboren worden. Marc. 12, 25: Sie werden fein
wie die Engel im Himmel; Hen. 51, 4: alle werden Engel im Himmel fein.
544 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
f achlich in den Jahren 40 - 38 v. Chr. in Palaftina eingef alien
find, drohte fchon gegen Ende der Hasmonaerherrfchaft den
Juden Gefahr. 1 ) Es geht auch nicht an, in der Erwahmmg
der Farther eine Beziehung auf einen bereits erfolgten An-
griff zu fehen 2 ) und die Bilderreden in die herodianifche Zeit
zu verfetjen. Denn unter den oft genannten und mit Ver-
derben bedrohten Konigen, Machtigen, Hohen, welche die
Erde befitjen, 3 ) find vom Standpunkte des Hebraers aus
die letjten hasmonaifchen Konige und ihre Parteiganger, die
Sadduzaer, verftanden. Mit ihnen ftand die pharifaifche Partei
im heftigften Streit.*) Es ift auch nicht ficher, dafe die Worte
Wiirmer werden ihnen zum Lager dienen" 5 ) auf das Ende
des Herodes anfpielen. 6 ) Denn auch von Antiochus Epiphanes
wird uns ein ahnlicher Tod berichtet. 7 )
Da nun fur die Abfaffung der Bilderreden die Zeit vor
dem Anfang der Romerherrfchaft fiber Palaftina, genauer die
Regierungszeit des Alexander Jannaus angenommen wer-
den mug und wenigftens ein Teil der ,,Grundfchrift" aus
derfelben Zeit ftammt, wird am beften auch die Zufammen-
faffung der verfchiedenen Beftandteile des Henochbudies in
diefe Zeit verlegt.
Daft das Buch in Palaftina entftanden ift, wird von
niemand bezweifelt. 8 ) Voll von kraufen Vorftellungen in
naturwiffenfchaftlicher Hinficht und reich an Phantafiebildern
J ) Vgl. Charles p. 30 und 108; Beer S. 231.
2 ) So Schurer III 4 , 279 f. und Baldenfperger S. 19.
3 ) Vgl. Hen. 38, 4. 5. 46, 4. 48, 8. 62, 1. 3. 6. 9. 63, 1. 12. Aller-
dings beweift c. 46, 8 nicht, dag pe aus der Gemeindeverfammlung aus-
geftogen werden und es fich fomit um einheimifche KOnige handelt. Denn
nach Flemming ift zu uberfetjen: ,,und verfolgen feine (des Herrn der
Oeifter) Verjammlungshaujer und die Qlaubigen." In 46, 7 wird ihnen
QOtjendienft vorgeworfen. Charles ad 1. nennt diefen Vorwurf ,,a strong
expression for the idolatrous tendencies of the Sadducean court."
*) Auf Alexander Jannaus, der zuer[t ,,das Blut der Gerechten"
vergog, und feinen bittern Kampf mit den Pharifaern bezieht fich z. B.
c. 47, 14.
& ) C. 46, 6.
6 ) Baldenfperger S. 19.
7 ) 2 Mace. 9, 5. 9.
8 ) Baldenfperger S. 23 f. und Beer S. 232 denken befonders an den
Norden Palaftinas.
XV. Kap. Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 545
iiber die altere Gefchichte Ifraels hat die Schrift fur die neu-
teftamentliche Zeitgefchichte einen hohen Wert. Sie ift ,,ein
Produkt aus der Ubergangszeit des Judentums zum Chriften-
tum und Rabbinismus. Daraus erklart fich ihr Doppelantlitj,
ihre Verwandtfchaft mit dem Evangelium und dem Talmud." 1 )
Von dem athiopifchen ift das flavifche Henochbuch zu Dasfiavifche
unterfcheiden, welches einen weitern Zweig der iippig wu- Henochbuch.
chernden Henochliteratur darftellt und auf einem griechifchen
Texte beruht, aber nur im Slavifchen erhalten ift. 2 )
In den erften 21 Kapiteln wird die Reife Henochs, eines
fehr weifen Mannes, durch die fieben 3 ) Himmel befchrieben.
Im erften Himmel fieht er die Engel, welche die Strome und
die Senate von Schnee und Tau regieren, im zweiten die
abgefallenen Engel, im dritten das Paradies und im Norden
die Holle, im vierten die Bahnen der Sonne und des Mondes
im fiinften die Wachter, welche fich gegen Gott erhoben und
deren Briider im zweiten Himmel geftraft werden, im fechften
die glanzenden Engel, welche die Naturkrafte und den Lauf
der Sterne ordnen und die Taten der Menfchen niederfchreiben,
im fiebenten fieht er Gott felbft auf feinem Throne und auf
jeder der zehn Stufen des Thrones je eine von zehn Scharen
von Engeln. Sachlich findet fich Ahnliches auch im athiopi-
fchen Henochbuche, wenngleich diefes die Unterfcheidung von
fieben Himmeln nicht macht. 4 )
1 ) Beer S. 233.
2 ) Das Werk ift zuerft flavifch von Popov im Jahre 1880 und nach
einer kiirzeren Rezenfion von Novakovic im Jahre 1884 herausgegeben
worden; dann deutfch von Bonwetfch, Das flavifche Henochbuch (Abh. d.
k. Gef. d. W. zu Gottingen. Phil. hist. Klaffe. N. F. Bd. I, n. 3) Berlin
1896, und Bonwetfch N., Die Bucher der Geheimniffe Henochs, Das fogen.
jlavifche Henochbuch hrsgbn. (= Texte und Unterfuchungen z. Gefch. d.
altchriftl. Lit. L. 1922); englifch von Charles, The book of the Secrets
of Enoch, translated from the Slavonic by Morfill and ed. with intro-
duction, notes and indices. Oxford 1896. Vgl. noch Charles, The book
of the Secrets of Enoch in Charles, The Apocrypha 11, 425 469 und
Schiirer III 4 , 290294. Auf einen griech. Text wcift c. 30, 1 hin, wonach
Adams Name zufammengefe^t ift aus <zuA>/, t) tut,-, J^.rui-, /tio/^p^ot,
alfo aus Often, Weften, Norden und Siiden. Auch wird die Chronologic
der LXX befolgt. S. Charles, The book p. XVI.
3 ) In c 21, 6 und 22, 6 ift von einem achten, neunten, zehnten
Himmel die Rede, aber die Verfe find interpoliert. Vgl. Charles p. 27.
') Vgl. die Stellen bei Charles p. 96.
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3. Aufl. 35
546 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl, Zuftande des jtid. Volkes.
In den folgenden Kapiteln 22 - 38 fchreibt der von Michael
auf Befehl Gottes mit himmlifcher Herrlichkeit gefchmuckte
Henoch 30 Tage und 30 Nachte lang die ihm von einem
Erzengel gegebenen Belehrungen iiber die Geheimniffe des
Himmels und der Erde und die von Ewigkeit her erfchaffe-
nen Seelen der Menfchen und ihren zukiinftigen Wohnort
in 366 Buchern auf. Gott felbft erzahlt dem Henoch die
Erfchaffung der Welt in fechs Tagen und die Gefchichte der
Menfchheit bis Henoch und fagt ihm die Sintflut und die
Errettung Noes voraus und befiehlt dann dem Henoch,
30 Tage lang auf Erden feine Kinder und Kindeskinder zu
belehren.
Henoch unterrichtet wirklich feine Sohne (c. 39- 66)
iiber alles, was er gefehen, und ermahnt [ie, keinen zu
fchmahen, ein reines Herz zu bewahren, weder beim Himmel
noch bei der Erde, noch bei etwas Erfchaffenem zu fchworen
und mild, verzeihend, barmherzig zu fein. Wiederholt 1 ) finden
fich Seligpreifungen und Wehrufe, hauptfachlich nach Jefus
Sirach, der auch fonft oft benutjt ift. Der Verfaffer lehrt auch
die zukiinftige Dauer der Tierwelt. 2 ) Jeder wird am Ende
zum Gericht kommen. Dann wird die Zeit aufhoren und die
Gerechten werden ewig fein. Weder Arbeit noch Krankheit
noch Schmerz wird fein, fondern ein grofces Licht. Am
Schlujs wird in c. 67 68 noch die Aufnahme Henochs in
den hochften Himmel berichtet.
Fur den jiidifchen Urfprung des Werkes fpricht das darin
ausgejprochene Lob der Tieropfer, 3 ) womit allerdings ein
reines Herz verbunden fein foil 4 ), und die Empfehlung des
Befuches des Tempels, 5 ) wahrend aber eine nicht geringe
Obereinftimmung der Gedanken und der Form mit dem Neuen
Teftamente 6 ) es wahrfcheinlich macht, dag das Werk chriftlich
iiberarbeitet ift.
Das Werk ift nach dem hier vorausgefetjten athiopifchen
!) C. 42, 6-14 und 52, 1-15.
4 ) C. 58, 6. Nadi Job 3, 28 und Jos. Ant. 1, 1, 4 hatten bis zum.
Falle Adams alle lebenden Wefen diefelbe Sprache geredet.
3 ) C. 59, 1-2. 45, 12.
*) C. 45, 3-4. 61, 4. 62, 1. 66, 2.
5 ) C. 51, 4.
6 ) Vgl. Charles p. XXI ff.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 547
Henodibuch, aber als noch der judifche Tempel beftand, fo-
mit zwifchen 80 v. Chr. und 70 n. Chr. gefchrieben worden.
Am eheften liijgt fich aber feine Entftehung in der vorchrift-
lidien Zeit, in welcher uberhaupt die Henodi-Literatur fo
iippig wucherte, begreifen. 1 )
b) Die Pfalmen Salomos. 2 )
Einen politifchen Hintergrund, ahnlich wie das athiopifche Die Pjaimen
Henochbuch, haben auch die achtzehn Pfalmen, weldie wenig- Salomos.
ftens fdion im fiinften diriftlichen Jahrhundert Pfalmen Salo-
mos genannt wurden, 3 ) obwohl das Werk gar keinen An-
fpruch darauf macht, von Salomo herzuriihren. 4 ) Diefe Pfalmen-
Sammlung i[t eine wahre Perle unter den altteftamentlichen
Apokryphen, da fie die . Schonheit der an die kanonifchen
Pfalmen erinnernden Form mit der lebendigen Schilderung
der Zeitverhaltniffe um die Mitte des erften chriftlichen Jahr-
hunderts und der begeifterten Hofmung auf den Meffias und
den Glauben an die Auferftehung verbindet.
Fur die Beftimmung der Abfaffungszeit des Werkes find
die darin fich findenden Anfpielungen auf den Bruderftreit
1 ) Das Buch in feiner jetjigen Form war, wie Charles, The Apo-
crypha II, 426429 zeigt, urfpriinglich in Agypten, wahrfcheinlich in
Alexandrien gefchrieben ,- wahrfcheinlich griechifch, obwohl einige Teile
urfpriinglich hebraifch abgefagt fein mogen.
2 ) Vgl. Die Pfalmen Salomos, herausg. von O. v. Qebhardt, Leipzig
1895 (= Texte und Unterfuchungen XIII, 2); die deutfche Uberfetjung
von Kittel in Kautjfch, Die Apokryphen etc. II, 130-148. Griechifch und
deutfch mit Einl. und phil.-krit Kommentar ift das Werk wieder heraus-
gegeben worden von Jakob Ecker in Porta Sion, Lexikon zum latein.
Pfalter, Trier 1903. Sp. 1870-1931. Eine englifche Oberfe^ung mit
Einleitung gibt Gray, G. Buchanan, in Charles, The Apocrypha II, 625 652.
Eine bisher unbekannte fyrifche ttberfetjung veroffentlichte J. Rendel
Harris, The Odes and Psalms of Solomon, Cambr. 1909, vgl. S. 549, 4.
Vgl. auch J. Viteau, Les Psaumes de Solomon, texte grec et traduction.
Avec les principales variantes de la version syriaque par Fr. Martin.
Paris 1911. Die fyrijche Oberfet5ung beruht auf dem griechifchen Text.
Vgl. Rendel Harris 1. c. 2. Aufl. p. 2 u. 37 ff. Weitere Literatur z. B.
in Szekely, Bibliotheca apocrypha I, 422 - 438.
) In dem dem Codex Alexandrinus vorgefetjten Inhaltsverzeichnis
heigen fie v a ^ -SoAo^oivroe. Vgl. v. Gebhardt S. 71.
4 ) Der Name riihrt ficher von einem fpateren Abfchreiber her.
v. Gebhardt S. 48.
35*
548 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
zwifchen Ariftobul und Hyrkanus, infolgedeffen diefer mit
dem Idumaer Antipater dem Pompejus die Tore der Stadt
offnete 1 ), und auf den Eroberer Pompejus, welcher zum Altare
vordrang, an heiliger Statte nicht die Schuhe ablegie, 2 ) die
Gefangenen ins Abendland fortfuhren lieg, 3 ) aber felbft am
Gebirge Agyptens, wo fein Leidinam unbeerdigt liegen blieb,
ermordet wurde, von hochftem Wert. Denn fie zeigen, wie
man faft ganz allgemein hieraus gefchloffen hat, daft die
Ereigniffe der Jahre 63 48 v. Chr. bis zum Tode des Pom-
pejus, welcher am 28. September 48 nach der Schlacht von
Pharfalus am Berge Cafius in Nieder-Agypten erfolgte, 4 ) be-
riickfichtigt find und deshalb auch die Abfafjung der Pfalmen
um jene Zeit anzufetjen ift. Sie find urfpriinglich, wie aus
dem ftark hebraifierenden Charakter des erhaltenen grie-
chifdien Textes gefchloffen werden darf, hebraifch abgefafct,
dem Anfcheine nach in Palaftina. 5 )
Der Verfaffer fteht auf dem Standpunkte des glaubigen
theokratifchen Judentums, genauer des den Hasmonaern,
welche ein fremdes Gefchlecht genannt werden, welches fich
mit Gewalt der Herrfchaft iiber Ifrael bemachtigt habe, 6 )
feindlichen Pharifaismus. Denn er betrachtet das iiber die
Stadt und das Volk gekommene Ungliick als ein gerechtes
Strafgericht Gottes 7 ) und hofft, da nach der Vertreibung
der Heiden 8 ) (Romer) und der Sunder oder Obertreter 9 ) (die
Hasmonaer und ihr fadduza'ifcher Anhang) der Meffias, der
Sohn Davids und Konig Ifraels ein Reich von Gerechten
und Heiligen in Jerufalem griinden wird. 10 ) Die Gerechten
find aber folche, welche die (pharifaifchen) Satjungen halten. 11 )
') Vgl Pfalm 8 mit Ant. 14, 4, 1. 2. 4.
2 ) Pfalm 2, 1 f. Vgl. Tac. Hist. 5, 9.
3 ) Pfalm 17, 12.
*) Pfalm 2, 26 ff. Vgl. Dio Cass. 42, 3-5.
6 ) v. Gebhardt S. 70 ff
') Pfalm 17, 6-9.
') Z. B. 2, 3 f. 8, 7 f. 8, 25. 9, 1 f.
8 ) Vgl. 17, 22. 24 f. 45.
') Vgl. 17. 5 ff. 4, 1 ff.
10 ) 17, 21 ff. 18, 5 ff. Vgl. auch Pf. 11.
J1 ) 14, 2 toly Tcopsvopivoiq 6i> dtxaioGvvTj nQo6TnynciT<ov UVTOV (xvyiov).
6
XV. Kap. Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 549
Sie werden auferftehen zum ewigen Leben/) des Senders
Untergang aber i[t ewig. 8 )
So ift das Werk eine bedeutfame Kundgebung des jii-
difchen Pharijaismus in feinen Schwachen, aber auch in
feinem Glauben und Hoffen kurz vor der Zeit Jefu. Hier
wird der Meffias ,,der Chriftus" 3 ) genannt. Zu einer An-
nahme chriftlidier Interpolationen in dem Werke liegt kein
Grund vor. 4 )
c) Die fibyllinifchen Orakel.
Es ift bereits davon geredet worden, dag die judifche Die heidnifche
Propaganda fidi in das ehrwiirdige Gewand der Sibylle 5 ) Sibyiie.
') 3, 12. 14, 3 f. 14, 10. 15, 13.
*) 3, 11. 13, 9. 14, 6 ff. 15, 8 if.
3 ) Pf. 18, 5.
*) Das Hymnenbuch, die Oden Salomos, ift kein judifches, fondern
ein chriftliches Werk. Friiher kannte man nur 5 in der koptifdien
ophitifchen Pistis Sophia, welche in der zweiten Halfte des 3. Jahrhun-
derts in Agypten entftand, erhaltene Oden. Augerdem fand fich ein Zitat
aus der 19. Ode Salomos in Lactantius (Div. Inst. 4, 12, 3). Das ganze
aus 42 Oden beftehende Werk wurde zuerft im Jahre 1909 in einem
fyrifchen Texte von Rendel Harris herausgegeben (J. Rendel Harris, The
Odes and Psalms of Solomon, now first published from the Syriac version.
Cambridge 1909; 2. ed. 1911; 3. ed. re-edited by Rendel Harris and
Alphonse Mingana. vol. I: The text. Vol. II: The translation. Manchefter
1916. 1920. In diefer Auflage ift auch die gefamte fehr reiche Literatur
beriickfichtigt in vol." I p. 454 ff. In Deutfchland wurde das Werk zuerft
eingefuhrt durch A. Harnack, Ein jiidifch-chriftliches Pfalmbuch aus dem
1. Jahrhundert, aus dem Syrijchen iiberfetjt von Joh. Flemming, bearbeitet
und hrsgbn. von A Harnack, L. 1910. Dag es fich aber nicht urn ein
judifches, fondern ein chriftliches Werk handelt, wurde auger von Harris 1. c.
von Zahn, N. kirchl. Zeitfchrift 1910 Bd. 21, S. 667 ff. 747 ff., Qunkel ZNW.
1910, Bd. 11, S. 291 ff., J. Labourt et P. Batiffol, Les Odes de Salomon,
Paris 1911, (von einigen Details abgefehen, auch in Rb. 1910, 483-300;
1911, 1 59. 161-197. Die Einleitung und der hiftor. Kommentar
riihren von Batiffol her) feftgeftellt.Auch v. Harnack erklart in der Be-
fprechung der von ihm als ,,abfchliegende" bezeichneten 3. Auflage
(Theol. Ltzg. 1921 Nr. 1/2 S. 7), dag er nunmehr Harris beiftimme, ,,dag
die Oden eine Einheit find und chriftlichen Urfprungs; auch Antiochien
als Ort der Entftehung hat fehr viel Wahrfcheinlichkeit." Darin hat aber
v. Harnack Recht, dag fur die Entftehung der Oden nicht blog, wie 1. c.
Harris will, an das erfte Jahrhundert, fondern auch an die erften Jahr-
zehnte des 2. Jahrhunderts zu denken ift.
5 ) Si&vUa vielleicht von ^"to? = Aioq> do? und /3ovUa = /SovA.^' d. h.
Gottesratfchlug. So Varro nach Lactantius Div, Instit. 1, 6.
550 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. jittl. Zuftande des jvid. Volkes.
zu hiillen verftand, um fo defto erfolgreicher zu den Heiden
reden zu konnen. Die heidnifche Mythologie denkt fidi die
Sibylle als eine an Gewaffern und in Hohlen fich aufhal-
tende halbgottifche Nymphe, welche den Ratfchlufc der Gotter
iiber das Schickfal der Reiche und Lander kannte und den-
felben in verfchiedener Form, befonders aber als Orakel
oder als Weisfagung, verkiindet. Die altere Zeit redet nur
von einer Sibylle, fpater kannte man aber mehrere und
unterfchied fie teils durch wirkliche Namen, teils nach dem
Orte, wo fie weisfagten. Die beriihmteften waren die eryth-
raifche und die kumaifche. Varro, ein Zeitgenoffe Ciceros,
zahlt aber nicht weniger als zehn auf. 1 )
Es gab auch fchriftliche Aufzeichnungen fibyllinifcher
Orakel. Bekanntlich befafcen ja die Romer folche, welche
unter der Aufficht eines eigenen Kollegiums ftanden und be-
fonders bei offentlichen Ungliicken auf Befehl des Senates
befragt wurden. 2 ) Die Antwort lautete dann gewohnlich
dahin, daft beftimmte Suhnungen vorgenommen werden
mujgten. Die Auguren werden haufig genug neue Spriiche
zu den alten hinzugefiigt haben. Nach der romifchen Ober-
lieferung follte aber der Konig Tarquinius diefe Orakel von
der aus Kyme in Kleinafien nach Kuma in Campanien ein-
gewanderten Sibylle gekauft haben. Als die im Jupiter-
tempel auf dem Kapitol verwahrte Sammlung mit dem Tempel
im Jahre 83 v. Chr. verbrannte, wurde fie durch andere in
Kleinafien, befonders in Erythra gefammelte Sibyllen- Orakel
erneuert. 3 )
Bei der naturlichen Vorliebe fo vieler Menfchen fur das
Verborgene und Geheimnisvolle und ihrem Verlangen, in
1 ) Varro 1. c. Erythra lag an der jonifchen Kiifte der Infel Chios
gegenuber, Kyme = Cumae in Unteritalien. Ober das im Jahre 1891
auf dem Boden des alten Erythrae entdeckte Sibyllen-Denkmal hat nach
Burfch u. Reinach von Neuem P. Corssen, Die erythraifche Sibylle, in den
Mitteilungen d. k d. archaol. Inftituts, Athen. Abt. Bd. XXXVIII, Athen
1913, S. 1-22 gehandelt.
2 ) Vgl. H. Diels, Sibyllinifche Blatter. B. 1890 und Blass in der
Einl. zu ,,Die fibyllinifchen Orakel" in Kautjfch, Die Apokryphen etc. II
177-217.
3 ) Dionys. Halicarn. Antiq. Roman. 4, 62, 6. Tacit. Ann. 6, 12.
Lactant. 1, 6, 14. Vgl. auch Wiffowa, Religion und Kultus der Romer,
Miinchen 1902, S. 462469.
XV. Kap, Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 55 1
die Zukunft fchauen zu wollen, haben nun im Heidentum
iiberhaupt derartige Sibyllenfpriiche vielen Anklang gefunden,
zumal die ftoifche Philofophie dafur wie fur alle Arten der
Mantik eintrat. 1 )
Fiir das religiofe Empfinden der helleniftifchen Juden, Das den
weldie an den groften Gedanken heiliger Propheten genahrt Juden s Y m -
waren und deren Droh- und Wehrufe fiber Babylon und
Agypten kannten, mugte die heidnifch-fibyllinifche Literatur
manches Sympathifche haben. Was z. B. die babylonifche Literatur.
Sibylle fiber den babylonifchen Turmbau berichtete, entfprach
im wefentlichen der eigenen Cberlieferung. Anderes erfchien
als ein Ausdruck der nach Gott diirftenden Seele und als
eine den Heiden aus der Oberlieferung gebliebene oder
ihnen fonftwie vermittelte Wahrheit. Solche Spruche mono-
theiftifch umzuformen und zu erweitern, braucht nicht not-
wendig ein frommer, auf Profelytenfang beredineter Betrug
gewefen zu [ein, fondern konnte zunachft blofc fur die eigenen
religiojen Bediirfniffe gefchehen. Jedenfalls find manche heid-
nifche Sibyllenfpriiche in der Sammlung von mei[tjudifchen und
chriftlidien Verfen erhalten geblieben, weldie den Titel fiihrt
,,die fibyllinifchen Orakel." 2 )
') Cicero, De Divin. 1, 18. 5557. Plut. De placitis philosophorum
5, 1. Dollinger, Heidentum und Judentum, S. 325.
2 ) Vollftandige Ausgaben find Alexandre, Oracula Sibyllina. 2 voll.
Paris 18411856 und ^n neuem Paris 1869 (in diefer letjteren Ausgabe
fehlen die Exkurje der erften); Friedlieb, Die fibyllinifchen Weisfagungen
mit metrifcher deutfcher Oberfetjung, L. 1852; A. Rzach, Oracula Sibyllina,
Wien 1891; Qeffcken, Die Oracula Sibyllina, L. 1902. (Nach diefer Aus-
gabe zitieren wir.) Vgl. auch Geffcken, Kompofition und Entftehungszeit
der Oracula Sibyllina (= Texte und Unterfuchungen VIII, 1), L. 1902.
Blag, Die Sibyllinifchen Orakel in Kau^fch, Die Apokryphen II, 177-217
gibt auger einer Einleitung nur eine Uberfetjung des Prooemium und
des Buches III V. Grade fo macht es die englifche Ausgabe von
H. C. O. Lanchester in Charles, The Apocrypha II, 368-406. Szekely,
Bibl. apocrypha, vol. I (Frib. Brisg. 1913) p. 129168 Vgl. uber die
Handfchriften und die Oberlieferung der Orac. Sib. Geffcken's Ausgabe
S. XXI LIU. Uber die aus dem XIV. Jahrht. ftammende .Terufalemer
Handfchrift, welche urfpriinglich dem zwifchen Jerusalem und dem toten
Meere gelegenen Klofter Mar Saba angehOrte, vgl. Rzach, Die Jeru-
falemer Handfchrift der Or. Sibyll. Hermes, 44 Bd., Berlin 1909, S.
560-573.
552 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
In den neueren Ausgaben fiillen diefe Orakel, wenn
man die fehlenden Bucher 9 und 10 mitrechnet, 14 Bucher.
Sie find teils in den letjten Jahrhunderten v. Chr., meift
aber in chriftlicher Zeit entltanden und fchliefcen fidi in der
aufcern Form des griechifchen Hexameters im fogenannten
homerifchen Dialekt an die heidnifch-fibyllinifche Literatur der
griediifch-romifchen Welt an. Damit wollen fie wohl fowohl
ihr hohes Alter wie ihren religiofen Charakter dartun.
Das in diefen Biichern enthaltene Material ift in einer
wuften Unordnung, da Altes und Junges, Jiidifches und
Chriftliches oft ganz willkurlich aneinandergereiht ift. Die
zwei erften Bucher, welche alles von der Erfchaffung und
der Sintflut an bis zu den letjten Dingen verkiinden wollen,
enthalten allerdings neben chriftlichen Stiicken auch judifche,
find aber wahrfcheinlich erft im dritten chriftlichen Jahrhun-
dert entftanden und werden auch von den Kirchenfchriftftellern
Der judifche der drei erften Jahrhunderte nicht benutjt. 1 ) Diefe Vater haben
Charakter aber um fo mehr aus dem dritten Buche in gutem Glauben
des dritten an j e j ne apologetifche Beweiskraft und feinen infpirierten
Charakter gefchopft. 2 )
Das dritte Buch enthalt wirklich die alteften jiidifchen
Stiicke und bietet in Vers 96154 fogar ein Stuck der alteren
babylonifchen Sibylle dar. 3 ) Auf Grund mancher Unterfuchungen
Orakel
') Jiidifch ift darin 1, 1-323 und 2, 133. Der Reft ift chriftlich
(Friedlieb S. XIV XXII). Vgl. auch Geffcken, Kompofition etc. S. 47-53,
der die chriftlichen Interpolationen in 1, 1323 und die judifchen in
2, 154-330 nachzuweifen fucht. Das altefte Zitat, namlich das von
1, 287 f., fteht bei Euseb. Oratio Constantini ad sanctorum coetum c. 18
(Migne P. Q. XX, 1285). Ober das 2, 56-148 aus Pfeudo-Phokylides
eingefchobene Stuck f. o. S. 518. Die Lehre von der hi. Jungfrau
als Furbitterin ift 2, 312 ff. (vgl. 8, 357 f.) beftimmter formuliert als
bei Irenaeus adv. haer. 5, 19 (vgl. Friedlieb p. XXI).
*) Auger Juftin, Athenagoras, Theophilus und Tertullian haben
befonders Clemens von Alexandrien und Lactanz die Sibyllinen benutjt
Vgl. Alexandre II, 254-311. S. auch Friedlieb S. 10 f.
') Vgl Geffcken (Nadir. dKGsdW. zu Gottingen, 1900, S. 88 ff.)
Kompofition etc. S. 1 f. Das Stuck handelt uber den babylonifchen
Turmbau und die Sage von Kronos, Titan und Japetos. Im zweiten
Jahrhundert v. Chr. hatte bereits der Euhemerismus (fo genannt von
dem Sizilier Euhemerus, um 300 v. Chr.) * mythifche Gotter in Konige
verwandelt. Somit konnte ein Jude ein derartiges Gedicht, wenn er
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 553
ift man fich heute daruber einig, dafc abgefehen von einzelnen
urfprunglich heidnifchen Stucken der ganze Abfchnitt 3, 97
bis 807 im wefentlichen von einem Verfaffer herriihrt. 1 ) Der-
felbe war ein in Agypten, vermutlich in Alexandrien lebender
Jude, a ) der um das Jahr 140 v. Chr. unter dem Konige Abfaffungs-
Ptblemaus VII. Physcon (145-117 v. Chr.) fchrieb. In diefem zeit des
langen Abfchnitt fteht auch eine Schilderung der wahren dntten
Gottesverehrer in der meffianifchen Zeit und am Ende eine c ih ^i;^ ,
uni
Weisfagung vom Meffias und der meffianifchen Zeit, die mit 140 v . Chr.
einer Schilderung der Zeichen des Weltendes fchliefct. 3 ) in Agypten.
ftatt ,,G6tter".,,Gott" fagte, aufnehmen. Dag urfpriinglich ,,Gotter" im
Texte ftand, ergibt fich aus Alex. Polyhiftor (bei Jos. Ant. 1, 4, 3. Vgl.
Geffcken, Die Orac. Sib S. 52 f.), der unter Berufung auf die Orakel der
Sibylle diefelbe Gefchichte erzahlt. Obrigens fagt die Sibylle auch 3, 809 ff.,
fie komme von den hohen Mauern des affyrifchen Babylon und fei weder
Erythraerin noch Tochter der Kirke (d. h. Kymaerin). Vgl. Blag 1. c.
S. 179 f. und Bouffet, Die Beziehungen der alteften judifchen Sibylle
zur chaldaifchen Sibylle (Z. f. neut. Wiff. 1902, 111, 23-49) S. 2629.
Friedlieb p. XXV11 f. hat in III, 110-153 eine judifche Bearbeitung
eines heidnifchen Mythus gefehen. Geffcken S. 313 und Bouffet 1. c.
S. 30 ff. wollen auch noch Stiicke einer perfifchen und erythraifchen Sibylle
im dritten Buche nachweifen. Es handelt fich aber nur um Vermutungen.
1 ) Der Abfchnitt zeigt keine Spuren chriftlicher Oberarbeitung, da
in III, 776 ,,Sohn Gottes" ftatt ,,Tempel Gottes", wie Blag S. 183 fagt,
,,wohl nur gewohnliche Verderbnis ift".
2 ) Es wird nicht nur auf den Zug des Antiochus Epiphanes nach
Agypten Bezug genommen (III, 314 ff. und 611 ff.), fondern auch an
drei Stellen (III, 191 ff., 316 ff., 608 ff.) gefagt, der Meffias werde unter
dem fiebenten Konige Agyptens aus hellenifchem Gefchlecht fiber die
Heidenvolker Gericht halten. Demnach fchrieb der Verfaffer vor dem
achten hellenifchen Konige Agyptens unter Ptolemaus VII. Physcon
145-117 v. Chr.
3 ) Da in Vers 295 und 489 die Sibylle fagt: ,,als ich eben aufgehort
hatte, da trieb mien von neuem der Gott an", zerfallt der Abfchnitt
97-807 in drei Abfchnitte 97-294, 295-488 und 489-807. Der erfte
Abfchnitt enthalt Weisfagungen fiber den Turmbau, die Sintflut und
Schilderungen des judifchen, mazedonifchen und romifchen Reiches, der
zweite Weisfagungen meift von Strafe und Ungluck uber verfchiedene
Reiche, VOlker und Stadte, der dritte zunachft ahnliche Weisfagungen
(489572), dann die Schilderung der Gottesverehrer in der meffianifchen
Zeit (573600), dann Ankundigung von Strafe uber die fiindige Welt,
befonders Hellas (601-651), endlich die Weisfagung vom Meffias und
der meffianifchen Zeit (652 - 807).
554 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Ebenfalls jiidifchen Urfprungs find die Verfe HI, 4662,
welche vom meffianifchen Reich und der Zeit feines Erfcheinens
handeln, fie nehmen fchon auf das Triumvirat des Antonius,
Oktavian und Lepidus Bezug 1 ) und find, wie allgemein an-
erkannt wird, in den Jahren 4030 v. Chr. entftanden.
Aber die Verfe III, 63 96, in denen vom Ende der
Welt gehandelt und gefagt wird, dag der Antichrift aus
Samaria kommt 2 ) und der Meffias wieder erfcheinen wird, 3 )
find, wenn nicht ganz chriftlich, mil Chriftlichem gemifcht. 4 )
Die urfprungliche Einleitung des Buches, die jetjigen
Verfe 1 45, ift nur eine fpatere Bearbeitung derfelben, und ift
uns von Theophilus, einem chriftlichen Schriftfteller des zweiten
Jahrhunderts, erhalten. Es find 84 herrliche Verfe, welche
den einen Gott preifen. 5 ) Urfprunglich fchlofc das Buch mit
den Verfen 808 81 7, 6 ) welche vermutlich von dem Verfaffer
der Hauptmaffe der Verfe herruhren. Die Verfe 818-829
find dem Anfcheine nach fpaterer Zufatj. 7 )
Entftehung Das vierte Buch der Sibyllinen, welches einen einheit-
des vierten lichen Charakter zeigt und nur 192 Verfe ohne etwas fpe-
Buches der z { e |i Chriftliches enthalt, ftammt ganz von einem jiidifchen Ver-
"
Unheil gegen Volker Afiens und Europas voraus und mahnt,
chr t beziehun g swei f e Redaktor ab. Die Sibylle fagt allerhand
') in, 52.
2 ) Vgl. Ill, 63 i <?e Se/Snffrrivdiv feet BsUap fttroTtrf&Ev. Nach Qeffcken
S. 15 kann kaum em anderer als Simon Magus gemeint fein.
3 ) III, 94 navfr' rnnxtirOovTrti, xt>fi/u.ov 7rdt.iv siSaviovTi.
.*) Die Verfe III, 6580 von dem Weibe, in deffen Hand fich die
Welt befindet, fcheinen fich auf Kleopatra zu beziehen.
5 ) Theoph. ad Autol. 2, 36. In der Ausgabe von Geffcken ftehen
diefe 84 Verfe am Schlug als Fragment 1-3. Nach Theophilus, der
das erfte und zweite Buch der Sibyllinen nicht kannte, ftanden fie am
Anfang der Weisfagung der Sibylle. Dag fie den Anfang des dritten
Buches bildeten, .bezeugt Lact. 4, 6, 5. Vgl. Schiirer III 4 , 577, 164;
ebenfo Bleek und Friedlieb S. XXIV. Geffcken S. 15 f. und 69 ff. halt
aber III, 145 fur edit und die als Fragmente des Theophilus zitierten
84 Verfe fur eine chriftliche Falfchung.
6 ) Die Verfe 808-817 find fchon von Lactanz Div. Inst. 1, 6, 13
und 4, 15, 29 bezeugt.
') In den Verfen 111, 823 - 827 nennt fich die Sibylle Noes Nymphe
und von feinem Blute, wahrend fie fich HI, 809 als die babylonifche
bezeichnet. Vgl. Friedlieb S. XXXVIII und Geffcken S. 16 f.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 555
Gott zu verfohnen, da er jon[t die Welt durdi Feuer ver-
nichten werde. Am Schlufc wird auf die Auferweckung der
Toten und das Weltgericht -hingewiefen. Zwei Verfe aus .
den Orakeln iiber die heidnifche Vorzeit werden fchon von
Strabo zitiert. 1 ) Aber die Abfaffung des Werkes beziehungs-
weife feine Redaktion ift um das Jahr 80 n. Chr. anzufetjen,
da der Ausbruch des Vefuvs vorausgefetjt wird, 2 ) der nach
Anficht des Verfaffers die Strafe fur die Zerftorung Jerufa-
lems durch die Romer ift. 3 )
Das fiinfte Buch hat einen mannigfaltigen Inhalt, da von Abfaffung des
romifchen 4 ) und agyptifchen Dingen, 5 ) von Juden, 6 ) Chal- fflnften
daern und andern, 7 ) aber auch von dem Kampf der Geftirne, Bucnes der
wodurch die Welt in Brand gerat, 8 ) geredet wird. In alien ^
Teilen des Buches finden fich judifche Anfchauungen. 9 ) Wah- Juden
rend aber die ubrigen ficher jiidifchen Teile des Werkes der Ende des
Klage um die Zerftorung Jerufalems, dem Durft nach Rache, zweiten chrift-
der Sehnjucht und Hoffnung auf die Wiedererbauung der H * en Jahr "
Stadt einen leidenfchaftlichen Ausdruck geben, wird hier in hunderts -
Vers 6-51 Hadrian gelobt und Vefpafian blofc der gewal
tige Vertilger frommer Manner genannt. Da in diefem Ab-
fchnitt 1-51 auch von den drei Nachfolgern Hadrians ge-
fprochen wird, fchrieb der Verfaffer des Abfchnittes unter Mark
Aurel um das Jahr 170 n. Chr. 10 ) Weil die ubrigen [icher
jiidifchen Teile in Vers 52 531 in den Anfchauungen und im
Sprachgebrauch ubereinftimmen, darf man wohl fur [ie alle
einen jiidifchen Verfafjer annehmen. 11 ) Derfelbe hat den
J ) IV, 97 f. Vgl. Strabo 1, 3, 8 und 12, 2, 4. Juftinus Apol. 1, 20
bezieht fich auf Sib. IV, 172177.
2 ) IV, 130-136
3 ) Vgl. Friedlieb S. XXXIX XLII; Schiirer III*, 579 ff. Geffcken,
Die Kompofition S. 18-21.
') V, 1-51.
8 ) V, 52-199 und 484-511.
6 ) V, 200-433.
7 ) V, 434-483.
8 ) V, 512-531.
'-) V, 155-178, 200 - 205, 247-255, 260285, 328 332, 397-413,
414433, 492-511.
1 ) Vgl. Geffcken, Die Kompofition etc. S. 22 f. und S. 30.
u ) Vgl. Geffcken 1. c. S. 27. Derfelbe hat im Jahre 1899 die Verfe
512 531 fur ,,eine gnoftijche Vifion" erklart (Sitjungsber. d. preug.
556 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. Jittl. Verhaltniffe des jiid. Volkes.
Untergang des Tempels gefehen, 1 ) lebte in Agypten" 2 ) und
fchrieb gegen Ende des erften chriftlichen Jahrhunderts unter
Domitian Oder Nerva. 3 )
Die folgenden Bucher kommen fur die neuteftamentliche
Zeitgefchichte kaum in Betracht. Denn die Bucher fechs bis
adht, welche im zweiten Jahrhundert n. Chr. entftanden, find,
abgefehen von dem einen oder andern heidnifchen Stiicke,
chriftlichen Urfprungs. 4 ) Audi die Bucher zwolf und dreizehn
riihren von einem chriftlichen Verfaffer her. 5 ) Ob auch das
Akad. S 698 ff.), diefe Anficht aber 1. c. 27, 4 zuriickgenommen. Es
gibt aber doch in dem Abfchnitt, abgefehen von der gelegentlichen
Benutjung alterer hellenifcher Ora'kel, einige wenige chriftliche Inter-
polationen. Chriftlich ift namentlich V, 256 259 von der Kreuzigung
,,am fruchtbringenden Holze", ebenialls V, 6271, da in V, 68 der Aus-
druck &eox<jl6Tov<; gebraucht wird. Vgl. Geffcken, Die Kompofition etc.
S. 29 f., der auch noch V, 228-246 als chriftlich anfieht.
J ) V, 398 tlfiuv. Er kennt auch den Tod des Titus, vgl. V, 411.
2 ) Mit Agypten befchaftigt er fich am Anfange und Ende feiner
Dichtung. S V, 52 ff. und 484 ff.
3 ) Das ergibt fich aus den gelegentlichen Beziehungen auf das
Verhaltnis der Farther zu Rom V, 247 ff. 439 f. Vgl. iiberhaupt Geffcken
S. 22-30. Das funfte Buch ift von V, 107 an in all f einen Teilen bezeugt
durch Zitate bei Clem. Alexandr. und Lactanz. S. Friedlieb S. XLVII.
*) Vgl. Friedlieb S. XL1X - LX und Geffcken, Die Kompofition
S. 30 - 46. Das fechfte Buch zahlt nur 28 Verfe und enthalt einen Hym-
nus auf Chriftus nebft einer kurzen Weisfagung gegen Judaa und einen
Lobpreis des Kreuzesholzes; das fiebente ungeordnete und zum Teil
nur fragmentarifch erhaltene Orakel fiber Infeln und Lander, die Sintflut,
den Meffias und den Weltbrand. Der Verfaffer des fiebenten Buches
war ein im zweiten Jahrhundert lebender Judenchrift. Das achte Buch
enthalt VIII, 217-250 das beruhmte, fchon dem Eufebius bekannte Akro-
ftichon auf 'Ir}tof? X^<i5ro'? ^eojj vioi; GwriiQ <Jri'(-</'? (vgl. die Ausgabe
von Geffcken S. 153 ff.) und im wefentlichen Weisfagungen fiber Rom
bis auf Hadrian und feine drei Nachfolger. VIII, 65 ff. 133 ff. ift ficher
wahrend der Regierung des Kaifers Mark Aurel, der im Jahre 180 n. Chr.
ftarb, gefchrieben, vermutlich auch das fibrige. Es zeigt aber diefes Buch
einen zufammengefe^ten Charakter. Geftritten wird fiber VIII, 1216,
welche Verfe bisweilen einem jfidijchen Verfaffer zugefchrieben werden.
Vgl. aber u. a. Geffcken, Die Kompofition S. 39 ff., der auf3er dem ficher
heidnifchen Stuck VIII, 160-168 (f. auch Friedlieb S. LV) auch VIII,
131-138 und 151-159 zu den heidnifchen Stficken zahlt, den Reft aber
zwei chriftlichen Sibylliften zufchreibt.
6 ) Vgl. Friedlieb S. LXIII-LXVII/ Geffcken, Die Kompofition etc.
S. 56-63 fchreibt Buch 12 einem ,,nicht mehr orthodoxen" Juden zu,
XV. Kap. Die jiidifche Literatur cler neuteftamentlichen Zeit. 557
elfte Buch neun und zehn fehlen , lagt [ich bei dem
farblofen Inhalte, vorzuglich beriickfichtigt es agyptifche Ge-
fchidite bis Kleopatra, fchwer beftimmen. 1 ) Das vierzehnte
Buch ift zwar allem Anfcheine nach von einem iibrigens
recht unwifienden und phantaftifchen Juden gefchrieben, 2 )
aber entftand im dritten chriftlichen Jahrhundert. Es beriick-
fichtigt hauptfachlich die Gefchichte romifcher Herrfcher bis
ins dritte Jahrhundert und die Verhaltniffe Agyptens.
3. Die judifchen Schriften aus der nachherodianifchen
Zeit bis zur Zerftorung des Tempels.
In diefer Periode entftanden auf palaftinenfifchem Boden
einige fehr wichtige Targume, das des Onkelos zum Penta-
teuch und das nur wenig jungere des Jonathan zu den
alteren und jiingeren Propheten, d. h. zu den an den Penta-
teuch fich anfchliefcenden hiftorifchen Biichern fowie zu Ijaias,
Jeremias, Ezechiel und den zwolf kleinen Propheten; eben-
falls die haggadifche Bearbeitung der Genefis, welche unter
dem Titel ,,Buch der Jubilaen" bekannt ift.
Auch diirfte in diefe Zeit der legendarifche Bericht iiber
das verloren gegangene legendarifche jiidifche Werk iiber
Jannes und Jambres gehoren.
Der palaftinenfifcb-apokalyptifchen Literatur gehort ,,die
Himmelfahrt Mo[is" an, das Werk eines frommen, allem
der in der Zeit nach Alexander Severus dichtete, die Schrift fei aber
von einem Chriften uberarbeitet. Das zwolfte Buch befchaftigt {ich mit
der romifchen Herrfchergefchichte von Augustus bis Septimius Severus
(geft. 211 n. Chr.); im dreizehnten Buch wird vielfach auf die romifche
Qefchichte bis Gallienus (geft. 268 n. Chr) Bezug genommen.
^ In XI, 161 (ed. Geffcken) wird der erft im Jahre 226 n. Chr.
erfolgte Sturz des Partherreiches als vergangen vorausgefetjt. Qeffcken
S. 64 66 (vgl. auch Friedlieb LX LXIII) halt einen in Agypten leben-
den Juden fur den Verfaffer, da in XI, 307 310 der Zufammenfturz des
agyptifchen Reiches als Strafe fur das Leid, welches Agypten einft dem
,,frommen" Volke angetan hat, betrachtet wird. So konnte aber auch ein
Chrift reden.
2 ) Am Schlug (XIV, 349 f. ed. Qeffcken) heif3t Jerufalem die Stadt,
die viel gelitten hat und wieder aufgebaut werden foil, und werden die
Juden ,,das heilige Volk" genannt. Vgl. Geffcken, Die Kompofition,
S. 66-68. Vgl. auch Friedlieb S. LXVIII-LXX1.
558 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Parteiwefen abholden Juden, der fehnfuchtig nacii dem An-
bruch des Reiches Gottes ausfchaut.
In Alexandrien fchrieb damals als Zeitgenoffe Jefu der
Philofoph Philo, der die Liebe zum jiidifchen Gefetj mit der
Liebe zur griechifchen Philofophie verband, deffen praktifcher
Einflufc auf feine Zeitgenoffen nicht iiberfchatjt werden darf.
Aueh das dritte Buch der Makkabaer gehort diefer Zeit an.
a) Das Targum des Onkelos zum Pentateuch und das des Jonathan
zu den Propheten.
Der Ausdruck Seit dem funften Jahrhundert v. Chr. wurde namentlidi
,,Targum". infolge der Riickkehr zahlreicher Juden aus dem babylonifchen
Exil das Aramaifche immer mehr in Palaftina die Landes-
fpraehe. Damit wurde es aber auch immer mehr notig, dem
Volke, .welchem die heilige hebraifche Sprache fremd ge-
worden war, das an den Sabbaten aus dem Urtext der
Heiligen Schrift Vorgelefene 1 ) aramaifch zu verdolmetfchen.
Dies gefchah anfangs mundlich. Spater wurden aber auch
aramaifche Verdolmetfchungen, die bisweilen mehr oder we-
niger wortliche, bisweilen aber auch paraphrafierende Ober-
[etjungen gewefen find, fchriftlich aufgefchrieben. 2 ) Man nannte
eine folche Oberfe^ung des biblifchen Textes Targum, 3 ) ein
Ausdruck, der' jede Bibeliiberfe^ung bezeichnete, im Laufe
der Zeit aber auf die aramaifchen befchrankt wurde. 4 )
Onkelos und Unter den erhaltenen Targumim gehoren ihrem Alter
[ein Targum. nach zwei hierhin, das Targum des Onkelos zum Pentateuch
und das des Jonathan, des Sohnes Uziels, zu den friiheren und
fpateren Propheten, namlich zu den Biichern Jofue, Richter,
den vier Biichern der Konige, Ifaias, Jeremias, Ezechiel und
den zwolf kleinen Propheten. 5 )
a ) S. o. S. 367 f.
') Zur Zeit Jefu war der Pfalter dem Volke aramaifch bekannt.
S. Matth. 27, 46. Marc. 15, 34. Die Mifchna (vgl. Jadajim 4, 5 und dazu
Bacher, Die altefte Terminologie, S. 205, 1) kennt aramaifche Bibeliiber-
fetjungen. Ein gefchriebenes Targum zum Buche Job aus dem erften
chri[tlichen Jahrhundert erwahnt bab. Schabbath 115 a. Vgl. Zunz, Die
gottesd. Vortrage S. 65. Berliner, Targum Onkelos 2. Teil, Berlin 1884,
S. 8991.
3 ) n-np: von C/5"!? iiberfe^en, dann auch ,,dem Sinne nach" erklaren.
*) Vgl. Megilla 2, 1. S. Bacher, Die alte[te Terminologie S. 205.
5 ) Die beiden Targume [ind feit 1482 und 1494 oft gedrudct, na-
mentlich auch in den grogen Bibelpolyglotten z. B. der Londoner von
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 559
Onkelos war nadi dem babylonifchen Talmud ein Pro-
felyt 1 ) und nadi der alteres rabbinifches Material enthaltenden
Tojephta 2 ) ein Sdiuler des Rabban Gamaliel des alteren.
Ift diefe (iberlieferung richtig, dann lebte Onkelos in der
erften Halfte des erften chriftlichen Jahrhunderts.
Ein Targum des Onkelos wird im babylonifchen Talmud
erwahnt, 3 ) wahrend der jerufalemifche Talmud an der ent-
fprechenden Stelle ein Targum des Profelyten Akylas nennt. 4 )
Walton vom J. 1657, vol. I III. Separatausgaben find: Targum Onkelos,
herausg. und erlautert von A. Berliner, 2 Teile, Berlin 1884 (nadi dem
Text der Ausgabe von Sabionetta vom Jahre 1557, fiber deffen Mangel
Kautjfch, Mitteilung uber eine alte Handfchrift des Targum Onkelos,
Hallefches Ofterprogramm 1893, S. XX f. zu vergleichen ift). De Lagarde,
Prophetae chaldaice. Lips. 1872. (Weitere Literatur f. z. B. in Dalman,
Grammatik etc. 2. Aufl. S. 11-15.) Seit 1906 erfcheint eine deutfche
Uberfetjung des Targum Onkelos in ,,Monumenta Judaica". Pars prima.
Bibliotheca Targumica. Aramaica. Die Targumijm zum Pentateuch.
Herausg. v. A. Wunfche, W. Neumann, M. Altfchtiler I. Bd., 1. Heft.
Wien 1906. (Nach Bacher, Theol. Ltrztg. 1906, Sp. 373-376 voller Un-
richtigkeiten.) Eine kritifche Ausgabe des Targums des Onkelos ware
noch immer fehr erwiinfcht. Paul Kahle, Maforeten des Oftens. Die al-
teften punktierten Handfchriften des Alten Teftaments und der Targume
herausgegeben und unterfucht (= Beitrage zur Wiffenfchaft vom Alten
Te[tament herausg. von Rud. Kittel) L. 1913 verbreitet fich u. a. auch
iiber die fiir eine folche Ausgabe notwendigen Vorarbeiten. Vgl. Rb.
1914, 451.
J ) B. Megilla 3 a.
*) Tos. Sabb. c. 8 u. 6. Vgl. Weber, Jiidifche Theologie, L. 1897.
S. XVI.
3 ) B. Megilla 3 a heigt es (vgl. auch Wunfche, Der babylon. Talmud
in feinen haggadifchen Beftandteilen wortgetreu uberjetjt. Bd. I, L. 1886^
S. 487) : ,,R. Jeremja oder wie manche fagen R. Chija bar Abba hat ge-
fagt: Das Targum zur Thora hat Onkelos, der Profelyt, verfagt und er
hat es aus dem Munde des R. Eliezer und R. Jofua empfangen."
R. Eliezer und R. Jofua waren nach Aboth 2, 8 10 Schiiler des Rabban
Jochanan ben Sakkai und lebten gegen Ende des erften Jahrhunderts
n. Chr. R. Chija lebte in der zweilen Halfte des dritten Jahrhunderts
4 ) Jer. Meg. 1, 9 heifjt es (vgl. Schwab, Le Talmud de Jerusalem
traduit VI, Paris 1883, p. 213): Ein Hiittenbewohner (^^2, nach Levy,
W6rterb. 1, 203 = Burgbewohner, Hiitteneinlieger; Schwab iiberfetjt
,,un habitant de huttes") hat fiir fie (die Ifraeliten) die aramaifche Ober-
fe^ung (n^iiN) nach der griechifchen gemacht. R. Jinnija (vgl. die vorige
Anmerk.) erwahnte im Namen R. Chija, des Sohnes Abbas: Akylas, der
Profelyt, uberfetjte das Qefe^ (mmn 1.1" D^py c:,Tn nach Berliner I. c.
S. 91 pflegt aber das Wort Targum in jener Zeit die aramaifche Uber-
560 Zweiter Abfehnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Allein auch letjterer fpricht nicht etwa von der griechifchen
Oberfetjung des Aquila, wie man in neuerer Zeit bisweilen
fagt, 1 ) fondern zunachft von einer nach dem Griechifchen ge-
machten aramaifchen Uberfetjung der Gefetjesrolle, jodann
von der aramaifchen Uberfetjung der Thora durch den Pro-
felyten Akylas. Akylas ift aber nur eine andere Ausfprache
des Namens Onkelos. 2 ) Es ift auch unwahrfcheinlich, daft
der babylonifche Talmud, welcher das Targum des Onkelos
,,unfer Targum" nennt und es mit den Worten ,,wie wir
iiberfetjen" anfiihrt, {omit dasfelbe als eine Autoritat an-
fieht, 3 ) die alte und richtige Kunde von einer Uberfei3ung
des Alten Teftamentes durch den Profelyten Aquila auf das
Pentateuch-Targum des Onkelos iibertragen haben foil. Das
ware noch weniger denkbar, wenn diefes ,,Targum des On-
kelos" erft, wie bisweilen behauptet wird, 4 )im dritten chriftlichen
Jahrhundert in Babylonien entftanden ware. Denn dann
hatten die babylonifchen Talmudiften um fo eher etwas von
feiner Abfaffung oder Redaktion wiffen miiffen. Wie wollte
man aber dann fein grojjes Anfehen erklaren!
Dafc das dem Onkelos zugefchriebene Targum aus
einer fehr fruhen Zeit ftammt, ergibt fich auch aus dem Cha-
rakter der (Jberfetjung felbft. Sie ift einfach, faft wortgetreu. 5 )
Nur zuweilen ift etwas zur Erlauterung umfchrieben oder
durch kleine Zufa^e'deutlicher gemacht. Namentlich find aber
fetjung- zu bezeichnen) vor R. Eliezer und R. Jofue und fie lobten ihn etc.
Weshalb jemand, der langere Zeit im Jahre eine Art Eremitenleben
fuhrte und durch feinen Verkehr mit Reifenden auf die Kenntnis mehrerer
Sprachen angewiefen war, das nicht hatte tun konnen, ift nicht einzufehen.
(Berliner S 95 will hiei durch eine Textveranderung den Sinn heraus-
bekommen: ,,Ein Bauer foil ihnen [den Romern] die romifche Sprache
aus der griechifchen ausgefondert haben!")
') Z. B. Berliner S. 98 und Schurer I, 150. Auch Lagrange Rb. 1911
p. 137 meint, dag die talmud. Nachrichten ,,ont probablement voulu parler
d' une version a la maniere d' Aquila".
*) Onkelos ift die dunklere Ausfprache von Ankylas und Ankylos,
nur mundartlich von Akylos verfchieden.
3 ) S. die Beweife bei Zunz S. 67 und 69 und Berliner S. 112114.
4 ) Walker, art. Targum in Hastings D. IV, 679: ,,The work, or
parts of it, may have been first comjpiled during the 2nd or 3rd cent.
A. D. in Judaea".
5 ) Zunz S. 66.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 561
alle Ausdriicke, die zu unwurdigen Auffaffungen von Gott an
fich oder feiner Offenbarungweifefuhren konnten, umfchrieben.
Was aber die Spradiform des Targums angeht, fo lagt
fich daraus wenigftens nidits entnehmen, was gegen feinen
palaftinenfifchen Urfprung im erften chriftlichen Jahrhundert
fpridit. Einzelne Gelehrte find allerdings der Anficht, dag
das Targum zwar fprachlich den altpalaftinenfifchen Charakter
bewahre, aber audi den Einflufc der babylonifchen Mundart
zeige. 1 ) Soweit dies richtig ift, erklart es fich durch eine
etwa im dritten Jahrhundert vorgenommene Revifion des
Targums. Es mag aber auch feinen Grund darin haben,
dag es weder in der palaftinenfifchen noch in der baby-
lonifchen Vulgarfprache, fondern in einer reinen, der Ent-
wicklung nach den chaldaifchen Stucken von Daniel und
Esdras naheffehenden gebildeten Kunftfpradie 2 ) gefchrieben ift.
Von Jonathan ben Uziel 3 ) berichtet der babylonifche
Talmud, er fei der eifrigfte Schuler Hillels gewefen 4 ) und Das Targum
habe nach R. Jeremja oder, wie manche fagen, R. Chija bar des Jonathan
Abba das von ihm verfafrte Targum zu den Propheten aus
dem Munde des AggSus, des Zacharias und des Malachias
empfangen. 9 ) Das foil fo viel heifeen, als dag feine Aus-
legung die uberkommene Deutung wiedergebe. 6 ) Er war
aber kaum ein direkter Schuler Hillels, fondern gehorte
wohl nur der im erften chriftlichen Jahrhundert bis zum
Untergang des Tempels bliihenden Schule der Anhanger
Hillels 7 ) im weiteren Sinne des Wortes an. Denn er ift dem
Anfcheine nach bereits mit dem Targum des Onkelos be-
kannt 8 ) und hat dann wohl erft in der zweiten Halfte des
erften chriftlichen Jahrhunderts gelebt.
1 ) Dagegen f. Dalman, Die Worte Jefu I, S. 67. Grammatik S. 13.
2 ) Vgl. Weber, 1 c. S. XVII.
3 ) Ober die Ausgaben vgl. S. 558, 5.
4 ) Baba bathra 134 a und Succa 28 a.
5 ) B. Megilla 3 a.
8 ) Vgl. Kaulen, Einleitung in die Heilige Schrift, n. 133.
') S. o. S. 379 ff.
8 ) Vgl. die Stellen bei Berliner, Targum Onkelos p. 124, oder
Walker, 1. c. p. 681 und bei Zunz, Qottesdienstliche VortrSge, Frank-
furt a. M. 1892, S. 67. Zunz meint, S. 66 f., die Targume fowohl des
Onkelos wie des Jonathan feien in der erften Halfte des erften Jahr-
ihunderts angefertigt.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3 Aufl. 35 .
562 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Fur das Alter des Targums, welches nicht ganz frei ift
von fpateren Zufa^en, die aber. als .f oldie leicht zu erkennen
find, fpricht auch die Tatfache, dafc es wie Onkelos den alt-
teftamentlichen Text einfach im Geifte des Glaubens wieder-
gibt. Es paraphrafiert aber den Text mehr wie Onkelos,
befonders in den eigentlich prophetifchen Buchern, wo es
gait, dem Volke verftandlich zu fein, wahrend es fur die
Biicher Jofue, Richter, Samuel und Konige im allgemeinen
mehr eigentliche Uberfetjung ift. 1 )
Audi diefes Targum hat fich in der fpateren judifchen
Literatur eines hohen Anfehens erfreut. Im babylonifchen
Talmud werden manche Stellen daraus unter dem Namen
des R. Jofeph bar Chija angefuhrt, weldier Schulhaupt zu
Pumbaditha war und im Jahre 333 n. Chr. ftarb. Daraus
darf aber keineswegs gefchloffen werden, diefer habe das
Targum Jonathan ben Uziel verfafct oder redigiert. 2 ) Denn
es wird ja auch ausdriicklich gefagt, R. Chija bar Abba habe
gelehrt, Jonathan fei der Verfaffer des Targums zu den
Propheten. 3 )
Andere fpa- Es gibt noch eine ganze Anzahl anderer Targume, die
tereiargume. aber alle fpateren Urfprungs find. Alteres Material befindet
fich befonders in einem aus nachtalmudifcher Zeit ftammen-
den Sammelwerk alterer und jiingerer haggadifcher Ober-
lieferungen, welches' ebenfalls ein Targum zum Pentateuch
ift und feit dem 14. Jahrhundert irrtiimlich dem Jonathan
ben Uziel zugefchrieben wird. Es wird gewohnlich das Tar-
gum des Pfeudo-Jonathan oder das Targum Jeruschalmi L
genannt. Verwandt mit diefem ift ein nur einzelne Verfe
oder Worte enthaltendes Fragmenten-Targum zum Penta-
teuch, welches den Namen das Jerufalemfche Targum oder
auch das Targum Jeruschalmi II ftihrt. Diefes ift in feiner
jetjigen Form als eine Sammlung von Zuf atjbemerkungen
zum Targum des Onkelos zu bezeichnen. Vielleicht find diefe
a ) Vgl. Kaulen 1. c.'ri. 133 und Weber S. XX.
2 ) Nach dem Vorgange von Qeiger lafct Frankel, Zu dem Targum
der Propheten, Breslau 1872, S. 10, das Targum des Jonathan erft im.
vierten Jahrhundert n. Chr. in Babylonien verfafct oder vielmehr redi-
giert [ein. Ebenfo Sdiiirer I, 149. Vgl auch Dalman, Qrammatik S. 15..
3 ) S. S. 561.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 563
Bemerkungen einem alten vollftandigen Jerufalem-Targum
entnommen, aus weldiem aueh Pfeudo-Jonathan fdiopfte. 1 )
b) Das Buch der Jubilaen, das Martyrium des Propheten Ifaias
und andere Legendenbucher.
Das Budi der Jubilaen, 2 ) weldies bei einigen Vatern Bedeutung
auch die kleine Genefis genannt wird, 3 ) ift der altefte und Ch , a -
rfiWlcr QG^
Vertreter der im fpateren Judentum fo zahlreichen Midra- Jubilaen .
fchen Oder Kommentare zu biblifchen Buchern. Urfpriinglich buc hes.
hebraifch gefchrieben, 4 ) ift es nur vollftandig in einer athio-
pifchen und etwa zu einem Drittel in einer lateinifchen Uber-
fetjung erhalten, die beide auf eine griechifche Uberfetjung
1 ) Vgl. uber diefe Targume u. a. Zunz, S. 66 86. Kaulen n. 134.
Weber S. XX -XXIV, Dalman, Grammatik, 2. Aufl., S. 27-33. Strack,
Einl. in das Alte Teftament. 5. Aufl., Munchen 1898, S. 185-189. Schurer .1*
151-156. Walker 1. c. p. 680 683. Gedruckt find Jeruschalmi I und II
u. a. in der Londoner Polyglotte. Zuletjt hat Ginsburger beide heraus-
gegeben und zwar ,,Pfeudo-Jonathan (Targum Jonathan ben Uziel zum
Pentateuch)", 1903, ,,Das Fragmententargum (Targum Jeruschalmi zum
Pentateuch)" 1899.
2 ) Der athiopifche Text ift zuerft von Dillmann (Kufale sive Liber
Jubilaeorum. Aethiopice, Kiel 1859), dann von Charles (The Ethiopia,
version of the Hebrew book of Jubilees. Oxford 1895 = Anecdota
Oxoniensia. Semit. Series. Part VIII) veroffentlicht worden. Letjtere
Ausgabe enthalt auch die zuerft von Ceriani, Monumenta sacra et pro-
fana, Mediol. 1861, torn. 1, fasc. 1 und dann von Ronfch, Das Buch der
Jubilaen, L. 1874, herausgegebenen lateinifchen Fragmente. Vgl. auch die
deutjche Uberfetjung ,,Das Buch der Jubilaen" von Littmann in Kautjfch,
Apokryphen etc., II, 31 119 und die englifche von Charles, The book
of Jubilees or the little Genesis, L. 1902 u. wieder in feinem Sammel-
werke: The Apocrypha and Pseudepigrapha of the Old Testament in
English, II 1-82. Vgl. auch Fr, Martin, Le Hvre des Jubiles. But et
procedes de 1'auteur. - Ses doctrines. Rb 1911. p. 321344. 502533-
Riessler, Zur Geographic der Jubilaen und der Genesis. Tub. Th. Q.
1914, 341 367. (Mit Genesis habe Jubilaen eine gemeinfame Quelle.)
3 ) Didymus Alex, zu 1 Joh. 3, 12 in Gallandi, Bibl. patr. VI, 300 J
Epiphanius, haer. 39, 6 (? ientrj rW?), Hier. Ep. 78 ad Fabiolam, mansio
18 und 24. In dem Decretum Gelasiani wird unter den nicht kanonifchen
Schriften erwahnt: Liber de filiabus Adae, hoc est Leptogenesis , apo-
cryphus.
*) Hieron., 1. c. mansio 18, beruft fich ausdrucklich auf den hebrai-
fchen Text.
36*
564 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
zuriickzufuhren find. 1 ) Man kennt auch Bruchftucke einer
fyrifchen, direkt auf den hebraifchen Text zuriickgehenden
Uberfetjung. 2 )
Das Werk enthalt eine paraphrafierende Bearbeitung
des kanonifchen Buches Gene[is mit allerhand legendenhaften
Zutaten, Auslaffungen und fonftigen Anderungen des Textes
vom Standpunkte eines die ftrenge Beobachtung des Gefetjes
erftrebenden Juden. Urn die Autoritat der befonders fur die
Juden wichtigen Gefetje uber die Befchneidung und den
Sabbat zu fteigern, lafct der Verf after beide fchon yon den
Engeln im Himmel beobachten. 3 ) Andere mofaifche Gefetje
werden wenigftens bis auf die Patriarchen, andere, wie z. B.
das Gefetj der Reinigung und des taglichen Rauchopfers, fo-
gar bis auf Adam zuruckgefuhrt. 4 ) Der ganze Bericht zeigt
grojje Sorge fiir die Feftftellung der Chronologic. Der ganze
Stoff wird auf Jubelperioden von je fieben Jahrwochen zu
je fieben Jahren, alfo von je 49 Jahren verteilt. Von jedem
Ereignis wird der Monat, das Jahr, die Jahreswoche und
die Jubelperiode angegeben. Aus diefem Grunde fuhrt es
audi den Titel ,,Jahrwochenbuch", ,,Buch der Jubilaen".
Die Griechen haben das Werk, obwohl es umfangreicher
als das kanonifche Buch Genefis ift, ,,kleine Genefis" genannt,
: ) So alle, zuletjt Charles, The book etc. p. XXVI ff.
2 ) Veroffentlicht von E. Tifferand, Fragments Syriaques du livre
des Jubiles. Rb 1921, 5586 und 206232. Die 17 Fragmente find einem
im 12. Jahrhund. lebenden Chroniften (herausgegeben von Ign. Ephrem II
RahmHni, Patriarch von Konftantinopel, Chronicon civile et ecclesiasticum
anonymi auctoris), Charfe (Liban) 1904), entnommen, welcher, wie Tiffe-
rand zeigt (p. 229232), eine fyrifche auf den hebraifdien Text zuruck-
gehende Uberfetjung benu^te. Bin Bruchftiick in [yrifdier Sprache unter
dem Titel n Namen der Weiber der Patriarchen nach dem hebraifchen Buch,
welches die Jubilaen heigt", war fchon durch Ceriani, Monumenta sacra
et profana, II, 1, pp. 9 10 und Charles, The Ethiopic version of the
Hebrew book of Jubilees p. 183 bekannt. Vgl. dariiber Charles p. X
und Tifferand p. 55 ss.
3 ) Vgl. Jub. 2, 19-21. .15, 27.
*) Jub. 3, 8-14, 27. Das Feft der Wochen Oder das Pfingftfeft ift
im Himmel feit der Erfchaffung begangen worden (6, 1722), ebenfo
die Fefte der Neumonde (6, 2327). Der Verfohnungstag wurde als
Faft- oder Trauertag zur Erinnerung an den Tag, an welchem die Nach-
richt von Jofephs Tode kam, eingefetjt (34, 18-19). Vgl. Charles, The
book, p. LI ff.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 565
well fie ihm geringere Autoritat zuerkannten. Unfer Werk
nennt jenes kanonifche Buch ,,Das erfte GefelsV) beanfprudit
aber felbft Offenbarungen zu enthalten, welehe ,,der Engel
des Angefichtes" dem Mofes verkundigt hat 2 ) und weldie die
Patriardien Henodi, Noe, Abraham, Jakob auffchrieben und
le^terer dem Levi ubergab. 3 )
Wenngleich auch die Philifter, Ammoniter und andere
Feinde Ifraels in dem Werke behandelt werden, zeigt es
dodi eine befonders fcharfe Feindfchaft gegen Edom und
geht darin uber das kanonifche Buch Genefis hinaus. 4 ) ,,Die
Sohne Edoms," hei&t es, 5 ) ,,find von dem Joche der Knecht-
fchaft, welehe ihnen die zwolf Sohne Jakobs auferlegt haben,
bis auf diefen Tag nicht frei geworden."
Der Verfaffer des Buches war weder ein Effener, denn sein
er verwirft z. B. die Opfer nicht, noch ein Samariter, denn Verfafjer.
wahrend der Garizim iiberhaupt nicht erwahnt wird, wird
von Sion gefagt, dag er in der neuen Schopfung zur Heili-
gung der Erde geheiligt werde. 6 ) Er war auch weder ein
Sadduzaer 7 ) noch ein Pharifaer. Denn gegen erfteres fpricht
z. B. die hier fehr ausgebildete Engellehre, gegen letjteres,
dag die Lehre von einer Fortdauer der Seele ohne Aufer-
ftehung des Leibes vorgetragen wird. 8 ) Er war aber auch
kein Judenchrift, 9 ) denn die Schrift enthalt nichts Chrijtliches
und ift ftreng iiidifch. 10 ) Wohl aber fcheint die Hervorhebung
der Bedeutung Levis, der noch vor Juda genannt wird, 11 ) und
!) Jub. 6, 22.
2 ) Jub. 2, 1.
3 ) Jub. 7, 38. 10, 14. 12, 27. 39, 67. 45, 16.
4 ) Vgl. Jub. 26, 34 mit Gen. 26, 34; Jub. 38, 114 wird ein Kampf
zwifchen Efau und Jakob am Turme zu Hebron gejchildert, in welchem
Jakob den Efau totet.
5 ) Jub. 38, 14. Vgl. auch 26, 34, dag Efau, wenn er das Joch
Jakobs abfchuttle, eine Todfunde begehe. Vgl. u. S. 570.
6 ) Jub. 4, 26.
7 ) Dafur neuerdings Leszynsky, Die Sadducaer. B. 1912. S. 179 - 236.
8 ) Jub. 23, 31.
'') Wie Singer, Das Buch der Jubilaen, erfter Teil: Tendenz und
Urfprung,Stuhlweigenb. 1898, meint. Vgl.Lagrange Rb. IX (1899), 155 -158.
10 ) Vgl. Langen, S. 84102. Littmann S. 36 f.
n ) Jub. 31, 13 ff. Vgl. u. S. 569.
566 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jQd. Volkes.
deffen Sohne die hier kundgetanen Sdiriften Jakobs und
die Sdiriften feiner Vater bewahren, 1 ) darauf hinzuweifeo,
daft der Verf after ein jiidifcher Priefter war. Jedenfalls war er
ein Anhanger derfelben. Daft er in Palaftina fchrieb, macht
die Abfaffung des Budies in hebraifcher Sprache, wenn nicht
gerade ficher, fo dodi wahrfcheinlich. Ubrigens ftimmt der von
ihm benutjte biblifche Text mehr mit dem der Septuaginta
als mit dem maforethifchen uberein. a )
Ab- Auffallend ift es, daft der Verfaffer fo wenig an dem
weichungen Text der Heiligen Schrift fefthalt, dafr er fogar gefetjlidie
des Buches Beftimmungen anfuhrt, welche von der Thora abweiehen. 3 )
vonderihora. Anfflhning des 49> j a hres als des Jubeljahres
fehr befremdlich, da das Gefetj klar und beftimmt das 50. Jahr
als Jubeljahr bezeichnet. 4 ) Unter diefen Umftanden ift es
weniger auffallend, da er von den gefetjlichen Vorfchriften
der Mifchna und den zur Zeit Jefu iiblidien Anfchauungen
abweicht. So z. B. fagt er, 5 ) das Pafcha muffe im Hofe des
Heiligtums gegeffen werden, wahrend es zur Zeit Chrifti und
vorher wie nachher iiberall in Jerufalem gegeffen werden
durfte. 6 ) Nach der Mifchna durfte z. B. bei der Holzfpende
fiir den Brandopferaltar kein Holz vom Olbaum zugelaffen
werden, was hier erlaubt ist, 7 ) u. a. Wie wenig iiberhaupt
] ) Jub. 45, 16.
*) Vgl. Charles, The book, p. XXXVIII f.
3 ) Nach Jub. 16, 22 wird das Laubhuttenfeft durch andere Opfer
begang-en, als Num. 29, 13-33 vorgefchrieben find.
*) Lev. 25, 8 ff. Vgl. Nowack, Lehrbuch 2, 166, 2. Charles, The
book p. LXVII.
5 ) Jub. 49, 20.
6 ) Vgl. Exod. 12, 4. Deut. 16, 6-7. 2 Paral. 35, 11 f. Esdr. 6, 19 ff.
Matth. 26, 17 ff. etc. Jos. B. J. 6, 9, 3.
') Vgl. Jub. 21, 12 mit Tamid 2, 3. Wenn in Jub. 50, 12 am Sab-
bate Krieg zu fQhren verboten ift, fo ftimmt dies nicht mit Schabb. 6,
2. 4 uberein. Denn an letjterer Stelle wird nur das Tragen von Panzer
und Waffen am Sabbate verboten, wie das Tragen von mit Nageln be-
fdhlagenen Schuhen. Obrigens kann man nicht mit Charles, The book
p. LXV das Gefe$ Jub. 50, 12 deshalb ein alteres nennen, weil man in
den Makkabaerkriegen Krieg am Sabbate anfangs fiir unerlaubt hielt,
fpater aber den Verteidigungskrieg fiir erlaubt erklarte (1 Mace. 2, 41.
Jos. Ant. 12, 6,' 2). Denn es ift die'Frage, ob nicht Jub. 50, 12 blofj
an einen Angriffskrieg gedacht ift. Schiirer III*, 377 (vgl. auch Th. Lz.
1903, 678 f.) fiihrt noch drei weitere Falle an, in denen das Buch der
XV. Kap. Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 567
in dem Budie auf die Praxis Ruckficht genommen wird, zeigt
am beften der Umftand, daft, gerade wie das Budi Henodi
em Sonnenjahr von 364 Tagen empfiehlt> fo auch unser Ver-
Jubilaen ,,eine andere, offenbar altere Halacha vertritt als die durch
Philo, Jofephus und Mifchna bezeugte." Es bleibt aber in alien drei
Fallen zweifelhaft, ob die von Jubil. vertretene Halacha die altere ift.
Es find folgende:
1) Nach Lev. 19, 24 follen die Fruchte vierjahriger Pflanzungen
,,zum Lobe fur den Herrn geweiht werden." Jub. 7, 36 erklSrt dies
dahin, dag das Erfte des Weines und Dies als Erftlingsfrucht auf dem
Altar Gottes dargebracht werden foil, ,,was iibrig bleibt; follen die Diener
des Haufes Gottes verzehren." Damit ftimmt aber Philo, de charitate
21 uberein, der fagt, die Frucht des vierten Jahres folle man nicht
zum Genufj pflucken, fondern fie ganz und gar Gott weihen. Hingegen
fagt Jos. Ant. 4, 8, 19, der Eigentiimer folle die Fruchte In die Stadt
bringen ,,und fie famt den Zehnten von den andern Fruchten mit feinen
Freunden, den Waifen und Witwen verzehren." Mit ihm ftimmt Sifre
fiber Num.5, 10 uberein, wo es heigt, dajg die Priefter an den Fruchten
des 4. Jahres keinen Anteil haben. Vgl. Charles zu Jub. 7, 36, der die
Echtheit von Jub. 7, 36 bezweifelt und fagt: In any case, the teaching
of our text does not diverge from that of later Judaism as much as the
various regulations on this subject in the different codes of the Penta-
teuch (see Hastings Bible Diet. II, 10-11).
2) Nach Jub. 32, 15 gehorte der von Lev. 27, 32-33 erwahnte
Viehzent zu den priefterlichen Einkunften. Allein wenn auch die Rabbiner
f. pater den Viehzehnt zu dem zweiten Zehnt gerechnet haben, der von
den Darbringenden verzehrt wurde, fo rechnet ihn doch auch Philo, De
caritate 10 zu den priefterlichen Einkunften. Vgl. Conn, Die Werke
Philos, 2. Teil, S. 49 f. Anm. 2. Vgl. auch o. S. 360, 3.
b) Das jiidifche Feft der Getreideernte oder das Wochenfeft (= Pfingft-
feft) foil nach Jub. 15, 1 vgl. 44, 4 5 im dritten Monat, am 15. des
Monats gefeiert werden, 50 Tage nach der Darbringung der erften
Oftergarbe. Diefe follte aber nach Lev. 23, 11. 15 f. ,,am Tage nach dem
Sabbat" dargebracht werden. Diefe Beftimmung hat zu groften Meinungs-
verfchiedenheiten unter den Juden gefuhrt. Gewohnlich verftand man
zur Zeit Chrifti unter dem Sabbat den erften Fefttag und dann unter dem
Tage nach dem Sabbat den zweiten Fefttag. So tat's fchon die LXX und
naturgemafj auch Philo, De Septenario 20 ed. Mang II, 294 (deutfch
in Cohn, Die Werke Philos 2. Teil, S. 152 Anm.) Vgl. auch Jos. Ant.
3, 10, 5. Die Boethufaer, die fpateren Sadduzaer, verftanden unter dem
Sabbat den in die Pafchawoche fallenden Sabbat und unter dem Tag
nach dem Sabbat den Tag nach diefem Wochenfabbat. Menachoth 10, 3.
(Vgl. zur Literatur Schurer II, 483 Charles p. 106 f. Leszynsky S. 57 ff.)
Eine dritte Anficht fafjt den Ausdruck ,,Sabbat" wieder im Sinne von
Fefttag iiberhaupt, will aber darunter nicht den erften, fond ern den
568 Zweiter Abfdmitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
faffer zugunften einer bequemeren Einteilung der Fefttage
und vielleicht aus dogmatifdien Vorurteilen einen auf einem
Sonnenjahr von 364 Tagen beruhenden Kalender, den weder
die Juden noch andere Volker je gehabt haben, zu beobaehten
befiehlt. 1 )
Der Verfaffer hat das Budi Henoch-) wie auch das in
le^terem benutjte Budi Noes 3 ) gekannt und fetjt das Beftehen
des Tempels voraus. 1 )
Emftehungs- Die Abweichungen des Buches von der Thora und der
zeit - zur Zeit Chrifti und {pater gebrauchlichen Haladia paffen
geradefo wenig zu einer fruheren Zeit als zu dem erften
chriftlichen Jahrhundert und beweifen fomit gar merits ffir
eine friihere Abfaffung des Budies. 5 ) Es fehlt auch an
fiebenten Fefttag der Pafdiawoehe verftehen. Sie ift fchon bezeugt durch
die fyrifche Oberfetjung von Lev. 23, 15 (vgl. Charles 1. c.) und wird
nodi heute von den abeffinifchen Juden praktifeh befolgt (Charles 1. c.
und Leszynsky, Die Sadduzaer, B. 1912, S. 193, der das Wort Sabbat
im Sinne von ,,(Fef Wodie" verfteht). Nach diefer Erklarung ware
der Sabbat der 21. Nifan und der Tag darnach der 22. Nifan. Zahlen
wir 50 Tage vom 15. Sivan bis zum 22. Nifan, fo ftimmt die Rechnung
nur, wenn wir ftir den zweiten Monat nur 28 Tage nehmen.
Ob Jub. 15, \ unter Sabbat den 21. Nifan verfteht, wie auch Charles
annimmt und Schurer 111, 378 anzunehmen geneigt ift, jedenfalls durfte
es nicht erwiefen fein, dag das Buch wegen des dargelegten Sachverhalts
in eine friihere Zeit gehort, in welcher die Auslegung auch in gefeges-
ftrengen Kreifen noch jthwankend war.
') Vgl. athiop. Henoch 74, 10. 12. 75, 2 und flav. Henoch 48, 1 (im
flav. Henoch 14, 1 findet fich die gew&hnliche Rechnung des Sonnen-
jahres zu 365 V* Tagen) mit Jub. 6, 23-38. Vergl. dazu Charles, The
book of Enoch p. 189 ff. und The book of Jubilees p. 53 ff.
2 ) Vgl. Jub. 4, 1723. Charles, The book of Jub. p. 36 f. meint,
die Stelle bezOge fich auf athiop. Henoch, cap. 6-16. 2336. 7290.
3 ) Jub. 10, 13 und 21, 10.
J ) Jub. 49, 20. - Allem Anfcheine nach ift das Werk alter als die
Teftamente der zwOlf Patriarchen (f. u. XVI. Kap.) und ift in letjterem
Werke benutjt. Charles 1. c. p. LXXII meint allerdings, fie hatten beide
unabhangig voneinander aus denfelben Quellen gefchOpft Allein dagegen
fpricht, dafj Nachrichten des Buches der Jubilaen in dem andern Werke
erweitert find. Vgl z B. Test. Juda 3-7 mit Jub. 34, 2-8. Test. Jud. 9
mit Jub. 38, 1013.
5 ) Vgl. S. 566 f. Fur eine vorchriftliche Abfaffung des Buches haben
fich ausgefprochen Littmann S. 37; Bohn, Die Bedeutung des Buches der
Jubilaen (Theol. Studien und Kritiken 1900, S. 167184; er ift fur die
XV. Kap. Die judifehe Literatar der neuteftamentlichen Zeit. 569
fidieren politifchen Andeutungen zur Beftimmung derfelben.
Wenn Levi vor Juda von Ifaak gefegnet wird, fo konnte
der Grund fchon darin liegen, dafc Levi der altere war, wenn-
gleidi nidits im Wege fteht, anzunehmen, daft es wegen der
Bestimmung Levis, Gott in feinem Heiligtum zu dienen, ge-
fchah. Man darf auch nicht zuviel Gewicht darauf legen, dafc
es von den Sohnen Levis heifct, fie wiirden Furften und
Riditer (und Herrfcher 1 ) allem Samen der Kinder Ifraels
fein. Denn auch der beruhmte Rabbi Jehuda heifct Ha-Nafi,
,,der Fiirft" und die Namen ,,Fflrsten und Riditer" werden
gleich im folgenden Satje erklart durdi ihre Tatigkeit als
Lehrer und als Riditer. Es heifjt namlidi: ,,Das Wort Gottes
werden fie in Wahrheit verkunden und all fein Geridit in
Gereditigkeit riditen." Wenn man die erwahnten Titel auf
die Zeit der Herrfchaft der Makkabaer-Furften beziehen will,
darf man nicht uberfehen, daft auch nodi nadi derfelben und
nadi der Zeit des Herodes (vgl. Jof. Ant. 20, 10, der fagt, nach
dem Tode des Herodes und des Ardielaus fei der Staat
ariftokratifdi verwaltetworden: /* 6e T^V TOVTWV ^t'kfv
ev qv r t -nroXiTfta rqv Sf TfQOGTttGiav TOV sfrvovg ol a
der Hohepriefter und die vornehmen Priefter-
gefdilediter an der Spitje des Synedriums und damit des
judifdien Volkes stand. Von Juda aber heifjt es in dem Segen
Ifaaks: ,,Sei ein Fiirft, du und einer deiner Sohne uber die
Sohne Jakobs ... in dir fei die Hilfe Jakobs und in dir
werde das Heil Ifraels gefunden," eine Stelle, die auch da-
rauf hinzuweisen fcheint, dag der Meffias von Juda abstammen
Mitte des zweiteu Jahrhunderls v. Chr.); Charles, The book of Jub.
p. LVIII ff., welcher "pch far die Zeit zwifchen 135 und dem Bruch des
Johannes Hyrkanus mit den Pharifaern erklart; Boujfet (Theol. Rundfchau
1900, S. 374-377), welcher fur die Zeit der Alexandra ijt, undJBalden-
jperger S. 32, der die Abfaffung in die Mitte des letjten vorchriftlidien
Jahrhunderts feijen will. Sdiurer HI 4 , 371-384, der noch in der 3 Aufl.
feines grogen Werkes die Abfaffung in das erfte Jahrh. n. Chr. fetjte, ift
in der 4. Auflage zu dem Refultat gekommen, dag unfer Buch in die
vorherodianifdie Zeit gehort, in den Zeitraum zwifchen Johannes Hyrkanus
und Herodes. Martin, Le livre des Jubiles. Rb 1911, 321 meint, es fei
gefchrieben gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. Audi Szekely,
Bibl. apocrypha p. 355 sqq. halt die Abfaffung in der Zeit der Hasmonaer
fur fehr wahrfcheinlich.
') Jub. 31, 15. Die latein. Oberfetjung hat nur principes et judices.
570 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittL Zuftande des jiid. Volkes.
wird. *) Zur Zeit der Konigin Alexandra ist das Buch fchwer-
lich gefdirieben. Denn dann ware es viel pharifaifcher.
Gewohnlich -wird heutzutage die Abfaffung des Buches
in die Zeit des Makkabaerffirften Hyrkanus I. (135105)
oder doch der Makkabaer verfetjt. Immerhin lafct fidi die
Moglichkeit nicht verkennen, dajg die Abfaffung erft nadi dem
Ableben des Herodes und der Abfetjung des Ardielaus ent-
ftand. Dann erklart fidi die Scharfe gegen Edom und die
in dem Buche zu Tage tretende Furcht und Warnung vor
dem religiofen Niedergang, den die Herrfchaft des dem
Heidentum giinftigen Herodes bei manchem hatte begunftigen
konnen.
Das Marty- Zu den judifchen Legendenbudiern gehort audi das
riumdesPro-Martyrium des Propheten Ifaias, welches von dem
pheten Ifaias. (ftriftlichen, dem heiligen Hieronymus bekannten Bericht fiber
die Vifion des Propheten Ifaias und feine Himmelfahrt, mit
der es f pater verbunden worden ift, unterfchieden werden
muJ5. 2 ) Schon Origenes kannte aber ein judifches Apocryphum,
J ) Jub. 31, 18 f. Vgl. Charles zu Jub. 31, 18-19. Schiifer S. 377.
2 ) Eine trefflidie Ausgabe gab Dillmann, Ascensio Isaiae, aethiopice
et latine. Lips. 1877 heraus. Seit der Zeit veroffentlichten O.v. Gebhardt
im J. 1878 eine freie griechifche Uberfetjung des urfpriinglichen Werkes
und Grenfell and Hunt, The Amherst Papyri I. The ascension of Isaiah,
and other theological fragments, London 1900, ein groges griechifches
Fragment 2, 4 4, 4. Di'efe, nebft einer von Bonwetfch ins Lateinifche iiber-
tragenen flavifchen Oberfe^ung, iiberhaupt das gefamte zur Zeit bekannte
Material liegt jetjt vor in der Oberfetjung von Charles, The ascension
of Isaiah, translated from the Ethiopic version, which together with the
new Greek fragment, the Latin versions (d. h. eine lateinifche Oberfeljung
von cap. 6 11, wozu die altlateinifdien im Jahre 1828 von Mai heraus-
gegebenen vatikanifchen Fragmente 2, 14 bis 3, 13 und 7, 1 19 kommen)
and the Latin translation of the Slavonic is here published in full, with
introd., notes and indices, London 1900. Eine neue Ausgabe des Mar-
tyrium Jefajas gab Charles, The Apocrypha II, 155-162 1913 heraus.
Er halt 1, l-2a. 6b-13a. 2, 18. 10-3, 12. 5, lc-14 fur das Frag-
ment einer urfpriinglich felbftandigen judifchen Schrift aus dem 1. Jhdt.
n. Chr. Vorher erfchien E. Tifferant, Ascension d' Isaie. Traduction
de la version ethiopienne avec les principales variantes des versions
grecque, latines et slave, introduction et notes (= 3 Bd. der von Martin
veroffentlichten Documents pour 1'etude de la Bible, Apocryphes de 1' A.T.),
Par. 1909. Audi er halt das Martyrium (2, 13, 12 u. 5, 1 14 nebft
einigen Verfen des 1. Kap.) fur judifchen Urfprungs und ficher vor dem
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 571
in weldiem das Martyrium des Ifaias erwahnt war. 1 ) Es ift
erhalten in eirier aus dem Griediifchen gefloffenen athiopifchen
(Jberfetjung. 2 ) Sehen wir von den fpateren chriftlichen Zu-
fatjen ab, 8 ) fo wird uns hier berichtet, dag fich Ifaias, als
Jahre 100 nach Ghr. entftanden. Vgl. auch Schiirer III, 389 f. Rb 1909,
478 s.
Die cap. 1 5 enthalten das Martyrium des Ifaias, mit einigen
chriftlichen Interpolationen (f. Anm. 3), die cap. 6 11 bilden den chrift-
lichen Teil. In cap. 6 wird von einer Vifion des Ifaias im 20. Jahre des
Ezechias berichtet. Der Prophet wird dann von einem Engel durch die
fieben Himmel gefuhrt und fchaut im fiebenten Himmel den Vater, den
Sohn und den HI. Geift (cap. 7 8), und kehrt dann zuruck zum Firmament
(cap. 9-10). In 11, 2-22 werden die jungfrauliche Qeburt Jefu, fein
Leben, Tod und Auferftehung gefchildert. Der Prophet fieht auch die
Auffahrt Jefu bis zum fiebenten Himmel und kehrt in feinen irdifchen
Korper zuruck (cap. 11, 23 ff.). Die friiheften Zeugen fur den chriftlichen
Teil find Epiphanius, der haer. 40, 2 und haer. 67, 3 ein dvaprtx6v
'Hsuiuv nennt, und Hieronymus, der Comm. in Isaiam 64, 4 et 5, ed.
Vallarsi IV, 761, von einem Werke Ascensio Isaiae redet,, Es ift allge-
mein zugegeben, dag es fich in cap. 15 und cap. 611 um urfprunglidi
getrennte und erft fpater verbundene Stiicke handelt. Vgl. u. a. Dillmann
S. IX ff. Schiirer III, 386393. Robinfon, art. Isaiah, Ascension of in
Hastings D. II, 498501. Beer, Das Martyrium des Ifaias in Kautjfch,
Die Apokryphen etc. 2, 219 ff. Charles p. XXXVI ff. Skezely p. 456-481.
') Vgl. Origenes, Ep. ad Africanum c. 9 (de la Rue I, 19 sq.), fo-
dann zu Matth. 13, 57 und 23, 27 (de la Rue III, 465 und 848), fowie in
Jesajam horn. 1, 5 (de la Rue 111, 108).
-) Das grofje griechifche Fragment 2, 44, 4 zeigt, dafj der athio-
pifche Text genau dem griechijchen folgt.
3 ) Der Abfchnitt 3, 13-5, 1, welcher den Zufammenhang ftort und
von den Weisfagungen des Ifaias iiber die Ankunft Chrifti aus dem
7. Himmel u dgl. redet, ift ein fpaterer Einfchub von chriftlicher Hand.
Nach Tifferand ftammen 3, 13-4, 19 und 11, 222 aus dem Ende des
1. Jahrhunderts, zwifchen 88 und 100; die Vifion des Ifaias (6, 1 11 und
1, 23-40) kann aus den Jahren 100150 fein. Geftritten wird nur, ob
das erfte Kapitel, in welchem Ifaias dem Ezechias den Abfall feines
Sohnes Manaffes vorausfagt, fpatere chriftliche Zutaten enthalte (wie
Charles fchon in der Ausgabe von 1900, p. XXXVI ff. meint) oder, wie
wahrfcheinlicher ift, ganz von einem fpateren herriihre (fo Dillmann, vgl.
auch Schiirer 390), zumal es fur die Erzahlung des Martyrertodes des
Ifaias nicht notig ift Den ganzen Abfchnitt cap. 15 fur ein. juden-
chriftliches Produkt anzufehen, verbietet Origenes, der ausdrucklich von
einem judifchen Apokryph fpricht (fiehe o. Anm. 1). Somit umfagte das
urfprungliche, dem Origenes bekannte judifche Martyrium des Propheten
Ifaias von dem iiberlieferten Texte cap. 2; cap. 3, 112 und cap. 5,
572 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
naeh dem Tode des Ezechias deffen Sohn Manaffes zur Re-
gierung gekommen ift und fidi fehr gottlos zeigt, mit andern
zuerft nadi Bethlehem, dann in die Berge zuriickzieht. Bin
Samaritaner, namens Balkira, verklagt nun den Ifaias bei
Manajfes, dafc er fich fiber Mofes erhebe und gegen Jerufalem,
den Konig und das Volk weisfage. Darauf lafjt Manaffes
den Propheten mit einer holzernen Sage zerfagen.
Der Kern des Berichtes, die Zerfagung des Propheten,
wird fcnon von Juftinus Martyr wie von Tertullian erwahnt. l )
DasBuchuber Bin jiidifches apokryphes Buch iiber Jannes und
Jannes und Jambres, 2 ) die beiden agyptifchen Zauberer, welche die
Jambres. ZzifaQn Mofes vor Pharao nachahmten, 3 ) ift verloren. Das
Budi wird von Origenes erwahnt, 4 ) der fogar meint, der
heilige Paulus, der im zweiten Brief e an Timotheus die
Namen der im Pentateuch nicht genannten Zauberer nennt, 5 )
habe diefes aus jenem Buche, 6 ) als ob fie nicht geradefo gut
aus alter jiidifcher Uberlieferung her ihm bekannt fein konnten.
Deshalb lafct fich, wenngleich die Namen auch fonft fchon im
erften chriftlichen Jahrhundert bekannt waren, 7 ) keineswegs
hieraus fchliefcen, dafc das apokryphe Buch iiber Jannes und
Jambres aus vorchriftlicher Zeit ftammt. Denn es mufcte doch
zunachft feftftehen, dag erft diefes Buch diefe Namen erfunden
oder wenigstens verbreitet habe.
214. Diefen Abfdihitt hat Beer in Kautjfch 1. c. S. 124127 allein
iiberfetjt.
') Vgl. Juftin M. Dial. c. Tryph. c. 120. Tertull. De patientia c. 14
und Scorpiace c. 8. Schon der heilige Paulus fagt aber Hebr. 11, 37:
andere (Propheten) wurden zerfagt, eine Stelle, die auf den Tod des
Ifaias zu beziehen ift. Rabbinifche und andere Uberlieferungen des
Todes des Ifaias f. bei Beer 1. c. S. 122 f.
2 ) Vgl. dariiber Kirchenlexikon I, 1065 f. Schurer III, 402 405.
Marshall, art. Jannes and Jambres in Hastings D. II, 548 f. Skezely I,
483 485.
3 ) Exod. 7, 8 ff.
4 ) Origen. zu Matth. 27, 9 (de la Rue III, 916) ,,Jannes et Mambres
liber". Ob dies dasfelbe Buch ift, wie der im Decretum Qelasianum
angefuhrte ,,Liber, qui appellatur_Poenitentia Jamnis et Mambre, apocry-
phus", lagt fich nicht beftimmen.
b ) 2 Tim. 3, 8. Nach der Vulgata Jannes et Mambres.
6 ) Orig. zu Matth. 23, 37 (de>la Rue III, 848).
7 ) Der im J. 79 n. Chr. geftorbene Plinius erwahnt N. H. 30, 1, 1
Mofes und Jannes unter den berflhmten Zauberern des Altertums.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 573
Inwieweit in andern altchristlichen bezw. gnoftifchen
Schriften, weldie fich auch vielfaeh in legendenhaf ter Weife mit
altteftamentlichen Perfonen befchaftigen, judifche Materialien
benutjt worden find, lafct fich fchwer feftftellen, und ift deshalb
bei der Beftimmung des jiidifdien, oder chriftlichen oder gno-
ftifchen Urfprungs folcher Schriften grofce Vorficht angebradit.
Befonders zahlreidi find unter den von Chriften ver- Bucher aber
fasten oder vielleicht nur iiberarbeiteten Werken folche uber Abraham und
Adnrn-
Abraham 1 ) und liber Adam und Eva. 2 ) In einem diefer und Eva
letjteren, weldies von einigen als ein jiidifdies Werk an-
gefehen wird, 3 ) wird u. a. von der Bufre Adams und Evas
erzahlt, ein Beridit Evas fiber den Sundenfall gegeben und
iiber die dem Adam gewahrte Verzeihung, die Beftattung
Adams und Abels im Paradies und fiber den Tod und das
Begrabnis der Eva berichtet. Das Werk beriihrt fich aber
in vielen Punkten, fo z. B. darin, dafc Adam 40 Tage faftete,
dafe er 40 Tage im Waffer des Jordan verbradite, u. a., fehr
mit dem Neuen Teftament. 4 ) Oberdies werden fchon von
Epiphanius 5 ) gnoftifdie Apokalypfen Adams erwahnt, wahrend
es an ficheren alteren Bezeugungen eines judifchen Adam-
buclies fehlt. 6 )
J ) Vgl. unten cap. XVI im Anhang zur Baruch-Apokalyp)e.
2 ) Vgl. daruber Movers-Kaulen im Kirdienlex. I, 856!. 1063f. Harnack,
Gejeh. der altehri{tl. Lit. I, 856 f. Schfirer III, 396399. Preufchen, Die apokr.
gnoft. Adamfchriften aus dem Armenifchen iiberf. u. unterfucht. Giejgen 1900.
Audi L. Wells in The books of Adam and Eve in Charles, The apo-
crypha II, 123 154 fucht zu zeigen, dag das Werk judifchen Urfprunges
ift und zwifchen 60 300 n. Chr , wahrfcheinlich in den fruheften Jahren
diefer Periode gefchrieben.wurde.
3 ) Vgl. Fuchs, Das Leben Adams und Evas (auf Grund eines
griedrifchen, lateinifchen und altflavifchen Textes) in Kautjfch, Die Apokry-
phen etc. 2, 506528. Vgl. auch Bouffet, Die Religion des Judentums
S. 22 f . und Kabifdi, Die Entftehungszeit der Apokalypfe Mofes in Z. f. d.
neut. Wiff. Giegen 1905, S. 109- 134. - Der griech. Text des Werkes ift
von Tifchendorf, Apocalypses apocryphae, Lips. 1866, p. 1 23 als Apokalypfe
Mofis herausgegeben worden; ebenfalls von Ceriani, Monumenta sacra
et profana V, 1 p. 21 sqq. Vgl. uber die uberlieferten Rezenfionen des
Textes Fuchs a. a. O. S. 506 ff.
*) Vgl. Fuchs S. 510, 512, 6 f., 519, 13 und 39.
5 ) Epiphan. Haer. 26, 8.
6 ) Das Verzeichnis der Apokryphen des Alten Teftamentes in der
574 Zweiter Abfohnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
c) Die apokalyptische Himmelfahrt Mofis.
Mit diefem Namen bezeichnet man ein nur in einer alt-
lateinifchen Oberfetjung erhaltenes altes jiidifches Werk, 1 ) in
welchem fich eine aus der ,,Himmelfahrt des Mofes" in der
Gefchichte des zweilen Konzils von Nizaa angefiihrte Stelle 2 )
findet. Die erften drei Zeilen der einzigen Handfchrift des
Werkes, welche wohl den Titel enthielten, find unleferlich.
Am Schlufc bridit das Werk mitten im Satj ab. 3 ) Soweit es
vorliegt, ist es das Vermaditnis Mofis an Jofue. 4 ) Vermut-
lich hat fich ein weiterer Abfchnitt, welcher die Himmelfahrt
Mofis enthielt, hieran angefchloffen. 5 )
fogen. Stichometrie des Nicephorus (bei Preufchen, Analecta, Freib. 1893,
p. 156 158), welches in der fogenannten Synopsis Athanasii wiederholt
wird, erwahnt gar kein Adambuch, wohl aber fteht es an erfter Stelle in
einem anonymen Kanonsverzeichniffe, welches von Montfaucon, Pitra u. a.,
und auch von Preufchen, 1. c. p. 158160 herausgegeben ift. Diefes
letjtere gibt aber alt- und neuteftamentliche Apokryphen nach der chrono-
logifchen Reihenfolge der darin behandelten Perfonen und beweift fomit
nichts fur den jiidifchen Charakter des von ihm erwahnten Adambuches.
*) Veroffentlicht von Ceriani (in Monumenta sacra et profana vol. I.
fasc. 1 p. 55 64. Mediol. 1861) aus einem Palimpsest des 6. Jahrhdts.
Die befte Ausgabe, lateinifch und englifch, ift die von Charles, The Assum-
ption of Moses. London 1897. Vgl. auch Charles, The apocrypha II,
407-424. Eine deutfche Uberfetjung gibt Clemen, Die Himmelfahrt Mofes
in Kau^fch, Die Apokryphen 2, 311331.
2 ) Vgl. Ass. Mos. 1, 14 mit Gelasii Cyziceni, Commentarius acto-
rum concilii Nicaeni 2, 18 bei Mansi, Sacrorum conciliorum collectio
t. II. (Flor. 1759) col. 844.
3 ) Das Werk will nach Kap. 1 , 19 als eine Anfprache Mofis an
Jofue angefehen fein. Diefe ift aber mit Kap. 12 tatfachlich beendigt
und deshalb aus inneren Grunden zu fchliefoen, dag fehr wenig fehlt.
Vgl. F. C. Burkitt, art. Mofes, Assumption of, in Hastings D. Ill, 449.
4 ) Neben einer 'Avcityyi? Mwtfaw? wird in der Stichometrie des
Nicephorus, der Synopse Athanasii und in dem oben erwahnten anonymen
Kanonverzeichnis (f. 1. c. p. 159) auch eine AiaQ-rixri Mo>asi<; erwahnt.
Vermutlich handelt es fich urn verfchiedene Teile desfelben Werkes.
5 ) Vgl. Charles I. c. p. XLV L und pag. 105 ff. Eine assumptio
Mosis ift in Clem. Alex. Adumbr. in epist. Judae (bei Zahn, Forfchungen,
III. Teil, Supplem. Clement, p. 84) und Didymus, Enarratio in ep. Judae
(bei Gallandi, Bibl. patrum VI, 307) erwahnt, eine ascensio Mosis bei
Origenes, De princ. 3, 2, 1 (vgl. diefe u. a. Stellen bei Charles p. 107 f.).
Origenes 1. c. fieht in dem kanon. Judasbrief v. 9 vom Streit des Erz-
XV. Kap. Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 575
Unfer Werk befdiaftigt fich blofe mit der Gefchidite des
auserwahlten Volkes und nidit mit der perfonlidien Gefchidite
des Mofes.
Der Inhalt ift folgender: Mojes fe^t, da die Zeit feines inhait der
Lebens vollendet ift, Jofue zu feinem Nadifolger ein und Himmeifanr
ubergibt ihm die Biidier, weldie er an einem ficheren Ort M f es -
vergraben foil (Kap. 1). Dann gibt er in cap. 3-4 Weis-
fagungen iiber die Gefchidite des Volkes bis zur Ruckkehr
einiger Teile der Stamme aus dem Exil. Das Strafgerieht,
heifct es (cap. 5), wird kommen iiber ihre Konige (die .heid^
nifchen Machthaber), aber auch die Juden felbft werden hin-
fiditlich der Wahrheit uneins fein, und Leute, die nicht Priefter,
fondern Sklaven und Sklavenjohne find, werden den Altar
mit ihren Gaben befledcen. Dann (cap. 6) werden Konige
fiber fie herrfchen, welche im Allerheiligften Gottlofigkeit
veriiben (die Hasmonaer) und ihnen folgt ein verwegejier
und gottlofer Menfch, nidit aus priefterlidiem Gefchlechte, der
fie wie die Agypter bedriicken , und beftrafen wird 34 Jahre
lang (Herodes). Und Sohne wird er zeugen, weldie kurzere
Zeit als er regieren werden, und ein ma"chtiger Konig des
Abendlandes wird in ihr Gebiet einfallen und einen Teil
ihres Tempels verbrennen. 1 ) Von da ab werden die Zeiten
zu Ende gehen. Und iiber fie werden verderbliche und gott-
lofe Menfchen herrfchen, Betriiger, Heuchler, Sdilemmer, die
Unreines treiben und dabei fagen: Riihre midi nidit an, da-
mit du midi nidit verunreinigeft (cap. 7). Dann kommt iiber
fie nodi nidit gewefene Rache. ,,Der Konig der Konige der
Erde" wird die, weldie fidi befdmeiden laffen, am Kreuz
aufhangen, ihre Frauen unter die Heiden verteilen und ihren
Knaben eine Vorhaut iiberziehen laffen, andere aber zwingen,
offentlich ihre Go^enbilder zu tragen und das Gefe^ zu laftern
(cap. 8). In jener Zeit wird ein Mann aus dem Stamme
Levi, namens Taxo, auftreten und feine fieben Sohne auf-
fordern, lieber drei Tage zu faften und dann in einer Hohle
engels Michael mit dem Teufel fiber den Leib des Mofes eine Anfiihrung
der ascensio Mosis. Das ift ficher zu weit gegangen. Vgl. Clemen
1. c. S. 312.
l ) Qemeint ift der Statthalter von Syrien, Varus. Vgl. Jos. Ant.
17, 10, 1 ff. B. J. 2, 3, 1 ff. S. o. S. 168 ft.
576 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
auf dem Felde zu fterben, als die Gebote des Herrn der
Herren zu iibertreten (cap. 9). Dann wird das Reich des
Herrn uber alle Kreatur erfcheinen und der Teufel nicht mehr
fein. Und der Gefandte, der am hochften fteht, wird fie
an ihren Feinden radien. 1 ) Die Erde wird erbeben, die
Sonne keinen Sdiein mehr geben und der ewige Gott die
Heiden ftrafen und ihre Gotjenbilder vernichten. Ifrael aber
wird glticklich fein und von Gott bis zum Sternenhimmel
emporgetragen, von wo es auf feine Feinde auf Erden
herabfieht (cap. 10). Im vorletjten Kapitel klagt Jofue uber
den Weggang des Mofes und fagt: Welcher Ort wird dich
aufnehmen oder welches Denkmal dein Grab bezeichnen
oder wer wird wagen, deinen Leichnam von hier wegzu-
fchaffen? Dein Grab ift der ganze Erdkreis. Mofes ermuntert
aber (cap. 12) den Jofue. Die Kinder Ifraels wiirden zwar
viel gezuchtigt von den Heiden, konnten aber nicht vollig
ausgerottet werden.
Stehen hier die Kapitel 8 und 9 an der richtigen Stelle,-)
fo wird die Endzeit in Bildern, welche der Gefchichte der
Verfolgung unter Antiochus Epiphanes entnommen find, 3 )
gefchildert und ift der Levite Taxo mit feinen fieben 36'hnen
ein Abbild der Affidaer, welche fich damals an verborgene
Orte in der Wufte gefliichtet haben. 4 )
DieAbfaffung Die Schrift if-t fehr wahrfcheinlidi um das Jahr 7 n. Chr.,
der HimmeK bald nach der Abfetjung des Archelaus abgefagt worden.
fahrt faiit um rj a fu r fpricht einerfeits, da& der Tod des Herodes voraus-
7 n - hr - gefe^t und gefagt wird, daft feine Sohne kiirzere Zeit als
er regieren wiirden. Das konnte jedermann wahrfcheinlidi
erfcheinen, als im Jahre 6 n. Chr. Archelaus abgefetjt wurde,
horte aber fiir die Vierfurften Philippus und Herodes Antipas
mit dem Jahre 30 n. Chr. auf, wahr zu fein. 5 ) Anderfeits
l. unten Kap. 22, 2.
2 ) Charles p. 28 30 will cap. 8 9 zwifchen cap. 5 und cap. 6
fe^en. Allein cap. 10 pagt be[fer nadi cap. 9 als nach cap. 7.
3 ) Vgl. Clemen 1. c, S. 313. Burkitt p. 449.
4 ) S. 1 Mace. 2, 31. Vgl. auch 2 Mace. 6 f. uber Eleazar und die
Makkabaerin und ihre [ieben Sohne. Uber die verfchiedenen Erklarungen
des Taxo vgl. Charles p. 35 f., der felb[t The Apocrypta 11, 421 ftatt
Taxo Taxos lieft und dies = Tngiax = 7)D2n = Eleazar (vergl. 2 Mace.
6, 18 ff.) fe^t.
6 ) G. Holscher, ,,Die Entftehungszeit der Himmelfahrt Mofes," ZNw
XV. Kap. Die judijche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 577
wird aber fofort nach diefer angeblichen Weisfagung und
der Erwahnung der Ziiditigung des Landes (durch Varus)
gefagt (7, 1), da& von da ab die Zeiten zu Ende gehen
werden. 1 )
Der Verfaffer ift kein Effener, da er fur das Schickfal
des Tempels gro&es Intereffe hat, 2 ) aber auch kein Sadduzaer,
denn er erwartet ein theokratifches Reich, 3 ) auch kein Phari-
1916, S. 108127 u. 149158 hat die bereits fruher von einigen Gelehrten
vertretene Anficht aufgenommen und beffer zu begriinden gefucht, dag
die Sdirift erft im zweiten Jahrhundert n. Ghr. gefchrieben fei. Er verlegt
die Abfaffung in das Jahr 131 n. Chr., nodi vor den Ausbruch des Krieges
unter Hadrian. Sonft werden die Worte in 6, 7 ,,rex .... (Herodes)
produce! natos qui succedentes sibi breviora tempora dominarent" dahin
verftanden, dag der Verfaffer vor dem Tode des Antipas und des Phi-
lippus fchrieb, die tatfachlich la'nger als ihr Vater regierten. Holjcher
meint, der Verfaffer kOnne auch nur an Archelaus und Agrippa I (4144),
die in naherer Beziehung zu Jerufalem ftanden, gedacht haben. Auch konne
in 6, 8-9 nicht an Varus (vgl. Jos. Ant. 17, 10, 9 f. 11, 1. B. J. 2, 5, 1 -3)
gedacht fein, da der Ausdruck n occidentis rex potens" nur auf einen
Kaifer paffe. Das war aber auch Titus nicht, als er Jerufalem eroberte.
Die Erklarung von Taxo in cap. 9, 1 = Eleazar (vgl. Charles S. 576, 4
und vorher Burkitt in Hastings III, 449), der nach Holfcher identijch fein
foil mit den auf Munzen aus der Barkochbazeit erwahnten Hohenpriefter
Eleazar, ift zu wenig wahrfcheinlich. Auch nach Holfcher foil Taxo Verftum-
melung von Taxes = rag * und diefes Wiedergabe von einem hebraifchen
TCOn fein, das fich nach der rabbinifchen Gematria in Ti^N auflofe.
Ober die meffianifche Hoffnung in dem Buche vgl. u. Kap. 22 Nr. 2.
Auch Ch. Sigwalt, Die Chronologic der Assumptio Mosis. Ein Beitrag
zur hiftorifchen Wertung der Apokalyptiker. Bibl. Zeitfchr. 1910, 372-376
meint auf Grund der Chronologic der Schrift ihre Abfaffung ficher da-
tieren zu kOnnen, fie fei gefchrieben 132 n Ghr. als Aufftandsmanifeft im
Dienfte des damaligen Meffias. Es ergebe fich dies aus dem in Taxo
chiffrierten Namen. Taxo = hebraifch lEJnn habe den Zahlenwert 714
(400-f8-|-300-f 6). Selje man die Zahl 714 wieder in's Hebraifche um, fo
Icomme man zu Simeon Bar Kosiba ^712 na ]13??2ffi (300-(-40.-f-70-(-6-[-50 + 2
-j-200+20+6-|-7+104-24-l = 714). Allein es ift doch gar zu unwahr-
fcheinlich, dag der Kriegsheld des Freiheitskrieges identijch fein foil mit
dem Leviten Taxo, der iiberhaupt nicht kampfen, fondern fich mit feinen
Sohnen wahrend der Verfolgung in eine Hohle zuruckziehen will, um fo
lieber zu fterben als die Befehle Gottes zu iibertreten.
1 ) So u. a. Charles p. LV ff., Clemen S. 313 f., Burkitt p. 448. Ahn-
lich Schurer 111, 297, Baldenfperger , Die meffianifch-apok. Hofmungen
des Judentums. 3. Aufl. 1903 S. 38 f. u. a.
2 ) Vgl. Ass. Mos. 1, 17. 2, 4. 8. 3, 2. 6, 9.
3 ) Vgl. Ass. Mos. cap. 10.
Fellen, Neuteftamentlidie Zeitgefcfaidite. I. 2. u. 3. Auil. 37 -
578 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
faer, da er die Pharifaer in Kapitel 7 angreift und erft redit
kein Zelot, da fein Ideal der ftillduldende Levit Taxo iff. Er
.ift vielmehr einer der Frommen im Lande, 1 ) die fehnfuchtig
den Anbruch des Reidies Gottes erwarteten und fich von
alien Parteien fernhielten.
Die altlateinifche Uberfetjung, in welcher das Werk er-
halten ift, ift anerkanntermafcen aus dem Griediifdhen ge-
floffen, 2 ) womit natiirlich nicht gefagt fein foil, dafi das
Original nicht hebraifch oder aramaifch abgefagt war. 3 ) Der
den myftifchen Spekulationen und Allegorien der alexandrini-
fchen Richtung abgewandte Geift der Schrift weift auf einen
palaftinenfifchen Juden als Verfaffer bin.
d) Philo.
Phiios Philo, gewohnlich zum Unterfchied von andern Tragern
Lebensum- desfelben Namens Philo Judaus genannt, wird von Jo-
ftande. j epnus 4) a i s M gj n we jt beruhmter Mann, der Bruder des
Alabarchen Alexander, ein durch und durch gebildeter Philo-
foph" charakterifiert. In der Tat, wie Jofephus der Hiftoriker,
fo ist Philo der Philofoph des Judentums im erften chrift-
lichen Jahrhundert.
Wie gut wir nun auch uber die Anfdiauungen Phiios
durch feine eigenen Sdiriften unterrichtet find, fo wenig
wiffen wir uber die au&eren Umftande feines Lebens. Darin
gleicht er allerdings fo vielen andern grofeen Gelehrten des
Altertums.
Er lebte in Alexandrien und gehorte einer der vor-
nehmften judifchen Familien der Stadt an. Sein Bruder
Alexander, der Alabarch, 5 ) ragte nicht nur durch fein Amt,,
J ) S. Charles p. L1-L1V und Baldenfperger S. 42. Sdiurer 111,300.
Lagrange, Nofes sur le Messianisme au temps de Jesus Rb 1905, p 486
meint, wenn man es fdiwierig fande, zu beftimmen, zu welcher judifdien
Partei der Verfaffer gehOrte, kOnne man mit M. Faye fagen: ,,C'est un.
patriote et un fanatique."
2 ) Vgl. u. a. Charles p. XXXVI ff., der p. XXIX ff. fiber den fpracii-
lichen Charakter und den kritifdien Wert der altlatein. Oberfe^ung handelL
S. audi Clemen p. 316.
l ) Charles p. XXXVIII ff. will einen hebraifchen Text als Qrundlage
des griecfaifdien nachweifen. Sidieres weig man aber nicht.
*) Ant. 18, 8, 1. Vgl. auch Bus. H. E. 2, 4, 3.
5 ) Vgl. o. S. 277, 5.
XV. Kap. Die judifdie Literatur der neuteftamentlidien Zeit. 579
fondern audi durdi ,,Adel und Reiditum vor alien feinen
Mitbfirgern hervor". 1 ) Er war der Sadiwalter der Antonia, 2 )
der Mutter des Kaifers Claudius und Toditer des M. Antonius,
und ein Grofjfinanzier, der unter andern dem Herodes Agrippa
eine grofje Summe Geldes lieh und fpater fogar mit ihm
verwandt wurde, da Agrippa eine feiner Tochter einem
Sohne des Alexander zur Frau gab. 3 ) :
Philo fuhrte aber von Jugend auf ein zuruckgezogenes,
den Studien gewidmetes Leben und wurde erft im vor-
geriickten Alter in das Meer der politifchen Sorgen hinein-
gezogen, 4 ) als man ihn im Jahre 38 n. Chr. an der Spifce
einer Gefandtfdiaft an den Kaifer Caligula nadi Rom fchickte, 5 )
um dort Abhilfe gegen die Bedriickungen feiner verfolgten
Glaubensgenoffen zu fuchen. Fiir diefe Aufgabe empfahlen
ihn feine Erziehung und Einficht, wie fein Alter. 6 ) Da er
naeh feiner eigenen Angabe damals ein Greis war und fo-
mit fein Alter auf 6070 Jahre gefchatjt werden mug, ift er
um das Jahr 3222 v. Chr. geboren. Ober die Gefandt-
fchaft und die unwurdige Behandlung, weldie ihr der Kaifer
zu teil werden liejg, hat er nicht lange danach, als aber be-
reits Claudius regierte, einen Beridit verfagt, der nodi er-
halten ift.
An authentifchen Nadiriditen iiber fein fpateres Leben
fehlt es. Namentlich fpridit nichts dafur, dag er zu Rom mit
Petrus zusammengetroffen und Chrift geworden ift. 7 ) Sein
) Ant. 20, 5, 2.
2 ) Ant. 19, 5, 1. Wahrfcheinlich war er Verwalter ihrer vaterlithen
Gflter in Agypten. Vgl. Massebieau, Chronologie de la vie et des oeuvres
de Philon in Rev. d'hist. des religions, tome LIU, Paris 1906, p 30.
3 ) Ant. 18, 6, 3. 19, 5, 1. Vgl. oben S. 206. Alexander war ein
irommer Jude, der 9 Tore des Tempels in Jerufalem mit Gold und Sil-
ber bedecken liejg (B. J. 5, 5, 3). Ober feinen Sohn Tiberius Alexander,
den Statthalter von Agypten, der vom judifdien Glauben abfiel, f. oben
S. 217 f. 249 f.
*) Philo, De specialibus legibus 3, 1, 3 ? (ifya. nttayog TUV ev
5 ) Vgl. o. S. 280 f.
6 ) Philo, Leg. ad Cajum 28. Er nennt fich audi ebd. 1 einen Greis.
Die Schrift i{t zwar erft unter Claudius, der von 41 - 54 regierte, abgefafct
(1. c. 30) aber ficher nicht lange nach den darin gefchilderten Ereigniffen.
') Eufebius H. E. 2, 27, 1 berichtet, Philo fei zur Zeit des Kaifers
37*
580 Zweiter Abfdmitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Leben fiel zu fruh, als dag er mil den chriftlichen Ideen be-
kannt werden konnte.
Sein Charak- i n feinen gleich zu befprechenden Schriften erfdieint er
L^hretnlliiN 818 ein edler ' die Tu S end preifender und liebender Mann.
gemeinen. Sein von f einen Volksgenoffen felten erreichter fpekulativer
Geift hat die judifch-alexandrinifche Religionsphilofophie zu
einer folchen Hohe und verhaltnismagigen Klarheit der Lehre
erhoben, dag bei denjenigen helleniftifchen Juden, weldie
ihr anhingen, das Chriftentum manche Anknupfungspunkte
fand, wodurch fie leichter zur wahren Lehre gefiihrt werden
konnten. Er bekundet eine genaue und umfaffende Kenntnis
der griechifchen Literatur und i[t nidit nur tief in die Syfteme
der griediifchen Philofophen eingedrungen, fondern gehort
felbft zu ihnen. Allerdings ift er Eklektiker und hat u. a.
mandie ftoifche und neupythagoraifche Elemente in fein
Syftem aufgenommen. Vor allem aber verehrte er den Plato,
den er bisweilen als den Grogen und Heiligen bezeichnet
und detn er im Ausdruck und der Lehre fo nahe gekommen
ift, dag nadi dem heiligen Hieronymus die Griedien zu fagen
pflegten: 2 ) n JlXdrcav <jptA&m f] (fiiXwv TtXarMvilI.fi'.
Die vielen Widerfpriiche in feinen Lehren mogen fich
zum Teil aus dem in der Zeitrichtung liegenden Beftreben
erklaren, widerfprechende und unvereinbare philofophifche
Lehren miteinander zu vereinigen, zum Teil mogen fie daran
liegen, dag Philo in fpateren Schriften feine friiheren An-
fichten modifizierte.
Claudius zum zweitenmale nadi Rom gekommen und habe dort mil dem
Apoftel Petrus in freundfchaftlichem Verkehr geftanden. (Vgl. audi Hier.
de vir. ill. c. 1.) Allein die Nachricht, die mit ioyo? e%ti eingeleitet wird,
ift fehr unglaubwurdig. Weder Jofephus nodi irgend ein gleichzeitiger
Schriftfteller weift etwas davon. Dasfelbe gilt auch von der weiteren
Nachricht (Bus. E. H. 2, 18, 8), Philo folle zu Rom unter Claudius vor
dem verfammelten Senat und unter deffen Beifall feine Schrift ,,Die
Gefandtfchaft an Cajus" vorgelefen haben. Das ift fchon deshalb unmOglich,
weil die Schrift eine fcharfe Verurteilung des Polytheismus ift. Ober
die irrtumliche Meinung des Eufebius, die von Philo gefchilderten Thera-
peuten feien chriftliche Aszeten gewefen, s. o. Kap. 12, 4. Dag fich in den
Werken Philos keine Spur von Chriftentum findet, bemerkt mit Recht
fchon Auguftinus in Faustum 1. XII c. 39 (Migne PL 42, 274).
*) Hier. de vir. ill. c. 11.
XV. Kap. Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 581
Bei all feiner Begeifterung fur die griechifche Philofophie
hat er weder den Glauben nodi die Frommigkeit eines wirk-
lichen Juden verloren. Ihm gait das Alte Teftament, welches
er in der griechifchen Oberfefcung las, als gottliche Offen-
barung 1 ) und als die Quelle, woraus die in den philofo-
phifchen Schriften und Mythen der Griechen enthaltenen Wahr-
heitsmomente entlehnt waren. 2 ) Allein das Beftreben, als
wahrgehaltene pythagoraifche, platonifche, peripatetifche und
ftoifche Gedanken mit dem Alten Teftamente zu verbinden,
fuhrte ihn nun zu einer weitgehenden allegorifchen Erklarung
der heiligen Biicher. Wahrend er meinte, fie in ihrem geiftigen
Sinn aufzufaffen, entleerte er fie ihres Inhaltes. 3 ) Aber er
will doch auch anderfeits bei feiner allegorifchen Schriftaus-
legung den Wortfinn nicht vernachlaffigt haben. So z. B.
fagt er von der Sabbatfeier, fie enthalte den tiefen Sinn,
dafj Gott allein Tatigkeit (t^fta), dem Menfchen Leiden zu-
komme, aber fie fei doch ebenfo fehr ein vollgiiltiges Gebot. 4 )
Wer an den biblifchen Wundern zweifelt, der kennt Gott
nicht und hat ihn nie gefucht, 5 ) und das Gefetj ift fur die
Juden ,,der Anker, auf dem ihr Leben ruht". 6 ) Aber feine
Lehren werden in Verbindung mit den theologifchen An-
fchauungen jener Zeit befprochen werden.
Den zahlreichen Schriften Philos 7 ) ift neuerdings wieder
viele Aufmerkfamkeit gefchenkt worden und ift eine neue
J ) Vgl. z. B. Quis rerum div. heres c. 53 (ed. Mangey I, 511) und
De vita Mosis 1, 1. S. u. S. 584, 587 f. Ober Philos Kenntnis des
Hebraifchen vgl. Siegfried, Philo von Alexandrien. Jena 1875 S. 144.
Fitter, Philo und die Halacha. L. 1879, S. 10.
2 ) S. o. S. 520
3 ) Vgl. u. a. Drummond, Philo Judaeus or the Jewish Alexandrian
philosophy in its development and completion. 2 Bde. Lond. 1888
(Drummond hat auch den Art. fiber Philo in Hastings Diet. Extra vol.
Edinb. 1904, p. 197208 verfafct) und Brehier, Les idees philosophiques
et religieuses de Philon d'Alexandrie. Paris 1908. H. Windifeh, Die
Frommigkeit Philos und ihre Bedeutung fur das Chriftentum. Eine
religionsgefchichtliche Studie. L. 1909. Kennedy, Philo's Contribution
to religion. L. 1919.
*) De migr. Abr. 16 (ed. Mangey I, 450).
5 ) Vita Mosis I, 38 (M. II, 114).
e ) In Flaccum 8 (M. II, 525).
7 ) Die Hauptausgabe war lange Zeit die von Thorn. Mangey, Philo-
582 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jfid. Volkes.
kritifche Ausgabe derfelben nodi im Erfdieinen begriffen.
An der Hand der Arbeiten, welehe fidi mit der Klaffifizierung
der philonifchen Schriften befchaftigen, 1 ) werden lettfere am
beften in folgende Gruppen eingeteilt: 2 )
nis Judaei opera. 2 voll. London 1742, deren Seitenziffern in den
ubrigen Ausgaben {lets angegeben werden. Auf derfelben beruht auch
die handlidie und bequeme Ausgabe von Riditer in adit Bandchen.
Lips. 1828-1830 und die Lips. 185153 bei Tauchnitj erfchienene Edilio
stereotypa. In beiden Ausgaben find auch die von Mai 1818 zuerft
herausgegebenen kleinen Traktate De festo cophini und De parentibus
colendis und die zuerft von Aucher, Venedig 1822 und 1826 aus dem
Armenifchen ins Lateinifche uberfetjten Schriften Philos enthalten. Alle
aiteren Ausgaben werden aber uberholt durch die Ausgabe: Philonis
Alexandrini Opera quae supersunt. Ediderunt Leop. Conn et P. Wendland.
Berolini, 6 Bde. 1896-1915 (1. 4. 5 ed. Cohn 1896. 1902. 1906; 2-3 ed.
Wendland 1897. 1898; 6 ed. Cohn et Sig. Reiter 1915). Eine editio
minor ohne textkrit. Apparat erfchien 1896 1915 in 6 Banden. Sie bietet
den Text der kritifchen Ausgabe und ift mit dem 6. Bande abgefchloffen.
Vgl. die Praefatio zum 6. Bande p. V: operum . . vel deperditorum vel
armeniace tantummodo servatorum reliquiae et fragmenta nisi in editione
critica non edentur. Eine Ausnahme machen nur die Fragmenta der
Hypothetica (Apologia pro Judaeis), welehe im Appendix des 6. Bandes
189 - 200 gedrudct find. Vgl. fiber die frfiheren Ausgaben Philonis Opera
vol. I, ed. Cohn p. LXX LXXX. Ober die alte, aus dem vierten Jahr-
hundert ftammende lateinifche Oberfetjung einiger Werke Philos und die
fpateren lateinifchen Oberfetjungen (worunter die von Qelenius, Bafel 1554
hervorragt), vgl. Cohn 1. c; p. LI und LXXXI, fiber die armenijche Ober-
fetjung ebd. p LII LVI. Von einer deutfchen Oberfetjung mit gelegent-
lichen Anmerkungen, die Prof. Dr. Leopold Cohn herauszugeben begonnen
hatte, find 4 Bande erfchienen unter dem Titel: Schriften der judifch-
helleniftifchen Literatur in deutfcher Oberfetjung. Erfter - vierter Band.
Die Werke Philos von Alexandrien. Erfter - vierter Teil. Breslau
1909-1910. 1919. 1923. Der erfte Teil enthalt: Ober die Weltfchopfung,
fiber Abraham (J. Cohn), uber Jofeph (L. Cohn), .das Leben Mofis
(B. Badt), den Dekalog (L. Treitel); der zweite Teil: Ober die Einzel-
gefe^e, Buch 1 - IV (L. Heinemann), die Tugenden (L. Cohn), Belohnungen
und Strafen (L. Cohn); der dritte Teil: Allegorifche Erklarung des
heiligen Gefetjbuches, Buch I -III (J. Heinemann), die Cherubim (L. Cohn),
die Opfer Abels und Kains, die Nachftellungen, die das Schlechtere dem
Befferen bereitet (H. Leifegang). - Der vierte Teil: Von der Nachkom-
menfchaft Kain's, von den Riefen, dag Qott unveranderlich ift (H. Leife-
gang), vom Landbau und der Gewachfezucht Noes.
l ) Vgl. befonders L. Massebieau, Le classement des oeuvres de
- Philon in Bibl. de 1'ecole des hautes etudes, Sciences rel. I (Paris 1889)
p. 191; die Fortfetjung hiervon bildet L. Massebieau et E. Brehier,
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlidien Zeit. 583
I. Philofophifche Schriften, weldie aus der friiheften Phiiojophifche
literarifchen Produktionszeit Philos ftammen und im Stil edit Jugendfdirif-
philonifch, mehr Excerpte aus der philofophifchen Literatur ten Phllos
als felbftandigeArbeiten find. 1 ) Zu diefen Sdiriften gehoren
zunachft die Schrift ,,von der Unzerftorbarkeit des Weltalls". 2 )
Diefelbe ift allerdings ofter als unecht angefehen worden,
weil fie von der Ewigkeit der Welt handelt, Philo aber an
die Erfchaffung der Welt glaubte. Allein der Verfaffer glaubt,
die Welt fei erfchaffen, aber von Ewigkeit her. Von einer
andern Jugendfchrift, weldie den Gedanken ausfuhrt, da$
nur der Rechtfchaffene frei fei, 3 ) ift die eine Halfte, dajg jeder
Bofe unfrei fei, verloren gegangen. Das Werk ,,von der
Vorfehung" ift, abgefehen von einigen griediifdien Fragmenten,
nur aus dem Armenifchen, worin es zwei Biidier umfafct, be-
kannt. 4 ) Ebenfalls nur armenifdi erhalten ift die Schrift
Essai sur la chronologie de la vie et des oeuvres de Philon in Revue
de 1'histoire des religions. Tome LIII (Paris 1906) p. 25 64 (von p. 55
an von Brehier redigiert auf Grund des literarifdien Nachlaffes von
Massebieau), p. 164185 und 267289, worin befonders verfucht wird,
die relativ fruhere oder fpatere Abfaffungszeit einzelner Schriften Philos zu
beftimmen; dann Cohn, Einteilung und Chronologie der Schriften Philos
im Philologus, Zeitfchr. fur das klaff. Altertum. Supplementband VII,
Heft 3, 1899, S. 387-435. S. auch Schurer III, 633-695.
2 ) Im folgenden wird der wohl begrflndeten Einteilung von Cohn
gefolgt, der auch 1. c. p. 431 f. gezeigt hat, dag von den Schriften der
zweiten Hauptgruppe die Quaestiones fpater als der groge allegorifdie
Kommentar verfagt find. In der Darftellung der mofaifdien Gefetjgebung
aber wird auf beide genannte Werke verwiefen. (Vgl. Cohn S. 432 ff.)
x ) Cohn S. 389.
a ) fltyi nq>&ct(,6ia,<; *66nov = De incorruptibilitate mundi. Mangey II,
487516; Cohn, VI, 5185. Vgl. die textkritifche Ausgabe von Cumont,
Philonis De aeternitate mundi. Berlin 1891, welcher p. II XXIV den
Nachweis der Echtheit der Schrift erbringt.
3 ) Fltgi znv ndvTn. GnovSaluv elvctt IkBi'&eQov = Quod Omnis probus
liber. Mangey II, 445-470, Cohn VI, 1-31. Bin fiber die Effener
handelndes Stfick daraus auch in Euseb. Praep. evang. VIII, 12. Ober
die Ecbtheit {. u. a. Massebieau 1. c. p. 79-87 und Krell, Philo nt^l n.,'
nai-Ti* (Srrordalov tivai ef.tv&etfov. Die Echtheitsfrage. Progr. Augsburg
1896, fowie Schurer III, 675 f.
*) I7s(fi n(>tivoin<; = De providentia (in der Tauchni^er Ausgabe VIII,
1-113 lateinifdi). Ob das erfte Buch echt i[t, ift zweifelhaft. Jedenfalls
ift es aber, wenn echt, nur in fiberarbeiteter Form erhalten. Massebieau
p. 87-91 halt das erfte Buch fur unecht, wahrend Wendland, Philos
584 Zweiter Abfchnitt, Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
,,iiber Alexander (d. h. fiber feine Meinung), dag auch die
Tiere (in gewiffem Sinne) Vernunft haben", 1 ) wogegen fich
der Verfaffer mit Entfchiedenheit wendet.
Phiios Eriau^ 11. Eine zweite Hauptgruppe bilden die zahlreichen
terungsfchrif- Erlauterungsfchriften zum Pentateuch. Ihr gehoren drei
tateuch. ..x T-V " , . , , ,, , ^
1) Der allegorifche Kommentar zum Pentateuch,
welcher fchon zur Zeit des Eufebius feine Einheit verloren
hatte und in viele Einzeltraktate , welche unter befonderen
Titeln angefuhrt werden, zerfiel. 2 ) Der eigentliche Titel lautet:
,,Allegorien der auf das Sechstagewerk folgenden
heiligen Gefetje." 3 ) Deshalb begann das Werk auch erft
mit dem Anfang des zweiten Kapitels der Genefis. Obrigens
geht es nur bis zum zwanzigften Kapitel derfelben, alfo bis
zur Gefchichte Abrahams, welche nicht mehr zu Ende gefiihrt
wird. Von dem buchftablichen Sinn, der oft als abfurd abge-
wiefen wird, ift in dem Werke ganz abgefehen und alles
allegorifch erklart. Selbft die biblifchen Perfonen find hier
nur als Verkorperungen feelifcher Vorgange aufgefafet und der
biblifche Text nur zu pfychologifchen und moralifchen Aus-
fuhrungen benu^t. 4 ) In unfern Ausgaben fuhren den dem
Schrift uber die Vorfehung, ein Beitrag zur Gefchichte der nachariftotelifchen
Philofophie 1892, die Echtheit verteidigt. Vgl. auch Schurer III, 683 t. und
Cohn S. 390.
*) Eus. H. E. 2, 18, 6 gibt den Titel: 'Ai^avSpo?, $ neqi zoii loynv
t%eiv id Aoya C<Ja. Hier. de vir. ill. nennt es c. 11 (Ausgabe von Ber-
noulli, Freib. 1895) De Alexandro et quod propriam rationem muta ha-
beant. Schurer III, 532 (vgl. dagegen IIP, 685) hielt das Buch fiir eine
fpatere Schrift Phiios, da an einer Stelle ( 54) der Gefandtfchaft nach
Rom gedacht werde. Cohn macht aber (S. 391) darauf aufmerkfam, dag
die Stelle in den Ausfuhrungen Alexanders fteht und fich auf eine Reife
desfelben bezieht. Im 27 wird das Konfulat des Germanicus im Jahre
12 n. Chr. erwahnt (Cohn 1. c.)
*) Euseb. H. E. 2, 18, 1 Cohn S. 391. Mit Ausnahme des Werkes
De opificio mundi, welches in den Ausgaben zuerft fteht, aber nicht hier-
hin gehort (f. u.), gehort zu dem allegori(chen Kommentar alles, was
bei Mangey im erften Band, in den Ausgaben von Richter, Tauchnitj,
Cohn und Wendland in den drei erften Banden fteht.
3 ) No/ttfov if()<av dt.i?]yo(jtat r<Hv ftstci zr t v 'fila^'juepov. So nach den
Handfchriften. S. Cohn S. 392.
4 ) Massebieau p. 1033 will in dem allegorifchen Kommentar eine
fortlaufende Gefchichte der menjchlichen Seele fehen, n la description des
XV. Kap. Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 585
ganzen Werke zukommenden Titel nur die erften Bucher,
fo daJ5 man von drei Buchern Allegorien der Gefetje fpricht. 1 )
Die folgenden Bucher fiihren Sondertitel. 2 ) Zule^t ftehen in
diefer Gruppe die beiden Bucher ,,von Traumen". Obrigens
finden fich mehrere Lucken, fei es, dag Philo uberhaupt nichts
Allegorifches uber die betreffenden Stellen gefchrieben hat,
fei es, daft, wie fur Einzelnes feftfteht, die entfprechenden
Ausfuhrungen verloren find. Zu letjteren gehoren die von
Philo felbft erwahnten Traktaie M iiber Biindniffe" 3 ) zu Gen.
6, 13-9, 19 und die ebenfalls von ihm mit dem Namen
,,iiber Belohnungen" erwahnte 4 ) Erklarung von Genefis 15, 1.
progres vers la sagesse du nqwonruv, du proficiens, comme 1'appelaient
les stoi'ciens romains" (p. 12), ift aber nur, wie Cohn S. 393 fagt, ge-
zwungen, ,,mehr Lucken des Werkes anzunehmen, als man friiher auf
Grund von Selbftzitaten Philos vermutet hat". Vgl. uberhaupt gegen
diefe Anficht Cohn S. 392 f.
J ) Buch 1 und 2 bildeten urfprunglich nur ein Buch und behandeln
Gen. 2, 13, la. Buch 2 fiber Gen. 3, lb-8a fehlt; ebenfo Buch 4
fiber Gen. 3, 20-23. Vgl. Cohn S. 393 f. In der Ausgabe von
Mangey ftehen die drei erhaltenen Bucher Bd. I, 43137, in der von
Cohn I, 61-169.
2 ) Vgl. darfiber Schfirer III, 650- 659. Cohn 394-404. Die Sonder-
titel lauten im Lateinifchen: De Cherubim et flammeo gladio; De sacri-
ficiis Abelis et Caini (vollftandig erft in der ed. Cohn 1 p. 202 257.
In den fibrigen Ausgaben fteht ein hierhin gehOriges Stuck in einem
Traktat De mercede meretricis (bei Mangey II, 264 269), deffen erfter
Teil aus dem Traktat De victimas offerentibus genommen ift); Quod
deterius potiori insidiari soleat (vgl. diefe Traktate in Mangey I, 138-225;
ed. Cohn I, 170-297). Die folgenden ftehen bei Mangey I, 226-472
und in der ed. Cohn et Wendland und den fibrigen Ausgaben, vol. II:
De posteritate Caini; De gigantibus; Quod Deus sit immutabilis ; De
agricultura; De plantatione; De ebrietate (vgl. S. 586, 1); De sobrietate;
De cenfusione linguarum; De migratione Abrahae. Endlich finden fich
in Mangey I, 473 ff. und im dritten Bande der fibrigen Ausgaben die
Stficke: Quis rerum divinarum heres sit; De congressu eruditionis gratia;
De profugis; De mutatione nominum; De somniis lib. I et II. Nach
Euseb. H. E. 2, 18, 4 hatte Philo ffinf Bucher De somniis gefchrieben.
Nach Massebieau p. 31 und Cohn p. 402 find vermullich die erften drei
Bucher verloren gegangen und find uns das vierte und ffinfte Buch er-
halten in lib. I et II.
3 ) Philo, De mutatione nominum 6, 53 ,,ne^l tfia&tjxwv" = de
testamentis. Vgl. dazu Massebieau p. 23. Cohn S. 397 f.
4 ) Philo, Quis rer. div. heres sit, am Anfang ,,7i^l fiidzuv". Vgl.
dazu Massebieau S. 27 f. Anm. Cohn S. 400 f.
586 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jfld. Volkes.
Von dem Kommentar fiber Genefis, Kapitel 1819 ift nur
ein kleines Stuck armenifch unter dem Titel w von Gott" er-
halten. 1 )
2) Das zweite Hauptwerk Philos fiber den Pentateuch
find Katechefen fiber die zwei erften Bficher des Penta-
teuchs in Form von Fragen und Antworten, lateinifch
,,Quaestiones et solutiones in Genesim et in Exodum. 2 ) Schon
Eufebius kannte nur die katechetifche Behandlung diefer beiden
Bficher des Pentateuchs durch Philo. 3 ) Derfelbe hat aber
beabfichtigt, den ganzen Pentateuch in diefer Weife zu be-
arbeiten. 4 ) Bekannt find vorzfiglich aus dem Armenifchen
fechs Bficher, 5 ) welche bis Genefis Kapitel 28 gehen, und
zwei 6 ) Bficher, welche Exodus 12,2-23 und 20, 25-28,38
behandeln. Gewohnlich wird fowohl eine Erklarung nach
dem Wortfinne, als auch eine allegorifche gegeben
3) Das dritte Hauptwerk ift eine hiftorifch-exegetifche
Darftellung der mofaifchen Gefetjgebung. Der Inhalt,
die Bedeutung und der Wert der Erzahlungen und der Ge-
fetje des Pentateuchs werden in einfacher Form, meift ohne
philof ophifche und allegorifche Erorterungen, mit mannigf altigen
moralifchen Nutjanwendungen dargelegt. 7 ) Am Anfange fteht
J ) In der Tauchni^fchen Ausgabe VIII, 16. - Nach Suseb. H. E.
2, 18, 2 hatte Philo zwei Bucher De ebrietate gefchrieben. Das zweite
ift aber, abgefehen von einigen Fragmenten, verloren. Vgl. Massebieau
p. 24 f. Schurer III, 655.
a ) Tolv t.v PeveGft, xat TOJV ev 'El-ayiityfj ^ijTij^druiv xe xat ivdeoiv
p t pUa. Vgl. Euseb. H. E. 18, 1 und 5. Das Werk ift aus dem Armen.
von Aucher, Philonis Judaei Paralipomena, Venetiis 1826, herausgegeben.
Die lateinifche Oberfeijung Auchers ift abgedruckt in den Ausgaben von
Richter und Tauchni^ im 6. und 7. Bd. Es ift auch eine Anzahl grie-
chifcher Fragmente bekannt.
3 ) Vgl. Bus. 1. c.
*) Er verweift fchon Quaest. in Gen. IV, 123 auf ^z^ata zu Deute-
ronomtum, indem er fagt: Quae vero ratio sit istorum, dicetur, cum
benedictiones examinemus.
5 ) Die armenifche Oberfe^ung zahlt nur vier Bucher, Buch vier um-
fagt aber, wie fich aus den Zitaten bei Joannes Damascenus ergibt,
Buch 4-6. Vgl. Schurer III, 645, 37.
6 ) Dem Eufebius waren fQnf Bucher bekannt (f. H. E. 2, 18, 5),
davon ift das 2. und 5. erhalten (vgl. Schurer III, 646, 38).
7 ) Ober die Einteilung des Werkes vgl. Philo, De praemiis et
poenis 1 (ed. Mangey II, 408; ed. Cohn V, 336).
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 587
der Traktat ,,Von der Weltfchopfung", 1 ) welcher auch die Er-
fchaffung des Menfdhen und den Sfindenfall behandelt.
Im zweiten Teile follten die Leben der Erzvater als In-
begriff von Tugend und Weisheit zur Darftellung kommen.
Erhalten find aber nur die Lebensgefchichten von Abraham
und Jofeph. 2 ) Wahrend Abraham der Typus der erlernten
Tugend ift, wie Ifaak der Typus der angebornen und Jakob
der Typus der durch Ubung erworbenen Tugend, wird an
der Gefdiichte Jofephs gezeigt, wie der Weife fich unter den
Anforderungen, welche die menfchliche Gefell[chaft an den
Poliiiker ftellt, zu benehmen hat. 3 )
Der dritte Teil beginnt mil einer allgemeinen Erorterung
fiber den Dekalog*) und geht dann zu einer Erlauterung
der zu jedem der zehn Gebote gehorigen fpeziellen Gefet5e
iiber. Der befondere Titel fiir die vier Bticher fiber diefe
fpeziellen Gefetje lautet: De specialibus legibus lib.
I IV. 5 ) Das erfte Buch handelt in fyftematifcher Weife im
Anfchlujg an das erfte und zweite Gebot fiber den Kultus,
das Prieftertum und die Opfer. Wenn dies in den bisherigen
Ausgaben wenig hervortrat, lag dies daran, dag diefelben
die einzelnen Abfchnitte unter befonderen Titeln gaben. 6 ) Das
') Ut^l Tijt; Kara Mw<Sea, xotiftoTiouns =.- De mundi Opificio. Der
Traktat fteht in den Ausgaben zu Anfang der Werke Philos, auch bei
Gohn I, 1-60, der aber ebd. LXXXV wie auch Philologus S. 406 f. die
richtige Anjchauung vertritt.
2 ) Ed. Mangey II, 1-40 und 41-79. Vgl. die Tauchni^er Aus-
gabe 4, 1-120. Ed. Cohn et Wendland IV, 1-118.
3 ) Massebieau 1. c. p. 34: Joseph . . . symbolise le politique, c'est-
a-dire le sage aux prises, avec les necessites de la societe humaine.
Vgl. De Josepho 7.
4 ) Der Titel lautet bei Bus. H. E. 2, 18, 5: ne^l rtiv de*a).oyio)v =
de decalogo (ed. Mangey II, 180 209; in der Tauchnitjer Ausgabe 4,
267-306; in der ed. Cohn IV, 269-307).
5 ) Nach Eus. 1. c. ift der Titel: n Ober die zu den betreffenden
Hauptftficken der zehn Worte gehOrigen fpeziellen Gefetje". Auf Grund
einer Handfehrift gibt Cohn vol. V, 1 (vgl. ebd. p. XIX) dem Ganzen
den Titel cftAwvo? nnfl TW ev tiegft 6tmayfttxro)r. Ober die genauen und
vollen Titel der einzelnen Bficher vgl. Cohn, Philologus S. 410, und in
feiner Ausgabe vol. V p. XIX ff
6 ) Vgl. die Abfchnitte in Mangey II, 210264; in der Tauchni^er
Ausgabe 4, 307 390. Sie fuhren den Titel De circumcisione, De mo-
narchia lib. I und II (das erfte Buch handelt von der Gottesverehrung,
588 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes-
zweite Buch befchaftigt fich mit dem dritten bis fiinften Gebot
und erlautert die Gefetje fiber die Fefte. 1 ) Im dritten werden
die zum fediften und fiebenten Gebote gehorigen Spezial-
gefetje uber Ehebruch, Mord u. dergl. behandelt, 2 ) endlich
im vierten im Anfchlufc an das adite bis zehnte Gebot die
Gefe^e iiber Diebftahl, falfches Zeugnis, Enthaltfamkeit
(Speifegefetje) und endlich am Schlug iiber die Gerechtigkeit. 3 )
Einen Anhang zu den Bfichern De specialibus legibus
bilden die Traktate uber die Tugenden, namlidi den Stark-
mut, die Philantropie, die Sinnesanderung, worin die Heiden
aufgefordert werden, fich zum wahren Gott zu wenden, und
den Adel, worin zugunften der Profelyten gezeigt wird, daft
der wahre Adel nidit auf der Geburt beruht 4 ) Endlich wird
das ganze Werk gefchloffen durch einen Traktat iiber die
Belohnungen, welche Mofes den Guten verfprochen und die
Strafen, welche er den Bofen angedroht habe. 5 )
Leferkreis Die Schriften der erften Hauptgruppe find an einen
der bisher weiteren Leferkreis gerichtet, die der zweiten, namentlich der
befprochenen a n e g Or ifche Kommentar zur Genefis und die Quaeftiones et
chnften. so j ut j oneS) haben gebildete Lefer im Auge. In diefen beiden
lib. II, 1-3 vom Tempel, II, 4-15 von den Prieftern), De praemiis
sacerdotum (bei Cohn De sacerdotum honoribus), De animalibus sacri-
ficiis idoneis deque victimarum speciebus sive de victimis (ein zwifchen
3 und 4 fehlendes Stuck ift erft von Wendland, Neu entdeckte Frag-
mente Philos, Berlin 1891, S. 114 veroffentlicht worden\ De victimas
offerentibus. Vgl. den Lib. I bei Cohn V, 1-84.
') Das Budi be{teht aus drei Kapiteln: De jurejurando, De Septe-
nario et diebus festis und De colendis parentibus (Ed. Cohn V, 85149).
v ) Ed. Cohn V, p. 150-208. Vgl. Ed. Mangey II, 299-334, Taudi-
nitjer Ausgabe 5, 65117.
3 ) Das Buch zerfallt in vier Kapitel De furto, De falso testimonio
et de judicibus, De concupiscentia und De justitia. S. Cohn V, 209265.
Mangey II, 335374. Ed. Tauchn. 5, 118-177.
4 ) Vgl. diefe Traktate De fortitudine, De humanitate, De poenitentia
und De nobilitate in ed. Cohn V, 266-335. Vgl. ed. Mangey II, 375407 ;
ed. Tauchni^ 5, 178225.
6 ) Vgl. Bus H. E. 2, 18, 5, demzufolge das Werk (vgl. Cohn
vol. V p. XXVIII f.) in drei Kapitel: De praemiis et poenis, De bene-
dictionibus und De exsecrationibus zerfallt. In den Ausgaben wer-
den zwei Teile unterfchieden: De praemiis et poenis und De exse-
crationibus (Mangey 11, 408-437; Tauchn. Ausg. 5, 226269. Cohn V,
336-376).
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlidien Zeit. 589
Sdiriften richtet fich der Verfaffer an Jiinger Mofis, ohne
dabei zu unterfcheiden, ob fie judifchen oder griechifchen Ur-
fprungs find. Sie mtiffen nur hinreichend in die gottlichen
Myfterien eingeweiht, d. h. hinreichend unterrichtet fein, um
den Gedanken Philos folgen zu konnen. 1 ) Die Darftellung
der mofaifchen Gefetjgebung aber ift, abgefehen von dem
erften Teile, welcher feiner Natur nach allgemeiner gehalten
ift, befonders fur jiidifche Lefer beftimmt. Das gilt nicht blofc
von dem zweiten, fondern namentlich auch von dem dritten
Teile fiber die Gefetje. 2 ) Die Syftematifierung und Erlau-
terung der Gefetje, welche hier geboten wurde, war auch
den Juden neu.
III. Die dritte Hauptgruppe der Schriften Philos wendet Philos hifto-
fich aber wieder wie die erfte an einen weiteren Leferkreis. nf*-apoioge-
Sie umfajgt namlich die hiftorifch-apologetifchen Schrif-
ten, welche heidnifche Lefer fiber die Juden und das Juden-
tum aufklaren und zu ihren Gunften ftimmen wollen. Hier-
hin gehoren folgende Werke:
Das Leben Mofis urfprunglich in zwei, in den jetjigen
Ausgaben in drei Biichern. 3 ) In dem Werke werden das
Leben und das Wirken des Mofes als Ftihrer des Volkes,
als Gefetjgeber, als Priefter und als Prophet befchrieben.
Bin Hypothetica, genanntes apologetifches Werk ift
nur in einigen Fragmenten erhalten, 4 ) welche zeigen, dafj es
gegnerifche ,,Hypothefen" oder Unterftellungen, d. h. Anklagen
gegen die Juden zuriickweifen wollte. Wahrfcheinlich ift das
Werk nur ein Teil einer andern, nur in einem Bruchftiick er-
haltenen Schrift Philos, der Apologie fiir die Juden. 5 )
x ) Vgl. Massebieau p. 6 und 11. der auf Quaest. in Gen. IV,
140, 143 u. a. verweift. Cohn S. 414 f. meint, es feien beide Werke
nur fiir judifche Lefer beftimmt, welche mit der allegorifchen Methode der
Bibelerklarung vertraut waren. Es gab aber ficher in Alexandrien auch
viele fog. ,,gottesfurchtige" Heiden, welche die Synagoge befuchten.
2 ) Vgl. Massebieau p. 34 und 38, 3.
3 ) Ed. Mangey 11, 133-179; Ed. Cohn vol. IV, 119268.
*) Bei Euseb. Praep. evang. VIII, 5-7. Vgl. o. S. 441, 3. Der
Name durfte am beften mit Schiirer III*, 685, Cohn, Philologus, Suppl.
VII, 418 durch Unterftellungen" (falfche Meinungen), uber die Juden,
welche hier zuruckgewiefen werden, ,,gegnerifche Annahmen" erklart
werden.
5 ) Bei Euseb. Praep. evang. VIII, 11 (die Schilderung der Effener)
590 Zweiter Abfdmitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Bin weiterer urfpriinglicher Beftandteil diefer Apologia war
wahrfcheinlich die beruhmte Sciirift iiber das befdiauliche
_Le ben, 1 ) welche uns mit den Therapeuten bekannt madit.
Aus den Anfangsworten ergibt fidi, dafj ihr eine Schilderung
der Effener vorausging. Beide, die Effener fowohl wie die
Therapeuten, follten die Fahigkeit des Judentums, Scharen
heiliger und afzetifcher Manner hervorzubringen, dartun.
Von grogem Wert auch fur die allgemeine Gefchichte
find die bekannten zwei Gefdiichtswerke ,,gegen Flak-
kus" urid ,,die Gefandtfchaft an Cajus". 2 ) Erfteres fchil-
dert die alexandrinifche Judenverfolgung unter dem romifchen
Statthalter Flakkus und ift abgefehen von einem vermutlidi
nidit umfangreidien Stflck am Anfang, weldies auf die Ver-
folgung der Juden unter Sejanus Bezug nahm, erhalten. 3 )
,,Die Gefandtfchaft an Cajus" ift aber der einzige auf uns
gekommene Teil eines urfprunglich fiinf Bucher umfaffenden
grofeeren Werkes, weldies, wie Eu[ebius meint, 4 ) ,,ironifch"
den Titel ,,iiber die Tugenden" fuhrte. Wahrfcheinlidi war
heigt das Werk j v^rg 7o><5Wv dnoloyia, in Euseb. H. E. 2, 18, 6 nur
Titfji 'I(ir3ui<,>v. Vgl. Gohn a. a. S. 418 f. ,
1 ) S. o. S. 441, 3. Vgl. nodi Massebieau, Le classement etc.
S. 5961 und Cohn S. 419 ff. n Die Briefe Philos an Jakobus den
Bruder des Herrn", welche der Gefchichtfchreiber des Konzils von Nicaa,
Bifehof Maruta (vgl. Brauri, De sancta Nicaena synodo. Syrifche Texte
des Maruta von Maipherkat, Mflnfter 1898 = Kirchengefch. Studien IV,
3 S. 41) erwahnt, find nach der anfpredienden Vermutung Harnaeks,
Theol. Litrztg. 1899, 2 Sp. 47 mit der Sdirift De vita contemplativa
identifdi.
2 ) Adversus Flaccum und De legatione ad Gajum (in M. II, 517
bis 544 und 545-600; in derTauchn. Ausg. 6, 4485 und 86166). In
der Ausgabe von Gohn VI, 86188 find die beiden Schriften von S.
Reiter herausgegeben. Vgl. die franzOfifche Oberfetjung beider in De-
launay, Philo d'Alexandrie, ecrits historiques, influence, luttes et perse-
cutions des Juifs dans le monde Romain, Paris 1867.
s ) Vgl. den Anfang von Contra Flaccum. Mit der legatio ad Cajum
ift diefe Sdirift nie (wie Sdiurer III, 677 ff. vermutet) verbunden ge-
wefen, da nirgendwo in der einen Sdirift auf die andere Bezug ge-
nommen wird und weder Eufebius (vgl. H. E. 2, 18, 8; Chron. II, 150 f.
ed. Sdioene), nodi die Handfdiriften von einer Verbindung beider zu
einem Werke etwas wiffen. Vgl. Massebieau 1. c. p. 72 ff. (und iiber-
haupt p. 6578), dem Cohn 421424 zuftimmt.
4 ) Bus. H. E. 2, 18, 8.
XV. Kap. Die judifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 591
aber der Titel nidit ironifdi gemeint, Jondern nahm auf die
verfolgten Juden Bezug. 1 ) In dem nodi erhaltenen Teile
des Werkes wird die Gefandtfchaft an Cajus und ihre Veran-
laffung, namlidi die Verfolgung der Juden in Alexandrien
unter Caligula, erzahlt. Das Werk hat einen familiareren
Ton 2 ) als das, ,,gegen Flakkus", mit dem es fich inhaltlidi
vielfach beruhrt.
Eine Sehrift Philos ,,von den Zahlen" 3 ) ift verloren. Veriome und
Die aber unter feinem Namen gedruckten Werke ,,von der unechte
Welt", 4 ) ,,Erklarung hebraifcher Namen" 5 ) und ,,biblifche Alter-
turner" 6 ) find unecht, ebenfalls wie allgemein zugegeben
J ) Nadi Bus. Chron. ed. Sdioene p. 150 151 waren die Verfol-
gungen unter Sejanus im zweiten Buch behandelt.
2 ) Vgl. Massebieau p. 73 s.
3 ) Vgl. Vita Mos. 3, 11. Wo fie unterzubringen ware, lagt fich nicht
fagen. S. Cohn 425.
4 ) De mundo, eine Zufammenfetjung aus Stiicken philonifcher Werke
(vgl. Cohn, Philonis Opera I p. LI, und Philologus 1. c. S. 425), ge-
druckt in Mangey II, 601624.
6 ) Eine ,,Interpretatio nominum Hebraicorum" ift unter dem Namen
Philos in Philonis Judaei Alexandrini libri etc. Basileae 1527 gedruckt.
Origenes Comm. in Joa. II c. 27 (Opp. ed. Lommatjfch I, 150) erwahnt
ein dem Anfcheine nach anonymes Werk fiber diefen Gegenftand; ebenfo
Eusebius H. E. 2, 18, 7. Hieronymus hat das Werk ins Lateinifche iiber-
fetjt, es aber ganz uberarbeitet. Er nenrit nicht felbft Philo als Verfaffer,
fondern bemerkt, Origenes, der das Werk erganzt habe, fage, Philo fei
der Verfaffer. In der Ausgabe des Hieronymus von Vallarsi (Hier. Opera III,
337 sqq.) ftehen drei griediifche Schriften, nach der Meinung des Heraus-
gebers Rezenfionen bezw. Fragmente von Rezenfionen der griechifchen
Vorlage des hi. Hieronymus (vgl. diefelben auch mit der Schiift des
hi. Hier. in de Lagarde, Onomastica sacra. GOtt. 1870 u. 1887). Ober
all diefes berichten eingehend Bardenhewer, Gefch. der altkirchl. Literatur
11, 1903, S. 146-149, der der Anficht ift, nicht Philo, fondern ein anderer
habe die in Philos Werken zerftreuten Etymologien zu einem einheit-
lichen Ganzen zufammengefagt, und Schurer III, 693695, der zu dem
Refultate kommt, es laffe fich nicht ermitteln, ob der Archetypus des
Verzeichniffes philonifch war oder nicht. Vgl. nodi E. Tifferand, Un frag-
ment d'Onomasticon, Rb. 1913, 7681.
6 ) Liber antiquitatum biblicarum, eine apokryphe Bearbeitung der
biblifchen Gefchichte von Adam bis Saul, gedruckt nebft den zwei vorher
erwahnten unechten Schriften lateinifch in Philonis Alexandrini libri etc.
Basileae 1527. In den antiq. biblicae werden u. a. die Namen von zwOlf
Sohnen und adit Tochtern Adams, fowie die Namen von Kindern Kains
und der von ihm erbauten Stadte gegeben. Jephtes Toditer heigt hier
592 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
wird, die aus dem Armenifchen bekannten Werke w von
Sampfon" und ,,iiber Jonas". 1 )
e) Das dritte Buch der Makkabaer.
Das dritte Der Name Makkabaer, welcher von Judas, dem Sohne
Buch der ^ QS Mattathias, auf das ganze Gefchlecht der Hasmonaer,
A/I nlflfohof^i*
feini h it d ( * em QT an g enor t e > ubertragen wurde, ift auch iiberhaupt zur
dieZeitfeinesBezeichnung der Vorkampfer des Judentums gegen die Helle-
Entftehens. nen gebraudit worden. Dadurdi erklart es fidi, daft diefen
Namen ein von einem alexandrinifchen Juden griediifch ge-
fchriebenes Budi tragt, welches in fehr bombaftifcher Weife
Seila, die Hexe von Endor Sedecla, Mofes war von feiner eigenen
Mutter Melchiel genannt worden. Der lateinifche Text ift aus dem Grie-
chifchen gefloffen, wie man fchon aus den vielen griechijchen Ausdrticken
erfehen kann, beruht aber auf einem hebraifchen Original, wie z. B. an
der Auslaffung von Cainan zwifchen Arphaxad und Sale Gen. 10, 24.
11, 12 erfichtlich ift. Jede Anfpielung auf das Chriftentum und den
Tempel fehlt. Allem Anfcheine nach handelt es fieri um ein nach der
Zerftorung des Tempels gefchriebenes haggadifehes Werk eines judifchen
Verfaffers. Vgl. Cohn, An apocryphal work ascribed to Philo of Ale-
xandria in The Jewish Quart. Review X n 38, London 1898, p. 277332.
In dem biblicarum antiquitatum liber wird berichtet, dag Gott von
dem judifchen Volke zu Mofes folgendes redete: n lch weifc, dag fie die
Bundniffe, welche ich mit ihren Vatern gefchloffen habe, vergeffen werden.
Aber dennoch werde ich fie (die Ifraeliten) nicht auf ewig vergeffen.
Denn fie felbft werden in den letjten Tagen wiffen, dag wegen ihrer
Sunden ihr Same aufgegeben wurde, denn ich bin getreu in meinen
Wegen." (Bei Cohn, An apocryph. work. etc. 1. c. p. 290.) Die Rede
Gottes nach der Flut fchliegt mit den Worten: ,,Wenn die Jahre dtr
Periode (anni saeculi) vollendet find, dann wird das Licht nicht mehr
fein und die Finfternis wird ausgelOfcht und ich werde die Toten le-
bendig machen und die Schlafenden von der Erde aufrichten und die
Holle wird ihre Schuld bezahlen und die ZerftOrung wird zuruckgeben,
was fie bewahrt (perditio testituet paratecen suam), damit ich jedem
vergelte nach feinen Werken und nach der Frucht feiner Erfindungen,
indem ich richte zwifchen Fleifch und Seele. Und Zeit wird nicht mehr
fein und der Tod wird ausgelofcht und die Holle wird ihren Mund jchliegen
und die Erde wird nicht ohne Vermehrung (sine foetu) und nicht fur
ihre Bewohner unfruchtbar fein und keiner, der in mir gerechtfertigt
worden ift, wird befleckt werden; und es wird eine neue Erde fein und
ein neuer Himmel als eine ewige Wohnung" (bei Cohn 1. c. p. 323).
') De Sampsone (in Aucher, Paralipomena Armena. 1826, p. 549
bis 577) und De Jona (ibd. p. 578-611).
XV. Kap. Die jiidifche Literatur der neuteftamentlichen Zeit. 593
einen romanhaften Bericht iiber die Verfolgungen der agyp-
tifchen Juden unter dem Konige Ptolemaus IV. Philopator
(221204) enthalt. 1 ) Nachdem diefer den Konig Antiodius
den Grogen in der Schladit bei Raphia (217 v. Chr.) befiegt
hat, kommt er nadi Jerufalem und will das Allerheiligfte
fehen, wird aber auf das Gebet des Hohenpriefters Simon
durch eine plo^liche Lahmung davon abgehalten. Nadidem
er zu fich gekommen war, zog er mil heftigen Drohungen
gegen die Juden ab (1,4 2,24). In Agypten fing er nun
an, die Juden zu verfolgen, indem er nur denen die gleichen
burgerlichen Rechte wie den Alexandrinern zugeftehen wollte,
weldie in die Gemeinfchaft der den Myfterien des Dionyfos
(Bacchus) Geweihten eintraten. Die ubrigen follten in den
Stand, der Leibeigenen verfetjt werden. Die Mehrzahl der
Juden blieb aber treu (2, 25 33). Darauf befahl der Konig,
alle Juden aus ganz Agypten in eifernen Ketten an ein und
denfelben Ort zu bringen, damit fie hingerichtet wiirden
(cap. 3). Alle wurden nun in die Rennbahn nach Alexan-
drien gefchleppt und zuerft ihre Namen aufgefchrieben. Aber
nach 40 Tagen mufcfe man wegen der unermeglichen Zahl
der Juden damit aufhoren, weil kein Papier mehr vor-
handen war. Jetjt follten 500 trunken gemachte Elefanten
auf fie in der Rennbahn losgelaffen werden.
Nach zweitagiger Verzogerung kommt der feftgefetjte
dritte Tag (cap. 5). Auf das Gebet des Priefters Eleazar aber
ftellen fich zwei lichtglanzende Engel dem Heere der Feinde
entgegen; die Tiere wenden fich gegen die koniglichen Truppen
und zertreten fie (6, 1 21). Nun wendet fich der Zorn des
Konigs gegen feine falfchen Ratgeber und er veranftaltet in
der Rennbahn fieben Tage lang ein Freudenfeft fur die
Juden. Diefe befchloffen, in Zukunft diefe Tage zur Erinne-
rung an ihre Rettung feftlich zu begehen (5, 22 40). Nach-
dem fie einen koniglichen Schutjbrief erhalten und mit Er-
x ) Das Werk ift zuerft im Kanon 85 der apoftolifchen Canones
(Maxxctpnioiv rpia.) erwahnt und u. a. gedruckt in den Ausgfaben der
Septuaginta, z. B. bei Swete III, 709 ff.; deutfch mit Einleitung von
Kautjfch in deffen ,,Apokryphen" etc. 1, 119135; englifch mit Einl. von
Emmet in Charles, The Apocrypha I, 155 173. Vgl. Fairweather, art.
Maccabees, book of, in Hastings D. Ill, 192-194 und Bludau, Juden
und Judenverfolgungen im alten Alexandria. Munfter 1906, S. 6066.
Felten, Neuteflamentliche Zeifgefchichte. f. 2. u. 3. Auf I. 38
594 Zweiter Abfehnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
laubnis des Konigs an den abtrunnigen Volksgenoffen blutige
Rache genommen batten, zogen fie nach Haufe. Zu Ptole-
mais (wahrfcheinlich das jetjige el-Lahun, fiidweftlich von
Kairo) *) veranftalteten fie fieben Tage lang ein weiteres Feft
und befchloffen, in Zukunft aueh diefe Tage als Fefttage zu
feiern, und errichteten ein Bethaus zu Ptolemais und kehrten
frei und froh nach Haufe zuriick (cap. 7).
Wenngleich Philopator wirklich den Antiochus zu Raphia
befiegte und auch mehrere Monate in Colefyrien und Phoni-
zien zugebracht hat, 2 ) ift nichts davon bekannt, dafc er Jeru-
falem befuchte Oder die Juden verfolgte. Wohl aber wird
an einer nur lateinifch erhaltenen Stelle der Schrift des
Jofephus gegen Apion gefagt, 3 ) dafc der Konig Ptolemaus VII.
Physcon (146117 v. Chr.) die alexandrinifchen Juden aus
Zorn iiber den judifchen Feldherrn Onias, welcher die Sadie
der verwitweten Konigin Cleopatra vertrat, habe feffeln und
trunken gemachten Elefanten vorwerfen laffen. Die Tiere
wandten fidi aber gegen Physcons Freunde und toteten viele.
Hierauf fah der Konig ein fdireddiches Gefidht, welches ihm
verbot, den Juden zu fchaden, und bereute fein Vorhaben.
Zur Erinnerung an ihre Rettung, fagt Jofephus, feiern be-
kanntlich die alexandrinifchen Juden diefen Tag.
Bei Jofephus liegt wohl die altere Form der Erklarung
eines Freudenfeftes, welches die Juden zu Alexandria und
Ptolemais aus Anlafc der Rettung aus einer Gefahr feierten,
vor. Der Bericht des dritten Makkabaerbuches gibt dann
eine jiingere Erklarung, deren koloffale Obertreibungen und
pfychologifche Unmoglichkeiten ihren unhiftorifchen Charakter
dartun.
Vermutlich hat der Verfaffer beabfichtigt, feine Volks-
und Glaubensgenoffen in Alexandrien in einer ihnen drohen-
den Gefahr zu ermuntern und zu ftarken. Am erften ift dann
aber an die Zeit des Caligula zu denken, 4 ) als der romifche
') Vgl. Kau^fch 1. c. S. 134.
2 ) Polybius, Historiae V, 87.
3 ) Jos. c. Ap. 2, 5.
4 ) Vgi. Ewald, Gefch. des Volkes Ifrael 3. A. Gottingen 1864 ff. IV,
611 ff. u. a. Motjo .B., Esame storico-critico del III libro del Maccabei
(in Entaphia in memoria di Emilicr^Pazzi la scuola Torinense di storia
XVI. Kap. Die judifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 595
Statthalter Flakkus die gewaltfame Aufftellung der Kaifer-
bilder in den judifchen Synagogen zuliefc und die Juden
ihrer burgerlichen Redite beraubte. 2 )
Jedoch ift die genaue Zeit der Abfaffung un[idier. 3 )
XVI. Kap it el.
Die judifche Literatur von der Zerftorung Jerufalems
bis zur Zeit Hadrians.
Die Zerftorung Jerufalems ift auch ein Markftein im ju-
difchen Geiftesleben und in der judifchen Literatur gewefen.
Das zeigt fich einerfeits darin, daJ3 man nun immer mehr in
der einfeitigften rabbinifdi-talmudifchen Anfchauungs- und Be-
handlungsweife des Gefetjes und der alten phantaftifch aus-
gefchmuckten Uberlieferungen Troft fur den Untergang der
Stadt und des Tempels und der Nation fuchte. Es zeigt fich
aber audi anderfeits in den Klagen iiber diefen Untergang,
wie fie z. B. bald in ruhigerem, bald in leidenfchaftlicherem
und rachfuchtigerem Tone das vierte und funfte Budi der
Sibyllinen ausfprachen, und in dem offenen Hinweis auf das
beffere Jenfeits. An diefes mahnt das erwahnte funfte Buch.
Auch der Apokalyptiker des vierten Buches Esdras, der es
nicht begreifen kann, dafe Gott folche Sunder wie die Romer
uber die Stadt Gottes fiegen laffen konnte, fucht feine Volks-
genoffen mit der Zuverficht auf die Erfullung der feligen
Hoffnungen im Jenfeits zu troften. Eine ahnliche Aufgabe
hat fich die etwas jungere (fyrifche) Baruchapokalypfe geftellt.
antica, Turin 1913, p. 209-251) verlegt die Abfaffung vor 30 n. Chr.
Eine Epifode der inneren Politik des Ptolemaeus Philopator bilde den
gefdiiditlichen Hintergrund (Bibl. Zeitfdir. 1914, S. 335).
*) S. o. S. 278 ff.
3 ) Der Verfaffer zeigt fich nach 6, 6 mit der Gefchichte der drei
Jiinglinge im Feuerofen, wie fie nur griechifch Daniel 3, 24 ff. erhalten
ift, bekannt. Es ift unberechtigt, diefe n griechifchen Zufatje zu Daniel" in
das letjte Jahrhundert v. Chr. zu fetjen und danach den terminus a quo
der Abfaffungszeit von 3 Makk. beftimmen zu wollen. Vgl. Kaulen n. 395.
38*
596 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
Manche der judifchen Sdiriften diefer Zeit, wie z. B. das
flavifche Baruchbudi und die Abrahamsapokalypfe, find nur
in chriftlicher Geftalt auf uns gekommen. Bei der Apoka-
lypfe, welche die Teftamente der zwolf Patriardien heigt,
laffen fich aber wenigftens manche Stellen fchon aus text-
kritifchen Griinden als chriftliche Einfchube nachweifen.
Viel widitiger als diefe und andere Sdiriften find aber
die des beruhmten judifchen Gefdiiditfchreibers und Apolo-
geten Flavius Jofephus, deffen Werke iiberhaupt zu den be-
deutendften Quellen der jiidifchen Gefchichte gehoren.
1. Apokalyptifche Sdiriften.
a) Das dritte und vierte Buch Esdras.
In der lateinifchen Kirche werden die kanonifciien Biicher
Esdras und Nehemias audi erftes und zweites Buch Esdras
genannt. Es finden fich in den lateinifchen gedruckten Bibeln
hinter den kanonifchen Biichern auch einige apokryphe ge-
druckt: ,,damit fie nicht untergehen, weil fie von einigen
heiligen Vatern bisweilen angefuhrt werden und fich fowohl
in einigen ungedruckten wie gedruckten lateinifchen Bibeln
linden." 1 ) Es find aufcer dem apokryphen Gebet des Konigs
Manaffes von Juda das dritte und das vierte Buch Esdras.
,,Das Gebet des Manass.es, des Konigs von Juda, als er in Babylon
gefangen sass,"
fo lautet der Titel des Gebetes in der lateinifchen Bibel will das Gebet
fein, auf welches 2 Chron. 33, 18 f. hingewiefen wird. Der KGnig Ma-
nasses (von 686641 v. Chr.) hat nach dem 2. Buche der Chronik cap. 33
Juda und die Bewohner von Jerujalem zum GOtjendienfte verfuhrt und
ift wegen feiner Sunden von den Affyrern in Ketten nach Babylon ge-
bracht worden. Hier demutigte er fich vor Gott und flehte inbrunftig
um Vergebung. Er wurde wieder in Freiheit gefetjt und hat nun Jeru-
falem von alien Spuren des Gotjendienftes gereinigt. 2 ) Das Buggebet
des Manasses, fo fagt die Chronik (33, 18-19) ausdrQcklich, fei enthalten
in der Gefchichte der KOnige von Ifrael und in der Chronik des Hosai.
Das apokryphe Gebet fteht in griechifcher Sprache in mehreren
Handfchriften der alexandrinifchen Bibeliiberfetjung, aber nicht etwa im
') S. die Vorbemerkung in den Vulgata-Ausgaben.
2 ) Julius Africanus in Joannis Damasc. Sacra parallela II, 15 fagt,
als Manasses fein Gebet gefprochen habe, feien feine eifernen Bande
gefprungen und er entkommen.
XVI. Kap. Die judifche Literatur nach Ider Zerftorung Jerufalems. 597
Buche der Chronik, fondern in einem dem Pfalterium beigefugten An-
hang von ,,Oden. ai )
Es i{t zuerft ganz angefuhrt in den Constitutiones apostolic ae II,
22, deffen altefte Form in fyrifcher Uberfe^ung erhalten ift. 2 ) Wahrfchein-
lich ftammt die Textesiiberlieferung, auch die in den Septuaginta-Hand-
fchriften, die man frtiher fiir urfprfinglicher hielt, aus diefer Quelle. 3 ) Von
dem Verfaffer der Constitutiones kann das Gebet nicht herruhren, denn
der judifche Urfprung des Qebetes ift nicht zu bezweifeln. Es fangt
gleich mit den Worten an: ,,Allmachtiger, himmlifcher Herr, der Gott
unferer Vater, Abrahams und Ifaaks und Jakobs und ihrer gerechten
Nachkommenfchaft." Es zeigt keine Spur eines hebraifchen Originals.
Wahrfcheinlich ftammt das tief empfundene, fchOne Buggebet um Erbarmen,
welches auch in Gebetbuchern Aufnahme gefunden hat, von einem frommen
Juden, der zur Zeit offentlicher Drangfal, z. B. zur Zeit der Makkabaer-
kampfe, fchrieb. 4 )
Das dritte Buch Esdras.
In den Handfchriften der Septuaginta find die iin der Vulgata ge-
trennten Biicher Esdras und Nehemias wie urfpriinglich in der hebraifchen
Bibel zu einem Ganzen vereint. 5 ) Sie haben den Namen Esdras B, im
Unterfchied von Esdras A, worunter die Septuaginta ein ; apokryphes
Buch verfteht, welches in der Vulgata (im Anhange) das dritte Buch
Esdras genannt wird. 6 ) Es beginnt mit der Regierung des Konigs Jofias,
wahrend das kanonifche Buch mit dem Dekret des Cyrus fiber den
Tempelbau in Jerufalem anfangt. Aur, diefem chronologifchen Grunde
nimmt'es in der Septuaginta den erften Platj ein.
J ) Es ift u. a. gedruckt auf Grund von Codex Alex, und dem Purpur-
Pfalterium von Zurich in Swete, The old testament in Greek. Ed. II.
Cambridge 1899, III, 824-826. In den latein. Vulgata-Ausgaben fteht
es im Anhang. Ober andere Oberfetjungen vgl. Ryffel in Kautjfch, Apo-
kryphen 1, 165 171, deutfche Oberfe^ung mit Einleitung, englifche mit
Einleitung von Ryle in Charles, The Apocrypha I, 612 624. Vgl. noch
Neftle, Septuagintafludien III, 1899; IV, 1903. Porter, in Hastings D. Ill,
229 f. G. Wilkins, The prayer of Manasseh, Hermathena 1910, p. 167178.
Schurer III, 458-461, Szekely 1, 438-441.
*) Vgl. Achelis und Flemming, Die fyrifche Didaskalia, deutfche
Oberfetjung 1904, S. 36 f.; F. Nau, Un extrait de la Didascalie: La priere
de Manasse. Avec une edition de la version Syriaque |(Revue de
1'Orient ehretien. 1908, p. 134141).
3 ) Vgl. Neftle und Nau 1. c. 137 bei Schurer III, 459.
*) Vgl. Ryffel S. 167.
5 ) Vgl. Orig. bei Bus. H. E. 6, 25: "fitfcT^a? ^olro? x-d dWrepo? tv
ivl 'E^a' Hier. Praef. in Esdram et Nehemiam : apud Hebraeos Esdrae
Nehemiaeque sermones in unum volumen coarctantur.]
6 ) Es fteht in vielen Handfchriften der Septuaginta und mehreren
aus diefer gemachten Oberfetjungen , der Itala, der athiopifchen, arme-
598 Zweiter Abjchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Das apokryphe Buch be[teht hauptfachlich aus Abfchnitten, die mit
Teilen der Chronik oder Paralipomena und der zwei kanonijchen Bucher
Esdras und Nehemias dem Inhalte nach iibereinftimmen. 1 ) Es hat nur
einen ihm eigentiimlichen Abfchnitt, den Wettftreit der Leibwachter des
Konigs Darius fiber das machtigfte Wort. Der erfte nennt den Wein,
der zweite den KQnig, der dritte die Weiber, aber iiber alles machtig
fei die Wahrheit; ihre Kraft dauere bis in Ewigkeit.
Der Text des Buches ift vielfach, befonders was die Namen angeht,
verderbt. Audi die Ordnung der einzelnen Abfdinitte, deren Abgrenzung
und Erklarung auch fur das erfte Buch Esdras groge Schwierigkeiten
darbietet, 2 ) .ift augenfcheinlich in Verwirrung. 3 ) Was die Quellen des
nifchen und der fyrifch-hexaplarifchen. Vgl. Skezely p. 362 sqq. Aus-
gaben z. B. von Swete, The old testament in Greek II, 129 161. Eine
deutfche Oberfetjung gibt Guthe in Kautjfch, Die Apokryphen 1, 1 13
und XXVI; eine englifche Cook in Charles, The Apocrypha I, 1-58.
tJber das vierte und funfte Buch Esdras s. u. Vgl. noch Thackeray in
Hastings D. I, 758763; J. Fifcher, Das apokryphe und das kanonifche
Esrabuch, Bibl. Zeitfchr. 1904, 350-364; R. Riessler, Der textkritijche
Wert des dritten Esrabuches, ebd. 1907, 146158; Schurer III, 444-449;
Joh. Theis, Gefchichtliche Hterarkritifche Fragen in Esra 1 6 (Altteftam.
Abhandlungen II, 5) Mtinfter i. W. 1910; Torrey, Ezra Studies, Chicago
1910 (enthalt die [bei Walde (p. XIII f.) angeffihrten] friiheren Arbeiten
Torreys und ein Kapitel fiber die Gefchichte des babylon. Exils und die
Ruckkehr der Juden nach Jerufalem); H. Howorth, Some unconventional
views on the text of the Bible. IX. Job. In Proceedings of the Soc. of bibl.
archaeology vol. XXXIII, 1911, p. 26-33 und 53-61 (p. 26-33 handeln
von 3 Esdras; friihere hierauf bezfigliche Arbeiten des Verfaffers ver-
zeichnet Schurer III, 446); -E. Bayer, Das dritte Buch Esdras und fein
Verhaltnis zu den Buchern Esra und Nehemia (= Bibl. Studien 16, 1),
Freib. 1911; B. Walde, Die Esdrasbucher der Septuaginta. Ihr gegen-
feitiges Verhaltnis unterfucht (Bibl. Studien, 18, 4). Freib. 1913; Szekely,
Bibl. apocr. 1, 361-372.
*) 3 Esdr. 1 entfpricht 2 Par. c. 35-36; der Schlug c. 9, 3755
dem Buche Nehem. 7, 73-8, 12; 3, 1-5, 6 ift ein 3 Esdras eigentiimliches
Stuck; die iibrigen Abfchnitte haben ihre Parallele in dem kanonifchen
Buche Esdras. Vielleicht umfajgte das Buch urfprunglich auch noch
Nehem. 8, 13-18, wie Walde S. 155 ff. glaubt ,,mit einiger Sicherheit"
fagen zu konnen.
2 ) Vgl. Kaulen, Einleitung 248.
3 ) Kap. 2 lefen wir von der Erlaubnis des Cyrus zur Ruckkehr aus
der Verbannung (im J. 537), dann 2, 15-25 (= kan. Esdras 4, 724)
von dem Verbot des Artaxerxes (465-423) weiter am Tempel zu bauen,
dann 3, 1-5, 6, dag Darius (521 485) dem Zorobabel erlaubt, die
Exulanten zurflckzufuhren, dann 5, 7-70 (= kan. Esdr. 2, 14, 5) von
der Wirkfamkeit des Zorobabel und der Unterbrechung des Tempelbaues
unter Cyrus (559(538) - 529 jedenfalls ift in 2, 1526 ftatt Artaxerxes
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur naeh der Zerftorung Jerufalems. 599
Buches angeht, fo ift mil den meiften Erklarern zu fagen, dag dasfelbe
eine direkte Oberfetjung aus dem hebraifch-aramaifchen Original ift. 1 ) Der
Oberfetjer hat fich trotj einer gewiffen Freiheit in der Wiedergabe des
Textes enge an feine Vorlage, die im wefentlichen mit dem maforetifchen
Texte fibereinftimmte , angefchloffen. Audi die Anordnung des Stoffes
beruht nieht etwa darauf, dag es neben der im kanonifchen Esdras ent-
haltenen Rezenfion des Originals noch eine andere aus eben demfelben
erwachfene und hier beriickfichtigte gab, vielmehr hat der Verfaffer unferer
Compilation die Anordnung des jetjigen Textes ,,vor fich gehabt, und fie
geandert aus tendenziOfen Griinden, denen 3 Esdras iiberhaupt feine
Entftehung verdankt." 2 )
Der Zweck des Buches wird durch die Unterfchrift der altlateinifchen
Uberfetjung gekennzeichnet: ,,Hier hort das dritte Buch des Esdras fiber
die Wiederherftellung des Tempels auf." 3 ) Es will eine Gefchichte diefer
und der religiofen Verhaltniffe nach dem Exil geben, um den religiOfen
Sinn der Gegenwart zu ftarken. 4 )
Diefer Tendenz foil auch die Aufnahme des Wettftreites der Leib-
wachter dienen. Nach den einen ift der Abfchnitt ebenfalls Oberfetjung einer
aramaifch-hebraifchen Vorlage, 5 ) nach den meiften ift er urfpriinglich grie-
chifch gefchrieben. 8 ) Leljteres erfcheint wahrfcheinlicher, da er fprachlich mit
dem griechifch verfagten zweiten Makkabaerbuch zufammenhangt. Deshalb
nach dem Vorgang von Jos. Ant. 11, 2, 1 Kambyfes zu lefen. Sehen
wir von 3, 1 5, 6 als einem Zufalj ab und fetjen den Abfchnitt 2, 1525
nach Kap. - 5, fagt Skezely Bibl. apocr. 1, 369, fo ftimmt die Reihenfolge
der Erzahlungen mit dem 1. Buche Esdras und der wirklichen Gefchichte
faft iiberein.
') Vgl. u. a. Fritjfche, Exeget. Handbuch zu den Apokryphen, Teil 1.
L. 1851; Neftle, Marginalien und Materialien. Tub. 1893, S. 2329.
Guthe, Fifcher, Schtirer, Theis S. 7 ft"., Walde S. 53 ff.
2 ) Vgl. Walde S. 53 ff. S. 158. Howorth 1. c. vertritt die Meinung,
3 Esdras fei der alte Septuagintatext, der auch gegenuber dem kanonifchen
Esdras, der erft nach Chriftus in die gegenwartige Form gebracht worden
fei, die altere und beffere Form darftelle. (S. dagegen Schiirer, S. 446 f.:
wenn fchon der kanon. Esdras an Unordnung leide, fo fei dies noch
mehr bei 3 Esdras der Fall.) Die jetjt in den griech. Bibeln gelefene
Uberfetjung des kanon. Esdras fei das Werk des Theodotion (fo auch
Theis S. 27 ff.) bzw. des Symmachus. ,,Howorth generatim canonem
et textum Hebraicum ab Aqiba eiusque schola recensitum existimat".
Szekely, Bibl. apocr. 1, 370. Torrey nimmt an, der kanonifche wie der
apokryphe Esdras feien aus einem gemeinfamen Original entftanden.
Vgl. fiber diefe und andere Meinungen Schurer 4*6 f. Skezely 370 f.
3 ) ,,Explicit Esdrae liber tertius de templi restitutione."
*) Vgl. Berthold (Einl. Ill, 1011), Fritjfche, Schurer III 4 , 446, Bayer,
(87 f.), Walde (158 f.).
5 ) Vgl. befonders Walde 119 f.
6 ) Fritjfche, SchQrer, Guthe, Skezely u. a.
600 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
diirfte er aucfa urn diefelbe Zeit wie diefes, vor Ende des zweiten vor-
chriftlichen Jahrhunderts gefchrieben fein. Jedenfalls ift er in 3 Esdras
eingefchoben, da er mit der iibrigen Erzahlung in Widerfpruch fteht und
felbft Widerfpruche enthalt. J ) Er will zeigen, dag der Jude mit feiner
heiligen Weisheit fo fehr alle ubertrifft, dag felbft der heidnifche Konig
dies anerkennt und den Juden eine Gunft fich erbitten lagt. Der erbittet
fur fein Volk den Aufbau des Tempels und erhalt die Erlaubnis dazu.*)
Mit Sicherheit lagt fich uber die Abfaffung des Buches nur fagen,
dag es zur Zeit des Jofephus verbreitet und gefcha^t war, da diefer es
benutjt. 3 ) Der Verfaffer ift unbekannt.
Zufammen- Von g r 6 er Bedeutung \lt ftir die Kenntnis der die
fetjung und Zeit nach dem Untergange Jerufalems bewegenden Ideen das
inhait des vierte Esdrasbuch, welches fich felbft ,,das zweite Buch des
vierten Propheten Esdras" nennt 4 )undin einer fyrifchen, athiopifchen,
E u dr es armenifchen und zwei arabifchen Oberfe^ungen, am wort-
lichften aber in einer lateinifchen (Jberfetjung erhalten ift. 5 )
>) Bayer S. 123 ff. tritt fur die Einheitlichkeit des Verfaffers fur das
ganze Werk ein. Howorth, Torrey, Ewald u. a. betrachten 3, 15, 6 als
einen urfprunglichen, fpater verloren gegangenen Beftandteil der Ober-
lieferung der kanonifchen Biicher. Die meiften halten es fur einen Einfchub.
Vgl. u. a. Walde 3. 120 ff. Laqueur, in der Zeitfchr. Hermes, Bd. 46,
Bed. 1911, 168-172 diirfte Recht mit feiner Meinung haben, dag die
urfprungliche Faffung der Erzahlung weder Beziehung zu den Juden
noch fpeziell zu Zorobabel hatte.
*) Vgl. Laqueur a. a O. S. 169.
3 ) Jos. Ant. 11, 1-5. -
4 ) 4 Esdr. 1, 1: Liber Esdrae prophetae secundus. Clem. Alex.
Strom. 3, 16 fuhrt 4 Esdras 5, 35 mit den Worten an: "Eadgai; 6 jr^oqujrn?
Uysi. In der alten Kirche ift das Werk befonders ftark von Ambrofius,
De bono mortis und De spiritu sancto benutjt worden. Vgl. James
(f. folg. Anm.) p. XXXII ff.
) Der altlateinifche Text von L. IV. Esdrae in unfern Vulgata-Aus-
gaben beruht auf dem im J. 822 gefchriebenen Cod. Sangermanensis
und enthalt, da aus diefem fchon fruh ein Blatt ausgefchnitten war,
zwifchen 7, 35 und 7, 36 eine Lucke. Die fehlenden 70 Verfe ftehen in
den orientalifchen Oberfetjungen und find lateinifch nach einer andern
Handfchrift des 9. Jhdts. zuerft von Bensly, The missing fragment of the
fourth book of Ezra, 1875 veroffentlicht worden. Vgl. auch die treffliche
Ausgabe des lateinifchen Textes: The fourth book of Ezra, The Latin
version ed. by R. L. Bensly with an introduction by M. R. James, Cam-
bridge 1895 (= Robinson, Texts and Studies III, 2). Von den orien-
talifchen Oberfetjungen ift die syrifche die treuefte und wertvollfte. Sie
ift gedruckt in Ceriani, Monumenta sacra et profana, torn V, fasc. 1,
Mediolani 1868, p. 41111 (nachdem fchon eine lateinifche Oberfetjung
XVI. Kap. Die jtidifche Literatur nach der ZerftOrung Jerufalems. 601
Diefe letjtere zahlt 16 Kapitel, allein die beiden erften und
die beiden le^ten Kapitel find fpatere Zufa^e von chriftlidier
Hand, welche fich in den orientalifchen Cberfetjungen nicht
finden. 1 ) Alle ttberfetjungen find auf einen griediifchen Text
in den Monumenta 1, 2 (1866), 99124 von Ceriani verOffentlicht war).
Sie erfchien in photolithographifcher Nachbildung in Translatio Syra
Pescitto Veteris Testamenti cur. Ceriani 1883 Tom. II, Pars IV, von
S. 267 r an. Das gefamte Material ift verOffentlicht von B. Violet, Die
Esra Apokalypse (IV Esra). Erfter Teil, Die Oberlieferung (= Die griech.
chriftl. Schriftfteller der erften drei Jahrhunderte. Bd. 18). L 1910. In
diefer werden in 6 Parallel-Kolumnen die Texte der altlat., syr., athiop.,
armenifchen und zweier arab. Oberfetjungen nebft fahidifchen und arabi-
fchen Bruchftiicken gegeben. Die armenifche, lateinifche, die syr. athiop.,
armenifche etc. in deutfcher Oberfetjung. Vgl. tiber die Textuberlieferung
Violet S. XIII XLVI. Die Fortfe^ung des Werkes gab B. Violet mit
Textvorfchlagen far Esra und Baruch von Dr. Hugo Gregmann unter dem
Titel ,,Die Apokalypfen des Esra und des Baruch in deutfcher Geftalt"
heraus, L. 1924, (= Die griech. chriftl. Schriftfteller etc., Bd. 32.)
Eine deutfche Uberfetjung gibt Gunkel in Kautjfch, Die Apokryphen II,
231401, eine englifche G. H. Box, The Ezra-Apocalypfe, L. 1912 und
Box in Charles, The Apocrypha II, 542 624. Vgl. noch Thackeray, art.
Esdras, second book of, in Hastings D. I, 763766, Schurer III, 315335,
Lagrange, Notes sur le messianisme au temps de Jesus. Rb 1905 (p. 481
bis 514), p. 486 501, Vaganay, Le probleme eschatologique dans le IV e
livre d'Esdras (These). Paris 1906 Jos. Keulers, Die eschatologifche Lehre
des vierten Esrabuches (Bibl. Studien 20, 2 u. 3) Freiburg i. B. 1922.
J ) Befonders durch Bensly ift es ublich geworden (vgl. Violet p. XIII),
die Kapitel 1 2 funftes und 15 16 fechstes Buch Esdras zu nennen.
Eine deutfche Oberfetjung gibt W. Weinel in Hennecke, Neutaftament.
Apokryphen 1904, 305 318; vgl. auch deffen Erklarungen zu 5. und 6.
Esdras in Hennecke, Handbuch der neuteft. Apokryphen 1904, 331339.
Es gibt 2 Rezenfionen des lateinifchen Textes von Kap. 1 2, eine ur-
fpriinglichere und altere (fpanifche) und eine jiingere (franzofifche). Die-
felben find nebft Einleitung und Kommentar herausgegeben von M. J.
Labourt, Le cinquieme livre d'Esdras, Rb, 1909, 412434.
Die Kap. 15 16 enthalten eine Ankiindigung des Weltuntergangs.
Sie find anfcheinend als Anhang zu 4 Esdras 3 14 gefchrieben und zwar
urfpriinglich griechifch. Der griechifche Text von 15, 5759 ift im J. 1909
unter den Oxyrhynchers Papyri gefunden und mit andern von Grenfell
und Hunt verOffentlicht worden (Box p. XIII).
Die meiften Kritiker, die in 5 Esdras zeitgenoffifche Anfpielungen,
z. B. in 15, 1012 auf die Unruhen in Alexandrien unter Gallienus
(260268) fehen, zur Zeit, als zwei Drittel der BevOlkerung durch Hunger
und Peft vernichtet wurden (Bus. H. E. 7, 21. 22), halten die Abfaffung
um das Jahr 268 (vgl. u. a. A. v. Gutfchmid, Die Apokalypfe des Esra und
ihre fpateren Bearbeitungen, ZWTh 1860, S.I 24 (= Kleine Schriften II,
602 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
zurtickzufuhren. 1 ) Allein das eigentliche Werk, Kapitel 3 14,
war urfpriinglich hebraifch gefchrieben. 2 )
210 ff.; James 1. c. p. XXVIII; Thackeray p. 766) fur wahrfcheinlich.
Allein die dafur vorgebrachten Grunde find nicht durchfchlagend.
In Kapitel 12 wird (1, 52, 9) dem Volke Ifrael zur Strafe fur
feinen Unglauben und feine Sunden die Vernichtung angedroht. Die aber
den Sohn Gottes in der Welt bekannt haben, werden die ewige Rune
erhalten, denn nahe ift der, welcher am Ende der Welt kommt. Nie
verlofchendes Licht wird ihnen leuchten in alle Ewigkeit (2, 1047).
Die 2 Rezenfionen des lateinifchen Textes gehen nicht auf verfchiedene
Vorlagen zur tick, fonder n die jiingere erklart oder erganzt einzelne
Stellen Vgl. Labourt p. 419> der auch gegen die herrfchende Meinung
von dem griechifchen Urfprung der beiden Kapitel die Meinung vertritt,
fie feien lateinifch abgefagt.
Das Buch benutjt auch die Offenbarung des hi. Johannes (2, 38 40;
vgl. Geh. Off. 19, 17; 7, 9), ift aber feinerfeits ftark in der Liturgie der
rOmifchen Kirche benutjt. Vgl. 2, 35 (lux perpetua lucebit) in Commune
Mart. temp, pasch. Resp. zur 4. lectio und Ant. zur 3. Noct. und zum
Magnificat; 2, 34-35 (Requiem aeternam . . . et lux perpetua) im
Officium defunctorum; 2, 45 (modo coronantur et accipiunt palmas) in
Comm. Apost. Resp. zur 6. lectio; vgl. auch 2, 3637 (accipite jucundi-
tatem etc.) im introitus fer. Ill post Pentec. In einem Miffale aus
dem 11. Jahrhundert, in einer Messe De communi plurimorum martyrum,
fteht 2, 4248 als Epiftel. Vgl. de Bruyne, Une lecture liturgique em-
pruntee au quatrieme livre d'Esdras (Rev. Benedictine 1908, p. 358360).
Vgl. auch Schurer III, 331 und Labourt p. 419.
Letjterer meint p. 419 s., befonders aus dem Gebrauche des Aus-
drucks requies fur das gliickfelige ewige Leben in 2, 34 fchliegen zu
durfen, dag man hochft wahrfcheinlich zu Rom und zwar im 6. Jahrhdt.
den Urfprung der Kapitel 12 fuchen miiffe. Der Gebrauch fei gothifch-
gallikanifchen Urfprungs und fei, wie fich aus den romifchen Grabfchriften
ergebe, erft gegen Ende des 5. Jahrh. der rftmifchen FrOmmigkeit ver-
traut geworden. Der Verfaffer lebe ganz in der Erinnerung an die Akten
der Martyrer und die Darftellungen in den romifchen Katakomben und
Bafiliken. Es ift auffallend, dag die liturgifche Verwendung des 5. Buches
Esdras sich allem Anfchelne nach auf Rom befchrankt hat (vgl. Labourt
420).
Wahrfcheinlich ift die Schrift entftanden in Rom. Von einer eigent-
lichen Verfolgung ift nicht die Rede. Es heigt von den GekrOnten nur,
dag fie den Namen des Herrn bekannt haben (2, 45) und tapfer for den
Namen des Herrn eingetreten find. (Weinel S. 307 meint, das Buch fei
wahrfcheinlich wahrend des 2. Jahrh. im Abendlande entftanden ; Barden-
hewer 2, 649 ,,jedenfalls in den Tagen der Martyrer, alfo in vorkonftan-
tinifcher Zeit;" fiber altere Hypothefen vgl. Labourt 416 s.)
1 ) Hilgenfeld, Messias Judaeorum, 1869, p. XXXVIII ff. Vgl. dort
p. 36 ff. die Rekonftruktion des griech. Textes. Vgl. auch Box p. XI ff.
2 ) S. Wellhaufen, Skizzen und Vorarbeiten. 6. Heft. B. 1899,
XVI. Kap. Die judifche Literatur nadi der Zerftorung Jerufalems. 603
Es enthalt fieben Vifionen, d. h. angebliche Offenbarungen
eines Engels an Esdras in der babylonifchen Gefangenfchaft.
In der erften (3, 1 5, 20) antwortet der Engel dem Esdras,
der dariiber geklagt hat, dafc Ifrael Babylon, welches doch
fchlimmer als Ifrael fei, unterworfen worden ift, Gottes Wege
feien unbegreiflich. Ehe das Bofe vergehe, miiffe zuerft die
Statte der bofen Saat verfchwunden und die Zahl der Ge-
rechten voll fein. Die noch bevorftehende Zeit werde aber
nicht langer dauern als die bereits vergangene. Dann werden
die Zeichen der letjten Zeit angegeben. Auch im zweiten
Abfchnitt (5, 216, 34) wird auf neue Klagen des Esdras,
daft Gott jein Volk den Heiden preisgegeben habe, wieder
auf die Vorfehung verwiefen. Die Schopfung fei fchon uber
die Jugendkraft hinaus. Dann werden die letjten Zeichen,
welche dem Ende vorausgehen, geoffenbart. - Als nun
wieder Esdras klagt, dafc Ifrael nicht die Welt, die ihm ge-
hore, befitje, hort er, daft wir, ehe wir in das weite Meer
kommen, zuerft den Plug durchfchiffen miiffen (6, 35 ff.), wo-
rauf eine Schilderung der meffianifchen Zeit gegeben wird.
,,Mein Sohn der Gefalbte" wird 400 Jahre herrfchen und
dann mit alien Menfchen herrfchen. Sieben Tage fpater ftehen
die Toten auf und folgt das Gericht (7, 26-35). Es erfcheinen
die Orte der Pein und der Erquickung. Der Gerechten gibt's
nur wenige, der Bofen viele. Denn das Seltenere ift koft-
barer. Tro^ ihrer Vernunft handelten die Bofen bofe und
brachen das ihnen gegebene Gefe^. Es gibt nach dem
Tode bis zur Erneuerung durch die Schopfung eine fieben-
faltige Pein der Bofen und eine fiebenfaltige Freude der
Guten. Am Tage des Gerichtes konnen die Gerechten nicht
fur die Gottlofen eintreten (7J36-105). 1 ) Das konnen fie nur
in diefem Leben. Esdras fagt, alles Verderben fei durch Adam
gekommen. Der Engel weift aber auf die Gottlofigkeit der
Menfchen bin, die ihr Ungliick felbft verfchulden (7, 106-139).-)
In Kapitel 8 wird ebenfalls gefagt, dafe viele erfchaffen, aber
nur wenige gerettet werden (8, 1-62). Dann werden auf
S. 234-241. Qunkel 1. c. 333. Schiirer, Theol. Ltrztg. 1899, Sp. 366.
Box p. XIII XIX u. in Charles, The Apocrypha II, 547 ff.
J ) Die Verfe 7, 36105 ftehen nicht im Texte der Vulgata.
") Nach der Vulgata find es die Verfe 7, 36-69.
604 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
die Frage, wann das Ende fein werde, neue Zeichen an-
gegeben (8, 63-9, 25). - In der vierten Vifion (9, 26- 10, 60)
fieht Esdras eine Frau, die iiber ihren am Hodizeitstag ver-
ftorbenen Sohn trauert, die aber plotjlich verfchwindet und
an deren Stelle eine neu erbaute Stadt erfcheint. Die Frau
iff Sion. Der Tod ihres Sohnes zeigt den Untergang Jeru-
falems an. Die neu erbaute Stadt aber ift das himmlifche
Jerufalem, welches die Stelle des irdifchen einnehmen wird.
-Nunmehr fieht Esdras (11, 1-12,39) einen Adler (Rom)
mit zwolf Flugeln und acht daraus wachfenden Gegenfliigeln
und mit drei Kopfen, welche nacheinander regieren, bis der
Lowe (der Meffias) iiber den Adler das Urteil fpricht und
der ganze Leib des Adlers in Flammen aufgeht. In der
fechften Vifion (13, 1-58) fieht Esdras im Traum aus dem
Herzen des Meeres einen Mann, den Meffias, auffteigen und
auf den Gipfel des Sionsberges treten. Der Mann vernichtet
feine Feinde durch den aus feinem Munde ausgehenden
Flammenhauch und Feuerftrom, d. h. durch fein bloftes Ge-
heifc. Er ruft ein anderes friedliches Heer zu fich, namlich
die verlorenen zehn Stamme Ifraels. Die Stunde feines Kom-
mens ift aber unerforfchlich wie die Tiefe des Meeres. In
der letjten Vifion 14, 147 wird dem Esdras befohlen, die
Gefichte geheim zu halten und fich bereit zu machen, aus
diefer Zeitlichkeit zu wandern. Auf gottlichen Befehl diktiert
er, da das Gefetj Gottes verbrannt ift, ffinf Mannern 40 Tage
lang. Von den 94 l ) Buchern, welche fie in der Zeit fchrieben,
follen die 24 erften (die kanonifchen Bucher des Alten Te-
ftamentes) alien, die iibrigen 70, die Bucher der Myfterien,
nur den Weifen des Volkes iibergeben werden. Und Esdras
ward entriickt und an die Stattefeiner Genoffen aufgenommen. 2 )
J ) So ift nach der fyrifchen, athiopifchen, armenifchen und einer
arabifchen Oberfe^ung- zu lefen. Der Text der Vulgata hat ducenti
quatuor, Bensly 1. c. p. 72 und Violet S. 428 DCCCCIII1 = 904.
a ) Ober den einheitlichen Charakter des ganzen Werkes vgl. u. a.
Qunkel, S. 350 f. Dag das vierte Buch Esdras verfchiedene Oberliefe-
rungen enthalt, fo dag bald die Menfchen im allgemeinen, bald das Volk
Ifrael im befondern in den Vordergrund tritt (vgl. Volz, Judifche Escha-
tologie von Daniel bis Akiba, Tub. und Leipzig 1903, S. 31 ff.), hangt
.mit dem Charakter des Verfaffers zufammen, der hinter der nationalen
Not feines eigenen Volkes die allgemeine Not menfchlicher Siinde und
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 605
Der innig religiofe, von allem Phantaftifchen und Ober- Bedeutung
triebenen fidi fern haltende Standpunkt und der reiche, durch- u " d Wert "
weg an das Alte Teftament, z. B. das Buch Job, fich an-
lehnende Inhalt des vierten Esdras-Buches rechtfertigen feine
grofce Verbreitung und Wertfchatjung, wie fie fich fchon in den
vielen Uberfetjungen kundgibt. Durch das Ganze geht der Ton
der wehmiitigen, nie in wilde Rachfucht ausartenden Klage
iiber das Schickfal Ifraels, die geringe Zahl der Geretteten x )und
den Tod des Meffias und aller mit ihm Lebenden.--) Der
Verfaffer fteht in feinem univerfaliftifchen Ausblick auf alle in
Siinde und Elend daliegenden Menfchen, welche alle Gottes
Gebote haben und alle gerichtet werden, ebenfo hoch da,
wie in der traurigen und doch wieder troftlichen Zuverficht,
dag das Gefe^ in feiner Herrlichkeit bleibt, auch wenn Sion
nicht mehr ift und die, welche das Gefe^ erhielten, wegen
ihrer Siinden verloren gehen. 3 )
Die einzige Stelle des lateinifchen Textes, welche ficher interpolation.
eine chriftliche Interpolation enthalt, ift 7, 28 f., wo ftatt
,,Meffias" Jefus fubftituiert ift! 4 )
Auf die Zeit der Abfaffung des fchon von Clemens Alexan- Die
drinus angefuhrten Werkes kann man aus der Bemerkung, Abfaffungs-
da& diefe Welt mit der Herrfchaft Edoms endigen und die zeit d ^ s y ier -
zukunftige mit der Herrfchaft Ifraels beginnen werde, nichts
des Bofen in der Welt uberhaupt erblickt. Aus diefem Grunde find die
Verfuche, auch in diefem Buche mehrere Quellenfchriften und uberall Ein-
fchube des Redaktors darzutun (vgl. befonders Kabifch, Das vierte Buch
Esra 1899; De Faye, Les apocalypses juives, Lausanne 1892; Box, The
Ezra-Apocalypse XXII ff. und in Charles, The Apocrypha II, 542 u. 549 ff.)
mit Recht faft allgemein abgelehnt worden. Vgl. Revue des Etudes
Juives, tome XXXIX (Paris 1899) p. 140. Gunkel 351. Schurer III, 328.
Keulers S. 41 ff.
J ) 4 Esdr. 8, 3.
2 ) L. c. 7, 29.
3 ) L. c. 9, 27.
*) 4 Esdr. 13, 31 enthalt Anklange an Matth. 24, 7. Selbft in
Kapitel 7, wo das Wort ,,Jesus" fich findet, hat man die den Chriften
doch ficher anftOgige Stelle 7, 28 vom vierhundertjahrigen ftatt des
taufendjahrigen Reiches ebenfo ftehen laffen, wie in 7, 29 das blog von
dem athiopifchen Oberfetjer getilgte ,,et morietur filius meus Christus".
In 12, 34 wird die Parufie als nicht gleichzeitig mit dem Weltgericht
vorausgefetjt, was naturlich auch den nichtchriftlichen Charakter des
Werkes beweift.
606 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Sidieres fchliefeen; Denn unter Edom ift weniger an die
Herodeer, die iibrigens auch bis gegen Ende des erften
chriftlichen Jahrhunderts, regierten, als an die Romer zu
denken. 1 ) Aber in den Bemerkungen, dafc die Mauern von
Jerufalem niedergeriffen, die Stadt verbrannt, der Tempel
zerftort, das Volk weggefuhrt fei, 2 ) wird die Zerftorung Jeru-
falems dureh Titus als bereits gefchehen vorausgefetjt.
Noch genauer wird die Zeit des Entftehens des Werkes
in Kapitel elf und zwolf angegeben. Unter dem Bilde des
Adlers mit drei Hauptern und zwolf Sehwingen, aus denen
adit Gegen- oder Unterfchwingen wuchfen, ift das romifche
Kaifertum mit feinen Herrfchern feit Cafar und feinen Thron-
Pratendenten verfinnbildlieht. 3 ) Die drei Haupter find, wie
man aus guten Grunden jetjt allgemein annimmt, 4 ) Vefpafian,
Titus, von dem man allgemein glaubte, er fei von feinem
Bruder Domitian ermordet worden, 5 ) und Domitian felbft.
Unter den zwolf Sehwingen verfteht man romifche Kaifer von
Cafar bis Nero nebft Galba, Otho, Vitellius und den drei
Ufurpatoren Vindex, Nymphidius und Pifo Licinianus, 6 ) unter
den Gegen- oder Unterfchwingen 7 ) romifche Generale, welche
') In rabbinifchen Schriften bezeichnet Edom gewohnlich Rom. Vgl.
Buxtorf, Lexicon chald., Basil. 1639, col. 29 sqq. Levy, Neuhebr. und
chald. Worterb. I., L. 1876, S. 29. Langen S. 125 f.
2 ) 4 Esdr. 11, 42. 12, 44-.- 10, 21. 5, 28. 10, 22.
3 ) Vgl. die verfchiedenen Erklarungen der Adler-Vision in Schiirerlll,
318 ff. S. auch Thackeray, p. 765. Gunkel S. 345 und 352.
*) Vgl. Gfrorer, Das Jahrhundert des Heils, 1838, I, 69 ff.
5 ) Vgl. zu 4 Esdr. 11, 35 und 12, 28 Aurelius Victor Caes. 10
und 11, wo ausdrucklich gefagt wird, Domitian habe den Titus vergiftet.
6 ) Vgl. Schiirer 111, 326 f.
7 ) Lagrange, Notes etc. p. 497 s. meint, anfangs hatte es in der
Befchreibung des Adlers nur fechs Fliigel auf der rechten und fechs
Gegenflugel auf der linken Seite gegeben. Da fich die Anficht des Ver-
fafjers iiber das Ende der Welt nicht realifiert habe, habe man einfach
die Zahl der Fliigel verdoppelt und ftatt fechs acht Gegenflugel ange-
nommen. Auch Vaganay, Le probleme etc. p. 19 ss. meint, da die erfte
Berechnung durch die Gefchichte felbft als unrichtig bewiefen fei, fei fie
von einem Lefer des 3. Jhrdts. durch die Zutat der acht Gegenfchwingen
verandert worden. Allein zu derartigen Vermutungen gibt der Text
keine Berechtigung. In ahnlicher Weife fuchen Box p. 365 ff. und
Keulers S. 116 ff. die Vifion zu erklaren. Nach erfterem ftellten die 12
Fliigel die 6 julifchen Kaifer, Caefar, Auguftus, Tiberius, Caligula, Clau-
XVI. Kap. Die judifdie Literatur nach der ZerftOrung Jerufalems. 607
in den Jahren 68 70 Anfpruche auf den Thron machten.
Da der Verfaffer nun das Ende des dritten Hauptes erft nach
dem Auftreten des Meffias erwartet, das Ende des zweiten
dius, Nero dar. Diefe Flugel feien paarweife gerechnet, um ihre grogere
WQrde und Macht zu fymbolifieren. Die 3 Haupter feien die flavifehen
Kaifer; die 8 Gegenflugel ftellten Vindex (f 6. Marz 68), Nimphidius (einige
Monate fpater), Galba, Otho, Civilis (f Juni 69) und Vitellius (f Dez. 69)
vor. Die 2 kleinen diefer Flugel, weldie das letjte Haupt iiberleben
follten, bezeidineten wahrfdieinlich romifche Statthalter oder Generale.
Im J. 120 habe ein Redaktor die Adlervifion mil andern Schriften im
Esrabuche zu einem Bande vereinigt. Er habe die 3 Haupter mit Trajan,
Hadrian und Lucius Quietus identifiziert; die 12 Flugel aber mit den
6 Juliern und Galba, Otho, Vitellius, Vefpafian, Titus und Domitian.
Eine geniigende Erklarung der 8 kleinen Flugel fehlt, zudem ift die
Annahme eines Redaktors aus dem Jahre 120 n. Chr. unbewiefen.
Keulers S. 118 f.
Keulers felbft gent (S. 116 ff.) zur Beftimmung der Abfaffungszeit
des Buches von dem Datum 3, 1. 29 n im 30. Jahre nach dem Untergange
der Stadt" aus. Er verfteht es wortlich vom Jahre 100 n. Chr. Er nimmt
mit Lagrange an, dag urfprunglich nur von 6 Flugeln und 6 Gegenflugeln
die Rede war. Die 6 Flugel feien die 6 Julier, die 3 Haupter die 3
Flavier, die Gegenflugel Galba, Otho, Vitellius, Civilis, Nerva u. Trajan.
Die 2 Gegenflugel 11, 22 habe der chriftliche Interpolator, der auch in
11, 1; 12, 14, 16 die Zahl 6 in 12 und in 12, 20 die Zahl 6 in 8 geandert
habe, eingefchaltet, weil er mit der Verdoppelung der Flugel noch nicht
ganz auskam.
Die Schwierigkeit liegt darin, dag der Verfaffer, wenn er die Adler-
vifion wahrend der Regierung Trajans verfagte, trotjdem noch den
Meffias vor demTode des 3. Hauptes, des Domitian (8196), erfcheinen
lagt. Keulers fucht die Schwierigkeit durch die Annahme zu lofen, dag
man feit Daniel geglaubt habe, es muffe beim Erfcheinen des Meffias an
der Spitje des Weltreiches ein gewaltiger und graufamer Herrfcher als
Gegner des Meffias ftehen. Fur die Rolle feien Nerva und Trajan nicht
geeignet gewefen, wohl aber Domitian. Mit deffen gewaltfamem Tode
habe das meffianifche Geficht jchon eingefetjt.
Die Zahl 30 in 3, 1. 29 kann wohl als runde Zahl Gunkel meint,
es fei eine ungefahre Beftimmung angefehen werden, wie ja auch faft
alle Erklarer die Abfaffungszeit des Buches aus der Adlervifion zu
beftimmen fuchen. Keulers S. 120 meint, bei der Annahme, dag unfer
Buch vor dem Tode Domitians gefchrieben fei, bleibe es unerklarlich, wie
der Verfaffer erwarten konnte, es wurden nach dem Tode diefes Kaifers
noch zwei Kaifer regieren. Es find nach 11, 24. 12, 1 f. 29 n die, die der
Hochfte fur fein (des Adlers) Ende vorbehalt; ihre Herrfchaft wird fchwach
und fturmifch fein" (12,29). Sie haben fomit eine fymbolifche Bedeutung.
Vgl. Lagrange p. 497 s.: Les deux derniers ailerons tenus en reserve
608 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Hauptes aber fchon kannte, 1 ) mufc das Werk unter Domitian
(81-96) gefchrieben fein.
Der Zweck Zweck des Buches war, die Juden wegen der Zerftorung
des vierten Jerufalems und ihrer politifdhen Leiden uberhaupt durdi den
Buches Hinweis auf die Erfullung der feligen Hoffnungen im Jen-
Esdras. - ., , ....
feits zu troften.
In der Anlage, dem Zwecke und haufig auch in den
Gedanken ftimmt das vierte Buch Esdras mit der (fyrifdien)
Baruchapokalypfe iiberein.
b) Die Apokalypse Baruchs.
Zufammen- Unter dem Namen des Verfaffers des kanonifchen Budies
fetjung und Barudi, des Gehilfen des Jeremias, find mehrere Schriften
^okVTe auf uns ekommen - Die wichtigfte ift die fyrifche Baruch-
Baruchs apokalypfe, welche ihren Namen davon fuhrt, da)5 fie nur
in einer fyrifchen Uberfetjung erhalten ift. 2 ) Das Werk be-
anfprucht, die Offenbarungen mitzuteilen, welche dem Baruch
unmittelbar vor und nach der Zerftorung Jerufalems durch
die Chaldaer zuteil geworden waren. Der Verfaffer fpricht
als Barudi in der erften Perfon. In Kapitel 77 Vers 19 wird
ein Brief Baruchs an 9*/2 Stamme jenfeits des Euphrats er-
wahnt, der auch in Kapitel 78 87 3 ) mitgeteilt wird und von
ne sont peut-etre la que comme une image des troubles que 1'auteur
prevoyait a la mort de Domitien, comme avant-coureurs de la defaite
de 1'aigle. II ne pouvait considerer comme un temps miserable les
regnes de Nerva et de Trajan; apres Domitien il ne voit plus rien de
distinct. II augurait mal de 1'avenir, parceque la fin etait proche."
J ) 4 Esdr. 11, 35 ff.
") Veroffentlicht nach einer Handfchrift des 6. Jhrdts. von Ceriani,
Monumenta sacra et profana, t. V. fasc. 2., Mediol. 1871, p. 113 180 und
photolithographifch im letjten Teile der Translatio Syra Pescitto Veteris
Testamenti. 2 Bde. Mediol. 187683. Eine lateinifche Uberfetjung gab
zuerft Ceriani, Mon. sacr. 1, 2, Mediol. 1866, p. 7298, eine englifche
Charles, The apocalypse of Baruch, L. 1896 und Charles, The Syriac
Apocalypse of Baruch in The Apocrypha II, 470 526, eine deutfche
Ryffel in Kautjfch, Die Apokryphen II, 404446 und Violet (f. o. S. 600, 5).
Die Ausgabe von M. Kmosko, Patrologia Syriaca (ed. Graffin) vol. II,
Paris 1907, col. 10561237 enthalt den fyrifchen Text mit der lateinifchen
U'berfetjung Cerianis, einer Einleitung und kritifchen Anmerkungen.
Vgl. auch Szekely, Bibl. apocr. 1, 261-284.
3 ) Diefer Teil des fyrifchen Textes, cap. 78 87 war fchon u. a. in
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur nach der ZerftOrung Jerufalems. 609
der Zerftorung Jerufalems und der zukiinftigen Erlofung der
gefangen Fortgefuhrten handelt und ein Brief an 2 Vs Stamme
in Babel, weldier aber im jetjigen Texte fehlt.
Das Budi zerfallt wie das vierte Buch Esdras in fieben
Abfchnitte. In den erften drei Abfchnitten (Kap. 1 - 12) wird
von dem Untergang Jerufalems und des Reiches Juda durdi
die Chaldaer - nieht diefe, fondern Engel zerftoren die
Mauern der Stadt-und der Wegfuhrung des Volkes, welches
Jeremias in die Gefangenfchaft begleitet, geredet. Baruch
weint und wehklagt iiber Jerufalem. Gott fagt ihm (13-20),
daft auch fiber die Heiden einft das Strafgeridit kommen
und das Glfick der Bofen und das Ungliick der Guten fchliefc-
lich ausgeglichen wird. Im fiinften Abfchnitte (Kap. 21-46)
wird eine Zeit der Drangfale, welche iiber die ganze Erde
kommen werde, vorausgefagt. Danach wird der Meffias an-
fangen, fich zu offenbaren, und es wird eine Zeit der Freude
und Herrlichkeit anbrechen. Dann wird der Meffias in Herr-
lichkeit (in den Himmel) zuriickkehren und die Gerediten
werden auferftehen, die Gottlofen aber vor Angft vergehen,
weil das Ende der Zeit da ift. Im Kapitel 35-40 folgt die
Vifion vom Walde, dem Weinftock, der Quelle und der
Zeder. Dem Walde gegenuber wuchs namlich ein Weinftock,
unter dem eine Quelle hervorquoll, deren Waffer den Wald
verwiifteten, nur eine Zeder blieb ubrig. Aber auch diefe
wird entwurzelt und verbrannt. Die Vifion bezieht fich auf
die vier Weltreiche, deren le^tes (das romifche Weltreich)
die Herrchaft behalt, bis der Meffias kommt, welcher die
le^te Zeder des Waldes, den le^ten Regenten, toten wird.
Des Meffias Herrfchaft aber wird dauern, bis fich die Zeiten
vollenden. In dem fechften Abfchnitt (Kap. 47-77) erhalt
Baruch neue Offenbarungen iiber die Drangfale der letjten
Zeit, aber auch (Kap. 4952) iiber die neue Leiblichkeit der
auferftandenen Gerechten und ihre Herrlichkeit wie die Qual
der Verdammten. In einer neuen Vifion (5376) fieht Baruch,
wie aus einer aus dem Meere auffteigenden Wolke, welche
die ganze Erde bedeckte, zwolfmal bald fchwarzes, bald
der Parifer und Londoner Polyglotte gedruckt. Eine neue Rezenfion
des Textes auf Qrund von 10 Handfdiriften gibt Charles 1: c/ p. 124 167.
Felten, Neuteftamentliche Zeitgefdiidite. I. 2. u. 3. Aufl. 39
61 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
belles Waffer auf die Erde herabregnet, bis am Ende nadi
dem fchwarzen Waffer der helle Blifc kommt, der die Erde
erleuditet, die Lander heilt und uber die ganze Erde herrfcht.
Unter den Waffern wird die judifche Gefchichte von Adam bis
zum Meffias verfinnbildlicht. Das elite fchwarze Waffer bedeutet
die zur Zeit Barudis eingetretene Triibfal, den Untergang Je-
rufalems und die babylonifche Gefangenfchaft; das zwolfte helle
Waffer aber den Wiederaufbau der Stadt und die Wieder-
herftellung des Gottesdienftes. Das letjte fchwarze Waffer
zeigt die Zeit der hochften Drangfal an. Die, weldie nidits
waren, werden fidi der Herrfchaft uber die Macbtigen be-
machtigen und es kommen grofee Trubfale. Wer all den
Ubeln entgeht, mag er nun gefiegt haben Oder befiegt
worden fein, wird den Handen des Meffias iiberantwortet.
Er ift der helle Blitj, deffen ewige fegensreidie Herrfchaft
fchliepch (72-74) gefchildert wird. Baruch erhalt nun die
Weifung, das Volk zu belehren, da& es in der letjten Zeit
nicht fterben wird. Er ermahnt das Volk. Im le^ten Ab-
fchnitt, Kapitel 78-87, wird Baruchs Brief an die 9 x /2 Stamme
mitgeteilt, worin das Gericht Gottes als gerecht erklart, das
zukunftige Gericht Gottes uber die Bedranger des Volkes
und deffen einftige Erlofung vorhergefagt und zur Buge
und zur Treue gegen Gott und das Gefetj ermahnt wird.
Die Einheit- Ein Grund, die Einheitlichkeit des Buches zu bezweifeln
lichkeit des un( i an me hrere Quellenfchriften und Bearbeiter desfelben
Buches. zu denken, 1 ) liegt nicht vor. Denn wenn auch in einzelnen
Teilen mehr eine optimiftifche, in andern mehr eine peffi-
miftifche Anfchauung fiber das Gefchick Ifraels in den Vorder-
grund tritt und an einigen Stellen von Sieg und Segen, an
andern vom Verderben in der Welt und vom kommenden
Obel geredet wird, fo ift das doch nichts anderes, als was
fidi auch im Alten Teftamente findet, welches bald von der
Herrlichkeit, bald vom Leiden des Meffias redet.
J ) Nach dem Vorgang von Kabifch und De Faye ift dies am radi-
kalften von Charles 1. c. p. LIII ff. gefchehen (vgl. auch Charles, art.
Baruch, Apocalypse of, in Hastings D. I, 250). S. dagegen auch Schurer III,
312 und Clemen, Die Zufammenfetjung des B. Henoch, der Apok. des
Baruch und des vierten Buches Esdras, Stud, und Krit., 1898 (S. 211 ff.),
S. 227 ff. Vgl. auch Ryssel, 407409.
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur nach der ZerftOrung Jerufalems. 611
Jedenfalls ift die Sdirift nadi der Zerftorung Jerufalems Abfaffungs-
durdi Titus abgefafct. Denn es wird Kapitel 32, 2-4 ge- zeit -
weisfagt, dafc Jerufalem nadi der Zerftorung durch Nebukad-
nezar wieder erbaut, dann aber wieder zerftort werde und
fo bleibe, bis die Stadt ewig in Herrlichkeit gekront werde.
Die fchon oben erwahnten BerQhrungspunkte mit dem Verhaitnis
vierten Buche Esdras 1 ) find fo zahlreidi, da& der Verfaffer zum vierten
des einen Budies das andere gekannt und benutjt haben s ras '
mufc. Aber wenn man fidi audi daruber einig ift, fo ift doch
die Frage, welches Werk das altere fei, verfchieden beant-
wortet worden und lagt fich, da es an ausfchlaggebenden
Grunden fehlt, kaum anders als nach fubjektivem Empfinden
beantworten, zumal beide Verfaffer auch aus der Oberlieferung
gefchopft haben. Wahrfcheinlich ift aber das vierte Buch
Esdras das altere, da der Verfaffer den des Baruchbudies
an Tiefe und Hoheit des Geiftes weit uberragt und deshalb
fchwerlich feine Gedanken von ihm geborgt hat. 2 )
Da& der fyrifche Text des Baruchbuches aus dem Grie- Die Sprache
chifchen gefloffen ift, wird in der Oberfchrift gefagt, 3 ) und . des
ergibt jich auch aus innern Grflnden. 4 ) Vermutlich war es ngma s
aber urfprflnglich wie das vierte Esdrasbuch hebraifch ge-
fchrieben. 5 )
Das Werk zeigt an manchen Stellen Beriihrungspunkte Beruhrungs-
mit dem Neuen Teftamente, an manchen ift es direkt durch punkte mit
dasfelbe beeinflufet worden. 6 ) Befonders auffallend find die dem N ' T '
x ) Vgl. Langen, Commentatio qua Apocalypsis Baruch anno supe-
riore primum edita illustratur. Frib. 1867, p. 6-8. Charles 1. c.
p. LXVII LXXVI und in Hastings D. I, 251. Ryssel 404 f.
2 ) Fur die Prioritat des 4. Esdrasbuches find u. a. Langen a. a. O.,
Hilgenfeld, Messias Judaeorum p. LXIII sq., Hausrath IV, 88 f., Qunkel
a. a. O. S. 351 f., Lagrange, Notes etc. p. 508 ss., B. Violet, Esra Apo-
kalypse II, LXXXI sqq , fur die des Barudibudies Charles 1. c. p. LXXII f.,
Sdiiirer III, 309 ff. und Ryssel 405 ff. eingetreten.
3 ) Es handelt fich um die Uberfehrift in einer fyrifchen Handfchrift c.
Vgl. Charles, The Apocrypha II, 471 f. Bin Fragment der griechifchen
Uberfetjung wurde von Qrenfell und Hunt entdeckt und in den Oxyrhyn-
chus Papyri, III, 37 verSffentlicht, darnach auch von Charles I.e. zu 12,
1-5; 13, 1-2. 11-12; 14, 13.
*) Charles p. XLIII f. Ryssel 410.
B ) Vgl. Charles p. XLIV LIII u. in The Apocrypha II, 473. Schulthefe
in Theol. Ltrztg. 1897, S. 238^241. Ryssel 410 f.
6 j Vgl. Charles p. LXXVI LXXIX. Er verweift u. a. auf 51, 15 und
39*
612 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
vielen Beziehungen auf den Romerbrief, 1 ) Die Ausftihrungen
in 54, 1419 machen fogar den Eindruck, 2 ) als ob fie gegen
die Beweisfuhrung des heiligen Paulus im Romerbrief 5, 12 ff.
gefichtet fein follen. Ebenfalls recht auffallend ift 48, 42 der
Ausdriick M die erfte Eva", welche vielleicht eine chriftliche
Gloffe ift, jedenfalls aber an den Gegenfatj zur: Mutter Gottes
erinnert.
Es liegt der Gedanke nahe, daft die Baruchapokalypfe
zu Rom vielleicht von einem der dorthin durch Titus depor-
tierten Juden gefchrieben ift. Das wurde auch die Bekannt-
fchaft mit dem Romerbriefe erklaren.
Die fog. Para- Das fyrifche Baruchbuch ift in einem jungeren Baruchbuch benufrit, 3 )
lipomena Je- welches die letjten Schickfale des Jeremias legendarifdi erzahlt und ur-
remiae, ein fpriinglich griechifch, dem Anfcheine nadi ; im zweiten chriftlichen Jahr-
jiingeres Ba- hundert gefchrieben ward. In den griechijchen Handfchriften heigt diefe
ruchbuch. Schrift gewOhnlich ,,Paralipomena des 'Jeremias". So wie fie vor-
liegt, mug fie aber als ein chriftliches Werk angefehen werden, da fie
fogar von den zwolf Apofteln redet. ;
Das Origenes erwahnt 4 ) eine Schrift des Propheten Baruch, in welcher
griechifche von 7 Welten oder Himmeln gefprochen werde^ Vielleicht ift eine vor
Baruchbuch. Matth . 16> 2 6; 54, 10 und Luc. 1, 42; 21, 13 und 1 Kor. 15, 19; 49, 2
und 1 Kor. 13, 35; 52, 6 und Jakobusbr. ,1, 2; 51, 11 und Apoc. 4, 6.
1 ) Vgl. 17, 3. 23, 4. 54, 15.' 19 mit Rom. 5, 12 ff.; dann 32, 6. 39, 7
mit Rom. 8, 19; 23, 4 mit Rom. 11, 25; weiter 14, 8 f. 20, 4. 21, 10.
54, 12 f. 75 mit Rom. 11, 35; dann auch 14, 9. 20, 4. 75, 15 mit Rom.
11, 33 f. Vgl. den Kommentar zum Romerbriefe von Sanday and Headlam,
3.. ed. Edinburgh 1898, p. 137 f. 207 f. 335. 340 f.
2 ) So fagt Edersheim, The life and times of Jesus the Messiah,
2 ed. L 1884, II, 658. Immerhin fprechen aber die Stellen 17, 3. 23, 4
und 48, 42 dagegen.
3 ) Es ift in griechifcher, athiopifcher, armenifcher und flavifcher Sprache
erhalten. Vgl. Ryssel 1. c. p. 402 f. und befonders Schiirer HI, 393395,
der das Buch nach feinem in den griechifchen Handfchriften gewohnlichen
Titel ,,Paralipomena Jeremiae" nennt, und zwifchen dem chriftlichen Schlufj
und dem urfprunglich jiidifchen Werk unterfcheiden will, weil Kap. 6, 1314
und 8, 2 auf das ag>o^s<}at der Juden von den Heideh, infonderheit
den heidnifchen Frauen, Wert gelegt werde. Das konnte aber doch ge-
wig auch ein Chrift vom Standpunkte des Jeremias oder Baruch aus
tun. Der griechifche Text ift zule^t veroffentlicht worden von Ceriani in
Monumenta sacra et profana, V, 1 Mediol. 1868, p. 9 18 und von Rendel
Harris in The rest of the words of Baruch: a Christian apocalypse of
the year 136 A. D., the text revised with an introduction. London 1889.
Ober eine noch unveroffentlichte athiopifche Baruchapokalypfe und
andere Baruchliteratur vgl. Ryssel S. 403 f.
*) Orig. De princ. II, 3, 6.
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur nach der Zerft6rung Jerufalems. 613
einigen Jahren veroffentlichte griechifch gefchriebene ,,Offenbarung des
Baruch" eine verkurzte Bearbeitung desfelben, 1 ) obwohl hier nur von
5 Himmeln, welche dem Baruch von einem Engel gezeigt werden, die
Rede ift. Im erften Himmel fieht er Menfchen mit Kopfen wie Kinder und
Hornern wie Hirfche. Es find die Menfchen, welche den Turm zu Babel
gegen Gott bauten. Die, welche den Rat zu dem Bau gegeben haben,
find im zweiten Himmel und haben Hundskopfe und Hirfchfufce. Dann
fieht er (Kap. 4-10) den Drachen, deffen Bauch der Hades ift, und den
Ausgangsort der Sonne und den feurigen Sonnenwagen mit der Sonne
in menfchlicher Geftalt und den Vogel Phonix, welcher neben der Sonne
lauft und mit feinen Fliigeln ihre Strahlen auffangt, und den Mond, der
in Geftalt eines Weibes in einem Wagen von Rindern und Lammern ge-
zogen wird. 1m vierten Himmel fieht Baruch das Waffer, welches die
Wolken erhalten, urn es fur die Fruchte der Erde regnen zu laffen, und
die Ebene, wo die Seelen der Gerechten zufammenkommen. .Der f unite
Himmel (Kap. 11 16) ift durch ein Tor gefchloffen, welches der Schluffel-
bewahrer Michael offnet, und Engel kommen mit Korbchen voll Blumen,
d. h. Tugenden der Gerechten. Andere Engel weinen, weil fie fchlechten
Menfchen zugewiefen find. Michael verkundet Mr die erfteren Lohn, fur
die letjteren Strafe. Das Tor wird gefchloffen und Baruch befindet fich
wieder auf der Erde.
Das Werk beruhrt fich mit denTflavifchen Henochbuche 2 ) und dem
fyrifchen Baruchbuche, 3 ) ift aber in feiner jetjigen Geftalt eine chriftliche
Schrift. Chriftlich ift wohl der ganze Abfchnitt in Kapitel 4 iiber den
Weinftock als den Baum, durch den Adam verfuhrt wurde, ficher aber
das Wort des Engels an Noe, dag das vom Weinftock Gewonnene zum
Blute Gottes werde. Audi wird Jefus Chriftus der Immanuel direkt er-
*) Herausgegeben von James in Apocrypha anecdota, Second Series
(= Robinson, Texts and Studies V, 1) Cambridge 1897, p. 83-94. Einen
Auszug aus dem griechifchen Text bietet die fchon 1886 von Novakovic
in Agram veroffentlichte flavifche Baruchapokalypfe, welche im
Jahre 1896 von Bonwetfch (Nachrichten d. Kgl. Gef. d. Wiff. zu Gott.
Ph. hist. Klaffe 1896, S. 94-101 nebft einer Einleitung 91-94) ins Deutfche
uberfe^t wurde. Eine englifche Oberfe^ung des flavifchen Textes von
Morfill fteht in James 1. c. p. 96-102. Ober einen zweiten flavifchen
Text, den Tichonravon 1894 herausgegeben hat, vgl. W. Ludtke, Beitrage
zu flavifchen Apokryphen in ZAW 1911 (Jahrg. 31), S. 219-222. Eine
deutfche Oberfetjung des griechifchen Textes nebft Einl. von Ryssel f. in
Kau^fch, Die Apokryphen II, 446-457; eine englifche mit Einlage von
Charles in feinem Werk The Apocrypha II, 527-242. Ryssels Einteilung
des Textes ift von mir im folgenden zugrunde gelegt. Vgl. noch
Hilgenfeld, Z f. wiff. Theol. 1897, S. 467-471 und Batiffol in der Rb VII
(1898), p. 303 s.
2 ) Vgl. Cap. 7-9 mit flav. Henoch 11-15.
3 ) Vgl. Ryssel S. 447, welcher fich an Bonwetfch S. 92 f. anfchliegt.
614 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
wahnt. 1 ) Ebenfalls i[t der Abfchnitt 1316 voll an chriftlichen Anfpielungen.
So wird z. B. in Kapitel 15 das Wort des Herrn angefuhrt: Uberweniges
feid ihr treu, uber vieles will ich euch fetjen! Gehet ein zu cures Herrn
Freude. 2 )
Es ware ja mSglich, dag es fich hi Kapitel 4 nur um einen chrift-
lichen Einfchub in eine judifche Schrift handelt. 3 ) Aber wenn die chrift-
lichen Stucke aus dem Werke weggenommen werden, bleiben nur einige
phantaftifche Traumereien iibrig. Wahrfcheinlich handelt es fich um eine
chriftliche Apokalypfe irgend einer Sekte, und gehOrt die Hauptmaffe der
Schrift dem zweiten chriftlichen Jahrhundert an, 4 ) hat aber auch fpatefe
Zufa^e. 5 )
Die Apoka- Die Apokalypfen Abrahams, Elias und Sophonias konnen,
lypfe Abra- foweit fie bekannt find, auch nicht als jiidifche Schriften der neuteftament-
hams. lichen Zeit angefehen werden.
Die nur flavifch erhaltene Apokalypfe Abrahams 6 ) enthalt allerlei
Offenbarungen, welche Abraham bei feiner zeitweiligen Verfetjung in den
Himmel, namentlich iiber die Gefchichte feines Gefchlechtes erhalten haben
foil. In ihrer jetjigen Form ift fie aber chriftlich, da von dem gefchmahten
und gefchlagenen Manne (Chriftus), auf den die Heiden hoffen, geredet
wird, 7 ) und vermutlich gnoftifch. Immerhin mag ihr eine judifche Schrift
zugrunde liegen, welche aber fchwerlich in die von uns behandelte Zeit
hinaufreicht. 8 )
*) Harnack, Chronologic 1897, I. S. 566 weift auf Epiphanius haer.
45, 1 hin. Wir horen dort, dag nach den Severianern der Teufel Schlangen-
geftalt annahm, fich mit der Erde vermifdite und die Frucht diefer Ver-
mifchung der Weinftock fei. Der Schlug von Kap. 4 ift abhangig von
den paulinifchen Briefen. S. Ryssel z. d. St.
2 ) Vgl. Matth. 25, 21.
3 ) Vgl. Batiffol 1. c. p. 304. Auch Charles 1. c. 527 meint: Jn its
present form the work is a composite production, belonging to the
second century A. D. The Jewish original has been worked over by a
Christian redactor.
4 ) James meint p. LXXI: Our book is, in fact, a Christian apoca-
lypse of the second century. Am 2. Jahrhundert mug man deshalb feft-
halten, weil wohl das Zitat bei Origenes eine Bekanntfchaft mit unferer
Apokalypfe vorausfetjt.
5 ) Vgl. befonders Abfchnitt 13, wo von n in die Kirche gehen" und
von geiftlichen Vatern gefprochen wird.
6 ) S. Bonwetfch, Die Apokalypfe Abrahams. Das Teftament der
vierzig Martyrer, herausgegeben ( Studien zur Gefchichte der Theo-
logie und Kirche, herausg. von Bonwetfch und Seeberg I, 1) L. 1897.
') L. c. Cap. 29.
8 ) Bonwetfch S. 61 f. halt das Werk far judifchen Urfprungs, ebenfo
Schurer III, 336 f. und Bardenhewer, Gefch. der altkirchl. Literatur Bd. 2
Freib. 1903, S. 649. Letjterer meint, der eigentliche Kern des Buches
durfe noch dem 2. chriftl.' Jhrdt. angehort haben, weil derfelbe wahr-
XVI. Kap. Die judifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 615
In der altkirchlichen Literatur ift audi einigemal von einer Apoka- Die
lypfe des Elias 1 ) und einer Apokalypfe des Sophonias 2 ) die Apokalypfe
Rede. In beiden Fallen durfte es fich um eine judifche Schrift oder um des Elias und
eine Oberarbeitung einer folchen handeln. 3 ) Jedenfalls ftammt eine jungft die des So-
aus dem Koptifchen veroffentlichte Elias-Apokalypfe 4 ) aus fpaterer Zeit phonias.
und ift chriftlichen Urfprungs. 6 ) Audi ein erft in allerletjter Zeit bekannt
gewordenes lateinifches Fragment einer Elias- Apokalypfe 6 ) tragt kein
Kennzeichen eines jiidifchen Urfprungs an fich. Endlich fcheint auch die
fcheinlich dem Verfaffer von Clem. Recogn. 1, 32 vorgelegen habe. Nach
der Rev. des etudes juives 1898, vol. XXXVI, p. 125 kann das Werk
weder in Palaftina noch in der rabbinifchen Welt entftanden fein. Ober
andere Schriften unter dem Namen Abrahams f. Schiirer III, 337 ff.
') S. die Stellen bei Zahn, Gefch. des neut. Kanons II, 801810.
Die Apokalypfe des Elias foil nach Orig. Comm. ad Matth. 27, 9 (de la
Rue III, 916; vgl. auch Ambrosiaster, Comm. in ep. Pauli, Migne PI.
XVII, 205) die Quelle eines vom heiligen Paulus I Kor. 2, 9 angefuhrten
Zitates fein. Auch foil die Stelle Eph. 5, 14 nach Epiphan. Haer. 42 (ed.
Dindorf II, 388) 7rp zw 'HUa. ftehen. Dag Paulus, bei dem die Formel
y&YQctnTnt oder Aayet immer auf kanonifche Schriften hinweift, ein jiidifches
Apocryphum angefiihrt hat, ift von vornherein zum wenigften recht un-
wahrfcheinlich. Das erfte Zitat wird auch von Hier. Ep. 57 ad Pam-
machium c. 9 (ed. Vallarsi I, 314) auf Ifaias 64, 3 und das Zitat Eph. 5,
14 fchon von Hippolytus De Chrifto et Antichr. c. 65 auf den Propheten
und in Daniel IV, 56 auf Ifaias (60, 1) zuruckgefiihrt. Ift die Elias-Apoka-
lypfe, worin die Stellen geftanden haben follen, judifchen Urfprungs, fo
werden die Zitate durch chriftliche Oberarbeitung in .diefelbe hineinge-
kommen fein.
2 ) Sie wird erwahnt in den oben S. 573, 6 angefuhrten Verzeich-
niffen der Apokryphen und bei Clem. Alex. Strom. V, 11, 77.
3 ) S. Schiirer III, 361366. 367369. Bardenhewer II, 649-651.
Zahn 1. c. S. 805 ift geneigt, fur die Apokalypfe des Elias einen chrift-
lichen Urfprung anzunehmen.
*) Steindorff, Die Apokalypfe des Elias, eine unbekannte Apoka-
lypfe und Bruchftiicke der Sophonias-Apokalypfe. Koptifche Texte, Oberf. etc.
L. 1898 (= Texte u. Unterfuchungen etc. N.F. II 3a).
6 ) Vgl. Schurer, Theol. Ltrtzg. 1899, Sp. 48, der meint, fie fei in
der zweiten Halfte des 3. Jahrhdts. n. Chr. gefchrieben, wahrend nach
Kampers im Hiftor. Jahrb. Bd. XX, 1899, S. 424 ff. der Kern der Elias-
Apokalypfe in die Zeit der agyptifchen Aufftande zuruckreichen foil.
6 ) S. dasfelbe in De Bruyne, Nouveaux fragments des Actes de
Pierre, de Paul, de Jean, d'Andre et de PApocalypfe d'Elie in der Revue
Benedictine XXVe Annee, Paris 1908, p. 149 160 und daraus von Schurer
III, 362 f. fowie fchon in der Litztg. 1908, Sp. 615 mitgeteilt. Es ftammt
aus einem Wurzburger Codex Burchardi aus dem 8. Jhrdt. n. Chr.
Schurer 1. c. halt dasfelbe fur ein echtes Fragment der alten judifchen
Elias-Apokalypfe.
616 Z weiter Abfchnitt. Die innern f oz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
koptifche Sophonias-Apokalypfe, aus welcher unlangft Bruchftiicke ver-
offentlicht worden find, 1 ) eine chriftliche Schrift zu fein.
c) Die Testamente der zwolf Patriarchen.
Die Ober- rj as Werk, welches im griechifchen Texte und einer alien
lief g r u u ^ s des armenifchen Cberfefcung, deren Text im Verhaltnis zu dem
griechifchen manche kleine Auslaffungen hat, auf uns ge-
kommen ift, wozu noch eine fpatere weniger wichtige flavifche
Uberfetjung kommt, 2 ) war dem Origenes als ,,ein gewiffes
Buchlein, welches Teftament der zwolf Patriarchen heifct",
bekannt 3 ) und wird in alteren Verzeichniffen der kanonifchen
') Vgl. S. 615, 4.
2 ) Das Werk ift feit dem 13. Jahrhundert in einer lateinifdien, von
dem Bifchof Qroffetefte nach einer noch zu Cambridge erhaltenen Hand"
fdirift gemachten Oberfetjung (f. Felten, Robert Groffetefte, Bifchof von
Lincoln. Freib. 1887, S. 85 f.) bekannt gewefen. Der griechifdie Text ift
von Grabe, Spicil. Patrum t. I., Oxoniae 1698, p. 145-253, dann von
Sinker, Testamenta XII Patriarcharum. Cambr. 1869. Appendix ebd. 1879
und von R. H. Charles, The Greek versions of the Testaments of the
twelve Patriarchs ed. from nine mss. together with the variants of the
Armenian and Slavonic versions and some Hebrew fragments. Oxford
1908 herausgegeben worden. Eine Ausgabe des armenifchen Textes
beforgte Jofepheanz. Venedig 1896. Den altflavifchen Text gab Tichon-
rawow heraus. 2 Bde. St. Petersburg 1863. Vgl. die deutfche Oberfetjung
des Textes von Schnapp, in Kautjfch, Apokryphen II, 458 506, die aber
fortwahrend etwa mit Bouffet, Die Teftamente der zwolf Patriarchen, Z.
f. d. neuteftam. Wiff. 1900, S. 141 175. 187209 verglichen werden mug,
um auf Grund der Textkritik die chriftlichen Interpolationen auszufeheiden
Preufchen, Die armen. Oberfe^ung der Teftamente der zwolf Patriarchen
in Z. f. d. neut. Wiff. 1900, S. 106-140 behandelt die zwei Rezenfionen des
armenifchen Textes und gibt (ebd. 112-126) eine deutfche Oberfetjung
des Teftam. Levi und (ebd. 137 f.) des 19. Kap. des Teftam. .Tofeph. Vgl.
auch Conybeare, The testament of Job and the testaments of the XII
patriarchs, The Jew. Quart. Rev. XIII (1900), p. 111-127, und ebd. The
testaments of the XII patriarchs 1. c. p. 258-274. Charles, art. Test, of
XII Patriarchs in Hastings D IV, 721-725 und ganz befonders Charles,
The Testaments of the twelve Patriarchs translated from the editor's Greek
text and edited with introduction, notes and indices. London 1908, wo
auch andere moderne Uberfetjungen angegeben find, kurz das ganze
Material vorgelegt wird Vgl. auch Charles, The testaments of the twelve
patriarchs in Charles, The Apocrypha II, 282 295 (Introduction) und
296-367 (Text).
3 ) Vgl. Origenes in Josue horn. XV, 6 (de la Rue II, 435): sed
et in aliquo quodam libello, qui appellatur Testamentum duodecim Patri-
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur naeh der ZerftOrung Jerufalems. 617
und apokryphen Sdiriften des Alien Teftamentes unter dem
Titel ,,Patriarchae" angefuhrt. 1 )
Diefe pfeudepigraphifche Sdirift enthalt die Vermaditniffe Der inhait
der zwolf Sohne Jakobs, welche diefe fterbend ihren eigenen der
Sohnen gegeben haben. In jedem diefer Teftamente find Te f tamente "-
drei Teile zu unterfcheiden, eine zum Teil legendarifche Selbft-
biographie des betreffenden Patriarchen, fodann eine langere
Ermahnung zu der Tugend, wodurch der jedesmalige Patriarch
fich auszeidinete oder deren Mangel ihm grofces Leid brachte,
endlich Weisfagungen iiber das Schickfal des Stammes, den
der Betreffende begrfindete. So z. B. ermahnt Ruben zur
Vermeidung der Hurerei, Simeon des Neides, Levi 2 ) des
Obermutes. Er redet aber auch fiber das Prieftertum, Juda
redet fiber Tapferkeit, Habfucht und Hurerei, Iffachar fiber die
Einfalt, Zabulon fiber Mitleid und Erbarmen, Dan fiber Zorn
und Lfige, Nephtali 3 ) fiber die natfirliche Gfite, Gad fiber den
archarum, quamvis non habeatur in canone, talem tamen quendam sensum
invenimus, quod per singulos peccantes singuli Satanae intelligi debeant.
1 ) In der Stichometrie des Nicephorus heigt es,,rfaT^td(i%ai. oz<x., ey' 1 '
(5100). Die Verzeichniffe bei Preufchen Analecta 1893 p. 156 ff.
2 ) Von einer aramaifchen Oberfetjung des Test. Levi haben im Jahre
1900 Pag und Arendzen, dann 1907 Cowley und Charles in der Jewish
Quarterly Review Stucke veroffentlicht, die nodi durch griechifche erganzt
wurden. Vgl. diefelben nun in der Ausgabe von Charles, Appendix III,
p. 245256 und in englifcher Oberfetjung in Charles, The Testaments,
Appendix II, p. 228 235. Wir haben es darin nicht etwa mit einer
andern Oberfeljung oder Rezenfion des griechifchen Appendix II Testa-
mentum Levi zu tun, fondern mit einem ausfuhrlicheren und felbftandi-
geren, wenn auch im Inhalte mit dem griechifchen Testamentum Levi fich
berahrenden Studce. In demfelben 1661 werden die Weifungen des
Grogvaters Levis, des Patriarchen Ifaak, bezuglich des Opferdienftes
mitgeteilt. Charles (The Greek versions 21 p. LIU LVII, The Testa-
ments 23 p. LXVIII-LXXIV) halt fowohl den aramaifchen wie den
griechifchen Text fur eine Uberfetjung aus dem Hebraifchen und meint,
fowohl der Verfaffer des Buches der Jubilaen wie der der Teftamente
hatten daraus gefchopft, wahrend Frankel, Theol. Ltrztg. 1907, Sp. 475
es fur ,,zweifellos" halt, dag diefe aramaifchen Stucke ,,eine Obertragung
aus einem griechifchen Original" find, womit fich naturlich ,,die Zeitan-
fe^ung" diefer Texte ganz wefentlich verfchieben wurde.
3 ) Von dem Testam. Nephtali ift ein hebraifcher Text zuerft von
Gafter (dann deutfch in Kau^fch, Die Apokryphen II, 489-492) und jiingft
auch von Charles, The Greek versions, Append. II, 239244 (und eng-
lifch in Charles, The Testaments Appendix I. 221-227) veroffentlicht
618 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Hafc, Afer fiber zwei Geftalten der Bosheit und der Tugend,
Jofeph fiber die Keufchheit, Benjamin fiber reine Gefinnung.
Der Text der Um die Herftellung eines zuverlaffigen Textes hat fich
Teftamente. ^cr ne uefte Herausgeber Charles die grojgten Verdienfte er-
worben. Aber wenn man auch zwei Textklaffen des grie-
chifchen Textes unterfcheiden kann, 1 ) fo weichen doch die zu
derfelben Klaffe gehorigen Handfchriften oft ftark voneinander
ab, und find die zwei Klaffen keineswegs fcharf zu unter-.
fdieiden. Audi der armenifche, in vielen Handfchriften er-
haltene Text, welcher aus dem Griechifchen gefloffen ift, geht
wieder in zwei Textrezenfionen auseinander. 2 ) Wahrend aber
der griechifche Text fehr viele augenfcheinlich chriftliche Stellen
aufweift, die bei der Vorausfetjung einer jtidifchen Grundfchrift
als fpatere Einfchube zu betrachten find, haben diefe im arme-
nifchen Text, der fibrigens auch fonft im Verhaltnis zu dem
griechifchen manche kleine Auslaffungen hat, einen geringeren
Umfang. Man konnte daraus folgern, dafe die ins Armenifche
fibertragene Form des Textes diefe Einfchube tiberhaupt nicht
enthielt, allein da die armenifche Uberfetjung aus dem Grie-
chifchen gemacht ift und es keine griechifche Handfchrift gibt,
welche diefe Einfchube nicht enthielte, ift mit der Moglichkeit
zu rechnen, dafc der armenifche Uberfetjer eine Anzahl der-
felben abfichtlich ausliefc. Eine Veranlaffung dazu hatte er.
Denn die armenifche Ubefetjung ift im vierten Oder ffinften
Jahrhundert gemacht worden. Die Chriftologie der Tefta-
mente ift aber haretifch, namlich patripaffianifch, 3 ) und weift
fomit auf das zweite oder dritte Jahrhundert hin.
ES ift eine Immerhin bleiben eine Anzahl chriftlicher Stellen, welche
judifche fich fowohl im armenifchen wie im griechifchen Texte finden. 4 )
Sehrift mit
chriftlichen wOr( j en> welcher, wenn er nicht eine freie Bearbeitung- eines griechifchen
Inter- Textes ift (fo Schnapp bei Kautjfch 1. c. 2, 458 f. und Bd. 1 S. XXXI),
polationen. jich er nicht das Original des testamentum Nephtali (vgl. Charles, The
Greek versions p. LI ff.) und nicht alter als der griechifche Text ift.
J ) Charles, The Greek versions p. XIX ff.; The Testaments p. XXXII ff.
2 ) L. c. XIV ff. bezw. p. XXV ff.
3 ) Vgl. Testam. Simeon 6, 5. Issachar 7, 7. Dan 5, 13. Nephtali
8, 3. Afer 7, 13. Benjamin 10, 8.
*) Vgl. Charles, The Greek vers. p. XL VIII ff. und in The Testa-
ments p. LXI ff., der ubrigens manche chriftliche Stellen befonders fiber
die Gottes- und Nachftenliebe und den religiofen Univerfalismus (The
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 619
Abgefehen von folchen Stellen find aber die Teftamente mehr
judifch gehalten, ohne aber, wie es fonft in judifchen Schriften
und fpeziell auch in den aramaifch-griechifchen Fragmenten
des Teftamentes Levis gefchieht, 1 ) fich viel mit Zeremonial-
gefetjen zu befchaftigen. Die Frage, ob fich nicht etwa hier
ein Judenchrift gefchickt auf den altteftamentlichen Stand-
punkt geftellt hatte und die ganze Schrift von einem Juden-
diriften herruhre, ift aber fchon deshalb zu verneinen, weil
manche Mahnungen, befonders die an die Stamme, fich mit
Levi und Juda zu einigen, da dem einen das Prieftertum,
dem andern die Herrfchaft anvertraut fei, fich nicht wohl auf
die entfernte Gefchichte der Stamme, fondern auf ihren Zu-
ftand zur Zeit der Abfaffung des Werkes beziehen. 2 )
Der neuefte gelehrte Herausgeber des Buehes tritt dafur ob eine he-
ein, dafe dasfelbe urfprunglich hebraifch abgefafct fei, weil braifche
das Griechifche ftark hebraifiere und oft erft durch Riickiiber- Gnmdfchnrt
fe^ung ins Hebraifche verftandlich werde. 3 ) Ja, er geht fo- ^J 6 ^
gar fo weit, die nach feiner Annahme vorliegenden zwei r tierte ^
Rezenfionen des griechifchen Textes auf zwei verfchiedene n id,t
Rezenfionen des hebraifchen Originals zuruckzufiihren. 4 ) Le^-
teres ift fchon aus dem Grunde fchwerlich richtig, weil die
zwei fogenannten Rezenfionen des griechifchen Textes gar
nicht fcharf voneinander gefchieden find. Es ift aber auch aus
den Varianten nicht als richtig zu beweifen, da diefe fich bei
genauerer Unterfuchung als blofce inner-griechifche Varianten
Testaments p. XCIU ff.), mit Unrecht einem judifchen Verfaffer zufchreibt
und fo zu der Anficht kommt, dag die ethifche Lehre diefes Werkes
,,indefinitely higher and purer than that of the old Testament" (Testa-
ments p. XVII) fei und die Gedanken und Lehre der neuteftament-
lichen Schriftfteller und felbft des Herrn beeinflugt habe (L c. und ibd.
LXXVIII XCI1). Man mugte dann aber doch zum allerwenigften Sicher-
heit haben, dag diefe Texte in einer vorchriftlidien judifchen Grundfchrift
geftanden haben. S. Schiirer in der Befprechung, Theol. Litztg. 1908,
S. 511. Lagrange Rb 1908, p. 345.
') S. S. 617, 2.
*) Vgl. Testam. Nephtali 8, 2. Ruben 6, 7. Juda 21, 1-5. Issachar
5, 78. Dan 5, 4.
3 ) Charles, The Greek versions p. XXIII -XXXII, The Testaments
p. XLII-XLV1I.
*) Charles, The Greek versions p. XXXII XXXIX, The Testaments
p. XLVI1 L.
620 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Verhaltniffe des jiid. Volkes.
dartun. Aber audi die Beweife fur eine hebraifche Grund-
fchrift iiberhaupt madien es nicht fehr wahrfcheinlich, dag
eine folche exiftierte. 1 )
Theorien Nachdem fdion Grabe die von den meiften neueren
uber die Q e i e h r t en geteilte Anfidit ausgefprochen hatte, dag das Werk
der vorArm- von emem J uden gefdirieben, aber fpater von einem Chriften
lichen Zeit. interpoliert worden fei, hat der verdiente neuefte Heraus-
geber des Werkes, Charles, es fur ficher erklart, dag, wenn-
gleieh das Buch im Laufe der Zeit manche Veranderungen
und Zufatje erfahren habe, der grogte Teil des Werkes, die
eigentlidie Grundfchrift, von einem Pharifaer der alten Schule,
einem begeifterten Bewunderer der Hasmonaer und fpeziell
des Johannes Hyrkanus, unter der Regierung des letjteren,
zwifchen 109-106 v. Chr. hebraifch gefchrieben fei. Es ent-
halte auger einigen diriftlichen audi, allerdings nicht viele
jiidifche Interpolationen aus Pamphleten, welehe fich gegen
die Genugfucht und die Graufamkeit der Priefter wendeten
und eine neue Apoftafie und eine neue Gefangenfchaft voraus-
fagten. Diefe feien gefchrieben, nachdem [ich am Ende der
Regierung des Johannes Hyrkanus die Begeifterung der
Pharifaer fur die Dynaftie der Hasmonaer in dauernden
unverfohnlichen Hag verwandelt habe, und ruhrten aus der
Zeit vom Jahre 7040 v. Chr. her. 2 ) Im wefentlichen be-
a ) Vgl. The Athenaeum, 1908 May 2, Nr. 4201 p. 533-5. Schiirer,
Theol. Ltrztg. 1908, Sp. 509510.
2 ) Charles, The Greek versions p. XLVI f. und The Testaments
p. LVII ff. rechnet zu diefen Zufa^en des 1. Jhrdts. v. Chr. die Stellen,
weldie von der gegenwartigen fchlimmen Zeit reden, die Nation als wieder
der Apoftafie fchuldig bezeichnen, die Verwuftung- des Tempels und eine
zweite Qefangenfdiaft fowie eine fchliejpche Erlofung aus derfelben durch
Qott Oder einen Meffias aus dem Stamme Juda und Riickkehr in ihr
eigenes Land vorherfagen. Es find Test. Levi 10. 14-16. Jud. 17,
2-18, 1 (?), 21, 6-23. 24, 4-6. Zabul. 9. Dan 5, 6-7 und 7, 3 (?).
Nephtali 4. Gad 8, 2. Aser 7, 47. Wie groge Vorficht aber bei einem
textlich fo verwilderten Buche wie dem unfrigen in diefen Dingen an-
gebracht ift, fieht man z. B. aus dem Testam. Jofeph, worin fich zum
Teil widerfprechende Berichte Kap. 1-10, 4 und 10, 518 hintereinander
ftehen. Hier follte man gewig zunachft an zwei Verfaffer denken. Allein
die Schwierigkeiten lofen fich faft alle, wenn man die Reihenfolge der
Kapitel verfchiebt, da nach Kap. 1 Kapitel 10, 1516, dann 2-10, 4, dann
endlich 17-20 ftehen muffen. .
XVI. Kap. Die judifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 621
ruhrt fich hierin Charles mit den Gedanken, welche bereits
Bouffet iiber den Dualismus des Werkes, das begeifterte Lob
Levis einerfeits und anderfeits den bittern Tadel desfelben
ausgefprochen hatte, nur hat Bouffet die Abfaffung der Haupt-
fchrift in die Zeit der Konigin Alexandra oder die erften
Jahre Ariftobuls verfetjt. 1 )
Die Beftimmung der Abfaffungszeit durch Charles unter-
liegt den ftarkften Bedenken. Wenn auch einzelnes auf ein-
zelne Makkabaerftirften angewandt werden kann, fo pafet
dodi das meifte ganz gut auf die Priefterherrfchaft im erften
chriftlichen Jahrhundert und ift die Unterfcheidung von einer
hebraifchen Grundfchrift und den hebraifchen Zufatjen, welche
aus der Zeit der Pfalmen Salomos ftammen und ein ganz
beftimmtes Ziel verfolgen fallen, nidit bewiefen. Fur die An-
fchauung, dafe das eigentliche Werk unter Johannes Hyr-
kanus nach der Zerftorung Samarias, aber vor dem Konflikt
mit den Pharifaern abgefafct fei und der Verfafler einen
Meffias erwarte, der ein Sohn Levis (und nicht, wie wieder
in den Zufatjen vorausgefetjt wird, ein Sohn Judas) fein
werde, ftiitjt fich Charles vorziiglich auf Levi 8, 14 15. Dort
heigt es: ,,Der Konig wird aus Juda hervorgehen und ein
neues Prieftertum errichten (nach der Weife der Volker und
fur alle Volker) und feine Erfcheinung ift geliebt wie ein
Prophet des Allerhochften." Allein obwohl, wie Charles felbft
fagt, alle griechifchen Handfchriften ,,aus Juda" lefen und
auch der armenifche Text nicht diefe Lesart fordert, 2 ) lieft er
hier ,,in Juda", um den Text auf Johannes Hyrkanus aus
dem Stamme Levi beziehen zu konnen, welcher allein in
in der ganzen jiidifchen Gefchichte mit der Wurde des Konigs
und Priefters die [des Propheten verbunden habe. 3 ) Seine
') Vgl. Bouffet 1. c. S. 187 ff.
2 ) Nach Charles [(Ausgabe p. 44, Oberfetjung p. 45) miiffen wir
ev rta 'Javda. (tatt f't TOV 'Joi'da lefen ,,unless we take the clause a king
shall arise from Judah as a Christian interpolation". Der armenifche
Text lieft '* rot oder ev roi ']. Vor Charles ift fchon Bouffet a. o. 0.
S. 165 167 und S. 196 fur iv iw 'J. eingetreten.
3 ) Charles, The Testaments p. L1I and p. 45 beruft fich dafiir auf
Jos. B. J. 1, 2, 8 und Ant. 13, 10, 7. Von Neueren vertritt auch Szekely,
Bibl. apocr. in f einen Ausfuhrungen iiber unfer Buch (p. 382-422) die
Meinung: nobis Salvator Leviticus in libro saepe valde clare asseri
622 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Erklarung pagt aber auch nidit in den Zufammenhang, denn
8, 11 fpridit von drei Kategorien des Stammes Levi. Die
erfte, das Hoheprieftertum, wird in 8, 12, die zweite, das
Prieftertum, in 8, 13 erwahnt. Somit ware in 8, 14 von den
Leviten zu fpredien gewefen und diirfte, da dies nidit ge-
fchieht, 8, 1415, wie Sdiiirer riditig vermutet, 1 ) eine dirift-
lidie Umarbeitung des Textes fein. Audi fonft lagt fidi keine
Stelle aus der ,,Grundfchrift" fur die im Gegenfatj zur Hei-
ligen Sdirift [tehende angebliche Anfdiauung anfuhren, dag
der Meffias nidit aus Juda hervorgehe und nidit von David,
fondern von Levi abftamme. 2 ) Es ift audi nidit riditig, dafc
in Levi 56, 5 von der Zerftorung Samarias (unter Johannes
Hyrkanus) gefprodien wird, da vielmehr von Sidiem die
Rede i[t.
Wir haben es {omit mit einem Werke jiidifchen Urfprungs
zu tun, weldies diriftlidie Interpolationen enthalt. Ob das
videtur, non autem ex mera corruptione textus prodire. Der Verfajfer
des Buches und iiberhaupt die verniinftigen Juden batten nidit gleidi-
zeitige Hasmonaer-Furften felbft Mr den Meffias gehalten und nidit
geglaubt, das Meffianifdie Zeitalter fei fdion da (wie Bouffet, Charles
u. a. glaubten). ,,Sed Messiam quamquam e familia Levitica oriundum,
tamen ens supernaturale ac demum venturum cogitarunt, Principes
Hasmonaei nonnisi pro praecursoribus veri Messiae habebantur."
(Szekely p. 414).
J ) Theol. Ltrztg. 1908, 610, 1.
2 ) Charles beruft fidi (The Testaments p. LI und XCVII) auf Ruben
6, 712, wo er aber in Vers 11 ftatt Judas, von weldiem die Rede ift,
Levi eingefGhrt hat, fo dag es nun von diefem heigt, er werde fiber die
VOlker herrfchen. Audi Testam. Levi c. 18 ijt keine Weisfagung eines
von Levi abftammenden Meffias, fondern ein im wefentlichen diriftlidier
Hymnus auf einen neuen Priefter (vgl. Lagrange, Le Messianisme p. 74 ss.
und fruher Rb. 1908, 444, 3). Ebenfalls ift mit Lagrange 1. c. und Le
Messianisme chez les Juifs p. 73 Judas 24, 1 3 als diriftlidie Inter-
polation anzufehen. In Dan 5, 10-12 lautet der riditige Text: Und es
wird eudi aufgehen aus dem Stamme Judas und des Levi das Heil des
Herrn und er felbft wird gegen Beliar Krieg fuhren etc. Charles hat
im Texte ,,l* rfj? <fviij? 'IWrf v.al row Atvi" die Worte 'Invdn xat als
Interpolation in Klammer gefeljt, weil, wenn fie edit waren, <pt'Awv und
nidit wA.^? daftehen mugte. Geradefo gut konnte man aber, wenn eine
Interpolation vorliegt, ,,*ai rov Mvi" als Interpolation anfehen. Sdinapp
fieht in feiner Oberfetjung die Verfe iiberhaupt als diriftlidie Interpolation
an. Was endlidi Test. Jos. 19, 59 angeht, fo bezieht fidi zunadift die
Stelle gar nidit auf Levi, fondern auf Juda (f. Vers 8) und ift ubrigens
chriftlidi.
XVI. Kap. Die judifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 623
Werk urfprunglich hebraifch oder griediifch abgefagt war, ift
audi heute nodi nidit fidier klargeftellt. Audi enthalt es
keine ficheren Spuren, daft es aus der Zeit des Johannes
Hyrkanus oder der Konigin Alexandra oder den erften Jahren
des Ariftobulus ftammt.
Da aber an einzelnen textkritifch unverdachtigen Stellen
der Untergang des Tempels und die Zerftorung Jerufalems
vorausgefetjt wird, 1 ) find wir fiir die Beftimmung der Ab-
faffungszeit auf die Zeit nach dem Jahre 70 n. Chr. hinge-
wiefen. ttber den jiidifdien Aufftand unter Hadrian darf aber
nicht hinausgegangen werden, weil nach diefem die Hoffnung
auf eine Ruckkehr der Juden nach Jerusalem 8 ) nicht mehr
gehegt werden konnte.
2, Flavius Jofephus.
Der namentlich in der Gefchichte des judifchen Krieges Lebensfkizze.
oft genannte Gefchichtfchreiber und judifche Apologet Flavius
Jofephus ift zwifchen dem 13. September 37 und dem 15. Marz
38 geboren. 3 ) Sein eigentlicher Name war Jofephus. Den
Beinamen Flavius fiihrte er fpater als Freigelaffener des
Kaifers Flavius Vefpafianus.
Jofephus, deffen Vater noch beim Ausbruch des judifchen
Krieges lebte, 4 ) gehorte einer vornehmen Priefterfamilie an. 5 )
Sehr talentvoll hatte er fich fchon in ganz jungen Jahren
vor dem Hohenpriefter und den erften Mannern Jerufalems
durch feine Kenntnis des Gefetjes ausgezeichnet. Nadidem
er drei Jahre lang bei einem Einfiedler in der Wufte ein
afzetifches Leben gefiihrt hatte, fchlog er fich mit 19 Jahren
der machtigen Partei der Pharifaer an. 6 )
') Test. Levi 10 und 15 f. Dan 5, 4. 8.
2 ) Dan 5, 9 13.
3 ) Er war geboren im 1. Jahre des Caligula (Vita 1), alfo vor dem
16. Marz 38. Da er aber in Ant. 20, 11, 2 (am Ende) fein 56. Lebens-
jahr mit dem 13. Jahre Domitians, welches vom 13. September 93 bis
zum 13. September 94 ging, parallel fetjt, mug er nach dem 13. Sep-
tember 37 geboren fein. So fchon Wiefeler, Chronologie S. 98.
*) B. J. 5, 13, 1.
6 ) Jos. Vita c. 1.
6 ) Jos. Vita c. 2.
624 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Im Jahre 64 befuchte er die Stadt Rom, wo er wohl-
wollende Aufnahme bei der Kaiferin Poppaa fand. So lernte
er die Madit des romifchen Reiches aus eigener Anfdiauung
kennen. 1 ) Es ift deshalb audi ganz glaublich, dajg er, wie
er fpater behauptete, von Anfang an von dem Kriege gegen
die Romer abgeraten hatte. 2 ) Aber wie er iiberhaupt bei
grofeen Geiftesanlagen wenig Charaktertiichtigkeit zeigte und
fich an die Machtigen, welche fur fein Fortkommen forgen
konnten, anlehnte, fo ubernahm er auch, als den vornehmen
Prieftern, wenn fie am Ruder bleiben wollten, nichts anderes
iibrig blieb, als fich auch am Kriege zu beteiligen, aus Ehr-
geiz fogar eine hochft fchwierige und verantwortungsvolle
Stellung. Er liefe fich namlich, ohne fur den Poften irgend-
wie geeignet zu fein, zum Oberbefehlshaber in Galilaa, der
den romifchen Angriffen am eheften ausgefetjten Provinz,
ernennen. Welche Rolle er als folcher fpielte, ift fchon dar-
gelegt worden. 3 )
Auch nach der Einnahme Jerufalems hat er fich dauernd
der Gunft der Flavier zu erfreuen gehabt. Es ehrt inn, daft
er fich, als Titus ihn aufforderte, fich in Jerufalem zu nehmen,
was er wolle, mit einem Exemplar der heiligen Bucher und
der Befreiung feines Bruders und feiner Freunde und Be-
kannten, im Ganzen etwa 200 Perfonen, begnugte. 4 ) Titus
gab ihm aber auch einen Befitj aufeerhalb Jerufalems in der
Ebene. 5 )
Er ging mit Titus nach Rom. Dort wies ihm Vefpafian
eine Wohnung in feinem eigenen Privatpalaft, den er felbft
fruher vor feiner Erhebung zum Kaifer bewohnt hatte, an
und verlieh ihm das romifche Biirgerrecht und eine jahrliche
Penfion. 6 ) So konnte er nun das Leben eines wohlhabenden
Schriftftellers fuhren. Aber der Hag feiner Landsleute ver-
1 ) Jos. Vita c. 3. Vgl. o. S. 225, Anm. 2.
2 ) Vita c. 4.
3 ) Vgl. o. S. 235 ff.
*) Vita c. 75.
*) Vita c. 76.
6 ) Vita c. 76. Vgl. Sueton. Vefpaf. 18, der erwahnt, dag der Kaijer
Vefpafian zuerft ,,e fisco Latinis Graecisque rhetoribus annua centena
constituit".
XVI. Kap. Die jQdifehe Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 625
fchonte ihn audi je# nicht. So z. B. klagte ihn ein gewiffer
Jonathan, der in Cypern einen Aufftand gegen die Romer
erregt hatte, bei Titus an, Waffen und Geld fur den Auf-
ftand geliefert zu haben. Spater verklagten ihn andere Ju-
den, darunter ein Eunudi, der Erzieher feines eigenen Sohnes,
bei dem Kaifer Domitian von neuem. Aber jedesmal zogen
feine Feinde den kurzeren. Titus vermehrte fogar nodi den
Grundbefi^ des Jofephus, und Domitian madite feinen Befils
abgabenfrei und lieg den Eunudien hinriditen. 1 )
Wann Jofephus geftorben ift, wiffen wir nidit. Er er-
wahnt aber nodi das 13. Regierungsjahr des Domitian, wel-
dies mit dem 13. September 93 begann. 2 )
Er war ein eitler, felbftgefalliger Mann, der vor allem Charakter
feine eigenen Intereffen zu wahren fudite. Ware fein Cha- des
rakter nach feiner Selbftbiographie zu beurteilen, die aber lep
zur Verteidigung gegen Anklagen, die fur ihn fehr gefahr-
lidi waren, gefchrieben wurde, fo mufete man ihn fchledithin
als einen bewufcten Verrater an der Sadie feines eigenen
Volkes bezeidinen, wahrend er tatfadilidi nur gezwungen
dem von ihm als hoffnungslos angefehenen Aufftand fidi an-
fchlofc und deshalb haltlos hin und her fchwankte. Verfohn-
lich wirkt das flberall in feinen Sdiriften zutage tretende
') Vita 76. Jofephus hat wenigftens vier Frauen gehabt. Die erfte
war in Jerusalem wahrend der Belagerung. B. J. 5, 9, 4. Die zweite,
eine Kriegsgefangene, welche er auf Befehl Vefpafians zu Gafarea hei-
ratete, verlieg ihn, als er mit dem Kaifer nach Alexandrien zog. Dori
nahm er eine dritte (Vita 75), trennte fich aber von ihr, weil ihm ihre
Sitten nicht gen'elen, und nahm nun als vierte Frau eine aus Kreta
ftammende vornehme Jiidin. (Vita 76.) Zur Zeit der Abfaffung feiner
Selbftbiographie lebten noch drei feiner S6hne, wovon einer von der
dritten und zwei von der vierten Frau ftammten (Vita 1 und 76).
2 ) Ant. 20, 11, 2. Die Regierung Domitians begann am 13. Sep-
tember 81. Bisweilen nimmt man mit Schurer 1, 88. 598 f. an, Jofephus
fei erft im 2. Jahrhundert geftorben, da feine Selbftbiographie erft nach
dem Tode des Agrippa II., den man irrtumlich ins Jahr 100 n. Chr. fetjt,
gefchrieben wurde. Allein Agrippa II. war bereits im Jahre 94 n. Chr.
tot. Vgl. oben S. 212, 3. Eufebius H. E. 3, 9 erwahnt, dag man dem
Jofephus in Rom eine Bildfaule errichtet habe. Vermutlich handelt es fich
aber nur um die Aufftellung feiner Biifte in einer Bibliothek. S. von Gut-
fchmid, Vorlefungen uber Jofephus Budier gegen Apion. Kleine Schriften,
herausg. von Franz Ruhl. 4. Bd. L. 1893. S. 346.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3. Aufl. 40
626 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jtid. Volkes.
Beftreben, das judifche Volk zu verherrlidien und deffen.
Intereffen zu wahren.
Das diriftliche Altertum, weldies den Wert der Werke
des Jojephus wohl zu wurdigen wugte, hat uns vier Werke,
vermutlich alle, weldie er uberhaupt gefchrieben hat, uber-
Hefert. 1 )
J ) Flavii Josephi Opera ed. et apparatu critico instruxit Bened.
Niese, 7 Bde., Berol. 1885-1895 und ohne kritifdien Apparat 6 Bde.
Vgl. auch den im 9. oder 10. Jhrdt. angefertigten und fdion von Zonaras
im 12. Jhrhdt. benutjten griechifchen Auszug Flavii Josephi Antiquitatum
Judaicarum Epitoma. Ed. Ben. Niese Ber. 1896. Eine kleinere Aus-
gabe mit felbftandiger Rezenfion gibt Naber, Flavii Josephi Opera omnia.
6 Bde. Lips. 18881896. Eine fur den praktifchen Gebrauch nodi immer
empfehlenswerte Ausgabe ift die von Dindorf, Flavii Josephi Opera
(griech. u. latein.) Paris. 2 Bde. 18451847. Keine der Handfdiriften
mit Ausnahme der aus dem 10. Jhrdt. ftammenden Palatino-Vatic, n. 14
ift alter als das 11. Jhrdt. Deshalb haben folgende Werke fur die Be-
urteilung des Textes Wert: Die alte latein. Uberfetjung der Altertiimer
und der Biicher gegen Apion, welche auf Veranlaffung Caffiodors im
6 Jhrdt. abgefagt wurde (f. Cassiodorus, De institutione div. lit. c. 17);
eine lateinifche Uberfetjung der 7 Bficher fiber den judifchen Krieg, von
der Kaffiodor (1. c.) fagt, dag die einen fie dem Hieronymus, andere
dem Ambrofius, wieder andere dem Rufinus zufchreiben. Nach letjterem
pflegt man fie zu nennen, wohl mit Unrecht. Denn Qennadius De viris
illustr. c. 17 erwahnt fie nicht. Eine freie lateinifche Bearbeitung der
7 Biidier, worin manches gekiirzt, abcr auch einiges hinzugefugt ift, tragt
den Namen Egesippus oder Hegesippus, eine Entftellung des Namens
Jofephus ( 'Io')6tn7tn?, 'Iwffynos). Die Bearbeitung ftammt' ans der
Zeit des heil. Ambrofius, den auch manche Gelehrte als Verfaffer anfehen.
Vgl. aber z. B. Jos. Stiglmayr, Ambrofius und Pfeudo-Hegefippus, ZKTh.,
Bd. 38 (Innsbruck 1914), S. 102- 112. Die -befte Ausgabe des Hegefippus
ift die von Weber und Caefar, Marburg 1864 (auch abgedruckt in S.
Ambrosii Opera omnia ed. P. A. Ballerini t. 6 p. 1276. Mailand 1883).
Ober eine aus dem 6. Jahrhdt. ftammende fyrifche Oberfeljung des
6. Buches des judifchen Krieges, die in dem grogen photolithographifchen
Werke von Ceriani, Translatio Syra Pescitto Veteris Testament!. Mailand
1876-1883 erfchien, vgl. z. B. Schiirer 1, 98; Jufter 1, 9s. Eine
flavifche Bearbeitung aus dem 13. Jhdt. enthalt Zufatje liber Johannes
den Taufer, Jefus, die Junger Jefu u. a. Diefe find in deutfcher Ober-
fe^ung verOffentlicht worden von A. Berents, Die Zeugniffe vom Chriften-
tum im Slavifchen. De bello Judaico des Jofephus (Texte und Unterf.
N. F. XIV, 4) 1906. Nach Berents gehen diefe Stvicke auf die im B. J.,
Prooemium 1 und 2, erwahnte erfte, in aramaifcher Sprache gefchriebene
Darftellung des Jofephus zuruck und find fomit authentifch. Dagegen
fpricht fchon, dag die ganze iibrige Textuberlieferung nichts von diefen
XVI. Kap. Die jfidifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems, 627
Das altefte ift das ,,iiber den judifchen Krieg". Es Das Werk
zerfallt in fieben Budier, deren erftes die jiidifche Gefdiidite Uber den
vom Makkabaeraufftand bis zum Tode des Herodes erzahlt, e "
das zweite, Kapitel 1 16, von da bis zum Ausbrudi des
Stucken weig. Vgl. Schtirer, Th. Lz. 1906, 9, 262266. Audi die Aus-
fiihrungen von Berents in n Analecta zum flavifdien Jofephus" ZNW, 9,
1908, S. 4770 beweifen nicht, dag der Verfaffer oder Bearbeiter kein
Chrift gewefen fein kOnne. (Die Stucke find auch herausg. von S. Klofter-
mann, Apocrypha III: Agrapha, flavifche Jofephusftucke etc. 2. Aufl. 1911:
Lie^mann, Kleine Texte Nr. 11, S. 18-24). Frey, Der flavifche Jofephus-
bericht uber die urchriftliche Gefchichte nebft feinen Para Helen. Dorpat
1908 ift in feinen kritifchen Unterfudiungen zu dem Refultat gekommen,
dag die Stucke Zufatje eines urn 73100 fchreibenden Diafporajuden find.
Sie waren Oberfetjung einer griechifehen Vorlage, die auf einen aramaifchen
Text zuruckgingen. Allein was hier uber die Auferftehung Jefu, die
Haltung des Pilatus u, a. gefagt wird, weift auf die Entftehung der Zu-
falje in chriftlichen Kreifen und die Bekanntfchaft mit den Evangelien
bin. Vgl. u. a. Steinmann, Th. Revue 1911, 17, 510513.
Von den deutfchen Oberfetjungen der Werke des Jofephus feien
genannt die der judifchen Altertumer von Franz Kaulen, K5ln s 1892 und
von H. Clementj, 2 Bde., Halle 1900, des judifchen Krieges von Kohout,
Linz 1901, der kleineren Schriften (Selbftbiographie) und ,,gegen Apion"
von Clemen^, Halle 1901, der Schrift M gegen Apion", Text u. Erklarung
von J. G. Muller, Bafel 1877. Reiche Literaturangaben f. bei SchOrer
1, 94106 und im Jahresber. uber die Fortfchritte des klaff. Altertums,
Bd. CXXVII (L. 1905), S. 156166. Aus der neueren Literatur erwahnen
wir Brune, Jofephus der Gefchichtfchreiber des heil. Krieges und feine
Vaterftadt Jerufalem. Wiesbaden, Selbftverlag 1912, und derfelbe, Flavius
Jofephus und feine Schriften in ihrem Verhaltnis zum Judentum, zur
griedi. rOmifchen Welt und zum Chriftentum, Gutersloh 1913 (beide Ma-
terialfammlungen).
Laqueur R., Der jiidifche Hiftoriker Flavius Jofephus. Bin bio-
graphifcher Verfuch auf neuer quellenkritifcher Grundlage. Giegen 1920.
Nach ihm hat Jofephus in der vita hastig und oberflachlich einen urn
66/7 vor dem Ausbruch des Krieges als Statthalter Galilaas gefchriebenen
Rechenfchaftsbericht verarbeitet, der im judifchen Krieg benutjt, aber
tendenziOs umgeftaltet wurde. Die Archaologie ift in den entfprechenden
Abfchnitten die tendenziofe Zurechtmachung der im jud. Krieg berichteten
Tatfachen. Vgl. H. Dieckmann in Theol. Revue 1921, Nr. 7/8, S. 143-145.
W. Weber, Jofephus und Vefpafian Unterfuchungen zu dern judifchen
Krieg des Flavius Jofephus. L. 1921 weift nach, dag in dem Werke
eine flavifche Quelle n von groger Einheit und ftark tendenziofer Auf-
machung" fich erkennen lagt. ,,Sie fe^te mit der Ernennung Vefpafians
zum Feldherrn ein und endete mit dem Triumph der Flavier" S. 106.
40*
628 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Krieges gegen die Romer fortfuhrt. Daran fchlie&t fich die
eigentlidie Kriegsgefdiidite.
Das Werk ,,uber den jiidifchen Krieg", wie Jofephus
felbft es betitelt, 1 ) war von ihni zuerft aramaifch gefchrieben,
dann aber ins Griediifche ubertragen, um im Gegenfatj zu
den bereits vorhandenen judenfeindlichen Sdiriften eine ge-
fchiditlich wahre Darftellung der Ereigniffe zu geben. 2 ) Der
Verfaffer konnte bei vielem als Augenzeuge reden und fo-
wohl eigene, fchon im romifchen Lager gemadite Aufzeich-
nungen wie Nachrichten jiidifcher Uberlaufer 3 ) benutjen. Fur
die Treue feines Beriehtes beruft er fidi auf das feinem
Werke von Vefpafian und Titus gefpendete Lob; letjterer
gab dem Buche durdi eigene Unterfdirift fein Imprimatur.
Audi der Konig Agrippa bezeugte in 62 an den Verfaffer
geriditeten Briefen die Wahrheit des Inhaltes. 4 ) Herausge-
geben wurde das Werk zwifchen 75-79 n. Chr. 5 )
Im allgemeinen unterliegt die gefchiditlidie Treue des
fehr anfdiaulidi und vom kunftlerifdien Standpunkte aus")
gewandt gefchriebenen Buehes keinem Zweifel, obwohl die
Riickficht auf die flavifchen Kaifer Vefpafian und Titus, den
Konig Agrippa II. und die Romer, deren Milde in gutes
Licht geftellt wird, unverkennbar ift. Die vom Verfaffer ange-
gebenen Zahlen erfcheinen aber bisweilen iibertrieben hoch,
und es ift auch zweifelhaft, ob die Hartnaddgkeit des Wider-
ftandes in Jerufalem wirklich auf eine Anzahl von Zeloten
und Raubern, welche das Volk terrorifierten, zurtickzufuhren
ift. Dajg die in dem Werke mitgeteilten Reden von Jofephus
J ) /7epi TOV 'luvdamof notepov vgl. Ant. 18, 1, 2. 20, 11. Vita 74.
In den Handfchriften heigt das Werk, weil es mit der Einnahme Jeru-
falems durch Antiodius Epiphanes beginnt, gewOhnlidi Utfjl ului-nmc;.
2 ) Prooem. 1 und 2.
3 ) L. c. und c. Ap. 1, 9.
*) Vita 65. c. Ap. 1, 9.
5 ) Es mug vor Juni 79 gefchrieben fein, weil Vefpafian, dem das
Buch ubergeben worden war (Vita 65; c. Ap. 1. c.) am 23. Juni (f. Sueton.
8, 24) [tarb, und nach 75, weil es (B. J 7, 5, 7) die Vollendung des der
Pax geweihten Tempels, der nach Dio Cass. LXVI, 15 im J. 75 vollendet
wurde, erwahnt.
6 ) Photius, Bibliotheca cod. 47 lobt die Reinheit der Sprache. Jo-
fephus verftand zwar Qriechifch (Ant. 20, 11, 2), bediente fich aber bei
der Abfaffung der ftiliftifchen Beihilfe anderer (c. Apion. 1, 9).
XVI. Kapitel. Die jiidifche Literatur nach der ZerftOrung Jerufalems. 629
frei komponiert wurden, entfpridit dem Gebraudie anderer
alten Gefdiiditfdireiber. 1 )
Das zweite Hauptwerk, ,,Die judifdie Ardiaologie," 2 )Die judifchen
weldies gewohnlidi (Antiquitates Jiidaicae) ,,Judif die Alter- Aitertumer
turner" genannt wird, i[t Ende 93 Oder Anfang 94 n. Chr. desJofe P hus -
vollendet worden. 3 ) Es war zwar fdion vor der Gefchidite
des judifchen Krieges angefangen, aber, namentlich well das
Griediifche dem Verf after viele Sdiwierigkeiten machte, wie-
der ins Stocken geraten. 4 ) Der Zweck des grofcen in zwanzig
Btidiern die jiidifche Gefchidite von Erfdiaffung der Welt
bis zum Jahre 66 n. Chr. behandelnden Werkes war, die
griechifch-romifchen Lefer, wofur es gefdirieben war, 5 ) und
1 ) Der Abrig der judifdien Gefchichte von Judas Makkabaus bis
zum Ausbruch des Krieges, welcher bisweilen mit der ausfuhrlicheren
Darftellung derfelben Periode in den judifdien Altertumern wortlich zu-
fammenfallt, ift wahrfdieinlich vorzfiglich dem oft (z. B. Ant. 13, 8, 4.
12, 6. 14, 4, 3. 6, 4) angefuhrten Gefdiiditswerk des Nikolaus Damas-
cenus, eines am Hofe des Herodes lebenden Heiden (\. o. S. 131), ent-
nommen. Vgl. Thackeray, art. Josephus in Hastings D. V, 463 f.
2 ) 'Torda'ixrj *Af)%a.in\nyln.
3 ) Genauer zwifdien dem 13. Sept 93 und dem 14. Marz 94, nam-
lidi riadi Ant. 20, 11, 2 ,,im 13. Regierungsjahre des Kaifers Domitian
und im 56. Jahre meines Lebens." Erfteres ging vom 13. Sept. 93 bis
13. Sept. 94; letjteres begann zwifchen dem 13. September 92 und dem
16. Marz 93 und endigte fpateftens am 16. Marz 94 ({. o. S. 623, 3).
*) Ant. 20, 11, 2. Nach dem Prooem. 2 war Jofephus befonders
durch Epaphroditus zur Vollendung ermiintert worden. Diefem ift auch
die Archaologie fowie die Selbftbiographie und das Werk c. Apion. ge-
widmet. Er war ein Jude (c. Apion. 2, 41) und kann fchon deshalb nicht
mit dem freigelaffenen Epaphroditus, der Sekretar Neros war und von
Domitian hingerichtet wurde (Tacit, ann. 15, 55. Sueton. Ner. 49. Domit. 14.
Dio Cass. 63, 29. 67, 14), identifch fein. Wahrfdieinlich i{t der von
Jofephus erwahnte Epaphroditus identifch mit dem von Suidas, Lexicon
sub v. 'Ena^Qodiro? erwahnten Grammatiker Epaphroditus , der nach
Suidas zu Rom bis unter Nerva (} 25. Jan. 98) lebte und bei feinem
Tode 75 Jahre alt war. Vielleicht bezieht fich auf inn eine zu Rom ge-
fundene Marmor-Statue, die eine fitjende Perfon darftellt, die in der
Hand ein Band mit der Infchrift M. Mettius Epaphroditus Grammaticus
graecus halt. (Vgl. Conn, Epaphroditos n. 5, in Pauly-Wissowa, Real-
Encycl. V, 2711 f.; Vincent, Chronologie des oeuvres de Josephe in RB
1911 (N. S. VIII, 366383, p. 377). Vgl. iiber den Epaphroditus Vincent
(1. c. p 376 ss.).
') Prooem. 2.
630 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jfid. Volkes.
die fremden Volker uberhaupt mil den Juden zu verfohnen
und den bei mandien tief eingewurzelten Widerwillen gegen
fie und ihren Gott zu heben. 1 )
Im Vorwort 2 ) heifct es, dafc der Verfaffer aus hebraifchen
Werken gefchopft und das darin Enthaltene, ,,ohne etwas
wegzulaffen oder beizufugen," grieehifdi dargeftellt habe. Ob
dies gefchehen, mugte fidh zunachft in dem grofcen Abfchnitt
von Buch 1, 1 11, 6, in welchem die jiidifche Gefchidite bis
auf Esdras und Nehemias behandelt wird, zeigen. Allein
wenn aueh die Heilige Schrift nach dem Texte der Septua-
ginta mit gelegentlicher Verwertung des hebraifchen Textes
benutjt ift, 3 ) fo ift doch auch auf die im er(ten Jahrhundert
unter den Pharifaern ubliche und im wefentlichen in den
rabbinifchen Midrafchim erhaltene Schriftauslegung Ruckficht
genommen. 4 ) Dabei wird aus apologetifchem Intereffe man-
dies, z. B. die Gefchichte des goldenen Kalbes, ausgelaffen 5 )
und anders modifiziert 6 ) und werden zur Hebung des An-
fehens des jiidifchen Volkes manche Legenden mitgeteilt, fo
z. B. uber die Heldentaten Mofis im Kriege gegen die Athio-
pier. 7 ) Wieder anderes gent auf jiidifche Cberlieferung zuriick,
z. B., da& die Toditer des Pharao, welche den Mofes an
Kindes Statt annahm, Thermuthis hiefe, 8 ) oder auf alexan-
drinifche oder fonftige Schriftf teller, 9 ) wie Herodot, die ver-
!) Ant. 16, 6, 8.
2 ) Prooem. 2 (zu Anfang) und 3 (am Ende).
3 ) Dag der Verfafler die LXX benu^t, zeigt u. a. fdion die Ver-
wertung der in der LXX Efther [tehenden Stucke, weldie im Hebraifchen
fehlen. Im allgemeinen entjpricht der von ihm benutjte LXX Text dem
im Codex A enthaltenen. Vgl. Mez, Die Bibel des Jofephus. Bafel 1895.
Thackeray p. 467 f.
4 ) Vgl. Siegfried, Die hebraifchen Worterklarungen des Jofephus
in Stade, Zeitfchr. f. d. altteftam. Wiff. 1883, 32-52.
8 ) Auch Efaus Verkauf feines Erftgeburtsrechtes , die Totung des
Agypters durch Mofes u. a. ift ausgelaffen, namentlich aber jede Bezug-
nahme auf den Meffias.
6 ) Vgl. z. B. Ant. 4, 8, 10. Obrigens fin den fich bisweilen auch rationa-
liftifche Erklarungen von Wundern, z. B. Ant. 2, 16, 5, oder die entfchuldigende
Bemerkung, er berichte nach der Schrift, z. B. Ant. 3, 5, 2. 9, 10, 2.
7 ) Ant. 2, 10. Vgl. anderes bei Thackeray 469 f.
8 )*Ant. 2, 9, 5.
'') Z. B. Ant. 10, 11, 7 uber die Erbauung eines herrlichen Palaftes
durch Daniel zu Ecbatana, welcher als Maufoleum fur die medifchen, per-
XVI. Kap. Die jtidifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 631
lornen Gefchichtsbucher des Berofus, Hekataus u. a., auf
weldie er fich bisweilen ausdriicklich beruft.
Sehr liickenhaft ift die Gefchichte von Esdras und Nehe-
mias bis zum Anfange der Makkabaerzeit. Fur die letjtere
bis zum Tode Simons des Makkabaers (135 v. Chr.) bildet
das erfte kanonifche Budi der Makkabaer und zwar in der
griechifchen Oberfetjung die Hauptquelle. 1 )
In dem Abfchnitte 13, 8-17, 8 wird die Gefchichte der
Zeit vom Tode Simons bis zum Tode des Herodes (135-4
v. Chr.) dargeftellt, woran fich 17, 9-13 die Gefchichte des
Ardielaus anfchliefct. Befonders oft werden hier das nun
verlorene Gefchiditswerk des beruhmten Verfaffers der Geo-
graphie, Strabo, 2 ) und das umfangreiche Werk des Nikolaus
Damascenus angefuhrt. 3 ) Letjterer ftammte aus einer heid-
nifchen Familie und lebte wenigftens feit dem Jahre 14 v. Chr.
bis zum Tode des Herodes an deffen Hof als der vertraute
Freund und Ratgeber des Konigs und begleitete auch den
Sohn des Herodes, Archelaus, nach Rom. Nach Jo[ephus
hatte er fein Werk als Panegyriker des Herodes, dem er in
jeder Weife fchmeichelte, gefchrieben. 4 ) Nikolaus war ein
Anhanger der peripatetifchen Lehre und fchrieb auch mehrere
fifchen und parthifchen Konige diente. Ober Zufatje des Jofephus zur
Bibel, befonders aus rabbinifcher Oberlieferung, vgl. Edersheim, art. Jo-
fephus in Smith and Wace, Diet, of Christian biography. Vol. III. Lond.
1882 [p. 441-460] p. 456. Thackeray 469 f.
x ) Ant. 11, 7 bis 13, 7. In Ant. 12, 3, 3 und 12, 9, 1 wird Poly-
bius zitiert.
*) Ant. 13, 10, 4. 11, 3. 12, 6; 14, 3, 1. 4, 3. 6, 4. 7, 2. 8, 3; 15, 1, 2.
3 ) Ant. 13, 8, 4. 12, 6; 14, 1, 3. 4, 3. 6, 4; 16, 7, 1. - Neben Strabo und
Nikolaus Damascenus hat befonders Destinon, Die Quellen des Flavius
Jofephus in der jiid. Arch. Buch XII XVII = Jiid. Krieg Buch 1. Kiel
1882 als Hauptquelle ein Werk eines Ungenannten und Unbekannten an-
genommen. Vgl. gegen diefe Annahme Drfiner, Unterfuchungen fiber
Jofephus. Marburg 1896. Schttrer I, 82 f. Thackeray 465 f. Auch Holfcher,
Die Quellen des Jofephus fur die Zeit vom Exil bis zum judifchen Kriege.
Diss. L. 1904 ift gegen die Annahme der ,,Anonymushypothefe", wenn-
gleich feine eigenen Verfuche, die Vorlagen fur die einzelnen Textftucke
nachzuweifen, ebenfowenig befriedigen. Vgl. Schurer, Theol. Litztg. 1904,
S. 649651. Walter Otto, Herodes. Stuttgart 1913, S. XIII f.
*) Ant. 16, 7, 1.
632 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des. jiid. Volkes.
philofophifche Schriften, wovon uns aber nur die Titel er-
halten find. 1 )
In den drei letjten Buchern werden die Nachriditen erft
wieder ausfiihrlicher mit der Regierung Agrippas I. (41-44
n. Chr.), fur weldie Zeit dem Verfaffer auch miindlidie Be-
ridite Agrippas II. zur Verfugung ftanden.
Grofce Sorgfalt wird in dem Werke auf die Feftftellung
der Reihenfolge famtlicher Hoherpriefter verwandt. 2 ) Ohne
Zweifel hat er dafur priefterliche Gefchlechtsregifter, weldie,
wie er felbjt fagt, 3 ) mit greater Sorgfalt gefiihrt wurden,
benutjen konnen.
Befonders wertvoll ift eine ganze Anzahl von Akten-
ftticken, 4 ) befonders aus der Zeit Cafars und Augustus, zu-
gunften der freien Religionsiibung der Juden.
Die Chrono- Was die Chronologie des Jofephus angeht, 5 ) fo haben
logic des neuere Unterfudmngen die alte, fchon von Petavius vertretene
Jofephus. An | idlt beftatigt, daft die von ihm im Werke fiber den judi-
fchen Krieg gebrauchten mazedonifchen Monatsnamen, weldie
feit dem Anfange der Seleucidenherrfchaft audi in Syrien
ublich waren, den judifchen Monaten 6 ) gleidigeftellt find, 7 )
') Vgl. Suidas, JVo'iaoc z. B. bei Miiller, Hist. gr. Ill, 343 ff. S. uber
Nikolaus Damasc. Schurer, I, 5057. 84; fiber {eine philofoph. Schriften
Zeller, Die Philofophie der Qriechen III, 1 (3. Aufl. 1880) 629, 1.
2 ) Dies wird Ant. 20, 11, 2 betont.
3 ) c. Apion. 1, 7.
*) Ant. 13, 9, 2; 14, 8, 5; 14, 10, 12; 16, 6; 19, 5; 20, 1, 2. Zum
Teil wenigftens ftammen fie aus dem Archiv auf dem Kapitol zu Rom.
Vgl. Ant. 14, 10, 1 und 26. Schurer I, 85, 19 meint, es batten fich dort
nur die romifchen Urkunden befunden, die ubrigen feien von verfchiedenen
Orten zufammengebracht. tJber die offiziellen Aktenftiicke bei Jofephus
vgl. auch Jufter 1, 132158.
E ) Vgl. u. a. Deftinon, Die Chronologic des Jofephus. Kiel 1880.
Niefe, Zur Chronologie des Jofephus. Hermes XXVIII, 1893, 194-229.
Unger, Die Tagdata des Jofephos (Sitjungsberichte der Munchener
Akademie, philos.-philol. u. hiftor. Klaffe 1893, Bd. II, 453-492), Zu Jo-
fephos, II. Die Regierungsjahre der makkabaifchen Fflrften (ebd. 1896,
S. 357382), III. Regierungsjahre der Kaiferzeit, 1. Kaiferjahre, 2.Furften-
jahre (ebd. S. 383-397). Schurer I, 756-760.
o) S. o. S. 498 f.
7 ) Qanz ficher ift dies in folgenden Fallen: 1) B. J. 5, 3, 1 wird
das Paffahopfer des J 70 an dem 14. Xanthicus n nach dem Monde"
dem 14. Nifan gefeiert (vgl. Ant. 3, 10, 5 ,,im Monat Xanthicus, der bei
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 633
feine Daten auf dem Mondjahr beruhen und eine Sdialtung
notig ift, um fie mit dem Sonnenjahr in tJbereinftimmung
zu bringen. Die Regierungsdauer der romifchen Kaifer gibt
uns Nifan heigt und Jahresanfang ift, am 14. Tage nach dem Monde").
Nach dem Paffahfeft find auch die Daten der B. J. 6, 5, 3 erwahnten
Vorzeichen, namlich der 8. Xanthicus und der 21. Artemisius und das
Datum des Ausfalls derJuden (B. J. 6, 1, 3), der l.Panemus, beftimmt.
2) B. J. 6, 2, 1 wird gefagt, dag das tagliche Opfer zu Jerusalem am
17. Panemus aufhorte. Nach Mifchna Taanith 4, 6 gefchah es am 17. Tam-
mus. 3) Von vornherein wahrfcheinlich ift auch, dag der Tag des Tempel-
brandes, der 10. Loos (B. J. 6, 4, 5 und 8), nach judifchem Kalender ge-
geben ift, weil .Tofephus fagt, an demfelben Tage desfelben Monats fei
auch der alte judifche Tempel durch Nebukadnezar zerftflrt worden. Das
gefchah aber nach Jeremias 52, 12 am 10. Ab = 10. Loos = Aug. 5/6.
2. Kon. 25, 8 nennt den 7. Ab, weil an dem Tage der Brand des Tempels
anfing. Die einzige Ausnahme fcheint der B. J. 4, 11, 4 als Todestag des
Vitellius angegebene 3. Apellaus des J. 69 zu machen, da der entfprechende
3. Kislev = 6. (oder 7.) Dezember ware, Vitellius aber nach Tacitus hist.
3, 67. 79 f. am 20. Dezember, oder wie Unger (,,Der Todestag des Vitellius"
1. c. 456 465 und ,,Das Apellaios Datum" 1. c. 491 f.) meint, nach dem
richtig verftandenen Tacitus am 21. Dezember geftorben ift. Diefes Da-
tum wurde dem 18. Kislev entfprechen und konnte moglicherweife wie
Unger (1. c. 491 f.) meint, im Texte fur 18 die Ziffer rf, ir; geftanden
haben und dies als rp*V^ gedeutet worden fein. Gewohnlich nehmen aber
auch die Vertreter der Anficht, dag bei Jofephus die mazedonifchen Mo-
natsnamen fur die entfprechenden judifchen ftehen (z. B. Noris, Annus
et epochae Syromacedonum I, 3 p. 48 sqq. ed. Florent. 1691 und Ideler,
Handbuch der Chronologic I, 400 f.) an, dag hier ausnahmsweife Jo-
fephus nach dem tyrifchen Kalender, nach welchem der 3. Kislev dem
20. Dezember des julianifchen entfprechen wurde, gerechnet habe. So auch
Schiirer I, 757, 25. Im Kalender von Tyrus haben die auf einander fol-
genden Monate Dystrus, Xanthicus, Artemisius, Dasius und Panemus
31 Tage, die ubrigen nur 30. Das Jahf beginnt mit dem 1. Hyper-
beretaus = Okt. 19; der erfte Xanthicus ift April 18. Vgl. Kugler,
Von Mofes bis Paulus. MQnfter 1922, S. 459. Vgl. fiber den tyrifchen
Kalender Ginzel, Chronologic 3, 29 f. Niefe a. a. O. S. 197-208 hat
iiberhaupt zu beweifen gefucht, dag der Kalender des Jofephus im Bellum
Judaicum mit wenigen Ausnahmen ein julianifcher und dem tyrifchen, alfo
einer Rechnung nach dem Sonnenjahre gleich fei. Schwar^, Chriftliche und
judifche Oftertafeln (Abhdlgn. d. Gef. d. Wiff. zu GOttingen. Phil.-hift. Klaffe
N. F. Bd. VIII, 6 Berlin 1905) Cap. IX (und ebd. in Die Aeren von Gerafa
und Eleutheropolis, Nachrichten d. Gef. d. Wiff. zu Gott. Phil.-hift. Klaffe
1906 S. 345) fagt fogar, Jofephus habe iiberhaupt ausnahmslos nach dem
tyrifchen Kalender gerechnet. Diefe Anfchauung ift nicht wefentlich von
der fchon von Scaliger, Baronius u. a. und neuerdings von Hoffmann,
De imperatoris Titi temporibus recte definiendis, Marburg 1883, vgl.
. 634 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud. Volkes.
Jofephus nadh dem romifchen Kalender 1 ) in Jahren, Monaten
und Tagen. 2 )
Die Seibftbio- 3) Die Selbftbiographie oder das Leben des Jofephus
graphic des ('iwa^ov piog) enthalt, abgefehen von einigen biographijchen
Jofephus. Bemerkungen am Anfang und am Sdilufc (1-6. 75-76),
nur eine Verteidigung des Verhaltens des Jofephus in Gali-
laa vor dem Beginn des eigentlichen Kampfes mit den R6-
mern. Die Schrift wurde durch das Erfcheinen eines andern
Werkes fiber den jiidifchen Krieg hervorgerufen, worin der
Verfaffer, Juftus von Tiberias, 3 ) ein Mann, der im jiidifchen
Kriege eine Rolle gefpielt, dann aber zu Agrippa und den
Romern ubergegangen war, dem Jofephus nicht nur die
Hauptfchuld der Beteiligung von Tiberias am Aufftande in
Galilaa zufchrieb, fondern ihn aueh als die Seele des Auf-
jtandes iiberhaupt darftellte.*) Dies war dem Jofephus in
auch Schurer I, 757 t, vertretenen verfchieden, dag Jofephus dem tyrifch-
mazedonifchen Sonnenjahre folge und feine Monate von den julianifchen
nur durch den Namen verfchieden feien. Vgl. hiergegen befonders Unger,
Die Tagdata 1. c. S. auch den Beweis einer durchgreifenden Datierung
der Tagdaten im ,,jud. Kriege" des Jofephus nach dem jiidifchen Kalender
bei Kugler, Von Mofes bis Paulus. Munfter 1922, S. 459 ff.
') Unger, Zu Jofephos HI. 1. c. S. 383-397 meint, es gefchehe dies
im Anfchlug an die von den Kanzleien ausgegangene Zahlung der kaifer-
lichen Tribunenjahre, wahrend Niefe im Hermes 1. c. 208 ff. der Anficht
ift, Jofephus habe die Kaiferjahre den judifchen Kalenderjahren in der
Weife gleichgefetjt, dag er das Jahr immer mit dem 1. Nifan oder
Xanthicus beginnen laffe. So z. B. rechne er das erfte Jahr des Nero
nicht vom 13. Oktober 54 (Tacit, ann. 12, 69), fondern vom 1. Nifan 55
an. Gegen Niefe vgl. auch Schurer I, 605, 16.
2 ) Er hat die Zahl der Tage und Monate nach dem rOmifchen Ka-
lender berechnet, weil er die Kenntnis hiervon von den R5mern hatte. Den
Tag des Regierungsantrittes der Kaifer gibt er nicht an, auch nicht den
ihres Todes, wenn wir von Vitellius abfehen. Den des leljteren hat er
datiert, weil von dem Tage an Vefpafian Alleinherrfcher war. Vgl. Unger,
Die Tagdata etc. S. 476.
3 ) Vgl. fiber ihn Schurer I, 58 ff. und die dort S. 62 f. angefuhrte
Literatur. Jufter 1, 13, 5 fiigt nodi H. Luther, Jofephus und Juftus von
Tiberias. Ein Beitrag zur Gefchichte des judifchen Aufftandes. Diss.
Halle, 1910 hinzu; Luther mache den Juftus zu einem Freunde der ROmer.
Man brauche aber nur Jofephus, Vita 9 zu lefen, um zu fehen, wie fehr
diefe Thefe zur Vorficht mahne.
<) Das Buch des Juftus war nach Vita 65 fchon 20 Jahre vor feiner
XVI. Kap. Die jiidifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 635
Rom fehr unangenehm. Deshalb fuchte er fich in dem ,,Leben"
als Romerfreund darzuftellen. Das Werk ift aber nur ein
klaglicher Verfuch, unbequeme Tatfaehen das Gegenteil von
dem fagen zu laffen, was fie dartun.
Die Schrift bildet einen Anhang oder eine Fortfetjung
der Archaologie. Am Ende der letjteren fpricht Jofephus die
Abficht aus, fpater kurz wiederum die Gefchichte des jiidi-
fchen Krieges und feines eigenen Lebens bis zum 13. Re-
gierungsjahre Domitians darzuftellen. 1 ) (Jberdies zeigen aueh
die Einleitungsworte, 2 ) dag fich diefes Werk unmittelbar an
die Archaologie anfchliegt, zumal auch am Schlug der Vita
,,das ganze Werk der Archaologie" dem im Vorwort zur
Archaologie genannten Epaphroditus H ) gewidmet ift. Unter
diefen Umftanden ift es fchon an fich hochft wahrfcheinlich,
dag das ,,Leben" unmittelbar nach der Archaologie gefchrieben
ift und die Abfaffung kaum fpater als in das Jahr 94 n. Chr.
fallen kann. Dag es vor dem Tode Domitians, der am
18. September 96 ftarb, abgefagt wurde, folgt aber aus dem
Schluffe. Dort bemerkt Jofephus, er habe ftets das Wohl-
wollen der Kaifer befeffen. Er beruft fich dann auf Vefpafian,
Titus und deffen Nachfolger Domitian fowie deffen Gemahlin
Domitia, um alsbald mit den Worten f ortzuf ahren : Dies ift
das, was von mir wahrend meines Lebens getan wurde.
4) Das Werk ,,gegen Apion" hat diefen ihm gewohn- Das Werk des
lich 4 ) gegebenen Titel nicht urfprunglich gefiihrt, denn der- Jofephus
gegen Apion
VerOffentlichung gefchrieben, eine runde Zahl, wie fie Jofephus liebt
(vgl. Vincent, Chronologie des oeuvres de Josephe, f?B 1911, 370).
J ) Vgl. Ant. 20, 11, 2 (ed. Naber IV, 312): xr TT^K^O^V vnn-
f<vr,6<o Tjcihv toii re noieftov xai ralv 6 v/tpefiyxoToiv tffiiv xrA. Die le^teren
Worte darf man nicht mit v. Gutfchmid S. 374 und Schurer I, 87 u. a. von
einer judifchen Gefchichte im Sinne von ,,unferer Erlebniffe" erklaren.
Denn abgefehen davon, dag fich Jofephus auch fonft oft der erften Perfon
Pluralis bedient, wenn er von fich redet (z. B. Ant. 6, 15, 3; 12, 5, 2;
13, 2, 1. 2, 4. 4, 6. 5, 11. 10, 1. 4. 12, 6. 13, 5), gibt er gerade vorher
den Grund an, weslialb er einiges fiber feine Herkunft und fein Leben
fagen WOlle (neyl yevovg rnH /iov HOC* nefji ttav xard zdv fliov n^oi^eiav Pga-
-/ia, dietci&elv}. Die Vita beginnt aber gleich mit der Herkunft des
Jofephus.
2 ) 'Efiol di etc. Das de mug fich doch auf vorhergehendes beziehen.
3 ) Er ftarb vor dem 25. Jan. 98 zu Rom. S. o. S. 629, 4
*) Nach dem Vorgang des heiligen Hieronymus. Vgl. Ep. 70 ad
Magnum oratorem c. 3; de vir. ill. c. 13; adv. Jovinianum 2, 14.
636 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. Jittl. Zuftande des jfid. Volkes.
felbe ift weder den alteften Kirchenfchriftftellern bekannt,
nodi iiberhaupt dem Inhalt entfprechend, da Apion erft im
zweiten Buche des Werkes genannt wird. Der eigentliche
Titel fcheint vielmehr ,,0ber das hohe Alter des judifchen
Volkes" gelautet zu haben, den auch Origenes und Eufebius
geben. 1 ) Die wie die Archaologie und Biographic dem Epa-
phroditus gewidmete Schrift ift nach der in ihr fchon er-
wahnten 2 ) Archaologie gefchrieben und ift eine Apologie des
Judentums gegen feine Bekampfer und Verleumder, unter
denen Apion hervorragte. Diefer war ein aus Agypten 3 )
ftammender Grammatiker und Wanderredner, der befonders
uber Homer Vortrage hielt 4 ) und in einer agyptifchen Ge-
fchichte in fiinf Buchern 5 ) die giftigften Angriffe gegen die
Juden richtete. 6 ) Allem Anfcheine nadi war er ein eitler
Schwatjer. 7 ) Obrigens war er bei der Abfaffung der Gegen-
fchrift des Jofephus fchon tot. 8 )
In dem erften Buche feines Werkes befchaftigt fich der
Verf affer 1 , 123 mit dem Nachweis des Alters des judifchen
Volkes, wobei er auf agyptifche, phonizifche, chaldaifche und
griechifche Quellenfchriften zuriickgeht, um dann (1, 2435)
auf die Fabeln fiber den angeblichen Urfprung der Juden
von agyptifchen Ausfatjigen naher einzugehen. Im zweiten
Buche weift Jofephus (2, 1 13) die Verleumdungen des Apion
zuriick und verteidigt den judifchen Kultus und die judifchen
Gebrauche. Dann will er, um den Vorwurf, die Juden hatten
nichts zur allgemeinen Kultur beigetragen, zu entkraften,
J ) flf(>l riy? rtav 'Jovdato)v dgyaioTriToc;, Vgl. Orig. C. CelS. 1 , 6.
4, 11. Bus. H. E. 3, 9; Praep. evang. ed. Gaisford 8, 7, 21. 10, 6, 15.
Porphyrius, De abstinentia 4, 11 hat den Titel n^oe ror? a EUijva?.
*) c. Ap. 1, 1 und 10 u. 2, 40; fiber die Gefdi. des jud. Krieges
ebd. 1, 9 f. Das Werk ift nidit nach 97 gefchrieben, da Epaphroditus
Anfang 98 fchon geftorben war. S. o. S 629, 4.
3 ) Isidore Levy, Apion etait-il Alexandrin? in Notes d'histoire et
d'epigraphie N. VII (in REJ Tome XLI Paris 1900, p. 188-195) tritt
der Angabe von Jos. c. Ap. 2, 3, dag Apion nicht in Alexandrien ge-
boren war, bei.
*) Seneca Ep. 88, 40.
5 ) c. Ap. 2, 2.
8 ) Vgl. auch oben S. 504 f.
7 ) Jos. c. Ap. 12. Tiberius nannte ihn nach Plinius N. H. Praef.
25 cymbalum mundi.
8 ) ,Jos. c. Ap. 2, 13.
XVI. Kap. Die judifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 637
(2, 14 ff.) zeigen, dafc Mofes die Quelle fei, aus der die
griechifchen Philofophen gefchopft batten. Zum Sdilufc (2,
21-41) wird iiberhaupt die hohe Auffaffung Gottes und des
Gefetjes bei Mofes mit den unter den Griechen verbreiteten
unfittlidien Anfchauungen verglichen. 1 )
In dem ganzen Werke zeigt der Verfaffer wirklich pa-
triotifche Gefinnung, grofcen Eifer fur den Glauben und die
Sitten des judifchen Volkes und keine geringe literarifche und
polemifche Gefchicklichkeit.
Am Sdilujj der Archaologie erwahnt Jofephus feine Ab- Ob Jofephus
fidit, ein Werk in vier Budiern zu fchreiben ,,0ber die An- noch andere
ficht, welclie wir Juden'von Gott und feiner Wefenheit und als die
den Gefetjen und dem Grunde, weshalb diefelben das eine
erlauben, das andere verbieten, haben." 2 ) Vermutlich hat ^6^ nat
er diefe Abficht fpater aufgegeben. Einiges aber, was in ein
foldies Werk hinein gehort haben wiirde, hat er in dem
zweiten Buche gegen Apion behandelt.
In fruherer Zeit hat man ihn mit Unrecht auch als Ver-
faffer des fogenannten vierten Makkabaerbuches angefehen. 3 )
Seit dem 16. Jahrhundert ift ein lebhafter Streit iiber Der
die Echtheit der im achtzehnten Buche der Altertiimer fich Streit uber
findenden Stelle iiber Jefus gefuhrt worden. Sie lautet: ,,In Echtheit von
diefer Zeit trat Jefus auf, ein weifer Mann, wenn anders Ant- 18? 3> 3-
man ihn einen Menfchen nennen darf. Denn er tat auffallende
: ) Vgl. iiber die den Juden gemachten Vorwurfe etc. oben S. 505 ff
*) Auf das Werk verweift er auch Ant. Prooem. 4. Ant. 1, 1, 1.
10, 5; 3, 5, 6; 6, 6. 8, 10. 11, 2; 4, 8, 4. 8, 44. Vgl. auch B. J. 5, 5, 7.
Hatte er feine Abficht ausgeftihrt, fo wiirde fich auch wohl gezeigt haben,
ob er die Schriften Philos, den er nur Ant. 18, 8, 1 als Fuhrer der Ge-
fandtfchaft an Caligula nennt, gekannt hat. Man fiihrt fiir eine folche
Bekanntfchaft wohl einige Stellen an, die an folche Philos anklingen
(vgl. Thackeray p. 471), aber etwas Sicheres lafct fich daraus nicht ent-
nehmen.
3 ) Eufeb. H. E. 3, 10 fchreibt diefes Werk (woruber unten S. 641 f )
dem Jofephus zu. Die Schrift ns^i rov navzut; (auch g.enannt ityl T/^?
Toii navcd<; curta? oder. nt(jl T>]g rov itavcos oi-tfta?), welche in dem dem
Photius cod. 48 vorliegenden Exemplare dem Jofephus zugefchrieben ift,
gehort vielmehr dem Hippolytus, der fie Philosophumena 10, 32 als
feine eigene anfiihrt. Vgl. Lightfoot, The Apostolic Fathers Part I. S.
Clement of Rome II (L. 1890) p. 395-397. Schurer I, 90 f. Barden-
hewer, Gefch. der Altkirchl. Literatur II, 517-519.
638 Zweiter Abfdinitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jiid. Volkes.
Werke *) (und) war ein Lehrer derer, die freudig die Wahr-
heit aufnehmen. Und er zog viele Juden und viele aus dem
hellenifchen Volke zu fich heran. 2 ) Er war der Chriftus. Und
als ihn auf die Anklage der erften Manner unter uns Pilatus
mit dem Kreuze beftraft hatte, lie&en die nicht ab, weldie
ihn 3 ) zuerft geliebt. Denn er erfchien ihnen am dritten Tage
wieder lebend, nachdem die gottlidien Propheten diefes und
viel anderes Wunderbare tiber ihn gefagt hatten. Noch bis
heute hat das Gefchlecht der Christen, die von ihm den Na-
men haben, 4 ) nicht aufgehort."
Die Stelle 5 ) wird von den einen fur edit, 6 ) von andern
fur interpoliert, 7 ) und wieder von andern fiir unecht ange-
fehen. 8 ) Jedenfalls i[t die aufcere Bezeugung der Stelle eine
gytav
2 ) Statt eTirjyaytro Heft Naber IV, 147 VTiyyciyero er ZOg fort.
3 ) Das ttvrov lagt Niefe aus.
*) Statt h'voftaSftevwv (xgidzt avoir] haben Niefe und Naber <u
?) = das von ihm den Namen hat.
5 ) Vgl. zur Literatur Chevalier, Repertoire des sources hist, du
moyen age. Nouvelle edition. Vol. II , Paris 1907, p. 2261 ss. Linck,
De antiquissimis veterum quae ad Jesum Nazarenum spectant testi-
moniis (= Religionsgejch. Verfuche u. Vorarbeiten 14, 1) Giegen 1913.
6 ) So nadi dem Vorgang von Natalis Alexander, Tillemont, Pagi,
Uffer, Cave u. a. von Bole, Flavius Jojephus (iber Chriftus und die
Chriften, Brixen 1896; Kneller, Fl. Jos. uber Jefus Chriftus, Stimmen
aus Maria-Laadi. B. LVII (Freib. 1897) 1-19. 161174; Seuj, Das
Chriftuszeugnis des Jofephus Flavius. Hiftor. Jahrbuch (35, 4) 1914,
S. 821 831 u. a. Harnack, Der jiidifche Gefehichtjchreiber Jofephus und
Jefus Chriftus. Internal. Monatsfchrift fiir Wiffenfchaft Kunft und Technik
1913, 10371068.
7 ) Z. B. von Gutfchmid, Kleine Schriften, IV, 352-4. G. A. Miiller,
Chriftus bei Flavius Jofephus, Innsbr. 1895; Tb. Reinad), Josephe sur
Jesus REJ, tome XXXV (Paris 1897) p. 118. Kohout in Flavius Jo-
fephus' Jiidifcher Krieg. Linz 1901, S. 5868.
8 ) Zuerft im 16. Jhdt. von Hubert Gifanus und Lukas Ofiander (vgl.
G. A. Miiller 1. c. 6), neuerdings Sehurer I, 544-549; Wandel, Der
jiid. Gefchichtfchreiber Flavius Jofephus und das Chriftentum. N. kirchl.
Zeitfdirift. 1891, S. 967-987. Niese, De testimonio christiano quod est
apud Jos. ant. Jud. XVIII, 63 sq. Marburgi, Index scholarum 1893/94
u. a. Norden, Jofephus und Tacitus iiber Jefus Chriftus und eine meffia-
. nifche Prophetic, L. 1913 (Sonderabdruck aus Bd. 31 der Neuen Jahr-
bucher fur das klaff. Altertum S. 637-666).
XVI. Kap/ Die jQdifche .Literatur nach der Zerftorung Jerufalems.
einhellige 1 ) und lafct fich nidits aus ftiliftifchen Grfinden gegen
den jofephinifchen Urfprung des Zeugniffes einwenden. 2 ) Aus
der Stellung des Abfchnittes in dem betreffenden Kapitel la&t
fich weder ffir noch gegen die Echtheit ein fidierer Schlufc
ziehen, zumal in dem Kapitel auch fonft von Pilatus geredet
wird 3 ) und der Zufammenhang bei Jofephus ofter etwas lofe
ift Origenes, der das Zeugnis des Jofephus uber den Taufer 4 )
anfiihrt, erwahnt das fiber Jefus gar nicht, bemerkt jedoch,
Jofephus habe nidit an Jefus als Meffias geglaubt, 5 ) was
aber zunachft nur fagen will, er fei kein Chrift gewefen.
Die Vertreter der Unechtheit der Stelle berufen fich vor-
zuglich darauf, dafc es innerlich unwahrfcheinlich fei, dafe ein
Pharifaer wie Jofephus fo fiber Chriftus geredet habe. Ge-
wifc vermeidet es Jofephus, von den Chriften und dem Mef-
fias zu reden. Mufete doch die ganze Meffiashofmung der
Juden den Romern als toricht und politifch bedenklich er-
fcheinen. Audi waren die Chriften erft unter Nero verfolgt
worden. Allein zu Ende des Jahrhunderts waren die Chri-
ften als eine aus dem Judentum hervorgegangene Relrgions-
gefellfdiaft bekannt und durfte mancher etwas fiber ihren
Stifter in einem Werke wie dem des Jofephus erwarten.
Als aber gegen Ende 93 Jofephus fein Werk fertig ftellte,
hingen einige Mitglieder der flavifchen Kaiferfamilie, deren
J ) Die Stelle fteht in famtlichen Handfdiriften und wird zweimal
von Eufebius angefuhrt H. E. 1, 11 und Demonst. evang. Ill, 3, 105 106
ed. Gaisford.
2 ) Vgl. von Gutfchmid S. 352 f. Kneller S. 15. Reinach S. 7 und
10 gegen die von Niefe gemachten Einwendungen.
3 ) Vgl. Kneller S. 162 f.
*) Ant. 18, 5, 2. .
s ) Orig. in Matth. 13, 55 in De la Rue 111, 463. Das Zeugnis
Ant. 20, 9, 1 fiber Jakobus den Gerechten erwahnt Origenes nicht (wohl
aber Bus. H. E. 2, 23, 21), jedoch fiihrt er c. Gels. 1, 47 aus der Archao-
logie (vgl. 1. c. zu Matth. 13, 55) ein anderes angebliches Zeugnis des
Jofephus dafur an, dag die Zerftorung Jerufalems die Strafe fur die
Totung des Jakobus war. Ebenfo Bus H. E. 2, 23, 20. Moglicherweife
haben beide die Nachricht in ihrem Jofephus ,,uber den romifchen Krieg"
gelefen, woraus das Chron. pasch. ed. Bonn. I, 463 die Nachricht haben
will, fo dag fich Origenes nur in der Angabe der Quelle ein wenig ge-
irrt hatte (vgl. Zahn, Einl. in das Neue left. I, 76 f. und Forfchungen
zur Gefch. des neut Kanons VI, 301 ff. und dagegen Schurer I, 581, 45).
Vgl. noch o S. 625, 1.
640 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des jud Volkes.
Sdiutjling Jofephus war, namentlidi der Neffe des Vefpafian,
Flavius Clemens und feine Gemahlin Domitilla dem Chriften-
tume an. Clemens erfreute fidi damals audi nodi der Gunft
Domitians, mit dem er im Jahre 95 zufammen Konful war,
und ift erft Anfang 96 oder Ende 95 auf Befehl des Domi-
tian getotet worden. 1 ) Daft irgend ein Chrift die Stelle in
den Text des Jofephus, etwa um jemand fur den diriftlidien
Glauben zu gewinnen, hineingebradit hat, ift aueh nidit wahr-
fcheinlidi, da fidi diefer weder bei den Juden nodi bei den
Heiden eines befonderen Anfehens erfreute.
An fidi ift es wahrfdieinlicher, dafe ein urfprunglidies
Zeugnis tiber Chriftus durdi diriftlidie Interpolation in eins
fur Chriftus verwandelt wurde, etwa dadurdi, 2 ) daft an den
Rand gefdiriebene Bemerkungen eines Chriften von einem
fpateren Sdireiber in den Text hineingearbeitet wurden. 3 )
Aber audi bei diefer Annahme ift grofce Vorfidit notig. Denn
die Bemerkung des Jofephus uber Jefus: ,,wenn man ihn
einen Menfdien nennen darf," 4 ) war vielleidit nur dazu be-
ftimmt,' die heidnifdien Lefer des Jofephus auf das Aufeer-
ordentlidie an Jefus hinzuweifen und die Worte: ,,er war
der Chriftus," mufcten Heiden, weldie von dem Meffias nidits
wufcten, in dem Sinne: ,,er ift'es, den man unter dem Na-
men Chriftus kennt, von dem die Sekte der Chriften ihren
Namen hat," verftehen. Audi ware es bei dem Eklektizis-
mus des Jofephus nidits Auffallendes, da er der Lehre Jefu,
namentlidi feiner Sittenlehre, hier ein Lob fpendet. 5 )
') Dio Gass. 67, 14. Sueton. Domit. c. 15. Vgl. Lightfoot, Cle-
ment of Rome I, 1890, p. 14-103.
2 ) v. Gutfchmid S. 353.
3 ) In einem angeblichen Zitat aus Jofephus bei Bratke, Das fogen.
Religionsgefprach am Hofe der Saffaniden (= Texte und Unterfuchungen
N. F. IV, 3, 1899) S. 36 heigt es: "JdiOmnot; . . . ttV?"* ^*?' Xgrfiot dvd^o?
dixai.ov xcii dyafroi'-j EA <'/iit? zdyizog dva.dei%d-&vTos ffrjueloig xctl rigatiiv,
EvegytTovvroq TroAAov'?. Das Zitat wird im 9. Jhdt. von dem pala[tin. Abte
Anaftafius angefiihrt (Anastasii Sinaitae adv. Judaeos disputatio III. Migne
PG. LXXXIX, 1248) und wird mit Recht allgemein als eine freie-An-
fiihrung der Worte des Jofephus angefehen. Vgl. Kneller S. 5 f. Bratke
felbft neigt S. 223 ff. zu der Anfidit, es fei ein unechter Zufa^ zum Jo-
fephustext. Sadilich fetjt es aber nichts hinzu.
*) G. A. Miiller S 14 nennt fie ,,eine verfteckte Anerkennung der
Gottessohnfdiaft Chrifti."
6 ) V^- ^ Q Worte
XVI. Kap. Die jtidifche Literatur nach der Zerftorung Jerufalems. 641
Die einzige Stelle, welche wirklich den Verdacht einer
Interpolation nahe legt, ift die iiber die Auferftehung Chrifti
und die Prophezeiungen. Jofephus hat die auf den Meffias
gehenden Weisfagungen auf Vefpafian bezogen, und es ift
nicht anzunehmen, dag er an die Auferftehung Chrifti ge-
glaubt hat. Audi ift es nicht wahrfcheinlich, dafc die Worte:
,,denn er erfchien ihnen am dritten Tage lebend," etwa vom
Standpunkt der Chrifteii aus gefchrieben find und den Sinn
haben follen: ,,wie die Chriften glaubten". Allem Anfcheine
naeh find fie eine Interpolation.
3. Das vierte Budi der Makkabaer. 1 )
Dem Umftande, dafe die im zweiten kanonifchen Makka-
baerbuche mitgeteilte Gefchichte des Martyriums des Eleazar
und der fieben makkabaifchen Briider in diefem Budie in
erweiterter Form erzahlt wird, verdankt das Buch feinen
audi fchon das apokryphe dritte Buch der Makkabaer 2 ) vor-
ausfe^enden Namen. Die Gefchichte dient aber hier als
Erklarung des philofophifchen Sa^es, dafc die Vernunft, d. h.
die nach dem gottlichen Gefeis fich richtende Vernunft des
Menfchen, unbedingte Herrfchaft iiber feine Triebe hat, na-
mentlich fiber die Haupttriebe, Luft und Schmerz. Diefer
Satj bildet das eigentliche Thema unferes Werkes. Der
aufceren Form nach ift dasfelbe eine Rede, als welche es
mit Ant. 18, 1, 1, wo es von den Reden des Judas des Gaula-
niters und des Zadok heijgt: ifdorj; ydg Tr\v a.*Qoa,6iv wv keyoiev ldi%ttvTo
oi Sv&Qwnoi.
x ) Das Budi i{t oft in Ausgaben der Septuaginta (z. B. Swete, The
Old Testament in Greek III , Cambr. 1899) und des Jofephus (z. B. ed.
Dindorf II Paris 1847), allerdings nicht in der Ausgabe von Nieje ge-
druckt. Eine alte fyrifche Oberfe^ung des griechifchen Textes mit andern
auf die makkabaifchen Martyrer beziiglichen Dokumenten (leljtere fyrifch
und englifch) bietet The fourth book of Maccabees and kindred docu-
ments in Syriac, first ed. on manuscript authority by the late R. L. Bensly,
with an introd. and translations by W. S. Barnes, Cambridge 1895. (Das
vierte B. der Makkabaer ift nicht von Barnes englifch uberfetjt.) Auf
Grund des vorliegenden Materials ift der von Deigmann, Das vierte
Makkabaerbuch in Kautfch, Die Apokryphen etc. II, 149-177 verdeutfchte
Text n konftituiert" (1. c. S. 150). Eine englifche Oberfe^ung mit Ein-
leitung gibt R. B. Townshend in Charles, The Apocrypha II, 653 685.
2 ) S. o. S. 592 ff.
Felten, Neuteftamentlidie Zeitgefdiichte. I. 2. u. 3. Aufl. 41
642 Zweiter Abfchnitt. Die innern foz. u. fittl. Zuftande des ]Qd. Volkes.
fich auch im Prolog 1 ) eharakterifiert. Es war zur Verbrei-
tung unter den Juden beftimmt. Das ergibt fich aus dem
Schlug, 2 ) wo nur ,,die Nachkommen des Abrahamsfamens,
Ifraeliten" angeredet werden. Der Zweck des Werkes war,
die Juden zum treuen Ausharren beim Judentum zu er-
muntern.
Der perfonliche Standpunkt des Verfaffers ift der des
glaubigen Judentums. Die augere Etikette feiner Sehrift ift
aber durch die griechifche Philofophie, namlidi den Stoizis-
mus, beeinflugt, infofern der Grundgedanke, die Herrfchaft
der Vernunft iiber die Triebe, davon entlehnt ift. Nach Eufe-
bius lautete der Titel der Sehrift ,,ijber die Herrfchaft der
Vernunft", der jedenfalls zu ihrem Inhalte pafct. Darin irrte
aber Eufebius {ehr, dag er den Jofephus als Verfaffer der
Sehrift anfah. 3 ) Denn dagegen fpricht einmal die Verfchie-
denheit des Stiles, dann aber auch befonders der Umftand,
dag in dem Werke das zweite Makkabaerbuch jtark benu^t
ift, wahrend eine Bekanntfchaft des Jofephus mit dem letjteren
Buche aus feinen echte/i Schriften nicht nachweisbar ift. 4 )
Immerhin fcheint die Sehrift in der Zeit des Jofephus
entftanden zu fein. Wo fie entftand, weig man nicht. 5 )
!) Kap. 1,1.
2 ) is. i.
3 ) Vgl. Euseb. H. E. Ill, 10, 6, der Mann (Jofephus) habe nodi
ein anderes Werk edler Art ne^l avroxparo^o? fotyiGftov, o rives Maxxa-
pa'ixov ensyfjaiuctv gefchrieben. Vgl. aueh Hier. de vir. ill. c. 13: Alius
quoque liber ejus, qui inscribitur nefjl avTox^droQo? Xoyidfiov, valde elegans
habetur, in quo et Machabaeorum sunt digesta martyria und c. Pelag
2, 6: Jofephus Machabaeorum Scriptor historiae.
*) Vgl. z. B. Townshend p. 656 f.
a ) Vgl. noch Freudenthal, Die Flavius Jofephus beigelegte Sehrift
iiber die Herrfchaft der Vernunft. Breslau 1869. Langen, Das Juden-
tum S. 74-83. Schurer III, 524528. Fairweather, Maccabees books
of, in Hastings D. Ill, 194 f.
Abkurzungen.
BSt = Biblifche Studien.
BZ = Biblifche Zeitfchrift.
BZfr = Biblifche Zeitfragen.
BRW = Biblifches RealwSrterbuch.
GGN = Gottinger Gelehrte Nachrichten.
Pauly-Wissowa-Kroll = Pauly's Realencyclopadie der class. Altertums-
wiffenfchaft. Neue Bearbeitung von G. Wissowa, herausg. von
Wilh.. Kroll.
PEF = Palestine Exploration Fund.
QS = Quarterly Statement.
Rb = Revue biblique.
REJ = Revue des etudes juives.
RG = ROmifche Gefchichte.
RStR = Romifches Staatsrecht.
RStV =. Romifche Staatsverwaltung.
RVV= Religionsgefchichtliche Verfuche und Vorarbeiten.
SB = Sitjungsberichte.
SAW = Sitjungsberichte der Akademie der Wiffenfchaften.
.StML = Stimmen aus Maria Laadi.
ThLz =-Theologifche Literaturzeitung.
ThR = Theologifche Revue.
TU = Texte und Unterfudiungen zur Gefchichte der altchriftlichen Literatur
TflbQ = Tttbinger Quartalfchrift.
ZAW = Zeitfchrift fttr altteftamentliche Wiffenfchaft.
ZDMG == Zeitfchrift der Deutfchen Morgenlandifchen Gefellfchaft.
ZDPV = Zeitfchrift des deutfchen -Palaftina-Vereins.
ZKTh = Zeitfchrift fQr katholifche Theologie.
ZNW = Zeitfchrift fur neuteftamentliche Wiflenfchaft.
ZWTh = Zeitfchrift fur wifjenfchaftlidie Theologie.
Bei Verlagsorten ift B. = Berlin, L. = Leipzig bezw. London, P. = Paris
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Mit liebevollem Verstandnis weiss sich der feinsinnige Bearbeiter hineinzu-
fuhlen in das Leben und Streben, in das Minnen, Ringen und Sinnen, in
das Schaffen, Beten und Leiden des jugendlichen Heiligen. Die Sprache ist
rein und edel, der Satzbau gefallig und wohlklingend. Als gewiegter Ueber-
setzer hat P. Beda dem Grundsatze gehuldigt: So treu als moglich, so frei
als notig. Die Auswirkung desselben zeigt sich namentlich bei den Briefen
des Heiligen recht wohltuend. Mit dem Verfasser wetteifert der ruhrige und
solide Verlag in dem edlen Bemuhen, Leben und Briefe dieses liebenswiirdi-
gen Passionistenklerikers zu einer hocherfreulichen Weihnachtsgabe fur Prie-
ster in der Welt und im Kloster, fur Priesteramtskandidaten, ftir Mitglieder
marianischer Kongregationen wie fur andere strebsame und hochsinnige
Katholiken auszugestalten. Ueber dem Ganzen schwebt ein eigener Zauber.
P. Leo Schlegel S. O. Cist., Mehrerau.
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uon tier sctimarzsianen Junyfrau, PassionistennieriHer (18381862) f
von P. Germane vom hi. Stanislaus, Passionist. Autorisierte Uebersetzung
von P. Beda Ludwig, Subprior des Benediktinerklosters Andechs. Mit Titel-
bild und 11 Textillustrationen. Mit Erlaubnis der Ordensobern und bischofl.
Druckerlaubnis. Brosch. M. 3.50, geb. M.5.-. Preis in Grundzahl x Schlussel er- W
gibt den Verlagspreis. Verlagsanstalt vorm. G. J. Manz, Regensburg. I
Einige Kritikstimmen: |
Dieses Jugendleben bietet in aszetischer, psychologischer und pa'dagogischer fe
Hinsicht ausserordentlich Wertvolles und Interessantes. Der von Gott durch so I
zahlreiche Wunder verherrlichte jugendliche Heilige hat unserer (bes. der stu-
dierenden) Jugend wahrlidi viel zu sagen. Moge dieselbe den heiligen Gabriel I
Possenti recht kennen lernen und eifrig verehren! Das sehr empfehlenswerte I
Buch wird dazu reichlich beitragen. Studienprofessor Karl Kindsmiiller.
Nun haben auch wir, was schon lange vermisst wurde: eine vollstandige, I
den Forderungen der Hagiographie entsprechende Lebensbeschreibung des ^
,,Aloysius unserer Tage", wie Papst Leo XIII. den liebenswfirdigen, heiligen
Gabriel Possenti nannte. Der Heilige, der erst vor 60 Jahren gestorben ist,
und dessen Heiligsprechung am 13. Mai 1920 stattfand, ist wirklich ein Ge-
schenk der gottlichen Vorsehung fur unsere Zeit und unsere Jugend, ein "5
Vorbild schonster Art. Dem feinsinnigen Uebersetzer, hochw. Herrn Subprior I
P. Beda O. S. B. von Andechs, schulden wir herzlichen Dank, dass er das A
treffliche Werk des P. Germano durch diese wohlgelungene Uebertragung
ins Deutsche, weitesten Kr-eisen zuganglich gemacht hat. Die Fussnoten,
sowie die beigegebenen Briefe des Heiligen erhQhen noch ganz wesentlich
den Wert dieses ausgezeichneten Buches. Dazu kommt eine wiirdige, ge-
schmackvolle Ausstattung, so dass sich das Werk allseitig bestens empfiehlt.
Moge es im katholischen Volke, in religiosen .Hausern, vor allem auch bei
der reiferen Jugend freudige Aufnahme finden! Es hat eine grosse Mission
zu erfiillen: es soil die Pflichttreue und die Hochachtung vor der Autoritat
in unsere unbotmassige Zeit bringen. Und der Heilige, der durch sein Wort
und Beispiel gleich hinreissend wirkt, ist zuverlassiger Fiihrer und liebens-
wurdiger Berater fur alle jene, die noch guten Willens sind.
P. Thomas Jiingst O. S. B. in der Rorschacher Zeltung.
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UNIVERSITY OF CHICAGO