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Full text of "Medizinisch Chirurgische Rundschau 1880 21 ( NF 11)"

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Über dieses Buch 

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2" H t - v rl P1 £ ° k? £ i ■ IJ UJ^„ Tj 

MEDlCffii&^H-CHIRUEÖISCHE 

RUNDSCHAU. 


MONATSSCHRIFT 

rt)B DU 

ESAMMTE PRAKTISCHE HEILKÜNDE 


t 

Unter Mitwirkung der Herren 

Dr. Freih. v. Buschmann (Cairo), Doc. Dr. Englisch (Wien), Prof. Eppinger (Prag), 
Dr. V. P int (Wien), Doc. Dr. Finkler (Bonn), Prof. A. v. Frisch (Wien), Prof. 
Geber (Kl&nsenburg), Prof. Dr. Ölax (Graz), Dr. Grttnfeld(Wien), Dr. Hajek (Wien), 
Dr. Hermann Hertzka (Wien), Doc. Dr. Hook (Wien), Dr. H. Jelinek (Wien), 
Prof. Kaposi (Wien), Med.-Rath Dr. Kisch (Marienbad), Dr. S. Klein (Wien), 
Prof. Klein Wächter (Innsbruck), Dr. Knauthe (Meran), Prof. Dr. A. Lobmayer 
(Agram), Prof. E. Ludwig (Wien), Dr. E. A. Lutze (Göthen), Doc. Dr. Mikulicz 
(Wien), Prof. Dr. Ohersteiner (Wien), Prof. Oellaoher (Innsbruck), Dr. Heinrich 
Paselükis (Wien), Doc. Dr. Popper (Prag), Doc. Dr. v. Eeuss (Wien), Prof. Prokop 
Freiherr von Rokitansky (Innsbruck), Prof. Schnitzler (Wien), Primararzt 
Br. Pr. Schnopfhagen (Linz), Doc. Dr. Schreiber (Arco), Prof. v. Schroff (Graz), 
Doc. Dr, C. Spanier (Giessen), Dr. Fr. Steiner (Marburg), Dr. J. Sterk (Marienbad), 
Doc. Dr. Urhant8chitsch (Wien), k. Rath Doc. Dr. Winternitz (Wien) u. A. 

herausgegeben 


Prof. Dr. W. F. LOEBISCH 



*' V 


WIEN. 

URBAN & SCHWARZENBERG, 

•f AXUUUAM8TRAB8E 4. , 


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V V 


/. \ 


• j V I 


Autoren-Verzeichniss. 

Jahrgang XXr. (Nene Folge XI.) 1880. 

(Die' Zahlen beziehen sich auf die Nummern der Aufsätze.» 

1ÖSO. 


Nr. 

A. 

fcbodie, Br. Cb. ... 673 
akiewicz, Prof. Dr. A. 

307,309 

. , Dr H. . . 182, 559 

ertoni, P.99 

bt, R.259 

.603 

deer, Br.494 

ierson, A.616 

igelucci, A.715 

Br.641 

charumoff, Br. ... 9 

clit_ Br. E. . 59, 135 

.726 

pitz, Prof. .... 51 

B. 

ein, V.722 

E.664 

Br. A. ... 144 

_oo, Squire 549, 616 

Bamberger, Prof. . . 1 

eben, Prof. A. 62, 92 
, Fordyce . . . 350 

(«er, Prof..744 

Br. W. . . 477 
Br. A .... 217 

Dr F.94 

Dr. G. . . .303 
eke^ F. W.. 264, 484 

, Dr..470 

Prof. . . 178, 376 

.231 

dt, Br. M. . . 76 
au . . . - 694, 700 

ier.44 

Med.«eliir. Rundschau. 1880, 


Nr. 

Betz, Fijiedr. ... 93, 725 

Bezold, Dr.299 

Bezzi ..501 

Bidder, Dr. A. . . . .. 46 
Btllroth, Prof. . . , . 503 

Bing, Dr. A., . 235 

Binz, Prof..114 

Biot, Dr. C.630 

Bizzozero, Pröf. . . . 5^3 

Blake . . . - .275 

Blumm, Dr. V.692 

Boegehold, E.406 

Böttger, Prof. Dr. . . 196 
Bolünger, Prot . . . . 202 
Boucheron, Dr/. . . . 100 
Bouchnt ....... 516 

Brand, Dr. fc . . . . 360 

Brann, Dr. E. . . . . 140 

Brieger, Dr.648 

de Briganti C. . . 4 . 594 
Brnberger ...... 290 

Brtigelmann, Dr. W. . 273 
Brüninghausen, Dr. . . 174 

Bran, Prof..199 

Bronn, Dr. 0.137 

Brunner, G.39 

Bruns, Prof. P. 534,711 
Bruntzel348 

Buckler.513 

Budberg.712 

Bürkner, Dr. K. . . . 542 
Bnfalini, Dr. G. . . . 306 
Bulkley, L. D. . 166, 407 

Burgos, Dr.573 

Bnrkardt, Dr. G. . . . 116 
Burkhard t-Merian, Dr. A. 543 
Burkmann, Dr. . . . . 281 
Busch, Piof..2881 

74634 


Nr. 

c. 

Campbell, H. F. . . . 96 
Canmset, Dr. G. . . . 242 

Carl, Dr.37 

Carsten, J. H.606 

Cartelierie, Dr. P. . . 417 
Caspari, Dr. . . . 216, 740 

Cavafy, J.619 

Chapifts, A.382 

Chapmann..119 

Charrier ; . . . . 315,742 

Cheesmann.558 

Cheyne, W.26 

Chiari, Doc. Dr. . . . 554 

Clarke, H.558 

Clay, Prof..384 

Cnyrim, Dr. Y.118 

Cohn, H. Prof. Dr. 230, 400, 
401, 671 

Cohnheim, Prof. J. . . 268 

Coldefoy.352 

Corre, Dr.574 

Coudray.• . 684 

Courty, A.458 

Courvoisier, Dr. L. G. . 320 

Croker G.497 

Csurgay.697 

Cnello, Dr.142 

Cnrschmann.18 

Cutta, Dr.192 

Czarnecki.515 


Dahmen.652 

Daily.560 

Dawosky, Dr. . ... 19 
Deahna, Dr. ,. . . . 169 


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IV 


1880 . 


Nr. 

Decaisne. E.201 

Delaunay.628 

Delbastaille, 0.597 

Derby.397 

Divet.514 

Dobinsky, Dr. W. . . . 374 

Dohru. 148, 602 

Drechsler, G.20 

Dreschfeld, Dr. J. . . 399 
Drysdale, Dr. C. R. . .184 

Dudley, E. C.223 

Dürr, Dr.159 

Düjardin-Beaumetz . . 106 
v. Dumreicher 0. . . . 586 
Duncan-Bulkley . . . .612 
Duncan M.608 

E. 

Ebcrth, Dr.682 

Ecklund Fr.107 

Eddmon, A.591 

Edinger, Dr. L. . 205, 416 

Egan, F. E. D.588 

Eiclihorst, Dr. H. 172, 412 
v. Eisenstein, Dr. . . . 595 

Elias, Dr. C.609 

Emmeth, Dr. A. . . .193 
Epstein, Dr. . . . 209, 506 

Erb, Prof. Dr.241 

Erlenmeyer, Dr. A. . . 577 
Esenbeck, Dr. N. . . . 473 

Estner, Dr.531 

Eulenburg. A.522 

Everett.32 


Nr. 

Frommei.666 

Fronmüller, Dr. . . . 526 
Fuchs, Dr. E. 35, 160, 464 

Fürbringer, Prof. P. 373, 

411, 655, 679 
Fiirstner.670 


F. 

Fuirfaix-Nursey 
Falck, Dr. Fr. A. . 
Fazio, Dr. F. . . 
Feinberg, Dr. . . 
v. Fcrnwald, Prof. 
Fessenden, N. . . 
Fetzer, Dr. B. K. . 
Fieber, iir. C. . . 

Field, Dr. 

Friedberg, Prof. H. 
Friedrich, Prof. Dr. 
Finkler, Dr. . 
Fischei, W. . 
Fischer, E 
Fischer, Dr. G. 
Fischer, Dr. H. 
Fodor, Prof. . 


629 
21 
136 
265 
212 
405 
440 
28, 455 
198 
562 
379 
245 
345, 346 
708 


G. 

| Galabin . . • . . 

Galezowsky, Dr. M. 
i Ganguillet, Fr. . . 

1 Gatti, F. 

I Gelpke, Dr. C. O. 
i Genser, Th. von . 

! Gersuny, Dr. R. . 

, Giacich, Dr. A. F. 

Gies, Dr Th. . . 

| Girard, Dr. . . . 

, Goehlert, Dr. V. . 

; Gordon, L. A. . . 

' Gottstein. Dr. J. . 
Gowers, R. W. . . 

; Goyard. 

i Gräfe, A. 

Grandhomme. . . 
Grawitz, Dr. P . . 

Gray, (i. 

) Greenish, R. W. . 
Grcfberg, W. . . . 
Grigorow, Dr. . . 
Gross, Dr. A. . . 
i Grossmann, J. . . 

Grove, J. B. . . . 
i Grützner, P. . . . 

! Giiiitz, Dr. . . 52, 240, 
Güterbock, P. 
Gusscnbauer, Prof. Dr. 

' Guttniann, Dr. P. . 

! Guvc, A. 


743 

294 

457 

690 

81 

706 

149 

418 

527 

343 

110 

532 

403 

553 

628 

232 

61 

244 

448 

639 

48 

108 

263 

304 

393 

177 

547 

158 

41 

371 

162 


I Herz, Dr. M. . . . 

I Herzog, Dr. J. . . 

| Heubner, Prof. O. . 

| Heynsius, Prof . . 
Hindenlang, Dr. C. 
Hirschberg, J. . . 

: Hochhalt, K. . . 
Königsberg, Dr. P. 

Hoffer, L. 

Hofmann, Prof. E. 


Nr. 

80 

472 

.238 

203 

414 

102 

696 

331 

704 

117 


H. 


j Hack, W.278 

I Hägler, Dr.656 

| Haifuer, Dr.435 

; Hajek, S.580 

j Hamilton.275 

Hammond.520 

! Hamy, M.495 

| Hardawai, W. A. . . . 677 
j Harnak. E.195 


443 j Harri,, R. P.604 

219, 389 1 Harrison, R.469 

420, 422 | Harten, Dr.452 


Fol, Dr. H. . . . 

. .249 

Havenv Prof. Dr. . 84 

Forel, Prof. Dr. A. 

. . 625 

Haussmanu, Dr. . . 

Forest, Dr. F. . . 

. .662 

v. Hecker, Prof. Dr. 

Fournier, A. . . . 

. . 168 

Heerfordt, Dr. N. C. 

Frankel, Dr. A. 

. . 579 

Heidenhain, R. . . . 

Frankel, E. 

22, 718 

Heinrich, Dr. C. . . 

Franzolini, Dr. . . 

. . 771 

Hcitler, Dr. 

Freudenberger, Dr. 

. .644 

Hempel, Dr. W. . . 

v. Frisch, Prof. A. 

. .4371 

| Henry, Dr. A. . . . 


Fritsch, H. . 30, 55, 395 
Fröhlich. Dr. 0. . 127, 643 j 


Herrgot, Alphons 
Hermann, Dr. F. 


58 

582 
626 
177 

. 353 

583 
181 
387 
715 
327 


Hofmever 344, 349, 535, 653 

Holm/R. J 21 

Holmes, Dr. E L. . . 103 

Holzer, Dr.29 

Horner, Prof. .... 101 

Howitz, Dr.657 

Hotz, Dr. F. C. ... 466 

Huber, K. 27,730 

I Hutchinson, J.616 

I 

I I, J. 

Jacksons. W. F. M. . . 517 
v. Jaksch, Dr. R. 355. 413 

; Jamesou, Dr.476 

Jarisch, A.723 

Jellinek, Dr. H. . . . 10 

Ingerslev.156 

] Jochheim, Dr. Ph. . . 2S4 

, Jov-Jeffries, B.683 

Israel, 0.244 

K. 

Kannenberg .511,552,698 
Kashimura, Dr. . . . 143 
Kassowitz, Dr. M. . . 678 

: Käst, Dr. A.341 

Kaulich, Prof. .... 518 

Kehrer, F.95, 154 

t Kernig, Dr. W.138 

Kessler, Dr. A.584 

Kien ..357 

Kijanizyn, J.87 

i Kisch, Dr. E. H. 335, 337 

i Klebs, Prof..48 L 

Klikowitsch, S.449 

I Kloepfel, Dr. F. . . . 283 

Knapp, Ch.523 

Knapp, H.716 

Knoll, Prof. Dr. . . . 111 

Kobert, Dr. R.13 

Kocher, Prof. Dr. 537.709 
Köbuer, Prof. Dr. . 49, 276 

i Köhnhorn, Dr.86 

, König,. Prof. . . . 91, 287 

1 Königer, Dr.43 

: Körner, Dr. Th. . . . 17 

i Körösi, J.423 

Kohlmann, Dr.638 

! Kopf, Dr. H. . . . 78, 339 

j Korach, Dr. 8.442 

Kormann, Dr. E. . 12, 585 
Kowalewsky, P. 280, 510 

Krabbel, Dr.663 

j Krafft-Ehing, Prof. . . 85 


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' * 


1880 . 


Kruke, Dr. P.390 ^rof. 63,117, 504 

XroTczynski, Dt. J. . 474\Ä° 8t ® 8 .' E. 

; Kichenmeister, Dr. R. . 544 \ IS» 9 ® 11 "-» ®-.. . 

■Ifiha, Dr. A.508\Ü» sS ® tt ’ *>i\ E. 

i Kister, E.396\M» ttW)8 ’ *>r. • 

'Kistner, 0. 22;>\May en “ 8 eE, Dr. 

»iupke, Dr.325\Ray« r . Dr. M. 

'Kussmaul, Prof. . . . 695 1 Mayer, S. . . 

Kurz, E. 213, 229, 462, 611 Meldon . . . 

Mesterion, Prof. 

T. j Mettenheimer, C, 


Nr. 


Labb6 L.712 

' Ladreit de Lacharriöre 610 

i Lande, Dr.171 

| Lang, E.47 

jv. L&ngenbeck, B. 262, 710 
I Langcnhnck, Dr. C. . . 4 

| Langer, Prof. C. . . .243 
| Langhaus, Prof. Th. . 57 
Lapschinskv, F. F. . .621 
Lapschinsky M. ... 479 

Larm&ude, Dr.385 

Laschte witsch, Dr. . . 548 

Lasegne.572 

Lassar, Dr. O. 42, 200, 555 
Lanenstein, Dr. C. . . 528 

Lax. E.705 

Leber, Th.233 

Lecorche, Dr.214 

Leder, Dr. V.14 

Ledetsch N. . . 323, 538 

Leich tenstern, 0. . . . 321 
Leisrink. Dr. H. . . . 529 
Letzel, G. . ... . . . 436 
Lenbe, Prof. W. 0. . . 7 

Leven, M.180 

Levinstein, E. . . . . 211 

Lewin, Prof..545 

f- Lewin, L.703 

Leyden, Prof. E. 208, 370, I 
509 1 

Lichtheim, Prof. . . . 446 

Liebrecht, P.381 

Lrndner.456 

Lochner.. . 312 

|* Lockwood.239 

Ldhlein .... 152, 669 

Lowit, M.133 

Lurinser, F. W.358 

Lossen.670 

Lttkas, J.329 

Ludwig, Prof. E. . 141,274 
Lütkem&ller, Dr. . . . 483 
Lund, 0.348 

M. 

Mackenzie, St.502 

Macnaughton, Prof. J. . 386 

Kagitot . 289 

Magni, Prof. . . . 38, 104 
Magnus, H. . .... 22 

I* Jtaragliano, D.277 

Marsden, A.517 

Marzari, Dr. G. ... 146 


150 

332 

487 

302 

380 

128 

482 

651 

615 

530 

252 

680 


Meyer,- Dr. L, 

Mierzejewsky, Prof. 

Möbius, Dr. P. J. 88, 134, 
139 

Mooren, Dr. . * . . . 398 


Morrow, P. A. . 
Moser, • Prof. . . 
Mossmann, B. E. 
Mrafcek, Fr. . . 
Müller, Dr. Fr. . 
Münnich, Dr. 


170 
. 377 
. 605 
.721 
74, 593 
290, 485 


Muralt.454 

N. 

Naegeli .... 298, 486 

Nähe, Dr..173 

Neelson, J.715 

Neftel, Dr. W. B. . . .539 

Neisser, Dr. A.105 

Neukirch, Dr. R. . . . 204 

Nicoll, Dr.347 

Nieden, Dr. A.463 

Nieprasch, Dr. .... 460 

Noel, G.451 

Norton, E. G; . . . . 15 
Nothnagel, Dr. H. 75, 623 
Nussbaum, Dr. M. 53, 561 

O. 

Obersteiner, Prof. . . .727 
Odonius, Prof. . . 247, 361 

Ogston, Dr.414 

Olshauseu, R.293 

Oser, Dr. L.358 

Otis.405 

P. 

Palmer.31, 260 

Parinaud, Dr. H. . . . 161 

Parrot, M. S.354 

Pasteur. 478, 738 

P&an.516 

Penzoldt, Dr. Fr. 218, 266 

Perrond.520 

Peter, Prof. M. . . , . 338 
Pfannkuch, Dr. W. . . 79 

Pflüger, E.179 

Pick, Prof. F/J. 109, 546 
Pierce, Dr. F. M. . . . 499 

Pinard, Prof.98 

Pollak, Dr. L.11 

Poor, Prof. Dr. E. . . 646 


Nr. 

Port, Dr^.325 

Porved, H.672 

Post, A. C.25 

Potain, 31.512 

Pott, Dr. R. . . 270, 505 
Preisendörfer, Dr. . . 83 
Ptirckhauer, Dr. . . .311 
Pardon, H. S.613 

Q- 

Quain, R.175 

Quinke, Prof. Dr. H. . 587 

R. 

Rabuteau.410 

Raehlmann, Dr. E. . . 510 

Ray, W.581 

Reeves-Jackson .... 393 

Regnard, P..556 

Reimann . . . 292, 432 

Reinhard.322 

de Renzi, Prof. . . . 447 

Reuss, Dr. A.112 

Revillot.699 

Rheder, Dr. B.359 

Rheinstaedter, Dr. A. . 647 

Richardson. W.227 

Riehe.728 

Richer, Dr. P.210 

Richter, Dr. F.253 

Ried, Dr. E.059 

Riedel, Dr. B.285 

Riedinger, Dr.90 

Riegel, Fr. 60, 206 

Riess, L. . . 3, 519, 654 
Rippert, Dr. H. ... 54 

Rischawy, Dr.595 

Ritter, Dr.113 

Roberts, Prof. ... 5, 71 

Röchelt, J)r. E.601 

Rodsewitsch, Dr. . . . 261 

Rochmann.480 

Roller, Dr. 2 

Rosenbach, Prof. .271,707 
Rosenbaum, Fr. . . . 356 
Rosenthal, Prof. . . . 575 

Roser, W.221 

Rossbach, Prof. . 300, 372 
404, 592 

Roth, Dr.563 

Rothe, Dr. C .649 

Rubner, Dr. A.246 

Rühle, Prof. Dr. . . . 207 

Rumpf, Dr.398 

Runge, M.97 

Russow, A.551 

Rzehaczek, Prof. Dr. C. 598 


S. 

Samuelson, B.624 

Sassezki, N. . . 115, 645 
Sattler.236 


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VI 


1880. 


Nr. Nr. Nr. 

Schauer, Dr. L. . . . 222 T. W. 

Schech, Dr. Ph. . . . 717 Tailor, J, . .228 Wagner, E.445 

Schenk, Prof. S. L. . . 305 Talko, Dr. J. 296 Walleser, Dr.197 

Schiff, Eduard .... 720 Tarenetzky.691 de Warker, E.33 

Schirajew, Dr. P. . . . 676 Taube, Dr.279 Warren, Dr. J. H. . . 521 

Schlaefke, Dr. W. . . . 295 Tauber.701 Watson-Cheyne, W. . . 614 

Schlptt, Dr.342 Tauffer, Dr. W. . . . 157 Weber-Liel, Dr. ... 467 

Schmidt . , 375, 674> 675 Tempesti, Q. C. ... 319 Weber, Prof. Dr. . . . 326 

Schreiber, Dr. A. . . • 24 Ter-Grigorianz, Dr. . . 330 Weber, Hans.724 

Schröder . . . 226, 669 Teuffel, j. ..408 Weigert, Prof. Dr. . . 286 

Schücking, Dr. A. . • 317 Thedenas, Prof. . . . 607 Weil, Dr.576 

Schultz, O. T.461 Thiede .. 665 Weil, Prof. A.6 

Schnitze, B. S. 34, 536, 668 Theobald, Dr. L. . . . 468 Weisbach, Dr. A. . . . 318 

Schulz, Dr. H.215 Thomas, Prof. .... 50 Weiser, Dr. C.147 

Schwarz, E, ..... 714 Thompson, Dr. J. H. . 642 Weiss, Bela.334 

Schwimmer, Prof. 475, 618, Toeplitz ....... 272 Weiss, Dr. N.578 

719 Török . .. 697 Weissenberg, Dr. . . . 450 

Schwing, C. 459 Trägardh, Dr. G. . . . 301 Weiss, M. Dr.267 

Seeligmüller, Dr. C. . 392 Treutier. 589 Welponer, E. E. ... 394 

Semon ..471 Trompetter, Dr. J. . . 36 Wendt, E. C.55 

Senator, Dr. H. 308 Turnbull, Dr. L. 176, 336, Wernich, Dr.73 

Senator, Prof. .... 282 402 Wemike .... 269, 693 

Sieber r N. 622 ! Wertheim, Prof. . . . 661 

Sigismund, Dr.297 Wertheimber, Dr. A. .23 

v. Sigmund, Prof. . 45, 409 Wertner, Dr.590 

Sims, J. M.291 Uffelmann, Dr. J. . . . 89 Wiedemann, Dr. E. . .441 

Slawjanski. 667 uiex, Dr.250 Windelschmidt, Dr. 333, 541 

Smith, Prof. J. L. 16, 433 Ungar r Dr. E. . . . . 324 Winckel, F.8 

Soltmann, Doc. Dr. O. 524 Unna, Dir. P. . . 151, 617 Winternitz, Doc. Dr. . 378 

Sommerbrodt.163 ( Urlichs, Dr. K.391 Wolff. 290, 637 

Sonnenburg, Dr. E. . . 220 Wolfram, Dr. G. ... 40 

Spiegelberg . . 153, 4391 . . Wright.31 

n • _ a e er* i ° 


Spina, Dr. A. 557 . v 

Sporer, C.650 

Stadfeldt, Prof. .... 351 Valenta, Prof. .... 224 

Stage, G.56 Vanleir, Dr.600 

Starke. 599 Vidal ..... 237, 739 

Steinheim, Dr. B. . . . 465 Vix.145 

v. Stoffela, Prof. Dr. .640 Völker, Dr. 0.596 

Strauss, Dr. H.164 Vogt, Dr. A.358 

Struve, H.415 Voit, E.681 

Stumpf, Dr. M.82 Volkmann, Prof. R. . . 741 

Swiatlowsky, W. . . . 507 Voltolini, Prof. R. . . 540 I Zielewicz, Dr.453 

Szuraan, Dr. L. . . . 388 Volz, Hofrath Dr. A. . 340 I Zuckerkandl, Prof. Dr. . 132 


X. 

Xella, F. .*.194 

Z. 

Zander, Dr. . . 165, 5x5 

v. Zehender, Prof. Dr. 419 

Zeitlin, J. P.689 

Zemann.620 
































































Inh alts-Ver zeichniss. 

Jahrgang XXI. (Nene Folge XI.) 1880. 

(Die Zahlen beziehen sich auf die Nummern der Aufsätze.) 

1880 . 


Nr. 

A. 

Abdominaltumoren, Emährungs- und 
Rückbildungsvorgänge bei denselben 849 
Abdominaltyphus, Zur Aetiologie des . 325 
Absces8bildung, die Beziehung der 


Bacterien zu derselben.414 

Acne rosacea, lieber den Verschluss 
der erweiterten Gefässe bei derselben 

durch Elektrolyse.677 

Aerzte, Farbenblindheit unter denselben 683 
Aethylbromid, ein neues Anästheticum 336 
Affections cerebrales, De la nevrite 

optique dans les.161 

Albnminnrie bei gesunden Nieren, zur 

Kenntnis» der.411 

Albuminurie, chronische, über die Be¬ 
handlung der .514 

Albuminurie, ein Symptom des epilep¬ 
tischen Anfalls.174 

Albuminurie experimentelle, über . . 410 
Albuminurie und Hautresorption, über 
den Zusammenhang derselben ... 42 
Albuminurie, zur Entstehung derselben 53 
Albuminurie, zur Kenntniss derselben, 

bei gesunden Nieren.679 

Alcaloid, über das Vorkommen eines 
neuen ebenso giftigen, wie das Ni¬ 
cotin im Rauchtabak.451 


Alkohol, über den Einfluss desselben 
auf den Stoffwechsel des Menschen 654 
Alopecia areata, Beobachtungen über 172 
Amaurose transitorische puerperale . 197 
Amylnitrit, über das, dessen Ein¬ 
wirkung auf den Harn und die Be¬ 
deutung desselben für die Behand¬ 
lung des chronischen Blasenkatarrhs 147 
Amyloidentartung in inneren Organen, 
ausgebildet in 2 Monaten .... 247 


Nr. 

Anämie, Bemerkungen über die Zer¬ 
fallskörperchen des Blutes und ihr 

Verhältniss zur. 3 

Anämie, essentielle, ein Fall von, mit 
übermässiger Entwicklung von Körn¬ 
chenbildungen im Blute. 7 

Anämie, progressive perniciöse, ein 
eigenthümlicher Fall von .... 79 
Anämie und Chlorose, über Anwendung 
des Eisens und Sauerstoffs bei . . 84 
Anämie, Wirkung des Sauerstoffs auf 550 
Anästhesirung, die locale, durch Aether 528 

Anmsthetica, zwei neue.701 

Anchilostoma, duodenale, die Bezie¬ 
hungen der Anaemia perniciosa zum 192 
Aneurysmen, über die jüngsten Fort¬ 
schritte in der unblutigen Behand¬ 
lung der.149 

Angeklagter, Gutachten über den 

Geisteszustand eines.64 

Anilismu8.61 

Antipyreticum, Resorcin als ... . 446 
Antiseptik im Kriege, Methoden der . 290 
Antiseptik in der gerichtlichen Me- 
dicin.561 


Antiseptik im Wochenbette .... 738 


Antiseptische Verbände, über die 
Leistungsfähigkeit der einzelnen . 92 
Antiseptische Wirkung, über die, der 

Säuren.622 

Aphasischer, hemiopische Farben¬ 
blindheit bei einem.294 

Arsenik, Einwirkung der Fette auf 

die Absorption des.382 

Arsenik, über die chemische Ursache 

| der Giftigkeit des.114 

| Arsenik und Propylamin gegen Chorea 
minor.. . . . 524 


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VIII 


1880 . 


Nr. 

Arsen, über die Localisation des, im 

thierischen Organismus.274 

Arsen, Untersuchungen über den Kohle¬ 
hydratbestand des thierischen Or¬ 
ganismus nach Vergiftung mit . . 356 
Artresia hymenalis, ein Fall .... 432 
Arzneiausschläge, zur allgemeinen 

Diagnostik der.303 

Arzneipflanzen, über einige neue (Dito, 

Tonga, Quebracho).522 

Asphyxia neonatorum und Hypnotismus 293 
Atactische, über die chemische Zu¬ 
sammensetzung der Knochen bei der 

Arthopathie derselben.556 

Atropin-Psychose.280 

Atropin, Vergiftung durch, Heilung 

durch Morphium.* 14 

Audiphon und Dentaphon.402 

Auge, ein Holzsplitterchen 47 Jahre 
lang im, ohne Beschwerden . . . 297 
Augenärztliche Therapie, über die An¬ 
wendung der Elektrolyse in der . 263 
Augenentzündnngen, innerliche. Bei¬ 
träge zur Aetiologie der.233 

Augenentzündungen, sympathische, 
über die Verbreitungswege .... 101 
Augenheilkunde, zum Gebrauche von 
Jodkalium und Calomel in der . 295 

Augenlider, Xantkome der.44 

Auge, über Gefässreflexe am ... . 398 

Autographique femme.106 

Axillarvene, über einen Fall von Luft- 
eiutritt in eine grosse.320 


B. 


Bartlinne, über. 476 

Bauch-Aorta, die Unterbindung der . 341 
Beckenexsudate nnd Adhäsionen, zur 

Behandlung von. 33 

Beckenmesser zur directen Messung 

der Conjugata vera.229 

Befruchtung, Untersuchungen über die, 
und den Anfang der Henogenie bei 

verschiedenen Thieren. 249 

Benzoesäure, Inhalation von .... 145 

Beriberi, über. 81 

Besessene in Verzegnis, die Epidemie 

der.77 

Bitterwasser, über.587 

Blasenlähmung, über eine Gefahr des 

Katheterismus bei.286 

Blase, Reizung derselben beseitigt 
durch forcirte Dilatation der Urethra 347 
Blepharoplastik, über eine, mittelst 

Hauttransplantation.104 

Blindheit, congenitale, über einige 

Fälle von.673 

Blitz, zur Lehre von den Wirkungen 
desselben auf den thierischen Körper 623 

Blutleere, künstliche.708 

Bluttransfusion in’s Peritoneum, eine 
neue.533 




Nr. 

Brause-Badeanstalt in der Kaserne des 
Kaiser Franz Garde-Grenadier-Re¬ 
giments Nr. 2, Beschreibung der¬ 
selben .. • • 485 

Bright’scbe Krankheit, über die Cur 

der.447 

Bromausschlag.473 

Bromkali-Missbrauch, über.283 

Bromkalium als örtliches Anästheticum 
des Uro-Genitaiapparates .... 87 
Bronchialasthma, zur Kenntniss des . 324 
Bronchialdrüsen-Erkrankung bei Kin¬ 
dern, zur Diagnose der.175 

Bronchial- und Lungenaffectionen, zur 
Behandlung der putriden .... 18 

Brot, Fuchsin in demselben .... 199 
Brustcarcinome Statistisches über. . 660 
Brustkrebs, statistische Mittheilungen 

über den.387 

Brustwarzen, wunde, Entstehung und 

Prophylaxe.95 

Brust, weibliche, über unblutige Am¬ 
putation der.529 

Bubonen, über.301 

Bubonen, virulente, Calciumsulfld gegen 405 
Butter-Ersatz durch Margarin . . . 728 


C. 

Cancer der weiblichen Geschlechts¬ 
organe, Behandlung des.384 

Carbolsäure, ein ungiftiges Surrogat 

für dieselbe.215 

Carbolsäure, Vergiftung bei einem 

14 Tage alten Kinde.706 

Carbolsäure, zur Wirkung der . . .281 
Carcinome, zur Behandlung der . . 264 
Carica papaya, Versuche mit . . .516 
Carlsbader Sprudelsalz, über .... 195 

Castration des Weibes.153 

Cataracta incipiens, über die galva¬ 
nische Behandlung der.539 

Catheterisation, eine Methode, dieselbe 
in der männlichen Harnröhre mög¬ 
lichst leicht, sicher und reizlos aus¬ 
zuführen .500 

Cavernen, über die Entstehung des 
Schallwechsels bei der Percussion 

von.204 

Ceplialocele, über.601 

Ceriumoxalat, über die Anwendung 
des, znr Erleichterung des Hustens 658 

Chemische Spielerei, neue.196 

( Chininbromid, neutrales, dessen inner- 
| liehe und hypodermatische Anwen- 

| düng.198 

Chinin-Injectionen, Beitrag über sub¬ 
kutane .276 

Chinintannat in der Praxis . . . .217 
Chirurg. Klinik im k. Julius-Hospitale 
zu Würzburg vom 15. Juli 1877 

bis 28. April 1878 . 90 

Chirurg. Klinik in Breslau, Mitthei¬ 
lungen .aus der .219 


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1880 . 


IX 


Nr. 

Chloralhydrat, Genesung bei Anwen¬ 
dung von, nach Vergiftung durch 

Stiychnin. 448 

Chlorom, sogenanntes, Studien über 

das.27 

Ohlorsaures Kali, zur Casuistik der 

Vergiftungen mit.653 

Cholelithiasis als Ursache von Cirrhosis 

hepatis. 2 

C holera, über die, der Hühner . . . 478 

Chorea, über Behandlung der . . . 520 

Chromidrosis, über.242 

Circulations- und Respirationsapparat, 
Unteruchungen über mehrere Er¬ 
scheinungen am.226 

Cirrhotische Verkleinerung des Magens 
and Schwand der Labdrüsen unter 
dem klinischen Bilde der pemiciösen 

Anämie.75 

Codeio, über.702 

Colica satumina, Elektricität bei . . 649 

Condnrango-Rinde, über die Wirkungen 

der . ..656 

Conglutinatio orificii uteri bei einer 

Zwillingsgeburt.224 

Contracturen, simulirte, die Esmarch- 
sche Blutleere als diagnostisches 

Hilfsmittel bei . 452 

Cornea, über das Vorkommen von 

Fremdkörpern in der.36 

Corpo semilunare di Gianuzzi, Sulla 
deetinatione Asiologica del .... 306 
Croup, Diphtheritis und Blattern, der 
Einfluss der Temperatur und der 
Luftfeuchtigkeit auf das Auftreten 
von.423 


D. 

Dactvlitis syphilitica, Zur Kenntniss 

d*r . . ..721 

bimiana, über.588 

Dammriss, veralteter, Beitrag zur 

Operation des.158 

Darmcanal des Menschen, über die 
Ansnützung einiger Nahrungsmittel 

in demselben .246 

Darmcanal, menschlicher, über die 
Länge und Capacitiit des .... 484 
Darmcanal, zu den mycotischeu Er¬ 
krankungen des.417 

Darmin vagina tion mit chronischem 
Verlaufe und günstigem Ausgange, 
ein Fall von.80 


Delirium tremens potatomm, Beob¬ 
achtungen und Studien über . . . 173 
Delirium tremens, zur Behandlung . 85 

Desinfectionsmethoden, Bemerkungen 
über die von der ottomanischen 


Regierung anwendbaren.418 j 

Desinfection, über die, von Seide 
und Schwämmen zu chirurgischen 

Zwecken .437 

Diabetes, plötzlicher Tod bei . . . .191 
Diabetes und Sepsis.. . 221 \ 


Nr. 

Diabetiker, über ein neues Brot für 

dieselben.652 

Digitalis, von den Indicationen der . 512 
Dihydroxylbeuzole, zur Kenntniss der 
antifebrilen Wirkung der .... 648 
Diphtherie. Scharlach und Masern, die 
antiseptische Behandlung der . . 279 
Diphtheritis, Thymolmixtur gegen die¬ 


selbe .521 

Diphtheritis und Ozon.284 

Diphtheritis und Scharlach .... 642 


Dipygus tetrapus parasiticus, lebender 691 
Duboisia-Intoxication, ein Fall von . 37 

E. 


Eccliymosen, die snbpleuralen, beim 

Erstickungstode.359 

Eclampsie, Behandlung derselben mit 
Chloralhydrat und Bromkali . . . 397 
Eclampsie nach Pilocarpininjection, 
über Auftreten von Lungenödem bei 

der.394 

Eclampsie puerperale, Bemerkungen 

zur Prognose.669 

Eczema, Behandlung mit Zinkoleat . 497 
Eczem acut, des Gesichtes nach Neur¬ 
algie .619 

Eczema universale, ein Fall von . . 302 
Ektasie paralyt. der Trachea, Mit¬ 
theilung eines Falles.470 

Elektrodiagnostik und Elektrotherapie, 
zur Messung und Dosirnng des 

galvan. Stromes in der.593 

Elephantiasis auf Samoa, Beobachtun¬ 
gen über .43 

Elephantiasis Clitoridis et labiorum 

minorum.395 

Elephantiasis Graecorum oder Lepra 

Arabum, über.107 

Embryologisches Institut der k. k. 
Universität in Wien, Mittheilungen 

aus dem .305 

Empyem, Behandlung des, durch Punc- 

tion mit Ausspülung.143 

Empyem-Operation, Chirurgische Er¬ 
fahr ungeu, zur. 599 


Endoearditis, acute, der Semilunar¬ 
klappen, über einen Fall von Steno- 
sirung der Pulmonalarterie in Folge 

von . 128 

Endoearditis ulcerosa. Ein Fall von . 578 
Endometritis, chronische, der Probe¬ 
tampon als Mittel zur Erkennung 


^ derselben.668 

Entropium-Operation am untern Angen¬ 
lide. besonders bei alten Leuten . 466 
Entzündungen der Schamgegend, über 

verschiedene.608 

Epilepsie, über die, und ihre Dif¬ 
ferentialdiagnose von der Hvstero- 

epilepsie .640 

Epileptische Verbrecher, ErbD'chkeit 
und Verbrechen bei denselben . . 558 


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X 


1880 . 


Epithelioma cervicis uteri, über die 


Behandlung des.291 

Erbrechen, grünes, über.725 

Erfrierende Thiere, zur Frage der 

Wiederbelebung.621 

Ergotin, über die Anwendung des¬ 
selben per rectum.381 

Erkältung, über. 200, 555 

Ernährung, Beobachtungen über den 


Einfluss derselben auf das Gewicht 
und die Körperlänge der Kinder . 551 
Ernährung fiebernder Kranker, über 

die.744 

Ertrinken, ein Beitrag zur Aetiologie 

des.486 

Erythema exsudativum papulatum der 

Mundschleimhaut.108 

Exanthem, gleichzeitiges Vorkommen 

zweier.323 

Exostosenbecken, Beitrag zur Genese 
und geburtshülflichen Würdigung 

des. 345, 346 

Exstirpationsmethode, Gudden’sche, 
über die Resultate und Bedeutung 
derselben in der Anatomie und Phy¬ 
siologie des Centralnervensystems . 625 
Exsudate und Transsudate, Beiträge 
zur klin. Beurtheilung von . . .112 
Extrauterinalschwangerschaft, Beitrag 
zur operativen Behandlung . . . 535 

P. 

Faradisation, über den Einfluss der¬ 
selben auf übermässige Schweiss- 


absonderung.532 

Farbenblindheit, das Verschwinden der¬ 
selben beim Erwärmen eines Auges 401 
Farbenblindheit, hypnotische mit Ac- 

commodationskrampf.400 

Favus, über die Behandlung des . . 724 
Febris recurrens, dasAuftreten derselben 

in Süddeutschland.379 

Fibrokeratom, das, nebst Classification 
und Nomenclatur der homöopathi¬ 
schen Hautgeschwülste.151 

Fibrome des Uterus, Exsanguification 

bei der Hysterectomie.712 

Fibrom, grosses, der Bauchdecken . 598 
Fieber, über den Gebrauch des Alko¬ 
hols im.386 

Fieber, über die Ausscheidung der 

Cliloride im.480 

Finger, über den sogen, schnellenden 

(doigt k ressort).455 

Flaschenbouillon, über die, ihren diä¬ 
tetischen Werth und ihre Verwen- . 

düng in Krankheiten.89 

Flecken, blut verdächtige, Beitrag zur 

chem. Untersuchung von.415 

Fleischvergiftungen, über.730 

Foetus. das Wachsen des, weisser und 

schwarzer Rasse.495 

Fracturen, einfache, der Extremitäten, 
zur Behandlung mit Gypshanfma- 
schinen.94 


Xr. 

Fragesucht, zur Bedeutung und Ca- 

suistik der.374 

Fragilitas ossium, ein Fall von erb¬ 
licher .639 

Furunculöse, Entzündung im äusseren 
Gehörgang, zur Abortivbehandlung 

der.467 

Fussamputation, Superarbitrium der 
k. wissenschaftl. Deputation für das 
Medicinalwesen in der Untersuchungs¬ 
sache w ider den Dr. O. wegen einer 


vorgenommenen.62 

G. 

Gallenblasengeschwür, ein perforirendes 59 
Gallensteine, über Lösungsmittel für. 513 
Garrulitas vulvae, über die sogen. . 152 

Geburtshülfe, gerichtliche.527 

Geburtshülfe und Gynäkologie, die 
Anwendung des Chloralhydrates in 

der.31 

Geburtshülfliche und gynäkolog. Praxis, 
Anregung zu einem neuen Heilver¬ 
fahren in der.29 


Gefässsystem, über die Ursache der 
Töne und Geräusche in dem Gehirn, 
über die Structur der gummösen 
Neubildungen im Gewebe der . . 477 
Geisteskranke, über den Werth der 
Milchsäure als Hypnoticum und 

Sedativum bei.277 

Geistesstörung, über den Einfluss von 
Alter, Geschlecht und Ehe auf Dis¬ 
position zur.119 

Geophagie, ein Fall, erfolgreich be¬ 
handelt mit ferrum lacticum . . .142 
Gerichtsärztliche Mittheilungen ... 63 
Geschlechtsorgane des Weibes, über 
das Verhalten der Samenfäden in den 58 
Geschwülste, über unblutige Behand¬ 


lung kleiner.148 

Gewehrgeschosse, über die Einwirkung 
derselben auf den meuschl. Körper 342 
Gewohnheitstrinker-Bill, die .... 316 

Gifte, Antagonismus der.2l 

Giftproben, über die feinsten .... 592 
Gleichenberger Wasser, Untersuchung 
über den Einfluss des, auf die Harn¬ 
ausscheidung .331 

Glomeruli, über die Veränderungen der 57 
Glüheisen, über einige chir. Anwen¬ 
dungen des.25 

Glycerin, eine neue Verwendungsart 

des.385 

Granuiirende Flächen, über das Re- 

sorptionsvermögen der.278 

Gravidität, die Behandlung der acuten, 
parenchymatösen Nephritis während 

derselben.227 

Graviditätsnarben, über die Textur 

der sogenannten.243 

Gravido-cardiacale Zufälle, über . .713 
Gynäkologie, das Jodoform in derselben 213 
Gynäkologische Praxis, sind die Quell¬ 


mittel in derselben nothwendig ? . 227 


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1880 . 


XI 


Nr. 

H. 

H&matemesis, acute Erblindung nach 298 
Hämorrhagische Diathese, über die, 
und die dadurch bedingte Contra- 
indication operativer Eingriffe . . 377 
Hämostatica, Zwei Remedia .... 19 
Hämostatisehe Massregeln, praeven- 
tive, vor Vornahme blutiger Opera¬ 
tionen am Genitaltracte des Weibes 458 
Harn, ein Fall von Rothfärbung des 357 


Harn, Melanin im.245 

Harnröhrenentzündung, chronische, zur 

Therapie der.51 

Harnstoff, über die quantitative Be¬ 
stimmung des.179 

Hautemphysem, allgemeines, mit An¬ 


sammlung brennbarer Gase nach 
Perforation eines Ulcus ventriculi . 442 
Hant-Erkrankung. Conicidenz mit der, 
der grauen Achse des Rückenmarkes 723 
Hautkrankheiten, Anwendung des 


Wassers bei Behandlung der . . 407 

Hautkrankheiten, über den Gebrauch 
des Schwefels und seiner Verbin¬ 
dungen bei.612 

Heliotherapie, über.146 

Hemianäsrthesien, hysterische und cere¬ 
brale, eine neue Methode der Appli¬ 
cation von Magneten zur Heilung 

von.369 

Hemikrauic, zur Aetiologie der . . 582 
Hemiplegia svmpath. malarica . . . 646 
Hermaphroditisches Schwesternpaar, 

Beschreibung eines.260 

Hernia pulmonalis, 2 Fäile von . . 697 
Hernies, de la eure radicale des . . 597 

Herniotomie, Beiträge zur.220 

Herpesneuralgie der Genitalien . . 171 

Herpes des Rachens, über.472 

Herzaction, über den Einfluss der Co- 
ronararterien-Verschliessung auf die 624 
Herzklappenfehler, combinirte, zur 

Diagnose der.373 

Herz, über selbständige Hypertrophie 

und Dilatation des.645 

Highmorehöhle. zur Therapie des 

Katarrhs der.40 

Hirnnerven, über einige neuere Ent¬ 
deckungen, den Ursprung desselben 

betreffend.727 

Hirntumor, einfache Polyurie bei . . 136 
Hirntumor, über einen Fall von . . 269 
Hirn und Rückenmark, multiple Herd- 

sclerose des.11 

Homatropin, das bromwasserstoffsaure 526 
Homatropinum hydrobromatum . 464, 700 
Hydrocephalus internus svphilit. . . 548 

Hydrodictvtomie.38 

Hydrops articulorum intermittens . . 392 
Hypnotismus, halbseitiger. Hypno¬ 
tische Aphasie. Farbenblindheit und 
Mangel des Temperatureinnes bei 

Hypnotischen.177 

Hypnotismus beim Menschen, über . 307 


Xr. 

Hysterectomie.712 

Hysterie bei Knaben. 5 

Hysterischer Aufall, grosser, Beschrei¬ 
bung des.210 

Hysterotomie, eine Pean’sche, mit 
nachfolgender Manie.670 


i, J- 

Jaboraudi, über die Wirkung und 


Zusammensetzung.99 

Ichthyosis comea.406 

Icterische, Untersuchung der Milch einer 355 

Icterusepidemien, über.127 

Icterus, hämatogener, zur Casuistik 

des.263 

Idiotengehirne, über.680 

Ileotyphus, der, eine Schistomycose . 481 

Heus, Heilung eines.328 

Impffrage, zur.496 

Impfgesetz, über die Nothwendigkeit 
eines neuen, für Oesterreich . . . 358 
Impfschutz, der, in seinen Beziehun¬ 
gen zur Impfstatistik.358 

Impfstoffe gegen epidemische Krank¬ 
heiten .731 

Impftechnik, zur.252 

Infectionskrankheiten. acute, über Ne¬ 
phritis bei denselben.511 

Infectionskrankheiten , chirurgische, 
über einige fundamentale Fragen 

zur Lehre von.707 

Infection, puerperale Entwicklung der¬ 
selben .439 

Inhalationstnberkulo.se, zur Lehre von 694 
Injectionen, intrauterine, Principien bei 714 
iRogalvanische und isofaradische Re- 
action, über.309 


K. 

Käse Vergiftung, zur.421 

Kahlköpfigkeit und deren Vorbeugung 353 
Kaiserschnitt nach Porro, ein ungünstig 

verlaufener Fall von.603 

Kali chloricum, über toxische Wir¬ 
kungen des.144 

Kalk, phosphorsaurer. zur therapeuti¬ 
schen Verwerthung des.216 

Kautschukbinden, über die Martin’- 

schen.534 

Kehlkopf, eine neue subcutane Ope¬ 
rationsmethode zur Entfernung von 
Neubildungen im Innern des . . . 300 
Kehlkopfmuskeln, eine seltene Coor- 

dinationsstörung der.540 

Kehlkopfpolypen, die Operation von, 
mittelst eines Schwammes .... 164 
Kehlkopf, Resection des, bei Stenose 711 
Kehlkopfschwindsucht, klinische und 
histologishhe Studien über .... 716 
Kehlkopfschwindsucht und ihre Be¬ 
handlung .675 

Keloid, das multiple.719 

Keloid, zur Histologie des.722 


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XII 


1880 . 


Nr. 

Keratitis, Behandlung der.236 

Keratoconus, zur Behandlung des, mit 

Eserin.465 

Keratoplastik, experimentelle und histo¬ 


logische Untersuchungen, über . .715 
Keuchhusten, zur Lehre vom .... 372 
Keuchhusten, zur Pathologie und The¬ 
rapie des.272 

Kinderpraxis, therapeut. Mittheilungen 

aus der.585 

Kinder, über das Vorkommen der 

Hysterie bei.375 

Kinder, über das zeitige Auftreten 
gefahrdrohender Krankheitserschei- 

nungen bei.12 

Kinder- und Curmilch, über die Pro¬ 
duction von, in städtischen Milch- 

curanstalten.118 

Kindesalter, Beitrag zur pneumatischen 

Therapie im.518 

Kind im 1. Lebensjahre, über Gewichts- 

verhältnisso bei.56 

Kleinhirn, eine Cyste im.10 

Klinische Studien und Erfahrungen aus 


der chirurgischen Klinik in Göttingen 285 
Klumpfüsse, hochgradige, über die 
Behandlung der, durch Resectionen 


der Fussge rüste.659 

Knochenerkrankungen, über die, bei 

hereditärer Syphvlis.354 

Knorpelgrundsubstau z, Untersuchun¬ 
gen über die Bildung der .... 557 
Körpermessungen verschiedener Men- 

sehenracen.318 

Kohlenoxydgas, Mord durch .... 422 

Kohlenoxydgas, über die Grenze der 

Nachweisbarkeit.181 

Kohlenoxydgas vom hygienischen 

Standpunkte.420 

Kopfweh, Notizen zur Therapie des . 332 

Kousso, neue Methode zur Anwendung 

des. 574 

Krampf, functioneller, und Tetanie bei 

einem Athleten.609 

Krankenhaus in Kowno, ans dem . . 265 

Krebs, Radicalheiluug des.709 

Krebs, syrischer Terpentin bei . . .517 
Kreissende, über Zufälle bei Scheiden¬ 
irrigationen .666 

Kriebelkrankheit, über eine Epidemie 

von.507 

Kuhmilch, käufliche, in ihrer Wirkung 

als Kindernahrung.20 

Kuhpockenimpfung und Impfzwang, 

für und wider.358 

Kurzsichtigkeit, über den Einfluss des 
Schulunterrichtes auf die Entste¬ 
hung von. 419 

Kurzsichtigkeit, überhandnehmende, 

über Schrift, Druck und.671 

Kyphose, Pott sehe, über die Fort¬ 
schritte der Behandlung.287 


Lähmung, acute, beider Mm. erveo- 
arytaenoidfci postici und Mm. thyreo- 

arytaeuoidei.163 

! Lähmung, Oleum therebinthi in einigen 

j Formen von.383 

Laparo-Echinococcotomie, ein Fall von 
Echinococcen der Bauchhöhle ge¬ 
heilt durch.667 

Laparotomien, acht.157 

I Laparotomien, über die Erfolge der 
Antisepsis auf deui Gebiete der . . 348 
Laryngitis, acute und chronische, Be¬ 
handlung der.471 

Laryngitis catarrhalis und erouposa, 
casuistische Mittheilung über die 
Anwendung der Massage bei . . . 334 
Leichenöffnungen, darf der Chirurg 
oder Geburtshelfer, vornehmen ? . 741 

Leichenschau der Neugebornen, über 113 
Leichenstarre in unmittelbarem Zu¬ 
sammenhang mit Muskelcontraction 

während des Lebens.361 

Leistenbruch, Ermöglichung der Repo¬ 
sition des eingeklemmten .... 531 
Lichenoide, über das, der Zunge . . 600 

i Lichtbäder, blaue.131 

Lipoma fibrosum am Kopfe, ein seltener 

Fall von.28 

Liquor arsenicalis Fowleri.575 

Lister’sche Verbände, Mikroorganismen 

unter denselben.26 

Luetische Erkrankung des Gehirns, 

ein Fall von.408 

Limgengangrän, über die Infusorien 
in den Sputis bei.552 


Lungenödem, acutes, vier Fälle von . 248 
Lungenphthise, Ursache und Behand¬ 
lung nach Dr. Salisbnry’s Methode 15 
Lnngenphthisis, gegen Naclitschweisse 

bei.66 

Lungenschwindsucht, über den Heil¬ 
werth der Stickstoffinhalatiouen bei 273 
Lungenschwindsucht, über die Spontan¬ 
heilung der.583 

Lungenschwindsucht, wann steckt sie 

an?.73 

Lungeuseuche, kommt sie bei dem 

Menschen vor V .441 

Longen, über Congestion und Oedem 

der.523 

Lupus. Behandlung.616. 7^0 

Lymphome in der Inguinalgegend . . 594 
Lyssa des Menschen, über die histolo¬ 
gischen Veränderungen am Central- 
uervensysteme bei.483 

M. 

Magen, Katheterisation des .... 525 
Magen, die peri st attische Unruhe des, 
nebst Bemerkungen über Tiefstand 
und Erweiterung desselben . das 
Klatschgeränsch und Galle im Magen 695 


A>’' 


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1880 . 


xin 


Nr. 

Magensaft, das Verhalten der freien 


Salzsäure des.416 

Magensaft, das Verhalten der freien 
Salzsäure des, in zwei Fällen von 
amyloider Degeneration der Magen¬ 
schleimhaut .205 

Magnesia borocitrica, Experimentelles 

über. . . . 141 

Magnetismus, über die Erscheinungen 
und das Wesen des sog. thierischen 178 

Manaea, über.. 591 

Marieobad. die Rudolfsquelle in . . 339 


Mediein, Beiträge zur gerichtlichen . 562 
Melancholie und Nervenerschöpfung, 
vorläufige Mittheilungen über den 
Gebrauch von Stickstoffoxydul bei 275 
M**niere‘sche Krankheit, über die . . 162 

Methylchloroform.701 

H*tritis, die acnte.462 

Micrococcus Ureae Pasteur, über die 
Entwicklungsbediugnngen der . .413 
Milrhinjection, intravenöse, ein Fall 

von erfolgreicher.651 

Miliaria-Ausschlag in Folge von Be¬ 
rühr« ng mit rohem Spargel . . . 547 
Miliartuberkulose, acute, Tod durch . 360 
Miliartuberkulose, acute, zur Diagnose 207 
Militärdienst, über den Einfluss des, 
auf die Körperentwicklung .... 440 
Mineralwässer, über eine neue Unter- 

*uchungsmethode der.337 

Mittelohraffectionen, traumatische und 
entzündliche, zur Casuistik der . . 542 
Mittelohreitemngen, zur antiseptischeu 

Behandlung der.299 

Mittelohrentzündung, acute, Werth des 
Atropins bei Behandlung der . . . 468 
Moleuschwangerschaft, ein Fall von . 538 

Monochlorsethylenchlorid.701 

Monochloraethylidenchlorid.701 

Morbillen-Pneumonien und Morbillen- 
Capillärbronchitiden in der Districts- 
klinik und Kinderklinik zu Jena . 655 i 
Basedowii mit Melliturie . . 443 
Morbus Brightii, acuter, zur Kenntniss 445 | 
Morbus Brightii, über den, und seine 
Beziehungen zu anderen Krankheiten 1 
M f Tphinmsncht, zur Pathologie, The¬ 
rapie, Prognose und gerichtsärztl. 

Bedeutung der.211 

Morphium Vergiftung eines 14 Tage 
alten Kindes mit günstigem Aus¬ 
gange .23 

M ittermund, äusserer und innerer, zur 
operativen Behandlung der Stenosen 

des. 396 1 

Mytosis vaginae, über. 53C I 

Myelitis, acute und chronische, Bei- i 
träge zur.509 

i 

N. 

i 

Ntbelblutnngen, über das Wesen der 
sog. spontanen der Neugebornen . 267 
Xibdverband, ein neuer.602 


Nr. 

Nachgeburt, die Lösung der Eihänte 
bei der normalen Ausscheidung der 225 
Nachgebnrtsperiode, eine neue Methode 
zur Stillung der Blutung in der . 664 

Naevus, zur Operation des.54Ö 

Narcose, zur Anwendung der, bei der 
Untersuchung tles Oesophagus . 343 
Narcotica, zur Lehre von der Wir¬ 
kung der.83 

Nase, Ersatz einer verlorenen, durch 

Celnloid.692 

Nasenblcnorrhoe, über.611 

Nasenbougies, Nasenstäbchen .... 438 
Nasenhöhle, über anatomische und 

patliol Verhältnisse der.132 

Nasenpolypen, zur Operation der . . 165 

Natriumaethylat, über.613 

Natürlicher Tod oder erdrosselt? . . 65 
Nephritis diffuse, die, und die Ent¬ 
zündung im Allgemeinen .... 135 
Nephritis, über die, bei acuten Infec- 

tionskrankheiten.511, 698 

Nervenkrankheiten, über die here¬ 
ditären .134 

Nervennaht, über, mit Vorstellung 
eines Falles von secnndärer Naht 

des N. radialis.262 

Nervensubstanzen, terminale, über ein 
Gesetz der Erregnng der .... 482 
Nervosität, über weibliche, ihre Be¬ 
ziehungen zn den Krankheiten der 
Generationsorgane und ihre Allge- 

I meinbehandlung.467 

| Neugeborne, Ablösung der Haut bei 

einem lebenden.315 

Neugeborne, Blutm,enge derselben . .317 
Nengeborne, eine bisher nicht be¬ 
schriebene Krankheit der .... 8 

Neugeborne Kinder, über die Gelb¬ 
sucht der.506 

Neugeborne. über das Vorkommen von 
Producten der Darmfänlniss bei . . 308 
Neuralgie, Dehnung des Nervus supra- 

orbitalis wegen.150 

Neuritis in Folge hereditärer Anlage . 160 
Nevrite optique, De Ia — dans les 

affections cerebrales.161 

Nicotinvergiftung, über.504 

Nicotinvergiftung, chronische, durch 
Abusus im Cigarrenrauchen . . . 253 
Niere, bewegliche . casuistischer Bei¬ 
trag zur Lehre von der.78 

Nierenschrumpfung und Xierensclerose, 

über.370 

Nieren, über die Eiweissausscheidung 
durch die.54 


o. 

Odontalgie und Prosopalgie, das Chlo- 
ralhydrat in Substanz local ange¬ 
wandt gegen.650 

Ohrengeräusch, objectives, ein seltener 
Fall von.103 


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XIV 


1880 . 


Nr. 

Ohrengeräusche, subjective, zur Lehre 

von den.39 

Ohrkrankheiten, das Telephon und die 499 
Ohrkrankheiten, über den Nutzen der 
Mineralwässer bei Behandlung der . 610 
Ohr, menschliches, die Perceptions- 
grenze desselben für •musikalische 


Töne.176 

Oleum Gynocardiae, über die Wirkung 
derselben bei Hautkrankheiten . . 109 
Oleum jecoris aselli aetherisatum . .130 
Operation cesarienne suivie de l’am- 
putation uteroovarique ou Operation 

de Porro. 98 

Operationsfall, ein seltener.102 

Operationsmethode, eine neue subcutane 404 
Orchitis und Epididymitis, zur Behand¬ 
lung von.661 

Organismus, thierischer, über die Be¬ 
deutung des Kalkes für den . . .681 
Orthopädie bei Fussverkrümmungen, 


zur.288 

Osteoplastische Resection des Ell- 

bogengelenkcs.596 

Osteotomia cuneiformis bei hochgradi¬ 
gem, veraltetem Klumpfuss . . . 454 
Ovarialcyste, das früheste Alter, in 
welchem eine, beobachtet wurde . 368 
Ovarientumoren, grosse, zur Diagnose 

der.34 

Ovariotomie, Adhäsionen zwischen 
Uterus und den Bauchdecken, als 

Folgen überstandener.604 

Ovariotomie, die Indicationen zur . 537 
Ovariotomie im sechsten Monat der 

Schwangerschaft.743 

Ozaena geheilt durch Jodoform . . . 436 


P. 


Pankreaskrebs, zur Diagnose des . . 327 
Pankreas, über zwei neue Fälle von 

Sequestration des.554 

Paracentese des Pericardiums, ist sie 

zu rechtfertigen.71 

Paracentesis Pericardii, ein Fall von 444 
Parästhesic, zur Berger’schen . . . .139 
Paralyse, allgemeine, die Eigenwärme 

in der, der Irren.322 

Paralysemessungen durch Gewicht . . 9 

Parotis- und Trommelhöhlengeschwulst, 

Fall von.716 

Pericardialverwachsung, Diagnose der 206 
Peritonitis, acute, des späteren Kindes¬ 
alters . 270, 505 

Perityphlitis, Behandlung der .... 340 
Pertussis, Inhalationstberapie der . . 16 

Pharyngitis lateralis, über.674 

Phlegmonen, progrediente, septische, 
die Behandlung der, mit multiplen 
Incisionen und Scarificationen . . 390 
Phthysis, Hydrotherapie bei ... . 338 
Phymose, Reflexerscheinungen in Folge 
angeborner.581 


Nr, 

Physiologische Experimente au einem 

Enthaupteten.201 

Pigmentsyphilis.618 

Pilocarpin bei Diabetes, ein thera¬ 
peutischer Versuch über die An- 

wendung des.704 

Pilocarpin bei Diabetes bei Diphterie 705 

Pilocarpinwirkung, zur Casuistik der 333 

Placenta praevia, neue Behandlungs¬ 
weise der.433 

Pleuritische Exsudate, die plötzlichen 

Todesfälle bei.321 

Pleuritische Exsudate, über plötzliche 
Todesfälle und über bedrohliche Zu¬ 
fälle von Collaps bei.326 

Pleuritis haemorrhagica.644 

Pneumonie, ein Fall von eintägiger . 6 

Pneumonie, über den Einfluss der 
meteorologischen Verhältnisse auf 

das Auftreten der.487 

Pneumopericardium durch Perforation 
eines runden Magengeschwürs in 

den Herzbeutel.371 

Polyarthritis, rheumatische, über die 
Wirkung der Benzoesäure bei der . 282 
Poliomyelitis anterior acuta .... 74 
Praeputialsack, eine erworbene, grosse 
Retentionscyste desselben .... 46 

Pruritas vulvae, über.5Ö 

Psoriasis palmaris und plantaris syphi¬ 
litica, Behandlung der.45 

Psoriasis, vorläufige Mittheilungen von 
einem neuen Untersuchungsergeb¬ 
nisse bei.47 

Psychiatrie, über den wissenschaftl. 

Standpunkt in der.693 

Psychosen beim Militär, über . . . 643 

Puerperium, Intermittens im ... . 350 

Pulsuntersuchung, über die Bedeutung 

der.60 

Pulsu8 bigeminus, Bemerkungen be¬ 
treffend den.111 

Pupillenweite, über die neuropatholo- 

gische Bedeutung der.510 

Pyopneumothorax subphrenicus, über 208 

Pyrogallussäure, Klinisches und Ex¬ 
perimentelles zur Wirkung der . . 105 

Q- 

Quebrachorinde, Zubereitung der . . 573 
Quebracho, zur Beurtheilung der Wirk¬ 
samkeit der Drognen von . . . .218 

Quecksilberkranke, über den Einfluss 
der russischen Dampfbäder auf die 
Ausscheidung des Quecksilbers bei 240 


R. 

Rachengeschwülste, basilare, über die 


buccale Exstirpation der.41 

Ranula, zur Operation der.663 

Resorcin, Dosirung des.494 

Respirationsphänomen, Cheyne-Stokes- 
sches, bei Kindern.378 


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1880. 


XV 


Nr. 

Rhadiitische Verkrümmungen langer 
Röhrenknochen im Kindesalter, über 
die chirurgische Behandlung der . 453 


Rückenmark, Hyperämie des .... 380 
Rückenmark, über Regeneration und 
Degeneration des.412 


s. 

Sacralgeschwülste, angeborne, zur 


Kasuistik der.24 

Jsilbenmull verband, der.617 

Salicylate de Soude, de l’action du, sur 
luree, l'acide urique et läcide phos- 
phorique de l urine dans le Rheu- 

matisme articulaire aigu.214 

Salicylsaures Natron, ein Fall von 

Intoxication mit.335 

Salicylsanres Natron, Fall von plötz¬ 
licher Erblindung nach innerlichem 

Gebrauch von.690 

£amenkolik.167 

Sanitätsdienst, englischer, die Reform 

des.563 

Scapula. Beiträge zu den Operationen 

an der.527 

Sauerstoff - Inhalationen , physiolog. 

Wirkung der.. ... 726 

Scarlatina und Milch.559 

Schädelgewölbe, Beitrag zur Resection 
am — mit nachfolgendem plasti¬ 
schem Verschluss des Defects . .391 

Schauker der Lippe, zwei Fälle . . 166 

Schanker, harter, au den Tonsillen . 676 

Scharlach, ein Fall von Hämoglobinurie 

hei.238 

Scharlach, über den, in seinen Bezie¬ 
hungen zum Gehörorgan.543 

Scharlach und Milch.182 

Schenkelhalsfractur, über ein wenig 
bekanntes pathognomonisches Sym¬ 
ptom der.502 

Schilddrüse, acute Entzündung des 

rechten Lappens der.461 

Schläfenbein, nekrotische Ausstossung 
fast des ganzen, mit günstigem 

Ausgange.403 

Schleimhauterkrankungen, über die 
Anwendung des reinen Alauns in 

Substanz bei.22 

Sddeimpolypen der Nase, über die 

Behandlung der.469 

Schlund- und Kehlkopf, Beitrag zur 
Lehre von Sensibilitätsneurosen des 718 
Schmierseife, Hebra’sche, Vorschrift 
zur. 498 i 


Schnopftabakfälschung. 729 i 

Schrift, die. 577 j 

Schultergürtelmuskulatur, Beitrag zur 
Symptomatologie der Lähmungen 

der.76 \ 

Schwangere, die Ernährung per rectum 
hei UebeUteiten und Erbrechen der 96 
Schwangere, über die Menge der rothen 
Blutkörperchen bei.156 


Xr. 

Schwangere, zur Behandlung der 

Odontalgien der.456 

Schwangerschaft, Augenerkrankungen 

während der .672 

Schwangerschaft, ein sicheres Zeichen 
der, während der ersten drei Monate 606 
Schwangerschaft, Ruptur der Milz 

während der.459 

Schwangerschafts-Unterbrechung, die 
acuten Krankheiten in ätiologischer 

Beziehung zur.97 

Schwangerschaft, über den Einfluss 

des Tabaks auf die.628 

Schwitzen, über den Einfluss des, auf 
den quantitativen Hämoglobingehalt 

des Blutes.115 

Sclerotinsäure, die Wirkung der, auf 

Menschen.13 

Sclerotinsäure, über die therapeutische 

Verwendung der.82 

Scorbutformen, über leichte .... 508 
Scrophulose und Lungenschwindsucht, 

zar Entstehung der.251 

Sehnenreflexe, über die.553 

Sehnervenfasern, patholog.-anat. Bei¬ 
träge zur Lehre von der Semi- 

decnssation der.399 

Sehschärfe, ein Fall von ungewöhn¬ 
lich grosser . 296 

Sehstörungen bei Vergiftungen durch 

Wildpastete und Hecht.230 

Sehstörungen nach Verletzung des 
Schädels durch stumpfe Gewalt . . 231 
Selbsterdrosselungen, Fälle von . . .117 
Selbstmord, ein Fall von, unter be- 
merkenswerthen Verhältnissen . . 626 
Selbstwendung, ein Fall von . . - 607 
Sittlichkeit, Vergehen wider die, be¬ 
gangen von einem Mädchen von 
16 Jahren im epileptischen Dämmer¬ 
zustände .311 

Soolbäder, über den Nutzen der Massage 

in.450 

Speichel, hvdrophobiscber, zur Frage 
über die Ansteckungsfähigkeit des 310 
Spermatorrhoe, über die Behandlung 

der.88 

Spina bifida bei drei nach einander 

geborenen Geschwistern.129 

Spinalparalyse, atrophische, Vergiftung 
durch Muscheln als Ursache von . 137 
Spirochaeta Obermeieri, zur Lehre von 

der.259 

Spirochaeten, die Fundorte der . . . 479 

Spulwurm, seltene Verirrung des . . 435 

Sterblichkeit über die, Reicher und 

Armer.184 

Sterilitätslehre, zur.154 


Sterilität, über die Behandlung der 393,742 
Stickoxydul, über die therapeutische 
Wirkung des, in einigen Krankheiten 449 
Stickoxydnlgas, Darstellung von reinem 586 


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XVI 


1880 . 


Xr. 

Strabismus convergens intermittens der 
Kinder, Behandlung des, mittels 
mydriatischer oder myotischer Sub¬ 
stanzen .100 

Stummheit, acquirirte, geheilt durch 

Bromkali.590 

Subfebrile Zustände, über die, von 

erheblicher Dauer.138 

Syphilis der Schulkinder. 52 

Syphilis, liaemorrhagische, ein Fall von 169 
Syphilis hereditäre, zur Frage von der 

patemen Infection bei.637 

Syphilis hereditaria tarda, ein Fall . 304 

Syphilis maligna, Fall von.474 

Syphilis, Provocatorische Aetzung zur 
Diagnostik der — und der sogen, 
pseudo-indurirte Schanker .... 49 
Syphilis-Uebertragung, über die ersten 
verdächtigen Escheinungen einer . 409 

Syphilis und Ehe.168 

Syphilis, zur Anwendung des Pilo¬ 
carpins in der Behandlung der . . 239 


T. 


Tabes dorsalis, über die Dehnung 
grosser Nervenstämme bei ... . 4 . 

Tabes dorsalis, über die Heilbarkeit 740 
Tabes dorsalis, zur Nosologie der . . 376 
Tabes luetische, über die und ihre 

Behandlung.241 | 

Tannin, Untersuchungen über Wirkung 1 
und Verhalten im Thierkörper . . 703 | 

Tabes zur.641 i 

Taubheit, acute einseitige, Heilung . 235 j 
Taubstummen, über die Erziehung der 352 
Taubstummheit, ein Fall von Heilung 

der.234 

Tetanus, über den, und dessen Behand¬ 
lung durch Einathmen von Cauabis 

indica . 329 ^ 

Tetanie.730 

Therapie, zur intrauterinen .... 714 
Thoraxwand, ein Fall von Resection 
eines grossen Theiles der linken 

vorderen. 388 f 

Tliränenbein, zwei Fälle von trau- ? 

matischem Defect des.159 

Tliränenröhrchen, cystöse Erweiterung 

eines.35 I 

Tod, verursacht durch Aspiration einer 

Bohne in der Trachea.541 j 

Tod, verursacht durch Eindringen eines 

Fisches in den Larvnx.319 

Tracheotomie, zur Casuistik der un¬ 
glücklichen Zufälle bei der . . . 609 
Transplantation von Hautstücken, über 

künstliche Blutleere bei.708 

Trichinosis trotz gekochten Fleisches 312 

Tri polith verbände.710 

Tripper, die Abortivbehandlung des . 544 ' 

Tripper, neue Methode, den, rasch zu 

heilen.614 

Trunkene Verbrecher, über die Un- 1 
Zurechnungsfähigkeit, der .... 560 


Nr. 

Tubereulose der Gelenke.91! 

Tuberculose, die, vom Standpunkte der 

Infeetionslehre.268 

Tuberculose, über.. . . 503 

Tuberculose, über die, im Säugiingrs- 

alter.209 

Tuberculose, über die Wirkung von 
Carbolsäure, Ti net. Eucalypti und 
Chininmn bimur. carbamidatom auf 

die. 595 

Tuberculose, über künstliche, erzeugt 
durch den Genuss der Milch tuber- 

culöser Kühe.202 

Tuberculose und Lungenschwindsucht, 
Stickstoffinhalationen gegen . . . 589! 

Tuberkel, über einen, der Medulla 

oblongata.620 

Tumoren, über das plötzliche Ver¬ 
schwinden von.389 

Tussis convulsiva, über Inhalationen 

von Bromkali bei.17 

Typhus abdominalis, die Organismen 

in den Organen bei. . 682 

Typhus, Einfluss des Bades auf den . 519 
Typhusepidemie von Kloten .... 730 
Typhus exautheinaticus, die Behand¬ 
lung des; mit salicylsaurem Natron 330 

U. 


Ulcus cruris, Behandlung des . . .515 
Urämie bei Nephritis nach Scharlach, 
über die Ursachen und den Verlauf 

der.580 

Urethritis, über erfolgreiche Behand¬ 
lung der, durch inneren Gebrauch 

von Kali chlorieuni.689 

Urticaria pigmentosa, Fall von . . . 170 
Uterus - Ausspülungen post partum, 

Werth desinticirender.344 

Uterus - Ausspülung, prophylaktische, 
über, mit Carbolwasser post partum 351 
Uterusblutungen post partum, Behand¬ 
lung der.662 

Uterus, die Anwendung der Salpeter¬ 
säure bei Erkrankungen des . . . 140 
Uterusdilatation, die mechanische . . 155 
Uterus, eine Entbindung mit Verlust 

des.460 

Uterus, ein neuer Fall gefährlicher 
Folgen von Carbol-Einspritzungen 

in den.292 

Uterus, Extreme Anteversion und Ante- 
flexiondes, bei normalem Schwanger- 

scliaftseude.228 

Uteruslibroid, Entfernung eines ver¬ 
kalkten, mittelst der Laparo-Elvtro- 

tomie.32 

Uterusfibrom, Ausstossung eines, nach 

Ergotinbehandlung. 30 

Uterusmund, die sogeuannten Conglu- 
tinationen des, als Geburtsliinderniss 93 
Uterus, puerperaler, Untersuchungen 
über die Wirkung der Sclerotinsäure 


auf den ..457 


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1880 . 


XVII 


Nr. 

Uterus, über Atome des, im Wochen¬ 
bette .665 

Uterus, zur Kenntniss von den Me¬ 
thoden zur Dilatation des .... 536 

V. 

Vaginaldouche, die heisse.223 

Vaginalkugeln, über die Bereitung der 434 
Vaginalmündung, die prophylaktische 
Dilatation der. im Verlaufe der 

Geburt als Dammschutz.605 

Vaguslähraung, einseitige, über einen, 
einer — ähnlichen Symptomencom- 

plex.133 

Vagus, über einen wahrscheinlich auf 
einer Neurose des, beruhenden 

Symptomencomplex.217 

Variola, bei einem Neugeborenen . . 739 

Variola, zur Therapie der, vom 
Standpunkte der Micrococcuslehre 475 
Verdauung, Wirkung des Branntweins 

und Weins auf die.180 

Vergiftung durch Leuchtgas, ein Fall 

von .630 

Vergiftung durch Oxalsäure .... 629 

Vergiftungen von Thieren durch Ole- 

andrin.638 

Vergiftung mit Arsen, Phosphor, 
Strychnin , Morphin , Chloroform, 


Nr. 

Untersuchungen über den Kohle¬ 
hydra tbestand des thierischen Or¬ 
ganismus nach.356 

Vol aux etalages.572 

Vulva, über die an derselben durch 
die Defloration und Masturbation 
gesetzten Gestaltsveränderungen . 684 

W. 

Wahnsinn, gemeine Rachsucht, oder 

unerlaubte Selbsthilfe?.116 

Wanderleber, ein Fall von.696 


i Wasserkissen als Mittel zur Herab¬ 
setzung der Körpertemperatur . . 657 
Weakned heart, zur Lehre vom, nebst 
Bemerkungen über das Symptomen- 
bild des cardialen Asthma und 
dessen Behandlung . . • .... 579 

Z. 

Zähne, über das Wiedereinpflanzen 

ausgezogener . . . . .289 

Zahnärztliche Praxis, zur localen An¬ 
wendung des Chloroform in derselben 222 
Zahnkrankheiten, die Pilze derselben 576 
Ziindhölzchenschachteln, über den 
Arsengehalt der Streichfläche der¬ 


selben .250 

Zwillinge, die.110 


Kritische Besprechungen und BQcheranzeigen. 


A u s p i t z, Dr. H.: System der Haut¬ 
krankheiten .631 

Baransky, Dr. A.: Praktische An¬ 
leitung zur Vieh- und Fleischschau 566 
Bardeleben, Dr. A. : Lehrbuch der 
Chirurgie und Operationslehre . .124 

Barker Fordyce: Die Puerperal¬ 
krankheiten .489 

Beck, Dr. G.: Therapeutischer Alma- 

nach.570 

Billroth, Prof. Dr. Th.: Die Krank¬ 
heiten der Brustdrüsen.365 

Börner, Dr. E : Ueber die orthopädi¬ 
sche Behandlung der Flexionen und 

Versionen des Uterus.258 

Börner, Dr. P.: Jahrbuch der prakti¬ 
schen Medicin.632 

B ö 11 g er, Dr., Der Militär-Pharmaceut 123 
Braun, Dr. J.: Systematisches Lehr¬ 
buch der Balneotherapie.732 

Clemens, Dr. Th.: Ueber die Heil¬ 
wirkungen der Elektricität.... 569 
Drageodorff Prof. Dr. G.: Jahres¬ 
berichte über die Fortschritte der 
Pharmcognosie, Pharmacie und 

Toxicologie.430 

D'Emilio L.: La Farmacia modema 493 


E r i s m a n n, Dr. F.: Die Desinfections- 
arbeiten auf dem Kriegsschauplätze 
der europäischen Türkei während 
des russisch - türkischen Feldzuges 

1877/78 . 190 

Erismann, Dr. F.: Gesundheitslehre 
für Gebildete aller Stände .... 256 
Eulenburg, Prof. A.: Real-Ency- 
clopädie der gesammten Heilkunde 254 
Falck C. Ph.: Das Fleisch .... 490 
Frankland E.: Experimental Re- 
* searches in pure, applied and physical 

Chemistry.187 

| Fritsch, Dr. H.: Ein durch Fractur 

schräges Becken.70 

F r ü h a u f, Dr. H. : Diagnostik der 

inneren Krankheiten .429 

Gl atz P. : L’hydrotherapie aux Bains 

de Champel .568 

j Godeffroy, Dr. R. : Compendium der 

Pharmacie.492 

I Hartmann, Dr. A.: Taubstummheit 
f und Taubstummenbildung .... 431 
Heidenhain, Prof. Dr. R.: Der 
. sogenannte thierische Magnetismen 736 
H e n 1 e, Prof. J.: Grundriss t der Ana 
tomie des Menschen.364 


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XVIII 


1880 . 


Hi rt, Dr. L.: System der Gesundheits¬ 
pflege .686 

Hofmann, Prof. Dr. E.: Lehrbuch der 

gerichtlichen Medicin.362 

Holzer, Dr.: Aerztlicher Taschen¬ 
kalender .121 

Kaposi, Dr. M.: Pathologie und 
Therapie der Hautkrankheiten in 
Vorlesungen für prakt. Aerzte und 

Studirende .. . . 186 

Kisch, Dr. H.: Mineralbrunnen und 

Bäder .68 

K n au f f, Dr. F.: Das neue akademische 
Krankenhaus in Heidelberg . . . 425 
Kohlmann Benno: Die Errichtung 
pharmaceutischer Untersuchungs- 
bureaux und das Gesetz gegen die 
Verfälschung der Nahrungsmittel etc. 189 
y. Krafft-Ebing, Prof.: Lehrbuch 


der Psychiatrie.571 

L a nd o i s: Lehrbuch der Physiologie 
des Menschen einschliesslich der 

Histologie.66 

Lauterer J. : Lehrbuch der Pflege 
des menschlichen Körpers in ge¬ 
sunden und kranken Tagen . . . 188 
Lepidi Chioti G.: Lezioni di 

clinica medica.687 

Lossen, Prof. Dr.: Verletzungen der 

unteren Extremitäten.363 

Lotz, Dr. Th.: Pocken und Vacci- 

nation.734 

Martin, Dr.: Lehrbuch der Geburts¬ 
hälfe für Hebammen.735 

N e p v e u D. G. : Mtunoires de Chirurgie 424 
N e ti m a n n J.: Lehrbuch der Haut¬ 
krankheiten .491 

Niemeyer, Dr. P.: Grundriss der 
Percussion und Auscultation . . . 426 
0 r t i 11 e E.: De la Dyspn6e nerveuse 
des nephrites. Etat des Gaz du sang 

chez les uremiques.126 f 

Peter8 Dr. H.: Die klimatischen 
Wintercurorte Centraleuropas und 
Italiens.427 


Pfeiffer, Dr. L : Hilfs- und Schreib- 

kalender für Hebammen.257 

Pingier, Dr. G.: Der einfache und 
der diphtheritische Croup und seine 
Behandlung mit Wasser und durch 


die Tracheotomie.69 

Potocnik, Dr. J.: Statistischer Sani¬ 
tätsbericht der k. k. Kriegsmarine 

für das Jahr 1878 . 567 

Behmann, Dr.: Schema zur forensi¬ 
schen Obduction.688 


Nr. 

Reichardt, Dr. E.: Grundlagen zur 
Beurtheilung des Trinkwassers . .633 
RohlfsH.: Geschichte der deutscheu 

Medicin.3 14 

Rüdiger, Prof.: Supplement zur topo¬ 
graphisch - chirurgischen Anatomie 

des Menschen.366 

S c h e f f, Dr. J.: Lehrbuch der Zahn¬ 
heilkunde für prakt. Aerzte und 

Studirende .185 

Schmit, Dr. A.: Transposition du 
coeur et des principaux visceres 

abdominaux.685 

Störk, Dr. Karl: Klinik der Krank¬ 
heiten des Kehlkopfes.565 

Tamhayn, Dr. 0. : Die Arzneimittel¬ 
lehre für Zahnärzte.67 

Thanhofer, Dr. L.: Das Mikroskop 
und seine Anwendung.428 


T o 11 i n H.: Michaelis Villanovani 
(Serveti) in quendam medicum Apolo- 
getica disceptatio pro astrologia . 125 
Uh li k, Dr. A.: Statistischer Sanitäts¬ 


bericht der k k. Kriegsmarine für 

das Jahr 1877 . 367 

U r b an t s cli i t s c h, Dr. V.: Lehrbuch 

der Ohrenheilkunde.488 

v. V a j d a Dr. L.: Heber den Einfluss 
des Quecksilbers auf den Syphilis- 
process mit Berücksichtigung des 

sog. Mercuralismus.120 

Vogl, Dr A. E.: Die Verfälschungen 
und Verunreinigungen des Mehles 
und deren Nachweisung .... 564 
Waldner, Dr. F.: Ueber Ernährung 
und Pflege des Kindes in den 
ersten zwei Lebensjahren .... 736 
Wenzel Dr. E. : Atlas der Gewebe¬ 
lehre des Menschen und der höheren 
Thiere für Aerzte und Studirende 

der Medicin.122 

Wern ich, Dr. A.: Grundriss der 

Desinfectionslehre.636 

Westphal, Prof. Dr. C.: Psychiatrie 


und psychiatrischer Unterricht . . 634 
Wien: Die Bewegung der Bevölkerung 
dieser Stadt im Jahre 1879 . . . 635 
y. Winiwarter, Dr. A.: Bil lroth: 

Die allgemeine chirurgische Patho¬ 
logie und Therapie in fünfzig Vor¬ 
lesungen .255 

W i n t e r n i t z, Dr. W.: Die Hydro- 
theraphie auf physiologischer und 

klinischer Grundlage.313 

Zimmer, Dr. C.: Die Muskeln, eine 
Quelle, Muskelarbeit ein Heilmittel 
bei Diabetes.733 


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s 

I 



































Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 


L lieber Morbus Brightii und seine Beziehungen zu anderen 
Krankheiten. Von Prof. v. Bamberger in Wien. (Sammlung klinischer 
Vorträge. Volkmann. Nr. 173.) 

Verf. hält fest an der pathologischen Einheit des Morbus Brightii. 
Vom anatomischen Standpunkte ist keine scharfe Trennung zwischen der 
parenchymatösen und interstitiellen Erkrankung der Nieren möglich. Beide 
Formen finden sich (Virchow) meist zusammen und sind dabei noch 
oft mit Amyloidentartung verbunden. Klebs erklärt von vorwiegender 
Bedeutung die interstitielle kleinzellige Infiltration und hält die epitheliale 
Erkrankung für secundär, Buhl dagegen trennt scharf die zur Fett- 
degeneraüon führende Form (large white Kidney) von der zur Granular- 
atrophie führenden (red contrasted Kidney). Dem entgegen hat Aufrecht 
parenchymatöse mit interstitieller Nephritis auf gemeinsame Genese zurück¬ 
geführt (beide zugleich durch Ureterenunterbindung). Auch findet Verf., 
dass bei der Niere von Morbus Brightii, die von ihm untersucht, alle die 
Rinde constituirenden Elemente afficirt waren. 

Auch klinisch sei die Trennung zweier Formen nicht durchführbar, 
weil das Symptomenbild entweder theils der parenchymatösen, theils der 
interstitiellen Form entspricht und weil öfters das Symptomenbild auf 
andere Form hinweist, als die Form, welche bei der Section gefun¬ 
den wird. 

Aus diesen Gründen hält Verf. die Trennung des Morbus Brigthii 
für verwerflich und theilt die Gesammtheit seines massenhaften Beob- 
aebtungsmaterial8 in zwei Kategorien: 

1. Die primäre Form. Die Nierenaffection erscheint ursprünglich 
und selbstständig, wenn auch mit Complicationen (807 beobachtete 
Fälle = 33°/ 0 der Gesammtzahl von Morbus Brigthii, die zur Verfügung 
stand). 

2. Secundäre Form. Tritt auf nach wichtigen Veränderungen im 
Organismus, die nicht als Folge oder Complicationen, sondern als Ursachen 
der Nierenaffection anzusehen (1623 Fälle = 67°/ 0 ) sind. 

Anatomische Unterschiede zwischen der primären und secundären 
Form sind nicht wesentlich; beide kommen acut und chronisch, inter¬ 
stitiell oder parenchimatös und gemischt vor, nur ist bei der secundären 
Form die Amyloiddegeneration häufiger und häufiger werden von ihr frühe 
Stadien zur Beobachtung geliefert. 

Als wesentliche klinische Differenzen sind zu beachten: 


Med.-chir. Rundschau. 1880 . 


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1 

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2 


Medicimsch-chirurgische Rundschau, 


Oft liefert die secundäre Form wenig ausgeprägte Symptome, weil 
solche übertönt werden von den Erscheinungen der zu Grunde liegenden 
anderen Erkrankung und: bei der primären Form findet sich in 42-6% 
der Fälle Herzhypertrophie, bei der secundären Form in 3*3%. 

Die „ätiologisch wichtigen Krankheiten in ihrer Frequenz und ihrer 
Beziehung zu den Stadien des Morbus Brightii“ stellt Verf. in folgender 
Tabelle zusammen: 


Primäre Krankheit 

Morbns Brigbtii 
acute chron. atropo. 
Form 

Summe 

Percent 
bezogen auf 
2,30 Fälle 

Tubercul. Phthise, Scrophul. 

47 

257 

77 

381 

15*7 

Klappenfehler des Herzens . 

19 

117 

86 

222 

9*1 

Gravidit. und puerper. Proc. 

80 

56 

16 

152 

6-3 

Krankht. der Harn-Exeret.-Org. 

11 

72 

51 

134 

5-5 

Suppurationsprocesse . . . 

42 

77 

10 

129 

5‘2 

Alkoholismus, Lebercirrhose . 

16 

68 

33 

117 

4-8 

Careinorae.. 

13 

55 

35 

103 

4-2 

Lungenemphysem .... 

6 

51 

28 

84 

3-5 

Typhus ....*.. 

42 

16 

* 2 

58 

2-4 

Syphilis. 

4 

29 

14 

49 

20 

Scarlatina. 

18 

— ' 

— 

18 

07 

Intermittens .. 

1 

9 

3 

13 

05 


Alle diese zu Grunde liegenden Erkrankungeh zerfallen in drei 
Kategorien : 

1. Toxische und infecfciöse Substanzen im Körper werden wahr¬ 
scheinlich in der Niere ausgeschieden und erregen dort Entzündung. 

2. Stauungszustände. 

3. Secretretenfcionen. 

II. P r i m ä r e F o r m, durch Erkältung indicirt, befiel Männer in 
55°/ 0 , Weiber in 45% der Fälle; da aber mehr Männer als Weiber auf¬ 
genommen werden, überwiegt die Zahl der Erkrankungen in Wirklichkeit 
beim weiblichen Geschlecht. 

Folgezustände des Morbus Briglitii sind: 

Hämorrhagie des Gehirns in 10% der Fälle. Fast ausschliesslich 
bei Complication mit Klappenfehlern und Endocarditis. 

Encephalitis viel seltener; Meningitis selten. 

Pneumonie in 22°/ 0 ; Pleuritis in 7°/ 0 ; Peritonitis in 2*7°/ 0 • Dy¬ 
senterie und ausgebreitete Darmkatarrhe in 13*5°/ 0 ; allgemeiner Hydrops 
in 26*6%. 

Secundäre Erkrankungen des Herzens, und zwar: fettige Degene¬ 
ration in 12%; Pericarditis in 12°/ 0 . (Die Disposition zu dieser steigert 
sich im Verlaufe der Krankheit.) Endo- und Myocarditis selten. Hyper¬ 
trophie und Dilatation des Herzens ist die wichtigste. Dass sie häufiger 
bei der kleinen granulirten Niere als bei der grossen geschwollenen 
(parenchymatösen) vorkommt, leitet Verf. davon ab, dass bei der längeren 
Dauer des ersteren Processes die zu Grunde liegenden Ursachen am 
sichersten zur Wirkung kommen. 

Excentrische Hypertrophie des ganzen Herzens (linke Seite mehr be¬ 
fallen) in 4l°/ 0 . Excentrische Hypertrophie der linken Kammer = 31%. 
Einfache Hypertrophie der linken Kammer 19%. Einfache Dilatation selten. 
Concentri8che Hypertrophie grössere Seltenheit. 

Die Theorien über den Zusammenhang zwischen Herzhypertrophie 
und Nierenkrankheit kritisirt v. Bamberger eingehend: 


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Medicimsch-chinurgische* Eundsdnra. 


3 


-1. Oie Theorie - von 0 r i g h t (Wirkung ohemiech veränderten Blutes) 
sei unhaltbar, weil keine chemische Veränderung des* Blutes, wie sie bei 
vielen Zuständen vorkomme, jemals Herzhypertrophie hervorbringe. 

2. T raub es Theorie, welche nach physikalischen Principien aus 
zwei Momenten: Verödung der Nierengefäs$e und Wasserretention, erklärt, 
sei unrichtig, weil die Herzhypertrophie auch vorkomme, ohne das$ Geßlsse 
obliterirt oder verengt seien ; weil die Verödung des betreffenden Gefäss- 
bezirkes nicht uothwendig die Spannung im Aortensystem vergrössern müsse, 
weil Hypertrophie und Dilatation des rechten Herzens nicht erklärt 
werde. 

3. Die Theorie von Johnson, andererseits Gull und Sutton, 
findet die Ursache der Herzhypertrophie in verbreiteter Erkrankung der 
Arterien und Capillaren in vielen Organen. Dies erkläre nicht die Hyper¬ 
trophie des rechten Herzens und wahrscheinlich sei die Herzhypertrophie 
die primäre. Veränderungen der kleinen Gefässe bestehen zwar (Thoma, 
Ewald, v. Buhl), sei aber nicht als Ursache, sondern Folge der Herz¬ 
hypertrophie anzusprechen. 

4. v. Bühls Theorie sagt, dass Affcctionen des Herzens und der 
Niere eine Quelle haben; beide erkranken gleichzeitig \ das Herz hyper- 
trophirt in Folge eigener entzündlicher Processe und relativer Enge des 
Aortenävstems. Hiergegen macht Verf. geltend: Nach klinischer Beob¬ 
achtung erscheint die Herzhypertrophie erst in später Periode des Morbus 
Brightii; 21 a / 0 aller Fälle von Herzhypertrophie bleiben ohne Spur einer 
Entzündung; die Formen aber bei Morbus Brightii gefundener Entzün¬ 
dungen des Herzens führen sonst nicht zur Hypertrophie; aus Puls- und 
Herzton sei auf verstärkten Druck und grössere Weite des Aortensystems 
zu 8chlie8sen. 

5. Senator s Theorie erklärt die Herzhypertrophie bei der paren¬ 
chymatösen Nephritis aus der drucksteigernden Wirkung des zurttckgehal- 
tenen Harnstoffes, bei der interstitiellen aus dem erhöhten Aortendruck 
oder als wirkliche einfache Hypertrophie (ohne Dilatation) als idiopathisch. 
Verf. führt dagegen an: man habe keinen Anhaltspunkt dafür, wie lange 
eine Drucksteigerung bei erhöhtem Harnstoffgehalt bestehe, und bei Gra- 
uularatrophie komme gerade Hypertrophie und Dilatation vor. 

6. Ewald’s Theorie postulirt erhöhten Widerstand in den Capil¬ 
laren, verstärkte Spannung im Aortensystem und vermehrte active Trieb¬ 
kraft .des Herzens. 

Verf. wendet ein, dass die Verlangsamung des Stromes in den Capil¬ 
laren nicht nachgewiesen sei. 

v. Bamberger erklärt die Herzhypertrophie aus der absoluten 
Vermehrung der Blutmasse in Folge gehinderter Wasserausscheidung und 
dadurch geforderte grössere Arbeitsleistung des Herzens. Herzhypertrophie 
und Hydrops seien Folgezustände des Morbus Brightii, welche auf mecha¬ 
nische Verhältnisse zurttckzuführen, während alle anderen Erkrankungen 
entzündlicher und exsudativer Natur seien. Entzttndungserregende Stoffe 
seien in Blut und Geweben zurückgehalten in Folge der Störung der 
Nierenfunction. Finkler. 

2. Cholelithiasis als Ursache von Cirrhosis Hepatis. Von Dr. 
Roller. (Berlin, klin. Wochenschr. 1879. 42.) 

In einem Falle von Lebercirrhose konnte anamnestisch nichts eruirt 
werden; post mortem fand sich in der Gallenblase ein Concrement von 
C Cm. Länge, l 1 /* Cm. Breite und der Ductus choledochus vollständig 
verschlossen. F . . . 


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4 


Medicinisch-chirnrgiBclie Rundschau. 


3. Bemerkungen Aber die Zerfollskörperohen des Blutes und 
ihr Verhältnis zur Anämie. Von L. Riess. (Berlin, klin. Wochen¬ 
schrift. 1879. 47.) 

Verf. stellt die im Blnte auftretenden Körnchenbildungen, von ihm 
sogenannte Zerfallsköperchen, als die Zerfallsproducte weisser Blutkörper¬ 
chen dar. Ihre Bildung hänge im Allgemeinen sowohl mit einer Ver¬ 
minderung der rothen, als Vermehrung der weissen Blutkörperchen zusam¬ 
men und treten da am zahlreichsten auf, wo auch die weissen Blutkör¬ 
perchen an Häufigkeit zugenommen haben. Ausnahme machen die seltenen 
sogenannten Pseudoleukämien, wo wohl die weissen Blutkörperchen sofort 
dem Zerfall unterliegen und deshalb massenhafte Bildung von Zerfalls¬ 
körperchen aufweisen. In den Formen der Anämie, die sich durch normale 
oder verminderte Zahl der weissen Blutkörperchen auszeichnen, nament¬ 
lich bei perniciöser Anämie, seien auch die Zerfallskörperchen wenig aus¬ 
gesprochen oder fehlen. Verf. widerspricht deshalb der Annahme L e u b e’s, 
dass die Zerfallskörperchen des kachektischen Blutes Conglomerate der 
H a y e m’schen Hämatoblasten, Entstehungsformen der rothen Blutkörper¬ 
chen seien. F . . . . 

4. Ueber Dehnung grosser Nervenstamme bei Tabes dorsalis. 

Eine Mittheilung von Dr. C. Langen buch. (Berlin, klin. Wochen¬ 
schrift 1879. 48.) 

Ein Fall von ausgesprochen ataktischen Erscheinungen und Sensibi¬ 
litätsstörungen beider Unterextremitäten wurde durch Dehnung der Ischia- 
dici und Centralnerven in verschiedenen Sitzungen mit nachfolgendem anti¬ 
septischen Verbände geheilt. In den Armen blieben sie bestehen, weil 
Dehnungen der Nerven hier nicht vorgenommen wurden. 

5. Hysterie bei Knaben. Von Prof. Roberts (Manchester). 
Practitioner Nov. 1879. 

Verfasser theilt dem Manchester ärztlichen Verein einige Fälle von 
ausgesprochener Hysterie bei Knaben mit. Er macht darauf aufmerksam, 
dass in der bezüglichen englischen Literatur viele Fälle angedeutet gefunden 
werden, die bei weiblichen Kranken sofort Hysterie genannt worden wären. 

1. 13jähriger Sohn eines Kaufmannes. Nach einer unbedeutenden 
Krankheit trat hysterischer Husten auf, der nach und nach den Charakter 
des Hundebellens, später des Blökens annahm. Die Anfälle wurden sehr 
bestimmt periodisch. Morgens sobald er wach geworden, blökte der Junge 
2—3 Stunden hindurch, was Abends „genau um 8 Uhr u wieder anfing, 
um anzuhalten bis er einschlief. Dieses Verhalten dauerte 18 Monate, um 
nach und nach gänzlich zu verschwinden. Ganz ähnliche Erscheinungen 
bei einem Bruder sowie bei einer Schwester deutete R. als eine Nach¬ 
ahmung, obgleich sie 4 Monate (!) resp. 6 Jahre (!) später auftraten. Die 
Mutter soll als Mädchen „die charakteristischen hysterischen Anfälle 44 
gehabt haben. Ob sie auch geblökt habe, wird nicht angegeben. 

2. 8—9jähriger Junge. Nach einem „unbestimmten Fieber ct traten 
Schrei- und Weinkrämpfe auf, die paroxysmenweise entstanden und etwa 
3 Stunden anhielten, ln den Pausen vollständiges Wohlbefinden. Nachdem 
die Anfälle 3 Wochen gedauert hatten, wurde der intermittirende galva¬ 
nische Strom in tägliche Anwendung gebracht. Die Anfälle nahmen ab, 
um in 6 Wochen gänzlich und bleibend zu verschwinden. 

3. Ein Knabe von 8 Jahren. „Auf einem Spaziergang ermahnt, seine 
Füsse besser zu halten 44 , fing er sofort zu hinken an und zwar so, dass 
gleich zum Hausarzt geschickt wurde. Es entwickelte sich ein vollständiger 


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Meditinisch-chinirgische Rundschau. 


5 


linkseitiger pes varus, der bei der eingeleiteten Schienenbehandlung sich 
in keiner Weise änderte. In diesem Zustand fand ihn der Verfasser. 
Sonst war der Patient vollständig wohl und heiter, soll aber immer etwas 
unruhig und leicht aufgeregt gewesen sein. Er wurde aufgefordert, das 
Bein zu gebrauchen und alle Spiele mitzumachen. In 24 Stunden ver¬ 
schwanden alle Symptome vollständig. 

4. Junge von 8 Jahren. Vor zwei Jahren fingen leichte Zuckungen 
der Arme und der Augenlider an. Allmälig entwickelten sich allgemeine 
kurzdauernde Krämpfe, die anfangs nur Nachts und zwar nur gleich nach 
dem Einschlafen und kurz vor dem vollständigen Wachwerden auftraten. 
Etwas später traten sie auch am Tage auf und nahmen einen entschiedenen 
hysterischen Charakter an. Das Kind wurde aufs Land geschickt, um ein 
geeignetes Publikum zu verlieren und verlor demgemäss sämmtliche Symp¬ 
tome rasch und vollständig. Warren, Bonn. 

6. Ein Fall von eintägiger Pneumonie. Von Prof. A. Weil 
in Heidelberg. (Berlin, klin. Wochenschrift 1879. 45.) 

Johannes Koch, 25jähriger Schreiner, wurde am 1. Jänner 1879 
anfgenommen. Die Anamnese ergibt, dass Pat. im Frühjahre 1873 wegen 
Lungen- und Rippenfellentzündung durch 6 Wochen behandelt wurde. 
Im Sommer 1873 wurde im Tübinger Hospitale ein rechtseitiges Empyem 
entleert. Die Flüssigkeit erzeugte sich bald wieder, perforirte die Bron¬ 
chien, worauf Pneumothorax entstand. Bei dem im November 1873 
erfolgten Austritte aus dem Hospitale fühlte er sich wohl; nur trat seither 
des Winters Husten mit Auswurf auf. Seit 10 Tagen besteht Mattigkeit, 
Kopfschmerz und Appetitlosigkeit. Beim Eintritt des Kranken (1. Jänner 
1879) wurden ausser fieberlosem Status gastricus leichte Veränderungen 
an beiden Lungenspitzen constatirt. Unter ziemlich indifferenter Behand¬ 
lung schwanden die Erscheinungen des Gastricismus und vom 5. Jänner ab 
fühlte sich Pat. wohl. Puls und Temperatur waren vom 1.—7. normal. 

Am 7. Abends 6 Uhr betrug die Temperatur in der Achselhöhle 
36*7°. Etwa um 7 Uhr stellte sich plötzlich Schüttelfrost ein, der fast 
eine Stunde dauerte, gleichzeitig traten Husten mit rostfarbigem Sputum, 
sowie stechende Schmerzen in der linken Seite der Brust hinzu. Die 
objektive Untersuchung der Lunge ergab negative Resultate. Eine Stunde 
nach Beginn der Erkrankung war die Temperatur auf 39*5°, der Puls 
auf 108 gestiegen. Um 10 Uhr Abends betrug die Temperatur 40° und 
blieb mit geringen Schwankungen bis 6 Uhr Morgens auf dieser Höhe. 
Von da an sank dieselbe rasch, so dass 24 Stunden nach Beginn der 
Erkrankung die Normaltemperatur erreicht war. Am Morgen des 
Jänner, also etwa 12 Stunden nach Beginn der Erkrankung, waren die 
Zeichen einer Verdichtung des unteren Abschnittes des linken unteren 
Lungenlappens vollständig ausgeprägt. Respiration 40, Puls 100; Bei 
tiefen Inspirationen treten Hustenanfälle auf, welche zähe, rostbraune 
Sputa herausbefördern. Harn nicht eiweisshältig. Am 9. Jänner Morgens 
bei normaler Temperatur noch frequente Respiration. Beim Husten stechende 
Schmerzen in der linken Seite. Expectoration rostfarbiger Sputa dauert 
fort. Dämpfung und Bronchialathmen wie Tags zuvor. Am 10. Jänner 
kein Schmerz, Sputa kaum mehr blutig tingirt, Dämpfung weniger 
deutlich; statt des bronchialen Athmens rauhes Vesiculärathmen und 
Knistern. Der weitere Verlauf war, dass vom 11. ab die Sputa schleimig- 
eitrig wurden, am 13. die Dämpfung verschwunden war. Am längsten 
hielt sich das Knistern. Noch am 15. war es bei tiefer Inspiration hörbar. 


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•Medicimsieh-chirBrgische Rundschau. 


Das Interesse dieser Beobachtung liegt in dem überaus raschen 
Verlauf der Pneumonie. Gilt das Fieber als Massstab der Dauer einer 
Pneumonie, so war in diesem Falle die ganze Scene in 24 Stunden 
vorüber. In dieser Beobachtung sieht Weil eine Aufforderung, in Fällen, 
bei denen ohne nachweisbare Localerkränfeung heftiges Fieber mit 
Schüttelfrost einsetzt, auch nach der Entfieberung, zu einer Zeit, in der 
das Allgemeinbefinden schon wieder ein völlig ungetrübtes ist, die Lungen 
sorgfältig zu überwachen. Eine Vermehrung der Athemfrequenz, eine 
leichte Dämpfung, vereinzelte Rhonchi oder Sputa dürften zuweilen nach¬ 
träglich noch die richtige Deutung eines Falles ermöglichen und dem 
Arzte bie beschämende Diagnose „Febris ephemera“ ersparen. 

Rokitansky. 

7. Ein Fall von essentieller Anämie mit übermässiger Ent¬ 
wicklung der „Körnchenbildungen“ im Blute. Von Prof. W. 0. Leube 
in Erlangen. (Berl. klin. Wochenschrift 1879, 44.) 

In seiner Abhandlung über die Untersuchung des Blutes macht 
Max Schultze aufmerksam, dass er die Körnchenbildungen am reich¬ 
lichsten im Blute einer anämischen Frau, und zwar mehrere Monate 
constant in gleich grosser Menge gefunden habe. Die Vermuthung, dass 
Störungen in der Ernährung der reichlichen Entwicklung jener Gebilde 
im Blute zu Grunde liege, fand • in den Untersuchungen von L. R i e s s 
eine Stütze, indem derselbe nachwies, dass sich die Körnchenbildungen 
im Blute von Reconvalescenten, Carcinomkranken, Kachektischen, Chlo- 
rotischen etc. finden, während dieselben im normalen Blute nur ver¬ 
einzelt vorkämen. Leube hat nun in einem Falle hochgradigster Anämie 
diese Gebilde so vermehrt gefunden, dass sie unter dem Mikroskope als 
ein mit den rothen und weissen Blutkörperchen mindestens gleichwerthiger 
Bestandtheil imponirten und lange Zeit hindurch die einzige objectiv nach¬ 
weisbare Krankheitserscheinung darstellten. 

Die betreffende 30jährige Kranke war bis 4 Wochen vor ihrer am 
8. Februar 1879 erfolgten Aufnahme ganz gesund und erkrankte dann 
plötzlich mit Erbrechen und Schmerzen in der Magengegend. Die Unter¬ 
suchung der Kranken ergab vollkommen wachsbleiches Aussehen der 
Haut und Schleimhäute, ohne Petechien, Unterhautzellgewebe fettarm, 
Puls klein, leicht unterdrückbar, Herztöne rein, Lungen normal, Leber 
und Milz sicher nicht vergrössert, kein Ascites, Magen nicht dilatirt, der 
Harn zucker- und enveissfrei. Nachdem durch die Sondirung eine Functions¬ 
schwäche des Magens constatirt war, speciell 7 Stunden nach dem Essen 
mittelst der Sonde eine Menge unverdauter Speisemassen und brauner 
Flüssigkeit entleert worden war, wurde eine entsprechende Ernährung 
und Karlsbader Salz angeordnet, unter welcher Behandlungsweise der 
Magenkatarrh in kürzester Frist heilte. Dagegen blieb die Blässe und die 
Abmagerung bestehen, obwohl weder die Milz, noch die peripherischen 
Lymphdrüscn vergrössert waren und der Harn nie Eiweiss enthielt. Die 
ophthalmoskopische Untersuchung ergab einfache Anämie des Augen¬ 
hintergrundes. Beim Gehen klagte die Patientin über Schmerzen in den 
Oberschenkeln, auch äusserte sie beim Druck auf dieselben Empfindlich¬ 
keit. Ein auf den Knochen des Femur angebrachter Druck war nicht 
schmerzhaft, auch fehlte jeder Druckschmerz am Sternum. Das Körper¬ 
gewicht sank von 38 Kilogramm im Laufe der nächsten 3 Monate auf 
34. Die Körpertemperatur verhielt sich 5 Monate hindurch normal. 

Die mikroskopische Untersuchung des Blutes ergab auffallende Ver¬ 
minderung der Formbestandtheile in toto; keine nennenswerte Ver- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


1 


mehrung der weissen, Blässe der rothen Blutkörperchen und zahlreiche 
grosse, unregelmässig gestaltete Conglomerate ungefärbter, gekörnter 
Massen, mit welchen kleinere polymorphe aus jenen Körnchen gebildete 
Häufchen abwechseln. Schon nach wenigen Minuten tritt in der Blutprobe 
das Fibrinnetz auf, welches von jenen Körnchenhaufen seinen Ausgang nimmt. 

Trotz des Gebrauches von Eisen und kräftigster Diät wurde die 
Kranke immer elender; endlich im 4. Monat trat Besserung ein, indem 
die Patientin innerhalb 2 Monate allmälig um 15 Kilogramm (m der 
Woche regelmässig um l l /t—2 Kilog.) zunahm, Kraft und Farbe bekam 
and schliesslich vollkommen genesen entlassen werden konnte. Die Ge¬ 
wichtszunahme ging der Hebung der Kräfte und dem allmäligen Ver¬ 
schwinden der Blässe wenigstens einen Monat voran. 

Die Beschaffenheit des Blutes änderte sich während der Zeit der 
Genesung wesentlich; die Häufigkeit der farblosen Körnchenhaufen ver¬ 
minderte sich, allmälig nahm die Zahl der kleinen Protoplasmahäufchen 
ab und die Färbung der rothen Blutkörperchen zu. 

Die weissen Blutkörperchen waren von Anfang an nicht besonders 
vermehrt, so dass Leukämie, lienale, lymphatische, sowie myelogene aus¬ 
geschlossen werden konnte. Ebenso musste perniciöse Anämie trotz der 
stetigen Verschlimmerung des Zustandes als unwahrscheinlich angesehen 
werden, da Fieber, Petechien, Retinalblutungen, Herz- und Gefäss- 
geräusche fehlten. 

Die Körnchenhaufen fasst Leube als jene Gebilde auf, welche 
Georges Hayem Hämatoblasten nennt. Dieselben, ein normaler Bestand - 
theil des Blutes, stellen kleine blassrothe Körperchen dar, welche sofort 
nach dem Austritte aus den lebenden Gefässen ihren Hämoglobingehalt 
verlieren und durch ihr Stroma eine gewisse klebrige Substanz austreten 
lassen. Dadurch erhalten sie die Fähigkeit zu einer gemeinsamen Masse 
zu verschmelzen, von deren Peripherie feinste, mit dem Fibrinnetze in 
Zusammenhang tretende Verlängerungen ausgehen. 

Wenn nun die Hämatoblasten Hayem’s wirklich die Elemente 
darstellen, aus welchen sich die rothen Blutkörperchen bilden, so mussten 
in diesem Falle die Körnchenhaufen in der Weise gedeutet werden, dass 
in Folge der Constitutions-Verschlechterung und mangelhaften Ernährung 
die Hämatoblasten in ihrer Umwandlung in rothe Blutkörperchen gehemmt, 
in reichlicher Menge sich ansammelten, bis sie durch Zufuhr von Eisen 
und besseier Assimilation, der Nahrung die Fähigkeit zur genannten Meta¬ 
morphose wieder erlangten. Rokitansky. 

8. Ueber eine bisher nicht beschriebene Krankheit der Neu¬ 
geborenen. Von F. Winckel (Dresden). (Deutsch, med. Wochenschr. 
1879. 34 u. 35.) 

Winckel beschreibt eine neue endemische und bis jetzt noch 
dunkle Erkrankung, welche er bei säugenden Kindern in der Gebär¬ 
anstalt zu Dresden beobachtete. Nach dem Autor darf man unser Zeit¬ 
alter als das der Epidemien und Endemien betrachten, welche unter 
mannigfachen Krankheitsformen die Menschheit treffen, und die ärztlichen 
Untersuchungen sind dahin gerichtet, diese zu erkennen und ihre Genesis 
zu erforschen. Man könnte glauben, dass dieses Gebiet ziemlich erschöpft 
sei, jedoch beobachtete der Verf. im März v. J. bei Neugeborenen eine 
bisher noch nicht beschriebene endemische Krankheit, in welcher von 33 
Erkrankten 19 starben. Die Mütter der gestorbenen Säuglinge, von 
denen 18 ihre Kinder stillten, wurden am 12.—13. Tage nach der Ent- 


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Medicinisch-diirurgiache Rundschau« 


bindung entlassen, ohne dass sie an der Krankheit ihrer Kinder Theil 
genommen. Die Neugeborenen waren mit Ausnahme von Zweien (Zwil¬ 
linge) gut entwickelt. Die Symptome der Krankheit sind: Cyanotische 
Farbe des ganzen Körpers, gelbliche Bindehaut, Stumpfheit aller Sinne, 
brauner Urin, welcher nach langen Zeiträumen durch auf den Unterleib 
au8geübten Druck in geringen Mengen entleert wurde, Gallenpigmente wären 
in demselben nicht vorhanden. Die Krankheit verlief im apyretischen Zu¬ 
stand, Rectum Temper. 36*4 bis 37*2. Das aus einer kleinen Auf¬ 
schürfung mittelst gelindem Druck entleerte Blut war dicht, von Syrup- 
consistenz, von dunkel kastanienbrauner Farbe, 130—140 Pulsschläge in 
der Minute, Herztöne deutlich, Respiration unregelmässig beschleunigt, 144 
in der Minute, Convulsionen in allen Gliedern, Strabismus und schliess¬ 
lich Tod. 

Die Krankheit beginnt am 4.— 7. Tage des extrauterinen Lebens. 
Nur bei einem Kinde begann sie am 1. Tage nach der Geburt, dieses 
hatte mit Ausnahme einiger Tropfen Milch noch keine andere Flüssigkeit 
genommen. Die Dauer der Krankheit betrug im Mittel 36 Stunden. 

Die Autopsie ergab: Nabelring gesund und normal, Leber dunkel 
kastanienbraun gestreift, die Leberzellen in körniger Degeneration. Milz 
vergrössert und derb. Pankreas nicht verändert. Die Nieren hyperämisch, 
blutreich, zahlreiche Infarcte von Hämoglobulin in den Papillen. Der 
Magen erweicht, zeigte streifenförmige Ecchimosen, welche auch in den 
übrigen Theilen des Darmcanals vorhanden waren. Die Peyer’schen 
Plaques geschwellt, ebenso die Mesenterialdrüsen. Ecchimosen an der 
Pleura und am Pericardium. In den Herzmuskeln keine Spur von fettiger 
Degeneration, die Lungen im physiologischen Zustande, ohne metastatische 
Herde. Das Gehirn ödematiös, die Ventrikel erweitert und hyperämisch. 

Weder der Krankheitskeim, noch der Weg, durch welchen derselbe 
in den Organismus eingedrungen, sind zu erklären, wenn auch möglicher¬ 
weise der Magen als Ausgangspunkt dieser Affection betrachtet werden 
könnte. 

Win ekel schlägt für die Krankheit den Namen vor: Cyanosis 
afebrilis icterica perniciosa cum emoglobinuria. 

9. Paralysemessungen durch Gewicht. (Passive Kraftmessun 
gen.) Von Dr. Ascharumoff (Poltawa, Russland). Original - Mit¬ 
theilung. 

Bei einer Anzahl von paralytischen Kranken habe ich in der Pri¬ 
vatpraxis nach einer Methode gesucht, um den Stärkegrad der vorhandenen 
Paralyse annäherungsweise zu bestimmen, um dadurch über den Zustand 
der am meisten chronisch verlaufenden Krankheit genauer urtheilen zu 
können. Abgesehen von den üblichen Versuchen, die hauptsächlich darauf 
basirt sind, dass der Kranke verschiedene Bewegungen nach ärztlichen 
Vorschlägen mit paretisch gewordenen Muskeln erfüllen, oder nicht erfüllen 
könne, oder endlich einige Bewegungen langsam oder schnell, vollständig 
oder nicht vollständig vollftihrte und die nur einen sehr unbestimmten Be¬ 
griff über den wirklichen Stärkegrad der Krankheit geben, habe ich an¬ 
dere mehr Zutrauen verdienende Versuche gemacht, welche, wie mir scheint, 
anschaulich und einigermassen quantitative Vergleichungen der Verän¬ 
derungen, die in Functionen der pheripherischen Theile sich äussern, 
darstellen können; diese Versuche, mit nöthiger Vervollständigung und 
Ausdauer verfolgt, scheinen mir für klinische Beobachtungen nicht ganz 
ohne Werth, ich will sie daher zur w eiteren Beobachtung dem ärztlichen 
Publikum vorlegen: 


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Medicinifich-chirorgische Rundschau. 


9 


Wenn die Kraft einer gesunden Extremität durch ihr Vermögen, 
irgend eine Last aufzuheben, bemessen werden kann, so wird die Kraft 
einer paretischen auf ähnliche Weise, gleichsam als negative Kraft be¬ 
messen werden können, wenn wir verschiedene Gewichte in solcher Art 
aufhingen, dass sie nicht die Last der Extremität vermehren, sondern 
der 8chwere der eigenen Körperlast entgegenwirken. 

Um dieses zu bewerkstelligen habe ich mir einen einfachen Wäge- 
Apparat hergestellt, und obgleich derselbe vorerst noch zu solchen Ver¬ 
suchen nicht genügend empfindlich war, bestätigt gefunden, dass solche 
Beobachtungen wirklich möglich sind, und sogar ftir das Studium nicht 
ganz unbelohnend wären. Der Apparat besteht aus quer übereinander 
verlaufenden, zum leichteren Handhaben mit Schrauben versehenen, 
fingerdicken Metallstangen. An beiden etwas aufgebogenen Enden der 
am Boden horizontal gerichteten Stange sind zwei Blöcke befestigt, 
über welche eine starke Schnur aufgezogen ist. An dem einen Ende der 
letzteren ist eine breite Bandschlinge, an dem anderen ein Korb für Ge¬ 
wichte angebracht. Das untere Ende der anderen senkrecht zu der vorigen 
verlaufenden Metallstange ist mit einer Schraubklemme versehen, um es 
am Bette oder irgend einem Gegenstände in der Nähe desselben befesti¬ 
gen zu können. 

Mit einem solchen Apparate müssten erst an vielen Leichen Ver¬ 
suche angestellt werden, um mit Hilfe der Gewichte annähernd die mitt¬ 
lere Schwere der nicht vom Rumpfe abgetrennten Extremitäten bestimmen 
zu können. Stellen wir uns vor, wir haben ungefähr im Mittel für einen 
mittelgrossen erwachsenen Mann 10 Kilo nöthig gefunden, um z. B. die 
untere Extremität einen Bogen von ungefähr 30° horizontaler Höhe mit 
der Ferse beschreiben zu lassen. Jetzt kommen wir zu einem paralytischen 
Kranken. Zuerst wiegen wir das gesunde Glied, indem wir den Kranken 
bitten, keine Hilfe mit seinen Muskeln zu leisten. Bemerken wir z. B., 
dass das gesund gebliebene Bein ein Quantum A von Gewichten brauchte, 
um auf eine Höhe Q aufzusteigen, so stellen wir denselben Versuch 
mit dem kranken Beine an. Hierbei können verschiedene Fälle Vor¬ 
kommen: 1. der Kranke kann seine Extremität gar nicht bewegen, auch 
nicht durch Willensanstrengung, in einem solchen Falle muss gerade das 
ganze Gewicht A aufgestellt werden, um denselben Effect hervorzurufen; 
2. der Kranke kann die Extremität etwas bewegen. Wieviel nun dieses 
„etwas“ ist, kann durch Gewichte bestimmt werden. Ist er z. B. (wenn 
wir im helfen) mit Gewichten j im Stande, dasselbe Aufsteigen zu bewirken, 
so bemerken wir dass der Grad der Paralyse Vs der gesunden Leistungen 
beträgt. Wir hören gar nicht selten, dass eine Krankenpflegerin beim 
Aufrichten zum Sitzen eines Kranken sagt: „Oh, jetzt sind Sie viel leichter 
geworden, früher war es mir schwer Sie aufzuheben“, wieviel aber der 
Kranke sich jetzt selbst zu helfen vermag, das können wir durch Ge¬ 
wichte feststellen. In solchem Falle muss um den Rücken des Kranken 
eine breite Bandschlinge angelegt werden. 

Ich beschränke mich darauf, hier die Grundzüge der Methode mit- 
getheilt zu haben, im Glauben, dass solche Messungen, mit einem voll¬ 
ständigen Apparate in genügender Anzahl angestellt, unsere Kenntnisse 
Ober das dunkle Gebiet des Verlaufes der Paralysen nicht unbedeutend 
vermehren dürften. 


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Medicinisch-chiriirgische Rundschau. 


10. Eine Cyste im Kleinhirn. Von Dr. H. Jellinek. (Mitth. des 
Vereins d. Aerzte in Nied.-Oesterr. 1879. 21.) 

Eine 21jährige Magd fühlte seit 12 Wochen beim raschen Erheben 
oder bei einer andern starken Bewegung heftige Schmerzen im Hinter¬ 
haupt; dieselben Hessen in der Ruhe wieder nach. Später traten die 
Schmerzen auch ohne jede Ursache auf, und hielten oft über einige 
Stunden mit gleicher Heftigkeit an. Seit 4 Wochen klagte sie über dumpfen 
Druck in den Augen, undeutliches Sehen, mitunter Doppelsehen; Appetit 
geschwächt, Verstopfung, die Menstruation regelmässig. Keine Lähmungs¬ 
erscheinungen, Psyche normal, Pupillen weit, reagiren gut. Bei der 
genaueren Untersuchung zeigte sich, dass die Sehstörung auf das linke 
Auge beschränkt war. Bald stellte sich Erbrechen zur Zeit der heftigsten 
Kopfschmerzen ein, sowie Unsicherheit beim Gehen und Stehen, besonders 
mit geschlossenen Augen; Schwindel, mit dem Gefühle aus dem Bette 
zu fallen. — Schwellung der Papillen und Retinitis hämorrhagica links 
stärker. — Druck auf den Hinterkopf oder Nacken war sehr schmerz¬ 
haft, ebenso das Aufsitzen; im Bette pflegte sie auf der linken Seite zu 
Hegen. Nach einem Aufenthalte von 4 Wochen im Spitale starb die Kranke 
ziemlich rasch, nach einem relativ guten Tag. 

Bei der Section fand man in der Hnken Kleinhirnhemisphäre mehr 
gegen das hintere Ende derselben, eine kuglige, 3*5 Ctm. im Durchmesser 
haltende Cyste von klarer, gelblicher, wässriger Flüssigkeit erfüllt. Der 
vierte Ventrikel war von dem Cystenraurae durch eine J /a Ctm. dicke 
Schichte normalen Markgewebes getrennt. Obersteiner. 

11. Multiple Herdsklerose des Hirns und Rückenmarks. Von Dr. 
Ladislaus Poll&k. (Deutsch. Arch. f. kl. Med. 1879.) 

Verf. erzählt folgenden Fall: R. D., 3y a Jahre alt, stammt von 
gesunden Eltern. In den ersten 5 Monaten fiel der Mutter auf, dass das 
Kind die Arme immer am Körper herabhängen Hess und nie mit den 
Händen die Brüste suchte. Im 5. Monate fingen Arme und Hände zu 
zittern an. Geh- und Stehversuche mit IVa Jahren, lernte Gehen und 
Laufen mit vieler Mühe, wobei die Kopf- und Armbewegungen Zunahmen. 
Um diese Zeit erster und heftiger Schwindelanfall. 

Bei der Untersuchung fiel zunächst ein leichter, isochroner Nystagmus 
auf, der bei Schiefstellung des Kopfes einem Strabismus con- et divergens 
Platz machte, auch zum Zudrücken eines Auges führte, woraus der Verf. 
auf Dyplopie schliesst. Geistiger Defect bedeutend; niemals sind Buch¬ 
staben ausgesprochen, selbst keine Interjections- und Klagelaute. Dem 
Schütteln und Zittern des Kopfes und der Arme ist ein Mäckern und 
Blöken beigestellt, Thierlauten auffallend ähnlich. Wort- und Spraeh- 
verliältniss fehlt ebenfalls, ebenso die Geberdensprache. Dabei besitzt sie 
starke Willenskraft und instinetive Urteilsfähigkeit. Orientirungstalent 
ziemlich gut. Der Lage ihrer Glieder ist sie sich bewusst, wie aus der 
Erhebung aus der Rückenlage zu schHessen, die freilich mit viel Mühe 
vor sich geht. 

Gang ist nicht ataktisch; Pat. bleibt oft minutenlang auf einem 
Platz stehen, um darauf allerlei Spiral- und Cirkelbewegungen und Ro¬ 
tationen um die Körperaxe zu vollführen, wobei Kopfschtttteln, Zittern 
der Arme, Nystagmus und die erwähnten Thierlaute. 

Darm- und Blasenfunction normal. Durch das Beklopfen der 
Patellarsehnen und Rückwärtsbeugung des Fusses werden auch die Be¬ 
wegungen der oberen Extremitäten, sowie des Kopfes ausgelöst. Im 


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MedicifiiÄch-chimrgische Rundschau. 


II 


Schlafe vollständige Körperruhe, ln den unteren Extremitäten bei passiven 
Bewegungen vorübergehende Contracturen nachzuweisen. Schwindelanfälle 
ohne Bewusstseinsverlust mit soporösem Zustande und Temperatursteigerung 
(39-8) mehrmals beobachtet. Aus diesen Symptomen schliesst Verf. auf 
eine multiple Hirn- und Rttckenmarkssklerose, welche die ganze Cerebro¬ 
spinalaxe in grösseren und kleineren Herden durchsetzte und verlegt den 
Ursprung in die embryonale Periode. 

12. Ueber das zeitige Auftreten gefahrdrohender Krankheits- 
erscheinungen bei Kindern, besonders Säuglingen und über den 
Werth der Symptomatologie für die Prognose bei Kinderkrankheiten. 
Von Dr. Ernst Kormann in Coburg. (Jahrb. f. Kinderheilk. etc. N. F. 
und Schmidth’s Jahrb. 1879, 9. Heft, X1Y. p. 171—108. 1879.) 

Unter ausführlicher Benützung und Angabe der einschlägigen, meist 
casuistischen Literatur der letzten fünf Jahre sucht Verf. die Symptome 
zu würdigen, welche während des Verlaufes einer Krankheit uns zuerst 
auf deren gefahrdrohenden Charakter aufmerksam machen. 

Die häufigste aller dieser Erscheinungen ist das Erbrechen. Der 
Kinderarzt hat sich stets zu vergegenwärtigen, dass es mindestens zwei 
Formen des Erbrechens gibt, das sogenannte cephalische und gastrische. 
Den Uebergang zwischen beiden Formen bildet das reflectorisch erzeugte 
Erbrechen. Die Diagnose kann hiervon nicht zeitig genug Notiz nehmen, 
weil es eine Reihe von Krankheiten gibt, bei denen das Erbrechen aus 
gastrischen Ursachen erfolgt zu sein scheint, aber doch das erste Zeichen 
einer cephalischen Erkrankung ist. Wir werden daher gut thun, bei Ein¬ 
tritt des Erbrechens uns stets die Frage nach dem Vorhandensein einer 
Meningitis etc. vorzulegen. Auf der andern Seite aber muss man auch 
bedenken, dass Erbrechen eine zeitige Erscheinung schwerer gastrischer 
Zustände, z. B. der Darmverschlingung etc., sein kann, und dass Ileus bei 
Kindern verhältnissmässig seltener und sicher langsamer zu Stande kommt, 
als bei Erwachsenen. Bleibt die Ursache des Erbrechens dunkel, so muss 
man die Fälle in Betracht ziehen, in denen Gewöhnung oder Simulation 
schon bei Kindern dieses Symptom herbeiführten. 

Hieran reiht Verf. die Asphyxie, aber nicht als Endstadium so 
vieler Krankheiten der Respirations- oder Circulationsorgane, sondern als 
erste Erscheinung, wie sie nur bei der Asphyxia neonatorum nach der 
Geburt uns sofort in die Augen fällt. Diese Form der Asphyxie trübt 
die Prognose in viel erheblicherer Weise, als gemeinhin angenommen zu 
werden pflegt, weil während der zur Asphyxie führenden vorzeitigen 
<intrauterinen oder intravaginalen) Respiration nicht allein stets Stoffe von 
aussen in die fötalen Athmungswege gelangt sind, sondern weil auch 
durch die mit der Asphyxie verbundenen Circulationsstörungen im Innern 
der Schädelhöhle Zustände angebahnt werden können, über deren Zu¬ 
sammenhang mit der Asphyxie bisher noch fast alle Beobachtungen mangeln. 
Hierher gehört besonders das Zustandekommen von Epilepsie und Eklam¬ 
psie im spätem Leben. 

Unter dem Conclusivnamen der Respirationsstenose versteht Verf. 
die Zeichen von Verengerung des Larynx, der Trachea oder eines grösse¬ 
ren Bronchus. Die Respirationsstenose ist stets ein Ereigniss von schwerster 
Bedeutung, um so mehr, je tiefer der Sitz der Verengerung zu finden ist. 

Von der Dyspnoe hat man zu unterscheiden eine respiratorische, 
eine kardiale und eine nervöse Form. Besonders letztere verdient die 
volle Aufmerksamkeit des Kinderarztes. Es gehören zu ihr die Anfälle 


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12 


Medlciniach-cliinirgische Rundschau. 


von Dyspnoe bei Bronchialdrüsen-Verkäsung, bei Mediastinaltumoren und 
bei Indigestion. Sind es hier die intrathoracischen Vagus-Aeste, durch 
deren Druck die Dyspnoö erzeugt wird, so sind bei der Indigestion die 
Endfasern des Vagus in der Bauchhöhle in Mitleidenschaft versetzt. Dies 
geschah selbst durch Gegenwart einer Bettfeder im Rectum. 

Auch bei frühzeitigem Eintritt von Eklampsie und Convulsionen hat 
man sich der verschiedenen Formen derselben stets zu erinnern. Verf. 
unterscheidet die cephalische und reflectorische Form und die in Folge 
fehlerhafter Blutmisehung eintretenden Convulsionen. Bei Gehimtuberkeln 
kann der Convulsionsanfall das erste gefahrdrohende Symptom sein, ohne 
dass Vorboten (Kopfschmerz, Erbrechen) vorhergegangen sind. Welche Zu¬ 
stände bei der reflectorischen Form in den Kreis der Beachtung zu ziehen 
sind, lehrt ein Fall, in welchem ein zwischen 2 Schneidezähnen des noch 
nicht 1 Jahr alten Kindes eingeklemmtes, in Rachen und Oesophagus 
herabhängendes, 90 Ctm. langes Haar Fraisen bedingt hatte. Zu der 
dritten Form rechnet Verf. Convulsionen bei Krankheiten mit hochgradigem 
Fieber, wo sie so häufig die Steile des Schüttelfrostes der Erwachsenen 
einnehmen. Die Differentialdiagnose muss aber stets die Fälle berücksich¬ 
tigen, in welchen Convulsionen bei Hysterie, bei Simulation und bei Mastur¬ 
bation beobachtet worden sind. Die Prognose ist bei Convulsionen stets 
eine ernste, nicht allein wegen des ätiologischen Momentes, sondern auch 
wegen der Folgen des Convulsionsanfalles, welche sich noch ziemlich spät 
in Störungen des geistigen Verhaltens offenbaren können. 

Auch von Trismus und Tetanus ist eine cephalische, eine reflecto¬ 
rische und die septische Form zu unterscheiden. Letztere führt zu den 
bekannten hohen Körpertemperaturen, während die reflectorische Form 
bei normaler Temperatur verläuft und dann bessere Prognose gewäh¬ 
ren kann. 

Nicht selten sind bei Kindern Lähmungen das erste gefahrdrohende 
Symptom, besonders bei der spinalen Form, während der cerebralen oft 
schon andere ernste Erscheinungen vorangehen. Doch tritt auch die ce¬ 
rebrale Lähmung zuweilen zeitig in die Symptomenreihe, z. B. bei En¬ 
dokarditis (Embolie der Hirnarterien) oder bei Gehirntuberkeln und bei 
Sinusthrombose. Wie schwer hier oft die Differentialdiagnose zu stellen 
ist, beweisen die Lähmungen bei Ohrenkrankheiten, wovon Verf. einen 
von ihm beobachteten Fall mittheilt. 

Geistesstörungen sind im Kindesalter seltener, haben aber stets eine 
ernste Prognose, besonders in Bezug auf die Wiederherstellung des ganzen 
Umfangs der Geistesthätigkeit. 

Koma weist, wenn es zeitig in die Erscheinung tritt, meist auf 
Krankheiten des Gehirns und seiner Häute hin, da bei andern krank¬ 
haften Zuständen Koma eher Enderscheinung zu sein pflegt (z. B. das 
diabetische Koma). 

Ein sehr häufiges Zeichen von Gefahr ist bekanntlich der Collapsus, 
aber selten ist er bei Kindern ein zeitig gefahrdrohendes Symptom. Meist 
sind bereits andere Erscheinungen eingetreten, welche auf die Gefahr 
hindeuten. Um so grössere Bedeutung hat der zeitige Eintritt von Collap¬ 
sus bei Brechdurchfall, bei acuter Fettentartung der Neugebomen, bei 
Intussusceptionen und bei Vergiftung. 

Unregelmässiger Herzschlag ist bei Kindern seiten. Von weit grösserer 
Bedeutung ist die Cyanose für die Kinderkrankheiten. Abgesehen von den 
Fällen, in denen Cyanose bei Herzfehlern oder als Stellvertreterin des 
Schüttelfrostes bei Intermittens beobachtet wird, ist dieselbe Erscheinung 


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Medicinisch-chinirgische Rundschan. 


13 


neuerdings bedeutend in den Vordergrund gestellt worden, durch die Be¬ 
schreibung dreier Krankheitszustände, die sämmtlich mit Cyanose ver¬ 
bunden sind. Es sind dieas Laroyenne’s Krankheit, Parot’s Athrepsie 
und die Winke Fache Krankheit. Da bei sämmtlichen 3 Zuständen die 
allgemeine Cyanose Folge schwerer Circulationsstörungen, besonders ve¬ 
nöser Stauen, ist, so ergibt sich die Prognose bei ihnen als sehr schlecht. 

Sehr häufig ist bekanntlich die Anämie das erste Zeichen gefahr¬ 
drohender Zostände, wenn auch wirkliche pernieiöse Anämie während des 
Kiiftdesalters selten beobachtet worden ist. 

Sehr wichtig ist die Beobachtung der Hyperpyrexie, weil das kind¬ 
liche Nervensystem die erhöhte Körperwärme viel schlechter zu ertragen 
im Stande ist als das des Erwachsenen. Die Prognose bei mit Hyper¬ 
pyrexie einhergehenden Krankheiten wird durch rationelle Bekämpfung 
derselben wesentlich besser. Namentlich sind zu diesem Zwecke zu empfehlen 
das hydrotherap. Verfahren und das salicylsaure Natron. Dagegen be¬ 
dingt die im Ganzen selten beobachtende Hypopyrexie (Temperaturen 
unter der Norm) eine absolut letale Vorhersage, ausser wenn sie vorüber¬ 
gehend in der Krise der Hyperpyrexie auftritt. 

Dm letzte Symptom, auf das Verf. hinweist, ist die Abmagerung, 
die so häufig auf tief im Innern des Kindeskörpers verborgene, zur Zeit 
durchaus noch nicht gefährlich erscheinende Krankheitszustände hinweist. 
Hierher gehören vor allen Dingen die Lymphdrüsenverkäsungen und die 
bösartigen Neubildungen. Es soll daher der Beginn der Abmagerung uns 
nie gleichgiltig lassen, da es eine Reihe von Fällen gibt, wo wir im 
Stande sind, sie zu beseitigen. 

Schliesslich weist Verf. noch auf die neuerdings dargethane Mög¬ 
lichkeit hin, die Differentialdiagnose verschiedener Hirnkrankheiten durch 
die ophthalmoskopische Untersuchung zu begründen, was namentlich für 
die frühzeitige Erkennung tuberculöser Affectionen von Wichtigkeit ist. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 

13. Die Wirkung der Solerotinsäure auf Menschen. Von Dr. R. 
Robert. (Gynäkol. Centr.-Bl. HI. 10. 1879. Schmidts Jahrbücher 
1879. 9.) 

Nach den Untersuchungen Nikitin’s (vergl. Jahrbb. CLXXXI. 
p. 18) war es höchst wahrscheinlich gemacht worden, dass die Sclerotin- 
gänre in allen Fällen, in denen bisher das Mutterkorn angewandt worden 
ist, mit weit grösserem Erfolg Verwendung finden können würde. Die 
von K. mit der genannten Säure angestellten Versuche haben folgende 
Resultate gehabt. 

1. Bei starken Lungenblutungen ist das Mittel, in Dosen von 
20 Ctgrm. 5mal täglich, absolut wirkungslos. Bei einem Pat., der 2 
Monate lang täglich ganz geringe Mengen Blut aus warf, war der Erfolg 
ein höchst zweifelhafter und blieb hinter dem durch Secale erreichten 
jedesmal zurück. Subcutane Einspritzungen von 10 Ctgrm. der freien, 
sowie der neutralisirten Säure machten dem Pat. enorme Schmerzen und 


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MedidniscK-chinirgisdie RnndsdiavL 


bewirkten so starke r Röthung und Verhärtung der Haut j dass mehrere 
Tage lang Eis aufgelegt werden musste. 

2. In einem Falle von chron. multiplen Blutungen in die Haut und 
die Schleimhäute * Hess das Mittel in Dosen von 1 Grm. täglich absolut 
im Stich. 

3. In 2 Fällen von Erkrankung des Rückenmarks mit spastischen 
Erscheinungen an den unteren Extremitäten war trotz wochenlanger An¬ 
wendung des fraglichen Mittels keine Veränderung irgend weicher Sym¬ 
ptome wahrnehmbar. Höchstens nahm die Harnmenge einigermassen zn. 

4. Bei einem Kr. mit Basedowscher Krankheit trat gleich nach 
den ersten Pulvern (zu 20 Ctgrm.) eine solche Unruhe und Herzensangst 
auf, dass das Mittel sofort weggelassen werden musste. 

5. Bei 2 Tabetikern, sowie bei mehreren anderen Personen, denen 
das Mittel gereicht wurde, um etwaige Einwirkungen auf das subjective 
Befinden und das Centralnervensystem überhaupt zu studiren, trat selbst 
nach mehrwöchentlicher Anwendung keine Wirkung hervor. Zu einer fort¬ 
gesetzten subcutanen Anwendung war kein Pat. zu bewegen. 

6. Bei einer weiblichen Person, die in der 1. Woche 4mal 10, in 
der 2. Woche 6mal 10, in der 3. Woche 5mal 20 Ctgrm. Sclerotinsäure 
genommen hatte, trat am 1. Tage der 4. Woche Kribbeln in beiden 
grossen Zehen und am folgenden Tage auch in beiden kleinen Fingern 
auf, das sich schnell bis zum Gefühl völligen „Taubseins der betreffenden 
Glieder“ steigerte. Beim Aussetzen des Mittels schwanden die Symptome 
bald, kehrten aber beim Wiederansteigen zur früheren Dose zurück, 
während eine lpercentige Solution des Mittels, 4mal täglich 1 Theelöffel, 
ohne Schaden beliebig lange vertragen wurde. 

Da die Vermuthung nahe lag, dass das verwendete Präparat nicht 
gut genug wäre, wurde die Säure in Halle mit genauester Beobachtung 
aller Cautelen dargestellt; aber auch dieses ganz frische, hellbraune Prä¬ 
parat, welches an Thieren die vonNikitin beschriebene Wirkung sofort 
zeigte, blieb an Menschen ganz wirkungslos. Namentlich wurden Con- 
tractionen des Darmes, Leibschmerzen oder Durchfall auch nicht in einem 
einzigen Falle wahrgenoramen, eben so wenig irgend eine Einwirkung auf 
den Utefus beobachtet. 

14. Vergiftung durch Atropin, Heilung durch Morphium. Von 
Dr. Victor Leder (Lauban). (Allg. med. Ctrl.-Zeitg. 1879. 98.) 

Ein Mädchen, 1.7 Jahre alt, nahm Früh 9 Uhr 0*05 Grm. Atropin. 
Sie ftlhlte anfangs wenig Beschwerden, bald jedoch klagte sie über Durst 
und Schwere in den Gliedern. Der Umgebung fiel ihr scheues Wesen 
und die veränderte Gesichtsfarbe auf. Um 11 Uhr gestand sie, dass sie 
den ganzen Inhalt des ihr am Tage vorher wegen eines Augenleidens 
verschriebenen Fläschchens mit Solutio atropini sulph. 0*05 : 6*0 getrunken 
habe. Man gab ihr Milch und Wasser und brachte sie in’s Bett. Gegen 
1 Uhr begann sie zu deliriren. 

Nachmittags 5 Uhr, also 8 Stunden nach der Vergiftung, kam Verf. 
zu der 1 Meile entfernt wohnenden Kranken. Verf. fand sie in höchster 
Unruhe im Bette, in dem sie kaum gehalten werden konnte; sie kannte 
die Umgebung nicht, hörte auch nicht auf Zurufe, sie schien Schmerzen 
zu haben und durch Gesichtstäuschungen geängstigt zu werden. Die Haut 
war kühl, trocken, das Gesicht bleich, die Pupillen ad maximum erweitert, 
die Augäpfel aus den Höhlen hervorgetrieben. Die Athmung war sehr 
beschleunigt, der Puls fliegend (150 Schläge in der Minute), die Stimme 


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Medicinisch*chirurgische Rundschau. 


Xb 


zitternd und undeutlich. Das Schlucken fiel der Kranken sehr schwer und 
es gelang nur mit grosser Mühe, ihr Getränke beizubringen. Es wurde 
der Pat. ein Brechmittel (Pulv. rad. Ipecacuanh . l'O, Tart . stibiat. Cb OG) 
gegeben, wonach sie 10 Minuten später eine grosse Menge einer bräun¬ 
lichen Flüssigkeit erbrach. Darauf wurde Vs Spritze einer Morpbium- 
lösung 0*2 : 10*0 subcutan injicirt und diese Injectiou in Pausen von 
20 Minuten wiederholt. Nach der zweiten Injection wurden die .Delirien 
ruhiger; nach der vierten Injection, Abends 7 Uhr, nachdem Pat. 
0*028 Gnn. Morphium bekommen hatte, trat Schlaf ein. Pulsfrequenz 110, 
Athemfrequenz 17, das Gesicht ist geröthet, die Pupillen sind ad maximum 
erweitert. Gegen 10 Uhr erwachte Pat. ohne Delirien und bei ziemlich 
klarem Verstände. Sie klagte über Durst, gegen den sie Kaffee mit 
Alkohol (Rum) erhielt, worauf wieder Schlaf eintrat. Früh 8 Uhr, nachdem 
sie wiederholt Alkohol (zusammen. 120 Gnn.) erhalten hatte und nachdem 
nochmals Erbrechen erfolgt war, erwachte Pat ohne Delirien und voll¬ 
kommen klar. 30 Stunden nach dem Genüsse des Giftes war die Puls¬ 
frequenz 90; die Kranke fühlte sich, ausser Appetitmangel und Schwäche, 
vollkommen gesund. Von den Ereignissen am vorigen Nachmittage wusste 
sie nichts. Zeichen von Ischurie und Roseola wurden im vorliegenden 
Falle von Atropin Vergiftung nicht beobachtet. 

15. Ursache der Lungenphthise und deren Behandlung nach 
Dr. Salisburys Methode. Von E. G. Norton in Cleveland. (Virginia 
Medical Monthly, Volume VI. Nr. 7.) 

Verfasser bemüht sich nachzuweisen, dass die Lungenphthise durch¬ 
aus nicht erblich, vielmehr nur in unzweckmässigen diätetischen Verhält¬ 
nissen begründet ist. Wollte man von Erblichkeit sprechen, so müsste 
dies nur in dem Sinne geschehen, als Kinder phthisischer Elteni in den¬ 
selben diätetischen Verhältnissen oder Fehlern fortleben, wie die Eltern 
gelebt, und auch phthisisch werden. Man könne dieser phthisischen Anlage 
dadurch entgegen arbeiten, dass eine andere Diät gebraucht wird, ent¬ 
sprechend den individuellen Bedürfnissen, was ja in der Macht eines jeden 
Einzelnen liegt. Den klimatischen Verhältnissen will der Verfasser auch 
keinen grossen Werth beilegen, und glaubt, dass von den 75.000 Phthi¬ 
sikern, die nach den statistischen Ausweisen jährlich in den Vereinigten- 
Staaten an diesem leiden sterben, nicht so sehr das Klima die Schuld 
ist, wie die Art und Weise der Ernährung dieser Kranken. 

Die nächste Ursache der Phthise findet der Verfasser in einem fer¬ 
mentativen Vorgänge im Blute selbst begründet, durch vegetabilische 
Producte hervorgerufen. Diese wachsen und schwimmen im Blute, redu- 
ciren die Zahl der rothen Blutkörperchen, geben dem Blute eine 
mehr wässerige Beschaffenheit und berauben dasselbe seiner nährenden 
Fähigkeit. Durch den krankhaften Gährungsvorgang bilde sich schon vom 
Magen aus viel Kohlensäure, diese lähmt theilweise die Magenmusculatur, 
beeinflusst die Thätigkeit des Herzens, der Lungen, der Stimmbänder, 
verursacht Verlust der Stimme u. s. w. 

Verfasser gibt nun eine genaue Schildernng seines eigenen lang¬ 
jährigen phthisischen Leidens, das den höchsten Grad erreicht haben soll, 
fährt auch an, dass er an sich selbst alle Curmethoden, gegen dieses 
Leiden angerühmt, nutzlos gebraucht, die klimatischen Curorte erfolglos 
besucht, um schliesslich*dem Tode nahe, durch die diätetische Cur des 
Dr. Salisbury in Colorado gänzlich geheilt worden zu sein. 

Den Curgebrauch an sich selbst schildert Verfasser in folgender 
Weise: „Eine Stunde vor jeder Mahlzeit und vor dem Schlafengehen trank 


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Mediciniscä-chirurgische Rundschau. 


ich eine halbe Pinte (6 Uncen) heisses (nicht warmes) Wasser, um den 
Magen und die Därme auszusptlien. Dies allein ist das beste, Appetit be¬ 
fördernde Mittel. Alle gährende Speisen wurden streng verboten, nur der 
Genuss von Fleisch gestattet, und zwar geröstete, oder gebratene Fleisch¬ 
schnitte, auch gebratene Händel, gebratene oder rohe Austern mit Li¬ 
monensaft statt Essig, mit Salz und etwas Pfeffer. Ein Stflckchen Brod oder 
gekochter Reis, eine Tasse Thee oder Kaffee ohne Milch und Zucker ist 
erlaubt, zur Abwechslung auch etwas Wild. Geflügel und Lammfleisch 
sind zu vermeiden, wenn Neigung zur Diarrhoe vorhanden; in Fällen von 
excessiven Diarrhoen ist das heisse Wasser wegzulassen und durch ein 
Glas abgekochter Milch mit etwas Pfeffer zu ersetzen Vor dem Schlafen¬ 
gehen ein heisses Bad mit Zusatz von einem Esslöfel Ammoniak, den 
Körper im Bade tüchtig einreiben“. 

Der Verfasser begann seine Cur mit einem halben Pfund Fleisch 
per Tag, stieg bis auf 8 Pfund, welche Quantität er einige Wochen täg¬ 
lich verbrauchte. Nach zwei Monaten war Verfasser so weit wieder her- 
gestellt, dass er seinem Berufe nachgehen konnte und auch keinerlei 
Beschwerden fühlte. Dessen Muskel wurden voller, kräftiger und härter. 
Gegenwärtig verbraucht Verfasser 2—3 Pfund Fleisch täglich. Der Brust¬ 
umfang hat sich vergrössert, das Körpergewicht zugenommen. Er ist im 
Stande mit Leichtigkeit 400 Pfund zu heben; fühlt Bich mit einem Worte 
jetzt so wohl wie noch nie, selbst nicht vor seiner Krankheit. 

Verfasser führt noch andere 16 Fälle mit denselben günstigen Er¬ 
folgen an. 

Die Zubereitung dieser gebratenen Fleischschnitte gibt Verfasser in 
minutiösester Weise, rühmt dabei den Vortheil, dass die Patienten sich 
dieselben selbst zubereiten, hiedurch eine kleine Zerstreuung gemessen, 
und an ihr Leiden zeitweilig vergessen. 

Eine regelmässige tägliche leichte Körperbewegung unterstützt we¬ 
sentlich das Gelingen der Cur, namentlich aber periodische tiefe Athem- 
bewegungen bei aufrechter Stellung und mit etwas nach rückwärts gehaltenem 
Kopfe. Man beginne anfangs mit 10 tiefen Athemzügen einigemal des 
Tags wiederholt, steige allmälig mit der Zahl derselben, bis die Fähig¬ 
keit der tiefen Athmung ohne Ermüdung sich einstellt. Wer nur kleinere 
Quantitäten Fleisch zu nehmen im Stande ist, der müsse 5 Mahlzeiten 
halten, dürfe aber in solchem Falle nicht öfter als nur 3mal das er¬ 
wähnte heisse Wasser trinken. Verfasser gibt noch einzelne Verhaltungs- 
massregeln bei dem Gebrauche der Cur an; das Punctum saliens liegt aber 
auf der ausschliesslichen Fleischnahrung, mit ängstlicher Vermeidung aller 
Vegetabilien bis auf Limonensaft und aller anderen Nahrungsmittel, die 
Gährung im Magen und dessen nachtheilige Folgen auf den ganzen Or¬ 
ganismus ausüben könnten. 

Wollen wir auch nicht die Richtigkeit der erzielten Erfolge in 
Zweifel ziehen, so möchten wir nur gerechte Bedenken erheben gegen 
die Möglichkeit, dass ein Mensch auf drei Mahlzeiten 8 Pfund Fleisch 
gemessen könnte, möge dasselbe noch sorgfältiger zubereitet sein wie es 
Verfasser vorschreibt. Es widerspricht auch allen physiologischen An¬ 
schauungen über Ernährung, dass ein Mensch, sei er auch Phthisiker, bei 
einer so einseitigen ausschliesslich Fleischnahrung sich gesund erhalten, 
viel weniger an Kraft zunehraen könnte. Bekanntlich streben wir ja, 
wenigstens in unserem Klima, mit einer Banting-Cur, und als solche 
müssen wir die geschilderte S a 1 i s b u r y’scke Curmethode auffassen, ganz 
entgegengesetzte Zwecke an, es müsste denn nur sein, dass unter ver- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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8chiedenem Klima die Ernährungsverhältnisse sich anders gestalten, woran 
wir indessen zweifeln möchten. Dass unzweckmässige Nahrung, sowie 
jeder andere schädliche Einfluss, der Phthise in ihrer weiteren Entwicklung 
wesentlich Vorschub leisten kann, ist eine allbekannte Erfahrung; dass 
man aber dieselbe durch die angegebene Methode heilen könne, dazu 
reichen die angeführten Fälle nicht hin, schon darum nicht, weil nur 
die günstig abgelaufenen Fälle mitgetheilt wurden, was immer Bedenken 
gegen eine angepriesene Curmethode erregt. Sterk. 

16. Inhalationstherapie der Pertussis. Von Prof. J. L. Smith 
(New-York). (Amer. Journal of the Med. Sciences, Oct. 1879. S. 386.) 

Verfasser fand Gelegenheit während einer kleinen, allerdings leichten 
Keuchhustenepidenlie im Kinderspital verschiedene Mittel zu probiren. 
Mit Atropin, Chinin und Bromalkalien unzufrieden versuchte er (Dampf-) 
Inhalationen (Ac. carbol. O m 75, Kal. chloric. 3*0, Glycerinum 24*0, 
Aqua 72 0) die 3mal täglich 2 — 5 Minuten lang gegeben wurden. Im 
Ganzen kamen 12 Fälle zur Beobachtung. In jedem Falle trat eine 
verminderte Frequenz der Husten-Anfälle, sowie ein bedeutender Nachlass 
der Heftigkeit ein. W a r r e n, Bonn. 

17. Ueber Inhalationen von Bromkali bei Tussis convulsiva. 
Ton Dr. Theodor Körner in Trebnitz. (Berl. klinische Wochenschrift 
1879. 46.) 

K. lässt täglich 3mal, jedes Mal ungefähr 20 Gramm einer 2—5 °/ 0 
Lösung (meist 4—5°/ 0 ), einathmen. Der Erfolg soll überraschend sein. 
Schon nach den ersten Einatlimungen zeigte sich entschiedene Besserung, 
in 3 bis 5 Tagen Hessen die Stickanfälle nach und die Expectoration 
erfolgte leicht und unbehindert. Nach Verlauf von weiteren paar Tagen 
war der Keuchhusten meist gehoben. 

K. wundert sich, dass diese Therapie nicht dass Vertrauen geniesst, 
welches ihr zukommt, und vermuthet den Grund darin, dass das Verfahren 
nicht nach genauester Vorschrift gehandhabt werde. Rokitansky. 

18. Zur Localbehandlung der putriden Bronchial- und Lungen- 
affectionen. Von Cur sch mann. (Berl. klin. Wochensehr. 1879. 29 u. 30. 
St Petersb. med. Wochenschr. 1879. 47.) 

Bei Behandlung obiger Krankheiten strebte man von jeher einmal 
mit den verschiedensten Mitteln und Methoden gegen die Stagnation der 
Secrete an, dann suchte man direct auf chemischem Wege der faulenden 
Zersetzung zu steuern. Nach beiden Seiten hin ist man noch nicht zum 
gewünschten Ziele gelangt. Verf. wendet nun seit 1871 % die gleich zu 
beschreibende Methode an; „um den Anforderungen zu genügen, muss 
sie, ohne Schädigung oder wesentliche Unbequemlichkeiten für den Pat., 
bewirken, dass derselbe das in die Respirationswege zu bringende 
Desinfectionsmittel in thunlichster Stärke und ununterbrochen oder mög¬ 
lichst lange Zeit hindurch einathmen könnte“. 

Zur Application der Medicamente benutzt Verf. eine Maske, ähnlich 
der am Waldenburg’schen Apparat gebräuchlichen. Die Kuppel der¬ 
selben trägt einen runden, mit Drahtgeflecht überspannten Ausschnitt von 
6 Ctm. Durchmesser, dieser bildet den Boden einer der Maske auf- 
gelötbeten Kapsel, welche mit einem gleichfalls aus Drahtgeflecht gebildeten 
Deckel geschlossen wird. In die Kapsel kommt ein mit dem Medicament 
befeuchteter Schwamm. Die Maske wird vor dem Munde, oft auch vor der 
Xase befestigt, und Pat. athmet nun die mit dem Medicament und Thymol, 
imprägnirte Luft ein. Angewandt wurden Terpentinöl, Carbolsäure, Creosot, 

Med.-chir. Rundschau 1880. Digitized by Goo^e 



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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


erstere drei meist unverdünnt, letzteres in alkoholischer Lösung. Schlimme 
Folgen hat Verf. so gut wie gar nicht beobachtet, dagegen erzielt man, 
wie er meint, mit dieser Methode raschere, sicherere und nachhaltigerem 
Wirkungen als mit allen anderen bisher gebräuchlichen Methoden. 

Vor allen Dingen wird der Fötor in fast allen Fällen sicher gänzlich 
beseitigt oder zum Mindesten auf das erträgliche Maas reducirt. Die 
sichere und energische antiseptische Wirkung auf den Bronchialinhalt ist 
aber auch von einer directen curativen Wirkung. Das Fieber lässt nach 
und tiefgreifende Zerstörungen des Lungengewebes gehen zurück. Zur 
Illustration der eclatanten Wirkung dieser Methode führt Verf. die 
Krankheitsgeschichte zweier Fälle von putrider Bronchitis an. Im zweiten 
Fall schwanden die anfänglich unzweifelhaften Erscheinungen einer 
bronchiektatischen Caverne vollkommen (das Vorhandensein der Caverne 
war durch eine Probepunction festgestellt worden). Ausser der putriden 
Bronchitis und Bronchiektasien empfiehlt Verf. noch auf diese Weise in 
Angriff zu nehmen Abscess und Gangrän der Lungen, sowie Pneumor- 
rhagien der Phthisiker. 

19. Zwei Remedia haematostatica. Von Sanitätsrath Dr. Da- 


wosky zu Celle. (Deutsch, med. Wochenschr. 187 l J. 50.) 

Verf*. empfiehlt als blutstillende Mittel bei Lungenblutungen Schwind¬ 
süchtiger die Potio Choparti und das Tragen einer mit kaltem Wasser 
gefüllten glatten Flasche. Was die Potio Choparti anbelangt, so ist sie 
freilich ein sonderbares Mixtum compositum (ßalsami copaiv. Syr. balsam. 
Aq. menth. piper. Spir. vini rectificatiss. aa 30*0, Spir. nitri aeth. 
2-0) , das sich aber vielfach im Augenblicke der Angst und der Notli 
wirksam erwies, und s. Z. auch in der Wolffschen Klinik zu Berlin 
in Anwendung gebracht wurde. Die Chopart’sche Vorschrift lautet, 
Morgens 2 Esslöffel voll, Mittags 1 und Abends 1 Esslöffel voll nehmen 
zu lassen, und vor jedem Gebrauche die Flasche stark zu schütteln, die 
aber bei plötzlich eintretenden heftigen Lungenblutungen eine Abänderung 
in der Verabreichung erleiden muss. Verf. hat die Mischung, wie schon 
erwähnt, bewährt gefunden, und kann sie nur empfehlend in Erinnerung 
bringen. Bei Hämoptoikern würde man sie vorräthig zu halten haben, 
damit man sie gleich bei der Hand habe. Sie wird bei plötzlich eintre¬ 
tenden Blut8tttrzen zu einem guten Esslöffel voll gereicht und es wird 
noch ein zweiter, selbst ein dritter Esslöffel genommen, wenn die Blutung 
nicht steht. Zu einem Weitergebrauche in kleineren Dosen nach ein¬ 
getretener Wirkung hat Verf. die Mischung nie verwendet. Sie soll ja 
auch nur ein 1 Ultimum refugium bei den so plötzlich eintretenden Blut¬ 
stürzen sein, und schliesst ja auch die Anwendung des Eises nicht aus. 
Was das, zweite Mittel, das Tragen einer mit kaltem Wasser gefüllten 
flachen Flasche auf der kranken Seite der Brust anbelangt, so braucht 
es Verf. bei solchen Hämoptoikern, wo kleinere Blutabsonderungen, Sputa 
cruenta oder Sputa sincera, wie sie die älteren Aerzte nannten, statt- 
flnden. Es ist dies eine ähnliche Flasche, wie sie auch bei Herzleiden, 
Herzklopfen ihre Anwendung findet. Sie wird mit frisch aus dem Brunnen 
geschöpftem Wasser gefüllt, und wo es angeht, durch Hineinwerfen von 
kleinen Eisstücken auf längere Zeit kalt gehalten. Die Kranken gewöhnen 
sich an das Tragen der Flasche bald, und da ihre Wirkung eine sichtliche 
ist, so tragen sie sie gern. So oft das Wasser in der Flasche warm 
geworden, giessen es die Patienten aus und füllen die Flasche auf s Neue. 


^Da Brunnenwasser leicht zu haben ist, so ist das Kalthalten mit keinerlei 
Schwierigkeiten verbunden. 0. R. 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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20. Die käufliche Kuhmilch iu ihrer Wirkung als Kinder- 
nahruug. Yon 6. Drechsler. (Deutsch. Zeitschr. f. Thierh. u. vergl. 
PathoL 1879. B. F. Y.) Memorab. 1879, 11. 

Nachdem Yerf. darauf hingewiesen hat, wie verschieden die 
Zusammensetzung der Frauen-und der Kuhmilch ist (König), kommt er 
auf die Verfälschung der Handelsmilch, den Krebsschaden der künstlichen 
Ernährung, zu sprechen. Hierher gehört vor allen Dingen — des grossen 
Pensums von Rahm wegen — der Verkauf abgerahmter Milch und der 
Verkauf von längere Zeit gestandener, mehr oder weniger Milchsäure 
haltender Milch. Dabei sieht Verf. von der Schädlichkeit der Milch kranker 
Thiere (Tuberkulose, Maul-, Klauenseuche etc.) hier vollständig ab. 

Gegen die Cardinairegel, dass Säuglinge die Kuhmilch in möglichst 
frischem, naturgemässem und unverfälschtem Zustande erhalten sollen, 
wird fast allenthalben gesündigt, und zwar dadurch, dass die Tempe¬ 
ratur der dem Kinde verabreichten Milch nicht genau beobachtet wird 
und dass die Milch zu lange steht und dabei sich Milchsäure aus dem 
Milchzucker bildet. Aus den statistischen Erhebungen über die Kinder¬ 
sterblichkeit im ersten Lebensjahre (Dr. G. Mayr) geht hervor, dass im 
Verlaufe der letzt verflossenen 30 Kalenderjahre von 100 Lebendgeborenen 
in Schweden 2°/ 0 Kinder mehr, in Bayern dagegen 5 °/ 0 weniger als am 
Anfänge dieser Periode in das 2. Lebensjahr eintraten. Es hat also im 
Norden Europas (Norwegen, Schottland, Schweden, Dänemark) die Kinder¬ 
sterblichkeit im 1. Lebensjahre allmälig ab-, in Oesterreich, Sachsen, 
Baden, Bayern, Württemberg allmälig zugenommen. Als Todesursachen 
figurircn in München bei den Sterbefällen während der ersteu 5 Lebens¬ 
jahre, welche ungefähr die Hälfte aller Sterbefälle eines ganzen Kalender¬ 
jahres betragen, an erster Stelle Abzehrung (lö'ö—32-9°/ 0 ) und 
Darmaffection (incl. Brechdurchfall: 14‘7—34*6%), so dass die Todesfälle 
au Abzehrung, Brechdurchfall, Darmentzündung und Diarrhöe wiederum 
die Hälfte aller Todesfälle bis znm vollendeten 5. Lebensjahre ausmachen. 
Ganz besonders aber zeigt sich dieses Prädominiren im ersten Lebens¬ 
jahre , besonders in den ersten Lebensmonaten, und zwar mehren sich 
in diesem Lebensalter die Todesfälle durch Intestinalkrankheiten besonders 
in den Sommermonaten (fast ®/ 4 aller Sterbefälle Ijähr. Kinder) und 
besonders in den ersten 3 Lebensmonaten (61*9 0, 0 aller Sterbefälle Ijähr. 
Kinder). Ausserdem beweisen Verf s statistische Zusammenstellungen, dass 
die Percentzahl der durch Intestinalerkrankungen hervorgerufenen Todes¬ 
fälle dieses Lebensalters in steter Zunahme begriffen ist. 

Auf die Aetiologie übergehend, schliesst Verf. zuerst Erkältungen 
und schädlichen Einfluss des Trinkwassers in diesem Lebensabschnitte 
aus, sucht dagegen einzig in den Nahrungsverhältnissen die Ursachen 
der hohen Sauglingsmortalität nachzuweisen, besonders während der 
wannen Sommermonate, in welcher Zeit die durch Gährfutter producirte 
Milch fast stets Milchsäure enthält und noch obendrein fast stets ab¬ 
gerahmte und nicht unabgerahmte Milch zum Verkauf gebracht wird, 
nachdem zu besserer Haltbarkeit sogen. Milchpulver (kohlensaure Alka¬ 
lien) zugesetzt worden sind. Hier appellirt Verf. besonders an die Haus¬ 
frauen, welche sich nicht alles durch die Mägde als gut heimtragen 
lassen, sondern lieber selbst besorgen sollen, um zu sehen, was sie für 
ihr Geld erhalten. 

Verf. weist am Schlüsse seiner interessanten Darstellung nochmals 
darauf hin, dass die Ursachen der grossen Kindersterblichkeit (in Mün¬ 
chen) beruhen in der so überaus häufigen Entziehung der Mutterbrust, 

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Medichusch-chirurgische Rundschau. 


in der der Prauenm iloh chemisch nicht gleichwertigen Kuhmilch, der 
Fälschung und säuern Beschaffenheit der Handelsmilch (besonders in deu 
Sommermonaten) und in der Gährftftterung oder säuern Fütterung der 
Kühe. Die Entnahme von Rahm ist vom sanitären Standpunkte weit 
schlimmer als der Zusatz von [reinem I] Wasser. Deshalb ist die Errichtung 
von Milchcuranstalten mit zweckentsprechender Fütterung der Thiere 
unter sanitätspolizeilicher Controle im Interesse der Kinderernährung stets 
zu unterstützen. Für die Sanitätsbehörde ist der Erlass folgender Be¬ 
stimmungen aber unerlässlich: Die Qualität der zu verkaufenden Milch 
ist am Gefosse deutlich sichtbar zu verzeichnen (also Grünfuttermilch, 
Trockenfuttermilch, frische Milch, abgerahmte Milch, Rahm etc.). Der 
Verkauf von abgerahmter Milch als guter frischer Milch verfällt dem 
§. 263 des Reichsstrafgesetzbuches. Die Milchlocale sind streng zu con- 
troliren, besonders ist die Vornahme der Milchprobe im Ursprungstalle 
wtlnschen8werth. Die Einwirkung der Milch als Kindernahrung ist in 
allen Kinderkrankheits- und -Sterbefällen statistisch festzustellen (Bezugs¬ 
quelle der Milch etc.). Schliesslich empfiehlt Verf. hohe Strafen im nach¬ 
gewiesenen Schuldfalle, Veröffentlichungen aller Bestrafungen und Unter¬ 
stützung von Milchcuranstalten unter entsprechender Controle durch die 
Behörde. 


21. Der Antagonismus der Gifte. Von Dr. Fr. *A. Fa Ick. 
(Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge 159.) 


Ueber den Antagonismus der Gifte herrschen noch vielfach irrige 
Ansichten, namentlich ist dies der Fall bei einer Reihe giftiger Alkaloide. 
Atropin und Morphium werden beispielsweise ohne weiters als Antagonisten 
hingestellt und spricht man nicht nur von einseitigem, sondern sogar von 
doppelseitigem Antagonismus. Verf. zeigt in seiner werthvollen Abhand¬ 
lung, dass für kein Paar der bis jetzt untersuchten Gifte ein derartiger 
physiologischer doppelseitiger Antagonismus besteht. 

Einseitiger Antagonismus ist dagegen bei mehreren Paaren vor¬ 
handen. Am genauesten bekannt ist die Wirkung vom Gift und Gegen¬ 
gift durch die Untersuchung Schmiedeberg’s und Koppe’s über 
Muscarm und Atropin. 

Atropin wirkt als Gegengift im wahren Sinne des Wortes, lebens¬ 
rettend bei uicht zu starken Muscarin-Vergiftungen. Der physiologische 
Antagonismus ist nicht nur an einem Organe kenntlich, sondern an fast 
allen genauer untersuchten. Myosis, Speichelfluss, Erbrechen, Durchfall, 
Puls- und Respirationsveränderungen, welche durch Muscarin verursacht 
sind, werden durch Atropin beseitigt, oder gehindert, wenn das Atropin 
gleichzeitig applicirt wird. Muscarin und Atropin wirken auf dieselben 
Organtheile, ersteres erregend, letzteres die Erregung herabsetzend resp. 
lähmend. Atropin kann die Wirkung des Muscarin auflieben, das Um¬ 
gekehrte findet jedoch nicht statt. 

Ein gleich vollkommener einseitiger physiologischer Antagonismus 
besteht zwischen Pilocarpin und Atropin (Duboisin). 

Ueber dem Antagonismus zwischen Physostigmin und Atropin 
herrscht noch keine Einigkeit. Zum Theil liegt dies daran, dass die im 
Handel vorkommenden Präparate, wie Calabarin, Eserin, Physostigmin 
aus wechselnden Gemengen physiologisch differenter Alkaloide, Phy¬ 
sostigmin und Calabarin, — so nennen sie H a r n a c k und W i t k o w s k i 
— bestehen. Das reine Harnack’sche Physostigmin hat die allgemeinen 
bekannten Eigenschaften des Eserin. Nach deu Untersuchungen Harnack’s 


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Medicinisch-fchmirgiBche Rundschau. 


21 


besteht ein physiologischer Antagonismus zwischen Physostigmin und 
Atropin nicht. Hingegen besteht ein pharmacoiogischer Antagonismus 
zwischen Atropin und Physostigmin, so zwar, dass Physostigmin gewisse 
Wirkungen des Atropin paralysiren kann und so als Gegengift zu be¬ 
trachten ist, obgleich beide nicht auf denselben Organtheil 1 in physiologisch 
entgegengesetztem Sinne wirken. Physostigmin wirkt analog dem Campher 
als ein Excitans. Ein ähnlicher einseitiger pharmacoiogischer Antagonismus 
besteht zwischen Strychnin und Chloralhydrat. 

Trotzdem Strychnin auf ganz andere Organtheile und in ganz 
anderer Weise ein wirkt, als das Cliloral, so ist doch das Chloral das 
beste von allen gegen Strychninvergiftungen empfohlenen Mitteln. Die 
tetanischen durch Strychnin erzeugten Anfälle werden durch Chloral- 
mi8chung gemildert oder ganz aufgehoben, und der Organismus gewinnt 
Zeit, das Gift aus dem Körper zu eliminiren. Derselbe pharmacologische 
Antagonismus besteht zwischen Chloralhydrat und Atropin. 

Thierexperimente und eine Beobachtung am Krankenbette sprechen 
dafür, dass Atropin unter Umständen lebensrettend bei Chloralvergiftungen 
werden kann. Bei mit Chloralhydrat vergifteten Thieren musste die In- 
jection von Atropin öfter vorgenommen werden. Pharmacologische Gegen¬ 
gifte wirken eben langsamer, als physiologische. 

Zum Schlüsse wird noch mit wenigen Worten der Antagonisten 
Morphium (Opium) und Atropin (Belladonna) gedacht. Während nach den 
Erfahrungen von Johnson und Wood Atropin als pharmacologisches 
Gegengift gegen Morphium zu betrachten ist, herrscht über den Werth 
des Morphium bei Atropinvergiftungen noch keine Uebereinstimmung. 
Thierexperimentc werden hier zu entscheiden haben. 

22. Ueber die Anwendung des reinen Alanns in Substanz bei 
Sehleimliauterkranknngen. Von H. Magnus und E. Kränke 1. (Bres¬ 
lauer ärztliche Zeitschrift 1879. 7 und 8.) 

Magnus bespricht die Anwendung des reinen Alauns bei Erkran¬ 
kungen der Conjunctiva. Fränkel wendet bei chronischen Fällen von 
uteriner Leukorrhoe passend geformte Intrauterinstifte von reinem Alaun 
an. Es eignen sich für diese Behandlung: 1. Fälle von Cervicalblennor- 
rhoen, die nach einer vor längerer Zeit erfolgten Tripperinfection zurück¬ 
geblieben siud. 2. Bei scropliulösen oder chlorotisckeii Individuen wurde 
neben der allgemeinen gegen die Blutdyskrasie gerichteten Behandlung die 
örtliche durch den Alaunstift gegen die Hypersecretion der Cervicaldrüsen 
gerichtet. 3. Bei Subinvolutio uteri nach Abort oder richtigen Geburten, 
sowohl wenn nur die Cervix oder das Corpus uteri mangelhaft zurück¬ 
gebildet wird. 

Während Verf. früher bei diesen Fällen chronischer Endometritis nach 
Pressschwamm-Dilatation die Uterusinnenfläche mit Acid. nitric. fumans 
geätzt hat, benutzt er jetzt mit Erfolg die Alaunstifte. 4. Bei Stagnation 
des Seerets in der Cervix oder im Cavum uteri, bedingt durch Narben 
am äusseren oder inneren Muttermund, will F. nach Wiederherstellung 
des freien Abflusses des Seerets die Hypersecretion durch Alaunstifte be¬ 
seitigen. Er bedient sich hiezu passend geformter Stifte geschmolzenen 
Alauns, die, je nach ihrer Anwendung für Cervix oder Corpus uteri, 3 
bis 9 Cm. lang sind, sie werden unter Leitung eines oder zweier Finger 
mit einer Kornzange in die Uterushöhle eingeführt. Vorzüge des reinen 
Alauns sind seine Ungefährlichkeit, leichte Zerfliesslichkeit im Uterus, 
prompte Wirkung bei sehr leicht ausführbarer Application. Die 


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22 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Wiederholung der letzteren geschieht alle 3—4 Tage, in günstigen Fällen 
genügen 7, in hartnäckigen sind 12—15 Alaunstifte nöthig. 

23. Morphiumvergiftung eines 14 Tage alten Kindes mit gün¬ 
stigem Ansgange. Von Dr. A. Wertheimber in München. (Deutsche 
Archiv f. klin. Med. XXIV. 3.) 

Am Abend des 16. Februar v. J. verordnete der Verf. einem 14 Tage 
alten, wohl ausgebildeten Kinde, welches an der Brust einer Amme ge¬ 
nährt wurde, wegen einer leichten Darmaffection Calcaria carbonica praecip. 
in abgetheiiten Pulvern. Anderen Tages gegen 6 l / 3 Uhr Morgens wurde 
er schleunigst gerufen, das Kind sei am Sterben. 

Er fand folgenden Zustand: Das Kind lag regunglos auf dem Kissen, 
im tiefsten Coma; Kopf schlaff nach hinten herabhängend, auch die Mus¬ 
keln der Gliedmassen völlig erschlafft; Haut livid, insbesondere starker 
Livor an den Lippen und Nägeln; die gesammte Körperoberfläche sehr 
kühl*), an Stirn und Rumpf feucht; Respiration verlangsamt, flach nnd 
seicht, von Zeit zu Zeit einige langsam aufeinander folgende schnappende 
Athemzüge; Herzschlag schwach, aussetzend, Puls an der Art. radialis nicht 
fühlbar; die Bulbi nach oben gerollt, Hornhaut matt, glanzlos, Bindehaut 
von einigen injicirten Gefässen durchzogen. Convulsionen waren nicht vor¬ 
handen und auch nicht vorhergegangen; aber kurz vor des Verf. Ankunft 
war Erbrechen einer geringen Menge schleimiger Flüssigkeit, welche theil- 
weise wieder verschluckt wurde, eingetreten. 

Die erste flüchtige Betrachtung des Kindes Hess vermuthen, dass es 
sich um eine mit Steigerung des intracraniellen Druckes verbundene Läsion 
handeln möchte, und zwar zunächst um ein spontan oder auf traumatischem 
Wege entstandenes Extravasat im Gehirne. Eine Verletzung wurde ent¬ 
schieden in Abrede gestellt; auch sprach gegen die Annahme einer Hirn¬ 
blutung die Beschaffenheit der grossen Fontanelle, deren Spannung vielmehr 
vermindert als erhöht erschien und welche keine Spur von Pulsation er¬ 
kennen liess. 

Bei genauerer Untersuchung des Kindes fand sich nun eine Erschei¬ 
nung, welche den Verf. auf die richtige Diagnose führte: Die Pupillen 
nämlich zeigten sich aufs Aeusserste verengt, punktförmig. Es stellte sich 
heraus, dass durch eine Verwechslung desReceptes das Kind um 4 l l 2 Uhr 
ein Pulver mit 0*01 Morphium bekommen hatte. 1 */ a Stunden später war 
es in den oben geschilderten Zustand verfallen. 

Nach gesicherter Diagnose schritt Verf. unverzüglich zur Vornahme 
der künstlichen Athmung durch rhythmische Compression des Brustkorbes 
— ein Verfahren, das hier in leichter und ergiebiger Weise ausführbar 
war; gleichzeitig liess er die Zimmerwärme auf 17° R. erhöhen, den Körper 
des Kindes andauernd in heisse Tücher einhüllen und flösste ihm löffelweise 
schwarzen Kaffee ein. Alsbald wurde der Herzschlag deutlicher, die Athem¬ 
züge etwas tiefer und die Cyanose wich einer intensiven Blässe. Er liess 
nun durch eine geübte Person die künstliche Athmung zeitweilig fortsetzen, 
ebenso die Erwärmung des Körpers und gab die Weisung, das Kind in 
der Zwischenzeit in leicht schaukelnder Bewegung herumzutragen; innerlich 
wurde der schwarze Kaffee, abwechselnd mit Liquor aramon. anis. (in einer 
Mixtura gummosa) fortgegeben. Diese Verordnungen wurden pünktlich aus- 
geführt und schon Mittags hatte sich der Zustand des Kindes merklich 


*) Eine Temperaturmessung vorzunehmen ist versäumt worden. 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


23 


gebessert. Um 5 Uhr Abends — mithin nach einer mehr als 12stttndigen 
Panse — erfolgte znm ersten Male Wieder eine Harnentleerung; Stuhlgang 
wurde durch ein Klysma herbeigeführt; Versuche, das Kind nunmehr zum 
Saugen zu veranlassen, blieben noch erfolglos; erst um 7 Uhr Abends 
machte es einige schwache Züge an der Brust, einige Stunden später kam 
das Stillen wieder in besseren Gang und am anderen Morgen waren die 
Pupillen wieder normal und der verhängnissvolle Zustand war vollständig 
vorüber. — Das 14 Tage alte Kind hatte vom Morgen bis zum Abend 
beiläufig 150 Grm. schwarzen Kaffees und 1 Grm. Liquor ammon. anis. 
verbraucht, ohne dass hiedurch die geringste gastrische Störung oder irgend 
eine andere nachtheilige Wirkung hervorgerufen worden wäre. 

ln diesem Falle, in welchem der Verdacht auf Morphin* Vergiftung 
ganz and gar ferne lag und keinerlei äussere Umstände auf die Annahme 
einer solchen hinlenkten, war es allein dieMyosis, die zur richtigen Deu¬ 
tung der fast plötzlichen und schweren Erkrankung führte. Das genannte 
Symptom ist für die Erkenntniss derartiger Fälle im Kindesalter um so 
werthvoller, als es in gleich hohem Grade keiner anderen dem betreffenden 
Lebensalter eigenthümlichen Krankheitsform zukommt. 

Die comatö8e Form der Meningitis simpiex, welche schon im frühesten 
Kindesalter Vorkommen kann, ist stets von hohem Fieber begleitet. Bei 
der Hämorrhagia meningum, von welcher Neugeborene sowohl als auch 
Sander in den ersten 4 Lebenswochen befallen werden, sind die Erschei¬ 
nungen denjenigen bei Morphium-Vergiftung täuschend ähnlich: Sopor, kühle 
Hant, livide Färbung derselben, schlaff herabhängende Gliedmassen, unregel¬ 
mässige und verlangsamte Respiration, kleiner retardirter Puls und enge 
Pupillen. Das unterscheidende Merkmal liegt aber — ausser in dem gerin¬ 
geren Grade der Myosis — in dem verschiedenen Verhalten der grossen 
Fontanelle, welche bei der Hirnblutung gespannt, vorgewölbt und stark 
pulsirend, während sie bei Morphium-Vergiftung collabirt erscheint. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 

24. Beitrag zur Gasuistik der angeborenen Sacralgeschwülste. Von 
Dr. Aug. Schreiber. (Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie, von C. Hüter 
und A. Lücke. XI. Bd., 3. und 4. Heft.) 

Von der Hernia dorsalis und den Neoplasmata sacral. congenit. ab¬ 
sehend, will Verf. nur die Hydrorrhachis sacral. md die combinirten 
Cystengeschwülste dieser Region einer kuren Betrachtung unterziehen. 

Rücksichtlich der Häufigkeit des Vorkommens werden von den Einen 
(Lotzbeck) die Cystoide unter den Sacraltumoren vorangestellt, von 
Anderen die Hydrorrhachis cum spin. bifid. (Mauthner). Die Hydror- 
rhachisgeschwulst ist nuss- bis kopfgross, länglich, mit meist breiter 
Basis und fluctuirend; an der Oberfläche (in der Mitte) zuweilen eine 
Grube (Ansatzstelle des Rückenmarkes); dabei ist meist totales oder par¬ 
tielles Offenbleiben der hinteren Kreuzbeinpartie vorhanden, in anderen 
Fällen fehlt die abnorme Oeffnung und die Flüssigkeitsansammlung tritt 
durch den Hiatus canalis sacral. hervor. Beim Druck auf die Geschwülste 
erfolgen — doch nicht stets — Somnolenz und Convulsionen; beim 
Schreien und Pressen des Individ. schwillt der Tumor an. Das prognostisch 
wichtigste Moment stellt das Verhalten des Rückenmarkes zum Sacke dar 
(dasselbe tritt ganz in den Sack ein oder sendet nur einzelne oder gar 


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24 Mediciniach-chirurgische Rundschau. 

keine Nerven hinein). Verf. hebt weiters Lotzbeok’s Eintheilung der 
angeborenen Bacraltumoren in: Fett-, Knorpel-, Knochen-, Faser-, Cysten-, 
Gerätes- und Zellgeschwülste hervor. Da Verf. nur die Faser- und Cysten¬ 
geschwülste berücksichtigen will, so bespricht er nur die hierher ge¬ 
hörenden Fälle aus der Literatur, bezüglich welcher wir auf die Original- 
Arbeit verweisen. — Schon wegen der viel grösseren Häufigkeit des 
Vorkommens seien die Cystenbildungen zu berücksichtigen, welche 
er nach Lotzbeck unterscheidet, als: 1. reineCys tengeschwülste 
(Cystenhygrome); 2. gemischte Cysten (bei denen die Cysten in ein 
reichliches Substrat von Fett- oder Bindegewebe, oder hirnähnlicher Masse 
eingebettet sind; 3. zusammengesetzte Cy st eng esch wülste, 
wo das Fett- oder Bindegewebe auch noch Knochen und Knorpel enthält. 
Einfache Cysten in der Sacralgegend seien im Ganzen selten (wohl durch 
Abschnürung einer Meningocele entstanden). 

Die Cystenhygrome sind aus einzelnen Bälgen zusammengesetzt; 
ihre Sitzstelle in der Sacralgegend ist entweder das Kreuz- oder Steiss- 
bein, oder der Rand des grossen Hüftenbeinausschnittes. Der Tumor 
kann Kopf- ja selbst Kindsgrösse erreichen und übersteigen. Die äussere 
Cystenhttlle ist dabei stets eine fibröse Haut, welche von Einigen (Meckel, 
Heineken) als unmittelbare Fortsetzung der Dura mater angesehen 
wird. Der Inhalt der Cysten ist verschieden: hell-serös oder dunkel, san¬ 
guinolent, glaskörper-, meconiumartig oder breiig; die Innenwand glatt¬ 
serös oder schleimhautartig mit Epithel und Drüsen (schlauch-, talgdrüsen-, 
schweissdrtisenartige) ausgekleidet; seltener sind Zottenbildungen, Haare etc., 
oder freie Hydatiden im Cysteninhalt. 

Von den zusammengesetzten Cystenbildungen sei, bemerkt Verf., 
ein allmäliger Uebergang zur Intrafoetatio sacralis , wobei jedoch wohl 
an einer gewissen Grenze festzuhalten sei, d. h. nicht jeder Tumor, in 
welchem unförmliche Knochenstückcnen einige Aehnlichkeit mit kindlichen 
Knochen Vortäuschen, als Foetus in foetu anzusehen sei (Braune). 

Verf. wendet sich sodann zur Besprechung der combinirten 
Sacraltumoren Hierher seien vor Allem zu zählen die Cystenbildungen 
bei gleichzeitiger Hydrorrhachis; weiters die Cystengeschwülste im Zu¬ 
sammenhang mit den Rückenmarkshäuten; zuweilen sei beobachtet worden, 
dass sich Cystengeschwülste in den Sacralcanal hineindrängen und durch 
Druck auf das sonst gesunde Rückenmark eine Hydrorrhachis leicht Vor¬ 
täuschen können. — Auch Fälle von Spin, bifid. sacral. mit Foetus in 
foetu-Bildung seien beschrieben, gleichwie Fälle, wo unförmliche Knochen¬ 
stückchen, Muskelpartien auf Hydrorrliaehistumoren vorkamen. 

Als grosse Seltenheit zu erwähnen sei das Vorkommen von Hemia 
dorsal, mit Cystenbildungen oder Spina bifida. 

Verf. schliesst hieran die ausführliche Mittheilung der Kranken¬ 
geschichte eines Falles von Hydrorrhachis sacral. mit Cysten¬ 
bildung, Difformität des Beckenskeletes undeigenthümlichen 
Hautanhängen, die den Gedanken an Intrafoetatio sacralis er¬ 
wecken konnten. Wir heben hieraus (das Detail siehe im Original) als 
besonders bemerkenswerth nur Nachfolgendes hervor: Das Auffälligste 
war der schleimhautartige Tumor, der anamnestisch wohl dahin zu deuten 
ist, dass eine Cyste geplatzt und deren Innenwand hervorgetreten ist; 
ausserdem Defect der einen Seite der hinteren Kreuzbeinwand. Bei der¬ 
artigen Sacraltumoren sind Klumpfuss, Pes equinus oder generelle Atrophie 
der unteren Extremitäten ein völlig constauter Befund (so auch im obigen 
Falle einseitiger Klumpfuss). Die vorhandene Difformität am Darmbeine 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 25 

erklärt Verf. als durch den Druck der Geschwulst bedingte abnorme 
Bildung der nach aussen hin gedrängten Spina oss. il. poster. 

Verf. schliesst seinen Aufsatz mit kurzen Daten über Aetiologie, 
Diagnose, Prognose und Therapie der Sacraltumoren. In ätiologischer Be¬ 
ziehung werden verschiedene Momente von verschiedenen Autoren als 
Ursache der Entwickelung von Sacraltumoren angeführt. So soll nach 
Meckel das untere Wirbelsäulenende eine Tendenz zu einer dem Kopf¬ 
ende analogen Entwickelung geltend machen; Andere heben dyskrasische 
Momente oder mechanische Einflüsse während des Uterinlebens als Ursache 
hervor; Ammon deutet auf die Neigung der D. mater zu fungus-artiger 
Wucherung hin, während die französischen Autoren fast alle Sacraltumoren 
auf Hydrorrhachis zurückführen. Lotzbeck macht auf das für seröse 
Ausscheidungen besonders günstige gallertähnliche Unterhautzellgewebe 
aufmerksam; auch scheint, wie Verf. bemerkt, die Luschka’sche Steiss- 
dröse und der daselbst befindliche Schleimbeutel für manche Cystenbildungen 
die Entstehungsursache abzugeben. 

Die Differential-Diagnose der verschiedenen hierher gehörenden Fälle 
ist begreiflicherweise oft sehr schwierig. Die Hauptmomente für die Diagnose 
einer Hydrorrhachis wären: eine glatte, längliche oder runde Geschwulst, 
Durchsichtigkeit, Fluctuation derselben mit Spinalsymptomen; weiters Ver¬ 
kleinerung des Tumors bei Druck, Zunahme derselben beim Schreien etc., 
Convulsionen, Somnolenz etc. etc. Eine Grube auf dem Tumor würde für 
die Ansatzstelle des Rückenmarkendes sprechen. 

Der Inhalt der fluctuirenden Geschwulst ist natürlich auch von 
hoher Wichtigkeit, daher Probepunctionen mit der Pra vaz’schen Spritze 
nie zu unterlassen. Jedenfalls ist es nöthig, de/artige Geschwülste längere 
Zeit zu beobachten. Das Hauptaugenmerk, hebt Verf. hervor, werde stets 
auf einen Zusammenhang mit der Rückgrats- oder Bauchhöhle zu richten 
sein. Fehldiagnosen können hierbei sehr schädlich werden. 

Die Prognose der Hydrorrhachis und Spina bifida ist sehr ungünstig; 
wenig Kinder bringen es bis zu 1 Jahre; selten wurde ein höheres 
Lebensalter (20—30 Jahre) erreicht (Granville, Grohe, Textor). 
Viel günstiger ist die Prognose — auch in operativer Beziehung — für 
Cystome und Intrafoetatio sacralis. 

Die Therapie dieser Tumoren betreffend (Lotzbeck führt 8 Fälle 
an mit günstigem Resultat nach der Operation, 10 starben nach der 
Operation, 13 ohne dieselbe) bemerkt Verf., dass die Compression 
bei der Hydrorrhachis (Cooper) wohl wenig leiste, jedenfalls sich nur 
für sehr kleine, einfache Tumoren eigne. 

Oefter wiederholte Punction oder Acupunctur mit oder ohne fol¬ 
gendem Druckverband hat in einigen Fällen Erfolg gehabt. Die Punction 
mit nachfolgender Jodinjection eigne sich nur für jene Fälle, wo die 
Diagnose: „Cyst om u gesichert und eine Communication mit den Rücken¬ 
markshäuten sicher ausgeschlossen ist. Die Ligatur, in verschiedener Form, 
hat auch Erfolg gehabt; von Rizzoli wurde die Abschnürung mittelst 
eines der Dupuytreu’schen Darmscheere ähnlichen Instrumentes voll¬ 
führt. — Die den jetzigen Hilfsmitteln entsprechende Operations-Methode 
sei aber, meint Verf., die Exstirpation der Sacraltumoren, unter 
strenger Antisepsis; letztere sei aber mit grosser Vorsicht dabei anzu¬ 
wenden, die Carbolsäure eventuell durch Saiicylsäure zu ersetzen. Die 
Zahl der durch die Exstirpation der Tumoren erzielten Heilungen ist nach 
Verf. immerhin ziemlich zahlreich, wenn auch eine noch grössere Anzahl 
nach der Operation letal endete. Fr. Steiner, Marburg. 


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Medicinisch-chirnrgi8chBundflchati. 


25. Ueber einige chirurgische Anwendungen des (Hüheisens. Von 

A. C. Post. (The New-York med. record 1879, 29. März.) 

Verf. zählt die hauptsächlichsten Indicationen für die Anwendung 
des Glüheisens auf. — 1. Wird es gebraucht als Hämostaticum. Früher 
häufiger als jetzt. Wo die Anwendung einer Ligatur nicht angängig, ist 
noch heute das Ferrum candens alleiniges (?) Hilfsmittel. 2. Kommt es 
zur Verwendung gegen Gefässgeschwülste, um das Blut zu coaguliren und 
plastische Exsudation zu erregen, wodurch die Vascularisation des afßcirten 
Gewebes vermindert wird. 3. Gegen Tumoren, welche in tiefen und engen 
Höhlen ihren Sitz haben, bei deren Entfernung mit dem Messer die Ge¬ 
fahr uncontrolirbarer Blutungen vorliegt. 4. Kann ein z. B. in der Vagina 
liegendes Gewächs durch die Einführung des Glüheisens in dasselbe so an Um¬ 
fang vermindert werden, dass seine schliessliche Extraction durch die Vulva 
ermöglicht wird. 5. Ist es ein werthvolles Heilmittel bei heftigen und 
langwierigen Gelenkentzündungen. 6. Als wirksames Mittel, gelähmten 
Gliedern die Bewegung wiederzugeben, besonders wenn es sich um peri¬ 
phere Lähmungen (z. B. Druckparese des N. radialis) handelt (?). 7. Gegen 
heftige verschleppte, andauernde Neuralgien. 8. Hat Verf. das Ferrum 
candens mit sein* gutem Erfolge gegen Cystitis angewendet und zwar als 
Moxen über den Schambeinen. (Zwei Fälle werden genauer mitgetheilt.) 
9. Gegen variköse Venen, und zwar mittelst Cauterisation durch viele 
Nadeln, welche an vielen verschiedenen Punkten längs des Verlaufes der 
varikösen Venen angewendet wurden. 

26. Microorganisinen unter Lister’schen Verbänden. Von W. 
Cheyne. (Vortrag in der pathological Society of London. — The Lan- 
cet 1879. 17. Mai. Centralblatt für Chirurgie. 1879. 51. Ref. von 
L e s 8 e r.) 

Verf., der Lister’s Assistent ist, hat seit 1876 die Frage nach 
dem Vorkommen von Microorganismen unter antiseptischen Verbänden 
einer experimentellen Prüfung unterworfen, indem er verschiedene Nähr¬ 
flüssigkeiten unter antiseptischen Cautelen in ausgeglühte Gefässe brachte 
und ebenfalls unter antiseptischen Vorsicbtsmassregeln mit geringer Menge 
des Secretes aseptische Wunden inoculirte. — Zunächst kam Verf. zu der 
bedeutungsvollen Anschauung, dass Micrococcen und Bacterien, also die 
kugelförmigen und die stäbchenförmigen Microorganismen, zwei ganz ver¬ 
schiedene Arten von Wesen seien, die niemals sich aus einander ent¬ 
wickeln oder in einander übergehen können. Wir müssen abwarten, ob 
es Verf. gelingt, in dieser vielfach discutirten Frage für seine Anschauung 
unwiderlegliche Beweise beizubringen. — Weiterhin behauptet C., dass 
bei streng und richtig durchgeführter Antisepsis entweder Organismen 
ganz in den Wunden fehlen, oder wenn solche vorhanden sind, dann haben 
wir es nur mit Micrococcen zu thun. In nicht aseptischen Wunden da¬ 
gegen entwickeln sich Bacterien. Letztere können auch unter antiseptischen 
Verbänden Vorkommen, wenn man ihnen durch mangelhafte Sorgfalt den 
Zutritt gewährt. Aber während die Micrococcen bei der Wundheilung 
ihre Anwesenheit fast gar nicht verrathen, ist die Anwesenheit der Bao- 
terien charakterisirt durch den Gestank des Secretes, durch locale Rei¬ 
zungserscheinungen in der Wunde und durch die Störungen des Allgemein¬ 
befindens. — Micrococcen unterscheiden sich von Bacterien durch ihre 
Entwicklung, ihr Verhalten in Nährflüssigkeiten (s. Original) und bei 
Anwesenheit von Carbolsäure (s. u.), in ihrer Wirkung auf den Gesammt- 
organismus und dass sie, wie schon erwähnt, niemals in einander über- 


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Medicijiisfk-chirurgische Rundschau. 


27 


gehen. — Die Anwesenheit von Microorganismen im lebenden Körper 
leugnet C. auf Grund seiner Experimente (s. Original) und gibt sie nur 
zu für die Fälle, wo acute Entzündungen vorliegen, oder der Organismus 
hochgradig geschwächt ist. Aber die Microorganismen sind nach Yerf. 
nicht selbst die Grundursache der entzündlichen und fieberhaften Processe, 
wenn sie auch durch ihre Anwesenheit auf deren Verlauf einen Einfluss 
ausüben. — Wie Microorganismen in selbst aseptische Wunden gelangen, 
erklärt C. in der uns geläufigen Weise, dass eben das Secret, welches an 
den Rändern eines antiseptischen Verbandes mit der Luft inContact tritt, 
nicht reichlich genug mit den antiseptischen Mitteln vermischt ist, um die 
Ansiedelung von Organismen in der Flüssigkeit zu hindern. Besonders 
werden die Micrococcen leicht zur Entwicklung gelangen und durch An¬ 
passung an das carbolhältige Secret geschieht es, dass sie bald auch in 
den der Wunde näheren und an Carbolsäure reicheren Secretschichten 
kräftig sich zu vermehren vermögen. Gegenüber diesem Wege ist der 
Zutritt von Microorganismen zu Wunden vom Blute aus die Ausnahme. 
— Bacterien können iu carbolsäurehaltigen Secreten nicht fortleben. Wo 
sich Bacterien unter antiseptischen Verbänden finden, da muss, wie gesagt, 
eine mangelhafte Technik in dem Anlegen der Verbände die Schuld 
tragen. Vom Blute aus dürften Bacterien nur bei ganz schweren Allge- 
meinerkrankungen des Organismus zu Wunden gelangen können. 

27. Studien über das sogenannte Chlorom. Von K. Huber. 
(Archiv der Heilkunde Bd. XIX. Ctral. f. Chir. 1879. 44.) 

H. beschreibt einen Fall von sogenanntem Chlorom resp. Chloro- 
sarkom bei einem 21jährigen Mädchen (Klinik YonThiersch) und erörtert 
auf Grund seiner Beobachtung und der in der Literatur vorliegenden Fälle 
die Natur dieser seltenen Neubildungen. Die etwa 5—8 Cm. dicke, auf 
dem Durchschnitt grünlich gefärbte Geschwulst betraf die rechte Mamma, 
die Patientin starb zwei Monate nach der Mamraaexstirpation in Folge 
von Metastasen. Die Section ergab multiple Neubildungen von eigenthttm- 
lieh gelbgrüner Farbe in der linken Augenhöhle, in dem Stirn- und 
Hinterhauptsbein, sowie in der linken Mamma. Markige Schwellung und 
grünliche Verfärbung der Lymphdrüsen an den Lungenwurzeln, besonders 
rechts; fettige Degeneration des Herzfleisches, Oedem beider Lungen, 
schlaffe Pneumonie in beiden unteren Lappen; Fettnieren. 

Alle Geschwülste zeigten makroskopisch wie gesagt eine eigen- 
tbümliche grünliche Färbung, histologisch handelte es sich um ein gross¬ 
zeiliges reticulirtes Sarkom. Der Farbstoff war in allerfeinster molecularer 
Form abgelagert und an die Zellen gebunden. H. lässt es unentschieden, 
ob wir diese eigenthtimlichen, die Farbe bedingenden Molecüle als wirk¬ 
liche Fette oder nur als Fettsäuren, vielleicht gebunden an irgend eine 
andere organische oder anorganische Verbindung, anzusehen haben. Der 
Farbstoff hat nach H. nichts mit dem Blut- oder Gallenfarbstofl* gemein. 

Die sonst in der Literatur vorliegenden 6 Chloromfälle sind dem 
hier beschriebenen in allen wesentlichen Punkten durchaus ähnlich. Dem 
Sitze nach kommt die Neubildung ganz besonders im Knochen resp. im 
Periost vor, vorzugsweise an den Gesichts- und Schädelknochen (Augen¬ 
höhle, Schläfen- und Felsenbein etc.). Bis jetzt waren es in den bekannt 
gewordenen Fällen ausschliesslich jugendliche Individuen im Alter von 
4—24 Jahren, welche von der Krankheit befallen wurden (4 weibliche, 
3 männliche). Der Verlauf war ein verhältnissmässig rapider, 3—6 Mo¬ 
nate. Es handelte sich in sämmtlichen Fällen um Sarkome mit Allgemein- 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


infection, besonders auch in dem Falle von H., wo sich im Blute dieselben 
zeitigen Elemente der Neubildung vorfanden. — Ob die eigentümlich 
grüne Farbe wirklich nur, wie bisher, in Sarkomen und nicht auch in 
epithelialen Neubildungen vorkommt, lässt H. unentschieden. 

28. Ein seltener Fall von Lipoma fibrosum am Kopfe. Von Doc. 

Dr. Carl Fieber. (Deutsche Zeitechr. f. Chir. 1879. XII. Bd.) 

Das von den bedeutendsten pathologischen Anatomen Deutschlands 
hervorgehobene seltene Vorkommen der Fettzellengeschwülste am Kopfe 
ist Anlass, dass Verf. von ihm beobachteten derartigen Fall in Kürze 
mittheilt. 

Moritz D., 58 Jahre alt, verheiratet. Handelsmann, stellte sich am 19. Juni 
1. J. in der poliklinischen chirurgischen Ordination vor. 

Der Patient, ein magerer, jedoch ziemlich kräftiger Mann von gesundem 
Aussehen und ohne nachweisliche anderweitige Krankheitserscheinnngen, trng in 
der Gegend des unteren vorderen Winkels vom linken Scheitelbeine eine Ge¬ 
schwulst, welche, seiner Angabe nach, ohne bekannte Veranlassung entstanden, 
vor acht Jahren zuerst bemerkbar wurde, seither schmerzlos allroälig zum ge¬ 
genwärtigen Umfange herangewachsen ist und an dem glatten haarlosen Schädel 
des Patienten recht auffällig hervortrat, so dass er der Difformitfit wegen ihre 
Beseitigung wünschte. 

Die Geschwulst hat etwa das Volumen einer kleinen halben Orange, ist 
flach-halbkuglig, auf ihrer Unterlage etwas verschiebbar, von normaler, in Falten 
abhebbarer Haut bedeckt, auf Druck ganz unschmerzhaft. Sie ist von derb-elasti- 
8< her Consistenz und lässt keinerlei lappiges Gefüge beim Anfühleu, sondern eine 
durchaus glatte homogene Oberfläche erkennen. 

Unter Berücksichtigung der angeführten Momente sowie der langsamen Ent¬ 
wicklung lag wohl die Annahme einer Bindegewebsgeschwulst am nächsten, da 
ein Atherom, sowie irgend eine anderweitige Cystenbildung durch d^n Mangel 
einer deutlichen Fluctuation ausgeschlossen erschien. 

Die Neubildung wurde sofort exstirpirt, Hautschnitt von 6 Cm„ leichte Ab¬ 
lösung der Haut von der Geschwulst, schwierigere der Geschwulst von ihrer Un¬ 
terlage, an die sie ziemlich fest bindegewebig angeheftet war. Ausspülen der 
Wunde mit dreiprocent. Carbolwasser, keine Naht, da die Ränder sich genau an¬ 
einander legten, ohne dass eine Höhle zurückblieb und Anlegen eines festen 
Druckverbandes mittelst Salicyljute und Bindeustreifen. Es trat weder Entzündung 
noch Fieber ein und am 22. Juni, also nach drei Tagen, war die ganze Wunde 
prima intentione verheilt. 

Die Geschwulst hatte nach ihrer Entfernung nun statt der früheren 
anscheinend mehr halbkugeligen, eine fast ganz flache kuchenartige Form; 
sie war fast kreisrund, je 10 Cm. lang und breit und etwas über 1 Cm. 
dick, vollkommen eben, ohne irgend nachweisliche Lappung, von blass- 
röthlicher, fast weisser Farbe. Ihre Schnittfläche erschien aber deutlich 
gelb gefärbt, wodurch der Fettgehalt des Tumors und seine liporaatöse 
Natur sehr wahrscheinlich wurden. Die mikroskopische Untersuchung stellte 
die Diagnose vollends fest. 

Dieselbe wies nach, dass das Gebilde seiner Hautmasse nach in der 
That aus Fettgewebszellen bestand, welche jedoch nach allen Richtungen 
von relativ sehr mächtigen bindegewebigen Sepimenten durchsetzt wurden, 
die der beiläufigen Schätzung nach immerhin ein Viertel der ganzen Ge¬ 
schwulstmasse ausmachen mochten. Die Capillargefässe waren in reich¬ 
licher Menge vorhanden. 

Die einzelnen Fettzellen sind (Tafel im Original) von sehr verschiedener 
Grösse; sie schienen durchschnittlich etwas kleiner zu sein, als man sie 
bei Lipomen an fettreichen Körperstellen zu beobachten pflegt. Ihre 
Durchmesser schwanken zwischen 45 und 120 \j. nach der Angabe von 
Toi dt. Da nun ferner die Grösse der Fettgewebszellen von ihrer mehr 
oder minder prallen Füllung mit Fett abhängt und diese letztere über- 


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Meditinisch-chiriirgische Rundschau. 


29 


haupt bei mageren Menschen eine geringere ist, als bei fetten, so läge 
in der merklichen Kleinheit der Fettgewebszellen unserer Geschwulst um 
so weniger etwas Befremdendes, als hier zwei auf die Zellenflillung mit 
Fett hemmend einwirkende Momente Zusammentreffen, nämlich die Mager¬ 
keit des Patienten und der, schon von V i r c h o w hervorgehobene Druck, 
welchen die gespannte Kopfhaut auf die Geschwulst ausübte, wodurch 
gewiss indirect, ausser dem Wachsthum der Geschwulst als Ganzes, auch 
die Anfüllung resp. das Wachsthum der einzelnen Zellindividuen behin¬ 
dert wurde. 

Die Sepimente vertheilten sich so allseitig in derselben, dass auch 
an der exstirpirten Geschwulst keinerlei auf Läppchenbildung deutende 
sichtbare Unebenheiten der Oberfläche sich zeigten, oder besser gesagt, 
die einzelnen Läppchen eben nur ganz minimale waren. Im Inneren der 
Geschwulst fanden sich wohl auch zahlreiche breitere, ganz fettzellenlose 
Bindegewebsfaserzllge, doch war es nicht deren Grösse an und für sich, 
weiche der Geschwulst ihre eigenthümliche, an Fibrom erinnernde Derb¬ 
heit verlieh, sondern nur ihr häufiges Vorkommen in einer relativ nur 
ganz kleinen Fettgeschwulst. 

Die Fettzellen bildeten in diesem Falle nur ganz kleine Träubchen, 
die alsbald wieder durch stärkere Bindegewebssepta getrennt wurden, und 
zuweilen fanden sich auch ganz kleine Gruppen, oft von nur 4—8 oder 
12 —20 Fettzellen zwischen viel mächtigeren Bindegewebslagen einge¬ 
schlossen, an manchen Stellen sogar anscheinend ganz vereinzelte, von 
Bindegewebe umgebene Fettzellen. 

Diese bindegewebsreiche derbe Lipomform haben ältere Forscher, 
wegen der auf dem Durchschnitte hervor tretenden äusserlichen Aehnlich- 
keit mit dem Gefüge von Speck, Steatom genannt. Joh. Müller schlug 
weiter vor, sie als Lipoma mixtum zu bezeichnen, und Cruveilhicr 
nannte sie Tumeur adipo-fibreuse. Durch Virchow wurde die der histo¬ 
logischen Constitution dieser Geschwülste entsprechendste Bezeichnung, 
nämlich jene als Lipoma fibrosum (L. durum, Fibrolipoma) eingeführt. 

Rindfleisch hebt speciell die Möglichkeit hervor, dass ein Fibrolipom 
auch aus der gewöhnlichen Lipomform auf dem Wege chronisch entzünd¬ 
licher Hyperplasie des Bindegewebes hervorgehen könne. 

Verf. vermag nicht anzugeben, wie häufig etwa eine chronisch ent¬ 
zündliche Hyperplasie die Veranlassung für das Zustandekommen eines 
Fibrolipoms abzugeben im Stande ist. Dass sie aber in diesem Falle 
nicht stattgefunden hat, ergibt sich mit Sicherheit aus dem gänzlichen 
Fehlen aller auf Entzündung des Gewebes und stattgehabten Zerfall von 
Fettzellen möglicherweise zu beziehenden Erscheinungen bei der mikro¬ 
skopischen Untersuchung der Gewebsdurchschnitte. 


29. Anregung zu einem neuen Heilverfahren in der geborts- 
hülflichen und gynäkologischen Praxis mittelst permanenter Irrigation. 
Von Dr. Holzer, Badearzt in Franzensbad. (Wien 1879. Verlag von 
L. Bergmann & Comp. [Als Manuscript gedruckt.]) 


Verf. hält die Anwendung des Irrigateurs zur Uterusdouche bei 
Krankheiten der weiblichen Sexualorgane für unzureichend und unzweck¬ 
mässig wegen der kurzen Dauer der Manipulation, ferner deshalb, weil 
die aneinanderliegenden Wandungen der Vagina eine Bespülung derselben 
wie der gesammten Vaginalportion in ihrem ganzen Umfange unmöglich 
machen , zumeist aber deshalb , weil die Theile nach dem kurzgetibten 
Verfahren mittelst Douche sofort wieder dem Weiterschreiten des Krank- 


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30 


Medicimsch*chirargische Rundschau. 


heitsprocesses unterworfen sind. Deshalb schlägt Verf. ein neues Ver¬ 
fahren vor nach dem Principe des Hebra’schen continuirlichen Wasser¬ 
bettes, ein Verfahren, welches er permanente Irrigation oder 
continuirliche8 Douchebad des Uterus nennt. Der Apparat, 
den Verf. zu diesem Zwecke in Anwendung bringt, ist ein Specutum aus 
Hartkautschuk in der Form des May er sehen und am Eingänge etwa 
IV 2 Ctm. vom äusseren Rande nach einwärts mittelst einer Verschlussscheibe 
geschlossen. In der Mitte dieser Scheibe befindet sich eine runde Oeffnung, 
von welcher aus ein zur Irrigation bestimmtes Röhrchen nach einwärts führt. 
Dieses Röhrchen reicht nicht bis zum inneren Rand des Speculums, sondern 
endet schon 2 Ctm. vor demselben, so dass, wenn der innere Rand des Spe¬ 
culums die Vaginalportion umfasst, das Irrigationsröhrchen knapp vor das 
Orificium uteri zu stehen kommt. Seitlich von der mittleren Oeffnung der 
Scheibe ist abermals eine kleine Oeffnung angebracht, aus welcher ein 
ungefähr 3 Ctm. langes Röhrchen nach aussen geht, dazu bestimmt, die 
Flüssigkeit nach auswärts und durch einen über dieses Röhrchen befestigten 
Gummischlauch in irgend ein Gefäss abzuftthren. Es bedarf nun nur 
irgend eines erhöht angebrachten Reservoirs, welches mit der zuzufilhrenden 
Flüssigkeit gefüllt wird, und eines von diesem Reservoir zur mittleren 
Oeffnung des Speculums führenden, in dieselbe mittelst einer Cantile genau 
hineinpassenden Gummischlauches und man hat eine permanente Zufuhr des 
Wassers zum Uterus hergerichtet, welches dann in dem Masse, als der 
Raum zwischen der Vaginalportion und dem Boden des Speculums tiber¬ 
füllt ist, durch das ausführende Röhrchen wieder abfliessen wird. Es wird 
demnach der Uterus nicht nur von dem zuströmenden Wasser bespült, 
sondern auch noch durch das mit Wasser voll gefüllte Speculum in einem 
permanenten Wasserbade erhalten werden, weshalb Verf. dieses Verfahren 
als permanente Badedouche nennen möchte. — Ein anderes Speculum, 
welches Verf. an der cylindrischen Wand mit vier länglichen Ausschnitten 
oder Fenstern anfertigen liess, dient dazu, um auch die Scheidewände zu 
irrigiren und im permanenten Wasserbade zu erhalten. Bei einer Drehung 
des Speculums um seine Längenaxe wird man allmälig in die Lage 
kommen, die ganze Scheide dem Verfahren zu unterziehen, und da die vier 
Fenster auch vier ebenso langen und ebenso breiten Zwischenwänden ent¬ 
sprechen , so wird man auch genau wissen, wie weit die Drehung des 
Speculums vorgenommen werden muss, wenn die durch die Zwischenwände 
als Deckblätter unbesptilt gebliebenen Scheidentheile mit in das Verfahren 
einbezogen werden sollen. Am äusseren Rande des Speculums sind einige 
kleine Löcher angebracht, durch welche zwei elastische Schnüre gezogen 
werden, welche dann däs Speculum dadurch fixiren, dass sie vorne und 
rückwärts an einer Binde, die um den Unterleib in der Nabelhöhe herum¬ 
gebunden wird, angeheftet werden. An dem Speculum, welches mit 
Fenstern versehen ist, befinden sich acht solche Löcher, u. z. vier ovale 
und vier runde; erstere entsprechen den Zwischenwänden der vier Fenster, 
letztere hingegen den Fenstern selbst. Will man nun, wenn das Speculum 
längere Zeit eingelegt gewesen und durch seine vier Fenster die Hälfte 
der Vaginalwandung bespülen liess, es so einrichten, dass auch die andere 
Hälfte der Wandung, resp. die von den Zwischenwänden verdeckt gewe¬ 
senen Theile, der Wassereinwirkung ausgesetzt seien, so hat man nur eine 
kleine Drehung des Speculums um seine Längenaxe vorzunehmen, bis ein 
ovales Loch des Randes nach vorne und rückwärts, entsprechend dem 
vorderen und rückwärtigen Winkel der Schamspalte, zu stehen kommt, und 
indem nun das Speculum neuerdings fixirt wird, hat man es so eingestellt, 


w« n sßben der Zweck erheischt. 


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Mediciniach-chirnrgische Bund schau. 


31 


Verf. hält die methodische Anwendung der permanenten Irrigation 
in der Geburtshilfe angezeigt bei Blutungen während der Schwangerschaft 
und nach der Geburt (mit kaltem Wasser); — bei habitueller Disposition 
zu Abortus; — bei künstlicher Frühgeburt (mit warmem Wasser) und 
sehliesslich im Puerperium bei Puerperalprocessen theils als antiphlogisti¬ 
sches, theils als antiseptisches Mittel. In der gynäkologischen Praxis 
empfiehlt es Verf. als wichtigstes Mittel zur Resorption von Exsudaten 
(raissig temperirtes Wasser), ferner bei Blutungen, bei entzündlichen Pro¬ 
cessen der Schleimhäute, wo unter Einwirkung des stetig sich erneuernden 
Wassers Recreation der Gewebe erzielt wird; — zur Herbeiführung einer 
raschen Heilung nach operativen Eingriffen und schliesslich als calmirendes 
Mittel bei Dysmennorrhoe, dann bei consensuellen, neuralgischen und hyste¬ 
rischen Schmerzen, wie sie so häufig vom Uterus und seinen Adducten 
ansstrahlen. Die Specula sind bei Waldek, Wagner und Benda in 
Wien und Prag verfertigt und durch diese Firma auch zu beziehen. 

Lobmayer (Agram). 

30. AusstossTing eines Uterusflbromes nach Ergotinbehandlung 
nebet Bemerkungen über permanente Irrigation. Von Heinrich Fritsch 
in Halle. (Gyn. Ctbltt. 1879. 18. Originalmittheilung.) 

Bei einer Frau, deren vergrösserter Uterus rectroflectirt im kleinen 
Becken lag, diagnosticirte Fritsch ein interstitielles Fibrom. Dieser 
Fall eignete sich zur Ergotinbehandlung deshalb sehr gut, da die gleich¬ 
mäßige Vergrösserung des Uterus für ein submucöses Gebilde sprach, 
das Anwachsen des Tumors während der Menses hindeutete, dass die Ge¬ 
schwulst sehr gefässreich, gut genährt sei und wachse. Aus diesen Um¬ 
ständen war zu entnehmen, das Ergotin werde hier gut wirken, oder 
doch wenigstens die profusen Blutungen sistiren. Täglich wurde ein 
Spritze von 1 Gramm Inhalt von folgender Lösung injicirt: Ergot.2'0, 
Aq. 8-0, Arid, carbol . fluidt gutt. 1. Nach Verbrauch von 2 Gramm Ergotin 
verkleinerte sich der Uteius ganz erheblich und liess sich reponiren. Die 
nächste Periode verlief ohne starke Blutung. Pat. wurde nun so lässig, 
dass nur alle 2—3 Tage injicirt wurde. Die Folge davon war eine 
enorme Blutung bei der nächsten Menstruation. Von da an wurde täglich 
mit einer grösseren (1*5 Gramm haltenden) Spritze injicirt. Bald darauf 
traten Wehen auf, die sich nach der 5. Injection so bedeutend steigerten, 
dass sich der Muttermund eröffnete und die Geschwulst zum Vorscheine 
kam und zum Theile mit der Scheere und anderen Instrumenten entfernt 
werden konnte. Von der Eröffnung des Uterus an wurde die Scheide so 
wie die Uterushöhle täglich 3mal mit Carbol ausgespült. Am 3. Tage 
nach der Entfernung des Tumors stellte sich massiges Fieber (nie über 39*20) 
ein f das 3 Tage dauerte. Am 5. Tage trat ein zweites Fibrom aus dem 
Uterns hervor, das aber in der Narkose mittels einer Polypen^ange ab¬ 
gedreht wurde. Einige Partien desselben zeigten eingelagerten Eiter. 
Nach 7 Tagen war die Person geheilt. Nach der Operation leitete Fritsch 
die permanente Irrigation der Uterushöhle ein. Zuerst wurde 2°/ e 
Carbollösung genommen, als aber Intoxicationserscheinungen auftraten, wurde 
sie durch Salicylsäure ersetzt. Die permanente Irrigation wurde auf diese 
Weise vorgenommen, dass Fritsch in die Uterushöhle einen mit Quer¬ 
balken versehenen Gummischlauch einlegte, der an einem B o z e m a n n’schen 
Katheter befestigt war. An den Katheter kam ein Gummirohr, welches 
mit dem Irrigator in Verbindung stand. Die Kranke lag auf einer ßett- 
sehüssel. Die permanente Irrigation hat den Vortheil, die Wunde 

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32 


Medicinisch-chirargische Rand schau. 


aseptisch zu machen. Letzteres ist namentlich bei Myomen wichtig, weil diese, 
namentlich wenn sie so weich sind, wie es hier der Fall war, ungemein 
leicht verjauchen und dadurch sehr leicht septische Erscheinungen hervor- 
rufen, an denen nicht wenige Operirte zu Grunde gehen. (Höchst um¬ 
ständlich aber bleibt diese Nachbehandlung immerhin. — Ref.) 

Klein Wächter, Innsbruck. 

31. Die Anwendung des Chloralhydrates in der Geburtshülfe und 
Gynäkologie. Von W b r i gh t und Palmer. (Sitzungsberichte der gbtshlfch. 
Gsschfit. zu Cincinnati. Amer. Journ. of Obsttr. 1879. 659.) 

Sehr gut wirkt das Chloralhydrat nach Whright bei Erstgebärenden 
mit rigidem Muttermunde und erhöhter Reizbarkeit des Nervensystems im 
Beginne der Geburt. Nach Darreichung von 1 Gramm Chloral lassen die 
starken Schmerzen nach und die Geburt geht regelmässig vor sich. Wenn 
nöthig, wird die Dosis einigemale wiederholt. In England zieht man es 
vor, das Mittel im Klysma zu geben. Ganz besonders wirksam ist es bei 
dieser Applicationsweise bei Krankheiten des Uterus, der Ovarien und 
des Rectum, weil es hier in unmittelbaren Contact mit den betreffenden 
Nerven tritt. Palmer beobachtet nach Darreichung des Chloralhydrates 
eine Steigerung der Wehenthätigkeit. Es kann die ganze Zeit der Geburts¬ 
dauer hindurch ohne Nachtheil gereicht werden. Die Wehen scheinen 
zwar unter dessen Wirkung etwas kürzer zu werden, doch ist die Wehen 
thätigkeit an sich hierbei ganz regelmässig. Die Wehen sind kräftig. 
Sehr nützlich erweist sich das Chloralhydrat bei wunden Brustwarzen 
mit Fissuren in einer Salbe bestehend aus 1 Gramm Chloralhydrat auf 
50 Gramm Vaselin. Die Fissuren heilen unter dieser Behandlung und 
der Schmerz lässt rasch nach. Ebenso wirksam ist es bei Pruritus vulvae, 
mag das Weib schwanger oder nicht schwanger sein und beim Erbrechen 
der Graviden. In letzterem Falle gebe man es zu 4 Gramm per. anum. 
Anempfehlen8werth ist das Mittel weiterhin bei Puerperalmanie. Es wirkt 
hier prompter als das Morphium. Gegeben wird es in solchen Fällen zu 

1 Gramm p. d. mehreremale wiederholt, bis Beruhigung und Schlaf ein- 
tritt. Als Klystier behebt es bei Carcinoma uteri sehr rasch die Schmerzen. 
Man kann es auch direct in verdünnter Lösung mit dem erkrankten 
Organe in Berührung bringen, es wirkt in dieser Weise desodorisirend 
und benimmt den Effluvien ihre Schärfe. Eminent ist die Wirkung des 
Chloral bei Eclampsie, indem es die Convulsionen sofort coupirt. Hier 
muss man grössere Dosen geben, 3—3-5 Gramm alle 2 Stunden, 1 bis 

2 Tage hindurch. Palmer gab das Mittel bei Eclampsie auch subcutan 
zu 2—2-5 Gramm. Die Dosirung lässt sich bei der Eclampsie nicht for- 
muliren. Man muss es so lange darreichen, bis die vollständige Bewusst¬ 
losigkeit eintritt und die Convulsionen dauernd aufhören. Es kann noth- 
wendig werden, 7—8 Gramm zu geben, theils per os, theils per anum. 
Zeigen sich Vorboten der Convulsionen bei gleichzeitigen hydropischen 
Anschwellungen der Lider und Beine, so reiche man Chloral, es wird 
dadurch dem Ausbruche der Convulsionen vorgebeugt. Nach Ansicht J. 
Personne’s verwandelt sich das Chloralhydrat im Organismus in 
Chloroform. (Diese Ansicht ist nicht neu — und falsch. Red.) 

Palmer zieht in der geburtshilflichen Praxis das Chloralhydrat 
dem Chloroform und Aether vor, da letztere zwei Mittel die Wehen doch 
immer etwas abschwächen und post partum leicht eine Neigung zu 
Metrorrhagien auftritt. Ueberdies wirken diese Mittel zuweilen ungünstig 
auf die Frucht ein, was beim Chloralhydrat nicht der Fall ist. 

Kl einw r äc hter. 


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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


33 


32. Entfernung eines verkalkten Uterus-Fibroides mittels der 
L&p&ro-Elytrotomie. VonEverett. (Amer. Jour, of Obsttr. IV. 1879.) 

Eine 42jährige Frau, die bereits mehrmals geboren, bekam wehen¬ 
artige Schmerzen. Everett constatirte die Gegenwart eines festen Körpers 
im Uterus. Da er ihm zu gross erschien, als das die Expulsion durch 
die Genitalwege stattfinden könne, entschloss er sich zur Laparo-Elytro- 
tomie. Er machte einen Schnitt von der Spin. art. sup. der einen Seite 
(welcher ist nicht angegeben) zur Mitte der Symphyse, in der Länge von 
12 Ctm., wobei die Arteria epigastrica getroffen wurde. Dann wurde 
das Peritoneum mit dem Finger in die Höhe geschoben und die Vagina 
mit dem Messer eröffnet. Trotz mechanischer Versuche, die Cervix Uteri 
mittelst des Fingers zu erweitern, konnte der Tumor nicht herausgebracht 
werden. Es wurde nun unter Leitung eines silbernen Retractors ein feines 
Sägeblatt um den festen Tumor gelegt und derselbe durchsägt. Nach 
Reinigung des Uterus verschloss Everett die Wunde. Die Frau genas 
nach wenigen Wochen. Der Tumor war ein verkalktes Fibroid im Ge¬ 
wichte von 2040 Gramm, 17 Ctm. lang und 12 Ctm. breit. Er bestand 
aus kohlensaurem, phosphorsaurem und schwefelsaurem Kalke. Geburten 
verkalkter Fibroide sind sehr selten, meist erfolgten sie auf natürlichem 
Wege. Der mitgetheilte Fall ist der erste, bei welchem die Laparo- 
Elytrotomie gemacht wurde. Kleinwächter, Innsbruck. 


33. Zur Behandlung von Beckenexsudaten und Adhäsionen. Von 
Ely van de Warker in Syracuse. (Tränst, of the Amer. Gyn. Beet, 
for the year 1878. 1879. 337.) ^ 

Bei bedeutenden Schmerzen kann man, so sehr man sich auch 
Mühe geben mag, dem auszuweichen, des Opiums und seiner Präparate 
nicht entrathen. Zuweilen erzielt man mit heissen Umschlägen günstige 
Erfolge. Unter Umständen finden die Kranken eine bedeutende Erleich¬ 
terung, wenn sie eine bestimmte Körperlage einnehmen und passiven Be¬ 
wegungen ausgesetzt werden. So berichtet Verf. von einer Dame mit 
einem alten Beckenexsudate, welche sich während eines Schmerzanfalles 
in eine Hängematte legte und mehrere Stunden schaukelte, worauf die 
unerträglichen constanten Schmerzen schwanden. Seit dieser Zeit Hess 
Verf. dieses Verfahren von mehreren Kranken an wenden und stets mit 
gutem Erfolge. Letzterer beruht theilweise in der Körperstellung, bei 
welcher die kranken Beckenorgane erhöht sind, ausserdem erschlaffen 
manche Muskeln und die passive Bewegung selbst übt eine sedative Wir¬ 
kung aus. Unter anderen Umständen kommt man zuweilen mit der Elek¬ 
trizität zum Ziele. Es ist hierbei gleichgiltig, ob man den positiven oder 
negativen Pol auf die leidende Stelle setzt. Chronische Fälle ergeben bei 
dieser Behandlung ein besseres Resultat als acute, obwohl bei diesen 
auch eine Milderung des Schmerzes nicht ausbleibt. In Anwendung kommt 
sowohl der unterbrochene als der constante Strom. Innerlich erweist sich 
das Ammonium chloratum als sehr wirksam. Das alte Exsudat schwindet 
bald nach Gebrauch dieses Mittels. Man gebe das Mittel öfters aber in 
kleinen Dosen (1—2 Gran), 0*07—0*15 Gramm jede Stunde mit Aus¬ 
nahme der Nacht. Grössere Dosen in längeren Zwischenräumen sind 
weniger wirksam. Weit weniger wirksam ist der äusserliche Gebrauch 
von Jod oder die Anwendung von Gegenreizen. Absolut contraindicirt ist 
der Mercur. Bei alten Exsudaten mit Fixation des Uterus empfiehlt 
Warker die Massage des Uterus. Die Finger der linken Hand werden 
auf den Uterus oder auf die Vaginalwand, wenn sich in deren Nähe die 


Med.-cbir. Rundschau. 1880 . 


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34 


Medicinisch^chirargische Rundschau. 


Induration befindet, aufgedrückt, während die äussere Hand auf die 
.Abdominalwand zu liegen kommt. Mit beiden Händen wird nun unter ge¬ 
höriger Vorsicht das zwischen liegende Exsudat massirt. Im Beginne 
bereitet die Massage starke Schmerzen, doch verkleinert sich bald das 
Exsudat. Liegt das Exsudat in der Fossa iiiaca, so genügt der äussere 
Druck, weil die hinter liegenden Knochen den Gegendruck bilden. Diese 
Manipulationen werden alle zwei Tage wiederholt. Selbstverständlich darf 
das Exsudat nicht etwa eitrig geschmolzen sein. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

34. Zur Diagnose grosser Ovarientumoren. Von B. S. Schultze 
in Jena. (Ctrbl. f. Gynäkologie. 1879. 6.) 

Seit die eclatanten Heilerfolge der Ovariotomie eine genaue Dia¬ 
gnose der grossen Unterleibstumoren bestimmter als früher fordern, hat 
dieselbe erhebliche Fortschritte gemacht. Doch dürfte es ziemlich allge¬ 
mein empfunden sein, dass sie der Vervollkommnung noch bedürftig ist. 

Palpation und Percussion bleiben die sichersten diagnostischen Mittel 
ftir Erkennung der Ovarientumoren sowohl gegenüber Ascites, wie gegen¬ 
über anderen Geschwülsten des Unterleibes. Alle immerhin werthvollen 
Motive für die Diagnose, welche aus der Anamnese, aus den Symptomen, 
aus der Inspection, Messung und Auscultation, aus der chemischen 
und mikroskopischen Untersuchung durch Probepunction entnommener 
Flüssigkeit hervorgehen, sind gerade in Fällen, in denen das Resultat 
sachkundiger Palpation und Percussion Zweifel übrig liess, absolute Sicher¬ 
heit zu geben selten im Stande. 

Bei grossen wie bei kleinen Ovarialtumoren gibt bekanntlich die 
Rectalpalpatiou bei gleichzeitigem Tasten von den Bauchdecken, eventuell 
auch von der Vagina aus oft die Möglichkeit, die Diagnose über allen 
Zweifel zu erheben, indem sie gestattet, die Verbindung des Tumor 
mit dem Uterus, den Stiel des Tumor, unmittelbar zu erkennen. Bei retro- 
vertirt oder retroponirt hinter dem Tumor liegendem Uterus ist dies 
Resultat durch die gleichzeitige Betastung von den genannten drei Rich¬ 
tungen aus manchmal ohne Schwierigkeit zu gewinnen, und wo Schwierig¬ 
keiten sich darbieten, ist sehr empfehlenswerth das von H e ga r angegebene 
Verfahren, dass man den an der Vaginalportion mit einer Zange zuvor 
gefassten Uterus von einem Assistenten anziehen lässt, während man vom 
Mastdarm und von den Bauchdecken aus tastet. Es ist nicht die Palpation 
mit der ganzen oder halben Hand, die hierbei die besten Resultate liefert; 
wenn wir das Rectum durch Einführen der Hand straff spannen, können 
wir weit weniger frei dessen vordere Wand über die Hinterfläche des 
Uterus so weit ausdehnen, dass wir, namentlich bei antevertirtem Uterus 
bis zum Stiel des Tumor langen. Halbe und ganze Hand beengen den 
Raum für die Palpation zu sehr; zwei Finger bewegen sich freier und 
lassen die Wand des Rectum schlaff, zwei Finger reichen auch hoch 
genug, wenn es sich darum handelt, im kleinen Becken zu palpiren, 
besonders dann, wenn in tiefer Cbloroformnarkose die Muskulatur des 
Beckenbodens vollkommen erschlafft ist. Die Kranke muss dazu, gerade 
wie zur Untersuchung mit der ganzen Hand nach Simon, mit dem 
Kreuz auf der Kante des Tisches liegen, damit der Beckenboden stark auf¬ 
wärts gedrängt und die Handwurzel tief gesenkt werden könne. 

Das Alles ist mehr oder minder bekannt, wenn auch der Werth 
der Rectalpalpation von Manchen noch sehr unterschätzt wird. Verf. theilt 
einen von ihm geübten Handgriff mit, der das Resultat der Rectalp&l- 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


35 


pation fast in allen Fällen, selbst ganz grosser, auch durch Punction 
nicht verkleinerungsfähiger Tumoren zu einem entscheidenden macht. Er 
besteht darin, dass, während der Operateur die in genannter Weise ge¬ 
lagerte, tief chloroformirte Patientin per rectum (et vaginain) untersucht, 
ein Assistent, der zur Rechten oder Linken der Untersuchten nahe ihrem 
Kopfende steht, beide Hände auf deren Bauch fest auflegt, die Finger¬ 
spitzen zwischen Nabel und Symphyse gegen letztere gerichtet, dass er 
die ßauchdecken über den Tumor hin so viel wie möglich abwärts schiebt 
und dann den Tumor gegen den Thorax der Patientin erhebt. 

Liess sich, was bei nicht allzugrossen Tumoren in der Narkose 
keine Schwierigkeit hat, die Bauchdecke über den Tumor gut abwärts 
schieben und der Tumor sich um einige Centimeter erheben, so gewinnt 
der Untersuchende Raum, über den Uterus weg unter dem Tumor hin 
die vom Rectum und von den Bauchdecken aus gegeneinander tastenden 
Fingerspitzen beider Hände einander so weit zu nähern, dass die Ver¬ 
bindung des Uterus mit dem Tumor oder die Abwesenheit einer solchen 
mit Bestimmtheit direct getastet werden kann. 

Ist das Entgegentasten von den Bauchdecken aus nicht so ergiebig 
möglich, weil deren Spannung durch den Tumor zu bedeutend ist, oder 
weil der Tumor breit und kurz der vorderen Bauchwand angeheftet ist, 
oder weil übermässig starker Panniculus oder Oedem der Bauchhaut 
hindert, so tastet doch der vom Rectum her über die hintere Wand des 
Uterus geführte Finger deutlich die Verbindung des Uterus mit dem 
Tumor, die bei abwechselndem Heben und Sinkenlassen desselben sich 
spannt und erschlafft. Selbst in den seltenen Fällen, dass die Palpation 
vom Rectum aus nicht so frei möglich ist, um das Ligamentum ovarii 
als solches zu erkennen, kann doch durch das genannte Manoeuvre die 
gestielte Verbindung des Tumor mit dem Uterus oder seinen Adnexen, 
falls eine solche vorhanden ist, und damit die Exstirpirbarkeit des Tumor 
erkannt werden. Das Unbewegtbleiben des Uterus beim Emporheben des 
Tumor erweist dagegen die Nichtbetheiligung des Uterus sowohl wie der 
Ovarien, denn auch ein langer Ovarientumorstiel dürfte stets straff genug 
sein, um selbst bei minimalem Erheben des Tumor durch seine Spannung 
dem tastenden Finger sich zu verrathen. 

Der bedeutende Unterschied in dem Resultat der einfachen Rectal¬ 
untersuchung und der Untersuchung nach der beschriebenen Methode, die 
wirklich überraschende Deutlichkeit, mit der dem auf genannte Weise 
Untersuchenden durch das Emporheben des Tumor die Ueberzeugung sich 
aufdrängt, dass ein gestielt der Tubengegend des Uterus aufsitzender 
Tumor vorliegt, erklärt sich so: der Finger, der zwischen Tumor und 
Uterus sich hineindrängen muss, hat von beiden Seiten einen so 
starken Tasteindruck, dass der hinzukommende Widerstand, den der 
Tumorstiel bildet, nicht deutlich empfunden wird; als erschwerender Um¬ 
stand für das Urtheil kommt hinzu, dass, je weiter der Finger vordringt, 
desto grösser der Widerstand der Rectumwand wird, ein Widerstand, 
dessen Grösse noch dazu in jedem einzelnen Fall von vornherein unbe¬ 
kannt ist: Sobald durch Emporheben des Tumor der Druck zwischen 
Tumor und Uterus vermindert oder aufgehoben wird, dringt der Finger 
ohne Kraftaufwand und ohne starken Druck zu erfahren, tastend vor und 
beurtheilt besser die ihm begegnenden Widerstände. Ferner: Die Verbin¬ 
dung zwischen Uterus und 'Tumor, die in ruhendem Zustande bei dem 
engen Aneinanderliegen beider, dem tastenden Finger leicht entgeht, 

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£0 Medicinisch-chiriirgische Rundschau. 

imponirt demselben mit grosser Deutlichkeit, wenn sie abwechselnd gespauiit 
uud erschlafft wird. 

Verf. schreibt der genannten Manipulation eine grosse Sicherheit 
für Diagnose grosser Unterleibstumoren zu. Es wird Fälle geben, iu 
denen auch die genannte Manipulation über die Insertionsweise des Tumor 
Zweifel übrig lässt; immerhin aber hofft er durch vorstehende Mittheilung 
einen Beitrag zur Diagnose der grossen Unterleibstumoren geliefert zu 
haben, auf Grund dessen dieselbe absolut festgestellt werden kann in einer 
Anzahl von Fällen, in denen bisher vor der Laparotomie nur hohe Wahr¬ 
scheinlichkeit für Ovarientumor bestand. Je öfter wir durch Palpation die 
Diagnose auf Ovarientumor sicherstellen, desto seltener wird die diagno¬ 
stische Punction, der jede Gefahr nicht abgesprochen werden kann, nöthig 
erscheinen; desto öfter werden die Probe-Incisionen und die vergeblichen 
Versuche der Exstirpation, deren Gefahr, ganz abgesehen von dem Mangel 
des Erfolges, der Gefahr der vollendeten Exstirpation wohl mindestens 
gleichkommt, vermieden werden können. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 

35. Cystitee Erweiterung eines Thränenröhrcliens. Von Dr. E. 
Fuchs, Wien. (Klin. Mon. Bl. f. Augenhk. Septemberheft. 1879.) 

Verfasser theilt zwei Fälle dieser Art mit, die jedenfalls interessant, 
weil höchst selten sind. 

Der erste Fall betrifft einen 63jährigen Mann, von dessen links¬ 
seitigem Oberlide eine die innere Hälfte der Lider und des Bulbus ver¬ 
deckende, etwa wallnussgrosse, prallgespannte und fluctuirende, über dem 
Tarsus verschiebbare Geschwulst herabhängt. Vorne ist dieselbe von durch 
zufälliges intercurrentes Trauma sugillirter, frei über der Geschwulst be¬ 
weglicher Haut, rückwärts von Bindehaut überzogen. Die Grenze zwischen 
Haut und Conjunctiva läuft dem unteren Rande der regelmässig bimförmig 
gestalteten Geschwulst entlang nach aussen bis zur Spitze, wo sich der 
deutlich erkennbare Thränenpunkt befindet. 

An Stelle des Thränensackes findet sich eine bohnengrosse, pralle 
Geschwulst, welche sich von der oberen Geschwulst scharf absetzt, dagegen 
in das untere Thränenröhrchen sich hineinerstreckt, dessen innere Hälfte 
in die Ektasie mit einbezogen ist. Es besteht eine feine Communications- 
öffnung zwischen Thränensack und oberem Röhrchen, durch welche bei 
Druck auf den Thränensack sich Flüssigkeit in die obere Geschwulst 
hinüberdrücken lässt. 

Behufs Exstirpation der Geschwulst wurde zuerst der cvstöse 
Thränensack möglichst vollständig excidirt, wobei sich von oben her ein 
Theil des chocoladefarbenen, honigartig consistenten Inhaltes der grossen 
Cyste entleerte. Darauf wurde dieser letztere herauspräparirt. 

Die anatomische Untersuchung der Cystenwand ergab, dass zunächst 
auf die Haut (resp. Schleimhaut) das subcutane (subconjunctivale) Zell¬ 
gewebe folgte, welchem unmittelbar (ohne Intervention einer Membrana 
propria) ein geschichtetes Epithel aufsass, in dessen unteren Lagen die 
Zellen rundlich waren, während sie gegen die Oberfläche hin länglich 
wurden, also gerade umgekehrt wie im normalen Thränenröhrchen sieb 
verhielten. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


37 


Der zweite Fall betrifft eine 54jährige Frau, die die am inneren 
Ende des linksseitigen Oberlides sitzende, haselnussgrosse, gespannte, 
rfuetuirende Geschwulst, an deren Spitze der obere Thränenpunkt sichtbar 
igt, seit ihrem 7. Lebensjahre trägt — Dakryocystoblennorrhoe. — 
Operation verweigert. S. Klein, Wien. 

36. Ueber das Vorkommen von Fremdkörpern in der Cornea. 
Von Dr. J. Tro mp etter, Assistent an der Univers.-Augenklinik in 
Breslau. (Klin. Mon. Bl. f. Augenhk. Februarheft. 1879.) 

Von 10.000 Patienten wurden 674 an Fremdkörpern in der Horn¬ 
haut behandelt. Von diesen betrafen 319 das rechte und 355 das linke 
Auge, welches letztere demnach ein grösseres Contingent lieferte als das 
rechte. Ausserdem zeigte sich die linksseitige Cornea besonders bei Ar¬ 
beitern verletzt, welche während der Arbeit ihre Augen nicht genügend 
schützen können, wenn der Fremdkörper von dem bearbeiteten Gegen¬ 
stände abspringt, während Fremdkörpern, die durch Wind und andere 
Zufälligkeiten auf die Hornhaut getrieben werden, beide Augen in gleichem 
Masse ausgesetzt sind. Es sei demnach anzunehmen und auch leicht zu 
beobachten, dass Schlosser, Stein- und Feilenhauer dadurch, dass der Ar¬ 
beiter den Kopf etwas nach der rechten Seite wendet, hauptsächlich das 
linke Auge dem zu bearbeitenden Gegenstände zugewandt halten, weshalb 
dieses letztere von abspringenden Theilen eher getroffen wird, als das 
rechte, welches nicht nur nach rechts gewandt, sondern überdies noch 
durch den vorspringenden Nasenrücken vor Verletzungen geschützt ist. 

S. Klein, Wien. 

37. Ein Fall von Dnboisia-Intoxioation. VonDr. Carl in Frankfurt 
a. M. (Klin. Mon. Bl. für Augenhk. Augustheft. 1879.) 

An einem 9jährigen gesunden Mädchen war die Tenotomie des 
linken Rectns internus vorgenommen worden. 6 Tage später träufelte 
Verf. während eines Zeitraumes von ca. s / 4 Stunden 3 bis 4 mal höchstens, 
in jeden Conjunctivalsack je einen Tropfen einer l°/ 0 igen Solut. Dubois. 
8ulf., um die totale Hypermetropie zu bestimmen. Va Stunde nach der 
letzten (also 6 / 4 Stunden nach der ersten) Einträufelung zeigten sich be¬ 
unruhigende Symptome. Zuerst hatte das Mädchen über Durst geklagt, 
später sprach es lallend und äusserte, die Zunge liege ihm schwer im 
Munde, dann sei sein Gang taumelnd geworden. Verf. fand nun Pat. 
in somnolentem Zustande auf dem Sopha. Extremitäten kühl, Stirne heiss, 
Respiration regelmässig; häufiges Gähnen, Puls arhythmisch und schwach. 
Eine grössere Quantität starken Kaffees wurde eingeflösst. Nach etwa 
10 Minuten wurde der Puls regelmässiger und kräftiger. Allmälig erholte 
sie sich und verlangte nach Wasser, da ihr Hals trocken sei. Anscheinend 
völlig erholt, begann sie nun plötzlich irre zu reden, hatte Halludnationen 
und Delirien, welcher Zustand noch fast zwei Stunden dauerte. Eine kleine 
Dosis Chloral brachte dann ruhigen Schlaf bis zum nächsten Morgen. 

Die geschilderten Symptome sind von denen bei Atropinvergiftung 
nicht wesentlich verschieden. Das Duboisin war in diesem Falle in solchen 
Quantitäten in den Conjunctivalsack gebracht worden, wie sie bei der An¬ 
wendung des Atropins nicht ungewöhnlich sind. Verf. glaubt, dass bei 
der Einträufelung bestimmt nichts von aussen her in den Mund gekommen 
ist und nimmt deshalb an, dass Spuren des Mittels — von einer Idiosyn¬ 
krasie der Pat. gegen dasselbe abgesehen — welche durch dieThränen- 
wege in den Verdauungscanal gelangt waren, zu einer Allgemein- 
Intoxication hinreichend gewesen seien, oder auch, dass die hierzu genügen- 


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Medicimsch-chirorgische Rundschau. 


den Mengen vielleicht an der granulirenden Tenotomiewunde resorbirt 
wurden. (Auch die in der Augenpraxis hie und da vorkommenden Atropin¬ 
vergiftungen entstehen meistens dadurch, dass die Flüssigkeit — und 
nicht eben Spuren derselben — aus dem Bindehautsacke durch die 
Tbräneftpunkte in die Nasen- und Rachenhöhle gelangen. Ref.) 

Der Werth dieser Mittheilung ist durch die Neuheit des Mittels 
genügend begründet. S. Klein, Wien. 

38. Ueber Hydrodictyotomie. Mehrfach ausgeführt von Professor 
R. Se c o n d i, berichtet von Prof. F. Magn i in Bologua. (Separatäbdr. aus 
La Rivista Clinica di Bologna.) 

Magni hebt die Wichtigkeit der bei Netzhautablösung erzielten 
Resultate hervor, ferner die Verschiedenheit der Entstehung der Netzhaut¬ 
abhebung in myopischen Augen von der in emmetropischen und hyper- 
metropischen, dass im ersteren Falle es sich primär nicht um entzündliche 
Veränderungen handle, sondern diese in myopischen Augen nach erfolgter 
Ablösung secundär hinzutreten. Er weist hin auf seine bereits in einer 
Arbeit vom Jahre 1872 „Sugli effetti del processo flogistieo della coroide* 1 
niedergelegten Ansichten über die Genese der Retinalabhebung. Eben im 
Vorhandensein eines primären Entzündungsprocesses erblickt Magni den 
Erklärungsgrund, warum in sechs Fällen solcher Art der chirurgische Eingriff 
erfolglos blieb, in einem sogar Schaden brachte; er glaubt, dass ein chro¬ 
nischer, unschmerzhafter Process durch den Eingriff in einen acuten, 
schmerzhaften umgestaltet werde. Anders verhalte sich die Sache bei 
myopischen Augen, woselbst auch bei weitem bessere Resultate erzielt 
würden. — Der Autor stützt sich auf seine Untersuchungen, deren 
Resultate er tlieilweise unter dem Titel: „Studio anatomo-fisio-clinieo 
del processo flogistico in alcuni tessuti delforgano visivo u veröffentlichte. 
Er kommt zum Schlüsse, dass zumal an der convexen Seite der Chorioidea 
ein der Blutbewegung gleich gerichteter Lymphstrom nach vorn ziehe, 
dass die Lamina vitrea der Chorioidea es sei, die die Retina vor Schädi¬ 
gung bewahre, die den Lymphstrom abhalte; er zieht als Stütze dieser 
Ansicht heran das Auftreten von Glaskörpertrübungen und Kammerwasser- 
trübungen bei Erkrankung des Ciliartheiles der Chorioidea, die es wahr¬ 
scheinlich machen, dass die Lymphe dieser Theile sich in die hintere 
Kammer und in den Glaskörper ergiesse; ausserdem sollen Lakunen im 
vordersten Antheile des Zwischenraumes zwischen Sclera und Chorioidea 
sich befinden, welche mit dem S c h 1 e m m’schen Canale anastomosiren und 
die Lymphe von der convexen Oberfläche der Chorioidea in diesen ab- 
filhren. Wenn überhaupt Magni Abhebung der Chorioidea von der Sclera 
fand) so war sie im vorderen Theile viel ausgeprägter als im hinteren, 
wo sie selbst fehlte. -— Bei Entzündung der Chorioidea, wo die Lymphe 
zunehmen muss, wird, wenn diese sich staut und coagulirt, die Ablösung 
von vorne nach hinten zunehmen müssen. — Im myopischen Auge erklärt 
der Autor das Zustandekommen der Netzhautabhebung derart , dass im 
Bereiche des Staphyloma post. Scarpae die Chorioidea zwar sehr verdünnt, 
aber doch noch gefässhäitig sei, somit Lymphe transsudiren müBse, dass 
aber andererseits durch blosse Dehnung — mit Ausschluss entzündlicher 
Processe — endlich die Glaslamelle nicht mehr widerstehen könne, wodurch 
nun die Lymphe als subretinales Fluidum die Ablösung herbeiftihren 
müsse; es handelt sich somit nach ihm nur um abnorme Bahuen der 
Lymphe. Bei normaler Grösse und Consistenz tritt einfach Functionsstörung 
auf, in der Folge durch proportionale Verkleinerung des Glaskörpers auch 


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Verkleinerung des Bulbus bei normaler Consistenz; nun reiche die Glas¬ 
lamelle wieder aus, den Lymphstrom ferner wieder in die alten Bahnen 
zu dirigiren, da nun eine Zusammenziehung möglich sei. 

Dadurch erklärt er Dr. Secondi’s günstige Resultate bei Amotio 
retinae in myopischen Augen 5 durch Einreissung der Retina werde dieser 
Lymphe ein Ausflussweg in den Glaskörper geschaffen; die einfache Ent¬ 
leerung nach aussen sei unzureichend, indem dadurch der Glaskörper nicht 
vergrössert werde, die Retina sich demnach nicht anlegen könne. Er 
betont auch besonders, dass die Elasticität der Membrana limitans der 
Retina es sei, die durch die veränderten Spannungsverhältnisse Verschie¬ 
bung der Netzhaut auch ausser dem abgelösten Gebiete veranlasse, woraus 
die hochgradige Sehstörung resultire. 

Bedingung eines guten Resultates sei vor Allem, dass keine secun- 
diren, entzündlichen Veränderungen bestehen. 

Nun folgt wörtlich ein Brief Secondi’s, welcher über sechs Fälle 
berichtet, die ihn sehr ermuthigen ; bei zwei erreichte er vollkommenen, bei 
zwei theilweisen, bei zwei keinen Erfolg. — In den ersten bestand in 
einem die Ablösung 4, im zweiten 16 Monate. Von den übrigen Fällen 
war der frischeste 6 Monate alt, doch grosse Ausbreitung, Veränderung 
der Membran und des Glaskörpers. Seeon di unterscheidet momentanen 
und dauernden Erfolg, sowie zwischen Erfolg in Bezug auf Anlegung der 
Retina und auf Herstellung des Sehens; nur nach letzterem classificirt er 
die Erfolge. Er berichtet von vollkommener Wiederanlegung bei 13jähriger 
Ablösung, doch reiht er diesen Fall nicht den oben citirten an, da er 
keinen Gewinn ftlr das Sehen resultiren konnte. In den mittleren Erfolgen 
besserte sich das Sehen ohne völliges Verschwinden der Abhebung. 
Secondi glaubt den Grund des nur theilweisen Erfolges in unvollstän¬ 
diger Entleerung des Fluidums zu erkennen, zurückgehalten durch Ver¬ 
schiebung der Conjunctiva über der Scleralwunde, wenn somit diese und 
die Conjunctivalwunde nicht correspondirten, wodurch in diesen Fällen 
blasenartige Abhebung der Bindehaut erfolgte; um diesen vielleicht nacli- 
tbeüigen Einfluss zu vermeiden, schneidet er dieselbe vor dem Einstiche 
ausgiebig ein. 1 — Ferner empfiehlt er auf Grundlage von Reflexionen über 
eine Arbeit Moiir’s in Darmstadt (Berliner Archiv, 23. Band, 11 . Theil) 
nach der Operation Eserin zu instilliren anstatt Atropin; erst in zwei 
Fällen versucht, doch in beiden vollständige Anlegung: einer derselben 
ist der oben dtirte veraltete Fall, wo von Seherfolg nie die Rede sein 
konnte, der andere einer derjenigen mit vollständigem Erfolge. 

Purtscher. 

39. Zur Lehre von den subjectiVeü ÖhrgerätLscheü. Von Gustav 
Brunner in Zürich. (Zeitschr. f. Ohrenhk. VTH. Bd. 3. Heft.) 

Ueber «ubjective Ohrgeräusche liegen bis jetzt in der Literatur nur 
wenig Beobachtungen vor. 

( I. Zunächst will Verf. Einiges über die muthmassliohe Natur des 
Ohrenklingens bemerken, er versuchte schon früher die durch den Knall 
Ton Schiessgewehren im Ohr herrorgerufenen Symptome näher zu ana- 
lysiren, ohne dass es gelungen wäre, für das hierbei regelmässig auf¬ 
tretende Ohrenklingen eine befriedigende Erklärung zu finden. 

Ein Beispiel sei erwähnt: Ein Professor der Chemie in Pest, mit durchaus 
normalem Gehör, erzählte, dass er nach der Entzündung von Knallgas in seinen 
Vorlesungen jedesmal einen hohen, hellen Ton im Ohre wahrnehme, der, einem 
hohen Geigenton vergleichbar, eine Zeitlang in sehr störender Weise anhalte. 
Dieselbe Beobachtung machte er, als er sich bei Gelegenheit eines Brückenbaues in 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


die Kammer mit comprimirter Luft begab. Mit dem Schlietsen der Klappe fühlte 
er einen Schmerz in den Ohren und hörte ebenfalls einen hohen Ton, der längere 
Zeit hindurch anbielt. 

Dass man beim Losfeuern eines Geschützes regelmässig ein hohes 
Klingen in den Ohren empfindet, welches mit dem Gefühl einer gewissen 
Betäubung des Ohres verbunden ist und kürzere oder längere Zeit an¬ 
hält, weiss jeder Kanonier. In geringerem Grade tritt dasselbe auch beim 
Abfeuern eines Gewehres ein, ebenso — wenn auch nicht constant — 
beim Pölitz er’schen Versuche, und man darf wohl den allgemeinen Satz 
aufstellen: Wenn eine plötzliche, heftige Luftwelle an unser Ohr schlägt, 
so entsteht Ohrenklingen, welches (meist mit dem Gefühle einer gewissen 
Betäubung, Taubheit im Ohr) kürzere oder längere Zeit anhält. 

Am instructivsten ist die Beobachtung im comprimirten Luftraum, 
wo es sich nur um eine einmalige Luftwelle handelt, die das zarte 
Gehörorgan in ungewohnter Heftigkeit erschüttert, und dies brachte Verf. 
auf den Gedanken, ob das Ohrenklingen hierbei nicht analog der Licht¬ 
empfindung bei Druck auf das Auge aufzufassen sei als eine mechanische, 
nicht durch die specifischen Endorgane im Labyrinth vermittelte Reizung 
der Acusticusfasern. Die Erwägung hat jedenfalls viel für sich, dass eine 
einmalige plötzliche Luftschwankung eher geeignet sei, die Acusticusfasern 
durch Druck oder Zerrung zu reizen, als die einzelnen Endorgane im 
Labyrinth in die gewohnte Thätigkeit zu versetzen — gerade wie ein 
Druck aufs Auge wohl die Opticusfasern, aber nicht die Stäbchen und 
Zapfen der Retina zur Function zu bringen vermag. 

Auffallend bleibt allerdings, dass es, wenn auch nicht genau der¬ 
selbe, doch stets ein mehr oder minder hoher Ton ist, der hierbei gehört 
wird. Leider gibt uns die Physiologie keine Auskunft, mit welcher 
Klangempfindung der Acusticus auf mechanischen Reiz antworte, und bei 
der versteckten Lage wird es schwer sein, dies festzustellen. Hingegen 
ist bekannt, dass bei der Anwendung des constanten Stromes auf das 
Gehörorgan ebenfalls Ohrenklingen als normale Reaction beobachtet wird. 

Verf. behandelte ein Mädchen von 17 Jahren an rechtsseitigem 
altem Ohrenfluss mit Defect des Trommelfells; In der Gegend des 
Promontoriums sass mit breiter Basis ein granulirender Auswuchs der 
Schleimhaut. So oft er diese Stelle mit einer feinen Sonde berührte oder 
das an Platindraht angeschmolzene Lapiskügelchen dagegen drückte, klagte 
die Patientin jedesmal momentan über ein heftiges helles Klingeln im 
Ohr, und es liegt nahe, dasselbe analog der Lichtempfindung bei Druck 
auf den Augapfel durch Erschütterung der innerhalb des Promontoriums 
liegenden Schnecke zu erklären. Berührung des Steigbügels glaubt Verf. 
mit Sicherheit ausschliessen zu können. 

Ebenso würde das spontane Ohrenklingen (Ohrenläuten) auf diesem 
Wege seine einfache Erklärung finden als mechanische Reizung einer 
Acusticusfaser (z. B. durch den Blutstrom) analog dem Funkensehen, 
hierbei ist der Klang stets ein vollkommen reiner und heller, aber nicht 
immer von gleicher Tonhöhe, immerhin aber stets in den mittleren und 
oberen Lagen des Claviers sich bewegend. Interessant ist das deutliche 
Ausklingen wie bei einem angeschlagenen Pokal, bekannt ferner, dass das 
Phänomen sich bei kranken Ohren (chronischer Mittelohrkatarrh) häufiger 
zeigt, als bei gesunden (in Folge von Hyperästhesie des Acusticus oder 
Störungen im Kreislauf?) 

Hierher möchte Verf. ferner das Ohrenklingen rechnen, das bei manchen 
Patienten von anderen Nervenbahnen auf den Acusticus übertragen wird 


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Medicinisch-chirargUche Rundschau. 


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und das er der Kürze wegen einstweilen als reflectorisches Ohrenklingen 
bezeichnet! will. So hat man schon wiederholt die Beobachtung gemacht, 
dass Patienten beim Schliessen der Augenlider einen Ton im Ohr hörten. 
Meist handelte es sich in diesen Fällen um nicht zu verkennende Be- 
thefligung des Labyrinths oder allgemeiner ausgedrückt des nervösen 
Apparates und Verf. vermuthet, dass zum Mindesten eine Hyperästhesie 
des Acusticus Vorhanden sein müsse. 

Einem Herrn verursacht Kopfschütteln in beiden Ohren ein „feines, 
helles Klingeln u . Die Diagnose lautet auch hier auf chronischen Mittel¬ 
ohrkatarrh mit Betheiligung des Labyrinths. Verf. schildert mehrere hierher 
gehörende Fälle aus der Literatur und eigener Beobachtung. 

H. Dem Ohrenklingen verwandte, d. h. im Gegensatz zum Rauschen 
sich in höheren Tonlagen bewegende Geräusche, als: feines, hohes Singen, 
Grillenzirpen, Sieden etc., kommen bei manchen Krankheiten des Ohrs, 
namentlich beim einfachen, chronischen Mittelohrkatarrh in den späteren 
Stadien vor und Verf. fand, dass sie hier die gewöhnliche, weitaus am 
häufigsten zur Beobachtung gelangende Form von subjectiven Hör¬ 
empfindungen darstellen, während bei den acuten Entzündungen des Mittel- 
ohrä die Patienten häufiger über Rauschen klagen. 

Das beim chronischen Mittelohrkatarrh auftretende Ohrenklingen 
oder Ohrensingen ist zwar nicht immer von derselben Tonhöhe, aber es 
bewegt sich doch im Allgemeinen in den höheren Tonlagen (mit Vorliebe 
in der vier- und ftlnfgestrichenen Octave oder noch höher) und steigt nicht 
unter die eingestrichene Octave hinab. Es wird am häufigsten mit dem 
bekannten hohen Singen oder Zirpen der Grillen und Heuschrecken ver¬ 
glichen, von Manchen auch mit dem Singen oder Sieden eines Theekessels. 
Es ist ein continuirliches, in der Regel nicht pulsirendes Geräusch, das 
in den meisten Fällen nicht sehr störend und häufig nur bei stiller Um¬ 
gebung wahrnehmbar ist. Durch geistige Anstrengung, Aufregung wird 
dasselbe vermehrt, in der besseren Jahreszeit ist es gewöhnlich weniger 
bemerkbar, als bei rauher, besonders nasskalter Witterung. Das Geräusch 
besteht eigentlich aus mehreren, sich ziemlich nahe liegenden, mit einander 
abwechselnden, hohen Tönen. Bisweilen geht aus dem siedenden oder 
zirpenden Geräusch plötzlich ein reiner, hoher Ton hervor, welcher analog 
dem bekannten vorübergehenden Ohrenklingen eine Zeit lang in derselben 
Höhe anhält, um sich dann wieder in dem zirpenden Geräusch zu verlieren. 

Lucae ist geneigt, seine subjective Gehörserapfindung im Allgemeinen 
durch gesteigerten Labyrinthdruck zu erklären, das Verschwinden nach 
Valsalva erklärt er sich durch dabei stattfindendes nach aussen Rücken 
des Steigbügels und daherige Entlastung des Labyrinths, im Uebrigen 
will er sich jeder weiteren Hypothese enthalten. Gegenwärtig kann wohl, 
namentlich nach den Versuchen, die Politzer angestellt hat, kein Zweifel 
herrschen, dass durch den Valsal va’schen Versuch der Labyrinthdruck 
gesteigert werde. Im Uebrigen habe auch schon Verf. beobachtet, dass 
durch einmalige Luftdouche das Ohrenklingen, um dessenwillen er con- 
sultirt worden war, für längere Zeit beseitigt wurde. 

Offenbar handelte es sich hier um einen leichten Grad von Mittel- 
ohrkatarrh mit et welcher Verengerung der Tubenpassage, deren Folgen 
für das Mittelohr und Labyrinth durch die Luftdouche aufgehoben wurden. 

Aach Lucae sagt ausdrücklich, dass das Ohrenklingen bei ihm 
besonders leicht während eines Rachenkatarrhs auftrete, und es ist wohl 
möglich, dass seine linke Tuba etwas weniger durchgängig war, als die 
rechte, ohne weitere Functionsstörung. Man nimmt nun allerdings allgemein 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


an, dass bei anhaltender Verstopfung der Tuba und daheriger Rarefactkm 
der Luft in der Pauke, der Labyrinthdruck in Folge stärkerer Belastung 
des Trommelfells gesteigert sei, während doch diese ganze Lehre im 
Widerspruch steht mit den Versuchen Politzers, welcher bei Verdünnung 
der Luft in der Trommelhöhle an frischen menschlichen Gehörorganen ein 
deutliches Sinken der Flüssigkeit im Manometerröhrchen beobachtete trotz 
der hierbei ebenso gut wie bei anhaltendem Tubarverschiuss statt- 
findenden stärkeren Belastung des Trommelfells. Man wird demnach 
auch bei anhaltendem Tubarverschiuss eine Verminderung des Druckes 
im Labyrinth annehmen müssen und Verf. möchte mit Bezug auf die oben 
angeführten Beobachtungen von Lucae die Frage aufwerfen, ob 
nicht verminderter Labyrinthdrack ebenso gut wie gesteigerter einen Reiz 
auf den Acusticus ausüben könne. Auf diese Weise würden sich dann 
die beiden Beobachtungen Lucae’s, das Aufhören des Ohrenklingens 
nach Valsalva und Luftdouche, wodurch die normale Spannung im inneren 
Ohr wieder hergestellt wurde, und das Auftreten von Ohrenklingen beim 
festen Einpressen des Fingers in den Gehörgang mit einander in Einklang 
bringen lassen; das letztere hat, nebenbei bemerkt, sein Analogon in dem 
Auftreten von Ohrenklingen beim P o 1 i t z e r sehen Verfahren. Verf. hat früher 
eine Beobachtung mitgetheilt, welche dafür zu sprechen scheint, dass beim 
Ansaugen der Luft aus der Paukenhöhle der Labyrinthdrack herabgesetzt wird. 

Es führt dies von selbst zur Frage, wie man diese singenden, 
klingenden, siedenden, zirpenden Geräusche beim chronischen Mittelohr¬ 
katarrh zu betrachten hat und zwar in erster Linie, ob sie, analog 
dem früher besprochenen Ohrenklingen, als subjective oder blos als 
entotische Wahrnehmung aufzufassen seien. Verf. entscheidet sich für 
das erstere und zwar aus mehreren Gründen. Einmal wüsste er für 
eine Autoperception von so hohem Toncharakter kein Substrat im Ohr 
oder dessen Umgebung zu finden; es müsste zudem eine continuiriiche, 
keine blos vorübergehende Schallquelle sein. Die Muskel- und Blutgeräusche 
aber haben bekanntlich einen tieferen, dem Rauschen, Brausen oder Brum¬ 
men entsprechenden Toncharakter. Sodann möchte er auf die Verwandt¬ 
schaft mit dem sub I besprochenen Ohrenklingen hinweisen. Dass das 
zirpende Geräusch nicht selten vorübergehend mit wirklichem Ohrenklingen 
alternirt, wurde bereits bemerkt. 

Auf welche Weise nun die supponirte subjective Erregung zu Stande 
komme, darüber kann man zur Stunde nur Vermuthungen äussern. Be¬ 
stätigt sich die Annahme, dass der Hörnerv auf mechanische wie elektrische 
Reizung vorzugsweise mit Ohrenklingen antworte, so wäre man der 
Erklärung etwas näher gerückt und es würde sich dann weiter fragen, 
wo die Quelle der Erregung zu suchen wäre. Vielleicht in der Blut¬ 
bewegung, die ja auch am Auge subjective Lichtempfindungen (Funken, 
Blitze) hervorrafen kann, allerdings nicht continuiriiche und nur bei 
gesteigerter Erregbarkeit. Dass die letztere in den betreffenden Fällen 
auch am Acusticus vorhanden ist, dafür sprechen viele Anzeichen, z. B. 
vermehrte Empfindlichkeit gegen grellen Schall, Verstärkung des 
Symptoms nach anhaltender Kopfarbeit etc. Ob veränderter Labyrintli- 
drack (gesteigerter sowohl, als verminderter) oder auch gewisse patho¬ 
logische Veränderungen für sich allein schon im Stande seien, den 
Hörnerven in anhaltende Erregung zu versetzen und so continuirliches 
Ohrensingen zu verursachen, vermag Verf. nicht zu entscheiden. 

III. Wesentlich verschieden von den bis dahin besprochenen subjectiven 
Gehörwahrnehmungen sowohl nach Toncharakter, als auch meistens in 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Bezug auf Entstehungsweise ist das Ohrenrauschen, worunter Verf. ein 
Geräusch versteht, ähnlich dem Kauschen des Flusses, Baches, eines Wehres, 
Wasserfalles oder auch dem Rauschen des Windes in den Wipfeln der 
Bäume. 

Verf. hält das Ohrenrauschen (wie das Sausen, Brummen) in der 
Mehrzahl der Fälle für eine entotische Erscheinung, für eine Autopercep- 
tion von Muskel- und Blutgeräuschen. Doch kann es auch auf rein 
subjectivem Wege im Labyrinth oder in den Centren entstehen. Doch 
glaubt er beobachtet zu haben, dass z. B. bei den chronischen Labyrinth- 
affectionen die klingenden, singenden, zischenden Geräusche bei weitem 
überwiegen und findet dies auch beim Durchlesen der interessanten Be¬ 
obachtungen bestätigt, die Wolf in seinem Aufsatze: „Neue Untersuchungen 
über Hörprüfung etc.“, niedergelegt hat. 

Was nun das durch die Blutbewegung hervorgebrachte Rauschen 
anlangt, so ist dasselbe je nach seinem Ursprung bald pulsirend, isochron 
mit der Blutwelle, oder aber in gleichmässigem Strome dahinfiiessend. 
Unter normalen Verhältnissen hören wir die Biutbewegung im Ohr oder 
dessen Umgebung nicht, es bedarf hierzu besondere begünstigende Mo¬ 
mente. Als solche sind wohl vor Allem dreierlei zu nennen: a) alle, 
diejenigen Factoren, welche die Resonanz im Ohr verstärken, als: Ab¬ 
sperrung einer Luftsäule, sei es im äusseren Gehörgang oder in der 
Pauke oder den Warzenzellen oder sonst in der Nähe des Ohrs; ebenso 
Ansammlung der Flüssigkeit in der Pauke oder im Meatus ext. (so kann 
z. B. ein Tropfen Wasser, der nach dem Ausspritzen in der Ausbuchtung 
vor dem Trommelfell zurückbleibt, Rauschen verursachen). Wir wissen, 
dass unter diesen Umständen der Ton einer auf den Schädel gesetzten 
Stimmgabel verstärkt wird und eine ähnliche Verstärkung ist wohl auch 
für die Geräusche des Blutstroms zu erwarten; leider sind wir über die 
Verhältnisse der Resonanz im gesunden und kranken Ohr, resp. die Vor¬ 
richtungen zu ihrer Verhütung, noch nicht genügend unterrichtet. Bei 
dieser Gelegenheit bemerkt Verf., dass Berührung des kranken Ohrs oder 
seiner Umgebung manchen Patienten einen ganz andern (d. h. hohlen) 
Ton verursacht, als die Berührung der gesunden Seite; ein Umstand, auf 
den man bei Vorhandensein von Ohrrauschen zu achten hat. b) Abnorme 
Verstärkung der Blutgeräusche, sei es durch gesteigerte Ilerzthätigkeit 
oder durch locale Störungen im Kreislauf, c) Hyperästhesie des Acusticus 
oder der nervösen Centralorgane. Diese drei Hauptmomente können sich 
dann wieder mit einander combiniren, so wahrscheinlich bei dem meist 
pulsirenden Rauschen im Gefolge der acut entzündlichen Affection des 
Mittelohrs, wo auch die Knochenleitung =auf der ki*anken Seite constant 
und in hohem Grade verstärkt ist. 5 

Das Rauschen bei obturirenden Ohrenschmalzpfröpfen möchte Verf. 
unter I. einreihen, ebenso das Rauschen bei obturirenden Polypen, bei 
Anfüllung der Paukenhöhle oder des Gehörgangs mit Secret. Wenn man 
das Ohr (namentlich mit umgekrämpter Ohrmuschel) gegen ein festes 
8oph&kissen drückt, so hört man ein pnlsirendes Klopfen oder Brausen, 
das ebenfalls hierher gehört. Verschliesst man den Gehörgang mit dem 
Finger, so ist das hierbei entstehende continuirliche Geräusch mehr ein 
brummendes, die Gefässgeräusche sind dann mit Muskelgeräuschen vermischt. 

IV. Eine besondere Gruppe von subjectiven Schall Wahrnehmungen sowohl 
in Bezug auf Entstehungsweise, als Qualität der Empfindung, bildet das 
«ibjective Hören zusammenhängender Melodien. Es ist wohl von vornherein 


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Medicinisch-cMrurgische Bund schau. 


klar, dass es sich hier um ein mehr centrales Symptom handelt. Ob 
Labyrinthaffectionen für sich allein im Stande sind, dasselbe hervorzurufen ?. 

So viel Verf. aus der Literatur und aus eigener Beobachtung ersieht, ist 
die in Rede stehende Erscheinung durchaus kein regelmässiger Begleiter 
von Labyrintherkrankungen, und wenn sie hier und da ausnahmsweise 
vorkommt, so wird es sich fragen, ob nicht ein gleichzeitiger Reizzustand 
der betreffenden Hirntheile die Ursache war. 

Auch vom theoretischen Standpunkte aus will es scheinen, dass 
man die Ursache nicht im Labyrinth suchen könne, und ein Physiologe 
von Fach, dem Verf. die Frage vorlegte, schrieb darüber Folgendes: 
„Ihre Frage lässt sich sehr bestimmt dahin beantworten, dass das Hören 
zusammenhängender, geordneter Melodien unmöglich eine peripherische 
Ursache, etwa im Labyrinth oder Schnecke, haben kann. Ja selbst in 
den nächsten Acusticus-Centren kann die Ursache nicht gesucht werden, 
sondern jedenfalls nur im Bereiche des Grosshiras. Es handelt sich um 
eine Art von Hallucination, bei der der Grad des Pathologischen wahrschein¬ 
lich nach dem Grade der Zwangsmässigkeit und des Täuschungsbewusst¬ 
seins zu bemessen ist. u 

Diese Erwägungen haben ein bedeutendes praktisches Interesse, wie 
ein Fall von „vorübergehender Taubheit mit subjectivem Hören zusammen¬ 
hängender Melodien als Folge grosser Chinindosen“ beweist, der im 
Original in extenso beschrieben ist. 

Da die Störungen Wochen und Monate lang anhalten können — 
es wird ja selbst von bleibenden Gehör- und Sehstörungen, sowie von 
Lähmungen berichtet — so wird man sich vorstellen müssen, dass das 
in’s Blut übergegangene Chinin in den nervösen Elementen des Hirns 
Veränderungen hervorrufe, welche gewöhnlich transitorisch, hier und da 
aber von bleibender Natur seien. 

Auch einen Fall von subjectivem Hören zusammenhängender Melodien 
in Folge von Hirnapoplexie schildert Verfasser. 

Weniger leicht zu erklären ist das subjective Hören von ganzen 
Melodien in Fällen, die man nach dem klinischen Bilde als ursprünglich 
periphere Leiden (als chronischen Mittelohrkatarrh), bezeichnen muss. 

Doch kann man sich in diesen Fällen vorstellen, dass allmälig auch 
in den Centren des Acusticus bis in’s Grosshirn hinein Veränderungen 
entstehen (wahrscheinlich in Folge des Ausbleibens der gewohnten 
peripherischen Reize), welche daselbst einen abnormen Erzeugungszustand 
bedingen. 0. R. 

40. Zur Therapie des Katarrhs der Highmorshöhle. Von Dr. G. 
Wolfram, prakt. Arzt in Buckau b. Magdeburg. (Berl. klin. Wchnschr. 

XV. 16. 1879.) 

Ein 55 Jahre alter, kräftiger, blühend aussehender Mann, stets ge¬ 
sund , nur während der Winterszeit dann und wann an Schnupfen und 
leichtem Rachenkatarrh leidend, klagte seit April 1876 über Schmerzen 
im linken Oberkiefer, über die linke Orbitalgegend und linke Stirnhälfte 
ausstrahlend. In dem Glauben, dass der erste Mahlzahn oben links die 
Ursache der Schmerzen sei, liess er sich denselben extrahiren, der Zahn 
erwies sich aber als ganz gesund. Schon am Nachmittag desselben Tags 
spürte Patient fauligen Geschmack und Geruch, von aashaft stinkendem Eiter 
in der Nase herrtihrend, welcher bei gebückter Stellung in grösserer 
Menge von selbst ausfloss. Die von einem anderen Arzte verordnet© 

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Mediciniscb-chirargische Rundschau. 45 

Nasendouehe mit Salicylsäurelösung und Chlorkalklösung besserte den Zu¬ 
stand, ohne ihn jedoch zu beseitigen. 

Veif., von der Ansicht ausgehend, dass ausser dem direct nach¬ 
weisbaren Katarrh noch ein solcher in der Highmorshöhle bestehe und 
hier der eigentliche Herd des stinkenden Ausflusses sei, und bei der Un¬ 
möglichkeit, den Strahl der Nasendouehe bis in die Highmorshöhle zu 
treiben, liess den Patienten mittels eines kleinen Inhalationsapparates, 
nach vorausgegangener Nasendouche mit Kochsalzlösung, eine 2perc. 
Tanninglycerinlösung, welche später mit einer 0*6—lperc. Lösung von 
Alumen aceticum vertauscht wurde, durch die Nase inspiriren. Nach 
6 Wochen war Patient von seiner Ozaena geheilt und ist es auch (bei 
Abfassung des Berichtes seit 2 Jahren) geblieben. Verf. glaubt hiernach 
diese Applicationsart von Medicamenten auch für andere Leiden, weiche 
ihren Sitz in den höher liegenden Theilen der Nase haben, empfehlen zu 
dürfen. Krug. 

41. Ueber die buccale Exstirpation der basilaren Rachen* 
geschwiilste. Von Prof. Dr. Gussenbauer. (Arcli. f. klin. Chir. 
XXIV. 2. p. 265. 1879.) 

Gussenbauer gibt einen Beitrag zur Operation der fibrösen, von 
der Schädelbasis ausgehenden Rachenpolypen. Aus seiner Zusammenstellung 
geht hervor, dass von den zur Freilegung des Operationsfeldes erforder¬ 
lichen Voroperationen die osteoplastische partielle Oberkieferresection nach 
v. Laugenbeck den besten Zugang und die geringste Entstellung er¬ 
möglicht, und dass die bisher angegebenen Methoden, welche den Zugang 
zum Operationsgebiet von der Mundhöhle aus zu schaffen suchen, entweder 
diesen Zweck nur ungenügend erfüllen oder dauernde Nachtheile im Ge¬ 
folge haben, welche schwerer wiegen als die bei der genannten Facial- 
operation zurückbleibende Entstellung. In den Fällen, wo die faciale Vor¬ 
operation von den Kranken verweigert wird, blieb demnach bisher nichts 
übrig als die partielle Abtragung mit Ecraseur oder galvanokaustischer 
Schlinge mit ziemlich sicherer Aussicht auf Recidive; denn die langsam ab¬ 
schnürende Ligatur, welche allein Aussicht auf eine bis zur Schädelbasis 
sich fortpflanzende Stielnekrose gibt, hat zu viele üble Zufälle im Gefolge 
gehabt, als dass man sich noch leicht zu ihr entschlossen könnte. 

Eine Frau mit grossem fibrösen Rachenpolyp weigerte sich, die zur 
Radicalheilung anscheinend unbedingt nöthige Kieferoperation an sich vor¬ 
nehmen zu lassen. G.’s Operationsverfahren war wie folgt. Spaltung des 
mucös-perio8tealen Ueberzuges des harten Gaumens in der Medianlinie in 
seiner ganzen Länge, Ablösung desselben nach beiden Seiten bis in die 
Nähe der Alveolarfortsätze, Entfernung des Processus palatini und der Gau¬ 
menbeine mit Meissei und Hammer, wodurch nicht nur die beiden Nasen¬ 
höhlen, sondern auch die Schädelbasis zugänglich gemacht und die Ex¬ 
stirpation des Tumor mit Messer oder Scheere ermöglicht wurde. Nach 
Stillung der Blutung und Zerstörung des Periosts der Schädelbasis mit 
dem Thermokauter geschah die Vereinigung des mucös-periostealen Gaumen¬ 
tiberzugs. Die ganze Operation war in kaum 3 / 4 Stunden beendigt. 
Reactionslose schnelle Heilung, Gaumenwunde vollständig vereinigt. Ver¬ 
suche am Cadaver zeigten, dass die beschriebene Operation einen freieren 
Zugang zur Schädelbasis gewährt, als irgend eine der facialen Methoden, 
mit Ausnahme der Entfernung einer Kieferhälfte. 


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Uedicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Dermatologie und Syphilis. 

42. Ueber den Zusammenhang von Hantresorption und Albu¬ 
minurie. Von Dr. 0. Lassar. (Virchow’s Archiv, Band 77, Heft I.) 

Verfasser hatte in Band 72 dieses Archives über einen Fall be¬ 
richtet, bei dem es in Folge von Petroleumeinreibungen zu einer Derma¬ 
titis mit Albuminurie gekommen ist, ohne dass eine entsprechende Nieren- 
affection nachweisbar gewesen wäre. — Er hatte deshalb den Eindruck 
erhalten, dass möglicherweise die Hautentzündung die primäre Läsion ist, 
und dass die Albuminurie nur einen Folgezustand derselben darstellt. — 
Um darüber zur völligen Entscheidung zu gelangen, wurden Kaninchen, 
deren Haare durch Schwefelcalciumhydrat entfernt worden sind, mit ver¬ 
dünntem Crotonöl bestrichen. — Die Thiere sollen daraufhin eine 
Hautentzündung höchsten Grades bekommen haben und im Urine war 
jedesmal eine grosse Menge von Ei weis nachzu weisen. Damit aber be¬ 
stimmt werden könne, ob die Entzündung als solche oder ob die ein¬ 
greifende Affection der Haut die Albuminurie bewirkt haben, wurde bei 
einer zweiten Thierreihe durch subcutane Injection einer opercentigen 
Terpentinemulsion das Unterhautzellgewebe in Eiterung versetzt. Dabei 
zeigte es sich, dass der Harn dieser Thiere eiweissfrei blieb. Lassar 
schliesst daraus, dass die Entzündung sicher nicht die Ursache der Albu¬ 
minurie ist. 

Um nun Aufschluss darüber zu erlangen, ob nicht das Petroleum 
das Auftreten des Eiweisses im Urine bedingt, wurde eine Thierreihe 
durch längere Zeit solchen Dünsten ausgesetzt. Allein es konnte an den¬ 
selben weder irgend eine Alteration der Niereathätigkeit, noch sonst welch’ 
abnormes Verhalten constatirt werden. Dagegen, wenn die Haut der 
Kaninchen zu wiederholten Malen mit Petroleum eingepinselt wird, so wird 
regelmässig ein Körper secernirt, der im trüben Harn durch Salpeter¬ 
säure als ein dicker, wolkiger Niederschlag zu Boden fällt, der beim 
Erhitzen sich etwas klärt und beim Erkalten in voriger Menge sich wieder 
abscheidet. Mit Alkohol oder Aether vermengt, löst sich der Niederschlag 
vollständig auf. Es muss also angenommen werden, dass, nachdem beim 
Versetzen des Urines mit Petroleum ein solcher Niederschlag nicht zu 
Stande kommt, dieselbe Flüssigkeit in der Blutbahn eine Oxydation ein¬ 
geht, wodurch eine harzige Substanz sich bildet. Indess kommt in der 
Mehrzahl der Fälle nach Petroleumbehandlung auch ein wirklich patho¬ 
logischer Bestandtkeil, welcher als ein Ei weisskörper aufgefasst werden 
muss , im Urine vor. Dieser Eiweisskörper coagulirt in der Hitze selbst 
bei Essigsäure und Kochsalzzusatz nicht, wohl aber in der Kälte. Dagegen 
löst er sich in Alkohol nicht und im Wasser ja. Mit Kali und Kupfer¬ 
vitriol erwärmt, gibt er eine violette, mit salpetersaurem Quecksilberoxyd 
eine rosenrothe Färbung. L. hält ihn demzufolge für einen Pepionkörper 
im Harne. Ausser diesem leicht diffusiblen Eiweisskörper hat aber L. bei 
längerer Behandlung der Thiere mit Petroleum auch gewöhnliches Serum¬ 
albumin im Harne vorgefunden, so dass der Process, nachdem eine Zeit 
lang als Verläuferstadien zuerst eine harzige Substanz und dann ein Pepton¬ 
körper ausgeschieden wurde, schliesslich mit einer regelrechten Albuminurie 
endigt. Anatomisch-histologische Untersuchungen, die er nach den ver¬ 
schiedenen Richtungen angestellt hat, ergeben, dass an gehärteten Nieren 
weder in der Harzperiode, noch während der Peptonurie eine ausge¬ 
sprochene Veränderung erkennbar ist, dagegen im Stadium der Albuminurie 


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Med icinisch-chirurgische Rundschau. 


47 


eine deutliche schollig-körnige Degeneration der Nierenepithelien anzutreffen 
ist. Controlver$uche, die L. mit Rtiböl, Olivenöl und Leberthran unter¬ 
nommen , haben völlig negative Resultate geliefert. Verf. schliesst dem¬ 
nach, dass die indifferenten Fette und Oele ohne jede Schädigung die 
Nierenepithelien passiren , dagegen wird die Integrität derselben durch 
Petroleum, Crotonöl und andere reizende oder giftige Stoffe beeinträchtigt. 
Die Albuminurie geht somit ganz unabhängig neben der Hautentzündung 
anher und der Hautresorption fällt die Vermittlerrolle zu. Geber. 

43. Beobachtungen Aber Elephantiasis auf Samoa. Von Dr. 

Königer, Marine-Assistenzarzt. (Langenbeck’s Archiv f. klinische 
Chirurgie, Bd. XXIH, Heft 2.) 

Unter den auf der Insel Samoa herrschenden endemischen Krank¬ 
heiten soll bekanntermassen Elephantiasis arabum die allerhäufigste sein. 
Turner, Arzt der London MissionarySociety, gibt, auf eine achtjährige 
Erfahrung gestützt, an, dass mindestens 5O°/ 0 der ganzen erwachsenen 
Bevölkerung davon befallen werden, ja in vielen Familien leiden sämmt- 
liche Mitglieder daran und nur in günstigen Fällen sollen die kleineren 
Kinder davon ausgenommen sein. Dr. Königer, der sich einige Zeit 
auf den „Schiffer-Inseln“ aufgehalten hat, berichtet, dass er in Bezug 
der Häufigkeit der Erkrankung eine Prädisposition des Geschlechtes oder 
der Race nicht gefunden hat, dass aber das Alter von den Pubertätsjahren 
angefangen, sowie einzelne Körpertheile, so die Ober- und Unterextremi¬ 
täten, wie auch das Scrotum, eine besondere Neigung dazu zeigen. Tur¬ 
ner erzählte ihm, dass Elephantiasis-Ausbruch an neunjährigen Kindern 
auf Samoa gar nicht zu den besonderen Seltenheiten gehört. Beide Aerzte 
— K. und T. — sprechen sich dahin aus, dass die Bodenverhältnisse 
in erster Linie und dann die Lebensweise der Leute — ungenügende 
Reinlichkeit und mangelhafte Beschaffenheit der Nahrung — als krank¬ 
machende Factoren anzusehen sind. Die Einwohnerschaft Samoas hält sich 
nämlich fast ausschliesslich auf dem flachen Küstenstriche auf, dieser aber 
ist an mehreren Orten mit ausgedehnten Süss- und Brackwassersümpfen 
bedeckt. Werden während des Sommers, von October bis März — Samoa 
liegt an 13—14° s. B. — der eigentlichen Regenzeit, die bewohnbaren 
Plätze unter Wasser gesetzt, so pflegen dann die während der Winter¬ 
monate fast unausgesestzt wehenden kräftigen Südostpassate nicht wenig 
dazu beizutragen, dass sowohl der Wasserdampfgehalt der Luft, wie auch 
die Niederschläge im Allgemeinen reichliche seien. Um diese Zeit sollen 
auch bei den meisten Leuten die ersten unter dem Krankheitsbilde des 
Erysipels auftretenden Attaquen erscheinen und bei jenen, die bereits damit 
behaftet sind, dieselben sich häufiger einstellen. Turner glaubt daher, 
dass die Eleph. arabum gewissen miasmatischen Einflüssen unterliege und 
behält diese Auffassung bei seinem therapeutischen Vorgänge bei. Im 
Beginne der Erkrankung, bald nach den ersten Erysipel-Anfällen, empfiehlt 
er Veränderung, resp. Verlassen des Aufenthaltsortes und nur dort, wo 
dies nicht ausführbar ist, verordnet er durch längere Zeit zu gebrauchende 
grosse Dosen von Chinin oder Arsenik. Hat sich die Verdickung der 
betreffenden Körpertheile in dem Grade entwickelt, dass eine Rückbildung 
nicht vorauszusetzen ist, so wird zur Operation geschritten. K. führt zum 
Schlüsse die von Turner bei Eleph. scroti mit besonders günstigem 
Erfolge — von 75 operirten Fällen starb einer an colliquativer Diarrhoe — 
geübte Operationstechnik an. Das Verfahren unterscheidet sich von dem 
sonstigen blos durch Anlegen eines stählernen Klemmapparates zur Ver¬ 
hütung von Blutungen. Geber. 


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Medicinißch-chirnrgische Rundschau. 


44. Ueber Xanthome der Augenlider. Von Besnier. (Journal 
de med. et chirurg. pratique. — Annales de la societe de möd. Gand, 
VII Livr. 1879.) 

Rayer hat das Xanthom zuerst als gelbe Plaques beschrieben, 
welche meist an den Augenlidern Vorkommen. Späterhin wurden mehrere 
Formen unterschieden, je nachdem dieselben flach oder erhaben auftraten, 
und haben die Engländer dafür die Bezeichnung Molluscum oder Xanthe¬ 
lasma gebraucht. V i r c li o w hat, gestützt auf anatomische Untersuchungen, 
den Namen Fibroma lipomatodes dafür eingeführt. Wer je solche Plaques 
an den Augenlidern oder auf der Hohlhand gesehen, welche gelblich, von 
regulärer Gestalt, einen eigenthümlichen Anblick gewähren, wird sie nie 
mit anderen Affectionen verwechseln. Sie vegetiren immerfort, schmerzen 
nicht, gehen auch nicht in Eiterung über, höchstens bei Leuten, die 
schwere Handarbeit verrichten. Anatomische Untersuchungen der Plaques 
ergaben die Zusammensetzung aus fibrösem Gewebe und Fett. Die An¬ 
sicht, dass erkrankte Talgdrüsen darin Vorkommen, ist eine irrthümliche, 
da die Affection als Prädilectionssitz die Vola manus und Planta pedis 
wählt, wo die betreffenden Drüsen nicht vorhanden sind. 

Die Aetiologie dieser Erkrankung ist noch dunkel, bisweilen sind 
die damit behafteten Personen gesund, meist ist aber eine Leberaffection 
vorhanden, und bisweilen gesellt sich auch Icterus hinzu, so dass stets 
bei dergleichen Uebeln auf den Zustand der Leber geachtet werden muss. 

Die Behandlung eines Leidens, das dem Kranken geringe Be¬ 
schwerden verursacht, wird selten beansprucht. Ist dies der Fall, dann 
muss man von örtlicher Behandlung absehen und mehr eine allgemeine 
in Anwendung ziehen. Diese besteht in Kaltwasserbehandlung, der An¬ 
wendung einer strengen geregelten Diät und dem Gebrauch alkalischer 
Mittel. 

Verf. stellt bei dieser Gelegenheit einen icterischen Kranken vor, 
welcher gelbe Plaques an den Augenlidern, am Nacken, an den Lenden. 
Ellenbogen und deu Handtellern darbietet. Die Krankheit besteht seit 
zwei Jahren ohne Schmerzen, ohne irgend welche functionelle Störungen 
oder irgend welche Beeinträchtigung der Gesundheit. Nur der Icterus 
veranlasste den Kranken Hilfe zu suchen, und wird bei demselben die 
hydropathische Heilmethode, sowie der Gebrauch von Alkalien ange¬ 
wendet. 

45. Zur Behandlung der Psoriasis palmaris und plantaris syphi¬ 
litica. Von Prof. v. Sigmund, Wien. (Wiener med. Wochenschrift 
1879. 41.) 

Eine sorgsame Anwendung von Sublimatlösungen empfiehlt Verf. als 
ausgezeichnetes Mittel, um syphilitische Neubildungen secundärer Natur, 
wie Papeln, Pusteln, Schuppen, rasch zur Rückbildung zu bringen. Die 
Bepinselung wird täglich, nach vorhergegangener peinlicher Reinigung der 
betreffenden Hautpartie, 1—2 Mal vorgenommen, den reactiven Erschei¬ 
nungen und dem Schmerz am besten durch Umschläge mit Bleiacetatlösung 
vorgebeugt. Für die äussere Haut, namentlich bei Schuppenflechten an 
Handtellern und Fusssohlen, eignet sich am besten das Collodinm, für 
zartere Hautpartien und leichtere Papeln, Pusteln und Schuppen das 
Alkohol als Lösungsmittel, wälirend für die Anwendung auf Schleimhäute 
der Aether den Vorzug verdient. 

Für die Behandlung der hartnäckigen Palmar-, Plantarpsoriasis gibt 
Verf. folgende Special Vorschriften: Des Morgens Bepinselung mit Sublimat 

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Collodium (1 Sublim1 Oleum Uni recens ., 15 — 20 Collod .), Abends 
recht nachdrückliche Einreibung mit weisser Präcipitatsalbe (5 bichl. Hydr. 
Amwon., 25 Ungt. stmpL). Die Schwielen, Risse, Infiltrationen in älteren 
und schwereren Fällen sind vor Vornahme der directen Behandlung mit 
örtlichen Bädern (2—5°/ 0 Carbolsäure-, 5°/ 0 Chlorkali-, 5°/ 0 Kochsalz¬ 
lösung), Zinksalben und wohlangepassten Streifen grauen Pflasters von 
ihren wunden Stellen zu befreien. — Bei sogenannter Psoriasis cornea 
lässt Verf. auf die schwieligen Infiltrate Abends graue Salbe einreiben. 
Nachts Handschuhe und Fusssocken anlegen, am Morgen Collodiura auf¬ 
tragen und schliesslich nach dem Eintrocknen derselben graues Pflaster 
genau passend auflegen. Bei Abwesenheit anderer Indurationen ist eine 
allgemeine Behandlung, zumal wenn eine solche schon früher regelmässig 
durchgeftihrt wurde, gegen Psoriasis palm. und plant, nicht vonnöthen. 

46. Eine erworbene grosse Retentionscyste des Präpntialsackes. 

Von Dr. A. Bidder. (Deutsche Zeitschr. f. Cliir. XII. 4. und 5. Heft.) 

Ein 13 Jahre alter, mit Spina bifida und Paralyse mehrerer Muskel- 
gruppen behafteter, herabgekommener Knabe leidet seit seiner Geburt auch 
an Incontinentia urinae, in Folge deren seit zwei Jahren eine ganz eigen¬ 
tümliche Diftormität des Penis sich etablirte. Das Ende desselben ist näm¬ 
lich zu einem etwa hühnereigrossen ovalen, circa 7 Cm. langen und 5 Cm. 
breiten Tumor erweitert, welcher wie eine grosse Pflaume an ihrem Stiel 
herabhing. Die Haut des Penis geht unverändert auf den Tumor, bekleidet 
ihn vollständig und endigt wie ein normales Präputium iu einen kleinen 
Faltenkranz, in dessen Bereiche, also am unteren Pol des Tumors, ein 
flaches Geschwür sitzt. Nahe am oberen Rande des letzteren befindet 
sich eine kleine Oeffnung, aus weleher etwas Flüssigkeit aussickert. Durch 
Druck auf den Tumor spritzt aus jener Oeffnung die Flüssigkeit (Uriuj in 
feinem Strahl aus. Eine durch dieselbe eingeführte Sonde gelangt in einen 
weiten, mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraum, also eine durch Urinretention 
entstandene cystische Erweiterung des Präputialsackes. Nach Spalten des 
Tumors (Phimosisoperation) fand der in den weiten Hohlraum eingeführte 
Finger die Innenplatte der Vorhaut verdickt und hoch oben die kleine 
wohlgebildete Eichel. Nach erfolgter Heilung der kleinen Operationswunde 
fand ein continuirliches Abfliessen des Harns statt, während vorher der in 
dem natürlichen Urinarium angesammelte Harn nur von Zeit zu Zeit, d. i. 
bei maximaler Füllung, hinausgepresst wurde. — Das Zustandekommen 
dieser Cyste wäre also durch die angeborene hochgradige Phimose und gleich¬ 
zeitige Incontinenz in der Weise zu erklären, dass der sich leicht zer¬ 
setzende Urin zu einer Reizung der engen Präputialöflnung und so zu 
chronischer Ulceration und Entzündung daselbst Veranlassung gegeben, 
welche ihrerseits zu einer Steigerung der Verengerung führte. Da mehr 
Urin zufloss als abging, so erfolgte eine immer zunehmende Ausdehnung 
de« Vorhautsackes, deren Resultat die grosse Präputialcyste war, welche 
gleiehsam einen für die insufficiente Blase vicariirenden Urinbehälter 
darstellte. G r tt n f e 1 d. 

47. Vorläufige Mittheilung von einem neuen Untersuchungsergeb- 
nisse bei Psoriasis. Von E. Lang. (Vierteljahresschr. f. Denn, und 
Syph. 1879. 2 und 3.) 

In einem früheren Aufsatze (cf. Rundschau Februar 1879, pag. 13h) 
erklärte Verf. auf Grund gewisser klinischer Erscheinungen die Annahme 
für zulässig, dass die Psoriasis durch einen in der menschlichen Haut ange¬ 
siedelten Pilz veranlasst werde. Für die Praxis wäre es von weittragender 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Bedeutung, wenn die Psoriasis auch durch einen Pilz bedingt wird. Es wäre 
dann gegründete Hoffnung vorhanden, die Krankheit nicht mehr zu den 
unheilbaren zu zählen. Die seit einiger Zeit von L. angesteliten Unter¬ 
suchungen haben mit unzweifelhafter Sicherheit ergeben, dass in gewissen 
Lagern der Psoriasisefflorescenzen Pilzelemente mit grosser Regelmässigkeit 
angetroffen werden. Das nach Abblätterung von trockenen Schuppenmassen 
einer Efflorescenz sichtbare, sehr zarte Häutchen, von L. Psoriasishäutchen 
genannt, durch welches der rothe Papillarkörper durclischimmert, lässt sich 
im grösseren Zusammenhänge abschälen und erweist sich unter dem Mikro¬ 
skope als aus verschieden aussehenden Epithelien, zerfallenden Massen und 
Pilzen bestehend. Die Pilzelemente, welche hier angetroffen werden, sind 
entweder einzeln oder in Gruppen gehäuft und bestehen aus genauer ge¬ 
schilderten Fäden und Sporen. Verf. nennt diesen Pilz, der sich von den 
bisher in der menschlichen Haut Vorgefundenen in vielen Beziehungen unter¬ 
scheidet, Epidermidophyton. Grtinfeld. 

48. Zur Frage über erbliche Syphilis. Von W. Grefberg in 
Helsingfors. (Viertel)*ahresschr. f. Derm. und Syph. 1879. 1. Heft.) 

Verf. theilt als Beitrag zur Vererbung der Syphilis zwei von ihm 
genau beobachtete Krankheitsfälle mit, ohne an dieselben eine Bemerkung 
zu knüpfen. Es handelt sich im ersten Falle um eine 35 Jahre alte Frau, 
die in den Jahren 1864—65 zu wiederholten Malen, im Ganzen 299 Tage, 
im Krankenhause wegen Syphilis an den Genitalien, am Stamme und im 
Halse bis zur Heilung in Verpflegung stand und 2 Jahre darauf eine Ehe 
einging. Während ihrer 11jährigen Ehe hatte sie 11 Schwangerschaften 
mit Abortus durchgemacht. Erst nach der 12. Gravidität kam das erste 
lebende Kind zur Welt, welches, zur Zeit der Vorstellung (August 1878) 

6 Wochen alt, äusserst abgemagert und mit Pemphigus syph., papulöser 
Syphilis am Stamme, Papeln in der Genitoanalgegend und der Mundschleim¬ 
haut etc. behaftet war. Die Mutter blieb seit ihrer Entlassung aus der 
Anstalt bis auf ein leichtes Ausfallen der Haare ganz gesund, während 
der Vater niemals an Syphilis litt. 

Der zweite Fall betraf einen 23 Jahre alten Studiosus, der im I 
Herbste 1875 inficirt, im Beginne des Jahres 1876 wegen Roseola syph. j 
eine Einreibungscur durchmachte. Im Juli 1876, als eben ein papulöses | 
Syphilid am Oberkörper mit Affectionen im Halse auftrat, verlobte sich j 
Pat. trotz des ärztlichen Verbotes und trat auch in näheren Umgang mit 
seiner Braut, welche im darauffolgenden März eines völlig gesunden 
Knaben genas, der bis zur Stunde (October 1878) keine syphilitischen 
Symptome gezeigt und gesund und kräftig blieb. Ebenso blieb die Mutter 
von Syphilis vollkommen frei, wiewohl der Mann die ganze Zeit mit ihr j 
in geschlechtlichem Verkehr stand und noch im Frühjahr wegen Psoriasis ; 
palm. und plant, sich behandeln Hess. (Auch dieser Fall spricht also j 
gegen die obligatorische Vererbung der Syphilis von Seiten des Vaters 
auf das Kind, indem die Uebertragung der Krankheit nicht unbedingt j 
erfolgen muss, also blos facultativ ist. Ref.) Grünfeld. 

49. Ueber „provocatorische Aetzung“ zur Diagnostik der Syphilis 
und den sogenannten pseudo-indurirten Schanker. Von Prof. Köbner. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1879. 51.) 

Die Erfahrung, dass bei Syphilitischen an Hautpartien, welche durch 
gewisse, der Syphilis fernstehende Ursachen irritirt werden, zuweilen 
syphilitische Producte auftreten, wollte bekanntlich Tarnowsky in einer 
„Reizung und Syphilis“ überschriebenen Arbeit (cfr. Vierteljahressehr. f. 
Derm. und Syphilis) zum Gesetz erhoben wissen. Diese Reizungsresultate j 


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Medicinisch-cliirurgische Rundschau. 


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sollen auch zu diagnostischen Zwecken als Cauterisatio provoca- 
toria verwendet werden, indem bei Syphilitischen, namentlich bei latent 
Syphilitischen, durch Aetzung mit Schwefelsäurekohlenpasta nach Ablauf 
der Entzündungsreaction die Ablagerung eines syphilitischen Infiltrats er¬ 
folge, welches in Form und Verlauf genau charakterisirt wurde. Bei nicht 
syphilitischen Individuen dagegen verschwindet die Entzündungsreaction 
innerhalb der ersten 8 Tage nach vollzogener Aetzung. Bei der Mangel¬ 
haftigkeit älterer Methoden zur Diagnose latenter und der oft genug nur 
gemufhmassten visceralen Syphilis sah sich nun Verf. zur Aufnahme der 
Aetzversuche mit Schwefelsäurekohlenpasta veranlasst, welche an 12 Indivi¬ 
duen in den verschiedenen Stadien der Syphilis, darunter bei 2 frischen, 
nach Tarnowsky hiezu allergünstigsten Formen, angestellt wurden. Ausser¬ 
dem versuchte K. diese Methode bei 6 Nichtsyphilitischen. Die Paste wurde 
mit einem Glasstabe auf 1 — l l /j Cm. grosse Stellen am Thorax aufge¬ 
tragen, darüber ein Watteverband bis nach völliger Vernarbung applicirt. 

Die Probeätzungen, von denen mehrere an einzelnen Individuen vor¬ 
genommen wurden, ergaben einen in entsprechender Zeit sich leicht ab- 
löseuden Aetzschorf, dessen Peripherie regelmässige, nirgends entzündete 
oder indurirte Ränder zeigte. Auch die Vernarbung unter dem Schorf er¬ 
folgte ohne eitrigen Zerfall. Die Narben selbst waren gleichmässig flach, 
ohne Induration. Nur bei einem Falle von Rupia syphilitica wurde der 
Aetzschorf durch Eiterung abgestossen; doch glich das schon am 19. Tage 
gereinigte, weiche, reichlich granulirende Aetzgeschwür ganz demjenigen, 
das auf einem Scrophulösen mit derselben Paste erzeugt wurde. Auch 
Impfungen mit einem durch Aufhebung des Aetzschorfes gewonnenen dicken 
Eitertröpfchen wurden vorgenommen; die Impfstiche waren jedoch inner¬ 
halb weniger Tage abortirt. — Das Verfahren, welches weder bei den hier 
mitgetheilten Versuchen, noch laut der diesbezüglichen Publication K ap o si s 
den charakteristischen Verlauf gezeigt hat, muss demzufolge als diagnostische 
Methode, zumal in zweifelhaften Fällen von latenter und visceraler Syphilis, 
sowie prognostisch als werthlos erscheinen. 

Die zweite Folgerung, die Tarnowsky aus dem oben angedeuteten 
Gesetz deducirt, wird vom Verf. gleichfalls zurückgewiesen. T. meinte 
nämlich, dass bei einem syphilitischen Individuum ein weicher Schanker 
nach 9—20 Tagen seines Bestehens, wie alle Reize auf der Haut von 
Syphilitischen, eine typische, knorpelharte, stetig zunehmende Induration 
im Umkreise und Boden hervorrufe, nach welcher keine multiplen harten 
Adenitiden und keine constitutionelle Syphilis folge. Diese Form wurde 
als pseudo-indurirter Schanker der Syphilitiker bezeichnet. Durch diese 
Aufstellung soll eine Lücke in der dualistischen Doctrin ausgefüllt werden, 
indem durch die Uebertragung weichen Schankergiftes bald weiche Schanker 
(bei Gesunden), bald harte (bei vorhandener Syphilis) zu Stande kommen. 
Köbner spricht sich gegen die Benennung schon wegen der in der 
Nomenclatur herrschenden Verwirrung aus und beruft sich in der Sache 
selbst auf die nach Tausenden zählenden Inoculationen (Sperino, Bo eck, 
Rogner, Tanturri etc.), sowie auf die jedem Fachmann bekannte Er¬ 
fahrung, dass weiche Schanker auf Syphilitischen ohne Besonderheit verlaufen. 
Auch die Fälle von Reinfection mit Syphilis, sowie die Beobachtungen, 
dass frühere Inhaber eines indurirten Schankers mit neuen indurirten Schan- 
kern uud diesmal folgender Syphilis denselben Aerzten sich vorgestellt haben, 
spricht gegen die von Tarnowsky aufgestellte differentialdiagno¬ 
stische Verwerthbarkeit des pseudo-indurirten Schankers. 

G rti n fe 1 d. 

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Medicinisch-chirDrgische Rundschau. 


50. Ueber Pruritus vulvae. Von Prof. Thomas, New-York. 
(The Boston med. and ckir. Journal. — Annales de la soctete de m£d. 
de Gand, Livr. X, 1879.) 

Eine der häufigsten Ursachen dieser, das weibliche Geschlecht be¬ 
helligenden Empfindung ist diejenige Leukorrhoe, welche so scharf ist, 
dass sie den Finger des untersuchenden Arztes reizt und nach dem Coitus 
eine Urethritis beim Manne erzeugt. Diese unterscheidet sich von der 
specifischen Urethritis, dem gewöhnlichen Tripper, durch ihre kurze Dauer 
und leichte Heilbarkeit. Will man sich davon überzeugen, ob die Vaginal- 
blennorrhoe die Ursache des Juckens ist — da dasselbe ebensowohl 
durch Ascariden, als auch durch beginnenden Diabetes bewirkt werden 
kann — so braucht man nur die Vagina mit Watte zu tamponiren, welche 
vorher in einer Auflösung von Tannin und Glycerin getränkt war. War 
die Leukorrhoe allein die Ursache, so wird innerhalb 12—24 Stunden die 
Kranke das Jucken und den Aufluss verlieren und von beiden Leiden 
leicht befreit sein. 

51. Zur Therapie der chronischen Harnröhrenentzündung. Von 

Prof. Auspitz. (Vierteljahresschr. für Denn, und Sypli. 1879. 6.) 

In einer grösseren Arbeit über die chronische Entzündung der 
männlichen Harnröhre stellt Verf. ftlr die Therapie derselben folgende 
Grundsätze auf: 

1. Die Injeetion stark ätzender Lösungen, z. B. von Argentum 
nitricum, welche theilweise noch jetzt zur Coupirung des Trippers ange¬ 
wendet werden, ist nicht räthlich, weil man damit eine viel grössere 
Fläche als die erkrankte ätzt und weil bei grosser Ausdehnung des Ent- 
zilndungsprocesses Gefahr entstehen kann. 

2. Die örtliche Anwendung eines solchen Aetzmittels, z. B. einer 
Lapislösung von 1—2 °/ 0 mittelst eines Pinsels und nicht mit einer Spritze 
in dem vordersten Theil der Harnröhre bis etwas über die Fossa navi- 
cularis hinaus, ist von Beginn an nicht zu verwerfen. Man kann in der 
That zuweilen abortive Behandlung erzielen. 

3. Einspritzungen mit der Tripperspritze befördern den Inhalt selten 
höher hinauf als bis zur Gegend der Symphyse. Wenn man daher hinter 
den Bulbus dringen will, so darf der Kranke die Injeetion nicht vor¬ 
nehmen, sondern ein Fachkundiger soll dieselbe machen; hierzu werde 
ein Katheter angewendet, welcher mit einem Gummirohr armirt ist. 

4. Schwache, nicht ätzende Injectionen wirken auf die katar¬ 
rhalische Schleimhaut, wie Wundw'ässer von denselben Concentrationsgraden 
auf die entsprechenden Wundflächen, reinigend, erfrischend und wohl- 
thuend. Verf. wendet daher schon im 1. Stadium solche Injectionen regel¬ 
mässig au. Die Kranken befinden sich hierbei viel wohler als bei der 
exspektativen Behandlungsmethode. Wenn man aber anfangs stärkere 
Lösungen, z. B. von Metalloxyden, anwendet, so erzielt man hiemit nur 
Reiz und Steigerung der Entzündung. 

5. Suspensionen von Blei oder Wismuth bleiben auf der Schleim¬ 
haut im fein zertheiltem Zustande zurück. Von den Suspensionen ist mehr 
als Heilmittel, von den Lösungen mehr als Reinigungsmittel zu erwarten. 
Manche Aerzte sind so kühn, Zincum sulphuricum 1 : 100 in Lösung zu 
verschreiben. 

6. Von Salben, Pasten und Aetzmitteln ist Erfolg zu erwarten, 
wenn sie auf eine bestimmte Stelle der Schleimhaut längere Zeit aufgelegt 
werden können. Bei Affectionen im cavernösen Theile wendet Verf. eine 


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Uedic irisch-chirurgische Hundschau. 


53 


Tanninglycerinpaste, in die Harnröhre gebracht, täglich mehrmals einige 
Minuten lang zuweilen an. Bei Affectionen in den tieferen Theilen darf die 
AppKeation nur kurze Zeit dauern und ist hier überhaupt nach Verf. zur 
Vorsicht zu mahnen. 

7. Von den harzigen Mitteln, Copaiv, Tolu, Matico, Terpentin 
u. s. w., sowie von den pfefferartigen hat Verf. niemals einen Erfolg 
gesehen. 

8. Bei einem sonst gesunden Menschen dauert ein Tripper 4 bis 
8 Wochen. Hier dürfte nach Verf. durch irgend welche andere Therapie 
kaum eine Verkürzung erzielt werden. Wenn eine Blennorrhoe länger 
als 8 Wochen dauert, so ist eine endoskopische Untersuchung vorzu¬ 
nehmen. Diese ist auch dann am Platze, wenn ein Tripper öfters, ohne 
erneute Ansteckung, wiederkehrt, wenn abnorme Empfindungen in der 
Harnröhre vorhanden sind, wenn Prostatorrhoe etc. hinzugetreten ist. 
Wenn die Untersuchung nachgewiesen hat, dass der Sitz des Ausflusses 
nicht ausserhalb der Harnröhre liegt, sondern in der Schleimhaut der 
Harnröhre selbst, so tritt eine locale Behandlung unter Benutzung des 
Endoskops in ihre Rechte. Man trifft hierbei im Wesentlichen auf folgende 
Befunde. 

a) Die Untersuchung weist einen hyperämischen, gelockerten Zu 
stand der Schleimhaut in der Pars cavernosa mit vermehrter Schleim- 
secretion nach, ohne dass er einen besondern heftigen Grad erreicht 
hätte. Hier ist die Behandlung die bisher übliche. 

b) An einer Stelle der Pars cavernosa, meist an der Pars bulbosa 
oder membranacea, hat sich der Befund der sammetartigen Schwellung 
ausgebildet. Die weiter nach der Blase zu liegenden Theile der Harn¬ 
röhre sind gesund. Hier empfiehlt Verf. folgende Behandlung. Ein ent¬ 
sprechendes Regimen, Vermeidung geistiger Getränke und reizender Kost; 
mässige Bewegung, Beförderung des Stuhlgangs; Genuss mässig köhlen- 
säurehaltiger Flüssigkeiten. Täglich 3mal Injection einer leichten Alaun¬ 
lösung oder einer schwachen Metalloxydlösung. Hierauf jeden 2. Tag 
unter Zuhilfenahme des Endoskops eine Touchirung der erkrankten Stelle 
vermittelst eines Tampons aus Baumwolle, welche mit Lösung von 
Argentum nitricum in zunehmender Stärke (3, 5, 10 und für hart¬ 
näckige Fälle 30 Proc.) getränkt ist. — Die Lösung bis zu 10% 
verursacht in der Regel auch auf kranken Stellen keinen Schmerz und 
diejenige bis zu 30% ist nur von massigem Schmerz begleitet. Nach 
24 Stunden hat sich der sofort gebildete weisse Schorf abgestossen. Eine 
Zerstörung der Schleimhaut ist nach derAetzung niemals erfolgt, es trat 
immer nur eine Abstossung der obersten Schicht des Epithes ein. Man 
hat also niemals narbige Zusammenziehung des Lumen der Harnröhre als 
Folge der Aetzung zu fürchten. In einzelnen Fällen genügen wenige 
Aetzungen, um das Bild einer normalen Centralfigur im Endoskop zu er¬ 
zielen und die Hypersecretion zum Schwinden zu bringen. Zuweilen sind 
öftere, täglich längere Zeit fortgesetzte Aetzungen nöthig; es tritt zu¬ 
weilen Verschlimmerung des Ausflusses und ein unangenehmer Druck an 
einer Stelle der Harnröhre ein. Hier handelt es sich um Abscessbildung 
einer Morgagni’schen Drüse. Das Einstechen in den kleinen Abscess und 
leichtes Touchiren führt bald zur Heilung. 

c) Wenn der Process über den Bulbus hinaus weiter fortgeschritten 
ist und Complicationen von Seiten der Prostata, der Samenbläschen u. s. w., 
welche das Einführen des Endoskops verhindern würden, nicht vorhanden 
and, so muss man endoskopisch feststellen, ob eine stärker entzündete, 


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MediciniBch-ckinir gische Rand schau. 


leicht blutende, sammetartig aufgelockerte Schleimhaut vorhanden ist, 
welche sich etwa bis zum Blasenhals erstrecken kann. Wenn dies der 
Fall, so muss Aetzong mit grösserer Vorsicht und viel schwächer vor¬ 
genommen werden. Lässt sich aber das Endoskop nicht einführen oder 
wenigstens nicht zur Aetzung benutzen, so muss Aetzung durch Injection 
vermittelst des Guyon’schen Instruments oder mit dem Pinsel von 
Gschirhakl vorgenommen werden. Ist die Anwendung des Endoskops 
wegen Blutung oder Entzündung nicht möglich, so wende man den 
Psychrophor von Winternitz als vorbereitende Behandlung an; ein 
zweites Mal im Tage werde mit einem katheterförmigen Instrument eine 
Injection von Alaun gemacht. Wenn die Blutungen nachgelassen haben, 
versuche man schwache, endoskopische Aetzungen mit Arg. i.itr. (3:100) 
oder die Anwendung des Pinsels von Gschirhakl. 

d) Bei Druckerscheinungen von Seiten der Prostata oder der Samen¬ 
bläschen (Hypertrophie) werden Steinsonden nach Ultzmann einige 
Minuten in der Harnröhre liegen gelassen oder es wird durch das zwei¬ 
blätterige Endoskop Compression geübt und ab und zu Injectionen ange¬ 
wendet, wodurch oft die Erscheinungen zum Schwinden gebracht werden. 

e) Bei endoskopisch ermittelter Blennorrhoe mit Hypertrophie der 
Schleimhaut und weicher Strictur wird durch Druck mit Verfe. zwei¬ 
blätterigem Endoskop die Strictur geheilt. 

f) Bei schon entwickelter Narbenstriktur hat chirurgische Behand¬ 
lung einzutreten. 

52. Die Syphilis der Schulkinder. Von Dr. J. Edmund Güntz. 
(Aus dem zehnjährigen Berichte des Verfassers über die Poliklinik für 
Hautkrankheiten und Syphilis zu Dresden.) 

Während eines Zeitraumes von 10 Jahren sind bei Verf. 8 schul¬ 
pflichtige Kinder wegen Syphilis zur Behandlung gekommen. Die Krank¬ 
heit w ar erworben und nicht angeboren. Es wurden in diesen Fällen die 
Eltern verpflichtet, ihre Kinder wegen der Gefahr einer Ansteckung vom 
Schulbesuch auf lange Zeit fern zu halten oder womöglich dieselben in 
ein Hospital zur Behandlung zu übergeben. Wenn man erwägt, dass zur 
Heilung der Krankheit oft ein langer Zeitraum erforderlich ist und dass 
die Gefahr der Ansteckung trotz Tilgung der Symptome und blühenden 
Aussehens der Betroffenen nicht selten über ein Jahr dauern kann, so 
wird man ermessen, auf welche Schwierigkeiten der Arzt bei der Durch¬ 
führung der Behandlung stösst. Verf. war bemüht, die Kinder lange Zeit 
im Auge zu behalten ; einzelne auswärtige entzogen sich schliesslich doch noch 
der weiteren Beobachtung. Der Arzt kann hier nur in der Stille nützlich 
wirken und privatim die Familien aufsuchen, die Eitern ermahnen und 
die Kinder controliren. Er wird durch seine Strenge leicht unbequem, 
weil Eltern und Lehrer zum Schulbesuch drängen. Der Arzt besitzt keine 
Macht über solche Eltern, welche ein langes Fernbleiben ihrer nicht krank 
scheinenden Kinder für unmöglich und unausführbar halten. Man kann 
die Eltern am besten noch gewinnen, ihre Kinder zu Hause zu halten, 
wenn man sie auf die Unzuträglichkeiten aufmerksam macht, welche ent¬ 
stehen, wenn das Kranksein ihrer Kinder und ein etwa anderen Kindern 
hierdurch zugefügter Schaden ruchbar wird. Eine Anzeige von Seiten des 
behandelnden Arztes in einer Zeit, in welcher eine Anzeigepflicht nicht 
besteht, kann für ihn die unberechenbarsten Folgen haben, wenn er das 
ihm geschenkte Vertrauen nicht hält. Für die betreffende Familie aber, 
wie für die Kinder, w r elclie in der Schule auf lange Zeit isolirt gesetzt, 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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gewissennassen wie auf der Strafbank und später auf immer vor den 
Commilitonen moralisch geächtet erscheinen, entstehen nicht minder die 
grössten Nachtheile für das spätere Leben. Die Gesellschaft verlangt aber 
Schutz für ihre schulpflichtigen Kinder und dieser wird am sichersten ge¬ 
währt von dem künftigen Gesetzgeber auf dem Gebiete der Medicinal- 
polizei. 

Specielle Vorschläge sind hier auch schwer von einem Einzelnen zu 
machen, weil zum Zwecke einer praktischen Ausführung vielfache Rück¬ 
sichten und Gesichtspunkte zu nehmen sind. Verf. will nur der Grund¬ 
sätze im Allgemeinen gedenken, nach welchen verfahren werden möchte. 

Diese bestehen darin, dass, sowie eine Anzeigepflicht der Aerzte 
für syphilitische Schulkinder besteht, eine Heilung am erspriesslichsten im 
Hospital, in einer Kinder-Abtheilung für syphilitische Schulkinder erfolgt. 
Ebenso wie bei Cholera und Pockenepidemien mit Rücksicht und zum 
AVohle des Gemeinwesens darauf gedrungen wird, dass eine Uebersiedlung 
der Kranken nach dem Krankenhaus erfolgen muss, so ist dies auch bei 
der Syphilis durchführbar. Bei Blattern, Cholera, Pest, weil sie in acuten 
Epidemien auftreten, drängt der Sturm der einzelnen Erkrankung, die 
Todesfurcht zu aussergewöhnlichen Massregeln. Bei der Syphilis, einer im 
Verborgenen wuchernden Seuche, welche, wie man meint, nur den Schul¬ 
digen trifft, kennt man einestheils die Gefahr nicht oder man hält sie 
für übertrieben, anderntheils hat man sich an die Gefahr stillschweigend 
gewöhnt. Wenn auch ein erneutes epidemisches Auftreten der Syphilis, wie 
es bald nach dem Jahre 1492 der Fall war, zu einer Zeit, als auch der 
moralisch lebende Mensch und der Vorsichtige wenig geschützt waren, 
nicht wahrscheinlich ist, so droht doch immer die grosse Verbreitung und 
die lange Contagiosität der Syphilis. Die Reglements zum Schutze gegen 
die epidemische Syphilis in alter Zeit wetteifern in ihrer Vorzüglichkeit 
mit denjenigen Vorschriften, welche heute gegen unsere grössten Epidemien 
gelten. — Bei syphilitischen Schulkindern ist nicht nur darauf Rücksicht 
zu nehmen, dass die Entfernung aus der Schule nicht vollständig genügt, 
sondern dass auch der Aufenthalt im Hause der Eltern die Kinder mit 
ihres Gleichen vielfach in Berührung bringt und Gelegenheit zu Ansteckung 
bietet. Verf. hat das traurige Beispiel beobachtet , wo alle drei früher 
gesunde Kinder einer Familie durch später erworbene Syphilis des Vaters 
und nachher erfolgte Uebertragung auf die Mutter von den Eltern syphi¬ 
litisch angesteckt wurden. Schon aus diesem Grund wäre wenigstens in 
manchen Fällen ein Zwang zu einer Hospitalcur der Kinder erwünscht. 
Es muss hierbei berücksichtigt werden, dass der Aufenthalt für einen ge¬ 
nügend langen Zeitraum zu planen ist, wobei man für geeignete Be¬ 
schäftigung und Lehrmittel für die scheinbar gesunden Kinder zu sorgen 
hat. Dieser Zwang, bei Kindern der Volksschule durchgeführt, würde dem 
Leumund der Kinder bei ihrer spätem Rückkehr in der Schule nicht 
schaden. Eine Controle der syphilitischen Schulkinder erscheint aber um 
so dringlicher, als die Beziehungen der Syphilis zur Blatternimpfung hier 
in Betracht kommen. Bei zwei Fällen von Syphilis wurde die anderwärts 
ausgeführte Impfung als Ursache der Krankheit angeschuldigt; es war 
aber durchaus kein wissenschaftlicher Beweis für diese Behauptung bei¬ 
zubringen. Je stärker die Agitation gegen die Impfung hervortritt, desto 
mehr muss man den Gegnern der Impfung die Handhabe entziehen, 
welche sie wegen der Impfsyphilis in der Hand zu haben glauben. Die 
mögliche Uebertragung der Syphilis nach Impfung würde bei der Revac- 
cination syphilitischer und nicht seiten blühend aussehender Schulkinder 


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Medicinisch-chirurgische Randgehau. 


in Rücksicht zu ziehen sein. Um nun alle solche möglicherweise Verdächtige 
oder Ungeeignete mit um so grösserer Sicherheit von der öffentlichen 
Revaccination auszuschliessen, so wäre, abgesehen von separaten Revacei- 
nationen für diese, ein Modus zu suchen, wonach alle bei irgend einer 
Gelegenheit syphilitisch befundenen Kinder der Volksschulen, insbesondere 
diejenigen, welche schon in Krankenhäusern behandelt worden, in beson¬ 
deren Tabellen noch extra geführt würden, welche auf die allgemeinen 
Impftabellen Bezug nehmen. Durch diese tabellarische Controle wird die 
persönliche ärztliche Untersuchung noch unterstützt und die Gefahr der 
Syphilisverbreitung bei der Revaccination sehr vermindert und jedem Ein¬ 
wand der Impfgegner von dieser Seite her die Spitze abgebrochen. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 

53. Ueber die Entstehung der Albuminurie. Von Dr. Moriz 
Nussbaum, Privatdocent in Bonn. (Deutsches Archiv für klinische 
Medicin. Bd. XXIV. pag. 248.) 

Nussbaum benutzte die eigentümlichen Circulationsverhältuisse 
der Batrachierniere, den Ort der Eiweissausschoidung in dieser Drüse 
festzustellen. Das Vorhandensein einer Nierenpfortader erlaubt nämlich 
durch Unterbindung der Nierenarterien die Glomeruli vollständig auszu¬ 
schalten, ohne dass die Circulation in den die Harncanäle umspinuenden 
Capillargeftlssen aufgehoben würde. Man kann also beim Kaltblüter das 
Secret der Harncanäle isolirt untersuchen, wozu vorläufig beim Warm¬ 
blüter noch keine Aussicht vorhanden ist. 

Waren nun die Glomeruli unwegsam gemacht, so folgte auf Eiweiss- 
injection keine Albuminurie, während Harnstoff secernirt wurde. Beim 
unversehrten Frosch trat ebenso wie beim Warmblüter nach Injection 
von Peptonlösungen oder Hühnerciweiss im Harne Albumin auf. 

Es sind also die Glomeruli, welche das ungeformte Eiweiss durch¬ 
lassen. 

Bei gesunden Fröschen, deren Harn ei weissfrei, tritt nach zeit weisem 
Verschluss der Nierenarterien Albuminurie auf, wenn die Ligaturen von 
den Gefässen entfernt sind. Der Harn bleibt längere oder kürzere Zeit 
ei weisshaltig, wie es in analoger Weise vom Warmblüter seit Ludwigs 
Untersuchungen bekannt ist. Wir können aber jetzt ausschliesslich die 
durch die Ischämie bedingten Veränderungen der GefÜssWandungen der 
Glomeruli für diese Form der Albuminurie verantwortlich machen, da 
die Epithelien der Harncanäle das Eiweiss nicht durchlassen. Somit sind 
die hyalinen Fibrincylinder durch den erkrankten Glomerulus durchgetre¬ 
tene Eiweisskörper des Blutes. 

Ebenso gelang der Nachweis, dass auch der Zucker durch die 
Glomeruli ausgeschieden werde. 

(Ref. Wer sich für die Details der Untersuchung interessirt, findet 
sie in knapper und präciser Form in den Originalabhandluugeu des Ver¬ 
fassers: Pflügers Archiv Bd. XVI. und XVII.) Finkler. 


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Medicimsch-chirargische Rundschau. 


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54. Ueber die Eiweissausscheidung durch die Nieren. Von Dr. 
Hugo Ribbert, Assistent am pathol. Institut zu Bonn. (Centralblatt für 
die med. Wissenschaften. 1879. 47.) 

Ribbert suchte durch mikroskopische Studien den Ort der Eiweiss¬ 
ausscheidung in der Niere selbst festzustellen. In Nieren, deren Arterien 
ea. IV 2 Stunden lang abgeklemmt und dann wieder bis zum Tode des 
Thieres wegsam gemacht worden waren, zeigte sich nach Erhärtung des 
Organes in absolutem Alkohol die Bowman’sche Kapsel durch ein Fibrin- 
gerinnsel weit vom Malpighi’schen Gefössknäuel abgehoben. Es waren 
gleichzeitig die zugehörigen Harncanäle mit der Fibrinmasse erfüllt; aus¬ 
nahmsweise wurden innerhalb des Fibrins vereinzelte rothe Blutkör¬ 
perchen angetroffen. Das gleiche Resultat trat ein nach oberflächlicher 
Verbrühung der Niere und nach Injection von Hühnereiweiss ins Blut. 
Die Epithelien des Glomerulus waren in allen diesen Versuchen sehr ver- 
grös8ert, so dass jede einzelne Zelle buckelförmig in das Lumen der 
Kapsel vorragte. 

(Ref. Wenn nun auch gegen die Beweiskraft dieser Untersuchungen 
gewichtige Einwäiide — Rückstauungen von den Harncanälen her — zu 
erheben wären, so können wir uns doch mit Rücksicht auf den von 
Nussbaum bei Batrachiern erbrachten exacten Beweis der Behauptung 
Ribbert’s anschliessen, dass auch beim Warmblüter die Eiweissausschei¬ 
dung in der Niere durch den Glomerulus erfolge.) 

Finkler. 

55. Chronische Muskelaffectionen nach Trichinosis. Von Edmund 
C. Wendt, New-York. (The New-York Med. Record. 1879. 14. Allgem. 
med. Ctrl. Zg. 1879. 99.) 

Verf. reiht den im Aprilheft 1878 des „American Journal of me¬ 
dical science8 u berichteten Fällen von Muskelaffectionen nach Trichinosis, 
die er in einer Familie exact beobachtet und für chronische Myositis ge¬ 
halten hatte, folgenden, im deutschen Hospital beobachteten Krankheits¬ 
fall an, welcher wegen seiner Neuheit vielfaches Interesse darbieten 
und zur Aufklärung mancher dunklen, bisher unerklärten Affectioneu 
beitragen dürfte: 

Ein 23jähriger, seit etwa einem Jahre in Amerika lebender Deutscher, 
von gesunden Eltern stammend, der nie ausschweifend gelebt und niemals 
bis dahin ernstlich krank gewesen war, hatte mehrere Tage gefiebert, den 
Appetit verloren, viel geschwitzt, wenig geschlafen, an Durst und Schmerzen 
in den verschiedenen Körpertheilen gelitten. Ausser der reichlichen Trans- 
spiration waren auch 10 Tage hindurch Diarrhöen vorhanden gewesen. 
Einige Tage vor der Aufnahme in’s Krankenhaus hatten die Schmerzen 
in den Schultern, den Oberschenkeln, in den Brustmuskeln und dem 
Rücken derart zugenommen, dass er daselbst ärztliche Hilfe nachsuchte. 

Die physikalische Untersuchung liess nur einen Bronchialkatarrh 
wahrnehmen, ohne irgend welche innere Veränderungen der Organe, so 
dass die Respirationsbeschwerden mit dem anderen Befund nicht im Ein¬ 
klang standen. Die ödematösen Knöchelgelenke, die Auftreibung des Ge¬ 
sichts, die Steifigkeit in den Muskeln und die Schmerzhaftigkeit bei der 
Bewegung, die oberflächliche Respiration, die reichliche Transspiration und 
die Diarrhöe liessen keinen Zweifel übrig, dass die Krankheit eine Tri¬ 
chinosis war, da der Kranke nach eingehendem Examen eingestand, dass 
er vor Kurzem rohen Schinken gegessen hatte. Eine Zeit lang dauerten 
die Erscheinungen an, liessen aber allmälig nach, so dass Patient nach 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


11 Tagen genesen entlassen wurde und nach 4 Wochen seiner gewöhn¬ 
lichen Beschäftigung nachgehen konnte. 

14 Monate später stellte sich derselbe Herr, über zahlreiche Be¬ 
schwerden klagend, dem Verf. wieder vor. Er habe seit seiner Erkran¬ 
kung an Trichinen, wiewohl er früher sehr kräftig und thätig war, seine 
volle Gesundheit nicht wieder erlangt. Wiederholt seien Schmerzen in den 
Muskeln aufgetreten, die längere oder kürzere Zeit andauerten und die 
Bewegungen hinderten. Auch im Zustande der Ruhe machten sich die 
Schmerzen in den Muskeln der Extensoren und Flexoren bemerkbar und 
zogen sich entlang der Muskelsubstanz. Sein Hausarzt habe den Zustand 
für Neuralgie gehalten, ohne dagegen etwas Wirksames tbun zu können. 
Nachträglich traten Schmerzen in den Armmuskeln und den anderen 
Muskeln des Körpers hinzu, so dass er mühselig gehen konnte und zur 
Unthätigkeit verdammt war. 

Ohne Medication gingen die verschiedenen Attaquen vorüber, wieder¬ 
holten sich von Zeit zu Zeit, ohne den Gesammtkorper zu afficiren. Die 
Muskelschmerzen veranlassten ihn wieder, die Hilfe des Arztes nachzu¬ 
suchen, der ihn an Trichinosis behandelt hatte, als ob er eine Ahnung 
gehabt, dass dies Leiden mit der acuten Trichinosis in Verbindung ge¬ 
standen hätte. 

Dies war in der That der Fall und bestärkte den Verf. in der 
Anschauung, die er bereits in mehreren Fällen bei solchen Leiden ge¬ 
wonnen, welche von anderen Aerzten irrthümlicherweise für chronischen 
Muskelrheumatismus gehalten wurden. Es ist dies aber nur eine chronische 
Myositis, welche bisweilen mit Exacerbationen nach tiberstandener Tri¬ 
chinosis auftritt. 

Es dürfte bekannt sein, dass unbedeutende Anfälle von Trichinosis 
meist der Beobachtung entgehen und die späteren Anfälle von Myositis 
für rheumatische Schmerzen gehalten werden. Die häufig in Europa nach¬ 
gewiesenen Trichinen in den amerikanischen Schinken haben in letzter 
Zeit die Aufmerksamkeit amerikanischer Aerzte auf die Trichinosis und 
deren üble Folgen hingelenkt. Einen sehr wichtigen Beitrag zur Aufhel¬ 
lung bisher falsch diagnosticirter Krankheiten der zu vervollkommnenden 
Differentialdiagnose zwischen Muskelrheumatismus und Myositis nach Tri¬ 
chinosis, glaubt Verf. geliefert zu haben, und werden baldigst Mitthei¬ 
lungen deutscher Aerzte diesen sich anschliessen. 

Was die Behandlung betrifft, so gesteht Verf. die Unmöglichkeit 
zu, die Trichinen in den Muskeln zu tödten, und räth zum Gebrauch 
warmer Bäder, zur Anwendung von Narcoticis, zur Ruhe, zur Einreibung 
mit flüchtigem Liniment, so wie zur Massage. Am sichersten dürfte die 
Prophylaxis sein, d. h. die Untersuchung der Schweine auf das Vorhan¬ 
densein von Trichinen vor dem Genuss, zumal, da nach seiner Ansicht 
auch Fälle vorgekommen sind, wo das Kochen des trichinenhaltigen 
Schweinefleisches die Infection des Menschen mit Trichinen nicht ver¬ 
hindert hat. 

56. Ueber Gewichtsverhältnisse beim Kinde im 1. Lebensjahre. 

Von G. G. Stage. (Centrlztg. f. Kinderheilkunde. 1879. 14.) 

Verf. bespricht die grosse Bedeutung der Körperwägungen im ersten 
Lebensjahre, und erwähnt die früheren Untersuchungen von Quetelet, 
Fleischmann und Anderen. Seine eigenen Untersuchungen umfassen 
eine grosse Anzahl sowohl normaler Fälle, als solche, wo die Ernährung 
zeitweise durch schlechte Verhältnisse oder durch Krankheit gelitten hatte; 


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Hedlcinisch-chirorgische Rundschau. 


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unter den letzteren sind besonders mehrere recht interessante Fälle, wie 
die Tafeln erweisen. Auch der Einfluss der verschiedenen Nahrungsmittel 
wird natürlich dadurch illustrirt. Von den Ersatzmitteln der Muttermilch 
verwendet Verf. in normalen Fällen fast ausschliesslich die Kuhmilch, 
wenn es nur irgend möglich ist, und hat damit vorzügliche Resultate, 
besonders wenn man die Milch, anstatt mit Wasser, mit Gerstenschleim 
in entsprechendem Verhältnisse verdünnt. Bezüglich Farine lactße hat er 
mehrmals die Erfahrung gemacht, dass Kinder, welche damit genährt 
wurden und es gut verdauten, doch in der Entwicklung zurückblieben, 
selbst wenn es in entsprechender Verdünnung gegeben wurde und die 
Kinder bedeutende Mengen verzehrten. 

Von besonderem Interesse ist die ausserordentlich schnelle Entwick¬ 
lung, die man oft bei schwachen, zu früh geborenen Kindern beobachtet, 
wenn sie zweckmässig genährt und gepflegt werden; sie können dann am 
Ende des ersten Jahres das dreifache Gewicht meist überschreiten. Als 
Beispiel dient der Körper von einem sechs Wochen zu früh geborenen 
Knaben (Zwilling) mit einem Gewicht von 2125 Grm.; am Ende des 
ersten Jahren hatte er 7600 Grm. erreicht, also 1225 mehr als das 
dreifache Gewicht, obgleich er eine hartnäckige Colitis durchgemacht 
hatte; das zweifache Gewicht hatte er in 15 Wochen erreicht. Noch viel 
bedeutender war die Zunahme bei einem anderen, ebenfalls viel zu früh 
geborenen Knaben, mit einem Gewicht von 1350 Grm. Am Ende des ersten 
Jahres hatte er 8750 Grm. erreicht. Diese beiden Kinder hatten Ammen. 

Ein ähnliches Verhältuiss beobachtet man bei Kindern, welche 
durch Krankheiten schon sehr herabgekommen sind, indem sie dann 
später manchmal enorm schnell an Gewicht zunehmen. Als Beispiel dient 
der Körper eines Mädchens, das in der 9. Woche mit Cholera und be¬ 
deutendem Kollaps in Behandlung kam; das Gewicht betrug damals nur 
1875 Grm. Nachdem die Krankheit sistirt war, nahm das Gewicht sehr 
rapid zu, und am Ende des Jahres hatte sie 7670 Grm. erreicht; der 
Durehsdinitt für die drei letzten Vierteljahre war 25, 19 und 13 Grm. 
Dieses Kind hatte von Geburt au ausser der Brust vielfach Amvlaceen 
bekommen; Verf. liess ganz damit aufhören und das Kind bekam nur 
die Brust, bis es im 10. Monate entwöhnt wurde. 

Von Interesse ist auch ein Verhältnis, das Verf. mehrmals beob¬ 
achtet hat, dass nämlich Geschwister, nicht nur Zwillinge, oft in aufallend 
ähnlichem Verhältnisse zunehmen, selbst wenn sie verschieden ernährt 
werden; die Kurven verlaufen fast unmittelbar neben einander und bieten 
eine grosse Aehnlichkeit der Entwicklung. 

57. Ueber die Veränderungen der Glomeruli bei der Nephritis 
nebst einigen Bemerkungen über die Entstehung der Fibrinoylinder. 
Von Prof. Theodor Langhans. (Virch. Arch. Band 76, S. 85. St. Petersb. 
Wochenschr. 1879. 51.) 

In einem ersten Abschnitt der Abhandlung werden zunächst die nor¬ 
malen Verhältnisse des Glomerulusepithels behandelt; es werden sowohl die 
der Innenfläche der Kapsel als auch die auf derConvexitätderCapillarschlingen 
aufliegenden flachen Epithelien beschrieben. Zwischen den Capillarschlingen 
findet Langhans im Gegensatz zu Axel Key kein Bindegewebe mit 
sternförmigen Elementen, sondern nur ebensolche Epitheizellen. Bei ent- 
zfindeten Nieren lassen sich die Epithelien leicht isoliren und fallen schon 
leicht beim Bestreichen des Glomerulus mit der Nadel ab. Diese Lösung 
des Epithels, welches gleichzeitig einer Schwellung unterliegt, fährt unter 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


pathologischen Verhältnissen zu einer Veränderung der Glomeruli; es ge¬ 
langen freie Zellen zwischen die Capillarschlingen und das Kapselepithel. 
Dadurch wird die Glomeruskapsel erheblich erweitert zu einem länglichen 
Oval und finden sich in dem erwähnten Raum Zellen von sehr verschiedener 
Form und Grösse. Aber nicht nur hier sieht man diese Zellen, sondern 
auch innerhalb des Knäuels zwischen dessen einzelnen Lappen, ja auch 
seine einzelnen Capillarschlingen werden durch massenhafte Zellenentwicke¬ 
lung auseinandergedrängt, so dass die Glomeruli auf Querschnitten in 10 
und mehr kleinere Abtheilungen zerlegt erscheinen. Dieser hochgradigen 
Wucherung ist eine Bedeutung für die Function der Nieren zuzuerkennen. 
Schon von vornherein lässt sich erwarten, dass dadurch der Glomerulus 
comprimirt und in seiner Function gehemmt wird; dies würde nach deu 
gangbaren Anschauungen eine Verminderung der Hammenge zur Folge 
haben. Endlich gedenkt Verf. noch der Wucherung der Capillarkerne, die 
er nicht für so selten hält, als er glaubte voraussetzen zu können. Auch 
diese wird fllr die Verminderung der Harnmenge in Anspruch genommen. 
Schliesslich folgen einige Beobachtungen über die Bildung der Fibrin- 
cylinder. Viele Fibrincylinder entstehen nach Langhans aus Zellen, 
welche in das Lumen der Harncanälcheu gelangen. Es sind dies entweder 
desquamirte Epithelien oder Lymphkörper oder rothe Blutkörper. Die Art 
und Weise, in welcher diese Umwandlung erfolgt, ist nicht immer die 
gleiche. Epithelien und Lymphkörper zerfallen, wie es scheint, in den 
meisten Fällen zu einer feinkörnigen Masse und so wird das Lumen des 
Harncanälchens von einem mehr oder weniger dichten, gleichmässig körnigen 
Cylinder erfüllt. An ihm tritt nur der Glanz, das hyaline Aussehen, zu¬ 
nächst an der Peripherie auf, während das Centrum noch lange körnig 
bleibt und selbst Kerne und Zellen eingeschlossen enthalten kann; erst 
später erfolgt hier die gleiche Umwandlung. Ganz dieselben Stadien durch¬ 
laufen die rothen Blutkörperchen; auch sie zerfallen zu einer feinkörnigen 
Masse, die nachher homogen wird, doch unterscheiden sich diese Bilder 
von Hause aus und auch später durch eine deutlich gelbe Farbe und ein 
stärkeres Lichtbrechungsvermögen. Bei einer an Eklampsie Verstorbenen 
fand Langhans die Sammelröhren verstopft ohne wesentliche andere 
Veränderungen in der Niere und schliesst, dass die eclaraptischen Erschei¬ 
nungen Folge einer desquamativen hämorrhagischen Entzündung seien. 
Ausser den aus umgewandelten Zellen entstehenden Cylindern ist Lang¬ 
hans noch eine zweite Art anzunehmen geneigt, die er als Secretions- 
product der Zellen angesehen wissen will. Einfache Ausscheidungen aus 
dem Blute hält er nicht für erwiesen. 

58. Ueber das Verhalten der Samenfäden in den Geschlechts¬ 
organen des Weibes. Von Dr. Haussmann. (Berlin, A. Hirsch¬ 
wald, 1879). 

Zur Untersuchung der einzelnen Secrete auf ihren Gehalt an Samen¬ 
fäden ist eine sehr exacte Technik nothwendig, wie Verf. dieselbe kurz 
beschreibt, wenn man nicht groben lrrthüraern ausgesetzt sein will, be¬ 
sonders um die Vermischung von Vaginal- und Uterussecret zu vermeiden. 
Zum sicheren Nachweis der Samenfäden empfiehlt er die Anwendung 
verdünnter Jodtinctur, wodurch das an der breiteren Basis des Zellkörpers 
befindliche Protoplasma stärker gefärbt wird, als die andere Hälfte des 
Zellkörpers. 

In dem Secret der Scheide, das übrigens trotz Beimischung des Sa¬ 
mens stets seine saure Reaction bewahrt, erlischt die Beweglichkeit der 


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Mcdicinisch-chirnrgische Rnndsehan. 


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Samenfäden spätestens nach 12 Stunden, meist aber schon viel früher. 
Unbewegliche fanden sich bis zu 36 Stunden im Secret. Die Beigel’sehen 
Angaben über das Vorkommen mehrtägiger Beweglichkeit der Samenfäden 
im Scheidensecret weist Verf. demnach als unrichtig zurück. Nach einer 
Beobachtung erscheint es, als ob bei der bald nach einer Coliabitation 
eintretenden Menstruation der schon in den Uterus gelangte Same mit dem 
Blut wieder herauskäme. Im Secret der Gebärmutterhöhle selbst waren die 
Spermatozoen von 1 '/* Stunden bis 7Va Tagen nach der letzten Coha- 
bitation nach zuweisen. Selbstverständlich finden sich zahlreiche Ausnahmen 
und Abweichungen je nach der Weite des Muttermundes, seiner Stellung, 
der Secretion der Gebärmutter, der Menge der Spermatozoen. In der Scheide 
finden sich stets mehr Spermatozoen als in dem Uterus; mit der Dauer 
der Zeit nach der Cohabitation nimmt die nachweisbare Menge ab. 

Verf. glaubt nach seinen Untersuchungen, dass nicht, wie Bei ge 1 
meint, die meisten, sondern die wenigsten Spermatozoen in die Uterus¬ 
höhle gelangen. Da regelmässig auch im normalen Gebärmutterschleim 
neben beweglichen bewegungslose Samenfäden sich vorfinden, so füllt da¬ 
mit die Hypothese Beigel’s, dass Hypersecretion des Uterus, abnorme 
Beschaffenheit seines Secrets die Beweglichkeit aufhebe. Vergleicht Verf. 
seine Befunde mit den gangbaren Theorien über die Art und Weise des 
Eintritts der Spermatozoen in den Uterus, so muss er vor Allem Bei ge Ts 
Receptaculum seminis als grundlos zurückweisen. Auch der Kris tei¬ 
le r’sche Schleimstrang gibt wohl nur einzelnen Samenfäden die Möglich¬ 
keit des Eintritts in den Uterus. Vielmehr gelangt er zu dem praktisch 
wichtigen Ergebniss, dass die Hauptmenge des Samens durch die Ejacula- 
tion direct in den Uterus gelange. 

Es ist demnach Alkalisirung des sauren Vaginalsecrets vor dem Coitus 
ein überflüssiges Beginnen. Dagegen ist die Erweiterung des engen äusseren 
Muttermundes zur Erleichterung des directen Eindringens in vielen Fällen 
angezeigt; bei Knickungen mit dadurch bedingter Stenose wird, wenn 
sonst die Secretion normal, die Ueberfllhrung des Samens durch ein Sper- 
maphor in den Uterus zu empfehlen sein. 

Zum Schluss wird betont, wie wichtig bei örtlicher Behandlung die 
Auswahl der anzuwendenden Mittel sei, um nicht durch unzweckmässige 
Stoffe die Beweglichkeit der Samenfäden zu zerstören. 


59. Ein perforirende8 Gallenblasen-Gesohwür. Von Dr. E. Auf¬ 
recht in Magdeburg. (Deutsch, med. Wochenschr. 1879. 35.) 

Am 22. Februar v. J. starb im Krankenhause zu Magdeburg ein 
80 Jahre alter Mann, Christian Rasch, unter den Erscheinungen einer 
Peritonitis. 24 Stunden nach dem Tode wurde die Section vom Verf. 
ausgeftlhrt. Wir entnehmen dem Protokoll: 

Nach Eröffnung der Bauchhöhle finden sich die vorliegenden Därme 
durchwegs intensiv braungelb gefärbt und aus der Bauchhöhle entleeren 
sich wohl mehr als 200 Gramm braungelber, wie Galle aussehen¬ 
der Flüssigkeit. Durch den rechtsseitigen Leistencanal ist in den zu Faust¬ 
grösse ausgedehnten Hodensack ein grosses Stück des Netzes hineingelangt, 
ohne an irgend einer Stelle durch eine Einschnürung beengt zu sein. 
Es ist am untersten Punkte des Hodensackes fest verwachsen und wird 
von etwa 2 Esslöffeln der erwähnten galligen Flüssigkeit umspült. 

Der Herzbeutel ist mit dem Herzen ziemlich fest, aber doch trennbar ver¬ 
wachsen. Das Herz ist an der Ventrikel-Basis 9 Ctm. breit, der rechte Ventrikel 
an seinem Seitenrande 9, der linke 9*5 Ctm. lang, der rechte 7, der linke 20 Mm. 
dick. Der Umfang der Pulmonalis beträgt dicht über den Klappen 7*5, der 


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62 


Medicinisch-chirurgische Randschau 


Aorta 9 2 Ctm., der der Tricuspidalis 12, der Mitralis 10 Ctm. Die Coronar- 
arterien sind geschlängelt, das Herzfleisch sehr derb, blassbrann, die Herzhöhlen 
enthalten dunkle Cruormassen; alle Klappen sind intact. — Beide Lungen sind 
mit der Thoraxwand fest verwachsen, zäh, wenig lufthaltig. 

Das Colon ascendens und transversuin sind durch Luft stark ausgedehnt; 
erstens ist durch fibrinös-eitrige Massen mit der Bauchwand leicht verklebt. — 
Die Milz ist von normaler Grösse, ihre Oberfläche mit einer dünnen Schicht grün- 
lieh au-sehenden Eiters bedeckt. Ihr Gewebe ist schlaff blassbrann. — Die linke 
Niere kann aus ihrer Kapsel nur schwer ausgeschält werden, sie hat 12*5 Ctm. 
Länge, 5 Ctm. Breite, 3*5 Ctm. Dicke. Ihre Oberfläche ist durchweg fein granulirt 
und zeigt eine grosse Anzahl weisslicher, rundlicher, meist fünfpfenoigstfickgrosser 
Abschnitte, welche die ganze Substanz bis auf die Papillen durchsetzen. Die 
Rinde ist schmal. — Die rechte Niere ist gleichfalls aus ihrer Kapsel schwer 
ausschälbar, 11 Ctm. lang, 5 Ctm. breit, 2*5 Ctm. dick, ihre Oberfläche fein 
granulirt, die Rinde schmal, zeigt aber sonst keine Abnormität. 

Aus der etwas länglichen höchstens kinderfaustgrossen Gallenblase 
entleert sich durch eine rundliche, nur wenig mehr als stecknadelkopf¬ 
grosse Oeffnung dünnflüssige braune Galle in die Bauchhöhle. An der 
Innenfläche der Gallenblase entspricht dieser Oeffnung ein zehnpfennig¬ 
stückgrosses Geschwür, welches sich scharf von der Umgebung absetzt, 
ein gelbliches nekrotisches Aussehen hat und nach seiner Mitte hin zu 
der kleinen Perforations-Oeffnung sich absenkt. In der Nähe dieses Ge¬ 
schwüres ist noch ein zweites etwas grösseres von gleichem Aussehen, 
dem entsprechend die ganze Dicke der Gallenblasenw and von einer diffusen 
Hämorrhagie durchsetzt ist, welche durch den serösen Ueberzug der 
Gallenblase bläulich durchscheint. Sonst ist die Gallenblasenschleimhaut 
stark aufgelockert und zeigt an vielen Stellen kleine Hämorrhagien. Der 
Inhalt der Gallenblase besteht aus wenig Galle und Schleim, einem 
taubeneigrossen rauhen und 22 etwa bohnengrossen Gallensteinen. 

Die Leber ist mit dem Diaphragma fest verwachsen, im Ganzen 
klein, rechts 15, links 6 Ctm. breit, rechts 17, links 10 hoch, rechts 9, 
links 2*5 Ctm. dick. Sie ist von derber Consistenz, auf dem Durch¬ 
schnitt von gleichmä88ig blassbraunem Aussehen. — In der Harnblase 
befindet sich eine kleine Quantität eitrig-schleimigen Harns. — Die 
Prostata ist ohne Abnormität. — Die Intima der Aorta zeigt zahlreiche 
gelbliche Flecke. 

Mikroskopisch wurden die Nieren und die Leber untersucht. In den 
ersteren waren die allermeisten Malpighi’schen Gefässknäuel verkleinert, 
in fibröse Körperchen umgewandelt, die Kapseln verdickt, das inter¬ 
stitielle Gewebe zwischen den gewundenen Canälchen verbreitert. Jene 
weisslichen Abschnitte in der linken Niere waren durch eine dichte An¬ 
häufung von Rundzellen zu Wege gebracht, durch welche die Harncanälchen 
in sehr hohem Grade eingeengt waren. — In der Leber fanden sich 
sehr zahlreiche, bei makroskopischer Untersuchung nicht sichtbare Häufchen 
kleiner Rundzellen, unter denen sich auch zahlreiche Riesenzellen mit 
unregelmässig gelagerten, nirgends wandständigen Kernen fanden. 

Es waren also in diesem Falle drei verschiedene von einander 
unabhängige Affectionen vorhanden. Zunächst eine chronische Nephritis, 
in deren Folge die Hypertrophie beider Ventrikel zu Stande gekommen 
ist. — Dann eine sogenannte Tuberculose der Nieren und der Leber. Es 
ist dies ein Beweis mehr, wie wenig berechtigt es ist, jedes aus Rund¬ 
zellen bestehende, wenn auch Riesenzellen enthaltende, Knötchen zur 
Tuberculose zu rechnen und wie nothwendig es ist, nicht nur die anato¬ 
mischen Verhältnisse, sondern die gesammten pathologischen Beziehungen 
bei jeder Krankheits-Definition zu Grunde zu legen. Wer *wäre wohl ge¬ 
neigt, die Ursache dieser Tuberkeln mit jener zu identifleiren, die zu den 


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Me<licinisch-chirurgi8clie Rundschau. 


63 


gleichen Veränderungen bei Leuten geführt hat, welche an Schwindsucht 
gestorben sind? Sollen wir unter Tuberculose das Wesen einer bestimmten 
Krankheit begreifen, dann thun wir nicht gut, für ein nur anatomisch 
defiuirtes Knötchen den Namen Tuberkel zu brauchen; es ist vielmehr 
bei Weitem rathsaraer, statt dessen die Bezeichnung Granulation zu wählen 
und tuberculose, scrophulöse, syphilitische Granulationen, welche allesammt 
sich nur in ätiologischer, aber nicht in anatomischer Beziehung unter¬ 
scheiden, auseinander zu halten. 

Die dritte hier vorliegende Affection ist das perforirende Galleu- 
blasen-Geschwttr, eine Bezeichnung, welche in Rücksicht auf die Analogie 
mit dem perforirenden Magengeschwür sich empfehlen dürfte. Denn gerade 
so wie hier der Magensaft eine rein entzündliche Veränderung ausschliesst, 
dürfte auch die Galle bei der Erkrankung der Gallenblasenwand einen 
nekrotischen Vorgang bedingt haben, welcher zum Durchbruch führte, 
ohne dass auf der Serosa ein ausgedehnter entzündlicher Process Platz 
gegriffen hat, welcher zur Verlöthung der serösen Flächen hätte führen 
können. 

60. Ueber die Bedeutung der Pulsuntersucbung. Von Franz 
Riegel. (Volkmann’s Sammlung klin. Vorträge. Nr. 144—145. Ref. d. 
Prag. med. Wochenschr. 1879. 34.) 

Wenn auch nicht verlangt werden kann, dass jeder Arzt die 
Sphygmographie in der Praxis verwende, so sollte sich derselbe doch mit 
den wichtigsten Errungenschaften der durch dieses Hilfsmittel so sehr vor¬ 
geschrittenen Pulslehre bekannt machen, er soll an der Hand der Puls¬ 
bilder auch durch die Palpation feinere Unterschiede am Pulse erkennen lernen. 
Man bezeichnet die Pulscurve anakrot, wenn der aufsteigende Schenkel, 
katakrot, wenn der absteigende Schenkel secundäre Erhebungen zeigt. 

Der Normalpuls zeigt am aufsteigenden Schenkel keine Unter¬ 
brechung, das Charakteristische liegt in der Descensionslinie, dieselbe ist 
exquisit dreitheilig (katatricrot), die erste secundäre Erhebung wird nach 
W o 1 ff als erste secundäre Ascension, die zweite als grosse Ascension 
bezeichnet. Man findet aber auch normale Pulscurven, die quatricrot und 
dicrot sind, so dass demnach die Angabe von W o l f f nicht genügt. 
R. stimmt mit den Auseinandersetzungen von Landois überein und 
wählt auch die Bezeichnungen desselben, indem er von einer Rückstoss- 
elevation uud Elasticitätsschwankungen spricht. Während die erstere von 
dem Rtickstosse einer positiven Welle von den Aortenklappen herrührt, 
sind die letzteren von den Schwingungen der Arterienwand abhängig. 

Die Greisenpulscurve erscheint (gegen Wolff) als eine tarde, 
d. h. der Gipfel derselben ist der mangelhaften Elasticität wegen mehr 
abgeplattet, indem die Systole der Arterie nur allmälig erfolgt (im 
Gegensätze zum puls, celer jugendlicher Individuen). Nach dem Grade der 
Rigidität unterscheidet er (mit W o 1 f f) den puls, tardus planus, wo der 
Scheitel der Curve platt ist, rotundo-tardus, wenn er abgerundet erscheint, 
dabei ist bereits Anakrotie vorhanden; der erstere findet sich, sowie der 
tardo-dicrotus, bei geringeren Graden des Atheroms, der letztere ist den 
höheren Graden dieses Leidens eigen, das Gleiche gilt vom Monokroto- 
tardus, bei dem die Rückstosswelle fehlt. Der Grad des Elasticitäts- 
verlustes der Arterienwand lässt sich daher durch die sphygmographische 
Untersuchung am besten bestimmen. 

Der Einfluss der Respiration ist an den Normalcurven häufig nicht 
ersichtlich, deutlich wird derselbe bei Herzschwäche, z. B. bei Phthisikern 


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04 


Medicir»i«ch-chinirgisohe Rnn dschan. 


oder anderweitig geschwächten Individuen, noch besser markirt er sich, 
wenn man die Versuchsperson langsam tief ein- und ausathmen lässt. Die 
inspiratorischen Pulse sind klein, die grosse Rückstosswelle liegt tief, die 
Elasticitätselevationen werden undeutlich, die einzelnen Pulsschläge folgen 
rasch auf einander; das entgegengesetzte Verhalten zeigen die exspiratori- 
sehen Curven. Da demnach schon in der Norm der puls, paradoxus vor¬ 
kommt, so kann derselbe für die Diagnose der mediastino - pericarditis 
nur dann verwerthet werden, wenn jene Unterschiede schon bei gewöhn¬ 
licher Respiration und bei einfacher Palpation wahrnehmbar sind. 

Streng zu sondern von dem pulsus paradoxus, d. i. den bespro¬ 
chenen Aenderungen des Einzelpulses, sind die respiratorischen Druck¬ 
schwankungen, die man nicht selten an den Pulsbildern beobachtet. Man 
versteht darunter die Schwankungen des Blutdrucks bei der Athmung, 
wie sich dieselben durch den Wechsel der Gesammtcurve in Bezug auf 
deren höheren oder tieferen Stand (je nach den Athmungsphasen) markiren. 
Bei Stenose der grossen Luftwege werden diese Druckschwankungen 
grösser und lassen sich, was in der Norm nicht der Fall ist, durch die 
Sphygmographie darstellen; sie sind als wichtige Erscheinung einer 
solchen Verengerung anzusehen. 

Im Fieber wird die Gefassspannung herabgesetzt und es erscheint 
daher am absteigenden Curvenschenkel keine Unterbrechung. Die Des- 
censionslinie sinkt bis zur Curvenbasis, um sich erst hier zu erheben und 
abermals zur Curvenbasis abzufallen; so entsteht die Rückstosswelle, 
während die Elasticitätselevationen meist fehlen (pulsus dicrotus). R. hat 
nachgewiesen, dass die Temperaturerhöhung allein die Gefässspannung 
genügend herabzusetzen vennag, denn er fand die eben beschriebene 
Curve bei einem Individuum, welches mit Intermittens behaftet war und 
während des Paroxysmus neben der Temperatursteigerung normale Puls¬ 
frequenz darbot. Betreffend die verschiedenen Grade des Fiebers bekämpft 
R. die Angabe von W o l f f, dass an eine bestimmte Temperaturhöhe stets 
eine gleiche Pulscurve gebunden sei, er fand vielmehr, dass die Abnahme 
der Gefässspannung, theils individuell ist, theils auch noch von anderen 
Factoren (ausser der Temperaturerhöhung) abhänge. Aus den beigegebenen 
Curven ist ersichtlich, dass bisweilen schon bei massiger Temperatur¬ 
erhöhung vollkommene Dicrotie eintreten könne, während einer Steigerung 
der Körperwärme bei demselben Kranken eine Unterdicrotie entsprach etc. etc. 

Im Allgemeinen jedoch kann man das Gesetz gelten lassen, dass 
mit dem Anwachsen der Temperatur die Curven sich in der Weise 
umwandeln, dass bei massiger Temperatursteigerung zuerst ein unter- 
dicroter (tieferstehende und grössere Rückstosswelle, zurücktretende 
Elasticitätsschwankungen), bei höherem Fieber ein vollkommen dicroter, 
bei noch höherem ein tlberdicroter (es sinkt die Descensionslinie unter 
den Ausgangspunkt des aufsteigenden Schenkels, um dann nochmals in 
Form einer höher gelegenen Rückstosswelle sich zu erheben) und bei den 
höchsten Fieberhöhen ein monocroter (Fehlen der Rückstosswelle und der 
Elasticitätselevationen) Pulstyphus zum Vorscheine komme. 

Bei greisen Individuen kann sich die dem Fieber eigentbümliche 
Herabsetzung der Gef&ssspannung nicht leicht geltend machen und man 
kann dieselbe des atheromat. Processes wegen erst bei sehr hohen 
Temperaturen, oder auch gar nicht nach weisen. Es lässt sich daher auch 
umgekehrt auf Arteriosklerose schliessen, wenn bei Individuen trotz hohen 
Fiebers die erwähnten Veränderungen am Pulse ausbleiben. Ausser dem 
Fieber gibt es noch andere Momente, welche die Gefässspannung herab- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. @5 

setzen und die genannten Pulsbilder erzeugen, so z. B. der Collaps, die 
Anämie, gewisse Medicamente: wie Amylnitrit etc. 

Die erhöhte Gefässspannung spricht sich an der Pulscurve durch 
eine kleinere Rückstosswelle, die näher dem Gipfel gelegen ist und durch 
schärfer markirte Elasticitätserhebungen aus. Man findet ein solches Ver¬ 
halten bei Verminderung der Herzschläge, indem unter solchen Verhält¬ 
nissen die diastol. Füllung des Herzens eine vollständigere wird, und 
demnach mit jeder Systole mehr Blut in die Arterien getrieben wird. 
Bei der Bleikolik, bei m. Bright, u. z. auch in der acut, parenchym. 
Form, beim Gebrauche des Digitalis, nach der Entleerung grösserer 
Pleuraexsudate findet man Curven, welche die Zunahme der Spannung 
zeigen, dasselbe lässt sich auch bei beginnender Defervescenz constatiren. 

Was den Puls bei Klappenfehlern des Herzens betrifft, so eignen 
sich zur Untersuchung und Feststellung der Charaktere desselben nur 
jene Fälle, die uncomplicirt sind und wo CompensationsstÖrung noch fehlt. 
Bei Insufticienz der bicuspidal. zeigt sich Herabsetzung der arteriellen 
Spannung, die sich in stärkerer Dicrotie, im Zurücktreten der Elasticitäts- 
elevationen ausspricht und durch die geringere Füllung der Arterien 
bedingt ist. Bei vorwiegender Stenose des linken venösen Ostiums wird 
die Pulswelle kleiner, die Rückstosswelle gut, die Elasticitätsschwankungen 
weniger ausgeprägt gefunden. Bei Insuff, der Aortenklappen ist die 
Ascensionslinie sehr gross, steil und erfolgt sehr rasch, ebenso ist der 
Abfall der Descensionslinie ein sehr jäher, weil das Blut nach zwei Seiten 
entweichen kann, die Rückstosswelle erscheint klein, weil dieselbe von 
der dem conus. arter. gegenüberstehenden Ventrikel wand weniger exact 
reflectirt werden kann als von den Aortenklappen, und unterscheidet sich 
diese Curve von der bei einfacher Hypertrophie des Herzens dadurch, 
dass letztere die» Merkmale vermehrter Spannung darbietet. Besteht bei 
Aorteninsuff, gleichzeitig, wie so häufig, Atherom, so geht der Charakter 
der Celerität verloren und so erklärt es sich, dass W o 1 f f die Curve bei 
Aorteninsuff, mit der Greisenpulscurve übereinstimmend fand. Bei Aorten¬ 
stenose erscheint der Puls klein, und zwar um so kleiner, je hochgradiger 
die Verengerung ist. 

R. erwähnt, dass in complicirten Fällen die Pulsuntersuchung sehr 
wichtig sei, er wäre nicht selten erst nach Betrachtung des Pulsbildes, 
welches mit dem Resultate der übrigen Untersuchungsmethoden nicht 
harmonirte auf eine vorhandene Complication aufmerksam geworden. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 


61. Auilismus. Von Dr. Grandhomme, Arzt und Kreiswundarzt 
in Hofheim am Taun. (Vierteljahrschr. f. gerichtl. Medic. und öffentl. 
Sanitätswesen. 31. Bd. II. Heft. 1. 1880.) 


Das gegenwärtig der Farbenfabrikation zur Grundlage dienende 
Anilin wird aus dem Benzol durch chemische Ueberführung des letztem 
in Nitrobenzol und darauf folgende Reduction gewonnen. Die gewöhnliche 
Veranlassung zu Intoxicationen in den Theerfarbenfabriken ist das in 
einzelnen Räumen unvermeidliche Entweichen von Anilindämpfen und 
das Ueberschtttten der Kleider mit Anilin bei J.essen Transport. Besonders 
in dem sogenannten Fuchsinraume ist es an heissen Tagen nicht zu 


Meil.-chir. Rundschau. 1880 . 


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Medicinidch-cbirurgische Rundschau. 


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vermeiden, dass die Luft mehr oder minder mit Anilindämpfen und Spuren 
von Nitrobenzol geschwängert ist. Hierdurch entstehen die leichtesten 
Formen von Anilismus. Bei diesen kommt es vor, dass der Arbeiter die 
bereits stattgefundene Intoxication gar nicht merkt. Die in dieser Richtung 
mit Instruction versehenen Arbeiter bemerken, wie die Lippen eines 
Arbeiters blau werden; die an denselben gerichtete Frage , ob er sich 
unwohl fühle, ob ihm was fehle, beantwortet er mit „Nein u . Sofortige 
Entfernung aus dem Raume und Aufenthalt in frischer Luft lässt einen 
solchen Anfall in wenigen Stunden vorübergehen. Diese leichtesten In- 
toxicationen bestehen somit in einer objectiv wahrnehmbaren bläulichen 
Färbung der Schleimhaut der Lippen ohne subjective Wahrnehmungen 
einer Gesundheitsstörung von Seite des Erkrankten. In anderen Fällen 
überfällt den Arbeiter ein Gefühl von Schwäche und Müdigkeit; sein 
Kopf ist eingenommen, schwer. Betrachtet man ihn, so erscheint sein 
Gesicht fahl, blass; die Lippen sind bläulich, die Augen matt. Die Sprache 
ist langsam, schwerfällig; der ganze Zustand gleicht dem einer leichten 
Trunkenheit. Zeichen von Reizungen der Respirationswerkzeuge sind nicht 
vorhanden; dagegen klagen die Kranken bisweilen über Flimmern vor 
den Augen, in einzelnen Fällen auch über vermehrten Drang zum Urin¬ 
lassen mit Brennen bei demselben. In dem Urin selbst ist jedoch weder 
chemisch noch mikroskopisch etwas nachzuweisen, in spec. enthält derselbe 
niemals Anilin. — War die Einwirkung der Anilindämpfe eine längere 
oder waren die Dämpfe concentrirter, wie dies z. B. bei den Reinigen 
der Apparate vorkommt, oder verschütteten die Arbeiter Anilin, so dass 
deren Kleider durchtränkt wurden, so sind die Anfälle schwerer. Die 
Müdigkeit und Schwäche steigert sich zur Hinfälligkeit. Die Kranken 
klagen über heftigen Kopfschmerz und Schwindel, ihr Gang wird taumelnd. 
Die anfangs livide Färbung der Lippen wird dunkelbau und erstreckt sich 
über Nase, Mund und Ohren; gegen Essen besteht ein förmlicher Wider¬ 
willen, verbunden mit dem Gefühle des Uebelwerdens. Auch auf dieser 
SymptomenhÖhe kann nach circa 24 Stunden vollständige Herstellung 
erfolgen; in den meisten Fällen jedoch steigern sich die Symptome, nicht 
selten, ohne dass zwischen ihnen und den kommenden ein Zeitraum von 
einigen Stunden dazwischen liegt. Diese heftigeren Anfälle charakterisiren 
sich durch den Verlust des Bewusstseins und durch Störungen der Sen¬ 
sibilität. Unter Steigerung des Kopfschmerzes und des Schwindels stürzt 
der Kranke nieder, verliert durch 10 bis 20 Minuten das Bewusstsein 
und erwacht gewöhnlich unter Erbrechen ans diesem Zustande mit einem 
Gefühl von grosser Schwäche im Körper und Eingenommensein des 
Kopfes. Die Hautsensibilität ist derart herabgesetzt, dass selbst stärkere 
Hautreize nicht empfunden werden. Die Pupillen sind verengert; die 
Temperatur ist nicht wesentlich alterirt; der Puls ist in einigen Fällen 
beschleunigt, in andern verlangsamt; der Drang zum Uriniren ist ver¬ 
mehrt, der Urin selbst dunkel; die ausgeathraete Luft hat einen deutlichen 
Anilingeruch. Auch diese Fälle verlaufen binnen 3—8 Tagen günstig, 
ohne dass ausser leichter Strangurie weitere Störungen der Gesundheit 
Zurückbleiben. 

Verfasser illustrirt diese Darstellung durch die Mittheilung von acht 
Krankengeschichten und betont ausserdem, dass der Genuss von Alkohol 
auf die Steigerung der Krankheitssymptome, speciell auf den Ausbruch 
des Anfalls von wesentlichem Einfluss ist. Loebisch. 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


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62. Superarbitrium der königl. wissensebaftl. Deputation für 
das Medicinalwesen in der Ontersuchungssacbe wider den Dr. 0. 
wegen einer vorgenommenen Fussamputation. Referent Prof. Barde¬ 
leben. (Aus der Vierteljahrschrift für gerichtl. Medicin und öffentl. 
Sanitätswesen. N. F. XXXI. Band, 2. Heft. 1879, pag. 209.) 

Der Armenarzt Dr. 0. amputirte, ohne sich über die Indication der 
vorzunehmenden Operation klar gewesen zu sein, wegen eines Geschwüres 
am Rücken der 2. Zehe, einem 72jährigen Arbeiter den rechten Unter¬ 
schenkel in der eigenen Wohnung und schickte dann den Operirten sammt 
dem abgesetzten Bein in das Krankenhaus zu W. 

Der Arzt des Krankenhauses Dr. S. brachte dieses Factum, nach¬ 
dem der Operirte drei Tage nach der Aufnahme gestorben war, zur be¬ 
hördlichen Kenntniss und beschuldigte seinen Collegen der fahrlässigen 
Körperverletzung, resp. Verstümmelung. 

Die Obducenten sprachen sich dahin aus, dass der Mann mit Rück¬ 
sicht auf den Obductionsbefund an Gehirnödem verstorben sei. Die Ver¬ 
antwortung des Dr. 0. einerseits und die vom Spitalsarzt Dr. S. vor¬ 
gebrachten Beschuldigungen andererseits bewogen die Staatsanwaltschaft, 
beim königlichen Medicinalcollegium zuM. ein Gutachten über diesen Fall 
einzuholen, und erklärte diese Behörde, dass sie eine strafgerichtliche Ver¬ 
folgung nicht ftlr angezeigt erachte, indem Dr. 0. bona fide irrthümlich 
gehandelt habe. 

Mit diesem Gutachten gab sich die Oberstaatsanwaltschaft nicht zu¬ 
frieden und stellte an die königlich wissenschaftliche Deputation zwei 
Fragen, u. z.: 

1. Ob Dr. 0. diejenige Aufmerksamkeit ausser Augen setzte, zu 
welcher er vermöge seines Berufes als zur Praxis zugelassener Arzt ver¬ 
pflichtet war (§. 222 deutsches, §. 357 österr. Strafgesetz); 

2. ob die Möglichkeit der durch die Handlung verursachten Folge 
eine so naheliegende war, dass Dr. 0. sie voraussehen und berücksich¬ 
tigen konnte und demgemäss sein Thun und Lassen einrichten musste? 

Die Antwort lautete: 

I. Dr. 0. hat bei der Behandlung des N. diejenige Aufmerksamkeit 
ausser Augen gesetzt, zu welcher er vermöge seines Berufes als Arzt 
verpflichtet war. 

H. Die Möglichkeit eines tödtlichen Ausganges der Amputation war 

in Erwägung des Alters des N. und der ungünstigen Aussenverhältnisse 
eine so naheliegende, dass Dr. 0. sie wohl voraussehen konnte und be¬ 
rücksichtigen musste. Dr. Schlemmer. 

63. Gerichtsärztliche Mittheilungen. Von Prof. Dr. Jos. M a s c h k a 
in Prag. (Vierteljahrschr. f. ger. Med. und öffentl. Sanitätswesen. N. F. 
XXXL Band, 2. Heft, pag. 218 u. f.) 

I. Gutachten über den Geisteszustand des der Religionsstörung an- 
&eklagten J. P. 

J. P., zur Zeit seiner gerichtsärztlichen Beobachtung 32 Jahre alt, 
bat einige Brochttren verfasst, deren Inhalt nach Ansicht des Gerichtes 
das Verbrechen der Religionsstörung involvirte, und wurde deshalb in 
Anklagestand versetzt. 

Aus dem Vorleben des Inquisiten wird mitgetlicilt, dass er schon 
als Kind eine besondere Vorliebe für das Lesen der Bibel gezeigt, mit 
^ Jahren sich schon mit dem Talmud und mit Geographie befasst, und 
mit dem 14. Jahre schon den Gedanken der Wiederherstellung des Reiches 

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Medicinisch-chirturgische Rundschau. 


in Palästina erwogen habe. Von dieser Zeit an habe er ein unstätes 
Leben geführt, sich in Ungarn und Polen henimgeschlagen, habe kümmer¬ 
lich seinen Lebensunterhalt erworben und endlich nach vielen Unterbre¬ 
chungen in seinen Studien sich der Jurisprudenz zugewendet. — Im 
Jahre 1869 erlangte er die Stelle eines Predigers in einer jüdischen Ge¬ 
meinde und hatte jetzt Gelegenheit, sich mit Bibel und Religion zu befassen. War 
er schon in seinen jüngeren Jahren über gewisse Religionslehren in Zweifel 
gerathen, so kam er in Folge der eingehenden Studien geradezu so weit, 
dass er — die Nichtigkeit des Judenthumes einsehend — seine Stellung 
als Prediger aufgab und den Plan fasste, einen Verein zu stiften, welcher 
nur Christus als höchstes Wesen anerkennt. 

Er begab sich nach Leipzig, Berlin und Hamburg, fand bei 
mehreren Journalen Beschäftigung und pflog Umgang mit Männern, welche 
ähnliche Tendenzen wie er verfolgten. 

Tag und Nacht von seinen Gedanken gequält, hatte er einst den 
Traum, dass er sich vor einer Kirche befinde, welche in Nebel gehüllt 
sei; dabei fühlte er sich an der Schulter gefasst und hörte die Worte: 
„Geh’ nicht durch diesen Nebel, sondern folge nur deiner Erkenntnisse 

— Bald darauf trat er zur evangelischen Kirche über, trat mit der 
schottischen Kirche in Verbindung und schrieb jene Brochüren, wegen 
welchen er in Anklagestand versetzt wurde. 

Die gepflogene gerichtsärztliche Untersuchung ergab, dass in der 
Familie, aus welcher J. P. stammt, keine Geisteskrankheit vorgekommen 
sei, dass er im 15. und 2*1. Lebensjahre am Wechselfieber und im 20. 
am Typhus krank gewesen sei. Jetzt war Pat. 32 Jahre alt und bot 
äusserlich nichts Abnormes. Er ist von mittlerer Statur, etwas schwäch¬ 
lichem Körperbau und bleicher Gesichtsfarbe; sein Schlaf ist unruhig und 
häufig unterbrochen. Bei Besprechung von gewöhnlichen, ausser dem Be¬ 
reich seiner Wahnvorstellungen liegenden Dingen ist an P. keine Ab¬ 
normität im Urtheils- oder Schlussverraögen nachweisbar und spricht er 
auch in gelassenem Tone; sowie aber das Gespräch auf die Religion 
gelenkt wird, röthet sich sein Gesicht, er wird laut und seine Reden 
werden im Predigertone mit Eifer und Feuer, begleitet von lebhaften Ge¬ 
berden, vorgetragen. 

Die Hauptidee seines Glaubensbekenntnisses ist die Nichtigkeit des 
Judenthums und die Göttlichkeit Christi, den er für den Vermittler zwi¬ 
schen uns und dem höchsten Wesen ansieht. — Er vermeidet es, die 
Ausdrücke ftlr die Begriffe „Religion und Staat“ zu gebrauchen und um¬ 
schreibt dieselben in unklarer Weise. Er hält das gegenwärtige Menschen¬ 
geschlecht für demoralisirt und prophezeit ihm seinen nahen Untergang, 
den er auf die Zeit von 20 Jahren hinausrückt. Einige Vorzeichen dieser 
bevorstehenden Vernichtung hält er für schon eingetroffen und glaubt, dass 
nach jenen 20 Jahren ein gänzlicher Umschwung aller Regierungen, eine 
wechselseitige Verfolgung der Menschen eintreten und sodann der Anti¬ 
christ in der Gestalt eines Alleinherrschers auf Erden erscheinen werde. 

— Das Reich des Antichristes werde nach B 1 / 2 Jahren zu Grunde gehen 
und hierauf werde nach verschiedenen Erdrevolutionen der Messias zum 
zweiten Male auf Erden erscheinen, um selbst die Herrschaft zu über¬ 
nehmen; dabei werde aus jener kleinen Gemeinde, die P. zu gründen 
beabsichtigt, sich das künftige bessere Menschengeschlecht herausbilden. 
Mit seiner Lage ist der Angeklagte vollkommen zufrieden und spielt sich 
auf den Märtyrer hinaus, der in Allem nur den Weisungen seines ver- 


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Medicinisch-chiiurgische Bnndschan. 69 

meintlichen Herrn folgt. Demgemäss fürchtet er weder ein Gesetz noch 
sonst irgend etwas auf Erden. 

Neben all diesen Ansichten Uber Religion und sein Auserwähltsein 
zu solch’ besonderen Missionen hält er sich auch noch ftlr einen grossen 
Erfinder im Gebiete der Mechanik. J. P. wurde auf Grund der Ergebnisse 
der gerichtsärztlichen Untersuchung als geisteskrank — an religiösem 
Wahnsinn — erklärt. Dr. Schlemmer. 

64. Gutachten über den Geisteszustand des, des versuchten 
Meuchelmordes angeklagten Franz Z. (Vierteljahrschr. f. ger. Medic. 
und öffentl. Sanitätswesen. N. F. XXXI. Band, 2. Heft. pag. 224 u. f.) 

Der 37jährige Grundbesitzer F. Z. schoss am 30. August aus einer 
Entfernung von 3 Schritten aus einem 61äufigen Revolver auf seine Frau 
und traf sie unterhalb der linken Schläfe, begab sich dann in sein Zimmer, 
verschloss die Thüre und schoss sich in den Unterleib. 

Beide blieben erhalten, und ergaben sich während der Vorunter¬ 
suchung reichliche Anhaltspunkte ftlr die Annahme, dass F. Z. geistes¬ 
krank sei. Da eiuer der Sachverständigen den Inculpaten ftlr geistig 
gesund, der andere aber ihn für geisteskrank erklärte, kam der Fall 
zur Begutachtung an die medicinisehe Fakultät in Prag und wurde auf 
Grund der nachfolgenden aus den Acten entnommenen Daten ftlr bestehende 
Geisteskrankheit entschieden. 

F. Z., derzeit 37 Jahre alt, stammt aus einer Familie, in welcher 
weder Geisteskrankheit noch Selbstmord vorkamen; er war stets arbeitsam, 
im Jahre 1870 war er durch 16 Tage krank, klagte über allerlei 
Schmerzen, es konnte objectiv aber nur ein Lungenkatarrh uachgewiesen 
werden. Zwei Jahre später äusserte er dem Arzte gegenüber sterben zu 
müssen und wollte sein Testament machen; der Arzt machte die Frau 
aufmerksam, dass es im Kopfe des F. Z. nicht richtig sei, befahl ihr auf 
der Hut zu sein, da ihr Mann an Melancholie leide. 

Der Ortsvorsteher — Freund und Nachbar des Inculpaten — de- 
ponirte, dass der Inculpat schon vor 3 Jahren an einem Leberleiden krank 
gewesen und damals auffallend jähzornig und reizbar gewesen sei, so 
dass er einmal in einer Zornesanwandlnng ein Stück Holz oder Eisen 
nach seiner Frau geschleudert habe. Nach ttberstandener Krankheit war 
er wieder sanft und ruhig. 

Heuer fing er wieder über Blutwallungen zu klageu an, er wurde 
wieder reizbar, jähzornig, unthätig und feindlich gegen sein Weib. Oefters 
sagte er seinem Nachbar, dass er in solchen Augenblicken, wo ihm das 
Blut zum Kopfe steige, nicht wisse, w as er thue; auch soll er sein Weib 
gebeten haben, sie möge ihn binden oder prügeln und ihm verzeihen, 
wenn er im Anfalle schlecht mit ihr verfahre. Am Tage vor der incri- 
minirten That fand ihn sein Freund besonders verstimmt und wehmüthig; 
er fürchtete sich zu sterben und bat ihn, da er glaubte sein Weib werde 
nach seinem Tode wieder heiraten, sich seiner Kinder anzunehmen. — 
Aehnlich deponirten auch die übrigeu Zeugen. — Am 29. August machte 
ihm sein Weib den Vorwurf, dass er nicht arbeite, deshalb ging er am 
30. aufs Feld, kam aber bald zurück, da sich verschiedene Schmerzen 
einstellten. Am Weg nach Hause tauchte in ihm der alte Vorsatz, sich 
und sein Weib zu tödten, wieder auf und so beging er die in Rede 
stehende Handlung. 

Er wurde, wie bereits angeführt, ftlr geisteskrank und zur Aufnahme 
in eine Irrenanstalt geeignet erklärt. Dr. Schlemmer. 


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MeiHcinisch-clijrurgische Rundschau. 


65. Nat&rlicher Tod oder erdrosselt? (Vierteljahrschrift filr ge¬ 
richtliche Medicin und öffentliches Sanitätswesen. N. F. XXXI. Bd., 2. Hft. 
pag. 229 u. f.) 

Der im Folgenden excerptweise mitgetheilte Fall ist dadurch 
interessant, dass er uns Anhaltspunkte bietet für die Abschätzung der Zeit, 
binnen welcher durch gewaltsamen Verschluss der Luftwege Bewusstlosig¬ 
keit und der Tod eintreten kann. 

Ein 25jähriger, kräftiger Bursche, der dem Genüsse geistiger Ge¬ 
tränke ergeben war, kam angetrunken nach Hause und begann mit seinem 
Vater und Bruder einen Streit. Nach wiederholter Ermahnung und Dro¬ 
hung seitens des Bruders sich ruhig zu verhalten, ergriff Letzterer einen 
Strick, warf denselben im dunklen Zimmer über den Streitenden, zog ihn 
damit zur Erde, schleifte ihn hinaus und band das Ende an einer Stiege fest. 

Nach Verlauf einer Viertelstunde wurde, da sich der Ruhestörer 
durch nichts bemerklich machte, nachgesehen und derselbe todt gefunden. 
— Die Section ergab die Zeichen des Stickflusses in geringem Grade und 
ringförmig um den Hals verlaufende Hautaufschürfungen. Bei Abwesenheit 
jeder anderen Erklärung ftlr den Eintritt des Todes und bei dem Umstande, 
dass diese Hautaufschürfungen durch gewaltsames Zuschnüren des Halses 
entstanden waren, lag es klar, dass durch sie der Tod herbeigeführt 
wurde. Dr. Schlemmer. 


Recensionen. 


66. Lehrbuch der Physiologie des Hensohen einschliesslich der 
Histologie und mikroskopischen Anatomie. Mit besonderer Berück¬ 
sichtigung der praktischen Medicin von Dr. L. Landois, ord. öff. Pro¬ 
fessor der Physiologie und Director des physiologischen Instituts der 
Universität Greifswald. Mit zahlreichen Holzschnitten. Zweite Hälfte. Wien 
1880, Urban & Schwarzenberg. 

Mit dem vorliegenden 2. Theile ist das Lehrbnch der Physiologie d»*s 
Menschen von Landois vollständig abgeschlossen. Es sind in demselben der 
Stoffwechsel, die Physiologie des Bewegangsapparates, der Nerven nnd Sinnes¬ 
organe, ferner die Embryologie in eben jener Weise behandelt, welche wir schon 
bei der Besprechung des ersten Theiles geschildert haben. Ueber die Methode der 
Darstellung, welche der Verfasser bei der vorliegenden Bearbeitung des physio¬ 
logischen Materials befolgte, namentlich über den Hinweis des Zusammenhanges 
der physiologischen Orundlehren mit den pathologischen Veränderungen und mit 
der ärztlichen Diagnostik, haben sich seit dem Erscheinen des ersten Bandes 
gewichtige Stimmen aus wissenschaftlichen Kreisen mit besonderer Anerkennung 
ausgesprochen. Wir wollen darauf hinweisen, dass auch Virchow bei der letzten 
Naturforscherversammlung in Amsterdam während seines Vortrages über den 
„Unterricht in der Medicin" die Nothwendigkeit guter und compendiöser Lehr¬ 
bücher für den Mediciner betonte, damit dieser auch das vorliegende umfangreiche 
Material bewältigen köcne. Uns freut dieser Ausspruch des hervorragenden 
Theoretikers umsomehr, als wir der Ansicht sind, dass der Werth theoretischer 
Studien umsomehr gewürdigt werden wird, je mehr die Oesammtheit der Aerzte 
die Nothwendigkeit derselben für die richtige Ausübung der ärztlichen Praxis 
kennen lernen wird, wozu gute Lehrbücher in erster Linie mit beizutragen geeignet 
sind. Die heutige Medicin hat ihren gegenwärtigen Entwicklungszustand dem 
unermüdlichen Streben der Physiologen zu danken und sie trägt auch den Namen 
der physiologischen Schule. Leider findet der Mediciner bei der grossen Anzahl 
von praktischen Fächern, welche während der kurzen Studienzeit bewältigt werden 
müssen, nicht die genügende Zeit, welche eine selbst nnr for das praktische Be¬ 
dürfnis nothwendige Bewältigung des physiologischen Materials erfordert. Es 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 7 t 

bleibt daher dem strebsamen Arzte Nichts übrig, als während der Praxis nach- 
xuholen — und die Physiologie fleissig nachzuschlagen 

Die Ausstattung des Werkes ist eine vorzügliche, sowohl Papier, als Schrift 
und Holzschnitte entsprechen allen Anforderungen. Ein sorgfältig gearbeitetes 
Sachregister und Autorenverzeichniss trägt zur Brauchbarkeit des Werkes bei. 

L—sch. 

67. Die Arzneimittellelire für Zahnärzte. Von Dr. Oscar Tham- 
hayn. (Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880.) 

Das vorliegende, 274 Seiten starke Werk ist in erster Reihe bestimmt, an 
gehenden Zahnärzten als Wegweiser in die r materia medica“ zu dienen. Es wird 
darin jedoch die Sphäre des Zahnarztes etwas Überschritten, indem auch Heilmittel 
aafgenommen sind, die gegen Krankheiten der Mund-, Rachen-, Kehlkopfe, Nasen- 
und Kiefer-Höhle Verwendung finden. 

Das Werk zerfällt in zwei Theile, in einen 1. allgemeinen und 2. spe- 
dellen. Der erstere pa*st wohl vorzüglich für Anfänger und handelt, wie an sich 
klar, von der Eintheilung, Wirkung, Anwendung etc. der Medicamente überhaupt. 
Der zweite, specielle Theil bespricht 231 Arzneikörper, also sicherlich genug und 
mehr, als Zahnärzte benöthigen. Die Arzneikörper, deren Darstellung, Wirkung 
und besonders die Art der Anwendung werden klar und praktisch beschrieben 
und sind denselben zahlreiche Receptformeln angeschlossen. Neben den pharma- 
eentischen Arzneikörpern finden aber auch die als Ausfüllungsmittel cariöser Höhlen 
verwendeten Materiale, wie Gold, Zinn, die Amalgame, Cemente, die Guttapercha 
sammt deren im Handel erscheinenden Präparaten sorgfältige Beachtung, was den 
Werth des Buches nur sehr erhöhen kann. Uns will bedünken, d»ss das Werk 
nicht nnr eine sehr gute Arzneimittellehre für angehende Zahnärzte sei, sondern 
dass auch die vielen praktischen Aerzte, welche oft bei Zahnleiden zu Rathe ge¬ 
zogen werden, nützlichen Gebrauch davon machen können, ja dass selbst geübtere 
Zahnärzte manches in praxi Verwendbares finden werden. Blaas. 

68. Mineralbrunneii und Bäder. Ein Handbuch für Curgäste. Von 
Dr. Heinrich Kisch. (Leipzig. Verlagsbuchhandlung von J. J. Weber. 
1879. Kl. 8°, 287 8.) 

Der auf baineologischem Gebiete rühmlichst bekannte Antor hat sich dies¬ 
mal der schwierigen Aufgabe der populären Darstellung seiner Disciplin unter¬ 
zogen und diese Aufgabe mit vielem Glück gelöst, denn wir finden in dem uns 
vorliegenden Werkchen nicht nnr die wissenschaftlichen Errungenschaften der 
Balneotherapie recht anregend wiedergegeben, sondern auch eine Reihe diätetischer 
Yerhaltungsmassregelu während der Curen in einer Weise besprochen, welche 
sofort zeigt, dass der Antor kein blosser Theoretiker ist, sondern anch als prak¬ 
tischer Badearzt wichtige Erfahrungen gesammelt hat. 

Das erste Capitel ist der Geschichte der Bäder gewidmet, wobei der Ver¬ 
fasser seinem in der Vorrede ansgesprochenen Wnusche: „nicht langweilig zu 
werden“, in hohem Grade gerecht wurde, da die Beschreibung des Znsammen- 
hadens von Männern und Frauen nnd die dabei vorgefallenen Unzukömmlichkeiten 
für manche Bäder besuchende Dame sogar „zu amüsant“ sein dürfte. Die nächsten 
Capitel befassen sich mit der Entstehung der Mineralquellen und der Wirkung 
der Trink- nnd Badecuren, wobei die jetzt gebräuchliche Eintheilung der Mineral- 
brannen nnd Bäder beibehalten wurde nnd die zu den betreffenden Gruppen ge¬ 
hörigen Cnrorte anfgezählt werden. Tn derselben Weise bespricht der Verfasser, 
nachdem er noch früher den Einrichtungen der Trink- nnd Badecuren einige Seiten 
gewidmet hat, die Milch-, Molken-, Kumys- and Tranbencnrea, woran sich eine 
kleine klimatologische Abhandlung schliesst. Von ganz besonderem Werthe für 
den Cnrg&8t sind die nnn folgenden Capitel, welche die Wahl des Cnrortes, das 
Verhalten in demselben, die Bronnen- nnd B&dediätetik, sowie andere praktische 
Winke zum Gegenstände haben, denn wir finden hier eine Reihe von Rathschlägen, 
welche den Verfasser sofort als den erfahrenen Brnnnenarzt kennzeichnen, und wir 
bedauern nnr, dass in den speciell für das ärztliche Publikum bestimmten Bal¬ 
neologien nicnt mit derselben Ausführlichkeit von denselben Dingen die Rede ist, 
denn mancher Hausarzt wäre dann in der Lage, seinen Clienten praktische Winke 
auf die Badereise mitzngeben. Die sogenannte baineotherapeutische Klinik ist 
sehr kurz zusammengefas.'t, was wir bei einem für Laien bestimmten Bache nnr 
lobend erwähnen wollen. Der zweite Theil des Buches enthält eine ziemlich voll- 
.ständige alphabetisch geordnete Uebersicht der wichtigen Cnrorte nnd Heilquellen, 
mit Berücksichtigung Alles dessen, was den Cnrgast interessiren kann. 


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Medicinisch-chirurgische Rnndschau. 


Es sei somit dieses Büchlein nicht nar Allen, welche nach den verschie¬ 
denen Curplätzen pilgern, sondern auch den Herren Collegen auf das Wärmste 
empfohlen, denn sie finden hier das wissenschaftliche Materiale recht hübsch ge¬ 
sichtet und dabei manchen praktischen Wink, welcher in grösseren Werken über¬ 
sehen wurde. Die Ausstattung des Werkchens ist die bekannte hübsche der „illu- 
strirten Gesundheitsbücher“, deren achten Band das vorliegende Handbuch reprä- 
sentirt. G1 a x. 

69. Der einfache und der diphtheritische Croup und seine Be¬ 
handlung mit Wasser und durch die Tracheotomie. Dargestellt nach 
eigenen zahlreichen Erfahrungen von Dr. G. Pingier, königl. Physikus 

а. D., Medicinalrath und Dirigenten der Kaltwasserheilanstalt Königstein 
im Taunus. (II. verm. und verb. Aufl. Heidelberg. 1879. YIH, 207 S.) 

Verfasser gibt zunächst eine klinische Darstellung der verschiedenen Croup¬ 
formen, die wir übergehen und welche besser und kürzer in guten Handbüchern 
der speciellen Pathologie und Therapie zu lesen ist (siehe z. B. v. Ziemssen's 
Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie, IV. Th., II. Anfl. 1879). Das 
wichtigste Capitel der vorliegenden Schrift ist das, welches die hydriatische Be¬ 
handlung des Körpers enthält. Verf. erzählt sein darauf bezügliches Verfahren 
und die frappirei.d günstigen Erfolge mit demselben. Die Wassercur lepräsentirt 
die rationellste und wiiksamste Antiphlogose und ist nach Pin gl er das „Spe- 
cificum“ bei allen lein entzündlichen Biäuneformen. Bei den diphtheritischen 
Croupformen vermag nach Pr. die Wassercur nur vorübergehend die ßräunezeichen 
zu entfernen, das Wasser ist aber auch hier unersetzlich, weil es die „phlogistische 
Blutkrase“ mindert und den Krankheitsverlauf bis zu einem gewissen Punkte 
hemmt und als Vorcur bei der Tracheotomie die nach der letzteren zu erwartende 
Beaction in den »ngsten Grenzen darniederhält. Die Tracheotomie ist indicirt, 
sobald vom Verfolg einer rationellen Wasseranwendung Herstellung des Kranken 
nicht mehr zu erwarten ist. Beim ulcerösen diphtheritischen Croup ist sie vor¬ 
zunehmen, sobald die Diagnose desselben feststeht. Wenn dann die atmosphärische 
Luit den Kehlkopf nach der Tracheotomie nicht mehr belästigt, genügt die Wasser¬ 
cur, um alle Croupzufälle zu beseitigen, wenn dies auf dem Wege der Antiphlo¬ 
gose noch möglich ist. 

Das sind die wichtigsten Sätze, welche den Verf. bei Behandlung des 
Croups leiten. Die hydriatische Behandlung des Croups besteht darin, dass Ping- 
ler die Kranken in Wasser von 18—26° R badet, die vom Wasser unbedeckten 
Stellen des Körpers reiben lässt, Kopf, Kehlkopf und Luftröhre mit Compresscn 
umlegt, die in Wasser von 2—8° R. getaucht sind. Nach 3 Minuten Badezeit 
wird mit einer Giesskanne eine Regendouche mit 10—12° R. kaltem Wasser 3 
bis 4 Secunden lang applicirt. Dann wird weiter gebadet und sobald Nachlass 
der Hautreaction eintritt (alle 3-5 Minuten), von Neuem gedoucht. Mit dem 
Baden wird aufgehört, sobald das Bräuneathmen einige Minuten hindurch unver¬ 
nehmbar geworden ist oder wenn der „Organismus gebieterisch die Beendigung“ 
erfordert. Wenn nach 45—5U Minuten Badezeit eine Aussicht für baldiges Ver¬ 
schwinden des „Bräunezeichens“ nicht besteht, macht Pr. bei kräftigen Kindern 
von 7 zu 7 Minuten eine Douche von 5—6 Secunden auf Hinterhaupt und Nacken 
mit der Giesskau ne, welcher die Brause (das siebförmige Ende) abgenommen wurde. 
Wollen endlich die Croupzufälle auch so nicht weichen, so wird die Douche 1 
bis 3 Mal circa 5 Secunden lang direct gegen Kehlkopf und bei „Laryngealcroup“ 
gegen die Luftröhre und den*oberen Theil der Brust gerichtet. Die Bäder werden, 
wenn die Bräunezüfälle nach oder bei dem ersten Bade nicht schwinden, nach 4, 

б, 8 Stunden wiederholt. Bezüglich aller übrigen Einzelheiten, die während des 
Badens und in den Zwischenzeiten zu beobachten sind, müssen wir diejenigen 
unserer Leser, welche mehr wissen wollen, auf das Original verweisen. 

Pin gier ist Enthusiast für sein Verfahren und von der Wirksamkeit 
desselben wirklich rührend überzeugt. Eine grosse Erfahrung steht ihm dabei 
zur Seite und deshalb verdient das Verfahren weitere Prüfung. Knauthe. 

70. Ein durch Fractnr schräges Becken. Von Dr. Heinrich 
Fritsch, Prof, in Halle. Mit 2 Tafeln Abbildungen. Halle. Max Nia¬ 
mey er. 1879. gr. Fol. 12 S. Angezeigt von Prof. L. Klein wächter 
in Innsbruck. 

In einer anlässlich der Eröffnung der neuen Frauenklinik seinem Lehrer, 
Professor Olshausen, gewidmeten Festschrift gibt Fritsch die Beschreibung 
eines durch Fractur schrägen Beckens. Diese Monographie ist namentlich deshalb 
werthvoll, weil durch dieselbe eine Lücke in der Lehre vom schräg verengten 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Becken ausgefüllt wird. Aetiologisch wurde nämlich bisher als wichtig bei dieser 
Anomalie blos eine mangelhafte Entwicklung der seitlichen Kreuzbeinpartie, die 
Entzündung!des Sacroiliacalgelenkes und die vei änderte Statik des ungleichmässig 
belasteten Beckens angesehen. Auf das Trauma als ätiologisches Moment nahm 
man — abstrahirt man von einer Notiz Litzmann's — aber keine Rücksicht. 
Das von F. beschriebene Becken liefert den Beweis, dass auch eine stattgehabte 
Fractor eine schräge Verengerung herbeizuführen im Stande ist. Es rührt von 
einem 19jährigen Mädchen, welches einmal eine Fractur der rechten Hälfte der 
Krenzbeinbasi8 überstanden, her, in Folge dessen diese Beckenseite wegen mangel¬ 
hafter Entwicklung der rechten Kreuzheinhälfte schrägvereogt erscheint. Interes¬ 
sant ist es, dass die Charaktere dieses Beckens nicht jenen der anderen schiäg- 
verengten gleichen. Es findet sich gerade das umgekehrte Verhältniss wie in den 
typischen Fällen. Die Cin. innom. der kranken Seite ist nämlich gerade die längere, 
die Sp. post. sup. dieser Seite ragt hinten weniger hervor, die Snperfic. auricnlar. 
ist grösser etc. 

Diese Monographie wird stets ihren Werth behalten und Fritsch gebührt 
das unbestrittene Verdienst, zuerst auf diese bisher übersehene Form des engen 
Beckens aufmerksam gemacht zu haben. Fachmännern sei die Schrift bestens 
empfohlen. 


Kleine Mittheilungen. 


71. Ist die Paracentese des Pericardiums zu rechtfertigen ? 

Von J. Roberts. (Philad. med. times 1879. August 16.) 

Obige Frage wird nach allen Richtungen mit „ja u beantwortet. R. hat ans 
der Literatur 49 Fälle von Paracentesis pericardii (darunter 7 in Amerika aus¬ 
geführt) zusammen gesucht, davon genasen 23, es starben 26. Die beste Methode 
ist die Punction mit Exstirpation und zwAr soll man beim Einstechen des Troi- 
karts möglichst langsam und allmälig in die Tiefe gehen, damit daB angesogene 
hervorquellende Fluidum anzeigt, ob man schon tief genug und nicht zu tief vor¬ 
gedrungen ist. Als Einstichstelle wähle man den 5. Inter cos talraum, etwa l 1 /," 
von der Mittellinie des Sternum nach auswärts. Indicirt ist die Operation bei 
allen grösseren Flüssigkeitsansammlungen, sobald gefahrdroheode Symptome ein- 
treten. Die besten Resultate geben die Ansammlungen bei Gelenkrheumatismus, 
weniger gute bei Morbus Brightii, chron. Pleuropneumonie, eitriger Pericarditis 
etc. Bei Wiederansammlung ist die Operation zu wiedei holen, resp. eine Drainage 
mittels Drainageröbre oder Canftle zu machen. 


72. Das englische Gesetz gegen die Trunksucht (The Brit. med. 
Journ. 1879. No. 975.) 

Mit dem ersten Januar 1860 tritt der „Habitual Drunkhards-Act“ für 10 
Jahre vom Tage seiner Genehmigung (3. Juli 1879) an in Wirksamkeit. Der Ge¬ 
wohnheitstrinker wird in der Einleitung definirt als eine „Person (männl. oder 
weibl.), welche, obwohl sie nicht nach den Gesetzbestimmungen über Irrsinnige 
behandelt werden kann, doch durch gewohnheitsmässiges und unmässiges Trinken 
von berauschenden Flüssigkeiten zeitweise sich selbst und Anderen gefährlich 
wird und nicht im Stande ist, über sich zu bestimmen oder ihren Angelegenheiten 
vorzustehen“. Unter „retreat“ versteht das Gesetz eine Anstalt, welche von der 
in diesem Gesetze genannten Behörde die Berechtigung erhalten hat zur Auf¬ 
nahme, Controls, Pflege und auf Heilung abzielende Behandlung der Gewohnheits¬ 
trinker. Irrenasyle sind ausgeschlossen. Die Friedensrichter in England und Irland, 
sowie die Sheriffe in Schottland haben Anzeigen und Klagen, welche unter dieses 
Gesetz fallen, zu hören und zu entscheiden; sie können Trunksüchtige in eine 
solche Anstalt verweisen, in welche aber auch solche auf eigenen Wunsch eintre- 
ten können, in diesem letzteren Falle müssen sie während der ganzen, vor ihrer 
Aufnahme festgesetzten Zeit, welche aber 12 Monate nicht überschreiten darf, in 
der Anstalt verbleiben, es sei denn, dass sie als geheilt früher entlassen werden 
können. Ein hiezu eigens ernannter Inspector hat jede Anstalt mindestens zwei¬ 
mal jährlich zu besichtigen. Die Richter können einem von ihnen in eine Anstalt 
verwiesenen Gewohnheitstrinker gestatten, mit einer angesehenen und vertrauens¬ 
würdigen Person zu leben, welch» sich seiner Beaufsichtigung „zu Gunsten seiner 
Gesundheit“ für eine bestimmte Zeit unterziehen will, entäuft er, so geht er die¬ 
ser Erlaubniss verlustig und kann in die Anstalt zurückgebracht mmten. Dann 
folgen Bestimmungen über ärztliche Leitang und Aofsicht (Ansta^^ von Laien 
gehalten bestehen schon lange in England) und die Heilung der Trunksucht. 


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Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 


73. Dr. Wernich: 

trag, gehalten in 
1879. 24. 25.) 


Wann steckt Lnngenschwindsucht an? Vor¬ 
der BerL med. Gesellschaft. (Berl. klin. Wochenschrift. 


Durch die im Laboratorium ßuhl’s in München angestellten Versnche 
Dr. Tappeiner’s in Meran ist die Frage über die ansteckende Eigenschaft der 
Lungenschwindsucht in ein neues Stadium getreten. Tappeiner bereitete von 
einem Thee- oder Esslöffel voll aus tuberculösen Cavemen stammender Sputa 
durch Verreiben mit 300—5C0 Kcm. Wasser eine emulsionsartige Flüssigkeit, und 
liess dieselbe vermittelst eines Zerstäubungsapparates von Hunden einathmen, 
welche in einem von Brettern gezimmerten, luftigen, hinlänglich grossen Raume 
eingesperrt waren. Der Hund wurde als Versuchsthier gewählt, weil derselbe nach 
Prof. Bollinger am seltensten an Lungentuberculose leidet. Die Thiere in ha* 
litten theils dreimal, theils zweimal und einmal täglich, und zwar 1—6 Wochen 
lang. — Das Ergebniss aller 11 Obductionen war ausgesprochene miliare Tuber- 
culose beider Lungen, in der Mehrzahl der Fälle auch im geringeren Grade der 
Nieren , in vereinzelten Fällen worden auch in der Leber und Milz Knötchen 
gefunden. Bei zweien fand sich auch Desquamativ-Pneumonie. Tappeiner zieht 
aus diesen Versuchen den Schluss: die Tub^rculose ist eine Infectionskiankheit 
und kann durch direct in die Lunge gelegte Spntatheilchen aus tuberculösen Caver* 
nen hervorgerufen werden. 

Wernich sucht nun vom klinischen Standpunkte aus die Frage zu be¬ 
antworten: Haben wir Gründe in der Athemluft Stoffe zu vermuthen, die durch 
Erzeugung miliarer Tuberkel, oder auf dem Umwege der Peribroncbitis und 
käsigen Pneumonie zur progressiven Destruction der Lunge führen? 

Fälle von Ansteckung eines Gesunden durch das Zusammenleben mit 
Schwindsüchtigen sind in der Literatur in grosser Zahl verzeichnet, namentlich 
bei Eheleuten , Krankenpflegern und in Kliniken, so dass viele Autoren die An¬ 
steckungsfähigkeit der Phthise als unzweifelhafte Thmtsache hinstellen. Dem steht 
jedoch der Einwurf entgegen, dass iu vielen Stationen für Lungenkranke nie ein 
Arzt oder ein Wärter angesteckt sei, und dass überhaupt die Fälle , welche zur 
Annahme einer Ansteckung nöthigen, seltene Ausnahmen sind , namentlich fehlen 
exacte Beobachtungen aus Kliniken in hinreichender Anzahl. Dies letztere schiebt 
der Verf. auf den in Kliniken fast überall herrschenden Gebrauch, die cavernösen 
Phthisiker von den übrigen Kranken zu trennen. In seinem Hospitale in Yeddo 
war diese Trennung nicht absolut durchzulühren und der Verf. war daher in der 
Lage, Beobachtungen Über die Bedingungen der Infection zu machen, welche er 
unter Mittheilung der betreffenden Fälle in seinem Vortrage bespricht. 

Es ist eine wohlconstatirte Thatsache, dass Schwindsucht zur Zeit in allen 
Klimaten existirt. dass sie gerade in heissen Kl.maten einen besonders bösartigen 
Verlauf nimmt, dass sie aufgetreten und zu einer ungeheuren Verbreitung gelangt 
ist in früher ganz versch« nten Gegenden, ohne dass deren Klima sich im mindesten 
geändert hätte. Klima und Wetter stehen mit der Verbreitung der Schwindsucht 
nur insofern im Zusammenhang, als sie, wie man sagt, die Disposition zur Auf¬ 
nahme des krankmackenden Stoffes herbeiführen oder erhöhen können; zu diesem 
selbst aber hat keine Witterung eine directe Beziehung, — er bildet, erhält und 
potenzirt sich in vollkommener Unabhängigkeit von derselben. — Die Angabe, 
dass bedeutende Elevationen des Bodens, Höben von über 2000 Fuss eine Art 
von Immunität gegen Schwindsucht auf weisen, führt sich mit zwei Erklärungen 
ein, deren eine die Seltenheit der Krankheit aus demselben Factor wie unter 
mildem und trockenem Klima ableitet: die Statik des Blutumlaufes und der Ath- 
mung sei eine im günstigen Sinne abweichende und verringere die Disposition. 
Die andere Erklärung dürfte indes» viel näher aufs Ziel führen. Sie basirt auf 
dem unbestreitbaren Factum, dass in den erwählen Höhen die Prämissen fast 
gänzlich fortfallen, welche zur Erzeugung und Anhäufang des lnfectionsstoffes 
führen. Von diesen aber ist die erste und herrschendste: das gedrängte Zusammen¬ 
leben grosser Menschenmassen. Die Parallele der Tuberculosen-Häuflgkeit und 
Sterblichkeit mit der Dichtigkeit der Bevölkerung ist von den verschiedensten 
Beobachtern haarscharf gezogen worden, so von Hirsch für England und andere 
Länder und steht wissenschaftlich (auch für den Gegensatz zwischen städtischer 
und ländlicher Bevölkerung) über jedem Zweifel. Die ungeheuere Sterblichkeit an 
Schwindsucht, wie sie uns aus älteren Gefängniss- und Kasernenberichten, aus den 
über Klöster, Seminare, Fabriken erhobenen Zusammenstellungen entgegentritt, 
die Decimirung eng zusammenlebender Familien weisen darauf hin, dass die 
quantitative Seite der Luftveiunreinigung stark in den Vordergiund tritt. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


75 


Was die Qualität der Luftverderbniss betrifft, welche die Entstehung der 
Schwindsucht bedingt, so sind es weder chemisch differente Gasbeimengungen, wie 
man früher annabm, noch vegetabilische und mineraliscüe Partikelchen, welche, 
wie man vor noch nicht langer Zeit fast mit der Sicherheit eines Dogmas lehrte, 
mechanisch die Tuberkel erzeugen sollten, sondern es sind die kleinen Partikelchen 
der in den Bronchen' der Schwindsüchtigen angebäulten Schleim-, Eiter- und 
Detritusmassen, welche durch den blossen Exspirationsstrom, weit mehr aber noch 
durch den Husten, in die umgebende Aussenatmosphäre fortgerissen werden und 
in den umgebenden Luftschichten suspendirt bleiben. Ob die Virulenz dieser Par¬ 
tikelchen von ihrer Bevölkerung mit Mikroorganismen abhängt? Klebs hat ja 
sogar sein „Monas tuberculosum a ausserhalb des Körpers durch sogen, fractionirte 
Culturversuche g ezüchtet! Die Annahme einer solchen der gegenwärtigen Zeitströmung 
entsprechenden Hypothese scheint dem Verf. durchaus ohne Vortheil für die Praxis. 

Immer aber bleibt die Frage zn beantworten: Unter welchen Umständen 
nehmen wir die mit der Inspirationsluft uns stündlich über tausendmal ange¬ 
führte Noxe wirklich auf und erkranken, — und was befähigt uns dazu, sie ein 
ganzes Leben laug, Millionen Male abzuweisen? — Eine freiathmende, in allen 
Theilen einer vollkommenen Circulation der Luftgase und des Blutes sich er¬ 
freuende Lunge weist, wenn viellei* ht Licht alle, so doch sehr viele mit schwind¬ 
süchtigen Exhalationsproducten auf sie eindringende Einflüsse ab Ganz anders 
aber ist das Verhältniss, wenn todte Punkte, Stagnationscentren bereits in der 
Lunge vorhanden sind. 

Hierhin gehören vor Allem die in allen Lungenentzündungen für kürzere 
oder längere Zeit sich bildend* n Verdichtungen des Gewebes; ferner die Compres- 
sionsvorgänge durch pleuritische Exsudate sowohl der massigen Transsudate, als 
anch der kleinen Exsudate und Adhäsionen. 

Von grosser Bedeutung für die Entwickelung der Lungen-chwindsucht ist 
bekanntlich der sogen Spitzenkatarrh. Er soll nach Einigen der Vorläufer uud 
Ausgangspunkt, nach Auderen das erste Zeichen einer so lange latenten Tuber- 
colose oder eine Begleiterscheinung disseminirter bronchopneumonischer, der phy¬ 
sikalischen Diagnose wegen ihrer Kleinheit ni^ht zugänglicher Herde »ein. Nach 
des Verf’s Ansicht dagegen ist der Spitzenkatarrh vielfach gar kein Reizzustand 
im gewöhnlichen Siune, suine physikalischen Erscheinungen drücken vielmehr jenen 
Zustand von Compression und Semiatelektase aus, wie ihn die obersten Theile 
dtr Lunge in einem mangelhaft erweiterungsfähigen Brustkorb, in dem sogen, 
paralytischen Thorax, annehmen So lauge der halb atelektatische Zustand solcher 
Lungenspitzen für sich andauert, haben wir einfache pseudokatarrhalische Er¬ 
scheinungen ; wird aber die Lungenspitze mit ihrem ungenügenden La'- und Luft¬ 
wechsel von inflcirendeu Luftstiömen getroffen, so fängt sie an, die Symptome 
progrtssiv destruirender KrauhlieitsVorgänge darzubieten. 

Als gelingete Grade solcher Hemmungen für die ergiebige und absolut 
freie Function der Langen, die aber anch unter Umständen Stagnationscentren 
nnd Infectionsboden liefern können, sind noch zu nennen der Schlaf und das Ge¬ 
fangensein, wie dies die populäre Eifahrnng schon lange bestätigt. 

Alle diese Zustände, der Spitzenkatarrh, die Spitzenatelektase, die hämor¬ 
rhagischen Ergüss«, die verschiedenen pneumonischen Processe siud nicht als Theil- 
symptome einer schon bestehenden Tobercnlose, als die ersten Stigmata eines 
Factum8 anzasehen, das dem Betroffenen mit seiner Keimanlage mit gegeben wurde 
und sich schlechterdings ihm erfüllen muss, sondern sie sind nur die offen 
stehenden Thore , durch welche das Tuberkelgift aufgenotnmen und dem Organis¬ 
mus eingepflanzt wird. Die Anschauung von der „tuberculösen Anlage 4 lastet als 
ein schwerer Druck auf unsere Therapie. Dass »ie empirisch nicht haltbar ist, be¬ 
weist eigentlich jeder Fall einer geheilten nnd vollkommen vergessenen Pneumonie, 
jeder Fall plenrkischer Erkrankungen, dessen Section keine Tuberkel, sondern 
eine andere Todesursache uachweist, jeder Fall eines Hämopto'iker*, der ein langes 
Leben erreicht, jeder Fall eines mit sogenanntem tubercnlösen Habitus und Spitzen¬ 
katarrh behafteten Menschen, der an einer anderen Krankheit stirbt. Denn, dass 
alle diese Zustände ohne Tuberkelbildnng Vorkommen nnd verlaufen, dass sie für 
sich bestehen, zeigt klar, dass sie nicht zur Tubercolose gehören, sondern dass 
diese als ein zweites, auf eigene Ursachen i eruhenues Etwas »ich zu ihnen ge¬ 
sellen oder ansbleiben kann. Die wahren Fälle von latenter Tubercnlose, d h. 


die, in denen der Kranke käsige Herde mit sich hernmtmgt, sich von innen selbst 
inficirt und an plötzlich ausbrechender acuter Aliliartuberculose ohne alle vorher¬ 
gehenden Brustbeschwerden zn Grunde gebt, sprechen eben so laut gegen die 
Auffassung, welche alle möglichen architektonischen nnd pathologischen Ab¬ 
weichungen innerhalb des Thoraxraumes schon zu Theilerscheint!ngen der Schwind¬ 


sucht. machen will. 




76 


Medici nisch-chirurgische Rundschan. 


Zur Behandlung des Cronp. 

Im 12. Hefte der „Med.-chir. Rundschau“ 1879, Nr. 793, ist ein 
Auszug aus dem in der „Berliner klinischen Wochenschrift“ 1879, 45, 
erschienenen Originalartikels von Dr. Yincenz Fukala, in dem derselbe 
eine neue und unfehlbare Methode über die Behandlung des Croup dem 
ärztlichen Publikum mittheilt. 

Ohne mich in eine Kritik über das geschilderte Heilverfahren 
einzulassen, erlaube ich mir, unseren geehrten Lesern eine Discussion üb»* 
diesen Gegenstand mitzutheilen, welche in der Sitzung der k. k. Gesell¬ 
schaft der Aerzte zu Wien am 14. Februar 1879 abgehalten wurde. 

Dr. Fukala: Ueber die Behandlung des Larynxcroup. Dr. Fn- 
k ala gibt an, in den letzten zwei Jahren 72 Fälle von Larynxcroup gesehen und 
geheilt zu haben. 10 Fälle wurden namentlich angeführt, wo angeblich die Dia¬ 
gnose auf Cronp von anderen Aerzten, in einem Falle von Prof. Weinlechner 
und Dr. Gnändinger gestellt und den Eltern die Nothwendigkeit der Tracheo¬ 
tomie nahe gelegt wurde. Die Heilmethode besteht in dem Betupfen der Kehl- 
kopfschleim haut mit einer 2 L / f percentigen Salf. Zinci-Lösung. 

Prof. Weinlechner erklärt, dass der Fall, zu dem er als Consiliarius 
bei gezogen worden, kein Croup, sondern m&ssige Diphtheritis des Rachens gewesen, 
dass keine Spur von Larynxstenose vorhanden war. Er habe nur von der Möglich¬ 
keit einer Operation gesprochen, wenn die Diphtheritis die Kehlkopfschleimhaut 
ergreifen und Erstickungsgefahr eintreten sollte. 

Dr. Gnändinger bemerkt, dass bei diesem Falle keine Spur von einer 
Larynxstenose vorhanden war. 

Prof. Schnitzler erklärt, dass er den Eindruck bekommen habe, es handle 
sich bei den von Dr. Fukala angeführten Fällen nicht um Croup, sondern am 
Laryngitis catarrhalis; für die Diagnose Croup sei kein einziges pathognomisches 
Symptom angeführt worden. Die Bepinselung mit adstringirenden Mitteln sei bei 
Croup schon vor Jahrhunderten geübt, dann aber wieder veilassen worden. Auch 
meint er, Fukala sei mit dem Pinsel nie in den Kehlkopf, sondern in den 
Oesophagus gekommen 

Dr. Eisenschütz stimmt im Allgemeinen den Auseinandersetzungen des 
Prof. Schnitzler bei. Aus der Anführung einer so grossen Zahl in einem so 
kurzen Zeiträume muss er schliessen, dass die Diagnose Croup unrichtig gewesen. 

Dr. V. Fink. 


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Archiv für klinische Chirurgie. Herausgegeben von Dr. B.von Langen- 
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gedruckten Holzschnitten. Erster Band. Achte Ausgabe. Berlin 1879. 
Druck und Verlag von G. Reimer. 

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vue de l'allaitement des nouveaux näs et de la Syphilis constitutionelle. 
I. Paris, B. Bai liiere & Öls. 

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Ireland: Experimental researches in pure, applied and physica 1 
Chemistry. London, John van Voorat. Paternoster Row. 

Henry, Dr. Arthur. Statistische Mittheilungen über den Brust¬ 
krebs. Nach Beobachtungen aus der Breslauer chirurgischen Klinik. Bres¬ 
lau. Maruschke & Berendt. 1879. 

Kies Felix, Dr. Med. u. Chir. Diätetische Curen. Nebst Erörterungen 
über Arzneibehandlung, Schroth’sche Cur- nnd diätetische Heilkunst. II. Auflage. 
Dresden. Verlag d. diät. Heilanstalt. 

L a n d o i s, Prof. Dr. L. Lehrbuch der Physiologie des Menschen ein¬ 
schliesslich der Histologie nud mikroskopischen Anatomie, mit besonderer 
Berücksichtigung der praktischen Medicin. II. Hälfte, Bogen 27 bis Schluss. 
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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


77 


Lauterer Josef, Dr. Lehrbuch der Pflege des menschlichen Kör¬ 
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Freiburg im Breisgau. Herder’sche Verlagshandlung, 1879. 

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Dentsch von Dr. W. Block. II. vom Verfasser vermehrte und verbesserte Auf¬ 
lage. Mit 244 in den Text gedruckten Holzschnitten. Berlin 1879. Verlag von 
Hermann Peters. 

Möller Georg Hermann. Internationales med ici n isch-pharm ac eu- 
tisches Wörterbuch in französischer, englischer und deutscher Sprache, 
für den Gebrauch der Aerzte und Apotheker im praktischen Verkehr mit 
fremdländischem Publikum. München 1879. Verlag von Jul. Grubert. 
Yolkmann Richard, Sammlung klinischer Vorträge: 

Nr. 174 Die acuten Infectionskrankheiten in ätiologischer Beziehung zur 
Schwangerschaftsuntersuchung. Von Max Runge. 

„ 175. Zur Entstehung der Scropbulose und der Lungenschwindsucht. Von 
Carl Mordhör st. 

r 176. Zur Klarstellung der Indicationen für Behandlung der Ante- und 
Retroversionen und Flexionen der Gebärmutter. Von B. S. Schnitze. 

„ 177. Die Diagnose der Pericardialverwachsung. Von Franz Riegel. 
Wenzel, Dr. E., Professor in Leipzig. Atlas der Gewebelehre des Men¬ 
schen und der höheren Thiere für Aerzte und Studirende der Medicin. 
Auf Stein gezeichnet von Fr. Foedisch. Heft 3. Dresden. Druck und Verlag 
von C. C. Meinhold & Söhne. 

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auf physiologischer and klinischer Grundlage. Vorträge für prakt. 
Aerzte und Studirende. Zweiter Bd. II. Abtheilung. Der Einfluss allgemeiner 
thermischer Applicationen auf Körpertemperatur und Stoffwechsel. Mit 12 
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deeken an gefertigt wurden und können dieselben von uns zum 
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Hochachtungsvoll 

Administration der Med. chir. Rundschau, 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. Vincenz Fink. 

Einsendungen an die Redaction sind zu richten: Wien. I., Maximilianstrasse 4. 


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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 


74. Die acute atrophische Spinallähmung der Erwachsenen. 
(Poliomyelitis anterior acnta.) Klinische Studie von Dr. Fr. Müller, 
Privatdocent in Graz. Stuttgart, Verlag von Ferd. Enke, 1880. 


An eine kurze auszugweise Mittheilung sämmtlicher bis jetzt in der 
Literatur bekannt gewordenen Fälle, die er mit kritischen Bemerkungen 
begleitet, knüpft Verf. vier von ihm selbst genau beobachtete Fälle von 
acuter Spinalparalyse, unter denen sich namentlich der erste durch die mit 
grossem Fleisse und unermüdlicher Ausdauer durchgefilhrte elektrische 
Exploration auszeichnet. Auf Grundlage seiner eigenen und der fremden 
Beobachtungen wird alsdann ein ausführliches genaues Krankheitsbild ent* 
worfen, das im Nachfolgenden auszugsweise wiedergegeben werden soll. 

Stets beginnt die Krankheit mit Fieber, das nach Intensität und 
Dauer zwar verschieden ist, jedoch in keiner entsprechenden Ueberein- 
stimmung mit der Intensität der Lähmungszustände steht, sondern einfach 
von der verschiedenen individuellen Disposition abhängig ist. Das Auf¬ 
treten des Fiebers hat bei dem entzündlichen Charakter der Erkrankung 
nichts Befremdendes. Constant treten in Verbindung mit dem Fieber 
reissende und ziehende Schmerzen an verschiedenen Stellen des Körpere 
auf; diese initialen Schmerzen, welche mit dem Eintritt der Lähmung 
plötzlich aufhören, sind genau zu sondern von späteren, wahrscheinlich mit 
der degenerativen Muskelatrophie zusammenhängenden dumpfen Schmerzen 
in den Muskeln. Häufig werden auch Parästhesien wahrgenoramen, 
als „Eingeschlafensein“ und „Sensus formicationis“. Sensibilitätsdefecte 
kommen im ganzen Verlaufe der Erkrankung nicht vor und ihr Fehlen ist 
geradezu ein wesentliches Kriterium. Das Cardinalsymptom der Erkrankung 
ist die Muskellähmung, welche in wenigen Stunden die Höhe ihrer Inten¬ 
sität und in kurzer Zeit auch ihrer Extensität meist stossweise erreicht. 
Der Form nach sind die Lähmungen verschieden und wurden Paralysis, 
Paraplegie, Hemiplegie gekreuzt und ungekreuzt beobachtet. Dass ein¬ 
zelne Muskeln und Muskelgruppen sich durch constantes und gänzliches 
Freibleiben oder umgekehrt durch sehr häufiges Befallenwerden auszeich¬ 
neten, lässt sich bei Berücksichtigung aller bekannt gewordenen Fälle 
nicht constatiren, obwohl einzelne Beobachter aus wenigen Fällen die 
gegentheilige Behauptung ableiteten. Es scheint jedoch, dass synergisch 
wirkende Muskeln gleichmässig stark befallen werden, auch wenn sie von 
ganz verschiedenen Nerven versorgt werden. 

Die Haut- und Sehnenreflexe der schwer gelähmten Extremitäten 
*ind in der Regel total erloschen, nur sehr selten erhalten oder gesteigert. 


Med.-chir. Rundschau. 1880. 


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82 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Die Wiederherstellung der Reflexe geht in vielen Fällen Hand in Hand 
mit der Wiederherstellung der willkürlichen Bewegungen, doch bei weitem 
nicht immer; häufig liegen Monate zwischen der Wiederherstellung der 
einen und anderen Fähigkeit. Die vegetativen Functionen erleiden keine 
Störung. Die gelähmten Extremitäten werden ohne Ausnahme in den 
späteren Stadien stets kalt und livid gefunden. Genauere Angaben über 
Temperatur und Blutcirculation fehlen noch. Ueber die Schweisssecretion 
gestatten die Beobachtungen kein Urtheil, doch sind Alterationen derselben 
in einzelnen Fällen notirt und scheinen dafür zu sprechen, dass dieselbe 
eine unter dem Einfluss des Nervensystems stehende Function und unab¬ 
hängig von der Circulation sei. Ueber das Verhalten der elektrischen 
Erregbarkeit des Nervenmuskelapparates bringt Verf. eine erwünschte 
Vervollständigung des bisher Bekannten. Schon Duchenne constatirte die 
frühzeitige Verminderung oder selbst das gänzliche Erlöschen der Farado- 
Ccntractilität in den der Motilität beraubten Muskeln. Seine Nachfolger 
konnten ihn nur bestätigen. Erst Erb brachte neue Thatsachen und 
constatirte zuerst in exacter Weise das total differente Verhälten des Nerven 
und Muskels gegen den constanten Strom und das Vorkommen der 
von ihm benannten Entartungsreaction. Ueber das Verhalten der Nerven 
und Muskeln gegen den elektrischen Strom in den ersten Tagen der Er¬ 
krankung war bisher gar nichts bekannt. Der sub I vom Verf. mitge- 
theilte Fall bringt hierüber Aufklärung, da hier die elektrische Unter¬ 
suchung vom Beginne der Lähmung, ja theilweise noch früher, gemacht 
wurde. Es zeigte dieselbe, dass die faradische wie die galvanische Erreg¬ 
barkeit vom Nerven aus, sowie die Farado Contractilität frühzeitig erlöschen, 
wogegen die directe galvanische Erregbarkeit der Muskeln fortbesteht; 
doch geht das Sinken der galvanischen und faradischen Nervenerregbarkeit 
nicht ganz paralell, die letztere erlöscht früher. Die Atrophie der Muskeln 
wird gewöhnlich nach 10—12 Tagen deutlich und wird besonders in 
denjenigen Muskeln eine schwere und tief gehende, die schon in den 
ersten 4—5 Tagen die faradische Erregbarkeit verloren haben. Sie be¬ 
fällt den Muskel en masse, nie einzelne Bündel desselben, wie in der 
progressiven Muskelatrophie. 

Dies wären die Symptome der ersten oder Invasions-Periode. Die 
zweite Periode, die Periode der Rückbildung, tritt mit geradezu charakteri¬ 
stischer Regelmässigkeit ein und wird erkennbar durch die Wiederkehr 
der willkürlichen Bewegungen zuerst in denjenigen Muskeln, die eine ein¬ 
fache quantitativ verminderte elektrische Erregbarkeit zeigten. Die Rück¬ 
bildung beginnt manchmal schon nach einigen Tagen, oft erst nach 
mehreren Wochen und zeigt sich am spätesten in denjenigen Muskeln, 
welche die schwere Form der Entartungsreaction aufweisen. Nur in sel¬ 
tenen Fällen ist die Rückbildung eine vollständige; gewöhnlich entwickelt 
sich aus der diffusen generalisirten Lähmung eine partielle localisirte, die 
stationär bleibt. 

Aus der klinischen Analogie der acuten Spinallähmung bei Kindern 
oder Erwachsenen wurde schon frühzeitig vermuthet, dass auch die 
anatomische Grundlage hier wie dort die gleiche sei, doch liess sich der 
Beweis schwer erbringen. Bei der acuten Kinderlähmung handelt es sich 
nach übereinstimmender Beobachtung der Forscher um einen genuinen 
entzündlichen Process der Vorderhörner, der mit Vorliebe in der Lenden- 
und Halsanschwellung auftritt und Atrophie und Schwund der Ganglien¬ 
zellen nach sich zieht. Von erwachsenen, an acuter Spinallähmung 
Erkrankten liegen bis jetzt nur drei Obductionsberichte vor. Der letzte 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


83 


von Schultze herrllhrende, ausführlich anatomisch untersuchte Fall hat 
die Vermuthuug zur Gewissheit gemacht und es kann heute als ausge¬ 
macht betrachtet werden, dass es sich auch bei der acuten Spinallähmuug 
Erwachsener um eine acut auftretende Myelitis der grauen Rückenmark¬ 
substanz handle mit hochgradiger Zerstörung und Atrophie der multipolaren 
Ganglienzellen. Von den peripheren Nerven wurde nur derN. ischiadicus unter¬ 
sucht und an einzelnen Partieen statt der Nervenfasern Bindegewebe gefunden, 
ln den afficirten Muskeln zeigt sich hochgradige degenerative Atrophie. 
Der Erkrankungsprocess des Rückenmarkes zeigt eine entschiedene Ten¬ 
denz sich in der Längsrichtung der Vordersäuien auszubreiten und die 
Diffusion in der Breite und auf die angrenzenden Gebiete zu vermeiden; 
dies kann nicht befremden, wenn man weiss, dass die Vordersäulen in 
der grauen Substanz ein ganz eigenes System bilden, das seine Selbst¬ 
ständigkeit grob anatomisch, wie histologisch und functionell bekundet. 

Ueber das Vorhandensein prädisponirender Ursachen ist nichts be¬ 
kannt; Heredität kann ausgeschlossen werden. Nahezu die Hälfte der be¬ 
kannt gewordenen Fälle betrifft Individuen von 14—22 Jahren; Verf. glaubt 
auch den Jahreszeiten und dem Geschlecht einen gewissen Einfluss nicht 
absprechen zu dürfen. Unter den occasionellen Ursachen spielt wohl die 
Erkältung die wichtigste Rolle. In sechs Punkten hebt der Verfasser die 
für die Diagnose wichtigsten und ausschlaggebenden Momente hervor: 
fieberhafter Beginn, acutes Auftreten der Lähmung, charakteristische Modi- 
fication der faradischen Erregbarkeit, Muskelatrophie, Rückbildung und 
Localisirung der Lähmung, vollständiges Intactbleiben der Sensibilität 
der Himnerven, sowie der Functionen der Blase und des Rectum. Endlich 
zieht er noch die für die Differentialdiagnose wichtigen Erkrankungen in 
Betracht und führt als solche auf: die acute diffuse Centralmyelitis, die 
acute diffuse Hämatomyelitis, die Myelitis acuta transversa, die Hä- 
matomyelie, die Paralysis ascendens acuta, die amyotrophische Seiten- 
8trangsclerose, Intoxieationslähmungen. 

Die Prognose ist qaoad vitam stets eine absolut günstige, da die 
Erkrankung nie auf den Bulbus fortschreitet; quoad restitutionem 
ungünstig, da stets Functiousdefecte der Muskel Zurückbleiben. Alle jene 
Muskeln bleiben nach des Verf.’s Tabellen gelähmt, bei denen die fara- 
dische Erregbarkeit von der normalen Höhe steil abfällt und schon nach 
4—5 Tagen erloschen ist. 

In therapeutischer Hinsicht werden in der ersten Periode ange¬ 
wendet Secale com., Belladonna-Präparate, Morphium und Antiphlogistica. 
In der zweiten Periode ist neben tonisirenden und roborirenden Mitteln 
namentlich Jodkalium angezeigt. Bäder, namentlich die verschiedenen 
Thermen, lassen günstige Resultate erwarten. Auch Strychnin wird von 
Verschiedenen empfohlen, vom Verf. jedoch abgewiesen. Den Löwenan¬ 
teil in der Behandlung der Poliomyelitis überweist Verf. der Elektricität; 
man elektrisire sobald als möglich nach Ablauf der fieberhaften Initial¬ 
symptome und ausschliesslich mit galvanischen Strömen. 

Schnopfhagen. 


75. Cirrhotische Verkleinerung des Magens und Schwund der 
Labdrusen unter dem klinischen Bilde der pernieiösen Anämie. Von 
Prof. Dr. H. Nothnagel in Jena. (Deutsches Archiv für klin. Medic. 
24. Bd., 4—5. Heft.) 


Bei einem das ausgeprägte Bild der progressiven pernieiösen 
Anämie darbietenden 23jährigen Schuhmacher nahm N. als Ursache des 


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Medicinisch-chirargisclie Rundschau. 


Processes eine Atrophie der Magendrüsen, beziehentlich der Schleimhaut 
des Magens an. Nebst den bekannten Symptomen der perniciosen Anämie 
— grosse Blässe, Hämorrhagien in die Netzhäute — bestand als Haupt- 
erseheinung von Seite des Magens, dass Patient nach Genuss weniger 
Bissen sich schon voll fühlte und gleichsam abwarten musste, bis die 
Speisen sich gesetzt hätten. Die Obduction ergab Hämorrhagien in ver¬ 
schiedenen Organen und eine enorme Verdickung der Magenwände bei 
gleichzeitiger Verkleinerung des Magens im Ganzen, so dass er etwa eine 
grosse Birne aufnehmen konnte. Die Stelle der Schleimhaut wird meist 
eingenommen von welligem, fibrillärem Bindegewebe, mit spärlichen Ge¬ 
wissen ; Drüsen sind nicht nachweisbar. Die Muscularis und das submu- 
cöse Bindegewebe stark verdickt. In Bezug auf die durch den Process 
hervorgerufenen Symptome und die zu stellende Diagnose sind drei Reihen 
von Fällen zu unterscheiden: eine, in welcher die Drüsen atrophisch 
sind ohne Verdickung der Magenwand und ohne Verkleinerung seiner 
Lichtung; eine zweite, in welcher hochgradige Cirrhose und Verkleinerung 
des Magens ohne nennenswerthen Schwund der Drüsen besteht; eine 
dritte, wo beide Zustände existiren. Von vorneherein kann man nun sich 
sagen, dass der erste dieser drei Zustände im Wesentlichen Folgen be¬ 
dingen muss, welche einer Störung, beziehungsweise einem Ausfall der 
Magenverdauung entsprechen, während der zweite zunächst mechanische, 
physikalische Symptome veranlassen wird; bei dem dritten werden sich 
beide Symptomengnippen vereinigen. 

Immerhin ist die Symptomatologie jeder dieser einzelnen Formen 
noch sehr wenig scharf umschrieben, und können die auftretenden Sym¬ 
ptome ebenso gut als Folgen der pernieiösen Anämie aufgefasst, als sie 
als primäre Veränderung des Magens nur sehr schwer oder gar nicht ge¬ 
deutet werden können. H. Jellinek. 


76. Beitrag zur Symptomatologie der Lähmungen der Schulter- 
giirtelmuskülatur. Von Dr. M. Bernhardt, Docent zu Berlin. (Deut¬ 
sches Archiv für klin. Medicin. 24. Bd., 4.—5. Heft.) 

Anlässlich einer Arbeit Lewinski’s „über die Lähmung des 
M. serratus anticus major u (Virchow’s Archiv Bd. 74, 1878), in 
welcher L. sagt, dass bei ruhig herabhängendem Arm und aufrechter 
Körperhaltung isolirte Lähmungen des M. serratus keine Erscheinungen 
machen, dass sie dagegen deutlich erkennbar werden bei der Erhebung 
des Armes nach seitwärts und vorne, dass aber die jetzt entstehende 
Deviation nur die Folge der isolirten Deltoideus-Wirkung sei , theilt B. 
drei Fälle von Serratuslähmungen ausführlich mit, deren er schon vor 
dem Erscheinen der Le wi ns ki’schen Arbeit im 22. Bd. des Archiv 
für klin. Medic. cursorisch Erwähnung gethan hatte. Im ersten Falle be¬ 
merkte man beim Aufrechtstehen der Kranken und dem verticalen Herab- 
hängen beider Arme rechts ein Schrägstehen und deutliches Hervortreten 
des ganzen rechten inneren Schulterblattrandes; die rechte Scapula stand 
tiefer als die linke. Paretisch und atrophisch war aber auch der rechte 
Trapezius. Im zweiten Falle war bei einer isolirten Serratuslähmung keine 
wesentliche Stellungsveränderung des Schulterblattes in der Ruhe zu 
bemerken. Im dritten Falle stand das Schulterblatt der kranken Seite 
etwas höher als das der gesunden und der Angulus scapulae infer. trat 
mehr nach hinten hervor. 

Zur Entscheidung der schwebenden Frage sei nothwendig, dem 
Verhalten der übrigen Schultermuskeln besondere Aufmerksamkeit zu 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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schenken. Im Anschluss an diese drei Fälle theilt B. die Kranken¬ 
geschichte einer Frau mit, bei der die vorhandenen Symptome auf eine 
Lähmung des gesummten rechten Accessoriusgebiets, sowie des rechten 
Bypoglossus deuteten. Gelähmt waren die für den rechten M. cueularis, 
sternocleidomastoideus und die für die Bewegungen des Gaumens und 
des Schlundes rechterseits, sowie die motorischen, dem rechten Vagus bei¬ 
gemischten und für den Kehlkopf bestimmten Aeste. jj Jellinek 

77. Die Epidemie der Besessenen in Verzegnis. Von Dr. Fran- 
zol ini. (Riv. sp. di fren. et di med. leg. 1879. Fsc. I. & II. pp. 89 —169. 
Ctrbl. f. Nervenhk. von Erlenmeyer 1880. 1.) 

Verzegnis ist eine Landgemeinde in Friaul am rechten Ufer des 
Tagliamento. Es liegt 330 Meter über dem Meere, nicht stark von Ge¬ 
birgen eingeschlossen, aber ziemlich abseits vom Verkehre. Die Einwohner¬ 
schaft, ca. 1800, vertheilt sich auf vier getrennte Häusergruppen. Mehr 
als ein Viertel aller Ehen werden bei naher, die meisten andern bei ent¬ 
fernter Verwandtschaft der Brautleute geschlossen, so dass nur acht bis 
zehn Familiennamen in der ganzen Gemeinde existiren. Seit 1871 hat die 
Bevölkerungsziffer nicht zugenommen. Bei einer cursorischen Aufnahme 
der vorhandenen Krankheiten fanden sich unter 73 Kranken, worunter 
62 weibliche, von 6 chirurgischen und einigen internen Fällen abgesehen, 
fast nur Neurosen, meist Hysterie. Es gibt nur wenige Analphabeten, aber 
die ganze Bevölkerung ist enorm abergläubig. In der Nähe liegt Clausetto, 
ein Wallfahrtsort, der jährlich zwei Mal von einer grossen Menge „Be¬ 
sessene^ aufgesucht wird, denen man dort unter grossem Andrang des 
Volkes öffentlich in Kirche und Friedhof die Teufel austreibt. Es hat sich 
eine förmliche Zunft von Teufelsbannern gebildet, denn jeder einzelne 
Besessene braucht einen solchen als Beistand während des Exorcismus. 
Die Taxe beträgt pro ausgefriebenen Teufel zwar nur ein Viertel Lire 
(20 Pfennige), aber gewöhnlich stecken deren eine grössere Anzahl in 
einem uud demselben Besessenen. So beschatten ist der Boden, auf dem 
die Epidemie zum Ausbruch kam. 

Im November 1877 hatten die Missionspredigten eines Jesuiten die 
Gemilther der Einwohner in Aufruhr versetzt, der Zudrang zu den religiösen 
Functionen war danach auffallend vermehrt. Anfangs Januar 1878 hatte 
ein 26jähriges Mädchen, das übrigens schon seit 8 Jahren an Hysterie 
litt, den ersten auffallenderen Anfall mit Krämpfen und Geschrei. Die 
Anfälle wiederholten sich sehr häufig, so dass sie an manchem Tag gar 
nicht frei davon w urde. Anfangs hielt man sie einfach für krank, bald 
aber verbreitete sich die Meinung, sie sei besessen, und am ersten Sonn¬ 
tag im Mai, dem Ablasstag von Clausetto, wurde sie dahin gebracht, um 
exorcisirt zu werden. Der Erfolg w r ar eine derartige Verschlimmerung, dass 
die Kranke in den darauffolgenden Tagen gar nicht recht zum klaren 
Bewusstsein kam. Die Anfälle, die früher zu unbestimmten Zeiten aufge¬ 
treten waren, stellten sich später ziemlich regelmässig beim Läuten der 
Abendglocke ein. 

Bis zum Juli 1878 war der Fall vereinzelt geblieben, da begann 
ein anderes, bald darauf ein drittes und viertes Mädchen unter derselben 
Form zu leiden, bis zum December gab es schon 18, wovon 14 aus dem 
Chiaicis genannten Viertel der Gemeinde. Fast alle w^aren Mädchen in 
einem Alter zwischen 17 und 26 Jahren, alle hysterisch; ein einziger 
Mann, ein Carabiniere auf Urlaub wurde auch mitgerechnet. 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


Der Anfall selbst erfolgte gewöhnlich beim Läuten der Glocken und 
dauerte meist eine kleine Stunde, manchmal aber auch mehrere Stunden, 
oder selbst während einer ganzen Nacht. Er charakterisirte sich haupt¬ 
sächlich durch grosse Aufregung und Geschrei. Die Kranken stiessen mehr- 
minder unzusammenhängende Worte aus, gewöhnlich in ihrem Friauler- 
Dialekt, oder soweit sie desselben mächtig waren, italienisch, oder ganz 
unverständlich, was dann von ihrer Umgebung als lateinisch, oder fran¬ 
zösisch aufgefasst wurde. Der Inhalt war meistens arge Verwünschungen 
über die Priester, ausserordentlich unfläthige Reden; aber auch Weis¬ 
sagungen u. d. gl. Von sich selbst sprachen sie immer in dritter Person, 
da ja eigentlich der Teufel aus ihnen redete. Personen erkannten sie richtig. 
In der anfallsfreien Zeit gingen sie zeitig ihrer gewohnten häuslichen 
Beschäftigung nach. Exorcismen, von Seiten der Geistlichkeit veranstaltet, 
hatten die Epidemien nur verschlimmert, jede auffallende feierliche Handlung 
regte leicht neue Anfälle an. 

So standen die Sachen Ende December 1878, endlich griff die Be¬ 
hörde ein. Die Exorcismen, der Zulauf Fremder zu den Kranken während 
des Anfalles, das Läuten der Glocken wurde untersagt. Der Carabiniere 
wurde in das Militär- und zwei der am schwersten kranken Mädchen in 
das Civil-Spital nach Udine geschickt. Der Arzt aus dem nahen Tolmazzo 
wurde beauftragt, drei Mal die Woche in Verzegnis Nachschau zu halten. 
Im Januar und Februar 1879 liefen die günstigsten Rapporte ein, kein 
neuer Zuwachs von Kranken sollte erfolgt sein, und die Anfälle der 
bereits Erkrankten sollten immer mehr abgenommen haben, so dass diese 
alle schon als ganz oder fast ganz geheilt gelten konnten. Der Carabiniere 
war geheilt zu seiner Truppe entlassen worden, von den zwei Mädchen 
im Spitale zu Udine war die erste sehr, die zweite derart gebessert, 
dass sie als geheilt in ihre Heimat entlassen wurde. 

Eine neuerliche ärztliche Visitation Ende Februar 1879 ergab aber 
ein ganz anderes Resultat. Die Kranken, die bei der ersten Visitation 
ausgewichen waren, kamen jetzt zwar selbst und sagten, sie wären ganz 
gesund, genauere Nachforschungen ergaben aber das Gegentheil; man 
hatte nur alles mit grösserer Heimlichkeit umgeben. Anstatt der öffent¬ 
lichen Exorcismen waren jetzt „Verträge“ (contratta) mit den betreffenden 
Teufeln sehr beliebt. Diese verpflichteten sich nämlich gegen eine gewisse 
Summe ihren Besessenen eine bestimmte Zeit lang Ruhe zu geben. Sie 
Hessen auch mit sich handeln, einer verlangte einmal 2000 Lire, gab sich 
aber mit einem Korb voll Aepfel zufrieden und die Besessene hatte wirk¬ 
lich so viele Tage keinen Anfall, als sie je einen Apfel für ihren Teufel 
verzehrte. In anderen Fällen wurde die ausgehandelte Summe auch in 
täglich an die Besessenen ?u verabfolgenden Dosen Branntwein entrichtet. 
Nur selten wurden die Teufel contractbrüchtig. Die aus Udine entlassene 
Kranke hingegen, welche den Erfolg einer wissenschaftlichen Behandlung 
demonstriren sollte, hatte, kaum in Verzegnis angelangt, einen der hef¬ 
tigsten Anfälle. 

Auf alle diese Nachrichten hin wurde ein erfahrener energischer 
Arzt nach Verzegnis geschickt und den Bewohnern angedroht, dass die 
aufsehenerregenden Kranken in das Spital nach Udine würden überführt 
werden. Die letzten Nachrichten sind vom Mai, es war zu förmlichen 
Ruhestörungen gekommen. Eine Besessene hatte erklärt, sie könne nur 
geheilt werden, wenn man sie in feierlicher Procession in die Kirche 
führe, das war dann auch durchgeführt worden, trotz des Widerstandes 
der Autoritäten und trotzdem die Kirchenthüren erst aufgesprengt werden 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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mussten; hätte sie ein Menschenopfer verlangt, so hätte sie es auch 
erhalten. Daraufhin wurde denn endlich eine Compagnie Soldaten nachVer- 
zegnis verlegt und 17 der Besessenen in das Spital nach Udine transportirt. 

78. Casuistisclier Beitrag zur Lehre über die bewegliche Niere. 

Von Dr. Hans Kopf, Brunnenarzt in Marienbad. (Original-Mittheilung.) 

Die Behauptung, dass die bewegliche Niere viel häufiger vorkomme, 
als man gewöhnlich angenommen hat, verdankt ihre Bestätigung den 
emsigen Untersuchungen, welche letzterer Zeit Dietl, ferner Möller 
fs. Berliner klinische Wochenschrift, 1872) angestellt haben. 

Allerdings sind die Percentverhältnisse als Resultat der vielseitig 
angestellten Untersuchungen nicht übereinstimmend. Während Rollet 
z. B. unter 5500 auf Oppolzer’s Klinik untersuchten Kranken 22 mit 
beweglicher Niere fand, also 1: 250, wurden in der Berliner Charite unter 
3658 Sectionen nur 5 Fälle beweglicher Niere constatirt, was ein Ver- 
hältniss von 1:732 ergibt. Diese interessanten Forschungen, hauptsächlich 
aber die unangenehm belästigenden Symptome der Wanderniere veran- 
lassten mich, bei der Untersuchung jener Kranken, welche sich mit ähn¬ 
lichen Symptomen bei mir einfanden, um sich wegen der Art und Weise, 
wie sie die Marienbader Wässer gebrauchen sollten, zu berathen, auf die 
localen Niereuverhältnisse mein Augenmerk zu richten. 

Im Verlaufe der letzten Saison fanden sich bei mir zwei Damen 
ein, welche mir mittheilten, sie litten schon seit mehreren Jahren an 
grosser Müdigkeit der Füsse, ferner hartnäckigen Magenschmerzen, zeit¬ 
weiligem Erbrechen, ziehenden neuralgiformen Schmerzen im Unterleib und 
zumeist bestehender Stypsis. 

Zudem trat bei beiden, wenn sie forcirtere Körperbewegungen 
machen, rccliterseits, unter dem Rippenbogen je eine Geschwulst vor, die 
sich derb anfiihle, zeitweilig Schmerzen verursache und ab und zu wieder 
verschwinde. Auf mein näheres Examen gaben beide an, die Entstehung 
dieser Geschwulst darin zu suchen, dass sie vor mehreren Jahren etwas 
Schweres gehoben hätten, wobei beide sogleich darnach das Gefühl 
empfunden haben wollen, als ob sich ihnen im Leibe etwas losgerissen 
hätte. Ich nahm bei den Damen die streng klinische Untersuchung vor 
und fand, dass ich es in beiden Fällen mit hochgradiger Anämie und 
mit Ren migrans lateris dextri zu thun habe. 

Die eine Dame stand im Alter von 55 Jahren. Sie hatte sich seit 
ihrem 16. Jahre, wo die Menses sich das erstemal einstellten, stets über 
menstruelle Unregelmässigkeiten zu beklagen; seit 7 Jahren besteht bei 
ihr die Menopause. Die zweite ist ein 22jähriges Mädchen von gracilem 
Körperbau, sehr blassen Hautdecken. Die Menses traten bei dieser erst 
mit dem 18. Lebensjahre und stets spärlich auf, und sollen seit dieser 
Zeit sehr unregelmässig und stets spärlich wiederkehren. Ausserdem leidet 
genannte Patientin an Leukorrhoe seit vier Jahren und wurde an ihr im 
20. Lebensjahre die Entfernung einer Uterusgeschwulst vorgenommen r 
welche nach der Beschreibung ein Polypus uteri gewesen zu sein scheint* 

Die weitere Untersuchung ergab exquisite chlorotische Geräusche 
am Herzen und den Carotiden und in der rechten Lungenspitze eine 
umschriebene Dämpfung mit unbestimmtem Athmungsgeräusch. Ein Monate 
lang bestanden sein sollender Lungenkatarrh schliesst hier in diesem 
Falle nicht die Vermuthung einer Lungeninfiltiation aus und zwar umso¬ 
weniger , als in Begleitung des Katarrhs zugleich abendliche Fieber¬ 
erscheinungen vorhanden gewesen sein sollen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Die Palpation der Geschwulst liess bei beiden Kranken deutlich 
nierenförmige Contouren erkennen und es stand ausser allem Zweifel, dass 
ich es in beiden Fällen mit rechtseitiger Wanderniere zu thun hatte, 
welche Diagnose übrigens später, wie ich von den beiden Kranken brief¬ 
lich erfuhr, auch von Prof. Frerichs in Berlin, welchen selbe auch con- 
sultirten, bestätigt wurde. 

Da mit der Diagnose auch theilweise ein therapeutischer Erfolg 
erzielt ist, indem man den Kranken, was auch bei meinen zwei Patientinnen 
der Fall war, unnützer Sorgen enthebt, so habe ich in beiden Fällen 
meine Aufmerksamkeit auf die bedeutende Anämie und die schlechte 
Körperernährung gerichtet und mit Hilfe unserer reichlich eisenhaltigen 
Trink- und Badewässer eine tonisirende Therapie eingeleitet. Beide Damen 
tranken Ambrosius- und Ferdinandsbrunnen abwechselnd in mässigen Gaben 
und nahmen 12 Stahl- und 12 Moorbäder. Obzwar, wie in den meisten 
Fällen, keine Fixation der betreffenden Nieren nach beendeter Cur eintrat, 
so waren doch beide Damen ihrer lästigen dyspeptischen Symptome be¬ 
freit und kehrten mit den Gefühlen der grössten Dankbarkeit für Marien¬ 
bad in ihre Heimat zurück. 

79. Ein eigenthümlicher Fall von progressiver perniciöser 
Anämie. Von Dr. Wilhelm Pfannkuch in Cassel. (D. med. Wochen¬ 
schrift, 1879. Nr. 48.) 

Verf. veröffentlicht einen sehr interessanten Fall von rapid ver¬ 
laufener perniciöser Anämie. Dora K., 19 Jahre alt, war als Kind schwächlich, 
acquirirte später eine mässige Skoliose und litt in den Entwickelungsjahren 
an Bleichsucht mit zeitweiligen kardialgischen Anfällen. Mutter schwäch¬ 
lich, nervös; Vater kräftig und gesund, ebenso wie die übrigen Geschwister. 
Nach Ueberwindung der Chlorose wurde Pat. voll und üppig und arbeitete 
tüchtig im Haushalt. Menses kamen regelmässig ziemlich reichlich, ohne 
Beschwerden. In der letzten Zeit klagte Pat. über leichte Mattigkeit und 
Verdauungsstörungen (Appetitlosigkeit, Früh Erbrechen, Verstopfung, Ge¬ 
fühl von Völle, Druck im Magen). Verf. wurde deshalb am 4. Sept. 
gerufen und fand Pat. leicht chlorotisch, Zunge dick belegt, Druck in der 
Magengegend empfindlich. Der Gebrauch von Karlsbader Salz, strenge 
Diät besserten rasch den Zustand, das Erbrechen hörte sofort auf. 

Nachdem Verf. die Kranke in festem Glauben an die fortschreitende 
Genesung mehrere Tage nicht gesehen, w r urde er plötzlich am 22. Sept. 
wiegen bedeutender Verschlimmerung alarmirt. und war sehr überrascht, 
die Pat. bleich mit kühler Haut und kleinem frequenten Puls zu linden. 
Die Kranke ass Tags vorher Apfelbrei und bekam darauf 5mal so hef¬ 
tige Diarrhoe, dass sie ohnmächtig w r urde. Verf. dachte an eine Darm¬ 
blutung, doch konnte kein Blut nachgewiesen werden. Die Blässe der 
Haut und Schleimhäute erreichte in kurzer Zeit den höchsten Grad. Die 
Haut wurde w r achsartig durchscheinend, die Schleimhäute des Mundes 
wurden leichenartig livid. Das Gesicht bekam ein etwas gedunsenes Aus¬ 
sehen, eigentliche Oedeme traten nirgends auf, der Fettpolster blieb bis 
zuletzt gut erhalten. Pat. wurde beim jedesmaligen Versuche sich aufzu¬ 
richten ohnmächtig und konnte höchstens noch das Aufheben des Kopfes 
vertragen. 

Am Ende der ersten Woche schloss ein mehrtägiges Stadium un¬ 
ruhigen Hin- und Herwerfens mit nervösen Zuckungen der Extremitäten 
und lautem Stöhnen ab, die Kranke wurde immer mehr apathisch und 
klagte blos über Kopfweh, Herzklopfen und allgemeines Schwächegefühl. 


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Medieinisch-chirnrgische Rundschau. 


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Die Herzthätigkeit war beschleunigt, die Dämpfung nicht vergrössert. 
lieber dem ganzen Herzen starkes Schwirren fühlbar und die Töne von 
lautem systolischem Blasen begleitet, welches stets stärker wurde. Caro- 
tiden lebhaft klopfend, über den Halsvenen starkes Nonnengeräusch. Der 
Puls anfangs 100, steigt auf 120—136, um mit Beginn der Agone auf 
90 zu fallen, sehr leer und schnellend. Respiration 20 in der Minute, 
erst in den letzten Tagen frequenter. Lungenerkrankung ausgeschlossen. 
Stahlgang seit dem Bettliegen angehalten, Urin blassgelb, frei von Eiweiss. 
Appetit nahm rasch ab. Leber, Milz, Lymphdrüsen zeigten nichts Abnormes. 
Die anfängliche Kühle der Haut wich später einer vermehrten Wärme, 
ohne dass Fieber entstand. Höchste Abendtemperatur war 37*9. Blutungen 
traten nicht ein, Verf. konnte daher das Blut nicht untersuchen; der 
Tod erfolgte am 14. Tage. Section wurde nicht gestattet. 

Eine Blutung in die Körperhöhlen würde erkannt worden sein, 
man kann also nur eine Hämophthise (einen rapiden Untergang der rothen 
Blutzellen) annehmen. Gegen eine Kachexie sprach der rapide Verlauf und 
das Erbaltenbleiben des Fettpolsters. Ein Vitium cordis war mit Bestimmt¬ 
heit auszuschliessen. Für ein Ulcus simplex sprechen zu wenig Symptome 
und könnte dadurch die perniciöse Anämie gar nicht erklärt werden. 
Pat. lebte in guten Verhältnissen und leitete die Mutter alles von einem 
schweren Liebeskummer ab, den die Kranke kurz vorher erfahren. 

80. Ein Fall von Darminvagination mit chronischem Verlaufe 
und günstigem Ausgange. Von Dr. Maximilian Herz. (Ctrlbl. f. Kinder- 
beilk. 1879. 18.) 

Der Fall betraf ein zehn Monate altes, bis dahin vollkommen 
gesundes Mädchen, welches durch etwa sechs Monate, ausschliesslich an 
der Mutterbrust, später künstlich genährt worden war und in der letzten 
Zeit ohne grosse Auswahl verschiedenste Kost erhielt. Das Kind war vor¬ 
trefflich gediehen und hatte stets normale Stuhlentleerung (1—2 Mal täg¬ 
lich) gehabt. Am Weihnachtsfeste 1877 (24. December) und am folgenden 
Tage hatte sich das Kind den Magen mit Kuchen und Zuckerwerk über¬ 
laden, es war wiederholtes Erbrechen des Genossenen und allgemeine 
Mattigkeit aufgetreten. Am 26. December war die letzte normale, ziem¬ 
lich consistente Stuhlentleerung erfolgt. Da am folgenden Tage (27. De¬ 
cember) kein Stuhl entleert wurde, das allgemeine Unbehagen sowie das 
Erbrechen anhielt (wobei zu bemerken ist, dass durch den Brechact jetzt 
keine Speisereste, sondern gräulich gefärbte Flüssigkeit herausbetördert 
wurde), so verabreichte die Mutter dem Kinde aus eigenem Antriebe ein 
Burgans, ohne jedoch die gewünschte Wirkung zu erzielen. Ara 28. De¬ 
cember blieb der Zustand ziemlich unverändert; das Kind entleert« unter 
heftigem Schreien und Pressen aus dem Mastdarm wiederholt flüssiges 
hellrothes Blut, war auffällig verfallen, blass, die Haut kühl, mit kaltem 
Schweisse bedeckt, der Unterleib stark aufgetrieben, bei Berührung 
empfindlich, an keiner Stelle eine besondere Resistenz nachzuweisen. Am 
folgenden Tage liess sich im linken Hypochondrium eine beiläufig 2—2 l 2 
Zoll lange, wurstförmige, hart anzufühlende und schmerzhafte Geschwulst 
ohne Schwierigkeit nachweisen und in geeigneten Momenten umfassen. 
Diese Geschwulst, welche in der Mitte etwas mehr als daumendick war 
und sich nach unten zu etwas verengte, gehörte ihrer Lage nach offenbar dem 
Colon descendens au. Der in den Mastdarm eingeführte Finger konnte in dem¬ 
selben nichts Abnormes entdecken, doch erfolgte allsogleich unter heftigem 
Drängen und lebhaften Schmerzäusserungen eine blutig-schleimige Eutleerung. 


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Medicinisch-cbirtirgische Rundschau. 


Nachdem ein innerliches Medicament weder vertragen wurde, noch 
auch irgend welche Erfolge versprach, wurden Irrigationen (etwa 12 bis 
15 Esslöffel kalten Wassers enthaltend) tagelang jede halbe Stunde 
applicirt, am 3. und 4 Jänner der Irrigationsflüssigkeit auch etwas OL 
Ricini beigesetzt. Endlich am 8. Jänner Abends, bis zu welcher Zeit die 
Flüssigkeit stets resultatlos regurgitirt hatte, erfolgte der erste breiige, 
braungefärbte, mit etwas Blut vermischte Stuhlgang, doch noch immer 
unter lebhaftem Schmerze. Noch bis zum 16. Jänner wurden die Irriga* 
tionen consequent jede halbe Stunde fortgesetzt und jeden Tag mehrere 
spärliche, consistente, nur hie und da mit blutigem Schleime bedeckte 
oder mit solchen untermischte Entleerungen erzielt. Eine hierauf erfolgende 
Sistirung der Irrigationen hatte eine mehrtägige Obstipation zur Folge, 
so dass sich Dr. Lerch, der behandelnde Arzt, veranlasst sah, zur 
innerlichen Anwendung des Calomels (0*03 pro dosi mehrmals des Tages) 
zu schreiten, worauf am 20. und 21. Jänner mehrere ausgiebige Stühle 
erfolgten und in den späteren Tagen je eine Entleerung statthatte. Auf¬ 
fällig blieb nur, dass die Geschwulst selbst keinen wesentlichen Unterschied 
gegen früher darbot, nur die Schmerzhaftigkeit war eine viel geringere 
geworden und auch der Dickendurchmesser hatte in etwas abgenommen. 
Am 28. und 29. Jänner erfolgte trotz des Calomels kein Stuhl und wurde 
ein solcher erst am Abende des 29. durch ein Klysma hervorgerufen. 
Am 30. Jänner zeigte das Kind ohne weitere nachweisbare Ursache leichte 
Fiebererscheinungen, die indess rasch vorübergingen, und hatte keinen 
Stuhl. Im Laufe des Monates Februar bis zum 24. wurden noch immer 
nur durch Irrigationen Stuhlentleerungen erwirkt und zwar trat jeden Tag 
eine compacte gelbbraune Entleerung ein. In dieser letzten Zeit nahm 
die Geschwulst rasch ab und gegen den 24. Februar war von derselben 
kaum etwas wahrzunehmen. Am 25. Februar wurde probeweise etwas 
01. Ricini innerlich gegeben, worauf zwei ausgiebige normale Stuhl¬ 
abgänge erfolgten. Von da ab wurde der Stuhl ziemlich regelmässig ohne 
weitere Nachilfe abgesetzt und es wurde das Kind als geheilt aus der 
Behandlung entlassen, welche volle zwei Monate gedauert hatte. 

Noch wäre bezüglich der Ernährung zu bemerken, dass das Kind 
durch volle acht Tage blos Eiswasser und Fruchteis sowie kräftige kalte 
Fleischbrühe in sehr kleinen, häufig wiederholten Gaben erhielt, später 
ging man zu gewässerter kalter Milch über; Nestle’s Kindermehl wurde 
anfangs nicht vertragen, erst nach einiger Zeit wurde dasselbe neben Suppe 
und Beefsteaksaft mit günstigem Erfolge verwendet. 

Mit Sicherheit steht fest, dass der Invagination eine Verdauungs¬ 
störung mit Obstipation voranging, ein Umstand, welchen wir deshalb 
besonders hervorheben, weil einzelne Autoren, u. A. Vogel, die Behauptung 
aufstellen, dass der Invagination zumeist lang andauernde Durchfälle voran¬ 
zugehen pflegen. 

Rücksichtlich des Sitzes der Erkrankung wurde bereits oben mit- 
getheilt, dass die durch die Bauchdecken deutlich durchzuftthlende Ge¬ 
schwulst ihrer Localisation nach dem Colon descendens angehörte; vielleicht 
auch dem Colon transversum. Der Fall gehört rücksichtlich des Sitzes zu 
den am häufigsten im ersten Lebensjahre vorkommenden. 

Das unstreitig interessanteste Moment in dem oben mitgetheilten 
Falle ist der Verlauf und namentlich der Ausgang desselben. 

Was den Ausgang anlangt, so ist derselbe im Stande ein erhöhtes 
Interesse zu bieten. Bekanntlich haben wir bei Darminvagination zumeist 
einen Exitus letalis zu verzeichnen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Es scheint keine feste Verwachsung, sondern nur eine Verklebung 
der Schleimhautduplicaturen durch einen Erguss stattgefunden zu haben, 
welche im Laufe der Beobachtung und Behandlung zur Resorption gelangte. 
Es fand somit ein günstiger Ausgang durch Lösung statt, wenn dieselbe 
auch erst sehr spät eintrat. Ob die consequente Behandlung durch 
Irrigationen hierauf einen wesentlichen Einfluss hatte oder der günstige 
Ausgang auch ohne diese eingetreten wäre, lässt sich schwer entscheiden, 
doch Ist Dr. Herz geneigt, der Behandlung einen fördernden Einfluss 
zuznschreiben. 

81. Ueber Beriberi. VonDr. C. 0. Gelpke. (Geneeskund. Tijdschr. 
v. Nederl. Indiö. N. S. VIII. 5. S. 256. 1879. Schmidt. Med. Jahrb. 
Bd. 184. Heft 1.) 

Verf. hält einen Unterschied zwischen acuter und chronischer Beri¬ 
beri nicht ftir gerechtfertigt; die Krankheit hat immer einen chronischen 
Verlauf, aber in jedem Stadium derselben kann ein Krampfanfall dem 
Leben rasch ein Ende machen, doch wird die Aussicht, von diesem An¬ 
falle verschont zu bleiben, nach längerem Bestehen der Krankheit grösser. 
Als das auffallendste und für die Pathologie der Krankheit wichtigste 
Symptom erklärt G. einen hypertrophischen Zustand der Beinmuskulatur, 
der sich zu entwickeln beginnt, ehe noch das Oedem auftritt, und gleich¬ 
zeitig mit dem Schmerzgefühl in den untern Extremitäten. Die Muskulatur 
fühlt sich härter an, lässt sich schwerer zusammendrücken und die ein¬ 
zelnen Muskcigruppen lassen sich weniger sicher unterscheiden. Gleich¬ 
zeitig mit diesem Symptome tritt Beschleunigung des Pulsschlags auf, der 
gewöhnlich schon bei geringen Bewegungen des Krauken auf eine kurze 
Zeit auffallend schneller und schwächer wird. Bald schon wenige Stunden, 
bald mehrere Tage später stellt sich das Oedem ein, das unter günstigen 
Umständen bald wieder verschwinden, aber auch von unten nach oben 
vorschreiten kann, auf Scrotum, Gesicht, Arme und Hände, bis zuletzt 
die ganze Gestalt in eine unförmige Masse umgewandelt ist. Die Hyper¬ 
trophie der Beinmuskulatur bleibt auch in Fällen, in denen das Oedem 
bald wieder verschwindet, zurück und kann, allerdings in seltenen Fällen, 
noch nach Jahren vorhanden sein. Ungleiche Entwicklung der untern 
Extremitäten ist nach G. bei Malaven, bei denen Verkrümmungen der 
Wirbelsäule und ähnliche Affectionen zu den grössten Seltenheiten gehören, 
immer ein ziemlich sicheres Zeichen von abgelaufener Beriberi. Gleich¬ 
zeitig mit dem Oedem stellt sich Empfindungslosigkeit der Haut ein, die 
ebenfalls von unten nach oben fortschreitet, aber nicht immer gleichmässig 
vorhanden ist, so dass zu Zeiten an sonst anästhetischen Stellen das 
Gefühl vorhanden sein kann. Wenn in diesem fortgeschrittenen Stadium 
der Beriberi-Krampf nicht eintritt, so verschwinden Oedem und Muskel¬ 
schmerzen allmälig, die vorher hypertrophische Muskulatur erscheint atro¬ 
phisch. Der Gesichtsausdruck, der während der Krankheit ein eigen¬ 
tümliches stupides Aussehen angenommen hat, verliert dieses in vielen 
Fällen lange Zeit nicht wieder. Während diese Form bei Leuten mit 
besonders kräftig entwickelter Muskulatur vorkommt, findet man bei schwäch¬ 
lichen Individuen eine Form, bei der weder die hypertrophischen Muskel¬ 
zustände, noch das Oedem in auffallender Weise zur Beobachtung kommen. 
In diesen Fällen, die sich durch einen mehr schleichenden Verlauf aus¬ 
zeichnen, geht die Krankheit sofort in den atrophischen Zustand über, aber 
der Mu8kel8cbmerz und die Anästhesie der Haut sind in gleicher Weise 
vorhanden, wie in der anderen Form. 


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Medicinisch-chirorgiscbe Rundschau. 


Der charakteristische Beriberigang kommt bei beiden Formen in 
gleicher Weise vor, bei der ersteren aber weniger ausgesprochen. Der 
Uebergang von der normalen Gehweise zur abnormen ist ein allmäliger, 
der abnorme Gang entwickelt sich Schritt für Schritt mit der Lähmung; 
der vollständigen Lähmung gehen sich immer mehr entwickelnde Schwäche¬ 
erscheinungen voraus. Das Wesentliche bei diesem eigenthümlichen Gange, 
bei dem die Füsse hoch aufgehoben werden, liegt darin, dass die Aus¬ 
dauer der Muskelcontractilität verloren gegangen ist. 

Ein Prodromalstadium besteht bei der Beriberi nicht. Entweder 
überrascht die Krankheit plötzlich selbst starke und kräftige Menschen 
während der Arbeit — es treten alle Symptome des Beriberikrampfes 
(Athemnoth, Schmerz im Epigastrium, schreckliches Angstgefühl) auf — 
und führt nach schrecklichen Leiden, in der Regel erst nach 24 Stunden 
und länger, zum Tode; oder die Krankheit entwickelt sich schleichend, 
mit belegter Zunge, kühler, trockner Haut, spärlicher Harnsecretien, 
schnellem Pulse und zeitweise geringer Temperatursteigerung. Die Milz 
ist dabei vergrössert und durch die Bauchdecken fühlbar, die Herztöne 
sind anfangs noch rein, nehmen aber später einen metallischen Klang an 
und der Herzstoss rückt mehr nach unten und links; durch die Percussion 
lässt sich schon in diesem Stadium Erguss im Pericardium nachweisen, 
aber die pericarditischen Reibegeräusche sind nicht wahrzunehmen. Die 
Venen, besonders am Halse, sind stark gefüllt, sie pulsiren und in der 
Jugularis hört man Nonnengeräusch. Wenn man in einem solchen Falle 
einen Aderlass macht, ist die herausströmende Blutsäule sehr hoch, aber 
das Blut fliesst nur ganz kurze Zeit. 

Die Heilung tritt, wenn der Beriberikrampf nicht eingetreten ist 
oder nicht zum Tode geführt hat (was indessen nach G.’s Erfahrungen 
höchst selten der Fall ist), nur sehr langsam ein. Zuerst schwindet das 
Oedem, die Lähmung aber bleibt lange bestehen; wenn es bis zum Aufhören 
der elektrischen Erregbarkeit gekommen war, so tritt diese zuerst wieder ein. 

Bei dem Leichenbefunde fällt zunächst sehr ausgebildete und lange 
dauernde Todtenstarre auf, die Füsse sind in ausgeprägter Equinusstellung 
nach abwärts gezogen, die Schultern nach hinten; nur in Fällen mit sehr 
chronischem Verlaufe treten diese Verhältnisse weniger hervor. Das Herz 
zeigt ausgebildete Todtenstarre und nur leichte Hypertrophie, wenn die 
Krankheit nicht lange gedauert hat, nach langer Dauer derselben ist es 
aber enorm vergrössert und dilatirt, ohne Todtenstarre, auf dem Durch¬ 
schnitte von wachsgelber Farbe. Gerinnsel in den Herzkammern felileu 
nie, auch nach kurzer Dauer der Krankheit nicht. Im Pericardium und 
in den Pleurahöhlen finden sieb Exsudate in geringerer oder grösserer 
Menge, je nach der Dauer der Krankheit, ebenso verhält sich das Oedem. 
Die Gehirnhäute findet man immer sehr blutreich, die Pia-mater sehr oft 
leicht getrübt, zwischen der Pia-mater und der Dura-mater vermehrte 
Exsudation, ebenso, aber nicht bedeutend, zuweilen in den Seitenventrikeln, 
die Gehirnsubstanz selbst nie verändert; dieselben Veränderungen, nur 
weniger ausgeprägt, finden sich im Rückenmark. Die Milz ist sehr gross, 
prall gespannt mit fest haftender Kapsel, die Leber ebenfalls immer ver¬ 
grössert und blutreich; die Nieren sind normal. Auffallend ist die An¬ 
schwellung der Mesenterialdrtisen, die in keinem Falle fehlt. Sehr oft 
findet sich sehr ausgesprochener Hydrops der Gallenblase, selbst wenn 
sonst kein Oedem besteht. 

In Bezug auf die physiologische Erklärung der Krankheitserschei¬ 
nungen bei Beriberi ist vor Allem das Verhalten der Circulation von 


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Vedicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Wichtigkeit. Die leichte Veränderlichkeit des Pulses bei Bewegungen, 
namentlich der Umstand, dass bei Gehversuchen der Radialispuls anfangs 
schneller und schwächer wird, in dem Momente aber, in dem die Kran¬ 
ken zu Boden fallen, eine geraume Zeit lang ganz aussetzt, ohne dass 
bedeutendere Herzhypertrophie vorhanden ist, hat G. auf den Gedanken 
gebracht, dass ein peripherisches Hinderniss, ein Krampf der Capillaren, 
die Ursache der Stauungen sein müsse, wofür auch die Kälte und Blut¬ 
leere der Hände bei Beriberikranken, sowie der Umstand spricht, dass 
Nadelstiche nur selten ein Blutextravasat zur Folge haben. Als noth- 
wendige Folge dieses Capillarspasmus muss in erster Linie durch reflec- 
torische Reizung der Herzganglien eine vermehrte Herzthätigkeit eintreten 
mit Ueberfüllung des Lungenkreislaufes und der grossen Gefässe des 
Körperkreislaufes und später mit H y p e r trophie und Dilatation beider Herz¬ 
hälften im Gefolge. So lange nun das Herz noch kräftig genug ist, um 
einen höheren Druck zu eompensiren, muss nothwendigerweise peripherische 
Transsudation stattfinden, und zwar da, wo das Hinderniss in den Arterien 
sich befindet. , 

Die Gehstörung und die ganz allmälig sich entwickelnde Lähmung, 
wie auch die Anästhesie lässt sich nach G. durch Sauerstoffmangel in den 
betreffenden Körpertheilen in Folge der peripherischen Circulationsstörung 
erklären. Namentlich findet daraus der Umstand Erklärung, dass Beriberi- 
kranke, wenn sie beim Gehen gefallen sind, nach einiger Zeit die Fähig¬ 
keit zu gehen wieder erlangen: nach kurzer Zeit jedoch tritt abermals 
dieselbe Kraftlosigkeit wieder ein. Dass es trotz der peripherischen Cir¬ 
culationsstörung bei Beriberi nie zu Gangrän kommt (nur zufällige kleine 
Geschwüre, die bei Beriberi nie heilen, können in späteren Stadien gan¬ 
gränös werden), erklärt sich dadurch, dass die Circulation in den grossen 
Gefässen ungehindert ist. Es handelt sich bei Beriberi um äusserst peripher 
liegende Stauungen, die die Sauerstoffzufuhr zu den Nervenenden und 
Muskeln verhindern und in Folge davon zu Degeneration der Nerven und 
Verfettung und Atrophie der Muskeln führen. Ein fernerer Beweis. dafür, 
dass ein peripherisches Hinderniss in der Circulation bei Beriberi vorhan¬ 
den ist, ist der Umstand, dass fast in allen Fällen, auch bei Kranken, 
die plötzlich starben, und wenn das Herz selbst noch keine Veränderungen 
erlitten hat, organische Gerinnsel in beiden Ventrikeln gefunden werden. 

In Bezug auf die nosologische Stellung und die Aetiologie der Beri¬ 
beri kann sich G. keiner der bisher aufgestellten Ansichten anschliessen. 
Er hielt sie weder für eine dyscratische Krankheit, noch für eine con- 
tagiöse. 

In Atjeh sterben jährlich über 2500 Menschen an Beriberi; die 
meisten Opfer liefern die Kettengefangenen, die von verschiedenen Inseln 
des indischen Archipels kommen (meist sehr gesunde und kräftige Leute), 
dann die malaischen Soldaten. 

Anhäufung in überfüllten Localen kann nach G.’s Ueberzeugung 
nicht die Ursache der Beriberi sein, auch der Einfluss des Sumpfbodens 
nicht, weil die freien Eingebornen frei von der Krankheit bleiben. Wohl 
aber kann in der Nahrung die Ursache gesucht werden, und zwar in 
getrockneten Fischen, die aus China importirt werden, aus Gegenden, in 
denen ebenfalls Beriberi heimisch ist. Wenn die Kettengefangenen aus 
dem Inlande von Java in Batavia eingeschifft sind, werden sie ausschliess¬ 
lich mit getrockneten Fischen ernährt. Die Beriberikrankheit ist überall 
da, wo der Fisch gefangen und gegessen wird, und sie wird da in Epi¬ 
demien erscheinen, wohin dieser Fisch auf seinen Wanderungen kommt 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


oder wohin derselbe giftige Fisch durch den Handel geschleppt wird. Die 
Entfernung vom Meere hat keinen Einfluss auf das Vorkommen der Krank¬ 
heit und, wenn sie fast nur an den Küsten vorkommt, so liegt die Ursache 
darin, dass Verkehrshindernisse den Fischhandel in das Innere gewinnlos 
machen. Allerdings tritt in Hospitälern, wo die Patienten nie Fisch be¬ 
kommen können, zuweilen bei Leuten, die geraume Zeit in den Anstalten 
verweilen, Beriberi auf, und dies könnte anscheinend gegen die Annahme 
G.’s sprechen, es lässt sich indessen durch die Thatsache erklären, dass 
die Beriberi lange Zeit im Körper latent sein kann; G. hat in einigen 
Fällen die ersten deutlichen Erscheinungen der Krankheit erst 3 Monate 
nach dem Fischgenuss beobachtet. Das Contagium der Beriberi muss 
nach G.’s Annahme ein lebendes Gift sein, das die Fähigkeit besitzt, 
lange im Körper latent zu bleiben und vielleicht in demselben eine Ge¬ 
schlechtsentwicklung durchzumachen, und in dieser Beziehung möchte es 
G. mit der Trichine vergleichen, ohne jedoch den Vergleich noch weiter 
ausftihren zu wollen; das Mutterthier dieses Contagium vivum ist der 
getrocknete Fisch, mit dem die Sträflinge genährt werden. Die Schiffe, 
die zwischen Atejli und Batavia kreuzen, sind die wichtigsten Brutstätten 
der Beriberi, nur das Krankenschiff macht davon eine Ausnahme. 

Seit Verf. auf diese Vermuthung gekommen ist, hat er sich in allen 
Fällen von Beriberi, die ihm vorkaraen, erkundigt, ob die Erkrankten 
getrockneten Fisch gegessen hatten, und ausnahmslos bejahende Antwort 
erhalten. Unzweifelhaft ist es, dass in Hochländern die Beriberi schnell 
in Heilung tibergeht. Diese Eigenthümlichkeit kann mit dem Sitze und 
der Ernährung des die Krankheit bedingenden Contagium vivum Zusam¬ 
menhängen, dem durch die veränderten SauerstoffVerhältnisse und ihre 
Folgen die Lebensbedingungen abgeschnitten werden. Als den Sitz dieses 
Contagium vivum betrachtet Verf. die Gerätes wände, und zwar die Intima 
oder Media, wo die vasomotorischen Nerven endigen. Von da aus kann 
ein lebender Fremdkörper Contractionen erregen, die zu solchen Stauungen 
führen können, wie bei Beriberi, und gleichzeitig kann er da eine Sauer¬ 
stoffmenge aus dem Blute fllr seine Ernährung und Fortpflanzung erlangen, 
die er in höher gelegenen Gegenden nicht findet. Ein Heilmittel gegen 
Beriberi gibt es nach G. nicht, die Prophylaxe kann nur auf Vermeidung 
der gefährlichen getrockneten Fische basiren. (Es ist experimentell nicht 
erwiesen dass ein Individuum in höher gelegenen Gegenden weniger 
Sauerstoff verbraucht, als wenn er unter höherem Druck athmet. Die 
geringere Dichte der Luft, beim geringeren Druck derselben, wird bekannt¬ 
lich durch die grössere Häufigkeit der Athemzttge compensirt. L o e b i s c h.) 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 


82. Ueber die therapeutische Verwendung der Solerotinsäure. 
Aus dem klinischen Institute zu München. Von Dr. Max Stumpf. 
(Deutsches Archiv f. klin. Medicin.) 24. Bd., 4.—5. H. 

Die Sclerontinsäure, ein Hauptträger der Mutterkornwirkung, wurde 
subcutan in Lösungen von 0*30: 5 bis 2:5 und innerlich angewendet 
bei allen Blutungen, bei welchen früher Ergotin angewendet wurde. Sehr 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


95 


günstige Erfolge wurden erzielt bei Blutungen aus den weiblichen Genital- 
Organen, Blutungen aus dem Verdauungstractus, typhösen Blutungen; 
weniger günstige bei Blutungen aus den Athmungsorganen. 

In der Privatpraxis stellen sich der Anwendung des Präparates 
Hindernisse entgegen, erstens wegen seiner geringen Haltbarkeit, daun 
auch wegen seines hohen Preises. H. Jellinek. 

83. Zur Lehre von der Wirkung der Narcotioa. Von Dr. P. 
Preisendörfer. (Deutsch. Arch. f. klin. Medic. 1879.) 

Verf. theilt die Resultate einer auf der Ri ege Ischen Abtheilung 
angestellten grösseren Versuchsreihe mit, die der Frage galt, ob und 
in welcher Weise der Gef&ssapparat unter der Einwirkung der Narcotica 
beeinflusst wird. Da Verf. zunächst nur die Frage entscheiden wollte, ob 
und in wieweit die am Krankenbette gebräuchlichen Dosen der narko¬ 
tischen Mittel das GefÜsssystem beeinflussen, so hat er sich nur auf die 
Versuche am Menschen beschränkt und nur Dosen angewendet, wie sie 
gewöhnlich zu therapeutischen Zwecken gereicht werden. 

Die Untersuchungen wurden in der Weise vorgenommen, dass zuerst 
vor der Einführung des Arzneistoffes die Pulsbewegungen der Arteria 
radialis mit dem Marey’schen Sphygmographen (mit den von Riegel 
angegebenen verbesserten Modificationen) aufgezeichnet wurden. Jedesmal 
wurde hierbei zugleich die Pulsfrequenz und die Körperwärme notirt. 
Sodann wurde das betreffende Medicament verabreicht und in bald grös¬ 
seren, bald kleineren Zwischenräumen die graphische Untersuchung des 
Pulses wiederholt. Diese graphischen Untersuchungen wurden theilweise 
von fünf zu fünf Minuten wiederholt und meistens durch eine grössere 
Reihe von Stunden hindurch fortgesetzt. Selbstverständlich wurde dabei 
möglichst Sorge getragen, dass jeder sonstige Factor, der das Gefäss- 
system beeinflussen konnte, vollkommen ausgeschlossen blieb. 

Die in dieser Arbeit gebrauchten Termini technici der Pulsbezeich¬ 
nungen sind die von Riegel gebrauchten. (S. med.-chir. Rundschau XXI. 
Heft 1.) 

Es wurden die drei der gebräuchlichsten Narcotica, nämlich das 
Morphium, das Chloralhydrat und die Cannabis indica, untersucht. 

I. M o r p h i u m. Es ist eine wohl heutzutage allgemein anerkannte 
Tbatsache, dass das Morphium in erster Linie auf die Centren der be¬ 
wussten Empfindungen und willkürlichen Bewegungen einwirkt, resp. 
proportional der dargereichten Dosis dieselben lähmt; dagegen wird das 
Respirationscentrum, sowie das Herz und Gefässsystem erst in zweiter 
Linie und in viel geringerem Grade, sowie erst bei höheren Dosen be¬ 
einflusst. Was speciell das Gefässsystem betrifft, stellt Witkowski 
den Satz auf, dass jeder Einspritzung von Morphium eine verhältniss- 
mässig geringfügige Herabsetzung des Blutdruckes entspricht, die sich 
mit grosser Wahrscheinlichkeit auf eine central bedingte Gefässerweiterung 
zurückführen lässt. Nach Witkowski findet in der Wirkungsweise 
kleiner und grosser Gaben ein Unterschied nicht statt; wo die ersteren 
die Höhe des Blutdruckes überhaupt verändern, ist die Veränderung 
gleichfalls immer eine Verminderung. In Bezug auf die Pulsfrequenz äussert 
sich Witkowski auf Grund seiner Versuche dahin, dass unmittelbar 
nach der Einspritzung fast immer eine sehr mässige Beschleunigung der 
Herzschläge erfolge, die er auf herabgesetzte Thätigkeit des Vaguscentrums 
zurückführt. Sobald narkotische Wirkung eintrete, werde der Puls, wie 
im Schlafe überhaupt, verlangsamt und meist erhöht. Dagegen bleibe 


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Medicini8ch-cbirargi6ch6 Rundschau. 


das ‘Morphium auf die Puls- und Temperaturerhöhung im Fieber auch bei 
voller Narkose ohne alle Wirkung. Rossbach gibt gleichfalls an, dass 
Schwächung im Kreislauf erst nach sehr langer Zeit und nach sehr 
grossen Gaben eintrete; nach ihm steigt jedoch zuerst der Blutdruck, um 
alsbald zu sinken in Folge primärer Erregung, secundärer Lähmung 
namentlich des vasomotorischen Centrums. Die Gefiissmuskeln selbst sollen 
nie hochgradig beeinflusst werden. 

Von grösserem Interesse sind die am Menschen angestellten Versuche. 
Martin gibt an, dass jeder Einspritzung von Morphium constant eine 
enorme Verminderung der Stärke des Pulses und ein beträchtliches Sinken 
der Spannnng des Blutes in den Arterien folge. Die Höhe der Wirkung 
soll etwa 1 / 2 Stunde nach erfolgter Injection aufgetreten sein. Bei grös¬ 
seren Gaben (003) soll dieser Morphiumeffect oft 2— 4 Stunden ange¬ 
dauert haben. Er schliesst daraus auf einen Nachlass der Spannung in 
den Arterien, sowie Nachlass der Stärke der Herzcontractionen. Zugleich 
beobachtete er ein Sinken der Pulsfrequenz um 4—8 Schläge pro Minute, 
sowie der Temperatur um J / 4 — l /a Grad* Schule fand gleichfalls eine 
Herabsetzung des Blutdruckes beim Menschen. Dagegen soll nach Wo 1 ff 
bei kleinen Dosen (0*01) eine Contraction der Arterien stattfinden; der 
Anstieg der Pulscurve soll niedriger, der Gipfel spitzwinkliger, der Ab¬ 
stieg stärker tricrot sein. Bei grösseren Gaben soll zunächst Reizung, 
dann Lähmung eintreten; der Puls, der vorher celer war, soll tardus, 
tardodicrotus, rotundo-dicrotus, selbst monocroto-tardus werden; es treten 
Lähmung der vasomotorischen Nerven und Verlangsamung des Blutstromes 
ein. Bei der Morphiumvergiftung soll die Blutbewegung durch die kleinsten 
Gefässe und Capillaren fast vollständig aufgehoben sein. Wolff stimmt 
also mit Rossbach in der Ansicht, dass zuerst Reizung, dann Lähmung 
eintrete, überein. Es wäre schliesslich noch einer Aeusserung Ri ege Ts 
zu gedenken, die er gelegentlich der Besprechung der Theorie der Blei¬ 
kolik macht. Riegel gibt an, dass er bei Bleikranken nach Anwendung 
des Morphiums zwar einen Nachlass der Schmerzen, also Lähmung der 
(Untren der bewussten Empfindung, jedoch nie einen Nachlass der Span¬ 
nung im Gefässsystem beobachtet habe, sondern dass der Puls von Blei¬ 
kranken vor und nach Verabreichung des Morphiums stets annähernd die 
gleiche Spannung behalten habe. 

Die Untersuchungen des Verf., welche fast durchweg an jungen 
gesunden kräftigen Männern angestellt wurden, wobei das Morphium 
stets subcutan in der Dose von 0*01—0*03 verwendet wurde, ergaben 
in Uebereinstimraung mit den oben mitgetheilten Resultalten Riege Ts- 
und den physiologischen Untersuchungen von Witkowski, dass bei 
den erwähnten Dosen ein irgendwie erheblicher Einfluss auf das Gefilss- 
system nicht zu erkennen war; der Puls behielt nach wie vor Application 
des Morphiums seine normale Spannung, oder es war die Abnahme der 
Spannung so minimal, dass solche gur nicht in Betracht zu ziehen ist; 
ja in einem Falle, in dem eine starke Temperaturremission zwei Stunden 
nach der Morphiuminjection erfolgt war, hatte die Gefässspannung sogar 
zugenommen, also ein sicherer Beweis, dass der Tonus des Gefässsystems 
unter der Einwirkung des Morphiums nicht herabgesetzt wird. Niemals 
konnte Verf. die von Martin V 4 — 1 / 2 Stunde nach der Injection beob¬ 
achtete Herabsetzung der Gefässspannung constatiren. (Wolff hatte in. 
kurzen Zwischenpausen meist grössere Dosen angewendet.) Selbst bei 
schon hochgradig geschwächtem Herzen scheint bei dieser Dosirung ein* 
lähmender Einfluss des Morphiums auf die Gefässnerven nicht zu bestehen. 


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Medicinisch-chirurgische Rund schau. 


97 


Betreffend die Pulsbilder, welche die Versuche ergaben, siehe das 
Original. 

Es ergibt sich daher als Resultat, dass bei Dosen von O-Ol—0*03 
Morphium eine Einwirkung auf das menschliche Gefässsystem nicht besteht. 

II. Chloralhydrat. Fast alle Forscher geben an, dass beim 
Gebrauch von Chloralhydrat eine Herabsetzung der Körpertemperatur zu 
Stande komme. Hammarsten fand, dass je langsamer das Mittel wirke, 
desto weniger und langsamer die Temperatur sinke. Diese Temperatur¬ 
senkung wird allgemein als auf verminderter Wärmeproduction beruhend 
betracht, berbeigeführt durch die Verlangsamung des Stoffwechsels. 

Beim Menschen treten nach Angabe verschiedener Forscher zuerst 
Pulsbeschleunigung, später Verlangsamung auf, verbunden mit Sinken 
der Temperatur; andere Forscher heben blos die Pulsverlangsamung 
hervor; nur Demarquay will auch am Krankenbette nach Verab¬ 
reichung des Chloralhydrats Puls und Temperatur unverändert gefunden 
haben. Sphygmographische Untersuchungen beim Menschen hat Dräsche 
allgestellt. Dieselben ergaben, dass während des Schlafes die einzelne 
Erhebung eine geringe Höhe zeigte, während Ascensions- und Descensions- 
lrnie, sowie der Curvengipfel kein verändertes Aussehen darboten. 
Dräsche schliesst daraus auf eine Steigerung der Pulsspannung während 
des Schlafes. Die Curven stammen von einem 50jährigen nicht gut ge¬ 
nährten Taglöhner und zeigen alle das ganz charakteristische Aussehen, 
wie man es bei Atherom zu finden pflegt. Atheromatöse Arterien sind 
aber selbstverständlich unbrauchbar, um SpannungsdifFerenzen zu messen. 
Andrews kam auf Grund von sphygmographischen Untersuchungen zu 
folgenden Resultaten: 

1. das Chloral vermindert die Zahl der Pulsschläge; 2. die pri¬ 
märe Wirkung besteht in einer Steigerung der Herzkraft und der arte¬ 
riellen Spannung; 3. die secundäre Wirkung in einer Verminderung der 
Herzkraft und der arteriellen Spannung. 

Verf. wendete bei den Versuchen stets Dosen von 2*5 bis 4-0 an, 
Dosen, wie sie auch am Krankenbette gewöhnlich zur Verwendung kom¬ 
men. Bei diesen Untersuchungen nun, die ebenfalls an gesunden, jungen, 
kräftigen Männern angestellt wurden, kamen folgende Resultate zum 
Vorschein: Dosen von 2*5 Chloralhydrat innerlich gereicht, hatten mehrere 
Male weder auf die Zahl der Pulsschläge, noch auf die Spannung im 
Geösssystem, noch auf die Temperatur irgend welchen Einfluss, während 
bei anderen Individuen bei Verabfolgung der gleichen Dose etwa 1 / i — l j 2 
Stunde später eine leichte Pulsbeschleunigung um 6—10 Schläge pro 
Minute eintrat, ohne erhebliche Aenderung der Spannung, um dann nach 
ein» einer Stunde (nach erfolgter Darreichung) einer beträchtlichen Herab¬ 
setzung der Spannung Platz zu machen, die zugleich mit Verlangsamung 
des Herzschlages einherging. Diese Verlangsamung betrug 10—15 
Schlage pro Minute gegenüber der Zahl bei Beginn des Versuches. Die 
Herabsetzung der arteriellen Spannung gab sich in der Weise kund, dass 
vorher völlig normal gespannte Pulse nun das Aussehen von unterdicroten 
bekamen. Schon der zartfühlende Finger konnte bemerken, dass der Puls 
weicher, das Gefüssrohr schlaffer sei. Zugleich mit der Herabsetzung 
der Gefässspannung trat ein Sinken der Temperatur um 0*5—1*0° auf. 
Einige Male stellte sich bereits ohne vorherige Beschleunigung sofort Ver- 
bngsamung des Herzschlages und ein Sinken des Druckes ein. 

Bei Dosen von 4*0 nahm die Spannung constant etwa V 4 Stunde 
[ **ch Darreichung des Medicaments zu, ebenso die Frequenz; jedoch 

L M.-chir. Runds-hau. 1880. ^ 7 

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Medicinisch-chirurgische Randschau. 


fand sich constant nach einer Stunde eine beträchtliche Abnahme der 
Spannung (meist Unterdicrotie); die Puls Verlangsamung trat erst 2—3 
Stunden nach Beginn des Versuches auf. Mit dieser Trägheit im Kreis¬ 
läufe und verminderten Spannung ging ein Abfall der Temperatur um 
V a Grad und noch mehr einher. Bei stark geschwächtem Herzen (hoch¬ 
gradiger Phthise) konnte die Spannungsabnahme entsprechend früher, meist 
schon nach 15 Minuten constatirt werden, obgleich die Temperatur niedriger 
war als zu Anfang, also eher eine Zunahme der Spannung zu erwarten 
gewesen wäre. Es dauerte zugleich bei solchen Individuen die Chloral- 
wirkung auf den Kreislauf längere Zeit an, als bei Gesunden. 

Die Resultate dieser Untersuchungen stimmen also mit den phy¬ 
siologischen Ergebnissen bei Thieren auf das Beste überein, indem hier 
nach vorübergehender Erregung eine Schwächung des Kreislaufes eintritt, 
eine Schwächung, die sich documentirt zuerst durch geringere Energie 
des Herzens und Schlaffheit des Arterienrohres und als secundäre Folge 
dieses trägen Kreislaufes Sinken der Temperatur. Diese Schwächung 
tritt auf, gleichviel ob die betreffende Versuchsperson in Schlaf verfällt 
oder nicht. Allerdings macht sich dieser Chloraleffect bei gleicher Dosis 
bei verschiedenen Individuen in verschieden hohem Grade geltend. 

HI. Extractum cannabis indicae. Bei diesen Versuchen 
wurden Dosen von 0*1—0*3 des weingeistigen Extractes angewendet. 
Die deutsche Pharmakopoe gibt als Maximaldose pro dosi 0*1 für dieses 
Extract an, allein viele Autoren halten diese Dose, um eine schlaf- 
machende Wirkung zu erzielen, für zu niedrig; so empfiehlt Fron- 
müller Dosen von 0‘25—0*5, Bert hier reicht dasselbe in Gaben 
von 0-25—1*0. Aus den Versuchen geht jedenfalls zur Evidenz hervor, 
dass die von der deutschen Pharmakopoe aufgestellte Dose von 0,1 keines¬ 
wegs absolut zu niedrig gegriffen ist, da die individuelle Empfänglichkeit 
eine äusserst verschiedene ist. Während manchmal 0*1 keinen Effect 
hatte, trat bei anderen Individuen hiernach ein Complex von Symptomen 
auf, den die Forscher sonst als volle Wirkuug bezeichnen. Auffallend erschien 
dem Verf., dass bei keiner einzigen der Versuchspersonen Hallucinationen 
und Träume heiterer Art, wie sie sonst beschrieben werden, auftraten. 
Bei zwei Personen, von denen die eine nur 0*1 genommen hatte, traten 
Klagen über Trockenheit im Halse, äusserst lästige Herzpalpitationen, 
vermehrter Bewegungstrieb, heftige Präcordialangst, lautes Aufschreien, 
Delirien auf. Der Zeit nach fielen diese Wirkungen ziemlich genau mit 
den Veränderungen im Gefässsystem zusammen. Diese beiden Personen 
zeigten eine solche Constitution, wie man sie allgemein als nervöse zu 
bezeichnen pflegt. Bei sämmtlichen anderen Versuchspersonen fehlten diese 
letztgenannten Reizsymptome von Seite des Centralnervensystems und es 
verfielen dieselben meist in einen mehr oder minder tiefen Schlaf, sobald 
die Veränderungen im Gefässsystem sich einstellten. Riedel schreibt, 
dass er nach Anwendung der Cannabis indica einen ungemein heftigen 
und verbreiterten Herzchoc gefunden habe bei mässig vollem Pulse. 
Schroff fand die Herzthätigkeit gleichfalls gesteigert, während nach den 
Angaben Fronmülleris der Einfluss auf das Herz nur ein sehr unbe¬ 
deutender und geringfügiger ist. Schroff sah in einem Falle den Puls 
anfangs um 20 Schläge sinken, später stieg derselbe und zwar von 66 
auf 114 Schläge. Cloustou gibt an, dass die Herzkraft zuweilen 
herabgesetzt sei. Schliesslich wäre noch die von manchen • Autoren be¬ 
obachtete Steigerung der Diurese (Wood, Schroff, Fronmüller) 
zu erwähnen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 99 

Was die Veränderungen im Gefässsyatem betrifft, die'Verf.* hei 
seinen Untersuchungen fand, so traten als fcens'tahtes Symptom 2—TStuacfeft 
nach Darreichung des Mittels Herzpalpitationen in mehr oder minder 
heftiger, manchmal selbst belästigender Weise auf. Die arterielle Span¬ 
nung veränderte sich in den ersten beiden Stunden nach Darreichung 
des Medicamentes entweder gar nicht oder nahm l / 2 Stunde nach der 
Darreichung sogar etwas zu. Die Zunahme hielt dann gewöhnlich 1—2 
Stunden an. Nach dieser Zeit erfolgte mit dem Auftreten der Herz¬ 
palpitationen constant eine allgemeine Erschlaffung der Arterienspannung. 
Der Puls, der bis dahin normales Verhalten zeigte, wurde jetzt unter- 
dicrot. Die Pulszahl, die bis jetzt nach wie vor annähernd constant geblieben 
war, vermehrte sich jetzt um 12—20 ja sogar 40 Schläge pro Minute. 
Dabei fühlte sich die Haut warm an, Gesicht und Conjunctiven waren 
leicht geröthet, die Pupillen weit, die Augen glänzend. Erst 4—5 Stunden 
nach Beginn des Versuches begann die Pulsfrequenz wieder allmälig 
abzunehmen. Es ist also bei der Cannabiswirkung die merkwürdige 
Thatsache zu verzeichnen, dass trotz des Schlafes, während dessen normaler 
Weise die Pulsfrequenz sinken sollte, gerade das Gegentheil, nämlich 
Pulsbeschleunigung auftritt. Ein ebenso eigentümliches Verhalten zeigte 
die Temperatur. Die Untersuchungen mit Cannabis wurden gewöhnlich 
des Abends um 6 Uhr angestellt; es wäre also 3—4 Stunden später 
ein geringer Abfall der Temperatur zu erwarten gewesen; allein nach 
der Cannabiseinnahme konnte diese Thatsache nicht constatirt werden. 
Die Temperatur war entweder die gleiche wie zum Anfang des Versuches, 
oder es war dieselbe sogar um einige Zehntel Grade gestiegen. Die 
Wärmebildung war also jedenfalls während der Cannabiswirkung gesteigert, 
weniger wahrscheinlich ist, dass die Wärmeabgabe verringert wurde. 
Als Beleg des Vorstehenden dienen die Pulscurven. 

Es scheinen durch die Wirkung von Cannabis complicirte Vor¬ 
gänge in den Centralnervenapparaten stattzufinden; Verf. kann nicht 
umhin, auf eine Krankheit aufmerksam zu machen, die wie ihm scheint, 
mancherlei Analogien bietet mit den Veränderungen, wie man sie nach 
Cannabis indica findet. Es ist dieses der Morbus Basedowi. Auch 
hier sind Tachycardie, der stiere Blick, die weiten Pupillen und die 
klopfenden Gefässe vorhanden. 0. R. 

84. Ueber Anwendung des Eisens und Sauerstoffs in der Anämie 
und Chlorose. Von Prof. Dr. Hayem. (Annales de la soc. de med. de 
Gand, X. Livr. 1879. Allg. med. Ctrl.-Ztg. 1879. 96.) 

Die Wirkung der Eisenpräparate bei Anämie und Chlorose, welche 
darin besteht, dass die erkrankten rothen Blutkörperchen durch dieselben 
in ihren physiologischen Zustand wieder zurückgeführt werden, ist von 
Verf. in seinen früheren Berichten an die Akademie der Wissenschaften 
mitgetheilt worden. 

Im Verein mit Regnault, hat Hayem (wie er im „Praticien“ 
berichtet) nochmalige Versuche vorgenommen, um den Mechanismus der 
Wirkung der Eisenpräparate zu erforschen. Sie experimentirten mit 
Beriinerblau, einem Eisenpräparate, welches, in Dosen von 4—6 Grm. 
innerlich gereicht, den Organismus passirte, ohne auf die Blutbereitung 
irgendwie einzuwirken, noch auch den Zustand der Kranken irgendwie 
zu bessern. Die frühere Anschauung, dass das Eisen als Excitans wirke, 
den Appetit reize und auf diese Weise durch die genossenen Nahrungs¬ 
mittel das Blut verbessere, mussten Verff. als irrthümlich berichten, da 

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1PQ\ •’ 


" MediÖixdsfchichirurgiBche Rundschau. 


. .dje^ Chk>r<8>tiQeben..em«n. Widerwillen gegen Speisen besitzen und 

.* ’.tcolbj des ;^enorlidien eA* Elsdntfriiur: wenig zu sich nehmen können. 

Es musste daher ein* arideres Mittel versucht werden, und dies 
bestand in der Anwendung des Sauerstoffs, den sie 2mal täglich ä 5 Liter 
in 2—3 Sitzungen einathmen Hessen. Hierdurch vermehrte sich der 
Appetit, verbesserte sich die Verdauungsthätigkeit, hörte das Erbrechen 
auf, stieg die Zunahme der Nahrungsmittel um das 3—4fache. Die 
Quantität Sauerstoff, welche bis zu 10 Grm. täglich sich vermindert hatte, 
wurde wieder bis auf 30—40 Grm. erhöht. Hierbei aber wurden, trotz 
der besseren Gesichtsfarbe und der Gewichtszunahme der Kranken, die 
Blutkörperchen nicht geändert, sie blieben trotz der Zunahme in krank¬ 
haftem Zustande. Es contrastirte das äussere Wohlbefinden mit dem 
krankhaften Befund in den Blutkörperchen. 

Beim Aufhören der Sauerstoffeinathmung geht die oberflächlich 
erlangte Besserung wieder zurück, während, wenn man bei der Ein- 
athmung zugleich Eisen gebrauchen lässt, die Heilung eine dauernde 
bleibt, die Blutkörperchen an Quantität wie Qualität physiologisch normal 
werden. Es resultirt aus diesen Experimenten, dass 1. die wirksamen 
Eisenpräparate ein blutbereitendes, insbesondere den rothen Blutkörperchen 
eine wirksame Substanz zuführendes Mittel sind, 2. dass dieses allein 
nicht immer wirkt, sondern, zumal bei Dyspeptischen, noch Sauerstoff- 
einathmungen zur vollständigen Beseitigung der Chlorose und Anämie 
nothwendig sind. 


85. Zur Behandlung des Delirium tremens. Von Prof. v. Krafft- 
Ebing in Graz. (Memorabilien 1879. 10. Heft.) 

Mit der Ueberhandnahme des Alcoholismus chronicus ist dessen acutes 
Inanitionsdelirium — das Delirium tremens — eine Krankheitserscheinung 
geworden, die die Aufmerksamkeit des Praktikers in hohem Masse be¬ 
ansprucht. Gibt es doch kaum eine Erkrankung des centralen Nerven¬ 
systems, die Gehirnsyphilis vielleicht ausgenommen, bei der der Ausgang, 
ja selbst das Leben des Kranken so sehr von der rechtzeitigen Diagnose 
und richtigen Behandlung abhängig ist, wie das Delirium tremens. 

Verf. schildert die Behandlungsweise, wie sie auf der Grazer 
psychiatrischen Klinik geübt wird. Die Prophylaxe hat dem Delirium 
tremens gegenüber ein dankbares Feld. Es kommt nicht von ungefähr. 
Es hat seine Entstehungsbedingungen und seine Vorboten. Das Delirium 
tremens entsteht nicht bei Individuen, die sonst streng nüchtern, einen 
Alkoholexess begangen haben, mag er ein noch so schwerer sein. Es 
befällt nur Trinker von Profession, deren Constitution durch Trunk 
gelitten hat, deren centrales Nervensystem krankhaft entartet ist (Alcoho¬ 
lismus chronicus) und Symptome funetioneller Schwäche aufweist. Die 
wichtigsten Gelegenheitsursachen sind schwere Erkrankungen, besonders 
Pneumonien, schmerzhafte Affectioneu (Panaritien, Erysipelas etc.) und 
Verletzungen (Fracturen), Blutverluste, Entbehrung des Schlafs, ungenü¬ 
gende Ernährung durch Nahrungsmangel oder in Folge einer durch 
Exacerbation des bei Säufern gewöhnlichen Magenkatarrhs gehinderten 
Assimilation, profuse Durchfälle, Eiterungen, gehäufte Alkoholexcesse, 
aber auch Entbehrung des Alkohols als eines gewohnten Nervenreizes. 

Angesichts dieser Thatsachen muss jeder Arzt, der in einer Wein¬ 
gegend oder in einer von der Branntweinpest durchseuchten Bevölkerung 
praklicirt, am Krankenbette immer sein Augenmerk darauf richten, ob 
der Betreffende Potator war, und ob an ihm Symptome des Alcohol. 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


101 


ehronicns wahrnehmbar sind. Ist dies der Fall, so haben etwaige Krank¬ 
heiten, je schmerzhafter, schlafraubender sie sind, je höher die Temperatur¬ 
en rve, je grösser die etwaigen Säfteverluste, eine um so grössere Bedeutung 
in prognostischer Beziehung und entschiedenen Einfluss auf das thera¬ 
peutische Handeln. Doppelt tritt hier an den Arzt die Aufgabe heran, den 
Schlaf hervorzurufen, die schwächenden Einflüsse der Krankheit zu be¬ 
kämpfen und in seiner Therapie alles Schwächende zu vermeiden. Dies 
gilt namentlich für etwaige sonst indicirte Blutentziehungen, Purganzen, 
Brechmittel. 

Die Behandlung muss bei allen schwereren chirurgischen oder 
inneren Affectionen eines Säufers eine roborirende sein, da sie sonst nur 
zu leicht einen asthenischen, perniciösen Charakter annehmen und den 
Ausbruch des Delirium tremens begünstigen. In allen derartigen 
Fällen erscheint die Verordnung von Wein dringend 
geboten. Das Gleiche gilt ftir Potatores strenui, die durch Ein- 
sperrung des gewohnten Nervinums verlustig werden. Daneben muss für 
möglichst gute Ernährung gesorgt sein. Schon diese diätetischen Mass- 
regeln können dem Ausbruch des Delirium tremens Vorbeugen. Aber 
unumgänglich nöthig bleibt es dabei, dass der zur Erkrankung Disponirte 
sorgsam überwacht und bei sich zeigenden Vorboten der gefährlichen 
Complication sofort eingeschritten werde. 

Neben gastrischen Beschwerden, Verdriesslichkeiten, Reizbarkeit, 
Beklommenheit in der Herzgrube bis zu heftiger Präcordialangst, Ohren¬ 
sausen, Acusmen, Hyperästhesien des Gesichts und Gehörs, Kopfweh, 
Schwindel, Unstetigkeit, Tremor der Hände und Zunge, erscheint Störung 
des Schlafes als der wichtigste Vorbote. Der Schlaf fehlt gänzlich, oder 
es besteht unruhiger Schlummer mit ängstlichen Träumen und öfterem 
Aufschrecken. Sobald Störung des Schlafes beim Säufer eintritt, ist die 
Vermuthung eines beginnenden Delirium tremens gerechtfertigt. Das ge¬ 
schwächte Gehirn des Potators kann den restaurirenden Einfluss des 
Schlafes nicht entbehren. Dessen Mangel bildet das letzte Glied in der 
Reihe der schwächenden Ursachen. Jedenfalls muss diese Schlaflosigkeit 
mit allen Mitteln bekämpft werden. Besonders geeignet zu diesem Zwecke 
erweisen sich Chloralhydrat mit oder ohne Morphium, Opium, Spirituosa. 

Die Behandlung des ausgebrochenen Delirium tremens hat zunächst 
mit der Thatsache zu rechnen, dass es ein Erschöpfungsdelirium eines 
geschwächten Gehirns bedeutet und mit entzündlichen Vorgängen im 
Gehirn nichts zu thun hat. Die Prognose des Delirium tremens ist eine 
unendlich günstigere geworden, seit Sutton’s Monographie den astheni¬ 
schen nicht entzündlichen Charakter des Krankheitsvorganges nachwies, 
vor Blutentziehungen warnte und das Opium in die Therapie der Krank¬ 
heit einführte. Die Indicationen für deren Behandlung lassen sich kurz 
dahin zusammenfassen, dass alle schwächenden Eingriffe zu meiden und 
so rasch als möglich der Schlaf herzustellen ist. Die erste Forderung ist 
durch den entschieden asthenischen Charakter dieses Inanitionsdeliriums, der 
sich in der Muskelschwäche, den Tremores bis zu Sehuenhttpfen und 
Flockenlesen, den profusen Schweissen genugsam kundgibt, sowie den 
traurigen Resultaten einer nicht roborirenden oder direct schwächenden 
Therapie motivirt. Die zweite Forderung entspringt aus der Erfahrung, 
dass das Delirium verschwindet, sobald der Kranke in einen tiefen, lange 
genug andauernden restaurirenden Schlaf verfällt. 

Bei der Wahl des geeigneten Hypnoticums muss individualisirend 
vorgegangen und der Allgemeinzustand des Kranken, etwaige Compli- 


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102 


Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


cationen (Fieber, entzündliche Erkrankungen), namentlich aber der Zu¬ 
stand des Herzens (Fettdegeneration, Herzschwäche) Berücksichtigung 
finden. Es lassen sich in dieser Hinsicht drei Gruppen von Fällen auf¬ 
stellen. 

In der ersten handelt es sich um meist erstmalige Erkrankung, 
noch nicht vorgeschrittenen Alcoholismus und Marasmus, überhaupt um 
kräftige jugendliche Individuen ohne Fettdegeneration des Herzens, 
ohne Arteriosclerose, ohne Fieber, ohne Complication, ohne Vorboten 
oder Symptome eines adynamischen Zustandes. Hier empfiehlt sieh neben 
medicinischen Dosen von Wein die Anwendung des Chloralhydrats mit 
oder ohne Morphium. Nach Verf.’s Erfahrung haben kleinere (Chloral 
1/0—2*0, Morphium 0*01) aber oft (alle 3—4 Stunden) wiederholte 
Dosen den Vorzug vor den grösseren, selteneren. Eignet sich der Fall 
für Chloral, so tritt sein hypnotischer Effect in der Regel schon nach 
der zweiten oder dritten Dosis ein. Zuweilen versagt es aber seine Wir¬ 
kung, steigert sogar die Aufregung. Dann nützen fortgesetzte und auch 
hohe Gaben nichts, erscheinen geradezu gefährlich. Ein dem Chloral in 
der Wirkung nahestehendes, jedoch nicht prompt wirkendes, dafür aber 
weniger gefährliches, seltener versagendes, verbreitetere Anwendungsweise 
gestattendes Mittel ist das Opium. 

Verf. zieht auf der Klinik seine subcutane Anwendung (Extract. 
opii aquos. I/O, Aq. destill. 16 mit Glycerin 4) der internen vor, da die 
Dosirung hier eine exacte ist und die Resorption vom Magen aus bei 
dem im Alcohol. chron. meist hochgradigen chronischen Magenkatarrh 
problematisch erscheint und ungenügend stattfindet, wie dies die oft 
enormen Dosen von Opium, die solche Kranke ertrugen und bedurften, 
beweisen. Bei subcutaner Anwendung wurden auch die reizenden, den 
Magenkatarrh steigernden Wirkungen des intern gereichten Opiums ver¬ 
mieden, ein wichtiger Vortheil für den Kranken, dessen rasche Recon- 
valescenz, sowie das Ausbleiben von Recidiven wesentlich davon abhängen, 
wie Verdauung und Assimilation vor sich gehen. Man injicire 0-06 Extr. 
opii aquos. als Anfangsdosis und wiederhole die Injection alle 3—4 
Stunden, bis Schlaf eintritt. Ist die subcutane Behandlung nicht möglich 
(Landpraxis), so applicire man das Mittel in Klystierform oder in 
Suppositorien. Von grosser Wichtigkeit ist es, dem Kranken nicht 
sofort das Opium zu entziehen, wenn dessen hypnotischer Effect einge¬ 
treten ist, sonst kommt es leicht zu Relapsen und Recidiven. Die Gefahr 
dieser wird wesentlich verringert, wenn die Opiumbehandlung noch einige 
Tage lang nach dem kritischen Schlaf in kleineren Dosen von 0*01 bis 
0*02 fortgesetzt wird, und namentlich, wenn vorläufig Abends noch der 
Reconvalescent sein Opiat erhält. 

Eine zweite Gruppe ist dadurch charakterisirt, dass Complicationen 
(Pneumonie, schwere Verletzungen) vorliegen oder auch, beim Fehlen 
solcher, Fieber besteht, das dann als neurotisches Symptom aufgefasst 
werden muss und die Prognose, wie dies Magnan in Paris gebührend 
hervorhob, erheblich verschlimmert. Oder es handelt sich um Individuen 
mit den Erscheinungen eines vorgeschrittenen Alkoholmarasmus, fettiger 
Degeneration der Organe, namentlich des Herzens und Zeichen von Herz¬ 
schwäche (dumpfe Herztöne, schwacher Herzchoc, hohe Pulsfrequenz, 
schlecht gespannte Arterien). Hier ist das Chloral, als ein entschiedenes 
Herzgift, das von der Medulla oblongata aus Herzlähmung hervorrufen 
kann, durchaus contraindicirt. Der Gebrauch des Opiums ist hier am 
Platze und nicht gefährlich, wenn die Gefahr einer Herzschwäche durch 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 10H 

Excitantia, am besten Wein oder Spirituosa in liberaler Dosis, nötigen¬ 
falls Aether aceticus oder Liquor ammon. anisatus, gleichzeitig bekämpft 
wird. Die hypnotische Therapie kann hier forcirt werden, wenn der Arat 
die Thätigkeit des Herzens sorgsam überwacht und entsprechend der 
Dosis des Opiums gleichzeitig die des Excitans vermehrt. 

Eine dritte Gruppe von Deliranten umfasst Fälle, in welchen durch 
Verschleppung des Falls, schwere Complicationen, Fieber, vorgeschrittenen 
Alcoholismus, wiederholte Recidiven des Deliriums, der Kranke in aus¬ 
gesprochen adynamischem Zustand mit schwerer Bewusstseinsstörung, 
fuliginöser Zunge, collabirten Zügen, mussitirenden Delirien, Flockenlesen, 
sn beul tu s tendinum, Herzschwäche, schwachem Puls bei über 120 ge¬ 
steigerter Pulsfrequenz etc. in die Behandlung eintritt. In solchen Fällen 
ist von den Narcoticis kaum mehr etwas zu erwarten, ihre Anwendung 
geradezu gefährlich. Hier kann nur eine roborirende, entschieden analep- 
tische Behandlung das schwer bedrohte Leben des Kranken retten. Das 
beste Hypnoticum und Beruhigungsmittel ist hier alkoholreicher Wein in 
liberalen Dosen. Wird die Herzaction insuflficient, so gebe man Campher 
oder Moschus. Tritt Sopor ein, so sind kalte Uebergiessungen in trockener 
Wanne ein gutes Mittel. Gelingt es, die Lebensgefahr zu beseitigen, so 
ist eine Opiumbehandlung unter den bei der zweiten Gruppe erwähnten 
Cantelen in vorsichtiger Weise einzuleiten. 

In drei Fällen von besonders schwerem Charakter der dritten 
Gruppe hat Verf, gestützt auf Rose’s Empfehlung, das metallische 
Opium Radcmacher’s — das Zincum aceticum — versucht; die drei 
kaum mehr Hoffnung gewährenden Kranken genasen. Die Dosis betrug 
4-0—6*0 Zinc. acetic. pro die in einem schleimigen Vehikel, möglichst 
verdünnt. Schädliche Nebenwirkungen auf Magen- und Darmcanal traten 
nicht ein, im Gegentheil schien sich unter der Behandlung der chronische 
Magenkatarrh zu bessern. Da unsere Pharmacopoe die Maximaldosis des 
Zinc. aceticum auf 0*3 pro die fcstsetzt, ist es gut, den Apotheker darauf 
aufmerksam zu machen, dass die Ordination keine irrthtimliche sei Neben 
der Erzielung des restaurirenden Schlafes ist Sorge für möglichst gute 
Ernährung des Kranken im Delirium tremens eine Hauptsache. Der Zu¬ 
stand des Magens erschwert diese diätetische Aufgabe. Auf der Höhe der 
Krankheit ist Milchkost am vortheilhaftesten, am besten die Milch ver¬ 
dünnt mit Sodawasser oder Sauerbrunn. Droht sich der Kranke durch 
Jactation und beständiges Verlassen des Bettes zu erschöpfen, so ist die 
Herstellung einer Zwangsbettruhe mittelst leichter Beschränkung in 
schwereren Fällen wohl nicht zu vermeiden. Die Gefährlichkeit der 
Kranken für sie und ihre Umgebung macht Isolirung in gut erwärmten 
Krankenzimmern und sorgfältige Ueberwachung nöthig. Unzählige Unglttcks- 
fälle, unter welchen Verf. nur an einen vor Jahren in der Berliner Charite 
erinnern will, in welchem ein Delirant bei momentaner Abwesenheit des Wärters 
seinen Nachbarn die Schädel einschlug, machen diese Forderung unerlässlich. 

Deliranten gehören nicht in Irrenanstalten. Jeder grössere Ort, ganz 
besonders in Weinländern, sollte seine Delirantenzelle haben. Wie gefährlich 
der Transport von Deliranten für ihr Leben und die Umgebung werden kann, 
lehrt die Erfahrung. Bei eingetretener Reconvalescenz ist die Unterhaltung 
ausreichenden Schlafes und Herstellung einer guten Ernährung, resp. Be¬ 
seitigung des Magenkatarrhs die wichtigste Aufgabe. Neben den diätetischen 
Mitteln sind hier Chinapräparatc, am besten Decoet. cortic. chinae mit 
Acid. muriatic. nützlich. Man entlasse den Genesenen nicht zu früh aus der 
Behandlung und thne dies lieber an einem Montage als Samstag! 


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Medicinisch-chinirgiBcbe Randschau. 


86. Gegen Nachtschweisse bei Lungenphthisis. Von Dr. Köhn- 
horn, Oberstabsarzt. (B. k. Wochenschrift 1880, Nr. 1.) 

Verf. behandelte eine an Lungenphthisis leidende Dame, welche 
seit Jahren durch profuse Nachtschweisse gequält wurde. Es sind der 
Reihe nach innerlich Chinin, Atropin (beide auch subcutan injicirt), Digi¬ 
talis, Boletus laricis, kalter Thee von Folia Salviae etc., äusserlich kalte 
Abwaschungen, Einreibungen mit Spiritus und Tannin, Einreibungen mit 
Speck etc. in Anwendung gezogen worden, entweder ganz erfolglos oder 
nur mit einem Erfolge von wenigen Tagen. Da kam Verf. auf den Ge¬ 
danken, das Streupulver einpudem zu lassen, welches mit so günstigem 
Erfolge gegen Fussschweisse gebraucht wird. Die Wirkung war eine 
überraschende, da von dem Tage ab die Nachtschweisse verschwunden 
waren. 

Verf. wandte nun dasselbe Mittel bei einem anderen Phthisiker an, 
welcher seit Monaten an profusen Nachtschweissen litt. Der Erfolg war 
ebenso überraschend, da von dem Tage an die Nachtschweisse aufhörten. 
Im ersten Falle sind die Schweisse seit Monaten, im andern ungefähr seit 
G Wochen sistirt. Die Dame, glücklich darüber, dass sie in einem trockenen 
Bette schlafen kann, wendete das Mittel täglich an, aus Furcht, dass bei 
Unterlassung der Einpuderung, das alte qualvolle Leiden zurückkehren 
könne. Der andere Patient hat aber nur 5—6 Mal eingepudert und ist 
seit der Zeit frei von Nachtschweissen. Bei beiden Patienten hat die 
Unterdrückung der Schweisse eine nachtheilige Wirkung in keinerlei 
Weise geäussert. Ob das Aufhören der Schweisse auf das ursprüngliche 
Leiden günstig wirkt, konnte bei der kurzen Beobachtungszeit nicht fest- 
gestellt werden, doch glaubt Verf. dies — und mit Recht — annehmen 
zu dürfen. Jedenfalls sind die Patienten glücklich darüber, in einem 
trockenen Bette zu schlafen, gewinnen neuen Muth und sind weniger der 
Gefahr ausgesetzt, sich katarrhalische Affectionen zuzuziehen. Das be¬ 
treffende Pulver, welches Verf. zum Einpudern benutzt, ist schon vor 
Jahren von der Militär-Medicinal-Abtheilung des Kriegsministeriums in der 
Armee gegen Fussschweisse empfohlen und ist folgendermassen zusammen¬ 
gesetzt: R. Acvl. salicyl . 3, Amyli 10 , Talei 67. Mf, pulv . Ds. 
Mit diesem Pulver wird der ganze Körper Abends eingepudert. Sollte 
die Haut sehr trocken sein, so wird vorher eine Einreibung mit Speck 
oder Spiritus und Tannin gemacht, um das Pulver am Körper haften zu 
lassen. Gegen den lästigen Hustenreiz, welchen der Staub der Salicyl- 
säure beim Einpudern leicht hervorruft, soll Pat. sich während der Ein¬ 
puderung ein Tuch vor Mund und Nase halten. 

87. Das Bromkalinm als örtliches AnsBstheticum des Uro-Genital- 
Apparates. Von J. Kijanizyn. (Wojenno-Medizinski Journal 1879, 
Heft VI. — Russisch. St. Petersburg, med. Wochenschr. 1879, 51.) 

Die schon seit längerer Zeit gemachte Beobachtung, dass das Brom- 
kalium bei örtlichem Gebrauch das Gefühlsvermögen im Schlunde und Kehl¬ 
kopf herabsetzt , welche zur Anwendung desselben bei laryngoskopischen 
Untersuchungen und Operationen in diesen Regionen behufs Anästhesirung 
derselben geführt hat, hat Verf. veranlasst, dieses Mittel auch bei Krank¬ 
heiten des Uro-Genital-Apparate8, welche mit Hyperästhesie verbunden 
sind, zu versuchen. Er hat Injectionen einer Bromkaliumlösung in die 
Harnröhre bei schmerzhaften acuten und chronischen Urethritiden, bei 
Ilarnröhrenstrictur, bei krankhaft gesteigerter Neigung zu Pollutionen 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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angewandt und, wie aus den beigefügten Krankheitsgeschichten her vor geht, 
sehr günstige Resultate erzielt. Bei den Urethritiden mässigten sich nach 
dem Gebrauch dieser Injectionen die entzündlichen Erscheinungen, die 
Schmerzen, die Röthung und Schwellung der Hamröhrenschleimhaut 
and auch der Ausfluss sehr bald und es bedurfte dann nur noch leicht 
adstringirender Einspritzungen, um die letzten Spuren des Ausflusses zu 
tilgen. In einem Falle von Harnröhrenstrictur mit chronischer Urethritis, 
Dysurie und grosser Empfindlichkeit der Harnröhre, in welchem Bougies 
trotz des innerlichen Gebrauchs von Tinct. Cannabis Indicae und Ein¬ 
reibungen einer Belladonnasalbe wegen der jedesmal entstehenden heftigen 
Schmerzen in die Harnröhre nicht eingeführt werden konnten, gelang 
solches nach 7tägiger Anwendung von Bromkalium-Injectionen leicht und 
fast ganz ohne Schmerzen. 

K. verordnet das Bromkalium in einer wässerigen Lösung (6 auf 
200 Aqu. destill.), von welcher er 2—3mal täglich 3 # 5 injiciren lässt, 
wobei die injicirte Flüssigkeit einige Minuten in der Harnröhre ver¬ 
weilen muss. 

Auf Grund seiner Beobachtungen kommt Verf. zu dem Schlüsse, 
dass die locale Anwendung des Bromkalium unzweifelhaft von wesentlichem 
Nutzen in allen Fällen ist, in welchen die Empfindlichkeit der Urethra 
und des Blasenhalses herabgesetzt werden muss, also bei Behandlung der 
Harnröhrenstricturen mit Bougies, bei Urethritiden und ihren Complica- 
tionen: Chorda venerea, Dysurie, Neurosen etc., bei Pollutionen, die von 
peripherischen Ursachen abhängen u. s. w r . Er hält es aber auch für 
sehr wahrscheinlich, dass die Örtliche Anwendung des Bromkalium auf 
die Wände der Harnblase denselben günstigen Einfluss hat und dem¬ 
gemäss auch bei anderen Krankheiten des Uro-Genital-Apparates, als: 
Katarrh des ßlasenhalses und der Blase, Hyperästhesie derselben, Blasen¬ 
steinen u. 8. w. von Nutzen sein kann. Verf. empfiehlt daher dieses 
Mittel angelegentlichst zu weiteren Versuchen. Die günstige Wirkung er¬ 
klärt Verf. dadurch, dass das Bromkalium den Reiz und die Hyperämie 
des entzündeten Gewebes vermindert. 

88. Ueber die Behandlung der Spermatorrhoe. Von Dr. P. J. 
Möbius. (Memorab. 1879. XII. H.) 

Man muss zwei Formen der Spermatorrhoe unterscheiden: 1. Fälle, 
bei denen eine anatomische Erkrankung diagnosticirt werden kann ; und 
2. solche, bei denen dies nicht der Fall ist, die also als nervöse Sper¬ 
matorrhoe bezeichnet werden dürfen. Jene stellen in der w eitaus grössten 
Zahl Folgeerkrankungen des Trippers dar, es findet sich bei ihnen eine 
chronische Urethritis, welche in den hinteren Abschnitten der Harnröhre 
ihren Sitz hat, hauptsächlich die Gegend des Schnepfenkopfes zu be¬ 
treffen scheint. Mit der Urethritis ist häufig chronischer Prostatakatarrh 
verbunden, etwas seltener finden sich Reste von Epididymitis. Man ent¬ 
deckt mit der Sonde empfindliche Stellen in der Harnröhre, sieht event. 
deren Erkrankung mit dem Endoskop, beim Beginne des Urinirens er¬ 
scheinen im Harn die sogenannten geknöpften Tripperßtden, der eine 
oder der andere Hoden ist etwas vergrössert und auf Druck empfindlich. 
In allen diesen Fällen nimmt man, wohl mit Recht, an, dass die Ent¬ 
zündung ein dauernder Reiz sei, welcher die Spermatorrhoe reflectorisch 
zu wege bringe. Die Behandlung wird in erster Linie gegen die chronische 
Urethritis gerichtet sein; die locale Einwirkung drückender Metallsonden, 
fer Kühlsonde, der Adstringentien und Aetzmittel ist angezeigt. 

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Medicinisch-chirur gische Rundschau. 


Häufiger dürften diejenigen Fälle von Spermatorrhoe sein, bei denen 
die Untersuchung nichts ergibt. Die Kranken, um welche es sich hier 
handelt, geben als Ursache ihres Leidens in der Regel Onanie oder 
Ueberanstrengung im geschlechtlichen Verkehr an. Da nun von der Un¬ 
zahl Menschen, welche sich das eine oder das andere zu Schulden 
kommen lassen, nur wenige an Spermatorrhoe erkranken, so muss 
natürlich eine individuelle Disposition angenommen werden. Letztere 
dürfte sich meist als nervöse Constitution erkennen lassen: es handelt 
sich meist um gracile, leicht erregbare Subjecte und oft sind in der 
Familie Neuropathien nachzuweisen. Offenbar entwickelt sich bei solchen 
Personen in Folge geschlechtlicher Ueberreizung leicht ein Zustand ver¬ 
mehrter Erregbarkeit in den die Samenbereitung und den Samentransport 
leitenden reflectorischen Apparaten, so dass kleine, im normalen Zustand 
unwirksame Reize hinreichen, eine Samenentleerung zu bewirken. Eine 
starke Füllung der Blase, leichtes Pressen beim Stuhlgang, beliebige 
körperliche Anstrengungen, durch chemische Mittel bewirkte Hyperämien 
der Beckenorgane, alles dies ist im Stande, sei es Ejaculation, sei es 
Abtröpfeln des Samens resp. der Hilfssecrete hervorzubriugen. 

Die Behandlung der nervösen Spermatorrhoe ist gewöhnlich nicht 
von glänzendem Erfolge begleitet. Man pflegt ausser den allgemeinen 
Verhaltungsmassregeln, welche wohl als bekannt vorausgesetzt werden 
dürfen, und hydrotherapeutischen Proceduren vorzugsweise folgende Mittel 
zu verordnen: Bromkalium Strychnin und Atropin. Verf. leugnet nicht, 
dass man mit diesen Mitteln Erfolge erzielen kann, jedoch soll man nicht 
vergessen, dass alle drei durchaus nicht indifferenter Natur sind. Das 
Bromkalium, mit dem neuerdings nicht wenig Missbrauch getrieben wird, 
muss in grossen Dosen gegeben werden; dass dieselben auf das Allgemein¬ 
befinden sehr ungünstig einwirken können, ist bekannt, dass sie die ge¬ 
schlechtliche Potenz schwächen, ist wenigstens die Ansicht Vieler. Auch 
das Strychnin ist ein bedenkliches Mittel. Das Atropin endlich, welches 
von Trousseau und neuerdings von Stephanides gegen Sperma- 
torrhoe warm empfohlen worden ist, hat sehr häufig üble Nebenerschei¬ 
nungen zur Folge und wird von vielen Personen überhaupt nicht vertragen. 

Verf. empfiehlt daher aufs Neue angelegentlich die elektrische 
Behandlung der Spermatorrhoe, nachdem er mit derselben mehrere glück¬ 
liche Erfolge erzielt. 

Die Methode der elektrischen Behandlung betreffend, bemerkt Verf., 
dass die äusserliche Application der Pole fast nie genügt, er führt in 
der Regel den einen Pol in Gestalt einer mit Metallknopf versehenen, 
mit Kautschuk überzogenen Sonde in das Rectum 5—6 Ctm. hoch ein 
und setzt den andern auf das Perinäum auf. Dann lässt er einen mässig 
starken, an- und abschwellenden faradischen Strom hindurchgehen, welcher 
keine schmerzhafte Empfindung erregt. Es erscheint zweckmässig, mit 
dieser Application die Galvanisation derart zu verbinden, dass man den 
einen Pol als Kathode im Rectum belässt, den andern mit breiter 
Fläche als Anode stabil auf die Lendenwirbelsäule setzt. Die Dauer der 
ganzen Sitzung beträgt 3—5 Minuten. 

89. Ueber die Flaschenbouillon, ihren diätetischen Werth und 
ihre Verwendung in Krankheiten. Von Dr. J. Uffelmann, Prof, 
der Medicin in Rostock. (Archiv für Kinderhk. I. Bd., 3. Heft.) 

Der Verf. macht von Neuem auf den diätetischen Werth der Flaschen¬ 
bouillon aufmerksam. Dieselbe wird in folgender Weise bereitet: Man 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


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bringt frisches, möglichst entfettetes Rindfleisch oder Kalbfleisch, nachdem 
es in kleine, etwa bohnengrosse Stückchen zerschnitten wurde, zu 250 
bis 500 Gramm, doch ohne jeglichen Zusatz, in eine gereinigte Flasche, 
korkt letztere zu, stellt sie in ein Gefäss mit warmem Wasser, erhitzt 
dieses langsam und hält es 35—45 Minuten hindurch bis nahe zum 
Sieden oder bringt es, wie Andere thun, zuletzt kurze Zeit zum Sieden. 
Nimmt man dann die Flasche wieder heraus, so findet man in ihr eine 
gelbliche oder bräunliche Brühe. Dies ist die sogenannte Flaschenbouillon, 
welche man von dem Fleische einfach abgiesst und ungeseiht verabfolgt. 
Das erzielte Quantum entspricht dem Gewichte nach ungefähr dem dritten 
Theile des in die Flasche gebrachten Fleisches; von 300 Gramm des 
letzteren gewinnt man im Durchschnitt etwa 100—110 Gramm Bouillon. 

Die Reaction der Brühe ist allemal eine schwachsaure, die chemische 
Zusammensetzung im Wesentlichen die einer concentrirten Fleischsuppe. 
Im Speciellen gibt Verf. über die Bestandtheile Folgendes an: Die Rind¬ 
fleisch-Flaschenbouillon, welche ja am meisten Verwendung findet, enthält, 
wie im Mittel aus 10 Untersuchungen ergab, nach Entfernung des Fettes 
in 100 Theilen 7-26 feste Substanz und 92*74 Theile Wasser. Die 
Menge der festen Bestandtheile schwankt jedoch nicht unerheblich nach 
der Beschaffenheit des Fleisches und der langsamen oder raschen Er¬ 
hitzung des Wassers während der Zubereitung. Diejenige Brühe, welche 
Verf. zu seinen Untersuchungen verwandte, war in der Weise gewonnen, 
dass derselbe 35—40 Minuten das Wasser langsam steigend erhitzte und 
es dann etwa 10 Minuten im Sieden erhielt. 

Dampft man 100 Gramm der Flaschenbouillon bis zur Consistenz 
des Liebig’schen Fleischextractes ein, so verbleiben 8*75 Gr. Werden 
diese oder die in ihnen enthaltenen 7*26 Gr. Rückstand eingeäschert, so 
restiren 1*73 Gr. Es sind demnach in 100 Gr. Rindfleisch-Flaschenbouillon 
5 53 organische Stoffe enthalten. Verf. zeigt aber durch fernere Versuche, 
dass diese Bouillon ausser Extractivstoffen und Salzen auch Protöinstoffe 
in nicht unerheblicher Menge enthält. Sie ist daher wertbvoller als ein 
Fleischextract, freilich aber auch weniger haltbar. An warmen Orten 
verdirbt sie schon nach 24—30 Stunden, an kühlen Orten hält sie sich 
meistens 2—3 Tage. Von Wichtigkeit ist, dass sie nichts enthält, was 
nicht leicht und vollständig verdaut werden kann; auch das gewonnene 
Protöin wird, weil es in kleinsten Flöckchen vorhanden ist, rasch pepto- 
nisirt, wie sich das bei künstlicher Verdauung constatiren Hess. 

Die Kalbfleisch-Bouillon weicht von der eben beschriebenen vor 
Allem darin ab, dass sie ungleich reicher an Leimsubstanz ist, was schon 
aus der sehr rasch stattfindenden spontanen Gerinnung hervorgeht. Der 
Gehalt an Protein, zumal an geronnenem, ist dagegen geringer, ebenso 
der an Extractivstoffen und der an Salzen. 

Verfasser empfiehlt die diätetische Verwendung der geschilderten 
Bouillons überall da, wo man Veranlassung hat kräftig anregend zu wirken 
und in mildester Form zu nähren, besonders aber, wo zugleich die Ge¬ 
wissheit vorliegt, dass die Verdauungsorgane zur Zeit nur sehr geringe 
Mengen von Nahrung an- und aufzunehmen vermögen. Eine solche In- 
dic&tion tritt ganz vornehmlich ein bei der acuten Gastroenteritis der 
Kinder des ersten und zweiten Lebensjahres. Selbstverständlich kann die 
Darreichung von Flaschenbouillon nicht alsbald beim Beginn dieser Krank¬ 
heit in Frage kommen. Zeigt sich Brechdurchfall, so lässt man bei künst¬ 
lich ernährten Kindern ja sogleich die bisher gereichte Milch fort und 
gibt eine mit Wasser bereitete Getreidemehlsuppe nebst Eiswasser. Wenn 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


aber auch dann das Erbrechen nicht sistirt, wenn die in kleinen Portionen 
verabfolgte Gries- oder Gerstenschleimsuppe immer oder fast immer wieder 
nach oben entleert wird, was ja gar nicht so selten der Fall ist, dann 
tritt die dringendste Gefahr ein, dass nun in Folge der Nichtaufnahme von 
Emährungsmateriai, in Folge der unablässigen Brechacte und Durchfälle, 
die beide den Organismus ausserordentlich schwächen, in kürzester Frist 
ein adynamischer, paralytischer Zustand sich einstellt. 

In diesen schweren Fällen ist die Rindfleisch-Flaschenbouillon ein 
ganz unschätzbares Mittel, werthvoller als jedes andere Analepticum. Von 
den Kindern ungemein gern genommen, selbst von denen der ersten 
Monate, wirkt sie günstig sowohl auf das Erbrechen, als auf die Durch¬ 
fälle. Letztere werden sparsamer, ersteres hört in der Regel sofort auf. 
Es ist nur nöthig, die Brühe täglich frisch zu bereiten und nicht zu viel 
von ihr auf einmal zu reichen. Kindern unter sechs Monaten gibt man alle 
10—15 Minuten einen grossen Theeiöffel voll, älteren ebenso oft einen 
halben Esslöffel voll; erstere würden im Tage an 200*0, letztere an 350*0 
verbrauchen. Ist zwei Tage hindurch das Erbrechen ausgeblieben, so gibt man 
die Flaschenbouilion in Griessuppe und nach weiteren 24 Stunden Griessuppe 
mit etwas Milch, um ganz allmälig zur reinen Milchkost zurückzukehren. 

Einen Theil der Wirkung möchte der Autor auf den reichen Ge¬ 
halt an Extractivstoffen in dieser das Nervensystem so sehr deprimirenden 
Krankheit beziehen. Dieser Erfolg kommt der Fleischsuppe allein nicht 
zu. Diese müsste in grösserer Menge gegeben werden, weil sie viel 
weniger concentrirt ist, grössere Mengen von Flüssigkeiten werden aber 
in den bösen Fällen von Gastroenteritis nicht vertragen. Verf. hat die 
Flaschenbouillon ferner angewendet bei intensiver Enteritis, besonders der 
eben Entwöhnten, in der Dysenterie der Kinder ist eine Zu¬ 
mischung dieser Bouillon zu Gries- oder Gerstenmehlsuppe von sehr 
grossem Nutzen, ebenso bei Peritonitis, beiTyphlitis, also überall, 
wo man bedacht sein muss, die Kräfte hochzuhalten, aber consistente 
Kost und solche, die viel Faeces macht, nicht reichen darf. Sie vermag 
auf längere Zeit den Organismus nicht zu erhalten, wohl aber kann sie 
in den Tagen bösester Bedrängniss die bedeutsamste Hilfe leisten, um 
so mehr, als kräftiger Wein manchmal, z. B. in Peritonitis, in vielen 
Fällen von Dysenterie, auch von Gastritis, nicht vertragen wird, auch 
nicht immer in guter Qualität zur Hand ist. 

Die Kalbfleisch-Flaschen bouillon ist mehr in chronischen 
Leiden, bei allgemeiner Schwäche des Organismus, besonders aber bei 
Rhachitis als Zusatz zur Milch zu verwenden. Ein 10—12monatliches 
Kind würde im Laufe eines Tages 125 Gr. jener Bouillon (von reichlich 
300 Gr. Fleisch bereitet) erhalten. Loebisch. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 

90. Chirurgische Klinik im k. Juliushospitale zu Würzburg 
vom 15. Juli 1877 bis 28. April 1878. (Beiträge zur praktischen Chirurgie 
von Dr. Riedinger, Docent an der Universität Würzburg. Mit 14 Tafeln. 
Würzburg 1879. 204 S.) 

Nach dem Beispiele von Billroth, Lücke, Thiersch, Volk¬ 
mann u. A. veröffentlicht Verf. einen Bericht über seine zehnmonatliche 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


109 


Thätigkeit an der chirurgischen Klinik im k. Juliushospitale zu Wllrz- 
burg , in welcher Zeit ihm während der Krankheit und nach dem Tode 
des Prof. Linhart die Leitung der chirurgischen Abtheilung als prov. 
Oberarzt übertragen war. Verf. thatdies, um sich selbst über seine Thätig¬ 
keit Rechenschaft zu geben und um das interessante Material nicht un- 
verwerthet liegen zu lassen. 

Dem ofhciellen Theil liess Verf. einige allgemeine Bemerkungen 
vorausgehen. Aus denselben entnehmen wir, dass das Juliushospital über 
300 Jahre besteht, oft geändert wurde theils durch Elementarereignisse, 
theils um Zubauten auszuführen. Die Bauart ist in vielen Beziehungen 
unzweckmässig , die Zimmer liegen gegen Norden, die Heizung geschieht 
durch Eisen- oder Thonöfen, die Ventilation durch Fenster und Thttren. 
Die Zimmer entsprechen auch räumlich nicht der Bettenzahl und den An¬ 
forderungen der Hygiene, da sie stets überfüllt sind. Isolirzimmer sind 
gar keine vorhanden. Dazu kommt noch der Umstand, dass Wttrzburg, 
weil fast von allen Seiten von Bergen umgeben, wenig Ventilation hat, 
daher im Sommer eine drückende, oft hochgradige Hitze mit reichlichem 
Staub, daher die relativ ungünstigen Gesundheitsverhältnisse daselbst bei 
hohem Grundwasser. 

Was die Frequenz der einzelnen Krankheitsformen anbelangt, so 
prävalirten die Gelenkskrankheiten und davon besonders die fungöse 
Entzündungsform, während frische Verletzungen wenig waren, was sich 
aus der geringen Anzahl von Fabriken in Würzburg erklärt. 

Die Wundbehandlung war regelmässig bei Operationswunden die 
antiseptische, welche Nussbaum einen Segen für die allgemeine Salubrität 
der Spitäler nennt, u. zw. in den meisten Fällen die streng Li sterische. 
Verf. hielt sich streng an die Listerische Vorschrift und glaubt, dass 
die antiseptische Methode noch mancher Verbesserung, resp. Vereinfachung 
bedarf, bis sie zur allgemeinen Einführung gelangen kann, denn bis jetzt 
ist sie fast ausschliesslich Eigenthum der Spitalsärzte und Kliniker. Der 
darin Geübte findet sie nicht so umständlich, aber der im alten Princip 
der Wundbehandlung Aufgewachsene scheut sich in der Regel vor ihr. 
Einen Hauptgrund bildet in dieser Hinsicht der Spray, und es ist noch 
fraglich, ob derselbe unbedingt nöthig ist oder nicht. In der Privat¬ 
praxis glaubt Verf., dass man ihn bei den meisten Operationen entbehren 
kann. Ebenso unschlüssig ist man noch über den Procentgehalt der 
Carbolsäure, indem schwächere Lösungen leichter Intoxicationserscheinungen 
hervorrufen sollen als stärkere, weil diese durch die Schorfbildung die 
Aufnahme verhindern. Verf. beobachtete während der ganzen Zeit trotz 
den verschiedensten Procentsätzen keinen Fall von irgend welchem Carbol- 
Vergiftungssgrade. Eine Hauptsache ist gewiss, nur chemisch reine Carbol¬ 
säure anzuwenden. Mit den Verbandmaterialien aus der internationalen 
Verbandstofflfabrik in Schaffhausen und von P. Hartmann in Heidenheim 
war Verf. sehr zufrieden, nur ist der Kostenaufwand in Folge dessen 
ein grösserer. — Das Reinigen des Operationsfeldes, der Hände und 
Instrumente geschah mit 5°/ 0 Carbollösung. Diese Lösung wurde auch 
zum Spray verwendet. Alle Unterbindungen wurden mit Catgut gemacht. 

Eine besondere Aufmerksamkeit wurde der Blutstillung gewidmet — 
keine Wunde wurde früher vereinigt, als bis die Blutung vollkommen 
stand. Wurde Esmarch’s Schlauch bei Amputationen angewendet, so 
wurde der Inductionsstrom zur Stillung besonders parenchymatöser Blutungen 
benützt und in beiden Fällen ein recht günstiges Resultat erzielt, besonders 
bei Oberschenkel-Amputationen. Die beiden mit gut carbolisirten Sehwäm- 


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Medicinisch-chirargische Randschaa. 


men versehenen Pole wurden in der Regel auf die Amputationswunde 
aufgesetzt, in seltenen Fällen der eine auf eine centralere Partie. Dies 
geschah stets vor Abnahme des elastischen Schlauches. Die Contraction 
war eine ausgiebige. Die erste Reizung dauerte 1—2 Minuten, die anderen 
schwächer und kürzer. Spritzten nach Entfernung der Pole noch Gefässe 
grösseren Calibers, so wurden sie sofort unterbunden, denn nur für die 
eigentliche parenchymatöse und capilläre Blutung ist der elektrische Strom 
definitiv wirksam. Ohne dieses Verfahren kann man wohl auch zum 
Ziele gelangen, aber für manchen Patienten ist die Erhaltung selbst des 
kleinsten Blutquantums von grösstem Werth. 

Blutungen aus Knochen wurden mit der Catguttamponade gestillt, 
und leistete besonders bei Resectionen vorzügliche Dienste, wo die profuse 
Blutung aus dem Epiphysengewebe schwer zu stillen war. Selbst Blutungen 
aus dem Knochenmarke konnten bequem mit Catgut tamponirt werden. 

Die Drainagen bestanden aus vulcanisirtem Kautschuk, bisweilen 
aus Catgutfäden, der typische Verband aus Protective Gaze und Macintosh. 
Doch wurde dieser manchmal modificirt und statt Macintosh Salicyl- 
Watte oder Jute gebraucht, Salicyl- oder Thymollösungen wurden nicht 
gebraucht. 

Mit dem Wechseln der Verbände wurde nicht gespart. Der Liste r sehe 
Verband wurde in der Regel bis gegen Schluss der Vernarbung beibehalten, 
von da ab wurde er häufig durch einen feucht-warmen Umschlag ersetzt, 
der immer vorzügliche Dienste leistete. Dies geschah deshalb, weil der 
typische Verband auf Granulationen, die frei zu Tage lagen, keinen 
guten Einfluss hatte, oft eine Art Belag hervorrief und die endliche Be- 
narbung verzögerte. Aetzung mit Lapis und später feucht-warme Um¬ 
schläge führten rasch zur vollständigen Benarbung. 

In manchen Fällen wurde die alte Kern’sche Behandlung mit 
Modificationen in Anwendung gebracht, besonders in Fällen von acuter 
profuser Eiterung oder wo man auf recht baldige Abstossung gangränesei- 
render Gewebspartien rechnete oder wo die Liste r sche Methode nicht 
streng durchführbar war. Der Erfolg war ein zufriedenstellender besonders 
bei Hemiotomien. 

Die Resultate im Allgemeinen waren vollkommen zufriedenstellend, 
denn von sämmtlichen 847 Kranken starben 27 (3*02 °/ 0 ) und von 
65 grösseren Operationen und 9 complicirten Fracturen, also 74 be¬ 
deutenden Verletzungen, sind 8 gestorben (10*8°/ 0 ), u. zw. 2 an Tetanus, 
2 an Septicämie und 1 au allgemeiner Tuberculose, 1 an Carcinose, 

1 an Sarcommetastasen und 1 an puerperal-septischer Gonitis. — Die 6 
Todesfälle in Folge accidenteller Wundkrankheiten sind alle streng nach 
Lister verbunden worden. — Die grösseren Operationen sind: 27 Am¬ 
putationen des Unter- und Oberschenkels, des Vorder- und Oberarmes, 

2 Exarticulationen der Hand, 8 Resectionen des Knie- und Ellbogen¬ 
gelenkes, sowie des Ober- und Unterkiefers, 2 Operationen nach Ogston, 

2 Sequestrotomien, 1 Exstirpation des luxirten Talus, 3 Amputationen 
der Mamma, 6 Exstirpationen grösserer Tumoren, 2 Ligaturen der Radialis, 

3 Herniotomien, 1 Urethrotomia externa, 2 Radicaloperationen der 
Hydrocele und 5 Punctionen und Ausspülungen des Kniegelenkes. 

Durch die Einführung der antiseptischen Cautelen ist die Thatsache 
nicht zu leugnen, dass die Verbesserung in den Spitälern durch Zahlen 
nachweisbar ist, was Verf. um so ruhiger sagen kann, als er die traurige 
Zeit der Pyämie-Epidemien als langjähriger Assistent selbst durchlebt hat. 
Durch Vergleich der Pyämie- und Septicämiefälle der Würzburger chirur- 


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Medici nisch-chirurgische Rundschau. 


111 


gischen Klinik von früher lind jetzt kommt Yerf. zum Schlüsse, dass 
sich die Verhältnisse in dieser Richtung bedeutend gebessert haben, dass 
sich der allgemeine Krankenstand nicht allein gehoben, sondern weit mehr 
und eingreifendere Operationen gemacht wurden als früher. In früheren 
Zeiten waren in Ubergrossen Anstalten Pyämie und Septicämie an der 
Tagesordnung und der alte v. T e x t o r bemerkt hiezu : „Es gibt Jahr¬ 
gänge, in denen man sozusagen alle Operirte verliert, und andere, in 
denen man alle rettet“, und nimmt mit aller Bestimmtheit eine sogenannte 
Constitntio annua an. Seit Einführung der antiseptischen Wundbehandlungs¬ 
weise ist dies um Vieles besser geworden. 

Eine ganz besondere Erfahrung machte Verf. bei der Liste r sehen 
Wundbehandlung, dass derjenige, der sich einmal mit ihr vertraut gemacht 
hat, sie nicht mehr aufgibt, obwohl man sagen darf, dass die meisten 
sich voll Misstrauen an sie gemacht haben. Ausserdem steht fest, dass 
man auch in schlechten Spitälern gute Resultate damit erzielen kann. 
Hierin liegt ein sprechender Beweis für den Nutzen des Verfahrens. 

Im speciellen Theile sind die verschiedenen Affectionen nach dem 
Schema der Körperregionen gemacht worden, um eine bessere Uebersicht 
zu gewinnen. 

Am Kopfe fallen auf die Schädelgegend 25 Fälle, davon 18 mit 
Verletzungen der Weichtheile und der Knochen; 5 Fälle von Otitis externa, 
im Gesichte waren 7 Verletzungen, 24 entzündliche Processe (12 Fälle 
von Parulis), 14 Neubildungen, 2 Nasenpolypen, 2 Hasenscharten und 
3 erworbene Missbildungen; — Erkrankungen des Auges waren 38, 
darunter 3 Verletzungen, die übrigen streng oculistische Fälle. 

Auf den Hals entfallen 16 Fälle, darunter 6 scrophulöse Lymph- 
drüsenanschwellungen, 2 Phlegmonen , 1 Angina Ludovic., 1 Furunkel 
am Nacken, 2 Strumen, 2 Tonsillarhypertrophieen, 1 Fall von Carcinoma 
colli, welches wiederholt mit einem feinen Troicart des Dieulafoi’schen 
oder mit dem Potain’schen Apparate punctirt wurde. Nach 3 Wochen 
exitus letalis. Bei der Section fanden sich krebsartige Massen in der 
Vena cava superior. 2 Tracheotomien bei Diphtheritis, beide mit letalem 
Ausgange. 

Mit Erkrankungen der Brust waren 17 Fälle; u. zw. 8 Ver¬ 
letzungen (Contusionen, Fracturen, Stichwunden), 3 entzündliche Processe, 
6 Carcinome der Mamma (3 Fälle wurden operirt, 2 geheilt, 1 starb). 

Erkrankungen des Rückens und der Wirbelsäule sind 21 
Fälle verzeichnet, darunter 7 Verletzungen leichten Grades, 6 entzünd¬ 
liche Processe, 6 Kyphosen, 1 Rheumatismus der Rückenmuskulatur, 
1 Lipom (Exstirpations-Verband nach Lister, am 6. Tage diffuses 
Erythem am Rücken, welches Anfangs für Erysipel gehalten wurde, sich 
aber als Scarlatina gestaltete). 

Erkrankungen des B e c k e n s sind 5 verzeichnet, darunter eine Frac- 
tur des Sitzbeins, Zerreissung mit der Harnröhre und Urinverhaltung in Folge 
Verletzung durch den Cylinder einer Locomotive beim Verschieben der¬ 
selben. Aus der Harnröhre floss Blut ab, Catheterismus unmöglich. Aeussere 
Urethrotomie, Pars subpubica vollständig durchgerissen und zerfetzt, Fractur 
am aufsteigenden Sitz- und absteigenden Schambeinaste etwa an der Ver¬ 
bindungsstelle beider, Diastase der Fracturenden, arterielle Blutung aus 
der Tiefe, Tamponade, Katheterismus möglich, Drainage nach der Fractur- 
stelle zu, modificirter antiseptischer Verband, Katheter bleibt liegen. 
Heilung. — Entzündliche Processe waren 3, Neubildungen 1, nämlich 
ein Fibrom, welches von der Crista ossis ilei ausging und die Grösse 


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Medicinisch-chirurgißche Rundschau. 


einer kräftigen Faust erreichte. Exstirpation in tiefer Chloroformnarkose 
und unter Anwendung aller Lister’sehen Cautelen. Der Tumor sass am 
festesten an der Spina ant. sup. oss. ilei auf, von der eine oberflächliche 
Schicht mit entfernt wurde. Drainagirung, Vereinigung durch Knopfnähte. 
Heilung. 

Auf Unterleib uud Rectum entfallen 31 Fälle, darunter 5 
Verletzungen (eine Verletzung des Rectums durch Eindringen eines eiser¬ 
nen Stabes und Bildung einer künstlichen Rectalfistel, Heilung;, 3 ent¬ 
zündliche Proecsse, 13 Hernien, u. zw. 3 Femoralhernien bei Frauen, 
10 Inguinalhernien , 6 waren incarcerirt, von diesen wurden 2 reponirt, 
bei 4 Patienten wurde die Herniotomie vollzogen. Von den 11 Hernioto 
mien endete keiner letal, bei 2 wurde die antiseptische, bei allen übrigen 
die K e r n’sche Methode angewendet. Ein Fall von Herniotomie bietet 
besonderes Interesse. Eine Inguinalhernie incarcerirte sich, wurde reponirt, 
Pat. stand sofort auf, zweite Incarceration, Reposition unmöglich. Scrotum 
ödematös, an manchen Stellen schwarzblau. Darm miss&rbig, an der 
äussem Wand 2 grössere Perforationen, Abtragen der gangränösen Stellen 
mit Hohlscheere, Darmnaht mit Catgut, die serösen Ränder wurden in 
innigen Contact gebracht, ohne umgeschlagen zu werden. Reposition, 
Drainage, Li st er ohne Spray. Heilung der Darmwunde per primam, 
was Verf. nur den antiseptischen Cautelen und dem Catgut zuschreibt. 
Verf. legt grosses Gewicht auf höhere Temperatur des Operationslocales, 
nicht lange Entblössung des Unterleibes und Darmes, warme Tücher nach 
der Operation. — Ein seltener, interessanter Fall von Anus praeter¬ 
naturalis nach einer eingeklemmten Femoralhernie, wo das centrale und 
periphere Darmstück prolabirte. Es wurde nämlich bei Einklemmung der 
Hernie die Herniotomie gemacht, Heilung, später abermalige Incarceration, 
Reposition. Doch wurde die Haut über der Hernie gangränös und bei 
Abtragung derselben fand man den Darm ebenfalls brandig perforirt so¬ 
wie an der Bruchpforte adhärent. Der vorliegende Netztheil wurde ab¬ 
gebunden , fiel in wenigen Tagen ab, completer Anus praeternaturalis. 
Der vorliegende wurmformige Darmtheil, der blos rechterseits eine 
OefFnung zeigte, aus der sich Fäcalmassen entleerten, wurde von Verf. abge¬ 
tragen , nachdem vorher das Dannstück durch Klammern, ähnlich der 
Dupuytren’schen comprimirt wurde, um eine Verklebung der beiden 
Darmwandungen durch Druck hervorzubringen. Exitus letalis. Bei der 
Section zeigte es sich, dass das centrale und periphere Darmstück prola- 
birt gewesen war. Im Laufe der Zeit war nicht nur das Lumen obliterirt, 
sondern es waren auch beide Darm schlingen vor der Bruchpforte mit 
einander an den gegenüberliegenden Flächen verwachsen, was man jetzt 
deutlich erkennen konnte. — Fissuren am Anus waren 2, Mastdarmfistel 1, 
Carcinoma recti 1, Hämorrhoidalknoten 1, Ascites 1, Ovarialcysten 2, und 
ein sehr grosses ulcerirtes Sarkom in der Mitte des Abdomens. Abtragung 
nach Compression mit der Dupuy tren’schen Scheere, mit dem Thermo- 
eauter. Die Bauchdecken waren in den Tumor übergegangeu und dieser 
ging bis an die fascia transversa. Heilung. 

Erkrankungen derHarn-und Geschlechtsorgane, Syphilis 
wurden 61 notirt. Von diesen entfielen auf venerische und constitutionelle 
Erkrankungen 51 Fälle, Hydrocelen wurden 4 operirt und ein Sarkom 
des Hodens exstirpirt; Abscesse und Fluor albus bei Weibern 6 Fälle. 

Auf constitutionelle Affectionen, mit Ausschluss der 
Syphilis, und Verschiedene entfallen 35 Fälle, hievon waren 11 
allgemeine Scrophulosen, 23 mit verschiedenen Leiden behaftet, 1 Fall 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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von Kohlenoxydvergiftung durch Ausströmen von Gas mit nachfolgender 
Transfusion mit dem Kugel-Ventil-Apparat von Co 11 in & Co. und 
letalem Aasgange. Der sehr sinnreich erdachte Apparat ist unzweck¬ 
mässig, weil die Kugel durch das Blut klebrig wird und hängen bleibt 

Obere Extremitäten. Unter den Verletzungen waren 21 Frac- 
turen, darunter 13 Fracturen des Radius, 2 beider Vorderarmknochen, 

1 des Proc. cor. ul., 2 des Coli, humeri, 1 des Condyl. int. humeri, 

2 der Diaphyse des Humerus. Die Behandlung bestand in Anlegung von 
dorsalen und volaren, gut gepolsterten Holzschienen, frühzeitige Be¬ 
wegungen, protrahirte Bäder. Luxationen kamen 6 zur Behandlung, 
zumeist im Schultergelenk, Verbrennungen 8, Erfrierungen 3, 
Contusionen 8, Distorsionen 1, Excoriationen 5, Wunden 
41 Fälle. Von letzteren waren 23 Quetschwunden, 1 Schussverletzung und 
7 Verletzungen des Handrückens. Verwundungen des Vorderarmes kamen 
6 zur Behandlung, darunter erwähnenswerth eine Schnittwunde an der 
Volarfläche des Vorderarmes, drei fingerbreit oberhalb des Handgelenkes. 
Ligatur der Radialis. Ferner eine Maschinenverletzung des linken Vor¬ 
derarmes, Amputation des Oberarmes. 

Panaritien kamen 49mal vor. Therapie: Incisionen, feucht¬ 
warme Umschläge etc., nur beim Panaritium furunculare und carbunculare 
werden die Incisionen vermieden. Es wird fleissig kataplasmirt, worauf 
sich der nekrotische Bindegewebspropf ausstösst und Heilung erfolgt. Die 
Narbe zieht sehr zusammen und stört später fast gar nicht, während eine 
Schnittnarbe für das feinere Gefühl sehr hinderlich wird. Phlegmonen 
wurden 5, Abscesse am Oberarme und in der Achselhöhle 5, Lymphan- 
goitis 1, Sehnenscheidenentzündungen 2, Furunkel am 
Oberarme 1, Geschwüre und Bursitis je 1 behandelt. — Von 
Knochenaffectionen kamen 4 Fälle von Caries und Nekrose vor. 
Bei einem Falle von Caries fungosa oss. metacarp. man. dextr. nach einem 
Trauma wurde die Exarticulation im Handgelenke vorgenommen mit 
Bildung eines längeren dorsalen und eines kürzeren volaren Lappens 
unter E s m a r c h’scher Constriction und Beobachtung der Liste r sehen 
Cautelen. Gelenkleiden wurden lOmal beobachtet, darunter 5 fungöse 
Ellbogengelenksentzündungen mit Resection des Ellenbogens, bei sämmtlichen 
Heilung, nur ein Pat. starb nach Verheilung der Resection an Meningitis 
tu bereu] osa basilaris, wahrscheinlich in Folge tuberculöser Entartung einer 
hypertrophischen Thränendrttse. Neubildungen kamen 3mal vor. 

Untere Extremitäten. Den weitaus grössten Theil der Be¬ 
obachtungen bieten die unteren Extremitäten und demgemäss prävaliren 
numerisch auch die Operationen. Fracturen kamen 32mal vor, darunter 
21 subcutane, 11 complicirte, einer starb an Decubitus. Fracturen des 
Schenkelhalses waren 6 in Behandlung, des Oberschenkels in der Diaphyse 
ebenfalls 6, letztere wurden auf das Planum bisinclinatum gelegt und 
mit einem Papp-Watteverband versehen. Fracturen des Unterschenkels 
kamen im Ganzen 19 vor, u. zw.: 6 subcutane, 10 complicirte und 3 des 
Malleolus extemus. Therapie: Papp-Watteverband. Von den complicirten 
Fracturen mussten 2 primär amputirt werden wegen ausgebreiteter 
Splitterung; die anderen 8 wurden conservativ behandelt und zwar alle 
unter den antiseptischen Vorschriften. Sämmtliche gelangten zur Heilung. 
Luxationen wurden 2 beobachtet, u. zw. eine Luxatio tali mit Ex¬ 
stirpation desselben und eine Luxatio iliaca. Reposition. Verbrennun¬ 
gen wurden 11, Erfrierungen 6 behandelt. Gegen Pernionen em¬ 
pfiehlt Verf. folgendes Mittel: Liquor plumb. acet. y Spir. camphor . aa. 


Med.-cbir. Rundschau. 1880 . 


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Medicinisch-chiriirgische Rundschau, 


15 m 0, Timt. op. spl . 5'0, Aq. destül. 150‘0. M. D. S. Zu warmen Um¬ 
schlägen. Ueber den Umschlag kommt Guttaperchapapier. Man macht die 
Umschläge so lange, bis die Pemionen völlig verschwunden sind. Zwei 
schwere Fälle von Erfrierungen sind: 1 Frostgangrän beider Fflsse, 
doppelseitige Exarticulation nach Lisfranc, Lister. Heilung; 

1 Gangrän und Erysipel des Fusses, Amputatio cruris nach P i r o g o f f, 
Lister, Septikämie, Tod. Distorsionen kamen 14 Fälle, Contu- 
sionen 16, Excoriat ionen 37, Oedeme localer Natur 13, Do¬ 
lores vagi 3, Eczema cruris 2 Fälle in Behandlung. Fremd¬ 
körper (Nadel) wurde 1 extrahirt. 

Bei Extraction von Fremdkörpern empfiehlt Yerf. die künstliche 
Blutleere als ein unschätzbares Mittel. Wunden wurden 16 behandelt, 
danmter eine Conquassatio pedis durch Auffallen eines schweren Steines 
auf den Fussrücken, Amputatio cruris, Trismus und Tetanus, Tod. Tetanus 
wurde mit Morphium- und Calabarinjectionen behandelt. Von den ent¬ 
zündlichen Processen waren 7 Abscesse, darunter ein aus¬ 
gedehnter Abscess am rechten und linken Oberschenkel nach Typhus, 

1 Phlegmone traumatischer Natur, 5 Lymphadenitiden, 4 Erysipele, 
welche von aussen in das Spital kamen. Bei 2 Fällen waren die 2°/ 0 
Carbolinjectionen von auffallendem Erfolge. Dieselben wurden in der 
ganzen Umgebung der Erysipelgrenzen gemacht. Ulcera cruris waren 
63 in Behandlung. Die Therapie bestand in Bädern, feuchtwarmen Um¬ 
schlägen, Hochlagerung, später Aetzungen, hartnäckige Wälle wurden mit 
der Hohlscheere oder mit dem Tbermocauter abgetragen. Heilung bei sämmt- 
lichen Fällen. Von einem Schwarzen, Namens Abdallah Said, mit trau¬ 
matischen Ulcera cruris wurden Transplantationsversuche gemacht u. zw. 
sowohl von ihm auf Weisse, als umgekehrt. Beim Schwarzen hielten sich 
die weissen Hautsttickchen eine Zeitlang, wurden aber dann bläulich und 
schliesslich schwarz, ebenso schwand die Farbe der schwarzen Hautstück¬ 
chen auf Weisse übertragen, doch behielten die Stellen einen dunkleren 
Anstrich; Ulcus varicosum circulare cruris sinistri, Amputatio cruris, 
Septicämie, Tod. — Von Bursitis praepatellaris kamen 8 
Fälle, Furunkel 2 vor. Gangraena senilis wurde 3mal be¬ 
obachtet. Bei einem Falle begann der Brand nicht an den Zehen, sondern 
im unteren Drittel des Unterschenkels, welches bei der Aufnahme von 
jeglicher Weichtheilbekleidung vollständig entblösst und das Periost und 
Zwischenknochenband verschwunden war. Der Fuss besitzt von den 
Maleolen ab noch seine Weichtheile, doch ist die Haut dunkelblau 
und schwarz, gefühllos. Nach Abstossung gangränöser Partien wurden die 
freiliegenden Unterschenkelknochen durchsägt, das Knochenmark mit dem 
Thermocauter geätzt. Die Blutung aus dem Knochen wird durch Ein¬ 
schieben kleiner Catgutstückchen in die Lumina der Knochenge&sse ge¬ 
stillt; feuchte Wärme, protrahirte Carboisäurebäder. Nach 6 Wochen 
Reamputation der beiden hervorstehenden Knochenstücke, wobei Weich¬ 
theile und Periost möglichst weit hinaufgeschoben wurden. Knochenmark 
zeigte sich vollständig gesund. Feuchtwarme Umschläge, warme Carbol- 
bäder, Heilung. Verf. machte die typische Amputation deshalb nicht, weil 
bekanntlich oft Gangrän des Amputationstumpfes sofort eintritt und weiter 
schreitet, nachdem sie sich vorher schon begrenzt hatte. — Knochen- 
affectionen wurden 6 behandelt, darunter 4 Nekrosen. Necrosis 
tibiae, Sequestrotomie, Amputatio femoris wegen hoher Temperaturen 
und profuser Eiterung. Heilung. Bei 2 Fällen von Ostitis wurde die 
Ignipunctur mit gutem Erfolge gemacht. 


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.Medicinisch-chirurgische Randscbaü. 


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Au Difformitäte n wurden beobachtet dreimal Pes varus, zweimal 
Pes planus und zweimal Genu valgum. Ein Fall von Pes varus betraf 
ein älteres Individuum und musste wegen Garies die Amputation nach 
Sy me gemacht werden, nachdem vorher die Pirogoff’sche Operation 
versucht wurde, jedoch wegen ungünstiger Verhältnisse (Erweichung des 
hinteren Fortsatzes des Calcaneus) in die S v m e’sche verwandelt wurde. 

Bei zwei Fällen von Genu valgum wurde die Operation nach 0 g s t o n 
gemacht mit äusserst günstigem Resultate. Verf. meint, dass die Vor¬ 
würfe, die man dieser Operation macht, zumeist nur auf theoretischeu 
Auseinandersetzungen beruhen. Sollten die Befürchtungen, dass aus derselben 
eine Arthritis deformans oder dergl. -resultire, sich bewahrheiten, so wilre 
Verf., der einer der Ersten war, der die Operation gemacht hat, einer 
der Ersten, der sie aufgibt. Unguis incarnatus kam zweimal in 
Behandlung, einmal wurde die Radicaloperation mit sehr gutem Erfolge 
vollzogen. Von Gelenkteiden kamen 10 Coxitiden in Behandlung, 
einer starb au Marasmus, bei zwei war früher Resectio coxae ausgeführt 
worden, die übrigen wurden in permanenter Extension behandelt. — Von 
den 35 Fällen vonGonitiden waren 10 Fälle Gonitis serosa, 8 Gonitis 
purulenta, 15 Gonitis fungosa und 2 Haemarthron genu. Therapie: Ruhe, 
Jod, Compression, zweimal Aspiration mit dem Apparate von Dienlafoy, 
bei 2 Fällen von Gonitis sero-iibrinosa chronica und 1 Falle von Haemar- 
thron genu wurde unter Lister die Punction mit nachfolgender Aus¬ 
waschung von 3°/ 0 Carbollösung (6000—1000 Grm.) nach Schede mit 
sehr gutem Erfolge gemacht. 

Nach der Ausspülung kommt im Anfänge eine nicht unbeträchtliche 
Steifigkeit des Gelenkes zu Stande, welche sich jedoch leicht durch 
active und passive Bewegungen reduciren lässt. Vielleicht tritt eine starke 
Schrumpfung der Synovialmembran durch die Berührung mit der Carbol- 
säure ein. Recidiven scheinen nicht so leicht vorzukommen. — Bei Gonitis 
purulenta gestalten sich die Erfolge weniger günstig. Von den behandelten 
Fällen dieser Art war eine Gonitis suppurativa puerperalis (metastatica), 
Punction, Ausspülung, Drainage, Septicämie, Tod; — Gonitis suppurativa 
Drainage, Amputatio femoris wegen profuser Eiterung, Oedem und hoher 
Temperatur, Heilung; — Gonitis suppurativa, Ancbylosis, Brisement 
forc6 mit geringem Erfolge und heftiger Reaction, Amputatio femoris 
auf eigenes Verlangen, Lister, Heilung; — Gonitis fungosa, Amputatio 
femoris wegen starker Destruction im Gelenke und heftiger Schmerzen, 
Lister, Tetanus am 18. Tage bei fast völlig verheiltem Stumpfe, Tod 
trotz Freilegung des N. ischiadicus. Vielleicht hätte hier die Nervendehnung 
einen Erfolg gehabt; — Gonitis fungosa, Amputatio femoris, Lister, 
Heilung; — Scrophulose, Coxitis sinistr., Tumor albus genu dextr., 
Amputatio femoris, Lister, Heilung; — Gonitis fungosa, Resectio 
genn, Amputatio femoris, Lister, Heilung; — Gonitis fungosa, Amputatio 
femoris, Lister, Heilung; — Gonitis fungosa, Resectio genu, Lister, 
Heilung. 

Die entzündlichen Processe am Fuss und im Tibio- 
taraal-Gelenke belaufen sich auf 16 Fälle, 8 wurden operirt. 
Tumor albus articulationis pedis dextr., Garies Amputatio cruris, Lister, 
Heilung; — eitrig-fungöse Fussgelenkentzündung, Caries des Kahn- und 
Fersenbeines, Amputation des Unterschenkels, Lister, Heilung; — Syno- 
vitis granulosa articulationis tibio-tars., Caries, Lues congenita, Scrophulose, 
Amputatio cruris, Lister, Tod an Tuberculose; — Caries sämmt- 
licher Fusswurzelknochen, Amputation nach S y m e, nachdem die 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


versuchte Pirogo ff’sche Operation durch eine centrale Erkrankung des ^ 
Fersenbeines nicht ausführbar war, Li st er, Heilung, Coxitis-sacroiliaca, 
Senkungsabscess am linken Oberschenkel, Entzündung des Schultergelenkes, 
(in späterer Zeit Tod an Tuberculose); — Caries des Würfel-, Kahn- und 
Fersenbeines, Operation nach Pirogoff, List er, Heilung; — Caries 
necrotica der Metatarsal- und Tarsalknochen, Amputation nach Pirogoff, 
Gangrän, Amputation des Unterschenkels, Li st er, Heilung; — Nekrose 
des Calcaneus, Sequestrotomie, Li st er, Gangraena nosocomialis, Aetzungen 
mit dem Thermocauter, Bepinselungen mit Chlorzinklösung, Heilung. Neu¬ 
bildungen sind nur 3 verzeichnet n. zw. 1 Epethelial-Carcinom am 
Unterschenkel und eines auf der Patellargegend, 1 Osteosarcoma femoris, 
Incision, Amputatio femoris, Lister, Tod an Sarcommetastasen in der 
Lunge. 

Am Schlüsse des Buches ist noch eine Uebersichtstabelle über 
sämmtliche 91 Operationen. 

Das Werk ist eine sehr werthvolle, gewissenhafte Arbeit und ist 
besonders des Verfassers unumwundene Aufrichtigkeit lobend hervorzu¬ 
heben; erhielt sich getreu an C. von Textor’s Motto: „Dem redlichen 
Streben »kann die Wahrheit nicht entgehen“, das an die Spitze des Werkes 
gesetzt wurde. Es bietet des Interessanten und Lehrreichen so viel, dass 
wir uns begnügen mussten, die zahlreichen Operationsfälle nur auszugs¬ 
weise zu erwähnen, und verweisen den Leser auf das Werk selbst. Die 
Ausstattung desselben ist, was Papier und Druck anlangt, mustergiltig, 
die lithographischen Abbildungen künstlerisch und naturgetreu. Wir kön¬ 
nen dem Verfasser zu diesem seinem gediegenen Werk nur gratuliren. 

Lobmayer, Agram. 

91. Die Tuberculose der Gelenke. (Fungöse Gelenkentzündung, 
granulirende Gelenkentzündung, Tumor albus der Gelenke.) Mit 2 Tafeln. 
Von Prof. König. (Deutsche Zeitschr. f. Chir. v. C. Hüter u. A. Lücke. 
XI. Band. 5. und 6. Heft.) 

Der gegenwärtig stets mehr Fuss fassenden Anschauung, dass die 
granulirende Entzündung der Gelenke (Tumor alb. artic.) als locale 
Tuberculose aufzufassen sei (Köster, Friedländer), musste, 
bemerkt Verf., nothwendig ein Umschwung in den Ansichten über 
die klinische Bedeutung obiger Erkrankung folgen. Verf. will den 
gegenwärtigen Stand der Lehre vom Gelenkfungus in der uns vor¬ 
liegenden Arbeit darlegen. 

Um die Wahrheit des Satzes: „es seien in allen fungös erkrankten 
Gelenken Tuberkel nachweisbar“, an einer genügenden Zahl von Fällen 
festzustellen, hat Verf. 72 in der Göttinger Sammlung befindliche 
Gelenke (meist Resectionspräparate) untersucht und die Befunde aus¬ 
führlich in seiner obigen Arbeit beschrieben (siehe das Original). 

Verf. hat an den 72 Präparaten 6 7 mal zahlreiche Tuberkel nach¬ 
gewiesen. Es sei wohl zu beachten, dass die Granulationen, welche 
nach acuter Osteomyelitis um den Sequester entstehen, u. a. dgl., gar 
keine Aehnlichkeit mit jenen fungösen Gelenkentzündungen haben (wie 
nämlich von manchen pathol. Anatomen behauptet worden war). Dass 
aber in gewissen chronischen Geschwürsformen (wie bei Fistula ani) Tu¬ 
berkel Vorkommen, könne nicht überraschen, da diese Geschwürsformen 
eben tuberculöser Natur seien. 

Das Detail der Bemerkungen des Verf.’s über die Structur des 
T u b e r k e 1 g e w e b e s der Gelenke siehe im Original. Hier sei nur das 


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Medicinisch-cMrurgische Rundschau. 


117 


Wichtigste davon angeführt: Die meist kugeligen Tuberkelknötchen seien 
bald noch makroskopisch (stecknadelkopfgross), bald nur mehr mikro¬ 
skopisch nachweisbar: das Knötchen bestehe aus platten, epitheloiden 
Zellen in reticul&rem Gewebe, darin meist eine oder mehrere Riesenzellen; 
daneben kämen auch Rundzellen-Tuberkelformen zur Beobachtung. Charak¬ 
teristisch sei die Tendenz zum Zerfall, die die Knötchen haben. 
Stellenweise scheine das Tuberkelgewebe wie angefüllt mit Mikro-Or¬ 
ganismen. 

Das topographische Vorkommen der Gelenktuberculose 
anlangend, sei hervorzuheben, dass sich das tuberculöse Gewebe am 
sichersten in den Herderkrankungen der Knochenenden an¬ 
treffen lasse (ostale Form des Fungus); viel seltener finde sich primäre 
Tuberculöse der Synovialis (synoviale Form des Fungus). 

Die Knochenprocesse treten in zwei anatomisch wesentlich 
verschiedenen Formen auf. Die häufigere Form bestehe darin, dass der 
Knochen an circumscripter Stelle schwinde und an dieser 
Stelle durch eine zum Verkäsen neigende Granulation ersetzt werde. 

Die zweite Form ist die, wobei sich ein eigentlich tuberculöser 
Sequester bildet. Von diesen beiden Bildungen aus verbreitet sich 
die Tuberculöse nach Durchbruch der Herde auf die Synovialis der 
Gelenke. 

Der so entstehende Gelenkfungus sei also anatomisch zu be¬ 
zeichnen als Tuberculöse des Gelenkes. 

Verf. geht nun daran, nachzuweisen, dass diese Gelenktuberculose 
auch in den klinischen (sowohl localen als auch allgemeinen) 
Erscheinungen, vollständig denen gleiche, wie sie der als Tuberculöse 
in anderen Organen allgemein geltenden Krankheit eigentümlich sind. 

Indem wir bezüglich des Details dieser Erörterungen und der mit- 
angeführten Krankengeschichten auf das Original verweisen, sei hn 
Resum& hervorgehoben, dass folgende Momente das klinische Bild der 
Gelenk-Tuberculose kennzeichnen : Käsiger Zerfall der tuberculösen Gra¬ 
nulation , die Neigung zum Weiterwandern des Processes in den Binde- 
gewebsbahnen , Perforation der Hautbildung tuberculöser Hautgeschwüre 
und Fisteln, die Dauerhaftigkeit der krankhaften Vorgänge und der 
Widerstand gegen die meisten Heilmittel. 

Schliesslich zeigt der Ausgang mancher Fälle (siehe im Original), 
dass der ganze Process wirklich als locale Tuberculöse zu betrachten 
sei. Es sei nämlich in jenen Fällen von Gelenkfungus allgemeine 
Miliartuberculose aufgetreten, wobei der klinische Verlauf der 
Krankheit bestimmt darauf hinwies, dass die Infection nur auf 
das erkrankte Gelenk zurückzuführen sei, und die Section 
die Anwesenheit jedes sonstigen Infectionsherdes herausstellte. 

Verf. hat weiters noch durch Versuche an Thieren nachzuweisen 
gesucht, dass die Producte der Gelenktuberculose geeignet seien, eine 
Infection herbeizuführen. Die Versuche zeigten, wie Verf. hervorhebt, 
dass die Krankheitsproducte der granulirenden Gelenk¬ 
entzündung, auf das Kaninchen übertragen, locale und allge¬ 
meine Tuberculöse in völlig typischer Form hervor- 
znrufen im Stande seien. 

Die oben erörterte Ansicht als richtig vorausgesetzt, müsse auch 
die Aetiologie der Gelenktuberculose mit der Aetiologie der Tuberculöse 
im allgemeinen völlig zusammenfallen. Verf. legt dar, wie sich eine 
grosse Zahl von Gelenktuberculosen entwickle unter dem Einflüsse einer 

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Mediciöisch-chirurgiscbe Rundschau, 


u $ 

besonderen ererbten oder erworbenen Prädisposition (dabei auch häufig 
Trauma), aber auch wieder ohne diese (und ohne dass ein Trauma ein¬ 
gewirkt hätte); dass sie häufiger die armen Classen treffe, aber auch 
die Reichen nicht schone; ganz so wie bei der Tuberculose im All¬ 
gemeinen. Verf. bekennt sich zur Ansicht jener; welche die Tuberculose 
für eine Infectionskrankheit halten, und meint, dass es sich wohl um 
ein Fäulnissferment handeln dürfte, welches als inficirendes Agens in 
Rücksicht auf das oben Gesagte eine sehr weite Verbreitung haben 
müsse. 

Demgemäss sieht Verf. schliesslich in den von Carl Hüter ange¬ 
bahnten Versuchen, die tuberculos erkrankten Gewebe mit medica- 
mentösen Injectionen (Carbolsäure) zu behandeln, einen wesent¬ 
lichen Fortschritt in der Therapie der Erkrankungen, wodurch in Hin¬ 
kunft die Anwendung der operativen Mittel stets mehr und mehr beschränkt 
werden würde. Fr. Steiner (Marburg). 

92. Ueber die Leistungsfähigkeit der einzelnen antiseptischen 
Verbände. Von Pr. Dr. A. Bardeleben. (Aus dem I. Bd. der 8, 
Auflage von des Verfassers Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre» 
Berlin 1879.) 

Stellen wir die Leistungsfähigkeit obenan, so gebührt den Carbol¬ 
säure-Verbänden der erste Platz. Die Thymolstoffe stehen wohl nur 
wegen der etwas grösseren Schwierigkeit, welche die Darstellung stärkerer 
Lösungen darbietet, hinter jenen zurück. Beide Substanzen sind sehr 
flüchtig. Deshalb werden die aus ihnen mit Hilfe von Harz- und Fett¬ 
lösungen hergestellten Verbandstoffe mit der Zeit unwirksam; man wird 
sich derselben nur bedienen dürfen, wenn sie entweder frisch bereitet oder 
in ganz sicherer (luftdichter) Verpackung aufbewahrt waren. Feuchte 
Thymol- und Carbol-Verbände haben den Vorzug, dass sie in kürzester 
Zeit ohne irgend welche technische Hilfe hergestellt (improvisirt) werden 
können, müssen aber aus eben angeführtem Grunde von Zeit zu Zeit ange¬ 
feuchtet werden. Wurde Jute als Verbandstoff verwendet, so genügt es, 
wenn diese Anfeuchtung alle 12 Stunden einmal wiederholt wird. Die 
Salicylsänre steht nicht blos in Betreff ihrer Löslichkeit, sondern auch 
an Stärke der antiseptischen Wirkung den vorgenannten Mitteln nach, 
dagegen hat sie den Vortheil, durchaus nicht flüchtig zu sein, so dass 
die damit imprägnirten Stoffe ihre antiseptische Kraft andauernd bewahren, 
sofern nur die kleinen, in denselben haftenden Krystalle nicht mechanisch 
herausgeschüttelt werden, was namentlich bei Verwendung von Jute leicht 
geschehen kann. Dies „Herausstäuben“ von Salicylsäure aus den Ver¬ 
bandstoffen hat nicht blos den Uebelstand, dass die Wirksamkeit dadurch 
gefährdet wird, sondern belästigt auch durch die eigentümlich reizende 
Wirkung auf die Schleimhaut der Respirationswege, welche Husten und 
Niesen hervorruft. Dagegen ist es als ein Vorzug dieser Säure im Ver¬ 
gleich zum Thymol und zur Carbolsäure hervorzuheben, dass die äussere 
Haut und wunde Stellen durch ihre Einwirkung viel weniger geschädigt 
werden. Nicht blos die Hand des Arztes, sondern vor Allem die Haut 
des Kranken hat unter der Wirkung der Carbolsäure zu leiden. Bei 
Weitern am stärksten ist dies der Fall bei Anwendung des Liste r’schen 
Verbandstoffes, welcher nicht blos durch die Carbolsäure, sondern auch durch 
seinen starken Gehalt an Paraffin nachtheilig wirkt, — weshalb denn 
auch der von P. Bruns u. A. vorgeschlagene Ersatz des Paraffins 
durch ein mildes Fett räthlich erscheint. Nicht blos Schmerzen und Röthung, 


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Medidnisch-cMnirgisclie. Rundschau.* 


119 


sondern auch pustulöse Ausschläge und oberflächliche Hautgangrän kann 
man unter dem Lister’schen Verbände, namentlich wenn die Binden fest 
angezogen wurden, zu sehen bekommen. Wenn man, wie gewöhnlich, des¬ 
halb die reizende Wirkung der Carbolsäure anschuldigt, so erscheint mir 
dies nur bei populärer Auflassung des Wortes „reizend“ zulässig. Die 
Carbolsäure wirkt, wie auch C. Hueter bemerkt, nicht reizend, sondern 
lähmend und zwar vor Allem lähmend auf die kleinen Gefässe. Daher 
die stärkere Blutung aus allen frischen Wunden, welche mit Carbolsäure 
besprüht oder berieselt werden. In stärkeren Lösungen (über 3 :100) 
wirkt dieselbe überdies ätzend. Ob die brennenden Schmerzen, welche 
sie auch in stark verdünntem Zustande bei längerer Berührung mit der 
Haut erregt, von einer direct nachtheiligen Einwirkung auf die Nerven 
herrühren oder vielleicht auch aus der Erweiterung der kleinen Gefässe 
und dadurch bedingter Blutstauung zu erklären sind, ist nicht zu ent¬ 
scheiden. Jedenfalls steht das Thymol in dieser Hinsicht der Carbolsäure 
nicht nach, — die brennenden Schmerzen in der Haut sind selbst bei 
Anwendung einer Lösung von 1 :1000 noch recht heftig — während doch 
eine Lähmung der Gefässe nicht eintritt. Bei der Carbolsäure geht das 
schmerzhafte Brennen allmälig in Anästhesie über, beim Thymol nicht. — 
Verbände von Benzoesäure sind in schwierigen Fällen noch nicht oft er¬ 
probt worden, für leichtere, sowie für spätere Stadien der Behandlung 
reichen sie jedenfalls aus. Unter denselben Verhältnissen genügen aber 
auch die von List er besonders empfohlenen Borsäure-Verbände, welche 
den Vortheil gewähren, dass die Verbandstoffe in beliebiger Verpackung 
Jahre lang aufbewahrt werden können, ohne an Wirksamkeit einzubtissen, 
da die Borsäure nicht flüchtig ist. Chlorzinkverbände dürfen nicht mit 
wunden Flächen in Berührung kommen, da sie ätzend wirken; aus dem¬ 
selben Grunde muss verhütet werden, dass nicht etwa Wundsecret, 
welches aus dem Verbände Chlorzink aufgenommen hat, in die Wunde 
zurückfliesse oder in ihrer Umgebung aufgestaut werde. Wird diese Cautel 
beachtet, so kann man mit Chlorzink-Jute-Kuchen vollständig antiseptische 
Verbände erzielen. In gleicher Weise kann man auch die mit Thonerde- 
Salzen imprägnirten Jute-Kuchen anwenden. 

Wir haben im Vorstehenden bereits die localen Schäden erwähnt, 
welche aus der Anwendung einzelner antiseptischer Mittel hervorgehen 
können. Von bei Weitem grösserer Bedeutung ist aber die Frage nach 
der G e fa h r, welche aus der Resorption antiseptischer Substanzen ent¬ 
stehen könnte. Auch hierbei handelt es sich wesentlich um die Carbol¬ 
säure, da von allen antiseptischen Substanzen nur diese in solchen Dosen, 
wie sie aus einem Verbände in den ganzen Organismus übergehen könnten, 
bedenkliche Störungen hervorzurufen geeignet ist. Die Carbolsäure ist in 
der That ein Gift. Dass sie aus den Verbänden sehr häufig resorbirt 
wird und zwar aus trockenen ebensogut wie aus den feuchten, das ergibt 
sich aus den charakteristischen und leicht erkennbaren Veränderungen des 
Harns. Die Farbe desselben wird olivengrün, nach längerem Stehen an der 
Luft dunkelbraun, zuletzt schwarz; die schwefelsauren Salze verschwinden, 
indem sie in sulfo-carbolsaure Salze umgesetzt werden. Aber trotz dieser 
höchst auffallenden Erscheinungen bleibt das Wohlbefinden des Patienten, 
sofern nicht andere Schädlichkeiten einwdrken, meist ganz ungestört. In 
einzelnen Fällen aber sinkt ohne sonstigen Grund der Appetit, die 
Patienten fühlen sich matt und sitzen theilnamslos da, leiden auch wohl 
an Uebelkeit und bekommen von Zeit zu Zeit Erbrechen. Die Intensität 
dieser Störungen steht keineswegs im geraden Verhältniss zur Intensität 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


der Färbung des Harns. Bei auffallend dunklem Harn können sich die 
Kranken ganz wohl fühlen. Wenn es hiernach auch nicht nothwendig 
erscheint, auf Carbolsäure-Verbände ganz zu verzichten, oder dieselben 
beim Auftreten dunklen Harnes fortzulassen, so entspricht es doch der 
Vorsicht, zu anderen antiseptischen Verbänden überzugehen, sobald die oben 
erwähnten Störungen auftreten. 

93. Die sogenannten Conglutinationen des Uterusmundes als 
Geburtshlnderniss. Von Friedrich Betz. (Memorab. 1879, 10.) 

Die Conglutinationen des Uterusmundes verdienen schon wegen der 
Seltenheit dieser Anomalie, dass derartige Fälle theils als statistisches 
Material, theils als interessantes Vorkommniss dem Praktiker aufbewahrt 
werden. 

Verf., zu einer 23 Jahre alten Erstgebärenden geholt, hörte von der 
Hebamme, die Frau habe schon seit 24 Stunden sehr schmerzhafte Wehen, 
sie könne aber keinen Muttermund finden, so etwas sei ihr noch nie vor¬ 
gekommen. Verf. glaubte anfangs, es handle sich hier um einen jener 
nicht gerade seltenen Fälle, wo der Muttermund weit nach hinten und 
oben steht und sich deshalb einer nicht genauen Betastung leicht ent¬ 
zieht. Dem war aber nicht so. Der Kopf stand nahe am Beckenausgange, 
vor ihm konnte durch eine etwas dickere Haut, als die Eihäute zu sein 
pflegen, Fruchtwasser gefühlt werden. Das sorgfältigste Palpiren liess 
anfangs keinen Gebärmuttermund auffinden, es war als ob die Vagina 
einen von oben herabgedrtickten, geschlossenen Beutel bildete. Nach 
längerem Suchen Hess sich hinten eine den Durchmesser einer Erbse be¬ 
tragende rundliche Stelle auffinden, welche sich von dem umgebenden 
weichen Gewebe durch grössere Härte und Derbheit auszeichnete und 
leicht mit der Spitze einer vorgelagerten Nabelschnur-Schlinge hätte ver¬ 
wechselt werden können. Eine Vertiefung oder Erhabenheit war nicht 
an ihr zu erkennen. Verf. ordnete Morphium innerlich und rieth zum 
Abwarten, da er auf diese, im Ganzen unsichere Diagnose hin keinen 
künstlichen Eingriff vornehmen wollte. 

Gegen 12 Uhr bemerkte die Hebamme, dass sich ein Muttermund 
bildete und schon um 12 1 /* Uhr war die Geburt vollendet. Diese rasche 
Abwicklung der Geburt bei Conglutinationen, wenn einmal der Mutter¬ 
mund sich zu öffnen beginnt, ist ein gewöhnliches Ereigniss. Es ist auch 
leicht begreiflich, dass bei dem gespannten, dünnen Uterussegment und 
dem gewöhnlich tiefen Stande des Kopfes, vorausgesetzt die knöchernen 
Beckentheile geben kein Hinderniss ab, die Austreibung rasch erfolgen 
muss, wenn einmal das Hinderniss am Muttermunde gehoben ist. 

Die Aufgabe des Arztes wird bei einem' solchen Falle verschieden 
gestellt; indem Einige eine durchaus abwartende Stellung einnehmen, ge¬ 
radezu Nichts thun, rathen Andere zu positivem Vorgehen und Handeln. 
Während bei ersterem Verhalten der Arzt doch eigentlich seiner Aufgabe 
als Geburtshelfer nicht nachkommt, kann letzteres nur dann geschehen, 
wenn der Ort des Muttermundes sicher erkannt ist. Dass überhaupt in 
einem Falle Conglutination vorliegt, ist aus dem negativen Befunde des 
Uterusmundes leicht zu erkennen. 

Wie der Muttermund vor dem Eintritt der Wehen beschaffen, war 
in diesem Falle nicht zu sagen, da erst nach dem Eintritte der Wehen 
die Frau untersucht wurde. Nach einer Beobachtung von Bertholin 
soll eine Verklebung schon in den ersten Schwangerschaftsmonaten zu 
Stande kommen können. Es ist aber anzunehmen, dass sich am Mutter- 


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Medicintsch-chirnrgische Rundschau. 


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munde gewisse Veränderungen je nach dem Stadium des Geburtsrorganges 
vollziehen. Daraus lässt sich auch die Verschiedenheit seiner Beschrei¬ 
bungen erklären. 

Einige Autoren geben an, die Stelle des Muttermundes bezeichne 
ein Grübchen, ein kleiner Ring, in dessen Mitte die Oefinung fehlt, eine 
Falte, andere, man finde eine kleine warzenartige Erhabenheit, ja es soll 
fast jede Spur eines Muttermundes verwischt sein, ln diesem Falle war 
weder eine Erhabenheit, noch eine Vertiefung zu fühlen, sondern es war 
ein härtiicher, rundlicher, den Durchmesser einer Erbse betragender Punkt. 
Diese Verschiedenheit zu wissen, kann in praxi deshalb von Wichtigkeit 
sein, weil dadurch die Diagnose erleichtert wird. Verf. stellt sich vor, 
dass anfangs eine Erhabenheit vorhanden ist, die sich allmälig abflacht 
und dann sich endlich ein Grübchen bildet, wenn der Muttermund am 
Aufspringen ist. Die meisten Beobachter geben an, dass der Mutter¬ 
mund am hinteren Segmente zu suchen sei. Ist der Muttermund noch 
nicht sicher gestellt, wird die Aufgabe des Arztes darin bestehen, die 
äusserst schmerzhaften Wehen durch Morphium, innerlich oder subcutan, 
zu lindern. Ist der Arzt über den Ort des Muttermundes im Klaren, 
dann erwächst ihm zu jeder Zeit die Aufgabe, die Eröffnung desselben 
künstlich herbeizuftlhren, um die Geburt abzukttrzen und die Gebärende 
von ihren Qualen zu befreien. Die instrumentelle Hilfe, Katheter oder 
Uterussonde, soll nach der Ansicht der meisten Autoren nicht nöthig sein. 
Da man bei dem meistens tiefen Stande des Uterus den Muttermund mit 
der Fingerspitze bequem erreichen kann, so wird man mit dieser den 
Muttermund leicht durchbohren können. Auch wird man bei dieser Ge¬ 
legenheit sich mit der Eröffnung des Os uteri nicht begnügen, sondern 
zugleich die Sprengung der Eihäute vornehmen, wenn keine Contra- 
indication vorliegt. 0. R. 


94. Zur Behandlung einfacher Fracturen der Extremitäten mit 
Gyps-Hanf-Schienen. Von Dr. F. Beely. (Ctrbl. f. d. med. Wissensch. 
1879. 30.) 

Der auf der Schön born’schen Abtheilung der chirurgischen Klinik 
gebräuchliche Gyps-Hanf-Schienen-Verband bei einfachen Fracturen der 
Extremitäten hat vor den circulären Gyps-Gaze-Verbänden erhebliche Vor¬ 
theile. Er gestattet eine genaue Besichtigung des gebrochenen Gliedes, 
ist schnell und mit geringen Beschwerden für den Patienten anzulegen 
und abzunehmen und das Material ist überall leicht zu beschaffen. 

Das Material, dessen man bedarf, besteht in Gypspulver, Hanf, 
Rollbinden (Flanell- oder die erheblich billigeren Gazebinden), endlich für 
Fälle, in denen Suspension oder Extension angewandt werden soll, 
Drahtösen oder Drahtringe und Heftpflasterstreifen. Das Anlegen des Ver¬ 
bandes geschieht in folgender Weise: Nachdem die Bruchenden reponirt 
und von einem Gehilfen in entsprechender Stellung fixirt worden, ölt man 
die Haut ein oder rasirt die Haare oder legt ein Stück nasse Leinwand 
oder Flanell auf das Glied, um das Ankleben der Haare zu verhindern. 
Darauf wird ein dünner Gypsbrei angerührt, ein Hanfbündel durch den¬ 
selben hindurchgezogen, der überschüssige Brei mit den Fingern abge¬ 
streift und das Bündel der Längsaxe des Gliedes parallel direct auf die 
Haut bezw. die Unterlage gelegt. Die folgenden Bündel liegen stets pa¬ 
rallel dem vorangegangenen, welches sie am besten theilweise decken. 
Die Lagen sollen in der Mitte am dicksten sein (ca. 1 Om.), nach den 
Rändern hin an Dicke abnehmen. Die Schiene soll nicht ganz den halben 


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Medicitiisch-chirnrgiscfee Rundschau. 


Umfang des Gliedes umfassen, keinenfalls aber mehr als die Hälfte. Sind 
die Hanfbündel länger als die anzufertigende Schiene, so wird der Ueber 
schuss mit einer Scheere abgetragen oder umgeschlagen, sind sie kürzer, 
so werden neue Hanfbündel der Länge nach angesetzt. Drahtösen befestigt man 
durch überlegte Hanfbündel, Eisenringe zieht man über ein solches Bündel* 
und gibt ihnen nach dem Auflegen des Bündels die gewünschte Stellung. 
Noch bevor die Schiene fest geworden oder auch nach völligem Erstarren 
des Gypsbreies wird der Verband durch Umlegen einer Rollbinde ver¬ 
vollständigt. Beim Abnehmen des Verbandes schneidet man die Binde 
durch oder wickelt sie ab. Eine solche Schiene kann zu jeder Zeit während 
der Heilung abgehoben und wieder angelegt werden, so dass eine stete 
Controle möglich ist. 

95. Entstehung und Prophylaxe wunder Brustwarzen. Von 
Ferdinand Kehrer in Giessen. (Beiträge zur klin. und experimentellen 
Geburtskunde und Gynäk. II. B. 1. H. pag. 57.) 

Man muss vier Formen von Warzen Verletzung unterscheiden: 1. Die* 
Blasenexcoriation. Gleich nach dem Saugen findet man an der Warzen¬ 
spitze die Oberhaut in Form einer plattgedrückten Blase abgelöst. Durch 
fortgesetztes Stillen löst sich die Blase ab, das Rete Malpighi bleibt 
grösstentheils sitzen, nur die Spitzen einzelner Gefösspapillen werden frei. 
Es bildet sich eine Borke und bei fortgesetztem Stillen ein Geschwür. 
2. Das halbkreisförmige Seitengeschwür entsteht an der Stelle der seit« 
liehen Warzenfläche, welche bei stets gleichmässigem Anlegen des Kindes 
mit dem Oberkieferrande in Berührung kommt. Die Oberhaut löst sich 
in Form eines queren halbmondförmigen Streifens ab und es kommt zur 
Entstehung eines Geschwüres mit zugespitzten Enden. 3. Die Spitzen¬ 
erosion. Durch die Reibung der Warze an Oberkiefer und Zunge, be¬ 
günstigt durch die borkige oder warzige Beschaffenheit der Warzenhaut, 
sowie durch Quellung der Hornschicht, wenn Milch und Mundschleim lange 
darauf sitzen bleiben, entstehen an der Warzenspitze, entsprechend den 
abgelösten makroskopischen Oberhautschuppen, flache Gruben oder bilden 
sich netzförmige Sprünge in der Oberhaut zwischen den Papillen, aus 
welchen Blut und Lymphe hervorsickert. 4. Die basale Fissur. Die kreis¬ 
förmigen Hautfurchen zwischen Warzenbasis und Hof entzünden sich und 
füllen sich mit Exsudat, welches die aneinander liegenden Hautflächen 
verklebt. Nach Auseinanderziehen der Ränder bildet sich ein spaltför- 
miges, sehr schmerzhaftes Geschwür. Diese Fissur lässt sich auf eine 
wechselnde Spannung der Haut an der Uebergangsstelle von Warze und 
Hof bei Verlängerung und Verkürzung der Warze, begünstigt durch die 
langsame Vertrocknung von Milch und Mundschleim an dieser Stelle, zurttck- 
führen. Die Bedingungen, unter welchen die wunde Brustwarzen ent¬ 
stehen, sind folgende: die Dauer, Häufigkeit und Energie des Stillens. 
Sie entstehen, wenn die Mutter weniger Milch producirt und das Kind 
sehr energisch saugt, noch eher aber bei tiefliegenden und hohlen Warzen, 
weil auch hier das Kind mehr ziehen muss. Physikalische Eigenschaften 
der Warzenoberhaut spielen eine grosse Rolle, so wenn die Oberhaut 
durch stockende Milch und Schleim gequollen oder mit dicken, lockeren 
Borken aus abgelösten Hautschuppen und eingetrocknetem Colostrum be¬ 
legt ist. Ebenso entstehen sie, wenn die Oberhaut der Warze verdünnt 
oder die Warzenspitze durch stark vortretende Papillen höckerig, wie eine 
Verrucca Simplex ist. Ausserdem incliniren zarte, scrophulöse, pastöse, 
phthisische, syphilitische Personen mehr zu wunden Warzen als andere. - 


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Medicinisch-chirorgiecbe Rundschau. 


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Bei Städterinnen sieht man sie häufiger (40 Percent), bei Bäuerinnen 
seltener (20*39 Percent). Meist sind sie auf die erste Lactation beschränkt. 
Bei Bäuerinnen kommen sie deshalb seltener vor, weil diese im Mittel 
mehr Milch und besser entwickelte, mit einer dickeren Oberhaut bedeckte 
Warzen haben und im Allgemeinen weniger vulnerabel sind. Mastitiden 
dagegen sieht man bei Bäuerinnen häufiger. Dies rührt davon her, dass 
sie in Folge ihrer Beschäftigung im Freien mehr Erkältungseinflttssen aus¬ 
gesetzt sind. Innerhalb der ersten Lactation kommen Schrunden deshalb 
häufiger vor, weil im ersten Wochenbette die Milchabsonderung spärlicher 
ist als in den späteren und weil durch die Erosionen und Ulcerationen 
des ersten Puerperium die vorspringenden Papillen an der Warzenspitze 
zerstört und kleine Narben gebildet werden,' welche bei den späteren 
Lact&tionen mehr Widerstand leisten. Weil sich die Mastitiden öfter im 
Anschlüsse an Schrunden entwickeln als unabhängig davon, so erklärt es 
sich, warum im ersten Puerperium häufiger Mastitiden auftreten. 

Sehr nothwendig ist eine gehörige Prophylaxe. Zu dieser gehört 
eine gehörige Nährung der Mutter innerhalb der ersten Wochenbettstage, 
um eine reichliche Milchsecretion möglichst bald herbeizufähren. In der 
Schwangerschaft lasse man die Warzen systematisch vorziehen. Zum Vor¬ 
ziehen der Warzen nehme man nicht die gewöhnlichen Milchzieher mit 
dem trichterförmigen Glase, sondern Formgläser, deren Mundstück eine 
Lichtuug von nur 1 Ctm. hat, um mit der Warze nicht auch den Warzen¬ 
hof zu fassen. (Ref. liess solche cylindrische Sauggläser mit Gummiballon 
schon vor 10 Jahren anfertigen und mit bestem Erfolge benützen.) Das 
wichtigste Prophylacticum bleibt die consequente Anlegung von Gummi- 
htttchem Durch sie wird die Friction der Warze sehr beschränkt und 
einem Wundwerden derselben vorgebeugt. Um die Maceration der Warzen¬ 
oberhaut durch Mundschleim und Milch zu beschränken, muss das Kind 
sofort abgesetzt werden, wenn es an der Brust einschläft. Nach jedes¬ 
maligem Stillen werde die Warze abgewaschen, sorgfältig abgetrocknet 
und mit weicher Leinwand bedeckt. Bei aufsitzenden braunen Borken 
lege man Compressen in Glycerin eingetaucht, am besten schon vor der 
Entbindung, auf. Bei verdünnter Warzenhaut bestreiche man die Warzen 
mit spirituösen oder leicht adstringirenden Flüssigkeiten. Gegen eine 
höckerige Beschaffenheit der Warzenoberfläche hat man bisher nichts 
gethan. Die Natur wendet hier ihr Heilmittel an, das sind die aus den 
Erosionen und Ulcerationen hervorgehenden Narben. Mit der Zerstörung 
der Papillen und Glättung der Leder- und Oberhaut wird bei folgenden 
I^actationen die Schrundenbildung wesentlich beschränkt oder ganz auf¬ 
gehoben. Ob es nicht zweckmässig wäre, in Nachahmung dieses Natur¬ 
heilmittels einige Wochen vor der Geburt die langen Papillen glatt abzu¬ 
schneiden und zu ätzen, ist eine Frage, die sich der weiteren praktischen 
Prüftmg empfiehlt. Kleinwächter, Innsbruck. 


96. Die Ernährung per Rectum bei Uebelkeiten und Erbrechen 
der Schwangeren. Von Henry F. Campbell in Augusta Georgia. 
(Transact. of the Amer. Gyn. Soct. Vol. III. for the year 1878. 1879, 
pag. 268.) 


Nachdem Verf. bereits bei Leiden, welche die Zufuhr von Nahrungs¬ 
mitteln erschwerten, mit Vortheil nährende Klystiere gegeben, versuchte 
er das Gleiche bei Schwangeren, welche an Erbrechen litten und keine 
Nahrung vertrugen. In einem Falle, wo absolut keine Nahrung behalten 
wurde, erhielt er die Person mittelst nährender Klystiere durch 25 Tage 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


bei Kräften, bis ein spontaner Abortus eintrat und dadurch das Leiden 
von selbst schwand. Es wurde „Beaf tea“ oder „Beaf essence w gegeben 
und dieses zuweilen mit etwas Liebig’schem Extracte vermengt. Ausser¬ 
dem wurde per Rectum auch Reiswasser, Arrow-root-Ahkochung, Hafer¬ 
schleim, Eierkuchen, Milch u. d. m. gegeben und vorzüglich vertragen. 
Im Mittel wurden etwa 10 Uncen Flüssigkeit 2mal täglich injicirt. Bei 
DurstgefÜhl wurde Wasser iiyicirt und zwar dieses allein oder gemischt 
mit Wein oder Brandy. Das Hunger- und Durstgeftlhl schwand sofort 
nach Empfang des Klystieres. Die Stuhlgänge — in der Regel 1—2 pro 
die — zeigten ihre normale Beschaffenheit und wiesen nie die injicirten 
Nahrungsstoffe vor. Die Haramenge erschien im Mittel etwas vermindert. 
Verf. bringt dies mit dem Flüssigkeitsverluste in Folge des Erbrechens in 
Zusammenhang. Aus dem Umstande, dass die Kranken nach Empfang 
des nährenden Klysmas stets ein deutliches Gurren im Unterleibe fühlten 
und die Faeces immer ihre natürliche Beschaffenheit und gallige Färbung 
hatten, nimmt Verf. an, dass die Därme nach der Injection eine retro- 
peri8talti8che Bewegung machen und die injicirten Nahrungsstoffe bis in 
den Dünndarm gelangen, wo sie vom Organismus aufgenommen werden. 

Diese Aufnahme der Nahrungsstoffe erfolgt durch die Lymphgefässe 
und Venen. Dass in der That die injicirte Flüssigkeit bis zum Magen 
emporsteigt, erwies Verf. an einer jungen Ziege, welche er durch 18 Tage 
ausschliesslich mittelst gefärbter nährender Klystiere am Leben erhielt. Er 
benützte hier mit Cochenille gefärbte Milch und Haferschleim. Bei der 
Section fand sich der rothe Farbstoff vom Magen angefangen bis zum Anus, 
längs des ganzen Darmrohres. Eine Untersuchung der Lymphgefässe, ob 
auch diese die Farbe enthalten, wurde bisher vom Verfasser noch nicht 
vorgenommen. 

Eine Zugabe von Leube’s Pancreassolution zu denNährklystieren 
ist nicht nöthig. Kleinwächter, Innsbruck. 

97. Die acuten Krankheiten in ätiologischer Beziehung zur 
Schwangerschafts-Unterbrechung. Von Max Runge in Berlin. (Volk- 
mann’8 Vorträge Nr. 174.) 

Die Austreibung der Frucht bei allen acuten Infectionen der Mutter 
kann eintreten, muss es aber nicht. Der Procentsatz des Frucht¬ 
abganges richtet sich nach der Krankheit selbst (Variola und Cholera 
geben die schlechteste Prognose), nach dtm Charakter der Epidemie und 
nach den therapeutischen Eingriffen. Der Abortus oder die Frühgeburt, 
sie gehen auf die gewöhnliche Weise mit einer Blutung vor sich, welche 
aber bei gewissen Krankheiten, wie z. B. bei Typhus und Variola, abun¬ 
dant zu sein scheint. Im fünften bis zehnten Monate erfolgt die Geburt 
gewöhnlich ohne Blutung. Die Frucht ist dabei entweder von früher 
schon todt oder sie stirbt während der Geburt erst ab oder endlich 
sie kommt lebend. Im ersten Falle ist der Tod der Frucht, der geburts¬ 
erregende Factor. Lebt hingegen das Kind im Beginne der Geburt, so 
wurde die Wehenthätigkeit entweder unter dem Einflüsse der Krankheit 
ausgelöst oder wurden Veränderungen am Eie geschaffen, welche zwar 
das Leben der Frucht nicht schädigten, aber doch die Schwangerschaft 
unterbrachen. Viel schwieriger ist es, die Ursache des Abortus festzu¬ 
stellen, da nicht mit Genauigkeit bestimmt werden kann, ob die stets 
begleitende Blutung im einzelnen Falle die Ursache oder Folge des Abortus ist. 

Was den Tod der Frucht anbelangt, so kann er durch die verschie¬ 
densten Momente herbeigeführt sein. Sie kann durch Wärmestauung zu 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Grunde gehen bei Fieber der Mutter, denn die Temperatur der Frucht 
ist immer höher als jene der Mutter. Bei 40° Temperatur der Mutter, 
wie sie bei acuten Infectionsprocessen nicht selten ist, kommt die Frucht 
schon in Gefahr, steigt die Temperatur noch höher, so stirbt sie bald ab. 
Die Frucht geht ferner zu Grunde, wenn die Mutter asphyktisch wird, 
in Folge Störung der placentaren Respiration. Desgleichen tödtet die 
Frucht zuweilen der Infectionsstoff der Krankheit von Seite der Mutter, wie 
dies jene (nach R. seltenen) Falle erweisen, wo die Frucht, wie z, B. bei 
Variola, mit den Zeichen der mütterlichen Erkrankung todt geboren wird. 
Dies ist leicht erklärlich, denn bekanntlich können gelöste und gasförmige 
Stoffe von der Mutter auf die Frucht übergehen. Vom Recurrens ist bisher 
nur ein Fall bekannt, wo das Neugeborene an dem gleichen Leiden zu 
Grunde ging. Bei Variola kann, wenn Zwillinge da sind, nur ein Fötus 
ergriffen sein, während der andere gesund bleibt. Das Gift der Vaccinö 
scheint auf die Frucht überzugehen. Scarlatinagift übergeht mit grösster 
Wahrscheinlichkeit zuweilen auf die Frucht, ebenso Masemgift. Bei 
Malariagift ist es gleichfalls wahrscheinlich, dass es auf die Frucht über¬ 
geht, denn in einem Falle wurde ein bedeutender Milztumor derselben 
gefunden. Bezüglich der anderen nicht genannten Infectionskrankheiten 
fehlen noch die Beweise eines Ueberganges des Infectiupsstoffes. Bezüg¬ 
lich des Puerperalprocesses sind die Acten noch nicht geschlossen. Das 
Gleiche gilt bezüglich des Typhus. Erfolgt hier Schwangerschafts-Unter^ 
brechung, so scheint sie auf Wärmestauung zurückzuführen zu sein. Bei 
der Cholera ist es schwer zu entscheiden, ob das Gift auf die Frucht 
übergeht. Wichtige Momente zur Beförderung des Absterbens der Frucht 
sind das Sinken des Blutdruckes, der Wasserverlust und die Asphyxie 
der Mutter. Ob Parasiten von der Mutter auf die Frucht übergehen, ist 
noch nicht erwiesen, bei Trichinen scheint es nicht der Fall zu sein. 
Bezüglich des Wuthgiftes ist die Kenntniss bis jetzt gleichfalls noch Null. 
B o 11 i n g e r nur theilt einen sehr merkwürdigen Fall mit, wo eine wuth- 
kranke Kuh kalbte und ihr Junges später von einer anderen Kuh gesäugt 
wurde, worauf die Pflegemutter an Wuth erkrankte. Am wenigsten studirt 
sind die anatomischen Verhältnisse der Placenta, welche unter dem Ein¬ 
flüsse acuter Infectionskrankheiten geschaffen werden und die Schwanger¬ 
schaft unterbrechen und die Frucht tödten. Nur bezüglich der Cholera 
hat S1 a v j a n 8 k i eine Trübung des Zottenepithels der Placeuta gefunden 
und daraus den Tod der Frucht erklärt. 

Nach unseren jetzigen Kenntnissen können wir wohl sagen: Die 
Gefahr des Absterbens der Frucht durch Uebertritt der Infection von der 
Mutter auf jene ist eine geringe, die Möglichkeit des Uebertrittes des 
Giftes nur bei wenigen Krankheiten erwiesen und auch bei diesen seltenes, 
für die Frucht nicht immer letales Ereigniss. Unendlich gefahrvoller 
für die Frucht dagegen sind jene Veränderungen, welche unter dem Ein¬ 
flüsse der Infection im mütterlichen Organismus erzeugt werden: das 
Fieber, die gestörte Ventilation des Mutterblutes, die anatomischen Ver¬ 
änderungen der Placenta und die aus diesen Momenten resultirende Wärme¬ 
stauung der Frucht und Störung der placentaren Athmung. 

Noch hypothetischer wird nach der jetzigen Kenntniss der Vorgänge 
die Erklärung der Ausstossung einer lebenden, nicht ausgetragenen Frucht 
während einer Infectionskrankheit acuten Charakters. Es ist eine That- 
sache, dass bei Krankheiten, welche mit lange anhaltendem Fieber ein¬ 
hergehen oder bei welchen die Ventilation der Lungen mangelhaft ist oder 
in deren Verlaufe eine hochgradige Anämie eintritt, frühreife Früchte 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


lebend ausgetrieben werden. Man nimmt hier als geburtsbefördernde 
Momente die Temperatursteigerung, sowie die qualitative und quantitative 
Veränderung des Blutes an. 

Die Therapie bei an acuten Infectionskrankheiten leidenden Schwan¬ 
geren muss daher vor Allem dahin gerichtet sein, die Körpertemperatur 
herabzusetzen, um den Tod der Frucht durch Hitzschlag zu wahren oder 
die Irritabilität des Uterus, welche leicht eine vorzeitige Geburt herbei¬ 
führt, herabzusetzen. Dazu dient die antipyretische Methode, welche 
gerade nach dieser Richtung beim Typhus bereits gute Resultate ergeben 
hat. Jedenfalls geht man zu weit, wenn man, wie Poräk es thun will, 
eine fötale Therapie einleitet, weil die von der Mutter genommenen Medi- 
camente auf die Frucht übergehen. Diese Ansicht ist unrichtig, denn die Wir¬ 
kung braucht bei der Frucht nicht die gleiche zu sein wie bei der Mutter, 
wie man dies z. B. am Strychnin sieht, gegen welches die Frucht einen 
hohen Grad von Immunität besitzt. Kleinwächter, Innsbruck. 

98. De l’opäration c4sarienne suivie de l’amputation ntero- 
ovarique ou Operation de Porro. Von Professor Pinard in Paris. 
(Annales de Gynecologie, November- und Decemberheft 1879.) 

Es werden %vom Verf. sämmtliche bisher bekannte Fälle von Kaiser¬ 
schnitt mit Exstirpation des Uterus in extenso mitgetheilt. Wir ent¬ 
nehmen daraus, dass die sogenannte Porr o’sche Operation bisher 
38 Mal gemacht wurde. Der erste, welcher nach dieser Methode ope- 
rirte, war Störer in Boston, am 21. Juni 1868, der zweite Porro in 
Pavia, nach welchem die Operation ihren Namen trägt, am 21. Mai 1876, 
der letzte bis jetzt Championniöre in Paris im November 1879. 
Operirt wurde bisher in Italien 17 Mal, in Oesterreich (Wien, Prag, 
Brünn) 8 Mal, in Frankreich 4 Mal, in Deutschland 3 Mal, in Belgien 
und Russland je 2 Mal und je 1 Mal in der Schweiz und in Amerika. 
20 Mütter oder 52*63 Percent starben, von den Kindern kamen 28 lebend 
zur Welt, 4 waren vor der Geburt bereits abgestorben, bezüglich 6 ist 
das Schicksal unbekannt. Es operirten 4 Mal Chiara (Mailand), je 
3 Mal C. Braun und Tibone (Wien und Turin), je 2 Mal Späth, 
Wa88eige und Tarnier (Wien, Lüttich, Paris), je 1 Mal Störer, 
Porro, Inzani, Hegar, Previtali, Müller, Franzolini, Litz- 
mann, Breisky, Perolio, Riedinger, Fehling, G. Braun, 
Fochier, Cuggi, Peyretti, Berutti, Mangiagalli, Champion- 
niöre, Prevost, Maternita (?)*) (Boston, Pavia, Borgo San Domino 
bei Parma, Freiburg, Bergamo, Bern, Udine, Kiel, Prag, Brescia, Brünn, 
Stuttgart, Wien, Lyon, Cremona, Turin, Mailand, Paris, Moskau), bezüg¬ 
lich eines Falles heisst es blos „Moskau“, ohne Angabe des Operateurs. 
Am häufigsten wurde in Wien und Turin, je 6 Mal, operirt, in Mailand 
5 Mal, in Paris 3 Mal, in Moskau und Lüttich je 2 Mal und je 1 Mal in 
Boston, Pavia, Borgo, Freiburg, Bergamo, Bern, Udine, Kiel, Prag, Brescia, 
Brünn, Stuttgart, Lyon, Cremona. Kleinwächter, Innsbruck. 

*) Dürfte wohl die italienische Bezeichnung für „Gebär-Anstalt“ sein. 


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Mediciniach-chirorgische Rundschau. 


127 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 


99. Ueber die Wirkung und Zusammensetzung des Jaborandi. 
Von P. A1 b e r t o n i. (Arch. f. experimentelle Pathologie u. Pharmakologie, 
11. Bd., 5. u. 6. Heft.) 

Verfasser machte eine grössere Reihe von Versuchen, sowohl an 
Thieren als Menschen, und gelangt zu folgenden Schlüssen: 

1. Die Wirkung des reinen Pilocarpin ist verschieden von der der 
Pilocarpinsalze (Pilocarpinnitrat und Pilocarpinchlorhydrat). 

2. Die Wirkung der Pilocarpinsälze ist eine rein myotische 
(Pupillenverengerung und Accommodationskrampf). 

3. Die Wirkung des reinen Pilocarpins ist eine zweifache (eine 
myotische und eine mydriatische); die Intensität der ersteren prävalirt 
über die der letzteren. 

Wirkt nämlich reines Pilocarpin aufs Auge, so wird dessen Reiz¬ 
einwirkung, welche sich auf zwei Nervengattungen des Auges (Oculo- 
motorius und Sympathicus) erstreckt, zuerst von jenem als dem rascher 
erregbaren beantwortet, daher man Myosis- und Accommodationskrampf 
eintreten sieht. Wird nun im weiteren Verlaufe der Wirkung, der Sym¬ 
pathicus mit seiner langsameren aber länger anhaltenden Erregung in 
die Action getrieben, so schwindet zwar die Myosis und es stellt sich 
Mydriasis (Pupillenerweiterung) ein, allein der Accommodationskrampf 
dauert fort, u. zw. deswegen, weil kein Antagonist des Accommodations- 
muskels existirt, ein solcher demnach bei Sympathicusreizung auch nicht 
dem Accommodationskampf entgegenwirken kann; wohl aber kann dies 
bezüglich der Hirnmuskulatur geschehen, in welcher der Dilatator vom 
Sympathicus innervirt wird. 

4. Das reine Pilocarpin enthält demnach zwei verschiedene wirk¬ 
same Principe, deren isolirte Darstellung vom Verf. zwar schon versucht 
wurde, aber aus verschiedenen Gründen vorläufig noch nicht gelungen ist. 
— Daher kommt es, dass die myotische Wirkung der Pilocarpinsalze 
eine viel bedeutendere ist, als jene des reinen Pilorcarpin, weil 
selbe in letzterem durch die gleichzeitig vorhandene mydriatische Ein¬ 
wirkung abgeschwächt wird. 

5. Die Wirkung des Pilocarpins sowohl als die seiner Salze tritt 
durch Reizung der peripheren Endausbreitung der Irisnerven ein, u. zw. 
erregt das myotische Princip nur die Endausbreitungen des Oculomotorius, 
während das mydriatische jene des Sympathicus erregt. Die Pilocarpiu- 
Myosis entsteht demnach nicht durch Lähmung des Sympathicus. 

S. Klein (Wien). 

100. Behandlung des Strabismus convergens intermittens der 
Kinder mittelst mydriatischer oder myotischer Substanzen, ohne jeden 
Operativen Eingriff. Von Dr. Boucheron (Paris). Vorgelegt der Pariser 
Aead6mie des Sciences am 17. März 1870. (Klin. Mon.-BI. f. Aug. 
Juli 1879.) 

Da der Strabismus convergens, so raisonnirt der Verf., nach 
Don der s in der Mehrzahl der Fälle vom hypermetropisehen Baue des 
Auges abhängig ist und da die hypermetropisehen Augen übermässige 
Accommodationsanstrengungen schon beim Fernsehen, noch mehr aber beim 
Nahesehen machen müssen, die Couvergenz der Sehlinien aber 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


von der Accommodation beherrscht wird derart, dass eine 
übermässige Accommodationsanstrengung auch eine übermässige Convergenz 
nach sich zieht, so ist beim hyperopischen Auge nichts natürlicher, als 
das convergirende Schielen, welches anfänglich nur intermittirend 
ist, um später erst bleibend zu werden. 

Auf diese Pathogenese stützt Verf. sein, man muss gestehen, über¬ 
raschend einfaches Verfahren, welches in der Atropinisirung beider 
Augen besteht. Da das Atropin die Accommodation und das Nahesehen 
aufhebt, so folgert Verf., dass es gleichzeitig dem Streben zur Con¬ 
vergenz und also dem Strabismus Einhalt thun muss. 

In 2—15 Tagen soll der intermittirende Strabismus völlig ge¬ 
schwunden sein. 

„Ist auf diese Weise das Gleichgewicht bereits hergestellt worden, 
so wird mit der natürlichen Evolution und dem Wachsthum des Kindes 
der Augenapparat sich in diesem Gleichgewichtszustände consolidiren und 
nach einigen Monaten (3, 5, 8, 10, je nach dem Alter des Kindes) die 
Heilung beendet sein. u (Dem Verfasser und seinen Clienten ist zu gratu- 
liren. Ref.) 

„Da die meisten Fälle von Strabismus convergens als intermittirende 
beginnen, so folgt hieraus, dass unsere Methode bei den meisten schie¬ 
lenden Kindern beim Beginn ihres Uebels' anwendbar ist.“ 

Nach erfolgter Heilung sei —• dies gibt Verfasser doch zu — das 
Tragen entsprechender Augengläser nothwendig. 

(Was aber geschehen soll, wenn das Tragen von Brillen, z. B. wegen 
zu zarten Alters, dennoch unmöglich ist, darüber, sowie über viele andere, 
dem gebildeten und erfahrenen Leser sich aufdrängende Fragen erhalten 
wir keinen Aufschluss. Ref.) 

Statt Atropin könne man auch Duboisin benützen. 

„Die myotischen Substanzen, indem sie den Zusammhang zwischen 
Accommodation und Convergenz aufheben (? Ref.), können ebenfalls in 
Verwendung gezogen werden, das Eserin ganz besonders aber gegen 
Ende der Behandlung, beim Versuche zu lesen.“ 

„Diese Substanzen, in passender Dosis angewendet, sind selbst bei 
ganz jungen Kindern durchaus inoffensiv.“ S. Klein. 

101. Ueber die Verbreitungswege der sympathischen Augen¬ 
entzündungen. Von Professor Horner in Zürich. Aus dem Sitzungs¬ 
protokoll der med. Section der schweizerischen Naturforscher-Versammlung 
vom 11. und 12. August 1879. (Correspond.-Bl. f. Schweiz. Aerzte. Nr. 21.) 

Bislang konnte noch entfernt keine übereinstimmende Anschauung 
über die Art und den Weg der Propagation von Entzündungsprocessen 
von dem einen Auge auf das andere erzielt werden. Während die Einen 
die Ciliarnerven für das Medium halten, welches die sympathische Er¬ 
krankung vermittelt, nahmen andere an, dass der Nervus opticus diese 
Rolle spiele. In welcher Weise, darüber herrscht noch lange keine Klar¬ 
heit. Dass eine auf reflectorisehem Wege erfolgende Reizung des vorher 
gesund gewesenen Auges das Wesentlichste des Vorganges sei, könnte 
ebenso wenig befriedigen, wie die verschiedenen Hypothesen von vaso¬ 
motorischen und neuropathisehen Processen. Eine materielle Erkrankung 
der Ciliarnerven konnte mit Ausnahme sehr seltener Fälle (Goldzieher) 
anatomisch nicht nachgewiesen werden. In letzterer Zeit neigte man zur 
Anschauung, dass sowohl im Wege der Ciliar- als auch der Sehnerven 
die Erkrankung vermittelt werden könne, und zwar verbreiten jene die 


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Medicini sch-chirurgische Rundschau. 


120 


Entzündung vom Uvealtract des einen Auges auf den des anderen, während 
durch letzteren die Entzündung von Netzhaut und Opticus durch das 
Chiasma hindurch auf die andere Seite übertragen wird (Mauthner). 

Horner hat nun in einem Falle von Iritis serosa beider 
Augen, welche wenige Stunden nach dem Tode zur Untersuchung kamen, 
Gelegenheit erhalten, nachzuforschen, wie weit sich Entzündungsproducte 
nach weisen lassen. 

„Es ergab sich nun das frappante Resultat, dass 1. der Sehnerv 
des ersterkrankten Auges in seinen Scheiden bis zu Ende (bis zum Foramen 
opticum hin konnte untersucht werden) infiltrirt war, 2. diese Infiltration 
aber im zweiterkrankten Auge noch stärker vorhanden war, während in 
diesem letzteren die Uvealbetheiligung ganz zurücktrat. Sofort musste der 
Gedanke an eine Propagation durch den Sehnerven nahetreten und ein 
Experiment hervorrufen, das die Verbreitungswege von Entzündungs- 
producten derart festzustellen suchte, dass vom Bulbus gegen den 
Schädelraum hin die Sehnervenscheide injicirt wurde. Bei 
einer solchen Injection ergab sich das merkwürdige Factum, d a s s d i e 
gefärbte Inj ectionsflüssigkeit sofort durch das Chiasma 
in die andere Sehnervenscheido drang, wenn die Canüle nach 
eröffneter Orbita in den Subarachnoidealraum des einen Nervus opticus 
in der Richtung gegen das Foramem opticum hin eingesetzt wurde.“ 

Diese Untersuchung ist noch nicht abgeschlossen; aber das patho¬ 
logisch-anatomische Factum und die Experimente machen es wahrschein¬ 
lich, da3swir die Uebertragung auf dem Wege der Lymphräume 
höchst einfach zu erklären im Stande sind und das unsichere Gebiet der 
verschiedenen Hypothesen verlassen dürfen. Klein (Wien). 


102. Ein seltener Operationsfall. Von J. Hirschberg in Berlin, 
i Berlin. Klin. Wochenschrift Nr. 46, 1879.) 


Verf. berichtet über eine Verletzung des rechten Auges eines 
16jährigen Schmiedejungen durch ein Eisenstück. Es fand sich oberhalb 
des obern Hornhautrandes eine nahezu horizontale, etwa 2 1 / 2 Millim. lange 
leicht klaffende Scleralwunde, die am folgenden Tage verklebt war. 
Gleichzeitig erschien an diesem Tage das Auge reizlos und untersuchungs- 
filkig. Es wurde mit dem Augenspiegel ein ziemlich grosses, scharf¬ 
kantiges, unregelmässiges Eisenstück, als hinter der Linse und in einiger 
Entfernung von derselben im untern Theile des Glaskörpers freiliegend 
entdeckt. 

Am folgenden Tage (12. September 1879) wurde in der Narkose 
ein 4 Millim. langer Meridionalschnitt in der Sclera hinter dem Ciliar¬ 
körper, zwischen dem äussem und untern geraden Augenmuskel mittelst 
des Graefe’schen Messers angelegt, und da der Fremdkörper durch 
sanften Druck auf die mediale Wundlefze zum spontanen Austritt nicht 
gebracht wurde und dem darauf hineingeftihrten schnabelförmigen Ende 
des irispincettenartig gekrümmten Elektromagneten nicht folgte, so wurde 
die Wunde mittelst Scheere gegen den Aequator hin auf 7—8 Millim. 
verlängert und der Magnet abermals eingeftihrt in derselben Richtung 
wie früher, d. i. die Spitze medianwärts und die Concavität gegen die 
Sclera gerichtet, aber etwas weiter hineingeschoben und ein wenig ge¬ 
dreht , so dass seine Spitze dem untern Scheitel des Aequator bulbi näher 
kam. Der Magnet hatte in dieser Stellung den schwarzen Metallsplitter erfasst 
und herausgebracht. Die Scleralwunde wurde durch einen vorher präpa- 
rirten Bindehautlappen gedeckt, und dieser durch zwei Nähte befestigt. 


Med.-chir. ßnndschau. 1880 . 


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Medicuiisch-chirurgische Rundschau. 


Die Heilung wurde eine ziemlich vollständige. Etwa 14 Tage 
nach der Operation wurde sehr feine Schrift (Snellen 1 in 9") gelesen, 
die Medien des Auges waren klar, nur ein kleiner Glaskörperfaden war 
noch sichtbar, der Augengrund zeigte, abgesehen von der sichtbaren 
glänzenden, durch den operativen Eingriff bedingten Scleralnarbe und 
einer Veränderung der Aderhaut in der Umgebung des Scleralschnittes, 
normale Beschaffenheit (dieser Stelle entprechend zeigte sich auch das 
Gesichtsfeld beschränkt). Aeusserlich war das Auge auch völlig normal. 

Verf. knüpft an diesen mit Recht als seltenen bezeichneten Operations¬ 
fall einige treffende Bemerkungen über den meridionalen Scieralschnitt 
und über die Anwendung des Magneten zur Entfernung von Fremdkörpern 
aus dem Augeninnern unter Berücksichtigung der spärlichen einschlägigen 
Literatur. Verf. gibt auch eine kurze Beschreibung des nach seinen 
Angaben construirten Elektromagneten und setzt sehr fachgemäss aus¬ 
einander, dass der Magnet, der selbst grössere Eisenstücke anzuziehen 
vermag, dieselbe Attractionskraft sofort fast ganz einbüsst, so wie ein 
nenuenswerther Widerstand sich ergibt. Ein Eisenstückchen z. B. von 
1—5 Millim. Länge wird aus einer Entfernung von 2—4 Mülim. sicher 
angezogen, selbst dann noch, wenn sich dasselbe in Gummilösung, Htthner- 
eiweiss oder Glaskörpersubstanz befindet, nicht aber, wenn die Flüssigkeit 
noch dicklicher wird. So vermag der Magnet nichts auszurichten, wenn 
etwa ein solches Eisenstückchen durch ein Blättchen Papier hindurch¬ 
gesteckt wird, so dass es darin haftet. 

Verf. bezeichnet es ganz richtig als eine Fabel, dass man ein in 
der Hornhaut fe81sitzendes Eisensplitterchen, wie wir sie täglich bei 
den Eisenarbeitem beobachten und so leicht auf mechanischem Wege 
entfernen mit dem Magneten bequem herausziehen könne. 

Für Fremdkörper in der Vorderkammer bezeichnet Verfasser den 
Magneten als meist überflüssig und unpraktisch, da man mit ihm nach 
Abfluss des Kammerwassers sehr schwer, wohl aber sehr leicht mit der 
Pincette den gegen die Hinterfläche der Hornhaut sich stemmenden 
Eisensplitter herausholen könne, gibt aber zu, dass er unter Umständen 
dennoch auch bei Fremdkörpern in der Vorderkammer nützlich sein könne, 
und theilt einen darauf bezüglichen Fall mit. Wirkliche Triumphe aber 
feiert nach Verf. der Magnet eben nur in Fällen, wie der hier mitge- 
theilte, wo es sich um ein frisch in den Glaskörper eingedrungenes Eisen¬ 
stückchen handelt, welches aus der dunklen Tiefe mittelst Pincette, Haken, 
Löffel nur selten ohne dauernde Schädigung des Auges entbunden 
werden kann. S. Klein, Wien. 

103. Ein seltener Fall von objectivem Ohrengeräusch. Von Dr. 
E. L. Holmes. (Zeitschr. ftirOhrenhk. von Knapp und Moos.) 


Ein 1 Tjähriges, schwächliches, stets kränkliches Mädchen, seit Kind¬ 
heit in geringem Grade schwerhörig, wurde von unwillkürlichen klonischen 
Hebungen des Kehlkopfes, wie solche beim Schlingacte Vorkommen, be¬ 
fallen. Diese waren von einem knackenden Geräusche begleitet, welches 
vom linken Ohre auf 18", vom rechten Ohre auf 8" Entfernung gehört 
wurde. Der Krampf in den Pharynxmuskeln, sowie das gleichzeitige aus 
2 Tönen zusammengesetzte Knacken wiederholt sich etwa 40mal in der 
Minute und wird durch Schlucken und Anhalten des Athems intensiver. 
Schnupfen vermindert die Geräusche, ohne dass sich die Schwerhörigkeit 
steigert, am deutlichsten ist das Knacken am Meatus audit. externus, 
dumpfer von dem offenen Munde zu hören. Aus den angeführten Trommel- 


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Mediciniflch-ohimrgische Rundschau. 


131 


fellbefanden ist zu schliessen, dass eine partielle Atrophie oder Narben 
&n den Membranen vorhanden sind. Die pharyngoskopische Untersuchung 
zeigt normales Verhalten der Schleimhaut und mit dem Heben des Kehl¬ 
kopfes und Knacken zusammenfallende Contractionen des Levator und 
Tensor pal. mol., sowie Oeffnen des Ostium pharyng. tubae. H. meint, 
dass entweder das Oeffnen der Ohrtrompete oder da9 Eindringen der 
Luft in das Mittelohr, am wahrscheinlichsten aber die spasmodische An¬ 
spannung des Tensor tympani Ursache des knackenden Geräusches ist, 
dass also in diesem Falle die krampfhaften Contractionen der Gaumen 
und Kehlkopfmuskeln mit gleichartigen Contractionen der Binnenmuskeln 
des Ohres combinirt sind. 

104. Ueber eine Blepharoplastik mittelst Hauttransplantation. 

Von Prof. F. Magni in Bologna. (La Eivista Clinica 1879.) 

F. C., ein 25jähriger Fleischer aus der Provinz Ancona, litt im April 
1877 an Pustula maligna des rechten oberen Augenlides, welche mit Cauteri- 
sationen mit Ferrum candens behandelt wurde. Nach 75tägiger Behandlung 
aas jenem Spitale entlassen. Im Sommer 1877 stellte er sich Magni vor 
mit vollkommenem narbigen Ektropium des oberen Lides, sowie auch des 
unteren, wodurch der Bulbus ganz des Schutzes entbehrte. Der Autor be¬ 
diente sich der Stirnhaut zur Plastik des oberen Lides; er führte einen 
tiefen Schnitt zwischen Augenbrauenbogen und Ciliarrand des Lides in der 
ganzen Länge des Orbitaldurchmessers; auf diese Weise wurde das Lid 
frei gemacht und nun ein schmaler langer Lappen, dessen Basis nach 
aussen, dessen Spitze nach innen, so angelegt, dass sein unterer Rand, 
vom äusseren Eude des ersten tiefen Schnittes beginnend, in der Stirnhaut, 
parallel dem Augenbrauenbogen nach innen verlief, um dann, an der Nasen¬ 
wurzel umbiegend, sich in den oberen Rand des so zungenförmig gestalteten 
Hautlappens umzubiegen; dieser wurde nun zur Deckung des bei Repo¬ 
sition des Lides zur breiten Wundfläche gewordenen tiefen Schnittes ver¬ 
wendet und mit vielen Nähten befestigt; eine Naht auch durch die Dicke 
des Lappens zur besseren Anlegung. Trotz feuchter Wärme starb der 
Lappen von der Spitze her bis zur Ausdehnung von 2 / 3 ab und so etablirte 
sich das Ektropium von Neuem. — Das Ektropium de9 unteren Lides 
wurde ganz analog operirt; ein tiefer Schnitt ungefähr parallel dem Lid¬ 
rande, welcher sich nach aussen mit einem analogen des oberen Lidc3 
vereinigte, der jedoch nur von der Mitte des oberen Lides ausgefiihrt w urde, 
um den äusseren Theil des Ektropiums am oberen Lide zu beheben. Durch 
Retraction der Haut entstand nun eine Wundfläche von der Form einer 
Krebsscheere; zur Deckung derselben wurde nun ein Lappen dieser Form 
von entsprechender Grösse aus der Wangenhaut genommen, dessen Basis 
sich nach unten und aussen dem Schnitte am unteren Lide anlegte. Das 
Verfahren und die weitere Behandlung wie früher; vollständiger Erfolg 
am unteren, sehr geringer am oberen Lide. Der mit Schutzbrillen entlassene 
Kranke kehrte im Frühjahre 1878 wieder. Es bestand Keratitis, Vascu- 
larisation und Geschwürsbildung, starke Conjunctivalreizung, Schmerzen, 
Thränenfluss. Die wegen Reizung des linken Auges beabsichtigte Enucleation 
wurde verweigert. Magni entschloss sich zu einem Verfahren, das ihm 
in einem 1867 publicirten Falle sehr gute Dienste geleistet; er führte 
einfach einen tiefen Schnitt, wrie damals parallel dem Augenbrauenbogeu, 
um dann ein beöltes Läppchen und einen Schwamm mit elastischem Druck- 
verband darüber zu befestigen. Momentan entschloss er sich, ein der 
luuenfläche des linken Armes entnommenes Hautstück zu transplantiren; 

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Medicinisch-chirnrgische Rund schau. 


ein mittelst Hohlscheere abgetragenes ovoides Stück von 30 Millim. Längs¬ 
achse and 15 Millim. Querachse genau mit flacher Hand angelegt, Ränder 
gut adaptirt; Luftblasen und Blut herausgedrückt. Der äusserste Theil der 
Wundfläche noch frei, unbedeckt, doch durch ein der Schläfenhaut ent¬ 
nommenes kleines Hautstück gedeckt. Darüber ein feines Läppchen, dann 
ein Schwamm, — in lauwarmes Wasser getaucht — schliesslich ein leichter 
Verband. Nähte wurden nicht angelegt, um Entzündungscentra zu ver¬ 
meiden. In der Folge wurde immer wieder lauwarmes Wasser auf den 
Schwamm geträufelt. Der Kranke blieb bei einfacher Diät bis zur Heilung 
ira Bette. 

Am folgenden Tage schien der kleine Lappen ganz anzuliegen, 
Farbe und Temperatur sehr günstig, der grosse Lappen aber noch — wie 
bei Application — sehr blass, nur der untere Theil etwas geröthet; 
nirgends kalt, gut anliegend. Am dritten Tage am oberen Rande einige dunkle 
Flecken und Gefässzeichnung sichtbar, um den dritten Theil verkleinert, 
doch oben mindestens gut anliegend. Am vierten Tage hatte sich das Rosa 
weiter ausgedehnt und substituirte die Fleckung; der kleine Lappen kaum 
mehr zu differenziren. 

8 Tage nach der Operation konnte man die Heilung als vollendet 
anselien; die Empfind ungsfähigkeit des kleinen Lappens kam der der 
Schläfenhaut gleich, im grossen Lappen sehr vermindert. 

12 Tage nach der Operation war der kleine Lappen immer noch 
unverändert, der grosse verkleinert und verdünnt, seine Epidermis in 
Bläschen abgehoben; sie wurde abgestossen, es flössen einige Tropfen 
Lymphe ab, die Cutis blieb rosenfürbig, schon am folgenden Tage neue 
Epidermis; dieser Vorgang wiederholte sich partiell noch zweimal. Die 
Reizung des rechten, sowie die sympathische des linken Bulbus nahm sehr 
ab. Die Beweglichkeit der Lider blieb — wie nicht anders zu erwarten — 
eine sehr geringe. M a g n i glaubt, dass der transplantirte Lappen anfangs 
von seiner Lymphe, vielleicht unter Mitwirkung eines im Lappen ent¬ 
haltenen Sympathicusganglion8, später durch die Lymphe und das Blut 
der Wundfläche durch Aneinanderlagerung von Bindegewebslticken ernährt 
werde, dass dieselbe aber bei so grosser Ausdehnung unmöglich eine so 
günstige und genaue sein könne, dass nicht partielle Atrophie nothwendige 
Folge sein müsse. Bei so verringertem Stoffwechsel muss auch die Tem¬ 
peratur sinken, welchem Umstande er durch die im Verbände erhaltene 
Wärme zu Hilfe kam; zu starker Druck des Verbandes muss vermieden 
werden; Nähte reizen und erschweren die Communication. 

In einem anderen Falle, bei Francesco Savini von Modigliana, den 
Magni im Juni 1874 wegen Narbenektropiums des oberen Lides in der¬ 
selben Weise operirte, wie den eben beschriebenen im Anfänge, erhielt 
er durch diese erste Methode der Plastik einen schönen Erfolg; auch bei 
Epitheliomen des unteren Lides. 

Anna Burzi von Pontecchio, 53 Jahre alt, war einer dieser Fälle. 
Das Verfahren von Celsus und Dieffenbach vereinigt. Die Wund¬ 
fläche formirte ein Dreieck mit der Basis nach oben; die äussere Com- 
mi8sur wurde gespalten und vom äussersten Punkte des so erhaltenen 
Schnittes ein der äusseren Dreieckseite paralleler Schnitt nach abwärts 
geführt, dann der so geformte Lappen geeignet gedreht und die obere 
innere Ecke desselben in die innere Ecke der triangulären Wundfläche 
genäht und der ganze Lappen mit vielen Nähten befestigt. Die überflüssige 
Conjunctiva wurde excidirt. Der Effect war kosmetisch und therapeutisch 
schön, scheint auch dauernd. 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


133 


In einem anderen Falle wurde die erkrankte Partie des unteren 
Lides in Streifenform ausgeschnitten und durch einen zungenförmigen Lappen 
der Wangenhaut gedeckt. Purtscher. 


Dermatologie und Syphilis. 


105. Klinisches und Experimentelles zur Wirkung der Pyro- 
gallassäure. Von Dr. A. Ne iss er. (Zeitschrift für klinische Medicin. 
Bd. I, Heft 1.) 


Verf. hat gefunden, dass die von Ja risch gegen Psoriasis und 
andere Krankheiten der Haut empfohlene Pyrogallussäure unter Umständen 
eines der intensivsten Gifte für den menschlichen Organismus sei und er¬ 
zählt folgenden Fall: 

Im August 1878 wurde ein 34jähriger Mann mit Psoriasis univer¬ 
sale, die seit 12 Jahren bestand, auf die Klinik aufgenommen. Es sollte 
bei diesem Patienten, trotzdem er gerade an Diarrhöe litt, bei dieser 
Gelegenheit die Wirkung der Chrysophan- und Pyrogallussäure verglichen 
werden. Als Chrysophanpräparat benutzte man nach Angabe Professor 
Simon's das Extr. Rhei spirituosum als 20perc. Salbe. So ward denn 
die rechte obere und untere Extremität und der Rücken mit dem Ung. 
Rhei, die linke Seite und die Brust mit Pyrogallussäure-Salbe erst ener¬ 
gisch eingerieben, dann noch einmal mit einer dünnen Schicht Salbe 
überstrichen, der ganze Körper schliesslich mit Gummipapier bedeckt und 
letzteres durch weitgehende Bindentouren befestigt. (!) 

Bereits zwei Stunden nach der Application begann der Kranke sich 
sehr unbehaglich zu ftihlen und sehr intensiver Schüttelfrost trat ein, 
verbunden mit 3- bis 4maliger Diarrhöe und heftigem Erbrechen schleimiger 
Massen. Die mit der Rheum-Salbe verbundenen Theile wurden schmerz¬ 
haft , während am übrigen Körper nur leichtes Brennen sich fühlbar 
machte. 

Tags darauf hochgradigster Collapsus, Temperatur 40° C., Urin tief¬ 
schwarz, undurchsichtig und nur in den obersten Schichten von leicht 
grünlichem Schimmer. Eiweissfrei. Dagegen alle Rheum-Reactionen deut¬ 
lich vorhanden. 

Drei Tage später starb der Kranke unter erneuten Schüttelfrost¬ 
anfällen und zunehmendem Collaps. Der Harn, dessen gesammte Menge 
von Mittwoch Nachts bis Sonntag Früh nur 1600 Kcm. betrug, bot die 
hochgradigste Form der Hämoglobinurie. 

Die Section ergab Psoriasis universalis chronica. Decompositio 
sanguinis, Nephritis hsemoglobinica und Hämoglobinurie. Degeneratio adi- 
posa disseminata myocardii. 

Der tödtliche Vorgang war nach den Ergebnissen der Section in 
einer sehr hochgradigen Zerstörung der rothen Blutkörperchen und Ueber- 
gang des Farbstoffs in das Blutplasma zu suchen, als deren Haupt¬ 
symptom die Ausscheidung des Hämoglobins durch Nieren und Urin auf- 
trat. Verf. stellte sich nun die Frage, ob er es mit Rheum- oder Pyrogallus- 
Vergiftung zu thun hatte, und Experimente an Thieren ergaben bald, 
dass das Rheum in jeder Form (Extr. Rhei spirit., Tinct. aquos. und spirit.) 
unschädlich sei. Ein ganz ähnlich unschuldiges Verhalten konnte Verf. 


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Meticinisch-chirurgische Rundschau. 


übrigens an einigen Thieren für die Chrysophansäure feststellen. Es blieb 
also nur die Pyrogallussäure übrig, über welche Arbeiten von Claude 
Bernard und Personne, ferner von Jüdell und Wedl existiren, 
deren Ergebnissen sich der Yerf. im Ganzen anschliesst. Je nach der 
Menge des Giftes lassen sich nach N. vier verschiedene Grade der Pyro¬ 
gallussäure -Intoxication unterscheiden, welche die Abhandlung genau 
schildert. 

Kleinste Dosen. Die Pyrogallussäure zersetzt sich im alkalischen 
Blute und absorbirt dabei einen Theil des locker an die Blutkörperchen 
gebundenen Sauerstoffes: Missfärbung des Blutes. — Theils durch den 
O-Mangel, theils wohl in Folge der Einwirkung der Zersetzungsproducte 
der Pyrogallussäure auf die Centralorgane entsteht Sopor und Apathie der 
Thiere. Die Pyrogallussäure zerstört dabei nur eine kleine Anzahl von 
rothen Blutkörperchen ohne nachweisbare Hämoglobinurie. Dagegen tritt 
die Hämoglobinurie in der That nach mittleren Dosen mit allen Erschei¬ 
nungen ein: Apathie, Schüttelfröste, Dyspnoe, erhöhte Reflexerregbarkeit, 
im Harn reichliche zerstörte rothe Blutkörperchen. Der dritte Grad unter¬ 
scheidet sich vom zweiten nur durch die Acuität des Verlaufes und durch 
die Nichtbetheiligung des Harnapparats. Die Thiere gehen im ersten An¬ 
fall zu Grunde. Im vierten Grade erfolgt nach zwei Stunden jedesmal 
unter Convulsionen der Tod. 

Der Yerf. fasst schliesslich die Ergebnisse seiner Untersuchungen 
in Folgendem zusammen: Die Pyrogallussäure ist vermöge ihrer Fähigkeit, 
die Blutkörperchen zu zerstören und Hämoglobinurie zu erzeugen, selbst 
in kleinen Quantitäten nur mit Vorsicht zu gebrauchen. In grösseren 
wirkt sie als intensives Gift, und zwar hauptsächlich durch ihre Eigen¬ 
schaft, die Beschaffenheit des Blutes derart zu verändern, dass die Cir- 
culation unmöglich wird. Noch offen bleibt die Frage, in wie weit ihre 
directe Einwirkung auf die nervösen Apparate in Rechnung zu ziehen ist. 
Die Anwendung der Pyrogallussäure in der Therapie soll deshalb ver¬ 
mieden werden, sobald ein anderes gleich erfolgreiches Medicament zu 
Gebote steht. Vorgeschlagen ist die Pyrogallussäure zur Behandlung der 
Psoriasis und zur Zerstörung lupöser und carcinomatöser Neoplasmen. 

Für die Psoriasis des Rumpfes und der Extremitäten bediene man 
sich jedoch — trotz mancher localer Nachtheile — der für den Organis¬ 
mus ungefährlichen Chrysophansäure. Im Gebrauch bleibe die Pyrogallus¬ 
säure für Psoriasis des Gesichtes und Kopfes, sowie für die Behandlung 
des Lupus und Epithelialcarcinoms. Die geringen Mengen Pyrogallussäure, 
welche diese Affectionen zu ihrer Tilgung erforderlich machen, haben sich 
als unschädlich erwiesen. 

106. Femme autographique. Von Dujardin Beaumetz. (Pro- 
gres mödic. 1879, 48.) 

Verf. stellt in der Sitzung der sociötö des hopiteaux eine 28 Jahre 
alte hysterische Frau vor, welche allgemeine cutane Anästhesie und aus¬ 
gesprochene kataleptische Erscheinung darbot. Das befremdendste Moment 
des Falles, sagt der Vortragende, ist aber, das es genügt, Schriftzüge 
auf der Haut zu markiren, um an allen diesen so berührten Stellen und 
nur an diesen zunächst eine Röthe auftreten zu sehen, welcher sodann 
eine ansehnliche Elevation der Haut folgt, in der Weise, dass die er¬ 
wähnten Schriftzüge schon nach einigen Minuten sehr schön und deutlich 
hervortreten, wahrnehmbar sowohl für den Gesichts- als auch für den 
Tastsinn. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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Dieser Zustand kann 4—5 Stunden dauern, während welcher Zeit 
die Elevationen sich immer mehr und mehr verbreiten, um endlich sehr 
allmälig zu verschwinden. Die ganze allgemeine Decke reagirt in ganz 
gleichmässiger Weise und der Vortragende demonstrirt unter anderen den 
Schenkel der Patientin, auf welchem einige Worte sehr deutlich zu lesen 
sind, welche in der angegebenen Art gezeichnet wurden. Das Phänomen 
ist von einer nicht unbedeutenden Temperaturerhöhung begleitet, und 
was die Art der localen Störung an den berührten Stellen der Haut be¬ 
trifft, so ist sie absolut derjenigen bei Urticaria ähnlich. (Nur die ange¬ 
gebene lange Dauer der Striche ist bemerkenswert!!.) 


107. Ueber Elephantiasis Gr&ecorum oder Lepra Arabum. Von Fr. 
E kl und. (Stockholm 1879, 91 S. gr. 8°.) 


Verf. sucht zu zeigen, dass das hereditäre Moment in der Lepra 
von weit geringerer Bedeutung ist, als bisher allgemein angenommen 
wird. Für eine Reihe von Fällen, in welchen sich bei starkem Glauben 
an die Heredität der fraglichen Krankheit unter theilweiser Zuhilfenahme 
des Atavismus die Krankheit als eine ererbte darstellen liess, weist Verf. 
nach, dass es sich hier vielmehr um Ansteckung gehandelt habe, und 
dass diese Annahme das Auftreten der Krankheit viel ungezwungener 
erkläre, als die oft weit hergeholte Heredität. Als Hauptmoment urgirt 
er das Zusammenschlafen mit Aussätzigen, das sich in den Haushaltungen 
der norwegischen Landbevölkerung oft kaum vermeiden lasse, jedenfalls 
sehr gewöhnlich sei, ferner das Essen mit demselben Löffel etc. Im Blut 
Lepröser, im Tuberkelinhait, in der Gonjunctivaflttssigkeit, im Schweiss, 
im Secret ihrer Geschwüre, im Harn hat Verf. constant zahlreiche Bacterien 
gefunden, runde einzellige Gebilde, die er nicht Mikrococcen nennen will, 
weil sie eine sehr ausgesprochene Bewegung besitzen. Ihre verhältniss- 
mässig sehr langsame Vermehrung will Verf. ftlr die lange Incubations- 
zeit der Lepra als Erklärung in Anspruch nehmen; die Vermehrung, die 
übrigens nicht allgemein sei, geschehe durch Theilung, es handle sich 
also nicht um Sporidien, sondern um echte Schyzomiceten. 

Die Dauer der Incubationszeit, die nach den unzuverlässigen An¬ 
gaben der Patienten etwa 7—8 Jahre betragen würde, schätzt Verf. auf 
höchstens 1 Jahr. In einem besonderen Capital speciell auf die Frage von 
der Contagiosität eingehend, betont Verf. auf das Nachdrücklichste, dass 
die im 18. Jahrhundert fast erloschene Krankheit am Ende dieses und 
am Anfänge des 19. Jahrhunderts wieder an Ausbreitung gewonnen, weil 
zu dieser Zeit ein Umschwung in den Anschauungen der Aerzte sich voll¬ 
zogen habe, demzufolge die Seuche, die früher mit Recht als eminent 
ansteckend angesehen wurde, für ein Uebel erklärt wurde, das sich 
wesentlich durch Vererbung fortpflanze. 

Für seine Ansicht, dass die Lepra nicht auf miasmatischem Wege 
sich verbreite, führt Verf. die bekannten geologischen Verhältnisse der 
norwegischen Westküste an, deren Boden in keiner Weise geeignet er¬ 
scheine, Miasmen aufzunehmen und ihre Weiterentwicklung zu begünstigen. 
Des weiteren wird diese Ansicht durch das völlige Fehlen der Inter- 
mittens in jenen Gegenden begründet. 

Die Diagnose kann nach E. nur durch die mikroskopische Unter¬ 
suchung des Blutes, des Schweisses, der Thränenflüssigkeit, in denen sich 
constant Mikrococcen finden, sichergestellt werden. 

Von der Ansicht ausgehend, das diese Mikrococcen die Erreger und 
Unterhalter der Lepra seien, sich aber dabei langsam fortpflanzen, schlägt 


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Medfcinisch^hirorgisclie Rundschau. 


Verf. zur Erzielung eines raschen Stoffwechsels, Gymnastik, Kaltwasser¬ 
behandlung und neben roborirender Diät die fleissige Anwendung von 
Diaphoreticis, Diureticis und Laxantibus vor, ausserdem das auf Räunion 
so viel gepriesene, vom Verf. übrigens nicht als Specificum angesehene 
Chaulmoogrä'Oel (innerlich und äusserlich). Die Arbeit schliesst mit Be¬ 
merkungen über die legislatorisch-hygienischen Massnahmen, die im Inter¬ 
esse der Kranken und Gesunden geboten erscheinen, nebst einigen Worten 
über die Unzulänglichkeit der in Norwegen bestehenden Pflegeanstalten 
für Lepröse. 


108. Erythema exsudativum papulatum der Mundschleimhaut. 
Von Dr. Grigorow in Moskau. (St. Petersb. Med. Wochenschrift. 
1879. 52.) 


Der mitzutheilende Fall ist in Bezug auf die Localisation des 
Exanthems interessant: der gewöhnlich nur der äusseren Haut eigentüm¬ 
liche Ausschlag erstreckte sich im gegebenen Falle auch auf die Mucosa 
faucium. Hierher gehörige Beobachtungen sind äusserst selten. So erwähnt 
Prof. Hebra eines Falles von Erythem mit letalem Ausgange, wobei 
die Autopsie auf der Dünndarmschleimhaut den Hautaffectionen ähnliche 
Veränderungen ergab. Prof. Neumann führt in einer seiner neuesten 
Arbeiten über das Erythem nur zwei Fälle von knotigem Schleimhaut¬ 
erythem an. 

Am 8. Juni 1878 trat die Frau H. F., Köchin, 45 Jahre alt, mit 
folgenden Erscheinungen in die Frauenabtheilung des Mjassnizky-Hospi- 
tals ein: 

Haut welk; auf der Streckseite der Vorderarme, auf der Dorsal¬ 
fläche der Hände und Unterschenkel, weniger am Rumpfe, sind rundliche 
Papeln verbreitet, kleinerbsengross, von blaurother Färbung; die Haut 
zwischen den Papeln juckt etwas, ist aber dem Anscheine nach normal. 
Rackenschleimhaut roth, Tonsillen geschwollen. Die inguinalen, cubitalen 
und Halslymphdrüsen normal. Weder auf der Haut noch auf den Schleim¬ 
häuten Narben oder Pigmentflecken zu bemerken. Die Kranke ist er¬ 
schöpft, fiebert: Abendtemperatur 38,0°, Morgentemperatur 37’8°. 

Das Exanthem hatte sich vor einer Woche gezeigt, die Entwickelung 
war in einer Nacht erfolgt und wurde von einem fieberhaften Zustande 
und unbedeutendem Jucken begleitet. Im Verlaufe der folgenden Tage des 
Aufenthaltes im Hospital verschwanden der fieberhafte Zustand und der 
Ausschlag; an Stelle des Exanthems blieb nur eine unbedeutende Pigmen- 
tirung zurück. 

Einen Monat später, am 10. Juli, trat wieder Fieber auf und zeigte 
sich von Neuem das Exanthem, meist an denselben Stellen. Drei Tage 
darauf erscheinen auf der hinteren Pharynxwand, auf dem linken hinteren 
Gaumenbogen und auf dem weichen Gaumeu einige erbsengrosse rundliche 
Erhöhungen; die sie umgebende Schleimhaut röther als an anderen Stellen. 
Die Erhöhungen fühlen sich härtlich an; die hintere Pharynxwand trocken; 
Zunge belegt; die submaxillaren und die Halslymphdrüsen normal. Im 
weiteren Verlaufe der Krankheit stiess sich das einige Erhöhungen im 
Rachen bedeckende Epithel ab, wodurch sich oberflächliche Erosionen bil¬ 
deten. Bis zum 20. Juli verschwanden alle Erscheinungen, sowohl auf der 
Haut als auf der Schleimhaut, gleichzeitig. Am 22. Juli erkrankte Pat. 
an einem Erysipel am Fusse, welches sich darauf am Rumpfe bis auf das 
Gesicht verbreitete. Unter allmäiig zunehmender Entkräftung der Patientin 
erfolgte nach Hinzutritt von Decubitus und Pyämie am 4. August der Tod. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Die Erscheinungen im Rachen, das gleichzeitige Entstehen und Ver¬ 
gehen auf der Haut und Schleimhaut, die identische Form des Ausschlages 
auf der Haut und der Schleimhaut, in Gestalt von Papeln, die Abwesen¬ 
heit der für Herpes charakteristischen Bläschengruppen auf der Schleim¬ 
haut, die Abwesenheit von Syphilis — Alles das berechtigte zur An¬ 
nahme, dass die Patientin an dem selten vorkommenden Erythema papu- 
latnm der Haut und der Schleimhäute litt. 


109. Ueber die Wirkung des Oleum Gynocardiae (Ghaulmoogra 
Oil) bei Hautkrankheiten. Von Prof. Dr. F. J. Pick. (Prag. med. 
Wochenschr. 1880. 3.) 

Seit jüngster Zeit wird das Oleum Gynocardiae oder, wie es mit 
seinem indischen Namen bezeichnet wird, das Oleum Chaulmoograe, gegen 
Hautkrankheiten überhaupt, insbesondere aber gegen Scrophulose und 
Lepra empfohlen. 

Verf. berichtet über die Versuche, welche er mit dem Oele auf 
seiner Klinik ausftlhrte. Dasselbe wurde äusserlich entweder nach voraus¬ 
gegangener Erwärmung in vollkommen flüssigem Zustande oder, da es 
am Körper sofort schmilzt, in seinem bei gewöhnlicher Temperatur halb¬ 
festen Zustande ohne jede Beimischung in die Haut eingerieben, oder 
endlich mit gleichen Theilen Axungia porci oder Vaseline in Salbenform 
auf Leinwand gestrichen auf die Haut applicirt. Eine einmalige Einreibung 
auf vorher gesunde Haut übt in der Regel gar keinen Einfluss, nur selten 
stellt sich ein leichtes Brennen oder Prickeln ein. Wird jedoch die Ein¬ 
reibung mehrmals und in kurzen Intervallen wiederholt, so röthet sich die 
Haut, es entstehen brennende Schmerzen und bei fortgesetzter Anwendung 
entwickeln sich Knötchen, die alsbald in Bläschen übergehen, mit einem 
Worte es entsteht ein artificielles Eczem. 

Wird mit den Einreibungen ausgesetzt, dann gehen die Erscheinungen 
wieder zurück und nach mehr weniger starker Abschuppung erhält die 
Haut ihre frühere normale Beschaffenheit. Aehnlich gestalten sich die 
Verhältnisse bei Anwendung der Salbe in Pflasterform, nur gewinnen 
hier die Erscheinungen rascher eine grössere Intensität. Wenn die Horn- 
schichte zart oder macerirt oder gar abgängig ist, dann kommt es nach 
Anwendung des Mittels zu eitrigem Zerfall, der stellenweise zu beträcht¬ 
licher Ulceration Veranlassung gibt. 

Innerlich wurde das Oel in geschmolzenem Zustande in Tropfenform 
verabfolgt oder in Gelatinkapseln eingeschlossen, in denen es sich bei 
gewöhnlicher Temperatur in halbfestem Zustande befindet, genommen. 
Zwanzig Tropfen erzeugen bei Erwachsenen mit gesunden Verdauungs¬ 
organen unangenehmen Geschmack im Munde und Kratzen im Rachen. 
Zu diesen Erscheinungen gesellen sich nach 15—20 Minuten Uebelkeiten 
vom Magen, Druck in der Magengegend, Brechneigung und meist auch 
Erbrechen. Das Erbrechen tritt um so leichter ein, oder wiederholt sich, 
wenn bald nach den Tropfen Flüssigkeiten in den Magen gebracht werden. 
In der Regel erfolgt nach 1 bis 2 Stunden leichter Stuhlgang ohne 
schmerzhafte Peristaltik. 

Alle genannten Erscheinungen verschwinden nach 2, spätestens 
3 Stunden, ohne Appetitlosigkeit oder Störungen in der Verdauung zu 
hinterlassen. Anderweitige Symptome w'urden nicht beobachtet, der Urin 
blieb normal. Bei Kindern unter 10 Jahren stellten sich die angeführten 
Erscheinungnn schon bei einer Dosis von 8—10 Tropfen ein. Dagegen 
zeigten einzelne Individuen eine bedeutende Toleranz gegen das Mittel, 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


so dass 20—30 Tropfen zweimal des Tages ohne merkliche Störungen 
genommen werden konnten. Beim Gebrauche der Kapseln vermied man 
den unangenehmen Geschmack im Munde und das Gefühl des Kratzens 
im Rachen, während die übrigen Erscheinungen, wenn auch etwas später, 
in gleicher Weise auftraten. 

Auf Grund dieser Erfahrungen wurde das Oel innerlich in folgen¬ 
der Weise dosirt. Bei Kindern wurde mit 5 Tropfen zweimal des Tages 
begonnen und nach je 2 Tagen um je 1 Tropfen gestiegen bis zu jener 
Höhe, gewöhnlich 10—12 Tropfen, bei der sich Uebelkeiten einstellten. 
Bei Erwachsenen wurde mit 10 Tropfen begonnen und in gleicher Stei¬ 
gung die Gabe bis auf 20—30 Tropfen erhöht. Auf diese Art konnte 
das Mittel Wochen und Monate lang ohne sonderliche Beschwerden ge¬ 
braucht werden. Noch leichter wurde das Mittel in Kapseln zu je 1 Gr. 
ertragen, von denen 1—2 Kapseln 2mal täglich verabfolgt wurden. 

Angewendet wurde das Oleum Gynocardiae bei Eczem, Prurigo und 
Lupus, wobei zunächst solche Fälle ausgesucht wurden, bei welchen 
anderweitige Symptome von Scrophulose vorhanden waren, wo man neben 
der topischen Behandlung mit Erfolg Jod-Leberthran anzuwenden pflegt. 

Nach der örtlichen Application des Unguents trat bei Eczem be¬ 
deutende Verschlimmerung desselben ein, das an Extensität und Intensität 
zunahm, so dass nach 5tägiger Anwendung desselben diese Therapie be¬ 
seitigt und die übliche Behandlung mit Ungu. Lithargyri eingeleitet werden 
musste. Pat. erholt sich nun rasch, nimmt an Gewicht zu, die Drüsen 
schwellen merklich ab, jedoch nicht stärker und schneller, als wir dies 
auch ohne jedes innerliche Mittel beobachteten, jedenfalls langsamer als 
bei gleichzeitiger Anwendung von Jod-Leberthran bei gleichem diätetischen 
Verhalten. 

Auch bei anderen 6 Fällen von Eczem bei scrophulösen Kindern 
stellte sich durch die Örtliche Anwendung des Oels Verschlimmerung der 
örtlichen Verhältnisse ein, während der innerliche Gebrauch keine merk¬ 
liche Beeinflussung des Allgemeinzustandes herbeiführte. Dagegen wurde 
bei veralteten, torpiden, mit bedeutender Hautverdickung einhergehenden 
Eczemen Erwachsener eine günstige Wirkung durch örtliche Einreibung 
des Oels oder dauernde Application des Unguents dadurch erzielt, dass 
die örtlich eingetretenen Reizungszustände eine raschere Abwicklung des 
Verlaufes herbeiführten. 

In 5 Fällen von Prurigo wurde das Mittel ebenso gleichzeitig 
äusserlich und innerlich angewendet. 

Auch hier zeigten sich nach vier Wochen innerlicher und äusser- 
licher Anwendung des Mittels keine wesentlichen Differenzen in der Ab¬ 
wicklung der Krankheits-Erscheinungen, dagegen traten Reizungs-Erschei¬ 
nungen an den Beugeseiten der rechtsseitigen Gliedmassen auf, die 
stellenweise bis zur Entwicklung nässender Stellen führten. Die Therapie 
wurde nun ausgesetzt und die Behandlung durch anderweitiges Verfahren 
zu Ende geführt. 

Die Wirkung des Chaulmoogra - Oels bei Lupus wurde in sechs 
Fällen erprobt. Auch hier wurden solche Fälle ausgewählt, bei weichen 
anderweitige Symptome von Scrophulose vorhanden waren. Bei zwei Fällen 
von Lupus hypertrophicus des Gesichts traten nach 3maliger, resp. 
4maliger Anwendung der Gynocardia-Salbe in Pflasterform so heftige 
Reizungs-Erscheinungen und Schmerzen auf, dass von dem weitem örtlichen 
Gebrauche des Mittels Umgang genommen und das Oel nur innerlich ver¬ 
wendet wurde. In 4 Fällen von Herdlupus kam es nach 3—5tägiger 

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Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


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Anwendung der Salbe zum Zerfall der Lupusknoten, der durch fortge¬ 
setzten Gebrauch zur Zerstörung des lupösen Gewebes führte, ähnlich wie 
bei Anwendung der Arsenpasta und der Pyrogallussäure. Die Zahl der 
Beobachtungen und die nach erfolgter Vernarbung verflossene Zeit ist 
noch zu kurz, um bezüglich der Dauerhaftigkeit der Heilung ein decidirtes 
Urtheil abzugeben, so viel kann jedoch schon jetzt gesagt werden, dass 
Recidiven nicht ausbleiben und eine wesentliche Beeinflussung der Krank¬ 
heit durch den innerlichen Gebrauch nicht erzielt wurde. 

Ausser in den genannten Krankheiten hat Verf. das Oleum Gyno- 
cardiae in letzter Zeit auch noch bei 9 Fällen von Urethritis blenorrhagica 
in Anwendung gezogen. Innerlich wurden 2mal täglich je 1 Gr. Oleum 
enthaltende Kapseln gegeben, örtlich wurde das Oel mit But. Cacao aa. 
zu Stäbchen geformt in die Harnröhre eingeführt. Der Erfolg war ein 
negativer. Nur in einem Falle chronischer Urethritis wurde nach vier¬ 
wöchentlichem Gebrauche Heilung erzielt. 

Bezüglich der mitgetheilten Krankengeschichten verweisen wir auf 
das Original. 0. R. 


Anatomie, 


Physiologie, 

medic. 


pathologische Anatomie, 
Chemie. 


110. Die Zwillinge. Ein Beitrag zur Physiologie des Menschen. Von 
Dr. Vinc. Goehlert in Graz. (Virchow’s Arch. LXXVI. 3. p. 457. 1879. 
Schmidt med. Jahrb. 184. 10.) 

Verf. hat mit grossem Geschick die sogen, individuale Methode in 
der Statistik benutzt, um einige auf Zwillingsgeburten bezügliche Fragen 
zu beantworten. Aus der von C. Behr herausgegebenen Genealogie der 
europäischen Regentenhäuser, den genealogischen Tabellen von Hübner 
und den Stammtafeln von Voigtei — L. A. Cohn hat er 205 Fälle 
von Zwillingspaaren herausgezogen und deren Schicksale verfolgt. 

Das Alter der Eltern konnte bei 135 Fällen genau ermittelt werden. 
Für den Vater kam die grösste Zahl auf das Alter von 31—40, für 
die Mutter auf das von 26—35 Jahren. Die Zwillingsgeburt tritt meist 
als 3. bis 5., selten als erste, noch seltener als letzte Geburt auf. 

Kann die Geminität vererbt werden? Der Entscheidung dieser 
Frage steht namentlich das Hinderniss entgegen, dass Zwillinge sehr oft 
in den Kinderjahren sterben und dass auch die heiratsfähigen nicht 
immer eine Ehe eingehen. Von dem Material, das dem Verf. hier zu 
Gebote stand, konnten 192 Fälle verwerthet werden: unter ihnen sind 
zwei Drittel, 132 Fälle, als solche zu bezeichnen, in denen eine Ver¬ 
erbung anzunehmen war. Die Vererbung ist nahezu gleich häufig vom 
Vater (62 Fälle) als von der Mutter (70 Fälle). Ueber die Hälfte 
(51-5°/ 0 ) kommen auf die Kinder, 29*5°/ 0 auf die Enkel, 19°/ 0 auf die 
Urenkel. Verf. führt mehrere specielle Beispiele an. 

1. Adolf aus dem Hause Holstein-Gottorp zeugte mit der Zwillings¬ 
tochter Philipp’s von Hessen Zwillinge, der Zwillingssohn Johann Adolf, 
sowie dessen Sohn Friedrich HI. ebenfalls. Eine Tochter des Letztem, 
an Ludwig von Hessen verheiratet, gebar ebenfalls Zwillinge, deren 


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Medioin isch-chirurgische Rundschau. 


Urenkelin ebenfalls, und deren Zwillingstochter endlich, an König Max von 
Bayern verheirathet, gebar 2mal Zwillinge. 2. In der Familie der 
Capetinger lassen sich hinnen 300 Jahren bis auf die 11. Generation 
Zwillingsgeburten verfolgen. 3. Durch die Familie Hanau ist die Geminität 
auf die Regentenfamilien Baden, Bayern, Braunschweig, Hessen, Holstein, 
Lippe, Nassau und Waldeck fortgepflanzt worden. 4. Eine Potenzirung 
der Vererbung scheint einzutreten, wenn sowohl in der Familie des Vaters 
als in der der Mutter Geminität vorgekommen ist. Max von Bayern und 
Johann von Nassau-Idstein, welche selbst aus solchen Familien stammen 
und sich mit Zwillingstöchtern verheirateten, haben 2mal Zwillinge 
gezeugt. 

Dieser erhöhten Fruchbarkeit stehen, wie schon angedeutet, andere 
Momente gegenüber. 

Die wahrscheinliche Lebensdauer der Zwillinge berechnet Verf. auf 
nahezu 1 Jahr, die mittlere Lebensdauer auf 8*7 Jahre. Die Wahr¬ 
scheinlichkeit für einen lebend geborenen Zwilling, 20 Jahre alt zu 
werden, beträgt 0*4"/<>. Todtgeburten sind bekanntlich besonders häutig. 
(Bei diesen Zahlen ist zu erwähnen, dass Verf.’s Beispiele den höheren 
Ständen entnommen sind. Für die Gesammtbevölkerung würde sich die 
Wahrscheinlichkeit, bald zu sterben, noch viel höher stellen.) 

Höchst interessant ist es, dass die Lebensdauer für beide Zwillinge 
relativ häufig annähernd dieselbe ist. Bis zum 5. Lebensjahre waren 
72*8°/ 0 nahezu in demselben Alter und nur 27*2°/ 0 ungleichzeitig ge¬ 
storben. Verf. weist hier darauf hin, dass die Zwillinge auch häufig eine 
einzige Placenta haben. Merkwürdig ist aber, dass auch im höhern Alter 
die Zwillinge nicht selten bald nach einander sterben. 

Der Volksglaube an die theilweise Unfruchtbarkeit der Zwillinge 
hat nach den Ermittelungen des Verf.’s eine grosse Berechtigung. Matthias 
Corvinus hatte einen illegitimen Sohn, aber seine Ehe mit einer Zwillings¬ 
tochter blieb kinderlos. Der Herzog Max von Bayern lebte in der 1. mit 
einer Zwillingstochter eingegangenen Ehe 10 Jahre lang ohne Kinder, 
zeugte aber dann 2 Kinder in der 2. Ehe. Aus neuerer Zeit ist Ferdi¬ 
nand I. von Oesterreich, Friedrich Wilhelm IV. von Preussen und Fried¬ 
rich August H. von Sachsen zu nennen, deren Ehen mit Zwillingstöchtern 
kinderlos blieben, während die anderen Zwillingsschwestern derselben 
ihren Gatten zahlreiche Kinder gebaren. Während sonst unter 200 Ehen 
ca. 18—20 unfruchtbar sind, werden hier 28—29 gezählt. Circa der 

3. Theil von Zwillingen, weiche überhaupt eine Ehe eingegangen sind, 

kat keine Nachkommen gehabt. — 

111. Bemerkungen betreffend den Pulsus bigeminus. Von Prof. 
Dr. Kn oll in Prag. Deutsches Archiv f. klinische Medicin. 24 Bd., 

4. -5. Heft. 

Gegen Sommerbrod, der die von Knoll aufgestellte Behauptung, 
dass der Pulsus bigeminus den Zeitwerth von zwei vorhergehenden oder 
nachfolgenden rhythmischen Herzschlägen hat, zu widerlegen suchte, führt 
Knoll eine Beobachtung an, die er in der letzten Zeit bei einer Kranken 
machte, welche an einem Aneurysma der aufsteigenden Aorta und In- 
sufficienz der Aortaklappen leidet. Durch mehr als zwei Wochen konnte 
er bei dieser Kranken und zwar unabhängig von der Respiration, einen 
steten Wechsel zwischen rhythmischem und arhythmischem Puls constatiren, 
welch’ letzterer vorzugsweise in der Form des Pulsus bigeminus auftrat. 
Pulscurven, mittelst des Polygraphen von Knoll aufgenommen, zeigten 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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ebenfalls, dass der Pulsus bigeminus den Zeitwerth von zwei, und der 
zuweilen intercurrirende Bigeminus den Zeitwerth von drei rhythmischen 
Pulsen hatte. H. J e 11 i n e k. 


112. Beiträge zur klinischen Beurtheilung von Exsudaten und 
Transsudaten. Von Dr. A. Reuss. (Deutsch Arch. f. klin. Med. XXIV. 
6. pag. 583.) 

Trotzdem die Paracentese von Exsudaten und Transsudaten jetzt 
häufiger als früher vorgenommen wird, findet Verf. doch Gelegenheit, mit 
Recht zu bemerken, dass neben den makroskopischen und mikroskopischen 
Eigenthümlichkeiten der herausgenommenen Flüssigkeit auch das chemische 
Verhalten derselben etwas mehr berücksichtigt werden sollte, als es 
gewöhnlich zu geschehen pflegt. Denn gewiss ist nicht nur in Bezug auf 
die Krankheitsprocesse selbst noch mancher Aufschluss davon zu erwarten, 
sondern es können auch in dem speciellen Fall aus den quantitativen 
Verhältnissen der einzelnen Stoffe Anhaltspunkte gewonnen werden zur 
Beurtheilung des Ernährungszustandes des Kranken und des wahrschein¬ 
lichen Ablaufs seiner Erkrankung. Verf. hat nun versucht, einige gewisse 
Anhaltspunkte für die Diagnose und die Prognose , welche aus der che¬ 
mischen Beschaffenheit der Exsudate und Transsudate und namentlich aus 
deren Gehalt an Eiweiss entnommen werden können, eingehender zu 
prüfen. Es wurden die Flüssigkeiten in 4 Abschnitte geordnet: 1. Flüs¬ 
sigkeiten aus der Pleurahöhle, 2. aus der Bauchhöhle, 3. aus der Haut und 
dem Unterhautzellgewebe, 4. aus dem Centralnervensystem und seinen 
Hüllen. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen und die der anderen 
Autoren fasst Verf. in folgende Sätze zusammen: 

1. Bei den Transsudaten; auch bei grösseren Zahlen bestätigt 
sich der S c h m i d t’sche Satz, dass die verschiedenen Capillargruppen 
Flüssigkeiten von verschiedener Zusammensetzung liefern und dass sich 
im Eiweissgehalt Pleura, Peritoneum, Unterhautzellgewebe und Hirn- 
capillaren in absteigender Ordnung folgen. 2. Ob aber dieser Satz auch 
für die reinen Exsudate Geltung habe, ist sehr fraglich; eine Entscheidung 
will Verf. jetzt noch nicht darüber treffen, weil das Material noch zu ungleich¬ 
artig ist, jedoch vermuthet er, dass sie negativ ausfallen werde. Wenigstens 
scheint ihm bis jetzt Alles dafür zu sprechen, dass eine jede idiopathische 
Entzündung an allen Localitäten des Körpers bei gleicher Intensität ein 
im Eiweissgehalt annähernd gleiches Exsudat liefert. 3. Ferner glaubt 
Verf. für die Exsudate mit grosser Wahrscheinlichkeit den Satz aufstellen 
zu dürfen, dass der Eiweissgehalt mit dem Grade der Entzündung steige: 
eitrige Exsudate haben einen höheren Gehalt als seröse, und jauchige einen 
höheren, wenigstens an organischen Stoffen, als eitrige. 4. Nun trifft man 
aber am unteren Ende der Reihen von entzündlichen Flüssigkeiten solche 
mit weniger Eiweissgehalt, als die von primären Entzündungen stammenden 
Exsudate: dies sind entweder Transsudate, zu denen ein Entztindungs- 
process hinzukam, oder aber Exsudate bei hydrämischen Individuen. 5. Denn 
in zweiter Linie hat auf die Zusammensetzung der Exsudate so gut wie 
auf die der Transsudate die Blutbeschaffenheit Einfluss, ferner die Dauer 
der Transsudation und die Geschwindigkeit des Blutstroms, welche Mo¬ 
mente Verf. in dieser Arbeit nicht genauer verfolgt hat. 6. Oft ist es 
schwer zu unterscheiden, ob eine Flüssigkeit entzündlicher oder nicht- 
entzündlicher Natur sei, weil sie eben Beides zugleich sein kann, und daher 
ist es unmöglich, eine allgemein gütige Grenze zwischen Exsudaten und 
Transsudaten in Zahlen anzugeben. 7. Wohl aber glaubte Verf. bei den 


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142 


Medicimach-chinirgische Randschau. 


einzelnen Classen von Flüssigkeiten aus seinen Zusammenstellungen je 
zwei Zahlen als Durchschnittsgrenzen aufstellen zu können, gleichsam als 
ideales Minimum für die reinen Transsudate der verschiedenen Capillar- 
systeme. 


Bei Transsudaten mehr als 

25 

15 (—20) 

10 (—15) 

5 (-10) 


Gewöhnlich beträgt der Eiweissgelialt: 

Bei Exsudaten mehr als 

in der Pleura . . 40 

im Peritoneum . . 40 (45) 

in der Haut . . 40 

in den Hirnhäuten . V 

8. Endlich ergibt sich aus obigen Erörterungen, dass die chemische Unter¬ 
suchung der durch Paracentese entleerten Flüssigkeiten nicht blos für die 
Diagnose des vorhandenen Krankheitsprocesses von grosser Bedeutung ist, 
sondern unter Umständen auch flir die Prognose. Letzteres ist namentlich 
bei mehrfachen Punctionon desselben Kranken der Fall, und es lässt sich 
dabei die Regel aufstellen, dass bei gleichbleibender Intensität des 
Krankheitsprocesses die Prognose sich dem Eiweissgehalt entsprechend 
verhält: sie Wird günstiger, wenn dieser steigt, schlechter, wenn dieser fällt. 

L—sch. 


113. Ueber Leichenschau der Neugeborenen. Von Sanitätsrath 
Dr. Ritter in Berlin. (Vierteljahrschr. f. gerichtliche Med. XXXI. 2.) 

Die Feststellung des Todes bei Besichtigung neugeborener Kinder, 
an denen man Zeichen des Lebens vermisst, ohne dass allgemein adoptirte. 
sichere Zeichen des Todes vorhanden sind, ist weit schwieriger, als die 
Beurtheilung des Ablebens anderer Menschen, bei denen der vorhergehende 
Todeskampf die Diagnose bedeutend erleichtert. Zuverlässige Kennzeichen 
des eingetretenen Todes kurz nach dem Tode des Neugeborenen gibt es 
nicht, und es ist daher stets die Gefahr vorhanden, dass das Neugeborene 
mit noch glimmendem Lebensfunken an der Stätte seiner Geburt ohne 
Hilfe umkommt, oder dass es, noch ehe das Leben erloschen, beer¬ 
digt wird. 

Man nimmt gewöhnlich, sobald bei mehrfach wiederholter Unter¬ 
suchung keine Spur von Herz-Tönen, selbst in langen Intervallen, oder 
wenigstens unrhythmischem, dunklem Geräusch in der Gegend des Her¬ 
zens wahrzunehmen ist, den Tod als sicher eingetreten an. Es existiren 
aber ältere und neuere Beobachtungen, welche beweisen, dass selbst bei 
fehlendem Herzschlage das Leben noch bestehen kann, und zwar erklärt 
man dies so, dass bei Compression des Gehirns durch mechanische Reizung 
des Vagus Ursprunges eine Verlangsamung und selbst Unterdrückung der 
Herzthätigkeit bewirkt werden könne. Dohm hat einen solchen Herz¬ 
stillstand beobachtet, als die Extraction an den Füssen gemacht war und 
der nachfolgende Kopf ein enges Becken zu passiren hatte; erst im war¬ 
men Bade restituirte sich die Herzthätigkeit. 

Ob während der höchsten Grade des Scheintodes der Neugeborenen 
das Athmen ganz sistirt sein kann, oder ob dasselbe der Beobachtung nur 
entgeht, darüber war man von Alters her verschiedener Ansicht. Vor dem 
ersten Athemzuge geht immer kurz nach der Geburt Athmungslosigkeit 
als Fortdauer der fötalen Apnoö voraus, und diese Pause kann z. B. bei 
raschen Geburten Mehrgebärender oft ungewöhnlich lange dauern. Ausser¬ 
dem gibt es verschiedene Zustände von Scheintod nach der Geburt mit 
absoluter Ruhe der inspiratorischen Muskeln; namentlich gehört hierhin 
die häufigste Form des Scheintodes des Neugeborenen durch plötzliche 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


143 


Störung der Placentarathmung während der Geburtsarbeit, z. B. bei Com- 
pression der Nabelschnur. Der bei diesem Vorgänge entstehende Sauerstoff¬ 
mangel zwingt zu verfrühten Athembewegungen und die bei dieser 
intrauterinen Athmung eingezogenen Geburtsflüssigkeiten können so be¬ 
deutend sein, dass nach der Geburt keine Luft in die durch sie ver¬ 
schlossenen Athmungswege gelangen kann. 

Ist Lebensschwäche die Ursache, dass die Athembewegungen aus- 
bleiben, so können sie allmälig wieder eintreten. Sind aber durch vorzeitige, 
aber durch Verlegung der Athemöffnungen erfolglose Inspirationsversuche 
die im Thorax gelegenen Blutbahnen übermässig von Blut Überfüllt wor¬ 
den, so kann das Leben meist nicht fortbesteben; absolut unmöglich ist 
die Erweckung der Athembewegungen, sobald das Athmungscentrum bei 
der Geburt durch Druck auf die Halswirbelsäule zerstört wurde, wenn 
auch das Herz noch kräftig fortschlägt. 

Bei einem sich bis auf mehrere Stunden ausdehnenden Scheintode 
nimmt Olshausen eine unvollkommene, der Beobachtung entgehende 
Hespirationsthätigkeit als nothwendig an. Nach Schnitze kann sich in- 
dess das Dasein der Neugeborenen nicht blos ohne jede Respiration, son¬ 
dern auch unter Absperrung des Luftzutritts stundenlang in der Asphyxie 
erhalten, wenn diese die Fortsetzung eines intrauterinen Scheintodes ist, 
welcher ohne vorzeitige Athmung durch ganz allmälige Sauerstoffverarmung 
zu Stande kommt. So gibt es constatirte Fälle, auch aus neuerer Zeit, wo 
heimlich begrabene Kinder nach Stunden noch lebend aus der Erde ge¬ 
zogen und zum Theil erhalten worden sind; ebenso wie ein asphyktisch 
gemachtes warmblütiges Thier um so länger die Athmung entbehren kann, 
je niedriger die Temperatur ist, in der es sich befindet. 

Fehlende Athmung ist also ebenfalls kein Criterium des Todes. 
Ebenso wenig garantiren die übrigen Zeichen, mit denen der eben oder 
vor Kurzem erfolgte Tod einhergeht, seine unzweifelhafte Gegenwart, nicht 
die glanzlose Conjunctiva, oder der offenstehende Mund mit herabhäugendem 
Unterkiefer, nicht das Schlottern des Kopfes oder der offenstehende After. 
Früher unterschied man eine Asphyxia livida 8. apoplectica und eine 
Asphyxia pallida s. syncoptica. Cazeaux hat zuerst nachgewiesen, dass 
der letztere Scheintod aus dem ersteren hervorgeht, dass beide Formen 
nur 2 verschiedene Perioden desselben krankhaften Zustandes sind, dessen 
erstes Stadium bald noch im Uterus abläuft, bald vor den Augen des Beob¬ 
achters nach der Geburt in das zweite übergeht. Wenn das Letztere geschieht, 
die Gesichtsblutfülle des blaurothen, regungslosen Kindes sich in Leichen¬ 
blässe verwandelt, die Glieder in auffallendster Weise welk und schlaff werden, 
die Funktion der Lungen und die des Herzens nicht nachzuweisen sind, dann 
ist der Eintritt des Todes allerdings in hohem Grade wahrscheinlich. 

Die Gewissheit des Todes geben erst die unzweideutigen Erschei¬ 
nungen der Zersetzung, der übrigens die Körper Neugeborener früher 
anheim fallen, als andere Leichen. Wenige Stunden schon nach dem Tode 
der Neugeborenen begegnen wir den auf Blutsenkung beruhenden Todten- 
flecken, Livores mortis, und der Leichenstarre, Rigor mortis, der aber bei 
Neugeborenen von kürzerer Dauer und weniger ausgesprochen ist, als bei 
grössem Kindern und Erwachsenen. 


114. Ueber die ohemische Ursache der Giftigkeit des Arseniks. 

Von Professor Binz in Bonn. (Böttger’s Pharm. Zeitg. 1879. 26.) 

Die Vielgestaltigkeit der Erscheinungen, welche das altberüchtigte 
Ingredienz der Aqua di Tofa im Körper hervorruft, hat bisher eine ein- 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


lieitliche Erklärung nicht möglich gemacht. Die von einigen Fachchemikern 
gegebene lautet dahin, der Arsenik verbinde sich mit dem Eiweiss der 
lebenden Gewebe und mache sie dadurch unfähig, Umsetzungen einzugehen, 
also auch die Veränderungen zu erleiden, von denen das Leben abhänge. 
Beweis dafür sei die füulniss widrige Wirkung des Arseniks. Gegen diese 
willkürliche Erklärung spricht eine ganze Reihe von Gründen, am meisten 
der, dass der Arsenik keiner chemischen Verbindung mit dem Eiweiss 
fähig ist, wie andere fäulnisswidrige Gifte, z. B. das Quecksilbersublimat, 
dies sind. Unter den verschiedensten Versuchsbedingungen sind die ar¬ 
seniksauren Alkalien den Eiweissarten des Thierkörpers gegenüber ohne 
den geringsten Einfluss und selbst die freie Säure wirkt weniger als die 
Kohlensäure auf dieselben ein. Erst nach einigem Verweilen im Organis¬ 
mus entfaltet der Arsenik seine stürmisch zerstörende Thätigkeit. Am 
meisten werden von ihr der Magen und Darmcanal betroffen, sodann die 
Nerven des Herzens und der Athmung. Für den Erfolg ist es gleichgiltig, 
ob das Gift von der Haut her oder durch den Mund eingeftlhrt wurde. 
Verf. hat nun durch Untersuchungen, weiche er zusammen mit Dr. H. 
Schulz anstellte, nachgewiesen, dass von den Drüsen und drtisenartigen 
Organen bei Blutwärme die arsenige Säure zu Arsensäure und diese 
wiederum in jene verwandelt wird. Es findet darum innerhalb der leben¬ 
den Gewebe ein heftiger, die Zellen zerstörender Austausch von nascirendem 
Sauerstoff statt, so wie beim Umwandeln von Stickoxyd oder wie bei der 
Verwandlung des Wasserstoffsuperoxyds in Wasser. Wie dort der Stick¬ 
stoff und das Wasser, so bildet beim weissen Arsenik das Metalloid Arsen 
nur den Träger des die inneren Organe anätzenden nascirenden Sauer¬ 
stoffs. Die Möglichkeit, diesen erst innerhalb der Gewebe zu entwickeln, 
macht beim weissen Arsenik den wichtigen Unterschied aus. Die vor¬ 
liegende Theorie bringt alles, was wir von Arsenwirkung wissen, ohne 
Zwang unter einen einheitlichen Gesichtspunkt, widerspricht keiner be¬ 
kannten Thatsache und beruht auf experimentellen Ergebnissen. 

115. Ueber den Einfluss des Schwitzens auf den quantitativen 
Hämoglobingehalt des Blntes. Von N. Sassezki. (St. Petersb. med. 
Wochenschrift. 1879. 40.) 

Verf. brachte eine Anzahl gesunder und kranker Personen durch 
ein Dampfbad, oder ein warmes Wannenbad, oder durch Pilocarpininjection 
zum Schwitzen und bestimmte vor dem Eintritt des Schweisses, während 
desselben und nachher in passenden Intervallen den Hämoglobingehalt 
des Blutes mittelst des colorimetrischen Apparates von Malassez. Die 
untersuchten Individuen nahmen während des Verlaufes der Versuchsreihe 
dieselbe Nahrung zu sich. Es ergab sich, dass 1. beim Schwitzen der 
relative Hämoglobingehalt des Blutes steigt (während Leichtenstern 
das Gegentheil beobachtet hat). Die Zunahme betrug 20—58 mg. auf 
1 ccm. Blut. 2. Der Procentgehalt des Blutes an Hämoglobin blieb 1—1 1 ; 2 
Stunden erhöht, kehrte dann zum ursprünglichen Werthe zurück. 3. Der 
Vermehrungsgrad des Hämoglobins erschien übrigens von dem Gesund¬ 
heitszustände der Versuchspersonen, wie von der Art des angewendeten 
Diaphoreticums unabhängig, dagegen abhängig von der Intensität des 
Schwitzens. Verf. glaubt, dass die durch diese Beobachtungen wahr¬ 
scheinlich gemachte Eindickung des Blutes in Folge des Schwitzens auf 
die osmotischen Vorgänge in den Geweben und somit auch auf den Stoff¬ 
wechsel überhaupt von Einfluss sein müsse. Auch eine mechanische 
Rückwirkung auf das Herz in Folge der erschwerten Fortbewegung des 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


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dickeren Blutes in den Capillaren glaubt Verf. annehmen zu müssen. 
Versuche! in denen durch Stickstoffbestimmungen im Harn der Einfluss 
des Schwitzens auf den Oesammtstoffwechsel klargestellt werden sollte, 
ergaben relative Vermehrung des Stickstoffgehaltes bei absoluter Ver¬ 
minderung der Hammenge. Meist war die absolute Stickstoffausfuhr während 
des Schwitzens gesteigert. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 


116. Gemeine Rachsucht, anerlaubte Selbsthilfe oder Wahn¬ 
sinn? Ein psychiatrisches Gutachten von Dr. G. Burkardt, 2. Arzt 
der Irrenanstalt in Waldau, Docent für Psychiatrie in Bern. (Viertel¬ 
jahresschrift für gerichtl. Medicin und öffentl. Sanitätswesen XXXI. Bd., 
2. Heft, pag. 235 u. f.) 

Der Bäckermeister M. traf eines Tages seinen früheren Advocaten K. 
mit einem Collegen auf der Gasse, fiel über ihn her und zerprügelte ihn 
jämmerlich und stellte sich dem Gerichte dann selbst. 

Durch die Art und Weise, wie er sich bei den einzelnen Verhören 
benahm, wie er seine Handlungsweise motivirte uud als durchaus ge¬ 
rechtfertigt vertheidigte; ferner dadurch, dass die Zahl seiner vermeint¬ 
lichen Widersacher immer wuchs und er schliesslich überall schon Ver- 
rath, Betrug und Verschwörung witterte, erregte er das Bedenken seiner 
Richter und wurde in Bezug auf seinen Geisteszustand untersucht. Die 
Untersuchung ergab, dass M. schon seit Jahren an Verfolgungswahn leide 
und seine That nur der Ausfluss seiner Geisteskrankheit war, ilim also 
gesetzlich nicht zugerechnet werden könne. Dr. Schlemmer. 


117. Fälle von Selbsterdrosselung. Mitgetheilt von Prof. E. 
H ofmann in Wien (Wiener med. Presse. 1879, 42) und Prof. Maschk a 
in Prag. (Wiener med. Wochenschrift 1879, Nr. 22—26.) 


Der Fall betrifft ein 20jähriges Mädchen, welches wegen einer ge¬ 
richtlichen Untersuchung, in die sie gezogen werden sollte, sich in der 
Badecabine eines öffentlichen Bades ermordete. Sie verwendete als Stran- 
gulationsw r erkzeug einen dicken Spagat, wie solcher zum Binden der 
Zuckerhüte allgemein gebraucht wird. 

Den Selbstmord führte sie in der Weise aus, dass sie sich voll¬ 
kommen entkleidet in die für sie zum Bad hergerichtete Wanne hinein¬ 
kniete, sich in dieser Stellung das Strangulationswerkzeug zuerst in zwei 
Touren um den Hals legte, fest zuschnttrte und knotete und dann noch 
eine dritte Tour umlegte und wieder zuzog und knotete. Wie fest sie 
diese drei Touren zusammenzog, geht daraus hervor, dass nach Angabe 
des Badewärters der Hals wie ein Paar Würste ein-, resp. abgeschnürt 
war und er nur mit Mühe im Stande war, eine Messerklinge flach 
«lurchzuschieben. 

Nachdem sie sieh den Hals in der angegebenen Weise zugeschnürt 
hatte, steckte sie entweder — noch selbstbewusst — den Kopf nach vorne 
iu’s Wasser, oder sie sank beim Schwinden des Bewusstseins nach vorne 
liber uud gelangte dadurch mit dem Kopf unter Wasser. Sie wurde nach 
Verlauf von kaum einer halben Stunde, im Bade knieend, den Kopf 
unter Wasser todt aufgefunden. 


Med.-ohir. Rundschau. 1880 . 


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Medicinisch-chirurgisehe Randschau. 


Anschliessend an diesen einen Fall, veröffentlicht Prof. Dr. J. 
Maschka in Prag, einige (fünf) Fälle von Selbsterdrosselung. 

Der erste Fall betrifft einen etwa 38—40jährigen Mann, welcher 
sich in der Nähe von Prag in einem Gebüsche mit einem 2 Cm. breiten 
Riemen erdrosselt hatte. Der Riemen war durch die an einem Ende be¬ 
findliche Schnalle durchgezogen und hielt den Hals, kreisförmig festan- 
liegend, umschlossen. Unterhalb des Riemens war das Stück eines frisch¬ 
saftigen mannsfingerdicken Baumastes durchgesteckt und mit demselben 
der Riemen 4mal um seine Axe gedreht und der Hals bedeutend ein¬ 
geschnürt. Das obere Ende des Astes stützte sich an den Unterkiefer 
links vom Kinn, das untere an das Schulterende des Schlüsselbeines. Die 
wohlgeordneten Kleider des Selbstmörders, sowie der intacte Inhalt ihrer 
Taschen und die Umgebung des Ortes verriethen nirgends die Spur 
eines stattgehabten Kampfes. 

Der zweite Fall betrifft einen 16jährigen Bräuerlehrling, welcher 
sich angesichts zweier Bräuergehilfen dadurch erdrosselte, dass er seinen 
Hals zwischen den sich kreuzenden Treibriemen eines von ihm selbst 
zu diesem Zwecke erst in Bewegung gesetzten Elevators steckte. 


Der eine Gehilfe sah die ganze Manipulation, doch bevor er herbei- 
eilen und den in Gang gesetzten Elevator aufhalten konnte, war der 
Bursche eine Leiche. Bei der Section fand sich die Haut des Halses 
bläulich verfärbt, vom Kehlkopf bis gegen die Mitte des Unterkiefeis 
rechterseits aufsteigend ein weich anzufühlender blauer Streifen und unter¬ 
halb des rechten Ohres eine querverlaufende 2 Cm. lange, sehr feine, braune 
vertrocknete Hautaufschhrfung. Am Halse keine Blutunterlaufung, Kehl¬ 
kopf, Zungenbein und Luftröhre unverletzt. 

Der dritte Fall betrifft einen 50jährigen, durch längere Zeit ge- 
mtithskranken Mann, welcher sich in seinem Bette liegend erdrosselte. 

Derselbe legte sich eine Schnur einfach um den Hals, kreuzte die¬ 
selbe durch einfaches Durchschlingen, ohne einen Knoten zu bilden, zog 
sie zusammen, befestigte die Enden der in solcher Weise gebildeten 
Schlinge an den knopfartigen Aufsätzen des Bettes und bewirkte dann 
die vollständige Strangulation durch Herabrücken seines Körpers gegen 
das Fussende des Bettes. Die Untersuchung ergab eine vollständig aus¬ 
geprägte Strangfurche, welche vorne über dem Zungenbeine und am 
Nacken nur um 1*5 Cm. höher verlief; an den Bindehäuten fanden sich 
einzelne kleine Eechymosen und war die Zungenspitze zwischen die Zähne 
eingeklemmt. 

Der vierte Fall betrifft eine 35 Jahre alte Geisteskranke, welche 
sich, sei es durch Zufall, oder absichtlich am Halsausschnitt der Zwangs¬ 
jacke, mit welcher sie bekleidet war, erdrosselte. 

Dieselbe war wegen ihrer Unruhe mit einer Zwangsjacke bekleidet 
auf ein Bett gelegt worden und wurden die Aermelenden an einem quer 
über das Bett gespannten Gurt befestigt. 


Es gelang nun der Patientin ihre Bande — die am Gurt befestigten 
Aermel — soweit zu lockern, dass sie den Kopf und Oberkörper theil- 
weise aus dem Bette nach rechts hinausneigen konnte; dadurch spannte 
sie den Halsausschnit der am Gurt mit den Aermeln befestigten Zwangs¬ 
jacke gegen die Vorderfläche ihres Halses so stark, dass dieselbe fest 
eingeschnürt wurde und die Strangulation zu Stande kam. 

Die Obduction ergab an der rechten Seite des Halses, eine von 
der Mitte desselben beginnende nach aussen verlaufende, bei 12 Cm. lange, 


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Me dicinisch-chirur gische Rundschau. 


147 


bnone, vertrocknete Strangfurche und einen Blutaustritt an der hinteren 
Wand und im umliegenden Zellgewebe der Speiseröhre. 

Der fünfte Fall betraf eine 56jährige Frau, welche sich in einem 
Hotel im Bette liegend mit einer um den Hais gelegten Schlinge eines 
1 Cm. breiten Leinenbandes erdrosselte. 

Sie kam Abends zuvor in das Hotel, bezahlte die Taxe für das 
Zimmer im Voraus, sprach noch mit dem Stubenmädchen, schrieb einen 
Brief nnd entleibte sich dann, indem sie sich, wie vorbesagt, eine aus 
einem Leinenbande gemachte Schlinge um den Hals legte und das 
freie Ende des Bandes an die Lehne eines vor das Bett gestellten Sessels 
befestigte. Sie lag dabei so im Bette, das nur das Gewicht des herab- 
sinkenden Kopfes, nicht aber jenes des Körpers zur Geltung kam; es ist 
diese Art des Selbstmordes also weder ein Erhängen noch ein Erdrosseln, 
sondern ein Mittelding zwischen Beiden. Dr. A. Schlemmer. 

118. üeber die Production von Kinder- und Curmilch in städti¬ 
schen Milchcuranstalten. Von Dr. Victor Cnyrim. (Deutsch. Jahressch. 
f. off. Gesdhpfl. XI. Arch. f. Kinderheilk. I. 2. Ref. Genser.) 




Die insbesondere in grösseren Städten mit Schwung betriebenen Ver¬ 
fälschungen der Milch, unter welchen die einfache Abrahmung sowie die 
Verdünnung mit Wasser noch die unschuldigsten sind, haben den be¬ 
rechtigten Wunsch wachgerufen, ob es denn nicht möglich wäre, wenigstens 
für Kinder und Kranke eine unverfälschte sowohl, wie auch eine an sich 
gute Milch zu verschaffen. In verschiedenen Städten Deutschlands hat man 
zur Erreichung dieses Zweckes eigene „Milchcuranstalten“ gegründet, 
unter denen die in Frankfurt die erste war. lieber deren Verhältnisse 
gibt Cnyrim ausführlichen Bericht, und knüpft zugleich die Besprechung 
verschiedener Fragen daran, die, obwohl die Milchliteratur schon nach 
Bänden zählt, doch noch immer ihrer endgiltigen Lösung harren. 

Die Frankfurter Milchcuranstalt wurde am 1. April 1877 mit einem 
Bestände von 30 Kühen eröffnet; am 1. Jänner 1878 waren schon 96 
Kühe vorhanden; in diesem Zeiträume wurden 388,000 Liter Milch an 
das Publicum abgegeben. Bei der Einrichtung einer solchen Anstalt muss 
nun vor Allem auf die Rasse der Kühe Rücksicht genommen werden; 
denn da Milch nicht blos ein Secret der Milchdrüse, sondern dem Wesen 
nach das „verflüssigte Organ selbst“ ist, so ist es klar, dass die Consti¬ 
tution des Mutterthieres einen wesentlichen Einfluss auf die Beschaffenheit 
der Milch hat. Bei den Kühen beeinflusst die Rassenverschiedenheit sowohl 
die Qualität wie auch die Reichlichkeit der Milch; je reicher aber die 
Milchproduction, desto wässriger ist die Milch (Niederungsrassen, die auch 
eine weniger kräftige Constitution haben, als die Höhenrassen). Im weitern 
muss berücksichtigt werden, dass die Disposition zu einer unter den Kühen 
im Allgemeinen ziemlich verbreiteten Krankheit, der Perlsucht (Tubercu- 
lose,. an der ganz besonders die Kühe in den gewöhnlichen städtischen 
Milchwirthschaften leiden, bei den verschiedenen Rassen eine verschiedene 
ist: so sollen die Holländer Kühe besonders dazu disponiren, ebenso das 
Schweizer Fleckvieh; am seltensten kommt die Krankheit vor bei der 
grauen Schwyzer Rasse (sog. Rigirasse). Diese Rasse also ist in jeder 
Beziehung am besten geeignet für die Milchcuranstalten, und wird die¬ 
selbe auch in der Frankfurter gehalten. Was die Tuberculose der Kühe 


aabelangt, so kann die Disposition hiezu vererbt werden; die Krankheit 
selbst kann durch Yerftltterung von Milch perlsüchtiger Kühe auf andere 


Thtere, sowie auch auf den Menschen übergehen, da sie bei beiden 

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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


identisch ist. Es sind mehrere Fälle bekannt, wo Kinder tuberculös wurden y 
und eine nachträgliche Untersuchung zeigte, dass die Milch, mit der sic 
ernährt worden waren, von tuberculösen Kühen stammte. Auch für Er¬ 
wachsene dürfte die „kuhwarm“, also roh, zur Cur genossene Milch von 
tuberculösen Kühen kaum sehr zuträglich sein. Endlich kann die Tuber- 
culose auch durch Einathmung. sowie durch VerfÜtterung tuberculöscr 
Sputa übertragen werden, wie dies durch Experimente an Hunden nach¬ 
gewiesen ist. Gesunde Kühe, die mit tuberculösen in einem geschlossenen 
Stalle zusammen stehen, erkranken häufig selbst. 

Die Berechtigung, eigene Anstalten zur Production von Milch für 
Kinder und zu Curzwecken zu halten, gründet sich darauf, das der prak¬ 
tische Oekonom nicht die zur Erzeugung einer guten Milch nothwendige 
Art der Fütterung einhält, weil ihn andere Rücksichten hiebei leiten und 
die Milchproduction mehr weniger Nebensache ist. Die ganze Fütterung 
und Haltung der Thiere wird eine andere sein in einer Anstalt, die es 
sich eben zum Zwecke macht, gute Milch zu produciren, als wo dies nur 
als Nebenzweck gilt, oder möglichster Gewinn daraus gezogen werden 
soll, sei es auch gerade nicht immer auf reellste Weise. 

Gelegentlich kommt der Verfasser auch auf ein unter Aerzten und 
Laien ziemlich verbreitetes Vorurtheil zu sprechen, dass es nämlich für 
die Ernährung des Kindes am besten sei, stets die Milch ein und der¬ 
selben Kuh zu bekommen. Dieses Verlangen ist zum Mindesten ein über¬ 
flüssiges, weil gar nicht motivirtes. Wenn sich auch bei der Milch einer 
Kuh im Verlaufe der Lactationszeit gewisse, übrigens sehr geringe Ver¬ 
änderungen ihrer Beschaffenheit zeigen, so kann man doch nicht von 
einem Anpassungsverhältniss zwischen der fortschreitenden Lactation der 
Kuh und der zunehmenden Entwicklung des Säuglinges sprechen, da ja 
diese Anpassung durch stets geringer werdenden Wasserzusatz zur Kuh¬ 
milch künstlich herbeigeführt wird. Ferner ist zu berücksichten, das» 
während bei der Mutter der Inhalt der Drüse beim jedesmaligen Anlegen 
des Kindes ganz oder nahezu ganz entleert wird, dies beim Abmelken 
der Kuh nicht der Fall ist; nun differiren aber die einzelnen Milchportionen 
ganz bedeutend, besonders im Fettgehalt, indem die zuerst gemolkenen 
Partien viel weniger Fett enthalten als die letzten (die Differenz kann 
von 1,6—10°/ 0 Fett betragen). Es wird eine viel grössere Gleichmässig- 
keit der Zusammensetzung erzielt durch Sammelmilch von allen Kühen 
eines Stalles, indem sich dadurch die einzelnen Differenzen mehr aus- 
gleichen. Endlich könnte gerade die Kuh, von der die Milch für ein Kind 
genommen wird, erkrankt sein, ohne dass dies gleich erkennbar (sogar 
an Tuberculose); es wird dann diese Milch, gemischt mit der der übrigen 
gesunden Kühe, viel weniger schaden können, als für sich allein genossen. 
Wir können diesen Anschauungen des Verfassers vollkommen beipflichten 
und sehen ebenfalls nicht die besonderen Vortheile ein, die die viel ge¬ 
priesene Ernährung mit Milch von einer und derselben Kuli gewähren soll; 
wir wollen hierzu auch bemerken, dass die Milch verschiedener Kühe r 
wenn sie nur von derselben Rasse sind und mit derselben Nahrung ge¬ 
füttert w r erden, in ihrer chemischen Zusammensetzung kaum nennenswertke 
Differenzen bietet, wie wir uns selbst durch mehrfache Analysen zu über¬ 
zeugen Gelegenheit hatten. 

Die von der Anstalt producirte Milch muss in einer Weise geliefert 
werden, welche gegen Verfälschung oder Verderbniss die grösstmögliche 
Sicherheit bietet. Verfälscht kann die Milch werden durch Abrahmung, 
durch Verdünnung mit Wasser, durch allerhand Zusätze, wie Soda, Borax, 


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Medicinisch-chirargiache Rundschau. 


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Kalkwasser etc.; verderben kann sie entweder durch Sauerwerden während 
des Transportes, oder durch Zusatz von inficirtem unreinen Wasser (be¬ 
kannt sind die Fälle in England, wo epidemische Krankheiten auf diese 
Art verbreitet worden). Dies alles wird in der Milchcuranstalt möglichst 
hhit&ngehalten; die Milch wird täglich mittelst Aräometer geprüft; das 
Melken und Füllen der Flaschen wird genau überwacht; der Transport 
erfolgt möglichst rasch etc. Uebrigens besteht eine eigene Controle-Com- 
mission, bestehend aus drei Aerzten und einem Thierarzt. 

Gelegentlich der Besprechung der Mängel der chemischen Analyse der 
Milch geht Verfasser über zum Vergleiche der Kuhmilch mit der Frauen¬ 
milch, wobei er aber von vorneherein daran erinnert, dass man in den durch 
die quantitative Analyse gewonnenen Zahlen Dinge einander gegenüber- 
stellt, die eigentlich qualitativ verschieden sind, so den Zucker und 
besonders das Casein der Kuh- und Frauenmilch. Daher rührt es auch, 
dass die verschiedensten Behauptungen aufgestellt worden sind für die 
angeblich beste Mischung zur Kinderernährung; wir erinnern nur an die 
Namen Ritter, Biedert, Wegscheider, Jacobi etc. Cnyrim 
macht mit Recht auf einen bisher meist vernachlässigten Umstand auf¬ 
merksam, dass man nämlich bei der Verdünnung der Kuhmilch mit 
Wasser die relative procentische Zusammensetzung berücksichtigen 
müsse; nach dieser ergibt sich, dass die Frauenmilch mehr Fett als Al- 
buminate enthält, während bei der Kuhmilch das relative Procentverhält- 
niss ein umgekehrtes ist. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, wird 
sich also die Kuhmilch hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung 
der Frauenmilch im Wesentlichen um so mehr nähern, je grösser ihr Ge¬ 
halt an Fett ist. Dieser Mangel wird dadurch ausgeglichen, dass das 
Kind von der Kuhmilch eine bedeutend grössere Menge (bis zum dopp eiten) zu 
«ich nimmt; man kann also sagen: die Kuhmilch ist im Stande, mittelst 
einer gewissen Verschwendung von Nährstoffen die Frauenmilch zu ersetzen ; 
andrerseits ergibt sich daraus, dass die physiologischen Emährungs- und 
Wachsthumsbedingungen ziemlich weitgesteckte Grenzen haben. „Die 
Brauchbarkeit der Kuhmilch als Ersatz der Frauenmilch beruht sonach 
auf der Fähigkeit des Organismus, das qualitativ und quantitativ ver¬ 
schiedene Nahrungsmaterial seinen Bedürfnissen gemäss zu verwerthen.“ 
Gewiss ist, dass eine Milchart besser sich zur Ernährung eignen wird als 
eine andere, aber welche die bessere, das lässt sich nicht theoretisch, 
sondern nur durch praktische Erfahrung feststellen. Hieran knüpft sich 
anch die Frage, ob es möglich ist, die relative procentische Zusammen¬ 
setzung der Kuhmilch willkürlich zu ändern. Sicher sind hier Rassen- 
«nterscbiede, sowie die Ernährung der Kühe von Bedeutung; Positives 
ist aber hierüber noch wenig bekannt und müssen erst eingehendere Ver¬ 
snobe hierüber gemacht werden. 

Die Erfolge mit der Anstaltsmilch als Kindernährmittel sind sehr 
gute; selbst im Sommer sind Magen- und Darmkatarrhe nicht beobachtet 
worden; Blähungen und Meteorismus sind selten, häufiger leiden die 
Kinder an Obstipation, was aber auch bei guten Ammen vorkommt und 
nach Vierordt gerade ein Beweis guter Verdauungskraft und voll¬ 
ständiger Ausnützung des Ernährungsmateriales ist. Zum Schlüsse bespricht 
Verf. kurz die Surrogate für Frauenmilch und kommt bei Berechnung der 
Kosten zu dem Resultate, dass relativ die Ernährung mit Kuhmilch auch 
am billigsten kommt; natürlich stellt sich der Preis für Anstaltsmilch 
etwas höher als für die Milch aus den gewöhnlichen Milchwirtschaften; 
Jedermann wird aber gerne für gute und sicher unverfälschte Milch etwas 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


mehr zahlen. Zum Schlüsse spricht Verf. den Wunsch aus: „die Be¬ 
mittelten sollten darauf denken, analog den Suppenanstalten und ähnl., 
Fonds zu gründen, aus denen den ungünstig Situirten gesunde Nahrung 
für ihre Kinder zugeführt würde“. 

119. Einfluss von Alter, Geschlecht und Ehe auf die Disposition 
ZU Geistesstörung. Von Chapman (London). (Centralbl. f. Nervenh. 
1879. 26.) 

Verf. kommt nach den Berichten über sämmtliche im Jahre 1876 
in allen englischen Anstalten aufgenommene Geisteskranke zu folgenden 
Schlüssen: 

1. Die benützten Zahlen sind gross genug, um befriedigende Resul¬ 
tate zu gestatten. 

2. Im Verhältniss zur Gesammtbevölkerung wächst die Zahl der 
Aufnahmen mit dem Alter bis zum 35. Jahre (12 von 10.000), von da 
an nimmt sie stetig ab (in hohem Alter 10 von 10.000); rechnet man 
nicht vom Tage der Aufnahme, sondern vom ersten Anfall an, so bleibt 
die Neigung zur Geistesstörung vom 30. oder schon vom 20. Jahre an 
aufwärts für jedes Alter ziemlich gleich. 

3. In dem Alter zwischen 20 und 40 Jahren überwiegen stark die 
Männer, vom 40. bis zum 60. etwas die Weiber, über dem 60. wieder 
etwas die Männer. Schliesst man die allgemeine Paralyse aus, so wird 
die stärkere Disposition der Weiber zwischen dem 40. und 60. Jahre 
noch viel deutlicher. 

4. Von allen Leuten, die das 20. Jahr überschreiten, kommen im 
Laufe ihres späteren Lebens 3*5°/ 0 in Anstalten. 

5. Berücksichtigt man das Verhältniss der Ledigen, Verheirateten 
und Verwitweten in der über 20 Jahre alten Gesammtbevölkerung, so 
werden auf je einen verheirateten 2*83 ledige und 1*5 verwitwete 
Geisteskranke in den Anstalten aufgenommen. 

6. Es ist ziemlich sicher, dass die Ueberzahl der Ledigen nicht 
dadurch zu erklären ist, dass Ehelosigkeit Geistesstörung verursacht, 
sondern diese oder eine Neigung dazu, halten von der Ehe ab. Unter 
dieser Voraussetzung würden in einem Alter von 20 bis 30 Jahren l°/ 0 
und zwischen 30 und 40 Jahren 3°/ 0 aller Ledigen wegen Disposition 
zur Geistesstörung unverheiratet bleiben und späterhin in Anstalten 
kommen. 

7. Die allgemeine Paralyse ist häufiger bei Männern als bei Weibern, 
doch gerade im ungünstigsten Alter, zwischen 40 und 50 Jahren, ist 
die Differenz am geringsten. 

8. Im Gegensatz zu den übrigen Formen ist die Paralyse bei den 
Ledigen kaum häufiger, als bei Verheirateten, was vielleicht mit der 
selteneren erblichen Disposition zusammenhängt. 

9. Die allgemeine Paralyse wird viel häufiger als die andern Formen 
von Ursachen bedingt, die geschäftliche Energie und starken Gebrauch 
(oder Missbrauch) der Lebensthätigkeit in sich schliessen, und seltener 
als jene durch, von dem Individuum anhängende (ererbte) Gebrechen. 


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Medicinisch-cbirnrgische Bnndschan. 


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Rezensionen. 


120. Ueber den Einfluss des Quecksilbers auf den Syphilisprocess 
mit Berücksichtigung des sogenannten Herourialismus. Klinische und 
chemische Untersuchungen von Dr. L. v. Vajda und Dr. Paschkis. 
Zusammengestellt von Dr. L. v. Vajda, em. klinischer Assistent, Docent 
an der Universität zu Wien. Mit einem einleitenden Vorworte von Hofrath 
Professor Dr. Carl L. Sigmund Ritter von Ilanor und Professor 
Dr. E. Ludwig. Wien 1880. Wilhelm Braumtlller. 

Der Streit zwischen Mercurialisten nnd Antimercnrialisten über das Wesen 
der Syphilis und über den Einfluss des Quecksilbers anf den Verlauf derselben 
sowie anf die Entstehung der Spätformen der syphilitischen Erkrankung steht noch 
immer obenan als Tagesfrage der Syphilistherapie, deren Form wesentlich davon 
beeinflusst wird, welcher Ansicht der behandelnde Arzt über den Einfluss des 
Quecksilbers auf den Syphilisprocess huldigt. Die Lösung dieser Frage haben 
die beiden Verfasser auf Anregung des um die gegenwärtige Lehre von der 
Syphilis so hochverdienten Hofratües Prof, von Sigmund unternommen. Be¬ 
deutend gefördert wurde diese Arbeit durch die von Prof. Ernst Ludwig neu 
entdeckte Methode des Quecksilbernachweises im Ham, welche, so expeditiv 
sie ist, auch ebenso verlässliche Resultate gibt und somit die Ausführung zahl¬ 
reicher Analysen in verhältnissmässig kurzer Zeit gestattet — ein unentbehrliches 
Erforderniss , wenn man die hier in Betracht kommenden Fragen an einem grossen 
Materiale in jener Intensität bearbeiten will, wie sie die Wichtigkeit des Gegen¬ 
standes erheischt. Nach einer historischen Einleitung, welche wesentlich die 
Aufgabe hat, den gegenwärtigen Stand der Frage vor dem Leser zu entwickeln, 
bespricht Dr. Vajda den Plan der vorliegenden Arbeit und erörtert die Fragen, 
welche durch dieselbe gelöst werden sollen. Diese sind zunächst: 1. Sind die 
Knochenaffectionen bei Syphilis durch Quecksilber bedingt oder nicht? 2. Sind 
die zerstörenden Geschwürsformen an der äusseren Haut an der Schleimhaut 
Folgen des Quecksilbergebrauches oder nicht? Da nun die meisten Antimer- 
curialisten die fraglichen Affectionen vom Vorhandensein des Quecksilbers im 
Organismus abgeleitet haben, musste die Prüfung auf die Stichhältigkeit dieser 
Angaben sich des Nachweises dieser angeblichen Ursache der späten Syphilisformen 
bedienen, d. h. auf den chemischen Nachweis des Quecksilbers gerichtet sein. 
Es wurden zu diesem Behufe 108 Fälle an den wichtigsten Substraten untersucht. 
Die nächsten Capitel enthalten die Sohilderong der untersuchten Fälle, worauf 
nun das aus dem beobachteten Materiale sich ergebende Resumö in mehreren 
Capiteln kritisch dargelegt wird. Es würde den Rahmen dieser Anzeige über¬ 
schreiten, und doch dem Leser wenig gedient sein, wollten wir es versuchen, 
die nur aus der Betrachtung aller bei der Lösung dieser Frage in Betracht kom¬ 
menden Umstände sich ergebenden Schlussfolgerungen aphoristisch wiederzugeben . 
Wir beschränken uns darauf, die Leser auf diese durchgehends im Geiste 
moderner klinischer Forschung abgefasste Arbeit zu verweisen. W —er. 


121. Aerztiicher Taschenkalender mit Tagesnotizbuch. VII. Jahr¬ 
gang 1880. Von Dr. Holzer, Brunnenarzt in Franzensbad. Mit dem 
Porträt des Prof. Botkin in Petersburg. Wien, Verl, von M. Perle3. 


Der Herausgeber dieses ärztlichen Taschenbuches hat sich auch diesmal 
bemüht, ausser den bisher üblichen Aufsätzen in demselben, wie subcutane In- 
j ectionsmittel, Schlüssel zur approximativen Harnuntersuchung, Verhalten des Harnes 
in Krankheiten etc. einen Aufsatz von Prof. Dr. C. v. Schroff jun. über neuere 
Heilmittel zu veröffentlichen, welcher eine Zusammenstellung aller neueren Mitte! 
mit Angabe ihrer Bestandtheile, ihrer Verordnung, Wirkung und Indication ent¬ 
hält, wodurch das Büchlein eine sehr werthvolle und praktische Bereicherung er¬ 
fahr, wie sie bis jetzt noch nirgends veröffentlicht wurde. Für den praktischen 
Arzt ist diese Zusammenstellung von grossem Vortheile, da er eine vollständige 
kurze Uebersicht über alle neueren Medicamente hat. Ausser dem Personalstande 
aller deutschen, österreichischen, schweizerischen und russischen Universitäten 
enthält das Taschenbuch ein Schema der europäischen Curplätze und der daselbst 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


prakticirenden Carärzte, nebst Angabe der Frequenz. Das Buch ist sehr handlich, 
praktisch, höchst elegant ausgestattet und ist für jeden praktischen Arzt empfehlens- 
werth. L—er. 


122. Atlas der Gewebelehre des Menschen und der höheren 
Thiere für Aerzte nnd Stndlrende der Medicin. Von Dr. E. Wenzel, 
Professor an der Universität zu Leipzig. Auf Stein gezeichnet von Fr. 
Foedisch. 3. Heft. Dresden, Meinhold & Söhne, gr. 8°. Inhalt 
des 3. Heftes: Taf. XVH—XXIV, Text pag. 65—96. Inhalt: Behaarte 
Haut, Hautdrüsen und Haare nebst deren Entwicklung und den Vor¬ 
gängen beim Haarwechsel, Lippen, Zähne im entwickelten Zustande. Das 
ganze Werk wird aus 6—8 Heften bestehen, cf. „Rundschau“ Februar 
1879, pag. 151, Nr. 155. 

Das vorliegende Heft erfüllt vollkommen die Erwartungen, die wir von 
demselben nach genommener Einsicht in die beiden ersten gehegt haben. Ein 
Durchschnitt durch die behaarte Kopfhaut gibt alle für die Uebersicht erforder¬ 
lichen Einzelnheiten, ohne dass das Gesammtbild dabei verworren erscheint oder 
an zu schematischer Darstellung leidet; ein instructiver Flächenschnitt ergänzt 
das Bild. Eine andere TaM gibt die Structur des Haares, seiner Hüllen und der 
Talgdrüsen. Die dritte Tafel gibt ein Bild der Haut der Achselhöhle und des 
Baues der dort vorkommenden Schweissdrüsen, ferner ein Bild der Brusthaut mit 
starren und Wollhaaren. Die vierte Tafel gibt in vier sehr instructiven Ab¬ 
bildungen die erste Entwicklung der Haare und in drei weiteren die Vorgänge 
beim Haarwechsel. Den Uebergang von der äusseren Haut zur Schleimhaut stellt 
ein Querschnitt der Lippe dar, auf den ein recht instructiver Durchschnitt des 
Zahnfleisches und 'der sogenannten Glandulae tartaricae (Epitheleinsenkungen in 
die Schleimhaut) folgt. Hierauf folgen zwei Zabnlängsschnitte, der eine (Schneide- 
zabn) mit dem entsprechenden Stück Kiefer bei geringer, und ein anderer (Backen¬ 
zahn) ohne dasselbe bei stärkerer Vergrösserung; die vorletzte Tafel gibt je einen 
Querschnitt des Schneidezahns eines Hasen bei schwacher und stärkerer Ver¬ 
grösserung, die letzte behandelt in sehr deutlicher Ausführung Schmelz und Zahn¬ 
bein mit den Interglobularräumen, die Entwicklung der letzteren bei sehr starker 
Vergrösserung und das Cement und die Einfügung der Wurzel in die Alveole. Der 
Erklärung der einzelnen Figuren ist überall eine gedrängte Darstellung und Ueber¬ 
sicht des Baues vorausgeschickt, welche den Anfänger in passender Weise in die 
betreffenden Capitel einführen. Oellacher. 

123. Der Militär-Phannacent. Eine Zusammenstellung der wichtigsten 
das Militär-Apotheken wesen im deutschen Reichsheere geltenden Bestimmun¬ 
gen. Herausgegeben von Dr. Böttger, Redacteur der pkarmaceutiscben 
Zeitung, Berlin. Verlag von Julius Springer. 1879. 

Das Militär-Apothekenwesene hat ebensowohl im deutschen Reich wie 
anderwärts bis jetzt noch keine zusammenhängende Darstellung erfahren. Verf. 
kam daher einem thatsächlichen Bedürfnisse nach, als er das gesammte, hier in 
Betracht kommende gesetzliche Material, soweit es für die Militär-Phannacenten 
selbst von Interesse ist, übersichtlich ordnete. Von dem allgemein verwerthbaren 
Materiale, welches das 92 Seiten starke Bändchen enthält, wollen wir w d i e 
Anleitung zu Tri n k wasser-U ntersuchun g en im Felde“ hervor- 
heben , wie sie im Dienst der Hygiene der deutschen Armee seit dem Jahre 1878 
eingeführt ist. Da auch Militärärzte Manches finden werden , was für sie von 
praktischem Interesse ist, so konnten wir nicht umhin, an dieser Stelle die wirklich 
Zeitgemässe Arbeit des Verfassers empfehlend zu erwähnen. Küna. 

124. Lehrbuch der Chirurgie und Operationslehre, besonders für 
das Bedürfnis der Studirenden, von Dr. A. Bardeleben, o. Prof. d. 
Ckir. an der Univ. in Berlin. Mit zahlreichen, in den Text gedruckten 
Holzschnitten. I. Band. Achte Ausgabe. Berlin 1879. Druck und Verlag 
von G. Reimer. 

Ueber ein Werk, welches trotz der grossen Anzahl der neuen Ha*d- 
und Lehrbücher der Chirurgie, die in den letzten Jahren erschienen sind, nach 
kaum 3 Jahren von der siebenten znr achten Auflage avancirte, lässt sich mar 
schwer etwas zur Empfehlung desselben aassagen, was nicht schon bei frühere* 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Besprechungen des Werkes hervorgehoben sein dürfte. Lohnender erscheint es 
dem Referenten, die Ursachen zu stndiren, denen das vorliegende voluminöse Werk 
nicht nur seine frühere Verbreitung, sondern auch noch seine gegenwärtige Be¬ 
liebtheit verdankt. Da zeigt sich’s bald, dass es einerseits die strengwissen¬ 
schaftliche, methodische Darstellung der Chirurgie ist, welche dem Stndirenden 
einen sicheren Wegweiser auf diesem schwierigen Gebiete liefert, andererseits aber 
die Berücksichtigung der Fortschritte der Wissenschaft, wobei sich der Verfasser 
„vor einer Ueberschätzung des Neuen, wie vor einem starren Festhalten an dem 
Alten“ bewahrt. Alles was die jüngsten Specialitäten der chirurgischen Disci- 
plinen, die Laryngoskopie und die Ohrenheilkunde Dauerndes und Verwerthbares 
geliefert haben, ebenso die Fortschritte, welche die chirurgische Diagnostik er¬ 
fahren, finden in dem Werke eingehende Berücksichtigung. Die neue Bearbeitung 
der anatomischen Uebersichten in deu letzten drei Bänden hat der Sohn des Ver¬ 
fassers, Professor Carl Bardeleben in Jena, übernommen. In bescheidener 
Weise nennt sich das Werk als für die Bedürfnisse der Stndirenden berechnet; 
doch ist hier der Ausdruck Studirender anch in jenem Sinne des Wortes aufzu- 
fassen, in welchem es der Arzt während seines ganzen Lebens bleibt, selbst dann, 
wenn er unter die Gelehrten geht. Die zahlreichen Literaturangaben gehen im 
ganzen Werke bis in die jüngste Zeit. Für den Praktiker wollen wir als beson¬ 
ders wichtig hervorheben, dass die Darstellung der antiseptischen Verbände und 
Verbandmittel, sowie die Anwendung, Bereitungsweise derselben insoweit aus¬ 
führlich gewürdigt wird, dass es demselben ermöglicht wird, sich die antisep¬ 
tischen Verbände im Nothbedarf anch selbst darzustellen. An antiseptischen Ver¬ 
bänden führt der Verfasser die der Carbolsäure, Salicylsäure, vom Thymol, Benzoe¬ 
säure, Borsäure, Chlorzink und die sogenannten gemischten antiseptischeo Ver¬ 
bände an. Ausserdem finden auch die essigsaure Thonerde, die schwefligsauren 
Alkalien ihre Würdigung. Was Verfasser über die Leistungsfähigkeit der ein¬ 
zelnen antiseptischen Verbandmittel ausspricht, widmen wir uuseren Lesern unter 
Rubrik Chirurgie als kurze Probe der Darstellung. Die Ausstattung des Werkes 
— Papier, Typen und Holzschnitte — ist in jeder Beziehung lobenswerth. 

K—er. 


125. Mioliaelis Villanovani (Serveti) in quendain medionm Apolo- 
getica disceptatio pro astrologia. Nach dem einzig vorhandenen Pariser 
Exemplare mit einer Einleitung und einigen Anmerkungen. Herausgegeben 
von Henri Toll in, Lic. theol. Prediger in Magdeburg. Berlin, C. 1880. 
Verlag von H. R. Mecklenburg. 

Tollin schildert in der Einleitung die Gründe, welche für die Echtheit 
der von ihm im Jahre 1858 auf der Pariser Bibliothek benützten Disceptatio des 
Servet aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts sprechen. Michael Villano- 
van us war zur Zeit, als er das nur 16 Seiten fassende Libell schrieb, zu Paris 
Magister Facultatis artium und Scholasticus facultatis medidnae. Dasselbe bildete 
das eigentliche Corpus delicti in dem Process, welcher ihm gemacht wurde, weil 
es eine Verteidigung der Astrologie sei. Das Schriftchen ist für den medici- 
nisehen Historiker, ebenso für den Philosophen gleich lesenswert. Die Natur¬ 
forscher wird es freuen, daraus zu entnehmen, dass der gelehrte Anatom keines¬ 
wegs den Wahngebilden einer judieiären Astrologie nachjagte. Der Verf. bringt 
den Text des Originals, dessen Druckfehler in den Anmerkungen verbessert werden, 
woselbst manche wertvollen historischen und philologischen Notizen ebenfalls ange¬ 
bracht sind. Die Ausstattung der Broschüre von 45 Sedezseiten ist eine recht 
angenehme. K ü n z. 

126. De la Dyspnöe nerveuse des nephrites. Äfcat des 6az da 
sang ohez les nrämiques. Par Emile Ortille, Docteur de la faculte 
de Medecine et de Pharmacie de Lille. Imprimerie L. Danel 1878. 

Der Autor bezeichnet als nervöse Dyspnoe bei Nierenerkrankungen die im 
Verlauf derselben unabhängig von irgend einer Lungen- oder Herxerkrankung auf¬ 
tretenden heftigen Fälle von Atemnot. Diese urämische Dyspnoe erscheint in 
zwei Formen: in einer acuten, bei welcher der Kranke nach einigen Stunden zu 
Grunde geht und in einer mehr chronischen Form, welche die interstitielle Nephritis 
begleitet. Verfasser bespricht hauptsächlich die erstere Form, deren Manifestation 
er mit dem Cheyne-Stok es'sehen Athmungsph&nomen vergleicht. Auf Grund 
beobachteter Krankheitsfälle und an Thieren ausgeführter Experimente kommt 
der Verf. zu folgenden Schlusssätzen: 1. Die Unterbindung und der vollkommene 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Verschluss der beiden Ursth era n Ähren durch Unterdrückung der Nieren thätigkeit 
in verschiedenen, jedoch stets kurzen Zeiträumen den Tod herbei. 2. Durch die 
mangelnde Ausscheidung der normalen Products der Nierensecretion entwickelt 
sich ein Zustand des Individunms, der sich durch Erbrechen, Torpor, Temperatur- 
erniedrigung, manchmal auch durch Dyspnoe und Abnahme der respiratorischen 
Thätigkeit der Gewebe verräth. 3. Das Verhältniss der gewöhnlichen Blutgase 
ist hiebei nicht wesentlich alterirt. Der Sauerstoff ist nicht, wie man annehmen 
mochte, vermindert, sondern erscheint im Gegentheil vermehrt. Das Blut hat 
keinesfalls die Eigenschaften des asphyktischen Blutes, dessen respiratorische 
Capacität ist nicht wesentlich vermindert, und wenn unter solchen Bedingungen 
die Dyspnoe auftritt, kann diese unmöglich mit dem Gasgehalt des Blutes in 
Zusammenhang gebracht werden. 4. Es kommt nach mehrtägigem Verschluss der 
Uretheren häufig vor, dass das Blut relativ grosse Mengen Ammoniak enthält. 
Dieses wird in solchen Fällen stets im Verdauungscanal angetroffen. Andererseits 
kann das Ammoniak im Blute fehlen und ist doch im Magen oder Darme aufzu¬ 
finden. Es scheint durch diese Beobachtungen dargethan, dass die Zersetzung des 
Harnstoffes in kohlensaures Ammon nicht im Blute, sondern im Verdauungsrohre 
stattfindet. Erst von hier aus wird dieses Salz wieder resorbirt. 5. Nichts berechtigt, 
die Symptome der Urämie auf die Retention bestimmter Bestandteile des Harns 
im Blute zu beziehen. Es genügt die Thatsache, dass die zahlreichen Producte 
der Zersetzung der Gewebe ihren normalen Ausscheidungsweg verloren haben und 
in Folge dessen sowohl im Blut und im Gewebe zurück gehalten werden, um 
den Verfall der Functionen der Gewebe zu erklären. Der Ausdruck „urämische 
Vergiftung“ erscheint ihm nicht gerechtfertigt vom physiologischen Standpunkte. 
Die Urämie ist keine Vergiftung, sondern eine Kachexie. 


Kleine Mittheilungen. 

127. Ueber Icternsepidemien. Von Dr. Carl Fröhlich, Assistenz¬ 
arzt des Corpsgeneralarztes (14. Armeecorps) in Carlsrnhe i. B. (Deutsch. 
Archiv f. klin. Medicin. XXIV. Bd. 4.-5. H.J 

Epidemien von Icterus können Folge sein eines Gastroduodenalkatarrhs, 
der durch allerlei einwirkende Schädlichkeiten, namentlich durch eine Störung 
in der Verdauung, hervorgerufen wird und bei gemeinsamer Mahlzeit auch die 
betreffenden Leute gemeinsam befallt. Daher das häufige Vorkommen bei Soldaten, 
in Seminaren, Gefängnissen u. s. w. Ferner wirken als Krankheitserreger atmo¬ 
sphärische und miasmatische Einflüsse. Bei den militärischen Epidemien werden 
häufig nur die Leute des jüngsten Jahrganges befallen, indem die Recruten am 
stärksten gegen die ungewohnte Ernährungsweise reagiren. 

Fröhlich theilt, nachdem er aus der Literatur eine sorgfältige Zusam¬ 
menstellung von Icternsepidemien gegeben, vier neue Epidemien mit, die im Laufe 
der letzten Jahre im Bereiche des 14. Armeecorps zur Beobachtung kamen. 

Zum Schlüsse erwähnt F. einer kleinen Hausepidemie in Mühlhausen i. E., 
als deren Ursache ein verfaulter Balken unter der betreffenden Stube vorgefnnden 
wurde, nach dessen Entfernung keine weiteren Fälle von Gelbsucht mehr vorfielen. 

H. Jellinek. 

128. Ueber einen Fall von Stenosirnng der Pnlmonalarterie in 
Folge von acuter Endocarditis der Semilunarklappen. Aus der med. 
Klinik zu Freiburg i. B. Von Dr. Moriz Mayer aus Darmstadt. (Deut¬ 
sches Archiv f. klin. Medicin. XXIV. Bd. 45. H.) 

Beobachtet wurde diese Affection an einem 16 Jahre alten, sehr stark ab- 
gemagerten, anämischen Mädchen. Die Auscultation ergab ein lautes systolisches 
Geräusch von singendem Charakter im zweiten Intercostalraum, wo es mit der 
systolischen Erweiterung der Pulmonalarterie auch tastbar war. Während des 
Verlaufes der Krankheit bestand Fieber. 

Die Obduction zeigte das Ostium arter. dextrum vollständig verstopft durch 
massige, weiche Gerinnsel, Vegetationen und Excrescenzen, die einerseits tief unter 
die Basalpartien der Klappen reichten, andererseits weit den oberen Rand der 
Taschen überragten und so an einer Stelle eine Längsausdehnung von 6 Ctm. 
zeigten. An der Tricuspidal is zwei kleine Vegetationen. H. Jellinek. 


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UediciniBch-cUrargisclie Rundgchan. 


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129. Spina bifida bei drei nach einander geborenen Geschwistern. 

(Brit. med. journ. 1879, S. 378. Ctrl.-Zeitg. f. Kinderhk. 1879. 20.) 

Dy er entband im Jahre 1875 eine 21 jährige, erstgebirende Frau von einem 
todten männlichen Kinde mit Spina bifida. Im J. 1878 gebar dieselbe Frau das 
zweite Kind, welches wieder eine Spina bifida hatte nnd nach einigen Minuten 
starb. Im Jahre 1879 fand D., zur dritten Entbindung gerufen, einen gutent¬ 
wickelten Knaben mit Spina bifida, der 36 Stunden lebte. Das erste Kind war 
von einem anderen Vater gezeugt als die beiden letztgeborenen. 

130. Oleum jecoris aselli aetherisatum. (Pharmaceut. Centralhalle 
1879. 46. Archiv f. Pharm. XV. Bd. 6. H.) 

Der Leberthran mit Aether vermischt gilt bei den Aerzten in Nordamerika 
schon lange als ein vorzügliches Mittel bei Leiden der Athmungsorgane. Die 
Mischung empfiehlt sich noch besonders dadurch, dass sie von Personen, die weder 
den Leberthran rein, noch in Emulsionsform nehmen können, sehr gut vertragen 
und dass sie nicht ranzig wird. Hager meint, man solle, den günstigen Erfolgen 
Rechnung tragend, den ätherisirten Leberthran officinell machen und schlägt fol¬ 
gende Vorschrift vor: Bp. Olei jecoris Aselli 1000,0, aethtris 40,0. Misce et in 
lagenis bene obturatis serva. * 

131. Bl&ne Lichtbäder bilden angeblich ein unfehlbares Heilmittel für 
Gliederschmerzen, die von Rheumatismus oder Eisenbahnunfällen herrühren. Ein Brief 
in der „Chicago Times“ von General Plensanton gibt Aufschlüsse über die un¬ 
mittelbare Heilung, welche ein solches Bad bei ihm bewirkte. Im letzten October 
verletzte er sich ernstlich, als er von eiuem Train in Philadelphia stieg. Sein 
Arzt stellte ihm, obgleich kein Bruch der Rippen stattgefunden hatte, doch 
langes Leiden in Aussicht, und da Salbe und Pflaster keine Hilfe brachten, so 
entschloss er sich zum Gebrauch eines blauen Lichtbades. Im Badezimmer befand 
sich ein nach Süden zugebendes Fenster mit abwechselnden Feldern aus blauem 
und ungefärbtem Glase. Der General liess auf seinen entblössten Rücken das 
volle Sonnenlicht durch die Glasscheibe scheinen und fühlte sich alsbald er¬ 
leichtert, ja nach einer halben Stunde hatten die Schmerzen gänzlich aufgehört. 
Gegen Abend kehrten sie in viel geringerem Grade wieder, so dass er zum ersten 
Male etwas schlafen konnte. Zwei weitere Blaulicht- und Sonnenbäder heilten 
ihn gänzlich, so dass er nicht die geringste Rückkehr seines Uebels seitdem 
mehr empfand. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 


132. Frosector Dr. Zuckerkandl : „Heber anatomische und pathologi¬ 
sche Verhältnisse der Nasenhöhle. u Sitzung des Wiener medicini- 
scben Doctorencollegiums vom 15. December 1879. (Wien. med. Wochen- 
schr. 1880.) 

Von der Nasenhöhle ans verzweigt sich ein System von pneumatischen 
Räumen, die das Oberkiefergerüste einnehmen, in das Innere des Stirnbeines und 
des Keilbeines reichen und durch das Cavum pharyngonasale und die Eustachische 
Ohrtrompete sich auch in den Gehörapparat fortsetzen. Die Communicationsöffnungen 
zwischen der Nasenhöhle und der Oberkiefer- und Stirnbeinhöhle befinden sich 
im mittleren Nasengange in einer, in Bezog auf Länge, Weite und Direction 
Varianten halbmondförmigen Rinne nntergebracht, von welcher aus vorne ein 
Ostium frontale in die Stirnbeinhöhle und tückwärts eine zweite Oeffnung — 
Ostium supramaxillare — in die Highmorshöhle hineinführt. Die Communications- 
Öffnung für die Keilbein- und Highmorshöhle liegen näher der Decke als dem 
Boden jener Höhlen, in die sie führen. Die für die Oberkieferhöhle schliesst sich 
sogar unmittelbar an die obere Wand der Höhle an, während die in die Stirn¬ 
beinhöhle führende Oeffnung günstiger situirt ist, denn sie lagert am Fundus des 
Sinus. In den Communicationsöffnungen geben die Bekleidungen der Nebenhöhlen 
in die Nasenschleimhaut über und nehmen daselbst einen anderen Charakter an; 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


denn die Schleimhaut der Nasenhöhle ist dick, drüsen- und gefässreich und mit 
der knöchernen Unterlage in fester Verbindung. Die Mucosa der Nasenhöhlen hin¬ 
gegen gleicht dem Ansehen nach mehr einer serösen Membran; sie ist dünn, 
drösen- und gefässarm und ziemlich lose an die Höhlenwandungen geheftet. 

In Bezug auf die physiologische Function der Nebenhöhlen wäre zu be¬ 
merken, dass mehrere Theorien aufgestellt worden und dass selbst die veralteten, 
bereits widnrlegten noch in neuere Werke der Anatomie Eingang gefunden haben. 
Abgesehen von den höchst abenteuerlich klingenden Theorien der ältesten medi- 
cinischen Forscher kann man an der Hand der Literatur drei Theorien verzeichnen, 
die der Discussion würdig sind. Die Höhlen sollten einmal der Gernchsperception 
dienen, und für diese wurden insbesondere die des Stirn- und Keilbeins in An¬ 
spruch genommen. Gegen diese Auffassung spricht einerseits die anatomische Un¬ 
möglichkeit, Olfactoriusfasern in die Schleimhaut der Nebenhöhleu zu verfolgen, 
und andererseits sprechen dagegen Experimente, die man an Personen angestellt 
hat, denen krankhafte Processe die eine oder andere Nebenhöhle eröffnet hatten. 

Einer zweiten Ansicht zufolge fiel den Nebenhöhlen die Aufgabe zu, Schleim 
zu secerniren, ihn in die Nasenhöhle zu ergies3en, um ihre Schleimhaut geeignet 
feucht zu erhalten, und dazu seien die Communicationsöffnungen günstig unter¬ 
gebracht. Trotzdem nun schon M. J. Weber darauf die Aufmerksamkeit lenkte, 
dass diesfalls die Secretion der Nebenhöhle eine bedeutende sein musste, dass 
die Nasenschleimhaut dickflüssigen Schleim zur Genüge producire und die Com¬ 
municationsöffnungen der Oberkiefer- und Keilbeinhöhle für den Abfluss aus 
diesen Höhlen nicht glücklich situirt sind, so gibt es doch noch Anhänger dieser 
Theorie. Z. fügt dem noch bei, dass, falls Weber’s Ausführungen nicht die 
richtigen wären, man in den tiefliegenden Theilen der Oberkiefer- und Keilbein¬ 
höhle Secret vorfinden müsste, wogegen der Befund in der Leiche spricht. Es 
bleibt daher nur übrig, anznnehmen, die Schleimsecretion der Schleimhäute in den 
Nebenhöhlen diene zur Befeuchtung dieser Membranen selbst und verdunste wäh¬ 
rend der Passage von Luft oder werde noch dazu zum Theile resorbirt. 

In neuerer Zeit tauchte über die Leistung der Nebenhöhlen eine dritte An¬ 
sicht auf, die wohl bald viele Anhänger gewinnen wird. Nach dieser dienen die 
Höhlen dazu, die Luft zn erwärmen, wodurch in der Regio olfactoria eine Luft¬ 
strömung entsteht, die die mit Riechstoffen versetzte Luft zu allen Theilen der 
Riechschleimhaut führt. 

Uebergehend auf die krankhaften Erscheinungen in diesen Schleimhäuten, 
wie sie sich in der Leiche zeigen, führt Z. Folgendes aus: Die Hyperämie der 
Nasenschleimhaut mit geringer eitriger oder seröser Secretion wird häufig ange¬ 
troffen. Bei dieser Affection sind die Schleimhäute der Nebenhöhlen intact oder 
nicht selten mit ergriffen. Letzterenfalls sind sie injicirt und dabei häufig mit 
Eccbymosen versehen. Bei der Rhinitis mit reichlicher Schleimsecretion ist die 
Mucosa der Nasenhöhle weniger injicirt und nicht besonders geschwellt. Erkranken 
hiebei die Nebenhöhlen, so sind es vornehmlich die Schleimhäute, die wesentlich 
leiden. Diese schwellen in den höheren Graden der Erkrankung aufs 10— 15fache 
an, verengen die Höhle selbst und umschliessen in geringer Menge ein schleimig¬ 
seröses oder eitriges Fluidum. Bei der Rhinitis mit Production von Eiter ist die 
Nasenschleimhaut auch in der Leiche oft geröthet, in der Höhle selbst ist dünn¬ 
flüssiger Eiter ergossen oder ein mehr dicklicher haftet den Wänden an. In diesem 
zeigt sich zuweilen eine der Wand gleichfalls anhaftende krümmlige, kalkartige 
Masse, welche der Erwähnung werth ist, da sie möglicher Weise auch Veranlassung 
gebeu kann zur Bildung von Rhinolitben. Wenn bei dieser Form der Erkrankung 
die Schleimhäute der Nebenhöhlen in Mitleidenschaft gezogen werden, daun zeigen 
diese ein Bild, welches sich wohl unterscheidet von dem der Rhinitis mit reich¬ 
licher Schleimsecretion zukommenden Bilde. Die Schleimhäute der Nebenhöhlen 
sind nämlich bei der eitrigen Form niemals hochgradig geschwellt, dafür um- 
schliessen *ie ein eitriges Fluidum oder sind mit solchem beschlagen. Bei der 
Diphtheritis fand Z. nur in der Nasenhöhle eine diphtheritische Membran, während 
die Schleimhäute ein Aussehen darboten, wie dies für die Rhinitis mit Schleim¬ 
secretion bereits angegeben wurde. Schon im Stadium der Hyperämie treten in 
den Schleimhäuten der Nebenhöhlen, vorwiegend in der des Oberkiefers, Cysten 
auf, die in den hochgradigen Fällen die Grösse einer Haselnuss erreichen können. 

Ueber die Art und Weise, wie sich die Nebenhöhleu verändern, wenn ihr* 
Communicationsöffnungen für längere Zeit oder permanent verschlossen werden 
(durch Schwellung der Schleimhaut an der halbmondförmigen Rinne und an den 
For. sphen, durch Polypen, Verwachsung etc.), hat Z. keine Kicheren Erfahrungen 
sammeln können; denn, wenn man bei der Section neben intacter Nasenschleim¬ 
haut die Nebenhöhlen erkrankt findet, und dabei zuweilen die Communicationen 


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Medlcinisch-chirnrgische Rundschau. 


157 


verlegt, so liegt noch keine für sich anfgetretene Erkrankung der Nebenhöhlen 
vor, sondern es ist, nachdem die Erkrankung der Nebenhöhlen gewöhnlich anf 
die der Nasenhöhle folgt, der Process in letzterer nur früher abgelaufen; dies ist 
um so wahrscheinlicher, als in der Nasenhöhle die Ventilation schwerer zn unter¬ 
brechen ist, das Secret leicht herausbefördert wird und therapeutische Eingriffe 
oft vorgenommen werden. Diese Umstände treffen bei den Nebenhöhlen nicht 
zu. Aus diesen kanu das Secret selbst bei offenen Communicationen nur schwer 
und nur theilweise abfliessen, bei Abschluss gar nicht, und die Therapie der 
Nebenhöhlen liegt noch ziemlich brach. 

Die Erkrankungen der Oberkieferhöhle werden auch anf die in ihr ver¬ 
laufenden Zahnnerven nicht ohne Einfluss bleiben, und ans all* diesen Gründen 
wäre es angezeigt, gegebenenfalls in die Nebenhöhlen einzudringen, um sie blos 
wieder za eröffnen oder auch um medicamentöse Stoffe einznfähren. 

Da die Morphologie der Nasenhöhle individuell ausserordentlich variirt, 
so wird dem entsprechend die Inspection und Manipulation in der Nasenhöhle 
einmal leicht, ein andermal nur schwer oder gar nicht möglich sein. Die der 
Untersuchung sich entgegenstellenden Hindernisse treten theils am Septum, theils 
an den Muscheln auf. Ersteres steht selten perpendiculär, es ist verbogen, zu¬ 
weilen in solchem Grade, dass es die eine oder die andere Nasenmuschel berührt, 
drückt und dadurch sogar paitiell zum Schwunde zwingt Ein andermal sind es 
kammartige Fortsätze der Nasenscheidewand, die sich dem Eindringen in die 
Nasenhöhle hindernd in den Weg stellen. So lange diese Fortsätze kurz sind, 
können sie umgangen werden, nicht aber, wenn sie derart an Grösse luxuriren, 
dass sie die Gebilde der äusseren Nasenwand berühren. Auch die Nasenmuscheln 
sind sehr variabel; sie sind gross, convex und erschweren eine Untersuchung, oder 
sie sind kleiner, mehr flach. Im letzteren Falle, ferner bei der senilen Atrophie 
der Nasenmuscheln und bei dem durch krankhafte Processe hervorgerufenen 
Schwunde der Muscheln, wobei die Conchae bis auf leistenartige Erhabenheiten 
herabkommen, könnte es möglich sein, den mittleren Nasengang zu übersehen 
und durch die halbmondförmige Rinne in die Highmorshöhle einzudringen. Die 
beste Stelle, um auf chirurgischem Wege in letztere Cavit&t zu gelangen, ist der 
Raum gerade unterhalb der halbmondförmigen Rinne. Durch Uebung in Leichen 
und eigens construirten Instrumenten wird es auch möglich werden, die vordere 
Wand der Eeilbeinhöhlen zu perforiren und dann würden auch die Schleimhäute 
dieser Höhlen der Wohlthat einer ärztlichen Behandlung theilhaftig werden. Von 
der Nasenhöhle her den Sinus frontalis zu erreichen, ist wohl am schwierigsten 
und auch wegen der Nähe der Lamina cribrosa gefährlich. Der mittlere Nasen¬ 
gang ist auch in Bezug auf das Vorkommen von Polypen zu berücksichtigen. Z. 
unterscheidet nach seinen Präparaten drei Gruppen von polypösen Wucherungen 
in der Nasenhöhle. 

Zur ersten Gruppe gehören zwei Formen von Polypen, und zwar 1. gestielte, 
lange, mit kleiner Basis aufsitzende, und 2. mehr blattförmige, mit schmaler 
aber langer Basis von der Schleimhaut sich abhebende Geschwülste. Diese 
Formen wählen zum Ausgangspunkt mit Vorliebe die kantigen Theile der unteren 
Siebbeinmuschel (unteren Rand, Kanten an der lateralen Fläche) und die Lefzen 
der halbmondförmigen Rinne. Nur einmal fand Z. einen Polypen an der medialen 
Seite der unteren Siebbeinmuskel und da war diese Seite gefurcht und die Ge¬ 
schwulst ging von einer Kante der Furche aus. Diese zwei Formen traten in 
Combination in einer und derselben Nasenhöhle auf. 

Zur zweiten Gruppe gehören bis kleinlinsengrosse, rundliche, warzenartige, 
weiche Geschwülste, die an der äusseren Wand des mittleren Nasenganges aufsitzen. 

Znr dritten Gruppe gehört die diffuse Hypertrophie der Mucosa, wie sie 
zumeist an den hinteren Muschelenden, zuweilen auch an den vorderen, und im 
Bereiche der halbmondförmigen Rinne auftreten. Nicht selten ist der ganze Schleim- 
haotüberzug der wahren Nasenmuschel von diesem Processe eingenommen: sie 
bildet dann eine grosse, warzige, den unteren Nasengang ausfüllende Geschwulstmasse. 

Wir erlauben uns anzuzeigen, dass an oh für den Jahrgang 
1879 der Hedio.-ohirurg. Bundsohau elegante Einband- 
deoken angefertigt wurden und können dieselben von uns zum 
Preise von k 70 kr. = 1 Hark 40 Pf. bezogen werden. 

Hochachtun gs voll 

Administration der Med. chir. Rundschau, 

Wien, X., Xaximilianatraaae 4. 

Verantwortlicher Redacteur: Dr. Vincenx Fink. 

Einsendnngen an die Redaction sind zu richten: Wien, I., Maximilianstraese 4. 

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158 


Medicinigch-ciururgißche Randachau. 


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für 

Gemüths- und Nervenkranke 

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URBAN & SCHWARZENBERG, Wien, I., Maximilianstrasse Nr. 4, 

ist soeben erschienen: 

LEHRBUCH DER ZAHNHEILKUNDE 

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von 

Br. Julius Soheff jun., 

Zahnarzt in Wien. 

Gr. 8« VIII nnd 416 Seiten. Mit 153 Holzschnitten. 

Prei$ brosch. 4 ft. 80 kr. ö. W. = 8 M.; eleg. geh. 6 fl. Ö. W. 

Der praktische Arzt nnd Stndirende ist selten in der Lage, den 
besonders in neuester Zeit so bedeutenden Fortschritten der Zahnheilkunde 
folgen zn können, ja es ist ihm dieser Zweig der Heilkunde, welchem doch 
in der Praxis eine so hohe Bedeutung innewohnt, in der Regel ziemlich unbe¬ 
kannt, da derselbe noch nicht in die Reihe der obligaten medicioischen 
Disciplinen der Universitäten einbezogen ist. Bei der Wichtigkeit, welche 
die Erhaltung und Pflege der Zähne für die Verdauung und Aussprache hat, 
ist es aber ein dringendes Bedürfniss für Aerzte, auch der Zahnheilkunde 
die grösste Aufmerksamkeit und ein eingehendes Studium zu widmen. Vor¬ 
liegendes Buch ist ein Leitfaden hiezu. In einfachster Darstellung wird in 
demselben abgehandelt: Die Anatomie des Mundes und seiner Organe, die 
Dentitionen, Anomalien der Zähne, Erkrankungen derselben, Reinigung und 
Kosmetik, Einfluss der Zähne auf Aussprache und Verdauung, Pathologie 
und Therapie der weichen Mundgebilde, (Zahnfleisch und Mundschleimhaut, 
Neurosen u. 8. w.), Extraktion der Zähne und endlich Zahntechnik. 153 vor¬ 
zügliche Zeichnungen erläutern sowohl den anatomischen, wie auch tech¬ 
nischen Theil des Werke* aufs Beste. 


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132 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


159 


Soeben erschien im Verlage von 

URBAN & SCHWARZENBERG in WIEN, 

Xaxlmfflfcnstrasse 4: 

Lehrbuch derPhysiologie des Menschen 

einschliesslich der 

Histologie und mikroskopischen Anatomie. 

Mit besonderer Berücksichtigung der praktischen Medicin. 

Von 

Dr. L. LANDOIS, 

erd. öffentL Professor der Physiologie und Director des physiologischen Instituts der Uuiversit&t 

Greifswald. 

Mit 187 Holzschnitten. 

PREIS 20 Mark = 12 fl. ö. W.; eleg. geb. 22 Mark — 13 fl. ö. W. 


Das früher schon von uns in seiner ersten Hälfte angezeigte Lehrbuch liegt jetzt voll¬ 
endet vor. I s hätte zu keinem passenderen Zeitpunkte erscheinen können, als gerade jetzt. Denn 
die Jahre 1878 und 1879 bedeuten einen Wendepunkt, eine neue Aera in der deutschen Medicin. 
Durch den Einfluss der nihilistischen zweiten wiener Schule hatte die „pathologische Anatomie 1 " 
90 die Hegemonie an sich gerissen, dass man sie fälschlich als das Fundament der klinischen 
Medicin hinstellte. Man war so weit gegangen, nach den Sectionsergebnissen das klinische Bild 
der Krankheit entwerfen zu wollen. Sobarre Kritiker hatten freilich längst erkannt, dass das 
während des Lebens erscheinende klinische Bild der Krankheit und d*»r Sectionsbefund sich in 
vielen Fällen gar nicht decken; wir wollen nur an die Bright’sche Krankheit erinnern. Der 
Einfluss der Schule aber war zu mächtig, und die deutsche Medicin ist seit Alters gewohnt, in 
scholastischen Fesseln einherzuschreiten. Dazn kam, dass die meisten internen Kliniker mehr 
pathologische Anatomen als Therapeuten waren. — Die Andersdenkenden wagten nicht, gegen den 
Strom zu schwimmen. K 1 e b s’ berühmte Rede auf der Naturforscher Versammlung in Kassel 
versetzte mit einem Schlage der „Cellularpathologie* den Todesstoss. Unbeweint und uubetrauert 
ging sie zu ihren Vorgängerinnen, den einst auch mächtigen Systemen. Die Schüler pflegen sonst 
meistens ihren Lehrer zu übertrumpfen und damit zu karrikiren. Zum ersten Male erlebten wir 
hier das Schauspiel, wie ein Schüler seinen Meister matt machte. Kleba errang einen vollständigen 
Sieg und setzte die Aetiologie, welche durch den Einfluss der pathologischen Anatomie aus den 
Lehrbüchern der allgemeinen Pathologie verschwunden war, wieder in ihre Rechte ein. Dazn kam 
in diesem Jahre die Gründung einer neuen klinischen Zeitschrift durch Frerichs. Viele Jahre 
hatte er, einer der bedeutendsten Schüler von Fuchs, sich schweigend verhalten In seinem Pro¬ 
gramme bricht er ganz offen mit der pathologischen Anatomie, das Fundament «1er Klinik. Hatten 
wir also nicht recht, wenn wir oben den Ausspruch thaten, der Schluss des Werkes hätte nicht 
in einer gelegeneren Zeit erscheinen können? 

Alles, was wir von der ersten Abtheilung gesagt haben, gilt auch von dieser. So viele 
Lehrbücher der Physiologie auch in der letzten Zeit erschienen sincf und fortwährend erscheinen, 
wir kennen kein einziges das sich mit angezeigtem Werke messen könnte. Es ist sehr oft der 
Fall, dass wirkliche Gelehrte und bahnbrechende Forscher im Stande sind, eio gutes Lehrbuch 
zu verfassen. Umgekehrt gibt es talentirte Compilatoren, die nicht im Geringsten die Wissen¬ 
schaft gefördert haben, die es aber verstehen, ein ausgezeichnetes, seinem Zwecke entsprechendes 
Handbach zu schreiben. Wir wollen z. B. nur an die bekannte Pathologie nnd Therapie von Felix 
Xiemeyer erinnern, welcher, wie jedem Kenner und Literaten bekannt ist, weiter nichts als 
eine Compilation, oft sogar eine wörtliche aus Collegienheften von K rukenberg und Diete¬ 
rich war. Landois, selbst bekanntlich einer der ersten lebenden Physiologen, vereinigt das 
seltene Talent in sich, in demselben Masse activ die Wissenschaft zu fördern, als in eioer ebenso 
gefälligen und ansprechenden Form seine Forschungen und die der übrigen hervorragenden Kory¬ 
phäen vermittelst eines Lehrbuchs zu veröffentlichen In keiner Disclplin sind aber die Fort¬ 
schritte so enorm nnd wirklich positiv, als in der Physiologie. Jeder praktische Arzt sollte es 
daher, weil sie die Basis der klinischen Medicin iBt, als eine Pflicht gegeu sich nnd seine Kranken 
betrachten, mindestens alle paar Jahre eino neue Physiologie sich anzuschaffen; nur so ist es 
möglich, dass er sich wissenschaftlich auf dem Laufenden erhalten kann. Keine können wir, ans 
innerster Ueberzeugnng, mehr empfehlen, als angezeigte. Die deutsche Literatur kann auf dieses 
Werk stolz sein. Denn es vereinigt Vorzüge in sich, die kein anderes Buch besitzt. Stets ist ein¬ 
mal die Geschichte dieser Wissenschaft in scharfen nnd treffenden Umrissen berücksichtigt, sodann 
in eingehendster Weise auf die Bedürfnisse des praktischen Arztes Rücksicht genommen. Dazn ist 
der Styl knapp, klar und doch zugleich elegant, wie man ihn selten in wissenschaftlichen Werken 
der mediciniscnen Literatur findet. Ueberall merkt man. dass Verf. Goethe und L e s s i n g nicht 
vergeblich studirte. Es würde ein wahres Vergnügen sein, medicinische Bücher zn lesen, wenn 
fle stete in einem solchen Style verfasst wären, wie sticht derselbe ab gegen den landläufigen 
6 «lehrtenj argo n der meisten Autoren! Wir, können das Bach nar mit den „Elementen von Haller“, 
-dem Grundriss von Rudolphi“ und dem „Lehrbuche von Johannes Müller* vergleichen. Wie 
diese drei viele Jahre die Situation beherrschten nnd alle anderen, dasselbe Thema behandelnden 
Bücher verdrängten, dieselbe Prognose stellen wir obigem Buche. 

Die wahrhaft künstlerisch aasgeführten Holzschnitte können wir nicht unerwähnt lassen. 
Auch die prachtvolle Ausstattung der Verlagshandlung verdient alle Anerkennung. 

Der Preis ist sehr niedrig gestellt inj Vergleich zu anderen Lehrbüchern der Physiologie, 
und wird auch dies dazu beitragen, die allgemeine Anschaffung des vortrefflichen und gediegenen 
Werkes zu erleichtern. („AUg. Med. Central-Ztg.“ Nr. I, 1880.1 


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160 Medicinisch-chirurgische Rundschau. 

Neuer Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig: 

Der sogenannte thieriscke Magnetismus. 

Physiologische Beobachtungen. 

Rin in der allgemeinen Sitzung der schlesischen Gesellschaft für vaterländische 
Cultur am 19. Januar 1880 gehaltener Vortrag 

von Dr. Rudolf Heidenhain, 

ord. Professor der Physiologie und Director des physiologischen Instituts an der 
Universität Breslau. 

gr. 8°. brosch. n. 1 M. 


J Verlag von FERDINAND ENKE in STUTTGART. \ 

Soeben ist erschienen nnd durch jede Bnchhandlnng zn beziehen: 

Die 

traumatischen Verletzungen. 

Von Prof. Br. Karl Gussenbauer in Prag. 

Mit 3 Holzschnitten . 

Gr. 8. Geheftet. Preis 7 Mark. 

Der yy Deut8Chen Chirurgie“ Lieferung 15. 


Klinik der 

Krankheiten des Kehlkopfes, 

der IV««© and die« Rachens. 

Von Prof. Br. Carl Stoerk in Wien. 

Mit zahlreichen Holzschnitten , Chromolithographien , Schwarz - und Farben - 

drucktaftin. 

Gr. 8. Geheftet. Komplet Preis 16 Mark 80 Pf. 

Die soeben erschienene 2. Hälfte kostet 10 Mark 80 Pf. 

Früher erschien: 134 

Lehrbuch der Syphilis 

und der mit dieser verwandten örtlichen venerischen Krankheiten. 

Von Prof. Br. H. Zeissl in Wien. 

Dritte Anflage. 

43 Bogen gr. 8. Preis 14 Mark. 

Vielfach geänsserten Wünschen entsprechend hat sich die Verlags* 
handlang entschlossen, das Lehrbuch 

unabhängig vom Atlas 

abzugeben, und sind beide Theile ihrer Fassung nnd Eintheilung nach zn 
gesonderter Anschaffang durchaus geeignet, so dass die Verlagshand lang die 
Erwartung hegen darf, dass das vielbegehrte Werk durch die Erleichterung 
im Ankauf desselben ein um so grösseres Publikum finden werde. 

Preis der Beilage „Chromolithographische Tafeln“, litho- 
graphirt von Dr. Julius Heitzmanu, mit erläaterndem Text von Professor 
~ ^Dr. Zeissl (enthaltend 28 Tafeln in Farbendruck) 16 Mark. J 


Eigenthum und Verlag von URBAN & SCHWARZENBERG in Wien. 
Druck von G. Gistel & Co. Wien. 


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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 

133. Ueber einen, einer einseitigen Vaguslähmung ähnli chen 
Symptomencomplex. Von Dr. M. Löwit, Assistent. (Vierteljahresschrift 
für die prakt. Heilkunde. Prag, 1879.) 

Die hauptsächlichsten Veränderungen, welche nach Durchschneidun«- 
des N. vagus beobachtet werden, betreffen Kehlkopf, Lungen und Herz! 
Bezüglich der Veränderungen in den Lungen, welche für den vorliegenden 
Fall wesentlich interessiren, sind solche Zustände zu constatiren, die nach 
der Auffassung von Traube als Fremdkörper-Pneumonien zu bezeichnen 
wären, nach Schiff hingegen nicht so sehr Pneumonien, denn eine Bil¬ 
dung von Faserstoff-Geschwülsten in Folge von neuro-paralytischen Hyper¬ 
ämien darstellten. Die erstere Ansicht erhielt durch neue experimentelle 
Untersuchungen von Frey, der gleichfalls entschieden für Fremdkörper- 
Pneumonie nach Vagusdurchschneidung eintritt, eine kräftige Stütze. 

Der zu beschreibende Fall betrifft ein 15jähriges Mädchen, welches 
am 16. November 1878 zur Klinik kam; zehn Tage früher erkrankte 
sie mit heftigen Halsschmerzen, verbunden mit Schlingbeschwerden, abend¬ 
licher Hitze und Kopfschmerz; dazu trat zwei Tage später plötzlich äus- 
serst rasches Herzklopfen auch bei ruhigem Verhalten, wodurch bedeu¬ 
tende Kurzathmigkeit verursacht wurde. Patientin ist cyanotisch an Wan¬ 
gen, Lippen, Fingern und Zehen. Die hintere Rachenwand ist auffallend 
geröthet, auf der rechten Tonsille ein bohnengrosser, mit weisslichem 
Belege versehener Abscess; die Stimmbänder frei beweglich, die Stimm¬ 
ritze bei der Phonation vollkommen geschlossen. Die Herzaction ist äus- 
serst frequent, dessgleichen die Pulse der Carotis und Radialis 244 bis 
252 Schläge, R. 28, costal, T. 37*6. — Die Herzdämpfung beginnt am 
oberen Rande der dritten Rippe links, reicht bis in die Mitte des Ster¬ 
nums nach abwärts bis an den Rippenbogen. Unmittelbar bis an der 
Mammilla im sechsten Intercostalraume links ein deutlicher Spitzenstoss. 
Ueber sämmtlichen Auscultationsstellen der Herzklappen sind äusserst rasch 
aufeinander folgende klappende Töne zu hören, die eine Unterscheidung 
in systolische und diastolische nicht zulassen; alle Töne sind in gleicher 
Weise accentuirt und dumpf. Die einzelnen Pulse rhythmisch. Vesiculäres 
Athmen, mit einzelnen zerstreuten pfeifenden und schnurrenden Geräuschen. 
In beiden Thoraxhälften unterhalb der achten Rippe Flüssigkeit* ebenso 
in den abhängigen Partien des Unterleibes. Durch die graphische Unter¬ 
suchung des Herzspitzenstosses und Pulses konnte eine Klappenerkrankun^ 
ausgeschlossen und mit einer gewissen Sicherheit eine einfache Herzneurose 
constatirt werden. Die Patientin ist unruhig und klagt über Beklommen- 

Med.-chir. Rundschau. 1680 . i» 



162 


Medicinisch-chirtirgische Rundschau. 


heit auf der Brust und Angstgefühle. 20 Tropfen tinct. digit. 17. Die 
Herzdämpfung hat etwas abgenommen. P. 112. Tägl. Dig. inf. von 
0*7 auf Wasser 200*0. 23. Hydrothorax und Ascites vollständig geschwun¬ 
den, desgleichen die katarrhalischen Erscheinungen der Lunge. Vom 25. 
ab entwickelt sich unter heftigen Fiebererscheinungen ein rechtsseitiges 
Lungeninfiltrat und Exsudat, das vom 2. December ab in rapider Weise sich 
löst. Die Temperatur übersteigt nie mehr die Norm, die Verbreiterung 
der Herzdämpfung ist geschwunden. Nur die Pulszahlen zeigen noch immer 
eine beträchtliche Höhe, steigern sich neuerdings, sobald die digit. aus¬ 
gesetzt wird und halten sich his 5. Jänner stets auf 110—120, wobei jede 
noch so leichte Aufregung eine Vermehrung um 10—15 Schläge herbeiführt. 

Die Halsschmerzen in Verbindung mit dem rechtsseitigen Tonsillen- 
abscess erlauben die Annahme eines diphtheritischen Processes, im Gefolge 
dessen es zu einer Affection des rechtsseitigen Vagusstammes gekommen, 
welche eine Lähmung der hemmenden Herzfasern hervorrief. Da der Kehl¬ 
kopf während der ganzen Affection intact blieb, so muss die Affection 
jedenfalls unterhalb des Abganges des Nervus laryng. inf. ihren Sitz ge¬ 
habt haben. Mit der Vagusaffection ist derProcess in der rechten Lunge 
in Zusammenhang zu bringen, weicher als eine eigentümliche Pieuro- 
Pneumonie sich darstellt. Der ganze detaillirt in Betracht gezogene Symp- 
tomencomplex der Lungenaffection spricht dafür, dass es sich um kleine 
nebeneinander liegende Verdichtungsherde gehandelt haben müsse, die keine 
allzu grosse Ausdehnung erlangt haben können und um die kleinsten 
Bronchien herum gelegen sein mussten. Verf. hält sich vollkommen be- ^ 
rechtigt, diese Bronchopneumonie auf die zu Grunde gelegte Lähmung des 
Nervus vagus (wahrscheinlich nur des rechtsseitigen) zurückzuführen. Von 
einer Fremdkörper-Pneumonie im Sinne von Frey und Traube kann 
hier keine Bede sein, da der Kehlkopf intact war, und es schliesst sich 
der Fall eng an die Experimente von Schiff und Longet an, denen 
zu Folge die Broncho-Pneumonie als eine trophische Erkrankung aufzu¬ 
fassen wäre. Schnopfhagen. 


134. Ueber die hereditären Nervenkrankheiten. Von Paul Julius 
Möbius. (Sammlung klin. Vorträge von Richard Volkmann.) 


Verf. stellt unter den Begriff „erbliche Nervenkrankheiten“ einzig 
und allein jene Neuropathien, welche nur bei erblich belasteten Individuen 
Vorkommen und niemals durch irgend welche Schädlichkeiten ohne vor¬ 
handene erbliche Belastung entstehen; sie sind den hereditären Psychosen 
an die Seite zu stellen. Als neuropathisch erblich belastet sind Individuen 
zu betrachten, bei denenAscendenten vorkamen: 1. Neuropathien, 2. Trunk¬ 
sucht, 3. Blutsverwandtschaft, 4. Kachexien, insbesondere die tuberculöse. 

Mit einiger Sicherheit sind blos zwei Formen von hereditären Nerven¬ 
krankheiten aufzustellen: 1. die hereditäre oder degenerative Ataxie und 

2. die hereditäre oder degenerative Muskelatrophie. Die erste Form, 
welche Friedreich 1863 genauer beschrieb, unterscheidet sich von der 
gewöhnlichen Tabes, abgesehen von der Heredität, durch folgende Punkte : 
1. Vorwiegend befällt sie weibliche Familiengiieder. 2. Tritt sie früh¬ 
zeitiger als jene auf, gewöhnlich um die Zeit des Eintrittes der Pubertät. 

3. In der Hegel bestehen nur CoordinationgstÖrungen; Sensibilitätsstörungen 
fehlen ganz oder treten nur in untergeordneterWeise auf. 4. Cerebrale 
Symptome werden nicht beobachtet. 5. Dagegen sind einige auf die 
Oblongata zu beziehende Symptome ziemlich consftmt , namentlich Ataxie 
der Zungen- und Augenbewegungen. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


163 


An einem der sechs F r i e d r e i c h’schen Fälle nnd einem von 
Kahler und Pick beschriebenen Falle konnte mangelhafte Ausbildung 
des Rückenmarks constatirt werden und es dürften demnach die heredi¬ 
tären Nervenkrankheiten unter die Bildungshemmungen gezählt werden; 
ein kleines schwächliches Geschlecht wird unter allgemein degenerirenden 
Einflössen geboren, ein kleines, früh alterndes Nervensystem entsteht, wenn 
diese Einflüsse bei den Ascendenten in einer specifischen, vorderhand noch 
nicht zu präcisirenden Richtung thätig sind. 

Die Muskelatrophien theilt der Verf. nach der Aetiologie ein in here¬ 
ditäre oder degenerative nnd in nicht hereditäre (Typus D u c h e n n e-A ran); 
zur Unterstützung dieser Eintheilung ftlhrt er Folgendes an: 1. In ana¬ 
tomischer Hinsicht besteht unter allen Fällen progressiver Muskelatrophie 
kein wesentlicher Unterschied. 2. Das Bild der von Leyden aufge- 
«tellten hereditären Muskelatrophie und das (nach der ätiologischen Ein¬ 
theilung des Verf. gleichfalls der hereditären Form zu subsumirende) der 
Pseudohypertrophie gleichen sich in allen wesentlichen Punkten. 3. Bei 
nahezu der Hälfte der bisher bekannt gewordenen Fälle von Pseudohyper¬ 
trophie lässt sich die erbliche Belastung nachweisen und ist die erbliche 
Belastung in der Degenerescenz der Ascendenten begründet; vorzüglich 
sind Trunksucht und Blutsverwandtschaft der Eltern zu berücksichtigen. 

Die progressive Muskelatrophie entsteht zu Folge einer Erschöpfung, 
welche entweder das Individuum oder dessen Ascendenten getroffen hat. 
Im ersten Fall sprechen wir von der gewöhnlichen, im anderen von der 
hereditären Muskelatrophie. Bei den erblich belasteten Individuen kommt 
die Krankheit in der Regel sehr frühzeitig zum Ausbruch; die Kinder 
sind schwächlich, ungeschickt, lernen spät und schwer laufen; die gewöhn¬ 
liche Muskelatrophie befällt hingegen gerade im kräftigsten Mannesalter 
das Individuum. Der hauptsächlichste Unterschied beider Formen liegt 
darin, dass bei der hereditären Atrophie fast ausnahmslos die unteren Extre¬ 
mitäten und Lendenmuskeln zuerst erkranken, während beim Typus 
Duchenne-Aran die oberen Extremitäten primär befallen werden. Der 
Verlauf der hereditären Form ist ein langsamer und es scheint überhaupt, 
dass die erblichen Krankheiten milder und langsamer verlaufen, als die 
entsprechenden erworbenen Formen, wie dies fttr die erblichen Psychosen 
neuerdings constatirt wurde. Der regelmässige Ausgang ist der Tod. 

Obwohl die anatomischen Untersucher nicht endgiltig entscheiden 
konnten, ob die Ursachen im centralen Nervensysteme zu suchen oder ob 
die primäre Erkrankung eine periphere sei, so steht Verf. durchaus nicht 
an, gerade vom ätiologischen Standpunkte die hereditäre Muskelatrophie 
als eine durch Vermittlung des centralen Nervensystemes vererbte Erkran¬ 
kung zu betrachten, gleichgiltig, ob eine Veränderung desselben gefunden 
wird im einzelnen Falle oder nicht. Kräftig unterstützt ist seine Ansicht 
durch den Umstand, dass die an hereditärer Atrophie Erkrankten sehr 
häufig anderweitige Erkrankungen des Nervensystems aufweisen. Uebrigens 
ist zu bedenken, dass unsere Untersuchungsmittel nicht ausreichen und 
wahrscheinlich auch nie ausreichen werden, gar mannigfache Veränderungen 
des Nervensystems zu erweisen. 

Im Anhänge wird über eine grosse Anzahl von bezüglichen Fällen 
eine genaue Tabelle gegeben. Schnopfhagen. 

135. Die diffuse Nepliritis und die Entzündung im Allgemeinen. 

Von Dr. E. Aufrecht. Berlin 1879 bei G. Reimer. 

Nach einer ausführlichen historischen Darstellung der Pathologie 
der diffusen Nephritis entwickelt der Verf. seine eigenen Anschauungen 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


über diesen Geggenstand und basirt dieselben sowohl auf seine am 
Leicbentische gemachten Erfahrungen, als auch auf seine experimentellen 
und klinischen Beobachtungen. Er unterscheidet nach Ausschliessung der 
in Folge von Herd-Erkrankungen entstandenen Nierenentzündungen folgende 
diffus entzündliche Nierenaffectionen: 

I. Die trüb-geschwollene Niere, II. die weisse Niere, ni. die 
grobgranulirte (weissgelbe) Niere, IV. die weissgesprenkelte und V. die 
feingranulirte Niere. 

Bei keiner dieser Formen von diffuser Nephritis konnte A. eine 
Spur von Bindegewebsneubildung finden und schliesst hiemit die bisherige 
Ansicht, dass die sogenannte Schrumpfniere durch Retraction des neu¬ 
gebildeten Bindegewebes entstehe, als unrichtig aus. Stets gelingt es, 
statt des vermeintlichen Bindegewebes durch Auspinseln und Zerzupfen, 
sowie durch Tinctionen mit Fuchsin, Zellen darzustellen, welche durch 
einen hellen runden Kem und zahlreiche, sich vielfach verflechtende Aus¬ 
läufer charakterisirt sind (Polypenzellen). 

Auf Grundlage dieses Befundes sucht der Verf. durch das Experiment 
den Nachweis zu liefern, dass nicht die Erkrankung des interstitiellen 
Gewebes, sondern die entzündliche Erkrankung der Epithelien bei der 
diffusen Nephritis das Primäre ist. 

Zu diesem Zwecke unterband A. jungen Kaninchen, welche er dann 
kürzere oder längere Zeit am Leben erhielt, den linken Ureter und 
studirte dann die histologischen Veränderungen der betreffenden Nieren. 

Die Niere schwillt in Folge der Ureter-Unterbindung an, das Nieren¬ 
becken wird ausgedehnt, jedoch nicht so hochgradig, dass die Volums¬ 
zunahme des Organs hierauf allein zurückzuführen wäre. Innerhalb der 
3 ersten Tage nach der Unterbindung finden sich in den Harncanälchen 
der Rinde ausserordentlich zahlreiche Fibrincylinder. Das Epithel fehlt an 
keiner einzigen Stelle und ist durch dunkle Körnchen, oder kleine hell¬ 
glänzende Fetttröpfchen stark getrübt. Die einzelnen Zellcontouren sind 
verschwommen, die Kerne treten nur nach Fuchsinfärbung hervor. 

Unter günstigen Verhältnissen gelingt es aus dem offenen Ende 
eines Hamcanälchens einen Fibrincylinder herausragen zu sehen, welcher 
innerhalb des Canälchens von Epithelien, deren Kerne, durch Fuchsin 
gefärbt, gut sichtbar sind, rings umschlossen wird. Die Fibrincylinder 
entstehen sonach nicht durch eine Umwandlung des Epithels, sondern 
die Epithelien liefern den Stoff, durch dessen Zusammenfliessen sich der 
Cylinder formt. (Die Bildung der Cylinder aus Bluttranssudat ist von 
vomeherein auszuschliessen, da die Ureterunterbindung einen so hoch¬ 
gradigen Seitendruck hervorbringt, dass eine Transsudation aus dem Blute 
unmöglich ist.) 

Sechs Tage nach der Unterbindung ist eine beträchtliche Ver¬ 
breiterung der Interstitien zwischen den Harncanälchen vorhanden und 
finden sich grosse ovale Kerne, welche sich in Zupfpräparaten sammt 
ihrem Protoplasma isoliren lassen; dieselbe bildet einen ziemlich grossen 
Hof um den Kern und hat entweder eine spindelförmige oder mehr un¬ 
regelmässige Gestalt. Manche Kerne zeigen eine Art Einschnürung oder 
es finden sich kleinere rundliche Kerne zu zweien und dreien dicht 
nebeneinander liegend. 

In Nieren, welche 9—12 Tage unterbunden waren, kamen die kleineren 
Kerne in grösserer Zahl vor und nach 2—3 Tagen waren sie vorherr¬ 
schend, so dass kein Zweifel über die Vermehrung durch Theilung bestehen 
konnte. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


165 


Diesen auf experimentellem Wege gewonnenen Erfahrungen ent¬ 
sprechen auch die Untersuchungen, welche A. an Nieren gemacht hat, 
deren Ureter durch Uteruscarcinom comprimirt gewesen war. 

Der Verf. glaubt sonach annehmen zu dürfen, dass primär in Folge 
einer toxischen oder trophischen Entzündung stets die Harncanälchen- 
Epithelien erkranken und das interstitielle Gewebe, sowie die Gefässe 
erst secundär in Mitleidenschaft gezogen werden. Mit dieser Erkenntniss 
über die Aufeinanderfolge der Erkrankung der einzelnen Gewebsbestand- 
theile ist aber noch kein volles Verständniss über das Wesen der diffusen 
Nephritis gewonnen, sondern es muss noch erläutert werden, in welchem 
Zusammenhänge die eingangs erwähnten anatomischen Formen stehen, 
ob sie Stadien ein und desselben Processes sind, oder ob verschiedene 
Arten unterschieden werden müssen. Zur Entscheidung jener Frage muss 
auch die ätiologische uud klinische Seite in Betracht gezogen werden, 
wobei sich ergibt, dass die diffuse Nephritis in folgende 3 Arten ein- 
getheilt werden kann: 

I. Die acute Nephritis. 

II. Die subacute Nephritis. 

III. Die chronische Nephritis. 

Dieselben sind von einander gänzlich unabhängig, ein Uebergang 
der einen in die andere ist nicht möglich. 

Die acute Nephritis tritt auf während der Gravidität, nach 
Scharlach, Erysipel etc., entspricht mit einem Worte der acuten, paren¬ 
chymatösen Nephritis von Bartels. Erfolgt der Tod frühzeitig, findet 
sich eine trtibgeschwollene Niere, bei etwas längerem Verlaufe eine weisse 
oder bei sehr schleppendem Verlaufe selbst eine grobgranulirte Niere. 

Diesubacute Nephritis entspricht dem Anfangsstadium der 
2. Form der Nierenerkrankung nach Bright oder der chronischen paren¬ 
chymatösen Nephritis von Bartels. Sietritt auf im Gefolge langwieriger 
Eiterungen, im Verlauf der Phthise oder Syphilis und präsentirt sich in 
anatomischer Beziehung als gesprengelte Niere. 

Die chronische Ne phritis, ein Analogon der interstitiellen 
Entzündung nach Bartels, entspricht der von den Anatomen als „fein- 
granulirte Niere“ bezeichneten Form. 

Bei aller Anerkennung für die interessanten und fleissigen Unter¬ 
suchungen des Verf., kann sich Ref. doch nicht ganz einverstanden erklären, 
wenn A. von der seltensten Form der Nephritis, welche durch Secretretention 
entstanden ist, ausgehend, so weittragende Schlüsse für alle Formen des 
M. B. zieht. Ebensowenig kann Ref. auf Grundlage seiner klinischen 
Erfahrungen die Behauptung des Verf. unterstützen, dass die acute, 
subacute und chronische Form der Nephritis niemals in einander übergehen. 

Glax. 

136. Einfache Polyurie bei Hirntumor. Von Dr. Ferdin. Fazio. 
(D Morgagni IX. 1879.) 

An die Krankengeschichte eines einschlägigen Falles knüpft der 
Verf. eine Uebereicht der betreffenden Publicationen, sowie eine Kritik 
der über diese Krankheit bestehenden Theorien. Aus der von Lance- 
raux gesammelten Statistik von 70 Fällen erhellt, dass in 5 Fällen der 
Ursprung auf Verletzung des Kopfes oder anderer Körpertheile (3), acht¬ 
mal auf Erkrankungen des Gehirns, siebenmal auf andere Nervenstörungen 
und eben so oft auf Excesse in Baccho, zweimal auf Gemtithsbewegungen, 
elfmal auf Erblichkeit, in drei Fällen auf Erkältung, einmal auf Insolation 


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Medicinisch-chirurgische Bandschau. 


zurückzuführen sei. F. schliesst sich der Ansicht Robert’s an, der die 
primäre Ursache des Diabetes insipidus in Veränderungen der sympathische]» 
Ganglien sucht, deren Gebiet von der Basis des vierten Ventrikels sich 
durch das Rückenmark bis direct auf die NierengefUsse erstreckt. 

Mosler begründete für die qu. Krankheit die dyskrasische Hypo¬ 
these, indem er bei derselben die Ausscheidung von Inosit nachwies,, 
welcher Stoff jedoch von andern Beobachtern auch im Diabetes mell, und 
bei Morbus Brighti nachgewiesen worden ist. Die hämodynamische Doctrin, 
d. i. die Auffassung der Krankheit als Polydipsie, der sich Trousseau 
und B e n n e t anschlossen, entspricht nicht der klinischen Thatsache, dass 
meist die Polyurie der Polydipsie vorangeht, dass ferner bei Verminderung^ 
des Getränkes die Harnraenge die Einfuhr übersteigt und der Körper aus¬ 
getrocknet werde, und dass vollständige Enthaltsamkeit von Getränke» 
die Harnmenge nur theilweise herabsetzt. — Das physiologische Experi¬ 
ment stützt ebenfalls die nervöse Grundlage. Bernard hat zuerst zwei 
verschiedene Punkte am Boden des vierten Ventrikels bei Kaninchen ent¬ 
deckt , deren einer auf Reizung Vermehrung der Gallensecretion, deren 
zweiter Vermehrung der Harnmenge und Albuminurie zur Folge hat. 
Eckhard fand bei Kaninchen und Hunden im zweiten Lappen des 
Wurms einen Punkt, dessen Reizung Diabetes und Hydrurie ergab, welche 
letztere auch auf Durchschneidung des N. splanchnicus entsteht. Das 
Experiment an letzterem Nerven wurde auch von Vulpian wiederholt 
und bestätigt. 

Der Fall Fazio’s war folgender: Ein 21jähriges lediges Mädchen, 
welches angibt, bis vor drei Jahren ganz gesund gewesen zu sein, damals 
aber eine grosse Zunahme in der Harnmenge beobachtete und gleichzeitige 
sehr abmagerte; nach Aufhören dieser Symptome trat ein Jahr später Appetit¬ 
losigkeit und habituelle Verstopfung auf, inzwischen hatte sich zeitweilige 
Schmerz an unterschiedlichen Regionen des Kopfes eingestellt. Die Eltern 
der Kranken sind am Leben und gesund, einer ihrer Brüder ist vor einigen 
Jahren unter Symptomen der Polydipsie und Polyurie gestorben. Die 
Kranke ist sehr schlecht genährt, anämisch, Gesichtszüge und Pupillen 
verrathen keine abnorme Innervation. Brust- und Bauch-Eingeweide scheinen 
normal, doch sind in der Decke des Unterleibs an verschiedenen Stellen 
kleine Geschwülste zu fühlen, die sowohl spontan, wie auf Berührung^ 
schmerzen; die Leber- und Milzdämpfung verkleinert. Der Urin enthält 
weder Zucker noch Eiweiss, spec. Gewicht 1002, sämmtliche normale 
Bestandteile vermindert. Am ganzen Körper war keinerlei Motilitäts- 
oder Sensibilitäts-Störung aufzufinden. Während ihres Aufenthaltes in der 
Anstalt bildeten ebenfalls der Durst und die abnorme Harnmenge (7 bis 
8 Liter pro die) die Hauptsymptome. Die Valeriana, sowie Opium blie¬ 
ben ganz ohne Einfluss und bald stellten sich auch wieder Magenbeschwer¬ 
den sowie Kopfschmerz, letzterer in Intervallen von 7—8 Stunden, ein. 
Erst in den letzten vier Tagen ihres Lebens klagte sie über eine Abnahme 
ihrer Sehkraft und über Verdunkelung der fixirten Objecte; eine ophthal¬ 
moskopische Untersuchung konnte in diesem Stadium nicht mehr vorge¬ 
nommen werden. Geruch und Geschmack waren stets normal geblieben; 
nach kurzer Agonie trat der Tod ein. Bei der Obduction der aufs 
Aeusserste abgemagerten Leiche fand sich an der Basis des Gehirns ent¬ 
sprechend dem Türkensattel ein gelappter Tumor von der Grösse einer 
Kastanie, zwischen dem Pons und Chiasma nerv, optic. aufsitzend; das 
Chiasma ist völlig in der Neubildung aufgegangen und degenerirt, welche 
letztere sich als ein Bindegewebssarkom erweist. Die Circulus arteriös. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


167 


Willi8ii comprimirt, die pia mater hyperämisch. Das Gehirn selbst anä¬ 
misch, die Ventrikel normal. 

Die Lungen etwas emphysematös, der linke Ventrikel des Herzens 
concentrisch hypertrophirt, sein Cavum sehr gering, die rechte Herzkammer 
erweitert, die grossen Gefässe normal. Die Baucheingeweide leer, dagegen 
die Harnblase bis ein Querfinger unter dem Nabel ausgedehnt, im Colon 
und in der flexura sigmoidea indurirte Rothmassen. Leber und Milz er¬ 
scheinen bedeutend verkleinert, ebenso die Nieren, welche jedoch hyper- 
ämisirt, dunkelbraun aussehen. Die Kapsel leicht ablösbar, ihre Consi- 
stenz deutlich vermehrt. 

Der kleinen Monographie sind noch im Auszuge 14 gesammelte 
einschlägige Fälle angefügt, in denen die Obductionsbefunde Tumoren im 
vierten Ventrikel, Degenerationen der Wände oder des Endothels desselben 
ergaben; die durch Schlag oder Sturz auf den Kopf entstandenen Fälle 
endeten meist in Genesung; einmal konnte Semmola an einem syphi¬ 
litischen Individuum ein Gumma an der Gehimbasis diagnosticiren, und 
schwanden auf Gebrauch von Jodkali nebst der Polyurie auch die übrigen 
Symptome der Syphilis; mehrere Male war Meningitis oder Epilepsie der 
Polyurie vorangegangen. H a j e k. 

137. Vergiftung durch Muscheln als Ursache von atrophischer 
Spin&lparalyse. Von Dr. 0. Brunn (Esbjerg). (IIosp.-Titende 2, R. 10, 
1879.— Schmidts Jahrbb. Nr. 6, 1879.) 

Der sehr interessante Fall betrifft den Verf. selbst, der die Er¬ 
krankung für die Folge einer Vergiftung durch essbare Muscheln be¬ 
trachtet. Er hat besondern Werth durch die Genauigkeit, mit der die 
Entwicklung der Krankheit beobachtet worden ist, sowie durch die aus¬ 
führliche Darstellung der subjectiven Krankheitssymptome. 

Verf. hatte, bereits durch Ueberanstrengung angegriffen und an 
Angina mit Husten und Fieber erkrankt, am 26. Jänner 1877 Abends 
frische gekochte Muscheln gegessen; 2 1 / 2 Std. darauf bemerkte er Jucken 
im Handgelenk und am Halse und eine zusammenschnürende Empfindung 
in der Cardia, 1 Std. später traten Kolikschmerzen mit einer dünnen 
Darmentleerung auf. Cardialgie und Jucken nahmen fortwährend zu. Erst 
nach wiederholten vergeblichen Versuchen gelang es, Erbrechen zu erregen, 
wodurch die Cardialgie gemildert wurde; das Erbrochene waren fast ganz 
unverdaute Muscheln. In der folgenden Nacht wurde das Jucken immer 
heftiger, so dass Verf. nicht ruhig liegen konnte, gleichzeitig hatte er 
im Kopfe eine Empfindung, die der der Narkose durch Chloroform oder 
Stickstoffoxydul vorhergehenden glich. Der ganze Körper war mit Urti¬ 
cariapapeln bedeckt, vor den Ohren sauste und brauste es, Funkensehen 
trat auf und die Flamme des Lichtes wurde zeitweise doppelt gesehen. 
Im Hinterkopfe, im Halse und längs des Rückens bestand eine heftige 
Pulsation, die fast Schmerzen erregte. Nach wiederholter Anwendung von 
Brechmitteln trat nur schwaches Erbrechen ein. Bald traten auch clonische 
Zuckungen in den vorderen Oberschenkelmuskeln an beiden Seiten, am 
stärksten aber rechts, auf, wobei die einzelnen Muskeln abwechselnd sich 
contrahirten, doch ohne das Glied zu bewegen. Trotz Chloral, das Schlaf 
brachte, blieben die Muskelzuckungen unverändert, bald erwachte Verf. 
wieder aus dem Schlafe mit heftigem Schmerz im Hinterkopf und in der 
linken Schläfe/ Gleichzeitig bestanden heftige rheumatoide Schmerzen in 
beiden Armen, hauptsächlich links, nur längs der Flexorenseiten und im 
Rücken längs der ganzen Wirbelsäule. Der Anfall dauerte im Ganzen 


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Medicinisch-chirargische Randschau. 


2 Std., dann verfiel Verf. in Schlaf; das Sensorium war dabei einiger- 
niassen frei gewesen. Am nächsten Tage begannen die Mnskelzucknngen 
und die Schmerzen in den Armen wieder sehr heftig, letztere hatten nach 
einem durch Chloral erzeugten Schlafe aufgehört, erstere dauerten aber fort; 
Verf. hatte das Gefühl von Straffheit und Steifheit in den Muskeln der 
Beine. Der Puls war während der ganzen Zeit regelmässig und mässig 
frequent (80 Schläge in der Minute) gewesen. Am 28. Jänner traten nur 
noch sehr schwache Muskelzuckungen auf, die Schenkelmuskeln waren 
empfindlich gegen Druck. In der Lendengegend stellte sich Schmerz ein, 
aber Druck auf die Proc. spinosi war nicht schmerzhaft. Die Augenlider 
waren geschwollen, ödematös, empfindlich; jeder kleine Riss in der Epi¬ 
dermis führte zu Eiterung. Nachmittags bemerkte Yerf. plötzlich beim 
Herabsteigen auf einer Treppe Schlaffheit und Schwäche im linken Ober¬ 
schenkel, die in den nächsten Tagen noch mehr Zunahmen; alle Be¬ 
wegungen konnten ausgeführt werden, aber das Gefühl davon war un¬ 
sicher, es stellte sich ein Gefühl von Unruhe im linken Oberschenkel ein, 
der nur in etwas rotirter Stellung und durch den Druck des anderen 
Schenkels in Extensionen gehalten, anhaltend ruhig in der Lage gehalten 
werden konnte. Am 1. Februar bestanden fixe Schmerzen am 11. und 
12. Brustwirbel. Die Muskelzuckungen dauerten fort. Druck längs der 
Muskeln an der Vorderfläche des linken Oberschenkels gab ein leicht 
knisterndes Gefühl wie bei Emphysem, aber es war weder etwas zu 
sehen, noch sonst zu fühlen, was auf solches hätte hindeuten können; 
Druck längs des N. cruralis erregte Empfindlichkeit. Es traten neural¬ 
gische Schmerzen im Oberschenkel auf und nahmen, wie auch die Rücken¬ 
schmerzen, an Heftigkeit immer mehr zu. Nach wiederholter Anwendung 
von Eisblasen am Rückgrat in der Lendengegend nahmen die Schmerzen 
ab. Mitte Februar zeigte sich, dass das linke Bein, mit dem zwar alle 
Bewegungen ausgeführt werden konnten, aber nur mit dem Gefühle der 
Schwäche und Unsicherheit, an Umfang abgenommen hatte, namentlich 
war der Vastus internus geschwunden, die Muskeln fühlten sich schlaff 
und weich an. In der Folge stellten sich häufige Schmerzanfälle ein, die 
später auch das rechte Bein betrafen, die Muskelzuckungen breiteten sich 
bald über den ganzen Körper aus, die Schmerzen im Rücken blieben un¬ 
verändert, in den peripherischen Nerven breiteten sich die Schmerzen 
immer mehr aus, so dass Ende März auch die Arme ergriffen waren. 
Trotz der Behandlung mit Elektricität, Jodkalium innerlich und Aufpin¬ 
selung von Jodtinctur längs des Rückgrats besserte sich der Zustand nicht, 
erst Genuss der frischen Luft brachte etwas Besserung hervor, aber sie 
machte nur sehr langsame Fortschritte. Zwar konnte B. im J. 1878 
seine Praxis wieder versorgen, aber es kamen zu Zeiten wieder Rückfälle 
vor, die bis 14 Tage lang dauerten. Wesentliche Besserung wurde im 
Juni 1878 durch eine Seebadecur erzielt, so dass Verf. zur Zeit der Mit¬ 
theilung sich als geheilt betrachtete. 

138. Ueber subfebrile Zustände von erheblicher Dauer. Von Dr. 
W. Kernig. (Archiv für klin. Med. Bd. 24, Heft 1 und 2. St.-Petersb. 
Med. Wochenschr. 1880. 1.) 

In der Einleitung bezeichnet Verf. Körpertemperaturen zwischen 
37,5° C. und 38,5° C. als subfebril, macht aber zugleich darauf auf¬ 
merksam, dass in der Nachtzeit (von spät Abends bis früh Morgens) auch 
schon Temperaturen zwischen 37,0 und 37,5 höher als normal seien. 
Was nun die Temperaturcurven der vom Verf. beobachteten, längere Zeit 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


169 


andauernden, subfebrilen Zustände anlangt, so zeigten dieselben meistens 
den, dem Verhalten der normalen Körpertemperatur entsprechenden, des 
Morgens remittirenden Typus, doch kamen auch nicht ganz selten Curven 
zur Beobachtung, in denen die Temperatur des Morgens höher zu sein 
pflegte als des Abends (typus inversus). Relativ am seltensten zeigten 
die subfebrilen Temperaturen einen continuirlichen, gleichmässigen Ver¬ 
lauf. Dass zwischendurch die Temperaturen für einzelne Tage auf febrile 
Höhen hinaufgingen, oder andererseits die normale Höhe gar nicht über¬ 
schritten, kam nicht allzu selten vor. 

Die Dauer der subfebrilen Zustände war unbestimmt und richtete 
sich nach den zu Grunde liegenden Krankheitsprocessen; Verf. hat Wo¬ 
chen-, monate- und jahrelanges Anhalten derselben beobachtet. 

Was das Vorkommen der andauernden subfebrilen Zustände anlangt, 
so werden sie am häufigsten bei den subacuten oder mehr chronischen, 
zur Phthisis führenden Lungenaffeclionen beobachtet, und zwar: Erstens 
zur Zeit des allerersten Beginnes der Erkrankung, wo objectiv auf den 
Lungen noch wenig oder nichts Krankhaftes nachzuweisen ist. Hier führt 
Verf. sechs durch Temperaturcurven illustrirte, hierher gehörige Kranken¬ 
geschichten an, von denen namentlich eine, bei welcher es sich um 2 x j % 
Jahre lang anhaltende subfebrile Temperaturen mit relativ unbedeutender, 
allmälig sich bessernder Lungenaffection handelte, von grossem Interesse 
ist. Zweitens kommen subfebrile Zustände im Verlaufe chronischer Lungen - 
inflltrate oder beim Uebergang derselben in Stillstand oder Heilung zur 
Beobachtung, wofür vier weitere Krankengeschichten den Beleg liefern. 
Endlich drittens können auch im letzten Stadium der Phthisis, ehe der 
tödtliehe Ausgang eintritt, gewissermassen als Uebergang zu den Collaps- 
temperaturen, die nicht selten dem Tode vorangehen, wochenlag sich hin¬ 
ziehende subfebrile Curven Vorkommen. 

Die zweite grosse Gruppe von Individuen, bei denen verhältniss- 
massig oft andauernde subfebrile Temperaturen beobachtet werden, bilden 
die Scrophulösen, bei welchen leichte, kurzdauernde, fieberhafte Krank¬ 
heiten, w. z. B. katarrhalische Anginen, leichte typhöse Fieber, Pneumonieen, 
katarrhalische Synovitiden etc., von anhaltenden subfebrilen Temperaturen 
gefolgt werden, ohne dass man dafür einen anderen Grund als eben die 
krankhafte Constitution auffinden könnte. Der Beleg hierfür wird durch 
neun weitere Krankengeschichten und zugehörige Curventafeln geliefert. 
Ferner werden anhaltende subfebrile Zustände auch direct durch mehr 
oder weniger klar nachweisbare scrophulöse Affectionen der Lymphdrüseu 
selbst erzeugt und unterhalten, wofür abermals neun Krankengeschichten 
den Beweis liefern; unter denselben ist namentlich ein Fall erwähnens- 
werth, in dem es sich um eine zweimonatliche Dauer subfebriler Tem¬ 
peraturen mit gleichzeitigem Ascites und Milzschwellung und schliesslichem 
Ausgang in Heilung handelte und der nur als eine scrophulöse Aflfection 
der Unterleibsdrüsen, als eine Lymphadenitis mesaraica, aufgefasst werden 
konnte. In dem nun folgenden Theil seiner Arbeit macht Verf. darauf 
aufmerksam, dass es unzweifelhafte Fälle von Abdominaltyphus gibt, 
welche von Anfang bis zu Ende nur mit subfebrilen Temperaturen ver¬ 
laufen (wofür auch eine einschlägige Krankengeschichte angeführt wird), 
und zählt dann, stets gestützt auf selbstbeobachtende Krankheitsfälle, eine 
Reihe weiterer Krankheiten auf, bei denen anhaltende subfebrile Zustände 
Vorkommen; es möge genügen als solche den acuten Gelenkrheumatismus, 
ferner den Scorbut, die progressive perniciöse Anämie, Leukämie und das 
Eruptionsstadium der constitutionellen Syphilis anzuführen. 


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Medicinisch-chiriirgische Rundschau. 


Bei der allgemeinen Beurtheilung und Würdigung der anhaltenden 
subfebrilen Zustände vom pathologischen und klinischen Standpunkt aus 
kommt Verf. zum Schluss, dass, wenn auch als directc Ursache für die¬ 
selben offenbar locale, mehr oder weniger protrahirt verlaufende entzünd¬ 
liche Vorgänge anzusehen sind, dennoch in der Mehrzahl der Fälle die 
nicht normale Constitution als weitere mitwirkende und prädisponirende 
Ursache hinzokommt. Ihr Vorkommen ist bei Scrophulösen und Phthisi- 
schen auch in Folge anderer Krankheiten ein so häufiges, dass sie mit 
als Charakteristicum der scrophulösen und phthisischen Constitution be¬ 
nutzt werden können. Sie können, was von diagnostischer Bedeutung ist, 
bei später Phthisischen um Wochen jedem anderen auf die Lungen be¬ 
züglichen Symptome vorausgehen und sind häufig in prognostischer Be¬ 
ziehung als ominös zu betrachten, zumal wenn die Tagescurve den Typus 
in versus einhält. 


139. Zur Berger'sohen Parästhesie. Von Dr. P. J. Möbius. 
(Ctrbl. f. Nervenhk. von Erlenmeyer. 1880. 2.) 

VonO. Berger wurde jüngst (Breslauer ärztl. Zeitschr. 1879) 
eine neue Sensibilitätsneurose beschrieben, welche wesentlich in einer 
anfallsweise auftretenden, durch ihre ausserordentliche Intensität ausge¬ 
zeichneten, nicht eigentlich schmerzhaften Parästhesie der Beine besteht. 
Seine Schilderung ist bisher noch nicht durch weitere Mittheilungen 
bestätigt worden. Verf. veröffentlicht daher einige Beobachtungen, welche 
geeignet sind, Bergers Darstellung sowohl in nosologischer als therapeu¬ 
tischer Hinsicht zu bekräftigen. 

1. Im Herbst dieses Jahres wurde ein 30järiger Kaufmann an Verf. 
gewiesen. Derselbe gab an, stets nervös gewesen zu sein, er habe früher 
viel an Zittern der Glieder, an Kopfdruck und Gemttthsverstimmung 
gelitten. Seit einigen Jahren nun litt er an einer eigenthümlichen Affection 
der Beine, welche ihm die Befürchtung, rückenmarkskrank zu sein, ein- 
geflösst hatte. Wenn er genöthigt war, längere Zeit still zu sitzen, im 
Comptoir und besonders in den Abendstunden, stellte sich ein peinliches 
Gefühl in beiden Beinen ein, welches mit Worten zu beschreiben Pat. 
sich ausser Stand erklärte. Die Empfindung habe ihren Sitz nicht in der 
Haut, sondern in den Muskeln, beginne in der Nähe des Hüftgelenks 
und verbreite sich dann nach abwärts bis in den Fuss. Sie sei durchaus 
nicht schmerzhaft, aber ungemein störend, von lebhafter Unruhe begleitet, 
am ehesten sei sie dem Gefühl nach längerem Reiten zu vergleichen. Er¬ 
leichterung gewährte nur Aufstehen und Herumgehen. Gefühl von 
Schwäche (wie Berger angibt) hatte Patient nie. Der Rumpf und Ober¬ 
körper blieb stets frei. Die Untersuchung des zart gebauten Patienten 
ergab bis auf einige Hämorrhoidalknoten durchaus normale Verhältnisse, 
namentlich liess sich keine Störung der Sensibilität oder Reflexthätigkeit 
der Beine nachweisen. Bemerkenswerth erscheint, dass der Vater des 
Pat. mit 63 Jahren nach 3jährigem Irrsinn gestorben ist. 

Die Behandlung bestand zunächst in Galvanisation des Rückens, 
erzielte aber keinen bemerkenswerthen Erfolg. Von einem solchen war 
dagegen die Verabreichung von Tinct. Fowleri begleitet. Binnen mehrerer 
Tage schwanden die Anfälle der Parästhesie und bis jetzt ist der Pat., 
welcher das Mittel noch gebraucht, vollkommen frei von ihnen geblieben. 

2. Ein 26jähr. Mann aus dem gelehrten Stande erzählt, dass er 
seit seiner Kindheit zuweilen von einem seltsamen „Kribbeln 14 in Unter¬ 
schenkeln und Füssen heimgesucht w r erde. Nach oft raonatelangen Pausen 


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Mediciniach-chirurgische Rundschau. 


171 


trete das Gefühl ohne bekannte Ursache des Abends bei sitzender Körper¬ 
haltung auf. Es beginne in den Zehen und gehe von da auf Fuss und 
Unterschenkel über; ob es in den Muskeln sitze, könne er nicht angeben; 
es sei nicht schmerzhaft, aber peinlich und veranlasse ihn, zuckende 
Bewegungen mit dem Beine zu machen. Letztere zu unterdrücken, sei 
ihm nur mit grosser Ueberwindung möglich, obwohl er oft durch sie 
seine Umgebung in Erstaunen gesetzt habe. Gehen oder Liegen liess die 
Sensation verschwinden. Dieses Uebel ist nun in der Familie des Be¬ 
troffenen erblich. In geringem Masse litten sein Vater und die Geschwister 
desselben daran, oft aber und in störender Weise der Grossvater. Der 
Erzähler erinnert sich, als Kind oft über den Grossvater erschrocken zu 
sein, welcher ohne jede sichtbare Veranlassung mit dem Beine zuckte. 
Eine Behandlung war wegen der relativen Geringfügigkeit des Leidens 
nie instituirt worden. 

An diese Beobachtungen schliesst Verf. einen Fall, welcher sich 
mit dem Berger’schen Krankheitsbilde nicht deckt, aber offenbar eine 
ähnliche Affection darstellt und wegen seiner Seltsamkeit eine Erwähnung 
verdient. 

3. Ein 56jähriger Beamter aus einer benachbarten Stadt consultirte 
Verf. wegen eines seit 20 Jahren bestehenden Leidens. Allmälig traten 
unwillkürliche Zuckungen im Knie- und Fussgelenke auf, welche den 
Schlaf des Patienten störten und nur durch Aufstehen zu beschwichtigen 
waren. Besondere Empfindungen wollte der Kranke dabei nicht haben, 
nur „ein Gefühl der Unruhe 44 . In den letzten Jahren hatte sich der 
Zustand verschlimmert, so dass Pat. die meisten Nächte auf einem Stuhle 
zubrachte. Die Zuckungen traten auch während des Tages auf. Pat. 
erklärte theils deshalb, theils weil er durch den Mangel an Nachtruhe 
geschwächt werde, sein Amt aufgeben zu müssen. Die eingehendste 
Untersuchung ergab überall durchaus normale Verhältnisse. Pat. war 
ein kräftiger Mann und nie ernstlich krank gewesen. In seiner Familie 
waren angeblich keine Neuropathien vorgekommen. Die verschiedensten 
Curen hatten seinen Zustand nicht gebessert. Verf. verordnete Tinct. Fowleri, 
hat sich aber, da Pat. nicht wiedergekommen ist, von der Wirkung 
nicht überzeugen können. 0. R. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 


140. Die Anwendung der Salpetersäure bei Erkrankungen des 
Uterus. Von Dr. Ernst Braun, Hausarzt der Zahlabtheilung der n. ö. 
Landes-Gebäranstalt in Wien. (Wiener med. Presse 1879.) 


Verfasser bespricht die Schwierigkeiten der Behandlung der chro¬ 
nischen katarrhalischen Affectionen der Schleimhaut weiblicher Genitalien. 
Die Bäder, die die Frauen besuchen, findet er für erfolglos, wenn sie 
sich nicht gleichzeitig einer localen Behandlung unterziehen. Kein Ad¬ 
stringens hat eine so eclatante Wirkung hervorgebracht, als Acidum 
nitric. concent. pur., mit welchem er seit zwei Jahren die Uterinhöhle und 
den Cervicalcanal und die Vaginalportion touchirte. Bei Erosionen (folli- 


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172 


Medici nisch-chirnrgische Rundschau. 


culäre und papilläre) ätzt er die Vaginalportion, nachdem er früher mit 
einem lancettförmigen Messer die geschlossenen Follikeln öffnet. Katarrh 
der Cervicalschleimhaut, die chronische Endometritis, die einfache mit 
abnormer Secretion verbundene Endometritis, bei der Endometritis fungosa 
begleitet von Metrorrhargien und Menorrhagien, bei Ectropium der 
Cervicalschleimhaut, sogar bei wahrem Lacerationsectropium in geringerem 
Grade, bei Metrorrhargien nach Abortus, wenn Eireste in der Uterus- 
höhle zurückgeblieben, die durch kein anderes Mittel herausbefördert werden 
konnten, ebenso bei mangelhafter Involution der Gebärmutter. Bei allen 
diesen Krankheiten hat das Acid. nitric. pur. glänzende Erfolge nachge¬ 
wiesen. Die rauchende Salpetersäure eignet sich weniger zum Aetzen, 
nachdem sie durch den Nebel das Gesichtsfeld verdeckt. 

Der durch die Säure gesetzte Schorf fällt in 8—9 Tagen ab, 
hinterlässt meist eine rein aussehende Wunde, die länger zur Heilung 
braucht; deshalb darf von einem bis zum anderen Menstruationsinter¬ 
valle eine, höchstens zwei Aetzungen vorgenommen werden. Jedes Instru¬ 
ment, das von Salpetersäure nicht angegriffen wird, kann dazu benützt 
werden. 

Verf. hat eine Sonde construiren lassen, die diesem Zwecke vollkommen 
entspricht. Sie besteht aus einem mit Handhabe versehenen Hartgummi¬ 
stab, an dessen oberem Ende eine kuglige Anschwellung sich befindet, 
in welche Glasstäbe, mit Hartgummi montirt, eingeschraubt werden. Länge 
des Glasstabes ist 7 Cm., die Dicke mässig, der Glasstab ist etwas ge¬ 
krümmt, an der Spitze etwas rauh, um sie mit Baumwolle umwickeln zu 
können. 

Vor der Aetzung wird ein röhrenförmiger oder Cuscos’scher 
Spiegel eingeftihrt, die Vaginalportion blossgelegt, vom Schleime gereinigt, 
bei Aetzungen der Cervical- und Uterushöhle, beide durch die Einführung 
einer mit Baumwolle umwickelten Sonde gereinigt, nachdem früher die 
Richtung des Canals sondirt und bestimmt wurde. An die hintere Fläche 
der Vaginalportion kommt ein in eine alkalische Lösung getauchter 
Baumwolltampon, um die hintere Vaginalwand vor der Säure zu schützen. 
Hierauf wird der Glasstab mit Freilassung der Spitze mit Baumwolle um¬ 
wickelt, mit Salpetersäure getränkt, rasch eingeftihrt, beim Herausziehen 
der Spitze allseits an die Wände angedrückt. Einige Spritzen Wasser 
werden in die Scheide injicirt, und ein in Glycerin getauchter Tampon 
eingelegt. 

Uterinalkoliken hat Verf. nach der Aetzung nie beobachtet. Oft 
ist kein Schmerz vorhanden, oft nur sehr gering. 

Zur Verhütung einer Verlöthung wird nach Lösung des Schorfes 
von 5 zu 5 Tagen ein Glasstab eingeftihrt, der mit Vaselin bestrichen wird. 

Dr. Fink. 


141. Experimentelles über Magnesia borocitrica. Von Prof. Dr. 
E. Ludwig. (Wiener med. Blätter 1880. 4.) 

Das obengenannte Mittel hat Dr. Köhler vor kurzem zur An¬ 
wendung bei Steinen und Gries der Blase und Nieren, als auch bei 
Blasenkatarrhen empfohlen. Auf Anregung des Prof. Dittel hat Verf. 
eine Versuchsreihe über die Einwirkung der Magnesia borocitrica auf 
harnsauere Concremente unternommen, deren Resultat Folgendes ergab: 

Um festzustellen, ob eine Lösung von Magnesia borocitrica be- 
merkenswerthe Wirkungen gegen Harnsteine äussert, welche der Haupt¬ 
sache nach aus Harnsäure bestehen, wurden Stücke und feines Pulver 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


173 


von solchen Steinen mit einer concentrirten Lösung der Magnesia boro- 
citrica längere Zeit in Berührung gelassen und täglich einmal oder zwei¬ 
mal umgeschüttelt, damit das feine Pulver mit allen Theilen der Flüssig¬ 
keit in Berührung komme. Es wurde täglich einerseits die Festigkeit der 
aus der Lösung herausgenommenen grösseren Steinfragmente geprüft, 
andererseits wurde täglich eine Probe der filtrirten Lösung auf Harnsäure 
untersucht. 

Ein Versuch dauerte vom 9. December 1879 bis inclusive 
7. Jänner 1880, fünf andere Versuche wurden am 16. December 1879 be¬ 
gonnen und am 7. Jänner 1880 beendet. 

In keinem Falle konnte ein Bröcklichwerden der Steinfragmente 
beobachtet werden, und bei keinem Versuche konnte in der filtrirten 
Lösung Harnsäure nachgewiesen werden, woraus hervorgeht, dass eine 
Lösung von Magnesia borocitrica auf die Harnsäure eine auflösende Wir¬ 
kung nicht ausübt. 


142. Ein Fall von Geophagie, erfolgreich behandelt mit Ferrum 
lacticum. Von Dr. Cuello. (Escuela medico e gazett. hebdom.) 

C. beobachtete ein 15 Monate altes Kind, das an Dysenterie be¬ 
handelt, geheilt wurde und wieder recidivirte, weil es, nach der Angabe 
der Mutter, seitdem es nur kriechen konnte, stets Erde geschluckt. Auf 
die Ordination, dem Kinde jedesmal, wenn es Erde verschlingen wolle, 
etwas Ferr. lact. zu geben, hörte nach drei Tagen sowohl die Diarrhoe 
als auch der abnorme Trieb auf. Der Autor erklärt diesen, sowie etwa 
den Durst als ein physiologisches Bedürfniss für jenen anämischen Zu¬ 
stand, in welchen das Kind durch die Dysenterie versetzt worden war; 
bei dem Circulus vitiosus, den diese und die Geophagie bildeten, kam es 
darauf an, beide Zustände gleichzeitig zu heben, was durch Ferrum 
lacticum hier, sowie in sechs anderen Fällen des Autors auffallend leicht 
und rasch gelungen ist. Hajek. 


143. Behandlung des Empyems durch Punction mit Ausspülung. 
Von Dr. Kashimura (Assistent an der Klinik des Prof. Baetz in 
Tokio, Japan). (B. k. Wochenschrift 1880. 3.) 


Die bisher allgemein gebräuchliche Behandlung des Empyems durch 
Incision und Drainage führt bekanntlich häufig zu Verkrümmung des 
Thorax und Nichtwiederausdehnung der einen Lunge, andererseits genügt 
die Paracentese allein häufig nicht, um überhaupt Heilung zu erzielen. 
Verf. empfiehlt daher folgende Behandlungsweise, bestehend in Punction 
mit desinficirender Ausspülung der Pleurahöhle, die ihm in drei aufein¬ 
anderfolgenden Fällen auffallend günstige Resultate gegeben hat. 

Das Instrumentarium besteht in einem Troicart mit Hahn und zwei seit¬ 
lichen Röhren, an welche Kautschukschläuche mit Klemmen befestigt werden. 

Zuerst werden beide Kautschukschläuche mit Thymolwasser gefüllt und 
dann abgeklemmt. Der obere Schlauch ist mit einem gradairten Irrigator in Ver¬ 
bindung, der untere taucht in ein Glasgefäss mit etwas Thymolwasser. Man 
pnnktirt sodann mit dem wohl desinflcirten Troicart in der gewöhnlicnen Weise. 
Das Stilet wird zurückgezogen, der Hahn geschlossen nnd die Klemme am unteren 
Kautochukschlauche geöffnet. Der Eiter Üiesst jetzt in das Thymolwasser ab. 
Nachdem etwa 500—1000 Ccm. entleert sind, schliesst man die untere Klemme 
wieder, öffnet die obere und lässt aus dem Irrigator unter sehr geringem Drucke 
blutwarmes Thymolwasser (1: 1000) in die Pleurahöhle fliessen, bis der Abfluss 
stockt oder träge wird. Dann wird oben geschlossen und unten geöffaet, worauf 
Eiter und Thymolwasser gemischt auslaufen. Dann wird wieder unten geschlossen 
und oben geöffnet und in dieser Weise so lange abgewechselt, bis die Flüssigkeit 
aus der unteren Röhre vollkommen abfliesst. Jetzt ist die Pleurahöhle ganz 


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174 Meflicinisch-chirurgische Rundschau. 

V 

von Eiter gereinigt und enthält eine — meist kleinere — Menge Thymolmasser. 
Die Cantile wird entfernt, ein Heftpflasterstreifen anf die Oeffnnng geklebt and 
die Operation ist beendigt. 

Pat. wird nun einfach beobachtet nnd bekommt gute Nahrung and Robo- 
rantien, eventuell auch Diuretica oder Drastica oder Pilocarpin. Alle paar Tage 
wird eine Probepnnction gemacht, so lange durch die Percussion noch grössere 
Mengen von Flüssigkeit nachweisbar sind. Auf diese Weise hat man eine Con¬ 
trols über den Verlauf. Ist neues eitriges Exsudat vorhanden, so wird die Pro- 
cedur wiederholt. Doch ist das meist gar nicht nöthig. 

Diese Methode ist nach Verf. nur für einfache, nicht mit Pneumo¬ 
thorax verbundene Empyeme brauchbar; ist schon Luft in der Pleura¬ 
höhle vorhanden, so füllt der Hauptvorgang der Methode vor derlncision, 
nämlich die Abhaltung der Luft und des Luftdrucks, weg, und es ist der 
Schnitt auszufiihren. Wie es sich bei jauchigen Ergüssen ohne Pneumo¬ 
thorax verhält, darüber fehlen dem Verf. noch die Erfahrungen, doch 
räth er, die Punction mit Ausspülung wenigstens zu versuchen, ehe inci- 
dirt wird. 

Verf. lässt drei Krankheitsgeschichten folgen, von welchen wir die 
dritte als Beispiel des Verlaufes hier reproduciren. 

Ogawa, 20jähriger Mann aus gesunder Familie, litt im Sommer 1878 an 
linksseitiger Pleuritis, die angeblich völlig heilte. Mitte November plötzlich Fieber, 
Delirien, heftiger Husten, schleimig-eitriger Auswurf; diese Symptome dauerten 
beständig fort, allmälig kam dazu Druckgefühl links in der Brust, Dyspnoe. Etwas 
Anästhesie der linken Seite der Brust. — Eiotiitt in die Behandlung Ende Febraar 
in sehr herabgekommenem Zustande mit starker Cyanose; etwas Oedem der Beine 
und den Zeichen eines bis zum Schlüsselbein reichenden linksseitigen Pleura- 
Exsudats. Dasselbe war eitrig, der Eiter geruchlos, grünlich-gelb. — Am 14. März 
Punction mit Ausspülung; Menge des ausgeflossenen Eiters circa 1500 Ccm. Dann 
Salicylsäure, Kali aceticum, Chinadecoct. Wiederansammlung des Eiters im Laufe 
von tj Tagen zur alten Höhe. — Am 20. März Wiederholung der Ausspüluug, 
Entleerung von 2 Liter Eiter. Das Herz rückt an seine normale Stelle, das 
Fieber hört auf, die Harnmenge nimmt zu, guter Appetit. — Am 25. März fühlt 
sich der Kranke ganz wohl, nimmt ohne Erlaubniss ein laues Bad, darauf sofort 
Unbehagen, Fieber (39*8), Kopfschmerz, Husten, Diarrhoe; eB sammelt sich aufs 
Neue eitriges Exsudat im Laufe mehrerer Wochen. — Den 22. April zum dritten 
Mal Punction mit Ausspülung. Jetzt rasche und definitive Erholung. Gewichts¬ 
zunahme in den letzten 15 Tagen seit der Operation 37i Kilo, das Exsudat ist 
fast völlig geschwunden, der Mann ist arbeitsfähig. 

144. Ueber toxische Wirkungen des Kali chloricum. Von Dr. 
A. B a g i n 8 k y. (Nach einem in der Gesellschaft für Heilkunde in Berlin 
am 10. ^November 1879 gehaltenen Vortrage. Archiv für Kinderhk. 
I. Bd. 3.) 

Das Kali chloricum wird von allen Aerzten am Krankenbette selbst 
kleinster Kinder verordnet und man hat sich gewöhnt, dasselbe für völlig 
harmlos zu halten. Man hat selbst die Verwendung gesättigter Lösungen 
bei Diphtheriti8 nicht gescheut in der Vorstellung, dass mit der Concen- 
tration des Mittels die heilbringende Wirkung desselben sich steigere; 
man findet jedoch, wenn man die Krankenberichte der grössten Lobredner 
des Mittels genauer durchsieht, dass die Wirkungsweise desselben für die 
Kranken deletär werden kann. Isambert berichtet über eine Intoxi- 
cation mit Kali chloricum, desgleichen Seeligmüller, Jacobi warnt 
dringend vor dem Mittel, indem er notorische Vergiftungen nachweist und 
einen Theil der bei der Diphtheritis vorkommenden Nierenentzündungen 
auf den Einfluss des Mittels zurückführt. — Neuerdings hat Marchand 
(Virchow’s Archiv, 77. Bd., 31. Heft) in einer experimentellen Studie 
den schädlichen Einfluss des Mittels zu erweisen versucht. Verf. war es 
vor Jahren schon in einzelnen Fällen aufgefallen, dass insbesondere diph- 


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Medicinisch-chinurgische Rundschau. 


175 


theritische Krankheitsprocesse unter längerem Gebrauche des Kali chlori- 
cum einen unangenehmen Verlauf nahmen. Doch hielt er die Diphthe- 
ritis selbst für das gefährliche Agens. Erst einzelne Erlebnisse des letzten 
Jahres machten es wahrscheinlich, dass das Kali chloricum kein so un¬ 
schuldiges Mittel sei, wie man bisher anzunehmen gewohnt war. Doch 
scheint es gerade bei einer so schweren und jeglicher Deutung zugängigen 
Krankheit, wie die Diphtheritis, gewagt, einem Arzneimittel eine Schuld 
an dem üblen Verlaufe zuzuschieben. 

Eine junge blühende Frau Pr. litt an einer leichten Diphtheritis. 
Beide Tonsillen waren fleckig graugelb belegt, besonders die linke. Die 
submaxillaren Drüsen geschwollen. Der Verlauf der im Ganzen milden 
Form der Krankheit complicirte sich dadurch, dass sich zu der eigent¬ 
lichen Diphtherie eine parenchymatöse Tonsillitis gesellte, welche sehr er¬ 
hebliche Schlingbeschwerden verursachte und nahezu jede Nahrungsauf¬ 
nahme verhinderte. Die Schleimhaut des harten Gaumens war bis zum 
Zahnrande stark geröthet und geschwollen. Das Gaumensegel iniiltrirt 
und tief geröthet. Die Zunge dick belegt. Vollkommene Anämie. Am 
sechsten Tag der Krankheit eröffnete sich der Tonsillarabscess und da 
die diphtheritsche Affection fast völlig geschwunden war, schien der ganze 
Process abgelaufen. Es waren in der Zeit 14 Gramm Kali chloricum 
verbraucht. 

Nichtsdestoweniger war das Allgemeinbefinden schlecht. Die Zunge 
war intensiv belegt; es bestand völlige Appetitlosigkeit, Uebelkeit. Am 
Abende des 10. August traten urplötzlich sehr heftige ziehende Schmerzen 
in der linken Nierengegend ein; die Uebelkeit nahm zu und steigerte 
sich zum Erbrechen und fortdauernden Würgen. Das Aussehen der bisher 
blühenden jungen Dame wurde schlecht, bleich, die Conjunctiven leicht 
icterisch. Leib hart. Puls weich, frequent. Urin klar, spärlich. — Im 
Urin fand sich ein massiger Gehalt von Albumen, kein Blut, aber hyaline 
Cylinder und einige spärliche Epithelien. Auffallende Mattigkeit. Tags 
darauf Zunahme der Schmerzen, die sich auch auf die rechte Seite er¬ 
strecken. Das übrige Befinden unverändert; häufiges Würgen und hie und 
da Erbrechen. Aussehen bleich, Augen matt, leicht icterisch. T. 38. 
Verordnung: Trockene Schröpfköpfe. Innerlich Eis. Den nächsten Tag: 
Geringer Nachlass der Schmerzen. Aussehen collabirt, bleich. Conjunc¬ 
tiven noch leicht icterisch. Uebelkeit und mehrfaches Erbrechen; dauernde 
Brechneigung. Stuhlgang normal erfolgt. Puls weich, wenig gespannt. 88. 
Im Urin reichlich Albumen, hyaline Cylinder, keine Blutkörperchen. R. 
Bad, Schröpfköpfe. Biliner Sauerbrunnen. 

Bei derselben Medication schwanden allmälig die Symptome. Die 
Albuminurie schwand, der Urin wurde heller, die Uebelkeit hörte auf, die 
Kräfte nahmen zu und am 19. August konnte die Dame als geheilt be¬ 
trachtet werden. 

In diesem Falle kann es kaum einem Zweifel unterliegen, dass man 
es mit einer toxisch wirkenden Substanz zu thun gehabt hat. Die Diph¬ 
therie war abgeheilt und die plötzlich aufgetretene Nephritis konnte kaum 
auf dieselbe bezogen werden. Auffallend sind die heftigen Schmerzen in 
der Nierengegend, welche bei den im Verlauf der Diphtherie auftretenden 
Nephritiden sehr selten zur Beobachtung kommen. Es zeigten die hef¬ 
tigen gastrischen Symptome, dass es sich nicht um eine einfache Nephri¬ 
tis handeln konnte; dem widersprach auch der rasche Kräfteverfall, die 
schwere Abgeschlagenheit, endlich der, wenngleich leichte, Icterus der 
Conjunctiven. Da keine weitere Schädlichkeit eingewirkt hatte, so kann 


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Me&cinisch-chinirgische Rundschau. 


die Schuld des Ganzen nur dem Kali chloricum zugeschoben werden. Selt¬ 
sam ist allerdings, dass nach der anscheinend kleinen Gabe so heftige 
Erscheinungen zu Tage getreten sind. Ueberblickt man die Gesammtreihe 
der Fälle nochmals, so lässt sich nach diesen für die Intoxication mit 
Kali chloricum folgende Symptomengruppe aufstellen: Uebelkeit, Erbrechen, 
Blässe der Haut, niedrige Spannung der Radialarterie, Albuminurie, spar¬ 
same Urinmenge, leichter Icterus, Delirien, Convulsionen, eingenommenes 
Sensorium. Die mikroskopische Harnuntersuchung zeigt vereinzelte Nieren- 
epithelien, hyaline Cylinder, wenig Blutkörperchen. 

Yortr. hätte bei den von ihm beobachteten Fällen die Diagnose der 
Intoxication mit Kali chloricum nicht gestellt, zumal die gereichten Gaben, 
wie dies gerade der letzte Fall beweist, durchaus nicht erheblich grosse 
waren, indess stimmte die hervorgehobene Symptomenreihe so vollständig 
mit derjenigen überein, welche auch andere Autoren, insbesondere auch 
Marcband, in der oben citirten Arbeit angeben, dass eine andere Deu¬ 
tung ihm kaum möglich scheint. In zwei Fällen war die Diphtherie ab- 
getheilt, so dass von dieser Seite kein Anlass fiir eine Complication vor¬ 
lag und der Anfang so wenig, wie der klinische Verlauf stimmt mit dem¬ 
jenigen überein, welchen man sonst, bei den diphtheritischen Nieren- 
affectionen zu sehen gewohnt ist. Dieselben zeigen nur in den seltensten 
Fällen die schweren gastrischen Symptome, die hier beobachtet wurden: 
kommt wohl hie und da Uebelkeit und Erbrechen vor, so ist dauerndes 
quälendes Würgen gewiss eine Seltenheit; Icterus wird im Beginne der 
Nierenentzündungen nie beobachtet; selten kommt es zu Schmerzen in 
der Nierengegend, namentlich sind so peinigende Schmerzen, wie sie vom 
Verf. beobachtet wurden, überaus selten; vor Allem aber fehlen die 
malignen Collapszustände, die tiefe Anämie, die Abgeschlagenheit der 
Glieder, die Verminderung der Arterienspannung. 

Um die deletäre Wirkung des chlorsauren Kali zu erklären, bleibt 
kaum etwas anderes übrig, als sich vorerst an das physiologische Expe¬ 
riment zu halten. 

Rabuteau glaubte, dass das chlorsaure Kali in den Körper ein¬ 
gebracht, unzersetzt denselben durchwandere und von den Nieren wieder 
ausgeschieden werde; dem gegenüber hatte schon F o u c r o y die Ver- 
muthung ausgesprochen, dass das chlorsaure Kali im Körper den Sauer¬ 
stoff abgebe und hatte gerade auf diese Idee hin die therapeutische Ver¬ 
wendung versucht. Neuerdings hat Binz den Nachweis geführt, dass 
das chlorsaure Kali nicht allein durch frischen Eiter bei gewöhnlicher 
Temperatur rasch reducirt wird, sondern dass auch Fibrin bei Blutwärme, 
und besser noch Hefe diese Reduction herbeiführen; die Heileffecte bei 
Diphtherie und Blasenkatarrh werden deshalb von Binz auf das mögliche 
Freiwerden von Sauertoff im Blute zurückgeftthrt. Dieser Annahme hatte 
sich Seeligmüller bei seiner bekannten Anpreisung des Kali chloricum 
in gesättigter Lösung gegen die Diphtherie angeschlossen. Wichtiger aber 
als die genannten Arbeiten sind für die Deutung der Wirkung des Kali 
chloricum die Versuche von Marc ha nd geworden. Derselbe wies zu¬ 
nächst an Leichen von Menschen und Thieren, welche mit chlorsaurem 
Kali vergiftet waren, im Blute eine eigentümliche braune Farbenverän¬ 
derung nach. Das Blut ist vollkommen dunkelrothbraun und ist in eine 
bröcklig-weiche, mit den Fingern zerdrückbare Gallerte verwandelt, welche 
sich leicht in Wasser löst, indess die Blutkörperchen noch erkennen lässt. 
Die genauere Untersuchung ergab, dass das Hämoglobin durch Einwirkung 
der chlorsauren Salze sich in Methämoglobin verwandelt hat, und dass 


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Me dicinisch-chirar gische Rundschau. 


177 


letzteres ein echtes Oxydationsproduct des ersteren sei. Man hat es also 
mit einer directen Zerstörung des Blutes zu thun, welche dasselbe unfähig 
macht, Sauerstoff aus der Luft aufzunehmen. Marchand glaubt nun 
auch weiter erklären zu können, wie es kommt, dass selbst kleine Gaben 
von chlorsaurem Kali deletäre Wirkungen ausüben. Die Gefahr wächst 
in dem Maasse, als das chlorsaure Kali im Magen keinerlei organische 
Körper vorfindet, an welche es seinen Sauerstoff abgeben kann, während 
sie sich vermindert, wenn die Zersetzung schon im Magen stattüat. — 
Dies würde allerdings in dem hier mitgetheilten Falle zutreffen können. 
Die Patientin hat wegen heftiger Schlingbeschwerden nichts gemessen 
können; der Magen war leer und es war wohl die Möglichkeit gegeben, 
dass das Mittel direct und unzerstört in die Blutmasse geführt wurde. 
Auf der andern Seite ist nicht zu vergessen, dass das diphtheritische 
Virus an sich unter Umständen als ein directes Herzgift auftritt und sich 
in dieser Wirkung der bekannten Kalisalze annähert. Es ist die Vor¬ 
stellung wohl zulässig, dass die Combination des diphtheritischen Giftes 
und eines Kalisalzes im Blute im Stande ist, eine erhebliche und lebens¬ 
gefährliche Depression der Herzthätigkeit herbeizuführen. Also auch diese 
Deutung ist für den Fall 4 und für die übrigen Krankheitsfälle möglich. 
Die Versuche von Marchand gingen nicht darauf hinaus, die Entschei¬ 
dung herbeizuführen, in welchen Gaben das Kali chloricum toxisch wirke; 
sie würde indess auch nicht die vorliegende Frage entscheiden können, 
weil das Thierexperiment, an gesunden Thieren gemacht, für die Diph¬ 
therie und die ihr nahestehenden Krankheitsprocesse, bei welchen das 
Kali chloricum angewendet wird, nichts entscheiden kann. Bei letzterer 
kommt es auf die wichtige und nicht zu eliminirende Frage an, wie weit 
der Organismus schon durch die Krankheit an sich herabgestimmt ist, 
um selbst kleinen, fast unschuldigen Gaben eines Mittels zu erliegen. Es 
ist sicherlich nicht unwichtig, die Frage über die Wirkung der Arznei¬ 
körper am Krankenbette nach dieser Richtung hin aufzuwerfen und sich 
gerade hier von dem dominirenden Einfluss der physiologischen Experi¬ 
mente freizumachen. Bei der geringen Anzahl der vom Verf. beobachteten 
Fälle ist es auch Verf. nicht möglich anzugeben, in welcher Quantität 
das Kali chloricum seine toxische Wirkung entfaltet. Es scheint nur das 
Eine wahrscheinlich, dass die Frage nach der Quantität der toxischen 
Gaben überhaupt nicht ohne Weiteres zu beantworten ist. Es wird sehr 
viel auf die Nebenumstände ankommen, welche im Verlaufe eines Krank- 
heitsprocesses zur Geltung kommen. So würden die Angina Simplex, die 
Stomatitis u. a. Affectionen, welche geringes Fieber machen und Appetit 
und Verdauung, vor Allem aber die Herzthätigkeit nicht beeinflussen, 
grössere Gaben ungestört zulassen, während die Kranken, welche an Diph¬ 
therie, gangränösen Affectionen der Mund- und Rachensch leimhaut im Ver¬ 
laufe der acuten Exantheme oder des Typhus leiden, gegen kleinere Gaben 
sehr empfindlich sein dürften. — Da das Kali chloricum, wenn überhaupt 
vom Blute aus, nur durch die von Marchand erwiesene chemische Ver¬ 
änderung des Blutes zur Wirkung gelangen kann, so wird bei den letzt¬ 
genannten Affectionen die innere Verabreichung des Mittels an und für 
sich nicht ohne Bedenken sein, ganz abgesehen davon, dass die Wirk¬ 
samkeit als antizymotisches Mittel vom Blute aus zum Mindesten sehr 
fraglich ist. Man wird daher besser thun, das Mittel, in der Absicht, 
dasselbe desinficirend und antiseptisch wirken zu lassen, gerade bei den 
schweren zymotischen Krankheiten örtlich anzuwenden, wenn anders das 
Wesen dieser Krankheiten die örtliche Application gestattet. Ist es doch 

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Medicinuch-chirurgisclie Rundschau. 


nicht unwahrscheinlich, dass es bei den Affectionen der Mundschleimhaut, 
bei welchen es jetzt so sehr häufig innerlich zur Anwendung kommt, 
überhaupt nur topisch wirkt. 

Was die Nierenaffection betrifft, so kommt Marchand zu dem 
Schlüsse, dass es sich um eine Verstopfung der Capillaren und Glomeruli 
mit Blutkörperchen und um Blutaustretungen in die Harnkanälchen han¬ 
delte. Das Nierenparenchym soll nur passiv betheiligt sein, so dass es 
sich nicht um eine acute Nephritis handelt. Nach den vom Verf. beob¬ 
achteten Fällen scheint dies nicht zuzutreffen, vielmehr eine echte acute 
Nephritis Vorgelegen zu haben. Das Auftreten der hyalinen Cylinder, 
der abgestossenen Epithelien im Harn, die reichliche Albuminurie, endlich 
die im letzten Falle beobachteten ausserordentlichen, geradezu peinigenden 
Schmerzen in der Nierengegend, welche vielleicht in den anderen Fällen, 
wo es sich um Kinder handelte, übersehen wurden, weisen darauf hin, 
dass der Process einen gewissen acuten entzündlichen Charakter hat. Die 
von anderen Autoren beschriebenen Todesfälle sind im Ganzen zu früh 
erfolgt, um anatomisch das volle Bild der Nephritis zur Entwickelung 
kommen zu lassen, indess fanden sich doch bei einem 4jährigen Knaben 
„kleine interstitielle Entzündungsherde“. Bei einem Falle kam es ausser¬ 
dem zu vollem Hydrops und dem ausgesprochenen klinischen Bilde der 
Nephritis; Verf. möchte glauben, dass es sich in der That um eine acute 
entzündliche Erkrankung der Nieren handelt. 

Die Therapie der in Rede stehenden Affection kann, abgesehen von 
der selbstverständlichen Prophylaxe, nur symptomatisch sein, weil wir 
kein directes Mittel haben, der einmal geschehenen Einwirkung auf die 
Blutmasse und auf den Herzmuskel — man möge nun den oxydirenden 
Einfluss des Mittels oder den deprimirenden desselben als Kalisalz in den 
Vordergrund schieben — entgegenzutreten. — Gegen die heftigen gastri¬ 
schen Symptome, Erbrechen, Würgen, wende man Eis an, allenfalls Sina- 
pismen auf die Magengegend. Gegen Delirien, Convulsionen, Sopor und 
Coma gebe man kalte Umschläge oder Eis auf den Kopf an und gehe 
eventuell zu kalten Uebergiessungen im warmen Bade über. Die tiefe 
Anämie, die Abgeschlagenheit und die Herabminderung der Arterien¬ 
spannung bekämpfe man durch leichte excitirende und roborirende Mittel — 
Wein, Kaffee in kleinen Gaben, auch Campher und Moschus. Vor Allem 
wichtig ist die Berücksichtigung des Zustandes der Nieren. Bei heftigen 
Schmerzen und sehr sparsamer Urinsecretion wird man sich zu trocknen 
und selbst blutigen Schröpfköpfen entschlossen müssen; wichtig ist es 
ferner, die Hamsecretion durch Darreichung reichlichen Getränkes leicht 
anzuregen. Im weiteren Verlaufe kommen Bäder und der Gebrauch von 
eisenhaltigen Mitteln, insbesondere Liq. Ferri sesquichlorati zur Anwen¬ 
dung. Wenn irgend angängig, setze man die Kranken auf Milchdiät. 

0. R. 


145. Inhalation von Benzoe-Säure. Von Vix (Metz). (Memora¬ 
bilien. 1879. 12. Heft.) 


Durch den experimentell begründeten Einwand, dass bei der Inha¬ 
lation wässeriger Lösungen, speciell von benzoesaurem Natron, nur sehr 
geringe Mengen dieser Lösungen vermittelst der Inhalations-Apparate, ins¬ 
besondere der mit Wasserdampf in Gang gesetzten, den Kehfkopf pas- 
siren und in die feineren Bronchien gelangen, ist Verf. veranlasst worden, 
die Anwendung von Benzoe-Säure auf die Respirations-Organe nach anderer 
Methode zu versuchen. Er ging hiebei von der Annahme aus: 1. dass 


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Mediclnisch-chirurgische Rundschau. 


179 


die Benzoö-Säure, seit längerer Zeit als Desinficiens bekannt und inner¬ 
lich in der Dose bis 7 Grm. pro die, insbesondere bei chronischen Bron- 
chial-Affectionen gegeben, der Träger der antimycotischen Wirkung des 
benzoösauren Natron ist, 2. dass Dämpfe mit der inspirirten Luft tief in 
die Lunge eindringen. Erhitzt man Benzoö-Säure, so verflüchtigt sie sich 
bekanntlich rasch unter Bildung stark zum Husten reizender Dämpfe. 
Gleichwohl hat man diese Dämpfe bereits therapeutisch verwerthet, indem 
man Benzoö-Harz, mit anderen Stoffen verflüchtigt, einathmen Hess. Zu diesem 
Zwecke verwendete Roumier Räucherkerzchen nach folgender Formel: 
Rec. Garbon. vegetab. 0*5, Benzoes 025 , Jod. O'l, Bals. de Tolu 
0 05, Natr. nxtr. 0-1, M. f. Trochüc. (0*25 Benzoö-Harz enthalten 
etwa 0-04—0*05 Benzoö-Säure.) 

Verf. hat versucht, die Zusätze wegzulassen und zunächst einfach 
eine geringere Quantität trockner Benzoö-Säure (1—2 Grm.) in einem ge¬ 
schlossenen Zimmer über der Spiritusflamme verflüchtigt. Das Zimmer 
wird betreten, sobald der Dampf soweit sich vermindert, niedergeschlagen 
hat, dass der durch ihn bewirkte Hustenreiz nicht mehr unangenehm er¬ 
scheint. Der Kranke legt sich am besten während der Einathmung auf 
ein Ruhebett. 

Ohne etwas Hustenreiz wird und soll es bei diesen Inhalationen 
nicht abgehen, da deren Zweck nebenbei die Beförderung der Expecto- 
ration ist. Die experimentelle Prüfung dieses Verfahrens bei Personen 
mit sehr reizbarer Schleimhaut der Athmungsorgane waren durchaus be¬ 
friedigende, indessen machte sich der Umstand in störender Weise geltend, 
dass die Dämpfe, welche viermal schwerer als die Luft sind, sich sehr 
rasch niederschlagen. Bisweilen ist schon 1— l /s Stunde nach der Ver¬ 
dampfung von 1 Grm. Benzoö-Säure in einem mittelgrossen Zimmer die¬ 
selbe beim Betreten des Zimmers in den höheren Luftschichten nicht mehr 
deutlich sinnlich wahrnehmbar. 

Verf. zieht deshalb neuerdings ein anderes Verfahren bei Einathmung 
der Benzoö-Säure vor. Dasselbe gründet sich auf die Erfahrung, dass 
die Benzoö-Säure, in kochendem Wasser gelöst, mit den Wasserdämpfen 
sich verflüchtigt. 

Für die theoretische Anwendung genügt es Verf., eine 1—öpercentige wäs¬ 
serige Lösung der officineilen Benzoö-Säure in einem passenden Qefässe über der 
Spirituslämpe kochen und von dem Pat. den aufsteigenden Dampf direct von dem 
Gefisse weg einathmen zu lassen. Man kann hiehei zur grösseren Bequemlichkeit 
den Dampf durch die Röhre eines Trichters streichen lassen, welcher als Deckel 
das Gefäss schliesst. Auch empfiehlt es sich, eine Spirituslampe mit verschieb¬ 
barem Dochte (etwa eine Berzelius-Lampe) zu verwenden, nm nach Bedürfnis die 
Lebhaftigkeit des Siedens zu regeln. Man kann sich leicht überzeugen, dass die 
auf diese Weise mit Wasserdampf eingeathmeten Beuzoö-Säuredämpfe ihre reizende 
Einwirkung auf den Kehlkopf fast ganz verloren haben. Erst bei allzu grosser 
Concentration der Lösung in Folge längeren Einkochens verspürt man leichten 
Hustenreiz. In diesem Falle genügt es, durch Nachfüllen von Wasser die Lösung 
wieder beliebig zu verdünnen. Ueberhaupt kommt es, da die Concentration der 
Lösung in Folge des Eindampfens eine stets wechselndeist, nicht darauf an, von 
einer bestimmten Stärke der Lösung bei jeder Inhalation auszugehen. Hat man 
die Lösung mit destillirtem Wasser hergestellt, so kann man durch Verdampfen 
eines Tropfens derselben auf Platinblech (oder Glasscheibe) rasch prüfen, ob eine 
längere Zeit gekochte Lösung noch Benzoö-Säure enthält. Gewöhnlich gibt der 
Geruch der aufsteigenden Dämpfe schon hierüber Aufschluss. Um jeden Verlust 
zu vermeiden, kann der Pat. eine durch längere Verdampfung in ihrem Benzoö- 
Säuregehalt allzu abgeschwächte Lösung gänzlich, bis zur Trockenheit eindampfen, 
wobei der letzte Benzoe-Säurerest verdampft werden kann. 

Die Tagesdosis ist nach Verf. bei Beginn der Behandlung auf 
2 Grm. zu normiren. Verträgt Pat. das Verfahren gut, was nach Verf.’s 

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Medirinisch-chirurgische Rundschau. 


bisherigen Erfahrungen in der Regel der Fall ist, so kann, im Hinblick 
auf die ungleich höhere, innerlich verabreichte Menge des Mittels, ohne 
Bedenken nach Bedtirfniss die Dosis allmälig um das Mehrfache gesteigert 
werden. Das Erscheinen von Hippursäure im Harn zeigt die eingetretene 
Resorption der Benzoe-Säure an. Nur einmal constatirte Yerf. nach län¬ 
gerer Zeit fortgesetzter Inhalation Eingenommenheit des Kopfes. Sonstige 
unangenehme Wirkungen hat er, selbst bei vielstündigen Inhalationen, 
nicht wahrnehmen können, doch bedarf das Verfahren in dieser Beziehung 
noch fernerer Prüfung. 

Die Krankheitszustände anlangend, bei welchen die Benzoe-Säure- 
Inhalationen angezeigt erscheinen, so sind dieselben nach Yerf. bei allen 
mit Zersetzung und Pilzbildung einhergehenden Krankheitsprocessen der 
Luftwege, von der Nasenhöhle bis zum Lungenparenchym abwärts, am 
Platze, namentlich aber da, wo Benzoö-Säure, innerlich genommen, seit 
langer Zeit als bewährt gilt, nämlich bei chronischem Bronchial-Katarrh, 
Bronchiektasie, Lungenbrand und weiteren mit Zersetzung des Auswurfes 
einhergehenden Processen. 

Dass die Benzoö-Säure-Inhalation passend an Stelle derjenigen von 
Lösungen benzoösauren Natrons zu setzen sein möchte, ist oben bereits 
angedeutet worden. 

Ob etwa die Reizbarkeit des Larynx bei Keuchhusten oder Neigung 
zu Lungenblutungen eine Contraindication abgeben können, ist noch nicht 
endgiltig festgestellt, z. Z. erscheint es nach Verf. nicht so, wenigstens 
sofern die Säure mit Wasser verdampft wird. 0. R. 


146. Ueber Heliotherapie. VonDr. Giuseppe Marzari. (Giorn. 
ven. di Scienze med. 1879. Allg. med. Ctrlztg. 1880. 8.) 

Chronische Gelenkaffectionen, seien sie traumatischer oder rheumatischer 
Natur, sind der Mediation sehr schwer zugänglich, obgleich bisher Medica- 
mente aus den verschiedenen Naturreichen, vom warmen Sand, Quecksilber- 
Brechweinsteineinreibungen, Jodpinselungen, bis zu spanischen Fliegen ange¬ 
wendet worden sind. In neuerer Zeit haben die Aerzte vielfach den Gyps- 
verband, bisweilen auch ohne Erfolg, und selbst die so warm empfohlene 
Massage vergeblich angewendet. Angeregt durch die günstigen Resultate r 
welche Prof. Vanzetti in Padua durch die Einwirkung der Sonnen¬ 
strahlen auf die hartnäckigen chronischen Gelenkaffectionen, Synovitiden, 
Tumor albus erlangt hat, unternahm es Yerf., dieselbe Methode in mehr¬ 
fachen Fällen in Anwendung zu ziehen, und berichtet vorläufig über die 
erlangten Heilungsfälle, indem er auf eine grössere bevorstehende Arbeit 
V a n z e 11 i ’s hinweist. Er liess die erkrankten Gelenke, je nach der 
Dauer und Intensität des Leidens, in den Monaten Mai bis August, 1—3 
Wochen täglich eine oder mehrere Stunden der Einwirkung der Sonnen¬ 
strahlen aussetzen, worauf braune Färbung der Theile, Zertheilung des 
Exsudats, bessere Ernährung und Beweglichkeit derselben entstand. In¬ 
dem wir von der Casuistik absehen, machen wir auf die vom Verf. hervor¬ 
gehobenen 3fachen Wirkungen der Sonnenstrahlen aufmerksam, auf die 
wärmenden, leuchtenden und chemischen, deren einzelne noch näher erforscht 
werden müssen, die jedenfalls schon von den Nervenphysiologen und 
Pathologen erkannt und gewürdigt worden sind, die aber auch auf den 
Blut- und Lymphstrom eine eclatante Wirkung auszuüben vermögen. 
Jedenfalls verdient diese Behandlungsweise die Aufmerksamkeit der Aerzte 
in solchen Fällen, wo die Kranken mittellos, weder die Kosten der Arznei, 
noch die der Massage auftreiben, noch auch dem längere Zeit sie in ihrer 
Arbeit beeinträchtigenden Tragen des Gypsverbandes sich unterziehen können. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


131 


147. Ueber das Amylnitrit, dessen Einwirkung auf den Harn 
und die Bedeutung desselben fiir die Behandlung des chronischen 
Blasenkatarrhs. Von Dr. C. Weiser in Graz. (Mitthlg. des Vereins 
d. Aerzte Steierm. 1879.) 

Verf. theilt die von ihm entdeckte, exquisit desinficirende Wirkung 
des Amylnitrit8 auf den Harn mit, und demonstrirte einen Harn vom 
Juni 1877, der blos dadurch, dass er mit einem von Amylnitrit impräg- 
nirten Korkpfropf verstopft in einem Fläschchen aufbewahrt war, vollkommen 
unzersetzt, von schöner, weingelber Farbe und deutlich nach Amylnitrit 
riechend, sich erhalten hat. Weiser wendete nun, als sich ihm im 
November v. J. ein 60jähriger Mann mit einem seit 4 Jahren bestehenden 
Blasenkatarrh vorstellte, Injectionen in der Art an, dass er 3 Tropfen 
Amylnitrit auf 3 / 10 Liter laues Wasser geben, und selbes täglich 2 Mal 
von dem mit der Application des N e 1 a t o n’schen Katheters schon vcr- 
sirten Patienten einspritzen liess. Gegen den Tenesmus wurde innerlich 
ein krampfstillendes und die flarnsecretion beförderndes Decoct in der 
Zusammensetzung des „Plenk’schen Thees“ angewendet. Nach sechs 
Wochen war der Mann von seinem chronischen Blasenkatarrh befreit, und 
da er seitdem sich vollkommen wohl befindet, muntert W. zu gleichen 
Versuchen auf, und hebt noch die Vortheile hervor, die den Gerichts- 
Chemikern bei der Untersuchung penetranten Harnes oder sonstiger 
fauler organischer Stoffe das Amylnitrit bietet, indem einige Tropfen zur 
Desodorisirung mehr leisten, als eine viel grössere Menge Carbolsäure. Auch 
scheine die chemische Grundbeschaffenheit der Stoffe durch Amylnitrit in 
kleiner Menge nicht alterirt zu werden, so wie beispielsweise die An¬ 
wesenheit desselben im Harne die Prüfung auf Eiweiss mit Salpetersäure 
nicht beeinträchtigt. 


Chirurgie, Geburtshölfe, Gynäkologie. 


148. Ueber unblutige Behandlung kleiner Geschwülste. Von 
Dohm. (Mittheil. f. d. Verein Schleswig-Holsteiner Aerzte im Nov. 1879. 
Allg. med. Ctrl. Ztg. 1880. 2.) 

Verf. empfiehlt ein Verfahren, welches er rücksichtlich der Behand¬ 
lung kleinerer Geschwülste mit bestem Erfolg anzuwenden pflegt; er be¬ 
darf hierbei keiner Assistenz, keines Messers, und die fast schmerzlose 
Operation hindert den Kranken keinen Augenblick, seine gewohnte Be¬ 
schäftigung fortzusetzen: Es genügt die einfache Einführung eines Fadens 
oder Bandes, um eine grosse Zahl von Geschwülsten zum Verschwinden 
zu bringen. 

Man nimmt, je nach der Grösse der Geschwulst, einen einfachen 
oder doppelten gewichsten Seidenfaden, führt ihn mit etwas krummer Nadel 
ein, und genügt in der Regel die einmalige Durchführung durch den 
grössten Durchmesser der Geschwulst. Auf der Höhe derselben werden 
die beiden Enden zusammengeknotet. Bei grösserem Umfange der Ge¬ 
schwulst empfiehlt es sich, in zwei entgegengesetzten Richtungen den Faden 
durchzuleiten oder ein etwas dickeres Bändchen zu diesem Zwecke zu 
verwenden. Die darauf folgende Reaction ist nach Verf. gleich Null. Erst 
nach einigen Tagen, ohne dass der Faden weiter berührt wird, stellt sich 
ein dünnflüssiger Ausfluss an einer oder beiden Stichöffnungen ein, dem 


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182 


Medicimsch-chirargische Rundschau. 


allmälig dickeres Secret folgt, wobei eine deutliche Abnahme der 
Geschwulst bemerkbar ist. Nach gänzlichem Zusammensinken derselben 
mögen die Fäden entfernt werden, wenn sie nicht schon vorher nach 
Lockerung des Knotens herausgeeitert sind. 

Auf diese Weise hat Verf. nicht nur cystenförmige Geschwülste, 
sondern auch solche mit festerem Inhalte und Gewebe zum Verschwinden 
gebracht. Zu den erster^n rechnet er die Hygrome an den verschiedenen 
Körperstellen, auf der Kniescheibe, am Ellenbogen u. s. w. Auch die 
sogen. Ganglien, vor deren blutiger Eröffnung begreiflicher Weise Scheu 
vorhanden ist. Ferner die sogen. Atherome auf der Kopfhaut, welche oft 
in solcher Zahl auftreten, dass ihre gänzliche resp. gleichzeitige Exstir¬ 
pation bedenklich erscheint. Hierher gehören endlich die Lipome und sar- 
komatösen Neubildungen, weiche selbst von Faustgrösse dieser einfachen 
Behandlung gewichen sind. 

Am meisten empfiehlt sich dies Verfahren nach Verf. selbstverständ¬ 
lich an denjenigen Körpertheilen, an denen man ungern operirt und 
Narben macht, z. B. am Halse, im Gesicht. „Der Vortheil dieses Ver¬ 
fahrens, u schliesst Verf., „liegt für den praktischen Arzt auf der Hand. 
Wenn er ein Atherom aus der Kopfschwarte blutig exstirpiren will, so kann er 
das vielleicht ohne Assistenz zu Ende führen; allein es bleibt eine grössere 
Schnittfläche und man riskirt eine längere Eiterung aus der Sackhöhle, 
von dessen Beutel vielleicht ein kleines Stück sitzen geblieben ist. Aehn- 
lich bei den Lipomen, die ohne grössere Hautwunde gar nicht zu ent¬ 
fernen sind. Nach einer blutigen Exstirpation der Geschwülste wird man 
dem Operirten Ruhe und Enthaltung jeder Anstrengung des betroffenen 
Körpertheiles anempfehlen. Mit dem durchgeführten Haarseil kann man 
ohne Bedenken arbeiten lassen, und wenn auch längere Zeit darüber 
vergeht, ehe die Geschwulst zusammenfällt, hat man jedenfalls nicht zu 
besorgen, dass Eiterung oder phlegmonöse Processe den Kranken bett¬ 
lägerig machen.“ 

149. üeber die jüngsten Fortschritte in der unblutigen Be- 
handlung der Aneurysmen. Von Dr. R. G e r s u n y. (Langenbeck’s Archiv 
für klin. Chirurg. Bd. XXIV, Heft 4.) 

Die indirecte Compression (d. i. die Compression der das Aneurysma 
speisenden Hauptarterie) wurde bisher theils mittelst Aderpressen oder 
aufgelegter Gewichte, theils mittelst Fingerdruckes elastischer Binden und 
Schläuche ausgeübt. Die Vorzüge derselben vor der Ligatur der Arterie 
bestehen insbesondere in der mangelnden Gefahr der Nachblutung und 
der Gangrän der Extremität. Die directe Compression habe wieder 
gegenüber der indirecten den Uebelstand, dass sie sehr schmerzhaft und 
die Gefahr der Beratung des Sackes nicht ausgeschlossen sei. 

Die Gefahren der indirecten Compression (Druckgangrän von der 
Pelote herrtihrend, Loslösung von Thromben ans etwa thrombirten Venen, 
und Gangrän der Extremität) seien dagegen von keiner so hohen Bedeutung 
und durch Vorsicht leicht zu vermeiden. Wohl aber sei die Anwendungs¬ 
weise der indirecten Compression bis vor wenigen Jahren sehr mühsam 
und für den Patienten sehr empfindlich gewesen. 

In den letzten Jahren seien zwei Verbesserungen der indirecten 
Compression zur Anwendung gekommen; nämlich die elastischen 
Binden, welche zuerst W. Reid mit Erfolg gebrauchte (1875), und 
die isolirte Compression der das Aneurysma speisenden Hauptarterie 
durch eine belastete Pelote, zuerst von N. Alcock erfolgreich 
angewandt (1875) und von Burke wesentlich verbessert. 


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Mediciniach-chintrgische Rundschau. 


183 


Die Anwendung der elastischen Binde geschieht hiebei folgender- 
massen: Einschnürung der Extremität mit der elastischen Binde von der 
Peripherie her (wie bei E s m a r c h’s localer Anämisirung) mit Freilassung 
des Aneurysmas; Abschnürung central mit dem Schlauche oder der Binde; 
Dauer der Einwickelung 25 Minuten bis 1 Stunde und darüber (6 Stunden 
wurden bisher nicht überschritten). Soll die Binde abgenommen werden, 
so soll zuvor schon für exacte Compression (der zuführenden Arterie) 
gesorgt sein, da das plötzliche Einströmen des Blutes in den Aneurysmasack 
sonst die noch weichen Gerinnsel zertrümmern und hiedurch Embolien 
veranlassen könnte. Daher sei die isolirte Compression stets noch einige 
Zeit nach Entfernung der elastischen Binde zu belassen. 

Die 2. Verbesserung stammt von Nath. Alcock, der bei einem 
Aneurysma der Art. poplit., wo alle sonstigen Anwendungsweisen der indirecten 
Compression nicht ertragen wurden, folgende einfache Vorrichtung con- 
stmirte. Er füllte einen Trichter, dessen Ausflussöffnung er mit Kork 
verstopft hatte, mit Schrotkörnern, und setzte diese Vorrichtung mit dem 
Kork (der als Pelote diente) auf die Art. crural., welche hiedurch mit 
6 Pfd. 2 Uncen belastet war. Durch 12 Stunden wurde diese Vorrichtung 
von 2 Wärterinnen in situ erhalten; nach Ablauf dieser Zeit war das 
Aneurysma mit Gerinnseln vollgefüllt. 

Dr. G. selbst hatte mehrfach Gelegenheit, Aneurysmen mit der 
indirecten Compression zu behandeln. In einem derartigen Falle liess er 
für den Pat. — nach Alcock’s Vorbild — eine belastete Pelote in 
folgender Weise darstellen. Ein metallener Stab, an einem Ende mit einer 
Korkpelote versehen, ward mit letzterer auf das GefÜss (A. femor.) auf¬ 
gesetzt, und dann über das obere Ende des Stabes, in der Mitte durch¬ 
löcherte Bleiplatten darüber gesteckt, bis das zum völligen Pulslosmachen 
des Aneurysmas nöthige Gewicht erreicht war (4 Kilogramm.) — In 2 
anderen Fällen benützte G. ein von ihm ersonnenes, dem Alcock’schen 
Trichter nachgebildetes flaschenförmiges Gewichtscompressorium. Im ersten 
wie in beiden letzteren Fällen war der Erfolg völlig befriedigend. 

Eine wesentliche Verbesserung der belasteten Pelote stammt von 
Burke (1875), der zur Compression der Art. femor. einen langen Bam¬ 
busstab benützte, der mit dem unteren gepolsterten Ende senkrecht 
auf die Arterie (femor.) aufgesetzt wurde, während das obere Ende des¬ 
selben an einem über dem Bette befindlichen Querstabe durch einen 
Gummischlauch locker fixirt wurde. Das untere Ende des Stabes ward 
durch einen Schrotbeutel gesteckt, welcher die Belastung der Pelote 
darstellte. 

An dieser Stelle wäre auch anzuführen : Esmarch’s Compressions- 
methode mittelst Stangendruck (eine unten pelotenförmig gepolsterte 
8tange, die mit dem oberen Ende an den Plafond oder den Querbalken 
einer Galgenvorrichtung gestemmt wird). Der Druck ist dabei nicht so 
leicht vom Kranken selbst zu reguliren. 

G. knüpft hieran die Mittheilung eines Falles von Aneurysma A. 
femoral. sin. et art. poplit. dext., welchen er mit der combinirten Methode 
der Einwickelung mittelst elast. Binden und der belasteten Pelote behandelt. 
Der Fall gehörte jedenfalls zu den fatalsten dieser Art, denn das Aneurysma 
der Art. femor war sehr gross, verdrängte das Poupart’sche Band stark 
nach aufwärts, so dass auch die eventuelle Ligatur der Art. il. ext. sehr 
erschwert erscheinen musste. 

Der Erfolg der Compressionsbehandlung des Aneur Art. femoral. 
war ein temporär befriedigender; das Aneur. der Art. poplit. d. widerstand 


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184 


Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


der Behandlung hartnäckig, woran jedoch insbesondere das unzweck- 
raäs8ige Verhalten des Pat. die Schuld tragen mochte; es ward in späterer 
Zeit die Ligatur der Art. femor. am Sartorius gemacht. 

G. stellt schliesslich sämmtliche (bis Ende 1878) in der Literatur 
bekannt gewordenen Fälle von Behandlung der Aneurysmen 
durch Einwickelungmit elastis eben Binden zusammen; es sind 
im Ganzen 24 Fälle. Von diesen 24 Aneurysmen wurden 14 durch die 
Einwickelung mit elastischen Binden geheilt; fast ausnahmslos ward 
nebenbei auch die zuführende Arterie isolirt comprimirt. 

Bei 8 unter den 14 geheilten Fällen genügte die einmalige 
Einwickelung (Dauer der letzteren: 50 Minuten bis 1 Stunde). In 2 
Fällen wurden je zwei Einwickelungen (45—65 Minut.) gemacht. In 
1 Falle wurden 4 Ein Wickelungen gemacht (in der Zwischenzeit stets 
die isolirte Compression). In 3 Fällen eine länger dauernde Behandlung; 
es waren dies sehr schwere Fälle (in einem davon war schon die Ligatur 
der A. crural. zuvor vergeblich gemacht worden). In 10 Fällen führte 
die Compressionsbehandlung nicht zur Heilung. Jedoch erscheine, bemerkt 
Verf., bei genauer Berücksichtigung aller Umstände, keiner von diesen 
als vollgiltiger Beweis gegen die Sicherheit der Wirkung der Compres¬ 
sionsbehandlung. 

G. empfiehlt schliesslich als Regel für die Behandlung der Aneurysmen, 
an den Extremitäten, mit der Combination der elastischen Einwickelung 
der Extremität mit der isolirten Compression der Hauptarterie, zu beginnen, 
und erst wenn diese sich als erfolglos erwiesen, zu den eingreifenderen 
Behandlungsweisen überzugehen. 

Fr. Steiner, Marburg. 

150. Dehnung des Nervus supraorbitalis wegen Neuralgie. Von 
Dr. E. Masing. (St. Petersburger medic. Wochenschrift. Nr. 49, 1879.) 

Diese Erkrankung betraf eine 60 Jahre alte Frau, welche im Win¬ 
ter 1875—1876 das erstemal in Folge einer Erkältung von dieser Neu¬ 
ralgie befallen worden war. Die unregelmässig auftretenden Anfälle waren 
äusserst schmerzhaft, dauerten 5 Monate und verloren sich nach der An¬ 
wendung warmer Kataplasmen. Im Verlaufe dieser Zeit waren der 
Kranken mehrere Zähne extrahirt worden ohne jeden Erfolg. 

Im Sommer 1876 erneuerte sich das Leiden nach neuerdings statt¬ 
gefundener Erkältung und widerstand durch 2 l /a Jahre einer wechsel¬ 
vollen Therapie. 

Die Schmerzanfälle traten in sehr unregelmässigen Pausen zur Tag- 
und Nachtzeit auf. Lancinirende Schmerzen von geringerer Intensität 
waren fast ununterbrochen zugegen. 

Die gestörte Nachtruhe und die erschwerte Nahrungsaufnahme — 
die geringsten Kauversuche riefen äusserst intensive Anfälle hervor — 
hatten inzwischen bereits den Kräftezustand der Kranken bedeutend ver¬ 
ringert. Die einzige Erleichterung brachten, allerdings nur für wenige 
Stunden, Morphiuminjectionen hervor. 

Dies war der Status praesens, als M. die Behandlung der Kranken 
übernahm. Eine 14tägige Beobachtung Hess sämmtliche Aeste des Quintus 
als Sitz der Neuralgie erkennen. (Eine Ausnahme hievon machte nur der 
Nerv, tentorii.) Als besonders intensiv von der Neuralgie ergriffen er¬ 
wiesen sich der Nerv. lacrymaHs und Zygomaticus malae, der Nerv, 
supraorbitalis (Point douloureux an der Incisura supraorbitalis) und der 
Nervus naso-ciUaris. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


185 


Da bisher alle Mittel erfolglos sich erwiesen hatten, so lag noch 
der Gedanke nahe, mit der Dehnung des erkrankten Nerven einen Ver¬ 
such zn wagen. Doch bot die Bestimmung des Ortes, wo die Dehnung 
des Nerven vorgenommen werden sollte, nicht geringe Schwierigkeit. 
Schon von vorneherein blieb der Stamm des I. Astes von einer opera¬ 
tiven Massnahme ausgeschlossen und ebenso wenig konnte an die Dehnung 
der unzugänglichen Nervi lacrymalis und naso-ciliaris gedacht werden. 
Es blieb sonach nur der N. supraorbitalis noch übrig; die Dehnung die¬ 
ses Nerven musste aber dann möglichst nahe dem Abgänge der N. lacry¬ 
malis und naso-ciliaris vorgenommen werden. 

Dies war der leitende Gedanke für die Ausführung der Operation. 
M. operirte nun in folgender Weise: ein 2 1 / 2 Ctm. langer, dem oberen 
Orbitalrande paralleler, unmittelbar unter diesem geführter Schnitt durch¬ 
trennte das MittelstUck des Ansatzes des oberen Augenlides. Nach Durch¬ 
trennung des sehr fettarmen Orbital-Zellgewebes wurde der Bulbus durch 
einen Assistenten herabgedrückt und am oberen Dache der Orbita wurde 
der Nerv, supraorbitalis in seiner ganzen Länge sichtbar. Jetzt wurde 
derselbe ganz nahe der fissura orbitalis mit einem Häkchen gefasst und 
kräftig angezogen, bis die Verbindungen des Nerven mit seiner Umgebung 
durchrissen. Eine makroskopisch wahrnehmbare Veränderung liess sich am 
blossgelegten Nerven nicht auffinden. 

Nach der Reposition des Nerven wurde die Wunde drainirt, ge¬ 
näht oder nach L i s t e r verbunden. Es trat prima reunio ein. Die in 
der ersten Woche p. op. entstandene Chemose und diffuse Keratitis bildete 
sich rasch zurück. Am 10. Tage war das obere Augenlid bereits activ 
beweglich. 

Der therapeutische Erfolg war in diesem Falle kein augenblick¬ 
licher, denn die neuralgischen Anfälle wiederholten sich noch einige Zeit 
nach der Operation und wurden durch Kauen, Sprechen und Gemüths- 
bewegungen, obwohl keineswegs in der früheren Intensität, hervorgerufeu. 
Am längsten blieb die Nasenspitze oder der äussere Augenwinkel Sitz 
der Schmerzempfindung. Hingegen blieben die Stirn und der innere 
Augenwinkel vollkommen schmerzfrei. Trotz einer neuen Erkältung trat 
hierin keine Aenderung ein. Durch neun Monate bestand noch Anästhesie 
der Stirn und der Cornea. Nach dieser Zeit verlor sich dieselbe, ebenso 
die Neuralgie und ist die Kranke gegenwärtig vollkommen wohl. 

Das Interessante dieser Mittheilung liegt in dem Umstande, dass 
die Dehnung eines einzelnen Nerven die Neuralgie im Bereiche eines 
ganzen Astes heilte und ferner noch darin, dass erst neun Monate nach 
der Operation ein definitiver Erfolg eintrat. 


151. Das Fibrokeratom, nebst Bemerkungen über die Classi¬ 
fication und Nomenclatur der homöoplastischen Hautgeschwülste. 
Von Dir. P. G. Unna. (Deutsche Zeitschr. f. Chir. von C. Hüter und 
A. Lücke. XII. Bd. 3. Heft.) 

Aus der den praktischen Arzt weniger interessierenden Arbeit des 
Verf.’s sei hier nur seine Eintheilung der Hautgeschwülste hervorgehoben. 

Das Fibrokeratom (Hauthorn) besteht nach Verf. aus einem Binde¬ 
ge websstamm, welchem die epidermidale Geschwulst, d. i. Epithelzapfen 
und die diesen parallel geschichteten Hornmassen aufsitzen. Hieraus 
resultire für das ganze Hauthorn die charakteristisch wellenförmige 
Schichtung. Oberhalb der Papillenspitzen entwickelt sich weiters in der 
Hornschichte eine Markraumbildung, nämlich Hohlräume, die theilweise 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


mit fibrin- oder kernähnlichen Massen erfüllt sind (herstammend von einer 
serösen Exsudation, die von den Papillenspitzen ausgeht). 

Verf. belegt die Papillargeschwülste der Haut mit der Bezeichnung 
Fibroepidermidome; es sind Geschwülste, die aus neugebildetem 
Bindegewebe und aus neugebildeten Epidermisschichten zusammengesetzt 
sind; es sind also Mischgeschwülste. 

Prävalirt die neugebildete Hornschicht der Epidermis, so nennt er 
dies ein Fibrokeratom. 

Zur grossen Gattung der Fibrome gehören alle jene warzigen 
Gebilde, die, wiewohl hauptsächlich Bindegewebshyperplasien darstellend, 
doch auch häufig genetisch von den Epidermoidalgeschwülsten nicht gut 
zu trennen seien. 

Das Epidermidom ist nach Verf. jede selbstständige geschwulst- 
artige Neubildung von Epidermis, eine atypische Epithelwucherung (ein 
Epidermidom der inneren [i. e. Schleimhaut] Oberfläche entspricht der 
älteren Bezeichnung Epitheliom). Unter Keratom versteht Verf. jede 
circumscripte Hornbildung ohne Neubildung von Bindegewebe (Schwielen, 
Hühneraugen etc. etc.). Fr. Steiner, Marburg. 

152. Ueber die sogenannte Garrulitas vulvae. VonDr. Löhlein. 
(Vortrag d. Gesellsch. für Geburtsh. und Gynäkolog. Berlin 1879.10. Juni.) 

Der nicht eben glücklich gewählte Name „Geschwätzigkeit des 
Scheidenmundes 11 bezeichnet eine Unbequemlichkeit mancher Frauen, die 
darin besteht, dass die unter begünstigenden Bedingungen in die Scheide 
eingedrungene atmosphärische Luft geräuschvoll entweicht. Die so ent¬ 
standenen Geräusche sind ebenso oft blasende, zischende oder gluckernde, 
als „plappernde u . Seitdem Löh lein seine Aufmerksamkeit etwas spe- 
cieller auf diese Erscheinung lenkte, hat er sie bei 750 gynäkolog. 
Kranken 8mal constatirt, doch war nur eine dadurch so incommodirt, dass 
sie lediglich wegen dieser Beschwerde ärztlichen Rath einholte, in den 
übrigen Fällen wurde sie beiläufig geklagt (2) oder durch directe Frage¬ 
stellung eruirt (5). Ueberall war dieselbe nach der ersten Entbindung, 
einige Male gleich in den ersten Tagen des Wochenbettes bemerkt worden. 

Der Vortragende weist zunächst nach, dass es sich stets um atmo¬ 
sphärische Luft handelte, nicht etwa um in der Vagina entwickelte oder 
aus dem Darm übergetragene Gase. Als Momente, welche den natürlich 
vorauszusetzenden mangelhaften Verschluss des Scheideneingangs in seinen 
Fällen verursachten, nennt er: seitliche Längsrisse der unteren Partie 
der hinteren Scheidenwand (3mal), zumal bei gleichzeitiger mangelhafter 
Entwickelung der grossen und kleinen Labien (2) oder ungenügender 
Wiederanbildung des paravaginalen Fettgewebes im Wochenbett, ferner 
Schlaffheit und massigen Descensus der Scheidenwände bei vernach¬ 
lässigten Darmrissen, die jedoch niemals bis an oder in das Rectum 
sich erstrecken. 

Das Eindringen der Luft erfolgte in den Körperpositionen, bei 
denen der intraabdominelle Druck herabgesetzt ist: gewöhnlich in be¬ 
quemer Rückenlage oder Seitenbauchlage im Bett, auch wohl in Knie¬ 
handlage (beim Scheuern der Stube), der geräuschvolle Austritt beim raschen 
Uebergang in eine Position mit erhöhtem intraabdominellen Druck, also 
namentlich beim schnellen Aüfrichten. Zur Demonstration war in einem 
Falle das rasche Aufrichten aus der Knieellenbogenlage besonders günstig. 

Wenn der Erscheinung auch in keinem Falle eine ernstere patho¬ 
logische Bedeutung zukam, wird man sie doch aus dem Grunde nicht 


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Medicinisch-chirnrgische Bnndschan. 


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völlig übersehen dürfen, weil bei Kreissenden und Wöchnerinnen sehr 
wohl ernste Störungen durch den Lufteintritt verursacht werden können. 
Man wird also ihre Entstehung zu verhüten haben durch sorgfältige 
Nahtvereinigung nicht nur der Damm-, sondern auch der Vaginalrisse, 
durch genügende Ruhe und kräftigende Diät im Wochenbette. Wo sie 
ausgebildet ist, helfen Sitzbäder u. 8. w. nur vorübergehend. L. sah sie 
in einem Fall sofort verschwinden, nachdem er wegen des bestehenden 
Descensus vaginae bei nur 1*5 Ctm. breitem Damm die Kolpoperineorrhaphie 
ausgeführt hatte. 

153. Die Castration des Weibes. Von Spiegelberg. (Breslauer 
ärztliche Zeitschrift 1879. 23.) 

Die Beobachtungen, in welchen die beiderseitige Ovariotomie nicht 
zur Cessation der Menses geführt haben soll, lassen sich auf verschiedene 
Täuschungen zurückführen. Entweder exstirpirte man Tumoren als ova¬ 
rielle, welche es nicht waren, oder hatte das Individuum drei Ovarien, 
wie dies zuweilen ausnahmsweise vorkommt, oder endlich blieb bei der 
Operation ein kleines Stück Ovarialgewebes, welches immerhin noch weiter 
functioniren kann, zurück. Die Indication zur Entfernung beider Ovarien 
kann in der Erkrankung derselben liegen. Man ist berechtigt, ein auch 
kleines aber entartetes Ovarium zu exstirpiren, ebenso kann man dislo- 
cirte Ovarien entfernen, sobald keine andere Hilfe zu schaffen ist. Dagegen 
sieht S. die Oophoritis und Perioophoritis als keine Operationsanzeige an, 
weil hier trotz der Entfernung der Ovarien Theile des entzündeten Herdes, 
Exsudatmassen, Adhäsionen u. d. m. Zurückbleiben, wie er dies selbst 
beobachtete. Nothwendig wird der Eingriff dagegen zuweilen, um die 
typische Geschlechtserregung, die Menstruation zu beseitigen, weil man 
dadurch eine Reihe von Leiden radical beheben kann. Zu diesen Leiden 
gehört die Dysmenorrhoe, mag sie local oder allgemein sein. Zur localen 
Dysmenorrhoe zählt er folgende Leiden: Behinderung der freien Ovulation 
in Folge von Erkrankungen der Ovarien, Unmöglichkeit der Menstrual¬ 
blutung wegen mangelhafter Entwicklung der Ovarien, der behinderte Ab¬ 
gang des Menstrualblutes, sei er ein vorübergehender oder ein dauernder, 
wie bei unheilbarem Verschlüsse des Uterus oder der Scheide. Unter den 
Begriff der allgemeinen Dysmenorrhoe rechnet er die Leiden, welche von 
den localen ausgehen, die Störungen der Ernährung, der motorischen, 
sensitiven und sensoriellen Nerventhätigkeit und welche man mit dem 
Gesammtbegriff der Hysterie gemeinhin bezeichnet. Bei Myomen ist die 
Operation wegen bedeutender Grösse der Tumoren zuweilen ungemein 
schwierig oder selbst nicht ausführbar, ganz abgesehen davon, dass die 
Entfernung der Ovarien keine Garantien für das Aufhören der Blutungen 
bietet, wie dies manche Fälle erweisen. S. operirte dreimal wegen Myomen, 
einmal musste die Operation wegen Unzugänglichkeit der Ovarien unter¬ 
brochen werden, eine Operirte ging septisch zu Grunde und bei der 
dritten blieben die Blutungen bestehen. Hier darf nur dann operirt werden, 
wenn der menstruelle Einfluss auf{die Blutung ein prädominirender ist, oder 
wenn die Kranke ihrer socialen Stellung wegen nicht in der Lage ist, jede 
Blutung sofort in Schranken zu halten. Zu verwerfen ist die Indication, 
die vorzeitige Involution eines Myomes herbeizuführen oder um einen Uterus- 
infarct zu beseitigen. Die Grösse der Gefahr steht in keinem Verhältnisse 
zum sicheren Erfolge. Reassummirt man die Indicationen, so gibt es deren 
eigentlich nur zwei: Erkrankungen der Ovarien, welche schwere Störungen 
nach sich ziehen, die auf keine andere Weise zu beseitigen oder zu mil- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


dem sind. Gesunde Eierstöcke dürfen nur dann exstirpirt werden, wenn 
von der Aufhebung des geschlechtlichen Lebens eine Heilung bestehender 
Uebel zu erwarten steht. 

Es ist nicht nöthig, dass man die Ovarien vor der Operation stets 
fühlen muss, zuweilen ist dies überhaupt nicht möglich. Ebensowenig 
darf man die Exstirpirbarkeit der Ovarien als vorausgehende Bedingung 
hinstellen, denn mau kann dies nicht immer vor der Operation wissen. 
Ebensowenig ist Mangel jeder Entzündung der Ovarien eine Contraindi- 
cation. Die Weiblichkeit wird durch den Eingriff nicht tangirt, denn der 
Organismus ist bereits entwickelt. Die Letalität ist grösser als bei der 
Ovariotomie. He gar bestimmt sie aus seinen 42 Fällen auf 15°/ 0 und 
aus den 47 Operationen Anderer auf 32°/ 0 . S. opeyrte 4mal, 1 Person 
starb (Myom). Von den 3 Genesenen hat eine (Myom) die Blutungen, 
wenn auch, schwächer, noch fort, eine (beiderseitige Perioophoritis mit er¬ 
schwerter Geh- und Arbeitsfähigkeit) hat ihre Schmerzen wie früher, bei 
der dritten (convulsive Form, Hysterie) ist noch zu kurze Zeit verflossen, 
um einen Erfolg constatiren zu können. Dio Operation im hinteren Va¬ 
ginalgewölbe, wie sieBattey vornahrn, ist aufgegeben. Man operire nur 
in der Linea alba. Der doppelte Flankenschnitt, von H e g a r anempfohlen, 
ist von ihm selbst schon verlassen. Er macht die Ovarien nicht zugäng¬ 
licher als der Medianschnitt und ausserdem setzt er zwei Wunden. Man 
operire nur unter Carbolspray und mache den Bauchschnitt lieber eventuell 
grösser, um die Ovarien leichter erreichen zu können. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

154. Zur Sterilitätslehre. Von Ferdinand Kehrer in Giessen. 
(Beiträge zur klinischen und experimentellen Geburtskunde und Gynä¬ 
kologie. B. n. pag. 76.) 

Bei 40 Ehemännern, deren Ehe unfruchtbar, wies K. 14 Mal Azoo¬ 
spermie und 2 Mal Impotenz nach. Die Mehrzahl der Männer waren 
Städter, weil bei diesen Gonorrhoen häufiger Vorkommen. Man ersieht 
daraus, wie häufig der Mann an einer kinderlosen Ehe Schuld trägt; ein 
Fingerzeig bei angeblicher Sterilität der Frau, immer zuerst das Sperma 
des Mannes mikroskopisch zu untersuchen. Häufig war Gonorrhoe mit 
Orchitis vorausgegangen. Bei der mikroskopischen Untersuchung hat man 
nicht blos auf die Anwesenheit und Menge der Spermazellen zu achten, 
sondern auch etwaige Anomalien derselben, wie abnorme Kürze derselben 
und monströse Formen zu beachten. Bei- einem Falle von Impotenz, wo der 
Erection, die Ejaculation so rasch folgte, dass eine Imissio penis unmöglich 
war, liess K. vor dem Coitus ein Röhrenspeculum einfiihren, um das 
Sperma direct nach dem Muttermunde zu leiten, worauf Conception ein¬ 
trat. Im Ganzen fand K. in 35‘1 Percent steriler Ehen den Mann 
Schuld tragend. In der Minderzahl von Fällen, wo die Sterilität der Ehe 
im Weibe zu suchen war, fand K. Enge der Cervix 2 Mal und beide 
Male trat Conception nach radiärer Discission; 2 Mal bestand Amenorrhoe, 
wahrscheinlich durch Erkrankung und angeborene mangelhafte Bildung der 
Ovarien bedingt; 7 Mal fand er pseudomembranöse Fixation des Uterus 
und Verlöthung der inneren Genitalien. Bei der grossen Häufigkeit der 
Ovulations-, Puerperal- und gonorrhoischen Pelviperitonitis darf es nicht 
Wunder nehmen, wenn man Residuen dieser Processe, wie Verlöthung 
von Ovarium und Tubusmündung, Verschliessung der Tuba mit nachfol¬ 
gender Hydro- oder Pyosalpmx als Sterilitätsursache findet. Diese Con- 
ceptionshindernisse sind aber zuweilen zu beseitigen. Die Exsudatmassen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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können resorbirt werden, die Adhäsionen zerreissen und das Weib kann 
wieder conceptionsföhig werden. KetroVersion und Retroflexio, welche K. 
11 Mal fand, bedingt nicht stets Sterilität. Nicht selten concipiren 
dabei die Frauen und der Uterus stellt sich auf. Ausnahmsweise nur 
klemmt sich der Uterus im 3. bis 4. Graviditätsmonate ein. Sterilität 
scheint nur dann constant zu sein, wenn der flectirte Uterus fixirt ist. 
Vielleicht dass durch den retroflectirten Uterus die Tubarmündung vom 
Ovarium weggedrängt wird, so dass das austretende Ovum nicht in die 
Tuba gelangen kann. Ob Uterinalkatarrhe und Blennorrhoen die Con- 
ception durch Zerstörung der Drüsen und ausgedehnten Epithelverlust 
dauernd unmöglich machen oder das befruchtete Ovum zerstören, ist noch 
fraglich. Aehnlich wie bezüglich der Retroflexion glaubt K., dass auch 
die Anteflexion nicht immer Sterilität nach sich ziehen müsse, denn man 
sieht relativ oft solche Frauen gravid werden. Die Dysmenorrhoe ist, 
wie K. aus seiner Erfahrung schöpft, lange nicht so häufig mit Sterilität 
vergesellschaftet, als man gewöhnlich annimmt. Bei Frauen mit Kindern 
kommt nach ihm die virginale Dysmenorrhoe nur um 6*7 Percent häu¬ 
figer vor, als bei sterilen Frauen, so dass man annehmen kann, die 
Wahrscheinlichkeit der Conception sei bei Dysmenorrhoischen nur wenig 
geringer als bei Eumenorrhoischen. Die Genitalanomalien, welche zur Dys¬ 
menorrhoe führen (Anteflexion, Retroversion, Stenosis cervicis, Metritis, sel¬ 
tener Fibrome) wirken nur in einer kleinen Minorität der Fälle als dauernde 
Conceptionshindernisse. Es fragt sich nun, ob diese Zustände nicht etwa 
die Conception verzögern. Nach seinen Daten konnte K. dies nicht be¬ 
stätigen. Die relativen Häufigkeiten der Sterilität gruppirt K. folgender- 
massen: Peritonitische Verlöthungen (33*3 Percent), Cervixstenosen (8*3 
Percent), Amenorrhoe chlorotica (4*1 Percent), Fibroma uteri (4*1 Percent) 
und Vaginismus (4*1 Percent). K. meint, dass dem Vaginismus als Steri¬ 
litätsursache zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt werde. Weiterhin spielt 
eine nicht untergeordnete Rolle die virginale Enge des Hymen. Weiter¬ 
hin wirft er die Frage auf, ob ein passives Verhalten des Weibes in 
copula die Conception dauernd zu verhindern vermöge. Er bejaht diese 
Frage zwar nicht direct, glaubt aber, dass die Dauer der Copula, das 
mechanische Verhältniss zwischen Membrum und Vagina, das Verhalten 
der Uterusmuskulatur, die Secretion der Uterovaginalmucosa während des 
Actes, sowie die Position des Weibes post coitum nicht unwichtige Momente 
in Beziehung auf Sterilität und Conception seien, so dass z. B., wenn 
während der Copula* Uteruscontractionen fehlen, welche den zähen Cer- 
vieal8chleim nicht austreiben können, das Sperma sofort wieder abfliesst, 
eine unpassende Position eingenommen wird (dass letzteres geschehen 
kann), das Weib steril bleibt, während es sofort befruchtet werden kann, 
wenn die richtige Vorsicht eingehalten wird. Um Klarheit und Gewiss¬ 
heit über das viel bestrittene Thema zu gewinnen, dass ein zu consistenter 
Cervical8chleim Sterilität bedingen könne, räth K. an, directe Versuche 
an solchen Thieren, wie Ziegen, Schafen, Kühen, deren Cervix sehr lang 
und von einem sehr consistenten Schleime gefüllt ist, vorzunehmen. Man 
müsste nach Tödtung der zuvor befruchteten Thiere, in immer längerer 
Zeit nach der Copula, die Fortbewegungen der Spermazellen Schritt für 
Schritt mikroskopisch verfolgen und die normalen, etwa künstlich ein- 
gefiihrten Hindernisse ihrer Einwanderung prüfen. So lange aber dieses 
Feld noch nicht vollständig geebnet ist, muss man noch immer in der 
üblichen Weise fort behandeln. Kftinwächter, Innsbruck. 


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Medicinisch-chirurgiBche Rundschau. 


155. Die mechanische Utemsdilatation. Von Fritsch in Halle. 
(Gyn. Ctrlbltt. 1879. 25. Orig.-Art.) 

Der Pressschwamm, der Laminaria- und Tupelostift sind zu ver¬ 
werfen, wenn der Zweck ihrer Anwendung allein die Erweiterung des 
Uterus ist, denn die Dilatation, je länger sie dauert, ist wegen allenfall- 
siger septischer Infection gefährlich. Die rasche Dilatation ist unter allen 
Umständen vorzuziehen, mag es sich um diagnostische oder therapeutische 
Zwecke handeln. F. Hess sich behufs rascher Dilatation Stahlsonden mit 
Knöpfen von verschiedener Stärke anfertigen. Die dickste ist klein-finger¬ 
stark, die dünnste etwas stärker als eine starke Uterussonde. Er dilatirt 
in der Chloroformnarkose. Sobald die Sonde am inneren Muttermund an¬ 
gelangt ist, umfasst man den Uterus von aussen und schiebt ihn kräftig 
über die Sonde. Nach Entfernung der Sonde wird eine stärkere Nummer 
eingeführt. Den Vortheil dieser Manipulation sieht F. in dem Umstande, 
dass eine Infection nicht so leicht möglich ist und die Dehnung des Uterus 
in allen Richtungen weniger eingreifend ist, als eine solche nach nur 
zwei Seiten. F. wandte diese Methode bisher 8mal an, um Abortusreste 
zu entfernen, 2mal bei Schleimpolypen und 3mal, um die Uterushöhle aus¬ 
zuschaben. Kleinwächter, Innsbruck. 


156. Ueber die Menge der rothen Blutkörperchen bei Schwan¬ 
geren. Von Ingerslev in Kopenhagen. (Gyn. CtrlbRt. 1879. Nr. 52. 
Orig. Art.) 

Bisher nahm man stets an, das Blut sei während der Schwanger¬ 
schaft ärmer an festen Serumtheilen, besonders an Albumin der rothen 
Blutkörperchen und reicher an Fibrin und Wasser als sonst. Gleichzeitig 
glaubte man eine Verminderung der rothen Blutkörperchen, so dass man 
die Schwangeren mit chlorotischen Individuen paralleHsirte. In der neuesten 
Zeit hob namentiich Nasse die Blutverdttnnung, die Verminderung der 
rothen Blutkörperchen und Vermehrung des Fibrines hervor, während 
Spiegelberg und Gscheidlen nach Experimenten an trächtigen 
Hündinnen eine Blutzunahme ftir die letzte Schwangerschaftszeit und die 
Vermehrung des Wassers, falls sie überhaupt vorkommt, als sehr unbedeutend 
annehmen. Die Hämoglobinmenge wechsle binnen den von der Ernährung 
abhängigen physiologischen Grenzen. I. nahm, um diese offene Streitfrage 
direct zur Lösung zu bringen, Zählungen der rothen Blutkörperchen bei 
Schwangeren und Nichtschwangeren vor. Er benützte H a y e m’s Apparat. 
Zuerst zählte er die Blutkörperchenmenge bei 10 jungen Aerzten und 
fand im Mittel in einem Cub.-Millim. Blut 6,04 Millionen (Maxim. 6,37, 
Minim. 5,71 Mill.) rothe Blutkörperchen. Bei 10 nicht graviden Frauen 
fand er im Mittel 5,59 Millionen (Maxim. 6,28, Minim. 4,99 Mill.). Bei 
40 Schwangeren aus den letzten Monaten fand er im Mittel 5,20 Mil- 
Honen, was im Vergleiche mit den nicht graviden Frauen ein Ueberge- 
wicht dieser um 0,39 Millionen zeigt. Da aber viele dieser Individuen 
der niedersten, ärmsten Classe angehörten, so notirte er die Daten bei 
22 kräftigen, gesunden Schwangeren für sich und fand hier im Mittel 
5,43 Millionen, somit nur eine Differenz von nur 0,16 Mill. gegenüber 
Nichtgraviden, ftir die anderen 18 schlecht genährten Schwangeren fand 
er eine Mittelzahl von 4,93, demnach war der Unterschied hier ein ganz 
bedeutender (0,66 Mill.). Daraus entnimmt er, dass eine Verminderung 
der rothen Blutkörperchen während der Schwangerschaft nicht stattfindet, 


und wenn selbe da ist, sie auf den gleichen Momenten beruht, wie bei 
Nichtschwangeren. Ebenso konnte er keine progressive Abnahme der 

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rothen Blutkörperchen, proportional dem Vorschreiten der Schwangerschaft 
nachweisen. Indem die Menge der Blutkörperchen in einem gegebenen 
Quantum Blut einen Massstab in der Beurtheilung einer Blutverdünnung, 
einer Hydrämie abgibt, muss I. sagen, dass eine solche Hydrämie nicht 
existire. Weitere Versuche müssen lehren, ob dieser Befund wirklich ein 
richtiger ist. (Ref.) Kleinwächter, Innsbruck. 


157. Acht Laparotomien. Von Dr. Wilhelm Ta uff er, klm. Assi¬ 
stent. (Aus der geburtshilflichen Klinik des Professor Dr. Theodor 
Közmärszky in Budapest.) (Sep.-Abdr. aus der „Pester med.-chir. 
Presse“. Budapest 1880. 15 8.) 


Verf. stellt zwei Prineipien auf, welche bei Laparotomien massgebend 
seien, nämlich, dass, wenn man nach Verwertbung aller zu Gebote stehen¬ 
den diagnostischen Hilfsmittel bei einem Kranken zur Ueberzeuguug ge¬ 
langt, dass dieser binnen kürzester Zeit seiner Krankheit unbedingt zum 
Opfer fällt, der Operateur, wenn ihm irgend ein operatives Verfahren 
noch Hoffnung bietet, nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, 
den letzten Versuch zu dessen Rettung anzustellen; und ferner, dass, wenn 
im Verlauf irgend einer Operation solche unvorhergesehene Schwierig¬ 
keiten, solche unbedingt den Ted herbeiftihrende Umstände eintreten, die 
den Erfolg der Operation absolut unmöglich machen, es die Pflicht des 
Operateurs sei, von der Fortsetzung der Operation abzustehen, bevor noch 
ein bedeutenderer Eingriff erfolgte. 

Verf. glaubt, diese zwei Prineipien auch in Spencer Well’s grossem 
statistischen Ausweise von 900 Ovariotomien auffinden zu können, da er 
in der Serie der ersten 500 Fälle in mehr als 10 Percent und in der 
zweiten Serie der weiteren 400 Fälle in 7*5 Percent die Operation un- 
beendigt liess. 

Die 8 Fälle, die Verf. beschreibt, lassen sich in 3 Gruppen theilen: 
2 Fälle sind nicht beendigte Operationen; zweimal wurde die Ovariotomie, 
viermal die Castration gemacht. Von den letzten 6 Fällen endigte einer 
mit Tod, 5 endigten mit Heilung. 

Der erste Fall betraf eine seltene Form von Ovarialtumoren (Cystoma 
proliferum papillare), die Operation wurde nicht beendigt, Pat. starb nach 
13 Tagen an septischer Peritonitis. 

Der zweite Fall wird als carcinomatöse Entartung des Fundus Uteri 
beschrieben, welche schon dem Durchbruche nahe war. Die Operation 
wurde nicht vollendet. Pat. starb am sechsten Tage an septischer 
Peritonitis. 

Der dritte Fall, der ebenfalls letal endete, war eine kolossale multi- 
loculäre Ovarialcyste, mit breitem Stiele vom linken Home ausgehend, in 
ihrer ganzen Ausdehnung mit der Bauchwand verwachsen. Die sehr 
herabgekommene Pat. starb am vierten Tage nach der Operation an 
Inanition. Section wurde nicht gestattet. 

Die nun folgenden Fälle von Laparotomien, welche geheilt wurden, 
sind 1 Ovariotomie und 4 Castrationen. Die Ovariotomie wurde bei einer 
stark vascularisirten multiloculären, beinahe bis zur Magengrube reichenden 
Cyste mit Adhäsionen mit dem Mesenterium vorgenommen, wobei auch 
das zweite mässig vergrösserte Ovarium sammt der Tuba entfernt wurde. 
Die Unterbindung des Stieles geschah mit chinesischer Seide. Verlauf ohne 
Reaction. 


Die erste Castration wurde wegen unerträglicher Schmerzen und 
nervöser Erscheinungen bei Atresia vaginae und rudimentärem Uterus an 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


normal functionirenden Ovarien gemacht. Vollständige Genesung, jedoch 
wird der vorhandene Geschlechtstrieb durch den Coitus nicht befriedigt. 

Die zweite Castration wurde bei einer Ovarialhernie wegen profuser 
menstrueller Blutungen und neuralgischer Erscheinungen mittelst Incision 
in der Linea alba ausgeftthrt. Unterbunden wurde mit der nach Czerny 
präparirten Carbolseide. 

Wegen quälender Obstipation und häufig wiederkehrender Harnver¬ 
haltung durch Druck eines Uterusfibroms auf Rectum und Blase wurden 
beide Ovarien entfernt; die Ligatur geschah mit chinesischer Seide. 
Heilung. 

Der letzte Fall der Castration betraf eine Frau mit einem Tumor, 
der zwei Querfinger über dem Nabel reichte, wo wegen profuser men¬ 
strueller Blutungen die Ovarien exstirpirt wurden. Unterbunden wurde 
mit nach Czerny präparirter Seide, mit welcher Verf. sehr zufrieden 
ist, da nach Anwendung derselben gar keine Reaction eintritt. 

Durch die Castration hörten in beiden letzten Fällen die durch die 
Uterusfibrome bedingten perniciösen Blutungen vollständig auf und der 
Tumor selbst nahm in verhältnissmässig kurzer Zeit in überraschender 
Weise ab. 

Verf. ist geneigt anzunehmen, dass bei Fibromen die Castration 
vielleicht gar nicht unbedingt notliwendig sei, sondern dass die Unter¬ 
bindung der Ovarien in vielen Fällen allein schon genüge. 

Lobmayer (Agram). 


158. Beitrag zur Operation des veralteten Dammrisses. Von 
P.* Güter bock. (Arch. für klin. Chir. Bd. XXIV. Hft. 1. p. 108. 
Ctbl. f. Chir. 1879, 43.) 

G. beschreibt die Operation des Dammrisses nach der von Wilms 
geübten Methode. Letztere unterscheidet sich in manchen Punkten von 
der Perineosynthesis v. Langenbeck’s, besonders was die Anfrischung 
anbetrifft, welche eine weniger ausgedehnte Verletzung setzt. — Der 
erste Act besteht in der Trennung der Rectal- von der Vaginal wand 
mit Lappenbildung aus letzterer. Besondere Eigentümlichkeiten, mit 
Ausnahme vielleicht der Anlegung der Nähte bei der Naht des Rectal¬ 
risses, sind hierbei nicht hervorzuheben. Die dreieckige Anfrischung des 
vernarbten Risses auf beiden Seiten in bilateral-symmetrischer Weise wird 
so gemacht, dass der längere Schenkel der ungleichseitig rechtwinkligen 
Dreiecke am besten vertical behufs Herstellung der cutanen Vereinigungs¬ 
linie verläuft; der kürzere Schenkel wird dann nach unten und innen 
geführt, um die Verbindung mit dem Afterring zu sichern, während die 
Hypotenuse des Dreiecks zur Aufnahme des im ersten Operationsacte 
formirten Scheidenlappens dient und im Vereine mit diesem den Boden 
des Scheideneinganges, resp. die hintere Commissur, bilden hilft. — Bei 
der Excision muss man nicht zu sehr in die Tiefe gehen, wegen der 
schwer zu stillenden Blutung. Ueberhaupt ist die Blutstillung vor Anle¬ 
gung der Nähte auf das Sorgfältigste vorzunehmen. Der dritte Operations¬ 
act, die lineäre Vereinigung aller Schnittflächen, beziehungsweise Anhef¬ 
tung des Scheidenlappens wird vorgenommen, indem man bei im Hüftgelenk 
rechtwinklig flectirten Beinen diese einander nähert. Dadurch legen sich 
die gebildeten Dreiecke dicht an einander. Genäht wird mit Seide, auch 
ftir die tiefen Nähte wird die einfache Knopfnaht gewählt. 

In die Blase wird ein Katheter gelegt, der nach 2—3 Tagen ge¬ 
wechselt und nach weiteren 3 Tagen ganz weggelassen wird; in schwe- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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reren Fällen, um auch den Sphincter ani ausser Spiel zu setzen, wird 
derselbe mittelst einer nach der Steissbeinspitze gerichteten Incision ge¬ 
spalten. Etwa 14 Tage wird auch der Stuhl angehalten. — Die Wunde 
selber lässt mau so viel wie möglich in Ruhe.- Genaue Revisionen der 
Wunde in der während der Operation von der Pat. innegehabten Lage 
werden alle 3—5 Tage wiederholt, dabei Nähte entfernt u. s. w. Dass 
oft Abweichungen von dem beschriebenen Typus der Operation und Nach¬ 
behandlung stattfinden werden, ist selbstverständlich und erklärt sich aus. 
der verschiedenen Gestaltung alter Dammrisse. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 

159. Zwei Fälle von traumatischem Defect des Thränenbeines. 
Von i)r. Dürr (Zehenders Monatsbl. XVII. S. 3CTO 

Der txstere Patient hatte vor 19 Jahren ein<^% Sqh^ag mit einem 
Rappier in die linke innere Augenwinkelgegeml erhalten." Es entwickelte 
sich mit der Zeit eine rundliche fluctuirende Geschwulst oberhalb des 
Lig. palp. mediale, die hart am Knochen aufsass üüd sich durch Druck 
nicht verkleinern liess. Bei der Incision der Geschwulst fand sich eine 
Höhle vor, die durch eine Lücke im oberen hinteren Ende des Thränen- 
beines mit der Nase communicirte. Nach, hinten von* dem Knocheude#5t 
erstreckte sich die Höhle noch weiter in die Tiefe (b^r Ofbita, lief gerade- 
linig neben der Lamina papyracea und endigte allmäfig zugespitzt in 
einer Länge von 17 Mm. vom Ende des Knochend8f|ötes gerechnet. Die 
Knochen waren an keiner Stelle cariös, waren von der Periorbita bedeckt 
und die mediane Wand des Canals erschien mit letzterer fest verwachsen. 
Da die hinteren der vom Thräncnbein bedeckten Siebbeinzellen auch Ver¬ 
stört waren, so. liess sich ein Drainrohr leicht von der Wunde aus durch 
die Nase ziehen, durch welches dann Injectionen mit Zinc. sulf. gemacht 
wurden. Der Defect im Thränenbein schloss sich bald, der €anal blieb 
jedoch unverändert gndldie Fistel kam nicht zur Heilung. 

Im zweiten Falle lag ebenfalls ein Trauma, und zwar ein Stoss 
mit einem Fleuret, den Patient vor 34 Jahren erhielt, vor. Seit 8 Monaten 
batte sich eine cystöse Geschwulst in der oberen inueren Ecke der 
rechten Orbita entwickelt, die sich durch stärkeren Fingerdruck voll¬ 
kommen verdrücken lies. Die Haut konnte tief in eine Knockenlücke des 
Thränenbeines hineingedrückt werden und es zeigte sich, dass diese Lücke 
naeh oben auch auf den Margo orbitalis ossis frontis Übergriff. Nach 
vorne umfasste die ovale Lücke die ganze Breite des Thränenbeines bis 
an die Verbindungsstelle mit dem Processus frontalis maxillae superioris, 
nach hinten wurde sie durch den vorderen Rand der Laming papyracea 
begrenzt, nach unten erreichte sie nicht ganz das Lig. palp. medial. Der 
obere und hintere Rand des Defectes war unregelmässig gestaltet. Wurde 
der Sack ausgedrückt, so glich die rechte Aigengegend genau der linken. 
Die ausgedrückte Flüssigkeit gelangte ln die Nase und wurde als höchst 
öbeiriechender Eiter ausgeschnoben. Der Thränensack stand mit der Ge¬ 
schwulst in keiner Verbindung, es bestand^kein Thränenträufeln. Ein 
operativer Eingriff wrnrde nicht vorgenommen. 

Med.-chir. Rundsokau. 1830. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


160. Neuritis in Folge hereditärer Anlage. Von E. Fuchs in 
Wien. (Klin. Mon. Bl. f. Augenhk. August, 1879.) 

Verfasser fügt den in der Literatur bekannt gewordenen, auf 
17 Familien mit 58 erkrankten Individuen bezüglichen Fällen dieser 
Kategorie 3 weitere Familien hinzu, von welchen 13 Personen an Neu¬ 
ritis nervi optici mit nachfolgender Sehnervenatrophie litten. Von den 
meisten derselben ist die Diagnose entweder durch den ophthalmosko¬ 
pischen Befund constatirt oder durch die Angaben der Verwandten wahr¬ 
scheinlich gemacht. In den einer der drei Familien angehörenden Fällen 
ist es nicht ganz sicher, aber sehr wahrscheinlich, dass es sich um er¬ 
erbte Anlage handle, der Befund bei diesen entsprach dem Bilde der 
Retinitis nyctalopica (Arlt), sive Neuritis retrobulbaris (Leber). In den 
Fällen der beiden anderen Familien scheint die Heredität u. z. als ein¬ 
zige und ausscÄessliclie Ursache der vorliegenden Erkrankung ziemlich 
zweifellos zu sein. Sowohl Lues, als auch Consanguinität konnten in allen 
Füllen ausgeschlossen werden. 

ln den befallenen Füllen waren die weiblichen Mitglieder verschont 
geblieben, obwohl eines derselben (eine von 4 natürlich gesunden 
Schwestern) zweier erkrankter Brüder die Krankheit auf sämmtliche 
eigenen Kinder männlichen Geschlechtes übertrug. 

Die Zeit der fcrkrankung lag zwischen dem 21. und 53. Jahre. 
Die Behandlung (Inunctionscur, Jodkali, Strychnin-Injectionen, Pilocarpin- 
Einspritzungen) blieb in allen Fällen ohne jeglichen Erfolg. 

S. Klein, Wien. 


161. De la növrite optique dans les affections ceröbrales , par 
le Dr. H. Parinaud. (Annales d’oculistique, tome LXXXH. Juillet- 
Aoüt 1879, p. 5—47. Deutsch, med. Wochschr. 1880. 7.) 

Verfasser bespricht zuerst die bisherigen Theorien der Sehnerven¬ 
entzündung bei Hirnleiden. Aus den von ihm sowohl an Kranken ge¬ 
machten Beobachtungen, als auch aus Experimenten an Thieren schliesst 
er, dass die verschiedenen Hirnaffectionen nur dann Stauungspapille ver¬ 
ursachen, sobald sie sich mit Hydrocephalus verbinden. Bei der acuten 
Meningitis im Besonderen steht die Affection der Papille in keiner Be¬ 
ziehung zur Heftigkeit der Entzündung, dem Sitz des Exsudats und der 
Ausdehnung der Gehirnerkrankung. Die Lage und Grösse der Hirn¬ 
tumoren ist hier nur von secundärer Bedeutung. Neuritis kann bei grossen 
Hirntumoren fehlen, während sie bei ganz kleinen besteht, vorausgesetzt, 
dass Hydrocephalus vorhanden ist. Letzterer muss, um Neuritis optica 
hervorzubringen, so stark sein, dass, falls er an den Wänden des Schädels 
einen hinreichenden Widerstand findet, eine Steigerung des intracraniellen 
Drucks veranlasst wird. 

Die verschiedenen Theorien, durch welche der Einfluss des intra¬ 
craniellen Druckes auf den Sehnerv erklärt wird, sind ungenügend. Die 
Ansicht, welche die Sehnervenaffection auf venöse Stauung zurückführt, 
stimmt nicht mit den klinischen Erfahrungen und den experimentellen 
Resultaten überein. Die Circulation des Augenhintergrundes steht in keiner 
Beziehung zum intracraniellen Druck. Die Theorie der Neuritis descen- 
dens, welche auf einer ZurüclJfträngung der Hirnrückenmarksflüssigkeit oder 
der entzündlichen Exsudate von der Schädelhöhle aus nach der Lamina 
cribrosa und der Papille zu durch den Intra vaginalraum oder den Seh¬ 
nerven selbst beruht, stimmt mehr mit den Beobachtungen, lässt aber noch 
Zweifel zu. Man legt der Ansammlung von Flüssigkeit im subvaginalen 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rund sch an. 


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Räume eine zu grosse Bedeutung bei. Neuritis optica würde, wenn auch 
•dieser Raum überhaupt nicht bestände, sich dennoch entwickeln. Der 
intracranielle Druck allein für sich übt keine hinreichende Wirkung auf 
4en Sehnerven aus. Der Hydrocephalus erzeugt Neuritis optica du.ch 
das Oedema eerebri, welches er veranlasst. Das Oedem des Sehnerven 
ist von derselben Beschaffenheit, wie das des Gehirns, welches durch 
Lymphstauung, veranlasst durch Ventrikelerguss, erzeugt wird. Das Lymph- 
ge&ssnetz des Sehnerven hängt mit dem des Gehirns zusammen. Gerade 
•wie das Gehirn verspürt der Sehnerv die Wirkungen des Hydrocephalus; 
die histologischen Veränderungen liefern den Beweis hiefür. Die Stauungs¬ 
papille, richtiger das Oedem des Sehnerven, gibt uns keinen Fingerzeig 
Ihr den Sitz der Hirnerkrankung, sie beweist nur die Anwesenheit von 
Hydrocephalus und Hirnödem. 

162. Ueber die Meniöre’sohe Krankheit. Von A. Guye. (Vortrag 
Inhalten in der Sect. für Ohrenheilk. des intern, med. Congresses in 
Amsterdam. Ztschr. f. Ohrenheilk. IX. B. 1. H. 1880.) 

Der Verfasser resumirt seinen Vortrag in den folgenden Schluss¬ 
sätzen : 

1. Im allgemeinsten Sinne kann man als Meniere’sche Krankheit 
oder als Meniere’sche Krankheits-Erscheinungen alle die Fälle bezeichnen, 
wo Schwindelgefühl entsteht, durch abnormale Reizung der nervösen 
Endorgane der halbcirkelförmigen Canäle; sei es, dass der Reiz ein 
adäquater und nur zu starker sei, starke Drehungen des Kopfes oder 
des ganzen Körpers, sei es, dass er ein nicht-adäquater sei — grössere 
Temperatur-Unterschiede (hauptsächlich Kälte), Druckschwankungen, Circu- 
lationsstörungen oder Entzündungsreizuog. 

2. Im engeren Sinne muss man als Meniere’sche Krankheit die 
Fälle bezeichnen, wo durch entzündliche Vorgänge, sei es in den halb¬ 
cirkelförmigen Canälen selbst, oder in dem Mittelohr (Trommelhöhle oder 
Antrum mastoideum) Schwindel verursacht wird, der entweder fortwährend 
besteht oder durch normale Kopfbewegungen hervorgerufen wird, oder 
auch nur anfallweise in Zwischenräumen von Wochen oder Monaten 
auftritt. 

3. Die nicht adäquaten Reize, Kälte, Circulationsstörungen, Hyper- 
-ämie, Trommelhöhlenkatarrh spielen in der Aetiologie der Meniere’schen 
Krankheit im engeren Sinne eine grosse Rolle. 

4. Die meisten, wenn nicht alle Fälle Meniere’scher Krankheit 
sind secundärer Natur, d. h. verursacht durch katarrhalische oder ent¬ 
zündliche Vorgänge in der Trommelhöhle oder im Antrum mastoideum. 

5. In typischen Fällen gehen dem Schwindel voraus oder begleiten 
ihn Drehungs-Empfindungen, die eine bestimmte Reihenfolge beibehalten: 
zuerst tritt eine Drehungs-Empfindung auf um die verticale Axe, und 
zwar constant nach der kranken Seite, manchmal hin und zurück, aber 
nie einfach nach der gesunden Seite; dann folgt Drehungs-Empfindung um 
«ine transversale Axe nach vorne und hinten; darauf wird meistens der 
Schwindel allgemein, es folgt Ohnmacht mit oder’ ohne Verlust des Be 
wu88t8eins und mit oder ohne Erbrechen. In einigen Fällen ist der An¬ 
fall nach 10 bis 30 Minuten vorüber, in anderen dauert die Empfind¬ 
lichkeit gegen jede Bewegung 1 bis 2 Tage, und muss der Kranke 
während dieser Zeit liegen bleiben. 

6. In einigen Fällen wird durch äussere therapeutische Eingriffe 
auf ein krankes Ohr Drehungs-Empfindung experimentell hervorgerufen. 

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Medicioisch-chirurgische Rundschau. 


(Lufteintreibung in die Trommelhöhle in einigen von acuter Trommel- 
höhlen-Entzündung, Wasser-Einspritzung in das Antrum mastoideum nach 
Anbohrung des Warzenfortsatzes, wenn das Wasser entweder durch den 
äusseren Gehörgang oder die Eustachische Röhre durcbfliesst.) ln solchen 
Fällen ist die Drehungs-Empfindung constant um die verticale Axe nach 
der kranken Seite hin. 

7. In manchen Fällen werden die Anfälle von subjectiven, oft sehr 
starken Gehörsempfindungen begleitet, in manchen bestehen solche Gehörs¬ 
ein pfindungen fortwährend in geringem Grade, ohne Exacerbation in den 
Anfällen, in seltenen Fällen fehlen subjective Gehörsempfindungen ganz. 

8. In länger dauernden Fällen besteht auch zwischen den Anfällen 
ein gelindes Schwindelgefähl, das hauptsächlich bei den ersten Kopf- 
bewegnngen nach dem Erwachen bemerklieh wird, ‘oder ein Gefühl von 
nach vorne oder hinten fallen, oder eine gezwungene steife Kopfhaltung, 
weil jede Bewegung in der Fläche, die einem bestimmten halbcirkel- 
förmigen Canale entspricht, empfunden wird, als ob ein Stück Blei sich 
in der Richtung mitbewegte. (In einem sehr ausgesprochenen von G. 
beobachteten Fall wurde der Kopf nach vorne und links gehalten, genau 
entsprechend der Fläche des linken sagittalen Canals. Das linke Ohr war 
das kranke.) 

9. Im Verlaufe der Krankheit können, abgesehen von der häufigen 
Complication mit Hysterie, Chorea ähnliche Zustände bei Kindern, und clo- 
nisclie Zuckungen der Muskeln des Gesichts und der oberen Extremitäten 
bei Erwachsenen sich entwickeln, die nach localer Behandlung des Ohren¬ 
leidens ganz verschwinden können. 

10. Die Krankheit kann mit oder ohne Verlust des Gehörs vor¬ 
übergehen. 

11. Die locale Behandlung hat in nicht zu alten und oft selbst in 
verzweifelten Fällen die befriedigendsten Erfolge. 

12. Von inneren Mitteln verdient das von Charcot empfohlene 
Chinin noch am meisten Vertrauen, insofern als es die freien Intervalle 
während der Dauer des Gebrauches manchmal verlängert. Das Chinin 
bat übrigens bei chronischen Ohrenleiden oft die paradoxe Wirkung, dass 
das sonst bestehende Ohrensausen vollständig verschwindet, die Schwer¬ 
hörigkeit aber schlimmer wird, beides nur für die Dauer des Gebrauches. 

163. Acute Lähmung beider Mm. crico - arytaenoidei postici und 
Mm. thyreo-arytaenoidei. Von Sommerbrodt. (Breslauer ärztl. Zeit¬ 
schrift. 1880. 1. Beiträge zur Pathologie des Kehlkopfes.) 

Im Laufe der letzten 10 Jahre sah Verf. unter 118 Beobachtungen 
von Stimmbandlähmungen der verschiedenen Arten, von denen 63 Männer, 
55 Frauen betrafen, dreimal die Posticus-Lähmung. Zwei davon ent¬ 
sprachen durchaus dem bekannten Bilde der sich langsam entwickelnden 
Inspirationsstenose der Stimmbänder mit erhaltener oder doch nur wenig 
in der Klangfarbe veränderter Stimme, einmal ohne jede auffindbare Ursache, 
während im zweiten Falle eine Oesophagus-Strictur (Carcinom ?) bei einem 
62jährigen Manne als Causalmoment allenfalls angesprochen werden konnte. 
Obgleich von 1862—75 erst 14 sichere Beobachtungen der Posticus- 
Lähmung publicirt wurden, ist heute doch ihr Symptombild ein so wohl¬ 
bekanntes, dass man dieselbe auch ohne laryngoskopische Untersuchung 
zu diagnosticiren im Stande ist. Der dritte vom Verf. gesehene Fall, der 
hier mitgetheilt wird, war jedoch so eigenartig, dass man ohne larvn- 
goskopisriie Hilfe nicht hätte über die Natur des Leidens Klarheit 


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gewinnen können und zeigte ausserdem in seinem Verlauf die erheblichste 
Abweichung vom Gewöhnlichen. 

N., Mädchen, 18 Jahre, litt seit einigen Tagen an geringem linsten. In 
der Nacht vom 16. zum 17. Februar 1879 hatte dieselbe in sehr kaltem Ran me 
fast ganz entblösst geschlafen. — In der ersten Morgenstunde des 17. trat zuerst 
eine sich stetig steigernde Dyspnoö und bald auch Stimmlosigkeit ein. Die Atbem- 
noth verursachte starkes Angstgefühl, gegen 9 Uhr trat lauter, geräuschvoller 
Stridor ein und wurde die Kranke deshalb schleunigst nach der chirurgischen 
Klinik gebracht. Das Aussehen der Patientin wurde cyanotisch, die ge lehnten 
lauten Inspirationen waren von Einziehungen im Jngulnm und Scrobic. cordis be¬ 
gleitet; es bestand kein Fieber. Um 11 Uhr schien die Tracheotomie kaum ver¬ 
meidlich, eine gegen ll 1 /* Uhr gegebene subcutane Injection von Morphium batte 
die sehr aufgeregte Kranke etwas ruhiger gemacht und mehrmaliges Erbrechen 
verursacht. Um 12 Uhr — starke Cyanose, kühle Haut, Puls 90. Respiration 
venig beschleunigt. Lauter Stridor bei der Inspiration, Exspirationen freier, 
kurz. Vollkommene Aphonie. 

Bei der laryngoskopischen Untersuchung zeigte sich der gesammte 
Kehlkopf von durchaus normaler Färbung, insbesondere die Stimmbänder 
glänzend weiss, nirgends Spuren von Katarrh der Schleimhaut. Bei jeder 
Inspiration schliessen die Stimmbänder in der Mittellinie, werden deutlich 
nach unten zu segelartig ausgebaucht und gestatten den Luftdnrchtritt 
nur mit grosser Mühe. Bei der Exspiration weichen die Stimmbänder in 
die Cadaverstellung zurück. Beim Versuch zu Phoniren werden die Ary- 
knorpel nach innen bewegt, aber es schliessen die Stimmbänder nicht voll¬ 
ständig, sondern lassen im vorderen Abschnitt eine flachovale Oeffnung 
zwischen sich. Tonbildung fehlt. Am übrigen Körper nichts Abnormes. 
Da die Symptome zwar hochgradig, aber seit einer halben Stunde nicht 
mehr gesteigert erscheinen, wurde unter beständiger Ueberwachung behufs 
eventueller Tracheotomie zunächst nur der Inductionsstrom zu beiden Seiten 
des Kehlkopfes applicirt und dies mehrmals im Laufe des Nachmittags 
wiederholt. Ebenso am 18. Februar. 19. Februar: Die Besserung ist 
stetig vorgeschritten. Die Inspirationen bei einigermassen rascher Aus¬ 
führung noch sehr geräuschvoll, Stimme schon etwas vorhanden, aber 
sehwach. Laryngoskopisch sieht man bei jeder Inspiration die Stimm¬ 
bänder stark zu einander hinneigen, ohne dass es zu solchem engen 
Schliessen kommt, wie Anfangs. Letzteres geschieht nur bei rascher, 
kurzer Inspiration. Beim Phoniren schliessen die Stimmbänder ohne Ex- 
cavation der freien Ränder. Fortgesetzte Faradisation. —Am 27. Februar 
konnte Patientin nach vorgenommener Untersuchung als durchaus geheilt 
entlassen werden. 

Verf. glaubte, als er die Kranke sah, ein acutes Glottisödem anzu¬ 
treffen, sprach doch die rapide Entstehung der hochgradigen Larynxstenose 
und die vollständige Aphonie eben so sehr für acutes Glottisödem, als gegen 
eine Posticus-Lähmung, so sehr man auch durch die relativ freie Exspi¬ 
ration an letztere zu denken Veranlassung gehabt hätte. Die laryngo- 
skopische Untersuchung hob natürlich sofort jeden Zweifel darüber auf, 
dass letztere hier als Hauptmoment der Erkrankung vorlag, und gab 
zugleich die Aufklärung darüber, weshalb die sonst bei Posticus-Lähmung 
fehlende Aphonie hier, Täuschung verursachend, vorhanden war. Es be¬ 
stand nämlich gleichzeitig eine Lähmung der Mm. thyreo-arytaenoidci. 
Diese bisher in ihrer Art einzige Beobachtung bietet mehrfaches Interesse 
dar. Zunächst konnte die Frage aufgeworfen werden: Handelte es sich 
hier überhaupt um Posticus-Lähmung oder um Spasmus glottidis, eine 
Frage, welche auch bei früheren derartigen Fällen vielfach ventilirt worden 
wL Das rapide Eintreten der höchstgradigen Dyspnoß und der nur 
10 Tage andauernde Verlauf bis zur Heilung könnten freilich gegen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Posticus-Lähmung und zu Gunsten von Glottiskrampf geltend gemacht 
werden. Dagegen ist aber Schwerwiegendes einzuwenden. Zunächst ist 
zwar ein äusserst rasches Anschwellen, keineswegs aber ein plötzliches 
Eintreten höchster Dyspnoe vorhanden gewesen, ferner spricht dagegen 
aus dem laryngoskopischen Befunde Folgendes: Bei jeder Exspiration 
weichen die Stimmbänder in die Cadaverstellung zurück, während beim 
Glottiskrampf, so lange er dauert, die Stimmritze bis auf einen feinsten 
Spalt verengt erscheint; zweitens fehlte jede Andeutung der dem Glottis¬ 
krampf eigenthümlichen Remissionen der Stenosirung; drittens erwiesen 
sich ein paar Hauptverengerer der Glottis, die Mm. thyreo-arytenoidei als 
gelähmt; viertens trat die Schliessung der Stimmritze in ersichtlicher Weise, 
passiv, dadurch ein, dass der inspiratorische, aspirirende Luftstrom die 
schlaffen Stimmbänder nach innen riss. Dazu kommt, dass ein Glottis¬ 
krampf tagelang nicht existiren kann. Riegel hat zwar in Beziehung 
auf diesen Punkt denen, die dies behaupteten, erwiedert, „dass selbst 
bei der Deutung solcher Fälle als eine Paralyse der Erweiterung der 
Tage lang andauernde Glottiskrampf doch wieder vorhanden sein muss* 
Denn erst durch diesen werden ja, wie wiederholt betont worden ist, die 
höhergradigen stenotischen Erscheinungen veranlasst, keineswegs aber 
durch die Paralyse als solche“. 

Verf. hält dies aber so uneingeschränkt nicht für richtig, denn die 
höchstgradigen stenotischen Erscheinungen bei completer Posticus-Lälimung 
lassen sich bisweilen nur durch die aspirirende Kraft des inspiratorischen 
Luftstromes auf die in Cadaverstellung stehenden Stimmbänder erklären, ohne 
dass dabei ein Spasmus oder eine Contractur der Posticus-Antagonisten 
supponirt werden kann. Dies gilt vor Allem von Posticus-Lähmungen mit 
sehr rascher Entwicklung hoher respiratorischer Dyspnoe, da die Thier¬ 
experimente Schech’s, die übrigens auch von Riegel als beste Grund¬ 
lage zur Beurtheilung der Vorgänge beim Menschen anerkannt werden, 
bewiesen haben, dass nach doppelseitiger Durchschueidung der Postici, die 
auf Ueberwdegen, Spasmus, Contractur der Antagonisten zu beziehende 
hökergradige Stenose sich stets nur langsam entwickelt. — Dies beweist 
ferner in überzeugender Weise durch ein anderes Argument dieser Fall, 
indem die Stimmbandspanner und Schliesser, zum Theil gelähmt, zum 
Theil ein wenig parctisch, zu einem Spasmus gar nicht besonders befähigt 
erschienen, und indem dennoch sich rasch die höchste Dyspnoe ent¬ 
wickelte. 

Dass liier die Mm. thyreo-arytaenoidei gelähmt waren, bemerkte man 
bei deutlicher Einwärtsdrehung der Aryknorpel aus dem ovalen Klaffen 
der vorderen Stimmritze bei Phonationsversuchen, und dass die beiden 
anderen Posticus-Antagonisten mindestens mangelhaft functionirten, dafür 
sprach die vollständige Aphonie. Durch diese Beobachtung ist den Fällen 
von Feith und Glynn, bei denen die Folgen einer Posticus-Lähmung 
sich binnen wenigen Tagen ad maximum entwickelten, ein vollwichtiges 
Seitenstück gegeben, während sich die Uebrigen durch die Langsamkeit 
ihrer Entwicklung auszeichneten, wodurch man schon geneigt gewesen, 
diese Langsamkeit als ein nie fehlendes Charakteristicum der Posticus- 
Lähmung anzusehen. 

Was die Aetiologie anlangt, die in vielen Fällen durchaus dunkel 
geblieben ist, so muss man hier wohl ohne Zweifel die intensive Abkühlung 
der Körperoberfläche als veranlassendes Moment in Rechnung bringen. 
Für Hysterie fehlte jeder Anhaltspunkt, ebensowenig konnte ein Katarrh 
der Larynxschleimhaut beschuldigt werden. 


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Der Verlauf war ein ausnahmsweise rascher und günstiger, die 
Frage, ob in den Stunden der höchsten Dyspnoe die Tracheotomie indicirt 
war, eine schwierige; jedenfalls gestattete die sichere, unausgesetzte Ueber- 
wachung der Kranken in der Klinik die dilatorische Behandlung dieser 
Frage. Da die Möglichkeit auch einer sehr raschen therapeutischen 
Beeinflussung dieser Lähmung mittelst des Inductionsstromes durch diesen 
Fall veranschaulicht wird, so ist es bei ähnlicher Sachlage gewiss indicirt, 
nach dem Vorgänge von Sidlo durch den Katheterismus laryngis nicht 
nur Zeit zu gewinnen, sondern auch dem Kranken seine Leiden in er¬ 
heblichster Weise zu vermindern. 

164. Die Operation von Kehlkopfpolypen mittelst eines 
Sehwammes. Von Dr. Hans Strauss. Breslau 1879. (Prag. med. 
Wochenschr. 49. Ref. Ott.) 

Die von Voltolini schon vor 2 Jahren pubücirte Methode, Kehlkopf- 
poiypen mittelst eines in den Kehlkopfraum eingeführten Schwammes zu 
ecrasiren, wird in der vorliegenden kleinen Broschüre neuerdings erörtert 
und in Würdigung der dabei sich ergebenden Vortheile im Vergleich zu 
den Schwierigkeiten und erwachsenden Nachtheilen der anderen Operations¬ 
methoden warm empfohlen. 

Die Einfachheit des Instrumentenapparates, bestehend aus einem 
Kehlspiegel und einem kleinen Schwammträger, die Möglichkeit, ohne 
directe Führung des Spiegels, selbst bei resistenten Patienten, wie kleinen 
Kindern, die Operation ausführeu zu können, soll dieser Methode auch 
ausser den enger gezogenen Grenzen der Specialisten, in den weiteren 
Kreisen der praktischen Aerzte Eingang verschaffen. Hindernisse, wie 
solche aus der Rückwärtslagerung des Kehldeckels, Enge des Rachen¬ 
einganges , grosser Empfindlichkeit des Larynxinnern erwachsen und 
welche bei den sonst üblichen Operationsweisen der Polypen die Geduld 
des Patienten und des Arztes in hohem Grade in Anspruch nehmen, ja 
zuweilen nur durch die gewandteste Technik des Operateurs überwunden 
werden können, bereiten bei der Entfernung des Polypen mittelst des 
Schwammes keine oder nur sehr geringe Schwierigkeiten. 

Das Operationsgebiet erstreckt sich vom Eingang des Kehlkopfes 
bis zu den oberen Partien der Trachea. Die Einführung des Schwammes 
geschieht, wie die anderer Kehlinstrumente. Im Kehlkopf angelangt, wird 
der Schwamm unter leicht wischenden Bewegungen einigemal durch die 
Glottis auf und ab geführt, Brech-, Husten- und Schlingbewegungen 
hindern die Operation nicht, sondern unterstützen sie eher, weil sie 
geeignet sind, den Schwamm fester zu umfassen und das fremde Gebilde 
möglichst intensiv treffen zu lassen. Die örtliche Reaction ist unbedeutend, 
die Operation sowohl bei den weicheren, schmalaufsitzenden, wie bei den 
derben, breitbasigen indicirt und von Erfolg. 15 im Anhang mitgetheilte 
Fälle dienen zur Illustration der Methode und der mit derselben erlangten 
Resultate. 

165. Zur Operation der Nasenpolypen. Von Dr. Zander. (Deutsch, 
med. Wochschr. 1880. 7.) 

Verf. theilt ein Verfahren mit, von dem er annimmt, dass durch 
dasselbe die Operation der Nasenpolypen wesentlich erleichtert wird und 
auch mit grösserer Zuverlässigkeit auszuführen ist. In einem Falle konnte 
der Polyp des linken Nasenganges hinter dem Gaumensegel mit dem 
Finger als ein beweglicher Körper leicht gefühlt, aber nicht zu Gesicht 
gebracht werden. Letzteres gelang mit Hilfe des vorn gekrümmten 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Dieffenbach’schen Nadelhalters. Während er den Polypen so fixirte und 
durch Anziehen zu Gesicht brachte, wurde vermittelst der gekrümmten 
Büro w’schen Nadel ein Faden durch den in der Mundhöhle sichtbaren 
Theil des Polypen geführt. Hiedurch war der Polyp in gewisser Be¬ 
ziehung bis in die Hand des Operateurs verlängert. Jetzt führte Verf. 
mit dem Bellocque’schen Röhrchen durch den betreffenden Nasengang 
eine starke gewachste Seidenfadenschlinge bis in die Mundhöhle und nach 
Entfernung des Röhrchen den Polypenfaden durch die Schlinge: durch 
Anziehen der letzteren glitt diese leicht über den Faden und den Polypen 
bis zu dessen Wurzel hinweg. Durch massiges Anziehen des Fadens 
wurde jetzt der Polyp etwas gespannt und durch sägenartiges Hin- und 
Herbewegen der Seidenschlinge der Polyp an seiner Wurzel durchtrennt. 
Die Schlinge zog er aus der Nase und mit dem Faden den kolbenförmigen, 
etwa 5 Centimeter langen Schleimpolypen aus der Mundhöhle heraus. 

In einem zweiten Falle sass der Polyp in der Nase und konnte 
von vorne leicht gesehen und mit der Pincette gefasst werden. Verf. zog 
ihn etwas an und führte mit der B u r o w’schen Nadel durch den Polypen 
so hoch als möglich einen Faden. Die Enden desselben hingen jetzt 
zur Nase heraus. Mit dem Be 11 ocque’schen Röhrchen führte er nun 
diese und zugleich eine Seidenschlinge bis in die Mundhöhle und nacli 
Entfernung des Röhrchens den Faden durch die Schlinge und zog nun die 
Schlinge nach vorne. Sobald er merkte, dass die Schlinge bis zum 
Polypen vorgedrungen, suchte er nun diese unter Fixirung und leiser An¬ 
spannung des Polypen durch den Faden so hoch als möglich über den¬ 
selben mit Hilfe einer geknöpften Sonde herumzuführen. Z. machte jetzt 
mit der Schlinge die sägeartigen Bewegungen und bald folgte aus der 
Nase die Schlinge und aus der Mundhöhle der Faden mit einem 2 1 / 2 Cen- 
timenter langen cylinderförmigen Schleimpolypen. Von der leichten Aus¬ 
führbarkeit der Operation kann sich Jeder sofort überzeugen, indem er 
sich folgenden Apparat zusammensetzt: eine 6 Centimeter lange Pappröhre 
repräsentire die Nasenhöhle und ein an irgend einer Stelle derselben mit 
einer Stecknadel befestigtes Stückchen Leder oder sonstiges Zeug den 
Polypen. Das weitere Verfahren bedarf nach dem oben Mitgetheilten 
keiner weiteren Ausführung und Anleitung. Verf. glaubt, dass die meisten 
Polypen auf die Weise leicht entfernt werden können und versteht es 
sich wohl von selbst, dass man nach Anlegung der Schlinge zur Aus¬ 
führung der sägeartigen Bewegungen oder der directen Abschnürung des 
Polypen sich auch der jetzt so beliebten Doppelcylinder bedienen kann 


Dermatologie und Syphilis. 

166. Zwei Fälle von Schanker der Lippe, vermuthlioh durch 
Cigarren acquirirt. Von L. Duncau Bulkley. Archives of Dermatol. 
October 1879.) 

Die Uebertragung der Syphilis durch Zahnbürsten, durch Instrumente 
durch gemeinsamen Gebrauch von Tabakspfeifen, von Glasbläserinstru¬ 
menten , durch die Impfung, die Circumcision und die Tätowdrung ist 
bekannt. Fälle von Ansteckung durch Cigarren waren B. unbekannt. 
Vor mehreren Jahren war die Geschichte einer Cigarrenarbeiterin in 
den Journalen verbreitet, welche mit secernirenden Schleimhautpapeln 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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behaftet, den Cigarren durch Befeuchten mit ihren Lippen die scharfe 
Spitze gab. Auch ein junger Arbeiter desselben Gewerbes, den B. selbst 
sah und der mit einer ähnlichen Mundaffection sowie mit einem pustu- 
lösen Syphilid behaftet war, benutzte seinen Speichel, um das Ende der 
Cigarre zu befeuchten und zuzuspitzen. In den beiden vorliegenden Fällen 
waren die Kranken praktische Aerzte; bei dem einen erschien das syphi¬ 
litische Geschwür auf der linken Oberlippe, war von Schwellung der 
Snbmaxillardrüse begleitet und später von einem maculösen Syphilid ge¬ 
folgt. Da bei dem stark cigarrenrauchenden Kranken keine andere 
Ursache aufzufinden, so schloss B., indem er sich an die oben erwähnten 
Fälle erinnerte, auf eine Infection durch Cigarren, „obwohl wie natürlich 
die betreffende Quelle des Giftes nicht aufgefunden werden konnte u . Bei 
dem zweiten Kranken nahm das Geschwür die Mitte der Unterlippe ein, 
eine Stelle, an welcher der Pat. vor einigen Jahren häufig Fissuren 
gehabt hatte. Auch hier war keine andere Ursache aufzufinden, der 
letzte Anlass hiezu hätte schon vor vielen Monaten stattgefunden. Der 
Kranke war ein starker Cigarrenraucher und hatte vor 3 Monaten den 
Sohn eines Cigarrenarbeiters mit Geschwüren am Penis als Pat., der ihm 
aus Dankbarkeit dafür sehr feine Cigarren offerirte. Auf diese Quelle 
wurde die Infection zurückgeführt. B. knüpft daran einige Bemerkungen, 
unter denen die besonders hervorzuheben ist, dass die Syphilis unter die 
ansteckenden Krankheiten gehört, welche der Ueberwachung der Öffent¬ 
lichen Sanitätsorgane unterzuordnen sind, und dass ebenso die wissentliche 
oder durch Fahrlässigkeit bewirkte Weiterverbreitung dieser Krankheit 
unter die strafbaren Verbrechen einzureihen sei. Paschkis. 


167. Samenkolik (Coliques spermatiques). Von Dr. Reliquet. 
(Gazette des Höpitaux, 1879, Nr. 12 und 15.) 

R. beschreibt folgenden Fall: Ein Kranker von 55 Jahren leidet 
seit 6 Jahren an stündlich wiederholtem Harndrang. Schmerzen beim 
Uriniren, insbesondere nach den letzten Tropfen vom After bis zur Eichel. 
Die objective Untersuchung ergab: Schwellung des rechten Prostata¬ 
lappens und des Samenbläschens derselben Seite. Beim Druck auf diesen 
Tumor wird dieser weicher und kleiner. Die Blase fasst kaum 80 Gm. 
Wasser. Durch die Einführung eines Fingers in das Rectum und einer 
elastischen starken Sonde in die Harnröhre, sowie durch den durch diese 
Manipulation hervorgebrachten Druck wird eine Materie entleert, welche 
aus kleinen (12 Mm. langen, 2 Mm. dicken) Cylinderchen von bräunlich- 
grauer Farbe besteht. Unter dem Mikroskop zeigen sie sich bestehend 
zur Hälfte aus Spermatozoiden, ferner einer geringen Menge von Epi- 
tbelien und Schleimkörperchen, welche alle Formelemente durch form¬ 
losen Schleim zusammengebacken sind. Täglich Klystiere, Ausspritzung 
der Blase und häufige durch den Finger bewerkstelligte Entleerungen 
des Tumors. Nach 14 Tagen ist der Kranke geheilt. Anknüpfend an 
diesen sowie an zwei ähnliche Fälle und an den Sectionsbefund eines 
Hingerichteten, beschreibt R. den Symptomencomplex sowie die Therapie 
der Samenkoliken, für welche er als hervorstechendstes Symptom den 
sehr schmerzhaften, mitunter von Blutharnen begleiteten Harndrang 
nennt. Die Krankheit die in dem obigen Fall durch die Obliteration 
eines Ductus ejaculatorius veranlasst wurde, erscheint nach der Ansicht 
des Autors in ihrem geringsten Grade, bei Ueberfüllung des Samen¬ 
bläschen mit normalem Inhalt (Sperma). Bei aus irgend welchem Grunde 
lange abstinenten Individuen wird das Leiden durch eine natürliche 


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Medicixusch-chirnrgische Rundschau. 


Samenentleerung, welche beim ersten Male häufig blutig und von 
Schmerzen begleitet ist, gehoben. Den zweiten Grad stellt die patholo¬ 
gische Hypersecretion der Samenbläschen und der Prostata dar. Dieselben 
Symptome nur vermehrt durch einen Ausfluss, schwinden auch hier wieder, 
aber nur ftlr kurze Zeit nach einem Coitus. In diesen Fällen muss man 
auf die Ursache der Hypersecretion, wahrscheinlich eine chronische Ent¬ 
zündung der drüsigen Organe direct einzuwirken trachten. Der dritte und 
höchste Grad endlich hat die Obliteration des Ductus ejaculat. zum 
Grunde. Die einzige mögliche Therapie besteht in der Entfernung der 
den Canal verstopfenden Massen; diese erfolgte in einem Falle durch 
die Einführung einer Steinsonde in dem gegenwärtigen durch den combi- 
nirten Druck des im Rectum befindlichen Fingers und einer in die Harn¬ 
röhre eingeführten dicken Sonde, ein drittes Mal endlich wurde die 
Heilung spontan herbeigeführt durch den Coitus. Paschkis. 

168. Syphilis nnd Ehe. Von A. Fournier. (The medical Record, 
1879. Nr. 433, p. 179.) 

Die Verehelichung eines syphilitischen Mannes ist mit dreierlei Ge¬ 
fahren verbunden; er kann erstens seine Frau anstecken, welche dann 
nicht nur durch die Krankheit selbst, sonderen in deren Folge durch 
Abortus leiden kann; auch ist es möglich, dass er die Lues auf das 
Kind überträgt; er selbst läuft ferner Gefahr, dass er früher oder später 
erwerbsunfähig wird und die Familie dem Elende preisgeben muss. In 
Anbetracht dieser Eventualitäten ist es die Pflicht des Arztes, von der 
Heirat abzurathen, oder selbe (wenn Lues vorausging) nur unter be¬ 
sonderen Bedingungen zu gestatten. Dies sind: 1. Wenn keine Symptome 
der Syphilis mehr bestehen. 2. Wenn die Krankheit sich in einer vor¬ 
geschrittenen Periode befindet. 3. Wenn seit dem letzten Ausbruche des 
Leidens eine gewisse Zeit vergangen ist; 4. keine drohende Symptome 
da sind und 5. eine passende specifische Cur gebraucht ward. Nach der 
Ansicht Fournier’s müssen mindestens 3—4 Jahre nach der Ansteckung 
und, von der letzten Manifestation der Lues gerechnet, mindestens 18 
Monate verstrichen sein, ehe man das Heiraten gestatten darf. 

169. Ein Fall von hämorrhagischer Syphilis. Von Dr. De ah na 
in Stuttgart. (Würtemb. med. Corresp.-Bl. 1879, Nr. 40. Pest. med. 
chir. Presse 1880. 5.) 

Der Begriff und die Symptomatologie der hämorrhagischen Syphilis 
der Neugeborenen wurde von Behrend festgestellt. Dieselbe tritt als 
Purpura der Haut und in den subserösen Geweben auf oder mit Blutungen 
aus dem Nabelhöcker; in anderen Fällen kommt es zu heftigen Blutungen 
bei zufälligen Verletzungen oder aus den intacten Schleimhäuten. Die 
Seltenheit der Erkrankung bestimmt D. zur Mittheilung eines von ihm 
beobachteten Falles. 

N. N. wurde als das erste ausgetragene Kind einer Frau, welche 
zuvor einmal abortirt und zweimal todte Früchte zur Welt gebracht hatte, 
geboren (der Vater, zur Zeit gesund, gibt zu, in den J. 1870—71 
syphilitisch inficirt gewesen zu sein). Das Kind war klein, aber in den 
ersten 3 Tagen scheinbar gesund. Von da ab war es unruhig und nahm 
die Brust nicht; an den Fusssohlen und Fussrticken, dann an den Händen 
und im Gesichte traten Stecknadelkopf- bis linsengrosse Pemphigus-Blasen 
mit hellem Inhalt auf. Es wurden Sublimatbäder verordnet, doch nahm 
der Pemphigus an verschiedenen Körperstellen fortwährend zu, die Blasen 
confluirten, die Haut hing in Fetzen. Auffallender Weise zeigten sich beide 


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Arme gelähmt. Am 8. Tage waren die Bläschen fast sämmtlich geplatzt, 
das Corium freiliegend, stark geröthet, an einzelnen Stellen mit kleinen 
Borken bedeckt. Am 9. Tage bemerkte D. an den Lippen des Kindes 
dnnkelschwarze, kleine Krusten, aus geronnenem Blut bestehend; nach 
Entfernung der Krusten ergab sich, dass aus den Lippen fortwährend 
Blut heraussickerte. Zunge, Wangenschleimhaut, Zahnfleisch und Gaumen 
gleichfalls mit Blut bedeckt; ebenso mehrere von Epidermis entblösste 
Stellen an den Ohren, Fingern und Zehen blutend. Am 10. Tage zeigt 
sich das rechte Kniegelenk geschwollen; zahlreiche kleinere und grössere 
Ecchymosen am Stamme. Am 11. und 12. Tage blutet das Kind unauf¬ 
hörlich aus Mund, After, Nabelhöcker und einer Anzahl von Hautwunden; 
die Kräfte schwanden immer mehr und am 13. Tage trat der Tod ein. 
Section wurde nicht gestattet. 

Ohne Zweifel liegt hier eine hämorrhagische Diathese auf Grund 
von Syphilis vor. Ungewöhnlich ist in diesem Falle die grosse Anzahl 
der GefHssbezirke, welche an den Blutungen Theil nahm, denn es wurden 
Blutungen unter der Conjunctiva des Auges, im ganzen Verdauungstract, 
unter der Haut und aus der von Epidermis entblössten Haut beobachtet, 
die Anschwellung des einen Kniegelenks ist wohl auch als Blutung in 
das Gelenk aufzufassen. Zweifelhaft ist es, wie man die isolirte Diplegia 
brachialis ohne Betheiligung der unteren Extremitäten deuten soll. Am 
leichtesten kann ja auch eine Blutung, welche sich um die Wurzeln er- 
giesst und gerinnt (Leyden), dieselbe veranlasst haben; die Existenz 
von syphilitischen Neubildungen ist nicht auszuschliessen, weil die Läh¬ 
mung der Arme eine verhältnissmässig beträchtliche Zeit vor dem Auf¬ 
treten der anderen Blutungen beobachtet wurde. 

170. Fall von Urticaria pigmentosa. Von P. Alb. Morrow. 
(Arch. of Dermatol. V. 1. p. 26. Jan. 1879. Schmidts Jahrb. 1879. 11.) 

Der vorliegende Fall betraf ein wohlgenährtes, kräftiges Kind, das 
aus gesunder Familie stammte und damals im Alter von 2 Jahren stand. 
Es war zuerst, wie die Mutter angab, im 6. Lebensmonate erkrankt und 
zeigte bei der ersten Untersuchung eine über die ganze Körperoberfläche 
verbreitete Urticaria-Eruption, die besonders zahlreich am Rücken, sowie 
an der Beugeseite der Gelenke aufgetreten war und auch die Handflächen 
und Fusssohlen ergriffen hatte. Die Efflorescenzen besassen eine gelbliche 
Färbung, nahmen aber bei der geringsten Aufregung, namentlich aber 
beim Schreien des Kindes eine rothe, scharlachähnliche Färbung an und 
traten, während sie sich dem zufühlenden Finger als flache, in der Haut 
liegende Knötchen darstellten, durch Reiben und Kratzen deutlich über 
die Hautoberfläche hervor. Daneben liessen sich zahlreiche Pigmentflecke 
constatiren, die nach Aussage der Mutter seit ihrem ersten Auftreten keine 
Veränderung erlitten hatten. 

Ia den nächsten 8—10 Monaten kam es za wiederholten acaten Urticaria- 
A Uh brachen and einer Zunahme der Pigmentflecke. Die unmittelbar nach ihrem 
Ausbruche hellrothen Quaddeln nahmen bei längerem Bestehen zuerst eine hell¬ 
gelbe, dann bräunliche Farbe an, verwandelten sich weiterhin in feste solide 
Knötchen, die zuweilen einen perlartigen Glanz besassen, als ob in ihnen Flüssig¬ 
keit enthalten wäre, und gingen nach einem ein- bis dreiwöchentlichen Bestehen 
einer rapiden Involution entgegen. — Der Gebrauch von Kali aceticum in Ver¬ 
bindung mit warmen Bädern, von Er g o t i n mit Eisen, von Belladonna, Copaiva- 
balsam u. A. war ganz ohne Erfolg, dagegen liess sich ein Einfluss der Tempe¬ 
ratur insofern constatiren, als während der kälteren Jahreszeit die Aasbrüche 
seltener auftiaten und die Flecke blasser wurden, während sie mit dem Eintritt 
der wärmeren Witterung häufiger auftraten und an Intensität Zunahmen 


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204 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Als das Kind nach Verlauf eines Jahres wieder in die Behandlung kam, 
fanden sich am ganzen Körper nur zwei quaddelartige Erhabenheiten, die Pigment« 
flecke dagegen hatten derartig zugenommen, dass mit Ausnahme kleiner Bezirke 
an der Nasenwurzel und in der Wangengegend die ganze Haut mit Einschluss des 
hinteren Theiles der Kopfhaut, der Handflächen und Fusssohlen, sowie des Penis, 
Scrotum nnd Perinänm von denselben vollkommen überschüttet war. Ein Fleck 
am linken oberen Augenlid, das Residuum einer vorhanden gewesenen grossen 
Quaddel, bot in Form und Begrenzung eine auffallende Aehnlichkeit mit einem 
Xanthelasma. Die Flecke am übrigen Körper variirten in ihrer Farbe zwischen 
Röthlichbrann nnd Gelbbraun und besassen am Röcken einen grünlichen Schein. 
Auch die Schleimhaut des Gaumens und Pharynx zeigte sich mit dergleichen 
Flecken bedeckt, nur fehlte ihnen die charakteristische gelbe Farbe, wie an der 
Hautoberfläche. — Die Urticaria-Anfälle wiederholten sich häufiger als früher, 
jede Indigestion, jede geistige Aufregung, ja selbst die geringsten localen Reizun¬ 
gen der Haut gaben zum Auftreten von Quaddeln Anlass; überhaupt war das 
Kind so sensibel geworden, dass schon ein blosser Lufthauch genügte, um eine 
starke, mit Jucken verbundene Hyperämie der Haut hervorzurufen. 

Das Allgemeinbefinden des Kindes hatte durch die Erkrankong der Haut 
nicht gelitten, der Ernährungszustand desselben war gut, seine Entwicklung dem 
Alter angemessen und, abgesehen vom häufigen Nasenbluten, eine anderweitige 
Krankheitserscheinung niemals anfgetreten. 

Im Anschluss an vorstehende Beobachtung werden vom Verf. fünf 
der Literatur entnommene analoge Fälle im Auszuge mitgetheilt. Alle 
diese Fälle betrafen Kinder in den ersten beiden Lebensjahren, bei denen 
die Erkankung in der 6. bis 9. Lebenswoclie begonnen hatte; nur einmal 
ist eine Betheiligung der Mundschleimhaut erwähnt worden. In der London 
clinical society, wo 4 dieser Fälle vorgestellt wurden, herrschten Meinungs¬ 
verschiedenheiten in Bezug auf die Natur dieses Leidens. Während T i l- 
bury Fox die Ansicht vertrat, dass es sich hier um eine eigenartige, 
von der Urticaria pathologisch und klinisch zu trennende Kraukheitsform 
handle, die er als Xanthelasmoidea bezeichnete, wurde sie von Hut¬ 
chinson u. A. für eine Urticaria perstans und die Pigmentbildung und 
Verdickung der Haut für die Folge der lange andauernden Entzündung 
gehalten. Verf. schliesst sich der letzteren Ansicht an und glaubt, dass 
es sieh hier um eine vasomotorische Neurose handle, die auf reflectorischem 
Wege zu Stande komme. 

171. Herpesneuralgie der Genitalien. Von Dr. Lande. (Journ. 
de mcdec. de Bord. 15. März 1879.) 

Neben dem gewöhnlichen Herpes, der wie Lippe und Nase wohl 
auch das Präputium befallen kann, will Verf. eine Species aufgestellt 
sehen, die dem Zoster der übrigen Körperregionen entspräche, da sich 
mit den cutanen Eruptionen stets nervöse Erscheinungen vergesellschaften. 
L. erzählt mehrere diesbezügliche Krankengeschichten. Ein Mann von 
33 Jahren, der nie infieirt gewesen, leidet seit 12 Jahren an Bläschen¬ 
eruptionen, welche ohne jede bekannte Ursache alle 3 bis 4 Monate er¬ 
scheinen und ohne weiteres wieder abheilen. 5 Jahre lang erschienen 
sie stets an der rechten Seite des Präputium, zuletzt an der linken. 
Jedesmal ging dem Erscheinen dieser AfFectiou 2 bis 3 Tage lang ein 
heftiger Schmerz in einzelnen Ischiadicus-Aesten voraus. — In einem 
zweiten Falle handelte es sich um einen Herpes des linken Labium minus 
einer 22jährigen Frau, welcher seit 4 Jahren auftrat. Stets kündeten 
eine heftige Ischias oder Schmerzen im Ovarium das Aufschiesscn der 
Bläschen im voraus an. — In anderen Beobachtungen äusserten sich die 
nervösen Symptome in schiessenden Schmerzen des Beines mit cutaner 
Hyperästhesie. — Entsprechend dem Ovarialschmerz wurden bisweilen 
Schmerzen im Hoden, in der Harnröhre beobachtet. 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


205 


172. Beobachtungen über Alopecia areata. Von Dr. Hermann 
Eichborst. (Virchow’s Archiv, Bd. 78, S. 197. St. Petersb. med. 
Wochenschr. 1880. 3.) 

Bei dem noch fortdauernden Streit darüber, ob die Area Celsi 
parasitären Ursprunges oder als eine locale Trophoneurose anzusehen sei, 
erlaubt sich Verf. einen Fall mitzutheilen, in welchem die parasitäre 
Natur des Processes klar zu Tage liegt, doch will er keineswegs behaupten, 
dass alle Fälle von Alopecia areata auf dieselbe Ursache zurückzufüliren 
seien. Uebrigens ist bemerkenswerth, dass Verf. in den letzten drei Jahren 
neun Kranke mit Area Celsi „genau untersucht und längere Zeit behan- 
delt u hat, und dass er zunächst nur bei diesem einen Fall Positives bei 
der mikroskopischen Untersuchung der Haare gefunden hat. Beim Aus¬ 
ziehen der Haare folgen diese dem Zuge fast ausnahmslos ohne Wurzel¬ 
scheiden; es sind in der Regel nur vereinzelte Zellen, welche von den 
untersten Partien der Wurzelscheiden an der gewöhnlich auffällig dünn 
und spitz auslaufenden Haarzwiebel sitzen bleiben. In dem mitgetheilten 
Fall nun fanden sich unter 52 Haaren, weiche der Peripherie der er¬ 
krankten Stelle entnommen waren, 5 vor, an welchen die obere Hälfte 
der Wurzeischeide geblieben war. Hier waren an den Haaren mehr oder 
minder beträchtliche Strecken zu erkennen, weiche pigmentfrei erschienen; 
ausserdem waren die ungefärbten Partien deutlich verdünnt und machten 
den Eindruck, als ob das Haar durch irgend eine Kraft von allen Seiten 
eingeengt und gedrückt worden wäre. Die Veranlassung zu dieser Atrophie 
erkannte man an den einzelnen Haaren, an welchen die obere Hälfte der 
Wurzelscheide beim Ausziehen hängen geblieben war. Bei stärkster Ver- 
grösserung fand man nämlich zwischen Haar und Wurzelscheiden eine 
Masse von Pilzsporen eingelagert. Die Pilzeleraente besassen sämmtlich eine 
runde Form. Die kleinsten unter ihnen hatten das Aussehen glänzender 
homogener Tröpfchen, bei den grösseren aber hob sich der Rand mit 
leichter Doppelcontour ab und war in ihnen nicht selten ein kleines, 
glänzendes, homogenes Körperchen wahrzunehmen. Von Mycelfäden fand 
sich nirgends eine Spur. Die beschriebenen Pilzsporen wurden nur soweit 
am Haare gefunden, als die Wurzelscheiden erhalten geblieben waren, 
d. h. in den beiden oberen Dritteln des Haarfollikels; ob sie auch die 
untere Hälfte desselben erfüllten, darüber gab die directe Beobachtung 
keinen Aufschluss. Die einzige Veränderung, welche die Pilze an den 
Haaren hervorgebracht hatten, bestand in. einer deutlichen Verschmälerung 
(Druckatrophie) und in dem Verlust des Vermögens sich an dieser Steile 
mit Farbstoffen zu imbibiren. Bei der Diagnose kommt also Alles darauf 
an, solche Haare der mikroskopischen Untersuchung mit starker Ver- 
grösserung zu unterwerfen, an welchen beim Ausziehen Theiie der Wurzel¬ 
scheiden sitzen geblieben sind. Das Uebel wurde im vorliegenden Fall 
leicht beseitigt durch eine Salbe, bestehend aus 5 Th. Natrum salicylicum, 
2 Th. Acidum carbolicum und 40 Th. Fett. ß. 


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206 


Medicinisch-chirargische Randschaa. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 


173. Beobachtungen und Studien über Delirium tremens pot&torum. 

Von Dr. Näke zu Dresden. (Otrlbl. f. med. Wissensch. 1879. 25.) 


Verf. stellt folgende Resultate seiner Beobachtungen und Studien 
zusammen: Das Del. trem. pot. setzt einen seit längerer Zeit fortge¬ 
setzten Abusus spirit. voraus; der Ausbruch selbst aber geschieht erst 
nach Eintreten einer psychischen oder physischen Alteration ; je marastischer 
das Individuum, je mehr Del. trem. schon voranging, desto leichter pflegt 
die Gelegenheitsursache zu sein. In sehr vielen Fällen gibt ein starker 
Rausch oder ein epileptischer Anfall das Signal zum Ausbruch. Nach 
Wein und Bier ist das Del. trem. unendlich seltener als nach Schnaps, 
daher das Delirium in Schnapsländern xoct ^oy^v: Russland, Amerika 
etc. zu Hause ist. Am gefährlichsten wirkt anscheinend der Kartoffel¬ 
schnaps und zwar höchst wahrscheinlich wegen seines an Amylalkohol 
so reichen Fuselöls, da nach Experimenten von Dujardin-Beaumetz 
und A u d i g e der Amylalkohol viel giftiger ist als die leichteren Alkohole. 
Je besser der Kartoffelsprit also entfuselt ist, desto weniger wirkt er 
schädlich. Wie der gemischte Genuss von Bier und Schnaps schlimmer 
sein soll, als der alleinige von Bier oder Schnaps, so schien bei 
stetem Genuss verschiedener gemischter Schnapssorten, z. B. von Pomme¬ 
ranzen und Ingwer, das Delirium eher auszubrechen, als bei unge¬ 
mischten Sorten. 

Frauen werden seltener davon befallen, als Männer; unter der 
arbeitenden Classe sind es besonders diejenigen, welche viel im Freien 
zu thun haben und allen Unbilden des Wetters ausgesetzt sind; dann 
auch Alle, die geschäftlich mit Spirituosis zu thun haben: Gastwirthe 
Kellner, Destillateure etc. Das Del. trem. ist am häufigsten bei Leuten 
zwischen 30—50 Jahren und erreicht die grösste Häufigkeit zwischeu 
35—40 Jahren; der jüngste notirte Kranke war 18 Jahre alt. Am 
häufigsten im Spätherbste, dann im Sommer. In 5°/ 0 (wenigstens für 
Königsberg geltend) aller Fälle handelt es sich nur um ein Del. trem. 
i n c i p i e n s, eine Abortivform der gewöhnlichen ausgebildeten Krankheit; 
man kann es auch als ein auf das Prodromalstadium beschränktes Del. 
trem. auffassen. Oefter folgt ihm später die ausgebildete Form. Bel 
Frauen ist das Del. trem. incipiens die Regel, das ausgebildete die Aus¬ 
nahme. Noch weniger bekannt, sehr selten und in der Definition bis 
jetzt noch sehr schwankend ist das Del. trem. chronicum. Verf. ver¬ 
steht darunter eine wochen-, ja monatelang anhaltende Reihenfolge abor¬ 
tiver Ausbrüche, sich anschliessend an einen acuten, wohl ausgebildeten 
Ausbruch von Del. trem., mit mehr oder weniger reinen Intervallen. 
Besonders alte, marastische Säufer werden davon betroffen und die 
Prognose ist sehr traurig. 

Ein Prodromalstadium von 2—3 Tagen lässt sich in der Regel 
nachweisen. Vermehrte Schweisssecretion und vermehrter Durst sind häutig. 
Die mehr oder weniger hervortretende Gastritis ist wichtig für die Dia¬ 
gnose und Prognose. Jedes Fieber, welches in der Temperatur 38-8 
Abends übersteigt, weist auf einen entzündlichen, meist pneumonischen 
Herd hin. Puls lind Respiration sind gewöhnlich nur wenig an Zahl 


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Hedicixüsch-chirurgische Rundschau. 


207 


vermehrt. Albuminurie fand sich in 82°/ 0 der Fälle und zwar von den 
geringsten Spuren bis zu colossalen Quantitäten von Eiweiss. In */ 4 der 
Fälle war diese transitorische Albuminurie mit Fieber combinirt und der 
Albumingehalt stieg meist mit dem Fieber, während er nicht immer 
parallel mit der Stärke des Del. trem. einherging. Nach dem Verschwin¬ 
den aller Symptome war auch gewöhnlich kein Eiweiss mehr nachweisbar. 
Die Phosphorausscheidung ist im Anfänge des Deliriums eine abnorm ge¬ 
ringe und erhebt sich erst allmählig; der Stoffwechsel in der Nerven- 
Gehimmasse scheint sonach anfangs ein sehr herabgedrückter zu sein. 

Die auftretenden Hallucinationen gehören zu den Illusionen im 
Esquiroloschen Sinne, d. h. es handelt sich meist um falsche Auslegun¬ 
gen, Verarbeitungen von peripher durch die Sinnesorgane oder das Gemein- 
gefiihl Empfundenem. Die meisten lassen sich als Illusionen des Gesichts¬ 
und Gehörsinnes, seltener des Tast- und Gemeingefühls nachweisen. Die 
Vorstellungen tragen fast durchwegs den Stempel der Depression an sich; 
der häufigste ist der Verfolgungswahn in allen möglichen Gestalten; die 
pathologischen Gebilde der Phantasie treten fast immer in der Mehrzahl 
auf; Thiervisionen Hessen sich nur in einem Drittel der Fälle nachweisen 
und auch dann waren es nicht blos kleine, sondern auch grosse Thiere 
— und zwar immer lebend und handelnd — welche den Kranken be¬ 
schäftigten. Die Vorstellungen sind oft ausserordentlich flüchtig, wie auch 
die Gemüthsstimmung der Patienten eine oft wechselnde ist. Abends 
exacerbiren meist alle Krankheitssymptome; nach dem ersten guten Schlafe 
verschwinden durchaus nicht immer mit einem Schlage alle Symptome, 
sondern klingen oft genug verschieden lange Zeit noch nach. Auch Rück¬ 
fälle in der Reconvalescenz wurden beobachtet. Eine allgemeine Zahl 
für die Mortalität lässt sich nicht aufstellen. Für Königsberg berechnet 
Verf. aus über 860 Fällen eine Mortalität von 24*3°/ 0 Die Zahl der 
Coraplicationen ist ebenfalls sehr verschieden. Am gefährlichsten ist immer 
der erste Anfall; der Durchschnittsaufenthalt im Hospitale betrug 4 l / 9 Tage. 
Mit Anderen traf auch der Verf. keine charakteristischen Befunde in der 
Leiche. Narcotica, gleich zu Anfang in massigen Dosen gegeben, schienen 
entschieden den Verlauf abzukürzen und milder zu gestalten. Gewöhnlich 
brachten 3—5 Grra. Chloral in 2 Dosen genügenden Schlaf; die Dosis 
musste später nicht selten wiederholt werden. Zwangsjacke, Brust- und 
Fussriemen sind im Allgemeinen zu verwerfen, weil sie besonders viele 
Illusionen erzeugen. Am besten sind geheizte Isolirstuben und ein un- 
zerreissbares Kleid. 


174. Albuminurie, ein Symptom des epileptischen Anfalls. Von 
Dr. Brüninghausen. (Allg. med. Ctrl.-Ztg. 1880. 9.) 


Zuerst machte Dr. Huppert darauf aufmerksam, dass jeder aus¬ 
gebildete oder abortive epileptische Anfall von einem transitorischen Eiweiss¬ 
austritt in den Harn unmittelbar gefolgt sei. 

Diesem gegenüber behauptet Dr. Karrer, in keinem Falle nach 
epileptischen Anfällen Eiweiss im Urin gefunden zu haben. 

Dr. Otto kam zu dem Resultate, dass zwar Eiweissaustritt in den 
Harn nach epileptischen Anfällen erfolge, derselbe jedoch nicht nach jedem 
Anfalle stattfinde, selbst dann nicht, wenn man auch das leichteste Opa- 
lisiren des Harns als Eiweissreaction auffassen wollte. 

Verf. untersuchte bei Epileptikern den Harn: 

1. In der anfallsfreien Zeit; 2. sogleich nach dem Anfalle; 3. zwei 
Stunden nach dem Anfalle; 4. vier Stunden nach dem Anfalle. 


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208 


Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Nach dem Resultate unterscheidet er: 1. Opalisiren, 2. Trübung, 
3. Niederschlag (Flocken- oder Sedimentbildung). 

Die grösste Mehrzahl der betreffenden Epileptiker war schon über 
10 Jahre krank, fast alle geistesgestört; mehrere hochgradig blödsinnig. 
Nach circa 50 Anfällen konnte Verf. den Urin sofort, nach 2 und nach 
4 Stunden untersuchen. Es wurde, soweit möglich, von dem Wart¬ 
personal darauf geachtet, dass die Kranken in der Zwischenzeit keinen 
Urin Hessen. 

Es war Verf. möglich, die Proben nach 82 Anfällen bei 21 Kranken 
anzustellen. Bei 4 Kranken war der Urin eiweissfrei, bei 17 dagegen 
trat Eiweissreaction auf und es erfolgte 59 Mal Opalisiren, 39 Mal Trü¬ 
bung, 7 Mal Niederschlag, und zwar: a) Sofort nach dem Anfalle: 22 
Mal Opalisiren, 13 Mal Trübung, 2 Mal Niederschlag; b) zwei Stunden 
nach dem Anfalle: 37 Mal OpaUsiren, 26 Mal Trübung, 5 Mal Nieder¬ 
schlag. Vier Stunden nach dem Anfalle konnte Verf. niemals Eiweiss¬ 
reaction erzielen. 

ln Betreff der Proben wird bemerkt, dass diejenige mit Essigsäure 
im Ueberschuss und Zusatz von 2—3 Tropfen Ferrocyankali die empfind¬ 
lichste war; denn in 2 / a der Fälle, in denen Eiweissreaction eintrat, ge¬ 
schah dies erst auf obengenannte Probe, während in denselben Fällen die¬ 
jenige mit Essig und Salpetersäure ein negatives Resultat hatte. Diejenigen 
Anfälle, welche Eiweissaustritt in den Harn zur Folge hatten, waren fast 
sämmtlich sehr heftige (haut mal). 

Nach abortiven Anfällen konnte man nur 5 Mal Eiweiss nachweisen. 
Niederschlag trat, wie oben bemerkt, 7 Mal ein, und zwar 4 Mal sehr 
beträchtlich bei Patienten, die noch nicht lange erkrankt und deren An¬ 
fälle alle sehr heftig, häufig und langandauernd waren. 

Verf. gelangt zu dem Resultate, dass, je heftiger und häufiger die 
Anfälle waren, von je kürzerer Dauer die Krankheit, desto mehr Eiweiss 
der Urin enthielt. Zugleich fand er, dass, je länger die Dauer der Krank¬ 
heit und je mehr seelengestört die betreffenden Kranken waren, desto 
seltener und in desto geringerer Menge sich der Eiweissaustritt zeigte, 
unabhängig von der Zahl und Heftigkeit der Anfälle. Sämmtliche Patienten, 
deren Urin stets frei von Eiweiss war, waren schon über 15 Jahre krank 
und blödsinnig. 

Es wurde der Urin nach verschiedenen Anfällen von Chorea magna 
und nach 3 epileptiformen Anfällen eines Paralytikers untersucht und in 
den ersten Fällen jedesmal starke Trübung, in den letzten 2 Mal Trübung 
und 1 Mal Niederschlag gefunden. 

Das Ergebniss der Untersuchungen formulirt Verf. folgendermassen : 

Eiweissaustritt in den Urin findet nach epileptischen Anfällen statt, 
und zwar bei der grössten Mehrzahl der Epileptiker. Eiweissaustritt findet 
nicht nach jedem Anfalle statt; bei einem und demselben Patienten tritt 
nach dem einen Anfälle Albuminurie auf, nach dem anderen nicht. Je 
frischer die Krankheitsfälle, je jünger und kräftiger die Patienten, desto 
bedeutender der Eiweissaustritt; je länger dagegen die Dauer der Krank¬ 
heit, je grösser die Geistesstörung bei den betreffenden Kranken, desto 
geringer derselbe. Albuminurie kann man daher als ein Symptom des 
epileptischen Anfalls betrachten, wenn auch nicht als constantes. In An¬ 
betracht jedoch der überaus geringen Menge von Eiweiss, welche fast 
immer auftritt, wird dieses pathologische Product auf den Verlauf und die 
Prognose der Krankheit wenig oder gar keinen Einfluss auszuüben im 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 209 

t 

Stande sein, da es zudem im späteren Stadium der Krankheit zu ver¬ 
schwinden scheint. 

In einem Falle könnte es von praktischer Verwerthung sein, näm¬ 
lich, falls Verdacht vorhanden ist, dass epileptische Anfälle simulirt werden. 
Es könnte alsdann der Nachweis von Albumin im Harn nicht wenig zur 
Aufklärung der Diagnose beitragen. 

175. Zur Diagnose der Bronchialdrüsen-Erkrankung bei Kindern. 
Von R. Quain, die Krankheiten der Bronchialdrüsen. (Brit. med. Journ. 
1879. 937. Jahrb. für Kinderhk. XIII. 4.) 

Gewöhnlich findet man in dem Raume zwischen rechtem und linkem 
Bronchus 10—15 erbsen- bis mandelgrosse Drüsen, die rechtsseitigen sind 
etwas grösser als die linksseitigen, in welche Aeste der Bronchialarterien 
ein- und aus welchen Aeste der Bronchialvenen austreten. Die central 
gelegenen Drüsen treten in Beziehung zum Pericardiura, dem Aortenbogen 
und dem Stamme der Pulmonalarterien, nach hinten mit dem Lungen¬ 
nervengeflechte, dem Oesophagus, der Aorta, der Vena azygos etc.; die 
Drüsen des rechten Bronchus, kleiner als die vorigen, mit dem Aorten¬ 
bogen, der art. innominata, der art. subclavia, der vena brachio-cepha- 
lica, vena azygos, dem n. vagus und n. recurrens, die Drüsen am linken 
Bronchus endlich, die kleinsten, mit dem arcus Aortae, dem Ursprung 
der carotis sin. und subclavia sin., dem linken Aste der art. pulmon. und 
vena pulmon. mit dem n. vagus sin. und ganz besonders dem n. recur 
rens sin. Die Bifurcation der Trachea liegt genau zwischen dem 4. und 
5. Brustwirbel und hinter dem unteren Ende des manubrium sterni. 

Als Symptome von Bronchialdrüsen-Erkrankung werden aufgeführt: 
1. Husten, der aber nur in 6 Fällen (unter 59) einen laryngealen Charakter 
hatte, in 4 Fällen Keuchhusten ähnlich war, in 5 Fällen kurz, unauf¬ 
hörlich und stossend. 2. Schmerzen, meist in der Gegend des 4. und 5. 
Brustwirbels, wurden 22 Mal beobachtet und öfter war die schmerzhafte 
Stelle auch gegen Druck empfindlich. 3. Respirationsbeschwerden wurden 
notirt in 13 Fällen, in 4 periodisch auftretendes ASthtna. 4. Schling¬ 
beschwerden in 10 Fällen, Hämoptoe in 10 Fällen, Congestion und Auf¬ 
gedunsenheit des Gesichtes in 3 Fällen, sehr häufig Aphonie und Heiser¬ 
keit, in 2 Fällen Erbrechen. 23 Kranke konnten nur auf der Seite 
liegen, auf welcher die Drüsen vorzugsweise erkrankt waren, 15 nur auf 
der entgegengesetzten Seite, 2 nur auf dem Rücken, 1 nur in derKnie- 
Ellbogen-Lage. Bei 28 Kranken waren vorzugsweise die rechtsseitigen, 
bei 22 die linksseitigen Bronchialdrüsen befallen. 

Die physikalische Untersuchung ergab: Dämpfung, zwischen dem 
inneren Rande der Scapula und der Wirbelsäule, in der Höhe des 4. und 
5. Brustwirbels, 47 Mal in 8 Fällen hinter dem Manubr. sterni und unter 
dem Stemo-clavicular-Gelenke. Abflachung der vorderen Brustwand an 
der erkrankten Seite 3 Mal und Verminderung der Beweglichkeit derselben 
4 Mal. Das Respirationsgeräusch war bald accentuirt, bald vermindert. 

176. Die Perceptionsgrenze des menschlichen Ohres für musi¬ 
kalische Töne. Von Dr. Laurence Turn bull. (The Boston med. and 
8urg. journ. 1879. 19. Ztschr. f. Ohrenli. IX. Bd. I. II.) 

Dem Bedürfnisse, die Perceptionsgrenze unseres Ohres für musi- 
kaliche Töne nach der Höhe hin festzustellen, Rechnung tragend, benützte 
T. eine Reihe König’scher Stahlstäbe zu seinen Versuchen. Bei den¬ 
selben wurde auf Herstellung einer möglichst wenig wechselnden Tem- 

Med.-cbir. Rundschau. 1880 . ^ 14t 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


peratur Rücksicht genommen. Während Blake gefunden batte, dass die 
Hörfähigkeit unseres Ohres beziehungsweise des Lebensalters sehr variirt 
und zwar am grössten im Alter von 12—14 Jahren sei, mit vorschrei¬ 
tendem Alter allmälig abnehme, Helmholtz die obere Grenze auf 38.000, 
Vierordt dieselbe auf 40.000 (Einzel-) Schwingungen normirt hatten, 
fand T. durchschnittlich höhere Zahlen. Von einem 26jährigen Musiker, 
wie von einem anderen jungen Manne mit geübtem Ohre wurden 
Töne bis zu 60.000 Schwingungen in der Secunde percipirt. Andere, 
welche im Uebrigen normal zu hören glaubten, brachten es nicht 
über 25.000. T. bemerkt hierzu, dass vielleicht das Ohr einzelner 
Menschen ein ähnliches Verhalten zeige, wie das Auge bezüglich der 
Dal ton sehen Farbenblindheit und gedenkt der bereits von Dr. Earle 
beschriebenen Fälle, in welchen sich bei denselben Individuen sowohl 
Farbenblindheit, als Mangel musikalischen Unterscheidungsvermögens vor¬ 
gefunden haben-soll. („Color blind and had no ear for musicl“) Aber 
abgesehen von solchen Ausnahmen bestätigte es sich auch inTurnbulls 
Versuchen, dass unser Ohr durch Uebung auf bestimmte Töne an Hör¬ 
fähigkeit für dieselben gewinnt. So waren Individuen, welche anfangs 
nicht über 30.000 Schwingungen gehört hatten, gegen Ende der Hör¬ 
proben im Stande, Töne von 35.000 in der Secunde zu percipiren. Der 
Verf. theilt dann mit vortrefflichem Humor die Menschheit nach dem 
Grade ihrer Hörfähigkeit in drei Classen: 

„1. Ordinary patients or hospital cases mit niederem Lebensgang. 
Bei diesen sind sämmtliche Sinneswahrnehmungen mehr oder weniger 
matt, abgestumpft (dulled), das Ohr macht keine Ausnahme. 2. Cuitivated 
and refined people, welche aber keine specielle musikalische Ausbildung 
genossen haben. 3. Tüchtige Musiker von Profession. u Wir Aerzte ran- 
giren zwischen 2 und 3, weil unser Ohr durch Percussion und Auscul- 
tation für Wahrnehmung von Tonhöheunterschieden bereits geübt sei. 
Dass T u r n b u 11 höhere Durchschnittszahlen als andere Forscher erhielt, 
erklärt er daraus, dass er vorzugsweise mit musikalisch Gebildeten experi- 
mentirte, auch erwähnt er, dass die Versuche mit solch hohen Tönen 
recht unangenehm, ja schmerzlich gewesen seien und oft mehrere Stunden 
andauerndes Ohrenklingen zur Folge gehabt haben. 

Die Stahlstäbe hatten eine Temperatur von etwa 70° F. und 
wurden in Entfernung von 2'* vom Ohr mit einem Stahlhammer ange¬ 
schlagen. Aus der am Schlüsse der Abhandlung aufgestellten Tabelle 
ergibt sich, dass die Mehrzahl der Versuchspersonen 40.000 bis 45.000, 
einzelne 50.000 bis 55.000 (22, 23 und 24 Jahre alt) und eine 60.000 
(26 Jahre alt), Schwingungen zu percipiren im Stande waren. Von Inter¬ 
esse mag ferner noch sein, dass bei den meisten das linke Ohr feiner als 
das rechte w r ar. Die erhebliche Differenz in der Hörfähigkeit des Alters 
von 22 Jahren mit 50.000 und der von 57 Jahren mit nur 30.000 
Schwingungen will T. nicht sowohl der Altersverdichtung des Trommel¬ 
felles, als vielmehr der mit dem Alter zunehmenden Verengerung und 
Form Veränderung des äusseren Gehörganges in Verbindung mit Verände¬ 
rungen im Mittelohre und Verminderung der Schallleitungsfähigkeit der 
Gehörknöchelchenkette, endlich der geringeren Sensibilität des Gehör¬ 
nervenapparates zugeschricben haben. 

177. Halbseitiger Hypnotismus. Hypnotische Aphasie. Farben¬ 
blindheit und Mangel des Temperatursinnes bei Hypnotischen. Von 
R. Heidenhain und P. Grtitzncr. (Bresl. ärztl. Ztsclir. 1880. 4.> 

Als vor einiger Zeit G. im physiologischen Institute an einigen 
Nichtmedieinern hypnotische Versuche anstellte, machte der zufällig an- 

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Medicinisch-chirnrgische Randschau. 


211 


wesende Dr. R. Kayser die Bemerkung, es sei vielleicht möglich, ein¬ 
seitige hypnotische Erscheinungen durch Einwirkung auf eine Gesichts¬ 
oder Kopfhälfte hervorzurufen. In der That schien bei einem der „Medien“ 
durch leichten Druck auf die Stirn- und Scheitelgegend einer Seite der 
Einfluss des Willens auf die Extremitäten der anderen Seite aufgehoben 
oder doch stark verringert zu sein. Da aber Tags darauf bei drei 
anderen Herren der Versuch nicht gelang, gerieth er vorläufig in Ver¬ 
gessenheit. 

Vor Kurzem wurde H. durch seinen Bruder, Stud. Aug. Heiden¬ 
hain, davon in Kenntniss gesetzt, dass bei ihm nach leisem absichtlichen 
Streichen über die linke Stirn- und Scheitelgegend der rechte Arm und 
das rechte Bein nach kurzer Zeit immobil geworden seien. Ein Schlag 
mit der beweglichen linken Hand auf den rechten Arm habe den lähmungs¬ 
artigen Zustand augenblicklich gelöst. 

Die sofort angestellte genauere Untersuchung ergab Folgendes: Beim 
langsamen Streichen der Haut über dem linken Stirn- und Scheitelbein 
tritt rechtsseitig ein lähmungsartiger Zustand der Extremitäten und der 
Gesichtsmuskeln ein. Der rechte Arm kann nur mit Mühe ein wenig 
gehoben, das im 8itzen gestreckte rechte Bein nicht gebeugt und ange¬ 
zogen werden. Beim Lachen bleibt die rechte Gesichtshälfte unbeweglich 
wie bei vollständiger Facialislähmung; das rechte obere Augenlid ist ge¬ 
senkt. Dabei sind die rechten Extremitäten im Zustande vollständigster 
wächserner Biegsamkeit: sie können leicht in jede beliebige Lage gebracht 
werden und verharren darin. Bei grosser Anstrengung gelingen schwache 
Bewegungen an den betreffenden Extremitäten, die dann leicht krampfhaft 
werden. Das Bewusstsein ist vollkommen frei, die Tastempfindlichkeit 
auf beiden Seiten erhalten. Es ist aber unmöglich, vorgestellte oder vor¬ 
gesprochene Worte auszusprechen. 

Beim Streichen der entsprechenden Hautpartie auf der rechten Seite 
treten alle obigen Erscheinungen linksseitig auf, die Aphasie aber fehlt. 

Statt durch Reizung der sensiblen Trigeminusfasern konnte die ein¬ 
seitige Katalepsie auch dadurch herbeigeftthrt werden, dass ein Auge durch 
eine Binde geschlossen wurde, während das andere ein Object fixirte. 

Ganz ähnliche Erfahrungen wurden darauf an Herrn Dr. Krön er, 
Assistenten an der gynäkologischen Klinik, gemacht. Doch stellte sich 
hier heraus, dass 1. die Aphasie beim Streichen der rechten Kopfhälfte 
eintrat, und 2. der geschilderte Zustand der Extremitäten constant auf 
derselben Seite eintrat, auf weicher die Reizung der Trigeminusfasern 
geschah. 

Indem die Verf. diese Erfahrungen an mehreren anderen Versuchs¬ 
personen gemeinschaftlich weiter verfolgten, ergab sich, dass einseitiges 
Streichen oder einseitiger leichter Druck der betreffenden Kopfhälfte durch 
blosses Handauflegen die Extremitäten der anderen Seite in einen mehr 
oder weniger vollständig kataleptischen Zustand versetzte, in der Regel 
zunächst die obere, später meist, doch nicht immer, bei mehrfacher Wieder¬ 
holung auch die untere Extremität, während bei diesen (3) Personen die 
Gesichtsmuskeln frei blieben. Aphasie trat bei einer dir neuen Versuchs¬ 
personen bei Einwirkung auf die linke, bei einer anderen bei Einwirkung 
*uf die rechte Scheitelgegend, bei einer dritten gar nicht ein. — Ferner 
verlor bei drei Personen das Auge der kataleptischen Seite den Farben¬ 
sinn und die Haut am Arme derselben Seite bei zwei Personen den Tem¬ 
peratursinn. Wurde das Auge der normalen Seite verdeckt, so verwech¬ 
selten alle drei Personen gelbe und blaue Töne, ebenso Rosa und Grün, 


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MedicinLch-chirurgische Rundschau. 


wie Versuche mit Wollproben ergaben, während das Auge der gesunden 
Seite die Farben vollkommen richtig erkannte. 

Zwei der Versuchspersonen konnten an der Haut des kataleptischen 
Armes die Berührung mit warmen und kalten Objecten (mit Wasser ge¬ 
füllte Bechergläsohen) nicht unterscheiden, während die Haut des beweg¬ 
lichen Armes in der Beurtheilung der Temperatur niemals fehlte. Die 
Ortsempfindlichkeit hatte auch an der kataleptischen Seite nie gelitten. 

Zu der Mittheilung dieser Beobachtungen fügen Verf. vorläufig nur 
hinzu, dass dieselben nach dem heutigen Stande der Kenntnisse von der 
Leitung in den Centralorganen nicht ganz verständlich sind. 

So viel geht ja aus den Versuchen mit Sicherheit hervor, dass Ein¬ 
wirkung auf die sensiblen Hautnerven einer Kopfhälfte einseitige Auf¬ 
hebung gewisser Functionen der Grosshirnrinde zur Folge hat. Nun sollen 
aber nach der Ueberzeugung der grossen Mehrzahl aller Physiologen und 
Pathologen die gesammten sensiblen und motorischen Bahnen des Körpers, 
bevor sie zur Hirnrinde gelangen, auf die entgegengesetzte Körperseite 
übertreten. 

Werden also z. B. die Trigeminusfasern der Haut auf der linken 
Kopfhälfte gereizt, so müsste die Rinde der rechten Hemisphäre Func¬ 
tionsstörung zeigen imd damit die Einwirkung des Willens auf die Extre¬ 
mitäten der linken Körperseite, auf welcher die ursprüngliche Reizung 
geschah, aufgehoben sein. Dieses Verhalten wurde aber allein bei Herrn 
Dr. Krön er beobachtet, während bei den drei anderen Versuchspersonen 
die Seite der Hautreizung und die Seite der Katalepsie entgegengesetzt 
waren. Wir haben dafür vorläufig keine Erklärung, es sei denn, dass 
man eine Erregung der vasomotorischen Nerven der gereizten Kopfhälfte 
in Betracht ziehen wollte. 

Bemerkenswerth ist ferner, dass bei zwei Personen die Aphasie bei 
rechtsseitiger, bei zwei anderen bei linksseitiger Hautreizung eintrat. Bei 
jenen ersteren muss, wenn anders die Annahme der Kreuzung der sen¬ 
siblen Bahnen richtig ist, das Rindencentrum für die Sprache in der linken, 
bei den letzteren Personen in der rechten Hemisphäre gelegen sein. Alle 
untersuchten Personen waren rechtshändig; Dr. Krön er ist ein geübter 
Violinspieler. 

Bei Personen mit sehr hoher Reflexerregbarkeit der Muskeln ge¬ 
lingen die mitgetheilten Versuche nicht, weil bei ihnen einseitige Haut¬ 
reizung sofort beiderseitigen Krampf zur Folge hat. 

Eine der Versuchspersonen schreibt, wenn sie auf der linken Körper¬ 
seite hypnotisirt ist, mit der rechten Hand Spiegelschrift, so lange sie 
beim Schreiben sich selbst überlassen bleibt. Sie kann sich aber zur 
rechtläufigen Schrift zwingen, wenn ihr während des Schreibens ununter¬ 
brochen zugeredet wird, es zu thun. Auf der rechten Seite hypnotisirt, 
schreibt sie mit der linken Hand rechtläufig, ist dagegen viel schwerer 
als im Normalzustände im Stande, mit dieser Hand Spiegelschrift zu 
schreiben; die verkehrte Schrift geht sehr leicht in die rechtläufige über. 

Bevor eine gründliche Discussion der mitgetheilten Erfahrungen mög¬ 
lich ist, wird es nothwendig sein, das Beobachtungsmaterial erheblich zu 
erweitern, was glücklicherweise ohne allen Anstand geschehen kann, da 
sämmtliche Versuchspersonen einstimmig versichern, durchaus keine un¬ 
angenehmen Einwirkungen oder Nachwirkungen von diesen Beobachtungen 
zu spüren. 


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lledicinisch-chirurgische Rundschau. 


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178. Ueber die Erscheinungen und das Wesen des sogenannten 
thieri8chen Magnetismus. Von Prof. Berger. Verkandl. der med. Sect. 
der schles. Gesellscb. für vaterländ. Cultur. (Bresl. Aerzti. Zeitschr. 1880. 4.) 

Der Vortragende hat sich, angeregt durch die Demonstration de3 
Herrn Hansen, in den letzten Wochen eingehender mit eigenen Unter¬ 
suchungen über den sogenannten thierischen Magnetismus beschäftigt. Die 
an bekannten Collegen durch die Manipulation des Herrn Hansen hervor¬ 
gebrachte tetanische Muskelstarre musste jedem Unbefangenen die Ueber- 
zeugung von einer zunächst höchst merkwürdigen Thatsaelie verschaffen, 
die als solche keinem begründeten Zweifel unterliegen konnte. Indess hat 
Herr Heidenhain in seinem in der jüngsten allgemeinen Sitzung der 
schlesischen Gesellschaft für vaterl. Cultur gehaltenen Vortrage, der jetzt 
auch bereits gedruckt vorliegt, die Resultate seiner hochinteressanten 
Untersuchungen über denselben Gegenstand mitgetheilt und an einzelnen 
..Fällen“ die wesentlichsten Symptome demonstirt, deren pathologische 
Physiologie auseinandergesetzt und am Schluss einen Erklärungsversuch 
Für die Genese des ganzen Syniptomencomplcxes gegeben. Der Vortragende 
hat sich bei seinen Versuchen streng an die von Herrn Hansen geübte 
Procedur gehalten. Das richtige Anstarren eines glänzenden Objectes 
z. B. des Hansen’schen Knopfes) erscheint ihm besonders dann von Wich¬ 
tigkeit für die Herbeiführung des Zustandes, wenn der Gegenstand möglicl st 
nahe den Augen gehalten wird und so eine intensive Accoramodations- 
anstrengung längere Zeit stattfindet. Die weiteren „magnetischen“ Hanti- 
rungen des Herrn Hansen ersetzt er meist durch das Auflegen der warmen 
Hand auf Stirn oder Scheitel, während das Bestreichen im Gesicht und 
an den Extremitäten nur den Zweck hat, bei bereits eiugetretenem Zu¬ 
stande die gesteigerte Reflexerregbarkeit der betreibenden Muskeln zur 
Erscheinung zu bringen, resp. den leichten Rigor der Muskeln in tetanische 
Starre zu verwandeln. Das Sensorium ist während des hypnotischen 
Zustandes keineswegs in allen Fällen aufgehoben, in manchen bleibt das¬ 
selbe sogar vollständig ungetrübt. Während diejenige Classe von Individuen, 
welche im hypnotischen Zustande einen mehr minder hochgradigen Torpor 
der Grosshirnrinde zeigen, eine zwar sehr intensive, doch nicht absolute, 
übrigens über die gesammte Hautoberfläche gleichmässig verbreitete Anal¬ 
gesie darbieten, zeigt sich im Gegentheil bei denjenigen, die ihr Bewusst¬ 
sein bewahren, eine ausgesprochene Hyperalgesie. Die bekannten localen 
Hautreflexe sind meist unverändert, der Patellarreflex häufig sehr bedeutend 
gesteigert. Die elektrische Erregbarkeit weist keine wesentlichen Ver¬ 
änderungen auf. Gewissermassen als Fundamental versuch bezeichnet der 
Vortragende die Versuchsanordnung, geeignete Individuen aus dem 
physiologischen Schlafe in den Zustand des Hypnotismus überzuführen. 
Gerade dieser Versuch beweist den Unterschied zwischen dem normalen 
Schlafe und dem experimentell hervorgerufenen Zustande, so dass 
die Bezeichnung „Hypnotismus“ vom symptomatischen Standpunkte aus 
durchaus nicht zutreffend erscheint, vielmehr ist die auch von Herrn 
Heidenhain befürwortete Benennung „Experimentelle Katalepsie“ die 
richtigste. So wie verschiedene Abstufungen des hypnotischen Zustandes 
existiren, so bietet auch das klinische Bild der Katalepsie ähnliche indi¬ 
viduelle Verschiedenheiten dar; nach eigenen Beobachtungen des Vor¬ 
tragenden aber ist die vollständige Analogie beider Zustände zu statuiren. 
Die experimentelle Katalepsie kann aber nicht nur durch die Einwirkung 
des menschlichen Körpers herbeigeführt werden, sondern auch eine 
Reihe von physikalischen Kräften, besonders die Wärme, Elektricität 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


und Magnetismus zeigen dieselbe Wirkung, so dass der persönliche Ein¬ 
fluss des „Magnetiseurs“ vollständig in Wegfall kommen kann. Besondere 
Wirkung kommt der Wärme zu, welche bei den ausgeführten Manipu¬ 
lationen wahrscheinlich das wesentlich wirksame Agens darstellt. So lange 
die warme Hand sich auf der Stirn oder dem Scheitel der Hypnotisirten 
befindet, bleibt der Hypnotismus fortbestehen, auch wenn andere Reize, 
die ihn sonst beseitigen (Anblasen, Rütteln etc.), einwirken. Natürlich ist 
es ganz gleichgütig, wem die „magnetisirende“ Hand angehört und 
sie kann selbstverständlich auch durch die oben erwähnten physika¬ 
lischen Mittel, insbesondere durch eine über dem Kopfe des Be¬ 
treffenden befindliche wärmestrahlende Platte ersetzt werden; auch ein 
Kataplasma leistet unter Anderem dieselben Dienste. Einzelne Hypnotisirte 
ahmen auch Husten und Niesen mit Erfolg nach, und durch gewisse 
Methoden, besonders durch Auflegen der warmen Hand in die Nacken¬ 
gegend, innerhalb eines bestimmten Rayons, oder durch entsprechend 
locale Anwendung strahlender Wärme, durch starke sensible und akustische 
Reize, wird der Hypnotisirte schliesslich aus einem Nachahmungsautomaten 
auch in einen Phonographen umgewandelt, welcher alle ihm vorgespro¬ 
chenen Worte, natürlich auch in fremden Sprachen, mit monotoner Stimme 
wiederholt. — Geruchs- und Geschmacks-Hallucinationen hat der Vor¬ 
tragende bei einzelnen Individuen mit Sicherheit hervorrufen könneu. In 
eingehender Weise begründet derselbe seine Hypothese über das Zustande¬ 
kommen des merkwürdigen Symptomencomplexes, auf Grund der von ihm 
beobachteten Thatsachen und mit Zuhilfenahme anderweitiger patholo¬ 
gischer Erfahrungen dahin, dass es sich dabei um eine, durch die 
genannten Reize herbeigefiihrte Exaltation der infracorticalen und spinalen 
Centralapparate handelt. So erklärt sich ungezwungen die besondere von 
Hansen betonte Prädisposition derjenigen gesunden und muskelstarken 
Individuen, bei welchen diese Apparate eine besonders leichte, eben durch 
die Uebung allmälig erworbene Anspruchsfähigkeit besitzen. (Soldaten, 
Turner etc.) Die experimentell herbeigeftihrte Exaltation der spinaleu 
Reflexapparate bleibt bei den Hypnotisirten noch eine Zeitlang zurück, 
auch ausserhalb des hypnotischen Zustandes, wie dies Herr Heidenhain 
hervorgehoben hat. Diese hochgradige spinale Reflexerregbarkeit ist 
übrigens nicht allen Individuen eigenthümlich, sie scheint vorzugsweise 
für jugendliche Personen Geltung zu haben. 

Die Untersuchung in einer Reihe von Krankheitszuständen hat sehr 
interessante Ergebnisse geliefert. Hemiplegische können im anormalen Zu¬ 
stande Bewegungen ausführen, die im normalen Zustande für sie unmög¬ 
lich sind. Selbstverständlich ausgeschlossen ist die Bewegungsfabigkeit, 
sobald sich ihr mechanische Hindernisse (Contracturen) entgegenstellen. Die 
bekannten Erfahrungen über Mitbewegungen gelähmter Glieder bei cere¬ 
braler Hemiplegie; die bekannte Meynert’sche Lehre von der functioneilen 
Verschiedenheit der Leitungsbahnen des Hirnschenkelfusses und der Hirn¬ 
schenkelhaube (erstere die psychomotorische Bahn, letztere die Bahn der 
Reflexbewegungen) liefern die Erklärung für diese anfänglich höchst 
frappirende Thatsache. 2. Tabes-Kranke schwanken auch bei vollständiger 
hypnotischer Bewusstlosigkbit in gleicher Weise, wie ausserhalb dieses 
Zustandes, sobald die Augen geschlossen werden. Dies beweist, dass die 
Regulation unserer Bewegungen vermittelst des einfallenden Lichtes keine 
bewusste ist, d. h. dass sie nicht im corticalen Sehcentrum, sondern in 
den infracorticalen Seh-Apparaten (dem als wichtiger Coordinations Apparat 
allseitig anerkannten Vierhügel) vermittelt wird. Die Angabe in der 

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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


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Literatur, dass auch absolut amaurotische Tabiker das Romb erg sehe 
Phänomen darbieten, ist wohl nicht zutreffend; wohl aber wird dies 
möglich und verständlich sein bei solchen Kranken mit vorgeschrittener 
Sehnerven-Atrophie, die überhaupt noch Lichtempfindung haben. — Lässt 
man den hypnotisirten Tabiker eine Zeitlang mit geöffneten Augen im 
hellen Raume verharren, so zeigt er nach dem Erwachen aus der Hypnose, 
allerdings nur für ganz kurze Zeit, eine momentane, höchst auffallende 
Besserung seiner Coordinationsstörung, die wohl dadurch zu erklären ist, 
dass während des hypnotischen Zustandes der coordinatorisch wirkende 
Vierhügel gleichsam roborirt wird, da ja die Nebenschliessung zur Gross- 
Hirnrinde ausgeschaltet ist, oder wenigstens nicht in normaler Weise 
fungirt. Je nach dem Grade der spinalen Erkrankung und der dadurch 
gesetzten Leitungsunterbrechung wird sich dieses Verhalten bei differenten 
Fällen natürlich auch verschieden gestalten müssen. 3. Im hypnotischen 
Zustande können unter Umständen Individuen auch mit peripher gelähmten 
Gliedern eine grössere Energie der (Nachahmungs-) Bewegungen darbieten, 
als im wachen Zustande. 

179. Ueber die quantitative Bestimmung des Harnstoffes. I. Abth. 
Von E. Pflüger. (Archiv f. d. ges. Physiologie. Bd. 21, p. 248 bis 
286. Ref. d. Ctrlbl. flir klin. Medicin, 1880. I.) 

Wenige quantitative chemische Methoden haben für die klinische 
Medicin eine solche Bedeutung wie Liebi g’s Verfahren zur Titrirung des 
Harnstoffes mittelst Quecksilberlösung.— Pflüger zeigt nun, dass diese 
Methode, wenn sie nach Liebig’s Vorschrift so angewandt wird, dass 
man während des Zusatzes der Quecksilberlösung zum Harne von Zeit zu 
Zeit mit kohlensaurem Natron neutralisirt, erheblich zu kleine Harnstoff¬ 
zahlen liefert. Der Fehler beträgt wenigstens 14°/ 0 des Harnstoffes 
(meist mehr) und ist wesentlich dadurch bedingt, dass bei der Titrestellung 
fast die ganze zur Ausfällung des Harnstoffes nöthige Quecksilbermenge 
in einem Gusse zugesetzt und dann neutralisirt wird, während bei Prüfung 
des Harnes die beiden Reagentien alternirend zugefügt werden. In letz¬ 
terem Falle enthält aber der Niederschlag mehr Harnstoff auf dieselbe 
Menge Quecksilber. Um die stetige Methode, wie bei der Titrestellung, 
so auch bei der Titration des Harnes zu verwenden und so wirklich exacte 
Resultate zu bekommen, verfährt Pflüger wie folgt: Man lässt die 
Quecksilberlösung in die Harnstofflösung einfliessen und prüft von Zeit zu 
Zeit auf einer Glasplatte mit schwarzer Unterlage, ob ein Tropfen in 
Berührung mit einer Aufschwemmung von Natriumbicarbonat gelb wird 
und diese Farbe beim Umrühren behält. Erst wenn dies der Fall ist, 
neutralisirt man und hat man jetzt nur noch wenige Zehntel Cc. zuzu¬ 
fügen, um die gelbe Endreaction zu erhalten. Hat man nicht sehr rasch 
den richtigen Punkt gefunden, so muss die Bestimmung wiederholt werden. 
Zum Neutralisiren benützt man eine Normalsodalösung, die für diesen 
Zweck hinreichend genau nach dem specif. Gewichte (1*053) gestellt 
werden kann. — Man lässt die Sodalösung aus einer zweiten Bürette 
zufliessen und weiss ein ftlr alle Male, wie viel davon auf jeden Ccm. 
verbrauchter Quecksilberlösung zugesetzt werden muss. — Bekanntlich 
bedarf die Harnstoffbestimmung einer Correction, wenn die Lösung reicher 
oder ärmer an Harnstoff ist, als die normale. Bei Pflügers Methode 
ergibt sich diese Correctur, indem man das Volum der verbrauchten 
Quecksilberlösung von dem der Harnstofflösung subtrahirt und die Differenz, 
welche bei abnorm concentrirtem Harne natürlich ein negatives Vorzeichen 


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Mediciuisch-chirurgische Rundschau. 


hat, mit dem Factor 0*08 multiplicirt von der verbrauchten Quecksilber¬ 
lösung abzieht. Bei genauen Bestimmungen müssen stets ausser Sulfaten 
und Phosphaten auch die Chloride entfernt werden. Wegen der Methoden 
zur Herstellung der Lösungen muss auf das Original verwiesen werden. 

180. Wirkung des Branntweins und Weins auf die Verdauung. 

Von M. Leven. (Sitzung der Societö biologique vom 14. Februar 1880. 
Bull. Gen. de Therapeutique 1880, pag. 185.) 

Gibt man einem mittelgrossen Hunde 200 Gramm gekochtes Fleisch 
mit 75 Gramm Branntwein und tödtet man diesen Hund 5 Stunden darauf, 
so findet man im Magen die 200 Gramm Fleisch; der Nahrungsbissen 
ist intact; das Fleisch ist gar nicht verdaut; die äussere Fläche des 
Magens ist roth und congestionirt und man findet überdies 160 Gramm 
einer klaren durchsichtigen Flüssigkeit, schwach sauer (sie enthält per 
Liter 1*90 Gramm Salzsäure). Diese Flüssigkeit enthält kein Pepsin und 
man kann damit keine Verdauung bewerkstelligen. Sie ist wahrscheinlich 
das Resultat einer wässerigen Ausscheidung, herbeigeführt unter dem 
Einflüsse einer Erregung der Magenschleimhaut. Diese Flüssigkeit hat 
keine Spuren von Alkohol; also reizt Branntwein im Ueberschusse den 
Magen ohne irgendwie den Verdauungsprocess zu begünstigen. Trägt 
man die Magenschleimhaut ab, so gelingt es, mit der Membrana eubraucosa 
ebenso gut eine Verdauung herzustellen, wie mit der Schleimhaut selbst. 

Gibt man einem Hunde 200 Gramm Fleisch mit nur 25 Gramm 
Branntwein, so verhält es sich ganz anders ; man findet 5 Stunden her¬ 
nach nur mehr 50 Gramm Fleisch; der Magen ist ebenfalls congestionirt, 
aber in geringerem Grade als bei dem obigen Falle und man findet über¬ 
dies eine Flüssigkeit, die mehr Säure als die vorige hat, sie enthält per 
Liter 2*42 Gr. Salzsäure. Folglich bringt Branntwein in dieser Dosis 
eine Wirkung von grosser verdauender Kraft hervor. Macht man mit 
dieser Mucosa einen Verdauungsversuch, so reichen 2 Gr. davon hin, um 
5 Gr. Fibrin zu verdauen, während man im vorigen kaum 1 Gr. brauchte. 
Die Schleimhaut hat also im zweiten Experiment eine weniger grosse 
Verdauungsfähigkeit als im ersten. 

Wenn man zugleich mit 200 Gramm Fleisch 150 Gramm Wein gibt, so 
erreicht man dieselbe Wirkung wie mit 30 Gr. Branntwein. Gibt man 
300 Gr. Wein, so findet man 5 Stunden nachher nur noch 40 Gr. Fleisch 
und man braucht 3 Gr. Mucosa zur Verdauung von 5 Gr. Fibrin; die 
Säure der Flüssigkeit beträgt 4*50 Gr. per Liter. Der Branntwein und 
der Wein bethätigen also die Verdauung unter der Bedingung , dass sie 
nicht in allzu grossen Dosen gegeben werden. 

Gibt man einem Hunde 10 Gr. Branntwein, so wird nach P. Bert 
die Verdauung in ihrem Beginne verzögert. Würde also das Thier zwei 
Stunden nach der Ingestion getödtet, so wäre das alkoholisirte Thier 
hinter dem nicht alkoholisirten in der Verdauung zurück. Vermuthlich 
würde Leven dies in seinem zweiten Experiment constatirt haben, hätte er 
sein Thier um 3 Stunden früher getödtet. Aber es ist wahr, dass in einer 
späteren Stunde der alkoholisirte Hund dem nicht alkoholisirten voran 
ist. Daher wirkt Alkohol in schwachen Gaben nicht sofort günstig auf 
die Magenschleimhaut; er verzögert anfangs deren Wirkung auf das 
Fleiseh, jedoch, einmal aufgenommen, bewirkt er eine die Verdauung 
fördernde Nervenerregung. 0. R. 


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Meilicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Staatsarzneikunde, Hygiene. 

181. Ueber die Grenze der Nachweisbarkeit des Kohlenoxyd- 
gases. Von Dr. Walther Hempel. (Pharmac. Zeitg. 83.) 

Zum Nachweis des Kolilenoxydes ist die von Vogel angegebene 
Probe mittelst Blutes, was die Sicherheit und Einfachheit der Ausführung 
anbelangt, allen anderen vorzuziehen. Man verfährt hiebei in der Weise, 
dass man eine mit Wasser gefüllte Flasche in dem das Gas enthaltenden 
Zimmer entleert, 2—3 CG. eines sehr stark mit Wasser verdünnten Blutes, 
welches eben nur noch einen Stich in’s Rothe, dabei aber die bekannten 
Absorptionsstreifen im Spektroskope bei Reagensglasdicke deutlich zeigt, 
zusetzt und einige Minuten umschüttelt. Bei Kohlenoxydgehalt tritt dann 
sofort eine Farbenänderung in Rosa ein, auf Zusatz von einigen Tropfen 
Seliwefelammoniuras verschwinden die beiden Absorptionsstreifen nicht, 
während dieselben bekanntlich im kohlenoxydfreien Blut bei dieser Reac- 
tion durch ein breites verwaschenes Band ersetzt werden. Iliebei lassen 
sich nach VogeFs Angabe 0*25 Perc. Kohlenoxyd noch deutlich nacli- 
weisen, eine Steigerung der Empfindlichkeit durch Anwendung grösserer 
Luftvolume ist nicht erreicht worden. Es gelingt nach Versuchen, die 
vom Verf. angestellt worden sind, nicht, Gasgemischen, welche sehr ge¬ 
ringe Mengen von Kohlenoxyd enthalten, dieses vollständig mit sehr ver¬ 
dünnten Blutlösungen zu entziehen. Verf. versuchte daher die Lungen 
lebender Thiere, die Absorptions-Apparate von unvergleichlicher Vollkom¬ 
menheit darbieten und die Anwendung unverdünnten Blutes gestatten, zur 
Concentration des Kohlenoxydgases zu benützen, um so die Grenze des 
Nachweises weiter hinauszurücken. 

Als Versuchsthiere dienten Mäuse, welche in zwei mit den grössten 
Durchmessern gegeneinander stossenden Trichtern, die durch Ueberspannen 
eines weiten dünnwandigen Gummibandes mit einander zu einem doppel- 
conischen Raume vereinigt waren, den auf Kohlenoxyd zu prüfenden 
Gasen ausgesetzt wurden. Die Mäuse wurden durch Eintauchen in Wasser 
getödtet und durch Zerschneiden in der Herzgegend reichliche Mengen 
Blut aus denselben gewonnen. Das Koblenoxydhämaglobin wurde immer 
mit frischem, farblosem Schwefelammouium nachgewiesen, dasselbe hat vor 
dem weinsauren Eisenoxydul-Ammoniak den Vorzug, dass man bei ihm 
auch ohne Spectralapparat bei Spuren von Kohlenoxyd eine Verschieden¬ 
heit der Färbung der reducirten Lösungen leichter erkennt. 

Durch diese Versuche wurde festgestellt: dass man bei Verwendung 
grösserer Gasvolume, sowohl mit verdünntem Blute, als mit dem lebenden 
Thiere (Maus), Kohlenoxyd in einer Verdünnung bis zu 0‘05 Perc. mit 
Leichtigkeit ohne irgend welchen Zweifel nachweisen kann; dass die 
Grenze der Nachweisbarkeit mittelst einer Maus bei 0*03 Perc., im ver¬ 
dünnten Blute etwa bei 0*05 Perc. liegt; dass starke Vergiftungserschei¬ 
nungen von 0 05 Perc. an zu beobachten sind. 

Zur Untersuchung der Zimmerluft schlägt Verf. daher vor, sich der 
Vo ge Ischen Probe in der Weise zu bedienen, dass man wenige Cubik- 
centimeter ganz verdünntes Blut in einen Absorptionsapparat bringt und 
dann mindestens 10 Liter Luft hindurchleitet oder, was bequemer ist und 
einen schärferen Nachweis gestattet, dass man eine Maus in einer der 
gebräuchlichen haubenförmigen Drahtsiebfallen einige Stunden in dem 
Raume athmen lässt und dann ihr Blut untersucht. Auf Grund dieser 


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Medicinißch-chinirgische Rundeohan. 


Versuche und der Erwägung, dass Kohlenoxyd nicht wie Kohlensäure zu 
den unvermeidlichen Bestandteilen der Zimmerluft gehört, ist Verf. der 
Ansicht, dass man der von Vogel und neuerdings von Wolffhügel 
ausgesprochenen Ansicht, dass geringere Gehalte von Kohlenoxyd als 
0*25 Perc. vom hygienischen Standpunkt aus als unbedenklich anzusehen 
seien, nicht beitreten darf, dass vielmehr bei der Beurtheilung von Heiz¬ 
anlagen (ganz unabhängig von der Empfindlichkeitsgrenze der analytischen 
Methode) vom Standpunkt der Salubrität aus die Gegenwart von Kohlen¬ 
oxyd als unzulässig angesehen werden muss. 

182. Seharlacll und Milch. Von Dr. H. Airy. (The Brit. med. 
Journ. 1880. Nr. 994. Aerzt. Intellig. Bl. 1880. 5.) 

Im Sommer vorigen Jahres trat Scharlach in Fallowfe4d 
bei Manchester plötzlich und in ganz merkwürdiger Verkeilung der 
Fälle auf; in der letzten Woche des Juli erkrankten 2 oder 3 erwach¬ 
sene Personen an Erbrechen und Diarrhoe, eine davon auch an Hals¬ 
schmerzen; am 31. Juli erkrankte ein Kind an ausgesprochenem Scharlach 
und vom 3. August an binnen 36 Stunden 24, im Ganzen mit Einschluss 
von 9 Fällen mit zweifelhaften, prämonitorischen Erscheinungen 35 FäUe 
in 18 Familien binnen 14 Tagen. Das auffallendste Symptom war häu¬ 
figes Erbrechen und heftige anhaltende Diarrhoe, bei manchen Fällen war 
die Diarrhoe fast das einzige hervorragende Symptom; geringe Fieber¬ 
bewegung bei einem der ersten Kranken, einem Erwachsenen, schien 
deshalb im Zusammenhalte mit Erbrechen und Diarrhoe mehr auf ein 
irritirendes Gift als auf Scharlach zu deuten. — Die Untersuchung per 
exclusionem ergab nun, dass die ergriffenen Familien von einer bestimmten 
Farm mit Milch versorgt wurden, dass, nachdem binnen 36 Stunden 
24 Fälle auftraten, die Infection die gleiche Zeit, Ursache und Weise 
des Einwirkens hatte und dass einer der Melker der Farm in seinem 
Hause einen Enkel im desquamativen Stadium des Scharlachs liegen 
hatte. Es ist ganz unzweifelhaft, dass der Melker an seiner Hand oder 
seinen Kleidern den Infectionsstoff in die Farm brachte und derselbe 
nicht mit, sondern in der Milch verkeilt wurde. — Die Familien lassen 
sich in 3 Gruppen keilen: Die nördliche Gruppe bekam die Milch vom 
Wagen und einer Kanne, die südliche ebenso aus einer anderen Kanne 
und die dritte bezog sie direct von der Farm; die Gruppen waren nicht 
gleichmässig ergriffen; die 3. Gruppe bestand aus 11 Familien mit der 
Farm selbst, in 5 trat Scharlach auf, die anderen 6 bestanden aus Er¬ 
wachsenen; von der nördlichen Gruppe, 25 Familien, waren von 
14 Familien mit Kindern 10 ergriffen; die Südgruppe hatte unter 
30 Familien nur 2 sichere Fälle. Dieser Unterschied möchte sich da¬ 
durch erklären, dass die von dem inficirenden Melker herrührende Milch 
offenbar nur die eine Kanne vollständig füllte und die zweite Kanne wie 
gewöhnlich, in einer anderen (völlig unverdächtigen) Farm an der Strasse 
erst vollständig gefüllt wurde. Es war allerdings nicht mehr nachzuweisen, 
dass die erste Kanne an die nördliche Gruppe vertheilt oder welche 
Kanne auf dem Wege aufgefüllt wurde, das erstere hat als Annahme 
viel für sich. Die Infection der Milch fand wahrscheinlich am 2. August 
Morgens statt, so dass sich eine Incubation von ungefähr 48 Stunden 
ergibt. Vor dem 4. August war kein Scharlachfall in der Farm und 2 
von den 3 Melkern waren frei von jeder Möglichkeit einer Uebertragung. 
Airy bringt als Beweis seiner Annahme, dass die Milchinfection am 
2. August stattfand, die Thatsache bei, dass von 4 Kindern, erst ange- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


219 


kommen, welche an diesem Tage in der Farm selbst Milch tranken, ein 
Mädchen, das sehr viel genoss, an Scharlach erkrankte, von den 3 
anderen, die nur sehr wenig tranken, noch eines Fieber, aber ohne 
weitere Erscheinungen bekam. Aehnlich 2 von auswärts am 1. August 
eingetroffene Knaben erkrankten, nachdem sie sich 2 Tage aufgehalten 
und Milch von dieser Farm getrunken hatten, auf der Weiterreise. Die 
Infection durch den Darmcanal hat die kürzeste Incubation, circa 
36 Stunden. 

183. Ueber verdorbene Luft in Krankenräumen. Von A. Wer- 
nich. (Volkmann, Klin. Vorträge Nr. 179.) 

Verfasser prüft in der Einleitung den Werth der Lufterneuerung für 
die Salubrität der Krankenräume, indem er a) die quantitative Aen- 
derung der Luftmischung in der Weise wie sie ohne Belästigung des 
Kranken ausführbar ist, schildert. Die Lufterneuerungsfrage würde die 
dankbarste Aufgabe der ganzen Hygiene darstellen, wenn sie zu befreien 
wäre von jeder Beziehung zu b) den qualitativen Verunreinigungs¬ 
stoffen, welche der Luft in den Krankensälen beigemengt sind. Sie sind 
gasförmig oder staubförmig. Wendet man die Ansprüche an gute, 
unverdorbene Luft zunächst gegenüber den Gasen an, ist zu bedenken, 
dass nach den Diffusionsgesetzen ein fremdartiges Gas, wenn überhaupt 
in einem Raume dauernd erzeugt, auch im lebhaftesten Luftstrome dieses 
Raumes in minimaler Menge vorhanden sein wird. Es wird nicht weg¬ 
geführt, sondern nur verdünnt. Doch besitzen wir bis jetzt kein Mas 
für das Quantum, in welchem jedes der fremdartigen Gase unsere Ge¬ 
sundheit zu schädigen im Stande wäre. Wie man von Schwefelwasserstoff, 
von den Ammon- und gewissen Kohlenstoffverbindungen experimentell das 
noch von Thieren ertragene Quantum gefunden hat, Hessen sich derartige 
Ermittelungen wohl auch für einen grossen Theil augenblicklich noch 
nicht toxicometrisch untersuchter Gase denken. Leider wissen wir aber 
gar nicht, gegen welche heterogene Luftmischungselemente wir uns in jedem 
AugenbUck zu schützen haben. Die Hygieniker sind über diesen Punkt 
in zwei Lager getheilt. Die Einen nehmen mit Pettenkofer den Kohlen¬ 
säuregehalt der vom Menschen verathmeten Zimmerluft als Massstab auch 
für die Anhäufung der anderen Gase an und nehmen alle Verunreinigungen, 
gleichviel von welcher Qualität, als erträglich hin, solange sie nicht über 
einen bestimmten Kohlensäuregehalt hinauskommen. Die Anderen dagegen 
sagen: „Wir können uns auf Erwägungen über das Mass, in welchem 
so vielfach gemischte und theil weise noch so unbekannte Gase gefährlich 
wirken, gar nicht einlassen; wir wünschen eine völlig geruchlose 
Luft, welche ausserdem so beschaffen sein soll, dass sie nach vielfacher 
Erfahrung den betreffenden Personen angenehm und auf die Dauer nicht 
nachtheilig ist. 44 

Verfasser erinnert nun, dass die Bildung sehr bedenklicher fremd¬ 
artiger Gase nicht mit der Anhäufung der Kohlensäure parallel geht, 
andererseits hat auch Pettenkofer die Grenzwerthe für den Kolilen- 
säuregehalt einer guten Zimmerluft nicht mit Bestimmtheit angegeben und 
selbst bei 100 K.-M. Luftzufuhr pro Kopf und darüber, wurden in Spi¬ 
tälern noch üble Gerüche verspürt. Man hat schliesslich die Erfahrung 
zu Hilfe nehmen wollen und die Lufterneuerung per Stunde und Kopf in 
den Spitälern immer mehr und mehr gesteigert. Dem gegenüber betont 
Verfasser: „Streng genommen hören die Ventilationsanforderungen bereits 
da auf, rationell zu sein, wo sie sich mit anderen Aufgaben in Beziehung 


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220 


Medicinisch-chirurgiscke Rundschau. 


setzen als mit rein quantitativen. Die Annahme, dass nicht messbare 
oder nicht gemessene fremdartige Gasarten in gleichem Grade durch neue 
Luft verdünnt werden, wie die messbare Kohlensäure, beruht bereits auf 
einem nicht zu erweisenden Schluss aus der Analogie. Die vom Geruchs¬ 
organ hergenommenen Kriterien und Postulate sind absolut unwissen¬ 
schaftlich. Die Erfahrung endlich lehrt, dass Kohlensäuremessung und 
Gestank mit den allergefUhrlichsten und gefürchtetsten Krankenhaus¬ 
epidemien in keinem directen Zusammenhänge stehen. 

Es ist deshalb das dringendste Bedürfniss im Bereich der Krankenhaus¬ 
hygiene, das Verhältniss der Krankheitsstoffe principiell zu revidiren und 
zu fragen: Was kann eine ergiebige Lufterneuerung den Krankheitsstoffen 
gegenüber leisten? Die entscheidendste Anregung zu dieser Frage hat 
Nägeli gegeben durch seine lichtvollen und, wie Verf. glaubt, unwider¬ 
leglichen Beweise dqs Satzes: die Infectionsstoffe sind orga- 
nisirte Materien und nicht gasförmig. 

Wenn die Ansteckungsstoffe nicht gasförmig sind, wenn sie vielmehr 
zu den staubförmigen Luftverunreinigungen gehören, so entsteht das neue 
Problem, dass wir sie, mögen sie noch so schwer zu fangen, noch so 
winzig, noch so arm an Merkmalen sein, nicht erst an ihren Früchten 
erkennen sollen, sondern dass wir nach ihnen selbst suchen müssen. Wie 
man schon früher andere vermuthliche Fundorte: den Körper des Kranken, 
seine Bedeckungen, seine Wundexcrete und Verbandstücke, seine Ent¬ 
leerungen und den mit ihnen verunreinigten Boden, die von ihm nur 
berührten Dinge und endlich seinen Leichnam durchforscht hat, so wenden 
wir uns, nachdem wir wissen, dass auch sie allerlei Greifbares und 
Körperliches im Staube beherbergt, mit alten und neuen Sinnschärfungs¬ 
mitteln auch an die Luft. Verf. schildert nun die Geschichte der 
Keimentdeckungen in der Luft, indem er die Arbeiten Ehrenbergs, 
Pasteurs u. A. erwähnt und dann die Methoden, welche bisher ange¬ 
wendet wurden, um besondere charakteristische Krankheitspilze aus der 
Luft von Krankheitsräumen aufzufangen. Es werden nun die diesbezüglichen 
Arbeiten von F. Cohn, Dr. Miflet lind Verfasser besprochen, über 
welche wir auf das Original verweisen. 

Verf. fasst die Ergebnisse der von ihm ausgeführten Luftverunrei- 
nigungsversuche in folgendem Punkte zusammen: 

1. Eine ruhende mehr oder weniger klebrige Flüssigkeit gibt in 
ihr befindliche Mikroorganismen auch dem stärksten Luftstrom nicht lier. 
Aus ihr an die Innenfläche eines Gasbehälters allmälig antrocknende 
Rückstände werden durch ebenfalls sehr starke Ströme nicht von der 
Glasfläche losgerisseu. 2. Bildet sich bei der Bakterienzersetzung auf einer 
Flüssigkeit Schaum in grosser Menge, so genügen schon Luftströmungen, 
welche durch ungleiche Erwärmung der Apparate entstehen, um Schaum- 
theilchen loszureisen uud in die concipirende Nährflüssigkeit überzuführen. 
Schwer geschieht diese Ueberwanderung aus stark zuckerhaltigen, leicht 
aus mehr wässerigen, stark verdünnten Bakterienflüssigkeiten. 3. Saugt 
man durch eine in bakterienhaltige Flüssigkeit tauchende Röhre Luft an, 
so dass die letztere in Blasen aus der Flüssigkeit austritt, so empfangt 
eine in einiger Entfernung über dem Niveau der Flüssigkeit offenstehende 
zweite Glasröhre aus den zerplatzenden Luftblasen ein genügendes Quantum 
bakterienhaltiger Fltissigkeitstheilchen, um eine ihr am unteren Ende vor¬ 
gelegte Nährlösung zu inficiren. 4. Ein starker Luftstrom, der eine mit 
schleimigem Micrococcusüberzuge bedeckte Oberfläche bestreicht und dann 
auf disponirte Nährflächen geleitet wird, trocknet, stundenlang unterhalten, 


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Medicinisch-chirurgisclie Rundschau. 


2J1 


eircumscripte Stellen dieser Oberfläche aus und reisst von diesen Stellen 
Keime mit, so dass dieselben auf einer frischen Conceptionsfläche zur 
Entwicklung kommen. Hält man jedoch durch Einschaltung eines Wasser¬ 
apparates die bestrichene Oberfläche constant feucht, so bleibt die Infec- 
tion aus. Gleich negativ ist der Effect, wenn starke Luftströme von 
solchen Flächen herkommen, auf denen die Microcoecen eine feste com¬ 
pacte Kruste bilden. 5. Von compacteren Substanzen, wie Draht, Holz 
fauch wie schon erwähnt von Glas), auf welchen bakterienhaltige Men- 
struen zu Krusten eingetrocknet sind, vermögen auch sehr starke Luft¬ 
ströme Keime nicht loszulösen. Dagegen überliefern poröse Substanzen: 
Watte, W r olle (schwerer gewebte Baumwolle und Seide), Filtrirpapier, 
ganz besonders leicht auch Bimstein, die mit bakterienhaltigen Flüssigkeiten 
getränkt und dann langsam getrocknet wurden, die in ihnen verwahrten 
Bakterienkeime auch mässig schwachen Luftströmungen. 6. Trocken pul- 
verisirte Bakterienkrusten inficiren die über sie fortgeführten Luftströme 
um so leichter und sicherer, je feiner der Staub ist, der aus ihnen 
bereitet wurde. 

Der im geschlossenen Raume eben noch zu gestattende Luftstrom 
von l l /2 M. pro Secunde genügt vollkommen, um verstaubende Bak- 
teriencolonien in Bewegung zu setzen, und man ist somit vor die Frage 
gestellt: Entfährt dieser Luftstrom die mitgenommenen Stäubchen in die 
unendliche freie Atmosphäre, oder trägt er sie nur von Bett zu Bett, von 
der Thür auf die entgegengesetzte Wand, vom Boden auf die Wand und 
die Decke, trägt . er sie wohl gar in benachbarte Räume oder in nahe¬ 
liegende andere Gebäude! 

Hieraus folgt zunächst, dass eine Desinfection des aus bedenklichen 
Krankenräumen austretenden Luftstromes ebenso nöthig als ausführbar ist. 
Letzteres geschieht dadurch, dass man den Luftstrom von den schädlichen 
Körperchen, die er mit sich fährt, befreit, ihn etwa nach Listerschen 
Principien von Bakterienkeimen durch dichte Wattevorlagen frei siebt. 

In Betreff der Wirkungen des Luftstromes im Krankenraume selbst 
wird man nach W e r n i c h das Hauptvertrauen auf die aöromotorische 
Kraft der Ventilationsströme zu setzen haben. Sind dieselben in der Weise 
mangelhaft geordnet, dass sie von Zeit zu Zeit erlahmen, dass also dem 
im Bewegung befindlichen Staube die Ruhe gegönnt wird, sich abzusetzen, — 
stellen sich etwa gar noch dem Luftstrom Hindernisse entgegen in Form 
von Kanten, Simsen, vorspringenden Flächen jeder Art, existiren sogenannte 
todte Winkel, in denen er abgeschwächt wird oder ganz erlischt, so 
bleiben die schädlichsten Elemente im Raume und vollenden an Ort und 
Stelle ihr Schicksal. 

Verf. stellt daher als ein erreichbares Ziel einer wirklich ratio¬ 
nellen Lüftung jiicht eine unermessliche und bald nicht mehr zu leistende 
Gasverdtinnung auf, sondern eine möglichst vollkommen gleichmässige 
Bewegung des Ventilationsstromes, seine Abführung auf freien, nicht von 
Staubfängen unterbrochenen Wegen und seine Befreiung von Staub mittelst 
Siebe Verfahrens, wenn er aus Kranhenräumen tritt, die aller Vermuthung 
nach einen mit Infectionskeimen überladenen Staub liefern. In Rücksicht 
auf die Lehre Nägeli’s, muss man von einer rationellen Hygiene 
auch fordern, dass kein poröser Gegenstand, also kein gewebtes Zeug, 
kein Bett, keine Matratze etc. im Krankenraum ausgestaubt werde; sie 
wird fär die Staubreinigung des Fussbodens, der Möbel, Oefen, 
Wände auf der Anwendung nasser Tücher bestehen, sie wird das Ab¬ 
kratzen der Mauern nur bei Anwendung eines starken Sprays zulassen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Gleichzeitig duldet sie ebensowenig wie alte Schwämme und gebrauchte 
staubende Verbandmittel, schaumigen Excrete verdächtiger Kranker 
im Raume und wird es vorteilhaft linden, abschuppende Kranke mit 
feuchten Umhüllungen zu versehen. Loebisch. 


184. Ueber die Sterblichkeit Reicher und Armer. Von Dr. 0. 
R. Drysdale, Oberarzt am Metrop.-Free Hospital in London. (Nach 
einem Vortrage, gehalten in der Londoner medicinischen Gesellsch. 1879, 
27. October. Memorabilien. 1880. 2.) 


Schon vor vielen Jahren schien es Redner, der ärztlicher Angestellter 
(medical officer) mehrerer Armenanstalten war, dass ein sehr erheblicher 
Betrag der Krankheiten und der Mortalität der ärmsten Classen fast ganz 
der unglücklichen Stellung zuzuschreiben sei, in welcher sich viele Mit¬ 
glieder jener Classen in Bezug auf Nahrung, Obdach, Kleidung und 
andere Erfordernisse befinden, welche zu einem gesunden Dasein in 
nördlichen Klimaten erforderlich sind. Dieselbe Beobachtung wurde gewiss 
sehr oft von allen jenen medicinischen Forschern gemacht, welche viele 
Arme gesehen haben; nach D.’s Meinung ist bis jetzt zu wenig genaues 
statistisches Material zu dem Zweck gesammelt, um uns in den Stand 
zu setzen, das deutlich zu sehen, was er anzunehmen geneigt ist: dass 
die durch niedrigen Lohn verursachte Armuth die bei weitem wichtigste 
Ursache vorzeitigen Todes und das alleinige Hinderniss aller sanitären 
Verbesserungen ist. 

Es ist zweifellos wahr, dass während der letzten drei oder vier 
Jahrhunderte ein grosser Fortschritt in der Herabsetzung des Mortalitäts¬ 
verhältnisses in den europäischen Staaten gemacht ist; diese Behauptung 
wird im hohen Grade dadurch unterstützt, dass wir wissen, in der Stadt 
Genf betrug die wahrscheinliche Lebensdauer (das heisst, das Alter, 
welches die halbe Anzahl aller Geborenen erlebt) im 16. Jahrhundert 
nicht mehr als fünf Jahre, während das Durchschnittsalter der Lebenden 
nur 18 1 / 2 Jahre betrug. Im 18. Jahrhundert ist die wahrscheinliche 
Lebensdauer auf 27 1 / 2 Jahre gestiegen, während das Durchschnittsalter 
der Lebenden auf 32 1 / 5 Jahre sich erhöht hat. 

England hat eine ähnliche Geschichte gehabt; während der ersten 
Jahrzehnte dieses Jahrhunderts trat ein rapider Abfall der Mortalitäts¬ 
ziffer ein. Aber es ist bemerkenswerth, dass während der letzten 30 oder 
40 Jahre kein wahrnehmbares Sinken der Sterblichkeit stattgefunden hat, 
und zwar zu einer Zeit, in der mehr als in irgend einer früheren Periode 
an Capital, Arbeit und Intelligenz auf die Drainage und Reinigung unserer 
Städte verwandt ist. 

D. citirt London als Beispiel. Trotz aller Fortschritte, welche 
kürzlich in dieser wunderbar gesunden Stadt gemacht sind, finden wir, dass 
die Mortalitätsziffer 1856 22*2 per 1000 betrug, 1876 aber 22*3 und 
1877 etwa 23 (Vacher). Und wenn wir unsere Blicke auf England 
richten, finden wir, wie Dr. Fergus auf dem Cork-Meeting der British 
Medical Association nachwies, dass die Sterblichkeit in England und 
\VaIes in den Jahrzehnten von 1841—1850, 1851—1860 und 1861 bis 
1870 völlig die gleiche war, nämlich 22*35 auf 1000. 

Der Punkt, bei welchem D. beharren und aufklären will, ist, dass 
der Stillstand der Verbesserung der Mortalitätsziffer in der Masse von 
Dürftigkeit begründet ist, welche jetzt wie immer die alleinige Ursache 
frühzeitigen Todes in allen dicht bewohnten und civilisirten Staaten ist. 
Der ausgezeichnete Pariser Arzt M. Villerme und mehrere seiner 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


223 


hervorragenden Mitarbeiter an den Annales d’Hygiene publique haben 
diese Schlussfolgerung durch mehrere werthvolle Thatsachen gestützt. 
Man hat z. B. gefunden, dass in Frankreich Personen im Alter zwischen 
40 nnd 45 Jahren, wenn sie sich in guten Verhältnissen befinden, im 
Yerhältniss von 8 # 3 zu 1000, Arme dagegen im Verhältnis von 18*7, 
also mehr als doppelt so viel, sterben. Ferner fand man, dass in Paris 
von 1817—1836 im 12. Arrondissement, welches vorzugsweise von 
Armen bewohnt war, ein Todesfall auf 15, dagegen in dem hauptsächlich 
von Reichen bewohnten 2. Arrondissement erst einer auf 65 Einwohner 
kam. Josef Garnier erwähnt, dass 1817 in gewissen Quartieren 
Manchesters das Durchschnittsalter der lebenden nur 17 Jahre, in 
anderen aber 42 Jahre betragen habe. Dr. Villerm6 fand vor einigen 
dreissig Jahren, dass die wahrscheinliche Lebensdauer des Kindes eines 
Mühlhausener Webers nur 1 V a Jahre, die des Kindes aus der Fabrikanten- 
Classe dagegen 26 Jahre betrug. Edwin Chadwick, früher Chef des 
ersten allgemeinen Gesundheitsamtes in England, schreibt in einer von 
ihm 1877 geschriebenen Broschüre über die „Wohnungen der Lohn¬ 
arbeiter“ : „Eine Mortalitätsziffer, die das Mittel aus den Ziffern. der 
ganzen Bevölkerung ist, muss fast stets eine irreführende und falsche 
sein. Ein Subdistrict Londons enthält z. B. in guten Verhältnissen be¬ 
findliche Häuser, in denen die Mortalitätsziffern nicht höher als 11‘3 zu 
1000 ist, während in daran grenzenden Wohnungen desselben Subdistricts 
die Mortalitätsziffer alljährlich auf 38 sich beläuft. Das Mittel beider ist 
eine falsche Darstellung der Verhältnisse. Wir haben Berichte, dass in 
gewissen Gegenden Londons die Mortalitätsziffer alljährlich mehr als 50 
auf 1000 beträgt.“ Dann verweist E. Chadwick auf einen wichtigen, 
von der Sanitätscommission der Hauptstadt abgestatteten Bericht über 
das Jahr 1843, in welchem die Sterblichkeit 24 zu 1000 betrug; er 
lautet so: „Ein Studium der gewöhnlichen Form der Berichte über das 
Verhältniss der Todesfälle zu den Lebenden aller Classen wird zeigen, 
eine wie wenig nützliche Belehrung man daraus schöpfen kann im Ver¬ 
gleich zu dem folgenden Bericht für das genannte Jahr: 


1 

Percentver- 
h&ltDiss der 
durch Epide¬ 
mien bewirk¬ 
ten zn sämmt- 
lichen Todes- 
j fällen : 

Verhältniss d. 
Todesfälle v. 
Kindern unter 
t Jahr zn den 
Geburten des 
Jahres: 

Percentver- , 
hältniss der 
Sterblichkeit 
von Kindern 
unter 10 Jah¬ 
ren zn der ge¬ 
summten 
Sterblichkeit 
jeder Classe: 

Mittleres 
Alter aller 
Gestorbener 
(Männer, 
Weiber nnd 
Kinder): 

Mittleres 
Alter aller 
über 21 jährig 
Gestorbenen: 

Vornehme, ge¬ 
lehrte Berufs- 
stinde u. ihre 
Familien 

6-5 

1 

j 1: 10 

24*7 

44 

61 

Handelsleute, 
Krämer n. ihre 
Familien 

' 20 6 

1:6 

50*4 

23 

50 

Lohnarbeiter, 
Handwerker, 
Arbeiter und 
ihre Familien 

1 222 

1:4 

! 

54-5 

22 

49 


Diese wichtige Statistik erscheint fast genügend, die Behauptung 
D.’s zu beweisen, dass die durch niedrige Löhne verursachte Angjqtfc die 
Hauptnrsache frühen Todes ist; aber die neuere durch Ch. A^neel \ jpn. 


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224 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


gesammelten und 1874 veröffentlichen Daten sind noch beweisender, 
zumal da sie mit so vielen interessanten Details ausgestattet sind. Herr 
Oh. Anseil jr. unterzog sich vor einigen Jahren in seiner Eigenschaft 
als Actuar der National Assurance Company der ungeheuren Arbeit, durch 
ausgesandte Circulare über nicht weniger als 48.044 Kinder der wohl¬ 
habenden Classen in England und Wales (den juristischen, geistlichen 
und medicinischen Beruf sowie den höhern und niedern Adel umfassend) 
Nachrichten einzuziehen. Im Jahre 1874 veröffentlichte er sein bemerkens- 
werthes Werk „Statistik der Familien der oberen Classen und gelehrten 
Berufsstände“, aus welchen D. einige seine Thesen unterstützenden Sätze 
citiren will. 

Herr Anseil stellte fest, dass von den Kindern der reichem 
Classen Englands im ersten Lebensjahre nur 80*45 von 1000 sterben. 
Im Generalregister-Bericht wird gezeigt, dass in der Gesammtbevölkerung 
Englands etwa 150 Kinder von 1000 im ersten Lebensjahre sterben; 
wir finden, dass das Verhältniss für ganz Liverpool auf 188 : 1000 
w r ächst. Hienach kann man es leicht verstehen, dass der Bericht der 
Sanitäts-Commission unter den Lohnarbeiter-Classen Londons das Mortali- 
tätsverhältniss auf 250 : 1000 angibt und dass in einigen Städten das 
Sterblichkeitsverhältniss unter den Armen auf 333 : 1000 wächst, ja dass 
sogar in Berlin und anderen deutschen Städten bis''500 von 1000 aller 
Geborenen im ersten Lebensjahre sterben (Stille). Sodann zeigt Herr 
An seil, dass im Alter von 1—5 Jahren unter den Reichen 46*84 Todes¬ 
fälle, in der ganzen Bevölkerung aber 113*69 auf 1000 entfallen. Herrn 
Ansei Ts Tabellen zeigen ferner, dass unter den reichen Classen von 
100.000 Geborenen im Alter von 21 Jahren noch 80.000 leben, unter 
der Gesammtbevölkerung nur 65.750. Seine Tabellen zeigen auch, dass 
im Alter zwischen 20 und 40 unter den Reichern 125*52 auf 1000 
sterben, in der Gesammtbevölkerung 124*17; und zwischen 40 und 60 
von den Reichen 147*74, von der Gesammtbevölkerung 168*76 von 
1000. Das mittlere Alter beim Tode ist nach Ansell’s Tabellen in 
England und Wales jetzt bei den reichern Classen 55 Jahre: eine be¬ 
trächtlich höhere Angabe, als die schon citirte der Sanitäts-Commission 
von 1843 (44 J.). Seine Tabellen zeigen auch, dass von 100.000 unter 
den Wohlhabenden Geborenen im 60. Lebensjahre noch 53.398 leben, 
während nach Farr’s Tabellen nur 36.983 dieses Alter erreichen. Ein 
Ueberschlag Ansell’s, den D. beim ersten Erscheinen seines Werkes 
notirte, zeigt die überaus grosse Wichtigkeit des Umstandes, von wohl¬ 
habenden Eltern geboren zu sein. Es scheint, dass 1873 in England und 
Wales 368.179 Personen im Alter von unter 60 Jahren starben; AnseII 
berechnete nun, dass, wenn die Sterblichkeit der Gesammtbevölkerung 
nur so gross, wie bei den oberen Classen gewesen wäre, nur 226.040 
gestorben sein würden. Also zerstört die Armuth in einem Jahre allein 
in England und Wales 142.130 Leben. 

Eine bemerkenswerthe Bestätigung der Berechnungen Ansei Ts hat 
neulich die officielle Statistik Neu-Seelands geliefert. Arbeitslohn und 
Capitalprämie sind in jenem Lande mehrere Jahre hindurch so hoch 
gewesen — während der Preis des Fleisches, welches D. als eines der 
ersten Erfordernisse civilisirter Nahrung hält, nur 3 Pence per Pfund be¬ 
trägt und Mehl nur etwa 3 Schillinge per Bushel kostet — dass der 
ungeschickteste Arbeiter in den Stand gesetzt war, für sich und seine 
Familie ein 8ehr reichliches Mass von Nahrung, Kleidung und Obdach 
mit Sicherheit zu erlangen. Daher hat Neu-Seeland gegenwärtig bei einem 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


225 


sehr hohen Geburtsvei hältniss von 41 :1000 das fast unglaublich niedrige 
Mortalitätsverhältmss von 12*5 : 1000. Dies verdankt es natürlich nur 
der Abwesenheit jeglicher dürftigen oder schlecht genährten Volksclassen. 
Hätten England und Wales jene Sterblichkeit, so würden alljährlich 
230.000 Leben erhalten bleiben. Nebenbei bemerkt, können diese Ziffern 
vielleicht denen, welche den Alkohol für die Hauptursache des Todes und 
der meisten Uebel dieses Landes halten, zeigen, dass sie eine im Uebrigen 
wichtige Wahrheit sehr übertreiben. Wahrscheinlich nimmt der neusee¬ 
ländische Arbeiter an ebenso viel oder noch mehr von diesem sogenannten 
Luxus Theil, als wenn er zu Hause wäre; und doch lebt er dort fast 
zweimal so lange, als er in diesem Lande leben würde. 

Der grösste britische Schriftsteller über Logik, welcher jetzt lebt, 
Herr Alexander Bain macht in einem ausgezeichneten Aufsatz über die 
Constituenten des Glücks folgende Bemerkung, welche von der soeben 
citirten Statistik gerechtfertigt wird: „Das erste Erforderniss des Glücks, 
die Gesundheit, ist in den niedrigsten Graden selbst des respectablen 
Bürgerthums sehr unvollkommen gesichert. Die öffentlichen Register haben 
gezeigt, dass die Mortalität und Krankheiten mit jeder Stufe in der Skala 
des Reichthums sich vermindern.“ 

D’Espine bemerkt in den Annales d’Hygiöne, dass die sogenannte 
Sterblichkeit verschiedener Gewerbe nur ein anderer Name für Armuth 
ist; und Dr. Thouvenin kommt in einem Artikel über den Einfluss der 
Gewerbe auf die Gesundheit zu dem Schluss, dass mit Ausnahme des 
Baumwolle-Klopfens, des Sortirens und Kämmens von Seiden-Cocons, des 
Mahlens von Bleiweiss und eines oder zweier anderer Gewerbe industrielle 
Beschäftigungen keine direct schädliche Wirkung auf die Arbeiter-Gesund¬ 
heit ausüben. Er sucht den Ursprung der Gesundheitsverschlechterung 
der städtischen Lohnarbeiter und ihrer grösseren Sterblichkeit in Mängeln 
ihrer Wohnungen, in angeerbten und Hautkrankheiten, venerischen und 
tuberculösen Leiden, in übermässiger frühzeitiger Arbeit und der dürftigen 
Beschaffenheit und schlechten Qualität ihrer Nahrung, in der Unregel¬ 
mässigkeit ihres Lebens vor völliger Reife und endlich in der Trunksucht. 

Die Summe dieser Ursachen ist nur ein anderer Name für Armuth, 
und D’Espine zeigt auch, was D. bestätigt gefunden, dass, während 
bei den reichen Classen unter 1000 Todesfällen 68 auf Tuberculose 
kommen, bei den Armen 230 von 1000 Todesfällen auf diese Krankheit 
kommen, welche so oft durch schlechte Ernährung in früher Jugend ver¬ 
ursacht wird. Die Rhachitis prävalirt nach Dr. W. Jenner besonders 
unter den Kindern solcher Armer, welche grosse Familien haben und ihre 
Kinder also schlecht ernähren. 

In Bezug auf die Phthisis richtete Dr. Edward Smith, dessen 
früher Tod ein so schwerer Verlust für die hygienische Wissenschaft war, 
an 1000 seiner an dieser Krankheit leidenden Patienten eine Reihe von 
Fragen und fand, dass die Zahl der von den Eltern erzeugten Kindern 
im Durchschnitt nicht weniger als 7*5 betrug. Es ist sehr begreiflich, 
wie die schlechte Ernährung in der Kindheit der unglücklichen Spröss¬ 
linge dieser Eltern den Mangel an Widerstandsfähigkeit hervorbrachten, 
welcher in Phthisis endete. Jener hervorragende Beobachter verbreitet 
auch in einem Aufsatz im sechsten Bericht der Gesundheitsbeamten des 
Privy Council helles Licht über die Art und Weise, wie Armuth früh¬ 
zeitigen Tod erzeugt. In einem Artikel über die Ernährung der arbei¬ 
tenden Classen stellt E. Smith als das Resultat seiner mühsamen Un¬ 
tersuchungen fest, dass die Nahrung der Seidenarbeiter nur 2 s. 2 d., 


Med.-chir. Rundschau. 1880 . 


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226 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


die der Nähterinnen 2 s. 7 d., der Strumpfwirker 2 s. 6Va d. und der 
Handschuhmacher 2 s. 7 1 / a d. wöchentlich kostet. Er fasst das Resultat 
seiner Untersuchungen folgendermassen zusammen: „Keine unter¬ 
suchte Classe wies einen hohen Grad der Gesundheit auf; am wenigsten 
gesund sind die Handschuhmacher, Nähterinnen und Spitalsfield-Weber. 
Der mittlere Betrag der Nahrung war zu klein für die Erhaltung der 
Gesundheit und Stärke.“ 

Durch diese Beispiele glaubt D. zur Genüge den Nachweis erbracht 
zu haben, dass Armuth die Hauptursache vorzeitigen Todes in solchen 
alten Ländern wie Europa ist. Wenn man also wünscht, die Mortalitäts¬ 
ziffer dieses Landes in einem irgend bemerkenswerthen Grade herabzu¬ 
setzen, so weise er darauf hin, dass wir uns nicht länger damit begnügen 
müssen, Pläne zur Drainage oder zu Muster-Wohnhäusern zu entwerfen, 
in denen einige Wenige unter Beihilfe von mildthätigen Miethzahlern leben. 

D. als Anhänger der M a 11 h n s’schen Theorie hält die „Ueber- 
völkerung“ für den einzigen Grund der Armuth, und kommt zum Schlüsse : 
„dass der einzige Weg, um in allen Staaten gleich dem unsern das Mor- 
talitätsverhältniss zu verringern, in der Herabsetzung der Geburtsziffer 
besteht, bis Fleisch und Mehl hier so wohlfeil wird, wie in unsern frucht¬ 
barsten Colonien.“ 0. R. 


Recensionen. 

185. Lehrbuch der Zahnheilkunde für praktische Aerzte und 
Studirende. Von Dr. Julius Sch eff, Zahnarzt in Wien. Mit 153 Holz¬ 
schnitten. Wien und Leipzig. Urban & Schwarzenberg. 1880. 

Im vorliegenden Werke hat Dr. Sch eff Beine reiche Erfahrung benützt, 
den praktischen Aerzten und Stndirenden ein höchst brauchbares Handbuch der 
Zahnheilknnde zn bieten. Dieses Lehrbach ist das erste Werk in Oesterreich, 
welches die Zahnheilkunde als vollständiges Ganzes behandelt; selbst in Deutsch¬ 
land ist erst im Jahre 1877 ein ähnliches Werk von Baume erschienen und 
seither kein zweites mehr, ja die eigentliche Zahntechnik finden wir in dentscher 
Sprache hier znm ersten Male ausführlicher in einem Lehrbuch behandelt. Die 
bisherige mangelhafte Vertretung der Zahnheilkunde in der deutschen ärztlichen 
Literatur ist nicht sowohl dem Mangel eigener Fachschulen, als vorzugsweise der 
ganz stiefmütterlichen Behandlung der Zahnheilkunde an den Universitäten sasa- 
schreiben; in England und besonders in Nordamerika, wo glänzende Specialschulen 
bestehen, hat man einem so hoch entwickelten Zweige der Chirurgie, wie es die 
heutige Zahnheilkunde ist, schon längst alle Aufmerksamkeit erwiesen, und eine 
reiche Fachliteratur geschaffen mit grosser Verbreitung, so konnte z. B. das Werk 
Über Zahnheilknnde von Harris schon im Jahre lb71 in zehnter Auflage er¬ 
scheinen. 

Dr. Sc he ff hat nun die erwähnte Lücke würdig auszufüllen gesucht und 
behandelt in seinem Buche den ganzen Stoff in einer Reihe von Capiteln , als 
da sind: Anatomie des Mundes und seiner Organe. Entstehung der Zähne. Ano¬ 
malien der Zähne. Caries der Zähne. Krankheiten der Pulpa. Reinigung der 
Zähne. Einfluss der Zähne auf Aussprache und Verdauung. Krankheiten des 
Zahnfleisches und der Mundhöhle. Neurosen. Krankheiten der Kieferknochen. 
Geschwülste in und an den Kieferknochen. Extraction der Zähne. Zahntechnik. 

Das Lehrbuch ist mit 153 hübschen Illustrationen ausgestattet, klar und 
fesselnd geschrieben, so dass man dessen Lectüre nur ungerne unterbricht. 

Die praktischen Aerzte werden Anregung und Belehrung finden; anderer¬ 
seits ist das Buch auch im operativen Theile so vollständig, dass selbst die Specia- 
listen Alles vorfinden, was praktisch verwerthbar ist. 

Es ist selbstverständlich, dass der Kritiker beim aufmerksamen Stadium 
eines Werkes hie und da Einiges findet, was er in anderer Weise gegeben hätte 
wie der Antor. So z. B. hätte die ungewöhnliche Reichhaltigkeit der Illustrationen, 


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Medicinisch-chirurgische RnndKäan. 


227 


▼eiche das Werk auszeichnet, auch gestattet, dass bei den Vorbereitungen znm 
Fällen der Zähne, S. 113, die Formen für die an fällenden Höhlen illustrirt worden 
wären, andrerseits gehört allerdings nicht viel Phantasie dazu, sich eine solche 
Füllhöhle vorzustellen. Bei den Gementen, S. 107 nnd 108, scheint uns der 
Unterschied in der Wirkungsweise, speciell der ätzenden Wirkung der Chlor-Zink- 
Cemente nnd Pyrophosphat-Zink-Cemente, nicht genügend scharf betont, doch 
finden wir Seite 172 erwähnt, dass erstere bei sensiblen Leuten heftig schmerzen, 
letztere nicht. Auch lassen sich für Mahlsähne die Kupfer-Amalgame mit Nutzen 
verwerthen, während wir uns mit der Verwendung der Naturzähne als Stiftzähne, 
trotz deren Vorzöglichkeit, nicht befreunden. Doch können diese Bemerkungen 
uns nicht hindern, die vorliegende Zahnheilkunde als ein in jeder Beziehung aus¬ 
gezeichnetes Werk anzuerkennen, dessen allseitige Verbreitung zum Wohle der 
Patienten und zum Nutzen der Aerzte sein wird. Der Preis des glänzend aus¬ 
gestatteten Werkes i«t äusserst billig. Dr. Bl aas 


186 . Pathologie and Therapie der Hautkrankheiten in Vor¬ 
lesungen für prakt Aerzte und Studirende. Von Prof. Dr. Moriz 
Kaposi. 2. Hälfte. Wien und Leipzig. 1880. Urban & Schwarzenberg. 

Die erste Hälfte des nunmehr vollendeten Baches hatten wir Gelegenheit, 
vor Jahresfrist (vgl. Med -chir. Rundschau März 1879) einer Besprechung zu unter¬ 
xieben and als ein gelungenes Werk in bezeichnen, das im Vereine mit der dem¬ 
nächst zu erwartenden zweiten Hälfte ein unentbehrliches Lehr- nnd Nachschlage- 
buch für jeden Praktiker bilden wird. Thatsichlich beweist die Lectöre der vor¬ 
liegenden zweiten Hälfte, die sowohl dem Gehalte nach, als auch in der Form 
and Diction in den Rahmen des ganzen Baches vollkommen passt, dass den ge¬ 
hegten Erwartungen in jeder Hinsicht entsprochen wurde, dass der Plan den 
ganzen Buches systematisch durchgeführt und zum Abschluss gebracht wurde, ln 
50 Vorlesungen von unter einander nicht wesentlich verschiedener Ausdehnung 
ist demnach die gesammte Materie der Dermatopathien zur Darstellung gebracht, 
in einer Weise, welche den Leser durch das ganze Labyrinth der zahlreichen 
Hautkrankheiten in fesselnder Sprache nnd deutlicher Auseinandersetzung geleitet. 

Auf den Inhalt der vorliegenden zweiten Hälfte speciell tibergehend, be¬ 
merken wir, dass die grosse Classe der „Exsndationen“, die im Ganzen auf mehr 
als 300 Seiten abgehandelt wird, hier ihre Fortsetzung findet. Den Reigen der 
Krankheitsformen eröffnet das Eczem, unstreitig eines der fBr den praktischen 
Arzt nnd seinen täglichen Beruf wichtigsten Capitel der Hautkrankheiten. Das 
vielgestaltige Bild, unter dem diese Derm&topathie anftritt nnd verläuft, liefert 
allerdings zumeist geringfügige diagnostische Schwierigkeiten, in einer ansehn¬ 
lichen Zahl von Fällen jedoch liegen so complicirte Verhältnisse vor, dass selbst der 
Geübte zur Benrtheilnng des vorliegenden Krankheitsfalles einer Beobachtungsfrist 
bedarf. Ebenso erfordert die Rücksicht auf die localen, ätiologischen und therapeu¬ 
tischen Momente eine Gewandtheit in der Untersuchung nnd Beobachtung desEczems 
nnd seines Verlaufes. Diese minder einfachen Umstände sind es nnn, welche nach 
klarer nnd leichtverständlicher Exposition aller auf den Process Bezug habenden 
Erscheinungen den Leser auf die richtige Fährte nnd so zu dem gewünschten 
Ziele geleiten. Die Abhandlung über Prurigo, Acne, Sycosis, die verschiedenen 
Pustel- und Blasenansschläge beschlossen die Classe der Exsudationen. Die nnn 
folgenden Classeo, nämlich die Hämorrhagieu, Hypertrophien, Atrophien und Neu¬ 
bildungen finden nicht allein in klinischer, sondern auch in histologischer Beziehung 
die entsprechenden Erläuterungen. Eine besondere Aufmerksamkeit ist dem bisher 
noch nicht ganz aufgeklärten Rhinosclerom und dem hochwichtigen Capitel Lupus 
gewidmet. An die Classe der Hantgeschwöre, unter welche auch der Schanker 
and seine Varietäten anfgenommen sind , schließet Verf. eine kurze Auseinander¬ 
setzung über die syphilitischen Exantheme, deren Charakteristik vornehmlich vom 
anatomischen Standpunkt zur Erörterung gelangt. Sehr ausführliche Schilderungen 
und therapeutische Anweisungen enthält — last not least — die Classe der para¬ 
sitären Pennatonoßen, bei welcher sowohl mit Rücksicht auf die pflanzlichen, als 
auch thierischen Parasiten der neueste Standpunkt der in rascher Fortentwicke- 
lang begriffenen Lehre vertreten wird. — Wir können unsere gelegentlich der 
Besprechung der ersten Hälfte dieses Buches gemachten günstigen Bemerkungen 
nach für das ganze Werk aufrechterhalten. Fügen wir noch hinzu, dass zur 
leichteren Auffassung der ganzen Darstellung 64 durchaus künstlerisch aasgeführte 
Holzschnitte beigegeben sind nnd dass auch ein ausführliches Autoren- und Sach¬ 
register nicht fehlt, so haben wir nur noch anzuf&bren, dass der gediegene Inhalt 
fies Baches za der Eleganz der Ausstattung desselben harmonisch stimmt. 

Grünfeld. 


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Medidnjsch^chirurgisjche Rundschau. 


187. Experimental Researches in pure, applied and physical 
Chemistry. By E. Frankland. London: John Van Voorst. 

Ein stattlicher Band von 1032 Seiten enthält die in chronologischer Reihe 
angeordneten Arbeiten des berühmten Forschers auf dem Gebiete der reinen, an¬ 
gewandten und physikalischen Chemie. Dieselben sind die Zeugen einer dreissig 
Jahre umfassenden wissenschaftlichen Th&tigkeit, welche um so höher au bewerthen 
ist, als Frankland zu den beneidenswerthen Chemikern gehört, denen es nicht 
nur gegönnt war, an den theoretischen Grundpfeilern der modernen chemischen 
Anschauung aufbauend mitzuwirken, sondern die vermöge ihrer wissenschaftlichen 
Bildung und Anlage auch andere Doctrinen mit der Leuchte der Chemie zu er¬ 
hellen im Stande waren. Unser auf dem Gebiete der chemischen Forschung so 
ungemein rühriges Zeitalter zählt denn auch nur wenige Namen, welche diesem 
Heroen der Wissenschaft an die Seite gestellt werden können. Der Verf. hat sein 
Werk dem Nestor der modernen Chemie, seinem Freunde und Lehrer Bunsen, 
gewidmet, „dessen Untersuchungen über das Cacodyl, über die Ga«e der Hoch¬ 
öfen und über vulcanische Erscheinungen auf Island er als Muster der Forschung 
in der reinen, angewandten und physikalischen Chemie betrachtet“. Während ich 
an anderer Stelle die Arbeiten Frankl an d’s auf dem Gebiete der reinen Chemie 
zu würdigen gedenke, will ich hier auf jene Capitel des vorliegenden Werkes ver¬ 
weisen, welche auch für die medicinische Wissenschaft von hervorragender Be¬ 
deutung sind. Zu diesen zählen: Der Einfluss des Luftdruckes auf die 
Verbrennung. Die diesbezüglichen, in einer 9 Jahre währenden Arbeit expe¬ 
rimentell erschlossenen Erfahrungen bilden bisher die wichtigste wissenschaftliche 
Grundlage, auf welcher therapeutische Untersuchungen über die Bedeutung der 
Höhen-Klimate und über die Wirkung verdünnter und verdichteter Luft auf die 
Oxydationsvorgänge im Organismus aufgebaut werden müssen. Wir weisen hier 
auf den interessanten, von Frank land im Vereine mit Tyndall ausgeführten 
Versuch hin, wo sechs Stearinkerzen einmal im Chamouny-Thale und dann auf 
dem Gipfel des Mont Blanc verbrannt wurden. 

Es verloren die Kerzen an Gewicht: In Chamouny . . . 9*4 Gramm per Stunde 

» » » „ * „ Auf dem Gipfel des 

Mont Blanc .... 9 2 „ „ „ 

Da die geringe Differenz der Verbrennuugsmenge durch den Temperatur¬ 
unterschied der Luft (21° C.) bedingt ist, folgt aus diesem Versuche: dass die 
Verbrennungsmenge der Kerzen ganz unabhängig vom Luft¬ 
druck ist. 

Nicht minder bedeutungsvoll ist das mit dem Titel: „Ueber die Quelle der 
Muskelkraft“ bezeichnete Capitel, in welchem die Betheiliguug Frankl an d’s an 
dem bekannten Versuch der Besteigung des Faulhorn von Fick und Wislic enus, 
spcciell die Ausführung der daran knüpfenden Bestimmungen der Calorien der 
Nährstoffe ausführlich geschildert wird. Erst seit diesen Untersuchungen wird 
angenommen, dass die stickstofflosen Nährstoffe, also die Kohlenhydrate, die Haupt¬ 
quellen jener Kraft bilden, welche in Muskelarbeit umgesetzt wird; ebenso dass 
es nicht nothwendig ist, dass die Nahrung zu einem organisirten Gewebe umge- 
. wandelt werde, damit deren Zersetzungsproducte als Muskelarbeit verwerthbar 
werden, für diesen Zweck genügt schon deren Verdauung und Assimilation io 
der Blutmasse. 

Die Klimatologen und Aerzte der klimatischen Cnrorte finden in Capitel 4, 
S. 960, welches über die Klimate handelt, die Grundsätze behandelt, welche 
der klhnatologisehen Würdigung eines Curortes zu Grunde liegen. Verf. führte im 
Winter 1873-—74 in Davos Temperatur - Beobachtungen aus, er erörtert die 
Ursachen der eigentümlichen klimatischen Verhältnisse daselbst, wobei er die Be¬ 
dingungen eines Winter-Curortes für Brustkranke aufstellt. 

Durch die Untersuchungen zur Analyse des Trinkwassers, ferner 
über die Reinigung von faulenden Wässern und von Sielwasser, hat 
sich der Verfasser nicht nur den Platz unter den ersten Hygienikern der Gegen¬ 
wart erobert, dieselben enthalten auch so zahlreiche Details für den ausübenden 
Chemiker, dass sie als Muster der Präcision in der Ausführung ähnlicher Unter¬ 
suchungen hingestellt werden müssen. 

Wir hoffen, dass die der wissenschaftlichen Ausübung der Medicin oblie 
gen den Leser unseres Blattes uns Dank wissen werden, dass wir sie auf die ge¬ 
sammelten Werke Frankl an d’s aufmerksam gemacht haben, umsomehr, als die 
hier angeführten Arbeiten durch ihr Erscheinen in verschiedenen in- und auslän¬ 
dischen Zeitschriften, die entweder vergriffen oder schwer zu beschaffen sind, 
bisher selbst den gelehrten Kreisen nur schwer zugänglich waren. Es ist aber 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


229 


zu wünschen, dass diejenigen, die es mit dem ärztlichen Fortschritte aufrichtig 1 
meinen, auch die Quellen kennen, aus denen wahre und echte Belehrung fliesst.' 

Die Ausstattung des 1032 Seiten starken Bandes ist' eine vorzügliche. 

Loe bisch. 

188. Lehrbuch der Pflege des menschlichen Körpers in gesunden 
und kranken Tagen. Ein Wegweiser zur Erreichung eines rüstigen 
Alters unter Vermeidung von Krankheiten. Für Gebildete aller Stände 
von Josef Lauterer, Doctor der Medicin etc. Freiburg im Breisgau. 
Herder’sche Verlagshandlung. 582 S. 12°. 1879. 

Jeder praktische Arzt kennt den Widerstand, den hie und da die Durch¬ 
führung eines oder des anderen Heilverfahrens durch die verschiedenen irrigen 
Anschauungen erfährt, welche über allgemeine hygienische Grundfragen noch 
in Laienkreisen herrschen. Es gibt noch zahlreiche Familien, wo neugeborene 
Kinder mit Mehlbrei gefüttert werden, wo ein Krankenzimmer nicht gelüftet wird, 
wo man die Kinder in der wannen Stube den Hals mit einem schweren Wolltuch 
bedeckt herumgehen lässt, wo fünfjährige Kinder als Declamatoren producirt 
werden — und so tausend ähnliche Dinge, die direct schädlich wirken. Der Macht¬ 
spruch des Arztes, welcher solche eingebürgerte Uebelstände abbestellen will, 
scheitert an der Zähigkeit der Familientradition in diesen Dingen. Am Kranken¬ 
bett einen hygienischen Vortrag halten, während die Angehörigen durch die Sorge 
für das Schicksal der Kranken aufgeregt sind, macht keinen guten Eindruck und 
nützt dem Kranken nichts. Besser wirkt, wenn man bei der Familie, deren ärzt¬ 
licher Pfleger man ist, schon bevor die Leute erkrankt sind, für Aufklärung und 
Verbreitung vernünftiger hygienischer Grundbegriffe Sorge tiägt. Zu diesem Zweck 
kann der Arzt einem Familieuvater oder einer gebildeten Mutter die Lecture einer 
populären Gesundheitspflege — wie die vorliegende — empfehlen, welche über 
die Pflege des menschlichen Körpers belehrt, ohne die Leser zu Quacksalbern 
zu erziehen nnd ohne sie zu verleiten, an sich und Anderen Cur zu pfuschen, ln 
dieser Beziehung wollten wir das angezeigte Werk als eine nach dem modernen 
Standpunkte des Wissens ebenso klar als bündig abgefasste Lecture besonders 
hervor heben. O. R. 

189. Die Errichtung pharmaceutischer Untersnchnngsboreans 
and das Gesetz gegen die Verfälschung der Nahrungsmittel etc. Von 
Benno Kohlmann, Apotheker. Leipzig. Verlag von Ambr. Abel. 1880. 

Die Ausführung des obengenannten Gesetzes vom 14. Mai 1879 verlangt 
die Errichtung von chemischeu Untersuchnngsbnreans zum Zwecks der Unter¬ 
suchung der Nahrungsmittel, Gennssoiittel und Gebranchsgegenstände. Verf. plai- 
dirt in der obgenannten 2U Seiten umfassenden Broschüre dafür, diese Unter¬ 
suchungen den Apothekern za übertragen. —sch. 

190. Die Desinfeotionsarbeiten auf dem Kriegsschauplätze der 
europäischen Tflrkei während des russisch - türkischen Feldzuges 
1877/78. Bericht über die Thätigkeit der russischen Commission zur 
A88ainirung der Von der Donauarmee besetzt gewesenen Theile der euro¬ 
päischen Türkei von Dr. Friedrich Erismann ans St. Petersburg. 
220 S. München 1879. M. Rieger sehe Universitäts-Buchhandlung (Gustav 
Himmer). 

Die vorliegende Schrift enthält die Darstellung einer nach den Grundsätzen 
der modernen Hygiene zum ersten Male versuchten systematischen Desinfection 
in Krankenanstalten und theilweise auch unter kriegführenden nnd von Fleck¬ 
typhus heim gesuchten Truppen. Der Verf., ein Schüler Pett enkofer’s, welcher 
als Leiter dieser Desinfectionsarbeiten auf dem Kriegsschauplätze wirkte, unter 
soeht hiebei in erster Linie, wie weit die Organisation der zu diesem Zwecke 
wirkenden Commission der Erreichung ihres Zweckes günstig war, und zweitens, 
ob anch die Richtung dieser Arbeiten , wie sie sich ans der Auffassung der 
Aufgabe ergibt, eine den Verhältnissen entsprechende gewesen ist. Der Werth 
dieser Schrift für Militärärzte, Sanitäts- und Verwaltungabeamte wird bedeutend 
durch den Umstand erhöht, dass der Verfasser, frei von jeder officieilen Schön¬ 
färberei, den Muth findet, die Zustände so zu schildern, wie er sie angetroffen 
hat, und zugleich jene Desiderate zu formuliren, welche er im Interesse der 
Hygiene auf dem Kriegsschauplätze für nothwendig hält. Nach einer kurzen Ein¬ 
leitung, in welcher die Bedeutung der hygienischen Massnahmen gegen die Ver- 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


breitung epidemischer Krankheiten hervorgehoben wird, behandelt der Verf. den 
Gegenstand in den folgenden Abschnitten: 1. Bestrebungen nur Organi¬ 
sation der Assainirungsarbeiten auf dem Kriegsschauplätze, 
die Entstehung unserer Commission. 2. Die Assainirungsarbei¬ 
ten in Rumänien und in Bulgarien nördlich vom Balkangebirge. 
3. Die Aasainirnngsarbeiten südl. vom Balkangebirge. 4. Schluss¬ 
betrachtungen. 5. Instruction zu den Desinfectionsarbeiten in 
Krankenanstalten im Felde. Indem wir zum Schlüsse betonen, dass die 
vorliegende Arbeit auf dem Gebiete der Kriegshygiene zu dem Besten gehört, was 
je veröffentlicht wurde, folgen wir vor Allem auch unserer Pflicht in Bezug auf 
die Wichtigkeit der Fragen, welche hier erörtert werden. G. R. 


Kleine Mittheilungen. 

191. Plötzlicher Tod bei Diabetes. (The Brit. med. Journ. 1879 
Nr. 983. Mttnch. ärztl. Intellg. Bl. 1880 Nr. 3.) 

In den Arch. gön£r. de Med. Dec. und Jan. 1877—78 hatte J. Cyr 
32 plötzliche Todesfälle bei Diabetes nach verschiedenen Quellen zusammengestellt 
und 5 ursächliche Momente unterschieden: 1. Acetonämie; 2. Hyperglycämie; 
3. Urämie und Erguss in die Hirnventrikel; 4. Atrophie des Herzmuskels und 
5. Gehirnanfimie. Von den 32 Fällen starben 21 comatös; bei keiner der wenigen 
Sectionen war eine directe Todesursache nachzuweisen. Dr. Foster spricht sich 
nach dem Befunde in drei Fällen för Acetonämie aus (Brit. med. Journ. 19. Jan. 1879); 
in einem Falle war das Aceton zwar nicht durch den Geruch wahrnehmbar, daa 
Blut rahmartig dick, die Blutkörperchen aber waren wie bei der Einwirkung von 
Aceton granulär zerfallen; übrigens verflüchtige sich das Aceton erst bei 100° F 
(ca. 3*° C) und könne erst dann durch den Geruch constatirt werden. Kussmaul 
(Deutsches Arch. f. klin. Med. 14 B.) spricht sich nach seinen Thierexperimenten 
und der therapeutischen Verwendung des Aceton gegen acute Acetonvergiftung 
aus, wohl aber für chronische mit Schwächung der Nervencentren. Die Thiero 
Kussmaul’s erholten sich sämmtlich wieder, selbst nach eingetretenem Coma, 
was doch gegen den Zerfall der Blutkörperchen wie ihn F o 8 t e r beschrieben, 
spricht. Foster hatte übrigens in einem Falle günstigen Erfolg mit der auf 
seine Annahme basirten Therapie: stündlich 2 Tropfen Carbolsäure mit Opium 
zur Beschränkung der Fermentbildung; er empfiehlt Salicylsäure oder Thymol. 
Für KussmaoTs Ansicht spricht der Umstand, dass nach Cyr der plötzliche 
Tod meist bei Patienten eintrat, welche nicht stricte die vorgeschriebene Diät 
befolgten , oder nach heftiger gemüthlicher Erregung oder ungewöhnlicher körper¬ 
licher Anstrengung Non aber berichten Hamilton und Sanders in Edinb. 
med. Journ. Juli 1879 über 2 Fälle, in denen das Blot wie in Foster’s Fall 
von rahmartiger Consistenz war und beim Stehen zwei Schichten absetzte, die 
obere bestehend ans Fetttröpfchen und einer feinkörnigen, offenbar albuminoiden 
Masse, die untere aus unveränderten Blutkörperchen. In dem 2. Falle konnte 
nur eine Spur Aceton nachgewiegen werden. Sie sprechen Bich deshalb für 
Lip&mie aus; übrigens war in dem einen Falle die Dyspnoe sehr gering und wurde 
knrz vor dem Tode Urin gelassen, was doch gegen Kohlen*äurevergiftung, i. e. 
Fettembolie als Todesur ache sprechen dürfte. 

192. Die Beziehungen der An&emia perniciosa zum Anchilostoma 
duodenale. Von Dr. Cntta. (The New-York Med. Journal 1879. 11. 
Allg. med. Ctrl.-Ztg. 1880. 1.) 

Verf. berichtet über eine von Dr. So us ino der „Societä medico di Torinese* 
gemachte Mittheilung von 9 Sectionen, die er bei an peruiciöser Anämie Verstor¬ 
benen gemacht hat, wo er io 7 Fällen diesen Parasiten angetroffen. Die Würmer 
hatte er an der Schleimhaut des Duodenum und Jejunum fest anhaftend gefunden, 
die sie erodirt und dann das Blut der kranken Individuen ansgesogen hatten. 
Die Würmer strotzten von Blut, während die Cadaver blutleer waren. 

Bei einer Frau, die in Florenz an Anaemia progressiva perniciosa gestorben 
war, zeigten sich die Eingeweide dünn, blass, durchsichtig. Hunderte von Wür¬ 
mern befanden sich im Jejunum, hunderte im Ueum. Sie waren todt und hingen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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noch fest an der mit grauen Ecchymosen versehenen Schleimhaut. Keine andere 
Läsion fand sich an der Leiche vor, Welche auf die Ursache der schweren Anämie 
hinweisen konnte. 

193. Ein Ersatz für Leberthran ans der Reibe der gewöhn¬ 
lichen Nahrungsmittel. Von Dr. A. Emmeth. (Principles and Pract. 
of Gynaecology. Brit. med. Journ. Nr. 994.) 

Emmeth empfiehlt Schweinefett nach folgender Zubereitung: Ein dickes 
fleischfreies Stück Rippenspeck wird während 36 Stunden gewässert, unter häufiger 
Erneuerung des Wassers, um alles Salz möglichst anszuziehen, dann wird es 
langsam und vollständig durcbgekocht, ebenfalls unter häufiger Erneuerung des 
Kochwassers durch nahezu kochendes, reines Wasser. Es wird kalt gegessen in 
der Form eines Sandwich mit altgebackenem Brote, beides recht dünn geschnitten. 
Selbst der empfindlichste Magen, der Nichts verträgt, soll nach Emmeth diese 
Combination annehmen; es kann dann auch in einem Porcellanmörser verrieben 
in kleinen Dosen gegeben werden. Als Zusatz empfiehlt sich etwas Tafelsalz. 

194. Fremdkörper im Hastdarme. Von F. Xella. (H Raccoglitore 
media 1879. Nr. 11. April 12.) 

Ein 42jähriger, starker Mann stellte sich X. vor, um sich aus dem Mast¬ 
darme ein Stück Holz herausziehen zu lassen, mit dem er seit langer Zeit sein 
lästiges Jucken am After behandelte und das ihm hineingeschlüpft war. Bei der 
Digitalexploration konnte man keinen Fremdkörper betasten, die Palpation aber 
liess durch die Bauchdecken einen harten Körper fühlen, der vom linken Darm¬ 
beine ausgehend in gerader Linie gegen den unteren linken Rippenrand hinzog. 
X. versuchte mittels combinirter Handgriffe und mittels Zangen und Irrigation 
den Fremdkörper herauszubefördern, aber alles umsonst. Er reichte dem Pat. ein 
starkes Abführmittel und bestellte ihn auf den nächsten Tag. Als er jetzt weitere 
Extractionsversuche machen wollte, fand er das Holz über dem After liegen und 
konnte es leicht mittelst einer einfachen anatomischen Pincette herausziehen. Das 
knotige Holz mass 29 Ctm. Länge und an der unteren Basis 2'/* Ctm. Dicke. 

195. Ueber das CarlsbaderSprudelsalz. Von E. Harnak. (Berl. 
klin. Wochachr. 1880. 1.) 

H. hat das echte Sprudelsalz einer Analyse unterzogen und gefunden, dass 
dasselbe mit reinem käuflichen Glaubersalz geradeza identisch ist, indem es nur 
minimale Hengen von Soda und Kochsalz enthält. Das wasserfreie Sprudelsals 
enthielt: Schwefel saures Natron 99*33%, kohlensaures Natron 0*45%, Kochsalz 
0*076%* D** rein« käufliche Glaubersalz enthielt: Schwefelsäure Natron 99 71%, 
Kochsalz 0*075%• D er feste Rückstand des Carlsbader Wassers enthält aber (nach 
Prof. Ragsky 1862): Schwefelsaures Natron (4- Kali) 46*6%; kohlensaures 
Natron 10*8%, Kochsalz 4*8%. H. erklärt dieses auffallende Missverhältnis 
dadurch, dass bei der Gewinnung des Salzes aus dem Carlsbader Wasser, um ein 
möglichst elegantes Präparat zu erzielen, nur der zuerst sieb ausscheidende Theil, 
welcher eben reines Glaubersalz ist, genommen wird, während Soda und Koch¬ 
salz iu der Mutterlauge Zurückbleiben. Das echte Sprudelsalz kostet mindestens 
30 Mal mehr als die gleiche Menge reinsten Glaubersalzes. (Natr. sulf. pur iss.) 

196. Nene chemische Spielerei. Nach einer Mittheilung von Prof. 
Dr. Böttger in Frankfurt a. M. (Pharmac. Ztg.) 

Dem Verfasser wurde ein kleines, auf gewöhnlichem Schreibpapier sehr 
sauber ausgeführtes Gemälde einer mit einer Auflösung von Magnesium-Platin- 
cyanür gemalten rothen Rose nebst mit Cobaltchlorür hergestellten, kaum sicht¬ 
baren Blättern zugesandt. Wurde dieses Papier, wie der Verfasser in dem Jahres¬ 
berichte des physikalischen Vereins zu Frankfurt berichtet, auf seiner Rückseite 
vorsichtig mässig erwärmt, so verschwand die gemalte Rose, während die mit 
einer verdünnten Lösung von Cobaltchlorür ausgeführten, kaum sichtbaren Blätter 
in hellgrüner Farbe scharf hervortraten. Entfernte man dann schnell die Wärme¬ 
quelle — die Flamme eines kleinen Gasbrenners — so sah man die Rose, während 
die Blätter noch sichtbar waren, allmälig wieder in schönster Farbenpracht zum 
Vorschein kommen. Ein solcher Versuch lässt sich, wenn man die Erwärmung 
des kleinen Gemäldes nicht allzu sehr steigert, beliebig oft mit gleich günstigem 
Erfolge wiederholen. 


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Medicinisch-chirurgische Rnndschan. 


197. Transitorische puerperale Amaurose. Von Dr. Wal loser. 
(St. Louis Medic. and Surgic. Journ. 1879. 1.) 

Eine 18jährige Erstgebärende wurde während des Durchschneidens des 
Kindskopfes von etwas über eine Stande dauernden Convolsionen befallen, nach 
deren Ablauf völlige Blindheit auftrat. ‘ 20 Stunden nach der Niederkunft war 
der Kopf heisser als der Körper, die Haut trocken, Zunge feucht, seit 3 Tagen 
kein Stuhl, Temperatur 38‘5°, Pule 104, beide Pupillen stark erweitert; grosse 
Aufregung, in der Scheide einige Risse. Calomel zu 0*30 2stündlich, Eis auf den 
Kopf, Carbolsäure-lnjection in die Geschlechtstheile brachten die Kranke so weit, 
dass am folgenden Tage die Pupillen sich etwas bewegten und die Kranke Liebt 
von Dunkelheit untei>cheiden konnte, Temperatur 38*0, einen Tag später war die 
Temperatur normal und konnten bereits die Finger gezählt werden, nach zwei 
Wochen las sie die Zeitung. Das Wochenbett verlief normal, eine ophthalmo¬ 
skopische Untersuchung konnte wegen der grossen Aufgeregtheit der Kranken 
nicht gemacht werden. Hz. 

198. Das neutrale Chininbromid und dessen innerliche und 
hypodermattoolie Anwendung. Von Dr. Field. (Cincinnati Lancet and 
Clinic. May 3. 1879.) 

Verf. bespricht in einem längeren Artikel die Vorzüge des Bromsalzes des 
Chinins vor dessen anderen Präparaten, welche namentlich im Mangel toxischer 
Symptome, selbst nach grösseren Dosen, in sicherer Wirkung bestehen ; die Kranken 
vertragen das Präparat besser als das schwefelsaure Chinin. Es kommt nur dar¬ 
auf an, dass das Bromsalz vollkommen rein und basisch sei, was nach ßoille 
durch Anwendung von Brombaryum bei der Bereitung des Bromchinins erreicht 
werden kann; es enthält wenigstens 75—76% d® 8 Alkaloid und etwa 18% Brom. 
Gubler (Journ. de thörap. Jnill. 10. 1879) verordnet zur subcutanen Injection: 
Bp.; Chi/fini bromali basici 10 , Spirit. Vini rectificati 2'50, Aquae destUlatae 
7 50 M. und sollen weder Abscesse noch Verhärtungen der Injection nachfolgen. 
Die Vorzüge der hypodermatischen Application des Bromchinins bestehen nach 
Verf. Erfahrungen in einer grösseren Sicherheit der Wirkung und geringerem Ver¬ 
brauche des Mittels; die Wirkung des Bromchinins zu der des schwefelsauren ver¬ 
hält sich wie 3: 2. 

199. Fuchsin im Brot. 

ln der „Schweiz. Wochenschr. für Pharmacie“ (1880, Nr. 3) theilt Prof. 
Brun (Genf) einen ihm von der Sanitätsdirection zur Untersnchung überwiesenen 
Fall von der Fälschung verdächtigen Brotes mir. Das Brot eines Bäckers, äussere 
lieh ganz normal, zeigte auf der Krume rothgelbe, violette oder lebhaft rosen- 
rothe Flecke verschiedener Grösse. Die Untersuchung ergab, dass einTheil dieser 
Flecke von jenen Pilzen herrübrt, die sich in den feuchten Ecken der Mulden 
(Backtröge) entwickeln (Oidium aurantiacum), übelriechend und selbst nach einer 
Temperatur von 100—120° C. noch keimfähig. Die übrigen Flecke dagegen rührten 
von Fuchsin her, das ganz zufällig in das Brot gelangte, und zwar, wie Prof. 
Brun herausfand, durch die Mehlsäcke. Letztere hatten in ihrem Gewebe breite 
rothe Bänder, deren Fasern mit jenen, im Centrum der rothen Flecke des Brotes 
gefundenen, identisch waren: die Bänder bestanden aus Fasern der Brennnessel, 
die jetzt zur Fabrikation solcher Stoffe mit tianf gemischt werden und mit Fuchsin 
gefärbt waren. Letzteres gelangte mechanisch oder durch Aufsaugung in das 
Mehl, ohne jedoch (in Folge des geringen Quantums) einen schädlichen Einfluss 
auszuüben. 

200. Ueber Erkältung. Von Dr. Lassar. (Virchow’s Archiv 
Bd. LXX1X. Heft I.) 

Den Einfluss plötzlicher Erniedrigung der Temperatur der Umgebung auf 
den thierischen Organismns suchte Lassar dadurch festzustellen, dass er 
Kaninchen und Hunde nach vorherigem Aufenthalt in einem warmen Raume 
plötzlich für 1—3 Minuten in eiskaltes Wasser tauchte. Nach Verlauf von 
3—4 Tagen trat nach dieser Procedur regelmässig Albuminurie mit Aus¬ 
scheidung von hyalinen Cylindern auf. Die mikroskopische Untersuchung ergab 
interstitielle Processe, vorwiegend bestehend in fleckweiser Auswanderung von 
weissen Blutkörperchen in sämmtlichen inneren Organen. Auch die Galle enthielt 
Eiweiss. 


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HedirinUch-cliirargische Rnnd«ch»u. 


333 


201. Physiologische Experimente an einem Enthaupteten. Von 
E. Decaisne. (Berl. klin. Wochenschrift 1879. 51.) 

ln der Sitzung derAcad. de m6d. zu Paris vom 2. December 1879 erstattete Verf. 
Bericht Aber physiologische Versuche an einem Enthaupteten, welche er in Gemein¬ 
schaft mit Evrard und G. Decaisne ausgeführt hat, um die von Zeit zu Zeit immer 
wieder auftauchende Frage Aber die Fortdauer von Lebenszeichen in den getrenn¬ 
ten Theilen, besonders im Kopfe, zu beantworten. Die Versuche begannen 4 f / t 
bis 5 Minuten nach geschehener Enthauptung. Auf alle sensiblen, an den ein¬ 
zelnen Sinnesorganen applicirten Beize geschah keine Beaction; die Pupille war 
auf Lichtein drücke vollständig bewegungslos; starke chemische Beize, auf die 
Nasenschleimhaut gebracht, lösten keinen Beflexact aus. Cauterisation des Ge¬ 
sichtes und des Stammes war von Blasenbildung nicht begleitet. Das Herz schlug 
nicht mehr, faradische Elektricität brachte keine Contraction seiner Muskeln 
hervor. Dagegen reagirten alle Muskeln des Stammes und Gesichtes auf diesen 
Beiz, die letzteren anch, nachdem das Gehirn, welches einige hier nicht weiter 
zu berührende pathologische Veränderungen bot, aus der Schädelhöhle heraus¬ 
genommen war. Sehr energische Bewegungen der Augenmuskeln, der Kaumuskeln, 
der Athemmuskeln, der Extremitäten konnten bis l'/ t Stunden nach der Ent¬ 
hauptung, dem Zeitpunkte, wo die Leiche zur Bestattung abgeholt wurde, hervor¬ 
gerufen werden. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 

202. Prof. Bollinger (München): Ueber künstliche Tuberculose, er¬ 
zeugt durch den Genuss der Milch tuberculöser Kühe. Nacü 
einem Vortrage, gehalten in der Section für pathologische Anatomie und 
allgemeine Pathologie der 62. Versammlung deutscher Naturforscher und 
Aerzte zu Baden-Baden. (Aerztl. Int.-Bl. 1879. 47.) 

Verf. erörtert zunächst die Frage von der Stellung der Bindstuberculose 
Zur menschlichen Tuberculose. Die erstere zeigt nach B. allerdings anatomisch 
ein polymorphes Bild, indem die tuberculösen Veränderungen beim Bind theils 
in Form des charakteristischen Miliartuberkels, theils als sarkomartige Neu¬ 
bildungen, meist mit entzündlichen Processen combinirt, endlich in Form der 
tuberculösen und käsigen Entzündung auftreten. 

Als wichtiges Criterium für die anatomische Diagnose stellt B. den Miliar¬ 
tuberkel der Lymphdrüsen auf, der beim Binde makroskopisch überaus deutlich 
und charakteristisch auftritt. Im Allgemeinen könne die Bindstuberculose als 
eine der menschlichen Tuberculose durchaus homologe Krankheit betrachtet werden, 
ein Satz, der durch zahlreiche anatomische, klinische, ätiologische und experi¬ 
mentelle Thatsachen gestützt sei. 

„Was die Impftuberculose betrifft , u sagt Verf., „die von einer Seite noch 
vor Kurzem als eine „Illusion" bezeichnet uud in Bezug auf Welche behauptet 
wurde, dass wir von der Aetiologie der Tuberculose nicht mehr wüssten als von 
der des Krebses, so ist dieselbe heute eine gesicherte Thatsache, welche die 
Buhl ’sche Lehre, dass die Miliar-Tuhercalose eine Besorptions- und Infections- 
krankheit sei, in jeder Bichtung bestätigt. Ungleich weniger aufgehellt ist die 
Frage von der Fütierungstuberculose, deren Existenz übrigens nicht bezweifelt 
werden kann.“ 

Zur Darstellung seiner Versuche übergehend, schickt B. die Bemerkung 
voraus, dass auf Grund seiner Erfahrungen Schweine, Ziegen und Katzen die 
geeignetsten Versnchsthiere seien, während Kaninchen und Meerschweinchen sich 
dazu nicht eignen. Bei der ersten Versuchsreihe, die Bef. im Jahre 1878 anstellte, 
wurden 3 jnnge Schweine 9 Wochen hindurch mit der Milch einer Kuh (A) ge¬ 
futtert, welche im Leben Symptome der Lungentuberculose zeigte und bei der 
später vorgeuommenen Tödiung als mit Phthisis pulmonum (käsige Pneumonie, 
Cavernen, Bronchiektasien), mit Tuberculose (Perlsucht) der Pleura-, der Bronchial-, 
Medastinal- nnd Mesenterialdrüsen sowie des Uterus behaftet befunden wurde. 
Di« Milchfötterung war insofern lesultatlos, als die Schweine bei der Tödtung 
sich als durchaus gesund erwiesen; nur bei einem Schweine konnte eine Ver- 
grösserung und Verkäsnng der oberen Hals-Lymphdrüsen constatirt werden. Zwei 
Control-Schweine (Geschwister der mit Milch gefütterten Thieie) waren bei der 
Section ebenfalls ganz normal. 


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234 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


ln einer zweiten, im laufenden Jahre begonnenen Versuchsreihe wurde die 
Milch einer Kuh (B) verfüttert, welche bei der Tödtung mit hochgradiger Tuber* 
culose der Leber, des Peritoneums, der Eileiter, der Mesenterial-, Bronchial- und 
Hediastinaldrüsen, mit geringgradiger Tuberculose der Pleuren und lobulären 
käsigen Herden der Lunge behaftet gefunden wurde: 1. Zuerst wurden 4 gesunde 
Schweine im Alter von 3 Wochen 10 Wochen hindurch mit der ungekochten 
Milch dieser Kuh ^l 1 /,—3 Liter täglich) gefüttert. Während dieser, Zeit konnte 
bei 8ämmtlichen Thieren eine allmälig zunehmende Vergrösserung der oberen 
Halslymphdrüsen beobachtet werden. Die Thiere wurden im Alter von 4—5 Monaten 
getödtet und bei sämmtlichen konnte hochgradige allgemeine Tuberculose, besonders 
der Lungen, der Leber, der Milz, hochgradige Schwellung und Verkäsung der 
oberen Hals-Lymphdrüsen, der Bronchial-, epigastrischen und portalen Drüsen 
constatirt werden; in zwei Fällen fanden sich kleine käsige Follicnlargeschwüre 
im Ileum. Controlthiere wurden bei dieser Versuchsreihe nicht eingestellt. — 
2. Ein junges Schwein wurde 14 Tage mit Milch derselben Kuh gefüttert. Das 
Thier magerte ab und starb im Alter von 37a Monaten — 3 Wochen nach Be¬ 
endigung der Fütterung. Die Section ergab ausser einer käsigen Entzündung 
des Dickdarmes eine exquisite Miliartuberkulose der Lungen mit mässiger Schwellung 
und Verkäsung der Bronchialdrüsen. — 3. Bei einer dritten Versuchsreihe wurden 
6 Schweine desselben Wurfes und von gesunden Eltern abstammend derart mit 
der Milch dieser Kuh gefüttert, dass 2 Thiere die Milch ungekocht, 2 Thiere 
dieselbe gekocht als Nahrung erhielten, während die zwei übrigen Thiere als 
Controlthiere dienten. Von diesen Thieren erwiesen sich bei der nach einigen 
Monaten vorgenommenen Tödtung die Controlthiere als gesund, von den mit ge>» 
kochter Milch gefütterten Schweinen erwies sich bei der Section eines als gesund 
(das zweite noch am Leben), während von den mit ungekochter Milch gefütterten 
beiden Schweinen eines an käsiger (scrophulöser) Enteritis zu Orunde ging und 
das zweite sich schwer erkrankt noch am Leben befindet. Weitere Versuche mit 
der Milch derselben Kuh, die an Affen, Ziegen und Meerschweinchen verfuttert 
wurde, sind noch nicht abgeschlossen. 

B. demonstrirte als Belege eine Reihe von Tafeln (colorirte Photographien), 
welche die verschiedenen, mit Fütterungstuberculose behafteten Organe der 
Schweine darstellen. Die derart erzeugten Miliartuberkel zeigten histologisch 
alle Charaktere echter Tuberkel, ebenso die erkrankten Lymphdrüsen die Eigen¬ 
schaften tnberculüs erkrankter Drüsen. 

Was den Modus der Infection und speciell die Eintrittsstelle des tuberculösen 
Virus betrifft, so legt die hochgradige Erkrankung der oberen Halslymphdrüsen 
entweder mit oder ohne allgemeine Tuberculose den Gedanken nahe, dass das 
tnberculöse Virus schon von der Rachenhöhle aus in die entsprechenden Lymph- 
drüsen aufgenommen wird. Die bei den besprochenen Versuchen fast regelmässig 
beobachteten Erkrankungen der Leber, sowie der portalen und epigastnschen 
Lymphdrüsen beruht vielleicht auf Resorption des Virus im Magen seihst. 

In Bezug auf das mikroskopische und chemische Verhalten der kritischen 
Milch ist zu erwähnen, dass dieselbe keine Abweichung zeigte; insbesondere er¬ 
gab die chemische Analyse, die Prof. Tappeiner vornahm, keine abnorme 
Zusammensetzung. Auch bei der ersten Versuchsreihe (Kuh A), wobei die Milch 
sich nicht infectiös zeigte, war letztere nach einer von Prof Förster vorge» 
nommenen Analyse durchaus normal. 

Aus den mitgetheilten Versuchen lässt sich einstweilen der Schluss ziehen, 
dass die Milch tuberculöser Kühe bei Schweinen bei längere Zeit hindorch fort¬ 
gesetztem Genüsse manchmal Miliartnberculose zu erzeugen im Stande ist, während 
gewisse Formen der Rindstnberculose in dieser Richtung ungefährlich zu sein 
scheinen. Derartige Formen der Fütterungstuberculose verlaufen im ersten Stadium 
unter dem Bilde der Scrophulose, und eß bestätigen die Versuche einen schon 
vor längerer Zeit von B. auf Grund anderweitiger Experimente ausgesprochenen 
Satz über das Verhältnis zwischen Scrophulose und Tuberculose (Arch. f. exper. 
Pathol. B. I, S. 356. 1873). 

In Betreff der Versuchstiere selbst hebt B. hervor, dass Schweine in 
Süddentschland sehr selten mit Tuberculose behaftet gefunden werden, während 
in Norddeutschland, besonders unter den Schweinen englischer Zucht, diese 
Krankheit häutiger beobachtet wird Abgesehen von der Vererbung und länger 
fortgesetzten Inzucht dürfte die Rindstuberculose durch Vermittlung der Milch 
auch in der Aetiologie der Schweinetuberculose eine gewisse Rolle spielen. Wenn 
ferner die Milch tuberculöser Kühe in gewissen Fällen infectiös ist, so erklärt 
sich auch auf diesem Wege — analog der experimentell erzeugten Lebertuberculose 
die grösste Häufigkeit der Lebertuberculose beim Rind, bei dem in 7 S sämmt- 
licher Fälle von Tuberculose die Leber tuberculösa Veränderungen zeigt. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


2S5 


In Besug auf die Aetiologie der Tuberculose überhaupt ist hervorzuheben, 
dass der Begriff der Heredität sowohl bei der menschlichen, wie bei der thierischen 
Tuberculose theilweise vielleicht auf Milch-Infection beim Säugegeschäft zurück« 
zuführen ist. 

Indem B. zum Schlüsse die Frage berührt , inwiefern die Milch tubercalöser 
Kühe eine Oefshr für die menschliche Gesundheit darstellt, weist er zunächst 
auf die Thatsache hin, dass es kaum einen Menschen gebe, der nicht schon der* 
artige Milch genossen habe, da die Tuberculose bei 2 % (mit Ausschluss der 
Kälber) vorkommt und Kühe, die älter als 6 Jahre sind, sogar zu 5 °/ 0 tuberculös 
seien. In Bayern kommen auf etwa 3 Millionen erwachsener Rinder nicht mehr 
als 55.000 Stück, die mit Tuberculose behaftet sind, und ähnlich verhält es sich 
auch in anderen Ländern. 

Bei der Häufigkeit der menschlichen Scrophulose und Tuberculose, bei der 
langen Latenz der Krankheit und ihrem schleichenden Verlaufe muss nach B. 
die Möglichkeit einer Infer.tion durch Milch einstweilen im Auge behalten werden. 
Bis jetzt ist B. nur ein Fall bekannt, der von Dr. Stau g in Amorbach beobachtet 
wurde und bei dem die Tuberculose eines 5jähr. Knaben, der lange Zeit hindurch 
die ungekochte Milch einer hochgradig perlsüchtigen Kuh genossen hatte, mit der 
grössten Wahrscheinlichkeit auf den Milchgenuss zurückgeführt werden konnte. 

Auf alle Fälle wird es sich empfehlen, die Milch der Kühe nur in gekochtem 
Zustande geniessen zu lassen, die Milch älterer Kühe als ausschliessliche Nahrung 
möglichst zu vermeiden und im Nothfall die Milch der Ziegen vorzuziehen, welche 
nur äosserst selten mit Tuberculose behaftet sind. Die Aufgabe der experimentellen 
Forschung wird es sein, durch weitere Versuche festzustellen, welche Formen 
der Rindstuberculose eine infectiöse Milch liefern, während es einer rationellen 
Viehzucht im wohlverstandenen eigenen Interesse zukommt, die Rindstuberculose 
in ihrer Häufigkeit zu vermindern und auf ein Minimum zu reduciren. 

203. Prof. Heynsius: „Ueber die Ursachen der Töne und Geräusche 
im Gefässsystem. tt Vortrag, gehalten am VI. internationalen medic. Con* 
gress in Amsterdam. 

Der Vortragende bespricht in Kürze die bekannten Anschauungen über die 
Entstehung der Töne am Herzen und der Art. pulmon. et aorta und lenkt sodann 
zunächst die Aufmerksamkeit auf die in der Carotis und Subclavia hörbaren Töne. 
Hiebei vertheidigt H. die bereits von Weil in Heidelberg vom kliuischen Stand¬ 
punkte vertretene Anschauung, dass der erste Ton in der Carotis der fortgeleitete 
Aorten« (Pulmonal-) Ton sei, gegenüber der Meinung Anderer, dass es sich hiebei 
um einen Wandschwingungston (bedingt durch die plötzliche Ausdehnung des 
Geftssrohrs seitens der andrängenden Blutwelle) handle. Auch die Erklärungen 
der in den vom Herzen entfernten Arterien zuweilen hörbaren einfachen oder 
Doppeltöne aus Schwingungen der Arterien wand weist er zurück, denn es sei zu 
bedenken, dass die lebendige Kraft der Pulswelle gegen die Peripherie bin, einer¬ 
seits durch Verbreiterung des Blutstrombettes, andrerseits durch die Reibung 
der Blutmolecule und die Verengerung der einzelnen Gefässzweigchen nothwendiger- 
wei8e abnehmen müsse. Krause hat die relative Grösse der Puls welle in jedem 
Gefässe messen gelehrt und es geht aus seinen Angaben hervor, dass, wenn wir 
die lebendige Kraft io der Aorta mit 1 bezeichnen, für die kleineren Aeste 
(Radialis, Dorsalis pedis etc.) nur minime Bruchtheile dieser Zahl (0014, resp. 
0*001 etc.) ret>ultiren würden. Diese Grösse schwindet noch mehr, wenn man ihre 
Verminderung durch die Reibung in Betracht zieht. Es ist aber schon a priori 
unwahrscheinlich, dass eine Pulswelle, die unter normalen Umständen die Wand 
der grossen Arterienstfimme nicht in tönende Schwingungen versetzen kann, unter 
pathologischen Verhältnissen an den kleinsten Gefässchen, trotz Reduction ihres 
ursprünglichen Werthes auf ein Minimum, noch einen solchen Effect aufweisen 
sollte. Der erste Ton in den vom Herzen entfernteren Arterien lässt sich auch 
nicht durch Flüssigkeitsschwingungen (Talma) erklären, da nachNolet in gleich 
weiten Röhren ein Geräusch erst dann entsteht, wenn die Stromgeschwindigkeit 
200 Ctm. in der Secunde beträgt, also etwa 4 Mal so viel als die in der Carotis 
während ihrer Diastole von Chauveau gefundene Stromgeschwindigkeit. Diese 
Erklärung lässt sich hingegen sehr wohl an wenden auf die Entstehung des ersten 
Tones in der Aorta und Pulmonalis. Derselbe entsteht bei dem Uebergang des 
Blutes aus dem Herzen in den Bulbus Aortae (resp. Art. pulmonalis) und wird 
durch Flüsslgkeit8scliwingongen verursacht Dieses Ostium stellt nämlich eine 
Verengerung dar nnd die Stromgeschwindigkeit ist unter normalen Verhältnissen 
in diesem Ostium so gross, dass die Flüssigkeitsschwiogongen nicht nur ein Ge¬ 
räusch erzeugen, sondern selbst ein tonartiges Geräusch, einen Arterienton hervor- 


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236 


Medicinisch-ohirurgische Rundschau. 


bringen. Bei seinen Versuchen mit Kautschukröhren gelang es Heynsius, selbst 
bei noch grösserer Geschwindigkeit an der erweiterten Stelle einen wirklich musi¬ 
kalischen Ton zu erzeugen, der in einiger Entfernung der Röhre von allen An¬ 
wesenden deutlich gehört wurde. Daraus, sowie aus den Resultaten seiner Mes¬ 
sungen der Gefcisslumina im Verhältnisse zu der gleichfalls bestimmten Strom¬ 
geschwindigkeit schliesst er, dass (unter normalen Verhältnissen wenigstens) durch 
die vorbeischreitende Pulswelle die Arterienwand leicht in hörbare Schwingungen 
Versetzt wird, dass es also keinen selbstständigen Carotis- oder Subclavia-Ton 
gibt, sondern dass der sogenannte diastolische Arterienton der fortgeleitete Aorta- 
(und Pulmonal-) Ton iBt, der durch die Strombewegungen des Blutes bei der 
raschen Entleerung des Kammerinhaltes durch das engere Ostium in das weitere 
arterielle Strombett erzengt wird. 

Erstens kann die diastolische Pulsation der Arterie, die durch ihre Ver¬ 
längerung bedingt wird, die Ursache abgeben. Die Umgebung des Gefässes, seine 
Befestigung und Unterlage üben hiebei einen Einfluss ans, und vielleicht liesse 
8ich daraus die sonst unbegreifliche Erscheinung erklären, dass dieser diastolische 
Ton in weiter vom Herzen entfernten Arterien manchmal lauter ist, als in näher 
liegenden, in welchen die Pulswelle selbst doch bedeutend kräftiger ist, wie wir 
es oft beobachteten. Es kann aber noch auf eine andere Ursache hingewiesen 
werden. In einer unverzweigten elastischen Röhre, die an einem Ende mit einem 
Druckgefäss, am anderen Ende mit einem Reservoire verbunden ist, entstehen beim 
Oeffhen und Schliessen des Hahnes, an der Einflussöflnung, Oeffnungs- und Schlies¬ 
sungswellen, wie Dr. Moens gezeigt bat. Die Schliessungswellen sind fortschrei¬ 
tende Wellen; die Oeffnungs wellen stehende Wellen. 

Sowohl von diesen Schliessungs- als von den Oeffnungswellen hat Dr. 
Moens in seiner Arbeit „Aber die Pulscurve“ die Dauer, Grösse und Gestalt 
studirt und sich bestrebt, die ihre Dauer und Grösse bedingenden Factoren kennen 
zu lernen. Es ist ihm gelungen, zum Theil auf experimentellen, zum Theil auf 
analytischen Wegen zu den Formeln zu gelangen, aus denen sich die Schwingungs¬ 
dauer für diese Wellenarten berechnen lässt. In diesen Formeln kommen als ver¬ 
änderliche Werthe vor: die Länge der Röhre, der Durchmesser, die Dicke, der 
Ela'ticitäts-Coöfficient der Röhrenwand und das speciflsche Gewicht der Flüssig¬ 
keit. In verzweigten Röhren kommen die Analoga dieser Oeffnungswellen beim 
Schliessen des Hahnes vor. Man kann diese Wellen die eigenen Wellen des 
Zweiges nennen. Sie werden in derselben Phase über den ganzen Zweig ange¬ 
troffen und ihre Amplitude ist in der Mitte des Zweiges am grössten. Ihr Ent¬ 
stehen kann uns nicht wundern, wenn wir erwägen, dass beim Sehliessen des Ein¬ 
flusshahnes die Hauptröhre zwar geschlossen wird, dass aber die beiden Aeste 
durch ihren gemeinschaftlichen Zusammenhang mit dem Reservoir und mit der 
Röhre an beiden Enden offen bleiben. Nur unter günstigen Umständen treten 
diese eigenen Wellen in den Aesten so deutlich hervor, dass sie registrirt werden 
können. Drei Umstände sind hier von Gewicht: 1. Die Röhienwand muss dünn 
sein. 2. Der Zweig muss beiderseits in ein Reservoir oder Stamm mit grossem 
Lumen einmünden. 3. Es muss eine grosse Differenz zwischen dem Spaunungs- 
maximum und dem Spannungsminioium obwalten. Die Anwendung auf die Er¬ 
scheinungen im Gefässsystem versteht sich leicht. Es entstehen einige Wellen in 
den Arterien, und zwar am leichtesten, wenn diese beiderseits in ein relativ 
weites Strombett einmünden und bei der Diastole und Systole zwischen dem Span¬ 
nungsmaximum und Spannungsminimum der Arterien ein relativ grosser Unter¬ 
schied besteht. Diese letzte Bedingung ist nach der klinischen Beobachtung stets 
erfüllt, wenn in der CruraHs und anderen vom Herzen entfernten Gefässen ein 
Ton gehört wird. Die andere Bedingung ist besonders bei der Cruralis günstig. 
Sie entspringt aus der Iliaca communis zugleich mit dem dicken Stamm der Hypo¬ 
gastrica und gibt unter dem Poupart’schen Bande, ausser einer grossen Anzahl 
kleinerer Zweige, die Profunda femoris ab. Auch im Arcus volaris ist öfters 
dieselbe Bedingung besonders günstig. Auch die arteriellen Doppeltöne Hessen 
sich auf diese Weise erklären. Sie sind, wie aus G erha rd’s, Weil’s und Fried¬ 
richs Angaben hervorgeht, verschiedener Art. Wird der zweite Theil des Doppel¬ 
tones wirklich bei der Herzdiastole (Arteriensystole) gehört, so kann er von einer 
negativen Welle herrühren, in diesem Falle wäre also der Doppelton ein Beweis 
von Aorten-Insufficienz. Aber auch die dicrotische Pulswelle und die Vorhofs¬ 
systole können diese eigenen Wellen in den Arterienstämmen hervorrufen, so 
Hessen sich dann jene Fälle erklären, in denen der arterielle Cruraldoppelton einen 
herzsystolischen oder präsystolisch-systolischen Rhythmus hat. 

Die Hypothese von Heynsius über diese Ursache der Tonbildung im 
Gefässsysteme lautet also, dass die eigenen Wellen in den peripherischen Arterien, 
in denen normal kein Ton gehört wird, unter gewissen Umständen eine solche 
Amplitude erreichen, dass sie zu tönenden Schwingungen an wachsen 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


237 


Et gibt also fünf Ursachen, die das Entstehen von Tönen im Gefässsystem 
veranlassen, von denen eine angleich die Ursache der Geräusche im Gefässsysteme 
darstellt: 1, Der plötaliche (Jebergang sowohl der Klappen des Hertens nnd der 
Venen, wie auch der Venenwand selbst ans dem erschlafften in den gespannten 
Zustand 2. Die Contraotion des Herzmuskels. 3- Die 8trombewegungen der 
Flüssigkeit in einer Erweiterung bei einer bestimmten Minimal-Geschwindigkeit 
nnd qta^m bestimmten Verhältnis der Lamina. Sinkt die Geschwindigkeit unter 
dieses Minimum herab, so geht der Ton in ein Geräusch Aber, das bei noch ab¬ 
nehmender Geschwindigkeit gleichfalls verschwinden kann. 4. Die eigenen Wellen 
der Arterienstämme. Die zwei ersten sind primäre Wandschwingungen, die zwei 
letzten dagegen primäre Flässigkeitsschwingungen, welche die elastische Gefäss- 
wand secundär in Schwingung versetzt. Hieau kommt wahrscheinlich noch: 5 Der 
Ausschlag oder die Pulsation der Arterienäste, die durch elastische Gefässe bei 
deren Diastole bedingt wird. 


Die 15. und 16. Lieferung der Real-Encyclop&die der gesummten 
Heilkunde, herausgegeben von Prof. Dr. A. Eulenburg in Greifswald, 
(Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg) ist soeben erschienen und enthält 
an Artikeln: Blitzschlag (E. Hofmann), Blödsinn (Mendel), Blut¬ 
anomalien (Samuel), Blutegel (Vogl), Blutfleckenkrankheit (Zuslzer), 
Blutleere, künstliche (Wolzendorff), Blutspuren, forensisch (E. Hof- 
mann), Blutstillung (Wolzendorff), Blutsverwandtschaft (A. Olden- 
dorff), Boden (Soyka), Boli (Bernatzik), Borpräparate, Borax (Bernatzik), 
Bormio, Borsaek, Botriocephalus (Sommer), Bougie (Englisch), Bra¬ 
chialneuralgie (Seeligmüller), Brand (Samuel), Brandstiftungstrieb 
(Blumenstock), Branntwein (Loebisch) 


Correspondenz der Redaction. 

Dr. —z in Florenz. Mit bestem Dank erhalten, erscheint im näch¬ 
sten Heft. 


Oer Redaction eingesendete neu erschienene Bücher und Schriften. 

Er is mann, Dr. Friedrich: Die Desinfection Barbeiten auf demKriegs- 
sch auplatze der europäischen Türkei, während des russisch-türkischen 
Feldzuges 1877/78. Bericht über die Thätigkeit der russischen Commission 
zur Assainirung der von der Donauarmee besetzt gewesenen Theile der 
europäischen Türkei. München 1879. M. Rieger’sche Universitäts-Buchhandlung. 

-Gesundheitslehre für Gebildete aller Stände. U. vermehrte 

und verbesserte Auflage. Herausgegeben im Auftrag des Verfassers von Dr. 
Adolf Schuster, k. k. Assistenzarzt I. Classe. München 1879. M. Rieger- 
sche Universitäts-Buchhandlung (G. Himmer). 

Giacich, Dr. A. F. di Fiume: Instruction sur la desinfection appli¬ 
cable dans les Etablissements quarantenaires de PEmpire 
ottoman. Osservazioni del. . . Fiume 1880. 

Jahresbericht des unter dem Allerhöchsten Schutze Ihrer k. und k. Hoheit 
der durchlauchtigsten Frau Erzherzogin Maria Immaculata stehenden Badener 
Spitales für arme scrophulöse Kinder für das Jahr 1879* Baden bei Wien 
1880. Herausgegeben vom Comitö. 

Kohlmann Benno, Apotheker:Die Errichtung pharmaceutisolier Unter- 
Buchungsbureaus und das Gesetz gegen die Verfälschung der 
Nahrungsmittel, Genussmittel und Gebrauchsgegenstände 
vom 14. Mai 1879. Leipzig. Verlag von Ambr. Abel, 1880. 

Löwy, Dr. J.: Anekdoten aus medicinischen Kreisen. II. vermehrte 
Auflage. Wien, Hartleben's Verlag. 

Rüdinger, Dr, Professor a. d. Universität in München: Supplement zur 
topographisch-chirurgischen Anatomie des Menschen. Mit 6 
Figuren, darstellend sagittale und frontale Durchschnitte des Rumpfes. Stutt¬ 
gart. Verlag der J. G. Cotta’sehen Buchhandlung, 1879. 

S&mmtliche hier angeffthrte Bftoher sind zu beziehen dar oh 

die Baohhandlung Urban & Sohwarzenberg in Wien, X., Maxi¬ 
milian atrasae 4. 

Verantwortlicher Redacteur.- Dr. Vincen* Pink. 

Einsendungen an die Redaction sind zu richten: Wien, I., Maiimllianstrasse 4. 

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238 


Medicmtach-chirurgische Rundschau. 



KOHLENSAURES MINERAL-WASSER. 

Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 

Direction des K. K. Krankenhauses, “Wieden.” iPna.z, 

266 D, 1879.) 

NOTE. 

“ Der Apollinaris-Säuerling wurde während des Sommers 1879 1m A' K. Krankenhause 
Wieden auf den medicinischen Abtheilungen der Herren Doctorcn Ritter von Eisenstein 
und Oetinger, und auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Er. Mosetig 
Rittet von Moorhof und des Herrn Dr. Kumar angewendet. Aus den diesfalls eingesen¬ 
deten Berichten dieser Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollinaris-Wasser 
sich durch seine Reinheit und seinen Wohlgeschmack, insbesondere aber 
durch seinen ausserordentlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällen den Vorzug 
verdiene, in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
Wasser ha'sich insbesondere als kühlendeSy erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften acuten Erkrankungen ertviesen, und wurde bei catarrhalischen 
Affectioncn der Ath mungs- t der Verdauungs- und Harnorgane mit gutem 
E rf o lge angewendet. Wien , am 29. Dezember 1879. 

Dr. F. W. Lorinser. 

An das Zivcig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen . ” 

Hofrath Univ.-Prof. Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald, 

Wien : /eh bestätige hiermit, dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Kohlensäure ist, und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für GesundCy und 
sehr kräftigend für Rcconvalescenten mit geschwächter Verdauung sich 
mir erwiesest hat. 26. Januar 1880.” 

Hofra'h Univ.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wien: “ Das Apollinaris- 

Wasser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher J>ei allen jenen 
Krankheiten Anwendung finden, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind 26. Januar 
1880.” 

Prof. Dr. Josef Seegen, Wien: “ Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 

bei Neuenahr ist seifter Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersättigung mit aus der Quelle gezuonnener Kohlensäure steht es den 
Sodawässertt nahe, und ist diesen als hygi enisch.es Getränk vorzuziehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure. Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlen¬ 
säuregehalt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spaeth, Wien : “ Das Apollinaris- Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohlensäurereicher Natronsäuerling, von jedem Nebengeschmäcke frei , 
umi bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: “ Das natürliche 

Apollinaris- Wasser eignet sich ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
und wird auch bei Schwäche der Verdauung sehr gut vertragen. 20. Juli 1879." 

Gen.-Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. V. Nussbaum, München: 

** Äusserst erquickendes und auch nützliches Getränk, weshalb ich es bestens empfehlen 
kann." 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: “ Als erfrischendes 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt cs unter den Mineralwässern sicherlich 
den ersten Rang ein. 16. März 1879.” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: “&/» anzauhnur 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vortheilhaft aus 24. Dezember 1878.’* 


Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc 

DIE APOLLINARIS COMPANY. LIMITED; 

Zweig-Comptoir, Remagen a. Rhein. 

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Medicinisch-chirurgische Rondschau. 


239 


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Professor Dr. von Krafft-Ebing in Graz. 

Drei Bande. 

Band III. Kiinisohe Cazuiatik. 

gr. 8. geheftet Preis 5 Mark. 

Die Verletzungen 

der 

unteren Extremitäten. 

Von 

Professor Dr. Herrn. Lossen in Heidelberg. 

Mit 44 Holzschnitten, gr. 8. geheftet Preis 6 Mark. 

Der „Deutschen Chirurgie** Lieferung 65. 


Druck von G. Gistel & Co., Wien, 


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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 

204. Ueber die Entstehung des Scballwecbsels bei der Per¬ 
cussion von Cavemen. Von Dr. Richard Neukireh. (Deutsch. Archiv 
für klin. Medicin. 25. Bd. 1. Heft.) 

Wintrich hat zuerst daraufhingewiesen, dass die Aenderung des 
Schalles bei der Percussion, je nachdem der Kranke den Mund Öffnet 
oder schliefst, ein \ erwerthbares Merkmal für.die Diagnostik der Cavernen 
ist. Er erklärte diesen Schallwechsel durch das Gesetz von der offenen und 
gedeckten Pfeife. 

Einen weiteren Beitrag zur Cavernendiagnostik hat Gerhardt 
geliefert, welcher zeigte, dass ein Schallwechsel zuweilen eintritt, wenn 
der Patient sich abwechselnd in liegender und in aufrechter Stellung 
befindet. Aus einem solchen Schallwechsel glaubte er schliessen zu können, 
in welcher Richtung, ob horizontal oder vertical, der grösste Durchmesser 
der Caverne verliefe. Bei aufrechter Stellung des Patienten wird der 
Schall höher werden, weil durch das Ansammeln der meist vorhandenen 
Flüssigkeit am Boden der Caverne der grösste Durchmesser verringert 
wird und von der Länge desselben allein die Höhe des Percussions¬ 
schalles abhängig ist. 

Legt sich hingegen der Pat. horizontal, so sammelt sich die 
Flüssigkeit an der hintern Wand der Caverne, es wird der kleinere 
Durchmesser, der auf die Schallhöhe keinen Einfluss hat, verkürzt, der 
grössere kommt seiner ganzen Länge nach zur Geltung, daher wird in 
solcher Lage der Schall tiefer. Uebrigens kann nach Gerhardt das 
Tieferwerden des Schalles in der einen oder anderen Lage auch dadurch 
bedingt werden, dass bei derselben durch das fliessende Secret der 
zufiührende Bronchus verstopft und durch den Lagewechsel dasselbe 
erreicht wird, was bei dem W i n t r i c h’schen Schallwechsel durch Oeffnen 
und Schliessen des Mundes erfolgt. Um solche Fehlerquellen auszuschliessen, 
ist von Moriz empfohlen worden, beide Schallwechsel zu combiniren. 
Ist der Wintrich’sche Schallwechsel in beiden Lagen vorhanden, so 
ist man sicher, dass in keiner Lage ein zuftlhrender Bronchus verstopft 
wird und in diesen Fällen kann man den etwa vorhandenen Gerhard t’schen 
Schallwechsel verwerthen. Fehlt dagegen der Wintrich’sche Schall¬ 
wechsel in einer der beiden Lagen, so kann man zwar keinen sichern 
Schluss auf die Gestalt der Caverne ziehen, aber dieser unterbrochene 
Schall Wechsel ist ein sicheres Zeichen für das Vorhandensein einer Caverne 
überhaupt. 

Med.ohir. Rundschau. 1880. 10 

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Medicinisch-chirurgisclie Rundschau. 


Verf. findet, bei diesen Erörterungen sei keine Rücksicht auf die 
Mundhöhle, als das Ansatzrohr der Schallquellen, genommen, obwohl be¬ 
kanntlich das Ansatzrohr sehr befähigt ist, deu Grundton zu moditiciren, 
und versucht den Einfluss und Antheil darzulegen, welchen die Mundhöhle 
bei diesen erwähnten Schallphänomenen hat. 

Was den Wintrich’schen Schall Wechsel anlangt, so kann Verf. 
die von Wintrich hiefür gegebene Erklärung nicht gelten lassen. Denn 
Oavernen, welche durch einen Bronchus mit der Mundhöhle, und ist diese 
geöffnet, mit der freien Luft communiciren, sind nicht mit einer offenen 
Pfeife zu vergleichen, da die Cavernen nach der Lunge zu abgeschlossen 
sind. Sie sind einseitig gedeckte Pfeifen. Ist Mund und Nase geschlossen, 
so dass die Caveme nicht mehr mit der äusseren Luft communicirt, so 
hat man es mit einem abgeschlossenen Hohlraume zu thun. 

Den Ausspruch von Moriz, dass für den tympanitiscken Schall 
dieselben Gesetze gütig seien, wie für die einseitig gedeckten Pfeifen, 
bestreitet Verfasser sowohl auf Grund der Heim hol tz’schen Berech¬ 
nungen für kugelförmige Resonatoren, als auf Grund eigener Messungen. 
Nimmt man zwei Hohlkugeln von verschiedenem Durchmesser und mit 
je einer gleichgrossen Oeffnung, so tönt jene mit dem grösseren Durch¬ 
messer tiefer, schliesst man die gleichgrossen Oeffnungen beider Kugeln, 
so tönen zwar beide tiefer, aber die Schalldifferenz ist jetzt weitaus 
geringer als früher. Die kleinere Kugel hat durch Verschluss ihrer Oeff¬ 
nung einen relativ tiefern Ton bekommen, als die grössere, weil die Ton¬ 
höhe einer mit einer Oeffnung versehenen Hohlkugel ausser von ihrem 
Durchmesser von dem Verhältnisse, in welchem der Durchmesser der 
Kugel zum Durchmesser der Oeffnung steht, abhängt. 

Nun ist der Durchmesser des Bronchus im Verhältnisse zu jenem 
der Caveme meist ziemlich klein; daher würde also nur ein geringer 
, Schallwechsel vorhanden sein und auch dieser nur dann, wenn die in der 
Caveme befindliche Oeffnung direct mit der äusseren Luft communicirte. 
Denn dadurch, dass die Communication nicht direct, sondern durch eine 
längere enge Röhre bewirkt wird, wird der Schall Wechsel noch mehr 
abgeschwächt. Demnach wäre der Win tr ich’sche Schallwechsel, nach 
der Erklärung Wintrich’s, nur unter den allergünstigsten Umständen 
möglich. Ausserdem müsste es nach der W i n t r i c h’schen Erklärung 
genügen den Schallwechsel liervorzurufen, wenn der Pat. den Mund nur 
so weit öffnete, als das Kaliber des communicirenden Bronchus beträgt, 
und es dürfte keine Aenderung des Schalles mehr eintreten, wenn der 
Pat. den Mund weit öffnet. In Folge dieser Erwägungen gelangt Verf. * 
zu der Ansicht, dass der sogenannte Wintr ich’sche Schall Wechsel über¬ 
haupt nicht in der Caveme selbst, sondern in ihrem Ansatzrohre, der 
Mundhöhle entsteht. Der Vorgang ist der, dass sich die Erschütterung 
der Luft, die durch den Percussionsschlag in der Caveme erzeugt wird, 
durch den Bronchus hindurch in die Mundhöhle fortpflanzt. Die Luft 
in der Mundhöhle geräth gleichfalls in Schwingungen und aus letzteren 
wird ein Schall resultiren, welcher den verschiedenen Formen der Mund¬ 
höhle entsprechend ist. 

Als direct beweisend für die aufgestellte Erklärung gilt Verf. der 
Versuch, dass er bei einer Reihe von Phthisikern, bei denen Scliall- 
wechsel vorhanden war, denselben deutlich hervorrufen konnte, ohne dass 
Pat. den Mund völlig schloss, er musste nur abwechselnd a und O sagen 
und den Mund in dieser Stellung belassen. Ein fernerer directer Beweis 
ist, dass eine mit einem Bronchus communicirende Caveme gewissermassen 


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Mediciniscb-chirurgische Rundschau. 


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als kugelförmiger Resonator anfzufassen ist und wie dieser, wenn sie 
angeblasen wird, einen Ton gibt, dessen Höhe vom Durchmesser der 
Caveme und vielleicht noch von dem des zuführenden Bronchus abhängig 
ist. Vergleicht man die Tonhöhe des amphorischen Athmens mit dem 
Percussionsschalle bei geöffnetem und geschlossenem Munde, so findet 
man, dass dieselbe eine ganz andere, von der Stellung des Mundes 
unabhängige ist. 

Beim Gerhardt’schen Schallwechsel sind verschiedene Fälle zu 
unterscheiden. 

1. Der Schall Wechsel ist bei horizontaler und verticaler Lage vor¬ 
handen, während in beiden Lagen der Wintrich’sche fehlt. Hier hat 
die Mundhöhle gar keinen Einfluss. 

2. Der Schallwechsel ist bei verschiedenen Lagen vorhanden, der 
Wint rich’sche fehlt aber in einer derselben. 

3. Ist Gerhardt’sclier Schall Wechsel vorhanden und in beiden 
Lagen auch Wintrich’scher, so kann die Mundhöhle insofern modifici- 
rend einwirken, als bei horizontaler Lage die Mundhöhle durch Zurück¬ 
sinken des weichen Gaumens vergrössert wird, und ihr Eigenton demnach 
bei horizontaler Lage ein tieferer sein kann. Aus allen diesen Betrach¬ 
tungen schliesst Verf., dass die bisher angenommene Erklärung des 
Win tri ch’schen Schallwechsels durch das Gesetz der offenen und 
gedeckten Pfeifen unrichtig ist; derselbe wird durch die wechselnde 
Resonanz der Mundhöhle hervorgerufen. In allen Fällen von Schallwechsel 
bei der Percussion von Cavemen, in welchen die Mundhöhle modificirend 
auf den Percussionsschall einwirkt, kann man keinen Schluss auf die 
Gestalt der Caveme ziehen, weil man sich vor den durch die Resonanz 
der Mundhöhle bedingten Fehlerquellen nicht schützen kann. 

P. v. Rokitansky. 

205. Das Verhalten der freien Salzsäure des Magensaftes in 
zwei Fällen von amyloider Degeneration der Magenschleimhaut. 
Von Dr. L. Edinger. (Berl. klin. Wochenschrift 1880. Nr. 9.) 

Durch v. d. Ve 1 d en’s Untersuchungen über Vorkommen und Mangel 
freier Salzsäure in verschiedenen Krankheiten (S. Rundschau 1879, S. 327), 
hat die Pathologie des Magens eine wesentliche Erweiterung erfahren. Man 
kennt Methoden, welche gestatten, kleinste Mengen freier Salzsäure im Magen¬ 
säfte leicht zu erkennen und es ist gelungen, bei verschiedenen Krankheitsformen 
einen Salzsäuremangel nachzuweisen, der, je nach Art der Erkrankung, vor¬ 
übergehend oder constant bleibend, ein Hilfsmittel für die Diagnose bildet. 
Constant hat man die Salzsäure nur bei der in Folge von stenosirenden 
PyIoru8-Carcinomen entstandenen Gastrectasie vermisst. Vorübergehend 
bei Magenkatarrh und im Verlaufe fieberhafter Krankheiten. 

Verfasser hat nun zwei Fälle beobachtet, in denen unter andern 
als den bisher gekannten Verhältnissen die freie Salzsäure im Magensafte 
vermisst wurde. Diese Fälle bieten auch insofern ein Interesse, als das 
Mikroskop post mortem eine Erkrankung aller Gefässe, welche die Magen¬ 
schleimhaut versorgen, nachweisen konnte. 

Im ersten Falle wurde mit Rücksicht auf die Anamnese, das Alter 
und kachektische Aussehen der Patientin, das Erbrechen und die Schmerzen, 
die fühlbare Resistenz im Epigastrium und das Resultat der Untersuchung 
des Magens und seines Inhaltes (von den an acht verschiedenen 
Tagen Morgens dem Magen entnommenen Inhaltspor¬ 
tionen gab keine die Velden’schen Reactionen auf Salz- 

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Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


säure), ein Carcinom mit secundärer Dilatation des Fundus angenommen. 
Obwohl der weitere Verlauf die Diagnose zu bestätigen schien, ergab die 
Section ein anderes Resultat. Sie ergab nebst Veränderungen in verschie¬ 
denen Organen, dass der Magen mit dem tiefsten Punkte der grossen 
Curvatur bis drei Finger unter den Nabel reichte und fast ganz vertical 
stand. An der kleinen Curvatur fand sich ein sehr scharfrandiges Geschwür 
von ohngefähr 2 Ctm. Durchmesser, dessen Grund durch das fest ver¬ 
wachsene harte Pancreas gebildet wurde. Die Stelle, wo das Geschwür 
sass, entsprach genau der wiederholt gefühlten Resistenz in der Tiefe. 
Der Pylorus war nicht verengt, seine Musculatur etwas hypertrophisch. 
Am Magen war durch Jod, Jod-Schwefelsäure und durch Methylviolett 
eine ausgedehnte Amyloiddegeneration der zur Schleimhaut tretenden 
Arterien nachweisbar. Ausser den Arterien gaben noch hie und da kleine 
Partieen der Drüsenmembran und vereinzelte Drüsenzellen Arayloidreac* 
tionen. Die Muscularis Stomacbi war an vielen Stellen, die Muscularis 
Mucosae in allen Theilen amyloid degenerirt. 

Der zweite Fall betrifft ein von Jugend auf mit Drüsenschwel¬ 
lungen , Augenleiden, chronischem Schnupfen und Katarrhen behaftetes 
Individuum von 30 Jahren, bei dem sich seit etwa sechs Monaten die 
Symptome der Phthise deutlicher manifestirten. Auch bei diesem Indi¬ 
viduum konnte keine Salzsäure im Mageninhalte, der mit der Sonde 
heraufgeholt wurde, nachgewiesen werden. 

(Verfasser erwähnt hier, um Magensaft zu bekommen, einer Me¬ 
thode, welche an jene Spallanzanis erinnert. Bei schwachen Kranken 
nämlich, denen er aus rein diagnostischen Gründen die Sonde nicht gern 
wiederholt einfUhrt, bedient er sich kleiner, an Seidenfäden befestigter, 
präparirter Schwämme, die sehr fest in kleinste Gelatinkapseln einge¬ 
presst sind. Dieselben werden leicht verschluckt, im Magen löst sich die 
dünne Kapsel und der quellende Schwamm saugt sich voll Magensaft. 
Enthält derselbe Salzsäure, so gibt ein Tropfen aus dem nach 20—30 
Minuten rasch ausgezogenen und ausgepressten Schwämmchen eine dunkel- 
weinrothe Färbung, wenn er in gelbe lpercentige Tropaeoliniösung fällt.) 

Die Section ergab über beide Lungen verbreitete, zerfallende 
käsige Herde und adhäsive Pleuritis. Miliartuberculose der Leber und 
tuberculöse Ulcerationen im ganzen Dünn- und Dickdarm, Amyloid der 
Milz. Der Magen nicht dilatirt. Nach dem Pylorus hin zeigten sich 
zahlreiche, oberflächliche Ulcerationen mit zackigem Rande und eine oder 
die andere mit hämorrhagisch gefärbtem Grunde. Ein frisches Schleim¬ 
hautstück färbte sich in Jodlösung mahagonibraun. Die mikroskopische 
Untersuchung ergab ausgebreitetes Amyloid der Schleimhautarterien. Im 
Fundus waren die kleinen Arterien der Schleimhaut dicht unter den 
Drüsen grösstentheils amyloid entartet. In der Musculatur und Sub- 
mucosa keine Degeneration. Die Pylorus-Schleimhaut färbte sich mit 
Methyl violett intensiv roth, mit Jodschwefelsäure blauschwarz. Die Drüsen 
und ihre Zellen erschienen im Fundus und Pylorus völlig normal. 

Verfasser meint, man könnte das Fehlen der freien Salzsäure im 
Magensafte in den beiden Fällen, die ausser der allgemeinen Kachexie 
und der amyloiden Degeneration der Schleimhaut, besonders ihrer Arterien, 
so wenig Gemeinsames haben, in dem Degenerationsprocesse der Arterien¬ 
wände , der wesentlich andere Diffusions Verhältnisse schaffen dürfte, 
begründet finden. 

Man mag annehmen, dass die freie Salzsäure durch Diffusion aus 
den Gefässen in das Magenlumen gelange, und dass die Drüsenzellen nur 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


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der Secretion des Pepsins dienen, das aus ihnen von der Säure, die 
durch sie diffundirt, ausgewaschen wird, oder mag man einer Zellart der 
Fundusdrftsen, den Belegzellen, die Salzsäurebildnng zuschreiben, immer 
werden veränderte Blutzufuhr und veränderte Diffusionsvorgänge die 
Säurebildung beeinflussen müssen. Verfasser untersuchte auch die Gefässe 
der Magenschleimhaut in drei Fällen von Carcinoma pylori, 2 Fällen von 
Ulcus chronicum und 3 Fällen von Magenkatarrh bei Phthisikern. Nur 
bei einem der Letzteren fand sich hier und da ein amyloid degenerirtes 
Arterienstämmchen in der Musculatur und der Schleimhaut. Die übrigen 
waren völlig frei von irgend einer Arterienentartung. In solchen Fällen 
ist es nach den Untersuchungen v. d. Velden’s nicht unwahrscheinlich, 
dass die Salzsäure zwar gebildet, aber sofort auch durch krankhafte Stoffe 
wieder verbraucht wird. Jedenfalls bleibt vorläufig noch die Frage, offen 
ob bei Amyloid der Schleimhautgefässe wirklich eine mangelhafte Aus¬ 
scheidung der freien Säure vorliegt, oder ob auch in diesen Fällen ein 
Wiederverschwinden besteht. 

Zum Schlüsse macht Verfasser auf die bisher wenig gewürdigte 
amyloide Veränderung der Magenmusculatur aufmerksam. Im ersten 
Falle, wo Magenectasie bestand, war die ganze Muscularis Mucosae und 
ein beträchtlicher Theil der Muscularis Stomachi hievon betroffen. Im 
zweiten Falle, wo ein normal grosser Magen vorlag, fehlte die Muskel¬ 
entartung. R. Maier und Kussmaul haben auf fettige und colloide 
Veränderungen in der Musculatur dilatirter Magen aufmerksam gemacht. 
Vielleicht spielt auch die Amyloidentartung eine Rolle bei der Entwicklung 
der Dilatation. P. v. Rokitansky. 

206. Die Diagnose der Perikardialverwachsung. Von Prof. 
Franz Riegel in Giessen. (Volkmann’s Samml. klin. Vortr. 1879. Nh 177.) 

Nachdem Riegel erwähnt hat, dass die Perikardialverwachsungen, 
welche die Bewegung und Zusammenziehung des Herzens wesentlich nicht 
stören, gar nicht diagnosticirbar sind, dass eine zweite Reihe von Peri¬ 
kardialverwachsungen nur aus der Anamnese und per exclusionem ver- 
muthet werden kann , weil sie auf Grund ihrer secundären Herzmuskel¬ 
erkrankungen erst und zwar nur solche functionelle Störungen machen, 
welche Herzerkrankungen überhaupt veranlassen, bespricht er die von 
den verschiedenen Autoren angegebenen physikalischen Erschei¬ 
nungen bei Perikardialverwachsungen bezüglich ihres pathognomischen 
Werthes und kommt zu der im Allgemeinen schon anerkannten Anschauung, 
dass man überhaupt ein so charakteristisches Symptom nicht hat, aus 
welchem man mit Sicherheit die Diagnose einer Perikardialverwachsung 
stellen konnte. — Die bis jetzt bekannten physikalischen Erscheinungen 
der Perikardialverwachsung sind: 1. Abgeschwächter oder gänz¬ 
lich fehlender Spitzen st oss; ein Symptom, welches auch unter 
normalen Verhältnissen wie auch bei vielen anderen Herzerkrankungen vor¬ 
kommt. Nur das Fehlen des Spitzenstosses bei kräftiger Herzcontraction 
und guter Herzkraft und der sichere Nachweis, dass der schwache Spitzen- 
stoss nach einer Perikarditis bei einem Individuum auftrat, das früher* 
starken Herzstoss hatte, gestattet die m. o. w. sichere Annahme einer 
Perikardialverwachsung; 2. Systolische Einziehung in der Ge¬ 
gend der Herzspitze an Stelle der systolischen Vor Wöl¬ 
bung; ein Symptom, welches von den meisten Autoren als das wich¬ 
tigste und als für Perikardialverwachsungen pathognomisch betrachtet 
wurde. Es gingen hier nur die Meinungen darüber auseinander, ob zur 


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Medicimsch-cbinirgißche Rundschau. 


systolischen Einziehung auch eine gleichzeitige extraperikardiale Verwach¬ 
sung nöthig sei oder nicht. Die Erfahrung hat nun gezeigt, dass die 
systolische Einziehung sich nicht nur bei geringfügigen intraperikardialen 
Verwachsungen findet, sondern auch bei Fehlern an den Herzostien (hoch¬ 
gradiger Stenose des Aortenostiums), so dass auch dieses Symptom nicht 
als ein pathognomisches Zeichen der Perikardialverwachsungen gelten 
kann. Riegel knüpft an die Erörterung dieser Frage eine Betrachtung 
der neueren Untersuchungen über die systolische Verschiebung der Herz¬ 
spitze und setzt den Einfluss des Sitzes der intra- und extraperikardialen 
Verwachsungen auseinander. 3. Das Constantbleiben der Herz¬ 
dämpfung während der In- und Exspiration. Dieses System 
zeigt nur, dass die normaler Weise statthabende respiratorische Verschie¬ 
bung der vorderen Langenränder aufgehoben ist. Der Grund dazu kann 
aber nicht allein in perikarditischen, sondern auch pleuralen Verwach¬ 
sungen, in emphysematösen Lungen etc. liegen. 4. Hochgradige 
respiratorische Abschwächung des Spitzenstosses. Riegel 
beobachtete dieses Symptom bei extraperikardialen Verwachsungen. 5. Man¬ 
gelnde Dislocirbarkeit des Spitzenstosses; ist ebenfalls mehr 
ein Symptom extraperikardialer Verwachsung. 6. DiastolischerHals- 
venebkollaps; Friedreich beobachtete ihn in zwei Fällen von Peri¬ 
kardialverwachsung. 7. Auf kleine Stellen beschränktes systo¬ 
lisches Geräusch beobachtete Betz. Freilich ist die Erscheinung 
auch nur eine zufällige und kann nicht als für Perikardialverwachsungen 
charakteristisch betrachtet werden. 8. Durch Magenconsonanz, 
metallisch klingende Herztöne beobachtete Riess und hält sie 
für charakteristisch bei Perikardial Verwachsungen. Metallisch klingende 
Herztöne treten aber auch ohne perikarditische Verwachsungen auf, z. B. 
bei inniger Appression zwischen Herz, Zwerchfell und Magen. 9. Puls¬ 
veränderungen*, sie sind leicht pathognomisch für Perikardialver¬ 
wachsungen, sie sind nur wichtig für die Beurtheilung der Contractions- 
kraft des Herzens. Der Pulsus paradoxus, welchen Süss maul bei 
schwieliger Mediastino-Perikarditis beobachtete, wurde auch von Riegel 
bei gesunden Menschen durch tiefe verlängerte Inspirationen erzeugt. — 
Veränderungen in der Grösse der Herzdämpfung hängen von secundären 
Herzmuskelerkrankungen ab und sind keineswegs charakteristisch für 
Perikardialverwachsungen. 

Die subjektiven Symptome von Perikardialverwachsungen bestehen, 
wenn sie überhaupt vorhanden sind, in Kreislaufsstörungen, wie man 
sie bei Herzerkrankungen eher oder später, schwächer oder stärker 
beobachtet. 

Wir haben hier nur ein dürftiges Referat über die vorliegende 
Arbeit gegeben, welche verdient, von jedem praktischen Arzte gelesen zu 
werden. K n a u t h e. 

807. Zur Diagnose der acuten Miliartubercnlose. Von Prof. Dr. 
Rühle. (Ctrbl. für klin. Med. 1880. Nr. 1.). 

Die acute Miliartubercnlose erscheint als allgemeine Infections- 
krankheit gewöhnlich ohne Betheiligung der Pia mater cerebralis und 
die bei Lebzeiten beobachteten Symptome von Seiten des Gehirns beziehen 
sich nur auf die Fieberwirkungen. Andererseits muss man die Menin¬ 
gitis basilaris eine circumscripte Miliartubercnlose nennen, die durch den 
Ort ihres Auftretens in verhältnissmässig kurzer Zeit tödtlich wird. Sie 
kömmt oft genug ohne alle Tuberkeleruption in anderen Organen vor. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Wenn aber beide Formen sich combiniren, wenn mit einer allgemeinen 
Miliartuberculose auch Meningealtuberculose verbunden ist, so verwirren 
sich die für beide Aifectionen allein zur Diaguose wohl brauchbaren 
Symptome, und die Diagnose der gesammten Krankheit wird in höherem 
Grade erschwert. Für die allgemeine Miliartuberculose, welche ihre 
Hauptdepots immer in den Lungen hat, ist es bekannt, dass eine hohe 
Frequenz der Athemzüge, ohne Dyspnoe, bei verhältnissmässig geringen 
physikalischen Befunden, ohne wesentliche Dämpfungen, bei nur ver¬ 
breiteten katarrhalischen Geräuschen, ein sehr werthvolles Symptom ist. 
Ebenso pflegt sich das Fieber der Miliartuberculose von anderen Infections- 
fiebern dadurch zu unterscheiden, dass die Frequenz der Herzcontractionen 
abnorm hoch im Verhältniss zur Temperatursteigerung erscheint. Diese 
Athmungs- und Pulsfrequenz sind in erster Reihe für die Diagnose der 
Miliartuberculose von Werth. 

Bei der Meningealtuberculose andererseits ist es gerade die Beein¬ 
flussung der Athmungs- und Herzbewegungen in ganz anderem Sinne, 
welche schon sehr frühzeitig bedeutungsvolle Fingerzeige für die heran¬ 
nahende Krankheit gibt. Ungleichheiten im Rhythmus, sowohl der 
Athmung als des Pulses sind hier von Werth. Flache Athemzüge 
werden plötzlich von einer tiefen, seufzenden, langdauernden Inspiration 
unterbrochen, und bei aufmerksamer Pulsfühlung bemerkt man sowohl 
in Zahl als Qualität der Wellen Schwankungen. 

Es leuchtet daher ein, dass bei Combination beider Affec- 
tionen, der Miliartuberculose und der Basilarmeningitis, diese Wirkungen 
sich aufheben. Die von dem Reiz an der Basis des Mittelhirns abhängigen, 
zuletzt genannten Rhythmusstörungen werden durch die peripherischen 
Reize der auf die Vagusenden in den Lungen wirkenden Miliartuberkeln 
paralysirt, und umgekehrt wird die sonst charakteristische Wirkung dieser 
peripherischen Reize, die Athmungs- und Pulfrequenz, bei gleichzeitigem 
Reiz au der Basis cerebri aufgehoben, und es bleiben für beide Aifectionen 
nur sehr unbestimmte Symptome übrig, so dase von einer directen, 
positiven Diagnose nicht mehr die Rede sein kann, soüdern nur eine 
auf dem Wege der Ausschliessung gewonnene Wahrscheinlichkeit er¬ 
reicht wird. 0. R. 

208. Ueber Pyopneumothorax snbphrenicus (subphrenische 
Abscesse). Von Prof. Dr. E. Leyden. (Zeitschrift für klinische Medicin. 
1. Band, 2. Heft. Prag. med. Wochenschr. 1880. 10. Ref. Dr. Jaksch.) 

Unter der Bezeichnung Pyopneumothorax subphrenicus versteht Verf. 
die Bildung grosser mit Luft und Eiter gefüllter Höhlen unterhalb des 
Zwerchfelles, doch so, dass sie in den Thoraxraum mehr oder minder 
hoch hinaufragen und eclatante physikalische Symptome ergeben, welche 
denen des wahren Pyopneumothorax sehr ähnlich sind und wiederholt damit 
verwechselt wurden. Diese Höhlen mit Luft und Eiter gefüllt können 
ebensowohl rechts- wie linksseitig sich entwickeln. 

Die physikalischen Symptome sind: abnorm tiefer und voller 
Percussionsschall über der retrahirten Lunge, von der 3. Rippe ab tief 
und tympanitisch, Fehlen der Leberdämpfung am rechten Thoraxrande. 
Ebenso fehlt das Athmungsgeräusch von der 3. Rippe ab, statt dessen 
wird ein amphorischer Hauch oder ein metallisches Klingen vernommen. 
Der schwierigste Theil der Diagnose ist, zu bestimmen, dass die Luft- 
Eiterhöhle unterhalb dem Zwerchfell liegt. 


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Mediciniscfc-chirorgiscke Rundschau. 


Verf. wurde auf diese Fälle aufmerksam durch einen Fall, welchen 
Stabsarzt Pfuhl beschrieben hat: Ein 23jähriges Dienstmädchen zeigte 
die Symptome eines Pneumothorax dexter, es wird die Punction gemacht, 
15 Minuten später erfolgt der Tod. Die Section ergab einen Pyopneumo- 
thorax, der unter dem Zwerchfell gelegen war, ausgehend von einem 
perforirenden Duodenal-Geschwttr. Ausser den in der Arbeit von Pfuhl 
mitgetheilten Fällen von Wintrich und Sturges führt Verf. noch 
ähnliche Fälle von Veedon, Levison, Bernheim und Sänger an. 
Seine eigene Beobachtung umfasst drei Fälle. Bei einem 54 Jahre alten 
Herrn, der längere Zeit vorher an Magenbeschwerdcn litt, stellte sich 
Fieber, Auftreibung des Leibes und Schmerz in der rechten Seite ein. 
Die Untersuchung ergibt: Hinten rechts Dämpfung bis zum Angulus 
scapulae, unterhalb der Dämpfungsgrenze fehlendes Athmungsgeräusch, 
amphorischer Hauch. Rechts vorne unter der Clavicula bis zur 3. Rippe 
vesiculäres Athmen, von der 4. Rippe an vollständig fehlend, die Leber¬ 
dämpfung fehlt vollständig. Durch die Punction mittelst des Troiearts 
werden ca. 2 Liter stinkenden Eiters entleert. Patient stirbt 8 Wochen 
nach der Operation. Die Section ergibt: Zwischen Leber und Zwerchfell 
eine fast verheilte Eiterhöhle, mehrfache Adhäsionen der Därme, in den 
Mesenterialfalten zwischen Duodenum und Colon ein kleiner Eiterherd, 
stecknadelkopfgrosse Oeffnung am Pylorustheil des Duodenums, welche 
zu einem an dieser Stelle sitzenden Geschwür führt. Der zweite Fall 
betrifft einen 70jährigen Mann, auch hier ist das erste Symptom Ver¬ 
dauungsbeschwerden, bald tritt Fieber auf, dieselben Symptome nur 
weniger ausgesprochen wie in dem früheren Falle von Seiten des Thorax, 
es werden mehrere Punctionen gemacht; eine Perforation des Abscesses 
in der Lunge führt das letale Ende herbei. Die Section ergibt: ein 
tiefgreifendes Magengeschwür an der kleinen Curvatur, eine Perforation 
nicht nachzuweisen, aber die Falten des Peritoneums ober demselben sind 
fest verklebt. 

ln dem 3. Falle handelte es sich um eine 32jährige Arbeiterin 
mit linksseitigem Pyopneumothorax subphrenicus. Die klinischen Symptome 
sind dieselben wie bei den anderen Fällen. 

Die Section ergibt: einen grösseren Abscess unter der linksseitigen 
Wölbung des Zwerchfells begrenzt nach unten von Omentum und Colon 
transversum und einen kleineren vorne oberhalb des Quercolons gelegen, 
der mit der ersteren in Verbindung steht. Der grössere Abscess commu- 
nicirt mit dem Colon transversum, der kleinere auch mit dem Magen, 
welcher auf seiner Innenfläche an dieser Stelle einen grösseren Substanz¬ 
verlust mit scharfen Rändern von terrassenförmiger Anordnung (Ulcus 
perforans rotundum) zeigt. 

Verf. zählt nun folgende für die Diagnose des Pyopneumothorax 
subphrenicus wichtigen Momente auf: 1. die Entwicklung der Krankheit, 
nachdem Erscheinungen der allgemeinen Peritonitis oder Eiterentleerungen 
durch den Darm vorangegangen sind, 2. Bildung eines Exsudates in dem 
unteren Theil der Thoraxpartie unter entzündlichen Erscheinungen 
(Schmerz und Fieber), das Fehlen von Husten und Auswurf, 3. das Vor¬ 
handensein der Symptome des Pneumothorax, 4. Symptome, die beweisen, 
dass oberhalb dieser Stelle die Lunge intact ist, als: vesiculäres Athmen, 
Vorhandensein des Fremitus bis zur 3. oder 4. Rippe, 5. die Dämpfung 
des Percussionsschalls wechselt schnell bei Lage Veränderungen, 6. die 
Zeichen des gleichmässig vermehrten Druckes im Pleuraräume fehlen oder 
sind wenig ausgesprochen, tiefes Hineinragen der Leber in das Abdomen, 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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7. der Eintritt von jauchigem Eiter in die Luftwege mit plötzlichem 
massenhaften Auswurfe, 8. Verwendung der Manometrie der Pleurahöhle. 
Befindet sich die Canttle in einer Höhle unterhalb des Zwerchfelles, so 
muss sich bei der Inspiration eine Steigerung, bei der Exspiration eine 
Verringerung des Druckes ergeben, umgekehrt wie im Pleurasack. 

209. Ueber Tuberculose im Säuglingsalter. Ein Beitrag zur Infec- 
tionslehre der Tuberculose. Von Dr. A. Epstein, Assist, der Kinderklinik 
an der Findelanstalt zu Prag. (Prager Vierteljahrsschr. 1879. II. Der 
prakt. Arzt. 1880. 12.) 

Unter den constitutionellen Krankheiten sind es besonders zwei, bei 
denen wir auf die hereditären Verhältnisse Gewicht zu legen gewohnt 
sind: die ererbte Syphilis und die Tuberculose. Während nun die Er¬ 
scheinungen der hereditären Syphilis, wenn nicht schon am neugeborenen 
Kinde vorhanden, doch in sehr vielen, wenn nicht den meisten Fällen 
schon in den ersten Lebenstagen oder Wochen in mehr oder weniger 
intensivem Grade, aber immer in einer für diese Erkrankung charak¬ 
teristischen Form sich zu äussem beginnen, zeigt in dieser Beziehung die 
Tuberculose, bei der das hereditäre Moment, wie allgemein angenommen 
wird, keine geringere Rolle spielt und deren Fortpflanzung auf die Des- 
ceudenz von den Klinikern streng festgehalten wird, ein wesentlich ver¬ 
schiedenes Verhalten. Man kann auf Grund der vorliegenden Erfahrungen 
die Behauptung aufstellen, dass das jüngste Kindesalter, trotz seiner 
grossen Mortalität, im Vergleiche mit dem späteren und noch mehr mit 
dem Jünglings- und ersten Mannesalter, welches bekanntlich das grösste 
Contingent der an Tuberculose Verstorbenen liefert, von dieser Erkrankung 
am wenigsten heimgesucht wird. In den späteren Kinderjahren tritt sie 
bereits häufiger auf, um gegen die Pubertät hin sowohl in Bezug auf 
Frequenz als auch auf die klinischen und anatomischen Erscheinungen 
sich der Phthise des vorgerückteren Alters anzureihen. 

Tuberculose, mit Einfluss der tuberculösen Meningitis und abdomi¬ 
nalen Tuberculose, im ersten Semester des ersten Lebensjahres kommt 
selten vor. Nur einen Fall hat der Verf. in der Literatur aufgefunden, 
von Scauzoni beobachtet, wo die Section eines todtgeborenen Kindes 
eine weit verbreitete acute Infiltration der Lungen mit Bauchfelltuberculose 
ergab. Hervieux fand unter 811 im Pariser Höpital des eufants 
trouv£s gestorbenen Kindern des ersten Lebensjahres blos 10 Fälle von 
Tuberculose. Fälle von Tuberculose bei mehreren Monate alten Kindern, 
welche als im Extrauterinleben entstanden gedeutet werden müssen, sind 
ebenfalls sehr seiten. Im 2. Semester des ersten Lebensjahres werden sie 
bereits zahlreicher und in den späteren Kinderjahren noch häufiger. 

Der Verf. hat während einer 4jährigen Dienstzeit im Prager Findel¬ 
bause unter den Säuglingen keinen Fall von Tuberculose beobachtet, 
trotzdem bei vielen die hereditäre Disposition dazu als vorhanden voraus¬ 
gesetzt werden musste. Im Allgemeinen aber bringen tuberculöse Mütter 
und besonders solche, die während der Schwangerschaft Blut husten, an 
Nachtscbw'eissen leiden, schlecht ernährte Früchte mit sogen, angeborener 
Schwäche zur Welt, wie überhaupt das Körpergewicht, resp. der Er¬ 
nährungszustand der Mutter einen deutlichen Einfluss auf das Körper¬ 
gewicht der Frucht zeigt. Angeborene Schwächezustände der Früchte 
kommen dem entsprechend nicht nur im Gefolge der Tuberculose vor, 
sondern auch anderer coustitutionelier Krankheiten der Mütter, der Syphilis, 
der Anämie etc. und aller Zustände, w elche die Ernährung und Kräfte 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


der Schwangeren herabbringen, z. B. lang dauernder Krankheiten, Blutun¬ 
gen, ungünstiger Lebensverhältnisse, schwerer körperlicher Arbeiten etc. 

An der Brust einer tüchtigen Amme erholen sich solche schwache 
Kinder tuberculöser Mütter sehr rasch; an der Brust ihrer kranken 
Mutter gehen sie immer mehr zurück und meist in den ersten Lebens¬ 
monaten an angeborener und erworbener Atelektase, Bronchitis und 
katarrhalischer lobulärer Pneumonie zu Grunde. Verschiedene Autoren 
geben an, dass katarrhalische Erkrankungen der Respirationsorgane in 
den ersten 6 Lebensmonaten seilen Vorkommen undBiermer führt zur 
Erklärung den Grund an, dass die Kinder in diesem Alter mehr vor 
atmosphärischen Einflüssen geschützt werden. Der Verf. erklärt die Ent¬ 
stehung dieser irrthtimlichen Angabe dadurch, dass bei Kindern dieses 
Alters sehr häufig eines der wichtigsten Symptome, welches den Arzt 
und die Umgebung auf eine Lungenaffection aufmerksam macht, der 
Husten nämlich, gänzlich fehlt. Aber auch bei der Section solcher Säug¬ 
linge, selbst wenn sie von tuberculösen Müttern stammten, fand sich nie 
Verkäsung der pneumonischen Exsudate oder Tuberculose. 

Unter 200 obducirten, dem ersten Halbjahre angehörenden Kindern 
fand Verf. im Ganzen 9 Mal Tuberculose. Es waren 10 Wochen bis 
10 Monate alte Säuglinge und kamen der Klinik aus Privatkreisen zu. 
Sie hatten an der Brust tuberculöser Mütter getrunken und zwar wurden 
diese während der Lactation zum ersten Male von der tuberculösen Er¬ 
krankung ergriffen — bekanntlich die schlimmsten Fälle. So viel bekannt, 
waren die Väter gesund. 

Das von Louis aufgestellte Gesetz, dass, wenn in irgend einem 
Organe Tuberkeln abgelagert sind, diese auch in den Lungen gefunden 
werden, erleidet, wie Rilliet und Barthez zuerst bewiesen, bei 
Kindern sehr häufige Ausnahmen. Auch ist nicht so regelmässig, wie bei 
Erwachsenen, die Tuberculose in den Lungenspitzen localisirt, und zwar 
ist die Spitzenaffection um so seltener, je jünger sie sind. Dagegen hat 
die Tuberculose der Säuglinge und jüngeren Kinder die Eigentümlichkeit, 
dass die Lymphdrüsen und besonders häufig die Lymphdrüsen des Dünn¬ 
darms von dem Processe ergriffen sind, welchen Zustand man mit dem 
besonderen Namen der Tabes meseraica benannt hat. 

In diesen Unterschieden der Localisation der Tuberculose lässt sich 
die Verschiedenheit des Ausgangspunktes des Processes nicht verkennen. 
Wenn der Sitz und die Verbreitungsweise der Krankheit darauf hinzu¬ 
deuten scheinen, dass die Tuberculose der Erwachsenen und älteren 
Kinder eingeathmet wird, so lässt der Sitz und die Verbreitung derselben 
bei Säuglingen und jüngeren Kindern den Schluss zu, dass sie hier mit 
der Muttermilch oder -mit anderen Nahrungsmitteln eingesogen wurde. 
Wenn wir deshalb nach altgewohnter Weise das Stillen des Kindes durch 
die einmal tuberculös gewesene Mutter verbieten, so geschieht dies vor¬ 
züglich deshalb, weil diese, durch Schwangerschaft und Wochenbett ge¬ 
schwächt , während der Lactationsperiode einen frischen Nachschub der 
Krankheit erleiden und das vielleicht ganz gesund geborene Kind dann 
erst die Tuberculose acquiriren könnte, ganz abgesehen davon, dass die 
Milch derartiger Personen spärlich und fettarm zu sein pflegt und das 
Stillen für sie selbst gefährlich werden kann. 

Die Diagnose der Tuberculose der Säuglinge ist schwierig. Die 
Schmerzensäusserungen, die Hämoptoe, der Husten und die Nachtschweisse 
fehlen; die Ergebnisse der Auscultation und Percussion sind unsicher; das 
Fieber, wenn vorhanden, hat nichts Charakteristisches. Ein hervorragendes 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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Zeichen ist die fortschreitende Abmagerung. Dabei finden sich m^ist 
angeschwollene Lymphdrüsen und Lymphgefässe in der Haut und e(n&._ 
gewöhnlich als Furunculosis bezeichnete Hautaflfection , bestehend in Uber 
den ganzen Körper zerstreuten erbsen- bis haselnussgrossen Knoten, 
welche erweichen und eine käsige bröcklige Masse entleeren. 


210. Beschreibung des grossen hysterischen Anfalles. Von Dr. 
P. Richer. Aus Charcot’s Klinik. (Progres m6d. 1879. Nr. 2.) 


Die Krampfanfälle, weiche bei einer Form der Hystero-Epilepsie 
beobachtet werden, ftlr weiche Charcot den Namen Hysteria major 
vorgeschlagen hat, sind lange Zeit als ein wirres Gemisch von hysterischen 
und epileptischen Symptomen angesehen worden. Charcot dagegen 
hat nachgewiesen, dass die scheinbar wirr durcheinander laufenden Vor¬ 
gänge während des vollständigen Anfalles einem ganz bestimmten Gesetze 
folgen. Daneben beobachtet man undeutliche, unvollständige und abnorme 
Anfälle: Der vollständige Anfall zerfällt in 4 Perioden und hat eiu 
Prodromalstadium. Einige Tage zuvor wird die Kranke von ..Unwohlsein, 
Appetitlosigkeit, Erbrechen befallen. Sie wird schweigsam und melan¬ 
cholisch oder aufgeregt. Die Hemianästhesie wird intensiver und breitet 
sich oft auf die andere Körperhälfte aus. Häufige Gesichtshailucinationen 
von Thieren. Grosse Convulsibilität. Jetzt zeigen sich die Symptome 
der Aura: Ovarialschmerz, Globus, Ohrensausen etc. Dann beginnt der 
Anfall selbst mit Verlust des Bewusstseins. 

1. Epileptoide Periode. Dass es sich hier nicht um einen 
veritablen epileptischen Anfall handelt, erhellt daraus, dass man jeden 
Augenblick durch Druck auf die Ovarialgegend und ebenso durch elektrische 
Ströme den Anfall coupiren kann. Im Uebrigen zerfällt derselbe in drei 
Phasen: die tonische, die klonische und die der Resolution. 

2. Periode der Contorsionen und grossen Bewegungen. 
(Clownisme.) Von jenen ist am häufigsten die Stellung des ganzen Körpers 
so, dass nur Kopf und Füsse auf der Unterlage aufsitzen, der übrige 
Körper aber nach oben convex gekrümmt ist; von diesen eine Art 
Schüttelkrampf des ganzen Oberkörpers in sitzender Stellung, während 
dessen gellende Schreie ausgestossen werden. 

3. Periode der leidenschaftlichen Stellungen. Bald sind 
es traurige, bald freudige Hallucinationen, welche in dem schauspieler¬ 
haften Gebahren der Kranken ihren .Ausdruck finden. 

4. Endperiode. Endlich kommt . die Kranke zur wirklichen 
Welt zurück, verbleibt aber noch eine Zeit lang in einem meist melan¬ 
cholischen Delirium und Hallucinationen von Thiergestalten, allgemeinen 
oder partiellen, zuweilen sehr schmerzhaften Contractionen etc. Dieser 
typische Anfall dauert mit seinen 4 Perioden im Mittel eine Viertelstunde. 
Er kann sich aber wiederholen und alsdann eine Reihe von Anfällen 
entstehen, deren Zahl zwischen 20 und 200 und mehr variiren kann. 
Alsdann bleibt die Kranke in einem Status (6tat de mal), analog dem 
Status epilepticus, der über 24 Stunden lang anhalten kann. Zum Unter¬ 
schiede von dem Status epilepticus fehlt aber die Temperaturerhöhung; 
es zeigt sich der Einfluss des Ovarialdruckes etc. wie während des An¬ 
falles selbst. Statt des typischen Anfalles können Varietäten desselben 
statthaben, indem entweder die eine Periode nach Intensität und Dauer 
vor den anderen prädominirt, oder indem fremde Symptome, wie z. B. 
Somnambulismus und Katalepsie sich den typischen Symptomen beimischen. 
Im ersten Falle kann entstehen ein epileptoider Anfall, ein Anfall von 


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Medicinisch-chirurgische Rundschaa. 


Besessensein, von Ekstase, von Delirium. Im zweiten Falle treten Kata¬ 
lepsie oder Somnambulismus nach der 1. oder 2. Periode des typischen 
Anfalles ein, so dass sie die Stelle des 3. vertreten; oder sie schieben 
sich zwischen zwei Phasen ein. 

211. Zur Pathologie, Therapie, Statistik, Prognose und gerichts¬ 
ärztlichen Bedeutung der Morphiumsucht. Von Ed. Levinstein, 
geh. San.-Rath. Nach einem Vortrag gehalten in der Berl. med. GeselLsch. 
(Berl. Klin. Wochenschr. 1880. 6.) 

Bei den Untersuchungen morphiumsüchtiger Individuen fand der 
Verf. neben den Störungen, welche mit denjenigen nach Opiumgenuss 
zusammenfallen, eine Reihe nicht bekannter: im Augengebiete Pupillen¬ 
differenz und AccommodationsstÖrungen; Unregelmässigkeiten in den Herz¬ 
bewegungen , Athmungsanomalien; von Seiten des Digestionsapparates 
neben Appetitlosigkeit Heisshunger und Polydipsie. Neben cerebralen 
Erscheinungen, wie Unruhe, Angst, Hallucinationen etc., spinale gesteigerte 
Reflexerregbarkeit, Tremor der Hände; ferner fand er die uropoetische 
und Urogeuital-Sphäre in schwere Mitleidenschaft gezogen, die sich in 
Albuminurie, Impotenz und Amenorrhoe äusserte. Neben diesen Abvia- 
tionen in der Function der einzelnen Organe beobachtete er Fieberzustände, 
welche sich in drei Formen rubriciren lassen. Die erste Form, Intermittens 
der Morphiumsucht, bietet dieselben klinischen Symptome, wie die Malaria- 
Intermittens: Frost bis zum Schüttelfrost, darauffolgende Hitze und 
Schweiss in tertianem, meist quotidianem, bald ante-, bald postponirendem 
Typus. Die Temperatur der Morphium - Intermittens steigt auf dieselbe 
Höhe, wie die der Malaria-Intermittens; die Intervalle zwischen den ein¬ 
zelnen Attaquen sind gleichfalls reine, die Milz ist meist vergrössert und 
erreicht den Umfang der Milztumoren von schwererem Malaria - Intermit¬ 
tenten. Aehnlich der Malaria-Intermittens findet sich auch bei ihr eine 
Febris erratica, uud es treten von Zeit zu Zeit in ganz unregelmässigem 
Typus Frostanfälle mit hoher Temperatur, Hitze und Schweiss ein. 
Zuweilen tritt Morphium Intermittens in Begleitung hochgradiger Erregungs¬ 
zustände und heftiger Delirien auf. 

Bei der zweiten Form des Morphiumfiebers klagen die Kranken 
fast täglich, namentlich in den Nachmittags- und Abendstunden, bei einer 
mässigen Temperaturerhöhung über Frösteln, gesteigertes WärmegefÜlil 
und heftigen Durst, welcher Zustand, meist nur Stunden, mitunter aber 
auch halbe Tage dauert. 

Die dritte Form des Morphiumfiebers bietet Erscheinungen eines 
Typhoids, Kopfweh, Ohrensausen, Schwindel. Die Kranken sind matt und 
apathisch, suchen das Bett auf, das sie vor 3—6 Wochen nicht ver¬ 
lassen können; sie sind nicht im Stande, sich zu beschäftigen; klagen, 
dass sie unfähig wären, zu lesen. Die Untersuchung ergibt eine Accum- 
modationsparese , die als charakteristisch für diese Form des Morphium- 
fiebers aufzufassen ist. Die Temperatur steigt selten über 38*3. 

Alle diese Störungen, welche die chronische Morphium-Intoxication 
setzt, werden mit einem Schlage durch die Morphium-Entziehung beseitigt. 
Die Augen-, die Digestions-Anomalien, die Neuralgien, der Tremor ver¬ 
lieren sich innerhalb acht Tage; die Impotenz schwindet in der dritten 
oder vierten Woche; die Jahre lang andauernde Menopause macht nach 
4—G Wochen dem regelmässigen Eintritt der Menstruation Platz; die 
Morphiumfieber und Intermittensanfälle, weiche den Kranken Monate lang 
heimsuchten, verschwinden sofort, sowohl nach Beginn der plötzlichen, als 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


253 


auch der langsamen Entziehung. Schon wiederholt hat der Vortr. die 
Frage erörtert, ob die plötzliche Entziehung der langsamen vorzuziehen 
sei. Weitere Beobachtungen haben bestätigt, dass es lediglich im Interesse 
der Kranken liegt, wenn das Morphium denselben plötzlich 
entzogen wird. 

Die langsame Entziehung hat auch den Nachtheil, dass in den 
letzten Tagen der vor Wochen begonnenen Behandlung, wenn es sich 
also nur noch um die Ueberwindung kleiner Dosen Morphium handelt, um 
Dosen von 1 Cgrm., selbst von 5 Mgrm., nicht nur von Seiten der 
Kranken, weiche sich von den Injectioneu nicht loszureissen vermögen, 
dem Arzte Widerstand entgegengesetzt wird, sondern dass durch die Ent¬ 
ziehung dieser letzten kleinen Dosen oft heftige Abstinenzerscheinungen 
hervorgerufen werden, die bei der plötzlichen Entziehung meist schon nach 
vier bis fünf Tagen überwunden sind. 

Aber unleugbar ist, dass die plötzliche Entziehung eingreifend 
wirkt, dass sensible Individuen, und namentlich Frauen, dieselbe schwer 
überwinden, dass die ärztliche Ueberwachung eine continuirliche sein 
muss, und dass sie bei Personen, welche an chronischen, schmerzhaften, 
unheilbaren Krankheiten leiden, nicht durchführbar ist. Die Frage, ob 
eine Morphium-Entziehung selbst bei dieser letzteren Kategorie von Kranken 
nothwendig ist, ob man nicht, da sie doch unheilbar, die gesteigerte 
Morphiumzufuhr gestatten solle, muss dahin beantwortet werden, dass von 
einer Entziehungsbehandlung nicht die Rede sein kann bei Individuen, die 
voraussichtlich nur noch eine kurze Lebensdauer haben, dass aber die¬ 
selbe indicirt erscheint bei Individuen mit chronischen schmerzhaften 
Krankheiten, deren Lebensausgang unberechenbar ist. Der Grund der 
Nothwendigkeit des Entziehungsverfahrens bei diesen Patienten ist ein¬ 
leuchtend. Morphium versagt schliesslich selbst bei continuirlich sich 
steigernder Zufuhr seinen Dienst. Das Nervensystem ist gesättigt; es ist 
nicht mehr im Stande, analog dem chemischen Sättigungsprocess, Morphium 
aufzunehmen und auf sich wirken zu lassen. Das im Körper vorhandene 
Morphium äussert sich nur noch in seinem toxischen Effect, nicht schmerz¬ 
mildernd oder gar schmerzstillend. Wird durch das Entziehungsverfahren 
der Körper von Morphium frei, so kommt derselbe wiederum in den Zustand 
normaler Individuen, bei welchen schon minimale Dosen Morphium nar¬ 
kotisch wirken. Man entzieht also dieser Gruppe von Kranken Morphium, 
um ihnen ein Mittel wiederzugeben, welches, zweckmässig angewandt, 
dauernd ihre Schmerzen betäuben kann; unzweckmässig gegeben, zu den 
Schmerzensstunden des Grundleidens noch schwerere, die der Intoxication, 
bringt. Für diese Kranken hat der Vortr. ein modificirtes Verfahren 


angewandt, welches gleichfalls auf plötzlicher Entziehung beruht, und das¬ 
selbe bei Phthisikern, Emphysematikem, bei Herzkranken und Tabikern 
mit Erfolg durchgeführt. Dasselbe besteht in Folgendem: Um die tägliche 
Morphiummenge, welche die Kranken gebrauchen, festzusetzen, werden 
dieselben vor Beginn des modificirten Verfahrens isolirt und unter Beob¬ 
achtung gestellt, und erhalten 2—3 Tage die von ihnen angegebenen 
Morphiumgaben; dann werden die Injectionen plötzlich abgebrochen. Nach 
L’s. Beobachtungen tritt nur ganz ausnahmsweise, und auch dann nur, 
wenn die Kranken rücksichtlich der Ernährung nicht überwacht worden 
sind, vor Ablauf von 24 Stunden nach der letzten Injection ein schwerer 
Collaps auf. Um diese Zeit entwickeln sich die schweren Entziehungs¬ 
erscheinungen , aus welchen ein gefährlicher Collaps sich herausbildeii 


kann. Sobald ein Schwächezustand (aussetzender Puls, verlangsamte und 

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Medici nisch-chirurgische Rundschau. 


254 


unregelmässige Respirationen, coiliquative Diarrhöen, übermässiges Er¬ 
brechen) auszubrechen droht, muss der vollen Entwicklung desselben vor¬ 
gebeugt werden. Hat das Individuum früher sehr grosse Dosen Morphium 
gebraucht (1V 2 —2 Grm.), so genügt der 30. Theil, bei grossen Dosen 
(über 0*5—1-0) der 15. Theil, bei kleinen (unter 0*5) der 10. Theil, um, 
wenn auch nicht ein besonders behagliches Gefühl hervorzubringen, doch 
einen erträglichen Zustand zu schaffen und die schwersten Abstinenz¬ 
erscheinungen zu beseitigen. 

Es ist von Vortheil für die Kranken, wenn das Entziehungsverfahren . 
Abends begonnen wird. Die erste Nacht verläuft unter geringen Symptomen; 
im Laufe des darauffolgenden Tages steigern sich dieselben und erreichen 
gegen Abend ihre Höhe. Die um diese Zeit gegebene Injection gewährt 
dann dem Kranken eine massige Nachtruhe. >m nächsten Morgen be¬ 
ginnen die Abstinenzerscheinungen bis zum Abend in gesteigerter Weise 
sich zu entwickeln; dann erhält der Kranke den 40., 20., resp. 15. Theil 
seines früheren Tagesverbrauchs. Dasselbe Verfahren mit verringerter 
Dosis auch noch am 3., 4. und 5. Tage und so lange fort, bis der 
Kranke auf einen Morphiumverbrauch von 0*03 bis 0 01 gekommen ist. 
Die Höhe der bei diesen Schwerkranken genügenden Morphiumdosis kann 
nur annähernd gegeben werden, da der behandelnde Arzt dieselbe ent¬ 
sprechend dem Zustand seiner Kranken wird steigern oder vermindern 
müssen, in den wenigsten Fällen wird eine Steigerung nothwendig sein. 
L. hat dieses modificirte Verfahren auch bei sensiblen Individuen versucht. 

Durch das modificirte Verfahren zeigte sich, dass nach Beginn der 
Entziehung schon eine kleine Dosis Morphium genügt, um den Ausbruch 
schwerer Phänomene zu hindern, und dass wir in derselben ein Mittel in 
Händen haben, die Beschwerden, welche die absolut plötzliche Entziehung 
mit sich führt, erheblich zu erleichtern. Es würden demnach die Indica- 
tionen für die verschiedenen Verfahren folgende sein: Absolute plötzliche 
Entziehung ist anzuwenden bei robusten Individuen; das modificirte Ver¬ 
fahren im engeren Sinne bei Frauen und sensiblen männlichen Individuen. 
Bei diesen beiden Kategorien handelte es sich um die dauernde gänzliche 
Entziehung des Morphium. Das modificirte Verfahren im weiteren Sinne 
ist demnach bei denjenigen indicirt, bei weichen es sich wegen chroni¬ 
scher, schmerzhafter, unheilbarer Krankheitszustände nur um eine Herab¬ 
setzung des Morphiumgebrauches auf möglichst minimale Dosen handelt. 

Nach objectiver Prüfung dieses Verfahrens wird wohl Niemand 
mehr ein Wort zu Gunsten der langsamen Entziehung verlieren. Aber 
trotz der Gefahrlosigkeit, welche das modificirte Verfahren mit sich führt, 
trotz der Erleichterung, welche dem Kranken, dem Arzte und selbst dem 
Wartepersonal dadurch erwächst, möchte L. es gerathen erachten, dass 
bei dem modificirten Verfahren dieselbe ärztliche Ueberwachung wie bei 
der plötzlichen Entziehung stattfinde. 

Nachdem nun dem Kranken das Morphium entzogen ist und er 
selbst körperlich erfrischt und geistig erwacht seine Pläne für die Zukunft 
entwirft, müssen wir ihn schon gegen einen Feind wappnen, der die 
meisten Morphiumsüchtigen nach der Entziehung verfolgt: gegen den 
Rückfall. 

L. erwähnt nun eine Gruppe Morphiumsüchtiger, welche die dauernde 
Entziehung des Morphium nicht vertragen. Gewisse Individuen, welche 
eine grosse Reihe von Jahren (10—15) grosse Dosen Morphium (1*0 bis 
2*0) gebrauchten, ertragen die dauernde Morphiumentziehung nicht, unge¬ 
achtet sie weder an somatischen, noch psychischen Störungen leiden. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


255 


Nach Beendigung des Abstinenzverfahrens waren sie unbefriedigt; sie 
hatten durch dasselbe zwar Appetit und Schlaf wieder erhalten, wieder 
ein gesundes Aussehen erlangt, aber sie fühlten sich krank. Fünf bis 
sechs Monate später verloren sie Schlaf und Appetit, das Aussehen wurde 
elend, die Personen magerten ab und fingen an hinzusiechen. Die objective 
Untersuchung Hess keinen Krankheitsherd für diese pathologischen Er¬ 
scheinungen entdecken. Anfangs glaubte L., diese Personen seien rück¬ 
fällig geworden und nehmen heimlich Morphium; später überzeugte er 
sich vom Gegentheil. — Und was verlangten diese glücklicherweise sehr 
selten vorkommenden Fälle als Heilmittel? — Morphium. Morphium 
war dem Organismus dieser Individuen durch jahrelangen Gebrauch zum 
Leben8bedürfnis8 geworden, und man würde einen irreparablen Fehler 
begehen und unverantwortlich handeln, wenn man ihnen aus falscher 
Consequenz Morphium versagte. Aber bevor man sich zur Wiederdar¬ 
reichung entschliesst, müssen diese Fälle einer genauen Controle unter¬ 
worfen werden. Bei alten Individuen hat man vor Ablauf von 5-6 Mo¬ 
naten, bei Personen im mittleren Lebensalter vor Ablauf von einem Jahre 
durch die totale Entziehung nichts zu fürchten, dann aber, wenn Siech¬ 
thum sich zu entwickeln droht, schreite man ein und gebe ihnen Morphium, 
falls nicht indicatio vitalis es schon früher gebot. Es genügt die Wieder¬ 
aufnahme kleiner Gaben Morphium (2—3 Mai täglich 5Mgrm. bis 1 Cgrm.), 
welche Dosen auch nicht gesteigert zu werden brauchen, um dem Kranken 
Schlaf, Appetit und das Gefühl des Wohlbefindens wiederzugeben. 

Unter 110 an Morphiumsucht vonL. behandelten Kranken befanden 
sich 82 Männer und 28 Frauen, und doch möchte er nicht annehmen, 
dass das männliche Geschlecht zu der in Rede stehenden Krankheit mehr 
prädisponirt sei, als das weibliche. Die Beschäftigung, die gesellschaft¬ 
liche Stellung, die Forderungen, die an seine Leistungsfähigkeit gestellt 
werden, sein exponirteres Handeln führen den Mann schneller dazu, die 
Morphiumspritze sich anzueignen. Diese ursächlichen Momente erklären 
es auch, dass die überwiegende Zahl der der Morphiumsucht Verfallenen 
Aerzte sind. 

Unter den erwähnten 82 Männern und 28 Frauen befanden sich* 
32 Aerzte, 8 Arztesfrauen, 1 Arztessohn, 2 Diaconissinnen, 2 Heildiener, 

1 Hebamme, 1 Candidat derMedicin, also 47 zum ärztlichen Fache oder Hause 
gehörige Personen; nächst diesen stellt der Officierstand das grösste Con- 
tingent: 18 Officiere und 1 Officiersfrau. Die übrige Zahl vertheilt sich in 
folgender Weise: 6 Apotheker und 1 Apothekersfrau, 11 Kaufleute und 
Fabrikanten, 5 Kaufmannsfrauen, 4 Beamtensfrauen, 2 Fräuleins, 3 Reutiers, 

2 Rentieren, 3 Gutsbesitzer, 4 Juristen, 1 Lehrer und 2 Erzieherinnen. 
Der jüngste der Morphiumsüchtigen war 21, der älteste 65 Jahre alt. 

Die Gewöhnung an Morphium-Injectionen entstand bei 20 Männern 
und 6 Frauen nach acuten, bei 46 Männern und 17 Frauen nach chro¬ 
nischen, mit Schmerzen oder Belästigungen verbundenen Erkrankungen. 
1 Mann wandte es als Antaphrodisiacum an; 15 Männer und 5 Frauen 
wurden morphiumstichtig durch Verleitung, theils um sich in eine ange¬ 
nehme Stimmung zu versetzen, theils um ihre häuslichen Sorgen zu 
vergessen. 

Von 110 Morphiumsüchtigen wurden während der Morphiumsucht 
12 Männer Potatoren. 

Von den erwähnten 82 morphiumsüchtigen Männern wurden 61 rück¬ 
fällig, von 28 Frauen 10, von 32 Aerzten neuesten Ermittelungen 28. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Der Rückfall ist auch durch die lange Zeit nach dem übermässigen 
Gebrauch des Morphium fortdauernde Nachwirkung begründet. Monate 
nach der Entziehungscur, nachdem der Kranke vollständig wiederberge* 
stellt erscheint, brechen plötzlich Unruhe und Angstzustände aus, die sich 
nach einigen Tagen wiederholen und mit heftigem Verlangen nach Mor¬ 
phium verbinden. 

Die Aerzte führen aber selbst eine nicht unerhebliche Zahl zum 
Rückfall; sie gehen von der Annahme aus, dass durch die Entziehungs¬ 
behandlung die Morphiumsüchtigen geheilt seien und geben ihnen, wenn 
dieselben über schmerzhafte Zustände klagen (Zahnweh, Migräne) oder 
diese simuliren, Morphium-Injectionen. Mit der Wiederaufnahme derselben 
verfallen viele Kranke ihrer alten Leidenschaft. Von 8 Personen, die 
zum zweiten Male in L’s. Behandlung kamen , sind 5 in dieser Weise 
rückfällig geworden. 

Der Rückfall ist unter folgenden Bedingungen gewiss zu verhüten. 
Zu diesen gehört ausser der Willenskraft des Individuums, dass das 
Lebensalter nicht zu vorgerückt ist, dass die materiellen Verhältnisse 
grössere Opfer gestatten, und dass das Individuum nicht viele Jahre sehr 
grosse Dosen Morphium anwandte. Bei der Entlassung eines Kranken 
nach der Entziehungsbehandlung ist derselbe aufmerksam zu machen, 
dass er wohl vom Morphinismus — von der Morphium-Intoxication — 
geheilt sei, keineswegs aber von der Sucht nach Morphium, dass er 
innerhalb eines Jahres noch Attaquen ausgesetzt sein werde, in welchen 
er dem Verlangen nach Morphium schwer Widerstand leisten könne; 
dass es in seinem Interesse liege, wenn er sich noch einer freiwilligen 
Ueberwachung als Schutz gegen den Rückfall unterwerfe. 

Die Morphiumsucht hat an und für sich keine criminalrechtliche 
Bedeutung, da der Thäter durch die Erkrankung an Morphiumsucht zur 
Zeit der Begehung einer That sich nicht in einem Zustande von Bewusst¬ 
losigkeit oder krankhafter Störung der Geistesthätigkeit befindet, durch 
welche eine freie Willensbestimmung ausgeschlossen ist. Die „Sucht“ fallt 
lediglich in die Kategorie der menschlichen Leidenschaften. Dagegen ist 
derselben eine civilrechtliche Bedeutung nicht abzusprechen, und es 
werden über kurz oder lang die Versicherungsgesellschaften Stellung zur 
Morphiumsucht nehmen müssen. Der Morphiumsüchtige verkürzt sein 
Leben, ob aber dies nach dem Selbstmordparagraph behandelt werden 
sollte, ist eine juridische Frage. 0. R. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 

212. Ueber Wehenschwäohe und deren Behandlung. Von Hof¬ 
rath Prof. Braun v. Fernwaid. Wien. (Wiener Med. Presse 1880. 
Nr. 1.) 

Wehenschwäche bezeichnet Verfasser als relativ verminderte Er¬ 
regung des Fruchthalters mit verzögertem Geburtsverlaufe und mehr 
minder gefährlichen Zufällen in den einzelnen Geburtsperioden. 

Man unterscheidet drei Grade von Wehenschwäche. 

I. Inertia uteri. Die Trägheit des Fruchthalters: Wehenpause 
ungewöhnlich lang, kurze unvollständige Erhärtung des Uterus, zu lange 
dauernder Geburtsverlauf. 


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Medicinisch-cbirnrgische Rundschau. 


257 


II. Atonia uteri: Anfangs starke Wehen, später gänzliches Aufhören 
derselben. Fortbewegung der Frucht oder der Nachgeburt bei nicht zu 
ermittelndem Widerstande. 

III. Paralysis oder exhaustio uteri. Anfangs sehr starke Wehen, 
später vollständige Weichheit und Schmerzlosigkeit des Uterus. 

Die Wehenschwächen nach den Zeiträumen. 

a) Eröffnungsperiode: Schmerzlose Wehen, lange Pausen, 
geringe Härte des Uterus; während der Wehen ist Muttermund und Frucht¬ 
blase schlaff. 

b) Austrittsperiode: Lähmung des Hohlmuskels, mechanischer 
Widerstand im Becken, in den Weichtheilen und der Frucht, Complication 
mit Metrorrhagie. 

Die Prognose ist gefährlich, am bedenklichsten in der Nachgeburts¬ 
periode durch Blutung; selbst der Tod kann eintreten. Das Leben der 
Frucht ist in Gefahr, bei den Müttern treten oft Puerperalkrankheiten 
auf. In der Eröffnungsperiode ist die nicht misshandelte Wehenschwäche 
von geringem Nachtheile. 

Behandlung. In der Eröffnungsperiode sind Medicamente nicht 
nothwendig. Pflege ist die Hauptsache. Licht, Luft, bequeme Lage, 
Bettwärme, öftere Harn- und Rectumentieerungen, Wechsel der Körper¬ 
lage, Schlaf, erquickende Getränke. Schwächlichen Müttern reiche man 
Pepton, Fleischbrühe, Wein; besonders eignen sich Tokayer, Menescher 
und Rüster, welche durch geringen Alkohol- und reichlichen Phosphor¬ 
gehalt ausgezeichnet sind. Blasenstich in der Längslage bei ringförmiger 
Erweiterung des Muttermundes ist ein vorzügliches wehetreibendes Mittel. 
Kolpeurise, intrauterine Katheterisation ist verpönt. 

Die gröbste Störung für die Gesundheit der Mutter und des Kindes 
ist der Missbrauch des Secale cornutum während des Geburtsverlaufes. 
Gegen Ende der Schwangerschaft erregt es Wehen. Es erzeugt Gefäss- 
krampf, vermindert das Kaliber des Uterus, vermindert die Blutzufuhr, 
retardirt die Frequenz der Herztöne, vermehrt die Uterusmuskelcontraction, 
erhöht die Schmerzhaftigkeit und hindert die periodische Erschlaffung. 
Die freie Circulation des Blutes wird unterbrochen, die Kinder sterben an 
Asphyxie. Verfasser stellt fest, dass das Secale während der Geburt 
lebender Kinder wegen Wehenschwäche vermieden werden soll. Secale 
erzeugt weiter reichliche Hamsecretion und Ueberftlllung der Harnblase. 

Das frische Pulver zu 2*00 bis 4*00 wirkt toxisch ; erzeugt Er¬ 
brechen, Erweiterung der Pupille, Lähmungen der unteren Extremitäten. 
Nur in der Nachgeburtsperiode bei Metrorrhagien, Abortus, Frühgeburt 
todter Kinder, Molen, kann Secale angewendet werden. Bei lebenden 
Kindern ist es ein pulvis ad mortem, nicht ad partum. 

Frisch bereitet, wirkt es 03 allö fünf Minuten eine Dosis; wenn 
nach 15 Minuten keine Contractionen eintreten, ist es wirkungslos. 

Sclerotinsäure, Scleromucin bieten die reinsten Bestandtheile des 
Secale. (Natron sclerot. ist schwächer als die Säure.) Beide bewirken 
bei Warmblütern bestimmt Lähmungen. Beide wirken auf das Central¬ 
nervensystem, die Reflexthätigkeit wird herabgesetzt, Herzthätigkeit ist 
unverändert, der Blutdruck fällt, ebenso die Temperatur des Körpers; 
das Athmen wird verlangsamt. Die blutstillende Wirkung ist auf Anämie 
des Fruchthalters zurückzuftthren. 10 Gramm Sclerotinsäure tödtet den 
Menschen durch Respirationsläbmung. Die Einspritzungen beider genannten 
Präparate sind wegen grosser Schmerzhaftigkeit, die sie erzeugen, untaug¬ 
lich. Innere Gabe muss erst klinisch geprüft werden. 

Med. ohir. Rnn-lechau. D g tzed b/GoOglt 7 



258 


AIedici u isch-chirurgische Rundschau. 


Bei ausgebildeter Lähmung oder Halblähmung des Uterus ist die 
Extraction der Frucht rationell. 

Tinct. Canabis, T. Cinammomi, subcutane Injectionen von Aetlier, 
Morphin O Ol -—0 04, 01. camphor. sind nutzlos. 

Cliloral lindert Wehenschmerzen und soll niemals die Weben- 
thätigkeit unterdrücken, sondern vielmehr zur Eröffnung des Muttermundes 
und Ilcrabdrttckung des Kopfes beitragen. — Verfasser gibt höchstens 
2—3 Gramm. 

Pilicarpinum muriatic. erzeugt in wenigen Minuten Sali- 
vation, Diaphorese, beschleunigten Puls, Pupillenerweiterung. Zur Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft ohne Erfolg. Der Versuch damit wurde 
auf der Klinik eingestellt. 

Chinin als wehenbefördernd bewährte sich nicht. 

Cataplasmes echauffants, so auch Aufträufelungen von Aether, 
Alkohol, flüchtigen Oelen auf den Unterleib wurden nie angewendet. 

Massage des Fruchthalters (Kneten des Uteringrundes abwechselnd 
mit den Fingern) ist in der Nachgeburtsperiode ein vortrefflicher Hand¬ 
griff, in der Austrittsperiode dann anwendbar, wenn eine physiologische 
Beendigung der Geburt zu erwarten ist. 

Die Expressio Uteri bei Kopflagen ist wenig anwendbar, besser 
der Forceps. 

In der Nachgeburtsperiode ist die Expressio werthvoll; bei Becken¬ 
endlagen für die Geburt des nachfolgenden Kopfes. 

Elektricität, ebenso wie das Faradisiren der Mammae ist erfolglos. 

Dr. V. Fink. 


213. Das Jodoform in der Gynäkologie. Von Dr. Edgar Kurz 
(Florenz). (Allgem. med. Ctrl. Ztg. 1880. 17.) 

Verf. hat schon früher (Allg. med. Ctrl.-Ztg. 1879. 8.) das Jodoform, 
nach mehrfachen guten Erfahrungen über seine Wirksamkeit als Resorbens 
bei Tumoren, auch zur Anwendung in der Gynäkologie, sowohl im Tampon 
als äusserlich in Salbenform, empfohlen, seitdem hat er in seiner poliklinischen, 
sowie in der Privatpraxis diese Behandlungsweise systematisch durchgeffthrt, 
vor Allem bei chronischer Metritis, bei Ulcus der Vaginalportion, bei 
Peri- und Pararaetritis und bei Perioophoritis wurden gegen 100 Fälle 
dieser Art mit Jodoform behandelt und damit oft auffallend schnelle 
Besserung und Heilung erzielt, und zwar in kürzerer Zeit, als früher 
mit den von Jahanowsky empfohlenen Jodtincturbepinselungen; doch 
hat Verf. in einem Theil der Fälle diese Bepinselungen neben der Jodo¬ 
formbehandlung beibehalten. 

Die Application des Jodoform wurde meist auf folgende Weise 
vorgenommen: 

In eine Lösung von 3*0 Jodoform auf 6*0 Perubalsam und 24-0 Gly¬ 
cerinsalbe wurde ein grosser Tampon (mit Faden versehen) bis zur 
vollständigen Sättigung eingetaucht, auf den Cervix gebracht, durch einen 
trocknen Wattetampon dort fixirt und frühestens nach 8 Stunden entfernt. 
Die gleiche Salbe wurde äusserlich auf die Bauchdecken eingerieben, 
besonders wenn es sich um Exsudate handelte. Der Perubalsam corrigirt 
den Geruch nur schlecht, weshalb bei empfindlichen Personen ein sorg¬ 
fältiges Zudecken mit Compressen und impermeablem Papier räthlich ist. 
Ein entschieden besseres Corrigens ist 01. menth. pip. Anfangs Hess K. 
der Jodoformapplication das Bestreichen des Cervix und oft auch des 
Scheidcngewölbes mit Jodtinctur vorhergehen, ist aber in der letzten Zeit 


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Med ieiniach-chirurgische Rundschau. 


259 


von dieser Combination zurückgekommen, da das Aufträgen der Jod- 
tinctur vor Allem bei acuteren Processen doch manchmal schmerzhaft war 
und das Jodoform allein dem Zweck stets vollständig genügte. Die Ein¬ 
führung des Tampons wurde gewöhnlich 2mal wöchentlich vorgenommen. 
Viele der Patientinnen liess er ausserdem an den andern Tagen des 
Abends selbst einen Globulus vaginalis von 0*25 Jodoform mit Butyr. 
Cacao einführen, eine Methode, die weit weniger wirksam ist, weil das 
Jodoform nicht so sicher dort applicirt wird, wo es zur Wirkung kommen 
soll, die aber zur Unterstützung der Tamponbehandlung deshalb von 
praktischem Werth zu sein scheint, weil man doch nicht wegen eines 
Infarcts oder eines Ulcus tägliche Krankenbesuche machen kann. 

Im Uebrigen hat Verf. die altherkömmliche Therapie, wie Irriga¬ 
tionen mit Salzwasser (Seewasser oder Mutterlauge), Prie ssnitz’sche 
Umschläge, Ofner oder Friedrichshaller Bitterwasser etc. beibehalten und 
diese Mittel je nach der Individualität des Falles angewandt. Doch war 
er seit der Behandlung mit Jodoform seltener, als früher, veranlasst, 
Scarificationen der Vaginalportion vorzunehmen, da die Hyperämie der¬ 
selben durch das Jodoform und die Emmet’schen Irrigationen meist 
rasch beseitigt wurde. 

Ein Hauptvortheil der Jodoforraapplication ist, dass sie nicht nur 
nicht schmerzt, sondern geradezu eine schmerzstillende Wirkung ausübt. 
(Bei einigen sehr nervösen Frauen musste K. das Mittel wegen der 
ermüdenden und fast narcotischen Wirkung, die es äusserte, von Zeit zu 
Zeit eine längere Reihe von Tagen aussetzen.) Diese sehmerzstillende 
Wirkung, verbunden mit der bedeutenden resorptions-befördernden Kraft, 
sichern dem Jodoform entschieden den Vorzug vor allen anderen Jod¬ 
präparaten. Manchmal konnte das Jodoform noch längere Zeit nach Aus¬ 
setzung des Gebrauches im Urin nachgewiesen werden, was die Annahme 
von Kisch bestätigt, dass es länger in den Geweben verweile und aus 
diesem Grund stärker resorbirend wirke. 

Bei chronischer Metritis hat K. in vielen Fällen durch genaue 
Sondenmessung die successive Verkleinerung des Uterus constatiren können. 
In den Fällen, wo derselbe in Folge seiner Schwere in toto nach rück¬ 
wärts gesunken war, näherte er sich im Verlauf der Behandlung wieder 
mehr oder weniger der normalen Lage. Am raschesten offenbarte sich 
der Erfolg, wenn die Verdickung der Hauptsache nach den Cervix betraf. 

Auf die Ulcera der Vaginalportion übte das Jodoform die promp¬ 
teste Wirkung. Kleinere Erosionen und Geschwüre sah Verf. schon nach 
wenigen Tagen heilen; zwei sehr ausgedehnte, leicht blutende Geschwüre 
auf stark verdickter und harter Vaginalportion, die fälschlich als carcino- 
matös diagnosticirt und sich selbst überlassen worden waren, kamen im 
Verlauf von wenigen Wochen zur Heilung. 

Ueberraschend war auch stets der Einfluss des Mittels auf die 
Resorption von Beckenexsudaten, vor Allem von alten perimetritischen 
Exsudatresten, die bekanntlich oft so lange jeder Therapie Trotz bieten. 
So hatte Verf. u. A. einen Fall in Behandlung, in dem von einer Auto¬ 
rität, nach wiederholt vorausgegangenen Unterleibsentzündungen, Sterilität 
vorhergesagt worden war, eine Diagnose, die eine dreijährige kinderlose 
Ehe zu bestätigen schien, um so mehr, als sich der Uterus iu spitz¬ 
winkliger Anteflexion durch viele perimetritische Stränge fest und unbe¬ 
weglich fixirt fand und Zerrungserscheinungen von Seiten der Blase, 
heftige Dysmenorrhoe etc. bestanden. Nach zweimonatlicher Anwendung 
des Jodoform war der Uterus frei und schmerzlos beweglich, und nach 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


kurzem Aufenthalt in einem Seebad concipirte die Frau, wiewohl ihre 
spitzwinklige Anteflexion nach wie vor fortbestand. Leichte ziehende und 
stechende Schmerzen im Unterleib, die im Beginn der sonst normalen 
Schwangerschaft manchmal aufgetreten 'waren, verloren sich von selbst 
im Verlauf, der nun bis zum 5. Monat gediehen ist. Verf. schliesst mit 
den Worten: r In allen Fällen, in denen ich das Jodoform an wandte, 
konnte ich eine bedeutende Besserung constatiren, in vielen eine voll¬ 
ständige Heilung, viele entzogen sich auch, nachdem die Milderung der 
subjectiven Beschwerden erreicht war, einer weiteren Behandlung und 
Beobachtung. Sicher werden alle Collegen, die das Mittel consequent zur 
Anwendung bringen wollen, sich von seinem vorzüglichen therapeutischen 
Werth überzeugen.“ —sch. 

214. De l’action du Salicylate de Sonde sur Furie, Facide urique et 
Facide phosphoriqne de 1’urine dans le Rheumatisme artieulaire aigu. 
Par le Dr. Lecorchä, Professeur etc. etc. et Ch. Taiomon, Interne 
des hopiteaux. (Revue mensuelle et de Chirurgie. 10. Mars 1880.) 

Seit den an der Akademie der Medicin in Paris 1877 gemachten 
Mittheilungen des Professor S 6 e: „Untersuchungen über die Salicylsänre 
und die salicylsauren Salze* (Bulletin de V Academie de m£d. 1877, p. 705) 
sind eine Reihe weiterer Publicationen über dieses Heilmittel erschienen, 
die sich vorzugsweise über den therapeutischen Werth desselben verbreiten. 
Seine gute therapeutische Verwendung ist in diesen auf Grund hundert¬ 
fältiger Erfahrungen festgestellt, die Wirkungsweise des Mittels aber ist 
eine offene Frage geblieben. Eine Anzahl von Forschern suchten der 
Lösung dadurch näher zu treten, dass sie dem Einfluss des Mittels auf 
die Harnsecretion ihre Aufmerksamkeit zuwendeten, und zwar sowohl bei 
kranken, wie auch gesunden Individuen. So Robin, Byasson, 
Blanchier, Bouchard, Marrot u. s. w. 

Sämmtliche Autoren, Marrot ausgenommen, stimmen darin überein, 
dass die Medication des salicylsauren Natrons den Gesammtgehalt der 
festen Bestandtheile des Harnes vermehre, allein welchem Bestand¬ 
teil des Harnes diese Vermehrung besonders zuzuschreiben sei, 
darüber gehen die Meinungen auseinander. Während die Einen eine 
Verminderung des Harnstoffes beobachteten, lässt derselbe nach Anderen 
keine bemerkenswerte Abweichung von der Norm erkennen. Die Harn¬ 
säure ist nach dem Ergebniss der Meisten vermehrt, von Anderen ver¬ 
mindert gefunden, desgleichen die Phosphate. 

Diese Widersprüche unter den Angaben der Autoren waren Ver¬ 
anlassung zu erneuerten Untersuchungen, welche Le cor ch 6 und Taio¬ 
mon in 19 Fällen acuten und subacuten Gelenkrheumatismus anstellten, 
um den Einfluss des salicylsauren Natrons auf die Harnsecretion festzu¬ 
stellen. — Die quantitativen Untersuchungen beziehen sich auf den Harn¬ 
stoff, auf die Harnsäure und Phosphorsäure. — Die gereichten Dosen 
des salicylsauren Natrons waren p. d. 4 und 8 Gramm. 

Aus den ausführlich mitgetheilten Krankengeschichten und den in 
übersichtlicher Tabellenform zusammengestellten Harnanalysen ergeben sich 
folgende Schlüsse: 

1. Einige Zeit (24—48 Stunden) nach der Medication hebt sich 
das specifische Gewicht des Harns und seine Farbe wird dunkelgelb bis 
braunroth, die absolute Urinmenge ist nicht vermehrt; diese Periode der 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


261 


- Harnausscheidung benennen die Autoren als die eigentliche Periode der 
Wirksamkeit des Medicamentes. — Hierauf folgt eine vermehrte Harn¬ 
ausscheidung, eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Polyurie, welche 
kürzere oder längere Zeit anhalten kann und welche mit einem rapiden 
Abfall der festen Bestandteile und der Hamfarbe bis zur Norm (und 
darunter) einhergebt — die Periode der Convalescenz. 

Beim acuten Rheumatismus dauert diese Periode länger als beim 
subacuten. 

2. Der Urin ist gewöhnlich sauer, in der zweiten Periode kann er 
auch neutral und eine Zeit hindurch alkalisch sein. 

3. Der Harnstoff und die Harnsäureausscheidung zeigen unter dem 
Einflüsse des Medicamentes eine enorme Vermehrung. Diese Vermehrung 
zeigt sich gewöhnlich 24 Stunden nach der Medication, im anderen 
Falle kann sie verzögert sein und erst nach Verlauf von drei Tagen 
zum Ausdruck gelangen. Sie dauert dann 3—4 Tage. Ihr folgt eine 
zuweilen allmälig eintretende, zuweilen sofortige Verminderung der Harn¬ 
stoff- und Harnsäureausscheidung bis zur Norm und darunter. 

ln den Fällen des subacuten Rheumatismus dauert die Zeit der 
vermehrten Ausscheidung nicht so lange, wie in den Fällen des acuten 
Rheumatismus. 

4. Gleichzeitig mit dem Harnstoff und der Harnsäure vermehrt 
sich auch die ausgeschiedene Phosphorsäure; auch bei dieser kann 
gleichwie bei der oben genannten, die Vermehrung erst längere Zeit nach 
der Medication erfolgen. Die vermehrte Phosphorsäureausscheidung dauert 
aber, besonders bei acutem Rheumatismus, länger an, als die des Harn¬ 
stoffes und der Harnsäure. — Sie ist nicht aufzufassen als unmittelbar 
bedingt durch die Therapie, sondern sie ist ebenso wie die Polyurie des 
zweiten Stadiums, die gewöhnliche Erscheinung der Convalescenz. 

Der Uebersichtlichkeit wegen fügen wir zwei Tabellen bei. 

Beobachtung 1. Acuter Rheumatismus. 1. Anfall. Ein 24jähriger Mann. 


I 

1 

1 

Behandlung : 

1 

1 

spec. 

Re- 

Harn- ! Harn- 

Phos- 

! Datum 

Menge 

i 

Ge¬ 

wicht 

action j 

i 

stoff , säure I 

I i 

phor- 

säure 

21.—22. October 1 

- 

i 

1500 | 

1015 

sauer ! 

28-822 ! 0 720 

i | 

1-608 | 

! 22.-23. 


Colchicin j 
20 Tropfen 1 

1 1000 ! 

1023 

1 

id. 

26*901 0 650 

— | 

23.-24. 

:0 :1 

1 30 Tropfen 

1600 1 

1116 

! id. 

36-316' 0-816 

I 

25.-26. 


40 Tropfen 

1200 , 

1020 

i id ’ 

30-864, 0 624 

1801 ! 

26. 

n 

salicyls. Natr. 
8 Gr. 

^ _ ! 

— 


— ; — 

i “ 

27.-28. 


1 id. 

1500 

1026 

id. 

47-287 1 195 

1 3-217 1 

28.—20. 


id. 

1000 

1026 

1 id ‘ 

29-003 1 190 

1 - 1 



| Man sistirte 






29.-30. 

» 1 

i die Verab¬ 

1800 

1020 

1 id. 

43 126 0-990 

3 088 j 

30.-31. 


reichung des 

I salicyls. Natr. 

j 2000 

! 1014 

1 neutr. 

etwas 

sauer 

25 620,0940 

, ~ 1 

| 1. —2. November \ 

— 

* 2000 

i 

j 1007 

20-496| 0 900 

_ | 


Am 20. November geheilt entlassen. 

Beobachtung 8. Subacuter Rheumatismus. 1. Anfall. Ein 23jäh- 
riger junger Mann. 


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262 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 



Datum 

j Behandlung 

Menge 

speo. 

Ge¬ 

wicht 

Re- 

action 

Harn¬ 

stoff 

Harn¬ 

säure 

Phos- 

phor- 

säure 

2.-3. 

December 

i _ 

500 

1046 

sauer 

10888 

0-450 

0*429 

a-4. 


Salicyl 2 Gr. 

900 

1030 

id. 

28*822 

0 927 

1584 

4.-5. 

n 

1 i<*. 

10 »0 

1021 

id. 

25 620! 0-600 

— 

5.-6. 

ft 

id. 

H»00 

1040 

id. 

20*496 

0 500 

1*072 

6.-7. 

n 

id. 

Man sistirte 

ICOU 

1 

| 1015 

id. 

15-372 

0450 

0 858 

7.-8. 

n 

die Verabrei¬ 
ch uitg d. Med. 

900 

101G 

id. 

I 

14-987 

0 315 

0 848 


Am 22. December geheilt entlassen. 

Nach dem oben Angeführten erkennt man, wie verschiedene Au¬ 
toren veranlasst werden konnten, anzunehmen, dass der Harnstoffgehalt 
des Mannes durch das Salicylpräparat nicht verändert worden sei oder 
gar vermindert; denn es hängt bei dieser Untersuchung davon ab, dass man 
eine fortlaufende Zeit hindurch die bezüglichen Analysen anstellt, denn 
nur in dieser Weise erhält man ein Bild des Verlaufes, andernfalls erhält 
man je nach dem Zeitpunkt der Untersuchung und nach der Besonderheit 
des Falles ganz differente Resultate. 

Dass die Ausserachtlassung dieses Punktes die verschiedenen Er¬ 
gebnisse der Untersuchungsresultate bedingte, weisen Verfasser an den 
Beobachtungen Marrot’s nach. Um die Wirkungsweise des salicyl- 
sauren Natrons in ein helles Licht zu stellen, vergleichen die Verfasser 
ihre Resultate mit denen, welche aus den Harnuntersuchungen an Rheu¬ 
matismus Erkrankter gewonnen wurden, die medicamentös nicht be¬ 
handelt waren. Als Grundlage dient ihnen hierbei die von Stevenson 
in Guy’s Hosp» Reporter 1860 veröffentlichte Arbeit: „Urine in acute 
Rheumatisma.“ 

Hier zeigte sich, dass, wenn der relative Gehalt an festen Stoffen 
gross ist (unter sonst gleichen Verhältnissen), der Krankheitsverlauf rapid 
der Genesung zustrebt, bei geringem Gehalt der Verlauf hingegen ein 
schleppender ist. Obgleich die Ausscheidung des Harnstoffes während 
der Krankheit eine vermehrte ist, gegenüber der ersten Zeit der Gene¬ 
sung, so erscheint dieselbe doch äusserst selten über die normale Grenze 
erhöht. 

Wenn die Krankheit zur Besserung sich wendet, ist die Harnsäure 
immer sehr vermehrt, die Phosphorsäure erscheint im Stadium der Acne 
vermehrter, wie während der Genesung, im Ganzen aber nicht bedeutend 
die Norm überschreitend. 

Auf eine Vergleichung dieser Daten mit der unter der Salicylbehand- 
lung gefundenen, stützen die Verfasser ihre Ansicht über die Wirkung der 
Salicylsäure, indem sie dem salicylsauren Natron den Einfluss zuschreiben, 
den Zeitpunkt der Krisis der Krankheit, welche sich durch die vermehrte 
Ausscheidung des Harnstoffes und der Harnsäure kennzeichnet, schnell 
und sicher herbeizuführen, während bei anderweitiger oder indifferenter 
Behandlung dieser Zeitpunkt weit hinausgeschoben erscheine. yan jj 0 y e r 

215. Ein ungiftiges Surrogat für Carbolsäure. Von Dr. H. 
Schulz, Privatdocent (Bonn). Aus dem pharmacolog. Institut zu Bonn. 
(Centralbl. f. Chir. 1880. 4.) 

Verf. will in dem Eucalyptusöl ein ungiftiges Surrogat für die 
Carbolsäure gefunden haben. Er stützt sich hierbei zunächst auf die An¬ 
gabe von Buchholz, nach welcher das raffinirte Eucalyptusöl, das soge- 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


263 


nannte Eucalyptol, schon in einer Verdünnung von 1 : 666’6 sich als 
der Bacterienentwickelung feindlich erwies, während Carbolsäure diese 
Eigenschaft erst bei einer Verdünnung von 1 : 200 zeigte, ferner auf die 
Mittheilungen von Siegen, nach welchen das Eucalyptusöl im Stande 
ist, bei Kaninchen septisches Fieber zu unterdrücken u. s. w. Das Haupt¬ 
gewicht legt er aber auf die Nichtgiftigkeit des genannten Mittels. Er 
hat von dem rohen käuflichen Eucalyptusöl, welches eine klare, gelb 
gefärbte, angenehm riechende Flüssigkeit darstellt, einem Kaninchen von 
960 Grm. Körpergewicht innerhalb 6 Stunden 4*5 Grm. subcutan applicirt, 
ohne dass das Thier danach die mindeste Veränderung zeigte. 

Des Vergleiches wegen hat er mit Carbolsäure und Eucalyptol 
sowohl, wie mit gewöhnlichem Eucalyptusöl Parallelversuche an Thieren an¬ 
gestellt und gefunden, dass ein grösseres kräftiges Kaninchen auf 
0*3 Grm. Carbolsäure, subcutan injicirt, mit clonischen Krämpfen und 
allgemeiner Prostration reagirte, die nach einigen Stunden ununterbrochener 
Dauer zum Tode führten, während die beiden anderen, kleineren Kanin¬ 
chen auf die gleiche Dosis Eucalyptol, resp. Eucalyptusöl, wie zu erwarten, 
nicht reagirten. Die beiden Oele wurden, um sie möglichst fein zertheilt 
in den Organismus zu bringen, in wässeriger Emulsion gegeben in genau 
derselben Verdünnung wie auch die Carbolsäure (1 : 20 Wasser), die 
Emulsionen vor jeder einzelnen Injection jedes Mal gehörig durch- 
geschtittelt. Abscesse hat das Eucalyptol nicht gemacht. Schmerzens- 
äusserungen der Thiere wurden nicht wahrgenommen. 

Während also bei dem mit Carbolsäure vergifteten Thier wenige 
Stunden genügten, um den Tod unter den bekannten charakteristischen 
Symptomen herbeizuführen, „laufen die beiden kleinen, mit den Eucalyptus¬ 
präparaten behandelten Kaninchen heute noch munter umher“. 

Das Eucalyptusöl ist überdies „handlicher“, da es vor Allem gut 
riecht, sich in Alkohol und Oel gut löst und mit reinem Paraffin leicht 
und vollständig mischt. 

Verf. hat sich auch bemüht, eine passende Methode zu erdenken, 
nach der dasselbe angewandt werden könnte: 

Die offene oder vernähte Wunde, je nach ihrer Art und Be¬ 
schaffenheit, wird mit einem passenden Stück Lint, das mit einer etwa 
lOpctg. Lösung von Eucalyptusöl in Oleum olivarum getränkt ist, bedeckt. 
Auf dasselbe kommt dann, ganz wie bei Liste ris Verfahren, ein Gaze¬ 
verband, nur anstatt Carbolgaze Eucalyptusgaze. Versuche haben gezeigt, 
dass Gaze, mit einer Paraffinlösnng getränkt, die bis zu 50 Percent 
gewöhnliches Eucalyptusöl enthält, ein ganz zweckmässiges Verband¬ 
material abgibt. 

Als Sprayapparat benutzt man entweder den Li sterischen Dampf¬ 
spray oder die mit der Hand getriebene Sprayflasche, jedoch so, dass 
diese letztere, nur mit Wasser gefüllt, in bekannter Weise mit einer 
kleineren Flasche verbunden ist, die das Eucalyptusöl rein oder mit 
Alkohol enthält. Zu Irrigationen endlich kann das Oel in der Weise 
gebraucht werden, dass man dasselbe im bestimmten Verhältniss mit oder 
ohne Alkoholzusatz mit Wasser mischt und vor dem Gebrauch tüchtig 
durchschüttelt. 

216. Zur therapeutischen Verwerthung des phosphorsauren 
Kalkes. Von Dr. Caspari, in Meinberg. (Deutsch. Med. Wochenschr. 
1880. 7.) 

1. Bei Hämaturie. C. hat schon vor 16 Jahren bei seinem 
5jährigen Kinde, welches nach einer sehr starken Erkältung an Blut- 

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264 


Mediciniscli-chirargische Rundschau. 


harnen litt, und in Folge dessen blutarm und entkräftet wurde, den 
phosphorsauren Kalk mit wunderbarem Erfolge angewendet, nachdem der 
Gebrauch von kalten Begiessuugen, Mineralsäuren, Alaun, Tannin, Eisen¬ 
chlorid sich als vollkommen erfolglos erwiesen hatte. Seitdem hat Verf. 
schon sehr oft die ausgezeichnete Wirkung des phosphorsauren Kalkes 
gegen Nierenblutung erprobt. Auch in Fällen von Blasenblutung zeigte 
sich der günstige Erfolg dieses Mittels. Rein symptomatisch leistet das 
Medicament sehr viel. Bei einem Tabetiker, bei dem schon Monate lang 
der Urin bei vollkommen gefüllter Blase tropfweise abging, dick, schmutzig- 
rotli und übelriechend war, erzielte die Darreichung des phosphorsauren 
Kalkes einen normal gefärbten klaren, geruchlosen Urin. 

2. Bei Menstruatio nimia. Bei sich verfrühender, zu lange und 
stark anhaltender Menstruation, welche sich in nicht seltenen Fällen bis zur 
Metrorrhagie steigern kann, wird der phosphorsaure Kalk ebenfalls mit 
gutem Erfolge verordnet, doch hat dies eher bei schwächlichen, als bei 
robusten Personen zu geschehen und ist der phosphorsaure Kalk hier 
mit einem Eisenpräparat zu verbinden. (Ferrum lacticum.) Die Wirkung ist 
eher eine prophylaktische als symptomatische. In sehr zahlreichen Fällen 
gelingt bestimmt die Regelung einer normalen Menstruation, auch wird 
die Blutbildung und der Kräftezustand wesentlich gebessert. 

3. Bei Chlorose. Die Thatsache, dass durch profuse Menstruationen 
erzeugte anaemische Zustände durch den Gebrauch von Eisen und phosphor¬ 
saurem Kalk gebessert werden, veranlasste C. auch bei Chlorose diese 
Mittel in Anwendung zu bringen und er täuschte sich in seiner Voraus¬ 
setzung nicht. Sehr viele chlorotische Mädchen und Frauen verdanken 
dieser Behandlungsweise ihre Herstellung. 

4. Bei Tu bereulose. Bei Bluthusten sah C. günstige Erfolge 
durch phosphorsauren Kalk. Er glaubt nun, dass der phosphorsaure 
Kalk eine specifisclie Wirkung auf die blutführenden Capillaren ausübe, 
und mit Eisenpräparaten eine blutaufbessernde Wirkung erzeuge. Wie 
dies geschieht, dass muss jedenfalls erst die physiologische Chemie dar- 
thun. Er verordnet vom phosphors. Kalk 5*0—7*0 Grm. pro die, als 
Zusatz zu Eisenpräparaten aber in einer geringeren, etwa der doppelten 
Dosis des Eisens. 

217. Das Chinintannat in der Praxis. Von Dr. A. Becker in 
Bonn. (Berl. klin. Wochenschr. 1880. Nr. 6.) 

Die Thatsache, dass in Folge des bitteren Geschmackes die 
Darreichung des Chinins in der Kinderpraxis gegenüber der Verwer- 
thung desselben bei erwachsenen Personen eine weit seltenere ist, lassen 
mit Recht die Frage aufwerfen, ob es keine Verbindung des Alkaloides 
der Chinarinde gibt, der dieser Nachtheil nicht anhaftet, und welche doch 
die antifebrile Wirkung besitzt. Die Chininpräparate sind umso bitterer, 
je leichter sie sich im Speichel lösen. Von den officinellcn Präparaten, 
welche als Antipyretica in Betracht kommen, steht wegen seiner Bitter¬ 
keit obenan das Chininum bisulfuricum. Es folgt das Chininum sulfuricum, 
sodann das Chininum hydrochloricum und zuletzt das reine Chininum, d. li. 
das säurelose Chininhydrat. 

Professor Binz machte Verf. auf das gerb saure Chinin auf¬ 
merksam, welches, gut und richtig bereitet, vollständig geschmackfrei 
ist; denn es löst sich im Speichel und im gewöhnlichen Brunnenwasser 
nur äusserst wenig. 

Seine schwere Löslichkeit lässt nun aber vermuthen, dass es auch 
schwer resorbirbar ist. Daraus würde eine grosse Unzuverlässigkeit des 


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Medicimsch-chirurgiache Rundschau. 


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Präparates hervorgehen, denn die Wirksamkeit der Chininsalze steht so 
ziemlich im graden Verhältnis zu der Leichtigkeit, womit sie vom Darm¬ 
canal aus in das Blut gelangen. Verfasser hat deshalb Versuche über die 
Resorption des Chinintannates an sich selbst angestellt. 

Nahm B. bei nur wenig mit Speisen versehenem Magen 1 Decigramm 
gerbsaures Chinin mit ein wenig Wasser und trank gleich darauf gegen 
50 Kubikctm. Madeira oder die Hälfte reinen Cognac, so konnte er 
15 Minuten nachher in seinem Harn die Anwesenheit von Chinin auf das 
deutlichste constatiren. Weniger gut war der Erfolg, wenn er statt der 
beiden genannten starken Alkoholica süssen Tokayer wählte. Möglich, 
dass der Alkohol durch seinen Reiz die aufsaugenden Gefässe des Magens 
erweitert und damit die Resorption beschleunigt. An eine directe Lösung 
des Chinintannates durch den Alkohol darf man nicht denken, weil das¬ 
selbe in ihm zwar etwas löslicher als in Wasser, aber doch immer noch 
scbwerlöslich ist. Auch die Anwesenheit der Salzsäure im Magen trägt 
zur Aufsaugung des unlöslichen Tannates sicherlich bei. Bringt man eine 
Messerspitze voll in ein Reagensgläschen mit destillirtem Wasser und 
schüttelt, so gewahrt man kein Anzeichen von Lösung. Das Präparat 
hellt sich aber theilweise auf durch Zusatz von einem Tropfen Salzsäure. 
Es ist klar, dass sich das leicht lösliche salzsaure Chinin bildet und freie 
Gerbsäure daneben in Lösung bleibt. Im Magen wird der nämliche Vor¬ 
gang geschehen müssen, wenigstens ist kein Grund vorhanden, das Gegen- 
theil anzunehmen. 

Es geht aus allem hervor, dass das gerbsaure Chinin vom Magen 
aus in den Kreislauf übergeführt wird, wenn auch, wie Kerner schon 
nachgewiesen hat, langsamer wie die anderen Präparate. 

Bis jetzt hat B. das Tannat in folgenden Krankheitszuständen geprüft: 
1. Iu einem Fall von regulärer Tertiana. Der erwachsene Patient erhielt 
1-5 Grm. auf einmal. Es trat keine ersichtliche Wirkung ein, während 
1*0 Grm. Chinin muriaticum 2 Tage später das Fieber sofort beseitigte. 
Es war offenbar in diesem Falle die Gabe der wirksamen Basis in dem 
Tannat zu gering. 2. In den Fällen von fieberhafter Bronchitis bei Kindern. 
Die Wirkung schien eine sehr günstige zu sein. 3. In einigen Fällen von 
Trigeminus-Neuralgie bei Frauen. Der Erfolg war ein guter, wie man 
ihn auch sonst bei Chinin sieht. 4. In etwa 30 Fällen von Keuch¬ 
husten. 

Bei der letztgenannten Krankheit kann Verf. bestätigen, was eine 
grosse Anzahl von Beobachtern bereits mitgetheilt hat. Die Darreichung 
des Chinins in reinen Fällen von Keuchhusten mildert seine Heftigkeit 
und verkürzt seine Dauer. Das Chinin muss zu diesem Zwecke in zwei 
täglichen Dosen gegeben werden, von denen jede soviel Decigramm wiegt, 
als das Kind Jahre zählt. 

Das zweckmäs8igste Präparat ist das geschmackfreie gerbsaure 
Chinin in einem Esslöffel mit Zuckerwasser angertihrt. Wegen des geringeren 
Gehalts an wasserfreiem Alkaloid ist in allen Fällen die Dosis um die 
Hälfte höher zu nehmen. Sollte einem Arzt das zu stark Vorkommen, 
so steht nichts im Wege, allmälig zu dieser Dosis aufzusteigen. B. hat 
keinerlei nachtheilige Folgen davon gesehen, ausser vielleicht etwas Stuhl¬ 
verhaltung, die aber bequem zu reguliren ist. Ohne Ausnahme wuchs 
der Appetit der Kinder vortrefflich nach diesem Präparat. Statt des bei 
den leicht löslichen Chininpräparaten so häufigen Erbrechens sah er bei 
dem Chinintannat das Erbrechen des Keuchhustens an erster Steile sich 
mildern. 


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Mediciuisch-eMrnrgische Rimdscb&iL. 


Das Chinin wirkt anf den Kenchhnsten nicht so schlagend, wie anf 
die Malaria oder wie auf gewisse hohe Temperaturen. Es dauert immer 
mehrere Tage, bis der Erfolg prägnant vorliegt. Will man sich ihn durch 
einen Gegenversuch klar machen, so braucht man bei der unter seinem 
Gebrauch eintretenden Besserung eben nur einige Tage auszusetzen, oder 
in der nämlichen Familie die Hälfte der kleinen Patienten ganz ohne das 
Medieament zu lassen. Man wird alsdann bald wieder zu dem Medicament 
zurückkehren oder es keinem der Patienten vorenthalten. 

Soll das gerbsaure Chinin zu grossem Vortheil der kranken Kinder 
Eingang in die Praxis finden, so ist vielleicht eine Reform seiner jetzigen 
Darstellung nöthig, bezüglich welcher wir auf das Original verweisen 
müssen. 

Nicht zu vergessen ist bei der Anwendung des gerbsauren Chinins 
der Unterschied im Gehalt an wirksamer Base. Während das gebräuch¬ 
liche Sulfat gegen 74°/ 0 wasserfreies Chinin enthält, das Hydrochlorat 
gegen 83, enthielt das von Verf. benutzte Tannat 24*7°; 0 davon. Es rührt 
das von dem Ueberschuss des Tannins her, welches bekanntlich eine 
schwache Säure ist. Würde man weniger Tannin in dem Präparate haben, 
so wäre bitterer Geschmack der ungesättigten Base unausbleiblich. 

Da die Erfahrung lehrt, dass die besten Medicamente durch un¬ 
geschickte Anwendung in Misscredit gerathen, so hebt Verfasser folgende 
Hauptpunkte für die Praxis hervor: 1. Das Chinintannat mussaus reinem 
Chinin dargestellt sein und darf keine weniger wirksamen Nebenalkaloide 
enthalten. 2. Die Dosis muss entsprechend dem geringeren Gehalt an 
Basis um mindestens die Hälfte höher genommen werden als die der 
krystallisirten Salze. 3. Es ist genau darauf zu achten, dass das Präparat 
die möglichst leichten Bedingungen zu seiner Resorption findet. Gleich¬ 
zeitige Darreichung von Wein ist demgemäss sehr zu empfehlen. 4. Wo 
man einem Patienten die beiden officinellen krystallisirten Chininsalze bei- 
bringen kann, sind diese wegen ihrer zuverlässigeren Wirkung dem gerb¬ 
sauren Chinin vorzuziehen. Loebisch. 

218. Zur Beurtheilung der Wirksamkeit der Droguen von 
Quebracho Aspidosperma, insbesondere des käuflichen Lignum Que- 
bracho in Fällen von Dyspnoe Von Docent Dr. Franz Penzoldt, 
Oberarzt der med. Poliklinik in Erlangen. (B. k. Wochenschrift Nr. 10, 
1880. Allg. med. Ctrl. Ztg. 1880. 20.) 

Verfassers ursprüngliche Versuche sind mit der Rinde von 
Aspidosperma Quebracho (Schlechtendahl) — sprich: „Kebratscho“ — 
gemacht, welche von Dr. Schickendanz in Pilciao (Argentinische 
Republik) als solche nach Europa geschickt worden ist, so dass an der 
Echtheit dieser Rinde durchaus nicht zu zweifeln ist. Die ihm aus den 
Handlungen Brückner und Lampe (Leipzig) und Stoll und Schmidt 
(Petersburg) zugeschickten zwei verschiedenen Rinden wurden auf Ver¬ 
fassers Veranlassung der botanischen Untersuchung (Prof. Reess), der 
chemischen (Dr. Giacosa), sowie der pharmacologischen Prüfung unter¬ 
worfen. Alle Methoden ergaben vollständige Verschiedenheit 
der fraglichen Substanzen von der Originalrinde. 

Durch das Haus F. A. Büdingen in Frankfurt a. M. hatte Verf. 
Quebrachoholz erhalten und mit diesem einige Versuche, auch an 
Kranken, gemacht. Schon ein Vergleich der Froschexperimente, welche 
Verf. mit der aus dem Holze einer- und aus der Rinde andererseits be¬ 
reiteten Lösung anstellte, ergab, dass das Holz denselben, wenn auch 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


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langsameren, weniger intensiven toxischen Effect hat, wie die Rinde. 
Ebenso Hessen aber anch Versuche am Menschen sofort erkennen, dass 
mit Lignum Quebracho dieselbe therapeutische Wirkung, wenn auch 
gleichfalls in schwächerem Grade, zu erzielen war, wie sie mit 
gleichen Dosen Cortex erreicht wurde. Ueble Nachwirkungen traten 
nicht auf. 

Auf Verf.’s Empfehlungen wurden mit dem Quebrachoholz von an¬ 
derer Seite, wie von ihm selbst, therapeutische Versuche gemacht, wobei 
es sieh ergab, dass, wenn auch öfters keine deutliche Wirkung ersicht¬ 
lich war, sehr häufig das Mittel vortreffliche Dienste leistete. 

Endlich erwähnt Verf. noch ein drittes Präparat, welches 
den Namen „Quebracho 44 trägt und als Extractum Quebracho 
vielfach in den Preisverzeichnissen der Droguenhandlungen figurirt. Mit 
einem solchen (von Büdingen in Frankfurt) hat Verf. ein paar 
Prüfungen vorgenommen. 

Es sieht aus wie Pech und ist hart und spröde. In heissem 
Wasser löst es sich zum grossen Theil, es fällt aber beim Erkalten 
wieder sehr viel aus. In Alkohol löst es sich nur zu sehr geringem 
Tbeil. Es enthält, wie die Rinde und das Holz, jenen Farbstoff, der 
selbst in ganz wasserklaren Verdünnungen durch Kalilauge zur Erscheinung 
gebracht wird. Auf den Frosch zeigt dieses Extract eine offenbar zu 
schwache Wirkung. Verf. nahm von dem pulverisirten Präparat gerade 
so viel, d. i. 10 Gramm, wie nach seiner Vorschrift von der Rinde oder 
dem Holze genommen wird, und bereitete daraus, ebenfalls wieder wie 
in jener Vorschrift, mit 20 Kcm. heissen Wassers eine (filtrirte, aber 
trübe) Lösung. Von dieser Lösung injicirte er einem Frosch so viel 
(2 Kcm.), als von der nach seiner Angabe dargestellten Lösung hinreichte, 
um einen Frosch in einer Viertelstunde vollständig zu lähmen und 
schliesslich zu tödten. Das betreffende Thier zeigte jedoch im Verlauf 
einer Stunde nach der Injection nur Trägheit und Schwerfälligkeit der 
(spontanen) Bewegung bei fast normaler Froschhaltung, während der 
schliessliche tödtliche Ausgang auch nicht ausblieb. 

Somit zeigt dieses Präparat eine langsamere und schwächere giftige 
Wirkung, als die aus einem Alkoholextract der ursprünglichen Drogue 
bereitete wässerige Lösung, woraus Verf. schliesst, dass man dem offen¬ 
bar sehr stark verunreinigten wässerigen Extract, welches im 
Handel zu haben ist, auch keine recht sichere therapeutische Wirksam¬ 
keit Zutrauen darf. Da es sehr stark gerbsäurehaltig ist, schmeckt es 
auch sehr schlecht. 

Verfasser vermuthet, dass Berger und Laquer, welche in ihren 
Mittheilungen von Extr. cort. Quebracho sprechen, vielleicht sich dieses 
Präparates bedient haben. 

Betreffs der seitherigen eigenen und fremden Erfahrungen, welche 
fest ausschliesslich mit dem Quebrachoholze gemacht wurden, theilt Verf., 
wiewohl sich ihm zur objectiven Controle der Wirkung (Athmungszahl, 
Respirationstiefe und Cyanose) in dieser Beziehung verhältnissmässig nicht 
häufig Gelegenheit bot, während es sich vielmehr meistens um die sub- 
jectiven Angaben der Patienten handelte, mit, dass es vorzugsweise 
Emphysemkranke waren, denen die Athembeschwerden durch das 
Mittel auf kurze oder bei längerem Gebrauch, wie es schien, ab und zu 
auch auf längere Zeit gelindert wurden; auch einige Schwindsüchtige be¬ 
richteten von Abnahme der Dyspnoö; in einem Falle von gleichzeitig 
bestehendem Emphysem, Phthisis pulmonum und Nephritis hatte das 


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MediciniBch-chirnrgische Rundschau. 


Mittel keinen Erfolg; einige Kranke mit sehr vorgeschrittener Phthise 
Hessen ebenfalls keinen recht deutlichen Effect erkennen; bei einer alten 
Frau mit Nephritis und ausgebreitetem Hydrops half das Quebrachoholz 
gar nicht, bei einem anderen stark Hydropischen (Herzmuskeldegeneration 
und Albuminurie) nur anfangs, später nicht mehr, während es wiederum 
einem an acuter Nephritis leidenden, wassersüchtigen Manne häufig Er¬ 
leichterung brachte. Nach diesen, allerdings nur mangelhaften Beob¬ 
achtungen scheint die Dyspnoe der Emphysematiker am sichersten, die 
der Phthisiker weniger sicher, die der Nephritiker mit Oedemen unsicher 
durch das Quebrachoholz beeinflusst zu werden. Erwähnt wird von Verf. 
noch, das Skoda die Besserung seiner zeitweiligen Athembeschwerden 
dem Quebrachoholze zugeschrieben und das Mittel auch bei anderen 
Kranken wirksam gefunden hat. 

Unter Berücksichtigung der weiteren von anderer Seite publicirten Beob¬ 
achtungen fasst nun Verf. „v o r 1 ä u f ig u sein ürtheil über die Wirksamkeit 
und die künftige Anwendung der Quebrachodroguen wie folgt zusammen: 

„Für die Wirkung der Cortex Quebracho können wohl bis auf 
Weiteres meine ersten Angaben Geltung beanspruchen. Die wünschens- 
werthe ausgedehntere Prüfung derselben muss aufgespart werden, bis 
echte Rinde, d. h. mit der zu meinen Versuchen vollkommen identische, 
in genügender Menge im Handel zu haben ist. Unterdessen empfiehlt 
sich die Anwendung des L i g n u m Quebracho in der Praxis. Nach den 
von verschiedenen Seiten vorliegenden Erfahrungen hat dasselbe in viel¬ 
fachen Fällen von Dyspnoe günstig gewirkt. Bei welchen Grundkrank¬ 
heiten es die mit denselben verbundene Athemnoth beträchtlich herab¬ 
setzt, bei welchen es sie nur wenig mindert, und bei welchen es sie end¬ 
lich gar nicht verändert, ist noch nicht mit genügender Schärfe festgestellt. 
Am meisten scheinen die das Emphysem begleitenden Athembeschwerden 
beeinflusst zu werden. Doch werden auch bei Bronchitis, Phthisis pulmonum, 
Herzfehlern (Klappen- und Muskelerkrankungen), ja, wie es scheint, auch, 
dem sogenannten Asthma spasmodicum etc. günstige Erfolge erzielt. Die 
Wirkung ist gewöhnlich eine vorübergehende. Dass sie bei längerem 
Gebrauche anhält und speciell auch nach Aussetzen des Mittels noch fort¬ 
dauert, ist nach dem Vorliegenden nicht unwahrscheinlich, muss aber noch 
genauer nachgewiesen werden. Von einer erheblichen störenden Neben¬ 
wirkung haben sämmtliche Beobachter, weiche unzweifelhaftes Quebracho¬ 
holz in den Händen hatten, Nichts bemerken können. Aus allen diesen 
Gründen kann man eine ausgedehnte Anwendung des Lignum Quebracho 
bei den verschiedenen Dyspnoeformen mit gutem Gewissen den Coilegen 
anempfehlen. Bei vorschriftsmässiger Darreichung wird man, auch wenn 
man nichts nützt, sicher doch auch nicht schaden. Nur gewisse Formen 
werden doch wohl auszunehmen sein. Es muss natürlich schliesslich auch 
dyspnoetische Zustände geben, in denen sich das Mittel nothwendig 
unwirksam erweisen muss. Denken wir zum Beispiel an diejenigen, 
welche auf mechanischer Ursache beruhen. Kein Arzneimittel der Welt 
wird die Dypsnoö bei impermeablem Verschluss der Luftwege aufheben. 
Deshalb wird man bei rasch zunehmender Stenose der Luftwege gewiss 
keine Zeit mit der Anwendung von Quebracho verlieren. So kann auch 
bei beträchtlicher Verengerung der Bronchialverzweigungen durch Schwel¬ 
lung uud Secret das Medicament seine Wirkung unter Umstäuden ver¬ 
sagen. Unmögliches darf mau nicht verlangen. 

„Für die Beurtheilung des Erfolges im Einzelfalle sind noch ver¬ 
schiedene Punkte hervorzuheben. Besonders muss man bemüht sein, alle 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


269 


anderen Momente, welche die objectiven Zeichen der Athemnoth im 
günstigen oder entgegengesetzten Sinne zu beeinflussen im Stande sind, 
vollkommen auszuschliessen, um die reine Arzneiwirkung vor sich zu 
haben. Das ist nicht leicht und verlangt die grösste Sorgfalt. Die 
subjectiven Angaben muss man vom Kranken in möglichst einwurfsfreier 
Weise zu erhalten suchen. Dann ist die richtige Dose für jeden Fall 
sorgfältig auszuprobiren. Denn erstens wird in zu grossen Dosen, wie 
die Thierexperimente lehrten, Quebracho Dyspnoe verursachen können, 
während es in zu kleinen natürlich unwirksam ist. Zweitens werden sich 
die verschiedenen Individuen, wie die verschiedenen Krankheitsfälle, ver- 
muthüch dem Mittel gegenüber verschieden verhalten. Eine Gabe, welche 
dem Einen die Athemnoth mindert, vermehrt sie vielleicht bei dem Zweiten 
und lässt sie bei dem Dritten, sei es, weil sie zu hoch, sei es, weil sie 
zu niedrig war, unbeeinflusst. Jedenfalls wäre es nicht richtig, wie bei 
anderen Mitteln, z. B. Morphium, Chloral u. a., von einer Steigerung der 
Dosis ohne Weiteres auch eine Steigerung der Wirkung zu erwarten.“ 

Schliesslich hebt Yerf. noch hervor, dass man gut thun werde, 
wenn bei Abweichung von seiner Vorschrift für die Bereitungsweise des 
zu verabfolgenden Präparats sich Abweichungen von der Wirkung ergeben 
sollten, zunächst letztere auf erstere zu beziehen und nicht (wie z. B. 
Laquer es thue) das Arzneimittel selbst verantwortlich zu machen. 
Verf. selbst ist nur insofern ein paar Male versuchsweise von derselben 
abgewichen, als er gleich die alkoholische, statt der wässerigen Tinctur 
gab, vielleicht nur zufällig ohne günstiges Ergebniss. Deshalb hält er 
sich verpflichtet, einstweilen, in Ermangelung von Besserem, seine ursprüng¬ 
liche Vorschrift im Wesentlichen beizubehalten. Mit einigen Verbesserungen 
lautet sie folgendermassen: 

10 Gramm des fein pnlverisirten Holzes (der Rinde) werden mit 100*0 
starkem Weingeist (am besten absolutem) längere Zeit (am besten 8 Tage) wohl- 
▼erkorkt stehen gelassen. Alsdann wird filtrirt, das Filtrat (auf dem Wasserbade) 
zur Trockne verdampft, in 20 Kcm. heissem Wasser gelöst und filtrirt. Diese 
wässerige Lösung ist, wenn sie vom Holze stammt, rothbräunlich, zuweilen trüb, 
von der Rinde meist klar und gelb. Won derselben entspricht also 1 Theelöffei 
2*0 der Drogue. Man beginnt bei Erwachsenen mit einem Theelöffei der vom 
Holze stammenden Tinctur und kann 3 Mal täglich 1—2 Theelöffei, unter Um¬ 
standen vielleicht auch mehr, geben; bei der Rindentinctur hat die angegebene 
Dosis immer ausgereicht. In Receptform würde die Bereitungsweise angegeben 
werden können wie folgt: B . Lign. (cort.) Quebracho subtiliss pulv. lfr0, macera 
per dies VII in vitr. bene claus. c. 8pir. vin . rectificatiss. lOO O , dein fil'ra et in - 
spissat. solve in aqu. ferv. 2fr0 , Filtr.; D8. 1—3 Mal tägl. 1—’2 Theel. 

Falls der Apotheker den Darstellungsmodus aber kennt, kann das 
kurze Recept einfach sein: R. Extr. spirit. ex 10'0, Lign . (cort.) 
Quebracho solve in Aqu. dest . 20*0) DS. 1—3 Mal tägl . 
1—2 Theelöffei. O. R. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 

219. Mittheilungen aus der k. Chirurg. Klinik in Breslau. 
Von Prof. Dr. H. Fischer. (Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie, von C. 
Hüter und A. Lücke. Bd. XII, 4. u. 5. Heft.) 

I. Beiträge zur Aetiologie der Gelenkmäuse. (Mit Tafeln.) 

Verf. theilt die Gelenkmäuse (mit „Volkmann) in zwei grosse 
Gruppen, nämlich nach ihrem Entstehen in gesunden Gelenken und 

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270 Medicinisch-chirnrgiacbe Rundschau. 

nach ihrer Entwicklung in kranken Gelenken auf dem Wege der Ent¬ 
zündung. 

A. Entstehung der Gelenkmäuse in gesunden Gelenken. 

Dies findet stets durch ein Trauma statt; dass hierbei das Knie¬ 
gelenk am häufigsten der Sitz von Gelenkmäusen sei, erkläre sich aus 
dem Umstande, dass die exponirte, convexe Gelenkfläche der Condylen des 
Femur und die stark gespannten Menisken des Kniegelenkes zum Ab- 
reissen von grösseren oder kleineren Stücken leicht Veranlassung geben. 
Durch Einwirkung eines Trauma könnten verschiedene Arten von (Jelenk¬ 
mäusen gebildet werden. 

1. Es könne ein Knorpelsttick vom Limbus cartilagin. abgerissen 
werden und frei in die Gelenkhöhle gerathen. 

2. Es könne durch das Trauma ein knöchernes Stück von der 
Epiphyse abgebrochen werden und frei in’s Gelenk gerathen; eine Ent¬ 
stehungsweise, die allerdings seltener als die vorangehende sei. Klinisch 
müssten, bemerkt Verf., folgende Postulate erfüllt sein, um die That- 
sache der Entstehung der eventuell Vorgefundenen Gelenkmaus mit 
Sicherheit auf ein Trauma zurückführen zu dürfen: Es müsse ein be¬ 
stimmtes schweres Trauma eingewirkt haben mit sofortiger bedeutender 
Functionsstörung des Gelenkes und den Symptomen der Gelenkmaus; das 
Gelenk müsse früher gesund und völlig functionsfähig gewesen sein: 
schliesslich müsse der anatomische und histologische Nachweis, dass die 
Gelenkmaus einem abgesprengten Knorpel- oder Knochenstücke des Ge¬ 
lenkes ganz ähnlich sei, zu erbringen sein. 

3. Es könne sich in einem gesunden Gelenke aus einem Hämar- 
thros eine Gelenkmaus bilden. Diese Art von Gelenkmäusen ist nach 
Verf’s Dafürhalten meist sehr vergänglicher Natur; sie schwinden nach 
Jahresfrist meist spontan. 

4. Weiters könne sich eine Gelenkmaus bilden durch Eindringen 
eines fremden Körpers in ein gesundes Gelenk. 

B) Entstehung der Gelenkmäuse in kranken Gelenken 
(auf dem Wege der Entzündung). 

In diesen Fällen entwickelten sich die Gelenkmäuse aus den Pro- 
ducten der Entzündung des Gelenkes, also umgekehrt wie bei den trau¬ 
matischen Gelenkmäusen, wobei gelegentlich die Entzündung als Folge 
der ersteren auftrete. Ob diese Art von freien Gelenkmäusen in der 
That einer Vergrösserung, eines Wachsthums fähig seien (Kussel, 
Virchow), sei noch zweifelhaft. 

1. Die Gelenkmäuse entstehen während eines Hydrops des Gelenkes 
(durch Gerinnungen in der Synovialflüssigkeit). Von V o 1 k m a n n stammt die 
genauere Beschreibung dieser Erkrankung als Hydrops fibrinosus; diese 
Corpora oryzoidea bestehen, nach Verf., aus Concrementen, aus auf¬ 
gequollenen Zotten, Bindegewebsfasern mit aufgelagerten Gerinnungs¬ 
schichten. 

2. Die Gelenkmäuse entstehen entweder durch directe knorpelige 
Umwandlung der Synovialis oder ausserhalb des Gelenkes im fibrösen 
Blatte des Kapselbandes und durch späteres Hineinsttilpen in die Gelenk- 
höhle. Sie bleiben gestielt oder werden frei durch Abschnürung. Insbe¬ 
sondere bei der Arthritis chron. deformans sei die knorpelige und knö¬ 
cherne Umbildung der Synovialis nicht selten vorkommend (V o 1 k m a n n). 
Die meisten modernen Autoren schliessen sich aber bezüglich der Genese 
der grösseren Zahl der Gelenkmäuse an die Laenec’sche Anschauung 


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Medicinisch-chirmgische Rundschau. 271 

an, dass diese Gelenkkörper ursprünglich ausserhalb der Synovialis liegen 
und sich erst allmälig in’s Gelenk vorschieben. 

3. Die Gelenkmäuse entstehen weiters durch Wucherungen und 
Degenerationen der Gelenkzotten. Bei Geleuksentzündungen seien 
Wucherungen in den Gelenkzotten nicht selten; es entstehen in den 
kolbig angeschwollenen Zottenenden Knorpel kerne, die zum Chondrom 
werden und vom Centrum aus verknöchern. Der Entwicklung dieser 
Art von Gelenkmäusen gehen meist deformirende oder chronische mit 
Hydrops verbundene Gelenksentzündungen voraus. 

4. Es könne in einem an Arthritis deform, chron. leidenden Ge¬ 
lenke ein pathologisch entwickeltes oder auch ein degenerirtes Knochen¬ 
stück oder eine Enchondrose abbrechen und so zur Gelenkmaus werden. 
Diese sehr selten vorkommenden Gelenkmäuse werden, bemerkt Verf., in 
vivo kaum je diagnosticirt, da die Symptome des Gelenkkörpers durch 
jene der deformirenden Entzündung verdeckt werden. Diese Gebilde 
zeigen meist noch die Spuren des Bruches auf einer Fläche; in selteneren 
Fällen bleiben sie in einer Art von pseudarthrotischer Verbindung mit 
der Bruchfläche. 

Die Therapie der Gelenkmäuse habe sich seit der Einführung der 
Lister’sclien Methode in äusserst günstiger Weise verändert, bemerkt 
Verf., so zwar, dass gegenwärtig bei der operativen Behandlung der 
Gelenkkörper gar keine Gefahren mehr vorhanden seien. Verf. incidirt 
das Kniegelenk, entfernt die Gelenkmaus und verbindet nach Li st er. 
Gegen den 3.—4. Tag tritt meist etwas Gelenkschwellung ein, später 
etwas Secretion aus der Wunde; doch seien alle seine Fälle, bis auf 
einen, mit völlig beweglichem Kniegelenke ausgeheilt. 

II. Ueber hereditäre multiple Exostosenbildung. 

(Hierzu Tafeln.) 

Das erbliche Vorkommen von multipler Exostosenbildung durch 
Familiengenerationen ist bekanntlich schon oft beobachtet worden. Verf. 
berichtet über fünf einschlägige Beobachtungen aus seiner Praxis. 

1. Die erste derartige betraf eine jüdische Familie, in welcher 
wiederholt Verwandtschaftsehen vorgekommen waren; die Vererbung ging 
durch drei Generationen und traf insbesondere die Söhne; während die 
Töchter nur spärliche Exostosenbildung zeigen. Im Uebrigen sind die 
Kinder dieser Familie durchwegs gesund und kräftig. 

2. In einem zweiten Falle waren in der betreffenden Familie keine 
Verwandtschafts-Ehen vorgekommen. Die Töchter zeigten nichts von 
Exostosenbildung. Bei einzelnen Gliedern der Familie verschwanden die 
Exostosen an bestimmten Stellen, während sie an anderen erhalten 
blieben; auch brachen sie gelegentlich ab, heilten aber stets wieder an. 
Von Virchow stammt die in neuerer Zeit von Recklinghausen 
an einem genau untersuchten Falle von Exostosenbildung bekräftigte 
Anschauung, dass die multiplen Exostosen als Lieblingssitz die epiphysären 
Partien wählen, die Enden der Epiphyse, mit denen letztere an die 
Diaphyse anstossen, daher die Annahme Wahrscheinlichkeit für sich habe, 
dass die Exostosen sich in Folge eines chronisch entzündlichen Processes 
jener Knorpelmassen, welche die Epiphyse mit der Diaphyse verbinden, 
entwickeln (ossificirende Enchondrosen). 

3. Zuweilen findet man die Exostosen in eine Art von Gelenkhöhle 
hineinragen (v. Recklinghausen); diese „falschen Gelenkhöhlen“ 
tragen oft innen eine glatte Membran und enthalten ein synoviaartiges 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Secret. Verf. hält dies für neugebildete Schleimbeutel und hat solche 
in einem Falle von multipler Exostosenbildung, um jede Exostose herum 
beobachtet. 

4. In einem anderen Falle beobachtete Verf. eine besonders auf¬ 
fällige Exostosenbildung über beiden Olecranen neben einer grossen Zahl 
von Exostosen an sämmtlichen Knochen des Skeletes, im Ganzen 35. 
Des Patienten Vater und Grossvater hatten Exostosen an verschiedenen 
Stellen des Körpers; sie sassen grösstentheils an den Epiphysen der 
langen Röhrenknochen und an den Fingern. 

5. Von einem Patienten berichtete die Mutter desselben, dass dem 
Auftreten der Exostosen fieberhafte Zustände vorangegangen seien. Der 
5jährige Knabe habe längere Zeit über Knochenschmerzen geklagt, dabei 
gefiebert und schliesslich seien von der Mutter die „harten Auftreibungen“ 
beobachtet worden. Dem Auftreten jeder neuen Exostose sei stets Knochen¬ 
schmerz und „rheumatisches“ Fieber vorangegangen. 

Fr. Steiner, Marburg. 

220. Beiträge zur Herniotomie. Von Dr. E. Sonnen bürg. 
(Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie von C. Hüter und A. Lücke. XII Bd.> 
3. Heft.) 

Verf. berichtet über nachstehende interessantere Fälle aus der 
Strassburger chir. Klinik. I. Herniotomien. l.Eine 51jährige Frau* 
mit Hernia crural. incarc. dextr. Seit 4 Tagen Incarcerationssymptome; 
beständiges Erbrechen von kleinen Mengen einer übelriechenden, braunen 
schleimigen Flüssigkeit. Taxis erfolglos, daher Herniotomie, wobei eine 
kleine vorliegende Darmschlinge reponirt wurde. Incarcerationssymptome 
beseitigt bis auf das Erbrechen, das fortdauerte. 24 Stunden später, 
unter intensiver Dyspnoe, Exitus letalis. Die Section erwies, dass der 
Tod verursacht worden war durch Hinabfliessen und Aspiration von 
Mageninhalt in die Luftwege. Verf. räth in ähnlichen Fällen , wie der 
obige, wo nach gemachter Herniotomie das Erbrechen wegen Ueberfüllung 
des Magens mit Flüssigkeiten noch andauert, den Magen auszupumpen, 
resp. auszuwaschen. 

2. Eine 66jährige Frau mit Hernia ventralis incarcerata. Seit 
6 Tagen Obstipation, Erbrechen. Zwischen Spina ilei sup. anter. und der 
Blasengegend, ca. in der Mitte, eine leichte Auftreibung, die sich bei Palpation 
als hühnereigrosse Geschwulst erweist. Herniotomie, wobei Netz und eine 
Darmschlinge vorliegend gefunden ward, letztere an einer Stelle gangränös. 
Reposition der gesunden Theile; das Mesenterium des gangränösen Darm- 
antheiles in der Bauchwunde durch Nähte befestigt; der gangränöse 
Antheil des Darmes zur Wunde herausgeleitet. Pat. ging an septischer 
Peritonitis zu Grunde. Verf. schliesst hieraus, dass bei Hernia ventralis 
incarc. in Anbetracht der imgünstigen Lageverhältnisse für die Bildung 
eines Anus praeternaturalis es gerathener sein dürfte, die Resection 
des gangränösen Darmsttickes mit nachfolgender Reposition des Darmes 
in die Bauchhöle (unter Lister) vorzunehmen. 

3. Eine 53jährige Frau; Hernia cruralis sinistra; Incarceratiou 
vorgetäuscht durch eine anderswoher stammende Peritonitis, Herniotomie; 
der vorliegende Bruchsackinhalt nur aus Netz bestehend; der Finger geht 
leicht durch den Cruralring in die Bauchhöhle. Die peritonitischen Er¬ 
scheinungen nach der Operation fortbestehend; Tod am 3. Tage nach 
der Operation. — Die Section machte es wahrscheinlich, dass die Peri¬ 
tonitis durch das Platzen einer Ovarien-Cyste verursacht worden sei. Verf. 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


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weist darauf hin, dass man solche Fälle vor Augen haben müsse, um 
unter zweifelhaften Umständen nicht etwa zu voreilig zur Laparotomie 
zu greifen. 

4. Ein 19jähriger Junge mit Hernia inguin. congenit. sin. und 
Hemia congen. dextr. Radicaloperation der irreponiblen linken Hernie. 
Sehr schwierige Hemiotomie wegen dichter Verwachsungen zwischen 
Bruehsack und dessen Inhalt; bei der Loslösung des Letztem entstand 
ein Riss in den Darm durch das Scheerenblatt, doch zeigte sich der Riss 
sehr nützlich, da an der Darmschleimhaut eine breite polypöse Wucherung 
sass, die das Lumen des Darmes bedeutend verengte. Abtragung der 
Wucherung; Vernähung der Darmwunde mit Catgut; Bauch wund ränder 
nicht vollständig vernäht, so dass ein Anus präternat. entsteht. Pat. ward 
schliesslich mit einer kleinen Fistel entlassen. 

5. Eine 54jährige Frau mit Hernia crural. incarc. Herniotomie, 
wobei sich ein grösserer Theil des Darmes bereits gangränös erweist. 
Resection des nekrotischen Stückes; Invagination des (vermeintlich) zufüh¬ 
renden Endes des Darmes in das abführende; Ramdohr’sche Naht; 
Respiration des Darmes, Peritonealnaht. Aussenwunde theilweise offen 
gelassen. Lister’scher Verband. — Die früher schon bestandene Peri¬ 
tonitis bestand fort und Pat. erlag am 2. Tage nach der Operation. Bei 
der Section fand sich neben der ausgedehnten Peritonitis, dass trotz der 
sorgfältigsten Cautelen das abführende Ende des Darmes in das zuführende 
invaginirt worden war, wodurch ein ventilartiger Verschluss des Darm¬ 
lumens entstand, indem der äusserste durch keine Naht befestigte Ring 
des invaginirten Darmstückes (durch die Kothmassen) nach innen umge- 
stülpt wurde. 

U. Knochencyste des Oberarmes. Operation. Heilung. 
Ein 12jähriges Mädchen, das angeblich vor 5 6 Jahren eine Fractur 

des linken Oberarmes erlitten hatte, präsentirte sich mit einer merklichen, 
cylindri8chen Verdickung des linken Oberarmes, der bei der Unter¬ 
suchung eine leichte Beweglichkeit und Crepitatiou (mit Pergamentknittera) 
nachweisen liess. Man dachte an Pseudarthrose und operirte. Nach 
Durchtrennung der Weichtheile kam man auf eine bläuliche, knöcherne 
Geschwulst, die sich als eine die ganze Diaphyse einnehmende Knochen¬ 
cyste erkennen liess. Resection der vorderen (papierdünnen) Cysten wand, 
wobei schwach blutig gefärbter seröser Inhalt ausfloss. Auskratzung der 
glatten, mit einer Membran bekleideten Innenwand der Cyste. Guter Ver¬ 
lauf ; complete Heilung (die Granulationen in der Knochenwundhöhle 
verknöcherten unter Anwendung von Reizmitteln, Einspritzung von Jod 
tinctur etc. etc. )• und Wiederconsolidirung des Armes zur vollen Ge¬ 
brauchfähigkeit. 

Die Entstekungsursache der Cyste blieb fraglich, — da bei dem 
völlig negativen mikroskopischen Befunde des serösen Inhaltes der Cyste 
— an die cystische Erweichung eines centralen Enchoudroms nicht gedacht 
werden konnte. Fr. Steiner (Marburg). 

221. Diabetes und Sepsis. Von W. Roser. (Deutsche med. Wochen¬ 
schrift 1880. Nr. 1 und 2. Ref. von König im Ctrlbl. f. Chirurgie 
1880. 9.) 

„Wenn ein sonst gesunder Mensch eine progressive, brandige oder 
ulceröse Zerstörung z. B. an Fuss oder Hand wahrnehmen lässt, wenn 
man sich keine inficirende Ursache dabei denken kann, wenn alle Irri¬ 
gationen mit Carbolsäure u. s. w. vergeblich sind, so ist es hohe Zeit 
Med.-chir. Rundschau. 1880. 

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Medicioisch’ chirurgische Rundschau. 


an Diabetes zu denken“. Mit diesen Worten leitet R. den Aufsatz 
über das Verhältnis des Diabetes zu entzündlichen und septischen Pro* 
cessen ein. 

Diese Thatsache ist in das Bewusstsein der deutschen Aerzte bei 
Weitem noch nicht so bestimmt aufgenommen, wie es nöthig ist. Marchal 
de Calvi war der erste, welcher den häufigen Zusammenhang der 
Sepsis und des Diabetes durch eine grosse Zahl von Beobachtungen er¬ 
härtete. Seit der Zeit ist die Frage ganz besonders von französischen 
Aerzten auf die Tagesordnung gebracht worden. Schon Marchal be¬ 
tonte, dass es sich durchaus nicht immer um heruntergekommene, mit 
schweren, sofort in die Augen springenden Diabetessymptomen behaftete 
Kranke handelte, welche wiederholt schon Furunkel, Karbunkel, 
diffuse Phlegmonen, Brand bekamen, sondern dass es meist ge¬ 
rade kräftige, wohl aussehende und gut genährte Personen waren, welche 
im mittleren Lebensalter standen, und R. weist zumal auf diese That¬ 
sache als auf ein Hinderniss für die Diagnose hin. 

Zum Beweis, dass es sich nicht selten so verhält, führt R. drei 
Fälle eigener Beobachtung an Im ersten Fall handelte es sich um einen 
progressiven Brand am Fuss bei einem 42jährigen Manne. Da R. sofort 
an Diabetes dachte und die Untersuchung des Harns denselben nachwies, 
so ging er auf die von anderer Seite projectirte Amputation nicht ein, 
sondern er leitete mit Külz eine antidiabetische Behandlung ein, welche 
alsbald dem bis dahin progressiven Brand Einhalt gebot und in der Folge 
eine Heilung durch Partialamputation noch möglich machte. In den 
beiden anderen Fällen handelte es sich um eitrig nekrotische Destruction 
der kleinen Zehe, welche amputirt worden war. Als die Wunden noch 
nach monatlangem Zuwarten nicht heilen wollten und man R. consultirte, 
fand derselbe reichlichen Zuckergehalt im Harn. Antidiabetische Diät 
führte rasche Heilung herbei. 

Einen ähnlichen Verlauf beobachtete König bei einer wohlgenährten 
Frau von einigen fünfzig Jahren. Es hatten sich mehrere Zehen an beiden 
Füssen brandig abgestossen. Erst die eingeleitete antidiabetische Be¬ 
handlung führte Heilung herbei. Doch brachte der Kranken die be¬ 
stehende Disposition zu schwerer brandiger Phlegmone schliesslich 
den Tod. Ein grosser Nabelbruch liess sich plötzlich nicht mehr reponiren. 
Die eigentlichen Incarcerationssymptome waren nicht schwer, wohl aber 
stellte sich sehr rasch eine brandige Phlegmone ein, welche sich auf die 
Decken des Bruchs und über sie hinaus auf die Bauchdecken fortsetzte. 

König führte diesen Fall hier an, weil er ihm geeignet scheint 
einiges Licht auf die Genese des diabetischen Brandes zu werfen. R. hat 
die Ansicht, dass der diabetische Brand auf eine Lücke in unserer Sepsis¬ 
theorie hin weise. König wäre der Ansicht, dass es sich auch in den 
Fällen von brandiger Entzündung bei Diabetikern um eine Infection durch 
Entzündungserreger handelt, aber um eine solche, welche bei Gesunden 
kaum zu nennenswerter Phlegmone führen würde, während sie bei 
Diabetikern die Gewebe in Folge der abnormen chemischen Ernährung 
widerstandslos, zu nekrotischem Zerfall geneigt findet und so eine fort¬ 
schreitende nekrosirende Phlegmone veranlasst. 

Mit vollem Recht aber weist nun R., gestützt auf eine grössere 
Anzahl weiterer, zum Theil ungünstig ausgegangener Beobachtungen 
darauf hin, dass man die Therapie der Diabetesphlegmone nach anderen 
Gesichtspunkten zu leiten habe, als ähnliche Affectionen bei gesunden 
Menschen. Man kann nicht verlangen, dass bei ihnen das antiseptische 


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Medicinisch-chirargiscbe Rundschau. 


2 75 


Verfahren, die Carbolsäure-Irrigation u. 8. w. fUr sich allein hilft. In 
erster Linie steht die diätetische und die medicamentöse 
Behandlung des Diabetes. Amputationen wegen Brandes 
sind wohl auch erst dann erlaubt, wenn man durch solche Behandlung 
den Kranken relativ gesund gemacht hat. Eben so warnt R. mit V e r- 
neuil überhaupt vor Operationen an Diabetikern, Geschwulst-, Fistel 
Operationen u. dgl., ehe man sie in Beziehung auf die Zuckerausscheidung 
in bessere Verhältnisse gebracht hat. 

Schliesslich macht R. in einem Anhang darauf aufmerksam, dass, 
wie Marchal schon bemerkt hat, auch leichte Affectionen der Haut, 
Ekzem, Blasenbildung etc. auf Diabetes beruhen können. Auch gedenkt 
er der plötzlichen Todesfälle bei Diabetikern, die bei intendirten Opera¬ 
tionen in Rechnung gezogen werden müssen, und erwähnt mehrere Fälle 
von starker Nachblutung bei Zuckerkranken. 

222. Zur localen Anwendung des Chloroform in der zahnärzt¬ 
lichen Praxis. Von Dr. Ludw. Schaffer, k. k. Fregattenarzt. (Wiener 
med. Wochenschr. 1880. 4.) 

Im Anschluss an eine in Nr. 46 der Wr. med. Wochenschr. 1879 
enthaltene Mittheilung, in welcher bei Blutstillung nach Zahnextractionen 
von der erfolgreichen Anwendung (auch bei einem Bluter) der Tamponade 
mit Guttapercha gesprochen, dabei aber hervorgehoben wird, dass vor 
Anwendung des Tampons, der ausser Guttapercha auch sonst aus ver¬ 
schiedenen Harzen, selbst Siegelwachs, bestehen kann, der blutende Alveolus 
mit Chloroform oder Alkohol „ausgewaschen“ werden soll, hebt Verf. 
hervor, dass gerade dieses „Auswaschen“ des Alveolus mit Chloroform die 
günstige und erfolgreiche Einleitung der Blutstillung in den schwereren 
oder auch sonst gefährlicheren Fällen nach Zahnextractionen ist, da ja 
ohnehin früher die verschiedenartigsten Tampons für den blutenden Alveolus 
zur Verwendung gekommen seien. 

Verf. hat seit Jahjren die Gelegenheit, sehr zahlreiche Extractionen 
im zahnärztlichen Ambulatorium des k. k. Marine-Spitals zu Pola zu machen 
und wendet in jedem Falle Chloroform nach der Extraction an: Mit einer 
in Chloroform gut getränkten Baumwollbausche (gewöhnlich Salicylbaum- 
wolle) wird der Alveolus einige Male gut „ausgewaschen“, zugleich ein 
leichter Druck ausgettbt und dies so oft wiederholt, als nöthig, bis die 
Blutung vollkommen still steht. 

Nach Anwendung des Chloroform schwindet nicht nur auffallender 
Weise der Wundschmerz rasch und gänzlich, sondern auch die Lücke im 
Zahnfleische bedeutend zusammen, wodurch den unangenehmen Nachblu¬ 
tungen und vielen sonstigen Nebenzufällen wirksam vorgebeugt wird. Die 
Wunde ist zugleich aseptisch gemacht, da die Wirkung des Chloroform 
als Flüssigkeit von hohem Chlorgehalte sich bemerkbar macht. 

Da im Laufe der Jahre von den vielen Hunderten Zahnextractionen, 
die auch Patienten, ausser dem Militär, verschiedenen Lebensalters und 
Geschlechtes betreffen, bei denen nach der Extraction das Chloroform an¬ 
gewendet wurde, und nie auch nur ein einziger Fall von Nachblutung 
oder anderen üblen Zufällen und Folgen vorkam, so hält Verf. die An¬ 
wendung des Chloroform zu diesem zahnärztlichen Zwecke sehr empfeh- 
lenswerth. 

Eine weitere Verwendung des Chloroform ist die als Bestandteil 
zum „Mundwasser“, das Verf. in dieser Form gern und häufig anwendet: 
B.: Spirit, vvni conc. 100*0, Chloroform 5 — 10'0, Ol. menth. pip. 

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Medicinisch-chirorgische Randschau. 


gutt. 5 —j 10'0. Dieses Mundwasser vereinigt im hohen Grade die Eigen¬ 
schaften als Desinficiens, Roborans und Anodynum für die verschiedensten 
Formen von Gingivitis, Zahn- und Wurzelnekrose und gegen die empfind¬ 
lichen Stellen bei blossliegenden Hälsen der Zähne. 

223. Die heisse Vaginaldouche. Von E. C. Dudley. (Chicago 
med. Gaz. 1880. Jan. 5.) 

Verf. empfiehlt besonders die heisse Scheidendouche mittelst des 
Irrigators, da die durch Druck arbeitenden Klysopompen zu mühselig sind 
und die Hilfe einer Wärterin erfordern. E m m e t zieht den interaiitti- 
renden, stossweisen Strom der Klysopompe vor, wegen der grösseren re- 
sorbirenden Kraft eines solchen Stromes; doch sagt Verf. ganz richtig 
(er war früher Assistent am New-Yorker Frauenhospitale), dass dortEm- 
m e t’s Pat. ebenfalls mit der constanfen Douche erfolgreich behandelt 
werden. Verf. gibt, im Gegensätze zur üblichen Methode die Douche im 
Sitzen oder Hocken und in unzureichender Hitze und Quantität anzu¬ 
wenden, folgende Regeln für deren Gebrauch: 1. Sie ist stets in der 
Rückenlage zu geben, mit erhöhten Hüften und niedrigen Schultern , da¬ 
mit die Scheide immer gebadet bleibt. 2. Sie ist wenigstens 2mal täglich 
zu geben, jedes Mal nicht weniger als 20 Minuten. 3. Die Temperatur 
muss so hoch sein, als sie Pat. ertragen kann, und ist täglich zu stei¬ 
gern, von 38° oder 40° bis 45° oder 48° C. 4. Die Douche muss Mo¬ 
nate oder Jahre lang fortgebraucht werden, da nur durch Ausdauer eine 
dauernde Wirkung erzielt wird. — Verf. gibt als Apparat einen blecher¬ 
nen, wenigstens 16 bis 20 Liter haltenden Irrigator an, und eine grosse 
Bettpfanne mit Abflussrohr und Schlauch. Ein Substitut lässt sich dadurch 
hersteilen, dass man 2 Stühle vor das Bett stellt, zwischen dieselben 
einen Eimer, und auf das Bett ein Gummituch auf die Weise, dass es 
gegen die Kante des Bettes in den Eimer schief abfällt. Pat. liegt dann 
auf diesem Gummi am Rande des Bettes mit einem Fusse auf jedem 
Stuhle, und das Wasser läuft an dem Tuche h^rab in den Eimer. (Verf. 
hat einen wichtigen Punkt vergessen, nämlich, dass das sehr heisse Wasser, 
obschon innerhalb der Scheide schmerzlos, beim Ausfliessen über die La¬ 
bien und den Damm äusserst schmerzhaft ist; man sollte daher durch 
ein gegen den Damm gedrücktes Tuch oder einen Schwamm die äussere 
Haut vor dem directen Einflüsse des heissen Wassers schützen.) Die wohl- 
thätige Wirkung dieser heissen Douchen bei sogenannter chronischer Me- 
tritis und alten Beckenexsudaten lässt sich nicht überschätzen. 


224. Conglutinatio orificii uteri bei einer Zwillingsgeburt — 
ursprünglich Wehenschwäche — Hysterostomatomia mit Pilokarpin 
ohne Erfolg. Von Prof. Valenta in Laibach. (Betz’s Memorabilien, 
1880, 1. Heft.) 

Es kam auf die Klinik eine 38jährige Drittgebährende mit colossal 
ausgedehntem Unterleibe und Wehenschwäche wegen Hydramnion, compli- 
cirt mit Conglutinatio orificii externi. Da 19 Stunden später der Zustand 
ein gleicher war, sich aber inzwischen die Athemnoth der an heftigem 
Bronchialkatarrh leidenden Kreissenden zu gefährlicher Höhe gesteigert 
hatte, so eröffnete V. den verschlossenen Muttermund mit einer Uterus¬ 
sonde, erweiterte die gemachte Oeffnung mit dem Finger und sprengte 
hierauf die Fruchtblase. Es stellte sich wohl der Schädel ein, doch blieb 
der Unterleib stark ausgedehnt. Jetzt liess sich — früher war eine Be¬ 
stimmung der Frucht wegen des Hydramnion unmöglich — die Gegen- 


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Mediciniach-chirnrgische Rundschau. 


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teart von Zwillingen nachweisen. 7 Stunden später hatte sich der auf 
1V 2 Ctm. eröffnete Muttermund nicht weiter dilatirt. Y. griff daher zum 
Messer und schnitt den Muttermund an 3 Stellen an, worauf sich 
derselbe auf 4 Ctm. erweiterte. 2 Stunden später wurde in erster 
Schädellage ein lebender, 2020 Grm. schwerer, 45 Ctm. langer Knabe 
geboren. Um die Geburt zu beschleunigen und einer Nachgeburtsblutung 
prophylaktisch vorzubeugen, machte V. J /a Stunde nach der Geburt der 
ersten Frucht eine subcutane Injection von 0*02 Grm. Pilokarpin. Der 
charakteristische Schweiss stellte sich wohl ein, die Wehen aber blieben 
aus, so dass 2 J / 2 Stunden später die Blase gesprengt und die zweite in 
einer einfachen ersten Fusslage sich präsentirende Frucht extrahirt 
werden musste. Fis war ein Mädchen, 2050 Grm. schwer, 43 Ctm. lang. 
Gleich nach der Geburt wurde Ergotin injicirt. Die Mutter litt auch bei 
ihren ersten zwei Geburten am Wehenschwäche, so dass beide mit der 
Zange beendigt werden mussten. V. schliesst folgende epikritische Bemer¬ 
kungen bei: 

1. Die Conglutination des Muttermundes ist sehr selten. 

2. Besteht eine solche Verklebung, so muss man sie künstlich durch¬ 
trennen. Unterlässt man dies, so kann bei colossaler Spannung und Aus¬ 
dehnung eine Ruptur des Uterus oder der Fomix vaginae erfolgen. 

3. Ob der Eröffnung des verklebten Muttermundes der künstliche 
Blasensprung zu folgen hat, hängt von den gegebenen Verhältnissen ab. 
In nicht dringenden Fällen warte man den natürlichen Blasensprung ab. 

4. Eröffnet sich nach Sprengung der Verklebung der Muttermund 
nicht, so muss man eine Discission desselben vornehmen. 

5. Die EntstehungBursache der Conglutination ist wahrscheinlich 
eine vorausgegangene Fmtzündung. 

6. Das Pilokarpin hat sich als wehenbeförderndes Mittel nicht bewährt. 

Die Anwendung dieses Mittels intra partum ist nicht angezeigt, da sich 
die Kreissende, welche vielleicht operirt werden muss, bei der der Damm 
unterstützt wird, wobei die Bettdecke abgehoben werden muss, sehr leicht 
erkälten kann, wodurch Anlass zu schweren Puerperalerkrankungen gegeben 
werden kann. Kleinwächter, Innsbruck. 

225. Die Lösung der EiMute bei der normalen Ausscheidung 
der Nachgeburt. Von Otto Ktistner in Jena. (Berl. klin. Wochschr. 
1880. Nr. 2 u. ff.) 

Am Ende der Schwangerschaft findet man an der Decidua serotina die 
Uterusdrüsen in ihrem mittleren Theile ihres Verlaufes ungemein erweitert, 
im Fundus dagegen und besonders an der Mündung so enge, dass man 
sie zuweilen mikroskopisch gar nicht sieht. Umgekehrt ist dagegen 
das Verhalten des interglandulären Gewebes. In der Mitte der Decidua, 
wo die Drüsenlumina stark erweitert sind, ist er schwach entwickelt, 
rareficii t, am oberen und unteren Ende der Drüsen aber mässig, dick, 
compact. Man kann daher an der Decidua 3 Schichten erkennen: 1. Eine 
obere compact« Schichte. 2. Eine mittlere, sog. Ampullärschichte und 
3. eine Fundalschicbte. In der compacten Schichte ist die Deciduazelle 
rund, in der ampullären spindel- oder sternförmig. Die Placenta, sowie 
die zottenfreien Eihäute trennen sich bei der Geburt in den mittleren 
ampullären Schichten und nicht in der compacten oberen, wie dies Fried¬ 
länder angibt. Das letztere findet nur ausnahmsweise statt. Die Lösung 
muss in der ampullären Schichte erfolgen, weil diese die wenigst wider¬ 
standsfähige ist. Damit fällt auch die bisherige Theorie, dass die Lösung 


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Medicixusch-chirnrgische Rundschau. 


der Placenta und Eihäute nur durch einen physiologischen Verfettungs- 
process eingeleitet werden müsse. Ausnahmsweise aber löst sich die 
Placenta mit ihren Eihäuten in der That wohl, wie es Friedländer 
erwähnt. Das Chorion trennt sich von der oberflächlichen compacten 
Deciduaschichte total oder partiell ab und im Uterus verbleibt die ampul¬ 
läre Schichte der Decidua. Dieser Rest der Decidua, der zurückgeblieben, 
fällt aber der Mortiflcation anheim und ist dies für die Entbundene durch¬ 
aus nicht gleichgiltig, da leicht septische Erkrankungen nachfolgen. In 
einem solchen Falle sieht man die äussere Oberfläche des Chorion nicht 
zottig aussehend, wie sonst, sondern nur von einem matten grauen Belage 
bedeckt Aus einer Reihe von 4 Fällen weist nun K. nach, dass sich 
unter solchen Umständen die zurückgebliebenen Deciduareste zersetzen 
und die Entbundenen puerperal erkranken. Eine Genesung trat erst dann 
ein, als diese Reste manual entfernt wurden. Nach K. ist diese Erkennt- 
niss sehr wichtig, weil sie uns die Entstehung puerperaler Erkrankungen 
ohne Epidemien erklärt. Bei Gegenwart von Syphilis kommt es häufig 
vor, dass Reste der durch die Lues hypertrophisch gewordenen Decidua Zurück¬ 
bleiben. Er spricht sich ganz entschieden gegen die von Manchen aus¬ 
gesprochene Ansicht aus, dass zurückgebliebene Eihautreste bedeutungslos 
seien. Blutungen im Wochenbette bedingen im Uterus zurückgebliebene 
Deciduareste nicht, da sie zu wenig widerstandsfähig sind, wohl aber 
bekanntlich Deciduareste. Um ein Zurückbleiben von Deciduaschichten 
zu vermeiden, wird es jedenfalls zweckmässiger sein, wenn sich die Pla¬ 
centa langsamer von ihrer Basis ablöst. Aus dem Grunde spricht sich K. 
gegen das Auspressen der Placenta nach der C r e d e’schen Methode und will 
lieber ein wehenbeförderndes, nicht manual eingreifendes Regime befolgt 
wissen. Gleichzeitig plaidirt er für ein Eingehen mit der Hand und directe 
Herausnahme der etwa zurückgebliebenen Decidua und Eihautfetzen. 
Wenn nöthig, chloroformire man die Puerpera. Nach jeder Geburt hat 
man die Placenta und die Eihäute anzusehen, ob sie und die oberfläch¬ 
liche Schichte der Decidua in toto abgegangen sind. Bei secundärer Syphilis 
und Frühgeburten bleiben gerne Deciduastücke zurück. Fehlt die Decidua 
im Umfange von einem Drittheile oder gar der Hälfte am Chorion, so 
gehe man sofort nach Abgang der Placenta mit der Hand in den Uterus 
ein und entferne die zurückgebliebenen Deciduareste. Thut man dies nicht, 
so gehen diese Fetzen erst in den ersten Wochenbettstagen als isolirte 
Fetzen oder verflüssigt in den Lochien, allerdings oft Puerperalerkrankungen 
nach sich ziehend. Kleinwächter, Innsbruck. 

226. Sind die Quellmittel in der gynäkologischen Praxis noth- 
wendig? Von Schröder in Berlin. (Gyn. Ctbltt. 1879, Nr. 20. 
Orig.-Art.) 

Die Gefahren, welche den Gebrauch der Quellmittel, Pressschwämme, 
Laminaria — und Tupeiostifte begreifen, lassen sich wohl durch eine 
gehörige Sorgfalt und Vorsicht nahezu gänzlich beseitigen, aber dennoch 
bleibt dieses Verfahren immer ein langsames. S. hält dieses Mittel für 
entbehrlich, weil es in Fällen, in denen er früher die Cervix erweiterte, 
jetzt diagnostische und therapeutische Manipulationen vornimmt, ohne früher 
dilatiren zu müssen. Mit einem Simon ’schen scharfen Löffel, welcher einen 
längeren und biegsameren Griff trägt, kratzt er die Uterusschleimhaut zu 
diagnostischen oder therapeutischen Zwecken (z. B. Hypertrophie der 
Mucosa) aus, ohne früher die Cervix erweitern zu müssen. WjR er sich 
die Uterushöhle zugänglich machen für den Finger, so schneidet er die 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Portio vaginalis beiderseits bis zum Scheidengewölbe auf und stülpt dann 
den Uterus durch Druck von aussen über den Finger hinüber oder zieht 
ihn mit der Muzeux’schen Zange hinüber. Es gelingt dies gewöhn* 
lieh leicht, da in den Fällen, um die es sich hier handelt, der obere 
Theil der Cervix fast stets schon erweitert ist. Aber auch wenn derselbe 
recht enge ist, dringt der Finger doch in die Uterushöhle ein, wenn auch 
in schwierigen Fällen nicht ohne die eine Seite der Cervix innen etwas 
einzureissen. Diese oberflächlichen Einrisse heilen aber, wenn sie nicht 
inficirt sind, sehr leicht und die Schnitte schliesst man, wenn man seine 
Absicht in diagnostischer oder therapeutischer Beziehung erreicht hat, 
sofort mittelst der Naht. Kleinwächter, Innsbruck. 

227. Die Behandlung der acuten parenchymatösen Nephritis 
Während der Gravidität. Von W. Richardson in Boston. (Transact. of 
the Amer. Gyn. Soct. 1879. B. III, pag. 178.) 

Nach Mittheilung von 14 Fällen acuter parenchymatöser Nephritis 
während der Schwangerschaft, von denen 10 mit eklamptischen Convul- 
sionen complicirt waren, fasst Verfasser das hiebei einzuschlagende Regime 
in vier Punkte zusammen: 

1. Um auf das Auftreten eklamptischer Zufälle vorbereitet zu 
sein, untersuche man stets chemisch und mikroskopisch den Harn der 
Graviden. 

2. Ergeben sich Zeichen einer Nierenkrankheit, so messe man täglich 
die Harnmenge, ob sie unter die Norm sinkt oder nicht. 

3. Bei verminderter Ilarnmenge versuche man die normale Function 
der Nieren wieder herzustellen, und wenn dies nicht gelingt, so trachte 
man eine gesteigerte vicariirende Function der anderen excretorischen 
Organe herbeizuführen. (Im Wochenbette suchte Verf. dies mittelst des 
Pilokarpins 4mal herbeizuführen.) 

4. Trotzen alle diesbezüglichen Bemühungen, nimmt die Ilarnmenge 
fortwährend ab, steigern sich die gefahrdrohenden Symptome, so werde 
bei lebensfähiger Frucht die künstliche Frühgeburt eingeleitet. 

(Verf. vergisst, dass bei bereits drohenden Zeichen jeder Eingriff 
als äusserer Reiz den Ausbruch der Convulsionen beschleunigt.) 

Kleinwächter, Innsbruck. 

228. Extreme Anteversion und Anteflexion des Uterus bei uor* 
malem Schwangerschaftseude. Von J. Tailor in New-York. (Transact. 
of the Amer. Gyn. Soct. 1879, Vol. IH, pag.' 363.) 

Eine gesunde Zweitgeschwängerte zeigte eine solche Anteversion 
und Anteflexion, dass der Fundus uteri den Oberschenkeln auflag und selbe 
bis über ihre Mitte bedeckte. Mittelst einer Bandage wurde der Uterus 
gehoben und zurückgehalten. Das Becken war ein mässig allgemein ver¬ 
engtes, die Conj. vera mass unter 4'' (105 Mm.). Da sich die Geburt 
verzögerte, so wurde in der Narkose die Zange angelegt und ein 11 l / 4 
(amerik.) Pfd. schweres Kind lebend entwickelt. Das Puerperium war 
normal. Kleinwächter, Innsbruck. 

229. Ein Beckenmesser zur directen Messung der Conjugata 
vera. Von Dr. Edgar Kurz in Florenz. (Illustr. Vierteljahrschr. d. 
ärztl. Polyt. 1879. 4.) 

Bekanntlich ist Vanhuevel’s Beckenmesser abgesehen von der Um¬ 
ständlichkeit, mit der seine Anwenduug schon dadurch verknüpft ist, dass 
der Untersuchende einen Assistenten nothwendig hat, auch nicht ganz 


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Mediciniach-chirnrgische Randachaii. 


sicher in den Resultaten, einmal wegen des Fedems der Branchen und 
dann wegen der Schwierigkeit, die löffelförmige Branche genau an’s Pro¬ 
montorium anzulegen. Die Messung der Conjugata diagonal» mit dem 
Finger ergibt jedenfalls einen sichereren Schluss auf die Grösse der Con¬ 
jugata vera, als dieses complicirte Instrument, das man überdies zweimal 
anlegen muss, und das besonders zur Messung der Dicke der Symphyse 
seines plumpen Löffels wegen sehr ungeeignet ist. 

Mit Vermeidung dieser Uebelstände hat Verf. zur directen Messung 
der Conjugata vera ein einfaches, leicht zu handhabendes Instrument 
construirt, dessen Abbildung im Original zu finden ist. 

Ueber einem vierkantigen, mit einem runden Knopf versehenen neu- 
silbernen Stab von 18 Cm. Länge läuft eine 6 Cm. lange, mit einem 
3 Cm. hohen, senkrechten Arm versehene Hülse, die durch eine seitlich 
angebrachte, circa 1 1 / 2 Cm. weit abstehende Schraube an dem Stab fixirt 
werden kann. 

Zum Gebrauch wird der Stab an der Radialseite des Zeigefingers 
mit zwei starken Gummiringen unverrückbar so befestigt, dass der Knopf 
desselben in gleicher Linie mit der Fingerspitze steht. Die Hülse wird 
gegen das Gelenk zwischen 1. und 2. Phalange vorgeschoben und nun 
zugleich mit dem gesenkten Zeigefinger das Instrument in die Vagina 
eingeführt, so dass auch der senkrechte Arm sich innerhalb derselben 
befindet. Man fixirt nun mit dem Zeigefinger und dadurch zugleich mit 
dem Knopf des Stabes das Promontorium, hebt den Ellbogen so viel wie 
nöthig und bringt mit dem Zeigefinger der andern Hand den Knopf des 
senkrechten Armes, indem man den Harnröhrenwulst zur Seite drängt, 
an den vorspringendsten Punkt der hintern Symphysenfläche. Daumen 
und Mittelfinger der freien Hand fixiren dann sofort die vor den Genitalien 
befindliche Schraube, und damit ist die Messung der Conjugata vera 
vollendet. 

Man hat nun nichts zu thun, als den Finger sammt dem daran 
befestigten Instrument aus der Vagina zu entfernen, was einfach dadurch 
geschieht, dass man die Spitze des Zeigefingers unter starker Senkung 
des Ellbogens über das Promontorium hinaufführt. Damit wird der senk¬ 
rechte Arm des Beckenmessers frei, der nun zuerst aus der Vagina her¬ 
austritt. Die Grösse der Conjugata vera liest man hierauf an einem 
guten Massstab ab, -wenn nicht vorher die Maasse durch Markirung auf 
den horizontalen Stab übertragen worden sind. Die Manipulation ist 
rascher ausgeführt als beschrieben und ist bei der für Handlungen in 
der Vagina nothwendigen Geschicklichkeit nicht schmerzhafter als irgend 
eine andere Beckenmessung. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 


230. Sehstörungen bei Vergiftungen durch Wildpastete und 
Hecht. Von Prof. Dr. Hermann Cohn in Breslau. Archiv f. Augenheil¬ 
kunde, herausgegeben von Knapp und Hirschberg, IX. 2. Heft. 
Wiesbaden 1880. 

Eine 34jährige Frau erkrankte eine Stunde nach dem Genüsse 
einer alten Hasenpastete mit heftigem Erbrechen und starkem Durchfall. 


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Medifcinisch-chlrnrgiscbe Rundschau. 


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Am anderen Morgen konnte sie keine Schrift mehr in der Nähe sehen; 
zugleich stellten sich starke Halsschmerzen ein, die Sehschärfe war normal; 
dagegen war die Accommodation bedeutend gelähmt. Sonst an den Augen 
nichts Krankhaftes, Pupillen nicht erweitert. Mit dem Kehlkopfspiegel konnte 
nur eine sehr intensive Pharyngitis constatirt werden. Die Accommodation 
war nach acht Tagen (bei Eseringebrauch) geheilt; die Hals- und Schling¬ 
beschwerden schwanden erst nach vier Wochen. 

Aehnlich erkrankten drei Personen in einer Familie: der 40jährige 
Vater, der 11jährige Sohn und die 31jährige Köchin nach dem Genüsse 
von gebackenen, todt gekauften Hechten. Bei der Köchin trat bereits 
nach einer Stunde Erbrechen ein, beim Vater erst in der Nacht (der 
Fisch war Mittags gegessen worden), bei beiden Durchfall; beim Sohne 
hatten sich keine gastrischen Erscheinungen gezeigt. Bei Allen waren 
Schlingbeschwerden vorhanden (beim Vater wurde Pharynxkatarrh con¬ 
statirt); ebenso war bei Allen vollständige oder nahezu vollständige 
Accommodationslähmung vorhanden. Auch war in allen Fällen die Seh¬ 
schärfe herabgesetzt, also wirkliche Amblyopie vorhanden. 

Die Accommodationslähmung war beim Sohne nach vier Wochen 
geheilt; beim Vater nach sechs Wochen noch nicht gebessert. Die Seh¬ 
schärfe war bei letzterem gleichfalls unverändert geblieben; bei dem 
Knaben hatte sie etwas zugenommen, war aber noch nicht normal. 

Der erste Fall gehört offenbar zur Wurstvergiftung, bei welcher 
von Höring in einem. Falle, von Sehe by-B uch in fünf Fällen Accom¬ 
modationslähmung und Schlingbeschwerden beobachtet wurden. 

Ueber Fischvergiftungen haben wir besonders aus dem Wolgagebiete 
Russlands Nachrichten. Sie entstehen nach dem Genüsse von rohem und 
gesalzenem Fleisch von Stören und Hausen. In den Jahren 1836 bis 
1843 sind 227 Erkrankungen mit 117 Todesfällen bekannt geworden. 
Die Symptome sind: „Nach 1—5 Stunden Druck in der Magengegend 
öfters Erbrechen und Durchfall, Schwindel, heftiges Brennen mit Gefilhl 
von Trockenheit in der Kehle, Unvermögen zu schlucken, später Stimm¬ 
losigkeit, breite Pupille und Verdunklung des Gesichtes. Gegen das Ende 
soll die Sehkraft gänzlich aufgehoben, die Pupillen dilatirt und unbeweg¬ 
lich sein.“ Näheres ist über die Sehstörung nichts bekannt. Diese Ver¬ 
giftungen sind den von Cohn beobachteten analog. Reuss. 


231. Ueber Sehstömngen nach Verletzung des Schädels durch 
stumpfe Gewalt. Von Berlin. (Beilageh. d. klin. Monatsbl. f. Augenhk. 
XVII. B. Bericht d. 12. Versammlung d. ophtalmolog. Gesellschaft.) 

Es war bisher keine zufriedenstellende Erklärung der Sehstörungen 
gegeben, die durch Erschütterung des Schädels (nicht direct des Aug¬ 
apfels) entstehen. Weder die alten Hypothesen (Reflexamaurose nach 
Verletzung des N. trigeminus, Erschütterung des Sehnerven, noch die 
neuere Quetschung oder Zerrung des Sehnerven im forame opticum) 
konnten befriedigen. 

Die Sehstörungen sind überwiegend einseitig, stellen sich gewöhnlich 
unmittelbar nach dem Trauma ein und bestehen meistentheils in vollständiger 
und unheilbarer Amaurose. Nach Sichtung des vorhandenen Materiales, nach 
eigenen Untersuchungen und namentlich nach dem Verfasser zugänglichen 
Beobachtungen des Craniologen v. Hölder glaubt er die Hypothese 
aufstellen zu können, dass die Sehstörung sich generell auf Knochenfractur 


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282 Medieinisch-chiriirgische Rundschau. 

und zwar vorzugsweise auf solche der Wandungen des Canalia opticus 
zurückftihren lasse. 

Hölder constatirte unter 126 selbst beobachteten Schädelfractureu 
88 der Schädelbasis, darunter 80, also 9O°/ 0 Orbitaldachfracturen. Unter 
diesen waren 54 Mal, also in 60°/ 0 Fracturen der Wände des Canalis 
opticus vorhanden. 34 dieser waren mehr oder weniger directe (durch 
Schüsse, namentlich in den Mund), 20 waren fortgesetzte Fracturen 
(darunter 11 Mal Sturz auf den Kopf). Der Sehnerv selbst war entweder 
ab- oder eingerissen, oder sehr lang gezogen und dünn, oder es waren 
Blutungen in der Nervensubstanz zu finden. Ausserdem waren 42 Mal 
Blutergüsse in die Scheide des Sehnerven erfolgt. Eine solche wurde 
nie ohne gleichzeitige Fractur des Can. opt. beobachtet. 

Doppelseitige Sehstörungen beruhen wohl in der Regel auf Fractur 
der Sella turcica. Bei den heilbaren Formen dürfte es sich um subvaginale 
oder intracranielle Blutungen handeln. Reuss. 

232. Ueber congenitalen harten Kernstaar. Von Alfred Gräfe. 
(Ibidem.) 

Man nimmt allgemein an, dass Staare jugendlicher Individuen in 
specie angeborne Cataracten stets eine weiche Consistenz haben. Gräfe 
macht darauf aufmerksam, dass es auch angeborne Staare von wachs- 
harter Consistenz gebe, die bisher nirgends in der Literatur erwähnt 
wurden, obwohl sie gewiss nicht so selten sind. Sie sind meist doppel¬ 
seitig entwickelte Totalstaare von vollkommen normalem Linsenvolumen 
und von graulich-weisser oder grauer homogener oder gegen das Centrum 
etwas intensiverer Färbung. Die Discussion ist von sehr geringer Wirkung. 

An der nachfolgenden Discussion erklären Becker, v. Hippel, 
Leber, Krüger undM ay w eg, dass sie die Cataractform kennen, und 
Becker rätli die Linearextraction mit Iridectomie, die er seit Jahren bei 
ganz kleinen Kindern mit gutem Erfolge auszuführen pflegt. Reuss. 

233. Beiträge zur Aetiologie innerlicher Angenentzündungen. Von 
Th. Leber. (Ibidem.) 

Ein grosser Theil von Augenentzündnngen hängt sicher mit Allge¬ 
meinkrankheiten und mit Leiden anderer Körpertheile zusammen, und es 
wird eine lohnende Aufgabe der klinischen Beobachtung abgeben, diesen 
Zusammenhang zu erforschen. 

Die Iris erkrankt sehr häufig bei infectiöser Keratitis; sie erkrankt 
wie der ganze Uvealtractus bei den verschiedensten allgemeinen Infections- 
krankheiten, indem der Infectionsstoff auf irgend einem Wege in's Auge 
gelangt. Hierher gehören die eitrigen Entzündungen bei Pyämie und 
Puerperalfiebern, bei maligner ulceröser Endokarditis; bei Typhus, 
Pneumonie etc.; die eitrige Iridocyclitis postvariolosa, die Cyclitis und 
Iridocyclitis bei Febris recurrens. Ebenso gelangt bei secundärer 
Syphilis die entzündungerregende Ursache zweifellos durch den Blut¬ 
strom in’s Auge. Auch bei Tuberculose gelangt der Infectionsstoff in 
dieser Weise in den Bulbus; Iritis und Chorioiditis tuberculosa finden 
immer mehr Anerkennung. Hierbei darf man wohl auch die durch Rheu¬ 
matismus entstandenen Augenerkrankungen zählen. Diese Krankheit ist 
wohl auch für eine Infectionskrankheit zu halten und wird nach Kleb8 
durch eine Art von Spaltpilzen, die er Monadinen nennt, hervorgerufen. 
Uebrigens ist uns der Connex von Tripperrheumatismus und Iritis schon 
lange bekannt, und wir können uns kein besseres Beispiel für den Zu¬ 
sammenhang der Entzündung der Gelenke und der Iritis vollkommen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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„ rheumatischen“ Charakters durch ein zweifellos infectiöses Leiden denken. 
Auch bei der rheumatischen Iritis erfahren wir häufig, dass die Kranken 
zuvor, zuweilen wiederholt, an Gelenksaffectionen gelitten haben. Und wie 
bei Rheumatismus die Salicylsäure eine geradezu specifische Wirkung ent¬ 
faltet, so hat Leber auch gefunden, dass für die Iritis rheum. sich das 
Mittel erprobt hat. 

Auch gewisse Fälle von acuter Neuritis optica glaubt Leber auf 
rheumatische Infection zurückführen zu können, und hat während des Ge¬ 
brauchs von Natr. salicyl. wiederholt einen auffallend günstigen Verlauf 
beobachtet. L. macht auch auf den (von Arit schon lange gelehrten, 
Ref.) Zusammenhang zwischen Keratitis parenchymatosa und Gelenks¬ 
affectionen aufmerksam, die jedoch sehr verschiedener Natur sein können. 

Gewiss ist die Möglichkeit vorhanden, dass auch wahre Gicht Iritis 
und andere Augenentzündungen hervorrufe. L. glaubt einen von ihm 
beobachteten Fall von Glaskörperleiden neben gichtischen Gelenkschmerzen 
und Harngries hierher rechnen zu können, der durch den Gebrauch von 
Karlsbader Wasser und eine Schwitzcur gebessert wurde. 

Endlich meint L., dass ein Fall von Iritis, der durch grosse Chinin¬ 
dosen rasch geheilt wurde, durch Intermittens-Infection bedingt gewesen 
sei. (A r 11 hat acht Fälle von Keratitis bei Malaria-Kachexie beobachtet. 
Wien. med. Wochenschr. 1879, Nr. 11. Ref.) 

Aus der folgenden Discussion ist zu erwähnen , dass A r 11 einen 
Fall von Scleritis, der mit Gicht zusammenhing, beobachtete; dass Scleritis 
häufig mit Rheumatismus im Zusammenhänge stehe und von Meyer 
(Paris) ein einschlägiger Fall erfolgreich mit Salicylsäure behandelt wurde; 
dieser macht auch auf den häufigen Zusammenhang von Iritis und Er¬ 
krankungen des Uvealtractes mit Menstruationsanomalien aufmerksam. 

Reuss. 

234. Ein Fall von Heilung der Taubstummheit. Von Alt. (Arch. 
für Augen- und Ohrenheilkunde VII. Bd., pag. 211.) 

Verf. gelang dieses durch Beseitigung einer Otorrhöe und einer 
angeborenen Gaumenspalte: Ein 7jäliriger, mit angeborener Gaumenspalte 
behafteter Knabe erkrankte im dritten Lebensjahre nach Scharlach an 
beiderseitiger Otorrhöe. Während er vor der Krankheit das Sprechen 
wie andere Kinder erlernt hatte, vergass er in Folge der hochgradigen 
Schwerhörigkeit, die allmälig fast in Taubheit überging, das früher Ge¬ 
lernte bis auf wenige Worte, die er von den Lippen ablas. Status: 
Scrophulöser Habitus, Drüsenschwellungen des Nackens und der Arme; 
Uvula und weicher Gaumen gespalten; hochgradige Schwellung (1er 
Nasen- und Rachenschleimhaut mit profuser übelriechender Secretion. Das 
linke Trommelfell fehlte, rechts war nur noch ein kleiner Rest vorhanden. 
Paukenschleimhaut beiderseits hyperämisch und geschwollen. Hörweite 
für die Uhr rechts = 2 Zoll, links beim Anlegen an die Ohrmuschel; 
durch die Sprache konnte sich Verf. nicht verständlich machen. Nachdem 
durch mehrwöchentliche Behandlung der Zustand der Nasen- und Rachen¬ 
schleimhaut gebessert und die Otorrhöe sehr gemindert worden war, wo¬ 
durch die Hörfähigkeit schon erheblich zunahm, wurde die Gaumennaht 
vorgenommeu, wodurch theilweise Vereinigung des Gaumens erfolgte, 
während eine kleine, offen gebliebene Spalte später durch Aetzung sich 
schloss und die wieder getrennte Uvula nochmals durch zwei Nähte ver¬ 
einigt werden musste. Sodann wurde die locale Behandlung der Schleim¬ 
häute wieder vorgenommen, wodurch die Otorrhöe vollständig aufhörte 


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Mediciniscb-chirurgiscbe Rnndschau. 


und das Hörvermögen bis auf 15 Fuss für die laute Sprache stieg. Der 
Knabe lernte jetzt beständig neue Worte, doch blieb der schlechte Zu¬ 
stand der oberen Schneidezähne ein Hindemiss für die gute Aussprache, 
weshalb, im Falle die zweiten Schneidezähne nicht günstig durchbrechen 
sollten, künstliche Zähne empfohlen wurden. 

235. Acute einseitige Taubheit — Heilung. Von Dr. Albert 
Bing in Wien. (Wr. med. Woch. 1880. 11.) 

Verf. hat weder in der einschlägigen Literatur noch während seiner 
mehrjährigen Dienstzeit als Assistent an den Kliniken für Ohrenkranke, 
wo durchschnittlich mehr als zweitausend Kranke jährlich in Behand¬ 
lung kamen, einen Fall kennen gelernt, der dem ähnlich gewesen, welchen 
er jüngst zu beobachten und zu behandeln Gelegenheit hatte. 

Theresia H. t 47 J. alt, ans Wien, stellte sich am 4. September d. J. als 
ohreuleidend vor. Am Abend des 20. Angast v. J. hat Patientin in einem engen 
Lichthofe bei Znglafr Teppiche geklopft. Bald nachher stellte sich Saasen in 
beiden Ohren ein, nach einigen Standen traten aach stechende Schmerzen beson¬ 
ders im rechten Ohre neben allgemeinem Kopfschmerz und Verringerung des Hör¬ 
vermögens auf. Das Hörvermögen nahm den nächsten Tag unter Fortdauer der 
erwähnten Schmerzen noch mehr ab , und nach dem zweiten Tage war Patientin 
auf dem rechten Ohre vollständig taub, linkerseits ziemlich schwerhörig. Die 
Schmerzen Hessen am dritten Tage nach, das Sausen dauerte an; Schwindel, 
Brechreiz, taumelnder Gang, überhaupt Störungen in der Coordination der Be¬ 
wegungen sollen ganz gefehlt haben. Die Kranke glaubte nun, das Leiden werde 
von selb>t wieder schwinden und suchte dies dadurch zu befördern, dass sie durch 
einige Tage, bevor sie zu Bette ging, „zum Schwitzen“ einnahm. Als jedoch nach 
acht Tagen wohl das Sausen aufgehört hatte, aber weiter keine Besserung erfolgt 
war, suchte die Patientin ärztliche Hilfe. 

Bei der Untersuchung fand Verf. den Gehörgang beiderseits massig weit, 
trocken, frei von Gerinnen, die Trommelfelle etwas ein gezogen, grau glänzend, mit 
deutlichem dreieckigen Lichtfleck, die längs des Hammergriffes verlaufenden Ge- 
fässe nur rechter seits leicht injicirt — Rachenschleimhaut blassroth. Bei 
Vornahme der Hörprüfung wurde das Tönen der Stimmgabel, wo immer dieselbe 
am Schädel augesetzt wurde, auch vom Joch- und Warzenfortsatz des rechten 
Schläfebeines aus, und selbst, wenn man den Gehörgang des rechten Ohres mit 
dem Finger verstopfen lie-s, constant nur linkerseits wahrgenommen; Uhr 
(2—3 M. Hörw ) und laute Sprache wurde mit dem rechten Ohre gar nicht gehört, 
weder erstere beim Anlegen an Muschel und Kopfknochen, noch die letztere durch’s 
Hörrohr — linkerseits dagegen hörte Patientin die Uhr beim Anlegen, laute 
Sprache auf eine Entfernung von 4 M. 

Nach der Luftdoncbe unter Anwendung de3 Katheters, wobei die Luft mit 
breitem, hauchenden Geräusch in die Trommelhöhle eingedrangen, zeigt sich weder 
eine wesentliche Veränderung an den Trommelfellen, noch eine Besserung des 
Hörvermögens, nur gibt Patientin an, dass sie hierauf «ihren Kopf freier fühle“. 

Nach dem Resultate dieser Untersuchung musste die Diagnose zunächst auf 
Labyrinth affection mit vollständiger Taubheit rechtersei ts und 
linksseitiger ziemlicher Schwerhörigkeit gestellt werden. 

Bei dem Fehlen aller jöner Momente (auch der Syphilis) jedoch, welche 
bisher gewöhnlich als Ursachen acuter Labyrinthaffectionen angeführt wurden, 
konnte es auf den ersten Blick den Anschein gewinnen, als handle es sich hier 
um ein Leiden viel älteren Datums (sclerosirende Mittelohrentzündung mit conse- 
entiver Labyrinthaffection) und als wäre die rechtsseitige Taubheit möglicherweise 
erst wahrgenommen worden, nachdem auch das Hörvermögen des linken Ohres 
herabgesnnken war, und das nm so eher, als überhaupt derartige Mittelohrprocesse 
viel häufiger aD getroffen werden als primäre Labyrinthaffectionen, und die Differen- 
tialdiagnose zwischen diesen beiden Erkrankungen, wenn sie einen gewissen Grad 
erreicht haben, nicht so leicht ist. Allein auf die wiederholte Versicherung der 
Patientin, dass sie sich bis zum 20. August sogar eines scharfen Gehörs erfreut 
habe, und bei dem Zusammenhalt der Symptome mit dem negativen Erfolge der 
Luftdouche, erschien es doch wahrscheinlicher, dass hier die Labyriniherkranknng 
primär und acut anfgetreten ist. Das bestimmte Verf. denn auch, eine diesbezüg¬ 
liche Therapie einznleiten, er verordnete die Application eines Empl. vesicator. 
unterhalb des rechten Warzenfortsatzes und innerlich den Gebrauch von Jodkali 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


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(1 Orm. pro die). Am 16. September hörte Patientin bei der vorgenommenen 
Hörprobe linkerseits Flüstersprache anf 4 M„ rechterseits laute Sprache schon 
auf 10 Ctm. Entfernung, die Uhr jedoch auch beim Anlegen noch nicht. Um 
keiner Täuschung zu unterliegen und ein etwaiges Herüberhören mit dem linken, 
wenn auch verstopften Ohre ansschliessen zu können, prüfte man rechterseits anch 
mittelst Hörrohres, wobei die gegen den Schallfänger gesprochenen Wörter nach* 
gesprochen wurden, während die an demselben vorbei gesprochenen ausfielen. Der 
otoskopische Befund war unverändert, Jodkali innerlich fort gebraucht. Nun 
schreitet die Besserung allmölig fort und am 7. October bat das Hörvermögen 
rechterseits für Flüstersprache um 1 M. = 4 M.; am 2 Jänner d. J. stellte Pat. 
sich zum letzten Male vor — mit der Angabe, sie höre jetzt wieder so gut, 
wie vor der Erkrankung. Bei der Prüfung hörte sie die Uhr mindestens 2 M. 
weit und die leiseste Flüstersprache, dabei Wörter mit düsteren Selbstlauten, wie 
Mutter, Bruder, Uhr etc. anf 5 M. Entfernung. 

Aus dieser Krankengeschichte hebt Verf. drei Momente hervor, 
welche ein grösseres Interesse darbieten, u. zw. das causale Moment, die 
völlige Heilung und die Abwesenheit aller jener Erscheinungen, welche 
gemeinhin mit dem Ergriffensein auch der halbzirkelförmigen Canäle in 
Verbindung gebracht werden, wie Erbrechen, Schwindel und überhaupt 
Störungen in der Coordination der Bewegungen. 

Was das erstere anbelangt, so sind in der Literatur, wie in den 
Lehrbüchern der Ohrenheilkunde, als Ursachen acuter Labyrinthaffection 
mit Taubheit bisher zumeist nur angeführt: Erschütterung durch Explo¬ 
sion (v. Tröltsch), Schlag, Stoss auf die Ohrgegend, Trauma des 
Schädels mit Fissur (Contrecoup) der Labyrinthkapsel (Politzer), 
Syphilis (G r u b er), die Entzündung des häutigen Labyrinthes (Vo 11 ol i n i) 
und in manchen Fällen ist es die epidemisch auftretende Meningitis 
cerebro-spinalis, welche gleichfalls zur Taubheit führen kann. 

Da von allen diesen Ursachen in diesem Falle keine einzige in 
Betracht kommt, darf wohl nach dem aus der Anamnese hervorgehenden 
veranlassenden Momente, dem acuten Auftreten und Verlauf, aus der 
nach rascher Verringerung des Hörvermögens innerhalb zweier Tage er¬ 
folgten völligen Taubheit bei gänzlichem Fehlen von Schwindel oder Be 
wegung8störungen und endlich aus dem Ausgange in Genesung gefolgert 
werden, dass hier eine bis jetzt noch nicht erwähnte Erkrankungsform, 
eine acute rheumatische Erkrankung des Hörnerven, vor¬ 
lag, in Folge deren es rechterseits zur Lähmung des Hörnerven, 
ähnlich der rheumatischen Lähmung des N. facialis, linkerseits nur zur 
Entwicklung eines leicht paretischen Zustandes gekommen war. 

Zwar sprechen au^h Erhard von „Hyperaemia rheumatica der 
Tunica nervea“ und Toynbee von den „Folgen der Elinwirkung von 
Kälte auf den Nervenapparat des Ohres“; doch ist, wie aus den An¬ 
führungen und kurzen Krankengeschichten hervorgeht, unter ersterer mehr 
die neben Mittelohrentzündung einhergehende Hyperämie im Labyrinthe 
mit Fehlen der Kopfknochenleitung für die Uhr verstanden, und handelt 
es sich dabei auch nicht um völlige Taubheit, sondern nur um Schwer¬ 
hörigkeit und Sausen. — In den von Toynbee angezogenen Fällen 
dagegen hatte das Leiden meist schon jahrelang bestanden, bevor es zur 
Untersuchung gekommen, und ist ferner von allmälig zunehmender 
Schwerhörigkeit ohne Heilung die Rede. 

Welcher Art die pathol.-anatom. Veränderung in unserem E^alle war 
und wo dieselbe ihren Sitz hatte, lässt sich nicht bestimmt aügeben; am 
ehesten ist anzunehmen, dass hier eine seröse Durchfeuchtung 
der Endausbreitung des Hörnerven im Schneckencanal 
statthatte, welche zur Aufhebung, beziehungsweise Herabsetzung, der 
Function geführt hat. Hiefür spreche unter anderen auch der A u s- 


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Mediciniach-chirurgische Rundschau. 


gang in Genesung. Ob letztere auch spontan erfolgt wäre, muss 
wohl dahingestellt bleiben; gewiss aber hat die Anwendung eines Gegen¬ 
reizes, sowie der interne Gebrauch von Jodkali zur raschen Resorption 
viel beigetragen. Es geht auch hieraus hervor, dass die Prognose in 
ähnlichen Fällen günstiger als bisher gewöhnlich bei Labyrinthaffectionen 
gestellt werden kann, und dass von einem geeigneten therapeutischen 
Verfahren immerhin ein Erfolg erwartet werden darf, wenn nicht gar zu 
lange Zeit seit Beginn des Leidens verstrichen war. 

Durch das Fehlen von Schwindel, Brechneigung und 
Störungen im Gehen unterscheidet sich der hier geschilderte Fall 
auch von dem Meni^re’schen; ob und inwiefern hieraus Schlüsse ge¬ 
stattet sind, welche mit der in der Neuzeit in Frage gekommenen Zu¬ 
sammengehörigkeit der halbzirkelförmigcm Canäle zum Hörorgan in Bezug 
stünden, soll hier nicht untersucht, doch angedeutet werden. 0. R. 

236, Behandlung der Keratitis. Von Sattler. (Aus dem Be¬ 
richte der ophth. Gesellschaft, Heidelberg. 1879.) 

Obwohl S. nicht vollständig davon überzeugt ist, dass alle Formen 
von Hornhautgeschwtiren mycotischen Ursprungs sind, so ist er doch auf s 
Vollständigste der Meinung, dass, wenn eine Stelle des Hornhautepithels, 
namentlich der Bowmanschen Membran defect geworden, die aller¬ 
günstigste Eintrittspforte ftir das Eindringen von Infectionskeimen in’s 
Auge aus der atmosphärischen Luft oder aus unsauberem Verbandmateriale 
gegeben sei. S. wendet daher antiseptisches Verbandmaterial an und 
antiseptische Flüssigkeiten. Statt nur 1 l i °i 0 wässerige Salicylsäurelösungen 
zu benützen, welche nicht sicher antiseptisch wirken, wendet er eine 
wässerige Lösung von 1 °/ 0 an, die man dadurch erhält, dass man 1 Theii 
reiner Salicylsäure und 3 Theile reiner Borsäure in 100 Theiien in 
warmem Wasser unter Umrühren auflöst, langsam abkühlt und filtrirt. 
Die Salicylsäure bleibt auf diese Weise bei gewöhnlicher Zimmertemperatur 
immer in Lösung. Die Verbandwatte wird in diese Flüssigkeit getaucht, 
auf8 Auge gelegt, ein Stück Guttaperchapapier darübergedeckt, hierauf 
kommt trockene Baumwolle und darüber die Binde. 

S. ist mit den Erfolgen seiner Behandlung bei Ulcus serpens sehr 
zufrieden. (Auch bei chirurgischen Operationen hat er die Lösung mit 
gutem Erfolge erprobt.) Er empfiehlt ferner bei progressiven Hornhaut¬ 
geschwüren die Anwendung des Gltiheisens. Sie ist nahezu schmerz¬ 
los, sie ist sicher auszuftihren und wirkte in den Fällen, in denen sie S. 
vomahm, wenn auch nicht nach dem ersten, so doch nach dem 2. oder 
dritten Male absolut sicher in Bezug auf die Sistirung des Processes. 

Reuss. 


Dermatologie und Syphilis. 


237. Ueber Kupferrose. Von Vidal. (Gaz. des Höp. 1879. 98.) 

Das sehr leicht diagnosticirbare Leiden tritt in der Regel zuerst 
auf der Spitze der Nase oder an andern Stellen derselben oder in deren 
nächster Umgebung auf, sich von hier über Wangen, Stirn und Kinn 
weiter verbreitend, als violette Röthe bemerkbar. Dieselbe, die Folge 
eines durch erregende Momente bedingten vermehrten Blutflusses zu jenen 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


2S7 


Tlieilen , verschwindet nach einigen Stunden und erscheint erst wieder 
nach der Rückkehr der erregenden Veranlassungen, bis sie endlich nach 
kürzerer oder längerer Zeit stationär wird. Mit dem Beginne dieses 
Vorganges schiessen auf den gerötheten Hautpartien einzelne oder mehrere 
Acnepusteln mit hellgelbem Inhalte auf, welche nach einigen Tagen 
platzen und kupferfarbene Krusten zurticklassen, ein Vorgang, welcher, 
einen immer grösseren Raum einnehmend, sich fort und fort wiederholt. Im 
weiteren Verlaufe findet in Folge des fortdauernden Blutandranges Er¬ 
weiterung und Neubildung der Geffcsse statt, woraus eine vermehrte Ab¬ 
sonderung der Talgdrüsen und eine Vergrösserung der Nase resultirt. 
Schliesslich kommt es dadurch, dass dieser pathologische Process chronisches 
Oedem hervorruft, zur Proliferation des betreffenden Bindegewebes und 
damit zur Umwandlung desselben in fibröses Gewebe — zur hypertro¬ 
phischen Akne oder Elephantiasis der Nase mit oder ohne förmliche Aus¬ 
wüchse. Wie die mikroskopische Untersuchung nachweist, beginnt der 
eben geschilderte Vorgang im Gegensätze zur Acne pilaris, wo die Ent¬ 
zündung im Haarfollikel selbst ihren Sitz aufschlägt, in der Nachbarschaft 
der Glandulae sebaceae, indem sich hier zuerst die Geffcsse erweitern, 
neue sich bilden, Bindegewebsproliferation stattfindet und der Eiter von 
da der Drüse entlang bis unter die Epidermis dringt, welche er erhebt 
und durchbricht. 

Anlangend die Aetiologie der Kupferrose, so kommt dieselbe bei 
beiden Geschlechtern vor, jedoch ft—4 Mai häufiger bei dem weiblichen, 
wegen des bei demselben stattfindenden stärkern Blutandranges zur Haut, 
als bei dem männlichen. Während sie hier immer nur mit Alkohol¬ 
missbrauch in Zusammenhang steht, besonders wenn damit langer Aufenthalt 
im Freien, in der Kälte, am Feuer etc. verbunden ist, verdankt sie 
beim weiblichen Geschlechte diesem Momente weniger ihre Entstehung 
als der erblichen TJebertragung. Derartig belastete Individuen, namentlich 
wenn sie den besser situirten Ständen angehören, lassen schon zur Zeit 
der Pubertät, wo die Haut physiologisch mehr turgescirt, die bekannte 
Röthe der Nase und Umgegend wahrnehmen, so dass man aus diesem 
Symptome und dem Umstande, dass die Mutter an Kupferrose litt, den 
Eintritt derselben mit hoher Wahrscheinlichkeit Voraussagen kann. An¬ 
dererseits befällt diese Hautaffection nicht selten Frauen, welche, den 
klimakterischen Jahren angehörig, viel von nervösen Erscheinungen heim¬ 
gesucht sind, und deren sitzende Lebensweise chronische Obstipation und 
dadurch eine ungleichmässige Blutvertheilung zu Wege gebracht hat. Bei 
Männern ist es dagegen Plethora abdominalis, welche den Ausbruch des 
fraglichen Exanthems begünstigt, weshalb dasselbe nur erst gegen das 
40. Lebensjahr, selten früher, falls nicht erbliche Anlage besteht, zum Vor¬ 
schein kommt. 

Die Prognose ist insofern ungünstig als bei manchen Frauen wegen 
des Leidens eine hypochondrische Gemüthsstimmung auftritt und eine 
Heilung oder Besserung nur schwer zu erreichen ist. Dies gelingt nur 
im Anfänge des Leidens (besonders bei ererbter Anlage) und Unterlassung 
des Abusus spirituosorum. 

Das fragliche Uebei könnte vielleicht mit Erythem verwechselt 
werden. Indessen besteht dieses ununterbrochen fort, ohne jedoch länger 
als einige Tage anzuhalten, und breitet sich in einem grösseren Umfange 
ans. Noch eher wäre ein solcher Irrthum bei Lupus erythematosus 
möglich, welcher sich jedoch durch seine an den Rändern vorhandene 
eircumscripte Röthe von der diffusen der Kupferrose unterscheidet. Die 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


diagnostischen Momente der Acne simplex sind: rothe Basis der Pusteln, 
Vorkommen derselben auch an andern Körperstellen, sowie der Umstand, 
dass diese Form nur scrophulöse Subjeete befallt. 

Bei der Behandlung ist das diätetische Verhalten von grosser 
Wichtigkeit. Namentlich ist Alles zu vermeiden, was eine Fluxion nach 
der Haut herbeifflhrt (Alkoholica, gesalzenes Fleisch, manche Seefische, 
langer Aufenthalt im Freien). Bei Frauen sind Störungen der Menstruation, 
chronische Stuhlverstopfung, sowie Kälte der Füsse besonders zu berück¬ 
sichtigen (schwache Schwefel- und alkalische Wässer, Extr. Rhei. c. Aloe, 
Frottiren der Fusssohlen, kalte Douche auf Unterschenkel und Füsse). 
Zur Behandlung der örtlichen Affection ist die Application von Schwefel¬ 
oder gewöhnlicher Hausseife, sowie von Salben mit Hydrarg. jodat. flavnm 
(1 : 30), Hydr. bijodat. rubr. (1 : 60—100), oder mit einer Verbindung 
von Hydr. chlorat. mite und Jod (Rochard) empfohlen werden. Nach 
Verf. leistet das Waschen des Gesichts mit abgekochtem Wasser, sowie 
mit einer Lösung von Kalium sulphuratum (4*5—5*0 Gramm : 2500 Aq. 
dest., und Tinct. Benz. 2—3 Gramm) besonders gute Dienste; letztere 
soll Morgens und Abends mittels eines Schwammes 5—6 Min. lang so 
applicirt werden, dass der ausgeschiedene Schwefel auf den kranken 
Stellen liegen bleibt. Gegen die etwa zurückgebliebene Röthe und ver¬ 
mehrte Gefä8sbildung erweisen sich 3 Mal täglich während 8—10 Min. 
gemachte Umschläge von Liquor Ammonii caustic. (1 Grm. auf 250 Grm. 
Aqu. destill.) ganz besonders hilfreich. 

Ist die Kupferrose in das Stadium der Hypertrophie getreten, so 
kann nur ein chirurgischer Eingriff nützen. Verf. räth zunächst zu der 
schon mehrfach empfohlenen Durchschneidung der Gefässwucherungen. Er 
bedient sich dazu einer Lancette, welche mit einer Vorrichtung ver¬ 
sehen ist, um das zu tiefe Eindringen in die Haut zu verhüten. Lr 
macht mit derselben viele kleine Einstiche in die afficirten Stellen, mit 
Zwischenzeiten von einigen Tagen, so dass nach acht Tagen die ganze 
kranke Partie in Angriff genommen ist. Die Wirkung macht sich in 
baldigem Erblassen der Haut und in Verkleinerung der indurirten Pusteln 
bemerkbar. Andererseits zieht Verf. grössere Einschnitte in die warzen¬ 
artigen Vorsprünge der von Hardy unter diesen Umständen geübten 
Ignipunctur vor. Handelt es sich um elephantiatische Wucherungen, so 
bleibt nur die von Olli er vorgeschlagene Exstirpation übrig, welche in 
Rücksicht auf die Gutartigkeit der fraglichen Neubildung gute Erfolge in 
Aussicht stellt. 


238. Ein Fall von Hämoglobinurie bei Scharlach. Von Prof. 
Otto Heubner. (Deutsch. Arch. f. klin. Med. 23 B., 3. Heft.) 


Verf. beobachtete bei einem 4 3 / 4 Jahre alten Mädchen, das 12 Tage 
lang wegen eines leichten Scharlachs im Bette gehalten worden war, am 
20. Krankheitstage im Urin eine Spur von Eiweiss, einzelne Lymphzellen, 
ganz spärliche Zellencylinder. An demselben Tage plötzliches Erbrechen, 
Collaps, Dyspnoe T. 40. 8, Puls 220 und der nunmehr entleerte Harn 
enthielt etwa 1 /. 3 Volumen Eiweiss, war braunschwarz, das Filtrat des 
gekochten Harnes hat die Farbe Nr. 4 der Vogel-Neubauer sehen Scala, 
das auf dem Filter zurttckbleibende Gerinnsel sah dunkelgrünbraun aus. 

Die spectroskopische Untersuchung ergab deutlich die charakte¬ 
ristischen Hämoglobulinstreifen im Spectrum, der Harn enthält keine 
Gallenfarbstoffe, kein einziges rothes Blutkörperchen, sondern nur Haufen 
amorpher brauner und gelber Körnchen. Die Untersuchung des Blutes 


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289 


der Kranken ergibt nichts Auffälliges. Tod am 4. Tage nach Beginn 
der nephritischen Erscheinungen. An der Leiche findet man neben hoch¬ 
gradiger Anämie je 100 Gramm rothbraunes Serum in jeder Pleurahöhle, 
acute Schwellung der Milz, Verflüssigung des Blutes. In den Nieren, 
neben dem gewöhnlichen Befände des acuten Morb. Brightii: die Pyra¬ 
miden von der Papillenspitze an bis in die Markstrahlen hinein von braun¬ 
schwärzlichen, oder rothbraunen, feinen Streifen durchzogen. Diese Streifen 
entsprechen den mit einer abnormen Masse erfüllten Harncanälchen. Diese 
Massen bestanden aus amorphen Körnern und Conglomeraten, von roth 
gelber Farbe, meist kugliger Gestalt und von der Grösse eines halben 
bis ganzen rothen Blutkörperchens und grösseren, aus der Verschmelzung 
solcher entstandenen. Die Epithelien an der Grenze der Pigmentanhäu- 
fängen, wo dieselben überhaupt sichtbar waren, erschienen normal oder 
nur mässig bestäubt oder gekörnt aussehend (beginnende trübe Schwellung). 
In den Rindencanälchen die Pigmentanhäufung nur spärlich und selten, 
etwas zahlreicher wieder in der Rinde nächst der Nierenoberfläche, die 
Interstitien zwischen den Harncanälchen verbreitert, kernreicher, von 
Rundzellen inflltrirt. 

Es handelt sich in diesem Falle nicht um die gewöhnliche Häma¬ 
turie, sondern um die Ausscheidung eines farbigen Albuminkörpers, der 
von zerstörten Blutkörperchen abstammte. Das Pigment, mit conc. S0 3 
behandelt, machte einen Farbenwechsel durch in feurig braunroth, violett, 
roth, blassgelb, wurde weder durch Säuren, noch durch Alkalien zerstört, 
war also nicht Hämoglobulin, sondern wies ganz entschieden auf das Blut 
hin (vielleicht Hämatin), und es würde der Fall die von Lichtheim in 
Abrede gestellte Möglichkeit einer local bedingten, vom Verhalten des 
Gesammtblutes unabhängigen Zerstörung von rothen Blutkörperchen erweisen. 

Bemerkenswerth ist noch der Umstand, dass die Hämoglobinurie 
nach 24 Stunden aufhörte und gleichzeitig auch das Eiweiss bis auf eine 
Spur verschwunden war, was sich mit der Annahme der Nephritis als 
Todesursache nicht gut vereinbaren lässt, um so mehr als erheblicher 
Hydrops und jede Andeutung von Anämie fehlte. Hervorstechend war im 
Krankenbilde und am Leichenbefunde die enorme Anämie und die gründ¬ 
liche Nuance der Hautfarbe, was schliesslich doch auf das Vorhandensein 
eines Allgemeinleidens zu schieben wäre, mit der Reserve, dass die Nieren 
allein als Abfährswege des im Blute freigewordenen Hämoglobins gedient 
hätten. Dieses Allgemeinleiden wäre dann eine Complication der Nephritis 
und die eigentliche Todesursache gewesen und läge beiden eine gemein¬ 
same, unbekannte, giftartig wirkende Schädlichkeit zu Grunde. 


239. Zur Anwendung des Pilokarpins in der Behandlung der 
Syphilis. Von Dr. Lockwood (Amer. Arch. of Dermatol. III.) 


Von der Idee der Wirkung des Zittmann’schen Decocts aus¬ 
gehend, versuchte Verf. in 2 Fällen schwerer Syphilis das Pilokarpin. — 
In dem einen Falle handelte es sich um einen Kranken, dessen Ulcus 
durum noch bestand, mit einem schweren gross-tuberculösen schuppenden 
Exanthem und Munderscheinungen. 14 Tage lang wurde jeden zweiten 
Tag 1 Centigramm Pilokarpin subcutan applicirt. Mercur war noch gar 
nicht angewendet worden. Ulcus wie Exanthem heilten rasch ab. Die 
Mundaffection bestand am Ende der Behandlung noch. — Der zweite 
Patient hat eine ausgedehnte Rupia mit Mundulceration und doppelseitiger 
Iritis. 54 Tage war eine gemischte Behandlung vergeblich angewandt 
worden, ebenso 30 Calomel-Dampfbäder. Nun wurde die Stärke des 


Med.-chir. Rundschau. 1680. 


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Medidjtisch-chiriirgiscfee Rundschau. 


2 j J 


Cälomelbades von 3*0 auf 0*3 herabgesetzt und jeden zweiten Tage vor 
der Räucherung 1 Centigramm Pilokarpin injicirt. Während sonst der 
Kranke im Dampf bade gar nicht geschwitzt hatte, erfolgte jetzt eine sehr 
profuse Schweisssecretion 9 Stunden lang. Auf einmal begann eine Bes¬ 
serung und nach 30 Tagen — 15 Räucherungen mit Einspritzungen — 
verliess der Kranke in fast geheiltem Zustande das Hospital. 


240. Ueber den Einfluss der russischen Dampfbäder auf die Aus 
Scheidung des Quecksilbers bei Quecksilberkranken. Von Dr. Edmund 
Gfintz. (Schmidt’s Jahrbücher 1880. 1.) 

Ueber die Ausscheidung des Quecksilbers durch gewisse Agentien 
aus dem Körper hatte man früher nur sehr ungenügende Kenntniss, denn 
die Besserung im Befinden des Kranken, der Nachlass der Quecksilber- 
Symptome, berechtigte an sich noch nicht zu der Annahme, dass die Aus¬ 
scheidung des Metalls aus dem Körper stattgefunden habe. Das Queck¬ 
silber konnte ja möglicher Weise im Körper eine derartige Verbindung 
eingegangen haben, welche dessen Ausscheidung nicht nothwendig bedingen 
musste, sondern nur seine Eigenschaft, Quecksilbersymptome zu veran¬ 
lassen, aufgehoben haben konnte. G. kam nun bei seinen Untersuchungen 
zu dem Schlüsse, dass das Quecksilber im Körper in der Form einer 
Ei weissVerbindung verweilt, dass es an das Eiweiss gebunden ist und mit 
diesem ausgeschieden wird. An den erhöhten Eiweisszerfall ist deshalb 
die Ausscheiduug des Quecksilbers gebunden und sie wird angeregt durch 
diejenigen Mittel, die den Eiweisszerfall anregen. G. hebt hervor, dass 
durch die Entziehung des Sauerstoffs aus den Geweben ein Zerfall der¬ 
selben begünstigt wird, und ein solcher erhöhter Verbrauch an aus den 
Geweben stammendem Sauerstoff, der sich durch die Endproducte des 
Stoffwechsels nachweisen lässt, findet statt unter dem Einflüsse verschiedener 
therapeutischer Methoden, deren Wirkung sich so in einheitlicher Weise 
erklären lässt. Ausserdem ist es G. gelungen, den chemischen Nachweis 
zu liefern, dass unter der Anwendung gewisser Curmittel wirklich Aus¬ 
scheidung des Quecksilbers stattfindet. 

In die Reihe jener Cureinflüsse, welche auf die Ausscheidung des 
Quecksilbers fördernd wirken, waren nach G.’s Theorie auch die Dampf¬ 
bäder zu rechnen, und die Untersuchungen, die G. in dieser Richtung 
seit 2 Jahren angestellt hat, haben auch thatsächlich die unter gewissen 
Voraussetzungen erfolgende Ausscheidung von vorher fest im Körper gebun¬ 
denem Quecksilber in bestimmten Secreten unter dem Einflüsse der Dampfbäder 
bestätigt. Im Schweisse der behandelten Versuchspersonen, ist es Verf. 
bisher noch nicht möglich gewesen, Quecksilber nachzuweisen, doch sind 
diese Versuche zur Zeit noch nicht als abgeschlossen zu betrachten. 

Zu den Versuchen über die Ausscheidung des Quecksilbers durch 
den Harn unter dem Einflüsse von Dampfbädern benutzte G. 9 Personen, 
die nach vorausgegangenen Quecksilbercureu beträchtliche Erscheinungen 
von Mercurialismus boten. Die Anwendung der Dampfbäder begann gleich- 
mässig bei allen nach Verlauf von 40 Tagen, als die Erscheinungen der 
Stomatitis vollständig verschwunden waren. Von diesen Versuchspersonen 
nahmen 4 20 Tage hinter einander täglich jede ein Dampfbad von 
3stündiger Dauer, 2 je 20 Dampfbäder im Zeiträume von 23 Tagen. 
Von allen Kranken wurde der Harn bis zur Beendigung der Dampf- 
badecur gesammelt und nach L n d w i g ’s Methode auf Quecksilber unter¬ 
sucht. Bei den verschiedenen Analysen fand sich keine Spur von Queck¬ 
silber. Drei andere Personen nahmen an 20 Tagen hinter einander 


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Med i cmisch-chirargische Rundschau. 


291 


täglich je 1 Dampfbad ; bei 2 von diesen fand sich in den ersten 14 Tagen 
kein Quecksilber im Harn, der vom 15.—20. Tage gesammelte Harn 
enthielt dagegen eine zwar geringe, aber deutlich nachweisbare Menge 
Quecksilber, bei Einem konnte der Eintritt der Quecksilber-Reaction erst 
vom 16. Tage an nachgewiesen werden, von da an bis zum 20. Tage ent¬ 
hielt der Harn ebenfalls deutlich Quecksilber, aber in geringer Menge. 

Während G. bei den Versuchen über die Wirkung der Schwefel¬ 
wässer und der Salzbäder nur ganz ausnahmsweise kein Quecksilber nack- 
weisen konnte, gelang der Quecksilbernachweis nach Anwendung der 
Dampfbäder nur in 1 / 3 der Fälle. Im Uebrigen aber zeigte sich doch 
eine unverkennbare Uebereinstimmung in allen diesen Versuchen. 

Die Beispiele waren möglichst gleichwerthig gewäldt, die Kranken 
litten alle an frischem Mercurialismus, die Behandlung war nur örtlich 
gegen die Stomatitis gerichtet, innerliche Mittel, welche durch den Ein¬ 
fluss auf den Stoffwechsel die Quecksilberausscheidung beschleunigen 
konnten, waren vermieden worden. Bei den Kranken wurde der Termin 
abgewartet, bis zu welchem nach G.’s Erfahrungen die Quecksilberaus¬ 
scheidung durch den Harn von selbst aufhörte; erst dann wurden die 
verschiedenen Behandlungsweisen, deren Einfluss auf die Ausscheidung 
des Quecksilbers untersucht werden sollte, in Anwendung gebracht. Ueber- 
einstimmend stellte sich bei Allen heraus, dass es immer einer bestimmten 
Zeit und einer consequenten Durchführung der Cur bedurfte, ehe die 
Ausscheidung des Quecksilbers begann. Die Ausscheidung war dann über¬ 
einstimmend anfangs minimal und wurde erst bei fortgesetzter Anwen¬ 
dung der Cur allmälig stärker. Hieraus ergab sich, dass, wenn die 
freiwillige Ausscheidung des Quecksilbers nach Verlauf einer Anzahl von 
Wochen erst aufgehört hatte, diese nicht so leicht wieder in Gang kam, 
dass deshalb das noch im Organismus zurückgebliebene Quecksilber ent¬ 
weder sehr fest im Körper haftet oder gerade durch die Cur anfangs 
in einen Zustand versetzt werden kann, welcher der Ausscheidung nicht 
günstig ist. Mag nun die eine oder die andere Annahme richtig sein, so 
zeigt sich doch deutlich, dass die Ausscheidung nicht schwankend, nicht 
unregelmässig und unzuverlässlich erfolgt, sondern überhaupt sehr schwer 
in Gang kommt; gerade dieser Umstand aber spricht dafür, dass die 
Quecksilberausscheidung nach den betreffenden Curen nicht zufällig sein 
kann, sondern als Wirkung der Cur zu betrachten ist. 

Wenn, wie dies in einem Falle bei den früheren Versuchen G.’s der 
Fall war, zur Zeit der stärksten Harnstoffausscheidung noch kein Queck¬ 
silber im Harne nachgewiesen werden konnte, so folgt daraus keineswegs, 
dass der erhöhte Zerfall der Eiweisskörper nicht im Zusammenhänge mit 
der Ausscheidung des Quecksilbers stehe. Erst muss, gewissermassen 
vorbereitend, der Zerfall der Eiweisskörper erfolgen, dann erst ist die 
Möglichkeit gegeben, dass das Quecksilber in den folgenden Tagen 
ausgeschieden wird, es muss aber trotz den gegebenen günstigen Vorbedin¬ 
gungen nicht unbedingt in jedem Falle ausgeschieden werden. Der Vorgang 
ist eben nicht so einfach, dass das an Eiweiss gebundene Quecksilber, 
welches als Chlornatrium-Quecksilberoxyd-Albuminat in den im Organismus 
vorhandenen Chlornatrium nicht löslich ist, nach der Zersetzung sofort 
ausgeschieden werden müsste; erst tritt starker anhaltender Eiweisszerfall 
ein und dann erst kann die Ausscheidung des Quecksilbers aus dem 
Organismus beginnen. Bei Inanitionszuständen, bei Erschöpfung des Orga¬ 
nismus nach Säfteverlusten, also nach reichlicher Harnstoffausscheidung, 
kanu später die Ilarnstoffaussclieidung selbst unter der Norm bleiben und 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


doch ist vermehrter Eiweisszerfall vorhanden. Auf diese Weise erklärt es 
sich, wie bei einem sehr heruntergekommenen Menschen eine scheinbar 
nachträgliche, massenhafte Quecksilberausscheidung Vorkommen kann. 

Nach einem Dampfbade lässt sich bei vermehrtem Harnstoffverlust 
durch Haut und Nieren, bei vermehrter Kohlensäureausscheidung durch 
die Lungen der Eiweissverfall zugleich durch Verlust an Körper¬ 
gewicht bestätigen. Der Verlust an Körpergewicht ersetzt sich jedoch 
sehr rasch, schon nach einigen Stunden, wieder. Da es aber erst 
einer gewissen Zeit bedarf, ehe nach dem Verlust an Körpergewicht 
(dem Verlust an zerfallenem Eiweiss) nachträglich die Quecksilberaus¬ 
scheidung erfolgt, so sind die kurz nach dem Dampfbade für die Queck¬ 
silberausscheidung günstigen Bedingungen des erhöhten Eiw-eisszerfalls 
rasch durch Zunahme des Körpergewichts wieder ausgeglichen; das Queck¬ 
silber scheidet sich deshalb nicht aus, sondern geht neue Verbindungen 
ein. Erst dann, wenn man viele Tage hintereinander Dampfbäder an¬ 
wendet und der Kranke erst allmälig angegriffen wird und constante, 
allmälig erst dauernde Gewichtsverluste erleidet, sind die Voibedingungen 
zur Möglichkeit der Quecksilberausscheidung gegeben. Eiweisszerfall, 
welcher ein normaler Vorgang des Stoffwechsels ist, muss nicht noth- 
wendig die Ausscheidung des Quekksilbers bedingen, weder, wenn er 
normal ist, noch, wenn er abnorm erhöht ist. Er bietet aber die erste 
Vorbedingung zur Ablösung des Quecksilbers von dem Eiweiss; die 
wirkliche Ausscheidung des Quecksilbers ist erst noch von anderen Be¬ 
dingungen abhängig. 

Man kann deshalb die Dampfbäder behufs der Ausscheidung des 
Quecksilbers aus dem Organismus wohl nur selten allein und consequent 
anw'enden, weil selten ein Mensch die erforderliche Menge Dampfbäder 
hinter einander nehmen kann. Nur solche Personen dürften für eine solche 
Cur geeignet erscheinen, die früher mit Passion Dampfbäder genommen 
haben. Ausschliessliche Anwendung von Dampfbädern zum Zwecke der 
Elimination des Quecksilbers aus dem Organismus dürfte überhaupt wohl 
kaum empfehlen8werth erscheinen, doch können sie in Verbindung mit 
den andern, zu diesen Zwecken benutzten Curmethoden Nutzen bringen. 
Die ausschliessliche consequente Anwendung von Dampfbädern (wo sie 
vertragen werden) hat aber ebenfalls, wie G. wiederholt zweifellos nach- 
weisen konnte, den grossen Nutzen, dass während des Gebrauchs der¬ 
selben in vielen Fällen die Symptome der Syphilis wieder zum Vorschein 
kommen können. 


241. Ueber luetische Tabes und ihre Behandlung. Von Prof. 
Dr. Erb. (Aus dem Vortrage in der psychiatrischen Section der deutschen 
Nfitnrforscher-Versammlung, 1879. Wiener med. Blätt. 1880. Nr. 11.) 

Schon in einem früheren Aufsatze (cf. Rundschau 1879, S. 812.) 
hat Erb darauf hingewiesen, dass ein ätiologischer Zusammenhang 
zwischen Syphilis und Tabes anzunehmen sei. Neuerlich verfügt er über 
36 Fälle von typischer Tabes, deren genaue Analyse ein beaohtens- 
werthes Streiflicht auf diese Beziehungen wirft. Nach Abrechnung von 
drei Fällen waren nämlich von den Uebrigen nur 4 ohne alle voraus¬ 
gegangene Syphilis = 12 Percent, dagegen 29 mit vorhergegangener 
Syphilis oder Schanker = 88 Percent. Von den letzteren waren 24 Fälle 
mit entschieden secundärer Syphilis, in 5 Fällen einfacher Schanker ohne 
secundäre Symptome. Der erschreckenden Höhe dieser Ziffer gegenüber 
wurden von Erb behufs Beseitigung des Zufalls und zur Gegenprobe 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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85 männliche Individuen, die an den verschiedenen Neurosen litten, eben¬ 
falls genau auf Syphilis oder Schanker untersucht und dabei gefunden, 
dass von diesen 85 Kranken 71 ohne alle Syphilis und nur 14 mit 
Syphilis behaftet waren. Also eine ganz ausserordentliche Differenz. Die 
Untersuchungen haben E r b zu folgenden Resultaten und Schlüssen geführt: 

Die ersten tabischen Symptome stellen sich gewöhnlich in den ersten 
10 Jahren nach der syphilitischen Infection ein, meistens in der zweiten 
Hälfte des Jahrzehnts. 

In den meisten Fällen von Tabes ist die syphilitische Infection nicht 
schwer, man trifft keine schwere Haut-, Rachen- oder Knochensyphilis, 
nur selten Recidive, selten Syphilis bei den Kindern der Kranken, und 
Redner hält es mit Andern für möglich, dass auch nach leichten primären 
Infectionen, nach nicht intensiver Erkrankung und nach so langer Zeit 
noch die Tabes durch Syphilis hervorgerufen werde. 

Durch die bisherigen anatom.-patholog. Befunde ist der Beweis für 
die syphilitische Natur des Leidens nicht gegeben. Es ist aber überhaupt 
fraglich, ob die syphilitischen Sclerosen und chronischen Entzündungen 
specifische Charaktere haben. Für die syphilitische Natur der Tabes 
sprechen aber andere gleichzeitige syphilitische Symptome, und soll man 
in allen Fällen von Tabes namentlich nach Symptomen von Hirn¬ 
lues forschen (abnorme Pupille, Lähmungen der Augenmuskeln, nächt¬ 
licher Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Schwindel, halbseitige Zuckungen, 
passagere Aphasie, hemiplegische Erscheinungen, psychische Anomalien, 
Abnahme des Gedächtnisses etc.) Die mitgetheilten Zahlen beweisen 
jedenfalls, dass die Syphilis eines der häufigsten — wenn nicht die 
häufigste und wirksamste Ursache der Tabes ist. Es fragt sich nur, in 
welcher Weise dieser ätiologische Zusammenhang aufzufassen ist: ob die 
Syphilis nur eine prädisponirende Rolle spielt, die Tabes somit einen nicht 
specifischen, durch andere Ursachen erst ausgelösten Process darstellt, 
oder ob die Syphilis die directe Ursache der Tabes ist, diese also eine 
specifische Erkrankung, eine der möglichen späteren Localisationen der 
Syphilis darstellt? 

Erb neigt mehr der zweiten Annahme zu, dass die Tabes (bei 
früher Syphilitischen) eine specifische Erkrankung sei, weil beim Zusammen¬ 
wirken mehrerer (specifischer und nicht specifischer) Ursachen die Wahr¬ 
scheinlichkeit einer specifischen Erkrankung jedenfalls die grössere ist. 
Natürlich muss aber, die Richtigkeit dieser Ausnahme vorausgesetzt, 
nebenbei noch eine nicht specifische Meningitis, Myelitis oder Arteritis 
n. dgl., neben den syphilitischen auch scrophulöse und andere Drtisen- 
tumoren zuzulassen. Wichtig für die Praxis ist es ja doch vor Allem, 
nicht allein die pathologisch-anatomische Form und die klinischen Symp¬ 
tome einer Erkrankung, sondern vielmehr ihr eigenes Wesen und ihre 
Ursache zu erkennen; nur davon kann ja der Erfolg der Therapie 
abhängen. 

Als Schlussergebniss seiner Beobachtungen und Betrachtungen spricht 
er den Satz aus, dass die Tabes in der übergrossen Mehrzahl der Fälle 
durch die vorausgegangene Syphilis bedingt, und dass es in hohem Grade 
wahrscheinlich ist, dass es sich in eben diesen Fällen um eine specifisch 
luetische Erkrankung des Rückenmarks bandelt; dass aber neben dieser 
syphilitischen Tabes noch eine einfache, nicht specifische Tabes zuzu¬ 
lassen ist. 

Die Therapie der Tabes wird jedenfalls eine Umwälzung erfahren 
müssen. Allzugrosse Hoffnungen wird man allerdings nicht nähren dürfen, 


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Medicinisch-cbirnrgiscbe Rundschau. 


da die syphilitischen Sclerosen an sich meist schon eine ungünstige 
Prognose geben und es sich wahrscheinlich um eine directe Erkrankung 
der nervösen Elemente handelt, welche eine völlige Restitution wohl aus- 
schliesst. 

InUeberein8timmung mit 0.Berger und mit dem in seiner früheren 
Arbeit Gesagten spricht sich Erb für eine möglichst frühzeitige, energische 
und hinreichend lange fortgesetzte speciüsche Behandlung aus. 

242. Ueber Chromidrosis. Von Dr. G. Camuset. (LeMouvement 
Möd., 1879, pag. 819.) 

Nach Verf. wurde dieser Zustand nur immer an Frauen beobachtet 
und manifestirt sich durch eine schiefergraue Entfärbung der Haut in 
verschiedenen Gegenden, hauptsächlich in den unteren Augenlidern. Bis¬ 
weilen erstreckt sie sich bis zur Mitte des Nackens und den oberen Augen¬ 
lider, symmetrisch auf beiden Seiten. Die Chromidrosis wurde auf der Brust 
und überall an jenen Regionen, wo Schweissdrüsen häufig sind, beobachtet. 
Die Exsudation besteht in einer amorphen, schwärzlichen Substanz von 
stark färbender Kraft, wie Russ. Unter dem Mikroskope schauen die Frag¬ 
mente wie getrockneter Lack aus. Diese Substanz stammt von den 
Glomerulis der Schweissdrüsen und hat nichts gemein mit dem Pigment 
des Rete Malpighii. Die Farbe der Substanz ist in verschiedenen Fällen 
von verschiedener Intensität, je nach dem Zustand des Individuums. Das 
Ganze ist schlimmer während der Menstruationszeit. Dieser Zustand kann 
von wenigen Monaten bis zu mehreren Jahren mit gelegentlichen Unter¬ 
brechungen und Rückfällen dauern und verlässt die unteren Augenlider 
zuletzt von allen angegriffenen Gegenden. Meist sind es junge Weiber, 
welche von der Chromidrosis ergriffen werden. Die Behandlung hat man 
gegen die allgemeine Schwäche zu richten, welche diese Krankheit 
begleitet. Dr. Camuset erwähnt eines Falles bei einem jungen Mädchen 
von schwacher Gesundheit, wo sich der Ausbruch in seiner typischen 
Form zeigte. Das Mädchen wurde geheilt durch Gebrauch von tonischen 
Mitteln etc. 0. R. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 


243. Ueber die Textur der sogenannten Graviditäts-Narben. 

Von Prof. C. Langer in Wien. (Wien. Med. Jahrbücher 1880.) 

Aus Injectionspräparaten und mikroskopischen Untersuchungen der 
Bauchhaut von Individuen, welche geboren, entnimmt L., dass es sich 
bei den sogenannten Schwangerschaften nicht um Zerreissungen in den 
tiefen Schichten des Rete Malpighi handelt, sondern nur um eine durch 
übermässige Spannung der Cutis zu Stande gekommene und in Folge 
dessen bleibend gewordene Verdünnung und Umordnung des Gewebes, 
welche eine bleibende Umgestaltung in der Anordnung der Blutgefässe 
veranlasst. 

In Kürze lassen sich diese Veränderungen auf folgende Punkte 
zurückführen: 1. Es bilden sich innerhalb des halbwegs noch erhaltenen 
normalen Strickwerkes der Cutis bald mehrere, bald wenigere, bald 
grössere, bald kleinere oblonge, spaltenartig contourirte Inseln, innerhalb 


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Medicinisch-cbirorgische Rundschau. 


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welcher das ursprünglich netzartig angelegte, bindegewebige Stroma der 
Cutis nach ihrer ganzen Dicke zu parallelen, die Inseln quer durchsetzen¬ 
den Fäden ausgesponnen ist. 2. Damit im Einklänge bekommen die 
sonst in Feldern gruppirten Papillen eine lineare Anordnung, werden bei 
grösseren Dehnungen der Cutis kleiner und können bei übermässiger 
Dehnung sogar gänzlich verstreichen. Auch die Blutgefässe werden im 
gleichen Sinne umgeordnet. Sie werden in parallele, quer durch die 
Narbeninseln schreitende Züge gebracht und bei hohen Graden der Deh¬ 
nung der Cutis bis zum Verstreichen der Papillarschlingen gestreckt. 

Diese Umgestaltungen sind nicht blos Folgen der Gravidität, sondern 
einer jeden grösseren Vermehrung des Bauchinhaltes. Sie können auch 
an anderen Körperstellen, an den milchenden Brustdrüsen , ja selbst an 
den Extremitäten auftreten. Diese Missbildungen sind daher keine 
„Narben“, weil keine Continuitätstreunung stattfindet. Am zweckmässigsten 
ist es, diesen Zustand als Zerrrung des Hautgewebes disten- 
siv oder divulsiv zu bezeichnen. Kleinwächter, Innsbruck. 

244. Experimentelle Untersuchung über den Zusammenhang 
zwischen Nierenerkrankung und Herzhypertrophie. Von Dr. P. Gra- 
witz und 0. Israel (Virchow's Archiv für prakt. Ileilk. etc. 77. Bd., 
2. Heft.) 

Zur Entscheidung dieser vielfach ventilirten Frage haben Verf. 
Versuche an Kaninchen gemacht. Durch temporäre Absperrung des 
arteriellen Blutstromes in die Art. venalis auf einer Seite wurde Nieren¬ 
schrumpfung und chronische parenchymatöse Nephritis erzeugt, eine 
andere Reihe von Thieren wurde nephrotomirt. Die Folgen, welche die 
künstliche Erkrankung oder Exstirpation der einen Niere auf deu Or¬ 
ganismus hervorbringt, sind verschieden , je nachdem es sich um junge, 
noch wachsende, oder um alte, starke , gänzlich ausgewachsene Thiere 
handelte. 

Die Versuche ergaben nun, dass der Ausfall von secernirendem 
Nierenparenchym, gleichgiltig, ob durch Schrumpfung, Verfettung oder 
Exstirpation hervorgebracht, zunächst eine compeusatorische Hyperplasie 
der anderen (gesünderen) Niere nach sich zieht, da diese bei jungen 
Thieren die Function so vollständig übernimmt, dass trotz der äussersten 
Grade der Schrumpfung keine Herzhypertrophie eintritt. Die Experimen¬ 
tatoren fanden ferner, dass bei erwachsenen Thieren die Hyperplasie des 
linken Veutrikels ebenfalls nach Schrumpfung, Verfettung oder Exstir¬ 
pation stets dann einsfetzen kann, w'enn die Hyperplasie der anderen 
Niere nicht ausreicht, das Normalgewicht der bei der Harnbereitung be¬ 
theiligten Organe zu ergänzen. Soll diese Compensation vollständig sein, 
so muss der Grad der Herzhypertrophie dem Defect an intactem Nierengewicht 
gleich sein. Zum Zustandekommen der Herzhypertrophie ist ausser der 
Bedingung der mangelhaften Nierenfunction noch eine Integrität der Ge- 
sammtconstitution und eine solche der Herzmusculatur selbst unerlässlich. 

Die Herzhypertrophie beruht aber nicht auf der Basis einer arteriellen 
Drucksteigerung. Verf. constatirten, dass weder hohe Grade von 
Nierenschrumpfung, noch chronische parenchymatöse Nephritis, noch 
Nierenexstirpation im langen Zeitraum , innerhalb dessen sich mächtige 
Herzveränderungen bereits eingestellt hatten, eine Steigerung des Arterien¬ 
druckes nach sich ziehen; das Herz wird ebenso, wie die früher intacte 
Niere, durch die kleinen im Blut retinirten Mengen Harnstoffs zur Mehr- 
thätigkeit und damit zur Hypertrophie erregt. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


245. Melanin im Harn. Von Dr. Finkler. (Separatabdr. aus d. 
Ctrbl. f. klin. Med.) 

Die Diagnose melanotischer Tumoren ist unter Umständen, weil 
Metastasen an sichtbaren Stellen fehlen können, nur durch den Nach¬ 
weis des Melanin oder richtiger des Menalogen im Harn, also durch die 
sogenannte Melanurie gesichert. Wohl zu beachten ist dabei die That- 
sache, dass das genannte Chromogen periodisch verschwinden und wieder auf- 
treten kann, ohne dass der Grund dafür bis jetzt klar wäre, oder ohne 
dass für einen Stillstand der Dissemination daraus etwas zu schliessen wäre. 

Verf. theilt nun einen Fall von Melanurie mit, bei welchem im 
frischen Harne nur selten das Menalogen, viel häufiger das Melanin als 
solches vorhanden war. Selbst wenige Stunden nach Entleerung der 
Blase durch Katheterisiren frisch entnommener Harn war tief schwarz. 
Der Fall betraf einen 51jähr. Mann, der schon seit IV 2 Jahren eine 
dunkle Verfärbung der Haut bemerkte, jedoch stets an der Arbeit blieb, 
bis ihn einige Wochen vor seiner Aufnahme ein rascher Kräfteverfall 
daran verhinderte. Pat. hatte eine dunkelgraubraune Hautfarbe. Die 
Leber stellte einen grossen Tumor dar. Sonst verrieth sich an keiner 
Stelle die Gegenwart einer Metastase. Der Harn des Pat. war ver¬ 
schieden ; manchmal braunschwarz, ein andermal dunkelschwarz wie 
Tinte. Reaction stets schwach sauer, nie Eiweiss oder Zucker vorhanden. 
War der Harn braun, so konnten durch Salpetersäure und durch Chrom¬ 
säure tief schwarze Wolken in ihm erzeugt werden^ war er dagegen 
schon tief schwarz, so wurde durch Zusatz genannter Säuren gar nichts 
an seinem Aussehen verändert. Nach dem Ausfällen des Melanin wies F. 
auch das Indican nach. Pat. starb. Die genaue Durchsuchung der 
Organe zeigte in sämmtlichen Organen und in den verschiedenartigsten 
G eweben melanotische Neubildungen, eine Erscheinung, welche Prof. 
Kö 81 e r als Ausdruck einer allgemeinen Erkrankung, Dyskrasie, auffasst. 
Er sagt hierüber: „Unter solchen Umständen bleibt nichts übrig, als 
entweder zwei Ursachen ftir Geschwulst und Pigmentbildung anzunehmen, 
die nebeneinander hergehen, und abwechselnd oder gemeinsam wirken, 
oder für beide eine, weder im Pigment noch in der Zelle liegende 
gemeinsame Ursache, mit andern Worten eine Dyskrasie anzunehmen, 
deren wirksames Wesen, da wo es local sich zur Geltung bringen kann, 
das Gewebe sowohl zur Geschwulstbildung als auch zur Bereitung 
von Pigment anreizt.“ 

Ein anderer Fall von Melanurie wurde ebenfalls daselbst beob¬ 
achtet , in welchem der Harn jedoch das Melanogen enthielt. Er 
war frisch gelassen gelbbraun und liess sich durch Salpetersäure schwarz 
färben. Dies stimmt mit den Angaben anderer Autoren überein, auch 
war die Erkrankung, welche die Melanurie bedingte, mit solchen ver¬ 
gleichbar , wie sie von Anderen beschrieben sind. Die primäre Geschwulst, 
ein melanotisches Sarkom, sass auf der Planta pedis, auf der Oberfläche 
verjauchend und die melanotischen Tumoren innerer Organe waren als 
Metastasen von diesem Herde aus anzusprechen. Nach beiden Beobach¬ 
tungen besteht die Möglichkeit, dass eine Geschwulstbildung, die auf 
dyskratischem Boden multipel auftritt, Melanin als solches in den Ham 
liefert, dass dagegen conform der früheren Berichte Metastasenbildung 
melanotischer Tumoren von einem primären Herd aus das Melanogen er¬ 
scheinen lässt. Zugleich ist durch den ersteu Fall erwiesen, dass der 
Ham von Kranken mit melanotischen Tumoren nicht immer nur das 
Chromogen enthält, sondern auch schon frisch gelassen durch den Gehalt 


von Melanin tief schwarz gefärbt sein kann. 

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L 0 e b i s c h. 



Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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246. Ueber die Ausnützung einiger Nahrungsmittel im Darm¬ 
canal des Menschen. Von Dr. A. Rubner. (Zeitschr. f. Biol. XV.) 

Der Werth eines Nahrungsmittels für die Ernährung kann durch 
die Analyse allein nicht festgestellt werden, auch wenn dieselbe die 
näheren Bestandtheile berücksichtigt, also die Menge des Eiweiss, Fettes 
und der Kohlenhydrate ermittelt, es ist hiezu vielmehr ein sogenannter 
Ausnützungsversuch nothwendig, welcher die Menge des vom Darm aus 
der betreffenden Nahrung Aufnehmbaren ergibt. Derartige Versuche 
fehlen bis auf vereinzelte Beobachtungen für den Menschen. R. hat um¬ 
fangreiche Untersuchungen angestellt, deren Hauptresultate in Folgendem 
zusammengestellt sind: 

Am besten wird im Darmcanal das Fleisch ausgenützt. Von 
4306 Grm. Fleisch fanden sich nur 2 1 /a°/o des mit dem Fleisch einge¬ 
führten Stickstoffes in der Darmentleerung, 2L% Fett, 15°/ 0 Asche. 
Auch hartgekochte Eier wurden sehr gut verdaut. Die Entleerung zeigte 
2-9° 0 Stickstoff, 5°/ 0 Fett, 18*4% Asche. Dagegen ist die Ausnützung 
der Milch schlechter. Von 3073 Grm. Milch enthielt die Entleerung 
10*2% Stickstoff, 5*6°/ 0 Fett, 48°/ 0 Asche (zumeist Kalksalze enthaltend). 
In auffallender Weise verbessert sich die Ausnützung der Milch bei Hinzu¬ 
gabe von Käse. Beim Genüsse von 2291 Grm. Milch und 200 Grm. 
Käse fand sich nur 3*7°/ 0 N, 2*7°/ 0 Fett, 26°/ 0 Aschenbestandtheile. 

Ungleich schlechter wird, namentlich bezüglich des N-Gehaltes die 
pflanzliche Nahrung verwerthet. Mais zeigt in Form von Polenta 15\5°/ 0 N, 
3*2 Kohlenhydrat, 17‘5 Fett, 30° 0 Aschenbestandtheile in den Entlee¬ 
rungen. Bei Reis beträgt der N-Verlust sogar 20*4°/ 0 , während die 
Kohlenhydrate sehr gut aufgenommen werden. Bei den Kartoffeln beträgt 
der Stickstoflfverlust 32*2°/ 0 und auch von den Kohlenhydraten wurden 
7*6°/ 0 nicht resorbirt. Aehnlich wie der Mais, nur etwas schlechter, 
wird das Weizenmehl in Form von Semmeln ausgenützt, von diesem 
gehen 32°/ 0 N und 10*9°/ 0 Kohlenhydrat verloren. 

Von besonderem Interesse ist die Thatsache, dass bei Maccaroni- 
nudeln, die einen Zusatz von Kleber enthalten, die Ausnützung des Ei¬ 
weiss eine verhältnissmässige gute ist, es ging hier nur ll°/ 0 N ver¬ 
loren. Gemüse werden schlecht ausgenützt. Bei gelben Rüben gehen — 
von 5133 Grm. in 2 Tagen — 39°/ 0 N verloren. Die Ausnützung des 
Fettes hängt von der zugeführten Menge ab. Von 100 Grm. Speck 
wurden 18 Grm. wieder ausgeschieden von 351 Grm. Fett wurden 306 
resorbirt. Butter wird leichter resorbirt. Auf Grund seiner Ausnützungsver¬ 
suche hat R. die Mengen berechnet, welche von jedem Nahrungsmittel 
erforderlich sind, um mit denselben allein den Bedarf des Körpers an 
Stickstoff und Kohlenstoff zu decken. Es ist dabei das Bedürfniss an N 
zu 18 # 3 Grm. = 118 Eiweiss, das Bedürfniss an Kohlenstoff zu 328 Grm. 
angenommen. Die höchsten Ziffern finden sich bei gelben Rüben und 
Wirsingkohl. Hier sind 5559 Grm. erforderlich, um den nothwendigen 
Kohlenstoff, und 7288 Grm. um den nothwendigen Stickstoff zu liefern. 

— Die Ausnützung des Fettes zeigt grosse Verschiedenheiten, von 
2-7 7 0 bis 21°/ 0 . Letztere Zahl fand sich bei Fleisch, das mit Butter 
gebraten war. 

Die Kohlenhydrate werden am besten ausgenützt beim Weissbrod 
und Reis, der Verlust beträgt hier kaum l°/ 0 , bei gelben Rüben hin¬ 
gegen l8°/ 0 , Wirsingkohl 15 °/ 0 , Schwarzbrod 10°/ 0 , Kartoffel 7 1 /a°/o* 

— Die Ausnützung des Stickstoffes ist bei animalischer Nahrung bedeutend 
besser, wie bei vegetabilischer. Bei einer Fleischkost, sowie Eiern beträgt 


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Medicinisch-chirargische Rundschau 


der N-Verlust nur 2%%. Die vegetabilischen Nahrungsmittel hingegen 
zeigen grössere Verluste, keines weniger als 17%. Eine Ausnahme macht 
hier das Leguminosenmehl mit 10% und Maccaroni mit Kleber 11%. 
Am schlechtesten gestaltet sich unter Umständen die Ausnützung der 
gemischten vegetabilischen Nahrung, wo die Form der Nahrung der 
Resorption Hinderniss bereitet, so zeigt sich bei einer aus Linsen, Kar¬ 
toffeln und Brod bestehenden Nahrung 47% N Verlust. 

247. Amyloidentartung in inneren Organen, ausgebildet im Ver¬ 
lauf von 2 Monaten. Von Prof. M. V. Odenius in Lund. (Nord. med. 
ark. XL 3. 1879. Nr. 25, S. 1. Schmidt’s Jahrbuch. 1880. I.) 

Der vom Verfasser mitgetheilte Fall stützt die von Bull aus¬ 
gesprochene Ansicht, dass die Amyloidentartung sich oft viel rascher ent¬ 
wickelt und verläuft, als man im Allgemeinen anzunehmen geneigt ist. 
Er stellt die Zeit als noch viel kürzer fest, als dies durch den Cohn¬ 
heim’sehen Fall geschehen ist und kann wenigstens in den wichtigsten 
Punkten oder Zeitbestimmungen als eben so sicher wie dieser betrachtet 
werden, weil er eine vorher, soweit sich feststellen liess, durchaus gesunde 
Person betrifft. Dagegen erkennt 0. selbst an, dass die Beobachtung 
und Untersuchung weniger vollständig gewesen ist und dass namentlich 
der Mangel der Untersuchung des Harns auf Eiweiss als Lücke zu 
betrachten ist. 

Der 21 Jahre alte Kranke hatte sich am 8. Jan. 1872 am Knie verletzt. 
Unter der Behandlung eines Quacksalbers bildete sich ein Geschwür aus der Haut¬ 
wunde, das zur Zeit der Aufnahme, die am 25. Februar stattfand, ungefähr 
2 Qudr.-Zoll gross war und wallartig erhöhte Ränder hatte. Aus dem Geschwür 
wurde übelriechender Eiter abgesondert nnd in der Mitte desselben befand sich eine 
kleine Oeffnung, durch die man in das Gelenk gelangte. In der Kniekehle bestand 
ein grosser flnetuirender Alsces», ans dem nach der Eröffnung bräunlicher, übel¬ 
riechender Eiter abfloss, mit grossem nnd kleinern Blutgerinnsel gemischt. Der 
Patient war änsserst abgemagert nnd hektisch; er starb am 8. März, also genau 
2 Monate nach der Zufügung der Verletzung. 

Die am 9. März ausgeftihrte Section ergab Blässe und Magerkeit des 
Körpers, besonders dünne nnd wässerige Beschaffenheit des Blutes. Die Lungen, 
theilweise mit älteren festen Adhärenzen, waren ödematös, im Uebiigen gesund, 
ebenso wie die übrigen Theile des Respirationsapparats. Die Herzmnsculatnr 
erschien graulich, etwas mürbe, in der linken Kammer verdickt. In den Verdauungs¬ 
organen fand eich keine bemerkenswerthe Veränderung. Die grosse hellrothe Milz 
enthielt weissliche, feste Infaiktherde. Die Nieren waren gross, fest, mit leicht ab¬ 
lösbarer Kapsel, auf der Schnittfläche blass, mit vermehrter hell gelbgrauer Cortical- 
substanz, Kelche und Becken etwas erweitert, wie auch die Ureteren. Die von 
klarem Ham stark ausgedehnte Harnblase, die 6-8 Ctm. über die Symphyse 
hinauf reichte, war mit glatter, blasser Schleimhaut ausgekleidet. Durch die Harn¬ 
röhre konnte eine starke Sonde ganz leicht durchgeführt werden. Der Knorpel 
der Gelenkflächen im Kniegelenk war zum grössten Theile zerstört, die blo^s- 
gelegten Knochenflächen waren tiefeariös und dnrcbtr&nkt von einem missfarbigen 
Eiter, stellenweise bedeckt von blassen granulären Massen. Das kranke Gelenk 
stand in freiester Verbindung sowohl nach oben mit einer Al scesshöhle, welche 
das ganze nnteie Drittel des Oberschenkels umgab, als auch nach nuten mit 
einem gleichen Abscess an der hinteren Fleche der Tibia bis hinab in die Mitte 
des Unterschenkels. — Nach der Behandlung mit Jodlösung zeigten bei der 
mikroskopischen Untersuchung zahlreiche Glomeruli der Nieren eine mehr oder 
weniger ausgebreitete Amyloidentartung, doch fand sich, dass die Degeneration 
kaum in einem Glomerulus sich auf sämmtliche Gefässschlingtn erstreckte; auch 
die zu den Glomeinli gebenden Gefässe zeigten hier und da Amyloidentartung, 
ebenso traten an der Nierenoberfläche stellenweise kleine Capillarbezirke charak¬ 
teristisch gefärbt hervor. Auch in der Milz fand sich Amyloidentartung, aber nur 
spärlich und an zerstreuten Stellen in kleineren Arterien und deren nächster 
Umgebung. Die übrigen Organe worden nicht in dieser Hinsicht untersucht. 

Es fand sich also vollständig nachweisbare Amyloidentartung in 
Nieren und Milz bei einem jüngeren Individuum, das vorher gesund 

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Medicinisch-chiiurgische Rundschau. 


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gewesen war und bei dem die Bection nicht die Gegenwart von solchen 
älteren krankhaften Veränderungen ergab, die als Grund ftir das Entstehen der 
Amyloidentartung hätte betrachtet werden können, sondern bei dem genau 
2 Monate (auf den Tag) vor dem Tode eine Verletzung stattgefunden hatte, 
die zu einer Knochenaffection im Kniegelenk und reichlicher Eiterbildung 
führte, dasselbe Moment, das so oft der Amyloidentartung zu Grunde liegt. 
Als wichtige Ursachen, die zu dem raschen Verlauf beigetragen haben, hat 
man ohne Zweifel theils die primäre bedeutende Blutung, tlieils die anfangs 
versäumte oder fehlerhafte Behandlung zu betrachten. Ausser der ausser¬ 
ordentlich kurzen Zeit, die in diesem Falle zum Zustandekommen der 
Amyloidentartung genügte, ist noch hervorzuheben, dass dieselbe, obwohl 
eingeschränkt und in ihrem ersten Anfänge begriffen, doch in den Nieren 
deutlich weiter fortgeschritten war, als in der Milz, in der sie nur in 
Spuren vorhanden war. 


248. Vier Fälle von acutem Lungenödem. Von 0. Lund. (Norsk 
Mag. f. Lägevidensk. VlU. 7. S. 440. 1878. Schmidts Jahrbücher. 
Bd. 184. 1.) 


Verf. theilt vier Fälle von plötzlichem Tod an acutem Oedem und 
Hyperämie der Lungen mit. Solche plötzliche Todesfälle, in denen die 
Kranken bei ruhigem Verhalten im Bette oder selbst im Schlafe gänzlich 
unerwartet ohne vorhergehende, Besorgniss erregende Erscheinungen 
starben, ohne dass ungewöhnliche körperliche oder geistige Einwirkungen 
nachweisbar vorangegangen waren, waren zur Zeit in Cliristiania häutig 
vorgekommen. Entweder trat der Tod so ruhig und mit so wenig be¬ 
merkbaren Erscheinungen ein, dass die Kranken ganz unbemerkt starben, 
oder es traten wohl heftige Erscheinungen auf (Blässe des Gesichts, 
ängstlicher Gesichtsausdruck, starre Augen, Sprachlosigkeit, äusserste 
Dyspnöe, schwacher Herzschlag und unfehlbarer Puls), aber sie führten 
so rasch zum Tode, dass dieser gewöhnlich vor der Ankunft des Arztes 
erfolgte, meist binnen wenigen Minuten. 

Eine Verwechslung dieser plötzlichen Todesart mit Hirnapoplexie 
kann des Verlaufes und der Erscheinungen wegen nicht leicht stattfinden. 
Eber könnte sie mit Herzruptur verwechselt werden, denn, wenn auch 
meist Symptome der Herzkrankheit der Ruptur vorhergehen und diese 
gewöhnlich bei einer Bewegung oder körperlichen Anstrengung und mit 
wiederholten Ansätzen oft mit Intervallen von mehreren Stunden zu Stande 
kommt, so kann doch die Fettentartung des Herzens auch ohne offenbare 
oder deutliche Zeichen bestehen und die Ruptur unerwartet und plötzlich, 
selbst unter ruhigem Verhalten, gleich vollständig vor sich gehen und 
den Tod herbeiführen. In solchen Fällen kann die vergrösserte Dämpfung 
über der Herzgegend des Todten der einzige Anhaltspunkt für die Be¬ 
stimmung der Todesursache sein. Gleich schwierig kann die Diagnose 
des plötzlichen Todes durch Lungenödem von dem durch Embolie der 
Lungcnarterie herbeigeftihrten sein, denn auch diese kann ohne vorher¬ 
gehende auffällige Erscheinungen plötzlich auftreten und rasch zum Tode 
führen. L. führt einen solchen Fall an, in dem ein 74 Jahre alter 
Mann, der früher wiederholt an Nierenkolik mit Abgang von Nieren¬ 
steinen, dann an Podagra und durch Bromkalium beseitigten epileptischen 
Krämpfen und vollständiger Amaurose und seit kurzer Zeit an kurzem 
Athem beim Treppensteigen, aber ohne Husten oder Brustschmerz, gelitten 
liatfe, bei ganz ruhigem Verhalten plötzlich heftigen Druck auf der Brust 
and Athembescliwerde bekam und nach ungefähr 15 Minuten starb. Die 


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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


Section ergab, dass der Tod durch grosse Emboli in der rechten und 
linken Lungenarterie herbeigeführt worden war; ein offenbar schon seit 
mehreren Wochen bestehendes Gerinnsel fand sich in einem Zweige der 
rechten Art. pulmonalis und hatte keine weiteren Erscheinungen bedingt, 
als die erwähnte geringe Kurzathmigkeit. Dieses ist der einzige Fall, in 
dem L. Embolie der Lungenarterie in so ungewöhnlicher Weise hat auf- 


treten sehen; er betrachtet ihn deshalb als eine Ausnahme; in den 
meisten Fällen wird die Diagnose zwischen Lungenembolie und Lungen¬ 
ödem möglich sein. — Die eigentliche Lungenapoplexie könnte nur dann 
möglicherweise mit Lungenödem verwechselt werden, wenn das extravasirte 
Blut nicht weiter als bis in die grossen Bronchien eindringt. Herzparalyse 
kommt nach L.’s Annahme nur bei Vergiftungen, bei Affectionen des 
centralen Nervensystems oder bei Druck auf die Herznerven in ihrer 
peripherischen Ausbreitung vor; wo also eine derartige Affection nicht 
nachgewiesen werden kann, ist diese Todesursache auszuschliessen. 

Von den vier Fällen von plötzlichem Tod durch acutes Lungenödem 
und Lungenhyperämie, die L. mittheilt, heben wir Fall 1 heraus: 

Ein 60 Jahre alter Mann hatte vor 20 Jahren an Typhus gelitten mit 
folgender Thrombose der Venen an der linken untern Extremität, wonach bedeutende 
Varices zarückblieben und später grosse Beingeschwüre sich bildeten, die nie 
wieder verheilten. Eine im Jahre 1863 plötzlich anftretende Facialparalyse, mit 
zeitweiligem Schwindel und erschwertem Sprechen, bestand einige Monat«. Im 
October 1865 wurde der Kranke plötzlich von Schwindel befallen mit Gefühl von 
Schwere und Druck im Kopfe, Verziehung des Mundes nach rechts und Abweichen 
der heransgestreckten Zungenspitze nach links, ohne Motilitätsstörung an den 
Extremitäten und ohne Störung der Intelligenz, aber mit dem Gefühl von Taubsein 
in den Fingern an der linken Hand, weniger deutlich in den Zehen des linken 
Fusses. Unter antiphlogistischer Behandlung verloren sich diese Symptome bald. 
Eine Zeit lang litt der Kranke an Vermehrung des Durstes und des Harndranges, 
aber ohne Vermehrung der Harnmenge In der letzten Zeit war geringe Kurx- 
athmigkeit beim Treppensteigen aufgetreten Am 25. Juli 1856 wurde der Kranke, 
nachdem er den Abend munter und vergnügt, wie gewöhnlich, gewesen war, im 
Bett plötzlich von Druck auf der Brust und Dyspnoe befallen; er konnte noch 
ohne Hilfe anistehen und sich auf einen Stuhl setzen, starb aber l / f Stunde nach 
Beginn des Anfalls unter zunehmender Dyspnoe. 

Bei der Section fand sich im Gehirn nichts Abnormes. Beide Lungen 
adhärirten stark an der Pleura costalis und waren von Serum angefallt, das auf 
der Schnittfläche schäumend austrat, in den bräunlich gefärbten untern Theilen 
der Lungen war das Serum blutig gefärbt; die obern Theile der Lungen waren 
frei von der serösen Ueberfüllung, aber emphysematos; in den Bronchien fand 
sich etwas schaumiger Schleim. Das Herz war gross, der linke Ventrikel massig 
hypertrophirt; die Aortaklappen erschienen sufficieut, aber an den Insertionsrändem 
etwas knorplig. Die Milz war etwas vergrößert, die übrigen Organe erschienen 
normal. 

Das Oedem war in allen diesen Fällen ein passives und als Ur¬ 
sache desselben betrachtet L. eine Herzaffection, auch in dem vierten, 
in dem nur die Musculatur schlaff gefunden wurde und nur eine weniger 
bedeutende Veränderung der Muskelzellen nachweisbar war, nimmt er an, 
dass der Zustand des Herzens an dem gehinderten Abfluss des Blutes aus 
den Lungen die Schuld trug. Da die Herzfehler nicht mit Zeichen einer 
acuten oder kürzlich entstandenen Herzaffection verbunden waren, können 
sie wohl nur als prädisponirende Ursache zu der den Tod herbeiführenden 
Krankheit betrachtet werden, diese würde aber ohne sie wohl nicht den 
schlimmen Verlauf genommen haben. Grössere Bedeutung gewinnen diese 
Herzfehler ausserdem noch, wenn man sie nicht blos als prädisponirende 
locale Ursache, sondern auch als Ausdruck für ein Allgemeinleiden, eine 
krankhafte Blutbeschaffenheit, geschwächte Nerventhätigkeit und vermin¬ 
derte Widerstandsfähigkeit gegen die Einwirkung schädlicher Potenzen 
betrachtet. In dieser Beziehung haben oft Herzfehler, die weder subjec- 


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Mediciniseh-chirurgiscbe Rundschau. 


301 


tive Symptome mit sich führen, noch vom Arzte entdeckt werden, eine 
ebenso grosse, wenn nicht noch grössere Bedeutung als andere nachweis¬ 
bare Herzfehler. Die Gefahr eines plötzlichen Todes an Hyperämie und 
Oedem der Lungen oder an anderen acuten Krankheiten ist deshalb viel¬ 
leicht grösser bei jenen, als bei diesen. Die Gelegenheitsursachen lassen 
sich in den mitgetheilten Fällen schwer bestimmen. Erfahrungsgemäss 
kann Hyperämie mit folgendem Oedem der Lungen durch ziemlich unbe¬ 
deutende Gelegenheitsursachen bedingt werden; solche Ursachen können 
leicht einwirken, ohne dass sie beachtet werden, und bei einem mit Herz¬ 
fehler behafteten und deshalb geschwächte Widerstandskraft besitzenden 
Individuum kann eine solche geringe Einwirkung verderblich werden. L. 
möchte für solche Fälle, in denen die Affection plötzlich, bei ruhigem 
Verhalten des Patienten, oder während des Schlafes auftritt, annnehmen, 
dass eine Hyperämie oder ein Oedem der Lungen, von einer unbedeutenden 
und unbemerkten Ursache veranlasst, einige Zeit lang, einige Tage oder 
Stunden, latent bestanden hat, dass während dieser Periode der 
Latenz das Individuum bei einer unvollständigen Kohlensäureausscheidung 
und unvollständiger Sauerstoffaufnahme durch die Lungen allmälig und 
unmerklich der Kohlensäurevergiftung verfällt, dass diese Kohlensäure¬ 
vergiftung in der Ruhe, besonders während des Schlafes, während welches 
die Respiration langsamer ist, als im wachen Zustande , sich rascher 
entwickelt und endlich den Grad erreicht, wo der Todeskampf auftritt. 


249. Untersuchungen über die Befruchtung und den Anfang 
der Henogenie bei verschiedenen Thieren. Von Dr. Hermann Fol. 
(M£m. de la soc. de physique et d’histoire naturelle de Genöve, 1877 
bis 1878. Tome 26. Premiere partie. Schmidt’s Med. Jahrbücher. Bd. 184. 
3. Ref. Räuber.) 

Ueber die bei der Befruchtung stattfindenden materiellen Vorgänge 
herrschte bis in die jüngste Zeit noch tiefe Dunkelheit. Man wusste von 
dem Schicksal des Keimbläschens des reifenden Eies, von der den Sper¬ 
matozoon zukommenden Rolle so wenig, dass man gegenwärtig an den 
frühem Zustand grosser Unkenntniss in einer der wichtigsten naturge¬ 
schichtlichen Fragen nur mit tiefer Beschämung sich erinnert. Unter den 
Arbeiten, welche zur Aufhellung auf diesem schwierigen Gebiete Wesent¬ 
liches beigetragen haben, nehmen diejenigen von Fol eine hervorragende 
Stelle ein. Schon 1877 hatte derselbe eine mit Abbildungen versehene 
Studie in Form einer vorläufigen Mittheilung veröffentlicht, welche den 
gleichest Gegenstand behandelte. Von dem in Aussicht gestellten aus¬ 
führlichen Werke ist nunmehr die erste, mit zahlreichen Tafeln ausge¬ 
stattete Hälfte erschienen, während die zweite alsbald folgen soll. 

Das ganze Werk zerfällt in vier Capitel, die drei ersten beziehen 
sich auf die Reifung, die normale und anormale Befruchtung des Eies, 
sowie auf die Einzelheiten der Furchung. Das vierte Capitel ist der 
Prüfung der streitigen Punkte und der Definition der gebrauchten Aus¬ 
drücke gewidmet. 

Die Hauptkosten der Untersuchung trug ein zur Untersuchung be¬ 
sonders geeignetes Thier, nämlich Asterias glacialis, aus dem Stamme 
der Echinodermen. 

Als eines der wichtigsten Ergebnisse in theoretischer Hinsicht hebt 
R. aus dem normalen Bereich hervor, dass bei gesunden und normal be¬ 
fruchteten Eiern nur ein männliches Element in den Dotter eindringt. So 
verhielt es sich wenigstens bei den untersuchten Thieren. Es entwickelt 


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Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


sich im reifen unbefruchteten Ei an Stelle des untergehenden Keim¬ 
bläschens in einer jetzt nicht näher auseinander zu setzenden Weise der 
sogenannte weibliche Vorkern (Eikern, Hertwig); mit diesem verbindet 
sich der aus dem eingedrungenen Spermatozoon hervorgegangene männ¬ 
liche Vorkern (Spermakern, Hertwig) zu einem einzigen Körper, dem 
ersten Furchungskern; von letzterem stammen alle folgenden Kerne des 
neuen Wesens ab. Denn das mit dem ersten Furchungskern ausgestattete 
Ei ist als der Anfang des neuen Wesens zu betrachten, welches sich 
nunmehr in ununterbrochener Weise weiter entwickelt und zunächst dem 
Furchungsprocess unterliegt. 

Während also normaler Weise ein Spermatozoon in den Dotter 
eindrang, so ergab eine andere Reihe von Beobachtungen, dass zwar 
mehrere Spermatozoen in den Dotter eindringen können, dass diese Er¬ 
scheinung aber immer pathologischer Natur ist. Bestrebt, künstliche 
Befruchtungen unter den verschiedensten Bedingungen auszuführen, um 
sich über den Einfluss dieser Bedingungen auf die Befruchtung Rechen¬ 
schaft geben zu können, bemerkte F o 1 bald, dass diese Aenderungen 
von der Folge begleitet waren, eine anomale Entwicklung und monströse 
Larven zu erzeugen. Die Bedingungen für eine normale Entwicklung 
zeigten sich sehr eingeschränkt und man durfte sich uicbt von ihnen 
entfernen, ohne pathologische Producte zu erzielen. 

Wenn man eine weibliche Asterie öffnet, deren Eier reif sind und 
diese Eier unmittelbar nach der Herausnahme befruchtet, so dass sie 
Keimbläschen und Keimfleck noch besitzen, so erhält man in Folge dieser 
vorzeitigen Befruchtung einen Schwarm von fast lauter monströsen Larven. 
Die Ursache dieser Anomalie ist leicht durch directc Beobachtung des 
Befruchtungsvorgangs zu erkennen. Statt eines einzigen Spermatozoon 
für jeden Dotter sieht man mehrere eindringen. Das Verhältnis» der 
normalen zu den monströsen Larven steigt, wenn man Eier nimmt, die 
eine gewisse Zeit im Meere gelegen haben, ohne dass die normale Zeit 
noch erreicht wird. Wenn die Eier ihre Keimbläschen im Momente der 
Befruchtung schon verloren haben, so gehen hieraus fast ausschliesslich 
normale Larven hervor. Die Eier, welche den Anfang der Knospung 
des ersten „Richtungskörpers“ zeigen, geben nach künstlicher Befruchtung 
normale Producte. Hieraus folgt, dass das Ei nicht reif ist zur Befruch¬ 
tung, so lange die Auswurfsstoffe des Keimbläschens (die Richtungskörper) 
nicht ausgestossen sind oder ausgestossen zu werden im Begriffe sind. 

Ein fast paralleler Fall ergibt sich, wenn man Eier befruchtet, 
welche zu lange im Meerwasser gelegen haben, d. h. über die Zeit hinaus, 
welche der Norm entspricht, so dass schon mehrere Stunden nach der 
Ausstossung der Richtungskörper verflossen sind. Solche Eier sind über¬ 
reif, während die andern unreif waren. Sie haben einen Theil ihrer 
Lebenskraft schon eingebüsst und würden dieselbe bald gänzlich verloren 
haben, wenn die Befruchtung sie nicht belebt hätte. In diesem Falle sind 
die Larven meist monströs wie im vorausgehenden, und um so mehr, je 
länger man mit der Befruchtung wartete. Im Jänner gelangten die in 
das Meerwasser abgelegten Eier etwa in vier Stunden zur völligen Reife. 
Sie waren für eine normale Befruchtung noch empfänglich während vier 
bis fünf Stunden, d. h. also 9 —10 Stunden nach ihrer Entfernung aus 
dem Eierstock. Von da an fangen sie an, sich zu verändern, und ob¬ 
wohl man die Veränderung durch directe Untersuchung des Dotters nicht 
wahrnimmt, so erkennt man sie doch an dem Erfolg der Befruchtung. 
Nach 20 Stunden Aufenthalt im Meerwasser ist das Ei abgestorben und 


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zur Befruchtung unfähig, obwohl es noch fast normal aussieht. Bei 
höherer Temperatur wird die Reifung und Veränderung des Eies sehr 
bemerklich beschleunigt. 

Noch eine dritte Ursache der Veränderung des Dotters verdient 
volle Aufmerksamkeit. Wenn die wilden Thiere in Gefangenschaft sind, 
so leiden sie im Allgemeinen, wenigstens dann, wenn man die äusseren 
Verhältnisse nicht genau nachahmen kann; sie pflanzen sich bekanntlich 
selten fort. Dies gilt besonders für Meerthiere, die meist in enge Be¬ 
hälter gebracht werden, in welchen ihre respiratorischen und nutritiven 
Functionen sich sehr schlecht erfüllen. Die Zeichen des Unwohlseins und 
der Krankheit sind oft schwer zu erkennen und man glaubt an einem 
gesunden Thiere zu operiren, während es schon krank ist. Aber 
der Zustand der Krankheit drückt sich fast sofort aus in einer Alteration 
der Geschlechtsproducte, besonders der weiblichen. Man wird keine Be¬ 
fruchtung als normal betrachten dürfen, welche nicht der Ausgangspunkt 
für eine normale Entwicklung war. 

Ob nun die Eier unreif, überreif oder verändert sind, die Befruch¬ 
tungsvorgänge sind fast dieselben. Das erste Spermatozoon, welches sich 
der Oberfläche des Dotters durch die vorhandene Schloimschicht hindurch 
nähert, ruft dieselben Erscheinungen hervor, wie im normalen Falle, d. h. 
es bildet sich ein Attractionshtigel aus, anscheinend jedoch etwas lang¬ 
samer. Die Dotterhaut, nach Fol vor der Befruchtung nicht vorhanden, 
bildet sich und hebt sich vom Dotter ab , doch allemal viel langsamer 
als im normalen Ei; sie bleibt ausserdem sehr lange auf eine umschrie¬ 
bene Stelle des Dotters, die dem Eintritt des Spermatozoon entspricht, 
beschränkt. Dadurch wird aber die Möglichkeit gegeben, dass noch 
andere Spermatozoen in den Dotter eintreten. Denn der Theil der Ober¬ 
fläche des Dotters, welcher nicht von der Grenze der Dotterhaut erreicht 
worden ist, bleibt empfänglich für die Aufnahme anderer Spermatozoen. 
Diese verfehlen auch nicht einzutreten. Jede Eintrittsstelle wird das 
Centrum eines neuen Theiles von Dotterhaut. Nach und nach vereinigen 
sich die einzelnen Abschnitte zu einer zusammenhängenden Hülle und erst von 
dieser Zeit an ist dem Eintritt neuer Spermatozoen der Weg abgeschnitten. 

Zwischen dem normalen Fall und den Fällen, in welchen zahlreiche 
männliche Elemente sich einen Weg in den Dotter bahnen, fanden sich 
nun alle möglichen Uebergänge. Bei den Eiern, welche sich nur wenig 
von dem Zustande der regelmässigen Reife entfernen, sind die Erschei¬ 
nungen auch den normalen Vorgängen ähnlich. Die Dotterhaut bildet 
sich rasch genug, um nur ein zweites oder höchstens ein drittes Sperma¬ 
tozoon einzulassen. Ausserdem sind hier die Eintrittsstellen weit von 
einander entfernt. Fol erhielt bei gewissen Befruchtungen Hunderte von 
Eiern, welche sämmtlich zwei oder drei Befruchtungscentra zeigten; selten 
vier, selten ein Centrum. Die Fälle, welche sich weiter von der Norm 
entfernten, waren besonders von Eiern geliefert, welche sehr lange im 
Meerwasser verweilt hatten oder von kranken Thieren stammten. Hier 
bildete sich die Dotterhaut nur mit grosser Langsamkeit und breitete 
sich nur über einen kleinen Bruchtheil des Dotters aus. Es bedurfto also 
einer ganzen Reihe von Befruchtungspunkten zur Vervollständigung. Es 
konnten in solchen Fällen bis zu 15 Spermatozoen gezählt werden, welche 
daran waren, in den Dotter einzudringen. Diese dringen natürlich nicht 
auf einmal ein, sondern allmälig, so dass ein einziges Ei alle Phasen des 
Eindringens zeigen kann. Einmal sah Fol zwei Spermatozoen durch 
einen und denselben Dotterkrater eintreten. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Es wäre theoretisch wichtig, zu wissen, ob ein krankes Ei, welches 
mehrere Sperm&tozoen empfangen könnte, eine normale Entwicklung ein¬ 
schlägt in dem Falle, dass nur ein Spermatozoon in dasselbe eintritt. Es 
gelang jedoch Fol nicht, hierüber genügende Beobachtungen zu machen. 

Ist das überzählige Spermatozoon einmal in den Dotter eingetreten, 
so ruft es in demselben die gleichen Erscheinungen hervor, wie normal. 
Es bildet sich nämlich ein kleiner heller Fleck, der eine gewisse Zeit 
hindurch stationär bleibt. In Fällen, in welchen die Auswurfsstoffe noch 
nicht ausgeschieden waren im Momente der Befruchtung, blieben die 
kleinen hellen Flecke unbeweglich am Rande des Dotters, bis zum Mo¬ 
mente, wo der zweite Richtungskörper sich zu bilden oder abzulösen 
begann. In einem seiner Auswurfsstoffe bereits entledigten Dotter zögerten 
die Flecke nicht, sich in Bewegung zu setzen und sich mit einer Strahlen¬ 
figur zu umgeben. Wenn ein Ei nur zwei solcher männlicher Sterne 
zeigte, so geschah es unabänderlich, dass der dem weiblichen Vorkern 
nähere zu diesem sich hinbewegte. Der andere setzte seinen Weg fort 
und vereinigte sich nunmehr mit dem durch die Verbindung der beiden 
ersten Körper bereits vorhandenen conjugirten Kerne. Waren drei 
männliche Sterne da, so verbanden auch sie sich nach und nach mit dem 
weiblichen Vorkern. 

In Fällen, in welchen die männlichen Sterne zahlreich waren, 
rückten dieselben zwar gleichfalls in der Richtung des Eicentrums vor, 
aber sie hielten ein, nachdem sie ungefähr den dritten Theil des Dotter¬ 
radius durchlaufen hatten. Mehr als drei männliche Vorkerne hat Fol 
mit dem weiblichen Vorkern sich nicht verbinden sehen; der Conjugations- 
process ging nicht weiter. Die Affinität zwischen den ungleichnamigen 
Vorkernen schien an dieser Grenze durch Neutralisation ausgelöscht zu 
sein. Die übrigen Spermatozoon, anfänglich in unregelmässigen Abständen 
von einander liegend, stellten sich langsam in gleiche Entfernungen ein, 
entsprechend dem äusseren Drittel des Dotterradius. Der conjugirte Kern 
selbst begab sich hier nicht zum Centrum des Eies, sondern rückte in 
dieselbe Zone ein, welche die männlichen Vorkerne einnahmen. Nie ver¬ 
banden sich zwei männliche Sterne mit einander. Die Eigentümlichkeit 
ihrer Lage deutet Fol so, als werde durch sie angezeigt, dass sie in 
derselben eine Gleichgewichtslage finden, in welcher ihre Tendenz, das 
Dottercentrum zu erreichen, im Schach gehalten wird, durch eine Ab- 
stossung, welche sie gegenseitig auf sich ausüben. Der conjugirte Kern, 
in welchem das männliche Element gegenüber dem weiblichen vorherrscht, 
verhielt sich gleich einem einfachen männlichen Vorkern. 

Noch wird eines Falles gedacht von einer seit mehreren Tagen 
gefangenen Asterie, die schon Spuren von Zersetzung ihrer Hautanhänge 
zeigte. Es wurde die künstliche Befruchtung ausgeführt. Die Spermatozoon 
drangen zahlreich in den Dotter ein, sie verschwanden aber nicht, gaben 
keinen hellen Flecken und Sternen den Ausgangspunkt, sondern bewahrten 
ihre Form. Das Keimbläschen begann sich zu verändern, ebenso der 
Keimfleck, es bildete sich der Anfang eines Richtungssternes aus. Weitere 
Vorgänge wurden nicht erreicht, sondern es begann die Zersetzung. Mit 
diesem pathologischen Falle glaubt Fol die Angaben mehrerer Forscher 
zusammenstellen zu müssen, welche Dotter beschrieben haben, die in 
ihrem Innern zahlreiche intacte Spermatozoen beherbergten. 

Ueber die ferneren Schicksale der anormal befruchteten Eier wird 
die zweite Hälfte des Werkes Beobachtungen bringen. Kann man auch 
die an Asterias gewonnenen Ergebnisse nicht unmittelbar auf die in mebr- 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


305 


facher Beziehung anders gearteten Verhältnisse der höheren Thiere und 
des Menschen übertragen, so ergibt sich doch ohne Weiters, dass den 
angegebenen Thatsachen, sofern sie sich bestätigen, in Bezug auf anomale 
Befruchtung ein weitgehender Werth beizumesseu sei. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 

250. Ueber den Arsengehalt der Streichfläche der Zündhölzchen- 
Schachteln aus der Fabrik schwedischer Sicherheitszündhölzchen zu Jön- 
köping. Von Dr. Ul ex in Hamburg. (Viertelj. f. ger. Med. N. F. XXX. 2.) 

Verfasser fand in der Streichfläche der Zündhölzchenschachteln — mit 
zwei Globushemisphären als Handelsmarke — Arsenik. Löst man von 
10 solchen Schachteln die braune Streichfläche ab und behandelt sie in 
geeigneter Weise, so erhält man einen starken Metallspiegel, der zum 
grossem Theil aus Antimon, zum kleinern aus Arsenik besteht. Beim 
Anbrennen der Streichhölzer verbrennt das in der Zündmasse enthaltene 
Antimon und Arsen, vermischt sich mit der Luft und wird theilweise 
eingeathmet. 

Prof. Hamberg erhielt schon aus der Streichmasse von 2 Schachteln 
einen über 2 Ctm. langen, undurchsichtigen Arsenikspiegel. Der Arsenik¬ 
gehalt stammt theils von Schwefelantimon, theils von dem amorphen 
Phosphor; sowohl H., als auch Dr. S. Jolin fanden den in den Streich¬ 
holzfabriken angewendeten amorphen Phosphor arsenikhaltig. Ausserdem 
ist darin eine kleine Menge gewöhnlicher giftiger Phosphor enthalten, den 
in amorphen Phosphor überzuführen nach dem Zugeständnis der 
Fabrikanten noch nicht gelungen ist. Der Arsenikgehalt war im Mittel 
= 0-9 °/ 0 ; nach Jo 1 ins Untersuchungen enthält also der amorphe 
Phosphor nahezu 2 °/ 0 gewöhnlichen giftigen Phosphor und nahezu 1% 
Arsenik. 

Wenn die Streichhölzer gegen die Streichfläche gerieben und ent¬ 
zündet werden, muss sich mithin nach Hamberg unzweifelhaft ein Gas 
entwickeln, das Phosphor, Antimon und Arsenik enthält und sich in dem 
betreffenden Raume verbreitet. Unter gewöhnlichen Verhältnissen, wenn 
nur wenige Streichhölzchen im Verlaufe eines Tages entzündet werden, 
ist wohl kein nachtheiliger Einfluss von diesem Gase zu befürchten. Häuft 
sich aber der Gebrauch der Streichhölzchen in bedeutenderem Masse, 
dann kann es wohl dazu kommen, dass Tapeten, Teppiche und ähnliche 
Gegenstände, welche von Anfang an ganz arsenikfrei waren, nachdem 
sie längere Zeit hindurch der Wirkung des fraglichen Gases ausgesetzt 
gewesen sind, einen nicht unbedeutenden Gehalt von Arsenik bekommen. 

4 Es dürfte demnach wünschenswerth erscheinen, dass der arsenik¬ 
haltige Phosphor weggelassen und durch einen nicht arsenikhaltigen Stoff 
ersetzt werde. So viel H. bekannt war, wurden bereits zur Zeit der Mit- 
theilung (Juni 1879) Versuche in dieser Hinsicht von einer vollkommen 
competenten Persönlichkeit angestellt. 

251. Zur Entstellung der Scrophulose und der Lungenschwind¬ 
sucht. Von Dr. Carl Padhorst in Flensberg. (Volkmann’s Sammlung 
klin. Vortr.. 1879, Nr. 175.) 

Verf. sucht die Thatsache, dass Scrophulose namentlich bei Bewohnern 
von dunklen und mit schlechter Luft angefüllten Wohnungen beobachtet 

Med.*ch:r. Rundschau. 18^0. Digitized by »ogle 



Medicinisch*chirurgische Bundacbau. 


3013 

wird, und dass also Mangel an Sonnenlicht und Aufenthalt in schlechter 
Luft die Entstehung der Scrophulose begünstigt, theoretisch zu erklären 
und glaubt, dass der Mangel des luftreinigenden Einflusses des Sonnen¬ 
lichtes und der Mangel der die spontane Ventilation der Wohnungen unter¬ 
haltenden austrocknenden und erwärmenden Kraft der Sonne und die oberfläch¬ 
liche Athmung in schlechter Luft die Grundursachen zur Entwickelung der 
Scrophulose hiebei abgeben. Die Kohlensäureanhäufung im Blute und die 
Wenigleistung des Körpers beim Aufenthalt in schlechter Luft veranlasst 
zu der oberflächlichen Athmung, welche ungünstig, namentlich verlang¬ 
samend auf die Blut-, Chylus- und Lymphbewegung einwirkt und damit 
die scrophulösen Zustände , die Stauungen, Ernährungsstörungen, das 
pastöse, gedunsene, schwammige Aussehen der scrophulösen Kinder und 
die Drüsenanschwellungen bei Scrophulose bedingt. Die letzteren kommen 
durch Anhäufung und Auswanderung der weissen Blutkörperchen in das 
Drüsengewebe zu Stande. Aus der Scrophulose entwickelt sich die Lungen- 
tuberculose dadurch, dass die aus den Drüsen in die Blutbahnen gelangten 
metamorphosirten Blutkörperchen in den Lungencapillaren stecken bleiben 
und hier eine Auswanderung der weissen Blutkörperchen anregen, welche 
schliesslich zur Tuberkelbildung und Lungenschwindsucht führt. 

Auch die Lungenschwindsucht als Folge einer katarrhalischen Spitzen¬ 
pneumonie lässt sich aus der oberflächlichen Athmung erklären. Dieselbe 
bedingt nach Padhörst eine Stauungshyperämie in den Lungen, und 
da die Ventilation der Lungenspitzen am schwierigsten von Statten geht, 
die Erweiterung derselben eine mangelhafte, die Hyperämie ihrer Bronchial- 
scbleimhäute und der Alveolen also bedeutender ist, so kann es nicht 
befremden, dass diese Lungentheile am leichtesten von einer chronischen 
Bronchitis oder katarrhalischen Pneumonie, die schliesslich zur Lungen¬ 
schwindsucht führt, befallen werden. Da mit einem paralytischen Thorax 
nur oberflächlich geathmet wird, so sind hier die Bedingungen zur Ent¬ 
wicklung der genannten Erkrankungen vorhanden. Da ferner deshalb 
in einem paralytischen Thorax der negative Lungendruck niedrig ist, so 
müssen alle blutftihrenden intrathoracischen Organe weniger erweitert sein, 
also auch weniger Blut enthalten, als in einem gut entwickelten Thorax, 
so dass ein paralytischer Brustkasten auch ein relativ kleines Herz ent¬ 
halten muss, welches bei körperlicher Ruhe nur genügt, um das relativ 
kleine Blutquantum, das durch den schwachen negativen Blutdruck in die 
Vena cava aspirirt ist, weiter zu befördern. R o k i t a n s k y’s Behauptung, 
dass der phthisische Habitus (lange Brusträume neben Kleinheit des Herzens, 
zarter Bau der arteriellen Gefkssräume, der allgemeinen Decken, Schwäche 
der Muskeln, Geneigtheit zu Hyperämien und Entzündungen) zur Tuberkel¬ 
bildung in der Lunge disponire, ist nach Padhorst theoretisch 
bestätigt 

Die Ursache der Entstehung der Scrophulose und der Lungenschwind¬ 
sucht ist nach Allem der träge Stoffwechsel. Bei der Prophylaxe und 
Behandlung dieser Krankheiten müsste nach Verf. also das Hauptgewicht 
auf die Beschleunigung des Stoffwechsels gelegt werden : durch vielkörper¬ 
liche Bewegung, reichliche Nahrung, Aufenthalt in C0 2 -armer Luft, viel 
Sinnesreize (Sonnenlicht), Wärmeentziehungen mittelst leichter Kleidung, 
kalter Bäder, Abwaschungen, Douchen und Aufnahme viel kalter Getränke 
(Bier) etc. Knauthe. 


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Mediciniftch-chirtirgische Rundschau. 3Q7 

252. Zur Impf Technik. Von Dr. Lothar Meyer. (Eulenberg’s 
Vierteljahrsschr. f. ger. Med. XXXII., 1.) 

Verf. resumirt die wichtigsten Vorschriften in folgenden Punkten : 

1. Impfungen beim Herrschen contagiöser Krankheiten sind aufzuschieben. 

2. Der Impfer selbst darf nicht impfen, so lange er mit contagiösen 
Kranken in Bertthrung kommt, wofern er selbst nicht vorher Seifenbäder 
gebraucht und die Kleidung gewechselt hat. 3. Der Impfer soll dahin 
möglichst wirken, dass die Impflinge gegen contagiöse Einflüsse, sowie 
die Impfpusteln gegen Insulte geschützt bleiben. 4. Seitens der Behörden 
muss Sorge getragen werden, dass keine zu grosse Zahl von Impflingen 
an den einzelnen Terminen erscheine und die für letztere bestimmten 
Räume allen sanitären Forderungen entsprechen. 5. Während grosser 
Hitze sind Impfungen aufzuschieben. 6. Niemals dürfen Stammpusteln 
mehr als normal entzündet sein. 7. Der öffentliche Impfer ist vorläufig 
weiiigtens noch auf den Gebrauch der Glycerinlymphe, und zwar insbe¬ 
sondere derjenigen Lymphe, angewiesen, die von mehreren Kindern 
stammt, sofort bei ihrer Gewinnung mit Glycerin innig gemischt und in 
möglichst kleinen Gläschen aufbewahrt wird. 8. Für Impfung und Ab- 
impfhng müssen verschiedene Lancetten dienen, die unmittelbar vor dem 
Gebrauch in jedem einzelnen Falle in Wasser (resp. in l°/ 0 iger Carbol- 
säure-Lösung) zu tauchen und abzutrocknen sind. 8. Das Alter des 
Stammimpfling8 soll möglichst nicht unter einem Jahr, sowie letzterer 
selbst weder ein uneheliches noch ein erstgebornes Kind sein. 10. Von 
Revaccinen Erwachsener ist niemals und selbst nicht rathsam abzuimpfen 
von denjenigen der 12jährigen, bei denen dieselben überdies nur selten den 
Vaccinen vollkommen gleichen. 11. Eine möglichst strenge Auswahl gesunder 
Stammimpflinge, sowie möglichst geringe Ausbeutung der Stammpusteln ist 
erforderlich. 12. Der Benutzung jedes Stammimpflings ist eine gründliche 
allgemeine und örtliche Untersuchung voranzuschicken. 13. Nur allein 
die aus vorschriftsmässig eröffneten normalen Vaccinen gesunder Stamm- 
imfiinge von selbst, freiwillig, allmälig, tropfenweise ausfliessende Lymphe 
ist zu benutzen. 


253. Ueber chronische Nicotinvergiftung durch Abusus im 
Cigarrenrauchen. Von San.-Rath Dr. F. Richter. (Arch. f. Psych. u. 
Nerv. Bd. X. I. Heft. Prag. med. Wochenschr. 1880. 12.) 

Der Verf. beobachtete zwei Fälle von chronischer Nicotin Vergiftung, 
hervorgerufen durch langes und viel geübtes Rauchen sehr starker 
Cigarren. Ein Fall endete letal und wurde obducirt. An gemeinschaft¬ 
lichen Symptomen boten beide Fälle, von denen der zweite viel leichter 
war: Heftigen Kopfdruck, Schwindel, Schlafsucht, Apathie und psychisch- 
Verstimmung, Amblyopie, hartnäckige Neuralgien, Zittern und Contrac- 
turen einzelner Muskeln; schwachen, oft irregulären Herzschlag und 
Palpitationen; hochgradige Abmagerung, Impotenz und zum Schlüsse als 
Exacerbation heftige, der Angina pectoris ähnliche Zustände. Bei dem 
ersten, schweren Falle traten auch anfallsweise heftige Dyspnoe, gänz¬ 
licher Appetitmangel und sehr heftige kolikartige Schmerzen auf; an 
dem leichteren Falle wurde wiederum eine Hyperästhesie des Acusticus 
beobachtet. Die Diagnose konnte bei beiden Fällen per exclusionem ge¬ 
macht werden und wurde noch durch den bestehenden auffallenden Abusus 


starker Cigarren und durch die jedesmalige rasch eintretende Besserung 
nach einer längeren Abstinenz vom Rauchen zur Gewissheit erhoben. 
Snbjectiver Tabakgeschmack, worauf Dornblüth (vide Vo 1 kmann’sche 

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308 


Me dicinisch-chirurgische Rundschau. 


Hefte 1877, Nr. 122), als für chronische Nicotinvergiftung wichtig, auf¬ 
merksam macht, fehlte in beiden beobachteten Fällen. 

Als besonders disponirend für eine Intoxication durch Nicotin 
nennt Richter allgemeine Schwächezustände, Alkoholismus, ebenso Gehirn- 
und Rückenmarkskrankheiten. Unter den verschiedenen Arten des Tabak¬ 
verbrauchs stehen mit Rücksicht auf die toxische Wirkung das „Rauchen* 
— und hier wiederum das von starken Cigarren und insbesondere das 
Verschlucken des Rauchs oben an. Weniger schädlich erwies sich das 
Schnupfen und Kauen. 

Nach des Autors Ansicht spielt bei der chronischen Nicotinvergiftung 
die Anämie des* Centralnervensystems eine wichtige Rolle, wie dies 
namentlich im Gegensatz zu dem Obductionsbefunde von Böck (Ziems- 
sen’s Handb. XV.) das Sectionsresultat des ersten beschriebenen Falles 
darbot, indem hier sowohl die Gehirnhäute, als auch das Gehirn auf¬ 
fallend blass und blutarm, das Herz schlaff, zusammengefallen lind ohne 
jede Spur von Blutgerinnsel in seinen Höhlen gefunden wurden. In dem 
Falle Böck’s lag nach des Autors Meinung eine acute Intoxication mit 
Nicotin vor (der citirte Fall ging in Folge Verscliluckens einer Unze ge¬ 
schnittenen Tabaks zu Grunde) und bot deshalb einen auffallenden Blut¬ 
reichthum des Gehirns und seiner Häute. Richter weist in seiner 
oben citirten Art eit auch mit Recht darauf hin, dass der ophthalmo¬ 
skopische Befund nach Hirschberg’s Untersuchungen eine bedeutende 
„Anämie“ der Papille ergibt. Nach dem Autor ist es wahrscheinlich, 
dass das Nicotin eine directe deletäre Wirkung auf die Blutmischung 
ausübte, sowie einen toxischen Reiz auf das Nervensystem, wodurch 
wiederum auf dem Wege der Vasomotoren ischämische Zustände bedingt 
werden, wie ja die Experimente an Thieren eine hochgradige Verenge¬ 
rung der kleinen Arterien ergeben. Ausser diesen Wirkungen sind auch 
die trophischen Störungen sehr wichtig, welche das Centralnervensystem 
und die Ernährung treffen. Die Arterienverengung und die Steigerung 
des Blutdrucks ist auf die Reizung des Gefässnervencentrum? in der 
Medulla oblongata nach den Versuchen von Surminsky und U 8 p i n s k y 
zu beziehen, ebenso die durch die Intoxication bedingte Störung des 
Athems. 

In prognostischer Beziehung war die in beiden Beobachtungen 
jedesmal nach streng durchgeführter Abstinenz rasch eintretende Besserung 
von Interesse, umsomehr als letztere noch in den gegebenen Fällen durch 
eine wissenschaftlich durchgeführte Kaltwasserbehandlung und Galvani¬ 
sation bedeutend gefördert wurde. Das schliesslich letale Ende des einen 
Falles war nur dem unausgesetzten (meist im Geheim geübten) Rauchen 
sehr starker Cigarren zuzuschreiben, während der zweite Fall bald und 
dauernd von seinen schweren und äusserst lästigen Intoxicationssymptomen 
befreit wurde. 


Recensionen. 

254. Real-Encydopädie dergesammtenHeilkunde. Medicinisch- 
chirurgisches Handwörterbuch für praktische Aerzte. Von Prof. 
Dr. Albert Eulenburg. Mit zahlreichen Illustrationen in Holzschnitt. 
Wien und Leipzig. Urban und Schwarzenberg. 1880. 

Das obengenannte Werk, welches wir bild nach dem Erscheinen der 
ersten Hefte, sowohl nach dem Programme des Herausgebers, als nach der be¬ 
deutenden Mitarbeiterschaar, welche rieh der Verwirklichung desselben widmete, 

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Medicinisch-chirur gische Rundschau. 


309 


und ebenso wegen der Abhandlungen , welche schon Vorlagen, als ein 
vielversprechendes literarisches Unternehmen unsern Lesern schilderten, liegt 
nunmehr bis zum Schluss des zweiten Bandes vor. Die beiden bisher erschieß 
nenen Bände enthalten: Band 1, von Aachen — Ballston, 345 kürzere 
und längere Artikel in der Form von der Worterkl&rung und gedrängten 
Schilderung bis zur monographischen Darstellung je nach der Wichtigkeit 
des Gegenstandes; der 2. Band von Balsame — Carlina, 206 Artikel in 
gleicher Weise mitgetheilt. Um dem Leser ein Bild der Vertheilnng des Stoffes 
tu liefern, theilen wir die Titel der einzelnen Artikel der eben erschienenen 19. und 
20 Lieferung (Schluss des II. Bandes) mit Anführung der Autoren derselben 
mit: Brustfellentzündung (Rosenbach), Brust wunden (£. Küster), 
Bryonia, Bubo (Grünfeld), Bubonenpest, Bucco, Buchenthal, 
Buglossum, Bulbär-P a ralyse (Benedikt), Bulimie, Buphthalmie, 
Bursitis, Burtscheid, Bussang, Butter (Loebisch), Buty 1 chloral, 
Buxton, Buxqb, Buzias, Bytteria, Cacao, Cachexie (Samuel), 
Cadeac, Cadmiumpräparate (Bernatzik), Caffee und Ca ffeesnrrogate 
(Loebisch), Cajeputöl, Cainca, Cairo, Calabar-Bohne, Calamus 
(Yogi), Calciumpräparate (Bernatzik), Calorime t rie, Cannabis, 
Canthariden(Yogi), Canthoplastik, Capsicum, Capvern, Carballino, 
Carbolsäure (Lewin), Carbunkel (Zuelzer), Carcinom (Birch-Hirschfeld), 
Cardamoinum, Car di algi e (Rosenbach), Cardiographie, Cardiopalmie, 
Cardol (Vogl), Carduus, Carex, Caricae, Caries, Carlina. Aus dieser 
Aufzählung kann der Leser entnehmen, dass sämmtliche Doctrinen der praktischen 
Medicin die gleich sorgfältige Berücksichtigung finden. 

Es ist selbstverständlich, dass ein so grossartig angelegtes medicinisches 
Werk, wie die Real-Encyclopädie, alsbald nach dem Erscheinen die Aufmerk¬ 
samkeit und das Interesse wir dürfen sagen der gesammten in- und ausländischen 
periodischen Fachliteratur in hohem Grade erregte. Da wir nun ohne Rückhalt, 
nach dem Lesen der ersten Hefte, dem Gelingen des Werkes in diesen Blättern 
ein günstiges Prognostikon stellten, dürfen wir nun mit um so grösserer 
Befriedigung den moralischen Erfolg — der für ein deutsches Werk immer die 
Hauptsache bleibt — registriren, welcher bis jetzt von der Real-Encyclopädie 
errungen wurde. Allseitig werden die bisherigen Artikel, als von in ihrem 
Fache anerkannten Autoritäten herrührend, als präcise und correcte, den fort¬ 
geschrittensten Standpunkt der modernen Medicin innehaltende Darstellungen 
gerühmt Man merkt es den Schilderungen an, dass sie durchlebt, durchdacht 
und nicht etwa Compilationen sind, bei denen es erst den Lesern auheimgestellt 
wird, den Spreu vom Weizen zu sondern. Es wurde von einigen hervorragenden 
Fachjournalen auch noch besonders betont, dass die grösseren Artikel gleichsam 
an die Ausführlichkeit der Monographien heranreichen. Dies möchten wir insoferne 
richtig stellen, als die ausführliche Darstellung, wie sie in der Encyclopädie statt¬ 
haft ist, für den praktischen Arzt manche Vortheile gegenüber der monographi¬ 
schen Darstellung bietet, wie diese zum Beispiel in den grösseren Sammelwerken 
der medicinischen Literatur üblich ist. Um es in Kürze anzudeuten, worauf es da 
eigentlich ankommt, möchten wir sagen, es verhält sich die ausführliche Darstellung 
in der Encyclopädie gegenüber der Monographie ungefähr ähnlich der Behandlung 
des Stoffes in einem ausführlichen Lehrbuche gegenüber der im sogenannten „Hand¬ 
buch 0 . Auch scheint es, dass nach dem Erscheinen der ersten Hefte sämmtliche 
Mitarbeiter über die Tendenz der Real-Encyclopädie in ihrer Bedeutung für den 
draktischen Arzt und über die Mittel, diese zu fördern, sich soweit in ihren An¬ 
sichten begegneten, dass dem ganzen Werke ein einheitlicher Charakter gewahrt 
wird, der durch das individuelle Colorit, welches die einzelnen Verfasser ihren 
Artikeln immerhin mittheilen, nur an Lebhaftigkeit gewinnt, aber gewiss nicht 
gestört wird. So wollen wir dem weiteren Erscheinen des Werkes, welches mit 
überraschender Schnelligkeit im In- pnd Auslande eine bedeutende Verbreitung 
gefunden hat, auch für die Zukunft mit froher Zuversicht entgegensehen. 

0. R. 

255. Billroth: Die allgemeine chirurgische Pathologie und 
Therapie in fünfzig Vorlesungen. 9. Aufl., bearbeitet von Dr. Alexander 
r. Winiwarter, Prof, der Chirurgie in Lüttich. Berlin, Reimer 1880. 

In der Vorrede des vorstehenden Buches verabschiedet sich Billroth als 
chirurgischer Schriftsteller für die studirende Jugend und überträgt die Fort¬ 
setzung dieser Tbätigkeit einem seiner Schüler, Professor v. Winiwarter in 
Lüttich. 




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310 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Es ist wohl überflüssig über den Werth des Boches Worte zu verlieren, 
aus zweierlei Gründen, erstens ist die Anordnung des Stoffes im Ganzen nnd 
Grossen dieselbe geblieben, wie denn auch die Art und Weise, und die Extensität 
der Behandlung desselben beinahe unverändert übernommen wurde. Was in 
dieser Beziehung von den früheren Auflagen galt, behält seine Richtigkeit auch 
für die vorliegende. Zweitens lobt sich ein Buch, das seine neunte Auflage erlebt, 
selbst, und kann über seine Zweckmässigkeit, sowie Existenzberechtigung kein 
motivirter Zweifel erhoben werden. Dass Billroth die weitere Redaction seines 
Werkes aus den Händen gab, finden wir schon dadurch begreiflich, dass ihn das 
neunmalige Wiederkauen desselben Materials anwidert Das Buch kann dadurch 
nur gewinnen, da sich Billroth wohl mit wenig Lust an die Ueberarbeitung 
gemacht hätte. Dass v. Winiwarter in vorliegender „Uebergangsaufiage den 
subjectiven Standpunkt Billroth’8 pietätsvoll gewahrt hat tt , ist erklärlich, doch 
hoffen wir nichtsdestoweniger für die Znknnft eine selbstständige Be¬ 
arbeitung; denn es macht keinen günstigen Eindruck auf die Schüler, nnd für 
einen solchen ist „die allgemeine Chirurgie“ bestimmt, wenn die Ansichten 
des Verfassers and Altmeisters — zwar respectvoll aber doch bekämpft 
werden vom Bearbeiter Schüler, mittels Kleindruck — „unter dem Striche“. 
Richtige Ansichten nnd Erklärungen — wofür wohl A. v. Winiwarter die 
Seinen hält — dürfen dem Lernenden nicht mittels Kleindruck unter dem Strich — 
übermittelt werden, während die gegentheiligen — wir wollen sagen, über¬ 
wundenen — grossgedruckt im Haupttext gelesen werden. 

Abgesehen von diesem Mangel einer „Uebergangs“-Auflage hat v. Wini¬ 
warter dem abermals nm eine grössere Seitenanzabl erweiterten Buche mehrere 
werthvolle Notizen eingefügt. Wohl trägt er auch anderen Entdeckungen Rechnung 
(als da sind: Sonnenburg’s Vermuthungen über die Todesursachen bei Ver¬ 
brennungen, den Werth der v. Nus 8 bau machen Nervendehnung in verschiedenen 
Nervenaffectionen, die Massage etc.), doch berücksichtigt er vor Allem die neueren 
Ergebnisse von Wiener Forschungen, unter denen Güssen bau er’s. Arbeiten 
über die Perlmutterdrechslerkrankheit, die Lipomatosis mnsculorum lnxurians, 
seine eigenen (A. v. W.) Studien über die malignen Lymphome und Lympho¬ 
sarkome, Kassowitz’s über Rhachitis, Frisch’s über die Hadernkrankheiten, 
Mikulicz’s über die Aetiologie des Genu valgum zu erwähnen wären. Weiter 
hebt er mehrere histologische Arbeiten hervor, als: über die Entwicklung der 
Blutgefässe aus vielkernigen Zellen ohne Zusammenhang mit präformirten Ge fassen 
als Bestätigung einer schon von Rokitansky gemachten Beobachtung, weiter 
die Untersuchungen Raab's über den Antheil des Endothels bei Bildung der 
Narbe nach Gefässunterbindung ohne Dazwischenkunft eines Blutgerinnsels u. a. m. 

Den wesentlichsten Unterschied von der vorhergehenden Auflage müssen 
wir aber wohl darin erblicken, erstens, dass sich A. v. Winiwarter gegenüber 
Billroth als Gegner der Keimblättertbeorie Remak-Hiss und ihrer Application 
auf — die Geschwulstlehre erklärt. Er bezieht sich dabei auf neuere Arbeiten 
Swaen’s und Marquelin’s über die Entstehung des mütterlichen Antheiles 
der Placenta sowohl aus proliferirenden Bindegewebszellen der Gefässscheide als 
auch aus den wahren Epithelzellen der Uterasschleimbaut und den Stricke r’schen 
Einwurf gegen die Keimblättertheorie, dass unter gewissen Umständen jede Zelle 
gleichsam auf ihren Uizustand zurückkehren kann, wo sie selbst indifferente 
Bildungszelle war (d. i. vor der Scheidung in Keimblätter). Dass diese Aenderung 
der histogenetischen Ansichten vorzugsweise die Carcinome trifft, ist wohl selbst¬ 
verständlich — und zweitens, dass er sich als ebenso rückhaltlosen Anhänger 
des List ergehen Verbandes zu erkennen gibt, dem er unverholen von allen 
anderen Verbandmethoden das meiste Lob spendet. „Wenn man auch die 
theoretischen Anschauungen Lister’s nicht vollinhaltlich zu tbeilen vermag . . . 
so ist die Li sterische Methode für den Augenblick diejenige, welche allen 
rationellen Forderungen Genüge leistet“, dementsprechend sind alle früheren Be¬ 
denken und Sätze Billroth’s über den Werth der Li sterischen Cautelen 
consequent unterdrückt und in den allgemeinen, den Operationsverlauf und die 
Wundbehandlung betreffenden Fingerzeigen die Listerische Methode als die 
empfehl enswertheste angeführt (so bei der Behandlung von Quetschwunden, kalten 
Abscessen, die Excision von Gelenkkürpern, den Amputationen und Resectionen): 
Ebenso wird die erste Hilfeleistung bei Kriegsverwundeten vom Standpunkte 
der grösstmöglichen aseptischen Versorgung besprochen und der einschlägigen 
Publikationen Reyher’s, Bergmannes (selbstverständlich auch der Esmarch- 
schen kriegschirurgischen Technik) Erwähnung gethan. Ml. 


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Jfedicinisch-chirargMche Rundschau. 


311 


256. Gesundheitslehre für Gebildete aller Stände. Von Dr. 
Friedrich Erismann. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Her¬ 
ausgegeben im Aufträge des Verfassers von Dr. Adolph Schuster, k. b. 
Assistenzarzt I. Glasse. München 1879. M. Riegerische Universitäts- 
Buchhandlung G. Himmer. 458 S. 

Dies vorliegende Werk ging bei seinem ersten Erscheinen mit einer Empfehlung 
des k. baier. Staatsministeriums des Innern in die Welt, welche besagt: „In diesem 
Bache ist der gegenwärtige Stand des Wissens bezüglich der Gesundheitslehre in 
klarer, verständlicher Weise mit Umsicht vorgetragen und finden alle auf die 
Gesundheitslehre bezüglichen Fragen ihre Begründung 11 und dasselbe hierauf den 
amtlichen Aerzten, ferner den Directoraten, Rectoraten und Inspectionen der 
hamani8tiscl>en und technischen Mittelschulen und der Lehrerbildungsanstalten etc. 
empfiehlt. Manchem dürfte der officielle Apparat, welcher zur Empfehlung des 
Buches angewendet wird, eigentümlich anmothen, nicht so uns, die wir seit 
Jahren das Streben und die Leistungen der Münchener Schule auf hygienischem 
Gebiete mit steigendem Interesse verfolgen. Die Männer, welche daselbst im 
Dienste der Hygiene wirken, v Pettenkofer, Voit, sind durch ihre hervorra¬ 
genden Leistungen auf dem fraglichen Gebiete in der glücklichen Lage, auch das 
Interesse der leitenden Kreise nicht nur für ihre Studien, sondern auch für die 
Realisirung der Früchte derselben zu gewinnen. So ist durch dies Zusammen¬ 
wirken von tüchtigen Gelehrten und einer einsichtsvollen Regierung die Münchener 
hygienische Schule zu einem in der gegeuwärtigen cultivirten Welt einzig daste¬ 
henden Institute sui generis geworden — zu einem Institute, welches sich über¬ 
dies nicht damit begnügt, eine Arbeit geliefert zu haben, mit anderen Worten, 
eine Beobachtung publicirt zu haben, sondern auch auf die Verallgemeinerung 
der dorch ihre Forschungen erhaltenen Resultate bedacht ist. 

Die vorliegende Pnblication Erismann’s, eines Schülers von Petten- 
kofer’s, enthält die Lehren der Hygiene für Gebi ldete aller Stände, und somit 
atich für gebildete Aerzte. Da wir unter uns sind, darf mau es wohl 
sagen, dass der Arzt den hygienischen Dingen nicht viel besser denn ein 
gebildeter Laie gegenüber steht. Möglich, dass der Herr Doctor vom Hören¬ 
sagen einige hygienische Schlagworte kennt, ein hygienisches Laboratorium hat 
er nie gesehen, eine Bestimmongsmethode ausführen hat er nie gelernt, wenn es 
gut geht, ist er in den chemischen Grundbegriffen so weit wie ein Unterrealschüler! 
— Ja, die Gesundheitslehre von Erismann wird eiu tüchtig gebildeter Arzt, 
der ubht eben Hygieniker vom Fach ist, mit grossem Nutzen lesen. Es ist der 
Inhalt der modernen hygienischen Anschanungeu in klarer verständlicher Weise 
dargestellt. Eine Fülle neuer Thatsacben finden wir mit präciser sachlicher Be¬ 
gründung mitgetheilt Ueberall merkt man dem Verfasser, den gründlichen Fach¬ 
mann an , und beim Durchlesen dieses Buches wurde es uns wieder einmal in 
Erinnerung gebracht, dass ein gutes umfassendes, kurzes und doch erschöpfendes 
Bnch über einen Gegenstand nur derjenige schreiben kann, der den von ihm 
behandelten Gegenstand vollständig beherrscht. Drnck nnd Ausstattung sind vor¬ 
züglich. —sch. 

257. Hills- und Sohreibkalender fiir Hebammen 1880. Im Auf¬ 
träge der deutschen Aerztevereinsbundes herausgegeben von Medicinalrath 
Dr. L. Pfeiffer in Weimar. HI. Jahrgang. Weimar. Druck und Verlag 
von Hermann Böhlau, 1880. 


Was wir über diesen Kalender im verflossenen Jahre in diesen Blättern 
mitgetheilt, müssen wir auch heuer wiederholen. Wir sehen es als ein höchst 
verdienstliches Werk des deutschen Aerztevereinsbundes an, die Herausgabe dieses 
Hebammenkalenders veranlasst zu haben. Die Hebamme, der keine Bibliothek zu 
Gebote steht nnd die, wenu sie ihr auch zur Disposition *1 finde, sie doch nicht 
värwerthen könnte, frischt sich mittelst des alljährlich erscheinenden Kalenders 
nicht blos ihre Kenntnisse wieder auf, sondern es werden ihr auch die neueren 
Errungen schalten der Wissenschaft, die für sie in Betracht kommen, die Frage 
der Infection, der Kinderernährung, der Pflege des Kindes und der Wöchnerin 
u. dg], m. nach und nach in präciser, leicht fasslicher Weise zom Wohle ihrer 
Besorgten beigebracht. Der heurige Kalender bringt n«bst nothwendiger Wieder¬ 
holungen ans dem Vorjahre eine Anweisung zur Desinfection der Wohnräume, 
Betten, Wäsche, Kleider, Möbel, Aborte, Gerätbe u. d. m., bei Ausbrechen des 
Puerperalprocesses. Die Rathschläge sind hier in so musterhafter, leicht fasslicher 
Weise gegeben, dass sich Schriftsteller populärer Werke daran ein Beispiel nehmen 


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MediciniBch-chirurgiBche Rundschau. 


könnten, wie man zum Volke zn sprechen habe. Nicht minder verdienstvoll ist 
das Bestreben, die Hebamme anch in ethischer Beziehung zn heben, wie dies das 
Cäpitel über die gesellschaftliche Stellung der Hebamme zeigt. Wir sprachen uns 
bereits im Vorjahre dabin ans, dass es wünschenswerth wäre, wenn anch bei uns 
in Oesterreich ein ähnlicher Kalender erschiene. Diesmal legen wir dem Bedactenr 
dieses Kalenders dem verdienstvollen Medicinalratb Pfeiffer, die Idee vor, sich 
mit den diversen ärztlichen Vereinen Oesterreichs oder mindest der bedeutendsten 
Kronländer, wie Böhmen, Niederösterreich und Mähren in's Einvernehmen zn setzen 
und eine nur in Bezug anf die Medicinalordnnng abgeänderte Auflage für Oester* 
reich herauszugeben. Es würde damit beiden Parteien gedient sein, wir erhielten 
für unsere Hebammen einen jährlichen brauchbaren Kalender und die Kosten für 
die Herausgabe des Büchleins würden sich für den deutschen Aerztevereinsbund 
vermindern. Kleinwächter, Innsbruck. 

258. Ueber die orthopädische Behandlung der Flexionen und 
Versionen des Uterns. Von Dr. Ernst Börner, Professor an der 
Universität Graz. (Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 8 # 
78 8. 8.) 

Der kürzlich zum Professor ernannte strebsame Grazer Gynäkologe 
Dr. E. Börner veröffentlicht eine Schrift, in welcher er sich als warmer Ver- 
theidiger der intrauterinen Behandlungsweise der Flexionen und Versionen des 
Uterus mittelst des Stiftes erweist. Bekanntlich gibt es unter den Gynäkologen 
bezüglich der Behandlung der Knickungen und Lageveränderungen der Gebär¬ 
mutter mehrere Parteien. Die Einen meinen, die Einführung eines Stiftes in die 
Gebärmutter, um sie direct aufzustellen, sei die einzig richtige Therapie. Der 
Stift werde gut vertragen, er beseitige sofort die Knickung und könne man mit¬ 
telst seiner auch eine gleichzeitig bestehende Lage Veränderung leichter beseitigen 
oder wenigstens mildern. Die blosse Vaginalbehandlung mittelst Pessarien reiche 
nicht aus, erfülle überdies in den meisten Fällen nicht die an sie gestellten Be¬ 
dingungen, da man von der Vagina aus keine Angriffspunkte habe, den Uterus 
dauernd in eine richtige Lage und Stellung zu bringen. Der Vortheil der Behand¬ 
lung mittelst des Intrauterinstiftes liege auch in dem Umstand, dass man mittelst 
seiner nicht so selten eine dauernde Heilung herbeizuführen in der Lage sei 
Biesen gegenüber stehen Andere, welche die Meinung vertreten, der Stift reize 
die Gebärmutter zu sehr, werde nicht ertragen und erzeuge nicht so selten peri- 
und parametritische Entzündnngsprocesse, die unter ungünstigen Verhältnissen 
selbst den Tod herbeizuführen vermögen. 

Börner unterzieht Bich der dankenswerten Aufgabe, diese Frage als 
Thema seiner Monographie auf das Eingehendste zu beleuchten. Unter Heran¬ 
ziehung der entsprechenden literarischen Daten bespricht er zuerst die ätiologischen 
Momente der Anteverrio und Anteflexio, sowie jene der Retroversio und Retro- 
flexio, übergeht dann zu den verschiedenen Symptomen, nachdem er die patho¬ 
logisch-anatomischen Veränderungen bei Knickungen und Lageveränderungen 
gewürdigt, und schliesslich zum wichtigsten Abschnitte, der Anwendung des 
intrauterinen Stiftes. In diesem Capitel scheidet er die Fälle, welche sich für die 
intrauterine Behandlung eignen, von jenen, bei welchen in der That diese gefähr¬ 
lichen Zufälle eintreten können, welche die Gegner des Stiftes veranlassen, ihn 
gänzlich bei Seite zu legen. Exsudative Entzündungen des Para- und Perimetrium, 
selbst wenn nur Spuren desselben noch da sind, acute Entzündungen des Uterus 
eignen sich unter keinen Umständen für die intrauterine Behandlung. Gerade 
hier, und Verf. illustrirt dies durch einen Fall aus seiner eigenen Erfahrung, kann 
man nicht genug vorsichtig sein, da der Stift Recidiven veranlasst, welche selbst 
ein letales Ende herbeiführen können. Andererseits aber gibt es Krankheiten, wie 
schleichende Metritiden, Uterinaleatarrbe, selbst chronische, Erosionen des Mutter¬ 
mundes, welche man nicht als Contraindicationen auffassen darf, sondern die selbst 
nur Folgen der Lageveränderungen sind und bald schwinden, sobald die richtige 
Behandlung eingeleitet, wurde. Von den Adhäsionen, wenn sie sehr fest und alt 
sind, gilt das Gleiche, wie von den Peri- nnd Parametritiden und ebenso von den 
Blutungen, ausgenommen jene, die nur Stauungserscbeinungen sind, hervorgerufen 
durch das bestehende Leiden. 

Mit einer minutiösen Genauigkeit beschreibt er die Manipulation bei Ein¬ 
führen des Stiftes, die er immer mit Hilfe eines zweiblättrigen entenschnabel¬ 
förmigen Cuseo’schen Spiegels vornimmt, wobei er den Stift uuter Leitung 
zweier Kornzangen einleitet. Der Einführung muss stets eine genaue bimanuelle 
Untersuchung vorausgehen, welcher noch vor Application des Stiftes die Unter- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau» 


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8uchung mit der Sonde folgt. Bei Stenosen des Canales sucht er diese durch 
vorsichtige Einführung einer zweiten Sonde neben der liegengebliebenen zu er¬ 
weitern und legt erst nach Ueberwinden des Hindernisses den 8tift ein. Statt 
der 8chaufelförmigen Scheibe, welche der Stift an seinem unteren Ende trägt und 
die sich in der Scheide befindet, lässt Börner unter Umständen einen umge¬ 
kehrten hohlen Cylinder anbringen, um den geradegestellten Uterus besser in seiner 
Lage fixiren zu können. 

Wir sehen dieses Schriftchen als ein lesenswerthes an und zweifeln nicht 
daran, dass es Manchem, der sich gleichfalls mit der Frage der intrauterinen 
Behandlung beschäftigt, willkommen sein wird. 

Gewonnen hätte das Werkchen an Uebersichtlichkeit, wenn die Capitel eine 
Ueberschrift erhalten hätten, das Nachschlagen und Aufsuchen von so Manchem 
wäre durch Ueberschriften und ein Inhaltsverzeichniss bei weitem erleichtert 
worden. Ebenso ist es im Interesse des Lesers und des Autors zu bedauern, 
dass eine Abbildung des beschriebenen, modificirten Am manschen intrauterinen 
Pessariums fehlt. Es würde eine solche Abbildung gewiss zur Verbreitung des 
brauchbaren Instrumentes beitragen. Kleinwächter, Innsbruck. 


Kleine Mittheilungen. 

259. Zar Lehre von der Spiroohaeta Obermeieri. Von Rudolf 
Albrecbt. (St. Petersb. medic. Wochenschr. 1880. Nr. 1.) 

Bei einer im 2. Recarrensanfall entnommenen Blutprobe konnte Verfasser 
nur drei Exemplare der Spirochaeta entdecken, nachdem das Präparat sechs 
8t an den gelegen, war die Zahl derselben erhoblich, in jedem beliebigen Sehfelde 
mehrere, sich lebhaft bewegende Spirochaeten. Wurden in der Remission täglich 
Blutproben entnommen, so zeigten sich Anfangs keine Spirochaeten; nachdem die 
Präparate aber in der feuchten Kammer verschiedene Tage aufbewahrt worden, 
zeigten sie sich eines Tages plötzlich, doch später, als bei dem Kranken schon 
der Anfall wieder da war; sie entwickeln sich also im Präparat langsamer, als 
im lebenden Blut. Verfasser sah die Spirochaeta nach dem Tode des Kranken 
nicht verschwinden, Bondern fand sie in der Leiche sehr reichlich, aber ohne 
Bewegung. R. 

260. Beschreibung eines hermaphroditischen Schwesterpaares. Von 
Palmer in Cincinnati. Sitzungsbericht der geburtshilflichen Gesellschaft 
zu Cincinnati vom 9. October 1879. (The Americ. journ. of Obstetr. 1880. 
1. p. 174.) 

Palmer berichtet über zwei Schwestern im Alter von 20 und 22 Jahren, 
welche beide missgebildete Genitalien besitzen. Ein Uterus fehlte, statt desselben 
bestand nur ein fibiöses Knötchen, die Vagina war kurz und schmal, die Labien 
waren gross. Die Clitoris war sehr lang und breit and glich einem Penis. Die 
Urethra trug in Form und Länge das weibliche Gepräge. Eine Menstruation be¬ 
stand nie. Die jüngere der beiden Schwestern hatte wahrscheinlich Ovarien, wenn 
auch eine genaue Untersuchung nicht vorgenommen wurde, denn sie litt au 
Moliminis, welche mit epileptischen Anfällen einhergingen. Die Aeltere hatte 
männliche Gewohnheiten, Sitten und Anschauungen, eine tiefe männliche Stimme 
und zeigte keine Hinneigung zum anderen Geschlechte. Bei der Jüngeren war 
dies weniger ausgesprochen. Die Eltern waren Geschwisterkinder und starben an 
Pbtbisis. Die Grosseltern waren gleichfalls Blutsverwandte gewesen. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

261. Die Desodorisation des Jodoforms. Von Dr. Rodsewitsch. 
(Wratschebnija Wedomosti 1879. Nr. 379. Russisch. St. Petersb. med. 
Wochsch. 1880. 10.) 

Nach einer kurzen Uebersicbt der von verschiedenen Autoren vorgeschlagenen 
Mittel zur Vernichtung oder Verminderung des üblen Geruchs, welchen das Jodo¬ 
form besitzt (Magnesia, Tannin [Wyndham Cottle], Bedecken mit Protective Silk, 
Zoaatz von wohlriechenden ätherischen Oelen u. 8. w.), gibt Verf. folgende, von 
ihm im Verlaufe von 5 Jahren in dieser Beziehung mit Erfolg gebrauchte Formeln 
an : 1. Rp. Jodoformii gr. decem, Extr . Gentianae q. 9. ad pillul. Nr. 10, obdu- 


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g|4 Medicinisch-chirurgieche Rundschau. 

cendas Balsam, tolutano et deinde argento foliato. DS. i—4 pillul. pro die. 2. Rp. 
"Pulv. Jodoformii gr. semis , Elaeosacchari Mcnlhae gr. quinque. M. f. pttlv. D. tat . 
doses Nr. 12 ad chartam ceratam. S. 4—6 pro die pulv. unvm. 3. Rp. Pulv. Jodo¬ 
formii gr. semis , Ferri Eydrogenii reducti granum Elaeosacchari Mentkae gr. duo . 
M. f. pulv. D. tal. doses Nr. 12 in capsulis gelatinosis S. biborio . Gegen die übel¬ 
riechenden Ructns räth Verf. Rahm oder Milch nachzutrinken, welche ausserdem 
ihres Fettgehaltes wegen die Resorption des Jodoforms begünstigen. Znm äusser¬ 
lichen Gebrauch wendet R. den peravianischen Balsam, welcher den Jodoform¬ 
geruch vollkommen deckt, zn gleichen Theilen mit letztem an. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 


262. B. von Langenbeck zUeberNervennahtmitVorstellungeines 
Falles von secundürer Naht des N. radialis. Vortrag, gehalten 
in der Sitzung der Berl. med. Gesellschaft am 14. Jänner 1880. (Berl. Klin. 
Wochenschrift 1880) 

Der 31 Jahre alte Patient. Friedrich Recke ans Berlin, den Ihnen vorzu¬ 
stellen ich mir erlaube, wurde am 5. September des vergangenen Jahres in der 
Art verletzt, dass er bei dem Abbruch eines Hauses in gebückter Stellung arbei¬ 
tend, von einer niederstürzenden Zimmerdecke verschüttet wuide. Rücken und 
rechte Seite de« Körpers waren von der Gewalt vorzugsweise getroffen worden^ 
Pat. wurde dadurch niedergeworfen, konnte nicht wieder aufstehen und klagte 
Über heftige Schmerzen im Rücken. Sofort in die Klinik gebracht, zeigte er fol¬ 
gende Verletzungen. An der rechten Seite der Stirn befand sich eine grosso 
Hauptlappenwunde, Bchräg von oben rechts nach unten links zum linken Margo 
supraorbitalis verlaufend. Das Stirnbein war unverletzt. In der Mitte des Lumb&l- 
theil8 der Wirbelsäule fand sich eine circumscripte Anschwellung, deren Berüh¬ 
rung die heftigsten Schmerzen verursachte. Da jede Bewegung die Schmerzen 
steigerte uwd die Verletzung als Wirbelfractur aufgefasst werden musste, so 
wurde von einer genaueren Untersuchung Abstand genommen Pat. ist unfähig 
zu stehen und zu gehen, eine Lähmung der unteren Extremitäten aber nicht nach¬ 
zuweisen. An der Aunsenseite dea rechten Oberarms endlich, dicht unterhalb der 
Mitte desselben, befand sich eine stark sugillirte gequetschte Stelle von dem Um¬ 
fange eines 10-Pfennigstückes. Daneben vollständige Lähmung der Extensoren 
der Hand und der Finger. Das Gefühl am Vorderarme und an den Fingern ist 
erhalten, nur am Handrücken ist dasselbe undeutlich; doch lassen sich die Grenzen, 
nicht genau feststellen. Lähmung der Blase und des Mastdarmes ist nicht vor¬ 
handen. Die Kopfwunde wird genäht, drainirt und mit antiseptischem Verband 
bedeckt. An beiden Beinen wird ein Extensionsverband mit Gewichten angelegt 
und das Bett mit dem Fussende höhergestellt, so dass der Körper die Contraextension 
macht. Die Kopfwunde heilte bis auf die drainirte Stelle per primam, so dass 
die Nähte am 3. Tage entfernt werden konnten. Die Schmerzhaftigkeit an der 
verletzten Stelle der Wirbelsäule lässt bald nach, doch bleibt eine Hervorragung 
an dieser Stelle bestehen. Die gequetschte Stelle an der Außenseite des rechten 
Oberarms stösst sich nekrotisch los und es bildet sich weiter abwärts ein AI scess, 
welcher incidirt wird. Fieber war nur anfangs bis 38° vorhanden. EndeOctober 
konnte Pat. das Bett verlassen und die ersten Gehversuche machen, wobei sich 
eine leichte Parese des linken Beines herausstellte, die aber bald verschwand. 
Die Knochenhervorragung an der verletzten Stelle der Wirbelsäule ist unver¬ 
ändert geblieben. Am rechten Arm zeigt sich Folgendes: An Stelle der Quetsch¬ 
wunde des rechten Oberaims sieht man eine rundliche Narbe, die der Stelle ent¬ 
spricht, wo das Hau f stück nekrotisch geworden ist. Druck auf dieselbe verursacht 
Schmerzen. Diese Narbe entspricht genau der Stelle, wo der N. radialis, nachdem 
er um den Oberarm sich nach aussen gewendet hat, zwischen M. triceps und 
brachialis intern, an die Oberfläche tritt. Die Extensoren der Hand und Finger 
sind vollständig gelähmt. Die Hand steht in Pronation, bängt schlaff nach ab¬ 
wärts und gleicht der von Lätiävant (Traitö des Sections nervenses, Paris 
1873. 8. S. 403) gegebenen Abbildung von einer Radialisparalyse vollständig. Die 
leicht flectirten Finger können nicht gestreckt, der Daumen nicht abducirt werden. 
Die betreffenden Muskeln reagiren weder auf constanten, noch auf inducirten 
Strom. Die Sensibilität der Volarfläche der Hand und der Finger ist vollständig 


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Medicinisch-chi rurgische Rundschau. 


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erhalten, nur der Haodrücken und die Dorsalfläche des Vorderarms ist anästhe¬ 
tisch , doch lassen sich die Grenzen nicht genau bestimmen. Hier besteht auch 
ein ziemlich ansgedehntes Hautödem. Da es unzweifelhaft war, dass mit der 
nekrotischen Exfoliation der gequetschten Stelle an der Aussenseite des rechten 
Oberarms eine Trennung des N. radialis eingetreten sein musste, so wurde am 
25. November in der Klinik die Nervennaht ausgeführt. Nach Constriction und 
sorgfältiger Reinigung des Armes wurde ein etwa 6 Ctm. langer Hautschnitt 
durch die Narbe gemacht und das sehr weiche subcutane Fettgewebe fortgenommen. 
Es zeigte sich nun ein narbiges Gewebe, nach desaen Zergliederung wir zunächst 
auf das periphere, dann auf das centrale Ende des N. radialis gelangten. Beide 
standen etwa 2 Ctm. weit von einander ab, waren nicht kolbig angeschwollen 
und waren durch Narbenbindegewebe mit den Nachbartheilen verwachsen. Die 
Nervenenden wurden nun aus ihrer Umgebung lospräparirt, mit der Scheere vor¬ 
sichtig angefrischt und durch eine Catgntnaht vereinigt. Der Catgutfaden wurde 
mit einer feinen runden Nadel mitten durch die Nervenenden, etwa 1 Mm. von 
den Abschnittsenden entfernt, geführt. Es zeigte sich nun eine Schwierigkeit, 
die Nervenenden durch Znschnüren der Naht mit einander in Berührung zu bringen, 
und es gelang dieses nur unter starker Anspannung derselben, so dass ich fürch¬ 
tete , die Naht könnte ausreissen. Stellung des Vorderarms in Beugung vermin¬ 
derte di e Spannung nicht. Es wurde nun die Wunde mit Carbollösung ausge¬ 
waschen , durch Suturen vereinigt, ein Drainrohr in den unteren Wundwinkel 
gelegt und der Lister’sche Verband angelegt, der Arm auf einer stumpfwinkligen 
Schiene gelagert. Ich gestehe, dass meine Hoffnung anf Vereinigung der Nerven¬ 
enden eine sehr geringe war, weil die grosse Spannung der Nervenenden ein Aus¬ 
reissen der Sutur befürchten liess, und weil die mikroskopische Untersuchung 
des znr Anfrischung abgetragenen Gewebes keine Nervensubstanz in demselben 
nachwies. 

28. November. Fieber ist nicht eingetreten. Fat klagt nicht über Schmerzen 
im Arm. Verbandwechsel. Drainrobr wird entfernt und einzelne Suturen heraus¬ 
genommen — 9. December. Verband abgenommen. Die Wunde ist vollständig 
per primam geheilt. Der Arm wird ohne antisept. Verband auf einer Schiene 
gelagert. — 14. December. Bei Anwendung des inducirten Stromes zeigt sich 
eine deutliche Reaction der Extensoren der Hand und der Finger; auch scheint 
eine geringe spontane Bewegung eingetreten zu sein. — 20. December. Die spon¬ 
tane Bewegung wird von Tag zu Tag besser, die Hand kann fast bis zur Längs- 
axe des Vorderarms gehoben werden. — 30. December. Unter täglicher Anwen¬ 
dung der Elektricität fortschreitende Besserung. Die Streckbewegungen der Finger 
sind besonders leichter geworden. Anästhesie des Handrückens besteht noch in 
geringem Grade, kann aber bis heute (14. Jänner 1880) nicht mehr sicher consta- 
tirt werden. Der ganze Arm ist noch bedeutend schwächer, als vor der Ver¬ 
letzung, doch streckt Pat die Finger mit Leichtigkeit vollständig, die Hand nur 
bis znr Horizontalen, über welche hinaus er sie noch nicht zu erheben vermag. 
Pat. wird aus der Anstalt entlassen, die elektrische Behandlung fortgesetzt. 

Dass getrennte Nerven , wenn sie durch die Nabt grnau vereinigt worden 
sind, per primam heilen und ihre Leistungsfähigkeit in überraschend kurzer Zeit 
wieder gewinnen können, ist durch die neuesten Versuche an Thieren unzweifel¬ 
haft festgestellt Gluck (Experimentelles zur Frage der Nervennaht und der 
Nervenregeneration, v. d. Berl med. Facultät gekrönte Preisschrift, Virchow’s 
Arch., Bd. 78, Berlin 1878, mit 1 Taf.) sah bei Hühnern, denen er den N. ischia- 
dicus in der Weise durchschnitt, dass die getrennten Nervenröbren durch das 
Perineurium noch zusammengehalten wurden, die Leistungsfähigkeit schon nach 
48 Stunden in dem Grade wieder hergebtellt, dass die Thiere die Extremität in 
normaler Weise wieder gebrauchten. Der vollständig durchschnittene N. ischia- 
diene, sorgfältig genäht, zeigte sich nach 70 Stunden, derN. vagus nach 10 Tagen 
wieder leitungs- und leistungsfähig. Ein genähter Ischiadicus wurde 86 Stunden 
nach der Operation, nachdem das Tbier das Bein schon gut gebrauchte, oberhalb 
der Nahtstelle nochmals durchschnitten, auf einer Glasplatte isolirt und mecha¬ 
nisch gereizt, worauf Zuckungen in den Muskeln der unteren Extremität entstanden. 

In Betreff des Vorgangs der Regeneration und der Wiederherstellung der 
Leitung ist Gluck nach seiuen Untersuchungen zu Ergebnissen gelangt, welche von 
den bisherigen Anschauungen abweichen, indem er nachweist, dass die Wiederherstel¬ 
lung der Leitung zunächst durch eine Zwischensabstanz vermittelt wird, welche die 
getrennten Nervenenden mit einander verbindet Diese aus Granulationsgewebe 
bestehende Zwischensubstanz findet sich auch dann vor, wenn der Abstand der 
mit Schonung des Perineurium getrennten Nervenröhren ein minimaler war, tritt 
aber in reichlicherem Masse auf, wenn der vollständig durchschnittene Nerv durch 
die Naht sorgfältig vereinigt war. In dieser Zwischensubstanz fand Gluck 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


schon am dritten und vierten Tage nach der Durchsehneidnng grosskernige nnd 
mit Kernkörperchen versehene Spindelzellen, welche reihenweise einander gegen¬ 
über liegen nnd mit ihren langen Anslänfern unter einander Zusammenhängen. Da 
das Protoplasma dieser Spindelzellen durch Osmiumsäure sich granschwars färbt, 
so ist G. geneigt sie für ganglioforme Zellen zu halten nnd ihnen die Vermitte¬ 
lung der Leitung znzuschreiben. Diese ganglioformen Zellen wachsen in amyeline 
Fasern aus, welche die Axencylinder der Nervenenden mit einander verbinden, 
und durch Diiferenzirung ihres Protoplasma in Axencylinder und Mark sich später 
in markhaltige Nerveuröhren umwandeln. 

Die hohe Bedeutung der Nervennaht für eine prompte Regeneration und 
Wiederherstellung der Leitung gebt aus diesen Versuchen unzweifelhaft hervor. 
Nach primärer Nervennaht kommt eine vollständige, der prima intentio entsprechende 
Regeneration zn Stande, und diese ist beim Huhn bereits am 19. Tage vollendet. 
Der fettige Zerfall, welcher in den Nervenstümpfen sonst stattfindet, scheint durch 
die primäre Nervennaht verhindert zu werden, indem die Nervenfasern gegentheils 
wohl gehalten bleiben und häufig Axencylinder erkennen lassen. Im Gegentheil 
fand Gluck nach Aussschneidung eines 1—2 Ctm. langen Stückes aus dem 
N. ischiadicus noch nach ein und zwei Monaten keine Regeneration, sondern fet¬ 
tigen Zerfall der Nervenstümpfe und ein dichtes fibröses Gewebe zwischen den¬ 
selben, in welchem nervöse Bestandtheile sich nicht vorfanden. 

Die bisher bekannt gewordenen Beobachtungen über die Wirkung der 
Nervennaht beim Menschen haben grösstentheils nicht die Beweiskraft der an 
Thieren angestellten Versuche. Der Umstand, dass beim Menschen fast ausschliess¬ 
lich vorwiegend sensitive Nerven durch die Naht vereinigt wurden (Medianus, 
Ulnaris), und dass die Prüfung auf den Grad der Wiederherstellung der Sensi¬ 
bilität in den von den verletzt gewesenen Nerven versorgten Gebieten ausser¬ 
ordentlich schwierig ist und Täuschungen nicht ausschliesst, hat ja die Veran¬ 
lassung gegeben, die Wiederherstellung der Leitung in durch die Naht vereinigten 
Nerven überhaupt inJZweifel zu ziehen. Nehmen wir die drei von Simon, Vogt 
in Greifswald und von Kraussold (über Nervendurchschneidung und Nerven¬ 
naht, Volk man n's Sammlung klin. Vorträge, Nr. 182, Leipzig 1875) operirten 
Fälle aus, in denen der N. ulnaris und medianus durch die Naht mit Erfolg ver¬ 
einigt wurde, so dürfen alle bisher bekannt gewordenen Operationen entweder 
als erfolglose, oder als ihrem Erfolge nach zweifelhafte bezeichnet werden. Auch 
die von mir 1876 ausgeführte Naht des N. ischiadicus (F. Lemke, über Nerven¬ 
nabt. Inaugural-Dis8. Berlin 1876, 8, S. 22. — Verhandlungen der deutschen 
Gesellschaft f. Chirurgie, V. Congress, Berlin 1876 , 8, 8. 106) gehört zu den 
letzteren, weil die Motilität in den vom Ischiadicus versorgten Fussmuskeln bis 
auf den heutigen Tag nicht wieder hergestellt ist, wenngleich die Wiederherstel¬ 
lung der Sensibilität in einem gewissen Grade unzweifelhaft stattgefunden hat. 
Weit mehr scheinen die motorischen Nerven geeignet, diese Frage zu entscheiden, 
weil die Prüfung durch den Inductionsstrom sowohl die nach der Verletzung 
bestehende Lähmung, wie die Wiederherstellung der Leitung in den durch die 
Naht vereinigten Nerven mit Sicherheit nachweist und Täuschungen durch den 
Kranken dabei ausgeschlossen sind, und ich halte in der That den Ihnen hier 
vorgestellten Fall für einen sicheren Beweis, dass die Nervenoaht eben sowohl beim 
Menschen die Heilung per primam und die Wiederherstellung der Leitung herbei- 
zufübren im Stande ist. 

Bei unserem Kranken war die Lähmung im Gebiete des N. radialis noch 
82 Tage nach der Verwundung eine vollständige, Hand und Finger hingen schlaff 
herab, konnten nicht gestreckt werden, die gelähmten Muskeln reagirten nicht 
auf den elektrischen Strom. Am 14. Tage nach der Nervennaht wurden bei An¬ 
wendung des Indnctionsstromes Zuckungen in den Mm. extensores carpi und dem 
M. extensor. quatuor digit. communis zum ersten Male constatirt, am 19. Tage 
zeigte sich Wiederherstellung der willkürlichen Motilität, und diese hat unter 
fortgesetzter elektrischer Behandlung stetig an Energie gewonnen Heute streckt 
Pat., wie Sie sehen, die Hand vollständig, die Finger beinahe vollständig bis zur 
Horizontalen, Anästhesie am Handrücken und am Vorderarm kann mit Sicherheit 
nicht mehr nachgewiesen werden. Ueber die Horizontale hinaus vermag Pat. jedoch 
die Hand noch nicht anfznrichten. Inwieweit die Schwäche des durch dea 
langen Nichtgebranch etwas abgemagerten Armes, oder die noch etwas unvoll¬ 
kommene Nervenleitung hiervon die Schuld tragen mag, wage ich nicht zu ent¬ 
scheiden. Ausser in diesem Falle ist die Naht des N. radialis noch zweimal 
ausgeführt worden, u. z. von Letiävant. 

In der Mehrzahl der operirten Fälle wurde die Naht mit Silberfäden (N 6- 
laton, Letiövant) oder Seidenfäden (Lau gier, Riehe t, Simon) argelegt. 
Es dürfte aber den Catgutfäden entschieden der Vorzug zu geben sein, weil sie 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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weniger reizen, nicht entfernt zu werden brauchen und also die Primärbildung 
nicht stören. Sie bieten ausserdem den Vortheil, dass sie, wie meine beiden 
Erfahrungen zeigen , ohne Gefahr durch die Nervenstümpfe selbst gelegt werden 
können, während die perineurotische Nabt bei kleineren,Nerven mit Sicherheit 
nicht auszuführen ist. Eh ist sehr auffallend, dass die in allen Fällen von Nerven- 
trennung zu beobachtende kolbige Anschwellung der Nervenstümpfe, besonders 
des centralen, in meinem Fall nicht vorhauden war. Ich kann mir dieses nur 
dadurch erklären, dass der N. radialis nicht sofort durch die Verletzung, sondern 
erst durch die allmälige Exfoliation der durch die Quetschung nekrotisirten Ge¬ 
webe getrennt worden ist. Interessant ist auch die Thatsache, dass in meinem 
Falle die einfache Berührung der (nicht angefrischten) Enden des N. radialis zur 
Primärheilung und Regeneration ansreichte ; denn die mikroskopische Untersuchung 
des bei der beabsichtigten Anfrischung abgetragenen Gewebes zeigte, dass nervöse 
Bestandtheile darin nicht enthalten waren. In allen bisher veröffentlichten Fällen 
von mit Erfolg ausgeführter Nervennaht stellte sich die centripetale Leitung in 
dem geheilten Nerven erheblich früher als die centrifugale wieder her. In unserem 
Falle fand das Gegentheil statt, und die Anästhesie am Handrücken war noch zu 
constatiren, als die Streckbewegungen der Hund und der Finger bereits sehr voll¬ 
kommen wiederbergestellt waren. 


Der Redaction eingesendete neu erschienene Bücher und Schriften. 

Billroth, Dr. Theodor, Prof, der Chirurgie in Wien: Die allgemeine chi¬ 
rurgische Pathologie und Therapie in fünfzig Vorlesungen. 
Ein Handbuch für Studirende und Aerzte. Neunte Auflage, bearbeitet von 
Dr. Alexander Winiwarter, Prof, der Chirurgie in Lüttich. Berlin. Druck 
und Verlag von G. Reimer. 1880. 

Dittel, Dr. Prof.: Stricturen d er Har n röhre. Lieferung 49 aus Deutsche 
Chirurgie von Prof. Dr. Billroth und Prof. Dr. Luecke. Mit 62 Holz¬ 
schnitten. Stuttgart Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 

Hartmann, Dr. Arthur: Taubstummheit und Taubstummen bildung 
nach den vorhandenen Quellen, sowie nach eigenen Beobachtungen und Er¬ 
fahrungen. Mit 19 Tabellen. Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 

K rafft-Ebing, R. v., Dr., k. k. Prof: Lehrbuch der Psychiatrie auf kli¬ 
nischer Grundlage für praktische Aerzte und Studirende. Drei Bände Band III. 
Klinische Casuistik. Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 

Lossen, Dr. Pr.: Verletzungen der untern Extremitäten. Lieferung 
62 aus Deutsche Chirurgie von Prof. Dr. Billroth und Prof Dr. Luecke. 
Mit 44 Holzschnitten. Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 

Reclam, Carl, Prof. Med.: Der Leib des Menschen, dessen Bau und 
Leben. Vorträge für Gebildete. Erste Hälfte. Mit 9 Tafeln in Farbendruck 
und 139 Holzschnitten. Stuttgart. Julius Hoffmann. 

Sigmund, Ritter von Ilanor, Dr. Carl, Prof, in Wien: Vorlesungen über 
neuere Behänd lungsweisen der Syphilis. Zweite vielfach vermehrte 
Auflage. Wien 1880. Urban & Schwarzenberg. 

Oekonomides, Dr. G.: Einige Worte über das Wesen der Elektri- 
cität und des Magnetismus. Tübingen 1879. Gedruckt bei Heinrich 
Laupp jr. 

8cheff jon., Dr. Med. und Chir. Julius: Lehrbuch der Zahnheilkunde 
für praktische Aerzte und Studirende. Mit 153 Holzschnitten. 
Wien und Leipzig. Urban & Schwarzenberg. 1880- 

Stoerk, Dr., Carl a. ö. Professor an d. Universität zu Wien etc. Klinik der 
Krankheiten des Kehlkopfs, der Nase und des Rachens. Mit 
Holzschnitten, Chromoxylographien, Schwarz- und Farbendrucktafeln. Stutt¬ 
gart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880 

T o 11 i n Henri, Lic. theol. Prediger in Magdeburg: Michaelis Villanovani 
(Serveti) in quendam medicum Apologetica disceptatio pro 
astrologia. Nach dem einzig vorhandenen echten Pariser Exemplare, mit 
einer Einleitung und Anmerkungen neu herausgegeben. Berlin 1880. Verlag 
von A. R. Mecklenburg. 

Mmmtliohe hier angeführte Büoher sind xn bestehen dnroh 
die Baohhandlung Urban ft Sohwarxenberg ln Wien, X., Haxi- 
mUianitraexe 4. 


Verantwortlicher Redacteur; Dr. Vincens Fink. 

Rinsendnnzen an die Redaction sind zu riobten: Wien, I., Maximilianstrasse 4 . 

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318 


MedicinUch-cMrorgische Rundschau. 



KOHLENSAURES MINERAL-WASSER. 

Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 
Direction des K. K. Krankenhauses, “Wieden.” (Pn*. z, 

266 Dy I879.) 

NOTE. 

“ Der Apollinaris-Säuerling wurde während des Sommers 1879 A”. K. Krankenhause 
Wieden auf den medicinischcn Abtheilungen der Herren Doctoren Ritter von Eisenstein 
und Octingcry und auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Dr. Mosctig 
Rittet van Moorhof und des Herrn Dr. Kumar angewendet. Aus den diesfalls eingesen¬ 
deten Berichten dieser Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollinaris-Wasser 
siih durch seine Reinheit und seinen Wohlgesch macky insbesondere al>er 
durch seinen ausserordentlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichnCy dass cs somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällen den Vorzug 
-verdiene, in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
l / ässer hat sieh insbesondere als kühlende s f erfrischendes G et rä n k in fieber¬ 
haften acuten Erkrankungen enoiesetty und wurde bet catarrhaltsehen 
Affectionen der Athm ungs-y der Verdau ungs- und Harn Organe mit gutem 
Erfolge angelaendet. Wien 9 am 29. Dezember 1879. 

Dr F. W. Lorinser. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen . ” 

Hofrath Univ.-Prof. Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald, 

Wien: ‘ ‘ Ich bestätige hiermit , dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Köhlens iure isl t und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für Gesunde, und 
sehr kräftigend für Reconval esc euren mit geschwächter Verdauung sich 
mir erwiesen hat. 26. Januar 1880.” 

Hofra k h Univ.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wien: “ Das Apollinaris- 

Wasser ist einer der kräftigsten Sä uerlinge, und wird daher bei allen jetien 
Krankheiten .4 n wetuiungßrnien, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind 26. Januar 
1880. 

Prof. Dr. Josef Seegen, Wien: “ Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 

bei Neuenahr ist seiner Zusammensetzung stach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersiittigung mit aus der Quelle gewonnener Kohlensäure steht es den 
Sodawässern nahe , und ist diesen als hygienisches Getränk vorzuztehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden t wo ein Wasser mit reichem Kohlcn- 
säu regehalt an gezeigt ist. 14. Februar 1S80.” 

Prof. Dr. Jos. Sp3.©th, Wien: “ Das Apollinaris-Wasser ist ein ausscror- 
dcntlich kohlcnsäurcrcicher Natronsäucrlingy von jedem Nebengeschmäcke frei , 
und bestens zu cmpfchicn. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Stsinclthsxtner, Wien: “Das natürliche 

Apollinaris- Wasser e ign et sich ganz vo rz ü gl ich zum diätetischen Gebrauche , 
undwirdauch bei Schwäche der Verdauung sehr gut vertragen. 20. Juli 1879.” 


Gen. -Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. V. Nussbaum, München: 

“ Ausserst erquickendes und auch nützliches Gctränky weshalb ich cs bestens anffehlen 
kann." 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: "Ah trfriuh.-n.ies 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt cs unter den Mineralwässern s:che> eich 
den ersten Rang ein. 16. März 1879.” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: "Sein angenehmer 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn-^ 
liehen zum Versandt kommenden Mineralwässern vortheilhaft aus* 24. Dezember 1S78. 

Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc 

DIE APOLLIN ARIS COMPANY . LIMITED; 

Zweig-Comptoir, Remagen a. Rhein. 


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Medicinisch-chirnrgisclie Rnndschin. 


319 


----LD 

| Im Verlage von | 

URBAN & SCHWARZENBERG 

In WIEN und LEIPZIG 

ist soeben ersobienen: > 

Lehrbuch 

ZAHNHEILKUNDE 

für 

praktische Aerzte und Stndirende 

von 

Dr. Jaltas Soheff jun., 

Zahnarzt in Wien. 

Gr. 8. VIII und 416 Seiten. Mit 153 Holzschnitten. 

Preis brosch. 4 fl. 80 kr. 6. W. = 8 M.; sieg. geb. 6 fl. 6. W. = 10 M. 

Angezeigtes Bnch kommt einem wahren Bedürfnisse entgegen. So 
1 zahlreich jede medicinische Disciplin augenblicklich durch gute Grundrisse, 
Handbücher und Lehrbücher vertreten ist, so dass man, statt Mangel, 
eher über einen embarras de richesses klagen könnte, eine so geringe Aus¬ 
wahl von auf der Höbe der Wissenschaft stehenden Compendien bietet die 
Zahnheilknnde. Ist doch sie bis auf diesen Augenblick das eigentliche 
Aschenbrödel der Medicin! Wenigstens in Deutschland. Es ist noch 
■ nicht lange her, dass die Zahnärzte sich ans der Zahl der Barbiere, Gold¬ 
schmiede, Wundärzte zweiter Classe und derjenigen Leute recrutirten, 

| welche ihren Beruf verfehlt haben. An den deutschen Hochschulen hat der 
| Student nur ausnahmsweise Gelegenheit, in der Zahnheilkunde sich theore- 
| tisch und praktisch auszubilden. Akademisches Bürgerrecht fand sie bis 
jetzt auf sehr wenigen Universitäten. Anders war es in dem praktischen 
Amerika und England. Dort erkannte man längst, dass gute und gesunde 
Zähne die conditio sine qua non einer dauerhaften Gesundheit seien, cultivirte 
daher die Zahnheilkunde mit dem grössten Fleisse und brachte es darin 
zu einer grossen wissenschaftlichen und technischen Vollendung. In Deutsch¬ 
land bleibt in dieser Beziehung noch viel zu thun übrig. Doch dieMorgen- 
i röthe ist da, und zu den Zeichen, welche diese verkünden, müssen wir 
| auch angezeigtes vortreffliches Lehrbuch rechnen. 

, • Verf. handelt darin folgende Gegenstände ab: Anatomie de« Mondes 
und seiner Organe, Entstehung der Zähne, Anomalien derselben, Carle», 
Krankheiten der Pulpa, Reinigung der Zähne, Einfluss der Zähne auf Aus¬ 
sprache und Verdauung, Zahnfleisch und Mundschleimhaut, Neurosen, 
Krankheiten der Wurzelhaut des Periosts, Krankheiten der Kieferknochen, , 
Extraction der Zähne, Zahntechnik. 

Das Buch interessirt nicht blos in hohem Grade die Zahnärzte selbst, 
indem es ihnen in knapper Form die gegenwärtige Lage und den wissen- 1 
schaftlichen Zustand ihrer Disciplin vorführt, sondern hat auch eine eben | 
so grosse Bedeutung für den praktischen Arzt auf dem Lande ttnd in den j 
I kleinen Städten, wo keine Zahnärzte sich befinden und ersterer sich genöthigt 
I sieht, das ganze weite Gebiet der Medicin praktisch zu umfassen. Da ' 

! dürfte es ihm denn in manchen Fällen sehr willkommen sein, einen theore- I 
tischen und praktischen Führer zu haben, der die Lücken seines Wissens, j 
t welche er während seiner Uoiversitätsstudien nicht auszufüllen vermochte, | 

! ergänzt. Ein solcher Cicerone ist angezeigtes Lehrbuch; dasselbe noch 
weiter zu empfehlen, ist überflüssig. Das Buch entspricht in jeder Beziehung 
| seinem Zwecke, und auch die Ausstattung und der Druck lassen nichts | 


zu wünschen übrig. 


(Allg. med. Central-Zeitung, 1880 , Nr. 81 .) 


320 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 










Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 

263. Zur Casuistik des hämatogenen Icterus. Von Dr. Albert 
Gross. (Berl. klin. Wochenschrift. 1880. Nr. 13.) 

Die spärliche Bearbeitung derjenigen Ictcrusformen, deren Ursache 
sich nicht auf ein mechanisches Hinderniss der Gallenausscheidung zurück- 
fuliren lässt, sowie die lückenhafte Kenntniss der Quellen der Farbstoffe 
im menschlichen Organismus, veranlassten Verfasser eine einschlägige 
Beobachtung zu veröffentlichen. 

Dieselbe betrifft einen 64jährigen Patienten, der seit früher Jugend 
au einer ansehnlichen Struma lymphatica litt, die alimälig zu kolossaler 
Grösse heranwuchs. Mit der Ausbreitung des Tumors nach dem oberen 
Halsdreiecke stellten sich auch Erscheinungen von Compression des Va- 
gus ein. Dieselben äusserten sich in einer anfangs nur in mehrwöchentlichen, 
später aber in immer kürzer werdenden Intervallen auftretenden und 
endlich continuirlich gewordenen stürmischen und unrhythmischen Ilerzthätig- 
keit, ohne dass hiebei eine Vergrösserung des Organs oder ein Klappen¬ 
fehler nachweisbar gewesen wäre. In letzter Zeit stellten sich auch 
trophische Störungen des Herzfleisches und einzelne schwere Anfälle von 
Angina pectoris ein. Zu diesen auf Vagus Compression beruhenden Be¬ 
schwerden gesellten sich alimälig dyspeptische Erscheinungen, die den 
Kräftezustand des Kranken sehr herunterbrachten. Dabei machte sich ein 
stark ausgesprochenes gelbes Colorit der ganzen Haut, sowie der Con- 
junctiva bulbi bemerkbar. Die Leber zeigte eine geringe Vergrösserung. 

Während im seitherigen Verlaufe der Krankheit der Urin meist 
sehr reichlich und hell geflossen war, verringerte sich nun alimälig das 
Quantum desselben, ohne jedoch unter die Norm sinken. Kurz darauf 
nahm er eine tief dunkelbraune Färbung an. Es schien daher die An¬ 
nahme gerechtfertigt, dass zur seitherigen Erkrankung als weitere Corapli- 
cation ein catarrhalischer Icterus sich hinzugesellt habe; doch zeigten 
die Fäces normale braune Färbung. Die genaue chemische Untersuchung 
des Harns zeigte, dass der stets eiweissfreie Urin keinerlei Gallenbestand- 
theile enthielt und damit war die Existenz eines hepatogenen Icterus aus¬ 
geschlossen. Hingegen wurde in dem mit Uraten übersättigten, nach 8 
Tagen noch stark saueren Harne ein ungewöhnlich reicher Gehalt an 
Urophäin gefunden und es musste die Masse dieses braunen Harnfarb¬ 
stoffes als alleinige Ursache der icterischen Harnfarbe angesehen werden. 

Nach diesem Befunde ist man berechtigt, den Fall trotz der Ab¬ 
wesenheit der sonst niemals im icterischen Harne fehlenden Gallenfarb- 
Med.-chir. Rundschau. 1880 . Google 



Me'üciiiisch-ckirnivisch« Rundschau. 


322 


Stoffe als Icterus zu betrachten. Denn wenn auch im Zusammenhänge mit 
ähnlichen Symptomen ein solcher Harnbefund bis jetzt noch nicht be¬ 
schrieben wurde, so ist doch kein Zweifel, dass hier die Kriterien eines 
hämatogenen Icterus zu finden seien. Es war eben nur an Stelle des Bili¬ 
rubin ein demselben verwandter Körper, das direct vom Blutfarbstoff 
abstammende Urophäin getreten. Bei der grossen Veränderlichkeit aller 
Galleufarbstoffe kann das nicht auffallen, zumal beide Stoffe offenbar der¬ 
selben Quelle, dem Hämoglobulin, entstammen und sogar einer in die 
Form des anderen chemisch übergeföhrt werden kann. Offenbar haben 
hier die alterirte Herzthätigkeit in Verbindung mit der Dyspnoe und der 
Digestionsstörung eine solche Veränderung des Stoffwechsels und der Blut¬ 
bildung und damit eine so reichliche Zersetzung von Hämoglobulin lier- 
vorgerufen, dass es sowohl zu massenhafter Bildung von Bilirubin, als 
auch zu vermehrter Ausscheidung von Harnsäure kommen musste. Durch 
die reducirende Wirkung des letzteren ist aber erst eres auf dem Wege 
seiner Secretion in Urophäin umgewandelt worden. Das Zustandekommen 
dieses Processes mag gerade durch die Abwesenheit des Fiebers be¬ 
günstigt worden sein, das als ein, die Oxydationen im Stoffwechsel för¬ 
dernder Factor, diesen Reductionsvorgang wahrscheinlich paralysirt hätte. 

An diese Beobachtung knüpft Verfasser einige praktische Be¬ 
merkungen. 

Zur Unterscheidung des hämatogenen vom hepategenen Icterus ist 
eine wiederholte genaue Besichtigung der Stuhlentleerungen behufs Sicherung 
der Diagnose unerlässlich, unter Umständen aber auch eine chemische 
Untersuchung des Harnes. Constante gleichzeitige Abwesenheit von Gallen¬ 
farbstoffen in ersteren und von Gallensäuren in letzterem sprechen für die 
hämatogene Form; bei der hepatogenen wird der resorbirte Gallenfarb¬ 
stoff einfach als solcher durch den Harn wieder ausgeschieden und nie in 
anderes Pigment, z. B. Urophäin umgewandelt. 

Wenn auch über die Pathogenese des Icterus in einzelnen Er¬ 
krankungsformen Controversen bestehen, indem man z. B. den Icterus 
bei der sogen. Pyämie, der Pneumonia biliosa u. s. w. bald der einen, 
bald der anderen Ursache zuschrieb und deshalb auch häufig Irrthttmer 
in der Deutung der Symptome Vorkommen mussten, so waren solche in 
therapeutischer Hinsicht doch selten von schlimmen Folgen begleitet, da 
beim Erscheinen des hämatogenen Icterus meistens derartige Indicatio- 
nen zur Geltung kommen, die gewöhnlich die Aufmerksamkeit des Arztes 
in Anspruch nehmen. Um so folgenschwerer aber sind die Missgriffe, 
auch jene Patienten ftir leberleidend zu erklären, die mit gelblichem oder 
bräunlichem Teint, oder mit sogenannten Leberflecken behaftet sind und 
dabei über epigastrische Beschwerden klagen. Ganz typisch sind in dieser 
Rücksicht diejenigen Fälle, in denen Frauen, die au chronischen Gebär- 
mutteraffectionen und an Ulcerationen des Collum uteri leiden, in deren 
Folge sich oft hartnäckige nervös-gastrische Beschwerden und braune Pig- 
mentirungen im Gesichte einstellen, als leberleidend nach Carlsbad ge* 
schic kt werden, von wo sie meist in wesentlich verschlimmertem Zustande 
zurtickkehren. Auch chronische Milztumoren sind oft mit einem Color ictero- 
des verbunden; Grund genug, um auch solche namentlich über Digestions¬ 
beschwerden klagende Kranke für leberleidend zu erklären. 

Als Beispiel ftir die Richtigkeit des Gesagten führt Verfasser fol¬ 
genden Fall an: 

Ein 53jähriger, mit auffallend braungelbem Hautcolorit behafteter 
Fabrikant, der früher nie an Intermittens gelitten, ftihlt sich seit etwa 


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Medfcinfech-chirurgiBche Rundschau. 


323 


15 Jahren nicht mehr ganz wohl und wird seither durch ein Gefühl von 
Druck und Schwere im ünterleibe und durch Verdauungsstörungen be¬ 
lästigt. Auch sein brauner Teint datirt seit damals. Eine Steigerung seiner 
Beschwerden veranlasste ihn die Carlsbader Cur zu gebrauchen. Unter 
dem Gebrauche derselben verschlimmerte sich sein Zustand so, dass er 
nur mit Mühe in seine Heimat gebracht werden konute. Schon in Carls- 
bad bemerkte er an beiden Beinen zuerst vereinzelte, dann immer mehr 
an Zahl zunehmende blaurothe Flecken. Als Verfasser den abgemagerten 
Kranken sah, fand er über den grösseren Theil beider unteren Extremi¬ 
täten ausgebreitete, handtellergrosse, vielfach confluirende Ecchymosen, 
von denen einzelne auch auf dem sehr ausgedehnten Unterleib sichtbar waren. 
Das Krankheitsbild glich dem eines Morbus maculosus Werlhofii. Bei der 
Untersuchung war aber keine Vergrösserung der Leber nachweisbar, da¬ 
gegen fand sich bei normalem Zustande der Achsel und Leistendrüsen ein 
Milztumor von solcher Grösse, dass er die ganze linke Bauchseite einnalim 
und bis zur Symphyse herabreichte Unter solchen Umständen konnte der 
ungünstige Erfolg der Carlsbader Cur, welche die Dissolution des Blutes 
nur vermehren musste, nichts Räthselhaftes haben. Fortgesetzter Gebrauch 
von Eisen, Chinin und Ergotin besserte den Zustand. Im Blute fand sich 
keine auffallende Vermehrung farbloser Blutkörperchen. Faradisation der 
Milz, kalte Douchen auf die Milzgegend, sowie zahlreiche Ergotininjectionen 
bewirkten eine etwa handbreite Verkleinerung des Organs und hatten 
den bedeutenden Erfolg, dass Patient wieder seinen Geschäften nach¬ 
gehen konnte. 

1 fiese Beobachtung bestätigt die Thatsache, dass ein sehr bedeutender 
Milztumor Jahre lang ohne Gefährdung des Lebens, ja selbst ohne Be¬ 
einträchtigung des Allgemeinbefindens bestehen kann und selbst in späteren 
Verlaufe nicht nothwendig Leukocythämie im Gefolge haben müsse. Auch 
scheint dieser Fall die Lehre Neumann’s zu bekräftigen, nach welcher 
ein rein lienaler Ursprung der Leukämie nicht beobachtet wird. Für 
dessen weitere Behauptung jedoch, dass jede Leukämie auf eine Affec- 
tion des Knochenmarkes zurückzuführen sei, könnte diese Beobachtung 
nur indirect angezogen werden. P. von Rokitansky. 

264. Zur Behandlung der Caroinome. Von F. W. Beneke in 
Marburg. (Berl. klin. Wochenschrift 1880, Nr. 11.) 

In einer Abhandlung „zur Pathologie und Therapie der Carcinome“ 
im 15. Bande des deutschen Archivs für klinische Medicin hat Verfasser 
die Hoffnung ausgesprochen, dass auf diätetischem Wege Manches für 
die Besserung, wenn nicht Heilung, carcinomatöser Kranker zu erreichen 
sei und hervorgehoben, dass sich bei der Mehrzahl der CarcinomatÖsen, 
wenigstens zu Beginn des Leidens, eine kräftige Körperentwicklung, weite 
arterielle Gefösse, eine reichlich functionirende Leber neben kleinen Lungen 
finden, dass in der Mischung der Säfte ein Reichthum an phosphorsauren 
Alkalien und Erdsalzen, ein Reichthum an Cholestearin und Lecithin, viel¬ 
leicht auch ein pathologisches Plus von Albuminaten ein Rolle zu spielen 
scheine und auf Grund dieser zum Theile positiv nachgewiesenen Ver¬ 
hältnisse die Ueberzeugung geäussert, man könne bei diesen Kranken 
durch eine an Stickstoff und phosphorsauren Salzen möglichst arme Kost 
die Entwicklung der Carcinome hemmen. Zugleich machte Verfasser auf 
die reichliche Gallenbildung bei CarcinomatÖsen aufmerksam und wies auf 
das häufige Vorkommen von Gallensteinbildung bei denselben hin. 

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324 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Die Vennutkung Lang’s, dass durch diese Diät die peripheren 
Nervenausbreitungen im Verdauungscanal viel weniger gereizt werden und 
Ernährungsstörungen auf reflectorischem Wege seltener zu Stande kommen, 
theilt Verfasser nicht und betont lediglich die modificirte chemische 
Zusammensetzung der Nahrung. 

Das Zellenprotoplasma besteht wesentlich überall aus Wasser, 
Albumin, Oholestearin und Lecithin, minimalen Mengen neutralen Fettes, 
oder Fettsäuren, phosphorsaurem Kali, phosphorsaurera Kalk und Chlor¬ 
alkalien, Bestandtheile, welche in verschiedenen Zellen zweifellos ein relativ 
verschiedenes quantitatives Verhalten darbieten. Die Zellen der Carcinome 
und namentlich der weichen Carcinome sind relativ reich an Cholestearin 
und Lecithin. Ihnen ähnlich scheinen sich die Epithelzellen zu verhalten. 
Das* Cholestearin geht aus den Albuminaten hervor; die eiweissreiche 
Nahrung ist zugleich überall mit relativ grossen Mengen phosphorsauren 
Alkalien und Erden verbunden, und will man die Entwicklung solcher 
Gebilde hemmen, welche reich an diesen Bestandtheilen sind, so wird die 
Diät im Ganzen quantitativ nur so bemessen sein dürfen, dass sie den 
Anforderungen des Organismus eben genügt und im Speciellen der Art, 
dass die der Zellenbildung wesentlich forderlichen Bestandtheile möglichst 
in ein Minus gebracht werden. 

Um dies zu erreichen, muss die Diät vor Allem eiweissarm sein, 
da aus dem Eiweisse die für alle Zellenbildung so wichtigen Bestand¬ 
theile der sogenannten Nervenfette hervorgehen. 

Auf diese Bestandtheile ist aber hier mehr Werth zu legen, als auf 
den Eiweissgehalt der Zellen selbst. Wenn diese an Stickstoff und 
phosphorsauren Salzen arme Kost der erregenden Substanzen entbehrt, so 
werden bei der vom Verfasser empfohlenen Diät dieselben durch Thee 
und Wein ersetzt werden müssen. Nach diesen Principien würde eine 
diätetische Vorschrift für CarcinomatÖse etwa folgendermassen lauten: 

Zum ersten Frühstücke nimmt der Kranke: einen 
kräftigen Aufguss von schwarzem Thee mit Zucker und Milchrahm, oder 
Cacao, wenig Brod mit reichlicher Butter; dazu Kartoffeln mit Butter. 

Zum zweiten Frühstücke: frisches oder gekochtes Obst, 
einige Bisquits, oder wenig Brod mit Butter, ein Glas Wein. 

Zum Mittagessen: Fruchtsuppe, Weinsuppe mit Sago oder 
Maizena, Kartoffelsuppe; nicht mehr als 50 Grm. Fleisch (roh gewogen), 
Kartoffeln in beliebiger Form; alle Arten Wurzelgemüse, Obst, Salate, 
Reis. Leichte Mosel- oder Rheinweine, auch Champagner. Bier, wegen 
des reichlichen Gehaltes an phosphorsauren Alkalien , nur in geringen 
Quantitäten. 

Nachmittags: Schwarzen Theeaufguss mit Zucker und Milch¬ 
rahm, wenig Brod mit Butter, frische Früchte und Bisquits. 

Abends: Suppe wie Mittags, Reis mit Obst, Kartoffeln; geringe 
Mengen Sardinen. Anchovis, frische Häringe, Buchweizengrütze mit Wein 
und Zucker, leichten Wein. 

Eine derartige Nahrung setzt das Verhältniss, in welchem der 
gesunde Mensch stickstoffhaltige und stickstofffreie Substanzen geniesst 
(1:5) auf beiläufig 1:8—9 herab; die stickstofffreie Butter und der 
Zucker erhöhen noch das Verhältniss der stickstofffreien Substanzen und 
damit ist die Hauptaufgabe erfüllt. Was die unorganischen Bestandtheile 
betrifft, so werden die Kalisalze bei dieser Kost zum grossen Theile als 
Pflanzensäure und nur zum geringeren als Phosphorsäure eingeffthrt. 
Hierdurch wird das Blutserum, wie die Abnahme der sauren Reaction 


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Mediciniscb-chirurgische Rundschau. 


325 


des Harns evident erwiesen, ähnlich wie bei Pflanzenfressern, stärker 
alkalisch und in Summa resultirt ein geringer Gehalt der Säfte au 
phosphorsauren Alkalien und ein veränderter Diffusionsstrom zwischen 
Blut und Gewebssäften der Art, dass die freien Säuren der letzteren 
rasch gebunden werden. Ein unterstützendes Moment dieses Vorschlages 
sieht Verfasser in den äusserst seltenen Vorkommen der Carcinome bei 
Pflanzenfressern, besonders den Krautfressern. Die Cerealien enthalten 
stickstoffhaltige und stickstofffreie Substanzen im Verhältniss von 1:5 bis 
6*5 und sind reich an phosphorsauren Alkalien und Erden. Die Legumi¬ 
nosen zeigen ein Verhältniss jener Substanzen von 1:2-3 und sind eben¬ 
falls reich an den genannten unorganischen Bestandteilen. Jene (in 
Brod und Mehl genossen) sind deshalb möglichst zu beschränken, diese 
gänzlich zu untersagen. Ebenso sind Nahrungsmittel, welche arm an 
phosphorsaurem Kalke sind, geeigneter für Carcinomatöse, als solche, 
welche relativ viel davon enthalten. Die Frage, ob bei einer solchen 
Stickstoff- und phosphorsäurearmen Kost der Mensch existiren kann, muss 
nach den Erfahrungen des Verfassers entschieden bejaht werden; es 
kann sogar die erlaubte Menge von 50 Grm. Fleisch pro die weggelasseii 
werden, ohne dass sich ein Schwächezustand geltend macht. Demnach 
liegen von dieser Seite keinerlei Bedenken gegen diese Diät vor und was 
die praktischen Erfahrungen bei Carcinomatösen betrifft, so ergaben 
einige der in Kürze mitgetheilten Fälle ermutigende Resultate und 
beweisen gleichzeitig die Verträglichkeit dieser fraglichen Diät. 

Iu der oben erwähnten Abhandlung „zur Patologie und Therapie 
der Carcinome“ erwähnt Verfasser auch die scheinbar nahe Verwandt¬ 
schaft zwischen Carcinom und Psoriasis und hat auch hier, geleitet von 
der Ueberzeugung jener Verwandtschaft, eine Stickstoff- und phosphorsäure¬ 
arme Diät mit Erfolg anempfohlen. 

Verf. wünscht, seine Mittheilungen mögen zu eingehenden Ver¬ 
suchen anregen und verlangt alsdann genaueste Durchführung der 
erwähnten Diät und strengste Controle der Kranken. Die Verbindung 
dieser Diät mit dem regelmässig fortgesetztem Gebrauche des Carlsbades 
Salzes in kleinere Dosen empfiehlt sich bei fettreichen Kranken ; Oleutn 
jec. asel. bei solchen, wo durch die ausschliessliche vegetabilische Kost 
dem Nahrungsbedttrfnisse schwer genügt werden sollte und Butter nicht 
gut vertragen wird. Schwer verständlich sind jene Fälle, in welcher 
trotz einer stick»toffarmen, an pflanzensauren Salzen reichen Diät das 
Körpergewicht und besonders die Muskelentwicklung zunahm. 

Diejenigen , welche aphoristische Bedenken gegen jene Diät nicht 
überwinden können, erinnert Verf. an die allgemeine Uebereinstimmung 
mit welcher ärmliche Lebensweise, Stickstoff- und phosphorsäurearme 
Nahrung, Aufenthalt in schlechter Luft etc. als wesentliches Förderungs¬ 
mittel der scrophulösen Krankheitsformen bezeichnet w-erden. Auch hier 
ist Aenderung der Ernährungsweise die erste Regel. Ist nun die carci¬ 
nomatöse Constitution in vieler Hinsicht fast diametral der scrophulösen 
entgegengesetzt, so liegt es nahe, bei der ersteren einen entgegengesetzten 
Weg einzuschlagen, wie bei dieser. Man macht in gewissem Sinne das 
carcinomatöse Individuum krank, aber in einer Richtung, welche ein bereits 
bestehendes Kranksein aufzuheben geeignet ist. P. von Rokitansky. 

285. Aus dem Krankenhause in Kowno. Experimentelles über 
Dermatophonie. Von Dr. Feinberg. (Berliner klinische Wochenschrift, 


lSbO. Nr. 12.) 

Angeregt durch Hüters Abhandlung über Dermatophonie stellte 
Verf. im Krankenhause mit einem Dermatophon von Weinberg in Greifs- 

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326 


Medicinisch'Cbinirgische Rundschau. 


wald Versuche an und überzeugte sich von der Existenz der Geräusche, 
ohne jedoch über die Natur derselben in’s Klare zu kommen« Zur Auf¬ 
klärung wurden nun Untersuchungen an Kaninchen mit allen: nothwendigen 
Cautelen vorgenommen. Da* bei Kaninchen fast auf dem ganzen Körper 
die Herztöne hörbar sind, so wurde zur Untersuchung, der Oberschenkel 
dieser Thiere, an dem dieselben nicht mehr wahrnehmbar sind, gewählt. 

Entstehen nun die Geräusche in den Capillaren, so muss Kälte- 
application dieselben vermindern, Wärme dieselben verstärken. Bei einem 
kräftigen Kaninchen wurden die Haare am Oberschenkel abrasirt und 
darauf das Dermatopbon aufgesetzt. Das Geräusch, ein constantes Sausen, 
war ziemlich intens. Nun wurde auf die rasirte Stelle Eis applioirt und 
alle 10 Minuten auscultirt; das Geräusch vermindert sich nicht, eher 
wurde es stärker in Folge fibrillärer Zuckungen, welche die Kälte in den 
Muskeln hervorgerufen. Die hierauf folgende Wärmeapplication beschwich¬ 
tigte wohl dieselben, übte aber auf die Intensität des Geräusches keinen 
sonderlichen Einfluss aus. Aehnliche störende fibrilläre Zuckungen zeigten 
sich auch nach Anwendung chemisch reizender Stoffe auf die Cutis, wie 
spirituöse Einreibungen, Senfteige etc. In Hinsicht auf diese so wenig 
entscheidenden Ergebnisse, und überlegend, dass die Geräusche auf der 
Cutis wohl eine Summation von Capillar- und Muskelgeräuschen sei und 
die Excision einer eben auscultirten Cutispartie das Geräusch mindestens 
schwächen müsste, so wurden bei einem Kaninchen die Haare vom Ober¬ 
schenkel abrasirt und nach vorangegangener Auscultation mit dem Derma- 
tophon, die ganze Haut entfernt und da? Dermatophon auf die bloss¬ 
geiegten Muskeln aufgelegt. Das Geräusch schien bedeutend stärker, 
wie früher zu sein; demnach scheint die Anwesenheit der Cutis für die 
Geräusche nicht wesentlich zu sein. Um sicher zu gehen, wurden die 
blossgelegten Muskeln mit einer dünnen Guttaperchamembran bedeckt; 
das Dermatophon gibt nunmehr ein Geräusch, das in seinem Character 
und seiner Intensität in nichts von dem auf der Cutis gehörten differirt. 
Wenn ferner das auf der Haut hörbare Geräusch eine Folge der Blut¬ 
strömung in den in ihr verästelten Capillaren ist, so muss die innere 
Fläche ein entsprechendes Geräusch liefern. Es wurde ein Hautlappen 
gebildet, der an 3 Seiten von den unterliegenden Theilen gelöst wurde, 
die Basis aber in ihrer ganzen Breite im Zusammenhänge mit der übrigen 
Haut gelassen. Auf seiner innern Fläche sieht man zahlreiche blutgefüllte 
Capillaren, der Lappen wird vorsichtig zurückgeschlagen, das Dermatophon 
angelegt, aber kein Geräusch beim Auscultiren wahrgenommen. Aehnliche 
Resultate erlangt man, wenn der Hautlappen nur an zwei Seiten losgelöst 
wird und eine dünne Platte unter die Haut geschoben wird. Liegt die 
Platte den Muskeln fest an, so hört man mit dem Dermatophon ein 
ziemlich lautes Geräusch; wird sie von den Muskeln entfernt, so ver¬ 
schwindet sofort jedes Geräusch. Wird die Haut im Bereich der Platte 
excidirt und das Dermatophon unmittelbar auf dieselbe aufgesetzt, so 
bekommt man wieder ein Geräusch von derselben Intensität wie früher. 
Trägt demzufolge die Haut wenig zur Phonation bei, so müsste die Quelle 
der Geräusche in den Muskeln gesucht werden und es entsteht die Frage, 
ob die contractilen Fasern oder wieder die Capillaren, die in den Muskeln 
verästelt sind, die Entstehung der Geräusche vermitteln. Zur Entscheidung 
dieser Frage dienten sowohl pathologische Fälle mit cerebralen und spi¬ 
nalen Lähmungen, als auch Experimente an Thieren. 

In einem Falle von spastischer Spiralparalyse war an allen Haut- 
stellen das continuirliche Brausen sehr intens und durch den Tremor so 


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Medicinißth-chirurgische Rundschau. 


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verstärkt, dass das characteristische Brausen gänzlich verloren ging und 
erst wiederkehrte, als der Tremor schwand. In einem 2. Falle von 
Myelitis dorealis mit erhöhten Reflexen war das Geräusch an allen Haut- 
stellen sehr deutlich. In einem 3. Falle von Cerebrallähmung war das 
Geräusch auf der gelähmten Seite eben so stark, wie auf der nicht ge¬ 
lähmten . Aehnliche Resultate erhält man bei Thieren nach Section der 
medulla spinalis im Lumbal- oder Doraaltheil. Aus diesen Versuchen muss 
man schliessen, dass das mit dem Dermatophon hörbare Geräusch nicht 
auf Muskelcontractionen zurückzuführen sei, sondern von den Capillaren 
herrühre. Um die capillare Circulation vollständig zu eliminiren, wurde 
das Thier narcotisirt, mit dem Esmarch’schen Banden das Bein einge¬ 
schnürt und oberhalb desselben eine Ligatur en masse applicirt und so fest 
zusammengeschnürt, dass alle Weichtheile bis auf den Knochen durch¬ 
schnitten waren. Nach Wegnahme des Bandes ist das Bein kalt, leblos 
und cyanotisch. Bei der Auscultation hört man daselbst ein Brausen. 
Nach 2—3mal 24 Stunden tritt Mumification des Beines ein und das 
Dermatophon gibt keine Spur von Geräusch. Wird die Haut nach 
24 Stunden vom ligirten Bein entfernt und das Dermatophon auf die 
blossgelegten Mnskel aufgesetzt^ so wird das Geräusch stärker als früher 
vernommen. Dieser wiederholte Versuch schien zu zeigen, dass das 
Geräusch wahrscheinlich nicht vom capillaren Strom bedingt sei, nachdem 
im ligirten Beine nach 24 Stunden kein capillarer Kreislauf mehr existirte. 
Um dies zu beweisen, wurde zur Untersuchung die an Capillaren so 
reiche Niere gewählt. 

Bei einem Kaninchen wurde die Bauchhöhle eröffnet, die rechte 
Niere ohne Zerrung der Gefässe hervorgezogen und das Dermatophon 
angelegt. Man hört ein deutliches fortwährendes Geräusch. Nun wurden 
durch eine Ligatur sämmtliche Gefässe zusammengeschnürt und das Der¬ 
matophon aufgelegt. Das Geräusch besteht fort. Durch eine Naht wird 
die Niere nach Aussen prominirend gelassen und nach 24 Stunden die 
Untersuchung neuerdings vorgenommen; die bereits missfarbige Niere ver¬ 
breitet einen gangränösen Geruch, doch gibt das Dermatophon ein 
ziemlich deutliches Geräusch. Da aber eine nekrotische Niere ein todtes 
Organ ist, so musste der Versuch gemacht werden, ob an todten Nieren 
auch ein Geräusch hörbar sei und zu diesem Zwecke ein Kaninchen ge¬ 
schlachtet und dessen Nieren gleich nach dem Tode auscultirt, wirklich 
ist ein unbedeutendes Brausen hörbar. 

Leber, Lunge, Herz, Muskeln geben nach dem Tode keine Spur 
eines Geräusches. In einem Falle mit Ligatur einer Niere bei einem 
Kaninchen, das die Operation Wochen lang überlebte, zeigte die Section 
eine compensatoriscbe Hypertrophie der gesuuden Niere und sie gab nach 
dem Tode, in Spiritus gehärtet, ein so exquisites, continuirliches Brausen 
bei der Auscultation mit dem Dermatophon, wie keine lebende, gesunde 
Niere je geliefert hat. 

Nachdem selbst todte Organe ein Geräusch zu erzeugen vermögen, 
so wurde das Experiment auch auf andere leblose Gegenstände aus¬ 
gedehnt. 

Ein Gummifinger wird mit Watte gefüllt und das Dermatophon auf¬ 
gesetzt und auscultirt. Die Fingerspitze gibt ein intenses Geräusch, 
die Dorsal- und Volarfläche ein geringeres. Gleiche Resultate erhält man 
mittelst eines mit Watte gefüllten Gummihandschuhes. Jedoch darf der¬ 
selbe nicht mit Watte überfüllt werden, um die Gummimembran nicht in 
zu starke Spannung zu versetzen, da hiedurch das Geräusch bei Auscul- 


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Mcdicinisehchirtirgi-che Ruutls. liau 


tation mit dem Dermatophon sehr abgeschwäeht wird oder gänzlich 
verschwindet. 

Aus allen diesen Versuchen scheint der Schluss gerechtfertigt, dass 
weder der Capillarstroni noch die Muskelcontraction zur Erzeugung der 
mit dem Dermatophon hörbaren Geräusche beitragen. Hingegen scheint 
die Elasticität sowohl lebender als auch todter Gewebe am Zustande¬ 
kommen dieser Geräusche nicht unbetheiligt zu sein. 

Cebrigens enthält sich Verfasser einer positiven Aussage, da dessen 
Versuche noch nicht abgeschlossen sind. P. von Rokitansky. 

266. Untersuchungen über mehrere Erscheinungen am Circu- 
lations- und Respirationsapparate (Herzbewegung, Blutbewegung in 
der Aorta und Radialis, Stimmfremitus, Vesiculärathmen etc.), ange- 
stellt an einer Fissura sterni congenita. Von Dr. Franz P e n z o l d t, 
Oberarzte der medic. Poliklinik und Privatdocenten in Erlangen. (Deutsches 
Archiv f. klin. Medicin. 24. Bd. 6. lieft.) 

Versuche, welche P. nach den oben genannten Richtungen an einem 
bereits von anderen Forschern beobachteten und auch beschriebenen Falle 
anstellte, ergaben Folgendes: Im oberen Abschnitte des Raumes befindet 
sich die Trachea; der in der Spalte pulsirende Körper entspricht der 
aufsteigenden Aorta. Im Stehen ist der pulsirende Körper viel kürzer, 
seine obere Grenze niedriger. Während der Systole bewegt sich der 
Aortenbogen nach abwärts. 

Bei der Inspiration besteht Pulsbeschleunigung, bei der Exspiration 
Pulsverlangsamung; letztere beginnt schon vor dem Anfang der Exspi¬ 
ration und überdauert den Schluss derselben um etwas. 

Durch massigen Druck auf das freiliegende Aortenstück wird eine 
deutliche Frequenzzunahme der Herzschläge von 63—66 auf 69—72 
hervorgerufen. Gleichzeitig bildet sich rasch eine vollkommene Dicrotie 
des Radialpulses aus, welche beim Nachlassen des Druckes verschwindet. 

Direct auf der exspiratorisch in der Spalte vorgedrängten Lunge 
waren hei dem Individuum die Stimmvibrationen sehr deutlich schwächer, 
als auf den die Spalte begrenzenden Thoraxabschnitteu. P. sehliesst 
daraus, dass die Schwingungen der Stimmbänder beim Intoniren sich nicht 
nur auf dem Wege der Bronchial Verzweigungen, sondern ganz besonders 
auch auf dem Wege der Knochenleitung nach dem Thorax hin verbreiten 
müssen. A. Jeil inek. 

267. Ueber das Wesen der sogen, spontanen Nabelblutnngen 
der Neugeborenen. Von Dr. M. Weiss in Prag. (Aus einem Vortrage, 
gehalten im deutschen Vereine. Prag, März 1879.) 

Die spontane Nabelblutung ist in den Praxis eine seltene Erscheinung. 
Unter 3—4000 Neugeborenen kaum ein Fall. Im New-Yorker Gebärhause 
unter 6654 Neugeborenen ein Fall. Auffallend sind sehr häufig Nabel¬ 
blutungen im Prager Findelhause. Im Jahre 1875 kamen unter 742 Find¬ 
lingen 31 Fälle von Blutungen vor. Ueber das Wesen dieser Blutung 
herrscht noch grosse Verwirrung. Einige halten sie für eine Erkrankung 
der Nabelgefässe, Andere eine temporäre oder transitorische hämorrhagische 
Diathese als Ursache, Andere wieder als Symptom anderer Krankheit, 
was sie wirklich ist; und Dr. Weiss versucht durch objective Erörterung 
allen krankhaften Zustände bei dieser Blutung die Pathogenese lind das 
Wesen des Leidens auf ihre wahre Bedeutung zurückzuführen. Vcrf. fuhrt 
fünf Fälle an. 


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Medicinisck-ehirargiäche Rundschau. 


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1. Fall Uneheliches Kind, nicht ganz reif, schwach, habe nie geschrieen, 
achlafsüchtig. Am 2. Tage faulige Nabelschnur, Abfall derselben, Blutung und am 
selben Tage Tod. 

Der Sectionshefund wies eine interstitielle Leberentzündung, Obliteratiou 
zahlreicher Interlobularvenen, Lungenatectase. Die Untersuchung der Mutter ergab 
eine hochgradige syphilitische Affection. Die Nabelblutung war also syphilitischen 
Ursprunges. 

2 . Fall. Ein Jahr später das zweite Kind derselben Mutter. Das Kind kam 
asphyctisch zur Welt. Am zweiten Tage Blutung in der Umgebung de« Nabels. 
Nach Abfall desselben bei fortgesetzter Blutung starb es am dritten Tage. 

Section: Gumma in der linken Lunge, adhäsive Peritonitis. Aus der Pro¬ 
venienz des Kindes erfolgt die Diagnose: hereditäre Syphilis. In Folge gehinderter 
Respiration und Circnlation Rhexis der Capillaren, die in Folge Syphilis wenig de- 
generirt und wenig widerstandsfähig waren. 

3. Fall. Die Mutter erkrankte an Variola prodromea. Am dritten Tage er¬ 
folgte die Geburt, die Mutter starb an Verblutung wegen verzögerter Expulsion 
der Nachgeburt. Das Kind wurde gesäugt von einem befreundeten Weibe. Am 
dritten Tage zeigten sich Ecchymosen, livide Bläschen. Schleimhäute den Rachens 
und der Wangen zeigten Purpurflecken, blutige Stühle, der Strangrest fiel ab, ca- 
pillare Blatang am Nabel, Tod durch Collapsus. 

Diagnose : Variola haemorrhagica. Verf. kennt Fälle, wo der Fötus den ganzen 
Pi ocess der Variola introuterinär durchmacht, ohne dass die Matter miterkranfct. 

4- Fall. Eine gesunde Mutter gebar unter ganz normalen Verhältnissen ein 
Mädchen. Ohne s chtbare Veranlassung wurde Jas Kind eine halbe Stunde nach 
der Geburt asphyctisch und starb nach 3 Tagen an Cunvulsionen in Folge un¬ 
unterbrochener asphyctischer Anfälle. Am zweiten Tage zeigte sich Icterus. Per¬ 
cussionsschall war kurz, AthmungBgeräusche kaum wahrnehmbar. Am dritten Tage 
Blutung aus der Nabelschnur unbedeutend, die bis zum am selben Tage erfolgten 
Tode kaum einen Löffel betrug. Section nicht gestattet. Verf. fand drei Symptome, 
die auf acute Fettentartung der Neugeborenen fcchliessen lassen, und zwar As¬ 
phyxie, Icterus und Blutung. Doch bleibt dies nur eine Vermuthung, da anato¬ 
mische Nachweise fehlen. 

5. Fall. Eine Nabelblutung am 14 Tage nach der Geburt; Mutter sonst gesund, 
war während der Schwangerschaft deprimirenden Gemüthsbewegungen ausgesetzt 
und herabgekommen. Das Kind bekam durch eine Amme schlechte Nahrung, Am¬ 
me nwecbsel. Am 9. Tage Pemphigus exanthem. 14. Tag Blutungen d»*r Nabel¬ 
schnur, Blutung des Zahnfleisches durch eine kleine Verletzung mit dem Löffel. 
In Folge hochgradiger Schwäche Athmungsinsufficienz, Cyanose, Oedcm der Ex¬ 
tremität. 

Cur : Mit trockener styptischer (Ferr sesqu.) Baumwolle war le die Nabelfalte 
ausgestopft, neue Lagen styptischer Wolle, hierauf entfettete Baumwolle, dann eine 
Korkscheibe und darüber ein Heftpflasterverband. Ein zweiter Verband noch und 
nach 10 Tagen vollendete Heilung. Hebung der Kräfte durch gnte Amme und Me- 
dicatiou. Das Kind genas. Beim zweiten Verbände wurde statt des Heftpflasters 
ein breites Gottaperchaband benützt. Fall 5 ist das reiuste Bild einer mechani¬ 
schen Nabelblutung durch Athmungsinsnfficienz. 

Causale Momente. Klima und Race haben keinen Einfluss; die Ur¬ 
sachen sind unter allen Graden gleich. Jahreszeiten: Von April bis Juni 
sind die sanitären Verhältnisse am ungünstigsten. «— Aeussere hygienische 
Verhältnisse: Findelhäuser liefern massenhafte Blutungen durch die un¬ 
günstigen Verhältnisse (Herde von Septicämie und anderen Infectionskrank- 
heiten). Privatpraxis liefert sehr wenige Fälle. Geschlecht: Bei Knaben 
häufiger als bei Mädchen (55.30°/ 0 , 44.30’/o)- Ger Zustand der Mutter 
in der Schwangerschaft in Beziehung zur Nahelhlutung: Mangel, Ent¬ 
behrung, deprimirte Gefühle, Dyspepsie, heftiges Erbrechen, Scrophulose, 
Carcinome etc. sind Ursache, dass die Kinder klein und marastisch zur 
Welt kommeu, daher am meisten zur Blutung disponiren. 

Nebenkinder, die der Nahrung von der Mutter entbehren. Die Mus- 
keleontraction wird energielos, die Dilatation des Thorax geringer, das 
Athnien oberflächlich insufficient, die Folge davon Atelectasie und Störungen 
in den Lungen und Störungen der Peripherie, daher Rhexis der Capilla- 
ren. Oh die Arteriitis umbilicalis eine Ursache der Blutung ist, bleibt 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


problematisch. Kinder bluten bei gesunden Gefössen, bei kranken sehr 
oft nicht. 

Unter allgemeinen Erkrankungen der Frucht stehen obenan die In- 
fectionskrankheiten Septicämie-, Puerperalkrankbeit der Neugeborenen, 
Pyämie. Der Zusammenhang der Blutung und Infectionskrankheit wurde 
dadurch sichergestellt, dass eine Stunde nach dem Tode die Capillaren 
der Gewebe innerhalb des Extravasates mit Bacterien verstopft waren. 

Die Möglichkeit, dass auch typhöse Erkrankungen die Ursachen der 
Blutung abgeben, besteht. Auch die Variola haemorrhagica kann hierher 
gezählt werden. 

An die infectiösen Processe schliessen sich gleichfalls Krankheiten, 
wahrscheinlich auch infectiöser Natur, so die acute Fettentartung der Neuge¬ 
borenen. Die constatirten Fälle kommen bis jetzt nur in Entbindungs¬ 
anstalten vor. Sie wurde schon 1861 als selbstständiger Erkrankungs- 
process aufgestellt ; man fand sie bei der sogenannten „Lähme“ der zu 
Grunde gegangenen neugeborenen Schafe der Merinoherden Norddeutsch- 
lands und bei jungen Schweinen der kleinen englischen Race, mit ihren 
tiefen perniciösen Störungen. Auch wurde eine Analogie zwischen acuter 
Leberatrophie und dieser Krankheit aufgestellt. 

Neu in einer geringen Zahl von Fällen wird die Syphilis cong. als 
Ursache der Blutung angeführt. Neuester Zeit fand Schulz jnn. bei einem 
7 Monate alten Fötus a / 4 Stunde nach dem Tode (Mutter syphilitisch) 
bedeutende Entartungen der arteriellen Gefässwände der Haut und der 
meisten inneren Organe, und in der Nachbarschaft der entarteten Ge- 
fässe in ihren Wandungen hämorrhagische Heerde. Die Capillaren der 
Neugeborenen sind zarter, daher um so leichter ihre Beratung. 

Mechanische Ursachen: In 2 Fällen erfolgte Nabelblutung durch 
Strangulation und Zuhaltung der Nase und des Mundes der Neugeborenen, 
von der unnatürlichen Mutter zugefügt. Verfasser hat an jungen Hunden 
experimentirt, und hat bei langsamer Strangulation Nabelblutung erzielt. 
Durch Schreien entstehen Nabelblutungen. 

Weitere Ursachen der Störungen sind: Offenbleiben des Foramen 
ovale, und Ductus Botalli, und extrauterinär die erworbenen pathologischen 
Processe: Atelectase der Lunge, Lungenkatarrhe, Lungenödeme, Ent¬ 
zündungen, Compressionen durch Exsudate und Tumoren der Lunge. Per- 
acute Athmungsinsufficienzen durch Krampf der Respirationsmuskel, Te¬ 
tanus, Eclampsie. Schliesslich Kreislaufsstörungen in der Leber; durch 
interstitielle Entzündung oder Venenthrombose. 

Icterus ist auch dann Ursache der Blutung, wenn er mit infectiösen 
Krankheitsprocessen einhergeht und dieselben Grundkrankheiten, die 
Blutungen veranlassen, auch den Icterus in Erscheinung bringen. 

Weitere Ursache ist Haemophilia congenita. 

Eintheilung in Gruppen: 1. Blutungen nach Infectionskrankheiten, 
(septischer und infectiöser Art wie oben); 2. nach hereditärer Syphilis, Om- 
phalo-haemorrhagia syphil.; 3. mechanische Blutungen ; 4. Haemophilia, die 
primär in Folge hämorrhagischer Diathese auftritt im Gegensätze zu der 
symptomatischen, der secundären; bei letzterer nur dann, wenn die ur¬ 
sprüngliche Krankheit temporär oder transitorisch ist. Nach Abfall des 
Nabelstianges bleibt eine schmälere oder breitere Narbe zurück. Die Ueber- 
häutung ist mit dem 10.—20. Tage vollendet. Bis zur vollständigen 
Ueberhäutung bleibt die Narbe ohne Epidermis, daher die häufigen Rup¬ 
turen der Capillaren, die an sich sehr zart, bei Krankheiten oft degenirirt 
sind. Auch Haut und Schleimhaut bluten bei den geringsten Verletzungen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Bis zur vollständigen Ueberhäutung (15 Tage durchschnittlich) blutet meist 
nur der Nabel. Bei infectiösen Nabelblutungen gelangen die Schystomy- 
ceten von der Nabel wunde aus in die Blutbahn, verstopfen massenhaft 
die Capillaren und veranlassen durch locale Kreislaufsstörung die Blutung 
an dieser Stelle. 

Bild und Verlauf: Die Blutung entsteht bei adhärentem Strang¬ 
reste, auch nach Abfall desselben. Bei ersterem sieht man an der De- 
marcationslinie Bluttropfen, die confluiren und herabfliessen; beim zweiten 
Falle sieht man Tropfen an der Nabel wunde, die gleichzeitig in continuo 
abtröpfeln. Beim Schreien, Pressen etc. der Kinder tritt das Blut stoss- 
weise hervor, wie aus einem zusammengedrückten Schwamm, bei Blutungen 
aus Nabelgefässen in feinem Strahle. Die Blutung ist fast immer paren¬ 
chymatös. Nabelgefössblutungen sind selten, und zwar nur bei gehinderter 
Blutcirculation, bei Lebereyrrhose, durch Verstopfung der V. cava asc. 
und bei Strangulationen. Blutungen aus Nabelarterien sind nicht wahr¬ 
scheinlich. 

Farbe des Blutes bald hell bald dunkelroth. Die Gerinnfähigkeit nur 
bei mechanischen Blutungen und bei Bluterkindern. Dauer der Blutung 
Stunden auch mehrere Tage. Blutung sistirt selten spontan. Terminale 
Convulsionen beschliessen den letalen Ausgang. 

Prognose ist nur günstig bei der 3. Gruppe, wenn die Circulations- 
störuugen vorübergehender Natur sind, und bei der 4. Gruppe. Unverweilte 
manuelle lvunstbilfe kann Rettung bringen. Bei Gruppe 1 und 2 ist eine 
ungünstige Prognose wegen der schweren Allgemeinerkrankung. 

Therapie: Bei Frauen, die schon einen Nabelbluter geboren haben, 
ist eine stärkende Behandlung, sowie Vermeidung aller Gemüthsaffecte 
notliwendig, bei luetischen Schwangeren eine antiluetische Behandlung. 
In Gebär- und Findelanstalten bei jedem Neugeborenen eine antiseptische 
Einpackung des Nabels zu empfehlen. Die manuelle Hilfe bei Blutungen 
besteht in der Anwendung trockener styptischer Mittel (Charpiebaumwolle 
in Ferr. sesq. liqu. getaucht, getrocknet und die Bandage mit der Kork- 
platte und Guttapercha Fatsche). Nach gelungener Blutstillung entsprechend 
diätetische und medicaraentöse Behandlung. V. Fink. 

268. Die Tuberculose vom Standpunkt der Infectionslehre. Von 
Prof. J. Cohn heim. (Facultätsprogramm. Leipzig 1879. — Centralbl. 
f. d. med. Wissensch. 1880. Nr. 11. Ref. C. Friedländer.) 

Den wichtigsten Fortschritt in der Lehre der Tuberculose brachte 
die V i 11 e m i n’sclie Entdeckung der Uebertragbarkeit dieser Krankheit. 
Obgleich lange Zeit hindurch (auch von C. selbst) angezweifelt, ist diese 
That8ache jetzt als eine vollständig gesicherte zu betrachten, besonders 
durch folgende Untersuchungen von Verf. und Salomonsen: Wird 
einem Kaninchön ein kleinstes Stück tuberculöser Substanz durch eine 
lineare Corneawunde in die vordere Kammer eingebracht, so entsteht nach 
Verlauf einer etwa 3 wöchentlichen Incubationszeit auf der Iris eine 
Eruption kleinster Knötchen, welche bis zu einer gewissen Grösse wachsen, 
dann verkäsen, und in den meisten Fällen kommt dann im Laufe von 
Monaten eine mehr oder minder generalisirte Tuberkelentwicklung über 
Lungen, Peritoneum und die verschiedensten Organe zu Stande. Von 
grosser Bedeutung ist nun, dass dieser Erfolg regelmässig eintritt, und 
zwar nur dann, wenn in der That tuberculöse Substanz zur Impfung ver¬ 
wendet worden ist. Man kann demnach Ueberimpfbarkeit als diagnostisches 
Kriterium für tuberculöse Producte benutzen, was um so wichtiger ist, 


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Mediciuisch-chirurgische Randschau. 


da die anatomisch-morphologischen Charaktere der Tuberculose durchaus 
nicht für alle Fälle ausreichen 7 um diese Affection von syphilitischen 
Producten einerseits, andererseits von anderen nicht specifischen , einfach 
chronisch-irritativen Zuständen mit Sicherheit zu unterscheiden. Weder 
die Knötchenform, noch die histologische Structur, das Vorkommen der 
Riesenzcll^n, noch die Verkäsung, noch alle diese Momente zusammen 
sind absolut charakteristisch, das einzige vollkommen sichere Kriterium ist 
die Infectiosität. 

Geht man von dieser Vorstellung über die Kriterien der Tuberculose 
aus, so muss man die käsige Pneumonie, die sogenannten scrophulösen 
Lymphdrtisenverkäsungen ebenso, wie die fungöse Gelenkentzündung (in 
den meisten Fällen) der Tuberculose zurechnen, während einfache Gewebe, 
sowie Lupusgewebe nicht ttberimpfbar, also nicht tuberculös sind. Als 
Träger der Infectösität sind parasitäre, specifisch£ Organismen anzunehmen, 
welche freilich bis jetzt noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden 
können. 

Bei Weitem am häufigsten gelangt das tuberculose Virus durch die 
Athmungsluft in den Organismus; so entsteht zunächst die Tuberculose 
der Lungen, der sich dann Tuberculose der Pleuren, der Bronchialdrüsen 
und der grossen Luftwege anschliessen (in seltenen Fällen entsteht auch 
primär die Affection im Kehlkopf); weiterhin wird das Virus durch die 
Sputa sehr oft auch in den Verdauungsapparat fibergeftthrt. Daraus 
entsteht dann das classische, so überaus häufige Bild der Lungen Darm¬ 
schwindsucht. Andererseits gelangt das Gift oft auch direct in den Ver¬ 
dauungscanal, am häufigsten bei Kindern, und zwar wohl durch den 
Genuss der Milch perlsüchtiger Kühe; es entsteht dann das Bild der 
Phthisis meseraica; wahrscheinlich sind auch die sogenanuten scrophu¬ 
lösen Entzündungen der Mund- und Rachenhöhle, sowie die verkäsenden 
Anschwellungen der Halslymphdrüsen auf diesem Wege entstanden. Nach 
einer von Weigert herrührenden Darstellung kaim denn auch die tuber- 
eulöse Meningitis in gewissen Fällen durch eine Einwanderung des tuber- 
culösen Virus von der oberen Nasenhöhle her zu Stande kommen. Die 
Urogenitaltuberculose ist in der Regel als eine Ausscheidungskrankheit 
anzusehen; das tuberculöse Virus wird, wie andere corpusculäre Elemente, 
jedenfalls in den Glomerulis aus dem Blute in die Harnwege hineingelangeu 
und kann dort den präformirten Canälen entlang seine Wirkungen eut- 
falten. In den Fällen von primärer Knochen- und Gelenktuberculose, 
die meist auf traumatische Anlässe zurückgeführt werden köunen, ist an¬ 
zunehmen , dass das Gift im Blute bereits vorhanden war und unter dem 
Einflüsse des Traumas an der betreffenden Stelle in grösserer Menge 
extravasirt wurde. 

Für die grosse Schnelligkeit und allgemeine Verbreitung des Processes 
in den Fällen der acuten, generalisirten Tuberculose muss eine besonders 
reichliche Ueberschwemmung der Säftemasse mit tuberculösem Virus an¬ 
genommen werden; durch die anatomischen Befunde der Tuberculose des 
Ductus tboracicus, sowie der Lungenvenen in derartigen Fällen wird diese 
Deutung sehr wahrscheinlich Im Gegensatz zu diesen gibt es bekanntlich 
viele Fälle von sogenannter localer Tuberculose, in denen die Affection 
auf eine bestimmte Localität begrenzt gefunden wird. Indessen liegt hier 
eine principielle Differenz nicht vor; entweder ist die locale Beschränkung 
nur die Folge der kurzen Dauer der Erkrankung (Localtuberculose der 
Greise), oder aber, wo sie in der That schon längere Zeit besteht, ist 
sie allerdings im Fortschreiten, wenn auch im langsamem Fortscbreiteu 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


333 


begriffen. Auf der andern Seite ist es auch ganz sicher, dass die Tuber- 
culose ausheilen kann; dass die sogenannte locale Tuberculose im Wesent¬ 
lichen nichts eigentümliches darstellt, geht vor Allem aus der Thatsache 
hervor, dass ihre Producte ebenso wie die der allgemeinen Tuberculose 
Überimpfbar sind. Das Verhältnis der localen zur allgemeinen Tuber¬ 
culose ist etwa ähnlich aufzufassen, wie dasjenige zwischen einem Schanker 
und der constitutionellen Syphilis: ein Schanker, ob weich oder hart, 
kann eine Allgemeininfection des Körpers zur Folge haben, muss es aber 
nicht; ebenso verhält es sich bei der localen Tuberculose. Uebrigeus 
sind auch für die Infection mit Tuberculose individuelle Differenzen je 
nach der Constitution zuzulassen; auch bei der experimentellen Erzeugung 
der Tuberculose zeigen sich Verschiedenheiten hinsichtlich der Ausdehnung 
und der Art der Verbreitung des Processes. Was aber den phthisischen 
Habitus betrifft, so hat derselbe nichts mit der Empfänglichkeit für 
Tuberculose zu thun, er ist ein Product dieser Krankheit; die betreffenden 
Individuen sind bereits tuberculös, und zwar meist durch Heredität. Das 
tuberculose Virus kann in die Zeugungsproducte, Samen und Ei, über¬ 
gehen, cs ist dann bereits in dem neugeborenen Kinde vorhanden, kommt 
indessen oft erst nach vieljährigem Latenzstadium zum „Ausbruch“, ähnlich 
wie die angeborene Syphilis, bei der aber das Latenzstadium kürzer zu 
seiu pflegt. Während dieses Latenzstadiums beeinflusst nun das im Körper 
vorhandene tuberculöse Virus die Entwickelung desselben derartig, dass 
der phthisische Habitus daraus entsteht. Es kommt demnach bei der Tuber¬ 
culose Alles auf das Virus an; eine Prädisposition für die Tuberculose 
muss zurückgewiesen werden. Wir finden in allen Punkten die grössten 
Analogien zwischen Tuberculose und Syphilis; dazu gehört vor Allem 
auch die Ansteckungsfähigkeit der Tuberculose, die Uebertragung der 
Krankheit von Person zu Person. 


269. Ueber einen Fall von Hirntumor. Von Wernike (Berlin). 
(Deutsche med. Wochenschrift 1880, 8, 9. Erlenmeyer's Ctrbl. f. Nerven¬ 
heilkunde. HI. 7.) 


Eine 19jährige, bisher gesunde Dame, aus einer mässig scrophulösen 
Familie, von einem vor 30 Jahren an constitutioneller Syphilis erkrankten 
Vater stammend, erkrankt Mitte Juni 1879 unter schweren Allgemein¬ 
erscheinungen : Kopfschmerz (Stirn- und Augengegend, Hinterkopf) Uebel- 
keit, Erbrechen, grosses Schwächegefühl. Dabei Temperatur bis 38*8. 
Anfangs konnte sie noch gehen trotz leichten Schwindels, später wurde 
das Gehen ohne Unterstützung unmöglich. Schon etwas vor diesem Zeit¬ 
punkte hatte sich eine leichte Parese des rechten Abducens eingestellt, 
die auch objectiv in dem Schielen des rechten Auges bemerkbar war. 
Nach der Erschwerung des Ganges stellte sich ein subjectives Ge¬ 
räusch im Ohr ein, welches die Pat. als das Piepen eines Vogels bezeich- 
nete. Spontane Urinentleerung unmöglich. Ende Juli: tonische, sehr 
schmerzhafte Spannung der Lenden- und Rückenmusculatur. Beine waren 
willkürlich beweglich, bei passiver Beugung mässige Steifigkeit der Knie¬ 
gelenke. Gesichtsausdruck apathisch und stupide, Sprache nicht verändert 
Heftiger Stirnkopfschmerz. An Gesicht und Extremitäten keine Lähmung, 
Zunge wird gerade vorgestreckt. Sensibilität intact; Waden auf Druck 
schmerzhaft. An den Augen wird constatirt totale Lähmung des rechten 
Abducens und Parese (mit Nystagmusbewegungen) des linken Rectus 
internus. Doppelseitige Stauungspapille, links fortgeschrittener als rechts. 
Sehvermögen gut erhalten. Obstipation, Appetit gering, Puls klein 86—90. 


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Medicinisch-chirarpische Rundschau 


3:*4 

Die genannten Erscheinungen steigerten und complicirten sich. Der linke 
Rectus internus wurde total gelähmt; der linke Abducens begann sich 
an der Lähmung zu betheiligen. Es entstand eine geringe jedoch deutliche 
Parese des rechten Mundfacialis, Abschwäehung des Händedrucks rechts; 
Zunge weicht nach links (!) ab. Die Parese des linken Abducens nimmt 
zu, der rechte Rectus internus wird ebenfalls gelähmt: alle seitliche Be¬ 
wegung hat aufgehört, nur die Blickbahn nach oben und unten ist frei: 
(Lähmung der associirten Seitwärtsbewegungen). 

Medication: Jodkalium, zuerst 2, dann, als es gut vertragen wurde, 
rasch steigernd, bis zu 6 Gramm täglich. Im Ganzen hat die Pat. 
850 Gramm, also fast 1 ? / 4 Pfd. Jodkalium in der Zeit vom 26. Juli 
bis 12. December genommen. (In 139 Tagen 850 Gramm, macht genau 
6*1 Gramm täglich. Ref.) Von Mitte August an tritt die Besserung ein, 
Patientin wurde vollständig hergestellt. Die Herderscheinungen gehen in 
umgekehrter Reihenfolge, wie sie entstanden sind, zurück: zuerst bessert 
sich die Lähmung des linken Abducens und rechten Rectus internus, 
dann die des linken Rectus internus, zuletzt die des rechten Abducens. 
Auch die Allgemeinerscheinungen verlieren sich, ebenso die Stauungs¬ 
papillen; nur Spuren der Hemiplegie bleiben zurück. 

Verfasser diagnosticirte einen Tumor des Pons in der Nähe des 
Abducenskernes (Raum zwischen diesem und der Mittellinie in den 
hinteren Brückenabtheilung), in welcher Localität er ein doppelseitig vor¬ 
handenes Centrum für die associirten Augenbewegungen supponirt; das 
linke für die Seitwärtsbewegungen nach links, das rechte für die nach 
reicht». Der Tumor ist von rechts nach links gewachsen und hat in dieser 
Richtung die Mittellinie überschritten ; in umgekehrter Richtung hat er 
sich zurückgebildet. Zur Erklärung der hemiplegischen Erscheinungen 
wird angenommen, dass ein Fortsatz des Tumors die linke Pyramidenbahn 
beeinträchtigt hat, also bis in die vordere Brtickenabtheilung vorgedrungen 
sein muss. Der Tumor scheint ein gummöser gewesen zu sein. 

270. Die acute Peritonitis des späteren Kindesalters. Von Dr. 
Richard Pott in Halle a. S. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, XIV. Bd 2. u. 
3. Heft. Pest. med. chir. Presse 1880. 3.) 

P. theilt 6 Fälle von acuter Peritonitis bei Kindern im Alter von 
2—6 Jahren mit (bezüglich der Krankengeschichten verweisen wir auf 
das Original) und begleitet dieselben mit Bemerkungen, die das Bild 
dieser bei Kindern seltenen Krankheitsform in ein klares Licht stellen. 
Die Peritonitis tritt primär in Folge eines directen Traumas auf — hieher 
zählt P. auch die Perforationsperitonitis — dann als Peritonitis „rheu- 
matica“. Im Zusammenhang mit Allgemeinerkrankungen namentlich 
pyämischen Zuständen, Erysipelas, Variola, Tuberculose, Scarlatina, 
Typhus etc. kommt die secundäre Peritonitis zur Beobachtung. Die 
seltenen Fälle von Perforationsperitonitis ausgenommen, die unter dem 
typischen Bilde eines ganz acuten Collapses aufltreten, ist weder der Be¬ 
ginn, noch der Verlauf der Krankheit ein rapider. Die von P. beobach¬ 
teten Kinder erkrankten unter heftigen Fiebererscheinungen mit Erbrechen 
(nicht constant), wurden unruhig, ihr Gesichtsausdruck ängstlich, sie 
suchten mit den Händen jede Berührung von sich abzuwehren, namentlich 
am 3., 4. Tage, an welchem der Schmerz am intensivsten zu sein scheint. 
P. fand gewöhnlich die rechte Darmbeingegend am empfindlichsten. Hat 
sich der Schmerz über den ganzen Unterleib verbreitet und kommt es 
zur Exsudatbildung, so lässt der Schmerz nach, wenn das Höhenniveau 

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Mediciuisch-chirorgische Rundschau. 


335 


des Exsudates ein eonstantes geworden ist; doch treten zeitweise Exacer¬ 
bationen ein. In zwei Fällen, in denen es zum Spontandurchbruch nach 
aussen kam, bestand circumscripte Empfindlichkeit und Röthung der 
Bauchdecken. Die Kinder hielten ohne Ausnahme die Rückenlage mit im 
Hflft- und Kniegelenk fleetirten Extremitäten ein. Der Respirationstypus 
ein fast ausschliesslich costalcr, die Respiration in Folge der Schmerzen 
und des Hochstands des Zwerchfells frequent, oberflächlich. In 4 Fällen, 
die zur Section kamen, fand P. die Lungen normal. Die Form des 
Leibes verliert ihre Kugel- oder Ovoidgestalt kaum vor Ablauf der 
3. Woche, eher später; es beginnen sich nunmehr wurstförmige Erhe¬ 
bungen abzugrenzen, das Exsudat dickt sich mehr und mehr ein, die 
Abkapselung beginnt. Nun hört auch die Schmerzhaftigkeit auf, das Fieber 
lässt nach. Man hat es nun mit einem Bauchempyem zu thun, das even¬ 
tuell auf operativem Wege geheilt werden soll. In einem Falle, wo es 
zum Spontandurchbrueh des Eiters kam, schwand ein solches abgesacktes 
Exsudat im Laufe einer Nacht. In anderen Fällen kommt es zu einem 
Pyopueumoabdomen durch spontane Gasentwicklung, wodurch die Form 
des Unterleibs wieder eine mehr kugelige werden kann. Die Feststellung 
des Exsudats durch die Percussion ist mit grossen Schwierigkeiten ver¬ 
bunden. Die Schmerzhaftigkeit, die Contraction der Bauchmuskeln, die 
oft sehr intensive Auftreibung der Gedärme sind Hindernisse, die zur 
Ausführung einer genügenden physikalischen Untersuchung eventuell die 
Narcose des Kindes erfordern. Oft schon sehr beträchtliche Exsudate ent¬ 
ziehen sich in der Rückenlage des Kindes unserer Kenntniss. Bei 4 Fällen mit 
chronischem Verlauf konnte P. Exsudat erst am Ende der ersten Woche 
nackweisen; bei zweien begann die Dämpfung in der Ileocöcalgegend, in einem 
Falle stieg sie von der Symphyse nach dem Nabel zu allmälig aufwärts. 
Bei grossen eitrigen freien Exsudaten in der Bauchhöhle bildet die obere 
Dämpfungsgrenze in der Rückenlage eine vollkommen horizontale Linie. 
Fieber ist constant vorhanden; die Temperatur erreicht oder überschreitet 
im Beginn oft 40°, die Exacerbationen fallen meist in die späten Nach¬ 
mittagsstunden. In einem Falle blieb die Temperatur trotz erfolgter 
Perforation und Entleerung des Eiters auf 39*2°, 14 Tage später traten 
vorübergehend fieberfreie Tage ein. Ein Temperaturfall unter die Norm 
hat P. nicht beobachtet. Die Beschaffenheit des Pulses ist eine wechselnde 
und bietet ftir die Diagnose keine Anhaltspunkte. Dass Erbrechen kein 
eonstantes Symptom ist, wurde bereits erwähnt; nur in 2 Fällen begann 
die Erkrankung mit Erbrechen $ auch im spätem Verlauf erbrachen 
die Kinder nur selten. Langdauernde Verstopfung beobachtete P. in 
keinem seiner Fälle; es bestanden im Gegentheil, namentlich gegen Ende 
der Erkrankung, äusserst heftige Diarrhoen. Zweimal traten gegen Ende 
der Krankheit Beschwerden beim Uriniren ein. Der Ausgang war in 
5 Fällen ein tödtlicher; die kürzeste Krankheitsdauer betrug 13 Stunden, 
die längste 13 Wochen. Der Tod erfolgte bei den acuten Fällen in Folge 
allgemeiner Schwäche. Betreffs der Therapie glaubt P. der operativen 
Behandlung der Bauchempyeme, natürlich unter antiseptischen Cautelen, 
das Wort reden zu müssen. 


271. Ueber einen wahrscheinlich auf einer Neurose des Vagus 
beruhenden Symptomencomplex. Von Rosenbach. (Deutsch, med. 
Wochenschr. 1879. 42 u. 43. St. Peterb. med. Wochenschr. 1880. 6.) 


Der zu beschreibende Symptomencomplex ist nach Verf. bisher noch 
nicht als etwas Einheitliches literarisch gewürdigt worden, doch ist er 


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336 


Medicinisch chirurgische Rundschau. 


überzeugt, dass derselbe häufig bereits beobachtet worden ist und Vielen 
das Krankheitsbild bekannt erscheinen wird. R. hat das Leiden nur bei 
Männern beobachtet; der Beginn datirt immer vom Ende des 3. oder 
Anfang des 4. Decenniums. Das erste Symptom geht anscheinend von 
Seiten des Respirations- oder Circulationsapparats aus — starkes Oppressions- 
gefühl, Gefühl von unsäglicher Angst, starker Luftmangel — bisweilen 
von starkem Herzklopfen begleitet — Wogen und Pulsiren in der Herz¬ 
gegend, das Herz hört entweder ganz auf zu schlagen oder macht einige 
‘ unregelmässige Schläge. Plötzliches Auftreten dieser Anfälle häufig zura 
ersten Mal am Abend oder am frühen Morgen nach dem Aufstehen. 

Weitere Klagen: gewisse Schwächegefühl, trübe Stimmung, leichter 
Druck im Epigastrium. Bei ausgeprägten Anfällen starke, objectiv wahr¬ 
nehmbare Pulsation in der Oberbauchgegend — Aorta abdominalis deut¬ 
lich palpirbar. Erscheinungen von Seiten des Verdauungsapparates gering. 
Zunge selten belegt, keine Appetitverminderung, Aufstossen, Pyrosis fehlen. 
Abdomen druckempfindlich, Untersuchung mit Magensonde ergibt nichts. 
Häufig ausgeprägter Heisshunger. Längste Dauer der Anfälle 2— 3 Tage, 
gewöhnlich dauern sie 12—18 Stunden, und enden mit sichtlicher sub- 
jectiver Erleichterung. Auffallend sind blühende Gesichtsfarbe und guter 
Ernährungszustand. Bei langer Dauer geht der Zustand in atonisehe 
Verdauungsschwäche über. 

Was die Aetiologie anbetrifft, so wird jeder Anfall durch einen 
Diätfehler hervorgerufen. Nervosität begünstigt das Zustandekommen. Als 
Schädlichkeiten sind zu nennen: Pflanzensäuren, gewisse Obstarten mit 
kleinen scharfen Kernen (Erd- und Johannesbeeren), saures Brot, Alkohol¬ 
genuss, besonders saure Weine, vor allem kaltes Wasser und Fruchteis 
in grösseren Quantitäten genossen. Verf. nimmt nur zur Deutung des 
Symptomencomplexes an, dass es sich um eine reflectorische Vagusreizung, 
bedingt durch eine schädliche Einwirkung auf seine Magensäfte, handelte. 

In differential-diagnostischer Beziehung könnten in Frage kommen: 
Dyspepsie., dyspeptische Arhythmie, Gastralgie, Catarrh. Gastr. acut, et 
chron., nervöse Dyspepsie. Die Prognose ist im Ganzen günstig. Regu¬ 
lirung der Diät ist das wichtigste therapeutische Moment. Für wesentlich 
hält auch Verf. die Beruhigung der Patienten, dass es sich nicht um 
ein Herzleiden handle. 

272. Zur Pathologie und Therapie des Keuchhustens. Von 
T o e p 1 i t z (Breslau). (Bresl. Aerztl. Zeitschr. 1880. 3. Allg. med. Ctrl. 
Ztg. 1880. 18, 19.) 

In dem von Geh.-Rath Häser begründeten, jetzt von Verf. ge¬ 
leiteten Ambulatorium sind seit der Eröffnung (1867) in Summa 10.922 
Kinder behandelt worden; von diesen litten 547 (= 5 Perc.) an Keuch¬ 
husten, 48 von ihnen sind letal verlaufen. 

Die Betheiligung des Keuchhustens an der Gesammtmorbidität 
variirte ganz erheblich, von 1*5 Perc. (1871) bis 13 Perc. (1869). Der 
Durchschnitt betrug 5 Perc. 

Die viel ventilirte Frage über den Zusammenhang der Tussis con¬ 
vulsiva mit den acuten Exanthemen, insbesondere mit den Masern, kann 
Verf. für Breslau nicht von der Hand weisen: Auf die kleine Epidemie 
1868 folgte (nach J acobi’s „Beiträge zur Klimatologie der Stadt Breslau 14 
von 1863—1879) jedesmal ein erhebliches Ansteigen der Keuchhusten¬ 
fülle, während der Masern-Epidemie von 1873, sowie einer augenblicklich 
herrschenden (seit December 1879) eine Zunahme des Keuchhustens 


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Mediciniscb-chimrgische Rundscl ax 


337 


vorhergegangen ist. Dasselbe spricht sich auch in den Krankenzahlen von 
Verf.’s Poliklinik ans, wo die Verhältnisszahlen der gesummten Jahre 
erhebliche Vermehrung der Tussis convulsiva anzeigen. Mit Scharlach ist 
kein Zusammenhang zu eonstatiren. 

Was die ganz neuerdings von Pott (Jahrb. für Kinderheilkunde 
XIV. Bd., 4. Heft) betonte Beziehung zur Meningitis tuberculosa be¬ 
trifft , so ist dieselbe nach Verf. eine ganz zweifellose, indess fehlt in 
den statistischen Berichten für Breslau die Diagnose: Meningitis tnber- 
culosa, so dass eine Zusammenstellung nicht möglich war. 

Hinsichtlich der einzelnen Monate und Jahreszeiteu ergibt sich 
für Breslau eine ganze bedeutende Prävalenz des Keuchhustens in den 
Sommer- und Herbstmonaten; am höchsten ist der Juli (resp. August), 
am niedrigsten der December (resp. Juni) betheilt. Das zweite Halbjahr 
weist fast zwei Drittel aller Fälle auf. 

J a c o b i führt (1. c.) an, dass sich hierin der Keuchhusten gänzlich 
von den eigentlichen Respirationskrankheiten unterscheidet und gerade 
durch eine besonders hohe Temperatur begünstigt zu werden scheint, 
während Regenmenge und vorherrschende Windrichtung absolut keinen 
Einfluss erkennen lassen. — Nahezu dieselben Zahlen findet Unruh 
(Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. XII) für Dresden, Hauner für München, 
Hagenbach für Basel; im Gegensatz hierzu fällt nach Hirsch die 
Mehrzahl der Fälle auf Winter und Frühjahr; dasselbe fand Voit für 
Würzburg. 

Nach Alter und Geschlecht vertheilen sich Verf.’s Fälle wie folgt: 
Für das erste Lebensjahr 28*3 Perc., für das zweite 27*0 Perc., 
für die ersten 5 Jahre 89*1 Perc. aller Fälle, jenseits des 11. Jahre 
ist nur ein Fall beobachtet. Dieses Ueberwiegen der ersten 2 Lebensjahre 
ist nach Verf. aber (wenigstens zum grossen Theile) nur ein scheinbares, 
wenn man bedenkt, dass die Morbidität für dieses Alter überhaupt eine 
weit grössere ist, sowie dass andererseits der Keuchhusten grösserer 
Kinder (ebenso wie Masern, Varicellen etc.) bei Weitem in der Mehrzahl 
der Fälle ohne ärztliche Behandlung bleibt. 

Dem Geschlecht nach finden sich, wie gewöhnlich, weit mehr 
Mädchen (59 Perc.) als Knaben; die Mortalität zeigt kaum einen 
Unterschied. 

Die Todesfälle (48 oder 8*7 Perc.) betrafen vorwiegend die früheste 
Lebenszeit, es fielen auf das erste Lebensjahr 41*7 Perc., auf das 
zweite Lebensjahr 48*0 Perc. In den Mortalitäts-Berichten fllr Breslau 
(Jahresberichte von Grätzer und Veröffentl. des Statist. Bureaus) fällt 
das Verhältnis mehr zu Ungunsten des ersten Lebensjahres aus (56*3 Perc.), 
während das zweite schon weit weniger (24*5 Perc.) gefährdet ist. 

Ueber die Hälfte der Kinder erlag der Complication des Keuch¬ 
hustens mit Bronchopneumonie (26 Fälle oder 54*2 Perc.). Demnächst 
finden sich als Todesursachen Morbilli 2 Mal, Convulsiones 3 Mal, Hydro- 
cephal. acut 1 Mal. 

Betreffs des allgemeinen Gesundheitszustandes ergibt sich, dass 
28 Kinder rhachitisch waren (davon starben 6); 2 Mal ist Scrophulose, 
je 1 Mal Lues hereditaria und Hydrocephalus chronicus angegeben. 

Die häufigste Complication des Keuchhustens war auch in Breslau, 
wie immer, die catarrhalische Pneumonie; sie ist beobachtet in 44 
Fällen, von denen 26 tödtlich abliefen. Es standen im 1. Lebens¬ 
jahre 7 Knaben, 7 Mädchen, im 2. Lebensjahre 9 Knaben, 15 Mädchen, 
im 3. bis 5. Lebensjahre 1 Knabe, 7 Mädchen. — Auf den Charakter 


Med.-chir. Rundschau. 1880. 


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Medicinisch-chirurgiscne Rundschan. 


der Hustenanfälle bat die Pneumonie keinen constanten Einfluss, eben so 
wenig auf Zahl und Intensität derselben. — Masern traten 9 Mal im 
Verlauf des Keuchhustens auf und führten 2 Mal zum Tode; in 6 weiteren 
Fällen waren dieselben nachweislich unmittelbar vorhergegangen. — 
Endlich sind 5 Kinder mit Keuchhusten an intercurrentem Brechdurchfall 
gestorben. 

Bezüglich der therapeutischen Erfahrungen, deren Resultate bei 
dem poliklinischen Material nur in einer ganz beschränkten Anzahl 
von Fällen controlirbar sind, beschränkt sich Verf. auf eine kurze Zu¬ 
sammenstellung der in neuester Zeit mittelst der localen Therapie ge¬ 
wonnenen Resultate, weiche Therapie der heutigen Auflassung des 
Keuchhustens als Mycose der ersten Luftwege am meisten entspricht. 

Die Therapie bestand in Einblasungen von Natron salicylicum, 
Natron bicarbonicum, Acid. salicyl. purum, sowie in Inhalationen von 
Carbolsäure. 

Zu den Einblasungen verwandte Verf. den einfachen, unter ver¬ 
schiedenen Namen (Störk etc.) bekannten Insufflator mit Gummiballon, 
zur Einathmung einen kleinen Dampf-Inhalations-Apparat und eine 4perc. 
Carbolsäure-Lösung , von der 30—40 Grm. in jeder Sitzung inhalirt 
wurden; doch hielt es ziemlich schwer, die Kinder an letztere Mani¬ 
pulation zu gewöhnen. 

Mittelst 1. Insufflation von Natron salicylicum wurden behandelt 
44 Fälle, davon geheilt 19, gebessert 19, gestorben 4, ohne Erfolg 2. 

— Die Behandlungsdauer betrug 12—48 Tage, im Durchschnitt fiir 
die geheilten Fälle 23’6 Tage. Die am schnellsten geheilten (12, 14 
und 15 Tage ) bestanden seit 8 Tagen (2 Fälle) und seit 10 Wochen 
(1 Fall) und gehörten sämmtlich zu den schweren Formen der Erkrankung 
(20 bis 30 Anfälle täglich). — Unter den gebesserten (d. h. vor Ende 
der Behandlung ausgebliebenen) Fällen finden sich einige der aller¬ 
schwersten. In einem Falle fiel die Zahl der Anfälle in 24 Tagen von 65 
auf 12, in einem zweiten binnen 14 Tagen von 54 auf 12 (in 23 Stunden). 

— Ganz erfolglos (nach 7, resp. 11 Tagen) waren die Einblasungen 
in 2 Fällen. 

2. Insufflation von Natron bicarbonicum wurde angewendet in 
15 Fällen. Diese Versuche sollten nur constatiren, ob es sich vielleicht 
bei den Einblasungen um eine einfache Abstumpfung der Hyperästhesie 
der ersten Luftwege handelt, die sich dadurch kundgibt, dass der ge¬ 
ringste Anlass (Körperbewegung, Schreien, Weinen, Lachen) genügt, 
um einen typischen Anfall hervorzurufen, zumal ja auch das salicylsaure 
Natron eminent antiseptischer Eigenschaften ermangelt. Der Erfolg war 
ungünstiger, als oben; die mittlere Dauer betrug für 9 geheilte Fälle 
30 Tage. 

3. Insufflation von reiner Salicylsäure kam in 24 Fällen zur Ver¬ 

wendung. Von ihnen wurden geheilt 18, gebessert 5, erfolglos be¬ 
handelt 1. — Die mittlere Dauer betrug 25 Tage, sie schwankte 

zwischen 7 und 43. Die Dauer des Bestandes der Krankheit war auch 
hier nicht massgebend; der in 7 Tagen geheilte Fall bestand seit zehn 
Tagen, ein zweiter, eben so lange bestehender erforderte 42tägige Be¬ 
handlung. In dem einzigen erfolglosen Falle wurden die 7 Tage lang 
angewandten Einblasungen durch den Hinzutritt eiuer Pneumonie unter¬ 
brochen, welche mit Genesung endete. 

4. Inhalation von Carbolsäure liess Verf. in 5 Fällen gebrauchen. 
Die Dauer schwankte zwischen 18 und 36 Tagen, im Mittel 26 Tage. 


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Mediciniach-chirurgische Rundschau. 


33» 


Die Wirkung der localen Therapie war, mit Ausnahme der 
wenigen angeführten Fälle, eine äusseret schlagende; sowohl die Zahl 
als die Intensität der Anfälle nahm schnell ab, insbesondere schwand 
sehr schnell das lästige Erbrechen. Eine Zunahme der Anfälle während 
der Behandlung hat Verf. niemals beobachtet. In der Erwägung, dass 
die Insufliationen nur lmal täglich vorgenommen werden konnten, glaubt 
Verf. mit Sicherheit annehmen zu müssen, dass bei einem Material, wie 
es die Privatpraxis bietet, noch weit günstigere Resultate erzielt werden 
können, wenn man die Application öfter wiederholt. 

Etwaige unangenehme Ereignisse, suffocative Anfälle oder Aehn- 
liches, hat Verf. bei mehreren tausend Einblasungen niemals beobachtet. 
Die heftigen Hustenanfälle bei der Insufflation erschrecken zwar anfangs 
die Eltern, doch werden dieselben durch den schnellen Abfall in Zahl 
und Intensität der Anfälle bald mit der Behandlungsmethode ausgesöhnt. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 

273. Ueber den Heilwerth der Stickstoff-Inhalationen bei Lungen¬ 
schwindsucht. Von Dr. W. Brügelmann, Director der Curanstalt 
Inselbad. Nach einem Vortrage, gehalten in der balneolog. Section der 
Gesellschaft f. Heilkunde am 28. Februar 1880. (Allg. med. Ctrl -Ztg 
1880 , 21 . 22 .) ‘ 

B. beschränkt sich vornehmlich auf die Erörterung der Frage, ob 
man theoretisch den N-Inhalationen einen wissenschaftlichen Boden zuer¬ 
kennen kann? und worin alsdann die wirkenden Factoren liegen? 

Gute, reine atmosphärische Luft enthält bekanntlich circa 79 Per¬ 
cent N. Es leuchtet daher a priori ein, dass eine Vermehrung dieser 
79 Percent auf etwa 84 für den Menschen vollkommen irrelevant sein 
muss. Ausserdem wird der N geradeso wieder ausgeathmet, wie er ein- 
geathmet worden ist, repräsentirt also nur den Träger des 0. Es kann 
sich daher bei der Einathmung von N-reicher Luft niemals um die Ver¬ 
mehrung des N handeln, sondern lediglich um die Verminderung des 0. 
Da der 0 aber in unserem Körperhaushalt entschieden die wichtigste 
Rolle spielt, so ist es theoretisch gewiss richtig, wenn wir seiner Ver¬ 
minderung in der zu athmenden Luft eine therapeutische Wichtigkeit bei¬ 
messen. Welch’ ausserordentlichen Einfluss der 0 beispielsweise ausübt, 
kann man sehr instructiv studiren, wenn man einen Emphysematiker 
höheren Grades 0 so lange einathmen lässt, bis eine vollständige Sätti¬ 
gung seines Hämoglobins eintritt. Der Kranke hat dann oft bis zu einer 
Minute lang kein Athembedürfniss und fühlt in diesem Augenblicke seinen 
quälenden permanenten Bluthunger nicht. Wenn daher eine Vermehrung 
des 0 eine so bedeutende Wirkung zeigt, so kann die Verminderung des¬ 
selben unmöglich gleichgiltig sein. 

Um aber den eventuellen therapeutischen Werth einer solchen 0-Ver¬ 
minderung in der atmosphärischen Luft kennen zu lernen, hält es B. 
für zweckmässig, zu constatiren, welche Wirkungen die Einathmung so 
präparirter, modifleirter oder rareficirter Luft darbietet. 

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Medicinisch-chirorgische Randschau. 


Unter den hier zu berücksichtigenden Krankheiten nennt Br. zu¬ 
nächst die Reizzustände der Lunge, welche im Verlaufe der Phthise 
namentlich mit Hämoptoe Vorkommen. In diesen Fällen werden bekannt¬ 
lich Morphium, Chloral etc. ohne jeden Nutzen gereicht, so dass der den 
Kranken quälende Husten durch dieselben nicht gemildert wird. Br. sieht 
den Grund hiefür darin, dass die Luft, welche diese Kranken permanedt 
athmen, für die entzündete Bronchialsehleimhaut bedeutend zu hart, zu 
reizend wirkt. Wenn nun das theoretische Raisonnement von der rarefi- 
cirten Luft sich bewahrheiten sollte, so liege auf der Hand, dass gerade 
in diesen Fällen die Verordnung rareficirter Luft indicirt sein müsste. 
Und in der That bestätigte die praktische Beobachtung diese Theorie. 

Gerade durch diesen letzten Umstand hat sich Br. veranlasst ge¬ 
sehen , obwohl er anfangs der Sache wenig Glauben schenkte, derselben 
näher zu treten und die N-Inhalationen in erweiterter und praktischerer 
Form vermittelst einer Dampfpumpe im „Inselbad“ in Betrieb zu setzen. 

Ausserdem hat er aber auch bei bedeutenden Eiterungen höchst 
beachtenswerthe Erfolge von den N-Inhalationen beobachtet. Hervorzuheben 
ist aber, dass die betreffenden Kranken fast ausnahmslos schon nach 
wenigen Minuten zum Husten angeregt werden, wodurch sie ungewöhn¬ 
lich viel expectoriren, während erst, nachdem sie sich gleichsam ausge¬ 
hustet haben, eine behagliche Ruhe und eine sichtbare Euphorie sich 
kundgibt. Hiefür glanbt Br. die Erklärung darin suchen zu müssen, dass 
dadurch, dass gerade recht oberflächlich athmende Kranken gezwungen 
werden, behufs Einathmung des ihnen nöthigen Quantums 0 tiefere Athem- 
züge zu machen, der vorhandene Eiter und Schleim in Bewegung kommen 
und die Bronchialwände erregen. 

Nicht so leicht erklärlich ist nach Br. die Wirkung der N-Inhala- 
tionen bei Pleuritis und den älteren Residuen derselben. 

Auch hier kann Br. nur wieder die durch die N-Inhalationen stunden¬ 
lang, aber in schonendster Weise erzwungenen tieferen Athemzüge anfüliren, 
welche die Resorption pleuritischer Exsudate besonders begünstigen und 
die Verwachsungen mechanisch lockern. 

So sieht er sich denn veranlasst, diese drei Krankheitszustände: die 
stark erethische Bronchialschleimhaut mit besonderer Neigung zu Hämoptoö, 
die eitrige Bronchopneumonie und die Pleuritis als diejenigen Fälle anzu¬ 
sehen, welche nach seinen Beobachtungen die Hauptindicationen zur Be¬ 
handlung mit rareficirter Luft abgeben, und hält er sich angesichts solcher 
in die Augen springender Erfolge an N-Inhalationen verpflichtet, denselben 
einen therapeutischen Werth beizulegen und ihnen eine wissenschaft¬ 
liche Bedeutung einzuräumen. 

Im Anschluss hieran knüpft Br. eine Erörterung der bei Phthise 
zur Anwendung kommenden hauptsächlichsten methodischen Verordnungen 
des Höhenklimas und des Südens. 

Er weist darauf hin, wie in beiden Klimaten ganz vorzügliche Re¬ 
sultate erzielt werden, trotzdem bei oberflächlicher Betrachtung die Wir¬ 
kungsweise beider eine völlig entgegengesetzte zu sein scheint. 

Ueber die Wirkung des Höhenklimas gehen die Ansichten heute 
noch weit auseinander, indem die Einen den Werth desselben nur in der 
dünneren Beschaffenheit der Luft suchen, während die Anderen auch hier 
ausdrücklich den Mangel an 0 in der Höhenluft betont wissen wollen. 
Zu den Letzteren zählt sich auch Br., indem er der Ansicht ist, dass im 
Höhenklima doch wohl ein ganz ähnlicher Vorgang zu constatiren sei, 
als bei der Einathmung sauerstoffarmer Luft. Die Kranken würden auch 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


341 


da gezwungen, permanent — und darauf legt Br. ein grosses Gewicht — 
tiefer zu atbmen, um ihr O-Bedürfniss zu befriedigen, können das aber 
auch, weil die Luft bedeutend reizloser ist, als die im Thal. Auf diese 
Weise üben sie eine permanente Lungengymnastik, deren eminenter Werth 
für solche Kranke wohl kaum noch bestritten wird. 

Für schwieriger hält Br. die Beantwortung der Frage, worauf der 
Süden seine Ansprüche auf eine besondere Heilwirkung bei der Phthise 
gründet? 

Dass das wärmere Klima als solches nicht der allein wirksame 
Factor sein kann, ergebe sich daraus, dass in den nördlichen Breitegraden 
weit weniger Phthise vorkommt, als im Süden, so dass es überhaupt noch 
gar nicht feststeht, ob sich nicht Phthisiker mit Vortheil in jene Breite¬ 
grade translociren lassen würden. Dass das mildere Klima im Gegen¬ 
satz zu dem unseren manchen katarrhalisch bedingten Nachschub der 
Krankheit fernzubalten vermag, gibt Br. zwar zu, doch hält er diesen 
günstigen Umstand durchaus nicht für den hauptsächlichen Heilfactor des 
südlichen Klimas. Ausserdem stehe fest, dass, je kälter die Luft, desto 
comprimirter und O-reicher sie ist und umgekehrt, je wärmer, um so 
dünner und O-ärmer; und darin sucht Br. auch hier wieder die Haupt¬ 
wirkung des Südens: Der Kranke athmet wärmere und O-ärmere Luft 
ein, als in unseren Breitegraden, er wird dort ebenso gezwungen, tiefer 
zu athmen, um sein O-Bedürfniss auszugleichen, somit übt er auch hier 
wieder eine permanente Lungengymnastik. — Beim Höhenklima nimmt 
der Kranke durch seine tiefen Athemzüge eine möglichst reine Berg- oder 
Waldluft auf, im Süden eine mässig temperirte, dadurch schon an und 
für sich reizlosere Luft, womöglich aus Palmenhainen oder am Meer. Bei 
den Einathmungen an Br.’s Gradirwerken athmet er eine gleichmässig 
temperirte und durch die Zerstäubung des Wassers stets feuchte Luft. 

Wenn somit auch für alle — verschiedenen — Heilmethoden die 
erörterten Factoren in Betracht kommen, so glaubt Br. somit durch die 
Lungengymnastik, hervorgebracht durch die Neigung, das O-Deficit der 
umgebenden Luft durch tiefe Athemzüge auszugleichen, als das Wesent¬ 
lichste hier obenanstellen zu müssen, und zwar sieht er sich vornehmlich 
durch den Nachweis dieses einen Heilfactors — des O-Mangels — in den 
so ganz heterogenen Heilmethoden veranlasst, dieses vorläufig ftlr das 
wirklich wirksame Agens zu halten; doch verwahrt er sich ausdrücklich 
gegen die Auffassung, als wenn er in der einen oder der anderen der 
besprochenen Heilmethoden ein Specificum gegen die Phthise anerkenne, 
was schon wegen der verschiedenen Phasen der Krankheit nicht möglich 
»ei, wie er auch das Verdienst der übrigen, als unentbehrlich bezeichneten 
Hilfsmittel in der Phthisiotherapie durchaus nicht schmälern wolle. Be¬ 
züglich der Letzteren gibt er folgende Anhaltspunkte: In erster Reihe 
die richtige Diät unter permanenter ärztlicher Controle, mit Einschluss 
der Kleidung, Bewegung, Luftgenuss, Gymnastik u. s. w. Dann die 
Hydrotherapie in Gestalt von Douchen, Abreibungen und Bädern, die 
Iuhalations- und Pneumatotherapie, endlich die Quellen als ein richtiges 
Bindeglied. 0. R. 

274. Ueber die Localisation des Arsens im thieriscben Organismus 
nach Einverleibung von arseniger Säure. Von Prof. E. Ludwig. 
(Wr. Med. Bl. 1879. 48—52.) 

Die vorliegende Untersuchung schliesst sich ergänzend an den vom 
Verf. und Prof. E. Hofmann vor zwei Jahren (Wr. med. Jahrbücher 

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Medicinisch-chirnrgische Bandseil au. 


1877) publicirten Fall von „chronischer Arsenikvergiftung“ und hat 
zunächst die Erledigung der folgenden beiden Fragen zur Aufgabe: 
1. Nimmt der Knochen sowohl bei der acuten als bei der chronischen 
Arsenikintoxication erhebliche, deutlich nachweisbare Mengen von Arsen 
auf und wie lange hält er dasselbe, wenn die Arsenikgabe keine tödtliche 
war? 2. Sind die von Scolosuboff (Annales d’hygiene publ. 1867) 
veröffentlichten Angaben über die massenhafte Ansammlung des Arsens 
im Gehirn nach Arsenvergiftung wichtig? 

Die Versuche wurden theils an grossen Hunden ausgeftlhrt, welche 
bei chronischer Vergiftung Wochen hindurch täglich Ol—0*15 Gramm 
arsenige Säure ohne wesentliche Störung ihres Wohlbefindens ertrugen; die 
acuten Vergiftungen derselben wurden mit je 3 Gramm au feinmal oder 
in mehreren Dosen zu 1 Gramm ausgeftlhrt. Ausserdem wurden Organe 
von Selbstmördern untersucht, welche sich mit Arsen vergiftet haben. 

Die Untersuchung ergab in Bezug auf die erste Frage, dass sowohl 
beim Menschen als beim Hunde Arsen von den Knochen (des Schädels 
und der Extremitäten) sowohl bei acuter als bei chronischer Vergiftung, 
wenn auch nicht in sehr erheblicher, doch deutlich nachweisbarer Menge 
aufgenommen wird. Bei einem Hunde, welchem mit dem Futter Dosen 
von 0*1—0*15 Gramm Arsenik längere Zeit verabreicht wurde, gelang 
der Nachweis von Arsen in den Knochen 27 Tage lang, nachdem mit 
der Verabreichung aufgehört wurde, dagegen wurden die Knochen absolut 
arsenfrei befunden bei einem Hunde, welcher 40 Tage nach der letzten 
Darreichung von Arsenik getödtet wurde. Bemerkenswerth ist, dass die 
Leber auch im letztgenanntem Falle noch so erhebliche Mengen von 
Arsen enthielt, dass ein Viertel derselben genügte um einige sehr deut¬ 
liche Arsenspiegel daraus darzustellen. Zugleich stellt Verf. die Angabe 
Sonnenscbein’s, dass die Abscheidung des Arsens aus den Knochen 
besondere Schwierigkeiten macht und eine besondere Behandlung bedinge, 
richtig, indem er dieselbe auf Grund reichlicher Erfahrung als unbegründet 
bezeichnet. Es gelingt ebenso leicht aus dem Knochen das Arsen abzu¬ 
scheiden wie aus anderen Organen, nur dass die Zerstörung der com¬ 
pacten Phosphatmasse länger dauert als die Zerstörung eines Weichtheiles, 

Scolosuboff ist bei seinen Arbeiten über die Localisation des 
Arsens in den verschiedenen Organen (1. c.) zu dem Resultat gelangt, 
dass das Arsen in folgenden Organen der Thiere: Muskelsubstanz, Leber. 
Gehirn, Rückenmark im Verhältnisse wie 1 : 10 8 : 36*5 : 37*3 in der 
Leiche gefunden wird; es würden also nach diesem Versuche das Gehirn 
und Rückenmark nahezu 40mal so viel Arsen als ein gleiches Gewicht 
Muskel und mehr als dreimal so viel Arsen als ein gleiches Gewicht 
Leber enthalten. Die Ergebnisse sämmtliclier Versuche (s. Original) fasst 
Sc. in dem Ausspruch zusammen, dass sowohl bei der chronischen als 
auch bei der acuten Arsenikvergiftung sich im Gehirne und Rückenmark 
weitaus mehr Arsen findet als in irgend einem der übrigen Organe. 

Wäre es thatsächlich, dass das Gehirn eine Ablagerungsstätte für 
das Arsen bildet, so wäre das für den gerichtlichen Nachweis desselben 
von höchster Bedeutung, es würde genügen bei Verdacht der Arsenik¬ 
vergiftung allein das Gehirn und Rückenmark zu untersuchen, welche ja 
das meiste Arsen enthalten sollten, Ludwig ist nun durch seiue Unter¬ 
suchungen über den Arsengehalt des Gehirns und der Leber nach Ver¬ 
giftungen mit Arsen zu Resultaten gelangt, welche total verschieden 
von denen sind, die Scolosuboffnach seinen Experimenten erhielt. Aus 
der grossen Zahl von Experimenten, über welche wir auf das Original 


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Medicinisch-chirtirgische Rundschan. 


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verweisen, ergibt sich nämlich, dass sowohl bei chronischer als auch bei 
der acuten Arsenvergiftung im Gehirne nur geringe Mengen von Arsen 
sich vorfinden, während die Leber weitaus grössere Mengen davon, ent¬ 
hält. Es verhielten sich in einem Falle (Versuch VII, Hund) die Arsen¬ 
mengen in gleichen Gewichtsmengen von Gehirn, Harn und Leber ungefähr 
wie 1 : 12 : 17. 

Die Versuche an menschlichen Organen ergaben in einem Falle (13) 
das Verhalten von Arsenmengen des Gehirns, der Leber, der Niere und 
des Muskels zu einander wie 1 : 80 : 135 : 3. Verf. schliesst daher mit 
dem Ausspruche, dass ganz entgegen den Angaben Scolosuboffs 
sowohl bei der chronischen, als bei der acuten Arsenikvergiftung die 
im Gehirne vorfindlichen Arsenmengen sehr gering sind, wogegen in der 
Leber viel bedeutendere (bis 90mal so grosse) Mengen des Giftes sich 
finden. Für gerichtlich chemische Untersuchungen sind die Leber und 
(bei acuten Vergiftungen) die Nieren die geeignetesten Objecte. 

Loebisch. 

275. Vorläufige Mittheilung fiber den Gebrauch von Stiokstoff- 
oxydnl bei Melancholie und Nervenerschöpfung. Von Blake und 
Hamilton. (The New-York Med. Record No. V. 1880. Allg. Med. 
Ctrl.-Ztg. 1880. 25.) 

Auf Anrathen eines Instrumentenmachers für Zahnärzte, entschloss 
sich Blake, das Lustgas mit atmosphärischer Luft gemischt, versuchsweise 
bei Nervenschwäche anzuwenden, er wurde durch die günstigen Resultate 
dazu derart ermuntert, dass er diese Methode dem Dr. K e n e in Brooklyn 
empfahl, welcher gleichfalls damit bei Neurasthenie, Kopfschmerz und 
Schlaflosigkeit reussirte. 

Das Lustgas soll *timulireud wirken und hängt die Wirkung von 
der grösseren oder geringeren Beimischung atmosphärischer Luft ab. 
Andere Effecte, wie Anästhesie, Intoxication, Bewusstlosigkeit, müssen 
ferngehalten werden, und sobald die Finger anfangen taub zu werden, 
oder der Blick etwas verwirrt wird, muss die Einathmung aufhören. 

Die durch das Gas eintreteude Gemüthserheiterung dauert nach dem 
Aufhören noch fort, und die aus mannigfachen Verstimmungen: Heimweh, 
8orgen, häuslichen Verdriesslichkeiten hervorgegangenen Nervenstörungen 
verschwinden, machen anderen, angenehmeren Anschauungen Platz. Dieses 
Gas wirkt, ähnlich den Spirituosis, ohne nachfolgende Depression, und 
rathen Verff., die Anwendung desselben bei Delirium tremens. Ueberhaupt 
gebe es kein besseres schlafbewirkendes Mittel, als das Lustgas, wenn 
es im Laufe des Tages und nicht am Abend angewendet wird. 

In Fällen von Spinalirritation, bei Nervenerschöpfung, bei Hysterie 
ohne nachweisbares Uterinleiden, bei Melancholie wirke das Mittel wunder¬ 
voll. Bei gestörter Circulation, Stuhlverstopfung, langsamem Puls, asch¬ 
grauer Hautfarbe werde die Gesammtconstitution schnell gebessert, die 
Verdauung der Nahrungsmittel beschleunigt, die therapeutische Wirkung 
des Eisens erhöht. 

Bei sthenischen Affectionen darf nach Verff. das Mittel keine An¬ 
wendung finden; dazu sind Himcongestionen, Hyperämien bei Vollblütigen 
zu zählen, während bei Reizzuständen, Schwäche und Erschöpfung die 
besten Erfolge sich erzielen lassen. Man sehe aber stets darauf, dass 
das Gas mit reichlicher Menge atmosphärischer Luft verdünnt werde, was 
dadurch geschieht, dass man in der Nähe des Einathmungsrohrs eine 
Klappe öffne, wodurch die äussere Luft zugeftlhrt wird. Es kann täglich 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


eine gewisse Quantität von Lustgas ohne Nachtheil für die Gesundheit 
eingeathmet werden, sofern dasselbe hinreichend mit atmosphärischer Luft 
verdünnt wird. 

Verff. sind zur Zeit mit Experimenten Über die Wirksamkeit des 
Lustgases bei chronischem Wahnsinn beschäftigt und werden die Resultate 
derselben baldigst mittheilen. Vorläufig begnügen sie sich, die Collegen 
auf ein bei inneren Krankheiten anzuwendendes Mittel aufmerksam zu 
machen, das nicht minder erfolgreich wie in der Chirurgie zu werden 
verspricht. 


276. Beitrag über subcutane Chinininjectionen. Von Prof. Dr. 
H. Köbner in Berlin. (Memorab. 1880. I.) 


Die Empfehlung des von Drygin angegebenen Chinin, bimuriat 
carbo-amidatum (cfr. Rundschau 1879. S. 230.) für subcutane Injectionen 
auf Grund seiner grossen Löslichkeit veranlasst Verf. zur Mittheilung 
einiger Erfahrungen, welche er seit 10 Jahren mit subcutanen Chiniu- 
injectionen verschiedener Art gemacht habe, umsomehr, da die Meisten 
wohl ähnlich wie Liebreich annehmen, dass die subcutane Injection 
aller bis jetzt bekannten Chininverbindungen und Lösungen schmerzhaft 
und der Erfolg kein eclatanter sei. 

Verf. hat sich nach mancherlei Versuchen mit den anderen älteren 
Chininsalzen behufs Gewinnung wirksamer neutraler Lösungen an das 
durch seine relativ grössere Löslichkeit (1 Th. in 24 Th. Wasser von 19°), 
sowie durch seinen höheren Gehalt an der Base besonders vor dem Chinin¬ 
sulfat (im Verhältniss von 83*6 : 74*3) ausgezeichneten Chinin, muriaticum 
gehalten. Die Löslichkeit desselben erhöht sich bekanntlich in reinem 
Glycerin, allein trotz der prompten antitypischen Wirkung bei zwei, seit 
5 und 8 Wochen bestehenden Orbitalneuralgien, welche schon 0*08 Chinin, 
muriat. in einer 1 Grm. Wasser fassenden Pravaz’schen Spritze voll 
Glycerin hervorbrachte, war diese Flüssigkeit unpraktisch, weil sie, ab¬ 
gesehen von der durch die Quellung des Spritzenstempels etwas schwie¬ 
rigen Ausführung der Injection, doch, wie vorauszusehen, reizte und ihre 
völlige Aufsaugung (in der Schläfengegend) mehrere Tage bis eine Woche 
bedurfte. So versuchte K. weiter 0*1 Chinin, hydrochlor. in einer (kalten) 
Mischung von 0*4 Glycerin und 0*6 Aq. (also 1 : 10) und sah endlich* 
dass beim Erwärmen dieser Mischung oder, der einfacheren Berechnung 
wegen, in gleichen Theilen Wasser und Glycerin (aa 0*5) sich 0*15 bis 
0*25, also bis 1:4, vollkommen lösen und, lauwarm injicirt und mit 
dem Zeigefinger im Zellgewebe allmälig verrieben, gut vertragen werden. 

Auch nach dem Abkühlen bleibt übrigens diese, selbst bis zu l ; A 
ihres Gewichtes Chinin, muriat. enthaltende Solution noch etwa eine Viertel¬ 
stunde klar, che die reichliche Abscheidung der Krystalle beginnt, so dass 
sich die Vorsicht, jene, sobald sie lau geworden, zu injiciren, vielleicht 
als überflüssig erweisen dürfte. K. hat nun besonders bei intermittirenden 
Neuralgien durch Injectionen schon von 0*12— 0*15 Chinin, muriat. so 
rasche Heilwirkung gesehen, wie man sie bei internem Gebrauch nur 
durch hohe (0*6—1*25) Dosen und nicht ohne die dadurch bedingten, 
höchst lästigen Symptome von Cinchonismus und oft genug Status gastricns, 
erzielen kann. 

Bei Intermittenten würden sich von vornherein solche Injectionen 
von je 0*25 und nach Bedarf an 2 oder selbst 3 verschiedenen Einstich- 
steilen gleichzeitig empfehlen und nach den zahlreichen Erfahrungen, 
welche besonders englische Aerzte (z. B. P. Roberts) in den Malaria- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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gegenden Indiens mit schwefelsauren Lösungen gemacht haben, ihres Er¬ 
folges ohne abscedirende Entzündungen sicher sein. Solche beobachtete 
K. an keiner Region, nur in der Schläfengegend erforderte zuweilen eine 
leichte Anschwellung kalte Umschläge, weshalb bei ambulanten Kranken 
jene Region zu Versuchen nicht rathsam ist. Für Krankenhäuser und 
Polikliniken würde diese Methode sich bei den jetzigen Chininpreisen schon 
wegen der Kostenersparniss empfehlen und man brauchte daselbst nicht 
stets nach billigeren, aber unzuverlässigen Chininsurrogaten zu suchen. 
Für den Einzelbedarf ist es sehr rathsam, nur kleine Mengen der concen- 
trirten Mischung auf einmal zu verschreiben, da man bei längerem Stehen, 
wohl wegen Verdunstung eines Theils des spärlichen Vehikels, einige 
Tropfen Wasser vor dem Erwärmen zusetzen muss (z. B. höchstens für 
4 Injectionen: Chinin hydrochlor. 0*5 — 1*0. Olycer. et Aq. d. a a 2*0. 
Disp. sine acido). Schliesslich ftihrt K. an, dass nach mündlicher Mit¬ 
theilung des Herrn Prof. H. Jacobson eine Reihe von Injectionen der 
von anderen Seiten empfohlenen öOpercentigen Lösung von Chinin bimuriat. 
carbamidatum, die er bei mehreren Abdominaltyphen auf seiner Abtheilung 
des Berliner jüdischen Krankenhauses versuchen liess, die gehoffte anti- 
febrile Wirkung versagten. 0. R. 


277. Ueber den Werth der Milchsäure als Hypnoticum und 
Sedativum bei Geisteskranken. Von Dario Maragliano. (Rivista 
sperimentale di freniatria e di med. legale 1879. 3. Heft) 

Aus einer grösseren Reihe von Versuchen ergab sich, dass die 
Milchsäure (8—10 Gramm) und das milchsaure Natron (12—15 Gramm) 
bei ruhigen melancholischen Kranken nach 3—4 Stunden Schlaf zu er¬ 
zeugen im Stande sind *, die Wirkung tritt aber nicht ein, wenn das Mittel 
statt in den Magen per rectum eingeführt wird. Ebenso ist der Gebrauch 
der Milchsäure oder des milchsauren Natrons bei allen Aufregungszustän¬ 
den erfolglos. Da nun die genannten Mittel vor den gebräuchlichen 
Hypnotici8 als Morphin, Cbloralhydrat, nichts voraus haben, gegen die¬ 
selben aber ausser dem beträchtlichen Preise auch die späte Wirkung und 
vor Allem die manchmal sehr beträchtlichen Störungen von Seiten des 
Verdauungstractus sprechen, so ist deren Werth in der in Rede stehenden 
Beziehung nur ein geringer. 

278. Ueber das Resorptionsvermögen granulirender Flächen. 

Von W. Hack. (Deutsche Zeitschrift für Chir. Bd. XII, Heft 3.) 

Im vorliegenden I. Theil seiner Untersuchungen über das Resorp¬ 
tionsvermögen granulirender Flächen behandelt Verf. die Frage nach ihrer 
qualitativen Seite hin und kommt zu Resultaten, die grossentheils neu 
und von grosser praktischer Bedeutung sind. Ein II. Theil soll dem¬ 
nächst des Verf. Befunde in Betreff des quantitativen Resorptionsvermögens 
granulirender Flächen bringen. Verf. verwandte zu seinen Thierversuchen 
Kaliumeisencyanür wegen seiner leichten Nachweisbarkeit im Harn und 
Pilocarpin wegen seiner deutlichen physiologischen Wirkungen. Der Effect 
trat stets schon nach einigen Minuten ein, bei älteren Wunden etwas 


später? Ferner hing die Grösse des Effectes von der Grösse der granu- 
lirenden Fläche und der Applicationsform des Mittels ab (alkoholische, 
Wässerige Lösung, Salbenform, in Substanz)? Praktisch höchst wichtig 
sind ebenso des Verf. Resultate in Betreff des Resorptionsvermögens der 
verschiedenen künstlich gefolgten Schorfe, es ergibt sich nämlich die auf¬ 
fallende Thatsache, dass 1. die Application eines Brandschorfes und eines 


frischen Höllensteinschorfes die Resorption gepulverter Substanzen steigert, 

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Medicini8ch-chirurgi8ch6 Rundschau. 


2. Aetzkali und Salpetersäure die Resorption nicht vernichten, 3. dass 
Carboisäureschorf keinen Schutz ahgab gegen eine starke Resorption der 
Carbolsäure selbst, also starke Lösungen ebenso resorbirt werden, wie 
schwache, was die von H u e t e r verbreitete Annahme widerlegt; 
endlich, dass 4. Chlorzink unter allen Aetzmitteln am besten vor Re¬ 
sorption schädlicher Stoffe schützt. Der hei offener Wundbehandlung ent¬ 
stehende Schorf schützt gut vor Resorption, auch nehmen die Granulationen 
offen behandelter Wunden wenig auf, während Granulationen, die unter 
Liste r’schem Verbände gezüchtet sind, ausserordentlich leicht und schnell 
fremde Stoffe resorbiren, also das Unterbrechen einer einmal eingeschla¬ 
genen Lister’schen Behandlung vor der definitiven Heilung doch ent¬ 
schiedene Gefahren mit sich führen kann. 

279. Die antiseptisolie Behandlung von Diphtherie, Scharlach und 
Hasem. Von Dr. Taube. (Journal für Kinderheilk. Bd. XIV. Heft 2 
und 3. Deutsch, med. Wochschr. 1880. 13. Ref. Hecker.) 

Im Anfänge seiner Arbeit weist der Verf. darauf hin, dass eine 
Unterscheidung zwischen Scharlachdiphtherie und wahrer Diphtherie sich 
nach unseren jetzigen Kenntnissen von diesen beiden Processen nur auf 
klinische Momente stützen könne, nicht aber auf pathologisch-anatomische. 
Taube betont, dass die Grösse des diphtheritischen Belages keineswegs 
proportional ist der Grösse der Infection, und dass besonders die Scharlach¬ 
diphtherie mehr zu membranlosen, ulcerösen Processen neige, als zu mem- 
branösen Belägen. Hierauf bespricht der Verf. die primären Infections- 
herde für Morbillen und Scarlatina und nennt als solche für Morbillen 
die Nasenschleirahaut, den Thränencanal und die Conjunctiva, für die 
Scarlatina aber Tonsillen und Rachen; Diphtherie, Masern und Scharlach 
bestehen, sagt Taube, aus einer fortlaufenden Reihe von localisirten, 
von einander abhängigen Eruptionen; um so stärker aber die voraus¬ 
gegangene Eruption, desto entwickelter die nachfolgende und umgekehrt. 
Es muss also eine energische Bekämpfung der allerersten Infection eine 
Abschwächung der übrigen Erscheinungen bewirken. Deshalb empfiehlt 
Verf. eine energische antiseptische Behandlung schon im Incubations- und 
Prodromalstadium, selbstverständlich auch in allen weiteren Phasen der 
Krankheit. Taube lobt vor Allem einen 3percentigen Carbolspray, 
inneren Gebrauch von grossen Chinindosen und Bäder. Bei der Diphthe- 
ritis besteht seine Behandlung: 1. In Injection einer 3percentigen Carbol- 
lösung in die Tonsillen. 2. In häufigem Ausspritzen der Nase und 
Rachenhöhle mit einer solchen Lösung. 3. In stündlich sich wieder¬ 
holenden Einspritzungen von concentrirter Boraxlösung. 4. In Darreichung 
von Chinin mit Belladonna. 5. In warmen Bädern mit kalten Ueber- 
giessungen. 6. In Pr iessnitz’schen Umschlägen um den Hals. Für 
Masern und Scarlatina gibt Taube dieselbe Therapie an, nur empfiehlt 
er noch ausserdem hier Speckeinreibungen der Haut. Als Instrumentarium 
empfiehlt Taube: 1. Einen Inhalationsapparat. 2. Den Trö 118ch’scheu 
Nasenspray. 3. Den M e r k e 1 t’schen Racheninhalationsapparat. 4. Eine 
Mandelinjectionsspritze. 5. Eine grosse Schutzbrille. 6. Einen breiten ge¬ 
bogenen Spatel. 

280. Atropin-Psychose. Von Paul Kowalewsky, Docent der 
Psychiatrie und Oberarzt des Charkoffschen Gouvernements-Landschaft^- 
Hospitals. (Allg. Zeitscbr. f. Psychiatr. 36. Band, 4. Heft. Deutsch, 
med. Wochschr. 1880. 10. Ref. Hecker.) 

Verfasser theilt die Krankengeschichte eines Mannes mit, der im 
Verlauf einer Augencur unmittelbar nach Einbringung einer die bisherige 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Dosis überschreitenden nicht namhaft gemachten Quantität von Atropin¬ 
salz in die Augen psychisch erkrankte. Patient, der in Folge früher 
erlittener Verletzung nahezu erblindet war, sah plötzlich einen starken 
Glanz um sich, erblickte sich in Mitten einer schönen Umgebung, sah 
Thiere, Vögel, viel Volks, ungewöhnliche Bäume, Gräser. Alles das 
brüllte, lärmte, schrie und sang und befand sich in fortwährendem Wechsel 
und in Bewegung. Ueber seinen Körper krochen allerlei Insecten. Alle 
diese Erscheinungen entzückten ihn einerseits bis zur vollständigen Ekstase, 
andererseits ängstigten sie ihn so, dass er nicht wagte, sich von seinem 
Platze zu rühren. In seinen meist sparsamen Mittheilungen zeigte sich 
die eigenthümliche Neigung, seine Hallucinationen als die Verkörperung 
abstracter Begriffe zu deuten. Er sieht „den Baum des Lebens u als einen 
Baum von unfassbarer Grösse, auf dem alle möglichen sprechenden und 
singenden Vögel und Thiere sich bewegen, ferner „die Erkenntnis des 
Guten und Bösen“ als Vereinigung beider Geschlechter in einem Organismus, 
die „Wohlthat Gottes“ in Gestalt einer unermesslich grossen, goldenen, 
mit Brillanten, lebenden Thieren, Wurzeln und Blumen verzierten Tasse, 
die mit Wein und Süssigkeiten angefüllt ist, endlich „Hallelujah’s“ in 
Gestalt kleiner weisser Mädchen etc. — Erst mit dem 5. Krankheitstage 
stellten sich die bekannten somatischen Symptome der Atropin-Vergiftung: 
Trockenheit im Munde, Spasmus in der Gurgel ein, während der von 
Anfang an auf 96 beschleunigte Puls (fast zu geringzählig für Atropin- 
Vergiftung! Ref.) am 5. Tage schon auf 76 gesunken war. Die Tem¬ 
peratur (die bei Atropin-Vergiftung erniedrigt zu sein pflegt. Ref.) war 
stets normal. Erweiterung der Pupillen konnte bei der Verwüstung der 
Augen durch die vorausgegangene Verletzung nicht constatirt werden. — 
Unter allmäligem Verblassen aller Erscheinungen endete die Psychose 
schon am 10. Tage mit völliger Genesung. Verfasser sucht durch eine 
psychologische Analyse in das Verständnis der Krankheit einzudringen 
und fasst dieselbe als eine Atropin-Psychose sui generis auf. Er glaubt 
sich dazu berechtigt durch die im Verlaufe liegenden charakteristischen 
Besonderheiten, sowie durch die Thatsache, dass die Krankheit unter dem 
Gebrauche des Morphiums sichtlich abnahm. Zum Schluss macht K. auf 
die forensische Bedeutung dieser eigentümlichen Psychose aufmerksam. 
Seine Behauptung freilich, dass dieser Fall uns anschaulich zeige, „dass 
wir in dem Atropin ein Mittel in Händen haben, nach Willkür Psychosen 
hervorzurufen“, und dass „somit ein Verbrecher, welcher eine solche für 
ihn günstige Wirkung des Atropins kennt, im nötigen Augenblicke — 
im Momente der Besichtigung oder Prüfung — eine gehörige Dosis Atropin 
anwenden und so ein vollständiges Bild von Psychose zeigen“ könne, 
dürfte wohl in solcher Verallgemeinerung auf Widerspruch stossen. Indessen 
will Referent, zugleich zur literarischen Vervollständigung des obigen Falles 
mit der Mitteilung einiger die Angaben des Verfassers zum Theil be¬ 
stätigenden Beobachtungen, wie sie Fried reich in seinem Handbuche 
der allgemeinen Pathologie der psychischen Krankheiten (Erlangen 1839) 
citirt, nicht zurückhalten. Der französische Obrist Marmier verfiel in Folge 
der Dampfeinathmung einer Belladonna-Abkochung, die er eines Halsübels 
wegen gebrauchte, in einen irren Zustand. Er machte über seine Empfin¬ 
dungen während desselben eingehende Mitteilungen, in denen die folgende 
Stelle besonders bemerkenswert ist: „Dabei kam mir Alles, was ich 
sah, ausserordentlich schön vor; eine 60jährige Frau entzückte mich durch 
die Frische ihres Antlitzes; es schien mir, als ob sich die Zimmerdecke 
öffnete und eine Menge kleiner Individuen erschienen, die ich durch einen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Mechanismus in Bewegung gesetzt glaubte, worauf sich, nachdem jedes 
seine Künste gemacht hatte, die Decke wieder schloss.“ — „Ein durch 
Genuss von Belladonnaextract vergifteter Knabe, dessen Geschichte Lau¬ 
rent erzählt, geberdete sich wie ein Verrückter, er glaubte Schmetter¬ 
linge und Insecten auf seinen Kleidern, und Ratten, Mäuse, Katzen u. dgL 
die Wände hinauf kriechen zu sehen; später folgte Lustigkeit und der 
Kranke glaubte Sonnen, Feuer, Sterne, Lichter, glänzende Insecten u. dgl. 
zu erblicken.“ — Von Interesse in Bezug auf K.’s Behauptung der will¬ 
kürlichen Hervorrufung der Atropin-Psychose sind auch die weiteren An¬ 
gaben Fr iedreich’s, dass die Visionen der Hexen dadurch hervorgerufen 
wurden, dass dieselben ihren Körper mit einer aus Bärenmutzkraut be¬ 
stehenden Hexensalbe einrieben, wonach sie in Betäubung und Ekstase 
verfielen. Unter dem Namen „Bärenmutzkraut“ fand man aber im Garten 
des Klosters zu Würzburg, dessen Aebtissin Renate erst gegen Ende des 
vorigen Jahrhunderts als Hexe verbrannt wurde, eine Pflanze angebaut, 
welche Renate theils innerlich, theils äusserlich als Salbe gebraucht hatte. 
Der damalige Würzburger Professor S i e b o 1 d sen. untersuchte diese Pflanze 
und fand, dass es Belladonna war. 


281. Zur Wirkung der Carbolsäure. Von Dr. Burk mann. 
(Deutsche med. Wochenschrift Nr. 2, 1880.) 


Einem Patienten, der sich seit circa 2 Jahren (wegen Neuralgien) 
oft Morphium-Injectionen unter die Haut der Arme machte, widerfuhr es 
mehrmals (circa 15 Mal), dass er in Venen injicirte. Dies ergab sich 
aus Folgendem: Erstens: reichlichere Blutung; ferner Gefühl starker 
Hitze im Kopfe; im ganzen Körper (anscheinend im Verlauf der Venen 
ausstrahlend) Brennen und stechende Empfindungen, endlich, jedesmal nur 
nach diesen Erscheinungen, binnen 5, 6 Stunden heftiger Schüttelfrost, 
erhöhte Temperatur (bis 40°) und ergiebiger Schweiss. 

Pat. wurde allmälig die regelmässige Aufeinanderfolge dieser Er¬ 
scheinungen gewahr und bat Verf., dem Froste vorzubeugen. 

Anfangs stand Letzterer demselben ohnmächtig gegenüber. Eines 
Tages indess, der antiphlogistischen Wirkung der Carbolsäure eingedenk, 
erhoffte er von ihr auch eine antifebrile Wirkung oder vielmehr eine dem 
Fieber vorbeugende; er versah sich, sofort nach einer solchen Unheilvollen 
Injection des Patienten gerufen, mit einer 4percentigen wässerigen Carbol- 
lösung und injicirte — etwa 20 Minuten nach der Injection des Mor¬ 
phiums in die Vene — dicht oberhalb der ersten Injectionsstelle und 
dicht an der Vene (Med. basilica) langsam 2 Pravaz voll unter die Haut 
Der Erfolg war ein sehr befriedigender. Pat. bekam das gewohnte Fieber 
nicht; nur fühlte er sich am andern Tage so matt, als sei es dagewesen. 
Später injicirte Verf. ihm nochmals, aber nur 1 Va Spritze, mit demselben 
Erfolge; und Pat. selbst hat sich, bei noch zweimaliger Injection in die 
Vene, unmittelbar nach derselben wiederum Carboi injicirt und das 
Mittel wirksam gefunden: auch das Mattigkeit gefühl am anderen Tage 
blieb aus. 

Verf. hatte bis jetzt noch nicht Gelegenheit, diese Injectionen gegen 
die pyämischen etc. Fröste zu versuchen. Er hält es aber wohl für 
möglich, dass sie auch gegen diese, entweder in die unmittelbare Nähe 
von Wunden, resp. Eiterherden oder (bei Unwirksamkeit dieser Methode) 
in eine Vene selbst applicirt, wirksam sind. Die Injectionen des Mor¬ 
phiums in die Venen hatten keine bleibenden Nachtheile: die Carbolsäure 
dürfte nach Verf. umsoweniger schaden. 


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Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


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232. Ueber die Wirkung der Benzoesäure bei der rheumatischen 
Polyarthritis. Von Prof. Senator (Berlin). (Zeitschr. 1. kliu. Med., 
2. Heft, 1879.) 

Zur Anwendung der Benzoesäure bei Rheumathritis hat Verf. sich 
einerseits durch die bekannte chemische Verwandtschaft der Benzoesäure 
mit der Salicylsäure (nach Salkowski übertrifft sie die letztere sogar 
iu ihrer Wirkung auf Fäulniss- und G äh rungs-Vorgänge), andererseits 
durch die Erfahrung veranlasst gesehen, dass die Salicylsäure in ein¬ 
zelnen Fällen gar nicht oder schlecht vertragen wird und zuweilen selbst 
im Stiche lässt. — Verf.s diesbezügliche Versuche beziehen sich auf 
4b Fälle, und zwar zog er in denselben, nachdem er sich bald von 
der Unwirksamkeit kleinerer Dosen überzeugt hatte, grössere täg¬ 
liche Dosen (10 — 12 Grm. der reinen Säure als Pulver in Oblaten 
oder Capsein, oder 12—15 Grm. des — nach Verf. vorzuziehenden — 
Natronsalzes) Natron benzoicum, in 10—löperc. Lösung in aromatischem 
Wasser mit oder ohne Zuckerzusatz in Anwendung. 

Verf.’s Casuistik umfasst 3 Gruppen: a) die Fälle, welche nur mit 
Benzoesäure behandelt wurden, b) die Fälle, in denen er erst Salicyl- 
saure und dann Benzoösäure anwandte, c) die Fälle, in denen sich Benzoö- 
säure als unzulänglich erwies, so dass zur Salicylsäure übergegangen 
werden musste. 

Verf. kam zu dem Resultate, dass die Benzoesäure gleichfalls 
einen grossen Werth als Specificum gegen acuten Gelenkrheumatismus 
habe, jedoch in Bezug auf Sicherheit und Schnelligkeit der Wirkung 
der Salicylsäure nachstehe. Von 22 Fällen einer acuten Rheumathritis 
heilten 21, vom Beginne der Behandlung mit Benzoesäure an gerechnet, 
innerhalb 2—7 Tagen; ein Fall, in welchem die Erkrankung schon 
längere Zeit bestanden hatte, erst in 11 Tagen; alle also innerhalb 
eines Zeitraumes, welcher gegenüber der gewöhnlichen, ohne speci- 
fisches Eingreifen verfliessenden Krankheitsdauer sehr gering, doch 
länger ist, als der bei Salicylsäurebehandlung beobachtete. Ebenso 
tritt die Wirkung der letzteren von vornherein mit grösserer Exactheit, 
bei der Benzoösäure nur allmälig ein. Von Wichtigkeit ist, dass beim 
Gebrauch der Benzoösäure keinerlei Symptome von Reizung irgend eines 
Organs, insbesondere nicht der Magen- und Darmschleirahaut vorkamen, 
wie es auch der Neigung zu Rückfällen und Complicationen, besonders 
von Seiten des Herzens, mehr als die Salicylsäurebehandlung vorzubeugen 
scheint. Complicationen und Recidive kamen in Verf.’s Fällen gar nicht 
vor. Der Urin erhielt sofort nach Einverleibung der Benzoösäure stark 
reducirende Eigenschaften. — Hervorzuheben ist noch, dass der Preis 
der Benzoösäure niedriger ist, wie der der Salicylsäure. 


283. Ueber Bromkali-Missbrauch. Von Dr. Fritz Kloepfel. 
Nach einem Vortrag, gehalten in der Gesellschaft praktischer Aerzte zu 
Riga am 19. December 1879. (8t. Peterb. med. Wochenschr. 1880. 7. 8.). 

Unter den mannigfachen Arzneimitteln, mit denen uns in den letzten 
Jahrzehnten die chemischen Laboratorien beschenkt, nimmt das Brom¬ 
kalium eine hervorragende Stelle ein. Von Balard entdeckt, war das 
Mittel besonders in England lange Zeit bereits in sehr grossen Dosen en 
vogue, bevor auf Brown-Sequard’s, Vulpian’s, Voisin’s u. A. 
Empfehlung Romberg in Deutschland das Bromkali gegen Epilepsie 
und verschiedene Neurosen einbürgerte. In wenigen Jahren ist seine 
Anwendung immer weiter gewachsen; und gegenwärtig gibt es kein 



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Medicinisch-chinirgische Rundschau 


anderes Arzneimittel, das in gleicher Weise allgemein als ziemlich harm¬ 
los angesehen , so oft und vielseitig verordnet wird. Einen Epileptiker, 
der noch nicht Brorakali eingenommen, gibt es heutzutage kaum — und 
welchen Ruf das Mittel als Nervinum und Sedativum geniesst, lässt sich 
aus der Beobachtung schliessen, dass sehr selten ein bereits ärztlich 
behandelter Patient einer Anstalt oder einer psychiatrischen Consultation 
zugeführt wird, der nicht schon gründlich Bromkali geschluckt. 

Ein grosser Theil der bezüglichen Literatur beschäftigt sich mit 
der Frage, welcher Bestandteil des Mittels der eigentlich wirksame sei. 
Die Einen sprechen dem Brom überhaupt jegliche Wirkung ab und ver¬ 
treten die Ansicht, dass bei der Wirkung des Bromkali auf den mensch¬ 
lichen Körper nur die Eigenschaften des Kalium in Betracht zu ziehen 
seien, während die Anderen gerade dem Brom einen entscheidenden Ein¬ 
fluss zuschrieben. 

Die physiologische Wirkung des Bromkali findet sich in der dritten 
Auflage der Arzneimittellehre von Nothnagel und Rossbach, in 
folgender Weise resumirt: „Die ganz eigenthümliche Einwirkung auf 
Gehirn- und Rückenmark, auf die Reflexerregbarkeit von Seite der 
Gaumennerven, sowie die Hautausschläge, kann man jetzt mit Sicherheit 
einzig auf den Bromcomponenten beziehen; dagegen mögen die Erschei¬ 
nungen im Gebiet des Kreislaufs der Athmung, der Körperwärme fast 
oder ganz Kaliwirkung sein. Da letztere hauptsächlich nach sehr grossen 
Dosen in den gewöhnlich doch nur Stunden dauernden Thierversuchen 
hervortreten, die Gehirnerscheinungen bei Thieren nicht Gegenstand der 
Forschung sein können, so erklärt es sich, weshalb die meisten Thier¬ 
experimentatoren für die reine Kaliwirkung eingenommen sind, während 
die Kliniker, die mehr die Erscheinungen bei längerem Gebrauch studiren, 
mit Recht an der Bromwirkung festhalten. Die jüngsten Versuche von 
Krosz an Menschen lassen an letzterer Auffassung alle Zweifel schwinden, 
und sprechen dagegen, dass die grosse Menge Brom, die im Bromkalium 
(ca. 67"/o Brom gegen 33°/ 0 Kalium) enthalten ist, ohne alle Einwirkung 
den Thierkörper passiren könne. 

Von den Schicksalen des Bromkalium im Organismus ist zunächst 
bekannt, dass demselben die heftig irritirenden Wirkungen des freien 
Brom auf die thierischen Gewebe vollständig abgehen. Bromkalium¬ 
lösungen werden sehr schnell von allen Schleimhäuten resorbirt und zwar 
wahrscheinlich unzersetzt; wenigstens verspürt man an den Schleimhäuten 
des Mundes, Schlundes und Magens nichts, was auf ein Freiwerden des 
Bromatoms gedeutet werden kann; auch zersetzt sich nach Binz das 
Bromkalium unter dem Einfluss von Säuren viel schwerer als z. B. die 
gleiche Jodverbindung. Nach Bill bildet sich bei Berührung mit dem 
Chlornatrium des Körpers Chlorkalium, das dann in dem Urin in 
grösserer Menge erscheint, und Bromnatrium, welches längere Zeit im 
Körper zurtickgehalten wird. 

Ob innerhalb des Blutes und in den Geweben das Bromatom 
vorübergehend frei wird, halten Nothnagel und Rossbach für noch 
nicht entschieden, aber für wahrscheinlich. An ein Alkali gebunden findet 
man letzteres hauptsächlich in Ilarn und Speichel wieder ; nach V o i s i n, 
Bowditsch u. A. werden Bromsalze auch durch die Milchdrüsen, fast 
alle Schleimhäute und auch die Haut ausgeschieden und erst auf der 
Oberfläche gespalten (daher Husten, Conjunctivitis, Hautausschläge). 

Die Ausscheidung beginnt schon 1 / i Stunde nach dem Einnehmen 
und dauert viele Tage au. Den von Nothnagel und Rossbach 


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Medicinisch-chirurgische Rundschan. 


351 


geleugneten Bromgeruch in der Ausathmungsluft hat K. mehrmals wahr¬ 
zunehmen Gelegenheit gehabt. Von der intacten Haut wird das Brom¬ 
kalium weder empfunden noch resorbirt. Unter die Haut oder in die 
Urethra gespritzt, bewirkt es bei stärkeren Concentrationen heftige 
Schmerzen mit nachfolgender Entzündung. Ausser dem scharfsalzigen 
Geschmack verspürt man bei der Einverleibung zweckmässig verdünnter 
Gaben keine weiteren örtlichen Gefühle, als Wärme im Magen. Magen¬ 
katarrhe oder Appetitstörungen verneinen die citirten Autoren auch bei 
längerem Gebrauch für gewöhnlich, während dieselben von mir öfters 
constatirt wurden; nach Darreichung stärkerer Lösungen entsteht heftiges 
Brennen im Munde und Epigastrium, starkes Aufstossen, selbst Erbrechen 
und Durchfall. 

Die im Beginn vermehrte Speichelsecretion ist jedenfalls eine reflec- 
toriscbe und durch die Reizung der Mundschleimhaut bedingte, wie bei 
allen starkschmeckenden Substanzen. Später tritt umgekehrt Abnahme der 
Speichelsecretion und Trockenheit des Schlundes ein. 

Gleichzeitig mit dem von K. wiederholt beobachteten, ganz speci- 
fischen Bromfoetor ex ore war gewöhnlich ein schwieriger Zungenbelag, 
bei Jahre lang fortgesetzten energischen Gaben Lockerung des Zahn¬ 
fleisches und der Zähne, und bei einer enormen Zahnsteinbildung allmäliges 
Ausfallen der Zähne zu constatiren. K. gebraucht gegen diese Folge¬ 
erscheinungen jetzt die Vorsicht, das Mittel stets in einem Glase Zucker¬ 
wasser zu verordnen, und bei Beginn der Bromkalibehandlung eine mög¬ 
lichst sorgfältige Reinigung der Zähne und der Mundhöhle nach jeglicher 
Mahlzeit anzuempfehlen und zu überwachen. 

Von der Allgemeinwirkung des Mittels fasst K. zunächst die Gehirn¬ 
erscheinungen bei einem Gesunden nach einer mittleren Gabe von 5 bis 
10 Grra. zusammen. 

Dieselben bestehen zuerst in Stirnkopfschmerz und einem dumpfen 
drückenden Gefühl, dabei wird das Sensorium benommen, und diese 
Benommenheit bleibt auch nach dem gewöhnlichen Schwinden des Kopf¬ 
schmerzes meist den ganzen Tag bestehen. Bei Steigerung der Dosen 
treten hinzu Abnahme des Gedächtnisses, erschwerte, schleppende, lang¬ 
same Sprache; auch schon nach kleineren Gaben tritt Ermüdung und 
Abspannung ein; und bei nervöser Ueberreiztheit durch angestrengtes 
geistiges Arbeiten kann nach den genannten Autoren durch 3*5 Grm. 
Bromkali eine höchst angenehme Ruhe bewirkt werden. 

Hinsichtlich der schlafmachenden Wirkung des Mittels gehen die 
Angaben und Beobachtungen auseinander. K. hat nach Versuchen an 
sich selbst im Wesentlichen die Krosz’schen Angaben bestätigt gefunden, 
dass nach jenen mittleren Doseu keine narkotische Schlafwirkung eintritt, 
sondern „eine eigenthümliche zum Schlaf einladende Ruhe, ein angenehmes 
Abgestumpftsein gegen alle äusseren Eindrücke, eine Verminderung der 
Reflexexaltationen des Gehirns, so dass man Ereignisse und Erscheinungen, 
die sonst zu lebhafter Erregung und Reaction veranlassen würden, unbe¬ 
achtet an sich vorübergehen lässt u . 

Lebhaftere Körperbewegungen, Baden, Essen und Trinken sind zwar 
im Stande, die Wirkung des Bromkali auf Herz und Temperatur, nicht 
aber auf Ermüdung aufzuheben. 

Alle die Erscheinungen sind auch nach Bromnatrium beobachtet 
worden und daher als reine Bromwirkung anzusehen; bei Controlver¬ 
suchen mit Chlorkalium fehlen sie gänzlich.* Ob sie die Folge einer 
directen Affection der Hirnzellen durch das Brom oder einer Aenderung 


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352 Medicioisch-chirurgische Rundschau. 

der Blutfülle, etwa einer künstlichen Anämie des Gehirns sind, lassen 
Nothnagel und Rossbach noch ganz unentschieden, trotz der Ver¬ 
suche von Sokolowski, welcher bei trepanirten Thieren stets eine Ver¬ 
engerung der Gehirngefässe beobachtet haben will. 

Von weiteren centralen Einwirkungen nach Gaben von 5—10 
Gramm werden noch hervorgehoben: 1. die Herabsetzung und Auf¬ 
hebung der Reizbarkeit der Zungenwurzel, des Gaumensegels, des 
Rachens und des Kehldeckels, so dass auf Kitzeln dieser Gebilde keinerlei 
Reaction mehr auftritt und ausser dem ßromkali keine weiteren Vorbe¬ 
reitungen zu Operationen von Kehlkopfpolypen nöthig zu sein pflegen, 
2. dieselbe Erscheinung nach Steigerung der Dosis auf 15 Grm. an allen 
übrigen Schleimhäuten: z. B. die der Harnröhre und der Scheide; ja 
selbst die Horn- und Bindehaut der Augen soll ganz unempfindlich 
werden, und 3. die gänzliche Anästhesirung der äusseren Haut. Auf 
dieser Herabsetzung der Sensibilität in Verbindung mit der Schläfrigkeit 
beruht wohl auch die nach grossen Bromkaligaben beobachtete Ver¬ 
minderung oder Aufhebung des Geschlechtstriebes. 

Die Thierexperimente von Krosz, Eulenburg und Guttmann 
haben erwiesen, dass die geschilderten Wirkungen auf Psyche und 
Reflexaction bedingt sind durch eine Beeinträchtigung der Leitung zwischen 
den sensiblen Nerven des Gehirns und des verlängerten Marks einerseits 
und den motorischen Elementen und den psychischen Centren der Gross¬ 
hirnhemisphären andererseits. Hieraus ergibt sich auch die Aufhebung 
oder Verhinderung der tetanischen Strychnin Wirkung durch das Brom¬ 
kalium. Die durch das Mittel bewirkte Lähmung des gesaramten Nerven¬ 
systems ist eine vom Centrum allmälig gegen die Peripheren vor¬ 
schreitende: zur Lähmung der peripheren Empfindungs- und Bewegungs¬ 
nerven, sowie der quergestreiften Körpermuskeln ist bedeutend mehr 
Bromkali und Zeit nöthig. Die Athmung wird übereinstimmend von allen 
Forschern als verlangsamt beobachtet. Durch grosse Gaben wird die 
Herzthätigkeit verlangsamt und geschwächt, der Blutdruck erniedrigt; 
2—6 Stunden nach Einverleibung des Mittels tritt das Maximum dieser 
Kreislaufsveränderungen und des damit verbundenen Temperaturabfalls 
(nach Krosz auf eine Gabe von 10 Gramm um 1-2° C.). 

Nach den Thierversuchen kommt die Einwirkung auf das Herz 
nicht durch Reizung der Herzhemmungsnerven, sondern wie beim Kalium 
durch eine lähmende Einwirkung auf die Herznerven und -Muskeln zu 
Stande; das durch Todesgaben zum diastolischen Stillstand gebrachte 
Herz kann durch örtliche starke Reize nicht mehr zu Contractionen ange¬ 
regt werden. Wie viel von dem Blutdruckabfall auf Rechnung einer 
Lähmung des vasomotorischen Centrums und der Gefässmuskeln, wie 
viel auf Rechnung der Herzschwäche zu bringen ist, weiss man nicht. 
Ueber die Harnausscheidung liegen bis jetzt nur sich widersprechende 
Angaben vor. 

Uebereinstimmend wird dagegen von verschiedenartigen Haut¬ 
erkrankungen berichtet, bald in Form eines aeneartigen Ausschlags auf 
der ganzen Körperhaut, namentlich aber des Gesichts und der Brust, 
durch Entzündung der Hautdrüsen und Hypertrophie der Papillen, bald 
in einer dem Erythema nodosum ähnlichen Form, welch* letztere durch 
Zerfall in schwerheilende, oft übelriechende Hautgeschwüre übergeht, bald 
in Urticaria, Eczem und ähnlichen Formen. 

Nach den geschilderten physiologischen Wirkungen ist es klar, dass 
ein Mittel, welches die Erregbarkeit der Ganglienzellen sowie der 


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Medicioisch chirurgische Rundschau. 


353 


peripherischen Nerven herabzusetzen im Stande ist, zunächst energisch 
gegen Epilepsie angewandt wurde, da man noch am meisten geneigt 
war, die epileptischen Anfälle auf eine Erregung des vasomotorischen 
Centruras und der motorischen Centralapparate im Pons zurückzuführen. 
Gegenwärtig scheint das festzustehen, dass wir in dem Bromkalium gegen 
wirkliche Epilepsie ein mächtiges Mittel besitzen, welches jedenfalls weit 
mehr als alle anderen Mittel leistet. Doch muss nach Brutzer’s und 
des V. Erfahrungen das Bromkalium, um bei alten Epileptikern die An¬ 
fälle zu verhüten, das tägliche Brot des Patienten werden, was bei den 
üblen Nebenwirkungen des Mittels nicht gerade angenehm und bei der 
Höhe der nöthigen Tagesgaben auch nicht billig ist. Bei jüngeren Per¬ 
sonen und überhaupt in den Fällen, wo der epileptische Anfall aus zu be¬ 
seitigenden peripheren Ursachen hervorgegangen ist, kann man sich der 
Hoffnung hingeben, dass und wenn es gelungen ist, durch Bromkalium 
die Anfälle hintanzuhalten, eine wirkliche Heilung eintritt, ohne dass der 
Kranke dauernd ein Sklave des Mittels wird. Auch bei allen Epileptikern 
fällt die Unterdrückung der Anfälle zuweilen sofort mit dem Beginn der 
Cur zusammen — was kaum bei einem anderen Mittel der Fall ist — 
allerdings sind die Anfälle auch beim Aussetzen sofort wieder da. 

Die Beobachtung, dass oftmals die geistigen Störungen der 
Epileptiker eine entschieden gleichzeitige Besserung erfahren, bestätigt 
K. nur insofern, als unruhige Epileptiker unter dem Bromkaligebrauch 
weniger gewaltthätig und ruhiger wurden. 

Corabinationen des Bromkalium mit anderen Mitteln sind vielfach 
empfohlen worden (Zinkoxyd, Conium, Cannabis indica u. A.), haben 
aber durchaus keine sicheren Resultate ergeben. Dagegen ist das Brom¬ 
kalium zu gleichen Theilen mit Bromammonium verbunden, so dass die 
Summe den angegebenen Maximaldosen entspricht, auch von K. vielfach 
erprobt und kann namentlich bei epileptischen Psychosen angelegentlich 
empfohlen werden. 

Fothergill empfiehlt das Bromkalium als Hypnoticum in allen 
Fällen, wo periphere Reize sowie namentlich Leiden der Beckenorgane 
den Schlaf verhindern, indessen ist es wohl kaum als ein directes Hypno- 
ticum anzusehen. Bei psychischen Störungen ist das Bromkali gegen 
Aufregungszustände indicirt, welche mit einer gewissen Periodicität ver¬ 
laufen; contraindicirt fand V. es stets bei allen hysterischen Leiden. 

Von der Unmasse anderweitiger Empfehlungen des Bromkali erwähnt 
V. schliesslich nach Nothnagel die logische Anwendung zur Anästhe- 
sirung des weichen Gaumens, des Pharynx und Larynx, welche schon im 
physiologischen Theil hervorgehoben wurde. Ebenso nützt eine örtliche 
Bepinselung bei dem zuweilen excessiven Brechreiz, an dem manche 
Phthisiker während des Hustens leiden. Von Nothnagel und Ross¬ 
bach wird als Dosirung angegeben 1*0—2*0 Gramm pro dosi, etwa 
3mal täglich, bis zu 5*0 pro dosi steigend, so dass die Tagesmenge auf 
15-0—20 0 kommt, in Solution oder Pulvern; zum Pharynxpinseln 
Lösungen von 1 : 1 oder 1 :2 Wasser. 

Das Verdienst, zuerst auf eine durch Bromkalium-Missbrauch ent¬ 
standene selbstständige Erkrankung, einen mit schweren Motilitätsstörungen 
verbundenen psychopathischen Zustand aufmerksam gemacht zu haben, 
gebührt Seguin, der vor zwei Jahren in einem Chicagoer Fachblatt 
seine bezüglichen Beobachtungen veröffentlichte. Der von ihm so benannte 
Bromismus äussert sich in einem allgemeinen Schwächezustand, schwachem 
Herzschlag, Kühlheit der Extremitäten, chronischem Magenkatarrh, charak- 


Med.-chir. Rundschau. 1880 . 


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354 


Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


teristischem s (iss lieh unangenehmem Athemgeruch. Gedächtniss und 
Articulation sind ungemein behindert, Sinnestäuschungen verschiedener Art 
sind nicht selten. Bei enorm herabgesetzter Allgemeinempfindlichkeit be¬ 
herrscht, oft ein hochgradiger Stupor die Psyche, der Gang ist schwankend, 
die Muskeln zittern, die Bewegungen werden unsicher, feinere sogar 
unmöglich. Die Pupillen erweitern sich, reagiren träge, zeigen Differenzen. 
Bei männlichen Kranken soll die Potenz, bei Frauen die Menstruation 
gestört sein. Neben der bekannten Acne greifen tiefe und weitausgebreitete 
furunculöse Verschwärungen Platz. Häufig wird der rapide geistige Ver¬ 
fall im Verein mit den Motilitätsstörungen eine Verwechselung mit der 
Dementia paralytica begünstigen, so dass oft nur eine genaue und sorg¬ 
fältige Erhebung der anamnestischen Momente die Diagnose ermöglicht. 

In der deutschen Literatur ist K. nur ein einziger Fall von 
S6 gu i n’schem Bromismus bekannt geworden, und zwar eine bezügliche 
Schilderung von Boettger in der „Allg. Zeitschrift für Psychiatrie :i 
Bd. 35, Heft 3. Ein mit der Diagnose der allgemeinen progressiven 
Paralyse in die Irrenanstalt gebrachter und aufgenommener Kranker, der 
nachweislich in einigen Monaten 1100 Grm. Bromkali gebraucht hatte, 
wurde nach richtig gewonnener Diagnose in relativ kurzer Zeit voll¬ 
ständig gesund. 

Der zweite Fall kam in Behandlung des Vortragenden: 

Herr N. N-, Geometer, 28 Jahre alt, stellte sich vor fünf Jahren vor und 
klagte über Appetit- und Schlaflosigkeit, verbunden mit gesteigerter Reflexerreg¬ 
barkeit und mannigfachen hypochondrischen Vorsteilongen. Patient, von schlanker 
Gestalt, schlecht genährt, bleich, mit schlaffer Haltung, ohne jede Störung der 
Motilität. Die genaue Untersuchung ergab damals ausser einer beschleunigten 
Herzaction, anämischen Schleimhäuten und massig belegter Zunge keinerlei 
Abnormitäten. Ausser den erwähnten Beschwerden bestanden Obstructionen und 
Öftere nächtliche Pollutionen ohne Erections- und Wollustgefühle. Pat. wurde 
mit Roborantien (Rheum, pyrophosphors. Eisen) nach vier Monaten geheilt. 

Im verflossenen Sommer sah K. den Mann wieder. Er machte einen äusserst 
traurigen Eindruck. Abgemagert, bleich, nach der linken Seite übergebengt, ver¬ 
mochte er mit stammelnder Sprache nur wenige brauchbare Auskünfte zu geben. 
Durch seinen Begleiter erfuhr K., dass er nach einem längeren Aufenthalt im 
Auslande wieder nervös erkrankt, auf den Rath eines ihm bekannten Arztes 
lange Zeit hindurch ein Mittel gebraucht habe, dass ihm anfänglich sehr wohl 
gethan habe. Bei seiner Ankunft in seinem Hause habe er noch eine Weinflasche 
voll dieser Arznei in seinem Koffer gehabt und gegen allerhand Schmerzen, die 
bald hi<T bald dort im Körper auftraten, sowie gegen seine Schlaflosigkeit 
gebraucht. Schon bei der Ankunft war eine gewisse psychische Schwäch», nament¬ 
lich des Gedächtnisses, sowie seine „schwere Zunge“ aufgefallen. Die weiteren 
Störungen hatten sich angeblich im Laufe einer Woche allmälig entwickelt Seit 
8 Tagen ist keine Arznei genommen worden. Ein apoplectischer oder epilepti- 
former Anfall war nicht aufzuweisen. Patient schwankte bei geschlossenen 
Augen und gerieth in Gefahr zu fallen, die Zunge zeigte einen schmutzigen dicken 
Belag, war ödematös, deviirte ebenso wie die Uvula nach links, der Athem ver¬ 
breitete einen speciflschen süsslich-widerlichen Foetor. Die Sensibilität der Haut¬ 
oberfläche war auf ein Minimum reducirt, die linke Pupille weiter als die rechte 
beim Gehen wurde das linke Bein leicht nachgeschleppt. 

Die anamnestiseken Erhebungen im Verein mit dem deutlich 
specifischen Foetor ex ore wurden noch unterstützt durch zahlreiche 
Pustelbildung auf Gesicht und Brust * sowie die Innenseiten der Extremi¬ 
täten, und liessen die Diagnose mit Ausschluss der Dementica paralytica 
auf den Seguin’schen Bromismus stellen, namentlich da eine genaue Unter¬ 
suchung keinerlei Anhaltspunkte für eine etwa zu Grunde liegende 
luetische Hirnaffection ergab. 

Der Erfolg der eingeleiteten Behandlung (tägliche warme Bäder, 
bororirende Diät, Eisen und Chinin) hat die Diagnose bestätigt. Die 


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Medicrnuoh-ddrorgisebe Rundschau. 


355 


Reconvalesceiiz ist langsam, aber stetig vorgeschritten. Interessant ist 
der Umstand, dass sich Pat. nnr dnnkel der schwersten Krankheitszeit 
erinnert und gern selbst den Ausdruck gebraucht, er habe „im Banne 
des Bromkalium“ gestanden. Wie viel von dem Mittel er im Ganzen 
gebraucht, lässt sich mit Sicherheit auch nicht annähernd feststellen. 

K. glaubt, dass dieser Fall zur Vorsicht in der Verordnung des 
Bromkalium um so mehr auffordert, je zugänglicher das Mittel für einen 
Jeden und je mehr man geneigt ist, aus Billigkeits- und Bequemlichkeits¬ 
gründen dem Patienten die Bereitung der verordneten Lösung, damit aber 
zugleich eine gefährliche Missbrauchsmöglichkeit in die Hand zu geben. 

0. R. 

284. Diphtheritis und Ozon. Neue erfolgreiche Behandlung der 
Diphtheritis. Von Dr. Ph. Joch he im. Heidelberg, Carl Winter’s Uui- 
versitätsbuchhandlung. 1880. 

Die 32 Seiten starke Broschüre empfiehlt die Behandlung der Diph¬ 
theritis durch Ozon auf Grund zahlreicher günstiger Resultate dieses 
Heilverfahrens während 1% Jahren. Verf. glaubt, „dass die Zukunft in 
dem Ozon das wichtigste Heilmittel für alle Infectionskrankheiten erkennen 
wird. Die Wirkung des Ozons bei Diphtheritis erklärt sich dadurch, 
dass es nicht allein desinficirt, den Ansteckungsstoff vernichtet, sondern, 
dass es auch die abgelagerten, eiweisshaltigen Pilzbildungen selbst . . . . 
unschädlich macht“: weiter heisst es, „Ozon schürt, eingeathmet den nur 
noch glimmenden Lebensfunken zu neuer Flamme an, da es das concen- 
trirteste Nahrungsmittel des Blutes ist“. 

Die vom Verf. geübte specielle Behandlung mit Ozon ist 
folgende : 

Zur Darstellung und Anwendung des Ozons dient ein einfacher 
Apparat, eine dreihalsige gläserne Flasche (sog. Woulff’sche Flasche) von 
l / 4 Liter Inhalt. In dem mittleren Halse ist ein gläserner, eingeschliffener 
Trichter mit Glasstöpsel angebracht und der Trichter unten so abgeschnitteu, 
dass er nur 3 Cm. in die Flasche hineinragt. In jeden der beiden anderen 
Hälse ist ein Gummistopfen eingepasst, durch welchen eine etwa 10 Cm. 
lange, in einem rechten Winkel gebogene Glasröhre von 0*5 Cm. Lumen 
1 Cm. in die Flasche hineingeht. Ueber die eine dieser Glasröhren ist 
eine Gummiröhre von ca. 30 Cm. Länge, welche sich in zwei Gummi¬ 
ballons endigt, wie solche durch den Richardson’schen Apparat be¬ 
kannt sind, gestülpt. Ueber die andere Glasröhre ist eine Gummiröhre 
von gleicher Länge gestülpt, welche die Abflussöffnung des Ozons 
repräsentirt. 

Wenn der Apparat gebraucht werden soll, wird der ein¬ 
geschliffene Trichter ganz abgenommen, ein gewöhnlicher gläserner 
Trichter eingesetzt und durch diesen 30*0 Grm. Kali hypermanganicum in 
kleinen Stückchen in die Flasche gebracht. Hierauf wird der eingeschliffene 
Trichter wieder eingesetzt und durch Handhabung des Stöpsels werden 
nun ganz allmälig, nur tropfenweise, eben so viel reine concentrirte 
Schwefelsäure in die Flasche einlaufen gelassen. Hierbei wird gewarnt, 
organische Bestandtheile, wie Papierstückeben, Holzfasern u. dgl. aus 
Unvorsichtigkeit mit in die Flasche gelangen zu lassen, da sonst leicht 
eine Explosion entstehen kann, weil das Kali hypermanganicum durch 
organische Bestandtheile ausserordentlich leicht zersetzt wird. 

Nach Einführung des Kali hyperm. und der Säure in die Flasche 
beginnt in derselben sofort die Entwicklung einer violetten Wolke aus 




356 


Medidmsch-chirvrgisefce Rundschau. 


Uebermangansäure, welche die Wände des Apparates mit Manganhyperoxyd 
bedeckt and eine bedeutende Menge Ozon frei werden lässt, welches 
nicht gerne ans dem Apparate entweicht und daher vermittelst Durch¬ 
führung eines Stromes atmosphärischer Luft durch zeitweises Zusammen¬ 
pressen des Gummiballons aus der Gummiröhre vertrieben werden muss. 
Das Gemisch in dem Apparate stellt eine ruhige, lange dauernde Ozon¬ 
quelle dar, welche, ohne weiteres Zuthun, auf circa 14 Tage ausreicht. 

Sobald sich die charakteristischen Symptome der Diphtheritis gezeigt 
haben, applicirt Verf. 3—5 Minuten lang einen continuirlichen Strom 
Ozon aus diesem Apparate auf die Mandeln und in die Rachenhöhle und 
wiederholt dies stfindlich bis zweistündlich. Kindern, welche durch 
Zusammenpressen der Zähne diese Operation vereiteln wollen, bringt er 
vor Beginn derselben einen Korkstopfen zwischen die Zähne, legt den 
Gummischlauch bis an den Rachen und ahmt durch Druck auf den Ballon 
den Rhythmus der Athembewegungen nach, so dass hiedurch nicht allein 
die inficirten Stellen mit Ozon in Berührung kommen, sondern dasselbe 
auch mit jedem Athemzuge nothwendig eingeathmet werden muss und 
dadurch nicht allein zu den oberflächlich gelegenen, sondern auch zu 
den tiefer liegenden Pilzbildungen gelangt, was kein anderes Arznei¬ 
mittel vermag. 

Sollte auf die Anwendung des Ozons heftiger Hustenreiz eintreten, 
so lässt J. stündlich einige Minuten lang einen Strom Ozon aus dem 
Apparate in die Nähe der Nase des Kranken leiten, so dass derselbe 
sich meistens in einer hochgradigen Ozonatmosphäre befindet, mit welcher 
die Pilzbildungen dann in ständiger Berührung bleiben. 

Wenn man in den Apparat 60 0 Grm. Kali hypermang. und unter 
vorsichtigem, ganz allmäligem, tropfenweisem Zugiessen eben so viel 
reine concentrirte Schwefelsäure in denselben bringt, kann man die Ozon¬ 
entwicklung bis zur Aetzwirkung steigern. Es entweicht fast kein Ozon 
aus dem Apparate, ausser wenn es durch das Zusammenpressen des 
Gummiballons daraus vertrieben wird. 

Lässt man durch Zusammenpressen des Gummiballons das sich in 
der Flasche entwickelnde Ozon auf befeuchtetes Jodkalium-Kleisterpapier 
streichen, so kann man sich von der Stärke des Ozongehaltes durch die 
auf dem Papier sofort entstehenden Färbungen von Violett bis Blau¬ 
schwarz überzeugen. 

Der Apparat hat den überaus wichtigen, bis jetzt noch nirgends 
gebotenen Vortheil, dass er Ozon sofort in Masse entwickelt und nach 
Abnahme der Gummiröhren in einem Etui leicht in der Tasche getragen 
werden kann. 

Auf beschriebene Weise wirkt Ozon in der Diphtheritis als locales 
und innerliches Mittel zu gleicher Zeit. Alle anderen antiseptischen Mittel 
können nicht in der Stärke angewendet werden, dass sie dem diphtheri- 
tischen Process wirksam entgegentreten, ohne den Organismus vorher 
zu gefährden. 

Da die erste und wichtigste Aufgabe bei der Behandlung der 
Diphtheritis die schleunigste Zerstörung der Pilzbildungen ist, lässt Verf. 
neben der Anwendung dieses Apparates die diphtheritischen Stellen 
sogleich alle drei Stunden mit einer concentrirten Lösung von Kali 
hypermangan. 0‘60: 30*0 Wasser als Aetzmittel bepinseln. Die Pseudo- 
merabranen lösen sich dann zusehends ab, der aashafte Geruch ver¬ 
schwindet und dem Fortschreiten der Krankheit wird Einhalt geboten. 
Zugleich benützt er Mund- und Gurgelwasser in der Stärke von 


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Medicinißch-chimrgiache Rundschau. 357 

16*0:500*0. Zu letzteren muss jeder aromatische Zusatz vermieden 
werden, weil er die Lösung zersetzen würde. 

Es empfiehlt sich nebenbei Ausspülungen des Mundes etwa drei 
Mal täglich mit ganz verdünnter medicinischer Schwefelsäure 1*0:500*0 
vornehmen zu lassen, wodurch, wegen der im Munde haften bleibenden 
Reste von Kali hypermang., fortwährende Ozonentwicklung in der Mund¬ 
höhle und im Rachen entsteht und das auf diese Weise gebildete Ozon 
sowohl local als auch innerlich wirkt, weil es bei jedem Athemzuge 
nothwendig eingeathmet werden muss. 

Yerf. gibt auch Kali hypermang. zu gleicher Zeit innerlich. Die 
im Magen stets vorhandenen Säuren entwickeln daraus Ozon. Er lässt 
von vornherein alle zwei Stunden 0*03 Kali hypermang. nehmen und ver¬ 
bindet es mit 0*12 Chinin, muriaticum. Kindern gibt er diese Mischung 
in Honig, Erwachsenen in Oblate. 

Auf welche Weise auch Kali hypermanganicum angewendet wird, so 
wird es in Berührung mit organischen Bestandteilen zersetzt und wirkt 
nur ganz allein durch seine Ausscheidung von Ozon. 

Weder die äusserliche noch die innerliche Behandlung mit Ozon 
reicht aber aus, diese gefährliche Krankheit zu beseitigen, wenn nicht 
sofort eine äusserst kräftige, aber leicht verdauliche Diät angeordnet 

wird.Man muss dem Kranken, damit er Kraft behält „den Angriffen 

der Pilze und der drohenden Blutentmischung zu widerstehen 44 , eine sehr 
kräftige Bouillon, einen starken Wein, echten Bordeaux oder Champagner, 
echten Cognac oder Rum reichen und alle den Organismus schwächenden 
Eingriffe, wie Brechmittel, Abführmittel, Blutentziehungen etc. gänzlich 
meiden. 

Als Unterstützungsmittel der Cur dienen Inhalationen heisser Wasser¬ 
dämpfe mit Zusatz von etwas Kochsalz oder Meersalz zum Wasser, welche 
sehr geeignet sind, die Abstossung der Pseudomembranen zu befördern. 

Durch diese Behandlungsweise der Diphtheritis mit Ozon, in Ver¬ 
bindung mit der entsprechenden Diät, ist es dem Verf. gelungen, alle 
Fälle von Diphtheritis, welche ihm in letzterer Zeit zur Behandlung kamen, 
vollständig zu heilen. 

Zum Versenden ist Ozon nicht geeignet, weil es auf dem Transport 
verdirbt und keinen Vergleich mit dem frisch bereiteten Ozon bestehen 
kann. Auch das Ozonwasser ist wirkungslos. 0. R. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 


285. Klinische Studien und Erfahrungen ans der Chirurg. Klinik 
in Böttingen 1875—1879. Von Dr. B. Riedel. (Deutsche Zeitschr. f. 
Chirurgie v. C. Hüter u. A. Lücke. XII. Bd. 4. u. 5. Heft.) 

I. Ueber das Verhalten von Blut, sowie von in¬ 
differenten und differenten Fremdkörpern in den Ge¬ 
lenken. 

Verf. suchte vor Allem die Frage zu erledigen, was mit dem in 
ein Gelenk ergossenen Blute geschehe? Aus seinen Experimenten (an 
Kaninchen) kam Verf. zu dem Schlüsse, dass die Synovialmembran die 
Fähigkeit besitze, circa zwei Drittel des in’s Gelenk eingeftthrten Blutes 
flüssig zu erhalten, während ein Drittel etwa gerinnt. 


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358 


Medicinisch-chinirgißclie Rundschau. 


Was wird aber aas den geronnenen, im Gelenk zurückbleibenden 
Massen? 

Das Verhalten dieser Blutcoagula zeigte sich verschieden, je nach¬ 
dem dieselben der Gelenkwand fest anl&gen oder frei im Gelenke blieben. 
Im ersten (selteneren) Falle schlägt sich schon am dritten Tage das 
Gelenkendothel über das Blntcoagulnm hinüber und letzteres wird von 
Zellstr&ngen der Gelenkwände durchwachsen. Beim frei liegenden Blut- 
coagulum schieben sich (oft schon 2 Stunden nach der Injection) vom 
Rande her platte Zellen auf dasselbe; nach 3 Tagen ist das ganze Coa¬ 
gulum mit einer zusammenhängenden Zelllage überzogen. Verf. hält dafür, 
dass dieser Endothelüberzug — der übrigens bei jedem Fremdkörper im 
Gelenke (nicht allein beim Blutcoagulum) zu beobachten ist — als ein 
Product der Gelenkendotbelwucherung anzusehen sei. 

Doch seien all’ dies nur vorübergehende Gebilde, die (gegen den 
20.—23. Tag) meist schon ganz, wohl durch Verfettung, verschwunden 
sind. Am längsten tragen noch die Gelenkwandungen, besonders die 
hinteren Partien, die Spuren eines dagewesenen Blutergusses (Pigment 
in den Wänden). 

Die Ergebnisse dieser Experimente mit den spärlichen Erfahrungen 
am Menschen verglichen, sei, bemerkt Verf., eine Uebereinstimmung wohl 
erkennbar; auch beim Menschen finde eine ziemlich ausgedehnte Coa- 
gulation des Blutes im Gelenke statt, und werden die Coagula anscheinend 
rasch, wie bei den Thieren, resorbirt. 

Verf. meint, von dem Umstande, ob die Coagula der Gelenkwand 
anhaften oder ob sie frei im Gelenke liegen bleiben, dürfte es abhängen, 
dass in manchen Fällen rasche Resorption eintrete, in andern ein Hydrops 
des Gelenkes (veranlasst durch die freien Coagula als Fremdkörper?) 
längere Zeit fortbestehe. 

Eine weitere Serie von Versuchen des Verf.’s hatte die Beobachtung 
der Folgen der Einbringung von eigentlichen Fremdkörpern (indiffe¬ 
renten und differenten) zum Gegenstände. 

Indifferente Fremdkörper: Es wurden verschiedene Arten 
von derartigen Fremdkörpern (Stärkemehlkörnchen, Schieferspähne, Sand, 
feingehackte Krüllgaze u. a. dergl.) in 3perc. Carbollösung suspendirt ins 
Kniegelenk der Versuchstiere injicirt. Um kurz zu sein, bemerken wir 
nur, dass stets darauf entzündliche Reaction eintrat, doch kam es nie 
zur Eiterung, da stets früher der reparative Process sich geltend machte. 
Die Section des Gelenkes zeigte die auffällige Tendenz desselben, die 
Glattheit seiner Wandungen durch Ueberwucherung der injicirten Fremd¬ 
körper mit Endothel wieder herzustellen. 

Organische Substanzen (Muskelfasern in Kochsalzsolution verrieben 
und injicirt) wurden, ohne merkliche Reaction verursacht zu haben, 
resorbirt. 

Differente Fremdkörper: Von solchen wählte Verf. zu seinen 
Versuchen: Quecksilber und Liquor Ammon, caustic., da beide, nach des 
Verf.’s Erfahrung, tiefgreifende Destructionen des Gelenkes herbeizuführen 
im Stande sind. Die Injection von ta. 1*50 (zuvor bis zum Verdampfen 
erhitztem, daher desinfieirtem) Quecksilber ins Kniegeleuk, verursachte 
enorme Schwellung des letzteren; allmälige Abmagerung des Thieres; 
Abscesse am Ober- und Unterschenkel; Tod 20—25 Tage nach der Injection. 

Im Gelenke selbst fanden sich Eiterkugeln, in deren Centrum Hg 
lag; im subserösen Gewebe zerstreut Eiterkugeln, die Gelenkintima buckelig 
vortreibend. 


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Ganz verschieden hiervon waren die Folgen der Injection von 
(0-20) Liquor Ammon, canstic. ins Kniegelenk. Die Gelenkschwellung 
blieb permanent, und bei der 1 / 9 Jahr später gemachten Section fand man 
das Gelenk im Zustande der Arthritis deformans. 

Schliesslich bemerkt Verf., dass es ihm bei keinem seiner Ver- 
suchsthiere (Kaninchen), die doch zur Tuberculose neigen, gelungen sei, 
durch chron. Irritamente des Gelenkes eine Gelenk-Tuberculose 
zu erzeugen. 

II. Casuistischesüberi so lirtetuberculöseGesch wülste 
des Kniegelenkes. (Ibidem.) 

Aus dem Berichte über einen hierher gehörigen Fall, den Verf. 
schon früher (Bd. X dieser Zeitschr.) mitgetheilt hat, entnehmen wir 
Folgendes: 

Dem jetzt 20jährigeri, blühend aussehenden, von gesunden Eltern 
stammenden Manne war vor 2 Jahren ein isolirter Tuberkelknoten am 
Kniegelenke exstirpirt worden. Bald nach der Heilung bekam er dicht 
an der Patella einen neuen Knoten, dem sich bald mehrere andere zu¬ 
gesellten. Gelenkfunction dabei völlig intact; erst nach einem Stolpern 
beim Treppensteigen nöthigte das Leiden den Pat. in’s Spital zu gehen. 

Operation: Durch Querdurchsägen der Patella und 2 seitliche 
Incisionen ward das Gelenk freigelegt. Einige bohnengrosse Corp. oryzoid. 
traten hervor; insbesondere bemerkenswerth waren aber die an der ver¬ 
dickten Gelenkkapsel haftenden, 2—3 Cm. langen, fibrinösen Prominenzen, 
die bald einzeln, bald blumenkohlartig von allen Seiten her das Gelenk 
erfüllten. An den Condylen des Femur eine von Grannlationen aus¬ 
gefressene Furche. 

Es wurden nur die kranken Theile sorgfältig entfernt. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung der exstirpirten Partien zeigte im infiltrirten 
Gewebe unter der Synovialintima, massenhaft grosse, mit centraler 
Riesenzelle versehene Tuberkel. Der Verlauf der Wundheilung, anfänglich 
günstig, ward bald sehr übel (Abscesse in der Wade) und machte schliesslich 
die Ablatio femoris nothwendig. Pat. erholte sich darnach rasch. Der 
Verlauf dieses Falles zeigt klar, wie auch Verf. bemerkt, den Xachtheil 
von Partialoperationen, die man, selbst unter den scheinbar günstigsten 
Bedingungen, nicht vornehmen soll. 

Der zweite Fall betraf ein 24jähriges, sonst gesund aussehendes 
Mädchen, das bei einem Falle sich das linke Knie angestossen hatte. 
Keine Geschwulst; Schmerzen schwanden bald. Erst nach einem Jahre 
allmälig zunehmende Schwellung und Schmerzhaftigkeit des Knies, wobei 
Pat. aber stets noch umherging. Entleerung des Gelenkhydrops durch 
Punction; ein glatter, wallnussgrosser, derber, verschiebbarer Körper 
aussen oben an der Patella zu fühlen. Gelenk empfindlich bei Druck. 

Exstirpation der Geschwulst (ohne Gelenk zu eröffnen); sie stellt 
eine derbe, graugelbe Masse dar, mikroskopisch grösseren Theiles aus 
Tuberkeln, im kleineren Antheile aus zellarmem Bindegewebe bestehend. 

Der Verlauf der Krankheit war ganz so wie in anderen derartigen 
Fällen; erst guter Verlauf, dann erneute Schwellung. Die Wunde heilte 
zu, brach wieder auf, bis endlich Pat. dauernd an’s Bett gefesselt blieb. 

Ein dritter Fall betraf einen 38jährigen, sehr kräftig gebauten, 
stets gesunden Mann, in dessen Familie aber hie und da Tuberkulose 
vorgekommen war. 3 Monate nach einem heftigen Falle auf das rechte 
Knie war Hydrops dieses Gelenkes aufgetreten, der auf 14tägige Com- 
pression mittelst Flanellbinde schwand. Zu dieser Zeit schon bemerkte 


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Mediciniach-chirnrgische Rundschau. 


Pat. einen kleinen, knotigen, verschiebbaren Körper im oberen Antheile 
des Kniegelenkes. Gelenkfunction ganz ungestört. In Folge eines Fehltrittes 
beim Treppensteigen schwoll das Gelenk an. Exstirpation des wallnuss- 
grossen Tumors der an der Quadricepssehne festangewachsen war; der 
Tumor von derber Consistenz, nur einzelne umschriebene (grauweisse) 
Stellen weicher; über den Tumor zog die Synovialis. 

Die mikroscopische Untersuchung ergab, dass der Tumor hauptsächlich 
aus einem Convolut von Gefässen mit sehr verdickten Wandungen be¬ 
stand; die weicheren, grauweissen Stellen enthielten Tuberkelmassen. 

Wundheilungsverlauf auffällig günstig; rasche Heilung ohne Zwischen¬ 
fälle. Es trat schliesslich complete Wiederbeweglichkeit des Gelenkes ein. 
Ob die Heilung dauerhaft sein werde, dies werde die Zukunft lehren, 
bemerkt Verf., da ähnliche Fälle lehren, dass aus der Intactheit des 
Gelenkes hierbei keine günstigen prognostischen Schlüsse zu ziehen seien. 

Fr. Steiner (Marburg). 


286. Ueber eine Gefahr des Katheterismus bei Blasenlähmung. 
Von Prof. Dr. Weigert. (Breslauer ärztl. Zeitschrift. 1879. 20. 
Pest, med.-chir. Presse. 1880. 4.) 

W. weist auf eine schwere Gefahr bei dem Katheterismus Paraly¬ 
tischer hin, auf welche in den Lehrbüchern seines Wissens nicht genügend 
aufmerksam gemacht wird. Es handelt sich um die vollkommene oder 
unvollkommene Perforation der Blase durch den Katheter mit consecutiver 
tödtlicher Peritonitis. Man sollte a priori meinen, dass hiezu eine sehr 
rohe Handhabung des Katheters gehörte und dass dieses Ereigniss nur 
unter die ganz seltenen gerechnet werden müsse. Doch bestreitet W. das 
letztere, denn er hat bei einem nicht gerade nach dieser Richtung hin 
sehr ergiebigen Materiale eine ganze Anzahl solcher Perforationen bei 
Sectionen gesehen. 

Wenn man eine Leiche secirt und die Blase genauer ansieht, welche 
in der angegebenen Weise verletzt ist, so bemerkt man oft schon an ihrer 
Aussenseite, und zwar gewöhnlich an der Spitze, aber auch eventuell an 
einer oder an mehreren anderen Stellen, eine feine Oeffhung, die durch 
ein lockeres Fibringerinnsel verlegt ist. ln anderen Fällen sieht man eine 
umschriebene Stelle des Bauchfells hierselbst als ein ffottirendes, morsches, 
livides Häutchen von der Unterlage abgehoben und mit schmieriger Exsudat¬ 
masse bedeckt. Unter diesem Häutchen ist eine Art Höhle, die mit dem 
Innern der Blase communicirt. Schneidet man die Blase vorsichtig auf, 
so sieht man für gewöhnlich zunächst gar keine Spur einer Verletzung 
ihrer Innenfläche, und vielleicht ist eine solche in ähnlichen Fällen auch 
übersehen worden. Fasst man aber die Gegend, in weicher äusserlich 
das Peritoneum abgelöst war, näher in’s Auge, so bemerkt man hier 
-eine oft anscheinend sehr feine Oeffnung oder auch nur eine trichter¬ 
förmige Einziehung in der ganz intacten, nur katarrhalisch veränderten 
Schleimhaut. 

Diese Perforationen können nur traumatischen Ursprunges sein. Eine 
spontane Ruptur könnte nicht zu so glatten, kleinen rundlichen Oeffnungen 
führen. Auch an eine ulcerative Perforation kann man bei der Beschaffen¬ 
heit der Oeffnungen nicht denken, ganz abgesehen davon, da99 eben in 
den meisten Fällen an dem Orte des Durchbruches jede Ulceration fehlt. 

Auch über die Art des Traumas kann man nicht im Zweifel sein. 
Alle die Kranken waren vorher katheterisirt und die Oeffnungen machten 
ganz den Eindruck, als ob sie durch Einbohrung einer stumpfen Spitze 


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entstanden wären. Meist wird wohl die Perforation bei mangelhaft ge¬ 
füllter Blase erfolgt sein, wenn der Arzt die regelmässig vorgenommene 
Katheterisation ausführen wollte und nun — da aus der gelähmten Blase 
nicht gleich Harn abfloss — den Katheter brüsk zu weit vorschob. Wahr¬ 
scheinlich ist auch die mangelnde Sensibilität der Blase bei diesen Kranken 
ein begünstigendes Moment. 

W. meint, dass die Eventualität einer Perforation am einfachsten 
durch Benützung elastischer Katheter vermieden werden kann. Bei An¬ 
wendung silberner wird man wohl mit kurzschnabeligen weniger leicht 
diese Verletzung herbeiführen — doch möge man in jedem Falle an die 
Möglichkeit einer Harnblasendurchstossung denken. 


287. Ueber die Fortschritte der Behandlung der Pott’schen 
Kyphose. Von Prof König in ßöttingen. (Berl. Wochenschr. 1880. 7.) 

Die Krankheit, welche zur Kyphose führt, ist eine Tuberculose der 
Wirbelsäule. Sie verhält sich vollkommen analog dem Tumor albus der 
Gelenke, welchem ebenfalls eine Tuberculose derselben zu Grunde liegt. 
Die Entwicklung der Krankheit geht von dem Knochen aus. Bald ent¬ 
wickelt sich die Tuberculose in Form eines, noch häufiger mehrerer 
kleinerer und grösserer, rundlicher verkäsender Granulationsherde, bald 
zerstört die Krankheit in Form des tuberculösen Sequesters den Knochen. 
Von da geht dann der Process auf die Syndesmosen und das subperiosteale 
Gewebe über, der erweichte Wirbel gibt dem Belastungsdrucke, welcher 
sich vorzugsweise auf der concaven Seite geltend macht, nach, er sinkt 
zusammen und die Kyphose ist fertig. 

Die Krankheit kann ohne alle Eiterung verlaufen, in anderen Fällen 
bildet sich ein kalter Abscess, welcher, wenn er einmal auf die vordere 
Fläche der Wirbel gelangt ist, sehr geeignete Verhältnisse zur Wanderung 
findet. Das Schlimmste ist die Gefahr der Mitleidenschaft des Rücken¬ 
markes. 

Die Krankheit selbst ist nicht zu heilen und die Behandlung 
beschränkt sich auf die Beseitigung der schwereren Erscheinun¬ 
gen. Alle anderen Verbände, die Rauchfuss’sche Schwebe, die 
Maas’schen Rollen, die Taylor’sche Maschine übertrifft der Sayre’sche 
Gyp8verband. Er kann überall angelegt werden, ein Instrumenten¬ 
macher ist dazu nicht nöthig, die Technik des Gypscuirasses ist nicht 
schwieriger, als die jedes Gypsverbandes und kostet nur wenige Mark. 
Es ist durchaus nothwendig, dass er das Gemeingut aller Hausärzte werde; 
dann wird er das Eintreten d er Deformität wenigstens in der Form eines 
stärkeren Buckels vermeiden. In den leichteren und frischen Fällen wird 
man, wenn auch die Deformität nicht vollständig beseitigt wird, doch 
eine erhebliche Correctur bewirken, indem, wenn in der Folge weiteres 
Einsinken des Wirbels eintritt, dies nicht mehr in der Richtung der 
Kyphose, sondern in der Längsrichtung der Wirbelsäule stattfindet. Der 
Erfolg ist oft ein überraschender; nicht selten genügt ein Verband, um 
aus einem elenden bleichen Krüppel ein gesund aussehendes, fröhliches 
Kind zu machen. Gerade der Eintritt von Paralyse der unteren Extremi¬ 
täten fordert den Versuch durch die Streckung der Wirbelsäule und die 
Ruhe dieselbe wieder rückgängig zu machen; Prof. König sah oft 
sofortiges Schwinden derselben. 

Auch das Vorhandensein eines Senkungsabscesses schliesst die 
Application des Verbandes nicht aus. So lange er nicht gross ist, kann 
selbst der Eiter zur Absorption kommen. Oefter aber sieht man nach 


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Medicinißch-chirurgische Rundschau. 


einem oder einigen Verbänden die Geschwulst kleiner werden, während 
sie nach dem folgenden wieder wächst. In solchen Fällen verlässt man 
für eine kurze Zeit den Gypscuirass, um später wieder zu ihm zurückzu- 
kehren, nachdem man an die Stelle des breiten Eiterwegs einen schmalen, 
wenig eiternden Fistelgang gesetzt hat. Stromeyer war noch ein abso¬ 
luter Gegner der künstlichen Eröffnung; Prof. König eröffnete jeden 
offenbar progressiven Abscess, also alle Senkungsabscesse mit Ausnahme 
kleiner, deren Resorption er unter der Anwendung des Gypscuirasses ab¬ 
wartet und grosser abgekapselter alter, wenn sie die Träger nicht erheblich 
stören. Die Fistelöffnung legt er stets auf der Rückfläche des Körpers 
an. So schneidet er beim Psoas- oder Iliacus-Abscess zunächst unter 
dem Band am Schenkel ein und sucht nun mit dem eingeführten Finger 
von hier aus nach dem Becken vorzudringen. Am Innenrand der Spina 
anterior superior wird auf die Spitze des vordrängenden Fingers eine 
zweite Oeffnung gemacht und indem von da aus der Finger bis zur Seite 
des Quadratus lumborum durch und vorgedrängt wird, eine dritte OefF- 
nung angelegt. Zum Perforiren der tieferen Schichten dient die Hohl¬ 
sonde und zum Erweitern nach Roser’s Angabe eine derbe Kornzange. 
Dann wird die Höhle ausgeputzt, die Tuberkelmembran der Wandung 
entfernt und in jedes Loch ein fingerdickes Drainrohr eingeführt. Darüber 
kommt der Lister’sche Verband. Bald wird bei dieser Behandlung die 
Eiterung gering und man braucht nur alle 8 Tage den Verband zu 
wechseln. Aus dem grossen Abscesse ist ein wenig secemirender Fistel¬ 
gang geworden. Jetzt ist die Zeit gekommen, dass man dem Kranken 
wieder den Sayre’schen Verband anlegt und ihn aufstehen lässt. An 
Stelle der Fistelöffnung wird der Verband mit Baumwolle dick gepolstert 
und in den Verband ein hinlänglich grosses Loch geschnitten. Die 
meisten Fisteln bleiben zunächst Jahre lang, andere für immer offen. 

So wird durch die Verbindung des antiseptischen Verfahrens mit 
dem Gypscuirass beim Senkungs-Abscess weit mehr erreicht, als man vor 
nicht langer Zeit nur zu hoffen wagte. 


288. Zur Orthopädie bei Fussverkrümmungen. Von Prof. Busch 
in Bonn. (Der prakt. Arzt. 1880. 3.) 


Der Vortragende macht auf die Wichtigkeit der Benutzung der Me- 
tatarso-Phalangeal-Gelenke bei der Behandlung von Hohl- und Plattfuss 
aufmerksam. 

1. Bei der Behandlung des Hohlfusses hat man sich bisher darauf 
beschränkt, die Aponeurosis plantaris subcutan zu durchschneiden. Man 
erreicht dadurch auch eine geringe Verlängerung des Fusses, aber immer 
bleibt danach das Gewölbe des Tarsus und Metatarsus zu hoch und die 
Zehen verharren auf ihrer ersten Phalanx in der Hyperextension, so dass 
sie bei dem Auftreten den Boden entweder gar nicht oder nur unbe¬ 
deutend berühren. Bei den sogenannten Heilungen des Pes equinus, bei 
welchen immer ein Hohlfuss zurückbleibt, hat daher der Gang immer 
etwas Unbeholfenes, indem die Patienten den Fuss nicht in gehöriger 
Weise vom Boden abwickeln. Bringt man dagegen bei einem Hohlfusse, 
auch wenn die Plantaraponeurose nicht durchschnitten ist, mittelst d-s 
Daumens einen Druck auf der Sohlenfläche, dicht hinter den Sesambeinen 
der grossen Zehe an, so sieht man den ganzen Fuss sich bedeutend 
verlängern und die vorher hyperextendirten Zehen sich gerade, ja sogar 
abwärts richten. Durch die Hebung des peripheren Endes des Metatarsal¬ 
knochens wird das centrale Ende abwärts bewegt und die Wölbung des 


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Fusses wird dadurch flacher. Ebenso wird durch dieselbe Bewegung das 
periphere Gelenkende des Metatarsalknochens gleichsam wieder in die 
Gelenkfläche der Phalanx, welche dorsalwärts gewichen ist, hereingehoben, 
die Zehe streckt sich aus. 

Das, was wir beim Daumen-Drucke momentan hervorbringen, müssen 
wir bei unseren orthopädischen Maschinen verwerthen. Wir befestigen den 
Fass auf einem Sohlenstück, auf dessen vorderem Ehde eine gepolsterte 
keilförmige Erhebung angebracht ist. Die Basis des Keiles liegt nach 
vorn und berührt mit ihrem freien Ende gerade die Köpfchen der Meta¬ 
tarsalknochen ; die Zehen stehen also frei darüber hinaus. Von dem 
Sohlenstücke gehen artikulirende Schienen an dem Unterschenkel herauf. 
Wird nun durch einen Zugapparat der Fuss in Dorsalflexion gehoben, so 
sehen wir bei jedem Zuge den Fuss sich verlängern und die hyper- 
extendirten Zehen sich gerade strecken. Am Tage arbeitet der Patient mit 
dem Zugapparat und Nachts wird die Maschine in leichter Dorsalflection 
fe9tgestellt, um das erlangte Resultat dauernd zu bewahren. Schon nach 
einigen Wochen ist die Verlängerung des Fusses eine recht bedeutende.' 

2. Die entgegengesetzte Behandlung müssen wir natürlich bei dem 
Plattfusse anwenden. Wenn wir bei einem solchen, dessen Knochen noch 
beweglich sind, die Zehen ergreifen und etwas kräftig dorsalwärts strecken, 
so sehen wir die Wölbung des Fusses sich wiederherstellen. Wir drängen 
durch diese Bewegung die peripheren Enden der Metatarsalknochen ab¬ 
wärts und zwingen dadurch die oberen Enden dieser Knochen aufwärts 
zu steigen. Da diese aber mit der nächsten Reihe der Tarsalknochen fest 
verbunden sind, so folgen auch diese der Bewegung und die Wölbung 
kehrt momentan wieder. Die beste orthopädische Uebung, welche in ihrer 
Wirkung durch keine Maschine erreicht wird, ist daher für den beginnenden 
Plattfuss das Gehen auf den Zehen. Bei einem jeden Kinde, dessen in¬ 
nerer Fussrand sich ganz auf dem Boden abdrttckt, wird der Fuss sofort 
hohl, wenn es sich auf die Metatarsalköpfchen erhebt und darauf einher¬ 
schreitet. Für die leichteren Formen genügt, ausser dem häufigen Wieder¬ 
holen dieser Uebung, das Tragen eines gut schliessenden Schnürstiefels, 
an dessen innerer Seite eine leicht nach innen federnde Schiene angebracht 
ist (um die innere Sohlenseite etwas zu heben), während auf der äusseren 
Seite eine Schiene mit Nussgelenk steht, über welche ein Knöchelriemen 
den inneren Malleolus etwas nach aussen zieht und an welchem hinten 
ein recht hoher Absatz sich befindet (Stöckelschuh). Durch den hohen 
Absatz werden die Metatarsalknochen abwärts gerichtet, die Zehen dor¬ 
salwärts flectirt und wir erreichen daher annähernd dieselbe Stellung, 
welche bei dem Gehen auf den Zehen eintritt. Für schwere Formen muss 
natürlich die keilförmige Einlage auf der inneren Sohlenseite oder der 
durch den Schuh laufende Riemen, welcher die innere Sohlenseite trägt, 
beibehalten werden. 


289. Ueber das Wiedereinpflanzen ausgezogener Zähne. Von 
Magi tot. (Bull, de la Soc. de Chir. de Paris. Tome V. No. 2. Ctrlbl. 
f. Chirurg. 1880. 4.) 


Unter den drei Arten des Zahnpfropfens, Restitution, Transposition 
und greife het£rotopique, bespricht M. nur die erste, das Wiedereinpflanzen 
eines gezogenen Zahnes in seine eigene Alveole. M. unterscheidet ein 
sofortiges und späteres Einpflanzen und weiter solches des intacten oder 
des absichtlich resp. zufällig verstümmelten Zahnes. Nach einer 
eingehenden Besprechung der Geschichte und Literatur der vorliegenden 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Operation stellt er die Indicationen für dieselbe auf, die vorzüglich in der | 
Wurzelperiostitis mit ihren Folgen gefunden werden. Zweck 
derselben ist die Entfernung des kranken Theiles der cariösen, entzündeten 
Wurzel und damit Sistirung der Eiterung. Wenn, in ganz seltenen Fällen, 
die kranke Wurzel durch eine fistulöse Oefinung der Alveole direct 
zugänglich ist, lässt sich diese Entfernung der kranken Partie an Ort 
und Stelle vornehmen. In der grossen Mehrzahl aber ist eine längere 
Operation nöthig, die in drei Acte zerfällt: 1. Extraction des kranken 
Zahnes; 2. Resection seiner krankhaften Partie und 3. sofortige Wieder¬ 
einsetzung desselben. Zwischen dem 2. und 3. Acte können noch weitere 
Manipulationen, wie Reinigung der Eiterhöhle im Kiefer, Entfernung 
cariöser Sequester, Säuberung der Krone des extrahirten Zahnes und 
Ausfüllung cariöser Stellen desselben vorgenommen werden. Die kranke 
Partie der Wurzel wird mit der L i s t o n’schen Zange abgekniffen; die scharfen 
Kanten rundet man mit einer Feile sorgfältig ab. Das Wiedereinsetzen 
ist, besonders bei den Zähnen mit einer Wurzel, leicht und meist schmerz¬ 
los, danach aber anfangs bisweilen eine künstliche Fixation nöthig, bis 
die Zähne wieder angewachsen sind. Bestehende Fisteln müssen öfter 
durch einen Faden oder Draht offen gehalten werden. 

Der Verlauf ist einfach; Consolidation tritt schon in einigen Stunden 
ein. Vom erhaltenen Periost aus entwickelt sich in dem Zahne eine neue 
Vascularisation. Der Erfolg beruht hauptsächlich darauf, dass rings um 
den Wurzelrest eine Zone gesunden Periostes erhalten ist; ist dagegen 
das Periost auf einer Seite ganz zerstört, so bleibt die Consolidation fast 
stets aus; ebenso wird sie durch Eiteransammlung in der Tiefe der 
Alveole verhindert. 

M. hat diese Operation 63 Male ausgeftihrt mit nur 5 (8%) 
Misserfolgen. 50 Krankengeschichten, die alle das Schicksal der Operirten 
auf mindestens 6 Monate verfolgen, werden ausführlich berichtet und in 
einer Tabelle zusammengestellt. Den Schluss bildet ein kurzes Rdsum6, 
dessen 3 Punkte lauten: 1. die chronische Periostitis der Zahnwurzel 
mit ihren Folgen, wie Abscesse etc., die bisher mit der einfachen 
Extraction des Zahnes hehandelt ist, lässt eine conservative Therapie zu; 

2. diese besteht in der temporären Extraction des Zahnes, Resection der 
erkrankten Partie und der sofortigen Wiedereinsetzung (greife par restitution); 

3. die Heilung hat das Aufhören aller Zufälle, Einheilung des Zahnes 
und eine Wiederkehr der Ernährung desselben zur Folge. 

290. l. Die Methoden der Antiseptik im Kriege. Von Bruberger, 
Wolff, Münnich. Verhandlungen der Berliner militärärztlichen Gesell¬ 
schaft, Mai und Juni. (Deutsche militärärztl. Zeitschrift 1879. Heft 12.) 

2. Die Antiseptik im Kriege Ein Vorschlag. Von P. Bruns. 
(Ibidem c. 609—617. Ctrbl. f. Chirurgie 1880, 1. Ref. Hi 11er.) 

I. Die Diskussion in der „Berliner militärärztlichen Gesellschaft 
beschäftigt sich hauptsächlich mit der primären Antiseptik auf dem Schlacht¬ 
felde. Man einigt sich darüber, dass das ganze List ersehe Verfahren 
auf dem Gefechtsfelde wie dem Hauptverbandplätze der Sanitäts-Detache¬ 
ments in der Regel unausführbar sein wird, dass man sich hier vielmehr 
mit der einfachen Occlusion der Wunden mittelst antiseptischer Verband¬ 
stoffe wird begnügen und im Lazareth wird versuchen müssen, die etwa 
septisch gewordenen Wunden aseptisch zu machen. Die in dieser Beziehung 
von den preussisehen Militärärzten im letzten Orientkriege gemachten Er- 


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fahrungen sind in der That sehr zufriedenstellend; Bruberger betont 
insbesondere „als eines der wenigen aber unzweifelhaften Resultate“ aus 
diesem Kriege, dass es selbst nach verhältnissmässig langer Zeit noch 
gelinge, septisch gewordene Wunden in ihrem weiteren Verlaufe aseptisch 
zu machen. Die Hauptschwierigkeit für den Krieg besteht in der Be¬ 
schaffung eines geeigneten Verbandmaterials, welches von dauerhafter 
Wirksamkeit ist und auch jedem einzelnen Soldaten in seinem „Verband¬ 
päckchen unter Garantie der Haltbarkeit mitgegeben werden kann“. 

Wolff unterzieht mit Beziehung hierauf die bisher empfohlenen 
Verbandstoffe einer Prüfung und kommt zu dem Ergebniss, dass noch 
Keiner gefunden ist, welcher den an einen Kriegsverband zu stellenden 
Anforderungen vollkommen entspricht. Die Carboipräparate sind sämmtlich 
flüchtig; die Salicylsäure lässt sich aus der Salicyljute vollständig aus¬ 
klopfen; die Chlorzinkjute (Bardeleben) lässt sich zwar auch etwas 
abstäuben, bleibt jedoch in ihrem Percentgehalt ziemlich constant, wenn man 
der Cblorzinklö8ung vor der Bearbeitung der Jute 3 Percent und mehr 
Glycerin hinzusetzt. Dazu kommt, dass Chlorzink nach Maas die Re¬ 
sorptionsfähigkeit der Wunden bedeutend herabsetzt, daher denn seine 
Präparate für die Kriegspraxis die vollste Beachtung verdienen. Zuver¬ 
lässige Erfahrungen über die Wirkung derselben liegen jedoch wie auch 
Köhler aus Bardeleben’s Klinik bestätigt, bis jetzt nicht vor. 

M ü n n i c h, welcher gleichfalls den Chlorzinkpräparaten, und zwar 
besonders der Chlorzinkwatte oder auch der Chlorzink • Jutecharpie, den 
Vorzug gibt, constatirt, dass das Ausstäuben des Antisepticums in 
dem Gehalt des käuflichen Zinksalzes an Oxychloriden, die in Wasser 
unlöslich sind, seinen Grund habe; man müsse daher zur Flüssig¬ 
keit stets etwas Salzsäure zusetzen und, um schnelleres Trocknen zu 
erzielen, Spiritus anwenden. Durch gleichzeitige Beimengung von Gly¬ 
cerin könne die Brüchigkeit der durchtränkten Jutefasern wesentlich ge¬ 
mildert werden. Jutecharpie zieht M. der Jute deshalb vor, weil sie den 
mechanischen Theil der Aufgabe, die Luftreinigung durch Filtration, 
besser erfüllt. — Bezüglich der Haltbarkeit der übrigen antiseptischen 
Verbandmateralien hat M. gleichfalls Versuche angestellt, welche ergeben 
haben, dass die von ihm dargestellte trockene fixirte Carbo\jute (Central¬ 
blatt für Chirurgie 1878, p. 340) ihren Carbolgehalt am längsten be¬ 
wahrt. Die einfache trockene Carboljute, d. h. mit lOpercentiger spiri- 
tuöser Carböllösung imprägnirte Jute, und die Bruns’sche Carbolgaze 
sind zwar leichter herzustellen, aber von viel geringerer Dauerhaftigkeit. 
Mit Rücksicht auf die Vortheile der letzteren für manche chirurgische Fälle 
hat M. auch noch eine antiseptische Gaze hergestellt, welche neben 10 
Perc. Carbolsäure 15 Perc. Borsäure enthält, und zwar in einer Form, 
die jedes Auskrystallisiren der letzteren unmöglich macht. — Im Ganzen 
ist M. durch seine zahlreichen Versuche und Erfahrungen zu folgendem 
Ergebniss gelangt: Für den Hauptverbandplatz der Sanitätsdetachements 
eignet sich am meisten die dauerhafte fixirte Carboljute, während für ein¬ 
zelne Körpergegenden auch das Vorhandensein von selbstbereiteter Carbol¬ 
gaze wünschenswerth ist; in den Feldlazarethen kommt man im Allge¬ 
meinen mit trockener einfacher Karboljute aus; sollen schon dem Soldaten, 
was er für entbehrlich hält, solche Stoffe mitgegeben werden, so erscheinen 
ihm Chlorzinkwatte beziehungsweise Chlorzink-Jutecharpie hieftlr die 
passendsten. 

II. Brun8 erweitert seinen bekannten Vorschlag der Selbstbereitung 
antiseptischer Verbandsstoffe auch für die Antiseptik auf dem Schlacht- 


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Medicinisch-chinirgische Randschau. 


felde. Zu dem Zwecke nimmt er die ursprünglich von Port (Centralbl. 
für Chirurgie 1877, pag. 581) ausgegangene Idee, das Antisepticum beim 
ersten Nothverbande in Form eines Streupulvers anzuwenden, wieder auf. 
Er empfiehlt jetzt, eine etwas veränderte Carbolmischung in das Feld 
mitzuführen, die folgende Zusammensetzung hat: 200 Carbolsäure, 400 
Colophonium, 250 Alkohol, 150 Glycerin. 

Wenn man zuerst das Colophonium in Alkohol auflöst, dann die 
Carbolsäure und zuletzt das Glycerin hinzusetzt, so erhält man eine klare, 
dünnflüssige Lösung. Diese „Mixtura carbolica - lässt sich nun je nach 
Bedürfhiss in kürzester Zeit eben so wohl zu Carbolgaze, wie zu Carbol- 
streupulver verarbeiten. Erstere findet hauptsächlich in Feldlazarethen und 
bei operativen Fällen auf dem Hauptverbandplätze Anwendung, letztere 
dient zur antiseptischen Bestreuung der Wunden auf dem Schlachtfelde 
und Verbandplätze. Die Darstellung der Gaze ist bekannt; zur Herstellung 
des Streupulvers wird die Lösung mit einem indifferenten feinen Pulver, 
am besten Calcar. carbon. präcipit. Ph. Germ., im Verhältniss von 1 :8 
verrieben. Solches Streupulver enthält 2 Perc. Carbolsäure, ist fein und 
gleichmässig. — Die Technik bei Anlegung des Verbandes ist folgende: 
Zunächst wird die Wunde und ihre Umgebung mittelst einer Streubüchse 
mit einer Schicht Pulver bestreut; darüber kommen eine oder mehrere 
Schichten lockerer Jute, die gleichfalls eingepulvert werden; das Ganze 
aber wird mit einem undurchlässigen Stoff (Wachspapier) bedeckt und 
mit einer Gazebinde fixirt. Bei genähten Wunden kommt zuerst Protectiv 
auf die Wunde, darüber die eingepulverte Jute; der Verband ist dann 
dem trockenen Carboijuteverband ähnlich. — Das jedem Soldaten beige¬ 
gebene Verbindezeug hätte zu bestehen aus 15 g. Jute, einer Gazebinde 
und 1 Stück Wachsseidenpapier; das Sanitätspersonal wäre mit dem 
Streupulver und der Streubüchse zu versehen. — Die Wirksamkeit dieses 
Verbandes hat B. in zahlreichen Fällen der Tübinger Klinik erprobt. 
Namentlich geeignet ist derselbe auch für die poliklinische Behandlung. 
Bei oberflächlichen Verletzungen und Geschwüren kann man nicht selten 
Heilung unter einem Schorf beobachten. Auch auf die schlaffen Granu¬ 
lationsflächen im letzten Stadium der Wundheilung beim Listerverband 
wirkte das Pulver gut stimulirend; eben so günstig bei chronischen 
Unterschenkelgeschwüren und jauchenden Carcinomen. Im Nothfalle, 
z. B. bei eintretendem Mangel an Carbolgaze im Kriege, kann, wie B. 
sich überzeugt hat, der Streupulververband den regelrechten Listerver¬ 
band zweckmässig ersetzen. 

291. Die Behandlung des Epithelioma cervicis Uteri. Von 
J. Marion Sims. (Amer. Journ. of. Obstets. Juli 1879.) 

Das Epithclialcarcinom der Cervix tritt nie unter dem 20., selten 
vor dem 30., häufig zwischen dem 30. bis 40., meist zwischen dem 
40. bis 50. Lebensjahre auf, zur Zeit der Climax. Verheiratete werden 
häufiger ergriffen als Ledige. Das erste Zeichen ist ein Blutabgang post 
coitum oder nach dem Gebrauche der Vaginaldouche. Die Menstruation 
wird profuser und es stellt sich ein seröser, blutwasserähnlicher Ausfluss 
ein. Die Krankheit schreitet vorwärts, inzwischen sich das Weib noch 
anscheinend wohl befindet und blühend aussieht. Sucht endlich die 
Leidende Hilfe, so ist diese nicht selten nicht mehr möglich, da die 
Krankheit sich bereits zu weit ausgebreitet hat. Vor 40 Jahren gebrauchte 
man in Frankreich ausschliesslich das Cauterium actuale. Als C h a s- 
saignac den Ecraseur einführte, wandte man ihn sofort zur Ampu- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


367 


tation der carcinomatösen Cervicalportion an. Er hat den Uebelstand, 
benachbartes Gewebe mitzufassen, wodurch die Blase oder die Peritoneal- 
höhle eröffnet werden kann, wie dies nicht selten geschah und Verf. im 
Jahre 1860 selbst erlebte, als er die Peritonealhöhle eröffnete. Nach dem 
Ecraseur kam der Electrocauter Middeldorpffs an die Reihe. Die 
Amputation mittelst der Galvanocaustik hat mancherlei Uebelstände. Der 
Apparat ist zu gross, zu complicirt, sehr theuer, oft arbeitet er nicht 
oder stockt mitten in der Operation. Ausserdem folgen nicht selten 
Blutungen, wie dies Verf. in einem Falle sah, wo nicht viel gefehlt 
hätte, dass die Operirte einige Stunden später verblutet wäre. Man meinte, 
os folgen diesem Operationsverfahren seltener septische Infectionen und 
Peritonitiden nach, doch ist dem nicht so. Der gute Erfolg nach Carcinom- 
Exstirpationen, mögen sie welches Organ immer betreffen, hängen stets 
davon ab, dass sieb der Operateur bemüht, alles carcinomatös-degenerirte 
Oewebe möglichst sorgsam zu entfernen. Desshalb hat E. sein früheres 
Verfahren aus den Jahren 1869 bis 1871, die blosse Amputation der 
Vaginalportion mit nachfolgender Ueberhäutung des Stumpfes und Anlegen 
von Silbernähten vollständig verlassen. Operirt man nämlich in dieser 
Weise, so kann man nie alles Krankhafte entfernen und das Leiden 
recidivirt, wie er sich überzeugte, binnen wenigen Wochen. Will man die 
Recidive möglichst lange hinausschieben, d. h. alles Kranke gründlich 
entfernen, so muss man Aetzmittel anwenden, wie dies vor Jahren schon 
Maisonneuve anempfahl. E. operirt in neuester Weise folgendermassen. 
Die Kranke wird ätherisirt, in die Sims’sche Seitenlage gebracht und 
ein Sims’sches Speculum eingeführt. Die aus der Muttermundslippe 
heraus wuchernde Aftermasse wird mit einem Instrumente gefasst und 
festgehalten. Je nachdem die Masse eine festere oder weichere Consistenz 
besitzt, wird sie mit dem Messer, der Scheere entfernt oder mit der 
Cürette herausgeschält. Im ersteren Falle ist die Blutung gewöhnlich eine 
mässige und kann von den Assistenten mittelst Schwämmen beherrscht 
werden. Sollte es bei der Manipulation mit schneidenden Instrumenten 
geschehen sein, dass die Circulararterie der Cervicalportion getroffen 
wurde, so muss man dieselbe sofort mit einer Sperrpincette fassen, welche 
bis zur Beendigung der Operation hängen bleibt. Nach Abtragung der 
Aftermasse wird mit dem Messer die indurirte Basis, so weit als möglich 
abgetragen. Um sich das Operationsfeld zu nähern und bequemer mani- 
puliren zu können, wird der Uterus gefasst, vorgezogen und fixirt. Nach 
Excision der Geschwulstbasis führt man den Finger ein und betastet das 
Uteringewebe. Fühlt man noch hie und da indurirte Stellen oder Knöt- 
ehen, so müssen diese mit aller Sorgfalt mittelst eines langgestielten 
Messers excidirt werden. Ist dies geschehen, nimmt man styptische Baum¬ 
wolle (oder entfettete Baumwolle eingetaucht in eine Lösung von Chlor¬ 
eisen — 1:2 — oder Alumen) und füllt mit dieser den künstlich 
trichterförmig erweiterten Cervicalcanal aus. Mittelst nachfolgender Kugeln 
styptischer Baumwolle wird die Vagina in ihrem oberen Dritttheile fest 
austamponirt. Bei diesem Verfahren ist die grösste Sorgfalt angezeigt, 
um vor einer etwaigen Nachblutung sicher zu sein. Wählt man Alumen 
als Stypticum, so nehme man eine Carboisolution (1 : 40) und menge sie 
mit Alumenpulver in dem Verhältnisse von 1 : 12. Jetzt kommt die 
Kranke in das Bett und erhält ein Narcoticum wegen der nachfolgenden 
Schmerzen. Je nach Nothwendigkeit muss der Katheter applicirt werden. 
Nach 4—5 Stuuden entfernt man mittelst eines gestielten langen Stäb¬ 
chens, welches an seinem oberen Ende eine korkzieherartige Schraube 


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Mediciuisch-chirargische Rundschau. 


trägt, einige Baumwollkugeln, um den Schmerz, welcher durch den Druck 
von Seite des Tampons auf den Blasenhals ausgeübt wird, zu beseitigen. 
Am nächstfolgenden Tage entfernt man abermals einen Theil de 3 Tam¬ 
pons, doch lässt man die oberste Partie desselben, welche den wunden 
Stellen anliegt, noch zurück. Der Rest des Tampons wird erst am 
4.—5. Tage hervorgeholt. Nun nimmt man Baumwolle und taucht sie 
in eine Lösung von Chlorzink (22 Grm. Chlorzink auf 35 Grm. Aq. 
destillat). Die Baumwolle wird ausgedrückt und so lange eingelegt bis 
die ganze wunde Fläche von ihr bedeckt ist. Dieser Watte folgt eine 
solche, eingetaucht in Bicarbonas sodae, so dass die obere Hälfte der 
Vagina fest austamponirt ist. Das Chlorzink bereitet starke Schmerzen, 
es muss daher Morphium subcutan in hinlänglicher Menge gegeben 
werden. Die Wattekugeln, eingetaucht in Natr. bicarb., haben den Zweck, 
die ätzende Wirkung des herabsickernden Chlorzinkes zu beheben, doch 
gelingt dies häufig nicht. Statt des Bicarbonas sodae benützte S. Hühner- 
eiweiss, Tannin, doch gleichfalls ohne besonderen Effect. Die in das 
Bicarbonas sodae getauchte Wolle kann nach 1 —2 Tagen entfernt werden, 
die Chlorzinkwatte dagegen bleibt 4— 5 Tage liegen. Bei der Entfernung 
letzterer sei man sehr vorsichtig und wende keine Gewalt an, um nieht 
eine Blutung herbeizuführen. Die Entfernung derselben geschieht stets 
unter Beihilfe eines Sims’schen Spiegels, doch muss dieser wegen der 
starken Runzelung der Vaginalmucosa von kleinem Formate sein. Die 
Wundfläcbe ist von einem grauen, ziemlich dicken Schorfe bedeckt, das 
sich auf einmal oder stückweise ablöst. Nach Abstossung desselben prä- 
sentirt sich eine gesundaussehende Granulationsfläche, welche sich bei 
Carbolinjectionen bald überhäutet und heilt. 14 Tage nach Abstossung 
des Schorfes genügen in der Norm zur vollständigen Heilung. Chlorbrom 
hat dem Chlorzink gegenüber keine besonderen Vorzüge wie von mancher 
Seite her behauptet wird. S. wendet es deshalb nicht an, weil es die 

Athmungsorgane des Operateurs zu sehr afficirt. Will man es durchaus 

nehmen, so lasse man eine Lösung von 1 auf 5—10 Theile Alkohol 
anfertigen. Von anderer Seite (Newton in New-York) wird das Zincum 
sulphuricum warm empfohlen. Die Patientinnen müssen angewiesen werden, 
sich nach relativ kurzer Zeit, oder in Intervallen von einigen Wochen wieder 
vorzustellen, um nachzusehen, ob nicht eine Recidive eintrat. Merkt man 
den geringsten Rückfall, so nehme man sofort die Ctirette, das Messer 

oder die Scheere in die Hand und ätze wieder. S. erwähnt Fälle, bei 

denen er 2—3 Mal nachoperirte. S. schlägt dieses Verfahren auch dort 
ein, wo der Uterus bereits fixirt, das Corpus oder gar die Vagina bereits 
ergriffen ist. Erreicht man in solchen Fällen auch keine Heilung, so erzielt 
man doch einen Aufschub von Wochen und Monaten und damit ist schon 
Viel gewonnen. Auf eine gefährliche Com plication muss man sich, namentlich 
wenn die Aftermasse weich ist und die Erkrankung hoch hinauf bis zum 
Fundus reicht, gefasst machen, diese ist die Blutung. Trifft man hier 
nicht bei Zeiten Vorsichtern assregeln, so kann die Kranke während der 
Operation in Gefahr gerathen. Zu diesen gehören langgestielte Watte- 
träger aus Fischbein und styptische Baumwolle. Bei heftigen Blutungen 
muss die Aftermasse rasch entfernt und die Uterushöhle mittelst der 
Watteträger mit styptischer Wolle austamponirt werden. Dann wird die 
Scheide tamponirt, um ein Herausgleiten der Wattepfröpfe aus der Uterus¬ 
höhle zu vermeiden. Unter diesen Umständen liegt die Gefahr einer sep¬ 
tischen Infection sehr nahe. Der Wattetampon der Scheide sowohl als des 
Uterus darf daher nicht lange liegen bleiben. Steigt nach 24 Stunden 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


369 


die Temperatur an, so ist keine Zeit mehr zu verlieren. S. entfernt 
zuweilen die Aftermassen, wo der Process bereits soweit vorgeschritten 
ist, dass von einer totalen Exstirpation des Carcinomes absolut keine Rede 
mehr sein kann. Es geschieht in dem Falle bloss desshalb, nm den 
lötiden Ausfluss zu. beseitigen oder zu mildern und eine putride Infection 
des Gesammtorganismus noch hinauszuschieben. Die Uterushöhle wird mit 
der Cürette ausgekratzt. In solchen Fällen ist der Uterus bereits an seine 
Umgebung fixirt. Hier muss man nach der Operation grosse Dosen 
Opium, Morphium etc. geben, weil die Schmerzen sehr bedeutend sind. 

Im Monate März 1878 operirte S. Fälle von weit vorgeschrittenem 
Carcinome in der Klinik Spaeth’s, Böhm’s und Salzer’s. Die Resul¬ 
tate waren aber unglücklich, denn im 1. Falle starb die Patientin nach 
wiederholten Hämorrhagien am 6. Tage. Bei der Section zeigte es sich, 
da*s das Peritoneum, respective die Uteruswand, an 2 Stellen eröffnet 
worden war. Im 2. Falle starb die Person am 3. Tage, auch hier war 
die Peritonealhöhle eröffnet und zwar im Scheidengewölbe, in Folge der 
Abtragung des Carcinomes mit dem Messer. Im 3. Falle genas die 
Kranke, trotzdem bei der Entfernung der Aftermasse das carcinomatöse 
Scheidengewölbe während der Operation in Folge des Druckes von Seite 
des Speculum einriss und die Peritonealhöhle eröffnet wurde. 

Aus diesen drei Fällen zieht S. die Erfahrung, man dürfe bei der 
Au8tamponirung des Uterus keine grosse Gewalt anwenden, weil man 
sonst leicht die abgekratzten, stark verdünnten Uteruswände zerreisseu 
kann. Ebenso vorsichtig muss man mit dem Spiegel während der Ope¬ 
ration hantiren, weil er das Scheidengewölbe, wenn es bereits infiltrirt 
ist, gleichfalls leicht zerreisen kann. Ueber Schröders Entfernung des 
Cervix, Freunds Exstirpation des ganzen Uterus und P a q u e 1 i n’s 
Thermocauter fehlt S., wie er eingesteht, die Erfahrung. Ist die Heilung 
nach gemachter Operation und nachfolgender Aetzung gelungen, so soll 
man den Kranken längere Zeit hindurch Arsen in kleinen Dosen reichen. 
Das Allgemeinbefinden wird dadurch gehoben und einer Recidive vorgebeugt. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

292. Ein neuer Fall gefährlicher Folgen von Carbol-Ein¬ 
spritzungen in den Uterus. Von Reim&nn in Kiew. (Gynäk. Ctrbl. 
1880. 5. Orig.-Mitthlg.) 

Eine Mehrgeschwängerte kam in Folge von Blutungen im 6. Monate 
vorzeitig nieder. Die Placenta musste künstlich entfernt werden, doch 
gelang dies nicht vollständig und blieb ein Stück derselben zurück. Am 
4. Tage wurde der Lochialfluss übelriechend und die Frau begann zu 
fiebern. Auf dieses bin machte R. eine Irrigation des Uterus mit einer 
2percentigen Carboisäurelösung. Nach der ersten Einspritzung bekam die 
Ftb ,u Uebelkeiten und Kopfschmerzen. Zwei Stunden nach der zweiten 
Irrigation war die Frau fast pulslos und in der höchsten Athemnoth. 
Die Pupillen waren erweitert, der Athem roch nach Carbol, der Harn 
zeigte eine dunkle Färbung. Unter den angewandten Mitteln verschwanden 
die Intoxicationserscheinungen in wenigen Tagen. Der Geruch des Athems 
und die dunkle Färbung des Harnes dauerte dagegen noch längere Zeit 
an. Die pyämischen Zeichen zeigten sich nicht wieder und die Frau erholte 
»ich vollständig. Ganz richtig bemerkt R. am Schlüsse seiner Mittheilung, 
dass seiner Ansicht nach Irrigationen der Uterushöhle auf das Aeusserstc 
zu beschränken, wenn nicht ganz zu vermeiden seien. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

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Ifed.-cbir. Rundncban. 1880 . 



Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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293. Asphyxia neonatorum und Hypnotismus. Von R. Olshau- 
sen. (Ctrbl. f. Gynäkologie. 1380. 8. Orig.-Mitthcilung.) 

Bei Lesung der Schrift Heidenhains über den Hypnotismus hat 
sich Verf. einer von ihm bei asphyktischen Neugeborenen oft gemachten 
Beobachtung erinnert, welche, vielleicht wenig bekannt, jetzt neues Inter¬ 
esse zu gewähren scheint: bei Neugeborenen, welche noch tief asphyktisch 
sind und entweder noch gar keine spontanen Bewegungen oder erst sehr 
seltene Athembewegungen ausftihren, gelingt es sehr gewöhnlich, durch 
energische Reizung der Nackenhaut an den oberen Dorsal- und unteren 
Halswirbeln mit den Fingerspitzen quiekende Töne kervorzurufen, welche 
Schlag auf Schlag jedesmal dem Druck der Fingerspitzen sich folgen. 
Diese Töne hervorzurufen gelingt schon lange, ehe das Kind zu schreien 
beginnt und oft genug bei Kindern, welche nicht wieder belebt werden 
und nicht zum Schreien gebracht werden. 

Das genannte Experiment erinnert so vollständig an den Goltz- 
schen Quackversuch, dass es die Wiederholung desselben beim Neuge¬ 
borenen genannt werden kann, allerdings mit dem Unterschiede, dass bei dem 
G o 11 ziehen Versuche das Quacken aspiratorisch ist, während bei dem Neu¬ 
geborenen, der noch nicht geathmet hat und bei welchem also der Thorax 
in Expirationsstellung noch verharrte, nur eine Inspiration jene Laute be¬ 
dingen kann. Es drängt sich nun die Frage auf, ob es nicht erlaubt ist, 
eine Parallele zu ziehen zwischen dem Zustande des Frosches, dem die 
Grosshemisphären entfernt sind, resp. dem Zustande des Hypnotismus und 
dem Zustande des neugeborenen Kindes in einem gewissen Stadium einer 
reinen Asphyxie. Verf. hält die Parallele berechtigt in solchen Fällen 
von Asphyxie, wo die Reizbarkeit des Athemcentrums bereits in der Wie¬ 
derkehr begriffen ist, während die Grosshirnhämisphären noch nicht reagiren. 
Es fragt sich, ob ein solches Verhalten vorkommt oder gar das gewöhn¬ 
liche ist; wenn bei tiefster Asphyxie durch irgend eine Methode der künst¬ 
lichen Respiration der Puls sich schon wieder gehoben hat, das Neuge¬ 
borene aber noch regungslos und mit geschlossenen Augen daliegt, so 
pflegt ein Kitzeln der Fusssohlen schon eine Reflexaction der Schenkel¬ 
in uskeln auszulösen, ehe es gelingt durch irgend welche Reize Respirations¬ 
bewegungen hervorzurufen. Spontane Athembewegungen aber sind nicht 
selten schon vorhanden, bevor Reize, wie Schläge auf das Hintertheil 
u. dgl. solche hervorzurufen vermögen. Das heisst also: Der Sauerstoff¬ 
mangel des Blutes wirkt schon als Reiz; von der Haut her werden Reize 
durch das Grosshirn noch nicht zur Medulla oblongata fortgeleitet. 

Es scheint demnach, dass in gewissen Fällen und Graden der As¬ 
phyxia neonatorum der angezogene Vergleich mit dem Hypnotismus wohl 
passt und es würden sich solche Neugeborene dann auch eignen, um 
gewisse specifische Reizstellen der Körperoberfläche zu erforschen. Durch 
ein allbekanntes Mittel bei Asphyxia neonatorum, das Besprengen der 
Magengrube mittelst eines Strahls kalten Wassers, suchte man schon seit 
jeher unbewusst auf eine solche specifische Hauptpartie zu wirken. Es 
lohnt sich der Versuch, festzustellen, ob nicht Reizung der Haut über den 
letzten Brustwirbeln und ersten Lendenwirbeln Erhebung der Rippen zur 
Folge hat, wie es R. Heidenhain und P. Grützner fanden. Zum 
Schluss erinnert Verf., dass sich nicht jeder Fall von Asphyxia neona¬ 
torum zu solchen Versuchen eignen wird. Am besten werden Fälle bei 
Beckenendgeburten sein, wo man es mit einer nicht durch Himdruck 
complicirten Asphyxie zu thun hat. 


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Medicinisch-chirargUche Rundschau. 


371 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 

294. Hemiopiscbe Farbenblindheit bei einem Aphasisclien. Von 
Dr. M. Galezowski. Hömiopie chromatique chez un aphasique. („Gazette 
des höpitaux“ Nr. 22. 1880.) 

Nach dem bekannten Spricliworte von dem zu einem erhaltenen 
Amte gehörigen Verstände schafft auch der Herrgott Demjenigen, dem er 
eine Theorie in den Sinn gibt, auch sofort die zu deren Stütze nöthigen 
Tbatsachen. — Es wird allseitig übereinstimmend zugegeben, dass noch 
kein Fall von wohl constatirter nasaler Hemianopsie beobachtet wurde. 
Würde ein solcher Vorkommen, so wären hier die ersten bedeutenden 
Schwierigkeiten für die Semidecussationstheorie zu überwinden, da man 
dann zur Annahme eines zweifachen Krankheitsherdes am Chiasma flüchten 
müsste. Nun hat Charcot durch eine geistreiche Hypothese auch für 
solche Fälle die genannte Theorie geschützt, ohne sie durch einen dop¬ 
pelten Krankheitsherd zu gefährden. Er stellte nämlich die Annahme auf, 
dass diejenigen Sehnervenfasern, welche im Ghiasma keine Kreuzung er¬ 
leiden, rückwärts im Gehirn irgendwo eine Kreuzung eingehen. Eine 
Erkrankung dieser Stelle des Gehirns müsste dann nasale Hemianopsie 
her vorrufen. Nun wird jetzt von Herrn Galezowski der erste Fall 
von nasaler Hemianopsie entdeckt, allerdings blos für die Farben, d. h. 
der Kranke, um den es sich handelt und der im Jahre 1878 von einer 
rechtsseitigen Hemiplegie mit Aphasie, von der er genas, und im August 
1879 von einer unvollständigen linksseitigen Hemiplegie mit Aphasie und 
linksseitiger Facialislähmung befallen wurde, dieser Kranke, dessen Leiden 
von Charcot als syphilitischen Ursprungs angesehen werden, fühlte seit 
eiuiger Zeit eine bedeutende Sehschwäche, als deren Grund Galezowski 
nichts anderes entdeckte, als eine einfache Asthenopie mit Schwierigkeiten 
beim Lesen und Schreiben durch geistige Ermüdung (par fatigue d’esprit). 
Dieser Kranke, dessen Sehschärfe und Gesichtsfeld normal sind, besitzt 
eine mangelhafte Farbenperception in dem inneren (nasalen) 
Theil des Gesichtsfeldes beider Augen. Das rechte Auge 
erkennt keine Farben auf 8 Centimeter nach innen vom Fixirpunkt; aus¬ 
genommen das Ultramarinblau, welches richtig erkannt wird, werden 
alle übrigen Farben mit Weiss verwechselt. Dasselbe ist der Fall am 
linken Auge, dessen Farbenblindheit 5 Centimeter nach innen vom Fixir- 
punkte beginnt. „So besitzt dieser Kranke die Farbenempfindung zwar 
im Sehcentrum, hat sie aber in den beiden inneren Gesichtsfeldhälften 
verloren, was eine gekreuzte Hemiopie für die Farben constituirf.“ 
Zur Erklärung des Factums, für welches eine Alteration des Tractus oder 
der Corpora geniculata nicht ausreicht, wird nun jene CharcoGsche 
Hypothese herangezogen. (Dieselbe scheint übrigens in einigen Thier¬ 
experimenten Munk’s [Du-Bois-Reymond’s Archiv 1879] ebenfalls 
einige Stütze zu finden. Ref.) S. Klein, Wien. 

295. Zum Gebrauch von Jodkalium und Calomel in der Augen¬ 
heilkunde. Von Dr. W. Schlaefke. (v. Graefe’s Arch. f. Ophth. 
Bd. 25, Abth. 2.) 

Verf. hat die vor 30 Jahren von Fr icke und Anderen und vor 
12 Jahren neuerdings von Hennequin gemachte Beobachtung, wonach 
der innerliche Gebrauch von Jodkalium in Verbindung mit Einstäubungen 
von Calomel in den Bindehautsack heftige Augenentzündungen hervorrufen 

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Mediciniscb-cbirorgi8cbe Rundschau. 


soll, einer eingehenden Untersuchung unterzogen und durch chemische 
Versuche und durch Versuche an Thieren die Richtigkeit jener Beob¬ 
achtungen festgestellt und gelangt auf Grund seiner Experimente zu dem 
Resultate, dass von der äusseren Anwendung des Calomels Abstand zu 
nehmen sei, insolange Jod in der Thränenflüssigkeit enthalten ist. — Das 
Jodkalium wird aber, innerlich verabreicht, schon in ganz kurzer Zeit, 
schon nach Minuten, in den verschiedenen Se- und Excreten und speciell 
auch in der Thränenflüssigkeit nachweisbar. — Bei täglich zweimaliger 
Verabreichung von 05 Grm. ist in der Thränenflüssigkeit des Menschen 
Jodkalium fortwährend in nachweisbaren Quantitäten vorhanden. — 
Calomel ist in Wasser nur in sehr geringen Mengen löslich, weit löslicher 
in s / 4 percentiger Kochsalzlösung; es löst sich mithin auch in dem per- 
petuirlichen Flüssigkeitsstrom des Bindehautsackes. — Wird nun bei An¬ 
wesenheit von Jodkalium in der Thränenflüssigkeit Calomel in den Con- 
junctivalsack gestreut, so entsteht durch Verbindung des letzteren mit dem 
Jod Quecksilbeijodür und Quecksilberjodid, welche, da sie bei Gegenwart 
von Kochsalz oder Jodkalium löslich werden, ätzend auf die Bindehaut¬ 
oberfläche wirken und lebhafte Entzündung hervorrufen. — Die Er¬ 
klärung der eingangs genannten Autoren ftlr den Eintritt der Reizung und 
Entzündung, welche in den kaustischen Eigenschaften des unter diesen 
Verhältnissen nach Annahme der Chemiker sich bildenden Jod-Quecksilbers 
gesucht wurde, erweist sich demnach durch die gediegene Nachforschung 
des Verfassers als vollkommen stichhaltig und begründet, (ln praktischer 
Beziehung ist das Ergebniss dieser Untersuchungen ungemein wichtig und 
werthvoll. Ref.) S. Klein, Wien. 


296. Ueber einen Fall von ungewöhnlich grosser Sehschärfe. 
Von Dr. Josef Talko in Warschau. (Verhandlungen der Heidelberger 
ophthalmologischen Gesellschaft vom 12. August 1879.) 

In einer Zuschrift an die Heidelberger Versammlung berichtet Ver¬ 
fasser über einen 21jährigen, in der Steppenregion des Cherson’sehen 
Gouvernements geborenen Soldaten, welcher Nr. 40 der Snellen'schen 
Scala im offenen Felde fast genau in einer Entfernung von 120 Fass 
lesen konnte, demnach das dreifache der normalen Sehschärfe (S = 1S0/ 4 o) 
besass. Verf. bemerkt dazu, dass er Fälle von S = l / 4 wohl beob¬ 
achtet, solche aber, wie den vorliegenden, den er mit Recht zu den 
grössten Seltenheiten rechnet, habe er in der ophthalmologischen Literatur 
nicht getroffen. S. Klein, Wien. 


297. Ein Holzsplitterchen 47 Jahre lang im Auge ohne Be¬ 
schwerden ertragen. Von Dr. med. Sigismund in Weimar. (BerL 
klin. Wochenschr. Nr. 6, 1880.) 


Ein 59jähriger Mann erlitt als 12jähriger Knabe bei Besteigung 
eines Baumes eine Verletzung des linken Auges durch Anstossen eines 
Astes an dasselbe, worauf er erblindete. Da sich weiter keine Be¬ 
schwerden zeigten, wurde weiter nichts unternommen. Erst im letzten 
Jahre stellten sich Schmerzen ein, die ärztlichen Rath veranlassten. 

Es fand sich eine Trübung in der unteren Comeahälfte und in der 
Mitte der Trübung eine vertiefte Narbe. Die mittelweite Pupille beher¬ 
bergte in ihrer Lichtung eine gelbliche schreibfederspitzförroige Figur 
mit dem breiten Theil nach oben gekehrt. Aus der scharfen Contouriruug 
dieser Figur, aus der Vermehrung der Schmerzen bei Druck auf den 
Bulbus aus der Hartnäckigkeit der gegenwärtigen Entzündung, aus dem 


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Medicinisch-chirnrgiache Rundschau. 


373 


Vorhandensein der Corneanarbe schloss Verf. ganz .richtig, dass die gelb¬ 
liche Figur ein vor 47 Jahren eingedrungener Fremdkörper sei und nicht 
ein Exsudat, mit welchem sie einige Aehnlichkeit hatte. 

Die Linse war total undurchsichtig und dunkel gefärbt. 

Durch peripheren Linearschnitt wurde die cataractöse, wie es sich 
zeigte, durch Blutfarbstoff dunkelrotb gefärbte Linse sammt dem Fremd¬ 
körper extrahirt, welche letztere der Linse auflag. Voller Erfolg, indem 
8ämmtliche Entzündungserscheinungen und die Schmerzen gewichen waren. 

Doch besteht nur quantitative Lichtempfindung und Verf. glaubt 
die fortdauernde Sehstörung einer Trübung des Glaskörpers zuschreiben 
zu sollen. 

Der Fremdkörper erwies sich als ein Holzsplitter von 5 Mm. Länge 
und 2 Mm. Breite am stärkeren Ende. S. Klein, Wien. 


298. Acute Erblindung nach Hämatemesis. Von Naegeli. (Cor- 
respondenzbl. f. Schweiz. Aerzte. 1879. Nr. 24. St. Petersb. Wochen¬ 
schrift. 1880. 8.) 

Verf. berichtet eingehend über einen von ihm beobachteten Fall 
von Erblindung nach Hämatemesis und knüpft daran einige interessante 
Angaben über die Häufigkeit des Auftretens von Sehstörungen nach Blut¬ 
verlusten. Diese Angaben sind der Dissertation von Sigmund Fries 
entnommen, nach welchem Blutungen in den Intestinaltractus (Hämatemesis, 
Melaena) bei weitem das grösste Contingent zu Sehstörungen liefern, 
35*5 Percent. Blutungen aus dem Uterus 25 Percent. Künstliche Blut¬ 
entziehungen 25 Percent. Epistaxis 7*3 Percent. Blutungen aus Wunden 
5*2 Percent. Hämoptoe 1 Percent. Urethralblutungen 1 Percent. — 
Da Magen- und Darmblutungen jedenfalls zu den seltenen gehören im 
Vergleich zu den Blutungen in Folge von Verletzungen und denjenigen 
der weiblichen Genitalorgane, darf man sich nicht wundern, sagt Verf., 
wenn viele Autoren eine besondere Prädisposition der Intestinalblutungen 
zu Amaurose annehmen ocfer die Behauptung aufstellen, Hämatemesis und 
Sehstörungen entspringen derselben centralen Ursache. (Vergleiche Same 1- 
sohn, Arch. f. Ophth. XVIII. 2. 1872.) Bezüglich der Zeit des Ein¬ 
tretens der Amaurosen hat Fries in den daraufhin analysirbaren Fällen 
gefunden, dass die Erblindung in 26*4 Percent der Fälle sofort, in 16 
Percent in den ersten 12 Stunden und in 54 Percent später, bis zum 
18. Tage nach dem Blutverlust, am häufigsten vom 3—6 Tage nach 
demselben sich einstellte. Nach dem vorhandenen Material von 91 genau 
bezeichneten Fällen ergibt sich, dass 43mal (47*2 Percent) keine Besse¬ 
rung, 28mal (30*8 Percent) Besserung und 19mal (20*9 Percent) voll¬ 
ständige Wiederherstellung eintrat. Die Herstellung erfolgte in sehr ver¬ 
schiedenen Zeiträumen *, besonders günstig zeigen sich die künstlichen 
Blntentziehungen, wo schon nach */♦ Stunde, nach 3 Stunden und einem 
Tage die normale Sehkraft wiederkehrte. Bei den geheilten Fällen, nach 
spontanen Blutungen, erfolgte die Besserung in der überwiegenden Mehr¬ 
zahl erst nach mehreren Tagen oder Wochen, einmal erst nach 9 Monaten. 
Sectionen wurden nur zwei gemacht und die Sectiousbericlite sind so 
dürftig, dass sie zur Erklärung der Entstehung der Amaurose nach 
Blutungen nichts beitragen. Bei Erblindungen, welche der Blutüng sofort 
folgen, kann die Anämie des Gehirns, respective der Nn. optici, als ge¬ 
nügenden Erklärungsgrund nicht bestritten werden. Anders verhält es 
sich mit jenen Krankheitsbildern — wozu auch der vom Verf. behandelte 
Fall zählt — wo Tage und Wochen nach dem Insult, ohne dass neuer 


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Medicini sch-chirurgische Rund schau. 


Blutverlust eingetreten wäre, erst die Erblindung sieb einstellt. Hier bietet 
sich ein weites Terrain für Hypothesen. Verf. gibt der Ansicht Raum, 
dass sich in einem Theil der betreffenden Fälle durch die sich einstellende 
bedeutende Hirnanämie derartige nutritive Störungen im Thalamus oder 
noch eher in den vasomotorischen Centren der Sehorgane, eventuell auch 
im Kleinhirn, auslösen, dass dadurch Neuroretinitis mit ihrem Ausgang 
in Atrophie der Optici erfolgen kann. — Was die Prognose anbetrifft, 
verweist Verf. auf die statistischen Zusammenstellungen. Sofort nach der 
Blutung sich einstellende Erblindungen scheinen eher Hoffnung auf Heilung 
beanspruchen zu dürfen, als Sehstörungen, die sich erst nach einigen Tagen 
entwickeln. Magenblutungen mit Amaurose sind relativ ungünstiger als 
andere. Therapie der Sehstörungen: 1. Injectionen von Strychnin, nitric. 
0*001 pro dosi abwechselnd in die Haut beider Schläfengegenden. 2. Locale 
Anwendung des constanten Stroms in mässiger Stromstärke. Dauer 1 bis 
3 Minuten. Kathode am Augenwinkel, Anode an der Schläfe oder im 
Nacken. 3. Blutzufuhr nach dem anämischen Gehirn, worauf Verf. in 
consequenter Ausnutzung seiner Ansicht bezüglich der Pathogenese das 
Hauptgewicht legt. Er würde unbedingt in Fällen erschöpfender Blutung 
von Anfang an, ohne zuerst abzuwarten, ob sich Sehstörungen zeigen oder 
nicht, die Inversion anordnen, oder wenn diese nicht ertragen würde, die 
Anämie eine hochgradige wäre, und sich Symptome beginnender Sehstörung 
zeigten, nicht zögern, zur Transfusion zu schreiten. 

299. Zur autiseptisohen Behandlung der Mittelohreiteruugen. 
Von Dr. Friedrich Bezold in München. (A. f. 0., 15. Bd., 1. Heft. — 
Monatsschr. f. Ohrenhk. etc. 1880. I.) 

Wenngleich ein antiseptisches Verfahren bei Behandlung einschlä¬ 
giger Leiden im Schläfenbein wegen der für eine solche Behandlung un¬ 
zweckmässigen Gestaltung der verschiedenen in diesem Knochen vorfind- 
lichen Höhlen nicht strenge durchzuführen ist, so hat man sich doch in 
neuerer Zeit vielfach bemüht, eine solche Behändlungweise, soweit dies 
überhaupt möglich ist, auch hier einzubürgem. Die Carbolsäure, Salicyl- 
säure, Tbymolsäure, sowie das hypermangansaure Kali wurden in mehr 
oder weniger concentrirter Lösung in Anwendung gebracht, sowie mit 
solchen Mitteln imprägnirte Charpie und Baumw r olle für die nöthigen 
Manipulationen benutzt. B. glaubt, dass die bis jetzt bei Krankheiten 
des Gehörorganes benutzten Antiseptica ihrem Zwecke lange nicht so 
dienlich seien, als die Borsäure, welche er auf der chirurgischen Klinik 
in München in ihrer Wirkungsweise kennen lernte und in der ohrenärzt¬ 
lichen Praxis verwendete. Anfangs machte er Versuche mit gesättigter 
Borsäurelösung, fand jedoch, dass dieselbe vor der Salicylsäure nur das 
voraus habe, dass die Mittelohrauskleidung weniger reize. Bei einem 
Kranken, bei welchem sich ans der Incisionswunde eines Furunkels im 
äusseren Gehörgange Wucherungen herausbildeten, machte B., nachdem 
die letzteren mit der Schlinge abgetragen waren, von der gepulverten 
Borsäure Gebrauch, und bemerkte, dass der Rest der Granulationen rasch 
schrumpfte und die Furunkelbildung aufhörte. Nun wurde das Bor¬ 
säurepulver auch bei chronischer Mittelohreiterung zu Einblasungen ver¬ 
wendet. 

„Der Einfluss auf die Absonderung war im Verhältniss zu allen 
bisherigen Behandlungsmethoden dieser Affection ein so sicherer und 
rascher“, dass Verf. bald auch die Otitis media purulenta acuta der 
gleichen Behandlung unterwarf, und schliesslich behandelte er nicht nur 

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M ed i ein i sch-chirurgische Rundschau. 


375 


jede Eiterung im Mittelobr und im Gehörgange mit Borsäure in Substanz, 
sondern Hess auch auf Operationsacte, wie: Polypenabtragung, Cauteri- 
sation, Paracentese des Trommelfelles etc. regelmässig noch eine Borsäure¬ 
einblasung folgen. „Die Ausfüllung des Gehörganges mit diesem Anti- 
septicum“, sagt Verf., „hat für mich in der Ohrenheilkunde dieselbe 
Bedeutung gewonnen, wie der antiseptische Verband in der Chirurgie.“ Seit¬ 
dem B. diese Medication übt, machte er von den sogenannten Adstrin¬ 
genden keinen weiteren Gebrauch. Die Behandlung übt Verf. in fol¬ 
gender Weise: 

1. Ist der Gehörgang und die Paukenhöhle sorgfältig mittelst 
Injection einer gesättigten, 4percentigen Borsäurelösung zu reinigen; 

2. wird nach gründlicher Austrocknung und Anwendung der Luft- 
douche zuerst feingepulverte Borsäure eingeblasen, hierauf noch etwas 
Pulver in den Gehörgang nachgeschüttet, weil ein grosser Theil des 
leichten Pulvers bei kräftigem Einblasen wieder herausfliegt; 

3. wird der Gehörgang mit Salicyl-, Carbolwatte oder Borlint ver¬ 
schlossen. Diese Manipulationen sind so oft zu wiederholen, als die Watte 
mit Secret sich irgend befeuchtet zeigt. 

Verf. gibt an, eine Reihe von Otorrhoen bei Typhus mit ausgezeich¬ 
netem Erfolge behandelt zu haben. Bei der Otitis media acuta werde 
die Behandlungsdauer bedeutend abgekürzt, und auch bei der Otitis media 
purulenta chronica könne man, sowohl was das Heilresultat, als auch die 
Behandlungsdauer betrifft, ein besseres Resultat, als durch die anderen 
Behandlungsweisen erzielen. 

Was das Borsäurepulver ganz besonders für die Fälle geeignet 
mache, sei, dass sie weder einen mechanischen, noch einen chemischen 
Reiz auf die Schleimhaut des Mitteiohres übe. Die einzige unangenehme 
Erscheinung bei ihrer Anwendung sei ein oft mehrere Stunden andauerndes 
Sausen, das unmittelbar auf die Einblasung folgt. Dem gepulverten Alaun 
gegenüber habe die Borsäure den grossen Vortheil, „dass sie mit dem 
Secrete des Mittelohres keine coagulirenden und an den Wänden festhaf¬ 
tenden, schwer entfernbaren Klumpen bilde“. 


300. Eine neue subeutane Operationsmethode zur Entfernung von 
Neubildungen im Innern des Kehlkopfes. Von Prof. Dr. M. J. Ross- 
bach in Würzburg. (Berl. kl. Wochenschr. Nr. 5, 1880. Monatsschr. 
f. Ohrenhk. etc. 1880. 2.) 


Unter diesem Titel beschreibt Verf. eine Operationsmethode, die nach 
seiner Ansicht so einfach wie das Ei des Columbus alle Schwierigkeiten 
und Nachtheile sowohl der intralaryngealen, wie der thyreotomischen 
Operationsmethoden umgehen soll. 

Der Kranke sitzt in der gewöhnlichen Weise, wie beim Laryngo- 
skopiren, die Zunge fixirt mit der rechten Hand und bekleidet mit einem 
rauhen, festsitzenden Handschuh. Er zieht die Zunge etwas nach aussen, 
so dass die fixirende Faust (?) nicht die Mittellinie des Halses verdeckt. 
Den Kehlkopfspiegel hält der Operateur entweder in seiner linken Hand 
oder stellt ihn im Rachen vermittelst eines Stativs so, dass der Kehlkopf 
gut erleuchtet wird und man die zu operirende Stelle, sowie das untere 
Ende der Epiglottis und den vorderen Vereinigungswinkel der Stimmbänder 
gut sehen kann. 

Dann sticht der Operateur mit seiner rechten Hand ein lanzettför¬ 
miges Messerchen einige Millimeter unter dem unteren Winkel der Inc. 
thyr. sup. durch die Lam. med. gerade in der Mittellinie ein und führt 


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Med icini sch-chirurgische Rundschau. 


dasselbe gerade in der Sagittallinie nach hinten. Man kann dem Messer 
jede beliebige Richtung geben und es in die zu operirende Geschwulst ein¬ 
stechen, damit einschneiden, durchstechen etc. 

Verf. öffnete auf diese Weise bei einem Pat. eine unter der Stimm¬ 
bandschleimhaut gelegene Cyste, bei einem anderen entfernte er eine poly¬ 
pöse Wucherung am scharfen Rande des Stimmbandes. 

Der Yerf. hat seine 57 Polypenoperationen alle mit dem ungedeckten 
Kehlkopfmesser ausgeftihrt; er meint, es sei allen künstlichen Instrumenten 
vorzuzielien. Ich selbst habe (seit 1873) bei 94 operirten Fällen von 
Kehlkopfs-Polypen (Recidive natürlich nicht raitgerechnet) mich des Messers 
nur einmal bedient und dieses Mal in Verbindung mit dem Quetscher. 
Sonst habe ich letzteres Instrument oder die kalte Schlinge, zuweilen auch 
die galvanocaustische Schlinge, respective den Cauter benutzt. Es sind 
unter den Operirten Opernsänger, Concertsänger, Musiklehrer, Lehrer, 
Redner, Oftlciere etc., also Leute, für welche eine klare Stimme Lebens¬ 
bedingung ist. 

Dass zum Halten für das ungedeckte Messer eine längere Zeit der 
Einübung nöthig ist, als für Quetscher und Schlinge, liegt auf der Hand. 
Ausserdem kann man mit diesen Instrumenten gleichzeitig den Kehldeckel 
emporheben, ohne Läsionen desselben zu verursachen. 

Die vom Verf. ausgeführte Operation durch Einstich in die Cyste 
ist nur Palliativverfahren, während man die Cyste mit dem Quetscher 
ganz leicht entfernen kann (5 Fälle). Bei Papillomen oder Geschwülsten 
mit starken Gefässen möchte die empfohlene Operation ohne mehrfaches 
Eingehen auch nicht möglich sein, da die Blutung ein genaues Sehen ver¬ 
hindert, so dass das Feld für dieselbe sich auf weiche Fibroide, die von 
oben wegen irgend welchen Grundes dem Operateur Schw ierigkeiten machen, 
beschränkt bleiben möchte. 

Verf. hebt hervor, dass vor ihm Eysell in Halle schon in ähn¬ 
licher Weise Polypen mit der Präparirnadel angestochen habe. Die Methode 
wäre als percutane im Gegensatz zu per os wohl besser zu bezeichnen. 


Dermatologie und Syphilis. 

30J. Ueber Bubonen, besonders die sogenannten virulenten. Von 
Dr. Gustaf Tr ägardh. (Hosp.-Tidende 2. R. VI. 53. 1879. — Schmidts 
Jahrb. 184. 2.) 

Die bei Syphilis vorkommenden Drüsengeschwülste unterscheiden 
sich in mehrfacher Hinsicht von den consensuellen. Sie bieten das Bild 
der chronischen Entzündung, während die letztem das einer acuten 
bieten; sie sind indolent, nicht empfindlich bei Berührung, wie die con¬ 
sensuellen ; sie besitzen ferner keine Neigung zum Zerfall. T. hält es für 
eine der grössten Seltenheiten, dass syphilitisch afficirte Drüsen zerfallen, 
wenn nicht die Drüse noch ausserdem consensuell ergriffen ist, wenn 
nicht eine locale Reizung von einem grössern Geschwür der Schleimhaut 
oder der Haut aus hinzukommt. Bei verschiedenen Affectionen des 
Genitalapparates kommen Drüsengeschwülste von unzweifelhaft consensueller 
Natur vor, besonders bei Tripper ist das Auftreten von suppurirenden 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


377 


Bnbonen keineswegs eine so grosse Seltenheit. Nach T.’s Erfahrungen 
entsprechen 100 Schankerbubonen ungefähr 12—15 bei Tripper ent¬ 
standenen, wobei jedoch zu bemerken ist, dass die letztem am meisten 
Seeleute betrafen, bei denen ein zufälliges Irritament hinzukam. Dass 
diese bei Gonorrhoe auftretenden Bubonen mit der Virulenz der Primär- 
affection in keinem anderen Zusammenhang stehen, als dem, dass durch 
das Gift ein starker Reiz auf die Schleimhaut ausgeflbt wird, ist um so 
deutlicher, wenn man bedenkt, dass solche Bubonen nicht nur bei dem 
wirklichen, virulenten Tripper auftreten, sondern auch bei der einfachen 
katarrhalischen, nicht virulenten Urethritis. Diese Bubonen unterscheiden 
sich in Bezug auf ihr Auftreten und ihre Entwicklung in keiner Beziehung 
von den bei Schanker vorkommenden, man nimmt aber nicht an, dass in 
ihnen ein Gift enthalten sei, durch welches eine neue Gonorrhoe entstehen 
könne, oder dass das gonorrhoische Gift von den Lymphgefässen aufge¬ 
nommen und den Drüsen zugeführt werde, welche ebenfalls so zu sagen 
gonorrhoisch inficirt würden, obwohl das gonorrhoische Gift Schleimhäute 
und andere ähnliche Gebilde leicht angreift. Die bei Gonorrhoe auf¬ 
tretenden Bubonen sind ganz als consensuelle zu betrachten, ebenso wie 
die durch irgend welchen andern Reiz bedingten Drüsengeschwülste. 

Ebenso gehören nach T. zu den consensuellen Bubonen auch die 
bei Schanker auftretenden. Ein Schanker am Präputium scheint nach T.’s 
Erfahrungen verhältnissmässig selten Bubo nach sich zu ziehen, was 
hingegen selbst bei kleinem, oberflächlichen Schankem besonders oft der 
Fall ist, wenn sie am obera und mittlern Theiie des Sulcus coronarius 
sitzen. Dies hat nach T. ohne Zweifel seinen Grund in der anatomischen 
Anordnung der Lymphgefässe, die auch zugleich zu einer Erklärung 
dafür führen kann, dass Bubonen sich manchmal an der dem Sitze des Ge¬ 
schwürs entgegengesetzten Seite entwickeln, weil sich gerade an dieser 
Stelle die zahlreichen, sich kreuzenden Lymphgefässe vereinigen. Wenn 
an dieser Stelle ein Schanker entsteht, kommen durch den Reiz des 
Giftes mitunter Lymphangiten zu Stande, aber noch öfter Reizung und 
Entzündung der zunächst liegenden Drüsen, manchmal auch ohne dass 
die Lymphgefässe afficirt erscheinen. Die auf diese Weise entstandenen 
Drüsenaffectionen durchlaufen die gewöhnlichen Phasen anderer ähnlicher, 
consensueller Bubonen, ohne Unterschied von diesen, nur treten sie bei 
Schanker ungleich häufiger auf, als bei andern Affectionen der Genitalien, 
wohl in Folge der grossen Intensität des Giftes. Bemerkenswert!» ist 
dabei, dass Bubonen verhältnissmässig öfter bei ganz oberflächlichen 
Schankem Vorkommen, wenn diese ihren Sitz an der genannten Stelle 
haben, als bei schweren phagedänischen. 

Dass diese sogenannten virulenten Bubonen durch Einführung des 
Schankergiftes in den Lymphstrom und mit diesem in die Drüsen zu 
Stande kommen, erscheint T. zweifelhaft, weil die Lymphgefässe selbst 
wohl mitunter entzündet, aber ihre Gefässwandung nicht vom Schan¬ 
kergift angegriffen gefunden werden, da doch der Durchgang der 
virulenten Flüssigkeit nicht als so rasch vor sich gehend angesehen 
werden kann, dass das Virus dabei nicht seine Wirkung geltend machen 
könnte, und eine besondere Widerstandskraft des Endothels der Gefässe 
dagegen nicht wohl angenommen werden kann. Wenn es ausserdem 
richtig ist, dass Bubonen verhältnissmässig seltenei bei phagedänischem 
Schanker Vorkommen, dessen Gift sich doch manchmal als so ausser¬ 
ordentlich scharf und zerstörend erweist, scheint es unerklärlich, dass 
fieses Gift durch die Lymphgefässe, ohne sie anzugreifen, hindurchgehen 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


und doch die Drüsen ergreifen sollte. Ausserdem müssten doch auch 
ferner gelegene Lymphdrüsen in gleicher Weise ergriffen werden; aber 
an diesen kann nur ein Reizungszustand auftreten, secundäre Affection 
von Schanker hat man bei ihnen nie beobachtet. Wenn der Schanker 
sich wirklich in den Lymphgefässen fortpflanzte, so wäre doch kein Hin¬ 
derniss vorhanden, dass die Fortpflanzung von Drüse zu Drüse stattfände. 
T. sieht in diesem Verhalten einen Beweis für seine Ansicht, dass der 
Schanker sich nicht durch das Lympgefässsystem fortpflanzt. 

Dass aber im Eiter von Bubonen Schankergift gefunden werden 
kann, haben Impfversuche bewiesen. Sollte dieses Gift auf dem Wege der 
Lymphbahn dahin gelangen, so müsste es schon dort vorhanden sein, 
sobald die ersten Symptome von Reizung und Entzündung in der Lymph- 
drüse auftreten, dann könnte aber das Gift nicht plötzlich seine begonnene 
Wirkung auf die Drüse abbrecben und der einmal eingeleitete Entzündungs- 
process könnte nicht aufhören, während es doch in einer relativ geringen 
Anzahl von Bubonen bei Schanker zur Eiterung kommt. Ferner liefern 
Impfungen mit dem Eiter aus frisch in Suppuration übergegangenen 
Bubonen nicht immer ein positives Resultat, was wohl der Fall sein 
müsste, wenn sich stets Schankergift darin fände. Auch die Annahme 
lässt T. nicht gelten, dass es sich nur dann finde, wenn die Drüse selbst, 
nicht nur das periglanduläre Bindegewebe, afficirt sei. Ausserdem liefert 
Impfung von einem frisch geöffneten Bubo manchmal nicht gleich nach 
der Eröffnung, wohl aber nach einigen Tagen, ein positives Resultat. 
Wenn T. bei Beobachtung der nöthigen Vorsichtsmassregeln einen suppu- 
rirenden Bubo eröffbete und mit sogleich entnommenen Secret impfte, 
war das Impfresultat stets negativ, Impfungen aber, die er von Bubonen 
aus machte, die er eröffnet in Behandlung bekam, ergaben ungefähr in 
der Hälfte der Fälle positives Resultat. 

T. schliesst hieraus, dass das Schankergift nicht im Bubo selbst 
oder in der entzündeten Drüse sich findet, sondern nach der Eröffnung 
von dem an den Genitalien befindlichen Schankergeschwür aus darauf 
übertragen werde, theils vermittelst der Finger, theils wohl auch durch 
directe Berührung, wenn im Liegen der Penis auf den Bubo zu liegen 
kommt. Mehrere Male hat T. beobachtet, dass das Geschwür in der 
Leiste beim Liegen des Kr. auf der Seite genau der Lage des Penis¬ 
geschwürs entsprach. 

302. Ein Fall von Eczema universale. Von Dr. Matth es in 
Frankfurt a. M. (Memorabilien 1880. 4.) 

Im September 1877 stellte sich Verf. ein junger Mann von 17 J. 
vor, der nach Aussage seiner ihn begleitenden Mutter seit sechszehn 
Jahren an einem juckenden Ausschlage über den ganzen Körper leide. 
Die genauere Untersuchung des Entkleideten ergab ein über die ganze 
Decke verbreitetes Eczem in allen Stadien der Entwickelung und Rück¬ 
bildung, untermischt mit vielen Kratzeffecten, so dass kaum eine hand¬ 
grosse Stelle der Haut frei von dem Eczeme gewesen wäre. Das Juck- 
gefühl, war derart anhaltend, dass Patient Tag und Nacht, um nicht 
seinen Körper zu zerfleischen, von einer beaufsichtigenden Person umgeben 
sein musste. Pat. heruntergekommen und anämisch. Wegen der Sicht¬ 
barkeit des Ausschlages an Kopf, Hals, dem Gesicht und den Händen 
hatte der Betreffende eine Schule nicht besuchen können und war der¬ 
selbe in Folge davon trotz allen Bemühungen der äusserst gewissenhaften 
Eltern geistig zurückgeblieben und stand auf dem Standpunkte eines etwa 
6jährigen Kindes. 


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Medicinisch-chirorgiscbe Rundschau. 


379 


Unzweifelhaft und unanfechtbar musste die Diagnose auf Eczem 
gestellt werden und ist der vorliegende Fall nur deshalb so lehrreich, 
weil hier ganz einfache Principien der Behandlung zur Anwendung ge¬ 
bracht, einen dauernden Heilerfolg erzielten. 

Die Behandlung war eine rein äusserliche und bestand im Wesent¬ 
lichen darin, dass Verf. den Pat. sorgfältig in Flanellbinden einwickelte, die 
dick mit Ung. diachylon Hebrae bestrichen waren: und zwar blieb kein 
Theil der Haut mit Ausnahme der Kopfhaut (über deren Behandlung 
weiter unten das Nähere) der Einwirkung der Salbe entzogen. Jeder 
Finger, jede Zehe wurde für sich eingewickelt, am Stamm die Salben¬ 
lappen so gut als eben ging befestigt, das Gesicht mit einer Maske be¬ 
deckt, deren Innenwand mit Flanell gefüttert die Salbenmasse aufnahm. 
Der Verband wurde Morgens und Abends gewechselt, die mit Salbe 
imprägnirten Flanellstücke oberflächlich mit einem stumpfen Messer von 
Salbe gereinigt, dann frische aufgetragen und so wieder aufgelegt. Alle 
acht Tage wurde frischer Flanell in Anwendung gezogen. Gewaschen 
wurde an dem Pat. nichts, und zwar während der ganzen Dauer der 
Salbencur, die 7 Wochen in Anspruch nahm. Schon nach den ersten 
Tagen der Salbenanwendung verschwanden die Borken und heilten die 
Kratzeffecte, die Haut war roth, juckte auch noch stark und von Tag 
zu Tag wurden neue Nachschübe von Eczembläschen bemerkt. Diese 
wurden aber bei consequenter Durchführung des eingeschlagenen Ver¬ 
fahrens immer seltener, so dass nach sieben Wochen dieser allerdings für 
den schwächlichen Pat. ziemlich anstrengenden Behandlung an ungefähr 
9 /i o der Haut die Salbe entfernt und zur Theeranwendung geschritten 
werden konnte. 

Diese bestand darin, dass Verf. an sämmtlichen nicht mehr nässenden 
aber noch rothen, schuppenden und juckenden Hautstellen gutes Ol. rusci 
mit einem steifen Borstenpinsel in möglichst dünner Schicht auftrug und 
gut mit festem Pinselstrich in die Haut verrieb. Dieses Eintheeren wurde 
so lange täglich wiederholt, bis auf der Haut der Theer gut haftete und 
auch nach Tagen noch die leicht braune Färbung sichtbar blieb. Im 
Laufe von vier Monaten war nach und nach die ganze Decke zum 
Normalen zurtickgekehrt und vertrug ohne Reaction das Wasser. Dazu 
trug Pat. ein Flanellhemd und Flanellunterhosen. Das JuckgefÜhl war 
verschwunden und Pat. wurde vollkommen hergestellt entlassen. 

Das Eczem der Kopfhaut des Pat. behandelte Verf. in folgender 
Weise. Die Kopfhaut wurde mit gutem Olivenöl während einiger Tage 
auf das reichlichste eingeölt und darüber eine Flanellhaube getragen. 
Nachdem sämmtliche Borken durch das Oel erweicht, wurden die kranken 
Stellen tüchtig mit Seifengeist (Spir. saponat. kalin.) abgeseift, w*as in 
der Weise geschieht, dass man einen feuchten Flanelllappen durch Auf¬ 
giessen von Seifengeist tränkt und dann so lange damit die Kopfhaut 
einreibt, dass ein dichter Seifenschaum dieselbe bedeckt. Diesen spült 
man dann durch ein ziemliches Quantum lauwarmen Wassers ab, macht 
die Kopfhaut mit einigen Handtüchern gut trocken, und ölt sofort w ieder 
tüchtig ein. Zur Bedeckung dann die Flanellhaube. Die Besserung ist 
sofort eine auffällige und rasch vorwärts schreitende, und fährt man mit 
der ganzen Procedur so lange fort, bis die Kopfhaut normales Ansehen 
liat, gebraucht aber die Vorsicht noch längere Zeit gut einzuölen. Die 
Heilung des Kopfeczems ging, wie in vielen anderen Fällen, die Verf. 
gesehen, so auch in diesem in ein Paar Wochen von Statten. 

0. R. 


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Medicinisch-chirurgische Bnndschao. 


303. Zur allgemeinen Diagnostik der Arzneiausschläge. Von 
Dr. Gustav Bohrend. (Berl. klin. Wochenschr. 1869. Nr. 48.) 

In Bezug auf die Differeptialdiagnose der Arzneiausschläge von den 
gleichartigen idiopathischen Hautkrankheiten war man bisher lediglich auf 
das Experiment, als das einzige zuverlässige Hilfsmittel angewiesen, da 
man verwerthbare charakteristische Momente für die Arznei-Exantheme 
nicht angeben konnte. Behrend will nun eine Eigenthümlichkeit ge¬ 
funden haben, die sich allerdings nicht in allen Fällen constatiren lässt, 
aber etwas so charakteristisches hat, dass sie überall, wo sie sich findet, 
als ein pathognostisches Zeichen für Arzneiausschläge gelten kann, da 
bei den idiopathischen Hautkrankheiten ein ähnliches Verhalten niemals 
beobachtet wird. Die Arzneiausschläge bilden nämlich nicht immer reine 
Formen, sondern sie zeigen häufig Abweichungen von dem Typus der 
gewöhnlichen Hautausschläge, indem sie 1. entweder Krankheitsbilder dar¬ 
stellen, die sowohl in Bezug auf den äusseren Habitus ihrer Einzelefiflores- 
cenzen, als auch in Bezug auf ihren Gesammtverlauf ein so eigenartiges 
Gepräge besitzen, dass es unmöglich ist, sie irgend einer der bekannten 
Krankheitsformen anzureihen oder 2. indem sie Mischformen bilden, d. h. 
Combinationen verschiedener Ausschlagsformen, die gleichzeitig hervor¬ 
brechen, und neben einander fortbestehen, wie man es unter anderen 
Verhältnissen niemals beobachtet. 

Der erste dieser Abweichungsmodi (atypische Form des Exanthems) 
wird bei Jod- und Bromausschlägen beobachtet und illustrirt B. seine 
These mit einer interessanten Beobachtung aus seiner Praxis und mit aus 
der Literatur geschöpften Krankheitsbildern. Die zweite Form tritt nach 
den verschiedenen Arzneimitteln auf und ist daher einmal häufiger, sodann 
aber bietet sie auch in ihren klinischen Erscheinungen eine grössere 
Mannigfaltigkeit dar als die erste. Es handelt sich hier um Combina¬ 
tionen verschiedener Ausschlagsformen, die gleichzeitig hervorbrechen und 
neben einander fortbestehen, ohne dass zwischen ihnen in pathologischer 
Beziehung ein innerer Zusammenhang existirte, wie etwa zwischen den 
verschiedenen syphilitischen Ausschlagsformen oder den verschiedenen 
Elementarformen des Eczems. Mit anderen Worten: Es handelt sich hier 
nicht um eine Polymorphie, wie bei den letztgenannten Erkrankungen, 
sondern um Mischformen, um ein örtliches Nebeneinanderbestehen zweier 
von einander völlig unabhängiger Krankheitsformen, von denen auch jede 
für sich nach dem betreffenden Medicament vorkommt. 

B. stellt nun auf eigene Beobachtungen, sowie auf mehrere Fälle 
aus der Literatur basirend, die erwähnten Combinationsformen folgender- 
massen zusammen: Roseola und Urticaria, nach Copaivbalsam ; Erythema 
nodosum und Urticaria nach Bromkalium; Dermatitis diffusa und Erythema 
papulatum nach Chinin und Digitalis; Dermatitis diffusa und Urticaria 
nach Morphium; also in allen Fällen atypische Krankheitsbilder, wie sie 
unter anderen Verhältnissen niemals angetroffen werden und daher als 
charakteristische Arzneiausschläge bezeichnet werden können. 


304. Ein Fall von Syphilis hereditaria tarda. Von J. Gross¬ 
mann. (Pest. mcd. chir. Presse 1880. 13 u. 16.) 

Der Fall betriff: ein 7jähriges, schwaches anämisches Mädchen, 
welches im Februar 1878 zuerst an einem Mastdarmknoten erkrankte. 
Da das ursprünglich eingeleitete Verfahren resultatlos blieb, so wurde 
der Knoten mittelst Scheere entfernt. Diese und noch eine zweite Ab- 
^lation verliefen ohne Erfolg, so dass Pat. am 12. December 1878 ins 
tk 

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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


381 


Kinderspital transferirt wurde, wo die Diagnose auf Ulcus luxurians ani 
gemacht wurde. Die histologische Untersuchung erkannte auf Hypertrophie 
der Schleimhaut. Nebst diesem Zustande litt Pat. noch an einem aus¬ 
gebreiteten , torpiden, serpiginösen Geschwüre an der Innenfläche des 
rechten Unterschenkels, das zur Zeit der Aufnahme ins Spital bereits seit 
sieben Monaten bestand und jeder Behandlung trotzte. Gegen die Ge¬ 
schwüre des Mastdarmendes kam der Paquelin'sche Thermokauter in 
Anwendung und das Unterschenkelgeschwür ward ausgelöffelt und aseptisch 
verbunden. Im Verlaufe der Behandlung wurde noch ein grösserer 
periproktaler Abscess und eine hieraus entstandene Mastdarmflstel eröffnet. 
Pat. wurde nach 1 1 / 2 monatlicher Behandlung gebessert entlassen. Zu 
Hause brachen sämmtliche, hie und da vernarbten Geschwüre auf und 
Patientin war schon nahe der Erschöpfung, als Vortragendem die Aeusse- 
rung des Prof. Geber aus Klausenburg, gelegentlich seines Besuches im 
Spitale, einfiel, wonach das fragliche Unterschenkelgeschwtir syphilitisch 
wäre. Er leitete daher cyclische Inunctionen mit rothem Quecksilber 
(0*50 : 10*0) ein, und erreichte nach Verbrauch von 6 Gramm rothen 
Präcipitates einen solch’ auffälligen Erfolg, dass sämmtliche Geschwüre 
vollkommen und weich vernarbten. Der Effect war ein vollständiger und 
stellte sich schon im August 1879 ein. 

Der syphilitische Charakter des Uebels ist daher unanfechtbar; es 
frägt sich nun, ob wir es mit hereditärer Syphilis zu thun haben? Dies¬ 
bezüglich ist Folgendes zu erwähnen: Die Mutter der Patientin hat nie 
ein Zeichen der Syphilis geboten, abortirte nie, gebar viermal stets reife, 
wenn auch schwache Kinder. Das Erstgeborene ist ein eiifjähriger 
lymphatischer Knabe; das Zweite, ein Mädchen, starb im zweiten Jahre 
an Eklampsie; das Dritte ist unser Fall; das Vierte ein nun fünfjähriger 
gesunder Knabe. 

Der Vater lebt seit sechs Jahren von seiner Frau geschieden, 
konnte daher nicht untersucht und befragt werden. Sämmtliche früheren 
Hausärzte constatiren einhellig, dass er zur Zeit ihrer Beobachtung nicht 
syphilitisch war; da ihn jedoch Vortragender persönlich kennt und auch 
von seinem abenteuerlichen, lasciven Vorleben Kenntniss hat, so ist die 
Annahme einer zur Zeit der Zeugung latenten Syphilis nicht absolut von 
der Hand zu weisen. Von der acquirirten Syphilis glaubt Vortragender 
absehen zu können, da etwa vorhanden gewesene Primärsymptome der 
Aufmerksamkeit der Eltern und Aerzte schwerlich entgangen wären; 
übrigens könnte man auch an eine Syphilis d’emblee denken. 

Unter solchen Verhältnissen wäre nun die Diagnose der Syphilis 
unanfechtbar; die hereditäre, rqsp. die tardive hereditäre Natur derselben 
wäre nur hypothetisch zu vertheidigen. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 

305. Mittheilungen aus dem embryologischen Institute der 
k. k. Universitüt in Wien. Von Dr. S. L. Schenk, Professor an der 
k. k. Universität in Wien. I. Bd., IV. Heft. Wien bei W. Braumttller 
fpag. 235—291. Tab. 22—27.) 

Inhalt: XXI. Mittheilungen über die Präparationsergebnisse einer 
frühzeitigen menschlichen Frucht. Von Dr. Peter Halpryn aus 

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Miditinisch-chinirgis ;be Rundschau. 


3i2 

St. Petersburg. -Tab. 22, 23. 24. — XXII. Beitrag zur Entwickelung 
der Haut des Menschen. Von Holt C. Wilson M. D. aus Portland. 
/Oregon in Amerika. ) (Taf. 25, 26. > — XXIU. Zur Lehre über den 
Einfluss ??er Farbe auf das Entwickelungsleben der Thiere. Von Prof. 
Schenk. — XXIV. Die Asymmetrie des Gesichtes bei menschlichen 
Embryonen. Von Dr. L. W. Fox aus Philadelphia. — XXV. Cysten- 
bildung in der Leibeswand des Embryo. Von M. R. C. Peck aus Albany, 
U. S. Amerika. /Taf. 27.} /'Sammt Titelblatt, Register und Vorrede zum 
1. Bande, der hiemit abgeschlossen ist.) 

Der von Halpryn untersuchte menschliche Embryo mass 8 bis 
9 Mm.*- und stammte aus der 3. <? Ref.) bis 4. Woche der Schwanger¬ 
schaft. Amnion und Chorion waren zerrissen, der langgestielte Dottersack 
dagegen erhalten. Der Kopf zeigt eine deutlich ausgeprägte Scheitel- und 
Nackenkrümmung und liegt mit dem Gesichte über dem Herzen; äusser- 
lich sind noch die fünf secundären Gehirnblasen deutlich wahrzunehmen. 
Die oberen und unteren Extremitäten sind noch sehr kurze Stummeln, 
besonders die unteren; das Steissbein überragt das hintere Rumpfende 
ziemlich weit. Am Kopfe beobachtet man die Augen und drei Kiemen¬ 
bögen. Der Embryo wurde an Durchschnitten studiert, von denen jedoch 
nur die aus dem hinteren, besser erhaltenen Leibesende brauchbar waren. 
H. bildet acht Durchschnitte ab, von denen die ersten vier durch die 
Anlage der unteren Extremitäten gehen und an denen das Rückenmark 
je zweimal getroffen erscheint. Der hinterste dieser Schnitte trifft gerade 
das hintere Ende der Parietalhöhle, der Darm erscheint hier noch nicht, 
dagegen das hintere umgebogene Stück der Wolff’schen Gänge; der 
vorderste Schnitt geht durch das Diaphragma und durch die Herz¬ 
kammern. 

Die Durchschnitte durch, das Rückenmark zeigen, mit Ausnahme 
der hintersten, schon beginnende Bildung weisser Substanz und eine Aus¬ 
kleidung des Medullarcanales durch cylindrische Ependymzellen; die Form 
des Ganales ist an diesen Stellen die einer engen Spalte. An den 
hintersten Partien der Medulla erscheint diese Spalte dorsalwärts ver¬ 
breitert fVcntriculus terminalis, Krause). Spinalnerven waren nirgends 
zu beobachten, dagegen waren die Intervertebralganglien in dem vorderen 
Theile der in Schnitte zerlegten Markpartie bereits angelegt. In der 
Aorta fanden sich kernhaltige Blutkörperchen, deren Kerne sich in 
Carrain gut tingirten. 

Der Wolffsclie Gang war bereits angelegt und mündete in die 
Cloake, der Wol ffsche Körper ist in Bildung begriffen und der Müllersche 
Gang im Begriffe sich aus dem Keimepithel abzuschnüren. Die Bildung 
desselben ist eine verschiedene im vorderen und hinteren Abschnitt, in 
ersterem stellt derselbe eine Rinne dar, die sich später zum Gange 
schliesst, in letzterem eine solide Einwucherung des Keimepithels in den 
Genitalwall, die erst später hohl wird. Ausserdem zeigt ein und derselbe 
Mülle r’sclie Gang an verschiedenen Stellen abwechselnd verschieden weit 
gediehene Stadien der Ausstülpung und Schliessung der Rinne, die sogar 
streckenweise noch fehlen kann um weiter hinten wieder aufzutreten. 
Diese Unterbrechungen in der Continuität des Ganges, und diese Ver¬ 
schiedenheiten in den Stadien der Abschnürung treten ausserdem oft nicht 
an beiden Gängen symmetrisch auf, so dass z. B. ein Stück links noch 


*) Die Angabe der Grösse des Embryo auf 0*8—0 9 Mm. beruht offenbar 
auf einen ."ehreib- oder Druckfehler (Ref ). 


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MedicinUch-chirargische Rundschau. 


383 


fehlt, während es rechts schon abgeschnürt ist. Die gemeinsame, erste 
Anlage von Pankreas und Milz ist bereits vorhanden, die Leber zeigt 
bereits ein bedeutendes Volumen, das Zwerchfell ist angelegt und ebenso 
die Scheidewand der Ventrikel. 

Wilson untersuchte die Entwickelung der menschlichen Haut an 
Embryonen von 3, 4, 9, 11 und 16 Cm. Länge. Aus den ersten 
Structurveränderungen in der Epidermis schliesst W., dass sie von innen 
nach aussen wachse, sowie auch die Cutis, deren Gewebe in den äusseren 
Schichten stets die jüngsten Formen des Bindegewebes zeigt. Zuerst ent¬ 
stehen auf der Cutis die Leisten und erst später auf denselben die 
Papillen als secundäre Wucherungen. An beiden Bildungen hat nach W., 
wie er mit Bo 11 findet, nur das Wachsthum der Cutis activen Antheil, nur 
leugnet W. den Einfluss der Gefösse, der nach Bo 11 den ersten Anstoss 
zur formativen Thätigkeit beim Wachsthum geben soll, indem er Leisten 
im Anfänge noch ganz ohne Gelasse fand, ln die Bildung der ersten 
soliden Anlagen der Schweissdrüsen geht nur die Cylinder- und Körner¬ 
zellenschichte ein. Die Untersuchungen wurden an der Haut der Vola 
und den Fingerbeeren angestellt, da hier andere Epithelwucherungen in die 
Tiefe, die nicht zur Bildung von Schweissdrüsen führen von vorneherein 
ausgeschlossen waren. Dass, wie Remy behauptet, ausser den Leisten 
auch die Papillen an der Vola früher erscheinen als an den Fingern 
leugnet Holl. 

Schenk studirte den Einfluss farbigen Lichtes auf den Gang der 
Entwickelung von Batrachiereiern. Zu diesem Zwecke bedeckte S. die 
Schalen, welche die Brut enthielten, mit möglichst monochromatischen 
Glasplatten. Die angewendeten Farben waren Roth, Blau, Gelb und 
Grün. Eine verschieden rasche Entwickelung zeigte sich erst von dem 
Momente an, wo die Embryonen länglich zu werden beginnen, bis dahin 
verhielten sich sämmtliche Embryonen gleich denen, die dem Tageslichte 
ausgesetzt waren. Erst zeigte sich ein Unterschied in dem Verhalten der 
Embryonen, indem die rothem Lichte ausgesetzten schneller rotirten als 
die, welche unter dem Einflüsse anderen Lichtes standen; ebenso verhielt 
es sich mit den ersten Bewegungen des sich eben entwickelnden Schwanzes. 
Später erwiesen sich die unter rothem Lichte gehaltenen Thierchen stets 
als die lebhaftesten; die unter blauem Lichte gehaltenen waren auffallend 
träge, so dass sie oft für todt gehalten werden konnten. Grünes und 
gelbes Licht verhielt sich wie gewöhnliches Tageslicht in ihrer Wirkung 
auf die Beweglichkeit und Reizbarkeit der Embryonen. Die Muskeln der 
im blauen Lichte befindlichen Embryonen zeigten häufig die Fettkömchen, 
wie man sie bei Winterfröschen findet, was S. von dem Mangel an Con- 
tractionen herleitet; die unter blauem Lichte gehaltenen Thiere zeigten 
sich jedoch am gefrässigsten. Ersetzt man das rothe und blaue Licht 
durch gewöhnliches Tageslicht, so kehrt die Beweglichkeit beiderlei 
Thierchen nach einigen Tagen zur gewöhnlichen Norm zurück. 

Setzt man die vorher in rothem Lichte befindlichen Thiere unter 
blaues Licht, so erlischt ihre Lebhaftigkeit nach und nach, während im 
umgekehrten Falle dieselbe sich bald sehr steigert. Eine andere Ver¬ 
suchsreihe stellte S. in folgender Weise an. Die Eichen wurden in Glas- 
gefusse mit matten Seitenwänden gesetzt, die so verdeckt waren, dass 
das Tageslicht nur durch eine umschriebene Stelle des Bodens eindringen 
konnte und also die graue Halbkugel beschien, während das Ei selbst in 
seiner natürlichen Lage blieb. (Auerbach hatte bei seinen ähnlichen 
Versuchen das Ei in verkehrter Lage erhalten und von oben beleuchtet.) 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Es zeigte sich bald eine Verlangsamung des Entwickelungsganges am 
ganzen Ei, auch auf der unteren belichteten Seite. S. glaubt sich letzteres 
so erklären zu sollen, dass der Rythmus in den Entwickelungserscheinungen 
gewahrt bleibe und daher, wenn dieselben an der oberen Hälfte des Eies 
eine Verlangsamung erfahren, nothwendig auch eine entsprechende Ver¬ 
zögerung in der Entwickelung der unteren Eihälfte eintreten müsse. Eine 
dritte Versuchsreihe stellte S. an, indem er das farbige Licht durch in 
Gläsern eingeschlossene, verschiedenfarbige Salzlösungen auf die Versuchs¬ 
tiere fallen liess. Unter Kupferoxydammoniak ging die Pigmentbildung 
gut vor sich, bei Anwendung von doppelt chromsaurem Kali waren die 

Thiere auffallend blass. Fox hat an acht menschlichen Embryonen von 

1*8—15 Cm. Länge die Entfernung der Mitte des äusseren Gehörganges 
von der Mitte der Mundspalte beiderseits gemessen und ebenso an sieben 
menschlichen Embryonen von 2—15 Cm. die Längen der rechten und 
linken Hälfte der Mundspalte. Im ersten Falle fanden sich die für die 

rechte Seite gewonnene Masse stets grösser als die der linken. In der 

zweiten Tabelle erschienen zweimal gleiche Maasse für beide Hälften der 
Mundspalte, fünfmal war ebenfalls wieder die rechte Hälfte länger. 
F. schliesst daraus, dass die Assymetrie paariger Körpertheile grössten- 
theils eine schon angeborene ist. 

Peck beschreibt einen Hühnerembryo, an dem der Kopf das dem 
vierten Tage entsprechende Stadium der Entwickelung bot, während der 
Rumpf seiner Grösse nach etwa einen zwei Tage alten Embryo zu ent¬ 
sprechen schien. Auf den aus dem Rumpfe gemachten Durchschnitten 
zeigten sich in der Anlage der vorderen Extremität eine Menge von 
cystenartigen Räumen, die leer sind oder eine Masse enthalten, die einem 
Eiweissgerinnsel gleicht. Ihre Wände bestehen aus zeitigem embryonalen 
Bindegewebe; häufig communiciren die Räume untereinander. Da diese 
Hohlräume nicht mit Endothel ausgekleidet erscheinen, so hält sie P. 
nicht für Gefässe; sie fanden sich ausserdem noch weiter rückwärts in 
der Rumpfwand, nur waren sie dort nicht so zahlreich. 

0 e 11 a c h e r. 


306. Sulla destinazione fisiologica del corpo semilunare di 
GHanuzzi pel Dott. G. Bufalini di Siena. (Estratto del Giornale 
internazionale delle scienze mediche. Nuova serie, anno I. Napoli e Roma. 
E. Detken. 1879.) 


Gegenüber den Bemühungen Heidenkain’s, Ranvieris und 
Arloing et Renaut’s die Bedeutung der Lunula aus den Resultaten 
lange fortgesetzter Reizung abzuleiten, hat es Verf. versucht, auf dem ent¬ 
gegengesetzten Wege zur Beantwortung dieser Frage beizutragen, indem 
er die Veränderungen studirte, welche die Halbmonde der Submaxillaris 
in Folge Durchschneidung der Chorda erleiden. 

Nach 95—112 Tagen zeigte sich eine Volum- und Gewichts¬ 
abnahme gegenüber der intacten Drüse der anderen Seite sowohl an 
saugenden, als auch an erwachsenen Hunden von 2 und 3 Jahren. Der 
mikroskopische Befund zeigte eine Volumsabnahme der Schleimzellen der 
operirten, gegenüber denen der intacten Seite (25 ja — 30 ja — 35 ja, 
gegen 35 ja — 40 ja — 45 ja — 50 ja). 

Die Halbmonde waren in der operirten Drüse häutig nicht gut aus¬ 
geprägt und oft auf einen ganz kurzen, schmalen Streif reducirt 
(35 ja — 40 ja Länge auf 5 p. — 7 ja Höhe, gegenüber 50 ja Länge auf 
8 ja — 10 ja Höhe der intacten Drüse der anderen Seite desselben 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Thieres). Aus der Uebereinstimmung der Schleimdrüsen der Submaxillaris 
mit denen reiner Schleimzellen, schliesst Verf., dass die Halbmonde es 
sind, die das Ptyalin absondem; wo solche eigene Zellen für diesen Zweck 
nicht bestehen, haben die sämmtliehen Secretionszellen ein mehr körniges 
Protoplasma und secerniren der Ansicht des Verf. nach auch das Ferment 
Parotis, 61. Brunnianae etc.). Oellacher. 

307. Ueber Hypnotismus beim Menschen. Von Adamkiewicz. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1880. 8.) 

Verf. schildert das, was über diesen merkwürdigen Zustand fest¬ 
steht, in Kürze: 

Man kann durch dauernde und gleichmässige Erregung gewisser 
Sinneswerkzeuge Personen in eine Art von Schlaf versetzen. Es haben 
sich bisher als wirksam erwiesen Erregungen der Netzhaut, der Hörnerven 
und der sensibeln Nerven der Haut. Starkes Fixiren, beispielsweise eines 
glitzernden Gegenstandes, dauerndes Hören auf das Ticken einer Uhr, 
leises Bestreichen der Gesichtshaut mit der Fläche der warmen Hand, 
sind die Mittel, solche Erregungen auszuführen. — Anämische, zur Ner¬ 
vosität disponirte Individuen eignen sich zum Hypnotisiren am besten, 
sie verfallen dem Zustand um so leichter, je öfter sie ihn bereits durch¬ 
gemacht haben. Anfangs müssen die Reize etwa 5 bis 6 Minuten ein¬ 
wirken, bis ein Erfolg sich einstellt. Später genügen dazu wenige Augen¬ 
blicke. Während der Hypnose ist das Bewusstsein der Versuchspersonen 
vollkommen geschwunden. Die Augen sind nur unvollständig geschlossen 
und können alles sehen, was sich vor ihnen abspielt. Das Gesehene und 
das Gehörte haftet dem Gedächtniss der Hypnotisirten locker an und 
kann, wie etwa ein Traumbild reproducirt werden. 

Von besonderem Interesse ist die Thatsache, dass der Hypnotisirte 
das, was er sieht, nachahmt. Das gilt nur für diejenigen Bewegungen 
nicht, welche sich als reine Reflexe charakterisiren, z. B. das Niesen. — 
Spricht man zu dem Hypnotischen mit lauter Stimme, so macht er die 
Mimik des Gesprochenen lautlos nach. — Bei gleichzeitigem Druck in den 
Nacken, etwa in der Gegend der Med. obl., wird, wie Berger gefunden 
hat, die Reproduction des Hypnotischen phonisch und er selbst eine Art 
von Echo, das mit eigentümlicher dumpfer Stimme das Gehörte wieder¬ 
hallt. — Es frappirt die grosse Correctheit, mit der ungebildete Indi¬ 
viduen auf diese Weise fremde Sprachen wiedergeben. — Nicht weniger 
auffällig als diese Nachahmungssucht ist bei Hypnotisirten die hohe 
Reflexerregbarkeit ihrer Musculatur. — Leises Streichen der Haut ver¬ 
setzt die dem Reizort zunächst gelegenen Muskeln in tetanischen Krampf. 
Bei manchen leicht erregbaren Individuen folgt den auf sie wirkenden 
Manipulationen des Hypnotisirens sofort ein allgemeiner Tetanus der 
Körpermusculatur, ohne dass das Bewusstsein gleichzeitig schwände. Der 
hypnotische Zustand pflegt so lange anzuhalten, als die Erregung dauert, 
oder als dem Hypnotisirten Wärme von der auf seine Stirn aufgelegten 
Hand des Manipulirenden zufliesst. Mit einem kräftigen Schlage, durch 
Anblasen des Gesichtes, durch Wechsel des Netzhautbildes kann man den 
Hypnotischen sofort erwecken. — Während des hypnotischen Zustandes 
ist, so lange das Bewusstsein fehlt, eine vollkommene Anästhesie der 
Haut vorhanden. — Individuen, welche bei der „Hypnose“ das Bewusst¬ 
sein nicht verlieren, sind hyperästhetisch. Heidenhain hält es für 
unzulässig, diesen ganzen Complex von Erscheinungen auf Anämie des 
Gehirns zurückzuftlhren. Denn die Retinagefässe sind während der 

Med.-cbir. Rundschau. 1880 . , 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Hypnose nicht verengt und der hypnotische Zustand kann auch nach der 
Einathmung von Amylnitrit hervorgerufen werden, durch die eine Hyperämie 
der Kopfgefässe erzeugt wird. Er vermuthet vielmehr, dass die Hypnose 
„auf einer Thätigkeitshemmung der Ganglienzellen der Grosshirnrinde 
beruht, welche durch schwache anhaltende Reizung der Hautnerven des 
Antlitzes oder der Gehörs- oder der Sehnerven herbeigeführt ist“. Ein 
Beispiel für eine solche Hemmung sensibler Functionen ist bereits in der 
von dem Referenten gefundenen Thatsache gegeben, dass die Reizung 
einer bestimmten Hautstelle, beispielsweise eines Armes, durch einen 
Senfteig die Empfindlichkeit der symmetrisch gelegenen Stelle des anderen 
Armes herabsetzt. Auch hier muss die Erregung der einen Ganglien die 
Thätigkeit der symmetrisch gelegenen anderen hemmend induciren. 

308. Ueber das Vorkommen von Producten der D&rmföulniss 
bei Neugeborenen. Von Dr. H. Senator in Berlin. (Zeitschrift für 
physiolog. Chemie, IV, 1, 1880. Arch. für Kinderhk. 5. u. 6. Heft. 1880. 
Ref. Herz.) 

Bekanntlich ist in neuester Zeit festgestellt worden, dass die mit 
der Nahrung eingeftihrten Eiweissstoffe bis zu einem gewissen Grade im 
Darme regelmässig der Fäulniss unterliegen und dass ein Theil dieser 
Fäulnissproducte: das Indol, Phenol und Cresol (auch wohl Scatol) an 
Schwefelsäure gebunden im Harne wiederzufinden ist. Als Erreger dieser 
Fäulnissvorgänge müssen den heutigen Anschauungen zufolge die von 
aussen mit der Nahrung oder sonst in irgend einer Weise in den Darm 
gelangten Fäulnisskeime oder — Fermente angesehen werden. S. unter¬ 
suchte, ob die genannten Fäulnissproducte und insbesondere die aus ihnen 
hervorgehenden Harnbestandtheile auch bei neugeborenen lebenden Kindern, 
bei denen von aussen noch keinerlei Zufuhr in den Darm stattgefunden 
hat, Vorkommen. Darauf hin wurde Harn von Neugeborenen, sowie 
Fruchtwasser und Meconium untersucht. 

Im Ganzen hat Verf. 12 Harnproben in der Menge von 6—45 Cc. 
geprüft und zwar 6 Male auf Indigo stets mit negativem Resultat. Dagegen 
wurde gepaarte Schwefelsäure in allen 7 Fällen, wo darnach gesucht 
wurde, mit Sicherheit nachgewiesen, allerdings in Mengen, welche zwischen 
0*548 und 4*824 Mg. in 100 Cc. schwankten. Auf den organischen 
Paarling der Schwefelsäure (Phenol, Cresol) wurde 5 Mal geprüft, davon 
2 Mal mit positivem, 3 Mal mit negativem Resultat. In dem einen der 
positiven Fälle war der Gehalt an Phenolen auffällig stark, das negative 
Resultat in 3 Fällen kann nach S. möglicher Weise auf technische 
Schwierigkeiten zurückzuftlhren sein. Im Meconium, welches 4 Mal unter¬ 
sucht wurde, fand S. zwar immer Fettsäuren, aber niemals Indol oder 
Phenol. Fruchtwasser wurde 5 Mal auf gepaarte Schwefelsäure geprüft, 
1 Mal nichts, 1 Mal nur eine geringe Spur, in den 3 übrigen Fällen 
aber 3*1, 3*5 und 7*9 Mg. BaS0 4 oder 1*06, 1*20 und 2*70 Mg. SO* 
gefunden. In dem behufs Vergleichung untersuchten Ham von kleinen, 
mehrere Tage bis Wochen alten Kindern, welche theils mit Mutter-, theils 
mit Kuhmilch genährt wurden, fand S. in Betreff des Indigo wie der 
gepaarten Schwefelsäuren ein durchaus wechselndes Verhalten, d. h. einige 
Male fand sich der eine oder der andere Körper vor, andere Male nicht. 
In den Stuhlentleerungen solcher Kinder konnte S. kein Indol oder Phenol 
nach weisen. 

Bezüglich des Ursprunges der Aetherschwefelsäuren ist S. der Ansicht, 
dass diese aus dem Blute der Mutter in dasjenige des Fötus und von da 


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Modicinisch-chirargische Rundschau. 


387 


in dessen Urin gelangen, wobei es auffällig ist, dass nicht auch von der 
indigobildenden Substanz nachweisliche Mengen aus dem mütterlichen 
Körper in den fötalen übergehen. Die im Frachtwasser enthaltenen Aether- 
schwefelsäuren können ebenfalls aus dem Blute der Mutter oder auch aus dem 
Harn des Fötus stammen. Das Verhalten des Urins bei bereits genährten 
kleinen Kindern (Säuglingen) hängt, da eine abweichende Beschaffenheit 
der Verdauungssäfte, welche etwa der Fäulniss hinderlich sein könnte, 
nicht nachgewiesen ist, nach S. wahrscheinlich damit zusammmen, dass 
wegen des schnelleren Durchganges des Darminhaltes bei Säuglingen die 
Fäulniss nicht besonders weit vorschreitet. In praktischer Beziehung dürfte 
— zahlreichere Untersuchungen vorausgesetzt — der Umstand, dass sich 
vor der Nahrungsaufnahme niemals Indigo im Harne nachweisen liess, in 
gerichtsärztlicher Richtung vielleicht in zweifelhaften Fällen die Frage 
entscheiden lassen, ob ein Kind bereits Nahrung zu sich genommen habe 
oder nicht. Diese Frage könnte mit Entschiedenheit bejaht werden, wenn 
sich in dem Urin Indigo fände, nicht aber verneint werden bei Abwesen¬ 
heit von Indigo, da dieses ja auch bei schon genährten Säuglingen kein' 
beständiger Befund ist. 

309. Ueber isogalvanische and isofaradische Reaction. Von 
Adamkiewicz. (Przeglad lekarski No. 48, 79. Erlenmeyer’s Ctrbl. f. 
Ntrvenhk. III. 7.) 

A. versteht unter isogalvanischer Reaction dasjenige Verhalten der 
Muskeln, bei welchem sie, durch den intermittirenden Strom völlig uner¬ 
regbar, hingegen auf den constanten Strom nach der Zuckungsformel 
gesunder Muskeln reagiren. Er findet eine schöne, physiologische Analogie 
zu diesem Verhalten in demjenigen gesunder Muskeln , welche von ihren 
Nervenfasern getrennt sind. Weniger einer physiologischen Erklärung 
zugänglich erscheint ihm das entgegengesetzte Verhalten kranker Muskeln, 
darin bestehend, dass dieselbe neben völliger Unerregbarkeit durch den 
constanten Strom auf den intermittirenden Strom normal reagiren. Er 
beobachtete dieses Verhalten, welches er als isofaradische Reaction be¬ 
zeichnet, bei einer 38jährigen Kranken, welche nach dem Ueberstehen 
einer schweren Bauchfellentzündung von einer leichten, beiderseitigen 
Lähmung der Unterschenkel befallen wurde. Füsse und Zehen der bett¬ 
lägerigen Kranken waren nach der Sohle gekrümmt und konnten nur 
mit grosser Anstrengung sehr unvollständig nach der Rückenseite zu 
bewegt werden. Bei diesen Bewegungen waren die Mm. tibialis antici 
fast ausschliesslich betheiligt, während die Mm. peronei sich gar nicht 
contrahirten. Die elektrische Prüfung ergab Folgendes: die Mm. peronei 
longi und gastroncnemii waren freiwillig verkürzt und reagirten sowohl 
auf den intermittirenden, wie auf den constanten Strom (nach der Normal- 
formel), jedoch sehr schwach. Beide Mm. extens-digit. comm. nur schwach 
durch den Willen zusammenziehbar, gaben deutliche Entartungszuckungen. 
Auf den intermittirenden Strom reagirte blos der linke. Beide Mm. tibiales 
antici zogen sich sowohl willkürlich, als durch den intermittirenden Strom 
zusammen, während der stärkste, constante erfolglos blieb. Auch der 
Vergleich mit gesunden Muskeln derselben Kranken ergab ein völlig 
normales Verhalten der Tibiales antici gegen den intermittirenden Strom, 
während selbst der stärkste constante Strom (50 Elemente) keine Zuckungen 
bervorbrachte. Dies ändert sich während einer längeren Behandlung 
mittelst beider Ströme dahin, dass die Tibiales zuletzt nach der Normal- 
formel reagirten, und die Kranke geheilt entlassen -werden konnte, 

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Medicinisch-chirurgische Rundschan. 


A. folgert aus dieser Beobachtung, dass zwischen der Erregbarkeit d sr 
Muskeln durch den Willen und der elektrischen eine ganze Reihe von 
Abstufungen existirten. Auch bestätige dieser Umstand seine schon bei 
einer früheren Gelegenheit gemachte Bemerkung, dass die Erregung der 
Muskeln durch den Willensreiz und ihr Verhalten gegen den elektrischen 
Strom zwei gänzlich unabhängige Functionen sind, sowie ferner, dass 
zwischen der Erregbarkeit durch den intermittirenden und derjenigen durch 
den eonstanten Strom ein bedeutender Unterschied besteht, dieselben 
somit von einander unabhängige Innervationsformen der contractilen 
Muskelsubstanz sind. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 

310. Zur Frage über die Anstecknngsfähigkeit des hydro- 
phobischen Speichels. Von Paul Kowalewsky, Docent der Psychiatrie 
in Charkoff. (Memorabilien 1880. 3.) 

In Nr. 89 der „La France m6dicale u vom Jahre 1879 befindet 
sich ein Aufsatz des Herrn Maurice Raynaud, in welchem er die Frage 
von der Ansteckungsfähigkeit des hydrophobischen Giftes berührt; er 
kommt hiebei zum Schlüsse, dass der Speichel von tollen Hunden Gebissener 
die Ansteckung von Menschen auf Thiere und ebenso aller Wahrschein¬ 
lichkeit nach von Menschen auf Menschen übertragen kann, weshalb Herr 
Raynaud sowohl bei dem Verkehre mit lebenden Hydrophoben, als 
auch bei der Secirung ihrer Leichen Vorsicht anempfiehlt. Dem gegenüber 
schildert Verf. seine eigenen Beobachtungen, welche denen Raynaud’s 
widersprechen. Ist der Speichel von tollen Hunden Gebissener und schon 
alle Erscheinungen von Hydrophobie Zeigender ansteckend? 

Im Juni 1876 wurde in des Verf. Abtheilung ein Knabe von 
ungefähr 9 Jahren gebracht, welcher 3 Wochen vorher von einem tollen 
Hunde gebissen worden war und nun schon alle Anzeichen von Hydro¬ 
phobie darbot. Die Erscheinungen der Hydrophobie waren bereits den 
dritten Tag da und standen auf voller Höhe. Bis zu seiner Unterbringung 
in einem für ihn besonders abzutheilenden Zimmer sass der Kranke in 
der gemeinschaftlichen Stube am Boden. Er bemühte sich, einen Bretzel 
zu essen, was aber sehr schlecht von Statten ging. Die Spasmen in der 
Gurgel erlaubten ihm nicht, die Speise zu verschlucken, und diese, ordent¬ 
lich bespeichelt und sogar zerkaut, fiel beständig aus dem Munde auf die 
Erde. In einem solchen Momente ging ein Schwachsinniger vorüber. Im 
Augenblicke hatte er den aus dem Munde gefallenen und mit Speichel 
reichlich durchtränkten Bretzel ergriffen, ebenso die durchkaute Speise 
gepackt und ehe Verf. ein Wort sprechen konnte, verschluckt. Der Knabe 
starb den anderen Morgen. Der Schwachsinnige lebt bis heutigen Tag 
und hat nie an irgend etwas gelitten. 

Ein Jahr später brachte man, ebenfalls in dieselbe Abtheilung, einen 
Soldaten, einen Uhlanen, 24 Jahre alt, welcher von einem tollen Hunde 
gebissen worden war und nun schon seit 3 Tagen hydrophobische Er¬ 
scheinungen in vollster Entwickelung zeigte. K. wollte an ihm den Ein¬ 
fluss fortgesetzter warmer Bäder auf die Reflexe versuchen. Um aberden 
Kranken zum Nehmen des Bades zu bewegen, musste Verf. Vertrauen 
erwerben. Das gelang denn auch. Der Kranke gewann K. so lieb, dass 
er Niemanden ausser ihm erlaubte, ihm nahe zu kommen; dagegen über- 

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Med icinisch* chirurgische Bnndschaa. 


389 


schritt seine Liebe za ihm alle Grenzen. Er Hess ihn nicht von dich, und, 
sich beständig vom Leben verabschiedend, bestand er darauf, ihn zu 
kflssen. Wohl oder übel, er musste den Wutbkranken circa 10 Mal auf 
die Lippen küssen. Dann erst liess er sich darauf ein, eine Wanne zu 
nehmen. Unter grosser Mühe, aber freiwillig, warf er sich hinein. Die 
Wanne hatte 28° R. und dauerte das erste Mal 3 Stunden; während 
dieser ganzen Zeit lag auf dem Kopfe des Kranken eine Eisblase. In 
der ersten Stunde war der Kranke aufgeregt, wollte aus der Wanne 
springen, die Eisblase herunterwerfen, konnte den Cigarettengeruch nicht 
vertragen u. s. w. Nach und nach begannen die starken Spasmen der 
Gurgel, die Beklommenheit, die Furcht vor Bewegungen der Luft und vor 
Wasser sich zu verlieren; der Kranke beruhigte sich. Gegen das Ende 
der zweiten Stunde trank er Wasser, nahm Arzenei ein (Natri bromati 
dr. 2 die Dosis), biss und zerbrach Eis, trank Milch, ja rauchte sogar, 
während vor Beginn des Bades die blosse Erwähnung alles dessen schon 
Anfälle aller möglichen Spasmen hervorrief. Nach der dreistündigen 
Wanne trank der Kranke noch etwas Milch und schlummerte eine halbe 
Stunde. Nach dem Schlafe erneuerten sich die Erscheinungen der Hydro¬ 
phobie, aber viel schwächer als früher. Wieder eine dreistündige Wanne. 
Der Kranke beruhigte sich wieder. Allein zugleich damit machte sich 
eine furchtbare Müdigkeit und Abnahme der Kräfte bemerkbar. Ausserdem 
begann bei dem Kranken ein starkes Blutspeien, weshalb er denn doch 
nach 24 Stunden starb. 

Dem Gesetze nach sollen alle Sachen, mit welchen Wasserscheue 
in Berührung kommen, vernichtet werden. Kraft dessen hätte auch die 
Cementwanne müssen zerstört werden. Verf. befahl, sie in seiner Gegen¬ 
wart zu desinficiren und nahm in ihr selbst das erste Bad. Nach ihm 
nahmen unheilbare Kranke in ihr Bäder und darauf nur Heilbare. Verf. 
sagt: „Ich bin lebend und gesund, und von den Kranken, welche nach 
mir Bäder genommen hatten, wurde keiner von Hydrophobie befallen. u 

In demselben Jahre machte er den Versuch, den Speichel eines 
Wasserscheuen drei Hunden einzuspritzen und in allen 3 Fällen erhielt 
er ein negatives Resultat. Natürlich konnte der Misserfolg dieser Ver¬ 
suche auch von einer nicht glücklichen Ausführung abhängen; allein die 
Begebenheiten mit den Menschen geschahen vor vielen Zeugen und für 
K. sind sie unanfechtbar und unverrücklich. 

Die angeführten Thatsachen stehen zu vereinzelt da, um aus ihnen 
irgend welche Schlüsse zu ziehen. Verf. stimmt jedoch mit den Ansichten 
Raynaud’s über die Ansteckungsfähigkeit des Speichels Wasserscheuer 
nicht überein. 


311. Vergehen wider die Sittlichkeit, begangen von einem 
16jährigen Mädchen im epileptischen Dämmerzustand. Von Dr. Für ck- 
hauer. (Friedreich’s Bl. f. ger. Med. 1879, 5.7. Ctrbl. f. Nervenhk. 
1880, 3.) 

Die 15%jährige M. H. v. T. ist am 4. August 1878 mit zwei 
9 1 /*, resp. 12jährigen Mädchen und zwei 7 1 / a , resp. 5jährigen Knaben 
zusammen und pflückt mit ihnen an einer Wiese Beeren. Plötzlich wirft 
sie die ßVajährige M. L. zu Boden, hebt ihr den Rock in die Höhe, 
hält sie fest und veranlasst beide Knaben, sich nach Entblössung ihrer 
Geschlechtstheile auf das Mädchen zu legen und ihre männlichen Glieder 
in ihre Scham zu stecken, was ihnen natürlich nicht gelingt. Eine Wieder¬ 
holung derselben Procedur bald darauf wird durch die Flucht der M. L. 


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Medicintech-chirur^ische Randschau. 


vereitelt. Die Handlung qualificirt sich juristisch als theils vollendetes, 
theils versuchtes Verbrechen gegen die Sittlichkeit durch zum Theil ge¬ 
waltsame, unzüchtige Handlungen an Personen unter 14 Jahren in ideeller 
Concurrenz mit einem Vergehen wider die Sittlichkeit durch öffentliche 
unzüchtige Handlungen. 

Die M. H. ist gut veranlagt und hat gute Schulbildung, sich auch 
stets sittlich gut geführt. Ihr Leumund ist sehr gut. Am 16. October 1878 
sagt ihre Mutter aus, dass dieselbe seit einem Jahre an Menstrual- 
beschwerden und Schwindel leide, den sie auch am 4. August gehabt habe. 
Zufolge ärztlichen Attestes vom 8. October leidet sie seit fünf Jahren an 
Schwindel und epileptischen Anfällen. An demselben Tage erschien die 
M. H. gut entwickelt. Eine Antwort konnte der Richter nicht heraus¬ 
bringen. Eine ärztliche Untersuchung in der Wohnung des Bezirksarztes 
am 19. December ergibt Folgendes: 

Gute körperliche Entwickelung, Gesichtsausdruck trotzig, Simulation; 
Schädelumfang 47 Centimeter, P. 80. Pupillen normal. Brust- und Unter¬ 
leibsorgane gesund. Mammae gut entwickelt, an den äusseren Genitalien 
dichte lange Haare, unter den Armen keine. Hymen fehlt, Scheidenein¬ 
gang weit. Sie ist angeblich noch nicht menstruirt, ist nie am Kopf 
verletzt worden, hat seit einigen Jahren häufig Kopfschmerzen an der 
Stirn, welche gewöhnlich zwei Tage anhalten, meist mit Schwindel, zu¬ 
weilen mit Erbrechen verbunden sind, häufiger ohne als mit solchen 
Anfällen, bei welchen sie niederfällt. Sie steift sich, als ob sie sich an 
Dinge nicht erinnern könnte, die sie wissen muss. Ihr Vater gibt an, 
dass ihre Mutter, namentlich zur Zeit der Menses, an Kopfschmerz und 
Schwindel schon seit ihrer Jugend leide und dass sie einmal während 
eines solchen Schwindelanfalles auf die Wiese gegangen sei um zu Heuen, 
während noch nicht mit dem Mähen begonnen war. Die M. H. habe 
schon als Kind häufig an Zahnfraisen gelitten, auch während einer Züch¬ 
tigung in erschreckender Weise das „Wesen“ bekommen. Den ersten 
epileptischen Anfall bekam sie in ihrem elften Lebensjahre, indem sie 
plötzlich bewusstlos, ohne Krämpfe, vom Stuhle fiel. Solche Anfälle 
wiederholten sich seit einem Jahre häufiger. Manchmal falle sie auch 
nicht zu Boden, sondern klage nur über Schwindel, der auch vor und 
nach den Anfällen zugegen sei. Im letzten Vierteljahr hat sie einige 
Mal an den Anfallstagen ganz verkehrte Handlungen begangen, deren sie 
sich später nicht erinnerte. Die richterliche Frage lautet: Ob die M. H. 
die zur Erkenntniss der Strafbarkeit der am 4. August von ihr be¬ 
gangenen unsittlichen Handlungen erforderliche Einsicht besessen, oder ob 
sie sich zur Zeit derselben in einem momentan unzurechnungsfähigen 
Zustande befunden habe. 

Das Gutachten schliesst zunächst die gewöhnlichste Ursache solcher 
Handlungen, die Befriedigung des eigenen Geschlechtstriebes aus und 
statuirt drei Möglichkeiten: a) Entweder hat sie aus Hang zur Unsittlich¬ 
keit im Besitz der zur Erkenntniss ihrer Unsittlichkeit und Strafbarkeit 
erforderlichen Einsicht die Handlungen begangen; b) oder sie hat sie ohne 
jede Einsicht aus kindlicher Neugierde in Bezug auf den Geschlechtsact 
verübt; c) oder in einem momentan bewusstlosen, demnach unzurechnungs¬ 
fähigen Zustande. Die Möglichkeit ad a) muss wegen ihres guten Leu¬ 
mundes als höchst unwahrscheinlich zurttckgewiesen werden. Die Mög¬ 
lichkeit ad b) Hesse sich nur geltend machen, wenn die M. H. noch 
körperlich und geistig ein Kind wäre. Dem widerspricht aber das Re¬ 
sultat der ärztlichen Untersuchung. Was die Möglichkeit ad c) anbelangt. 


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Medicinißch-chirurgi sehe Rondschan. 


391 


so ist es festgestellt, daßß die M. H. an Schwindel (vertigo epileptica) 
und Epilepßie leidet. Dießelbe scheint ira vorliegenden Falle von der 
Mutter auf ßie übergegangen zu ßein. Dieser Schwindel überfällt die 
Kranke zuweilen auch ohne epileptischen Anfall, ein Zustand, welcher 
als epileptoider Traum oder Dämmerzustand bezeichnet wird. Charakte¬ 
ristisch für die, während eines solchen Zustandes begangenen Handlungen 
ist die völlige oder fast völlige Amnesie, die geringe Planmässigkeit und 
Plötzlichkeit bei Ausführung derselben, endlich der Mangel jeden Ver¬ 
suchs, die Spuren derselben zu verwischen, überhaupt der Reue. Bei 
Frauen wirkt die Zeit der Menstruation und der Pubertät verschlimmernd 
ein. Es unterliegt keinem Zweifel, dass bei der Strafthat der M. H. 
sämmtliche Kriterien eines epileptoiden Traumzustandes zu erkennen sind. 
Das ärztliche Gutachten spricht sich daher dabin aus, dass die M. H. 
die zur Erkenntniss der Strafbarkeit der am 4. August 1878 begangenen 
Handlungen in einem Zustande momentaner Unzurechnungsfähigkeit be¬ 
gangen hat. Demgemäss wurde das Verfahren gegen sie eingestellt. 

312. Trichino8i8 trotz gekochten Fleisches. Von Dr. Lochner, 
Bez.-Arzt in Schwabach. (Münch, med. Wochenschr. 1880, 8.) 

Am 6. Februar d. J. wurde Verf. zu einer seit einigen Tagen 
erkrankten Frau gerufen, die im Gesichte und Extremitäten stark ge¬ 
schwollen war, und die über heftige Schmerzen „in den Knochen“ klagte. 
Das klinische Bild der Trichinosis war unverkennbar, die Quelle der 
Ansteckung aber war unbekannt. Die Frau sagte, sie esse zwar viel 
Schweinefleisch, das sie immer von demselben Metzger beziehe, aber 
nie geniesse sie dasselbe roh oder halb gekocht, sondern immer stark 
gekocht oder gebraten, und da nie mehr als 1 / a Pfund zur Verwendung 
kam, war es doch kaum annehmbar, dass ein so kleines Stück nicht 
gehörig und durchaus erhitzt gewesen wäre. Aus dem Haushaltungsbuch 
war ersichtlich, dass die Kranke vor 10 Tagen ein Stückchen sogenannte 
Extrawurst gekauft hatte. Diese Würste sind hier sehr beliebt, sie 
werden einen Tag geräuchert und dann im Kessel gesotten. 

Zur Bestätigung der Diagnose blieb, da weder vom Schwein noch 
von der Wurst beim Metzger etwas vorhanden war, nur übrig, der Frau 
selbst etwas Fleisch zu entnehmen. Ein aus der Streckseite des linken 
Vorderarmes mit der Harpune entnommenes Stückchen Muskel enthielt 
eine unverkennbare Trichine, aufgerollt, im Begriff sich einzukapseln. 

Einige Tage später stellte sich dem Verf. ein Dienstmädchen vor, 
die ebenfalls auf’s Deutlichste das klinische Bild der Trichinose bot, 
Oedem des Gesichtes und der Extremitäten und „Knochenschmerzen“. 
Die Nachforschungen ergaben, dass sie am 1. Februar von demselben 
Metzger wie die erste Kranke ein Stückchen Extrawurst gekauft und 
gegessen hatte. In diesem Falle gelang die Bestätigung der Diagnose 
durch die Harpune nicht, doch ist eine Täuschung bei dem prägnanten 
Bilde der Krankheit kaum denkbar. 

In beiden Fällen schwand das Oedem des Gesichtes und der Glieder 
in wenigen Tagen und es blieben nur die Muskelschmerzen zurück, doch 
ist völlige Genesung zu erwarten, d. h. die Einkapselung der Trichinen 
wird in kurzer Zeit vollendet sein. Auffallender Weise blieben diese 
beiden Fälle vereinzelt. Verf. hält diese Fälle für wichtig, weil das 
Vorkommnißs eine Waffe gegen die letzte Ausrede der Gegner der 
Trichinenschau an die Hand gibt, denn es wurde immer noch vielfach 
eingewendet: „was braucht man die kostspielige Einrichtung, wenn man 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


durch Kochen des Fleisches sich vor Trichinose schützen kann*. Hier 
ist nun der deutlichste Beweis geliefert, dass durch das Kochen zwar 
die meisten Trichinen getödtet werden, denn sonst hätten mehrere Er¬ 
krankungen Vorkommen müssen, dass aber immerhin noch einige lebend 
durchkommen können und dass nur obligatorische Trichinenschau vor der 
Trichinose Schutz gewährt. Ganz nothwendig hält er aber auch das 
Uebergiessen des trichinigen Fleisches mit Petroleum, um es nngeniessbar 
zu machen, denn die banausische Gewinnsucht wird sonst immer und 
immer wieder heimliche Wege finden zum Verkauf des Fleisches. Eine 
Entschädigung des Metzgers im Fall ein Sehwein nngeniessbar gemacht 
werden muss, wäre wohl der beste Schutz gegen den Schmuggel; durch 
eine Versicherung von nur 2—3 Pfennig für jedes geschlachtete Schwein 
könnten die Mittel dazu leicht beschafft werden. 


Recensionen. 

313. Die Hydrotherapie anf physiologischer nnd klinischer 
Grundlage. Von Dr. Wilhelm Winternitz. Zweiter Band, H. Abthei¬ 
lung. Wien 1880, bei Urban & Schwarzenberg. 

Der uns vorliegende Band bildet den Schluss der höchst interessanten Vor¬ 
lesungen des Verf. (siehe Rundschau 1878, S. 179 und 1879, S. 228) und behan¬ 
delt den Einfluss allgemeiner thermischer Applicationen auf Körpertemperatur und 
Stoffwechsel. Anknfipfend an die Versuche Senator’s, welche zeigten, dass die 
Temperatur der Achselhöhle und der unter gleichen Bedingungen stehenden 
anderen Körperstellen nur innerhalb sehr enger Grenzen constant ist, hat W. 
mittelst seiner Hautthermometer die Lufttemperatur zwischen Körperoberfläche und 
Kleidern gemessen und gezeigt, wie gross der Einfluss äusserer willkürlicher 
Behelfe für die Temperaturconstanz des Körpers ist. Ueberhaupt ist eine Tem- 
peraturconstanz nur denkbar bei einem völligen Gleichgewichtszustände zwischen 
Wärmebildung und Wärmeverlust, Eine allgemeine Temperaturerniedrigung kann 
nur abhängen: 

1. Von einer Erhöhung des Wärmeverlostes bei gleichbleibender oder ver¬ 
minderter Wärmebi düng, oder 

2. von einer verminderten Wärmebildung bei gleichbleibendem oder gestei¬ 
gertem Verluste und 

3. von einer quantitativ ungleichen Veränderung der beiden Factoren im 
gleichen oder entgegengesetzten Sinne. 

Verf. erläutert hierauf, auf welchen Wegen der Körper Wärme verliert und 
zeigt, dass die Schweissbildüng ein mächtiges Abkühlungsmittel des Körpers ist. 
Hieran reihen sich Versuche über die Wirkung des direct vermehrten Wärme¬ 
verlustes auf den Organismus, welche ergeben, dass die mächtigste Wirkung einer 
Wärmeentziehung von der Körperoberfläche in einer veränderten Blutvertheilung 
besteht, die ihrerseits die wesentlichste Ursache der durch Wärmeentziehungen 
veränderten Wärmevertheilung ist. 

In der nächsten Vorlesung bespricht W. die Methode der quantitativen 
Bestimmung des Warme Verlustes von der Haut und erklärt den Gebrauch seines 
Calorimeter in einer Reihe interessanter Experimente, welche zeigen, wie wichtig 
die Erfo^chung der Hautfunction für die Erweiterung unserer pathologischen 
Erkenntniss ist. Hieran reiht der Verf., wie er es bereits in sehr zweckmässiger 
Weise auch in den früheren Bänden seines interessanten Werkes gethan, Beob¬ 
achtungen am Krankenbette, welche einestheils über die Fiebergenese, andererseits 
über die Proceduren zur Lösung der Wärmeretention Aufschluss geben, wobei wir 
besonders jener interessanten Beobachtungen W.’s Erwähnung thun wollen, welche 
zeigen, dass in der Steigerung der Wärmeabgabe auch die fieber* 
hafte Temperatursteigerung eine Compensation finden kann. Die 
folgenden fünf Vorlesungen sind der Besprechung des Fiebers und der hydriali- 
schen Behandlung fieberhafter Processe gewidmet, wobei W. seine in zahlreichen 
früheren Arbeiten mitgetheilten Anschauungen, unter steter Berücksichtigung der ^ 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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einsöhlägigen Versuche anderer Autoren, aufrecht hält. Ebenso stützt sich der 
Verf. bei Besprechung der thermischen Wirkung des Wassers bei innerlicher 
Anwendung auf seine früheren, schon im Jahre 1864 raitgetheilten interessanten 
Versuche. In Beziehung anf die diuretische Wirkung der vermehrten Einnahme 
kalten Wassers befindet sich W. insoferne mit Bef. im Widerspruch, als Ref. 
die Erhöhung des Gefässtonus nach Einverleibung kalten Getränkes als Ursache 
der diuretischen Wirkung hinstellte, während der Verf. auch Fälle gesehen haben 
will, bei welchen eine Herabsetzung des Gefässtonus die Diurese vermehrte. 

So hat W. Stauungsnieren beobachtet, bei welchen warmes Getränk, warme 
Bäder, Einpackungen bis zur vollkommenen Erwärmung oder der Aufenthalt im 
Bette mächtig diuretisch wirkte; namentlich wird eines Kranken Erwähnung ge- 
than, welcher am Tage sehr wenig, bei Nacht viel Harn ausschied, und als ihn 
W. auch während des Tages im Bette hielt, zu dieser Zeit eine ebenso günstige 
DiureBe, wie früher des Nachts zeigte. Trotzdem muss Ref seine ursprüngliche 
Ansicht insoferne aufrecht erhalten, als er nur behauptet hatte, die vermehrte 
Diurese hänge lediglich vom Blutdrucke ab und dieser werde auf den Genuss 
kalten Wassers durch die Erhöhung des Gefässtonus gesteigert. Bei den von 
W. angegebenen Proceduren wird nun zwar der Tonus des Hautgefässe herab¬ 
gesetzt, die Herzarbeit aber und mit ihr auch der Blutdruck gesteigert. Es gilt 
dies wahrscheinlich auch für den Fall, wo während der horizontalen Lage im 
Bette die Diurese stieg, wenigstens erinnert dieser Fall lebhaft an jenen von 
Bartels mitgetheilten (Ziemssen's Handbuch, Bd. IX, p. 42 und 43), wo am 
Tage durch Behinderung der Herzarbeit der Harn stets albuminhäldg war, 
während er, sobald Patient die horizontale Lage einnahm, ei weissfrei wurde. 

Glax. 


314. Geschichte der deutschen Medicin. Die medicinischen 
Classiker Deutschlands, n. Abtheilung. Von Heinrich Rohlfs. 
Stuttgart 1880. Verlag von Ferdinand Enke. Gross 8°, 566 S. 


Der seit einigen Jahren schon erwartete II. Band von R o h 1 f s’ Geschichte 
der Medicin hat vor Kurzem die Presse verlassen. Er reiht sich würdig dem I. 
an. Es ist ein classisches Werk, das Werk über die medicinischen Clas¬ 
siker Deutschlands. Deutschland, welches leider anderen Nationen, namentlich 
den Franzosen gegenüber, der Geschichte der Medicin sehr wenig Liebe und Beach¬ 
tung entgegenbringt, muss auf Rohlf»’ Werk stolz sein, nicht blos weil es einzig 
in seiner Art gearbeitet ist, sondern weil es auch, einzig in seiner Art, den 
historischen Stoff bewältigt und uns ein klares Bild über das wissenschaftliche 
Wirken und die Ansichten der medicinischen Heroen am Ende des XVIII. und am 
Anfänge des XIX. Jahrhunderts bietet. 

Für uns Oesterreicher hat dieser Band ein doppeltes Interesse und einen 
um so grösseren Werth, als es das Wirken und Leben zweier Männer behandelt, 
welche, wenn auch nicht bei uns geboren, uns doch ihrem ganzen Leben nach 
angehören, den grossen Johann Peter Frank und den in seinem Fache bisher 
noch immer unerreichten, berühmten Lucas Johann Boör, den Reformator der 
Geburtshilfe. 

Nur dadurch, dass sich Rohlfs der Mühe unterzog, die gesammten Werke 
dieser Classiker kritisch zu beleuchten und zu sichten, den Einfluss, den dieselben 
heute noch, Manchem vielleicht unbeachtet, ausüben, wird es uns erst klar, dass 
diese Männer, mag die Strömung in der Medicin seitdem auch eine ganz andere 
geworden sein, in der That den Namen der Classiker verdienen, dass ihre Werke 
eine Fülle von Goldkörnern enthalten, die ihren Werth stets behalten. Erst durch 
Rohlfs’ Werk erfahren wir die Bedeutung Justus Heinrich Wigand’s, der 
unter den ungünstigsten äusseren Verhältnissen als einfacher praktischer Geburts¬ 
helfer sein Fach mehr wissenschaftlich bereicherte, als Mancher der Jahrzehnte 
lang einen Lehrstuhl inne hatte. Mit welcher Pietät und Liebe behandelt R o h 1 f s 
nicht das Leben und Wirken des liebenswürdigen Lentin und des leider der 
Wissenschaft viel zu früh entrissenen Roederer. Nicht minder eingehend und 
gründlich wird der bekannte Heidelberger Geburtshelfer, Franz Carl Naegele, 
der Vater, gewürdigt. In der That, wir finden es begreiflich, wenn Rohlfs 
vieler Jahre bedurfte, um das massenhaft angehäufte und oft schwer zu be¬ 
schaffende literarische Material gehörig durchzuarbeiten, zu sichten und kritisch 
zu beleuchten. Der Biographie eines jeden der medicinischen Classiker geht eine 
vollständige Literaturangabe voraus, welcher ein Bericht über die Wirksamkeit 
in der Geschichte der Medicin, der Anatomie, Physiologie u. s. w., und namentlich 
im Hauptfache, welches der Mann seiner Zeit vertrat, folgt. Wir lernen J. P. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Frank als Schöpfer der medicinischen Polizei, Kurt Sprengel als solchen der 
deutschen Geschichte der Medicin u. s. w. kennen. 

Der vorliegende Band behandelt Lebrecht Friedrich Benjamin Lentin, 
Samuel Gottlieb v. Vogel, Johann Peter Frank, Kurt Sprengel und die 
deutschen Matadoren der Geburtshilfe, Johann Georg Roederer, Lncas Johann 
Boör, Justus Heinrich Wigand und Franz Carl Naegele. Jede Biographie 
bietet eine Fülle von Daten v das Leben und Wirken eines jeden dieser Männer 
ist mit solcher Gründlichkeit, Nüchternheit und Wahrheitsliebe behandelt, dass 
das gesammte Werk dadurch einen dauernden Werth erhält und uns von Neuem 
die Wahrheit des alten Satzes vor die Augen führt, dass die Geschichte die wahre 
Lehrerin der Menschheit ist, ein Satz, der die gleiche Geltung für die Medicin 
hat, hier aber noch immer nicht seine Geltung finden kann. 

Leider verbietet uns der geringb Raum, der uns zu Gebote steht, eine 
eingehende kritische Beleuchtung und Besprechung von Rohlfs' classischem 
Werke zu geben. Wir müssen uns damit begnügen, die Collegen aufzufordern, 
das Werk selbst zur Hand zu nehmen und zu lesen. Gewiss wird jeder Leser 
mit uns übereinstimmen, dass dieser Band ebenso wie sein Vorgänger zu jenen 
Werken gehört, welche in keiner medicinischen Bibliothek fehlen sollten. 

Zum Schlosse sprechen wir den WonBch aus, es möge dem Verfasser ver¬ 
gönnt sein, sein Werk zu beenden, zur wahren Genugthuung Jener, welche nicht 
daran glauben wollen, dass der Sinn und die Liebe für die Geschichte der Medicin 
in Deutschland vollständig ausgestorben sei. Kleinwächter, Innsbruck. 


Kleine Mittheilungen. 

315. Ablösung der Haut bei einem lebenden Neugeborenen. 

Von Charrier. (Gaz. des Höpit. 1879. 124.) 

C h. zeigte dem Pariser Aerzte-Vereine ein Kind, welches bei der Geburt 
als längst abgestorbenes, aufgeweichtes erschien, während es doch lebte. Die 
Nabelschnur war grünlich-röthlich abgeflacht und zackig; die ganze Körperdecke 
löste sich bei Berührnng ab, und erschien neuerdings, wie bei einem 6—8 Tag; 
früher im Uteros abgestorbenen Fötus. Vom Fusse löste sich die Haut wie ein 
Handschuh ab. Tags darauf war die ganze Körperdecke abgefallen mit Ausnahme 
dreier kleiner Stellen, am linken Schenkel, am Rücken und am rechten Oberarm, 
das Kind sah besser aus, bekam eine natürliche Hautfarbe mit normaler Tem¬ 
peratur und gewann allm&lig sogar ein blühendes Aussehen. Nachdem weder auf 
eine voran gegangene Hautkrankheit, noch auf Syphilis gedacht werden konnte, 
musste ein derartiger, im Uterus aufgetretener, jedoch bisher unbekannter patho¬ 
logischer Process angenommen werden, der den Fötus wohl am Leben liess, dem 
Macerationsvorgang jedoch kein Hinderniss in den Weg gelegt. 

316. Die „Gewohnheitstrinker Bill“ (vom Jahre 1879), ist mit 

dem 1. Januar 1880 in Kraft getreten. Die Grundzüge des Gesetzes lauten: Eia 
Gewohnheitstrinker ist ein Mensch, der durch den unmässigen und zur Gewohn¬ 
heit gewordenen Genuss berauschender Getränke für sich und seine Umgebung 
gefährlich oder nicht im Stande ist, seine Person und sein Vermögen besorgen 
zu können. Für diese Gewohnheitstrinker sind besondere Asyle gesetzlich con- 
cessionirt worden, und die Aufnahme in dieselben geschieht auf schriftlichen 
Antrag des Trinkers selbst, unter Angabe der Zeit (nicht über 1 Jahr), die er 
dort zubringen will, und unter Beifügung eines Zeugnisses von zwei Personen 
dass er wirklich „Gewohnheitstrinker" sei. Die Unterschrift muss von zwei 
Friedensrichtern bescheinigt werden, die zugleich die Verpachtung haben , dem 
Betreffenden die Tragweite seines Schrittes klar zu machen. Ist die Aufnahme 
einmal geschehen, so kann für die Dauer der beantragten Zeit ein Austritt aus 
dem Asyl nur mit Bewilligung des Friedensrichters geschehen. Verlässt der 
Trinker die Anstalt ohne eine solche Erlaubniss, so kann er arretirt und mit 
Gewalt znrückgebracht werden. Jede Unterstützung bei der Entweichung von 
Seiten Fremder, die heimliche Zufuhr von geistigen Getränken u. dgl. ist strafbar. 
Und ebenso kann der Trinker, wenn er sich gegen die Hausordnung vergeht, bis 
zu 100 M. oder 7 Tagen Arrest bestraft werden. Die Definition im Gesetze 
lautet: Unter Gewohnheitstrinker versteht man eine Person, die, wenn auch nicht 
unter die Bestimmungen des Irrengesetzes fallend, dennoch durch den unmäBsigen 


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MediciiUBch-chirurgische Rundschau. 


395 


und zur Gewohnheit gewordenen Genuss berauschender Getränke zu Zeiten sich 
und Andern gefährlich wird und nicht im Stande ist, sich oder ihren Geschäften 
vorzustehen. Das Gesetz enthält auch den Pnnkt, dass Niemandem die Er- 
laabniss zn einem Trinkerasyl verliehen werden kann, der im Besitze einer Irren¬ 
anstalt ist. 


317. Blutmenge Neugeborener. Dr. Adr. s chücking macht auf die 
variable Gesammtblut menge Neugeborener je nach der Zeit derAbnabelnng 
aufmerksam. Er fand: 


v. 


j 


Körpergewicht des Kindes Gesammtblntmenge Gewichtsverbältniss Mittel 
Nach mehrenen Minuten abgenabelt 
I. 4295 Gramm 604 V 7 

n. dm „ 309 7n 

HI. 3780 „ 367 7 I0 

Sofort abgenabelt. 

IV. 3197 * 215 7,4 

Y. 3208 „ 198 7t. 

Im Fall I hatte er die Abnabelang erst dann Yorgenommen, als schon die 
Placenta exprimirt war. 

Das Resultat dieser Untersuchungen lautet nun, soweit es gestattet ist, aus 
einem kleineren physiologischen Material derartige generalisirende Folgerungen zu 
ziehen: 1. Die Blutmenge der Nengeborenen erweist sich als eine ziemlich variable. 
2. Die grössten Differenzen im Gewicht stellen sich zwischen dem Blut der sofort 
und dem der später abgenabelten Neugeborenen heraus. 3. Die Blutmengen der 
sofort Abgenabelten beträgt im Mittel l / lß , der später Abgenabelten 7. des Körper¬ 
gewichts, oder wenn wir von Fall 1 wegen seiner Abnormität absehen wollen, 
etwa V,r 4. Die Blutmenge der Neugeborenen scheint bei steigendem Körper¬ 
gewicht nicht nur relativ, sondern auch absolut zu wachsen. 


318. Körpermessungen verschiedener Menschenraoen. Von Dr. 
A. Weisbach, Chefarzt des österr.*ungar. Nationalhospitals in Con- 
stantinopel. 

Auf Grund zahlreicher und sorgfältiger Untersuchungen und anthropolo¬ 
gischer Studien gibt Verf. die folgenden interessanten Angaben über die Körper¬ 
länge verschiedener Völkerstämme. Die Messungsangaben bezeichnen immer die 
gefundene mittlere Statur. Danach messen die Hottentotten 1286 Mm , Tagalen 
1562, Japaner 1569, Amboinesen 1594, Zigeuner 1609, Australier 1617, Siamesen 
1622, Maduresen 1628, Südchinesen 1630, Nikobarer 1631, Rumänier 1643, Sun- 
danesen 1646, Javaner 1657, Magyaren 1658, Bngis 1661, Nordslaven 1671, Nord¬ 
chinesen 1675, Congo-Neger 1676, Sandwichs-Insulaner oder Kanaken 1700, Kaf- 
fern 1753 und die Maoris oder Neu-Seeländer 1757 Mm. Um einen Vergleich an¬ 
stellen können, fügen wir noch die Körperlänge mehrerer europäischer Völker bei, 
woraus sich ergibt, dass die mittlere Statur der Spanier und Portugiesen 1658, 
Franzosen 1667, Italiener 1668, Deutschen 1680, Dänen 1685, Engländer und 
Irländer 1690, Schweden 1700, Schottländer 1708 und Norweger 1728 Mm. be¬ 
trägt. — Ans diesen Angaben ist zu ersehen, dass die Hottentotten die kleinsten 
Manchen, die Kaffern und Neu-Seeländer dagegen die grössten sind. Nun darf 
man sich auch nicht mehr wundern, dass die Kaffern in dem heutigen Kriege den 
Engländern einen so hartnäckigen und kräftigen Widerstand entgegenzusetzen 
vermochten. 


319. Tod, verursacht durch das Eindringen eines Fisches in 
den Larynx. Von Gio. Carlo Tempesti. (Lo Sperimentale, Dicembre 
1879. — Monatschr. f. Ohrenhk. etc. 1880. 1.) 

Ein erwachsener, robuster Fischer wollte einen kleinen Fisch, welcher im 
Netze verstrickt war, losmachen und suchte den Kopf desselben mit den Zähnen 
zu fassen. Der Fisch schlüpfte in den Hals und der Mensch fiel in wenigen 
Augenblicken todt zu Boden, so dass keine Zeit war, einen Arzt herbeizurufen. 
Die Section wurde von Periti gemacht, welcher fand, dass der mörderische Fisch 
eine Sogliola war, von der Species, die gewöhnlich Linguottola (Seezunge?) ge¬ 
nannt wird. Der Fisch steckte mit dem vorderen Drittel seines Körpers im Larynx, 
der übrige Tbeil war frei und der Schwanz ruhte auf der Basis der Zunge, so 
dass, wenn ein Arzt zur Stelle gewesen wäre, er jenen hätte erfassen können. 


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396 


Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 

320. Dr. L. G. Courvoiaier: Ueber einen Fall von Lufteintritt in 
eine grosse Axillaryen e. Ans der Sitzung der medidnischen Gesell¬ 
schaft in Basel vom 22. Jänner 1880. (Corresp.-Blatt f. Schweiz. Aerzte. 1880.7.) 

Bei der unter Carbolspray vorgenommenen Entfernung der Reste einer 
carcinomatösen Mamma und undeutlich abgegrenzten, weit in die Axilla sich 
erstreckenden Drüsengeschwulst Hess sich plötzlich ein schlürfendes Geräusch 
hören, während zugleich die kräftige 58jährige Kranke coliabirte. Sofortige 
Digitalcompression des centralen Venenendes, Analeptica und künstliche Respira¬ 
tion liesen die gefährlichen Erscheinungen nach einer halben Stunde wieder 
schwinden. Es gelang dann, die angeschnittene grosse Vene central und peripher 
von der verletzten Stelle mit Seide zu unterbinden, wobei leider die centralwärts 
gelegene Pincette mit in die Ligatur gefasst wurde, um den Rest des Tumors zu exstir- 
piren. Th eil weise Naht der grossen Wunde. Antiseptischer Verband. Die Heilung 
verlief ohne alle Störung; die Pincette fiel am 9. Tage ab. 

Anknüpfend an diesen Fall bespricht der Vortragende die in der Literatur, 
speciell in dem Vortrage von Fischer (Sammlung klin. Vorträge Nr. 113) er¬ 
wähnten Fälle von Lufteintritt in grosse Venen. Unter 27 genauer beschriebenen 
Fällen wurde 13 Mal die V. jugul. ext., 10 Mal die V. jugul. int., je 1 Mal die 
V. subclavia, axilaris, saphena (?) und mediana (?) betroffen. Heilungen erfolgten 
in etwas weniger als der Hälfte der Fälle. Der Tod trat meistens sofort ein, 
einige Male erst nach 3—13 Stunden, in zwei Fällen erst nach 7, resp. 28 Tagen. 
Die Sectionen ergaben meist Luftblasen im Herzen, seltener in der Polmonal- 
arterie, oft auch gar nichts. Thierexperimente von Pan um und Fischer 
beweisen, dass der Tod durch Embolie der Lungenarterie und consecutive Hirn¬ 
anämie eintritt. ln Bezug auf die Therapie, resp. Prophylaxe, dieses Ereignisses 
macht der Vortragende darauf aufmerksam , dass trotz Umwachsung der Venen 
durch die Neubildung Oedem des betreffenden Gliedes fehlen kann, empfiehlt 
sofortige Digitalcompression der Venenwunde mit nachheriger centraler und 
peripherer Unterbindung und künstliche Lespiration. Doch sei dazn meistens 
keine Zeit mehr. Wo die Operiiten mit dem Leben davon kamen, war eben 
wohl die eingetretene Luftmenge zu gering, um Embolien zu verursachen. Eine 
giftige Wirkung der in’s Blut aspirirten Luft ist nicht anzuuehmen. 

Prof. Bischoff räth, bei Operationen in der Nähe grosser Venen den 
linken Zeigefinger stets centralwärts auf der blossliegenden Ader zu halten, erwähnt, 
dass in der geburtshilflichen Praxis Lufteintritt in Venen nicht gerade selten 
vorkomme und führt zwei von ihm beobachtete Fälle an. ln dem einen derselben 
Geburt bei verjauchtem Uterusinhalt, habe die eingedrungene Luft entschieden 
giftig gewirkt. Der Tod trat nach einer Stunde ein unter Steigerung der Tem¬ 
peratur auf 42° C. Im Anschluss daran bespricht er kurz die collapsartigen 
Zufälle bei Inj^ctionen in die Vagina und den Uterus, welche er ebenfalls schon 
mehrmals beobachtet hat. Diese Erscheinungen können, sowohl bei Carbol- wie 
bei Salicylwasser-Injectionen eintreten, doch sei noch kein Todesfall dadurch 
entstanden. Den Collaps glaubt er in einzelnen Fällen durch Eintritt einer kleinen 
Menge Luft in offene Venen, meistens aber durch das Eindringen der injicirten 
Flüssigkeit in’s Blut entstanden, da ähnliche Erscheinungen auch bei der Trans¬ 
fusion zuweilen sich ereignen. 

Prof. Burckhardt-Merian theilt mit, dass er vor einigen Jahren beim 
Versuch einer Operation des Caput obstipum wegen Brandnarben beim Loslösen 
dieser von der Clavicula ein lautes schlürfendes Geräusch vernommen habe, mit 
augenblicklicher Cyanose des Patienten. Sofortige Compression der eröffneten 
Vena jugul. extern, genügte, um nach kurzer Dauer eines ohnmachtähnlichen 
Zustandes weitere üble Folgen dieses Lufteintritts in die Venen zu verhüten. 

Berichtigung: S. 305, Nr. 251, Heft 4 muss es heissen Mordhorst statt Pordhorst. 

Der Redaction eingesendete neu erschienene BQcher und Schriften. 

Albert, Dr. Eduard, Prof, in Innsbruck: Lehrbuch der Chirurgie und 
Operationslehre. Vorlesungen für praktische Aerzte und Studirende. 
Vierter Band. Die chirurgischen Krankheiten des Beckens und der unteren 
Gliedmasse. Mit 219 Holzschnitten. Wien 1880. Urban & Schwarzenberg. 

Urbantschitsch, Dr. Victor, Docent in Wien. Lehrbuch der Ohren¬ 
heilkunde. Mit 75 Holzschnitten und Tafeln. Wien und Leipzig. Urban 
& Schwarzenberg. 1880. 

Verantwortlicher Redacteur; Dr. Vincenz Fink. 

Einsendungen an die Redaction sind zu richten: Wien. L. MaximilianstrssA* 4. 

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lledicinisch-cbirnrgiiche Knodschau. 


397 


Apollinaris 

NATÜRLICH 

KOHLEN SA URES MINERAL-WASSER. 
Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 

K ‘ K * Krankenhau ses, “Wieden.” {Prot, z. 


NOTE. 

A P° llinaris - Säu{rlin S währenddes Sommers 1879 im K. K. Krankenhause 
Wieden auf den medictnischen Abtheilungen der Herren Doctoren Ritter von Eisenstein 
und Octinger, und auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Er. Mosctig 
RUtet i’on Moorhof und des Herrn Dr. Kumar angewendet. Aus den diesfalls cingesen- 
deten Berichten dieser Herren Primarärzte geht hervor; dass das Apollinaris- Wasser 
suh durch seine Reinheit und seinen Wohlgeschmack, insbesondere aber 
durch seinen ausserordentlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällen den Vo$zu° 
verdufte, in welchen zunäehst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
Wasser hat sich insbesondere als kühlendes, erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften acuten Erkrankungen enviesen, inui wurde bei catarrhalischen 
Affectionen der Athmungs-, der Verdauungs- und Harnorgane mit gutem 
Erfolge angewendet. Wien, am 29. Dezember 1879. 

. . _ . , Dr. F. W. Lorinskr. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen.” 

Hofrath Univ.-Prof. Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald 

Wien : “ Ich bestätige hiermit, dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Kohlensäure ist, und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für Gesunde, und 
sehr kräftigend für Reconvalescenten mit geschwächter Verdauung sich 
mir erwiesen hat. 26. Januar 1880.” 6 


Hofra f h Univ.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wien: “Das Apollinaris■ 

Wasser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher bei allen jenen 
Krankheiten A nwendung firuien, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind. 26. Januar 
1880. ” 


Prof. Dr. Josef Seegen, Wien : “ Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 

bei Neuenahr ist seiner Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersättigung mit aus der Quelle gewonnener Kohlensäure steht es den 
Sodawässern nahe, und ist diesen als hygien isches Getränk vorzuziehen wegeti 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure. Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlen- 
säuregchalt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spaeth, Wien: “ Das Apollinaris-Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohlensäurereicher Natronsäuerling, von jedem Nebengeschmäcke frei, 
und bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: “ Das natürliche 

Apollinaris-Wasser eignet sich ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
und wird auch bei Schwäche der Verdauung sehr gut vertragen. 20. Juli 1879." 


Gen.-Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. v. Nussbaum, München: 

“ Ausserst erquickendes und auch nützliches Getränk, weshalb ich es bestem empfehlen 
kamt.” 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: 44 Als erfrischendes 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt es unter den Mineralwässern sicherlich 
den ersten Rang ein. 16. März 1879.” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: 14 Sein angenehmer 

Gexhmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vorteilhaft aus 24. Dezember 1878.” 


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321. Die plötzlichen Todesfälle bei plenritischen Exsudaten. 
Von Otto Leichtenstern in Cöln. (Deutsch. Archiv für klin. Medicin. 
26 Bd., IV. u. V. Heft.) 

Auf Grund fremder, sowie eigener Beobachtungen und Experimente 
liefert Verfasser den Nachweis, dass die schweren Ohnmächten und plötz¬ 
lichen Todesfälle bei Pleuritiskranken eine sehr verschiedene Ursache 
haben. 

Trousseau hob bei der Erklärung derselben drei Momente hervor, 
nämlich: die gewaltsame Verdrängung des Herzens durch das Exsudat, 
die dabei möglicherweise stattfindende Torsion der grossen Gefässstämme, 
besonders der Aorta, endlich die Möglichkeit, dass sich in den compri- 
mirten Herz- und Gefässabschnitten in Folge der Circulations-Verlang¬ 
samung Thromben bilden und den plötzlichen Tod herbeifithren. Diese 
plötzlichen Todesfälle ereignen sich nicht blos bei peracuten, massen¬ 
haften Exsudationen, sondern auch in chronischen Fällen exsudativer 
Pleuritis. Der Tod erfolgt plötzlich in einem acut tödtlichen Ohnmachts- 
anfalle und wird nach Trousseau häufig durch eine hastige Körper¬ 
bewegung veranlasst. 

In der deutschen Literatur hat zuerst Bartels die Aufmerksamkeit 
auf die schweren Synkope- und plötzlichen Todesfälle bei pleuritischem 
Exsudate hingelenkt, wich aber in der Auffassung insofern von Trousseau 
ab, als er das Hauptgewicht nicht auf das Herz und die Aorta, sondern 
auf die grossen Venenstämme legte, deren Wegsamkeit durch den Druck 
des Exsudates eher gefährdet wird, als die Aorta. Nach Bartels kann 
namentlich die aufsteigende Hohlader an der Stelle, wo sie das Centrum 
tendineum diaphragmatis durchsetzt, um in den Herzbeutel einzutreten, und 
wo sie an den Rändern des foramen quadrilaterum straff angeheftet ist, 
durch die Verschiebung des Herzens eine fast rechtwinklige Knickung 
erleiden. Kömmt nun zu diesen, für eine genügende Füllung der Körper¬ 
arterien so ungünstigen Bedingungen noch eine zufällige, wenn auch ganz 
vorübergehende Störung des Blutlaufes, z. B. eine hastige Körperbewegung, 
ein heftigerer Hustenanfall, wodurch das Zwerchfell jäh nach aufwärts 
getrieben und das Lumen der geknickten Vena eava inferior oberhalb 
des Zwerchfells ganz verlegt werden kann, so dürfte eine solche Störung 
immerhin genügen: um eine absolute Insufficienz des arteriellen Blut¬ 
druckes herbeizuführen, die sich dann in schweren Ohnmachtsanfällen 
äussert oder gar sofort den Tod nach sich zieht. 

Med.-chir. Rnndschau. 1880. Digitized by GcH^Ic 



402 


Meditinisch-chirurgische Rundschau. 


Diese einseitige und unrichtige Auffassung konnte nur Platz greifen, 
weil man die in mehrfacher Hinsicht nachtheilige Wirkung grosser 
Pleura-Exsudate auf den Circulationsapparat, auf die grossen Venenstämme 
und das Herz nicht genügend berücksichtigte, weil man die Casuistik 
der plötzlichen Todesfälle ignorirte und dem Begriffe „plötzlicher Tod“ 
eine unerlaubte Ausdehnung gab. Die Knickungstheorie Bartels führte 
zu der unrichtigen Vorstellung, dass wegen dieser Knickung der Cava 
ascendens plötzlicher Tod nur, oder fast ausschliesslich, bei linksseitigen 
Exsudaten vorkomme, sowie dass der circulationsstörende Einfluss grosser 
linksseitiger Exsudate erheblich grösser sei, als rechtsseitiger. Erstere 
Meinung, dass der plötzliche Tod fast ausschliesslich bei linksseitigen 
Exsudaten vorgekommen sei, ist aus der Casuistik leicht zu widerlegen. 
Diese zeigt im Gegentheile eine grössere Häufigkeit des plötzlichen Todes 
bei rechtsseitigen Exsudaten. Die zweite Meinung, wonach der eirculations- 
störende Einfluss linksseitiger Exsudate grösser sein soll als rechtsseitiger, 
lässt sich mit dem Hinweise auf die anatomische Lagerung der verschie¬ 
denen Herz- und Gefässabschnitte, sowie durch Versuche, welche Ver¬ 
fasser ausführlich schildert, widerlegen. Aus Allem geht hervor, dass 
rechtsseitige Exsudate den Blutlauf zum Herzen und durch dasselbe in 
höherem Grade beeinträchtigen als linksseitige Ergüsse und dass der 
Theorie von der rechtwinkligen Knickung der Cava ascendeis zum 
Mindesten eine zu grosse Bedeutung eingeräumt und darüber ungleich 
wichtigere und häufigere Ursachen des plötzlichen Todes bei Pleuritis¬ 
kranken vernachlässigt wurden. 

. Nach einer sehr eingehenden Erörterung der Casuistik kommt Ver¬ 
fasser zu den folgenden Resultaten: 

Der plötzliche Tod oder schwere Synkope-Anfälle bei pleuritischen 
Exsudaten haben mitunter ihren Grund in Embolien der Pulmonalis. In 
andern Fällen traf man zwar keine Pulmonalembolie, wohl aber volumi¬ 
nöse, weit verbreitete Thromben im rechten Vorhofe und Ventrikel und 
in der Cava descendens an. Die Thrombenbildung hat ihren Grund in der 
durch das Exsudat herbeigeführten Circulations - Verlangsamung. Der 
Bildungsort der Thromben ist bald das rechte Herz, besonders det Yor- 
hof, bald sind es die blindsackig endigenden Pulmonalarterienäste der 
comprimirten Lunge. Für das Vorhandensein voluminöser Thromben im 
rechten Vorhofe oder der Cava inferior spricht intra vitam ein ungewöhn¬ 
lich hoher Grad von Cyanose des Gesichtes mit Oedem desselben. Indem 
die Thoracocentese mit Aspiration zur Wiederausdehnung der Lunge führt 
und den Exsudatdruck auf Herz und Gefässe beseitigt, befördert sie die 
Circulation. Eine Folge dieser Circulationsbeschleunigung kann beim Vor¬ 
handensein von Thromben im rechten Herzen die Abreissung derselben 
sein. Daraus erklären sich die Fälle von tödtlicher Pulmonalembolie oder 
von Infarctbildung, welche nach der Thoracocentese beobachtet wurden. 

Die bisherige Ansicht, dass der circulationsstörende Einfluss links¬ 
seitiger Ergüsse grösser sei als rechtsseitiger, ist unrichtig. Im Gegen- 
theil wirken grosse rechtsseitige Exsudate durch Druck auf beide Hohl¬ 
adern, den rechten Vorhof und Ventrikel in höherem Grade circulationsstörend 
als grosse linksseitige Ergüsse. 

Grosse linksseitige Ergüsse führen selbst bei maximaler Verdrängung 
ries Herzens nach rechts, niemals zu einer rechtwinkligen oder überhaupt 
erheblichen Knickung des thoracischen Endstückes der Cava inferior. Die 
Veränderung, welche letztere bei maximaler Verdrängung des Herzens 
nach rechts durch linksseitige pleuritische Exsudate erleidet, besteht darin, 


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Madfcinisch-chirurgische Rundschau. 


403 


dass 1. die Venenwand in der Längsrichtung stärker gespannt wird, 
2. die Vene vom foramen quadrilaterum aus zum rechten Vorhof nicht 
wie normal medianwärts, sondern etwas nach rechts geneigt verläuft, 
ohne jedoch geknickt zu werden, 3. die linkshälftige Venenwand eine 
geringe das Lumen in unerheblichem Grade beeinträchtigende spiralige 
Drehung von links hinten nach rechts vorn erfahrt. 

Die bisherige Ansicht, dass plötzliche Todesfälle und schwere Ohn¬ 
machtsanfälle häufiger bei linksseitigen als rechtsseitigen Exsudaten 
beobachtet werden, wird durch die Statistik widerlegt. Von 52 Fällen 
der angeführten Statistik treffen auf 31 rechtsseitige Exsudate 21 links¬ 
seitige. 

Plötzliche Todesfälle, apoplectiforme Anfälle bei pleuritischen 
Exsudaten haben mitunter ihren Grund in Embolie einer Gehirnarterie. 

Für eine grosse Zahl plötzlicher Todesfälle bei pleuritischen 
Exsudaten kann die Ursache desselben nicht, mit Bestimmtheit angegeben 
werden. Zwar fördert die Section oft anatomische Veränderungen zu 
Tage, welche hinreichen den Tod zu erklären, wie fettige Degeneration 
des Herzmuskels, Hirnanämie oder Oedem, Lungenödem; aber es ist 
nicht zu entscheiden, wodurch diese Zustände plötzlich herbeigeführt 
wurden oder plötzlich zu tödtlichem Grade gediehen. Da viele dieser 
Fälle Kranke mit nur geringem Exsudate betreffen, so fällt die Berech¬ 
tigung weg, auch bei diesen Fällen an nachtheilige Wirkungen des 
Exsudatdruckes zu denken. 

Für die Ansicht, dass plötzliche Todesfälle bei pleuritischen 
Exsudaten zuweilen auf Gehimanämie beruhen, lassen sich jene Fälle 
verwerthen, wo der plötzliche Tod beim Erheben des Kranken aus der 
horizontalen Lage im Anschluss an einen dadurch hervorgerufenen schweren 
Ohnmachtsanfall erfolgte. 

ln Zuständen von erschwerter und mangelhafter Füllung des linken 
Ventrikels können alle Veranlassungen, welche die Blutzufuhr zum linken 
Herzen momentan unterbrechen oder erheblich beeinträchtigen, zu einer 
plötzlichen letalen Anämie des linken Herzens und secundär des Gehirnes 
führen. Zu solchen Veranlassungen gehören ein länger dauernder Husten- 
paroxismus, Pressbewegungen beim Stuhlgang, beim Heben schwerer 
Lasten, beim Erbrechen etc. Hierher gehören auch Lageveränderungen 
des Kranken, z. B. Lage desselben auf der gesunden Seite, plötzliches 
Aufrichten im Bette, wodurch der nachtheilige Druck des Exsudates auf 
das Herz und die grossen Venenstämme plötzlich gesteigert und besonders 
die diastolische Ansaugekraft der Vorhöfe momentan geschwächt werden 
kann. Rasches Aufrichten im Bette erzeugt bei grossen Exsudaten eine 
plötzliche Drucksteigernng auf das Herz. Indem dieses plötzlich tiefer 
unter das Flüssigkeitsniveau zu liegen kommt, findet beim raschen Auf¬ 
richten gleichsam ein Stoss auf das Herz statt, der gefährlich werden kann. 

Das in manchen Fällen von plötzlichem Tode bei pieur. Exs. 
angetroffene Lungen- oder Gehimödem hat nur secundäre Bedeutung; es 
ist eine Folge des Herztodes, ein Agonieödem. Mitunter tritt unmittelbar 
nach der Thoracocentese mit Aspiration ein Oedem in der partiell wieder 
ausgedehnten Lunge auf. Dieses Oedem scheint in einigen Fällen einen 
hohen Grad erreicht und den Tod durch Asphyxie herbeigefiibrt zu haben. 
Dieses postaspiratorische Oedem entsteht wahrscheinlich in Folge der 
abnormen Durchlässigkeit, welche die Gefässwandungen erfahren, wenn 
die Gefässe einige Zeit vom Blutstrome abgeschlossen, plötzlich wieder 
der Circulation eröffnet werden. 


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26* 

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404 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Plötzliche Todesfälle während, unmittelbar oder kurze Zeit nach der 
Thoracocentese mit Aspiration sind wiederholt beobachtet worden, immer¬ 
hin aber so seltene Vorkommnisse, dass sie die Indication dieser segens¬ 
reichen Operation nicht im Geringsten beeinflussen können. Meist handelt 
es sich in solchen Fällen um Herztod oder um Gehirnanämie. Ob die 
mit der Aspiration einhergehende Hyperämie der Lungen- und Pleura- 
gefässe Gehimanämie zu erzeugen und bis zu einem letalen Grade zu 
steigern im Stande ist, bleibt dahingestellt. 

Wiederholt wurden während der Irrigation der Pleurahöhle schwere 
Öhnmachtsanfälle, selbst plötzlicher Tod beobachtet. In diesen Fällen 
handelt es sich entweder um die Folgen der durch den Irrigationsstrahl 
hervorgerufenen directen mechanischen Erschütterung des leicht erschöpf¬ 
baren Herzens oder um Shock, d. h. um eine durch Reizung der Plenra- 
nerven hervorgerufene reflectorische Lähmung des Gefässtonus, besonders 
des Splanchnicus, mit daraus*hervorgehender plötzlicher bedeutender Hirn¬ 
anämie. Hiefttr spricht, dass in allen Fällen von Synkope während der 
Pleura-Irrigation allgemeine Convulsionen, epileptiforme Krämpfe gleich¬ 
zeitig beobachtet wurden, Erscheinungen, wie sie der Gehirnanämie 
eigentümlich sind. Die Auswaschung grösserer Empyemhöhlen mit 
stärkeren Carbollösungen kann durch rasche Aufsaugung grösserer Carbol- 
mengen schweren Collaps, vielleicht selbst den Tod zur Folge haben. 

P. von Rokitansky. 

322. Die Eigenwärme in der allgemeinen Paralyse der Irren. 
Von Reinhard. (Archiv f. Psych. X. 2. Heft. Prag. med. Wochen¬ 
schrift 1880. 17.) 

In seiner durch zahlreiche Beobachtungen und Temperaturs-Tabellen 
illustrirten Abhandlung versucht R. eine Lösung der bekanntlich noch 
immer controversen Frage, ob, wie L. Meyer auf Grund seiner Beob¬ 
achtung, dass die Erregung der Paralytiker durchgängig mit Temperatur- 
Steigerung zusammenfällt, annimmt, beide Erscheinungen von der Hirn- 
affection abhängig sind, deren Wesenheit er in der chronischen Menin¬ 
gitis sieht. 

R. mass dreimal des Tages in der Achselhöhle, daneben auch die 
Kopf-Temperatur dicht hinter dem Proc. mast., wo die Thermometerkugel 
vom Ohrläppchen bedeckt und die ganze Gegend mit Watte umhüllt 
wurde; als Grundlage für die Beurtheilung der Norm benützte er die 
Ziffern von Baerensprung; bei jeder etwas grösseren Abweichung 
wurde die genaue Untersuchung des Körpers, besonders der Lungen, vor¬ 
genommen. 

In der zusammenfassenden Darstellung seiner an 15 zum Theil mit 
Section mitgetheilten Fällen gemachten Beobachtungen zeigt R., wie in 
allen Fällen die Temperatur sich abnorm verhielt, wie subfebrile, febrile 
und stark fieberhafte Werthe selbst bis zu 41° Vorkommen. Fast in allen 
Fällen war die Mittags- und Abendtemperatur höher als die Morgen¬ 
temperatur. Was die Details betrifft, so fällt vor Allem auf die häufige 
Coincidenz von Erregung und Temperatur-Steigerung, welche letztere in 
der Regel um 10—12 Stunden vorausgeht; der Abfall beider geht häufiger 
rasch und in der Weise vor sich, dass die Erregung das Bestehen der 
erhöhten Temperatur meist etwas überdauert, regelmässig finden sich mit 
den höchsten Graden auch die höchsten Temperaturen vereinigt; von den 
relativ seltenen Ausnahmen ist anzuführen, dass die Erregungen ohne 
wesentliche Temperatur-Steigerung meist in die Morgenstunden fielen, wo 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


405 


die beobachteten Temperaturen von 37° und einigen Zehnteln schon als 
pathologisch für die Paralyse anzusehen sind; der grössere Theil der 
Ausnahmen betrifft Temperatur-Steigerungen ohne Erregung, die dann 37*8° 
selten übersteigen. Die apoplecti- und epileptiformen Anfälle der Paralytiker 
sind stets von Steigerung begleitet, ja diese letztere geht mindestens um 
6 Stunden voraus; ebenso werden auch die partiellen Paresen und spas¬ 
modischen Contracturen stets von allerdings geringeren Temperatur- 
Steigerungen begleitet. 

Bemerkenswerth sind die Resultate der Messungen der Kopftempe¬ 
ratur; während bei Geistesgesunden nach R. die Temperatur an der 
erwähnten Stelle fast constant kaum 0*1° unter der allgemeinen Tempe¬ 
ratur bleibt, ist dieselbe bei Paralytikern nicht nur höher als bei Gesunden, 
sondern in vielen Fällen sogar höher als die allgemeine Temperatur des 
betreffenden Kranken; am auffälligsten ist dieses Ueberwiegen während 
starker Erregungen, apoplecti- und epileptiformer Anfälle; einige Male 
betrug die Differenz 1*5°, Differenzen von 0*5—1° waren nicht selten; 
in einzelnen Beobachtungen zeigte sich im Beginn der erwähnten Anfälle 
im Gegensätze zur Steigerung der Allgemeintemperatur ein ausgeprägtes 
prodromales Sinken der Localtemperatur. Bei halbseitigen motorischen 
Differenzen findet sich die allgemeine Temperatur auf der von den Störungen 
betroffenen Seite höher und bisher noch vereinzelte Erfahrungen sprechen 
für das gleiche Verhalten der Localtemperatur. 

Als allgemeines Resultat seiner Beobachtungen hebt R. hervor das 
Vorkommen von Temperatur-Steigerungen ohne Complicationen und kommt 
zu der schon von L. Meyer vertretenen Annahme des inneren Zusammen¬ 
hanges und der Abhängigkeit der pathologischen Temperaturen in der 
allgemeinen Paralyse von der Erkrankung des Centralorganes. Bezüglich 
der ausführlichen Discussion dieser Anschauung der Auffassung des Gesammt- 
verhaltens der Temperatur und der vasomotorischen Störungen muss auf 
das Original verwiesen werden; nur Eins sei hervorgehoben, dass R. die 
mit den gewöhnlichen Fiebererscheinungen einhergehende Erregung und 
Zunahme des Deliriums als febriles Symptom ansieht. 

Bezüglich der praktischen Gesichtspunkte seiner Arbeit hebt R. 
zuerst hervor, dass in einigen allerdings noch wenigen Fällen von mit 
Tabes complicirten Fällen von Paralyse verhältnissmässig nur wenige und 
sehr mässige Temperatur-Steigerungen vorhanden waren, was wohl darauf 
zu beziehen, dass in diesen Fällen in der Regel die Hirnerscheinungen 
weniger heftig sind und die ganze Krankheit milder verläuft. Im An¬ 
schlüsse an diese seine Untersuchungen theilt er nun vergleichende 
Messungen bei anderen Psychosen mit; bei einfachen primären Geistes¬ 
störungen, selbst in der tobsüchtigen Erregung der Maniakalischen und 
gewissen Melancholischen fand sich abgesehen von fieberhaften Compli¬ 
cationen keinerlei Temperatur-Steigerung, ebensowenig Veränderungen im 
Verhältnis der Kopftemperatur zur Allgemeintemperatur; nur bei Puerperal- 
und Lactationspsychosen fand sich aber häufig neben Genitalaffecten oder 
Genitalreiz zuweilen eine ganz unbedeutende Fieberbewegung; bei Blöd¬ 
sinnigen und (secundär) Verrückten fand sich niemals Temperatur-Steigerung, 
bei apathisch Blödsinnigen eher ein geringer Tiefstand; bei Dem. senilis 
zuweilen leichte Fieberbewegung ohne auffindbare Complication; bei 
3 chronischen Alkoholikern fanden sich durchschnittlich tiefe Temperaturen, 
bei Epileptikern nach dem Anfalle zuweilen eine Erhöhung, dagegen mehr¬ 
mals einige Stunden nach den Anfällen bei Epileptikern mit grosser Be¬ 
nommenheit, Reizbarkeit und Erregung hohe Temperaturen bis zu 39*, 


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406 


Medicinisch- cbirnrgische Rundschau. 


ein Ueberwiegen der Kopftemperatur fand sich niemals; halbseitige Tem¬ 
peratur-Differenzen fanden sich nur bei hemianästhetischen Hysterischen 
und überstiegen niemals O'IA 

Differentialdiagnostisch legte H. Gewicht für die progressive Paralyse 
auf das Prävaliren der Kopftemperatur über die allgemeine Temperatur, 
auf die ungewöhnlich grossen Tagesschwankungen und auf die zeitweilig 
febrile Allgemeintemperatur ohne nachweisbare Complication; er erwähnt 
einige zweifelhafte Fälle in früheren Stadien, bei denen durch die Messung 
die Diagnose gestellt werden konnte und erklärt deshalb die Thermometrie 
als unentbehrlich für die Constatirung des Beginnes der Paralyse. Indem 
er auf die Wichtigkeit dieser Thatsache bezüglich therapeutischer Mass¬ 
nahmen hinweist, gibt er an, dass bei einem nach der Methode von 
L. Mayer mit anscheinend günstigem Erfolge behandelten Paralytiker 
nach Verlauf der zweiten Ourwoche alle Erscheinungen abnormer Tempe¬ 
ratur verschwunden waren. 


323. III. Gleichzeitiges Vorkommen zweier Exantheme. Von 
Dr. N. Ledetsch. (Prag. med. Wochensclir. 1880. 17.) 


Das gleichzeitige Vorkommen zweier Exantheme bei einem und 
demselben Individuum wird von Vielen in Abrede gestellt. — Jahrgang 
1878 Kr. 20 d. Prag. med. Wochenschr. enthält einen Aufsatz: „Einiges 
über Infectionskrankheiten“ vom Docenten Dr. Schütz, indem a priori 

das Vorkommen einer Mischform angezweifelt wird.„so ist es 

nahezu unmöglich, dass zu gleicher Zeit zwei an und fiir sich verschiedene 
Noxen in den Körper eindringen, und parallel nebeneinander ihre Er¬ 
scheinungen ab wickeln sollten 44 .... Dieser Ansicht widerspricht fol¬ 
gender Fall: 

Im Juli 1878 erkrankte ein mehrere Wochen altes, ungeimpftes Kind 
an Blattern. Krankheitsdauer 14 Tage, Ausgang günstig. 

Drei Wochen nach Erkrankung dieses Kindes, am 22. Juli, fühlte 
sich der Vater desselben, ein 40jähriger, sonst gesunder Mann unwohl. 
Es stellte sich bei ihm Hitze- und Kältegefühl, Kopfschmerz und Appetit¬ 
losigkeit ein; am folgenden Tage traten die genannten Erscheinungen 
stärker hervor und am 3. Tage musste derselbe das Bett hüten. Das 
Fieber hatte zugenommen, ferner gesellte sich eine bedeutende Lichtscheu 
hinzu, so dass das Zimmer verdunkelt werden musste. Im Gesichte wie 
am Stamme waren bereits einige kleine, rothe Knötchen sichtbar. Unter 
solchen Umständen, und besonders da im Orte Blatternfälle vorkamen 
und das eigene Kind derartig erkrankt war, konnte man höchstens über 
den Grad, aber nicht über die Natur der Erkrankung im Zweifel sein. 

Und in der That erfolgte in den nächstfolgenden Tagen eine ganz 
deutliche Blatterneruption, doch war die Anzahl der Blattern eine geringe. 
Trotz bereits erfolgter Eruption bestand das Fieber, der Kopfschmerz, die 
Lichtscheu und Kratzen im Kehlkopfe, das sich noch hinzugesellte, in 
unveränderter Weise fort. 

Da bemerkte Verf. am 26. zunächst an der Innenseite der Vorder¬ 
arme und beim weiteren Nachsehen am Bauch, an beiden Inguinalgegenden 
zahlreiche, dicht nebeneinander sitzende rothe Fleckchen und Stippchen. 
Diese Erscheinung, welche er für eine Blattcrneruption hielt, hatte 
Besorgniss eingeflösst, denn unbedingt hätten diese zu Blattern sich ver- 
grössernden Stippchen confluiren müssen. Am 27. war bereits der ganze 
Körper mit Ausnahme der Unterschenkel und Fttsse mit solchen Stipp¬ 
chen oder Knötchen und Fleckchen gleichmässig besäet, Handteller nicht 


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Medicinißch-chirargische Bundscliaa. 


407 


ausgenommen, an diesen aber blos Fleckchen. Die Farbe derselben war 
roth, mit einem Stich in’s Gelbe, diese letztere Farbennuancirung war 
am folgenden Tage noch deutlicher hervorgetreten. Von jetzt ab schwanden 
allmälig das Fieber, die Lichtscheu und das Kratzen im Kehlkopf, nach 
zwei Tagen war auch das letztere Exanthem verschwunden. Die Blattern 
hingegen nahmen ihren ungestörten Verlauf. Da ihre Anzahl, wie bereits 
bemerkt, eine geringe war, so ftlhlte sich Pat. seinerseits nicht sehr 
belästigt, und konnte nach wenigen Tagen das Bett verlassen, aber noch 
nach Wochen waren die Spuren derselben bemerkbar. 

An der Existenz der Blattern war wohl nicht zu zweifeln, und da 
man Fleckchen und Stippchen auf der ganzen Hautoberfläche mit acutem, 
fieberhaftem Verlauf unter Begleitung von Conjunctival- und Larynxkatarrh 
Masern nennt, so muss das zweite Exanthem mit diesem Namen bezeichnet 
werden. Hier waren also die Masern unmittelbar auf die Blättern-Erup¬ 
tion gefolgt, beide Exantheme bestanden also gleichzeitig und wegen der 
geringen Zahl der Blattern konnten die Masern besonders deutlich unter¬ 
schieden werden. —sch. 


324. Zur Kenntniss des Bronchialasthma. Von Dr. E. Ungar 
(Bonn). (Centr.-Bl. f. klin. Med. 1880. Med. Jahrb. Bd. 185. H. 2.) 


Leyden hat im Jahre 1872 mitgetheilt, dass er bei der Unter¬ 
suchung der Sputa von 7 an Asthma bronchiale Leidenden bei 6 jene 
zuerst von Charcot und Robin in einer leukämischen Milz beobach¬ 
teten eigenthtlmlichen Krystalle angetroffen habe. In dem einen Falle, 
in dem diese Krystalle nicht nachzuweisen waren, hatte er nur Gelegen¬ 
heit gehabt, den Auswurf aus der Remissionszeit zu untersuchen, zu 
welcher Periode auch in den übrigen Fällen die Krystalle nicht stets vor¬ 
handen gewesen waren. Das Sputum, welches Krystalle enthält, ist nach 
Leyden’s Angabe im Anfall spärlich, reichlicher nach demselben, zeigt 
in durchscheinender, fast glasiger Grundmasse eine grosse Anzahl feiner 
Flocken, Fäden und Pfropfe. Unter den letztem finden sich glatte, rund¬ 
liche Pfröpfe oder fadenförmige Würstchen von derber, trockener (Konsistenz 
und hellgrünlicher Farbe, welche unter dem Deckglas zerdrückt eine 
krümlich trockene mattglänzende Masse darstellen und als ein dicht 
zusammengehäuftes Convolut von bräunlichen, körnig zerfallenden Zellen 
erscheinen, zwischen denen mehr oder minder reichlich die fraglichen 
Krystalle abgelagert sind, farblose, mattglänzende, langgestreckte Oktaöder 
von verschiedener Grösse, einige so gross, dass sie sofort in die Augen 
fallen, andere erst bei stärkster Vergrösserung durch Immersion erkenn¬ 
bar. Ausser den Krystallpfröpfen finden sich viele weichere in dem Sputum, 
welche aus zusammengeklebten Eiterzellen, Lungen- und Cylinder-, resp. 
Flimmer - Epithelien bestehen. Die grossen Zellen zeigen theils myelin¬ 
artigen Zerfall, theils erscheinen sie als Haufen von gelbbraunen, körnig 
pigmentirten Zellen. Leyden konnte diese Krystalle bei keiner andern 
Lungenkrankheit im Auswurfe nachweisen. Bei der Unsicherheit, welche 
über den Begriff des Asthma bronchiale waltet, hält er es auch für 
durchaus nicht unwahrscheinlich, dass die Affectionen, bei denen von 
andern Autoren solche Krystalle im Auswurfe gefunden wurden, einem 
Anfalle von Bronchialasthma entsprechen; in einem Falle werden neben 
croupöser Bronchitis asthmatische Symptome direct erwähnt. Leyden 
nimmt daher an, dass jene Krystalle zu dem Bronchialasthma in specieller 
Beziehung stehen, und stellt die Hypothese auf, dass die feinen spitzen 
Krystalle, welche sich in den Pfröpfen bilden, im Stande seien, die. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Schleimhaut der Alveolen und der kleinen Bronchien, resp. Nerven¬ 
endigungen des Vagus in denselben zu reizen und so die paroxysmen weise 
auftretenden Erscheinungen zu bewirken. 

In den zahlreichen Beobachtungen über Bronchialasthma, die seit 
Leyden’s Mittheilung veröffentlicht worden sind, ist, so viel Verf. weiss, 
nur in einer von ihm selbst unter dem Titel: „Krystalle von oxalsaurem 
Kalk neben den L e y d e n’schen Krystallen im Sputum eines an Bronchial¬ 
asthma Leidenden 14 gemachten Mittheilung (Deutsches Arch. f. klin. Med. 
XXI. 4) das fragliche Vorkommen erwähnt. Prof. Zenker berichtetzwar 
in einem die C b a r c o t’schen Krystalle besprechenden Aufsatze über drei 
weitere Fälle von krystallhaltigen fibrinösen Bronchial gerinnsein, betont 
aber für zwei dieser von Merkel beobachteten Fälle ausdrücklich das 
Fehlen jeder Spur von asthmatischen Beschwerden. Er selbst habe bei 
einem chronischen Bronchialkatarrh einen kleinen, fest zusammengeballten 
zähen bräunlichen Klumpen ausgehustet, in dem sich jene Krystalle an 
mehreren Stellen in grosser Zahl zusammengehäuft vorfanden. Während 
er sonst zuweilen an einem Zustande leide, den man als leichtes Bronchial¬ 
asthma bezeichnen könne, sei jedoch zur Zeit der Expectoration jenes 
„Krystallpfropfes“ ein solcher asthmatischer Anfall nicht vorhanden ge¬ 
wesen und auch nicht kurz vorausgegangen. Zenker zieht aus diesen 
Fällen den Schluss, dass das Vorhandensein der Krystalle in den Sputis 
nicht nothwendig asthmatische Beschwerden im Gefolge habe; die von 
Leyden beobachtete Thatsache sei zwar ausserordentlich interessant, die 
Zahl der Fälle jedoch noch zu gering, um allgemein gütige Schlüsse 
zuzulassen. 

Verf. selbst hat Gelegenheit gehabt, das Sputum von 23 an Asthma 
bronchiale Leidenden zu untersuchen. Bei der Mehrzahl derselben konnte 
er sowohl den Verlauf des Leidens überwachen, als auch häufigere Unter¬ 
suchungen des Sputum während des Anfalls, sowie in der Intermissious- 
zeit vornehmen. 

Von diesen 23 Patienten waren nur 4 weiblichen Geschlechts: 

2 Mädchen im Alter von 15 und 17 Jahren und 2 Frauen von 40, resp. 
40 Jahren. Unter den Patienten männlichen Geschlechts befanden sich 

3 Knaben im Alter von 7—11 Jahren; 1 Pat. war 19 Jahre alt; 7 Pat 
gehörten der Altersclasse 20—30, 4 der Altersclasse 31—40 und weitere 

4 der Altersclasse 41—50 Jahre an. 

Eine Pat., die 48jährige Frau, litt ausser an charakteristischen 
asthmatischen Anfällen an chronischem Bronchialkatarrh. Bei den übrigen 
Pat. berechtigte nichts zu der Annahme, dass neben dem Asthma bronchiale 
eine Erkrankung des Respirations- oder Circulationsapparates bestände. 

In sämmtlichen 23 Fällen von Asthma bronchiale konnte Verf. die 
betreffenden Krystalle im Sputum auffinden, obschon ihm von einigen Pat 
nur das spärliche Ergebniss einer einmaligen Expectoration zu Gebote 
stand. Dagegen hat Verf. bei zahlreichen Untersuchungen des bei ander- 
weiten Affectionen entleerten Sputum die fraglichen Krystalle nur zweimal 
gesehen. In einem dieser Fälle handelte es sich um das Sputum eines 
49jährigen Ackerers, bei dem Verf. in einer sehr besuchten poliklinischen 
Sprechstunde die Diagnose auf Catarrhus bronchialis chron. gestellt und 
bei der später vorgenommenen Untersuchung des Sputum die Krystalle 
gefunden hatte, als ein genaueres Nachforschen nach einem etwa vorher¬ 
gegangenen asthmatischen Anfall nicht mehr möglich war. Ein anderes 
Mal sah Verf. kleine Krystalle in einem mikroskopischen Präparate, 
welches ein College aus einem von ihm ohne besondere Erkrankung 


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Meditinisch-chirargische Bund schau. 


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expectorirten Klümpchen Sputum angefertigt hatte. In den zahlreichen 
Fällen, in welchen Verf. das Sputum von Pat. untersuchte, welche an 
heftigen, nicht auf Asthma bronchiale zurückzuführenden dyspnotischen 
Beschwerden litten, gelang es ihm niemals, die Krystalle zu finden. Von 
Bronchitis crouposa herrührende Gerinnsel zu untersuchen, hatte Verf. 
keine Gelegenheit. 

In Betreff des Auftretens und der Beschaffenheit des krystallhaltigen 
Sputum bei Asthma bronchiale schliesst sich Verf. im Allgemeinen der 
von Leyden gegebenen Beschreibung an. Besonders hervorheben, resp. 
hinzufügen möchte er jedoch Folgendes. 

Die Krystalle finden sich weniger häufig in scharf begrenzten 
charakteristischen Pfröpfen, als in unregelmässig gestalteten Flocken der 
verschiedensten Grösse, doch zeichnen sich die krystallführenden Partikel¬ 
chen stets durch ihre grüngelbe Farbe und derbere Consistenz vor den 
übrigen flockigen Beimischungen der transparenten Grundsubstanz des 
Sputum aus. 

Makroskopisch und mikroskopisch den krystallhaltigen Pfröpfen 
durchaus ähnliche Partikelchen erweisen sich zuweilen trotz genauester 
Durchmusterung als nicht krystallhaltig. Zweimal (unter einer grösseren 
Anzahl vergeblicher Versuche) gelang es Verf., in einem Präparate, das 
einem nicht krystallhaltigen Pfropfe entnommen war, nach zwei-, resp. 
dreitägiger Aufbewahrung in feuchter Kammer eine Ausscheidung von 
Krystallen zu erzielen. Aehnliche Versuche mit den übrigen flockigen 
Bestandtheilen des Auswurfs oder mit von andern Erkrankungen her- 
stammenden Sputis blieben erfolglos. Im Centrum der Pfröpfe, resp. der 
Flocken, wo die Contouren der Zellen nicht ganz verwischt sind und der 
Zelleninhalt eine zusammengeflossene körnige Masse bildet, liegen die 
Krystalle in der Regel am zahlreichsten; ihr Ueberwiegen an der Peri¬ 
pherie ist nur ein scheinbares. Die Grösse der Krystalle scheint in einem 
gewissen Verhältnisse zu stehen mit der Länge der Zeit, welche vom 
Beginne des asthmatischen Anfalls bis zur Expectoration verflossen ist. 
Gelingt es überhaupt, im Anfang des Anfalles krystallhaltiges Sputum zu 
erlangen, so erscheinen die Krystalle zierlich und klein; hat hingegen der 
Anfall schon einige Tage angedauert, oder stammt das Sputum aus der 
Intermissionszeit, so sieht man neben den kleinern zahlreiche grössere und 
sehr grosse Krystalle. Die im späteren Verlauf des Anfalls oder nach dem 
Anfall expectorirten Krystalle erscheinen ferner vielfach in defectem Zu¬ 
stande. In einer sehr kleinen Menge Sputum, welches ein Patient, ohne 
dass längere Zeit ein Anfall vorhergegangen wäre, während eines nur 
einige Stunden andauernden Gefühls von Beengung, dem jedoch nicht, wie 
gewöhnlich, ein asthmatischer Anfall folgte, entleerte, fanden sich zwischen 
körnig zerfallenden Zellen und mannigfach gestalteten Myelin-Tropfen 
kleinste, bei einer 480fachen Vergrösserung eben noch sichtbare Krystalle. 

Der Gehalt des Sputum an krystallhaltiger Substanz scheint bei 
verschiedenen Pat. ein verschiedener zu sein; während bei einigen Pat. 
das Sputum dicht mit krystallhaltiger Substanz durchsetzt ist, gelingt es 
bei andern stets nur mit einiger Mühe, Krystalle aufzufinden. Weder bei 
Vergleichung der Anfälle verschiedener Personen, noch bei Berücksichtigung 
der Anfälle ein und derselben Person ergibt sich ein Zusammenhang 
zwischen der Heftigkeit der Anfälle und der Menge der expectorirten 
krystallhaltigen Substanz. Abgesehen von den, wie oben erwähnt, bei 
einem Pat. nachgewiesenen Krystallen von oxalsaurem Kalk zeigten sich 
neben den Charcot’schen Krystallen niemals andere Krystallformen. 


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Medicinisch-cbirargisehe Randseban. 


Namentlich war auch beim Eintrocknen des Sputum niemals ein Aus- 
krystallisiren von Tyrosin in Büschel- oder in Drusen-Form nachzuweisen. 
Durch das Ergebnis der Untersuchungen der Sputa hat Leydens 
Ansicht, dass die Charcotsehen Krystalle zu dem Asthma bronchiale 
in specieller Beziehung stehen, eine neue Stütze erhalten. Inwiefern sieb 
seine Beobachtungen für und gegen die Hypothese von der ätiologischen 
Bedeutung der Krystalle verwerthen lassen, gedenkt Verf. später zu 
untersuchen. 


325. Zur Aetiologie des Abdominaltyphus. Von Dr. Port 
Nach dem Vortrag, gehalten im Aerztlichen Verein München am 7. April 
1880. (Aerztl. Intellig. Bl. 1880. 17, 18 und 19.) 

Beim Typhus ist die eigentliche Pilzforschung noch wenig in Angriff 
genommen. Wir stehen hier wie bei den meisten anderen Infectionskraük- 
heiten der Menschen noch fast ausschliesslich auf dem Boden der epide¬ 
miologischen Forschung; es dreht sich in der Aetiologie des Typhus noch 
Alles um die groben Beziehungen desselben zum Verkehr, zum Boden, 
zum Trinkwasser, zu den Abtritt- und Canalausdünstungen, zur Bewohnungs¬ 
dichtigkeit u. s. w. und man kann nicht einmal sagen, dass wir es in 
diesen ätiologischen Präliminarien zu einem erträglichen Einverständniss 
gebracht haben. Die letzten grossen Typbusverhandlungen, die in dem 
ärztlichen Vereine in München vor sieben Jahren gepflogen wurden, haben 
eigentlich nur dazu geführt, den unversöhnlichen und schroffen Widerspruch 
der Meinungen recht klar zu machen. Vortr. versucht die controversen 
Meinungen der Epidemiologen zu versöhnen, Concessionen anzubahnen, wo 
solche zulässig erscheinen und positiv falschen Anschauungen wenigstens 
ohne Härte entgegenzutreten. Er stützt sich wesentlich auf die ihm ge¬ 
läufigen Kasernbeobachtungen und lässt insbesondere jene Epidemien, die 
durch den Genuss von verdorbenen Nahrungsmitteln bei Sängerfesten und 
dgl. entstanden sind, ganz ausser Betracht. 

Als Basis für die folgenden ätiologischen Erörterungen fasst der 
Vortr. seine Anschauungen über den Typhus in einer Reihe von Thesen 
zusammen. Dieselben lauten also : 1. Der Typhus ist eine in strengster 
Abhängigkeit vom Boden stehende Krankheit, die auf siechhaftem Boden 
sowohl originär als durch Einschleppung zum Ausbruch kommen kann, 
auf siechfreiem Boden dagegen nicht verschleppbar ist. 2. Selbst auf siech- 
haftem Boden erkranken nicht alle Menschen; es ist vielmehr zur Er¬ 
krankung eine gewisse Disposition des Körpers erforderlich. 3. Undurch¬ 
gängiger Boden ist dauernd siechfrei; poröser Boden wird hauptsächlich durch 
ungewöhnliche Austrocknung vorübergehend siechhaft. 4. Die schädlichen 
Stoffe, die sich im siechhaften Boden bilden, werden nicht durch das 
Trinkwasser, sondern durch die dem Boden entströmende Luft dem Menschen 
zugeftthrt. 5. Durch die Ausdünstungen der Abtritte wird die Krankheit 
nicht verbreitet. 6. Da es nicht in unserer Macht steht, die Verschleppung 
der Krankheitsstoffe zu verhüten oder die Disposition der Menschen zu 
ändern, so bleibt als Angriffspunkt für die Prophylaxis im Grossen nichts 
übrig als eine geeignete Behandlung des Bodens. 

Vor Allem ruft der Vortr. als Grundregel der epidemiologischen 
Forschung in Erinnerung die in allen Naturwissenschaften gütige Regel, 
nie an das Detail und an die feine Zergliederung einer Sache zu gehen, 
bevor die groben Verhältnisse, die allgemeinen Umrisse, die generellen 
Beziehnngen genau studirt sind. Es sind im Ganzen nur wenige Beobachter, 
die bei ihren epidemiologischen Aufzeichnungen dieser strengen Sckulregel 


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Mediciniscb-chirnrgiache Rundschau. 


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Genüge geleistet haben. Ihre Beobachtungen müssen natürlich den Aus¬ 
gangspunkt der richtigen ätiologischen Vorstellungen bilden und alle die¬ 
jenigen, welche die Absicht haben, durch weitere Beobachtungen unser 
Wissen zu bereichern, werden gehalten sein, sich die bewährte Methode 
dieser Männer anzueignen. 

Dass der Typhus sowie einige andere Infectionskrankheiten in seiner 
Ausbreitung von localen Einflüssen abhängig ist, haben alle jene Be¬ 
obachter übereinstimmend anerkannt, denen Gelegenheit geboten war, einen 
grösseren Verbreitungsbezirk zu überblicken. Sie kamen alle zu der Ein¬ 
sicht, dass diese Krankheiten an eil igen Orten leicht, an anderen schwer, 
an noch anderen gar nicht zu haften vermögen. Solche Beobachter leug¬ 
neten entweder die Ansteckung oder gaben sie nur mit gewissen Ein¬ 
schränkungen zu, und die letzteren hatten natürlich, bevor plausible 
Erklärungen Vorlagen, ihre liebe Noth, die offenbaren Einflüsse der Lo- 
calität mit den scheinbar ebenso offenkundigen Beispielen einer wirklichen 
Ansteckung in Einklang zu bringen. Sie wussten aber oft trotz ihrer 
theoretischen Unbeholfenheit mit überraschender Kühnheit die praktischen 
Consequenzen ihrer Beobachtungen zu ziehen. Ein interessantes Beispiel von 
solcher Kühnheit führt der Vortr. aus der relation medicale de la Cam¬ 
pagne d’Orient von Scrive Paris, 1857, an. Scrive war Chef des Sa¬ 
nitätsdienstes bei der französischen Armee. Er hatte in dieser Stellung 
Gelegenheit gehabt, das ganz verschiedene Verhalten der Cholera in der 
Krim einerseits und in Varna und Constantinopel andererseits zu beob¬ 
achten. Hier erschien sie ihm offenbar contagiös, in der Krim war das 
Gegentheil der Fall. Wenn die Cholera, sagt er, in der Krim hätte Wur¬ 
zel fassen können, so wäre bei der fortwährenden Einschleppung des 
Krankheitskeimes die ganze Armee der Verbündeten lange vor dem Fall 
von Sebastopol zu Grunde gegangen. Sie kam dort allen Einschleppungen 
zum Trotz niemals zu einer allgemeinen Ausbreitung. Nun handelte es 
sich im Mai 1855, einige Monate vor dem Falle von Sebastopol, darum, 
zur Beschleunigung der Belagerungsarbeiten die kaiserliche Garde, unter 
der die Cholera heftig wüthete, von Constantinopel heranzuziehen. Der Oberst- 
comcüandirende war in grosser Besorgniss vor den Folge» eines solchen 
Wagnisses, das den Erfolg des ganzen Feldzuges vereiteln konnte. Aber 
Scrive redete ihm sein Bedenken aus, indem er der Ueberzeugung Aus¬ 
druck gab, dass nicht nur für die alten Truppen nichts zu fürchten sei, 
sondern dass auch die kaiserliche Garde in der Krim bald von der Cho 
lera befreit sein würde. Der Erfolg entsprach seinen Erwartungen. Man 
muss sich die Verantwortlichkeit, die mit einem solchen Rathe verbunden 
war, vorstellen, um die Zuversicht, die 8 c r i v e aus seinen Beobachtungen 
geschöpft hatte, gebührend zu würdigen. 

Man kann übrigens den Einfluss der Oertlichkeit bei den zur Ty¬ 
phusgruppe gehörigen Krankheiten auch bei beschränkteren Ausbrüchen, 
z. B. bei Ortsepidemien, fast immer sehr genau herausfinden. Dies will 
der Vortr. an einem Beispiel der neuesten Zeit nachweisen, das zugleich 
ein recht instructives Bild von dem zeitlichen Verlauf einer Typhusepidemie 
und von den Fehlern geben wird, die bei der ätiologischen Verarbeitung 
des Beobachtungsmateriales so häufig begangen werden. 

Obermedicinalrath Volz hat in einem jüngst erschienenen Werke 
62 Ortsepidemien aus dem Grossherzogthum Baden zusammengestellt und 
legt aus weiter unten genauer zu besprechenden Gründen ein besonderes 
Gewicht auf die Epidemie von Gerlachsheim. Gerlachsheim liegt in einem 
öeitentbälchen des Tauberthales in einer gesunden Gegend, die sonst von 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Typhus verschont ist. In dem auf dem Ortsplan schwarz gehaltenen Haus 
(s. Orig.) lagen vom 15. September bis 15 October 1878 vier zu einer 
Familie gehörige Typhusfälle, über deren Herkunft nichts Näheres ermittelt 
wurde; sie müssen daher wohl als autochtbone Fälle betrachtet werden. 
Bis Mitte December kamen in Geriachsbeim keine weiteren Fälle vor. Da 
auf einmal traten in dem von diesem Haus westlich gelegenen Häuser- 
complexe der Hauptstrasse und der Wirthsgasse binnen 14 Tagen gegen 50 
Erkrankungen auf und die Epidemie dauerte in diesem Bezirke, allmälig 
schwächer werdend, bis in den April hinein fort. Eine kleine Zahl von 
Erkrank ungsfällen ereignete sich zerstreut ausserhalb des genannten Be¬ 
zirkes; dieselben müssen wohl auf Verschleppung bezogen werden. Als 
man die Epidemie im Monat April erloschen glaubte, da nur noch 2 
Fälle mit Zwischenräumen von 14 Tagen vorkamen, nahm sie im Mai 
einen neuen Anlauf, indem sie in ein bisher verschontes Gebiet eindrang, 
nämlich in die Sackgasse. Während in den bisher befallenen Gassen die 
Krankheit wirklich ihren Abschluss gefunden, setzte sie sich in der Sack¬ 
gasse wie in einer neuen kleinen Epidemie weiter fort. Es erkrankten im 
Mai 7 Personen, im Juni 3, im Juli wieder 7 , im August 7, im September 
2 und im October noch 5, sämmtlich mit einigen Ausläufern in der Sackgasse. 

Es war also in diesem Dorf ein centraler Typhusherd mit mehr¬ 
fachen Erkrankungen in jedem Hause, und in der Peripherie des Herdes 
ein unvollständiger Kranz von immunen Häusern. An Gelegenheit zur 
Verschleppung kann es auf einem so beschränkten Territorium natürlich 
nicht fehlen und sie wird auch von dem Berichterstatter keineswegs in 
Abrede gestellt, trotz dieser ungleichmässigen Verbreitung. Rein con- 
tagiöse Krankheiten, die eine Abhängigkeit vom Boden nicht erkennen 
lassen, würden in so seltsamer Gruppirung niemals Vorkommen. Man wird 
da wohl oder übel zu der Annahme gedrängt, dass die ergriffenen Häuser 
einen anders gearteten Boden hatten, als die verschont gebliebenen. 

Was nun den zeitlichen Verlauf der Epidemie betrifft, so besteht 
derselbe aus 3 distincten Perioden : aus einem beschränkten Ausbruch in 
einem bestimmten Hause, aus einem späteren Massenausbruch in der 
Hauptstrasse und Wirthsgasse und aus einer sogenannten Nachepidemie 
in der Sackgasse. Dass diese 3 Theile nicht als 3 selbstständige Epidemien 
aufzufassen sind, sondern dass sie gleichsam wie Kopf, Rumpf und Schwanz 
zu einem einzigen Körper gehören, darüber kann nach anderweitigen Er¬ 
fahrungen kein Zweifel bestehen; die Typhusepidemien haben ja in den 
meisten Fällen die Eigentümlichkeit, allmälig fortkriechend sich nach 
einer oder mehreren Richtungen hin auszubreiten, ähnlich gewissen Haut¬ 
krankheiten, die peripherisch Vordringen, während das Centrum abheilt, 
und es liegt daher zwischen dem ersten und letzten Fall einer Epidemie 
oft ein Zeitraum von vielen Monaten. Es ist für die ätiologische Deutung 
ausserordentlich wichtig, sich das Bild einer jeden Epidemie vom ersten 
bis zum letzten Falle gegenwärtig zu halten und den naturgemässen Zu¬ 
sammenhang ihrer Theile nicht durch willkürliche Zerstücklung zu ver¬ 
wischen, was in diesem Falle, wie später gezeigt werden soll, geschehen ist. 

Noch eine weitere Eigentümlichkeit der Typhusepidemien lässt sich 
an dem Gerlachsheimer Falle recht schön beobachten, nämlich die neben 
der continuirlichen Ausbreitung des Typhusherdes einhergehende Bildung 
von Ablegern in grösserer oder geringerer Entfernung vom Typhuscentrum 
auf dem Wege der Verschleppung. In Gerlachsheim sind die Ableger 
sämmtlich auf unempfänglichen Boden gefallen und daher ohne weitere 
Folgen geblieben. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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In der beschriebenen Epidemie tritt uns das typische Bild einer 
Typbusepidemie entgegen, wie es von objectiven Beobachtern an den ver¬ 
schiedensten Orten gefunden wurde. Auch die Münchner Winterepidemien 
stimmen damit aufs Genaueste überein. Es beginnt hier die Krankheit, 
wie an dem successiven Befallenwerden der Kasernen nachgewiesen wurde, 
regelmässig an der Isar und verbreitet sich von da in langsamem Wachs¬ 
thum landeinwärts, wie ein Brand, der sich von Strasse zu Strasse 
fortwälzt. Von diesem Mutterherde werden Funken nach allen Seiten 
fbrtgetragen; sie fallen theils in die noch nicht epidemisch ergriffenen 
Stadttheile, wo sie aber wegen der noch ungenügenden Vorbereitung des 
Bodens keine erhebliche Ausbreitung gewinnen, theils werden sie weit in 
die Ferne getragen und können dort mitunter zur Bildung von Tochter¬ 
herden Veranlassung geben. Nur auf eine Differenz möchte Vortr. jetzt 
schon aufmerksam machen; während in Gerlachsheim die Epidemie bergab 
stieg, was zur Vermuthung führen konnte, dass sie sich mit dem Laufe 
des Wassers ausbreitete, ist in München das Umgekehrte der Fall: hier 
steigen die Epidemien bergan. 

80 grosse Epidemien wie die Münchner sind natürlich schon etwas 
schwer zu überblicken und es ist daher hier um so begreiflicher, dass 
die Aerzte, welche den Typhus studiren, sich nicht an das grosse Ganze, 
sondern an kleinere Bruchstücke oder an Tochterherde halten. Alle diese 
Fragmentisten bekennen sich zu der contagionistischen Auffassung. Der 
Einfluss der Localität tritt bei der Betrachtung im Kleinen, wie wir dies 
später auch vom Grundwassereinfluss sehen werden, so zurück, dass er 
regelmässig übersehen wird, natürlich nicht deswegen, weil er nicht vor¬ 
handen ist, sondern nur deswegen, weil er an dem kleinen Objecte schwer 
zu erkennen ist. P. will übrigens den Werth der Detailstudien ausdrück¬ 
lich anerkennen; sie bilden die nothwendige Ergänzung der generellen 
Betrachtungsweise; wenn sie mit Vorsicht betrieben, d. h. nicht voreilig 
zu Rückschlüssen auf das Ganze verwendet werden, so tragen sie un¬ 
zweifelhaft zur Vertiefung unserer ätiologischen Einsicht bei. 

Stabsarzt Dr. An der 1, der seit einem Decennium die Typhusereig¬ 
nisse der neuen Isarkaserne aufs Gründlichste verfolgt, machte die inter¬ 
essante Beobachtung, dass die in den Mannschaftszimmern vorkommenden 
Erkrankungen gewöhnlich nicht diffus über das .Zimmer verbreitet sind, 
sondern dass sie in Nestern auftreten und dass die einzelnen Fälle eines 
solchen beschränkten Herdes häufig durch Zeiträume von einander ge¬ 
trennt sind, welche dem Incubationsstadium des Typhus entsprechen. 
Manchmal stammt eine Reihe von Fällen sogar aus demselben Bett, weil 
ein durch Erkrankung leer gewordener Platz, wenn er irgend welche Vor¬ 
theile der Lage bietet, sofort von einem Zimmergenossen occupirt zu werden 
pflegt. P. theilt vollständig diese Ansicht des Dr. Anderl. Die Herd¬ 
bildung in den Zimmern beweist, dass zur Uebertragung des Typhus¬ 
giftes nähere und dauerndere Beziehungen nothwendig sind, und dass 
hiezu die vorübergehenden Berührungen der Leute im Dienst, beim Unter¬ 
richt, beim gewöhnlichen Zimmerverkehr nicht ausreichen. Für den Vortr. 
sind diese Beobachtungen sehr lehrreich gewesen; er glaubte früher die 
Zahl der selbstständigen Fälle in den ergriffenen Kasernen viel grösser an¬ 
nehmen zu müssen und kann sich nun leichter vorstellen, warum die Conta- 
gionisten aus ihren minutiösen Detailstudien so ganz andere Dinge ab¬ 
leiten, als die Localisten, welche um ein grosses Gesichtsfeld zu be¬ 
halten, sich den einzelnen Gegenständen weniger nähern. 


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l 


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Medicinisch-chirtirgische Rundschau. 


Wenn die Contagionisten ebenso bereit wären, aus den vorange- 
gangenen Erörterungen den Einfluss der Oertlichkeit zuzugeben, wie 
Vortr. sich bereit gezeigt hat, eine Anzahl der früher für selbstständig 
gehaltenen Fälle auf Rechnung der Uebertragung zu setzen, so wäre eine 
Vermittlung zwischen den beiderseitigen Anschauungen nicht mehr un¬ 
möglich. Es würde sich dann wesentlich nur noch um die Frage handeln, 
ob das, was die Contagionisten Ansteckung nennen, als solche anzuerkennen 
ist oder nicht. P. wäre nicht abgeneigt, eine thatsächliche Contagion zu¬ 
gestehen unter der selbstverständlichen Einschränkung, dass die conta- 
giöse Ausbreitung nur auf siechhaftem Boden stattfinden kann. Ein solches 
Zugeständniss war den Localisten bisher unmöglich, weil sie sich den 
eigentlichen Typhuskeim immer als den einzigen Krankheitsvermittler vor¬ 
stellten. Sobald sie zugaben, dass der in den Kranken reproducirte Typhus¬ 
keim direct auf Gesunde übertragen werden könne, blieb der notorische 
Einfluss der Oertlichkeit gänzlich unerklärt. Sie waren daher gezwungen, 
den Typhuskeim nur für verschleppbar, als ein den Personen und Ob¬ 
jecten, die aus einer Typhus-Localität kamen, äusserlich anhaftendes 
Gift zu erklären, das zur Erzeugung von Tochterepidemien einer vor¬ 
gängigen Reproduction im Boden des Tochterherdes bedürfe. Das gespannte 
Verhältniss, das in Folge dessen zu den Contagionisten bestand, ist durch 
eine neue Interpretation, die v. Nägeli vor Kurzem gegeben hat, sehr 
gemildert worden, v. N ä g e 1 i hat die localistischen und contagionistischen 
Erfahrungen dadurch zu vermitteln gesucht, dass er für Inficirung eines 
Menschen mit den eigentlichen Typhuspilzen oder Contagienpilzen eine 
miasmatische Vorbereitung des Körpers für nothwendig erklärt. Wo 
Miasmenpilze im Boden gebildet werden und wo die Menschen durch 
Aufnahme derselben in einen gewissen Schwächezustand versetzt sind, da 
haften die hingebrachten Contagienpilze; wo der Boden keine Miasmen¬ 
pilze producirt, da haften auch die Contagienpilze in den allermeisten 
Fällen nicht. Diese Erklärungsweise können sich die Localisten wie die 
Contagionisten gefallen lassen. Es ist damit den Immunitätserfahrungen 
der ersteren, wie dem Verlangen der letzteren, das was einer Contagion 
so frappant ähnlich sieht, auch Contagion nennen zu dürfen, in gleicher 
Weise Rechnung getragen. 

Die zweite Thesis handelt von der Disposition. Durch die Er¬ 
klärungsweise der Pilzphysiologen ist uns das Verständniss dieser dunklen 
Angelegenheit wesentlich näher gerückt worden. Mag das, was den Pilzen 
die Ansiedlung im Körper erleichtert oder erschwert, auf feinen chemi¬ 
schen Verschiedenheiten der Körpersäfte oder in einer verschiedenen Lebens¬ 
energie der Körperzellen bei verschiedenen Menschen beruhen, jedenfalls 
müssen wir uns bei dem Zusammentreffen von Pilzen und Körperzellen 
einen Kampf vorstellen der in dem einen Falle durch sofortige prompte 
Abweisung der Eindringlinge ohne erhebliche Gesundheitsstörung ent¬ 
schieden wird, während es in dem andern Falle den Pilzen gelingt, eine 
mehr oder weniger eingreifende Invasion zu machen. Die Kraft, mit der 
sich inmitten der gefährlichsten Epidemien stets eine beträchtliche Anzahl 
von Menschen ihrer Gesundheit zu erwehren weiss, ist eine staunens- 
werthe Leistung; es ist eine naturwüchsige Kraft, eine glückliche Gabe, 
die wahrscheinlich durch das diätetische Verhalten nicht sehr beeinflusst, 
aber durch längere Uebung im kleinen Kampfe, was wir gewöhnlich 
Acclimatisation nennen, wie es scheint, sehr bedeutend gesteigert werden 
kann. In gewissen Altersperioden scheint die Widerstandsfähigkeit besser 
entwickelt zu sein als in anderen. Die zwanziger Jahre gehören jedenfalls 


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MeJicinisch-chirurgische Run tisch an. 


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zu den widerstandslosesten, wodurch die Höhe der Typhusfrequenz beim 
Militär erklärt wird. Widerstandsschwache und widerstandskräftige Per¬ 
sonen finden sich an allen Orten in buntester Mischung und man darf 
daher nie die mangelnde Disposition der Menschen zur Erklärung herbei¬ 
ziehen, wenn ganze Häuser und ganze Bezirke verschont bleiben, es 
handelt sieh hier immer um eine mangelnde Disposition des Bodens. Wenn 
es denkbar ist, dass durch Vermeidung von Excessen, durch geeignete 
Nahrung, Kleidung u. s. w. der Einzelne zur Erhöhung seiner Wider¬ 
standsfähigkeit etwas beitragen kann, so muss man doch vollständig die 
Hoffnung aufgeben, auf eine ganze Bevölkerung in diesem Sinne einwirken 
zu können, weil hier der Unverstand der Mehrzahl durch die bestge¬ 
meinten Rathsehläge nicht zu überwinden ist. Alle Versuche, den prophy¬ 
laktischen Hebel an der Disposition anzusetzen, scheinen dem Vortr. von 
Grund aus verfehlt zu sein. Man hat besonders beim Militär von jeher 
eine Menge von Massregeln in dieser Richtung empfohlen; man hat sich 
von Verbesserung der Nahrung, von Verringerung der körperlichen An¬ 
strengungen, von Gewährung eines grösseren Luftraumes in den Wohnungen 
Erfolg versprochen. Es braucht gar nicht besonders betont zu werden, 
dass viele der gemachten Vorschläge praktisch unausführbar sind, indem 
z. B. eine Erhöhung des Luftraumes von 15 cbm. auf das hygienische 
Normale von 60 cbm. eine Vervierfachung der Münchner Kasernen d. h. 
die Erbauung von 21 neuen Kasernen zu den bestehenden sieben noth- 
wendig machen würde. 

Vortr. geht zu Punkt 3 der Eingangs aufgestellten Sätze über, 
welcher vom Einfluss der Bodenfeuchtigkeit oder des Grundwassers han¬ 
delt. An exacten Beobachtungen über diesen Gegenstand liegt im Ganzen 
nicht viel vor, weil die wenigsten Autoren in der Lage waren, den Epi¬ 
demien längere Zeit vorausgehende Messungen zu veranstalten. Zu den 
consequenten Messungen die in München und einigen anderen Orten ge¬ 
macht werden, haben, wie es scheint, die nicht ganz seltenen Angaben über 
grosse Dürre, die den Epidemien vorausging, den Anstoss gegeben. Da 
bei den meisten Epidemien der Anfang etwas unscheinbar und oft dnrch 
einen beträchtlichen Zwischenraum vom Gros der Epidemie getrennt ist, 
so haben die Autoren manchmal gar nicht den Muth, weit hinter dem 
Gros zurückgelegene Erscheinungen auf diese letztere zu beziehen Und 
doch ergeben sich diese Beziehungen ganz zwanglos, wenn man den An¬ 
fang der Epidemie dahin setzt, wo er wirklich ist. Ein Fall dieser Art 
ist der folgende: 

ln der Kaserne des 9. Infanterie-Regiments, zu Würzburg war seit 
Menschengedenken keine Typhusepidemie vorgekommen. Dieses Verhält- 
niss änderte sich plötzlich im Herbst 1877. Es traten nämlich, und zwar 
merkwürdiger Weise auf die eine Hälfte der Kaserne beschränkt, im No¬ 
vember 1, im December 5 Fälle auf (Kopf der Epidemie). Dann war 
während des Jänners Pause. Im Februar erschienen wieder 4, im März 
43, im April 17, im Mai noch 1 Fall, der letzte. Auch in den um¬ 
gebenden Stadtquartieren zeigte sich Typhus, so musste z. B. das Schul¬ 
lehrerseminar wegen Typhusausbruch auf 14 Tage geschlossen werden. 
Trinkwassereinfluss war bestimmt auszuschliessen, weil in der Kaserne 
nur städtische Leitung benützt wird. Da die Epidemie das besondere 
Interesse des Vortr. erregte, so liess er sich durch Stabsarzt Dr. Gass- 
n e r die Pegelbeobachtungen des Mains zugänglich machen, die bis zum 
Jahr 1826 zurückgehen. Die Kaserne liegt nämlich hart am Main, und 
ist daher die Voraussetzung berechtigt, dass Aenderungen im Mainstand 


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416 


MediciDisch-chirur gische Rundschau. 


mit Aenderungen im Grundwasserstand der Kaserne einhergehen. Die 
Untersuchung ergab ein sehr befriedigendes Resultat. 

Man ersieht aus dem Monatsmittel des Mainstandes seit 1826 
(s. Orig.), dass dieses Mittel nur in ausserordentlich wenigen Fällen unter 
Nullpunkt des Pegels sinkt. Bis 1877 ist es nicht ein einziges Mal vor¬ 
gekommen, dass 2 aufeinanderfolgende Monate das Minuszeichen tragen. 
Im Sommer 1877 aber stand der Main 4 Monate hintereinander unter 
Null. Es ist also in diesem Jahre etwas ganz Unerhörtes und Ungewöhn¬ 
liches vom Mainstand zu verzeichnen und ein Monat später erfolgt das 
ebenso unerhörte und ungewöhnliche Ereigniss einer TVph U8e Pidemie ® 
der genannten Kaserne. Yortr. hält die Zusammengehörigkeit dieser beiden 
Ereignisse für sehr handgreiflich. Schwerbegreiflich wird der Zusammenhang 
nur dann, wenn man die Epidemie erst von ihrer Akme an als solche 
auffasst. Aber das ist ganz unrichtig. Die Epidemie in der Würzburger 
Infanteriekaserne begann schon im November und nicht erst im darauf¬ 
folgenden März. Man muss sich bei den Epidemien daran gewöhnen, wie 
bei einem Bandwurm den Kopf aufzusuchen; das ist der ätiologisch 
wichtige Punkt. 

Es darf übrigens die Thatsache nicht verschwiegen werden, dass 
unter Umständen selbst beim besten Willen ein deutlicher Zusammenhang 
zwischen den Typhus- und Grundwasservorgängen nicht zu finden ist. 
Dies ist besonders dann der Fall, wenn die betreffenden Studien an zu 
kleinen Beobachtungsgebieten gemacht werden. Zur Beurtheilung des 
Grundwassereinfiusses gehört ein grosses Sehfeld. 

Der Yortr. bespricht nun den gefährlicheren Theil der Aufgabe, 
den grossen Differenzpunkt unter den Aetiologen, bei welchem einer 
kleinen Schaar von Skeptikern eine erdrückende Majorität von Streng¬ 
gläubigen gegenübersteht, die Trinkwasserfrage. 

Die schädlichen Stoffe, die sich im Boden entwickeln, können in 
den menschlichen Körper nur auf dem Luft- oder Wasserwege oder auf 
beiden zugleich gelangen. Lässt sich die Betheiligung des einen aus- 
schliessen, so ist damit eo ipso die Betheiligung des anderen constatirt. 
Die Untersuchungen haben sich bisher zumeist auf das Wasser als 
das palpablere der beiden Vehikel beschränkt. Yortr. schliesst sich diesem 
allgemeinen Usus an und bringt zunächst die militärischen Erfahrungen 
über das Trinkwasser zur Sprache. 

Da die Angehörigen der Armee jener Altersclasse entnommen sind, 
die am allermeisten zur Typhuserkrankung geneigt ist, so hat die k. 
baierische Armeeverwaltung es nicht für zulässig erachtet, ruhig abzu¬ 
warten, bis gelegentlich einmal von anderer Seite die Trinkwasserfrage 
erledigt wird, sondern sie hat durch Gründung einer Untersuchungsstation 
am Operationscurs, durch Anordnung von Analysen sämmtlicher militär- 
ärarialischer Brunnen des Königreiches, durch fortlaufende Wasserunter¬ 
suchungen in einigen besonders hiefür sich eignenden Garnisonen, durch 
die Genehmigung unbeschränkter Wasserzusendungen von allen übrigen 
Garnisonen an die Untersuchungsstation eine grossartige Wasserenquöte 
in’8 Werk gesetzt, neben welcher selbstverständlich die genaueste stati¬ 
stische Erhebung aller Krankheitsvorkommnisse einherging. In diesen, etwas 
Über 30 Garnisonen hat sich bei einer erheblichen Anzahl von Typhus¬ 
epidemien nicht ein einziges Mal ein dauernder Verdacht auf das Trink¬ 
wasser werfen lassen. Wo dies vorübergehend geschah, wie bei der 
Festung Marienberg, da ist der Verdacht durch weitere Beobachtungen 
vollständig zerstreut worden. Man glaubte für die Typhusepidemien auf 


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Medicinisch-chirurgisclie Rundschau. 


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Marienberg die sog. Bergquelle, welche gleichzeitig mit der städtischen 
Wasserleitung die dort gelegenen Truppentheile versorgte, verantwortlich 
machen zu können. Die Sperrung der Quelle verhinderte jedoch die Wieder¬ 
kehr des Typhus keineswegs; die allein noch verwendete städtische Leitung 
wurde zu derselben Zeit in ganz Würzburg ohne Nachtheil getrunken. 

Von den Münchener Kasernen ist schon erwähnt, dass sie in berg- 
ansteigender Richtung und mit einer Regelmässigkeit der Reihenfolge be¬ 
fallen werden, die jeden Gedanken an Trinkwassereinflüsse ausschliesst. 
Was die chemischen Befunde bei den Trinkwassern anlangt, so ist es 
wohl hie und da vorgekommen, dass Typhusepidemien in Garnisonen mit 
schlechtem Trinkwasser auftraten, weit häufiger war aber das Gegentheil 
der Fall. 

Für heute möchte Vortr. nur den obigen Fall von Gerlachsheim 
noch einmal zu Sprache bringen, den Obermedicinalrath V o 1 z als eine 
wichtige Stütze der Trinkwassertheorie betrachtet. 

Wie kam der ungenannte Collega, der diese Epidemie beobachtete, 
zur Annahme des Trinkwassereinflusses? Dadurch, dass er den Anfangs¬ 
und Schlusstheil der Epidemie abschneidet und nur das übrigbleibende 
Mittelstück in Betracht zieht. Zu diesem Mittelstück gehört ein Brunnen, 
an dem eine Rinne vorbeigeht, die in ihrem oberen Laufe jenes Haus 
berührt, welches den Ausgangspunkt der Epidemie bildet. Es sollen Ty- 
phusdejectionen von dem Misthaufen dieses Hauses in die Rinne, und von 
da in den Brunnen gekommen sein. Alle Bewohner des künstlich abge¬ 
trennten Typhusbezirkes benützten diesen Brunnen. Aus 48 Häusern dieses 
Bezirkes erkrankten 121 Personen. Von 12 Häusern desselben Bezirkes 
deren Bewohner notorisch dasselbe Wasser tranken, erkrankte Niemand. 
Auf diese Thatsachen hin glaubt man die Gerlachsheimer Epidemie als 
eine Stütze der Trinkwasserlehre bezeichnen zu können. P. will über das 
Zerstückelungsverfahren nicht weiter sprechen, sondern nur des unheim¬ 
lichen Eindruckes erwähnen, den ihm die 12 freigebliebenen Häuser 
machen. Auf diese hätten nach Massgabe der übrigen ca. 30 Typhus- 
erkranknngfen fallen müssen. Man hätte ein \ iel größeres Recht, deu Stiel 
umzukohreu und zu >ageu: weil von 12 Häusern, deren Bewohner den 
fraglichen Brunnen benützten, niemand erkrankte, darum können auch die 
übrigen Falle nicht vom Brunner abgeleitet werden. 

Wenn nach alledem die Annahme nicht von der Hand zu weisen 
ist, dass die Krankheitserreger sich des Luftweges bedienen, um vom 
Boden aus in den Menschen zu gelangen, so fragt es sich weiter, wo für 
letztere die Gelegenheit, mit der Bodenluft in Berührung zu kommen, am 
meisten gegeben ist. Es zweifelt Niemand daran, dass dies vor Allem im 
Innern der Häuser der Fall ist, da diese einerseits die aufsteigende Luft 
vor der Zerstreuung durch die Winde schützen, andererseits die Boden¬ 
luft sogar aspiriren, was am augenscheinlichsten gewisse Leuchtgasver- 
giftungsftüle beweisen. Auch die Erfahrung spricht dafür, dass wesentlich 
nur die im Innern der Häuser befindliche Luft die typhuserzeugende 
Eigenschaft besitzt. Diese merkwürdige Epidemie in der Infanteriekaserne 
zu Würzburg, wo nur die Hälfte des Hauses vom Typhus ergriffen wurde, 
während doch die Luft des Hofes, des Exercierplatzes u. s. w. allen 
Bewohnern der Kaserne gemeinschaftlich war, ferner eine ganz ähnliche 
halbseitige Kasernepidemie in Tübingen, wo der anfängliche Trink wasser¬ 
verdacht durch genaue Erhebungen als falsch nachgewiesen wurde, illu- 
trirt die Schädlichkeit der Luft iu den Häusern zur Genüge. Die Häuser 
werden, ohne dass unsere Sinne etwas davon wahrnehmen, von Boden- 

Med.-chir. Rundschau. 1880. ^^^,27 

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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


luft durchspfilt und wenn der Boden siechhaft ist, so ist dieser an¬ 
steigende Luftstrom der Träger von Giftstoffen. Wir könnten also unsere 
Aufgabe sofort dahin formuliren, entweder den Boden, .auf welchem unsere 
Häuser stehen, stechfrei zu machen, so dass keine schädlichen Stoffe daraus 
aufsteigen können oder einfach die Häuser gegen die Bodenluft abznspenen, 
indem wir sie analog der feuersicheren Eindockung von oben auch tob 
unten mit einen typhussicheren Bodenabschluss versehen. 

Bevor wir aber diese prophylaktischen Aufgaben näher in’s Auge 
fassen können, müssen wir uns zuerst eines Einwandes erwehren, der 
dahin geht, dass die Invasion des Typhusgiftes nicht durch das grosse 
Thor des gesummten Fundamentes, sondern durch eine ganz beschränkte 
Pforte erfolge, nämlich durch die Abtritte und Abwasserröhren. Aus diesen 
gelangen ja ^tatsächlich auch Gase in unsere Wohnungen und zwar solche, 
die sich unserer Wahrnehmung oft in recht lästiger Weise aufdrängen. 
Die Annahme, dass gerade die übelrichenden Gase etwas Schädliches ent¬ 
halten, ist freilich wissenschaftlich in keiner Weise begründet; es sind 
auch oftmals Typhusausbrüche in Häusern beobachtet worden, die der¬ 
artige Einrichtungen gar nicht besasaen. Es wurden auch zur Entscheidung 
dieser Frage von militärischer Seite umfassende Recherchen angestellt, 
indem sämmtliche Typhusfälle, die in den Münchener Kasernen vorkamen, 
auf Kasernenplänen in die betreffenden Zimmer in der Weise eingezeichnet 
wurden, dass man von jeder Epidemie und jeder Kaserne eine chro¬ 
nologische und topographische Uebersicht der Typhusvorkommnisse bekam. 
In solcher Weise behandelte Kasernpläne liegen jetzt aus den verschie¬ 
denen Epidemien über 50 Stück vor. Der langen Untersuchungen kurzes 
Resultat besteht nun darin, dass nicht in einem einzigen Falle in der 
Nachbarschaft eines Abtrittes eine ungewöhnliche Anhäufung von Typhus¬ 
fällen zu Stande kam. 

Es geht eben den Abtritten wie den Brunnen. Ihre Schuld erscheint 
Jedermann sonnenklar, so lange man sich mit einer oberflächlichen Unter¬ 
suchung begnügt; ein regelrechtes Processverfahren führt zur Freisprechung. 
Man wird nach dem Vorausgegangenen daher diesen beiden vermeintlichen 
Austrittspforten des Typhusgiftes ihre unverdiente Berücksichtigung ent¬ 
ziehen und die ungeteilte Aufmerksamkeit dem Fundament der Häuser 
zuwenden. 

Die beiden Verfahrungsweiscu, die oben zur Unschädlichmachung 
des siechhaften Bodens genannt wurden, stimmen darin überein, dass sie, 
abweichend von den seit alten Zeiten gebräuchlichen prophylaktischen 
Massregeln, die Contagienpilze im Wesentlichen ausser Betracht lassen und 
blos die Miasmenpilze in Angriff nehmen. Die Theorie, die zur Erklärung 
des epidemiologischen Verhaltens des Typhus aufgestellt wurde, recht¬ 
fertigt diesen Frontwechsel vollkommen. Wenn Miasmen- und Contagien¬ 
pilze Zusammenwirken müssen, um Typhus zu erzeugen, so ist es in pro¬ 
phylaktischer Beziehung gleichgiltig, ob man die einen oder die anderen 
unterdrückt; wenn die Kette der Bedingungen, die zum Zustandekommen 
von Typhus erforderlich sind, nur an irgend einer Stelle unterbrochen 
wird, so ist die Erreichung des prophylaktischen Zweckes gesichert; es 
ist ganz gleichgiltig, welches Glied man herausnimmt. Das Aufgeben der 
früheren Versuche, die Contagienpilze zu eliminiren, ist durchaus nicht 
als eine willkürliche Neuerung zu betrachten. Nur die Einsicht von der 
gänzlichen Unmöglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, hat die Aetiologen 
dahin geführt, die alten Bahnen der prophylaktischen Bestrebungen zu 
verlassen. Es ist allerdings auch heute noch sehr angezeigt, die Contagien- 


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Medicinisch-chirurgische Randschau. 


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pilze zu vernichten, soweit man ihrer in grösserer Menge habhaft werden 
kann, indem man die Wäsche der Kranken auskocht, das Lagerstroh 
verbrennt, alle sonstigen Utensilien, welche bei Kranken gedient haben, 
auf8 Sorgfältigste reinigt. Soweit stimmt der Vortr. mit den alten Pro- 
phylaktikern vollkommen überein, aber von nun an scheiden sich die 
Wege. Die Contagienpilze beschränken sich natürlich nicht darauf, sich 
nur auf den im Krankenzimmer bleibenden Objecten anzusammeln, sondern 
sie heften sich auch an Alles, wa9 daselbst ein- und ausgeht; sie benützen 
alle lebenden Wesen und alle leblosen Gegenstände, die das Kranken¬ 
zimmer verlassen als erwünschte Vehikel, um in’s Freie zu gelangen und 
um auswärts neue Ansiedelungen zu gründen. Da diese Verschleppungen 
schon zu Stande kommen zu einer Zeit, wo man über den Charakter der 
ausgebrochenen Krankheit noch gar nicht in’s Reine gekommen ist, so' 
sind im Momente der officiellen Erklärung des Seuchenausbruches die 
Contagienpilze schon weithin zerstreut, und man kann der Entschlossenheit, 
mit der die alten Prophylaktiker die Contagienpilze trotz des erlangten 
Vorsprunges noch zu verfolgen suchen, eine gewisse Anerkennung nicht 
versagen. Aber auf die Mittel, von denen sie sich Erfolg versprachen, 
nämlich Absperrung des ergriffenen Rayons und Desinficirung aller Prove¬ 
nienzen aus demselben, kann man diese Anerkennung nicht ausdehnen. 
Alle Versuche, der Ausbreitung der Seuchen mit solchen Mitteln Einhalt 
zu thun, mussten nothwendig erfolglos bleiben. Selbst wenn es möglich 
wäre, auf diese Weise den allergrössten Theil der Contagienpilze am 
weiteren Vordringen zu verhindern, so wäre damit noch gar nichts ge¬ 
wonnen, denn der übrig bleibende kleine Bruchtheil, welchem es gelingt 
die Cordons zu durchbrechen, genügt vollständig, um Krankheitsausbrüche 
im Rücken derselben zu erzeugen. P. vergleicht die Contagienpilze mit 
den Funken, die von einem brennenden Hause wegfliegen. Was man 
davon erwischen kann, das wird man ganz zweckmässig auslöschen, um 
weiteren Schaden nach Möglichkeit zu verhüten, aber was hoch über 
unseren Köpfen fortfliegt, das muss man in Gottes Namen fliegen lassen. 
Um die übrigen Häuser gegen diese unerreichbaren Funken zu schützen, 
muss man sie rechtzeitig mit feuerfesten Dächern versehen. 

Als Facit aller Erfahrungen über die prophylaktische Behandlung 
der Contagienpilze ergibt sich also nur das Eine, dass sie als Vagabunden 
der schlimmsten Art zu betrachten sind, die durch keine wie immer ge¬ 
arteten polizeilichen Massregeln in Schranken gehalten werden können. 
Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, sie grösstentheils frei herum¬ 
streichen zu lassen und es versuchen, ihrem Unwesen auf indirecte Weise 
zu steuern. Unsere Ohnmacht gegenüber den Contagienpilzen hat bereits 
bei den Blattern zu einer indirecten Abhilfe geführt, deren immense 
Wichtigkeit Niemand unter uns verkennt. Wenn nun auch bei Typhus 
und den andern Infectionskrankheiten ein entsprechendes Verfahren vorder¬ 
hand nicht möglich ist, so ergibt sich aus •dem Beispiele der Impfung 
doch der ausserordentliche Werth der indirecten Massregeln. 

Für die Infectionskrankheiten bilden, wie erwähnt, die Miasmenpilze 
das geeignete Angriffsobject. Diese wichtigen Bundesgenossen der Contagien¬ 
pilze sind glücklicherweise nicht verschleppbar; sie gehen, wie man dies 
an einer rein miasmatischen Krankheit, dem Wechselfieber, beobachten 
kann, über die Grenzen des siecbhaften Bodens nicht hinaus. Sie besitzen 
gegenüber der vagabundirenden Natur der Contagienpilze eine Neigung 
zur Sesshaftigkeit, die ein prophylaktisches Einschreiten gegen dieselben 
möglich macht. Da wir uns vorstellen müssen, dass sie im siecbhaften 


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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


42G 


Boden erzeugt und von den Luftströmungen, die demselben entsteigen, in 
unsere Häuser gebracht werden, so können wir dieser Vorstellung gemäss, 
wie schon erwähnt, auf zweierlei Weise gegen sie Vorgehen, entweder 
dadurch, dass wir den siechhaften Boden siechfrei machen oder dass wir 
die Häuser gegen die Bodenluft absperren, ohne uns um die Siechhaftig- 
keit des Bodens weiter zu kümmern. Das erstere Verfahren setzt gross- 
artige Massregeln voraus, die nur durch das opferwillige Zusammenwirken 
aller Bewohner einer siechhaften Gegend in’s Werk gesetzt werden können. 
Dass es vollständige Aussicht auf Erfolg hat, geht schon aus der Mög¬ 
lichkeit der Assanirung von Wechselfieberbezirken überzeugend hervor. 
Das andere Verfahren, das allerdings von viel beschränkteren Gesichts¬ 
punkten ausgeht, hat dagegen den grossen Vortheil, dass es auch da, wo 
die Gesammtheit der Bewohner sich zu keiner gemeinsamen Handlung 
aufzuraffen vermag, für Einzelne die Möglichkeit der Selbsthilfe offen lässt. 
Bei der Wichtigkeit, die das letztere Verfahren für die militärischen Ver¬ 
hältnisse hat, möge es näher erörtert werden. 

Wenn man sich die Gefahr vergegenwärtigt, welcher die Bewohner 
siechhaften Bodens ausgesetzt sind, dadurch dass sie ihre Häuser ohne 
irgend eine Schutzvorrichtung in den Boden hineinstellen, so macht dies 
nothwendig den Eindruck eines kleinen Culturdefectes. Wir haben in 
dieser Beziehung die primitivsten Constructionen aus der Kindheit der 
Baukunst nicht nur nicht überflügelt, sondern wir sind um ein ganz Be¬ 
deutendes hinter denselben zurückgeblieben. Wir haben vom hygienischen 
Standpunkt durchaus keine Ursache, auf die Landpfahlbauten mancher 
fremden Völkerschaften und auf die Lehmhütten, die sich noch bei unsern 
Bauern hie und da vorfinden, mit Geringschätzung herabzublicken; beide 
haben, wenn auch auf ganz verschiedenem Wege, ein hygienisches Princip 
berücksichtigt, das unsern Bautechnikern entgangen ist, sie haben ihre 
Wohnräume vom Boden unabhängig gemacht, dort durch Unterlegung 
eines die Luftcirculation ermöglichenden Pfahlrostes, hier durch Absperrung 
der Hütten mittelst eines Lehmestrichs. Port citirt zum Beweis die 
Schilderung, die Pr. Hirsch von einem Choleraausbruch auf dem Land¬ 
gute des Oberbürgermeisters v. Winter aus Danzig gegeben hat. 

Vor dem Gatshanse desselben liegen 9 Häuser in einer Gruppe zusammen, 
welche von den Dienstleuten des Gutes bewohnt werden; sieben von diesen 
Häusern sind neu in Fachwerk mit Backsteinfütternng aufgebaut, mit Kellern 
versehen, die vollkommen trocken sind; die Parterregeschosse in diesen Häusera 
sind gedielt; die Räume in denselben sind trocken, luftig und reinlich gehalten; 
die Mistgruben in der in ländlichen Ortschaften gewöhnlichen Weise angelegt. 
Nur 2 in der Mitte dieser Häusergruppe gelegene Wohnungen sind noch nicht 
umgebaut; es sind alte Lehmkathen mit niedrigen Wohnrfiumen, ohne Keller, die 
Stuben nicht gedielt, sondern mit blossem Estrich versehen, die Verhältnisse in 
denselben also im Ganzen weit ungünstiger als in den zuerst beschriebenen, 
übrigens aber die Bewohner derselben in ihrer Lebens-, Erwerbs-, Nahrungsweise 
u. s. w. in Nichts von denjenigen unterschieden, welche die neu angelegten Dienst¬ 
wohnungen inne haben: die Bevölkerung sämmtlicher 9 Häuser beträgt circa 
150 Seelen. In einem der neuen Häuser fand eine an Cholera erkrankte und von 
der Strasse aufgehobene Frau Aufnahme; drei Tage später traten in der Be¬ 
wohnerschaft desselben Hauses die ersten Erkrankungsfälie auf und alsbald ver¬ 
breitete sich die Seuche über das ganze Gehöft, mit Ausnahme jener zwei alten 
Kathen, deren Insassen mit ihren Nachbarn in demselben Verkehre, wie diese 
unter einander blieben; während in den 7 neuen Häusern 17 Individuen erlagen 
(also nahe 15% der Bevölkerung), ist in den alten Wohnungen kein Erkrankungs- 
fall an Cholera vorgekommen. 

Der Bodenabschluss, den die alten Lehmkathen in ihrem Lehmestrich 
besassen, war offenbar die Ursache ihres Fernbleibens. Die Umwandlung 
der andern Hütten in moderne Bauten mit offenen Fundamenten, mag 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


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wohl für den Comfort der Bewohner recht günstig gewesen sein; hygie¬ 
nisch war sie eine reformatio in pejus. Bei unseren Vorstellungen über 
die Salubrität eines Hauses begehen wir sehr häufig den Fehler, hygie¬ 
nische und Comfortrücksichten mit einander zu verwechseln. 

Diese Erfahrung kann dazu dienen, uns ein Verständnis über die 
merkwürdigen Beobachtungen zu eröffnen, die Prof. Pirogoff bei der 
Behandlung Operirter in Bauernhütten machte. Derselbe führte auf seinem 
Landgute in Podolien ein Paar hundert schwere Operationen aus und 
verlor davon einen einzigen Patientin, nicht etwa an einer Wundkrankheit, 
sondern an der Schwere des Leidens. Wundkrankheiten kamen überhaupt 
gar nicht vor. Die Operirten lagen einzeln bei Bauern einquartirt auf 
dem Thonboden der niedrigen kleinrussischen, aus Reisig, Holz und Thon 
zusammengeftigten Hütten in demselben Raum mit der Bauernfamilie. 
Pirogoff betont zwar den Luftzug, dem seine Kranken ausgesetzt waren, 
aber man weiss ja, was für eine Bewandtniss es in einer Bauernhütte 
mit dem Luftzuge hat. Port möchte auch hier dem Thonboden die 
wichtigste Rolle zuschreiben. 

Wenn man bedenkt, dass auch in dem letzten deutsch-französischen 
Kriege die Baracken, die in allen Gegenden von Deutschland durch die 
Privatwohlthätigkeit entstanden, nicht überall die erwartete Sicherung vor 
accidentellen Wundkrankheiten boten, so wird man vielleicht dem Ge¬ 
danken Raum geben, dass die Schuld davon in der versäumten Absperrung 
der Bodenluft zu suchen sei. Denn dass auch die accidentellen Wund¬ 
krankheiten einer miasmatischen Vorbereitung bedürfen, ist ja recht wohl 
denkbar. 

Port ist überzeugt, dass der luftdichte Abschluss der Fundamente 
nicht blos für Typhus, sondern für eine ganze Reihe von Krankheiten 
den wirksamsten Schutz bieten würde und es ist deshalb sehr zu bedauern, 
dass ein solcher Abschluss in fertig gebauten Häusern meist mit ziemlichen 
Schwierigkeiten verbunden sein wird. Sicherheit des Erfolges der Mass- 
regel lässt sich voraussichtlich nur bei Neubauten erwarten, weil vielleicht 
etwas darauf ankommt, dass nicht nur der Raum zwischen den Umfassungs¬ 
mauern, sondern auch diese selbst vom Boden isolirt werden. Als Ver¬ 
schlussmaterial wird sich am besten gestampfter Lehm empfehlen, der 
zwischen den Umfassungsmauern, wo mit der Zeit Austrocknung stattfinden 
könnte, noch mit einer Asphaltschicht zu überziehen sein wird. Es ist 
gewiss der Mühe werth, den Versuch auch mit bereits fertig gebauten 
Häusern, besonders solchen, die sich durch ihre Typhusproductivität aus¬ 
zeichnen, anzustellen. Es ist bereits die Infanteriekaserne in Wttrzburg 
mit einer Betonsohle versehen worden, bei anderen Kasernen wird der 
Bodenverschluss demnächst zur Ausführung kommen. 

Mit fast noch grösserer Wichtigkeit als für die Garnisonen dürfte 
die Rücksicht auf den Bodenabschluss in Friedens- und Kriegslagern 
werden. Im Barackenlager auf dem Schiessplatz bei Hagenau bricht fast 
alljährlich eine Ruhrepidemie aus trotz der prophylaktischen Massregeln, 
die man bisher dagegen angestrengt hat. In anderen Uebungslagern kommt 
es dann und wann zu Typhusausbrüchen. Man weiss dann nichts Weiteres 
zu thun, als den Brunnen und Abtritten eine erhöhte Sorgfalt zuzuwenden. 
Es wäre wohl zweckmässiger, die Baracken mit Lehmestrichen zu versehen. 

Viel schlimmer gestalten sich die Verhältnisse in den Kriegslagern. 
Es ist eine bekannte Thatsache, dass die Armeen, so lange sie in fort¬ 
währender Bewegung sind, von Krankheiten wenig zu leiden haben. Erst 
wenn sie längere Zeit an einem Orte verweilen, kommen die gefürchteten 


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Medicinisch-chinirgiscbe Rundschau. 


Kriegsepidemien zum Vorschein. Es gibt dagegen wohl ein sehr wirk¬ 
sames Mittel, nämlich die schon von Vegetius empfohlene Mutatio 
castrorum. Allein der Wechsel des Lagerplatzes lässt sich nicht immer 
zur Ausführung bringen und ist besonders bei Belagerungen in der Regel 
ganz unmöglich. Der Gedanke, dass uns in künftigen Kriegen ein Mittel 
zu Gebote stehen dürfte, um den Lagerkrankheiten wirksam vorzubeugen, 
ist sehr tröstlich, denn bisher war unsere Stellung zu denselben eine ziem¬ 
lich klägliche. 

Zum Schlüsse resumirt Port seine Betrachtungen in dem Satze, 
dass als die erste hygienische Rücksicht, als die oberste prophylaktische 
Massregel gegen Infectionskrankheiten eine geeignete Behandlung des 
Bodens betrachtet werden muss. Dadurch machen wir unsere Häuser, 
unsere Baracken, unsere Zelte zu seuchenfreien Wohnsitzen. „Aus solchen 
Wohnsitzen brauchen wir bei dem Auftreten von Epidemien nicht zu 
fliehen: wir können darin einer Seuchenbelagerung Trotz bieten. Von 
solchen Wohnsitzen können wir in Wahrheit sagen: Mein Haus, meine 
Burg!“ 0. R. 


326. Ueber plötzliche Todesfälle und über bedrohliche Zufalle 
von Collaps bei pleuritischen Exsudaten. Von Prof. Weber (Halle). 
(Correep.-Bl. d. Vereins d. Aerzte d. Regierungsb. Merseburg und Allg. 
med. Ctrl.-Zeitg. 1880. 39.) 


W. theilt zunächst einige Krankengeschichten bezüglicher Fälle mit. 
In einem dieser Fälle entstand durch Einspritzen von grösseren Quantitäten 
blutwarmen Salzwassers vom endosmotischen Aequivalent des Blutes, nach¬ 
dem die Operation schon vielmals mit geringeren Quantitäten Einspritzungs¬ 
flüssigkeit vorgenommen war, ein plötzlicher Collaps, so dass das Gesicht 
plötzlich bleich und verfallen aussah, ein ganz stertoröses Athmen eintrat, 
der Puls verschwand und ebenso das Bewusstsein. Durch Aether-Injection, 
Einreibungen mit Rum, künstliche Respiration gelang es erst nach 2 Stunden 
den betreffenden Kranken in einen Zustand zu bringen, der hoffen liess, 
dass er am Leben erhalten bleibe. 

In einem zweiten Falle trat der Tod nach wenigen Minuten ein 
und alle angewandten Hilfsmittel waren erfolglos. In einigen anderen 
Fällen gelang es, den bedrohlichen Zustand glücklich vorüber zu führen. 
In einem letzten Falle endlich sollte eine Thoracocentese vorgenommen 
werden, und zwar ohne Anwendung von Chloroform. Bei der Lagerung 
des Kranken auf die gesunde Seite, die ihm sehr unbequem war, trat 
während des Hautschnittes plötzlich Pulslosigkeit und ein so starker Collaps 
ein, dass alle Versuche, den Kranken am Leben zu erhalten, erfolglos 
blieben und derselbe plötzlich starb, ohne dass die Thoracocentese aus¬ 
geführt war. 

Zu diesen Fällen erzählte Dr. Voigt (Oeynhausen) noch einen, wo 
ein Kind mit pleuritischem Exsudat von seiner Mutter bei der Unter¬ 
suchung auf den anderen Arm umgelagert wurde und sofort unter den¬ 
selben Erscheinungen todt blieb. 

An diese Fälle knüpft Weber eine Besprechung über die Ursachen 
des plötzlichen Todes und wies nach, dass weder Embolien, noch Athem- 
Insufficienz, noch der Einfluss von Narkoticis, noch anatomisch nachweis¬ 
bare Herz-Anomalien (Fettherz), noch eine Hirn-Affection den plötzlichen 
Tod veranlasst haben, wie sich durch die Sectionen direct nachweisen 
lässt, sondern dass die Erscheinungen darauf hinweisen, den Zustand als 
sog. Chok zu bezeichnen, d. h. einen plötzlichen lähmungsartigen Zustand 


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423 


des Herzens, vielleicht auch der Respirations-Nerven, wie er in neuerer 
Zeit von verschiedener Seite beschrieben worden ist. 

Temperatur - Erniedrigung des Körpers als Ursache dieses Choks 
anzusehen, wie das bei grossen Operationen in der Bauchhöhle vorkommt, 
sei hier nicht möglich, sondern es scheine, als ob die plötzliche Lage¬ 
veränderung des Herzens, überhaupt der Brustorgane, zu diesen Erschei¬ 
nungen Veranlassung gaben, und W. räth daher, bei grösseren pleuriti- 
schen Exsudaten mit Lageveränderungen vorsichtig vorzugehen, event. 
Thoracocentese bei schweren Fällen im Sitzen vorzunehmen, ohne den 
Kranken aus seinem Bett herauszunehmen und bei Ausspülungen der Brust- 
höhle dafür zu sorgen, dass die Flüssigkeit, die einfliesst, sofort wieder 
Abfluss habe, damit sich nicht eine grössere Quantität ansammelt und 
solch 1 eine Lageveränderung der Brustorgane bewirkt. 

Ferner machte W. Mittheilung von einer Anzahl Fälle, in denen 
Kranke mit hypertrophischen grossen Herzen (meist ohne Klappenfehler) 
mit bedeutenden Stauungserscheinungen im venösen Kreisläufe, bedeutendem 
allgemeinem Hydrops und starker Cyanose, Dyspnoe und geringer Quan¬ 
tität täglicher Urinmenge, durch Behandlung mit warmen Bädern von 
29—33° R. und nachfolgenden Einpackungen unter gleichzeitiger inter- 
currenter Anwendung von Digitalis oder drastischen Pillen in kurzer Zeit 
auffallend gebessert und oft nach 8 bis 14 Tagen entlassen werden konnten. 
— Die Fälle waren zum Theil alte, lange Zeit behandelte und die 
Kranken suchten als Ultimum refugium mit wenig Lebenshoffnungen die 
Klinik auf. 

Der eclatante Erfolg zieht eine grosse Anzahl solcher Kranker in 
die Klinik, so dass eine besondere Station (Schwitzstation) für dergleichen 
Kranke eingerichtet werden musste. 

Wenn nun auch die Curmethode nichts Neues enthält, so glaubt W. 
auf diese combinirte Art der Behandlung doch nochmals hinweisen zu 
müssen , da warme Bäder bei Herzkranken vielfach als gefährlich ange¬ 
sehen werden. Indess die Curen in Nauheim lieferten schon den Beweis, 
dass eine Anregung der Hauttbätigkeit von dergleichen Kranken oft recht 
gut vertragen wird und sehr gute Dienste leistet. 

Natürlich müssen die Bäder von sachverständiger Seite geleitet 
werden und der Arzt muss zum ersten Male fl .abei sein. 

Bei Herzpalpitationen und Kopfcongestionen müssen während des 
Bades unter Umständen Eisblasen auf Kopf und Herz aufgelegt und auch 
während der Zeit der Einwicklung in wollene Decken muss der Kranke 
beobachtet werden, damit nicht plötzlich Herz- oder Hirn-Zufälle bedenk¬ 
liche Symptome machen. 

Zum Theil lässt sich die günstige Wirkung gewiss dadurch erklären, 
dass die Circulation des Blutes in der ödematös geschwollenen Haut meist 
gering ist, dass das Blut daher meist von der blutleeren äusseren Haut 
nach den inneren Theilen gedrängt wird und dass, wenn durch künst¬ 
liche Erwärmung und grössere Thätigkeit der Haut die Circulation wieder 
in Gang gesetzt wird, eine normale Circulation des ganzen Körpers herbei¬ 
geführt und die Lungen und inneren Theile überhaupt vom Blutandrange 
entlastet werden. 


327. Zur Diagnose des Pankreaskrebses. Von Dr. F. Herrmann. 
Nach einem Vortrag, gehalten in der deutschen ärztlichen Gesellschaft. 
(8t. Petersb. med. Wochenschr. 1880. 8.) 

Erkrankungen des Pankreas werden selbst bei Sectionen selten 
gefunden und noch seltener im Leben der Kranken erkannt, selbst der 


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Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


Krebs, der häufigste und greifbarste seiner Leiden, wird gewöhnlich erst 
bei der Section entdeckt. Die versteckte anatomische Lage und die wenig 
augenfälligen Functionen der Drüsen erschweren die Diagnose.' Aus¬ 
schliesslich ihm zukommende, für das Leben unentbehrliche Functionen 
vertritt es nicht, da die Umwandlung unserer Nahrungsstoffe in lösliche 
Peptone und die mechanisch-chemische Vertheilung der Fette nur unter 
gleichzeitiger Mitwirkung der Galle und des Mund-, Magen- und Dann¬ 
saftes zu Stande kommt. Diese Verhältnisse erklären, warum Störungen 
der Pankreasfunctionen längere Zeit durch andere Organe ausgeglichen 
werden und ein gewisses Wohlbefinden bestehen kann, warum selbst 
grössere, warmblütige Thiere nach Exstirpation des Organes fortleben. 

Dass das Pankreas nicht nur als Theilerscheinung allgemeiner 
Krebskachaxie, sondern primär an Krebs erkrankt, unterliegt heute keinem 
Zweifel mehr. H. bat mehrere solcher Fälle gesehen und macht auf 
einzelne ihrer diagnostischen Zeichen aufmerksam da die auf sie gestützte 
Diagnose durch die Section bestätigt wurde. 

C1 a e s s e r bezeichnete als charakteristisch für den Pankreaskrebs: 

1. Eine bald diffuse, bald begrenzte, zuweilen sogar von Pulsation 
begleitete Schwellung in der Magengegend; einige Beobachter legen 
grossen Werth auf diese Erscheinung, andere bezweifeln sie, H. selbst 
hat sie bei seinen Kranken nicht wahrgenommen, auch möchte die 
sichere Deutung einer solchen Schwellung ihre Schwierigkeiten haben. 

2. Schmerzen, auf die Magengegend beschränkt oder in den Rücken, 
den ganzen Leib und selbst in den Arm ausstrahlend, wurden sowohl 
continuirlich als in Paroxysmen beobachtet. Auch von seinen Kranken 
haben einige über dumpfen Schmerz in der Magengegend und dem 
Rücken berichtet, doch glaubt er diese Symptome weniger auf reines 
Pankreasleiden, als auf gleichzeitige Erkrankung nahe liegender Gebilde 
beziehen zu müssen. 

3. Verdauungsbeschwerden, Erbrechen und andere Symptome eines 
chronischen Magenkatarrhs können auch den Krebs des Pankreas begleiten, 
ebensogut aber fehlen, jedenfalls sind sie keine Eigenthümlichkeit dieses 
Leidens und treten, wenn sie Vorkommen, erst gegen das Ende der Krank¬ 
heit zu Tage, dagegen scheint der träge Stuhl allen Pankreasleiden 
eigen zu sein, Durchfall nie, es sei denn kurz vor dem Tode, einzutreten. 
Immer sind die Ausleerungen weiss, thonartig, trocken, je nach der Höhe 
des die Krankheit begleitenden Icterus. Aeltere Schriftsteller sprechen 
noch von talg- oder glasartigen, oft stinkenden Massen, die sowohl die 
Fäces umhüllen, als auf dem erkalteten Urin butterartig schwimmen 
sollen. Diesem Symptome wurde ein grosser Werth beigelegt und Clark 
erklärte noch 1851, dass in Folge gestörter Absonderung des Pankreas¬ 
saftes alles genossene Fett unverdaut ausgeschieden werden müsse. Die 
Beobachter der letzten Decennien läugnen das Vorkommen dieses Symptoms 
und verwerfen C1 a r k’s Erklärung ; als Gegenbeweis wird eine 31jährige, 
an Pankreaskrebs leidende Frau angeführt, welche neben der Nahrung 
auch das ihr verordnete Oleum jecoris vollkommen verdaut hatte. H. hat 
bei seinen Kranken vergebens nach jenen Fettmassen gesucht, sie waren 
weder im Stuhle noch im Urin zu finden. 

4. Zeichen der Inanition und dyskrasischer Habitus werden bei 
längerer Krankheitsdauer kaum ausbleiben, treten aber bei den ver¬ 
schiedensten Krankheiten zu Tage und sind bei der bescheidenen Rolle, 
welche das Pankreas in der thierischen Oekonomie spielt, kaum diesem 
zuzuschreiben. Vortr. erinnert sich einzelner Fälle, in welchen nicht allein 


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Medicinisch-chirurgische Rnndschau. 


425 


bei vorgeschrittener Krankheit, sondern vier Tage vor dem Tode noch 
guter Appetit, einige Körperfülle und Muskelkraft erhalten waren. 

5. Beispiele von 2- bis 4jähriger Dauer des Leidens sind in der 
Literatur mehrfach angeführt. Diese lange Dauer ohne grosse Störung 
des Allgemeinbefindens zählt mit zu den diagnostischen Zeichen der 
Krankheit. 

6. Fieber- und Gehirnerscheinungen finden wir bei reinem Pankreas¬ 
krebse erst in den letzten Krankheitstagen, die ersten mit 39 und 40° C., 
die zweiten mit dem Bilde der Cholämie. 

7. Hydrämie, geringe Anasarca wurden zuweilen, Ascites nur aus¬ 
nahmsweise gefunden. 

8. Die Krankheit trifft häufig Gewohnheitstrinker, vorzugsweise 
aber ältere Leute; in der H. zu Gebote stehenden Literatur finde er 
nur einen Fall von einem 14jährigen Knaben, ferner einzelne von 20 und 
einigen Jahren, die übrigen 30 und mehr Fälle standen im Alter von 50 
und 60 Jahren. 

9. Eine erbliche Disposition ist vielfach nachgewiesen, und wo ein 
Kranker vom Pankreaskrebs heimgesucht wird, haben gewöhnlich auch 
andere Glieder der Familie an Carcinom gelitten. 

10. Ein Symptom von grösserer diagnostischer Wichtigkeit ist der 
dem Pankreaskrebse eigenthümliche Icterus Er war nicht nur in der von 
H. beobachteten, sondern in a / 3 aller ihm bekannt gewordenen Fälle vor¬ 
handen und erreicht gerade in jenem Leiden ein eigenthümliches Bronce- 
grün und selbst Schwarzgrün, wie es in keiner anderen Krankheit, es 
sei denn die Addison’sche, beobachtet wird. Dieser Icterus ist keineswegs 
das Endergebniss gestörter Pankreasfunction, vielmehr ein mechanischer 
Act, hervorgerufen durch Druck auf die ausführenden Gallengänge, er 
kann in geringerem Grade überall zu Stande kommen, wo Neubildungen 
in naheliegenden Organen die ausführenden Gallenwege unwegsam machen. 
Ebensowenig jedoch als das Fehlen des Icterus das Vorhandensein eines 
Pankreaskrebses ausschliesst, ebensowenig kann das Bestehen des ersten 
für sich allein einen sicheren Schluss auf Pankreaskrebs gestatten, erst 
wenn die Krankheit von dem angeführten Broncegrttn begleitet wird, 
Monate und länger andauert, dabei aber Cirrhose oder Krebs der Leber 
fehlen, glaubt sich H. berechtigt, eine auf das Pankreas beschränkte 
krebsige Neubildung anzunehmen. 

11. Ein anderes, glücklicherweise seltenes Symptom sind die 

Hyperämien der Schleimhäute und Blutungen aus dem Magen, dem 
Darme, den Nieren und selbst der Lunge, sie erklären sich durch den 
Druck des vergrösserten, harten Pankreaskopfes auf die Hohlvene, auch 
mag die Anhäufung von Gallenelementen im Blute sie begünstigen: Neben 
solchen Blutungen aus allen Canälen hat H. auch die oberen Augenlider 
durch Bluterguss, bis zur Grösse eines kleinen halben Apfels anschwellen 
sehen, beide Lider waren schon am zweiten und dritten Tage durch 
feuchten Brand zerfallen. Grössere Blutungen geben immer eine absolut 
schlechte Prognose und deuten auf nahen Tod. 0. R. 


328. Heilung eines Ileus. Von Dr. Kupke. (Allg. med. Ctrl.- 
Zeitg. 1880. 32.) 

Da Ileus-Heilungen nicht allzu häufig vorzukommen pflegen, theilt 
Verf. folgenden Fall mit: 

Ein ziemlich kräftiger, abgehärteter Mittelschullehrer W. K., 48 J. alt, 
erkrankte am 19. November v. J. an heftigen Leibsehmerzen mit Durchfall. 
Einige Opiomgaben verschafften ihm bald Linderung; da aber der Leib stark 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


aufgetrieben war und sich hart anfühlte, musste mehrere Tage hintereinander 
01. Ricini gegeben werden, welches die beabsichtigte Wirkung bald erzielte. 
Trotzdem stellten sich nach einiger Zeit wieder lebhafte Schmerzen in der Nabel¬ 
gegend mit durchfälligen, wässerigen Stählen ein, so dass wieder am 30. Novem¬ 
ber Extr. Opii 0 03 alle zwei Stunden gereicht wurde. Am Montag, den 1. Decem- 
ber, fand K. den Kranken entsetzlich verändert. Das Gesicht war stark verfallen 
(Facies hippocratia), die Stimme heiser, häufiger Schluckauf hatte sich eingestellt, 
ebenso zweimaliges Erbrechen, dessen Massen stark nach Koth rochen und dunkel 
gefärbt waren. Es unterlag somit keinem Zweifel, dass hier eine Darmverschliessung 
vorlag. Dabei war der Leib hochgradig aufgetrieben, die Schmerzen hatten trotz 
des Opiums zugenommen; Hände und Füsse waren kühl, der Puls klein und ver¬ 
langsamt. K. verordnete sogleich Eispill^n zum Schlucken und Eiswasser-Umschläge 
auf den ganzen Leib und machte eine hypodermatische Morphiuminjection (0 02). Darauf 
führte er ein Gummirohr in den Mastdarm hinauf, so hoch es nur anging (36 Ctm.) 
und injicirte einen Liter warmen Wassers, in dem zwei Esslöffel Kochsalz gelöst 
waren. Als K. Abends den Kranken wiedersah, hatten die Schmerzen nach¬ 
gelassen, das Kothbrechen aufgehört, der Schlacken sich verringert und der 
Umfang des Leibes nicht vergrössert, so dass eine geringe Besserung festgestellt 
werden konnte. — Trotzdem war die Lebensgefahr nicht gehoben, da alle Sym¬ 
ptome der schweren Krankheit, wenn auch in geringerem Grade, immer noch 
vorhanden waren. K. machte zur Nacht eine zweite Morphiuminjection (0*02), 
ebenso injicirte er wiederum dieselbe Menge Salzwasser wie früher. Als Getränk, 
welches zugleich ernährend und auflösend wirken sollte, verordnete er neben 
den Eispillen kleine Mengen von Buttermilch. 

Am Morgen des folgenden Tages (Dienstag, den 2. December) fand K. den 
Kranken, welcher eine leidlich gute Nacht gehabt hatte, wenig verändert, aber 
nicht verschlechtert. Verf. hatte keine Veranlassung, seine Behandlung*weise zu 
ändern, machte sofort wieder eine Morphiuminjection und eine Irrigation mittelst 
des Gummirohr8; Eisumscbläge und Eispillen wurden fortgesetzt, da Tympanitis 
und Singultus noch fortbestanden. Nachmittags um 4 Uhr wurde eine zweite 
Irrigation gemacht, diesmal aber nicht erfolglos, denn es gingen einige wässerige 
dunkle Massen mit kleinen Klumpen unter Entfernung einer Menge Gase ab. 
Abends 9 Uhr geschah eine Morphiuminjection (0*02) in den Oberschenkel. Die 
Nacht war zeitweise deshalb unruhig weil öfterer Stuhldrang mit geringer wäs¬ 
seriger Entleerung unter grossem Poltern und Abgang von Blähungen stattfand. 
Obgleich der Kranke als gerettet angesehen werden konnte, weil der Darmver¬ 
schluss glücklich gehoben war, nachdem Mittwoch, den 3. December, Morgens 
breiige Kothmassen, vermengt mit kleinen, runden Knollen abgegangen, wurde 
dennoch mit den Eiswasserumschlägen, den Eispillen und den subcutanen Mor- 
phiuminjectionen fortgefahren. Die Darmirrigation mit Salzwasser wurde nur noch 
täglich ein Mal gemacht. Der Schlucken fing an, fast ganz nachzulassen, ebenso 
war der Leib kleiner und schmerzloser geworden, obgleich die Percussion immer 
noch tympanitischen Schall ergab. Vom 5. Tage ab wurden die kalten Umschläge 
sowie die Darmauswaschungen fortgelassen, täglich des Abends nur eine Mor¬ 
phium injection gemacht und zu einer kräftigeren Diät (Milch, Fleischbrühe, 
Austern und Portwein) geschritten. Die Erholung des Kranken ging langsam, aber 
sichtlich von Slatten, nur die Regulirung des Stuhlganges wollte durchaus nicht 
von selbst sich einflnden. Um die Tendenz zur Hartleibigkeit und Verstopfung zu 
beseitigen, beschloss Verf., eine Carlsbader Brunnen cur (Mfihlbrunnen , früh 2, 
Abends 1 Glas) brauchen zu lassen, welche vom besten Erfolg gekrönt war. 
Nachdem der Convalescent 20 Flaschen getrunken, waren die Darmfunctionen 
geregelt und die letzte schmerzhafte Stelle im Leibe, welche sich gewöhnlich in 
der linken Seite des Leibes, 2 Zoll vom Nabel, befand, öfter aber sich verschob, 
beseitigt, so dass der Kranke am 14. Jänner d. J. seine alte Thätigkeit — wenn 
auch in geringerem Umfange — wieder übernehmen konnte. 

Die Hauptmittel zur Heilung dieses Falles waren somit hypoder¬ 
matische Morphiuminjectionen einerseits und hoch hinauf reichende Irri¬ 
gationen oder Ausspülungen des Darmes mit Salz wasser andererseits. 
Verf. bemerkt noch, dass die Behandlung des Ileus mit schmerzstillenden 
Mitteln bereits in früherer Zeit von Schoeniein und in neuerer von 
Biermer wiederholt warm empfohlen worden ist und dass nicht genug 
vor der Anwendung drastischer Abführmittel, welche nur Entzündungen 
hervorrufen und das Uebel verschlimmern, gewarnt werden kann. 

Ende Jänner d. J. bekam Verf. einen ähnlichen Fall, welcher 


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Medici nisch-chirurgische Rundschau. 


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allerdings nicht so verzweifelt war, wie der eben erwähnte, in Behand¬ 
lung. Die Verstopfung hatte sechs Tage angehalten, die Unterleibs¬ 
schmerzen waren sehr heftig und die bisher angdwendeten Abführmittel 
wirkungslos. Kothbrechen und Meteorismus fehlten, auch war kein Collaps 
vorhanden. Subcutane Morphiuminjectionen linderten die Schmerzen und 
eine mittelst eines hoch eingeführten Gummirohrs eingeführte Irrigation 
brachte bald harte Massen von Koth zu Tage. Ein vierwöchentlicher 
Gebrauch von Carlsbader Mühlbrunnen beendete die Cur. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 


329. Ueber Tetanus und dessen Behandlung durch Einathmen von 
Cannabis indica. Von Dr. John Lucas. (Med. Times and Gaz. 
February 21. 1880.) 

Nach Verfasser ist keine Aussicht auf erfolgreiche Behandlung 
dieser Krankheit vorhanden, bevor wir nicht ihre Aetiologie und Ana¬ 
tomie besser kennen. Von den bisher angewendeten Arzneimitteln dürften 
sowohl der indische Hanf, als die Calabarbohne, beide innerlich oder 
subcutan angewendet, ebenso Jaborandi, ferner die Antispasmodica und die 
Narcotica gelegentlich sich wirksam gezeigt haben. Chloralhydrat ist in 
den letzten zehn Jahren zu einem Ruf gelangt, den es noch bewahrt, 
ebenfalls das Amylnitrit, jedoch in geringerem Grade. Auch die chirur¬ 
gischen Methoden der Behandlung wurden von Zeit zu Zeit in Vorder¬ 
grund gestellt und zwar ebensowohl die Durchschneidung des Nerven als 
die Abtrennung eines Stückes des verwundeten Gliedes oder dieses selbst, 
auch die Dehnung des Nerven könnte in dieser Beziehung versucht 
werden. Die Behandlung durch Einathmung von indischem Hanf rührt von 
Khastagir her, der in Indien fünf Fälle auf diese Weise behandelte. 
Lucas meint, nachdem in vielen Fällen die Asphyxie in Folge der 
rigiden Contraction der Respirationsmuskeln als Todesursache betrachtet 
werden muss, scheinen Mittel, die diese bekämpfen, immerhin wirkungsvoll 
zu sein. Er hält den Patienten immer in Ruhe und isolirt. Dann wird 
eine Pfeife (hookah) mit Blättern von Cannabis indica allein oder mit 
drei Viertheilen Tabak gestopft, in der Hand gehalten, und der Patient 
angewiesen, er möge zu rauchen anfangen, sobald der Spasmus beginnt 
und auch während der Dauer desselben fortsetzen, was sie auch bald 
im Stande sind (? Ref.), bis er bald darauf schlaftrunken wird. Der Wärter 
lässt nun den Patienten in Ruhe und allein und bereitet die*Pfeife zum 
momentanen Gebrauch für die nächste Gelegenheit vor. Erwacht der 
Patient mit Krämpfen, wird ihm die Pfeife gleich in den Mund gesteckt, 
und er macht einige Züge aus derselben, bis der Spasmus vorüber geht 
— auch nimmt er etwas Nahrung zu sich und raucht dann wieder bis 
Narcose eintritt. So wird der Kranke Tag und Nacht unter dem Einfluss 
von Cannabis gehalten. Eine gewöhnliche Pfeife mit weitem Rohre oder 
eine Cigarette von Cannabis und Tabak genügen. Jede Dosis des Rauchens 
kann 0*35—0 50 Grm. Cannabis enthalten und zwar beginnt man zweck¬ 
mässig mit der niederen Dosis. Als Vortbeile dieser Behandlungsmethode 
werden gerühmt die rasche Coupirung der Anfälle, dieselben erscheinen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


allmälig in längeren Intervallen, verlieren an Intensität, und es wird 
durch Vermeidung der Erschöpfung der Kräfte das Leben des Patienten 
gerettet. L o e b i s c h. 

330. Die Behandlung des Typhus exanthematicus mit salicyl- 
saurem Natron. Von Dr. G. Ter-Grigorianz. Aus den Protokollen 
der kaukas. med. Gesellsch. 1879. (St. Petersb. med. Wochenschrift 
1880 . 12 .) 

Verf. hat seine Beobachtungen über die Wirkung des salicys. Natron 
beim Flecktyphus im kaukasischen temporären Militärhospital Nr. 71 ge¬ 
macht. Es wurden bei der Anwendung des Natr. saiicyl. grosse Dosen 
vermieden und eine Form für dieselbe gewählt, in welcher das salicyls. 
Natron von den Verdauungsorganen am leichtesten vertragen und namentlich 
ein schädlicher Einfluss auf die Herzthätigkeit vermieden werden konnte. 
Gewöhnlich wurde auf eine Mixtur von 200 Gr. je 4*5 Gr. Salicylsäure 
und Natron bicarb., 100 Gr. Wasser und 100 Gr. Xeres (oder statt der 
letzteren 50 Gr. Branntwein) genommen und davon stündlich (auch zur 
Nachtzeit) 1—2 Esslöffel voll gegeben. Zu grösseren Dosen (2 Essl, 
stündlich) wurde nur in den seltenen Fällen gegriffen, wo nach den 
gewöhnlichen Gaben eine Temperaturerniedrigung nicht erfolgte. Bei 
solcher Behandlung wurden bei keinem der 16 Kranken, wie aus den 
beigefügten Krankheitsgeschichten ersichtlich, jemals heftige Delirien 
beobachtet, und nur bei zweien trat eine Schwächung der Herzaction auf, 
welche jedoch durch Excitantia bald beseitigt wurde. In den meisten 
Fällen genügte zur Hebung der Herzthätigkeit ein grösserer Zusatz von 
Xeres oder Branntwein zu der Mixtur. Eine schädliche Wirkung des 
salicyls. Natron auf die Nieren wurde keinmal beobachtet, nur bei einem 
Pat. trat Oedem des Gesichts auf, Eiweiss im Harn wurde aber dabei 
nicht gefunden. 

Eine temperaturherabsetzende Wirkung des Natron, saiicyl. wurde 
in allen diesen Fällen constatirt, und zwar nahm dieselbe mit der Dauer 
der Krankheit stetig zu. Am deutlichsten äusserte sich diese Wirkung 
zur Zeit der nach dem 7. oder 9. Tage der Krankheit eintretenden 
Remissionen der Temperatur. Collaps wurde nicht bemerkt; kalte Bäder 
wurden nur in einem Falle in Anwendung gezogen. In einem andern 
Falle konnte der Gebrauch von salicyls. Natron das Auftreten von Febris 
intermittens unmittelbar nach dem Typhus, exanth. nicht verhindern. 

Von den 16 Kranken starb kein Einziger; Recidive kamen auch 
nicht vor. Die mittlere Dauer des Aufenthaltes der Kranken im Hospital 
betrug 25*4 Tage (also fast 7 Tage weniger, als während der Breslauer 
Epidemie, für welche Prof. Lebert 32*15 Tage als mittlere Aufenthalts¬ 
dauer der Kranken im Hospital angibt). Die Kranken, selbst diejenigen, 
bei denen die Temperatur 41° überstieg, überraschten nach dem Ablauf 
des Typhus durch ihr verhältnissmässig munteres Aussehen. 

Verf. ist zur Erklärung dieser günstigen Wirkung geneigt anzu¬ 
nehmen, dass das salicyls. Natron im Stande ist, eine stärkere Entwickelung 
der pathologisch-anatomischen Veränderungen, welche unter dem Einfluss 
des exanthem. Typhus im Körper entstehen, zum Theil zu verhindern. 

331. Untersuchungen über den Einfluss des Gleiclienberger 
Wassersauf die Harnausscheidung. Von Dr. Paul Königsberg. (Wr. 
med. Bl. 1880. 12. 13.) 

Verf. hat in der ersten Versuchsreihe den Stickstoffgehalt des Harnes 
nach Dumas bestimmt, in den späteren Versuchsreihen mittelst des 


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Medicinisch-chirnrgi?che Rundschau. 


429 


Knopp-Wagnerächen Azotometers; die Phosphorsäure wurde in sämint- 
lichen Versuchsreihen mit titrirter Lösung von essigsaurem Uranoxyd 
bestimmt. Verf. hat in der I. Versuchsreihe durch 7 Tage den Normal¬ 
harn untersucht und dann Constantinsquelle zu trinken begonnen, es 
wurden circa 1400 Ccm. über den ganzen Tag vertheilt getrunken um 
den Einfluss grösserer Quantitäten Wassers zu studiren. Aus der 12tägigen 
Beobachtungsreihe ergibt sich, dass die Harnmenge während des 
Trinkens nur an drei Tagen der Mehrzufuhr des Wassers entsprechend 
vermehrt ist. Nur am 5. und 6. Tage übersteigt die Vermehrung diese 
um ein Geringes (am 5. Tage um 150 Ccm., am 6. um 45 Ccm.), 
während sie am 11. Tage mit 65 Ccm. zurückbleibt; an den übrigen 
Tagen erreicht das Plus der Harnmenge nicht mehr die zugeftlhrte 
Wassermenge und beträgt im Mittel der zwölftägigen Beobachtung nicht 
mehr als 1030 Ccm. oder 73°/ 0 des getrunkenen Wassers. Die Reaction 
des Harns war mit Ausnahme von 3 Tagen immer neutral, das spec. 
Gewicht der grossen Verdünnung entsprechend niedriger. Der Stickstoff 
erscheint im täglichen Mittel um 0*43 oder 3*4 °/ 0 vermindert, die Phos¬ 
phorsäure um 0*23 oder 11 °/ 0 . Das relative Verhältnis der Phosphor¬ 
säure zum Stickstoff wird im Mittel um l*2°/ 9 niedriger. Die Harnsäure 
scheint wesentlich vermindert zu sein. 

Die zweite Versuchsreihe wurde in der Weise ausgeführt, dass 
H. zuerst durch 6 Tage den Normalharn untersuchte, dann durch 7 Tage 
500 Ccm. und nach Ablauf von 6 Tagen wieder durch 7 Tage 
350 Ccm. Constantinusquelle u. zw. in beiden Fällen von 6—7 Uhr Früh 
trank. Es wurden die Bestimmungen nur in dem Vormittagsharn aus- 
geftihrt. In den beiden Trinkperioden nimmt die Harnmenge während 
der Vormittagsstunden zu, erreicht am 3. Tage das Maximum, und fällt 
dann wieder ab. Nur am 3. Tage erscheint die ganze zugeführte Wasser¬ 
menge wieder im Harne, an den übrigen Tagen wird mehr weniger 
von derselben im Körper zurückbehalten. Die Reaction des Vormittags¬ 
barns ist während des Trinkens constant neutral und erhält sich durch 
mindestens 6 Stunden so. Wegen der Zahlenbelege auf das Original ver¬ 
weisend, reproduciren wir den Schlusssatz des Verf’s: „Wir sehen somit 
im Vormittagsharn unverkennbar einen Einfluss des Gleichenberger Wassers 
auf den Stoffumsatz zu Tage treten. Sowohl Stickstoff als Phosphorsäure 
sind vermehrt; letztere etwas weniger, daher auch ihr relatives Verhält- 
niss zum Stickstoff im Durchschnitt niedriger wird als im Normalharn. 
Auch in der 24stündigen Hammenge ist das relative Verhältniss der 
Phosphorsäure zum Stickstoff vermindert, während ein wesentlicher Ein¬ 
fluss auf die absoluten Zahlen beider nicht nachweisbar ist. Die Wirkung 
des Gleichenberger Wassers ist daher als eine leicht excitirende, d. h. 
den Stoffumsatz der mehr albuminhältigen Gewebe befördernde zu be¬ 
zeichnen. Die Pulsfrequenz wird durch dasselbe nicht beeinflusst, die 
Temperatur (um 9 Uhr Vorm, gemessen), wird im Durchschnitt um 
0*2—0*3° erhöht. 14 Loebisch. 


332. Notizen znr Therapie des Kopfwehs. Von Rud. M a s s i n i. 
(Vortr. geh. in d. med. Gesellsch. zu Basel. Correspondenzblatt f. Schweiz. 
Aerzte 1880 1.) 


Verf. theilt seine Erfahrungen über die Wirksamkeit der in neuerer 
Zeit bei Cephalalgien zur Anwendung kommenden Heilmittel mit, wobei 
er alle jene Kopfschmerzen ausschliessend, die von Gehirntumoren, orga¬ 
nischen Erkrankungen des Hirns, Lues, Fieber und Intoxication herrühren, 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


vorzugsweise diejenigen Neuralgien berücksichtigt, welche mehr oder 
weniger periodisch bestimmte Nervengebiete in der Nachbarschaft des 
Schädels angreifen: Hemicranie, ausgedehnte Trigeminus- und Occipital- 
neuralgien, das die Hysterie begleitende und das bei Urämie den epilepti- 
formen Anfällen vorausgehende Kopfweh. 

Die galvanische Behandlung ist oft sehr wirksam, wenn die 
AfFection streng den Nerven folgt, d. h. als directe Neuralgie auftritt, 
bei Tic douloureux, auch bei allgemeineren Trigeminus- und Occipitalneuralgien 
Yerf. applicirt nach dem Vorschläge von Holst eine breite Electrode an 
die dem Verlaufe der Nerven am nächsten liegende Hauptpartie und zwar 
die Anode; die Katode wird im Handteller des Patienten placirt und 
während 2—3 Minuten ein schwacher Strom von 20—30 Elementen 
durchgeleitet mit langsamer Verminderung der Stromstärke. Dasselbe 
Verfahren (Anode am vordem Rande des Stemocleidomastoideus) bewirkt 
bei Hemicrania spastica nur temporäre Erleichterung, später treten die 
Anfälle mit erneuter Heftigkeit auf. Noch minder empfehlenswert 
scheinen bei Hemicranie die durch das Gehirn geleiteten Ströme zu sein. 
Dagegen sind sie sehr wirksam bei hysterischen Kopfschmerzen, beim 
Clavus. Zur Galvanisirung des Gehirns nehme man nicht mehr als 10—12 
Elemente, weil Ohnmachtsanfälle, Schwindel etc. leicht auftreten. — Fara- 
disirung, bei der angio-paralytischen Hemicranie empfohlen, hat den 
Verf. in Fällen von echter Hemicranie völlig im Stich gelassen; gute und 
bleibende Dienste hat sie dagegen bei Cephalalgien Hysterischer geleistet. 
(Die electrische Hand wird auf die befeuchtete Stirn des Patienten in der 
Weise aufgelegt, dass der Kranke in einer Hand die eine Electrode, der 
Farasideur in die linke die andere Electrode nimmt und mit der rechten 
auf der Stirn des Kranken die Kette schliesst.) — Bromkalium erweist 
sich stets nützlich, wo es sich um weniger charakteristische und leichtere 
Fälle von Hemicranie handelt, häufig anch bei hysterischen und urämi¬ 
schen Kopfschmerzen. Am besten gibt man 4—5 Gramm pro die in 
Dosen von 1—l l / a Gramm. — Verf. verordnet mit Vorliebe den Sirop 
de Henry Mure, welcher 10°/ 0 Bromkali enthält, relativ leicht zu 
nehmen ist und vom Magen gut ertragen wird. — Phosphor ist unzu¬ 
verlässig, appetitverderbend etc. — In Bezug auf das Ergotin (innerlich 
0*5—1 Grm. pro die oder Injectionen von 0‘25—0 5 Grm. Bombelo n’sches 
Ergotin in die Nähe des Ganglion cervicale) führt Verf. nur an, dass es 
beider angio-paralytischen Form der Hemicranie vonBerger, Woakes 
und Eulenburg mit entschiedenem Erfolg angewendet worden ist. — 
Amylnitrit, gefässerweitemd ist daher bei Hemicrania spastica indicirt. 
Wirkt es auch nur symptomatisch, so führt es in seltenen Fällen selbst 
definitive Heilung herbei. Bei zu grossen Dosen schwindet leicht das 
Bewusstsein. Man thut am besten, den Patienten Haarröhrchen zu ver¬ 
ordnen , welche 3—5 Tropfen Amylnitrit enthalten. Beim Anfall wird ein 
solches Röhrchen im Schnupftuch zerbrochen und das Mittel eingeathmet. 
— Chinin, Coffein und die Guaranapaste sind sehr wirksam bei 
der angio-paralytischen Form der Hemicranie, sowie auch bei den con- 
gestiven Trigeminus- und Occipitalneuralgien; es verlieren aber alle 
diese Mittel mit der Zeit ihre Wirksamkeit und die Anfälle werden nicht 
mehr durch sie coupiert. Von Opiaten, die innerlich gegeben nicht nur 
nichts nutzen, sondern die Schmerzen vermehren, rühmt Verf. allein das 
Narceln zu 0*02—0*05 in Pulverform — Morphiuminjectionen, 
die gewiss Erleichterung verschaffen, lässt Verf. nur als ultimum refugiens 
gelten. — Butylchloral verordnet er zu 0-5 Grm. stündlich, bis 


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2 Grm. verbraucht sind. Für sich allein oder in Verbindung mit Brom- 
kali coupirt es die heftigsten Kopfschmerzen, auch bei Hysterischen, lange 
bevor die hypnotische Wirkung des Mitteis eintritt. Namentlich hat es 
sich auch bei urämischen Cephalalgien bewährt. — Auf 0*25 Monobrom¬ 
camp her (in Gelatinkapseln) hat Verf. in zwei Fällen heftiger Migraine, 
wo andere Mittel ihn im Stich liessen, bedeutende Erleichterung, aber 
keinen Schlaf beobachtet. In Parenthese empfiehlt er das Mittel bei 
Gastralgien. — Das in den schweizer Apotheken vorräthige Aconitin, 
meist von Merk stammendes Präparat, hat Verf. stets mit negativem 
Resultat benützt. Mit dem englischen Präparat, welches aus Aconitinum 
ferox bereitet und wahrscheinlich das von Wright und Luff dargestellte 
Pseudaconitin ist, hat aber Verf. über 50 Fälle von Migraine und hyste¬ 
rischen Cephalalgieen sehr erfolgreich behandelt. Die Anfälle kommen 
entweder nicht zum Ausbruch, oder sie verlaufen viel milder. Dosis 1—2 
Milligramm. Die von Sydney Ringer bei Neuralgieen empfohlene ört¬ 
liche Application von Aconitinsalben gestattet dem Verf. einzugestehen, 
dass er bei localisirten Neuralgien, namentlich des Temporalastes des Trige¬ 
minus, durch Application von Emplastr. opiatum, frankenstückgross auf 
den Verlauf des Nervenstammes gelegt, die Schmerzen oft zum Verschwin¬ 
den gebracht hat. — Das von vielen Seiten empfohlene Natron salicylicum 
hat Verf. nur in wenigen Fällen angewendet, speciell bei Kranken bei 
denen das Kopfweh eine Theilerscheinung allgemeiner rheumatischer Aflfec- 
tion bildete. Der Erfolg war kein sehr eclatanter. — Zum Schluss erin¬ 
nert Verf. an die von ihm seiner Zeit bei Algie des N. Alveolar» empfoh¬ 
lene Gelsemiumtinctur. Sie hat sich seitdem in sehr zahlreichen Fällen, 
wo nicht Periostitis oder Zahnerkrankungen die Ursache der Schmerzen 
sind, vollkommen bewährt. Auf 20—60 Tropfen tritt fast ohne Aus¬ 
nahme Besserung ein. 


333. Zur Casuistik der Pilocarpinwirkung. Von Dr. Windel- 
Bchmidt, Cöln a. Rh. (Allg. med. Ctrl.-Ztg. 1880. 40.) 


1. Bei einem an Retinitis serosa oculi sinist. leidenden 22jährigen 
Mädchen spritzte W. innerhalb 6 Wochen 0*02 Grm. Pilocarp. mur. ein. 
Die Wirkung jeder Spritze zu 0*02 Grm. dauerte 5 bis 6 Stunden unter 
den bekannten Erscheinungen von starkem Speichelfluss, Schweiss- und 
Tbränenträufeln, wonach Pat. sich sehr wohl fühlte, etwas besser sehen 
konnte und grosses Hungergefühl hatte. Ungefähr 8 Tage nach der letzten 
Einspritzung bekam Pat. nach dem Mittagessen Uebelkeit, Erbrechen, 
Singultus und 4 Tage lang einen sogenannten Speichelfluss, dass dieselbe 
sich 2 Tage darnach sehr unwohl fühlte. Nach achttägiger Euphorie 
stellten sich dieselben Erscheinungen wieder ein, welche 3 Tage dauerten, 
um nach 12tägigem Wohlbefinden für 3 Tage lang sich wieder einzu¬ 
stellen. Merkwürdig dabei war, dass die Pupillen der Pat. jedesmal stark 
erweitert waren und der hellblaue Speichel immer eine nachweisbare 
Quantität Jod enthielt, von den Einspritzungen her, welche die Pat. einen 
Uber den anderen Tag in die Vagina bekam. Atropin wurde experimenti 
causa als Antidot nicht versucht. 

2. Bei einem an Polyarthritis synovialis acuta leidenden Manne 
wandte W. das Mittel in einmaliger Dosis von 0*02 subcutan mit sehr 
gutem Erfolge an, nachdem 20 0 Grm. Natr. salicyl. den Dienst versagt 
hatten. Der Pat. litt zugleich an chron. Bronchialcatarrli mit dilatativer 
Hypertrophie des rechten Ventrikels und wurde von Schmerzen in den 
Gelenken, Herzklopfen und Husten arg gequält. Das Pilocarpin wurde 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


nicht allein sehr gut vertragen, sondern der Patient fühlte sich auch 
bedeutend leichter auf der Brust, das Herzklopfen und die Gelenks- 
schmerzen Hessen nach, so dass er einige Stunden nachher aufstand und 
mit grossem Appetit sein Abendbrod verzehrte. Einige Dosen Chinin 
brachten den letzten Rest des Gelenkrheumatismus zum Verschwinden. 


334. Casuistische Mittheilung über die Anwendung der Massage 
bei Laryngitis catarrhalis und crouposa. Von Bela Weiss. Wien. 
(Arch. f. Kinderheilkde. 1880. I. Bd., 5. u. 6. Hft.) 


Bei einem 5 1 / 2 jälir. Knaben traten am 3. Tage einer catarrhaHschen Laryn¬ 
gitis stenotische Erscheinungen auf. W. fand den Kranken mit massig erhöhter 
Temperatur: Puls 114, Pharynx intensiv geröthet, die Tonsillen ein wenig ver- 
grössert, dunkelroth, ohne Beleg. Der Husten dumpf bellend, von metallischem 
Pfeifen, der Athem kurz, keuchend, von sägendem Geräusch begleitet, die Stimme 
klanglos 

Verf. Hess den Knaben auf den Schooss der Mutter setzen, seinen 
Kopf in etwas nach rückwärts gebeugter Stellung fixiren. Er selbst setzte 
sich dem Kinde gegenüber, vereinigte die Finger seiner vorher beölten 
Hände an der Nackenwirbelsäule desselben, worauf er mit den beiden 
Daumen an der vorderen Seite des, dermassen bis auf den Kehlkopf 
vollkommen umfassten Halses nach abwärts streichende, anfangs sanfte, 
später allmälig stärker werdende Bewegungen ausführte. Die Daumen 
bewegten sich vom Rande des Unterkiefers bis nach abwärts zu den 
Schlüsselbeinen, theils die Gegend der Vv. jug. comm., tlieils die seit¬ 
lichen Gegenden des Kehlkopfes bestreichend. Waren die Schlüsselbeine 
erreicht, so erhob er die Daumen wieder bis zu dem unteren Rande des 
Unterkiefers, ohne hierbei den Hals mit denselben zu berühren. Diese 
Effieurage wurde in der angegebenen Weise durch 10 Minuten fortgesetzt. 

Die Wirkung war eine geradezu frappirende; der früher mühsam 
und mit der grössten Anstrengung der Respirationsmuskeln einhergehende 
kurze, zischende Athem wurde freier, leichter, tiefer; die Aphonie wich 
einer, wenn auch noch ziemlich heiseren, aber dennoch nicht mehr ganz 
klanglosen Stimme; das schon während der Massage ruhiger gewordene 
Kind zeigte eine sowohl in seiner Miene, als auch in seinen Worten ge- 
äusserte Heiterkeit. Am Morgen fand Verf. das Kind nach ruhigem Schlaf 
sehr wohl, nur noch die etwas rauhere und tiefere Stimme erinnerte an 
die vorhergegangene Krankheit. Es hatte somit in diesem Falle eine ein¬ 
malige Effieurage genügt, um krankhafte Erscheinungen allarmirendster 
Natur zu beseitigen. 

Denselben günstigen Erfolg mit der Massage erzielte Verf. bei einem 
6 Vs jährigen Knaben mit ausgesprochenem Larynxroup (Diagnose von 
Widerhofer bestätigt). 

Den ersten Versuch machte Verf. am 3. Tage der Erkrankung als 
die laryngostenotischen Erscheinungen schon voUkommen ausgebildet 
waren. Nachdem er in der früher angegebenen Weise durch 5 Minuten 
manipuHrt hatte, wurde das Kind unruhig und verlangte in’s Bett; in 
dasselbe gebracht, Hess Verf. dem die Rückenlage einnehmenden Kinde 
einen wurstförmigen Polster unter die Schultern geben und setzte nun sein 
Verfahren in der Weise fort, dass er nur mit den ausgestreckten und 
vereinigten Fingern beider Hände (Zeige-, Mittel- und Goldfinger), die 
seitHchen Gegenden des Kehlkopfes massirte. Nachdem die Massage unge¬ 
fähr 12 Minuten lang in der angegebenen Weise ausgeführt wurde, bekam 
das Kind (vielleicht durch den auf die sensiblen Fasen) des Nerv, laiyng. 
sup. ausgeübten Druck) einen äusserst heftigen Hustenparoxysmus, der 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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aber nicht mehr ganz den trockenen, bellenden Ton hatte und mit der 
Expectoration von Pseudomembranen endete. Der Athem wurde freier, 
der Gesichtsausdruck freundlicher; die Stimme noch heiser. Verf. sistirte 
nun die weitere Anwendung des Brechmittels und liess nur mit Entwick¬ 
lung feuchtwarmer Dämpfe im Zimmer fortfahren. Nach 2 Stunden, während 
welcher sich der Zustand des Kindes noch mehr gebessert hatte, massirte 
er durch 10 Minuten, worauf das ruhiger und mit viel weniger An¬ 
strengung athmende Kind in sanften Schlaf verfiel. Die dritte, am Abend 
vorgenommene Massagesitzung endete wieder mit einem Hustenanfalle, 
nach welchem Pseudomembranen expectorirt wurden. Die Nacht war 
relativ gut. Am Morgen hatte die Stimme etwas Klang, die Inspirationen 
erfolgten müheloser und waren nicht mehr in dem Grade zischend und 
pfeifend, wie bisher; das Kind heiter, er massirte diesmal nur 5 Minuten 
und am Abend noch einmal durch 10 Minuten. Der weitere Verlauf war 
ein ganz günstiger; nach 5—6 Tagen konnte der Croup als geschwunden 
bezeichnet werden. 


335. Ein Fall von Intoxication mit saJicylsaurem Natron. Vom 
Doc. Dr. E. H. Kisch, Marienbad. (Prag. med. Wochenschr. 1880. 1.) 

Die bisher publicirten IntoxicationsfÜlle mit salicylsaurem Natron 
bezogen sich auf Individuen, denen wegen vorhandener febriler Zustände 
dieses Mittel gereicht worden war. Im vorliegenden Falle handelte es 
sich um eine bis auf die mit dem climacterischen Wechsel gewöhnlich 
einhergehenden Beschwerden gesunde Dame, Ende der Vierziger Jahre, 
welche die Cur in Marienbad gebrauchte. Derselben wurde wegen einer 
Neuralgie, über die sie sich beschwerte, von einer Freundin die Anwen¬ 
dung von salicylsaurem Natron angerathen. Sei es, dass sie diese 
Freundin missverstanden oder dass diese selbst sich über das Grammen¬ 
gewicht nicht im Klaren war, die Dame liess aus der Apotheke vierzig 
Gramm salicylsaures Natron (wahrscheinlich schwebte der Selbstcurirenden 
die Dosis von 4 Gramm vor) holen und begann flott den Gebrauch mit zwei 
Kaffeelöffel voll, also ohngeführ 5 bis 6 Gramm, in einem Glase Wasser. 

Nach etwa 2 Stunden wurde Verf. geholt. Die Dame, im Bette 
liegend, hatte kurz zuvor vomirt, das Erbrochene war bereits fortgeschafft 
worden. Sie klagt über grosses Angstgefühl, das Bewusstsein ist etwas 
getrübt, der Gehörsinn abgeschwächt, das Sehvermögen nicht gestört, 
das Sprechen fällt entschieden schwer, Radialpuls. 100, sehr klein, auf¬ 
fällige Athemnoth, gesteigerte Athemfrequenz mit sehr tiefen Athemzügen, 
Haut sehr kühl, an den Füssen anästhetisch, Körpertemperatur 36° C. 
Verf. verordnet© Analeptica, Wärme, Hautreize. Bei dem nach wenigen 
Stunden wiederholten Besuche war die Patientin wohler, das Bewusstsein 
klarer, das Angstgefühl hatte nachgelassen, Puls noch immer sehr klein, 
Zahl der Pulsschläge wesentlich geringer, 64, die Respirationszüge tief 
und langsam, Körpertemperatur 36° C., Anästhesie an den Füssen fort¬ 
dauernd. Am folgenden Tage war noch grosse Schwäche und Mattigkeit 
vorhanden, langsamer kleiner Puls, 60 Pulsschläge, auch die eigentüm¬ 
liche Art des Athmens noch bemerkbar, Körpertemperatur 37° C. Beim 
Fortgebrauche von Reizmitteln nahmen diese Erscheinungen am dritten 
Tage ab, und stellte sich allmälig wieder das alte Wohlbefinden ein. — 
Die Untersuchung des Harnes war durch das Walten der dienenden Geister 
in dem betreffenden Hotel leider unmöglich. 

Auffällig war bei diesen Intoxicationserscheinungen, dass nach 
vorübergehender Steigerung der Puls- und Athemfrequenz, trotz der 



Med.-cbir. Rundschau. 1880 . 



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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


angewendeten Reizmittel durch zwei Tage anhaltende Abnahme der Puls¬ 
zahl und Verlangsamung der Athemztlge (neben Herabminderung der 
Körpertemperatur) sich geltend machte, so dass die erste Erscheinung in 
der That sich nur auf die dem Erbrechen vorhergehende Nausea beziehen 
lässt und dann erst die eigentliche Salicylsäurewirkung eintrat. Es ist 
diese Beobachtung geeignet, diesbezügliche durch physiologische Versuche 
an Thieren begründete Ansicht Köhler’s (Deutsche Zeitschr. f. pr&kt. 
Medicin 1877) von der „deprimirenden Wirkung der in der Blutbahn 
als Natronsalz circulirenden Salicylsäure auf die intracardialen Herz¬ 
ganglien, die Vagusäste in der Lunge und sehr wahrscheinlich die.peri¬ 
pheren Vasomotoren“ zu bestätigen, eine Ansicht, welche Darewski, 
Sokolowski auf Grund ihrer Versuche nicht gelten lassen wollten. 
Der vorliegende Fall zeigt ferner, dass es gar nicht der „erhöhten Kob- 
lensäurespannung im fieberhaften Körper“ bedarf, wie dies von einer 
Beite supponirt wurde, um durch Einführung von salicylsaurem Natron 
die toxicirende Wirkung der Salicylsäure zu sehen, sondern dass dies 
auch beim gesunden Menschen der Fall ist und B i n z’s Ausspruch (Arch. 
für experiment. Pathol. und Pharmakol. VH. Band) vollkommene Berech¬ 
tigung hat, „dass es nicht zulässig ist, das salicylsäure Natron als 
chemisch wirkungslos im Organismus zu bezeichnen“. Loebisch. 

336. Aethylbromid, ein neues Anästheticum. Von Turnbull 
(Philadelphia). (The London Med. Record. 1880. 4. Allg. med. Ctrl.- 
Zeitschr. 1880. 38.) 

Verf. hält dieses Mittel als eines der wirksamsten, ungefährlichsten 
und angenehmsten Anästhetica, sowohl bei chirurgischen, als auch bei Zahn¬ 
operationen. In mehr als 160 Fällen hat er selbst mit Erfolg davon 
Gebrauch gemacht und von anderen Orten her die Resultate rühmen 
hören. Der Geruch ist ein angenehmer, die Wirkung auf die Hals- oder 
Pharynxpartien ein derart anästhesirender, dass man mit Leichtigkeit 
und Sicherheit daselbst Operationen vornehmen kann. Diese Substanz 
entzündet sich nicht leicht und ist eher geeignet, Licht zum Verlöschen 
zu bringen. 

Schon im Jahre 1849 hatte Nunneley Thierversuche mit diesem 
Präparat angestellt und damit Lähmung der Motilität, sowie Anästhesie 
erzielt, dasselbe als Anästheticum empfohlen. Jedoch erst 1865 experi- 
mentirte er damit in, seiner Augen- und Ohrenklinik zu Leeds, und be¬ 
richtete darüber in der „Medical Association“ in Cork 1879, sowie auf 
dem letzten vorjährigen internationalen Congress in Amsterdam. 

Die Formel des Präparats ist: C a H ft Br. Die Darstellung erfolgt, 
indem man Aethylalkohol mit gasförmiger Bromwasserstoffsäure digerirt, 
oder indem man in Alkohol, der geschmolzenen Phosphor enthält, allmälig 
Brom zutropfen lässt. Die erstere Darstellungsweise ist vorzuziehen, weil 
die Flüssigkeit dadurch viel reiner erhalten wird. Es ist eine farblose, 
angenehm riechende, bei 41° siedende Flüssigkeit, welche leicht ver¬ 
dunstet, schwer löslich in Wasser, in allen Proportionen in Alkohol und 
Aether löslich ist. Mit Ammoniak bildet es Aethylaminhydrobromid. 

Die Anwendungsweise muss eine derartige sein, dass man ein von 
Bromoform und Phosphor freies Präparat auf ein Taschentuch giesst und 
dieses vor das Gesicht hält. 5—10 Gramm genügen meist, um eine An¬ 
ästhesie hervorzurufen, und geschieht dies, indem man 1—2mal die Flüs¬ 
sigkeit auf das Tuch giesst und den Erfolg abwartet. 

Die Vorzüge des Bromäthyls sind folgende: 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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1. Es ist ein Anästheticum, welches, rein dargestellt, ohne irgend 
einen Nachtheil bei Menschen und Thieren angewendet werden kann. 
2, Anästhesie wird dadurch schneller als durch Chloroform bewirkt, und 
dann wird das Mittel durch die Respiration und durch die Nieren schneller 
eliminirt, als die anderen Anästhetica. 3. Herz und Respiration werden, 
wenn nicht etwa grosse Quantitäten in Anwendung kommen, durch Brom¬ 
äthyl gar nicht beeinflusst. 4. Erbrechen tritt bei seiner Anwendung viel 
seltener ein als bei Chloroform und Aether. 5. Der Geruch ist viel ange¬ 
nehmer als der des gewöhnlichen Aether. 6. Da Bromäthyl nicht ent¬ 
zündlich wirkt und anästhetirend auf die Halsmuskeln wirkt, kann das¬ 
selbe mit Bequemlichkeit für den Operateur und die Kranken bei Opera¬ 
tionen im Munde und im Halse Anwendung finden. 7. Bei Vivisectionen 
wirkt Bromäthyl schneller und angenehmer als Aether, bringt in 2 Minuten 
bei Hunden Anästhesie hervor und kann der Gebrauch desselben niemals 
von üblen Folgen begleitet sein, wie der des Chloroform. 

In 100 Fällen, in denen Verf. das Bromäthyl angewendet, kam 
12 Mal Uebelkeit, 8 Mal Erbrechen bei Anästhesirten vor, welche 
kurz vorher viel gegessen hatten, Asphyxie oder Ohnmacht in keinem der 
Fälle. Hysterische Erregung fand in 6 Fällen statt, ging schnell vorüber 
ohne üble Folgen. In 4 Fällen kam Schwächegefühl mit kaltem Schweisse 
im Gesicht und auf den Händen vor, jedoch von kurzer Dauer. Die 
Anästhesie trat in 10 Fällen in 17a Minuten ein, in 20 in 2, in 10 in 
2 1 / 2 , in 40 in 3, in 10 in 4, in 10 in 5 Minuten ein. 

Das Bewusstsein kehrte in 50 Fällen innerhalb 2—2 l / a Minuten 
zurück, in 30 Fällen in 3, in 20 Fällen innerhalb 4—5 Minuten. Umsich- 
schlagen, Husten traten während der Anästhesie nicht ein, noch erfolgte 
nachher Kopfschmerz oder Schwindel. 

Schliesslich berichtet Verf. über einen Befund bei einem Kaninchen, 
welches in Folge von Aethylbromid zu Grunde gegangen war. Man fand 
die rechte Herzhälfte mit schwarzem, nervösem Blut gefüllt, die linke 
contrahirt und leer. Die Lungen konnten gut aufgeblasen werden, waren 
nur an der Basis ein wenig congestionirt, so dass von Seite der Re¬ 
spiration die Todesursache nicht zu erklären ist. Die Nieren strotzten 
von venösem Blut, während das Gehirn ganz frei von Blut war, so dass 
man die Puncta vasculosa nicht sehen konnte, nur im Torcular Herophili 
fand sich ein grosser Tropfen schwarzen venösen Blutes. 

337. Ueber eine neue Untersuchungsmethode der Mineralwässer 
berichtete Kisch auf dem letzten balneologischen Congresse. (Deutsche 
medic. Wochenschr. 1880. Nr. 14.) 

K. hat die zur Bestimmung der Qualität des Trinkwassers bereits 
seit einiger Zeit geübte mikroskopische Untersuchung auf Mineralwässer 
angewendet und zwar zu dem Zwecke, um eine vorläufige Bestimmung 
der die Mineralwässer charakterisirenden Bestandteile vorzunehmen. Bei 
dem Umstande, dass die qualitative und quantitative chemische Analyse 
der Mineralwässer sehr schwierig ist und nur von fachmännischer Seite vor¬ 
genommen werden kann, ist es gewiss ausserordentlich angenehm, eine 
ganz leichte und von jedem Arzte schnell ausführbare Methode zu haben, 
um vorläufig das Mineralwasser nach seinen Bestandteilen bestimmen zu 
können. Zu diesem Zwecke braucht mau nur einen Tropfen des Mineral¬ 
wassers auf einem Objectglase einzudunsten und zwar entweder kalt unter 
einer vor Staub schützenden Glocke oder indem man es auf warmer Unter¬ 
lage erwärmen lässt. Die Trockenrückstände werden dann mit dem 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Mikroskope betrachtet und genügt gewöhnlich schon Ocular 2 Objectiv 4 
Vergrösserung Hartnack. Bei manchen Mineralwässern empfiehlt es 
sich durch Kochen und Filtriren den kohlensauren Kalk und die kohlen¬ 
saure Talkerde zu entfernen und die Abdarapfrückstände vor und nach 
dem Kochen und Filtriren mit einander zu vergleichen. 

Die Methode ist so einfach und leicht durchführbar, dass schon 
einige Ausführungen vollkommen zur Uebung dienen. K. legte einige 
Zeichnungen, die Hauptgruppen der üblichen Eintheilung der Mineral¬ 
wasser repräsentirend, vor. Da zeigten sich bei den „Alkalischen Säuer¬ 
lingen“, repräsentirt durch den Krondorfer Sauerbrunnen, die tafelförmigen 
(leicht zerfliessenden) Krystalle des kohlensauren Natron neben rundlichen 
Formen der kohlensauren Talkerde und kleine rhombische Krystalle des 
kohlensauren Kalk; bei den „Alkalisch-muriatischen Säuerlingen“, reprä¬ 
sentirt durch Luhat8chowitz, tafelförmige rundliche Krystalle der alkalischen 
Erden neben den tessularischen Krystallen des Chlornatrinm; bei den 
alkalisch - salinischen Mineralwässern, repräsentirt durch Marienbader 
Ferdinandsbrunn, kleine nadelförmige Krystaliverbindungen des schwefel¬ 
sauren Kalk und der schwefelsauren Magnesia neben zahlreichen grossen 
deltoidischen Krystallen des schwefelsauren Natron; bei den Bitterwässern, 
repräsentirt durch die Ofener Victoriaquelle, colossale nadelförmige Krystall- 
verbindungen des schwefelsauren Kalk und der schwefelsauren Magnesia, 
vereinzelte deltoidische Krystalle des schwefelsauren Natron, bei den 
erdigen Mineralquellen, repräsentirt durch Marienbader Rudolfsquelle, vor¬ 
wiegend rhomboedrische Krystalle des kohlensauren Kalk, bei den Koch¬ 
salzwässern , repräsentirt durch den Kissinger Rakoczy, tessularische 
Krystallisation des Chlornatrium, Würfel- und Octaederform. Bei einiger 
Uebung kann man sogar aus der Menge und Grösse der Krystalle einen 
Schluss auf die quantitative Beschaffenheit der Bestandtheile sich erlauben. 

Zu einer annähernd vollkommen richtigen quantitativen Bestimmung 
der salinischen Bestandtheile eines Mineralwassers zeigte K. ein Instrument 
vor, das von Herrn Ungar angefertigt, sehr bequem und leicht solche 
Bestimmungen zulässt. Es ist nach Art der Araeometer construirt und 
von 0 bis 110 graduirt. Der O-Punkt zeigt den Gehalt ganz reinen Trink¬ 
wassers an festen Bestandteilen in 1000 Theilen. Es ist dieses Instru¬ 
ment besonders für die Glaubersalzwässer, Kochsalzwässer, Bitterwässer, 
Soolen ausserordentlich gut verwendbar und es ergibt die Prüfung mit 
demselben eine vollkommene Uebereinstimmung mit den bekannten Resultaten 
der chemischen Analyse. 0. R. 

338. Hydrotherapie bei Phthisis. Von Prof. Mich. Peter. (Clin. 
m6d. — Mitthlgn. des Vereins d. Aerzte in Niederösterreich. 1880. 9.) 


Um die Haut nicht zu stark zu reizen, empfiehlt Verf. zuerst 
trockene Abreibungen der ganzen Haut während 5 Minuten, Morgens und 
Abends; sie reichen hin, um die Nachtschweisse zum Verschwinden zu 
bringen, besonders diejenigen, welche im Beginne der Krankheit auftreten. 
Der Kranke kann dieselben selbst ausführen; die Gymnastik kommt auch 
seinen Muskeln zu Gute. 

Nachdem der Kranke sich an die trockenen Abreibungen gewöhnt 
hat, kann man dieselben mit irgend einem flüssigen Stimulans vornehmen, 
wie Melissenalkohol, Eau de Cologne, aromatischem Essig oder mit ge¬ 
wöhnlichem Alkohol, jedoch nur mit einem Stücke Flanell. Später kann 
man zur Abreibung mit einem von Wasser durchtränkten Leintuch über¬ 
gehen ; eine etwas gröbere Serviette, in kaltes Wasser getaucht und aus- 


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gewunden, reicht hin. Man frottirt schnell die Haut des ganzen Körpers, 
ungefähr eine Minute lang; dann, um stärkere Reaction hervorzurufen, 
lässt man eine trockene Abreibung machen, etwa 5 Minuten lang. Am 
besten ist die Procedur Morgens und Abends vorzunehmen, Morgens 
unmittelbar nach dem Aufstehen, Abends vor dem Schlafengehen. 

Dieses therapeutische Vorgehen fährt nach und nach zur kalten 
Waschung, welche man Anfangs mit einem nassen Schwamm macht, um 
später zum rieselnden Schwamm überzugehen. Im ersten Falle handelt 
es sich blos um Abkühlung und Friction, im zweiten Falle wird die Haut 
durch die kleinen Wasserströme, welcho aus dem Schwamme rieseln, 
mächtig erregt. Die Abwaschung ist der Douche vorzuziehen, um so mehr, 
da sie leichter auszuführen ist und da man sie zu Hause machen kann. 

Verf. lässt die Hydrotherapie in der Stadt folgendermassen aus- 
fbhren: Gleich nach dem Aufstehen, wenn der Kranke am wärmsten ist, 
entblösst er die Brust, aber nicht den Rücken und frottirt mit dem ge¬ 
tränkten Schwamm das Gesiebt, den Hals, die Brust; später dehnt er 
die Waschungen auf den ganzen Stamm, Rücken und dann auf den ganzen 
Körper aus; später nimmt er den rieselnden Schwamm. Man darf nie 
mit dem rieselnden Schwamm anfangen, der Kranke würde eine solche 
Procedur schlecht vertragen und sich derselben widersetzen. 

Anstatt des Schwammes kann man auch die Douche anwenden, 
zuerst Strahlendouche, dann Regendouche; erstere hat eine percutirende 
und erkältende Wirkung, die erkältende Wirkung der letzteren ist allge¬ 
meiner und ergreifender. 

Es ist nothwendig, dass die Dauer der Procedur im Beginne sehr 
kurz sei. Im Spital dauern die Waschungen 5—10 Minuten; sie werden 
gut ertragen, aber der Kranke kann sich auch in 2 Minuten waschen. 

Nach Fleury besteht die locale Wirkung der Hydrotherapie darin, 
dass die Congestion in der Umgebung der tuberculösen Herde hintange- 
halten, der Erweichungsprocess verlangsamt oder auch unterdrückt wird 
und dadurch Abnahme des Hustens der krankhaften Secretionen und der 
Hämoptoö. 

Die allgemeine Wirkung ist nach den Angaben desselben Arztes 
eine reconstituirende; durch die Reaction wird die Circulation in den 
Blut- und Lymphgeßlssen beschleunigt, die Innervation wird gesteigert; 
der Appetit ist lebhafter, die Verdauung weniger beschwerlich, die Assi¬ 
milation lebhafter; der Schweiss und Diarrhoe nehmen ab oder schwinden 
vollständig, die Frequenz des Pulses vermindert sich. 

Von den Beobachtungen, welche Fleury machte, wird vom Verf. 
folgender Fall mitgetheilt: 

Ein 13jähr. Kind, als es in die Anstalt von Fleury eintrat, bot 
folgende Erscheinungen dar: Ueber der rechten Lungenspitze waren bron¬ 
chiales Athmen und consonirende Rasselgeräusche hörbar, in dem mitt¬ 
leren und unteren Drittel Dämpfung, bedingt durch Ueberreste einer vor 
einem Monate überstandenen Pleuritis; linkerseits hörte man feinblasige 
Rasselgeräusche, rauhes Athmen, das Kind war blass, sehr mager und 
wog 40 Pfund. Die Schwäche und Anämie waren excessiv; das Kind 
konnte nur mit Hilfe eines Stockes gehen; es hatte Fieber, die Haut 
war heiss, Appetit fehlte vollständig. Den ersten Tag bekam es eine 
Douche von der Dauer einer Secunde; die folgenden Tage von längerer 
Dauer; nach Verlauf eines Monates hatte das Kind um 8 Pfund zuge¬ 
nommen. Nach 2 Monaten waren die Rasselgeräusche an der Spitze 
geschwunden, man hörte daselbst noch rauhes und amphorisches Athmen; 


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Medicintach• chirurgische Rundschan. 


nach 2 1 / a Monaten verliess das Kind die Anstalt von Fleury; es wog 
um 20 Pfund mehr, als bei seinem Eintritte; der Husten war vollständig 
geschwunden. 

Ueber die Entscheidung, ob der Kranke die Hydrotherapie in einer 
Anstalt oder zu Hause anwenden soll, äussert sich Verf. folgendermassen: 
Ist der Kranke in der Stadt tuberculös geworden durch eine ungesunde 
Beschäftigung oder unter schlechten Verhältnissen, so darf man nicht 
zögern; man soll den Kranken dem schlechten Medium entziehen; die 
Hydrotherapie würde unter solchen Umständen ganz unnütz sein. Wenn 
der Kranke jedoch in eine grosse Anstalt nicht gebracht werden kann, 
und eine hydrotherapeutische Cur zu Hause vorgenommen werden muss, 
so muss man sich auf die kalten Waschungen beschränken nach der 
Methode, welche oben angegeben wurde. 

In der hämoptoischen Form der Tuberculose sind die kalten Wa¬ 
schungen nicht zu empfehlen. Die Erkältung der Haut, welche mit dem 
rieselnden Schwamm oder mit der Douche hervorgerufen wird, scheint 
eine Congestion der Lunge hervorzurufen, weiche selbst Ursache der 
Hämoptoö werden kann. 


339. Die Rudolfsquelle in Marienbad, deren physikalisch-chemi¬ 
schen Eigenschaften, sowie deren physiologische Wirkung, ferner die 
Indicationen derselben. Von Dr. Hans Kopf, Brunnenarzt in Marien¬ 
bad. (Orig.-Mittheilung.) 


Marienbad, der mit Heilquellen von der Natur aus am meisten 
bedachte Curort, besitzt ausser seinen weltberühmten Kreuz- und Ferdinands¬ 
brunnen unter mehreren anderen eine Quelle, welche bis jetzt den Aerzten 
wenig oder gar nicht bekannt sein dürfte, die jedoch vermöge ihrer 
chemischen Analyse eine ganz bedeutende Rolle zu spielen verdient. Es 
ist dies die unterhalb des Ferdinandsbrunnens im Wiesenthal gegen 
das Dorf Auschovie gelegene im Jahre 1865 gefasste Rudolfsquelle. 

Dieselbe, ein farbloses, vollkommen klares Wasser, besitzt eine 
Temperatur nach Prof. Lerch von 10-25° C. = 8-2° R., schmeckt 
angenehm prickelnd, schwach salzig, mässig adstringirend. Das gefüllte 
Glas zeigt sehr viele Gasblasen. Der Luft ausgesetzt, bildet es bei 
längerem Stehenlassen einen gelblichen Niederschlag. Die Reaction ist 
vorübergehend sauer. 

Die von Prof. Lerch vorgenommene Analyse ergibt einen bedeuten¬ 
den Reichthum an kohlensaurem Kalk, sowie bedeutende Mengen von kohlen¬ 
saurer Magnesia, zufolge dessen die Rudolfsquelle in die Zahl der 
erdigen Mineralquellen einzureihen ist. 

Mit Berücksichtigung des bedeutenden Gehaltes an kohlensaurem 
Eisenoxydul erscheint die Bezeichnung der Rudolfsquelle als erdiger Eisen¬ 
säuerling vollständig am Platze, und kann selbe nur mit Wildungen ver¬ 
glichen werden, indem sie nach Prof. Lerch’s Ausspruch diese Wässer 
nicht blos bezüglich der Summen der festen Bestandteile, sondern auch 
der relativ günstigen Verhältnisszahlen der einzelnen wesentlichen, das 
Wasser charakterisirenden Elemente, überragt. 

Was die physiologische Wirkung der Rudolfsquelle betrifft, so sind 
es die Kohlensäure, der kohlensaure Kalk und die kohlensaure Magnesia* 
sowie auch der nicht zu unterschätzende Gehalt an kohlensaurem Eisen¬ 
oxydul, welche ihre Wirkungen in gewissen Krankheiten manifestiren. 
Die Rudolfsquelle bewirkt vor Allem, in grösserer Menge genommen, ver¬ 
mehrte Harnentleerung, es erfolgt ein vermehrter Umsatz der stickstoff- 


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Medicinisch-cMrargische Rundschau. 


439 


haltigen Gewebselemente und zugleich Ausscheidung einer grossen Menge 
Harnstoffes. Der Wirkung des Wassers als solches schliesst sich zun&chst 
die Wirkung der Kohlensäure an, welche vorzugsweise das Nervensystem 
anregt. Es wird die Magen* und Darmthätigkeit gehoben, die Circulation 
des Blutes befördert, und hauptsächlich wird die Harnausscheidung ver¬ 
mehrt. Die beiden Salze der Rudolfsquelle, nämlich der kohlensaure Kalk 
und die kohlensaure Magnesia als Bestandteile aller Organe des Körpers 
befürworten schon allein den wohltätigen Einfluss dieses Wassers bei 
gewissen Erkrankungen. Abgesehen davon, dass der Knochenbau durch 
Aufnahme des kohlensäurehältigen Kalkes befördert wird, haben die dem 
Organismus einverleibten Kalksalze eine wesentliche Einwirkung auf die 
chemische Beschaffenheit des Harnes. 

Die Rndolfsquelle präsentirt sich mithin als eine Quelle, welche 
die Harnsecretion vermehrt, die Ausscheidung grösserer Quantitäten fester 
Bestandteile befördert, und eine chemische Veränderung der Beschaffen¬ 
heit des Urins erzeugt und denselben stets in sauere Reaction versetzt. 

Nach dem diesbezüglich Vorausgesetzten erscheint die Rudolfsquelle, 
sowohl zufolge ihrer chemischen Zusammensetzung als auch der von 
mir und auch von vielen der hiesigen Collegen beobachteten sehr günstigen 
Resultate, ebenso als ein Specificum gegen die verschiedenen Erkrankungen 
des Harnapparates, als da sind: Catarrhus vesicae urinariae chronicus, 
Pyelitis, Nieren- und Blasensteinbildungen, Harngries, wie die Quellen von 
Wildungen, und ich bin fest überzeugt, wenn die Aerzte auf die Rudolfs¬ 
quelle ihre Aufmerksamkeit richten, wird auch diese Quelle neben den 
Quellen Wildungens einen gebührenden Platz einnehmen. 

340. Behandlung der Perityphlitis. Von Hofrath Dr. A. Volz. 
(Memorabilien 1880. 4. H.) 


Es gibt nach Verf. nur eine Behandlungsweise, welche, der Natur 
entnommen, durch die Erfahrung bestätigt, Aussicht auf sicheren Erfolg 
hat: absolute Ruhe des Körpers und Beruhigung des Darmes durch Opium 
in grossen Dosen. Deshalb Vermeidung alles dessen, wodurch 1. der 
Körper bewegt oder der Unterleib gedrückt werden kann (Bett machen, 
Bad nehmen, Einreibungen, Blutegel, schwere Ueberschläge — Kataplasmen 
oder Eisbeutel — auch zu häufige oder zu starke Palpation und Per¬ 
cussion bei Untersuchung des Unterleibs); 2. wodurch die Eingeweide von 
innen ausgedehnt, zu peristaltischen oder antiperistaltischen Bewegungen 
angeregt werden könnten, also keine feste, sondern nur flüssige Nahrung, 
und zwar in kleinen Quantitäten (esslöffelweise), Eis gegen den Durst und 
das Erbrechen, statt Wasser oder kohlensaure Wasser. Auch dürften in 
dieser Beziehung leichte warme oder Pr iessni tz’sche Umschläge dem 
Eisbeutel in der Regel vorzuziehen sein. 

Vor Abführmitteln braucht wohl jetzt nicht mehr gewarnt zu werden, 
dies ist glücklicher Weise ein überwundener Standpunkt, aber auch die 
vermeintlich unschuldigen Klystiere sollten ganz verbannt werden. In der 


Regel ist es der Kranke selbst, welcher, bei der fortdauernden Verstopfung 
durch eine Stuhlentleerung Erleichterung erwartend, darauf dringt. Wenn 
der Arzt dem Drängen desselben nachgibt, hat er es in der Regel zu 
bereuen, es erfolgt keine Oeffnung, wohl aber meist eine Verschlimmerung 
durch vermehrten Schmerz etc. Die Oeffnung stellt sich bekanntlich von 
selbst ein, sobald genug Opium, d. h. bis zum Aufhören der Schmerz¬ 
haftigkeit genommen ist, und sollte die Verstopfung 8, selbst 14 Tage 


dauern, so schadet es nichts. 


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440 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Wie die Behandlung mit Calomel und 01. ricini gänzlich verlassen, 
so ist auch die Behandlung mit Opium im Grundsatz wenigstens so ziem¬ 
lich allgemein angenommen, aber in praxi, in der Ausführung wird noch 
oft darin gefehlt, „dass das Opium nicht frühe genug angewendet und 
nicht lange und consequent genug fortgesetzt wird“. Bei jeder, auch der 
geringsten Schmerzhaftigkeit in der Cöcalgegend sollte man sich vergegen¬ 
wärtigen, dass sie der erste Ausdruck der beginnenden Peritonitis, be¬ 
dingt durch Perforation des Wurmfortsatzes in Folge von Kothsteinen, 
sein kann. 

Angesichts der Häufigkeit der Krankheit wird man bei dieser An¬ 
nahme in der Diagnose nicht gross fehlen, jedenfalls aber dem Kranken 
mehr damit nutzen und denselben nicht der Gefahr einer erweiterten 
Peritonitis anssetzen, wenn man sich gleich von vorn herein aller darm¬ 
entleerenden Mittel enthält, auch der Klystiere und Opium in grossen 
Dosen gibt, was keinen Schaden bringt, auch wenn man sich in der 
Diagnose getäuscht und eine einfache Kolik filr Peritonitis genommen hätte. 
Ebenso wird darin gefehlt, dass man das Opium in zu kleinen Dosen 
anwendet und nicht lange genug fortsetzt, dass man sich durch die an¬ 
dauernde Verstopfung, den meteoristisch aufgetriebenen Leib oder etwaige 
Erscheinungen leichter Narkose verleiten lässt, das Opium auszusetzen oder 
gar ein Klystier zu geben. Das Opium muss bei Erwachsenen in der 
Dosis von 0*03—0*06 alle 1—2 Stunden, später seltener so lange fort- 
gegeben werden, bis alle Schmerzhaftigkeit in der Cöcalgegend beim 
Drucke vollständig verschwunden ist. 

Der Meteorismus, die Auftreibung der Gedärme mit Luft, nament¬ 
lich in Verbindung mit Collaps, ist allerdings eine schlimme, aber noch 
nicht hoffnungslose Erscheinung und contraindicirt den Fortgebrauch des 
Opiums nicht absolut, sondern indicirt nur die gleichzeitige Anwendung 
von Reizmitteln, Champagner, Cognac, Campher, Aethereinspritzungen — 
eine werthvolle Bereicherung unserer Hilfsmittel auch in dieser Krankheit. 

Ist die Peritonitis glücklich abgelaufen, was nur durch eine feste 
Absackung des peritonitischen Exsudats mit nachfolgender Resorption des 
flüssigen Theilea, Einkapselung des Concrementes und Obliteration, des 
Lumens des Wurmfortsatzes nach und nach geschehen kann, so ist natür¬ 
lich in der Zeit, bis dieses erfolgt ist, die Möglichkeit eines RecidivB, 
d. h. eines neuen Durchbruches des noch nicht völlig resorbirten Exsudats 
vorhanden, es sind daher darnach die Vorsichtsmassregeln zu ergreifen. 
Diese erstrecken sich hauptsächlich auf Vermeidung solcher Bewegungen 
des Rumpfes und des rechten Oberschenkels, welche eine Zerrung und 
Zerreissung der vorhandenen Verwachsungen veranlassen können, ebenso 
auf Verhinderung einer UeberfÜllung des Magens und der Gedärme mit 
Speisen und Getränken, namentlich blähenden, welche eine vermehrte 
peristaltische oder antiperistaltische Bewegung und Erbrechen hervor- 
rufen können. 


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Medicinisch-chirurgteche Rundschau. 


441 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 


341. Die Unterbindung der Bauch- Aorta. Von Dr. Al fr. Käst. 
2 Tafeln. (Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie v. C. Hüter und A. Lücke. 
Bd. XII. 4. und 5. Heft.) 


Verf. will mit seiner Arbeit versuchen, die von einander sehr 
differirenden Meinungen über die Zulässigkeit und den Nutzen der Unter¬ 
bindung der Bauch-Aorta, durch eingehende Berücksichtigung der klinischen 
Erfahrungen und Experimente an Thieren, möglichst zu klären. 

Verf. gibt eine tabellarische Uebersicht der bisher gemachten Unter¬ 
bindungen der Bauch-Aorta; im Ganzen sind es 9 Fälle. — Die Symptomen¬ 
gruppe ist keine völlig befriedigende. Verzeichnet sind von den Autoren: 

Sensibilitätsstörungen in den unteren Extremitäten: 

1. Herabsetzung der Sensibilität, jedoch in keinem Falle bis zur 
completen Empfindungslähmung, meist nur Parästhesie (Taubsein). 

2. Symptome von Reizung der sensiblen Nerven (neuralgische 
Schmerzen im Bereiche des Lumbal- und Sacralplexus), auch ganz cir- 
cumscripte (an der grossen Zehe u. dgl.). 

Nur Czerny hat nicht die mindeste Alteration der Sensibilität in 
seinem Falle beobachtet. 

Die Angaben über die Motilität der Beine sind sehr mangelhaft; 
doch spricht die Mehrzahl der Beobachtungen, dass keine Lähmung der 
Beine darnach eingetreten sei. 

Bezüglich des Allgemeinzustandes der Patienten herrschen noch mehr 
individuelle Differenzen, als bei den localen Symptomen. So war der 
„8hoc u bei Einigen unbedeutend, bei Anderen hochgradig; zwischen diesen 
Extremen schwankt der Depressionszustand in den übrigen Fällen. 

Rücksichtlich des Ausganges erscheint als der günstigste Fall der 
von Mont ei ro (Patient starb 11 Tage und 20 Stunden nach der 
Operation), in den anderen Fällen war die Lebensdauer nach der Operation 
zwischen 4—65 Stunden. 

Vor Allem fragt es sich, meint Verf., ob die bisherigen Unter¬ 
bindungen der Bauch-Aorta diese Operation als chirurgisch zulässig er¬ 
scheinen lassen. 

Bezüglich der Details von Verf.’s Erörterungen zu den einzelnen 
Operationsfollen, auf die Originalarbeit verweisend, heben wir nur hervor, 
dass es allerdings den Anschein hat, dass in den 9 Fällen von Unter¬ 
bindung der Bauch-Aorta der schliessliche Exitus letalis nicht als unmittel¬ 
bare Folge der Ligatur zuzuschieben sei. 

Aber auch von P i r o g o f f ward die Operation verworfen, wenigstens 
nach der Methode von A. Cooper (unterhalb der Arter. mesent. und 
mit plötzlicher Zuschnürung des Gefässes), indem er sie für nutzlos und 
gefährlich hielt. Guthrie und selbst Dieffenbach plädiren für die 
Unterbindung der A. ileac. commun, (als ausreichend für Fälle von 
Aneurysmen). 

Auch wurde, wie Verf. hervorhebt, den Operateuren der alte physiolo¬ 
gische Schul versuch (S t e n s o n’sche Versuch) vorgehalten, um sie von der 
Unterbindung der Bauch-Aorta abzuhalten. 


Jedoch sei schon von Cösar le Gallois nachgewiesen worden, 
dass bei diesem Versuche (Verlust der activen Beweglichkeit der hinteren 
Extremitäten nach Zuschntirung der Bauch-Aorta; Wiederkehr derselben 

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Med i einfach-chirurgische Bundschau. 


nach Lösnng des Knotens) die Lähmung der hinteren Extremitäten nicht 
auf Rechnung der mangelnden Blutzufuhr zu den Extremitäten, sondern 
auf der Absperrung der Blutzufuhr zum Rückenmarke, beruhe — also 
eine ischämische Paraplegie. 

Verf. gedenkt dann der Arbeiten jener Autoren, welche durch das 
Thierexperiment die rationelle Ausführbarkeit der Aorten-Unterbindung zu 
ergründen suchten, darunter die Arbeiten Scarpa’s und Hodgson’s, 
die durch Leicheninjection bei unterbundener Bauch-Aorta, die Eröffnung 
von collateralen Bahnen nachwiesen. 

Von grosser Bedeutung seien insbesondere die Arbeiten von L. Porta 
über Unterbindung der Abdominal-Aorta. Er kömmt zu dem Schlüsse, 
dass die Aorten-Unterbindung in die Reihe der ausführbaren Operationen 
aufzunehmen sei, die in manchen Fällen noch heilbringend wirken könne. 
Die rasche Herstellung des Collaterai-Kreislaufes (durch A. mammar. intern, 
und A. epigastrica, intercostales und mesenter., oder wie Porta meinte, 
durch die erweiterten Vasa vasorum zwischen den beiden Aorten¬ 
stümpfen, oder erweiterte Ramification von neugebildeten Gefässen zwischen 
beiden Aortastümpfen) lässt die Gefahr einer Gangrän als unerheblich 
erscheinen. 

Schliesslich gelangt Verf. zu seinen eigenen Experimenten über obigen 
Gegenstand. Er operirte an Kaninchen und stellte sich 3 Fragen zur 
Beantwortung: 

1. Die Widersprüche zu lösen, welche bezüglich der Lähmungs¬ 
erscheinungen der unteren Extremitäten, der Blase und des Mastdarmes, 
bei anderen Autoren sich finden. 

2. Verhalten des Blutdruckes in der Art. crural. vor und nach 
der Operation. 

3. Blutdruck vor und nach der Aorten-Unterbindung in der A. carotis, 
um zu sehen, ob in der That, wie angegeben wurde, länger dauernde 
arterielle Blutdrucksteigerung in anderen Gefässgebieten nach der Unter¬ 
bindung der Aorta abdomin. auftreten, was die Unzulässigkeit dieser 
Operation darthun sollte. 

Verf. gelangte auf Grund seiner Experimente zu folgenden Schlüssen: 

Die Unterbindung der Aorta abdominal, am lebenden Menschen ist 
keine absolut lebensgefährliche, keine aus der Chirurgie zu verweisend© 
Operation; vielmehr muss ihr vom gegenwärtigen Standpunkte der chirur¬ 
gischen Technik aus, für gewisse vitale Indicationen der berechtigte Platz 
in der Reihe der chirurgischen Hilfsmittel eingeräumt werden. 

Es werde nämlich durch den Unterbindungsact als solchen kein 
lebenswichtiges Organ nothwendiger Weise verletzt. 

Die im Organismus durch die Operation verursachten Veränderungen 
in den Circulationsverhältnissen seien nicht derartig, dass sie die Operation 
gegenangezeigt erscheinen lassen. 

Der Stenson’sche Versuch habe nicht für alle Thiere, insbesondere 
aber nicht für den Menschen absolute Giltigkeit. Es werde eine Ischämie 
der peripher von der Ligatur gelegenen Theile beim Menschen durch die 
Operation nicht verursacht (wegen der dickeren Bauchwand und des stärker 
entwickelten Gefässnetzes in derselben). 

Schliesslich sei zu bemerken, dass eine compensatorische Ueber- 
füllung des central von der Ligatur liegenden Gefässnetzes durch die 
Unterbindung nicht hervorgerufen, daher keine collaterale Fluxion zu 
Gehirn, Herz, Lungen zu befürchten sei. Fr. Steiner (Marburg). 


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Medicimsch-chirargische Rnndschan. 


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342. Ueber die Einwirkung der Gewehrgeschosse auf den 
menschlichen Körper. Von Stabsarzt Dr. Schlott. (Deutsche mil.-ärztl. 
Zeitschr. VIII. 6. 8 u. 9. Schmidt’s Jahrb. 1880. 2.) 

In der offenen Feldschlacht prävaliren die Verwundungen durch 
Gewehrschüsse ganz bedeutend, und wenn auch im Belagerungskriege 
dieses Verhältniss zu Gunsten der durch grobes Geschütz hervor¬ 
gerufenen Verletzungen geändert wird, so kann ira Allgemeinen doch 
angenommen werden, dass die Wirkung der Handfeuerwaffen derjenigen 
der Artillerie 5—9mal, derjenigen der blanken Waffen aber 30—50mal 
überlegen ist und dann ergibt sich hieraus auch der Schluss, dass eine 
Armee relativ wenig von derjenigen Waffe zu leiden hat, in der sie dem 
Gegner überlegen ist. Die Wirkung der Gewehrgeschosse wird bekanntlich 
durch die lebendige Kraft derselben — Geschwindigkeit und Masse des 
Projectils — und durch die Widerstandskraft des getroffenen Gewebes be¬ 
dingt, wobei allerdings noch andere bei der Bewegung in Betracht kommende 
Kräfte und die Richtung des Geschosses zum Ziele im Betracht kommen. 
Die Geschosse — deren Kraft die Resultate der Differenz jener beiden 
Kräfte ist und in der Richtung der grössern liegt — durchdringen 
entweder den Körper, den Widerstand der Gewebe überwindend, und 
bilden einen vollständigen Schusscanal, oder sie verlieren ihre Kraft durch 
den Widerstand der Gewebe und erzeugen so einen blinden Schusscanal, 
oder sie bedingen auch nur eine Erschütterung und Quetschung. 

Als wichtigster Factor für die Kraft des Projectils ist zunächst seine 
Geschwindigkeit zu berücksichtigen. Diese war zwar auch bei den alten, 
glatten Rohren eine sehr bedeutende, verminderte sich aber rasch durch 
den mit der Geschwindigkeit wachsenden Widerstand der Luft und weil 
durch den Druck des Ladestocks und das Anstossen an die Seitenwand 
das Projectil in seiner Form verändert und der Schwerpunkt verrückt 
war, so dass es zu unregelmässigen Schwingungen kam, die den Widerstand 
der Luft vermehrten. Anders verhält sich dies bei den gegenwärtig im 
Gebrauch befindlichen gezogenen Gewehren mit meistens cylindro-konischen 
Geschossen. Die Wirkung und lebendige Kraft der Geschosse wird auch 
durch das Verhältniss der Quantität — aber auch der Qualität — des 
Pulvers beeinflusst. Durch diese Factoren wird die Anfangs-, resp. Aus¬ 
gangsgeschwindigkeit des Projectils bedingt und die Hindernisse, welche 
die atmo8phär. Luft demselben entgegenstellt, stehen zunächst im geraden 
Verhältnisse zur Grösse der gegen die Fluglinie senkrecht stehenden 
grössten Durchschnittsfläche des Geschosses und endlich im umgekehrten 
Verhältnisse zu dem Quadrat der Geschwindigkeit, im geraden Verhält¬ 
nisse zur Dichtigkeit der Luft, ebenso in geraden Verhältnisse 
zum Gewichte des Geschosses. Mathematisch betrachtet müsste die 
Flugbahn des Geschosses eine parabolische Curve sein; je geringer die 
Scheitelhöhe der Flugbahn, desto rasanter ist diese und um so grösser 
die Wirksamkeit. Durch den Luftwiderstand ist die Geschwindigkeit des 
Geschosses zu Anfang am grössten und nimmt mehr und mehr ab, bis 
sie. am Ende der Flugbahn oder durch ein Hinderniss erlischt. 

Die Gewehrprojectile sind jetzt überall aus Blei, und zwar werden 
sie aus Bleidraht oder Bleistangen gepresst, da beim Giessen des Bleies 
leicht eine Verminderung der Dichtigkeit und die Bildung von Hohl- 
räumen eintritt. Die Form der Geschosse ist allgemein die cylindro- 
konische oder ogivale mit abgeplatteter Spitze, wodurch der Querschnitt 
des Geschosses am meisten belastet wird. Die Vorrichtungen, die man 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


anwandte, um die Geschosse in die Züge einzupressen, als: seitliche 
Cannelirungen, der Dorn des Thouveningewehres u. s. w., sind jetzt meist 
verlassen. Beim Hinterladegewehr führte Dreyse den Zündspiegel zur 
Führung des Geschosses ein. Beim Mausergewehr hat das cylindro-ogivale 
Geschoss ein Gewicht von 25 Grm. und 11 Mmtr. Kaliber, eine Pulver¬ 
ladung von 5 Grm. verbreitert sich durch Stauchung etwas im Basaltheile 
und hat an Stelle der beim Zündnadelgewehr aus Pappe bestehenden 
eine Hülse aus Kupferblech; die Anfangsgeschwindigkeit beträgt bei diesem 
Gewehr 430 Mtr. Die Wallbüchsen der deutschen Armee führen ein 
eisernes Vollgeschoss von ähnlicher Form wie das Langblei, das 53 Mmfr. 
lang ist, ein Gewicht von 100 und eine Pulverladung von 25 Grm. hat; 
die Anfangsgeschwindigkeit ist eine sehr grosse. 

Die Grösse sowie die Härte des Projectils sind von wesentlichem 
Einflüsse auf die von ihnen herbeigeführten Verletzungen. Ein kleines, 
schmales, spitzes Geschoss wird eine geringere Verletzung hervorrufen, als 
ein breites, dickes und grosses Projectil, wobei man aber berücksichtigen 
muss, dass Langgeschosse durch Störung ihrer rotatorischen Bewegung 
leicht sehr grosse Schusscanäle erzeugen können, während Hohlgeschos9e 
und solche, die aus sehr weichem Blei bestehen, Neigung zu Deformationen 
haben. Dass härteres Material (Eisen, Kupfer) grössere Zerstörungen als 
weiches anrichtet, ist von Pirogoff und Stromeyer dargethan. Von 
grosser Bedeutung ist auch das Gewicht des Geschosses. Für Gewehre 
ist Blei wohl das geeignetste Material zu Projectilen. 

Dass die Geschosse der neueren Gewehre so sehr zu Deformimngen 
neigen, hat nach Ansicht des Verf. hauptsächlich in der höhern lebendigen 
Kraft seine Ursache; die von einigen Chirurgen angeführten Gründe 
erklären jenes Resultat nicht völlig. Die vielen Momente, welche eine 
Erhitzung und Erweichung des Geschossmaterials herbeiführen — die 
Einwirkung der Pulvergase auf das Projectil, die Reibung am Gewehrlauf 
und durch die atmosphärische Luft und die plötzliche Umsetzung der 
mechanischen Bewegung in moleculare Bewegung, also Wärme, beim Auf¬ 
schlagen des Projectils — begünstigen die Deformationen. 

Alle die oben genannten Ursachen erzeugen einen hohen Grad von 
Wärme. Wahl und Vogel haben berechnet, dass ein Chassepot-Gescboss 
mit einer Geschwindigkeit von 420 Mtr. in der Secunde, wenn seine 
ganze lebendige Kraft in Wärme umgesetzt wird, eine Wärme von 650, 
resp. 670 Grad erzeugt, ungerechnet 100 Grad Wärme, die beim Ver¬ 
lassen des Gewehrslaufs erzeugt werden. Nehmen wir an, dass nur die 
Hälfte dieser Wärme — durch geringere Produetion oder grössere Abgabe 
— erzeugt wird, so reicht sie jedenfalls zur Schmelzung des Bleies hin 
(Schmelzpunkt 330° C.). Dass dieses der Fall in Wirklichkeit ist, haben 
S o c i n T s Versuche ergeben, welcher fand, dass auch beim Durchschiessen 
organischer Gebilde Schmelzung des Bleies eintrete; ebenso hat Prof. 
Busch in Bonn bei seinen Versuchen mit dem Chassepotgewehr Resultate 
erhalten, welche die Schmelzungsvorgänge an Bleiprojectilen nicht be¬ 
zweifeln lassen. Dennoch kommen sie immerhin nur selten zu Stande und 
am häufigsten bei Weichbleigeschossen mit grosser lebendiger Kraft in 
nächster Nähe; auch nicht alle Theile des Geschosses werden gleich- 
mässig geschmolzen, und so findet man Producte der Schmelzung und 
Sprengung häufig nebeneinander. 

Explosionsgeschosse aus Gewehren — Hohlgeschosse mit einer 
Sprengladung im Innern — sind seit dem Petersburger Vertrage vom 
16. November 1868 nicht mehr im Gebrauch ; es wurde durch diesen 


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Medicinisch-chirnrgisehe Rundschau. 


445 


bestimmt, dass in künftigen Kriegen nur Sprenggeschosse von über 
400 Grm. Gewicht zur Anwendung kommen sollen. Im deutsch-französischen 
Kriege 1870/71 glaubte man bei relativ kleinen Eingangsöffhungen, 
ausserordentlich grosser Zerstörung im Laufe des Schusscanals und grosser 
Ausgangsöffnung, oder auch bei grossen Zerstörungen im Schusscanale, 
während Ein- und Ausgangsöffnungen klein waren, die Wirkung von 
Explosivgewehrgeschossen zu sehen. Durch genauere Beobachtung ergab 
es sich, dass diese grossen Zerstörungen die Wirkung von Chassepot- und 
verwandten Projectilen seien, die einen derartigen Effect machen, wenn 
sie aus grosser Nähe oder mit grösster Geschwindigkeit den Körper 
treffen. Diese Erscheinungen sind durch Sarazin’s Versuche bestätigt 
worden. Busch nahm an,' dass diese grossen Zerstörungen hauptsächlich 
von den Blei-Abschmelzungen und -Abspritzungen herrührten. Doch ist 
diese Anschauung vielfach angegriffen worden, da einmal die Schmelz- 
producte sich nur bei Knochenschüssen haben constatiren lassen, und 
ferner, weil man annimmt, dass die grossen kraterförmigen Ausgangs- 
Öffnungen weniger durch die Kugelsplitter, als durch die herausgeschleuderten 
Knochenfragmente erzeugt werden. Nach Vogel besitzen die Blei- 
abschmelzungen eine beträchtliche zerstörende Wirkung nicht; wirklich 
fehlt auch der Stoff, wenngleich die lebendige Kraft der abgeschmolzenen 
Theile noch so gross wäre. Der hydraulische Druck, der durch die 
plötzliche Verdrängung incompressibler Flüssigkeiten in den Geweben 
durch die ausserordentlich grosse lebendige Kraft der Geschosse entsteht, 
ist die Ursache der explosionsartigen Wirkungen der Nahschüsse. 

Die Schusswunden, als Producte der Geschosswirkung, führen 
zu Contusionen, Continuitätstrennungen mit und ohne Substanzverlust und 
endlich Abreissungen ganzer Körpertheile. Die Prellschüsse oder Schuss- 
contusionen entstehen durch matte oder in stumpfem Winkel aufschlagende 
Geschosse; sie sind um so gefährlicher, je grösser die Geschosse sind. 
Fälle, in denen bei intacter Haut oder geringer Quetschung derselben die 
darunter liegenden Weichtheile und Knochen zuweilen sogar breiartig 
zermalmt sind, haben Anlass zur Annahme der „Luftstreifschüsse“ gegeben, 
eine Annahme, die gegenwärtig vollkommen verlassen ist. 

Wenn das Projectil die Ebene des getroffenen Körpertheiles nur 
tangential berührt, also die Flugbahn nahezu parallel der Körper¬ 
oberfläche ist, entsteht ein Streifschuss. Zu dieser Kategorie gehören die 
Rinnen- und Ricochetschüsse. Die letzteren entstehen durch unter sehr 
stumpfem Winkel aufschlagende Geschosse, die durch die Elasticität und 
Festigkeit des Gewebes unter gleichem Winkel zurtickgeworfen werden, 
wobei Substanzverluste, die mehr oder minder flach sind, hervorgerufen 
werden. Sie kommen namentlich an Stellen vor, wo unter der Haut 
Knochen liegen, die hierbei allerdings häufig fracturirt werden. 

Bei den Schusscanälen werden bekanntlich blinde und perfo- 
rirende unterschieden. Bei letztem kommt am häufigsten eine Eingangs¬ 
und eine Ausgangsöffnung vor; durch Theilung des eindringenden Fremd¬ 
körpers können mehrfache Ausgangsöffnungen, durch Theilung des Projectils 
vor dem Ziele, in Folge von Aufschlagen auf harte Gegenstände aber auch 
mehrfache Eingangsöffnungen entstehen. Die Richtung der Schusscanäle hängt 
von dem Einfallswinkel und der Kraft des Projectils und andererseits von 
der Resistenz und Elasticität der Gewebe, aber auch von der Stellung 
des Verwundeten im Augenblicke der Verwundung ab. Ringel- oder 
Contourschtisse, bei denen ein Organ oder eine Körperhöhle umkreist 
wird, sind früher häufiger beobachtet worden. Bei den Langgeschossen 


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Mediciniscb-chirurgische Rundschau. 


kommen sie in Folge der grossen Geschwindigkeit and ihrer grösseren 
Rotation verhältnissmässig seltener als bei den sphärischen Geschossen vor; 
am meisten noch bei denjenigen Langgeschossen, die durch Rückwärts¬ 
lagerung des Schwerpunktes leicht pendeln. 

Was die alte Streitfrage über Ein- und Ausgangsöffnungen der 
SchuBverletzungen anbetrifft, so lässt sich über die Grösse dieser Oeff- 
nungen, bei der Verschiedenheit ihrer Entstehung, eine allgemein gütige 
diagnostische Regel nicht aufstellen. Ihre Form und Grösse hängt ab von 
der Grösse des Projectils oder indirecter Geschosse, von der Geschwin¬ 
digkeit und dem Einfallswinkel, andererseits von der Elasticität der 
Haut. Wo ein stärkerer hydraulischer Druck erzeugt wird, ist die Ein- 
und Ausgangsöffnung, sowie die Beschaffenheit d^s Schusscanals ganz 
unberechenbar. 

Bei den Abreissangen von ganzen Gliedmassen oder Theilen der¬ 
selben sind meistens grobe Geschosse oder indirecte Geschosse die Ursache; 
durch Gewehrprojectile entstehen sie seltener und betreffen dann meistens 
nur kleinere Glieder. Hierunter sind Quetschungen, Extravasationen, Zer¬ 
trümmerungen der Weichtheile und Knochen, sowie heftige Nerven- 
affectionen (Shock), die den Tod herbeiftlhren können, beobachtet worden. 

Wird die Haut von einem Prellschuss getroffen, so nimmt man 
die verschiedensten Grade der Quetschung wahr; zuweilen bilden sich in 
der Umgebung Eczeme, Ecchymosen und Furunkel (N e u d ö r f e r). Bei 
stärkeren Quetschungen sind Blutextravasate, am Schädel auch pulsirend, 
gefunden worden, zuweilen auch spontanes Emphysem durch Freiwerden 
der Blutgase. In Folge von tangential aufschlagenden Projectilen entstehen 
Erosionen, die sich später mit Borken bedecken, oder rinnenförmige Canäle, 
die zu beiden Seiten in Erosionsstreifen auslaufen. Es kommen auch 
Hautabreissungen vor. Schusscanäle der Haut können mehrfache Ein- und 
Ausgangsöffnungen besitzen. Ist der Schusscanal dicht unter der Haut im 
Unterhautbindegewebe verlaufen, so nennt man dies einen Haarseilschuss. 
Bänder, Fascien, Sehnen werden gewöhnlich spalt- oder rissförmig durchbohrt; 
die Sehnen werden häufig nur verdrängt und verschoben. Bei festem Auf¬ 
liegen auf Knochen oder bei sehr starker Spannung und höchster Ge¬ 
schwindigkeit des Geschosses werden diese Gebilde mit Substanzverlust 
durchbohrt. Das Muskelgewebe wird gewöhnlich mit einem dem Geschoss¬ 
durchmesser entsprechenden Substanzverlust durchsetzt; durch Erzeugung 
hydraulischen Drucks dagegen zerstört und zermalmt. 

Die grösseren Blutgefässe — namentlich die Arterien — 
weichen meistentheils den Geschossen aus, doch ist seit Einführung der 
Langgeschosse eine Verletzung grösserer Arterien häufiger beobachtet 
worden, und zwar werden sie entweder blossgelegt, gequetscht und ge¬ 
dehnt, oder sie reissen ein, wobei sie einen verschieden grossen Substanz¬ 
verlust erleiden, oder sie werden durch- oder abgerissen. Freilegungen 
von Arterien kommen in grosser Ausdehnung zuweilen vor. Bei 
Quetschungen der Arterie im ganzen Umfange derselben wird die Circu- 
lation durch Thrombenbildung definitiv oder vorübergehend unterbrochen. 
Es kann Gangrän des Gliedes eintreten, namentlich wenn auch die ent¬ 
sprechende Vene verletzt ist. Bei starker Zerrung und Dehnung einer 
Arterie zerreist dieselbe am Orte der Kugeleinwirkung oder an einem 
entferntem Orte und es entsteht eine Blutung, oder es kommt zur Bil¬ 
dung eines Aneurysma. Bei Quetschungen wird häufig nur die Adventitia 
getroffen. Bei Einreissungen der Arterie kommt es zu Blutungen, die um 
so gefährlicher sind, je mehr sich die Einrissstelle in querer Richtung 


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MedicinUch-chirnrgische Rundschau. 


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befindet. Zuweilen wird an der lädirten Stelle durch das Projectil eine 
Thrombenbildung eingeleitet, aber bei Eintritt der Eiterung senkt sich 
das den Riss verschliessende Projectil und es tritt heftige Blutung auf; 
zuweilen ist indessen die Thrombenbildung eine definitive. Bei Substanz¬ 
verlust in der Arterie treten meist starke Blutungen auf, zuweilen tritt 
jedoch Verklebung und sogar — bei kleinen Defecten — unter Um¬ 
ständen mit Erhaltung des Gefässlumen ein. Bei Defecten in schräger 
oder querer Richtung vergrössert sich der Substanzverlust durch Retraction 
der Ränder, doch ist selbst in solchen Fällen unter besondern Umständen 
eine Restitutio ad integrum beobachtet worden. Bei gänzlicher Aufhebung 
der Continuität, wobei sich die getrennten Enden sehr weit retrahiren 
können, tritt oft sehr heftige, tödtliche Blutung ein; zuweilen hört die 
Blutung wieder auf, kehrt später wieder u. s. w. Begründet ist dies 
durch das Einreissen der verschiedenen Gefässhäute in verschiedener Höhe; 
hierzu kommt der mangelhafte Druck des Herzens und die Compression 
durch die umgebenden Weichtheile und der Wundstupor. 

Die Verletzungen der Venen verhalten sich analog denen der 
Arterien, sind aber ungefährlicher, mit Ausnahme von den Verletzungen 
der grossen Stämme, der Hohlvenen. Die Verletzungen des Herzens 
durch Projectile sind meist sofort tödtlich; es sind aber Fälle beobachtet 
worden, in denen Kugeln stecken blieben und ertragen wurden. Bei schnell 
fliegenden Projectilen kann im Herzen hydraulischer Druck und hierdurch 
eine gewaltige Zerstörung herbeigeführt werden. 

Die Nerven setzen den Projectilen einen bedeutenden Widerstand 
entgegen und weichen andererseits denselben leicht aus; werden sie zer¬ 
rissen, so hängen sie, z. B. bei Gliederabreissungen, als lange Fäden 
vom Stumpfe herab. Durch Gewehrprojectile kommen Quetschungen und 
Nervendehnungen zu Stande, Blosslegungen der Nerven werden durch 
dieselben nur selten hervorgerufen. Einreissen der Nervenstämme, mit 
oder ohne Steckenbleiben von Fremdkörpen, führt hochgradige Nerven- 
reizung, zuweilen Tetanus, mit sich. Partielle und totale Continuitäts- 
trennungen kommen in allen möglichen Verschiedenheiten vor. Die locale 
und allgemeine Erschütterung des Nervensystems wird am häufigsten bei 
Knochenschussfracturen mit starker Splitterung beobachtet. 

Was die Verletzungen der Knochen durch Gewehrschüsse betrifft, 
so wird durch Nahschüsse mit sehr grosser Geschwindigkeit auf 
Schädelknochen, Diaphysen und Epiphysen ein hydraulischer Druck er¬ 
zeugt, durch welchen hochgradige Zersplitterungen und Zersprengungen 
des Knochens hervorgerufen werden. Auf Kernschussweite werden Loch¬ 
schüsse beobachtet, und zwar am ehesten an spongiösen Knochen, nur 
selten also an den Diaphysen. Von den bezüglichen Schusscanälen, die 
mit einer kleinen Eingangs- und einer grossen Ausgangsöffnung versehen 
und mit Knochensplittern besetzt sind, meistens eine kegelmantelförmige 
Gestalt haben (nur bei unbedeutender Dicke des Knochens ist der Canal 
cylindrisch), gehen Fissuren nach allen Richtungen hin und sind um so 
gefährlicher, je näher an Gelenken sie sich befinden, weil sie hier leicht 
eitrige Entzündungsprocesse hervorrufen. 

Die Verletzungen der Gelenke sind entweder durch directe Ein¬ 
wirkung der Geschosse hervorgerufen oder die Gelenke werden bei Verletzungen 
der benachbarten Theile in Mitleidenschaft gezogen; Quetschungen der 
Gelenke kommen ebenfalls durch matte Geschosse und Prellschüsse vor. 
Die Kapsel des Kniegelenks kann ohne gleichzeitige Knochenverletzung 
durch kleine Langbleigeschosse bei höchster Extension in querer Richtung 


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Medicinisch-cHirnrgische Rundschau. 


unter der Sehne des Quadriceps femoris und dem Lig. patellare, sowie 
bei halber Flexion in sagittaler Richtung, wobei die Kugel die zwischen 
den Wandungen der Fossa intercondyloid. und der Gelenkfläche der Tibia 
gebildete canalformige Lücke durchdringt, durchbohrt werden (Simon). 
In das Kniegelenk eindringende Projectile können in einer Ausbuchtung 
der Synovialis liegen bleiben oder herausfallen. Knochenschüsse können 
aber auch ohne Verletzung der Synovialis das Gelenk eröflhen (Heine). 

Die Verletzungen der Centralorgane des Nervensystems 
tödten entweder sofort oder hinterlassen grössere oder geringere Stö¬ 
rungen; je nach der In- und Extensität der Verletzung und je nach der 
Function der getroffenen Theile. Schussverletzungen der Lungen können 
entweder sofort oder durch Pneumo- und Pneumohämato-Thorax zum 
Tode führen. Es kommen Erschütterungen und Quetschungen, sowie 
Contiuuitätstrennungen — blinde Canäle oder penetrirende Wunden, zum 
Theil mit Umkreisung der Lungen — vor. Fremde Körper werden in die 
Lungenwunden leicht mit hineingerissen. Auf die nicht zu häutig vor* 
kommenden Hernien der Lunge sind heftige Exspirationen bei Glottis¬ 
verschluss von Einfluss. Die Schussverletzungen der Bauchhöhle und 
ihrer Organe werden mit und ohne Eröffnung derselben beobachtet. Es 
kommen Erschütterungen, Quetschungen der Organe bei Prellgewehr- 
schtissen, zum Theil mit Zerreissungen der grössern Organe, vor. Die 
eindringenden Projectile reissen leicht fremde Körper mit hinein; es 
kommen blinde Canäle, penetrirende Verletzungen auch Contourschtisse 
vor. Bei denjenigen Verletzungen, in denen die Gedärme bei nicht starker 
Anfüllung dem Projectile auszuweichen vermögen, führt Peritonitis zum 
Tode, wenn dieser nicht schon durch sofort tödtliche Blutungen und Zer¬ 
malmungen eintritt. Erhebliche Schussverletzungen der Leber und Milz 
führen durch Blutungen, solche der Harnorgane meist durch Harninfiltration 
zum Tode. Verletzungen der Verdauungsorgane können in einzelnen Fällen 
mit Fistel- oder Stenosenbildung heilen, führen aber auch meist durch 
Peritonitis zum Tode. Vorfälle der Eingeweide der Unterleibshöhle gelangen 
nur selten zur Beobachtung. Gleichzeitige Verletzungen der Brust- und 
Bauchhöhle sind meist sofort oder doch sehr schnell tödtlich. 


343. Zur Anwendung der Narkose bei Untersuchung des 
Oesophagus. Von Dr. Girard. (Orig. - Mittheilung des Ctrlbl. für 
Chirurgie 1880. 21.) 

Unter gewissen Bedingungen ist man genötbigt, die Chloroform¬ 
narkose zu Hilfe zu nehmen, um Sondirungen des Oesophagus leichter 
ausführen zu können. Die Chloroformirung derartiger Patienten in der 
gewöhnlichen d. h. in sitzender oder halbliegender Stellung ist aber ziem¬ 
lich unbequem. Nicht nur sind Chloroformunfälle in sitzender Stellung 
eher zu befürchten, sondern auch für den Arzt bietet die Narkose in solchen 
Stellungen mehrfache Schwierigkeiten, z. B. wegen der Offenhaltung des 
Mundes, der gehörigen Fixation des Kopfes und des Rumpfes u. s. w. 
Diese Schwierigkeiten werden beseitigt, wenn man den Patienten in einer 
der Rose’schen ähnlichen Stellung, d. h. mit auf dem Operationstische 
horizontal liegendem Körper und hängendem Kopfe chloroformirt. Der 
Kopf soll aber nicht vollkommen hängen, sondern von einem Gehilfen 
etwas unterstützt und vom Rumpfe weg angezogen werden, damit eine 
Knickung der Halswirbelsäule am Rande des Tisches vermieden werde. 
Eine solche Knickung erschwert bekanntlich die Einführung der Sonden in die 
Speiseröhre durch das zu starke Hervorspringen der Halswirbel nach vorn. 


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Medicinisch-chirargische Rand schau. 


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Der Operateur steht an der linken Seite des Patienten und kann 
nun die Einführung der Sonde resp. irgend eines für den Oesophagus 
oder den Magen bestimmten Instrumentes unter Benutzung folgender Vor¬ 
theile vornehmen. 1. Der Mund bleibt von selbst offen oder wird mit 
Leichtigkeit offen gehalten. 2. Rumpf, Hals und Kopf können sehr leicht 
in der gewünschten Stellung fixirt werden. 3. Mundhöhle, Rachen und 
Speiseröhre befinden sich, in einer geraden oder nahezu geraden Linie, 
so dass gerade Instrumente, wenigstens von nicht allzugrossem Kaliber, 
eingeführt werden können. 4. Der Arzt hält die Sonde in der supinirten 
Hand und führt ^sie in ganz horizontaler Richtung mit einer dem ersten 
Acte des Urethralkatheterismus ähnlichen Bewegung ein. Sowohl diese 
Supinationsstellung der Hand als die horizontale Bewegung gestatten eine 
viel freiere, geschicktere und zartere Einführung der Sonde als in verti¬ 
kaler Richtung, was für die genaue Untersuchung von allfUlligen Hinder¬ 
nissen, Stricturen u. dgl. sehr wichtig ist. Man kann im Nothfall sich 
mit einem einzigen Gehilfen behufs der gehörigen Haltung des Kopfes 
begnügen; die Narkose selbst verläuft in dieser Steilung bekannter- 
massen normal. 

Bisher hatte Verf. zwei Mal die Gelegenheit, dieses Verfahren zu 
seiner grössten Zufriedenheit anzuwenden. Im 1. Falle handelte es sich 
um eine carcinomatöse Strictur des Oesophagus bei einem Manne mit 
grosser Reizbarkeit des Schlundes, welcher deshalb ohne Narkose nur 
schwer zu untersuchen war. Die Untersuchung mit Narkose in der Rose’* 
sehen Stellung geschah in wiederholten Sitzungen bedeutend leichter und 
genauer, und es konnten Sonden von viel grösserem Kaliber durch die 
Verengerung hindurch gebracht werden, als ohne Narkose. Im 2. Fall 
(Fremdkörper der Speiseröhre) war die Untersuchung gleichfalls durch die 
erwähnte Stellung wesentlich erleichtert. 

Auch ist bezüglich der ermöglichten oder wenigstens erleichterten 
Einführung von geraden Instrumenten durch dieses Verfahren zu erwähnen, 
dass man an die Anwendung von endoskopischen Instrumenten bei der 
Speiseröhre denken kann, eine Anwendung, welche bei dem grösseren 
Kaliber des Oesophagus in gewissen Fällen vielleicht nicht ohne Vor¬ 
theil wäre. 0. R. 

344. Ueber den Werth desinfleirender Uterus-Ausspülungen post 
partum. Von Hofmeier in Berlin. (Gynäk. Ctrbltt. 1880. 5. Orig.- 
Mitthlg.) 

Neuestens wird als prophylactisches Mittel gegen das Puerperalfieber 
angerathen, nach jeder normalen Geburt die Scheide und den Uterus mittelst 
eines eingeführten Irrigatorrohres mit einer 2—3percentigen Carboisäurelösung 
auszuspülen. Gegen diesen Rathschlag wendet sich H., indem er darauf hin¬ 
weist, dass hierbei das Instrument und die dasselbe leitende Hand notb- 
wendiger Weise mit der wunden Uterus wand in Berührung gelangen muss 
und wisse man nicht, ob das Instrument oder die Hand gehörig desinficirt 
seien. Von 260 normalen Frischeutbundenen, deren Uterus er sofort post 
partum ausspülte, erkrankten 42 oder 16 Percent, von 249 nicht ausge¬ 
spülten blos 19 oder 8 Percent, dabei unter den ersteren 8 schwer, unter den 
letzteren nur 1. Nach diesen Erfahrungen glaubt er, dass die prophylaoti¬ 
schen Ausspülungen unter allgemein ungünstigen Puerperalverhältnissen um 
so gefährlicher seien. Die einzig richtige Therapie besteht darin, vom 
Geburtsbeginne an bis in das Wochenbett hinein die Uterushöhle unberührt 
zu lassen. Anders sind die Verhältnisse, sobald sich bereits während der 

Hed.-chir. Rundschau. 1880 . Digitized by 



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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


Geburt Zersetzungs- und Fäulnissvorgänge mit Gasbildung im Uterus und 
Fieber der Mutter entwickeln. Unter solchen Umständen aber muss man, 
da die Infectionskeime hier nicht mehr oberflächlich liegen, leicht ätzende 
Carbolinjectionen machen, mindest 5 Percent starke. Das Gleiche gilt vom 
Abortus mit zurückgebliebenen Nachgeburtsresten. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

345. Ein Beitrag zur Genese und geburtshülflichen Würdigung 
des Exostosenbeokens. Von W. Fischei in Prag. (Prager med. 
Wochenschr. 1880. 9.) 

Eine kleine rhachitische Person, 142 Ctm. gross mit einem engen 
Becken, dessen Conj. diag. blos 9*4 Ctm. mass, gebar im Jänner 1877 
auf der B r e i s k y’schen Klinik sehr schwer. Die Frucht trat in II. 
Beckenendlage hervor, doch blieb der Kopf stecken. Es musste vom 
harten Gaumen aus, nach Abtragung des Unterkiefers perforirt werden, 
worauf sich erst der Kopf hervorleiten Hess. Die excerebrirte Frucht, 
ein Mädchen, wog 2675 Grm. Das Wochenbett verlief normal. Zwölf 
Tage nach der Geburt verliess die Person die Anstalt. Am 24. Sep¬ 
tember 1879 kam die Person in Wehen abermals in die Klinik. Bei 
der Untersuchung fand man auf dem Promontorium, und zwar über 
der rechten Hälfte eine pilzförmige über wallnussgrose Exostose. Die 
Vaginalportion war sehr defect, eine hintere Lippe existirte fast nicht, 
von der vorderen fand man nur auf der rechten Seite einen weichen 
zungenförmigen Lappen, nach links eine fette Narbenmasse. Der Schädel 
präsentirte sich in H. Vorderscheitellage, die Pfeilnaht knapp am Promo- 
torium, die grosse Fontanelle dicht neben dem letzteren stehend. Etwa 
24 Stunden nach Geburtsbeginne, nachdem die Frucht bereits abge¬ 
storben und sich bereits Symptome der Quetschung eingestellt hatten, 
wurde bei wenig erweitertem Muttermunde die Zange eingeftihrt, in dieser 
perforirt und hierauf der perforirte Kopf mit dem Cranioclaste extrahirt. 
Die Extraction der Schultern war sehr schwierig. Nach der Geburt 
blutete die Entbundene stark, als Ursache davon fand sich im rechten 
Winkel des hinteren Scheidengewölbes ein querer, den D o u gl aeschen 
Raum penetrirender Riss, durch welchen man mit dem Finger in die 
Bauchhöhle gerieth. Nach eingeführtem Speculum sah man ein etwa 
kreuzergrosses Loch und durch dieses die sich bewegenden Därme. Mit 
vieler Mühe wurde der Riss durch die Naht geschlossen. Die Person 
erkrankte, erholte sich aber rasch, denn am 6. Tage war sie bereits 
fieberfrei. Am 21. Tage wurde sie gesund entlassen. Die excerebrirte 
Frucht wog 3520 Gramm und mass 50 Ctm. F. meint, die Exostose habe 
sich erst nach der ersten Geburt in der Anstalt nachträglich gebildet. 
Wenn auch damals keine schweren Verletzungen stattfanden, so wurde 
doch wahrscheinlich das Periost des Promontorium gequetscht und sugillirt. 
Es kam wohl nicht zu einer eitrigen Entzündung, aber zu einer chroni¬ 
schen hyperplastischen ossificirenden Periostitis, als deren Folge sich die 
Exostose bildete. Der Scheidenriss wurde durch diesen Knochenauswuchs 
herbeigeführt. Beim Durchtritte der rückwärtigen Schulter wurde sie in 
querer Richtung so stark angespannt, dass sie in querer Richtung platzen 
musste. Kleinwächter, Innsbruck. 

346. Ein Beitrag zur Genese und geburtshülflichen Würdigung 
des Exostosenbeckens. Von Wilhelm Fischel in Prag. (Prager med. 
Wochenschr. 1880, Nr. 9.) 

Eine rhachitische Person mit einem engen Becken, dessen Conj. Diag. 
nur 9 Ctm. mass, gebar 1874 zum ersten Male nach dreitägigem Kreissen 

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Med i c inisch-chirargische Rand schau. 


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und wiederholtem Gebrauche von Bädern mittelst der Zange ein lebendes, 
aasgetragenes Kind, welches bald nach der Geburt starb. Diese Geburt 
fand ausserhalb der Gebäranstalt statt. Das zweite Mal im Jahre 187b 
gebar sie auf der Breisky’schen Klinik. Die Frucht stellte sich in der 
Steisslage ein. Der nachfolgende Kopf musste unter grossen Mtthen per- 
forirt werden. Die Frucht war ein ausgetragenes Mädchen 2675 Grm., 
ohne Gehirn, wiegend. Das Wochenbett verlief normal. Im September 1879 
kam die Person wieder auf die Breisky’sche Klinik und zwar aber¬ 
mals am Ende der Schwangerschaft. Die Geburt musste mittelst der 
Perforation und des Cranioclastes mühselig beendigt werden. Nach der 
Geburt stellte es sich heraus, dass das Vagmalgewölbe quer durchrissen 
war. Die Person wurde puerperalkrank, genas aber. Eine genaue Unter¬ 
suchung im Wochenbette ergab, dass der rechten Hälfte des Promon¬ 
torium eine Exostose aufsass, welche bei der ersten Geburt in der Anstalt 
nicht gefühlt wurde, so dass F. annehmen zu müssen glaubt, dass sich 
dieselbe erst nach der vorletzten Geburt gebildet habe. Die Entstehung 
dieser Exostose ist seiner Ansicht nach darauf zurückzuführen, dass bei 
der vorletzten Geburt der periostale Ueberzug des Promontarium stark 
gequetscht wurde, worauf es zu einer nicht eitrigen Entzündung, zu einer 
chronischen hyperplastischen, ossificirenden Periostitis kam, als deren 
Folge die Exostose anzusehen sei. Diese Exostose habe auch bei der 
letzten Geburt den Riss des Scheidengewölbes herbeigeführt. Befördert 
wurde dieses Ereigniss noch durch den Umstand, dass die excerebrirte 
Frucht diesmal 3520 Grm. wog. Diese später zur Entwicklung gekommene 
Exostose erklärt es, dass die Conj. Diag. bei der ersten Geburt auf 9*4, 
bei der zweiten Geburt in der Anstalt auf 9-0 Ctm. bestimmt wurde. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

347. Reizung der Blase beseitigt durch eine foreirte Dilatation 
der Urethra. Von Dr. Ni coli in New-York. (Amer. Gyn.-Joum. 1880, 
H. 2, p. 383.) 

Eine 20jährige Frau setzte sich während ihrer Menstruation auf 
einen kalten Stein. Sofort darnach stellte sich ein Harndrang ein, der 
immer heftiger wurde, so dass das Allgemeinbefinden tief untergraben 
wurde. Die Frau bekam alle halbe Stunden einen heftigen mit Schmerzen 
verbundenen Drang zum Uriniren. Der Harn zeigte seine normale Beschaffen¬ 
heit. Die Blase dagegen nichts Abnormes. In der Mitte der Urethra fand 
sich eine ungemein schmerzhafte Stelle. Ausserdem bestand eine leichte 
Vaginitis und Vulvitis. Die Harnröhre wurde gewaltsam dilatirt und so¬ 
fort schwanden alle Beschwerden, um nicht mehr wiederzukehren. 

Kleinwachter, Innsbruck. 

348. Ueber die Erfolge der Antisepsis auf dem Gebiete der 
Laparotomien. Von Bruntzel, Assistent in Breslau. (Breslauer ärztliche 
Zeitschrift 1880, Nr. 8 u. 9.) 

In den Jahren 1867—73 hatte England und Nord-Amerika ein 
Heilungspercent von 75 Procent, Deutschland dagegen nur von 50 Procent. 
Dieses Verhältniss hat sich in den letzten Jahren zu Gunsten Deutsch¬ 
lands geändert, weil die Antisepsis überall eingefilhrt wurde und sich die 
Technik verbesserte. In Breslau wird unter Action eines Dampfsprays 
operirt (3procentig). In der letzten Zeit wurden 19 Ovariotomien gemacht 
und zwar wurde der Stiel immer versenkt, denn nur bei einer intra- 
peritonealen Behandlung kann man einen vollständigen reactionslosen 
Wundverlauf ermöglichen. Abgesehen davon folgen der extraperitonealen 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Behandlung wegen der breiteren Narbe viel eher Bauchbrttche nach. Der 
Stielrest mit seinen Ligaturen wird einfach abgekapselt und reizt weiter¬ 
hin nicht das Peritoneum. In einem Falle, wo wegen einer Dermoidcyste 
operirt wurde, bestand gleichzeitig eine frische fibrinös-eitrige Peritonitis. 
Die Operation verlief reactionslos und wurden die Nähte, da die Wunde 
per primam geheilt war, am 6. Tage entfernt. Am folgenden Tag waren 
die Wundränder aus einander gewichen und mehrere Darmschlingen vor¬ 
gefallen. Die Wunde und die Darmschlingen wurden gereinigt, die Peri¬ 
tonealränder angefrischt und die Wunde verschlossen. Es trat Heilung 
ohne weitere Störungen ein. In Breslau wird ein grosser Bauchschnitt 
gemacht und nach der Operation die Bauchhöhle nicht blos mit Carbol- 
schwämmen gereinigt, sondern es werden sogar grosse Mengen 2 procentiger 
warmer Carbollösung in die Bauchhöhle geschüttet um den ganzen Peri¬ 
tonealsack zu desinficiren. Der grosse Bauchschnitt, der bei strengen 
Liste rscher Antisepsis ungefährlich ist, erweist sich namentlich deshalb 
als vortheilhaft, weil man nach der Operation den Peritonealsack gehörig 
austrocknen kann, was sehr wichtig ist. Man erspart dadurch eine nach¬ 
trägliche Drainage. Geringe Blutmengen werden vom Peritoneum rasch 
resorbirt und sind von keinem grossen Belange, vorausgesetzt, dass sie 
keine septischen Infectionsstoffe bergen. In einem Falle, wo bei grossem 
Tumor zahlreiche Adhäsionen mit den Nachbarorganen bestanden und es 
trotz zahlreicher Massenligaturen nicht gelang, der parenchymatösen 
Blutung Herr zu werden, wurde die Wunde rasch geschlossen und ein 
fester Compressionsverband angelegt. Die Blutung wurde dadurch zum 
Stillstände gebracht. Die Kranke genas, ja es wurde nicht einmal die 
gleichzeitige Schwangerschaft (im 4. Monate) unterbrochen. Bei Schwanger¬ 
schaft operire man möglichst frühe. Die Prognose für die Erhaltung der 
Frucht wird günstiger. Späterhin wird die Operation auch deshalb gefähr¬ 
licher, weil der Blutreichthum der Ligamenta leicht eine sehr heftige 
Blutung hervorruft. Bei grossen Cysten oder bedeutendem gleichzeitigem 
Ascites ist es angezeigt, 1—2 Tage vor der Operation zu punctiren. 
Man schafft sich besseren Raum zum operiren und vermindert die Gefahr 
einer plötzlichen Entleerung der Bauchhöhle. Dermoidcysten und ver¬ 
jauchte Cysten, welche bekanntlich die ungünstigste Prognose abgeben, 
wurden glücklich operirt, ja sogar einmal eine im Wochenbette in Folge 
der Axendrehung verjauchte. Als Ligaturmaterial zur Versorgung des 
Stieles wird in Breslau in Carbolwachs gekochte Seide benützt, zur Unter¬ 
bindung flächenhafter Adhäsionen, zur Abtragung von Netzstücken und 
zum Verschlüsse der Bauchhöhle dagegen wird Catgut genommen. Die 
Nachbehandlung ist meist negativ. Bei Erbrechen wird Eis per os, Opium 
als Suppositorium und Morphium subcutan gegeben, um den Magen mög¬ 
lichst wenig zu beschweren. Der Verband wird meist erst dann gewechselt, 
wenn die Nähte entfernt werden, gewöhnlich am 7.—8. Tage. Relativ 
häufig wurden Bronchitiden und Pneumonien nach der Operation beob¬ 
achtet. Ihre Entstehung wird auf die durch die Operation herbeigeführte 


Abkühlung des Körpers (?) zurückgefflhrt. Tritt am Tage nach der 
Operation die Menstruation vorzeitig ein, so stellt sich eine geringe 
Temperaturerhöhung ein. Ueber die Laparotomie bei Castration äussert 
sich B. in gleicher Weise wie Spiegelberg (conf. Rundschau, März¬ 
heft 1880, pag. 187), dass sie nämlich auf möglichst wenige Fälle ein¬ 
geschränkt werden müsse. Noch schärfer spricht sich B. über die Exstir¬ 
pation des Uterus und wohl mit Recht (nach Ansicht des Ref.) aus. Die 


Operation ist höchst gefährlich, ungemein schwierig und complicirt und 

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Medicinisch-chirurgische Rundschan. 


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schliesslich — von keinem Erfolge, denn man kann die bereits ergriffenen 
Lymphdrüsen nioht exstirpiren, wie etwa beim Carcinoma mammae. Ein¬ 
mal wurde die Laparotomie wegen einer Hydronephrose gemacht. Es 
wurde eine Nierenbecken-Bauchfistel angelegt und hierauf, nachdem der 
Sack mit der vorderen Bauch wand eine Verlöthung eingegangen hatte, 
versucht, durch adstringirende Injectiou eine Schrumpfung herbeizuftihren, 
was jedoch nur theilweise gelang. Die Nieren functionirten ruhig weiter, 
wenn auch in beschränkterem Masse als früher. Späterhin soll eine Ex¬ 
stirpation desselben vom Rücken her, also extraperitoneal vorgenommen 
werden. 

Während Spiegelberg bis zum Jahre 1876 ein Heilungsresultat 
von nur wenig über 50 Procent erzielte, hat sich dieses jetzt bei weitem 
gebessert. Eine Serie von 35 Ovariotomien ergab ein Heilungsresultat von 
86 Procent und die nächstfolgende von 25 Laparotomien sogar ein noch 
günstigeres Resultat. Kleinwächter, Innsbruck. 

349. Ernährungs- und Rückbildungsvorgänge bei Abdominal- 
tmnoren. Von M. Hofmeier in Berlin. (Zeitschrift für Geburtshilfe und 
Gynäkologie. Bd. V., H. 1, pag. 96.) 

Nicht gar so selten ereignet es sich, dass Ovarial- oder Uterusneu¬ 
bildungen durch gewisse Processe ihres ursprünglichen Ernährungsmateriales 
beraubt werden und ihr Leben durch Eingehen von Verwachsungen mit 
den benachbarten Organen ihr Leben weiter fristen. Es erfolgt eine 
Torsion des Stieles mit Unwegsamkeit der in ihm befindlichen Gefässe, 
worauf Adhäsionen der Tumoren mit dem Netze eintreten und das Neu¬ 
gebilde von hier aus Blutgefässe zu seinem Weiterleben erhaltet. Veit 
und Olshausen meinen, schrumpfende Exsudatstränge könnten allein 
schon die Arterien eines Tumor comprimiren , doch ist H. nicht dieser 
Ansicht und glaubt, dass stets eine Torsion des Stieles stattfinde. Es 
folgt die Drehung des Stieles plötzlich, wird die Circulation in ihm 
momentan unterbrochen, so treten in der Regel heftige entzündliche. Er¬ 
scheinungen im Tumor ein. Warum aber Tumoren, bei welchen keine 
Achsendrehung des Stieles stattfindet, Adhäsionen mit ihrer Nachbarschaft 
eingehen, ist bisher noch nicht ganz klar. Gusseron, Hegar und 
Kaltenbach meinen, dass namentlich die gestielten Fibroide durch 
ihre leichte Beweglichkeit zu circumscripten Peritonitiden und dadurch zu 
Adhäsionen führen. Aber auch in dem Falle übernehmen dann die Gefässe 
der Adhäsionsstellen fast ausschliesslich die Ernährung des Neugebildes. 
Dies erklärt auch die Thatsache, warum Fibromyome des Uterus nach 
bereits eingetretener Climax dennoch weiter wachsen können. Der Uterus 
fonctionirt wohl nicht mehr, doch wird der Tumor nun von anderen 
Seiten her so gut ernährt, dass er sich weiter entwickeln kann und die 
verloren gegangene Ernährung vdc Seite des Uterus nicht vermisst. Aus 
dem Grunde sind auch, falls man bei einer Ovariotomie kleine subseröse, 
gestielte Fibromyome des Uterus findet, diese zu entfernen, grosse dagegen 
nicht leicht, namentlich nicht interstitielle und breit gestielte subseröse, 
weil deren Entfernung die Operation sehr verzögert und gefährlich macht. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

350. Intennitten8 im Puerperium. Von Fordyce Bark er. (Amer. 
Journ. of Obstetr. 1880, H. 2, p. 271.) 

Fordyce Barker macht sehr interessante Mittheilungen über das 
Vorkommen des Intermittens im Wochenbette. In Malariagegenden bricht 


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Medicinisch-chirtirgiscbe Rundschau. 


das Intermittens nicht so selten im Verlaufe des Puerperium aus. Da es 
immer mit einem Schüttelfröste beginnt, der Puls hn Anfalle sehr 
frequent ist und gleichzeitig eine allgemeine Depression besteht, so wird 
das Leiden nicht selten mit einem ausbrechenden Puerperalfieber ver¬ 
wechselt. Noch viel leichter findet ein diagnostischer Irrthum statt, wenn 
gleichzeitig eine gutartige Beckenphlegmone besteht, maniakalische An¬ 
fälle oder Blutungen auftreten. Die gleichzeitige Gegenwart einer aus¬ 
gesprochenen traumatischen Peritonitis sah F. B. bisher nicht. Er beob¬ 
achtete 17 derartige Fälle. Das Intermittens bricht verschieden spät nach 
der Geburt aus. In einem Falle stellte sich der erste Schüttelfrost nicht 
ganz 24 Stunden nach der Geburt. Dies war der früheste Ausbruch, der 
späteste fand am 21. Tage post partum statt. Das ausgesprochenste 
Symptom ist der Schüttelfrost, der zuweilen im Beginne nur unbedeutend 
ist. Manchmal ist die Temperatur nur um wenige Grade (Fahrenheit) 
höher als im normalen Puerperium. Bald folgt eine bedeutende Prostration. 
Der folgende Tag zeigt stets eine ausgesprochene Remission. Nach 1 bis 
2 oder 3 Tagen kommt ein frischer Anfall, doch ist dieser gewöhnlich 
schwächer als der erste. In der Mehrzahl der Fälle klagen die Kranken 
einige Tage vor dem Anfalle über allgemeines Unwohlsein, über Kopf-, 
Rücken- und Gliederschmerzen, über Schlaflosigkeit, Durst und Appetit¬ 
mangel. Wenn die Krankheit ausgesprochen ist, sind die Schüttelfröste in 
der Regel etwas schwächer, die Temperatur steigt nicht so hoch an, der 
Puls ist weniger frequent, die Remissionen sind weniger ausgesprochen. 
Die Krankheit trotzt der Behandlung mehr als sonst. Von Puerperal¬ 
erkrankungen unterscheidet sich dieses Leiden dadurch, dass mit Auflösen 
des Fieberanfalles alle begleitenden Erscheinungen schwinden. Die Kopf-, 
Kreuz- und Gliederschmerzen kommen beim Puerperalfieber nicht vor. 
Letzteres bricht meist zwischen dem 1. bis 4. Tage nach der Geburt, 
ausnahmsweise nur später aus. Gleichzeitig treten die Schüttelfröste nicht 
typisch auf und halten die anderweitigen Störungen auch nach dessen 
Auflösen an. Charakteristisch für den Puerperalprocess sind die andauern¬ 
den, intensiven Leibschmerzen. Zuweilen kann im Beginne die Unter¬ 
scheidung schwierig sein, ob man eine Phlebitis oder eine Puerperal¬ 
erkrankung vor sich hat. F. B. beobachtete in zwei‘ Fällen gleichzeitig 
eine Mastitis. Einige Male traten nach dem 12. Tage post partum Hae- 
morrhagien auf. In einem Falle war diese Blutung sehr intensiv. Meist 
ist die Haemorrbagie nicht sehr bedeutend, dauert aber einige Tage an. 
Er sieht diese Blutungen als Folgen des Intermittens an. In einem Falle 
trat einige Tage nach der Haemorrhagie eine Purpura auf und stellten 
sich Blutungen aus der Mund- und Nasenschleimhaut ein. Es dauerte da 
mehrere Monate, bis sich die Kranke einigermassen erholte. Vollständige 
Genesuns: trat erst nach einem mehrmonatlichem Aufenthalt in Europa ein. 
Blut ira Harne, wie ihn Michel beobachtete, sah F. B. nie. In vier 
Fällen traten vorübergehende Geistesstörungen auf, in Form von Delirien 
oder von Manie. Derartige Symptome können die erste Zeit leicht mit 
uraemischen Affectionen verwechselt werden. Einen letalen Ausgang sah 
Fordyce Barker nur einmal und da bei einer Frau, welche schon 
früher durch 3 Jahre hindurch an einem perniciösen Malariaprocess in 
Rom gelitten. Die Geburt verlief normal, das Kind kam lebend zur Welt. 
Das Fieber stellte sich am 14. Tage nach der Geburt ein. Den nächsten 


Tag trat der Fieberanfall von neuem ein. Bald zeigte es sich, dass ein 
bösartiges remittirendes Fieber da war. Die Kranke ging an diesem 
Leiden bald zu Grunde. Auch hier kam es zu einer Uterinalblutung. 


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Medicinisch-chirorgische Rnndschan. 


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F. B. meint, dass das Puerperium den Anlass zum Wiederausbruch des 
früher bestandenen Leidens gab. F. B. gibt grosse Dosen Chinin, bis 
1 Drchm. (4 Grm.) und noch mehr pro die. Wird es per os nicht vertragen, 
so gibt er es endermatisch. Sobald sich die Anfälle abschwächen, sinkt 
er mit den Dosen. Kleinwächter, Innsbruck. 


351. Ueber prophylaktische Uterusansspülung mit Carbolwasser 
post partum. Von Prof. Stadfeld t in Kopenhagen. (Ctrbl. f. Gynäkologie 
1880 Nr. 7.) 


In der vom Verf. geleiteten Anstalt wird die Antiseptik für Ge¬ 
bärende, seit dem Jahre 1870 mit steigender Energie durchgeführt und 
Verf. hat seine diesbezüglichen Erfahrungen dem Brüsseler Congresse vor¬ 
gelegt. Es wurde die puerperale Mortalität auf 1*87 Gebärende für das 
Fünfjahr 1870—1874 herabgebracht, während die Mortalität in den drei 
vorhergehenden FtinQahren zwischen 1:37 und 1:14 geschwankt hatte 
und in keinem einzigen Fttnfjahr während des langen Daseins der Ent¬ 
bindungsanstalt annähernd so niedrig gewesen war. 

Das Verhältniss stellt sich noch günstiger in dem letzten Fünfjahr 
1875—1879, indem von 5089 Gebärenden nur 44 an Puerperalfieber 
starben, d. h. 1 von 116 Gebärenden. Ein sonderlich günstigeres Ver¬ 
hältniss lässt sich zur Zeit nicht prästiren von einer Entbindungsanstalt, 
welche Ablauf ist für alle Hospitalsabtheilungen der Stadt, filr die Arbeits¬ 
häuser, und in welcher die Erstgebärenden in entschiedenem Ueberge- 
wicht sind. 

Es ist inzwischen nicht die Mortalität, sondern auch die Morbilität 
in den letzten Jahren herabgebracht worden. Anfangs schien es, als 
ob die Carboisäure nur einen mildernden Einfluss auf die Kraft des 
Infectionsstoffes ausüben sollte, indem das Morbilitätsprocent ungeachtet 
die Mortalität bedeutend abnahm, sich ziemlich hoch zu halten beiblieb. 
In den letzten Jahren ist es inzwischen geglückt, das Morbilitätsprocent 
auf eine Zahl herabzubringen, welche sich einigermassen der Morbilität 
ausserhalb der Entbindungsanstalten nähert. 

Nach Verf.’s Meinung sind es 3 Anwendungsweisen der Antiseptik, 
welche, in den letzten Jahren eingefilhrt, zu dem günstigen Resultat bei¬ 
getragen haben: Die methodischen Ausspülungen der Vagina vor der 
Geburt, die Anwendung des Dampfspray während der Geburt und die 
intra-uterinen Ausspülungen mit Carbolwasser nach der Geburt. Merk¬ 
würdig, dass die Anwendung des Dampfspray in Entbindungsanstalten so 
wenig allgemeine Anerkennung gefunden hat. In Kopenhagen wird seit 
4 Jahren der Dampfspray bei allen Geburten in der Entbindungsanstalt 
angewendet, ohne dass irgend eine schädliche Folge für Mutter oder 
Kind gesehen wurde, und die Anwendung macht so geringe Mühe, dass 
Verf. frägt, weshalb man ein für eine Entbindungsanstalt so rationelles 
Mittel bei Seite schieben sollte. Der Spray muss in Gang gehalten 
von dem Augenblick, wo die Kindestheile sich zu zeigen anfangen, bis 
die Rupturen, welche während der Geburt in der Vulva entstanden, ver¬ 
einigt sind und die Gebäröflbung mit einer Lage von präparirter Theer- 
jute bedeckt ist. — Die intra-uterinen Ausspülungen post partum haben 
unter besonderen Verhältnissen vielleicht noch grössere Dienste geleistet, 
obwohl nur 3 °/ 0 Carbolwasser angewendet wird. Zum Ersatz werden aber 
grosse Massen — mehrere Liter — in dickem Strahle in den Uterus 


gespült. Schaden wurde nach diesen Ausspülungen nie gesehen und sie 
sind doch angewendet bei Hunderten von Gebärenden. — Verf. gehört 

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Medicini ach-chirurgische Rundschau. 


nicht zu den Geburtshelfern, welche es für nothwendig oder gar richtig 
erachten, Ausspülungen nach jeder Geburt anzuwenden, nicht einmal in 
Entbindungsanstalten. Dagegen hat er ohne Bedenken und mit grossem 
Nutzen Ausspülungen angewendet in allen Fällen, wo Hand oder Instru¬ 
mente in die Geburtswege eingeführt worden waren, oder wo Reste der 
Häute in dem Uterus zurückgeblieben waren. Diese Ausspülungen haben 
sich vor Allem von Nutzen gezeigt bei putridem Uterininhalt und Verf. 
schliesst sich in dieser Beziehung Dr. Hofmeier an, umso mehr, weil 
vielleicht gerade unter solchen Umständen die Carbolausspülungen post 
partum in der privaten Praxis ihre schönsten Triumphe feiern werden. 
An der Universitäts-Entbindungsanstalt waren in den letzten 2 x / a Jahren 
12 Fälle von hochgradig putridem Uterininhalt während der Geburt; in 
7 Fällen mit Putrescenz des ganzen Eies, in 5 Fällen mit, wenigstens 
bei der Geburt, lebendigem Kinde, aber mit putriden Häuten und Placenta. 
Das Wasser war in allen Fällen Tage vor Vollendung der Geburt abge¬ 
gangen. In 11 Fällen musste die Geburt künstlich beendet werden, 2 Mal 
mit Perforation und Kranioklast. Sehr bedeutende Febrilia waren meistens 
vorhanden gewesen, als Indication für die Entbindung. 5 von diesen 12 
wurden puerperalkrank, 7 dagegen hatten ein normales Puerperium. Von 
den 5 Erkrankten starb 1 — ein Fall von partus praematurus arteficialis, 
wo die Geburt 4 Tage dauerte. — Die übrigen 4 Wöchnerinnen wurden 
geheilt, nur bei einer von ihnen war der Krankheitsfall wirklich ernsthaft. 
Die Mortalität wird also 8 °/ 0 und wenn man die Mortalität nur aus den 
7 Fällen, wo auch die Frucht in Putrescenz war, berechnen will, wird 
sie 14°/ 0 . 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 


352. Ueber die Erziehung der Taubstummen. Von Coldefoy. 
(Annales des maladies de l’oreile No. 2, 1879. — Monatschr. f. Ohren- 
heilk. Nasen etc. 1880. 2.) 

Nach einer längeren Einleitung, in welcher die Entwicklung des 
Taubstummenunterrichtes historisch geschildert wird, bespricht Verf. die 
gegenwärtig angewendeten Methoden. 

Von den verschiedenen Methoden des Unterrichts der Taubstummen 
muss man auf jeden Fall diejenigen wählen, welche zugleich den Ver¬ 
stand desselben am meisten übt und fordert. Dieser ist bei den zum 
Unterricht Kommenden meistens sehr schwach ausgebildet und die Zeit 
des Unterrichts ist eine kurze; es soll durch dieselbe aber der Taub¬ 
stumme in den Stand gesetzt werden, sich später selbst noch weiter zu 
bilden und er muss deshalb mehr allgemeine elementare Kenntnisse erhalten. 

Zunächst jedenfalls muss er die Muttersprache kennen lernen und 
die Mittel dazu sind: 1. Handlungen, das Zeichnen, die Zeichensprache; 
2. das Schreiben, das Reden, die Fingersprache. 

Diese beiden Classen von Verfahren unterstützen sich gegenseitig, 
das Handeln, Zeichnen und die Zeichensprache erwecken die Ideen, welche 
dadurch dargestellt werden; schreiben, reden und die Fingersprache 
erwecken an sich keine Ideen, dabei bedarf man der Handlungen, Zeich¬ 
nungen und Zeichen als Erklärungen; aber das Schreiben, Reden und 
die Fingersprache dienen zur Erlernung der Muttersprache, ganz auf die¬ 
selbe Weise, wie die anderen vollsinnigen Kinder dieselbe erlernt haben. 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rnndschau. 


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Dem kleinen Kinde werden nicht lange Reden gehalten, sondern es 
hört zuerst nur Ausrufe, Befehle, später erst Fragen, dann auch bald 
kurze Erzählungen, meistens also das Hauptwort im Yocativ, das Verbum 
im Imperativ, weil sich so in ein Wort immer ein ganzer Satz zusammen¬ 
drängt. — Man spricht zu dem kleinen Kinde zuerst nur von den Per¬ 
sonen, welche es immer um sich hat und nur von Dingen, welche es 
sehen und befühlen kann, oder die es schon kennt. So prägt sich dem 
Kinde zugleich ein die Kenntniss der Personen und Dinge und die der 
Worte für dieselben. Man muss ihm oft dieselben wiederholen und sie 
ihm immer von Neuem durch die Handlung erklären, damit sie sich 
seinem Gedächtnisse einprägen und es nun auch seine Gedanken mit 
denselben auszudrticken im Stande ist. Erst später kommen kurze Fragen, 
auf welche das Kind zuerst nicht antwortet , später aber formulirt es 
nachahmung8weise eine Antwort und man fordert es nun auf, auch 
Andern denselben Gedanken mitzutheilen, und so lernt das Kind die 
Pronomina, eine der grössten Schwierigkeiten. — Jetzt, da es antworten 
kann, wird das Kind auch selbst fragen und es öffnet sich von da an 
für dasselbe das Feld einer reichen geistigen Ernte. 

Dieser logische und progressive Weg wird auch bei dem Taub¬ 
stummen eingeschlagen werden müssen. Man wird ihm mit dem geschrie¬ 
benen Alphabet erst seinen Namen, dann den der Personen, mit welchen 
er verkehrt und den der Dinge, welche er immer unter den Augen hat, 
vor die Augen stellen. Darauf kann der Lehrer übergehen zu intransi¬ 
tiven Handlungen, wie gehen, laufen, springen u. dgl., welche das Kind 
selbst ausüben muss, die Augen gerichtet auf das geschriebene Wort; 
das Yerbum im Imperativ wird die besten Dienste tliun. So spricht der 
Lehrer, den Bleistift bei der Hand und damit auf die Personen, Dinge 
oder Handlungen hinzeigend, zu den Augen der Taubstummen in jedem 
Falle, wo man sich an das Gehör der Hörenden richtet, die Rede mit 
der Schrift ersetzend und diese durch die Zeichensprache und das Zeichnen 
erklärend. Man muss dabei die Kinder selbst immer in Thätigkeit er¬ 
halten, denn wenn sie nur lernen, so fühlen sie sich abhängig und schwach, 
sowie sie aber handeln, so halten sie sich für stark und mächtig. 

Einige Principien sind dabei nothwendiger Weise zu berücksichtigen : 

1. Nur durch die Handlung selbst lernt man die dafür gütige Aus¬ 
drucksweise, also muss man die verschiedenen Handlungen sehen, um die 
Muttersprache zu erlernen. 

2. Die Sprache dient sich dann selbst als TJebersetzung, denn der 
geschriebene Satz vergegenwärtigt sofort wieder die früher gesehene 
Handlung, ohne dass dieselbe von Neuem zu geschehen braucht. 

3. Die Sprache zerlegt sich selbst durch den Gebrauch. Das Kind, 
weiches die Worte: „schliesse die Thtire“ versteht, weiss auch was es 
heisst, „schliesse das Fenster“. 

4. Man darf den Taubstummen nie von Grammatik reden, denn 
auch die sprechenden Kinder haben ihre Muttersprache ohne dieselbe 
gelernt. Beim Taubstummen kann von Grammatik allerhöchstens in seiner 
letzten Unterrichtsperiode die Rede sein. 

Man kann den ganzen Unterricht des Taubstummen in zwei Perioden 
eintheilen. In der ersten handelt es sich, den Verstand desselben zu 
entwickeln, ihm Ideen zu geben und ihm die Bedeutung unserer Aus¬ 
drücke beizubringen und dazu muss der Lehrer oft die Zeichensprache 
anwenden. In der zweiten Periode, sobald der Taubstumme klar 
die durch die Worte ausgedrückten Gedanken erkannt hat und er 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


nun auch unseren Ausdrücken einen Werth beilegt und unsere Sätze 
soweit kennt, dass sie nun auch wieder zur Erklärung der Sprache 
dienen können, muss man sich von der Zeichensprache immer mehr los¬ 
machen, um den Taubstummen an die Syntaxe der Muttersprache zu 
gewöhnen; indem man vom Bekannten zum Unbekannten geht, müssen 
die Worte die Worte erklären. Allerhöchstens darf dann die Zeichen¬ 
sprache angewandt werden, um den Schülern etwas zu erzählen, was sie 
nachher schriftlich erzählen sollen; oder auch, um zu prüfen, ob ein Ge¬ 
danke richtig erfasst worden ist. — Die von der Muttersprache abwei¬ 
chende Syntaxe der Zeichensprache wird nun für die Schüler nicht mehr 
gefährlich sein, da diese immer erst angewandt wird, nachdem der 
betreffende Satz schon niedergeschrieben ist und sie prüft nur den Gedanken 
im Allgemeinen, nicht aber die denselben ausdrückende Wortzusammen¬ 
stellung. 

Von grosser Wichtigkeit ist die Zeichensprache für wenig begabte 
Taubstumme, die dem Unterricht der anderen nicht folgen können und 
die nur durch dieselbe einen gewissen Grad der Bildung erreichen können. 
Schon um einige dieser Unglücklichen dem sittlichen Leben zurückgeben 
zu können, müsste man die Zeichensprache beibehalten. 

Ist der Taubstumme erst genügend Herr seiner Muttersprache, so 
wird auch das articulirte Sprechen ein kostbares Unterrichtsmittel sein. 
Damit aber ein solcher Sprachcursus wirklich Erfolg haben kann, damit 
er dem Schüler nicht langweilig und überdrüssig wird, muss man damit 
warten, bis derselbe dasjenige verstehen kann, was er laut sprechen oder 
von den Lippen ablesen soll. * 

Da die ganze Erziehung der Taubstummen wesentlich geschieht, * 
um dieselben den übrigen Menschen möglichst zu nähern und ihnen den I 
Verkehr mit denselben zu erleichtern, so wäre es Unrecht, den Taub¬ 
stummen nicht auch die Sprache als ein Complement ihrer Erziehung 
zu geben. 

Hierbei werfen sich aber drei wichtige Fragen auf. An wen wird 
sich dieser Unterricht richten? Wie wird man dabei verfahren? und bei j 
welchem Zeitpunkte wird man damit anfangen? I 

Der Lehrer muss unter seinen taubstummen Schülern eine genaue 
und lange Prüfung nach ihren physiologischen und geistigen Fähigkeiten , 
vornehmen, und es werden sich nur wenige finden, welche sich geeignet , 
zeigen, das Sprechen zu erlernen. Vor allem dazu veranlagt werden die- j 
jenigen sein, die das Gehör eine Zeit lang gehabt haben und deren 
Ohr die menschliche Stimme also schon gehört hat. — Werden zu diesen 
Uebungen auch Leute genommen, denen die Anlagen dazu fehlen, so 
kann man die darauf verwendete Zeit als eine Zeitverschwendung ansehen, 
denn wenn der Taubstumme nur zu einem unverständlichen Sprechen 
kommt und er wird diese seine Unvollkommenheit bald einsehen, so 
greift er immer wieder zurück zum Schreiben, das ihm ein sichereres 
Mittel der Verständigung ist. Man kann es also nicht als ein Princip 
aufstellen, dass alle Taubstummen sprechen lernen können. 

Da der Stimmapparat des Taubstummen wegen der langen üntbä- 
tigkeit nicht mehr die für ein gutes Sprechen nöthige Elasticität und 
Biegsamkeit hat, so muss man denselben durch verschiedene Uebungen 
erst vorbereiten, um das Spiel dieser Organe zu regeln und ihnen die 
nöthige Kraft zu geben. Dazu sind die Vocale sehr passend; erst weun 
durch diese fleissige Uebung die Stimme jenen rauhen, so unangenehmen 
Kehlton verloren hat, kann man zu den Consonanten, Silben und Worten 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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übergehen. Zu diesem Unterricht muss der Lehrer eine genaue Kennt- 
niss des Stimmapparates, eine grosse Beharrlichkeit und eine besondere 
Geschicklichkeit besitzen, denn nur durch die Nachahmung der Stellungen 
der Organe des Lehrers lernen die Schüler. Darum darf aber auch die 
Zahl der einem Lehrer zu diesem Unterricht übergebenen Schüler die 
Zahl 10 nicht übersteigen und das ist schon viel. — Auch hierbei darf 
man nicht vergessen, auch den Geist der Schüler zu beschäftigen, sonst 
hören diese Uebungen auf, interessant zu sein; die Sprache, verbunden 
mit dem Ablesen auf den Lippen, muss ihm etwas Anziehendes bieten. 
— Der von Vielen eingeschlagene Weg, die Worte unserer Sprachen 
den Taubstummen zuerst nur so geschrieben vorzulegen, wie sie ausge¬ 
sprochen werden, ist als ein verfehlter anzusehen; denn da hat das Kind 
immer statt eines Wortes, zweie zu behalten, da es doch auch das 
orthographisch richtig geschriebene Wort kennen lernen muss, um es 
anders wo wieder erkennen zu können, und es wird dadurch leicht ver¬ 
wirrt. Es wird aber viel leichter verstehen kraft seiner Vorbildung, dass 
es verschiedene Weisen gibt, denselben Ton zu schreiben. 

Das taubstumme Kind, das sich mitten in der Welt findet, ohne 
mit derselben, wie es der Blinde wenigstens vermag, auf irgend eine 
Weise verkehren zu können, zeigt doch bald, dass es dieselbe Natur hat, 
wie w T ir, es sucht in unseren Blicken zu lesen und uns seine Bedürfnisse 
klar zu machen, natürlich in Zeichen. Und da ist es nun die Pflicht der 
Eltern, hier gleich einzusetzen, um die künftige Erziehung ihres unglück¬ 
lichen Kindes vorzubereiten, dass das Kind nur ja nicht sich selbst über¬ 
lassen bleibt. Die Eltern müssen die Aufmerksamkeit des Kindes auf die 
dasselbe umgebenden Gegenstände und Personen lenken, auf ihre Eigen- 
thflmlichkeiten aufmerksam machen und es lehren, die Buchstaben des 
Alphabets und die Form der Zahlen nachzumachen. (Ein sehr ange¬ 
brachtes Mittel zur Erlernung des Alphabets ist den Eltern im Anschauungs¬ 
unterrichte der Kinderschulen geboten.) Das Kind wird mit den Augen 
erfassen, was die Eltern ihm durch Zeichen klar machen. Haben die Eltern 
keine Zeit zu solchen Uebungen, so mögen sie wenigstens ihre Kinder, 
damit sie nicht sich selbst überlassen bleiben, in Kinderschulen geben, 
wo durch den Anschauungsunterricht und den Verkehr mit den Kameraden 
ihr Verstand wenigstens angeregt wird. Das so vorbereitete Kind würde 
dann in den eigentlichen Taubstummenanstalten viel raschere Fortschritte 
machen, namentlich auch das Sprechen viel leichter lernen, an das die 
Taubstummen nicht ohne eine genügende Vorbereitung herangehen können. 


Dermatologie und Syphilis. 

353. Die Kahlköpfigkeit und deren Vorbeugung. Von Dr. C. H e i n - 
rieh in Strassburg. (Gesundheit 1880. 6.) 

Will man die Ursache oder die verschiedenen Ursachen der Kahl¬ 
köpfigkeit erkennen, so muss man die verschiedenen Arten, in welchen 
das Leiden zur Erscheinung kommt, beobachten. 

Zunächst ist jene Form des Ausfallens der Haare zu nennen, bei 
welcher an einzelnen Stellen des Kopfes auf einem kleineren oder grös¬ 
seren runden Flecke vom Umfange eines halben Markstückes bis zur 
Grösse eines Thalers die Haare verschwinden, während sie in der Nach- 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


barschaft und auf dem übrigen Kopfe dicht und voll weiter wachsen. 
Untersucht man die ausgekämmten Haare an ihrer Wurzel mit dem Mi¬ 
kroskop, so findet man, dass sie dicht über der Haut abgebrochen, dass 
sie also an jener Stelle unelastisch, spröde geworden sind. Unter dem 
Mikroskop si£bt man ferner, dass das Haar mit kleinen Pilzsporen erfüllt 
ist, und eben solche finden sich auch auf der Haut. Durch geeignete 
pilztödtende Mittel (namentlich durch Einreiben einer Pomade mit Carbol- 
säure) kann man allmälig die Pilze vertreiben und ist diese in ihrer 
äusseren Erscheinung hässliche und dem Haupte ein sonderbares getigertes 
Ansehen gebende Art des Kahlkopfes geheilt. 

Die andere Art der Kahlköpfigkeit pflegt vom Wirbel auszugehen; 
da wo die Haare nach ihrer natürlichen Richtung am oberen Theile des 
Hinterkopfes wie von einem gemeinsamen Mittelpunkte nach den Grenzen 
der behaarten Kopfhaut hin wachsen, zeigt sich zuerst dünnerer Haar¬ 
wuchs, so dass die Kopfhaut hindurch schimmert. In diesem Falle hat 
man es in der Regel mit einem schlecht ernährten Haar zu thun, und 
hier helfen spirituöse Einreibungen der verschiedensten Art, mehr¬ 
mals des Tages vorgenommen und jedesmal sorgfältig abgetrocknet, sowie 
nachfolgendes Kämmen mit dem Staubkamme und Bürste. 

Die am häufigsten vorkommende Kahlköpfigkeit aber geht von der 
Stirn aus. Dort werden allmälig die Haare dünner, schwinden ganz und 
ziehen sich mehr und mehr nach dem Hintergründe zurück, so dass eine 
grössere nackte Hautstelle entsteht, während an den Schläfen noch der 
Haarwuchs verbleibt und zuweilen ganz die frühere Fülle beibehält. Diese 
Art der Kahlköpfe nennt Ellinger „Waschkahlköpfe“, und führt sie theils 
auf die Gewöhnung des täglichen Kopfwaschens mit Wasser zurück, ohne 
dass wegen der langen Haare das Wasser wieder schnell vertrocknen 
kann, theils aut die Gewohnheit, die Haare gescheitelt zu tragen, wobei 
dem Haare eine seinem natürlichen Wüchse nicht entsprechende Richtung 
aufgezwungen wird und es in Folge dessen ebenso verkümmert und schlecht 
wächst wie eine Pflanze, deren Stamm man zu ihren Wurzeln in eine 
Zwangslage bringt. Bei kurz und lose getragenen Haaren sind tägliche 
Waschungen unschädlich; das Wasser verdunstet sehr rasch, das Wachs¬ 
thum der Haare leidet keine Unterbrechung. Anders bei langen geschei¬ 
telten Haaren: die äussere Schicht derselben trocknet ebenfalls rechtzeitig, 
bildet aber über den unterliegenden eine undurchdringliche Hülle, das Wasser 
mischt sich an der Austrittsstelle der Haare mit den kleinen Epidermis- 
schuppen und dem Haarfett zu einem Brei, einer Emulsion, einer Schmiere, 
welche verhärtet und den Ausführungsgang des Haarbalges verstopft, was 
dann zunächst Ueberfüllung und darauf Hinschwinden des Haarbalges zur 
Folge hat. Derselbe Nachtheil kann auch entstehen, wenn Jemand häufig 
und nach geringen Anstrengungen schwitzt. Dann bildet sich der Schwitz¬ 
kahlkopf, welcher bei Personen mit Wohlbeleibtheit so regelmässig sich 
findet, dass dicke Männer mit vollem Haarwucbse die Ausnahme bilden. 
In der Regel stellt sich mit grösserem Leibesumfänge und dem grösseren 
Körpergewichte nicht nur das durch die grössere Anstrengung beim Gehen, 
Treppensteigen u. s. w. hervorgerufene vermehrte Schwitzen, sondern auch 
die Kahlköpfigkeit ein. Die Gründe sind die nämlichen. Der Schweiss 
bildet mit Staub, Russ, Kopfschuppen u. s. w. eine klebrige Masse, 
welche die Ausgänge der Haarbälge und Haardrüsen verstopft, die Haar¬ 
wurzel wird kleiner, magerer, stirbt endlich ab und der „Schwitz Kahl¬ 
kopf“ ist fertig. 


Wie beugt man nun dem Ausfallen der Haare gründlich und sicher 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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vor ? — E 11 i n g e r führt dieselben Vorbeugungsmittel an, welche bereits 
vor 15 Jahren in Reclam’s „Buch der vernünftigen Lebensweise“ em¬ 
pfohlen wurden, und welche sowohl für die vom Scheitel als die von der 
Stirn ausgehende Kahlköpfigkeit und für Männer wie für Frauen die 
nämlichen sind. Man kämme täglich, einmal Früh Morgens und einmal 
Abends vor dem Schlafengehen, das Haupthaar zuerst mit einem Kamme mitt¬ 
lerer Weite glatt und darauf mit dem Staubkamme, welchen man fest auf 
die Kopfhaut aufdrttckt. Durch diese Kämmling muss jeder Theil der Kopf¬ 
haut berührt werden, und sie muss mit solcher Kraft in’s Werk gesetzt 
werden, dass man nach derselben das Gefühl hat, als ob die Kopfhaut 
stark gerieben worden wäre. Hierdurch wird bewirkt: dass das Blut 
reichlicher in die Haut hineinfliesst, und dass die Oberfläche der Haut 
vollständig rein wird, die Oeffnungen der Haarbälge und Drüsen offen 
erhalten werden. Vortheilhaft ist es, wenn man nach diesem Kämmen 
noch durch den Gebrauch einer scharfen, dichten Haarbürste, die etwa 
lo9gestossene äussere Hautschichte (Schüppchen, Kopfschuppen) entfernt. 
Gegenwärtig wird man sich hierzu der neu erfundenen und in jeder grös¬ 
seren Stadt (zum Preise von 2—3 Mark) käuflichen Stahlbürsten bedienen. 
Wer Früh und Abends in der angegebenen Weise seine Haare durch- 
bttrstet, und wer sie nach dem Waschen gehörig und sorgfältig abtrocknet, 
der wird damit der Kahlköpfigkeit sicher Vorbeugen! 0. R. 

354. Ueber Knochenerkrankungen bei hereditärer Syphilis. Von 
M. S. Par rot. (The Lancet 1879. vol. I. p. 696. — Centralbl. für 
Chirurg. 1880. 5.) 

Die hereditäre Syphilis ergreift nächst der allgemeinen Hautdecke 
am häufigsten das Knochensystem, viel seltener die Muskeln und die Ein¬ 
geweide. Nur in den seltensten Fällen ist das ganze Knochensystem er¬ 
krankt, am häufigsten erkrankt finden sich die Röhrenknochen der Extre¬ 
mitäten und die Kieferknochen, in zweiter Linie folgen die Schädelknochen, 
Rippen, das Schulterblatt und Darmbein, dann erst die Wirbel und die 
Knochen der Hand und des Fusses. Sind auch die Knochenveränderungen 
mannigfach in Form, Farbe, Consistenz etc., so lassen sich doch deutlich 
zwei Hauptformen unterscheiden, die der Atrophie und die der Hyper¬ 
plasie. Die Atrophie tritt wieder in zwei Formen auf. Die erstere, 
welche P. die gelatinöse nennen möchte, befällt besonders die Knochen 
des Schädels und die langen Röhrenknochen. Hier zeigen im Beginne 
der Erkrankung die Knochen eine granat- bis rosenrothe oder citronen- 
bis maisgelbe Farbe; das Mark wird glänzend, durchsichtig, die Mark¬ 
zellen schwinden mehr und mehr, zuletzt bleibt nur ein vascularisirtes 
fibrilläres Netzwerk mit wässerigem Inhalte übrig. Wird das Knochen¬ 
gewebe selbst in den Bereich der Erkrankung mit hineingezogen, so wird 
es schnell decalcificirt, die spongiösen Lamellen schmelzen und es ent¬ 
stehen Hohlräume, erfüllt mit einer * verändertem Marke“ ähnlichen Masse. 
Die zweite atrophische Form, die chondro-calceröse, besteht darin, dass 
die normal 1 Mm. dicke chondro-calceröse Schicht zwischen Knorpel und 
Knochen (conche ossiforme Ran vier) mit unregelmässiger Begrenzung 
an Dicke ausserordentlich zunimmt, indem dieselbe, anstatt sich in Knochen 
mnzuwandeln, knorplig bleibt; nur wird der Knorpel härter und durch 
Niederschläge von Kalksalzen fester. Die Blutgefässe verschwinden und 
an Stelle der Osteoblasten erscheinen mehr oder wenig veränderte Knorpel¬ 
zellen. Bisweilen tritt diese Veränderung nur an einzelnen Stellen im 
Centrum der spongiösen Lamellen auf. Beide Processe beeinträchtigen 

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Mediciniacb'chirargische Rundscbaa. 


die Festigkeit des Knochens und können zu Fracturen führen, die zum 
Unterschiede von den bei Rhachitis auftretenden Brüchen nicht in der 
Mitte der Knochen, sondern nahe der Epiphyse erfolgen. Durch Reizung 
der Bruchenden entstehen intra- und periosteale Abscesse, ja durch weitere 
Fortleitungen selbst eitrige Entzündungen des anliegenden Gelenkes. Diese 
Fracturen können Paralysen vortäuschen, stets bleibt aber die elektrische 
Contractilität des Muskels erhalten. 

Die zweite Hauptform der syphilitischen Knochenveränderungen 
möchte P. die osteophytische nennen und diese wieder, je nach der Festig¬ 
keit der gelieferten Producte, in osteoide und rhachitische theilen. Letztere 
findet sich nur bei Kindern mit einem Alter über 5—6 Monate, erstere 
bei Kindern jeglichen Alters. Der osteophytische Process befällt mit Vor¬ 
liebe den Oberarm, daun das Schienbein, in zweiter Reihe Femur und 
Ulna; sollte er das ganze Knochensystem ergreifen, so ist er an den 
zuerst genannten Knochen stets am extensivsten entwickelt. In charak¬ 
teristischer Weise befällt er am Oberarm den unteren Theil der Diaphyse, 
an der Tibia die innere, am Femur die vordere und äussere Fläche, an 
der Scapula die Fossa supra- und infraspinata, am Darmbeine die äussere 
Fläche. An den übrigen Knochen wechselt der Sitz der Osteophyten, 
doch treten sie am liebsten an der Partie der Diaphyse auf, welche ein 
langsameres Wachsthum zeigt, z. B. am oberen Ende der Ulna und des 
Radius. Die Osteophyten bestehen aus einem mehr oder minder regel¬ 
mässigen und zahlreichen Balkenwerk, das senkrecht zur Diaphyse an¬ 
geordnet ist; die mit Kalksalzen imprägnirten Balken unterscheiden sich 
vom Knochengewebe durch eine mehr gelbliche oder rosige Farbe, sind 
brüchiger und leichter zu scheiden; mikroskopisch zeigen sie keine Structur 
des Knochengewebes, es fehlen die Knochenkörperchen; dafür sieht man 
drei- oder vieleckige, sternförmige, anastomosirende Gebilde, die an Binde¬ 
ge webskörper erinnern. Bei der „rhachi tischen“ Form, die selten vor 
dem 6. Lebensmonat auftritt, bestehen die Osteophyten aus spongioidem 
(G u 6 r i n, Br o c a) Gewebe von weissem bis gelblichem Aussehen, sie 
sind wenig vascularisirt und enthalten wenig Mark. Zwischen beiden 
Formen finden mannigfache Uebergänge statt. Die Folge dieses Processes: 
Entkalkung, lamellöse und spongioide Umwandlung sind geringere Festig¬ 
keit des Knochens und von dieser wieder Verbiegungen, partielle oder 
complete Frakturen, Formveränderungen der Extremitäten, der Wirbelsäule 
und des Brustkorbes; als functioneile Störungen ergeben sich Schwäche der 
Extremitäten, besonders beim Gehen, und Erschwerung der Athmung. 

Am Schädeldache ist die gelatinöse Degeneration ausserordentlich 
selten, tritt nur bei ganz jungen Kindern auf und scheint schon intra¬ 
uterin zu beginnen; sie setzt stets peripherisch ein und geht nur bei 
rapider und sehr intensiver Degeneration in die Tiefe. Die Osteophyten- 
bildung der älteren Kinder beginnt um die kleine Fontanelle, sehr selten 
am Os tempor., occiput oder dem Are. supraorbit. Die linsenförmigen 
Erhebungen von rother, violetter, selbst grauer Farbe sind meist spongiös, 
selten glatt und hart, wachsen in immer grösserer Zahl und entstehen 
zuletzt an der Protuberantia front, und pariet.; schliesslich kann das 
ganze Schädeldach mit Osteophyten bedeckt sein. Hand in Hand mit 
dieser Osteophytenbildung geht die Verknöcherung der Kopfknochennäbte 
mit ihren Folgen. Die spongioide Degeneration bewirkt am Schädel die 
Ausbildung eines Plagiocephalus und der Kraniotabes, welche Formen 
beide ohne hereditäre Syphilis Vorkommen können, aber in ihrer prägnan¬ 
testen Weise durch dieselbe bewirkt werden. 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


463 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 


355. Untersuchung der Milch einer Ioterischen. Von Dr. Rud. v. 
J a k s c h, Assistent der I. med. Klinik in Prag. (Prager med. Wochen¬ 
schrift 1880. 9.) 


Mit Rücksicht darauf dass sich in der Literatur nur ganz spärliche 
Angaben über die Beschaffenheit der Milch Icterischer vorfinden und — 
soweit dem Verf. bekannt — eine Untersuchung auf Gallensäuren in der 
Milch bis jetzt nicht gemacht wurde, sieht derselbe sich zur Veröffent¬ 
lichung des folgenden Falles veranlasst: 

A. M., 21 J. alt, hatte vor 10 Monaten zum ersten Male geboren. Der 
Verlauf des Wochenbettes war ein vollkommen normaler. Das Kind, gesund und 
kräftig, wurde von ihr selbst genährt und erst einen Tag, bevor Bie in das 
Spital eintrat, abgestillt. — Pat. gibt an, bis circa 3 Wochen vor ihrem Spitals- 
eintritt immer ganz gesund gewesen zu s*in. Die ersten Symptome ihres jetzigen 
Leidens traten nach einem Diätfehler auf. Sie bekam heftiges Erbrechen nnd 
wenige Tage später bemerkte sie zum ersten Male eine gelbliche Färbung der Hant. 

Als Pat. am 16 Januar 1880 auf die Klinik aufgenommen wurde, zeigte 
Bie die ausgesprochenen Symptome eines Icterus catarrhalis. Die Hautdecken 
waren citronengelb, ebenso zeigten die Conjunctiven der Bulbi eine starke gelbe 
Färbung. Die Temperatur war während der ganzen Dauer der Beobachtung 
normal. — Die 4>4stündige Harnmenge schwankte in relativ weiten Grenzen 
zwischen 300—1700 Cm., das specifische Gewicht des Harns betrag zwischen 
1021—1035 Der Harn war sehr reich an Gallenpigment und enthielt kein Ei- 
weiss. Die Pulsfrequenz schwankte zwischen 58—68 Schlägen in der Minute. 
Nach 8 Tagen, als Patientin das Spital verlies», war die gelbliche Färbung der 
Haut etwas geringer geworden, im Harn jedoch konnte mau noch immer Gallen- 
farbstoflfc nachweisen. 

Erwähnenswerth ist noch, dass das Kind, obwohl es durch länger, 
als eine Woche, mit der Milch dieser an Icterus leidenden Frau genährt 
worden war, weder in dieser Zeit, noch nachher irgend welche krank¬ 
hafte Symptome zeigte. 

Die während dieser Zeit gesammelte Milch, deren Menge ungefähr 4000 Cm. 
betrag, war dünnflüssig, reagirte schwach alkalisch und hatte eine etwa» in’s 
Grünliche spielende, blau-weisse Farbe. Bei Schichtung mit concentrirter Sal¬ 
petersäure trat eine leicht grünliche Verfärbung au den Berührungsflächen beider 
Flüssigkeiten auf, die man aber nicht mit voller Bestimmtheit als eine Gallen- 
ferbstoffre&ction gelten lassen konnte. 

Die beobachtete Pulsfrequenz liess es wahrscheinlich erscheinen, 
dass gallensaure Salze im Blute circuliren. Es war daher von Interesse, 
die Milch auf einen etwaigen Gehalt an Gallensäuren zu untersuchen. 

Verf. hat deshalb in folgender Weise diese Milch im Prager medi- 
cinisch-cbemi8chen Universitätslaboratorium auf Gallensäuren untersucht: 


Dieselbe wurde im Wasserbade auf ein Drittel ihres Volumens einge¬ 
dampft und dann mit 90 Perc. Alkohol gefällt. Die Flüssigkeit wurde 
nach Verlauf mehrerer Tage filtrirt, der Alkohol durch Destillation aus 
dem Filtrate eutfernt. Der Rückstand, welcher etwas trüb war, wurde 
im Wasserbade noch etwas eingedampft, da er schwach sauer reagirte, 
mit Natriumcarbonat neutraiisirt und dann auf ein nasses Filter gebracht. 
Das Filtrat wurde jetzt mit Bariumnitrat ausgeftlllt, filtrirt und nun zu 
demselben so lange basisch essigsaures Blei zugesetzt, als noch ein 
Niederschlag entstand. Dieser mit destillirtem Wasser ausgewaschene 
Niederschlag wurde mit heissem Alkohol mehrmals extrahirt. Das Extract 
wurde unter Zusatz von etwas kohlensaurem Natron im Wasserbade ein- 


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464 


Medicinisch-chirurgische Run^schan. 


gedampft, der Rückstand von Neuem mit heissem Alkohol mehrmals 
extrahirt, dann filtrirt und im Wasserbade zur Trockene eingedampft. 
Der jetzt erhaltene Rückstand wurde in etwas Wasser gelöst und damit 
die Pettenkofer-Neukomm’sche Probe angestellt. Die Probe, mehr¬ 
mals wiederholt, gab stets ein negatives Resultat. 

Man kann also daraus den Schluss ziehen, dass Gallensäuren in 
nachweisbarer Menge in der Milch nicht vorhanden waren. 

356. Untersuchungen über den Kohlehydratbestand des thieri- 
schen Organismus nach Vergiftung mit Arsen, Phosphor, Strychnin, 
Morphin, Chloroform. Von Fr. Rosenbaum. (Inaug. Diss. Dorpat 1879. 
Erlenmeyer’s Ctrlbl. f. Nrvhk. HI. 7.) 

Das centrale Nervensystem übt einen mächtigen Einfluss auf den 
Verbrauch der Kohlehydrate. Dafür spricht vor Allem das Auftreten von 
Diabetes nach der sogenannten Piqüre und nach Gehirn- und Rttcken- 
marksverletzungen. Chandelon hat nachgewiesen, dass das Glycogen in 
den Muskeln sich anhäuft, wenn die zugehörigen Nerven durchschnitten 
worden sind und Böhm und Hoffmann fanden reichliche Kohlehydrat- 
vorräthe in den Organen von Thieren, welche nach Durchschneidung des 
Rückenmarkes im Verlaufe von 24—30 Stunden zu Grunde gegangen 
waren. Da nun die meisten Gifte vorzugsweise durch ihre Einwirkung 
auf das centrale Nervensystem tödtlich wirken, so stellte sich Verf. die 
Aufgabe den Einfluss der obengenannten Gifte auf die Glycogen- und 
Zuckerbildung in Leber, Muskel und Blut zu untersuchen. Alle Versuche 
wurden an kräftigen gutgenährten Katzen gemacht, das Gift subcutan 
resp. durch Inhalation ein verleibt. Alle Versuche ergaben eine rasche 
Abnahme des Glycogengehaltes der Leber, meist vollständigen Schwund 
schon innerhalb einiger Stunden; völliger Mangel des Glycogens in den 
Muskeln findet sich dagegen nur nach Strychninvergiftung in Folge der 
Krämpfe. Verminderung derselben nach Arsenik- und Strychninvergiftung. 
Der Zuckergehalt der Leber schwand nach Phosphorvergiftung vollständig 
im Laufe von 28—48 Stunden und war in den übrigen Versuchen vermindert, 
normal nur nach Morphiumvergiftung, übrigens ist bemerkenswerth, dass 
Morphium auf die Katzen niemals hypnotische Wirkung ausübte, es be¬ 
wirkte immer starke Muskelunruhe, Krämpfe, heftiges Erbrechen, Angst. 
Die Schmerzempfindung war aufgehoben. Tod durch Respirationslähmung, 
Die Temperatur ging durch Strychnin- und Morphium Vergiftung continuir- 
lich um mehrere Grade in die Höhe. Bei As, Ph, Chloroform continuir- 
liches Sinken der Temperatur in ano. 

357. Ein Fall von Rothfärbung des Harns. Von Kien. (Gaz, 
möd. de Strassbourg 1880, Nr. 1. — Centralbl. f. clin. Med. 1880, 
Nr. 6.) 

Eine sehr nervöse Dame zeigte dem Verf. ihren Harn, worin sich 
ein Niederschlag befand, welcher grosse Aehnlichkeit hatte mit Johannis- 
beeren-Syrup. Fürchtend, dass ein hysterischer Betrug vorliege, bat Verf. 
um ein wenig frischen Harn. Dieser war normal: blass-gelb, reagirte 
sauer, enthielt kein Eiweiss, keinen Zucker, war vollkommen klar. Drei 
Tage nachher wurde Verf. wieder wegen desselben Niederschlages gerufen. 
Jetzt bat er die Kranke, den Harn von den verschiedenen Malen in ge¬ 
sonderten Gläsern aufzubewahren und untersuchte diesen ebenso, wie den 
in seiner Gegenwart gelassenen. Die letzte Probe war klar, vollkommen 
ähnlich dem, welchen er früher gesehen hatte. Die vorletzte Probe ent» 
hielt eine weissliche, flockige Wolke, von dem unteren Theile ausgehend; 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


465 


die vorher gelassen^ auf dem Boden des Glases und ähnlichen Wolken 
beigemischt die rothe Substanz in Form von kleinen Haufen, mehr 
weniger mit einander verbunden; in den ältesten zwei Gläsern stieg diese 
Substanz höher auf. Chemisch und mikroskopisch untersucht, fand man 
nur Pilzsporen und Crystalle von phosphorsaurer Ammoniak-Magnesia, 
keine Spuren von Blut oder Schleim, noch Zucker. Der letzte, frische 
Harn wurde aufbewahrt, um zu sehen, ob auch darin die rothe Substanz 
auftreten würde. AUmälig geschah dies und am nächsten Tage fand man 
diese auf dem Boden des Glases. Bewegen des Glases brachte die rothe 
Substanz zum Verschwinden; die Flüssigkeit war trübe und man sah 
eine grosse Zahl Crystalle sich darin bewegen, mit grünem und gelbem 
Reflexe, mit allen möglichen Nuancen umgeben. Nachher erfuhr Verf., 
dass die Kranke fünf Tage und kurz vor dem Auftreten der Farbe, 
täglich 30 Ctgrm. Santonin verbraucht hatte. Er meint, dass dieses die 
Ursache des Phänomens war und dass in dem Reichthum des Harns an 
phosphorsauren Ammoniak-Magnesia-Crystallen und in ihrer Gruppirung, 
wodurch eine besondere Reflexion und Refraction der Lichtstrahlen ent¬ 
stand, die Erklärung der rothen Farbe zu suchen sei. Das Verschwinden 
derselben durch Bewegung schien ihm seine Meinung zu bestätigen. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 

358.1. Für und wider die Kuhpockenimpfung und den Impfzwang, 
oder polemische, kritische und statistische Beiträge zur Pocken- und 
ImpfTrage. Von Dr. Adolf Vogt. Bern 1880. Dalp’sche Verlags¬ 
handlung. 

2. Der Impfschutz in seinen Beziehungen zur Impfstatistik. 

Von Dr. J. W. Lorinser. (Wr. med. Wochensehr. 1880, 7—11.) 

3. Ueber die Nothwendigkeit eines neuen Impfgesetzes für 
Oesterreich. Von Dr. L. 0 8 e r. (Vierteljahrsschr. f. Derm. und Syphilis. 
VH. 1. Heft.) 

Die Literatur der Impffrage ist in der letzten Zeit wieder stark 
bereichert worden. Am meisten Aufsehen machte das mit zahlreichen 
Tabellen ausgestattete und mit grossem Geschick und mit vieler Schärfe 
geschriebene obengenannte Werk von Prof. Vogt. 

Wer sich überhaupt für diese verquickte Frage interessirt, darf 
dies Buch nicht unbeachtet lassen. Im ersten Abschnitte polemisirt Vogt 
gegen die Schweizer Aerzte und Impffreunde oder „ Impfdogmatiker u , wie 
er sie nennt, besonders gegen Dr. Brunner und Medicinalrath 
Dr. Zehnder, und geisselt die Art und Weise ihrer Statistik-Fabrikation 
und ihrer Logik. 

Prof. Vogt ist kein absoluter Gegner der Impfung, wohl aber 
ein Gegner des blinden Impfglaubens, des Impfzwanges und des alten 
Schlendrians im Zusammenstellen der statistischen Tabellen ohne Berück¬ 
sichtigung der Altersclassen und anderer zahlreicher Nebenumstände. 

Dass Vogt keüi Gegner der Vaccination ist, findet der Leser 
seines Buches — ich möchte sagen auf das früher Gelesene hin völlig 
überrascht — erst auf Seite 112 in folgender Stelle: „Wenn ich auch 
glaube nachgewiesen zu haben, dass die Lehre von der Verscheuchung 
dieser Weltseuche mittelst der Vaccination sich durch die Statistik, d. h. 

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3Ied.*chir. Rundschau. 1880. 



466 


Medicinisch-chirurgiiche Rundschau. 


mit anderen Worten hier dnrch die Thatsachen, nicht begründen lässt, 
so möchte ich dennoch nicht dahin missverstanden werden, dass ich den 
Einfluss der Durchseuchung wie der Yaccination überhaupt nicht anerkenne, 
wie mich einzelne schweizerische Collegen in etwas zu weit gehender 
Naivetät aufgefasst haben. w 

Im Weiteren geht Vogt auf die Pockenstatistik von Dr. E. Müller 
in Berlin und Dr. Jos. Keller in Wien näher ein und kommt dann 
über die Art der Beweisführung in der Impffrage zur Aufstellung folgen¬ 
der fünf Fragen: 1. Auf welche Weise kann die Sicherheit und die Dauer 
eines Schutzes vor Pockenerkrankung und Pockentod durch Yaccination 
entschieden werden: durch den Einzelversuch oder durch die statistische 
Erforschung? 2. Welcher Grundlagen bedarf es zum statistischen Nach¬ 
weis? 3. Inwiefern entspricht unser wissenschaftliches Material den 
Anforderungen der Statistik ? 4. Welche Methode der Berechnung verlangt 
die vergleichende Statistik zur Entscheidung der Impffrage? 5. Was ist 
das Resultat der statistischen Forschung? Bei dieser Frage durchgeht 
er: 1. Den Einfluss der Yaccination auf das zeitliche und räumliche Auf¬ 
treten der Pockenepidemien; 2. Pocken- und Impfschutz in den ver¬ 
schiedenen Lebensaltern; 3. Pocken und Impfung in Schottland; 4. Pocken 
und Impfung in England. 

Alle diese Fragen erörtert und beantwortet er in erschöpfender 
Weise an der Hand zahlreicher Tabellen und Vergleiche, soweit sie sich 
eben beantworten lassen, nicht selten sarkastische Hiebe austheilend. Dass 
er bei diesem scharfen Ritte selbst zeitweilig über das Ziel galoppirt kann 
nicht abhalten der mit so reichem Material ausgestatteten und mit grossem 
Fleisse geordneten Darlegung zu Ende zu folgen. Angebängt hat er noch 
ein Capitel über „Impfschädigungen“ und ein Schlusswort, in dem er 
seine Ansichten der Hauptsache nach noch einmal dahin zusammenfasst: 
dass die Pockenkrankheit wie jede andere Seuche unbeirrt von der 
Vaccination in wellenförmiger Bewegung komme und gehe und dass der¬ 
selben weit ausgiebiger durch sanitäre Massregeln als durch die Vaccine 
entgegengetreten werden könne; dass der Vaccination zwar eine Schutz¬ 
kraft gegen die Pocken innewohne, die aber nur sehr kurz (wahrschein¬ 
lich gegen ein Jahr) dauere, und dass man nur dann impfen solle, wenn 
das Herannahen einer Epidemie signalisirt sei u. s. w. Vor Allem aber 
fordert er vom Staate genaue Erhebung der Bevölkerung nach Alters- 
classen und eine vorurtheilsfreie genaue Aufnahme statistischer Thatsachen 
und Anwendung der nöthigen sanitären Massregeln, anstatt der Anwendung 
des Zwanges, der in nichts seine Berechtigung findet. 

Eine zweite Arbeit über Impfung ist im Wesentlichen eine Be¬ 
sprechung des vorgenannten Werkes, betitelt: Der Impfschutz in 
seinen Beziehungen zur Impfstatistik (Wr. med. Wochscbr. 
1880. 7—11) vom Krankenhaus - Director Dr. Lorinser mit einigen 
dazugefügten eigenen Bemerkungen desselben. L. ist nur mit jenen Steilen 
des Buches nicht einverstanden, wo Vogt der Vaccination einen kurzen 
Schutz zuerkennt und glaubt die Unrichtigkeit von dessen Schluss¬ 
folgerung dadurch beweisen zu können, dass er die Ausserachtlassung der 
grossen Kindersterblichkeit zu einer Zeit, wo alle Kinder noch nicht 
geimpft seien, in’s Treffen führt. Im Uebrigen harmonirt er vollkommen 
mit Vogt’s Ansichten und fordert die Aerzte auf: „sich selbst mit den 
Ergebnissen der Statistik bekannt zu machen und die überzeugende, durch 
nichts zu widerlegende Sprache einer logisch durchdachten Statistik ver¬ 
stehen zu lernen .... und von den Irrwegen des Wahnes auf den Pfad 


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Medicimach-chirvgigche Rtradschaa. 


467 


der Wahrheit zurttckzukommen; dann werden auch die Phantasiegebilde 
des Impfschutzes und die Geissei des Impfzwanges .... vom Schauplatze 
verschwinden !“ 

Eine dritte Publikation über diesen Gegenstand ist ein Referat dem 
nieder-Österr. Landes-Sanitätsrathe erstattet vom Sanitätsrathe Dr. L. 0 s e r 
und in der Vierteljahrschrift für Dermatologie und Syphilis (VII. Jahrg., 
1. Heft) unter dem Titel: „Ueber die Nothwendigkeit eines 
neuen Impfgesetzes für Oesterreich“ erschienen. Oser er¬ 
wähnt, dass der Landes-Sanitätsrath schon 1873 die Nothwendigkeit der 
Aenderung des österr. Impfgesetzes und die Einführung der allgemeinen 
Impfpflicht betont und Ober-Sanitätsrath Dr. Schneller im selben Jahre 
den Entwurf eines Impfzwanggesetzes vorgelegt habe. Seitdem war Still¬ 
stand in dieser Frage eingetreten, bis der Wiener Magistrat im April 1879 
sich ein Impfzwangsgesetz wünschte und die nieder-Österr. Statthalterei 
deshalb vom Landes-Sanitätsrathe ein Gutachten verlangte. 

Oser geht dann kurz auf die zahlreichen aber oberflächlichen 
statistischen Zusammenstellungen Schnellere ein und meint, dass wir 
einer definitiven Lösung der Impffrage nicht viel näher stehen, als man 
es zur Zeit Jenner’s war. Weiter kommt er auf die Arbeit Vogt’s 
zu sprechen, „die darum besondere Achtung verdient, weil es entschieden 
die gründlichste sachgemässe Arbeit aus gegnerischem Lager ist, die wohl 
von nun an vielfach als beweisend citirt werden wird“. Er hebt dann 
Mängel und einzelne Fehlschlüsse desselben hervor, meint aber, dass 
folgende Behauptungen Vogt’s unleugbare Thatsachen sind: 1. Die bis¬ 
herige Impfstatistik ist eine lückenhafte, in vielen Fällen geradezu schlecht 
und fehlerhaft und zu Schlüssen gar nicht zu verwerthen. 2. Die Blattern 
brechen wie jede epidemische Krankheit von Zeit zu Zeit über grosse 
Länderstrecken, ja ganze Welttheile herein und diese Schwankungen 
hängen von Momenten ab, deren Natur uns heutzutage noch unbekannt 
ist. 4. Auf die Ausbreitung und Intensität der Blattern und insbesondere 
auf die Mortalität üben sanitäre und sociale Momente einen wesentlichen 
Einfluss. Es gelten bei der Variola dieselben Gesetze, wie bei den 
übrigen contagiösen und epidemischen Krankheiten u. 8. w. 

Nach ausführlicher Erhärtung dieser Thatsachen meint er aber, 
dass dieselben nicht zu dem Schlüsse berechtigen, dass die Vaccination 
ohne Werth sei, denn 1. seien die Experimente Jenner’s und vieler 
Anderer nach ihm über die Nichthaftung echter Blattern nach der 
Vaccination heute noch ebenso überzeugend wie früher. 2. Sprechen 
gerade die Erfahrungen der Kliniker und Aerzte, welche Blatternkranke 
in grosser Zahl zu behandeln Gelegenheit hatten, für den Nutzen der 
Impfung, während die Gegner zumeist aus Theoretikern und Statistikern 
bestehen. 3. Spreche auch die Statistik, soweit sie eben verwerthbar sei, 
für den Nutzen der Impfung, so z. B. die Arbeit Dr. Flinzer’s über 
die Epidemie in Chemnitz u. s. f. 

Auf die alten österr. Impfverordnungen eingehend meint er: so 
könne es nicht bleiben; entweder spreche man sich für die facultative 
Impfung aus, dann entfällt jedes Gesetz, oder man führe den Impfzwang 
ein, wozu ein neues Gesetz nothwendig ist. Nach seiner persönlichen 
Ansicht ist aber mit einem strengen Zwangsgesetz nicht viel gewonnen, 
da es schwer wäre, bis zur äussersten Consequenz es durchzuführen, und 
die Agitation dagegen nur gesteigert würde. 

Der Antiirapfagitation könne man am besten entgegentreten, wenn 
man durch Einführung der animalen Vaccination und durch strenge Yor- 

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Medicmisch-chirnrgische Band schau. 


sichtsmassregeln zum Schutze gegen Wundkrankheiten ihr jeden Boden 
entziehe. / 

Auf Grund der vorangegangenen Betrachtungen stellt er den An¬ 
trag: Der Landes-Sanitätsrath möge sich dahin aussprechen, dass eine 
Revision der Impfgesetze, sowie die Erlassung eines Gesetzes, das die 
allgemeine Impfpflicht zur Grundlage habe, nothwendig sei, dass dies 
jedoch nur unter der Bedingung geschehen könne, wenn von Seite des 
Staates filr die Beseitigung der Gefahren der Impfung möglichst vor¬ 
gesorgt wird. Dr. Waldner. 

359. Die subpleuralen Ecchymosen beim Erstickungstode. Von 
Dr. B. Rheder, prakt. Arzt und zweiter Gerichtsarzt in Kiel. (Vierteljschr. 
f. ger. und öffl. Medic. von Dr. H. Eulenburg. N. F. XXXII. Bd., 
2. Heft 1880, pag. 237 u. f.) 

Der Verf. erwähnt einleitend, dass Röderer im Jahre 1753 die 
Ecchymosen zuerst beschrieb und dass ihnen erst Casper die ihrer Wich¬ 
tigkeit gebührende Beachtung schenkte; dann gedenkt er der Erklärungs¬ 
versuche, welche über die Vorgänge, die zur Bildung von Ecchymosen 
ftlhren, gemacht wurden, und erörtert die von Krahmer für die Entstehung 
derselben gegebene Hypothese, um schliesslich zur heute geltenden An¬ 
sicht zu gelangen. 

Darauffolgend führt er seine Untersuchungen über dieses Thema an 
und kommt nach deren Ergebnissen zu dem Schluss, dass die subpleuralen 
Ecchymosen das Resultat einer in Folge des erhöhten Blutdruckes ent¬ 
standenen GefUsszerreissung sind und dass die Bildung derselben umso 
wahrscheinlicher ist, je länger die Reizung des vasomotorischen Centrums 
während der Erstickung dauert — d. h. je langsamer die Erstickung 
erfolgt. Schlemmer. 


360. Hisshandlung eines Kindes. — Tod durch acute Miliar- 
tuberculose. Von Dr. Brand in Geldern. (Vierteljschr. f. ger. Med. etc. 
XXXII. Bd. 2. Heft, pag. 259.) 

Der Verf. theilt hier einen Fall mit, in welchem ein drei Jahre 
altes „im Mai 1875 noch gesundes dickes Kin d“ am 3. November 
desselben Jahres, also nach 5 Monaten, abgemagert, elend, „ein wahres 
Jammerbild“, an acuter Miliartuberculose zu Grunde ging. 

Bedingt wurde dieser Umschlag in dem somatischen Befinden des 
Kindes durch seitens des Stiefvaters in der rohesten Weise ausgeführte 
Misshandlungen, durch Entziehung der Nahrung und Kleidung bis auf ein 
Minimum und durch die Unterbringung desselben in einer dumpfigen 
feuchten Kammer. 

Die Obduction ergab einen Tuberkel auf der rechten Grosshirn¬ 
hemisphäre, Miliartuberculose der Lungen und sämmtlicher Bauchorgane, 
und gelangten die Obducenten zu dem Schluss, dass die in den letzten fünf 
Monaten ^dem Kinde zu Theil gewordene schlechte Behandlung und Ver¬ 
nachlässigung die geschilderten Veränderungen herbeigeführt habe. 

[Interessant wäre eine genaue Schilderung des Befundes der weichen 
Hirnhaut und des Verdauungstractes gewesen. (Ref.)] 

Der Stiefvater wurde wegen Mordes vom Schwurgerichte zu C. 
verurtheilt. Schlemmer. 


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Medicinisch-chirurgische Rtmdgchan. 


469 


361. Leichenstarre in unmittelbarem Zusammenhang mit Muskel* 
contraction während des Lebens. Von Prof. M. V. Oden ins in Lund. 
(Norv. med. ark. XI. 3. Nr. 22, pag. 1—24, 1879. Ref. in Schmidts 
Jahrb. Bd. 184, Jahrg. 1879, Heft 11, pag. 168.) 

Der Verf. schildert hier einen Fall, in welchem die Leichenstarre 
eine von dem Individuum spontan eingenommene, dem Gesetze der Schwere 
widersprechende Stellung der Arme erhalten hatte. 

Die näheren Umstände des Falles warep folgende: Ein 47 Jahre 
alter Mann wurde Morgens am 24 Oct. in einer Scheune, in der er über¬ 
nachtet hatte, todt aufgefunden. An der rechten Seite des Halses befand 
sich eine, unzweifelhaft mit dem neben der Leiche gefundenen blutigen 
Messer zugeftigte Stichwunde, die 4 Ctm. unterhalb des Ohres begann 
und in einer Länge von 5*5 Ctm. sich nach unten und vorne, parallel 
mit dem Unterkiefer erstreckte. Die Hautränder der Wunde waren voll¬ 
kommen glatt und blass, nur an einigen Stellen von geringer Ausdehnung, 
blutig imbibirt; auch die durchschnittenen Weichtheile zeigten ziemlich 
glatte Schnittflächen. Einzelne kleinere Blutgerinnsel fanden sich sowohl 
im Grande der Wunde, als auch an den Hauträndern, sonst war die 
Wunde rein und von dem noch fortwährend aussickernden Blute feucht. 

In der. Umgebung derselben bemerkte man noch einige dberfläch» 
liehe Ritze in der Haut. Der vordere Theil des Sternocleidomastoideus 
und die Ven. jugul. externa waren vollständig durchschnitten und an der 
vorderen Peripherie der Yen. jugul. interna faild sich eine klaffende 
Oeffnung, welcher an der Innenfläche der hinteren Peripherie ein kleiner 
Ritzer entsprach. — Carotis und N. vagus waren unverletzt. Die. Kleider 
an der rechten Schulter und abwärts afn Arm und Brust derselben Seite 
waren von Blut durchtränkt; auch an anderen Stellen fanden sich kleinere 
eingetrocknete Blutflecken. Ausser den erwähnten fanden sich am ganzen 
Körper keine Verletzungen oder Spuren einer geleisteten Gegenwehr. 

Der linke Oberarm war an die Seite eingeschlossen, der Vorderarm 
in etwas mehr als einem rechten Winkel gegen denselben gebeugt, wurde 
freischwebend über der Brust gehalten; der rechte Oberarm stand hori¬ 
zontal nach vorne (der Körper in aufrechter Stellung gedacht), der Vorder¬ 
arm war stark gegen denselben gebeugt, so dass der •Handrücken auf 
dem oberen Theile des Sternum ruhte. In allen Gelenken bestand Lei¬ 
chenstarre. 

i Diese ungewöhnliche Stellung der Arme könnte, wie eine genaue 
Besichtigung der Stelle ergab, an der die Leiche, auf dem Rücken liegend 
mit ausgestreckten Beinen, geftmden wurde, nicht dadurch erklärt werden, 
dass die Arme von irgend welchen Stützen in dieser Lage gehalten wurden, 
bis die Leichenstarre eintrat, sondern man musste annehmen, dass der 
Verstorbene in den letzten Augenblicken des Lebens eine bewusste Be¬ 
wegung in irgend emer bestimmten Absicht ausftlhren wollte und während 
derselben vom Tode überrascht wurde. 

(Ob die Leiche’ noch mehr weniger warm war ist nicht zu er¬ 
sehen, doch ist dies wahrscheinlich, da ja noch Blut aus der Verletzung 
aussickerte. Ref.) 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Recensionen. 

362. Lehrbuch der gerichtlichen Medicin. Mit gleichmässiger Berück¬ 
sichtigung der deutschen und österreichischen Gesetzgebung. Zweite ver¬ 
mehrte und verbesserte Auflage. Mit zahlreichen Holzschnitten. Von Prof. 
Dr. Eduard Hofmann, k. k. Obersanitfttsrath. Wien und Leipzig. 
Urban und Schwarzenberg. 1880. Erste Hälfte. 

Bei der ungeteilten Anerkennung, welche das vorliegende Werk des ge¬ 
lehrten Autors schon bei seinem enten Erscheinen unter den Fachmännern fand, 
genügt es nur Charakteristik der vorliegenden, schon nach einem Zeitraum von 
kaum drei Jahren nothwendig gewordenen zweiten Auflage anzuführen, dass in 
derselben zunächst der Plan des Werkes und die Anordnung des Inhaltes wie in 
der ersten Auflage beibehalten wurde. Die namhaften Erweiterungen, welche der 
vorliegende Theil aufweist, ergeben sich sowohl aus dem reichen Materiale, 
welches dem Verf. in seiner Stellung an der Hochschule zu Wien und speciell 
als LandeBgerichtsanatom daselbst zur Verfügung steht, als auch aus den zahl¬ 
reichen wissenschaftlichen Arbeiten, welche sowohl vom Verf. als in dem von 
ihm geleiteten Institute ansgefuhrt wurden. Selbstverständlich hat derselbe Nichts 
unberücksichtigt gelassen, was seit dem Erscheinen der ersten Auflage für das 
Gebiet der gerichtlichen Medicin Werthvolles geschaffen wurde. Wir erwähnen 
u. A. den Wasserschuss nach den eigenen Erfahrungen des Verf. dargestellt nnd 
besonders die Erweiterung, welche das Capitol der Schnssverletznngen erfahren 
hat. Auch bei dem Nachweis der Blutspuren werden die neuesten Unter¬ 
suchungen berücksichtigt. Indem wir uns eine eingehende Besprechung aller text¬ 
lichen Erweiterungen nach dem Erscheinen des ganzen Werkes Vorbehalten, wollen 
wir für diesmal auf die höchst werthvolle Bereicherung hinweisen, welche die 
vorliegende Auflage durch die zahlreichen, sorgfältig gewählten Original-Illustra¬ 
tionen in Form von Holzschnitten erhalten hat. In der vorliegenden Doctrin hat 
die bildliche Darstellung, besonders für den Gerichtsarzt der selten oder nie über 
eine reichhaltige und instructive Präparateusammlung verfügt, einen ganz bedeu¬ 
tenden Werth. Figur I und 2 zeigen uns zwei verschiedene Fälle von Hypo¬ 
spadie. Fig. 3 und 4, zwei Fälle von Epispadie, Fig. 5 und 6 illustriren die 
Zwitterbildung und die Figuren 7—27 zeigen uns die verschiedenen Formen des 
Hymens in den mannigfachen Zuständen, in welchen es dem Gerichtsarzte zur 
Untersuchung vorliegen kann. Fig. 28 zeigt Spermatozoiden aus einem älteren 
Samenfleck. Die Illustrationen von Fig. 30—33 zeigen diagnostisch wichtige 
Theile der zur Fruchtabtreibung benützten Pflanzen. Die Illustrationen von Fig. 35 
bis 40 sind den Stichöffnungen gewidmet, wobei wir als besonders interessant 
die Zusammenstellung der von Hofrath Langer entworfenen Figuren über die 
Spaltbarkeit des Cutis mit einigen Fällen von Stich Verletzungen durch Selbstmord 
anführen müssen. Die Schussverletzungen finden wir in Fig. 41—55 durch die Illu¬ 
stration der Eingangsöffhungen erläutert. Der vorliegende Theil scbliesst mit der 
Untersuchung von Blntspuren, welcher die bildliche Darstellung der Spektren des 
Hämoglobins in seinen verschiedenen Oxydationsstufen und des Hämatins ferner 
die der Häminkrystalle beigegeben ist. Die Ausstattung des Werkes ist eine 
wahrhaft musterhafte. —sch. 

363. Verletzungen der unteren Extremitäten. Von Professor 
Dr. Lossen. Mit 44 Holzschnitten. 65. Lief, der „Deutschen Chirurgie“. 
Herausgegeben von Billroth-Luecke, Stuttgart bei Enke 1880. 
8. 245 und XXXIV. 

In der 65. Lieferung der „ Deutschen Chirurgie“ liegt uns die Abhandlung 
über Verletzungen der unteren Extremitäten vor. 

Es ist eine sehr wohl begründete Neuerung in der Anordnung des Stoffes 
gegenüber der inv. Pitha-Billroth’s Handbuch eingehaltenen, dass Verletzungen 
des Körpers getrennt von anderen pathologischen Gruppen besprochen werden; 
es wird dadurch einerseits sowohl dem pathologischen Systeme, als der klinischen 
Beobachtung Rechnung getragen, andererseits wird das Buch durch die regionäre 
Abhandlung ätiologisch gleichartiger Krankheiten handlicher; denn man muss 
dieselben weder aus weit auseinander liegenden Lieferungen zusammensuchen, noch 
ist man Wiederholungen an verschiedenen Stellen ausgesetzt, was beides, wenn 
auch nur spärlich bei der Stoffeintheilung, wie sie in v. Pitha-Billroth 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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getroffen wurde, nicht so vermeiden war. Allerdings soll damit der früheren Re¬ 
daction kein Vorwarf gemacht werden, da man es za jener Zeit mit einem gänz¬ 
lich neuen Unternehmen za than hatte, wogegen bei der Heraasgabe der „Deutschen 
Chirurgie“ sowohl die Redaction das ganze zu bearbeitende Material klar übersieht, 
eine zweckentsprechende Eintheilang auch nach wissenschaftlichen Grundsätzen 
leicht treffen kann, als auch jeder Autor sich sehr wohl der Grenzen des ihm 
zugewiesenen Theiles bewusst ist. Wir müssen aber der jetzigen Redaction im 
Gegentheil zu Dank uns verpflichtet fühlen, dafür, dass der jetzigen Umarbeitung 
an Uebersichtlichkeit der Stoffanordnung gewiss nur wenig abgehen wird. Was 
d ie L o s 8 e n’sche Abhandlung betrifft, bildet sie ein Stück jener Abtheilung der 
«Deutschen Chirurgie“, welcher Verletzungen zum ausschliesslichen Gegenstände 
hat und dessen allgemeiner Theil (von Prof. Gassenhauer bearbeitet) jüngst 
erschienen ist. 

Wir finden in dem Lössen’schen Buche abgehandelt sowohl subcutane, als 
mit Weichtheilwunden complicirte Verletzungen der Weichtheile, Gefässe. Nerven, 
Muskeln, Sehnen, Bänder, Gelenke, Knochen (ihre Folgen und deren Behandlung), 
und zwar einerseits die zufälligen, andererseits gewollten, der chirurgischen 
Therapie dienenden, d. h. operativen Verletzungen, unter letzteren also die 
Ligatur der Gefässe, Sehnen und Nervennaht, Exarticulationen, Osteotomie, Resec- 
tionen, Amputationen; endlich den reparatorischen Eingriff der Reposition, der 
Verrenkungen. 

Lossen hatte zwar auf seinem Gebiete zwei der töchtigsten Vorarbeiter 
gefunden, ▼. Pitha und Volk mann; doch war es ihm gegönnt, durch eigene 
Arbeit und durch Gunst der Umstände (Stoffeintheiluug, Einführung der Liste r’schen 
Verbandmethode, die rege publikatorische Thätigkeit seiner Zeitgenossen, Kriege, 
Chirurgencongresse etc) seine Abhandlung mit Vorzügen auszustatten, die sie 
höchst lesenswerth und brauchbar, und zur Zeit wohl zur besten ihrer Art 
machen. 

Durch eingehendere Berücksichtigung der Gelenkemechanik, d. h. Einfügung 
von zahlreichen, meist den Werken B i g e 1 o w und Anger entlehnten Illustrationen 
der Position der Extremitäten und der verschobenen Knochen bei Luxationen 
gewinnt das Buch an Instructivität; die genaue Erzählung von antiseptischer 
Versorgung der offenen Verletzungen an einigen typischen Beispielen klar gemacht, 
die Betonung des Umschwunges der chirurgischen Therapie und der Verbesserung 
den statistischen Resultate unter dem Einflüsse der Antiseptik machen es zu 
einem Zeitgemässen und die geradezu verblüffenden Literaturangaben am Anfang 
des Buches (34 Seiten) und im Text zeugen von emsiger Arbeit des Verf. und 
erinnern an ähnliche Publicationensammlungen, welche den einzelnen Artikeln 
des eben erscheinenden Jaccou d’schen Nouveau dictionnaire de m6d£cine et de 
Chirurgie am Schlüsse beigefügt sind. Die Verwerthung der Publikationen über 
Kriegsschusswunden wird wohl auch gewisse Kreise zu Reformen des brachliegenden 
Kriegssanitätswesens auffordorn. M—1. 


364. Grundriss der Anatomie des Menschen. Von Dr. J. Henle, 
Prof, der Anatomie in Göttingen. Text nebst einem Atlas von 284 Tafeln, 
zum Theil in Farbendruck. Braunschweig, F. Vieweg & Sohn 1880. — 
1. Lieferung: Knochen-, Bänder- und Muskellehre. Text: pag. 1 
bis 127. Atlas pag. 1—172. Taf. I—XCIX. 


Das in seiner ersten Lieferung vorliegende Werk ist seiner ganzen Anlage 
nach ein kurzgefasster Auszug des grossen Handbuches der Anatomie desselben 
Autors, gewissennassen eine Miniaturausgabe desselben bequem eingerichtet für 
das Bedürfniss des Studirenden sowohl zu Hause bei der Repetition des in der 
Vorlesung gehörten oder zum raschen Wiederholen des Wesentlichen vor der 
Prüfung, als auch besonders als bandsamer Behelf auf dem Präpariersaale. Als 
letzterer ist vorzüglich der Atlas anzusehen, der im Grundrisse vom Texte ge¬ 
trennt, aber mit den Erläuterungen der Buchstabenbezeicbnungen versehen ist 
(während im Handbuche die Figuren dem Texte eingedruckt sind), eine Anord¬ 
nung, welche namentlich die Wiederholung einer und derselben Figur überflüssig 
und dadurch das Werk bedeutend billiger und handlicher macht. Beim gleich¬ 
seitigen Gebrauche von Text und Atlas steht dem Leser nicht blos im letzteren 
die Tafelerklärung zu Gebote, sondern der Text selbst verweist, wie dies auch im 
Handbuch der Fall ist, dnrch fettgedruckte Initialen der lateinischen Benennungen 
auf die in den Abbildungen angewandten abgekürzten Buchstabenbezeichnungen. 
Ausserdem ist noch im Text durch am Rande reichlich angebrachte römische und 
arabische Ziffern auf die entsprechenden Tafeln und Figuren verwiesen. Die Figuren 


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Medizinisch-chirurgische Rundschau. 


sind mit denen des Handbuches identisch und* in gleicher Anzahl wie dort. Was 
wesentlich abgekürzt erscheint ist also allein der erläuternde Text, der wo es 
einigermassen angeht, wohl anf ein Minimnm redncirt ist, ! wo dies jedoch nicht 
möglich war, ohne der Verständlichkeit oder Vollkommenheit sn schaden, der 
nöthigen Breite nicht entbehrt. Wir halten diese kurze Schilderung des Werkes, 
das durch den Namen Henle gedeckt ist, für ansreichend nm es dem studierenden 
Publicum anf das wärmste empfohlen zu haben. 0 eil ach er. 

365. Die Krankheiten der Brustdrüsen. Von Prof. Dr. Th. B i 11 r o t h. 
41. Lieferung der „Deutschen Chirurgie“. Herausgegeben von Billroth 
und Lu ecke. 1880. Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke. 

Die Bearbeitung dieses Abschnittes der Chirurgie übernahm Billroth, 
der Herausgeber der „Deutschen Chirurgie“ selbst, und wohl mit Recht, denn seine 
früheren Arbeiten in diesem Gebiete: (Untersuchungen über den feineren Ban nnd 
die Entwicklung der Brustdrüsengeschwülste. Virchow’s Archiv B. XVIII.) be¬ 
rechtigen ihn hiezn am meisten. Ein Blick in das vorliegende Heft bestätigt 
denn auch diese Annahme. 

Die Einleitung bildet eip kurz gehaltener anatoiüisch^r Abriss, in welchem 
das Verhalten der Drüse des Neugeborenen, deren Weiterentwicklung während der 
Pubertät und der Schwangerschaft, sowie während der Wochenbettes nnd deren 
Rückbildung im höheren Alter mitberücksichtigt wird. * Die Anomalien der Bildung, 
sowie die Erkrankungen der Brustwarzen nnd des Warzenbofes sind klar aber 
kurz abgehandelt, was sich wohl daraus erklärt, dass diese Partien dem Gynae- 
kologen näher liegen als dem Chirurgen. Eingehender wird die puerperale Mas¬ 
titis besprochen, namentlich in Bezug auf die. pathologisch-anatomischen Verhält¬ 
nisse. Des V.’s Beobachtungen nnd Experimente an Thieren machen ihn geneigt, 
anzunehmen, dass sich der phlogogene Stoff hei der Mastitis mit dem Lymph- 
atrome in der Drüse verbreite und von da auf die Capillarnetze um die Drüsen¬ 
läppchen der Art, wirke, dass die weissen Blutkörperchen ans ihnen austreten 
und die eitrige Infiltration des Gewebes unmittelbar nm die Läppchen und deren 
Aciui erzeugen, Diese Ansicht unterscheidet sich wesentlich von der bisher gang¬ 
baren nnd wäre es nur zu wünschen, wenn naeh dieser Richtung hüi noch weitere 
Studien gemacht würden, um diese bisher noch nicht ganz aufgeklärten Punkte 
aufzuhellen. Bezüglich der submammalen Phlegmone, der Entzündung des Zell¬ 
gewebes hinter der Mamma äussert sich B. dabin, dass er es dahin gestellt lassen 
müsse, ob eine primäre Retromastitis ohne gleichzeitige Erkrankung der Drüsen- 
parenchymes vorkomme. Für ebenso schwer zu entscheiden hält er es, ob eine 
wahrend eines Puerperalfiebers auftretende Maßtitis metastatischer Natur sei oder 
nicht. Bezüglich des letzteren Zweifels stimmen wir wohl B. bei, dass die Ent¬ 
scheidung sehr schwer ist, nicht so aber in Bezug auf den erst erhobenen Zweifel, 
da derartige Fälle in der That, wenn auch nur höchst selten beobachtet werden. 
Bei der Therapie giebt B, eine genaue Beschreibung der antiseptischen Behand¬ 
lung, welche namentlich für den anf dem Lande pr&kticirenden Arzt sehr lesens- 
werth sein dürfte. Der puerperalen Mastitis folgt diese bei Schwangeren und Nicht¬ 
schwangeren, die chronische Entzündung mit den syphilitischen Affectionen und 
die knotige Induration und die Schrumpfung der Mamma durch Entzündung. Be¬ 
züglich der letzt angeführten schrumpfenden Mastitis erklärt B., dass er bisher 
nnr einen einzigen unzweifelhaften derartigen Fall gesehen habe, da er aber auch 
hei diesem keine anatomische Untersuchung vorgenommen, so halte er sich nicht 
für berechtigt ein allgemeines Urtbeil über dieses Leiden .abzugeben. Die zwei 
nachfolgenden Capitel sind der Mastodynie nnd Anomalie der Milchsecretion, 
sowie der Milchentleeruog gewidmet. Der weitere, Inhalt des Heftes umfasst die 
Neoplasmen der Mamma. Dieselben sind so eingehend. nnd musterhaft bearbeitet, 
dass sich wohl füglich sagen lässt, dass die vorliegende Arbeit die beste ist, 
welche die deutsche Literatur bisher besitzt. In der Natur der Sache liegt es, 
wenn bei den Neubildungen das Carcinom die ausführlichste Besprechung findet. 
Der Abschnitt über die Neoplasmen bietet eine Fülle höchst wichtiger und interes¬ 
santer Detailmittheilungen, deren Wiedergabe so viel hiesse, als einen Auszug 
davon zu geben, was begreiflicher Weise nicht möglich ist In einem kurzen 
Schlussanhange werden die Krankheiten der männlichen Brustdrüse besprochen. 

Das vorliegende Heft zu loben, hiesse Eulen nach Athen tragen. Bill¬ 
rot h’s literarische Leistungen sind allerwärts so bekannt, dass es überflüssig sein 
würde, die Collegen auf dieses neueste Product seiner Feder speciell aufmerksam 
zu machen. —r. 


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Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


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366. Supplement zur topographiscli-eliirürglsclien Anatomie des 
Menschen. Von Dr. Rüdiger, Prof. ,an der Universität in München. 
Mit 6 Figuren darstellend sagittale und frontale Durchschnitte des Rumpfes. 
Stuttgart bei Cotta 1879. gr. 8°. 11 pag. 4 Tafeln. 

Inhalt: Fig. 1. Sagittalschnitt der rechten Rnmpfseite 3 Cm. nach aussen 
von der Mammillarlinie. Fig. 2..Sagittaldurchschnitt desselben Rumpfes neben der 
Wirbelsäule. Fig; 3. Sagittalschnitt des Rnmpfes links neben der Wirbelsäure. 
Fig. 4. Sagittalschnitt der linken Rumpfseite. Fig. 5. Sagittalschnitt des Rumpfes 
in der Medianebene. Fig. 6. Frdntalschnitt eines weiblichen Stammes. 

Wie der Titel des hier 1 zu besprechenden Werkes schon besagt, haben wir 
in demselben ein Supplement zu des Autors trefflicher topographisch*chirurgischen 
Anatomie des Menschen vor uns, ein Supplement, das derjenige, welcher das 
Hauptwerk bereits besitzt, gewiss mit Freuden willkommen heissen wird', wenn 
er aus der Feder des Autors (cf. dessen Vorrede) erfährt, dass die entsprechenden 
Abbildungen des Hauptwerkes theilweise pathologischen Objecte entnommen sind, 
ein Fehler, den die schönefi farbigen Lichtdrucke des Supplementes nicht theilen. 
Die Abbildungen sind nach Photographien angefertigt, die von den noch gefro¬ 
renen Durchschnitten abgenommen wurden und bieten daher auch in dieser Hin¬ 
sicht die beste Garantie der Richtigkeit. Aber auch für denjenigen, welcher nicht 
Im Besitze des Hauptwerkes ist, dürften die 4 Tafeln eine Reihe von Durch-* 
schnitten, besonders in sagittaler Richtung bieten, die zu jedem anderen anato¬ 
mischen Atlas eine erwünschte Beigabe sein werden umsomehr, als sie eine voll¬ 
ständige Serie der in dieser Richtung zum topographischen Studium nothwendigen 
Diagramme darstellen und als die Erklärung der durch Buchstaben bezeichneten 
Details eine hinreichend ausführliche und eingehende genannt werden darf. 

0 eil ac her. 

367. Statistischer Sanitätsbericht der k. k. Kriegsmarine für 
das Jahr 1877. Im Aufträge des k. k. Reichs-Kriegsministeriums (Marine- 
Section), zusammengestellt von Dr. Alexius Uhlik, k. k. Fregattenarzt, 
Wien, 1880. In Commission bei W. v. Braumtiller & Sohn. 

Der Bericht pro 1877 schliesst sich der Form nach an die früheren Jahr¬ 
gänge dieser amtlichen Publidationen an, die in der „Rundschau'“ von dem Unter¬ 
zeichneten wiederholt besprochen worden sind. 

Hervorzuheben aus demselben ist zunächst die Thatsache, dass im Allge¬ 
meinen Erkrankungen und Sterblichkeit in der Marine im Berichtsjahre erheblich 
abgenommen. 

4 Im Jahre 1875 betrug noch die Morbilität rund 160 ^ pro Mille des Präsenz- 
Standes, 1876 schon 1500 nnd 1877 nur 1400. Die Mortalität belief sich in den 
letzten 7 Jahren auf 11 Percent, im Berichtsjahre aber war sie nur 7 Percent. 
Von je 100 Tddesfällen kamen diesmal auf: 


Tuberculose.36'8 

Typhus . . .12 2 

Selbstmord.7 0 

Lungenentzündung .... 7*0 
Brustfellentzündung . . .. 7*0 

Neubildungen ..5*2 

Wechselfieber. .3*5 

Bauchfellentzündung . . . 3*5 

Blattern..35 

Sonstige.. .140 


Unter den vorgekommenen Krankheiten herrschte, wie gewöhnlich, das 
Wechselfieber am häofigsten in Pola, indem diese Station mehr als zwei 
Drittel.aller Intermittensfälle lieferte, mit Errechnung der Hafenschiffe mehr als 
fünf Sechstel. Im Allgemeinen haben die Wechselfieber im Jahre 1877 beträcht¬ 
lich zngenommen und in Pola selbst, am Lande, war jeder dritte Manü daran 
erkrankt. In früheren Jahren war das auch das gewöhnliche Verhältnis, von 
1870—75 aber wurde nur jeder 9. bis 10. Mann intermittenskrank und dieser 
Rückgang in der Häufigkeit des Wochselfiebers wurde der Bewaldung des Gebietes 
und der Entwässerung zweier Niederungen zugeschrieben. 

* Von Pocken kamen fast *f 9 aller Fälle bei den jüngst assentirten Matrosen 
vor, von welchen über 4 Percent erkrankt waren. Gewöhnlich ist es die Zeit des 
Einrückens der Recrnten, zu welcher die ersten Blatternfälle vorkamen, und zwar 
werden die Pocken von den Einrückenden in der Regel ans Dalmatien ein¬ 
geschleppt. 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Von Scorbut kamen im Gänsen nur 19 Fälle vor, meist zu Lande, und 
es wird nichts Näheres über diese Fälle angegeben. 

Rheumatismus zeigt sich constant am Lande häufiger als zur See, 
obwohl die Landratten geneigt sind, das Umgekehrte zu glauben. Im Jahre 1877 
betrugen die Rheumatismusfälle am Lande 22 Percent, zur See 17 Percent. 

Venerische Krankheiten kamen abermals am häufigsten auf den 
Stationsschiffen vor, nächstdem in Pola. 

Pneumonie zeigt sich am häufigsten in Pola, Darmkatarrh wie ge¬ 
wöhnlich in Fiume. 

Trachom ist im Jahre 1877 in 333 Fällen beobachtet worden, d. i. 44 
Percent. Im Gegensätze zu den beiden vergangenen Jahren ist diesmal die Häufig¬ 
keit der Krankheit am Lande grösser als zur See (64 Percent am Lande gegen 
28*9). Seit dem Jahre 1875, in welchem die noch bestehende Trachomepidemie 
auf der „Adria“ und dem „Schwarzenberg“ ausgebrochen ist, hat sich das Trachom 
am Lande von 2*9 auf 64 Percent vermehrt, zur See von 152*6 auf 28*9 ver¬ 
mindert. Die Intensität der Krankheit hat während dieser 3 Jahre beträchtliche 
Fortschritte gemacht, so dass 5 Percent der Kranken die Dienstfähigkeit einge- 
busst hat, „invalidisirt“ wurde. 

Innerhalb der einzelnen Stationen war das Trachom am meisten verbreitet 
in Pola, wo 199 Fälle vorkamen, d. i. 75*2 Percent. Von den 199 entfallen 68 
Fälle auf das Artillerie-Schulschiff „Adria“. Ausserhalb des mittelländischen 
Meeres befand sich im Jahre 1877 nur ein einziges Schiff, die Corvette „Dandolo“, 
welche mit den aus gemusterten Seecadeteu durch den südatlantischen Ocean zunächst 
nach Bahia segelte. Bemerkenswerthes wird aber nichts mitgetheilt. 

Popper. 


Kleine Mittheilungen. 

368. Das früheste Alter, in welchem eine Ovarialcyste beobachtet 
wnrde. (Amer. Joora. of Obstetr. 1880, p. 383.) 

Bei einem 3 Jahre und 4 Monate alten Kinde trat eine Peritonitis ein. 
Bei der Section fand man einen geborstenen Ovarialtumor. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

369. Eine neue Methode der Application von Magneten zur 
Heilung von cerebralen und hysterischen Hemianästhesieu. (Progrfcs 
medical Nr. 46, 1879. — Prager med. Wochenschr. 1880, 4.) 

Magnete als ästhesiogene Agentien wirken stärker, als alle anderen nnd wurden 
von der Charcot’schen Schule bisher derart in Verwendung gezogen, dass man 
beide Pole eines Hufeisenmagneten von 20—30 Kilo Tragfähigkeit mit der anä¬ 
sthetischen Hautpartie entweder direct oder durch Vermittlung des Hemdes in 
Berührung brachte und l /i—1 Stunde liegen liess. Hatte sich nach Ablauf dieser 
Zeit kein Effect eingestellt, so stand man von weiteren Versuchen damit ab. 
Verf. hat nnn die Wirknng des lange dauernden Contactes in solchen Fällen ge¬ 
prüft nnd in einem Falle von motorischer und sensibler Lähmung der linken 
Körperhälfte (mit der Diagnose eines Hirntumors?) Verschwinden der Anästhesie 
nnd der Lähmnngserscheinnngen nach 3tägiger unaasgesetzter Application eines 
Magneten an verschiedenen Körperstellen erzielt. — Bei einem Falle von satur- 
niner Hemiplegie und Hemianästhesie wurde durch fortgesetzte Application nahezu 
vollständige Heilung erzielt; ebenso in einem anderem Falle von schwerer Hysterie 
mit allgemeiner Anästhesie dadurch, dass Debove das Auftreten des Tr&nsfert 
durch beiderseitige Application von Magneten an symmetrischen Körperstellen 
verhinderte. Ausserdem machte Verf. an einer Reihe von Hysterischen, die er 
durch „fortgesetztes und beiderseitiges Magnetisiren“ (aimantation prolongee et 
bilaterale) behandelte, die für die Praxis allerdings bedeutungsvolle Erfahrung, 
dass mit dem erzielten Schwinden der Anästhesie auch eine sehr auffallende 
Besserung der übrigen hysterischen Erscheinungen (Krämpfe, Catalepsie, Lähmungen 
und Contractioneo, Ovaria!schmerzen, Krisen etc.) eintrat. 


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Mediciniach-chirurgische Rand schau. 


475 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 


370. Prof. Leyden. Ueber Nierenschrumpfung and Nierensclerose. 

Vortrag, gehalten in der Berliner medicinischen Gesellchaft am 5. Hai 1880. 

Originalbericht von Dr. S. Gnttmann. (Dentsch. med. Wochschr. 1880. 21.) 

In einer kurzen historisch-kritischen Einleitung hebt der Vortragende be¬ 
sonders hervor, dass durch die Bearbeitung von Bartels auch in Deutschland 
die Anschauungen über Morbus Brightii einen gewissen Umschwung erfahren 
haben. Bartels weicht von dem frttheren, zuletzt durch Traube vertretenen 
Standpunkt ab und sohliesst sich an die englischen Autoren an. Dies betrifft 
namentlich zwei Punkte. Erstens trennt er scharf als zwei gesonderte i*rocesse 
die parenchymatöse und interstitielle Nephritis, zweitens sieht er, allerdings mit 
einigen Ausnahmen, die Nierenschrumpfung als einen Process für sich an, welcher 
anatomisch die interstitielle Nephritis reprisentirt. Indem der Vortragende nun 
dazu fibergebt, seinen eigenen Standpunkt za documentiren, knüpft er an die 
beiden eben angeführten Gesichtspunkte an. Erstens erörtert er gegenüber dem 
Standpunkte von Bartels, dass es zwar Entzündungen der Niere gibt, bei 
welchen mikroskopisch post mortem in der Niere sich nichts weiter nachweisen 
lässt, als Veränderungen des Parenchyms und Veränderungen der Interstitien, 
Kern Wucherungen, Proliferation oder aasgewanderte Zellen fehlen, doch aber die 
Annahme einer parenchymatösen Nephritis als besondere Form nicht zulässig ist, 
da aus dem Befunde der Parenchymveränderung nicht gefolgert werden darf, dass 
zu keiner Zeit und in keinem Stadium des Verlaufes andere Veränderungen auf- 
treten. Es handelt sich nach den vom Vortragenden gewonnenen Erfahrungen 
nicht um eine principielle Differenz der Form, sondern um Intensitätsgrade der 
Entzündung, deren leichtere oberflächlich, d. h. im Parenchym, in den Epithelien 
verlaufen, deren schwerere tiefgehende das Parenchym, wie das Bindegewebe herbei- 
ffthrende Veränderungen mit sich bringen, was am klarsten bei der Scharlach¬ 
nephritis hervortritt, bei welcher sich das eine Mal nur Veränderungen des Paren¬ 
chyms, das andere Mal exquisite Veränderungen in den Kapseln, in anderen Fällen 
gleichzeitig Veiänderungen in den Interstitien zeigen. Wesentlich gestützt wird 
diese Auffassung dadurch, dass das in analogen Fällen gewonnene Krankheitsbild 
keine wesentliche Differenz bietet, gleichgiltig ob wir post mortem in der Niere 
Parenchymveränderungen oder interstitielle finden. 

Zweitens ist, zur Nierenschrumpfung übergehend, festzuhalten, dass der 
Ausdruck Nierenschrumpfung zwar ein rein anatomischer ist, dass sie uns aber 
für die ärztliche Betrachtung am Krankenbette als ein ' bestimmtes Symptombild 
entgegentritt, welches seit der Bearbeitung von Traube den Aerzten allgemein 
bekannt ist und sich zusammensetzt ans der Beschaffenheit des Harns (leichtes 
spec. Gewicht, sparsames Sediment etc.) und aus den Erscheinungen am Circu- 
lationsapparat (erhöhte Spannung im Aorten- und Arteriensystem, Hypertrophie 
und Dilatation des linken Ventrikels). Die anderen sich anreihenden Symptome 
(geringer Hydrops, langsame Entwicklung, häufige Cachexie, Augenaffectionen, 
asthmatische Beschwerden, urämische Erscheinungen) sind wechselnd. Die für die 
Prognose und Therapie resultirenden Anhaltepunkte sind mit der Diagnose gegeben, 
da wir wissen, dass wir es mit dem Endstadium einer der Rückbildung nicht mehr 
fähigen Erkrankung zu thun haben. Die Frage ist nun, entwickelt sich diese 
Krankheitsform an und für sich oder aus verschiedenen Formen. Bisher betrachtete 
man bei uns die Schrumpfung als das letzte Stadium der Nephritis, während man 
in England die Nierenschrumpfung als eine Krankheit für sich ansah, die mit der 
Nephritis nichts zu thun hat. Bartels, der sich an die Anschauungen dtr Eng¬ 
länder anlehnt, muss doch eine ausnahmsweise vorkommende secundäre, d. b. aus 
der diffusen hervorgehende Nierenschrumpfung zugeben. In noch weiterem Um¬ 
fange hat dies Senator zugelassen. Nach den von dem Vortragenden gewon¬ 
nenen Anschauungen ist die Nierenschrumpfung das Resultat verschiedener an den 
Nieren sich entwickelnder Processe, welche alle nahezu dasselbe Symptomenbild 
geben. — Seine erste Form der Nierenschrumpfung fasst der Vortragende als das 
Endstadium der Nephritis (Bartels secundäre aus der parenchymatösen Nephritis 
hervorgegangene Schrumpfung) anf. Ein hierauf bezüglicher Fall, welcher stetig 
unter der Beobachtung des Vortragenden sich befand, betrifft einen Mann von 
30 Jahren, welcher mit einer acuten rheumatischen Erkrankung auf die Klinik 
kam und von Anfang an die Symptome einer frischen Nierenaffection darbot. Die 
Nierenaffection mässigte sich mit dem Nachlass des Fiebers, schwand jedoch nicht, 
sondern ging in ansgebildetete Nephritis über. Das Endstadium bot das Bild 


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476 


Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


der Nierenschrumpfang und ging der Patient unter urämischen Erscheinungen zu 
Grunde. Die Niere war eine exquisit geschrumpfte weisse Niere, reich an Binde¬ 
gewebe, mit reichlicher interstitieller Wucherung neben Veränderungen der Kapsel 
und des Epithels. 

Die zweite Form, aus welcher Nierenschrumpfang sich entwickelt, ist die 
amyloide Degeneration, welche nicht häufig in Schrumpfung übergeht. Die Diagnose 
der amyloiden Degeneration ist nur aus der Entwicklung zu vermathen, nicht zu 
stellen. Felle, wo sie der Vortragende vermuthet und diagnosticirt, sind Fälle 
von veralteter Syphylis. Im Anschluss hieran demonstrirt der Vortragende eine» 
einschlägigen Fall. 

Eine dritte Form bezeichnet der Vortragende mit Nierencerose. Es betrifft 
diese Form solche intra vitam die Symptome der Schrumpfung zeigende Fälle, 
welche bei der Autopsie nicht verkleinerte, sondern ziemlich grosse Nieren zeigen, 
deren Oberfläche glatt istfund höchstens Spuren von Granulation zeigt. Die 
mikroskopische Untersuchung erweist das Parenchym stark beeinträchtigt, inter¬ 
stitielle Wucherung, stark geschrumpfte Kapseln, die Glomeruli sind zum grossen 
Theil untergegangen, Endarteriitis. Ein vom Vortragenden demonstrirter Fall, der 
ziemlich plötzlich unter Zeichen von Herzschwäche zu Grande ging,, zeigte bei 
der Autopsie den geschilderten Befund in exquisiter .Weise. 

Die vom Vortragenden als vierte bezeichnet« Form entspricht der genuinen 
Nierenschrampfhng von Bartels* Doch betrachtet sie der Vortragende nicht als 
eine interstitielle Nephritis, sondern sieht sie im Anschluss an G,u 11 und S u tton 
als eine eigentümliche Erkrankung der Nierengefässe als das primäre, die zur 
Schrumpfung führende Erkrankung des Gewebes erst als das secundäre an. Die 
Gefässeikrankung .sieht der Vortragende, als Sclerose an ubd schlägt daher für 
diese Form der Nierenerkrnnkung, für welche die Schrumpfung auch erst das 
Endstadium bildet, den Namen Njerenaclerose vor. Wiewohl diese Erkrankung 
nicht gerade etwas Specifisches ( ist* da diese Veränderungen sich auch secandär 
entwickeln können, so kann doch der Vortragende ebenso bestimmt zeigen, dass 
es Fälle gibt, in denen dieselben als das Primäre anzusehen sind. Sie stellen 
sich als rothe graunlirende Schrumpfung dar; die Veränderung der Gefasse ist 
eine viel intensivere. In den vorgelegten zwei Präparaten und Zeichnungen zeigen 
die kleinen Arterien blasige Einlagerungen, in stärker degenerirten Fällen ist die 
ganze Arterienwand blasig entartet. Die Glomeruli zeigen eine glasige Beschaffen¬ 
heit, die Kapsel ist wie ein Beutel gefaltet und zeichnet diese Entartung sich 
durch ihre helle Beschaffenheit aus. Neben dieser, vom Vortragenden als sclero- 
tische Entartung bezeichnten finden sich constant Verdickungen der grossen 
arteriellen Gefasse mit Verengerung und Obliteration des Lumens. In grösseren 
arteriellen Stämmchen sieht man eine das Lumen verengende und die Wandung 
verdickende Wucherung der Intima. Diese Form der Nierenerkraukung (Nieren- 
sclerose) fällt häufig mit der allgemeinen Arterien-Sclerose zusammen. In der 
Niere selbst kann die Degeneration bald von den Glomerulis, bald von den grös¬ 
seren Arterien ausgehen. — Der Vortragende betont, Fälle von Hypertrophie des 
linken Ventrikels ohne Schrumpfung und Veränderung des Pareucbyms beobachtet 
zu haben, welche nur diese Verdickung der Gefasse zeigten. Auch diese Form 
der Schrumpfung ist nur als ein Ausgang anznsehen. Bei einem Patienten in den 
sechziger Jahren, der seit Jahren an asthmatischen Beschwerden litt und an einem 
Heizfehler behandelt wurde,, zeigte sich im letzten Stadium Hydrops der unteren 
Extremitäten; der Urin, war seit einiger Zeit ei weisshaltig und seine Beschaffen¬ 
heit entsprach einer frischen Nephritis. Die Autopsie zeigte das Herz vergrössert, 
den linken Ventrikel hypertrophisch und dilatirt, an der Aorta und den Aorten¬ 
klappen Sclerose und Verwachsung. In den Nieren ausgebildete gelatinöse Ent¬ 
artung, die kleinen Arterien hatten Einlagerungen, .die zusammengefallenen Glo¬ 
meruli hatten glänzende Beschaffenheit, die Kapseln waren gefaltet; ferner zeigte 
sich die Verdickung der grossen arteriellen Gefasse, Wucherung der Intima, Ver¬ 
engerang des Lumens und /ein Process, den man als interstitiellen bezeichnen 
kann, aber ohne Verkleinerung d$r Niere, welche vielmehr von natürlicher derber 
Beschaffenheit und etwas cyanotisch war, wie bei der Stauungeniere. Derselbe Befand 
zeigte sich in einem zweiten vom Vortragenden auf der Klinik beobachteten Falle. 

Für das Symptomenbild bei den letztgeschilderten. Veränderungen hielt der 
Vortragende es,für wichtig, dass ein grosser Theil der Fälle von Hyperturopbie 
mit und ohne Dilatation des linken Ventrikels, mit und ohne Herzgeräusche, wie 
wir sie bei älteren Leuten auftreten sehen, und wie sie mit dem Symptomen bilde 
des Asthma cardiale oder weakend hart oder auch Fettherz bezeichnet werden 
mit der Entwicklung dieser Form der Nierenerkrankung im Zusammenhang stehen. 

Verantwortlicher Redacteur: DK Vincenx Fink. 

Einsendungen an die Redaction sind zu richten: Wien. I.. Maximilianstrass? 4. 

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Medici uiscli-chirui gische Rundschau. 


477 



KOHLENSAURES MINERAL-WASSER. 
Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 


Direction des K. K. Krankenhauses, Wieden.” ( Prot.z . 

266 D, 1879.) 

NOTE. 

“ Der Apollinaris-Säuerling wurde währenddes Sommers 1879 K- AT. Krankenhause 
Wieden auf den medicinischen Abtheilungen der Herren Doetoren Ritter von Eisenstein 
und Oetinger, und auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Er. Mosetig 
Ritter von MoorhofAtnddes Herrn Dr. Kumar angezvendet. Aus den diesfalls eingesen¬ 
deten Berichten diher Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollinaris-Wasser 
sich durch seine Reinheit und seinen Wohlgeschmack, insbesondere aber 
durch seinen ausserordentlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällen den Vorzug 
verdiene, in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
Wasser hat sich insbesondere als kühlendes, erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften acuten Erkrankungen erwiesen y und wurde bei catarrhalischen 
Affectionen der Athmungs-, der Verdau ungs- und Harnorgane mit gutem 
E rfolge angewendet. Wien, am 29. Dezember 1879. 

Dr. F. W. Lorinser. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen . ” 

Hofrath Univ.-Prof. Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald, 

Wien: “ Ich bestätige hiermit, dass das Apollinaris-Minerahvasser sehr reich an 
Kohlensäure ist, und dadurch als sehr erfrischendes Getränk fiir Gesunde, und 
sehr kräftigend fiir Reconvalescenten mit geschwächter Verdauung sich 
mir erwiesett hat . 26. Januar 1880.” 

Hofra*h Univ.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wien: “ Das Apollinaris- 

Wasser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher bei allen jenen 
Krankheiten Anwendungfinden, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind. 26. Januar 
1880.” 

Prof. Dr. Josef Seesen, Wien: •• Das Wasser <ies Apollinaris-Brunnen 

bei Neuenahr ist seiner Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersättigung mit aus der Quelle gerwonnener Kohlensäure steht es den 
Sodaivässcm nahe, und ist diesen als hygienisches Getränk vorzuziehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure. Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlen- 
Säuregehalt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spa.6th, Wien: “ Das Apollinaris-Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohlensäurereicher Nalronsäucrliug, von jedem Nebengeschmäcke frei, 
und bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: " Das natürliche 

Apollinaris-Wasser eignet sich ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
undwirdauch bei Schwäche der Verdauung sehr gut vertragen. 20. Juli 1879.” 


Gen.-Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. V. Nussbaum, München: 

** Äusscrst erquickendes utui auch nützliches Getränk, weshalb ich es bestens empfehlen 
kamt.” 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: “ Als erfrischendes 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt cs unter den Mineralwässern sicherlich 
den ersten Rang ein. 16. März 1S79. ” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: “ Sein angenehmer 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vortheilhaft aus. 24. Dezember 1878.” 


Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc 

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275 Seiten, fein gebunden, n. 8 Mark. 

Die hervorragende Stellung, welche der Verfasser dieses Werkes, Prof. Dr. 
Barker sowohl als klinischer Lehrer am bedeutendsten Hospitale von New-York, so¬ 
wie namentlich als einer der gesuchtesten geburtshilflichen Praktiker einnimmt, 
lassen den Versuch gerechtfertigt erscheinen, die in demselben niedergeleg'en An¬ 
schauungen und reichen Erfahrungen auch dem deutschen ärztlichen Publikum in 
deutscher Uebersetznng zu übermitteln. s46 


Mit diesem ließe versenden wir einen Prospect über literarische 
Novitäten aus dem Verlage von Moriz Perles in Wien , welchen wir 
der geneigten Beachtung unserer Leser bestens empfehlen . 

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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 


371. Pneumopericardium entstanden durch Perforation eines 
runden Magengeschwürs in den Herzbeutel. Mitgetheilt von Dr. Paul 
Guttmann. (Berl. klin. Wochenschrift Nr. 16. 1880.) 

Die grosse Seltenheit der Gasansammlung im Pericard, die Zahl 
der seit der Entdeckung der Auscultation veröffentlichten Fälle beträgt 
kaum 35, veranlasste Verfasser einen neuen Fall, bei dem die Gas¬ 
ansammlung eine enorme Ausdehnung erreicht hatte und welcher auch 
ein ätiologisches Interesse bietet, mitzutheilen. Ein 36 J. alter, bisher 
stets gesunder Arbeiter zog sich angeblich in der Neujahrsnacht 1880 
eine Erkältung zu, wonach er unter Fiebererscheinungen uud Schmerzen 
in der rechten Seite erkrankte. Bei der am 3. Jänner stattgehabten Auf¬ 
nahme wurde ein mittelgrosses , rechtsseitiges pleur. Exsudat constatirt. 
Die Respirationenfrequenz zeigte sich nur wenig vermehrt. Die Temperatnr 
war Mittags 38°, Nachmittags 37*6°. Uebrige Organe normal. So blieb 
der Zustand in den nächsten 4 Tagen. Vom 7. Jänner Abends an stieg 
die Temperatur continuirlich, erreichte am 8. Nachmittags 38*2, am 9. 
Morgens 40*8. Wegen dieser rapiden Temperatur-Steigerung wurde in 
Rücksicht auf die herrschende Recurrens-Epidemie an Recurrens gedacht; 
doch fanden sich im Blute keine Spirillen. 

Am 9. Abends wurde ein metallischer Klang des Herzschlages, 
welcher schon hörbar war, sobald man an das Bett des Kranken trat, 
constatirt. Am nächsten Morgen war die Temperatur auf 35*3 gesunken, 
erhob sich jedoch in den nächsten Stunden auf 40°. Die Untersuchung 
ergab Folgendes: Der Herzschlag ist als ein lautes metallisches Pochen, 
fassweit vom Bette des Kranken zu hören. Bei der Auscultation vernimmt 
man in der ganzen Herzgegend nur den 1. Herzton. Derselbe ist von 
exquisit metallischem hohem Klange; der 2. Herzton fehlt. Auch am 
Abdomen ist der 1. Herzton als lauter metallischer Klang hörbar. Daselbst 
erscheint auch ein äusserst schwacher 2. Ton. Die Diagnose Pneumoperi- 
cardium wurde durch die Percussion bestätiget. Es fand sich nämlich in 
der ganzen Herzgegend ein sehr lauter tympanitischer Schall. Seine 
Grenzen sind nach oben: 2. linke Rippe, nach links: vordere linke Axillar¬ 
linie ; rechte Grenze: 3 Ctm. nach rechts vom rechten Sternalrande; die 
untere Grenze lässt sich nicht feststellen, weil der tympanitische Schall 
der Herzgegend unmittelbar in den tympanitischen Schall des Magens 
tibergeht und keine Differenz in der Höhe des Schalles zwischen beiden 
Schallregionen besteht. Die Herzgegend ist stark vorgewölbt, der Herz- 


>M.cbir. Rundschau. 1880. 


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Medicinttch-ebirargisefc* Bandscbma. 


482 

*4 

stosg nur diffus im 5. linken L C. R. fühlbar. Die Untersaehimg der 
Langen ergib! vorn innerhalb ihrer Grenzen einen normalen Schall; nur 
tamd die Grenzen verkleinert, weil die Longen in Folge der starken Aus¬ 
dehnung des Pericardram zur Seite gedrängt und retrahirt sind. Die 
Unterleibsorgane zeigen keine Veränderung. Patient ist sehr dvspnoisch 
und cyanotisch. Gefühl von Beängstigung in der Herzgegend und Sehmerzen. 
Sensoritnn frei. Puls 130 in der Minute. Ordination: subcutane Morphium- 
injeetion von 0*005. Am 11. Morgens sind die Herztöne nirgends mehr 
zu hören; ebensowenig ist vom Herzstoss eine Spur wahrnehmbar. Hin¬ 
gegen hört man in der Gegend der Herzspitze und auch .etwas nach 
rechts von ihr bei jeder Exspiration ein hohes metallisches Klingen. Der 
tympanitische Schall der Herzgegend hat nahezu dieselben Grenzen wie 
Tags vorher. Puls klein, 130, regelmässig. Cyanose. Am Morgen des 
12. stirbt Patient unter zunehmender Athemnoth und Cyanose. Bei der 
Obduction zeigte sich der durch Luft enorm ausgedehnte Herzbeutel fast 
genau in der Ausdehnung, wie sie durch die Percussion festgestellt war. 
Im Längendurchmesser des Thorax reicht der Herzbeutel von der 2. bis 
zur 6. Rippe, im Querdurchmesser des Thorax nimmt er den Raum 
ein von der linken vorderen Axillarlinie bis fest zur rechten Parasternal- 
linie. Die Spannung des luftgefüllten Herzbeutels ist eine bedeutende, der 
Schall über demselben tief tympanitisch. Beim Aufschneiden des Oeso¬ 
phagus bis in den Magen hinein füllt das aufgeblasene Pericard etwas 
zusammen, spannt sich aber wieder, sobald man auf den Magen drückt 
Nach Eröffnung des Magens sieht man fest hart an der Canlia, an der 
hintern Wand der kleinen Curvatur eine ganz regelmässig ovale, glatt- 
randige, 1*5 Ctm. lange und 1 Ctm. breite Oeffnung, welche sich an der 
tiefsten Stelle eines vernarbten Magengeschwüres befindet. Diese Oeffnung 
führt direct in den Pericardialsack durch das mit dem Magen in der 
Längenausdehnung von 5 Ctm. verwachsene Zwerchfell hinein. Nach Er¬ 
öffnung des Herzbeutels sieht man an der untersten Stelle desselben eine 
ebenfalls glattrandige, rundliche, 1 Ctm. im Durchmesser haltende Oeff¬ 
nung, welche mit dem Magen durch einen ganz geraden, glattrandigen 
Gang zusammenhängt. Im Pericardium etwa 30 Grm. einer eitrigen, 
nicht übelriechenden Flüssigkeit. Die Innenwand des Pericards ist an 
verschiedenen Stellen bedeckt mit einem eitrigen Belage, noch stärker die 
Oberfläche des Herzens, auf der sich ausserdem Hämorrhagien in grösserer 
Zahl finden. Der übrige Sectionsbefund ist unwesentlich. 

Verfasser knüpft an diesen Fall einige Bemerkungen. Was die 
Aetiologie betrifft, so sind in der Literatur nur zwei analoge Fälle mit- 
getheilt. Merkwürdig ist, dass das Ulc. perf. ventr. und die ausgedehnte 
Verwachsung des Magens mit dem Zwerchfelle keine Symptome hervorgerufen 
haben. Die klinischen Erscheinungen sind im Einklänge mit dem anatom. 
Befunde. Zunächst erklärt sich der auffallend laut am Abdomen hörbar 
gewesene metallische Herzschlag aus der weiten Communication des Peri¬ 
cardium mit dem Magen. Schon blosse Verwachsungen des Magens mit 
dem Zwerchfell verstärken das acustische Phänomen des Herzschlages 
und geben ihm einen metallischen Beiklang. Der metallische Klang des 
Herzschlages war in diesem Falle ohne jedes Nebengeräusch hörbar, weil 
der Herzbeutel im Vergleich zu seiner enormfen Ausdehnung nur eine 
verschwindend geringe Menge von Exsudat enthielt. Ist die Exsudatroeuge 
grösser, dann hört man plätschernde, metallisch klingende Geräusche, 
analog dem Succussionsgeräusche beim Pyopneumothorax. 

Schliesslich bemerkt Verfasser, dass in diesem Falle begreiflicher 


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Medicmisch-chirargieche Rundschau. 


48 ? 

Weise eine Punction des Herzbeutels behufs Aspiration der Luft nichts 
hätte leisten können, da durch den weiten Canal zwischen Pericard und 
Magen die Luft aus dem letztem sofort wieder in den Herzbeutel ein¬ 
getreten wäre. P. von Rokitansky. 

372. Zur Lehre vom Keuchhusten. Von Prof. M. J. Rossbach 
in Wttrzburg. (Berl. klin. Wochensch. Nr. 18. 1880.) 

Eine Keuchhustenepidemie gab Verf. Gelegenheit, die Beschaffenheit 
des Kehlkopfes und der Luftröhre während aller Stadien der heftig auf¬ 
tretenden Krankheit bei 4 Kindern im Alter von V 2 , 4, 7 und 10 Jahren 
und bei einer Frau zu studiren. 

Bei Allen konnte während der ganzen Krankheitsdauer festgestellt 
werden, dass der Rachen, der ganze Kehlkopf und die Luftröhre bis zu 
ihrem untern Dritttheile immer gesund blieben. Die Schleimhäute zeigten 
immer ihre normale Färbung; die Stimmbänder waren rein weiss, nur 
unmittelbar nach heftigen wiederholten Hustenanfällen zeigten dieselben 
bei einem 7jährigen Mädchen eine leichte Röthung, wie solche bei jedem 
Menschen nach längerem anstrengendem Sprechen auftritt. Eine Stunde 
später waren sie wieder elfenbeinweiss geworden. Es ist somit ausser 
Zweifel, dass bei echtem Keuchhusten die gesammten Halsorgane normal 
bleiben können und dass die entzündlichen Zustände im Halse einzelner 
Keuchhustenkranker mit der Krankheit nicht ätiologisch verknüpft sind. 

Wurde unmittelbar vor dem Anfalle laryngoskopirt, so zeigten sich 
die Schleimhäute bis zur Mitte der Trachea ebenfalls normal. Dagegen 
sieht man vom untersten Dritttheile grossblasige Schleimmassen aufsteigen, 
allerdings nur einen Augenblick, da nun krampfhafter Verschluss der 
Glottis und dann der Hustenanfall eintrat. Die Auscultation in diesem Vor¬ 
stadium ergab, dass grössere Schleimmassen bis in die Nähe der Theilungs- 
stelle gelangt waren; auch wurde dieser Punkt stets als derjenige be¬ 
zeichnet, von dem der Hustenreiz ausging. Die mikroskopische Untersuchung 
der expectorirten Schleimmassen ergab eine kleine Zahl von Pilzsporen, 
die in Culturen Fortsätze trieben, viele Schistomyceten, aber nie in 
anderer Menge und Qualität wie im Schleime einfacher Katarrhe. Ueber- 
tragungsversuche mit dem frischen Schleime blieben resultatlos. Hinsichtlich 
des Wesens des Keuchhustens gelangt Verf. zu folgenden Anschauungen: 
Der Bronchialkatarrb kann nicht als Complication, sondern als zur 
Wesenheit des Keuchhustens unmittelbar gehörig betrachtet werden. 
Derselbe sitzt hauptsächlich in den grösseren Bronchien und viele Keuch¬ 
husten verlaufen, ohne dass er nach unten oder oben weiter kriecht. Die 
heftigen Hustenanfälle können nicht als einzige Folge des Bronchial- 
katarrhes, oder der an reizbaren Stellen gelangten Schleimmassen be¬ 
trachtet werden, da Bronchialkatarrhe von derselben Intensität und mit 
denselben Schleimmassen wohl Hustenanfälle, aber nie von solcher Hef¬ 
tigkeit und Dauer auslösen. 

Im Schleime der Keuchhusten kranker Kinder ist kein reizendes 
Princip. Der Hustenanfall wird nicht allein durch den Schleim, sondern 
schon durch den Reiz heftigerer Luftbewegungen bei energischerer Re¬ 
spiration ausgelöst; trotz der enormen, in die Trachea eingebrachten 
Schleimmassen trat bei den Versuchskaninchen nie Husten ein. Demnach 
ist im Schleime allein die Erklärung für die Hustenanfälle nicht zu finden. 
Ebensowenig kann man Pilzwucherungen, die zwischen zwei Anfällen 
rasenförmig heraufwachsen sollen, beschuldigen, da jede Spur einer solchen 
Wucherung fehlte. Es muss vielmehr als wesentliches ätiologisches Moment 

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484 


Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


der .Hustenanfälle eine Reflexneurose angenommen werden. Vielleicht wird 
beim Keuchhusten das im Rückenmark gelegene Hustencentrum in Folge 
eines specifischen Virus in einen Zustand leichterer Erregbarkeit versetzt 
und dann reicht eine geringe periphere Reizung der normal leitenden 
sensiblen Fasern im Nerv, laryng. super, hin, um reflectorisch die Husten¬ 
anfälle des Keuchhustens auszulösen. 

Die Therapie scheint diese Theorie zu stütze». 

Verf. versuchte, nachdem Veränderung des Aufenthaltsortes keinen 
Erfolg hatte, gegen die gesteigerte Reflexerregbarkeit bei den kleineren 
Kindern stabile Durchleitung eines starken, constanten Stromes durch das 
Rückenmark mit günstigem Resultate; ebenso erwies sich bei den älteren 
Kindern die innere Verabreichung grosser Dosen Chinins nützlich, nicht 
in der Weise, wie Letzerich meint, durch Tödtung der im Kehlkopfe 
beflndlichen Pilze (das Chinin wurde in Oblaten gereicht, kam also mit 
der Kehlkopfschleimhaut in gar keine Berührung), sondern in Folge seiner 
die Reflexerregbarkeit des Rückenmarkes herabsetzenden Wirkung. 

P. von Rokitansky. 


373. Zur Diagnose der combinirten Herzklappenfehler. Von 

Prof. P. Fürbringer in Jena. (Berl. klin. Wochenschrift. Nr. 17. 1880.) 

Ein durch 4 Monate beobachteter Fall, der als einfacher Klappen¬ 
fehler zur Beobachtung kam, als doppelter auf den Sectionstisch gelangte 
und als vierfacher in der Leiche erkannt wurde, lieferte einen prägnanten 
Beleg für die Unzulässigkeit der Uebertragung eines a priori construirten 
Schemas der Combination auf den Einzelfall. Krankengeschichte und Sec- 
tionsbefund sind folgende: Am 1. September 1879 stellte sich der 58jährige 
Zimraermann K. W. mit Klagen über Athemnoth, Herzklopfen und Husten 
vor. Die Anamnese ergibt, dass er in seinen Zwanziger-Jahren einen 
mehrwöchentlichen Gelenksrheumatismus überstanden, der nach ca. 10 Jahren 
recidivirte. Sein jetziges Leiden entwickelte sich in ganz allmäliger Weise 
unter zeitweiligen Remissionen seit Jahresfrist. Seit einigen Wochen heftige 
Exacerbationen; selbst bei leichtester Arbeit Anfälle von Lufthunger, 
Herzklopfen und Ohnmachtsgefühl. 

Objectiver Befund: kräftig gebauter Mann. Gesicht und Hände 
cyanotisch, leichtes Oedem der Füsse, Dyspnoe, intensive diffuse Bronchitis, 
Puls klein, weich, regelmässig, Herzchoc in der Mammillarlinie (5. J. C. R.) 
leicht verstärkt. Auf der untern Hälfte des Sternums deutliche Dämpfung; 
sonst normale Grenzen. An der Herzspitze ein kurzes nicht palpables 
systol. Geräusch. 2. Pulmonalton accentuirt; im Uebrigen reine Töne. Der 
spärliche concentrirte Harn etwas eiweisshältig. — Am 13. October erscheint 
über dem obern Theil des Sternums, besonders in der Höhe des 2. J. C. R. 
ein sausendes syst. Geräusch, das sich in die Arterienstämme des Halses 
fortsetzt. 2. Aortenton deutlich. Herzdämpfung unverändert. Am 20. Oc¬ 
tober wird neben auffallender Verstärkung und Ausbreitung dieses 
Geräusches, Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels nachweisbar. 
Am 1. Novomber ergibt die Untersuchung einen hebenden, stark ver¬ 
breiterten, die Mamillarlinie dreifingerbreit überschreitenden Herzchoc im 
5. und 6. J. C. R. Herzdämpfung beginnt an der 3. Rippe, erreicht 
fast die vordere Axillarlinie und die 7. Rippe und überschreitet um 
2—3 Ctm. den rechten Sternalrand. An allen Ostien ein lautes syst., sich 
bis in die Halsarterien erstreckendes Geräusch. Der 2. Aortenton, 
unmittelbar an das Geräusch anschliessend, deutlich als Ton erkennbar, 
keino Spur eines diastol. Geräusches zeigend. Puls regelmässig, exquisit 


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Medicinisch-cfcirnrgische Rundschau. 


485 


schnellend. Gesicht entgegen der früheren Cyanose und Blässe frisch. 
Kleine Hautarterien sichtbar pulsirend, Oedem völlig verschwunden, Herz¬ 
klopfen und Dyspnoe sehr vermindert. Patient klagt über zusammen¬ 
schnürende Schmerzen in der unteren Sternalgegend. Mit Rücksicht auf 
die Entwicklungswege und frühere Localisation der Herzgeräusche und 
den Mangel eines diastolischen Aortengeräusches, wurde .trotz des 
schnellenden Pulses und der Energie des Herzchocs die Diagnose auf 
Insufficienz der Mitralis und Aortenstenose gestellt. 

Im weitern Verlaufe zeigten sich plötzlich heftige Compensations- 
8törangen. Patient kann sich am 8. December kaum mehr auf den Beinen 
erhalten. Füsse und Unterschenkel ödematös. Herzchoc hebend. Herz¬ 
dämpfung enorm vergrössert. Frequente irreguläre Herzaction. Kein 
diastolisches Geräusch. An der Cruralis kein double souffle. Puls frequent, 
unregelmässig und im Gegensätze zur früher bestandenen Celerität die 
Welle eher niedrig. Palpabler Lebertumor. Albuminurie. Am 13. December 
leichte Delirien, Cheyne-Stokes’sches Phänomen. Verdichtung des rechten 
unteren Lungenlappens. Ueber dem Herzen ist nur ein syst. Geräusch 
und ein diastol. Ton hörbar. Kein Venenpuls. Am 19. December 
exitus let. 

Die 40 Stunden post mortem vorgenommene Section deckt einen 
hochgradig complicirten Klappenfehler auf: neben dem diagnosticirten 
Befunde einer Mitralinsufficienz und Aortenstenose eine mindestens gleich¬ 
bedeutende Stenose des linken Ostium ven. und Insufficienz der Aorten¬ 
klappen. — Dass die völlig latent verlaufende Mitralstenose unter keiner 
Bedingung ein charakteristisches Phänomen geliefert, erklärt sich unge¬ 
zwungen durch mangelhafte Contraction des Vorhofes und daher insufficiente 
Energie des Blutstromes. Dagegen lässt sich die Thatsache, dass eine 
bedeutende Aorteninsufficienz, welche trotz der Combination mit den 
übrigen Klappenfehlern eine Zeit lang ihre charakteristischen Eigen- 
thümlichkeitcn dem Pulse aufgeprägt, zu keiner Zeit sich durch ein 
diast. Geräusch verrathen, nicht genügend erklären. Der Fall zeigt, dass 
dem combinirten Klappenfehler nicht immer ein combinirter Puls ent¬ 
spricht. Er liefert ferner einen Beleg für die Richtigkeit des Satzes, dass 
bei complicirten Klappenfehlern ein eingehendes Studium des Einzclfalles 
die allgemeinen Regeln darüber werthlos macht. 

P. von Rokitansky. 


374. Bedeutung und Casuistik der Fragesucht. Von Dr. W. 
Dobinski (Kulparkow). (Przeglad lekarski, Nr. 9, 10 u. 11, 1880. 
Erlenmeyer’s Ctrlbl. f. Nervhk. 1880. 8.) 


D. gibt zunächst eine kurze Schilderung der drei Stadien der von 
Fa 1 ret zuerst beobachteten und von Legrand du Saulle klinisch 
beschriebenen Form von Geistesstörung, der sogenannten maladie du doute. 
Im ersten Stadium treten, bei ungestörter Intelligenz unwillkürlich gewisse 
Reihen loser Vorstellungen über verschiedenartige Gegenstände in Gestalt 
fortwährender Fragen auf. Die Kranken bewahren das Bewusstsein ihres 
qualvollen Zustandes, erkennen die Sinnlosigkeit dieser Fragen und stellen 
sich vergeblich mit aller Willenskraft Vorstellungen vernünftigeren Inhalts 
vor. Damit verbindet sich ein fortwährendes Zweifeln an Allem und 
eine gewisse krankhafte Präcision, z. B. wird jedes Schliessen der Thür 
einige Male probirt. Im zweiten Stadium tritt Furcht beim Berühren ver¬ 
schiedener Gegenstände ein (Delire de toucher), z. B. Thürklinke, weiche 
stets der Bediente öffnen muss. Im dritten Stadium steigert sich diese 


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486 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


«ingebildete Furcht die Kranken ziehen sich aus Argwohn von den Menschen 
zurück, bewahren jedoch ihr Bewusstsein. 

Das erste Stadium dieser Geisteskrankheit, d. li. das unaufhörliche, 
unwillkürliche Bilden einer Reihe von Fragen, die den Kranken quälen ist 
eine eigene Krankheitsform, welche zuerst von deutschen Irrenärzten 
beobachtet wurde. Zuerst beschrieb Griesinger vier solche Fälle, die 
er ausserfialb des Spitales beobachtete, ebenso Oskar Berger zwei und 
H. Obersteiner einen in der Privatpraxis, während Meschede und 
Wahrendorf zuerst je zwei Fälle in öffentlichen Irrenanstalten be¬ 
obachteten. Das Wesentliche des Zustandes ist also ein fortwährendes 
Auftauchen von Fragen abgerissenen, gleichgültigen Inhaltes im Geiste, 
welche ihre Quelle nicht in einem praktischen Anreiz haben, jedoch die 
ganze Geistesthätigkeit in Anspruch nehmen. Eine Kranke Griesingers, 
eine im Uebrigen hochgebildete Frau, fleht ihn inständig an, sie von der 
Verzweiflung zu befreien, die ihr ihre Gedanken verursachen. Ein anderer 
Kranker, von Jemandem zufällig sprechend, frägt sofort: Warum ist 
dieser Mensch so niedrig, warum ist er nicht so hoch wie ein Haus? 
u. s. w. 

Die Kranken der anderen Beobachter bieten dieselben Erscheinungen 
dar. Allen Fällen gemeinsam war eine gewisse Erschöpfung durch Onanie, 
geschlechtliche Ausschweifungen oder übermässige Geistesanstrengungen. In 
allen bestanden neben der Fragesucht gewisse nervöse Störungen, wie 
Erschrecken, vorübergehendes Hitzegefilhl, ein gewisses Gefühl von Muskel¬ 
schwäche, ein Gefühl von abwechselndem Druck und Leere im Kopfe. 
In allen Fällen, ausser in denen von Meschede, ist das Unterschei¬ 
dungsvermögen , die Intelligenz anscheinend ungestört, wir beobachten 
keine Sinnestäuschungen, keine Hallucinationen, keine Wahnvorstellungen. 
D. würde daher diesen Zustand fllr noch physiologisch halten, wenn nicht 
nervöse Störungen vorhanden wären, deshalb zählt er ihn zu den Pro- 
dromal-Symptomen geistiger Störung welche Griesinger als Zwangsvor¬ 
stellungen in Frageform, 0. Berger und Obersteiner als Grtibelsucbt 
bezeichnen. D. stellt sie zu den sogenannten psychischen Entartungen 
und zwar zu der Gruppe der geistigen Schwäche. Das Gehirn der damit 
behafteten Individuen functionirt anders als ein normales. Es ermüdet 
rascher, ist empfindlicher gegen plötzliche Eindrücke und zeigt ein sprin¬ 
gendes Schwanken, oder ein zu rasches Ausstrahlen der Vorstellungen. 
Hierzu treten die oben genannten, erschöpfenden Gelegenheitsursachen. Solche 
Leute bewegen sich noch frei im gesellschaftlichen Leben, besitzen jedoch 
nicht die Fähigkeit, nähere mit entfernteren Vorstellungen zu allgemeinen 
Begriffen zu verbinden, die abgerissenen ungleichartigen Vorstellungen 
gehörig zu gruppiren und zu ergänzen. Hierher, d. h. zur psychischen 
Schwäche, (imbecillitas, dementia praecox), rechnet D. auch die Gruppe 
der Fragesüchtigen mit Ausnahme der beiden Fälle von Meschede, 
welche schon ausgeprägtere Formen von geistiger Störung darstellen. 
Von den zwei von D. selbst beobachteten Fällen von Fragesucht sei hier 
der erste Fall mitgetheilt: 

Julian K, 44 J. alt, Kreisarzt, 30. August 1877 aufgenommen. Statpr.: 
Schädel klein, 515 Mm Umfang schräg, Stirn schmal, niedrig, linker Stirnhocker 
flacher, Gesichtsausdruck lebhaft, Liderblinzeln, beide Pupillen mässig erweitert, 
die linke bedeutend weiter als die rechte, beide reagiren träge, rechte Nasenlippeo- 
falte verstrichen, rechter Mundwinkel tiefer stehend, um den linken Mundwinkel 
und längs der linken Oberlippe Zittern, sich beim Sprechen steigernd. Zunge zittert, 
weicht nach links ab, Herz im Querdurchmesser vergrössert 1. Ton an der Spitze 
gespalten, 2. Ton über der Aorta verschärft, Herzthätigkeit verstärkt, Wände der 
Temporales und Radiales härter, Leber und Milz vergrössert, Achsel- und Leisten- 


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drüsen ebenfalls, letztere rosenkranzförmig; halbrunde, weisse, faltbare Narbe am 
Bündchen, Knochenbau schwach, Ernährung massig, Muskelkraft sehr niedrig 
(53), Temperatur in der Achsel 37° C., im rechten Ohr 36, im linkem Ohr 36*9; 
Kniephänomen beiderseits schwach, Gang schnell, fallend, der Kranke tritt besser 
auf dem linken Beine auf und kann Bich auf ihm allein eine Zeit lang halten. 
D&b rechte Bein schleppt er nach und kann auf ihm nicht stehen, bei geschlos¬ 
senen Augen gehend, geräth er sofort in Gefahr umzufallen, bei offenen Augen 
kann er nicht plötzlich umdrehen, ohne zu schwanken, die Sprache ist etwas lispelnd, 
gedehnt, besonders bei den Lippen- und Gaumenlauten stockend, in rascherer Rede 
werden Buchstaben umgesetzt und Worte nicht beendet, auch die Schrift ist 
charakteristisch, fortwährendes Zittern der Hände, dadurch auch der Linien, die die 
Buchstaben verbinden, Zug der Schrift eckig, Gem&thsstihimung wechselnd, bald 
voller Hoffnung, bald verzweifelt, bald gleichgültig, abwechselnd Reizung und Läh¬ 
mung, zeitweise helleres Unterscheiden, Gedächtnissverlust, Grössenwahn mit Nuance 
von Verfolgungswahn: Diagnose Fortschreitende Paralyse (im paralytischen Stadium). 
Die Krankheit entstand plötzlich mit apathischen Erscheinungen. Patient bietet 
deutlich Erscheinungen von Entartung dar. ln den Krankensaal getreten, über¬ 
schüttet er bald die Kranken, bald den Arzt mit einem wahren Hagel von Fragen, 
ohne eine Antwort zu erwarten. Isst man hier Heu? Haben Sie eine Uhr? Kennen 
Sie meine Frau ? Ist meine Frau hübsch ? u. s. w. Erst nach mehr als 2 Stunden, 
nach dem Abendbrod, schwieg er plötzlich und lief nur noch eine Zeit lang unruhig 
aus einem Zimmer in das andere. 


D. findet vor Allem keinen fundamentalen Unterschied zwischen 
den von ihm beobachteten Fällen und den früher angeführten. Zumal 
im 2. Falle zeigte sich auf dem Gipfel der maniacalischen Ideenflucht 
neben Singen, Reimen, Scandiren gleichsam um noch eine andere Art der 
Bewegung zu finden, die Fragesucht, deren Inhalt theils zufälligen An¬ 
regungen, tbeils dem Vorrath des Gedächtnisses entstand. 

Den Inhalt der Frage anlangend, so sei sie in der Verrücktheit 
um so seltener, als der meist mit Grössenwahn behaftete Kranke gar 
nicht an der Existenz seiner Schöpfung zweifle. D. gelangt zuletzt zu 
folgenden Schlüssen: A. Die Fragesucht ist in klinischer Hinsicht 1. Keine 
selbstständige Störung, sondern nur ein Symptom, das sich auf dem Boden 
verschiedener, klinischer Krankheitsformen zeigen kann, am häufigsten bei 
der geistigen Schwäche (imbecillitas). 2. Sie stellt keine Störung im Bereich 
der Vorstellungen vor, sondern ist vorwiegend eine Störung in der Form, 
in der Hülle der Vorstellungen, eine grammatische Störung. 3. Ihr Inhalt 
ist von secundärer Bedeutung. 

B. Der Inhalt der Fragesucht 1. hat nicht die Bedeutung von 
Zwangsvorstellungen. 2. Kann von Wiederholen von Gedächtnissvorstel- 
lungen herrühren. 3. Kann sich manchmal auf entlegene, abgerissene 
Vorstellungen beziehen. 4. Am häufigsten und gewöhnlich bilden ihn 
zufällige Vorstellungen, ohne werthvolle, oder logische Bedeutung. 

C. Die Störung zeigt sich fast nur bei erblich belasteten Personen, 
neben Excessen in der Geschlechts- oder Intelligenzsphäre. Die Fragesucht 
sei eine Modification der Aphasie oder Akataphasie (Steinthal), d. h. 
eine Störung im logischen Bau der Rede. Den psychischen Mechanismus 
der Fragesucht erklärt D. so, dass es, wegen der Lockerheit und Hast 
im Hinwerfen der Fragen nicht zu einem Aussprechen der Meinung nach 
grammatischen Gesetzen komme. Jeder Ausdruck unserer Sprache sei das 
8ymbol einer Vorstellung, zu dem wir erst nach längerer Denkarbeit 
gelangen konnten. Der grammatische Fragesatz entspringt normal aus 
der Kategorie der Ursächlichkeit, der Fragende erwarte einen Erfolg des 
Grübelns. In der Fragesucht sei hiervon keine Rede, hier fehle jeder Affect, 


jedes Interesse, jede Neugier. Solche Sprünge in zahlreichen, abgerissenen 
Vorstellungen verwirren die reguläre, ruhige Thätigkeit des Gehirns, er¬ 


füllen die Kranken mit Furcht, versetzen sie in grosse Unruhe, in Zweifel 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


an Allem und in jene krankhafte Präcision. Die erblich belasteten und 
obendrein erschöpften Geister verfallen, von einer plötzlichen Vorstellung 
angegriffen, in ein Gefühl der Schwäche und Leere, aus welchem sie sich , 
reflectorisch durch Hinwerfen leertönender, zielloser Fragen zu befreien 
suchen. 

375. Ueber das Vorkommen der Hysterie bei Kindern. Von 
Schmidt. (Inaugural-Dissertation, Strassburg 1880. Erlenmeyer’s Ctrlbi. 
f. Nervhk. 1880. 9.) 

Nach einem Abriss der Geschichte der Hysterie, aus welchem die 
allmälige Wandlung der Ansichten zu Gunsten der ’ rein nervösen Natur 
der Krankheit hervorgeht, berücksichtigt Verf. in der unter Leitung der 
Prof. J o 11 y und K o h t s verfassten Dissertation die Literatur der Hysterie 
bezüglich ihres Auftretens im Kindesalter und theilt 4 Fälle eigener Be¬ 
obachtung von Hysterie bei Kindern mit. — Der 1. Fall betrifft ein 
7jähriges Mädchen, mit 6 Monate dauernder Fltisterstimme, die nach 
Einführung des Larynxspiegels verschwand. Der 2. Fall ein 13jähriges 
Mädchen, mit seit s / 4 Jahren bestehender Unfähigkeit zu schlingen, die 
nach Sondenuntersuchung beseitigt war. Der 3. Fall betrifft ein 9 jähriges, 
anämisches, anfangs mit häufigem Erbrechen und choreatischen Zuckungen 
der oberen Extremitäten behaftetes Mädchen, welches, mit einem Croup¬ 
kinde zusammengelegt, sofort bellenden Husten mit Tonlosigkeit der 
Stimme ohne positiven Befund, darauf Hinken eines Beines, später Zuckungen 
der Gesichtsmusculatur, sehr häufige schmerzlose Diarrhoen mit stinkenden 
Blähungen bekam und bei welchem diese Symptome verschwanden, 
sobald es sich nicht beobactyet glaubte. Die Mutter dieses Kindes ist 
nervös, eine Schwester unter der Hysterie suspecten Symptomen späterhin 
behandelt worden. Den 4. Fall endlich liefert ein 7 jähriges Mädchen 
— Tochter einer Hysterica, — welches in der Reconvalescenz von einem 
mit Mitralinsufficienz verbundenen Gelenkrheumatismus Contracturstellung 
der Extremitäten ohne Fieber und Gelenkaffection bekam, nach Streckung 
der Gelenke im Beginne der Chloroformnarkose Extensorenstellung bei¬ 
behielt, zu welcher sich eine Schmerzhaftigkeit der Wirbelsäule hinzu¬ 
gesellte und bei dem schliesslich, nach vielen erfolglosen Curen, der 
moralische Einfluss des Arztes sich als heilsam erwies. 

Verf. hebt in der Epikrise hervor, dass der Ausbruch der Hysterie 
im Kindesalter durch eine grössere Prädisposition bedingt sein dürfte, 
welche durch Heredität oder fehlerhafte leibliche (Anämie und Chlorose 
herbeiführende) und geistige Erziehung (Nachahmung) oder Onanie herbei¬ 
geführt wird. Die bei derartig prädisponirten Individuen hinzutretenden 
deterrainirenden Ursachen seien vornehmlich psychischer Natur, wie Schreck, 
Misshandlungen, geistige Ueberanstrengung ; aber auch körperliche Krank¬ 
heiten , wie Gelenkrheumatismus, Chorea, scheinen bestimmend auf den 
Ausbruch der Hysterie zu wirken. — Die Diagnose müsste sich sonach 
vorzüglich auf den Nachweis genannter Einflüsse stützen, würde aber 
auch durch die Erfolge einer moralischen Therapie bestätigt, welche die 
roborirende Therapie unterstützen müsste. 

376. Zur Nosologie der Tabes dorsalis. Von Prof. Dr. Berger. 
(Erlenmeyer’s Ctrlbi. f. Nervhk. 1880. 5.) 

Verfasser w r eist auf einige neue Thatsachen hin, die für die Noso¬ 
logie der Tabes dorsalis nicht ohne Bedeutung erscheinen dürften. Die 
erste ist Verf. bereits seit mehreren Jahren bekannt und betrifft ein 

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eigcnthtimliches Verhalten der cotanen Sensibilität im Krankheitsverlaufe 
der Tabes. Nachdem bei einer Anzahl von Tabeskranken mit bereits voll¬ 
kommen ausgebildetem und vorgeschrittenem Symptomencomplex während 
einer längeren Beobachtungszeit durch wiederholte Sensibilitätsprüfungen eine 
bestimmte Abnahme des Tastsinns und des cutanen Gemeingefühis festge- 
ßtellt worden war, fand er bei einer nach Jahren erneuerten Untersuchung 
derselben Kranken, bei welchen indess das Leiden unaufhaltsam fortge¬ 
schritten war und die schliesslich das sogenannte paraplegische Stadium 
erreicht hatten, theils vollständige Restitution der Hautempfindlichkeit, 
theils sehr frappante Verminderung der Störungen einer früheren Krank¬ 
heitsperiode. Bisweilen zeigte sich sogar an den vorher anästhetischen 
Partien eine ausgesprochene Hyperatgesie. Bei diesen Kranken bewahrte 
nun die Sensibilität auch im weiteren Verlaufe ihr normales Verhalten, 
in zwei von Verf. beobachteten Fällen bis zum Tode. Die in einem der 
letztem kürzlich gemachten Obduction ergab eine hochgradige Hinter- 
strangsclerose. 

Abgesehen von dem nosologischen Interesse der Thatsache, dass 
eine deutliche Verminderung der Hautsensibilität im Verlaufe der Tabes 
trotz fortschreitender Krankheit einer vollständigen und dauernden Resti¬ 
tution fähig ist, verdient dies Verhalten auch in Hinsicht auf die Frage 
von der spinalen Empfindungsleitung beim Menschen eine besondere Be¬ 
rücksichtigung. Schliesslich betont Verf., dass sich das erwähnte Verhalten 
nur auf die cutane Sensibilität bezieht, nicht aber auf die der tiefer ge¬ 
legenen Theile. Gerade der Umstand, dass man bei solchen Kranken nor¬ 
male Hautempfindung neben hochgradiger Alteration des Muskelsinns 
constatiren kann, illustrirt in sehr einleuchtender Weise die Selbstständigkeit 
des letzteren, resp. dessen Unabhängigkeit von den durch die sensiblen 
Hautnerven vermittelten Empfindungen. 

Die zweite mitzutheilende Thatsache stützt sich nur auf eine einzige 
Beobachtung. Vor mehreren Monaten wurde B. von einem 46jährigen 
Eisenbahnbeamten consultirt, der den ausgesprochenen und vollzähligen 
Symptomencomplex der Tabes dorsalis darbot. Beginn des Leidens vor 
etwa 10 Jahren, zu welcher Zeit sich die ersten, Anfangs wenig be¬ 
achteten , später aber durch ihre Intensität ausgezeichneten sehr patho- 
gnostischen blitzenden Schmerzen eingestellt hatten, deren Paroxysmen mit 
hochgradiger circumscripter Hauthyperalgesie und mit localen Reflex¬ 
zuckungen einhergingen und den oft wochenlangen Gebrauch von Morphium 
und Chloral nothwendig machten. Vor 6 Jahren transitorische Diplopie 
und etwa seit derselben Zeit rasch zunehmende Blasenschwäche, die seit 
Jahren den häufigen Gebrauch des Katheters erforderte. Anästhesie der 
Harnröhre und des Anus, bisweilen Incontinentia Alvi. Seit mehreren 
Jahren angeblich zwar ziemlich ausreichende Erectionen, doch keine Eja- 
culation; taubes Gefühl der Unterschenkel und Füsse, besonders der Sohlen 
und seit länger als 4 Jahren deutliche atactische Erscheinungen. Im letzten 
Jahre auffallende Abnahme der allgemeinen Ernährung Status: Blassgelbes 
fahles Aussehen, allgemeine Abmagerung. Cutane und musculäre Anästhe¬ 
sien an den unteren Extremitäten, besonders hochgradige Analgesie der 
Unterschenkel; sehr starkes Schwanken bei geschlossenen Augen, beim 
raschen Umdrehen etc. Deutliche Ataxie bei Prüfung complicirter Einzel- 
bewegnngen, besonders bei geschlossenen Augen; das Gehen in der Stube 
etwas schwankend und unsicher, doch kein ausgesprochener Hahnentritt. 
Mäasige Myosis spinalis (bei ungestörtem Sehvermögen), hochgradige Parese, 
oft Paralyse des Detrusor, Obstruction, seit 5 Jahren ohne nachweisbare 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Ursache totale Anosmie. Absolutes Fehlen der Patellar- und Achillessehnen- 
reflexe. — Ueber die Diagnose des hier skizzirten Falles konnte dem¬ 
gemäss nicht der geringste Zweifel bestehen und die Prognose musste 
der langen Dauer entsprechend fast absolut ungünstig gestellt werden. 
Dem Kranken wurden Argent. nitricum und täglich Halbbäder von 24—20* 
angeordnet. Nach mehrfachen brieflichen Berichten von auffallender Besserung 
aller Beschwerden hatte Verf. vor c. 3 Wochen Gelegenheit, den Kranken 
von Neuem eingehend zu untersuchen und war von der inzwischen ein¬ 
getretenen Veränderung — sehr wesentliche Besserung fast aller einzelnen 
Symptome und auffallende Erkräftigung des Allgemeinzustandes — geradezu 
frappirt. Ein derartiges Zurückgehen der Erscheinungen bei einer seit fast 
einem Decennium in langsamer Entwickelung zu hohem Grade vorge¬ 
schrittenen (beiläufig nicht syphilitischen) Tabes gehört zu den aller¬ 
seltensten Vorkommnissen. Was aber am meisten imponirte — war die 
Rückkehr der Patellarsehnenreflexe. Am linken Bein, an welchem auch 
die oben erwähnten Symptome (insbesondere die Anästhesie) nahezu voll¬ 
ständig verschwunden waren, war der Reflex so deutlich und lebhaft, 
dass er auch bei ganz schwacher Percussion durch die Bekleidung hin¬ 
durch prompt ausgelöst werden konnte. Rechts schien er bei der anfäng¬ 
lichen Untersuchung noch zu fehlen; bei wiederholter Prüfung und in 
geeigneten Stellungen aber gelang es auch hier, die Erscheinung zwar 
nur ab und zu und äusserst schwach, doch deutlich hervorzurufen. Die 
rechte Unterextremität zeigte auch noch sehr manifeste Störungen der 
Sensibilität und Motilität. Die Achillessehnenreflexe fehlten noch vollständig. 
— Bekanntlich kann in seltenen Ausnahmefällen auch bei dem ausge¬ 
sprochenen Symptomencomplex der Tabes der Patellarsehnenreflex erhalten 
bleiben; immerhin aber ist das zuerst von Westphal betonte Fehlen 
des Phänomens eines der wichtigsten und constantesten Symptome der 
Krankheit. In dem vorliegendem Falle war durch genaue Untersuchung 
der absolute Mangel der Reflexe festgestellt worden und somit erscheint 
in Uebereinstimmung mit der Besserung aller subjectiven und objectiven 
Störungen gerade das Wiederauftreten des Patellarsehnenreflexes als ein 
hoch anzuschlagender objectiver Beweis filr die eingetretene Besserung 
der spinalen anatomischen Veränderung. Für gewisse Formen von post- 
diphtheritischer Motilitätsstörung der unteren Extremitäten („diphtheri tische 
Ataxie“) ist die kürzere oder längere Zeit nach der Wiederherstellung 
eintretende Rückkehr der Reflexe von Rumpf und Verf. festgestellt 
worden, ftir die Tabes dorsalis jedoch ist diese Thatsache neu und von 
nicht geringem Interesse. 


377. Ueber die hämorrhagische Diathese und die dadurch bedingte 
Contraindication für operative Eingriffe bei Leukämie und ihr ver¬ 
wandten Processen. Von Prof. Fr. Mosler. (Zeitschr. f. klin. Med. I.* 
2; p. 265. Schmidt’s Jahrb. 1880. 3.) 

H. 40 Jahre alt, von gesunden Eltern stammend, überBtand im 10. Jahre 
eine rechtseitige Pneumonie. 1865 einen intensiven Typhus exanthema- 
ticus, 1868 in Paris eine Febris intermittens anomala, welche sich durch 
profuse Schweisse mit nachfolgender hochgradiger Schwäche auszeichnete 
und durch Chinin beseitigt wurde. Im Jahre 1869 litt Pat. an einer 
Coryza, die sich auf das Antrum Highmori und die beiden Sinus frontales 
fortpflanzte und schliesslich mit einer Neuralgia Supraorbitalis complicirte; 
letztere nahm einen ganz typischen Verlauf und wich erst einer Behand¬ 
lung mit Jodkalium und Chinin, recidivirte jedoch 1872 in intensiver 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Weise, ebenso 1876. Pat. wurde sehr hinfällig, litt an heftigen Kopf¬ 
schmerzen nach jeder geistigen Anstrengung. Dabei zeigte sich starkes 
Sediment im üarn, Spannungsgefilhl in der linken Seite, schlechte Digestion, 
träge Stuhlentleerung. Der ihn zunächst behandelnde Arzt diagnosticirte 
lienale Leukämie und verordnete grosse Dosen Eisen und Chinin, wonach 
Pat. sich etwas kräftigte, so dass er sich im Juni 1877 dem Verf. in 
Greifswald persönlich vorstellen konnte, nachdem ihm letzterer vorher 
mittelst brieflicher Anordnung längere Zeit hindurch Pillen aus Piperin 
(5 Grm.), Ol. Eucalypti e foliis (10 Grm.) und Chinin, muriat. (2 Grm. 
mit 6 Grm. Cer. alb. zu 100 St. 2mal täglich 3 St.) hatte brauchen 
lassen. Die Untersuchung bestätigte die Diagnose von lienaler Leukämie 
im zweiten Stadium, die Zählung der Blutkörperchen mittelst des M a 1 a s- 
8ez'sehen Zählapparates ergab am 16. und 19. Juni ein Verhältniss der 
rothen zu den weissen Blutkörperchen von 5:1. Das linke Hypochon- 
drium war ganz von dem Milztumor eingenommen, welcher nach vorn 
bis zur Linea mediana, nach abwärts 2 Finger breit über die Crista ilei herab¬ 
ragte ; dabei massige Anschwellung der beiderseitigen Leistendrüsen. Druck 
auf das Sternum, zwischen den Ansatzpunkten der beiderseitigen 4. Rippe, 
erregte seit Kurzem Schmerz, weniger auf dem Proc. ensiformis; die 
Rippen selbst, sowie die übrigen Knochen waren nicht schmerzhaft, 
Blutungen noch nicht aufgetreten. Chinin und Schwalbacher Brunnen 
brachten Besserung des Kräftezustandes, ein 6wöchentl. Aufenthalt im 
schwedischen Stahlbad Ronneby, mit Ausnahme des Verschwindens der 
Sternalschmerzen, keine wesentliche Veränderung. Pat. beantragte die 
Vornahme der Splenotomie, welche aber sowohl Verf., als auch Dr. P6an 
in Paris (brieflich consultirt) wegen der Leukämie und der latent vor¬ 
handenen hämorrhagischen Diathese ablehnten. Pat. hatte nämlich schon 
zu wiederholten Malen Hämorrhoidalbeschwerden und in den letzten Jahren 
schon 4mal in der Gegend des Afters Abscesse gehabt: ein solcher hatte 
sich auch jetzt gebildet und war durch Dr. Schüller mittels 2 Ctm. langer 
Incision geöffnet worden. Danach war eine mehrere Tage anhaltende 
Blutung aus der Schnittwunde erfolgt, welche unter Chloroformnarkose 
mittels des Thermokauter und naehherigem, festem Verband mit Carboljute 
zwar für einige Tage gestillt wurde, bei einer Entleerung fester Koth- 
massen aber so intensiv recidivirte, dass nur eine 9 Stunden lang fort¬ 
gesetzte Digitalcompression mittels eines in Eisenchloridlösung getauchten 
Wattetampons sie endlich dauernd zu stillen vermochte. Pat. war dadurch 
in hohem Grade erschöpft, athmete nur sehr oberflächlich — 40mal in 
der Minute — war unfähig die Glieder zu bewegen, musste liegend ge¬ 
füttert werden, konnte aber Wein und Bouillon in reichlicher Menge ver¬ 
tragen. Erst nach 14 Tagen vermochte er, jedoch unter Schwindelgefühl 
und Athemnoth, sich im Bette aufrichten. Steigerung der Temperatur 
wurde nicht bet backtet, die Pulsfrequenz betrug im Liegen 84, im Sitzen 96, 
es bestand auffallende Gesichtsblässe. Der Milztumor war jetzt an dem 
vorderen und unteren Rande deutlich zu fühlen, der untere Rand reichte 
fast bis zur Crista ilei, die vordere Spitze bis zum Nabel, wo die Milz¬ 
dämpfung unmittelbar in die Leberdämpfung überging. Die nach dem 
Gebrauche der Moorbäder in Ronneby verschwundenen Schmerzen am 
Sternum waren nach den Blutverlusten wieder aufgetreten, das Manubrium 
selbst aber war bei Palpation nicht empfindlich, sondern nur die Partie, 
welche dem Ansatz der 3. und 4. Rippe entsprach, und zwar am stärksten 
unmittelbar vor dem Proc. ensiformis. Der Schmerz wurde durch stärkeren 
Druck gesteigert, dagegen war die Palpation der Rippen selbst, sowie der 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


übrigen Knochen auch jetzt nicht schmerzhaft, eben so wenig die Per¬ 
kussion der Milz, wohl aber die des linken Leberlappens. Unter Fort¬ 
gebrauch kleiner Dosen von Eisen und grösserer Gaben Chinin, sowie 
Champagner mit reichlicher animalischer Kost erholte sich Pat. allmälig 
so weit, dass Verf. ihm die Rückreise nach seiner Heimat gestatten 
konnte. Dort blieb sein Befinden mehrere Wochen lang ein relativ gün¬ 
stiges, bis es am 12. Jänner plötzlich sich verschlechterte, das linke 
Bein zu schwellen begann und am 15. der Tod in Folge einer retroperi- 
tonäalen Blutung erfolgte. 

Section. Oedematösc Anschwellung des rechten Beines und des Scrotmns. 
Knochensubstanz des Sternum und der Rippen von normaler Festigkeit, nur bleicher 
als gewöhnlich. Am Herzen nichts Abnormes, im rechten Ventrikel und Vorhof 
reichliche Menge loser, gelb-grünlich gefärbter, eiterähnlicher Blutgerinnsel, auch in 
die grösseren Venenstämme übergehend. Lungen, mit Ausnahme einiger alter, pleu- 
ritischer Adhäsionen, normal. Milz frei beweglich, 28 Ctm. lang, 18 breit, 8 dick; 
Kapsel glatt, nicht verdickt, Parenchym sehr fest, braunroth, Trabecularsubstanz 
sehr undeutlich. Leber bedeutend vergrössert, 3825 Grm. schwer, in den Lebervenen 
ähnliche Blutgerinnsel wie im Herzen. Nieren normal. Im unteren Theile des Bauches 
lag links hinter dem Peritoneum eine grosse fluctuirende Geschwulst, die bis in 
das kleine Becken reichend, die Fossa iliaca theilweise ausfüllte. Bei der Eröffnung 
entleerte sich eine dickflüssige mit festeren Klumpen gemischte braunrothe Blutmasse 
(600 Grm), die auch das retroperitoneale Bindegewebe infiltrirt hatte; den Boden 
der Geschwulst bildete der blossgelegte Muse, psoas. Blase, Genitalapparat, Digestions- 
tract normal; Mesenterial- und Retroperitonealdrüsen wenig geschwollen, etwas 
mehr die Inguinaldrüsen, besonders links. Die Quelle der Blutung war nicht nach¬ 
zuweisen. 


Aetiologisch interessant bei diesem Falle ist der Umstand, dass 
der Pat., selbst ein wissenschaftlich gebildeter Arzt, sein Leiden von einer 
hartnäckigen Febris intermittens anomala, sowie von ttbergrosser Anstren¬ 
gung und Geraüthsaufregung nach Ueberstehung der ersteren ableitete. 
Hervorzuheben ist ferner, dass erst 5 Jahre später ein College die 
Krankheit als lienale Leukämie diagnosticirte, während M. eine primäre 
lienale Leukämie annehmen zu müssen glaubt, wofür das frühzeitige 
Auftreten einer empfindlichen Spannung im linken Hypochondrium, sowie 
der Umstand spricht, dass die Schmerzhaftigkeit des Sternum erst aufge¬ 
treten ist, nachdem Milztumor und lienale Leukämie längst diagnosticirt 
waren. Das Sternum war, als Verf. es untersuchte, in der oben erwähnten 
Weise gegen Druck schmerzhaft, Anschwellung daselbst nicht nachweisbar, 
an den Rippen selbst, sowie an den übrigen Knochen liessen sich schmerz¬ 
hafte Stellen nicht auffinden, was bei Diagnose von medullärer Leukämie 
ebenso wie die Schmerzhaftigkeit des Sternum für deren Symptomatologie 
von Wichtigkeit ist. Als M. letztere beim Pat. diagnosticirte, war dessen 
Leiden bereits in das zweite Stadium vorgerückt, wofür das Verhältnis 
der rothen zu den weissen Blutkügelchen 5:1, spricht; es wurden m 
dem Blote grosse Zellen nächgewiesen, deren Ursprung auf das Knochen¬ 
mark zurilckzufilhren ist, wenn auch in geringerer Zahl als bei primärer 
medullärer Leukämie. 

Praktisch wichtig ist in dem mitgetbeilten Falle, dass nach läugerem 
Gebrauch der Eisenmoorbäder in Ronneby die Empfindlichkeit des Sternum 
dauernd beseitigt wurde. Es ist jedoch aus dem Berichte über die 
Section, bei welcher das Knochenmark nicht genauer untersucht wurde, 
nicht zu ersehen ob und in welchem Grade eine Heilung der medullären 
Leukämie zu Stande gekommen, obwohl ein weit vorgeschrittener leukä¬ 
mischer Process auch makroskopisch zu erkennen gewesen sein würde. 
Immerhin verdient daher die Anwendung von Eisenmoorbädem unter ähn¬ 
lichen Verhältnissen empfohlen zu werden. — Interessant ist ferner, dass 


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Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


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trotz dem weit vorgeschrittenen leukämischen Process und trotz vorher¬ 
gegangener profuser Blutung eine tiefe Chloroformnarkose vom Pat. ohne 
Nachtheil vertragen wurde. Diese hochgradige Blutung selbst aber, nach 
verhältnissmässig geringem chirurgischen Eingriff auftretend, liefert aber¬ 
mals den Beweis, dass bei Leukämie der hämorrhagischen Diathese stets 
Rechnung getragen werden müsse. Zur Stillung der Blutung hat sich 
längere Zeit hindurch fortgesetzte Digitalcompression mit Eisenchlorid¬ 
tampons bewährt und verdient daher bei Wunden, welche solche überhaupt 
zulassen, weitere Verwendung. 

Die vom Pat. selbst gewünschte Splenotomie musste M., in Ueber- 
ein8timmung mit Pean, auf Grund der Erfahrungen über hämorrhagische 
Diathese bei Milzkrankheiten verweigern. Er theilt zur weiteren Begrün¬ 
dung seiner Ansicht von 25 bis jetzt von ihm beobachteten Fällen von 
Leukämie 13 mit, in denen Complication mit Hämorrhagien beobachtet 
wurde. Von diesen 13 Fällen gehörten 2 dem weiblichen, 11 dem männ¬ 
lichen Geschlecht an, 10 Fälle fielen in das Alter von 35—45, 2 in das 
kindliche Aller von 9—13 Jahren, ein Mann war 19 Jahre alt. Nach 
seinen Erfahrungen glaubt M. behaupten zu dürfen, dass bei einmal be¬ 
stehender Leukämie, und zwar bei jeder Form derselben, weder ein be¬ 
stimmtes Alter, noch Geschlecht, noch das längere oder kürzere Bestehen 
des Leidens vor Blutungen in Folge dabei vorkommender hämorrhagischer 
Diathese sichert; die Blutungen können an jeder Stelle des Körpers Vor¬ 
kommen, sowohl an der äusseren Oberfläche, wie in inneren Organen. 
In den mitgetheilten Fällen erfolgte die Blutung 7mal aus der Nasen¬ 
schleimhaut, 5mal aus der Magen- und Darmschleimhaut, 3mal aus der 
Bronchialschleimhaut, 2mal aus der Schleimhaut der Mundhöhle, insbeson¬ 
dere dem Zahnfleisch, lmal aus den Tonsillen, lmal aus den Gelassen 
der Retroperitonealgegend. In 3 Fällen sind profuse Blutungen vorge¬ 
kommen, ohne dass spontane Blutungen vorausgegangen waren, so aus 
den Wunden zweier Schröpfköpfe — behufs Blutentnahme zur mikrosko¬ 
pischen Untersuchung— lmal aus der Wunde bei arterieller Transfusion 
und depletorischer Venäsection, lraafr(in dem Eingangs mitgetheilten Falle) 
aus einer Wunde zur Eröffnung eines Perinealabscesses. Dass die Pro¬ 
gnose bei der Leukämie durch dergleichen Blutungen wesentlich getrübt 
wird, beweisen die von M. mitgetheilten Fälle ihrer Mehrzahl nach, indem 
der Tod theils direct durch die Blutung, theils indirect durch die dadurch 
herbeigeftlhrte Erschöpfung und Körperschwäche erfolgte. Mit diesen Er¬ 
fahrungen stimmen auch die von Gowers in seiner Monographie über 
Leukämie aus einer Zusammenstellung von 150 Fällen gezogenen Resultate 
überein, welche Verf. noch einer eingehenderen Besprechung unterzieht. 

Nach solchen Erfahrungen hält M. die Frage für gerechtfertigt, ob 
die mit Bestimmtheit bei der Leukämie constatirte hämorrhagische Diathese 
nicht als unbedingte Contraindication für die Splenotomie bei leukämischen 
Milztumoren zu betrachten sei, eine Frage, die neuerdings namentlich auch 
von G. Simon und Ludwig Mayer in Erwägung gezogen und in ver¬ 
schiedener Weise beantwortet worden ist. Während Simon es für eine 
Verirrung erklärt, wenn die Splenotomie befürwortet und es versucht 
würde, dieselbe als gleichberechtigt mit der Ovariotomie in die Chirurgie 
einzufllhren, beantwortet Mayer die Frage, wenigstens in Rücksicht auf 
die Wunden der Milz, dahin, dass die Operation, weil sie nach Thier¬ 
versuchen und Erfahrungen am Menschen nicht absolut tödtlich ist, zu 
gestatten, und dass die Aussicht hier, namentlich bei Schusswunden, um 
so günstiger sei, ah man es bei Verwundeten in der Regel mit sonst 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


gesunden Menschen zu thun habe. Ebenso würde Mayer bei Rupturen 
der Milz die Operation machen, auch einen erkrankten geplatzten Milz¬ 
tumor unbedenklich entfernen. Was die Exstirpation der Milz wegen 
primärer oder secundärer Erkrankungen anlangt, so stimmt M. zunächst 
bezüglich der Wandermilz Czerny bei, dass dieselbe unzweifelhaft; eine 
Indication zur Entfernung des Organs abgebe, sobald die Symptome sehr 
lästig und durch Bandagen nicht zu beseitigen sind; jedoch müssen die 
übrigen Organe normal beschaffen, es dürfen keine ausgedehnten Ver¬ 
wachsungen der dislocirten Milz, es darf namentlich keine hämorrhagische 
Diathese vorhanden sein. Eine cystisch degenerirte Milz wurde in neuerer 
Zeit von P 6 a n mit glücklichem Erfolge entfernt, doch dürfte auch hier 
das bisher übliche Verfahren der Punction mit nachfolgender Jodinjection 
und der Simonsehen Operation vorläufig die Regel bleiben, obschon 
auch Köberle für eine Cyste deren Entfernung aus dem Körper als 
das sicherste Verfahren betrachtet, und demgemäss bei Milzcyste mit dem 
gleichen Rechte die Splenotomie, wie bei Cyste des Eierstocks die Ovario- 
tomie für angezeigt hält. Bei lienaler Leukämie räth Nedopil, von 
der Operation abzusehen, wenn Adhäsionen der leukämischen Milz vor¬ 
handen sind, glaubt aber, dass in geeigneten Fällen dennoch eine Heilung 
der Leukämie durch die Splenotomie anzustreben sei. Czerny räth 1 ei 
solchen Fällen wenigstens zu grosser Vorsicht, während M. nach seinen 
Erfahrungen sich unbedingt dagegen erklärt; denn die hämorrhagische 
Diathese komme nicht nur in späten Stadien, sondern mitunter ganz im 
Anfänge des leukämischen Processes vor, könne überhaupt jede Milzhyper¬ 
trophie compliciren, ohne dass es im einzelnen Falle immer möglich sei, 
sie vor der Operation zu diagnosticiren. M. hält daher in jedem Stadium 
-der Leukämie die Splenotomie für contraindicirt, räth überhaupt, operative 
Eingriffe dabei auf das geringste Mass zu beschränken. Ebensowenig 
sind nach seiner Ansicht Milztumoren, welche secundär nach Lebercirrhose 
entstehen, als für operative Eingriffe geeignet zu betrachten. Intermittens- 
tumoren der Milz sind zwar von ZacCorelli und P£an mit glücklichem 
Erfolge entfernt worden, undNedo p* glaubt, dass auch die als Pseudo- 
Leukämie bekannte Milzhypertrophie dann, wenn die Form eine rein lienale 
ist, die Lymphdrtisen also nachweislich noch nicht erkrankt, auch keine 
anderweiten Metastasen, namentlich in den Knochen, vorhanden sind, die 
Indication für die Operation abgeben könne. Allein M. weist mit Recht 
darauf hin, dass die Indicationen sich hier noch nicht sicher formuliren 
lassen, da wir noch nicht einmal mit Bestimmtheit angeben können, welche 
Fälle als reine Hypertrophie, welche als Leukämie zu bezeichnen sind. 
Das einzige Kriterium für die Differentialdiagnose ist hier eine fortgesetzte 
Blutuntersuchung, während die anatomischen Verhältnisse der Lymphbahnen 
weder in leukämischen, noch pseudoleukämischen Drüsen, noch bei reiner 
Milzhypertrophie bis jetzt genauer erforscht sind. Auch wird die Schwierig¬ 
keit der Diagnose dadurch gesteigert, dass es Uebergangsformen gibt, wo 
mässige Vermehrung der farblosen und veränderte Beschaffenheit der rothen 
Blutkörperchen sich findet, während allen gemeinsam ein höherer oder 
niederer Orad von Anämie zu sein scheint, der unter den verschiedensten 
äussem Einflüssen in weiter vorgeschrittenem Grade mit hämorrhagischer 
Diathese complicirt wird; letztere lässt sich bei keiner Form der Milz¬ 
hypertrophie ausschliessen. Ausserdem ist aber nach M.’s Erfahrungen 
die Prognose umsomehr eine zweifelhafte, als nicht nur die hämorrhagische 
Diathese, sondern auch die Metastase in den Knochen eine völlig latente 
sein kann. 


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Mediciniach-chirurgische Rundschau. 


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378. Ein Beitrag zur Lehre über das Cheyne-Stokes’sche Respi- 
r&tionsphänomen bei Kindern. Von Doc. Dr. W. Winternitz. (Archiv 
f. Kinderhk. I. 4.) 

Ein sehr zarter, blasser Knabe, der einige Wochen früher Masern 
überstanden hat, der zu Magen* und Darmkatarrhen disponirt ist und 
zahlreiche Anginen durchgemacht hat, von welchem Residuen, grosse und 
hypertrophische Mandeln zurückgeblieben sind, bot die von der Mutter 
beobachtete Erscheinung, dass er, besonders beim Einschlafen derart unregel¬ 
mässig athmete, dass zeitweilig gar kein Athmungsgeräusch gehört wurde, 
hierauf riss der Knabe mit deutlichen Zeichen der Angst die Augen auf, 
während er immer tiefer und tiefer zu athmen begann. Das Athmen dauert nun 
einige Zeit fort, oder es verflacht sich auch bald und hört wieder auf, 
worauf sich das geschilderte Spiel wiederholt. Die Beobachtung W.’s be¬ 
stätigt die von der Mutter angegebene Thatsache. Er fand bei dem Kinde 
ein vollkommen ausgesprochenes Cheyne-Stokes’sches Respirations-Phä¬ 
nomen mit Intermission bis zu 12 Secunden. Dazwischen etwas kürzere 
Respiratiouszeiten. Pupillen verengt. Als das Kind aus dem Bette gehoben 
und ermuntert wurde, verschwand die Erscheinung, um bei eintretendem 
Schlaf sofort wieder beobachtet zu werden. Dieser Zustand dauerte durch 
12 Stunden an und wiederholte sich dann nicht mehr. Hier trat die Er¬ 
scheinung beim Einschlafen ein und verschwand mit der Besserung von 
an und für sich auch nur mässigen Magen- und Darmerscheinungen. Eine 
Eigentümlichkeit des Knaben, die auf die Impressionabilität seines Nerven¬ 
systems hindeutet, besteht darin, dass das leichteste Trauma auf den 
Kopf, Blässe des Gesichtes, langsamen Puls und Erbrechen hervorrief, 
sowie lange anhaltende Kopfschmerzen. In diesem Zustande nun bekam 
der Knabe mit leichtem Fieber eine unbedeutende Angina, Schnupfen, ver¬ 
stopfte Nase, Erbrechen und Diarrhoe, dabei das erwähnte Respirations¬ 
phänomen. Die Erklärung für dasselbe findet W. in Folgendem: Die ver¬ 
stopfte Nase, die hypertrophischen Mandeln, der weiche, leicht rhachitische 
Thorax im Verein mit der Muskelschwäche des Knaben mussten die 
Respirationsfunction beeinträchtigen. Die ungenügende Aspiration, die matte 
Pulsion mussten den Einfluss der Respiration auf die Blutcirculation 
schwächen und damit schon die Blutzufuhr zum Gehirn vermindern, die 
Erregbarkeit des Respirationscentrums allmälig herabsetzen. Kommt nun 
bei dem ohnehin schon anämischen Kinde eine Unterleibserkrankung hinzu, 
die vielleicht mit einer Hyperämie oder einer Erschlaffung der einen so 
grossen Fassungsraum darbietenden Unterleibsgefässe einhergeht, so treffen 
wohl Momente genug zusammen, die bei ihrer Summirung mit der ge¬ 
schilderten nervösen Disposition eine genügende Blutarmuth des verlängerten 
Marks bewirken könnten, um das in Rede stehende Symptom auszulösen. 
Ein therapeutischer Versuch wäre nach der Ansicht W.’s geeignet zu ent¬ 
scheiden, ob seine Anschauung Berechtigung hat. Die mechanische Com- 
pression des Unterleibes, behufs Verdrängung des Blutes aus den Bauch- 
gefössen, behufs Verkleinerung des gesammten Geffcssraumes, behufs 
Erhöhung des Blutdruckes und vermehrter Blutzufuhr zum Gehirn, wäre 
vielleicht im Stande, die Cheyne-Stokes’sche Respiration, wenn auch nur 
temporär, zum Verschwinden zu bringen. 


379. Das Auftreten der Febris recurrens in Süddeutschland. 
Von Prof. Dr. Friedrich. (Deutsch. Arch. f. klinische Medic. Bd. 25. 
Deutsch, med. Wochenschr. 1880. Nr. 24.) 


Bei einem 25jährigen jungen Mann , welcher mit einer aus sechs 
Köpfen bestehenden Zigeunerbande von Norden her auf der Bergstrasse 

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Medicinisch-cbiriirgisclie Rundscbir. 


nach Heidelberg eingewandert war, wurde Anfang Dcceraber 1879 das erste 
Auftreten der Febris recurrens constatirt. Um eine Weiterverschleppung 
zu verhindern, wurden sämmtliche Mitglieder der Bande zur ferneren 
Beobachtung in einer Baracke der medicinischen Klinik untergebracht. 

Bei der Aufnahme konnte bei 3 Personen zweifellose Milzanschwei- 
lung nachgewiesen werden, und da bei keiner derselben Erkrankungen 
vorausgegangen waren, welche Milztumoren hätten zurücklassen können, 
so glaubte Verfasser, dieselben als frische auffassen, mit einer bereits 
stattgefundenen Hecurrensinfection in Beziehung bringen und den baldigen 
Ausbruch der eigentlichen Krankheitserscheinungen erwarten zu dürfen. 
In der That trat auch bei dem einen Fall am 5. Tage nach der Auf¬ 
nahme der erste Fieberanfall ein, während die beiden anderen gesund 
blieben und ihre Milzanschwellungen bei einer lediglich diätetischen Behand¬ 
lung spontan verloren. Daraus folgert Verfasser: 

1. Die Milzanschwellung kann bei Recurrens schon im Stadium der 
Incubation in einem nachweisbaren Grade als der erste und einzige Effect 
des in das Blut eingetretenen Infectionsstoffes vorhanden sein. 

2. Die durch den Milzturaor erwiesene Recurrensinfection kann im 
Stadium incubationis rückgängig und der Ausbruch der Krankheit ver¬ 
hütet werden, wenn die Inficirten unter günstige hygienische Bedingungen 
versetzt werden. 

Ein therapeutischer Versuch, die ferneren Anfälle zu verhüten, in¬ 
dem in der fieberfreien Zeit zweistündlich 0*5 Acid. salicyl. verabreicht 
wurden, schlug vollständig fehl. 

Die Gesammtzahl der Erkrankungen bis Ende Februar 1880 betrug 
8, von denen 7 von Norden her auf der Bergstrasse von Heidelberg ein* 
geschleppt worden waren. 

380. Hyperämie des Rückenmarkes. Von Dr. E. Mayenfisch. 
(Correspbl. f. Schweizer Aerzte. 1880. 6.) 

Nachdem Verf. in den letzten zwei Monaten sechs Fälle in Behand¬ 
lung gekommen sind, die sich durch ein gleichartiges, ziemlich markirtes 
und leicht greifbares Symptomenbild ausgezeichnet haben, ist er zur 
Ueberzeugung gekommen, dass sich die Markhyperämie ohne grosse 
Schwierigkeit und verhältnissmässig sicher diagnosticiren lasse. Es ist 
eine solche Diagnose um so wünschenswerther, als genannte Affection 
leicht Anlass zur Verwechslung mit beginnender Tabes geben kann und 
in der That war auch bei zweien der sechs Patienten eine solche Vermuthung 
schon ausgesprochen worden. 

Der Verdacht auf beginnende Tabes basirte hauptsächlich auf zwei 
Symptomen: einer gewissen Unsicherheit beim Gehen und einem ausge¬ 
sprochenen Schwanken des Körpers bei geschlossenen Augen, Erscheinungen, 
die wohl bei Tabes Vorkommen, aber ohne das Vorhandensein von anderen 
Symptomen die Diagnose auf Tabes nicht rechtfertigen. 

Verf. versucht daher den Symptomencomplex der Markhyperämie zu 
umgrenzen und von beginnender Tabes dorsalis zu differenziren, umsomehr 
als sowohl die Prognose als die Therapie bei diesen beiden Affectionen 
eine ganz verschiedene ist. 

Alle sechs Patienten waren Männer, deren Beruf sie zu einer den 
ganzen Tag über sitzenden Beschäftigung zwang. 

Nachdem Verf. die von ihm beobachteten Fälle schildert (s. Original), 
resumirt er die Symptome und Therapie der Rttckenmarkshyperämic 
wie folgt: 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


497 


In allen sechs Fällen tritt uns ein einfaches und typisches Symptomen- 
bild entgegen, das sich aus Kreuzschmerz, einem Gefühl von Schwäche 
und Ermüdung in den Beinen beim Gehen und einer sich häufig einstel¬ 
lenden abnormen Sensation in den Unterextremitäten componirt. Erweitert 
wird dieses Bild* in schwereren Fällen durch eintretende Unsicherheit beim 
Gehen und Schwindelanfälle, die oft mit Kopfweh verbunden sind; hie und 
da tritt selbst Schwanken bei geschlossenen Augen hinzu. Im ersten Falle 
haben sich die Grundsymptome acut entwickelt (nach einem Marsch) und 
nach einer eigentümlichen Ursache, in den fünf anderen Fällen mehr 
chronisch. Im ersten Falle war deutlich Druckschmerz zu constatiren, in 
den anderen unsicher und inconstant. Dass die Symptome auf das Rücken¬ 
mark zu beziehen sind, ist einleuchtend und dass ihnen als Ursache mit 
allergrösster Wahrscheinlichkeit eine Hyperämie des Markes und seiner 
Häute zu Grunde liegt, ist nicht allein (nach Niemeyer) aus dem 
Effecte der Behandlung zu erschliessen, sondern ergibt sich eigentlich aus 
der Analogie mit den bekannten Symptomen der Gehirnhyperämie von 
selbst. Verf. ist überzeugt, dass sowohl die acute als die chronische 
Hyperämie des Rückenmarkes viel häufiger vorkommt, als man nur ahnt; 
jene verschwindet meistens von selbst, diese hält sich längere Zeit verborgen, 
besonders wenn der Laie sich einen Connex zwischen seinem Leiden und 
einer von ihm gepflegten Unart herstellt, denn dass geschlechtliche Ex- 
cesse im Volksmunde irgend ein Markleiden — Knochen- oder Rücken¬ 
mark — zur Folge haben können, ist wohl allbekannt. Wahrscheinlich 
werden übrigens auch noch andere Ursachen ausser Excesse in venere zu 
chronischer Rückenmarkshyperämie führen können. 

Was nun die Differenzialdiagnose zwischen Markhyperämie und be¬ 
ginnender Tabes anbetrifft, so wird auf Folgendes aufmerksam gemacht: 
In allen Fällen, selbst in den alten, fehlten diejenigen Hauptsymptome, 
welche bei Tabes ziemlich früh aufzutreten pflegen, nämlich lancirende 
Schmerzen und die Analgesie nebst Abnahme resp. Verlust der Sehnen¬ 
reflexe. In unseren Fällen war im Gegentheil Hyperästhesie und erhöhte 
Reflexerregbarkeit vorhanden, von Verlangsamung der Schmerzleitung 
keine Spur. Dann hatte in den fünf chronischen Fällen eine wirkliche 
Muskelschwäche Platz gegriffen; bei Tabes aber bleibt die Muskelkraft 
erhalten etc. 

Unsicherheit beim Gehen, selbst Schwanken bei geschlossenen Augen 
und Geschlechtsschwäche genügen keineswegs, um Tabes incipiens zu 
diagnosticiren, umsomehr als die Prodrome der Tabes sich häufiger als 
Störungen des Gesichtssinnes und seiner Apparate, als Magenkatarrh und 
gesteigerte Pulsfrequenz documentiren. 

Zum Schlüsse noch einige Bemerkungen über die Behandlung. Sie 
ist, analog wie bei Gehimhyperämie, eine ableitende (Carlsbadersalz und 
kalte Sitzbäder), besonders in acuten Fällen; in chronischen muss die 
tonisirende mit verbunden werden. Allgemeine Faradisation und Galvano- 
Faradisation, wobei systematisch jeder Nerv und Muskel des Körpers 
gymnastisch geübt wird, wirkt wie kein anderes Mittel tonisirend. Auf 
das Rückenmark Hess Verf. allein die Anode appliciren, wie er denn über¬ 
haupt in den meisten Fällen von der Richtung der Ströme nichts wissen 
will und nach Brenner’s Vorgang reine Polwirkungen anstrebt. Dass 
Sympathicns und Gehirn bei einigen Fällen ebenfalls in den Bereich der 
Galvanisation gezogen werden mussten, ist einleuchtend. 0. R. 


Med.-chir. Rundschau. 188C. 


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Medicinisch-chirurgisclie Rundschau. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 


381. Ueber die Anwendung des Ergotins per reotnm. Vier Fälle 
von Fibroid des Uterus behandelt durch Ergotin. Von Dr. Paul Lieb¬ 
recht in Lüttich. (Sep.-Abdr. aus Journ. de med., de chir. et de ph&r- 
mac. de Bruxelles. 1880.) 

Robert Beil empfahl zuerst (Lancet, 15. März 1879) die Anwendung 
des Ergotins in Form von Suppositorien bei der Behandlung der Uterus- 
fibroide. Er verabreichte jeden Abend ein Suppositorium, welches 0-25 
Ergotin enthielt. Von den 3 Fällen, welche Bell in dieser Weise be¬ 
handelte, betraf der eine einen Uteruspolypen, welcher nach dreiwöchent¬ 
licher Behandlung abgestossen wurde. 

Liebrecht wendet nunmehr ebenfalls das Ergotin nicht mehr 
hypodermati8ch an, sondern nur per rectum. Die Uterusleiden, in denen 
er bis jetzt die Suppositorien in Anwendung zog, sind: Fibroide, Menor¬ 
rhagien, Metrorrhagien post partum, bei Menopause und solcher bei Ge¬ 
genwart von Geschwülsten, schliesslich bei Metritis und Endometritis 
chronica. Verf. wendet geringere Dosen wie Bell mit gleichem oder noch 
besserem Erfolge wie jener an, nach der Vorschrift: Rp . Ergot. dyalisat. 
0‘25 — 0'50. Ol, cacao l m 50. Vaselin . 0*30 . f, Supposit. 2 — 3 . 

Gegen die innerliche Anwendung des Ergotins sprechen, dass das¬ 
selbe vom Magen nicht gut vertragen wird, in einigen Fällen gar nicht, 
die Dosen müssen stärker genommen werden und es wäre unmöglich das 
Mittel innerlich so lange zu verabreichen als dies bei der Behandlung 
chronischer Uterinalleiden nothwendig ist, schliesslich sind die innerlich 
verabreichten Präparate des Ergotins unverlässlicher als die für den 
äus8erliclien Gebrauch. Die Anwendung in Form von Suppositorien hat 
gegenüber der als Injection andererseits die Vortheile der schmerz¬ 
losen Anwendung, der Patient kann sich das Mittel allein appliciren — 
und schliesslich wirkt das Medicament energischer. Doph gibt es auch 
Fälle, in denen die subcutane Injection energischer wirkt, wie die Suppo¬ 
sitorien, z. B. während oder nach der Geburt, wo es sich darum handelt 
Contractionen des Uterus zu erregen oder eine Hämorrhagie zu bekämpfen. 
Hier soll der, wenn auch geringe Schmerz der Injection die Uteruscontrac- 
tion anregen. Doch citirt Verf. den Ausspruch einer Patientin, welche mit 
Metritis chronica behaftet, einige Minuten nach der Einführung des 
Suppositorimns die Contraction des Uterus fühlte. 

Verf. wendet mit Vorliebe das Ergotinum dyalisatum an, doch ist 
es sehr theuer. Will man ein festes Extract, dann kann man das von 
Bonjean, Wernich oder auch das wässerige Extract anwenden. 

In Betreff der Behandlung der Fibroide des Uterus durchEr- 
gotin bemerkt Verf., dass aus den bis jetzt seit Hildebrandt 1872 
mitgetheilten Fällen in der grösseren Zahl temporäres und definitives 
Aufhören der Hämorrhagien und Abnahme des Volums der Geschwülste 
beobachtet wurde. In den vier Fällen von Fibromyom des Uterus, welche 
Verf. behandelte, war Fall 1, Kindskopfgrosses Fibroid, 56 Injectionen 
in fünf Monaten, Hämorrhagien keine, Erfolg nicht deutlich wahrnehmbar; 
Fall U. Voluminöse interstitielle Fibrome, welche zur Verschwärung der 
Mueosa führten, bedeutende Hämorrhagien, 80 Injectionen in 3 Mouaten 
— ohne Wirkung weder auf die Geschwulst noch auf die Hämorrhagie; 


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Medici niach-chirurgisehe Randschan. 


499 


Fall III. Interstitielles Fibrom, welches die ganze Bauchhöhle ausfüllt, von 
der Grösse des graviden Uterus am Ende der Schwangerschaft. Arthritis 
defbnnans all der meisten Gelenke der unteren Extremitäten. Behand¬ 
lung mit Ergotininjectionen. 154 Injectionen. Nach 5 monatlicher Be¬ 
handlung ist der Tumor auf a / 6 des früheren Volums reducirt. Derselbe 
nimmt nicht zu, und werden jetzt nach 4 Jahren zweimal wöchentlich 
Suppositorien gegeben. Nie beobachtete Verf. Symptome von Ergotismus 
bei dieser Patientin. Hildebrandt beobachtete solche einmal nach 6, 
ein anderesmal nach 195 Injectionen, sie hörten mit dem Aussetzen des 
Medicamentes auf. Fall IV. zeigt eclatanten Erfolg. Interstitielles Fibroid, 
welches einen Theil des kleinen und grossen Beckens ausfüllt, das Rectum 
comprimirt. 1. Serie von 40 Injectionen. Die Wirkung zeigt sich in deut¬ 
licher Abnahme der Geschwulst und Besserung des Allgemeinbefindens. 
Nach sechswöchentlicher Pause, 2. Serie von 12 Injectionen. Rasche 
Bessernng. Nach einem Jahre werden, weil die Patientin Congestionen 
zum Uterus fühlt und fürchtet, dass die Geschwulst wieder zu wachsen 
beginnt, Suppositorien verabreicht. Nach einem Jahre findet man nur noch 
bei bimanueller Untersuchung Spuren der früheren Geschwulst. 0. R. 

382. Ueber die Einwirkung der Fette auf die Absorption des 
Arseniks. Von A. Chapuis. (Ctrbl. f. d. med. Wissensch. 1880. 22.) 

Verf. hat selbst 0*05 Grm. arsenige Saure, die mit Butter 
(1 : 30—100) innig gemischt war, ohne Schaden einnehmen können, 
wenn sie nur nicht nüchtern genommen wurde. In Intervallen von 2 Tagen, 
wo die Ausscheidung der früheren Dosis bereits erfolgt zu sein pflegte, 
durften dann 0*05—0-06 Grm. arsenige Säure von Neuem eingeführt 
werden. Drei- bis viermalige Einführung hatte gewöhnlich etwas Diarrhoe 
und Kopfschmerz zur Folge; beides schwand aber nach 3—4 Tagen und 
die Einverleibung konnte dann wieder fortgesetzt werden. 

Aus Versuchen an Hunden ergab sich ferner, dass die Resorption 
der mit Fettsubstanzen gemischten arsenigen Säure zwar langsamer er¬ 
folgte, als wenn sie in anderer Form einverleibt wurde, aber keineswegs 
erheblich behindert war, und dass das Gift verhältnissmässig schnell aus 
dem Körper wieder eliminirt wurde. Verf. fordert daher auf Grund dieser 
Ergebnisse zu therapeutischer Prüfung dieser Mischung auf. 

383. Oleum terebinthi in einigen Formen von Lähmung. Von 
J. B. Grove. (The americ. Practitioner. 1879. XH.) 

Verf. will gegenüber den zahlreichen neuen Medicamenten auf ein 
altes Mittel aufmerksam machen, dass ihm oft gute Dienste geleistet. Er 
wendete in einem Falle von schon drei Jahre lang dauernder Paraplegie, 
gegen welche die gebräuchlichen Mittel wirkungslos blieben, folgendes 
an: Mucil. gum. acac. 90*0, OL terebinth. 30*0, Spir. Lav. comm 4*0, 
3mal täglich einen Theelöffel voll. In acht Tagen war die Besserung be¬ 
merkbar und nach vier Monaten konnte Patient mit einem Stocke gehen. 
Ebenso wirksam, ohne irgend welchen unangenehmen Einfluss, zeigte sich 
dieses Medicament auch in einem zweiten Falle von Paraplegie. In zwei 
anderen Fällen von Hemiplegie und Paraplegie wurden 20 Tropfen 3mal 
des Tages ebenfalls mit auffallendem Erfolge verabreicht. — sch. 


384. Die Behandlung des Cancers der weiblichen Geschlechts¬ 
organe. Von Professor Clay. (The Lancet. 1880, 27. März.) 

Verf. erreichte in einigen Fällen durch die Anwendung von syri¬ 
schem Terpentin bei Krebs insbesondere der weiblichen Generationsorgane 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


ganz bedeutende Besserung. Das Maximum der Dosis, welche ohne Ge¬ 
fahr und fortlaufend gereicht werden kann, sind 1*5 Gramm täglich. Es 
ist räthlich, das Mittel nach einem 10—12wöchentlichen Gebrauche 
einige Tage lang auszusetzen und es dann wieder wie früher aufzu¬ 
nehmen. Es scheint der Terpentin mit der grössten Energie auf die Peri¬ 
pherie der Neubildung zu wirken und viel langsamer auf die ganze 
Masse, er scheint die Krebszellen zu lösen, zugleich eine allmälige Atro- 
phirung der Gefässe bedingend, während die derberen Gewebe unter 
normale Bedingungen gesetzt werden. Es ist auch ein sehr energisches 
Schmerzstillungsmittel, bei dessen Anwendung die Schmerzen in einigen 
Tagen aufhören. Am besten wirkt der syrische Terpentin allein gegeben, 
doch der Convenienz halber kann er in folgender Emulsion gereicht 
werden: SoliU. Terebinth. 15*0, Sol . Tragacanth. 120*0, Flores Stdph. 
2*4, Aq. dest . 500 Orm. Von dieser Emulsion werden 30 Grm. pro 
die verbraucht. Die Solut. Terebinth. wird durch Auflösen von 1 Theil 
Terpentin in 2 Theilen Schwefeläther bereitet. —sch. 


385. Eine neue Verwendungsart des Glycerins. Von Dr. Lar¬ 
mau de. (Le progres medical. 1880. März 20.) 

Viele Kranke lehnen den Leberthran unter der Angabe ab, dass 
sie bei dessen Gebrauch den Appetit verlieren. In solchen Fällen r&th 
Verf. Glycerin innerlich in folgender Formel anzuwenden: Glycerins 
puri 300* 0, Tinct. jodin. guttas 39, Kali jodati 0*30. Ein Kaffee¬ 
löffel voll vor jeder Mahlzeit zu nehmen. Bald ist der Appetit wieder 
rückgekehrt und die Verstopfung hört auf. Für zarte Patienten kann man 
der obigen Verschreibung 30*0 Syr. rub. idaei zugeben. —sch. 


386. Ueber den Gebrauch des Alkohols im Fieber. Von Prof. 
Macnaughton Jones. (The British med. Joura. 1880. May 8.) 

J. untersuchte die Resultate, welche durch Anwendung des Alko¬ 
hols bei Typhus, typhösem Fieber und bei einfacher Febris continua er¬ 
zielt wurden, wobei er zur Ueberzeugung gelangte, dass der Alkohol so¬ 
wohl gegen Typhus als gegen das typhöse Fieber eines der werthvoll¬ 
sten Mittel bildet. Nichtsdestoweniger fordert ein bedeutendes Percent der 
Fälle keineswegs die Anwendung des Alkohols, dieses kann sogar in 
hemselben zu Complicationen führen. Es ist schwer die Regeln anzugeben, 
in welchem Stadium des Fiebers der Alkohol angezeigt ist, da diese In- 
dication mehr vom Typus des Fiebers als vom Stadium desselben ab¬ 
hängt — doch fällt die Zeit für die Anwendung in gewöhnlichen Fällen 
meistens in der Zeit vom achten bis zwölften Tag. Eine frühzeitige An¬ 
wendung des Alkohols ist nach der Meinung des Autors ungerechtfertigt, 
da er nicht daran glaubt, dass eine frühzeitige Anwendung von Stirnu- 
lantien dem adynamischen Zustande vorzubeugen im Stande ist. Er sab 
selten guten Erfolg davon in den frühen Stadien des Fiebers bei Gewohn¬ 
heitstrinkern und neigt zur Ansicht, dass es eine gefährliche Täuschung 
ist, diese in solchen Fällen als „essentiell“ zu betrachten, da starke 
Trinker häufiger ohne Stimulanzen genesen als mit. Alkohol hat einen 
nur geringen Einfluss auf die Fiebertemperatur. Als Führer für den Ge¬ 
brauch der Reizmittel betrachtet J. das Alter der Patienten, die Be¬ 
schaffenheit der Herzens, des Pulses, der Zunge und der Gehirnsymptome. 
Junge Patienten reichen in der Regel ohne Stimulantien aus. Ein 
schwaches Herz, mit unregelmässigem Rhythmus und schwachem erstem 
Ton, ein leicht zerdrückbarer und rascher Puls, eine ziemlich feuchte 
Zunge und die Abwesenheit von bedeutenden Gehirnsymptomen bilden die 


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Mediciniflch-chirurgische Rundschau. 


601 


Indication für deren Gebrauch. Auch ist J. der Ansicht, dass der Alkohol 
auch als Nährmittel in jenen typhösen Zuständen wirkt, in denen die 
Assimilation erschwert ist. Schliesslich warnt er gegen den allgemeinen, 
nicht auf Unterscheidung beruhenden Gebrauch des Alkohols in den 
frühen Stadien des Fiebers und gegen die rasche Steigerung der Dosis, 
während die Symptome deutlich zeigen, dass derselbe von schädlicher 
Wirkung ist. —sch. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 

387. Statistische Mittheilungen über den Brustkrebs. Nach 
Beobachtungen aus der Breslauer chirurgischen Klinik dargestellt von 
Dr. Arthur Henry, prakt. Arzt in Breslau. (Breslau, Maruschke und 
Berendt. 1879. 8. 122.) 

AnstosB zu dieser Arbeit gab die Aufforderung des Chirurgen- 
congresses, Beobachtungsmaterial über den Brustkrebs zu sammeln, um 
die Frage beantworten zu köDnen, ob das Carcinoma mammae durch die 
Amputation der Brust definitiv beseitigt oder in seinem deletären Ver¬ 
laufe wenigtens aufgehalten werden könne. Verf. stellt eine Statistik zu¬ 
sammen über 196 Fälle von Brustcarcinom, und zwar 145 auf der 
Breslauer Klinik, 51 in der Privatpraxis des Prof. Fischer im Zeit¬ 
räume von 1871—1878 beobachtete Fälle. Diese statistischen Tabellen 
wurden der Orientirung wegen in einzelne Gruppen vertheilt. 

Operativ behandelte Patienten, welche ohne Recidiv leben, 
werden 28 aufgezählt, mit Recidiv 18; — operirte Kranke, welche an 
Recidiv gestorben sind, waren 60, welche an anderen Krankheiten ge¬ 
storben sind oder über die nichts Bestimmtes in Erfahrung gebracht 
werden konnte, 11, und solche, welche sehr bald nach der Operation ge¬ 
storben sind, und zwar entweder an den Folgen der Operation oder an 
accessorischen Krankheiten oder an secundären Erscheinungen ihres Krebs¬ 
leidens 30. Unoperirt gebliebene Kranke, die gestorben sind, werden 
35, solche, die unoperirt geblieben sind und noch leben, 7, und solche, 
Aber deren Schicksal nichts Genaues eruirt werden konnte, ebenfalls 7 
aufgezählt. 

Die Tabellen sind sehr genau geführt und enthalten die einzelnen 
Rubriken Name, Alter, Beschäftigung, Wohnort und Tag der Vorstellung; 
anamnestische Daten über den Stand, vorausgegangene Geburten, Lactation, 
Nebenumstände, Zeit und Art der ersten Entstehung der Neubildung, ver¬ 
meintliche Ursache, Dauer bis zur Operation, Sitz und Art der Neubil¬ 
dung, Operation und Verlauf derselben (ob recidiv oder abermals operirt), 
Complicationen, Dauer des Leidens u. s. w. 

In Betreff der Heimat der Patienten überwiegt die Zahl der aus der 
Provinz Schl esien ' (ausser in dem oberschlesischen Bergwerksrevier) 
und Posen kommenden in ganz enormer Weise die der aus der Stadt 
Breslau zugehenden (welche in anderen Krankenanstalten Hilfe suchten), 
was Verf. der in Schlesien und Posen sehr verbreiteten Kurpfuscherei zu¬ 
schreibt. 

Bezüglich der ätiologischen Momente waren dem Geschlechts 

nach 192 weibliche und 4 (2*04 Perc.) männliche Carcinomkranke. 

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M edicinisch-chirnrgiBche Rundschau. 


Von den 183 Fällen, in welchen das Alter sicher bekannt war, 
vertheilen sich auf das von 45—50 Jahren die meisten (37). Bis zum 
50. Jahre steigt die Häufigkeit, um dann allmälig wieder abzufallen. Die 
Summe der nach dem 45. Jahre befallenen Frauen beträgt 118, die der 
vor dem 45. Jahre beobachteten 65. Das 21. Lebensjahr bildet auf der 
einen Seite die äusserste Grenze, während diesem als das älteste auf der 
andern Seite das 78. entgegensteht. 

Betreff der Ehe waren 142 (74 # 3 Perc.) verheiratet, 25 (13*1 Perc.) 
ledig und 24 (12*5 Perc.) verwitwet. Bei ersteren sind die Schwanger¬ 
schaft, Lactation und etwaige Mastitiden von Einfluss auf die Entwicklung 
des Carcinoms. 96 Patientinnen hatten geboren und die Kinder zumeist 
selbst gestillt, 22 waren nie entbunden. 

Im Verlaufe der Schwangerschaft entwickelte sich der Krebs 
in 5 Fällen, welche einen acuten und bösartigen Verlauf nahmen. 

In ganz directem Zusammenhänge mit der Lactation entwickelte 
sich das Leiden in 4 Fällen. 

Familienanlage und örtliche Prädisposition wurde bei 6 Pa¬ 
tientinnen nachgewiesen. 

Betreff der constitutionellen und äusseren Verhältnisse der 
Patientinnen wurde constatirt, dass sich der Krebs nicht nur bei schwäch¬ 
lichen Frauen mit mangelhafter Gesundheit, sondern im Allgemeinen bei 
solchen, deren Gesundheit bis zu dem ersten Symptom des Leidens nichts 
zu wünschen übrig liess, entwickelt. 

Tellurische Einflüsse auf die Entwicklung des Brustcarcinoms 
wurden nicht eruirt. Thatsache ist jedoch, dass bei wenig civiiiairten 
Naturvölkern der Krebs ein seltenes Ereigniss ist. 

Prävalenz der einen oder der anderen Mamma wurde nicht 
constatirt. 

Das Trauma wurde als Ursache für das Entstehen der Geschwulst 
unter den vorliegenden 196 Fällen von 33 (16*8 Perc.) Patientinnen ge¬ 
halten. In vielen Fällen existirte aber der Tumor schon vorher, die 
Kranke hatte ihn aber nicht bemerkt, das Trauma wurde nur Gelegen¬ 
heit zur Beobachtung des entstandenen, nicht Ursache ftir den entstehenden. 

In Betreff der anatomischen Verhältnisse sass in der Mehrzahl 
der Fälle der erste Knoten im Achselstrange. Die scirrhöse Form der 
Tumoren überwog bei weitem die medulläre, beiläufig 95 :5, erstere 
wuchs im Allgemeinen langsamer als die medullären Formen. Der Cancer 
en cuirasse kam sehr selten zur Beobachtung. — Was die Ausdehnung 
und Ausbreitung der Geschwulst anlangt, so war in 35 Fällen die Ver¬ 
wachsung der Haut mit dem Tumor, ohne dass schon Exulceration ein¬ 
getreten war. Der Bestand der mit der Haut verwachsenen Geschwulst 
variirte von J / 4 bis zu 4 Jahren und länger. 

Exulceration war in mehr als dem 5. Theile aller Fälle bei 
der Vorstellung bereits vorhanden. Dieselbe trat als frühester Termin im 
6. Monate nach dem Entstehen, als spätester im 6. Jahre des Leidens 
ein. Als mittlere Zeit ftir den Eintritt der Ulceration kann die Zeit des 
lV*j. Bestehens des Tumors angesehen werden. — Infiltration der 
Drüsen zeigte sich in 118 Fällen; zumeist der Achseldrüsen, in einigen 
Fällen auch der Claviculardrüsen. Die Mehrzahl der Fälle ohne Drüsen- 
infiltration kam noch vor Ablauf des 1. Jahres nach Entstehen des Brust¬ 
tumor zur Beobachtung, jene dagegen mit Drüseninfiltration im 2. Jahre. 
Ueber die Metastasen der Carcinome in inneren Organen liegt nur 
eine Beobachtung von 27 Fällen vor, da nur in wenigen Fällen, die aus 


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Medicinigch-chirnrgische Rundschau. 


503 


der Klinik entlassen wurden, Sectionen gemacht oder von zuverlässiger 
Seite intra vitam Diagnosen gestellt wurden. Zumeist kamen Metastasen 
in der Leber vor, dann in den Lungen und Pleuren etc. 

Die Behandlung der angeführten Fälle zerfiel in die operative 
und in die palliative. Für die letztere waren die Operationsscheu vieler 
Patienten, weites Vorgeschrittensein der Erkrankung und der Allgemein¬ 
zustand die massgebenden Momente. Es wurde daher eine mehr allge 1 
meine Therapie eingeleitet, je nach Umständen Narcotica, Antisepsis. Ar¬ 
senik, Jod- und Quecksilberpräparate, Injectionen von Silberlösungen, Carbol- 
säurelösung, verdünnter Essigsäure wurden gemacht, alles ohne jeden Er¬ 
folg. Chlorkali und Condurango hatten ebenfalls keinen Erfolg; ebenso die 
Injectionen von Hospitalbrandgift, Compression und die elektrolytische Be¬ 
handlung. 

Im Ganzen wurden von 196 Kranken 49 nicht operirt, diesen 
stehen 147 operirte Kranke gegenüber, von denen ein Theil mehrfach 
operirt wurde, und zwar wurden fast immer Total-Amputationen vorgenom¬ 
men. An diese schloss sich zumeist die Exstirpation der Drüsen an. Nach 
den auf der Breslauer Klinik gemachten Beobachtungen wachsen bereits 
bestehende, durch Carcinom-Infection bedingte Lymphdrüsengeschwülste 
nach Entfernung der primären Geschwulst immer gleich weiter. — Die 
Nachbehandlung war anfangs die offene Wundbehandlung mit zweifelhaften 
Resultaten, später die Lister’sche ohne Spray bei der Operation. 

Was die Mortalität betrifft, so waren 30 Fälle, die in kurzer 
Zeit nach der Operation gestorben sind. Abgerechnet 3 Fälle von Peri¬ 
tonitis acuta, Pleuropneumonia acuta und Meningitis tuberculosa bleiben 
27 Fälle auf beinahe 170 Operationen, deren unglücklicher Ausgang 
mehr oder weniger dem operativen Eingriff zur Last fallen mag. Zum 
Tode führten 8 einfache Mamma-Operationen und 22 mit Complicationen. 
An Sepsis starben 6, an Pyämie ebenfalls 6, an Erysipel 5 Patienten, 
zusammen also 17 an accidentellen Wundkrankheiten. 

Das durch die operative Behandlung gewonnene Heilresultat ist nach 
der Ansicht des Verf. ein günstiges, zumal, wenn man bedenkt, welch’ 
namenlos trauriges Schicksal die armen Patienten erwartet, die sich da, 
wo es noch Zeit war, zur Operation nicht entschliessen konnten. Die 
Operation bietet eben nur die einzige Aussicht auf Erfolg. Nach den 
statistischen Zusammenstellungen ist die mittlere Lebensdauer für Operirte 
um ein Beträchtliches höher als für nicht Operirte, und zwar um 13*6 
Monate länger. 

Zum Schlüsse erwähnt Verfasser noch die 4 beobachteten Fälle vom 
Mammacarcinom bei Männern, von denen 3 nicht, 1 operirt wurden; alle 
4 Fälle verliefen letal. Verf. glaubt daher, dass die Mammacarcinome 
bei Männern einen überaus bösartigen Verlauf nehmen und viel ungün¬ 
stiger sind als die der Frauen. Lobmayer, Agram. 

388. Ein Fall von Resection eines grossen Theiles der linken 
vorderen Thoraxwand. Heilung. Von Dr. L. Szuman. (Deutsche 
Zeitschrift f. Chirurgie v. C. Hüter und A. Lücke. Bd. XH. 4. und 
5. Heft.) 

Eine 48jährige Dienstmagd hatte seit angeblich 4 Jahren an der 
linken Brustseite einen Tumor, der zur Zeit ihrer Aufnahme in's Spital 
die ganze linke Thoraxseite einnahm, bis zur 7. Rippe nach unten, nach 
hinten bis zur Scapularlinie reichte. Die Haut darüber beweglich, Brust¬ 
drüse scheint atrophirt; der Tumor sehr hart, auf seiner Basis unbe- 

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Mediciniflch-chirurgische Rundschau. 


weglich, vielhöckerig. Allgemeinbefinden der Pat. dabei gut; ln der 
letzten Zeit ist der Tumor sehr rasch gewachsen. 

Aus letzterem Grunde insbes. wurde an die Exstirpation des Tumors 
gegangen: Verticaler Spaltschnitt und Lospräparirung derselben. Beim 
Versuche, den Tumor von der Thoraxwand abzuheben, brach eine Rippe; 
hierdurch gewann man bessere Einsicht in die Verhältnisse des Tumors 
zum Thorax. Es zeigte sich, dass der Tumor ein Paar Rippen nach 
innen zu völlig umwachsen hatte und der Tumor selbst einige Centimeter 
weit in den linken Thoraxraum hineinragte. 

Man entschloss sich zur radicalen Exstirpation des Tumors: Durch¬ 
schneidung der 3. bis incl. 6. Rippe mit Knochenscheere. Vollständige 
Loslösung der Tumormassen. Geringe Blutung. Der linke Thoraxraum, 
Herzbeutel und linke Lunge sind vollständig blossgelegt. Einlegung von 
Drainröhren, eine in den linken Thoraxraum nach hinten unten, die zweite 
subcutan gegen die Scapula hin. Vernähung der Haut. Der letzte Theil 
der Operation war, um eine zu starke Abkühlung des Herzbeutels und 
der linken Lunge zu vermeiden, sehr rasch beendet worden. Die Lunge 
sank nach der breiten Thoraxeröffnung zusammen, die Athmung wurde 
unregelmässig, Puls schwach. 

Schliesslich Ausspülung des linken Thoraxraumes mit warmer 
Salicylsäuresolution. Lister’s Verband. 

Der Tumor wog 9*5 Pfunde; von der 4. und 5. Rippe waren 
11 Ctm., von der 3. und 6. ca. 5 1 /* Ctm. resecirt worden. 

Der 1. Verband blieb 48 Stunden unberührt liegen. Bei seiner 
Abnahme zeigte sich die Haut der linken Thoraxseite mit dem Perikardium 
und der Pleura pulmon. ausgedehnt verklebt. 

Mit Ausnahme einer Secretverhaltung und dadurch bedingten tem¬ 
porärer Fiebererhöhung und einer leichten Bronchitis, gnter Heilungs¬ 
verlauf, der in 40 Tagen beendet war. Der Defect der linken Tborax- 
wand entsprach der Grösse eines Kindskopfes. 

Der Tumor stellte sich heraus als ein in der Tiefe verknöchertes, 
in den peripheren Antheilen der mucinösen Erweichung verfallenes 
peripherisches Chondrom. 

Verf. meint schliesslich, dass der äusserst günstige Verlauf des 
obigen Falles die volle Berechtigung der partiellen Thoraxwand- 
Resection in Fällen von grossen, gutartigen Tumoren der Brustknochen 
darthue, da man dadurch dem Pat. wirklich helfen zu können hoffen 
dürfe. Für bösartige Geschwülste dieser Körperregion sei die Operation 
keineswegs indicirt. Fr. Steiner (Marburg). 

389. Ueber das plötzliche Verschwinden von Tumoren. Von Prof. 
Dr. H. Fischer. (Deutsche Zeitschrift f. Chirurg, von C. Hüter und 
A. Lücke. XU. Bd. 1. und 2. Heft.) 

Unter dem Einfluss von schweren fieberhaften Störungen des Allge¬ 
meinbefindens wurde bekanntlich oft schon das Verschwinden von Tumoren 
am Körper mancher Pat. beobachtet. Insbesondere seien es, bemerkt Verf., 
die acuten Exantheme (Scharlach bes.), Typhus und Cholera, welche auf 
das Wachsthum gewisser Tumoren (insbesondere der Sarcome, Adenome 
und Limphome) in hemmender Weise ein wirken. Dagegen werden aber 
Carcinome, Lipome Fibrome, Enchondrome, Osteome, etc. etc., durch die 
oben erwähnten Allgemeinerkrankungen in ihrer Weiterentwicklung gar 
nicht beeinflusst. 


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Medicinisch-chirtirgiache Rundschau. 


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Verf. berichtet ausführlich über mehrere einschlägige Fälle aus 
«einer Praxis, woraus wir das Wesentlichste hervorheben. 

1. Unter schweren Allgemeinsymptomen verschwanden in einem 
Falle grosse Lymphdrüsentumoren in der Achselhöhle. 

Ob aber das jähe Verschwinden der Tumoren die schwere Allge- 
memerkrankung, oder umgekehrt letztere das Erstere verursacht habe, 
blieb in diesem Falle — auch durch die folgende Section — unaufgeklärt. 
Pat. war nämlich wegen eines Lymphtumors im Halse operirt worden; 
der gleichartige Tumor in der Achselhöhle sollte nach Heilung der ersten 
Wunde entfernt werden. Guter Verlauf in den 2 ersten Tagen darnach. 
In der Nacht vom 3.—4. Tage nach der Operation, war aber der grosse 
Achselhöhlentumor ganz verschwunden. Pat. sehr unwohl, stark fiebernd. 
Unter rascher Zunahme der üblen Symptome und Delirien (Wundaussehen 
dabei stets gut) starb Pat. am 5. Tage. 

Verf. meint, ob der operative Eingriff als causales Moment des 
Zerfalles des Lymphdrüsengewebes gelten könne oder nicht, dies sei fraglich, 
doch wahrscheinlich dürfte der schwere, tödlich verlaufene Allgemeinzustand 
durch die Aufnahme der fettig zerfallenen Drüsengewebsmassen bedingt 
worden sein, wie dies in ähnlicher Weise die Erfahrung beim acuten Zerfall 
der Kröpfe lehre. 

2. In einem 2. Falle beobachtete Verf. während der Entwicklung 
einer tuberculösen Meningitis und Pericarditis eine wesentliche Verkleinerung 
von Lymphdrüsentumoren. 

In einem 3. Falle verschwand im Verlaufe eines Typhus ein Lymph- 
drüsentumor am Halse. Ebenso in einem 4. Falle eine Struma, während 
einer leichten Scarlatina. 

Jedoch müsse man, bemerkt Verf., sich auch sehr vor Täuschungen 
zu hüten suchen. So könne es bei ungenauer Untersuchung geschehen, 
dass während einer Allgemeinerkrankung die Resorption eines Tumors 
vorgetäuscht werde, während eigentlich nur eine Veränderung in 
der Zusammensetzung und Consistenz des Tumors stattfand. 
Es folgen hiefiir einige Beispiele. 

1. Ein Pat. mit grosser Struma war an einem schweren Typhus 
erkrankt. Während des günstigen Krankheitsverlaufes bekam Pat. eines 
Tages während eines Hustenanfalles plötzlich höchstgradige Dyspnoe, und 


starb, bevor Verf. Alles zur Tracheotomie zur Hand hatte. Die Struma 
erschien, als Verf. die Pat. noch kurz vor dem Tode untersuchte, enorm 
verkleinert. Die Section zeigte, dass 2 Cysten der Struma die Trachea 
perforirt .hatten; eine davon war geborsten und hatte sich in Trachea und 
Lungen entleert, und so den Tod der Pat. durch Suffocation verursacht. 

2. Insbesondere häufig sei Verkleinerung und Erweichung von Ge¬ 
schwülsten während des Verlaufes von Septhämie zu beobachten. 

Bei einem 32 jährigen Manne, der wegen Osteosarcom am Ober¬ 
schenkel amputirt worden war, trat Sepsis auf und er starb. Während 
der Entwicklung der Sepsis ward ein Drüsentumor, den Pat. in der Leiste 
hatte, zunehmend weicher und kleiner. Bei der Section aber zeigte sich: 
jauchiger Zerfall dieses Tumors, so zwar, dass an Stelle desselben nur 
ein mit putrid-breiiger Flüssigkeit gefüllter Sack sich präsentirte. 

3. In Folge von relativ geringen, mechanischen Ein¬ 
griffen werde zuweilen das Verschwinden von grossen Tumoren beobachtet. 

So sah Verf. nach 2maliger Punction eines grossen Milztumors, 
wobei sich jedesmal nur helles Blut in grosser Menge entleerte, eine rasche 


Verkleinerung des Tumors erfolgen, der schliesslich nur l /s »einer früheren 

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Medicinisch-chirnnjiache Rundschau. 


Grösse behielt. — Verf. glaubt, es habe sich hier um aneurysmatische 
Erweiterungen der Milzarterien gehandelt, welche nach den Functionen 
thrombotisch verschlossen worden seien*, durch Retraction der aneurys¬ 
matischen Säcke könnte die Verkleinerung des Milztumors eingetreten sein. 

In ähnlicher Weise sah Verf. nach 2maliger Injection von l°/ 0 
Carboisäuresolution in eine substemale Struma, ein completes Schwinden 
der Letzteren. Verf. hat später diese Injectionen wiederholt bei vielen 
Strumakranken versucht, jedoch nie wieder einen Erfolg damit erzielt* 
Was im obigen Falle den günstigen Ausgang herbeigeführt, bleibe fraglich. 

Fr. Steiner, Marburg. 

390. Die Behandlung progredienter septischer Phlegmonen mit 
multiplen Incisionen und ScarifLo&tionen. Aus der Volk manischen 
Klinik. Von Dr. P. Kraske. (Ctrlbl. f. Chirurgie 1880. 17.) 

Seit einer längeren Reihe von Jahren werden in der V o 1 k m an n’schen 
Klinik alle ins Haus aufgenommenen progredienten Phlegmonen, so fern 
eine sofortige Amputation noch nicht indicirt oder nicht mehr ausführbar 
erscheint, mit multiplen Incisionen und Scarificationen behandelt. Das 
Verfahren ist vom Verf. auf dem vorjährigen Chirurgencongress mitge- 
theilt und empfohlen worden. Dasselbe hat seitdem vortreffliche Resultate 
geliefert, es ist daher die ausführliche Darstellung des Verfahrens um 
so mehr berechtigt. 

Tritt ein Kranker mit fortschreitender septischer Phlegmone in die 
Klinik ein, so werden in der ganzen Ausdehnung der Infiltration mit 
einem schmalen Scalpell zahlreiche, eventuell nach vielen Hunderten 
zählende Punctionen und kleine Incisionen gemacht, also eine förmliche 
„Stichelung 44 ausgeföhrt. An Stellen, wo hierbei deutliche Anhäufungen 
von Jauche oder Eiter gefunden werden, werden sofort grössere Incisionen 
hinzugefügt, die eine erfolgreiche Auswaschung und Drainage gestatten. 
Durch die, gewöhnlich stark blutenden, Scarifications- und Inciskms- 
öffhungen pflegen dann alsbald, wie durch ein Sieb, die goldgelben, serös- 
eitrigen, rein eitrigen oder jauchigen Entzündungsproducte in reichlicher 
Menge herabzurieseln. Tritt, auch durch Druck mit der Hand, keine 
Flüssigkeit mehr aus, so werden die Theile mit stärkeren Carbolsäure- 
lösungen energisch abgewaschen und abgerieben, und Eiter- und Jauche¬ 
höhlen noch besonders mit Hilfe des Irrigators ausgespült. Die weitere 
Behandlung bestellt entweder in der Application von nassen Carbolver- 
bänden, die häufig — mindestens zwei Mal des Tages — zu wechseln 
sind, oder in permanenter Irrigation mit antiseptischen Flüssigkeiten. Der 
entzündete Theil wird dabei hoch gelagert oder vertical suspendirt 
Zur permanenten Irrigation lässt sich wegen leicht eintretender Intoxica- 
tion die Carboisäure nicht wohl anwenden. Es wurde dazu meist Sali- 
cylsäure benutzt. Aber auch sie hat mancherlei Inconvenienzen. Sie 
scheint oft nicht kräftig genug zu desinficiren und, was noch unangenehmer 
ist, sie bewirkt in den Exsudaten starke Gerinnungen, die in sehr lästiger 
Weise die Drainröhren verstopfen und der desinficirenden Flüssigkeit den 
Weg in die Gewebe versperren. Vielleicht lassen sich andere Antiseptica, 
z. B. unterechwefligsaures Natron oder essigsaure Thonerde, hier mit 
grösserem Vortheil verwerthen. 

Durch die beschriebenenen Manipulationen werden offenbar Be¬ 
dingungen geschaffen, welche für den leidenden Theil ausserordentlich I 

günstig sein müssen. Eine möglichst grosse Quantität von Entzündungs- 
producten wird eliminirt und hört auf phlogogen auf die Gewebe und 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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pyrogen auf den Organismus zu wirken. Gleichzeitig vermindert sich die 
Spannung und damit die Resorptionsgeschwindigkeit, die Schmerzen und 
die Gefahr der Gangränescenz. Aber die zahlreichen Punktionsöffnungen 
sind.nicht bloss Ausgangspforten für die deletären Stoffe, sondern sie er¬ 
möglichen auch den Desinfectionsflüssigkeiten das Eindringen in die Ge¬ 
webe und die Wirkung auf die Entzündungserreger. Gewiss ist auch die 
Blutung, die bei den Scarificationen eintritt und die oft eine sehr lebhafte 
ist, auf den Verlauf der Entzündung von wohlthätigem Einfluss. Es wird 
eine Depletion der prall gefüllten kleinen Gefüsse und ein rascherer Zu¬ 
fluss sauerstoffreicheren Blutes erfolgen, das besser als das stagnirende, 
desoxydirte geeignet ist, die entzündliche Ernährungsstörung der Gefäss- 
wände wieder ausgleichen zu helfen. 

Es war denn auch der Erfolg, von dem diese Behandlung meist 
begleitet war, ein dem entsprechender. Die Temperatur, die vorher sich 
auf bedeutender Höhe erhielt, fiel gewöhnlich rasch stark ab, häufig sogar 
bis zur Norm, und wenn auch in den folgenden Tagen meist wieder eine 
Steigerung eintrat, so hielt sich dieselbe doch in mässigen Grenzen und 
dauerte nur wenige Tage an, um dann einer definitiven Defervescenz Platz 
zu machen. Fast ausnahmslos verlor der Process unmittelbar nach dem 
Eingriffe seinen progredienten Charakter, die Röthung und Schwellung 
Hessen au Intensität nach und gingen mehr oder weniger schnell voll¬ 
kommen zurück. 

Unter den von uns behandelten Fällen sind nur wenige, in denen 
wir keinen oder wenigstens keinen vollen Erfolg verzeichnen konnten. 
Ein Mann mit einer bis hoch auf die Schulter reichenden, rapid sich aus- 
breitenden septischen Infiltration der ganzen Oberextremität starb trotz 
ausgiebiger Stichelung der ganzen Extremität wenige Stunden nach seiner 
Aufnahme in die Klinik. Bei einigen Kranken wurde später noch die 
Amputation nothwendig, nachdem die Aflfection in Folge der multiplen 
Scarification und einzelner Incisionen ihren progredienten Charakter ver¬ 
loren hatte. Auf der anderen Seite aber befinden sich unter unseren Fällen 
eine Reihe der schwersten, acut verlaufenden, septischen Entzündungen, 
die ohne beraubende Operation zur Heilung gebracht wurden. Wo, wie 
es einige Male der Fall war, noch nachträglich amputirt werden musste, 
da waren es die Grösse der primären Verletzung, von der die Phlegmone 
ihren Ausgang genommen hatte, oder ausgedehnte, durch die gangränesci- 
rende Entzündung gesetzte Defecte, welche die Indication abgaben. Aber 
hier hatte vorher unsere Behandlung die Phlegmone rückgängig gemacht, 
und die Amputationen konnten in gesunden Theilen mit sicherer Prognose 
ausgefübrt werden. Von den zur Illustration mitgetheilten 6 Fällen möge 
hier Fall 1) folgen: 

Josef Funke, Arbeiter, 48 Jahr, aus Jalaifke. Mit einer von eindr 
Quetschwunde am linken Fuss ausgegangenen Phlegmone, die bis auf das 
untere Drittel des Femur reicht und an verschiedenen bis handtellergrossen 
Stellen zu grauschwarzen Verfärbungen der Haut geführt hat, am 24. JuH 
1877 aufgenommen. Temp. 40*5, lederarartige braune Zunge, Delirien. 
Am 25. multiple Scarificationen, weite Spaltung der gangränösen Partien. 
Am 26. fällt die Temperatur auf 37*5, steigt aber wieder an und geht 
erst allmälig wieder herunter. Am 6. August 1876 haben sich die 
gangränösert Partien abgestossen, die Wunden granuliren gut, sind aber 
so gross, dass eine Vernarbung unmöglich erscheint. Der Pat. verweigert 
die vorgeschlagene Amputation und wird entlassen. 0. R. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


391. Ein Beitrag zur Reseotion am Sch&delgewölbe mit nach- 
folgendem plastischen Verschluss des Defeotes. Aus der chirurgischen 
Klinik des Prof. v. Bergmann in Würzburg. Von Dr. Kund Urlichs. 
(Aerztliches Intelligenzblatt Nr. 15, 1880; P. med. chir. Presse. 22.) 

Die 58jährige, kräftig gebaute und rüstige Frau wurde am 15. Mai 
1879 auf die Klinik wegen eines Epithelialcarcinoms der Stirne an¬ 
genommen. Verschieben lässt sich die Geschwürsfläche auf ihrer Unter¬ 
lage nicht und scheint fast mit dem Knochen zusammenzuhängen. Am 
19. Mai wurde unter Beobachtung aller Liste r’schen Kautelen die Ex¬ 
stirpation des Carcinoma vorgenommen, und zwar ging der Operationsplan 
dahin, dasselbe mit einem zu resecirenden Theil des Stirnbeins in toto 
herauszuheben und den auf diese Weise entstandenen Defect durch eine 
plastische Operation zu decken. 

Die Geschwulst wurde mit einem das Periost mit durchtrennenden 
Schnitt Umschnitten und das Periost gegen die Basis der Geschwulst etwas 
zurückgeschabt, um eine genügend freie Schnittfläche für den Meissei zu 
bekommen. Nach Unterbindung einiger Gefüsse wurde mit dem Linhari¬ 
schen Schrägmeissei eine Furche um die Geschwulst im Knochen vor¬ 
gezeichnet und dann mit dem geraden Meissei ein etwa Markstück grosses 
Stück des Stirnbeines freigemeisselt, bis dasselbe mit dem Elevatorium 
gut herausgehoben werden konnte. Nachdem das geschehen, reprftsentirte 
sich die freiliegende Dura mater und mit ihr deutlich die Pulsation des 
Gehirnes; in der Dura befanden sich zwei etwa 1 Ctm. lange, durch den 
Meissei hervorgerufene Schnitte. Nach sorgfältiger Blutstillung und Reini¬ 
gung der Wunde mit 3perc. Carboisäurelösung wurden dann von den 
oberen Winkeln des Defectes zwei Bogenschnitte nach Art der Jäscher¬ 
sehen Lappenbildung durch die behaarte Kopfhaut gegen die Schläfen¬ 
gegenden hin geführt, und die auf diese Weise gebildeten Lappen vom 
Perioste abpräparirt, bis dieselben ohne Spannung mit ihren beiden freien 
Enden über dem Defecte durch die Naht vereinigt werden konnten; dabei 
wurden 2 senkrecht eingestellte Drains eingelegt und ein Liste r’scher 
Verband angelegt. 

Der Krankheitsverlauf war vollkommen normal. Die Temperatur 
hob sich am ersten Abend auf 38-4, am folgenden auf 38*1, um von da 
an die Norm nicht zu überschreiten. Am 28. Juni, also 29 Tage nach 
der Operation, verliess die Kranke das Bett und trat Anfangs August 
1879 geheilt aus dem Spitale aus. Die neugebildete Decke über dem De¬ 
fect war etwas eingezogen und wurde durch die Pulsationen des Gehirns 
rhythmisch auf- und niedergehoben. 

392. Hydrops articulorum intermittens. Von Dr. A. Seelig- 
• müller. (Deutsche med. Wochenschrift 1880. Nr. 5 und 6. CtrbL f. 
Chirurg. 1880. 25.) 


Verf. veröffentlicht einen Fall von intermittirendem Hydrops einiger 
Gelenke, der seit 25 Jahren besteht und den S. seit dem Jahre 1875 
beobachtet und knüpft daran eine Besprechung der bis jetzt bekannten 
Fälle dieser Erkrankung. 

S.’s Pat., der im Jahre 1846 Typhus, 1849 eine Pneumonie und in dem¬ 
selben Jahre Febris intermittens während 17 Wochen durchgemacht hatte, bemerkte 
im Jahre 1855 ein alle 12 Tage wiederkehrendes, etwa 1—>1'/* Tage lang dauerndes, 
schmerzhaftes Spannen abwechselnd im linken Knie- und Hüftgelenke. Nachdem 
sich diese Anfälle, bei denen das Knie mässig anschwoll, des öfteren wiederholt 
hatten, verloren sie sich allmälig , am 1861 heftiger wiederzukehren; diesmal 
hielten sie Vj-Jahr an. Herbst 1865, dann 1872 nnd 1875 traten sie wieder in 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


509 


der typischen Weise auf, um von nun an sich nicht mehr ganz zu verlieren. 1879 
stellte sich die Affection im linken Kniegelenke mit erneuter Heftigkeit ein, die 
Anschwellung desselben war sehr stark, der Unterschied im Umfange beider Knie¬ 
gelenke betrug fast 8 cm. Alle angewendeten Mittel blieben erfolglos. 

Das Hauptsymptom bei jedem Anfall stellen die Sehmerzen dar, 
denen sich beim Kniegelenk noch die meist hochgradige Anschwellung 
desselben beigesellt; bei schweren Anfällen ist dass Allgemeinbefinden er¬ 
heblich gestört; eine Erhöhung der Körpertemperatur tritt aber nichtein. 
Eine merkliche Beeinträchtigung der Festigkeit, ein Wackligwerden des 
Kniegelenkes, wie sie bei chronischer Gelenkwassersucht gewöhnlich be¬ 
obachtet wird, beobachtete S. nicht, wohl aber, das der Umfang des 
kranken Kniegelenkes auch in der anfallsfreien Zeit etwas grösser blieb, 
als der des gesunden. 

In der Literatur findet 8. nur 12 einschlägige Fälle verzeichnet, 
denen er den seinigen als 13. anreiht. Das Gemeinschaftliche der Be¬ 
obachtungen ist Folgendes: Bei einem übrigens gesunden, erwachsenen 
Individuum kehrt alle so und so viel Tage, meist ohne Vorboten und 
ohne nachweisbare Ursache, regelmässig eine hochgradige Anschwellung 
eines oder beider Kniegelenke wieder, ohne entzündliche Erscheinungen 
und ohne Fieber. Die Anschwellung erreicht in einiger Zeit ihr Maximum 
(stadium incrementi), bleibt eine gewisse Zeit auf der Höhe (stadium acmes) 
und verschwindet ebenso in einer gewissen Zeit (stadium decrementi) 
wieder vollständig. In der Mehrzahl der Fälle kehrt die Anschwellung 
mit mathematischer Sicherheit am bestimmten Tage wieder, so dass die 
Kranken den Anfall genau Vorhersagen können. Der Rhythmus, nach dem 
dieselben wiederkehren, ist 8tägig bis 4wöchentlich; die Dauer des An¬ 
falles beträgt am häufigsten 4—6 Tage; befallen findet man meist ein 
oder beide Kniegelenke, seltener auch das Hüftgelenk. 

Die Therapie liegt vollständig im Argen; nicht eins von allen ver¬ 
suchten innerlichen und äusserlichen Mitteln hatte einen durchschlagenden 
Erfolg. S. empfiehlt Chinapräparate und Arsenik zum Versuche, da in 
2 Fällen (Bruns und Verneuil) dabei Erfolg eingetreten sein soll; 
ausserdem würde er nächstens subcutane Einspritzungen von Ergotin ver¬ 
suchen. Ueber das Wesen der Affection ist nichts bekannt. Gegen die 
einfachste Annahme einer Intermittens larvata spricht der Umstand, dass 
unter den 13 bekannten Fällen nur zweimal, und das lange Jahre zuvor, 
von einer überstandenen Intermittens die Rede ist. Bemerkenswerther er¬ 
scheint S. die Auffassung der Affection als einer infectiösen, analog der 
Polyarthritis rheumatica. S. selbst ist geneigt, den Hydrops articulorum 
intermittens den vasomotorischen Neurosen zuzuzählen; er nimmt an, dass 
wenn plötzlich eine Erweiterung sämmtlicher die Synovialhaut versorgenden 
Geffcsse zu Stande kommt, sich daraus wohl das Auftreten eines wässerigen 
Ergusses im Gelenk erklären lässt. Nicht ganz so durchsichtig ist hierbei 
freilich das immerhin schnelle Verschwinden des Ergusses. 


393. Ueber die Behandlung der Sterilität. Von Reeves 
Jackson in Chicago. (Amer. Gyn. Transact. B. III.) 


Der Grund, warum die Behandlung der Sterilität so häufig erfolglos 
bleibt, liegt in folgenden Umständen. 

Unsere Kenntnisse von der Conception und Generation sind bisher 
trotz aller Fortschritte der Embryologie und Physiologie immer noch sehr 
mangelhaft. 

Das Gleiche gilt von der Krankheiten der Adnexen des Uterus. 
Sind uns doch mit Ausnahme jener Krankheiten der Ovarien, welche mit 


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Medicinisch-chirnrgische Rnndsch&a. 


einer Vergrösserung dieser Organe einhergehen, die anderen beinahe imbe¬ 
kannt und, .wenn dies vielleicht auch nicht immer der Fall, so können 
wir sie doch meist nicht diagnosticiren, was, namentlich von den Leiden 
der das Ovum zuleitenden Gebilden, den Tuben, gilt. 

Ein gewichtiger (Jebeistand ist das zu grosse Vertrauen in die rein 
mechanische Behandlungsweise, wie sie durch J. Marion Sims eingefthrt 
wurde, ohne Rficksichtsnahme auf die zu Grunde liegenden, eigentlichen 
Krankheiten. Die rein mechanische Therapie hat ihre Berechtigung, wenn 
der weibliche Genitalschlauch bei sonst normaler Beschaffenheit an einer 
Stelle verschlossen ist und sich dieses Hinderniss mittelst eines operativen 
Eingriffes beseitigen lässt, wie z. B. bei Verschluss des Hymen, der 
Scheide u. d. m. Einen grossen Fehler aber begeht man, wenn man die 
mechanische Behandlungsweise ohne Rücksicht auf die begleitenden Um¬ 
stände einleitet. Dies gilt namentlich von den Flexionen des Uterus und 
den bei diesen üblichen Discissionen des Cervicalcanales. Allgemein üblich 
ist es nahezu, den Cervicalcanal bei Dysmenorrhoe zu discidiren. Wohl 
wird dadurch künftig die schmerzhafte Menstruation beseitigt, die Steri¬ 
lität aber doch nicht behoben. So viel Raum, dass die wenigen Sperma¬ 
zellen, welche zur Conception nothwendig sind, in den Uterus gelangen 
können, ist immer noch vorhanden, denn wenn das Menstrualblut nach 
aussen abfliessen kann, kann auch immer etwas Sperma eindringen. Man 
beachtet aber nicht, wie viel Schaden gar häufig durch die Discission des 
Muttermundes angerichtet wird. Bei zu tiefreichendem Schnitte bildet sich 
nachträglich ein Ectropium des Os externum, welches später bedeutende 
Beschwerden, ja selbst auch Sterilität zur Folge hat. Die jetzt so beliebten 
der Discission folgenden Dilatationen des Cervicalcanales ziehen, wenn 
man den Canal so weit dilatirt, bis man den Finger einlegen kann, gar 
häufig Entzündungen nach sich. Häufig sind diese erwähnten Eingriffe 
gar nicht nothwendig, andere Male sind sie wohl angezeigt, doch für 
sich allein nicht genügend, um das bestehende Leiden zu beheben. 

Nicht geringere Fehler werden bei Behandlung der Uterusversionen 
gemacht. Die Versionen verhindern die Conception lange nicht so häufig, 
als man jetzt annimmt, wenn sie sie auch zuweilen erschweren. Behindert 
wird die Conception nur dann, wenn der Muttermund gegen die Vaginal¬ 
wand gedrängt oder aus seiner normalen Stellung gebracht wird, weil 
dann der Eintritt des Sperma in denselben unmöglich gemacht wird. 
Daher rührt es, dass man die Sterilität nicht selten mittelst eines 
Pessarium zu beheben vermag. 

Sehr oft aber bleibt die mechanische Theraphie bei Lageverän¬ 
derungen des Uterus erfolglos, weil gleichzeitig eine Erkrankung des 
Organes besteht. Bringt man auch hier, den geknickten, umgekippten, oder 
vorgefallenen Uterus wieder in seine normale Stellung, so kann durch 
diesen mechanischen Eingriff allein die Sterilität nicht beseitigt werden, 
weil die complicirende Krankheit trotzdem noch immer weiter besteht. 

Erkrankungen der Beckenorgane, namentlich des Uterus kommen 
viel häufiger vor als man gewöhnlich meint, und diese sind es, welche 
die Sterilität bedingen. Die Krankheiten des Uterus betreffen das Organ 
oder nur dessen Schleimhaut, doch werden die nachtheiligen Folgen der 
letzteren auch wieder zu sehr überschätzt. Nach J. Marion Sims 
soll der Uterusschleim, wie er beim chronischen Uterinalkatarrhe auftritt, 
die Spermafäden tödten. Diese Auffassung ist gewiss übertrieben, denn 
gar häufig besteht ein Efluvium, welches auf Spermazellen noch ungünstiger 
einwirkt als der Uterusschleim und dennoch tritt Conception ein, wie man 


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dies bei Frauen sieht, welche an Blasenscheidenfisteln oder gar an Car- 
cinom des Uterus leiden. Es ist wohl richtig, dass häufig nach Abnahme 
oder Auflösen eines Uterinalkatarrhes Conception stattfindet, doch darf 
man daraus nicht sofort den Rückschluss ziehen, dass die Leukorrhoe die 
Ursache der Sterilität sei. Der Katarrh verhindert wahrscheinlich nicht 
die Conception, sondern die Nidation des Eies, das Ei kann sich nicht 
festsetzen und inseriren. Es besteht daher eine Unmöglichkeit der Gesta- 
tion aber nicht der Conception. 

Bei Störungen der Menstruation darf man sein therapeutisches 
Augenmerk nicht allein auf den Uterus richten, sondern man muss gleich¬ 
zeitig den Gesammtorganismus berücksichtigen. 

Schliesslich bleibt die Therapie gar häufig deshalb erfolglos, weil 
der Arzt oder die Kranke nicht genug Ausdauer hat. Schlägt der erste 
oder zweite therapeutische Versuch fehl, so verliert die Kranke oder der 
Arzt die Geduld und die Behandlung wird abgebrochen. Andere Male 
wieder sind die äusseren Verhältnisse solche, dass die Behandlung stets 
erfolglos bleiben muss. Die Kranke kann sich nicht gehörig halten, die 
Behandlung kann nicht, wie sie sollte, eingeleitet werden u. d. m. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

394. Ueber Auftreten von Lungenödem bei der Eol&mpsie nach 
Pilocarpininjeotion. Von E. Egidio Welponer in Wien. (Wiener 
med. Wochenschrift 1879. Nr. 52.) 

Eine 24jährige Erstgeschwängerte kam in Wehen auf die Klinik 
und wurde eclamptisch. Die Untersuchung des Harnes ergab sehr viel Al- 
bumen. Da die Anfälle trotz Morphiuminjection, Chloroformnarkose und 
Aderlass nicht nachliessen, entschloss sich, nachdem inzwischen die Geburt 
mittelst der Zange beendet und eine lebende, nicht ganz ausgetragene 
Frucht entwickelt worden war, W. zur Bekämpfung des Leidens eine 
2percentige Injection von Pilocarpin zu machen. Wenige Minuten darauf, 
ohne dass sich eine Schweisssecretion eingestellt hätte, trat starke Cyanose 
des Gesichtes und Halses ein, die leisen Athembewegungen wurden 
plötzlich sehr kräftig, jedoch mühsam und stossweise. Es wurde eine 
Masse schaumigen Speichels und Schleim secernirt, und traten Rassel¬ 
geräusche auf, so wie Trachealrasseln. Der frequente (120) Puls ver¬ 
schwand beinahe. Nur mit Mühe gelang es, die Kranke am Leben zu 
erhalten. Sie wurde aufgesetzt und der Schleim aus dem Munde mit der 
Hand und einem Federbarte entfernt. Eine halbe Stunde befand sich die 
Kranke in Lebensgefahr. Wohl kam es darnach noch zu zwei Krampf¬ 
anfällen (dem 20. und 21.), doch gelang es, nachdem zwei Klysmen mit 
Chloralhydrat zu 1*5 Grm. Chloralhydrat gegeben wurden, die Convul- 
sionen endlich zu bekämpfen. 

Dieser Fall gleicht vollkommen jenen, welchen Ref. beobachtete 
und denen, welche Sänger in Leipzig sah (Wiener Med. Presse, pag. 401. 
1879 und diese Zeitschrift, pag. 514. 1879) und beweist von neuem die 
Gefahr der Anwendung des Pilocarpines bei vorgeschrittener Eclampsie. 
Gemäss der hypersecretorischen Wirkung des Pilocarpines treten bald 
nach der Einspritzung massenhafte Absonderungen von Schleimhäute des 
oberen Digestions- und Respirationstractes auf. Bei der bestehenden Be¬ 
wusstlosigkeit und der aufgehobenen Reflexthätigkeit erfolgt keine Expec- 
toration, sondern die reichlich abgesonderten Schleimmassen dringen in den 
Larynx hinein. Zugleich entwickelt sich durch die gefässlähmende Wir¬ 
kung des Pilocarpines ein hoher Grad von Hyperämien der Lungen und 


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Medicinisch-cliirurgische Rundschan. 


acutes Lungenödem. Durch die bis in die feinsten Luftwegen stagnirenden 
Schleimmassen wird die ohnehin bei Eclampsie mangelhafte Decarboni- 
sation des Blutes gesteigert, wodurch sich eine Schwächung der Herzaction 
entwickelt, welche im Vereine mit dem acuten Lungenödeme und der 
fast aufgehobenen Expectoration die suffocatorischen Erscheinungen er¬ 
klärt. Mit Recht warnt daher auch W. vor der Anwendung des Chloral- 
hydrates in den späteren Stadien eclamptischer Erkrankungen. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

395. Elephantiasis Clitoridis et Labiorum minorum. Von Fritsc h 
in Halle. (Gyn. Ctrbl. Origmittheil. 1880. Nr. 9.) 

Die Elephantiasis der äusseren Genitalien zählt zu den grossen 
Seltenheiten. Einen derartigen Fall sah F. bei einer 35jährigen Nullipara, 
welche den Tumor 3 Jahre lang trug. Von der Gegend der Ciitoris hing*' 
eine gelappte, höckerige, warzige Geschwulst herab. Die 18 Ctm. lang 
war und 31 Ctm. im Umfange hatte. Man unterschied an ihr deutlicit 
drei Theile, von welchen der mittlere der Ciitoris entsprach. Die beiden 
Labia majora waren gleichfalls vergrössert. Um den After und an den 
Oberschenkeln fanden sich mehrere kleine Eruptionen. In den Leisten 
sah man alte Bubonarben. Dieser Tumor wurde in folgender Weise abge¬ 
tragen. Die Basis wurde mit Karlsbader Nadeln durchstochen, mit einem 
Gummischlauche umschnürt und hierauf die Hauptmasse der Geschwulst 
abgetragen. Dann wurden die Gefässe unterbunden. Um die Geschwulst 
möglichst vollkommen zu entfernen, wurde mit Hilfe einer Brun n’schen 
Nadel eine Matratzennaht ausgeführt und jedes Lab. min. in sechs kleinen 
Partien unterbunden. Dann wurden die nach dem Mons Veneris gewucherten 
Massen in mehreren Partien von ihrer Unterlage abgebunden und abge¬ 
tragen. Die Blutung war bei der Operation eine minimale. Die Kranke 
blieb fieberfrei und war nach 14 Tagen genesen. Die Labia majora sollen 
später abgetragen werden. Kleinwächter, Innsbruck. 

396. Zur operativen Behandlung der Stenosen des lasseren und 
inneren Muttermundes. Von Ernst Küster. (Zeitschrift f. Gbtshlf. u. 
Gynaek. B. IV. H. 2. pag. 295.) 

Die operative Technik hat im Gebiete der Vaginalportion ihre 
zwei hauptsächlichen Indicationen. Die 1. ist die Beseitigung der Hinder¬ 
nisse, wie sie sich beim Abflüsse des Menstruationsblutes und dem Ein¬ 
treten des Sperma entgegenstellen, die 2. ist die Excision erkrankter 
Partien des Uterus bei Erkrankungen desselben. Bei der 2. Indication 
ist die Entfernung alles Krankhaften so wichtig, dass die Vernarbung am 
Stumpfe nebensächlich wird. Bei der 1. Indication dagegen, bei den 
Stenosen, handelt es sich vorzüglich darum, so zu operiren, dass nicht 
die später sich bildende Narbe den Operationseflect wieder aufhebt. Das 
Geforderte erzielt man mittelst einer plastischen Operationsweise, welche 
Sicherheit gegen Nachblutungen, gegen Wundkrankheiten bietet, keine 
störende Narbenbildung zur Folge hat und bei der die Nachbehandlung 
eine einfache, leichte ist. Die Herstellung eines normalen Muttermundes 
nennt K. Stomatoplastice uterina externa oder interna, je 
nachdem sie den äussereren oder inneren Muttermund betrifft. 

Die älteste Stomatoplastice externa ist die bilaterale Dis- 
cission die von Simpson (1843) herrührt. Sie hat den Nachtheil, dass 
die Schnittwunden häufig wieder verwachsen, wodurch der Zweck der 
Operation vollständig vereitelt wird. Um dies zu verhindern tamponirte 


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Medicimscb-chirurgiBche Rundschau. 


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man die gespaltene Oeffnung, netzte sie , applicirte das ferrum candens 
u. s. w. Diese Eingriffe fuhren leicht den Tod herbei. Auch das Hegarsche 
Verfahren, das Einlegen einer Sonde am 8. Tage post operat. ist zuweilen 
nicht ungefährlich. 

Die radiäre Discission nach Kehrer — die sternförmige Zer¬ 
legung der Vaginalportion durch 6—8 radiäre Schnitte — macht den 
Erfolg wohl sicherer, doch wird die Wunde grösser und das Einlegen eines 
Eisenchlorid-Tampones nöthig, wodurch wieder die Gefahr gesteigert wird. 

Die circuläre Amputation hat deshalb Anwendung bei Stenosen 
gefunden, weil die angeborenen Stenosen oft mit einer kegelförmigen 
Verlängerung der Vaginalportion vergesellschaftet sind und mittelst der 
Amputation auch die Stenose entfernt wird. Die Amputation mit Messer 
und Scheere, noch mehr aber jene mit der Glühschlinge oder dem Ecra- 
seur ist wegen der Blutung u. A. m. gefährlich. Die Ueberhäutung 
des Stumpfes, wie sie zuerst von Sims angegeben und dann von He gar 
verbessert wurde, hat auch ihre Nachtheile. Die Vaginalmucosa ist leicht 
verschieblich, die Cervicalmucosa dagegen sehr fest und unnachgiebig, sie 
reisst leicht aus, so dass eine genaue, lineare Verschliessung der Wund- 
flächen schwer oder gar nicht möglich wird. Die Nähte reissen leicht aus, 
die primäre Vereinigung gelingt nicht u. d. m. Besser ist die vorangehende 
bilaterale Spaltung und Bildung eines Lappens aus der Vaginalmucosa 
jeder Muttermundslippe nach Art des Lappenschnittes bei der Amputation 
der Extremitäten. Aber auch hier vermag jede Blutung unter den Lappen 
die Heilung zu hindern, abgesehen, dass die genaue Ausschneidung solcher 
Lippen bei fixirtem Uterus und enger Vagina kaum möglich ist. 

Am zweckmässigsten ist die kegelmantelförmige Excission nach 
Simon-Marckwald. Die narkotisirte Kranke wird in die Rückenlage 
gebracht und nach Auswaschen der Scheide mit 5percentigem Carbolwasser 
der Scheidentheil mit einem Häkchen fixirt und bilateral mit der Knie- 
scheere gespalten. Mit einem geraden, geknöpften Messer wird der Spalt 
bis Über den inneren Muttermunde verlängert. Die vordere Lippe wird 
mit einer Hakenzange gefasst und der Uterus so weit herabgezogen, bis 
er vor der Schamspalte erscheint. Nun setzt man ein spitzes Messer am 
rechten Spaltrande der hinteren Lippe, einige Linien vom äusseren Rande 
des Muttermundes entfernt, ein und schneidet im Bogen um denselben 
bis zu dem gleichen Punkte des linken Spaltrandes. Die Messerspitze 
muss fortwährend vom Cervicalcanal abgewendet gehalten werden. Etwa 
1 / 2 Ctm. nach aussen macht man einen, dem ersten Schnitte parallelen 
zweiten, wobei die Messerspitze gegen den Cervix gerichtet ist. Dadurch 
sehneidet man aus der vorderen Muttermundslippe ringsum einen keil¬ 
förmigen Streifen Gewebe heraus. Das herausgeschnittene Stück wird ent¬ 
fernt und sofort legt man die Nähte an. Die erste an Stelle der stärksten 
Blutung in der Weise, dass der Einschnitt dicht am Muttermunde (aber 
noch im Bereiche der Vaginalschleimhaut) liegt, Die Nadel möglichst 
nahe dem Grunde der Wunde ausgestochen, darauf am entsprechenden 
Punkte des äusseren Lappens zum zweiten Male eingestochen, unter der 
Wundfläche weggeftihrt und einige Linien vom äusseren Wundrande 
wieder ausgestochen wird. Meist genügen 4 Nähte. Ausserdem ist zur 
Verkleinerung der Seitenwunden im Bereiche des bilateralen Schnittes noch 
beiderseits eine Nath nöthig. An den heraushängenden Fäden wird der 
Uterus fixirt und hierauf die gleiche Operation an der vorderen Mutter- 
raundslippe ausgeftihrt. Schliesslich wird die Wundgegend desinficirt und 
der Uterus reponirt. Am 5.—7. Tage werden sämmtliche Nähte entfernt. 

Med.-chir. Rundschau. 1880. Digitized by GoOg 33 



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Mediciuisch-chirurgische Rundschau. 


Etwas anders wird die Operation, wenn eine sehr lange, schmale, 
keilförmige Vaginalportion da ist. 

Hier muss der erste Schnitt nicht nach aussen vom Muttermunde, 
sondern in den Bereich der Cervicalmucosa fallen und zwar desto weiter 
nach aufwärts, je mehr man die Vaginalportion zu verkflrzen wünscht. 
Schwierig wird die Operation, wenn sich hei straffer Vagina der Uterus 
nur wenig herabziehen lässt und die Scheide gleichzeitig sehr enge ist. 
Diese Operationsmethode entspricht allen Anforderungen, dar Muttermund 
bleibt stets weit offen und kann sich nicht wieder verengern. 

Die Stomatoplastice interna ist verschieden, je nachdem 
sie wegen Flexionsstenosen oder Narbenstenosen des inneren Muttermundes 
vorgenommen wird. 

Bei Flexionsstenosen spaltet Sims die hintere Muttennundslippe 
ihrer ganzen Dicke nach in ihrer Mittellinie bis zum inneren Muttermunde. 
Auf diese Weise wird die geknickte Achse des Uterincanales durch Ver¬ 
legung des äusseren Muttermundes nach hinten und oben in eine gerade 
verwandelt. Dieser Schnitt verwächst aber meist bald wieder, überdies 
sind die Manipulationen zum Offenlassen des Schnittes wegen der Nähe 
des Peritoneums gefährlich. 

Auch hier kann man einen dauernden Erfolg, die Verhinderung des 
Wiederverwachsens nur mittelst einer plastischen Deckung erzielen. K. geht 
hier folgendermassen operativ vor. Er fährt ein Rinnenspeculum ein und 
zieht die Vaginalportion mit einem Häkchen so weit nach oben und 
vom, bis sich deren Hinterfläche in der Vulva präsentirt. Dann zeichnet 
er auf der Schleimhaut einen schmalen, dreieckigen Lappen mit unterer 
Spitze und oberer Basis vor. Die Spitze liegt am hinteren Rande 
des Muttermundes, bei sehr langer Vaginalportion aber etwas höher oben. 
Die Basis muss noch etwas über die Grenze des hinteren Scheidegewölbes 
hinausreichen, Der Lappen wird dünn abpräparirt und zurückgeschlagen. 
Dann wird die hintere Muttermundslippe bis über den inneren Muttermund 
gespalten. Hierauf wird jederseits ein Keil herausgeschnitten, dessen 
Basis in Form einer Kreislinie seitlich den Muttermund umgreift, sich 
aussen und vorne zuschärft, in den Medianscbnitt aber wieder mit breiter 
Basis fällt, also ein Keil mit unterer und medianer breiter Kante und 
einer zugeschärften lateralen Kante. Zunächst werden nun zu beiden 
Seiten die Nähte angelegt aber noch nicht geknüpft, sondern vor Ver¬ 
einigung der beiden Seiten des Muttermundes wird der dreieckige Lappen 
in den Spalt gelegt und seine Spitze möglichst hoch an die Cervical¬ 
mucosa angenäht. Diese Naht bildet die einzige Schwierigkeit bei der 
Operation. Eine zweite Naht befestigt die Basis des Lappens mit seinen 
Nachbartheilen, so dass er auch beim Anreissen der Naht an seiner 
Spitze nicht aus der Lage weicht. Zum Schlüsse werden die vorher 
angelegten Fäden an der Stelle der ausgeschnittenen Keile geknüpft und 
abgeschnitten. Lässt sich nach der Operation eine nahezu gerade Sonde 
einführen, so ist die Heilung gesichert. 

Bei Narbenstenosen opperirte K. bisher erst einmal, und zwar bei 
einer Frau, bei welcher nach einer trichterförmigen Excision der Vaginal¬ 
portion eine hochgradige Muttermundsstenose bestand. Er spaltete die 
Narbe zu beiden Seiten des Muttermundes mit zwei Schnitten, präparirte 
aus der gesunden Mucosa der Nachbarschaft einen kleinen, dreieckigen 
Lappen so weit los, bis er sich bequem verschieben liess und befestigte 
ilin durch zwei Nähte an der Uterusschleimhaut des einen Seitenschnittes. 
Der Lappen heilte und hielt den Muttermund eine Zeit offen. Als später 


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Modidniscb-chirurgische Rundschau. 


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dennoch wieder eine Stenose folgte, modificirte er die Operation folgender- 
massen. Nach vorgenommener bilateraler Spaltung wurde das ganze 
zwischen den beiden Seitenschnitten gelegene Narbengewebe im Bereiche 
der ehemaligen hinteren Lippe abgetragen und dadurch eine viereckige 
Wandfläche hergestellt, welche oben von Cervixschleimhaut und unten 
von Vaginalmucosa begrenzt war. In diesen Defect pflanzte er einen aus 
der angrenzenden Vaginalschleimhaut der linken Seite entnommenen und 
durch Ablösen von seiner Unterlage frei beweglich gemachten Lappen ein. 
Trotzdem die Nähte schwer anzulegen waren, gelang doch die Anheilung 
und war das Resultat ein vollkommen zufriedenstellendes. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

397. Behandlung der Eolampsle mit Chloralhydrat und Brom¬ 
kali. Von Derby. (Amer. Journ. of Obsttr. 1879. IV. pag. 763.) 

Eine Frau im 7. Monate der Schwangerschaft wurde eclamptisch. 
D. liess zur Ader, gab ein entleerendes Klystier und dann, nachdem! 
letzteres gewirkt ein Klysma von 1 Unce Wasser mit V a Drachme Brom¬ 
kali und 1 Drachme Chloralhydrat. Zwei Tage später, als die Convulsionen 
wieder auftraten, gab er innerlich 2 Drachmen Chloralhydrat, 3 Drachmen 
Bromkali, Aq. font 1 Unce, Symp. Zingib 2 Uncen, alle 2 Stunden 1 Thee- 
löffel. Den folgenden Tag bestanden keine Convulsionen mehr, nur etwas 
Kopfschmerzen. D. Ordinirte: Kal. bromat . drchm. t, Txnct . sem. Gol- 
chici drchm. 2. Inf. Juniper. unc 3, Symp. Zingib. q. 8. ad unc . 4. 
Alle 4 Stunden 1 Esslöffel. Die Convulsionen schwanden und stellten 
sich nicht mehr ein, trotzdem 8 Tage später eine spontane Frühgeburt 
eintrat. Das nicht einmal 7 monatliche Kind wog 2*/ a Pfund, wurde aber 
dennoch am Leben erhalten. D. empfiehlt die 2 genannten Mittel sehr 
warm und räth an, sie auch in grösseren Dosen anzuwenden, wenn der 
Effect ausbleibt. Kleinwächter, Innsbruck. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 


398. Ueber Gefassrellexe am Auge. Von Dr. Mooren und 
Dr. Rumpf in Düsseldcrf. Vorl. Mitth. (Centralbl. f. d. med. Wiss. 
Nr. 19. 1880.) 

Wenn man die nach Lostrennung der Hornhaut freiliegende Iris 
eines Kaninchens mit Senfspiritus besprüht, so lässt sich mit der 
stärkeren Injection des besprühten Auges eine deutliche Anämie 
deB anderen beobachten. Diese Anämie macht dann nach dem Aufhören 
der Besprühung einer beträchtlichen Injection Platz. Gleichzeitig ist 
aber auch eine Verengerung der Pupillen nachweisbar. Die Hyperämie 
des zweiten Auges schwindet nach einigen Schwankungen und es tritt der 
normale Zustand ein. Bei Fortsetzung der Besprühungen wiederholen sich 
die Erscheinungen und sind von längerer Dauer; an der Iris bemerkt man 
dann Verfärbung nebst Pupillenenge und deutlichen Ge- 
fäasen auf ihr, sowie ein gequollenes, gedunsenes Aussehen (also 
Entzüudungserscheinungen. — Ref.) Spuren der gedachten Symptome nebst 
Trübung des Kammerwassers sind auch am folgenden Tage unverkennbar 
zugegen. 

Benützt man zur Besprühung Aether, so tritt mit der Anämie 
der besprühten Seite Hyperämie der andern auf, um dann einer 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


Hyperämie der besprühten mit Anämie der nicht besprühten, Platz 
zu machen. Bei längerer Dauer dieses Verfahrens ergibt sich schliesslich 
das oben gedachte Resultat (dauernde Hyperämie der Iris). 

Benützt man als Reizmittel das Glüheisen, so bleibt das nicht 
gereizte Auge frei von allen Erscheinungen, wohl aber treten dieselben 
auf, d. h. es stellt sich Anämie ein, wenn auf dem nicht mit dem Glüb- 
eisen behandelten Auge vorher eine künstliche Hyperämie durch Senf- 
spiritus erzeugt wurde oder wenn eine Hyperämie vom Hause aus, etwa 
in Folge eines Entzündungs- oder Reizungszustandes bestand. 

Die Verfasser ziehen aus ihren an die Untersuchungen Rumpfs 
über Transfert sich anschliessenden Experimenten sehr wichtige, auf die 
Genese der sympathischen Ophthalmie bezügliche Folgerungen, indem sie 
darauf hinweisen, dass die Gefässe beider Augen in engem antagonisti¬ 
schem Zusammenhänge stehen und dass sich an die Veränderungen der 
GefUsscontraction mit Leichtigkeit Entzündung mit Auswanderung von 
weissen Blutkörperchen und ferner Stauung der Lymphe, welche letztere 
wieder sehr deletär auf die nervösen Elemente wirkt, anschliessen. 

Die Verf. sprechen die Meinung aus, dass der enge Connex der Ge- 
fässgebiete beider Augen den Weg bahnen dürfte zur Erklärung mindestens 
vieler Formen von sympathischer Ophthalmie und glauben, dass der An¬ 
nahme, wonach reflectorisch der Reiz von Ciliarnerven der einen Seite 
auf correspondirende Nerven der anderen Seite übergeht und in den dazu 
gehörigen Geweben Entzündung erregt, eine reale und physiologische Basis 
gewonnen ist, weil ja diese Uebertragungen im Gefössgebiete, wie es 
andere Untersuchungen von Rumpf gezeigt haben, durch das Nerven¬ 
system stattfinden. S. Klein. 


399. Pathologisch anatomische Beiträge zur Lehre von der 
Semidecussation der Sehnervenfasern. Von Dr. Julius Dreschfeld, 
Prof. d. pathol. Anatomie*an Owen’s College, Manchester etc. (Centralbl. 
f. pr. Aug. Febr. 1880.) 

Die Hauptstütze der Semidecussationstheorie ist die klinische Beob¬ 
achtung mit daran sich schliessenden pathologischen Befunden. Verf. theilt 
2 einschlägige Fälle mit: 

1. Ein Mann litt an Diabetes insipidus und in weiterem Verlaufe 
an rechtsseitiger Lähmung sämmtlicher Augenmuskeln. Dabei bestand 
Hyperästhesie der rechten Gesichtshälfte neben rechtsseitiger vollkomme¬ 
ner Amaurose und linksseitiger totaler temporaler Hemianopsie bei normaler 
centraler Sehschärfe und normaler Pupilla optici. Später trat Anästhesie 
der rechten oberen Gesichtshälfte und Keratitis ulcerativa ein; ausserdem 
fanden sich Erscheinungen wie bei Pneumonie und vergrösserte Lymph- 
drüsen. — Die Section des unter allgemeinen Convnlsionen verstorbenen 
Patienten ergab Carcinom an der rechten Hirnbasis, der Dura mater auf¬ 
liegend und den rechten Nervus opt. dicht umstrickend. Das Chiasma 
war in seiner linken Hälfte, sowie der vor ihm liegende linke Nerv, opt 
vollkommen intact. — Carcinom der Lunge, Lymphdrttsen etc. Die Ge¬ 
schwulst hatte den 2., 3., 4., 6. und den Ram. ophth. des 5. rechts¬ 
seitigen Nervus derart umstrickt, dass die Isolirung derselben unmöglich 
war. Die mikroskopische Untersuchung des rechten Nerv. opt. zeigte 
diesen als vollkommen normal, wenn auch stark comprimirt. 

2. Eine 41jährige, mit Schwäche im linken Bein und Kopfschmerz 
behaftete Frau erlitt einen apoplectischen Anfall, worauf sie linkerseits 
hemiplecti8ch wurde und neben anderen Störungen „totale und absolute“ 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Hemianopsie linkerseits (also wohl Ausfall der linken Gesichtshälfte beider 
Angen. Ref.) bei beiderseits normalem Augengrunde bot. Phthisis pulmo¬ 
num. Unter Convulsionen trat der Tod ein. Die Section ergab eine den 
rechten Thalamus opticus beinahe ganz verdrängenden tuberculösen Tumor, 
welcher sich nach aussen quer über den hinteren Theil der Capsula in¬ 
terna hinweg bis zum Nucleus lentic. erstreckte und bis dicht an die 
Unterfläche der rechten Hirnhemisphäre reichte, wo er den Tractus opti¬ 
cus dexter gerade an der Stelle, wo derselbe dicht an den Thalamus 
herantritt, ganz platt gedrückt hatte. — Exquisite Lungentuberculose. — 
Der comprimirte Tractus opt. zeigte Vermehrung des Bindegewebes zwi¬ 
schen den Nervenfasern, letztere aber intact. Im Hirntumor zahlreiche 
Riesenzellen nebst Rundzellen und molecularem Detritus. S. Klein. 


400. Ueber hypnotische Farbenblindheit mit Aocommodations- 
krampf und über Methoden, um das Ange zu hypnotisiren. Von Prof. 
Herrn. Cohn in Breslau. (Breslauer ärztl. Zeitschr. Nr. 6, 1880.) 

I. Die Entdeckung Haidenhain’s und Grützner’s, dass man 
durch langsames Streichen der rechten Stirn- und Scheitelbeingegend ausser 
Katalepsie der linken Extremitäten auch temporäre Farbenblind¬ 
heit des linken Auges bei gewissen Personen künstlich hervorrufen könne, 
regten Verf. an, diese Störung eingehender zu studiren. Er fand nun bei 
seinen Untersuchungen, dass zunächst Stud. med. Haidenhain, mit 
Myopie 7, 0 D (M — ^ altes System) behaftet, sonst aber nach jeder Rich¬ 
tung vollkommen normale und beiderseits gleiche Augen besitzend, wenn 
er sich dreimal leicht mit seiner rechten Hand über die rechte Stirn- 
und Schläfengegend streicht, sofort neben katalepsieähnlichen Zu¬ 
ständen der Extremitäten einen linksseitigen Accommodations- 
spasmus mit Hereinrücken des Nahepunktes und eine scheinbare (sum- 
xnirte) Myopie = 11D (M-^ altes System) acquirirt. Bei sehr häufigen 
Wiederholungen ergab der Versuch stets das gleiche Resultat. Die Pupille 
aber behält ihre Grösse und Reactionsfähigkeit auch während der Hyp¬ 
nose; alle übrigen Functionen des linken Auges, ausgenommen den 
Farbensinn, wie Sehschärfe, Gesichtsfeld, Lichtsinn etc., bleiben ebenso 
wie das rechte Auge in jeder Beziehung während dieses Versuches intact. 
Der Farbensinn verschwindet links total. Nach fast allen 
gangbaren Methoden, mit Pigmentfarben, Contrastfarben, sowie Spectral- 
farben untersucht, zeigt sich links während der Hypnose totale 
Farbenblindheit. Alle, in der sehr interessanten Originalabhandlung 
nachzulesenden Controlversuche führten stets zu demselben Ergebnisse. 
Sehr merkwürdig ist, dass genau dieselben Erscheinungen wie links au 
den rechten Extremitäten und am rechten Auge auftraten, wenn die 
linke Stirnschläfengegend gestrichen wurde, dass aber dann die Verstän¬ 
digung durch gleichzeitig entstehende Aphasie erschwert wurde. C. ver- 
werthet auch diesen Fall gegen die Helmholtz’sche Färbenperceptions- 
theorie und fasst seine Resultate folgendermassen zusammen: 

1. Lichtsinn und Raumsinn können in der Hypnose vollkommen von 
einander getrennt werden. 

2. Leichtes Bestreichen der Haut der rechten Stirn- und Scbläfen- 
gegend macht das linke Auge total farbenblind und ruft bedeutenden 
Aecommodationskrampf desselben hervor. 

3. Lichtsinn und Raumsinn bleiben in der Hypnose intact. 

Endlich betont Verf., dass er eine irgend bemerkenswerthe Nach¬ 
wirkung auf das Allgemeinbefinden bei halbseitigem Hypnptisireu 


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Medicinisch-cbirtirgische Rundschau. 


bisher nicht habe sehen können, während allerdings bei totaler Hypnose 
die Reflexerregbarkeit mitunter bis zu gehörigem Opisthotonus bei leisest» 
Berührung steigt. 

In einer Anmerkung wird noch Mittheilung gemacht von der Ent¬ 
deckung Prof. Haidenhain’B, dass nach Einträufelung von Atro¬ 
pin das Auge seines Bruders in der Hypnose nicht mehr total 
farbenblind, sondern nur rothgrünblind wurde. 

H. Cohn gibt mehrere Methoden an, das Auge zu hypnotisireo, 
d. h. künstlichen einseitigen Accommodationskraft mit Farbenblindheit zu 
erzeugen, und zwar: 1. nach H an se n’s Fixation eines Glasstückes, während 
gleichzeitig das Gesicht und die Arme der auf diese Weise gut zu ent¬ 
deckenden sogenannten „Medien“, d. h. geeigneten Versuchspersonen be¬ 
strichen werden. 2. Fixirung von Objecten in der Medianlinie und dabei 
gleichzeitiger starker Aufwärtsblick ohne jedes Bestreichen darob 
einige Secunden. Dabei tritt Blepharospasmus ein, zuweilen auch Krampf 
der Backen- und Kackenmuskeln. 3. Die Schläfengegend wird mit warmem 
Athem ganz nahe angeblasen. 4. Wenn man statt der Hand warme 
Kataplasmen auf die Schläfe legt, so wird in Folge der dabei 
schwankenden Temperatur mitunter kein tonischer, sondern ein klo¬ 
nisch e r Accommodationskrampf erzeugt. 5. Das einfachste Mittel, um das 
Auge allein, ohne jede Kataleptisirung anderer Körpertheile zu hyp- 
notisiren, ist, dass man das andere (nicht zu hypnotisirende) Auge 
mit der eigenen Hand oder mitder des „Mediums“ erwärmt. 
6. Die Erwärmung eines Auges hatte bei Herrn Stud. H. nicht nur hyp¬ 
notische Farbenblindheit zur Folge, wobei jede Farbe zuerst ganz 
richtig, dann in derContrastfarbe, dann grau (totale Achro- 
matopie) erschien, sondern es zeigte sich auch, dass sie beim Weg¬ 
ziehen des Fingers wieder in der Contrastfärbe und end¬ 
lich wieder normal gefärbt erschien. Die Farbenblindheit ver¬ 
schwindet also auch ohne Atropin. 7. Man kann auch dasselbe (nicht 
andersseitige) Auge hypnötisiren durch Erwärmen, wobei das Auge nicht 
geschlossen werden kann, sondern man darf sich ihm blos von der Seite 
möglichst nähern. Schon das Annähern einer brennenden Cigarre genügte 
manchmal. 8. In bestimmten Entfernungen tritt während der Hypnose 
monoculäre Diplopie und Polyopie ein. 9. Ein von Geburt total Farben¬ 
blinder differencirte seine Verwechslungen sofort mit dem hypnotisirten 
Auge (durch die Hypnose verschwand also die Farbenblindheit. — Ref.). 
Bei Rothgrünblinden gelang dies bisher nicht. Cohn schliesst, dass sich 
demnach die Hypnose auch therapeutisch ftlr gewisse Fälle von Farben¬ 
blindheit wird verwerthen lassen. S. Klein. 


401. Das Verschwinden der Farbenblindheit beim Erwärmen 
eines Auges. Vorl. Mitth. von Prof. Herrn. Cohn in Breslau. (Deutsche 
med. Wochenschr. Nr. 16. 1880.) 


Unter Bezugnahme auf den Schluss seines früheren Aufsatzes (Rund¬ 
schau oben) macht Verf. von drei Fällen angeborener Farbenblindheit 
detaillirtere Mittheilung, in denen letztere in Folge der einfachen Methode 
des Verdeckens des einen Auges mit der warmen Hand oder mit einem 
warmen Tuche verschwand. 

Weder im Gesicht, noch am Körper wurden durch dieses Manöver 
irgend welche Krämpfe oder Lähmungen weder in der Sprache, noch im 
Bewusstsein irgend welche Störungen, selbst bei den allerempfindlichsten 
Personen und bei beliebig langer Dauer des Versuches erzeugt. 


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Medicinisch -chirurgische Rundschau. 


519 


In 2 Fällen handelte es sich um total Farbenblinde, in einem 
um Rothgrünblindheit. 

Der in Rede stehende Versuch gelingt natürlich nur bei sogenannten 
„Medien“, d. h. bei hypnotisirbaren Individuen. Manche Personen müssen 
lange Zeit (Vg Stunde und darüber) einen glänzenden Gegenstand fixiren, 
bevor die Hypnotisirbarkeit an ihnen nachzuweisen ist. 

Wurde nun ein Auge (gleichviel welches) mit einer kalten Hand 
oder einem kalten Tuche verdeckt, so charakterisirte sich die Achroma- 
topie; geschah es aber durch die warme Hand, so las das andere (nicht 
verdeckte) Auge sofort alle Farbentafeln fliessend. Sobald die warme Hand 
vom Auge fortgezogen wurde, trat das frühere Unvermögen der Farben- 
differencirung wieder ein. Da jedoch (bei zweien der angeführten) die 
richtige Farbenempfindung fast blitzschnell eintritt, so genügt diese kurze 
Zeit, um sie über eine Farbe zu orientiren. S. Klein. 

402. Das Audiphon und Dentaphon. Von E. S. Turnbull in 
Philadelphia. (Zeitschrift f. Ohrenheilkunde. IX. B. 1. H. S. 58. 1880.) 

1. Das Audiphon. Der Nutzen der gewöhnlich benützten Hör¬ 
rohre ist leider in vielen Fällen ein äusserst geringer, da bei hochgradigen 
Veränderungen im SchalUeitungsapparate selbst intensive Schallwellen gar 
keine oder keine genügend starke Erregung des Labyrinthwassers, be¬ 
ziehungsweise der acustischen Endfasern herbeizuführen vermögen. Rhodos 
in Chicago construirte deshalb ein Hörinstrument, „das Audiphon“, welches 
auf dem Wege der Kopfknochenleitung, mit Umgehung des schallleitenden 
Apparates, die Schallwellen direct den Acusticus übermitteln soll. Das 
einem japanesischen Fächer ähnliche Instrument besteht aus einer dünnen, 
elastischen Hartkautschukplatte von ungefähr Quadratfugs Grösse; es ist 
mit einem Griffe versehen und an seinem oberen Ende von mehreren 
Fäden durchzogen, die in eine Leitungsschnur übergehen, mittelst derer 
die Platte beliebig stark gekrümmt werden kann. Beim Gebrauche drückt 
man den oberen Rand des Instrumentes an die Vorderfläche der oberen 
Schneidezähne und bringt durch Zug an der Leitungsschnur die Platte in 
convexe Stellung zur Schallquelle. Der Nutzen des Audiphon ist ein individuell 
sehr verschiedener, scheint aber im Ganzen bedeutend übersehätzt worden 
zu sein. 

2. Das Dentaphon besteht aus einem Mundstücke des telephon¬ 
ähnlichen Kästchens, in dem sich eine sehr feine, leicht schwingende Platte 
befindet, die durch einen Seidenfaden mit einem an die Zähne anzulegenden 
Endstück in Verbindung gesetzt wird. Dieses letztere wird beim Gebrauche 
des Instrumentes zwischen die Zähne gesteckt und die offene Seite des 
mit der Hand gehaltenen Schallfängers der Schallquelle zugewandt. Der 
Ansicht TurnbuH’8 zufolge leistet das Dentaphon mehr als das Audiphon. 

U rbant schitsch. 


403. Nekrotische Ausstossung fast des ganzen Schläfenbeines 
mit günstigem Ausgange. Von Dr. J. Gott st ein. (Arch. f. Ohren¬ 
heilkunde. XVI. B. S. 51.) 


Bei einem 1 1 / 2 jährigen Kinde, welches seit 1 Jahr an rechtsseitiger 
Otorrhoe gelitten hatte, entwickelte sich hinter dem Ohre eine Geschwulst, 
welche, wie die nachträgliche Untersuchung Got tstein’s ergab, von 
einem Sequester gebildet war. Dieser bestand aus dem ganzen Warzen- 
theile, dem Paukentheile mit der knöchernen Tuba, einem Stücke der 
Sehuppe, der vorderen und hinteren Wand der Pars petrosa, endlich der 


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1 


520 Medicimich-chirurgische Rundschau. 

Schnecke and den halbzirkelförmigen Gängen. Auffälliger Weise erschien 
an dem Sequester das Tegmen tympani nicht nur vollständig erhalten, 
sondern auch an seiner Berührungsfläche mit der Dura mater von der 
Caries unberührt. Das Kind kam mit dem Leben davon und wies 2 Monate 
später eine bedeutende Besserung des Allgemeinbefindens auf; nur das 
Gesicht war anlässlich der vorhandenen Facialparalyse verzerrt, der Kopf 
wurde ein wenig nach rechts geneigt gehalten. Urbantschitsch. 

404. Eine neue snbeutane Operationsmethode zur Entfernung: 
von Neubildungen im Innern des Kehlkopfes. Von Prof. Rossbach. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1880. 5.) 

Das von R. zuerst an Thieren und dann bereits zweimal am 
Menschen geübte Verfahren ist folgendes: 

Pat. wird in die zur Besichtigung seines Kehlkopfinnern passende 
Lage gebracht, der Kopf gestützt (wie beim Photographen). Pat., der auf 
Laryngoscopie eingettbt sein muss, führt seine Zunge etwas nach der 
Seite, um die Mittellinie frei zu lassen. Der Operateur hält mit der linken 
Hand den Kehlkopfspiegel, mit der rechten stösst er ein feines, aber 
starkes Lanzenmesserchen einige Mm. unterhalb der Incisura sup. cart. 
thyreoideae gerade in das Kehlkopfinnere. Mit dem Laryngoskop sieht er 
die Stahlspitze etwas oberhalb der Stimmbänder erscheinen und kann nun 
mit diesem Messer die beabsichtigte Operation vornehmen. Beim Einstich 
fliesst kein Blut und ist der Schmerz gering, die Wunde heilt p. primam 
in 2 Tagen. Bei Husten oder Würgen des Patienten braucht das Messer¬ 
chen nur so gehalten zu werden, dass es frei alle auf- und absteigenden 
Bewegungen des Larynx mitmacht, Verletzungen sind dabei leicht 
zu vermeiden. Durch den Einstich entsteht gar kein Hustenreiz und selbst 
Scarificationen und Schnitte geben auf diese Weise viel geringere Reaction. 
Das Messer (in natürlicher Grösse abgebildet) hat etwa die Gestalt einer 
Staarnadel in vergrösserter Form und mit kürzerem, diekerem Hals. Der 
Einstichspunkt ist, je nach der Höhe, auf der operirt werden soll, ver* 
schieden zu wählen. Wenn man 1—5 Mm. unterhalb der Incisura thy* 
reoidea sup. eingeht, hat man ein bequemes Operiren an den freien Rän¬ 
dern der Stimmbänder. Bei tiefem Sitz eines Polypen kann auch durch 
das lig. conicum eingestochen werden. R. hat auf diese Weise einen Kehl¬ 
kopfpolypen entfernt; er betont wiederholt die Ungefährlichkeit und Ge¬ 
ringfügigkeit des Eingriffes. 


Dermatologie und Syphilis. 

405. Calcium8ulfld gegen virulente Bubonen. Von Fessenden 
N. Otis. (The New-York medic. Journal. 1880. 5.) 

Sydney Ringer hat in den „Lancet“, 21. Februar 1874, zuerst 
auf die Fähigkeit des Schwefelcalciums Eiterungsprocesse zum Stillstehen 
zu bringen, aufmerksam gemacht. Er beobachtete, dass, wenn das Secret 
scrofulöser Geschwüre dünn und blutwasserähnlich war, durch Verabreichung 
von kleinen Dosen Schwefelkalium oder Schwefelcalcium die Eiterung eine 
gutartige wurde und die Heilung rasch eintrat; auch gibt er an, dass 
durch das Mittel der Bildung von Geschwüren vorgebeugt werden kann. 
Verf., Professor und Chirurg des Charity Hospitals in New-York, wendet 
nun schon seit 5 Jahren das Calciumsulfid in der von Sydney R inger 
angegebenen Weise u. zw. 5 Milligramm Calciumsulfide alle 2 Stunden 


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Med i einfach-chirurgische Rundschau. 


521 


oder 3 Milligramm alle Stunden in Fällen von drohender Eiternng bei 
phlegmonösen Schwellungen an. Er fand es wirksam gegen furunculöse 
Schwellungen und Geschwüre, welche rückgängig gemacht wurden, während 
er nicht die mindeste Wirkung des Mittels gegen Eiterungsprocesse auf 
Schleimhautoberflächen — Gonorrhöe, chronischer Tripper, Leucorrhöe — 
wahrnehmen konnte. Verf. beobachtete zunächst in der Privatpraxis, dass 
in einigen Fällen, wo Leistendrüsenschwellungen neben Chancre bestanden, 
auf Verabreichung von Schwefelcalcium, die Eiterung zum Stillstehen ge¬ 
bracht, vorhandener Eiter absorbirt wurde, und die Geschwulst verschwand. 
Bis jetzt wird nun die Eiterung der sogenannten virulenten Bubonen als 
etwas unvermeidliches angesehen, und Verf. selbst hat seiner Zeit für die 
frühzeitige Eröffnung der virulenten Bubonen plaidirt. Doch wollte er nun 
das Verhalten von Calciumsulfid in Rücksicht auf die obigen Erfahrungen 
weiter verfolgen. Er wendete daher in achtzehn Fällen von entzündlichem 
Bubo, welche gleichzeitig oder als unmittelbare Folge von wohlausgeprägten 
„Chancroid“ auftraten, das Calciumsulfid systematisch an (Tabelle s. im 
Original) und kam zu dem Resultate, dass es in 15 Fällen zur Aufsaugung 
der Bubonen kam, und nur in 3 Fällen schliesslich die Incision gemacht 
werden musste. Es ist also möglich, dass sich die Wirksamkeit des Cal¬ 
ciumsulfids auch auf die virulenten Bubonen erstreckt. Verf. fordert zu 
weiteren Versuchen auf. — sch. 


406. Ein Fall von Iclitliyosis cornea. Von E. Boegehold. 
(Virchow’s Archiv Bd. 79, S. 545. — St. Petersb. med. Wochschr. 
1880. 19.) 


Ein 9 l l i Jahr alter Knabe war während der ersten 3 Monate seines 
Lehens ganz gesund. Nach Ablauf dieser Zeit traten zuerst an denFuss- 
sohlen und Handflächen warzenähnliche Gebilde auf, die allmälig die ganzen 
Sohlen und Handflächen einnabmen. In der Familie wurden bis dahin 
niemals Hautkrankheiten beobachtet. Ein anderer Knabe derselben Eltern 
ist gesund. Bei der Aufnahme in’s Spital fanden sich an Handflächen 
und Fusssohien überall 1—l l / a Cm. hohe stachelförmige Hervorragungen, 
die sich auch auf die Volarseite der Finger und die Plantarseite der Zehen 
erstreckten, wo sie jedoch niedriger erschienen. Die Wucherung war bis 
ins Nagelbett gedrungen, die meisten Nägel von derselben abgehoben, 
verkümmert und rissig. Die Haut des übrigen Körpers vollkommen ge¬ 
sund, nur war über beiden Kniegelenken je eine l 1 /» Cm. lange und 
1 Cm. breite Partie, die Stacheln von 1 U Cm. Länge trug. An den 
Handtellern und Fusssohlen waren diese durch Pilzbildung grünlich ge¬ 
färbt. Die Krankheit erschien also fast ausschliesslich auf letztere Locar 
litäten beschränkt, während in den meisten Fällen von Keratose gerade 
diese frei zu bleiben pflegen. Die mikroskopische Untersuchung wurde 
sowohl an abgeschabten Massen, als auch an einem elliptischen Haut- 
stückchen vorgenommen, welches mitten aus dem erkrankten Gewebe 
mit dem Messer herausgeschnitten war. Die Cutis zeigte sich, abgesehen 
von der Papillarschicht, nicht verdickt, dagegen waren die Papillen er¬ 
heblich hypertrophisch. Die Hauptveränderung aber betraf die Oberhaut. 
Die Schichtung derselben in Rete Malpighii und Epidermis war fast voll¬ 
ständig verschwunden und bestand fast die ganze Oberhaut aus abgeplat¬ 
teten, polygonalen, kernlosen Zellen. Nur zwei Reihen kernhaltiger Zellen 
waren unmittelbar über den Papillen vorhanden. Eine Abhängigkeit der 
Zapfenbildung in den Hörnern von den hypertrophischen Papillen konnte 
nicht nachgewiesen werden. Zur Entfernung der Auswüchse wurde in 


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Medicinisch-chirurgiscbe Randsch&n. 


tiefer Chloroformnarcose der scharfe Löffel benutzt, bis die Operation auf 
blutendes Gewebe führte. Die ziemlich erhebliche Blutnng wurde durch 
Auflegen von Salicylwatte gestillt. Unter Umschlägen von Aq. Pluxnb. 
trat schnelle Ueberhäutung der abgekratzten Partien ein, aber schon nach 
4 Wochen begannen neue Stacheln sich zu bilden. Das Verfahren musste 
dann mehrere Male wiederholt werden und ist noch abzuwarten, ob das¬ 
selbe einen bleibenden Erfolg haben wird. 


407. Ueber die Anwendung des Wassers bei Behandlung der 
Hautkrankheiten. Von L. D. Bulkley. (Chicago med. Journ. and 
Examiner. 1880. Jan. Memorabil. 1880. 5.) 


Was zunächst den Gebrauch des Wassers im gesunden Zustande 
betrifft, glaubt Verf., dass tägliche kalte Abwaschungen mit nachfolgen¬ 
den Abreibungen sowohl mit Bezug auf die Haut als auch die Consti¬ 
tution im Allgemeinen präventiv von ganz unschätzbarem Werthe sind. 

Verbieten die Anlage des Nervensystems oder andere Verhältnisse 
den täglichen Gebrauch des Wassers in obiger Weise, dann sollten in 
bestimmten Zwischenräumen — einmal in der Woche — allgemeine 
warme Bäder genommen werden, zum Zwecke der Reinigung und Beför¬ 
derung der Hautthätigkeit. — Von der beliebten häufigen Benützung 
russischer und türkischer Bäder, von Seite Gesunder, räth der Verf., als 
einem keineswegs gleichgiltigen mächtigen Stimulans, ernstlich ab. — Die 
Anwendung des Wassers bei Erkrankungen der Haut beurtheilt sich am 
besten unter folgenden Abtheilungen. 

1. Gewöhnliche Wasserbäder, mit Einschluss der Fluss- und See¬ 
bäder. 2. Abwaschungen, Baden und Bähungen mit heissem oder kaltem 
Wasser. 3. Kalte oder warme Einpackungen — eigentliche Wassercur. 
4. Dampf- und heisse Luftbäder. 5. Bäder mit medicamentösen Zusätzen. 
6. Natürliche Mineralwasserbäder. 

1. Die gewöhnlichen warmen Bäder empfehlen sich beim 
chronischen Schuppeneczem, Psoriasis, Ichtyosis, Lupus und bei hart¬ 
näckigen, syphilitischen Geschwüren. Eine Gegenanzeige finden sie bei 
acutem Eczem und noch mehr beim subacuten, bei Urticaria, sowie über¬ 
haupt bei allen entzündlichen Affectionen der Haut. Wohl beachte man, 
dass man bei juckenden Ausschlägen Abreibungen nach dem Bade auf 
das Nothwendigste beschränke. — Fluss- und Seebäder bewähren im 
Allgemeinen sich nicht, mit Ausnahme bei Psoriasis, bei der warme See¬ 
wasserbäder sehr wohlthätige Erfolge erzielten. In gewissen entzündlichen 
Affectionen der Haut — vor Allem bei Eczem und Acne, welch letztere 
der Verf. während der Badecür geradezu entstehen sah, und bei der er 
in älteren Fällen eine auffallende Verschlimmerung häufig beobachtete, 
soll man sich vor Seebädern hüten. 

2. Abwaschungen und Bähungen mit kaltem od6r heissem 
Wasser finden häufig Anwendung, wo sie direct schädlich wirken, so bei 
syphilitischen Geschwüren, die nicht selten jeder innern Medication Wider¬ 
stand leisten, so lange man an fleissigen Abwaschungen festhält, die aber 
ebenso rasch heilen bei einfach trockenem Verbände. — Beim Eczem der 
Kinder, speciell beim Eczema capitis erlaubt Bulkley höchstens zwei¬ 
mal die Woche eine Abwaschung und zwar nur, um unmittelbar nach 
derselben auf die reine Oberfläche ein zweckdienliches Mittel aufzutragen. 
Auch bei dem begrenzten Eczeme der Erwachsenen erweist sich häufiges 
Baden oder Bähen der ergriffenen Körpertheile als schädlich, wie ja 
bei gewissen Beschäftigungen z. B. bei Wäscherinnen, Schankkellnern 


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Mediiinisch-chirnrgische Bund schau. 


523 


erfahrungsgemäss eine Heilung unmöglich ist, so lange sie ihrem Geschäfte 
nachgehen. Andererseits leisten fleissige Abwaschungen und Abreibungen 
vortreffliche Dienste bei dem umschriebenen Eczeme mit bedeutender Ver¬ 
dickung der Haut und unerträglichem Jucken. Nichts beruhigt beim Eczem 
des Afters und der Vulva mehr, als das Anpressen eines in heisses 
Wasser getauchten Tuches, so heiss als man es ertragen kann, 2 bis 
3mal hintereinander erneuert und gefolgt von medicamentösen Einreibungen. 
Bei Pruritus und Eczema scroti erzielte B. die günstigsten Erfolge durch 
Eintauchen dieser Theile in einem mit sehr heissem Wasser gefüllten 
Topfe. — Chronische Eczeme der Palma manus, mit harter, trockener, 
rissiger Oberfläche und dadurch bedingter Unbrauchbarkeit der Hand, 
schmelzen hinweg nach dem Eintauchen derselben in nahezu siedendes 
Wasser und nachfolgendem Auflegen von Diachylonpflaster. — Indolente 
Fussgeschwüre verändern sich sichtlich und vernarben rasch bei abwech¬ 
selnden Applikationen von kaltem und heissem Wasser mittelst Tücher. — 
Ueberraschend sind oft die Erfolge mit heissem Wasser in gewissen Formen 
der Acne. Während ein längeres Baden des Gesichtes in einfach warmem 
Wasser das Leiden verschlimmert, bemerkt man das Gegentheil bei 
Bähungen des Gesichtes mittelst 2—3mal innerhalb 3 Minuten gewechselter, 
in sehr heisses Wasser getauchter Leinwandlappen. Ist es angezeigt, lässt 
man Scarificationen der einzelnen Pusteln vorausgehen. 

*3. Die eigentliche Wasser cur sollte nur selten bei Haut¬ 
krankheiten verordnet werden. Werth hat sie nur bei der acuten Psoriasis, 
und, nach Hebra, im allgemeinen acuten Eczeme. 

4. Dampf- und heisse Luftbäder werden, im grossen All¬ 
gemeinen, wegen mangelnder Einrichtungen, nur selten in Betracht kommen. 
Viel leisten beide nicht; doch hält P. das heisse Luftbad mit nachfolgen¬ 
der kalter Douche empfehlenswertlier und sicherer. Eine entschiedene 
Wirkung vindicirt der Verf. den Mercurialdampfbädern in syphilitischen 
Hautausschlägen bei zweifellos festgestellter Diagnose, sonst können die¬ 
selben, sowie die Schwefeldampfbäder im Ganzen mehr Unheil anstiften 
als Nutzen bringen. 

5. Bäder mit medicamentösen Zusätzen nehmen nach B. 
den ersten Rang in der Hydrotherapie ein, nicht nur insoferne die ört¬ 
liche Erkrankung der Haut in Betracht kommt, sondern von wegen ihrer 
constitutioneilen Wirkung im Allgemeinen. Erfahrung lehrt, dass warme 
Bäder, insbesondere mit Zusatz von Alkalien, ein gut Theil zur Ver¬ 
besserung des Allgemeinbefindens und zur Beseitigung des örtlichen Leidens 
beitragen, selbst an Orten, die nicht mit dem Bade in Berührung kommen, 
so bei Acne und in einzelnen Formen von Eczem des Kopfes und Ge¬ 
sichtes. — Bulkley’s am meisten in Gebrauch gezogene Mischung 
besteht aus 120 Grm. Kal. carbon.; 60 Grm. Natr. carbon., und 30 Grm. 
pulveris. Borax mit Vs — l U Kilo Stärke auf ein Bad von 120 Liter 
VTasaer. Dies gibt ein mildes alcalinisches Bad, wirkt beruhigend in den 
meisten Fällen und heilend im subacuten Eczeme und in Urticaria. Man 
lässt den Kranken vor dem Znbettegehen, bei einer Temperatur von 
30—40° C., durch 10—15 Minuten in diesem Bade. Verlässt er dasselbe, 
so darf die Haut bei juckenden Ausschlägen nur mit heissen Tüchern 
abgetrocknet, aber nicht abgerieben werden, unmittelbar worauf man die 
erkrankten Flächen mit einer entsprechenden Salbe z. B. Cosmolien 
40 Grm., Acid. carbol. 0*3—1 # 00 bedeckt. Selbstverständlich können 


alle die genannten Ingredienzien, je nachdem, vermehrt oder vermindert 
werden, so bei Psoriasis, Prurigo, Ichthyosis. — Schwefelkalium erprobte 


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Medicinüch-chirargische Rundschau. 


B. als unzuverlässig. Zusätze von Sublimat gegen Syphiliden und Lupus 
sind bekannt und besonders von Hebra empfohlen. 

6. Natürliche Mineralwasserbäder endlich haben ohne 
Zweifel in bestimmt ausgewählten Fällen ihren Nutzen, obgleich B. glaubt, 
dass ihr Werth im Allgemeinen überschätzt wird. 


408. Ein Fall von luetischer Erkrankung des Gehirns. Von 
J. Teuf fei, Stuttgart. Aus dem Jahresbericht der inneren Abtheilung 
des Ludwigs-Hospitals in Stuttgart für das Jahr 1878. (Württemb. med. 
Corresp.-Bl. Nr. 8. 1880. Allg. med. Centr.-Ztg. 1880. 43.) 

Der folgende Fall bietet einen interessanten Beleg für die Wirksam¬ 
keit energischer Schmiercur: 

Friedrich H., 41 J., Thierarzt. Harter Schanker vor 15 Jahren, 
dem Angina und Roseola folgen. Vor 6 Jahren Ozaena, welche 2 Jahre 
dauert und mit Einsinken des Nasenrückens heilt. Seit einem Jahre wieder¬ 
holte epileptiforme Anfälle, Sprach- und Gehstörungen, welche vollkommen 
das Bild einer progressiven Paralyse geben. Aufnahme am 1. März. Drei¬ 
wöchige Schmiercur mit 5*0 p. die. Rasche Besserung. Nachher Jodkali 
2*0 p. die und Dampfbäder zweimal die Woche. Pat. ist im Stande, 
wieder etwas in seinem Berufe zu arbeiten. Im Juni Cur in Salzbrunn« 
Auf der Rückreise (1. Juli) plötzlich Parese des rechten Armes, voll¬ 
ständige Lähmung des Sph. ani, unvollständige des Sph. vesic. Zunge 
kann nur wenig bewegt werden. Articulation und Deglutition Sehr er¬ 
schwert. Kann nur mit grosser Mühe, unter Mitanstrengung der Gesichts- 
muskeln, bis auf 3 zählen. Ausdruck blöde. Gedächtniss und Begriffs¬ 
vermögen sehr reducirt. Inunct. mit 5*0 p. die, Kali jodat. 1*5 p. die. 
Strenge Diät. Schon am 6. deutliche Besserung der Sphincteren, dann 
des Armes, zuletzt vom 12. an der Sprache und Intelligenz. — Am 28. 
Abends plötzlich epileptiforme Anfälle, welche in Pausen von etwa 10 Mi¬ 
nuten sich wiederholen, 1—2 Minuten dauern. Nach l®/ 4 Stunden, während 
welcher Pat. nicht zum Bewusstsein kommt, cessiren die Anfälle; Som¬ 
nolenz, Müdigkeit, Kopfschmerz, verzweifelte Gemüthsstimmung bleiben 
zurück. Am 30. sind die Folgen der Anfälle ganz geschwunden. Von da 
an rasche Genesung. Austritt am 7. September. — Kal. jodat. 2,0 p. die 
und kalte Douchen werden noch 4 Wochen fortgebraucht. Noch ein 
epileptiformer Anfall am 9. November, welcher keinerlei Folgen hinter¬ 
lässt. Auf den erneuten mehrmonatlichen Gebrauch von Jodkali 5*0 p. die 
bis jetzt (November 1879) dauernde Genesung und Arbeitsfähigkeit. 


409. Ueber die Behandlung der ersten, einer Syphilis-Ueber- 
tragung verdächtigen Erscheinungen. Von Hofrath Professor v. Sig¬ 
mund in Wien. (Pest. med. chir. Presse. 1—3.) 

Während wir die oonstatirten Erstlingsformen der Syphilis durch 
Vertilgung derselben (Ausschneiden, Ausbrennen, Ausätzen) gegen nach¬ 
folgende allgemeine Behandlung prophylactisch zu behandeln trachten, ver¬ 
dienen die zwar als Syphilisförmen noch nicht constatirten, ihrer Ent¬ 
wicklung aber vorhergehenden Erscheinungen eine nicht minder thätige 
Beachtung, d. h. eine jedenfalls bestimmter und zweckmässiger aus¬ 
geführte Behandlung, als gegenwärtig ziemlich allgemein üblich ist. Jene 
Erscheinungen kommen thatsächlich als verschiedene Hautwunden, Ent¬ 
zündungen und Verletzungen früher an eben jenen Stellen vor, an welchen 
sich später die Erstlingsformen ausbilden. 

Verf. griff zunächst auf die Frage der Entwicklung der Erstlings¬ 
formen der Syphilis zurück, indem hierüber eine, sei es auch nur in 


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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


525 


Einzelheiten präcise, allgemeine Uebereinstimmung der Fachmänner noch 
nicht besteht. Von Vorneherein sei festgestellt, dass hier nur von der 
echten Syphilis allein die Rede ist, und nicht von dem einfachen vene¬ 
rischen Geschwüre, einer Erkrankung, welche stets ein rein örtliches 
Leiden darstellt. 

Nach S. verfliesst vom Zeitpunkt der Uebertragung der Syphilis 
('„Ansteckung“) bis zum Auftreten ihrer ersten charakteristischen Merk- 
male ein Zeitraum von mindestens 8—11 Tagen („Incubation“). Diese 
Bemessung beruht auf sorgfältig erwogenen Zählungen; von keinem Fach¬ 
manne werden kürzere angeführt, wohl aber mitunter viel längere, doch 
gibt Verf. allenfalls 2—3 Wochen als Incubationsfrist gegenüber anderen 
Annahmen zu. 

Die entwickelte, constatirte Erstlingsform der Syphilis (= „Sclerose“, 
„Induration“, „Papel“, „infieirender Schanker“) makroskopisch betrachtet, 
welche zufällige Varietät sie auch sonst darbieten mag, oharakterisirt sich 
durch eine scharf abgegrenzte Entzündung, gleich Schwellung und Ver¬ 
dichtung des Haut- und Bindegewebes eben an der Stelle der Ueber¬ 
tragung des Syphiliskeimes und in unmittelbarem Anschluss hieran, durch 
harte Schwellung der mit dieser Partie anatomisch zunächst verbundenen 
Loyphdrtisen. Diese beiden Elementarerscheinungen fehlen in keinem 
wohlbeobachteten Falle und sollen daher in der Aufstellung der Diagnose 
niemals von einander getrennt werden. Nur bei unvollständigen Unter¬ 
suchungen, beziehungsweise unvollkommenen Beobachtungen sind sie zu 
übersehen und mitunter der Anlass zu mancher irrigen Aufstellung ge¬ 
worden. 

Als zweite Beobachtungs-Thatsache führt S. an, dass die Ueber¬ 
tragung der Syphilis (ihre „Einimpfung“) nur auf verwundetem Gewebe 
stattfindet, dass dieselbe niemals durch unversehrte Haut, also auch nie¬ 
mals mittelst Aufsaugung durch unverletztes Epithel erfolgt. Diese Ver¬ 
letzungen, die an und neben den verletzten Stellen in der Incubationsfrist 
auftretenden krankhaften Erscheinungen sind es folglich, welche als pro¬ 
dromale und prämonitorische Merkmale der Syphilis-Üebertragung mög¬ 
lichst genau und frühe in’s Auge gefasst und zweckmässig behandelt 
werden sollen. Die Behauptung, dass solche gänzlich fehlen, lässt sich 
nach Verf. vieljährigen Beobachtungen nur in sehr wenigen Fällen an¬ 
nehmen. Genaue Untersuchungen (neben allen üblichen Vorsichtsmass- 
regeln immer mit einer Lupe!) und aufmerksame Beobachtung lehren 
vielmehr, dass man jene Erscheinungen ganz übersehen oder nicht ge¬ 
nügend beachtet und unrichtig gedeutet hat. 

Die in Betracht kommenden Verletzungen sind theils Verwundungen 
als Auflockerungen und Abschilferungen des Epithels, theils Entzündungen 
als diphtheritische Auflagerungen und Geschwüre auf derselben, theils 
Entzündungen der isolirten Follikel mit Eiter- oder nur einfacher Exsudat¬ 
bildung, Pusteln und Bläschen, welche oft andere Erkrankungen Vor¬ 
täuschen (Herpes, Eczem u. dgl. m.). Alle diese Verletzungen beobachtet 
man bald isolirt, bald neben und nach einander. 

Die Uebertragung der Syphilis findet am allerhäufigsten bei Be¬ 
friedigung des Geschlechtstriebes durch die bekanntlich überaus mannig¬ 
fachen Variationen von Berührungen statt und nur seltener bei anderen 
Anlässen, unter welchen wohl die meisten in die Kategorie der Ausübung 
des ärztlichen Berufes fallen (Aerzte, Pflegepersonal, Hebammen, Säug- 
und Nährammen u. s. w.), indem andere höchst selten wirklich Vor¬ 
kommen. Die Uebertragung geschieht in der weitaus grössten Zahl aller 


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526 


Medicinisch-chirargUthe Randschau 


Fälle durch unmittelbare Berührung zwischen den Kranken und den Ge¬ 
sunden, aber die mittelbare möge nicht so ganz unbeachtet bleiben, als 
der allzu strenge Skeptisismus anzunehmen uns manchmal verführt. Die 
Erstlingsformen der Syphilis und die auf ihre Entwicklung hinweisenden 
prodromalen Verletzungen treten bekanntlich am gewöhnlichsten an den 
bei Befriedigung des Geschlechtstriebes unmittelbar betheiligten Partien 
des Körpers, an den einzelnen Theilen der Geschlechtsorgane und ihrer 
nächsten Umgebung auf. Nächst den Geschlechtsorganen bildet die Schleim¬ 
haut des Mundes (Lippen, Zunge, Wange, Mandel) bekanntlich bei beiden 
Geschlechtern eine gerade nicht sehr seltene Aufnahmsstelle der Syphilis. 
Bei der Uebertragung derselben mittelst anderer als erotischer Berührungen 
kommen obenan die Finger (sammt der Hand) in Betracht. In manchen 
ganz genau constatirten Fällen reichte nur eine sehr leichte Einkerbung 
des Nagelfalzes, eine sehr kleine Abhebung des Nagelrandes von dem 
Nagelbett u. dgl. aus, um die Uebertragung einzuleiten. Gleiches gewahrt 
man übrigens auch am Bändchen und am Saume der Vorhaut. Schliesslich 
wäre auch zu bemerken, dass Lockerungen der Epitheldecke offenen 
Wunden gleichzustellen sind. 

Zu den am häufigsten beirrenden und täuschenden krankhaften 
Erscheinungen sind Herpes, Acne, folliculäre Entzündungen, diphtheritische 
Auflagerungen und Erosionen, sowie Geschwüre (letztere oft als „weiche“ 
bezeichnet) als Verletzungen zu rechnen, unter denen der Syphiliskeim in 
der tieferen Hautschichte nach und nach zur eigentlichen Sklerose sich 
entwickelt. Verletzungen dieser Art (zumal die aus unpassender Behand¬ 
lung entstandenen Entstellungen derselben) bilden die eigentlichen diagno¬ 
stischen und prognostischen Peinfälle der Kranken und Aerzte. 

Gegenüber solchen verdächtigen krankhaften Erscheinungen — in 
den ersten 8—11, eventuell bis 21 Tagen — „Verletzungen“, die, wie 
bisher erörtert, dem späteren Auftreten zweifelloser Erstlingsformen der 
Syphilis gewissermassen warnend vorausgehen, ist eine unthätig zuwar¬ 
tende, schwankend beobachtende und höchstens mit indifferenten Mitteln 
vorgehende ärztliche Behandlung nicht gerechtfertigt. Vielmehr gilt der 
gleich Eingangs betonte Grundsatz: denselben mit Mitteln entgegenzutreten, 
welche den Keim der wahrscheinlichen Ansteckung zu vernichten oder 
doch zu beschränken geeignet sind — die entschiedene Durchführung der 
abortiven, desinficirenden Methode, welche auch unter den ältesten Vor¬ 
fahren beredte Vertreter gefunden hatte. 

Die Wahl der Mittel im Allgemeinen wird bedingt durch die Art 
und die Form, sowie den Sitz und die Ausdehnung der Verletzung, ferner 
durch die individuellen Verhältnisse der damit behafteten Personen. Ver¬ 
letzungen, welche rasch und einfach, aber vollständig, ohne Störang der 
Form und Verrichtung des betroffenen Theiles entfernt werden können, 
eignen sich zur Ausrottung durch Ausschneidung, sobald die persönlichen 
Umstände solche zulassen. Dieser Art sind namentlich Verletzungen an 
Vorhaut und Bändchen, am Hodensaok, an den Schamlippen, an den 
Fransen des Hymens, am Schossbogen, an den Schenkelflächen, an den 
Afterfalten: Einkerbungen, Einrisse, diphtheritische Auflagerungen und 
Geschwüre, soferne eine schnelle Heilung der operativen Wunden dabei 
in Aussicht steht. Wie die Anschauungen der meisten Aerzte und zumal 
des nichtärztlichen Publikums heute noch stehen, wird diese Methode der 
Behandlung verhältnissmässig nur sehr selten von den Kranken ange¬ 
nommen, geschweige denn vorgezogen 'werden. In einzelnen Fällen jedoch 
wird sie auch diesen als die zweckmässigste einleuchten und Zusagen, 

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Medicinisch-chinirgi8che Rundschau. 


527 


z. B. bei Einrissen und Geschwüren am Bändchen , wo ein vollständiges 
Ausschneiden desselben eine einfache reine Wunde und eine Verbesserung 
in Form und Verrichtung schafft, sowie bei Phimose der Vorhaut, bei 
diphtheritisch belegten, sowie geschwürigen kleinen Schamlippen und 
Hymenfransen, gleichwie bei ähnlich beschaffenen (Hämorrhoidal-) After¬ 
falten. Die heutzutage üblichen antiseptischen Massregeln für Operation 
und Verband, allenfalls in Verbindung mit der Nekrose, wären allerdings 
geeignet, diesem Verfahren mehr Anhänger als bisher zu erwerben. 

Erwähnt sei auch noch die Incision, partielle Beeeetion und voll¬ 
ständige Circumcision, welche den Verlauf jeder Verletzung an diesem 
Theile nicht nur vereinfachen, sondern auch zur Verhütung späterer Er¬ 
krankungen viel beitragen. Die meistens langwierige Dauer solcher Ver¬ 
letzungen , die sehr oft ungemein schwierige Reinigungs- und Verband¬ 
weise dabei, die Gefahr von Drüsenentzündungen, zu geschweigen von 
den Neurosen der Eichel, gestalten diese Operationen zu wahrhaft pro¬ 
phylaktischen und jenen Gefahren gegenüber unvergleichlich milderen 
Vorgängen. 

Eine ausgedehntere Anwendung lässt sich von der Glühhitze machen, 
für welche der galvanokaustische, insbesondere aber der Petroleum-Aether- 
Apoarat von Pacquelin sowohl für oberflächliche, als auch für tiefer 
gehende, sehr beschränkte, sowie ausgebreitete Verletzungen einen ebenso 
handsamen, als zuverlässigen Behelf darbietet. Es gelten dabei die eben 
bezüglich der Ausschneidung bezeichneten Rücksichten auf Form und 
Verrichtung des betroffenen Theiles. Abschürfungen, diphtheritische Auf¬ 
lagerungen, Geschwüre, Follikeleiterungen lassen sich damit sehr zweck¬ 
mässig behandeln, indem der Brandschorf (bei schützendem Verband- und 
Reinigungsverfahren der Umgebung) gewöhnlich so lange haftet, bis der 
Ersatz des Verbrannten durch Haut- und Narbenbildung zu seiner Ab¬ 
hebung eingetreten ist. S. hält die Glühhitze noch immer für das sicherste 
und einfachste prophylaktische Vorgehen gegen die oben bezeichneten 
Erkrankungen, zumal bei dem Sitz am After, am Mittelfleisch und Schoss¬ 
bogen, am Hodensack, in der Eichelfurche (doch nur bei hinreichend 
weiter oder fehlender Vorhaut!), an den Schamlippen und der Schleimhaut 
des Vorhofes und namentlich auch dann und dort, wenn und wo Besud¬ 
lungen mit Koth, Eiter, Schleim, Urin, Blut u. dgl. der betroffenen Theile 
vor sich gehen, Reinigung und Verband ein schmerzhaftes, mühseliges, 
ja oft unmögliches Ding sind. 

Bei sehr kleinem Umfang und bei ganz oberflächlichem Sitze der 
Verletzungen: Abschürfungen, seichten Geschwüren, Bläschen, Pustelchen, 
Follikelabscessen, Einkerbungen und Rissen leichteren Grades reicht man 
mit den über der Spiritusflamme glühend gemachten Sonden verschiedener 
Form und Grösse häufig aus. 

Der Wirkung der Glühhitze am nächsten steht als zum Einschrumpfen 
und Veröden des Gewebes führend jene sehr concentrirter Mischungen 
von Carbol-Salicyl und Thymol (1 zu 1 bis 2 Alkohol) und sie eignen 
sich ganz besonders für Verletzungen an Fingern und Hand, an der 
Vaginalportion, an Partien der äusseren Haut, wo Verbände schwer an¬ 
zubringen sind und tiefer eindringende Narben, aber auch Behinderung 
der Bewegung möglichst vermieden werden sollen. Neben dem Kupfer- 
sulphat machen sie, umsichtig angewendet, bei verdächtigen Verletzungen 
ein weit vorzüglicheres Tilgungsmittel aus , als der allgemein übliche 
Höllenstein. 


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528 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Die concentrirte Salpetersäure, das Chlorzink, der Sublimat, das 
Eisenchlorid, das Kupfersulpbat, der rothe Präcipitat, das Salpetersäure 
Quecksilberoxyd und das Goldchlorid bilden heute die Mittel, denen die 
Fachmänner als wirklichen Aetzmitteln ihr Vertrauen schenken; das Aetz- 
kali allein oder in Verbindung mit Aetzkalk (Wiener Pasta), das Ammoniak, 
die concentrirte Schwefelsäure, Essigsäure, chromsaures Kali, Jod- und 
Bromtinctur u. dgl. m. sind von denselben nahezu aufgegeben worden. 
Am häufigsten aber wird als Aetzmittel noch das Silbernitrat (Höllenstein) 
von jeher aller Orten benützt. Vielfach erprobte Empfehlung verdienen 
concentrirte Salpetersäure und Kupfersulphat an den Genitalien und ihrer 
Umgebung bei vereinzelten und beschränkteren, nicht sehr ausgebreiteten 
Verletzungen, welche nicht tiefer eingedrungen sind, daher nicht bei Ge¬ 
schwüren und folliculären Pusteln und Abscessen; der Sublimat in Alkohol¬ 
oder Schwefel-Aether-Lösung (1 : 10) bei Verletzungen der Schleimhäute 
des Mundes (Lippen, Wangen und Zunge), das Silbernitrat als Stab oder 
in wässeriger concentrirter Lösung (1:1) bei jenen des Gaumens, der 
Mandel und des Rachens. 

Verf. tadelt auch bei diesem Anlasse den Missbrauch, welcher mit 
dem Höllenstein noch ziemlich allgemein getrieben wird. Es herrscht die 
Gewohnheit, jede verdächtige Verletzung mit Höllenstein zu behandeln, 
wodurch das Bild der eigentlichen Verletzung verdeckt und unkenntlich 
gemacht, sehr oft aber auch eine Entzündung hervorgerufen wird, welcher 
nicht gar selten sogar Drüsenentzündung folgt. Häufig bildet sich nämlich 
ein Schörfchen, unter dem sich Eiter ansammelt, dessen Einwirkung die 
Entzündung zuzuschreiben ist. Mit dem Höllenstein ätzt man in der 
Mehrzahl aller Fälle nicht tief genug, meistens aber zu weit über die 
Ausbreitung der verletzten Stelle, indem auch gesunde Haut mit betroffen 
wird, was bei dem nur auf die verletzte Stelle eingreifenden Kupfersulphat 
nicht der Fall ist. Am unzuverlässigsten sind Hantirungen mit dem Blei¬ 
acetat —dem vielbeliebten „Goulard’schen Wasser“. 

Für seichte Verletzungen der verschiedensten, oben schon ange¬ 
deuteten Art sind zu empfehlen: Kupfersulphat (1:20), Hydrarg. chlor, 
mite und Hydr. präcipit. rubrum als Streupulver (1 : 20 Bolus oder Milch¬ 
zucker), das Hydr. bichlor. corros. und das Chlorzink, sowie Eisen¬ 
perchlorid (1:100 Alkohol) als Pinselflüssigkeit; ferner Carbol- und 
Salicylsäure, sowie Thymol (1:50 Alkohol); Jodoformlösung (1:6 Schwefel¬ 
äther), endlich auch Jodoform als Streupulver. Schwache Lösungen des 
Hydr. bichlor. corros. (1 : 30 bis 50 Alkohol oder Aether) empfiehlt Verf. 
für den Mund am meisten. Für die Finger-Geschwüre eignet sich am 
besten Carbolsäure (1 :1 bis 2 Alkohol), für eiternde Wunden Jodoform. 
Immer aber ist hiebei ein sorgfältiger Verband und strenge Reinlichkeit 
nöthig. Durch Anwendung „milderer“ Mittel ist die kostbare Zeit nicht 
zu verlieren; nur dann ist unter Umständen die Vernichtung des Syphilis¬ 
keimes noch möglich und auch die Uebertragung der Krankheit auf andere 
Personen zu verhüten. 

Verf. schliesst mit dem Satze, dass gegenüber den ersten, der 
Syphilis-Uebertragung verdächtigen Erscheinungen der Arzt zu solchen 
entschiedenen Eingriffen nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist. 


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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


529 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 


410. Ueber experimentelle Albuminurie. Von Rabuteau. (Sitzung 
der Soc. de Biologie in Paris. Progr&s medical 1880. 13. März.) 

Der Vortragende unterscheidet in Folge der von ihm ausgeführten 
Experimente 3 Formen der Albuminurie. Die erste Form erscheint nach 
localen Schädlichkeiten der Nieren, in Folge deren in den Tubulis das 
Epitheliom abgestosseu wird, sie wird beobachtet in Fällen von Vergiftung 
mit Colchicum, und nach der Anwendung gewisser jodsaurer Salze, u. zw. 
von Ammonium und Magnesium-Jodat, während sie nach Anwendung von 
jodsaurem Kalium und Natrium nicht erscheint. Diese Erscheinung rührt 
nach Rabuteau daher, dass das Ammoniumjodat im Organismus theil- 
weise in das Jodid umgewandelt wird, und dass die Mischung dieser 
beiden Salze die Desquamation in den Harncauälchen verursacht. Die zweite 
Form der Albuminurie tritt auf nach Vergiftung mit Amyl und Propyl- 
alcohol. In solchen Fällen ist der Harn roth, doch enthält er keine Blut¬ 
körperchen. R. ist der Ansicht, dass die Eiweisskörper der Blutkörperchen 
in solchen Fällen in den Harn übergehen, er schlägt daher für diese Form 
den Namen „Globulinurie“ vor. Eine dritte Form der Albuminurie wird 
durch allgemeine Ernährungsstörungen verursacht, sie erscheint, wenn die 
TThiere mit den Salzen verschiedener Metalle vergiftet werden, u. zw. mit 
Salzen von Cadmium, Gold, Platin, Zink und Palladium. In solchen Fällen 
erscheint das Eiweiss erst daüü im Harne, wenn die Niere fettig entartet 
ist, in diesen Fällen wird die Albuminurie während der Ausscheidung der 
giftigen Substanzen durch die Niere entstehen. Loebisch. * 

411. Ztt* fcenntniss der Albuminurie bei gesunden Nieren. Tom 

P. Fürbringer. (Zeitschr. f. clin. Medic. Bd. I, Heft Centralbl.. 

f. clin. Med. Nr. 9, 1880.) 


Schon vor Leube haben Andere Albuminurie beobachtet, ohne 
lass Zeichen eines Nierenleidens oder aftderer Erkrankung bestanden 
Vogel). Ebenso waren so; ü0n früher Fälle von intermittirender Aus¬ 
scheidung von Eiweiss gesehen (Vogel, Ültzmann), wobei die An- 
lahme einer partiellen Oewebserkrankung ausgeschlossen wurde. Leube 
and in seiner Maszeurmtersuchung, dass von 119 Soldaten 5 nach dem. 
tafstehen, nach mehrstündigem Exercieren ausserdem noch 14 eiweiss- 
laltigen Ham entleerte* Zur Erklärung wird Drucksteigerung durch 
liuskelaction (im Gerate zu Ranke) und individuelle Differenzen der 
Porosität des Filter «tagenommen. Nach ihm hat Duk e ®, zahlreic ^ e ..^ n . 
beobachte*, wo Knaben zwischen 13 und 1? -Sakren an Albuminun ,, 

die Menge des Eitfreisses schwankte, hald war solches perman , 
fatemittirend vorhanden. Albuminurie gesteigert, respec ive ® ® . 

-.duKÄ> Diätfehlet, körperliche Anstrengung, Erkältung, Gemttthaerregung , 
bei Milchdiät, besonders in der BettUge; W.ederausbrua be, 
9e nn88 V on Fleisch ausserhalb des Bettes“. Zur Erklärung benutzt. Hyper 
kmie dir Nierw /durch in der Pubertät sich «Imekelnde Spannungs- 

Zunahme im pflteiWlen System. Kpnhaohteten 

Edielen .erklärt die Albuminurie der von ihm beobachteten 

anämischeplndiyiluen (nur nach Anstrengung trat sie auf)» 

WRank.e und Runeberg’s Filtrationsgesetzen (vermehrter Durchgang 

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RTllldßefeAU. 1880. ^ ^ 




530 


Medlcinisch-chirurg^ache Rundschau. 


von Eiweiss durch’s Filter bei Abnahme des Druckes), durch Abnahme 
des Druckes im Glomerulus infolge des Zuströmens zu den Muskeln und 
besonders bei Anaemie, Anhäufung des Blutes im kleinen Kreislauf. 

Dagegen führt Verf. an, dass bei den von Leube untersuchten 
Soldaten Anaemie und Herzschwäche nicht anzunehmen sei. 

UItzmann fand Eiweiss vorübergehend in spärlichem, gesättigtem 
Harne von Officieren nach Strapazen und bei nervösen Individuen nach 
starken Erregungen. 

Fürbringer theilt nun eigene Beobachtungen mit: Ein Fall 
zeigte, „dass es weder der Anaemie, noch der Muskelanstrengung bedarf, 
um gesunde Nieren zu Eiweissausscheidung zu veranlassen“. Albuminurie 
trat hier auf durch asthenische Affecte (Affecte, die veränderte Muskel¬ 
spannung zur Folge haben, z. B. Schrecken), da solche durch veränderte 
Blutvertheilung acute Nierencyanose bedingen. Deshalb fällt auch hier 
die Albuminurie zusammen mit Entleerung von Stauungsharn. 

Abnahme der Wasserausscheidung durch die Nieren bei Depressions¬ 
zuständen des Gemüths hat Beneke nachgewiesen. 

Bei einigen anaemischen Individuen bestätigte Verf. die Befunde 
von Vogel, Dukes und Edlefsen, fand aber auch intermittirend 
Eiweiss im Harn kräftiger junger Männer und zwar ohne dass ein Ab- 
hängigkeitsverhältmss von körperlicher Bewegung nächzuweisen war. 
Massenuntersuchungen machte Verf. in einer Kinderbewahranstalt. Er 
betont dabei gleiche Ernährungsverhältnisse der beobachteten Kinder. Von 
61 Kindern fand er 7 mit Albuminurie behaftet. 2 davon (durchaus 
gesunde Kinder) lieferten bei der ersten Untersuchung Eiweiss, später 
überhaupt nicht wieder, 1 anämisches Kind und eines mit leichter Vergros- 
serung der Cervicaldrüsen verhielt sich ähnlich. 3 andere hatten periodische 
Ausscheidung von Albumin. 

Verf. resumirt aus allem 2 Sätze: 

1. „Dass eine Abhängigkeit des Eiweisstibertrittes in den Harn Ge¬ 
sunder, respective gesunder Nieren, von einem gesteigerten Blutdruck in 
den Glomeruli8 höchst unwahrscheinlich ist.“ 

Vielmehr ist wahrscheinliche Ursache, aber nicht alleinige, ein Sinken 
des AbsonderungBdruckes und dadurch Uebertritt von Eiweiss (R u n e b e r g). 
Zeichen dieser Druckverminderung bietet der concentrirte Harn in den 
* Anfällen“. Ursache derselben können asthenische Affecte, Muskelarbeit, 
Mangel an Wassereinfuhr sein. 

Da aber bei Cachectikem extreme Oligurie ohne Albuminurie vor¬ 
kommt, die hochgradige Verminderung des Absonderungsdruckes nicht 
nothwendig Eiweiss liefert, da nur eine kleine Zahl gesunder Nieren 
den Uebertritt gestattet, hierbei periodische Schwankungen existiren, ohne 
dass die früheren Schwankungen des Absonderungsdruckes aufhören, da 
dauernder Schwund der Albuminurie auftritt, ohne dass die Beschaffenheit 
des Harns oder die äusseren Lebensbedingungen sich ändern, so folgt daraus 

2. „dass die von Runeberg geltend gemachte Druckabnahme in 
den Glomerulis an und für sich nicht genügt zum Uebertritt von Albumin 
in das Secret gesunder Nieren, dass wir vielmehr ausserdem eine von 
jener Druckabnahme unabhängige, individuelle Permeabilität der Filter¬ 
membran , speciell der für den Uebertritt der Albuminpartikel bestimmten 
Bahnen annehmen müssen. “ 

Es muss sich dabei um Störungen handeln, welche schnell aus¬ 
geglichen werden, sonst wäre die Periodicität unverständlich. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


531 


Für den Praktiker wird die Lehre angefügt, bei nachgewiesener 
Albuminurie nicht ohne Weiteres durch die Diagnose einer „latenten 
Nephritis“ den Patienten zu beunruhigen. 

412. Ueber Regeneration und Degeneration des Rückenmarks. 
Von H. Eichhorst. (Zeitschr. fllr klin. Medicin von Frerichs und 
Leyden. 1879. Bd. I. Hft. 2, p. 284 ff. — Centralbl. für Chirurgie 
1880. 7.) 

An drei neugeborenen Hunden legte E. unter antiseptischen Cautelen 
das Rückenmark im Gebiet der drei untersten Rückenwirbel frei, zog es 
mit einem stumpfen Häckchen hervor und durchtrennte es vollständig. 
Nachdem er beobachtet, dass danach eine wesentliche Retraction wenigstens 
zunächst nicht eintritt, schloss er die Wunde. — Nicht nur die Operation 
wurde vortrefflich ertragen, sondern auch fernerhin blieb das Befinden der 
Thiere ein ungetrübtes, abgesehen von den directen Störungen im ver¬ 
letzten Nervengebiete. Bei zwei Hunden, deren einer am 21. Tage nach 
der Operation todt gefunden wurde, wahrscheinlich im Schlaf von seiner 
Mutter erdrückt, deren anderer am 31. Tage getödtet wurde, unterblieb 
jede functioneile Regeneration des Rückenmarks und liess sich auch ana¬ 
tomisch eine solche bei der genauesten Untersuchung des Präparates nicht 
nachweisen. Anders bei dem dritten Versuchsthier: hier traten vom Anfang 
der vierten Woche Bewegungen auf, die sich bald entschieden als „will¬ 
kürliche“ manifestirten: zunächst setzte der Hund sich auf, dann richtete 
er sich mit einem kräftigen Ruck auf seine vier Beine auf und blieb 
kurze Zeit darauf stehen, dann wurde die Dauer dieser Leistungsfähigkeit 
immer ausgedehnter, endlich war er im Stande, kleinere, auch grössere 
Strecken zu gehen und dabei Hindernisse ohne Schwierigkeiten zu über¬ 
winden. Nur hatten alle seine Bewegungen etwas Eigenthttmliches, etwas 
„ataktisches“, wie E. es am charakteristischesten bezeichnen zu können 
glaubt. Von einer Wiederherstellung der Sensibilität war keine Rede. 
In diesem Falle ergab nun die anatomische Untersuchung, nachdem der 
Hund am 35. Tage getödtet war, dass beide Hälften des Rückenmarks durch 
eine von vorn nach hinten abgeplattete Markmasse wieder zn einer Ein¬ 
heit verbunden waren, und zeigte sich jene Narbe in allen ihren Theilen 
von reichen Nervenzügen durchsetzt. Nur die den hinteren Rückenmarks¬ 
strängen entsprechenden Partien waren an bestimmten Stellen der Narbe 
so sparsam entwickelt, dass man sich hier eine völlige Unterbrechung der 
Rückenmarksbahnen leicht vorstellen konnte. — Jedenfalls hat sich als 
Resultat dieses einen gelungenen Versuches ergeben, dass bei jungen 
Hunden eine anatomische und functionelle Regeneration des Rückenmarks 
mit Sicherheit vorkommt, dass dieselbe in verhältnissmässig kurzer Zeit 
ausserordentlich hochgradig ausfallen kann, und dass es dabei anatomisch 
vornehmlich zur Neubildung von Nervenfasern kommt, während eine 
Regeneration von Ganglienzellen, wenn sie sich überhaupt mit Sicherheit 
erweisen lässt, nur eine sehr beschränkte ist. 

Die degenerativen Veränderungen beschränkten sich allein auf die 
Rückenmarksstümpfe und waren — als traumatische Degeneration — die 
unmittelbaren Folgen der durch die Operation gesetzten mechanischen 
Reizung. Eine strangförmige, secundäre Degeneration des Rückenmarks 
war nicht eingetreten. 


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532 


Medicini8cli-cliirnrKi8cl>e Rundschau. 


413. Ueber die Entwicklungsbedingungen des Hicrococcns 
Ureae Pasteur. Von Dr. Rudolf v. Jaks oh. (Aus dem med.-chemischen 
Laboratorium der Prager Universität. Centralbl. f. die med. Wissensch. 
1880. 10.) 

Um Näheres über die Lebens- und Wachsthumsverhältnisse des 
Micrococcus Ureae Pasteur zu erfahren, versuchte J. denselben ausserhalb 
des Harns in Nährlösungen zu züchten. Es stellte sich heraus, dass ihr 
die Entwicklung dieses Pilzes ausser zwei anorganischen Salzen und Harn¬ 
stoff noch eine kohlenstoffhaltige Substanz unentbehrlich ist. Ans diesen 
Substanzen wurde eine Nährlösung von geeigneter Concentration hergestellt 
und mit dieser dann eine lange Reihe von Generationen gezüchtet. Die 
Methode dieser Zucht war der Art, dass eine Verunreinigung mit anderen 
Microorganismen durchaus ausgeschlossen war. Mit dieser Reincultur wurden 
dann die Versuche angestellt. 

Das Temperaturoptimum dieses Pilzes wurde bei 30 °C. gefunden, 
eine Kälte bis 15° unter Null tödtet den Pilz nicht. Ein einstündiges Er¬ 
hitzen auf eine Temperatur von 70° C. hebt die Entwicklungsfähigkeit des¬ 
selben vollkommen auf. Als kohlenstoffhaltiges Nährmaterial waren ver¬ 
wendbar: Salze der Essigsäure, Milchsäure, Apfelsäure, Weinsäure, Bern¬ 
steinsäure und Zucker, weniger geeignet erschienen die Salze der Ameisen¬ 
säure und Buttersäure mit fixer Basis, und ungeeignet oxaminsaure, oxal- 
saure Salze, die Ammoniaksalze der Ameisensäure, Essigsäure und Butter¬ 
säure. Der Harnstoff kann neben einigen dieser Säuren, und zwar neben 
den Oxysäuren und der Bernsteinsäure durch die Ammoniaksalze derselben 
ersetzt werden, unter gewissen Bedingungen auch durch oxaminsaure und 
hippursaure Salze. Die Amidofettsäuren, Asparaginsäure und Asparagin 
sind im Stande, gleichzeitig den Stickstoff und Kohlenstoff zu liefern. 

Die Salze aromatischer Säuren (ausser der Hippursäure) sind ein 
ungünstiges Nährmaterial. 


414. Die Beziehung der Bacterien zur Abscessbildung. Von Dr. 
Ogston (Aberdeen). Vom IX. Congress der deutschen Gesellschaft für 
Chirurgie. (Centralbl. f. Chir. 1880.) 

Redner gab im Wesentlichen einen Bericht über eine Reihe im 
Aufträge der British Medical Association ausgeflihrter Versuche über die 
septichämischen Processe. Er bediente sich dabei der neuesten Methoden, 
speciell auch der K o c h’schen Färbemittel. Die Bedeutung der Mikro- 
coccen suchte er vornehmlich dadurch zu illustriren, dass sie nie ver¬ 
einzelt, sondern immer in Massen und zwar in verschiedenen Formen 
von Gruppen vorkämen, bald in Ketten, bald in Haufen. Vereinzelte 
Mikrococcen haben keine Bedeutung für die Eigenschaften der sie ent¬ 
haltenden pathologischen Producte. Unter 88 uneröffneten Abscessen fand 
er reichliche Massen von Mikrococcen in allen den Fällen, in welchen 
es sich um acute Processe gehandelt, nämlich in 70. Von den 18 übrigen 
Fällen betrafen 4 schleichende Eiterbildungen, entstanden nach acuten 
Allgemeinerkrankungen. Auch hier fanden sich reichliche Mikrococcen, 
während der Befund in den restirenden kalten, von sogenannten käsigen 
Processen abhängenden Abscessen ein negativer war. Zählungen ergaben, 
dass durchschnittlich 2 Millionen Mikrococcen 900.000 Eiterkörperchen 
gegenüberstanden. Was die Form der Gruppirung betrifft, so fand sie 
der Redner unter 64 Mal 31 Mal in meist dreieckigen Häufchen, 17 Mal 
in Ketten, 14 Mal in Ketten oder Gruppen, 2 Mal bestanden die Häufchen 
2 Mikrococcen. Beimischung von anderen Mikroorganismen 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


533 


(Bacterien, BacciUen und Spirillen) sah man ein paar Mal dort, wo der 
Eiter einen fötiden Charakter hatte. Impfversuche mit Eiter hatten nnr 
dann Erfolg, wenn der Eiter Mikrococcen enthielt. Doch waren die in 
68 Fällen bei Meerschweinchen, Mäusen und Hatten angestellten Ein¬ 
spritzungen solchen Eiters von verschiedenen Ergebnissen, je nach der 
Menge des Eiters und je nach den Verhältnissen des Versuchsthieres. 
Bei Einspritzungen unter die Haut bildete sich ein localer Abscess, 
welcher durch Infiltration der Nachbarschaft mit Mikrococcen so lange 
wuchs, bis sich ein Granulationswall gebildet hat. Letzterer enthielt keine 
Mikrococcen. Zusatz von Carbollösung, von 5 °/ 0 zur Injectionsflttssigkeit, 
verhindert die locale Abscedirung, bei grösseren Iqjectionsmengen treten 
die Allgemeinerscheinungen mehr hervor. Doch sind dieselben bei Ein¬ 
spritzungen von 2 —3 Tropfen in die Bauchhöhle ganz vorübergehender 
Natur. Mäuse disponiren zuweilen ganz besonders zur Allgemeininfection 
nach der Einspritzung. Manchmal aber kommt es nur zu einem abortiven 
Verlauf und localer, brandiger Zerstörung. Erwärmung bis 55° C. zerstört 
die Infectionsfähigkeit der Mikrococcen. Im Uebrigen fand der Redner, 
dass der Aufbruch der Abscesse nicht durch das Fortschreiten der Mikro- 
coccen-Infiltration, sondern durch das der Granulationen bewirkt würde. 
Die Differenzen, welche er in seinen Untersuchungen mit denen Chiene’s 
gehabt, beruhen darauf, dass jener nicht die neuesten Untersuchungs- 
Methoden angewandt hatte. 

Die weiteren Untersuchungen des Redners bezogen sich auf das 
Verhalten der Mikrococcen im Wundsecret. Das Vorkommen derselben in 
diesem wie im Blut und anderen Organen bestätigend, hat 0. sie bis 
jetzt nur in den Lymphdrüsen nicht gefunden. Strenge nach Lister 
behandelte Wunden lieferten kein mikrococcenhaltendes Secret; doch könne 
das Vorhandensein letzterer von Anwendung zu schwacher Carbolsäure- 
lösung, in welcher sie fortlebten, stammen. Eine von Mikrococcen inficirte 
Wunde sei schwer von diesen zu befreien; der gewöhnliche Liste Fache 
Verband reiche hiezu allein nicht aus, allenfalls Chlorzinkätzung. Die ver¬ 
schiedenen Resultate von Culturversuchen gaben ihm die Ueberzeugung, 
dass auch „unschuldige“ Mikrococcen in Wunden und in oberflächlichen 
Geschwüren existirten. Die gewöhnlichen Zttchtungsversuche, welche zu 
Fäulnissprocessen führen, liefern nur Bacterien. Am besten gedeihen 
Mikrococcen an den von der Luft entferntesten Stellen, so z. B. in tiefen 
Flaschen, ferner bei Eierversuchen etc. 0. erklärt so seinerseits die 
Erfolge der offenen Behandlung. Die Schlusssätze des Redners sind 
folgende: 

1. Mikrococcen sind die häufigsten Ursachen acuter Abscedirung. 

2. Acute Abscedirung ist fast immer mit dem Auftreten von 
Mikrococcen verbunden. 

3. Die Mikrococcen können eine Blutvergiftung bedingen. 

4. Für die Intensität letzterer spielt die individuelle Disposition 
eine Hauptrolle. 

415. Beitrag zur gerichtUch-chemischen Untersuchung von blut- 
verdächtigen Flecken. Von Heinrich Struve in Tiflis. (Virch. Arch. 
Bd. 79. S. 527. St. Petersb. med. Wochenschr. 1880. 24.) 

Für schwierige Fälle, in denen der Nachweis von Häminkrystallen 
oder von Formelementen des Blutes nicht ohne Weiteres geliefert werden 
kann, namentlich bei Flecken auf Leinen oder anderen Zeugen, die eine 
überaus blasse Färbung und nur schärfere Randcontouren besitzen, empfiehlt 

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Medicmisch-chirnrgieche Rundschau. 


Verf. zur Darstellung der Häminkrystalle das folgende Verfahren. Er 
behandelt einen grösseren Ausschnitt des mit dem verdächtigen Flecken 
versehenen Lappens in einem geeigneten Glase mit einer verdflnnten Kali¬ 
lösung. Dadurch wird der Fleck nach und nach angegriffen und zum 
Theil aufgelöst, und die Flüssigkeit nimmt eine mehr oder weniger bräun¬ 
liche Tingimng an. Wenn die Färbung des alkalischen Auszuges nicht 
mehr zuzunehmen scheint, so giesst man die Flüssigkeit ab und wäscht 
den Lappen mit Wasser aus. Die so erhaltenen Auszüge, die in den 
meisten Fällen trübe erscheinen, werden filtrirt und darauf mit einer 
Tanninlösung versetzt, wodurch die Lösung augenblicklich eine stärkere 
rothbraune Färbung annimmt. Darauf gibt man verdünnte Essigsäure bis zur 
deutlich sauren Reaction dazu, wodurch sich entweder augenblicklich oder 
nach einiger Zeit ein Niederschlag einstellt, der bald heller, bald dunkler 
gefärbt erscheint. Dieser Niederschlag wird auf einem Filter gesammelt, 
mit Wasser ausgewaschen und bildet dann das Object zur Darstellung der 
Häminkrystalle in der gewöhnlichen Weise mit Kochsalz und concentrirter 
Essigsäure. — Zum Nachweis der Formelemente des Blutes empfiehlt 
Verf., den verdächtigen Fleck in einem Probirröhrchen mit Wasser zu er¬ 
weichen, durch welches ein langsamer Strom von Kohlensäure hindurch- 
geleitet worden ist. Die Erweichung erfordert, je nach dem Alter des 
Fleckes, ungefähr 20 Stunden, doch kann eine wiederholte Behandlung 
des Objectes mit Kohlensäure nothwendig werden. Diese etwas umständ¬ 
liche Methode führe zu entscheidenderen Resultaten, als die Erweichung 
des verdächtigen Fleckes mit anderen Mitteln. Schliesslich macht Verf. 
darauf aufmerksam, dass Blutflecken auf Holz, Metall, Zeugen etc., auf 
denen sich in einer feuchten Atmosphäre Schimmelpilze entwickelt haben, 
die Auffindung von Formelementen sowohl, als auch die Darstellung vou 
Häminkrystallen nicht mehr gestatten. Mit der Wucherung der Pilze 
schwindet mehr und mehr die Möglichkeit, die Blutflecke als solche zu 
erkennen und geht schliesslich ganz verloren. 


416. Das Verbalten der freien Salzsäure des Magensaftes in 
2 Fällen von amyloider Degeneration der Magenschleimhaut. Von 
Ed inger. (Berl. klin. Wochenschr. 1880. 9.) 


Die mitgetheilten 2 Fälle aus der Prof. RiegeTschen Klinik in 
Giessen ergänzen die Mittheilungen v. d. Velden’s (Rundschau 1879, 
S. 327) über das Vorkommen und Fehlen freier Salzsäure bei verschie¬ 
denen Krankheiten. — Im 1. Falle bestand Magenerweiterung bei einem 
Ulcus der kleinen Curvatur, dessen Grund vom fest verwachsenen, harten 
Pancreas gebildet war, ausgedehnte Ulcerationen im Coecum, amyloide 
Degeneration von Leber, Milz, Nieren und Magenschleimhaut, sowie zum 
Theil der Muscularis des Magens. — Im 2. Falle handelte es sich um 
einen Phthisiker, bei dem keine Magenerweiterung bestand, der Magen¬ 
saft aber wegen Dyspepsie untersucht wurde und bei welchem die Section 
neben der tuberculösen Phthysis der Lungen, — Miliartuberkeln der Leber 
und tuberculösen Darmgeschwüren, — amyloide Degeneration der Milz und 
der Magenmucosa erwies. — In diesen beiden Fällen fehlte im Magen¬ 
saft die freie Salzsäure vollständig. 

Bei schwachen Kranken, denen nur zu diagnostischen Zwecken Magen¬ 
saft wiederholt entnommen werden soll, bedient sich E. kleiner, in feste 
Gallertkapseln eingeschlossener, an Seidenfäden befestigter Schwämmchen, 
die vom Patienten geschluckt und nach circa 20 Minuten herausgezogen 
werden. 


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MedUinisch-chirmgUche ßnndachin. 


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417. Zur Lehre von den myeotischen Erkrankungen des Darm- 
eanals. Casuistische Mittheilung von Dr. P. Cartellieri. (Prag. med. 
Wochenschr. 1880. 24.) 

Herr E. P., Kaufmann aus Nordamerika, 30 Jahre alt, verheiratet, 
in günstigen Verhältnissen lebend, leidet seit drei Monaten an einem 
Durchfall, der bisher allen Medicamenten trotzte. Die Zahl der Stühle 
bis sieben täglich, dabei geringe Kolikschmerzen. Blutig, von Tenesmus 
begleitet, soll der Stuhl nie gewesen sein. Seit dem Bestehen der Krankheit 
ist Patient bedeutend abgemagert und hat an seinem Körpergewicht circa 
10 Kilo verloren. Herr P. kam am 5. April a. c. zum Curgebrauch in 
Carlsbad an. 

Status. Patient von zarter Constitution, — Leberdämpfung 
normal; die Leber gegen Druck nicht empfindlich. Milzdämpfung etwas 
grösser. In der rechten seitlichen und oberen Bauchgegend ist ein 
stärker luftgefülltes Darmrohr zu constatiren (Colon ascend. und trans- 
versum?). In der linken unteren Bauchregion etwas vermehrte Resistenz 
zu tasten (S-Schlinge ?); geringe Druckempfindlichkeit. Appetit vortrefflich, 
ebenso der Schlaf. Fieber hat nie bestanden. Körpergewicht 52 J /a Kilo. 
Als Krankheitsursache gibt P. an, dass er als Besitzer eines aus¬ 
gebreiteten Obstgeschäftes fast den ganzen Tag in einer Atmosphäre 
zugebracht hat, die mit dem Dunste faulenden Obstes geschwängert war. 
— Auch seine beiden Brüder, die in demselben Geschäfte thätig sind, 
sollen ähnlich, jedoch in viel geringerem Masse erkrankt gewesen sein. 
Die Harnuntersuchung ergibt Farbe Scala V. gelbroth, spec. Gew. 1.037, 
React. stark sauer, trübe, reich an Erdphosphaten. Der Stuhl dünn¬ 
breiig, dunkelbraun von eigenthümlichen Gerüche. 

Mikroskopisch konnten in den Stuhlentleerungen äusserst zahl¬ 
reiche Kugelbakterien, sowohl einzeln als zu Haufen geballt, sowie 
in Reihen angeordnet nachgewieseu werden; ebenso feine einfache und 
gegliederte Fädchen. P. begann am 6. v. M. die Trinkcur in Carlsbad 
bei streng vorgeschriebener Diät. 

Schon im Verlaufe der zweiten Woche machte sich — ohne dass 
ein anderes Medicament gereicht worden wäre —- eine entschiedene Besse¬ 
rung bemerkbar ; die Stuhleutleerungen verminderten sich und nahmen eine 
festere Consistenz an. Eine abermalige mikroskop. Untersuchung der 
Stuhlentleerung ergab, dass in derselben die früher so zahlreich gefun¬ 
denen Pilzformen nur noch spärlich aufzufinden waren — die feinen 
F&dchen sowie die zu Haufen geballten Mikrococcen waren ver¬ 
schwunden. 

Am Ende der vierten Woche hatte Pat. täglich nur noch einem 
Stuhlgang von normaler Consistenz und Conformation und hatte sein 
Körpergewicht um circa ein Kilo zugenommen. 

Die zeitliche Uebereinstimmung von Heilung des chronischen Darm¬ 
katarrhs und Verschwinden der charakteristischen Pilzelemente aus den 
Stuhlentleerungen legt den Gedanken nahe, dass die nachgewiesenen 
Organismen Ursache der Darmerkrankung gewesen sind. Die in immer 
überzeugenderer Weise sich mehrenden Beweise fllr die pathogene Be¬ 
deutung der Schistomyceten auch für die Darmkrankheiten drängen zii 
einer solchen Annahme. Zur vollständigen Sicherheit derselben, bedarf 
es aber unbedingt noch der Ausschliessung einer Möglichkeit, nämlich 
der, dass ein krankhaft verändertes Secret des Darmtractus einen 
günstigeren Nährboden abgibt, für die selbstverständlich immer im Darm- 

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Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


inh&lt vorfindlichen Organismen. Diese können dann üppig vegetiien, 
ohne dass sie den Organismus anderweitig beeinflussen, als höchstens im 
Sinne eines primitiven Parasitismus (W ernich). 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 


418. Bemerkungen über die von der ottomanischen Regierung in 
den Quarantainen derselben anwendbaren Desinfectionsmethoden. Von 
Dr. A. F. Giacich in Fiume. (Separat-Abdruck in italienischer Sprache.) 


Der Autor bespricht die obigen Desinfectionsmassregeln, deren De¬ 
tails mit den Beschlüssen der Congresse von Paris, Wien, Constantinopel 
und den Arbeiten des Verf., welche sich sämmtlich für „internationale 
Congresse“ zur Bekämpfung der Epidemien ausgesprochen haben, nicht 
ganz im Einklänge sind. 

Die in den ottomanischen Quarantainen eingeführten Desinfections- 
mittel sind je nach der Verschiedenheit der Fälle: „die Luft, Räucherung 
mit Schwefel, Chlordämpfe, das Einweissen der Localitäten und Gegen¬ 
stände mit Kalk, Carbolsäure und die Verbrennung 41 . 

Die Ein würfe von Giacich gehen dahin: 1. Es wird der wich¬ 
tige Unterschied zwischen Desinfection und Geruchlosmachen 
nicht betont. Die Anwendung von Eisensulphat, welches keine antisepti¬ 
schen Eigenschaften besitzt, kommt einer Vernachlässigung jener Anzeigen 
gleich, welche durch die Contagiosität der Krankheit bedingt sind. 2. In 
Beziehung auf die Wirksamkeit des Wassers betont G. die Un¬ 
wirksamkeit desselben als Desinfectionsmittel, ein durch zwei Monate im 
Meer eingetauchtes Schiff übertrug, als es nach Amerika gelangte, dahin 
die Cholera. 3. Das Einweissen mit Kalk wird als nutzlos erklärt und 
neben Marmor oder anderen polirten Materialien die Anwendung von Theer 
als Bekleidungsmittel der Wände empfohlen. 4. Verf. hat erfahren, 
dass im Jahre 1855 neben der chemischen Fabrik in Fiume, wo fort¬ 
während dichte Chlordämpfe entstiegen, schwere Cholerafälle auftraten. 
Nichtsdestoweniger sind die Chlorräucherungen in den ottomanischen La- 
zarethen noch immer in Gebrauch. G. hat nun vergleichende Wirkungen 
über die insecticiden Eigenschaften der Dämpfe von Chlor, Carbolsäure, 
schwefeliger Säure und Quecksilber ausgeführt, welche zu Gunsten der 
Carbolsäure ausfielen. Seitdem wird in Oesterreich-Ungarn *Ür die Des¬ 
infection der Schiffe die Carbolsäure angewendet und jede Bord-Apotheke 
führt den von Giacich angegebenen kleinen Spiritusofen, der von einer 
Eisenplatte bedeckt wird, auf welche man die Flüssigkeit giesst, welche 
verdampft werden soll. Wanklin Dougal und Perren fanden die 
Desinfection mit Carbolsäure als „zu gering“. Diesen gegenüber erinnert 
Giacich an den von Vallin mitgetheilten Fall, wo auf dem Schiffe 
„Plymouth“ 100 Kilo Schwefel verbrannt wurden; drei Monate später 
wurde das Schiff bemannt und acht Tage nach der Abreise brach das 


gelbe Fieber auf der hohen See aus, ohne dass ein verdächtiger Contact 
der Bemannung nachweisbar war. 5. Das mächtigste Mittel zur Zer¬ 
störung der Contagien und ihrer Träger ist die Siedhitze, und es wurden 


tragbare und fixe Herde construirt, in denen man die Temperatur auf 

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Medicinisch -chirurgische Rundschau. 


537 


110° C. steigern kann. Die ottomanische Instruction nimmt auf dieses 
allerseits anerkannte Mittel keine Rücksicht. 6. In Bezug auf die That- 
sache, dass die Luft als Vehikel der Contagien betrachtet werden muss, 
erinnert 6. daran, dass die Zurschaustellung, das Lüften u. 8. w. ver¬ 
dächtiger Provenienzen in der Nähe des Landes oder anderer Schiffe ver¬ 
boten werden müsste. Schliesslich verlangt die ottomanische Instruc¬ 
tion nur die Verbrennung der Kleider von Solchen, die an ansteckenden 
Krankheiten gestorben sind, während diese sich auch auf die Kleider von 
nicht tödtlich verlaufenden Fällen ausdehnen müsste. So kommt 0. aus 
der Prüfung der ottomanischen Instruction zur erneuerten Ueberzeugung 
von der Nothwendigkeit medicinischer Congresse mit gegenseitigen Ver¬ 
pflichtungen und internationalen Rechten, es müssen in Rücksicht auf die 
im geringsten Masse zur Anwendung kommende Contumazirung die sani¬ 
tären Massregeln und die Desinfection mit um so grösserer Energie durch¬ 
geführt werden — es wäre daher die Türkei im eigenen Interesse und in 
dem Europas zur Aenderung ihrer Normen zu veranlassen. 0. R. 


419. Ueber den Einfluss des Schulunterrichtes auf die Ent¬ 
stehung von Kurzsichtigkeit. Vortrag, gehalten im Vereine für öffentl. 
Gesundheitspflege in Rostock. Von Professor Dr. v. Zehen der. (Stuttgart, 
Verlag von Ferd. Enke. 1880.) 


In dem interessanten Vortrage betont Zehender, dass man schon 
seit Langem, wenigstens seit Mitte dieses Jahrhunderts, die Vermuthung 
hegte, dass die Entstehung der immer allgemeiner werdenden Kurzsichtig¬ 
keit vorzugsweise, wenn nicht ausschliesslich, ihren Grund im Schulunter¬ 
richt habe. Diese Vermuthung hat sich im Laufe der Zeit durch zahl¬ 
reiche Erfahrungen zur Gewissheit gesteigert. 

Er geht nun auf den Bau des Auges ein, vergleicht ihn einem 
photographischen Apparate und kommt dann auf den Accommodationsappa- 
rat zu sprechen. Er zeigt, wie beim Zusammenziehen des ringförmigen 
Muskels zum Zwecke der Accommodation nicht blos die Linse eine Form¬ 
veränderung erleidet, sondern dass dabei, als unangenehme Nebenwirkung, 
auch die Aderhaut gespannt wird und das ganze Innere des Auges unter 
etwas erhöhten Druck kommt, woher der Muskel auch den Namen tensor 
chorioideae hat. Dauert diese Anspannung länger und ist die weisse Leder¬ 
haut weich und nachgiebig, dann machen sich Kreislaufstörungen und in 
Folge dessen bald Ernährungsstörungen geltend. Dies ist es, was man 
auch bei Kurzsichtigen regelmässig findet: einzelne Stellen der Aderhaut 
dünner, blutleer, leichter zerreisslich und oft bis zur dünnen Membran 
geschwunden. In weiterer Folge wird auch die Lederhaut weicher und 
nachgiebiger und dehnt sich gegen die Tiefe des Auges zu aus, so dass 
selbes eine eiförmige Gestalt annimmt. Da gerade in der Jugendzeit diese 
Gebilde noch weicher und zarter sind, besonlers wenn eine erbliche Dis¬ 
position vorhanden ist, und da über dem 20. Lebensjahre hinaus Kurz¬ 
sichtigkeit fast nie mehr entsteht, so glaubt er sich zur Vermuthung voll¬ 
kommen berechtigt, dass in dem lange andauernden Nahesehen beim 
Schulunterricht die Hauptursache der Entstehung und Ausbildung der 
Kurzsichtigkeit zu suchen sei. Zur Beschleunigung des Uebels tragen 
dann noch häufig unzweckmässige Subsellien, ungenügende Beleuchtung 
u. dgl. bei. 

Die Untersuchung ganzer Schulen zeigt ferner, dass der Procentsatz 


Kurzsichtiger in den höheren Classen rasch zunimmt. 

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Medicinisch-cMrorgische Rundschau. 


Ein Vergleich der Kurzsichtigkeit in verschiedenen Ländern hat 
ergeben, dass gerade die deutsche Nation den grössten Procentsatz Kurz¬ 
sichtiger aufweist, während bei den Engländern, die in Literatur und 
Wissenschaft uns überlegen sind, die Kurzsichtigkeit weitaus seltener ist. 
Zehender meint, wenn wir auch die Bedingungen dieser Erscheinung 
noch nicht genügend kennen, so dürfen wir gerade im Hinblick auf Eng¬ 
land vermuthen, dass bei uns der frühe und sehr lange dauernde Schul¬ 
besuch, besonders aber die völlige Vernachlässigung der körperlichen Aus¬ 
bildung zu dieser Zeit Hauptmomente dafür abgeben. Während bei den 
Engländern das Criquet-Spielen, Rudern und andere Uebungen schon von 
Jugend auf öffentlich und mit Eifer cultivirt werden, hat bei uns die 
Schuljugend 4—6 Stunden Schulunterricht und dazu häusliche Aufgaben, 
die nahezu ebensoviel Zeit in Anspruch nehmen, so dass die Kinder 
8—12 Stunden fast ununterbrochen Augenarbeit in der Nähe haben. 

Einseitige Mittel zur Abhilfe seien leicht gedacht, aber wirklich an¬ 
wendbare schwer zu finden. 

Kinder müssen in die Schule gehen und müssen lernen; somit ist 
eine anhaltende Augenanstrengung nicht zu vermeiden. Lehrer und Aerzte 
mögen hier durch gemeinsame Verständigung und Vereinbarung dem ge¬ 
wünschten Ziele näher zu kommen trachten. Er stellt dann die Fragen, 
ob es unabänderlich nothwendig sei, soviel Zeit auf den Schulunterricht 
zu verwenden, und ob die Lernzeit nicht verkürzt werden könnte, ent¬ 
weder durch Verminderung der absoluten Stundenzahl, oder noch besser, 
durch Verlängerung der zwischenstündlichen Pausen? Ob es nicht möglich 
wäre, die Unterrichtszeit anstatt in Stunden in halb- oder viertelstündige 
Unterrichtszeiten umzuwandeln und die häuslichen Arbeiten möglichst zu 
beschränken ? Er setzt gleich bei, dass die alten Gewohnheiten und der 
Glaube an die VortrefFlichkeit unserer bisherigen Zeiteintheilungsweise nicht 
erwarten lassen, dass in dieser Richtung je etwas geschehe, und so müsse 
man trachten, dass die Jugend wenigstens die freie Zeit durch fleissige 
körperliche Uebungen: durch Schlittschuhlaufen, Schwimmen, Rudern, 
Turnen, Ballspielen u. 8. w. möglichst ausntttze. 

Die nachgewiesene Vererbung der Disposition zur Kurzsichtigkeit, 
d. h. einer weichen, zarten und nachgiebigen Umhüllungshaut des Auges 
lassen uns fürchten, dass wir in Deutschland einem Zustande allgemeiner 
pandemischer Augenschwäche und Kurzsichtigkeit entgegen gehen, und dies 
würde ausserordentliche Massregeln rechtfertigen. Dazu rechnet Zehender 
die Errichtung eigener Schulen für Schwachsichtige, in denen man den 
Unterricht mit möglichst geringer Anstrengung des Auges beizubringen 
hätte. Da aber auch dies noch lange auf sich warten lassen wird, so 
mögen Lehrer und Schulvorsteher die Augenschwachen von den normal- 
sichtigen Kindern unterscheiden und — soweit es der Unterricht ge¬ 
stattet — in schonender Weise behandeln. Waldner. 

420. Das Kohlenoxyd vom hygienischen Standpunkte. Von Prof. 
Fodor. Nach einem Vortrage, gehalten in der k. Gesellschaft der Aerzte. 
Budapest 1880. 10. J. (Pester med.-chir. Presse 1880. 3.) 

F. berichtet in seinem überaus instructiven Vortrage über Versuche, 
welche er gemacht hat, um den Einfluss des in kleinen Mengen einge- 
athmeten Kohlenoxyds zu erforschen und um eine Methode zu finden, mit 
deren Hilfe auch minimale Mengen dieses schädlichen Gases erkannt und 
genau bestimmt werden können. 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


539 


Die Giftigkeit des Kohlenoxyds ist schon lange bekannt. Bei den 
Versuchen von Leblanc verendete ein Hund in einem verschlossenen 
Kasten, in welchem Glnt brannte, als das Kohlenoxyd auf ein Volum von 
5*4°/oo gestiegen war. Aehnliches haben auch die neueren Experimentatoren 
erfahren. 

Neuestens haben es Vogel und Wolffhügel bezweifelt, dass 
das Kohlenoxyd für die Gesundheit auch nur im mindesten schädlich sein 
könnte, wenn es in der eingeathmeten Luft nicht mehr als 2*5°/oo beträgt. 
Sie stützen diese Ansicht einerseits darauf, dass mit Hilfe des Spectroskops 
(nach Vogel’s Verfahren) das Kohlenoxyd im Blute nicht nachgewiesen 
werden kann, wenn die Luft, mit welcher etwas flüssiges Blut aufge¬ 
schüttelt wurde, weniger als 2*5°/ 00 Kohlenoxyd enthält; andererseits 
darauf, dass der Tabakqualm, in welchem mehr Kohlenoxyd enthalten ist, 
als in der untersuchten, geheizten Luft, der Gesundheit durchaus nicht 
schädlich ist. 

Diesen Einwänden gegenüber bemerkt Vortr., dass wenn das Spectro- 
skop in dem angeführten Falle im Blute kein Kohlenoxyd nachweise, hier¬ 
aus durchaus nicht folgt, dass das Blut wirklich kein Kohlenoxyd enthalte, 
sondern nur dass das Spectroskop kein genügend empfindliches Reagens 
ist. Wo 1 ff hü ge Fs Hinweis auf den Tabakqualm sei auch unrichtig, da 
das Kohlenoxyd in einem Locale, selbst wenn stark geraucht wird, kaum 
höher steigt als auf O*O2°/ ( , 0 ! Wenn Jemand besonders stark raucht und 
den Qualm einathmet, wird das Kohlenoxyd in dieser eingeathmeten Luft 
höchstens l°/«0 betragen; ein solches Rauchen kann aber trotzdem in der 
That Kohlenoxyd-Vergiftungs-Erscheinungen (Ueblichkeiten, Kopfschmerz, 
Abgeschlagenheit) bervorrufen. 

Prof. F. hat mit Kaninchen zahlreiche Versuche angestellt und ist 
hierbei zu folgendem Resultate gelangt: 

Die Einathmung von 4°/ 00 Kohlenoxyd brachte in 4 Stunden 
Asphyxie hervor; bei 3-1 °/ tl0 trat die Asphyxie in 24 Stunden ein; wenn 
die Tbiere durch mehrere Tage oder Wochen circa 1 °/ 0 o Kohlenoxyd 
eingeatlimet haben und dann das Gas auf 2*3—1*5°/ 00 gebracht wurde, 
konnten die fulminantesten Vergiftungserscheinungen beobachtet werden; 
bei solchen, längere Zeit fortgesetzten Versuchen brachten noch geringere 
Mengen des Gases, O*5°/ 00 , die ersten Symptome der Intoxication hervor; 
die Thiere wurden schläfrig, wollten keine Nahrung nehmen, zerzausten 
ihr Fell u. 8. w. 

Ueber diese Grenzen hinaus sei demnach das Kohlenoxyd unbedingt 
schädlich, umsomehr, als die Erfahrung lehrt, dass der Mensch diesem 
Gas gegenüber noch empfindlicher ist, als das Thier. Vortr. ist überzeugt, 
dass das Kohlenoxyd, längere Zeit eingeathmet, auch unterhalb jener 
Grenzen schädlich sei, wenn auch die Hygiene diesen Schaden durch 
directe Versuche nicht nachweisen kann. Bei der Beurtheilung milde, aber 
längere Zeit einwirkender Schädlichkeiten pflegt die Hygiene von physio¬ 
logischen Grundlagen auszugehen; von diesem Standpunkte muss auch 
die Einwirkung minimaler Mengen von Kohlenoxyd beurtheilt werden. 
Die Einathmung dieses Gases verursacht einen langsamen Schaden, inso- 
lange es vom Blute aufgenommen wird und mit dem Hämoglobin der 
Blutkörperchen eine chemische Verbindung eingeht. 

Vortr. untersuchte nun, in welcher Verdünnung noch das Kohlenoxyd 
vom Blute in nachweisbarer Menge aufgenommen wird. 

Behufs Nachweis des Kohlenoxyds erwärmte Vortr. das Blut im 
Wasserbade, aspirirte Luft durch dasselbe und leitete die Luft mit ent- 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


sprechender Vorsicht in eine neutrale Palladiumchlorür-Lösung, in welcher 
auf diese Weise selbst eine geringere Menge Kohlenoxydgas als 0-1 Cctm. 
erkannt und nach der Methode des Vort. sogar quantitativ bestimmt 
werden kann. 

Wenn nun Vortr. das Blut von Kaninchen, welche durch 24 Stunden 
äusserst geringe Mengen Kohlenoxyd eingeathmet hatten, untersuchte, 
konnte er im Blute das Kohlenoxyd auch dann bestimmt auffinden, wenn 
das Gas in der eingeathmeten Luit nicht mehr als O a 04°/ 00 betrug. Es 
ist demnach ihr die Gesundheit die Einathmung einer Luit, welche auch 
nur l / 2 ß. 0 n 0 Theile Kohlenoxyd enthält, durchaus nicht gleichgiltig. Vortr. 
hält es daher für hygienisch wichtig, das Einströmen auch geringster 
Mengen von Kohlenoxyd in die Wohnungen nach Thunlicbkeit vollständig 
zu verhüten. 

Vortr. betont die Nothwendigkeit der Untersuchung, ob in unseren 
Wohnungen und öffentlichen Instituten durch die Heizvorrichtungen und 
Gasleitungen kein Kohlenoxyd ausströme. Es ist dieses Ausströmen nicht 
nur möglich, sondern gewiss sehr häufig. Den Beweis liefert die Erfahrung, 
dass bei Heizung mit schwefelhaltigen Kohlen im Zimmer sich oft ein 
Gestank verbreitet und zwar in Folge der Gase, welche sich aus dem 
Schwefel entwickeln und in die Zimmerluft ausströmen. 

Zum Schlüsse berichtet Vortr. über eine höchst empfindliche Unter¬ 
suchungsmethode zum Nachweise auch geringfügiger Verunreinigungen der 
Luft mit Kohlenoxyd. Vortr. bereitete zu diesem Behufe ein Reagenz- 
Papier mit Palladiumchlorür; dieses Papier wird, wenn es nass gemacht 
war, schwarz, wenn es einer Luft ausgesetzt ist, welche Kohlenoxyd und 
wenn auch nur O*O5°/ 00 oder selbst noch weniger enthält. Vortr. zeigte 
zwei grosse, 10 Liter haltige Gefässe, in welchen zur Luft Leuchtgas 
gemengt war, in einem Gefhsse 0*5 Cctm., im anderen 10 Cctm. An der 
Oberfläche des in den Gefässen befindlichen Reagenz-Papiers war eine 
glänzende schwarze Haut zu sehen. Vortr. demonstrirt mehrere solche 
mehr minder schwarz gewordene, getrocknete Papierstreifen. 

421. Zur Käsevergiftung. Von R. Holm. (Pharm. Zeitung 
1880. 17.) 

Wie die Wurstvergiftung mitunter ausserhalb ihres gewöhnlichen 
Rayons, Württemberg und der angrenzenden deutschen Staaten, vorkommt, 
so ist dies auch, und vielleicht noch häufiger, der Fall mit der ver¬ 
wandten Käsevergiftung, welche in den letzten Jahren in ihrem Haupt¬ 
sitze, dem nordwestlichen Deutschland, eine Menge kleiner und einzelne 
ziemlich ausgedehnte Epidemien von Cholera nostras erzeugte. Die grösste 
dieser Epidemien betraf wohl die im Frühjahr 1878 in Pyrmont vor¬ 
gekommene, oder richtiger gesagt, die beiden Epidemien, welche durch 
sogenannten Handkäse aus einer und derselben Bezugsquelle kurz hinter¬ 
einander, in Summa ca. 50 Personen umfassend, bedingt wurden. Während 
die Pyrmonter Erkrankten sämmtlich genasen, kamen im Mai 1879 Er¬ 
krankungen durch den Genuss von altem und sehr saurem Schmierkäse 
in der Gegend von Heiligenstadt vor , die den Tod mehrerer Kinder zur 
Folge hatten. Auch aus einzelnen Theilen Westfalens liegen Meldungen 
über Vergiftungsfklle vor. Dass diese Vergiftung auch ausserhalb Deutsch¬ 
lands Vorkommen kann, ist bekannt und namentlich sind einige Beob¬ 
achtungen aus England publicirt, welche unter den gewöhnlichen Er¬ 
scheinungen der Käsevergiftung verlaufend, auf amerikanischen Käse 
zurückgeführt werden. Mehr sichergestellt ist die Käse Vergiftung in 

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Mediciniech-chimrgiflche Rundschau. 


541 


Dänemark, wo neuerdings R. Holm eine durch Käse bei einem Manne 
und 4 Kindern bedingte Intoxication (Ugeskrift for Läger, ni. B. 27, 
p. 342) beschreibt, die ganz den Typus der im nordwestlichen Deutsch¬ 
land beobachteten analogen Erkrankungen zeigte, indem die Erseheinungen, 
Kopfschmerzen und Brechdurchfall, sich 3—4 Stunden nach dem Genüsse 
des Käses einstellten. Bei dieser Vergiftung, welche übrigens den Tod 
des jüngsten der erkrankten Kinder zur Folge hatte, wurde die Diagnose 
besonders dadurch sichergestellt, dass ein Familienglied nicht von dem 
betreffenden Käse genossen hatte und daher völlig gesund blieb. Nach 
den Erfahrungen von Holm scheint indess die Käsevergiftung in Däne¬ 
mark überhaupt nicht selten zu sein, indem Holm im Anschlüsse an den 
erwähnten Fall noch drei andere Vergiftungen, die mit grösster Wahrr 
scheinlichkeit auf giftigen Käse zurückgeführt werden müssen, mittheilt. 
Das die bei der Käsevergiftung hervortretenden Erscheinungen bedingende 
Gift, welches vermutlich mit den Cholera nostras erzeugenden Stoffen 
in faulen Seefischen, zersetzten Fleischconserven u. 8. w. identisch ist, 
wird vermuthlich lange ein Räthsel bleiben, da man die Wirkung der 
durch verschiedene Solvenzen aus giftigen Käsen gewonnenen Extracte an 
Hunden nicht zu prüfen im Stande ist, weil diese Thiere gegen giftigen 
Käse sich völlig unempfindlich erwiesen. Bacterien fehlen in letzterem • 
Pilzvegetationen, insbesondere Aspergillus, können reichlich an der Ober¬ 
fläche oder im Innern, wie in dem oben erwähnten alten Käse von 
Heiligenstadt, Vorkommen, in anderen giftigen Käsen, wie dem sehr 
frischen der Pyrmonter Vergiftung, fast gar nicht existiren oder gänzlich 
fehlen. 


422. Mord durch Kohlenoxydgas. Naohweis des Kohlenoxyds im 
eingetrockneten Blute. Von Prof. Josef F o d o r in Budapest. (Orvosi 
Hetilap. 1880. Nr. 14. Pester med.-chirurg. Presse. 1880. 23.) 


Drei Individuen, Mann, Frau und Schwiegermutter, wurden am, 
7. Dec. 1879 des Morgens in ihren Betten todt gefunden. Der Eisenofeu 
enthielt noch glühende Kohlen, die Eisenröhre war durch Fetzen verstopft, 
das Zimmer selbst klein, mit kleinen verklebten Fenstern. Man führte der^* 
Tod auf die Unwissenheit der Leute zurück, die wahrscheinlich vor dem 
Schlafengehen das Rohr verstopft hatten. Nachdem die Section des Mannes 
die Vergiftung durch Kohlenoxydgas sichergestellt hatte, wurden alle drei 
Leichen begraben. 

Lange nachher stellte es sich heraus, dass das Ofenrohr durch eine 
fremde Person — angeblich durch die Geliebte des erstickten Mannes — 
absichtlich verstopft worden war. So wurden denn die Leichen neuerdings 
ausgegraben und 2 Monate und 10 Tage nach der ersten Section wieder 
secirt. Von dem im Thorax der Leichen Vorgefundenen Blute wurden 
dem Verfasser Proben zugeschickt mit der Bemerkung, dass das Blut die 
Hoppe-Seyle r’sche Reaction gebe und so schon bei der Section als 
kohlenoxydhättig angenommen wurde. 

Verf. constatirte ebenfalls in dem flüssigen, purpurrothen und ziem¬ 
lich übelriechenden Blute das Vorhandensein von Kohlenoxyd (Ammonium- 
sulfid-Reaction). 

Nun ist es nichts Neues, dass das Kohlenoxyd im Blute auch noch 
nach langer Zeit nachweisbar sei. Friedberg, Eulenberg, Jäder- 
holm wiesen es nach Wochen und Monaten, Hoppe-Seyler sogar 
nach 10 Jahren im Blute nach, besonders wenn letzteres sorgfältig auf¬ 
bewahrt und verschlossen gehalten worden war. Neu ist es aber, dass 


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Medicitiisch-chirurgische Rundschau. 


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da» Kohlenoxyd nachweisbar, selbst wenn das Blut, wie hier, 70 Tage 
lang in der verfaulenden Leiche gewesen. Wohl muss man in Betracht 
nehmen, dass es Winter war und die Leichen also in gefrorenem Boden 
gelegen waren. 

Da Verf. sich erst jüngst mit dem quantitativen Nachweise des 
Kohlenoxyds eingehender beschäftigte, versuchte er im vorliegenden Falle 
das Kohlenoxyd nach seiner Methode zu bestimmen. Es wurden von jeder 
Blutprobe je 50 Kubikctm. mit Schwefelsäure angesäuert (um die grosse 
Menge Ammoniak des faulenden Blutes zu binden) und dann unter Er¬ 
wärmung der Flüssigkeit Luft durch dieselbe durchgezogen, die dann in 
Palladiumchlorürlösung eingeleitet wurde. Auf diese Weise gelang es dem 
Verf. in der That, die Menge des Kohlenoxyds zu bestimmen; dieselbe 
betrug in 100 Kubikcmt. Blut: beim Manne 4*04, bei der Frau 3*51, 
bei der Schwiegermutter 4 23. Es scheint also, dass die alte Frau am 
längsten, weniger der Mann und am wenigsten dessen Frau der Wirkung 
des giftigen Gases widerstehen konnten. 

Diese Folgerung ist natürlich nur eine hypothetische. Es müsste 
erst bewiesen werden, ob die Menge des nachgewiesenen Kohlenoxyds im 
Verhältnisse stehe, mit der grösseren oder geringeren Widerstandsfähigkeit 
des betreffenden Thieres oder Menschen. Versuche von Balogh und 
Gamgee scheinen das in der That zu beweisen; trat der Tod schneller 
ein, dann war der Kohlenoxydgehalt des Blutes ein geringerer. 

Der quantitative Nachweis des Verf.’s lässt daher in gegebenen 
Fällen darauf schliessen, ob der Todte das Opfer einer kürzer oder länger 
dauernden Vergiftung geworden, und wer von mehreren bei derselben Ge¬ 
legenheit Erstickten länger dem Gifte widerstanden habe, d. h. später 
gestorben sei. 

Noch wichtiger ist folgender Versuch des Verf.’s. Er liess 50 Kubik- 
centimeter des Blutes an der Luft durch Wochen eintrocknen. Das einge¬ 
trocknete Blut wurde sodann zusammengekratzt, mit Wasser aufgeweicht 
und neuerdings untersucht. Spectroskopisch konnte in der so erhaltenen, 
mit Schwefelammonium behandelten Flüssigkeit absolut kein Kohlenoxyd 
nachgewiesen werden. Mittelst des Palladiumchlorürs konnte aber nach 
8tattgehabter Erwärmung der Flüssigkeit dasselbe nicht nur qualitativ, 
sondern auch quantitativ nachgewiesen werden. Reines Blut gab, nachdem 
es ebenfalls durch Wochen eingetrocknet und dann auf dieselbe Weise 
behandelt worden war, die Palladiumchlorür-Reaction nicht. Daraus folgt: 
1. Dass ein Theil des Kohlenoxyds im getrockneten und an der Luft ge¬ 
standenen Blute zurttckgehalten werde. 2. Dass die Palladiumchlorür-Reac¬ 
tion das Kohlenoxyd im Blute auch dann noch nachweise, wenn das 
Spectroskop für den Nachweis nicht mehr genug empfindlich ist. 


423. Der Einfluss der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit auf 
das Auftreten von Croup, Diphtheritis und Blattern. Von Josef 
Körösi, Director des Statist. Bureaus in Budapest. (Orvosi Hetilap. 
1880. Nr. 25. Pester med.-chir. Presse. 1880. 27.) 

Obige Arbeit ist einer grösseren statistischen Studie entnommen, 
welche sich mit dem Einflüsse der meteorologischen Verhältnisse auf die 
Gesammtsterblichkeit befasst. K. wird in jener Studie die Sterblichkeit 
der Kinder, sowie die der Greise gesondert abhandeln, und sämmtliche 
Infectionskrankheiten, aber auch andere Krankheiten, von denen eine Ab¬ 
hängigkeit vom Klima angenommen werden kann, berücksichtigen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


543 


Id erster Reihe wurde die Sterblichkeit von Budapest aufgearbeitet, dann 
aber aueh die von 6 anderen Hauptstädten (Wien, Berlin, Brüssel, London, 
Rom und New-York). Als Zeiteinheit nahm K. die Woche an; seine Re¬ 
sultate in Bezug auf Croup, Diphtheritis und Blattern sind die folgenden: 

Croup und Diphtheritis zeigen eine entschiedene Abhängigkeit von 
der Temperatur; das Minimum der Todesfälle fällt auf die warmen, das 
Maximum auf die kalten Tage. (K. unterscheidet in Bezug auf Tempe¬ 
ratur: Frost, dann kalte Tage bei einer Temperatur von 2—i>°, ge¬ 
mässigte bei 5—14°, warme bei 14—18° und heisse bei über 18°.) In 
Bezug auf die Feuchtigkeit wurde beobachtet, dass das Maximum beider 
Krankheiten auf das feuchte, das Minimum auf das trockene Wetter ent¬ 
fällt. (K. unterscheidet sehr trockene Tage unter 50 Perc., trockene von 
50—60 Perc., mittelfeuchte von 60—80 Perc. und sehr feuchte von 
80—100 Perc.) Wenn bei constant bleibender Temperatur die Feuchtig¬ 
keit variirte, konnte kein bestimmtes Ergebniss gefunden werden, da die 
Sterblichkeit mit Zunahme der Feuchtigkeit bald zu-, bald abnahm. War 
aber die Feuchtigkeit eine constante und die Temperatur eine schwan¬ 
kende, zeigten sich wieder ganz positive Verhältnisse, und zwar die fol¬ 
genden: a) das Minimum der Sterblichkeit fiel auf die grosse Hitze; 
b) das Maximum wurde bei gemässigter Temperatur oder an kalten Tagen 
erreicht; c) bei grosser Kälte nahm die Sterblichkeit ab. 

In Bezug auf die Blattern ergaben sich für die verschiedenen Städte 
zum Theile divergirende Verhältnisse. In Budapest fiel das Maximum auf 
die Tage mit Frost, während die Zunahme der Temperatur eine Abnahme 
der Sterblichkeit herbeiführte; Aehnliches zeigte sich auch in Wien. Mit 
Berücksichtigung aller 7 Städte dagegen kam ein anderes Resultat zu 
Tage; das Maximum entfällt dann auf die gemässigte Temperatur. — 
Die Feuchtigkeit zeigte einen entschiedenen Einfluss auf die Blattern; die 
Sterblichkeit nahm mit Zunahme der Feuchtigkeit deutlich zu. Blieb die 
Temperatur constant, während die Feuchtigkeit variirte oder war die Tem¬ 
peratur eine schwankende bei constanter Feuchtigkeit — bei Berücksich¬ 
tigung dieser Verhältnisse gelangen wir in Budapest zu unbestimmten Re¬ 
sultaten ; bei Frost und gemässigter Temperatur scheint die Zunahme der 
Feuchtigkeit eine Zunahme der Krankheit zu erzeugen, bei anderen Tem¬ 
peratursverhältnissen ergab sich dies nicht. Mit Berücksichtigung aller 
Städte finden wir: bei gemässigter Temperatur erzeugt die Zunahme der 
Feuchtigkeit eine Zunahme der Blattern, doch blieben die Sterblichkeits¬ 
verhältnisse bei Umschlag der Wärme dieselben. Sowohl in Budapest, als 
auch in den übrigen Städten brachten Frost und gemässigte Temperatur 
eine Zunahme der Blatternfälle hervor, während an kalten und warmen 
Tagen bei jedem Feuchtigkeitsgrade eine Abnahme beobachtet wurde. 
Aus sämmtlichen Tabellen ist ersichtlich, dass das feuchte Wetter bei 
mittlerer gemässigter Temperatur für die Verbreitung der Blattern am 
günstigsten war. 


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544 


Mediciniich-chirargigche Bundech.n. 


Recensionen. 

424. Mämoires de Chirurgie par le Docteur 0. Nepveu, Chef 
du Laboratoire de la clinique chirurgicale de la Pitie. Avec 2 pl&nches. 
Paris. V. A. Delahaye & Cie. Libraires-Cditeurs. 1880. 722 S. 8. 

Der vorliegende Band enthält eine grosse Anzahl von Originalarbeiten und 
Journalartikeln, welche Verf. in den hervorragendsten Fachzeitschriften Frank' 
reiche innerhalb des letzten Decenninms veröffentlichte. Zorn erstenmale veröffent- 
licht erscheint die Arbeit über Pnstnla maligna S. 31—41. Die vom Verf. behau* 
delten Themata berühren znm grössten Theile die Tagesfragen der modernen 
Cbimrgie. Von S. 1—141 sind es die Bacterien, welche den Gegenstand der 
Studien bilden. Bei den häufigen Literaturangaben, welche der Verfasser bringt, 
ausserdem aber auch wegen der klaren und gedrungenen Darstellungsweise werden 
diese Capitel von allen Jenen mit grossem Nutzen gelesen werden, welche sich 
über den gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse über die Bacterien rasch und 
doch gründlich orientiren wollen. S. 139-163 sind der Erkenntniss und der Be¬ 
handlung der melanotischen Tumoren gewidmet. Ferner wollen wir hervorheben 
die Artikel: Ueber Lymphangiome; über Hautgeschwüre bei der paralytischen 
Atrophie im Kindesalter ; über Osteoclastie und Osteotomie vom orthopädischen 
Standpunkt; Über traumatische Anurie und Oligurie; Über Oligurie und Polyurie 
als Refiexwirkung der Reizung des Hodens; über verschiedene Neubildungen des 
Hodens u. s. w. Sämmtliche Abhandlungen zeugen ebenso von dem wissenschaft¬ 
lichen Ernst als von der scharfen Beobachtungsgabe des den deutschen Fach¬ 
männern wohlbekannten Autors, A.-% 

425. ÖttS neue akademische Krankenhaus in Heidelberg. Im 

Aufträge der akademische^ Krankenhaus - Commission beschrieben von 
Dr. F. Kn au ff, Bezirksarzt und Professor in Heidelberg. Atlas in Gross¬ 
folio, enthaltend eine Photographie und XXVIH Tafeln, nebst einem Com- 
mentar. (66 Seiten in 4.) München 1879. Fr. Bassermann. 

Es ist allgemein bekannt, dass die Regietun# dfcs kleinen Landes Baden 
für Lehrzwecke verhältnissmässig die grössten bringt, sich aber auch dafür, 

nebst Sachsen, des Ruhmes erfreut, den bisher höchsten Bildungsgrad des Volkes 
erreicht an haben. Was von den Volksschulen, gilt auch von den Hochschulen. 
Die zwei Landesuniversitäten, Freibufcfc und die allbekannte Ruperta-Carolina 
zählen seit Beginn dieses Säculums ZU den Zierden der deutschen Hochschulen^ 
Die Regierung scheut keine Mühen Und Auslagen, den Ruf ihrer zwei Akademien 
zu erhalten und zu vermehren. Diesem Umstande ist es suzuschreiben, dass daa 
bisherige, als unzweckmässig anerkannte Krankenhaus in Heidelberg auf gelassen 
wurde und zum Bau eineB neuen, allen Anforderungen der Hygiene und Technik 
entsprechenden Institutes geschritten wurde. Der deutsch-französische Krieg ver¬ 
zögerte aber die Eröffnung der neuen Anstalt, so dass letztere erst 6 Jahre nach 
dem ersten Spatenstiche ihrer Bestimmung übergeben werden konnte. Die Com' 
misaioo, welche Kfit dem Entwürfe der Pläne und der Ausführung desselben be¬ 
traut war, hielt sich nach Erfüllung ihrer Aufgabe für verpflichtet, öffentlich 
Rechenschafft zu geben über das Geleistete, und beauftragte hiezu ihr Mitglied 
Dr. Fr. Knauff, Bezirksarzt und Professor der Hygiene an der Universität 

Heidelberg. , . _ 

Dr. Knauff legt uns einen Atlas in Grossfolio von 28 Tafeln, beinahe 
ausschliesslich Pläne, sowie eine grosse photographische Aufnahme der ganzen 
Krankenanstalt und einen Commentar vor, der eine eingehende Beschreibung des 
grossen Gebändecomplexes und eine ausführliche Besprechung der leitenden Ideen 
enthält, welche bei dem Entwürfe und der Ausführung der Pläne massgebend und 

entscheidend waren. . ,. 

Streng genommen hätte zur Beurtheilung und Würdigung derselben eine blosse. 
Wiedergabe der Pläne genügt, da man durch ein Studium der letzteren Alles zu 
entnehmen vermag, was intendirt und ausgeführt wurde, doch trägt der beiliegende 
Commentar gewiss wesentlich dazu bei, ein genaues Bild zu gewinnen, wie ein. 
Musterkrankenhaus zu bauen und einzurichten sei. 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


545 


Das nicht ganz 400 Betten enthaltende Krankeninstitut ist für interne, 
chirurgische, oculistische, sowie für syphilitische und dermatologische Kranke be¬ 
stimmt. Es besteht die Verwaltungsgebäude, die Küche, das Waschhaus, die 
pathologische Anatomie u. dgl. m. miteingerechnet — aus einem Complexe von 
nahezu 20 Gebäuden. Zum Theile sind diese als Baracken und Häuser isolirt, 
zum Theile miteinander durch ebenerdige, offene, blos gedeckte Gänge verbunden. 
Dabei wiegt für die chirurgische Klinik die Baracke, für die medicinische der 
Pavillon und für die Augenkrankenklinik der Corridorhau in erster Linie vor. 
Da9 pathologisch-anatomische Institut iit vollständig isolirt. Bei der Stellung der 
G-bäudeobj cte wurde die west östliche Richtung eingehalten und auf eine ge¬ 
hörige Entfernung der Baulichkeiten von einander, strengstens gesehen. Die Ven¬ 
tilation ist die B ö h m’sche, die Heizung keine durch Dampf hergestellte, sondern 
theils durch Mantelöfen, theils durch Caloriferen besorgte. Die Abfahr der 
Fäc&lien findet durch Canalisation statt, wobei für die Aborte das Süvern’sche 
System, nach dem Modelle des Leipziger Barackenspitales adoptirt wurde. Der 
Hauptstrang des Canales passirt, bevor er den Neckar erreicht, das Desinfections- 
haus. Wohl werden die Fäcalien durch die Stt v er n’sche Desinfectionsmasse des- 
odorirt, aber trotzdem missfällt uns ganz entschieden die Einrichtung, der zu¬ 
folge man das Bad in jedem einzelnen Gebäude erst nach Passirung des Abortes 
erreichen kann. Eine derartige Einrichtung, dass sich das so wichtige Bad in in¬ 
nigster und ausschlies.'licher Nachbarschaft mit dem Aborte befindet, haben wir 
noch nirgends gesehen oder erwähnt gefunden. Ebenso können wir uns nicht da¬ 
mit einverstanden erklären, dass ein separirtes, weiter abstehendes, isolirtes Epi- 
demiegebände fehlt. Als solches hat wahrscheinlich, je nach den Verhältnissen, 
eine der Baracken zu dienen. Als einen weiteren Fehler bezeichnen wir den Um¬ 
stand, dass auf gynäkologische Kranke keine Rücksicht genommen wurde, da 
diese doch in die Krankenanstalt und nicht in ein Gebärhaus gehören. Ebenso 
vermissen wir ein pathologisch-chemisches Institut, welches nach unseren heutigen 
Anschauungen einen wesentlichen Bestandteil eines akademischen Krankenhauses 
bildet. Auf Tafel VI finden wir wohl im Verwaltungsgebäude ein Zimmer, bestimmt 
als chemischer Arbeitsraum und ebenso auf Tafel XXVI zwei kleine Zimmer zu 
gleichen Zwecken, doch stellen diese kein chemisches Laboratorium dar. Für 
dasselbe hätte ein eigenes Gebäude bestimmt sein sollen oder wäre e9 am zweck- 
mässigsten, im pathologisch-anatomischen Institute zu unterbringen gewesen. Aller¬ 
dings hätte dann letzteres grösser und anders angelegt werden müssen. 

Der Werth solcher Publicationen, wie der vorliegenden, liegt, abgesehen 
von dem Interesse, welches sie unmittelbar erregen, namentlich in dem Umstande, 
dass sie beim Bau anderer akademischer und medicinischer Institute als ein werth¬ 
volles Materiale zur Benützung dienen, wie dies z. B. eben in Innsbruck der Fall 
ist, wo die Heidelberger Pläne den Ausschlag zum Entwürfe des Places des Baues 
ein es neuen akademischen Krankenhauses gaben. 

Hygieniker und Behörden, welche den Entwurf und Ban akademischer 
Krankenanstalten zu besorgen haben, werden Knauffs Publication zu würdigen 
und zu verwerthen wissen. Kleiuwächter, Innsbruck. 

426. Grundriss der Percussion und Auscultation nebst einem 
Index sämmtlicher in- und ausländischen Kunstausdrucke. Von 
Dr. Paul Niemeyer. HI. verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 
34 Zeichnungen in Holzschnitt. Stuttgart 1880. Ferd. Enke. 8. XV. und 
123 Seiten. 

In diesem ausgezeichneten, praktischen Grundrisse, dessen frühere Auf¬ 
lagen bereits allenthalben wohlverdiente, ungeteilteste Anerkennung fanden, wird 
die Lehre von der Percussion und Auscultation in kurzer, prägnanter Darstellung 
und in vortrefflicher Anordnung vorgetragen und gelegentlich durch vermehrte, 
teilweise schematische Zeichnungen dem Verständnisse näher gerückt. 

Eine wesentliche Neuerung ist die Erklärung und Neubenennung des vesi- 
culären Athmens (parenchymales Athmen), sowie die Deutung des bisher 
auf Relaxation bezogenen Percussionsschalles. Das Lungenparenchym (p. 37) wird 
in grösserer oder geringerer Ausdehnung tympanitisch dadurch, dass das in seinem 
Inhalte durch pathologische Füllung oder in seiner Spannung durch Ausdehnung 
oder Compression veränderte Alveolen ge webe nicht mehr die Regelmässigkeit ^ der 
Schwingungen stört, also auf den Percussionsschall nicht mehr dämpfend einwirkt.. 

Gleichwie in den früheren Auflagen sind auch in dieser dritten alle anderen 
Disciplinen, welche sonst immer mit der Plessimetrie und Stethoskopie verschmolzen 
abgehandelt wurden, als Adspection, Palpation, Mensuration et6T^|^^|hieden, 

Med.-chir. Rundschau. 1880 . 35 



546 


Med icinisch-chirurgische Bandschau. 


und dem Buche ein alphabetisches Verzeichniss nebst encyklopädischem Commentar 
von allen in- und ausländischen Magistralformeln angefögt. Ohne in das Einzeln# 
des reichen Inhaltes dieses nur 123 Seiten habenden Baches einzugehen, sei 
schliesslich die Bemerkung gemacht, dass dasselbe nicht nur dem Studirenden, 
sondern auch dem avancirten Arzte und Lehrer auf das Wärmste zu empfehlen ist 

—a— 


427. Die klimatischen Wintercnrorte Centraleuropas und Italiens. 
Ein praktischer Leitfaden bei Verordnung und beim Gebrauch klimatischer 
Wintercnrorte. Von Dr. med. Hermann Peters in Bad Elster (Sachsen). 
Leipzig. 0. Wigand. 1880. 189 S. Mit einer Karte, gr. 8. Preis 3 Mark. 

Der Titel dieses Baches bezeichnet eigentlich nicht den Inhalt desselben, 
denn wir finden hier Curorte aufgefübrt, welche wahrlich Niemand zu den Winter* 
cnrorten rechnet. Verf. hat die klimatischen Herbst-, Winter- und Früh¬ 
jahrs curorte geschildert und in einer eventuellen späteren Auflage würde auch 
der Titel nach dieser Richtung abgeändert werden müssen. Die Schilderung der 
Carorte Aachen, Arcireale, Arco, Baden-Baden, Badenweiler, Beatenberg, Bes, 
Bordighera, Cannes, Catania, Clärens, Davos, Falkenstein, Gersau, Gleichenberg, 
Görbersdorf, Görz, Gries, Interlaken, Ischl, la Spezia, Lugano, Mentone, Meran 
(Ober- and Untermais), Montreux. Nervi, Nizza, Palermo, Pallanza, Pegli, Pisa, 
Reiboldsgrfin, Reichenhall, San Remo, Soden, Streitberg, Venedig, Vernes, Vevey, 
Wiesbaden ist recht übersichtlich und, wie es scheint, getreu. Dem Arzt wird 
durch das Werkchen ein sehr willkommenes Nachschlagebuch geboten, das gewis* 
mit Recht die beabsichtigte Verbreitung nnd guten Absatz finden wird. 

Der Beschreibung der Curorte vorausgeschickt wird eine kurze Abbandlang 
über die Wahl des klimatischen Cnrortes und über Reisevorschläge. Ganz merk¬ 
würdig erscheint, dass Verfasser bei Wahl eines klimatischen Wintercurortea in 
dem Monate Februar nur Gries, in den Monaten Februar und März Gries und 
Arco passend zum Aufenthalte findet, dagegen Meran für diese Mouate streicht 
Wir wollen darüber nicht weiter dispntiren. Ernstlich aber wird wohl kaum Je¬ 
mand einen grossen Unterschied zwischen Arco, Gries nnd Meran machen wollen. 
Die wahrhaftig getingen Temperatnrverschiedenheiten dieser Orte können gewiss 
Niemanden bestimmen, den einen oder anderen derselben vorzuziehen, wenn es 
sich nm die Wahl eines passenden Winteraufenthaltes bei Lungenkranken in dieseq 
Monaten handelt. Der Februar ist in Arco, Gries nnd Meran meist frülyahrlich 
warm, der März im Durchschnitt wieder kalt nnd windig. In den letzten 2 Jahre# 
war der März jedoch ganz wunderbar schön und ruhig. Arco, Gries und Merz# 
sind allein unter einander verschieden durch den Grad der Vollendung ihrer Ein? 
richtungen, Anlagen und Fürsorge für die Bedürfnisse der Cargäste. Dass Meran 
(Ober- und Untermais) hier aber den ersten Rang einnimmt, muss selbst der za- 
gestehen, welcher aus irgend einem Grunde gegen Meran feindselig gestimmt ist. 
Ueberdies lesen wir unter den vielen Aerzten Merans Namen (z. B. Knauthe) die 
auch in der wissenschaftlichen Welt Achtnng geniessen. 

Der Januar ist nach Peters kein Monat, in welchem man Kranke nach den 
3 Orten schicken kann, und hierin nimmt er eine^ rein subjectiven Standpunkt 
ein. Was aber wird man in Montreux sagen, das# nur im September, October* 
März, April und Mai dorthin Kranke zu schicken sind? Redaction. 


428, Das Mikroskop und seine Anwendung. Ein Leitfaden der 
allgemeinen mikroskopischen Technik für Aerzte nnd Stndirende. Vo# 
Dr. Ludwig v. Thanhoffer, Prof, in Budapest. Stuttgart, bei F. Enke. 
1880. 8. 236 und XVI pag. und 82 Fig. in Holzschnitt. 


Das vorliegende Werk hat in erster Linie das Bedürfniss der Studirenden 
nnd Aerzte im Ange nnd empfiehlt sich in der That denselben, unbeschadet des 
reichen Inhaltes 'durch sein bescheidenes Volomen. Der Verf. bat nicht den Weg 
eingeschlagen, den Frey nnd Andere gegangen sind, er hält sich in seinem ganzen 
Werke blos an die Beschreibung der Hilfsmittel nnd Methoden, die beim Mikro* 
skopiren angewendet werden, nnd schaltet alles, was sich auf die Anwendung der¬ 
selben bei bestimmten Objecten bezieht, an den betreffenden Stellen ein, während 
andere zuerst einen kurzen beschreibenden Abriss der gesammten Technik geben 
und dann einen zweiten speciellen Theil folgen lassen, der eigentlich eine kon- 
gefasste Histologie mit besonderer Rücksicht auf die bei der Untersuchung be¬ 
stimmter Gewebe nnd Organe anzowendenden Methoden enthält. Es Hesse sich 
nun allerdings Vieles zu Gunsten des zuletzt genannten Mo !us anfübren and 

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Mediciuisch-chirurgische Rundschau. 


547 


wird der Studirende namentlich während des Arb eite ns sich gerne eines der¬ 
artigen Leitfadens bedienen, bei dem er nur Gefahr läuft, ihn bereits für ein 
Lehrbuch der Histologie selbst und alle anderen histologischen Lehrbücher daher 
für überflüssig auxusehen. Zn Gunsten des in unserem Werke eingeschlagenen 
Weges lässt sich übrigens noch die Vermeidung häofiger Wiederholungen anführen. 
Als eine das rasche Aufsnchen erleichternde Beigabe des Buches müssen wir 
ferner noch einer alphabetischen Tabelle erwähnen, die in ihrer ersten Rubrik den 
Namen des betreffenden Reagens nebst der anzuwendenden Stärke die Lösungen 
und den Namen des ersten Empfeblers derselben enthält, eine zweite gibt den des 
späteren Empfehlen, eine dritte die darin zu unteisuchenden Gewebe und eine 
vierte Anmerkungen über besondere Vorsichtsmassregeln, Kunstgriffe und Me¬ 
thoden bei der Anfertigung der Präparate. 

Was nun die Eintheilung des Werkes anlangt, so wollen wir zunächst, um 
dem Leser rasch einen Einblick in dieselbe zn gewähren, eine Uebersicht des In- 
haltes der einzelnen Capitel geben: Cap. I. Theorie des Mikroskopes, mechanische 
Coustruotion des zusammengesetzten Mikroskopes. Cap. II. Nebenapparat.e des 
Mikroskopes. Cap. III. Das stereoskopische, multocnlare und Polarisationsmikroskop. 
Das Mikroakopcetroskop. Demonstrationsmikroskop. Cap. IV. Prüfung und Instand¬ 
haltung des Mikroskopes. Cap. V. Anwendung des Mikroskopes. Cap. VI. Mikro-> 
«topische Hilfsapparate. Feuchte Kammer, Gaskammer. Gaswechaler.. Elektrische 
Rejzappsrate. Comprepsoren. Cap. VII. Zur Herstellung mikroskopischer Präpa¬ 
rate t nothwwlige Instrumente und Handgriffe. Einbettungsmethoden. Schleifen, 
Anspinaelang. Cap. VIII. Die beim Mikroskopiren verkommenden Chemikalien tind 
deren Anwendung. Cap. IX. Trocknung!- und Gefriermethode; Tinction. Metall* 
Imprägnation. Verdauungsmethode. Cap. X. Untersuchung des Blutkreislaufes; 
Die mikroskopischen Aquarien. Die Zählmethode. Das Zählen der Blutkörperchen 4 
£ap. XI. Anfertigung nnd Aufbewahrung mikroskopischer Präparate und dies* 
bezügliche Weisungen. Cap. XII. lujectionsmethoden. — Anhang; Alphabetische 
Zusammenstellung der bei mikroskopischen Untersuchungen noth Wendigen Re-, 
agentien, Tinctions* und Imprägnationsmittel, Verschluss- und Einbettuugsmassen. — 
^m stiefmütterlichsten hat Verf. den optischen Theildes Werkes behandelt, ein 
Fehler, den ihm bei dem bescheidenen Volumen und Preise des Buches gewis^ 
niemand schwer zur Last legen wird, umsomehr als das Gegebene bei einiger Vor- 
kenntuiss in der Optik zum Verstäudniss genügt, während- beim Mangel der letz¬ 
teren auch ein Plus ohne Nutzen bliebe. Dagegen kann die Reichhaltigkeit de* 
Buches in Bezug auf Beschreibung aller möglichen Formen des Mikroskopes und 
der beim Mikroskopiren in Anwendung kommenden Nebenapparate, sowie der 
vielen beim Anfertigen von Präparaten erforderlichen Mänipolationen und* der 
Anwendungsweisen der mannigfachen, besonders erst in neuerer ufcd neuester Zeit 
gebräuchlichen Reagentien nicht rühmlich genug erwähnt werden. 

Oe 11 ach er. 

429. Diagnostik der Innern Krankheiten mit besonderer Berückt 
siehtignng der mikroskopischen nnd chemischen Analyse, der Se- nnd 
Excrete. Bearbeitet für Kliniker und Aerzte von Dr. med. H. Frtihau f ? 
vorm. Assistenten der med. Klinik zu Strassburg i. E. Mit 24 mikro¬ 
skopischen lithographirten Abbildungen und 2 Holzschnitten. Berlin 1880. 
Denickes Verlag. Georg Reinke. XXIV. n. 296 Seiten. 

Es ist für den Studirenden, der den Besuch der Klinik beginnt, unstreitig 
von grossem Nutzen, den nöthigsten Vorbegriff von den Untersuchungsmethoden,, 
den wichtigsten pathognomischen Krankheitssymptomen und den Grundzügen 
der Diagnose mitzubringen; auch dem Lehrer wird die Aufgabe sehr erleichtert 
wenn er seine Hörer bereits im Besitze der nothwendigen elementaren Vorkeimt t 
hisse weiss. Von diesem Standpunkte aus betrachtet ist das Streben, dem Be¬ 
sucher der Klinik einen Leitfaden in die Hand zn geben, der ikh mit diesen 
Grundzügen bekannt macht, anerkennenswert. Ein solcher Leitfaden ist das 
vorliegende Buch, in welchem in kurzer, klarer Darstellung die Methode der 
Kranken - Untersuchung, die mikroskopische und chemische Analyse der Se- und 
Excrete und die vorzüglichsten Symptome vorgeftihrt werden. Das Ganze ist 
höchst übersichtlich angeordnet und dem Buche ein ausführli«hcs Sachregister 
beigegeben. Das Werkeben, Überhaupt dem Tironen zuin Studium anznrathen, 
empfiehlt sich auch als Nachschlägebuch für praktische Aerzte, die mit den Dia- 
gno>en der Neuzeit noch nicht ganz vertraut sind. Seine handliche Form, der 
deutliche Druck, sowie die correct ausgeführten mikroskopischen Tafeln werden 
diese Mühe erleichtern. —y- 

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548 


Medicinisch-cbirorgisehe Rundschau. 


430. Jahresberichte über die Fortscbritte der Pharmacognosie, Phar- 
macie und Toxicologie. Von Prof. Dr. 6. Drag endo rff in Dorpat. 
Neue Folge des mit Ende 1865 abgeschlossenen Caustatt’schen pharmac. 
Jahresberichtes. 13. Jahrgang. 1878. (Der ganzen Reihe achtundreissigster 
Jahrgang.) Göttingen. Yandenhöck und Ruprecht’s Verlag. 1879. 

Der vorliegende Jahresbericht im Umfange von 659 Seiten enthält das dem 
Titel desselben entsprechende Materiale sorgfältig gesichtet und geordnet. E« geht 
nicht gut an, an einem Jahresberichte dessen Grenzgebiete in die Chemie, Physio¬ 
logie und die Botanik hinübergreifen und dessen Grundlage eine nach Inhalt und 
Ausdehnung täglich sich steigernde Literatur bildet, Detailkritik zu üben, um 
so weniger, als wir durch eigene Erfahrung die rastlose Mühe und Aufmerksamkeit 
zu schätzen wissen, welche das Sammeln des vorliegenden Materiales erfordert. 
Zahlreiche Stichproben, die wir anstellten, um die betreffenden Abhandlungen zu 
finden, zeigten uns, dass das Materiale bewältigt wurde, auch konnten wir uns über¬ 
zeugen, dass die Excerpte in den meisten Fällen den Inhalt der Arbeiten klar 
und präcis wiedergeben. Der reiche Inhalt des vorliegenden Bandes giebt einen 
erfreulichen Beweis der regen wissenschaftlichen Thätigkeit, welche auf dem 
Gebiete der obengenannten Fächer sich geltend macht Bei Fetten und Kohlen¬ 
hydraten, ebenso bei Alkoholen ist auch jener Arbeiten gedacht, welche auf die 
Entdeckung der Nahrungsmittelfälschnng Bezug nehmen. So nehmen allein die 
Weine 10 Seiten deB Jahresberichtes ein. Auch die Toxicologie und gerichtliche 
Chemie sind vollkommen berücksichtigt. Wenn auch die Jahresberichte in erster 
Linie für die Zwecke und Aufgaben der Laboratorien und wissenschaftlicher In¬ 
stitute berechnet sind, sind andererseits die Fortschritte der Pharmacognosie, 
Pharmacie und Toxicologie für den praktischen Arzt von solcher Bedeutung, dass 
wir den vorliegenden Jahresbericht, dessen Ausstattung eine sehr gefällige ist, 
auch den praktischen Aerzten empfehlen dürfen. —sch. 

431. Taubstummheit und Taubstummenbilduugnach den vorhandenen 
Quellen, sowie nach eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Von Dr. 
Arthur Hartmann, Oberarzt in Berlin. Mit 19 Tabellen. Stuttgart. 
Verlag von Ferdinand Enke. 1880. gr. 8°. 210 S. 

Die Literatur des Taubstummenwesens ist selbst in Deutschland eine äusserst 
spärliche und hat in dem vorliegenden Werke seit langer Zeit die Taubstumm¬ 
heit, vielleicht das fürchterlichste Gebrechen, das den Menschen erreichen kann, 
wieder einmal eine ausführliche Behandlung erfahren. An den Praktiker tritt hie 
und da die Aufgabe heran, den Angehörigen von Taubstummen mit Rath und 
That an die Hand zn gehen. Verf. des vorliegenden Werkes, der schon seit 
mehreren Jahren dem Taubstummen wesen Beine Thätigkeit widmet, behandelt den 
Gegenstand in 19 Capiteln, deren lJeberschriften dem Leser ein Bild der abgehan¬ 
delten Fragen liefern sollen. 1. Ueber Taubstummheit im Allgemeinen. 2. Besondere 
Eigenschaften der Taubstummen. 3. Die Erkenntniss der Taubstummheit, ihr Ver¬ 
hältnis zum Idiotismus und zur Aphasie. 4. Die Taubstummenstatistik. 5. Die 
Ergebnisse der allgemeinen Taubstummenstatistik. 6. Die Ergebnisse der speciellen 
Statistik bezüglich der angeborenen Taubheit. 7. Die Ergebnisse der speciellen 
Statistik bezüglich der erworbenen Taubstummheit. 8. Das Hörvermögen der 
Taubstummen. 9. Die der Taubstummheit zu Grunde liegenden anatomischen Ver¬ 
änderungen. 10. Die Heilbarkeit der Taubstummheit. 11. Die natürliche und künst¬ 
liche Geberdeusprache. 12. Die Erziehung des Taubstummen im Elternbause und 
in der Schule. 13. Die Geschichte des Taubstummenunterrichtes. 14. Der Taub¬ 
stummenunterricht. 15. Was wird erreicht? 16. Die Taubstummen nach ihrem 
Austritt aus der Schule. 17. Der gegenwärtige Stand des Taubstummenbildungs¬ 
wesens. 18. Die Rechtsverhältnisse der Taubstummen. 19. Taubstummheit und 
Blindheit. Druck und Ausstattung dieses Werkes müssen als musterhaft bezeichnet 
werden. 


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MedicimBch-chirnrgische Rundschau. 


549 


Kleine Mittheilungen. 


432. Ein Fall von Artresia hymenalis. Von Rei mann in Kiew. 
(Gyn. Centralbl. Nr. 8. 1880, Originalaufsatz.) 

K. wurde zu einer Frau gerufen, welche angeblich seit 3 Tagen in Geburts- 
wehen lag. Er fand den Umfang des Unterleibes entsprechend der Schwanger¬ 
schaft im 8. Monate und den Fundus uteri oberhalb des Nabels. Fruchttheile 
waren keine zu fühlen. Bei Vornahme der inneren Untersuchung stiess er auf ein 
vollkommen verschlossenes, festes Hymen, welches sich halbkugelförmig vorwölbte 
und an keiner Stelle eine Narbe zeigte. Er machte mit der Scheere ein Loch in 
das Hymen, durch welches sich das dunkle Blut durchdrängte. Brei Tage später 
fand er das Loch verklebt und machte nun einen Kreuzschnitt in die Membran, 
worauf er die Lappen ab trug. Die Kranke genas. Die Frau hatte früher nie 
menstruirt. Kleinwächter, Innsbruck. 

433. Neue Behaudlungsweise der Placenta praevia. Von Smith, 
Philadelphia. (Amer. Journ. of Obstr. 1879. IV.) 

Derselbe empfiehlt zur Blutstillung einen constanten, warmen Wasserstrom 
von 115° F. (36*5° R.). Er zieht den wannen Wasserstrom der Tamponade der 
Vagina unbedingt vor, Kleinwächter, Innsbruck. - 

434. Ueber die Bereitung der Vaginalkugeln. (Pharm. Ztg, 1880.) 

Die Herstellung dieser in neuerer Zeit von den Aerzten häufig verordneten 
Arzneiform geschieht aus einer Masse, die beim Erwärmen sich verflüssigt und 
gut in die betreffenden Formen giessen lässt, nach dem Erkalten zu einer ziem¬ 
lich festen Masse erstarrt. Eine diesen Anforderungen entsprechende Masse erhält 
man aus Gelatine, Wasser und Glycerin; soll sie durch längere Zeit ihre Durch¬ 
sichtigkeit bewahren, so muss das Wasser durch Verdampfen entfernt werden. 
Das Verhältniss zwischen Gelatine und Glycerin ist meistens wie 1 : 6, doch er¬ 
fordert dasselbe, je nach der Jahreszeit, der Concentration des Glycerins, sowie 
den hinzu kommen den Salzen kleine Abänderungen. Dieser Masse lassen sich fast 
alle zur Verwendung kommenden Salze, wie Jodkalium, Zinksulfat, Kupfersulfat etc. 
einverleiben, ohne Zersetzung zu erleiden; nur Tannin, dessen Anwendung 
häufig erwünscht ist, bildet mit der Gelatine eine unlösliche Verbindung und 
kommt nicht zur Wirkung. Man ist daher bemüht gewesen, die Gelatine durch 
andere Substanzen zu ersetzen, indessen mit nicht besonderem Erfolge. Einen vor¬ 
trefflichen Ersatz für Gelatine bietet Agar-Agar dar. Es ist. dies eine in Japan 
aus verschiedenen Algen, namentlich Fucus Amansii, präparirte Gelatine, die im 
Handel in einer der Seele des Gänsekiels ähnlichen Form vorkommt, stickstofffrei 
iBt und an Stelle der thierischen Gelatine oder Hausenblase zu Gallerten, Speisen etc. 
verwendet wird. Sein Quellungsvermögen ist ein ganz bedeutendes, 1 Theil 
Agar-Agar und 60—70 Th. Wasser geben nach dem Erkalten eine ziemlich feste 
Gallerte. Nach den Untersuchungen von Prof. Reichhardt in Jena besteht 
Agar-Agar aus Pararabin, einem Kohlenhydrat, das auch als Nahrungsmittel von 
Werth ist. Es löst sich in Wasser beim Kochen auf, gibt nach längerer Digestion 
mit Alkali die Afabinsäure, die durch Einwirkung von verdünnter Schwefelsäure 
In leicht krystallisirbare Zucker-Arabinose übergeht. Zur Bereitung von Vaginal¬ 
kugeln mit Tannin kann man eine aus Agar-Agar und Wasser (1 : 30) bereitete 
Gallerte verwenden, dieselbe erscheint aber nicht durchsichtig, sondern milchig; 
trübe» Will man sie klar haben, so muss Glycerin hinzukommen, 1 Th. Agar- 
Agar, 10 Th. Glycerin und 20 Th. Wasser. Zweckmässig lässt man Agar-Agaf 
über Nacht im Wasser aufquellen, von welchem gegen 60 Tb. aufgenommen 
werden, erhitzt bis zur Lösung und fügt dann Glycerin hinzu. Mit Glycerin allein 
gibt Agar-Agar keine Gallerte, sondern eine auch in der Wärme zähe, durchsich¬ 
tige Masäe. 

435. Seltene Verirrung eines Spulwurms. Von Dr. Haffner. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1880. 24.) 

Im Juli v. J. wurde ein einjähriges Kind zu V. gebracht, das nach Aus¬ 
sage der Mutter mit Keuchhusten behaftet sei ^ und dem aus dem linken Auge 
ein sehniges Gebilde heraushinge; namentlich des letzteren Umstandes wegen 


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550 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


wurde ärztlicher Rath erfordert. Die Besichtigung ergab, dass aus dem unteren 
Thr&nenpunkte linker Seite ein 3 Ctm. langes Stück Spulwurm heranshing, das 
Leben zeigte. Der Thränenpunkt umschloss deh Wurm möglichst fest, so dass 
eine gewisse Kraft angewandt werden musste, um denselben ganz, ohne ihn ab- 
zureissen, zu entfernen. Der Wurm (Ascaris lumbricoides) war männlichen Ge- 
schlechts, 65 Hm. lang und 1 Mm. dick. Derselbe konnte demnach nnr durch Er¬ 
brechen beim Keuchhusten in die Rachen- und Nasenhöhle, durch den Meatus 
narium inferior in den Canalig naso-lacrymalis, von hier in den Thrftnensack und 
dann durch den Canaliculus lacrymalis inferior in da? Punctum lacrymale infe- 
rius gelangt sein, woselbst er mit dem Kopfende zum Vorschein gekommen war. 

436. Ozaena geheilt durch Jodoform. Von Dr, 0. Letzel 
(Allg. med. Centr.-Zeitg. 1880. Nr. 45.) 

Die günstigen Resultate, die durch Jodoformapplication bei Chrom* Otoirhoen 
erzielt wurden, veranlassten Verf., dieses Mittel auch bei Ozaena ita Anwendung 
zu ziehen. Er liess % Gramm Jodoform und 10 Gramm Gummi arah. zu eisen 
Schnupfpulver form Iren und davon täglich 3—6 Mal eine Prise in beide Nasen¬ 
löcher einschnnpfen. Der Erfolg war in den sechs nach dieser Methode behandelten 
Fällen ein ausserordentlich günstiger. Zwei Fälle, bei denen vorher monatelang 
der ganze therap. Apparat vergebens in Thäligkeit gesetzt war, heilten innerhalb 
10—14 Tagen vollständig, die vier anderen, weniger schweren Fälle Innerhalb 
6—8 Tagen. — L. lässt Vor dem Schnupfen des Pulvers erst die Nasendonche 
gebrauchen nnd entfernt die ev. Borken mittelst Ohrlöffel, so weit eben möglich, 
um die Application recht wirksam za gestalten. Der unangenehme Jodoform gertch 
wird von den Angehörigen doch noch lieber ertragen als der scheussliche Gestank 
der betr. Ozaena. 

437. Ueber Desinfection von Seide und Schwämmen zu ehirur : 
gischen Zwecken. Von Prof. A. v. Frisch. (Arch. f. klin. Chir. Band 
XXIV, Heft 4.) 

Das Fehlschlagen einiger grossen Operationen, die unter Liste r'sehen 
Cantelen ansgeführt waren, bewog Verl, die dabei gebrauchten Schwämme und 
Seide zu untersuchen. Letztere Materialien waren bisher immer in 5percentiger 
Carbollösung aufbewahrt worden, deshalb erstreckte Verf. seine Untersuchungen 
nur auf die Carbolsäure als desinficireudes Mittel. Wegen der nach jeder Seite 
hin grossartigen Versuche und Controlversuche sei auf das Original gewiesen, nur 
das praktisch höchst wichtige Ergebniss erwähnen wir, dass zweistündiges Kochen 
in öpercentiger Carbollösung noch keine vollständige Sicherheit gibt, es überdauern 
die (resistenzfähigeren) Dauersporen und Trockenkeime. Diese werden erat sicher 
getödtet durch dreistündiges Kochen in 5 per Cent. Carbollösung oder vierstündiges 
Erhitzen auf 140 w C in derselben Flüssigkeit. Ferner rfith Verf. durch längere« 
Weichen des Materials in Wasser die Danersporeu und Trockenkeime in die ge-' 
wohnlichen, leichter zerstörbaren Bacterien überznfübren, andererseits aber 
Schwämme vor dem Eintrocknen, d. h. damit auch vor der Bildung von Trocken¬ 
keimen zu hüten T. 

438. Nasenbongies. Nasenstäbohen. Baoilla onneiformia n&salia. 
Cereoli nasales. Als solche bezeichnet man eine Art von Bougies znm Einführen in 
die Nase, Ihre Länge beträgt 8—10 Cm., ihre Dicke circa 5—7 Mm. Die Foriq 
Ist cylind risch, sich aber etwas der Keilform nähernd, so dass die Spitze eine 
Dicke von 3—4 Mm., die Basis eine Dicke von 6—8 Mm. erreicht. Beispiele sind *. 1 
Bacilla cuneiformia carbolica. Carbol-Nasenstäbe. Bp.: Oelatinae Mae 55' ö, 
Olycerinae 30*0, Aquae destillatae 20'0. In vase clausa calore balnei aquae in 
maxsam gelatinös am red actis adde. Acidi carbolici puri 0'2. Effundendo in mör 
duloß vitreos vel e Charta parajfinata effictos fiant bacilla quindecim fl5J 1 centim. 
octo ad decem longa , millim. circiter quinque lata , paululum cuneiformia . D. S. 
Nasenbongies (bei übermässigem oder übelriechendem Nasenschleimflnss etc.). — 
Bacilla cuneiformia tannica. Tannin-Nasenstäbe. Bp.: Acidi tannici 2'0 , Traga- 
canthae 6 5, Badicis Alt hat ae 20. Mixtis adde Glycerin ae 60, Aquae destillatae S' 5. 
Hanl bacilla cuneiformia quatuor ad centim. octo longa. D. S. Angefenehtet in 
flie N ase einzuschieben. — Bacilla cuneiformia zincica. Bp.: Oelatinae albae 60f) % 
Qlycerinae 40 0 , Aquae destillatae 20.0, Zind sulfurici 0*5. Misce l. a., ut fiant 
bacilla viginta cuneiformia , centimet. octo longa. 


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Medirinisch-cbinirgische RoDdschan. 


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Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 

439. Prof. Spiegelberg in Breslau: Die Entwicklung der pnerpera- 
len Infection. Nack einem in dem Verein für meditinische Vorlesungen 
zu Frankfurt a. M. am 20 Mira 1880 gehaltenen Vortrage. (Berliner Min» 
Wochenschr. 1880. Nr. 22.) 

Die Erkenntniss, dass das Puerperalfieber nur eine Wandkrankheit ist and auf 
septischer Infection beruht, hat sich, nachdem sie einmal bestimmt aasgesprochen 
War, rasch Geltung verschafft und ist, bei uns in Deutschland wenigstens, schnell 
Gemeingat der Aerzte geworden. Mancher unter Ihnen mag deshalb wohl fragen, 
warum ich es denn unternommen habe, über diesen Gegenstand vor Ihnen zu 
sprechen. Hierauf müsste ich Ihnen erwidern mit dem Hinweise auf den Abstand, 
der zwischen den in meinen vor jetzt zehn Jähren in der Volkmann’schen 
Sammlung erschienenen Vortrage ausgesprochenen Ansichten und den heute dar- 
zujegenden besteht, mit der Gegenfrage, ob unter den Geburtshelfern denn heute 
Volle UebereinBtimmung herrscht über Entstehung der Infection, über die Desinfec- 
tion in der Geburt und über den Werth der antiseptischen Behandlung, de^ 
Prainage etc. nach derselben; und vor allem mit der nicht wegzuleugnenden 
Thatsache, dass trotz aller guten Lehren für Aerzte und Hebammen puerperale 
Erkrankungen, leichte wie schwere, gerade in der Privatpraxis noch zu den fast 
alltäglichen Vorkommnissen gehören, aber auch in manchen Geburtshäusern immer 
hoch in zu grosser Häufigkeit gefunden werden. Wäre dem nicht so, so würde 
nicht so mannigfach debattirt Werden über Ausspülung und Drainage des er* 
krankten Uterus. Hier mos» also etwas vorhanden sein, was trotz aller Rathschläge 
für Prophylaxe und antiseptische Therapie diese Vorkommnisse begünstigt; ent¬ 
weder ein Mangel in der Erkenntniss der Entwicklung der Erkrankungen, oder 
ein Fehler in der praktischen Verwerthnng des theoretisch erkannten. Eine aus¬ 
gebreitete Verständigung in dieser so eminent wichtigen Frage ist aber ein 
Zwingendes Bedürfnis, und deshalb mn88 sie. bis solche erreicht ist, immer wieder 
zur Verhandlung gebracht werden ; um so mehr, als gezeigt werden kann, dass 
Die Ursache der erwähnten Mängel in nicht ganz richtiger Auffassung der Ent¬ 
wicklung der pnerperalen Fieber liegt, und dass demgemäss bei anderer Auffassung 
das gesteckte Ziel einer sicheren Prophylaxe sich erreichen lässt. 

Ich will Sie nicht ermüden mit einer Aufzählung der mannigfachen Er¬ 
krankungsformen am Puerperalfieber, sondern dieselben genetisch anatomisch kurz 
skizziren, weil dieses das Verständniss erleichtert. Sie kennen die peracute 
Sepsis, welche sich ohne jede locale Erkrankung, bald nach der Geburt inner¬ 
halb der ersten Tage entwickelt,, uud wohl immer rasch znm Tode führt. Die 
subjectiven Erscheinungen sind geling, die objectiyen Symptome bestehen in dem 
hohen Initialfieber mit elendem, und bis zum Tode immer elender werdendem Pulse, 
dem Meteorismus mit fehlender eder geringer Schmerzhaftigkeit, den profusen 
Schweissen, Erbrechen und raschem Verfall; die anatomischen bei sehr acutes^ 
Verlaufe bisweilen nur in Jaucheerguss in die Peritonealhöhle, puriformer Füllung 
Vieler der nur weniger parautCriner Lymphbahnen, und auch diese kann fehlen ; 
hei etwas protrahirtem Verlaufe findet man necrotische Stellen auch wohl im G^ 
nitalcänale und jauchige seröse Eigüsse an anderen Stellen als i|n Abdomen. Dies 
Ist die acute lymphatische Sepsis, beruhend auf directer Einimpfung eines Giftes 
In das Gewebe, gewöhnlich dea Collum Uteri. 

Ihr gegenüber stehen die mit Localerkrankungen im Genilalcanale begin¬ 
nenden Formen, bei denen Fäulniss im Canale immer von vornherein vorhanden 
Ist. Die müdeste ist die der stinkenden Lochien mit einfacher Endometritis, wie 
£ie so häufig ist und früher oft als normale Begleiterin des Wochenbettes ange> 
Beben wnrde. Die schwere Form ist die der Fänlnisä an den mannigfachen leichten 
Und tieferen Verletzungen, die bei nahezu jeder Entbindung gesetzt werden. Dies*? 
localen Erkrankungen nun können als solche bestehen bleiben, oder es können 
sieb Von ihnen aus psravaginale und parauterine t’hlegmone von der verschiedensten 
Intensität bilden, es kann also auch von ihnen ans sich lymphatische Septicämie 
entwickeln, dann aber mit viel langsamerem Abläufe als bei der aenten Art Die 
üiahnfgfachen anatomischen Erkrankungsformen der Vulvitis, Colpitis, Metritis, 
Para- und Perimetritis der Phlebitis des Beckens mit ihren Fortsetzungen, welche 
sich entwitkeln können, sind Ihnen bekannt. — Die schwerste Form der rein 
localen Fäulniss sind die hin und wieder vorkommenden Fälle, in denen letztere 


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Medicinisch*chirurgische Rundschau. 


zunächst auf das Endometrium beschränkt bleibt, aber von hier aus in das Uterin* 
gewebe ti bergreift und zur Necrose desselben (Patrescentia uteri nach Bo er), 
resp. zum Zerfall der Thromben an der Placentarstelle und zu rein venöser 
Septicämie führt, wie es besonders bei Retention von Eiresten vorkommt. 

Wie hat man nun die Entstehung dieser Erkrankungen erklärt? Durch 
Uebertragung septischer, d. h. unreiner oder in Zersetzung begriffener Stoffe von 
aussen, oder durch sogenannte Selbstinfection. 

Unter ersterem Modus versteht man die directe Einimpfung eines septischen 
Stoffes in das Gewebe des Geburtscanales, oder die einfache Einbringung eines 
solchen auf dessen Oberfläche, welcher sich nun dort fortpflanzt nnd je nach Um* 
ständen mehr weniger weit und tief sich verbreitet, resp. seine Zerstörung an* 
richtet. Unter Selbstinfection aber verstand man die Vergiftung des Organismus 
durch Zersetzung von im Geburtscana^e zurückgebliebenen Massen, gewöhnlich 
Eiresten, bisweilen Blutcoagnlis. 

Der erstere Modus, die Infection von aussen, wird als der gewöhnliche an* 
genommen, die Selbstinfection als der seltenere, ja es wurde schon gesagt, die 
Annahme einer Selbstinfection sei nur ein Mittel, um die eigene Schuld der Ueber¬ 
tragung zu verdecken. 

Auf diese Anschauungen nun sind alle zur Verhütung der Infection 
empfohlenen Massregeln begründet; die genaueste Reinlichkeit der Hände und In¬ 
strumente, die Fernhaltung der GeburtBärzte von ansteckenden Krankheiten, der 
Geburtshilfe Studirenden von anatomischen Arbeiten, die Verhängung des Inter- 
dictes über die Hebammen, welche kranke Wöchnerinnen in Pflege haben, und 
schliesslich die gründliche Entfernung etwa im Uterus retinirter Eireste nach der 
Geburt. 

So vortrefflich und zweckentsprechend diese Vorschriften auch sind, so 
haben sie doch, wie die Erfahrung zeigt und ich eingangs bemerkte, die Er¬ 
krankungsfrequenz wenig, wenn Überhaupt verringert, die Infection nur in geringem 
Grade zu verhüten vermocht. Und dem entspricht eB als natürliche Folge, dass 
die secundäre Antisepsis, die nach der Geburt zur Beseitigung der Erkrankung 
eingeleitete, die Spülung und Drainage der Uterinhöhle, in den letzten Zeiten we¬ 
sentlich cultivirt wurde und wird. Wie wenig aber diese leistet, besonders da, 
wo die Erkrankung die Oberfläche des Genitalcanales überschritten und in das 
Parenchym der Organe Übergriffen hat, liegt auf der Hand, zeigt der Erfolg. 

Dass nun die Infection von aussen nicht selten vorkommt, dass aus ihr 
im Allgemeinen die schwersten Infectionen hervorgehen, dass sie wesentlich dis 
schweren „Impfinfectionen“, die acuteste Septicämie, verursacht — ist sicher. Man 
kann deshalb in dieser Beziehung nicht vorsichtig, nicht reiulich genug an sich 
und seinen Apparaten sein. Die meisten Erkrankungen aber, und besonders die 
nicht stürmisch sich entwickelnden, entspringen aus der Infection vom Geburts¬ 
canal selbst aus, aus der in demselben vor sich gehenden Fäuloiss, und diese 
ist wieder — abgesehen von den Fällen directer Einführung von Fäulnissstoffen 
in den Canal, welche bei entsprechender Reinlichkeit an sich jetzt wohl selten ist 
— einfach auf den unter der Geburt erfolgenden Eintritt von Luft in die Ge¬ 
burtswege zurückzuführen. 

Luft erregt natürlich faulige Zersetzung d*s Inhaltes des Genitalcanales. 
Dieser Inhalt aber, zum Theil Secret der Oberfläche, zum Theil seröses Transsudat 
in Folge des starken Oedems des Collum und der Vagina, ist vermöge dieser 
seiner Beschaffenheit ein vorzügliches Nährmaterial für Fäulnissorganismen und 
die aus ihnen wahrscheinlich oft erst hervorgehenden eigentlichen Wund- resp. 
Infectionskeime. Luft dringt bei jeder inneren Untersuchung in die Scheide; bei 
spontan klaffender Vulva, und in der Geburt ist letztere in diesem Zustande sehr 
häufig, wird sie in Folge des so sehr schwankenden intraabdominellen Druckes, 
der mit Nachlass der in der Wehe wirkenden Geburtspresse ja plötzlich stark 
erniedrigt wird, in die Scheide aspirirt; es wird auch die in letzterer befind¬ 
liche Luft mit dem Wehennachlasse wenn die mechanischen Bedingungen am unteren 
Uterinsegmente es zulassen, in die Uterinhöhle gezogen; was das wechselnde Spiel 
der Geburtspresse so bewirkt, kann auch, selbst bei Wehenmangel, durch Lagt« 
Veränderungen, und besonders plötzliche, zu Stande kommen. Sie sehen also, es 
wäre zu verwundern, wenn Luft während der Geburt nicht in den Canal träte. 
Ihre Wirkung erkennt man ja auch bei verzögerter Geburt bald an dem Gerüche der 
Genitalflüssigkeit, oft schon während jener, immer bald nach derselben. 

Die Folgen dieses soweit nicht zu vermeidenden Ereignisses sind nun ver¬ 
schieden, je nach den mechanischen Verhältnissen des Eies zum Geburtscanale, bei 
denen der Lufteintritt in letzteren beginnt, resp. Fäulniss sich entwickelt Bei 
hohem Stande des vorliegenden Frachttheiles, bei mangelndem Anschlüsse desselben 


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Med icinisch-chirurgische Rundschau. 


553 


an den Berührungsgürtel des unteren Uterinsegmentes und des Beckeneinganges, 
nachdem die Frnchtblase eröffnet, wird die Luft in den Uterus eintreten, in die¬ 
sem selbst werden, wenn die Geburt darauf nicht bald vollendet ist, die Secrete 
in Zersetzung gerathen, und unter der Geburt schon wird sich fauliges Resorptions¬ 
fieber entwickeln. Bei tiefem Stande des vorangehenden Theiles und völliger Aus¬ 
füllung der Scheide durch ihn wird die Luft nicht weit nach oben Vordringen; 
erfolgt dann die Geburt schnell, so kommt es gar nicht zur Fäulnis*; verzögert 
sie sich aber, so wird auch der flüssige Vaginalinhalt putrid, stinkt, die Fäulniss- 
keime setzen sich in den entstandenen oder entstehenden Bissen und Schrunden 
fest, und erregen hier Eiterung etc. 

Die Wirkungen der Fäulniss können aber überhaupt ohne weiteren Schaden 
▼orübergehen, wenn der Uterus von derselben frei blieb, oder die faulenden Pro¬ 
ducts nicht lange in ihm verweilten, wenn er nach der Entbindung ausgereinigt 
wurde und bald sich gut retrahirt. Ebenso kann es in der Vagina sein, und ist 
es in der That gerade hier so in der Mehrzahl der Fälle, wenn nur alles Faule 
mit dem Eie spontan oder durch Ausspülung entfernt wurde. Nicht selten aber 
entstehen die schwersten Folgen, wenn die zersetzten Stoffe nicht alsbald post 
partum entfernt worden, wenn aus ihnen die die Gewebe inficirenden Keime, die 
eigentlichen „Wundkeime“ sich entwickelten. Denn diese Keime werden durchaus 
nicht immer von aussen eingebracht, sie entwickeln sich vielmehr in der Regel 
in faulenden Flüssigkeiten erst, vielleicht aus den Fäulnisskeimen selbst, bald 
schneller, bald langsamer, bald gar nicht; von welchen Bedingungen diese Varia¬ 
tionen abhängen, wissen wir ja noch nicht. Besonders gefährlich aber scheinen 
in dieser Hinsicht die Fänlnissstoffe zu sein, welche in Rissen und Schrunden der 
Oberfläche sich angesammelt und eingenistet haben, weniger die, welche auf breiter, 
glatter, intacter Schleimhautfläche verweilen, vielleicht deshalb, weil erstere nicht 
spontan abgeben und schwerer künstlich zu entfernen sind. Wie günstig aber 
gerade der puerperale Genitalcanal für Resorption von Fäulnissproducten und Ent¬ 
wicklung der Wundkeime ist, ist schon oben angedentet, auch bekannt; denken 
Sie nun an die zahlreichen weiten und nach der Geburt zum Theil offenen Lymph- 
geflsse! 

Mit der vorgetragenen Lehre, dass die puerperale Infection, und gerade 
die so häufigen milden Fälle, in der Mehrzahl von der in der Geburt durch den 
Lufteintritt in die Genitalien fast nothwendig eingeleiteten Fäulniss im Canale 
ausgeht — erklären sich sehr viele Erscheinungen (die stinkenden Lochien, die 
so häufige Ulceration in Scheide und Vulva, der schädliche Einfluss vieles Unter¬ 
suchen*, auch mit desinflcirten Händen, die fast regelmässige Immunität der ohne 
Assistenz rasch entbundenen, die gleiche der sehr spät, kurz vor Austritt des 
Kindes, in die Gebäranstalten kommenden etc.); auch ist diese Lehre in Ueber- 
einstimmnng mit unseren heutigen Anschauungen über die gewöhnliche Entwick¬ 
lung der Wundinfection überhaupt. Ist doch die ganze L i s t e r ’sche Lehre wesent¬ 
lich auf der Einwirkung der Luftkeime auf die Wunden, und das Lister'sche 
Verfahren auf Ertödtung dieser überall vorhandenen Keime begründet 1 Wenn Sie 
mir die Thatsache entgegen hielten, dass Schwangere, trotzdem sie ja auch stel¬ 
lenweise häufiger Exploration unterworfen werden, und trotzdem dann auch in 
ihren Genitalcanal Luft eintritt, so selten infectiös erkranken — so würde ich 
sur Widerlegung dieses Einwurfes darauf hinweisen, dass die Genitalschleimhaut 
der Schwangeren weniger vulnerabel, als die Gebärender ist, dass also weniger 
oder gar keine Wunden, in denen Fäulnisskeime haften bleiben können, vorhanden 
sind; dass die in die Vagina mit den Fingern eingeführte Luft nie in den Uterus 
dringt, da dessen Collum in der Regel ja geschlossen ist, und da seine Wasser- 
füllung, der hohe und bei fehlenden Contractionen ja immer gleiche intrauterine 
Druck dem Luftzotritt schroff entgegensteht; und schliesslich wäre zu betonen, 
dass die bei der Exploration in die Scheide gedrungene Luft in aufrechter Stel¬ 
lung durch den dann gesteigerten Intrabdominaldruck alsbald wieder ausgetrieben 
wird. Im Uebrigen muss trotzdem bei gravidis, welche viel hintereinander explo- 
rirt wurden, und das geschieht wohl nur in Lehranstalten, nach den Unter¬ 
suchungen die Luft durch Irrigation ausgetrieben, die Scheide desinficirt werden. 

Was ist nun die Conseqoenz des Vorgetragenen? Die, dass es nicht genügt, 
wenn antiseptisch gehöreu werden soll, sich selbst und die zu gebrauchenden Ge¬ 
genstände gründlich rein zu halten, sondern, dass es gleich unumgänglich ist, die 
Kreissende, und zwar wesentlich ihren Geburtscanal völlig rein zu halten, die in 
denselben eingedrungene Luft zu entfernen und jedenfalls zu desinflciren. Es liegt 
ja nahe, wie bei chirurgischen Operationen zu diesem Zwecke den Carbolspray 
anzawenden und ist das auch versucht; indess, und die Gründe liegen auf der 
Hand, es geht nicht wie es gehen müsste; man kann ja den Spray nicht in den 


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ModjtiaiBch-chirurgische Rundschau. 


Geburtscanal leiten, und nicht auf so lange Zeit, wie es während des Ablaufes einer 
Geburt geschehen müsste; man kann selbst die äusseren Genitalien nicht so lange 
bestäuben; und blos beim Austritte des Fötus aus dem Canale zu sprayen, wie 
es Stadt fei dt jüngst (Centralbl. f. Gyn., Nr. 7, 1880) empfohlen, ist von sehr 
prekärem Verthei!, weil zu diesem Geburtstermine die in der Geburt entstehenden 
lufeetionequellen schon in Entwicklung begriffen sind ; ganz abgesehen von der 
Un d urChfü hrbarkeit solchen Verfahrens hi der generellen Praxis. — Kann man 
somit nicht die die Kreissende umgebende Luft desinfleiren, so muss man es machen 
Wie die Chirurgen, welche ohne Spray antiseptiseh zu öperiren suchen man muss 
die Wundflächen, hier die Genitalfläche, so continuirli<m desinficiren durch Ab* 
Spülnng, dass die mit der Luft zu ihnen gedrungenen Fäulnisserreger unschädlich 
gemacht werden. 

Man mnss vor der ersten Untersnchung die Gebärende, und vor allem 
Ihre äusseren Genitalien und deren Umgebung, ordentlich abseifen und mit Carbol- 
wassCr waschen lassen, wie dies schon vor Jahren von Fritsch empfohlen ist; 
änch anf reines Lager ist dabei Rücksicht zu nehmen. Nachdem man dann, nach 
Ablegung des Oberkleides und Heraufstreifen der Hemdfirmel, die Hände und die 
Arme so weit wie möglich nach oben hinauf desinfleirt hat, spült man den 
trenitalc&n&l mit 2procentigern, lauen Carbolwässer aus; bei wenig reizbaren 
Theilen kann man die Lösung wohl auch verstärken, in der Regel aber genügt 
flas genannte Mischungsverhältnis, zumal man bei auffällig reichlichem und übel¬ 
riechendem Inhalte ja reichlicher ausSpülen kann. Nun erst untersucht man, nach* 
’em die Finger mit carbolisirtem Oele, das man sich selbst mischt, bestrichen 
sind; nach vollendeter Exploration wird die Scheide wieder ausgespült. Jeder 
Späteren Untersnchung folgt eine gleiche CarbolausspÜluug; findet jene in laugen 
Zwischenräumen statt, so schickt man ihr auch eine Ausspülung voraus; dass 
Vor jeder wiederholten Untersuchung auch die Hände jedesmal wieder gehörig 
desinfleirt werden, ist wohl selbstverständlich; ich bemerke es nur, weil gerade 
dies im Laufe der Geburt häufig vernachlässigt wird 

Zeigen sich in der Geburt schon Erscheinungen von Fäulniss im.Uterus, 
90 wird auch dessen Höhle mit Carbolwasser von Körpertemperatur; irrigirt, ob¬ 
gleich die Frucht noch in ihr ;, natürlich muss die Höhle zu dem Zwecke leicht 
zugängig sein, muss die Spülflüssigkeit leicht und rasch abfltaaseu können. Ich 
könnte Ihnen mehrere Fälle au? den letzten Jahrgängen der Klinik mittheilen, in 
denen diese uterinen Spülungen während der Geburt das schon vorhandene Fieber 
beseitigten, und trotzdem die schon vorhandenen Scheidenverletzungeu, der Rand 
der Cervix, wie die Rinnenunterauchnng zeigte, schon missfarhig belegt waren, 
ein ungetrübtes, fieberfreies Wochenbett erfolgte, gleichgültig, oh die Geburt 
schliesslich spontan ablief oder künstlich beendet wurde Und wie ich noch be¬ 
merken will, auch hei noch lebendem Fötus haben wir über ihn aufwärts Carbol 
irrigirt und demselben dadurch nicht geschadet. - 

' Die' letzte Ausspülung wird gemacht, nachdem die Geburt ganz vorbei, 
also die Fruchtanhänge ganz abgagangen sind; war alles normal abge laufen; huf 
bis in die Cervix hinein; musste Lufteintritt in die corporefile Höhle, Flu late 
beginn in dieser, augenommen Werden, daun auch in dieselbe. Dieselletztfe Aul* 
gpülang kann mit concentrirterer Flüssigkeit gemacht werden, als die früheren} 
man braucht ja jetzt, wo der Genitalcanal Ruhe haben soll, Manipulationen'fü 
ihm nicht mehr nöthig sein werden, eine oberflächliche Carbolätzong nicht mfehf 
zu fürchten; zur gründlichen Desinfection ist solche leichte Carholfitzung, fall# 
sie stattflndet, gewiss gut; Ulceration habe ich ihr nie folgen sehen. Hofmeief 
freilich (s. Centralbl. t Gyn., Nr. 5, 1880) fürchtet von dem innigen Contaef 
der Hände und Instrumente mit grossen frischen Wandflächen, nachdem jene Chen 
durch Vulva und Scheide geführt sind, die Gefahr neuer Iufection; diese Gefahr 
•xistirt aber bei absoluter Desinfection so wenig, wie bei der Carbolbespülnng 
einer äusseren Wandfläche; und die absolute Desinfection kann man bei nur einiger 
entsprechenden Anfmerksamkeit immer leisten. 

Sie wissen, dass ich für die Behandlung einer „rein“ Entbundenen im 
Wochenbette absolute Ruhe des Genitalcaoales verlange, so lange nicht abnorme 
Znstände bestimmt anderes erfordern Das habe ich schon in meinem Lehrbache 
ausgesprochen, nnd unsere weiteren so günstigen Erfahrungen in Klinik wie in 
privater Praxis haben die Richtigkeit dieses Verhaltens nur immer mehr bestätig! 
Das unph^siologische der prophylactischen Wochenbettausspülungen liegt ja anch 
fiuf der Hand; wie nach dem List er-Verfahren die aseptisch behandelte Wände 
unter dem Occludvveihande bleiben soll, bis sie geschlossen ist, so soll anch der 
geschlossene reine Genitalcanal in Ruhe bleiben; und für freien Abfluss der Wund- 


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Meduinisch-chirurgische Rundschau. 555 

secrete ist ja am letzteren gesorgt, man braucht also Drains nicht oinznlogen, 
darf es auch nicht ans sofort anzugebendem Grande. 

Ebenso kennen Sie meine Ansicht Aber die desinicirende Ausspfllnng des 
Btarns da, wo sie wegen ansgebrochener Erkrankung nothwendig geworden ist. 
Helfen wild sie nur bei Beschränkung der Erkrankung auf die Oberfläche des 
Cmnales, bei Retentionskörpern; aber auch bei schon parenchymatöser Erkrankung 
kann sie vielleicht noch von Nutzen sein, wenn auch von sehr zweifelhaftem, so 
wenigstens lauten meine Erfahrungen. So wenig die Drainirnng des Peritoneal 
sackes nach ansgebrochener Peritonitis helfen kann, so wenig die des Uterns da, 
wo dessen Lymph- und Blatgef&sse schon inficirt sind. Spfllen wir jedoch, da wir 
über die Ausdehnung der Erkrankung in die Tiefe von vorn herein nie ganz 
sicher sind, immerhin den Uterns ans, aber drainiren wir ihn nicht Das Drain, 
abgesehen davon, dass es die Auafluasöffhnngeh leicht Verlegt und selbst verlegt 
wird * deshalb doch wiederholt entfernt und wieder angelegt werden muss, ist der 
beste Leiter für die an seinem freien Ende befindlichen Infectionskeime in die 
Uterushöhle hinein, also geradezu dadurch eben So gefährlich, wie ein ungedeckt 
nach aussen ragendes Drain heim Lister’schen Verbände es ist. Einzig rationell 
ist die Schticking’sche Drainage mit permanenter Irrigation, leider zu um? 
stindlieh und zu schwierig dnrchznführen in der generellen, und selbst in aus¬ 
gedehnter Gebärhasspraxis, Da dem so ist, so wird das beste Verfahren der 
Uterusansspülnng immer das mittels metallener oder gläserner, zu jeder Aus*- 
Bpäluog nen zu applicirender Röhren sein. 

i Ich habe Ihnen heute manches vorgetragen, was Ihnen ja längst bekannt 
ist. Dem möchte ich mir erlauben, auf die Vorschriften für unsere Hebammen, 
mueh die neuesten, von den besten. Lehrern entworfenen, hinznweisen , so weit 
sie sich mit der Prophylaxe des Puerperalfiebers beschäftigen; von eiuer methodi¬ 
schen Desinfection des Genitaleanales in der Geburt steht nichts in denselben» 
Wie wesentlich diese aber ist, zeigte einfache Ueberlegung und bestätigen die 
Brfolge der' darnach Handelnden. 


t v , ■ . 

jQtof- Retfaction eingesendete neu erschienene Bücher und Schriften. 


Barker Fordyce M. D.: Die Pnerperal-Krankhei ten. Klinische Vor¬ 
träge am Bellevue Hospital zu New-York. Nach der vierten Auflage dei 
Originals In’s Deutsche übertragen von Dr. G. G. Rothe in Altenbnrg. 
•Leipzig. Verlag von Ambr. Abel. 

Beck, Dr. G.: Therapeutischer Al man ach. 7. Jahrgang, 1880. Des Taschen¬ 
buches der neuesten Therapie II. Bändchen, 3. Heft. Bern, Leipzig tmd Stutt¬ 
gart. J. Dalp’sche Buch- und Kunsthandlung. 1880. 

B illr oth, Prof. Dr.: Krankheiten d er Brustdrüsen. Mit 55 Holzschnitten 
und 8 Tafeln in Farbendruck. 41. Lieferung von „Deutsche Chirnfgia“ herauf 
gegeben von Prof. Dr. B i 11 r o t h uhd Prof. Dr. L n e ck*«. Stuttgart» Verlag von 
* Ferdinand Enke. 1880. 

Coön, Dr. Raphael: Bericht dar ersten österr. Privatheilanstalt für 
Sprachkranke. 1877—1879. Wien 1850. Verlag des Antors. Drnck von 
R. Spies & Co. ^ 

DenglerP., Bürgermeister in Reinerz: Bericht über die Verwaltung des 

• < ' Bades Reinerz in den 3 Jahren von 1877 bis einschliesslich 1879. Zweite 


Folge. Selbstverlag der Bade-Verwaltnng zn Reinerz. 

Dengler P., Bürgermeister in Reinen: Der achte schlesiache. Bäder tag 
z an d sein a Verband iuug nur am §*December 1879 nebst dem statistischen 

^waltungslerichte und dem msdiciniKchen General berichte über die schloss 
sehen Bäaer für die Saison 1879. Reinerz 1880. Selbstverlag'des schleau 
sehen Bädertages. 

Dragendorf, Dr. G., Prof, in Dorpat: Jahresbericht über die Fort¬ 
schritte der Pharmacognosie, Pharmacie und Toxicologie. Nene 
Folge. 13. Jahrgang. Göttingen Vandenhoeck und Rnprecht's Verlag. 1879. 
Falck Carl Philipp, Professor Dr., Director d. pharmakolog. Institutes in Mar¬ 
burg: Das Fleisch. Gemeinverständliches Handbuch der wissenschaftlichen 
und praktischen Fleischkunde. Mit 12 lithographirten Tafeln. Marburg. 
N. G. Elwert’ache Verlagsbuchhandlung. 1880. 

Fetzer, Dr. Berthold Carl, Stabsarzt: Ueber den Einfluss des Militär¬ 
dienstes auf die Körperent wie klnng mit besonderer Berücksichti¬ 
gung der Verhältnisse der Brust und mit Bezug auf die Beurtheilnng der 
Miiitärdienstfähfgkeit. Stuttgart. Verlag von Adolf Bonz & Comp. 1880. M. 4. 


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556 Medicinisch-chirargische Rundschau. 

Fr Äh auf, Dr. Med. H. Vormals Assistent der medicinischen Universitäts-Klinik 
in Strassbnrg: Diagnostik der inneren Krankheitea mit besonderer 
Berücksichtignng der mikroskopischen und chemischen Analyse der Se* nnd 
Excrete. Bearbeitet für Kliniker nnd Aerzte. Berlin 1879. Denicke ’s Verlag, 
Georg Reinke. 

Haberkorn, Dr.; Der Nährwerth unserer Speisen. Verlag von Carl 
Flemming. Glogan. 

Heiden hain, Dr. Rudolf, ord. Professor der Physiologie: Der sogenannte 
thierische Magnetismus. Physiologische Beobachtungen. Vierte nach 
ferneren Beobachtungen von R. Heidenhain und P. Grötzn er theilweise 
umgearbeitete Auflage. Leipzig. Druck und Verlag yon Breitkopf und 
Härtel. 1880. 

Hofm&nn, Dr. Eduard, Prof, in Wien: Lehrbuch der gerichtlichen 
Medicin mit gleichmässiger Berücksichtigung der deutschen und öster- 
reichischen Gesetzgebung. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Mit 
zahlreichen Holzschnitten. Erste Hälfte. Wien und Leipzig. Urban & Schwarzen¬ 
berg. 1880. 

Joch heim Pb., Dr. med. zu Darmstadt. Diphtheritis und Ozon. Neue 
erfolgreiche Behandlung der Diphtheritis. Heidelberg. Carl Winter’* Universität* 
Buchhandlung. 1880. 

Koch, Dr J. L. A., Director in Zwiefalten: Psychiatrische Winke für 
Laien. Stuttgart. Verlag von Paul Neff. 1880. 

Krukenberg, Dr. C. Fr. W.: Vergleichend-physiologische Studien 
an den Küsten der Adria. Experimentelle Untersuchungen. Zweite 
Abtheilnng. Mit zwei lithographirten Tafeln. Heidelberg. Carl Winter 1 ! 
Universitätsbuchhandlung. 1880. j 

Lorinser, Dr. J. W, k. k. Sanitätsrath etc. Der Impfschutz in seinen 
Beziehungen zur Impfstatistik. Wien. 1880. 

Nepveu, Dr. G.: Mämoires de Chirurgie. Avec 2 planches. Paris. V. A. 
Delahaye et Cie., libraires-dditeurs. Place de l'6cole de mddecine. 1880. 

Niemeyer, Dr. Paul: Grundriss der Percussion und Auscultation 
nebst einem Index sämmtlicher in- und ausländischen Kunst- 
ansdrücke. Dritte verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 34 Zeich¬ 
nungen in Holzschnitt. Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 

Uhlik, Dr. Alexios, k. k. Fregatten-Arzt: Statistischer Sanitätsbericht 
der k. k. Kriegsmarine für das Jahr 1877. Im Aufträge des k. k. 
Reichs-Kriegsministeriums. Wien. 1880. In Commission bei Wilhelm v. Brau¬ 
müller & Sohn, k. k. Hof- und Universitäts-BuchhändlKr. 

Vierter Jahres bericht für das Jahr 1879. Kronprinz Rudolf-Kinder- 
spital, Wien, III., Schlachtbausgasse. Wien 1880. Verlag des Kronprinz 
Rudolf-Kinderspitals. 

Vogt, Dr. Adolf. Prof, in Bern. Für und wider die Kuhpockenimpfang 
und den Impfzwang oder polemische, kritische und statistische Beiträge 
zur Pocken- und Impffrage mit zahlreichen statistischen Tabellen. Bern. 

J. Dalp’sche Buch- und Kunsthandlung (R. Schmid). 1879 

Zehender, Prof. Dr. von: Ueber den Einfluss des Schulunterrichts 
auf Entstehung von Kurzsichtigkeit. Vortrag, gehalten auf Ver¬ 
anlassung des Vereins Vorstandes für öffentliche Gesundheitspflege in Rostock 
am 25 Februar 1880. Nebst einem Anhang, enthaltend Entgegnungen von 
25 Lehrern des Rostocker Gymnasiums und der Realschule. I. O. Stuttgart 
Verlag von Ferdinand Enke. 1880 

ttmmtliohe hier angeführt« Bfloher sind in bestehen dmrok 
die Buohhandlung Urban ft Sohwarsenberg in Wien, 1., Basi- 
xnilianstraese 4. 


Verantwortlicher Redactenr .• Dr. Vincent Fink. 

Binsendnngen an die Redaction sind za richten: Wien, I., M&ximilianstrasse 4. 




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Mediciuiech-chirurgische Rundschau, 


557 



KOHLENSAURES MINERAL-fVASSER. 

Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 

Direction des K. K. Krankenhauses, “Wieden.” {Prot.z, 

266-0,1879.) 


NOTE. 


“Der Apollinaris-Säuerling wurde währenddes Sommers 1879 tm K. K. Krankenhause 
Wieden auf den medidnischen Abtheilungen der Herren Doctoren Ritter von Eisenstein 
und Oetinger, und auf den chirurgischen Abtheilungeti des Herrn Professors Dr. Mosetig 
Rittet von Moorhof und des Herrn Dr. Kumar angewendet. Aus den diesfalls eingesen¬ 
deten Berichten dieser Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollitiaris-Wasser 
sich durch seine Reinheit und seinen Wohlgeschmack, insbesondere aber 
durch seinen ausserordentlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällen den Vorzug 
ierdiene t in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
Wasser hat sich insbesondere als kühlendes, erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften acuten Erkrankungen eriviesen, und wurde bei catarrhalischen 
Affectionen der Athmungs-, der Verdauungs- und Harnorgane mit gutem 
Erfolge angewendet. Wien, am 29. Dezember 1879. 

Dr. F. W. Lorinser. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen . ” 


Hofrath Univ.-Prof. Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald, 

Wien : “ Ich bestätige hiermit, dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Kohlensäure ist, und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für Gesunde, und 
sehr kräftigend für Reconvalescenten mit geschwächter Verdauung sich 
mir erwiesen hat. 26. Januar iSSo.” 

Hofrath Uniy.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wiens “ Das Apollinaris- 

Wasser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher bei allen jenen 
Krankheiten Anwendung finden, uw Säuerlinge überhaupt angezeigt sind. 26. Januar 
1880.” 


Prof. Dr. Josef Seegen, Wien : “ Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 

bä Neuenahr ist seiner Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersättigung mit aus der Quelle gewonnener Kohlensäure steht es den 
Sodawässern nahe, und ist diesen als hygien isches Getränk vorzuziehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure. Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlen¬ 
säuregehalt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spaeth, Wien: “ Das Apollinaris- Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohlensäurereicher Natronsäuerling, von jedem Nebengeschmäcke frei, 
und bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: " Das natürliche 

Apollinaris-Wasser eignet sich ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
und wird auch bei Schwäche der Verdauung sehr gut vertragen. 20. Juli 1879.” 


Gen.-Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. v. Nussbaum, München: 

“ Äusserst erquickendes und auch nützliches Getränk, weshalb ich es bestens empfehlen 

kamt.” 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: “ Als erfrischendes 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt es unter den Mineralwässern sicherlich 
den ersten Reuig ein. 16. März 1879.” 


Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: “ Sein angenehmer 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vortheilhaft aus. 24. Dezember 1878.” 


Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc 

Big APOLLINARIS COMPANY\ LIMITED; 

Zweig-Comptoir, Remagen a. Rhein. 


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558 


Medicinisch-chirnrgiscbe Randgeh in. 


r VEBUAG VOM 

TTxbeuaaL dz SciiTxraxzerL'bexg:, 

Wien, I., Maxiniliaastrme Nr. 4. 

GRUNDRISS der GEBURTSHÜLFE 

für 

praktische Aerzte and Stndirende. 

Von 

Dr. LUDWIG KLEINWÄCHTEß, 

Professor an der Universität Innsbruck. 

Gr. 8. 448 Seiten. — Preis 5 fl. ö. W. = 10 Mark. — Bieg. geb. 6 fl. 

Angezeigter Grundriss vermag in jeder Beziehuung den bekannten nnd ge¬ 
bräuchlichen Lehrbüchern von Spiegelberg und Schröder Concurrenz zn machen. 
Der Verf. hat sich fern gehalten von allen Hypothesen und Controversen, weil dies 
nur dazu dient, den Anfänger zu verwirren; er gibt blos das Feststehende nnd 
Positive. Studenten dürfte dies Buch ein willkommener Mentor sein, sie in.dis 
Studium dieser Discip)in einzuführen ; nicht minder dürfte es sich als compendiöses 
Repertorium empfehlen für solche praktische Aerzte, welchen es an Zeit gebricht, 
dick* Bücher zu lesen, und die dennoch das Bedürfuiss in sich fühlen, mit dem 
neuesten Standpunkte der Wissenschaft sich vertrant zu machen. 

Ebenso einfach nnd logisch, wie die Eintheilung des Buches, ist die Art 
und Weise, wie Verf. seinen Gegenstand verträgt. Was die Schrift vorzüglich aas¬ 
zeichnet, ist, dass der Antor überall zeigt, dass er nicht blös das Neueste weiss, sondern 
eine gediegene Kenntniss der älteren gynäkologischen Literatur sich angeeignet hat. 

Rühmlichst müssen die glänzende Ausstattung nnd der dabei mässige Preis 
des’Buches hervorgehoben werden. Da in Deutschland auf Beides oft noch sowenig- 
Werth gelegt wird, so verdient dies eine besondere Anerkennung der Verlags¬ 
buchhandlung. („Allg Med. Central-Zoitung“ 1877, Nr. 49.) 


Verlag von 


URBAN & SCHWARZENBERG, 

Wim I., lUzlmilianitruH Kr, 4. 

---- 

Anleitung zur Harn-Analyse 

für 

praktische Aerzte, Apotheker und Stndirende. 


Dr. W. F. LOEBISCH, 

Professor für angewandte medicinische Chemie au der k. k. Universität Innsbruck. 
238 Seiten. Mit 26 Holzschnitten. — Preis 2 fl. 50 kr. ö. W. = 5 M. 

Elegant gebunden 3 fl. 30 kr. = 6 M. 60 PL 

Diese(-Anleitung“ wird sioh unter dem in der Ueberschrift genannten Publikum 
,,öl® Freunde erwerben, denn sie gibt in klarer nnd übersichtlicher Form 
1 a !L* dem ®°fl en der neuesten Untersuchungen stehend, nicht nur alles Wissens¬ 
wert ne betreffs der praktischen Ausführung der Harnanalyse, von der physikalischen 
zur chemischen Untersuchung fortschreitend, sondern hat vor ähnlichen Lehrbüchern 
z. B. Neubauer und Vogel’s Anleitung zur Harnanalyse, das voraus, dass die ein¬ 
zelnen Capitol mit kurzen physiologischen Bemerkungen eingeleitet sind, und, soweit 
diM angeht, auf die pathologische Bedeutung abnormerBefunde hingewiesen ist. Druck 


.***"* vur/;ugiicii uua aui nie Strapazen eines ijaooratorium-AUientnaiies 

I berechnet; die eingestreuten Holzschnitte sauber und correct in der Darstellung. 

(.»Berliner klinische Wochenschrift“ 1878, Nr. 8.) /a 



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Med icinisch-chirurgische Rundschau. 


559 



II Medaillen I. Classe. 


Maximal- 

und gewöhnliche 

ärztl. Thermometer 

zur Bestimmung der Körpertemperatur* 

Urometer nach Dr. Heller, Bade- und Krankenzlmmer- 
Thermometer etc., sowie alle Arten Ttiermometer, Baro¬ 
meter und Aräometer. 

Für Spitäler besondere Beg4nstignngen. ,, Äl 

Heinrich Zappeller jun., 

WIEN, ist 

"V., Eetfce&brackeas a»s s e Nr. 9. 
niuetrfrte Preisverzeichnisse stehen gratis ztir Verfügung. 


Privat-Heilanstalt 

für 

Gemüths- und Nervenkranke 


OT>erdöbling, Hirioheagaue 71. 


135 




















560 


Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Verlag von FERDINAND ENKE in Stuttgart 

Soeben tat erschienen and durch jede Bachhandlang za beziehen: 

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der 

Geschichte der Medicin. 

Von Dr. med. Job. Herrn. Baas. 

Mit Bildnissen in Holzschnitt and Facsimiie’s von Autographen, 
gr. 8. Geh. Preis 3 Mk. 60 Pf. 

Jahrbuch 

der 

praktischen Medicin. 

Unter Mitwirkung einer Anzahl Fachmänner 

heraasgegeben von 

Dr. Paal Börner. 

Jahrgang 1880. 

Complet in einem Band. 50 Bogen in Octav. Preis 14 Mark. 

Geschichte 

der 

deutschen Medicin. 

Von Dr. Heinrioh Rohlfs. 

II. Abtheilung. 

gr.8. Geheftet. Preis 14 Mark. 

Zeltender, Prof. Dr. W. von, Die medioinische Staatsprüfung in 
Deutsehland und Herr Dr. Warlomont in Brüssel. 8 . Geheftet 
Preis 1 Mark. 


Bei Ambr. Abel in Leipzig ist erschienen and dnrch jede Bach- 
handlang za beziehen: 

VADEMECUM 

für Kliniker und Aerzte 

von 

FERD. KUNIGK M. Dr., 

prakt. Arzte. 

Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. 

Taschenformat, fein in Leder gebunden mit Bleistift nnd Kalender. Preis n. M. 10. 

Dnrch Nothwendigwerden einer IT. Anflage bereits nach Jahresfrist, tat zur Genüge 
die Wichtigkeit dieses Vademecum and das Bedürfntas nach demselben dargethan. Trotz¬ 
dem diese ll. Auflage durch über 42 ) neue Recepte vermehrt wurde, ist sie bedeutend 
handlicher als die erste Auflage und für den Taschengebrauch bequemer eingerichtet and 
deshalb jedem Kliniker und jedem Arzte bestens zu empfehlen. 149 


Druck von G. Gistel & Co. 

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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 


440. Ueber den Einfluss des Militärdienstes anf die Körperent¬ 
wicklung mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse der 
Brust und mit Bezug auf die Beurtheilung der Militärdienstfähigkeit. 
Eine Studie von Dr. Berthold Karl Fetzer, Stabs- und Bataillons- 
arzt im 7. wtlrttembergischen Infanterieregiment Nr. 125. Stuttgart. 
Bonz & Comp. 1879. V, 199 S. 

Aus den statistischen Sanitätsberichten über die königl. preussische 
Armee und das XIII. (württembergische) Armeecorps geht hervor, dass 
unter den Erkrankungen der Soldaten die der Respirationsorgane die ID. 
Stelle einnehmen und dass dieselben hohe Procentsätze für Halb- und 
Ganzinvalidität bedingen, dass ferner unter diesen Erkrankungen die 
Lungenschwindsucht wieder die höchste Mortalitätsziffer und unter den 
gesammten Erkrankungen die zweithöchste Stelle hat, die nur vom Typhus 
übertroffen wird. Namentlich die Mortalität an Lungenschwindsucht in 
der Armee regte Fetzer zu den ausgedehnten Forschungen nach dem 
Einfluss des Militärdienstes auf die Körperentwicklung an und zur Ge¬ 
winnung von Anhaltspunkten, aus welchen man die äusserlich nicht er¬ 
kennbare Anlage zu Brustkrankheiten schliessen und durch welche man 
dann bei der Recrutirung die zu Brustkrankheiten und zur Lungenphthise 
disponirenden Individuen eliminiren kann, um so die Häufigkeit der Er¬ 
krankung der Respirationsorgane namentlich an Lungenschwindsucht herab¬ 
zumindern. Fetzer nahm zur Erreichung dieses Zweckes Brustmessungen 
an den im Herbste 1877 eingestellten Mannschaften — 392 Männern — 
von bäuerlicher gesunder Abkunft im Alter von 20—21 Jahren vor. 
Die Mannschaften, welche sich im Laufe des ersten Dienstjahres durch Ver¬ 
setzung, Beurlaubung etc. auf 361 Mann verminderten, wurden im Laufe 
dieses ersten Dienstjahres 4 Mal untersucht und zwar wurden die Körperlänge, 
das Körpergewicht, die Brustumfänge und Athmungsbreite und am Anfang 
und Ende des Dienstjahres die Sagittaldurchmesser (an 3 Stellen) der 
Brust, die Frontaldistanzen der vorderen Brustgegend (an drei Stellen), 
die vitale Lungencapacität gemessen. Die gefundenen Resultate können 
nach Fetzer so ziemlich als allgemeingiltig angesehen werden, indem 
der schwäbische Volksstamm so ziemlich dem Durchschnittscharakter des 
deutschen Volkes nach körperlicher Entwicklung entspricht. Das Buch 
zerfällt in 2 Hauptabschnitte. Der erste Theil beschäftigt sich mit den 
Messergebnissen der einzelnen Untersuchungen und den Veränderungen 
Hed.-chir. Rundsohau. 1880 . * 36 


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562 


Mediciniscb-chircrgische Rundschau. 


der einzelnen Messobjecte im Laufe des ersten Dienstjahres. Der zweite 
Theil beschäftigt sich mit den Messungsobjecten an sich und in ihren 
gegenseitigen Beziehungen und enthält die Schlussfolgerungen für die 
Zwecke der Recrutirung. Die Arbeit gibt den Beweis eines grossartigen 
und bewunderungswürdigen Fleisses, der nur durch das Streben, mit 
einem logisch angelegten Untersuchungsplane etwas zu finden, gehalten 
werden konnte, sie enthält aber so unendlich viel Zahlen, dass an eine 
kurze Berichterstattung über ihren speciellen Inhalt nicht zu denken ist. 
Das Buch hat den unbedingten Anspruch darauf, unter allem bis jetzt 
auf diesem Gebiete Geleisteten das Beste und Ausführlichste zu enthalten 
und der Besitz sowohl, wie das Studium desselben ist nicht nur für den 
Militärarzt nöthig, sondern auch für den Specialarzt von Brustkrankheiten. 
Ganz allgemein wollen wir hier nur erwähnen, dass aus den Untersuchungen 
hervorgeht, dass der Militärdienst auf die Entwicklung des Körpers einen 
günstigen Einfluss ausübt und dass die verschiedenen Messungen fast in 
keinen gegenseitigen Beziehungen stehen, sondern dass im Allgemeinen 
jede Messung für sich nur brauchbare Anhaltspunkte für Beurtheilung der 
Brust gibt. 

Die Schlussfolgerungen für die Zwecke der Recrutiruug haben all¬ 
gemeines Jnteresse. Fetz er bejaht hier die Frage, ob die Messungen, 
wie er sie vornahm, einen annähernd richtigen Aufschluss über die all¬ 
gemeine Körperconstitution und über die Brustreife eines Individuums 
geben. Hinsichtlich der einzelnen Maasse kommt er zu folgenden, für 
die Recrutirungen wichtigen Resultaten, durch deren Berücksichtigung 
die zu Brustkrankheiten, namentlich Lungenphthise disponirenden Indi¬ 
viduen ausgeschieden werden können. Körperlänge. Das bisher 
schon für die Mannschaften mit der Waffe angenommene Minimalmass 
von 1-57 M. bildet die äusserste Grenze der Tauglichkeit. — Körper¬ 
gewicht unter 60 Kgrm. ist die letzte Gewichtsgrenze für einen 
Infanteristen. — Brustumfang. Das Minimalmass für die Ausathmung 
ist 76 Cm. Grosser Exspirationsumfang ohne entsprechenden Inspirations¬ 
umfang erweckt Verdacht auf Emphysem. Das Minimalmass für den Inspi¬ 
rationsumfang ist 85 Cm.; Minimalmass für den Brustspielraum ist 
8 Cm. — Sagittaldurchmesser. Fetzer misst an 3 Stellen: 
zwischen dem oberen Rand des Ausschnittes am Manubr. sterni, zwischen 
der Mitte des Brustbeins und zwischen der Vereinigungsstelle des Brust¬ 
beins mit dem Schwertfortsatz und den entsprechenden horizontal am 
Rücken gelegenen Stellen. Die Messung wurde mit dem Tasterzirkel in 
der Athempause gemacht. Als untere Grenze fand er 


für den oberen Sagittaldurchschnitt .... 12*0 Cm. 

„ „ mittleren „ .... 16*0 „ 

„ „ unteren „ .... 18-0 „ 

Sinken diese 3 Durchmesser in toto unter dieses Mass herab, so ist der 
Brustkorb für den Militärdienst zu schwach. Unter Umständen kann 
der eine oder andere Sagittaldurchmesser bei gleichzeitigen günstigen 
Maassen der beiden übrigen Durchmesser herabsinken, ohne dass deshalb 
ein Brustkorb als insufficient angesehen zu werden braucht. Fetzer 
möchte darnach als facultative Grenzen für die drei Sagittaldurchmesser 
folgende Zahlen nehmen: 


für den oberen 
„ „ mittleren 

„ „ unteren 


Sagittaldurchmesser 


. 10—11-5 Cm. 

. 13—15-5 „ 

. . 15—17-5 „ 

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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


563 


Frontaldistanzen. Untere Grenze für die obere Frontaldistanz 
(von einem Rabenschnabelfortsatz zum andern) ist 26 Cm., für die mitt¬ 
lere Frontaldistanz (von der einen kleinen Hautfalte am Uebergang der 
Brust in die vordere Achselgegend zu der der anderen Seite) ist 35 Cm., 
für die untere Frontaldistanz (von der Spitze der einen Brustwarze 
zur anderen) ist 19 Cm. Sinken alle diese Abstände unter ihren Werth, 
so ist der Brustkorb militärdienstuntauglich. Aber es ist auch hier eine 
gegenseitige Compensation wie bei den Sagittaldurchmessern als zulässig 
anzusehen und Fetz er stellt als faeultative Grenzen auf 

für die obere Frontaldistanz . . . 23—25 Cm. 

„ „ mittlere „ ... 30— 34 „ 

n » untere „ ... 17—18 „ 

Auch die Summe der 3 Frontaldistanzen ist werthvoll. Eine Distanzwerth¬ 
summe von 80 Cm. ist die letzte Grenze für Tauglichkeit eines Brust¬ 
korbes. — Respirationsgrösse. Eine genaue Messung derselben 
hängt sehr von der Anstelligkeit des zu Untersuchenden ab. Im Allgemeinen 
fordert eine genaue Yitalcapacität von 2000—2500 Ccm. zu einer genauen 
Untersuchung der Lungen auf. 

Zuletzt erwähnt F e t z e r die absprechenden Urtkeile W i n t r i c h’s 
und T o 1 d’s über den Werth der Mensuration des Brustkorbes ftir Be- 
urtheilung der Lungen. Wintrich legt mehr Werth auf das geübte 
ärztliche Augenmass und fordert die physikalische Untersuchung der Brust 
überhaupt zur Beurtheilung der Lungen. Fetzer aber glaubt, dass 
wo auch die physikalische Diagnostik im Stiche lässt, seine Messungen 
noch richtigen Aufschluss geben können. 

Ich möchte den Yerf. darauf aufmerksam machen, dass das Messen 
der beiden Brustseiten über der 2. Rippe mit dem Tasterzirkel in der 
Athempause und bei tiefster Ein- und Ausathmung sicherlich noch grosse 
Anhaltspunkte für Beurtheilung der Athmungssufficienz der oberen bei 
Brustsch wachen so wichtigen Lungentheile geben kann. 

Dass die gewöhnliche Mensuration sehr täuschen kann, weiss der, 
welcher Gelegenheit hat, viele Phthisiker oder solche Individuen zu unter¬ 
suchen, welche Anfangsstadien von zur Phthise führenden Processen in 
den Lungenspitzen haben. Man findet nicht zu selten in einem architek¬ 
tonisch gut gebauten Brustkasten bei genauer physikalischer Untersuchung 
eben erwähnte Spitzenaffectionen, und nur die Beobachtung der Athmung 
auf beiden Seiten des Thorax und die Prüfung der Hebung der Brust¬ 
wand in den oberen Theilen allein weist in solchen Fällen ohne physi¬ 
kalische Untersuchung auf eine mehr oder weniger insufficiente Lungen¬ 
spitze hin. K n a u t h e, Meran. 

441. Kommt Lungenseuche bei dem Menschen vor? Yon Dr. 
Eugen Wiedemann. (Aus der Tübinger Poliklinik. Deutsch. Arch. f. 
kl. Med. XXV. 4. 5. 1880.) 

Ein kräftiges, bis dahin ganz gesundes, 30 Wochen altes Kind, 
welches nach der Impfung keine Störungen des Befindens gezeigt hat, er¬ 
krankt plötzlich bei abheilenden Pusteln ohne jede nachweisbare Ver¬ 
anlassung. Am vierten Krankheitstage findet man eine Verdichtung des 
rechten Unterlappens mit allen dafür charakteristischen acustischen Merk¬ 
malen. Mit Rücksicht auf den ganz plötzlichen Anfang, das Verhalten der 
Temperatur und das Allgemeinbefinden, endlich die Milzanschwellung wird 
die Verdichtung als eine durch croupöse Pneumonie hervorgerufene gedeutet. 
Es fiel anfangs nur das Vorhandensein der Roseolae auf, was aber, da 

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564 


Medicinisch-cttrargisclie Rundschau. 


bei fieberhaften Erkrankungen nicht allzu selten, weniger beachtet wird. 
Bis zum neunten Tag geht alles leidlich, aber am Abend dieses Tages 
zeigt sich bei wenig in die Höhe gehenden Fiebertemperaturen, dass der 
Organismus in seiner ßesammtheit in Mitleidenschaft gezogen ist. Auf 
der linken Seite beginnt eine örtliche Erkrankung der Lunge und ein 
erneuerter Ausbruch von Roseolae wird nun als Beleg der schon vorher 
vorhandenen Allgemeinerkrankung genommen. Pleuritischer Erguss und 
Pericarditis sind nicht nachgewiesen. Unter langsamer fortschreitender 
Verschlimmerung des ganzen Zustandes geht der ursprüngliche Process 
in der rechten Lunge mehr und mehr zurück, der frisch sich entwickelnde 
in der linken Lunge scheint fortzuschreiten. Man hält an der Annahme 
einer doppelseitigen croupösen Pneumonie fest. Das Kind stirbt und die 
Section scheint wenigstens für die rechte Lunge dies zu bestätigen, links 
trifft man auf eine Lungenverdichtung, die wesentlich durch Compression und 
leichtes Oedem bedingt ist; ein kleiner Pleuraerguss, ein reichliches Peri- 
cardialexsudat haben das bewerkstelligt. Ausserdem zeigt sich eine schwere 
eitrige Entzündung über den ganzen Brustraum ausgebreitet. Die infil- 
trirte Lunge wurde als Ausgangspunkt der eiterbildenden Entzündnng 
aufgefasst und man nahm an, dass von ihrer Pleura aus der Entzündungs¬ 
erreger zur Wirkung auf die Nachbarschaft gekommen sei, in dem aus- 
ftlllenden Bindegewebe von einer Organfläche zur andern weiterkriechend 
sich weiter verbreitet und so die allseitige Betheiligung veranlasst 
habe. Die ungewöhnlich starke Milzschwellung wurde auf eine schwere 
Infection bezogen, aber der croupöse Charakter der Lungenentzündung 
auch nach der Section noch angenommen. 

Sechs Monate später erkrankt das s / 4 Jahre alte Geschwisterkind, das 
von Haus aus kräftig und bis dahin, kleine Störungen abgerechnet, immer 
gesund war, plötzlich mit schwerem Fieber, angeblich nach einer Erkältung. 
Schon am Abend des ersten Krankheitstages lässt sich in der Lunge ein 
noch nicht bestimmt abzugrenzender Herd nachweisen. Erst am sechsten 
Tage zeigt sich durch die Percussion der Ort in der Lunge, wo die Ver¬ 
dichtung ist, erst am achten Tage treten über der ganzen Ausdehnung 
der Dämpfung auscultatorisch prägnante Zeichen auf. Die bis dahin hohen 
Temperaturwerthe mindern sich um etwas. Das Allgemeinbefinden hat 
nicht wesentlich gelitten, das Kind ist relativ munter und schläft zwischen 
den Bädern, die vorgenommen und gut vertragen werden. Man nimmt 
eine einfache croupöse Pneumonie an. Am 9. Tage treten die ersten Zeichen 
der Erkrankung der linken Seite auf, allein die Temperatur ging nicht 
in die Höhe, sondern von Tag zu Tag herab. Man diagnosticirte eben¬ 
falls eine croupöse Pneumonie und glaubte, dass die wenig erhebliche Ört¬ 
liche linksseitige Erkrankung wenig Allgemeinstörungen verursache. Pleu¬ 
ritis und Pericarditis waren nicht nachweisbar. 

In der Nacht vom 11. zum 12. Krankheitstage kamen zum ersten 
Male erheblichere Störungen des Allgemeinbefindens vor: Unruhe, Schlaf¬ 
losigkeit, fortwährendes Greifen mit den Händen, Wimmern. Die Tempe¬ 
ratur war unter 39° C. gesunken, das Kind war blass und es schien sich 
um einen geringer entwickelten Zustand von Hirnanämie zu handeln, wie 
er während des Fiebernachlasses nicht selten gerade bei croupöser Pneu¬ 
monie beobachtet wird. Erst am Abend des 13. Krankheitstages zeigt 
sich ein schlimmer Ausgang; in der Nacht kommt ein fast immer bei 
kleinen Kindern das Ende verkündendes Zeichen: die starke Ausdehnung 
der Darmschlinge neben den Erscheinungen der Herzschwäche. Am 14., 
dem Todestage, wird noch eine Untersuchung vorgenommen und es zeigt 


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Medicinißch-chinirgische Rundschau. 


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sieb jetzt links im unteren Abschnitt des Brustkastens, wo noch am Tage 
vorher nur geringfügige Dämpfung nachzuweisen war, eine sehr deutliche 
Abscbwächung der Schalles mit lautem Bronchialathmen. 

Man betrachtete nun das Ganze als einen infectiösen Vorgang, 
nahm örtlich eine Verdichtung des rechten Oberlappens durch croupöse 
Pneumonie bedingt an, vermuthete links eine Compression des linken Unter¬ 
lappens durch ein pericarditisches, zuletzt eitriges Exsudat. Eine exsudative 
Verdichtung der Lunge an dieser Stelle wurde nicht für wahrscheinlich 
gehalten, weil bei niederer Temperatur die Erscheinungen der Verdichtung 
in kurzer Zeit sehr deutlich wurden; ein Erguss in den Herzbeutel war 
zwar nicht sicher nachzuweisen, aber angedeutet durch eine Ausdehnung 
der Herzdämpfung nach rechts. Von einer Pleuritis war nichts zu finden, 
obwohl eine nicht erhebliche bestehen konnte. So schloss man bei Leb¬ 
zeiten des Kindes. — Bei der Section fand sich: vorn Verwachsungen 
beider Lungen mit ihrer Umgebung, eitrige Infiltration des Mediastinalzell- 
gewebes, ziemlich grosses eitriges Pericardialexsudat, links abgesacktes 
pleuritisches Exsudat von dünn eitriger Beschaffenheit, Compression der 
Unken Lunge durch das pericardiale und pleuritische Exsudat, eitrig-fibrinöse 
Massen über der linken Pleura pulmonal., entzündliche Infiltration und 
Oedem des linken unteren Lungenlappens; rechte Lunge über dem oberen 
Lappen entzündlich verklebt, übrige Lunge frei. Die Pleura rechts oben 
entzündlich infiltrirt mit graubraunem Faserstoffbelag; der obere Lungen¬ 
lappen fest infiltrirt. Die mikroskopische Untersuchung zeigt 1. Lymplian- 
goitis im Zellgewebe mit Lymphthromben, welche Bacterien vertheilt oder 
in grossen Pilzrosen führen, vordringend bis in die Alveolarsepten. 2. Eitrig- 
zeilige Infiltration des Lungenstromes, und namentlich der Alveolar¬ 
septen. 3. Croup der verkleinerten Alveolen. 4. Hämorrhagie. Die ab¬ 
geblassten Blutkörperchen liegen theils im Stroma diffus infiltrirt, theils 
sind sie in den Exsudatpröpfen der Alveolen eingeflossen. 5. Thrombose 
der gröberen Lungenarterienäste mit massenhaften Mikrococcen, theils ver¬ 
theilt, theils in klumpenförmigen Colonien. 

Die Obduction sowohl wie die mikroskopische Untersuchung weisen 
auf einen eigenthümlichen Process hin und die merkwürdige Aehnlichkeit 
des Verlaufes der erwähnten beiden Fälle dazu genommen, geben der Ver- 
muthung Raum, dass hier die sogen. Lungenseuche, wie sie nur beim 
Rindvieh als infectiöse interstitielle Pneumonie mit Pleuritis vorkommt, vor¬ 
handen ist, zumal in dem Wohnort der Kranken von der Zeit der Er¬ 
krankung des letzten Kindes auch Lungenseuche beim Rindvieh vorkam. — 
Der mikroskopische Befund gleicht auch ganz dem, wie er in den Lungen mit 
an Lungenseuche erkrankten Rindviehes vorkommt, nur croupöse Exsudate 
in den Alveolen wurden hier noch nicht gefunden. Wie die Infection statt¬ 
gefunden hat, lässt sich nicht finden, da die Kinder in der Hauptsache 
von der Mutter gestillt wurden, ebenso ist es schwer zu bestimmen, ob 
bei der Erkrankung der Kinder erst die croupöse Form der Entzündung 
bestand und auf ihrem Boden sich die interstitielle Entzündung entwickelt 
oder ob beide Processe vom Anfang an neben einander bestanden. 

Durch die Beobachtung der hier fraglichen Fälle ist das Vorkom¬ 
men der Lungenseuche beim Menschen zwar noch nicht sicher festgestellt, 
sie gibt aber einen interessanten Beitrag zu den mannigfachen Erscheinungs¬ 
formen der Lungenentzündung. Knauthe, Meran. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


442. Allgemeines Hautemphysem mit Ansammlung brennbarer 
Gase nach Perforation eines Ulcus ventriculi. Von Dr. S. Korach. 
Aus der medicinischen Abtheilung des Cölner Bürgerhospitals. (Deutsche 
med. Wochenschr. 1880, 21 u. 22.) 

Bei der geringen Zahl der in der Literatur bekannten Fälle tob 
allgemeinem subcutanen Emphysem nach Continnitätstrennung des Darm¬ 
canals , resp. des Magens, ist der folgende casuistische Beitrag von 
Interesse. 

H. K., 36 J., soll sehr häufig an cardialgischen Schmerzen mit 
copiösem Erbrechen gelitten haben. Am 19. Jänner 1880 trat zum An¬ 
fall Bluterbrechen ein. Hochgradig collabirt und bewusstlos wird Pat. Abends 
10 Uhr in das obengenannte Spital gebracht. 

Facies hippocratica, die Extremitäten mit kaltem klebrigem Schweis» 
bedeckt; der Radialpuls nicht mehr fühlbar. Die Respiration ganz ober¬ 
flächlich, häufig intermittirend, 4—10 in der Minute. 

Die palpirende Hand hat an den prall gespannten Bauchdecken un¬ 
gefähr in einer Ausdehnung von 4 Ctm. beiderseits von der Medianlinie 
in der Umbilicalgegend deutlich die Empfindung des Emphysemknisterns. 
Während der Untersuchung und der Aufnahme des Status trat unter Aus¬ 
setzen der Respiration der Exitus letalis ein. Als 1 / 9 Stunde später die 
Leiche nochmals inspicirt wurde, hatte dieselbe Bich in dieser kurzen Zeit 
dermassen verändert, dass es schwer wurde, sie wieder zu erkennen. Das 
linke obere und untere Augenlid war stark, scheinbar ödematös, aufge¬ 
bläht, der linke Bulbus weit vorgetrieben. Am Gesicht, ebenso wie zu 
beiden Seiten des Halses, der unförmig aufgebläht ist, starkes Emphysem¬ 
knistern. Vom Halse aus setzt sich das Emphysem über die polsterartig 
erhobenen Supraclaviculargruben nach der vorderen Thoraxfläche fort, wo 
insbesondere die Regio infraclavicularis und mammalis luftkissenartig auf¬ 
getrieben ist. Am meisten ausgebildet ist das Emphysem am Abdomen 
zu beiden Seiten des Nabels, während es nach der Lumbalgegend zu sich 
allmälig verliert. 

Da einerseits der negative Befund am Thorax — beiderseits nor¬ 
maler Schall mit Hochstand des Zwerchfells — eine Verletzung der Lungen 
resp. der Luftwege als ätiologisches Moment für das Emphysem ausschloss, 
andererseits die Anamnese sowohl, als das frühzeitige Auftreten des Em¬ 
physems am Abdomen auf die Verletzung eines intraabdominellen luft¬ 
haltigen Organes hinwies, so wurde die Diagnose auf Perforation eines 
Magengeschwüres in die freie Peritonealhöhle gestellt, welche denn auch 
durch die Section bestätigt wurde; so lautete die anatomische Diagnose: 
Ulcera chronica ventriculi, narbige Strictur des Pylorus, Dilatatio ventri¬ 
culi, Perforation eines an der kleinen Curvatur gelegenen Magengeschwüres 
in die Peritonealhöhle. Maceration durch Andauung des Peritoneum 
parietale und viscerale. Allgemeines Hautemphysem und Emphysem des 
subperitonealen, mesenterialen, sowie auch des retrobulbären Zellgewebes, 
Entzündbarkeit der ergossenen Gase. 

In jüngster Zeit hat Poensgen (Inauguraldissertation, Strassburg 
1879) die Fälle von Hautemphysem nach Perforation des Magens oder 
des Darmcanales in die freie Peritonealhöhle zusammengestellt und die 
Casuistik um einen derartigen, auf der Kuss mau lachen Klinik beob¬ 
achteten Fall vermehrt. In letzterem war ebenso wie in diesem die Brenn¬ 
barkeit des ergossenen Gases constatirt worden. 

Dieser Fall liefert einen neuen Beitrag zu der bisher sehr spärlichen 
Casuistik dieses Gegenstandes. Ein in einem hochgradig ektatischen Magen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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seit Langem bestehendes Geschwür bricht in die freie Peritonealhöhle 
durch und nach 2—3 Stunden tritt zunächst circumscriptes Hautemphysem 
in der Nabelgegend auf, das sich alsbald nach dem Exitus letalis mit 
rapider Geschwindigkeit über den ganzen Körper verbreitet. Das nach 
dran Anstechen entweichende Gas verpufft mit nicht leuchtender, schwach 
bläulicher Flamme. 

Der Digestionstractus und zwar im vorliegenden Falle ein perforirtes 
Magengeschwür ist das einzige ätiologische Moment des allgemeinen Haut¬ 
emphysems. Dafür spricht ausser Anderem schon die Natur des Gases, 
das angezündet mit den charakteristischen Eigentümlichkeiten der Wasser¬ 
stoffflamme verbrennt. 

Im Normalzustände des lebenden Magens findet sich in diesem nach 
den Untersuchungen Planers H gar nicht, während Chevreuil und 
Magen die ausser N und 0, welche sie aus der verschluckten Luft 
herleiten und geringen Mengen C0 2 , die dem Blute entstammen sollen, 
H-Gas in Spuren nachgewiesen haben. 

Grössere Mengen von H, welche die Brennbarkeit des Gasgemenges 
bedingen, sind stets als pathologische Erscheinungen aufzufassen und ver¬ 
danken ihre Herkunft abnormen Gährungsprocessen, wie sie im kranken, 
besonders gastrektatischen Magen häufig eingeleitet werden. Bekanntlich 
entsteht aus der Stärke unter dem Einfluss eines von Aussen in den Magen 
gelangten Fermentes, das im gastrektatischen Magen häufig stagnirt und 
oft anhaltend dort vorhanden sein dürfte, Dextrin und Milchsäure. 

Ebenso wird der in den Magen gelangte oder dort aus Stärke ge¬ 
bildete Traubenzucker unter dem Einflüsse wahrscheinlich desselben Fer¬ 
mentes in Milchsäure verwandelt. Die Milchsäure wird, besonders bei 
Gegenwart in Zersetzung (Fäulniss) begriffener Proteinkörper, wahrschein¬ 
licher aber durch ein besonderes Ferment, in Buttersäure, Kohlensäure 
und Wasserstoff umgesetzt, wobei aus 2 Aequivalenten Milchsäure (ent¬ 
sprechend 1 Aeq. Traubenzucker), 2 Aeq. Buttersäure, 2 Aeq. Kohlen¬ 
säure und 4 Aeq. Wasserstoff gebildet werden, nach folgender bekannter 
Formel: 

Ce H 1 ,0 6 = 2 (G % H e O s ) = C 4 H B 0 2 + 2C0 i + ±H 

(Dextrose) (Milchsäure) (Buttersäure) 

Auf diesem Gährungsvorgange beruht die Bildung brennbarer Gase 
im Magen, wie solche wiederholt zum Auftreten brennbarer Buctus Ver¬ 
anlassung gaben. 

Unter diesen Fällen ist der von Ewald berichtete deshalb beson¬ 
ders interessant, weil das per Ructus entleerte Gas ausser H und Methan 
(Sumpfgas) CH 4 , auch noch Spuren von Aethylen (ölbildendem Gas) ent¬ 
hielt und wegen letzterer Beimischung mit hellleuchtender Flamme brannte. 

Für die reichliche Entwicklung von Wasserstoffgas im Magen in 
diesem Falle spricht die Beschaffenheit des in der Peritonealhöhle ange¬ 
troffenen Mageninhaltes. Unzweifelhaft hat der mit Gastrektasie behaftete 
Kranke am Tage der Katastrophe einen Diätfehler dadurch begangen, 
dass er, wie die Section lehrte, eine grosse Quantität von Brot und Kar¬ 
toffeln — die überall in der Bauchhöhle angetroffen wurden — genoss. 
Dadurch entstand beim Vorhandensein der nothwendigen Bedingungen eine 
üppige Milchsäure- und Buttersäuregährung mit Bildung bedeutender Gas¬ 
mengen, besonders auch von Wasserstoff im Magen, wodurch die Ruptur 
des Geschwüres und ihre weiteren Folgen herbeigeführt wurden. 

Einfach und schlagend erklärt sich hier der Hergang der Sache. 
Die durch Genuss reichlicher Amylaceen herbeigeführte Buttersäuregährung 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


mit ihrer massenhaften H- und CO a -Entwicklung im gastrektatiselien Magen 
hat Perforation eines tiefgehenden Geschwüres, Andauung des Peritoneum 
und schliesslich das allgemeine subcutane Emphysem zur Folge. 

Eine andere Frage ist: Auf welche Weise entstand in diesem Falle 
von Perforation des Magens mit Austritt brennbarer wasserstoffhaltiger 
Gase in die Bauchhöhle das allgemeine subperitoneale, subcutane und das 
retrobulbäre Emphysem? Es lässt sich der Weg, welchen die Gase nach 
ihrem Austritt in das Abdomen genommen haben, fast mit Sicherheit 
angeben. 

Die Perforation geschah an der kleinen Curvatur direct in die 
Bauchhöhle und die Bursa Winslowii, das schwache Omentum minus zer¬ 
reissend. Die Ränder des Ulcus sind nachweislich nicht der Ausgangs¬ 
punkt des Emphysems; die Magenwandungen zeigen weder subperitoneales 
noch submuköses Emphysem. Das Peritoneum des Zwerchfells ist voll¬ 
kommen intact; im Cavum thoracis ist weder mediastinal noch subpleural 
ein Emphysembläschen zu constatiren. 

Weder das Peritoneum der hinteren ßauchwand, noch die Becken¬ 
höhle kann die Ausgangsstelle des Emphysems sein, da hier überall 
flüssiger Speisebrei liegt, der den Durchtritt der Gase unmöglich macht. 
Unstreitig ist das subperitoneale Zellgewebe der vorderen Bauchwand der 
primäre Ausgangspunkt des allgemeinen Emphysems. Hier, in der Regio 
umbilicalis, in den Regiones iliacae, in den vorderen seitlichen Partien 
der Bauchwand wurde das parietale Peritoneum an vielen Stellen mit 
Speisebreiresten bedeckt gefunden, schwarz, wie Zunder weich, macerirt 
und zerrissen, so dass oft nur ein weitmaschiges schwarzes Strickwerk 
den Rest des zerstörten Bauchfells darstellt. Damit erklärt es sich auch, 
dass das subcutane Emphysem zuerst intra vitam in der Nabelgegend 
auftrat, kurze Zeit dort stationär blieb, und sich erst dann von hier aus 
über den ganzen Körper verbreitete. 

Die Ursache der Zerstörung des parietalen Peritoneum liegt in der 
verdauenden Kraft des über dasselbe hin ergossenen Mageninhaltes. Indem 
der hochgradig ektatische, mit Gasen und ausserordentlich reichlichen 
Chymusmengen bis zum Platzen gefüllte Magen borst, ergoss sich aus 
demselben der saure in Verdauung begriffene Speisebrei mit grosser Ge¬ 
walt; bei diesem stürmischen Entweichen werden einzelne Speisebreitheile 
an die vordere Bauchwand gespritzt und bleiben dort hängen. Oder es 
hat eine directe Begiessung der ganzen vorderen Bauchwand mit dem 
Speisebrei stattgefunden, was bei Berücksichtigung der Lage des Kranken, 
der von heftigem Würgen befallen, aufrecht, ja vielleicht vornübergebeugt 
sitzt, mehr als wahrscheinlich ist. Der die vordere Peritonealfläche be¬ 
rührende Chymus wirkt auf dieselbe alsbald verdauend ein, das angedaute 
Peritoneum eröffnet den unter hohem Druck stehenden Gasen den Weg 
in das subperitoaeale Zellgewebe und von hier aus durch das intermus- 
culäre, interfasciale Zellgewebe ins subcutane. Der in die Peritonealhöhle 
ergossene, im kleinen Becken und zu beiden Seiten des Abdomen in dessen 
hinteren Abschnitten gelegene Chymus setzt aber auch nach der Perforation 
bei der Körpertemperatur die eingeleitete Verdauung und abnorme Gährung 
fort; es werden stets neue H- und C0 2 -Mengen durch die Buttersäure- 
gährung gebildet und so die Vis a tergo geliefert, welche die Gase in 
immer grösseren Mengen durch die bauchfellfrei gewordenen Stellen der 
Bauchwandung ins subperitoneale und subcutane Zellgewebe fortschiebt. 

Die Gasentwicklung aus dem in die Peritonealhöhle ergossenen 
Chymus , sowie die Andauung des parietalen Bauchfells dauerten auch 


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Med icinisch-chirurgische Bundschau. 


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nach dem Ableben des Kranken noch fort, ja erreichen um diese Zeit 
erst ihr Maximum. Daher sah man das in den letzten Lebensstunden 
entstandene umschriebene Emphysem in der Nabelgegend erst post mortem 
über den ganzen Körper sich ausbreiten, diesem das frappirende Aussehen 
verleihend, welches diese merkwürdige Leiche darbot. Dass das Emphysem 
erst kurz vor dem Tode, in einigen anderen Fällen sogar erst postmortal 
anftrat, hat, abgesehen von der raschen Letalität der Magenperforationen, 
vielleicht auch darin seinen Grund, dass die günstigen Bedingungen für 
die Selbstverdauung, resp. Andauung der Gewebe erst dann sich einstellen, 
wenn die Circulation (die Erneuerung des Blutes) in diesen Theilen bis 
auf einen gewissen Grad abgeschwächt ist, oder wie post mortem ganz 
aufgehört hat. Dann kann die Neutralisation des Magensaftes durch das 
alkalische Blut nicht mehr ergiebig genug stattfinden und die Folge davon 
ist Andauung der Gewebe. 

Leber die Entstehung des retrobulbären Emphysems bemerkt Verf., 
dass er die Fissura orbitalis inferior für die Haupt-Eintrittsstelle der 
Gase hält. 0. R. 


443. Morbus Basedowii mitMelliturie. Von Dr. Georg Fischer, 
Privatdocent. (Aerztl. Intellig.-Bl. 1880. 27.) 

In der neuesten Auflage von Eulenburg’s Lehrbuch der Nerven¬ 
krankheiten findet sich die Bemerkung, dass der Verfasser Diabetes mel¬ 
litus als Begleiterscheinung des Morb. Basedowii beobachtet habe. Doch 
ist in der gesammten Verf. zugänglichen Literatur nirgends eine ähnliche 
Beobachtung verzeichnet. Bei der grossen Unklarheit, in der sich die 
Pathologie sowohl der Basedowschen Krankheit, als der Zuckerharnruhr 
zur Zeit noch befindet, ist dieser die von Eulenburg mitgetheilte That- 
sache bestätigende Fall von Interesse. 

In der Pathologie beider oben erwähnten Affectionen spielt bekannt¬ 
lich das sympathische Nervensystem eine Rolle. Besonders ist man gewöhnt, 
das eigentümliche Symptomenbild des Morb. Basedowii als eine Neurose 
des Halssympathicus oder der Centren derselben in der Medulla oblongata 
zu betrachten. 

Was die Pathogenese des Diabetes mellitus betrifft, so liegen zahl¬ 
reiche pathologisch-anatomische wie experimentell-pathologische Beobach¬ 
tungen vor, die die Vermutung nahe legen, die genannte Erkrankung 
könne in einzelnen Fällen mit einer Erkrankung des Brust- und Bauchtheils 
des Sympathicus Zusammenhängen (Splanchnici, Gangl. solare, Grenzstrang). 
Es existiren aber auch Thatsachen, die einen Zusammenhang der Func¬ 
tionen des Halssympathicus mit dem Entstehen der Melliturie vermuten 
lassen: Pavy erhielt Diabetes nach Verletzung des oberen Halsganglions, 
Eckhard nach der des untersten Halsganglions und obersten Brustganglions. 
Schiff nach Querschnitten durch das RM. unterhalb der Medull. oblong., 
die die aus jedem Wurzelpaare zum Sympathicus tretenden vasomotorischen 
Bahnen unterbrachen. Cyon und Aladoff endlich constatirten durch 
das Thierexperiment, dass Nerven vom RM. in das untere Halsganglion 
und von diesem durch den Annulus Vieusenii zum Brusttheil des Sym¬ 


pathicus verlaufen, deren Lähmung Diabetes verursacht. Werden die 
Resultate dieser Versuche in hypothetischer Weise auf die Pathologie des 
Menschen übertragen, und gehen wir zurück auf die oben angedeuteten 
Theorien über die Pathogenese des M. Basedowii, so liegt der Schluss 
sehr nahe, dass im Halssympathicus oder dessen Centred sowohl Apparate 


vorhanden sein müssen, deren Erkrankung Morbus Basedowii, als solche, 

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Medicimsch-chinLrgische Rundschan. 


deren Läsion Diabetes mellitus verursachen kann. Weiter liesse sich 
folgern, dass räumlich sich so nahe liegende Nervenbahnen unter Uni' 
ständen gleichzeitig erkranken können, und dieser Schluss würde an Sicher¬ 
heit sehr gewinnen durch Eulenburgs Beobachtungen und durch den 
vom Yerf. mitgetheilten Fall, betreff dessen ausführlicher Schilderung wir 
auf das Original verweisen. 

Ausser der Complication mit der Melliturie bietet der Fall folgende 
Punkte, welche Verf. hervorhebt: die drei Hauptsymptome des Morb. 
Basedowii: Herzpalpitationen, Struma, Exophthalmus, waren in exquisiter 
Weise vorhanden, auch die Reihenfolge, in welcher dieselben sich ent¬ 
wickelten, war die gewöhnliche. Auffallend ist der Umstand, dass Patient 
mit aller Bestimmtheit angibt, es habe zuerst eine linksseitige Stroma 
bestanden, sei dann vergangen und an ihrer Statt habe sich der jetzige 
rechtsseitige Kropf entwickelt. — Während der Kropf rechtsseitig ist, 
ist der Exophthalmus am linken Auge ungleich stärker. Dies ist von 
einigem theoretischen Interesse. Man hat nämlich die Hypothese aufgestellt, 
der Exophthalmus entstehe dadurch, dass die geschwellte Schilddrüse auf 
den Halsstamm des Sympathicus drücke und dort Fasern reize, die durch 
Innervation des Müller ’schen Orbitalmuskels den Bulbus aus der Orbita 
herausdrängten. Gegen diese Theorie dürfte ausser anderen Beobachtungen, 
die dieselbe schon zur Genüge widerlegen, auch dieser Fall beweisend 
sein. Existirte wirklich ein solcher Zusammenhang, so müsste hier der 
Exophthalmus rechts stärker sein, weil dort die harte Struma auf den Hals¬ 
stamm drücken könnte, während links bei dem fast völligen Fehlen einer 
Geschwulst der Schilddrüse auch kein Exophthalmus vorhanden sein könnte. 

Von Graefe wurde bekanntlich ein Symptom zuerst beobachtet 
und beschrieben, das als pathognostisch für den Morb. Basedowii hin- 
gestellt wurde. Während beim normalen Menschen das obere Augenlid bei 
Rotation des Bulbus von unten nach oben und umgekehrt der Yisirebene 
folgt, ist diese Synergie bei Basedowschen Kranken aufgehoben und zwar 
meist schon in frühem Stadium der Krankheit und bei gering entwickeltem 
Exophthalmus. Hier ist dieses Graefe Sehe Symptom trotz der hohen 
Entwicklung des Leidens und trotz des für den stark prominenten Bulbus 
insufficienten oberen Lides nicht vorhanden. Auch Eulenburg vermisste 
das Graefe Sehe Symptom bei mehreren Kranken. 

Vermehrte Thränensecretion war bei diesem Falle nicht vorhanden; 
sie wurde sonst häufig beim BasedowSchen Exophthalmus beobachtet und 
wird verschieden erklärt: refiectorisch durch Reize, welche die in starkem 
Masse der Luft ausgesetzte Conjunctiva treffen, neuropathologisch durch 
Reizung oder Lähmung secretorischer oder vasomotorischer Fasern, die 
die Thränendrüse aus dem Sympathicus bezieht; eine dritte mechanische 
Erklärung wird nahe gelegt durch eine Beobachtung, die Verf. vor 
einigen Jahren an einem Hingerichteten machte. Bei Reizung des Hals¬ 
stammes mittelst faradischer Ströme sah er nämlich Erweiterung der 
Pupille, Vortreten des Bulbus, Erweiterung der Lidspalte und reichliches 
Ausfliessen von Thränen. Nachdem bei diesem Versuch von Einwirkung 
sympathischer Fasern auf die Thränensecretion bei aufgehobenem Kreis¬ 
lauf selbstverständlich nicht mehr die Rede sein konnte, bleibt nur übrig, 
anzunehmen, es sei das Ausfliessen der Thränen Folge des mechanischen 
Druckes des vortretenden Bulbus auf die Thränendrüse gewesen. 

In Uebereinstimmung mit anderen Beobachtern beobachtete auch 
Verf. an dem Kranken auffallende psychische Symptome, Aengstlichkeit, 
Präcordialangst, häufige Verstimmung. Als Zeichen allgemein erhöhter 


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Medicinisch-chinirgieche Bund schau. 


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Erregbarkeit des Nervensystems fasst er auch die Steigerung der Sehnen¬ 
reflexe auf, die entschieden zu constatiren war. Auch die Hautreflexe 
waren lebhafter als gewöhnlich. Heredität schien nicht vorhanden; zu be¬ 
achten ist aber der Umstand, dass 4 Kinder des Kranken an eklamp- 
tischen Anfällen starben. 0. R. 


444. Ein Fall von Paracentesis Pericardii. Aus der med. Klinik 
zu Freiburg i. B. Von Dr. C. Hindenlang. (Deutsch. Arch. für klin. 
Med. Band 24. Deutsche med. Wochenschr. 1880. 15.) 


Ein 20 Jahre alter, früher stets gesunder Mann, welcher seit 2 1 / a 
Monaten an einer Pericarditis exsudativa litt, wurde am 26. October 1877 
behufs Punction des Pericards in die Freiburger medicinische Klinik auf¬ 
genommen. Der Status praesens ergab Cyanose, Dispnoe, frequenten, bei 
der Inspiration fast ganz intermittirenden Puls, sehr grosse pericarditische 
Dämpftingsfigur, Fehlen des Spitzenstosses, schwache, kaum hörbare Herz¬ 
töne. Am 3. Tage nach der Aufnahme Punction mit der Hohlsonde des 
D i eulafoy’schen Apparates zuerst im 5. Intercostalraume 5 Ctm. nach 
anssen vom linken Sternalrand, alsdann 1 Ctm. weiter nach aussen und 
zuletzt im 4. Intercostalraume 2 Ctm vom linken Sternalrand entfernt ; 
jedes Mal ohne Erfolg. Die Nadel wurde circa 4 Ctm. tief eingestochen. 
Am nächsten Tage Wiederholung der Punction mit einem feinen Troicar 
(1*5 Mm. dick) abermals im 5. Intercostalraume 4 Ctm. nach aussen vom 
linken Sternalrand. Tiefe des Einstichs 5—6 Ctm. Diesmal werden 
durch Aspiration 300 Gr. einer dunkelrothen Flüssigkeit entleert, welche 
mikroskopisch viele wohlerhaltene Blutkörperchen, Fibrin in Form schlauch¬ 
artiger Gebilde, hyaliner Membranen oder als feinkörnige Masse enthält. 
Darnach besserte sich der Zustand des Patienten wesentlich, Dyspnoe und 
Cyanose wurden geringer, die Dämpfungsfigur nahm ab, die Harnmenge 
bedeutend zu. Nach 6 Wochen abermalige Punction wegen Verschlim¬ 
merung aller Symptome an der früheren Stelle. Entleerung von 500 Ccm. 
einer fast klaren gelblichen Flüssigkeit. Darnach entschiedene subjective 
Erleichterung, Zunahme der Harnmenge, Verschwinden des Pulsus para- 
doxus. Patient wird nach 5 Monaten gebessert entlassen. 2 Monate später 
Exitus letalis. Keine Autopsie. Interessant ist in diesem Falle das Vor¬ 
handensein des Pulsus paradoxus, der freilich schon von Traube und 
Baeumler bei grossen Pericardialexsudaten nachgewiesen wurde, und die 
Zunahme der Harnmenge nach der jedesmaligen Punction. 

Bei einem zweiten Falle, der von Prof. Kussmaul in der Strass¬ 
burger Klinik behandelt wurde, und den Verfasser in zweiter Reihe mit¬ 
theilt, bestand neben einem grossen Pericardialerguss ein rechtseitiges 
pleuritisches Exsudat. Hier wurde im 5. rechten Intercostalraume 1*5 Ctm. 
nach aussen von der Mamillarlinie das erste Mal unabsichtlich, das zweite 
Mal mit Absicht, aller Wahrscheinlichkeit nach durch das pleuritische 
Exsudat hindurch das Pericardial-Exsudat punctirt. Es entleerte sich jedes¬ 
mal zuerst ein helles klares Serum, bei tieferem Einstechen eine trübe 
braunrothe Flüssigkeit. Pat. verliess vor völliger Heilung die Klinik. 

Anschliessend an obige 2 Fälle hat Verfasser sämmtliche bisher aus- 
geführte Paracentesen des Pericards zusammengestellt und kommt zu dem 
Resultat, dass der Erfolg derselben ein verhältnissmässig günstiger ist. 
Bei 50 Fällen wurde 6 Mal die Punction nur versucht, 65 Mal wirklich 
ausgeführt. In 32 # 3 Percenten trat mehr oder weniger vollständige Ge¬ 
nesung ein. Die Art der Operation war: 1. Incision (7 Mal). 2. Incision 
mit Punction (3 Mal). 3. Punction: a) mit dem Troicar (21 Mal); b) mit 


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Mediciniaeh-chirnrgische Rundschau. 


der Hohlnadel (11 Mal); c) mit der Pravaz’schen Spritze (1 Mal). Der 
Ort der Operation war ein sehr verschiedener. 

Nach den bisherigen Erfahrungen ist am meisten zu empfehlen die 
Function mit der Hohlnadel oder dem Troicar verbunden mit Aspiration 
und als Einstichstelle der 4., 5. oder 6. Intercostalraum 3—4 Ctm. nach 
aussen vom linken Sternair and. 


445. Beiträge zur Kenntniss des acuten Morbus Brightii. Von 
E. Wagner. (Deutsch. Archiv f. klin. Medic. 1880. VI.) 

Unter acutem Morbus Brightii versteht der Verf. diejenige Nieren¬ 
krankheit , bei welcher Tage und Wochen lang spärlicher Ham mit Ei- 
weiss und Cylindern, häufig mit weissen oder rothen Blutkörperchen, bis¬ 
weilen mit Epithelien abgesondert wird. Er unterscheidet zwei Haupt¬ 
arten des krankhaften Harns: blutigen und blutfreien. Ersterer, 
an der rothen oder bräunlichen Farbe kenntlich, mit geringem oder mittel¬ 
starkem Eiweissgehalt, enthält meist zahlreiche rothe, weniger weisse Blut¬ 
körperchen, Cylinder aus rothen Blutkörperchen, sowie verfettete oder 
hyaline Cylinder, besetzt mit Blutkörperchen, mit Hämatoidinkömehen oder 
mit Epithelien, endlich Detritus. Harnsäure-Krystalle treten erst mit der 
Besserung der Krankheit auf. Der blutfreie Ham von hohem specifischen 
Gewicht. Er enthält selten und wohl nur auf kurze Zeit (Va—1 Tag) 
blos Eiweiss in meist reichlicher Menge ohne Cylinder. Gewöhnlich zeigt 
er von Anfang an neben dem Eiweiss weisse Blutkörperchen, meist hyaline 
Cylinder mit Auf- und Einlagerungen, sehr selten reine Epitheleylinder. 

Pathologisch anatomisch unterscheidet Verf. folgende Formen des 
acuten Morbus Brightii: 1. Die hämorrhagisch-katarrhalische 
Form, leichter acuter hämorrhagischer M. B. Hämorrhagien in der Höhle 
der Glomeruli und in angrenzenden gewundenen Canälen, meist auch in 
den Schleifen und Sammelröhren; das interstitielle Gewebe normal. 
Niere nicht vergrössert und von normaler Consistenz. Der fast regel¬ 
mässige Ausgang dieser Form ist vollständige und meist rasche Heilung. 
2. Die hämorrhagisch - katarrhalische und gleichzeitig 
interstitielle Form, schwerer acuter hämorrhagischer M. B. Hämor¬ 
rhagien wie bei der ersten Form; dabei ist das interstitielle Gewebe 
zugleich kleinzellig infiltrirt. Die Niere ist vergrössert und von fester 
Consistenz. Diese Form kann zwar heilen, tödtet aber Öfter durch 
Urämie, seltener Wassersucht; sie wird in gleichmässigem Fortgang oder 
in Form von Anfällen chronisch; erst jetzt gesellt sich fest stets Herz¬ 
hypertrophie hinzu. Klinisch lassen sich beide Formen nicht mit Sicher¬ 
heit unterscheiden; bei der interstitiellen Form sind neben den rothen 
Blutkörperchen weisse in viel grösserer Zahl im Urine nachzuweisen; 
unterstützt wird die Diagnose durch Berücksichtigung der Dauer der 
Krankheit, des Oedems, der Herzverhältnisse. 3. Die vergrösserte 
blasse Niere, meist ohne, selten mit Hämorrhagien. Der Verf. 
trennt zwei Unterarten, deren eine vorzugsweise dem Scharlach und der 
Diphtheritis angehört, seltener bei Typhus abdominalis, Recurrens, Phthise, 
manchen Intoxicationen vorkommt und sich durch fettige Trübung und 
Formveränderung der Epithelien, sowie durch Füllung der Harncanälchen 
mit-einer dem geronnenen Eiweiss ähnlichen Masse auszeichnet, während 
das Stroma normal erscheint; deren zweite — überhaupt seltenste — 
vorzugsweise bei Scharlach gefunden wird und sich durch Infiltration der 
Rinde mit Rundzellen, vorwiegend in der Umgegend der Kapseln charak- 
terisirt — „acute lymphomatöse Nephritis“. Beide Formen heilen — der 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. g73 

gewöhnliche Ausgang — oder tödten durch Urämie, werden aber nicht 
chronisch. 

Verf. bespricht nun 70 in der Leipziger Klinik vorgekommene Fälle, 
von denen etwa ein Drittel tödtlich verlief. 

Zu dem primären acuten M. B. rechnet man die durch Erkältung 
entstandenen und diejenigen Fälle, über deren Ursache nichts bekannt 
ist. Die Zahl der primären acuten Nephritiden vermindert sich umsomehr, 
je genauer die Anamnese, je sorgfältiger die Untersuchung des ganzen 
Körpers vorgenommen wird. In einer dreijährigen Spitalsbeobachtung 
kamen nur 5 Kranke vor, bei denen schwere Erkältungen als Ursache 
angenommen werden mussten. Alle 5 Kranke hatten acuten, stark oder 
leicht hämorrhagischen M. B.; alle genasen, zwei unter schweren 
Zwischenfällen. 

Secundär kommt der acute M. B. bei den verschiedensten Krank¬ 
heiten vor. So bei Pneumonie (acuter hämorrhagischer M. B. bis zum 
5. Tage) ohne Einfluss auf den Verlauf der Krankheit*, bei Phthise (acuter 
hämorrhagischer M. B., in einem Falle subacute interstitielle Form); bei 
Abdominaltyphus (in 3 Formen) ohne Einfluss auf den Verlauf; bei Febris 
recurrens (acute hämorrhagische Nephritis); bei Hauterysipel; bei acutem 
Gelenk-Rheumatismus; bei acuten, nicht infectiösen Eiterungen der Haut, 
sowie innerer Organe; im Puerperium; in Folge von acuten Vergiftungen 
mit Schwefelsäure, Salzsäure, Phosphor, Carbolsäure, Blei; bei Scorbut; 
im Verlaufe chronischer Herzkrankheiten und des Lungenemphysems. 

Bei Scharlach kommt der acute M. B. in zwei verschiedenen Formen 
vor: einmal während des Exanthems und zweitens in der dritten Krank¬ 
heitswoche. — Die initiale Scharlach-Albuminurie ist Folge des specifi- 
schen Scharlachgiftes, wozu noch Verschiedenheiten nach Art der Epidemie, 
sowie des einzelnen Individuums hinzukommen. Zumeist wird schon früh¬ 
zeitig ein spärlicher blutiger Harn beobachtet; die Affection heilt weiterhin 
oder es tritt allgemeines Oedem mit oder ohne Urämie, mit Heilung oder 
tödtlichem Ausgang ein. Die gewöhnliche allbekannte Scharlach-Nephritis 
ist die am Ende der 2., besonders aber in der 3. Krankheitswoche vor¬ 
kommende. Der Urin enthält weisse Blutkörperchen und hyaline Cylinder 
in grosser Anzahl, selten einzelne rothe Blutkörperchen. In der Niere 
findet sich in der Regel Zelleninfiltration des interstitiellen Gewebes, be¬ 
sonders um die Glomeruli und zwischen den Harncanälchen (acute lym¬ 
phomatöse Nephritis). 

Bei Diphtheritis ist der acute M. B. eine sehr gewöhnliche Erschei¬ 
nung. Etwa die Hälfte der Fälle von Rachen-Diphtheritis zeigt, meist 
von den ersten Krankheitstagen an, Albuminurie; in einzelnen Epidemien 
ist dies noch häufiger; Grad und Art der Albuminurie wechseln. In dem 
spärlichen, blassen, trüben Urine findet man vorzugsweise weisse Blut¬ 
körperchen und hyaline Cylinder. In der Leiche zeigt sich die Niere ver- 
grössert, mit oder ohne Infiltration des interstitiellen Gewebes, Degeneration 
und Fehlen der Epithelien. 


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574 


Mediciaisch-chirurgMuhe Rundschau. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 


446. Resorcin als Antipyreticum. Von Prof. Dr. Liebt heim in 
Bern. (Corresp.-Bl. für Schweiz. Aerzte 1880. 14.) 

Seitdem von mehreren Seiten auf die antiseptische Wirkung des 
Resorcin hingewiesen worden war, hat Verf. Versuche über die Ver- 
werthung desselben als Arzneimittel angestellt. Dieselben zeigten auch, 
dass wir in diesem Körper ein Antipyreticum besitzen, das in Bezug auf 
Grösse und Sicherheit der Wirkung dem Chinin und der Salicylsäure in 
mancher Hinsicht überlegen ist, jedoch ist die Resorcinwirkung sehr 
wesentlich von der der obengenannten Stoffe verschieden. 

Gibt man einem hochfiebernden Kranken eine Dosis von 
2*0—3*0 Resorcin in Lösung oder in Substanz, so zeigen sich schon 
nach wenigen Minuten die ersten Zeichen der Einwirkung. Schwindel und 
Ohrensausen treten ein, das Gesicht wird lebhaft geröthet, die Augen 
noch glänzender als zuvor, die Athmung beschleunigt sich, der Puls wird 
um einige Schiäge frequenter, meist etwas unregelmässig. 10—15 Minuten 
nach der Application beginnt die Haut feucht zu werden, die Schweiss- 
secretion wirdallmälig stark und nach weitern 15 Minuten ist der Kranke 
am ganzen Körper in Schweiss gebadet. Mit diesem Schweissausbruch 
lassen die zuerst erwähnten Excitationserscheinungen nach, Schwindel und 
Ohrensausen sind meist schon 15 Minuten nach Einführung des Medi- 
caments verschwunden, und es erfolgt nun gleichzeitig mit der starken 
Schweissabsonderung eine rapide Entfieberung des Kranken, Pulsfrequenz 
und Temperatur sind schon eine Stunde nach der Anwendung des Medi- 
caments auf die Norm gesunken. Die Schweisssecretion hat inzwischen 
aufgehört, die Haut des Patienten ist feucht und kühl, sein Allgemein¬ 
befinden das eines fieberfreien Individuums. Die Differenz im Aussehen 
derartiger Kranker vor der Resorcinwirkung und auf der Höhe derselben 
ist eine sehr eclatante. Die Grösse der Temperaturdifferenz beträgt in 
solchen Fällen 3° und mehr, die Zahl der Pulsschläge sinkt um mehr 
als ein Drittel. Freilich sind diese grossen Effecte keineswegs immer zu 
constatiren; es zeigt sich auch dem Resorcin gegenüber eine sehr grosse 
Differenz in der Resistenz des Fiebers, und zwar gelten hiebei dieselben 
Regeln, wie bei der Wirkung der schon bekannten antipyretischen 
Agentien. Je geringer die Neigung zu spontanen Remissionen, um so 
geringer füllt der antipyretische Effect des Resorcins aus, das Fieber der 
Pneumonien und der Erysipele ist im Allgemeinen hartnäckiger, als das 
der Unterleibstyphen, und schwere Typhen antworten zumal in den ersten 
Stadien auf das Resorcin viel weniger prompt oder vielmehr sehr viel 
weniger ergiebig, als die leichten. Vollkommen versagt das Resorcin nach 
L. auch dem hartnäckigsten Fieber gegenüber nicht, Temperatur und 
Pulsfrequenz gehen auch in diesen Fällen herunter, nur beträgt der 
Temperaturabfall oft nicht mehr als 1°, mitunter noch weniger, und dem 
entsprechend gestaltet sich das Herabgehen der Pulsfrequenz. Ein unver¬ 
kennbarer Parallelismus besteht zwischen der Grösse der Schweissproduction 
und der Intensität der Entfieberung, je stärker jene, um so grösser füllt 
der Temperaturabfall aus. 

Ist hiernach das Resorcin in Bezug auf Sicherheit der Wirkung 
und Grösse des Effectes der Salicylsäure und dem Chinin überlegen, so 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


575 


fällt hingegen die Dauer der Wirkung beim Resorcin sehr viel geringer 
aus, als bei den erwähnten Mitteln. Mitunter schon 2 Stunden nach der 
Application, meist nach 3—4 Stunden beginnt die Temperatur zu steigen. 
Eine weitere Stunde später ist Temperatur und Pulsfrequenz zum alten 
Stande zurückgekehrt, und dem entsprechend hat sich auch das Allgemein¬ 
befinden der Kranken gestaltet. 

Das rasche Vorübergehen der Wirkung ist nicht die einzige Schatten¬ 
seite, welche dem Resorcin als Antipyreticum anhaftet, dieselbe würde 
auch nicht allzu schwer ins Gewicht fallen, da man, wie die Erfahrung 
gezeigt hat, ohne Schaden für den Kranken, dieselbe Dosis mehrmals 
am Tage wiederholen kann. 

Die Schwierigkeiten, welche sich der allgemeinenVerwerthung des 
Resorcins in der ärztlichen Praxis in den Weg stellen, liegen in dem 
Excitationsstadium, welches der Entfieberung vorangeht; in einer nicht 
geringen Anzahl von Fällen gestalteten sich nämlich die Excitations- 
erscheinungen sehr lebhaft. Schon in den leichtern Formen macht sich 
häufig mit der Steigerung der Respirationsfrequenz eine stöhnende Exspi¬ 
ration bemerkbar, und die trägen Antworten der Kranken zeigen, dass 
sich dieselben in einem rauschähnlichen Zustande befinden. In anderen 
Fällen beginnen die Kranken zu deliriren, und der Inhalt ihrer Reden 
zeigt, dass sie Wahnvorstellungen haben. Die Sprache wird dabei mit¬ 
unter lallend und häufig begleitet ein ganz leichtes convulsivisches Zittern 
der Hände und Finger diesen Zustand. Einer von den Kranken verfiel 
in einen tiefen Schlaf, während dessen er nicht erweckt werden konnte, 
aus dem er jedoch bei Eintritt der Defervescenz ohne alle Nachwehen 
erwachte. 

Bei weichen Kranken diese unangenehmen Nebenwirkungen des 
Resorcin zu erwarten stehen, lässt sich bisher nicht aussagen. Verfasser 
glaubte zuerst, dass bei denjenigen Kranken, welche ohnehin zu Delirien 
neigen, das Resorcin diese Wirkungen auslöst. Doch hat er bei einem 
schweren delirirenden Unterleibstyphus diese Nebenwirkungen fehlen sehen 
und ist ihnen bei nicht delirirenden leichteren Kranken begegnet. Eher 
ist er geneigt anzunehmen, dass diese Hirnerscheinungen um so erheb¬ 
licher ausfallen, je geringer der antipyretische Effect sich gestaltet. Sicher 
spielt die Individualität der Kranken hierbei eine grosse Rolle, wenigstens 
ist bei demselben Individuum meist der Ablauf der Erscheinungen bei den 
einzelnen Appiicationen im Wesentlichen derselbe. 

Wenn nun auch diese Phänomene stets sehr rasch vorübergehend 
sind und in keiner der Beobachtungen länger als eine halbe Stunde an¬ 
gedauert haben, so sind sie doch unangenehm genug, um der ausge¬ 
dehnten Anwendung des Resorcins in der Privatpraxis Schwierigkeiten in 
den Weg zu legen. 

Die Versuche, welche Verf. bisher anstellte, um diese Neben¬ 
wirkungen ohne Schädigung des antipyretischen Effects zu vermeiden, 
sind von keinem Erfolge gewesen. Das nächstliegende war es, an Stelle 
der grossen Dosen, rasch auf einander folgende kleinere Gaben zu reichen. 
Da die Defervescenz eine viel längere Dauer hat, als die Hirnsymptome, 
so durfte man hoffen, auf diesem Wege letztere zu vermeiden und doch 
durch Cumulation der Einzeleffecte jene zu erzielen. Gleichzeitig stand 
bei dieser Darreichungsform eine viel längere Dauer der antipyretischen 
Wirkung zu erwarten. Allein diese Hoffnungen erwiesen sich als verfehlt: 
die Hirnerscheinungen blieben freilich aus, aber der Einfluss auf Puls¬ 
frequenz und Temperatur war ein sehr viel geringerer, viel weniger 


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576 


Medicin isch-cb i mrgische Randscbaa. 


prägnant. Man kann auf diese Weise sehr grosse Resorcinmengen dem 
Organismus einverleiben, — L. hat bis zu 10-0 in stündlichen Gramm¬ 
dosen gegeben, — ohne dass Temperatur und Pulsfrequenz die Norm 
erreichen, und ohne dass die typische profuse Schweissproduction eintritt, 
und dies bei Individuen, bei welchen eine Dosis von 3*0 genügt, um 
jedesmal aufs prompteste die erwähnten Wirkungen zu erzielen. Auch 
die Darreichung in halbstündigen Intervallen war von dem erwünschten 
Erfolge nicht begleitet. 

Auch die (Kombination von Resorcin mit andern antipyretischen 
Arzneimitteln hat befriedigende Resultate bisher nicht gegeben. Vom Chinin 
schien es — es wurde meist eine Gabe von 1*0 Chinin einer Dosis von 
2-0 Resorcin um eine oder mehrere Stunden vorausgeschickt — dass 
durch dasselbe die Resorcin Wirkung in keiner Weise beeinflusst würde; 
sie lief ganz in der nämlichen Weise ab, als wenn das Chinin vorher 
nicht verabfolgt worden wäre. 

Einen etwas bessern Erfolg glaubt L. durch die (Kombination des 
Resorcin mit der Salicylsäure erzielt zu haben. Hier war der Effect voa 
2*0 Resorcin, dem um mehrere Stunden 2*0 Natron salicylicum voran¬ 
geschickt worden waren, ein ungewöhnlich langdauernder. Die Excitations- 
phänomene waren aber vorhanden, wenn auch nicht sehr hochgradig. 

Auch mit kalten Bädern wurde die Anwendung des Resorcins com- 
binirt, jedoch lediglich zur Unterstützung der Wirkung der Bäder bei 
zwei sehr schweren Unterleibstyphen, deren sehr hohe Fiebertemperatur 
durch die kalten Bäder allein absolut nicht beeinflusst wurden. Hier 
brachte das Resorcin eine zwar nicht sehr grosse, aber doch deutliche 
Wirkung hervor. Der Ablauf der Erscheinungen war derselbe, wie bei 
alleiniger Darreichung des Resorcins; hochgradige Hirnerscheinungen 
wurden überhaupt nicht beobachtet. 

In den vorübergehenden Excitationsphänomenen liegt nach L. die 
einzige Schwierigkeit ftlr die allgemeine Verwertliung des Resorcins als 
Antipyreticum. Zumal für die Anwendung desselben in der Privatpraxis 
dürfte dieselbe ein nicht unerhebliches Hinderniss sein. Wenn es gelingen 
sollte, durch irgend eine Modiflcation in der Darreichung des Mittels, 
durch irgend eine Combination desselben mit andern Stoffen sie zu ver¬ 
meiden, so würde das Resorcin sicher ein beliebtes Präparat werden. 
Denn es sind diese rasch vorübergehenden Erscheinungen die einzigen 
Unannehmlichkeiten beim Gebrauche desselben; irgend welche länger¬ 
dauernden störenden Nachwirkungen sind bei keinem Kranken beobachtet 
worden. 

Der Harn, welcher nach der Resorcin-Darreichung ausgeschieden 
wird, nimmt an der Luft sehr rasch eine dunkelbraunschwarze Färbung 
an, die der des Phenolharns sehr ähnlich ist. Der nach der Darreichung 
abgeschiedene Harn ist eiweissfrei, wenn er nicht schon vorher Eiweiss 
enthielt. 

Niemals hat L. ferner Collapserscheinungen während oder nach 
der Resorcinwirkung eintreten sehen. Doch soll damit die Möglichkeit 
eines solchen Ereignisses nicht in Abrede gestellt, unter Umständen mag 
es bei dem Resorcin, so gut wie bei den andern Antipyreticis Vorkommen. 
Doch ist das gewiss ungemein selten, einen schwächenden Einfluss auf 
das Herz scheint das Resorcin nicht auszuüben. Sehr lehrreich in dieser 
Hinsicht sind zw'ei Fälle von schweren Typhen gewesen, bei denen die 
Herzschwäche schon einen sehr hohen Grad erreicht hatte und sich durch 
ungemeine Frequenz des sehr kleinen Pulses, durch hochgradige Cyanose 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rnndschan. 


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und Kälte der peripheren Körpertheile äusserte. Auch von diesen Kranken 
ist das Resorcin ohne jeden Schaden vertragen worden. Es entspricht 
vielmehr der durch das Resorcin ausgelösten Pulsverlangsamung auch eine 
Steigerung des arteriellen Drucks. Sphygmographische Curven zeigen, dass 
die Dicrotie des Pulses unter der Resorcinwirkung allmälig geringer wird, 
dass die Riickstosselevation sich verkleinert und dass auf der Höhe der 
Wirkung die Pulscurve der normalen sehr nahe steht. 

Den energischen Einwirkungen, welche das Resorcin auf fiebernde 
Kranke ausübt, steht nun entgegen seine absolute Wirkungslosigkeit 
nicht Fiebernden gegenüber. Wenigstens bei den Dosen, welche L. an¬ 
gewendet hat, die übrigens grösser waren, als die gegen das Fieber 
w irksamen Gaben. Ganz gleich verhalten sich hier auch die anderen Anti- 
pyretica Chinin und Salicylsäure, wie es denn überhaupt unverkennbar 
ist, dass eine grosse Analogie zwischen der Wirkungsweise des Resorcins 
und der der genannten Antipyretica existirt, so different bei der ersten 
Betrachtung der Verlauf der Erscheinungen sich gestaltet. Die Resorcin¬ 
wirkung repräsentirt die auf einen kurzen Zeitraum zusammengedrängte 
Wirkuug der Salicylsäure und in dieser comprimirten Form gestalten sich 
die einzelnen Phänomene — die Excitationserscheinungen ebenso wie die 
Entfieberung — sehr viel gewaltiger. Dies eigentümliche Verhalten des 
Resorcins wird auf Rechnung seiner ungemein grossen Löslichkeit zu setzen 
sein, welche die äusserst rasche Resorption und den raschen Uebergang 
in den Blutkreislauf ermöglicht; schon wenige Minuten nach der Ein¬ 
führung in den Magen beginnt die Einwirkung. Dass mit dem Ende der 
Wirkung nach wenigen Stunden die Ausscheidung schon vollendet, ist 
sehr wahrscheinlich , die Abscheidung des dunkeln Harns dauert jedesmal 
viel länger. Viel plausibler ist die Annahme, dass das Resorcin im 
Körper rasch zum grossen Theil in eine unwirksame Substanz umgewandelt 
wird und als solche oder nach weiteren Veränderungen langsam zur Ab¬ 
scheidung gelangt. 

Betreffs einer etwaigen specifischen Wirkung des Resorcin gibt L. an : 
Für Pneumonie, Erysipel und Unterleibstyphus kann man eine specifische 
Wirkung mit Entschiedenheit in Abrede stellen. Die ersten Typhen, 
welche in der erwähnten Weise behandelt wurden, sind bei sehr schwerem 
Initialstadium ungemein rasch günstig verlaufen. Sehr bald zeigten aber 
einige in ihrem ganzen Verlaufe schwere Typhen, wie trügerisch es ge¬ 
wesen wäre, den besonders günstigen Verlauf dem Medicamente zuzu¬ 
schreiben. Mit ebenso grosser Sicherheit muss dem Resorcin jede speci¬ 
fische Einwirkung auf die Polyarthritis rheumatica abgesprochen werden; 
Temperatur und Pulsfrequenz" werden auch bei dieser Krankheit herunter¬ 
gesetzt, aber nur vorübergehend, nicht bleibend, wie durch die Salicyl¬ 
säure, und es bleibt dies Mittel ohne jeden Einfluss auf die Gelenk- 
affection. 

Hingegen scheint das Resorcin ein Wechselfieberantidot zu 
sein. Doch hat L. bisher nur 2 Fälle beobachtet und die Deutung des 
therapeutischen Erfolges ist nicht einmal über alle Anfechtung erhaben. 
Bern ist eben kein günstiger Boden für Wechselfieberbeobachtungen. 
Immerhin fordern sie in Verbindung mit der ersten zu weiteren Versuchen 
auf. Es würde von grossem Vortheii sein, wenn sich diese Wirkung des 
Resorcins bestätigte, denn ganz abgesehen von dem sehr viel geringem 
Preise und dem sehr viel angenehmem Geschmack, den das Resorcin dem 
Chinin gegenüber voraus hat, läge ein grosser Vortheil darin, dass die 
Anwendung des Medicaments bis zum Beginn des Anfalls aufgeschoben 

Med.-chir. Rundschau. 1880. D g t zed b/CjOOg^C 



578 


Medicinisch-chirurgiache Randschau. 


werden kann, dass wenn man die Dose zu klein greift, eine nachträg¬ 
liche Verstärkung wirksam ist. Auf diese Weise würde jedes Recidiv er¬ 
stickt werden können, noch bevor es einen Anfall gemacht hat, lediglich 
auf Grund der bekannten Prodromalsymptome. Irgend welche Neben¬ 
erscheinungen, auch die leichtesten Cerebralsymptome — Schwiudel und 
Ohrensausen — fehlten in obigen Fällen vollkommen. 0. R. 

447. Ueber die Cur der Bright’schen Krankheit. Von Prof. E. de 
Renzi (Genua). Mittheilung an die medicinische Gesellschaft von Ligurien. 
(Virchow’s Archiv 80. Bd., 3. Heft.) 

In der medicinischen Klinik von Genua wurden während des Schuljahres 
1877—1878 bei 6 an Bright’scher Krankheit Leidenden die Quantität 
des Urins und des Albumens, die anderen Hauptphänomene und der Ein¬ 
fluss der verschiedenen Curmethoden festgestellt. Für eine bestimmte Zahl 
von Tagen wurde eine bestimmte Curmethode befolgt, dann wandte man 
sich in einer darauf folgenden Zahl von Tagen zu anderen Mitteln, um 
so die Wirksamkeit der verschiedenen Curarten zu studiren. 

Verf. gelangte zu folgendem Schlüsse: 

1. Wenn die chronische Briglit’sche Krankheit ganz ohne Be 
handlung gelassen wird, so lässt sie im Allgemeinen keine Besserung er¬ 
kennen ; man muss sie also durchaus aus der Kategorie jener Krankheiten 
ausschliessen, die manchmal eine freiwillige Genesung geben. In den ersten 
Tagen nach ihrem Eintritt in die Klinik oder wenn man die Cur aus¬ 
drücklich unterbricht, zeigen die Kranken eine grössere Menge von Albumin. 
Diese Regel hat jedoch einige Ausnahmen, die man bis jetzt nicht gut 
erklären kann. Besonders bei einer Kranken war das Verliältniss zwischen 
dem Mangel einer Behandlung und der Vermehrung des Albumins im Urin 
einleuchtend. 

2. Fuchsin, welches seit Kurzem zur Cur der Bright sehen 
Krankheit genommen ward, bringt eine bemerkbare Verminderung des 
Albumins hervor. In der Klinik wurde es unter 2 Formen angewendet: 
aufgelöst in Wasser oder mit einem gleichgiltigen Extract vermischt 
in Pillen von 2 i l 2 Centigramm. Da jedoch das zu starke Colorit der 
Fuchsinlösung in Wasser etwas Widerwillen hervorruft, so fand Verf. 
dass die Pillenform vorzuziehen ist, und an diese hat er sich in den 
letzten ärztlichen Verordnungen gehalten. 

3. Die tägliche Dosis von Fuchsin kann viel grösser sein, 
als die bis jetzt für die Cur der Bright’schen Krankheit verordnete. 
Gewöhnlich hat R. mit einer sehr kleinen Dosis von 0*05 begonnen, um 
sie bis auf 0*25 in 24 Stunden zu erhöhen. Es wurde eine beträchtliche 
physiologische Wirkung des Fuchsins auf die vornehmsten Verrichtungen 
des Organismus beobachtet. Gemäss der Dosis des Fuchsins beginnt der 
Urin bald oder spät eine röthliche Färbung anzunehmen, die sich die 
Gurzeit hindurch erhält. Im Allgemeinen erlangt der Urin dieses Colorit 
5 Tage, nachdem der Gebrauch aufgehört hat. (?R.) 

4. In der B right’schen Krankheit zeigt der Urin sehr oft Schleim. 
Fuchsin wird gegen diese Complication sehr nützlich sein, da es nach 
Kurzem den Schleim im Urin vollständig verschwinden macht. 

5. Die Schleimhaut der Verdauungswege färbt sich heftig durch 
Fuchsin. Auch das Blutplasma zeigt eine beträchtliche Färbung. In der 
That hat man in zwei Fällen die Menge des Hämoglobins und den cliromo- 
metrischen Grad mit dem Instrument von Bizzozero untersucht. Folgende 
sind die erlangten Resultate: 


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Medicini8ch-chirurgi8che Rundschau. 


579 


Citometrischer Hämoglobin Chromometrischer 

Grad Grad 

Maria Molinari . . 160 68*7 175 

Theresia Gabella. 115 95*7 112 

Es ist bei diesem Falle einleuchtend, dass der chromonietrische 
Grad einer Menge der färbenden Substanz im Blutplasma entspricht, 
welche das Verhältnis des Hämoglobins beträchtlich übertrifft. Daher ist 
das offenbar kräftigere Colorit nicht der Vermehrung des Hämoglobins 
zuzuschreiben, sondern vielmehr der Auflösung des Fuchsins im Blute. 

6. Wenn Fuchsin nicht in den Urin übergeht, so ist dies ein 
Zeichen einer nicht zulässigen organischen Störung; in diesem Falle nützt 
es nicht gegen die Albuminurie. 

7. Die Ruhe des Kranken im Bette ist ein sehr wirksames Mittel, 
um die Albuminurie in der B r i g li t’sclien Krankheit zu vermindern. Bei 
dem Kranken Vittorio Rossi brachte die vollkommene Ruhe im Bett, 
verbunden mit Milchdiät, die grösste Verminderung des Albumins im Urin 
hervor. R. hat sich mehrmals überzeugen können, dass starke ungewöhnliche 
Bewegung der Person einen überaus gefährlichen Einfluss in der B r i g h t- 
schen Krankheit bewirkte. 

8. Apomorphin wird im Allgemeinen wohl ertragen, und R. 
hat es sogar in grösseren Dosen als gewöhnlich (täglich 5 bis 6 Centi- 
gramm) verordnet, ohne dadurch die mindeste Störung zu verursachen. 
In einem Falle hat dieses Mittel den Zustand des Kranken wesentlich 
gebessert. 

448. Selbstmordversuch mittelst Strychnin, Genesung nach An¬ 
wendung von Chloralhydrat. Von G. Gray. (The Brit. med. Journ. 
1880. 1004.) 

Der Fall bietet Interesse hauptsächlich wegen der enormen Menge des 
Strychnins. Ein 35jähr. Mann, in der letzten Zeit Säufer, hatte ungefähr 
20 Gran = 1*2 g Strychnin in Whiskey genommen uud jeden im Glase 
zurückgebliebenen Krystall sorgfältig mit Wasser aufgenommen und ge¬ 
trunken. Es stellte sich Erbrechen ein, worauf er heimgefahren und von 
seinen Angehörigen mit einem Pfund geschmolzener Butter tractirt wurde. 
Die Convulsionen begannen eine Stunde nach der Vergiftung und nach 
einer weiteren Stunde sah Gray den Kranken. 8 g Chloralhydrat in 
4 Dosen genügten alle Erscheinungen verschwinden zu machen. Die 
chemische Untersuchung des Präparates in gleicher Menge (über 1*3 g) 
und von dem gleichen Verkäufer bezogen, ergab mit Cblorplatin, dass es 
ganz reines Strychnin war. Zur Rettung des Mannes hatten offenbar 3 
Umstände beigetragen: 1. die durch Alkoholmissbrauch verursachte Magen¬ 
reizung, in Folge deren die Aufsaugung vermindert war, 2. das Erbrechen 
und 3. die geschmolzene Butter, welche die Aufsaugung weiter ver¬ 
ringerte. Am auffallendsten erscheint der Umstand, dass der Mann 
sich überhaupt so leicht Strychnin verschaffen konnte. 


449. Ueber die therapeutische Wirkung des Stickoxyduls in 
einigen Krankheiten. Von S. Kliko witsch. Vorl. Mittheilung aus 
Prof. Botkins Klinik. (Petersb. med. Wochensehr. 1880, Nr. 15.i 

Verf. benutzte zu seinen Versuchen, welche er auf Aufforderung von 
Botkin in dessen Klinik angestellt hat, anfänglich ein G<mnig<* von 
4 Theilen Stickoxydul und 1 Theil Sauerstoff und sah in mehreren Fällen 
von Angina pectoris nach 5 —10 Inhalationen eine Abkürzung der An¬ 
fälle und bedeutende Erleichterung. Bei einer Frau mit Insuffizienz der 


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580 


Medicimach-chirurgische Rundschau. 


Semilunarklappen, welcher durch stenokardische Anfalle Nächte lang der 
Schlaf geraubt worden war, erfolgte nach je 5—6 Inhalationen obigen 
Gemenges sofort Schlaf, der 1—2 Stunden anhielt, während weder durch 
Codein, noch durch Chloroform eine Erleichterung hatte erzielt werden 
können. Bei Asthma bronchiale bewirkten die Stickoxydul-Inhalationen 
Abnahme der Respirationsfrequenz und zugleich wurden die Athemzüge 
tiefer. — In einem Falle von Aneurysma aortac mit qualvollen reflec- 
torischen Hustenparoxysmen, die bisweilen eine Stunde lang ohne Unter¬ 
brechung anhielten, hörte der Husten während der Inhalation auf, und 
nach Einstellung der letzteren erfolgten im Laufe der nächsten 5 Minuten 
nur sehr schwache Hustenstösse. In letzterer Zeit hat Verf. (aufBotkin s 
Vorschlag) Stickoxydul mit einem viel grösseren Zusatz von Sauerstoff 
(1 Theil Nitrooxydul und 3 Theile Sauerstoff) in Anwendung gezogen und 
von dieser Mischung einen günstigen Einfluss auf die Regulirung der 
Herzthätigkeit beobachtet: ein Puls von 120 in der Minute wurde viel 
voller, seine Frequenz ging auf 100 herab und die Harnmenge nahm 
dabei zu. In vielen Fällen, wo nach Sauerstoff-Inhalationen gar keine 
oder nur eine geringe Erleichterung empfunden wurde, wirkten Stickoxydul- 
Inhalationen günstiger, ohne das Gefühl von Trockenheit im Halse hervor¬ 
zurufen. Bei 2 Phthisischen wurde durch die Inhalationen bei dem Einen 
Schlaf und bei dem Anderen Milderung des Hustens erzielt, und zwar 
hielt diese Wirkung mehrere Stunden hindurch an. Selbst in Fällen, wo 
Stickoxydul unwirksam blieb, hat Verf. niemals eine Verschlimmerung in 
Folge seiner Anwendung constatiren können. 


450. Ueber den Nutzen der Massage in Soolbädern. Von Dr. 
Weissenberg. Aus einem Vortrage, gehalten auf dem Schlesischen 
Bädertage zu Breslau. (Berl. klin. Wochenschr. 1880. 19.) 


Wenn schon die Thermalbäder berufen sein sollen, die Massage in 
geeigneten Fällen als Unterstützungsmittel der Cur zu pflegen, um wieviel 
mehr darf dies für die Soolbäder gelten und vorzugsweise für die jod- 
und bromhaltigen, welche ja die Wirkung der Massage a priori verstärken 
müssen, wenn man den hohen ausgezeichneten dynamischen Charakter 
dieser Bäder in’s Auge fasst. 

Erst in den letzten Jahren ist der Zweck und das Wesen der 
Massage, resp. die physiologischen Principien, auf welchen ihre Wirkung 
beruht, durch eine Reihe höchst interessanter Thierexperimente erforscht 
worden. Die vorzüglichen Versuche im physiologischen Institut zu Leipzig 
haben festgestellt, dass die Bewegung der Lymphe, abgesehen von der 
Aspiration bei Gelegenheit der Einathmung, wesentlich abhängt von der 
Thätigkeit der Muskeln, in deren Scheiden und Nachbarschaft die Lymph- 
gefässe verlaufen. Ferner ist es eine bekannte Tliatsaclie, dass allzu starke 
Muskelanstrengungen eine überreiche, entzündliche Lymphaufnahme in den 
Drüsen, die Entstehung von Bubonen veranlassen. 

Die weiteren Versuche an entzündeten Theilen, die Dr. Lassar 
im pathologischen Institute des Prof. C o h n h e i m anstellte, haben gezeigt, 
dass die Lymphfltissigkeit sich aus dem strotzend gefüllten Sammelgefäss 
in einem Strahle ergoss, sobald passive Bewegungen mit der entzündeten 
Extremität vorgenommen, oder wenn an ihr in centripetaler Richtung 
Knet- und Streichbewegungen ausgeübt wurden. Auch sah man dabei so¬ 
fort eine Volumsabnahme der geschwollenen Theile. Wird hieraus bereits 
die Wirkung der Massage bei entzündlichem Oedem der Weichtheile klar, 
so gelang es Prof. v. Mosengeil durch höchst ingeniöse Experimente 


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Medicinisch-chirargische Randschau. 


581 


den Nachweis zu führen, wie das gleiche Verfahren bei der Behandlung 
entzündlich geschwollener Gelenke wirkt. Seine Entdeckung des Zusammen¬ 
hanges der Lymphgefässe mit dem Innern der Gelenkhöhlen führt uns 
zur Einsicht über den Vorgang der Resorption des Inhalts der Gelenk¬ 
höhlen und ihrer Umhüllungen. Demnach sind die Lymphbahnen die Ver¬ 
mittler der Resorption, und diese zur FortschafFung von pathologischen 
Ansammlungen innerhalb, und ausserhalb der Gelenke zu benutzen, das 
ist der Zweck und das Wesen der Massage. 

Wenn nun freilich die Gelenksaffectionen in erster Reihe es sind, bei 
denen die Massage in vorteilhafter Weise zur Anwendung gebracht wird, 
so kann man doch mit gleichem Rechte, auch mit gleich gutem Erfolge 
die Massage ausüben bei verschiedenen anderen Exsudaten, z. B. bei Re¬ 
siduen von Perityphlitis stercoralis und vorzugsweise bei den grossen 
Lymphdepöts, den scrophulösen Drtisentumoren. 

Die Technik der Massage als bekannt voraussetzend, wie sie von 
Dr. Mezger für die ärztliche Praxis ausgebildet worden ist, will der 
Verf. jedoch nicht unerwähnt lassen, dass, da man es in den Badeorten durch¬ 
aus nicht mit frischen exsudativen Affectionen zu thun hat, sondern 
immer nur alte chronische Fälle zur Behandlung bekommt, bei denen 
sich gewöhnlich schon alle Therapie erschöpft hat, man also von den 
sanften Manipulationen von der Effleurage keinen Erfolg mehr sehen kann, 
und darum hauptsächlich die Massage ä friction und die Petrisage auszu¬ 
üben sein wird. 

Natürlich waren es in erster Reihe die chronisch-rheumatischen Ge¬ 
lenkentzündungen, die zur Anwendung der Massage aufforderten. 

Waren dieselben seröser Natur und bestanden sie erst einige Wochen 
resp. wenige Monate, so konnte Verf. mit leichter Mühe immer einen 
glücklichen Erfolg erzielen. Hier machten die warmen Soolbäder und Um¬ 
schläge allein schon die Passage für die auszupressende Flüssigkeit frei, 
und nach den ersten Sitzungen bereits konnte er eine deutliche Umfangs¬ 
abnahme an den kugeligen Gelenken wahrnehmen. Anders verhielten sich 
die Fälle von fibrinösen Gelenkentzündungen (meist monarticulär), bei 
denen erstarrende Producte häufig genug die Function des betroffenen 
Gliedes vollständig beeinträchtigen. 

Bei derartig veralteten Fällen gilt es, alles daran zu setzen, die 
Saftcanäle und Lymphgefässe wieder zu erweitern, um die Bahnen für 
Fortschaffung der infiltrirten und abzulösenden Massen wieder frei zu 
machen. Hierzu eignen sich in vorzüglicher Weise die heissen Sooldouchen, 
welche, vorsichtig angewandt, sehr wohl im Stande sind, vermehrte Saft¬ 
strömungen, acute Fluctuationen an den starren Gelenken hervorzubringen. 
Dann gelingt es mittelst der Massage die losgelösten Partikel durch die 
geöffneten Wege gehörig abzuführen und auch allmälig wieder die Be¬ 
weglichkeit des Gelenkes herzustellen. 

451. Ueber das Vorkommen eines neuen ebenso giftigen Alka¬ 
loids wie das Nicotin in dem Rauchtabak. Von Le Bon und G. Noel. 
(Gazette mödic. de Paris, 1880. 29.) 

Die beiden Autoren übermitteln der Acad. des Sciences in der Sitzung 
vom 28. Juni 1880 drei Fläschchen mih folgendem Inhalt, welchen sie 
dem Tabakrauch entnommen haben: 1. Blausäure. 2. Ein Alkaloid von 
angenehmen Geruch, jedoch gefährlich zum Einathmen und ebenso giftig 
wie das Nicotin, welches Thiere in minimalen Dosen (ein Zwanzigstel 
Tropfen) tödtet. 3. Neue bisher noch nicht bestimmte aromatische Sub- 


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582 


Medici Disch-chirorgisehe Rundschau. 


gtanzen, welche im Verein mit dem obigen Alkaloid dem Rauchtabak das 
ihm eigentümliche Parfüm verleihen. Der Tabak verdankt also den eben¬ 
genannten Stoffen ebenso sehr seine giftigen Eigenschaften wie dem Nicotin, 
dem allein sie bisher zugeschrieben wurden. Das Alkaloid, welches die 
Autoren vorzeigen, scheint mit dem Colli din identisch zu sein, welches 
wohl als Destillationsproduct mehrerer organischer Substanzen schon be¬ 
kannt war, dessen physiologische und giftige Eigenschaften aber bisher 
unberücksichtigt blieben. Es bildet einen der wichtigsten Bestandteile 
des Tabakrauches und das Collidin ist es, welches bei einigen nicotinarmen 
und doch sehr starken Tabaksorten die Eigenschaften derselben bedingt. 

—sch. 

452. Die Esmarch’sche Blutleere als diagnostisches Hilfsmittel 
bei simulirten Contracturen. Von Dr. Harten. St. Petersb. med. 
Wochenschr. 1880. 25.) 

Ein grosses Contingent der zur Beobachtung in die Hospitäler ein- 
geschickten Simulanten liefern die mit Contracturen der Extremitäten, am 
häufigsten des Knies, der Ellenbeuge und der Finger Behafteten. Das 
diagnostische “Hilfsmittel, das bis nun zur Verfügung stand, war das 
Chloroform. Abgesehen davon, dass dasselbe bisweilen, wenn auch selten, 
lebensgefährlich geworden ist, ist dasselbe doch nur im Stande, den Arzt 
von der Simulation des Chloroformirten zu überzeugen. Der Untersuchte, 
aus der Narkose erwacht, wird das betreffende Glied wieder in Contrac- 
tion versetzen, in der Ueberzeugung es nie exteudirt zu haben, und be¬ 
harrlich auf seinen Aussagen bestehen. In der E s m a r c h’schen Binde 
glaubte H. ein ungefährliches Mittel gefunden zu haben, zugleich Arzt 
wie Simulanten von dem Fehlen einer Contractur zu überzeugen. Die Blut¬ 
leere wie der Druck auf die Nerven muss Muskel- wie Nerventhätigkeit 
ansser Kraft setzen. 

Im folgenden Fall war die elastische Einwicklung von eclatantem 
Erfolge gekrönt. Doch V. würde rathen, bei der Constriction des Gliedes 
oberhalb der elastischen Binde statt des E s m ar ch ’schen Schlauches, 
aus bekannten Gründen, die Langenbeck’sche Binde zu benutzen: 
Nr. 2724 des Aufnahmejournals des Warschauer Ujasdow’schen Militär¬ 
hospitals : Ein junger gesunder Soldat klagte über Unfähigkeit zum Dienste 
wegen Contractur der Flexoren des rechten Beines, bei Fehlen jeglicher 
krankhaften Anzeichen, obgleich schon sechs Jahre bestehend. Die Extre¬ 
mität wurde bis zur Mitte des Oberschenkels eingewickelt, daselbst mit 
elastischer Binde abgescknttrt und die Einwickelungsbinde abgenommen. 
Das blutleer gemachte Bein extendirte sich von selbst, ohne dass Patient 
ein Gefühl davon hatte oder bei allem guten Willen das Knie in Contrac- 
tion versetzen konnte. Von der Constrictionsbinde befreit, behielt er noch 
10—15 Minuten ein Ameisenkriechen und eine Schwäche beim Gehen im 
Beine, und mit dem Danke, dass man ihn so rasch geheilt, verliess er 
das Hospital. In ähnlichen Fällen wurde (wie die Redact. der St. Peters¬ 
burg. Woch. bemerkt) früher mit Erfolg ein Tourniquet angelegt. 


JL 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


583 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 

453. Ueber die chirurgische Behandlung rhachitischer Ver¬ 
krümmungen langer Röhrenknochen im Kindesalter. Von Dr. Ziele- 
wicz, dirig. Arzt des Posener Kinderspitals. (Berl. klin. Woclienschr. 6. 7. 
Der prakt. Arzt. 1880. 6.) 

Man überlässt die Ausgleichung der Deformität „der doppelten 
Glieder 11 meist dem Wachstbumsprocesse, und zwar mit einer gewissen 
Berechtigung, da die bisherige orthopädisch - mechanische Behandlung, 
wenn auch rationell angebracht, doch ein theures und dabei höchst un¬ 
sicheres Mittel bleibt. Operative Eingriffe aber verwirft das Mutterherz 
sowohl, wie der Arzt, da die Gefahr derselben in keinem Verhältnisse 
stehe zu dem ja nicht lebensgefährlichen Hebel. 

Die selten vorkommende säbelförmige Verkrümmung des Oberarms 
bei ganz jungen Kindern heilt mit dem Wachsthum aus, ehe der Arm 
gebraucht wird. Anders mit den unteren Extremitäten, von denen der 
rhachitische Process ausgeht und nach oben schreitet. Bekannt ist der 
Einfluss, den die rhachitischen Verbiegungen des Oberschenkels 
besonders mit nach vorne gerichteter Convexität und die dabei oft 
vorkommende Richtung der Pfanne nach vorne auf die Entwicklung des 
weiblichen Beckens ausübt, ebenso der Zusammenhang der Skoliosen mit 
den Verkrümmungen der unteren Extremitäten. Die Krümmung des Ober¬ 
schenkels nach aussen ist gewöhnlich mit Genu valgum combinirt; kommt 
dazu eine Curvatur der Unterschenkel und Plattfussstellung, so ist das 
Gehen sehr beschwerlich oder unmöglich. 

Ara meisten betheiligt sind die Unterschenkelknochen. Ent¬ 
weder sind es die gewöhnlichen Säbelbeine mit der Convexität nach aussen 
oder die weit selteneren Verbiegungen nach der Kante, mit der Convexität 
nach vorne und aussen oder sogar nach innen, von denen die Ersteren 
der Behandlung am meisten zugängig sind. Einen grossen Unterschied 
macht in dieser Hinsicht auch die Stelle der grössten Verbiegung; am 
günstigsten ist, wenn die grösste Curvatur mehr oder weniger in die Mitte 
des Unterschenkels trifft, seltener aber schlimmer ist die Verbiegung am 
unteren Tibiaende, in der Gegend über dem Fussgelenke. In diesem 
letzteren Falle sind Verlängerung und Lockerung der äusscrn Seitenbänder, 
Abschleifung der Gelenkfläche die Folgen, welche auch nach gelungener 
Beseitigung der Verkrümmung eine Zeit lang fortbestehen. 

Die Methode der Behandlung richtet sich nach dem Grade des 
Uebels und dem Stadium der Texturveränderung des erkrankten Knochens. 
Darnach kann man die rhachitischen Verkrümmungen in Betreff der Wahl 
der Methode unter drei Rubriken bringen. Erstens sind die kindlichen 
Knochen noch in solchem Grade biegsam, dass die Händekraft ausreicht, 
um sie zurecht zu biegen. Diese Fälle eignen sich zur gewaltsamen Gerade¬ 
richtung (Redressement) in der Narkose und zur Sicherung des erzielten 
Resultates durch einen flxirenden Verband. In einer zweiten Reihe von 
Fällen sind die Knochen bereits hart geworden, aber noch nicht sclerosirt, 
und sowohl die Knochenfestigkeit als auch die Localisation der Verkrüm¬ 
mung ist für die Hervorbringung eines künstlichen Knochenbruches zu¬ 
gänglich. In die dritte Kategorie zuletzt gehören diejenigen Verkrümmungen, 
wo entweder die Lage der Curvatur, oder die bereits erfolgte Sclerosirung 
des Knochens den künstlichen Knochenbruch nur auf dem blutigen Wege 
— vermöge instrumenteller Durchtrennung des Knochens — zulässig 


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584 Medicinisch-cbimrgisehe Rundschau. 

machen. Diese Fälle eignen sich flir die subcutane Osteotomie mit nach¬ 
folgender Infraction. 

A. Redressement. Die Ausführung ist einfach. Der mit beiden 
Händen gefasste Knochen wird nach der Richtung der normalen Längs- 
axe so viel zurecht gebogen, wie es der specielle Fall verlangt. Gelingt 
es nicht, der Extremität in einer Sitzung die gewünschte Richtung zn 
geben, so wird sie im Verband fixirt und dieselbe Procedur nach 14 Tagen 
wiederholt. Irgendwelche Reaction nach diesem Verfahren hat Verf. nie 
gesehen — die kindlichen Knochen vertragen ganz bedeutende permanente 
Biegungen, ohne dass dadurch irgend welche abnorme Erscheinungen 
hervorgerufen werden. 

Das die rhachitischen Verkrümmungen so häufig begleitende Genu 
valgum wird im frühen Kindesalter durch das Redressement ebenfalls 
vollständig beseitigt. Dies geschieht auf die Weise, dass der Gehilfe den 
Oberschenkel des auf harter Unterlage liegenden Kindes oberhalb des 
Kniegelenks mit beiden Händen erfasst, gegen die Unterlage festhält und 
etwas nach aussen zieht, während der Operateur den Unterschenkel in 
der entgegengesetzten Richtung in die normale Längsaxe zu bringen 
sucht. Wie oft das Verfahren wiederholt werden muss, hängt ab von dem 
Grade der Verkrümmung; leichtere Fälle lassen sich in einer Sitzung 
corrigiren. Nach dem Redressement w ird ein fixirender Verband über die 
ganze Extremität angelegt und während des Erstarrens desselben das 
Gelenk in der redressirten Stellung festgehalten. 

B. Der künstliche Knochenbruch. Der zu dem Zwecke der 
Formverbesserung erzeugte künstliche Knochenbruch muss immer ein ein¬ 
facher, nicht complicirter sein. Ob es ein vollkommener Bruch ist oder 
eine Infraction, liegt nicht immer in der Hand des Operateurs; für deu 
Heilungsprocess ist dies übrigens von keinem Belang, denn es tritt bei 
diesem Eingriff — sei es eine Fractur oder Infraction — überhaupt gar 
keine Reaction ein. — Bis zu welchem Alter die rhachitisch verkrümmten 
Kindesknochen dem künstlichen Bruch mittelst Händekraft zugänglich sind, 
lässt sich im voraus nie bestimmen; die physiologische Festigkeit kind¬ 
licher Knochen unterliegt ja bedeutenden Schwankungen, und tritt Sclero- 
sirung hinzu, die gewöhnliche Folge rhachitischer Texturveränderung, dann 
ist die Continuitätstrennung mit den Händen auch bei jungen Kftidern nicht 
mehr ausführbar. Deswegen kommt man oft in die Lage, bei sonst 
günstiger Localisation der Curvatur erst während der Operation sich für 
eine oder die andere Methode entscheiden zu müssen. — Liegt die Cur¬ 
vatur in der Mitte eines langen Röhrenknochens, so erfolgt der Bruch 
nach dem Princip des zweiarmigen Hebels, in dessen Hypomochlion der 
Bruch stattfindet; liegt die zu beseitigende Curvatur dem einen Knochen¬ 
ende näher, so muss die künstliche Fractur durch Anwendung des Princips 
des zwei-, aber ungleicharmigen Hebels zu Stande kommen. Ein be¬ 
sonderes Hinderniss bildet die kammartig hervorragende Tibia, die ge¬ 
wöhnlich auch in dergleichen Fällen bereits stark sclerosirt ist. — Reicht 
die Händekraft nicht aus, so bedient man sich mechanischer Vorrichtungen; 
sie beruhen alle auf der Hebelwirkung, wie z. B. der Rizzoli’sche 
Osteoklast. 

Die Nachbehandlung des Redressement und des künstlichen Knochen- 
bruchs geschieht mittelst des Gypsverbandes, und zwar legt man am besten 
Flachs-, Hanf- oder Juteschienen, die sich mit Gypsbrei von Syrupconsistenz 
sehr gut imprägniren, durch festes Umwickeln mit Callicobinden au: es 
braucht kein Gypsbrei darauf gestrichen zu werden, da der ausgepresste 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


585 


Gypsbrei die Binden hinlänglich durchdringt. Bei jungen Kindern ist es 
gut, das Bein vor Anlegung des Verbandes mit einer Flanellbinde einzu¬ 
wickeln, bei älteren ist dies nicht nöthig. Druckerscheiuungen pflegen hier 
blos in der Malleolengegend aufzutreten, daher dürfen die über den Fuss- 
jrücken laufenden Bindentouren blos leicht angezogen werden. 

C. Osteotomie. Ist der künstliche Knochenbruch weder mit 
Händekraft, noch mit Hilfe von Instrumenten ohne Hautverietzung zu 
bewerkstelligen, so wird zur Osteotomie Zuflucht genommen. Der eigent¬ 
liche Schöpfer der orthopädischen Osteotomie ist Billroth. Erst die 
Lister’sche Wundbehandlung sicherte den Erfolg, während früher auch 
Biilroth unter 40 Fällen 6 Todesfälle hatte. 

Der Instrumentenapparat zu der Biilroth’schen subcutaneu Osteo¬ 
tomie besteht aus einem starken Scalpell, einem bis drei Meissein und 
einem Holzklöppel. Schnitt von 1—2 Ctm. Länge bis auf den Knochen 
an der Stelle, wo derselbe gebrochen werden soll. In der Mitte dieser 
Weichtheilwunde wird der dickste Meissei senkrecht auf den Knochen 
aufgesetzt und von dem jedesmal erzeugten Spalt aus um eine kleine 
Stelle weiter gerückt. Je tiefer in den Knochen vorgedrungen wird, desto 
dünnere Meissei werden benutzt, bis der Knochen soweit getrennt ist, dass 
er mit den Händen gebrochen werden kann. Es folgt genaue Vernähung 
der Wunde. — An der Tibia — besonders in der Nähe der Gelenke 
muss die Osteotomie möglichst vollständig gemacht werden, damit die 
Infraction bricht und vollständig gelingt. — Bei rhachitischen Ver¬ 
krümmungen ist selbstverständlich die Stelle der grössten Curvatur die 
geeignetste zur Osteotomie, um die Verkrümmung entweder ganz zu be 
zeitigen, oder doch ad minimum zu reduciren. Ob die Vervollständigung 
des künstlichen Knochenbruches mit Händekraft mit der Osteotomie in 
einer Sitzung erfolgen soll, oder ob der Knochen erst nach Verheilung 
der Weichtheilwunde gebrochen wird (v. N u s s b a u m), dies hängt ab 
von dem Vertrauen, das der betreffende Operateur auf die antiseptische 
Wundbehandlung legt. Ist die Osteotomie vorsichtig und sauber aus- 
gefiihrt, so ist man berechtigt zu hoffen, dass nach dem sorgfältigen 
Verschluss der kleinen Weichtheilwunde unter dem antiseptischen Verbände 
der künstliche Knochenbruch wie ein einfacher zur Heilung gelangen wird; 
erfolgt trotzdem Eiterung, so wird sich dieselbe blos oberflächlich halten, 
und wiewohl die Behandlung dadurch in die Länge gezogen wird, schliesslich 
doch Heilung erfolgen. Die Nachbehandlung erfolgt nach den allge¬ 
meinen Regeln. 

Verf. theilt schliesslich mehrere nach den 3 Methoden behandelte 
Fälle mit. 


454. Die Osteotomia cuneiformis bei hochgradigem veralteten 
Klnmpfuss. Von v. Muralt. (Ref. nach d. Centribltt. f. Chirurg. 1879. 
Nr. 52.) 

Für leichte Fälle von Klumpfuss empfiehlt v. M. die Tenotomie und 
folgende totale Correction. In schwereren Fällen möge man zuvor durch 
Bandagiren den vorderen Fussantheil allmälig nach aussen zu bringen 
trachten. Für hochgradige veraltete Fälle empfehle sich die forcirte Gerad«- 
streckung (König) oder die Excision eines Keiles aus dem 
knöchernen Fussgerüste. 

Diese letztere Operation machte v. M. an einem 7jährigen Mädchen 
mit hochgradigem veralteten pes equino-varus. v. M. machte die Constric- 
tion v. Es mar ch und führte, unter Antisepsis, einen Querschnitt vom 


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586 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Calcaneus zum Os navicular.; unter Schonung der Sehnen, subperiostale 
Excision eines Keiles mit oberer (resp. äusserer) Basis (mittelst Meissei 
und Hammer); das Os navicul. ward ganz entfernt, ebenso der vor¬ 
springende Antheil des Os cuboid. Durchschneidung der Achillessehne und 
Plantar-Aponenrose; Wunde bis auf die 2 Winkel vernäht und drainirt. 
Cartonschiene mit Fussbrett. Heilung durch Eiterung (unreine Schwämme, 
zu fester Verband?). Nach 7 Wochen Gehversuche; complete Heilung. 

Fr. Steiner (Marburg). 

455. Ueber den sogenannten schnellenden Finger (doigt 4 ressort). 
Von Dr. Carl Fieber. (Separat-Abdruck aus den Wien. med. Blätt. Nr. 14, 
15, 16 und 17. 1880.) 

Das mit dem eben angeführten Namen bezeichnete Leiden ist erst 
seit verhältnissmässig kurzer Zeit gekannt und in einer noch sehr geringen 
Anzahl von Fällen genauer beobachtet. 

Unter einer Anzahl von etwa 8000 ambulanten Kranken der chirur¬ 
gischen Station des Mariahilfer Ambulatoriums in Wien hat Verf. im 
Ganzen drei hieher gehörige Fälle zu beobachten Gelegenheit gehabt. 

Der sogenannte schnellende Finger ist eine ganz eigentümliche 
Form von Bewegungsstörung, deren wesentlichste das Uebel charakteri- 
sirende Erscheinung in Folgendem besteht: Der afficirte Finger wird 
während der Ueberführung aus der gestreckten Stellung in die gebeugte 
bei der Erreichung eines bestimmten, für jeden einzelnen Fall constanten, 
in den verschiedenen Fällen jedoch differenten Beugungsgrades (Winkels) 
plötzlich angehalten; bei nun erfolgender verstärkter Muskelanstrengung 
des Patienten selbst oder durch den nachhelfenden Fingerdruck des Unter¬ 
suchenden wird das Heimnniss mit einem in der Regel für beide Personen 
deutlich fühlbaren Rucke oder Sprunge überwunden, worauf sich die 
weitere Beugung bis zu ihrer natürlichen Grenze ohne Hinderuiss voll¬ 
enden lässt. Ganz dasselbe geschieht auch bei dem Zurückfiihren des 
Fingers aus der vollkommen gebeugten Stellung in die gestreckte, und 
zwar findet die Hemmung an der nämlichen Stelle, d. b. bei Erreichung 
der nämlichen Winkelstellung statt, wird auch ganz ebenso mit dem Ge¬ 
fühle eines Ruckes überwunden, worauf sodann die Streckung ohne weiteres 
Hemmniss vollendet werden kann. Die Intensität der Hemmung und, 
derselben entsprechend, die Stärke des beim Ueber winden fühlbaren Ruckes 
ist eine ziemlich ungleiche. In manchen Fällen genügt die verstärkte 
Muskelaction der Flexoren des leidenden Fingers zur Ueberwältigung des 
Hindernisses; in anderen ist der Patient gezwungen, durch den Finger¬ 
druck der anderen Hand das Hemmniss zu beseitigen, falls er eben eine 
vollständige Beugung des Fingers erzielen will. In einigen Fällen ist mit 
der Ueberwindung des Widerstandes ein deutlicher, wenn auch meist nicht 
intensiver Schmerz verbunden, in anderen erfolgt dieselbe schmerzlos. 
Dass ein solcher Zustand die Gebrauchsfähigkeit der betreffenden Hand 
in hohem Grade beeinträchtigen muss, ist ohne Weiteres klar und geht 
auch aus den Mittheilungen der Autoren zur Genüge hervor. Dies gilt 
namentlich von jenen Fällen , bei denen die Affection den Daumen oder, 
wie es auch vorkommt, mehrere Finger gleichzeitig betrifft. 

Die Diagnose konnte nach dem Gesagten nicht zweifelhaft sein. 
Die Behandlung war dieselbe wie im ersten Falle. 

Die vom Verfasser beobachteten Fälle sind, synoptisch zusammen 
gestellt: 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


587 


7 ~ 

Gf schlecht 

Alter 
des 
Kran¬ 
ken_ 

Localisa- 
tion des 
SchneUens 

Anamnestische 

Momente 

Therapie 

Ausgang 

Besondere 

Bemerkung 

männl. 

$ 

71 J. 

linker 
Mittel - 
finger 

Oft wieder¬ 
holter Druck 
einer Riemen¬ 
schlinge, in die 
Pat. die gebeug¬ 
ten Finger der 
linken Hand ein¬ 
zuhängen pflegt 

Jodtinctar, Heilung 
und Schie-,binnen drei 
nenver- | Monaten, 
band. Nach einem 
Jahre noch 
Fortbestand 
der Heilung 
' constatirt. 

; 

An der Volar¬ 
seite des Inter- 
phalangealge- 
lenkes zwischen 
1. und 2. Phal. 

war ein bei 
Druck schmerz¬ 
hafter Puhkt 
vorhanden ge¬ 
wesen. 

weibl. 

i 

1 

t 

52 J. 

rechter 
Daumen j 

Vor l 1 /, Mo¬ 
naten Fall auf 
die Radialseite! 
der rechten 
Hand. 

Jodtinc- 
tur, warme 
Bäder, 
Schienen¬ 
verband. 

Langsame | Der radiale 
Besserung. 1 Condylns des 
Das Schnei- centralen Endes 
len beho- der ersten Dau¬ 
ben, die Be- menphalange 
wegungen war etwas ver- 
noch dickt und bei 

schmerzhaft Druck schmerz- 
1 haft. 

männl. 

j 58 J. 

j 

linker 

Ring¬ 

finger 

i 

Veranlassung 
unbekanntjviel- 
leicht Ueber- 
anstrengung 
beim Clavier- 
spielen. (?) 

Jodtinctor 
und warme 
Bäder. 

1 

Ziemlich | Es war gar 
rasche Hei- keine Stelle bei 
lung. Nach Druck schmerz-; 
fünf Mona-j haft. 

teDkf*inRe- 1 

cidiv. j 


Die auffallende und eigenthümliche Erscheinung des Schnei lens hat 
mehrere chirurgische Schriftsteller zu Erklärungsversuchen aufgefordert. 
Unter diesen scheint Verf. jedoch nur die zuerst vonHyrtl ausgesprochene 
und von Menzel durch das Experiment gestützte Anschauung begründet 
und zugleich für das Verständnis des Vorganges ausreichend zu sein. 

Hyrtl spricht sich in seiner topographischen Anatomie nämlich 
dahin aus, dass nach theoretischen Gedanken nur eine umschriebene Ver¬ 
dickung der Sehne des einen oder anderen langen Fingerbeugers mit 
gleichzeitiger, auf eine bestimmte Stelle beschränkter Verengerung der 
Sehnenscheide der sonderbaren Erscheinung zu Grunde liegen könne. Es 
leuchtet ein, dass unter dieser Annahme die Beugung, bei welcher ja die 
Sehne in ihrer Scheide eine Strecke weit zurückgezogen wird, in dem 
Momente, in welchem die verdickte Sehnenstelle an der umschriebenen 
Scheidenenge anlangt, plötzlich gehemmt werden muss. Bei vermehrter 
Anstrengung wird der Tumor mit einem Rucke durch die Enge durch¬ 
gezogen und die Beugung kann dann vollendet werden; ebenso umge¬ 
kehrt bei der Streckung. 

Nach Roser ist der „federnde Finger“ eine theils gehemmte, theils 
schnappende ruckweise Bewegung, welche durch Unebenheit der Beuge¬ 
sehnen, wahrscheinlich an der Durchtrittsstelle des Flexor profundus durch 
die Sehne des Sublimis hervorgebracht wird. 

Diese Erklärung ist zunächst darum eine unvollkommene, weil sie 
auf etwa die Hälfte der bekannten ErkrankungsfUlle, nämlich auf alle 
jene, welche den Daumen betreffen, aus anatomischen Gründen keine An¬ 
wendung finden kann. 

Sie ist übrigens auch in ihrer Fassung nicht ganz klar. Soll 
damit gemeint sein, dass in Folge gegebener Unebenheiten das Gleiten 


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588 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


der Sehne des Flexor profundus in der durch die Spaltung des Flexor 
sublimis gebildeten Zwinge gehemmt wird, so muss bemerkt werden, dass 
diese Zwinge so viel Raum bietet, dass immerhin ein sehr bedeutender 
und dann wohl auch von aussen fühlbarer Tumor erforderlich sein dürfte, 
um das Schnellen zu erzeugen. Ueberdies findet ein ausgiebigeres Spiel 
der Profundussehne in der Sehnenspalte des Sublimis nur dann statt, wenn 
die letzte Pbalange für sich allein — bei Streckung der beiden anderen — 
gebeugt wird, wo dann der tiefe Beuger allein wirksam ist. Bei der 
gewöhnlichen Beugung des ganzen Fingers jedoch wirken beide Muskeln 
synergisch und es dürfte hiebei wohl kaum eine wesentliche Verschiebung 
der beiden Sehnen gegen einander, sondern nur eine gleichzeitige, beiden 
gemeinsame Locomotion innerhalb der Sehnenscheide zu Stande kommen. 

Sollte jedoch am angeführten Orte nur darauf hingewiesen werden, 
dass überhaupt die Durchtrittsstelle der tiefen Beugesehne durch den Spalt 
der oberflächlichen einen günstigen Punkt für das Zustandekommen solcher 
Veränderungen, wie sie eben das Schnellen erzeugen können, abgibt, indem 
an jener Stelle der Scheide, wo in Folge der Theilung der Sehne des 
Fl. sublimis drei Sehnenkörper nebeneinander liegen, schon geringfügige 
Verdickungen einerseits und unbedeutende Verengerung andererseits zur 
Erzeugung des Schnellens genügen könnten, so ist die Ros er sehe An¬ 
schauung dann eigentlich eine Anwendung der principiellen H y r 11 -Menzel- 
schen Theorie auf bestimmte Localverhältnisse und hat als solche volle 
Berechtigung. —r. 

456. Zur Behaudlung der Odontalgien der Schwangeren. Von 
Lindner in Waren. (Archiv für Gynäk. B. XVI. II. 2.) 

Rührt der Zahnschmerz von einer Affection der Zähne her, so ist 
die Therapie die gewöhnliche. Der Zahn ist zu plorabiren oder zu extra- 
hiren. Die Zahnextraction bei Schwangeren ist durchaus ungefährlich. 
Häufig kann man eine Radicalbehandlung nicht einleiten, weil das alte 
Vorurtheil gegen die Zahnextraction in der Gravidität im Publikum immer 
noch sehr mächtig ist. In anderen Fällen wieder ist die Zahl der afti- 
cirten Zähne zu gross, man kann sie nicht alle entfernen. Unter allen 
Umständen bleibt man immer auf die symptomatische Behandlung mittelst 
der verschiedenen Narcotica angewiesen. Vorwiegend bedient man sich 
des Morphium und Chloralhydrat. L. empfiehlt das Orotonchloral, welches 
den Vortheil bietet, dass die durch dasselbe erzielte Schmerzlosigkeit nicht 
in wenigen Stunden vorübergeht, sondern mehrere Tage bis 8 Tage nach 
einander anhält. Sein Recept ist folgendes: Chloral. crotonisat. 0'6, Aq. 
Menth. Syrup Menth . aa lO'O M. D . S. Auf einmal in einem Glase Wein 
zu nehmen. Ueble Folgen sah L. nach Anwendung dieses Mittels nie. 
In AusnahmsftUlen wird es nicht vertragen und ausgebrochen, doch glanbt 
L., dass dies nur die Folge eines schlechten Präparates ist. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

457. Untersuchungen über die Wirkung der Sderotinsäure auf 
den puerperalen Uterus. Von Fr. Ganguillet in Bern. (Arch. f. Gvn. 
B. XVI. H. 2.) 

Diese Säure wurde zuerst von Dragendorff und Podwisotzky 
aus dem Secale cornutum dargestellt. Sie soll ein unersetzliches und auf 
den Uterus kräftiger als das Ergotin einwirkendes Präparat darstellen. 
G. experimentirte mit dieser Säure an 31 Puerperen, um sich von deren 
Wirkung auf den Uterus zu überzeugen. Das Resultat seiner Unter¬ 
suchungen ist folgendes. Bei einer Darreichung von weniger als 1*0 Acid. 

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589 


sclerot. sind keine constanten und nennenswerten Erfolge zu erzielen, und 
zwar weder bezüglich der Zahl, noch bezüglich der Dauer der Contrac- 
tionen. Bei höheren Dosen, über 1*0, nimmt meist die Zahl der Contrac- 
tionen um ein Weniges zu, jedoch ohne dass die Zahl der Contractionen 
proportional mit der Dosis steigen würde. Constanter und auch erheblicher 
ist die Wirkung der Sclerotinsäure auf die Dauer der Contractionen. Doch 
übersteigt selbst bei Dosen von 3*0 und 4*0 die Dauer der Contractionen 
nach der Darreichung nicht mehr als 1 l j 2 Mal diejenige vor der Dar¬ 
reichung. Was die Zeit des Eintrittes der Wirkung der Sclerotinsäure 
anbelängt, so geht aus den Versuchen hervor, dass im Mittel die Ein¬ 
wirkung auf den Uterus eine halbe Stunde nach der Darreichung der 
Präparate sich geltend macht. Der Effect der Sclerotinsäure auf den 
Uterus kann verfolgt werden während eines Zeitraumes von circa 3 bis 
4 Stunden. Nachher scheint derselbe allmälig aufzuhören. Trotz einer fort- 
geftihrten Steigerung der dargereichten Dosis bis auf 5*0 konnte keine 
erhebliche Vermehrung, resp. Verstärkung der Wirkung der Sclerotinsäure 
beobachtet werden. Um bezüglich der Wirkung der Sclerotinsäure auf 
den Gesammtorganismus Anhaltspunkte zu gewinnen, wurden bei einigen 
Versuchen Temperatur- und Pulsmessungen angestellt, deren Resultate 
aber wenig Uebereinstimmung aufweisen. Zweimal konnte eine Abnahme 
der Pulsfrequenz und eine Zunahme der Temperatur beobachtet werden, 
doch ist die Zahl der Beobachtungsfälle viel zu gering, als dass sich 
daraus Schlussfolgerungen ziehen lassen. Sonstige Nebenwirkungen konnten 
keine nachgewiesen werden, höchstens eine schwache C’onstipation. Ein¬ 
wirkungen auf das Nervensystem, Kopfschmerz oder gar Symptome von 
Ergotismus fehlten immer. G. sagt selbst, dass er nicht an eine prak¬ 
tische Verwerthbarkeit der Sclerotinsäure glaube. Referent wandte die 
Sclerotinsäure bereits vor 2 Jahren an, stellte sie aber bald bei Seite, 
da sie ihm das Ergotin nicht zu ersetzen vermochte. 

Klein Wächter, Innsbruck. 


458. Präventive hämostatische Massregeln vor Vornahme blu¬ 
tiger Operationen am Genitaltracte des Weibes. Von A. Courty in 
Montpellier. (Annales de Gynec. Mai 1880. pag. 321.) 


Der Blutverlust bei gynäkologischen Operationen ist immer eine 
unangenehme Zugabe, er erschwert gar häufig die Vornahme des Ein¬ 
griffes, ebenso wie die nachträgliche Heilung, abgesehen von der dadurch 
bedingten späterhin verzögerten Convalescenz. C. fand ein Mittel, die 
Blutungen bei der Operation möglichst zu vermindern. Es besteht in 
warmen Scheideninjectionen. Einige Tage hindurch vor der Operation wird 
die Scheide mit möglichst warmem (45° C.) Wasser längere Zeit hindurch 
ausgespritzt. Ausserdem werden bei der Operation die stark blutenden 
Stellen mit Schwämmen, die in möglichst heisses Wasser eingetaucht 
werden, abgetupft. Man kann auf diese Weise die Operation zu einer 
möglichst unblutigen machen, denn die Gefässe sind so contrahirt, dass 
sich aus ihnen, wenn sie durchschnitten werden, nur sehr wenig Blut 
entleert. C. erprobte dieses Verfahren bei einer Amputation einer 
hypertrophischen Vaginalportion, bei einer plastischen Operation an der 
Vaginalportion und bei einer Blasen-Scheidenfistel-Operation. Diese Idee 
ist jedoch streng genommen keine ganz neue, denn E m m e t gab schon 
vor mehreren Jahren den Rath, um beim Lacerationsektropium die ge¬ 
wöhnlich vorhandene Hyperämie des Uterus vor Vornahme der Operation 
zu beseitigen, andauernde tägliche Injectionen von warmem (30*5—33° R.) 


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Medicinisch-chirurgisehe Rundschau. 


590 


Wasser in die Vagina machen zu lassen. Er sagt, durch kalte Injectionen 
erzeuge man momentan einen Tonus der Gefässe, dem bald Relaxation 
und dadurch gesteigerte Hyperämie folge. Bei warmen Injectionen erziele 
man das Umgekehrte, ein andauernder Contract der Gefässe, eine Anämie 
der bespülten Theile, welche C. zur Vornahme der blutigen Operation 
benützt und wodurch er den Eingriff zur möglichst unblutigen macht. 
C.’s Vorschlag verdient Aufmerksamkeit und sollte auch von Anderen 
erprobt werden. Kleinwächter, Innsbruck. 


459. Ruptur der Milz während der Schwangerschaft. Von 
C. Schwing in Prag. (Gyn. Ctlblt. 1880. Nr. 13. Origarbt.) 

Es kam in die Klinik eine stark collabirte Frau aus dem 9. Schwan¬ 
gerschaftsmonate, die trotz aller angewandten Mittel eine halbe Stunde 
nach ihrer Ankunft starb. Anamnestisch Hess sich nur so viel eruiren, 
dass die Frau häufig und leicht in Ohnmächten oder in Krämpfe fiel 
Während der Gravidität sollen sich diese Krampfanfälle, bei welchen das 
Bewusstsein nie verloren ging, häufig eingestellt haben, namentlich am 
Tage vor dem Eintritte in die Klinik. Der sofort vorgenommene Kaiser¬ 
schnitt lieferte einen todten 2380 Gramm schweren Knaben. Bei der 
Section fand man das Herz von normaler Grösse, schlaff, die Muskulatur 
blassgelblich braun, brüchig, die Klappen zart, schlussfähig. In der Becken¬ 
höhle etwas flüssiges und geronnenes Blut. Die Leber etwas ver- 
grössert, blutarm, brüchig, fettig degenerirt. Die Milz 19 Ctm. lang, 
11 Ctm. breit, die Kapsel in der Ausdehnung einer Flachhand von der 
Pulpa abgelöst und zerrissen, die der Abhebung entsprechende Stelle mit 
Blutgerinnseln bedeckt, das Gewebe breiig, weich, violettroth, von 3 bis 
nussgrossen Blutherden durchsetzt. Die anderen Organe waren vollständig 
normal gebildet. Es fand sich daher nichts anderes als ein acuter Milz¬ 
tumor, und vermuthet S., dass die Ruptur wahrscheinlich durch die Er¬ 
schütterungen auf einem Leiterwagen während des Transportes, der eine 
Stunde dauerte, herbeigeftihrt wurde. Begünstigend mögen noch die Cir- 
culationsstörungen während der Schwangerschaft und die früheren Con- 
vulsionen eingewirkt haben. Kleinwächter, Innsbruck. 

460. Eine Entbindung mit Verlust des Uterus. Von Dr. Nieprasch 
in Ktlstrin. (Berl. klin. Wochenschr. 1880, 27.) 

Eine 29 Jahre alte Frau im Dorfe Alt-Drewitz bei Küstrin sollte 
am 28. October 1879, Abends 6 Uhr, zum 7. Mal entbunden werden. Die 
Frau, von gracilem Körperbau und normaler Beckenweite, hatte dreimal 
wegen fehlerhafter Kindeslage ärztliche Hilfe bei der Entbindung gebraucht, 
und auch diesmal, berichtet der Rath suchende Ehemann, läge das Kind 
mit den Füssen vor; es sei auch schon vollständig geboren, doch die 
Hebamme wage nicht, die Nabelschnur zu unterbinden, da sie es mit 
einer Missgeburt zu thun habe. 

Nach Wegnahme des Deckbetts fand Verf. zwischen den Beinen der 
Frau ein neugeborenes Kind, dessen Kopf anscheinend eine rohe, unförm¬ 
liche Masse darstellte. Nähere Untersuchung liess dieselbe als die den 
Schädel des Kindes umgebende Gebärmutter erkennen. 7 bis 8 Ctm. von 
den äusseren Geschlechtstheilen entfernt, war dieselbe nur noch durch das 
linke Ligamentum rotundum mit dem Körper verbunden; nur kleine Ver¬ 
tiefungen im Körper des Uterus deuteten die unmittelbare Abreissuug der 
anderen drei Ligamente von diesem an. Zwischen Uterus und den äusseren 


Geschlechtstheilen lag der vorgefallene Dünndarm heraus. — Jedenfalls 
hatte die Hebamme bei dem in der Fusslage geborenen Kinde die Arme 


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Medicinisch-chirurgische Rundsclian. 


591 


suchen wollen, war anstatt in den Uterus in das Scheidende wölbe ge¬ 
drungen und hatte dasselbe zertrümmert. Bei den weiteren Manipulationen 
zur Beendigung der Geburt wurde nun der seines Halts im Scheiden¬ 
gewölbe beraubte Uterus hervorgezogen, und diesen für einen verunstalteten 
Kopf haltend, sucht die Hebamme mit Gewalt die Geburt zu Ende zu 
bringen; die Ligamenta werden zerrissen, der Dünndarm fällt vor und 
das vorher beschriebene Bild tritt in die Erscheinung. 

Ungefähr zwei Stunden nach dieser vollbrachten That war Verf. 
auf der Unglücksstätte; das vollständig ausgetragene Kind war natürlich 
abgestorben und blieb zunächst nur übrig, Kopf und Nachgeburt aus dem 
umschliessenden Uterus zu befreien. 

Die Frau für verloren erachtend, stand Verf. umsomehr von allen 
weiteren Operationen ab, als der Schwächezustand ein so hoher war, dass 
unfehlbar bei weiteren Eingriffen der Tod eingetreten sein würde. Es 
wurden die vorgefallenen Theile in mit Oel getränkte Leinwand gehüllt 
und der Mann veranlasst, am nächsten Morgen zu berichten, falls seine 
Frau noch unter den Lebenden sei. — Früh 7 Uhr erschien der Mann 
und theilte mit, seine Frau habe sich wieder erholt, spreche etc. 

Es wurde hierauf durch Abschneidung des Ligamentum rotundum 
der Uterus vom Körper getrennt. Nach Entfernung der umhüllenden Oel- 
lappen machte sich schon ein starker Verwesungsgeruch bemerkbar; die 
Gebärmutter bot den Anblick eines dunkelbraunen, dampfenden Körpers; 
die vorliegenden Darmpartien waren mit rothem Blut injicirt und filzig 
verdickt anzuftihlen; die Körpertemperatur noch kühl, der Puls sehr klein, 
200, das Sensorium ganz frei. 

Nach Abnahme des Uterus musste der Dünndarm reponirt werden, 
und war es ein glücklicher Zufall, dass beim Eingehen in die Bauchhöhle 
die gefüllte Urinblase, die Symphyse wie eine Kugel überragend, vor¬ 
gefunden wurde. Auf diese replacirte Verf. die Darmpartien, um da9 
Wiedervorfallen zu verhüten. Sodann wurde ein Schwamm von der Grösse 
einer Mannesfaust, mit 2°/ 0 iger Carbolsäure getränkt, per vaginam bis zur 
Symphyse vorgeschoben und die Blase mit dem Katheter entleert, da das 
Wiedervorfallen der Eingeweide der Schwamm verhinderte. 

Die fernere ärztliche Behandlung der so schwer damiederliegenden 
Frau wurde unter recht ungünstigen äusseren Verhältnissen übernommen. 
Die Wobnräume der aus 7 Personen bestehenden Familie waren 2 sehr 
kleine Stuben, durch einen Ofen erwärmt; in der Vorderstube hatte die 
Frau das Krankenlager aufgeschlagen. Der Mann, Koch und Wärter, 
musste die Frau auch katheterisiren, da die Hebamme nicht mehr kam, 
und nur ab und zu reichte eine der Frauen aus dem Dorfe hilfreiche 
Hand. Die Besuche, bei einer Entfernung von 8 Kilometer Landweg 
höchstens einmal täglich. — In der Behandlung wurde von jeder Anti- 
phlogose abgesehen und zur Erhaltung der Frau in 24 Stunden ein Glas 
Rothwein verabreicht, theelöffelweise Brühe von Geflügel eingeflösst und 
zur Stillung des unlöschbaren Durstes Eisstückchen oder etwas Wasser 
mit Rothwein gegeben. Um in den ersten Tagen Stuhlgang zu verhüten, 
erhielt die Kranke Opium mit Liquor Clilori in einem Althae-Decoct. — 
Am 30. October, dem Tage nach der Operation, war schon eine starke 
fieberhafte Reaction ohne Frostschauer eingetreten; der Puls war klein, 
kaum zu zählen, Körpertemperatur 42°, Durst sehr stark; es wurde fort¬ 
während Eis gefordert. — Bei den in der ersten Zeit täglichen Besuchen 
wurde der mit Carbolsäure getränkte Schwamm stets durch einen neuen 
carbolisirten ersetzt und es floss dann eine beträchtliche Masse Jauche 


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092 


ab, die einen aashaften Geruch verbreitete. Die Frau lag in dieser Jauche 
mit Urin untermischt und N. wusste sich nicht anders zu helfen, als 
dass er zu derselben das Acid. carb. crud. goss und dann reine Unter¬ 
lagen darüber weglegte, da die Betten von der Nässe ganz durchsickert 
waren; ein Fenster blieb ungeachtet der vorgerückten Jahreszeit immer 
geöffnet. 

Nach 3 Tagen erfolgte bei gar keiner sonstigen Veränderung der 
erste Stuhlgang, eine Masse Schleim mit wenigen, bohnengrossen Koth- 
Btttckchen gemischt. Diese schleimigen Stühle wiederholten sich in den 
folgenden 4 Tagen in 24 Stunden immer 4—8mal. 

Nach 10 Tagen nahmen die profusen, jauchigen Ausflüsse ab und 
am 16. November zeigte sich statt derselben der erste gelbe, reichliche 
Eiter. Hiemit hatte sich der Verheilungsprocess in der Bauchhöhle ab¬ 
geschlossen und die Eiterung rührte von dem noch nicht verheilten Scheiden¬ 
gewölbe her. Durch die Bauchdecken fühlt man deutlich in der Höhe 
der oberen Spitzen der Darmbeine von beiden Seiten nach der Mitte des 
Bauches zulaufend zwei strangartige Verhärtungen, die N. für Ver¬ 
wachsungen der breiten Mutterbänder und der zerrissenen Peritonealtheile 
mit der inneren Bauchwand hielt. 

Vor einigen 20 Jahren erzählte dem Verf. Herr Prof. Crede einen 
ähnlichen Fall. Gegenwärtig hat die Frau ein blühendes Aussehen und 
geht ihren ländlichen Arbeiten nach. 


461. Acute Entzündung des rechten Lappens der Schilddrüse. 
Von 0. T. Schultz. (The med. Herald vol. II. No. 1. Louisville 1880. 
Mai. Ctrbl. f. Chirurgie 1880. 28.) 


Am 20. Mai 1878 assistirte Verf. Dr. C. Hicks of Caborus 
bei einer Entbindung. Linke Schulter lag vor. Wendung. Grosse Schwierig¬ 
keiten , den Kopf herunterzubringen. Normaler, gut entwickelter Knabe. 
Linker Arm hängt machtlos herunter. Nach 2 Tagen war der Arm wieder 
normal. Am 13. Juli wurdo S. von einer Geschwulst benachrichtigt, welche 
sich am Halse des Knaben gebildet haben sollte. Seit der Geburt Schrei¬ 
anfälle, welche mehrere Male des Tags sich wiederholten, stundenlang 
anhielten und erst aufhörten, wenn das Kind erschöpft war. Dabei 
gründliche Darmentleerungen 12—20 Mal täglich. Am 27. Juli wurde 
ihm mitgetlieilt, dass der Tumor beträchtlich gewachsen war. Da S. 
glaubte, es hier mit einem Abscess zu thun zu haben, verordnete er 
warme Umschläge. Am 30. Juli sah S. das Kind wieder. Es war gut 
genährt und von guter Farbe. Sein Kopf war nach der linken Seite durch 
eine grosse und schmerzhafte Geschwulst auf dem rechten vordem und 
seitlichen Halstheile herübergedrängt, welche sich vom Aste des Unter¬ 
kiefers bis über das Schlüsselbein erstreckte. Diese Geschwulst, welche 
vor mehr als 4 Wochen entstanden war, bestand aus einem harten, 
runden Tumor von dem Umfange einer grossen Walnuss, gerade unter 
dem Kiefer liegend, und darunter aus einem zweiten, weichen und fluc- 
tuirenden Tumor, von gleicher Grösse. Die linke Seite war frei. 
Dr. Hicks hatte bereits mehrere Explorativpunctionen gemacht und ein 
wenig „Blutwasser“ entleert. 

Breite Incision in den fluctuirenden Tumor. Entleerung von mehr 
als einem Esslöffel einer klaren, blassen, strohfarbigen, eiweisshaltigen 
Flüssigkeit. Durch die collabirten Cystenwände konnten die indurirten 
Massen deutlicher geftlblt und die Verbindung der Cyste mit dem oberen 
Tumor festgestellt werden. Kein Blutverlust. Verband mit Chloralhydrat- 


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Medicinisch-chirtirgigche Rundschau. 


593 


lösung. Heilung ohne Eiterung. Obliteration der Cystenhöhle. Vom 
2. August ab bekam das Kind 4 Mal täglich V* Tropfen Tinct. jodi. 
Am 12. August war der Tumor nicht gewachsen, nicht mehr schmerz¬ 
haft, jedoch noch hart. Jod wird fortgegeben. Am 27. August der ober© 
Tumor nur noch haselnussgross. Ende September sind bei fortgesetzter 
Jodbehandlung beide Tumoren und die Induration vollkommen geschwunden. 

Mit der Abnahme der Schmerzhaftigkeit des Tumors wurden auch 
die Schreianfälle seltener, um schliesslich ganz aufzuhören. In diesem 
Falle erschwerte nach Ansicht des Verf.’s die grosse Jugend des Pat. die 
Diagnose. Es konnte sich entweder um eine Lymphdrüsenentzündung oder 
um eine AfFection der Glandula thyreoidea handeln. Es wurde die Diagnose 
auf eine acute Hypertrophie des rechten Lappens der Glandula thyreoidea 
gestellt mit 2 Tumoren, einem cystischen und einem adenoiden. Verf. 
denkt sich die Entstehung dieser Tumoren veranlasst durch Contusionen 
der Schilddrüse bei der schweren Entbindung des nachfolgenden Kopfes 
und die häufigen und lange fortgesetzten Schreianfälle in Folge der 
Kolikattaken. 

462. Die acute Metritis. Von Dr. *Edgar Kurz in Florenz. (Sep.- 
Abdr. aus Memorabilien 1880. 6.) 

Verf. betont, dass die acute Metritis gar keine so seltene Erkrankung 
ist, als man allgemein annimmt. Wie häufig hört man bei der Frage nach 
vorausgegangenen Erkrankungen von Patientinnen, dass sie sich einmal 
während der Menstruation angestrengt oder erkältet und darauf heftige 
Schmerzen und eine Entzündung im Unterleib (mit den für Metritis 
charakteristischen Symptomen) bekommen haben. Und wie manche, die an 
chronischer Endometritis und an Perimetritis leiden, ftihren den Beginn 
ihres Lebels auf eine derartige „Unterleibsentzündung“ zurück, die sie 
nur wenige Tage an’s Bett fesselte, die für eine ausgesprochene Pelveo- 
peritoniti8 einen zu kurzen und leichten Verlauf hatte, und die, während 
die Kranken bald wieder ihren Geschäften nachgehen konnten, ein chro¬ 
nisches Genitalleiden hinterliess. Die „Seltenheit“ der acuten Metritis rührt 
ohne Zweifel daher, dass solche Fälle einerseits naturgemäss in Kliniken 
nur ausnahmsweise zur Beobachtung kommen, und dass sie andererseits 
in der Privatpraxis nur selten durch gynäkologische Untersuchung con- 
statirt werden, weil ftlr viele Aerzte, auch wenn alle Symptome auf eine 
Genitalerkrankung hinweisen, der Uterus während und gleich nach der 
Menstruation ein Noli me tangere ist — zum Nachtheil der Kranken, 
denen eine vorsichtige Untersuchung nie schaden, wohl aber wegen der 
Ermöglichung einer rationellen Therapie viel nützen kann. 

Absehend von einem Krankheitsfall, der durch kalte Einspritzungen 
am letzten Tag der Menstruation hervorgerufen wurde und den Verf. im 
Stadium der Besserung als ablaufende acute Metritis zu diagnosticiren ge¬ 
neigt war, hat derselbe bisher drei Fälle von acuter Metritis beobachtet. 
8ie betrafen sämmtlich Mädchen, die nicht geboren hatten, entstanden 
während der menstruellen Congestion und Hessen sich auf mechanische 
Ursachen zurückführen. Von den mitgetheilten Fällen sei hier Fall I 
angeführt: 

Ein 18jähriges, gesundes, regelmässig menstruirtes Mädchen hatte sich im 
Beginn der Periode bei einer Wäsche heftig angestrengt. Unter Snppressio raen- 
sinm nnd Schüttelfrost intensive Leibschmerzen mit hohem Fieber (gegen 40), 
Kopfweh, Uebligkeit, Harnverhaltung, Stnhldrang. Acht Stunden nach dem 
Frost d e Unterbanchgegend auf Druck sehr empfindlich; nirgends ein Exsudat 
Dachzuweisen. Bei der Untersuchung der durchaus virginalen Genitalien fiel zn- 

Med.-chir. ßundscliou. 1 S 80 . 

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Medicinisek-chinirgiBche Rundschau. 


nächst eine bedeutende TempermtnrsteigeruDg und ein lebhafter Scheideapnls anl 
Der Uterus stark vergrößert and so weich, dass Verl beim Berühren der Vagmal¬ 
portion im ersten Angenblick die Schleimhaut der Scheide an touchiren glaubte. 
Bewegung des Uterus mit dem Zeigefinger rief starke Schmerzen hervor. Die 
Parametrien waren frei An die blaurothe Vaginalportion wurden sofort ivei 
Blutegel gesetzt, deren Bisse lang narhbluteten, worauf rasche Besserung erfolgte. 
Im Verlauf einiger Tage schwoll der Uterus ab und wurde wieder härter. Längere 
Zeit blieb ein weisser Ausfluss zurück. Die sonstige Behandlung bestand in Pries»- 
nitz schen Umschlägen, wannen Vaginaldouchen, Laxantien, vor allem in absoluter 
Ruhe bis zum vollständigen Anfhören aller Schmerzen. Die nächste Menstruation 
trat zur Zeit ein und war fast schmerzlos. Weitere Folgen hatte die &- 
krankung nicht. 

Die acute Metritis scheint meistens durch Steigerung der menstrualen 
Congestion in Entzündung zu Stand zu kommen und somit an die Zeit 
der Menstruation gebunden zu sein, wobei heftige Anstrengung, welche 
den Blutandrang gegen die Beckenorgane vermehren, wohl die häufigste 
Ursache abgeben. Neben der Erkältung pflegen die Patienten gewöhnlich 
noch andere handgreiflichere Ursachen anzngeben. Vielleicht, dass mecha¬ 
nische Momente ausserhalb der Zeit der Menstruation zu acuter Metritis 
führen können, dass z. B. Missbrauch des Coitus diese Wirkung haben 
kann, doch hat Verf. bei den in Florenz nicht selten zur Untersuchung 
kommenden Erkrankungen von anf der Hochzeitsreise befindlichen Damen 
stets nur Perimetritis und nie Metritis constatiren können. Würde nach 
ärztlichen Eingriffen, nach denen ja ebenfalls nicht selten Perimetritis An¬ 
tritt, häufig acute Metritis entstehen, so müsste dieselbe wohl öfter beob¬ 
achtet und beschrieben sein. Auch bei heftigen Tripperinfectionen wurde 
als Complication nur Perimetritis und Endometritis gesehen. Das Zustande¬ 
kommen einer acuten Entzündung der ganzen Uterussubstanz ist jedenfalls 
durch die vorhergehende Hyperämie und Auflockerung derselben, wie sie 
die Menstruation mit sich bringt, bedeutend erleichtert, wenn nicht vielleicht 
nur durch diese Verhältnisse ermöglicht. Interessant wäre es auch, ans 
der spärlichen und zerstreuten Literatur über diese Krankheit zu erheben, 
in welchem Verhältniss dieselbe Frauen befallt, die geboren, und solche, 
die nicht geboren haben. Seyfert hat das Vorkommen bei Virgines 
geläugnet. Es scheint demnach die Krankheit bei solchen, die nicht 
geboren haben, seltener vorzukommen. Von den von Verf. beobachteten 
Fällen bestand bei zweien Virginität. 

Die Diagnose ist bei Berücksichtigung der Symptome (s. den oben 
geschilderten Fall) und des Untersnchungsbefdndes leicht. Die starke An¬ 
schwellung des Uterus, die rundliche Form desselben, der dicke blaurothe 
Cervix, aus dem schon bei der ersten Untersuchung etwas eitriger Schleim 
(Complication mit Endometritis) zu kommen pflegt, die Empfindlichkeit des 
Organs und seine auffallend weiche Beschaffenheit sichern die Diagnose. 
Man braucht nur einmal diese teigige Consistenz des acut entzündeten 
Uterus gefühlt zn haben, um denselben — von den Symptomen abge¬ 
sehen — weder mit einem schwangeren Uterus, noch mit einem Uterus 
nach Abortus, noch mit sonst einem Uterustumor zu verwechseln. (Der 
constant beobachtete Scheidenpuls findet sich bekanntlich bei allen mög¬ 
lichen Zuständen, vor allem bei der Schwangerschaft.) 

Die Therapie erfordert in erster Linie absolute Ruhe, und zwar 
mit erhöhter Lagerung des Beckens. Die Rnhe ist gewiss die Hauptsache 
und mag allein zur Heilung genügen, wird aber, wenn die Krankheit 
nicht diagnosticirt ist, nicht oder nicht lange genug eingehalten, in welchem 
Fall sich dann natürlich leicht Complicationen entwickeln. Bei der Be¬ 
handlung möge man sich nicht mit der Darreichung von Narcoticis oder 


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Medieinisch-chirurgische Randschau. 


595 


gar von Fiebermitteln aufhalten; Schmerz und Fieber weichen rasch nach 
Beseitigung der Ursache. Auf eine tüchtige Blutentziehung durch Blutegel 
oder durch Scarificationen der Vaginalportion erfolgt sofortiger Nachlass 
der Symptome. Der Blutentziehung lässt man nach einiger Zeit mit Vor¬ 
theil die Eingiessung (nicht Einspritzung) von mehreren Litern warmen 
Wassers (ca. 30° R.) folgen, die an und für sich schon sehr geeignet 
ist, die Hyperämie der Beckenorgane zu mässigen, und die fortan täglich zwei¬ 
mal wiederholt wird. Durchaus nothwendig ist die Sorge für leichten Stuhl 
durch Klystiere und zweckmässige Laxantien. Entschieden günstig wirken 
auch — wie bei anderen ähnlichen Erkrankungen — die feuchtwarmen Um¬ 
schläge. Um die Abschwellung des Uterus zu beschleunigen und den Aus¬ 
fluss zu beseitigen, können Sitzbäder, regelmässige Scarificationen und 
Jodoformtampons (ein mächtiges Mittel zur Beförderung der Resorption) in 
Anwendung kommen. Die nächste nach der Erkrankung eintretende Men¬ 
struation sollte die Patientin unter Einhaltung grösster Ruhe, womöglich 
im Bett vorübergehen lassen. Oft werden für die Nachbehandlung die 
Irrigationen mit warmen Wasser, dem man Salz zusetzen kann, allein 
hinreichend sein. 

Diese Irrigationen können in der gynäkologischen Therapie nicht 
hoch genug angeschlagen werden. Nur müssen sie in richtiger Weise zur 
Ausführung kommen, und zum erstenmal wenigstens muss sie der Arzt 
selbst vornehmen. Die gewöhnliche Ausspritzung mit der theueren und 
schlechten Clysopompe mag da genügen, wo es sich nur um Reinigung 
oder Reinlichhaltung der Vagina handelt. 

Zum Schluss schildert Verf. den Gebrauch des Irrigators als Scheiden- 
douche. Der Irrigator mit langem Gummischlauch und weichem Mutter¬ 
rohr kann über dem Bett an der Wand aufgehängt werden, so dass ihn 
die Kranke, nachdem sie einmal mit dem Gebrauch vertraut ist, ohne Mühe 
selbst in Gang setzen kann. Ausser seiner leichten und bequemen Hand¬ 
habung bietet er noch den Vortheil eines continuirlichen und durch Höher¬ 
oder Tieferhängen, sowie durch Drehung des Hahnes leicht zu regulireuden 
Strahls und kann ausserdem noch zu allerlei anderen Zwecken, wie 
Klystiere, Douchen jeder Art, dienen. Ferner ist die Gefahr des Luftein¬ 
tritts (im Puerperium) vermieden; auch ist bei zufälliger Behinderung des 
Wasserabflusses aus der Vagina keine gewaltsame Ausdehnung und Zerrung 
möglich. 

Wenn man eine genügende Menge warmen Wassers (etwa 3 Liter 
von 30° R.) in dieser Weise bei Rückenlage und erhöhtem Becken durch 
die Vagina geleitet hat, so kann man bei entzündlichen Zuständen wahr¬ 
nehmen, dass die Schmerzen (und auch nervöse Erscheinungen) rasch nach- 
lassen; und bei sofort vorgenommener Untersuchung mit dem Speculum 
kann man sich — wie dies von E m m e t u. A. vielfach beobachtet worden 
ist — überzeugen, dass die vorher hyperämische Schleimhaut der Geni¬ 
talien blass und blutleer geworden ist, dass also durch das Wasser eine 
Contraction der Gefasswandungen hervorgerufen worden ist — ein Beweis, 
dass die Irrigationen ein mächtiges Mittel sind zur Bekämpfung von Blut¬ 
überfüllung und Entzündung der weiblichen Genitalien. 

Da Verf. dieselben früher oft unmittelbar nach Blutentziehungen 
vornahra, um die Nachblutung zu unterhalten (zu welchem Zweck die Ein¬ 
spritzung von Vielen empfohlen wird), konnte er sich wiederholt über¬ 
zeugen, dass diese theoretische Voraussetzung ganz falsch ist, dass im 
Gegentheil — entsprechend der Schleimhautanämie — die Nachblutung 
unterbrochen wird, dass demnach die warmen Injectionen — wie dies ja 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


in letzter Zeit bei Metrorrhagien aller Art, besonders Abortus, vielfach 
constatirt und erprobt worden ist — geradezu als blutstillendes Mittel 
wirken und auch als solches mit vollem Vertrauen angewendet zu werden 
verdienen. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 


463. lieber die Anwendung der Elektrolyse in der augenärzt- 
liehen Therapie. Von Dr. A. Nie den in Bochum. (Archiv f. Augen- 
heilk. IX. 3. Heft.) 

Es werden 4 Fälle von Angiomen der Lider beschrieben, die eine 
anderen Therapie nicht zugänglich waren und mit sehr gutem Erfolge 
mittelst Elektrolyse behandelt wurden. N. wendet stets die bipolare per- 
cutane Methode an, die positive Nadel sei von Gold oder Platin, die am 
negativen Pole kann von Stahl sein. Die Nadeln werden an den zum 
ersten Angriff wünschenswerten Stellen eingestossen, bei kleinen Tumoren 
je eine für einen Pol, bei grösseren Geschwülsten für den negativen Pol 
zwei und mehrere. Alsbald nach Schliessen der Kette (4—6 Elemente 
eines Apparates nach Spam er) steigen am negativen Pole neben der 
Nadel weisse Gasbläschen unter oft hörbarem Knistern aus dem Stich* 
canale hervor; nach 1—1V 2 Minute wird die negative Nadel entfernt 
und an einem etwas entfernten Punkte von Neuem eingestochen, was man 
je nach Reaction, Schmerzempfindung und Ausdehnung des jedesmaligen 
Eingriffes mehrmals wiederholt. In den Stichcanälen restirende Wasser¬ 
stoffbläschen werden durch leichten Druck entfernt und hierauf ein des* 
inficirender Verband angelegt. Am folgenden oder nächstfolgenden Tage 
wird die Sitzung wiederholt. Treten nun in Folge öfterer stattgehabter 
Einführung der Nadeln zahlreiche Eitergänge im Gewebe auf, so sistirt 
man die Sitzungen, um den Effect der Verheilung und Narbenbildung erst 
abzuwarten. N. hat stets ein rascheres narbiges Zusammenziehen beob¬ 
achtet, als es sonst bei eiternden und granuürenden Wunden der Fall 
ist. Ueble Zufälle wurden nie beobachtet. Auch in einem Falle von 
Atherom in der Gegend des Ligamentum internum am Nasenrücken bei 
einem messerscheuen Individuum wurde Elektrolyse mit Erfolg angewendet; 
nach 8 Tagen kamen aus 2 eiternden Stichcanälen zerfetzte weissliche 
Fransen der Umhüllungskaut zu Tage und es liess sich der ganze Sack 
in toto extrahiren. 

N. resumirt die Vortheile der Anwendung des elektrolytischen Stromes 
als darin bestehend: 1. dass derselbe anzu wenden ist, wo zur Entfernung 
von Neoplasmen andere Hilfsmittel ihre Dienste versagen, oder für ihre 
Anwendung zu unsicherer und gefährlicher Natur sind; 2. dass Geschwülste: 
Cavernome, Angiome, teleangiektatische Tumoren sich zerstören lassen, 
ohne einen Substanzverlust der normalen Bedeckungen zu bedingen; 3. dass 
die Ausdehnung, der Effect der zu erzielenden Wirkung je nach der 
Anzahl der eingestochenen Nadeln, nach der der eingeschalteten Elemente, 
der Dauer ihrer Anwendung und der Stärke des elektrischen Stromes 
genau zu bestimmen ist; 4. dass man bei einigermassen vorsichtiger 
Extraction der Platina Nadeln fast ohne jedo Blutung operiren kann; dass 
die Schmerzhaftigkeit eine im Allgemeinen sehr mässige ist, und 5. die 
Application eine sehr einfach zu erlernende und ganz ungefährlich genannt 
werden muss, die jedem Patienten durch die Einfachheit ihrer Anwen- 


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597 


dungsweise viel weniger Abschreckendes darbietet, als dies bei anderen 
chirurgischen Manipulationen der Fall ist. Reusa. 

464. Homatropinum hydrobromatum. Von Dr. Ernst Fuchs, 
Assistent an der v. Arlt’schen Klinik in Wien. (Centralbl. f. prakt. 
Augenheilk. Juni-Heft, 1880.) 

Es ist Oxytoluyltropin, welches durch Behandlung des mandelsauren 
Tropins mit Chlorwasserstoffsäure entsteht, und wurde von Prof. Laden¬ 
burg in Kiel entdeckt. Es ist in 10 Theilen Wasser löslich. Prof. 
V ö 1 k e r s in Kiel fand, dass die mydriatische Wirkung, sowie die Accom- 
modationslähmung einer lpercentigen Lösung nach 7—8 Minuten ein¬ 
trete, aber nach wenigen Stunden abnehme und nach 24 Stunden völlig 
verschwunden ist. 

Die Versuche von Fuchs ergaben, dass eine lpercentige Lösung 
eine Pupillenerweiterung in frühestens 20 Minuten hervorruft, die ihr 
Maximum in 60—70 Minuten erreicht. In 5 Stunden ist sie in der 
Regel verschwunden, nach 10—12 Stunden nie eine Spur vorhanden, 
während schwache Atropinlösungen (1 : 5000 und 1 : 10.000) eine etwa 
10 Minuten später eintretende Erweiterung hervorriefen, die aber nach 
12 Stunden immer noch ganz deutlich ist. 

Die Accommodationslähmung begann bei beiden Medicamenten unge¬ 
fähr zu derselben Zeit (nach 10—12 Minuten) und war in 5 Stunden 
vollständig verschwunden. Wegen des raschen Schwindens der Mydriasis 
dürfte das Homatropin mit Vortheil dann verwendet werden, wenn man 
behufs ophthalmoskopischer Untersuchung eine Pupillenerweiterung nöthig 
hat. Reu s s. 

465. Zur Behandlung des Keratoconus mit Eserin. Von Dr. B. 
St ein he im in Bielefeld. (Archiv f. Augenheilkunde, IX, 3.) 

Ein an Keratoconus beider Augen Leidender wurde im October 1869 
mittelst der v. G r ä f e’schen Operationsmethode am linken Auge mit Erfolg 
behandelt; das rechte Augu war unberührt geblieben; er las damit Jäger 
Nr. 3 in 3 / 4 " mit seitlicher Haltung der Schrift. Im März 1. J. trat 
an diesem Auge eine bedeutende Verschlechterung desselben ein und das 
Experiment, durch Druck auf das obere Lid die Sehschärfe auf Vs steigen 
zu machen, gelang nicht mehr. Es zeigte sich, dass die frühere centrale 
Trübung stärker geworden und dass der Scheitel des Conus weich und 
fast blasenförmig vorgetrieben war. 

Unter Druckverband und Eserineinträuflungen durch etwa 2 V* Monate 
hatte sich die blasige Erhebung verloren und sich zu einer flachen con- 
sistenten Hornhautnarbe gestaltet; Jäger Nr. 3 wurde auf 4", nach 
weiteren 5 Monaten Snellen Nr. 1 in 3" gelesen. Reuss. 

466. Die Entropium-Operation am unteren Augenlide, besonders 
bei alten Leuten. Von Dr. F. C. Hotz in Chicago. (Klin. Monats¬ 
blätter f. Augenheilkunde. Mai-Heft, 1880.) 

Man glaubte, dass es zur Reposition eines Entropiums einer starken 
Zugkraft bedürfe. Dies ist unrichtig, es genügt ein ganz geringer Zug, 
nur muss er von einem fixen Punkte aus geschehen, während bei den 
bisher gebräuchlichen Excisionen von Hautfalten und Anlegungen von 
Ligaturen die Haut von allen Seiten herbeigezogen wird, so dass es von 
der individuellen Nachgiebigkeit derselben abhängt, ob die Wangenhaut 
hinauf oder die Lidhaut herabgezogen wird. Diese Erwägungen be¬ 
stimmten Hotz, einen solchen fixen Punkt im convexen Theile des Tarsus 

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Mediciuisch-chirtrgisclie Rundschau. 


&98 

Helbat zu suchen, zu welchem Zwecke er folgendermassen verfährt: 4 bis 
(\ Mm. unterhalb des Lidrandes wird eine horizontale Incision vom innern 
bis zum äussern Lidwinkel gemacht. Die Wundränder werden ausein- 
andergezogen, der Orbicularis blossgelegt und ein 2 Mm. breiter Streifen 
von den Fasern desselben, entsprechend dem angewachsenen Rande des 
Tarsus, abgetragen. Hierauf wurden in Abständen von 5 Mm. Nähte 
(gewöhnlich 4) angelegt, indem die Nadel zuerst durch die Lidhaut ge¬ 
führt wird, worauf man den Tarsalrand mit der Pincette fasst, die Nadel 
steil auf denselben setzt und in einem kurzen Bogen durch denselben 
nach unten führt, so dass ihre Spitze etwas unterhalb des Tarsus durch 
die Fascia wieder zum Vorschein kommt. Schliesslich sticht man durch 
die Haut des Wundrandes mit sorgfältiger Vermeidung von Orbicularis- 
fasern aus und knüpft. Gewöhnlich konnten am 3. Tage die Nähte ent¬ 
fernt werden. Reuss. 

467. Zur Abortivbehandlung der furuncnlösen Entzündung im 
äusseren Gehörgang. Von Dr. Weber-Liel, Berlin. (Deutsche med. 
Wochenschr. 1880. 15.) 

Es zeichnet sich bekanntlich der Furunkel des Gehörganges durch 
seine Schmerzhaftigkeit aus. Auch ist die Dauer der Affection gewöhnlich 
keine kurze, insofern dem Rücktreten des einen folliculären Entzündungs¬ 
herdes meist Recidive an anderen Stellen des äusseren Gehörganges folgen. 

Es kennzeichnet sich die furunculöse im Unterschied zur diffusen 
Entzündung des äusseren Gehörganges objectiv dadurch, dass schon bei 
der Inspection und zumal bei der Untersuchung mit der Sonde nicht das 
ganze Lumen des Meat. audit. ext. gleichmässig verschwollen und verengt 
ist, sondern dass zunächst nur einzelne Punkte bei Berührung eine 
excessive Empfindlichkeit bekunden; eben diese Stellen zeigen gewöhnlich 
auch von Anfang an schon eine begrenzte Hervorragung und Röthung. 
Gar bald wölbt sich die Entztindungsgeschwulst halbkuglig, erbsen- oder 
bohnengross in das Lumen des Ganges vor, cffesen ganz oder tlieilweise 
verschliessend; dahinter aber findet die Sonde das Lumen frei. Am 
häufigsten trifft diese Entzündungsform nur den knorpligen und äusseren 
Abschnitt des Meat. auditor. Betrifft die Furunkelbildung die vordere 
Wand, so ist das Kauen vornehmlich behindert und schmerzhaft. 

Während sich in den vorderen Abschnitten des Ganges und in der 
Nähe des Tragus die Entwicklung der Geschwulst bis zur Eiterbildung 
meist nur 3—6 Tage hinzieht, pflegt sie sich in den tieferen, knöchernen 
Theilen viel länger zu protrahiren. Ein ausserordentliches Gefühl der 
Spannung, der Völle macht sich gar bald geltend, — daneben meist 
auch Ohrensausen, öfter Schwindel — jede Berührung, namentlich Druck 
auf den Tragus erregt empfindliches Weh. Gegen Abend steigern sich 
die Schmerzen spontan, um gewöhnlich in der Nacht über den ganzen 
Kopf ausstrahlend, dem Pat. tage-, ja wochenlang den Schlaf zu rauben, 
bis es zur Entleerung der gebildeten Abscesse gekommen ist. 

Verf. empfiehlt den Spir. vini rectific., dem ein Minimum Sublim. 
corro8iv. zugesetzt sei, als im Anfangsstadium der Follicular-Entzündung 
des äusseren Gehörganges in vielen Fällen sehr wirksam. Man fülle 
1 / 2 —1-stündlich das Ohr in geneigter Lage des Patienten mit Spiritus. 
Das Medicament entzieht den Geweben Wasser, wirkt anästhesirend und 
man wird finden, dass unmittelbar nach dessen Application die Schmerz¬ 
haftigkeit jedesmal sehr abgenommen hat; aber nur ganz am Beginn des 
Processes angewendet, vermag es denselben Mufigr|u Kmpiren. —Ferner 



Medicinisch-chirurgiache Rundschau. 


599 


verwendet W. L. mit bestem Erfolge die subcutane Injection von ver¬ 
dünnter Carbolsäure in den sich entwickelnden Fnrunkel zur Abortiv¬ 
behandlung, und zwar in folgender Weise: Die kurze lanzettförmige Spitze 
der Injectionsspritze wird ein oder zwei Mm. tief, je nachdem sich die 
schmerzhafte Stelle der Haut schon mehr oder weniger geschwulstförmig 
erhoben hat, eingestochen und nun 2—4 Tropfen einer reinen 5perc. 
Carbollösung eingelassen. Schon nach V 4 Stunde lassen Spannung und 
Schmerzen nach. 3 Stunden später lässt W. L. dann 2stfindlich mit den 
Spiritusbädern fortfahren. Bei vorgeschrittenen Fällen muss die Injection 
mitunter wiederholt werden. Bei Injection grösserer Dosen einer stärkeren 
Carbollösung (8 Percent) erfolgt zwar sofort Anästhesirung der empfindlich 
gewesenen Partien, danach aber entsteht meist in den afficirten Partien 
ein ausserordentlich heftiges Brennen, welches 1—2 Stunden andauert. 
Damit aber erscheint der ganze entzündliche Process sistirt. 

468. Der Werth des Atropins bei der Behandlung der acuten 
Mittelohrentzündung. Von Dr. L. Theobald. (Americ. Journ. of Otol. 
1879. Ztschr. f. Ohrenheilk. 1880. I.) 

Gestützt auf die so günstige Wirkung des Atropins bei Augenleiden 
versuchte Verf. dasselbe Mittel bei den Erkrankungen des Ohres und kam 
zur Ueberzeugung, dass das Atropin auch auf diesem Gebiete von grossem 
Werthe sei. Bisweilen fand er das Mittel von Einfluss bei den Entzündungen 
des äusseren Gehörganges, am wirksamsten jedoch bei den acuten mit 
heftigem Schmerz verbundenen Entzündungen des Mittelohres, insbesondere 
bei Kindern , sodann bei den heftigen Mittelohrentzündungen nach exan- 
thematißchen Fiebern. Th. lässt 8—10 Tropfen der wässerigen Lösung 
(4 Gran auf die Unze, annähernd 0*1 : 10-0) in das Ohr einträufeln und 
belässt sie in demselben 10—15 Minuten lang, je nach den Umständen 
kann die Einträufelung alle 3—4 Stunden wiederholt werden. Bei in- 
tactem Trommelfell sah er nie Allgemeinwirkung eintreten, bei perforirtem 
Trommelfell und beiderseitiger. mehrmaliger Anwendung trat in einem 
Falle bei einem 3—4jährigen Mädchen Erweiterung der Pupillen ein, 
doch lässt es Verf. dahingestellt, ob hierbei nicht eine directe Ueber- 
tragung der Lösung aufs Auge durch die Finger des Kindes stattgefunden 
hat. Th. hatte Gelegenheit, sich von der günstigen Wirkung des Atropins 
bei seinem eigenen Kinde zu überzeugen. 

469. Ueber die Behandlung der Schleimpolypen der Nase. Von 
R. Harrison, Liverpool. (Brit. Med. Journ., Nov. 15. 1879, pag. 773.) 

Verf. will folgendes Verfahren bei einer Reihe von ihm als Nasen¬ 
polypen angesprochenen Schwellungszuständen der Nasenhöhle bewährt 
gefunden haben: Die polypösen Anschwellungen werden mit einer gewöhn¬ 
lichen Acupuncturnadel angestochen. Dabei pflege sich eine relativ be¬ 
deutende Menge von Flüssigkeit aus denselben zu entleeren und die 
polypoide Anschwellung zu collabiren. Um nun eine weitere Schrumpfung 
zu befördern, lässt er den Patienten täglich eine Solution von Carbol¬ 
säure in Glycerin in die Nase injiciren, und dieses eine Zeit lang fort¬ 
gesetzt, wodurch eben „The Growths“ schliesslich vollständig zum Ver¬ 
schwinden gebracht wurden. In einem seiner letztbehandelten Fälle wurde 
mittelst des Einstichs mit dem Troicart der flüssige Inhalt entfernt. Der 
Autor spricht die von ihm behandelten „polypous growtlis u als circum- 
scripte Oedeme an und auch seiner mikroskopischen Untersuchung gemäss 
sei dieses der Fall. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


470. Mittheiluiig eines Falles von paralytischer Ektasie der 
Trachea. Von Dr. Bensch. (Mon&tsschr. f. Ohrenhlk. etc. 1880.) 

Nachfolgender merkwürdiger Fall stammt aus der poliklinischen 
Sprechstunde des Prof. Voltolini. 

Anton Ullrich, 57 J. alt, Taglöhner, kam am 15. März d. J. 
zum ersten Mal zur Untersuchung. Er klagt über Husten und Heiserkeit, 
vornehmlich aber über knappe Luft, die sich bei jeder kleinen Anstren¬ 
gung schnell einstellt, bis zur Unerträglichkeit steigert und ihn erwerbslos 
macht. Den Beginn dieses Zustandes datirt er vom Winter vor Weih¬ 
nachten, wo ihn aus völliger Gesundheit heraus ein heftiger Husten überfiel, 
mit viel Auswurf und Kurzathmigkeit verbunden und besonders Nachts 
quälend. Heiserkeit und Kitzel im Kehlkopf soll damals nicht bestanden 
haben. Zwischen Neujahr und Weihnachten bemerkt Pat. gleichzeitig und 
mit einem Male auftretend die jetzt bestehende Veränderung der Stimme, 
Behinderung beim Schlingen von Flüssigkeit, sog. Verschlucken, das Her¬ 
vortreten einer Geschwulst am Halse beim Husten und auffallend ver¬ 
mehrten Luftmangel. Die Athemnoth steigerte sich besonders in den kalten 
Tagen des Jänner und Februar, sobald Pat. das Zimmer verliess, bis zur 
Unerträglichkeit. Eine Besserung trat erst ein mit den warmen Tagen. 

S t a t u 8: Mittelgrosser Mann, mager, Mnsktdatnr schlaff, massig entwickelt, 
Knochenbau kräftig, Hantfarbe blass, an den Lippen etwas cyanoiisch. Hals eher 
lang, von normalem Umfang, normal configurirt, durchaus symmetrisch. Jugulum 
und Supraclaviculargruben wenig deutlich, die letztere rechts noch mehr gefällt 
als links. Einige stark geschlängelte Venen, besonders rechts. In halber Höhe des 
hinteren Randes des Muse, sternocleidomastoideus dext. eine tiefeingezogene Narbe. 
Kehlkopf unbeweglich, ebenso die Musculi scaleni, 16 regelmässige, geräuschlose, 
ziemlich oberflächliche Athemztige. 

Thorax kräftig entwickelt, zeigt noch Spuren früherer Rhachitis (Hühner¬ 
brust). Schall über der medianen Hälfte der Fossa supraclavicularis dextra 
deutlich gedämpft, etwas tympanitisch, entsprechend links laut tympanitisch mit 
ausgesprochenem amphorischen Beiklang; Schall über der Lunge sonst sehr laut, 
auffallend hoch, beiderseits gleich. Herzdämpfung schwer zu bestimmen, jedenfalls 
nicht vergrössert. Die Auscultation ergibt über den Lungen in der lateralen 
Hälfte der Fossa snpraclavicularis beiderseits schwaches vesiculäres Inspirium und 
unbestimmtes Exspirium, verdeckt durch grossblasiges, klangloses Rasseln; in der 
medianen Hälfte rechts 3 1 /* Ctm., links schon 6 Ctm. von der Mittellinie entfernt 
zunehmend lautes amphorisches (resp. fortgeleitet tracheales) Athmen, am lau¬ 
testen nicht über der Mittellinie, sondern 2 Ctm nach links. Am übrigen Thorax 
allenthalben weiches schwaches Vesiculärathmen mit vereinzeltem Schnurren und 
Pfeifen beim In- und Exspirium. Der Pectoralfremitus bietet nichts Auffallendes, 
dagegen besteht im Bereich des amphorischen Athems laute Bronchophonie, die 
wiederum ihr Maximum 2 Ctm. von der Mittellinie hat. Ueber dem Herzen an 
allen Ostien dumpfe, reine, nirgends abnorm accentuirte Töne. Radialis, mittel¬ 
weit, etwas geschlängelt, nicht rigide, von mittlerer Spannung, Puls 78 in der 
Minute, zeigt nichts Abnormes. Ebenso an den Unterleibsorganen nichts Berner- 
kenswerthes. 

An der rechten Halsseite wölbt sich bei jedem Hustenstoss, bei 
längerem Sprechen mit angehaltenem Athem, am stärksten aber beim 
Ein wirken der Bauchpresse bei verschlossener Glottis eine Geschwulst 
von Mannesfaustgrösse und unregelmässig kugeliger Gestalt hervor. 
Ihre scheinbar höchste Stelle liegt 4 Ctm. von der Mittellinie in der Höhe 
der Incisura thyreoidea, 3Va Ctm. von der Articulatio sternoclavicularis. 
Der Umfang des Halses, der in der Ruhe hierselbst 38 Ctm. beträgt, 
beträgt dann 41 Va Ctm. Ein Durchmesser, genommen mit dem Taster¬ 
zirkel von der Vertebra prominens nach dem bezeichneten Punkte, be¬ 
trägt in der Ruhe 12, beim Husten 14 Ctm., es würde sich hieraus eine 
Höhe von 2 Ctm. ergeben, für die Betrachtung imponirt dieselbe als viel 
bedeutender. 


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Medicinisch-chirurgische Randschau. 


601 


Die Contur beschreibt einen Kreis von 5 Ctm. Durchmesser. Die 
Oberfläche erscheint durch die Musculi omohyoidei und sternocleidoma- 
stoidei, welche sie einschnüren, nicht rein kugelig. Beim Einwirken der 
Bauchpresse bei verschlossener Glottis findet man den Tumor, proportional 
dem Exspirationsdruck, weichelastisch, nicht fluctuirend, scheinbar durch 
stärkeren Druck unter schmerzhaftem Gefühl im Halse reponirbar. Er 
verschwindet unter den Fingern, sobald der Hustenstoss vorüber und die 
Bauchpresse durch Oeffnen der Stimmritze ausgeschaltet ist und ist dann 
auch ftlr das Auge nicht mehr sichtbar, schlägt bei neuen Hustenstössen 
mit einem der Kraft der Exspiration proportionalen elastischen Schlage 
gegen die hier aufgelegten Finger und lässt sich bei kräftigem Gegen¬ 
druck ganz zurückhalten. Auch das Hintenüberliegen des Kopfes ver¬ 
hindert etwas das Hervortreten (offenbar durch den Druck der Hals- 
musculatur). 

Eine stärkere Anfüllung der Halsvenen ist unverkennbar, steht aber 
in durchaus normalem Verhältniss zum Exspirationsdruck. Die Prüfung 
des Fremitus war aus begreiflichen Gründen unmöglich. Die Percussion, 
di© sich beim Ein wirken der Bauchpresse ganz gut ausführen lässt, ergibt 
an bezeichnter Stelle in der Ruhe leeren Schenkelschall, weiter abwärts 
näher der medialen Hälfte der Foss. supraciavicul. dextra den oben be¬ 
zeichnten gedämpften, etwas tympanitischen Schall; beim Hervortreten 
des Tumors vertieft sich die Schallhöhe sehr auffallend, der Schall wird 
dumpfer und bekommt einen meteoristischen Beiklang. Die Auscultation 
konnte sich begreiflicherweise nur auf den Husten richten; derselbe be¬ 
wirkt im ganzen Umfang der Geschwulst denselben heftigen Schlag iu’s 
Ohr, unangenehm dröhnend, und am heftigsten ist er wiederum erst 2 Ctm. 
jenseits der Mittellinie nach links. Die nunmehr erst vorgenommene Pal¬ 
pation der medialen Halsgegend in der Ruhe fand den Kehlkopf an nor¬ 
maler Stelle normal gestaltet, entsprechend der Geschwulst normale Resi¬ 
stenzverhältnisse, ganz wie auf der andern Seite, die Schilddrüse nicht 
vergrössert, die Trachea im oberen Theile freiliegend, weiter abwärts nnd 
im Jugulum dagegen nicht palpabel. Als Ursache stellte sich bei genauerer 
Palpation heraus, dass die Trachea zunehmend nach links abwich und 
in’s Jugulum nur noch mit einem kleinen Segment von links her hinein¬ 
ragte. Nach links gelingt es leicht unter dem Muscul. sternocleidomastoi- 
deos den linken Rand der Trachea zu umgreifen, nach rechts war dies 
nicht möglich und lag hier ganz in der Tiefe, dicht an der Trachea und 
nur durch eine rinnenartige Vertiefung abgesetzt, ein walzenförmiger, 
gestreckter Körper von der scheinbaren Dicke eines kleinen Fingers, 
schmerzlos auf Druck und scheinbar festelastisch. Hier fühlt man beim 
leisesten Anhusten ein Anschlägen und bei etwas stärkerem Exspirations¬ 
druck eine Ausdehnung jenes Körpers zu einer Zeit, wo weder das Auge 
noch die Palpation sonst wo etwas wahrnehmen kann. 

Einen Defect oder Spalt in dem Knorpelgerüst der Trachea kann 
man nicht nachweisen. Die laryngoskopische Untersuchung (bei krähender 
Inspiration) ergab exquisit sogenannte Maultrommelform der Epiglottis, 
etwas links von der Medianlinie abweichend, eine Lähmung des rechten 
Stimmbandes, das scheinbar über die Mittellinie hinwegragend, völlig 
bewegungslos das Lumen halb verschloss, diffuse, sehr mässige Schwellung 
und Röthung der gesammten Schleimhaut. Von der Deviation der Trachea 
war nichts zu sehen. 


Nachdem ein Hustenanfall vorüber ist, tritt eine ziemlich bedeu¬ 
tende Dyspnoe auf: 30 Athemzüge unter Mitwirkung der Scaleni, starker 

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602 


Medicinisch-chirurgi8che Rundschau. 


Mitbewegung der Nasenflügel und des Kehlkopfes und begleitet von inspi¬ 
ratorischem Stridor, der übrigens in der Zeit von 5 Minuten wieder vergeht 

Der Husten sowohl als die Stimme sind nicht klanglos, sondern 
nur mässig heiser, auffallend hoch und gleichsam unrein, ganz ähnlich 
dem Klange der Stimme zur Zeit des Stimmwechsels. Der Stimmumfang 
fasst nur 5 Töne, Patient will jedoch nie ein grosser Sänger gewesen 
sein, weiss nichts über den früheren Umfang und frühere Tonhöhe. Beim 
Versuch, Wasser zu schlucken, gelingen die ersten Versuche gut, die 
späteren erregen Hustenreiz, Räuspern und Husten. 

Aus diesem Befunde ergeben sich zunächst 3 Diagnosen. Es besteht 

1. eine Lähmung der rechten Hälfte des Muscul. constrictor laryngis 
vestibuli; 

2. eine rechtsseitige Stimmbandlähmung, vorzugsweise, vielleicht 
ausschliesslich den Glottisöffner, den M. cricoarytänoideus posticus, betref¬ 
fend. Die völlige Unbeweglichkeit des Stimmbandes auch bei tiefen Inspi¬ 
rationen , sowie das Hinausreichen über die Mittellinie scheint zu 
beweisen, dass der genannte Muskel complet gelähmt ist. Das BefaUensein 
andererseits des M. constrictor introitus laryng. dext. macht es fast un¬ 
wahrscheinlich, dass die Muscul. arytänoid. transv. und Obliq. dext. ganz 
unbetheiligt geblieben sind; es widerspräche wenigstens nicht geradezu 
dem Befund, wenn sie, obwohl nicht paralytisch wie der M. cricoarytä- 
noid. post., doch paretisch sind; 

3. besteht ein intermittirender Tumor rechts am Halse, der nach 
seiner Lage, Percussion und Auscultation nicht von der Lunge nach Pal¬ 
pation und Auscultation nicht von einer Ektasie der Vena jugularis ext., 
bei dem Fehlen jedes Hautemphysems nicht von einer Perforation der 
Trachealwandung stammen kann. Er ist das Ueberraschendste im Befand 
und erinnert sogleich an die wohl Jedem dem Namen nach bekannte 
Bezeichnung Luftkropf. Dem ganzen Befund nach steht er in offenem 
und weitem Zusammenhang mit der Trachea, aber in welchem, wie werden 
wir ihn zu bezeichnen haben und wie verhält er sich zu den Lähmungen, 
wie eine zufällige Complication, oder als nothwendige Folge einer gemeinen 
Ursache, oder als Ursache oder endlich als Wirkung jener? 

Die Lähmung wurde mit faradisch äusserlich applicirtem Strom 
behandelt. 

Ein jeder Fall von Luftkropf hat heute hohes casuistisches Interesse. 
Ausser in den Jahresberichten v. J. 1866 und 1873 sucht man in den 
letzten 40—50 Jahren vergeblich, wenigstens in der deutschen Literatur, 
nach einem solchen. Dieser Fall tritt erst als dritter in den letzten 
1 1 / % Decennien hinzu zu den von Gay et und Devalz als goftre aörienne 
im Jahre 1866 und 1873 beschriebenen, ist seit 1836 der erste in 
Deutschland. 

Oben beschriebener Fall zeigt uns eine Geschwulst, die beim Her¬ 
vortreten die frappanteste Aehnlichkeit mit einer rechtsseitigen Struma 
hat. Der vorliegende Fall beweist, dass es eine Tracheektasie, und zwar 
eine paralytische Tracheektasie gibt. 

Wenn man in diesem Falle annimmt, es handle sich um eine Ektasie 
der rechten Hälfte der hintern Wand der Trachea, welche zugleich mit 
(dem Muse, aryepiglotticus dexter und) dem Oeffner des Ligam. vocale 
dextrum von einer einseitigen Lähmung betroffen, erschlafft und bereits 
continuirlich etwas gedehnt, jedesmal bei einem Hustenstoss oder unter 
Einwirkung von abgeschlossenem Exspirationsdruck ad maximum dilatirt 
wird, so ist damit alles erklärt. 


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Medicinisch-chirorgißche Rundschau. 


603 


Es kann, wenn nicht der Oeffner, sondern die Schliesser gelähmt 
sind, trotz Paralyse der Trachea die Ektasie ausbleiben; denn die unver- 
schliessbare Glottis wirkt dann als ein Sicherheitsventil; bei Lähmung 
aber des M. cricoaryt. post, ist das Sicherheitsventil zerstört. Es kann, 
wenn die Bronchitis fehlt, oder doch nicht so excessiv heftig ist, wie in 
unserem Fall, gleichfalls die Ektasie ausbleiben; besteht aber jene, und 
ist obiges Sicherheitsventil zerstört, so ist diese unvermeidlich. Daraus, 
dass sich diese zwei Umstände zusammenfinden müssen, erklärt sich, dass 
diese Art Ektasien der Trachea bisher so wenig beobachtet; mit daraus, 
dass man erst seit so kurzer Zeit zu laryngoskopiren versteht, vielleicht 
auch der Umstand, dass Paralysen der hinteren Trachealwand nicht schon 
früher diagnosticirt worden sind. 

Betreffend endlich die eigenthümliche Beschränkung des paralyti¬ 
schen Processes auf die rechte Hälfte der hintern Trachealwand, auf den 
M. cricoarytänoideus posticus und den Constrictor vestibul. laryngis in 
seiner rechten Hälfte, macht Yerf. darauf aufmerksam, dass bestimmend 
für die paralytische Ektasie der Trachea nur zweierlei ist, nämlich die 
beiden erstgenannten Lähmungen; die des Constrictor ist überflüssig, und 
dass er hier mit afficirt ist, mag zunächst immerhin als ein sehr selt¬ 
samer Zufall angesehen werden; die paralytische Trachealektasie würde 
auch ohne diesen Zufall hier bestehen und wird immer wieder entstehen 
unter den oben angegebenen Bedingungen. —r. 

471. Die Behandlung der acuten und chronischen Laryngitis. 

Von S6mon. (Brit. Med. Journ. 1880. 995.) 

Das vom Verf. ftlr die meisten Fälle von acuter Laryngitis empfohlene 
Verfahren ist ein sehr einfaches (Aufenthalt in warmer Atmosphäre, warme 
Dampf-Einathmungen, Antiphlogistica und schliesslich absolute Ruhe der 
Stimme) und vollkommen übereinstimmend mit den Grundsätzen der Be¬ 
handlung acuter Entzündungen. Im Einklang mit diesen Grundsätzen hält 
es S 6 m o n für seine Pflicht, vor der vorzeitigen örtlichen Anwendung 
von Adstringenden zu warnen. Anfänger in der Laryngoskopie verbinden 
das entzündliche laryngoskopische Bild gleich mit dem Gedanken, daselbst 
Adstringenden anzuwenden. Dies ist ein arger Fehler. Kein Chirurg denkt 
daran, eine recente Schleimhautentzündung mit Adstringenden zu behandeln, 
da diese in diesem Stadium die Entzündung nur steigern. Dieselben 
Regeln welche anderwärts gelten, müssen auch in der Behandlung der 
Kehlkopfkrankheiten zur Anwendung kommen. Die locale Behandlung 
ist erst am Platze, wenn in Folge allgemeiner Vernachlässigung, in 
Folge neuer Erkältung, schwacher Constitution oder in Folge von Prä¬ 
disposition zu Erkrankungen der Schleimhaut der Respirationsorgane, 
unzeitigem Sprechen und Singen, die acute Entzündung anstatt in Lösung 
überzugehen, in die subacute oder chronische Form übergeht. 

Bei der Behandlung der chronischen Entzündung stellt man sich 
die Aufgabe, eine reactive Entzündung zu erregen und deren Verlauf zu 
überwachen. Es ist daher die Anwendung adstringirender Lösungen an¬ 
gezeigt , deren Stärke je nach Dauer und Grad der Erkrankung wechselt. 
In älteren und schwereren Fällen wendet S 6 ra o n wie alle übrigen 
Autoren Lösungen von Silbernitrat, bei hartnäckigen Fällen auch Nitras 
argenti in Substanz an. Doch ist es rathsam, mit leichten Lösungen zu 
beginnen und unter*der Leitung des Spiegels zu den stärkeren tiberzugehen. 

Während nun selbst in alten Fällen bald nach Beginn der Behand¬ 
lung die Besserung auffallend ist, gelingt es schwer, die letzten Spuren 

Dii zedbyVjOOvlC 



604 


Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


der Verdickung und chronischen Hyperämie zu beseitigen. Für solche 
Fälle räth S. die adstringirende Behandlung mit der elektrischen zu com- 
biniren, und zwar sowohl mit der constanten als faradischen. Besonders 
vorteilhaft ist die elektrische Behandlung in Fällen, wo Ungleichheit io 
der Beweglichkeit der Stimmbänder vorhanden ist. Hier kann man direct 
Dr. Mackenzie’8 Laryngeal-Elektrode appliciren, doch reicht man auch 
mit der äusserlichen Application des constanten Stromes in den meisten 
Fällen aus. — r. 


Dermatologie und Syphilis. 


472. Ueber Herpes des Rachens. Von Dr. Josef Herzog. (Sep.- 
Abdr. der med.-chir. Pr. 1880.) 


Der Herpes des Rachens ist eine in Deutschland wenig bekannte 
Erkrankung. Verf. will daher einige ausgesprochene Fälle von Angina 
herpetica mittheilen. Gübler gebührt das Verdienst, die Angina 
herpetica zuerst als selbstständige Erkrankung beschrieben zu haben, und 
zwar unterschied er eine Form, bei welcher der Herpes primär ohne 
weitere Complication auftritt, und eine zweite Form, bei welcher sich die 
Bläscheneruption im Rachen zu einer Entzündung der Tonsillen und zu 
Herpes labialis hinzugesellt. 

Hebra erwähnt bei Besprechung des Herpes facialis, dass die 
Erkrankung ab und zu auch auf die Schleimhaut der Mundhöhle tiber¬ 
greifen könne. 

In der That unterscheidet sich die Bläscheneruption bei Angina 
herpetica von jener des Hautherpes nur durch ihren Sitz, welcher zumeist 
am Isthmus faucium, den Tonsillen und Gaumenbögen, an der Uvula, 
am Gaumensegel und in seltenen Fällen auch an der hinteren Rachen¬ 
wand ist. Während aber bei Herpesefflorescenzen auf der Haut nach 
Beratung des Bläschens die Flüssigkeit gerinnt und sich eine gelbliche 
ambrafarbige Kruste bildet, unter welcher die Regeneration des Epithels 
vor sich geht, ist dies nicht so auf der Schleimhaut des Rachens und 
des Mundes, wo sich wegen des mechanischen Einflusses des Schlingactes 
nicht die nöthige Ruhe zur Krustenbildung findet und somit alle Gerin- 
nungsproducte im Momente ihres Entstehens fortgeschwemmt werden. 

Zumeist kommt die Erkrankung nur unilateral vor, doch sind Fälle 
bekannt, wo der ganze Rachenraum ergriffen wurde. 

Die Angina herpetica ist nicht contagiöser Natur und kommt meist 
im Frühlinge und im Herbste zur Beobachtung und kann auch bei manchen 
Individuen, einen gewissen Typus einhaltend, habituell entstehen; so beob¬ 
achtete Windt bei einem 30jährigen Manne eine Angina herpetica, 
welche während eines ganzen Winters alle Monate wiederkehrte. 

Die Krankheit nimmt ganz plötzlich, meist nach einer Erkältung, 
ihren Anfang mit stärkerer oder geringerer Fieberbewegung. Die In- 
spection des Pharynx ergibt den Befund einer gewöhnlichen katarrhalischen 
Angina; doch erscheint meist nur eine Seite vorwiegend afficirt. 

Meist am 3., selten schon am 2. Tage lassen die Allgemeinerschei¬ 
nungen etwas nach. Die Untersuchung des Rachens ergibt dann ge¬ 
wöhnlich neben der Röthe und stärkerer Succulenz der Schleimhaut eine 
Zunahme der Schwellung der Tonsille der einen Seite,' welche mitunter 
die ebenfalls geschwellte, etwas verlängert erscheinende Uvula weit nach 


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605 


der anderen Seite drängt, so dass der Isthmus faucium beträchtlich ver¬ 
engt erscheint und es zu asphyktischen Erscheinungen kommen kann. 
Man bemerkt ferner an den hervorragenden Stellen der vergrösserten Ton¬ 
sille Stecknadelkopf- bis linsengrosse, nur kurze Zeit wasserhell erschei¬ 
nende, dann gelblich weisse, nicht vollkommen runde Flecke mit hellem 
Centrum, welche discret oder zu Gruppen aneinandergereiht sich auf der 
Schleimhaut erheben. 

Dieses helle Centrum hielt Billard für die Oeffnung eines ent¬ 
zündlichen Follikels und wollte damit die Ansicht L a s 6 g u e’s bestätigen, 
welcher die Angina herpetica ausschliesslich als eine Entzündung einer 
oder mehrerer kleiner Follikel der Tonsille betrachtet wissen wollte. Jede 
einzelne Effiorescenz ist von einem gezackten dunkelrothen Saume begrenzt 
und erscheint von den benachbarten durch die entzündete Schleimhaut 
getrennt. Dieselben Efflorescenzen können aber auch auf deq Gaumen¬ 
bögen derselben Seite, auf der Uvula und in seltenen Fällen auf der 
hinteren Rachenwand oder auf beiden Seiten des Rachens Vorkommen, 
wo dann der Isthmus faucium im Beginne der Erkrankung wie mit Thau- 
tropfen übersät erscheint. 

Im weiteren Verlaufe, gewöhnlich nach 24—36 Stunden, findet man 
an Stelle der Bläschen mehr weniger tiefe rosafarbige Ulcerationen, welche 
über kurz oder lang, indem sie sich mit dem proliferirten oder morti- 
ficirten Epithel bedecken, einen opalisirenden Grund zeigen. Währenddem 
kann es immer wieder zu neuen Nachschüben kommen. 

Nimmt die Erkrankung ihren gewöhnlichen Verlauf, so reinigen 
sich diese Ulcerationen binnen 2—4 Tagen und mit der darauffolgenden 
Vernarbung ist der locale Process abgelaufen, während sich das Allgemein¬ 
befinden schon früher wesentlich gebessert hat. Gewöhnlich am 2. oder 
3. Tage nach dem Auftreten der Localaffection entsteht in den meisten, 
aber bei Weitem nicht in allen Fällen eine Herpeseruption an den Mund¬ 
winkeln oder an den Naseneingängen. 

Dauer der Krankheit im Durchschnitte 8—10 Tage. 

Als Complication erwähnt Verf., dass eine herpetische Ulceration 
unter Umständen sehr in die Tiefe greifen, selbst zur Perforation führen 
kann, wenn sie auf den Gaumenbögen oder dem Gaumensegel sitzt. Von 
Hautherpes sind Fälle bekannt und beschrieben worden, welche tiefe 
Ulcerationen mit zahlreichen bis zum Knochen reichenden Narben gebildet 
haben. Dass solche Verhältnisse die Diagnose sehr erschweren können, 
ist wohl begreiflich. 

Weitere Complicationen entstehen durch die Bildung von Pseudo- 
membraneu. Man sieht dann im Rachen inselfbrmige, bald grössere, bald 
kleinere weissgelbe Plaques, welche stets von dem den Herpesbläschen 
eigenthümlicheu rothen Saume umgeben erscheinen und auf allen jenen 
Schleimhautpartien Vorkommen, wo Herpesbläschen sich bilden können. 
Dieselben sind nie mit den unterliegenden Theilen verwachsen oder ver¬ 
filzt , sondern lassen sich in der Regel mit dem Charpiepinsel entfernen. 
Diese Pseudomembranen stossen sich in kurzer Zeit ab und die Heilung 
der Krankheit geht rasch vor sich. 

Die wichtigste Complication bilden die nach Angina herpetica vor¬ 
kommenden Paralysen, welche direct auf den neuropathischen Ursprung 
des Herpes überhanpt hinweisen. 

Verf. ist geneigt, die Angina herpetica als einen Zoster im Bereiche 
des Nervus trigeminus aufzufassen und dafür Reizungen des Ganglion 
spbenopalatinum (Meckelii) in der Flügelgaumengrube am Foramen spheno- 


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Mediciniech-chirurgische Rundschau. 


palatinum verantwortlich zu machen. Ferner dürften Irritationszustände 
der Rami pharyngei, der Nervi nasales post., der Nerv, palatini descen- 
dent. und vor Allem des Nerv. Vidianus ein ätiologisches Moment für die 
Entstehung der Angina herpetica abgeben. 

Für diese Anschauung spricht die Lage dieses Ganglions, seine 
Verbindungen und Verzweigungen, die Localisation des Herpes am Isthmus 
faucium, ferner seine Ausbreitungsweise, wobei er höchst selten auf den 
Larynx, häufiger auf die Nasenhöhlen, auf die Schleimhaut des Mundes, 
der Wange, der Zunge und des Gesichtes weiterkriecht, sein meistein¬ 
seitiges Auftreten und endlich die besonders im Beginne einer Angina 
herpetica so heftigen Kopfschmerzen, wie wir sie meist bei Meningitis zu 
finden gewohnt sind. In den viel selteneren, aber viel intensiveren Fällen, 
bei Complicationen mit Herpes ophthalmicus, Herpes frontalis oder gar 
Herpes universalis werden wir natürlich den Sitz der Alteration weiter 
nach rückwärts, etwa in das Ganglion Gasseri, ja selbst in das Centrai¬ 
nervenorgan verlegen müssen. 

Die mitgetheilten 3 Fälle (s. Original) zeigen, dass der Verlauf der 
Angina herpetica zumeist ein sehr leichter ist und keiner besonderen 
Medication bedarf, doch kann eine Angina herpetica sehr leicht mit Diph- 
theritis faucium verwechselt, ja in einzelnen Fällen von ihr kaum unter¬ 
schieden werden und kann sie auch vielleicht eine gute Basis für Diph- 
theritisentwicklung schaffen. 0. R. 

473. Bromausschlag. Von Dr. N. Esenbeck. (D. prakt. Arzt. 
1880. 6.) 

Verf. schildert folgenden interessanten Fall von Bromexanthem, der 
einige Aehnlichkeit mit dem von Behrend in der Berl. Wochenschr. 
1879, Nr. 48, geschilderten darbietet. Ein 26 J. altes Mädchen von 
kräftiger Constitution, starker Fettbildung, mit unregelmässiger Menstrua¬ 
tion litt in Folge körperlicher und psychischer Aufregung seit ihrem 20. 
Lebensjahr alle 2—3 Monate an epileptischen Anfällen, weshalb sie auf 
eine ärztliche Anordnung hin Kali bromat. gebrauchte, und zwar nahm 
sie 2 Va J. lang auf eigene Faust täglich c. 5 Gramm, also in 912 Tagen 
4560,0, wodurch allerdings die Epilepsie fast ein ganzes Jahr beseitigt 
war, aber folgendes Krankheitsbild zum Vorschein kam: auffallende Ab¬ 
magerung, grosse Schwäche, so dass Patientin seit l / 4 Jahr das Bett nicht 
mehr verlassen konnte, bleiches Aussehen, gänzlicher Appetitmangel, 
Gedächtni8sschwäche, Anämie, mehr weisse, als rothe Blutkügelchen; dabei 
nur ein Exanthem ohne einen bestimmten Typus, ohne diagnostisches 
Gepräge, woraus man auf einen bestimmten diagnostischen Namen wie 
Urticaria, Purpura, Akne, Eczema hätte schliessen können. Dasselbe befand 
sich ganz oben an beiden Oberschenkeln, in der ganzen Regio hypoga- 
strica, auf dem Mons Veneris, auf beiden Brüsten, überall im grossen 
Umfang und da zusammenhängend; es war nässend, geschwürig, theils mit 
förmlichen Zotten, theils mit harten, schwarzen Krusten und Borken 
bedeckt, theilweise mit warzigen Erhabenheiten, theilweise mit trockener, 
livid, blau aussehender, auch leicht blutender Haut; Blut missfarbig, dis- 
solut; im Urin kein Eiweiss. Man dachte an eine syphilit. Dyskrasie, da 
man noch nichts wusste von dem gebrauchten Bromkali, reichte innerlich 
Carbolpillen, Jodkali, Protojodur. Hydrargyri, dabei kräftige Kost, äusser- 
lich Carbollösung. 

Die Behandlung blieb ohne Erfolg, bis Verf. erfuhr, dass die 
Patientin dabei immer ihr Bromkali gebrauchte und er dann das Aus* 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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setzen desselben durchsetzte; der Ausschlag verschwand nach 3—4 Wochen; 
Patientin genas wieder vollständig, nur stellte sich zuweilen wieder ein 
epileptischer Anfall ein. 0. R. 

474. Ein Fall von Syphilis maligna. Von Dr. J. K r o w c z y n s k y. 
(Vierteljalirechr. f. Derm. und Syph. Heft I. Prag. med. Wochenschrift 
1880. 28.) 

Derselbe betrifft eine aus gesunder Familie stammende, kräftig 
gebaute Dienstmagd, die in früher Jugend eine Malaria und einen Abdo¬ 
minaltyphus mitgemacht hat. Sie wurde von ihrem Bräutigam inficirt, der 
mit nässenden Papeln an den Genitalien auf der Station für syphiliskranke 
Männer zur selben Zeit in Pflege stand. Die Infection erfolgte Anfangs 
October 1875. Beim Eintritt des Mädchens bestanden zwei indurirende 
Ulcera an der unteren Commissur der grossen Labien. Es war Oedem der 
Labien vorhanden. Scleradenitis inguinalis beiderseits. Sorgfältige Behand¬ 
lung mit Kupferlösung und Beinhalten der Scheide hinderte nicht ihr 
fortwährendes Weiterschreiten, so dass sie bis 8. November die Hälfte 
beider grossen Labien einnahmen. Man ordnete nun täglich viermal Ver¬ 
bandwechsel und Campherlösung. Die Geschwüre griffen immer weiter um 
sich und bis zum 20. November ist die Patientin total herabgekommen, 
und klagt über constante fliegende Fröste. Temperatur 38—38-5. Häufige 
Schuttelfiröste, Kopf- Glieder- und Gelenkschmerzen. Am 10. December. 
tritt ein kleinfleckiges Exanthem, Masern ähnlich, am ganzen Körper auf. 
Das Geschwür bleibt constant in Grösse und Eigenschaft. Am 15. Dec. 
treten an Stelle der Macula kleine Papeln auf mit rothem Hof; dieselben 
wandeln sich rasch zu Bläschen und hierauf zu Pusteln um. Der Inhalt 
der Bläschen verfärbt sich blauroth, der Hof röthet sich stärker. Die 
Pusteln und Blasen zerfallen und verwandeln sich in kleine, wie mit 
einem Glüheisen gesetzte Geschwüre, deren Basis mit nekrotischem Ge¬ 
webe bedeckt ist. Grund und Ränder uneben. Nun zeigen diese Geschwüre 
Tendenz in der Peripherie fortzuschreiten und manche derselben erreichen 
Thalergrösse. Dabei kommt die Patientin immer mehr herab. Von 15. Jänner 
an bessert sich das Allgemeinbefinden. Das Geschwür an den Ge¬ 
nitalien, das stets den phagädenischen Charakter beibehalten hatte, fängt 
an sich zu reinigen. Sämmtliche Hautgeschwtire überhäuten sich von 
Rändern aus. Am 27. März war das Geschwür an den Nymphen mit 
Hinterlassung einer unebenen Narbe geheilt. Am 3. April wurden Plaques 
constatirt. Die Patientin klagt über rasende Schmerzen in den Gliedern. 
Zugleich tritt die Temperatur 38*8 ein. Dies dauert bis 13. Mai, wo 
Patientin schmerzfrei war. Die Hautgeschwüre heilten einstweilen zum Theil, 
zum Theil überwucherten sie, und konnten nur durch öfteres Touchiren 
mit der Zeit zur Vernarbung gebracht werden. Die Narben hatten den 
Charakter eines sogenannten Keloidus spurius. Ein Theil hypertrophirte, 
ein Theil zerfiel aufs neue. Endlich am 4. Jänner 1877 tritt die 
Patientin aus, da in letzter Zei weder auf der Haut, noch auf der Schleim¬ 
haut luetische Symptome beobachtet wurden. Zu dieser Zeit hatte auch 
die Kranke ihr früheres gesundes Aussehen erlangt, so dass es den Ein¬ 
druck machte, als ob sie nie erheblich krank gewesen wäre. 

475. Zur Therapie der Variola vom Standpunkte der Mikro- 
COCCUßlehre. Von Prof. Dr. E. Schwimmer. (Deutsch. Arch. f. klin. 
Med. XXV. Bd. Heft 2 und 3.) 

Verf. räth für die örtliche Behandlung der Efflorescenzen an Gesicht, 
Armen und Händen bei Variola die ständige, möglichst frühzeitig angewandte 


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Mcdicinigch-chirurgiscbe Rundschau. 


Application einer Carbolpaste, welche sich in einer grossen Reihe von 
Fallen des allgemeinen Krankenhauses in Budapest aufs beste bewahrt hat 
Er heiratete für dieselbe die alte List ersehe Vorschrift (Add. carbol. 
4,0 10,0, Old oliv. 40.0, Gretae opt. tritae albies. 60.0). Diese S«n« 
wurde auf die Gesichtshaut mittelst einer genau ausgeschnittenen, mit Oeff- 
nungen Ihr Nase, Mund und Augen versehenen Leinwandmaske, inf 
Htode und Arme mittelst Leinwandlappen applicirt; 12 Stunden wurde 
die Larve wie der übrige Verband an Ort und Stelle gelassen, daun 
mit einem frischen vertauscht. Es wurde auf diese Weise das Eitenmgs- 
stadium wesentlich abgekürzt und an Intensität verringert, während bei 
sich selbst überlassenem Verlauf das Stadium der Abtrocknung zwischen 
dem 13. und 15. Tage zu erfolgen pflegt, war die Abtrocknung im 
Gesicht schon am 9-11. Tage erfolgt; zu einer intensiven Eiterung im 
Gesichte kam es überhaupt nicht. Vom Beginne der Desiccation ab wurde 
die Maske gewöhnlich entfernt. Nachdem die Abtrocknung vollendet, 
WÄr iD- ^ 18 T a g e später die Gesichtshant vollständig rein oder zeigte 
nur .. 1 , welche allmälig verschwanden. Ausser dem narben- 
verhindernden örtlichen Einfluss übte diese Applicationsform auch bei 
hohem Fieberzustande eine entschieden beschwichtigende Wirkung auf 
das Allgemeinbefinden aus. Es gelang übrigens dem Verf. sowohl chemisch, 
r A C ^ emi8C L h - mi kro8k 0 piseh - durch den Nachweis charakteristischer 
krystalhmscher Bildungen der Bromphenolkrystalle — die Anwesenheit von 
Carbolsäure in den so behandelten Pusteln nachzuweisen, und ebenso die 
mangelhafte Entwickelung der carbolisirten Pusteln mikroskopisch näher 


476. Ueber Bartfinne (Sykosis barbae parasitaria). Von Dr. 

l ame ^ ,n Edinburgh. (Lancet 1879. II. 11. Allg. med. Centr.- 
Ztg. 1880. Nr. 28.) ö 

Diese in England und Deutschland seltene, in Frankreich häufiger 
vorkommende Hautkrankheit wurde vom Verf. in letzter Zeit zu wieder¬ 
holten Malen in Schottland beobachtet und hat derselbe Veranlassung 
genommen, die bisweilen unklar gebliebenen Ursachen zu erforschen. Die 
vorgekommenen Fälle waren folgende: 

Fall I. Ein Herr von 24 Jahren mit vollem Kopfhaar, Schnauz- 
und Backenbart, hatte sich in Peebles, wo viele Kinder am Kopfgrinde 
litten, bei einem Barbier rasiren lassen. Einige Wochen darauf fühlte er 
Jucken am Kinn und bemerkte daselbst röthliche Knötchen, welche sich 
nach und nach vermehrten. Es gelangte bald darauf zu seiner Kenntniss, 
dass noch andere, von demselben Barbier rasirte Herren von derselben 
Affection befallen waren; ungewiss blieb jedoch, ob der Barbier sein 
Messer bei den hautkranken Patienten schon angewendet hatte. Am Kinn 
sah Verfasser hie und da rothe Flecken, untermischt mit weissen, kleie¬ 
artigen Schuppen und kleinen Pusteln, durch welche Haare hindurch- 
traten. Nach Anwendung von Essigsäure wurden die Barthaare ausgezogen 
und in Kalilauge erweicht. Bei mikroskopischer Untersuchung fanden sich 
M^ celien von Trichophyton tonsurans vor, die sich frei auf dem Haar 
bis zur Haarwurzel hinab verzweigten. — Dieser leichte Fall gelangte 
dadurch zur Heilung, dass täglich das Kinn rasirt, dann mit verdünnter 
Schwefelsäure gewaschen wurde. Die darauf erfolgte Hautanschwellung 
verlor sich nach Kataplasmen, so wie Anwendung von Zinksalbe, und es 
trat dann vollkommene Genesung ein. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


609 


In einem 2. Fall war ein Mann von einem Barbier am Kinn ge¬ 
schnitten worden , und hatten sich von dieser Stelle aus die Bartfinnen 
entwickelt, vermuthlich, da der Barbier ein Stück Watte auf die Wund¬ 
fläche gelegt hatte. Ausziehen der Haare, in denen sich gleichfalls 
Mycelien von Trichophyton tonsurans vorfanden, sowie Anwendung von 
Hebra’scher Salbe brachte auch diesen Fall zur Heilung. 

Der 3. Fall wurde auch durch Barbieren veranlasst. Kurz nach 
dem Rasiren bemerkte ein 24jähriger Herr, dessen Haut bisher ganz 
gesund war, ein Jucken am Kinn, eine Entzündung der Haut, Bläschen¬ 
bildung , Abschuppung. Der Barbier versicherte, keinen Hautkranken 
rasirt zu haben, und gab der Kranke an, dass kein Hund in seiner Um¬ 
gebung sich befand. Mit der Zeit bildeten sich eiterhaltige Pusteln, die 
Haare fielen theilweise aus und enthielten zahlreiche Mycelien von Tricho¬ 
phyton, theilweise wurden sie entfernt, darauf eine Salbe von Vaselin 
und thymolsaurem Blei angewendet, worauf Genesung sich einstellte. 

Je kürzer das Barthaar gehalten, je strenger auf Epilation und 
Reinlichkeit gesehen wird , desto milder tritt das Leiden auf und desto 
schneller heilt dasselbe. Sonst wird es hartnäckig und bereitet dem 
Kranken viel Unbequemlichkeit. Als Entstehungsursache bezeichnet Verf. 
nicht, wie N e u m a n n und Lang, die Ansteckung durch Thiere, sondern 
die Pinsel der Barbiere, welche selten gereinigt werden und mittelst der 
Seife die Sporen der Parasiten weiter verpflanzen, während die Rasirmesser 
zur Verbreitung der Krankheit keineswegs beitragen. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 


477. Ueber die Structur der gummösen Neubildungen im Gewebe 
des Gehirns. Aus der psychiatrischen Klinik des Prof. Mierz ejewski 
in St. Petersburg. Von Dr. W. Bechterew. (St. Petersb. med. Wochen¬ 
schrift 1880. 26.) 

Die klinische Deutung der syphilitischen Erkrankungen hat eine 
Schärfe erlangt, gegen welche die pathologisch-histologische Untersuchung 
bedeutend zurücksteht; am meisten fällt diese Differenz hinsichtlich des 
anatomischen Baues der gummösen Erkrankungen, welche im Nerven¬ 
gewebe auftreten, auf. Erst 1873 veröffentlichten C har cot und Gom- 
bault eine Arbeit, welche eine genaue mikroskopische Beschreibung der 
Veränderungen im Gewebe der afficirten Gehirnpartien enthielt. 

Verf. theilt das Resultat einer mikroskopischen Untersuchung zweier 
Fälle von syphilitischer Erkrankung der Gehirnsubstanz mit, welche dem 
von C har cot und Gombault veröffentlichten sehr ähnlich sind. 


Fall I.: 40j. Frau, in der Jugend schwere secundäre Lues, die 
Spuren dieses Leidens an verschiedenen Körpertheilen. Im 25. Lebens¬ 
jahre traten bei der Kranken fast allwöchentlich Krampfanfälle mit Ver¬ 
lust des Bewusstseins auf, welche zeitweilig von Schwindelanfällen mit 
Nausea und heftigem Kopfweh abgelöst wurden. Häuften sich diese con- 
vulsivischen Anfälle, so zeigte sich ein Zustand psychischer Aufregung, 
welche sich durch allgemeine Unruhe, erotische Stimmung, Congestionen 
zum Kopfe und zeitweilige Hallucinationen kennzeichnete. Alle diese 
Symptome hielten in verschiedener Frequenz bis zu dem Tode an. Aus 


den während des Lebens beobachteten nervösen 

Med.-chir. Rundschau. 1880. 




610 


Mediciniäch chirurgische Rundschau. 


lieh ausgeprägte Parese der rechten Gesichtshälfte hervorzuheben, weiche 
nach Verlauf einer Woche spurlos verschwand. Die Untersuchung des 
Gehirns ergab Folgendes: Die Dura mater war mit dem Knochen sowohl 
an der äussern, als auch an der convexen Fläche, ausserdem aber noch 
in der Richtung der Längsspalte des Gehirns mit der Pia und der unter 
dieser liegenden Gehirnsubstanz fest verwachsen, mit letzterer durch 
Pseudomembranen, welche stellweise in das Hirngewebe eindrangen; die 
Innenfläche der Dura war den Scheitelregionen entsprechend von zwei 
Linien dicken Blutaustretungen bedeckt. Auf der Oberfläche des Gehirns 
fand sich, der zweiten und theilweise auch der ersten Stirnwindung ent¬ 
sprechend, eine gelbrothe, im Längsdurchmesser etwa 2 1 /, Cm., im 
Querdurchmesser ungefähr 3 Cm. messende Stelle, welche auf dem Durch¬ 
schnitte eine herdförmige, die graue und die unterliegende weisse Sab 
8tanz einnehmende Erweichung zeigte. Das Centrum dieses Herdes bestand 
aus einer gallertartigen gelblichen Masse, während der dichtere peri¬ 
pherische Theil desselben ihn von dem gesunden Gehirngewebe abschloss: 
die andern Abschnitte des Gehirns waren vollkommen normal. Ausserdem 
bestanden interstitielle Processe in vielen parenchymatösen Organen (Leber, 
Milz, Nieren) und enthielten die Aortenklappen unbedeutende atheromatöse 
Plaques. 

Im Falle II. handelte es sich um einen 50j. Mann, welcher im 
Frühjahr 1869 von intensivem Kopfschmerz, Uebelkeit und Schwindel 
zum ersten Male befallen worden war; aus seinem Vorleben war nur eine 
von Jugend auf bestehende Vorliebe für geistige Getränke zu eruiren. 

Der Kopfschmerz sowohl, sowie anch der Schwindel verschwanden sehr 
bald nach ihrem Erscheinen, dafür trat aber im September desselben Jahres ein 
vollständiger apoplektischer Anfall mit Verlost des Bewusstseins und mit conse- 
entivem 3—4 wöchentlichen Fieber und Delirien anf. Der Kranke erholte sich 
einigermassen von dieser Attaque, wurde aber 1872 von einem zweiten apoplek- 
tischen Insulte mit nachfolgender completer rechtsseitiger Hemiplegie heimgesucht, 
welche allmälig sich besserte, um im Jahre 1875 nach erfolgtem dritten apoplek 
tischen Anfalle ihre frühere Ausdehnung wieder zu erlangen. 10 Monate nach deo 
letzten Insulte wnrde bei der Untersnchnng noch eine ziemlich bedeutende Parese 
der ganzen rechten Körperhälfte nachgewiesen, wobei die obere Extremität io 
Ellenbogen, die untere im Kniegelenke halbflectirt war, die galvanische und 
faradische Erregbarkeit erschienen normal. Zu gleicher Zeit wurde eine recht be¬ 
trächtliche Herabsetzung der Sensibilität auf der entgegengesetzten linken Körper¬ 
hälfte bei völliger Integrität der gleichseitigen Sinnesorgane constatirt Im Verlaufe 
der Jahre 1876 und 1877; im März 1878 und im Jänner 1879 traten oft Anfälle 
von Bewusstlosigkeit und heftigen Kopfschmerzen auf, welche jedesmal eine Ver¬ 
schlimmerung der Lähmung und der Contractur und eine allmälig zunehmende 
Verblödung des Kranken nach sich zogen. Am 5. Juni 1880 starb der Kranke io 
tiefsten Coma, das sich unmittelbar einem Anfall von Bewusstlosigkeit anachlotä. 

Die Section ergab Folgendes: an der Dura mater über den drei 
rechtsseitigen Stirnwindungen, dem untern Abschnitte beider Central¬ 
windungen und dem vordem Theil des Schläfelappens ist eine ausgebreitete 
blutrothe Pseudomembran zu sehen, in der Substanz der harten Hirnhaut 
befindet sich an dieser Stelle ein umfangreicher, fluctuirender Sack. Auf 
derselben rechtsseitigen Hemisphäre finden sich in der Richtung der Längs¬ 
spalte, angefangen von den Centralwindungen bis zum Sulcus parieto- 
occipitalis blassrothe, in das unterliegende Gehimgewebe eindringende 
Pseudomembranen. Ausserdem sind im Innern der rechten Hemisphäre 
zwei Erweichungsherde zu sehen, von denen der eine in der weissen 
Substanz unter der zweiten Stirnwindung liegt, welche von oben gesehen, 
besonders an ihrer Ursprungsstelle von der vordem Centralwindun^r 
bedeutend eingezogen erscheint, der andere in der weissen Substanz dem 


Lohns angularis und supramarginalis entsprechend, welche beide atrophirt 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


611 


und stark eingezogen erscheinen. Die entsprechenden Schnitte zeigten, 
dass beide Herde in der weissen Substanz lagen und dass die anliegende 
graue Rindenschicht verdünnt und sclerosirt war. Das Centrum beider 
Herde enthielt eine echte cystoide, von einer geringen Menge emulsiver 
Flüssigkeit erfüllte Höhle, ln der linken Hemisphäre trifft man einen 
ähnlichen Erweichungsherd, welcher besonders den vordem Theil des 
Nucleus caudatus, den obern der innern Kapsel, aber auch den Linsen- 
kera einnimmt. Die Arterien der Gehirnbasis, vornehmlich beide innere 
Carotiden, erscheinen sclerosirt, die Art. vertebralis sinistra ist vom Ab¬ 
gänge der Art. basilaris bis zu dem der Art. cerebelli posterior inferior 
vollständig obliterirt; der ganze rechte Seitenstrang des Rückenmarks ist 
sclerosirt. Was die andern Organe anbetrifft, so sind eine interstitielle 
Entzündung der Leber, der Nieren und der Milz und in den Lungen 
knotenförmige, aus altem Bindegewebe bestehende Verdickungen zu con- 
8tatiren. Das Herz ist ein wenig vergrössert, besonders in seinem linken 
Ventrikel, das Endocardium getrübt, die Aorta von ihrem Ursprünge aus 
der Kammer bis zum Arcus erheblich erweitert und an dieser Stelle mit 
festen Plaques und atheromatösen Geschwüren bedeckt. 

Diese Beobachtung ist hinsichtlich der Localisation des Processes 
in der Gehirnrinde von einigem Interesse. Wir sahen bei der Section, 
dass in der rechten Hemisphäre eine Atrophie des ganzen Lobus angularis 
und eines Theils des Lobus supraraarginalis bestand, eines Gehirnabschnittes, 
welcher nach den Untersuchungen von Ferrier das psychische Centrum 
für die Empfindung des Sehens enthält; und doch wurde in der ganzen 
Beobachtungsperiode nur eine Herabsetzung der Sensibilität der entgegen¬ 
gesetzten Körperhälfte constatirt ohne jegliche Sehstörung. 

Der 2. Fall bietet keine charakteristischen Zeichen für vorher¬ 
gegangene syphilitische Infection, es fragt sich also, ob man ihn dem 
ersten anreihen darf, welcher unbestreitbare Kennzeichen der luetischen 
Erkrankung trug. Verf. betont das Vorhandensein interstitieller Processe 
in vielen parenchymatösen Organen und der Knötchenbildung im Binde* 
gewebe, welche im gegebenen Falle nur syphilitischen Ursprungs sein 
konnten. Ferner ist die, bei der Section gefundene Obliteration einer 
Gehirnarterie wichtig, da eine solche, besonders nach den Beobachtungen 
von Heubner eine sehr häufige Manifestation der Lues darstellt; auch 
spricht zu Gunsten einer syphilitischen Affection im vorliegenden Falle das 
Auftreten der pseudomembranösen Pachymeningitis, welche, wie bereits 
angegeben, sich in das Gewebe des Gehirns selbst fortsetzte. Die mikro¬ 
skopische Untersuchung dieser Pseudomembranen zeigte, dass sie haupt¬ 
sächlich aus unregelmässig gelagerten, unter einander verflochtenen dicken 
Fasern und Spindelzellen bestanden, zwischen welchen eine grosse Menge 
kleiner, feingekörnter, stark lichtbrechender Elemente und echter Kern¬ 
zellen lagen, ein Zeichen von körnig-fettiger Degeneration, welcher so 
leicht die Elemente syphilitischer Producte unterliegen. 

Da die Structur der Erweichungsherde mit einigen unwesentlichen 
Abweichungen in beiden Fällen eine gleiche war, liefert Verf. nur eine 
allgemeine Beschreibung der aus verschiedenen Schichten der Herde er¬ 
haltenen mikroskopischen Präparate. 

Jeder Herd konnte in 3 Schichten eingetheilt werden, in eine centrale, 
eine mittlere und eine peripherische äussere, von welchen jede einzelne ihre 
Eigentümlichkeit hatte; alle drei aber zeigen die Sterne oder spinnenförmigen 
Zellen als gemeinsames charakteristisches Element. Diese Elemente bestehen aus 
einem centralen, meist länglichen, ovalen oder polygonalen Zellkörper, von dem 
in den verschiedensten Richtungen eine Menge dicker, langer bandförmiger Fort- 

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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


Sätze abgehen, welche zuweilen 2—3 Mal grösser als das Gesichtsfeld des Mikroskops 
sind. Im Innern liegt ein grosser runder oder ovaler Kern, welcher sich stark 
durch Carmin färbt und zuweilen ein punktförmiges Kernkörperchen enthält 
Neben einer Menge überall zerstreuter einfacher Granulationszellen machen sich 
verschiedene Producte der regressiven Metamorphose bemerkbar, sog. Kem- 
colloide und Schleimkörperchen. Die Kernkörperchen sind am zahlreichsten vertreten 
und überall verbreitet und stellenweise so dicht gelagert, dass sie das Bild der 
eigentlichen Gewebsstructur verdecken. Von den Elementen der regressiven Meta* 
morphose sind nur die Granulationszellen in recht ansehnlicher Menge anzutreffen; 
während die andern, in der mittlern Schicht beobachteten kaum zu sehen sind. 
Die Sternzellen werden noch vereinzelt in dem benachbarten Gehirngewebe ange* 
troffen, dessen constituirende Elemente mehr oder weniger verändert sind and 
erst allmälig ihr normales Aussehen gewinnen. Es treten Anfangs nur vereinzelte 
Nervenfasern und Ganglien auf, bis sie schliesslich ein vollkommen normales Bild 
darbieten. Der centrale Theil der Erweichungsherde weicht von den beiden andern 
Schichten derselben darin ab, dass die Sternzellen in ihm kleiner und im Ganzen 
weniger Ausläufer aussenden; sie stellen gewissennassen die einfachere Form der 
Sternzellen vor und sollen nach Verf.’s Meinung aus einem jüngern Stadium der 
Entwickelung stammen. Im centralen Theil der Herde wird ausserdem die An¬ 
wesenheit einer ungeheuren Menge, in Haufen zusammenliegenden Granulationszellen 
constatirt. Die Strnctur des Centrums im Erweichnngsherde des zweiten Falles 
wich in Einigem von der des Herdes in der ersten Beobachtung ab. Wie schon 
erwähnt, waren dort mehr oder weniger grosse cystenförmige Höhlen vorhanden, 
welche hauptsächlich von Fett detritus an gefüllt waren. 

Ueber das Verhalten der in die Erweichungsherde eintretenden Gefasst ist 
Folgendes zu bemerken. Sofort nach ihrem Eintritt aus der Pia mater in die 
Geschwulst theilen sie sich sehr bald in feine Zweige, welche den Herd recht 
reichlich durchsetzen, und bieten in den verschiedenen Schichten desselben sehr 
ausgeprägte Veränderungen irritativen Charakters, welche namentlich in der 
Proliferation der Kerne in den Wänden und Extravasationen unter die AdvenUtia 
ihren Ausdruck finden. Auf Querschnitten durch diese veränderten Gefässabschnitte 
ist die Theilnahme aller 3 Arten Kerne — der längsgestellten (tunicae intern«) 
— der queren (tunicae mediae) — der runden (tunicae externae) an der Proli¬ 
feration der Zellen sehr ersichtlich. Die Adventitia zeigt oft an den veränderten 
Gefässen starke Faserung, die Lymphräume sind hauptsächlich an den Tbeilnogs* 
stellen der Gefässe sehr erweitert und von weissen und rothen Blutkörperchen 
stark erfüllt; letztere sind übrigens in geringer Anzahl vorhau den. In der Um¬ 
gebung dieser Gefässe treten massenhaft gewöhnliche Granulations- und jene Art 
Sternzellen auf, welche Verf. als jüngeres Entwickelungsstadium der Spinnen 
auffasst. Die normalen Elemente des Gehirn ge webes, myelinhaltige Fasern und 
Ganglienzellen wurden in den erweichten Partien fast gar nicht angetroffen ■, nor 
an einigen Stellen sah man Ueberreste degenerirter Nervenfasern in Form von 
sog. Myelintropfen. 

Betreffend die Frage nach dem Ursprünge und der Entwickelung 
der Spinnen oder Sternzellen, welche den Hauptbestandtheil der erweichten 
Partien ausmachten, nehmen Charcot und Gombault an, dass bei 
einer syphilitischen Affection des Gehirns diese Zellen, welche nach 
Boll, Jastrowitz auch im normalen Gehirn Vorkommen, an Zahl und 
Grösse zunehmen, wobei die normalen Elemente untergehen. Andererseits 
soll durch die übermässige Vermehrung (production ßxuberantej der Steni- 
zellen ihre Ernährung leiden, weshalb sie degeneriren und im centralen 
Theile der Herde eine käseähnliche Masse erzeugen, während sie im 
peripheren Abschnitte weiter wuchern und auf diese Weise eine compacte, 
den Erweichungsherd einhüllende Zone bilden. Es sind also nach Charcot 
die bei gummösen Affectionen des Gehirns auftretenden Sternzellen nichts 
anderes, als höchst entwickelte normale Elemente der Neuroglia. Verf. 
bemerkt, dass es räthselhaft und unklar erscheint, aus welchem Grunde 
die Neurogliaelemente sich vermehren und vergrössern und dass in der 
jüngsten Zeit durch die Untersuchungen von Ranvier und Mierze- 
jewski die Existenz solcher Sternstellen in der normalen Neuroglia 
überhaupt zweifelhaft geworden ist. Dazu kommt noch, dass weder im 
Charcot-Gombault ’schen Falte, noch in diesen beiden Beobachtungen 

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Medicinisch-chirargi3che Rundschau. 


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die genaueste Durchforschung der von den gummös erkrankten Partien 
entfernter liegenden Stellen auch nicht die geringste Spur solcher Stern¬ 
zellen hat nachweisen können. Es scheint daher die Theorie Charcot’a 
und Gombault’8 von der Entwickelung der Sternzellen aus normalem 
Neurogiiagewebe nicht ganz stichhältig zu sein; Verf. meint vielmehr, 
dass die Granulationszellen, deren Weiterentwickelung oben erwähnt 
wurden, eine sehr bedeutende Rolle bei der Bildung der Sternzellen 
spielen. 

478. Ueber die Cholera der Hühner. Von Pasteur. (Comptes ren- 
dus de s^ances de l’Acadömie des Sciences de Paris. — Annales de la 
societä de m6d. de Gand Nr. 3 und 4, 1880. Allg. med. Ctrl.-Zeitg. 
1880. 52—53.) 

Seitdem Pasteur im Jahre 1857, gegenüber der Liebig’schen 
Fermentationstheorie, der Parasitentheorie Eingang verschafft, haben 
Duvain im Jahre 1863 im Milzbrand Bakterien, Chauveau bei den 
Pocken 1868, Klebs im Jahre 1872 in den Wunden mikroskopische 
Organismen beschrieben und hat Koch im Jahre 1876 durch Culturen 
unzweifelhaft das Vorhandensein von mikroskopischen Vibrionen als Krank¬ 
heitserreger in virulenten Affectionen nachgewiesen. Es wurde auch bei 
den Pocken erreicht, dass, wenn diese Organismen als Virus den mensch¬ 
lichen Körper inficirt hatten, ein Recidiv der Krankheit nicht mehr ein¬ 
trat, vielmehr die Immunität mindestens ftir eine Zeit lang bestehen blieb. 

Durch fernere exacte Experimente bei einer bisher wenig bekannten 
Krankheit, der Cholera der Hühner, ist nun Verf. zu überraschenden 
Resultaten gelangt, welche neues Licht über die Parasitentheorie in infec- 
tiösen Krankheiten verbreiten und eine neue unerwartete Lösung vieler 
dunklen Probleme versprechen. 

Unter dem Namen der „Hühnercholera“ beobachtet man auf grossen 
Hühnerhöfen auf dem Lande eine Krankheit, welche sich durch folgende 
Merkmale charakterisirt: Die Thiere ermatten, haben einen taumelnden 
Gang, lassen die Flügel hängen. Die Federn sind kugelig zusammenge¬ 
rollt, die Thiere haben einen unwiderstehlichen Hang zum Schlafen. Auf¬ 
geweckt, schlagen sie die Lider auf, schliessen sie wieder, und es erfolgt 
der Tod, ohne dass die erkrankten Thiere sich vom Platze gerührt haben, 
nach kurzer Agonie. Die inneren Veränderungen, welche vorgefunden 
werden, sind zahlreich, und rühren diese von einem mikroskopischen 
Organismus her, den zuerst Moritz, Thierarzt im Eisass, entdeckt, 
Peroncito in Turin im Jahre 1878 beschrieben und Toussaint, Professor 
der Thierarzneikunde in Toulouse, durch Culturen als Träger des Virus 
fttr’s Blut nachgewiesen hat. 

Mittelst Hühnerbrühe vom Muskel des Huhns war es nun Verf. 
möglich, den bei der Cholera der Hühner wirksamen Pilz zu züchten, 
während es ihm weder mit Urin, noch auch mit Bierhefe gelang. In 
einigen Stunden trübte sich die klarste Brühe und füllte sich mit einer 
Unzahl kleiner Organismen, welche als isolirte Punkte erscheinen, keine 
eigene Bewegung besitzen, den Vibrionen ähnlich sind und deren wahre 
Natnr zu erkennen bald gelingen dürfte. 

Impft man die bei erkrankten Hühnern angetroffenen Organismen 
Meerschweinchen ein, dann erfolgt nicht der Tod, wie bei den Hühnern. 
An der Impfstelle bemerkt man nur eine örtliche Verletzung, die in 
Abscessbildung übergeht. Nach Oeffhung desselben schliesst er sich wieder 
und die Thiere fressen nach der Heilung wie früher und bleiben gesund. 


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Medicioisch-chirorgische Rundschau. 


Manchmal dauern die Abscesse längere Zeit und man beobachtet neben 
den Eiterkörperchen die Pilze, weiche den Abscess verursacht hatten, ohne 
das Thier näher zu afficiren. Dieselben hatten aber im Abscess ihre Vitalität 
nicht verloren. Impft man mit dem Abscessinhalt Hühner, dann gehen diese 
sofort zu Grunde, während das mit dem Abscess behaftete Meerschweinchen, 
von welchem das Gift entstammte, gesund blieb. Man stösst hier an f 
dieThatsache, das ein mikroskopischer Organismus Eiter* 
und Abscessbi ldung bei einem Thiere ohne innere 
Störungen oderdenTod bewirken kann, während derselbe, 
anderen Thieren eingeimpft, den Tod durch Blutver¬ 
giftung und Störungen in den Eingeweiden hervorruft. 
Hühner und Kaninchen, welche mit Meerschweinchen Zu¬ 
sammenleben, die solche nach Impfungen eingetretene 
Abscesse haben, gehen zu Grunde, wenn zufällig der Ab¬ 
scess geplatzt und ein geringer Theil auf deren Futter 
gefallen ist, das sie zu sich genommen. 

Wer den Zusammenhang nicht kennt, wird staunen, wenn er plötz¬ 
lich Hühner und Kaninchen crepiren sieht, während die Meerschweinchen, 
welche die Träger des Giftes waren, gesund umherlaufen, er wird an 
die Spontanität der Krankheit, an ein Miasma glauben, während unzweifel¬ 
haft eine bestimmte Krankheitsursache hier vorlag, und zwar durch Ueber- 
tragung von einem Thier aufs andere. 

Nimmt man einige Tropfen aus der Cultur der Hühnerbrühe, bringt 
diese auf Brod oder Fleisch, gibt es gesunden Hühnern zu fressen, dann 
dringt das Gift in den Darmcanal, vermehrt sich dort in so grosser Zahl, 
dass ein geringer Theil der Excremente hinreicht, wenn inoculirt, auch 
andere Thiere zu tödten. Es ist daraus ersichtlich, dass auf den Hühner¬ 
höfen die Ansteckung und grosse Sterblichkeit durch die Excremente 
erfolgt. Entfernt man die gesundgebliebenen Thiere, scheuert Hof und den 
Hühnerstall mit verdünnter Schwefelsäure, welcher den Pilz zerstört, bringt 
gesunde Hühner wieder dahin, dann bleiben sie gesund, während die 
inficirten Thiere längst nach kurzer Incubationszeit zu Grunde gegangen 
sind. Fährt man mit der Cultur des Pilzes in der Hühnerbrühe fort , so 
braucht man immer nur einige Tropfen des Giftes zu nehmen und damit 
Hühner zu impfen, ohne dass eine Schwächung des Virus eintritt; es 
gehen unter 20 geimpften Hühnern immer alle zu Grunde, wenn auch 
nur eine Stecknadel kopfgrosse Quantität eingeimpft wird. 

Werden die Culturversuche geändert und das Gift verdünnt, so be¬ 
obachtet man Folgendes: Das kräftige Virus tödtet die damit 
geimpften Thiere in kurzer Zeit sämmtlich, während die 
anderen mit dem schwächeren, aber identischen Gift 
geimpftenThierebloserkranken und nicht zu Grunde gehen. 
Wenn die letzten Hühner, nachdem sie wiedergenesen 
sind, mit dem sehr starken Gift geimpft werden, dann 
erweist sich das Virus bei ihnen nicht mehr als tödtlich. 
Es folgt daraus der Schluss, dass die frühere Impfung 
mit dem verdünnten Virus als Schutzmassregel gewirkt 
hat, dass eine einmalige Erkrankung nicht blos den Tod, 
sondern sogar eine Recidive verhütet. 

Das Eigenthümliche bei dieser neuen, durch Impfversuche etwas mehr 
aufgeklärten Krankheit besteht darin, dass das Agens, der Träger des 
Giftes, als mikroskopischer Parasit, als lebender Organismus bekannt 
geworden ist, der sich ausserhalb des Körpers cultiviren lässt — und sieb 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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dadurch charakterisirt, dass die Krankheit, welche er hervorruft, nach 
-Stattgehabter Impfung mit demselben nicht recidivirt. Je weiter Verf. in 
(seinen Versuchen vorschritt, desto mehr konnte er sich von dem Erfolg 
der Impfung überzeugen, und wenn manchmal unter den 20 mit con- 
centrirtem Virus geimpften Thieren nur 18 starben, zwei nur erkrankten, 
so lag dies vielleicht an anderen Ursachen, und wenn andererseits unter 
den 20 mit dem verdünnten Gift geimpften nicht alle 20 am Leben er¬ 
halten blieben, so kam dies mindestens 16—18 Mal vor, und konnte er 
bei wiederholter Impfung entschieden die Fernhaltung eines Recidivs 
bestätigen. Man wird hierbei leicht an die Pockenimpfung und die Vac- 
cination erinnert, mit dem Unterschiede jedoch, dass hier die Vaccine, 
lür uns, ein belebtes Wesen ist, dass der mikroskopische Parasit dem 
Auge des Forschers in dieser Krankheit sichtbar wird, dass die geimpften 
Thiere zu neun Zehntel vom Tode gerettet und, wenn mit verdünntem 
Gifte geimpft, von der Krankheit befreit werden. 

Impft man am Musculus pectoralis major der Hühner mit dem Gift 
der an der Cholera erkrankten Thiere, dann schwillt er an, wird hart 
und weise in seiner ganzen Ausdehnung. Die histologischen Elemente zer¬ 
fallen, es bilden sich Eiterkörperchen, ohne Abscedirung, der Parasit 
ernährt sich durch die Muskelsubstanz, welche degenerirt; er vermehrt sich 
in derselben, wie in einer Nährflüssigkeit. Der Parasit wird schliesslich 
in seiner Entwicklung aufgehalten, es bildet sich im Muskel Nekrose und 
ein Sequester, den man als harten, festen Bestandteil in demselben wie 
einen Fremdkörper durchftihlen kann. Macht man einen Einschnitt in den 
Pectoralmuskel und entfernt den Sequester, dann heilt und vernarbt die 
Wunde, und die Höhle, in welcher der Sequester gelegen, füllt sich 
allmälig mit frischen Muskelelementen. 

Als eine fernere Thatsache von Wichtigkeit führt Verf. Folgendes an: 

Wenn Hühner, die mit dem verdünnten Impfstoff wiederholt geimpft 
worden, nochmals geimpft werden, dann ist die örtliche Verwundung kaum 
zu sehen, die Thiere bleiben ganz gesund, während bei der ersten Impfung 
mit dem verdünnten Stoff eine solche Alteration der Muskelsubstanz ein- 
tritt, dass sich ein Sequester bildet. Es folgt hieraus, dass bei den ersten 
Impfungen der Parasit noch so viel Lebensfähigkeit besitzt, um sich noch 
weiter entwickeln zu können, während er bei ferneren Impfungen zu 
schwach geworden, um noch entwicklungsfähig zu sein. Die Nichtrecidivirung 
der Krankheit ist entweder dadurch zu erklären , dass der Parasit durch 
mehrfache Culturen seine Lebensfähigkeit eingebüsst hat, oder dass die 
Thiere, welche geimpft worden, nicht mehr die Fähigkeit besitzen, die 
Entwicklung des Parasiten eintreten zu lassen. — Der Muskel, welcher 
erkrankt gewesen, ist nach seiner Genesung und Wiederherstellung bis 
zu einem gewissen Grade unfähig geworden, dem Pilz als Pflanzstätte zu 
dienen, gleichsam wie wenn der letztere durch sein vorhergegangenes 
Wachsthum im Muskel irgend einen Stoff, welchen das Leben nicht mehr 
in demselben reproducirt, zum Verschwinden gebracht hätte und dessen 
Fehlen jetzt die Entwicklung des kleinen Organismus verhindert. — Verf. 
glaubt, dass diese Erklärungsweise voraussichtlich eine allgemein gütige, 
auf alle Infectionskrankheiten anwendbare werden dürfte. 

Die Erklärung, welche Verf. von der Nichtrecidive der Hühner¬ 
cholera gegeben hat, wird noch wahrscheinlicher durch folgende Thatsachen : 
Wenn man den Pilz 3 oder 4 Tage, nachdem man ihn in eine Nähr¬ 
flüssigkeit ausgesäet hat, in der Kälte bis zur vollständigen Klarheit der 
Nälirlösung abfiltrirt und ihn dann, nachdem man das Anhalten der 


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Medicinisch-diinirgische Rundschau. 


Klarheit durch mehrere Tage bei einer Temperatur von 30° beobachtet 
hat, wieder in diese Nährlösung aussäet, so ist jede Cultur unmöglich 
geworden. Bemerkenswerth ist ferner, dass die unfruchtbar gewordene 
filtrirte Füssigkeit anderen mikroskopischen Organismen gegenüber durchaus 
nicht unfruchtbar ist; es wächst z. B. der Milzbrandpilz darin, und es 
macht dies verständlich, warum ein Organismus, in welchem eine Infections- 
krankheit nicht recidivirt, nichtsdestoweniger fähig ist, sich eine 
Infectionskrankheit anderer Art zuzuziehen. Es wäre ein Leichtes, den 
Milzbrand Hühnern beizubringen, welche gegen Hühnercholera geimpft sind. 

Ebenso, wie es dem Verf. jetzt gelungen, Impfversuche mit dem 
Parasiten bei der Hühnercholera mit günstigem Resultat unter Vermeidung 
von Recidiven vorzunehmen, hofft derselbe, dass dies auch mit allen 
anderen virulenten Krankheiten der Fall sein werde, dass manche Epidemien, 
welche die Menschen bisher decimirt und durch Vielsterblichkeit so viele 
Verluste der Landwirtschaft herbeigeführt haben, dadurch werden ver¬ 
hütet werden. 

479. Die Fundorte der Spiroch&eten. Von M. Laptschinsky. 
(Wratsch. 1880. Nr. 22. St. Petersb. med. Wochenschr. 1880. 25.) 

Die Spirochaeta plicatilis ist in Eimern, welche Newawasser ent¬ 
hielten, im abgesetzten Satz gefunden worden. Verf. untersuchte in Folge 
dessen den Schlamm in einem Reservoir der Wasserleitung eines Privat¬ 
hauses und fand in demselben eine grosse Menge von Spirochaeten; vor 
Kurzem fand er dieselben im Satze einer Newawasser enthaltenden Wasser¬ 
karaffe. Es gelang L. aber nicht, die grossen Wasserbehälter der 
St. Petersburger Wasserleitung darauf hin zu untersuchen, da die Verwaltung 
rund heraus erklärte, dass in ihren Reservoirs kein Niederschlag Vor¬ 
kommen könne und dürfe. 

480. Ueber die Ausscheidung der Chloride im Fieber. Von 
Roehmann. (Ztschr. f. klin. Med. Bd. I, H. 2. — Centralbl. f. klin. 
Med. Nr. 18. 1880.) 

Redtenbacher hat gefunden, dass die Ausscheidung der Chloride 
durch den Harn auf der Höhe der genuinen Pneumonie sehr vermindert, 
ja zuweilen sogar vollständig aufgehoben ist. Jul. Vogel, Unruh 
und einige Andere haben dann gezeigt, dass dies nicht, wie Redten¬ 
bacher meinte, für die Pneumonie pathognomisch sei, indem sie dieselbe 
Thatsache auch bei den übrigen, besonders den acut fieberhaften Krank¬ 
heiten constatirten. 

Verf. unternahm es, die Ursache der verminderten Chlor-Ausschei- 
dung im Fieber zu erforschen. Durch eine Reihe genauer quantitativer 
Bestimmungen der mit der Nahrung aufgenommenen und der durch den 
Harn und durch die Fäces ausgeschiedenen Chloride stellte er zunächst 
fest, dass in acut fieberhaften Krankheiten die in der Nahrung zuge¬ 
führten Chloride von Darm so gut wie vollständig aufgenommen wurden, 
•dass also nicht mangelhafte Resorption die Ursache der verminderten Aus¬ 
scheidung durch den Harn sein könne, dass vielmehr eine Retention 
derselben im Körper stattfinden müsse. Dafür, dass diese Retention im 
Körper nicht auf einer mangelhaften Functionsfähigkeit der Nieren beruhe, 
führt R. die Thatsache an, dass in zwei subacut fieberhaften Erkran¬ 
kungen (1 Fall von acutem Gelenksrheumatismus und ein Fall von Ileo- 
typhus) abnorm grosse, spontan eingeführte Kochsalzmengen trotz bedeutend 
erhöhter Körpertemperatur vollständig von den Nieren ausgeschieden 
wurden. Es bleibt also nur die Möglichkeit, dass die allgemeinen Stoff- 


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Wechselvorgänge im Fieber die wesentliche Ursache der Retention sind, 
und findet Verf. diese Ursache in dem Verhalten des circulirenden Ei- 
weisses zum Chlornatrium im Plasma. Eine gewisse Menge von Chlor resp. 
Chlornatrium werde von dem im Plasma circulirenden Eiweiss gebunden 
und könne vermöge dieser Bindung ebensowenig wie das Eiweiss selbst 
von den Nieren ausgeschieden werden. Dadurch, dass im Fieber ein 
mehr oder weniger grosser Theil der Gewebe zerfalle und von dem 
hierdurch frei werdenden Organeiweiss nur ein Theil sofort in seine End- 
producte zersetzt werde, gelange eine grössere Menge circulirenden Ei- 
weisses in’s Plasma. Dasselbe verbinde sich daselbst mit dem Chlor¬ 
natrium und verhindere dieses an der Ausscheidung und bewirke so die 
Verminderung der Chloride im Harn. Erst wenn während und nach der 
Krisis die zurückgehaltenen Eiweissmengen zerfielen und ihr Stickstoff 
mit der kritischen resp. epikritischen Harnstoffausscheidung aus dem Körper 
entfernt werde, werde auch das Chlornatrium frei und verlasse jetzt in 
einer der früheren Retention entsprechenden Menge den Organismus. 

Um den Einfluss, welchen eine vermehrte Zufuhr von Eiweiss auf 
die Ausscheidung des Chlors hat, direct zu demonstriren, stellte Verf. 
folgenden Versuch an: Er gab einem grossen kräftigen Hunde, nachdem 
derselbe durch längere Zeit durchgeftihrte gleichmässige Ernährung in’s 
Chlor- und Stickstoffgleichgewicht gekommen war, zur übrigen Nahrung 
noch täglich 750 Grmm. rohes Pferdefleisch. Bei der Einfuhr der ei weiss¬ 
reicheren Nahrung konnte er eine Verminderung der Chlorausscheidung 
nachweisen. 


481. Der Ileotyphus eine Schistomykose. Von Prof. K1 e b s. (Archiv 
für exper. Pathologie. 12. Bd., 2. u. 3. Heft. Wr. med. Wochschr. 
1880. 28.) 

Bei Typhus abdominalis werden regelmässig Stäbchen- und faden¬ 
förmige Gebilde gefunden. In allen genau untersuchten Fällen von Typhus 
abdominalis gelang es, in den frischeren und in succesiver entwickelten 
Organveränderungen eine und dieselbe Form von Schistomyceten oft in 
überans grossen, geradezu die Gewebsräume gänzlich ausfüllenden Massen 
nachzuweisen. Die charakteristischen Elemente stellen Stäbchen und unge¬ 
gliederte Fäden dar, von denen die letzteren bis zu 80 Mikrom. Länge 
heranwachsen, bei einer Breite von etwa 0*5—0*6 [/.. Neben dieser Form 
enthielten namentlich die nekrotischen und ulcerirten Partien an ihrer freien 
Oberfläche grosse Mengen von Mikrokokken, welche in den tieferen, von 
den Stäbchen und Fäden durchsetzten Theilen gänzlich fehlten. Es kann 
mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass der Spaltpilz 
des Typhus abdominalis in die Gattung Bacillus gehört. In Fällen von 
sehr kurzer Dauer des Processes findet man die Typhusbacillen innerhalb 
der Lieberkühn’schen Drüsen, dann in dem interstitiellen Gewebe 
zwischen denselben; bei reichlicher entwickelter massiger Schwellung 
findet mau sie nur spärlich innerhalb dieser Massen, dagegen oft in 
dichter zusammenhängender Lage innerhalb der zelligen Infiltration; bei 
acuten Nekrosen endlich ist die ganze Schorfmasse von dichtgedrängten 
Fadenmassen erfüllt, die in der Tiefe oft den leeren Blutgefässen parallel 
angeordnet sind; oft trifft man auch Blutgefässe, welche von den Faden¬ 
massen selbst erfüllt und von denselben bedeutend aufgetrieben sind. In 
einem Falle, in welchem bei lOtägiger Dauer die cerebralen Erscheinungen 
besonders stark entwickelt waren, während diejenigen von Seite des 
Darmes eine geringe Intensität erlangten, wurden Bacillen in den Ilohl- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


räumen der Pia mater naehgewiesen. K. nimmt an, dass die vorwiegende 
locale Entwicklung der Organismen mit dem symptomatischen Verhalten 
des Processes in Zusammenhang steht. Aehnlich verhält es sich auch mit 
der Pneumonie, welche durch den Bacillusbefund im Anfangsstadium des 
Localprocesses sich als eine echte typhöse darstellt. Auch in 2 Fällen 
von embolischer herdweiser Nephritis ohne vorhergegangene endokardische 
oder andere thrombotische Processe gelang es, die Gefässobstruction durch 
die Bacillen nachzuweisen. 

482. Ueber ein Gesetz der Erregung terminaler Nervensnbst&nzen. 
Von Sigmund Mayer (Prag). (Aus d. LXXXI. Bd. d. Sitzber. d. Akad. 
d. Wiss. III. Abth. März-Heft. Erlenmeyers Ctrbl. f. Psych. 1880.12.) 

Aus früher veröffentlichten und neuen Versuchen leitet Verf. ein 
allgemeines Gesetz der Erregung der terminalen Nervensubstanzen ab; 
der Ausdruck „terminale Nervensubstanzen“ ist gewählt, um zu constatiren, 
dass die Ausführungen vorläufig sich auf die Endstationen im Nerven¬ 
systeme beziehen, die im Gehirn und Rückenmarke einestheils und in den 
Endigungen der Nerven innerhalb der peripheren contractilen, secretorischen 
und sensibeln Gewebselemente anderntheils zu suchen sind. Für periphere 
Nerven wird die Bezeichnung interterminale Nervensubstanz gewählt. Das 
Gesetz lautet: Wenn die terminalen Nervensubstanzen einer Störung ihrer 
normalen Ernährung ausgesetzt werden, die eine bestimmte, für die ver¬ 
schiedenen terminalen Nervenapparate verschieden lange Zeitdauer nicht 
überschreiten darf, so beantworten sie den Wiederbeginn der normalen 
Ernährungsvorgänge mit der Auslösung eines mehr oder weniger intensiven 
Erregungsvorganges. Verf. führt eine Menge Beweise für seine Behauptung 
an, von denen hier nur einige wiedergegeben sind. Wenn nach Kuss maul 
und Tenner der trunc. anonymus und die arter. subclav. sinistr. ver¬ 
schlossen sind und man nach kurzer Dauer der Krämpfe zu einer Zeit, wo 
noch kein Lungenödem ausgebildet ist, den Verschluss der Gefässe löst, 
so treten am Augapfel nystagmusartige Bewegungen auf. 

Curarisirt man ein Kaninchen so, dass der Verschluss der Hirnarterien 
nur noch sehr schwache Krämpfe hervorbringt, so tritt beim Wieder¬ 
einströmen des Blutes, das durch künstliche Respiration hellroth erhalten 
wird, eine deutliche Verstärkung der Bewegungen ein, oder es treten 
solche neuerdings auf, wenn sie vorher schon verschwunden waren. 
Unterbricht man bei einem mit Curare vergifteten Thier, dem vorher 
beide vagi durchgeschnitten waren, die künstliche Respiration, so steigt 
erst der Blutdruck etwas an, um dann wellenförmig längere Zeit bedeutend 
anzusteigen (dyspnoische Blutdrucksteigerung) dann sinkt er rasch ab, 
fällt unter den Normaldruck. Nimmt man jetzt die Respiration wieder 
auf, so geht der Druck bald sehr steil wieder in die Höhe (Traube). 
Diese postdyspnoische Blutdrucksteigerung wird nach Verf. folgendermassen 
erklärt: Die dyspnoische Beschaffenheit des Blutes ruft eine mit Reiz¬ 
erscheinungen einhergehende Ernährungsstörung des vasoconstrictorischen 
Hirncentrums hervor, die zu einem Aufhören der Thätigkeit dieses Centrum’s 
führt, welches aber gewaltige Erregungsquellen neuerdings auszusenden 
beginnt, sobald die Ernährung wieder unter den Einfluss des zuströmenden 
hellrothen Blutes geräth. 

Um Ernährungsstörungen im Rückenmarke zu bewerkstelligen, wurde 
die Aorte entweder jenseits der arter. subcl. sinistr., oder zwischen der 
Arterie und dem trunc. anonymus geklemmt, oder es wurde die künstliche 
Respiration unterbrochen. Mit der Wiederherstellung der Blutströmung, 


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mit der Wiederaufnahme der künstlichen Respiration treten entweder neue 
Bewegungen in den hinteren Extremitäten auf, oder schwache, vorhanden 
gewesene, werden wesentlich verstärkt, oder bereits abgelaufene werden 
von neuem verstärkt hervorgerufen. 

Weiter folgert Verf. aus den Experimenten, dass je empfindlicher 
ein terminaler, nervöser Apparat gegen die Vorenthaltung der arteriellen 
Zufuhr oder die Beeinträchtigung der Athmung reagirt, desto kürzere 
Zeit bedarf die Ernährungsstörung, um nach der Wiederkehr der normalen 
Emährungsbedingungen Erregungen hervorzurufen, wie die Augenmuskeln 
einerseits und das Rückenmark andererseits zeigen. Sehr leicht findet 
eine Cumulirung der Ernährungsstörungen statt, worauf man zu achten 
hat. Beispiel: Durchschneidung des Rückenmarks am Halse neben Aorten- 
compression; es wirkt hier der paralytische Blutdruck und die Anämie. 

Zum Schlüsse macht Verf. darauf aufmerksam, dass manche in der 
Neuropathologie bekannten Thatsachen, z. B. die posthemiplegischen Be¬ 
wegungen, die Zuckungen beim Zurückgehen peripherer Facialisparalysen, 
auf diese Weise dem Verständniss näher gerückt seien. 

483. Ueber die histologischen Veränderungen am Centralnerven¬ 
systeme bei Lyssa des Menschen. Von Dr. Lütkemüller. (Sitzungs- 
ber. d. k. k. Gesellschaft der Aerzte. 1880. 28. Mai.) 

Der Vortragende untersuchte 3 Fälle und machte es sich zur Auf¬ 
gabe, die Angaben von Otto Weller zu controliren, welche sich bezogen 
1. auf Hyperämie und kleine Hämorrhagien des Gehirnes und Rücken¬ 
markes, 2. Anhäufung von lymphoiden Elementen rings um die Gefässe, 
vorzüglich der grauen Substanz und 3. das Vorhandensein eigentümlicher, 
rundlicher, stark lichtbrechender, gegen Reagentien sehr widerstandsfähiger 
Körper, die W. als Zerfallsproducte von Nervenelementen und als patho- 
gnomonisch für Lyssa auffasst. Bei L.’s Untersuchungen, Isolirung der 
Gefässe unter dem Arbeitsmikroskop und Anfertigung von Dünnschnitten 
zeigte sich fast an allen Gefässen deutliche Hyperämie, sowie stellenweise 
Hämorrhagie, welche dafür sprach, dass die Hyperämie bereits während 
des Lebens bestanden habe; ferner Anhäufung lymphoider Elemente im 
ganzen Rückenmarke und im Gehirne; am wenigsten ausgesprochen im 
Kleinhirne. Die Angabe W.’s, dass diese Anhäufung lymphoider Elemente 
in der Medulla oblongata am meisten ausgeprägt sein und nach aufwärts 
und abwärts an Intensität abnehmen soll, kann L. nicht bestätigen. 

Die von W. angegebenen pathognomonischen Körper konnte L. 
niemals erblicken, dagegen fand er an vielen Gefässen Veränderungen 
ausgeprägt, die man mit dem Namen „regressive Metamorphose 4 * bezeichnet. 
Mehrere Gefässe fand er von rundlichem oder scholligem Pigmente um¬ 
geben, insbesondere die Arterien, ferner Fett in kleinen Tröpfchen, den 
Wandungen der Gefässe anhaftend; in einem Falle waren im Dorsalmarke 
mehrere Gefässe von Fettkörnchenzellen umgeben. Einzelne Gefässe waren 
wie bestäubt, ihre Contouren undeutlich, ihre Wandungen verdickt, 
brüchig. Endlich gab es Amyloidkörper vorzugsweise in den äusseren 
Partien des Rückenmarkes. Diese Veränderungen sind ganz gewöhnliche 
Vorkommnisse, besonders Alters Veränderungen. Dass die erwähnten Fett¬ 
körper für Lyssa pathognomonisch sind, bezeichnet L. als entschieden 
irrig. Was die übrigen Veränderungen betrifft, so sei es fraglich, ob 
dieselben als Ursache oder als Folge der Lyssa aufzufassen seien. Die 
Mehrzahl der Forscher neige sich der ersteren Ansicht zu. 

L. hat auch die Veränderungen des Blutes Lyssakranker studirt 

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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


und gefunden, dass dasselbe zunächst dickflüssig war, in Folge verminderter 
Wasseraufnahme in den letzten Lebenstagen, die weissen Blutkörperchen 
nicht unbedeutend vermehrt, vergrössert; die rothen normal. Auffallend 
war das Vorhandensein einer Menge rundlicher, kernloser Gebilde, stellen¬ 
weise in dichten, das ganze Sehfeld bedeckenden Massen; die Gebilde 
hatten zarte Contouren, waren kreisrund und zeigten nach längerem 
Stehen die Stechapfelform; die kleineren waren farblos, die grösseren 
gelblich. 

484. Ueber die Länge und C&pacität des menschlichen Darmcanals. 
Von Prof. F. W. B e n e k e in Marburg. (Marburger Sitz. - Ber. Nr. 7. 
Oct. 1879. Schmidt’s Jahrbücher 1880. Bd. 186. 2.) 

Die Länge des Jejunum, Ileum und Colon wurde nach erfolgter 
Herausnahme und Ausbreitung dieser Darmtheile mit dem Centimeter- 
Massstab gemessen. Von einer Flächenbestimmung, etwa durch Triangu¬ 
lation, ist abgesehen, dagegen die Wassercapacität bestimmt worden. 
Längenmessungen des Darms konnten an 6 Leichen von Kindern des zweiten 
und dritten Lebensjahres vorgenommen werden. Aus der Lebensperiode 
nach vollendetem Wachsthum liegen über 60 Messungen vor. 

Die betreffenden Personen theilt Verf. in solche, welche an Krankheiten 
mit atrophischem Charakter (Phthisen, cariöse Knochenleiden), und solche, 
welche an Krankheiten mit hypertrophischem Charakter (Fettsucht, Car- 
cinom, Sarcom), und in solche, weiche an Krankheiten gestorben waren, 
durch welche die Ernährungsvorgänge nur unbedeutend alterirt wurden. 
Als Minimum der ganzen Darmlänge (excl. Magen und Duodenum) Er¬ 
wachsener ergaben sich 507 als Maximum 1149 Ctm.; sie kann also 
um mehr als das Doppelte variiren. Der kindliche Darmcanal scheint 
relativ zur Körperlänge nicht unbeträchtlich länger zu sein als derjenige 
Erwachsener. 

Unter den Erwachsenen zeigten Phthisiker die relativ geringste 
Darmlänge und die Kranken mit irgend welchen hypertrophischen Processen 
die relativ grösste. Zwischen beiden in der Mitte steht die Darmlänge 
der Kranken, bei welchen der Ernährungsprocess gar nicht oder nur 
unbedeutend alterirt war. Es ist also zu berücksichtigen, dass die 
wesentlichste Ursache für eine gute oder schlechte Ernährung des Körpers 
unter sonst gleichen Bedingungen in der verschiedenen Länge des Darm¬ 
canals und der verschiedenen Grösse der aufsaugenden Fläche liegen 
könne. Bei so verschiedener Darmlänge (und wahrscheinlich auch der 
Darmfläche und Darmcapacität) wird auch die Ausnützung der Nahrungs¬ 
mittel eine individuell verschiedene sein müssen. Bestätigt sich der Befund, 
dass Kinder einen relativ längeren Darmcanal besitzen als Erwachsene, 
so wird damit eine Einsicht gewonnen in eine der physiologischen Be¬ 
dingungen, welche das Wachsthum des kindlichen Organismus ermöglichen 
und reguliren. Ueber die Ergebnisse seiner Untersuchungen bezüglich 
der Darmcapacität gedenkt Verf. später besondere Mittheilung zu machen. 




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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Staatsarzneikunde, Hygiene. 


485. Beschreibung der Brause-Badeanstalt in der Kaserne des 
Kaiser Franz Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2. Von Dr. Münnich. 
(Deutsche militärärztliche Zeitschrift 1880. 1. Deutsch, med. Wochensch. 
1880. 17.) 

Das Wasser stammt aus einem Hofbrunnen, von welchem ein Rohr 
nach einer Saug- und Druckpumpe führt. Von dieser aus wird das Wasser 
durch eine Röhre in den Wasserbehälter oberhalb des Baderaums hinauf¬ 
gedrückt. Dieser Behälter ist 3 Met. hoch. 2 Met. lang und 1 Met. 
breit, fasst mithin 6000 Liter. Er besteht aus starkem Zinkblech mit 
dicken Holzwänden. In dem Behälter befindet sich ein Holzschwimmer, 
der an einer Kette hängt, die über Rollen hinab in den Baderaum geht 
und in ein Gewicht endet, welches sich vor einer Scala bewegt und so 
den Wasserstand anzeigt. Der Baderaum ist im Kellergestock und hat 
zur Erwärmung des Wassers einen eisernen Badeofen mit dop¬ 
pelten Wänden. In den unteren Theil desselben mündet eine Röhre, 
die aus dem Boden des Wasserbehälters kommt, aus dem obem 
Theile des Ofens geht eine zweite Röhre ab, die 1 Met. oberhalb des 
Bodens des Behälters aufhört. Diese 2 Röhren vermitteln den Umlauf 
des Wassers. Das kalte Wasser nämlich, welches von der Druck¬ 
pumpe befördert, im obem Theile des Wasserbehälters ausfliesst, sinkt 
natürlich nach der im Boden des Behälters beginnenden Röhre, während 
das vom Ofen herkommende warme Wasser im Behälter steigt und sich 
so mit dem entgegenkommenden kalten mischt und eine baldige Erwär¬ 
mung des letzteren vermittelt. Aus dem Wasserbehälter verläuft ferner 
ein Rohr nach dem Baderaum, um hier in das die Brausen tragende 
Rohr einzumünden. Der Brausen gibt es 18, sie sind pyramidenförmig 
und schief abwärts gerichtet. In einer Stunde kann man so 300 Mann 
baden, wobei auf jedes Bad 3— 3V a Minuten kommen; der Mann ver¬ 
braucht 15—20 Liter Wasser, zur Erwärmung des Bassins auf 28° R. 
sind l l /a—2 Centner Kohlen nöthig. Die Kosten der Einrichtung be¬ 
tragen für den Wasserbehälter, die Pumpe (450 M.), den Badeofen (165 M.) 
etc. etc. = 1930 M., für die Maurerarbeiten, Anstrich etc. etc. = 1050 M., 
fllr Holzarbeiten (Badezellen, Bänke, Latten, Vorthüren etc.) = 700 M., 
für Gaseinrichtung, Gerätschaften etc. = 120 M. in Summa 4000 M. 


486. Ein Beitrag zur Aetiologie des Ertrinkens. Von Nägeli. 
(Correspondenzblatt f. Schweiz. Aerzte. 1880. Nr. 2. St. Petersb. med. 
Wochschft. 1880. 26.) 


Es handelt sich um zwei vom Verf. genau studirte Fälle von Er¬ 
trinkungstod, welche durch die Congruenz beider Sectionsbefunde einen ganz 
sichern Schluss auf die Todesursache gestatten. Unglttcksfall I. wird vom 
Verf. folgendermassen geschildert: „Am 14. Juli 1872, einem schönen 
Sommertag, hatte der 14jährige Secundarscküler S. in Ermatingen nach 
dem aus Kaffee, Brod und Kartoffeln bestehenden Nachtessen noch die 
Erlaubniss erhalten, mit seinem Vater zu einem Hochzeitsfest gehen zu 
dürfen. Er wurde dort mit Wurst und Brod und einem Glas Bier regalirt, 
begab sich dann etwas vor 8 Uhr — es war noch hell — auf den 
Heimweg und traf mit einem Kameraden zusammen, der ihn zum Baden 
einlud. In jugendlichem Uebermuth schwammen beide um die Wette; S., 

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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


ein vorzüglicher Schwimmer, war seinem Freunde weit voraus, als Letz¬ 
terer auf einmal, ohne dass S. einen deutlichen Schrei ausgestossen hätte, 
denselben untersinken sah. Auf den Hilferuf des Begleiters waren sofort 
Leute zur Hand, den Verunglückten zu holen. Ich ging ganz zufällig des 
Weges, als ich den Lärm hörte und konnte am Ufer warten, bis man den 
Knaben, der kaum 3—4 Minuten unter Wasser gewesen sein mochte, an s 
Land brachte. Meine Hoffnung, den Verunglückten wieder zum Leben 
zurückrufen zu können, schien um so berechtigter, da derselbe nur so 
kurze Zeit im Wasser gelegen hatte, ärztliche Hilfe ja sofort bei der Hand 
und sogar der Herzschlag noch zu hören war. Augenblicklich wurde die 
künstliche Respiration eingeleitet, aber ohne Erfolg. Ohne lange Zögerung 
schritt ich zur Tracheotomie; eine kleine Vene entleerte noch dunkles, 
flüssiges Blut, aber beim Einstich in die Luftröhre entwich nicht die Luft 
mit jenem bekannten zischenden Geräuch, sondern eine Fluth von Speise¬ 
brei ergoss sich über das Operationsfeld. Ich sog nun mit eigenem Munde 
wiederholt, und soviel mir möglich war, die Speisereste aus der ange¬ 
schoppten Trachea, aber vergebens: trotz aller Mühe konnte der Knabe 
nicht mehr gerettet werden. — Die am 2. Tage vorgenommene Autopsie 
ergab folgenden Befund: Rosige Gesichtsfarbe, Augen geschlossen, Zunge 
nicht eingeklemmt, leichte Gänsehaut, keine Waschhaut, Penis nicht ge¬ 
schrumpft. Sinus und Meningen sehr, Hirnsubstanz mässig bluthaltig, 
Lungen nicht ballonirt, dunkel, blutreich, ziemliche reichliche punktförmige 
Ecchymosen an den Lungenpleuren. Luftröhre rosaroth injicirt, wenig 
Speisemassen und Schaum haltend. Die grösseren Bronchien und die Bron¬ 
chiolen zeigen in ihr Lumen eingedrungene und dasselbe obturirende kleine 
Kartoffelstücke; selbst Schnitte in der Peripherie der dunkelrothen Lunge 
zeigen in den grösseren Bronchiolen diese Speisereste. R. Herz mit dunkel 
kirschrothem Blut gefüllt, 1. leer. Magen enthält noch einen Theil des¬ 
selben Speisebreis, wie er in Trachea und Lunge gefunden wurde. Gros¬ 
sere'Quantitäten Wasser weder im Magen noch Darm. Unterleibsorgane 
blutreich, sonst normal.“ — Unglücksfall n. betrifft einen 18jährigen Lehr¬ 
ling, der gleich nach dem aus Käso, Brot und Most bestehenden Nacht¬ 
essen baden ging, plötzlich, einen dumpfen, gurgelnden Laut ausstossend, 
untersank und erst nach einer Viertelstunde aus dem 21° R. messenden 
Wasser mausetodt herausgezogen wurde. Wiederbelebungsversuche wurden 
nicht gemacht. — Die 2 Tage hierauf mit allen Cautelen ausgeführte 
Section ergab, was die Luftwege anbetrifft, folgendes: „Lungen mässig 
aufgetrieben, jedoch nicht ballonirt, von dunkler Farbe, schwer... Mund¬ 
höhle, Kehlkopf und Luftröhre sind angefüllt von Speisebrei; ebenso die 
Bronchien und deren Verzweigungen derart, dass selbst beim Durchschnitt 
ganz peripherischer Lungenpartien das Lumen grösserer Bronchiolen durch 
kleine Käsepartikel obturirt erscheint“ .... — Die grosse Uebereinstim- 
mung beider Sectionsbefunde gestattet dem Verf. mit aller Bestimmtheit 
zu behaupten, dass die zwei Verunglückten durch die bei dem Unter* 
sinken in die Lungen eingedrungenen Speisemassen erstickt sind. Den 
physiologischen Vorgang erklärt N ägeli folgendermassen: „Die Badenden 
haben sich mit vollem Magen in’s Wasser gestürzt, der Druck des Was¬ 
sers auf den gefüllten Bauch und die kleinen beim Schwimmen entste¬ 
henden Wellen, die, wie ich mich selbst schon überzeugte, gerne das 
Gefühl der Seekrankheit hervorrufen, bewirkten Uebelkeit und Brechreiz; 
dadurch versagte plötzlich die Kraft, der Halbohnmächtige sank, erbrach 
sich unter Wasser und aspirirte die in den Mund gerathenen Speisemassen. 
Die Luftwege wurden dabei derart obturirt, dass auch die augenblickliche 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


623 


Hilfe, wie sie im ersten Falle zur Hand war, erfolglos bleiben musste.“ 
Jedenfalls liefern die beiden Sectionen, wie Verf. sagt, einen plausiblen 
Grund für die alte Mahnung: „Nicht mit vollem Magen zu baden!“ 

487. Ueber den Einfluss der meteorologischen Verhältnisse auf 
das Auftreten der Pneumonie. Von Dr. Edgar Masson (Dissert. 
inaug. Neuchätel, 1879. Pest, med.-chirurg. Presse. 1880. 28.) 

M/s Resultate stützen sich auf 400 Fälle von Pneumonie, wie sie 
1868—1877 (Bern) und 1864—1876 (Neuchätel) in den betreffenden 
Spitälern zur Beobachtung kamen, unter gleichzeitiger Berücksichtigung 
der meteorologischen Verhältnisse niedergelegt in den Acten der Observa¬ 
torien von Bern und Neuchätel. Diese Fälle vertheilen sich auf 297 Per¬ 
sonen männlichen Geschlechts und 103 Personen weiblichen Geschlechts; 
davon starben 44 (27 M., 17 W.). In 120 Fällen betraf die Pneumonie 
die rechte Lunge, in 134 die linke, in 46 beide Lungen. Vorwiegend 
wurde das mittlere Lebensalter von der Krankheit betroffen; der Be¬ 
schäftigung nach befiel die Krankheit 42 Percent, deren Geschäft den 
Aufenthalt im Freien bedingte. Die mittlere Krankheitsdauer, von der 
Invasion bis zur Krise betrug 8 Tage. In die Monate März bis Mai 
fielen die meisten Erkrankungen; darauf folgten mit Rücksicht auf die 
Frequenz December bis Februar, sodann Juni bis August, endlich Sep¬ 
tember bis November. Das Maximum der Erkrankungen fiel in die 
Monate Mai und Jänner, das Minimum auf August und September. 

Bezüglich der thermo-, baro- und hygrometischen Verhältnisse, sowie 
der Windströmungen mit Rücksicht auf das Auftreten von Pneumonie ergeben 
die Beobachtungen: Niedere Temperaturen befördern Auftreten von Pneumo¬ 
nien mehr als höhere Temperaturen ohne Rücksicht auf den Barometerstand. 
— Geringere Feuchtigkeit der Atmosphäre begünstigte in Bern die Ent¬ 
wicklung der Pneumonie, — während sich für Neuchätel das Gegentheil 
herausstellte. Bezüglich der Windströmungen sind es vorwiegend die 
Nordwinde und kalten Winde, die in einer gewissen Proportionalen zur 
Entwicklung der Pneumonie stehen, ohne dass die Stärke des Windes 
von Belang wäre. Für die Entwicklung der Pneumonie in Neuchätel 
kommen Nordwinde jedoch weniger in Betracht. Verf. glaubt die 
Ursache davon in der geschützten Lage der Stadt Neuchätel suchen zu 
müssen. 

Thermometer-, Barometer- und Hygrometerschwankungen scheinen 
für Bern in Bezug auf das Auftreten von Pneumonie von keinem Ein¬ 
flüsse zu sein, während in Neuchätel geringere Schwankungen deren 
Entwicklung befördern. Nach allem diesem zieht der Autor den 
Schluss: Die meteorologischen Verhältnisse, die auf die Häufigkeit des 
Auftretens der Pneumonie von Einfluss sind, sind vielfacher und sehr 
verschiedener Art und bestehen speciell in niederen Temperaturen, ge¬ 
ringerer Feuchtigkeit der Atmosphäre und Vorwiegen des Nordwindes. 


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Medicinisch-chirnrginche Rundschau. 


Recensionen. 

488. Lehrbuch der Ohrenheilkunde. Von Dr. Victor Urban- 
tschitsch, Privatdocent für Ohrenheilkunde an der Wiener Universität 
Mit 75 Holzschnitten nnd 8 Tafeln. Wien und Leipzig. Urban & Schwarzen¬ 
berg. 1880. 8«. 568 S. 

Zu den klinischen Doctrinen, welche in den beiden letzten Decennien ganz 
bedeutende Fortschritte machten and darch diagnostische Sicherheit nnd thera¬ 
peutische Erfolge an den Errungenschaften der modernen Medicin ganz bedeu¬ 
tenden Antheil nehmen, gehört neben der älteren Ophthalmologie und der jüngeren 
Laryngologie auch die — Ohrenheilkunde. Doch kaum, dass die Specialisten in 
rastloser Arbeit, wie sie nur den Pionnieren eigen ist, das neue Gebiet eröffnet 
und zugänglich gemacht haben, drangt sich nun „Alles“ heran, um die Fruchte 
ihrer Arbeit mit zu gemessen, das vom Einzelnen mühsam errungene Gebiet 
wird zum Eigen thum — Aller. Was auf dem Specialgebiete Neues und Beden- 
tendes errungen wurde, kommt schliesslich der gesummten Heilkunde zu Gate, 
und es tritt dann der Moment ein, wo der Specialist einsehen lernt, dass das „ört¬ 
liche Leiden“ im Zusammenhänge mit dem Gesammtorganismus betrachtet werden 
muss, und wo der Universalist sich gestehen muss, dass er der Spedalität nicht 
länger entrathen kann, wenn er nicht zum Nachtheile seiner eigenen Entwicklung 
und des ihm obliegenden Wirkungskreises sich der neuen Hilfsmitteln begebtn 
will. Das, was nun im Allgemeinen anerkannt wird — auf die Ohrenheilkunde 
in specie zu übertragen — ist wohl für den Leserkreis dieser Zeilen nicht noth- 
wendig. Die noch vor Kurzem für unheilbar betrachteten Erkranknngen des Ge¬ 
hörorgans sind heilbar erkannt worden und viele „Ohrenleiden“ sind nun als 
Theilerscheinungen allgemeiner chronischer und acuter Krankheitsprocesse 
erkannt worden, durch deren Diagnose die Thätigkeit des behandelnden Arztes 
in die richtige Bahn gelenkt wird. Die Ohrenheilkunde darf daher nicht länger 
das Privilegium des Specialisten sein, dieser soll sie fortentwickeln, doch gekannt 
und geübt soll sie von jedem praktischen Arzte werden. Der Verfasser des vor¬ 
liegenden Lehrbuches gehört mit zu Denjenigen, welche an der Entwicklung der 
Ohrenheilkunde sowohl durch Arbeiten anatomischen und physiologischen Inhaltes, 
als auf dem therapeutischen und operativen Gebiete selbstthätig mitgewirkt 
haben. Mit dem vorliegenden Werke hat Urbantschitsch die bei einem 
deutschen Forscher so seltene Fähigkeit documentirt, eine Doctrin in bündiger, 
klarer und übersichtlicher Weise bei voller Berücksichtigung der wissenschaft¬ 
lichen Basis derselben darzustellen. Nachdem die Untersuchung sämmtlicher Ab¬ 
theilungen des Gehörorganes, die Hörprüfung und das Krankenexamen auf 82 S. 
ausführlich behandelt wurden, folgt die Darstellung der Ohrenheilkunde in 7 Ca* 
piteln: I. Die Ohrmuschel. II. Der äussere Gehörgang. III. Das Trommelfell 
IV. Die Ohrtrompete, im Anhang Nasen- und Nasenrachenhöhle. V. Die Pauken¬ 
höhle. VI. Der Warzentheil. VII. Das innere Ohr. In sämmtlichen Capiteln 
wird zunächst die Anatomie und Physiologie, dann die Pathologie und Therapie 
des betreffenden Organtheiles geschildert; selbstverständlich ist letztere am aus¬ 
führlichsten bedacht nnd es sind in systematischer Reihenfolge Hyperämie, Ent¬ 
zündung, ulceröse Erkrankungen, Neubildungen, Neurosen n. 8. w. bearbeitet. Die 
therapeutischen Agentien werden eingehend geprüft und deren Indicationen mit 
Zuhilfenahme der reichen eigenen Erfahrung genau präcisirt. Als Anhang ist ein 
Capitel beigegeben, in welchem „die Begutachtung des Hörorganes in forensischer 
Beziehung und mit Rücksicht auf das Versicherungswesen“ erörteit wird und 
schliesslich erleichtert ein ausführliches Sachregister das Nachschlagen. Die Ver¬ 
lagshandlung hat das Werk mit grosser Sorgfalt ausgestattet. —k. 

489. Die Puerperal Krankheiten. Klinische Vorlesungen am Bellevue- 
Hospital zu New-York. Von Fordyce Barker M. D., Professor der 
Geburtshilfe etc. Nach der vierten Auflage des Originales in das Deutsche 
übertragen von Dr. C. G. Rothe in Altenburg. Leipzig 1880. Verlag 
von Ambr. Abel. 4°. XII und 275 Seiten. 

In seiner Originalausgabe fand dieses Buch eine Verbreitong wie selten 
ein anderes ähnliches, denn kaum nenn Monate nach seinem Erscheinen verliess 
eine vierte Anflage desselben die Presse. Unwillkürlich werden dadurch beim 
Erscheinen r e1ner deutschen Uebersetznng dieses Buches die Erwartungen gesteigert. 
Nach Dnrchlesen desselben müssen wir uns aber dahiu äussern, dass das Bnch, 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


625 


so gat es auch sonst ist, für Deutschland nicht jene sensationelle Bedeutung hat. 
wie für sein Heimatland, hauptsächlich wohl deshalb, weil wir ein solches ganz 
guter, gleicher Tendenz schon seit Jahren an Winckel’s „Pathologie und Therapie 
des Wochenbettes“ besitzen. Für uns besitzt das Bark er'sehe Buch hanptsäch- 
lieh einen vergleichenden Werth. Wir erfahren aus demselben die jenseits des 
Oceans herrschenden Anschauungen über die physiologischen und pathologischen 
Vorgänge des Wochenbettes. 

Das Wochenbett wird in 20 Vorlesungen besprochen. Die zwei ersten be¬ 
handeln das normale Puerperium, die dritte und vierte die Dammrisse und den 
Thrombus vulvae et vaginae. Dieser Abschnitt bringt nichts Neues, es wäre denn, 
dass sich B. ebenso wie die Engländer, im Interesse der Mutter und Frucht gegen 
das bei uns übliche Fasten innerhalb der ersten Tage post partum ausspricht. 
Bezüglich der Albuminurie (Vorlesung 5) ist B. der Ansicht, dass sie oft ohne 
begleitende Convulsionen auftrete, ebenso wie letztere häufig nicht mit Albuminurie 
vergesellschaftet seien. Nicht selten bestehe Albuminurie, ohoe dass ein Morbus 
Brightii gleichzeitig vorhanden sei. Er stellt hier eine Behauptung auf, welche, 
unserer Ansicht nach, chemisch nicht begründet ist, dass nämlich die chemische 
Reaction des Albaniens bei Morbus Brightii eine andere sei als dort, wo im Ver¬ 
laufe der Schwangerschaft vorübergehend, ohne Erkrankung der Nieren, Eiweiss 
im Harne auftrete. Die Entstehung dieser Albuminurie fuhrt er auf Congestionen 
in der venösen Circulation der Nieren zurück, veranlasst durch verschiedene 
Umstände, wie z. B. durch Druck des graviden Uterus auf die Nieren-Venen, 
spasmodische Constrnctionen der Bauchmuskeln, wie sie bei Convulsionen auf- 
treten, plötzliche Erkältungen während der Gravidität u. d. m. Dieser Auffassung 
zufolge besteht die Therapie hauptsächlich in der Bemühung, die hyperämischen 
Nieren zu entlasten, sei es durch Blutentziehungen, Laxantien u. d. m. Bezüglich 
der Aetiologie der Eklampsie neigt er sich theilweise der Traube-Rosen- 
stein’schen Theorie zu, indem er die Frage auf wirft, ob die Association von 
Albuminurie und Eklampsie nothwendig auf ein ursächliches Verhältnis» beider 
deute oder ob nicht dieselbe Erschütterung des Nervensystemes, welche bei 
den Schwangeren und Kreissenden in den Convulsionen gipfelt, gleichzeitig die 
Functionen der Nieren derart zu alteriren vermöge, dass sie Albuminurie erzeuge. 
Bezüglich der Nephritis stellt B. in diesem Vortrage (7.) die Annahme auf, der 
hohe Congestivzustand des venösen Systems in Folge des Glottiskrampfes könne 
bei Eklampsie, die Nierencomplication herbeiführen, eine Hypothese, die mit der 
vom Ref. bereits vor Jahren aufgestellten beinahe vollständig übereinstimmt. Bei 
der Therapie intra partum empfiehlt er sehr warm deu Aderlass, warnt aber vor 
jedem unnöthigen Eingriffe, da ein solcher stets als intensiver Reiz wirke und 
dadurch neuerdings Convulsionen auslöse’. 

Die im Vortrage über die Lactation und die Mastitis (8. und 9.) ausge¬ 
führten Anschauungen weichen von den in Europa üblichen nicht ab. Aus dem 
Vortrage über die Puerperalmanie (10.) lässt sich entnehmen, dass diese Störung 
jenseits des Oceans weit häufiger auftreten muss als in Mitteleuropa, speciell in 
Deutschland. Einen eigenen Vortrag (11.) widmet B. der Relaxation der Becken¬ 
symphysen. Es macht aber Ref. unwillkürlich den Eindruck, dass die Mehrzahl 
der hier erwähnten Erkrankungsformen nicht auf diese spontane Erkrankung der 
Beckengelenke zurückzuführen seien, sondern als Rupturen des Beckens in Folge 
nuzweckmässiger Iustrumentalhilfe aufzufassen sein dürften. Im folgenden (12.) 
Vortrage, welcher der Phlegmasia alba dolens gewidmet ist, lässt .sich B. sehr 
ausführlich über die pathologisch-anatomischen Verhältnisse aus. Nach seiner An¬ 
sicht gesellt sich zu diesem Leiden, dessen eigenthümliche pathologische Natur 
bisher immer noch im Dunkeln liege, nur ausnahmsweise die Thrombose der Vene 
und sei letztere meist ein secundäres Leiden. Beim Lesen dieses Vortrages stösst 
man auf manche Ansichten, die uns beinahe vollständig unbekannt sind. So spielt 
z. B. die Inopexie, die gesteigerte Gerinnungsfähigkeit des Blutes, eine grosse 
Rolle. Ebenso verschieden sind seine therapeutischen Massrqgeln, er befürwortet 
z. B. bei Phlegmasia mit Thrombose der Vene nach abgelaufenen entzündlichen 
Erscheinungen sehr warme Frictionen des Beines mit Flanell und spirituösen 
Mitteln, während diese Behandlungsweise wegen der Gefahr des Ablösens eines 
Stuckes des Thrombus und Hineingelangens desselben in den allgemeinen Kreislauf, 
in Deutschland perhorrescirt wird. 

Vorlesung 13—20 behandelt jene Processe, welche wir unter der Gesammt- 
bezeichnung Puerperalfieber verstehen. Von unseren Anschauungen abweichend, 
trennt B. die puerperale Thrombose und Embolie, die Phlebitis, die Metritis, die 
Peritonitis, die Beckenperitonitis und Beckencellulitis (unsere Perimetritis ond 
Parametritis), die Septikämie und Pyämie vom Puerperalfieber ab^'welc^ letztere 

Medchir. Rundschau. 1880. p40 1 

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Medicinisch-cbirurgisclie Rundschau. 




er als eine eigene Krankheit, hervorgerufen durch ein specifisches Gift, ansieht. 
„Es ist eine Krankheit während eines specifischen Zostandes des Organismus, 
hervorgernfen von einer durch die Schwangerschaft eingeleiteten Modification des 
Blutes, von Läsionen durch Druck, Quetschung und Laceration, während des 
Gebäractes, von einer retrograden Metamorphose des Uterusgewebes, von den 
specifischen physiologischen Veränderungen der Innenfläche des Uterus und von 
der Entwicklung der Function der Lactation“ (p. 231). Wenn auch der Puerperal- 
process infectiv ist, so ist er dennoch wesentlich von den chirurgischen Wund¬ 
krankheiten verschieden, denn — der Chirurg verschleppt nicht (?) den Tod, wie 
der Geburtshelfer. Je nach dem Prävaliren der Läsionen des Peritoneom, des 
Uterus, der Uterusvenen, der Ligamenta lata und der Ovarien wird das Bild des 
Processes verschieden, ebenso, je nachdem als secundäre Affection, Sepukämie. 
Pyämie u. d. m. auftritt. Die neuesten, gerade in dieser Frage massgebendsten 
Forschungen, die Frage der Mykose, sucht man vergebens. Es erklärt sich die? 
aus dem Umstande, dass, wenn auch die Uebersetzung neuesten Datums ist, das 
benützte Original aus dem Jahre 1873 stammt. 

Dem Mitgetheilten zufolge entnimmt man sofort, dass der pathologisch-anato¬ 
mische Theil weit unter dem Niveau der Gegenwart steht. Nichtsdestoweniger 
findet man aber im Buche zahlreiche brauchbare Winke, welche der praktische 
Arzt ganz gut verwerthen kann. Wir können unser Urtheil nur dahin zusammen- 
fassen, dass wir den Werth des Buches namentlich darin suchen, dass es uns mit 
den Anschauungen des weit über die Grenzen seines Vaterlandes berühmten 
Bark er über das Puerperalfieber bekannt macht. Die Ausstattung des Buches, 
Druck, Papier, Einband ist ausgezeichnet und macht der Verlagsbuchhandlung 
alle Ehre. K lein Wächter, Innsbruck. 

490. Das Fleisch. Gemeinverständliches Handbuch der wissenschaft¬ 
lichen und praktischen Fleischkunde von Carl Philipp F a 1 c k, Doctor und 
ord. Professor der Medicin, Director des pharmacologischen Instituts in 
Marburg. Mit 12 lithographischen Tafeln. Marburg, N. G. Elwert’sche 
Verlagsbuchhandlung 1880. gr. 8°. 608 S. 

Der Autor hat sich die Aufgabe gestellt, eine Monographi e des essbaren 
Fleisches, sowohl den Bedürfnissen von Fachmännern als auch denen eines in¬ 
telligenten Leserkreises angepasst, zu veröffentlichen. Eine kurze Inhaltsübersicht 
des vorliegenden Werkes möge den Leser über die Anordnung des Inhaltes, sowie 
über diesen selbst orientiren. Nach einer kurzen Einleitung, in welcher die Auf¬ 
gabe der Fleischkunde begründet wird, beginnt das I. Buch: Zur Kenntnis? 
der Thiere, welche essbares Fleisch liefern. Dieses enthält eine syste¬ 
matisch geordnete kurze Schilderung aller jener Thiere, welche in Europa essbares 
Fleisch liefern, aber auch solche, welche, wie die Bienen, nicht gegessen werden, 
hingegen Se- und Excrete liefern, die als werthvolle Nahrungs- oder Genussmittel 
in den Handel gebracht werden. Es werden aufgezählt und theilweise auch ge¬ 
schildert: Säugethiere, 47 Arten; Vögel, 105 Arten; Amphibien, 7 Arten; Fische, 
110 Arten; Krustenthiere, 17 Arten; Cephalopoden, 5 Arten; Gastropoden, 
Muscheln etc., 25 Arten. Das II. Buch: Ueber die Knochen und Muskeln 
«der diätetisch wichtigen Wirbelt hiere soll dem nicht anatomisch ge¬ 
bildeten Leser die „natürlichen Formen des Fleisches tt zur Anschauung bringen. 
-Um das zu erreichen, werden die Knochen und Muskeln des Hundes geschildert 
Die Gründe hiefür gibt der Verf. an: „Der Erwerb von Hunden ist mit keiner 
nennenswerthen Schwierigkeit verknüpft. Dazu kommt, dass man jetzt mehr als 
früher geneigt ist, den Hund als das Musterbild des Carnivoren gelten zu lassen, 
und dass er als wichtigstes Thier des physiologischen Laboratoriums fungirt“ 
Doch werden auch die Skelete der diätetisch wichtigen Säugethiere, Vögel, Schild¬ 
kröten und Fische, sowie die Muskeln derselben einer allgemeinen Betrachtung 
unterworfen. Ferner ist dem „feineren Bau der Skeletmuskel“ ebenfalls ein eigenes 
Capitel gewidmet. Das 111. Buch behandelt die Chemie des Muskels und des 
Fleisches auf 143 Seiten mit einer Ausführlichkeit, welcher wir die Aner¬ 
kennung nicht versagen wollen, doch sind wir überzeugt, dass sich für die meisten 
Deser der interessanteste Theil des Werkes im IV. Buche findet, welcher die 
Hygiene der Fleischwaaren zum Gegenstände hat. Der 1. Abschnitt der¬ 
selben behandelt die Zubereitung des Fleisches in der Küche und die Fleisch- 
«onservirung, im 2. Abschnitt wird die Lehre von der physiologischen Wirkung 
«des Fleisches, im 3. Abschnitte die Lehre von der pathogenetischen (unge¬ 
wöhnlichen, abnormen, schädlichen) Wirkung des Fleisches und schliesslich im 
4. Abschnitt die Theorie der Fleischwaaren-Polizei in gründlicher Weise erörtert. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Zum Schlosse plaidirt noch Yerf. in diesem, dem Staatsminister and Minister für 
Landwirtschaft Dr. Lucias gewidmeten, ganz interessanten Werke für die Er« 
richtung von Fleischerschalen. Drack and Ausstattung des Werkes sind gelangen. 

491. Lehrbuch der Hautkrankheiten. Von J. Neumann. 5. ver¬ 
mehrte Aufl. mit 108 Holzschnitten und 1 lithogr. Tafel. Wien 1880. 
Wilh. Braumüller. 

Die weitgehenden Reformen, die aaf dem Gebiete der Dermatologie in den 
letzten Jahrzehnten, zamal durch die Wiener Schale eingeführt worden, riefen 
bekanntlich eine völlige Umgestaltung der ganzen Doctrin hervor. Die hiedurch 
auf eine ganz nene Basis gestellte Lehre der Hautkrankheiten in Verbindung mit 
der nothwendigerweise einhergehenden totalen Umänderung der therapeutischen 
Massnahmen wurde seitens exacter Forscher und strenger Beobachter anf Grund¬ 
lage von klinischen und experimentellen Resultaten in zahlreichen, gründlichen 
Specialarbeiten niedergelegt. An diesen letzteren betheiligte sich auch Yerf. des 
genannten Baches in hervorragender Weise and er vermehrte seine wesentlichen 
Verdienste um die Dermatologie durch die Heransgabe eines Lehrbaches der Haut¬ 
krankheiten, wodurch dem Leser die neuen Lehren in leichtfasslicher nnd ge¬ 
drängter Form mundgerecht gemacht wurden. Sollen nämlich die ausgezeichneten 
und allseits anerkannten Leistungen auf diesem Gebiete Gemeingut aller Aerzte 
werden, sollen die veralteten, bei den Aerzten und dem Publicum eingewurzelten 
Anschauungen den modernen und objectiven Lehren Platz machen, so musste 
dieser Zweck durch die zielbewusste Feder eines auf der Höhe der Wissenschaft 
stehenden Autors im Wege der Verfassung eines dem ärztlichen Publicum leicht 
zugänglichen Buches angestrebt werden. Thatsächlich wurde er erreicht. In dem 
Zeiträume von kaum 10 Jahren erscheint das angezeigte Buch in fünfter Auflage, 
ein Erfolg, der diese Arbeit nicht als das geringste Verdienst des Yerf. kennzeichnet. 
Begreiflicherweise fanden vielfache, dem raschen Tempo der fortschreitenden 
Wissenschaft entsprechende Verbesserungen jeweilige Aufnahme in das Buch, 
welches hiedurch zu einem stattlichen Bande anwuchs. In erster Linie verdient 
die mikroskopische Darstellung der verschiedenen Dermatonosen hervorgehoben 
zu werden, ein Gebiet, welches Verf. mit besonderer Vorliebe, aber auch mit 
bahnbrechendem Ernste cultivirt. Durch Klarheit in der Ausdrucksweise zeichnet 
sich die klinische Schilderung der diversen Krankheitsformen aus. Was nun die 
Classification derselben betrifft, so schliesst sich dieselbe, geringe Abweichungen 
abgerechnet, dem Hebra’sehen Systeme an. Als sehr werthvoll müssen wir auch 
die nicht nur allseits in Berücksichtigung gezogenen Verdienste anderer Autoren, 
sondern auch die genauen Literaturangaben bezeichnen. Zahlreiche Holzschnitte, 
eine chromolithographirte Tafel, ein ausführliches Sachregister werden das Studium 
dieses Buches wesentlich erleichtern. Die Ausstattung des Werkes ist sehr elegant. 

Grünfe Id. 

492. Compendiom der Pkarmacie mit erläuternden Illustrationen. 
Zum Gebrauche für Medicinal-Beamte, Apotheker, Aerzte, Droguisten und 
für Studirende der Pharmacie und Medicin von Dr. Richard Godeffroy. 
Verlag von Moriz Perles in Wien. 1—4 Heft incl. 

Während in Deutschland und in allen übrigen grösseren Staaten eine sehr 
ansehnliche pharmaceutische Literatur, für die Bedürfnisse des Landes berechnet, 
Verbreitung findet, existiren bei uns sehr wenige Werke, welche auf die ganz 
verschiedenen Verhältnisse Oesterreich-Ungarns Rücksicht nehmen. Diesem Mangel 
abzuhelfen, hat sich obiges Unternehmen zur Aufgabe gestellt. Das vorliegende 
Werk, welches somit zunächst für österreichisch-ungarische Verhältnisse berechnet 
ist, umfasst die Bereitung, Beschreibung, Prüfung und Reinigung nicht nur aller 
in der Phamacopoea Austriaca aufgenommenen, sondern auch aUer in Oesterreich- 
Ungarn im medicinischen Gebrauche stehenden chemisch-pharmaceutischen Präparate. 
Hiebei wurde auch auf die in der Pharmacopoea Hungarica, in der Germanica 
und in der österreichischen Militär-Pharmacopoe angegebenen Vorschriften zur 
Bereitung und Prüfung der Präparate Rücksicht genommen, und wo es erforder¬ 
lich, Vergleiche zwischen diesen Pharmacopoen und der Pharmacopoea Austriaca 
gezogen. Deut Werke wurde die Form eines Lehrbuches gegeben, und der ganze 
darin enthaltene Stoff nach einem systematischen Gange und nicht in alphabetischer 
Reihenfolge abgebandelt, damit es auch von den studirenden Pharmaceuten und 
Medicinern benützt werden könne. 

Es wurden auch die wichtigsten Apotheker-Gesetze Oesterreich-Ungarns 
aofgenommen, damit dasselbe nicht nur ein Handbach für Apotheker und Aerzte, 

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628 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


ein Lehrbuch für Studirende t sondern auch ein Nachschlagebuch für fertig un¬ 
gebildete Pharmacenten sein könne. 

Das Werk gelangt in circa 20 Heften 8° ä 3—4 Bogen zur Ausgabe. Die 
bisher erschienenen 4 Hefte enthalten den Allgemeinen Theil — chemische 
Theorien, nnd die Darstellung der pharmaceutisch-chemischen Operationen. Im 
npeciellen Theil ist die Darstellung bis zum „Ammoniak“ gediehen und man darf 
nach der vorliegenden Probe der Ueberzeugung Ausdruck geben, dass das Werk 
mit jener Genauigkeit und Präcision zur Vollendung gebracht wird, welche der 
vorliegende Gegenstand in so hohem Grade beansprucht. Die Ausstattung ist eine 
freundliche, das Format handlich, Holzschnitte und Typen recht deutlich. 

493. La Farmacia modema. In rapporto al Progresso delle Science 
Mediche. Von Luigi d’Emilio. Farmacista chimico della Facolta di 
Napoli. F. Furchheim Editore 59, Piazza de Martiri, Napoli. 

Vor uns liegt das erste Heft des 3. Jahrganges einer Vierteljahresschrift, 
welche sich die dankenswerthe Aufgabe gestellt hat, ein Repertorium der neuen 
Arzneimittel und der neuen pharmaceotischen Präparate für das Gebiet der Phar- 
macie, der Pharmacologie und Hygiene den Lesern zu übermitteln. Die Abhand¬ 
lungen, denen wir in diesem Hefte begegnen , betreffen solche Themata, welche 
vom Arzte und vom Apotheker mit gleich grossem Interesse und Nutzen gelesen 
werden. Wir citiren den Aufsatz über Sauerstoff von Limousin, die sub- 
cutanen Injectionen vom Herausgeber, Ueber das Lister’sche Verfahren ?on 
Scambelluri. Diesen Aufsätzen folgt eine Revue der neuen therapeutischen 
Agentien, in welcher die gesammte Weltliteratur gewürdigt wird. Im Intereae 
des anerkennenswerthen Unternehmens würden wir rathen, die Artikel in jedem 
Hefte abzuschliessen, da bei einer Vierteljahrsschrift die Geduld des Lesers, der 
auf die Fortsetzung wartet, auf eine ziemlich harte Probe gestellt wird. In der 
Revue wäre eine genauere Quellenangabe erwünscht, die erreicht wird, wenn man 
auch die Nummer und den Jahrgang des benützten Journals anführt. Die Aus¬ 
stattung des Journals ist eine freundliche und wir hoffen, dass es jene 
Verbreitung finden wird, welche dem interessanten und gewählten Inhalte des¬ 
selben entspricht. —r. 


Kleine Mittheilungen. 

494. Dosirung des Resorcins nach Dr. Andeer. Für dis inner- 
liehe Anwendung des Resorcins beim Menschen eignen sich in leichten Fällen und 
im Beginn schwerer, Gaben von 1—2,0 Gramm, in späteren oder schweren 
Fällen solche von 3—5,0 Gramm auf P)00,0 Gramm Wasser, und zwar nimmt 
man von diesen Lösungen öfters und weniger im Tag, um vor jeder toxischen 
Wirkung sicher zu sein. Die durchschnittliche Maximaldosis des Resorcins von 
5,0 auf 100,0 Wasser oder auch allein in Pulverform, darf nur in jenen Fällen 
gegeben werden, wo schon Gaben bis zu dieser Höhe längere Zeit hindurch 
genommen und ohne Symptome vertragen wurden, oder wo die Menge des 
septischen Materials eine verhältnissmässig grosse ist. In flüssiger Form angewendet 
empfehlen sich als Constituentia am besten : Alkohol, Glycerin und Orangensyrup. 
Wo immer möglich, ist es noch vortheilhafter, zur Versteckung des Resorcin- 
geschmackes das Mittel in Pulverform vermittelst Oblaten (Limousin) oder Gela¬ 
tinekapseln zu verabreichen. Man verschreibt daher: Mp. Mesorcini purissimi 0,5 
(1,0 —2,0 etc.). Aq. destill. 100,0. Syrup. Anrant 30,0. M.D.S. Alle zwei Stunden 
ein Esslöffel. Oder in EmuLsionsform: Mp. Sem. Amygdal. dulc. 20,0. F. c. Be- 
torcino purissimo 0,5. EmuUio, coletur ; adde: Syrup. Aurant. 30,0. M.D.S. Zwei¬ 
stündlich ein Esslöffel. In Pulverform: Mp. Mesorcini purissimi 0,3 — 0,5. S. Dentur 
tales Doses Nr. 3 Limousin vel Capsulis yetaiinosis. Alle zwei Stunden ein Pulver. 

495. Das Wachsen des Fötus weisser und schwarzer Race. Von 
M. Hamy. (Sitzg. der Soc. de Biolog. vom 25. Octoher. 1879 und 
21. Februar 1880. Ref. in den Annales de Gyn. Maiheft 1880.) 

H. entnimmt aus Messungen einer Reihe von Embryonen weisser und schwarzer 
Race aus dem 4. bis 7. Monate, dass die Embryonen schwarzer Race bedeutend j 
kleiner sind, als jene weisser. Kleinwächter, Innsbruck. I 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


629 


496. Zur Impffrage. Die St. Petersburger med. Wochenschr. 1880, 
Nr. 26, enthält unter „Kleinere Mittheilung“ folgende interessante Be¬ 
obachtung : 

Bei der kaiserl. Porzellanfabrik befindet sich eine kleine Ansiedlung deutscher 
Coloni8ten t deren Hfinser nahe neben einander liegen. Am 23. April a. c. starb 
im Hanse des Colonisten P. dessen Tochter, 2 Jahre alt, ungeimpft, an Variola 
▼era. Das Contaginm war durch einen Knecht hingebracht worden. Am 8. Mai 
starb in demselben Quartier das Kind einer Verwandten des P., I 1 /, Jahr alt, 
ebenfalls angeimpft, an Variola vera. Am 10. Mai wurde ich gebeten, in ein 
nebenanliegendes Quartier desselben Hauses zn kommen; beim Colonisten R. war 
ans einer Schaar von 5 Kindern, deren ältestes 12 Jahre zählte, das jüngste, allein 
nngeimpfte, erkrankt, und zwar an Variola vera. Es starb, die übrigen Kinder 
blieben gesund. Am 14. Mai wurde ich in das Hans nebenan gebeten, znm Colo¬ 
nisten R. Derselbe hatte seinen etwa 1jährigen Sohn, der bis dahin ungeimpft 
war, vor einer Woche impfen lassen ans Furcht vor den Pocken. Ich fand bei 
dem Kinde die Impfpusteln auf der Acme ihrer Entwickelung, ausserdem zerstreut 
am Körper etwa 25 charakteristische Pockenpnsteln, dabei Pusteln auf der Mund¬ 
schleimhaut, Bronchialkatarrh, hohes Fieber. Das Kind genas, der Verlauf war 
etwa der einer Variolois. In Bezug auf die Fragen der Schutzkraft der Vacci- 
nation könnte man dieser Beobachtung fast die Bedeutung eines Experimentes 
beilegen; ferner ist der Schluss nicht unerlaubt, dass es nicht zu spät ist, während 
die Krankheit schon unmittelbar droht, die Vaccination noch vorzunehmen. 

497. Behandlung von Eczema mit Zinkoleat. Von 6. Croker. 
(Journ. de Pharm, et de Chemie, Serie 5. Tome I. Archiv der Pharm. 
Mai 1880.) 

Diese Behandlung empfiehlt Verf. angelegentlichst, sowohl bei der acuten 
als chronischen Form des Eczema, und zwar in der fliessenden Periode. Die 
therapeutische Wirksamkeit des Zinkoleates vergleicht er mit jener von Unguent. 
Dyachylon Hebrae. Als besonders zu schätzende Eigenschaft desselben hebt er 
hervor, dass es immer unschädlich ist, sollte es in dem speciellen Falle auch 
nicht heilend wirken. Verfasser bereitet es, indem er einen Theil Zinkoxyd mit 
8 Theilen Oelsäure zusammenreibt, 2 Stunden absetzen lässt und dann bis zur 
vollständigen Lösung erwärmt. Beim Erkalten erhält mau eine gelblich-weisse, 
feste Masse, welcher man durch entsprechenden Zusatz von Vaseline, Olivenöl 
oder 2 Theilen Fett Salbenconsistenz gibt, wobei seiner Beständigkeit wegen das 
Vaseline vorzuziehen sein dürfte. 


498. Vorschrift zur Hebra'schen Schmierseife. (Pharm. Zeitung.) 
-ß. Lixivii Kali caustici pond. spec. 1,333 ptm . 1, Olei Olivar. viridis 
pts 2, digere in balneo vaporis saepe agitando. Ausserordentlich beschleu¬ 
nigt wird die Seifenbildung, wenn man von Anfang an der Hälfte des in Arbeit 
genommenen Oeles Alkohol zusetzt, und bis zu dessen völliger Verdampfung digerirt. 
Der Spiritas saponis kalini Hebra wird dargestellt, indem 40 Grm. der auf 
diese Weise bereiteten Seife in 80 Grm. Alkohol gelöst, und der filtrirten Lösung 
5 Grm. Spir. Lavandulae zugesetzt werden. 

499. Das Telephon und Ohrkrankheiten. Von Dr. F. M. P i e r c e 
in Manchester. (Brit. med. Journ. 1879. Zeitschr. f. Ohrhk. IX. Band, 
I. Heft.) 

Bei einer Frau, welche am Telephon horchte während eines Donnerschlages, 
der durch den Diaht geleitet wurde, trat Benommenheit und Taubheit ein, 
begleitet von Schwindelgefühl, Uebelkeit uud Ohrensausen. Diese Erscheinungen 
verschwanden in wenigen Minuten mit Ausnahme der Schwerhörigkeit. Nach einem 
Zeitraum von 14 Tagen hatte sich wieder normales Gehör eingestellt. 


500. Eine Methode, die Gatheterisation der männlichen Harn¬ 
röhre möglichst leicht, sicher and reizlos aasznföhren, ist nach einer 

der AUg. med. Centr.-Ztg. 1880 , 40, gewordenen Mittheilpng des Herrn Dr. fia- 
berkorn (Glogan) folgende: Man verbindet den Catheter mit dem Irrigator, der 
etwa mit lpctg. Carboisäurelösung gefüllt ist. Unter dem Wasserdruck dehnt sich 
die Harnröhre, etwaige Schleimhautfalten werden ausgeglichen, und der Catheter 
gleitet leicht und sicher auf dem gangbar gemachten Wege iu die Blase. Das¬ 
selbe Priucip i*t bei Catheterisation des Oesophagus mit Vortheil zu verwerthen. 

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Medicinißch-chirurgische Run lisch aQ. 


501. Ueber ein wenig gekanntes pathognomoniscbes Symptom der 
Schenkelhalsfractar. Von Bezzi. (Lo Spalanzani 1880. Nr. 1 u. 2.) 

B. macht auf ein für Schenkelhalsfracturen pathognomonisches Symptom 
aufmerksam, das wenig bekannt ist. Mao untersuche das Spatium zwischen Tro¬ 
chanter und Crista ilei; während man an der gesnnden Extremität an dieser 
Stelle in Folge der Spannung des M. tensor fasciae latae und deB M. glntaens 
medius eine beträchtliche Resistenz findet, ist am gebrochenen Gliede da eine 
tiefe Einsenkung, hervorgerufen durch verminderte Spannung der genannten 
Muskeln, deren Ansatzpunkte sich genähert haben. 

502. Papilläre Wucherungen nach dem Verlauf der Nerven. 
Von Stephen Mackenzie. (Med. times and gaz. 1880, voL I. 
So. 1555, p. 451. Ctrlbl. f. Chir. 31.) 

Bei einem 16jährigen Knaben wurden papilläre Wucherungen von Steck¬ 
nadelkopf- bis Halberbsengrösse längs der rechten Hälfte des Penis und Scrotums. 
exact durch die Raphe abgegrenzt, gefunden. Sie erstreckten sich auch auf die 
rechte Hälfte des Perineums und der Lende. Am Oberschenkel finden sich eben¬ 
falls zerstreute papilläre Wucherungen. Ein Conglomerat von solchen ist innen 
an der Grenze des oberen und mittleren Drittels des Oberschenkels, ein zweites 
innen am Knie, ein drittes linear ausgebreitetes vorn oben am Oberschenkel, mit 
denen am Scrotnm zusammenhängend und evident dem Genito-crnralnerven folgend. 
Aussen ist Alles frei. An der rechten oberen Extremität erstrecken sich an der 
inneren Seite von der Achselhöhle bis zu dem Ellbogen trockene, braune Papillar- 
wncherungen herunter. Auch auf der hinteren Seite des Vorderarms befindet 
sich eine 3 Zoll lange, lineare Groppe solcher Excrescenzen. Dieselben sind von 
warzigem Aussehen, hellroth, mit wenig Schuppenbildung. Die Affectioa 
wurde wenig Wochen nach der Geburt bemerkt und breitete sich in der Folge 
weiter aus. Sie veranlasste häufig, und namentlich Nachts , ein störendes Jucken. 
Die Affection am Schenkel ist ein Mal für einige Jahre ganz verschwunden, dann 
aber wiedergekehrt. M. betont die Analogie dieser Erkrankung mit Herpes zoster 
in Bezog auf die dem Hautnerven folgende Ausbreitung, welche im vorliegenden 
Falle dem Gebiet des genito-crnralis, ileo-ingninalis, ischiad. und des cut. cruris 
int. und med. und an der oberen Extremität dem des intercosto-humer. und cut. 
intern, folgten. Ferner wird die Halbseitigkeit der Affection betont, die aef 
centralen Ursprung deutet, und das Intermittiren derselben. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 


503. Prof. Billroth : Ueber Tube reu lose. Sitzung der k. k. Gesellseh. J 
Aerzte in Wien, vom 17. April 1880. (Med. Wochenschr. 18.) 

Der Vortragende erklärt, dass er beabsichtige, mehr resnmirend über die 
neueren Bewegungen auf dem Gebiete der Tubercnlosenlehre zu sprechen, wobei 
er sich vorzugsweise an die Tuberculose der Knochen halten wolle, weiche für 
die Beobachtung günstigere Chancen biete, als etwa die Tuberculose der Lungen. 
B. sagt: Seitdem Bayle die Tuberculose für eine specifische Krankheit erklärt 
hat, seitdem hat man nicht anfgehört, sich mit diesem Gegenstände zu beschäftigen. 
Sehr viel Aufsehen machte seinerzeit die Arbeit von Buhl, der den Ausgang 
der acuten Miliartnberculose anf früher bestandene Herde bezog. Ich erinnere aa 
die Bewegung, die durch Niemeyer veranlasst wurde , der die käsige Pneumonie 
von der eigentlichen Tuberculose trennte. Auf histologischem Gebiete begann eine 
neue Bewegung, als durch Schüppel und Langbans behauptet wnrde, dass 
in den Tuberkeln ganz bestimmte, sogenannte specifische Elemente, eigentüm¬ 
liche Formen von Riesenzellen vorkämen. Die neueste Bewegung auf diesem 
Gebiete verursachte die Anschauung, dass der Tuberkel parasitären Ursprungs 
sei. B. geht in seinen weiteren Auseinandersetzungen von folgendem Falle aus: 
Vor bereits 2 Decennien wurde ein vierjähriges Kind mit einer massigen Coxitis 
aufgenommen; die Contractur war sehr gering, das Kind machte gar nicht den 
Eindruck eines Schwerkranken; gleichwohl ging es nach einigen Wochen unter 
den Erscheinungen der Meningitis zu Grunde. Wir fanden in der hyperämischen 
Substanz des Kopfes des Femur einen grossen käsigen Herd, in der Mitte des- 


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Medicinisch-chirurgische Bundschau. 


631 


selben einen Sequester, im Gelenke wenig Eiter, das Lig. teres schon zerfallen 
und ausserdem ausgebreitete Miliartuberkulose der weichen Hirnhäute, der Lunge, 
Pleura u. g. w., während wir in dem Gelenke nur geringe Veränderungen zu 
Anden erwarteten. Diese Combination ist uns heute allerdings bereits geläufig 
und es frägt sich, ob dieselbe ein blos zufälliger Befund sei B. bezieht sich 
hier auf seine diesfällige, vor einigen Jahren veröffentlichte, auf eine 16jährige 
chirurgische Th&tigkeit basirte Statistik; aus derselben geht hervor, dass B. bis 
dahin im Ganzen 713 Gelenkerkrankungen behandelt habe, u. zw. vertheilen sich 
dieselben wie folgt: 

Von diesen sind zeaiorben an 


Schultergelenk . . . . 

14 

PhthiBia 

3 

Meningitis 

Ellbogengelenk . . 

71 

33 

1 

Handgelenk .... 

37 

10 

— 

Fingergelenk . . . 

13 

3 

— 

Hüftgelenk . . . . 

. 168 

46 

8 

Kniegelenk 

231 

50 

4 

Fussgelenk . . . . . 

. . 116 

29 

2 

Metatarsusgelenk . . 

. . 63 

7 

— 


713 

181 

15 


Von diesen sind, wie theils aus eingezogenen, ziemlich verlässlichen Er¬ 
kundigungen, theils aus der eigenen Beobachtung B.’s hervorgeht, 181 Personen, 
also 25%, mit der Diagnose „Phthise“ gestorben. In 15 Fällen wurde die Diagnose 
„Meningitis“ durch die Section bestätigt. Auffallend gross ist die Zahl bei den 
nach Erkrankungen des Hüftgelenkes Verstorbenen. Die meisten von den Kindern, 
die an Miliartuberculose der Hirnhäute verstorben sind, hatten keine Eiterungen, 
sondern nur ganz versteckte Herde in den Knochen. Die gefährlichste Erkrankung 
(in Bezug auf den Tod durch Phthise) ist jene des Ellbogengelenkes. Von 
71 Kranken, die an Caries desselben litten, starben 33 an Phthise. Von der 
Richtigkeit seiner diesbezüglichen Beobachtung haben sich viele seiner Collegun 
überzeugt, die Anfangs glaubten, dass er übertreibe, ln neuester Zeit, auf dem 
letzten Chirurgencougresse, haben König und Esmarch dieselben Resultate 
mitgetheilt. Die Anschauungen nun über das Entstehen dieser käsigen Herde sind 
sehr verschieden. Man hat früher angenommen, es entsteht eine Entzündung durch 
Trauma oder in Folge der bestehenden Dyskrasie; das „entzündliche Product“ 
oder das „entzündliche Infiltrat“ zerfalle ausserordentlich schnell, und gehe die 
käsige Metamorphose ein. Man wusste aber nicht die Frage zu beantworten, warum 
dies geschehe; man musste sagen, es handle sich hier um eine Kategorie von 
besonders disponirten Menschen, scrophulösen und tuberculösen; die Specificität 
liege aber in den allgemeinen Eigenschaften dieser Individuen. Als es durch die 
genauen anatomischen Untersuchungen immer klarer wurde, dass diese Herde 
durch Znsammenfiiessen zahlreicher Miliartuberkeln entstehen, so sagte man, das 
specifische sei der graue Tuberkel, ein Entzündungsproduct, charakterisirt dadurch, 
dass es im Centrum rasch zerfalle; dies geschehe darum, weil, wie Schröder 
v. d. Kolk nachgewiesen, im Innern des Tuberkels keine Gefässe seien. Es war 
ein Fortschritt, als man annahm , diese kleinen grauen Knötchen entstehen dadurch, 
dass sich Elemente aus käsigen Herden auf dem Wege der Circulation ablagern, 
dass sich um diese zerstreuten Elemente Entzündungsherde etabliren. Die Haupt¬ 
frage, um welche es sich hier dreht, ist die: Was ist eigentlich das Specifische ? 
Die neueste Antwort hierauf lautet: Es sind kleine Organismen, die in den 
Kreislauf gelangen, sich deponiren, von Entzündungsproducten umgeben und 
abgekapselt werden, wenn sie nicht weiter wachsen. In den Fällen, wo die 
Vegetation eine sehr üppige ist, überwindet sie den reactiven Process, wächst 
weiter und fängt an zu zerstören. In anderen Fällen kommt es nicht zu einem 
weiteren Wachsthume, der Tuberkel wird eingekapselt und stirbt ab. Es handelt 
sich um den Kampf zwischen kleinen Organismen und dem Gewebe. Wie verhalten 
sich diese Organismen zu den einzelnen Geweben ? Hierüber haben uns Impf¬ 
versuche auf der Cornea aufgeklärt. Diese Versuche zeigen, dass in der That 
manchmal ein kleiner Vegetationsherd von Organismen vollständig localisirt bleibt ; 
in anderen Fällen entwickelt ein kleiner Impfherd eine colossale Energie, es 
producirt sich eine giftige Substanz, die nach 12—24 Stunden das Auge zu 
Grunde richtet. Die Umgebung von solchen Miliartuberkeln wird in der Regel 
in einen dauernden Reizungszustand versetzt oder sie wird abgekapselt. Das 
letztere ist bei den Knochpn häufiger. Allerdings wird nicht sofort eine Knochen¬ 
narbe um den ersten käsigen Herd entstehen, sondern es bilden sich üppige. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


schwammige Granulationen rings nm den Herd, welche diesen von der Lymph- 
circnlation abscheideu. In anderen Fällen bildet sich ringshemm eine sogenannte 
sclerosirende Schichte. Er habe früher die Entstehung käsiger Herde in Knochen 
und Miliartuberkeln sehr angezweifelt, muss aber nach den neueren Untersuchungen 
zugeben, dass dies wohl der Fall ist. Diese Erkenntniss haben wir nicht so 
sehr den pathologischen Anatomen zu danken, welche doch meistens diese Dinge 
nur in deren Endstadium kennen lernen, als vielmehr den Chirurgen, welche 
bei Resectionen, insbesondere wenn sie in einem frühen Stadium vorgenommen 
werden, die Anfangsstadien der Krankheit eher zu erkennen in der Lage sind. 
Die Annahme, dass es sich in diesen Fällen um eine diffuse Ostitis handle, die 
man früher Ostitis caseosa nannte, oder dass es sich ursprünglich um ein Extra¬ 
vasat gehandelt hat, diese Annahme ist wahrscheinlich nicht zulässig. Auch 
rücksichtlich der früher von ihm Rogenannten subchondralen Ostitis habe er 
gemeint, dass es sich um eine einfache Granulationswucherung handle, er muss 
aber zugeben, dass auch dieser Fall als Miliartuberkel gedeutet werden kann. 
Er habe auch in den Lymphdrüsen früher niemals die eigentlichen grasen 
Tuberkeln finden können und zweifelte daher, ob die gelben verkästen Lymph- 
drüsen auch miliartuberculosen Ursprunges sind. Wenn man aber feinere Schnitte 
aus der unmittelbaren Umgebung solcher käsigen Herde macht, so wird man jene 
Elemente finden, die als charakteristisch für die Tuberculose angegeben werden, 
nämlich die sogenannten Riesenzellen, eine Anhäufung von Protoplasma mit 
einer grossen Menge von Kernen. Allerdings darf hiebei nicht übersehen werden, 
dass nicht alle Riesenzellen für den Tuberkel charakteristisch sind. 

Was den Ausdruck „Verkäsung“ betrifft, so würde man sehr irren, wenn 
man Alles, was gelb, breiig und trocken ist, als Verkäsung auffassen würde. 
Es gibt in vielen Ge-chwülsten zahlreiche gelbe Herde, die nichts mit der Ver¬ 
käsung zu thun haben ; der Unterschied zwischen diesen und den tuberculösen 
Herden liegt darin, dass in letzteren keine Vascularisation vorhanden war und 
daher auch keine Blutbestandtheile, wie in jenen, Zurückbleiben. Nicht jede 
Ostitis bei Tumor albus ist tuberculöser Natur, wie z. B. die rareficirende Ostitis 
durch entzündliche Atrophie oder Osteomalacie und die durch Granulations- 
Wucherung des Knorpels von der Synovialmembran ans zu Stande kommende 
Gelenkaffection. B. übergeht nun zur Besprechung der Frage, wie es von einem 
einzigen Tuberkelherde aus zur allgemeinen Infection komme. Nach der Ansicht 
der Einen handelt es sich in Fällen, wo Tnberkelherde gleichseitig in mehreren 
Organen gefunden werden, nicht um Metastasen, sondern um eine gleichzeitige 
Erkrankung mehrerer Organe. Es ist aber genügend bekannt, dass eine Propagation 
der Tuberculose von Einem Herde aus ganz unverkennbar ist. Die plattenformige 
Ausbreitung der Tuberculose im Peritoneum, die Infection einer Fläche des 
Brustfelles durch die anliegende erkrankte u. s. w. sprechen dafür, dass es sich 
um ein Centrum handelt, von dem au* die Infection sich verbreitet. Es bleibt 
kaum etwas anderes übrig, als anzunehmen, dass die Metastasen bei der Tuber¬ 
culose auf demselben Wege zu Staude kommen, wie beim Carcinom, nämlich auf 
dem Wege des Transportes. Allerdings kennen wir eine Anzahl von löslichen 
Substanzen, die eine specifische Wirkung auf einzelne Organe besitzen, allein in 
solchen Fällen handelt es sich immer um diffuse Processe, es kömmt nicht snr 
Entwicklung einzelner kleiner Herde. Für die Entstehung der metastatischen 
Tuberculose spricht auch noch der Umstand, dass diejenigen Organe, welche 
bei anderen Metastasen so ziemlich ausgeschlossen sind, es auch bei der Tuber¬ 
culose Bind. Bei Pyämie kommen in den Muskeln, im Uterus, in den Speicheldrüsen, 
in der Mamma keine metastatischen Abscesse vor; ebenso gehören Tuberkeln in 
diesen Organen zu den grössten Seltenheiten. Es fragt sich, was hier verschleppt 
wird? Buhl glaubt, dass es Detritus ist. Die enormen Massen von kleinen 
Elementen, die hier anftreten, sind ein Moment, welches uns den Gedanken nahe 
legt, dass es sich um Organismen handelt. Die Verschwemmung erfolgt wahr¬ 
scheinlich zum grössten Theile durch die Blutbahn, denn die meisten Tuberkel 
finden sich gerade in unmittelbarer Nähe der Gefässe. Auf die Frage, woher der 
Mensch die Tuberculose bekomme, wurde vielfach geantwortet, dass hochgradige 
Tuberculose ihre Umgebung inficiren könne. B. selbst hat Fälle beobachtet, die 
nicht anders zu deuten sind. Es ist übrigens nicht unmöglich, dass die Kinder 
die Tuberculose auch durch den Genuss von Milch acquiriren können, welche 
von Kühen stammt, die an der Perlsncht leiden. Diese Krankheit steht der 
Toberculose sehr nabe. Zum Schlüsse bespricht Redner die bezüglich der Tuber¬ 
culose angestellten Impfversuche, aus welchen hervorgehe, dass Organismen 
mindestens als Träger des Krankheitsstoffes in Frage kommen. Die Idee, dass das 
Specifische des Tuberkels in parasitären Vegetationen liegt, sei nicht abzuweisen. 


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Medicinisch-chirurgische Bundschau. 


633 


Bin bestimmtes Urtheil werde erst dann gefällt werden können y wenn es gelungen 
sein werde, den Tuberkelpilz für sich allein darzustellen. Hiezu sei noch ein 
tüchtiges Stück Arbeit erforderlich. 


504. Prof. Maschka: Ueber Nicotinvergiftung. Aus der Sitzung des Ver¬ 
eines deutscher Aerzte in Prag vom 13. Februar 1880. (Prag. med. Wochen¬ 
schrift 1889. 8.) 


Redner schildert die Natur dieses heftigen Giftes der Tabakpflanze, in 
deren sämmtlichen Bestandtheilen es vorkomme, die chemischen Eigenschaften des 
reinen Nicotins, seine hohe Gefährlichkeit, geht nach einem geschichtlichen Rück¬ 
blick auf die Erscheinungen der acuten und chronischen Nicotinvergiftung über, 
bespricht den Unterschied der Nicotin- und Strychninintoxication und demonstrirt 
schliesslich an einem Kaninchen die Symptome und die sehr rasche Wirksamkeit 
der reinen Nicotinlösung. 

Prof. Zaufal bespricht die Erscheinungen, die das Tabakrauchen auf 
das Gehörorgan hervorbringt: vor Allem subjective Gehörsempfindungen, Schwindel, 
von der Nasenrachenhöhle aus entstehen durch directen Uebergang des chron. 
Nasen- und Rachenkatarrhs katarrhalische Affectionen der Tuba und Paukenhöhle; 
auch das Tabakschnupfen sei als Reizmittel der Schleimhaut zu verwerfen, abge¬ 
sehen davon, dass es auch bekannt sei, dass bis in die Paukenhöhle die Tabak¬ 
körner gelangen und hier mechanisch irritiren; den Schwerhörigen sei daher das 
Rauchen und namentlich das Tabakschnupfen zu verbieten. 

Dr. Bulowa hatte Gelegenheit, als Arzt der Tabakfabrik in Joachims¬ 
thal, wo über 500 Mädchen mit der Fabrikation von Cigarren beschäftigt sind, 
die Beobachtung zu machen, dass nicht selten, selbst schwere Fälle von Anämie 
ihm zur Behandlung kamen. Die Erscheinungen gaben sich als Muskelschwäche, 
namentlich der unteren Extremitäten, schleppender, wankender Gang kund, 
manchmal fand sich diese Muskelasthenie ohne anämische Zustände; das beste 
Mittel, diesem Symptome vorzubeugen, war das Fernbleiben aus der Fabrik, denn 
jeder Wiedereintritt verursachte baldige Wiederkehr der Erscheinungen. — Ein 
weiteres häufiges Symptom war das Auftreten von Krämpfen, namentlich der 
Vorderarmmuskulatur, deren Natur mehr durch eine Intoxication, als vielleicht 
durch die Ermüdang und Ueberanstrengang der Muskeln beim Cigarrenrollen 
bedingt zu sein scheint, weil ja z. B die Spitzenklöpplerinnen, deren es in dieser 
Gegend sehr viele gebe und die gewiss ihre Vorderarmmuskulatur anstrengen und 
ermüden, nicht an diesen Krämpfen leiden. Ebenso beobachtete er Erweiterung 
der Pupillen, Gesichtskrämpfe, ja einmal sogar allgemeine Krämpfe. 

Doc. Dr. Petri na erinnert an 2 im Archiv für Psychiatrie vom Sanitäts¬ 
rath Richter mitgetheilte Fälle von chron. Nicotinvergiftung, von denen 
namentlich der eine interessant sei, weil er zur Section führte. Es handelte sich 
um einen Mann, der von Jugend an gewohnt war, die schwersten Cigarren zu 
rauchen und an einer mit Neuralgie, Beklemmungen, Präcordialangst, Zittern, 
vollständiger Schlaflosigkeit, Athem- und Pulsfrequenz, beginnender Abmagerung 
einhergehenden chronischen Nicotinvergiftung litt. Nur ein energisches Aussetzen 
des Rauchens eiuige Zeit hindurch verschaffte einen vorübergehenden Stillstand 
der Symptome, doch wollte sich der in Rede stehende Kranke der Abstinenz 
nicht gewissenhaft unterziehen; sein Zustand verschlimmerte sich unter hoch¬ 
gradiger Abmagerung immer mehr und führte nach längerer Zeit unter allgemeiner 
Anämie zum Tode. Die Obduction ergab die hochgradigste Anämie des Gehirnes 
und Rückenmarkes, ein Befund, der den physiologischen Experimenten mit diesem 
Gifte entspricht, indem durch das Gift ein Krampf der peripheren Gefässe herbei¬ 
geführt werde. — Der 2. Fall zeigte ähnliche Erscheinungen, die unter der von 
Richter ein geleiteten, sehr zweckmässigen Kaltwasserbehandlung vollständig 
ceBsirten. 

Doc. Dr. Popper bemerkt, dass Zenker eine eigenthümliche Lungen¬ 
erkrankung, die sogenannte Tabacosis pulmonum zuerst beschrieben, wo die Lunge 
bräunliche Flecke darbiete, die sich als Fremdkörpermassen, Tabakstaubanhäufung, 
constatiren Hessen. Die Anämie bei Nicotinvergiftung werde von Schwaabe 
bestritten. Die Fingerkrämpfe glaubt Redner als Coordinationsneurose erklären zu 
müssen, da sie ja bei anderen vielbeschäftigten Handarbeiterinnen ebenfalls Vor¬ 
kommen, z. B. bei Blumenmacherinnen. 

Dr. Bulowa entgegnet, dass er namentlich bei jenen Mädchen, die als 
die jüngsten Arbeiterinnen gerade das Cigarrenwickeln besorgen, am häufigsten 
diese Muskelkrämpfe beoachtet habe, bei älteren, denen diese Arbeit nicht mehr 
zukomme, dagegen seltener. 


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634 


Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


Dr. Lazansky erwähnt, dass bei luetischen Tabakrauchern im Rachen, 
Kehlkopf, an den Nasenmuscheln Plaques Vorkommen, die man der Einwirkung 
des Tabakrauchens, namentlich beim Rauchen durch die Nase zuschrieb. Solche 
Affectionen kommen bei luetischen Weibern nicht vor. 

Doc. Dr. Arn. Pick macht die Bemerkung, dass neuester Zeit die Tabak* 
emblyopie eine durch die Statistik genügsam bewiesene Thatsache sei. 

Prof. Gussenbauer bemerkt, dass Dornblüth in Deutschland der 
erste war, der die Symptome der chronischen Tabak Vergiftung eingehend 
zusammenfasste. 


PROGRAMM 

der 

53. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte 

für den 17. bis 24. September 1880 

zu Danzig. 


Medicmische Sectionen. 

XIII. Sectlon: Anatomie und Physiologie. 

Sectionsführer: Dr. Bramson. Schriftführer: Dr. Block. 


1. Professor Kupffer-Königsberg: Ueber Epithel und Drüsen des menschlichen 

Magens. 

2. Dr. Bö hm-Königsberg. Demonstration von Präparaten über Nervenendigungen. 

3. Professor Landois-Greifswald: Physiologie der Schreibbewegung. 

4. Dr. Brösi cke-Berlin : Ueber Conservirnng anatomischer Präparate mit Hilfe 

der Wickersheim’schen Flüssigkeit. 

XIV. Section: Pathologische Anatomie und allgemeine Pathologie. 

Sectionsführer: Oberarzt Dr. Freymuth. 

1. Professor Dr. Ponfick-Breslau: a. Ueber Actiuomycose des Menschen und 

der Thiere. 
b. Ueber Chylurie. 

2. Docent Dr. Baum garten-Königsberg: Ueber die anatomischen Beziehungen 

zwischen Syphilis und Ti bereulose. 

XV. Seotion: innere Medicin und Hautkrankheiten 

Sectionsführer: Dr. Piwko. Schriftführer: Dr. Loch. 

1. Professor Dr. P onfick - Breslau, Ueber peritoneale Transfusion beim Menschen. 

2. Professor Dr. Mos ler-Greifswald: Thema Vorbehalten. 

3. Docent Dr. Schreib er-Königsberg: Ueber transitorische Encephalo - und 

Myelo-Pathieen. 

XVI. Section: Chirurgie. 

Sectionsführer: Dr. Banm, Chef-Arzt des städt. Lazareths. 

1. Dr. Bee ly-Königsberg: Demonstration orthopädischer Apparate. 

2. Dr. Hy d y gier-Culm: a. über antiseptische Resection tuberculöser Gelenke, 

speciell des Kniegelenkes, 
b. Demonstration voq Präparaten. 

3. Professor Küs t er-Berlin: Thema Vorbehalten. 

4. Dr. Baum-Danzig: Ueber Exstirpation des ganzen Uterus von der Scheide 

aus, mit Demonstration der Operirten und des Präparates. 

XVII. Section: Gynaekologie. 

Sectionsführer: Dr. Ab egg. Schriftführer: Dr. Hein. 

1. Professor Dr. Fritsch-Halle: Demonstration von Apparaten und Instrumenten. 

3. Dr. Ab egg-Danzig: Ueber angeborene Sacralgeschwülste uud Demonstration 
des Schliewener* Kindes. 

XVIII. Section: Psychiatrie und Neurologie. 

Sectionsführer: Dr. Wallenberg. 

Professor Rosenstein-Leyden: Ueber Hydrocephalus. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


635 


XIX. Sectlon. Paediatrie. 

Sectionsführer: Dr. Scheele. 

1. Professor Dr. Demme-Bern: Ueber das Verbältniss der Scharlach-Diphtheritis 

zur idiopathischen Diphtheritis. 

2. Dr. Steffen-Stettin: Ueber Myocarditis. 

3. Professor Dr. Henni g-Leipzig: Die Schätzung der Säuglinge durch Carbol- 

nebel in Familien, wo Trennung acut exanthematisch erkrankter Angehöriger 
von den Gesunden unmöglich. 

4. Dr. Soltmann-Breslau: a. Ueber physiologische Eigenthtimlichkeiten des 

Nervus sympathicus bei Neugeborenen, 
b. Ueber Scorbut und Scorbut-Infection. 

5. Professor Dr. Thomas-Freiburg: a. Ueber Enuresis nocturna. 

b. Ueber Varicellen. 

6. Professor Dr. War schauer-Krakau: Ueber Variola. 

7. Dr. Bie dert-Hagenau: Ueber Chinin-Einspritzungen. 

8. Dr. Schmeidl e r-Breslau: Ueber Meningitis tuberculosa. 

9. Referate über die Ernährungsfrage, von Professor Dem me, Dr. Soltmann, 

Dr. S teffen. 

XX. Sectlon: Ophthalmologie. 

Sectionsführer: Dr. Schneller. 

Dr. Magnus-Breslau: Ueber Einheilung enucleirter Bulbi. 

XXI. Laryngologie, Otiatrie, Rhlnologie. 

Sectionsführer: Dr. Tornwaldt. 

Professor Rossbach-Würzburg: Ueber Anästhesirung des Rachens und Kehl¬ 
kopfes. 

XXII. Section: Oeffentliche Gesundheitspflege und Staats-Arzneikunde. 

Sectionsführer: San.-Rath Dr. Semon. 

*. Dr. Li 6 vin-Danzig: Thema Vorbehalten. 

Dr. Schi eff erdecker-KÖnigsberg: a. Ueber die Todesursachen in grossen 

Städten. 

b. Ueber die Cholera im Verhältniss zu 
Grundwasser und Bodenwärme. 

3. Dr. Wemi ch-Berlin : Ueber specifische Desinfection. 

4. W i e n er - Cnlm: Ueber die den Arzt interessirenden Paragraphen der Reichs- 

Medicinal-Gesetze und die Stellung der Medicinalbeamten zu denselben. 

XXIII. Militär-ärztliche Section. 

Sectionsführer: Ober-Stabsarzt Dr. Ewermann. Schriftführer: Ober-Stabsarzt 

Dr. Hägens. 

1. General-Arzt Dr. Ro th-Dresden: Ueber die wichtigsten Erscheinungen auf 

dem Gebiete des Militär-Sanitäts-Wesens im Jahre 1880. 

2. Ober-Stabsarzt Dr. M ü 11 er-Posen: Ueber den Carbolismus. 

3. Assistenz-Arzt Dr. Nicolai-Cassel: Ueber Nachbehandlung der Hüftgelenk- 

Resection, mit Demonstration. 


Der Redaction eingesendete neu erschienene Bücher und Schriften. 


Albu Dr. J. : Beschaffung guter Milch zur Ernährung und Gesund¬ 
erhaltung der Kinder durch den patentirten Berthling’schen luftdicht 
vergeh liessbaren Milchkochapparat. Ein Beitrag zur Kinder-Diätetik. Berlin. 
Verlag von R. Damköhler. 1880. 

Archives of Laryngology. Edited by Lonis Eisberg M. D. New-York, 
in conjnnction with many collaborators. Issued quarterly. New-York. G. P. 
Putnam’s Sons. Vol. I, N. 1. 1880. 

Baas, Johann Hermann Dr.: Leitfaden der Geschichte der Medicin. 
Mit Bildnissen in Holzschnitt und Facsimiles von Autographen. Stuttgart. 
Verlag von Ferdinand Enke. 1881. 

Börner, Dr. Paul in Berlin: Jahrbuch der praktischen Medicin. 
Unter Mitwirkung mehrerer Gelehrten. Jahrgang 1880. Stuttgart. Verlag von 
Ferdinand Enke. 1880. 

Clemens, Dr. Theodor: Ueber die Heilwirkungen der Elektricität 
and deren erfolgreiche methodische Anwendung in verschie¬ 
denen Krankheiten. Frankfurt a. M. Verlag von F. B. Auffahrt. 1879. 


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636 Medicini8ch-chirurgische Rundschau. 

Conrad, Dr. Docent für Gynäkologie in Bern und Dr. Rapin, Vorsteher der 
Entbindungsanstalt in Lausanne. Skizzen zum Einzeichnen geburts¬ 
hilflicher und gynäkologischer Befunde. Bern, Leipzig und Stutt¬ 
gart. J. Dalp'sche Buch- und Kunsthandlung (K. Schmid). 1880. 

Duncan J. Matthews, Prof, der Geburtshilfe und Gynäkologie am St.Bartho¬ 
lome vrs Hospital in London: Klinische Vor träge über Fraue nkrank- 
beiten. Autorisirte deutsche Ausgabe von Dr. F. Engelmann, Arzt zu 
Kreuznach. Berlin 1880. Verlag von August Hirschwald. 

Gerber, Dr. Niclas: Chemisch-physikalische Analyse der verschiedenen Milch¬ 
arten und Kindermehle unter besonderer Berücksichtigung der Hygiene 
und Marktpolizei. Ein Buch aus der Praxis für Chemiker, Apotheker, Aerste, 
Sanitätsbeamte und Unterrichts-Anstalten. Mit 11 Abbildungen, 4 Tabellen 
und Analysen. Bremen. Verlag von M. Heinsius. 1880. 

Godeffroy, Dr. Richard, Vorstand des ehern. Laboratoriums des allg. österr. 
Apotheker-Vereines: Compendium der Pharmacie. Chemisch-phanna- 
ceutische Präparatenkunde. Mit Berücksichtigung der Pharmacopoea Austriaca, 
Hungarica, Germanica und der österreichischen Militär-Pharmacopöe. Mit er¬ 
läuternden Illustrationen nebst Sammlung der wichtigsten Apotheker-Gesetze. 
Zum Gebrauche für Medicinalbeamte, Apotheker, Aerzte, Droguisten und für 
Studirende der Pharmacie und Medicin. Lieferung 1—4 incl. Wien 1880 
Verlag von Moriz Perles. 

Heller, Dr. K., Badearzt in Teplitz: Teplitz-Schönau, vorwiegend medici- 
nisch, zugleich geschichtlich und topographisch abgehandelt. Teplitz. Verlag 
von Ernst Pörzler. 1880. 

Jahresbericht, Achtu nddreissigster des unter dem hohen Schutze Ihrer 
kaiserl. königl. Hoheit der durchlauchtigsten Frau Erzherzogin Maria Carolina 
stehenden St. Josef unentgeltlichen Kinderspitales in Wien und 
des damit verbundenen Dr. Bichler’schen Kinderwärterinnen Bildungs-Institutes 
für das Jahr 1879. Selbstverlag der Anstalt. Druck von Ludwig Mayer. 

Klebs, Dr. E., Prof, in Prag: Beiträge zur pathologischen Anatomie. 
Mittheilungen aus dem k. k pathologisch-anatomischen Institut der Univer¬ 
sität Prag. II. Heft. Piag. Verlag von H. Dominicus. 1880. 

Lab us, Cav. Carlo, Docente di Laringoscopia: Sullo scorticamento de Ile 
corde vocali. Milano. Typografia Agnelli. 1880. 8°. 24 p. 

Potoönik, Dr. Josef, k. k. Linienschiffsarzt: Statistischer Sanitäts-Be¬ 
richt der k. k. Kriegs-Marine für das Jahr 1878. Im Aufträge des 
k. k. Reichs-Krieg8-Ministeriums (Marine-Section). Wien 1880. In Commission 
bei Wilhelm von Braumüller & Sohn. 

Schema zum Einzeichnen pathologischer Befunde der Brust- und Baucheinge¬ 
weide. Bern, Leipzig und Stuttgart. J. Dalp'sche Buch- und Kunsthandlung 
(K. Schmid). 1880. 

Volkmann, Richard: Sammlung klinischer Vorträge. 180. Epstein, Alois: 
UeberdieGelbsnchtbeineugebornenKindern. 181. KnssmaulA: 
Die peristaltische Unruhe des Magens. 182. Burckhardt-Merian, 
Alb.: Ueber den Scharlach in seinen Beziehungen zum Gehör¬ 
organ. Leipzig. Verlag von Breitkopf und Härtel. 1880. 

Waldner Dr. F.: Ueber Ernährung und Pflege des Kindes in den 
ersten zwei Lebensjahren. Innsbruck. Verlag der Wagner’schen Uni¬ 
versitäts-Buchhandlung. 1880. 

S&mmtliohe hier angeführte Büoher sind in bestehen dnroh 
die Baohhandlung Urban ft Sohwarsenberg ln Wien, X., Maxi« 
milianstrasse 4. 


Berichtigung. 

Auf S. 305, 4. Z. v. u. statt Dr. Padhorst in Flensberg, richtig Dr. 
MordhorstinFlenBburg. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. Vincenz Fink. 

Rinsendnngen an die Redaction sind zu richten: Wien, I., Maximilianstrasae 4. 


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Mediciuisch-chirurgische Bnndschan. 


637 



NATÜRLICH 
KOHLENSAURES MINERAL-IVASSER. 

Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 

D, 1« K ‘ K ' Krankenhauses > “ Wieden.” {Prot, z, 

NOTE. 

Apollinaris'Säuerling wurde währenddes Sommers 1879 im K. K. Krankenhause 
Wieden auf den medicintschen Abtheilungen der Herren Doctorcn Ritter von Eisenstein 
und Oehnger, und auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Er. Moselif 
Rti/er von Moorhof und des Herrn Er. Kumar angewendet. Aus den diesfalls einresen- 
deten Berichten dieser Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollinaris-Wasser 
sich durch seine Reinheit und seinen Wohlgeschmack, insbesondere aber 
durch seinen ausserordentlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jetun Fällen den Vorzug 
verdiene, in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
Wasser hat sich insbesotidere als kühlendes, erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften aaiten Erkrankungen erwiesen, und wurde bei catarrhalischen 
Affectionen der Athmungs-, der Vcrdauungs- und H am organe mit gutem 
Erfolge angeiuendet. Wien, am 29. Dezember 1879. 

. . _ . _ . , Dr. F. W. Lorinser. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen 

Ho tü?- th Un 'Y--P ro f- Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald. 

Wien : “Ich bestätige hiermit, dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Kohlensäure ist, und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für Gesunde, und 
sehr kräftigend für Reconvalescenten mit geschwächter Verdauung sich 
mir enuiesen hat. 26. Januar 1880.” A 

Hofrath Univ.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wien: “ Das Apollinaris- 

Wasser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher bei allen jenen 
Krankheiten Anwendung finden, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind. 26. Januar 
1880. ** 


Prof. Dr. Josef Seegen, Wien: “ Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 
bei Neuenahr ist seiner Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersättigung mit aus der Quelle gewonnener Kohlensäure steht cs den 
Sodarwässem nahe, und ist diesen als hygienisches Getränk vorzuziehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure. Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verivcndet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlen¬ 
säuregehalt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spaeth, Wien : “ Das Apollinaris-Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohletisäurereichcr Natronsäuerling, von jedem Nebengeschmäcke frei, 
und bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: “ Das natürliche 

Apollinaris-Wasser eignet sich ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
und wird auch bei Schwäche der Verdauung sehr gut vertragen. 20. Juli 1879.” 


Gen. -Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. V. Nussbaum, München: 

“ Ausserst erquickendes und auch nützliches Getränk, weshalb ich es bestens empfehlen 
kann. ” 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: “Als erfrischendes 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt es unter den Mineralwässern sicherlich 
den ersten Rang ein. 16. März 1879.” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin : * 1 Sein angenehmer 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vortheilhaft aus. 24. Dezember 1878.” 


Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc 

die APOLLINARIS COMPANY, \ LIMITED; 
Zweig-Comptoir, Remagen a. Rhein. 


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638 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Im Y erläge von Urban k 8 oh war zenbarg in Wien, Maximilian- ~ 
strasse Nr. 4, ist erschienen: 

Lehrbuch der Augenheilkunde 

für praktische Aerzte und Studirende. 

Von 

D* S. KLEIN, 

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IM K. K. WIKHEB ALLO EM. KRAHKEXHAUHE, MITGLIED DBB OPHTHALMOLOGIÄOHES GESELLSCHAFT (1 
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Mit 45 in denText gedruckten Holzschnitten. 

50 Druckbogen in gr. 8. 

Preis 12 M. = 7 fl 20 kr. ö. W., in eleg. engl. Leinenbande 14 M. = 8 fl. 40 kr. 9. W. 


Bei den immensen Fortschritten der zu einer ausgedehnten Specialwissenschaft 
angewachsenen Augenheilkunde war es für den Verfasser keine kleine Aufgabe, eia 
Lehrbuch zu schreiben, welches, auf der Höhe der Wissenschaft stehend, in nicht 
zu voluminöser Form den Bedürfnissen des Studirenden und des praktischen Antes 
durchweg genügen sollte. Diese Aufgabe hat Verfasser, gestützt auf eine vieljährige 
gründliche Erfahrung, in ausgezeichneter Weise erfüllt, und stehen wir nicht an, 
vorliegendes Buch als das beste aller neueren Handbücher der 
Ophthalmologie zu bezeichnen, da es eine klare anziehende Dar¬ 
stellung mit wissenschaftlicher Correctheit vortheilhaft in sich 
vereinigt. Dass Verfasser, ein Schüler Jäger’s, in seinem Buche hauptsächlich 
die Richtung der Wiener Schule einschlägt, ist natürlich; derselbe ist jedoch 
weit davon entfernt, dieser den alleinigen Vorrang einzuräumen, vielmehr werden 
auch die Forschungen anderer Lehrer und die Arbeiten jüngerer Generationen 
gebührend berücksichtigt. — Dem eigentlichen Haupttheil des Lehrbuches sendet 
der Verfasser als Einleitung einen kurzen Abriss der physiologischen Optik 
voraus, in dem er sich besonders eingehend mit dem Accommodationsmechaninmns 
und der Brillenlehre beschäftigt. Was nun den Hanpttheil des Lehrbuches, die 
Pathologie und Therapie der Augenkrankheiten anbetrifft, so lässt derselbe in 
der That an Klarheit der Diction und wissenschaftlicher Gründlichkeit nichts 
zu wünschen übrig. Verf. führt uns in 13 Capiteln, von denen sich eines anf 
die Refractions - und Accommodationsanomalien bezieht, die Erkrankungen des 
Auges in der Weise vor, dass er jedem Capitel eine kurze anatomische Beschreibung 
des betreffenden Theiles vorausschickt und dann streng systematisch zu den ein* 
zelnen Krankheitsformen übergeht. Durch die scharfe Trennung der Aetiologie 
Symptomatologie und Therapie gewinnt er hierbei den Vortheil, das Thema zu 
einem sehr übersichtlichen nnd leicht einprägbaren darzustellen, ein Umstand, der 
dem Stndirenden von grossem Nutzen sein dürfte. Besonders hervorzuheben ist, 
dass er der pathologischen Anatomie überall, wo es angeht, einen gebührenden 
Antheil zukommen lässt, nnd anch schwierigere Fragen eingehend behandelt. Bei 
den Krankheiten des inneren Auges wird jedesmal der ophthalmoskopische Befand 
genau erörtert und durch Zeichnungen, die meistens dem Jäger'sehen Atlas ent¬ 
nommen sind, erläutert. Im Uebrigen sind besonders die Krankheiten des Sehnerven 
nnd der Retina meisterhaft beschrieben und anch die in neuerer Zeit genauer erst 
bekannt gewordenen Amaurosen nnd Amblyopien nicht unberücksichtigt geblieben. 
Besonders ausführlich behandelt Verf. das Glaucom, und wohl nicht mit Urfrecht, 
denn bei keiner Angenkrankheit ist eine richtige Diagnose nnd die Therapie von 
grösserer Wichtigkeit wie beim Glaucom. Ebenso genau finden wir die Reffactions- 
und Accommodationsanomalien besprochen, und zwar wird hier besonders die praktische 
Seite, „Bestimmung des Refractionszustandes, Answahl der Brillen, Ursache der 
Myopie etc. u ins Auge gefasst. Dass auch die Operationslehre vortrefflich ausgefübrt 
wurde, liess sich hei der Gründlichkeit des Lehrbuches nicht anders erwarten. — 
Zum Schlüsse können wir nicht umhin, auf die elegante Aus¬ 
stattung und den schönen Druck aufmerksam zu machen. — Somit 
können wir das Handbuch allen Studirenden nnd Aerzten, die sich mit der Augen¬ 
heilkunde bekannt machen wollen, bestens empfehlen, und wird anch deijenige 
mannigfache Anregung finden, der mit dem Gegenstand bereits vertrant ist. 

— (Breslauer ärztliche Zeitschrift, IS79, Nr. 10.) 








Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


639 


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Von 

Dr. LUDWIG KLEINWÄCITES, 

Professor an der Universität Innsbruck. 

Gr. 8. 448 Seiten. — Preis 5 fl. ö. W. = 10 Mark. — Eleg. geb. 6 fl. 


Angezeigter Grundriss vermag in jeder Beziehuuug den bekannten nnd ge¬ 
bräuchlichen Lehrbüchern von Spiegelberg nnd Schröder Concurrenz zn machen. 
Der Verf. hat sich fern gehalten von allen Hypothesen und Controversen, weil dies 
nur dazu dient, den Anfänger zu verwirren; er gibt blos das Feststehende nnd 
Positive. Studenten dürfte dies Buch ein willkommener Mentor sein, sie in das 
Studium dieser Disciplin einzuführen ; nicht minder dürfte es sich als compendiöses 
Eepertorium empfehlen für solche praktische Aerzte, welchen es au Zeit gebricht, 
dicke Bücher zu lesen, und die dennoch das Bedürfuiss in sich fühlen, mit dem 


neuesten Standpunkte der Wissenschaft sich vertraut zu machen. 

Ebenso einfach und logisch, wie die Eintheiluug des Buches, ist die Art 
und Weise, wie Verf. seinen Gegenstand vorträgt. Was die Schrift vorzüglich aus¬ 
zeichnet, ist, dass der Autor überall zeigt, dass er nicht blos das Neueste weiss, sondern 
eine gediegene Kenntniss der älteren gynäkologischen Literatur sich angeeignet hat. 

Rühmlichst müssen die glänzende Ausstattung und der dabei mässige Preis 
des Buches hervorgehoben werden. Da in Deutschland auf Beides oft noch sowenig 
Werth gelegt wird, so verdient dies eine besondere Anerkennu^g^der Verlags¬ 
buchhandlung. (_AlIg Med. Central-Zeitung tt /^J7, Nrj 49.) 

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640 


Medicmisch-cMrurgische Rundschau. 


Im Verlage der HAHITsohen Baohhandlmig in Hannover ist 
soeben vollständig geworden und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 

Handbuch. 

der menschlichen Anatomie 

von 

Dr. med. Carl Friedr. Theod. Krause, 

weil. Geh. Obermedicinalrath nnd Professor der Anatomie zu Hannover. 

Dritte durchaus nach eigenen Untersuchungen neu bearbeitete Auflage von 

W. Krause, 

Professor in Göttingen. 

3 Bände, gr. Lex.-Format mit 900 Figuren in Holzschnitt Preis 44 Mark. 
Jeder Band ist einzeln zu haben. 

Erster Band: Allgemeine und mikroskopische Anatomie, mit 302 Figuren. 

1876. Preis 14 Mark. 

Zweiter Band: Specielle und makroskopische Anatomie. Hit 571 Figuren. 

1879. Preis 22 Mark. 

Dritter Band: Racen-Anatomie, Extremitäten, Varietäten und TabeUen, mit 
25 Figuren. 1880. Preis 8 Mark. 151 

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URBAN & SCHWARZENBERG, 

Wien I., Maximill&nstr&sse Nr. 4. 


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praktische Aerzte, Apotheker nnd Studirende. 


Dr. W. F. LOEBISCH, 

Professor für angewandte medicinische Chemie an der k. k. Universität Innsbruck. 
238 Seiten. Mit 26 Holzschnitten. — Preis 2 fl. 50 kr. ö. W. = 5 M. 
Elegant gebunden 3 fl. 30 kr. = 6 M. 60 Pf. 

Diese r Anleitung“ wird sich unter dem in der Ueberschrift genannten Publikum 
sicherlich viele Freunde erwerben, denn sie gibt in klarer nnd übersichtlicher Form 
nnd überall auf dem Boden der neuesten Untersuchungen stehend, nicht nur alles Wissens¬ 
werte betreffs der praktischen Ausführung der Harnanalyse, von der physikalischen 
zur chemischen Untersuchung fortschreitend, sondern hat vor ähnlichen Lehrbüchern 
z. B. Nenbaner nnd Vogel’s Anleitung zur Harnanalyse, das voraus, dass die ein¬ 
zelnen Capitel mit kurzen physiologischen Bemerkungen eingeleitet sind, und, soweit 
dies angeht, auf die pathologische Bedeutung abnormer Befände hingewiesen ist. Druck 
und Papier sind vorzüglicn nnd anf die Strapazen eines Laboratorium>Aufenthaltes' 
berechnet; die eingestreuten Holzschnitte sauber nnd correct in der Darstellung. 

(„Berliner klinische Wochenschrift“ 1878, Nr. 8.) 


Druck von G. Gistel & Co. 

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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 

505. Die acute Peritonitis des späteren Eindesalters. Von Dr. 
R. Pott. (Jahrb. f. Kinderheilk. 14. Band. Neue Folge, Archiv f. Kinderhk. 
pag. 157. I. Bd., 7. und 8 Heft.) 

Verfasser bespricht 6 Falle von Peritonitis, welche er bei Kindern 
im Alter von 2—6 Jahren beobachtet hat, und er betont hiebei das 
seltenere Vorkommen dieser Erkrankung im späteren Kindesalter. In 
obigen Fällen war die Bauchfellentzündung einmal nach Typhus abdominalis 
aufgetreten, ohne dass eine Perforation des Darmes vorausgegangen 
wäre, in einem anderen Falle hatte sie sich nach einer Perforation des 
Processus vermicularis entwickelt, und in einem dritten Falle war sie 
nach einer Sondirung bei einer Strictur des Oesophagus entstanden, weil 
oberhalb der Cardia ein falscher Weg gebohrt worden war, welcher direct 
in die Bauchhöhle führte. In den übrigen 3 Fällen konnte man keine 
Gelegenheitsursache auffinden. Nur bei der Perforations-Peritonitis kam 
es gleich Anfangs zu stürmischen Erscheinungen, während in den übrigen 
Fällen das Krankheitsbild sich erst allmftlig entwickelte. Die Kinder 
erkrankten unter heftigem Fieber, wurden unruhig, eigensinnig, waren 
äusserst ängstlich in ihrem Gesichtsausdrucke und suchten jede Berührung 
mit den Händen von sich abzuwehren. Bios in 2 Fällen begann die Er¬ 
krankung mit Erbrechen, und auch im späteren Verlaufe stellte sich 
dasselbe nur selten ein, so in einem Falle erst in der 6. Woche und in 
einem andern Falle hatte das Kind während der ganzen Dauer der 
Krankheit (13 Wochen) nur 3mal gebrochen. Bei keinem Patienten hatte 
die Stuhlverstopfung lange gedauert, im Gegentheil bekamen die Kinder 
gegen das Ende der Erkrankung oft äusserst heftige und lästige Diarrhöen. 

Der Nachweis der erfolgten Exsudation war in 4 Fällen mit chroni¬ 
schem Verlaufe nicht vor Ende der ersten Woche möglich. Bei zwei 
begann die Dämpfung in der Ileocöcalgegend, in einem andern stieg sie 
von der Symphyse nach dem Nabel zu allmälig aufwärts. Die Grösse des 
Exsudates war verschieden und liess sich bei der Rückenlage des Pa¬ 
tienten manchmal nicht bestimmen. Bei einer beginnenden Abkapselung 
bildeten sich mehr wurstförmige Erhebungen, welche bald in der linken, 
bald in der rechten Darmbeingegend, bald um den Nabel herum, bald 
oberhalb der Symphyse deutlicher hervortraten. Von den besprochenen 
ö Fällen ist ein Kind genesen, die übrigen sind gestorben. Die kürzeste 
Krankheitsdauer betrug 13 Stunden, die längste 13 Wochen. Bei dem 
4jährigen Mädchen, welches geheilt entlassen wurde, machte man in der 
Med.'Chir. Rundschau. 1880. GoöqIc 



642 


Medieini«cii-durQrgiiche Raadsehau. 


4. Woche eine Probepunetion, wobei sich Eiter entleerte. Acht Tage 
nachher kam es zum spontanen Durchbruch am Nabel, die Eiterung 
dauerte im geringen Grade fort und nach weiteren 4 Wochen wurde der 
Versuch gemacht aufzustehen. In den 2 Fallen, wo die Peritonitis nach 
einer Perforation mitstanden war, erfolgte der Tod unter den Erscheinungen 
des Collapsus, bei den übrigen drei aber in Folge allgemeiner Sehwiehe, 
wobei die Rinder im hohen Grade abmagerten. Einmal kam es auch zur 
Spontanentwicklung von Gasmengen l'Piopneumo-Abdomen) und im zweiten 
Falle erfolgte ein Durchbruch des Eiters nach aussen, und zwar in der 
Umgebung des Nabels. Es entleerte sich über ein Liter trübe, eitrige 
Flüssigkeit, worauf der Bauch um ein Beträchtliches kleiner wurde. An 
nächsten Tage war eine reichliche Stuhlentleerung, und zwar von gleichen 
Massen, wie sie sich aus der Perforationsöffnung mitleert hatten. E$ 
fanden sich in den Exsudatmassen und im Stuhlgange Beste der Tag? 
zuvor gereichten Nahrungsmittel (Kartoffeln und Kirschen) im unverdautes 
Zustande. Im späteren Verlaufe stellte sich neuerdings Fieber ein, es kam 
zu profusen Diarrhöen und unter allmälig zunehmendem Marasmus starh 
das Kind am 85. Krankheitstage. 

Die Section constatirte, dass zwischen einer Dünndarmschlinge und 
der Perforations-Oeffnung in den äusseren Banchdecken eine Communieatioo 
bestanden hatte. 

Betreffs der Therapie plaidirt Verf. für die operative Behandlung 
der Bauch-Empyeme unter antiseptischen Cautelen. Wo bereits ein Durch¬ 
bruch einzutreten droht, erledigt sich die Frage der Einstichstelle von 
selbst, in allen übrigen Fällen empfiehlt er die Bauchhöhle in der Linea 
alba zu öffnen. Dagegen sind bereits abgekapselte Exsudate wie tiefliegende 
Abscesse zu behandeln. 

Anhangsweise veröffentlicht Verf. auch seine Erfahrungen bei 
Periproctitis und Perineal-Abscessen. Bei einem 10 Wochen alten Kinde 
kam es zu Periproctitis mit dem Ausgange in Eiterung. Nach Eröffnung 
des Abscesses entleerte sich föculent stinkender Eiter. Eine Nachbehand¬ 
lung konnte von P. nicht fortgesetzt werden, weil die Eltern auf Jahr¬ 
märkten herumzogen und das Kind mit sich nahmen. Dasselbe ist nach 
14 Tagen gestorben. Ein zweites Kind, 11 Wochen alt, erkrankte gleich¬ 
falls an einem periproctitischen Abscesse, aus welchem sich bei der In- 
cision ein halbes Weinglas penetrant riechender Eiter entleerte. 4 Tage 
darauf Tod in Folge von Pneumonia dext. 

Günstiger sind verlaufen die Perineal-Abscesse bei 3 Kindern im 
Alter von 9 Monaten bis zu 3 Jahren. In 2 Fällen erfolgte nach Eröff¬ 
nung des Abscesses sofortige Heilung. Im 3. Falle blieb eine Mastdarm- 
fistel zurück, welche nach einem VJährigen Bestände geheilt wurde. 

506. Ueber die Gelbsucht bei neugeborenen Kindern. Von Dr. 
Alois Epstein. (Sammlung klinischer Vorträge von Vo lkm ann Nr. 180.i 


E. spricht sich gegen die Annahme des sogenannten Icterus neonatorum 
aus, und hält denselben stets fiir eine abnorme Erscheinung, mit einem im 
Allgemeinen typischen Verlaufe. Der Icterus neonat, tritt am häufigstes 
in der ersten Lebenswoche, zumeist am 2. oder 3. Tage nach der Geburt 
auf und dauert 6— 8 Tage, seltener länger. Sie ist bei Frühgeborenen 
oder unreifen Kindern häufiger als bei gesunden, und dauert bei ersteren 
auch länger. Die Intensität der icterischen Färbung erreicht einen 
verschieden hohen Grad. Prognostisch ungünstig sind jene Fälle, wo 
eine grünlich oder bläulichgelbe Hautfarbe (Cyanosis icterica) auftritt 


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Medicinisch-diimrgische Rundschau. 


643 


Die Yertheilung der abnormen Farbe ist nicht immer gleich- 
mässig. Die Conjunctiva, welche bei Erwachsenen, selbst bei leichteren 
Fällen icterisch gefärbt ist, kann bei Kindern vollständig normal sein. 
Die gelbliche Farbe ist an Händen und Füssen in der Nähe der Gelenke 
weniger ausgeprägt, als am Stamme. Bei herannaheudem Tode tritt 
der Icterus der Hautdecken rasch zurück. 

In der Regel ist eine Schmerzhaftigkeit der Leber, oder 
eine durch Percussion eruirbare Schwellung derselben nicht nach¬ 
weisbar. Weder die Respiration noch der Puls zeigen sich beeinflusst. 
Der Stuhl ist gewöhnlich normal; die Fäces sind immer gallig gefärbt, 
nie decolorirt wie bei Erwachsenen. 

Die Angaben der meisten Autoren hinsichtlich des Verhaltens des 
Harn 3 sind insoferne richtig zu stellen, als derselbe auch bei intensiven 
Formen des Icterus mitunter farblos, zumeist nur leicht gelblich 
oder röthlichgelb ist; nur selten ist er dunkel saturirt, wie beim 
Icterus der Erwachsenen, woselbst Yerf. dann Blutkörperchen oder 
deren Derivate vorfand. Ziemlich häufig findet sich im Harne Icterischer 
Albumen. 

Zumeist wird die Anwesenheit von Gallenpigment im 
Harne icterischer Neugeborener angegeben. Nach den Untersuchungen 
von E. zeigte der Harn intensiv icterischer Kinder sehr oft keine 
Spur nachweisbaren Gallenpigments. Die mikroskopische Untersuchung 
des Sedimentes ergibt neben den amorphen Massen von Harnsäure ein 
für den Icterus neonat.charakteristisches krystallinisches 
oder körnigesPigment, „welches durch seine gelbliche oder 
gelblichrothe Farbe von den dunkelgrünlichbraunen Harnsäureklumpen 
deutlich absticht“. Dasselbe Pigment zeigt sich in den häufig beobachteten 
Epitheleylindern, im Stuhle, sowie in der Pemphigusflüssigkeit icterischer 
Kinder. Mehr oder weniger reichlich ist das Pigment in allen Geweben 
vorhanden, am constantesten und reichlichsten aber in der Niere, „wo 
es zuweilen in streifigen Linien angeordnet, vorzüglich in den Pyramiden 
und besonders reichlich an den Papillenspitzen angesammelt ist“. Im 
Blute sowohl wie in den übrigen Organen, im Gehirne, sowie auch in 
den serösen Transsudaten ist das krystallinische Pigment enthalten. Unter 
37 Fällen von Pigmentbildung bei Neugebornen, welche Orth untersuchte, 
waren 32 icterisch. 

Dies führt zu dem berechtigten Schlüsse, dass die Bildung der 
Pigmentkrystalle und der Icterus in naher Beziehung zu einander stehen. 
Hervorzuheben ist, dass das Vorkommen des krystallinischen Pigmentes nur 
beipi Icterus der Neugeborenen beobachtet wird, nie bei Erwach¬ 
senen (Orth), nur bei der acuten gelben Leberatrophie wurde es von einigen 
Autoren im Blute gefunden. 

Ueber die Natur des Pigments sind die verschiedenen Beobachter 
verschiedener Meinung, die einen halten es für Bilirubin, die anderen für 
Hämatoidin. Bei den zahlreichen zur Section gekommenen icterischen 
Neugeborenen hat E. das Verhalten der Leber und des Ductus coledochus 
im Auge behalten und keinen Fall gefunden, in dem er die Ueber- 
zeugung gewonnen hätte, dass eine Stauung des Lebersecretes anzu¬ 
nehmen sei. 

% Die häufigsten Todesursachen waren Darmcatarrlie, lobuläre Pneu¬ 
monien und septische Erkrankungsformen. In den meisten Fällen war 
eine Eiterung der Nabelfalte und Arteriitis umbilicalis 
vorhanden. 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Ueber die Häufigkeit de» Icterus bei neugeborenen Kindern 
liegen nur statistische Daten aus öffentlichen Anstalten vor und diese 
gehen ziemlich weit auseinander. Unter 200 von E. beobachteten Kindern (in 
Prof. Breisky’s Klinik in Prag) waren 84 icterisch, also 42 Percent, 
während Seux in Marseille 15 Percent, Leanzo ni 58 Percent, Kehrer 
68*4 Percent, Porak in Paris sogar 80 Percent angibt. Diese breiten 
Differenzen zeigen mit grosser Wahrscheinlichkeit, dass locale Verhältnisse 
beim Auftreten dieser Erkrankung ihren Einfluss üben. Bei Knaben war 
der Icterus häufiger, wie bei Mädchen. 

Bezüglich der Aetiologie des Icterus neonatorum geht E. die zahl¬ 
reichen Erklärungsgründe der verschiedenen Autoren durch, und pole- 
misirt gegen die bekannten Ansichten Frerich’s und Virchow’s etc., 
namentlich aber gegen die in neuerer Zeit von mehreren Autoren aufge¬ 
stellte Theorie, dass der Icterus neonat, durch den Austritt von 
Blut aus den Gefässen der Haut und den Zerfall der aus¬ 
getretenen Blutkörperchen entstehe. 

Verf. ist vielmehr der Meinung, dass der Icterus der Neugeborenes 
hämatogenen Ursprunges sei, d. i., dass eine primäre autochtbone 
Entstehung des abnormen Pigmentes durch Zerfall von 
rothen Blutkörperchen in den Gefässbahnen stattfinde. 

Gestützt auf die Resultate von Neumann und Kölliker, welche 
fanden, dass das Blut Neugeborener eine gewisse Anzahl kernhaltiger 
farbiger Blutkörperchen enthalte, welche nach kurzer Zeit verschwinden, 
auf die Untersuchungen von Denis, Wistermann und L eichtenstern, 
welche gleichlautend ergaben, dass das Blut in den ersten zwei Lebens- 
Wochen entschieden am reichsten an Farbstoff ist, folgert E., dass die 
Blutmasse in den ersten Lebenstagen irgendwelche bedeutende Verände¬ 
rungen eingehe, wobei wahrscheinlich eine grössere Menge von Blut¬ 
körperchen zu Grunde gehen. Es lässt sich nun denken, dass unter voll¬ 
kommen physiologischen Verhältnissen des Kindes die in einer gewisses 
Menge entstehenden Zerfallsproducte der rothen Blutkörperchen vollständig 
verbrannt werden, während unter abnormen Verhältnissen eine Ansamm¬ 
lung des krystallinischen Pigmentes in den Gefässen und Geweben statt- 
findet. Dafür spricht das ungemein häufige Auftreten des Icterus neonat, 
bei allen wichtigen Erkrankungen in den ersten Lebenstagen, bei 
schlechten hygienischen Verhältnissen, bei den sog. septischen Krankheits¬ 
formen bei frühgeborenen Kindern etc. Auch das Gebundensein des 
Icterus auf einen beschränkten Zeitraum nach der Geburt spricht filr 
diese Anschauung. 

Icterische Kinder sind niemals als vollkommen gesund zu erklären, 
selbst wenn momentan nichts Pathologisches an ihnen zu finden ist, da j 
der Icterus sehr häufig das initiale Symptom verschiedener Erkrankungen 
oder Entwicklungsstörungen des Neugeborenen bildet. Livides Colorit, 
ebenso wie fahlgelbliche Färbung sind prognostisch von Bedeutung. 

Zumeist wird es sich empfehlen zuzuwarten, den allgemeinen Gesund¬ 
heitszustand, sowie namentlich die Ernährung des Kindes im Auge zu 
behalten. Die schablonenmässige Darreichung von. Syr. mannat., Syr. 
rhei etc. soll unterbleiben. Hermann Hertzka. 


507. Ueber eine Epidemie von Kriebelkrankheit (Raphania). 

Von W. Swiatlowsky. (St. Petersb. med. Wocbenscbr. 1880. 29.) 

Verf. beobachtete im Herbste des vorigen Jahres eine sehr schwere 
Epidemie von Ergotismus unter der ländlichen Bevölkerung des Beloser'schen 
Kreises im Nowgoroder Gouvernement. 


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Medicinisch-chirargiache Rundschau. 


645 


Im XIX. Jahrhunderte hörte das epidemische Auftreten der Kriebel¬ 
krankheit fast ganz auf; sie wurde nur selten beobachtet bei schlecht 
verpflegten Soldaten (1854 in der Krim unter den verbündeten Truppen, 
vorzugsweise als Complic&tion bei Cholera und Dysenterie), und in einigen 
unfruchtbaren Ortschaften des Westens. 

Freilich noch 1860 hatte Tolozan Gelegenheit, eine der Raphanie 
sehr ähnliche Krankheit, die sog. Akrodynie zu beobachten; aber diese 
Epidemie brach in Persien aus und wurde nicht in Europa beobachtet. 
Die Cardinalsymptome der Akrodynie lassen sich in folgende drei Haupt¬ 
gruppen zerlegen: 1. Sensible Störungen (Schmerzen in den Extremitäten 
mit Ameisenkriechen); 2. Motilitätsstörungen und 3. Störungen der Er¬ 
nährung und Secretion. Zwar ging die Störung in der Ernährung bei 
Akrodynie nie bis zur Gangrän, sondern zeigte sich bald in Abmagerung 
bald in Oedemen und verschiedenen Ausschlägen (epidemisches Erythem); 
dennoch hält es Verf. ungeachtet dessen für berechtigt, die Akrodynie 
der Raphanie nahe zu steilen, umsomehr, als die neuesten Untersuchungen 
über das in Rede stehende Leiden, welche alle dabei beobachteten 
Störungen durch eine Affection des Centralnervensystems, namentlich des 
Rückenmarkes, erklären wollen, noch durchaus nicht überzeugend sind. 
Jedenfalls muss man unstreitig für einen Hauptfactor, der in der Jetztzeit 
der Raphanie ähnliche Erkrankungen hervorruft, eine niedere Entwicklungs¬ 
stufe erklären. Dieses gilt besonders für die Bodencultur, dann auch 
überbauet für die ökonomische Lage des Volkes, welche ihrerseits die 
Bedingungen der Ernährung, der Reinlichkeit etc. beeinflusst. Verfasser 
constatirt, dass auf das Leben des dortigen Dorfbewohners eine Reihe 
von verschiedenartigen hygienischen Bedingungen einwirkt, welche zur 
öenüge das gegenwärtige Vorkommen einer Krankheit in Russland erklären, 
über welche man in Westeuropa nur nach Ueberlieferungen aus längst 
vergangenen Zeiten etwas weiss. 

Alle im Kreise vorgekommenen Fälle von Raphanie wurden in 
2 Gemeinden beobachtet, welche sich unter den ungünstigsten Bedin¬ 
gungen befanden: der grösste Theil der Bauemfelder, besonders diejenigen, 
auf denen sich reichlich Mutterkorn bildete, ist sehr niedrig gelegen und 
sumpfig. Dazu kommt, dass der vorige Sommer sich durch kaltes und 
regnerisches Wetter auszeichnete, wodurch bekanntlich die Bildung von 
Mutterkorn begünstigt wird. Im Ganzen hat Verf. 19 Fälle von Ver¬ 
giftung durch Mutterkorn mit stark ausgeprägten Erscheinungen beobachtet, 
wovon 4 starben, also gegen 21 °/ 0 . Ausserdem sind noch 19 Personen 
verzeichnet, bei welchen die Vergiftungserscheinungen weniger ausgebildet 
waren; und wahrscheinlich sind ebenso viele, wenn nicht mehr, der 
ärztlichen Besichtigung entgangen. 

Bei allen Erkrankten zeigten sich zuerst Störungen von Seiten des 
Digestionstractus, zuweilen Obstructionen, häufiger aber Durchfälle (70°/ 0 ). 
Erbrechen wurde nur in 2—3 Fällen beobachtet, wobei gleich darauf 
eine erhebliche Erleichterung eintrat. Zugleich mit diesen Erscheinungen 
gaben alle Kranken Schwäche an, besonders in den Händen und Füssen, 
so dass sie gezwungen waren, ihre gewöhnlichen Beschäftigungen zu 
unterbrechen. Auf diese Anfälle, sowie zeitweilig auftretenden Schwindel, 
Kopfschmerz, Schlaflosigkeit, Vertaubung der Finger mit dem Gefühl 
von Ameisenkriechen unter der Haut, blieb das Uebel beschränkt bei 
den 16, wie oben gesagt, leichter erkrankten Personen. Alle diese 
Personen hatten bis zur Erkrankung ungedörrten frisch gemahlenen 
Roggen zur Nahrung verwandt, da das alte Getreide ausgegangen war 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Die Behandlung bestand in Verordnung von Laxantien und Opiaten; 
hauptsächlich wurde allen Kranken der Rath gegeben, das Mutterkorn 
aus dem Getreide zu entfernen. 

Alle die bezeichneten Kranken erholten sich unter Beobachtung 
der genannten Massregeln bald, wenn auch bei einigen von ihnen noch 
ziemlich lange das Gefühl von Zerschlagenheit in den Extremitäten und 
Abgeschlagenheit fortbestanden. Ganz anders erging es den übrigen 
19 Kranken, bei denen die Vergiftung eine ernstere und tiefer gehende 
war. Alle klagten über unerträgliche reissende Schmerzen in den Extre¬ 
mitäten, heftige Kopfschmerzen, völlige Entkräftung und starken Durst, 
Alle empfanden das Gefühl von Ameisenkriechen, in einigen Fällen von 
so heftigen Schmerzempfindungen begleitet, dass die Kranken dadurch 
ausser sich gebracht wurden. Erbrechen wurde sehr selten beobachtet. 
Zuckungen, tonische und klonische Krämpfe betrafen hauptsächlich die 
Muskeln der Extremitäten, besonders die Flexoren; die Extensoren 
blieben in der Mehrzahl der Fälle ganz verschont. Nur bei 2 Kranken, 
und zwar sub finem vitae, entwickelten sich Kieferkrämpfe und Tetanns. 
In keinem der von Verf. gesehenen Fälle kam Gangrän vor. Dafür 
erlitten die Patienten eine bedeutende Schwächung und Abstumpfung der 
intellectuellen Fähigkeiten, verfielen in Schwachsinn und Melancholie. 

Bei allen erkrankten Individuen wurde eine scharf ausgeprägte 
Verminderung der Respirationsfrequenz (14—16) beobachtet; besonders 
aber bei Kindern. Bei keinem von den Vergifteten überstieg die Tem¬ 
peratur 37*7° und sie sank bei 3 Kranken bis unter die Norm (35*5®). 
In allen Fällen war der Puls verlangsamt und die Pulswelle sehr schwach. 
Dabei liess sich durch die Percussion keinmal eine deutliche Abnahme 
der Herzdämpfung nach weisen. Im Harn wurde Eiweiss in einem, Zucker 
in keinem Falle gefunden. — Die Section konnte nur gemacht werden 
in einem Falle, 5 Stunden nach dem Tode (Knabe von 4 Jahren). 

Hirn sehr anämisch. Herz contrahirt; in den Arterien wenig dunklen 
flüssigen Blutes; beide Ventrikel leer. Lungen hyperämisch; an den 
Rändern starkes Emphysem. Blut sehr dunkel und flüssig. Darmschleim¬ 
haut, besonders im Dünndärme, stark hyperämisch. Leber und Milz 
ebenso hyperämisch. Gallenblase stark gefüllt. Harnblase leer. 

In Bezug auf die Behandlung der Raphanie macht Verf. auf die 
Bedeutung der Prophylaxis aufmerkam, die hier eine Rolle spielt, wie 
bei wenig Krankheiten: die Krankheit kann unzweifelhaft verhütet werden 
durch Beobachtung einer einzigen Bedingung, nämlich durch Vermeidung 
der Benutzung von mutterkornhaltigem Getreide. 

Die Behandlung der entwickelten Raphanie musste sich auf ein 
symptomatisches Verfahren beschränken. Bei Krämpfen empfanden die 
Kranken eine erhebliche Erleichterung von grossen Dosen Opium oder 
Belladonna, in hartnäckigeren Fällen nahm Verfasser Zuflucht zu sub- 
cutanen Morphiuminjectionen und zweimal konnte er sich von dem Nutzen 
des Chloroformirens überzeugen, indem nach dem letzteren die Krampf- 
paroxysmen nicht wiederkehrten. Weiterhin bestand die Behandlung in 
einem tonisirenden Verfahren für die genesenden und noch schwach¬ 
sinnigen Kranken und suchte nach Möglichkeit die hygienischen Verhältnisse 
zu verbessern. Es kann nicht Wunder nehmen, dass eine volle Genesung, 
als Resultat einer vollkommenen Wiederherstellung aller Ernährungs¬ 
vorgänge im Organismus, nicht schnell eintrat, in Folge der ungünstigen 
Lebensbedingungen der Bevölkerung. 

Indem Verf. das Mutterkorn aus dem Roggen mit den Händen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


647 


anssachte, fand er in einigen Ansiedelungen auf ein Pfand gewöhnlichen 
Roggens 2—6 Solotnik (1 Solotnik = l / 96 Pfund) Mutterkorn, welches 
im Roggen der stärker betroffenen Bauern fast Vi» des Korns bildete. 
Man muss sich darüber wundern, dass die Sterblichkeit eine relativ nicht 
hohe war und nicht eine bedeutendere Höhe erreichte, wie in früheren 
Epidemien, als das Getreide ebensoviel Secale cornutum enthielt. Es ist 
klar, dass in der Wissenschaft die Frage noch lange nicht gelöst ist, 
wie gross der Mutterkorngehalt des Getreides sein muss, um die eine 
oder die andere Erkrankung zu veranlassen. 0. R. 

508. lieber leichte Scorbutformen. Von Dr. A. Kühn. (Arch. 
für klin. Med. 25. Bd. 2. und 3. Heft. Prag. med. Wochenschr. 1880. 29. 
Ref. J. Fischl.) 

Verf. beschreibt eine Scorbutepidemie, in der Inanition (kaliarme 
Nahrung nach Garrod) ausgeschlossen werden konnte, ebenso Fett¬ 
mangel (Felix), indem die Diät mit Rücksicht auf diese disponirenden 
Momente geändert wurde, und sich auch kein Einfluss zeigte. Als Ursache 
musste vielmehr theils anhaltend feuchtes, kaltes Wetter, theils hoch¬ 
gradige Ueberfitllung der Wohnräume angesehen werden. Die Ver¬ 
breitungsart der Krankheit war eine solche, wie sie bei contagiösen 
Processen vorkömmt. Der Grundcharakter des Leidens war acute Anämie, 
mit Neigung zu Blutungen (Menorrhagie , blutige Stühle) und verschieden¬ 
artigen Hauterkrankungen (Erythemformen, Purpura, Urticaria, Herpes). 

Im Prodromalstadium klagten die Patienten über Oppressionsgefühl 
auf der Brust und Seitenschmerzen, besonders über Druck im linken 
Hypochondrium. Mit der Entwicklung der Erscheinungen von Cachexie 
trat eine Zahnfleischerkrankung ein, die meist nicht jene Zerstörungen 
zeigte, wie sie aus anderen Beschreibungen bekannt sind, später kam 
es zu rheumatoiden Schmerzen, Gelenks- und Muskelrheumatismus, zu 
Affectionen der Respirationsorgane (Bronchitis, Pneumonie), anginösen 
Beschwerden, Schwellung der Milz. Fiebererscheinungen waren im ersten 
Stadium nicht vorhanden , es bestand sogar häufig subnormale Temperatur, 
bisweilen stellten sich aber im späteren Verlaufe intermittensähnliche 
fieberhafte Intervalle ein, durch welche diese Epidemie sich eben so 
auszeichnete, wie durch endocarditische Processe, die selbst in leichten 
Fällen zu constatiren waren. 

K. ist der Ansicht, dass es 2 verschiedene Scorbutformen gebe, 
die eine entstehe nach der Kaljtheorie und gehöre zu den allgemeinen 
Ernährungsstörungen, die andere entwickle sich bei ungünstigen Luft- 
und Wohnungsverhältnissen, und sei den Infectionskrankheiten zuzuzählen. 
Verf. stützt diese Anschauung auf beweisende Fälle von Uebertragung 
des Scorbut. Interessant sind hier zahlreiche Krankengeschichten, in denen 
das isolirte Vorkommen der früher genannten Symptome geschildert, der 
ganze Process beispielsweise als Angina, als Rheumatismus articul. etc. 
verlief, und mitunter zur Ansteckung mit Hervorrufung ausgesprochener 
Scorbutformen Veranlassung gab. Ob der specif. Infectionsstoff in über¬ 
füllten Wohnungen sich aus den gewöhnlichen Fäulnissbacterien entwickle, 
oder ob eine Einschleppung eines ersten Falles nöthig sei, will Verfasser 
nicht entscheiden. Er glaubt, dass die infectiösen Scorbutformen die 
grösste Verwandtschaft mit Intermittens darbieten und daher zu den 
miasmatisch-contagiösen Processen gehören. Die bei denselben vorkommen¬ 
den croupÖsen Pneumonien stimmen in den wesentlichen Symptomen mit 
den contagiösen Pneumonien tiberein, welche Verf. in derselben (Moringer) 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


Strafanstalt beobachtet und im Archiv für klin. Med., Band XXI, be¬ 
schrieben hat. 

509. Beiträge zur acuten und chronischen Myelitis. Von Prof. 
E. Leyden. (Zeitschr. f. klin. Med. I. — Centralbl. 1880, Nr. 14.) 

Schon früher hatte Verf. nachgewiesen, dass sich der sclerotische 
Zustand des Marks aus der acuten Myelitis entwickele und als die eigent¬ 
liche chronische Myelitis zu betrachten sei. Die sogenannte spinale Form 
der „disseminirten Sclerose“ ist von der cerebrospinalen Form durchaus 
zu trennen und als chronische Myelitis für sich zu betrachten. Ueberhanpt 
verwirft Verf. die Bezeichnung Sclerose für diese Processe und wählt 
dafür den Namen disseminirte Myelitis oder Encephalomyelitis disseminata. 
Dieser Symptomencomplex entwickelt sich nicht seiten unter einem apo- 
plectiformen Anfall ganz acut; es handelt sich anfangs um zerstreute, 
ganz frische Entzündungsherde, die erst nach längerem Bestehen in 
„Sclerose“ übergehen. Die Krankheit befällt besonders jugendliche Indi¬ 
viduen, vornehmlich Mädchen zur Zeit der Pubertätsentwickelung nach 
Erkältungen, Schreck etc.; es zeigen sich nach einem apoplectiformen 
Anfall Schwäche, Spannung einer Körperhälfte, Abnahme der Sehschärfe, 
Erschwerungen der Sprache, Zittern, Erbrechen. Diese Symptome können 
anfänglich zurückgehen und erst nach Monaten, vielleicht nach einem 
neuen Anfall zur chronischen, der Charcot’schen Form der Sclerose 
en plaques durchaus entsprechenden Krankheit werden. 

Verf. wendet sich gegen die seiner Meinung nach freigebig ver¬ 
wertete Bezeichnung der „combinirten“ Systemerkrankungen überhaupt. 
Er hält das Bestehen nur zweier primärer Systemerkankungen des Rücken¬ 
marks für erwiesen: 1. der grauen Degeneration der hinteren Stränge 
und Wurzeln, 2. der typischen Form der mit Bulbärparalyse einher¬ 
gehenden progressiven Muskelatrophie (Degeneration der Vorderseiten¬ 
strangbahnen des Marks mit Atrophie der grossen Ganglienzellen der 
Vorderhörner, der motorischen Wurzeln, Nerven und der Muskeln). Diese 
beiden Formen nun können sich auch gelegentlich „combiniren“. 

Fünf von Verfasser genauer mitgetheilte, namentlich anatomisch 
sorgfältig untersuchte und mit epikritischen Bemerkungen versehene 
Krankengeschichten illustriren die Lehre von der aus acuten resp. sub¬ 
acuten Anfängen her sich ausbildenden „chronischen Myelitis“. Die 
charakteristischen Symptome entwickeln sich in kurzer Zeit zu voller 
Höhe, um nach einem zeitweisen Stillstand, oft sogar Rückgang, definitiv 
chronisch zu werden. Die ersten 4 der vom Verf. mitgetheilten Fälle 
sind solche von Leucomyelitis oder Myelomeningitis dorsalis posterior. 
Befallen war das Dorsalmark in der Ausdehnung einiger Wirbelhöhen: 
Pia, Hinter- und Hinterseitenstränge waren erkrankt; die vordere Rücken¬ 
markspartie war nur wenig betheiligt und die Vorderhörner intact. Nach 
oben und unten von diesem Herde fanden sich 1. secundäre auf- und 
absteigende Degenerationen, 2. eine periphere, sclerotisch degenerirte 
Zone speciell am Aequator des Marks fast durch das ganze Mark gehend 
und nach oben hin weiter, als nach abwärts zu verfolgen. Nach Verf. 
ist dies nicht eine systematische Degeneration, sondern einfach eine 
Ausbreitung des entzündlichen Processes. 3. Fanden sich noch in Pons 
und Med. obl. disseminirte sclerotische Herde und 4. eine Fortsetzung der 
Erkrankung auf Nerv und Muskel als absteigende Neuritis und Myositis 
mit Muskelatrophie. In dem fünften der mitgetheilten Fälle ergaben sich 
im Rückenmarke multiple sclerotische Herde: es handelte sich um eine 
nach Variola aufgetretene Rückenmarksaffection. 


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Medicinisch-chirurgUche Rundschau. 


649 


Hinsichtlich der Symptome und des Verlaufs lassen sich 2 Stadien 
unterscheiden; ein „acutes“ : schnelle Entwicklung paraplegischer Lähmung, 
Zuckungen, Schmerzen, Blasenbeschwerden etc., und nach einem Zeit¬ 
raum von Besserung ein zweites, „das chronische“, in welchem sich die 
spastischen Erscheinungen besonders auffallend entwickeln können. Die 
Erscheinungen von Seiten der Sensibilität sind zwar vorhanden, treten 
aber hinter die motorischen zurück. Der tödliche Ausgang wird entweder 
durch Complicationen (Phthise etc.) oder durch die späteren Folgen der 
Erkrankung (Decubitus, Dysenterie etc.) herbeigeführt. — Auch im 
zweiten Stadium des Processes findet sich nicht ein absoluter Stillstand, 
sondern eine gewisse Tendenz zum Fortschreiten. 

Aetiologisch ist der Schreck als veranlassendes Moment hervor¬ 
zuheben, speciell zurZeit der Menstruation, die danach ausbleiben kann, 
dazu gesellen sich Erkältung, Ueberanstrengung und schwerere acute 
Allgemeinerkrankungen. 

510. Ueber die neuropathologische Bedeutung der Pupillenweite. 
Von Dr. E. Raehlmann, Professor in Dorpat. (Volkjnann’s Samm¬ 
lung klinischer Vorträge, 185.) 

Man hat frühzeitig die Wirkung verschiedener Arzneimittel auf die 
Pupille bemerkt und gewürdigt, auch war man gewöhnt, das Verhalten 
der Pupille bei Krankheiten insbesondere des Nervensystems, zu beachten; 
doch werden selbst bei dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft, nach¬ 
dem durch eine Reihe gediegener Forschungen das Verhältniss der Iris¬ 
bewegungen in ihren Abhängigkeitsbeziehungen von Gehirn- und Rücken* 
markskrankheiten verständlicher geworden ist, die Beweglichkeitsstörungen 
der Iris noch lange nicht nach ihrer symptomatologischen Bedeutung in 
dem Grade gewürdigt, wie sie es verdienen. 

In einer physiologischen Einleitung schildert Verf. die normale 
Abhängigkeit der Pupillenweite zunächst von der Beleuchtung. Die Reaction 
der Pupillen auf Licht kommt beim Menschen stets auf dem Wege des 
Gehirnreflexes zu Stande und dieser Reflex setzt die Existenz ganz genau 
bekannter Nerven-Babnen voraus, so dass das Ausbleiben desselben 
bestimmte wichtige Schlüsse auf Störung der betreffenden Nervenbahnen 
zulässt. 

I. Wird das eine Auge beleuchtet und es reagirt die Pupille dieses 
Auges nicht, wohl aber consensuell die Pupille des anderen Auges, so 
ist der sichere Schluss zu ziehen, dass der Sehnerv leitungsfUhig, dass 
das beleuchtete Auge also, aller Wahrscheinlichkeit nach, sehfähig ist. 
Es liegt bei demselben dann entweder eine einseitige Lähmung des Pupillen¬ 
astes des Oculomotorius vor, oder aber es ist die Pupille dieses Auges 
in ihrer Bewegung durch einen peripher ablaufenden Vorgang (Atrophie, 
Iritis, Atropin, Calabar etc.) gehemmt. 

Um Simulation einseitiger Blindheit zu erkennen, ist die 
Kenntniss dieses Verhaltens von der grössten Wichtigkeit. — Liegt wirk¬ 
liche Blindheit des Auges A in Folge von Sehnervenatrophie vor, so wird 
die Pupille des Auges B nicht sympathisch mit A reagiren, wohl aber 
wird bei Beleuchtung, respective Beschattung des Auges B der Lichtreiz 
zu beiden Tractus und durch Vierhügel und Oculomotoriuskern zu beiden 
Oculomotoriis gelangen und eine Contraction beider Pupillen bewirken. 
Eine sympathisch eintretende Reaction der primär auf Licht nicht reagi- 
renden Pupille bei A lässt daher mit Sicherheit auf Leitungsunterbrechung 
im Sehnerven schliessen. 


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Medicinisch-chirnrgisehe Rundschau. 


II. Ist völlige Blindheit vorhanden und reagiren trotzdem die Pupillen 
auf Licht (wie z. B. bei urämischer Amaurose), so liegt die Ursache der 
Blindheit jenseits der Vierhügel; es ist dann eine Functionsunterbrechung 
der Centralstätten des Opticus, oder aber eine Unterbrechung seiner Fasern 
in ihrem Gehirnverlaufe gegeben. 

Ausser von dem Lichteinfalle zeigt die Pupille nun eine von Alters 
her bekannte Abhängigkeit von der Accommodati on, oder rich¬ 
tiger gesagt, von dem Grade der Convergenz der Sehlinien. Beim Sehen 
in die Feme sind die Pupillen weit, beim Sehen in die Nähe werden sie 
enger. Die Pupiilenverengerung bei der Convergenz erfolgt stets beider¬ 
seits gleich stark, ist vollständig unabhängig vom Lichteinfall und kommt 
auch dann noch zu Stande, wenn einer oder wenn beide Sehnerven voll¬ 
ständig leitungsunfähig geworden sind. Verf. habe dieselben bei Personen 
noch erfolgen sehen, welche seit 10 Jahren und länger vollständig erblindet 
waren; sie setzt das Intactsein des Oculomotoriuskernes und beider Pupillen- 
zweige des Oculomotorius voraus und ist an eine den Oculomotorius betref¬ 
fende Willkürinnervation gebunden. Die Innervation der Pupillenverenge¬ 
rung verläuft peripher in den Bahnen der Ciliarnerven. 

III. Reagiren beide Pupillen bei Convergenzbewegungen, so ist zu 
schliessen, dass beide Oculomotorii zur Pupille leitungsfäbig sind. Reagirt 
die Pupille des Auges A nicht auf Licht, wohl aber consensuell die 
Pupille des Auges B, so ist, wenn nicht eine periphere Veränderung der 
Iris vorliegt, eine Lähmung des Pupillenzweiges vom Oculomotorius nach 
A gegeben. Bei Lähmung des Pupillenastes des Oculomotorius ist die 
Pupille immer erweitert und unbeweglich; meistens tritt sie auf als Theil- 
erscheinung einer completen Oculomotoriuslähmung. Doch sind einzelne 
Fälle in der Literatur verzeichnet, in denen bei vollständiger Oculomotorius¬ 
lähmung die Pupille frei und beweglich gefunden wurde. Lähmung des 
Pupillenzweiges allein, bei normaler Function der übrigen Aeste des 
Oculomotorius, wird verhältnissmässig oft beobachtet, meist beiderseitig 
ausgeprägt, mit oder ohne gleichzeitig entwickelter Accommodationslähmung. 
Einseitige Lähmung des Pupillenastes ist nach Meric und Alexander 
stets syphilitischer Natur. 

IV. Reagiren beide Pupillen nicht auf Licht, weder direct noch 
sympathisch, wohl aber auf Convergenzbewegungen und ist auf einem 
oder auf beiden Augen Sehvermögen vorhanden, wenn auch nur rudimentär, 
so ist eine Leitungsunterbrechung in den M e y n e r t’schen Fasern vor¬ 
handen, welche die Yierhtigel mit dem Oculomotorius verbinden. Diese 
Form der Leitungsstörung des Lichtreizes und das dadurch bedingte patho¬ 
logische Verhalten der Irisbewegungen findet sich ungewöhnlich oft bei 
Krankheiten der Centralorgane. 

Ausser vom Lichteinfall und von der Convergenz der Sehlinien ist 
die Weite der Pupille noch von einem dritten mehr variablen Factor 
abhängig, von dem veränderlichen Innervationszustande des Sympathicus. 
Diese letztere Innervation bewirkt unter normalen Verhältnissen eine 
mittlere Pupillenweite, welche den labilen Gleichgewichtszustand der Iris- 
musculatur repräsentirt, welcher seinerseits, wie oben gezeigt wurde, in 
ganz gesetzmässiger Weise durch Lichteinfall und Convergenzbewegnng 
modificirt werden kann. 

Eine Reihe von Experimenten haben in der That bewiesen, dass 
Reizung des Sympathicus Dilatation der Pupille, Durchschneidung des¬ 
selben Myosis bewirkt. Sehr bald nach der Entdeckung des Budgfi¬ 
schen Centrum ciliospinale wiesen Chaveau und Schiff nach, dass in 


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Medicimsch-chirnrgische Rundschau. 


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Folge Erregung dieses Centrums Pnpillenerweitemng eintrete, bei Reizung 
der hinteren Wurzeln sowohl, als auch der hinteren Stränge. Bei Reizung 
der Vorder- und Seitenstränge dagegen bleibt nach Schiff und Foa 
jegliche Erweiterung der Pupille aus. 

Claude Bernard machte bereits seiner Zeit auf die Reaction der 
Pupille gegen alle sensiblen Reize aufmerksam. Diesen Reizen gegenüber 
bleibt aber nach Schiff und Foa die Pupillenerweiterung gänzlich aus, 
wenn das verlängerte Mark durchschnitten wird. Die Uebertragung der 
sensiblen Reize auf sympathische Fasern muss daher in Gehirntheilen 
stattbaben. Mit dieser Annahme stimmt die Thatsache, dass nach Ab¬ 
tragung der Gehirnlappen zwar die Reaction der Pupille auf Licht erhalten 
bleibt, auf sensible Reize aber verloren geht. Auch ist experimentell nach 
Hirnrindenreizung Erweiterung der Pupillen beobachtet worden. Dem 
gegenüber hat in jüngster Zeit Vulpian nachgewiesen, dass nach Durch¬ 
schneidung des Hal8sympathicus noch reflectorisch auf Hautreize Pupillen¬ 
erweiterung erzielt werden kann. Verf. folgert, dass die erweiternden 
Fasern nicht sämmtlich aus dem Sympathicus, sondern zum Theil direct 
aus dem Gehirn stammen und wahrscheinlich mit den Gehirnnerven zum 
Auge verlaufen. 

Von der Einwirkung der sensiblen Reize auf die Pupillenweite über¬ 
zeugt man sich am besten durch Experimente an Schlafenden. Jeder 
sensible Reiz macht die enge Pupille eines im Halbschlafe befindlichen 
Kindes momentan weiter, dasselbe Verhalten wurde von Westphal bei 
Chloroformirten gefunden. Wie die sensiblen, so wirken auch die psychi¬ 
schen Reize. Sehr bekannt ist, dass die ungemein beweglichen Pupillen 
der Katze, wenn das Thier plötzlich in Zorn geräth, sofort fast ad maximum 
sich erweitern. Durch Verursachen eines plötzlichen Schreckens kann die 
enge, der lichtstarken Beleuchtung des Augenspiegels ausgesetzte Pupille 
eines Kindes ad maximum erweitert werden. 

Alle die angeführten Thatsachen berechtigen zu dem Schlüsse, dass 
die mittlere Pupillenweite hervorgeht oder doch vornehmlich abhängt von 
der Stärke der Erregung, welche auf sensiblen Bahnen und durch psychische 
Reize im Halsmarke auf den Sympathicus übertragen wird. Sind diese 
Reize gering, so ergibt sich als mittlerer Gleichgewichtszustand der Iris 
Enge, sind sie stark, Weite der Pupillen. 

Den grossen Einfluss der sensiblen und psychischen Reize auf die 
Pupillenweite zugegeben, ist, um die Worte Schiffs zu gebrauchen, die 
Pupille „das feinste Aesthesiometer 44 , welches alle gröberen Veränderungen 
jener Reize wiederspiegelt. 

V. Es ist eine den Neuropathologen, insbesondere den Irrenärzten 
wohlbekannte Thatsache, dass bei körperlich geschwächten, nervösen Per¬ 
sonen, sogenannten erethischen, aufgeregten Individuen, sowie bei Mania- 
kalischen ungewöhnlich oft weite Pupillen sich vorfinden. Dieses 
Verhältni8s wird so constant beobachtet, dass z. B. enge Pupillen im 
Aufregungszustande Maniakalischer als ominöses Symptom nachfolgender 
Paralyse betrachtet werden. Bei den genannten Zuständen, dem Nervo- 
sismus, Hysterismus, sowie auch häufig bei Epileptischen beobachtet man 
nicht selten als Zeichen rhythmisch unterbrochener Innervation im Sympa¬ 
thicus einen vor unseren Augen erfolgenden Wechsel in der Weite der 
Pupillen, welche unabhängig vom Lichteinfall und der Convergenz in eine 
Art Schwanken gerathen und sich erst nach kürzerer oder längerer Zeit 
wieder beruhigen. 


VI. Dem entgegengesetzt sind enge Pupillen charakteristisch für 

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Medicmisch-cliiriirgisclie Bandschau. 


alle Zustände, welche eine Herabsetzung der Corticalfnnctionen herbei¬ 
führen, insbesondere für Dementia paralytica. 

VH. Ganz besonders häufig werden enge Pupillen vorgefunden bei 
Krankheiten des Rückenmarkes, besonders des Halsmarkes, welche die Leitung 
sensibler Eindrücke beeinträchtigen, sowie bei Krankheiten der Medulla 
oblongata. Die engen Pupillen der Tabetiker sind von jeher aufgefalleu 
und unter dem Namen der spinalen Myosis ein viel gewürdigtes Symptom. 

Es ist aber die Myosis von der Bewegungserscheinung vollständig 
zu trennen, denn es kommt vor, dass Pupillen, welche beim LichteinfaU 
vollständig bewegungslos bleiben und bei Convergenzbewegung reagiren, 
keine Spur von Myosis aufweisen, ja über mittelweit sein können. 

Beide Erscheinungen, die mangelnde Reaction auf Licht trotz freier 
Beweglichkeit bei (Konvergenz, und dann die Myosis sind zwei ganz von 
einander unabhängige Symptome, welche sich allerdings bei Tabes unge¬ 
wöhnlich oft zusammen vorfinden. 

Die enge Pupille, die Myosis, ist in diesen Fällen als ein directes 
Symptom vorhandener Rückenmarkskrankheiten, und zwar nur der Hinter¬ 
stränge zu betrachten und als solches für die Differenzialdiagnose sehr 
wichtig. Die mangelnde Reaction auf Licht bei erhaltener Verengerung 
auf Convergenzbewegung beweist jedoch nur eine Erkrankung relativ vom 
im Gehirn und vom Rückenmark weit abliegender Bahnen (derMeynert- 
schen Verbindungsfasern zwischen Vierhügel und Oculomotorius), deren 
Erkrankung aber (wie auch die der Sehnervenstränge bei tabetischer 
Atrophie) sehr wohl mit den Rückenmarksleiden in directem Connex stehen 
kann. Von besonderer Wichtigkeit für das Verständniss dieses Zusam¬ 
menhanges sind die Befunde Stilling’s, welcher directe Faserzüge aus 
dem Tractus opticus bis in den Grosshirnschenkel und in neuester Zeit 
bis in die Pyramidenkreuzung verfolgte. Das Wesentliche in der Bewe¬ 
gungsstörung bleibt die Indifferenz gegen Lichtreize. Die Möglichkeit der 
Pupillenbewegung bei (Konvergenz ergibt nur die normale Function des 
Oculomotorius und freilich auch einen relativ gesunden Zustand des Iris¬ 
gewebes. 

VIII. Veränderungen der mittleren Pupillen weite bei erhaltener 
Reaction hängen ferner ab von der zeitweiligen Innervation des Sympa- 
thicus. Liegt eine Reizung dieses Nerven in seinem peripheren Verlaufe 
vor, oder auch seines Cervicalganglions, so wird sich diese durch Erweite¬ 
rung der Pupille verrathen. Wenn man bei der Bleikolik eine Affection 
des Sympathicus annimmt, wird die Erweiterung der Pupillen im Anfalle 
verständlich sein. Ebenso wie bei der Bleikolik besteht aber Pupillen¬ 
erweiterung bei schmerzhaften Unterleibsleiden jeder Art, besonders auch 
bei der sogenannten Gallensteinkolik. — Kinder, welche Eingeweidewürmer 
beherbergen, haben meistens weite Pupillen, dieselben sollen nach Abtrei¬ 
bung der Würmer verschwinden. 

Da der Symptomencomplex des Morbus Basedowii auf eine Reizung 
der Centraltheile des Sympathicus zurückgeführt wird, so bedarf die 
Pupillenerweiterung, welche bei dieser Krankheit meistens wahrgenommen 
wird, keiner weiteren Erklärung. 

Zahlreich finden sich auch anatomische Befunde, welche Verletzung 
des peripheren Sympathicus und Lähmung desselben ergeben, bei Vor¬ 
handensein einer starken Myosis und meist auch leichter Verengerung 
der Lidspalte derselben Seite. 

IX. Weite Pupillen finden sich als sehr charakteristisches Zeichen 
behinderter Athmung und werden auf die Wirkung der Kohlensäure auf 

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MediciniBch-cbirnrgische Rundschau. 


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die Sympathicuscentren in der Medulla zurückgeführt. Weite Pupillen 
finden sieb in allen Fällen von Dispnoö. Wahrscheinlich lässt sich auch 
die Mydriasis, wie sie sich regelmässig hei Phtisikern vorfindet, auf 
Behinderung der Athmung zurückführen. Diese indirecte Abhängigkeit 
der Pupillenweite von der Athmung ist von praktischer Bedeutung für 
die Controle der Athmung in allen narkotischen Zuständen. Sind z. B. 
während der Chloroformnarkose die Pupillen ad maximum verengt, so ist 
der höchste ßrad der Narkose erreicht, das Chloroform kann ausgesetzt 
werden. Bei der Einwirkung sensibler Beize wird eine Dilatation der 
Pupille anzeigen, dass das Erwachen des Patienten bevorsteht und dieses 
Zeichen wird nötigenfalls zur Erneuerung der Narkose auffordern. Werden 
aber, während unausgesetzter Chloroforminhalation, die Pupillen plötzlich 
weit, so ist das ein untrügliches Zeichen beginnender Kohlensäurevergif¬ 
tung in Folge sistirter Athmung, welches zur Aussetzung des Chloroforms 
und zur Vornahme der künstlichen Athmung auffordert. 

X. Die Pupillen sind erweitert bei starkem Hirndruck. In allen 
Fällen von Hirntumoren mit Stauungspapille, die Verf. beobachtet, hat 
er die Pupillen über mittelweit gefunden. Regelmässig findet man über¬ 
mittelweite Pupillen ferner bei chronischem Hydrocephalus. Mydriasis ist 
endlich beobachtet nach Blutergüssen in der Schädelhöhle, sowie bei ein¬ 
facher UeberfÜllung der Hirngefüsse (Kussmaul). 

XI. Finden sich beide Pupillen in ihrer mittleren Ruhelage — also 
Beweglichkeit vorausgesetzt — nicht gesetzmässig gleich, ist also P u- 
pillendifferenz vorhanden, so ist das ein Beweis von einer unregel¬ 
mässigen Innervation des Sympathicus. Entweder hat solche ihren Grund 
in einer Reizung, welche den Nerven in seinem peripheren Verlaufe trifft, 
oder dieselbe ist auf den Sympathicus übertragen von den centralen Ver¬ 
bindungsbahnen in Gehirn und Rückenmark. 

Man könnte in Verlegenheit kommen, bei dem Mangel anderer 
Anhaltspunkte zu entscheiden, ob im gegebenen Falle die engere Pupille 
der einen oder die weitere Pupille der anderen Seite für die kranke zu 
halten sei. Es könnte ja im ersten Falle ein paretischer Zustand im 
Sympathicus zu Pupillarverengerung Veranlassung geben, ebenso, als eine 
dauernde Reizung desselben Nerven die weitere Pupille der anderen Seite 
verursachen könnte. Ein sichereres Unterscheidungsmittel liefert die Atropin¬ 
wirkung, bei welcher die Pupillenerweiterung, falls Lähmungszustände des 
Sympathicus vorliegen, sehr gering ausfällt, während selbst kleine Dosen 
bei vorhandener Sympatbicusreizung starke Erweiterung bewirken. 

Einseitige Erweiterung der beweglichen Pupille gilt als ein ominöses 
Symptom drohender Gehirnkrankheiten. Einseitige Lähmung des Pupillen¬ 
astes des Oculomotorius und dadurch bedingte einseitige Mydriasis, kommt 
gewiss oft genug vor und kann keine ungünstige Bedeutung beanspruchen. 

Einseitige Mydriasis bei beweglicher oder in seltenen Fällen äusserst 
rege beweglicher Pupille spricht immer für einseitige Sympathicusreizung 
und ist, insbesondere wenn bald die eine, bald die andere Pupille die 
weitere ist, von übelster Prognose. 

Die erweiterte Pupille, wo sie auf Sympathicusreizung beruht, 
reagirt schwach auf Licht, wird aber enger bei Convergenzbewegungen 
und unterscheidet sich dadurch von der bei Oculomotoriusparese vorkom¬ 
menden Mydriasis. Sie ist ferner äusserst empfindlich gegen die geringsten 
Atropindosen und besteht endlich neben vollständig intacter Accommodation 
zwei weitere für die Differenzialdiagnose sehr wichtigte Momente. 

Die Pupillendifferenz dieser Art scheint bei Männern häufiger vor- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


zukommen als bei Frauen, findet sich sehr selten bei Kindern, sowie in 
den ersten Mannesjahren, häufig aber zwischen dem 30. und 50. Lebens¬ 
jahre. Sie kommt ungewöhnlich oft bei Geisteskranken vor, auch bei 
Dementia paralytica; nicht selten sind sie unter den Prodromalsymptomen 
dieser Krankheit entwickelt. Unter einer grösseren Anzahl von Paralytikern 
fand Yerf. in der Irren-fleilanslalt zu Halle im Jahre 1872 in */ 3 aller 
Fälle vorübergehend Pupillendifferenzen vor. O. R. 

511. Ueber Nephritis bei acuten Infectionskr&nkheiten. Ton 

Kannenberg. (Ztschr. f. klin. Med. Bd. I, Heft 3, 1880.) 

Yerf. fand: 1. Bei gesunden resp. nicht fiebernden Personen 
gelingt es, im frisch gelassenen Urin bisweilen Pilze in der Form kleiner 
Kügelchen oder Biscuits (Mono* und Diplococcus) nachzuweisen, seltener 
kleine Ketten oder Stäbchen. * 

2. ln allen fieberhaften Krankheiten ist die Zahl derselben vermehrt. 

3. Besonders zahlreich fanden sie sich bei Infectionskrankheiten, 
zumal wenn diese mit Nephritis complicirt sind. 

Dabei konnte Yerf. constatiren, dass die Nephritis isochron dem 
Auftreten der Pilze verlief. 

Als Prototyp dieses Verhaltens beobachtete er Nephritis bei Recurrens. 
Neben den Cylindern und Epithelien in den Blut- und Lymphkörperchen 
fand er wieder Mono-, Diplococcus, Streptococcus und Bacterien. Mit 
dem Beginn der Relapse trat jedesmal die Nephritis auf, um 1—2 Tage 
nach der Krise wieder vollständig und nach dem letzten Anfalle ganz 
und gar verschwunden zu sein. Die Pilze waren theils freischwimmend, 
theils hafteten sie den Cylindern und Epithelien an; leichter sichtbar zn 
machen durch Zusatz von einem Tropfen 1 / a °/ 0 Kali caust. oder durch 
Färbemethode (Sedimentiren des Urins in Thymolwasser, Behandlung mit 
Kali caustic. und nachträgliche Färbung mit Methylviolett). 

Die Nephritis wird angesehen als directe Folge eines Reizes, als 
welcher anzusprechen sei nicht sowohl die Spirillen (weil diese niemals 
im Urin ausgeschieden), als vielmehr die Mikroeoccen, welche möglicher¬ 
weise in ätiologischer Beziehung (Sporen) zu den Spirillen stehen. Das 
Vorkommen der Pilze und das Verhalten der Nephritis bei Typhus exan- 
thematicus, Scarlatina, croup. Pneumonie stimmt mit der Annahme, dass 
Mikroeoccen die Ursache der Entzündung seien. 

Dass es nicht die Temperatursteigerung ist, welche die Nephritis 
erzeugt, stützt Verf. durch die Angabe, dass dieselben Befunde des Urins 
sich zeigten bei Tonsillar-Abscessen ohne besondere Fiebertemperatur. 

Ein Fall von genuiner Nephritis lieferte gleiches Verhalten des 
Urins und es wurde dadurch wahrscheinlich, dass bei dem Erkrankten 
(Wärter) eine Infection erfolgt sei. 

Auf Grund solcher Aetiologie der Nierenerkrankung sind als Medi- 
camente Antimycotica: Chinin (0*5—1*0) oder Natr. benzoic. (10*0—15*0 
pro die) zu empfehlen. Günstige Erfolge davon wurden beobachtet. 


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ItediciDisch-clururgüclie Rundschau. 


655 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 


512. Von den Indicationen der Digitalis. Von M. Potain. Aus 
dem Höpital Necker. (Gaz. des Höpit. 1880, 3 und 8. — Centralbl. 
f. klm. Med. 1880, 3.) 

Nachdem Verf. in einer früheren Vorlesung die physiologische Wir- 
gung der Digitalis besprochen und gezeigt hat, dass dieselbe nicht nur 
die contractile Kraft des Herzens vermehrt, sondern auch eine stärkere 
Zusammenziehung und Tonicität der Capillaren bewirkt, findet er die 
Indicationen und Contraindicationen derselben im Allgemeinen abhängig: 
a) von dem Zustande der Orificien der Herzens, b) von dem der Herz- 
musculatur, c) von dem Allgemeinzustand des Kranken. 

Von den Erkrankungen des Herzens mit Affectionen der Orificien 
ist die Digitalis indicirt bei Insufiicienz der Mitralklappen. Durch Ver¬ 
mehrung der Spannung des capillären Kreislaufes wird der periphere 
Kreislauf regulirt, die venöse Stase vermindert; auf der anderen Seite 
wird die Energie der Systole des Ventrikels gesteigert, das Zustande¬ 
kommen der Dilatation verhindert. — Bei der Stenose der Mitralis ist 
das Herz für eine kleinere Arbeit geregelt; die Kraft seiner Contractionen 
zu steigern, wäre verlorene Mühe. Erst wenn Arhythmie eintritt und 
Stauungserscheinungen sich entwickeln, kann die Digitalis von günstigem 
Einfluss sein. — Bei der Insufiicienz der Tricuspidalis ist die Digitalis 
weit weniger indicirt als bei derjenigen der Mitralis; sie entwickelt sich 
erst spät und secundär, der Herzmuskel ist afficirt und reagirt nicht 
mehr auf den Reiz der Digitalis; dieselbe könnte sogar schädlich wirken 
bei dieser „providentiellen“ Insufiicienz. 

Bei einem Kranken schwand nach Verabreichung der Digitalis 
schon am folgenden Tage die übermässige Ausdehnung des rechten 
Ventrikels, zugleich aber bewirkte das Steigen des Druckes in demselben 
blutigen Auswurf. 

Bei den Aortaklappenfehlern genügt meist für lange Zeit die 
Hypertrophie zur Compensation. Bei der Stenose gleicht das Herz wieder 
einem Apparat, der für kleinere Arbeit eingestellt ist. Bei der Insufiicienz 
ist die Anwendung der Digitalis zu verwerfen, weil sie die ungünstige 
Periode der Diastole noch verlängert, die Systole dagegen durch Ab¬ 
flachung des Aortenbogens brüsker macht. Wenn später die Compensation 
durch Degeneration und Ueberarbeitung gestört wird, erweist die Digitalis 
sich gegen die Unregelmässigkeit der Herzaction nützlich. In den mit 
peripherer Anämie einhergehenden Fällen von Insufiicienz ist das Mittel 
auch deshalb unzweckmässig, weil es durch Vermehrung des Tonus der 
Capillaren die Anämie noch steigert. 

Bei den Herzkrankheiten ohne Afiection der Klappen ergaben sich 
die Indicationen a) aus dem Zustand des Herzmuskels und b) aus den 
Ursachen der Krankheit. Ad a) kann die Digitalis nur dann von Nutzen 
sein, wenn das Herz im Stande ist, auf dieselbe zu reagiren; Degene¬ 
rationen des Herzfleisches machen dies unmöglich. — Ab b) findet die 
Digitalis keine Indication in den Fällen von Herzpalpitationen der 
Hysterischen, der Hypochonder etc., wo der normale Herzstoss schmerz¬ 
haft empfunden wird. — Meist von geringer Wirkung ist dieselbe bei 
Palpitationen durch nervöse Arhythmie, verursacht durch Nicotin, Kaffee, 


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656 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Thee oder durch Magen- und Uterinleiden. — Bei der durch Atherom 
und Aneurysma verursachten Hypertrophie ißt die Digitalis häufig indicirt; 
wenn sie den arteriellen Druck erhöht, so regulirt sie ihn auch; sie ver¬ 
mindert die gefährlichen Oscillationen des Blutstroms und begünstigt das 
Zustandekommen von Gerinnseln in dem Aneurysmasack. — Herzhyper¬ 
trophie bei Morb. Brightii benöthigt nicht die Anwendung der Digitalis; 
die arterielle Spannung, sowie die Diurese sind excessiv. Erst wenn das 
Herz schwach wird und Anasarca eintritt, kann die Digitalis von Nutzen 
sein. — Bei einfachen Dilatationen des Herzens nach Ermüdung und 
üeberanstrengung kann die Digitalis die Wiederkehr der Tonicität be¬ 
fördern ; sie wird unwirksam sein bei Dilatationen nach Pericarditis, 
weil hier der Herzmuskel entartet ist. Bei den Dilatationen durch Lungen¬ 
krankheiten macht das Fortbestehen des Hindernisses, besonders bei den 
meist alten Patienten, die Digitalis unwirksam. 

Man kann also sagen, dass die Digitalis indicirt ist, wenn das 
Contractionsvermögen des Herzens ungenügend, dasselbe aber im Stande 
ist, auf den Reiz der Digitalis zu reagiren. Die Arhythmie ist die einzige 
wirkliche Indication der Digitalis. Störungen der Magen- und Nieren¬ 
functionen und grosse Empfindlichkeit des Nervensystems geben Contra- 
indicationen ab. 

513. Ueber Lösungsmittel für Gallensteine. Von Buckler 
(Boston). (The London med. Record 1880, 11. — Allg. med. Central- 
Zeitung.) 

Die Beseitigung der Gallensteine wird nach des Verf. Ansicht stets 
die Aufgabe der praktischen Aerzte und der inneren Behandlungsmethode 
bleiben, niemals den Chirurgen überlassen bleiben dürfen. Die Wissen¬ 
schaft der pathologischen Chemie muss endlich dahin gelangen, ein Mittel 
aufzufinden, welches im Organismus auf gleiche Weise die Gallensteine 
aufzulösen vermag, wie die aus dem Körper entfernten, im Glase Wasser 
befindlichen. Das Chloroform allein, sowie die Durand’scbe Lösung, haben 
sich als solche nicht bewährt, und hat Verf. seit dem Jahre 1867 mit 
dem bernsteinsauren Eisen als Lösungsmittel ftir Gallensteine und Chole- 
stearinfette Experimente begonnen, über deren erfolgreiche Ergebnisse er 
jetzt berichten kann. Das Mittel enthält mehr als jedes andere Präparat 
nascirenden Sauerstoff, und das Eisen in dieser Gestalt ist am meisten 
geeignet, die kranken rothen Blutkörperchen zu restauriren, Chloroform 
in Verbindung mit bernsteinsaurem Eisen vermag in allen Fällen die 
Steine zur Lösung und Ausscheidung zu bringen, sowie den Organismus 
zu kräftigen, die Diathese zu beseitigen. Man reicht das Chloroform in 
Dosen von 10 Tropfen 4mal täglich und vom Eisenpräparat einen Thee- 
löffel nach jeder Mahlzeit. Manche Kranke haben auch das Chloroform 
6mal theelöffelweise ohne Schaden genommen. Aether hat die Wirkung 
des Chloroforms niemals erreicht und räth Verf. daher von dessen Dar¬ 
reichung ab, da derselbe nicht in dem Masse die Schmerzen zu beseitigen 
vermag, wie das Chloroform. Das Eisenpräparat muss mehrere Monate 
hindurch gebraucht werden, bis die Auflösung der Steine vollständig erfolgt 
und die Diathese getilgt ist. Was die Statistik des Vorkommens von 
Gallensteinen betrifft, so werden die Frauen vielmal mehr als die Männer 
davon befallen. Verf. ist so fest von der Vortrefflichkeit des Mittels über¬ 
zeugt, dass er den Chirurgen räth, mehrfach erst Versuche damit zu 
machen, bevor sie zu der gefährlichen Entfernung der Gallensteine mit¬ 
telst Operation schreiten. 


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Medici nisch-chirurgische Randschau. 


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514. Ueber die Behandlung der chronischen Albuminurie und 
insbesondere der parenchymatösen Nephritis mittelst Fuchsin. Von 
Divet. (Th6se de Paris, 1880.) 

Verf. erhielt gute Resultate mit Fuchsin, indem er dasselbe in einer 
einzigen Dosis von 1*5—20 Centigramm in Oblaten nach Limousin ver¬ 
abfolgte. Diese Gabe wird ungefähr 8 Tage lang gereicht, dann setzt 
man einige Tage lang aus, da die diuretische Wirkung des Fuchsin noch 
einige Tage über die letzte Verabreichung desselben fortdauert. Man 
kann es in der Menge von 0*1—0*3 in einer durch Spirit, menth. oder 
Anisi corrigirten Lösung verabfolgen, um den zusammenziehenden und 
ekeligen Geschmack des Fuchsins zu decken. Verf. kommt zu folgenden 
Schlüssen: 1. Das reine Fuchsin ist kein Gift. 2. Sowohl das reine als 
das käufliche Fuchsin wirken in der zur Färbung des Weines benützten 
Menge nicht giftig.* 3. Das Fuchsin wirkt, längere Zeit in der Dosis von 
0*05—0*15 in den Organismus eingeftihrt, schädlich, indem während 
dieser Zeit mit dem Harn eine grosse Menge von Phosphaten ausgeftihrt 
wird. 4. Das Fuchsin wirkt häufig in hohem Grade diuretisch, doch ist 
diese Wirkung nicht immer sicher. Die Frage verdient studirt zu werden. 
5. Fuchsin hat die Albuminurie zu Stillstand gebracht bei cachectischen 
Individuen, bei solchen mit Herzfehlern, bei einer Schwangeren und in 
vielen Fällen von parenchymatöser Nephritis. 6. Das Fuchsin scheint 
bei der interstitiellen Nephritis unwirksam zu sein. —sch. 

515. Behandlung des Ulous cruris. Von Dr. v. Czarnecki. 
(Allg. med. Ctrl.-Ztg. 1880, 47.) 

Von den drei anzuwendenden Methoden stellt Verf. diejenige voran, 
welche er gewöhnlich befolgt. 

1. Zuerst sorgfältige Reinigung, respective Waschung der Wunde 
jeden Morgen und Abend mit gewöhnlichem kühlen oder auch lauem Wasser, 
dem man noch etwas Kamillenthee hinzufUgen kann und darauf jedesmal 
mit einem mit Acid. salicyl . cryst . l'O, soloe in Spirit, rectificat. qu, s 
Axung, porc . 100'0 (aus der Freiburger Poliklinik) dünn bestrichenen 
Läppchen bedeckt. Stuhlgang muss geregelt sein. Gleichzeitig muss der 
Fuss hoch gelagert werden, und zwar so, dass der Fuss höher liegt als 
das Knie. Dieses muss man dem Patienten ausdrücklich zeigen, wenn 
man auf Erfolg rechnen will. Absolute Ruhelage ist durchaus noth- 
wendig. 

2. Nachdem das Ulcus sorgfältig gewaschen ist, belegt er dasselbe 
mit Heftpflasterstreifen dachziegelförmig. Nach 24 Stunden wird dasselbe 
erneuert. Dabei auch Hochlagerung des betreffenden Schenkels und abso¬ 
lute Ruhe. (Ebenfalls nach Vorgang der Freiburger Klinik.) 

3. Tägliches zwei- oder dreimaliges Baden des betreffenden Schen¬ 
kels mit reinem Wasser oder mit Zusatz von Kamillenthee. Gleichfalls 
Hochlagerung und absolute Ruhe. 

Besonders die Methode sub 1 wird sehr empfohlen. Wunden, welche 
schon Jahre lang den hartnäckigsten Widerstand geleistet haben, wurden 
mittelst derselben zur Heilung gebracht. 

516. Versuohe mit Carica papaya. Von Bouchut und P6an. 
(The Brit. med. Journ. 1880, 1008. — Aerztl. Intelligbl. 1880, 32.) 

Die eigenthümlichen Wirkungen des Saftes von Carica papaya, einem 
brasilianischen Baume, auf Fleisch sind durch Reiseberichte bekannt. In 
neuerer Zeit haben Würtz denselben chemisch, Bouchut therapeutisch 
untersucht und darüber der Akademie des Sciences berichtet. Der Saft 

Med.-chir. Rundschau. 1880 . D ize d b GOOW 



658 


Medicinisch-chimrgische Rand «dum. 


erweicht rohes Fleisch, coagulirtes Hühnereiweiss, Gluten in wenigen 
Minuten and löst 'Verdaut; sie bei einer Temperatur von 40 9 C. in wenigen 
Stunden: Milch wird coagnlirt und die Coagula dann aufgelost; croupöse 
Membranen, Eingeweidewürmer, wie: Ascariden, Taenien werden gelöst 
Der Saft enthält ein Yerdauungsferment analog dem der eamivoren Pflanzen 
und wurde dieses vegetabilische Pepsin, Papain extrahirt. 56 Gramm 
feuchtes Fibrin mit 200 Ccm. Wasser und einigen Tropfen Cyanwasser- 
stoffsäure zur Verhütung von Fäulniss wurden durch 20 Gramm der pal- 
pösen Masse in 48 Stunden vollkommen gelöst; der unlösliche Rückstand 
wog weniger als das zugesetzte Extract; 10 Gramm der Pulpa, gut aus- 
gewaschen, lösten 17 Gramm feuchtes Fibrin in 50 Ccm. Wasser und 
einem Tropfen Arid, hydrocyan. bei 40° C. in 20 Stunden; der Rück¬ 
stand betrug feucht 3 Gramm. Das Fibrin war vollständig in Pepton 
übergefbhrt Thierische Gewebe, physiologische sowohl als pathologische, 
werden durch kleine Mengen dieser Substanz mit der grössten Leichtig¬ 
keit gelöst und versuchte deshalb P£an dieselbe zu Einspritzungen m 
Neoplasmen, und zwar in 4 Fällen von Krebs in der Dosis von 1 Gramm 
einer Lösung von 1:10; die grossen Tumoren wurden rasch verflüssigt, 
die entstandene Flüssigkeit durch Aspiration entleert und untersucht: sie 
glich in jeder Beziehung den wirklichen Peptonen. Pean wagte jedoch 
nicht, die Injectionen fortzusetzen, da sie sehr schmerzhaft waren und 
hohes Fieber erzeugten. Ueberdies wurden gesunde und kranke Gewebe 
gleich energisch angegriffen; aus diesem gleichen Grunde musste auch 
die therapeutische Verwendung des Papain bei Dyspepsie, wo es besonders 
indicirt erschien, aufgegeben werden, da es selbst in ganz kleinen Dosen 
die Schleimhaut des Magens angriff. 


517. Syrischer Terpentin bei Krebs. Von A. Marsden und 
W. F. M. Jacksons. (The Brit. med. Jour. 1016 und 1017. — AerztL 
Intelligbl. 1880, 32.) 

Die Berichte anderer Aerzte sprechen sich über den von Clay 
(s. med. chir. Rdsch. diesen Jahrgang, S. 499) so sehr empfohlenen 
Chianterpentin durchaus nicht günstig aus; so schreibt der Oberarzt des 
Cancer Hospital, dass er bis jetzt noch gar keinen Erfolg davon gesehen 
hat, nur 2 Patienten erklären, dass sie einen Tag weniger Schmerz hatten, 
aber diese Linderung war nur vorübergehend; gerade diese beiden hatten 
von den nach Clay’s Angaben geprüften und für unrein erklärten Ter 
pentinproben erhalten. Jackson berichtet über eine Patientin mit Pan¬ 
kreaskrebs, um auf die möglichen Gefahren aufmerksam zu machen: 
dieselbe hatte von den Clay’schen Pillen ungefähr 30 ohne Besserung, 
ja mit Verschlimmerung ihrer Leiden genommen; ungefähr 3 Wochen 
darnach erbrach sie eine feste klebrige, gelbe, fischförmige Masse von 
starkem Terpentingeruch und 100 Gramm schwer, Grösse 2 1 /« Zoll bei 
a / 4 Zoll und 1 / 4 Zoll Dicke, offenbar, aus dem ganz imverdauten, wenn 
überhaupt verdaulichen Terpentin bestehend. 


518. Beitrag zur pneumatischen Therapie im Kindesalter. Von 
Prof. K au lieh. (Prag, medic. Wochschr. 1880, 2. Arch. f. Kinderhk. I. 9.) 

Ein 4 Jahre altes Kind mit hochgradiger Thorax-Rhachitis, bei 
welchem sich eine beiderseitige chronische Pneumonie entwickelt hatte, 
wurde von Prof. K. nach dem von Hauke empfohlenen pneumatischen 
Verfahren behandelt. Dasselbe kam täglich lmal in die pneumatische Wanne, 
und wurde dort bei einer successive steigenden Luftverdünnung von 8 bis 
46 Mm. Hg durch einige Zeit belassen, ln den ersten 14 Tagen konnte 


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Mediciniscb-chirurgisch« Rundschau. 


659 


man keine Besserung bemerken, die Respiration schwankte zwischen 
42—60, der Puls zwischen 120—142. Allmälig wurde das Kind 
munterer, der Appetit besser, die früher dünnfäculenten Stuhlentleerungen 
wurden consistcnter, und das Körpergewicht nahm um 200 Gr. zu. Von 
nun an besserte sich aber das Leiden sehr rasch, die vorher subnormale 
Temperatur näherte sich der normalen und erhielt sich auf gleicher Höhe, 
die Athmungsfrequenz sank erheblich, damit verminderte sich auch die 
Dämpfung des Percussionsschalles, und es stellte sich fast allenthalben 
vesiculäres Athmen ein. Das Körpergewicht stieg innerhalb 10 Wochen 
um 1000 Gr. Am deutlichsten zeigte sich der wohlthätige Einfluss der 
pneumatischen Behandlung an den Veränderungen, welche der Thorax 
während der 3monatlichen Anwendung der pneumatischen Wanne ein¬ 
gegangen war. Bei der Aufnahme auf die Klinik war der gerade Durch¬ 
messer von dem höchsten Punkte des Sternum zur Mitte der Wirbelsäule 
12*5 Ctm., — der Querdurchmesser von der Stelle der tiefsten Einbiegung 
der Brustwand 1 Ctm., ausserhalb der Papilla 8 Ctm., — der Quer¬ 
durchmesser an der Knickungsstelle der Rippen in der hinteren Axillarlinie 
12*5 Ctm., nach beendeter Behandlung ergab die Messung an den eben 
genannten Punkten 13 # 5—9.7—12*7 Ctm. Auch die beigeftigten steno¬ 
graphischen Curven constatirten die Thatsache, dass der Thorax sich 
günstiger gestaltet habe, indem die vordere und etwas seitliche Depression 
vermindert und die Brustwand daselbst gehoben wurde, was einer Raum- 
vergrösserung gleichkommt. 

519. Ueber den Einfluss des permanenten lanwarmen Bades anf 
die Temperaturcurve des Typhus. L. Ries, Berlin. (Ctrlbl. f. d. med. 
Wissensch. 1880, Nr. 30.) 

Seit Wiedereinführung der Hydrotherapie in die Behandlung der 
fieberhaften Krankheiten und speciell des lleotyphus sind es fast aus¬ 
nahmslos kurz vorübergehende und möglichst starke Abkühlungen des 
Körpers, welche zur Erreichung des antipyretischen Zweckes empfohlen 
werden. Kalte Bäder, Uebergiessungen, Einwickelungen werden mit einer 
Temperatur von 15° C. und darunter vorgeschrieben, und auch die von 
Ziemssen gerühmten allmälig abgekühlten Bäder sollen zwar mit 
geringer Wärmeentziehung beginnen, aber bis zu niedrigen Temperatur¬ 
graden vorrücken. Auch will Liebermeister durch Berechnungen 
(die allerdings von Senator u. A. angezweifelt werden) bewiesen haben, 
dass der sogen. Nutzeffect von Bädern mit abnehmender Temperatur 
derselben schnell steige. 

Da nun aber der antipyretische Effect gerade dieser kurzen und 
starken Abkühlung bekanntlich oft ein sehr vorübergehender ist, indem 
man nicht selten schon 1 / 2 oder 1 Stunde nach einem kalten Bade die 
Temperatur des Typhösen so hoch oder höher als vorher findet, so dass 
man auf der Acme der Krankheit, um die Temperatur constant der 
Norm nahe zu halten, oft stündliche oder halbstündliche Bäder anwenden 
musste, — welche Erfahrung mit der von vielen Autoren (besonders 
Liebermeister) aufrecht erhaltenen theoretischen Annahme der regula¬ 
torischen Steigerung der Wärmeproduction in Folge energischer Abkühlung 
der Körperoberfläche übereinstimmt — so lag es nahe, durch massige, 
aber andauernde Körperabkühlung der Temperaturerhöhung 
entgegenzuwirken, wie dies schon Rosentlial („Zur Kenntniss der 
Wärmeregulirung bei den warmblütigen Thieren“. Erlangen 1872) vor¬ 
geschlagen hat. Verf. glaubt, dass mit dieser Methode vielleicht die 

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660 


. Mediciniech-chirurgische Rundschau. 


regulative Reaction vermieden, und ausserdem auch die gleichmässige 
Fortsetzung der Wärmeentziehung (die sich bei den kalten Bädern ver¬ 
bietet) ermöglicht werde. 

Diesen Zweck erreicht man nun nach Verf. am besten durch per¬ 
manente lauwarme Wasserbäder, deren Temperatur nicht allzu¬ 
weit unter der normalen Körperwärme liegt, und hat derselbe als die 
passendste Temperatur 25 0 R. = 31 0 C. gefunden. 

Behufs praktischer Anwendung solcher Bäder lässt Verf. die Kranken 
auf hängemattenartig ausgebreitete Laken innerhalb der Badewanne lagern, 
wodurch man fast ausnahmslos erreicht, dass dieselben nach Ueberwin- 
düng der ersten Unbequemlichkeiten geduldig, oft sehr behaglich halbe^ 
ganze oder selbst viele Tage im Wasser zubringen. 

Verf. hat auf seiner Abtheilung des städtischen Allg. Kranken¬ 
hauses die Methode bisher an 48 Ileotypbuskranken (abgesehen von 
einigen unvollständig behandelten Fällen) versucht. Es wurden dazu nur 
ausgesprochene Fälle ausgesucht, meist in noch frühem Stadium. Der 
Anfangstag des permanenten Bades schwankte vom 3. bis zum 12. Krank¬ 
heitstage. Die Kranken werden 1—2 stündlich gemessen meist im Rectum, 
bisweilen in der (unter Wasser liegenden) Achselhöhle. In der Regel 
wurde durch die ersten 24 Stunden das Bad ohne Pause fortgesetzt, falls 
nicht die Temperatur zu tief sank; vom 2. Tage an wurde die Vor¬ 
schrift befolgt, bei einer Rectaltemperatur unter 37.5° (37.0 in der 
Achsel) die Kranken aus dem Bade zu nehmen und bei einer Temperatur 
über 38.5 0 Reet. (38.0 Axill.) sie wieder in dasselbe zu legen. 

Die Erfolge, welche Verf. damit erzielt hat, sind „überraschend 
gute“. Mit Ausnahme von besonders hartnäckigen und noch im frische¬ 
sten Stadium befindlichen Fällen, sinkt die Körpertemperatur im perma¬ 
nenten Bade meist schnell, so dass sie nach 12—24 Stunden, oft auch 
schon früher die Norm erreicht oder unter dieselbe fällt. Nach Ent¬ 
fernung aus dem Bade steigt die Temperatur in den frühen Stadien des 
Typhus schnell, später langsamer an, so dass zuerst kurze, dann längere 
Pausen zwischen den Badeperioden eintreten, und letztere allmälig zu 
prolongirten (mehrsttindlichen) Bädern sich verkürzen, die zuletzt nur 
noch zur Abendzeit anzuordnen sind. Nur in hartnäckigen Fällen, wo 
trotz des permanenten Badeaufenthaltes die Temperatur anfangs nicht 
unter 39° sank, wurden Abkühlungen des Badewassers auf 18 0 R. für 
Vs Stunde oder länger eingeschoben und hierdurch meist schnell weitere 
Abfälle erreicht. 

Verf. illustrirt die Einwirkung des permanenten Bades durch die 
Temperaturzahlen, welche er in einem hierfür besonders geeigneten Falle 
festgestellt hat (s. Original). In diesem Falle überstieg vom 7. bis znm 
15. Tage des (übrigens in seinen Symptomen sehr stark ausgesproche¬ 
nen) Typhus die Temperatur nur ganz vorübergehend die normalen Grenzen 
unbedeutend, ein Erfolg, den man in dieser Vollkommenheit mit keiner 
anderen antipyretischen Methode erreicht, auch nicht mit der Combination 
von internen Antipireticis und kalten Bädern, namentlich der Salicyl-Bade- 
Behandlung, die Verf. seit vielen Jahren übt. R. glaubt daher, dass in 
Bezug auf reine Antipyrese das permanente Bad nnter den bisher geübten 
Methoden den ersten Platz einnimmt. 

In wie weit die Methode das Typhusfieber im Ganzen abkürzt, 
möchte Verf. nach den bisherigen Erfahrungen noch nicht entscheiden. 
Ein Theil der Fälle lief ausserordentlich schnell ab, so dass bei den 
leichtesten von ihnen am 7. oder 8. Krankheitstage zum. letzten Mal ein 


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Modicinisch*chirurgische Eundschau. 


661 


Badeaufenthalt nöthig war. Andere Fälle zeigten dagegen, wenn auch 
die Heftigkeit des Fiebers nach einigen Tagen gebrochen war, Neigung 
zu abendlichen Temperatursteigerungen bis in die 4. Woche und länger. 
Die Dauer der Badebehandlung schwankte bei 42 verwerthbaren Fällen 
zwischen 7 und 38 Tagen und betrug im Mittel 18.2 Tage. — Der 
lethale Ausgang kam unter den 48 Fällen 3 Mal (6.2 Percent) vor 
und wurde durch die Schwere der betreffenden Erkrankungen (von denen 
einer am 6., die beiden anderen am 8. Tage in die Badebehandlung 
traten), sowie in 2 Fällen durch Complication mit Pneumonie erklärt. 

Im Uebrigen scheint nach Verf. das permanente Bad, abgesehen 
von der Temperaturerhöhung , auch auf die sonstigen Typhussymptome 
günstig, oder wenigstens nicht schlecht einzuwirken. Die Pulsfrequenz 
bleibt meist hoch und contrastirt oft stark mit den erniedrigten Tempe¬ 
raturen; die Qualität des Pulses hebt sich oft, besonders auffällig ist 
häufig ein günstiger Einfluss auf die Cerebralerscheinungen, so dass 
Kranke, die am ersten Tage wegen Somnolenz oder Delirien schwer im 
Bad zu halten waren, die folgenden Tage ruhiger und freier in ihm 
lagen. Schwerere Lungen- und Darmerscheinungen fehlten in der Mehr¬ 
zahl der Fälle. Ausserdem hat Yerf. übrigens auch bei einigen anderen 
fieberhaften Krankheiten (2 exanth. Typhen, 1 Recurrens, 2 acuten 
Miliartuberc. u. A.) das permanente Bad mit sehr gutem antipyretischen 
Erfolge angewendet. In einigen Fällen (Typhus, Recurrens, Pneumonie) 
hat er auch versucht, das Wasserbad durch eine Art permanenten 
Luftbades zu ersetzen und zwar mittelst des sogen. Circulirkühlappa- 
rates (bestehend aus von kaltem Wasser durchströmten Matratzen, Decken 
und Kopfkissen), doch war in diesen Fällen der antipyretische Effect, 
wenn auch deutlich vorhanden, selbst bei Anwendung von Eiswasser 
(4 °) weit schwächer als der des permanenten lauen Wasserbades. 

520. Ueber Behandlung der Chorea mittelst snbcntaner Arsen- 
injectionen. Von Hammond und Perrond. (Annales de la Soc. de 
Gand 1880. 3. Allg. Med. Ctrl.-Ztg. 1880. 56.) 

Diese von Radcliff bereits im Jahre 1868 zuerst versuchte Me¬ 
thode wurde von den Verfassern in den letzten Jahren in ausgedehnterem 
Maasse in Anwendung gezogen und dabei auf folgende Weise verfahren: 
Sie machten die Einspritzungen zumeist am Vorderarm, wo das Zellgewebe 
locker ist, um Schmerz, Erysipel und und Abscesse zu vermeiden, und 
bedienten sich der mit gleichen Theilen Glycerin verdünnten F o w 1 e r’schen 
Tinctur. Der Vortheil der subcutanen Arseninjection vor der inneren 
Darreichung besteht darin, dass grössere Quantitäten ohne Nachtheil 
vertragen und zur Heilung schwerer Choreafälie gebraucht werden können. 
Hammond hat zuweilen mit 30 Tropfen begonnen, ist dann tropfen¬ 
weise gestiegen bis zu Gaben, die durch den Magen gereicht, eine 
Vergiftung bewirkt hätten und erzielte damit noch glänzende Resultate, 
nachdem das Mittel vergeblich innerlich bis zur Intoxication gegeben 
worden war. Er bedurfte zur Heilung schwerer Choreafälie die Hälfte 
der Zeit, welche die Darreichung durch den Magen beanspruchte, machte 
dabei die Injectionen einen Tag um den andern, wandte bei Kindern 
jedoch nnr kleinere Dosen an. Perrond’s Methode unterscheidet sich 
von der H a m m o n d’schen dadurch, dass hierbei nur kleine Dosen unter 
die Haut injicirt werden, 4—5 Tropfen reine Solutio Fowleri täglich oder 
einen Tag um den andern. Unter 33 derart behandelten ChoreaßUlen 
beim weiblichen Geschlecht verschiedenen Ursprungs, verschiedenen Alters, 


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Medicinisch-chirnrgisclie Rundschau. 


längeren oder kürzeren Bestehens genügte eine kurze Zeit zur Herstellung 
der Gesundheit. Die Hautreizung an der Einstichstelle war stets eine 
unbedeutende, erst nach dem Eintritt der Saturation bildete sich eine 
kleine Verhärtung. 

Eine Intoleranz gegen das Mittel bei subcutaner Injection trat nur 
selten ein, bei Kindern fast gar nicht, da diese eine grosse Toleranz 
für das Arsen besitzen. In den meisten Fällen erfolgt unter subcutaner 
Behandlung mit Arsen eine rapide Besserung, bisweilen sogar eine Fett¬ 
zunahme bei den Genesenen. Unter dem Einfluss dieser Methode genasen 
16 Choreakranke im Durchschnitt innerhalb 32 Tage. 13 andere Kranke, 
welche neben Arseneinspritzungen noch innerlich andere Mittel erhielten, 
bedurften dazu längerer Zeit, doch waren dies veraltete oder recidivirende 
Fälle. Aehnlich, wie Hammond, hat auch Siredey grosse Dosen 
Arsen subcutan erfolgreich bei Chorea injicirt und dabei grössere Toleranz 
als bei der Darreichung durch den Magen beobachtet. 

521. Thymol-Mixtur gegen Diphtheritis. Von Dr. J. H. Warren 
in Boston. (Virginia med. Monthly 1880. June.) 

Verfasser empfiehlt in einer Zuschrift an die Redaction folgende 
Mixtur als im höchsten Grade wirksam bei Diphtheritis. Rp.: Glycerini 
70 % Oy Thymol. 0'3 — 0'5, Kali chlorici lO'O , Chinini bisulf. 2'0 — 4 m 0, 
Aquae vitae (brandy) 250'0. S . Für ein Kind von 2—5 Jahren einen 
Theelöffel voll jede Stunde oder jede zweite. Diese Dosis kann mit 
zunehmendem Alter bis zum Esslöffel gesteigert werden. Wenn möglich 
reiche man das Mittel ohne Wasser, wodurch man eine Reizwirkung 
desselben auf den Rachen erhält, welche die Anwendung eines Gurgel¬ 
wassers überflüssig macht. (!) Diese Mixtur ist auch prophylaktisch gegen 
Diphtheritis und Malaria-Fieber werthvoll. Bei Zusatz von einigen Tropfen 
einer eisenhaltigen Tinctur zu jeder Gabe wirkt dieselbe tonisirend und 
kann mit Erfolg bei typhösen Fiebern mit Diarrhoe gereicht werden. 
Für Inhalationen wendet Verf. folgende Verschreibung an. Rp.: Glycerini 
35' 0, Thymol 0'5 — 0'7, Natr . boracici 20'0, Aq. camphor . 70, Aq. 
picis 200. 4. —on. 

522. Ueber einige neue Arzneipflanzen (Dito, Tonga, Quebracho). 
Nach „the gardener’s chronicle“. Von A. Eulenburg (Deutsch, med. 
Wochschr. 1880. 30). 

Als Dito-Rinde wird die Rinde eines in Indien und den Molukken 
weitverbreiteten Baumes, Alstonia scholaris, bezeichnet, die einen bitteren 
Geschmack besitzt und in Indien besonders als Tonicum und Adstrin¬ 
gens bei Dysenterie, Diarrhoe und ähnlichen Zuständen Anwendung 
findet. Als wirksamer Bestandtheil wurde anfangs ein vermeintliches 
Alkaloid, Ditain, bezeichnet; dieser Körper scheint jedoch noch zusammen¬ 
gesetzter Natur zu sein und eine bei Thierversuchen dem Curare analog 
wirkende Substanz (Ditamin) zu enthalten. Eine andere Alstonia-Art 
(A. constricta) aus Australien liefert eine dicke, aussen aschgraue, innen 
lichtgelbe Rinde, die bei Malariafiebem benützt worden sein soll. 

Die neuerdings als Antineuralgicum Aufsehen erregende 
Drogue, welche unter dem Namen Tonga nach London importirt worden 
ist, stammt von den Fidji-Inseln. Sie besteht aus einem Gemisch von 
Rindenpartikelchen, Blättern und Holzfasern in so äusserst kleinen Frag¬ 
menten, dass der botanische Charakter schwer zu bestimmen ist. [Nach 
der in der Pharmaceutical Society ausgesprochenen Meinung von Holmes 
dürften verschiedene Pflanzen, u. a. vielleicht eine Rhaphanidophora 


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Medicinisch-chirurgiache Rundschau. 


663 


(R-vitiensis, Seem.), darin participiren.] Diese Fragmente befinden sich in 
kleinen Packeten, von der Grösse einer Orange, die mit einem Stück 
Cocosnnssblatt eingewickelt sind. SydneyRinger erhielt dieselben mit¬ 
gebracht von einem Ansiedler der Fidji-Inseln, welcher darüber erzählte, 
dass die Composition ein Geheimniss sei, das sich in einer Häuptlings- 
Familie über 200 Jahre fortgeerbt habe; ein Europäer, welcher eine 
Häuptlings-Tochter heiratete, habe das Geheimniss der Bereitung von 
seinem Schwiegervater erlernt. Der Name Tonga sei ganz willkürlich in 
Ermangelung eines besseren erfunden! Beim Gebrauche wird das unver¬ 
sehrte Packet sammt dem daran haftenden Cocosnussblatt zehn Minuten 
lang in ein halbes Bierglas mit kaltem Wasser gesteckt, dann darin aus¬ 
gedrückt und der so bereitete Auszug in Dosen von je einem Weinglase 
(dreimal täglich eine halbe Stunde vor der Mahlzeit) genommen. Das 
Packet wird an einem trockenen Ort hingehängt und kann dann angeblich 
ein ganzes Jahr oder länger zu gleichem Gebrauche dienen. Oft soll 
schon den 2. oder 3. Tag bei Neuralgien Erfolg eintreten. (ln London 
sollen jetzt auch eine Tinctur und ein Infus aus der Drogue als pharma- 
ceutische Präparate Vorkommen.) 

Ueber das neuerdings so vielgenannte Quebracho erfahren wir, 
dass 2 Handelssorten gegenwärtig auf den Londoner Markt kommen, 
nämlich Quebracho blanco, die Rinde von Aspidosperma Quebracho, einer 
in der Provinz St. Jago einheimischen Apocynee — und das rothe Q. 
Colorado von Loxopterygium Lorentzii. Die erstere Rinde fand in ihrer 
Heimat früher als Fiebermittel ausgedehnte Verwendung und soll ein 
krystallisirbares Alkaloid (Aspidospermin) liefern; die weisse wie die rothe 
Binde werden in der Gerberei ihrer adstringirenden Eigenschaften halber 
verwerthet. 


523. UeberCongestion und Oedem der Lungen. Von Ch. Knapp. 
(Cincinnat. Lancet and Clinic. 1880. Nr. 10. St. Petersb. med. Wochschr. 
1880. 31.) 

Nachdem die frühere Behandlungsmethode der Pneumonie mit Blut¬ 
entziehungen coup sur coup verlassen worden, empfehlen die meisten 
Autoren eine Blutentziehung doch in dem Falle, dass in Folge heftiger 
Congestion sich collaterales Oedem in den nicht entzündlich afficirten 
Partien einstellt, während J ti r g e n s e n gerade im Gegentheile Stimulantia 
anräth, da die Congestion eine passive sei und in Herzschwäche ihre 
Ursache habe. Dem Praktiker wird es oft sehr schwer fallen, zwischen 
diesen, einander diametral entgegengesetzten Meinungen zu wählen und 
sich fUr die auf den einzelnen Fall passende Methode zu entscheiden. 
Um nun diesem Dilemma zu entgehen , Lungen und Herz zu entlasten, 
ohne das Herz zu schwächen und die für die Reconvalescenz so wichtige 
Blutmenge zu verringern, schlägt K. vor, in solchen Fällen den J u n o d- 
schen Stiefel zu gebrauchen, der als riesiger Schröpfkopf wirkend, Herz 
und Lungen eben so gut und besser entlasten müsste, als eine ausgiebige 
Venäsection, ohne dass Blut verloren geht. Je nach dem Effect und dem 
Zustande des Patienten könnten dann noch Stimulantien gereicht werden. 

524. Arsenik und Propylamin gegen Chorea minor. Von Docent 
Dr. Otto Soltmann. (Breslauer ärztl. Zeitschrift, 24. April 1880.) 

Während das erstgenannte Medicament bei Behandlung der Chorea 
noch viel zu wenig gewürdigt ist, leistet das andere nach Verf. gar 
nichts. Von Arsen solle man nicht zu geringe Gaben geben. S. lässt 


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Medicinisch-chirurgisclie Rundschau. 


jetzt gewöhnlich von einer Lösung Sol. Ars. Fowl. c. aq. ana 7*5 drei 
Mal täglich 4—6 Tropfen geben und hat durchschnittlich in 16—21 Tagen 
vollständige Heilung erzielt. Als Autoren citirt S. folgende: Romberg, 
Rice („Arsenik wirkt ebenso sicher gegen Chorea, wie Chinin gegen Inter- 
mittens 44 ), Ziemssen, Eulen bürg, Steiner und m. A. —Zuweilen 
verband S. mit dem Arsenik das Chloralhydrat, oder gab dieses Abends 
vor dem Schlafengehen zur Beruhigung in einer grrösseren Dosis (0*5 
bis l’O). Niemals hat S. bei dem Gebrauche des Arseniks — ein 
frischer Magenkatarrh contraindicirt das Präparat — störende Neben¬ 
wirkungen beobachtet, muss vielmehr ausdrücklich hervorheben, dass 
gerade anämische (chlorotische), mit hereditär-neuropathischer Disposition 
behaftete Kinder eine ausserordentliche Vertragsfähigkeit für das Präparat 
an den Tag legten. Auch veraltete Fälle genasen. — Ganz anders 
steht es um das von Pürkhauer so angerühmte Propylamin. Verf. 
hat 11 Chorea-Fälle damit behandelt und nicht in einem einzigen Falle 
einen nur irgendwie nennenswerthen Erfolg erzielt, ja er musste das 
Medicament oft wegen störender Nebenwirkungen aussetzen, in Fällen, 
die nachher durch Arsenik rasch geheilt wurden. 

525. Die Catheterisation des Magens. Von Dr. Zander 
(Eschweiler). (Deutsche med. Wochenschr. 1880, Nr. 6.) 

Nach Einführung der (englischen mit leicht beweglichem Magenende 
und kleiner olivenförmiger Anschwellung) Magensonde nimmt der Kranke 
die Knieellenbogenlage ein und beugt sich über den Bettrand dergestalt 
über eine dargebotene schiefe Ebene (z. B. Schreibpult) heraus, dass der 
Kopf sich etwa 30 Ctm. tiefer, als der Steiss befindet. In dieser Lage 
bleibt der Kopf, und die Sonde darf nicht zu früh entfernt werden: hört 
der Inhalt zu fliessen auf, so zieht man dieselbe etwas heraus u. s. f. 
Das Ausspülen mit 2pctg. Natronlösung wird dabei geübt. 

Verf. wählt am liebsten das Ausspülen vor dem Schlafengehen, 
damit der kranke Magen möglichst lange sich erholen kann. Nach 
Umständen wird eine Magenausspülung nöthig, um den über Nacht abge¬ 
sonderten Schleim zu entfernen. Da durch diese Methode die Magen¬ 
pumpe und andere Apparate unnöthig sind und der Kranke leicht das Ver¬ 
fahren an sich selbst austtben kann, empfiehlt dasselbe sich ganz besonders 
dem Landarzt. 

526. Das bromwasserstoffsaure Homatropin. Von Med.-R. Dr. 
Fronmüller (Fürth). (Memorab. 7. Heft 1880.) 

Durch das Studium der Alcaloidzerfällung hat sich eine neue Bahn 
für Gewinnung wirksamer interessanter Arzneimittel eröffnet. Auf diesem 
Wege ist es bereits gelungen, einzelne Wirkungsarten mächtiger Alkaloide 
in ihren Zerfällungsproducten mit Verdrängung oder Abminderung der 
giftigen Eigenschaften derselben zu isoliren. Von besonderem Vortheil 
ist es hierbei, dass diese Zerfällungsproducte in Wasser löslich und somit 
subcutan verwendbar sind. Wie nun vor mehreren Jahren durch Aus¬ 
fällen aus dem Morphium mittelst Salzsäure der Erbrechen erregende Stoff 
des Opiums, das Apomorphin, hergestellt worden ist, welches wegen 
seiner subcutanen Verwendbarkeit, wegen seiner raschen Wirkung mit 
Ausschluss des narcotischen Principes *) sich bereits eine gesicherte 

*) Selbstverständlich wird vorausgeschickt, dass das Präparat auch voll¬ 
kommen regelrecht gearbeitet ist. Es kam dem Verf. mehrmals vor, dass sich bei 
aus Apotheken bezogenem Apomorphin nach der Einspritzung doch einige, wenn 
auch geringe Opiumnarcose bemerklich machte. 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


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Stellung in der ärztlichen Praxis errungen hat, so ist es auch in jüngster 
Zeit namentlich den Bemühungen des Prof. A. Ladenburg (Kiel) 
gelungen, durch Spaltung des Atropin mittelst Salzsäure in Tropin und 
Tropasäure das Homatropin, von ihm so genannt, darzustellen, welches, 
mit Bromwasserstoffsäure verbunden, ein wichtiges, besondere Vortheile 
bietendes Pupillenerweiterungsmittel bildet (Mittheilungen in den Berichten 
der deutschen chemischen Gesellschaft in Berlin 1879). Durch die 
Versuche des Prof. Völkers (Kiel) ist festgestellt, dass bereits 7 bis 
10 Minuten nach Einträufelung einer einprocentigen Lösung des Mittels 
eine starke Pupillendilatation mit Accommodationslähmung erfolgte, dass 
schon nach wenigen Stunden eine deutliche Abnahme der Wirkung 
bemerkbar und nach 24 Stunden fast jede Spur derselben verschwunden 
war, ganz anders als bei dem Atropin, wo, wie bekannt, auf sehr 
unangenehme, oft schädliche Weise, die Accommodationslähmung mehrere 
Tage, mitunter Wochen und Monate lang fortdauert (Sitzungsber. des 
physiologischen Vereins zu Kiel v. 23. Jan. 1880). Von besonderer 
Wichtigkeit ist hierbei der Umstand, dass das Homatropin nur in geringem 
Grade giftig ist, so dass bei dessen Anwendung nicht zu befürchten ist, 
dass die bei den Einträufelungen durch Thränenpunkte und Nasenschlauch 
in den Magen kommenden Partien, wie dies bei Atropinverwendung 
mitunter erlebt worden ist, Vergiftungserscheinungen, ja sogar Geistes¬ 
störungen erregen. Auch werden bei der Verwendung des Homatropin 
ähnliche Vergiftungen verhindert, wie sie von Zeit zu Zeit sich durch das 
Leeren der zur Pupillenerweiterung dienenden Atropinfläschchen ereignen, 
wovon Verf. selbst einen Fall erlebt hat: Eine Magd hatte in Folge der 
Verwechselung der Fläschchen, statt vermeintlicher Magentropfen, ein für 
einen Augenkranken bestimmtes Gläschen mit Atropinlösung ausgetrunken. 
Baldigst in die Krankenanstalt verbracht, taumelte sie daher mit 
congestionirtem Kopf, mit stark erweiterten Pupillen, lebhaft gesticulirend, 
Unsinn schwätzend, mit frequentem Puls. Eine ziemliche Dose Morphium 
führte übrigens damals zu rascher Heilung. 

Was die physikalischen Eigenschaften des Homatropin betrifft, so 
besteht dasselbe aus einem in Wasser löslichen weisslichen Pulver von 
einem eigentümlichen Geruch und bittersüssem Geschmack, unter dem 
Mikroskop weisse amorphe Massen mit einzeln hervorstehenden unregel¬ 
mässigen Krystallen zeigend. Mit Schwefel- und Salzsäure, ebenso mit 
cau8tischein Natron in Berührung gebracht, behält es seine weisse Farbe 
bei. Die wässerige Lösung ergibt neutrale Reaction und bildet kein 
Sediment. Nach Ladenburg ist das Homatropin leicht darzustellen. 
Man lässt nämlich die Lösung von 2 gleichen Theilen Tropin und Mandel- 
säure in Chlorwasserstoff verdampfen. Die erkaltete Flüssigkeit fällt 
man mittelst überschüssigen kohlensauren Kalis und destillirt sie. Das Resi¬ 
duum bildet das rohe Homatropin, welches man durch Umwandlung in 
Bromhydrat und Krystallisirung dieses Salzes reinigt. Das Chlorhydrat 
bleibt bei der Verdampfung in Syrupform zurück und krystallisirt nur 
langsam. 

Zu seinen 58 Versuchen, welche Verf. mit dem Homatropin an¬ 
gestellt hat, benutzte er das von Merk in Darmstadt in specieller Ver¬ 
einbarung mit Prof. Ladenburg im Grossen dargestellte reine Präparat. 
Von diesen Versuchen dienten 23 zur Prüfung der Pupillenerweiterung, 
35 zur Prüfung des Giftgehaltes des Präparates. 

Die von Verf. bezüglich der Pupillendilatation erhaltenen Resultate 
stimmten im Allgemeinen mit den oben bemerkten, von Prof. Völkers 


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Medi cinisch-chirnrgische Rundschau. 




gewonnenen überein; nur sah Verf. sich bald genöthigt, statt der ein- 
procentigen eine zweiprocentige Lösung zur Erzielung einer etwas ener¬ 
gischeren Wirkung zu benützen. Auch erfolgte die starke Pupiflen- 
erweiterung öfters um 5—10 Minuten später, als dies bei Völkers 
der Fall war, doch in der Regel früher als bei Atropin. Die vollständige 
Rückbildung kam fast durchgehend noch am Tage der Instillation zu 
Stande; nur selten war am folgenden Tage noch eine geringe Erweiterung 
sichtbar, gegenüber der oft so lange währenden Accommodationsparalvse 
nach Atropin-Einträufelung. 

Als Muster seiner Beobachtungen, die sämmtlich ziemliche Gleich- 
mässigkeit darbieten, theilt Verfasser folgende mit: 

Am 17. Juni d. J. (Verf.’s erster Versuch dieser Art datiit schon vom 
30. April 1860) wurden einem 27jähr. gesunden Arbeiter, der voUkommen gesonde 
Augen besitzt, in das rechte Auge mittelst eines Tropfglases 2 Tropfen einer 
2procentgen Lösung von bromwasserstoffsaurem Homatropin geträufelt, in das linke 
nur ein Tropfen einer 1 procentigen Lösung von schwefelsaurem Atropin. Nach 
5 Minuten war noch keine Veränderung bemerkbar; 10 Minuten später war die 
rechte Pupille schon ziemlich erweitert, während die linke noch unverändert blieb. 
Wieder nach 5 Minuten war auch die linke Pupille erweitert und zwar noch 
etwas mehr, als die rechte. Um 10 Uhr waren beide Pupillen stark dilatirt die 
linke immer noch ein wenig weiter. Der Culminationspunkt der Erweiterung, 
und zwar für beide Pupillen gleich, war um 11 Uhr 15 Minuten erreicht. Der 
gleiche Zustand verblieb bis Nachmittags 1 Uhr 30 Minuten, wo ein Rückgang 
der rechten Pupille begann, während die linke gleichmässig erweitert blieh 
Abends 8 Uhr war die rechte Pupille in ihren normalen Stand zurückgegangen, 
die linke noch ziemlich erweitert. Letztere blieb noch 3 Tage lang erweitert 

„Bei diesem Ergebnisse,“ schliesst Verf,, „kann man wohl annehmen, 
dass in Zukunft der Wahrscheinlichkeit nach das Homatropin bei den 
Augenuntersuchungen dem heimtückischen Atropin wird vorgezogen werden.“ 

Um den Grad der Giftigkeit des Homatropin zu ermitteln, machte 
Verf. 35 vorsichtige Tastversuche, bis er endlich zu der Dose gelangte, 
wo es anstreifte und sieb die ersten Vergiftuugspuren zeigten : 

Am 11 Mai fing Verf. mit einem halben Milligramm an, welches 
er einem jugendlichen Arbeiter in den Vorderarm einspritzen liess. Der 
Versuch blieb ohne alle Wirkung. Dann nahm er bei verschiedenen 
Kranken 1 Milligramm, dann 3 auf die Spritze, dann 3 1 / 2 , dann 4, eben¬ 
falls ohne Wirkung. Bei 5 Milligramm angekommen, lies er Pillen zu 
je 0*005 Homatropingehalt fertigen und stieg damit allmälig bis zu 12 
im Tag, wobei 3 Mal 4 Stück mit mehrstündigen Pausen genommen 
wurden. Da sich nun auf dieser Höhe der Gaben einige leichte Intoii- 
cationssymptome bemerklich machten, als Trockenheit und Kratzen im 
Hals, Eingenommenheit des Kopfes, einiger Schwindel, so hielt Verf. cs 
für rathsam, nicht weiter zu gehen. Merkwürdiger Weise zeigte sich I 
keine Spur von Pupillenerweiterung bei diesen Versuchen. Der Puls wir 
ziemlich variabel, blieb sich bald gleich bei den Versuchen, bald nahm 
er darnach ab, andere Male wieder gewann er an Frequenz. 

Aus diesen Versuchen ist die Thatsache zu entnehmen, dass das 
Homatropin einen bedeutend geringeren Giftgehalt besitzt, als das Atropin. 
Nach der innerlichen oder subcutanen Einverleibung von einem Grm. 
Homatropin kam es nicht einmal zur Pupillenerweiterung. 

Bei dieser Gelegenheit machte Verf. noch eine besondere Beobach¬ 
tung. Unter den Versuchspersonen befanden sich nämlich einige Phthisiker 
mit colliquativen Schweissen. Letztere schwanden auffällig nach der Ein¬ 
verleibung des Homatropin. Leider waren diese Beobachtungen nur 
gering an der Zahl. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass man mittelst 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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dieses Mittels die günstige Wirkung des Atropin gegen übermässige 
Schweissbildung, vielleicht auch gegen Epilepsie und Keuchhusten, ohne 
die Vergiftungserscheinungen fürchten zu müssen, wird erzielen können, 
und zwar auch auf subcutanem Wege, was besonders erwünscht ist. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 

527. Beiträge zu den Operationen an der Scapula. Von 

Dr. Th. Gies. (Deutsche Zeitschr. f. Chirurg. XII. Bd. Heft 6.) 

Verf. hat anlässlich zweier Fälle von operativen Eingriffen an der 
Scapula, die er auszuführen Gelegenheit hatte, die einschlägige Literatur 
der Resectionen und Exstirpationen der Scapula durchgesehen. Er Über¬ 
zeugte sich hierbei, dass gerade rticksichtlich der operativen Eingriffe 
an der Scapula noch manches Unentschiedene vorliege; überdies werde 
die Beurtheilung dieses Gegenstandes durch die mangelhaften Angaben 
der Literatur hierüber erschwert. 

Vor Allem wollte Verf. eruiren, ob St. Roger’s Ausspruch richtig 
sei, dass die Resection eines grossen Theiles der Scapula gefährlicher 
sei, als die des ganzen Knochens, d. h. ob es richtig, dass die Total¬ 
exstirpation der Scapula der Resection derselben vorzuziehen sei. — Dies 
liess sich natürlich nur auf Grundlage einer möglichst genauen Statistik 
der Operationen an der Scapula herausfinden. 

Verf. schliesst sich in der Eintheilung der chirurgischen Eingriffe 
an der Scapula der Darstellung dieses Gegenstandes von Fr. Ried 
(Die Resectionen der Knochen, Nürnberg 1847) au, u. zw. in nach¬ 
folgender Weise: 

1. Totale Resection (Exstirpation der Scapula). 

2. Entfernung des grösseren Theiles der Scapula mit Zurücklassung 
der cavitas glenoid. 

3. Partielle Resectionen. 

Von Totalexstirpationen der Scapula hat Verf. in der Literatur 
80 Fälle aufgefunden, u. zw. den Krankheiten nach vertheilt, wegen 
Carcinom 21, Sarcom 8, Enchondrom 6, Tumor? 4, Necrosis 6, Caries 3, 
Schussverletzung 16, Fractur. comminut. 3, Maschinenverletzung 4, 
Osteophyte 1, fragliche Fälle 8. 

Darunter 12 Todesfälle, die in directem Zusammenhang mit der 
Operation standen; zweimal ist die Todesursache nicht angegeben, einmal 
Marasmus, siebzehnmal trat Recidive der Tumoren ein (mit Exitus 
lethalis). 

Lange Zeit war es Uebung, gleichzeitig mit der Scapula den 
ganzen Arm zu entfernen (21 Male unter obigen 80 Fällen); wahr¬ 
scheinlich hielt man den Arm ohne die Cavitas glenoid. scapul. für ein 
unnützes Anhängsel des Leibes. 

B. von Langenbeck war der Erste (1850), der die Total¬ 
exstirpation der Scapula mit Belassung der oberen Extremität (und des 
Proc. coracoid.) am Leibe ausfiihrte. 

Die Functionsfähigkeit des Armes war hierbei im Ganzen als gut 
bezeichnet. Auch nach der Totalexstirpation der Scapula mit gleichzeitiger 
Resection des Caput humeri erwies sich der Arm fast stets als 
brauchbar. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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Verf. ist der Ansicht, dass bei der gegenwärtigen antiseptischen 
Wumlbeliandiung8methode die Grenzen fiir die Totalexstirpation der Scapula 
entschieden zu erweitern seien, d. h. man soll sie auch bei Careinomen, 
Sareonien und Caries anwenden (nicht blos bei gutartigen Tumoren, 
Nocrosen und Verletzungen). 

Wenn bei der Scapula-Exstirpation zugleich die obere Extremität 
mit entfernt werden muss, dann empfehle es sich (nach Roser) erst die 
äussere Claviculahälfte zu reseciren, dann die Arter. subclav. zu unter¬ 
binden und dann erst die Exstirpation der jetzt bedeutend mobiler 
gemachten Scapula vorzunehmen. 

Schnittführung: (nach Esmarch) Bildung eines grossen 
vorderen Lappens, nach Durchschneidung des Muse, pectoral. vor der 
Achselhöhle ; weiters ein hinterer grosser Lappen (der durch Lospräpariren 
der Haut bis an die Basis der Scap. erhalten wird). Jetzt folgt Durch¬ 
trennung der die Scapula mit dem Rumpfe verbindenden Muskel; hierauf 
die Scapula an ihrem unteren Winkel gefasst, nach oben hin vom Rumpfe 
abgezogen und der Muse, subseap. entweder belassen, oder, wenn gleich¬ 
falls erkrankt, mit entfernt. Zuletzt folgt Durehtrennung des Muse, 
pector. minor. Ob der Arm mitexstirpirt werden müsse oder ob schon 
die Rcseetio eapit. humeri genüge, dies ergibt sich bei der Eröffnung des 
Schultergelenkes. 


II a ut schnitt führ ung: Einige der Haupttypen davon sind: 
Ein Längsschnitt längs der ganzen Spina scap.: darauf vom unteren 
Winkel her senkrecht auf die Mitte des ersten Schnittes eine Lncision 
(Syme : oder 3 Incisionen (die eine längs der Spin, scap., dann am 
äusseren Ende des ersten Schnittes nach oben hin gegen den Hals, ein 
dritter Schnitt am inneren Ende des ersten Schnittes und abwärts längs 
dem Innenrande der Scapnla (Yelpeau), so dass 2 dreieckige Lappen 
entstehen: oder Blosslegung der Scapula mittelst eines recht- oder stumpf- 
winkligen Lappens, dessen Scheitel am oberen inneren Scapnlawinkei. 
dessen einer Schenkel längs dem inneren Scapularande, der andere längs 
dem oberen Rande verläuft (Langenbeck). 

Ist so der Körper der Scapula freigelegt, so sind nun die die 
Scapula mit dem Arme und dem Rücken verbindenden Muskeln zu 
durchtrennen. Man beginnt vom unteren Winkel her, indem man die 
Scapula fasst , sie vom Rumpfe abhebt und vom M. snbscapul. abtrennt 
Hierauf folgt die Trennung der Verbindung des Acromion mit der 
riavieula oder das änssere Ende der letzteren resecirt), dann lncision 
der Gelenkkapsel hart am Capnt humeri: ist letzterer auch erkrankt, so 
wird er resecirt. Schliesslich folgt die Lostrennung der Muskeln vom 
l ive, eoracoid. Ist das Acromion nicht miterkrankt, so ist für die Er- 
haltung der Schulterform und Gebrauchsfahigkeit des Armes von grossem 
Nutzen es . rückzulassen (Fergusson): wird es aber auch entfernt 
so einpliehlt es sich (n. Roser\ das änssere Ende der Clavicula zu 
reseciren . da das vorspringende Clavicula-Ende sonst die Benarbung 
sehr stört. Schliesslich sorgfältige Unterbindung und Lister’scher 
Verband, der den Oberarm mit einschliesst und an den Rumpf befestigt. 

Von Amputationen der Scapula fährt Verf. 34 Fälle an 
(Careinom 10, Sarcome 6, Enchondrom 3. Caries 3, Schussverletzung4, 
Iforosis 4, Myxoma ossif, 1, Maschinenverietzung 1. Fraglich? 2); 
n sind 8 gestorben, 3 Carcin. deün. geheilt, 4 Recidiven, 3 Exit. 

Sarcome 4 geheilt. — Die Gebrauchsfahigkeit des Armes in 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


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15 Fällen eine vollkommen gute, in 2 Fällen gut, in 1 Falle 
gänzlich unbrauchbar (dreimal nichts angegeben). 

Schnittführung: ähnlich wie oben für die Exarticulation an¬ 
gegeben. Das Collum scapul. wird mittelst Stichsäge oder Li s ton’s 
Knochenscheere oder Hohlmeissel durchtrennt. Die Knochendurchtrennung 
wird am besten gleich zu Beginn (so lange die Scapula noch fixirt ist) 
vorgenommen: erst die Spina am Acromion durchtrennen, dann die 
Mm. supra- et infraspinat. durchschneiden ; dann unter Leitung des Fingers 
das Collum scap. durchtrennen. Nach Trennung der Scapula von ihren 
Fortsätzen werden die Muskeln vom inneren und äusseren Rande her 
durchschnitten, die Scapula vom Rumpfe abgehoben und vom M. subscap. 
getrennt. Li st er’s Verband mit Befestigung des Oberarmes am Thorax. 

Von Resectionen der Gruben führt Verf. an: jene der fossa 
infraspinat. 20 Fälle, jene der Fossa supraspin. 3 Fälle. 

Die Indicationen waren ähnliche, wie oben schon (für die Ampu- 
tatio scap.) angegeben. Sowohl bei diesen als den übrigen partiellen 
Resectionen (eines Randes, Winkels, des Acromions) ist aus den 
statistischen Mittheilungen des Verf.’s zu ersehen, dass sowohl die 
Gebrauehsfähigkeit des Armes, als auch die Chancen der Recidive, selbst 
das Mortalitätsverhältniss im Vergleiche zu den statistischen Ergebnissen 
der Amputation und Totalexstirpation der Scapula, durchaus weniger 
günstig erscheinen. (Das Detail s. im Original-Aufsatze.) 

In ähnlicher Weise lassen die vergleichenden statistischen Ergebnisse 
die Amputatio scap. weniger günstig erscheinen, als die Total¬ 
exstirpation der Scapula. 

Es sei demnach, schliesst Verf., ganz gerechtfertigt, wenn man 
(mit St. Rogers, Schneider u. A.) anstatt zur Amputatio 
scap., meistens zur Totalexstirpation derScapula greife, 
umsomehr, als man bei Tumoren dann sicherer sei, alles Krankhafte 
entfernen zu können. Fr. Steiner (Marburg). 

528. Die locale Anästhesirung durch Aether. Von Dr. Carl 
Lauenstein (Hamburg). (Ctrblt. f. Chirurgie. 1880. 31.) 

Obwohl keinem Chirurgen unbekannt, ist die locale Anästhesirung 
durch Aether in seiner Anwendung kaum über die Grenzen der Kranken¬ 
häuser und Kliniken hinaus verbreitet. Als man im Anfänge der 50er 
Jahre seine local anästhesirende Wirkung kennen gelernt hatte, stellte 
man an dieselben die höchsten Anforderungen. Man verwandte die locale 
Anästhesie nicht nur bei der Exstirpation grosser Geschwülste, den 
grössten Operationen, ja Richardson selbst construirte einen höchst 
complicirten Aetherspray, unter dessen Anwendung der Kaiserschnitt aus¬ 
geführt wurde. 

Es lag ohne Zweifel an diesen übertriebenen Anforderungen, dass 
man sehr bald über die Methode Richardson’s den Stab brach. 

Wenn man jedoch von dem Aetherspray nicht mehr verlangt, als 
er leisten kann, so ist er innerhalb dieser Grenzen eine unschätzbare 
Hülfe auf grossen chirurgischen Abtheilungen und nicht minder für die 
Privatpraxis. 

Während der Assistentenzeit des Verf.’s auf der chirurgischen Station 
des allgemeinen Hamburger Krankenhauses, wo stets eine beträchtliche 
Menge von Fällen lagen, in denen kleinere Eingriffe nöthig waren, kam 
der Aetherspray täglich in Gebrauch. Er wurde dort regelmässig benutzt 
bei Spaltung von Weichtheilabscessen, Incision von Phlegmonen und 

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Mediciniscli-chinirgiiche Raadachau. 


Panarritien, Anlegung von Gegenöffnungen bei Eitersenkungen nach Mamma 
und Extremitäten-Amputationen, bei Tenotomien , bei Spaltung und Aus¬ 
löffelung oberflächlich gelegener vereiterter Schleimbeutel, wie der Bursa 
anconaea und praepatellaris, bei Entfernung kleiner Fremdkörper (Holz- 
und Eisensplitter) aus der Haut, sowie zur Exstirpation kleiner cutaner 
und subcutaner Geschwülste. Ebenfalls wandte er den Aetherspray mit 
gutem Erfolge an zur Abtragung von Stücken des Präputium nach 
gangränösen Schankern — so wie zur Spaltung der Phimose. Hierbei 
ist zu berücksichtigen, dass man bei Anwendung des Aetherspraj 
den Genitalien, also z. B. auch bei Bubonenspaltung, den Hodeusack 
ordentlich schütze, weil derselbe sehr empfindlich gegen Aether ist. 
Am besten erreicht man dies durch dichtes Umlegen einer Schicht 
feuchter Watte. 

Sehr zu empfehlen ist die Benutzung des Aetherspray bei der 
Entfernung eingewachsener Nägel, ein Eingriff, der, wenn auch sehr 
schmerzhaft, doch für die Chloroformnarcose immerhin etwas geringfügig 
ist. Man anästhesirt erst das ganze Nagelbett, indem man den Spray aut 
die ganze Fläche des Nagels, sowie auf die Nagelwurzel wirken lässt, 
schiebt dann die eine Branche der Kornzange tief zwischen Nagel und 
Nagelbett und hebelt den Nagel durch eine kräftige Rotationsbewegung 
ab. Bei ängstlichen Pat. passirte es öfter, dass der Kranke, der siel di 
Augen zuhält oder mit seitwärts gewandtem Kopfe daliegt , noch immer 
auf den „schrecklichen“ Act wartet, während der Nagel schon tagst 
fort ist. Sodann werden oft kleine Lupusstellen und Granulationswük 
mit gutem Erfolge, d. h. schmerzlos, unter Aetherspray mit dem scharfen 
Löffel entfernt. Jedoch ist zu bemerken, dass alle an der Nase oder den 
Lippen bestehenden Affectionen sich nicht für die Behandlung unter 
Aether eignen, da die Pat. durch den concentrirten Aetherdunst 
stickungserscheinungen bekommen. Eben so wenig eignet sich das Zahn¬ 
fleisch zu Eingriffen unter Aetherspray, die namentlich bald nach 
Entdeckung desselben vielfach von Zahnärzten vorgenommen wurden. 
Abgesehen von der grossen Empfindlichkeit, die Schleimhäute an 
für sich — in noch höherem Masse, als das Scrotum — gegen Aether 
zeigen, so wird beim Einblasen des Aethers in den Mund erst recht dit 
Athmung unmöglich. 

Wangen, Stirn und Ohrengegend eignen sich dagegen zur Anwendung 
der localen Anästhesie. Die Augen schützt man am zweckmässig st« 
durch einen feuchten Wattebausch. So excidirte Verf. erst kürzlich einer 
Dame auf dieser Weise schmerzlos die in das Ohrläppchen eingewachs« n 
Schraubenmutter eines Ohrringes; desgleichen exstirpirte er einem Herrn 
einen 20pfennigstückgrossen Naevus mit myrthenblattförmigem Schnitt m 
der Schläfenhaut. Die mit 3 Nähten geschlossene Wunde heilte prima 
intentione. A priori wäre es nicht unwahrscheinlich, dass bei einer so 
starken Kälte Wirkung (das Thermometer sinkt, so wie der Aetherstrahl 
auf die Quecksilberkugel gelenkt wird, sehr rasch auf — 15° C.) Gan¬ 
grän entstände, oder sich die Circulationsverhältnisse derartig veränderten, 
dass die prima intentio verhindert würde. L. hat jedoch nie eine nach¬ 
theilige Einwirkung auf die Wundheilung beobachtet. 

Man hüte sich übrigens, wenn man den Aetherspray anwendet, 
davor, dass Feuer in der Nähe ist, weil Explosionen dadurch entstehen 
können; man benutzt deshalb den Aetherspray zweckmässig nur bei 
Tageslicht. Diese Feuergefährlichkeit des Aethers braucht jedoch keine 
Gegenindication abzugeben, um unter Umständen locale Anästhesie zum 

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Medicinisch-chirorgische Bundschau. 


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Zwecke der Anwendung des Glüheisens hervorzurufen. So wurde z. B. 
ein Frohnknecht, vom tollen Hunde gebissen, ins Krankenhaus gebracht. 
Die Bisswunde am Vorderarm wurde rasch mit dem Aetherspray 
anästhesirt und dann mit dem Paquelin ausgebrannt. Der Frohnknecht 
verzog keine Miene. In solchen Fällen muss man die Vorsicht anwenden, 
dassman pach hergestellter Anästhesie — dieselbe ist nach 1—l 1 /* Minuten 
erreicht — rasch die Stelle mit einem trockenen Wattebausch abreibt, 
ehe man das Cauterium anwendet. 

Ausser bei den bereits genannten Eingriffen wurde vom Verf. noch 
der Aetherspray regelmässig mit Nutzen angewandt bei der S c h e d e’schen 
Umstechung der Varicen, einer Operation, die sich auch in der Privat¬ 
praxis recht gut ausführen lässt, sowie bei der Transplantation. 

Bei der Sched e’schen Umstechung ist das Schmerzhafte der 
Moment des Ein- und Ausstechens durch die Haut, und diesen Schmerz 
iat die locale Anästhesie völlig im Stande auszuschliessen. 

Der Werth des Aethersprays für die Transplantation, die man in 
einer ausgedehnten chirurgischen Thätigkeit kaum entbehren kann, ist 
besonders für die Privatpraxis in die Augen springend. Denn während 
man im Krankenhause meist genügendes Material zum Transplantiren 
hat, muss man in der Privatpraxis dasselbe von dem Pak selbst ent¬ 
nehmen, oder wenn nicht von ihm, so doch jedenfalls vom lebenden 
Menschen. Unter Aetherspray kann man die Stückchen vollständig 
schmerzlos abtragen und hat dabei noch den Vortheil, dass die Haut 
gefriert und hart wird und sich in Folge dessen viel besser schneiden 
lässt. Der Aetherspray eignet sich also ftir kurz dauernde, oberflächliche, 
nur über ein geringes Gebiet sich erstreckende Operationen. Ungeeignet 
ftir seine Anwendung sind Nase, Lippen, Scrotum und Schleimhäute. 

0. R. 


529. Ueber unblutige Amputation der weiblichen Brust. Von 
Dr. H. Leisrink. Mitth. aus dem israel. Krankenh. zu Hamburg. 
(Ctrlbl. f. Chir. 1880. 30.) 

Am 8. März d. J. wurde die 83 Jahr alte A. J. aufgenommen. Anam¬ 
nese ergibt, dass Kranke sich vor mehr als 20 Jahren ihre linke Mamma 
gegen eine scharfe Ecke gestossen haben will. Von da an soll eine 
schmerzhafte Geschwulst sich entwickelt haben, weiche vor mehreren 
Wochen perforirte, und aus weicher seit einer Woche eine mehr oder 
minder profuse, aber ständige Blutung erfolgte. Die Kranke blass, kleiner 
Puls. In der linken schlaffhängenden Mamma fanden sich 2 gänseeigrosse, 
ziemlich feste, auf Druck schmerzlose Geschwülste, welche mit der Haut 
verwachsen waren. Aus einer derselben, und zwar am unteren Rande der 
Brust kam aus einem kleinen Ulcus eine ziemlich lebhafte Blutung. 
Einstweilen wurde dieselbe durch mehrere tiefgreifende Nähte gestillt, die 
Mamma hoch gelagert und mit Eisbeuteln belegt. Mehrere Tage stand 
die Blutung, dann schnitten die Nähte durch, und eine nun wieder ein¬ 
tretende, wenn auch nicht sehr bedeutende, doch Tag und Nacht dauernde 
Blutung musste in absehbarer Zeit die Kranke tödten. Auf anderer Beite 
war nicht daran zu denken, in der gewöhnlichen Weise die Mamma zu 
amputiren; einen grösseren acuten Blutverlust hätte die sehr geschwächte 
Kranke gewiss nicht ertragen. Da nun aber die Mamma eine sehr 
„hängende“, oberhalb des Drüsenkörpers nur die dünne Hautduplicatur 
vorhanden war, war die Möglichkeit gegeben, hier einen Druck wirken 
zu lassen, stark genug, um die Geffcsse zu comprimiren, und davor die 


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Medicmisch-cliirurgische Rundschau. 


Brust abzuschneiden. Verf. Hess sich also einen Apparat construiren, be¬ 
stehend aus 2 Metall-Leisten, von denen die eine an jedem Ende einen 
kurzen Querstab trägt, auf welchem vermittelst zweier Schrauben die 
andere Stange fest aufgeschraubt werden kann. Am 13. März wurde 
diese Schrauben-Klemme angelegt, nachdem die Brust durch Aufheben 
möglichst leer von Blut gemacht war, und Verf. konnte nun ohne 
einen Tropfen Blut zu vergiessen, die Mamma davor abschneiden. Dann, 
nachdem alle sichtbaren Gefässe gefasst und unterbunden waren, wurden 
langsam die Schrauben gelöst und jedes sich zeigende blutende Geftss 
unterbunden. Nach Entfernung des Apparates wurde die Wunde genäht, 
drainirt und mit einem Li st er Verband versehen. 

Unter 2 Verbänden heilte die Wunde aseptisch bis auf ganz kleine 
Stellen an den Wundwinkeln. Mitte Mai konnte die Kranke, rund und 
kräftig geworden, entlassen werden. 

Eben so günstig verlief ein zweiter Fall (72 Jahre alte Frau). 
Näheres im Original. 

Diese Methode der Blutleere der weiblichen Brust ist allerdings 
nur bei einem gewissen Fettmangel in der Hautduplicatur oberhalb des 
Drüsenkörpers anzuwenden, bei diesen sogenannten „Hängebrüsten“ aber 
auch mit sehr befriedigendem Erfolg. In den Jahren nun, in denen 
Mammatumoren am meisten auftreten oder doch dem Chirurgen Vor¬ 
kommen, in den climacterischen, tritt zumeist ein Schwund des Fettes 
in der Duplicatur auf, verlieren die Brüste ihre pralle, runde Form und 
werden mehr oder weniger „hängend“. Somit glaubt L., dass in nicht 
seltenen Fällen der kleine Apparat zur Anwendung gebracht werden kann. 
Schwellung der Achseldrtisen ist keine Contraindication zur Anlegung der 
Klammer. Man kann ja zuerst die Mamma amputiren, die Gewisse dieser 
Wunde unterbinden und dann an die Exstirpation der geschwollenen 
Drüsen gehen. 

Es fragt sich nun, ob man mit schon vorhandenen Apparaten nicht 
dasselbe erreichen kann als mit diesem neuen Apparat. Verf. dachte 
daran, den E s m a r c h’schen Schlauch anzulegen und ihn durch vorge¬ 
steckte Nadeln am Abrutschen zu verhindern. Abgesehen davon, dass 
ein theilweises Abrutschen doch kaum zu vermeiden ist, und dass durch 
den Schlauch die Haut so zusammengefaltet wird, dass die Gefässlumina 
schlecht zu sehen sind, hat der Apparat des Verf. den grossen Vor¬ 
theil, dass, da die Schrauben durch einen Assistenten ganz langsam gelöst 
werden können, der Operateur selbst in Ruhe jedes der sich nach und 
nach zeigenden Gefässe fassen kann. Gerade durch diese Möglichkeit 
kann die Operation wirklich zu einer ganz „unblutigen “ gemacht werden. 

0. R. 

530. Ueber Mycosis vaginae. Von C. Mettenheimer. (Memora¬ 
bilien 1880. I.) 

Eine gesunde IVpara fühlte 14 Wochen nach der Geburt ihres 
jüngsten, noch von ihr gestillten Kindes heftiges Jucken und Brennen in 
den Geschlechtstheilen bei sonstigem Wohlbefinden. Eine Localinspection 
ergab die Scheide etwa 2 Zoll hoch hinauf mit weissen bröckligen, zum 
Theil festsitzenden Massen belegt, die oben wie abgeschnitten endigten. 
Scheidengewölbe und Mutterhals waren ganz frei. Diese Massen bestanden 
aus Epithelialzellen, organischem Detritus und einem dichten Filze von 
gegliederten Fäden, die Verf. zum Oidion albicans rechnet. Nach 3 Mal 
24ständiger Behandlung mit Irrigationen und adstringirenden Einlagen 

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war alle Auflagerung geschwunden. M. spricht die Ansicht aus, dass die 
Frau von ihrem eigenen an heftigem Soor leidenden Kinde auf dem 
Wege des Nachttopfes, in den die zum Reinigen des Kindermundes ver¬ 
wandten Läppchen wanderten, angesteckt worden sei. Im zweiten Falle 
erkrankte eine ebenfalls nicht schwangere Frau, nachdem sie eine leichte 
Rachendiphtheritis durchgemacht, unter denselben Symptomen wie die 
erste Frau. Der locale Befund war ebenfalls annähernd derselbe. Die 
Auflagerungen bestanden aus Pflasterepithel, in dessen Zellen Mikrococcen 
zu haften schienen, ferner aus Pilzsporen und Pilzfäden, die dem Oidion 
albicans ähnelten und dicht verfilzte Rasen bildeten. Auch hier rasche 
Heilung auf Localbehandlung, auch hier ist der Nachttopf des ersten 
Falles, der die Schwammstückchen, die zur Aetzung der Rachendiphtheritis 
verwandt worden waren, aufnahm, der Träger des Contagiums. 

Verf. betont besonders, dass seine beiden Fälle nicht schwangere 
Frauen betrafen, während nach anderer Ansicht gerade in der Schwanger¬ 
schaft die weiblichen Genitalien besonders gern eine Brutstätte niederster 
Organismen abgeben. 

531. Ermöglichung der Reposition des eingeklemmten Leisten- 
braches durch Punction des Bruchsackes. Von Dr. Estner. (Berl. 
klin. Wochschr. 1880, 9.) 

Eine 32jährige Frau erkrankte unter Erscheinungen der Bruch¬ 
einklemmung. Es stellte sich Kotherbrechen ein. Nachdem 6 Tage hin¬ 
durch alle möglichen Hausmittel zur Behebung der eingetretenen Stuhl¬ 
verhaltung angewendet wurden, nahm man ärztliche Hilfe in Anspruch. 
Der herbeigeholte Arzt versuchte die Reposition des linksseitigen Leisten¬ 
bruches, doch vergebens, die fernere Anwendung von warmen Bädern, 
Clysmata, Umschlägen, Ricinus-Emulsion blieben ebenfalls erfolglos. Koth¬ 
erbrechen und Stuhlverhaltung dauerten fort. Verf. fand die Frau, als 
er geholt wurde, durch die achttägige Nahrungsenthaltung und fort¬ 
währendes Erbrechen höchst entkräftet. Auch er versuchte die Reposition 
des prallgespannten Bruches ohne Erfolg. Wegen des decrepiden Zustandes 
des Pat. musste von einer Herniotomie Abstand genommen werden und 
wurde als letztes Hülfsmittel die Punction der Bruchgeschwulst mittelst 
Probe-Troicarts beschlossen, um durch die eventuelle Entleerung von 
Bruchwasser oder Darmgasen eine Verkleinerung der Bruchgeschwulst 
herbeizuftlhren. Die Punction wurde in einer Tiefe von IV 3 Ctm. vor¬ 
genommen, worauf sich zwei Esslöffel einer blutig-wässerigen Flüssigkeit 
entleerten, die Bruchgeschwulst collabirte, so dass die Reposition mit 
Leichtigkeit von Statten ging. Ein darauf verabreichtes Laxans erzeugte 
reichlichen Stuhlgang. Das Erbrechen sistirte und Pat. erholte sich bald 
ganz. Dieser ungefährliche chirurgische Eingriff dürfte oft die Ermög¬ 
lichung der Reposition resultiren, weshalb Verf. diesen Fall mittheilt. 

532. Ueber den Einfluss der Faradisation auf übermässige 
Schweissabsonderung. Von L. A. Gordon. (Aus dem klinischen Privat- 
Ambulatorium für Nervenkranke des Dr. Drosdoff.) (Wratsch (Arzt) 
Nr. 20. 1880. Erlenmeyers Ctrbl. f. Psychiatr. 1880. 13.) 

Von der, durch Dr. Drosdoff ausgesprochenen Idee ausgehend, 
dass der localisirten Hyperidrose bei sonst gesunden Individuen eine 
Functionsstörung der peripheren Nerven zu Grunde liege, prüfte Verf. 
1 . mit dem Weber’schen Tasterzirkel und Elektricität die Sensibilität 
der betreffenden Hautstellen, und 2. den Einfluss der Faradisation auf 
Med -chir. Rundschau. 1680. byC 43 



674 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


die gefundenen Veränderungen sowohl, als auch auf die Hypersecretion 
selbst. 

Zu den Untersuchungen wurden benützt die in den Ambulatorien 
so häufig anzutreffenden, an hartnäckigen Hand* und Fussschweissen 
leidenden Personen. Die tactile und die elektrocutane Sensibilität, sowie 
die locale Temperatur wurden nach den üblichen Methoden geprüft und 
führten zu folgenden Schlüssen: 1. An den schwitzenden Handtellern und 
Fusssohlen ist sowohl die elektrocutane als auch die tactile Sensibiliät 
herabgesetzt. 2. Die örtliche Temperatur ist erniedrigt und fühlen sich 
solche Extremitäten immer kühl an. 3. Die systematische Faradisation 
solcher Stellen restituirt die Empfindungsstörung, erhöht die locale Tem¬ 
peratur und vermindert in solchem Grade das lästige Schwitzen; zuweilen 
hört dasselbe dabei ganz auf (5 Fälle). 4. In der Mehrzahl der Fälle 
geht die Verminderung der Schweisssecretion der Erhöhung der Sensi¬ 
bilität und der Temperatur parallel. 

Zur Illustrirung der gewonnenen Resultate wird einer der 7 von 
den beobachteten Fällen ausführlich mitgetheilt: 

Stud. M., 24 Jahre alt, mit mässig entwickelter Muskulatur, zeigt 
normale Brust- und Unterleibsorgane, auch functionirt sein Nervensystem 
gut, nur ist sein Schlaf seit 6 Jahren schlecht. Er suchte im Ambulatorium 
Hülfe gegen das bereits vor Jahren ohne besondere Veranlassung auf- 
getretene sehr starke Schwitzen der Handteller. Er ist früher schon 
dagegen behandelt worden, hat in den letzten 2 Wochen 2—3 Mal täglich 
seine Hände mit einer recht starken Alaunlösung, aber ohne Erfolg, 
gewaschen. Dr. Drosdoff schlug die Faradisation vor, welche immer 
mit dem trockenen elektrischen Pinsel jedesmal 10—12 Minuten lang 
angewandt wurde. 

Das Resultat 15 solcher Sitzungen war nun folgendes: 

Vor der Nach Nach 




Faradisation 

R. L. 

lO^SitzuQjj^n 

15 Sitzungen 
R. L. 

Locale Temperatur . . . 

. 3U-3 

31°*5 

34° 0 

35°*2 

34° 8 35°'S. 

Hautaensibiütät | 

' Handteller 

. 9 Mm. 

8 Mm. 

7 Mm. 

6 Mm. 

6 Um. 5 Mm. 

Finger 

. 4 Mm. 

3*5 Mm. 

3*5 Mm. 2*6 Mm. 

3 Um. 2-2 Mm. 

Elektrocutane i 

Handteller 

. 28 

3*4 

3-6 

4*0 

40 4-6 

Bensibiliät | 

Finger 

. 3-8 

4*0 

4-2 

4*6 

44 4-8 

Schweisa 



vermindert 

sehr vermindert 


Der Kranke wird noch weiter faradisirt; bei der Prüfung der 
elektrocutanen Sensibilität wurde vorläufig nur das Minimum der elektri¬ 
schen Empfindung bestimmt. 


533. Eine neue Bluttransfusion in's Peritoneum. Von Prof. 
Bizzozero. (Italia medica 1880, 10. Allgem. med. Ctrl.-Ztg. 1880, 63.) 

Verf. berichtete der italienischen medicinischen Akademie, dass von 
Turati im Mailänder grossen Hospital eine gelungene Bluttransfusion 
in’s Peritoneum gemacht worden ist, die dritte von günstigem Erfolge 
begleitete in Italien. Der Operateur bediente sich einer zur Hydrocele- 
operation gebräuchlichen Troicartcanüle, mit schneidendem abgerundeten 
Rande, welche, mit einem Hahn versehen, an eine Gummiröhre gebracht 
wurde, die wiederum mit einem Glastrichter in Verbindung stand, ln 
letzteren wurde das Blut hineingegossen, die Operation dann unter 
strengster Antisepsis vorgenommen. Es wurde 1 Vs Ctm. langer Einschnitt 
in die Bauchhaut gemacht, dann die Canüle eingestochen, bis man die¬ 
selbe frei im Cavum peritonaei sich bewegen fühlte, der Hahn geöffnet 
und in 2 l /a Minuten 350 Grm. Blut injicirt. Am Abend befand sich der 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


675 


Kranke, abgesehen von geringem Leibschmerz und unbedeutendem Fieber, 
wohl, spürte darauf kaum weitere Folgen von der Operation, und es 
heilte die unbedeutende Hautwunde per primam. 

Die drei auf diese Weise vorgenommenen Bluttransfusionen verliefen 
alle glücklich, und hebt Verf. dabei hervor, dass auch alle übrigen, 
anderweitig nach derselben Methode und demselben Apparat vollführten, 
von keinen unangenehmen Complicationen begleitet waren, was den Werth 
dieser Operation, im Gegensätze zu der bisher in die Gefässe gemachten 
Transfusion, bedeutend erhöht. 

534. Ueber die Martin’schen Kautschukbinden zur Behandlung 
chronischer Unterschenkelgeschwüre. Von Prof. P. Bruns, Tübingen. 
(Zeitschr. f. Wundärzte und Geburtshelfer. XXX. — Med.-chir. Centralbl. 
1880. Nr. 3.) 

Dieses von H. Martin (Boston) angegebene Verfahren hält B. nach 
seinen bisherigen Erfahrungen für recht werthvoll. Dasselbe besteht in 
methodischer Einwicklung des Unterschenkels mit Binden von reinem 
Kautschuk. 

Die Martin’schen Binden sind nach englischem Maasse 10V' 2 ' 
lang, 3" breit, an dem einen Ende mit 2 Bändern zum Zusammen¬ 
knüpfen versehen und zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus einem 
vorzüglichen, vollkommen elastischen Materiale angefertigt sind. Es ist 
das nämlich die beste Sorte reinen Kautschuks, der nur mit einer ganz 
geringen Menge Schwefel behandelt ist und bei seiner Bereitung nur 
geringen Hitzegraden ausgesetzt wird. 

Ihre Anwendung ist ausserordentlich einfach: Morgens im Bette 
wird die Binde angelegt und zwar direct auf die Haut und das Geschwür, 
ohne dass irgend ein Medicament applicirt oder ein Verbandstück da¬ 
zwischen gelegt wird. Man beginnt mit einer Tour um die Knöchel, 
geht dann mit einer Steigbügeltour unter der Fusssohle hindurch und 
hierauf in Spiraltouren in Renversäs bis zum Knie in die Höhe, woselbst 
das Ende der Binde durch Zusammenknüpfen der Bänder befestigt wird. 
Am meisten ist bei der Anlegung darauf zu achten, dass die Binde nicht 
zu fest angezogen wird. Sie darf im Liegen nur eben fest genug an¬ 
gelegt werden, um nicht abzugleiten; sobald bei der aufrechten Position 
das Glied an Volumen zunimmt, besitzt dann die Binde gerade den 
richtigen Grad von Festigkeit. Hierbei tritt niemals Oedem des Fuss- 
rückens auf; es würde dies vielmehr beweisen, dass die Binde zu fest 
angelegt ist. — Mit der Binde geht der Patient den ganzen Tag seinen 
Geschäften nach, selbst wenn er schwere körperliche Arbeit zu verrichten 
hat. Abends im Bette wird die Binde wieder entfernt und mit Wasser 
abgewaschen, das Geschwür mit einer einfachen Schutzbinde bedeckt. 

Mittelst dieser einfachen Behandlungsweise versichert Martin, 
innerhalb 25 Jahren mindestens 6—700 Fälle von nicht specifischen 
Fussgeschwüren, und zwar sämmtlich ohne Ausnahme, relativ schnell 
geheilt zu haben. 

Die Wichtigkeit dieser Angaben leuchtet ein, wenn man an die 
enorme Häufigkeit der Fussgeschwüre denkt. Die Hauptsache ist offenbar 
die, dass die Patienten während der ganzen Dauer der Behandlung keine 
einzige Stunde an’s Bett gefesselt und ihren Geschäften entzogen werden. 
Denn mit allen anderen Behandlungsmethoden ist ja ohne Ruhe und 
horizontale Lage kein Erfolg zu erzielen, ausgenommen den viel um¬ 
ständlicheren Bayn ton’schen Heftpflasterverband. Deshalb liegen denn 

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676 


Mediciii isch-chirorgische Rundschau. 


auch solche Kranke monatelang in den Hospitälern, oder sind, nm ihres 
Erwerb nicht zu verlieren, gar nicht im Stande, eine erfolgreiche Cor 
za beginnen. 

Allerdings ist das dem qu. Verfahren zu Grunde liegende Princip 
der circulären Compression nichts weniger als neu; denn zu demselben 
Zwecke dient der alte Baynton’sche Verband und hat man Gummi* 
binden und Gummistrümpfe verwendet. Neu dagegen ist die metho* 
dische und ausschliessliche Anwendung des reinen 
Kautschuk und die vorzügliche Qualität des letzteren. Denn erst 
die vollkommene Elasticität und Weichheit dieser Binden macht sie nach 
Verf. praktisch verwendbar, während die sonstigen käuflichen Kautschuk¬ 
binden weniger schmiegsam und haltbar sind, und bald an Elasticität verlieren. 

Was die Sicherheit des Erfolges betrifft, so beschränkt sich B.’s 
eigene Erfahrung allerdings erst auf wenige Fälle, da er erst vor einigen 
Monaten auf das Martin’sche Verfahren aufmerksam wurde, allein in 
diesen war der Erfolg ein recht eclatanter. Von fremder Seite sind ihm 
bisher nur einige sehr günstige Aeusserungen englischer Chirurgen, 
namentlich von Callender bekannt geworden, welcher letztere die An¬ 
gaben von Martin bestätigt und sein Verfahren für sehr werthvoll erklärt 
Urtheile deutscher Chirurgen liegen hierüber noch nicht vor. 

Den Erfolg der Behandlung demonstrirt Verf. an 3 Fällen, welche 
er in der Tübinger Klinik beobachtete. Er bemerkt dabei ausdrücklich, 
dass die Patienten während der ganzen Behandlung bei Tage nicht blos 
ausser Bett waren, sondern auch mit Holz- und Wassertragen und der¬ 
gleichen Arbeiten beschäftigt wurden. 

In dem 1. Falle, bei einem 52jährigen Manne, waren am rechten 
Unterschenkel zwei torpide jauchige Geschwüre vorhanden, welche seit 
2 Jahren bestanden. Das grössere auf der Vorderfläche der Tibia 7 Ctm. 
lang und 4*5 Ctm. breit, ist nach 10 Wochen vollständig vernarbt, ebenso 
das kleinere von 5 Ctm. Länge und 4 Ctm. Breite nach acht Wochen. 

Der 2. Fall betrifft ein seit 3 Jahren bestehendes, sehr grosses 
varicöses Geschwür auf der Vorderfläche der Tibia, mit einem grössten 
Längs- und Querdurchmesser von iu Ctm. Nach 9 wöchentlicher Binden* 
behandlung hatte sich das Geschwür bis 1*5 Ctm. Breite und 3*5 Ctm. 
Länge geschlossen. Der Kranke musste dann wegen Insubordination ent¬ 
lassen werden. 

Der 3. Fall betrifft einen zum Zwecke der Amputation in die Klinik 
gewiesenen Patienten mit einem enormen circulären callösen Unterschenkel- 
geschwtir; zugleich bestand^ “*>e starke elephantiastische Verdickung 
der ganzen Extremität, so dass öei **Umfang des Unterschenkels den der 
gesunden Seite um 10 Ctm. übertraf. Nach 6wöchentlicher Behandlung 
hat jetzt die Circumferenz des Gliedes, an der Stelle des Geschwüres 
gemessen, um 4*5 Ctm. abgenommen und die grösste Höhe des Geschwüres 
von 8 auf 5*5 Ctm. sich verkleinert; das Geschwür ist nicht mehr circulär, 
da eine Strecke von 3*5 Ctm. Höhe und 2*5 Ctm. Länge sich geschlossen 
und in eine Narbenbrücke verwandelt hat. 

An diesen 3 Fällen stellte sich schon wenige Tage nach dem Be¬ 
ginne der Einwicklung eine deutliche Tendenz zur Heilung ein: es ent¬ 
wickelten sich rasch gute und kräftige Granulationen, der vertiefte Ge* 
schwürsgrund füllte sich aus, die callösen Ränder schwanden und wurden 
alsbald mit einem Narbensaum eingefasst. Es sind also dieselben Erschei¬ 
nungen, welche man auch bei der Anwendung einfacher feuchter Um¬ 
schläge, jedoch nur in Verbindung mit horizontaler Lage beobachtet; nur 


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Medicinisch-chirurgische Bundschau. 


677 


kommt es unter der Binde nicht zur Entwicklung üppig wuchernder 
luxurirender Granulationen, sondern dieselben bleiben stets im Niveau 
der umgebenden Haut. Gewöhnlich treten ausserdem in der ersten Zeit 
der Entwicklung mehr oder weniger zahlreiche kleine Pusteln in der 
Haut auf, welche jedoch von selbst wieder verschwinden und daher keine 
weitere Beachtung verdienen. Nach der Vernarbung des Geschwüres 
muss die Binde noch einige Zeit lang getragen werden, bis die Narbe 
fest genug ist, um nicht so leicht wieder zu exulceriren. 

Verf. ist überzeugt, dass eine grosse Zahl, vielleicht die Mehrzahl 
der nichtspecifischen Unterschenkelgeschwüre mit Hülfe des Ver¬ 
fahrens auf die einfachste und am wenigsten beschwerlichste Weise geheilt 
werden kann. Die am meisten geeigneten Fälle scheinen ihm die Ge¬ 
schwüre mit callösen Rändern und infiltrirter Umgebung zu sein, während 
diejenigen an sehr atrophischen Unterschenkeln, welche von glatter, 
gespannter dünner Haut umgeben sind, wenig Chancen für die elastische 
Einwicklung darbieten. 

Einen Uebelstand findet Verf. darin, dass wenigstens die ameri¬ 
kanischen Originalbinden, von welchen jedes Exemplar den Namen Martin 
trägt, noch ziemlich hoch im Preise stehen. Ein Exemplar von der an¬ 
gegebenen Länge und Breite kostet 8 Mark. Allein diese Ausgabe ist 
offenbar nicht gross, wenn der Patient in seinem Erwerbe keinen Tag 
gehindert ist und keine weiteren Auslagen für Medicamente und Verband¬ 
stoffe hat. Ueberdies sind die Binden ausserordentlich haltbar, so dass 
sie nach Angabe von Martin noch nach 2, 3, 4 Jahren bei täglichem 
Gebrauche ganz unverändert sind und also mehrere Fälle nacheinander 
mit derselben Binde behandelt werden können. 

Schliesslich bemerkt Verf., dass die Binden auch mit Erfolg bei 
Eczem und Varicen des Unterschenkels, bei Oe dem der Extremi¬ 
täten, bei Anschwellung der Gelenke und zur künstlichen 
Blutleere zu verwenden sind. 


535. Zur operativen Behandlung der Extrauterinalschwanger- 
schalt. Von M. Hofmeier in Berlin. (Zeitschrift f. Gbtshlf. und Gynäk. 
B. V., H. 1., p. 112.) 

Nach Mittheilung dreier Fälle von Laparotomie wegen Extrauterinal- 
schwangerschaft, wobei 2 Mütter ihr Leben verloren und eine Frucht 
lebend entwickelt wurde, discutirt H., wie die Extrauterinalschwangerschaft 
operativ zu behandeln sei. Besteht bereits eine Tendenz zum Durchbruche 
des extrauterinalen Fruchtsackes nach aussen, so muss man mit dem 
Messer zu Hülfe kommen, kann aber einen derartigen Eingriff füglich 
nicht den Laparotomien beizählen. Ist das Ende der Schwangerschaft 
erreicht und lebt die Frucht, so hat man die Laparotomie unter allen 
Umständen zu machen, denn bei Unterlassung derselben opfert man ein 
Leben sicher und gefährdet das andere hochgradig. Operirt man dagegen, 
so rettet man die Frucht und verschlimmert die Prognose für die Mutter 
nicht. Gusserow gibt.den Rath mit der Gastrotomie nicht zu zögern, 
sobald der 8. Schwangerschaftsmonat erreicht wurde. Dieser Ansicht ist 
H. nicht. Ebenso wenig kann er sich unbedingt mit dem zweiten Rath¬ 
schlag Gusserow’s befreunden, sofort nach dem Tode der Frucht 
operativ einzuschreiten. Er schliesst sich lieber Spiegelberg an, 
welcher sich nach dem Fruchttode noch etwas abwartend verhält. Macht 


man die Laparotomie bei lebender Frucht, so muss man, darin stimmen 
alle Autoren überein, den Fruchtsack und die Placenta zurücklassen, um 


nicht eine sehr bedeutende, unstillbare Blutung hervorzurufen. Anders 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


gestaltet es sich, wenn die Fracht bereits seit längerem abgestorben ist 
Hier kann man den Versuch der Placenta-Entfernung wagen, weil die 
Thrombosirung der Gefässe meist schon so weit vorgeschritten ist, dass 
beim Abschälen der Nachgeburt keine oder nur eine belanglose Blutung 
ein tritt, wie dies in einem der 8 von H. mitgetheilten Fälle zu sehen 
war. Man eliminirt dadurch den hauptsächlichsten Jaucheherd und dies 
ist von grosser Wichtigkeit. Ueber die nachträgliche Drainage des Cavum 
Douglas’ herrscht bis jetzt noch keine Einigung. Spiegelberg erwähnt 
sie nicht, Gusserow will nichts von ihr wissen. H. meint, bei lebender 
oder kurz vorher abgestorbener Frucht ist sie zu unterlassen, wenn sich 
die Placenta gerade im Douglas’schen Raume inserirt. Bei abgestorbener 
Frucht namentlich, wenn bereits Tendenz zur Eiterung besteht, soll man 
sie dagegen immer vornehmen. Man gewinnt dadurch die Möglichkeit, 
die jauchenden Stoffe zu entfernen und einer Infection vorzubeugen. Bei 
der Laparotomie liegt eine grosse Gefahr in dem Umstande, dass leicht 
Blut und Fruchtwasser in die Peritonealhöhle gelangt. Die günstigste 
Prognose geben daher jene Fälle ab, bei welchen dieser Zwischenfall 
wegen einer Verwachsung des Eisackes mit der vorderen Bauch wand 
nicht möglich ist. Aus diesem Grunde empfiehlt H. den Rathschlag 
Schröders und Spiegelberg’s, durch Erzeugung adhäsiver Ent¬ 
zündung in der Umgebung das Operationsfeld von dem übrigen Peritoneum 
gleichsam zu isoliren, als sehr beachtenswerth. Extrauterinale Schwanger¬ 
schaften, welche das normale Ende erreichen, sind nahezu ausnahmslos 
abdominale, da nur diese erscheinungslos bis zum normalen Schwangerschafts¬ 
ende verlaufen. Bei Tubenschwangerschaften erfolgt die Ruptur des Frucht¬ 
sackes meist im 2. bis 3. Monate. Kleinwächter, Innsbruck. 

536. Zur Kenntuiss von den Methoden der Dilatation des 
Uterus. Von Professor B. S. Schultze in Leipzig. 

Wenn S. den Uterus, sei es zu diagnostischen oder therapeutischen 
Zwecken dilatiren will, so bedient er sich immer des Laminariastiftes. 
Nach 36 Stunden ist der jungfräuliche Uterus dem Finger bis zum Fundus 
durchgängig. Will er eine bleibende Erweiterung des Uterus durch Incision 
oder Auseinandersperren erhalten, so wendet er auch früher den Laminariastift 
an. Die grosse Gefahr der Infection kann bei Anwendung der Laminaria 
mit Sicherheit vermieden werden. Er desinficirt den Laminariastift selbst, 
* ebenso die in Anwendung kommenden Instrumente und irrigirt ausserdem 
das Uteruscavilm mittelst eines bis zum Fundus reichenden Katheters. 
Er verwendet hierzu bis 1 Liter Carbolsäurelösung. Selbstverständlich 
muss jede Verwundung der Uterusschleimhaut vermieden werden. Unter 
1000 Laminaria-Applicationen beobachtete S. nur 5 Fälle von Parametritis 
und da nie von bedrohlicher Intensität. Dilatationen des Uterus von 
vornherein, ausschliesslich mit Dilatatoren, nimmt S. nicht vor. Nach den 
ersten derartigen Versuchen stand er sofort von diesen Dilatationen ab. 

Kleinwächter, Innsbruck. 


537. Die Indicationen zur Ovariotomie. Von Prof. Dr. Kocher 
zu Bern. (Schweiz. Correspondbl. 1880, 3 und 4. Der prakt. Arzt 4.) 

Eine für den praktischen Arzt sehr wichtige. Frage ist die nach 
der Zeit der Operation: Ist man berechtigt oder gar verpflichtet, Fälle von 
OvarialgeschWülsten zu operiren, auch wo sie nicht über Apfelgrösse 
erreicht haben, oder grössere Geschwülste zu entfernen zu einer Zeit, wo 
sie der Inhaberin noch keine erheblichen Beschwerden machen? Der 


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Mediciniscb-chirorgiache Rundschau. 


679 


Verf. beantwortet diese Frage mit Ja. Gewiss ist, dass von dem Momente 
ab, wo eine Patientin die ersten Beschwerden fühlt oder wo sie ein 
Anschwellen ihres Bauches bemerkt, nicht nur Aussicht auf Vermehrung 
der Beschwerden vorhanden ist, sondern auch geradezu Gefahren eintreten, 
welche nur durch eine frühzeitige Operation zu verhüten sind. Der Verf. 
sah durch Aufschieben der Operation zwei Frauen zu Grunde gehen, die 
Eine durch Platzen der Cyste, die Andere in Folge einer Torsion des 
Stieles an acuter Peritonitis. Es soll also jedes Kystoma ovarii sofort 
operirt werden, wenn keine positiven Contraindicationen bestehen. Spencer 
Wells nimmt diesen Standpunkt nicht ein, will vielmehr abwarten, bis 
Beschwerden eintreten und bei einkammerigen Cysten stets zuerst die 
Punction versuchen, da er eine „namhafte“ Zahl von Fällen durch ein¬ 
fache Punction bleibend geheilt habe. Hegar und Kaltenbach sind 
derselben Ansicht. Die Verminderung der Gefahr durch die List er sehe 
Antisepsis beseitigt aber jedes Bedenken gegen die Operation. 

Welche Fälle von OvarialgeschWülsten sollen von der Operation 
ausgeschlossen bleiben? Bei malignen Tumoren gelten die allgemeinen 
Grundsätze. Sobald man nicht wenigstens dessen sicher ist, durch die 
Operation alles Erkrankte sicher entfernen zu können, wird man abstra- 
hiren müssen. Dies ist nun freilich gerade in den Fällen maligner 
Geschwülste, wo die Diagnose sicher gestellt werden kann, häufig der 
Fall. Bei anderen Tumoren aber, d. h. bei den Kystomen des Ovariums 
im engeren Sinne, scheint die einzige Contraindication darin zu bestehen, 
dass man, wie Spencer Wells schon ausdrücklich hervorhebt, nicht 
operire in Fällen, wo eine andere, binnen Kurzem zum Tode führende 
Krankheit vorliegt. Dass keine noch so grosse Ausdehnung der Adhä¬ 
sionen mehr eine Contraindication für die Operation abgibt, ist allgemein 
anerkannt. In der allfülligen Incision des Tumor und dessen Umstülpung 
und Ablösung des Balges durch Zug von dessen Innerem aus hat man 
allzeit ein Mittel, die Lösung auf verhältnissmässig schonende Weise zu 
bewerkstelligen. 

Bezüglich der Indicationen zur Operation der parovariellen Kystome 
gilt ein anderer Standpunkt, als für das eigentliche Kystoma ovarii. In 
der Mehrzahl ist die Diagnose derselben zu stellen. Zuweilen genügt schon 
die Palpation; sie bleiben in der Regel bei ihrer Vergrösserung zwischen 
den Blättern des Ligam. latum und an dem emporgezogenen Uterus fühlt 
man einen Strang, an dessen Ende sich das kastaniengrosse Ovarium 
fassen lässt; der Tumor bildet ferner neben dem zur Seite geschobenen 
Uterus eine zwischen diesen und die Seitenwand des Beckens eingeklemmte 
Vorwölbung im Fornix vaginae. Wo die Palpation im Stiche lässt, hat 
man in der Punction ein vortreffliches Hülfsmittel der Diagnose. In der 
überwiegenden Mehrzahl der Fälle ergibt die Punction eine klare Flüssig¬ 
keit, in den typischen Fällen vollständig wasserklar, in anderen gelblich 
oder grünlich (vergl. besonders die Zusammenstellung von Gusserow). 
Auffällig ist das geringe specifische Gewicht (1003—1006), ganz beson¬ 
ders der Mangel oder geringe Gehalt an Eiweiss, der Mangel von 
Paralbumin. 

Der Punction steht jedoch bei Unsicherheit der Diagnose das Bedenken 
entgegen, dass dieselbe in allen Fällen, wo die Ovariotomie indicirt 
erscheint, unterlassen werden muss; höchstens darf sie nur wenige Tage 
vor der Operation unternommen werden. Dies gilt auch von den par- 
ovariellen Geschwülsten. Bei diesen ist jedoch die Radicaloperation nur 
indicirt, wenn sie, was selten, gestielt und beweglich sind. Bei den 


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Medicinirch-chirurgische Rundschau. 


intraligamentösen Parovarialgesch Wülsten ist die Punction das Normal- 
verfahren. Nach Gusserow werden in den meisten Fällen die Krankes 
durch die Punction für immer geheilt. Im Falle der Wiederansammhmg 
kann die Punction wiederholt werden. Ist die Punctiin aber erfolglos, 
so bleibt die Enucleation der Cyste oder die Spaltung und Anheftung an 
die Bauchwand übrig. 

538. Ein Fall von Molenschwangerschaft. Von Dr. N. Ledetscb. 
(Sep.-Abdr. der Prager med. Wochenschr. 1880.) 

Die Diagnose der Molenschwangerschaft, besonders in der ersten 
Zeit, ist bekanntlich eine sehr schwierige, Verfasser hält daher fol¬ 
genden, frühzeitig erkannten und sonst interessanten Fall der Veröffent¬ 
lichung werth. 

Eine 20jährige Frau, seit 4 Monaten verheiratet, hielt sich, da die 
Menses seit einem Monat cessirten, für schwanger. Es stellten sich auch 
die gewöhnlich zu Anfang der Schwangerschaft auftretenden Storungen 
im Allgemeinbefinden ein, die durch etwa 4 Wochen anhielten. Hierauf 
vollständiges Wohlbefinden bis 3 Monate später. Um diese Zeit bemerkte 
die Frau eines Tages geringe Blutspuren in der Leibwäsche, die sich 
aber nach eintägiger Bettruhe nicht wieder zeigten und Alles schien wieder 
in Ordnung zu sein. 

Doch einige Tage nachher waren in der Leibwäsche gelblich-roth- 
liche Flecke, wie von Blutserum herrtthrend, sichtbar. Der Abgang dieser, 
aus den Genitalien herstammenden, fleischfarbenen Flüssigkeit dauerte durch 
ungefähr 6 Wochen, doch nur in geringer Menge, täglich mehrere kreuzer- 
bis thalergrosse Flecke auf der Wäsche, im Uebrigen befand sich die 
Frau vollkommen wohl; doch brachte sie einen grossen Theil dieser Zeit 
aus Furcht vor einem Abortus im Bette zu. 

Um diese Zeit untersuchte Verf. die Frau; 

Die Brüste waren turgescirend, zeigten zahlreiche röthliche Streifes, 
sogenannte Schwangerschaftsnarben, eben solche waren an der Bauchhant, 
besonders an beiden Leistengegenden. Nach Angabe der Frau waren 
derartige Streifen schon im Mai vorhanden. Ueber der Symphyse war 
kein Tumor tastbar. 

Die Vaginalportion war verkürzt, der Muttermund rundlich, geschlossen. 
Erst bei einer Untersuchung ein Monat später war im Abdomen ein Tumor 
(Uterus), etwa ein Querfinger über der Symphyse zu fühlen, innerlich 
war eine auffallende, sich weich anfühlende Hervorwölbung der vorderen 
Scheidewand tastbar. 

Es musste nun auffallen, dass im Juni, dem anscheinend 4. Schwanger¬ 
schaftsmonate , der Uterus durch die Bauchdecken nicht zu tasten war 
und im Juli, dem 5. Monate, derselbe sich nur wenig über die Symphyse 
erhob und besonders, dass derselbe Ende August keinen Fortschritt im 
Wachsthum zeigte. 

Verf. äusserte dem Manne dieser Frau Bedenken über diese Schwanger¬ 
schaft und rieth zu einer Consultation in Prag. Er äusserte sich über 
den Zustand der Frau in einem Schreiben dahin, dass er die Frau seit 
Ende Februar oder Anfang März für schwanger halte, und auf das Miss¬ 
verhältnis zwischen der geringen Massenzunahme und der Schwanger¬ 
schaftsdauer, sowie auf den Abgang der fleischfarbenen Flüssigkeit hin¬ 
weisend, der Meinung ist, es handle sich um einie Degeneration des Eies, 
um eine sogenannte Molenschwangerschaft. Eine Extrauterinschwanger¬ 
schaft musste bei dem Wohlbefinden der Frau und der Abwesenheit eines 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


681 


anderen Tumors im Unterleibe ausgeschlossen werden. Dieses Schreiben 
war zur Uebergabe an Professor Breisky bestimmt, da dieser aber bei 
Ankunft der Frau in Prag verreist war, so wandte sie sich an einen dem 
Yerf. nicht bekannten Prager Collegen. Dieser untersuchte die Frau und 
erklärte selbe ftlr vollständig normal schwanger, jedoch sei die Schwanger¬ 
schaft nicht sechs, sondern erst drei Monate vorgeschritten. Im Falle 
einer Degeneration des Eies, woran gar nicht zu denken, könnte die Frau 
sich nicht so wohl fühlen, der Leibesumfang müsste ein viel grösserer, 
ja noch grösser als im Normalen sein. 

Es blieb also nichts übrig, als der Zeit die Aufklärung zu über¬ 
lassen. 

Nach Annahme des erwähnten Collegen sollte die Frau im October 
Kindesbewegungen fühlen. Diese Zeit kam heran, allein die sehnsüchtig 
erwarteten Bewegungen blieben aus. Ende October zeigte sich auch die 
oben erwähnte röthlich-gelbliche Flüssigkeit in grösserer Menge, und Yerf. 
hatte Veranlassung, wiederum eine Untersuchung vorzunehmen. Bei der¬ 
selben fand er den Uterus seit August nicht vergrössert, er war vielmehr 
platter geworden und nur beim tiefen Drucke in die Bauchdecken tastbar. 
Bei der inneren Untersuchung fühlte sich der Uterus härter an. 

Von Ende October ging die schon erwähnte Flüssigkeit reichlicher 
ab und zeitweilig zeigten sich auch geringe Blutspuren. Trotzdem war 
das Wohlbefinden ein ungetrübtes. 

Mitte November trat zum ersten Mal eine ßtärkere Blutung auf, die 
jedoch bald von selbst sistirte. 

Am 25. November abermals ein geringer Blutabgang und am 27. 
zeitlich Morgens, nachdem eine geringe Blutung vorausgegangen, stellten 
sich allmälig Wehen ein, die eine bedeutende Intensität erlangten und 
continuirlich 4 Stunden anhielten. Eine in der Zwischenzeit vorgenommene 
Untersuchung ergab, dass aus dem geöffneten Muttermunde eine fleischige 
Masse herausrage. 

Da die Frau nicht blutete und die Wehen kräftig waren, vermied 
Verf. sorgfältig jeden Eingriff. Nach Aufhören der Wehen ergab die 
Untersuchung, dass die Scheide von einem fleischigen Gebilde ganz aus¬ 
gefüllt war; zwischen den Labien befand sich ein längliches, eiförmiges, 
fleischiges Gebilde. Blutung war nicht nachgefolgt. 

Das abgegangene Gebilde ist eiförmig, 14 Ctm. lang, die Peripherie 
in der Mitte beträgt 15 Ctm. Die Consistenz desselben ist zu circa zwei 
Dritttheilen compact, fleischig, der übrige Theil häutig. Dasselbe zeigte 
sich bei der Untersuchung als eine sogenannte Fleischmole. Die Frau 
hatte richtig im Februar oder März concipirt, der Embryo war durch 
wahrscheinlich allmälig auftretende Blutungen in die Eihüllen in einer 
frühen Zeitepoche zu Grunde gegangen und allmälig resorbirt worden. 
Die Eihüllen hingegen blieben volle 9 Monate im Uterinalcavum. 


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682 


Medicinisch-chirtirgisclie Rundschau. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 


539. Ueber die galvanisebe Behandlung der Cataracta incipiens. 
Von Dr. W. B. Neftel in New-York. (Virchow’s Archiv, 79. Band, 
3. Heft.) 


Seit Jahren mit Untersuchungen über die galvanisch-optische Reaction 
beschäftigt, hat Verf. in dieser Hinsicht auch kranke Augen untersucht 
Die oft wiederholte galvanische Untersuchung erwies sich in keinem 
Falle schädlich — es Hess sich eine Verbesserung des Sehvermögens bei 
manchen Accommodations- und Refractions-Anomalien erzielen, — nicht 
weniger überraschend war es aber auch, dass Versuchspersonen, welche 
die Erscheinung des beginnenden Staares darboten, nach wiederholt vor¬ 
genommener galvanischer Behandlung von ihrer Sehstörung vollständig 
befreit wurden. 

Da der Verf. bei den betreffenden Beobachtungen von der Unter¬ 
suchung der galvanisch-optischen Reaction ausgegangen, führt er einige 
Resultate kurz an, welche früher im „Archiv für Psycbiatr. und Nervenkr.“ 
Bd. VHI, Heft 2, ausführlich mitgetheilt wurden. „Applicire ich die 
Kathode eines schwachen Stromes (4‘5 Siem.-EIem.) auf den Nacken 
und die Anode auf das geschlossene Auge, so nehme ich ausser der 
momentanen Lichterscheinung (Blitz) eine blaue Kreisscheibe von 6—8 Mm. 
wahr (sehr hell im Centrum), welche von einem schmalen Saum oder 
Ring violetter Farbe umgeben ist. Während der Stromesdauer combiniren 
sich beide Farben von der Peripherie her, indem der violette Ring sich 
mehr mit dem Blau mischt; die farbige Scheibe wird immer mehr 
undeutlich bis zum Oeffnen der Kette, wo plötzlich anstatt der blauen 
Scheibe eine gelbgrtine Kreisscheibe erscheint, von einem schmalen gelben 
Ring umgeben, was ebenfalls von einem Blitz begleitet ist. Unter dem 
Einfluss der Anode scheint das Innere des Auges erhellt zu sein, und 
das Ganze macht einen für das Auge angenehmen Eindruck mit dem 
Gefühle einer verminderten Spannung (verminderter intraoculärer 
Druck). Bei steigender Stromstärke (6, 7, 8, 9, 10 Eiern.) werden die 

Licht- und Farbenerscheinungen bedeutend intensiver.Dabei Röthung 

der Conjunctiva, Thränenfluss.Beim Unterbrechen des Stromes 

erscheint mit dem Blitz eine blaue Kreisscheibe mit violettem Ring, wobei 
der Eindruck des Blauen prävalirt.“ 

Demnach lässt sich nach Verf. die galvanische Reaction des 
optischen Nervenapparates mit der folgenden Formel ausdrticken: 

Ka S. Blitz- und gelbgrüne Kreisscheibe mit gelbem peripherischen Ring. 
KaD. Die Farben combiniren sich von der Peripherie her und werden 
undeutlicher. 

KaO. Blitz- und blaue Kreisscheibe mit violettem peripherischen Ring. 

A S. BHtz- und hellblaue Kreisscheibe mit violettem peripherischen Ring. 

AD. Die Farben combiniren sich und werden undeutlicher. 

A 0. Blitz- und gelbgrtine Kreisscheibe mit gelbem peripherischen Ring. 

Die von den Versuchspersonen angegebenen Farbenerscheinungen 
sind überaus verschieden, es gibt sogar Ausnahmsfälle, in flenen gar 
keine Farbenerscheinungen hervorgerufen werden , doch beobachten solche 
Personen häufig die Lichterscheinungen am lebhaftesten. Verf. glaubt 
annehmen zu dürfen, dass die optische Reaction aus zwei verschiedenen 
Reizeffecten besteht, der Licht- und Farbenempfindung. Uebrigens wird 


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Medicinisch-chirargißche Rand sch an. 


683 


bei der grossen Mehrzahl der Versuchspersonen die subjective Licht¬ 
oder Farbenperception sehr leicht hervorgerufen, u. zw. bei Strömen von 
4, 6,8 Siem.-Elementen. Sind extreme Stromstärken erforderlich, um 
die Reaction hervorzurufen, ist dies als pathologisch aufzufassen. Verf. 
citirt 2 Fälle. 

In dem einen Falle genügen 3 Elemente, um scharfe optische 
Reaction hervorzurufen — Hyperaesthesia optici, im 2. Falle (Malaria¬ 
kachexie, Schwäche der Augen) kann die optische Reaction auch nicht 
mit starken Strömen hervorgerufen werden — Torpor optici. 

In Fällen wo nur ein Auge erkrankt (amblyopisch), während das 
andere verhältnissmässig gesund ist, erhält man eine scharfe Reaction 
am gesunden Auge, während sie am kranken nur schwach und undeut¬ 
lich ist. 

Bei verschiedenen Refractionszuständen beider Augen der Versuchs¬ 
personen ist auch die galvanisch-optische Reaction verschieden in beiden 
Augen. Je nachdem das eine Auge hypermetropisch oder myopisch ist, 
erscheint die farbige Kreisscheibe von grösserem Durchmesser und 
geringerer Entfernung in dem einen Auge, während sie in dem andern 
kleiner und entfernter erscheint. 

Bei Hysterischen, namentlich bei hysterischer halbseitiger Lähmung, 
wird oft die galvanisch-optische Reaction vermisst, und zwar an einer der 
Lähmung und Anästhesie entgegengesetzten Seite. Bei partiellem Wegfall 
der Function der Retina (Ablösung, Hämiopie) erscheint auch ein ent¬ 
sprechender Defect in der farbigen, sowohl der blauen als der gelbgrtinen 
Scheibe, je nach der differenten Elektrode. — Diagnostisch ist also die 
galvanisch-optische Reaction ebenfalls verwerthbar. Um die therapeutische 
Verwendung derselben zu zeigen, führt Verf. folgende Beispiele an: 

1. Retinitis pigmentosa, von Gräfe 1867 untersucht. Seit 
12 Jahren galvanisch mit häufigen Unterbrechungen behandelt. Obwohl 
die R. p. bis jetzt unverändert geblieben, hat sich doch das Gesichtsfeld 
seitdem nicht mehr eingeschränkt und das Sehvermögen sich sogar ent¬ 
schieden gebessert, so dass er täglich stundenlang lesen kann. Mit dem 
Falle ist auch bewiesen, dass die Augen jahrelang fast täglich mit 
schwachen Strömen (5—10 Siem.-Elem.) ohne Nachtheil behandelt 
werden können. 

2. Sclero-chorioiditis post. o. u. Mit dieser Diagnose von 
Knapp übersendet. Bei der galv.-opt. Reaction wird ein Defect in der 
farbigen Scheibe wahrgenommen, entsprechend der Netzhautablösung. 
Behandlung täglich im Laufe zweier Monate, während des 3. Monats 
dreimal, dann zweimal, zuletzt einmal wöchentlich. Pat. fühlte sich besser 
schon unmittelbar nach der ersten Behandlung, besonders angenehm war 
es ihm, wenn die Anode auf dem geschlossenen Auge ruhte, wobei er 
Verminderung der Schmerzen und Spannung im Auge fühlte. Knapp, 
der den Patienten mehrmals während und nach der Behandlung unter¬ 
suchte, fand, dass die Chorioiditis sich zurückgebildet und die abgelöste 
Netzhautpartie sich wieder angelöthet hat. Bis jetzt kein Recidiv. 

Schliesslich schildert Verf. drei von competenten Augenärzten als 
Cataracta diagnosticirte Fälle und deren erfolgreiche Behandlung mit 
der geschilderten galvanischen Methode, durch welche bewiesen wird, 
dass cataractöse Trübungen, sowohl der Linse als der Kapsel, mittelst 
derselben zum Verschwinden veranlasst werden können. 

Zur Erklärung des Heilungsvorganges führt Verf. Folgendes an: 
Wie schon oben erwähnt, fühlen die Versuchspersonen einen erhöhten 


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684 


Medicinisch-chirargische Rundschau. 


intraoculären Druck unter dem Einfluss der Kathode, während ein ver¬ 
minderter Druck unter dem Einfluss der Anode herrscht. „Ich vermuthe 
nun, dass die bedeutenden Differenzen des intraoculären Druckes, die 
vermittelst dieser Methode so rasch nach einander erzeugt werden — als 
hauptsächliche Ursache des Erfolges zu betrachten seien. Denn durch die 
plötzlich aufeinander folgenden Schwankungen des intraoculären Druckes 
müssen die Circulations- und Resorptions-Verhältnisse ausserordentlich 
modificirt werden, was natürlich auchr auf die cataractöse Trübung einen 
gewissen Eindruck ausüben muss. Als Beweis ftlr die energische Wirkung 
dieser Druckschwankungen könnte noch die zurückbleibende Veränderung 
des Refractionszustandes angeführt werden. Die meisten der nach dieser 
Methode behandelten Kranken gebrauchen in der Folge entweder schwächere 
Brillen oder gar keine mehr. Ausserdem darf man als günstig mitwirkend 
annehmen die wohlthuende Wirkung des Stromes auf die nervösen 
Elemente, vor Allem die sogenannte kataphorische Wirkung des Stromes 
(Du Bois-Reymond) oder die elektrische Endosmose. 44 

„Es ergibt sich aber auch aus Obigem, dass die galvanische Be* 
handlung bei jeder beginnenden Cataracta indicirt ist, und dass diese 
letztere gar nicht zur Reife gelangen würde bei frühzeitiger Einleitung 
derselben. 44 —on. 

540. Eine seltene Coordinations-Störung der Kehlkopfmuskeln 
(Chorea laryngis). Von Prof. R. Voltolini. (Monatsschr. f. Ohrenhk.. 
sowie für Nasen und Rachen etc. 1880, 7.) 

Agnes Frömmer, 12 Jahre alt, eine Waise, ist für ihr Alter wenig 
entwickelt, sonst ganz gesund, leidet aber alle Winter am „bellenden* 4 
Husten, welcher gewöhnlich den ganzen Winter hindurch währt und erst 
mit Eintritt des Frühlings ailmäiig schwindet. Bei dieser Kranken bestand 
der Husten im letzten Winter bereits längere Zeit, als er plötzlich auf 
hörte und dafür, bei heftigem Reiz und Drang zum Husten, ein Unver¬ 
mögen zum Husten eintrat, d. h., während sich beim gesunden Menschen 
beim Husten der Larynx öffnet (weshalb wir uns in Gesellschaft die Hand 
vor den Mund halten), schloss sich bei dieser Kranken der Larynx! Man 
denke sich die Qualen der kleinen Kranken, den heftigsten Reiz zum 
Husten zu verspüren und den Exspirationsstrom nicht entleeren zu können! 
Es traten denn nun auch qualvolle Folgen ein: die Kranke schien zu 
ersticken, das Gesicht wurde blau-roth aufgetrieben und in der blau-rothen 
Färbung markirten sich noch besonders einzelne grosse Flecke; sie rang 
gewaltsam nach Luft. Der in der Anstalt behandelnde Arzt Dr. Ascli 
liess zunächst u. A. 4 Blutegel an den Hais setzen, graue Salbe einreiben 
u. dgl. m. Die gefahrdrohenden Erstickungs-Erscheinungen traten zurück, 
aber husten konnte trotzdem die Patientin noch nicht. Obgleich der 
nervöse Charakter des Leidens völlig erkannt wurde und dahin zielende 
Arzneien, wie Solut. Fowleri, Chinin, Bromkali längere Zeit fortgegeben 
wurden, so schwand doch das Uebel nicht und wurde deshalb die Kranke 
zu Verf. gebracht. Weder die äussere noch innere Untersuchung ergab 
irgend etwas Abnormes: das Mädchen sprach alle Worte mit deutlicher, 
klarer Stimme, nur wenn man ihr aufgab zu husten, so war sie dieses 
nicht im Stande; es war, als wenn ihr dabei der Hals zugeschnürt würde, 
sie brachte absolut keinen Exspirationsstrom heraus und wurde blau-roth 
im Gesicht, das dann hie und da noch besonders markirte rothe Flecke 
zeigte. Die laryngoskopische Untersuchung eriiirte absolut Nichts; die 
Bewegung der Stimmbänder war eine ganz normale, ja, was noch 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


685 


merkwürdiger, so lange Verf. den Spiegel im Rachen hielt, konnte Patientin 
ganz bequem und ohne alle Umstände husten, sobald er aber den Spiegel 
aus dem Halse nahm, trat sofort die alte Qual ein. 

Die Behandlung bestand in Darreichung von Kali bromatum innerlich, 
äusserlich wandte Verf. die Elektricität an, und zwar abwechselnd an ver¬ 
schiedenen Tagen bald den Inductions-, bald den constanten Strom. Da 
in den ersten 8 Tagen keine Besserung eintrat , so liess er das Kali 
bromatum fort und wendete nur die Elektricität an, und zwar 10—15 
Minuten aussen am Halse, indem die Elektroden zu beiden Seiten des 
Kehlkopfes angesetzt und zum Schluss noch eine der Elektroden in den 
Hals an den Kehlkopf mittelst eines krummen Drahtes geführt wurden, 
welcher bis gegen seine knopfförmige Spitze mit Gummi überzogen war; 
die andere Elektrode blieb aussen am Halse. Die ersten Spuren der 
Besserung zeigten sich nach Verlauf von etwa 14 Tagen, indem die 
Wärterin in der Anstalt bemerkte, wie die Patientin im Schlafe in der 
Nacht wiederholt husten konnte. Endlich trat auch am Tage das Ver¬ 
mögen ein zu husten, aber dies dauerte nicht lange; allmälig jedoch blieb 
dieses Vermögen fast bis zum Abend bestehen. Um diese Zeit trat nun 
wieder der frühere „bellende“ Husten ein; dieser schwand und machte 
endlich einem normalen Husten Platz. Verf. setzte das Elektrisiren noch 
eine Zeit lang fort, zuletzt aber nur die Methode, bei der er die eine 
Elektrode in den Hals führte. Es ist ganz merkwürdig in diesem Falle, 
dass das Leiden so ziemlich in deipelben Reihenfolge der Symptome aus 
dem Körper schwand, mit der es aüfgetreten war. 0. R. 

541. Tod, verursacht durch Aspiration einer Bohne in die 
Trachea. Von Dr. Windelschmidt. (Monatsschr. f. Ohrenhk. etc., 
1880, 7.) 

Einem Knaben von 4 Jahren wurde durch dessen Bruder statt 
eines Stückchen Zuckers, wie er angegeben, eine Bohne in den Rachen 
geworfen. Unter Lachen versuchte derselbe, die Bohne zu verschlucken, 
als er plötzlich stark zu husten und zu räuspern anfing. Eine Stunde 
nachher präsentirte sich der kleine Pat. mit den Symptomen von 
Schluchzen und langsam gezogener In- und rascher Exspiration. Bedenk¬ 
liche Zeichen von Dyspnoö nicht vorhanden. Sprechen und Schreien boten 
nichts Auffallendes, es konnte der Kleine sogar selbst angeben, dass er 
eine Bohne verschluckt habe. In der Voraussetzung, dass letztere im 
Schlundrohre stecken könne, wurde sofort eine Schlundsonde applicirt, 
aber ohne Erfolg; vielmehr hörte man darnach bei jeder In- und Exspi¬ 
ration ein deutliches Klappern in der Trachea, wie dies auch von 
Dupuytren (Journ. hebdom., T. VH., pag 47) beschrieben ist. Eine 
zweimalige Application des Kehlkopfspiegels zur Sicherstellung der Diag¬ 
nose und ev. endolaryngealen Extraction ergab einen negativen Befund; 
wenigstens konnte der Sitz des Fremdkörpers im Larynx ausgeschlossen 
und nur in der Trachea vermuthet werden. Es wurde sofort die in 
Bardeleben’s Lehrbuch der Chirurgie, Bd. 3, angeführte Inversion 
und hierauf ein starkes Brechmittel versucht; doch ohne Erfolg. Die 
oben angegebenen Symptome und das Klappergeräusch dauerten fort. 
Das Respirationsgeräusch in der Lunge bot nichts Besonderes dar; 
überhaupt schien der Zustand des Pat. bei der Abwesenheit gefähr¬ 
licher Dyspnoe nicht so sehr bedenklich, um die sofortige Vornahme 
der Tracheotomie, zumal bei mangelnder Assistenz, zu indiciren. Der 
Pat. sollte deshalb auch möglichst rasch in’s Bilrgerhospital dirigirt 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


werden. Auf dem Wege dahin, wahrscheinlich durch das Rütteln des 
Wagens veranlasst, bekam jedoch der Pat. einen plötzlichen suffocatorischen 
Anfall, worauf er sofort dem Erstickungstode erlag. Jedenfalls hatte die 
Bohne sich an einer Stelle in den Luftwegen festgesetzt, wo sie den 
Zutritt der Luft abschloss. Die sofortige Vornahme der Tracheotomie 
nach dem Verschlucken würde den Pat. vielleicht gerettet haben, und 
wird man gegebenen Falls bei feststehender Diagnose lieber auf alle 
anderen zeitraubenden Manipulationen verzichten, als später die zuver¬ 
lässigere Hülfe der Tracheotomie entbehren zu müssen. 


542. Zur Casuistik der traumatischen und entzündlichen 
Mittelohraffectionen. Von Dr. K. Bürkner. (Archiv f. Ohrenhk. 
XV. Bd., 4. Heft.) 

I. Eindrückung des Trommelfelles und Einkeilung 
de s S teigbügels in Folge eines Fau stschlage s aufdasOhr. 

Ein 27jähriger Mann erhielt einen Faustschlag auf das linke Ohr. 
worauf er besinnungslos zusammenstürzte. Als er nach 2 Stunden zu sich 
kam, war auf dem linken Ohre Brausen und bedeutende Hörverminderung, 
Schmerz bei Kopfbewegungen nach rechts, taumelnder Gang und Schwindel 
vorhanden, welch’ letzterer sich beim blossen Zuhalten des rechten Ohres 
steigerte. Diese Symptome blieben einige Tage bestehen; der Paukenfell- 
befünd bot ausser starker Einziehung nichts Abnormes. Das Katheterisiren 
wurde wegen sich einstellender heftiger Schmerzen beim Entleeren des 
Ballons nicht vertragen; dagegen brachte Politzers Verfahren be¬ 
deutende Linderung. Ein beim Katheterisiren jedesmal entstehendes 
knackendes, weit hörbares Geräusch schreibt Verf. einem reflectorischen 
Krampfe des durch den Katheterismus gereizten Tensor tympani zu. 
Durch fortgesetztes Pölitzer’sches Verfahren hörten nach 10 Tagen alle 
Symptome auf; auch die Einziehung verschwand, so dass Pat. geheilt 
entlassen werden konnte. Die Erscheinungen in diesem Falle erklärt 
Verf. durch eine Einwärtstreibung des Paukenfeiles und der Gehör¬ 
knöchelchen, besonders des Steigbügels, dessen Beweglichkeit etwa durch 
Exsudat oder durch Extravasat aufgehoben wurde, und der hierdurch 
eine Vermehrung des intralabyrinthären Druckes veranlasste. Eine primäre 
Verletzung des Labyrinthes sei durch die normal befundene Kopfknochen¬ 
leitung ausgeschlossen. 

H. Acute Mittelohr* und Trommelfellentzündung; Hä¬ 
matom des Trommelfelles in Folge von Schwangerschaft 

Ein 25jähriges Mädchen hatte an chronischem Gelenkrheumatismus 
gelitten, und war im 5. Monate schwanger, als sie plötzlich auf dem 
linken Ohre „höchstgradig schwerhörig u wurde, und Sausen und Schmerzen 
im Ohre bekam. Das Gehör am rechten Ohre war schon früher durch 
einen chronischen Eiterungsprocess zu Grunde gegangen. Das linke 
Trommelfell war tiefblauroth, ausgebaucht bis auf den normalen unteren 
Rand; es wurde als Hämatom diagnosticirt. Bei Anwendung von Politzers 
Verfahren verminderte sich Sausen und Schwerhörigkeit. Da Trommel¬ 
höhlenexsudat nicht sicher erkannt werden konnte, so wurde nicht para- 
centesirt. Nach 3 Tagen stellte sich links Otorrhoe ein; die Luftdoucbe 
ergibt Perforationsgeräusch. Es wurde Zincum sulf. eingeträufelt; nach 
einigen Tagen Hessen die Schmerzen nach; das Trommelfell wurde rothgelb. 
Nach einer Woche war die Perforation geschlossen, und das Trommelfell 
nahm allmälig seine normale Beschaffenheit wieder an. Zuerst hielt Verf. 
den Process durch Embolie entstanden, in Folge einer freilich nicht nach- 


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Mediciaisch-chirurgiache Rundschau. 


687 


gewiesenen Herzaffection. Später aber erkannte Verf. als Ursache die 
Gravidität mit ihren Congestionen, und meint, dass eine consecutive 
Thrombosirung in den Paukenhöhlenvenen den Process in Scene gesetzt 
habe. Daftlr spreche auch der Umstand, dass am Ende der Schwanger¬ 
schaft eine Reeidive sich einstellte. 


Dermatologie und Syphilis. 


543. Ueber Scharlach in seinen Beziehungen zum Gehörorgan. 
Von Dr. Alb. Burkhardt-Merian, Professor in Basel. (Volkmann’s 
Sammlung klin. Vorträge, Nr. 182.) 

Die schweren und so sehr gefürchteten Formen von Mittelohraffection 
bei Scharlach beruhen auf einer von dem primären Processe des Rachens 
fortgeleiteten croupös-diphtheritischen Entzündung der Mittelohrschleimhaut. 

Von den 85 vom Verfasser beobachteten Fällen bttssten 18 an 
einem oder an beiden Ohren ihr Hörvermögen ein, 3 wurden taubstumm. 

Die Prognose ist eine um so ungünstigere, je länger der Process 
unbehandelt sich selbst überlassen bleibt. 

Therapeutisch sucht Verf. vor allem das Uebergreifen des diphthe- 
ritischen Processes auf die Tuba dadurch zu verhüten, dass er die Plaques 
Anfangs zweimal täglich , später einmal mit 10 °/ 0 Salicylspiritus 
cauterisirt. 

Ein zweites prophylaktisches Mittel ist nach Verf. die Nasendouche. 
Er benützt dazu einen Esmarch’schen Irrigator mit einem 2' langen 
Gummischlauch; als Spülflüssigkeit anfangs eine s / 4 °/ 0 Kochsalzlösung, 
der er später auf einen Liter 2—3 Esslöffel von dem 10 °/ 0 Salicyl- 
apiritus beimischt. 

Die Douche wird gewöhnlich nur einmal pro die angewendet. 

Wird trotz der prophylaktischen Behandlung das innere Ohr ergriffen, 
bo wird Jodtinctur oder Jodoform als Salbe in einem etwa drei Finger 
breiten Kreise um die Ohrmuschel eingerieben. 

Beim Weiterschreiten des Processes muss man Luft in die Pauken¬ 
höhle eintreiben, und wenn das Trommelfell stark injicirt und nach aussen 
vorgebaucht, also auf eine massenhafte Ansammlung von Secret in der 
Paukenhöhle zu schliessen ist, die Paracentese des Trommelfelles vorge¬ 
nommen werden. 

Die weitere Behandlung ist dieselbe wie bei den Mittelohreiterungen. 

H. Jellinek. 


544. Die Abortivbehandlung des entzündlichen Stadiums des 
Trippers. Von Dr. R. Fr. Küchenmeister. (Deutsche med. Wochschr. 
1880, 17.) 

Verf. empfiehlt — wie bei der Diphtheritis — so auch beim Tripper 
das Kalkwasser als Abortivum, und zwar in Form von häufigen (1 bis 
1 l /aständigen) Einspritzungen von 1 Theil Aqu. calcis auf 4 Theile Aqu. 
dest., die er möglichst im Beginne desselben machen lässt. Noch im 
Laufe dieses Tages nehmen die entzündlichen Localerscheinungen inclusive 
des Brennens beim Hamen ab und der Ausfluss bleibt mässig. Bei 
gleicher Therapie schreitet die Abnahme der Röthung und Entzündung 
der Urethra und Glans penis fort, der Ausfluss wird nun mässiger. — 
In der Diät braucht dabei nichts geändert zu werden, nur setzt Verf. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


den Wein auf die Hälfte herab. Unter dieser Behandlung wird schon 
48—60 Stunden nach dem ersten Auftreten des Ausflusses die Behandlung 
des zweiten Stadiums möglich und somit der Hauptzweck, das Abortiren 
des ersten Stadiums, erfüllt. Zur Chorda hat es dabei Verf. nie kommen 
sehen. Im Weiterverlaufe des Trippers ändert sich dadurch allerdings 
Nichts. Die Aqu. calcis verhindert nicht das Auftreten reichlichen, ent* 
zündungslosen Abgangs, sie kürzt nur das entzündliche Stadium ab nnd 
gestattet alsbald (am 2.—3. Tage) die Anwendung von Adstringentien. 
Bei intercurrirenden entzündlichen Rückfällen soll man Aqu. calcis bis 
zur Beseitigung derselben dazwischen anwenden. 

Verf. s Behandlung im 2. Tripperstadium war folgende: 

Rp.: Alum. depurat. 6*— 10'0 (die gewöhnliche Lösung des Alaun 
in den Apotheken 1:11 ist zu reizend). Aqu . destiU . loO'O, eventuell 
mit oder ohne Zusatz von Salut . Salicyl. (1:100) 6*0. M . D. S . Zn 
Einspritzungen (und zwar so lange, bis das Orificium Urethrae nicht mehr 
durch Schleim sich verklebt zeigt). Alaun schont auch die Wäsche mehr 
als Tannin. 

Verf. räth zu gewissen Vorsichtsmassregeln bei Anwendung der 
1 : 3 oder 1 : 4 verdünnten Aqua calcis, wenn man nicht nachtheilige 
Wirkungen erzielen will. 

Von den Versuchen her, die Verf. über Lösung der diphtheritischen 
Membranen mit fast allen empfohlenen Mitteln angestellt hat, war es ihm 
bekannt, dass (nach einem übrigens allgemein angenommenen Erfahrungs¬ 
satze der Chemiker, wonach die Alkalien und Erden um so besser feucht 
gebliebene, noch nicht aufgetrocknete Proteinate lösen, je verdünnter sie 
bis zu einem gewissen Grade angewendet werden) verdünntes Kalkwasser 
viel mehr lösend wirke, als concentrirteres und Verdünnungen von 1:1 
oder 1 : 2. Das unverdünnte Kalkwasser (obgleich sich nur 1 Theil unge¬ 
löschten Kalkes in 1000 Theilen Wasser löst) wirkt noch sehr ätzend; 
es erzeugt (ebenso wie Verdünnungen von 1 : 1 und 1:2) im Munde 
einen Geschmack nach Glycerin. Durch die Anwendung unverdünnten 
Kalkwassers bei Diphtheritis mehrt man nur die Entzündung und ver¬ 
schlimmert den Fall. — Zu beachten ist ferner, dass das Kalkwasser 
gierig aus der Luft Kohlensäure anzieht und Kreidewasser wird. Deshalb 
soll man 1. das Gefäss, worin das Kalkwasser sich befindet, gut geschlossen 
halten und es nur kurze Zeit beim Gebrauche öffnen, 2. ihm nur jedesmal 
den Bedarf für eine Injection entnehmen und 3. die Spritze schnell fällen 
und sie sofort verbrauchen. 

Häufig findet man bei diphtheritisch Erkrankten das Kalkwasser zum 
Gurgeln in Vorrath ausgegossen, das Glas unbedeckt, die Wände und 
den Boden mit Kreide beschlagen. Und da wundert man sich, dass es 
nichts hilft? Nie giesse man mehr aus, als man sofort verbrauchen lässt 

Schliesslich empfiehlt Verf. die Anwendung des Kalkwassers 1:3 
oder 1:4 zu Umschlägen auf das Glied und Localbädern. Man giesse 
bei Totalbädern des Penis das Glas mit verdünntem Kalkwasser bis zum 
Rande voll und halte durch eine luftdichte Decke (Gummiplatte, in der 
sich eine Oeffnung für den Durchtritt des Penis findet) das Glas geschlossen. 
Bei Umschlägen um die entzündete Glans Penis beeile man sich mit der 
Application bei Kalkwasseranwendung und halte die Luft möglichst ab 
durch luftdichten Verband. Auch könnte man, um die Kreidebildung 
etwas zu verhindern, einen Tropfen Kali causticum solut. auf etwa 40 
Gramm Kalkwasserverdünnung zusetzen. Bezüglich der Phimose glaubt 
Verf., dass man durch Injectionen von Aq. calcis diluta zwischen Glans 


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Hedicmisch-chirurgische Rundschau. 


689 


und Vorhaut und durch die oben genannte Localbehandlung mit Bädern 
und Umschlägen viel erreicht und Operationen vorbeugt. Das scharfe, 
reizende Trippersecret werde dadurch abgestumpft. Endlich glaubt Verf., 
dass die Aquae phagadenicae als Verbandmittel gegen Ulcera syphilit. des¬ 
halb in Verruf gekommen sind, weil man bei lutea und nigra concen- 
trirtes und nicht 1 :4 oder 1 :3 verdünntes Kalkwasser nahm und die 
obigen Cautelen vernachlässigte. Die Verordnung: „jedesmal frisch zu 
bereiten 14 , helfe nicht genug; man solle deshalb verordnen Aqu. phag. 
R.: Quecksilbersublimat 1*0; Aqu . calcis 60*0; Aqu . (lest. 240 und 
Aqu. phag. nigra: Calomel. 1*0; Aqu . calc. 12*0 ; Aqu . dest. 48*0. 

—r. 

545. Ueber die Wirkung des Pilocarpins im Allgemeinen und 
auf die syphilitischen Processe im Besonderen. Von Prof. Lewin. 
(Sep.-Abdr. a. d. Charitä-Annalen, V. Jahrgang. 74 Seiten.) 

Die Publication bringt die klinischen Beobachtungen des Verf., 
während er es sich vorbehält, in einer zweiten Arbeit näher auf die 
experimentelle Seite der Frage einzugehen. Verf. beginnt mit der kurzen 
Registrirung von 32 Krankengeschichten, die sich alle auf „puellae 
publicae“ beziehen, deren syphilitische Erkrankungen Verf. mittelst sub- 
cutaner Injection von Pilocarpin zum Schwinden brachte. Die Schluss¬ 
folgerungen des Verf. nach Gebrauch von Pilocarpin bei Syphilis, der 
auf seiner Klinik über 2 Jahre geübt wurde, sind folgende: 

Von 32 Kranken wurden 25 geheilt, also 78°/ 0 ; jedenfalls ist 
damit bewiesen, dass Erscheinungen der Syphilis und zwar auch schwere 
Affectionen derselben nach Pilocarpin schwinden. Von den 7 nicht Ge¬ 
heilten mussten 3 wegen Collaps die Cur abbrechen, je Eine bekam 
Blutspeien und Endocarditis und bei Zweien konnten selbst grosse Dosen 
die Erscheinungen nicht zum Schwinden bringen, die nach Anwendung 
von Sublimatinjectionen bald verschwanden. 

Die Zeitdauer der Cur betrug durchschnittlich 34 Tage und 
schwankte zwischen 14—43 Tagen. 

Die Quantität des Pilocarpin. die pro dosi verbraucht wurde, betrug 
meist 0015 Grm. ( x > 4 Gr.); um Heilung zu bewirken, wurden durch¬ 
schnittlich 0*372 Grm. (c. 6 Gr.) verbraucht, doch notirt Verf. Schwan¬ 
kungen von 0*30—0*645 Grm. In der Wirkung stellt Verf. somit das 
Pilocarpin dem Hg gleich. Recidive wurden bei 6% beobachtet, d. h. 
bei 3 und zwar nach je 3, 10 und 12 Monaten. 

Zur Cur ist das Pilocarpin jedoch nicht sehr empfehlenswerth, da 
es eine Reihe unangenehmer Nebenwirkungen hat, wie namentlich eine 
lange zurtickbleibende Empfindlichkeit gegen Temperatureinflüsse und da¬ 
zwischen eintretender Collapsus nach der Injection, vom Speichelfluss 
schon gar nicht zu sprechen. Die locale Reaction nach den Injectionen 
war unbedeutend, Abscesse sind bei 850 Injectionen nicht beobachtet 
worden. Der zweite Theil der Arbeit handelt von der Wirkung des 
Pilocarpin wie des Jaborandi im Allgemeinen. 

546. Ueber die therapeutische Verwendung des Pilocarpins bei 
Hautkrankheiten. Von Prof. Pick (Prag). (Vierteljahrschr. f. Denn. u. 
Syphil. 1880. Heft I.) 

Im Verlauf von 2 1 /* Jahren hat Verf. an einer langen Reihe von 
Hautkranken die Wirkung des Pilocarpins geprüft und zwar wurden sowohl 
P. muriaticum wie auch P. purum, P. salicylicum und P. valerianicum 
Xed.-chir. Rundschau. 1880. 44 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


zur Anwendung gebracht und zwar bei folgenden Hautleiden: Prurigo, 
Psoriasis, Eczema, Pruritus, Urticaria chronic., Alopecia areata, Tricho- 
ptilosis, Alopecia pityrodes, Akne, Hyperidrosis, Pemphigus chronic, und 
Lichen exsudativus, also Alles Leiden, wo die Schweisssecretion mehr oder 
weniger alterirt ist. Bei der Behandlung wurde weniger auf momentane 
Erfolge als auf eine dauernde Beeinflussung der secretorischen Hautthätig- 
keit hingezielt. Deshalb verordnete Verf. nur kleine Gaben zu 0“01 Gnn. 
(Ve gr.) pro dosi und zwar in Tropfenform zwei Mal täglich 1—2 
Stunden nach dem Essen. Die Schweisssecretion erfolgte gewöhnlich nach 
4—5 Minuten. Nach mehrwöchentlichem Gebrauch musste die Dosis etwas 
gesteigert werden, wurde jedoch einige Tage pausirt, so war eine 
Steigerung nicht nöthig. Nach längerem Gebrauch wurde die Haut weicher, 
geschmeidiger und fühlte sich sammetartig an, Comedonen Hessen sich 
leichter ausdrücken, Schuppenbildung verminderte sich und die Haare 
erschienen minder spröde. Das Allgemeinbefinden wurde selbst nach 
monatelangem Gebrauch nicht gestört. — Bei 32 FäUen von Prurigo 
schwand bald das quälende Jucken und wurden die Recidive durchschnittlich 
etwas hinausgeschoben, dagegen erwies sich Pilocarpin bei 25 Fällen 
von Psoriasis ganz unwirksam. In 2 FäUen von Pruritus senilis und 
1 Fall von Urticaria wurde Heilung erzielt. Bei Eczem ist der Erfolg 
noch unentschieden. In 10 Fällen von Alopecia pityroides wurde ein 
entschieden günstiger Erfolg gesehen und meint Verf. die von Schmitz 
(Berl. klin. W. 1879 Nr. 4) mitgetheilten Fälle zu dieser Krankheits- 
classe zählen zu müssen, da Verf. bei Alopecia areata vier Mal das 
Pilocarpin angewandt, ohne die Ueberzeugung gewinnen zu können, dass 
wirklich P. zur Geltung gekommen, und die Annahme einer spontanen 
Heilung hier ebenso berechtigt sein könne. 

547. Miliaria-Ausschlag in Folge von Berührung mit rohem 
Spargel (Asparagus officinalis). Von Dr. J. Edmund Güntz. (Viertel- 
jahrschr. f. Dermat. u. Syphil. 1880. I.) 

Verf. beobachtete die Entwicklung einer ausgebreiteten Miliaria, 
welche durch die Berührung mit rohem Spargel entstanden war. ln 
einem grossen Restaurant war die Schwester des Besitzers, 40 J. alt, 
zur Spargelzeit ausschliesslich damit beschäftigt, die Stangen des rohen 
Spargels zu putzen und für die Küche zu bereiten. Die jüngere Schwester 
der bleichen Patientin war vor einigen Jahren, ein Jahr nach dem 
Wochenbette an acuter Tuberculose mit Hämoptyse gestorben. Patientin 
hatte zur Spargelzeit in einem besonderen Raume tägUch von Früh bis 
Abends unausgesetzt grosse Mengen Spargel geputzt. Die Atmosphäre in 
dem Raume war durchdringend intensiv aromatisch, und in den Augen 
etwas Stechen verursachend. Dieses Spargelaroma war namentüch dadurch 
so intensiv geworden, dass die kleineren Spargelstangen zn sogenanntem 
Spargelgemüse zerschnitten wurden, wobei viel Saft ausfloss und durch 
die raschen Bewegungen beim Schneiden in Stückchen in die Umgebung 
fein zerstäubt gespritzt wurde. 

Die Kranke hatte in früheren Jahren ebenfalls öfters Spargel zu¬ 
bereitet, jedoch bisher nie eine Hautaflection davongetragen. 

Der Status praesens der Haut ergab von den Händen ans bis herauf an 
die bei der Beschäftigung entblösst getragenen Oberarme eine diifase Rothe und 
massige Schwellung, mit unzähligen Miliariabläschen, deren jede mit dunklerem 
Hofe umgeben war. Das Exanthem war ungefähr in der Art entwickelt, wie es 
bei hocbblonden oder rothhaarigen Menschen leicht nach Einreibung mit grauer 
Salbe zu entstehen pflegt. Die Innenflächen der Hände waren von Spargelsaft 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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sehr durchtränkt und erweicht; die Haut wie bei Waschfrauen während des 
Wascheos in Falten erhoben, ohne Ausschlag. Die Haut des Gesichts bis herab 
zum Hals, bis zu der Stelle des engen und hoch heraufgehenden Oberkleides, 
war leicht geröthet und geschwellt, mit einzelnen Bläschen besetzt; die Augen¬ 
lider stärker geröthet, chemotisch geschwellt, die Stirn bis zu den Haaren und 
Ohren geröthet und mit sparsamen Blächen besetzt. Starke Conjunctivitis. — 
Das Allgemeinbefinden bis auf die Schmerzen und etwas Schnupfen mit häufigem 
Niesen war nicht gestört. 

Die Kranke setzte ihre Beschäftigung aus. Das Uebei war nach 
einigen Tagen ohne besondere Therapie von selbst geheilt. Als sie die 
Beschäftigung wieder aufhahm, bei welcher sie von Zeit zu Zeit in die 
grossen, mit Spargel gefüllten Körbe bis über die Ellbogen hineingriff, 
um die Spargelstückchen umzurühren, zeigte sich wieder leichte Röthe 
an den Armen, doch kam es nicht wieder zur Miliariabildung. Eine 
andere weibliche Person, die gleichzeitig mit Spargel beschäftigt war, 
blieb gesund. Im folgenden Jahre hatte die hier beschriebene Patientin 
das Putzen des Spargels wieder vorgenommen. Diesmal hatte sie an den 
Armen und im Gesichte nur leichte Röthe ohne Ausschlag und war nicht 
genöthigt, ihre Beschäftigung auszusetzen. In den folgenden Jahren blieb 
sie von jeder Affection verschont. 

548. Hydrocephalns internus syphiliticus. Von Dr. Laschke- 
w i tsch. (Med. Westnik 1880. No. 1 und 2. Ctrlbl. f. Chirurgie 1880. 23.) 

Verf. spricht die Meinung aus, dass unter dem Einfluss von Syphilis 
sich im Gehirn eine Störung entwickelt vou rein entzündlichem Charakter. 
Als Beispiel einer solchen kann die Entzündung des Ependyms mit nach¬ 
folgender Flüssigkeitsansammlung in den Ventrikeln dienen. Diese Er¬ 
krankung wird meist von anderen Syphilitischen Veränderungen im Gehirn 
begleitet, jedoch ist sie stets die vorwiegende und muss als eine besondere 
Erkrankung mit eigener Symptomatologie betrachtet werden. Ihre Sym¬ 
ptome sind: Kopfschmerzen, die besonders heftig am Anfang der Krankheit 
auftreten; Uebeikeiten und Erbrechen, die leicht durch Bewegung des Kopfes 
und die Lageveränderung des Patienten hervorgebracht werden. — Die 
psychische Thätigkeit wird mit dem Fortschreiten der Krankheit abgestumpft. 
Die Pupillen sind erweitert , reagiren jedoch gegen den Lichtreiz. Das 
Ophthalmoskop zeigt eine passive Hyperämie des Augenhintergrundes. 
Der Verlauf der Krankheit ist chronisch; sie beginnt nach der Periode 
der Gummata. 

Die Diagnose bietet keine Schwierigkeiten bei Vorhandensein einer 
genauen Anamnese, kann aber beim Fehlen der letzteren sehr erschwert 
werden. Beim Beginn der Krankheit kann man sie für eine gewöhnliche 
Kephalalgie oder, besonders bei Kindern, für eine beginnende Meningitis 
tuberculosa halten. Zur Differentialdiagnose können folgende Punkte 
dienen: Kephalalgie kommt selten, periodisch, mit langen Zwischenpausen, 
in welchen der Pat. sich ganz wohl fühlt. Ependymitis syphilitica dagegen 
lässt dem Pat. keine Ruhe und nimmt dauernd zu. Bei Kephalalgie ist 
keine Hyperämie am Augenhintergunde vorhanden. — Was die Menin¬ 
gitis tuberculosa anbetrifft, so bemerkt man hier schon in der frühen 
Periode eine Veränderung des Pulses, die Pat. fiebern, bald gesellen sich 
Delirien, Krämpfe u. 8. w. hinzu. Bei der Therapie macht Verf. besonders 
auf den gleichzeitigen Gebrauch von Jod- und Brom-Kali oder -Natron 
aufmerksam. 

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MediciBisch-chirurgische Rundschau. 


549. Zur Operation des Naevus. Von Balm anno Squire. (Cin- 
cinnat. Lancet and Clinic. 1880. Nr. 6. St. Petersb. med. Wochschr. 30.) 

Die Operation des Naevus ist auf die verschiedenste Weise und 
mit den verschiedensten Mitteln versucht worden; alle Methoden gingen 
darauf aus, das hypertrophirte Blutgefässnetz zu obliteriren, ganz oder 
theil weise, alle hatten den unangenehmen Nachtheil eine mehr oder weniger 
starke, entstellende Narbe zu hinterlassen. Verf. hat nun eine Methode 
ersonnen, welche schmerzlos, blutlos und ohne Hinterlassung einer irgend¬ 
wie auffallenden Narbe jeden Naevus sicher zum Schwinden bringen soll. 
Sein Verfahren besteht in Folgendem: Zuerst wird mittelst des Richard- 
son’schen Aether-Zerstäubers das Operationsfeld so zu sagen erfroren, 
d. h. blutleer gemacht. Dann macht er eine Reihe parallel von oben 
nach unten, und eine zweite Reihe eben solcher horizontal verlaufender 
Incisionen durch die ganze Ausdehnung des Naevus. Die einzelnen Inci- 
sionslinien sollen etwa 1 Linie weit von einander abstehen, so dass das 
Operationsfeld durch sie also in lauter kleine Quadrate getheilt wird; sie 
brauchen nur so tief geführt zu werden, dass sie bis zur halben Dicke 
der Haut eindringen, doch könne man die Schnitte auch ohne jeden Nach¬ 
theil durch die ganze Dicke der Haut führen. Ferner, was die Haupt¬ 
sache sein soll, sind die Schnitte nicht in verticaler Richtung, sondern in 
einem Winkel von 45° zur Hautoberfläche gerichtet zu führen, um auf 
diese Weise auch die senkrecht aus der Tiefe aufsteigenden Gefässe zu 
zerschneiden. Nachdem die Scarificationen gemacht, genügt einfache Com- 
pression von 15—20 Min. Dauer, etwa mit dem Finger auf ein unter¬ 
gelegtes Stück Fliesspapier ausgettbt, um jede Spur von Blutung zu ver¬ 
meiden. Meist genügt eine Sitzung: sollte das nicht der Fall sein, so 
wird die Operation wiederholt, wobei nur zu beobachten ist, dass die 
Winkelstellung des Messers zur Haut jetzt die entgegengesetzte sein muss; 
waren die Schnitte der ersten Sitzung schief nach rechts (die senkrechten) 
und oben (die horizontalen) gerichtet, so müssen sie jetzt schief nach links 
und unten gerichtet werden. Der Erfolg soll eclatant sein. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 

550. Wirkung des Sauerstoffes auf die Anämie. Von 0. Hayem. 
(Gaz. de Paris 1880. 28.) 

Verf. studirt schon seit mehreren Jahren die Art der Wirkung des 
Eisens auf das Blut. Um nun dieses Studium unter günstigen und 
möglichst gleichen Verhältnissen fortsetzen zu können, wählte er chlorotische 
Mädchen, das heisst solche, welche von einer * spontanen constitutioneilen 
Anämie“ befallen waren. 

In einer früheren Arbeit folgte Verfasser Schritt für Schritt dem 
Vorgänge der Erneuerung des Blutes bei chlorotischen Individuen, welche 
einer regelmässigen Behandlung mit Eisen unterworfen wurden, und fand, 
dass, während die farbigen Elemente besonders in ihrer Qualität verändert 
sind, die Wirkung des Eisens sich hauptsächlich in einer günstigen Ein¬ 
wirkung auf die Qualität des Hämatins zeigt. In den Organismus ein¬ 
geführt, bewirkt das Eisen eine normale und complete Entwicklung der 
rothen Blutkörperchen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Es bleibt zu fragen, ob das Eisen, welches durch den Körper geht, 
durch die Blutfarbstoffe gebunden, oder von den blutbildenden Organen 
zum Zwecke der Bildung von normalen Blutkörperchen verwendet wird, 
oder wohl auch ob dieses Agens bei seinem Durchgang im Circulations- 
strom und in den Organen eine Art von anregender Wirkung auf die 
Blutbildung leistet. Die Untersuchungen, welche Regnaud undHayem 
zur Lösang dieser Fragen durch Darreichung von gelbem Blutlaugensalz 
unternahmen, konnten nach Ansicht des Referenten kein Resultat liefern, 
schon deswegen, weil das Eisen in dieser Verbindung im Organismus 
nicht zur Wirkung kommt. (Neuere Erfahrungen im Laboratorium von 
E. Ludwig in Wien ffthrten zu dem merkwürdigen Ergebniss, dass 
sich das Ferrocyankalium im menschlichen Körper in Ferricyankalium 
umwandelt.) 

Man war auch der Ansicht, dass die Wirkung des Eisens darin 
besteht, dass es den Appetit steigert und dass es den Kranken auch 
gestattet, der Nahrung das zur Erhaltung des Blutes nothwendige Eisen 
zu entnehmen. Diese Hypothese zu bestätigen, behandelte Verfasser eine 
gewisse Anzahl chlorotischer Individuen mit Sauerstoff Inhalationen. Diese 
Behandlung machte sogleich die gastrischen Symptome verschwinden 
und bewirkte einen oft beträchtlichen Appetit. Die Harnstoffausscheidung, 
welche vorher nur 10 Grm. täglich beträgt, wird bald normal oder 
selbst ungewöhnlich stark, bleibt jedoch immer dem Quantum der ein- 
gefährten Nahrung proportional und doch bleibt das Blut trotz dieser 
Thätigkeit der Verdauungsfunctionen unverändert. In gewissen Fällen ist 
die Bildung von rothen Blutkörperchen bethätigt; aber die individuelle 
Veränderung dieser Elemente dauert fort oder steigert sich im Verhältnis 
der Vermehrung der Anzahl. Hört man mit den Sauerstoff-Inhalationen, 
nachdem man dieselben durch zwei bis zwei einhalb Monate fortsetzte, 
auf, so fallen die Kranken rasch wieder in ihren früheren Zustand zurück. 

Unterwirft man sie hierauf einer Behandlung mit einem Eisen- 
präparate, so beobachtet man eine bedeutende Verbesserung des Blutes 
und nach und nach werden die Blutkörperchen normal ebenso in Hin¬ 
sicht auf Quantität als auf Qualität. Loebisch. 


551. Vergleichende Beobachtungen über den Einfluss der Er¬ 
nährung mit der Mutterbrust und der künstlichen Ernährung auf 
das Gewicht und die Körperlänge der Kinder. Von A. Ru sso w. (Petersb. 
Med. Woch. 4.) 


R. ist bestrebt nachzuweisen, dass die Hauptursache der Kinder¬ 
sterblichkeit in dem Mangel der natürlichen Ernährung mit der Mutter¬ 
brust und dem schädlichen Einflüsse der immer mehr in Anwendung 
kommenden künstlichen Ernährung zu suchen sei. Der Einfluss der einen 
oder andern Methode ist jedoch auch auf die am Leben bleibenden 
Kinder zu berücksichtigen. R. hat deshalb vergleichende Beobachtungen 
über das Körpergewicht und die Länge der nach beiden Ernährungs¬ 
methoden aufgezogenen Kinder angestellt und berichtet über die Resultate 
seiner eigenen Wägungen und Messungen Folgendes: 

Im Verlaufe von 5 Jahren hat R. im Kinderhospital des Prinzen 
von Oldenburg an 4100 Kindern im Alter von 15 Tagen bis einem Jahre 
diese Messungen und Wägungen vorgenommen. Er theilt diese Kinder 
in 2 Kategorien, nämlich in eine solche von guter und eine zweite von 
ungenügender Ernährung und Entwickelung. 

In die erste Kategorie gehören die Kinder, die nur mit der Mutter- 


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Medicinisch-cbirorgische Run dschau. 


brust oder gleichzeitig mit derselben auch mit künstlicher Znkost aufge¬ 
zogen wurden , in die 2. Kategorie Kinder, die ausschliesslich künstliche 
Nahrung erhielten. Für die erste Kategorie ergibt sich nach R. folgendes 
interessante Resultat. Das Gewicht und die Gewichtszunahme der aus¬ 
schliesslich mit der Mutterbrust genährten Kinder ist gut und Übertritt 
stets das Gewicht der mit gemischter Nahrung aufgezogenen Kinder. Die 
Gewichtsdifferenz zwischen Omen wächst vom Tage der Geburt an, und 
zwar am langsamsten während der beiden ersten Monate, wo auch das 
gemischt genährte Kind reichlich genug die Brust erhält. Vom 2.-6. 
vergrössert sich die Differenz rascher und erreicht im 6. Monat, entspre¬ 
chend der um diese Zeit immer spärlicher werdenden Darreichung der 
Mutterbrnst, eine hohe Ziffer, vom 7. bis zum 10. Monat sinkt sie wieder 
wegen der sich um diese Zeit entwickelnden Fähigkeit des Verdauungs¬ 
apparates, auch künstliche Nahrung gut zu assimiliren. Jenseits des 10. 
Monates erreicht die Gewichtsdifferenz ihr Maximum (1450 Grm.), weil 
die bisher mit gemischter Nahrung aufgefütterten Kinder um diese Zeit 
vollständig entwöhnt werden und deshalb hinter den noch mit der Mutter¬ 
brust ernährten Kindern Zurückbleiben. Analog dem Körpergewicht ver¬ 
hält sich auch die Körperlänge. 

Im Ganzen ergibt sich , dass die künstliche Zukost am schädlichsten 
wirkt, wenn sie zu früh, d. i. vor dem 6. Monate gereicht wird. Die 
zweite Kategorie, wo die Kinder ausschliesslich künstliche Nahrung er¬ 
halten, ergibt Folgendes: Ein 3monatliches, künstlich ernährtes Kind 
kommt am Körpergewicht im Durchschnitte einem 1 monatlichen normal 
ernährten Kinde gleich und zum Schluss des ersten Lebensjahres wiegt 
es eben so viel, wie ein 7monatliches normales Kind. An Körperlänge 
bleiben die künstlich genährten Kinder im Laufe des ersten Jahres um 
6 Ctm. zurück. (Nähere Details im Original-Artikel.) Zum Schluss liefert 
R. 2 interessante Tabellen, in welchen die von ihm gefundenen Durcli- 
schnittsgewichte und durchschnittlichen Längen der Kinder vom ersten bis 
zum achten Lebensjahre zusammengestellt sind und aus welchen hervorgeht, 
dass das Körpergewicht solcher Kinder, welche im ersten Lebensjahre 
nur mit der Mutterbrust genährt wurden, auch in den folgenden Jahren 
sich bedeutend von dem Gewichte künstlich aufgezogener Kinder unter¬ 
scheiden; der Unterschied erhält sich im Laufe der folgenden 8 Jahre 
auf etwa 2000 Gr., um welche das ehemalige Brustkind schwerer bleibt. 
Auch die Durchschnittslänge beträgt bei denselben um 3—7 Ctm. mehr. 


552. Ueber die Infusorien in den Sputis bei Lnngengangräa. 

Von Dr. Kanneberg. (Zeitschr. f. klin. Med. I, Band, I. Heft.) 

Anschliessend an eine frühere Mittheilung führt Verf. weitere 6 
Fälle von Lungengangrän an, bei denen gleichfalls Monaden gefunden 
wurden. Dieselben sind schwer von Eiterkörperchen zu unterscheiden, 
solange sie in den gelblichen Pfröpfchen aus feinem körnigen Detritus 
sitzen, erst wenn sie in eine freie, viel Flüssigkeit enthaltende Stelle des 
Präparates gelangen, zeigen sie lebhafte Bewegung und sind an den 
Geissein kenntlich. Um dieselben scharf zu markiren, zerdrückte K. einen 
Pfropf zwischen Deck- und Objectglase bis zu einer sehr dünnen Schichte, 
hob das Deckglas vorsichtig ab und setzte einige Tropfen einer 1 procent 
Kochsalzlösung zu. Durch Umrühren gelingt es eine Emulsion darzustellen, 
ein Tropfen derselben wird auf dem Deckglas zu einer dünnen Schichte 
ausgebreitet und mit Methylviolett gefärbt. Das Protoplasma erscheint 
dunkelblau, in seinem Innern sieht man einen hellen Kern und an der 


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Medicimsch-chirnrgische Rundschau. 


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Peripherie 1 oder 2 Geissein. Durch diese Methode und ebenso durch Fär¬ 
bung mit Eosin (5 °/ 0 Lösung) kann man auch die Infusorien in der 
Leiche leicht nachweisen. 


553. Ueber die Sehnenreflexe. Von R. W. Gowers. (Med.-chir. 
Transact. Vol. LXII. Ctrlbl. f. N6rvenhk. 1880. Ref. Obersteiner.) 


Der Verfasser bedient sich bei seinen Untersuchungen über die 
Sehnenreflexe mit vielem Geschicke der graphischen Methode, indem er die 
Bewegungen der Glieder auf eine rotirende Trommel aufschreiben liess. 

1. Das Kniephänomen. Gewiss die Hälfte jener Nerven¬ 
kranken, bei denen das Kniephänomen mangelt, leidet weder an ausgebildeter 
noch an beginnender Tabes dorsalis; fast allen diesen Kranken ist aber 
leichte Ermüdung beim Gebrauch der unteren Extremitäten gemeinsam. — 
Unter 27 Fällen von cerebraler Hemiplegie war das Kniephänomen 13 Mal 
beiderseits gleich intensiv, 14 Mal auf Seite der Lähmung stärker. 

Die Curven, welche G. erhielt, lehren, dass das Intervall zwischen 
Sehnenreizung und Contraction des Quadriceps gerade jener Zeit entspricht, 
welche nach den über die Leitungsgeschwindigkeit in den Nerven be¬ 
kannten Thatsachen für eine solche Reflexbewegung erforderlich ist. Es geht 
daraus also hervor, dass das Kniephänomen in der That als eine wirk¬ 
liche spinale Reflexbewegung und nicht als Folge einer directen von der 
Sehne zum Muskel fortgepflanzten Reizung anzusehen sei. Hingegen fand 
er bei seinen Curven häufig vor dem Eintritt der reflectorischen Quadriceps- 
contraction eine leichte, vorübergehende Erhebung, nie später als 0*05 
Secunden nach der Sehnenreizung, welche er als den Ausdruck einer, 
durch den von der Sehne fortgepflanzten Reiz erzeugten Muskeicontraction 
ansieht, da er die Zeit (von höchstens 0*05 Secunden) für den Ablauf 
einer Reflexbewegung an dieser Stelle als ungenügend ansieht. Fälle von 
Tabes mit erhaltenem Kniephänomen sind nicht selten; G. führt mehrere 
solche an und erklärt diesen Umstand dahin, dass bei solchen Kranken 
die hinteren Wurzelfasern durch die Hinterstrangsclerose weniger geschädigt 
werden als in anderen. 

2. Das Fussphänomen (Ankle clonus). Auch die klonischen 
Zuckungen des Gastrocnemius beim Fussphänomen wurden mittelst der 
graphischen Methode studirt. Die Contractionen treten mit so grosser Regel¬ 
mässigkeit auf, dass die Curven denen gleichen, welche von einer Stimmgabel 
aufgezeichnet würden. In allen untersuchten 10 Fällen betrug die Anzahl 
der Zuckungen 5—7 in der Secunde (im Mittel 6). Aehnliche klonische 
Contractionen lassen sich auch mitunter am Abductor und Flexor brevis 
hailucis erzeugen, wenn man eine rasche, passive Streckung der grossen 
Zehe vorhimmt. G. hat aber ausserdem auch in den Peroneis und im 
Quadriceps femoris einen derartigen Clonus beobachtet. 

Das Zustandekommen des Fussphänomens will Gowers im Gegen¬ 
satz zum Kniephänomen auf eine directe, nicht refiectorische, Reizung des 
Gastrocnemius zurückführen, allerdings unter Annahme einer gleichzeitig 
gesteigerten Reflexerregbarkeit im betreffenden Muskel. 

Dass es sich nicht um Reizung der Sehne, sondern des Muskels 
selbst handle, dafür spricht vor allem der Umstand, dass bei einem Schlag 
gegen die Achillessehne allerdings häufig das Fussphänomen auftritt, aber 
immer dann ausbleibt, wenn man die Finger der anderen Hand derart 
entgegenhält, dass die Sehne nicht gezerrt, gespannt und dadurch also 
auch die Muskelfasern nicht indirect angespannt werden können. Aus den 
Curven, welche Verf. erhielt, ergibt sich ferner, dass der Zeitraum zwischen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


der Reizung und dem Auftreten der Gastrocnemiuscontractionen zwischen 
0*025 und 0*05 Secunden schwankt, eine Zeit, welche er nicht ftlr genügend 
für das Zustandekommen einer Reflexbewegung dieser Art hält. Er fasst 
daher das Auftreten der Zuckungen in der oben angegebenen Weise auf, 
nimmt aber gleichzeitig an, dass der Muskel sich in einem Zustand abnorm 
gesteigerter Reflexerregbarkeit, abnormer Empfindlichkeit gegen locale Reize 
befinde, daher erklärt es sich, weshalb die ersten Zuckungen schwächer 
ausfallen, und erst die weiteren ihre volle Höhe regelmässig einhalten. 
Wenn das Fussphänomen in der gebräuchlichen Weise nur bei gewissen 
Erkrankungen des Rückenmarkes erzielt werden kann, so fehlt es doch auch 
bei gesunden Individuen nicht vollständig. Wenn ein Kranker, bei welchem 
diese Erscheinung gut ausgebildet ist, derart gesetzt wird, dass das Knie 
etwas mehr als im rechten Winkel gebeugt ist, und der Fuss mit dem 
Ballen, nicht aber mit der Ferse den Boden berührt, so genügt ein Schlag 
auf das Knie, um die klonischen Zuckungen des Gastrocnemius auszulösen. 

Bei einem gesunden Menschen ist dies allerdings nicht hinreichend, 
wenn aber die Bewegung erst willkürlich angeregt wurde, kann sie auf 
diese Weise, ohne weitere Betheiligung der Willensthätigkeit, fortgesetzt 
werden und es ergeben sich genau die gleichen Curven, wie bei den 
pathologischen Contractionen. 


554. Ueber zwei neue Fälle von Sequestration des Pancreas. 
Von Doc. Dr. Chiari (Wien. med. Wochenschr. 1880, 6 u. 7. Allg. 
med. Ctrl. Ztg. 46.) 


Der erste Fall betraf eine 41jähr. Frau, die, früher häufig mit 
Magenkrämpfen behaftet, unter den Erscheinungen einer allgemeinen 
Peritonitis mit 7 Stunden vor dem Tode hinzugetretenem Erbrechen 
grosser schwarzer, sehr übelriechender Massen zu Grunde gegangen war. 
— Die Section bestätigte das Vorhandensein einer eitrigen diffusen 
Peritonitis, in der Bursa omentalis reichliche, mit Blut gemengte Jauche 
und in dieser flottirend das nur durch einzelne morsche sofort zerreissende 
strangartige Zellgewebsreste fixirte Pancreas, letzteres schwärzlich-braun 
verfärbt und leicht zerreisslich; Perforation des Duodenum und Mesocolon 
transversum nebst Eröffnung der A. pancreatico-duodenalis, in der ein 
Thrombus sich nicht vorfand. 

Verf. sucht die Sequestration des Pancreas in diesem Falle entweder 
in einer traumatischen Peri-Pancreatitis und Pancreatitis, hervorgerufen 
durch einen nicht mehr auffindbaren Fremdkörper, oder in einer primären 
Pancreatitis, wenn dieselbe nicht durch eine beträchtliche Hämorrhagie 
im Pancreas veranlasst worden sei. 

Die Perforation des Duodenums und die Eröffnung der Arterie hält 
Verf. für secundär, indem dieselben die Folgen einer Arrosion durch die 
in der B. omentalis Vorgefundene Jauche sein können, wiewohl auch 
hierfür die Möglichkeit der Perforation des Darms durch den supponirten 
Fremdkörper in Anspruch genommen werden könnte. 

In dem zweiten Falle war von einem leben gebliebenen Manne 
mit dem Stuhlgang das Pancreas grösstentheils abgegangen. Verf. nimmt 
an, dass hier das Pancreas in eine durch Arrosion der Darmwand erzeugte 
Perforationsöfihung sich hineingedrängt habe und bei entsprechender 
Lagerung des Patienten gänzlich in den Darmcanal hineingeschlüpft sei. 
Der 38jährige Pat. litt früher an Gallensteinkolik und nach Beseitigung 
derselben häufig an kolikartigen Magenschmerzen mit Erbrechen. Dazu 
gesellten sich Symptome von Unwegsamkeit des Darms, erhebliche Milz- 


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Medicinisch-chiror gische Rand sch an. 


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Schwellung bei hohem Fieber (40*5°); schliesslich unter Nachlass des 
Fiebers bei einer starken Entleerung Abgang der pancreatiscfaen Masse. 
Seitdem ist völliges Wohlbefinden eingetreten, das bisher nicht gestört 
worden ist. — Das entleerte Pancreassttlck stellte einen 13 Ctm. langen, 
fast gleichmässig cylindrischen Strang von Zeigefinger-Dicke dar, der auf 
einem Längsschnitte, zum Theil ganz nahe der Oberfläche gelagert, ein 
3 Ctm. langes Stück eines Canals zeigte, welcher in Bezug auf Caliber, 
Dicke der Wandung etc. etc. sich wie der D. Wirzungianus verhielt. In 
der verjauchten Masse constatirte Verf. mittelst des Mikroskops Reste 
von Acinis. 

Im Anschluss hieran theilt Verf. die Krankengeschichte eines 69jähr., 
sich gegenwärtig einer vortrefflicher Gesundheit erfreuenden Mannes mit, 
dem im Jahre 1862 von v. Rokitansky eine als sequestrirtes Pancreas 
erkannte Gewebsmasse abgegangen war, welche der Wiener Sammlung 
einverleibt wurde. Pat. litt gleichfalls häufig an Gallensteinkolik, und 
erfolgte während eines besondere heftigen Anfalles der Abgang der pan- 
creatischen Masse. 

555. Ueber Erkältung. Von 0. Lassar (Berlin). (Virchow’s 
Arch. Bd. LXXIX. p. 168.) 

Werden enthaarte Kaninchen längere Zeit in einem hoch temperirten 
Raume gehalten und dann plötzlich für einige Minuten in eiskaltes Wasser 
getaucht, so tritt bei diesen Thieren regelmässig eine meist kurzdauernde 
Albuminurie nebst Ausscheidung von Cylindern ein. Auch gelang es, 
diesen Effect bei denselben Thieren in mehrfachen Wiederholungen herbei- 
zuführen. Wurden die Thiere getödtet, so fanden sich fllr das blosse 
Auge die Organe unverändert, bei mikroskopischer Untersuchung liessen 
sich dagegen in Nieren, Leber, Lungen etc. interstitielle Entzündungen 
nach weisen. 

556. Ueber die chemische Zusammensetzung der Knochen bei 
der Arthropathie der Atactischen. Von P. Regnard. (Gaz. m6d. de 
Paris. 1880. Nr. 6.) 

Charcot betrachtet die von ihm so benannte Arthropathie des 
ataxiques für eine klinisch gut zu trennende Form, als Resultat der 
Veränderung des Markes, und nicht als gelegentliche und nur gleich¬ 
zeitige Erkrankung; andere Beobachter halten sie für eine Form der 
Arthritis sicca. Die chemische Analyse der Knochen ergab in der That 
eine bedeutende Veränderung ihrer Zusammensetzung, welche sie der 
Osteomalacie nahe stellt; diese Knochen nützen sich ab wie bei der 
Arthritis sicca, sie sind in ihrer ganzen Länge fettig, die Kalksalze 
verschwunden, daher äusserst brüchig (spontane Fracturen der Atactischen). 
Die Untersuchung ergab den F r e r i c h s 'sehen ganz ähnliche Zahlen: In 
100 Gr. getrockneten und gepulverten Femur fanden sich mineralische 
Bestandtheile 24*20 Gr.; organische 75*80 Gr.; letztere wieder Fett 
37*70 Gr.; Ossefti 38*10 Gr.; die anorganischen vertheilten sich: 
phosphoreauren Kalk 10.9 Gr.; kohlensauren Kalk 11*8 Gr.; phosphor¬ 
saure Magnesia 0*7 Gr.; Chlorverbindungen 0*8 Gr. Ein normaler 
Knochen dagegen enthält: Ossetti 38*2; phosphors. Kalk 48*2; phosphore. 
Magnesia 1*1; Chlorverb. 0*9 und kohlens. Kalk 11*6. Auffallend ist 
der reichliche Fettgehalt und die Armuth an Phosphaten, während die 
übrigen Bestandtheile normal sind. Bei der Osteomalacie steigt der Fett¬ 
gehalt auf 29 Proc. und sinken die Phosphate auf 12—7 Proc. nach 
Weber und Lehmann. 


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I * 



698 


Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


557. Untersuchungen über die Bildungen der Knorpelgrundsubst&nz. 
Von Dr. A. Spina. (Sitzungsbericht der Wiener Akademie für Wissen¬ 
schaften. Januarheft 1880. St. Petersb. med. Wochenschr. 1880. 31.) 

Man ist bekanntlich darüber einig, dass die Grundsubstanz des 
Knorpels ein secundäres Product ist, obgleich über die Art ihrer Bildung 
Meinungsverschiedenheiten herrschen. Aus der Darstellung des Verf. geht 
hervor, dass die Knorpelgrundsubstanz nicht nur, wie man bis jetzt 
vermuthet hat, durch chondrogene Metamorphose der Zellenoberflächen, 
sondern auch durch chondrogene Metamorphose ganzer Zellen, oder ganzer 
Zellencomplexe gebildet werde. Vor allen Dingen ist hervorzuheben, dass 
im Knorpel, je nach dem Alter derThiere, grosse Unterschiede bestehen. 
Dieselben sind um so grösser, je höher das Thier im System steht, bei 
Säugethieren deutlicher als bei Amphibien. Die heranwachsenden Zellen 
nehmen immer mehr an Zahl uud Grösse ab, und die Grundsubstanz an 
Masse zu, bis im Knorpel alter Thiere nur äusserst kleine und spär¬ 
liche Zellen und eine mächtig entwickelte Grundsubstanz angetroffen 
werden. Während diese Umwandlung erfolgt, werden die Leiber ver¬ 
schiedener Zellen ungleich durchsichtig und in den weniger durch¬ 
sichtigen die Kerne undeutlich contourirt. An vielen Stellen wird 
die Trübung der Zellen so gross, dass sie die optischen Eigenschaften 
der Grundsubstanz darbieten und von dieser nur mit Mühe unterschieden 
werden können. Aber nicht nur Knorpelzellen in toto können zur 
Grundsubstanz umgewandelt werden, sondern es sind auch einzelne 
Theile derselben, wie ihre Oberflächen, der chondrogenen Metamorphose 
fähig. Das eine Mal schreitet diese von der Oberfläche successive 
und gleichmässig gegen das Centrum der Zelle vor, — so kommt es 
zur Bildung von Kapseln — das andere Mal wandelt sich die Zelle 
oder Theile derselben gleichzeitig in ihrer ganzen Dicke in Grundsub- 
stanz um. Diese beiden Bildungstypen sind aber principiell nicht von 
einander unterschieden, denn es gibt Knorpel, in denen beide Arten da 1 
chondrogenen Metamorphose an einer und derselben Zelle gleichzeitig 
beobachtet werden können. Im Einzelnen erfahren die Zellen, welche in 
Knorpelgrundsubstanz umgewandelt werden, folgende feinere Veränderungen. 
Man sieht in Alkoholpräparaten eine Differenzirung in eine netzförmig 
angeordnete Masse und eine die Maschen dieses Netzes ausftillende Sub* 
stanz. „Die erstere persistirt als ein protoplasmatisches Netzwerk, welches 
allseitig in die Zellausläufer der benachbarten Zellen tibergeht, während 
die die Maschen dieses Netzwerks erfüllende Substanz nach beendeter 
Zell-Metamorphose die Charaktere der Knorpelgrundsubstanz deutlich zu 
erkennen gibt. Das intracellulare Netzwerk bleibt aber nicht in der 
ursprünglichen Form erhalten. Denn die Untersuchung von zellenlosen 
Knorpelpartien lehrt, dass dieselben von parallel zu einander gelagerten 
und zu Büscheln angeordneten Protoplasmafäden durchsetzt werden. Es 
muss daher die netzförmige Anordnung jener intracellularen Netzwerke 
bei der weiteren Entwickelung der Grundsubstanz Umbildungen erfahren 
haben.“ 


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Meilicinisch-chinir gische Rundschau. 


699 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 


558. Erblichkeit und Verbrechen bei epileptischen Verbrechern. 

Von H. Clarke. (The Brain 1880 Jan. Der Irrenfreund 1880, 7.) 

Einer jeden Untersuchung bei Verbrechern stellen sich von vorn¬ 
herein drei Hauptschwierigkeiten entgegen. 1. Die Verlogenheit der Ver¬ 
brecher, neben der Unkenntniss über ihre Familienverhältnisse. 2. Das 
Mangelhafte aller anderweitigen Nachrichten. 3. Das häufige Vorkommen 
ausserehelicher Geburt. 

Clarke untersuchte 119 Fälle, 89 Männer und 30 Frauen, und 
theilt sie in idiopathische und traumatische ein, indem er unter den 
letzteren die Fälle zusammenfasst, wo die Epilepsie in Folge eines psychi¬ 
schen oder physischen Chokes auftrat. Es waren dies 26, während in 
den 93 idiopathischen die Epilepsie entweder von Jugend auf bestand 
oder sich allmälig entwickelte. Die idiopathische Epilepsie tritt früher 
auf und sie ist um so nachtheiliger, je früher sie sich zeigt, da sie jeder 
geordneten Existenz hindernd im Wege steht. 

Hauptsächlich untersuchte Clarke den Einfluss der Erblichkeit, 
und zwar besonders der Trunksucht der Eltern. Er fasst seine Ergeb¬ 
nisse in folgenden 4 Sätzen zusammen: 1. Die epileptischen Verbrecher 
neigen mehr zur Trunksucht als die nicht epileptischen. Wenn das Ver- 
hältniss der nicht trunkftllligen Verbrecher zu den trunkfälligen bei den 
nicht Epileptikern wie 3 : 1 ist, so ist es bei den Epileptikern wie 2:1. 
2. Bei den nicht epileptischen ist der Percentsatz der trunkfälligen Väter 
grösser bei den Gefangenen von unmässigen Gewohnheiten und der Per¬ 
centsatz der mässigen Väter grösser bei Gefangenen von mässigen Gewohn¬ 
heiten. 3. Bei den Epileptikern ist er in beiden Fällen ziemlich derselbe, 
und zwar 4. sowohl bei den mässigen, wie den unmässigen grösser, als 
er bei unmässigen nicht Epileptikern ist. Eine Reihe der hier einschla¬ 
genden Verhältnisse ist in 18 statistischen Tafeln einer eingehenden Unter¬ 
suchung unterzogen. 

559. Soarlatina und Milch. Von Dr. Hubert Airy. (The Sanit. 
Record. 1880, Febr.) 


In Fallowfield, einer Ortschaft bei Manchester, brach im Sommer 
1879 eine Scharlachepidemie aus, welche im Ganzen 35 Personen in 
18 Familien betraf; von diesen 35 Personen erkrankten nicht weniger 
als 24 innerhalb eines Zeitraumes von 36 Stunden. Der letzterwähnte 
Umstand deutete auf eine gemeinsame Infectionsquelle hin und der Ver¬ 
dacht fiel auf die Milch. Die Untersuchung ergab nun mit voller Sicher¬ 
heit, dass jede einzelne der erkrankten Familien ihren Milchvorrath aus 
einer und derselben Quelle erhielt, während benachbarte Familien, welche 
ihre Milch von anderer Seite her bezogen, von der Krankheit vollständig 
verschont hieben. Weitere Nachforschungen stellten fest, dass in der 
zuerst erwähnten Meierei ein Individuum mit dem Melken der Kühe 
beschäftigt war, das mit einem im Stadium der Desquamation stehenden 
scharlachkranken Kinde zusammenwohnte. Dieses Individuum scheint 
nun das Contagium auf und in die Milch übertragen zu haben. Diese 
Vennuthung findet ihre Bestätigung in dem von Dr. A. mit voller Um¬ 
ständlichkeit geschilderten Gange, den die Erkrankung in ihrem Auftreten 
analog der Ablieferung der inficirten Mich genommen. 


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700 


Msdicinisch-chirnrgigche Rundschau. 


560. Ueber die angebliche Unzurechnungsfähigkeit der tmnkeoen 
Verbrecher (alcooliques oriminels). Von Dr. Daily. (Annal. m£d. 
psycholog. 1880, Janv. p. 99. — Ref. Ob.-Med.-Rath Dr. Kelp im 
Irrenfreund 1880, 6.) 

Verf. beruft sich zunächst auf Art. 64 des Code p6nal, welcher 
lautet: „Es ist kein Verbrechen, noch Vergehen anzunehmen, wenn der 
Angeschuldigte sich im Zustande des Blödsinnes (demence) zur Zeit der 
Handlung befand und der keinen Zweifel über die Unzurechnungsfähigkeit 
bestehen lässt, da Blödsinn gänzlichen Mangel der Vernunft und des Ver¬ 
standes voraussetzt. Wäre man bei diesem Artikel stehen geblieben, hätte 
die neue mildernde Doctrin, welche seit 15 Jahren ihre Herrschaft begann, 
sich nicht befestigen können. Die Verminderung der Strafen, die häufige 
Annahme mildernder Umstände, die Freisprechung gefürchteter Verbrecher, 
der Zwiespalt zwischen den Geschworenen und den Behörden, die Beein¬ 
flussung der Geschworenen durch die Gerichtsärzte, welche die Verteidi¬ 
gung übernehmen, haben Verwirrung der Gewissen herbeigeführt. Man 
war mehr beschäftigt mit der Auffindung des Grades der Verantwortlich¬ 
keit der Verbrecher, als dem Allgemeinwohl entsprach. Die schreck¬ 
lichsten Handlungen, Vater-, Kindsmord, Notzucht, mit Berechnung aus 
geführte Mordtaten, fanden Entschuldigungsgründe.“ 

Der Vortragende weist nach, dass die Annahme mildernder Umstände 
seit einem Jahre zugenommen hat, sie stieg von 66 auf 72 Percent (von 
1875—76), und leitet davon die grössere Grausamkeit der Verbrechen 
ab. „Der Gebrauch der Vernunft geht aber nicht allein durch Epilepsie, 
Trauma und Alkoholismus verloren, sondern auch durch das Laster selbst, 
indem die Himthätigkeit eine verkehrte Richtung erhält.“ 

Der Verf. kommt am Ende seines Vortrages über die nicht zu 
bestimmenden Grenzen zwischen geistiger Gesundheit und Krankheit zu 
folgenden Schlüssen: 

1. Das Strafrecht ist ein Recht der gesellschaftlichen Abwehr, nicht 
gegründet auf die Sätze der Metaphysik, sondern auf Nothwendigkeit uud 
Nützlichkeit, nicht auf Rache und Sühne. 

2. Die Zurechnungsfähigkeit muss allein nach der Gefahr, die 
das Verbrechen der Gesellschaft und dem Einzelnen bringt, bemessen 
werden. 

3. Die Geschworenen haben die Aufgabe, die Thatsachen (faits 
materiels) kennen zu lernen. Nur allein den Behörden, denen wissen¬ 
schaftliche Sachverständige zur Seite stehen, kommt es zu, Strafverminde¬ 
rungen auszusprechen. 

4. Es existirt in keinem französischen Gesetz eine Rücksichtnahme 
auf Unzurechnungsfähigkeit. Art. 64 des Code p£nal erklärt nur: „Es 
gibt kein Verbrechen und kein Vergehen, wenn der Angeschuldigte sich 
im Zustand des Blödsinns befand (6tat de demence), der jede freie Willeus- 
bestimmung ausschliesst“, und nimmt keine Rücksicht auf die jüngst auf¬ 
gestellten zahlreichen Kategorien der Unzurechnungsfähigkeit. 

5. Die den Trunkenen (alcooliques) zugestandene Unzurechnungs¬ 
fähigkeit ist eine Prämie für die Trunkenheit. Mehr als die Hälfte der 
Verbrechen entsteht aus der letzteren. Die Verminderung jener muss mit 
Energie erstrebt werden. 

6. In einer republikanischen Verfassung darf das Begnadigungs¬ 
recht keine Stelle finden. 

Legrand du Saulle kann der Behauptung des Vorredners nicht 
beistimmeu und hält die verminderte Zurechnungsfähigkeit weder für ein 


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Mediciniach-chirurgifiche Rundschau. 


701 


Hirngespinst, noch für eine überflüssige Bezeichnung. Er glaubt, dass 
er verschiedene Zustände zusammenwerfe und nicht unterscheide: den 
Betrunkenen (ivre), den Trunkfälligen (l’ivrogne) und den trunksüchtigen 
Geisteskranken (fou alcoolique). Die Betrunkenheit ist eine Zufälligkeit, 
die Trunksucht ein dauernder Zustand, — sowie ebrius und ebriosus sich 
unterscheiden. 

Man kann nach Legrand du Saulle folgende 3 verschiedene 
Zustände unterscheiden: 

1. Delirium tremens als acute Form mit den bekannten Symptomen. 

2. Die subacute Form, charakterisirt durch ein melancholisches 
Delirium mit Verfolgungsideen und Schrecken einflössenden Hallucinationen. 

Der Kranke hat heftige Angstgefühle, hört Gewehrfeuer, Sturm¬ 
glockenläuten, Hinrichtungsgeräusche u. s. f., hat Angst vor Vergiftung, 
verweigert die Nahrung, hat Störungen des Allgemeingefühls, Prickeln, 
Stechen, schmerzhafte Muskelzuckungen, Hyperästhesie der Haut. 

3. Die chronische Form. Der Kranke hat Zittern der Hände, der 
Lippen, der Zunge, vor dem Einschlafen Kribbeln in den Füssen und 
Beinen, Krampf in den Waden, fühlt Abnahme der Kräfte, schwankt 
einher, hat erweiterte Pupillen mit geringer Reaction, sieht alle Gegen¬ 
stände undeutlich, des Abends Thiere, die ihre Gestalt wechseln und 
andere schreckhafte Gestalten, schläft unruhig, träumt viel, fürchtet die 
Dunkelkeit, leidet an Betäubung, die seinen Gang erschwert, aber keine 
apoplectiformen Anfälle zur Folge hat, verfällt immer mehr körperlich und 
geistig mit Abnahme des Appetits, und am Morgen erscheinen Vomituri- 
tionen, wird trübsinnig und misstrauisch. So entwichet sich eine voll¬ 
kommene Seelenstörung. 

Legrand du Saulle hält es für nothwendig, dass bei Begut¬ 
achtung zweifelhafter Seelenzustände stets drei Sachverständige zugezogen 
werden, und macht die wichtige Bemerkung in Betreff der durch den 
Alkoholismus herbeigeführten Störungen, dass Individuen, die täglich eine 
grosse Menge Spirituosa gemessen, aber nicht so viel, um Trunkenheit 
herbeizuführen, leichter in Seelenstörung verfallen, als solche, die von Zeit 
zu Zeit excediren und in der Zwischenzeit nüchtern bleiben; die ersteren 
sind, obgleich anscheinend gesund, in Gefahr einer plötzlichen Explosion 
mit allen ihren entsetzlichen Folgen. Die öffentliche Meinung, welche 
durch die Annahme, dass der Angeschuldigte nie trunken gesehen sei, 
beirrt wird, klagt ihn entschieden an. Von dem nachtheiligsten Einfluss 
auf die Zunahme der Verbrechen ist nach Ansicht des Vortragenden die 
Besprechung derselben mit allen Einzelheiten in der Presse, die zur Nach¬ 
ahmung anreizt. Die Verbrechen (catastrophes criminelles) vervielfältigen 
sich nach dem Maasse, wie sich die Journale vermehren; letztere verbreiten 
das Gift. 


&61. Einfluss der Antiseptik auf die gerichtliche Medioin. Von 
v. Nussbaum. Aus dem Schlussvortrage der Winterklinik 1880. 
fSeparatabdruck aus dem ärztl. Intelligenzblatt. München. Centralbl. f. 
Chir. 1880. 23.) Ref. Richter in Breslau. 


Wenige Chirurgen haben den Werth des Lister’schen Verfahrens 
so erkennen und schätzen gelernt wie N., wenige sind deshalb auch 
solch begeisterte Lobredner wie er. Ein Hospital, in dem seit Decennien 
die Pyämie eingebürgert war, in welchem alle Pat. mit complicirten 
Fracturen und fast alle Amputirten von dieser Wundkrankheit befallen 
wurden, in dem Wunderysipel herrschte und zuletzt der Hospitalbrand 


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702 


Medicinisc h-chirurgische Rundschau. 


80°/ 0 aller Wunden und Geschwüre befiel, — dieses Hospital ist unter 
N.’s Leitung durch die Einführung des Lister’schen Verfahrens wie 
mit einem Schlage in ein gesundes verwandelt, von allen Wundkrank¬ 
heiten, einschliesslich dem Erysipelas, vollständig befreit worden; die 
Sterblichkeit seiner Pat. ist gegen jene Zeiten auf die Hälfte herab¬ 
gegangen, und zur Zeit sterben auf der chirurgischen Abtheilung fast 
nur noch Tuberkulöse, Karcinöse, Zermalmte, Verbrannte, Marastische, 
Selbstmörder und ähnliche Pat., welche in Folge der Schwere ihres 
Leidens dem Tode unter allen Bedingungen verfallen sind. Dass diese 
therapeutische Kunst, die so Treffliches zu erreichen im Stande ist, auch 
auf die gerichtliche Medicin ihren Einfluss nach verschiedenen Richtungen 
hin ausüben muss, ist N.’s vollste Ueberzeugung. Ist doch durch ihre 
Einführung zunächst die Verantwortung des Arztes gegenüber dem Ver¬ 
letzten gewaltig gewachsen, indem jener es einerseits jetzt bei der grossen 
Mehrzahl der Wunden in ganz anderem Umfang als früher in der Hand 
hat, einen gefahrlosen Heilverlauf mit Sicherheit herbeizuführen, wo er 
früher nur mit Zagen auf einen solchen hoffen durfte, andererseits aber 
auch die Kenntniss der Schädlichkeiten besitzt, die er selber bei dem 
Untersuchen, Operiren und Verbinden des Kranken durch unreine Finger, 
Instrumente und Verbandmaterialien demselben zufügen kann, früher oft 
genug unbewusst zugefügt hat, jetzt aber unter allen Bedingungen ver¬ 
meiden muss. Indem N., dies beherzigend, die These: „der Arzt kann 
die Sepsis einer Wunde, sowie alle accidentellen Wundkrankheiten und 
den dadurch so oft herbeigeführten Tod durch Beobachtung der anti¬ 
septischen Cauteleu sicher vermeiden“, den Paragraphen des deutschen 
Strafgesetzbuches über fahrlässige Körperverletzung und Tödtung gegen¬ 
überstellt, kommt er zu dem Schluss, ein Arzt, welcher einen Kopf¬ 
verletzten nach altem „Schlendrian“ behandle, mifCerat oder Heftpflaster 
verbinde, die Wunde mit undesinficirter Sonde, mit undesinficirter Finger¬ 
spitze untersuche und dem dann der Kranke an Kopferysipel und diesem 
folgender Meningitis sterbe, könne zu 3 Jahren Geföngniss verurtheilt 
werden. Zum Mindesten sei es an der Zeit, diese Angelegenheit, d. h. 
also die Art und Weise des chirurgischen Handelns, auf dem Verordnunga- 
wege strenger zu präcisiren. Denn es könne unmöglich ferner dem freien 
Willen des Arztes anheimgestellt werden, ob er überhaupt die anti¬ 
septische Methode benutzen, d. h. ob er einen Verwundeten durch sein 
Handeln in Gefahr kommen lassen wolle oder nicht. Nur darin, in welcher 
Form er die Antiseptik anwenden wolle, sei demselben die Wahl zu 
überlassen. Andererseits aber ergebe sich als Folge des modernen Ver¬ 
fahrens , dass der Chirurg nicht selten eine genauere Untersuchung der 
primären Wund Verhältnisse unterlassen müsse (wenn er z. B., nicht mit 
Verbandmaterial und antiseptischen Medicamenten versehen, zur Unter¬ 
suchung und zum Verband eines Kopfverletzten gerufen werde), erscheine 
es endlich meist als nothwendig, dass bei der Wundschau durch den 
Gerichtsarzt der behandelnde Arzt zugegen sei, damit nicht durch fehler¬ 
haften und Unzeitgemässen Verbandwechsel der Verlauf der Verletzung 
nachtheilig beeinflusst werde. Unterlasse dies das Gericht, so höre damit 
natürlich sofort die Verantwortlichkeit des behandelnden Arztes für den 
weiteren Verlauf des Leidens auf, wie diese ausserdem in solchen Fällen 
sehr herabgemindert sei, weiche schon vernachlässigt in die Behandlung 
eingetreten. 

Ref., selbst Anhänger der stricten Antisepsis, hält es doch noch 
kaum an der Zeit, die Verantwortlichkeit des Arztes so scharf zu 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


703 


präcisiren, wie es Verf. in seinem von der Begeisterung für die Fort* 
schritte der Chirurgie durchglühten Vortrag wünscht. Namentlich für den 
Arzt auf dem Lande und den, dem kein Krankenhaus zu Gebote steht, 
fehlen ja nicht selten eine ganze Anzahl der Vorbedingungen, welche dem 
Hospitalsarzt zu Gebote stehen und deren Erfüllung für die normale 
Wirkung der Antisepsis doch unbestritten von grossem Einfluss sind. Er 
braucht da nur auf den veränderlichen Werth der Verbandstoffe auf¬ 
merksam zu machen, die theils durch Verdunstung, theis durch Ausstäuben 
ihre antiseptischen Beimischungen verhältnissmässig rasch verlieren; auf 
die mangelhafte Aufsicht über unverständige Pat. hinzuweisen, die ihren 
Verband untersuchen oder lockern wollen; ferner daran zu erinnern, dass 
die Technik des Verfahrens erst durch reichliche praktische Uebung 
gelernt werden kann, dass also „Fehler, welche Erysipelas, Eiterung, 
heftiges Fieber u. dgl. im Gefolge haben“, in der Praxis von Anfängern 
oder auch von älteren Aerzten, die sich die gehörige Uebung noch nicht 
haben verschaffen können, immerhin häufig genug Vorkommen werden, 
Fehler, welche dem Arzt wohl der Arzt, nicht so leicht aber der Richter 
vergeben wird, der nach seinem Gesetzesparagraphen Urtheil spricht. 
Und weiter darf doch auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass 
selbst aus grossen, berühmten Heilanstalten, in welchen unter trefflichster, 
erfahrenster Leitung seit Jahren nur antiseptisch (wenn auch nicht genau 
nach List er, was N. nicht fordert) verbunden wird, noch in neuester 
Zeit Berichte erschienen sind, welche beweisen, dass selbst unter diesen 
günstigen Bedingungen die absolute Vermeidung von Septhämie, Pyämie 
und Erysipelas nicht einmal bei allen frischen Verletzungen und allen 
Operationen möglich gewesen ist. Namentlich über die unvollständige 
prophylaktische Wirksamkeit des Lister’schen Verfahrens gegenüber 
der Wundrose und ihren Folgen wird noch von recht vielen Seiten Klage 
geführt. Geht endlich unser Streben nicht dauernd dahin, auf eine Ver¬ 
einfachung der antiseptischen Methode zu sinnen und dahin zielende 
Versuche anzustellen, deren unglücklicher Ausgang zur Heranziehung des 
Paragraphen über fahrlässige Beschädigung oder Tödtung führen und 
somit den Versuch, die Wissenschaft und das Wohl der Leidenden zu 
fördern, mit Gefängnisstrafe belegen könnte? 


562. Beiträge zur gerichtlichen Medioin. IQ. Ueber ein neues 
Zeichen des Erwürgungsversuches. Von Prof. H. Friedberg (Breslau). 
(Virchow’s Archiv 79. Bd., 3. Heft, 1880.) 


Im Anschlüsse an frühere Mittheilungen über die Verletzungen und 
Blutaustretungen an der Wand der Carotiden bei Erhängten und Erdros¬ 
selten theilt Verf. 2 Fälle ausführlich mit, aus deren Betrachtung er am 
Schlüsse die folgenden Sätze herleitet: 1. Erwürgungsversuche, welche 
an einer lebenden Person ansgeführt werden, können einen Bluterguss 
der Wand der Kopfschlagader erzeugen, und zwar mit oder ohne Zer- 
reissung der inneren Gefässhaut. 2. Erwürgungsversuche, welche an 
einer lebenden Person ausgeführt werden, erzeugen einen Bluterguss der 
Wand der Kopfschlagader nur dann, wenn sie die Kopfschlagader aus¬ 
reichend drücken und zerren, so dass die in der äusseren und mittleren 
Gefässhaut verlaufenden Blutgefässe (vasa vasorum) zerreissen und Blut 
ausschütten. Da der Angriff auf den Hals bei dem Erwürgen nicht 
immer die Kopfschlagader ausreichend drückt und zerrt, erzeugen Erwttr- 
gungsversuche nicht immer einen Bluterguss der Wand der Kopfschlag¬ 
ader. 3. Bei gleichzeitigem Vorhandensein einer Strangmarke des Halses 


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704 


Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


weist der Bluterguss der Wand der Kopfschlagader auf Erhängen oder 
Erdrosseln hin. Wenn er aber nicht von Erhängen oder Erdrosseln 
herrührt, und wenn nicht anderweitige Verletzungen ihn davon herleiten 
lassen, dass die betreffende Person mit der vorderen Seite des Halses 
auf einen festen Gegenstand gefallen oder mit einem stumpfen Instru¬ 
mente auf die vordere Seite des Halses gestossen worden ist, dann ist 
der Bluterguss der Wand der Kopfschlagader ein höchst werthvolles 
Zeichen von Erwürgungsversuchen. 4. Es kommt vor, dass Erwürgungs¬ 
versuche , welche an einer lebenden Person ausgeführt werden, an dem 
Halse keine andere Spur, als einen Bluterguss der Wand der Kopfschlag¬ 
ader zurücklassen und er allein dieselben verräth. 


563. Die Reform des englischen Sanitätsdienstes. Von Dr. Roth. 
(Deutsche milit. Zeitschrift 1880. St. Petersb. med. Wochenschr. 31.) 

Am 2. December 1879 wurde die neue Verordnung über den engl, 
milit. Sanitätsdienst veröffentlicht, mit welcher die Reformbestrebungen 
auf diesem Gebiete und die auf Grund derselben unternommenen Arbeiten 
ihren Abschluss finden. 

Noch vom Kriegsminister Lord Cranbrook war ein Comite zur 
Bearbeitung der verschiedenen Reformvorschläge eingesetzt worden. Die 
Berathung über die finanziellen Verhältnisse hat die Vorarbeiten des 
Comites zwar sehr aufgehalten, doch ist gerade diese Seite der Reform 
in sehr zufriedenstellender Weise für die Militärärzte erledigt worden. 

Nach dem neuen Gesetz sind die Rang- und Gehaltsverhältnisse 
folgende: 


General-Major = f Director-General 

Pfd. St. 

Shill. 

Pence. 

* Surgeon-General täglich . 

2 

15 

— 


im Hauptquartier jährlich 

1300 

— 

— 

Oberst = Deputy 

Surgeon-General täglich . 

2 

— 

— 


im Hauptquartier jährlich 

900 

— 

— 

Oberstlieutenant = 

Brigarde-Surgeon täglich . 

1 

10 

— 


nach 5jähr. Dienst „ 

1 

13 

— 


im Hauptquartier jährlich 
Surgeon-Majornach 20 Jah¬ 

700 

— 

— 


ren Dienst täglich . . . 

1 

5 

— 

nach 5 weiteren Dienstjahren „ 

1 

7 

6 

Major = Surgeon 

im Hauptquartier jährlich 
(unter 20 Jahren Dienst) 

650 



bis zu 

15 Jahren Dienst täglich . 

1 

— 

— 

nach 

7 5 T> « W 

1 

2 

6 

Hauptmann = Surgeon jährlich 

200 

— 

— 

nach 

5 Jahren Dienst „ 

250 

— 

— 


10 „ „ täglich . 

— 

15 

— 

Lieutenant = Surgeon auf Probedienst „ 

— 

8 

— 


Kein eintretender Arzt darf mehr als 28 Jahre alt sein; er kommt 
nach seinem Eintritt auf Probe (für fest wird Niemand von vorn herein 
angestellt) zunächst auf eine grosse Station, um dort den praktischen 
Dienst kennen zu lernen, wird dann auf die medical School comm&ndirt 
und wird, wenn er nach dem Cursus daselbst das militärärztliche Fach¬ 
examen besteht, für fest als Surgeon angestellt. Die Beförderung zum Surgeon- 
Major (Oberarzt) kann erst nach 12jähriger Dienstzeit (wovon mindestens 
3 Jahre im Auslande) erfolgen und nur bei ganz ausserordentlichen 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


705 


Dienstleistungen ist dabei die Beförderung ausser der Tour zulässig. Zum 
Brigadearzt gehört eine Dienstzeit von mindestens 8 Jahren im Auslande, 
zum Deputy Surgeon-General erfolgt die Beförderung nur auf besondere 
Gründe hin. Freiwilliger Rücktritt ans dem Dienst kann erst nach Ablauf 
von 10 Dienstjahren erfolgen und erhält der Zurücktretende eine einmalige 
Entschädigung. Je nachdem ob die Sanitätsofficiere, welche früher ein¬ 
traten, unter den Bestimmungen vom April 1876 bleiben wollen (Classe A), 
oder ob sie die jetzigen Bestimmungen anerkennen, wie die nach dem 
December 1879 eingetretenen Aerzte (Classe B), — sind die Sanitäts¬ 
officiere auch für den Empfang der einmaligen Entschädigung (wie überhaupt) 
in 2 Classen getheilt. Die einmalige Entschädigung bemisst sich danach 
für die Sanitätsofficiere der 

Classe A, nach 10 Jahren Dienst auf 1000 Pfd. Sterl. 
t) „ 10 „ „ „ 1250 „ 

57 B, n 15 „ „ „ 1800 „ 

• B, „ 18 „ „ „ 2500 „ 

Ein unfreiwilliger Rücktritt findet für die Sanitätsofficiere, welche 
nach zehnjährigem Dienst nicht zum Avancement geeignet befunden werden, 
ebenfalls unter einer Entschädigung von 1000 Pfd. Sterl. an Stelle der 
Pension statt, und von geringeren Summen, falls die 10 Jahre noch nicht 
erreicht sind. — Aerzte, Oberärzte und Brigadeärzte müssen mit 55, 
Generalärzte mit 60 Jahren in Pension treten. Nach zwanzigjähriger 
Dienstzeit wird beim Abschied eine Rangserhöhung gewährt. Kranken¬ 
urlaub wird auf 6 und bis zu 12 Monaten unter Zahlung des Halbsoldes 
gewährt, wenn die Erkrankungen Folge des Dienstes sind. 

Die Pension beträgt für: 

Pfd. St. Shill. Pence 


Surgeon-Major nach 20 Jahren Dienst täglich . 1 — — 

. 25 „ „ „.126 

n 30 „ n „ .1 5 

Brigade-Surgeon „ 20 „ „ „.176 

„ 30 „ „ „ . 1 10 

Deputy Surgeon-General. 1 15 — 

Surgeon-General. 2 — — 


Alle übrigen Corapetenzen beziehen die Sanitätsofficiere nach ihrem 
Rang und dem für denselben in der Armee bestehenden Etat (Wohnung, 
Bedienung, Rationen für Pferde). 

Bis zu den Brigadeärzten einschliesslich werden die Sanitätsofficiere 
für den praktischen (behandelnden) Dienst verwandt. Es kann indess der 
Brigadearzt auch für den administrativen Dienst verwandt und dadurch 
für seine eventuelle höhere Stellung praktisch vorbereitet werden. 

Die vortreffliche sachliche Stellung, welche dem engl. Sanitätsdienst 
durch die Army medical Regulations gegeben worden, im Verein mit den 
oben angeführten persönlichen Vortheilen für die Sanitätsofficiere, machen 
ihre Stellung ohne Frage zu einer vorzüglichen, welche sehr wenig zu 
wünschen übrig lässt. Dabei ist bemerkenswerth, dass die neuen Ver¬ 
ordnungen nicht nur das Interesse der Personen — der Sanitätsofficiere 
— sondern ebenso sehr das Interesse der Sache — des Sanitätsdienstes 
selber — wahrnehmen und garantiren. Die zweckmässige Ausbildung der 
Militärärzte und ihre praktische Brauchbarkeit wird durch den Cursus auf der 
Medical School und den darauf folgenden Probedienst gesichert; der 
Möglichkeit, dass Personen, welche sich nicht für leitende Stellen quali- 

JUd-oMr. BmuUchan. 1880. Digitiz , /- )ÖgIe 






706 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


ficiren, dennoch im vorrückenden Alter und steigendem Range in dieselben 
eintreten, ist durch den Modus des unfreiwilligen Rücktritts nach 2 resp. 
10 Jahren, sowie die Pensionirung nach 55 und 60 Jahren, ein wirk¬ 
samer Riegel vorgeschoben und durch alles dieses eine beständige Controls 
über die Qualification der Militärärzte für ihren Dienst geschaffen, für 
welchen der Staat sie reichlich belohnt. Angesichts des Umstandes, da» 
der Staat durch die neue Organisation die Gewissheit hat: der Staats¬ 
dienst könne nicht als Versorgungsanstalt für Unfähigkeit und höheres 
Alter zum Schaden der Sache und des Staatssäckels ausgebeutet werden, 
— angesichts der Thatsache, dass der Staat für seine hohe Remuneration 
auch wirklich gute Dienste geleistet erhält, sind selbst die hohen Gehalts¬ 
und Pensionsbezüge nicht zu hoch gegriffen. 


Recensionen. 

564. Die gegenwärtig am häufigsten vorkommenden Verfäl¬ 
schungen und Verunreinigungen des Hehles und deren Nachweisung. 
Von Dr. A. E. Vogl. (Mit 11 Holzschnitten.) Wien, Manz’sche k. k. 
Hofverlags- und Universitäts-Buchhandlung, 1880. 9 S. und 2 Tabellen. 

So zahlreich auch Publicationen sind, welche den Nachweis von Fälschungen 
der Lebensmittel zum Gegenstand haben, so selten sind in denselben neue, tuf 
eigenen Untersuchungen gegründete Thatsachen enthalten, nnd die Bereicherung 
unserer Kenntnisse auf diesem Gebiete hält lauge nicht Schritt mit der Menge 
der dasselbe behandelnden Schriften. Die vorliegende, nur 9 Seiten umfassende 
Schrift ist Originalarbeit nnd empfiehlt sich schon hiedurch den fachmännischen 
Kreisen, aber ausserdem auch durch die Wichtigkeit des Objectes, welches der 
rühmlichst bekannte Verfasser der „Nahrungs- nnd Genussmittel aus dem Pflanzen¬ 
reiche“ in derselben behandelt. Wenn wir nicht irren, ist die Entstehung der 
vorliegenden Arbeit im Zusammenhänge mit der sensationellen Nachricht, weide 
vor Kurzem die österreichischen Tagesblätter brachten, wonach in einer Hohle 
viele tausend Säcke, welche mit Samen von der Kornrade gefüllt waren, conflscirt 
wurden, nachdem man den Beweis lieferte, dass diese Samen vermahlen als be¬ 
trügerischer Zusatz zu normalem Cerealienmehle Verwendung fanden. 

Nach Vogl bilden Unkrautsamen in neuester Zeit zum Zwecke der 
betrügerischen Mischung mit normalem Cerealienmehle einen Handelsartikel in 
zwei Sorten als „Raden u and „Wicken“. Erstere bestehen der Hauptsache nach ans 
den Samen der Kornrade, Agrostemma Githago L., daneben je nach der Ge¬ 
gend, Samen des Feld-Rittersporns, Delphinium Consolida L., des Knöte¬ 
richs, der Ackerwinde. Die „Wicken u bestehen zum grossen Theile ans dem 
Samen diverser Leguminosen (Vicia, Lathyrus, Ervom, Medicago etc.) und 
Crnciferen (Raphanistrnm, Sinapis, Brassica, Camelina etc.) neben oft ansehnlichen 
Mengen der Früchte von Lab kr antarten (Galium sp. d.). Von sonstigen Unkrant- 
samen sind sowohl nnter „Raden“ und „Wicken* vorkommend noch die Früchte 
verschiedener Gramineen, Compositen, Umbelliferen etc. etc. Verl 
schildert für diesmal auf Grand der Untersuchung zahlreicher Mehlproben den 
Nachweis der Kornraden nnd Wickensamen, nnd schliesst hieran den Nach¬ 
weis der Mengung verschiedener Getreidemehle unter einander, jene des Cerealien- 
mehls mit Taumellolch nod mit Mutterkorn. Die Methode des Nachweises der 
betreffenden Beimengungen beruht auf der mikroskopischen Auffindung bestimmter 
charakteristischer Gewebselemente, und zugleich auf den Beobachtungen von 
verschiedenen Färbungen, welche das untersuchte Mehl bei Behandlung mit 
salz- oder schwefelsäurehältigem Weingeist diesem ertheilt. Die Prüfung ist also 
eine mikroskopische nnd chemische; die eine unterstützt und controlirt die andere. 
Die Ausstattung der Broschüre ist tadellos. r. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


707 


565. Klinik der Krankkeiten des Kehlkopfes, der Nase und des 
Rachens. Von Dr. Karl Störk, a. ö. Professor a. d. Universität zu 
Wien etc. Mit Holzschnitten, Cbromoxylographien, Schwarz- und Farben¬ 
drucktafeln. Stuttgart. Verlag von Ferd. Enke. 1880. gr. 8. IV, 555 S. 

Das vorliegende Werk, welches bekanntlich schon vor mehreren Jahren bis 
zur Seite 184 erschien, liegt nnnmehr vollendet auf dem buchhändlerischen Markte 
auf. Dasselbe zeigt, zur Reife gediehen, die gleichen Mängel and Vorzüge, welche 
schon der Embryo erkennen liess, hie und da Mangel an Klarheit und Vollständig¬ 
keit, auch leidet es stellenweise selbst an Unrichtigkeiten in der Mittheilong von 
Forschungen. So wird, nm nur etwas zn erwähnen, Seite 233 behauptet, dass die 
völlige Unschädlichkeit der Aufnahme von Staubpartikelchen in das 
Bronchial- und Lungengewebe (bei Berg- und Kohlenarbeitern) erwiesen sei und die 
Partikelchen eingekapselt würden. Da jedoch Störk ein ganz vorzüglicher Kehl¬ 
kopfarzt mit ganz enormer Erfahrung und Uebung ist, so wird man ihm die erwähnten 
schriftstellerischen Mängel seines Buches verzeihen; »*8 wird trotzdem eine grössere 
Verbreitung bei den Kehlkopfärzten finden, weil der in seinem Fache als Autorität 
geltende und um die Laryngologie verdiente Störk das von ihm in dieser 
Wissenschaft Geleistete, Erfundene und Gefundene in seiner Gesammtheit darin 
niedergelegt hat. Die Ausstattung des Werkes ist vorzüglich. 

566. Praktische Anleitung zur Vieh- und Fleischschau für Stadt- 
und Bezirksärzte, Thierärzte, Sanitätsbeamte , sowie besonders zum 
Gebrauche für P hy sikat s-Candid aten. Von Dr. Anton Baraiiski, 
k. k. Kreisarzt und Thierarzt in Dolnja-Tuzla, Bosnien. Mit einer Holz- 
schnittafel. Wien 1880. Urban & Schwarzenberg. 

Die Vieh- und Fleischschau ist nicht nur die älteste Form der öffentlichen 
Gesnndheitspflege, sie steht auch gegenwärtig, nach ihrer Bedeutung für die 
Hygiene und nach der Stelle, welche ihr durch die administrativen Behörden 
angewiesen ist, in erster Linie derselben nnd bildet in der Provinz, am Lande 
hänfig genng den einzig sichtbaren nnd fühlbaren Ausdruck — einer autorisirten 
ärztlichen Prophylaxe. Sowohl für den Gerichtsarzt als für den mit der unmittel¬ 
baren Fleischbeschau betrauten Sanitätsbeamten war der Mangel einer compendiösen 
Anleitung für die Agenden der Vieh- und Fleischschau mit Rücksicht auf die öster¬ 
reichische Gesetzgebung deutlich fühlbar. Verf. ist daher mit der vorliegenden 
Bearbeitung, welche sich bei vollkommener Klarheit in der Darstellung doch anch 
durch knappe und präcise Fassung auszeicbnet, den berechtigten Wünschen vieler 
Aerzte erfolgreich entgegen gekommen. Nach einer kurzen historischen Einleitung, 
beginnt der allgemeine Theil im I. Abschnitt mit der Darstellung der allgemeinem 
Grundsätze der Vieh- und Fleischschau. Hieran wird die Schilderung des Fleisches 
als Nahrungsmittel, dessen Zubereitung, der Werth des Fleisches nach der Gat¬ 
tung, Race, Fütterung nnd nach dem Alter des Thieres gereiht. Dann folgt die 
Altersbestimmung der Kälber, Rinder nnd Schafe. In diesem Abschnitt sind als 
besonders wichtig hervorzoheben die „Classification des Fleisches nach der Körper¬ 
region in Wien“, welche durch eine Holzschnitttafel illustrirt ist, auf der wir die 
4 Qualitäten des Rindfleisches schematisch anf dem Rinde eingezeichnet finden, 
ferner die Darstellung des „Schlächtergewicht und lebendes Gewicht“. Im II. Ab¬ 
schnitt des allgemeinen Tbeiles sind die Schlachtmethoden mit nnd ohne 
Verblutung, die verschiedenen Schlachtungsverfahren beim Rind- und Stechvieh, 
ferner die Zerfällung des Schlacht- und Stechviehes eingehend erörtert und im 
IH. Abschnitt finden wir die Schlachthäuser und die thierärztliche Controle 
in Öffentlichen Schlachthäusern geschildert. Der specielle Theil enthält im 
l Abschnitt die Gesetze nnd Verordnungen bezüglich der Vieh- nnd Fleisch¬ 
schau, wie sie in sämmtlichen Krön ländern Oesterreichs in Wirksamkeit sind — 
auch die über die Pferdeschlächterei, ferner Strafgesetze. Im II. Abschnitt 
ist nun die Viehbeschau geschildert (Kennzeichen des Krankenzustandes. — 
Die Schau des geschlachteten Thieres). Der III. Abschnitt enthält die Schil¬ 
derung der Beschaffenheit des gesunden Fleisches bei sämmtlichem Schlacht- und 
Stechvieh, nnd ferner das höchst interessante Capitel der Verfälschungen bei 
eiozelnen Fleischgattungen (Pferdefleisch statt Rindfleisch, Katze statt Hase etc.). 
Im IV. Abschnitt finden wir „das geniessbare Fleisch“ (bankmässiges und 
nicht bankmässiges Fleisch), ferner die Nothschlachtnng, im V. Abschnitt das 
^ungeniessbare vom Verkauf anszuschliessende Fleisch“ geschildert. Der VI. A b- 
schnitt bringt die kurze Beschreibnng jener Krankheiten, bei deren Vorhandenseiü 



Q4. • • * / 



708 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


der Fleischgenuss unbedingt oder bedingt verboten ist. Den Schluss des Werkes 
bildet im VII. Abschnitt die „Beaufsichtigung der Schlachtlocalitäten, Ver¬ 
kaufsläden und Aufbewahrungsorte des Fleisches“, ferner die „Beaufsichtigung 
des couservirten Fleisches — des Wildpret-, Geflügel- und Fisch-Marktes“. 

Die Ausstattung der 168 Seiten starken Publication entspricht dem Rafe 
der Verlagshandlung. —sch. 

567. Statistischer Sanitätsbericht der k. k. Kriegsmarine für das 
Jahr 1878. Im Aufträge des k. k. Reichs-Kriegsministeriums (Marine- 
Section) zusammengestellt von Dr. Josef Potodnik, k. k. Linienschiffs- 
Arzt. Wien 1880. In Commission bei W. v. Braumüller und Sohn. 

Nachdem wir erst im Junihefte der „Rundschau“ den Sanitätsbericht unserer 
Kriegsmarine besprochen haben, liegt abermals ein derartiger Jahresbericht vor 
un*, diesmal pro 1878 und unter einer anderen Redaction. 

Um die Vergleichung mit den zuletzt mitgetheilten Angaben zu ermög¬ 
lichen, sei vor allem bemerkt, dass anf je 1000 Mann 1497 Erkrankungen gekommen 
sind, und dass sich die Mortalität auf 8 per Mille belaufen hat. (Präsenzsun i 
7962, Todte 67.) 

Von je 100 Todesfällen kamen auf: 


Tuberculose. 

. . . 35*8 (Voriahr 36*8) 

Lungenentzündung . . . . 

... 119 ( 

* 

70) 

Verletzungen. 

... 90 ( 

» 

87) 

Meningitis. 

... 90 ( 

n 

1-7) 

Brustfellentzündung . . . 

... 4 4 ( 

» 

7 0) 

Pocken ........ 

. . . . 44( 


3*5) 

Typhus abd. 

, . . . 3 0 ( 

» 

12*2) 


Wechselfieber bat im Rapportjahre weitere Fortschritte gemacht, wai 
wohl mit den reichlichen Niederschlägen und dem Verfalle der Entwässerungs- 
Vorrichtungen bei Pola zusammenhängt. Ein nicht unbedeutender Factor war 
ferner der Aufenthalt einiger Schiffe in malariareichen Häfen, vornehmlich aber 
die Operationen der k. k. Kriegsmarine an der Mündung des Narentaflosses 
während des Occupationsfeldzuges. 

Von den Pocken gilt dasselbe, was im früheren Jahresberichte bemerkt 
wurde; sie wurden durch einrückende Recruten nach Pola eingeschleppt (Blattern- 
epidemte in Triest und Dalmatien im Winter 1877—78). Am meisten litt die 
gesund ausgelaufene Mannschaft des Kasemattschiffes „Don Juan d'Austria“, auf 
welchem Schiffe 10 Tage nach dem Verlassen des Hafens von Pola, im December 
1877, binnen 6 Wochen 18 Mann an den Pocken erkrankten. 

Darmtyphus ist im Rapportjahre selten mit günstigem Verlaufe auf¬ 
getreten, dagegen hat Rheumatismus, wenigstens unter den Eingeschifften, ange¬ 
nommen. Auf der Panzerfregatte „Habsburg“ kamen allein 30 Rheumatismus- 
fälle vor. 

Trachom wurde im Jahre 1878 in 563 Fällen beobachtet (Vorjahr 333). 
Am stärksten betheiligt war die Corvette „Donau“, dann folgten die bereits 
bekannten Trachomherde: „Adria“ und „Schwarzenberg“ und das Kasemattschiff 
„Don Juan d’Austria“. Die Fregatte „Adria“ musste schliesslich als Artillerieschul¬ 
schiff durch die Corvette „Dandolo“ ersetzt werden. 

Von den Krankengeschichten, welche dieses Mal dem Texte einverleibt 
worden sind, soll nur eine (jedoch mit Weglassung der Details) erwähnt werden. 
Die Frau eines Arsenalmeisters zu Pola erkrankte an Koliken, Stipsis und 
Lähmnngserscheinungen der Extremitäten, und es war zwar eine chronische Blei¬ 
vergiftung bei der Patientin vermuthet worden, ohne dass jedoch anfangs Anhalts¬ 
punkte anamnestischer Natur dafür gefunden werden konnten. Erst später ergab 
sich, dass die Frau einen levantiniechen Tabak zu schnupfen pflegte, der nach 
den Analysen des Arsenals-Chemiker Dr. Gynzkey 2 1 /*°/<> metallisches Blei 
enthielt. Bemerkenswerth ist ferner, da*s in diesem Falle, nicht wie sonst bei 
Bleivergiftungen der Schnupfer, der Bleigehalt aus bleihaltigen Folien stammte, 
sondern von directer Beimischung von Bleisalzen. 

Ich habe in dem letzten Referate über den Sanitätsbericht der k. k. Kriegs¬ 
marine darauf hingewiesen, dass die Mittheilungen über die Vorkommnisse auf 
den einzelnen Schiffen (wenigstens pro 1877) etwas dürftig ausgefallen sind. 
Diesmal bot nun die Occupation von Bosnien und der Herzegowina Gelegenheit 
zu etwas interessanteren Aufzeichnungen, insoferne die Kriegsmarine an dem 
Transporte der Kranken nach der Heimat mit betheiligt war. Seiner Majestät 
Transport-Dampfer „Garignano“ wurde zu diesem Zwecke im Juni 1878 aus- 

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Medizinisch-chirurgische Band schau. 


709 


geröstet, and hat in 29 Fahrten 2432 Kranke and Verwendete des k. k. Heeres 
befördert, woza noch eine bedeutende Anzahl kranker Matrosen, Civilarbeiter und 
ein Türkentransport kommen. Der Transport erfolgte von der Narenta-Mündncg 
nach Triest oder einzelnen Küstenstädten Dalmatiens, wo sich Spitäler befinden. 
Die Anforderangen an Eisenbahnzüge and Wagen, die als fahrende Lazarethe 
dienen sollen, sind in den letzten Jahren vielfach erörtert worden. Weniger 
dagegen ist (bei ans) der Schiffstransport Gegenstand der Discnssion gewesen, und 
es ist ein Beitrag dazu, der sich aber nicht zum Aaszuge eignet, in der Mit- 
theilang des Fregattenarztes Dr. Len och über den Kriegsdampfer „Garignano“ 
nicht zu übersehen. 

Diagramme fehlen diesmal im Sanitätsberichte. Popper. 

568. L’hydrotherapie aux Bains de Champel (pres Geneve) par 
le docteur Paul Gl atz, mödecin aux Bains de Champel, Professeur libre 
de balneotherapie ä la Faculte de mßdecine de TUmversitö de Geneve etc. 
Premiere partie. Gen6ve. H. Georg. 1879. gr. 8. X. 198. 

Wir finden in dem Buche in 11 Abschnitten in auch den Laien verständ¬ 
licher Darstellung, verschiedene allgemein hydrotherapeutische Themata, die 
Anämie, Hysterie, Gicht, Syphilis, den Rheumatismus, die Basedow'sche Kratk- 
keit und ihre diätetische und hydrotherapeutische Behandlung abgehandelt und 
erhalten dadurch einen Begriff von der Vorzüglichkeit der hier fraglichen Wasser¬ 
heilanstalt unter Leitung des schon durch selbstständige hydrophysiologische 
Forschungen bekannten Prof. Dr. Glatz. Knauthe 

569. Ueber die Heilwirkungen der Elektricität und deren erfolg 
reiche methodische Anwendung in verschiedenen Krankheiten. Von 
Dr. Theodor Clemens in Frankfurt a. M. Frankfurt a. M. Verlag 
von Fr. B. Auffarth 1876—79. gr. 8. IV, 752 8. 

Das Werk, welchem der Verfasser sein, wie es scheint, wohlgelnngenes 
Porträt voranstellt, ist heftweise in der Zeit von 1876—79 erschienen nnd liegt 
nnn gebunden auf für Diejenigen, welche es zu kaufen gedenken. Verf. erzählt 
darin die nnr von ihm gemachten Erfahrungen über die Heilwirkungen der Elek¬ 
tricität bei den Geschlechts- und Rückemuarkskrankheiten, den Krampfkrankheiten, 
ober den Werth des elektrostatischen Stromes zum Einathmen bei Tuberculose, 
aber die elektrische Behandlung der Krebskranken, über den snbcutanen Trans¬ 
port von Arzneikörpern durch elektrische Ströme, über die elektrische Behand¬ 
lung der Eierstockgeschwülste nnd der Geschwülste im allgemeinen, bespricht „die 
verschiedenen Metallfunken elektrostatischer Entladungen als Heilmittel“ nnd am 
Schluss verschiedene Anwendungsweisen der Elektricität, sowie sogenannte 
Influenzmaschinen, Spiralbatterien etc., die Metalloskopie nnd Metaliotherapie. Auf 
9 Lichtdrucktafeln werden die vom Verf. constrnirten umfänglichen nnd viel 
Baum einnehmenden Maschinen bildlich vorgeführt. Zum Beleg der Heilwirkungen 
der elektrischen Behandlung sind an den betreffenden Stellen Krankengeschichten 
beigegeben. 

Verf. nimmt, wie den Elektrotherapeuten bereits bekannt, eine Sonderstellung 
hinsichtlich der Anwendung der Elektricität mit seinen Maschinen ein, hat aber, 
nach dem vorliegenden Bache zu nrtheilen, eine langjährige grosse Erfahrung nnd 
schöne Erfolge mit seiner elektrischen Behandlungsweise. x 


570. Therapeutischer Almanach. Von Dr. G. Beck. 7. Jahrgang 
1880. Des Taschenbuches der neuesten Therapie II. Bändchen, 3. Heft. 
Bern, Leipzig und Stuttgart. J. Dalp’sche Buch- und Kunsthandlung 
(K. Schmid), 1880. 


Das vorliegende Büchlein bringt die therapeutischen Fortschritte des abge- 
lanfenen Jahres wieder sorgfältig gesammelt nnd geordnet dem Leser dar. In 
15 Rubriken, welche den Hauptkrankheitsformen entsprechen, findet der Praktiker 
Allee, was von den Aerzten der alten nnd neuen Welt, an neuen Heilagentien 
versucht wurde mit genauer Angabe des Originales, in welchem die ursprüngliche 
Mittheilung enthalten ist. Zugleich wird anf die in den früheren Jahrgängen 
enthaltenen Mittel znrückgewiesen, wodurch die Uebersicht über die in der 
fraulichen Krankheit disponiblen Arzneimittel wesentlich gefördert wird. Das 
Büchlein trägt diesmal die Form eines Sackkalenders nnd erhielt zur Erhöhung 
der Brauchbarkeit im Innern noch ein elastisches Bändchen, unter welches jeder 
Arzt seinen täglichen Bedarf an Recept- und Notizpapier vinschieben kann. Druck 
QQ'i Ausstattung entsprechen vollkommen. 


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7X0 Medicinisch-chirurgische Rundschau. 

571. Lehrbuch der Psychiatrie auf klinischer Grundlage für 
praktische Aerzte und Studirende. Von Prof. v. Krafft-Ebing. 3 Bde. 
Stuttgart, Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 

Das vorliegende Lehrbuch des rühmlichst bekannten Verfassers schließt 
sich würdig seinen allgemein verbreiteten früheren Schriften an, und wird nicht 
verfehlen, sich in den weitesten Kreisen Eingang zu verschaffen, da es in hohem 
Maasse alle Vorzüge eines guten praktischen Lehrbuches in sich vereinigt and 
vor Allem durch Klarheit und Verständlichkeit glänzt. 

Mit allenthalben bemerkbarer Rücksichtnahme auf die neuesten Forschungen 
und deren Ergebnisse wird in umfassender und eingehender Weise die Darstellung 
des Gegenstandes innerhalb der Grenzen eines Lehrbuches gegeben; durch knappe 
Sprache und zutreffende Ausdrücke erlangt das Bach eine übersichtliehe Kürze 
und ermüdet nie durch übermässige Breite und Weitschweifigkeit, ohne übrigens 
im geringsten durch Unklarheit beschwerlich zu werden. Mit erfreulicher, wohl- 
thuender Vermeidung alles zwar den Anstrich grosser Gelehrtheit bietenden 
Hypothesenkrames, für welchen sich gerade in der Psychiatrie noch ein weites 
und sehr verlockendes Feld eröffnet, bewegt sich die Schilderung der einzelnen 
Krankheitsbilder innerhalb des Rahmens klinisch-anatomischer Beobachtung und 
Erfahrung und gewinnt auf diese Weise eine Lebendigkeit, Klarheit und Anschau¬ 
lichkeit, die in gleichem Grade auf Schüler und Praktiker anregend und nützlich, 
auf specielle Fachmänner befriedigend und erquickend einwirken dürfte. Blatt 
für Blatt merkt man dem Buche die reiche Erfahrung des praktischen Klinikers 
und akademischen Lehrers an, der ebenso vertraut ist mit den Bedürfnissen des 
strebsamen Studenten, wie mit dem Objecte seiner Darstellung. 

Mit grösster Sorgfalt und stannenswerthem Fleisse hat der Verfasser Alles 
zusammengetragen, was eigene Beobachtungen und Studien ihn lehrten und was 
in den Schriften Anderer über den jeweilig behandelten Gegenstand Wissens- und 
Beachtenswertes niedergelegt ist. Das Buch dürfte ein mächtiger Förderer auf 
dem Gebiete der Psychiatrie werden, insofern es eine Fülle von Anregung und 
Aufmunterung zu eigenem Beobachten und Nachdenken enthält, die allenthalben 
noch notwendigen Verbesserungen der Verhältnisse der Geisteskranken ansspricht 
und die hauptsächlichsten Uebelstände offen und hell beleuchtet, unter denen 
unsere Patienten theils seitens des Publicums und der nächsten Verwandten, 
teils seitens der noch vielfach zweckwidrig oder ungenügend eingerichteten and 
verwalteten Irrenhäuser zu leiden haben. 

Besonderen Dank verdient der Herr Verf. für die ausführliche Literatnr- 
angabe, welche dem Buche einen bedeutend erhöhten Werth, namentlich für dfn 
wissenschaftlich gebildeten Psychiater und Fachmann verleiht; und da diese 
reiche Literatur mit strenger Kritik und läuternder Auswahl verwertet wurde, 
kann man mit Recht behaupten, es sei in diesem Lehrbuche eine ebenso wahre 
als umfassende und klare Darlegung des heutigen Standes unseres klinisches 
psychiatrischen Wissens gegeben. 

Als ein Vorzug von ganz besonderem Werte, der namentlich von Anfängern 
anerkannt werden dürfte, ist die ausführliche und durch Beispiele erläuterte Er¬ 
klärung und Begrenzung wissenschaftlicher Begriffe und technischer Ausdrücke 
hervorzuheben; gerade die Vernachlässigung dieses Umstandes lässt die besten 
Bücher häufig unklar und verworren erscheinen und gibt die erste Veranlassung 
zu all dem Unheil, das durch verschwommene Begriffe unter den Studirenden 
augerichtet wird. 

Systematische Darstellung, genaue Detaillirung, präcise Begriffe und 
scharfes Auseinanderhalten differenter Gegenstände erleichtern an uLd für sich das 
Verständniss und sind im vorliegenden Buche um so verdienstvoller, als bei der 
relativen Jugend der wissenschaftlichen Psychiatrie, dem oft ganz erschrecklichen 
Wechsel der klinischen Symptome und Symptomengrappirung und der häufig 
genug geringen oder gänzlich mangelnden Beleuchtung, welche selbst die sorg¬ 
fältigsten Leichenöffnungen gewähren, eine allgemein angenommene, ans dem klaren 
Verständniss der Sache sich ergebende Nomenclatur und damit ein leichtes gegen¬ 
seitiges Sich verstehen in weiter Ferne zu liegen scheinen. 

Die im dritten Bande gegebene Sammlung von 159 ausgewählten Kranken¬ 
geschichten bildet gleichsam einen die Schilderungen des zweiten Bandes illostri- 
renden Atlas, der wesentlich dazu beitragen wird, den Wunsch des Herrn Verfassers 
in Erfüllung gehen zu lassen, ein klares, verständliches, das Interesse für die 
speciell klinische Seite des Gegenstandes anregendes Buch den Aerzten und 
Studirenden vorgelegt zn haben. Schnopfhagen. 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


711 


Kleine Mittheilungen. 

572« Le vol anx ötalages. Von Lasägue. (Gazette des Höpitaux. 
1880 Nr. 39. Der Irrenfreund 1880, 5.) 

Verf. spricht sich über die so häufig von Frauenzimmern in Kaufläden 
begangenen Diebstähle folgendermassen aus: Sind es Frauenzimmer von zweifel¬ 
haftem Rufe, deren Mittel nicht ausreichen, um ihre Wünsche zu befriedigen, 
so kann man mit Bestimmtheit annehmen, dass sie mit vollständig klarem Be¬ 
wusstsein gehandelt haben. Nicht so verhält es sich dagegen mit jener Kategorie 
von Frauen, deren Ehrbarkeit keinen Zweifel zulässt, und deren Bedürfnisse 
weit unter dem Niveau ihrer Vermögensverhältnisse stehen. Hier resultirt 
zweifellos aus einer krankhaften Neigung ein derartiges Vergehen, weil sich des¬ 
selben, zwecklos wie es ist, die Thäterin noch niemals schuldig gemacht hat, 
oder wenn dies in sehr rascher Aufeinanderfolge geschehen ist, ein Moment, 
welches ganz besonders noch zu Gunsten dieser Ansicht spricht. In demselben 
Sinne sind endlich noch diejenigen Diebstähle aufznfassen, welche unter den er¬ 
wähnten Umständen da in Frage kommen, wo eine Seelenstörung vorliegt, und 
welche sich dadurch auszeichnen, dass sie mit den weiteren Fortschritten jener, 
d. h. mit dem Nachlasse der Intelligenz, in immer plumperer Weise begangen 
werden. 


573. Zubereitung der Quebracho-Rinde. Dr. B u r g o 8 theilt in dem 

Journal „Revista pbarmaceutica“, welches in Buenos Ayres erscheint, die folgenden 
Vorschriften mit, welche die „Apotheker-Zeitung“ 1880, 13, reproducirt. 

Qnebracho-Pnlver. Dieses besitzt alle äusseren Eigenschaften des China¬ 
pulvers; die Farbe hält die Mitte zwischen derjenigen des Pulvers von Cortex 
Chinae rubrae und Chinae regiae. Es kann auch zu pharmaceutischen Zwecken 
wie Chinapulver gebraucht werden, z. B. gemischt mit Holzkohle zu Zahn¬ 
pulver etc. 

Quebracho-Infasum. Dieses Infusum hat die Farbe von Sherry-Wein, es 
ist klar und durchsichtig; es hat einen bitteren Geschmack, ähnlich dem eines 
China-Infhsums, aber mehr prononcirt. Das Mengenverhältniss bei der Bereitung 
ist dasselbe, wie beim Decoct. 

Quebracho-Decoct. Zur Bereitung des Decoctes wird ein Theil zerkleinerte 
Quebracho-Rinde auf 20 Theile Wasser genommen. Dr. Mantegazza dagegen 
schreibt 1 Theil Rinde auf 12—18 Theile Wasser vor. Das Decoct ist intensiver 
gefärbt, als das Infusum, und soll es concentrirt sein, so ist es auf ein Drittel 
einzudampfen, wonach es nach Angabe unserer Quelle die Farbe von Portwein hat. 
Es bleibt klar, so lange es bei höherer Temperatur erhalten wird, aber wenn 
es erkaltet, setzt sich ein reichlicher Niederschlag ab. Einige Tropfen Schwefel¬ 
säure stellen, indem fiie das Alcaloid lösen, die Durchsichtigkeit des Decoctes 
wieder her. Setzt man Eisenvitriol zu, so entsteht ein grünlich-grauer Nieder¬ 
schlag ; der Zusatz von Ammoniak bringt keine Veränderung hervor. Das Decoct 
wird als tonisches und antifebriles Mittel gebraucht, und dieses ist die Form, 
in welcher Quebracho als Fiebermittel in den von den Fiebern heimgesuchten 
Gegenden gewöhnlich verordnet wird. 

Quebracho-Tinctur. 1 Theil zerkleinerte Quebracho-Rinde wird mit 5 Theilen 
Alcohol durch 8 Tage macerirt, sodann wird filtrirt. 

Zusammengesetzte Quebracho-Tifcctur. 2 Theile zerkleinerte Quebracho- 
Rinde, 1 Theil Orangenschalen werden mit 15 Theilen Alcohol durch 8 Tage 
macerirt, sodann wird filtrirt. 

Quebracho-Wein. Man nimmt 1 Theil zerkleinerte Quebracho-Rinde, 2 Theile 
Alcohol, 16 Theile weissen Wein. Man übergiesst die Rinde mit dem Alcohol, 
fügt nach 24 Stunden den Wein hinzu, macerirt sodann durch 8 Tage und filtrirt. 

Quebracho-Extracte, wässerige und alcoholische , werden nach dem gewöhn¬ 
lichen Extractions-Verfahren bereitet. 

Quebracho-Syrup. Zur Verwendung gelangen 3 Theile Quebracho-Rinde, 
32 Theile Wasser, 16 Theile Zucker. Man kocht die Rinde mit dem Wasser 
filtrirt, dampft das Filtrat auf ein Viertheil ein, fügt den Zucker hinzu und 
bereitet damit den Syrup lege artis. 


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712 


Med icinigch -Chirurgie che Hundschau. 


574. Neue Methode zur Anwendung des Eonsso. Von Dr. Cor re. 
(Buffalo Med. and 8urg. Journal. Apoth.-Ztg. 1880, Nr. 28.) 

Unter allen Bandwurromitteln ist Kousso das zuverlässigste, und oft ist 
versucht worden, dasselbe pharmacentisch in eine Form zn bringen, in welcher 
es seine mediciniscben Eigenschaften nngeschwächt beibehält nnd ohne Wider¬ 
willen eingenommen wird. Dr. Corre wendet seit Jahren folgende in gewissen 
Fällen wirksame Methode an: 7* Unze frisch gepulvertes Eonsso wird mit 
1 Unze heissem Ricinusöl behandelt, dann als Deplacirnngsmittel mit 2 Unzen 
siedendem Wasser versetzt nnd ansgepresst. Die Flüssigkeiten werden mit einem 
Eigelb zn einer Emulsion vereinigt nnd 40 Tropfen mit einem aromatischen Oel 
versetzten Schwefeläthers zugesetzt. Das Ganze wird auf einmal früh Morgens 
eingenommen, nachdem ein etwa 18sttindiges Fasten vorhergegangen ist. Gewöhn¬ 
lich geht nach 6—8 Stunden der Warm todt ab. 

575. Liquor arsenicaüs Fowleri. um die in demselbem stattfindende 
Pilzbildung, welche eine Reduction, also einen Verlust des Arsengehaltos zur Folge 
hat, zu verhüten, empfiehlt Prof. Ros ent h al in einem Vortrage in der Ges. der 
Wiener Aerzte die Mischung mit gleichen Theilen Glycerin, welche mit Wasser 
verdünnt anch zu subcutanen Injectionen verwendet werden kann. Letztere wurden 
vom Vortragenden bei Bronchial-Asthma in den anfallsfreien Zeiten mit Erfolg 
angewandt. Auch bei der reizbaren Schwäche der Genitalien wirkt Arsen bei 
längerem Gebrauche beruhigend auf die Pollutionen, auf die präcipitirte Ejacu- 
lation und fördert die geschwächte Erection. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 

576. Dr. Weil: Die Pille der Zahnk rankheiten. Vortrag gehalten im 
Aerztlichen Verein München am 9. Juni 1880. (Aerztl. Intelligenzbl. 1880. 32.) 

Meine Herren! Pilze kommen im Munde überall so zahlreich vor, dass wir 
sie ständig als Beleg auf den Zähnen finden. Bei den Mykosen der Zähne sind 
es hauptsächlich die Spaltpilze, die unsere Aufmeiksamkeit in Anspruch nehmen. 
Es ist eine stattliche Reihe von Schmarotzern, die verschiedene Forscher im 
Munde des Menschen gefunden haben, aber den wenigsten nur ist eine pathogene 
Bedeutung mit Sicherheit zuzuschreiben. 

Leuwenhock (1695) kann als Entdecker der Mundpilze gelten. Er be¬ 
schreibt sie als bald gekrümmte, bald gestreckte Streifen verschiedener Länge 
und gleicher Dicke, nnd hält sie ihrer Beweglichkeit im Wasser halber für 
Thierchen. He nie vermuthet zuerst, dass diese Fäden pflanzliche Organismen 
seien, während Ficinus 1846 wieder das Gegentheil behauptete. Er gab ihnen 
den Namen Denticolae, hatte aber als erster das Verdienst, sie mit der Caries 
der Zähne in Verbindung zu bringen. Robin (1847) gab ihnen den jetzt noch 
allgemein anerkannten Namen der „Leptothrix buccalis“, er rechnet sie aber zu 
den Leptotricheae Kützing’s, einer Algenform, wozu sie auch Schrott, 
Zahnarzt in Mühlhausen, und in neuerer Zeit auch Klebs noch zählen. Die 
meisten Forscher jedoch rechnen sie zu den Pilzen, und zwar zu den Spaltpilzen 
oder Schizomyceten. 

Ha liier’s Leptothrix dagegen ist etwas ganz anderes. Er kennt nämlich 
keine Pilzgattung dieses Namens, sondern bezeichnet damit eine Reihe von 
Vegetationsformen, die er aus niederen Pilzen gezogen haben will. Speciell die 
im Munde vorkommende Leptothrix will er aus Penicillium glaucum erhalten 
haben. Ich erwähne nur, dass die Hallier’sche Theorie seinerzeit eine grosse 
Polemik hervorgerufen hat und heute fast von allen verlassen ist. Ausser diesem 
für uns wichtigsten Pilz findet man allenthalben Infusorien, Bacterien, Vibrionen, 
die mehr als zufällige Beimischung zu betrachten sind. 

Ich gehe nun zur Aufzählung der Pilze enthaltenden Belege der Zähne über. 

Der unschädlichste, man kann sagen, normal vorkommende Beleg der Zähne 
ist das Secret des Zahnfleisches, gemischt mit Schleim und Speichel und häufig 
mit organischen Wesen. Nicht selten jedoch finden wir einen schmierig grauen, 
fäculenten Beleg auf den Zähnen. Er besteht aus den abgestossenen Epithelzellen 
der Mundschleimhaut, die von einer körnigen Substanz bis zur Unkenntlichkeit 
erfüllt sind. Diese Substanz ist die Matrix von Leptothrix und an sie haften 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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sich -wieder Bändel von gleichmässig dicken verschlungenen Fäden, die als die 
Schwännsporen von Leptothrix beschrieben wnrden. Der grüne, auch grane, 
graugrüne Zahnbeleg kommt meist bei jugendlichen Individuen und bei diesen 
hauptsächlich an der Labialseite der Schneide- nnd Eckzähne vor. Er lässt sich 
nur mit scharfen Messern abkratzen nnd enthält neben sogenanntem Detritus in 
grosser Menge die Matrix von Leptothrix bnccalis. 

Manche Autoren behaupten, dass dieser Beleg in den Schmelz nicht ein¬ 
dringe, ich habe aber thatsachlich schon viele solcher Zähne, die tiefe cariöse 
Höhlen hatten , plombirt nnd kann keinen Grund einsehen, waram der Beleg nicht 
die Ursache der Caries gewesen sein soll. 

Wedl will ans dem braunschwarzen Beleg der Tabakraucher, sowie ans 
dem metallisch glänzenden Beleg des Rindes, welch’ letzterer durch verhorntes 
Epithel entsteht, schlossen, dass Leptothrix zur Bildong der Belege nicht noth- 
wendig sei. Diese beiden Belege sind aber so sehr mechanischer Natur, dass sie 
als Beweis doch nicht triftig genug sein dürften. 

Die Lehrbücher führen bei diesem Capitel auch den Zahnstein (fälschlich 
Weinstein) an, obwohl derselbe zwar kein eigentlicher Beleg ist, sondern von 
diesen als Niederschlag, von jenen als Anban bezeichnet wird. Da das aber eine 
nnser Thema nicht berährende Streitfrage ist, so halte auch ich diese Ordnung 
ein nnd führe ihn bei oder nach den Belegen anf. 

Der Zahnstein bildet sich hauptsächlich an solchen Zähnen, die keinen 
Antagonisten haben, daher znm Beissen nicht verwendet werden, sowie ans dem 
gleichen Grunde an schmerzhaften Zähnen nnd deren Nachbarn, wo überdies noch 
eine Reinigung gar nicht oder nur unvollkommen geschieht. Er bedeckt oft die 
ganzen Kronen nnd Kauflächen nnd kann sogar durch den ständigen Reiz eine 
chronische Entzündung und Vereiterung des Zahnfleisches bewirken nnd sich, 
wenn sich dasselbe zurückgezogen hat, bis über die Wurzelspitze hinaufschieben. 

Schrott (Zahnarzt in Mühlhausen) gibt die Bildung des Zahnsteines in 
folgender Weise an : Wo aus den schon oben erwähnten Gründen der geringste 
Stoffwechsel stattfindet, sammeln sich nebst Epithelialresten Schleim- nnd Speichel¬ 
körperchen; die meisten Infusorien gehen hier zu Grunde, ihre kalkhaltigen 
Ueberreste oder Panzer verflechten sich mit den obigen Körpern nnd bauen so den 
Zahnstein an die Zähne an. Auch der Franzose Mandl vertritt diese Ansicht. 
Im Allgemeinen scheint diese Ansicht wahrscheinlich, nur die Erklärung des Kalk¬ 
gehaltes durch Vibrionen ist nicht richtig, vielmehr sind die vermeintlichen 
Vibrionen Theile von Leptothrix. 

Leber nnd Rottenstein glauben, der sauer reagirende Parotis-Speichel 
gebe im Munde die in ihm enthaltene Kohlensäure frei. Da aber gerade diese 
den kohlensauren Kalk gelöst erhalten habe, so müsse durch ihr Verdunsten auch 
der Kalkgehalt wieder compact werden und niederfallen. Der Geb alt der Zäbne 
an phosphorsaurem Kalk könne dem nicht widersprechen, da dieser durch Kohlen¬ 
säure zuerst ebenso in Lösung erhalten wurde, wie der kohlensaure. Diese Nieder¬ 
schläge reissen zahlreiche Massen von Leptothrix, Vibrionen, Bacterien, Schleim¬ 
und Speichel-Körperchen mit sich. 

Uebrigens lässt sich ganz gut erklären, dass der Zahnstein auch durch 
Combination beider Arten entsteht. Dass die Speicheldrüsen an dessen Bildung 
wirklich Antheil nehmen, hat Berzelins durch den Nachweis von Ptyalin in 
demselben bewiesen. 

Ich kann übrigens mit Bestimmtheit behaupten, dass auch das Secret des 
Zahnfleisches einen hauptsächlichen Antheil an seiner Bildung habe. 

Um ein richtiges Bild vom feineren Bau des Zahnsteins zu bekommen, 
muss man verschiedene Schichten desselben untersuchen. Man schabt sich zu 
diesem Zwecke mit einem scharfen Messer Theilchen von einem frischen Stückchen 
ab. Unter dem Mikroskop zeigt dies ein sehr lebhaftes Bild bei starker Ver- 
grösserung. Man findet neben Ueberbleibseln von Epithel und Speiseresten oft 
noch lebende Infusorien, Moleculär-Granulation nnd sehr viel Leptothrix, sowohl 
die Matrix als auch die Fäden, oft auch Thallusfaden von Oidium. 

Macht man die Reaction mit Jod nnd untersucht mit schwacher Ver- 
gTösserung, so findet man ganze Klumpen bläulich gefärbt, es sind dies Rasen 
von Leptothrix, aber auch einzelne Fäden sieht man nicht selten. Je tiefer wir 
dann die Schichten nehmen, desto undeutlicher werden die einzelnen Theile. 

Die pathologische Bedeutung des Zahnsteines habe ich oben schon ange¬ 
deutet. Er setzt oft ausserdem einen so starken Reiz an das Zahnfleisch, dass 
dieses in heftige Entzündung geräth, sich zurückzieht und in weiterer Folge den 
Schwand des Kiefers veranlasst. Solche Patienten verlieren ihre Zähne, nament¬ 
lich die unteren, seltener die oberen Schneidezähne oft schon in der Jugend. 


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Medicinisch- chirurgische Rundschau. 


Der Zahnstein kann sogar in die geöffnete Pulpa-Höhle eindringen und dort heftige 
Neuralgien verursachen (Castle). 

Meine Herren! Ich komme nun zur Besprechung der wichtigsten Mykose, 
der Caries der Zähne. 

Eine Aufzählung der zahllosen, zum Theil noch Anhänger zahlend« 
Theorien würde zu weit führen, ich erwähne nur kurz, dass bis in’s vorige 
Jahrhundert der schlechten Säftemischung des Blutes die Hauptursache der Ver¬ 
derbnis« zugeschrieben wurde, eine Ansicht, die Sie heute noch täglich tob 
Laien hören können. 

Nach langen Kämpfen endlich theilten sich die Ansichten zwischen der 
vitalistischen und der chemischen Theorie. Letztere lässt die Caries durch die 
Einwirkung verschiedener im Munde wirkender, chemischer Ageutien entstehen, 
namentlich der Säuren, die im Speichel und in der Nahrung enthalten sind. Die 
erstere Theorie denkt sich die Zähne als mit vitealen Eigenschaften versehene 
Gebilde und die Caries als eine durch äussere Reize bedingte, organische Ver¬ 
änderung der Zahngewebe. 

Als nun mit der Vervollkommnung des Mikroskops das Vorkommen 
unzähliger Parasiten im Munde entdeckt wurde, so fanden sich bald Forscher, 
die diesen Organismen wenigstens einen theilweisen Einfluss auf die Caries ein- 
räumten. Der erste war Ficinus 1846. Das Bild nun, das ich mir mit näherer 
Berücksichtigung der Pilze von der Caries entworfen habe, ist folgendes: 

Die Caries beginnt gewöhnlich von aussen, muss sich also zuerst ihren 
Weg durch das Schmelzoberhäutchen bahnen. Die sogenannte innere Caries werde 
ich später erwähnen. Dass dieses gegen die Einwirkung zerstörender Säuren 
nicht unempfindlich sei, gebe ich gerne zu, aber andererseits halte ich es für 
sehr wahrscheinlich, dass, nachdem das Häutchen cariöser Zähne stets einen 
schmierig grauen Beleg zeigt, der, wie Wedl mit Bestimmtheit angibt, haupt¬ 
sächlich aus Matrix von Leptothrix besteht, während man an den Rändern aach 
die Fäden dieses Pilzes wahrnimmt, dieser Pilz sich auch direct durch dasselbe 
durchbohrt. Wir haben ja in früheren Vorträgen gehört, dass Pilze sich sogar 
durch Muscheln bohren, indem sie deren Kalksalze auflösen, dass sie lebende 
Membranen, Blutgefässe etc durchsetzen. 

Wenn man einen Zahn circa 24 Stunden in verdünnte Salzsäure legt, löst 
sich das Oberhäutchen sehr schön ab und man sieht da, wo der Schmelz Sprünge 
oder Löcher Hat, rauhe Stellen, die hauptsächlich wieder Leptothrix enthalten. 

Die Pilze nun bohren sich weiter in den Schmelz ein. Dies ist um so 
leichter, als derselbe schon normale Lücken und Sprünge zeigt und er jedenfalls 
durch die hinein dringenden Säuren noch mehr dazu befähigt wird; sie drängen 
seine Prismen auseinander und zerklüften dieselben, so dass sie schliesslich 
zerbröckeln und kleine Stückchen Schmelz ausbrechen. Vom Schmelz nun drängen 
sie sich in die Canälchen des Zahnbeins ein, welche sie oft um das Dreifache 
erweitern, während sie deren Kalksalze ausziehen. 

Die Erweiterung und Trübung geht ganz allmälig vor sich, so dass man 
an mikroskopischen Präparaten bei starker Vergrösseruug den TJebergang von 
normalen Zahnbeincanälchen zu mässig und stärker erweiterten, sowie die Ver¬ 
dickung der Lumina sehr schön beobachtet; die Erweiterung wird so stark, dass 
sich die Canälchen mit Verdrängung der Zwischensubstanz ganz aneinander legen 
und gegenseitig abplatten können. Die Canälchen zeigen sich auf Querschnitt« 
als erweiterte fein punktirte Scheiben, die von einem breiten Ringe, der Wandung 
der Canälchen, umgeben sind. Auf Längsschnitten sieht man den Inhalt ebenfalls 
punktirt und in Stäbchen abgetheilt. 

Neumann sucht den Process der Erweiterung des Zahucanälchens und 
des stäbchenartigen Zerfalles seines Inhaltes mit seinen Zahnscueiden zu erklären, 
indem diese in zellige Elemente zerfallen sollen. Er fasst den Process als rein 
vitalistischen auf und begründet seine Ansicht damit, dass ein Elfenbeinstift, 
der zur Heilung einer Pseudarthrose eingesetzt und cariös geworden war, genau 
dieselben Erscheinungen gezeigt habe, dass sich also künstlich eingesetzte Zähne 
von Menschen oder Thieren sich ebenso verhalten müssten. 

Dem ist aber nicht so, im Gegentheil zeigen eingesetzte Zähne, wenn sie 
cariös werden, genau dasselbe Bild wie die lebenden. Die Jodreaction nun be¬ 
weist, dass diese Punkte und Stäbchen nichts Anderes als hineingewucherte 
Leptothrix-Massen sind. 

Dass gewisse Säuren den ganzen Process befördern, so namentlich die 
Milchsäure, bezweifle ich, wie gesagt, nicht, wohl aber, dass dieselben den 
Process hervorrufen und die Pilze nur geringe oder wie manche behaupten, gar 
keine Einwirkung auf die Caries haben. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


715 


Diese Forscher begründen ihre Ansicht damit, dass ja unzählige Male die 
Pilze im Munde gefunden würden, ohne Caries zn erzengen, aber: 

1. Ist ja das Gleiche bei den Säuren der Fall, und 

2. Treffen wir es analog überall im Körper, dass Pilze, ohne die specifi- 
schen Krankheiten zn erzengen, vorhanden sind, so dass die Annahme einer 
Disposition auch hier ebenso gut zutrifft, wie bei analogen Krankheiten des 
Körpers. 

Klebs führt in einer trefflichen Arbeit, die znm Theil dieses Thema be¬ 
handelt, als zündenden Beweis an, wie z. B. nicht selten Cysticercus im Gehirn 
gefunden wird, ohne bei Lebzeiten die geringsten Erscheinungen hervorgerufen 
zn haben, während er oft wieder die schwersten pathologischen Veränderungen 
errege. 

Wir begegnen ferner demselben Einwande bei der Diphtheritis, der Sepsis 
und ähnlichen jetzt doch mit Sicherheit auf Pilze znrückgeführten Krankheiten. 

Ich erwähnte oben einer sogenannten inneren Caries, auf die ich deshalb 
noch etwas zurückkommen muss, weil die Gegner der Pilztheorie sie als Beweis 
für die Unschädlichkeit der Pilze angeführt haben. Sie sagten nämlich, da bei 
dieser Form der Caries, die von der Pulpa des Zahnes ansgehen sollte, Pilze 
unmöglich thätig sein könnten, so brauchten diese auch bei der äussern Caries 
nicht mitzuwirken. Es gibt nämlich Fälle, wo die Zerstörung gegen die Pulpa 
hin sehr gross, gegen aussen geringer und der Schmelz oft ganz intact zu sein 
scheint. Doch sieht man auch hier die dunkle Fäibnng der Caries ganz deut¬ 
lich durchscheinen , und wenn man bedenkt, welch 1 kleiner Defect im Schmelz 
genügt, um Caries zu erzeugen, andererseits sich die Sprünge, Risse und ange- 
boraen Defecte im Schmelz vergegenwärtigt, so ist diese Vortäuschung einer 
innern Caries leicht erklärlich. Fälle, in denen der Schmelz bei cariöser Zer¬ 
störung des Zahnbeines wirklich intact ist, können höchstens so erklärt werden, 
dass die Pulpa durch traumatische Einwirkung zerstört wurde. 

So beobachtete ich eine eitrige Periostitis an einem scheinbar gesunden 
Backzahn; ich bohrte denselben an und fand ihn innen cariös. Aber eine auf dem 
den Zahn bedeckenden Theile der Lippe sitzende Narbe erinnerte den Patienten 
daran, dass er auf einer Mensur den Schmiss und mit ihm eine starke Prellung 
des Zahnes acquirirt habe, wobei ohne Zweifel der Nerv abgerissen wurde und 
das Zahnbein einem mehr eitrigen Zerfall erlag. 

Die Leptothrix-Pilze erkennt man durch die bereits erwähnte Jodreaction. 

Man nimmt am besten eine Lösung von Jod und Kali jodat. in Ac. acet. 
und Glycerin und läsBt einen Tropfen davon auf das Präparat fallen. Dabei 
färben sich die Leptothrix-Massen dunkelbläulich bis violett und sind an frischen 
und alten Präparaten bei schwacher Vergrösserung in grossen Haufen liegend 
wahrnehmbar. Sogar einzelne Stäbchen und Fäden findet man im Präparate 
gefärbt. 

Diese Reaction wurde von Leyden und Jaffö zur Erkennung von Lepto¬ 
thrix-Massen in den putriden Sputis an Lungengangrän Erkrankter angegeben. 

Sie nennen die hiebei gefundene Pilzart, die sie in der Hauptsache als 
identisch mit der im Munde vorkommenden Leptothrix schildern, L. pulmonalis 
und stellen als das Resultat ihrer vortrefflichen Untersuchungen folgenden 
Satz auf: 

„Die im Munde bei stets vollkommener Gesundheit vorhandenen Pilzfoimen 
können unter disponirenden Umständen zu erheblichen Lungenerkrankungen An¬ 
lass geben. Es ist erlaubt anzunehmen, dass diese Pilze überall dieselbe bös¬ 
artige Rolle spielen können, wohin sie gelangen, zuerst also im Mundo und an 
den Zähnen. Auch im Verdauungscanal lassen sie sich in erheblicher Menge 
nachweisen, nur scheinen die Verdauungssäfte derartige Gährungs- und Fäulniss- 
processe zu verhindern. 1 * Es ist jedoch nach einem Theile ihrer Experimente 
nicht unwahrscheinlich, dass unter krankhaften Bedingungen auch hier die Pilze 
eine Rolle spielen. 

Ueberhaupt führt die Literatur schon eine stattliche Reihe von Fällen an, 
in denen mykotische Erkrankungen verschiedener Körpertheile durch Verschleppung 
vom Munde und von den Zähnen aus mit an Gewissheit grenzender Wahrschein¬ 
lichkeit constatirt werden. 

Rosenstein (B. klin. Wochenschr. 1867, Nr. 1) fand unter ähnlichen 
Verhältnissen Oidium albicans in putriden Sputis. Einer in neuester Zeit von 
Arndt in Greifswald ausgesprochenen Ansicht sei noch zu gedenken, der die 
in der Mundhöhle sich findenden Spaltpilze, Spirochaete denticola als aus zer¬ 
fallenden Speichelkörperchen entstanden hinstellt. Eine Behauptung, die sich 
bereits der „Bioplasmentheorie" Beale’s nähert. Arndt lässt es dahingestellt, 


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Medicinfsch-chirurgische Rundschau. 


was der eigentliche Beruf dieser Körperchen sei; da sie aber Abkömmlinge des 
menschlichen Körpers seien, von demselben erzengt nnd auch erhalten werden, 
so werden sie wahrscheinlich wieder als Material benützt, nm weitere Organismen 
anfznbanen. Ferner haben verschiedene Forscher den Zusammenhang zwischen 
cariösen Zähnen nnd an denselben entstandenen septischen Abscessen nach¬ 
gewiesen, ein sicherer Beweis, wie unter günstigen Umständen die Pilze sich 
fortentwickeln können. So berichtet Dr. Hanssmann in Berlin in der Bert 
klin. Wochenschrift 1878 über einen an einem eigenen cariösen Eckzahn ent¬ 
standenen Abscess, der unter dem Mikroskop Bacterien nnd Mikrococcen zeigte 
nnd nach dessen Ansicht entschieden mit der cariösen Zahnhöhle in Verbindung 
stand. 

Höchst interessant nnd wichtig anch für unser Thema ist eine Arbeit von 
Bollinger, die derselbe im Centralbl. f. med. Wissensch. Nr. 27 von 1877 ver¬ 
öffentlichte. Er beschreibt dort eine Reihe von Geschwülsten des Rindes, die 
sich in der Rachenhöhle, im Kehlkopfe, in der Ohrdrüsengegend, in der Zange 
nnd namentlich im Vorder- nnd Hinterkiefer des Rindes finden. Sie enthalten 
alle einen gleichartigen Pilz, von Bollinger als Actinomyces bovis (Strahlen¬ 
pilz) genannt. Es ist dies also zwar kein Spaltpilz, aber ich führe ihn hier auf, 
weil bei den Geschwülsten der Kiefer nnd der Zunge derselbe seine Invasion von 
den Zahnfächern ans machte. James Israel (Archiv, f. pathol. Anat. nnd 
Physiol. 1878 Band 74, Heft I) bat sich eingehend mit der Frage der Ver¬ 
schleppung der Pilze von cariösen Zahnhöhlen ans befasst. In einem Falle, in 
dem er die Diagnose auf chronische Pyämie stellte, weil von einem LungenabsceFS 
ansgehende multiple metastatische Abscesse bösartig verlaufend in Masse vor¬ 
handen waren, körnte er nur die Wahrscheinlichkeit annehmen, dass die im 
Eiter enthaltenen Pilze ans der Mund- nnd Rachenhöhle aspirirt oder geschluckt 
worden seien. In einem zweiten Falle dagegen — Abscessbildnng am Halse mit 
zahlreichen Pilzen — fand Israel im Wnrzelcanale des extrahirten cariösen Zahnes 
genau dieselben Elemente wie in den Abscessen. Er glaubt, die Pilze gehörten 
in den Entwicklnngskreis der Leptothrix bnccalis. Dann aber in einer grossen 
Anzahl von Zahnabsce?sen fand er genau dieselben Pilze wie in vorhandenen 
cariösen Zähnen, nämlich Leptothrix vollständig ansgebildet, Mikrococcen und 
Bacterien. Nach längerer Begründung kommt Israel zu dem für uns interessanten 
Schluss, dass die Anwesenheit der Pilze der Entzündung und Eiterung vor¬ 
ausgehen müsste. Aehnliche Fälle mit gleichem Resultate führt Fürbringer in 
demselben Archiv 1876, Bd. 66, Heft 3 an. 

Zum Schloss kann ich nur den an dieser Stelle schon ausgesprochenen 
Wrnsch wiederholen, es möge den unermüdlichen Forschungen unserer Gelehrten 
no< h gelingen, die bis hieher gelangten Resultate zu Thatsachen von unumstöss- 
licher Beweiskraft zu erheben. 


Der Redaction eingesendete neu erschienene Bücher und Schriften. 

Auspitz Dr. Heinrich, Professor der Dermatologie nnd Syphilis an der 
Universität zu Wien: System der Hantkrankheiten. Wien 1881. 
Wilhelm Branmüller. 

Bewegung der Bevölkernng in Wien im Jahre 1879. Mittheilnngen des 
städtischen statistischen Bureaus. Wien. Verlag des Wiener Magistrats. 1880. 
Delbastaille Dr. Oscar: De la eure radicale des Hernies. Li&ge. 

Extrait des Annales de la Societö mödico-chirurgicale de Liöge. 1880. 
Gerassimides Dr.: Fistule vösico-vaginale traitöe par la 
möthode simplifiee. Extrait des Archives de Tocologie. Paris. V. Adrien 
Delahaye dt Cie., Libraires-fiditenrs. 1880. 

Recept-Taschenbuch und Kalender der Wiener medizinischen 
Presse 1881. Wien. Urban & Schwarzenberg, Maximilianstrasse 4. 
Wernich Dr. A., Docent für specielle Pathologie und Epidemiologie in Berlin: 
Grundriss der Desinfectionslehre. Zum praktischen Gebrauch anf 
kritischer und experimenteller Grundlage bearbeitet. Mit 15 in den Text 
gedruckten Illustrationen. Wien und Leipzig. Urban & Schwarzenberg. 1880. 
S&mmtliohe hier angeführte Bttoher sind in beziehen duroh 
die Baohhandlung Urban & Sohwarzenberg in Wien, I., Maxi¬ 
milian Strasse 4. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. Vincen* Fink. 

Kinsendnngen an die Redaction sind zu richten: Wien. I„ Maximilianstrasse 4. 


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Mediciuisch-chinirgische Rundschau. 


717 



NATÜRLICH 
KOHLENSAURES MINERAL-WASSER. 
Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 


Direction des K. K. Krankenhauses, “Wieden.” {Prot, z, 

266 D, 1S79.) 

NOTE. 

M Der Apollinaris^Säuerling wurde währenddes Sommers 1879 K- K. Krankenhause 
Wieden auf den medicinischen Abtheilungen der Herren Doetoren Ritter von Eisenstein 
und Oetinger, untl auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Er. Mosctig 
Ritter von Moorhof und des Herrn Dr. Kumar angewendet. Aus den diesfalls eingesen¬ 
deten Berichten dieser Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollinaris-Wasser 
sich durch seine Reinheit und seinen Woh lge sch mack, insbesondere aber 
durch seinen ausscronlcntlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällen den Vorzug 
verdiene, in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
Hasser hat sich insbesondere als kühlende s, erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften acuten Erkrankungen enuiesen, und wurde bei catarrhahschen 
Affcctionen der A th m ungs -, der Verdau u ngs- und Harn0rgane mit gutem 
E rfo Ire angewendet. Wien, am 29. Dezember 1870. 

Dr. F. W. Lorinser. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen. ” 

Hofrath Univ.-Prof. Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald, 

Wien : “ Eh bestätige hiermit , dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Kohlensäure ist, und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für Gesunde, und 
sehr kräftigend für Reconvalescenten mit geschwächter P r erdauung sich 
mir erwiesen hat. 26. Januar 1880.'’ 

Hofra^h Uniy.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wien: “ Das Apollinaris- 

H'asser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher bei allen jenen 
Krankheiten Anwendung finden, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind. 26. Jamtat 
1880.” 

Prof. Dr. Josef Seegen, Wien: “ Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 

hei Neuenahr ist seiner Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersättigung mit aus der Quelle gezvottneuer Kohlensäure steht es den 
Soiiawässem nahe, und ist diesen als hygien isches Getränk vorzuziehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlett- 
säu regelt alt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spaeth, Wien : “ Das Apollinaris-Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohlensäurereicher Natronsäuerling, von jedem Nebengeschmäcke frei, 
umi bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: “ Das natürliche 

Apollinaris-Wasser eignet sich ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
und wird auch bei Sch wiche der Verdauung sehr gut vertragen. 20 . Jttli 1879.’' 


Gen.-Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. V. Nussbaum, München: 

“ Äusserst erquickendes und auch nützliches Getränk, weshalb ich cs bestens empfehlen 
kann. ” 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: “ Als erfrischendes 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt es unter den Mineralwässern sicherlich 
den ersten Rang ein. 16. März 1879.” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: ‘‘ Sein angenehmer 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vortheilhaft aus. 24. Dezember 1878.” 


Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc. 

DIE APOLLINARIS COMPANY, LIMITED; 

Zweig-Comptoir, Remagen a. Rhein. 


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718 


Mediciniach-chirnrgische Rundschau. 


Engel-Apotheke, Am Hof Nr. 6 in Wien, j 

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Das neue Antipyreticum und Antisepticum. | 

(Siehe das „Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte“ Nr. 14, 1880, Nr. 30 I 
and 31 der „WienerMediz.Blätter“ and Nr. 8 1. J. der „Med.-chir. Rundschau*.) | 

Nach den klinischen Erfahrungen des Prof. Licht heim in Bern 8 
besitzt das Besoroln eine die Temperatur herabsetzende Wirkung, | 
welche den gleichen Effect des Chinins und der SaJycilsäure übertrifft. * 

»Schon eine Stunde nach der Anwendung des Medicaments I 
bei einem hochfiebemden Kranken sind Pulsfrequenz und § 
Temperatur auf die Norm gesunken.“ | 

Auch als Wechselfieberantidot wurde das Medicament mit * 
Erfolg versucht. | 

Der Vorzug des Besorcins als Antiseptioum besteht nach jt 
Andeer yor allen anderen desinflcirenden Benzolabkömmlingen darin. « 
dass es in allen in der Pharmacopoe gebräuchlichen Formen angewendet * 
werden kann. Er empfiehlt es bei allen septischen Vorgängen der Schleim- | 
häute, bei Diphtheritis und als Aetzmittel bei Geschwüren. | 

Resorcin i 

in bester Qualität ist stets yorräthig in der | 

Engel-Apotheke, Am Hof Nr. 6 j 

IN WIEN. I 

Daselbst ist das Haupt-Depdt von Sylphium-Cyrenaicum-Präparaten, | 
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Herren Aerzte auf dem Lande, welche Haus-Apotheken führen, alle phar- 1 
maceutischen Präparate, wie Pflaster, Extracte, Tincturen und Chemicaliei\, § 
Verbandstoffe, Blutegel und überhaupt auch alle neuesten Medicamente | 
von tadelloser Qualität zu den billigsten En gros-Preisen geliefert. | 

Preisliste gratis und franco. 154 | 

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___Anton Ulbrich, Sohn des Gründers. 


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Gemüths- und Nervenkranke 

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Oberdöbling, Hirschengasse 71 . 

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Medicinisch-chirtirgische Bnadschao. 


719 


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folgt und jede an uns gerichtete Anzeige bestens honorirt. 133 1 

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Der für 1881 soeben erschienene vierte Jahrgang des 
„Resept-Tasohenbnoh nnd Kalender der Wiener Medizinieohen 
Presse** zeiohnet stob abermals dnreh namhafte Zusätze and Ver¬ 
besserungen ans, wovon wir nur folgende hervorheben wollen: 

Der therapeutische Thell ist durohgohends einer genauen 
Revision unterzogen and daroh zahlreiche Rezepte vermehrt 
worden, wobei insbesondere auoh die neuesten Arzneimittel 
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Freunden dieses beliebten Jahrbuohes auoh daduroh geboten 
worden sein, dass dasselbe mit Draht geheftet wurde. Der Einband 
hat dadurch nicht nur bedeutend an Festigkeit gewonnen, sondern 
es verhindert diese neue Methode auoh das Iiookerwerden ein¬ 
zelner Bogen. 

Format nnd Umfang sind, trotz vermehrten Inhalts, fast un¬ 
verändert geblieben, ohne dass der Druok weniger leserlloh wäre. 

Der Preis des Jahrganges 1881 ist nngeaehtet aller vor¬ 
genommenen Verbesserungen und Vermehrungen derselbe (fl. 1.60 
mitFranoo-Zusendung) geblieben, nnd glaubt die Veriagsh&ndlung 
sich der Hoffnung hingeben zn dürfen, dass unser Kalender sioh 
ln der Gunst der praktischen Aerzte dauernd behaupten werde, 
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720 


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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 

577. Die Schrift. Grundzüge ihrer Physiologie und Pathologie. Von 
Dr. Al brecht Erlenmeyer. (Stuttgart, Verlag von Adolf Bonz & Co. 
1879.) 

Die vorliegende Monographie behandelt in eingehender und über¬ 
sichtlicher Weise die Physiologie und Pathologie der Schrift und ist reich 
an hochinteressanten Beobachtungen und Erfahrungen, reich an praktisch 
wichtigen Mittheilungen und reich an vielfachen Anregungen zu neuem 
Forschen auf diesem bis auf die jüngste Zeit ziemlich unbeachtet gebliebenen 
Gebiete. Schon in den allgemeinen Auseinandersetzungen des ersten 
Capitels werden höchst beachtenswerthe, interessante Ergebnisse mitgetheilt. 
— Aus der vom Verfasser constatirten Thatsache, dass die linksläufigen 
Schriften der alten semitischen Völker mit der linken Hand geschrieben 
wurden, lässt sich erschliessen, dass dieselben, im Gegensätze zu uns, 
vorwiegend die rechte Hirnhemisphäre ausbildeten; die Function hält er 
für das Primäre, die Entwicklung und Ausbildung des der Function vor¬ 
stehenden centralen Organes für das Secundäre, für das durch die Function 
Bedingte. Unsere Rechtshändigkeit wird durch die nach rechts hin 
laufende Schrift bedingt, welche bequem und leicht nur mit der rechten 
Hand geschrieben werden kann, da nur die rechte Hand bei Ausführung 
einer rechtsläufigen Schrift eine Abductionsbewegung machen kann und 
die Abductionsbewegungen überhaupt die sichersten, bequemsten und 
elegantesten sind. Da wir nun einmal beim Schreiben aus gutem Grunde 
rechtshändig sind, benützen wir die rechte Hand auch ftlr andere Gegen¬ 
stände vorwiegend und werden überhaupt rechtshändig. Die nicht schreib¬ 
kundigen Menschen sind aus Nachahmung des von den anderen als zweck¬ 
mässig Befundenen Rechtshänder. Die Spiegelschrift (Retrographie n. V.) 
erscheint im Lichte der Thatsache, dass die Abducfton die bequemste Be¬ 
wegung ist, als der natürlichste und begreiflichste Schreibmodus eines 
rechts Gelähmten. Aus einer detaillirten Betrachtung der complicirten 
Schreibbewegung, aus der Zergliederung derselben in ihre Bestandteile, 
werden die dabei thätigen und mehr oder weniger in Action tretenden 
Muskeln abgeleitet und erkannt, dass für jede Bewegung wenigstens zwei 
der überhaupt in Betracht kommenden drei Nerven, N. radialis, ulnaris und 
medianus, zur Verfügung stehen, so dass, wenn ein Nerv seine Function ein¬ 
stellt, dieselbe vom anderen übernommen werden kann. Da keine einzige 
Schreibbewegung Einzelleistung eines bestimmten Nerven ist, vielmehr 
stets zwei oder drei dabei betheiligt sind, ergibt sich das für die Patho¬ 
logie bemerkenswerte Factum, dass die isolirte Lähmung eines der drei 

3Ied.-chir. Rundschau. 1880. Digitized by Google 


722 


Medicinijck-chinirgidche Rundschau. 


Nerven niemals den vollständigen Ausfall einer bestimmten Schreibbewegung 
zur Folge haben kann and sich vielmehr, da jeder Nerv bei allen 
Schreibbewegungen betheiligt ist, bei allen bemerkbar maehen muss. 

Einfach and natargemto ist die Eintheilang der Schriftstörangen in 
mechanische and physische Alternation. Za den ersteren zählen 
die atactische und die Zitterschrift; die letzteren, für welche der Verfasser 
den bezeichnenden Namen Dysgrammatographie vorschlägt, zerfallen 1. in 
die bewusst zwangsartigen Schriftveränderungen (Agraphie und Paragraphie 
and 2. die willkürlich unbewussten ("die Schrift der Paralytiker). Es 
würde auch viel zu weit führen, den Auseinandersetzungen über alle diese 
Formen zu folgen; sie sind alle mit möglichster Schärfe umschrieben und 
mit grosser Klarheit dargestellt; diese Behandlung des Stoffes in Verbin¬ 
dung mit den zahlreichen, jede einzelne Form illustrirenden, selbst gesam¬ 
melten Schriftproben, machen es Jedem möglich, in eigener Praxis etwa 
vorkommende pathologische Schriften richtig zu beurtheüen und als 
diagnostisches Hilfsmittel zu verwenden, was namentlich bezüglich der 
progressiven Paralyse von grössteqi Nutzen und Wert he sein wird. In 
zwei mitgetheilten Fällen hätte die Beachtung der Schrift des Patienten 
genügen können, vor der unheilvollen Diagnose „progressive Paralyse^ 
zu bewahren. Für die Entscheidung, ob die Paralyse durch Syphilis be¬ 
dingt oder selbstständig aufgetreten, kann nach eingeleiteter Medication 
die Schrift einen sehr guten Anhaltspunkt bieten. In prognostischer Hin 
sicht wäre noch hervorzuheben, dass ein rascheres Fortschreiten des 
paralytischen Processes zu erwarten sei, sobald die der Paralyse eigen¬ 
tümliche Dysgrammatographie sich verbinde mit Formfehlern; hingegen 
das Isolirtbleiben der Dysgrammatographie einen langsamen Verlauf in 
Aussicht stelle. Welch’ grossen Werth eine vergleichende Beachtung der 
Schrift zu verschiedenen Zeiten für die Erfolge der Therapie haben könne, 
wird durch einige mitgetheilte Beispiele illustrirt. 

In Anbetracht der zahlreichen und für die Erweiterung der Sympto¬ 
matologie höchst werthvollen Erfolge, zu denen der Verfasser durch 
fleissigc, umsichtige, mühevolle Beobachtung gekommen, wäre es nur 
wünschenswert, wenn sich diesem ersten Pionniere zahlreiche Nachfolger 
anschlössen und von allen Seiten zusammengetragene Beobachtungen den 
baldigen Ausbau des fundirten Gebäudes ermöglichten. 

Schnopfh agen. 

578. Ein Pall von Endocarditis ulcerosa. Mitgetheilt vom Privat- 
docenten Dr. N. Weise. (Wiener med. Wochenschr. 1880. 33.) 

Ein 28 Jahre alter Schneidergeselle, welcher vor 3 Jahren einen Typhus 
überstanden hatte, wurde wegen einer linksseitigen Pneumonie vom 1. bis 
17. April 1880 im Spitale behandelt und gesund entlassen. 10 Tage 
darauf erkrankte er von Neuem mit Appetitlosigkeit, Frösteln, Kopf¬ 
schmerzen, trockenem Husten, Magenschmerzen und Diarrhöen. Bei der 
Aufnahme im Spital wurde in dem hinteren unteren Theil der Lunge ein 
Bronchialkatarrh gefunden und an der Spitze des normalgrossen Herzens, 
dessen Stoss zwischen der 5. und 6. Hippe sicht- und fühlbar war, ein 
sausendes systolisches Geräusch und ein dumpfer diastolischer Ton gehört. 
Das Geräusch wurde an allen Ostien gehört, und zwar mit abnehmender 
Intensität gegen die Pulmonalis und Tricuspidalis hin, mit beträchtlich 
zunehmender gegen den Aorteneingang. Die übrigen Herztöne rein. Das 
systolische Geräusch pflanzt sich in beide Carotiden fort, in welchen ausser¬ 
dem noch ein dumpfer diastolischer Ton gehört wurde. Grosser gespannter 


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Medicinisch-chirargisehe Rundschau. 


723 


Radialpuls, 96 in der Minute. Unter dem linken Rippenbogen bei tiefer 
Inspiration die Spitze der Milz fühlbar. Der Zustand blieb 10 Tage gleich. 
Das Fieber bewegte sich früh zwischen 39*8° und 40 5°, Abends zwischen 
40*2° und 40*9 9 . Am 11. Tage trat Früh ein ^ständiger heftiger 
Schüttelfrost ein und die Untersuchung ergab neben dem systolischen ein 
sausendes diastolisches Geräusch an der Herzspitze und am Aorteneingang. 
Die peripheren Pulse waren gespannter, grösser, leicht schnellend. Die 
Milzdämpfung überragte den Rippenbogen fast um Handbreite. Diarrhöe. 
402° Temp. Früh, 40-3° Abends.. Tod den anderen Tag plötzlich mit 
heftiger Dyspnoe. Der Herzbefund, der andauernd hochfebrile Zustand, 
der Milztumor, der letzte Schüttelfrost leiteten zur Diagnose: Ulceröse 
Endocarditis. Die Diagnose wurde durch die Section bestätigt, es fand 
sich eine Endocarditis valvularis ulcerösa, welche zu Excrescenzen an der 
rechten und hinteren Aortenklappe und aneurysraatischer Erweiterung der 
Klappen, Perforation derselben und damit zur Insuffizienz der Aorten 
klappen , geführt hatte. Ein subvalvuläres Aneurysma an der hinteren 
Aortenklappe gab durch seine Perforation an der Pars membranacea Ver¬ 
anlassung zur Herstellung einer Communication zwischen linkem Ventrikel 
und rechtem Vorhof, somit auch dazu, dass während der Systole des 
linken Ventrikels aus diesem, Blut unter hohem Drucke in den rechten 
Vorhof und möglic herweise auch in die Jugularvenen geschleudert wurde. 

K n a u t h e, Meran. 


579. Zur Lehre vom weakned he&rt nebst Bemerkungen über 
das Symptomenbild des cardialen Asthma uud dessen Behandlung. 
Von Dr. A. Fränkel. (Oharitö-Annal. V. — Centralbl. 1880. Nr. 32.) 


Ein 30jähriger Kutscher, der eine complieirte Fractnr eines Unter¬ 
schenkels erlitten, wurde noch vor Ausheilung der Verletzung von Er¬ 
scheinungen hochgradigster Herzschwäche, verbunden mit Unregelmässig¬ 
keit und Steigerung der Herzaction, befallen. Symptome, die auf eine 
Klappenerkrankung hinwiesen, waren nicht zu constatiren; bald gesellten 
sich hierzu Anfälle von lebhaftem Herzklopfen mit beträchtlicher Steigerung 
der Pulsfrequenz ohne Dyspnoe. Es stellte sich dann ein systolisches 
Geräusch an der Herzspitze und Verstärkung des zweiten Pulmonaltones 
ein. Unter schnellem Kräfteverfall des Patienten trat der Klappenfehler 
immer deutlicher hervor, es machten sich noch die Erscheinungen eiues 
Nierenleidens bemerkbar und mit der zunehmenden Störung *der Herz- 
thätigkeit erfolgte der Tod des Patienten. 

Nur in seinem Anfang stimmt dieser Fall mit den von 8tokes 
beschriebenen Fällen von geschwächtem Herzen (weakned heart) überein, 
die nur ältere gichtische Leute betrafen. Klinische Erfahrungen lehren 
aber, dass ein ganz analoger Symptomencomplex gar nicht selten bei 
jüngeren Leuten zu finden ist, in Folge von Muskelanstrengungen oder 
Abusus spirituosorum. Die Obduction ergibt eine auf Dilatation beruhende 
Yolumszunabme des Herzens, namentlich des linken Ventrikels, mit oder 
ohne Hypertrophie desselben. Structurveränderungen des Herzmuskels 
hingegen sind hierbei selten. Die Erklärung dieser Zustände ist bereits 
von Seitz versucht worden, denen Verf. sich unter gewissen Modifi- 
eationen anschliesst. Durch die besondere Inanspruchnahme des Herzens 
entwickelt sich je nach der Kraft seiner Muskulatur, entweder Hypertrophie 
oder Dilatation. Allmälig lässt die Muskelelasticität nach und die statt¬ 
habende Dehnung der Ventricularwände bewirkt eine Zerrung der innerhalb 
derselben gelegenen Ganglienzellen, in Folge deren dann die Herzaction 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


unregelmässig wird und der Symptomencomplex des geschwächten Herzens 
sich ausbildet. Die paroxysmusartig auftretenden Steigerungen der Puls¬ 
frequenz betrachtet Verf. als die Folge eines vorübergehenden Lähmungs- 
zustandes des im Herzen selbst gelegenen Hemmungsapparates. 

Zur Bekämpfung des cardialen Asthma, d. h. plötzlich eintretender 
Anfälle von Athemnoth, Cyanose und Herzbeschleunigung, bedingt durch 
Abnahme der Leistungsfähigkeit des linken Ventrikels, empfiehlt Verf. 
nach Zenker’s Vorgang Morphium-Injectionen von mindestens 0*01 Grm. 


580. Ueber die Ursachen und den Verlauf der Urämie bei 
Nephritis nach Scharlach. Von S. Hajek. Wien. (Separatabdruck aus 
dem Archiv für Kinderheilkunde. 1880.) 


Der Zusammenhang zwischen Hamretention bei Nephritis und den 
Erscheinungen der Ur- oder Ammonämie ist noch so wenig geklärt, dass 
Thomas in Gerhardt’s Handbuch der Kinderkrankheiten (IV. Bd., 3, 
p. 320) sich bescheidet, zu sagen, die Urämie entstehe wohl unter einer 
Störung in der Harnabsonderung und sei wahrscheinlich durch dieselbe 
veranlasst. — Derselbe Gegenstand, nämlich Wesen und Erscheinungen 
der Urämie, wurde vielfach anderweitig behandelt. Gegenüber den Physio¬ 
logen und Experimentalpathologen sind die Kliniker mit der Herstellung 
einer ausreichenden Casuistik weit zurückgeblieben; während der Morbus 
Brigbtii und die Convulsionen bei Schwangeren und Puerperen fast von 
jedem Gynäkologen eine eingehende Bearbeitung erfahren haben, finden 
wir über Urämie bei Scharlach bei Barthez und Rilliet, Monod, 
Richardson, Baginsky, ferner bei Tripe und Rosenstein, 
Henoch und Ebert eine verschwindend kleine Zahl von Einzel¬ 
beschreibungen des Verlaufes der so wechselreichen Symptome. Rosen¬ 
thal und Eulenburg haben den Erscheinungen der Urämie ihre volle 
Aufmerksamkeit zugewendet. 

Verf. beantwortet die Frage: Welches ist der pathologische Zu¬ 
sammenhang zwischen Scharlach und Nephritis? damit: Die langandauemde, 
mehr oder weniger complete Unterdrückung der Hautausdünstung. Verf. 
setzt die Leistungen der Haut als Perspirationsorgan als bekannt voraus, 
ebenso die durch gewaltsame Unterdrückung derselben hervorgerufenen 
Symptome und hebt nur in Kürze hervor, dass als constante Folge theil- 
weiser und ganzer künstlicher Hautüberzüge (durch Oel, Petroleum, 
Dextrin, Firniss, Wasserdampf) jedesmal das Auftreten von Albuminurie 
bei gleichzeitiger Verminderung der Harnmenge, ein Sinken der Temperatur 
und bei Fortsetzung des Experimentes Störungen in der Respiration, 
Dyspnoe, endlich Convulsionen und Coma, die den Tod des Versuchs- 
thieres herbeiführten, beobachtet wurden. Entsprechend diesen „Intoxi* 
cationserscheinungen“ fanden sich an den Versuchsthieren diffuse Nephritis, 
diffuse Entzündungsherde in Lungen, Herz und Leber. Bis auf Laschke- 
witsch und Senator sind die meisten Forscher darin einig, dass Urämie 
in Folge unterdrückter Hautausdünstung die Todesursache der Versuchs* 
thiere constituirt habe, während die Experimente dieser beiden letzteren von 
Sokoloff u. A. als nicht beweiskräftig erklärt werden. Laschkewitsch 
sowie Senator behaupten nämlich, dass bei diesen Experimenten in Folge 
Erweiterung subcutaner Gefässe eine erhöhte Wärmeausstrahlung den 
Untergang der Versuchsthiere herbeiführe. Der Grund der Retention liegt 
in der Erkrankung der schleifenförmigen Nierencanälchen. Da die Haut 
für Wasser nicht mehr durchgängig ist, dasselbe aber aus dem Organismus 
entfernt werden muss, so kann dies nur, weil die Lungen nicht so viel 


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Medirinisch-chirnrgische Rundschau. 


725 


ausscheiden können, wie die normale Haut, durch die Nieren geschehen. 
Dieselben werden in Folge dessen hyperämisch, es findet eine Ausschwitzung 
in die Nierencanälchen statt, wodurch dieselben verstopft werden, daher 
zunächst Verminderung des Harns und dann Urämie. 

L a s s a r konnte durch Bestreichen mit Petroleum oder Crotonöl bei 
Kaninchen Albuminurie erzeugen, was weder durch subcutane Injectionen 
dieser Stoffe, noch durch Einathmen der betreffenden Dämpfe gelang. 
Neuerdings hat L. durch 2—3 Minuten langes Untertauchen enthaarter 
Kaninchen in eiskaltes Wasser nach Ablauf von 1—2 Tagen Albuminurie, 
Auftreten von hyalinen Cylindern im Harn, difiuse Nephritis, interstitielle 
Entzündungen in Herz, Leber und Lungen hervorgerufen. Allerdings sucht 
dieser Forscher alle diese Erscheinungen in anderer Weise zu deuten, 
als in der Tendenz dieser Studie gelegen ist; er schliesst sich bezüglich 
des letzten Versuches der von Rosenthal aufgestellten Hypothese an, dass 
das in der Körperperipherie stark abgekühlte Blut, jählings in die inneren 
Organe gejagt, hier als Entzündungserreger wirke. — Hervorzuheben 
sind hier noch die Symptome nach ausgebreiteten odor schweren Graden 
von Verbrennungen der äusseren Haut: Dyspnoe, Albuminurie und 
Hämaturie. Erbrechen, Convulsionen, Abnahme der Körpertemperatur. Der 
Leichenbefund weist hier Morbus Brightii, Darmgeschwüre, Pneumonien, 
auf. Als Erklärung dieser Phänomene wird neben dem Shock (H e b r a) 
allenthalben die Unterdrückung der Hautperspiration angeführt. 

Verf. verzichtet darauf, in die Controverse über die Deutungen der 
Experimental-Pathologen einzutreten, und lässt es unentschieden, ob der 
zurückgehaltene Harnstoff oder das kohlensaure Ammoniak oder einer der 
Extractivstoffe die Intoxicationserscheinungen hervorrufe. Ihm ist es nur 
darum zu thun, auf die grosse Uebereinstimmung der Symptome bei den 
verschiedenen, die Hautfunction störenden Processen, sowie auf die über¬ 
wiegende Majorität jener Forscher hinzuweisen, welche den Verbleib der 
Producte des Stoffwechsels im Körper als Ursache der Nephritis anerkennen. 
Sowie bei bestehender Nephritis die Hamexcretion unter ein bestimmtes, 
nicht näher anzugebendes Maass sinkt, wird Anasarca, Hydrops, Urämie 
in die Scene treten. 

Die grosse Aehnlichkeit oder vielmehr die Congruenz der Krank- 
heitsbilder und Obductionsbefunde bei primärer und scarlatinöser Nephritis, 
bei künstlich herbeigeführter Unterdrückung der Hautperspiration, sei dies 
durch mechanische oder calorische Einflüsse (durch allzu rasche Abkühlung 
oder Verbrennung der Haut) bewirkt, — diese Uebereinstimmung gestattet 
den Schluss, dass auch bei Scharlach dieselbe Ursache, Unterdrückung 
der Hautathmung, dieselbe Wirkung: acute Nephritis, eventuell Urämie 
hervorrufe. — Bezüglich des Scharlachs ist diese Erklärung keine neue, 
dieselbe findet sich bereits als Hypothese bei B a r t h e z und R i 11 i e t, welche 
Autoren die Wassersucht und die Albuminurie „der eine specielle Blut¬ 
alteration bedingenden Störung der Functionen der Haut u zuschreiben. 
Originell ist die ebenda ausgesprochene Annahme, „dass die zur Regene¬ 
ration der Epidermis bestimmten albuminösen Stoffe des Blutes, da sie 
nicht verwendet werden, durch die Nieren ausgeschieden werden und so 
den albuminösen Niederschlag erzeugen“. Nach ihnen hat Baginsky in 
einer experimentellen Studie über die Nierenerkrankungen im Scharlach 
im Wesentlichen diese Hypothese wieder aufgenommen; später verliert 
sich dieselbe wieder, um bei Bohn in Gerhardt, Handbuch der Kinder¬ 
krankheiten, wieder aufzutauchen. Bohn macht darauf aufmerksam, dass 
die Haut der Scharlachkranken durch eine doppelte Schichte, durch den 


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Medi cinisch-chirurgische RundBchan. 


serösen Erguss in der Cutis, sowie durch die abgestorbene starre Epidermia- 
masse in ihrer physiologischen Function gehemmt sei, und er hat für diese 
Anschauung den Ausdruck der „mechanischen Urämie“ gebraucht 

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, ist nach Verf. die 
croupöse Nephritis beim Scharlach keine Localisation des ursprünglichen 
Processes, noch nach Annahme von Frerichs die Folge von „Erkältung“ 
während der Abschuppungsperiode, sondern eine Folgekrankheit des 
Scharlachß und selbst der nicht mit Albuminurie verbundene Hydrops 
scarlatinosus (Niemeyer) erscheint nicht mehr räthselhaft. 

Wiederum sind es Barthez und Rilliet, sowie Baginsky und 
Bohn, die aus dieser Auffassung die Consequenzen für die Therapie ziehen; 
dieselbe müsse darauf bedacht sein, durch möglichst frühe Einleitung der 
Abschuppung mittelst Bäder die Functionsstörung der Haut zu beheben. Dass 
von diesem Standpunkte aus den Schneemann’schen Speckeinreibnngeo 
nicht das Wort geredet werden kann, ist einleuchtend. Anregung einer 
reichlichen Diurese dürfte bei den ersten Symptomen der Nephritis nebst 
dem oben Erwähnten wohl das Wichtigste sein, da durch das Experiment 
oft genug der Beweis geliefert wurde, dass auch Injectionen von Harnstoff 
sehr gut vertragen werden, so lange durch Diurese mit einem grossen 
Wasserquantum die fremden Stoffe auch wieder entleert werden können. 

Hiermit glaubt Verf., nur bisher weit getrennte Gruppen von Krank¬ 
heiten unter einem ätiologischen Gesichtspunkte zusammengefasst und 
deren Erklärung versucht zu haben, und lässt er im Anschluss hieran die 
Geschichte zweier Kranken folgen, deren Behandlung ihm zu den vor¬ 
stehenden Betrachtungen den Anlass bot: 

1. In der 1878 in Wien herrschenden Scharlachepidemie erkrankte eia 
9 Jahre altes, schwächliches Kind, unmittelbar nach seinem jüngeren Brnder, 
ebenfalls an Scharlach. Das Exanthem hatte in seinem Verlaufe keine Unregel¬ 
mässigkeit gezeigt. Zn Beginn der Erkrankung war Diphtheritis vorhanden, aber 
gegen Ende der dritten Krankheitswoche trat Albuminurie, alsbald auch Gesichts- 
Ödem, sowie Schwellung der Unterschenkel und Ascites auf. Während die Harn¬ 
menge allmälig abnahm, stellten sich im Beginne der vierten Woche wiederholt 
Kopfschmerz und Uebelkeiten, dann Erbrechen ein; eine deutliche Pnlsverlang- 
samung leitete diese Zustände ein, welche lieberlos verliefen. Es wurden Anfangs 
Speisereste, dann eine gallige Flüssigkeit entleert, und war das Allgemeinbefinden 
stets nach dem Vomitns schlechter, als vorher, oft an Collaps grenzend. Stunden¬ 
lang vor dem Eintritt der Nausea sank der Pols bis auf 60, auch wenn Digitalis 
Tage lang nicht genommen wurde; leichte Kost und gleichmässige Wärme im 
Bette waren noch nicht unterbrochen worden. Jn derselben Zeit zeigte der Ham 
bei beständig abnehmender Quantität deutlichen Blutgehalt und ein reichliches 
Sediment von Nierencylindern. Nun wurden abwechselnd Acidum benzoicum und 
Calomel gereicht, als am vierten Tage nach den ersten Symptomen der Harn¬ 
retention, am 18. Juli zeitlich Morgens, heftige Convulsionen auftraten. Clonische 
Krämpfe hatten die Gesichtsmuskniatur beider Seiten ergriffen, die Pupillen der 
geöffneten Augen waren starr dilatirt, der Nacken gestreckt und der rechte Arm 
machte jede Zuckung der M. risorii, der Levatoren des Mundwinkels, sowie der 
Augenmuskeln in weiten Excnrsionen mit; auch im Gesichte war die rechte Seite 
mehr von Krämpfen ergriffen, als die linke. Eisumschläge auf den Kopf waren 
ohne Erfolg und Verf. liess ein warmes Bad bereiten. Als der nun schon zwei 
Stunden lang den Convulsionen ausgesetzte Kranke eben aus dem Bet'e gehoben 
werden sollte, trat deutliche Dyspnoe ein, blutiger Schaum kam aus dem Munde, 
ohne dass eine Verletzung wahrgenommen werden konnte, die Wangen und Lippen 
waren livid, und als Verf auf beiden Lungen ausgedehnte feuchte Basselgeräusche 
hörte, machte er, den Eintritt eines Lungenödems befürchtend, erst eine Venae- 
section von 70 Gramm Blut und liess dann den Kranken mit aller Vorsicht für 
den venaesecirten Arm in’s warme Bad bringen, nachdem die Erscheinungen von 
Dyspnoe geschwunden waren, wahrend die Convulsionen jedoch anhielten. Patient 
beruhigte sich allmälig im Bade unter energischen kalten Begießungen und Be¬ 
spritzungen der Brust und des Gesichtes, die Besinnung kehrte wohl noch nicht 
zurück, aber Verf. konnte ihm eine starke Dosis Calomel beibringen. Die Krämpfe 

- w Google 



Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


727 


hatten vollständig aufgehört, als er zu Bett gebracht und abgetrocknet wurde, nun 
trachtete Verf., durch reichliche Bedeckung eine tüchtige Diaphorese hervorzu¬ 
rufen. Pat. schlief eine Stunde später ein, wachte nach einer Stunde schweiss- 
triefend auf, verlangte zu Stuhl und schlief nach einer copiösen Entleerung sofort 
wieder ruhig ein. Die Schreckensscenen vom Morgen kehrten nicht wieder, es 
trat auch kein einziges Symptom der Urämie weiter auf. Der Urin blieb noch Tage 
lang blutig, seine Menge nahm nur allmälig zu und 2 Monate lang blieb der¬ 
selbe reich an Eiweiss und Harncylindern. 

Im vorliegenden Falle handelte es sich somit um eine Scharlach- 
Nephritis, die chronisch geworden, was nach B o h n eben bei schwächlichen 
Kindern vorzukommen pflegt. (Der kleine Patient trat darauf am 
19. August, genau einen Monat nach jenem eclamptischeh Anfalle, mit 
seinen Eltern die Reise nach Chicago an, wo er nun lebt, so dass damit 
Verf.’s Beobachtungen abschliessen.) 

Fischei fasst jedoch das Fortbestehen der Albuminurie als ein 
selbstständiges Symptom der Erkrankung der Nierengefösse auf, ohne ihm 
die Bedeutung einer chronischen Nephritis zuzuerkennen. 

In dem obigen Falle hatte sich erst in der vierten Woche farinöse 
und lamellöse Abschuppung eingestellt, welche in der sechsten Woche, 
noch vor Antritt der Reise, beendet war. Das Albumin soll, wie Verf. 
erfahren hat, erst im November vollends geschwunden sein. Kein weiterer 
Zwischenfall hatte die Convalescenz gestört, die Intelligenz des Kindes 
war intact geblieben, keinerlei Nervenstörung erinnerte an die cerebralen 
Symptome. — Weder vor, noch nach dem urämischen Anfalle war eine 
Sehstörung zu constatiren, welches interessante Symptom sonst häufiger 
vorzukommen pflegt und seitens aller Ophthalmologen und Kliniker eine 
hinreichende Würdigung gefunden hat. 


2. Minder glücklich verlief ein zweiter, einen achtjährigen Knaben betref¬ 
fender Fall, den Verf. gleichzeitig mit dem vorigen in Behändlung hatte: 

Pat. bekam in der dritten Kr ankheits woche Albuminurie, ohne Oedem. Am 
23. Tage der Krankheit trat gegen Abend zum ersten Male Erbrechen ein, dasselbe 
war von epileptiformen Convulsionen gefolgt, die schon nach einer halben Stunde 
nachliesBen. Noch in derselben Nacht begannen die Convulsionen von Neuem und 
diesmal beobachtete Verf. sie durch mehrere (4) Stunden. Beide Gesichtshälften 
waren von den heftigsten Zuckungen ergriffen, ebenso aber auch die oberen 
Extremitäten, Trismns, Rücken- und Halswirbelsäule nach rückwärts gekrümmt, 
der Puls beschleunigt. (Nach BourneviIle sinkt die Temperatur vor Eintritt der 
Convulsionen bei Urämie um 1—2*, eine weitere Parallele zu den oben angeführtem 
Krankheitsgruppen.) — Verf. liess ein Klystier von 3-0 Chloralhydrat appliciren, 
den Kopf energisch durch Eis abkühlen. Die Krämpfe Hessen wiederholt wohl 
auf Augenblicke nach, nur der Opisthotonus wich keinen Moment, und sie cessirten 
vollständig auf kalte Begiessungen des Kopfes im Bade, aber selbst nach zwei 
Tagen war das Bewusstsein noch nicht wiedergekehrt. Die Pupillen waren starr, 
der Kranke gab durch kein Zeichen seine Bedürfnisse zu erkennen und lag 
somnolent da, der Puls war verlangsamt, doch regelmässig, häufig wiederholtes 
Zähneknirschen, die Unempfindlichkeit gegen Sinneseindrücke stellte mit den 
anderen Symptomen das Bild der Encephalitis dar; die Sphincteren der Blase 
und des Mastdarmes waren gelähmt, zudem vollständige Aphasie und Ataxie. 

Hier war es gewiss, dass ein grösserer Bluterguss in’s Gehirn stattgefunden 
hatte, der zu einer ausgebreiteten Encephalitis die Veranlassung wurde. Als das 
Sensoriom am dritten Tage wiederkehrte, liess sich constatiren, dass nunmehr 
weder eine Amaurose noch eine Gehörsstörung vorhanden war, doch war das Ge- 
dächtniss fast völlig geschwunden, die Sprache verloren, die unteren Extremitäten 
sowie die Sphincteren blieben wochenlang gelähmt, ohne dass Anästhesie vorhanden 
gewesen wäre. Das erste Zeichen der wiedererwachenden Intelligenz war das 
Erkennen der Eltern und Geschwister, über das der Kranke seine Freude durch 
unarticulirte Laute ausdrückte. Anfangs wurden alle Gegenstände, die Pat. in 
die Hand nahm, von ihm zum Munde geführt, die kleineren, wie Münzen, 


Knöpfe etc. öfters geschluckt — der Speichel floss aus dem Munde und mit hoch 
an den Leib gezogenen Knien sass oder lag das Kind blöde lachend im Bette. 
Er meldete nun, nach 20 Tagen etwa, bereits seinen Stuhl- und Harndrang durch 

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Medicinisch-chirurgiache Rundschau. 


Rufe, konnte jedoch das Herbeiholen des Geschirres noch nicht abwarten. Als er, 
3 Monate nach Ablauf der Convulsionen, zuerst mit Nachhilfe das Bett verliest, 
-vollführte er gänzlich nncoordinirte Bewegungen, hob seine Beine hoch und stellt« 
sie aufwärts, ehe er sich niedersetzte. Was früher seinen Wissensschatz ans¬ 
gemacht hatte, war völlig verschwunden, er konnte trotz aller Anstrengungen, 
zu sprechen, nur „i i i“ oder „behebe“ hervorbringen. Die Convalescenz machte 
hier sehr langsame Fortschritte und wurde im Frühling 1879 neuerdings dnrch 
das Auftreten epileptiformer Anfälle unterbrochen. Dieselben ergriffen beide oberen 
Extremitäten, die Rücken- und Halswirbelsäule, und unter Eintritt von Bewusst¬ 
losigkeit traten clonische Krämpfe der Gesichts- und Armmuskulatur auf. Diese 
Zufälle, die anfangs unregelmässig erschienen, traten nun im Juli und August 
1879 durch 6 Wochen mit grosser Regelmässigkeit um die neunte Morgenstund« 
auf und schwanden nach achtwöchentlicher Dauer unter dem fortgesetzten Ge¬ 
brauche von Chinin, das sich übrigens bei demselben Kranken oft wirkungslos 
gezeigt hatte. Der Kranke lernte allmälig wieder die Sprache seiner Umgebung 
verstehen, sowie den Gebrauch der häuslichen Geräthe, seiner Kleider etc ; in 
seinen Bewegungen ist er auch jeizt noch durch Schwäche, sowie durch augen¬ 
scheinliche leichte Coordinationsstörung* gehindert, er bringt die Worte mit Mühe 
und undeutlich hervor, die Laute g und k hat er noch gar nicht wieder ans- 
sprechen gelernt. Von Schriftzeichen kennt er höchstens 3 bis 4 Vocale, er zählt 
an seinen Fingern sonderbarerweise genau bis 11 und nicht darüber und macht 
von den ihm nun zu Gebote stehenden Verstandeskräften den allerprimitivsten 
Gebrauch. 

Dieser Kranke wurde vom Verf. am 3. Mai 1880 im Wiener 
medicinischen Doctorencollegium vorgestellt und bemerkte ebenda Prof. 
Leidesdorf, dass er besonders bei Convulsionen hochgradige Dyspnoe und 
selbst augenscheinlich drohendes Lungenödem häufig mit dem günstigsten 
Ausgange verlaufen sehe. Was die bei Verf.’s zweitem Pat. nachträglich 
aufgetretenen epileptischen Anfalle betreffe, so sei diese Erscheinung von 
ihm wiederholt auch bei Frauen constatirt worden, welche in der 
Schwangerschaft oder im Wochenbette Eclampsie zu bestehen hatten. 
Nach vollkommener Genesung und ohne jeden Anlass kehre bei solchen 
und in anderen Fällen, wo einmal Epilepsie da war, dieselbe nach langen 
Intervallen wieder, und es habe den Anschein, dass die Aufalle von 
Epilepsie unvergängliche Eindrücke im Centralnervensystem zurückliessen, 
von denen aus leicht neuerdings ähnliche ausgelöst werden können. 

0. R. 


581. Reflexerscheinnngen in Folge angeborner Phimose. Von 

W. Ray. (The med. Herald. Louisville Ky. 1880, 11.) 

Der Vortragende spricht über die sehr interessanten Reflexerschei¬ 
nungen von Seiten des Nervensystemes bei schweren, congenitalen Phimosen, 
anschliessend an einen von Sayre beschriebenen Fall, zu welchem der¬ 
selbe von J. Marion Sims citirt wurde. Bei einem blassen und zarten 
Knaben von 5 Jahren, der weder gehen, noch aufrecht stehen konnte, 
sollte wegen Contracturen beider Kniegelenke in Winkeln von 45° die 
Tenotomie der „Kniekehlenmuskeln u gemacht werden. Sayre fand aber, 
•dass er, sobald er die Aufmerksamkeit des Knaben ablenkte, dessen beide 
Beine ohne Anstrengung normal zu strecken im Stande war, diese jedoch 
beim Nachlassen des Zuges aus der gestreckten Lage sofort wieder in 
ihre alte Stellung zurtickkehrten. Man diagnosticirt Paralyse und wandte 
Elektricität an. Dabei wurde zufällig eine congenitale Phimose entdeckt 
von einer Empfindlichkeit, dass jede Berührung des Orificium urethrae zu 
Konvulsionen führte. Die Circumcision wurde daher gemacht, und schon 
iu den ersten Tagen nach derselben besserte sich der Zustand des Pat. 
ganz auffallend; derselbe vermochte bald seine Beine zu strecken, die 
anderen nervösen Erscheinungen schwanden, uud in weniger als 5 Wochen 
war der Knabe absolut geheilt, der vorher mit allerhand Medieamenten. 




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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


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wie Chinin, Eisen und Strychnin erfolglos behandelt worden war. Es 
hatte eben der jetzt beseitigte periphere Reiz der engen congenitalen 
Phimose Schuld an den Reflexsymptomen von Seiten des Nervenapparates 
gehabt. Der Vortragende hat in anderen Fällen, aus derselben Ursache 
hervorgegangen, ganz das Bild der „Ataxie u mit Sprachstörungen, mit 
ansgesprochenem Strabismus, anderen Augenmuskelstörungen und tempo¬ 
rärer Blindheit gesehen. 


582. Zur Aetiologie der Hemikranie. Von Professor Dr. von 
Hecker. (Aerztl. Intell.-Blatt. München, 1880, 36.) 


So häufig der einseitige Kopfschmerz Gegenstand der Beobachtung 
ist, so wenig genau ist man über die Entstehung desselben unterrichtet. 
Man weiss eigentlich nur, dass er öfter beim weiblichen Geschlechte vor- 
kommt, als beim männlichen, dass er bei ersterem mit den Sexualfunc- 
tionen in einem intimen Zusammenhänge steht, während er bei letzterem 
sich am ehesten aus gewissen Störungen der Verdauung herausentwickelt, 
dass ferner im Allgemeinen jugendliches Alter zu der Affection disponirt, 
während ältere Leute seltener mit ihr zu kämpfen haben. Die Abhängig¬ 
keit der Hemikranie der Frauen von den Menstrualvorgängen deutet wohl 
schon darauf hin, dass man es hier wesentlich mit einer Störung im 
Gebiete des die Geschlechtsorgane hauptsächlich versorgenden Nerven, 
des Sympathicus, zu thun hat, und man wird nicht fehl gehen, wenn 
man auch bei den Männern in demselben Nervengebiete die Entstehuug 
der Störung vermuthet. Eine Reihe von Beobachtungen, die Verf. in 
jüngster Zeit zu machen Gelegenheit hatte, führte zu voller Bestätigung 
dieser Anschauung. 

Der gewöhnliche Hergang scheint dem Verf. in Folgendem zu 
bestehen: Die einwirkende und die Hemikranie veranlassende Störung 
ist die Aufnahme schwer verdaulicher oder solcher Substanzen, welche 
bei vorhandener Disposition schnell eine grosse Menge Darmgase zu ent¬ 
wickeln im Stande ist; unter dem Einflüsse der Nachtruhe, welche über¬ 
haupt hemmend auf die Verdauung ein wirkt, wird der Sympathicus 
durch diese Substanzen in einen subparalytischen Zustand versetzt, und 
der Patient erwacht in der Frühe mit aufgetriebenem, und nament¬ 
lich um den Nabel herum empfindlichen Unterleibe und dem eigen- 
thümlichen Kopfschmerze, der ihm mit Gewissheit voraussagt, dass 
mindestens der kommende Tag für ihn verloren ist; denn das Gefühl 
des Krankseins steigert sich in den nächsten Stunden schon zu dem der 
äussersten Prostration und Lebensvernichtung, so dass ein Verweilen 
ausserhalb des Bettes zur höchsten Qual wird, und der Kranke sich 
ängstlich vor der Einwirkung von Licht und Geräusch zu schützen sucht 
Mit einer blossen Annahme einer Affection des Sympathicus ist indessen, 
wie Verf. scheint, die Hemikranie nicht erklärt, vielmehr deuten die dabei 
auftretenden Gehirnerscheinungen noch auf andere Vorgänge: regelmässig 
befindet sich nämlich der Patient während des Anfalls in einem Zustande 
mehr oder weniger hochgradiger Somnolenz; ohne in eigentlichen Schlaf 
zu verfallen, leidet er an einer Art Betäubung, an einer Neigung, ungeord¬ 
nete Vorstellungen zu produciren, die er nur beherrschen kann, wenn er 
seinen Willen ernstlich auf die Verscheuchung derselben concentrirt. Dazu 
kommt, dass der Puls in seiner Frequenz sehr herabsinkt, und mit einer 
Zahl von kaum 60 Schlägen in der Minute einen wahren Pulsus cepha- 


licus darstellt, dass gewöhnlich eine Neigung zum Erbrechen und eine 
trostlose Unruhe besteht, die den Patienten zwingt, fortwährend seine 

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Medicmisch-chinirgische Rundschau. 


Lage zu ändern. Der genannte Symptomencomplex scheint Verf. mit 
Sicherheit darauf hinzudeuten, dass man es bei der Hemikranie, unter 
den genannten Umständen wenigstens, mit einer durch den Sympathie« 
vermittelten acuten Vergiftung des Organismus durch Darmgase (Schwefel¬ 
wasserstoff) zu thun hat, die hauptsächlich im Gehirn ihren Ablauf nimmt, 
denn auffällig geht in erster Zeit mit dem Kopfschmerz Hand in Hand 
ein sehr qualvolles Aufstossen, welchem erst nach geraumer Zeit ein 
Abgang von Gasen nach unten nachfolgt; mit dieser Befreiung der ver¬ 
gifteten Substanzen aus ihrer Einklemmung in dem subparalytischen Dann, 
der sie deshalb nicht früher entfernen konnte, pflegt dann auch ein Nach¬ 
lass aller Erscheinungen einzutreten: das rastlose Jagen der Vorstellungen 
vermindert sich, das Gefühl der Lebensvernichtung macht wieder freund¬ 
licheren Vorstellungen Platz, ein erquickender Schlaf tritt ein, und das 
ganze Kranksein pflegt nach 24—36 Stunden, und nach ebenso langer 
gänzlicher Abstinenz, von Speise und Trank, verschwunden zu sein, ohne 
ein besonderes Gefühl von Schwäche zu hinterlassen. 

Mit der Einsicht, dass die Hemikranie, in manchen Fällen wenigstens, 
in einer acuten Vergiftung durch Darmgase besteht, ist für die Therapie 
dieser so widerwärtigen Affection ein besseres Fundament gewonnen wie 
bisher; denn wenn man auch gewissen Medicamenten, wie dem Chinin, 
Bromkalium, der Paullinia sorbilis ihre Wirksamkeit nicht absprechen 
mag, so ist doch klar, dass sich ein mit derselben behafteter Patient 
hauptsächlich durch strenge Durchführung diätetischer Massnahmen dagegen 
schützen muss: wenn er namentlich Abends alle Stoffe ängstlich vermeidet, 
die eine acute Blähsucht durch Paralyse des Darmrohres hervorzurufen 
im Stande sind (frisches Schwarzbrod, Kartoffel, zu viel Bier u. s. w.), 
so wird er den Anfall oft lange hinausschieben können, wenn auch die 
Disposition, die hier, wie bei so vielen nervösen Krankheiten, oft genug 
eine vererbte ist, erst mit dem zunehmenden Alter zum Erlöschen kommt. 

0. R. 


583. Ueber die Spontanheilung der Lungenschwindsucht. Von 
Docent Dr Heitler, Wien. (Sitzungsbericht der Gesellschaft der Acrzte 
in Wien v. 28. Mai 1880.) 

Der Vortragende betont, dass die vielfachen Angaben der Autoren 
über die Heilbarkeit der Lungenschwindsucht nicht in dem Maasse Berück¬ 
sichtigung gefunden hätten, als dies vom praktischen und therapeutische» 
Standpunkte wünschenswert erscheint, so dass es ihm als nicht inopportun 
erscheine, die Frage auf Grundlage eines grösseren statistischen Materials 
zu prüfen. Letzteres boten ihm die Sectionsprotokolle der Wiener patho¬ 
logisch-anatomischen Anstalt. Er hat nebst der Combination der geheilten 
Phthisen mit den verschiedenen anderen Erkrankungen und dem Alter der 
betreffenden Individuen auch die Beschäftigung derselben in Betracht 
gezogen. Es wurden aus 10 Jahrgängen (1869—1879) alle diejenigen 
Fälle excerpirt, bei welchen die Obductionsbefunde Tuberculosis obsoleta 
pulmonum angaben, und bei welchen der Tod nicht in Folge von Lungen- 
tuberculose, sondern in Folge einer anderen Krankheit eintrat. Diejenigen 
Fälle, in welchen blos Verwachsungen oder narbige Einziehungen an der 
Lungenspitze gefunden wurden, sind ausgelassen. 

Es wurden bei 16,562 Obductionen 780 grössere obsolescirte tuber- 
culöse Herde gefunden; von diesen waren 503 Männer, 277 W T eiber. 

Das Verhältnis» zu den verschiedenen Krankheiten ist folgendes: 
Carcinom in den verschiedenen Organen 107 (darunter 32mal Magenkrebs); 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Sarcome 3, tuberculöse Affection mit Ausschluss von Tuberculose der 
Lungen (Peritonitis tuberc., Meningitis tuberc., Darmtuberculose etc.) 101, 
chronischer Morb. Brightii 83, Nephritis suppurativa 1, Cystitis chronica 2, 
Cystitis, Pyelitis, Myelitis suppurativa 1, Strictura urethrae mit Morb. 
Brightii 3, Hypertrophia prostatae mit Morb. Brightii 2, Jauchung der 
Prostata nach hohem Blasenschnitt, Erkrankungen des Gehirns und seiner 
Hüllen 55, Erkrankungen des Kückenmarks 7, Lungenemphysem 58, 
Krankheiten des Herzens und seiner Adnexa 55 (Klappenfehler 31), 
granulirte Leber 52, Ectasirung der Gallengänge in Folge von Obtnrirung 
des Ductus choledochus durch Gallensteine 4, Echinococcen der Leber 3, 
croupöse Pneumonie 46, Peritonitis aus verschiedenen Ursachen 31, Caries 
und Necrose der Knochen 23, Verletzungen und Selbstmorde 20, Abdo¬ 
minaltyphus 13, Typhus exanthematicus 7, pleuritisches Exsudat 19, 
Krankheiten des Digestionstractus (Darmstrictur durch Geschwüre mit 
tuberculöser Natur, Ulc. rot. ventric., Invagination) 17, Amyloiddegeneration 
der Unterleibsorgane 10, Puerperalprocess 6, Affection der Haut (Pit. 
rubra, Pemphigus foliac.) 4, Marasmus 4, Scorbut 4, Pyämie 6, periarti- 
culäre Vereiterung in dem 1. Kniegelenk 1, Inflammatio art. tarsi 2, 
Vereiterung 3, Tumor albus 3, Gonitis sinistra suppurativa 1, Coxitis 
dextra 1, Suppuratio glandul. lymphatic. coli. 1, Verbrennung 2, Erysipelaa 
faciei 2, Variola 1, Rheumatismus art. extr. mit Peri-Endocarditis 1, 
Intermittens 1, acute Phosphorvergiftung 1, Leucaemia lymphatica 1, 
Chloroformtod 1, Verwachsung der serösen Membranen 1, universelle 
Anämie nach chronischer Bleiintoxication 1, Hydrops universalis durch 
Marasmus 1, Panophthalmitis sin. 1, Morb. Addisonii 1. 

Was das Lebensalter betrifft, so ergibt sich folgendes Verhältniss: 
Zwischen 10—20 Jahren 12, 20—30 Jahren 105, 30—40 J. 131, 
40—50 J. 156, 50—60 J. 157, 60—70 J. 36, 70—75 J. 142, 
75—80 J. 11, 80—85 J. 6, 85—90 J. 2, 100—106 J. 2 (101 u. 103). 
— Bei 19 ist das Alter nicht angegeben. 

Was die Beschäftigung betrifft, so ergibt sich schon aus dem 
Umstande, dass es Aich um im Spital verstorbene Individuen handelt, 
dass diese zum grössten Theile der Arbeiterclasse angehören, also Individuen, 
von denen vorausgesetzt werden kann, dass sie keine wesentliche medi- 
camentöse oder hygienische Behandlungsweise eingeleitet haben, wenn sie 
ihrem krankhaften Zustande überhaupt Aufmerksamkeit schenkten. Es 
sind darunter 112 Taglöhner und 33 Taglöhnerinnen, 36 Handarbeiterinnen; 
alle Gewerbe und die verschiedenartigsten Beschäftigungen: Kutscher, 
Commis8ionäre, Fabriksarbeiter ete. sind mit einer grösseren oder geringeren 
Zahl vertreten. 

Was die Natur der Veränderungen betrifft, so handelt es sich 
grösstentheils um mehr oder weniger ausgebreitete, dichte, schwarz pig- 
mentirte Schwielen, welche vereinzelte oder in Eruption stehende graue, 
gelbliche Knötchen oder Cavemen von Haselnuss- bis Hühnereigrösse mit 
mehr oder weniger flüssigem oder festem Inhalte einschliessen. Die Affection 
war meistens doppelseitig, jedoch an beiden Seiten von ungleicher Aus¬ 
dehnung; 651 mal waren beide Lungen, 68mal nur die rechte und 61 mal 
nur die linke Lunge befallen. Die Veränderungen sind vorwiegend auf die 
Lungenspitzen beschränkt, nehmen jedoch manchmal einen beträchtlichen 
Theil des Oberlappens ein; in einem Falle waren obsolete Herde auch 
im Mittellappen, in 4 Fällen auch im Unterlappen; ausserdem ist in 4 
Fällen auch geheilte disseminirte Tuberculose angegeben, ln 3 Fällen 
waren nebst der geheilten Tuberculose an den Lungenspitzen geheilte 


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Medicinisch-chinirgUche Rundschau. 


tuberculöse Larynxgeschwtire, in 2 Fällen veraltete Geschwüre im Colon 
ascendens und 7mal geheilte Geschwüre im Ilenm. 

Am häufigsten tritt Heilnng bei den chronischen Tuberculösen ein, 
am seltensten hei den acuten. Wovon der Stillstand des Processes und 
das Erlöschen der Disposition zur weiteren Erkrankung abhängt, lässt sich 
kaum angeben. Man kann nur so viel sagen, dass, wenn der tuberculöse 
Process eine gewisse Grenze überschritten hat, eine Heilung nicht mehr 
zu erwarten ist. So beobachtet man , dass die Tuberculöse bei Kranken, 
bei denen die Infiltration vorne bis zur 2. bis 3. Hippe oder rückwärts 
bis zur Mitte der 8capula reicht, mit kürzeren oder längeren Intermissionen 
vorwärts schreitet, bis sie zum letalen Ende führt. Die anatomischen 
Untersuchungen ergaben, dass die Schwielenbildungen mit nur höchst 
seltenen Ausnahmen sich auf den Oberlappen beschränken, so dass man 
den Satz aufstellen kann : so lange der tuberculöse Process den Ober¬ 
lappen nicht überschritten hat, ist complete Heilung möglich: hat der 
tuberculöse Process einen Oberlappen überschritten, so ist immerhin noch 
eine lange Protrahirung der Krankheit mit Stillständen von kürzerer oder 
längerer Dauer möglich, eine complete Heilung tritt jedoch nicht mehr 
ein. Die Intensität des localen Processes kommt dabei nicht in Betracht; 
bei Bildung selbst grosser Cavernen ist die Heilung nicht ausgeschlossen, 
so lange der Process die angegebene Grenze nicht überschritten hat. 

Was die Möglichkeit der Heilung der Miliartuberculose betrifft, so 
können, wenn auch nach den necroskopischen Befunden die Möglichkeit 
einer Heilung nicht zu bestreiten ist, doch bis jetzt diese Thatsachen am 
Krankenbette geringe Verwerthung finden, da es mit Ausnahme der 
Choroidealtuberkel keine absolut sicheren Zeichen für acute Miliartuberculose 
gibt, und gegen die mitgetheilten Fälle von geheilter Miliartuberculose ohne 
Sectionsbefund Zweifel erhoben werden mussten. 

Schliesslich bespricht H. die Combination der Tuberculöse überhaupt 
und der geheilten mit anderen Krankheitsprocessen, und hebt insbesondere 
das häufige Zusammentreffen von progressiver geheilter Tuberculöse mit 
granulirter Leber in verschiedenen Entwicklungsstadien hervor, so dass 
er geneigt ist, an einen causalen Zusammenhang zu denken. Individuen 
mit granulirter Leber neigen sich zu tuberculösen Affectionen, wie die* 
das häufige Auftreten der Peritonitis tuberculosa bei dieser Erkrankung 
beweist. 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 


584. Heus mit Mero. vivus behandelt. Von Dr. Ad. Kessler. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1880. 36.) 

Verf. theilt einen mit Merc. vivus behandelten Fall von Ileus mit, 
welcher durch den ungewöhnlich langen Aufenthalt des Hydrarg. im 
Körper ein gewisses Interesse beansprucht. 

Frau 0. in G., 50 Jahre alt, wird schon seit einigen Jahren wegen 
einer 8enkung des Uterus in Folge eines Tumor Ovar. Sinist. von 
der Grösse eines Kindskopfs und wegen habitueller Stuhlverstopfung 
behandelt. Die kräftige Frau klagt seit 24 Stunden über heftige Leib¬ 
schmerzen. Stuhlgang Nachmittags zuvor in normaler Weise erfolgt. Eine 
Hernie lässt sich nirgends constatiren. — Ord.: Emuh . amygd. dtdc . 


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Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


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c. extr. opii. 2 Tage später ist der Leib empfindlicher, namentlich in 
der Regio iliaca dextra und etwas mehr aufgetrieben, Stuhlgang ange¬ 
halten. Seit Morgens 4 Uhr mehrfach copiöses Erbrechen von leicht gallig 
gefärbter Flüssigkeit, mit deutlich fäculentem Geruch. Puls 124, klein, 
— Ord.: Blutegel, Ol. ricini abwechselnd mit Calomel; Eispülen; 
Clysopompe. 

In der darauffolgenden Nacht sechsmaliges Erbrechen von obiger 
Beschaffenheit. Stuhlgang nicht erfolgt. Die Untersuchung des Leibes 
zeigt keine Veränderung bis auf die Empfindlichkeit, die vollständig nach¬ 
gelassen hat. — Ord.: Eispillen, ununterbrochene Anwendung des 
Glysopompes. 

26 Stunden später, in der Nacht 8 Mal sehr übelriechende, braune 
Flüssigkeit erbrochen: mässige Salivation. Da Stuhlgang nicht erfolgt 
und eine Entzündung nicht nachweisbar, werden im Laufe des Tages 
300*0 Merc. vivus gegeben, ausserdem Eis, Kal. chloric. und Clysopompe. 

Seit der letzten Gabe des Hydrarg. ist bis zum Abend des folgenden 
Tages nur noch dreimal Erbrechen von obiger Beschaffenheit und geringer 
Quantität erfolgt, nicht aber Stuhlgang. Das sonstige Befinden ist nicht 
verändert, während der nächsten Nacht wurde nur einmal erbrochen, rein 
wässrig und nicht mehr riechend. Morgens 8 Uhr wird beim Gebrauche 
des Glysopompes ein erstes Quecksilberkügelchen entleert, aber noch keine 
kothhaltige Flüssigkeit. Puls 120 und voller. 

Nun hörte das Erbrechen auf und es erfolgte binnen 10 Tagen 
die allmälige Entleerung des Quecksilbers in kleinen Mengen bis am 
10. Abend, wo nach Anwendung des Clysopömpes eine enorm grosse 
Menge sehr fester Kothstücke entleert wurden, die zwischen der Grösse 
einer Kirsche und der eines Borstdorfer Apfels variiren; zugleich mit 
dieser Ausleerung eine Unsumme völlig schwarz gefärbter Quecksilber- 
kugeln, die zusammen fast 150*0 wiegen. 

Der Fall liegt klar. Es handelte sich um einen rein stercorösen 
Verschluss (wahrscheinlich im oberen Theile des Colon), welchen der 
Tumor bei seiner Lage und fortwährenden Beweglichkeit nicht wohl mit 
verschuldet hatte. Interessant ist, dass die Hälfte des Hydrarg. vom 
3. bis 15. November sich im Körper aufhielt und doch keine specifischen 
Erscheinungen bedingte. Die Salivation war entschieden Folge des Calomel 
(6. Pulv. ä 0.20) und bereits vor dem Einnehmen des Merc. vivus 
eingetreten. 0. R. 


585. Therapeutische Mittheilungen aus der Kinderpraxis. Von 
Dr. Kor mann. (Deutsche med. Wochenschr. VI. 1880. 35.) 


Apomorphinum hydrochloric. crystallis. purissimum als Expectorans 
wendete Kormann in der Kinderpraxis bei Bronchialkatarrh verschiedener 
Art und bei katarrh. Pneumonie an und fand, dass die Abheilung des 
Katarrhes schneller erfolgt, als ohne Apomorphinmedication. Das Mittel 
wird gut vertragen, und in einigen Fällen trat schon Anfangs Erbrechen 
ein, in anderen Fällen trat erst Erbrechen als cumulative Wirkung mit 
Eintritt der Besserung auf. Die Lungeninfiltrationen bei katarrh. Pneumonie 
lösten sich unter Verabreichung von Apomorphin und Darreichung ver- 
bältnissmässig grosser Mengen schweren Weines in einem Falle binnen 4, 
in einem anderen Falle binnen 5 Tagen vollkommen. — Kormann gibt 
bei Kindern im ersten Lebensjahr 1 Milligr., für die Zeit vom ersten bis 
am zweiten Jahre 1 / 3 Milligr. mehr pro dosi und von hier an für jedes 


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Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


weitere Lebensjahr 1 Milligr., so dass im fünfzehnten Jahre ein Ctgr. 
pro dosi gegeben werden kann. 

Bchmierseifenschmiercur erprobte K o r m a n n namentlich bei skrophu- 
losen indurirten Lymphdrüsen der Kinder. Er Hess täglich einmal (pro 
dosi 1 Theelöffel voll) die Seife über den geschwellten Drüsen Abends 
einreiben, Morgens wieder abwaschen. Sobald die betreffende Hautstelle 
zu schmerzen anfängt, wird eine andere Hautstelle eingeschmiert. Meist 
muss am Halse begonnen werden. Die Heilung tritt schnell ein und es 
schwanden auch die skrophulosen Eczeme, sowie die Infiltration einer 
Lungenspitze bei einem drüsenkranken Mädchen. Knauthe. 

586. Darstellung von reinem Stickoxydulgas. Von Oscar 
Freiherr von Dumreicher. (Monatshefte für Chemie, aus d. Sitzungsber. 
der k. Akad. d. Wissenschaften 1. Bd. 8. Heft.) 

Es ist gewiss von grösster Wichtigkeit, dass das für therapeutische 
und physiologische Versuche dienende Stickoxydulgas chemisch rein sei. 
Grösseren Untersuchungen des Verf. „über die Einwirkung von Zinnchlortr 
auf die Stickstoffsauerstoffverbindungen“ (1. c.), bei denen derselbe die 
Dampfdichte des Stickoxyduls neuerdings bestimmte, entnehmen wir fol¬ 
gende Thatsachen, betreffend die Reindarstellung des Lustgases. Wird 
das salpetersaure Ammoniak in einer Retorte über dem Drahtnetz erhitzt, 
dann wird ein Theil desselben durch Ueberhitzen an den Retortenwänden 
abnorm zerlegt, und das Stickoxydulgas enthält freien Stickstoff beige¬ 
mengt. Selbst beim Erhitzen im Sandbade erhält man kein ganz reinem 
Lachgas. Dies erhält man nur, wenn man ganz reines, aus chemisch 
reiner Salpetersäure und reinem Ammoniak oder kohlensaurem Ammoniak 
dargestelltes Ammoniumnitrat in einer Retorte mittelst eine« Metallbades 
(Wood’sche legirung) erhitzt und die Temperatur genau so regulirt, dass 
eben nur eine mässige Gasentwicklung aus der geschmolzenen Salzmasse 
stattfindet; die letztere erscheint dann absolut farblos und wasserklar und 
über derselben sieht man nicht die Spur eines Nebels , sondern nur farb¬ 
loses, vollkommen durchsichtiges Gas. Wird die Temperatur des Metall 
bades zu hoch, so tritt stürmische Gasentwicklung ein, man beobachtet 
dann m der Regel eine deutliche Gelbfärbung der geschmolzenen Salz 
masse, über welche dann im Retortenbauche, ja selbst im Retortenbalse 
mehr oder weniger dichte Nebel sich befinden. Stickoxydulgas, welches 
unter diesen störenden Einflüssen bereitet wird, enthält Stickstoff beige¬ 
mengt und gibt, wie die Beobachtungen des Verf. lehren, bei Dichte 
bestimmungen zu geringe Werthe. —sch. 

587. Ueber Bitterwasser. Von Prof. Dr. H. Quinke in Kiel. 
(Deutsche med. Wochenschr. 1880. 35.) 

Während bisher nur Geheimmittel unter Beifügung meist dunkel 
erworbener, ihre Wirksamkeit preisender Zeugnisse, welche von unbe¬ 
kannten , zuweilen hochadelige Namen tragenden Ehrenmännern ausgestellt 
sind, in reclameartiger, widerlicher Form in den Zeitungen angekündigt 
wurden, ist es in der neueren Zeit auch Mode geworden, Mineralwässer, 
namentlich die verschiedenen Bitterwässer unter Beilage von Zeugnissen 
„hochgeachteter medicinischer Grössen“ , mit unvergleichlicher Reclame 
und grossem Geschrei in den Zeitungen anzuempfehlen, und der grösste 
Theil des ärztlichen Standes hat sich schon längst gewundert, wie mau 
solche einfache Wässer in dieser Weise so anpreisen kann, als ob sie die 
seltensten Bestandtheile der Erde enthielten, und wie Männer der Wis¬ 
senschaft sich dazu hergeben können, Wässer, welche Bitter- und Glauber- 

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Medicinisch-ohiriirgiache Rundschau. 


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Balz gelöst enthalten, so zu. empfehlen, als ob sie für sich und unter¬ 
einander etwas schwer zu Beurteilendes, und Besonderes darböten. Bitter¬ 
und Glaubersalz sind doch wahrlich so alte und bekannte Mittel, dass 
die Wässer, welche solche Salze enthalten, auch ohne Bevormundung von 
Autoritäten ihren Weg durch die Welt nehmen können. Quinke tritt 
in der vorliegenden Arbeit gegen diese ekelhafte Reclame, wenn auch etwas 
zart und rücksichtsvoll auf und führt das ganze Gebahren dieser Inseri- 
rungsweise auf seine Nichtigkeit zurück, indem er die Analysen der ver¬ 
schiedenen Bitterwässer aufführt und dartlpit, dass man sich das Salz 
der Franz Josefs-Quelle und der Hunyadi Janos-Quelle durch ein Gemisch 
von gleichen Theilen Bitter- und Glaubersalz hersteilen kann, dass man 
die in 10 Litern Bitterwasser enthaltene Salzmenge circa sechs Mal 
billiger aus der Apotheke bezieht, dass die Darreichung des Salzes ganz 
dieselbe Wirkung habe wie diese Bitterwässer. Dass dasselbe auch von 
dem Friedrichshaller Bitterwasser gelte, welches man sich aus schwefel- 
saurem Natron (7 Theilen), schwefelsaurer Magnesia (5 Theilen), Chlor¬ 
natrium (4 Theilen), Chlorkalium (2 Theilen) darsteilen könne. Quinke 
empfiehlt daher an Stelle der natürlichen Bitterwässer die künstlichen 
Salze sowohl wegen ihres geringen Preises und ihrer bequemeren Form, 
als auch namentlich deshalb zu verordnen, weil jeder, der diese ganz 
entbehrlichen natürlichen Bitterwässer verordnet, und jeder, der sie con- 
sumirt, indirect Unternehmungen unterstützt, welche sich durch bodenlose 
Reclame dem ärztlichen und Laienpublikum aufdrängen und durch Profanirung 
wissenschaftlich bekannter Namen (deren Träger aber doch die Erlaubniss 
zu derartigem Gebrauch ihrer Zeugnisse geben 1 Ref.) geeignet sind, das 
Ansehen de$ ärztlichen Standes zu schädigen. Dem Prof. Quinke ist 
die ärztliche Welt für sein offenes Wort in dieser Angelegenheit zu grossem 
Danke verpflichtet. K n a u t h e. 

588. Ueber Damiana. Von F. E. Daniel Eg an. (Reports on 
new remedies in the therapeutic gazette April und Mai 1880.) 

Damiana, mit dem botanischen Namen Turne ra aphrodisiaca, 
wird seit einiger Zeit mit grossem Erfolge bei sexueller Schwäche ange¬ 
wendet. Sie hat eine specifische Wirkung bei Spermatorrhöe, bei Prosta- 
tarrhöe und bei Prostatitis. E. hat über hundert Fälle damit behandelt 
und zwar mit günstigem Erfolge. Auch ein anderer Autor schildert 
die vorzüglichen Wirkungen, die das Mittel bei ihm selbst, gelegentlich 
einer Prostata-Anschwellung gehabt habe. Dieser citirt auch einen Fall 
von syphilitischem Herpes, der fünf Jahre bestanden und sich jeder 
Behandlung widersetzt hätte, und welcher dann durch die interne 
Anwendung von Extr. Berberis aquifolii rasch geheilt worden sei. (Ob 
diese Heilung nicht vielmehr dem gleichzeitig gegebenen Liquor hydrarg. 
et arsenici jodatf oder der äusserlichen Anwendung von Acidum chrysophan. 
zuznschreiben wäre? In Parke, Davis & Co’s Standard new remedies. 
werden die beiden hier genannten Mittel seit längerer Zeit empfohlen und 
diese Empfehlungen mit einer Unmenge von Krankengeschichten belegt. 
Wenn auch Zweifel an allen von jenseits des Oceans so lebhaft gerühmten 
Mitteln sehr berechtigt sind, so wären doch vielleicht Experimente mit 
Turaera auch bei uns anzustellen, schon deshalb, weil wir den genannten 
Hebeln gegenüber in den meisten Fällen ganz ohnmächtig sind. Ref.) 

Paschkis. 


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Medicio isch-chirargische Rundschau. 


589. üeber Stiokstofllnlialationen gegen Tnbercnlose nndLnngen- 
80bwind8üobt. Von Treutler. (Jahresbericht d. Ges. f. Natur- und 
Heilkunde f. 1875/76; Berl. kl. Wochensch., XV. 52. 1878; Broschüre, 
Dresden, 1879 E. Pierson), Steinbrück (Memorabilien XXIII. 6. 1879), 
Brügelmann (Allg. med. Ctrlztg. XLIX. 21. 22. 1879), Krall (Beri. 
kl. Wochenschr. XVH. 10. 1880). Siehe auch Knauthe’s Bericht in 
Schmid’s Jahrbüchern, Bd. 177 und 186. 

Wie aus der vorstehenden Literatur zu ersehen ist, beschäftigen 
sich eine Anzahl von Aerzten mit der Behandlung der Lungenschwindsucht 
und Lungentuberculose durch Stickstoffinhalaticnen, oder richtiger gesagt 
durch Luftinhalationen, deren Sauerstoffgehalt durch Erhöhung des Stick¬ 
stoffgehaltes geringer gemacht wird. Man lässt also einfach eine sauer¬ 
stoffärmere Luft einathmen, um dadurch die reizende Eigenschaft derselben 
herabzumindern, und führt zu dem Zwecke Stickstoff zu, der bekanntlich 
bei der Athmung eine ganz indifferente Holle spielt. Die Quellen ron 
Newopoczy bei Halle an der Saale, von Paderborn und Lippspringe ent¬ 
wickeln nun angeblich Stickstoff, und diese Eigenschaft benützt man dort, 
um eine sauerstoffärmere Luft in Inhalationsräumen, welche zum Aufent¬ 
halt für Kranke dienen, herzustellen. Kochheim in Darmstadt 
stellte sich zuerst stickstoffreichere Luft künstlich auf heissem Wege her 
und leitete diese Luft in sein „Gascabinet“. Trent ler dagegen entzieht 
der Luft den Sauerstoff auf kaltem Wege dadurch, dass er die atmosphärische 
Luft durch mit Lösung von schwefelsaurem Eisenoxydul befeuchtete Eisen- 
späre leitet. Er leitet die mehr oder weniger sauerstoffarme Luft dann in 
einen W e i l’schen pneumatischen Doppelapparat und lässt sie durch diesen 
einathmen. Treutier hat seine Apparate patentiren lassen, wendet seine 
Methode in einer eigenen Heilanstalt in Blasewitz bei Dresden an, verkauft 
aber auch seine Apparate an Aerzte für 350 Mark. Krull bedient sich 
der Treutierischen Methode. Treutier publicirte bis jetzt am meisten 
über die Anwendung und Wirkung der Stickstoffinhalationen. 

Die Erscheinungen, welche man an Lungenschwindsüchtigen 
beim Inhaliren der stickstoffreicheren Luft sah, waren: Erblassen und 
Kühlwerden der Haut, Kleinerwerden und Frequenzzunahme des Pulses, 
Abnahme des Hustenreizes, tiefere Athemztige, bedingt durch das Bestreben, 
das nöthige Quantum sauerstoffhaltiger Luft den Lungen zuzuführen, 
Schwindel bei stark vermehrtem Stickstoffgehalt. Unmittelbar nach dem 
Inhaliren trat Wohlbehagen, freieres Athmen, zuweilen Müdigkeit, Span¬ 
nung in den unteren Brusträumen in Folge des ungewöhnten Tieferathmens, 
anhaltende Verminderung des Hustenreizes auf. Im Laufe der fortgesetzten 
Cur zeigten sich: ruhiger Schlaf, vermehrter Appetit, Nachlass derNacht- 
schweisse und der Diarrhöen, selbst solcher in den hoffnungslosesten 
Stadien acuter Phthise, Zunahme der Lungencapacität, des Körpergewichtes, 
Erhöhung der Körperkraft und der Beweglichkeit. Fieber soll in leichten 
Fällen schwinden, in anderen Fällen soll es in den ersten Wochen erst 
steigen und dann abnehmen. 

Der günstige Einfluss der Stickstoffinhalationen konnte auch objectiv 
constatirt werden, indem man Verringerung der Dämpfungsbezirke infil- 
trirter Partien, Abnahme der abnormen Athmungsgeräusche fand. Ferner 
sah man sehr günstigen Einfluss der Inhalationen bei Lungenblutungen, 
bei bedeutenden Eiterungen (eiterigen Bronchopneumonien) und bei pleuri- 
tischen Exsudaten (durch die Anregung zu tiefen Athemzügen). 

Man findet die Methode indicirt bei chronischen Spitzen¬ 
katarrhen (namentlich jugendlicher Individuen), die von Fieber, Hüsteln 

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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


737 


und Symptomen der Bleichsucht begleitet sind, hei chronischen Lungen¬ 
entzündungen mit oder ohne vorhergegangenen Lungenblutungen sowohl 
im Anfangs-, wie im Zerfallstadium, bei chronischer Lungentuberculose, 
bei acuter Phthise, wo jedoch nur die lästigen Symptome (nächtliche 
Unruhe, Schweisse, Diarrhöen) beseitigt werden, bei Asthma bronchiale, 
selbst wenn Emphysem vorhanden ist; hier tritt Anfangs Verschlimmerung 
ein, der jedoch bald Behagen, Abnahme des Katarrhs und der nervösen 
Reizbarkeit folgen. 

Contraindicirt ist die Methode bei Albuminurie, weil nach 
Fränkel’s Untersuchungen bei Sauerstoffverminderung der Athemluft 
vermehrter Eiweisszerfall beobachtet wurde. Steinbrück heilte in 
wenigen Wochen Cavernen mit Stickstoffinhalationen! Mir und sicherlich 
auch Anderen fehlt der Glaube an solche Wundercuren. 

Die Stickstoffinhalationen werden täglich 1—2mal angewendet und 
6—20 Cylinder des Weil’schen Apparates nach der Treutlersehen 
Methode geathmet. Krull fand, dass eine Luft, der 7% Sauerstoff 
fehlt, jedem Brustkranken schädlich, die weniger als 2°/ 0 enthält, bei 
Brustkranken wirkungslos ist. Bemerkt sei schliesslich noch, dass die 
8ämmtlichen „Stickstoffinhalations-Autoritäten a die Wirkungen der Stick- 
stoffinhalationen in gleiche Linie mit der der Höhenluft und der Luft der 
südlichen Curorte stellen, da der Volumenprocentgehalt der Luft der 
Höhencurorte und der südlichen warmen Luft an Sauerstoff ebenfalls ein 
geringerer ist als der der Luft der Ebene und der kälteren nördlichen 
Gegenden. 

Wie aus Allem klar hervorgeht, steht die ganze Methode der 
Behandlung von Lungenschwindsüchtigen mit Stickstoffinhalationen noch 
auf sehr schwachen Füssen, sie gründet sich nur auf die Behauptungen 
der einzelnen Inhaber von Stickstoffinhalations-Anstalten! Unparteiische 
Beobachtung und wahrheitsgetreue Berichterstattung thun hier sehr noth. 

x x. 


590. Aoquirirte Stummheit, geheilt durch Bromkali. Von Dr. 
Wertner. (Pest. med. chir. Presse. 1880. 37.) 


Ein beiläufig 13jähriges Mädchen, welches vor einem Jahre von 
einem Wagen überfahren wurde, blieb seitdem total stumm. Verf. ordinirte 
Bromkali, ungefähr 1 Grm. pro die. 

Das Mädchen hatte die Bromkali-Pillen volle zwei Wochen ohne 
jede andere Wirkung genommen, als dass die Verdauung beeinträchtigt 
wurde. Am 15. Tage nach der ersten Anwendung des Mittels reichte 
die Mutter derselben Abends gewohntermassen abermals die Pillen, worauf 
die Kranke einen ziemlich lauten, einem Seufzer ähnlichen Ton vernehmen 
liess. Da seit einem Jahre kein wie immer gearteter Laut von der 
Kranken vernommen wurde, klang selbst jener seufzerähnliche Ton wie 
Musik in die Ohren der hoffenden Mutter, die der Kranken zurief: „Wenn 
du nur sprechen könntest!“ Hierauf sei die Kranke — wie sich die 
Mutter ausdrückt — unter Convulsionen in die Arme der Mutter gefallen 
mit dem schwachen Ausrufe: „Ich werde wieder sprechen! u 

Es war allerdings dieses Sprechen mit dem Gehen und dem Kräfte¬ 
zustande eines nach schwerer Krankheit reconvalescent Gewordenen zu 
vergleichen, doch waren nur wenige Tage nöthig, um unter Anwendung 
von geringen Dosen Eisen die vollständige Kraft der früheren Sprache 
zurückzubringen. R. 


Med.-chir. Bnndschan. 1880 . 


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Medicinisch-chinirgisclie Rundschau. 


591. Ueber Manaoa. Von A. Eddmon. (The London med. Record 
1880. 60.) 

Diese drastische Drogue, vom Verf. seit 1867 bei seinem Aufent¬ 
halt in Oannus, am Amazonenstrom, angewendet, ist unter mannigfachem 
Namen als Gerotaca, Camgauba, Manaca des Juso, am meisten in Pan 
als Mercorius vegetabilis bekannt. Man wendet nicht blos nach Hansen 
die Wurzel, sondern auch die Blätter und 8tengel an. Die Pflanze hat 
einen bitteren, brechenerregenden, scharfen Geschmack und gehört zu den 
stärksten Puigirmitteln, die in Brasilien Vorkommen. Eddmon hat dies 
Mittel als kräftiges Emeto-catbarticum, Diaphoreticum, Diureticum und ala 
höchst wirksames Antisyphiliticum angewendet Es soll sich bei den Ur¬ 
einwohnern als erfolgreiches Mittel gegen Schlangenbiss wegen seiner Ein¬ 
wirkung auf die Blutveränderung bewähren und sich bei Haut- und 
Nierenkrankheiten als Ausscheidungsmittel krankhafter Stoffe nützlich 
erweisen. Die Dosis der gepulverten Wurzel beträgt 0*3—0*6, drei- bis 
viermal täglich oder als Decoct 10-0—15*0 auf 100. Nach 3—4 Dosen 
klagt der Kranke über Kopfschmerzen, profuse Transspiration und heftiges 
Hautjucken. Die grüne Pflanze wird in Para bei verschiedenen Geschwüren 
mit indolentem Charakter auch äusserlich gebraucht. Wegen der häufigen 
Anwendung bei Leberkrankheiten und bei allen Affectionen, wo sonst 
Mercur gereicht wird, wird die Drogue im Süden Amerikas meist „Mer- 
curius vegetabilis“ genannt. 

592. Ueber die feinsten Giftproben. Von Prof M. J. Rossbach. 
(Berlin klin. Wochenschr. 1880. 36.) 

Schon lange benutzt selbst der Chemiker bei einigen alkaloidischen 
und glycosidischen Giften die äusserst intensive Reaction der Frösche, 
Mäuse und auch anderer Warmblüter als physiologisches Reagens auf Gift¬ 
gaben, die chemisch nur äusserst schwer oder gar nicht nachweisbar 
wären; sowie, um für die verschiedensten unreinen Mischungen, z. B. 
des Mageninhalts, vorläufig festzusetzen, ob sich wohl die betreffenden 
Gifte darin befänden. Diese Gifte sind: das Strychnin, das Atropin und 
die diesem nahestehenden Hyoscyamin, Daturin, ferner das Veratrin, das 
Antiarin, Curarin, Muscarin; endlich könnte man auch das Digitoxin, das 
giftigste Glycosid der Digitalisblätter u. a. in ähnlich kleinen Mengen 
durch physiologische Reaction nachweisen. 

Von Strychnin tödten Frösche und 

Mäuse unter Tetanus. 0*00005 Gr. (Falck jun.). 

Von Atropin bewirken bei Warmblütern 

und Menschen Pupillenerweiterung . . 0*0001 Gr. (Gräfe). 

0*0000005 Gr. (Ruiter). 

Von Veratrin bewirken bei Fröschen 

Verlängerung der Muskelcurve . . . 0*00005 Gr. (v. Bezold). 

Vom Digitoxin bewirken bei Fröschen 

systolischen Herzstillstand . . . . 0-0001 Gr. (Schmiedeberg). 

Vom Antiarin bewirken bei Fröschen 

systolischen Herzstillstand .... 0*00005 Gr. (Schmiedeberg). 
Vom Curarin bewirken bei Fröschen 
Lähmung der motorischen Nerven¬ 
endigungen . 0*000005 Gr. (Preyer). 

Vom M u s c a r i n bewirken bei Fröschen 

diastolischen Herzstillstand .... 0*0001 Gr. (Schmiedeberg). 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Diese Gifte können sonach nicht nur in sehr kleinen Gaben, als 
aus dem Pflanzenreich stammend, erkannt, sondern durch die charak¬ 
teristischen Reactionen auch sogleich von einander unterschieden werden. 
Anorganische Gifte mit solch intensiver Reaction des Thierkörpers auf 
kleinste Gaben gibt es nicht. So ausserordentlich fein diese physiologischen 
Giftproben auch sind, so dass man nicht mehr glauben sollte, noch 
feinere auflinden zu können, so ist Verf. doch eine Steigerung der Feinheit 
gelungen. Man braucht blos von obigen höheren Thieren zu den Infusorien 
herabzusteigen. Diese zeigen charakteristische Erscheinungen und sterben 
von noch kleineren Gaben alkaloidischer Mittel; nicht etwa deshalb, 
weil sie empfindlicher als die höheren Thiere wären, sondern nur, weil 
sie unendlich viel kleiner sind. 

Die charakteristischen Erscheinungen bei Vergiftung der Infusorien 
durch Alkaloide sind bei verhältnissmässig starker Gabe, blitzschnelle 
Aufhebung ihres moleculären Zusammenhanges und vollständiges Zusammen- 
fiiessen in einen formlosen Detritus; in verhältnissmässig mittleren und 
kleinen Gaben Drehbewegungen, starke Aufquellung des ganzen Körpers, 
sehr starke Dilatation und Lähmung ihrer contractilen Blase; schliesslich 
ebenfalls Zerfliessen des ganzen Körpers. Um einen Begriff von der 
unendlichen Kleinheit der hierzu nöthigen Gaben zu geben, genügen 
einige Beispiele, den Beobachtungen des Verfassers entnommen. 

Auf Strychnin tritt die hochgradige Erweiterung und Lähmung 
der contractilen Blase, die Aufquellung des Körpers und die Drehbewegung 
der Infusorien noch ein bei einer Verdünnung von 1 : 15000. Nimmt 
man sonach ein sehr kleines Tröpfchen jenes infusorienhaltigen Wassers 
von 0*001 Gr. Gewicht, so beträgt die kleinste zur Hervorrufung der 
erwähnten Reaction nöthige Giftmenge: 0*00000006 Gr. (bei Fröschen 
0*00005 Gr.). Beim V erat rin tritt die oben genannte Reaction noch 
ein bei Verdünnung von 1 : 8000; das macht auf ein Tröpfchen von 
0*001 Gr. Gewicht eine Veratrinmenge von 0*00000022. Von dem viel 
schwächeren Chinin werden die Infusorien beeinflusst noch bei Ver¬ 
dünnung von 1 : 5000; das macht auf einen Tropfen Infhsorienwasser 
von 0*002 Gr. 0*0000001 Gr., Atropin beeinflusst die Infusorien nur 
bei 1 : 1000; das macht für einen Tropfen von 0*001 Gr. Schwere: 
0*000001 Gr. 

Verf. glaubt daher, dass diese Methode zum Nachweis vielleicht 
der meisten kleinsten, giftigen Alkaloidmengen eine Zukunft hat; Aetz- 
alkalien, Säuren u. s. w. wirken schon bei Verdünnungen von 1 : 400—600, 
Salze bei 1 : 200—300 nicht mehr giftig ein; über die giftige Wirkung 
der Metallsalze hat Verf. noch nicht experimentirt. 

Die Ausführung der Methode für Aerzte, Gerichtsärzte, gerichtliche 
Chemiker wäre eine ausserordentlich leichte. Infusorienwasser kann man 
sich jederzeit selbst herstellen, wenn man Wasser mit Brod und Fleisch 
einige Tage in einem warmen Zimmer aufstellt. Ein winziges Tröpfchen 
desselben wird ohne Deckgläschen mikroskopisch beobachtet; während 
der Beobachtung lässt man eine Spur der zu untersuchenden flüssigen 
Substanz, die gar nicht zu verdünnt sein darf, zufliessen. Die Verän¬ 
derungen der Infusorien nach obigen Giften sind so charakteristisch, dass 
sie nicht zu tibersehen sind. Betrüge z. B. die Menge des Mageninhalts 
eines Vergifteten 1 Liter und wäre es nur 0 05 Strychnin, so würde 
ein Tropfen des ersteren 0*0000025 Gr. Gift enthalten, eine Menge, die 
immer noch 40 Mal grösser ist, als Verf. sie zu seinen Reactionen braucht. 

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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


593. Zur Messung und Dosirung des galvanischen Stroms in 
der Elektrodiagnostik und Elektrotherapie. Von Dr. Franz Müller, 
Dozent an der Universität in Graz. (Memorabilien 1880. 7.) 

Von jeher war das Streben der Elektrotherapeuten darauf gerichtet, 
die Intensität der zu medizinischen Zwecken Verwendung findenden 
galvanischen Ströme wenigstens approximativ zu bestimmen und in 
Zahlen auszudrücken, um so ein allseitiges Verständniss und eine richtige 
Vorstellung von den gebrauchten Strömen zu ermöglichen, resp. anzu¬ 
bahnen. Am nächsten lag es, die Stromstärke durch die gebrauchte 
Elementenanzahl auszudrücken. Man sagte z. B., dass zur Behandlung 
einer Augenmuskellähmung ein Strom von 10 Elementen nöthig sei. Dag 
Unklare dieser Bestimmungsmethode leuchtet von selbst ein, da doch die 
Stromstärke derselben Anzahl von Elementen derselben Art ja auch ab¬ 
hängig ist von ihrer Construction und Concentration der erregenden 
Flüssigkeit. Ausserdem finden bei der blossen Angabe der Elemente die 
kolossalen Verschiedenheiten im ausserordentlichen Widerstande — der 
ganz besonders von der verschieden schlecht leitenden Epidermis bedingt 
ist, — gar keine Berücksichtigung. Um diesen gerügten Uebelständen 
zu begegnen, begann man die in der Physik bekannten Messinstrumente 
für elektrische Ströme (Tangenten- und Sinusbussolen) auch in die Elektro¬ 
therapie einzuführen. 

Am empfehlenswerthesten erscheinen erstere. Sie haben auch in 
England in der Elektrotherapie Eingang gefunden, wie Verf. 1878 in 
London bei A11 h a u s im Regent Park Hospital sah. Der Umstand 
jedoch, dass die Stromstärke nicht einfach dem Ablenkungswinkel, sondern 
der trigonometrischen Tangente desselben proportional ist, demzufolge 
daher stets eine Rechnung nöthig ist, um die Stromintensität auszu¬ 
drücken, sowie auch, dass das Ablesen der Nadelausschläge wegen der 
horizontalen Bewegungsebene der Nadel und der Gestalt resp. der Höhe 
der Bussole nicht so leicht und rasch erfolgen kann, wie es die Praxis 
des Arztes wünschenswerth erscheinen lässt, standen der weiteren und 
allgemeinen Einführung der Tangentenbussolen und daher auch umsomehr 
der der Sinusbussolen — bei denen noch zeitraubende Nachdrehungeu 
des Verticalkreises erforderlich sind, hindernd in dem Weg. 

Aus rein praktischen Gründen begann man daher Vertical- 
galvanometer (Galvanoskope mit einfacher Kreistheilung) 
wegen der leichteren und bequemeren Nadelablesung, wie solche schon 
längst in der Telegraphie und auf Eisenbahnstationen in Verwendung 
standen, zu gebrauchen. Dass es sich hierbei nicht um eine approxima¬ 
tive Abschätzung, resp. Vergleichung von verschiedenen Stromstärken han¬ 
deln konnte, liegt auf der Hand. Es ist ja allbekannt, das man nur 
bei kleinen Ablenkungen und wo es nicht auf grosse Ge¬ 
nauigkeit ankommt, die Stromintensität dem Ablenkungswinkel selbst 
proportional setzen kann, und dass namentlich bei grossen Nadelaus- 
-schlagen die Stromstärken viel rapider wachsen als jene selbst. Während 
also ein bestimmtes Vertical-Galvanometer, so lange nur mit solchen 
Stromstärken gearbeitet wird, die höchstens eine Ablenkung von 7°—10° 
bewirken, ganz gute Dienste leistet — da man ohne einen grossen Fehler 
zu begehen, die Stromstärken den Ablenkungswinkeln proportional anneh¬ 
men kann — ist dasselbe ganz und gar unbrauchbar, wenn man viel 
intensivere Ströme anzuwenden bemüssigt ist. 

Erb hat diesem Uebelstande durch einen ingeniösen Vorschlag ab¬ 
zuhelfen gesucht. Erb liess nämlich Galvanometer mit mehrfacher und 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


741 


durch Stöpselung beliebig zu wählender Einschaltung zur Erhöhung und 
Ermäßigung der Empfindlichkeit construiren. Hierdurch wurde es möglich, 
stets eine solche Windungsanzahl einzuschalten, dass der Ablenkungswinkel 
nie groß, aber doch sehr deutlich ablesbar wurde. Arbeitet man mit 
sehr schwachen Strömen, so schaltet man eine grössere Anzahl von 
Windungen ein, wenn mit starken, so eine geringere. D er jeder Ein¬ 
schaltung entsprechende Widerstand der Windungen ist in Siemens’ 
Einheiten angegeben. Die Gradtheilung am Galvanometer selbst ist eine 
sehr feine. Vermöge all’ dieser Eigenschaften gehört das Erb’sche 
Galvanometer unstreitig zu den empfindlichsten und besten der bisher 
construirten. 

Doch erhält man auch mittelst des Erb’schen Galvanometers keinen 
absoluten Aufschluss über die jeweilige Stromstärke, ohne nicht erst 
langwierige Rechnungen *) anzustellen, denn auch hier schliesst man 
gerade so wie bei den übrigen Galvanometern nur indirect — aus der 
Ablenkung der Nadel auf die Stromintensität zurück, ohne selbst ein 
absolutes Mass für letztere zu erhalten, was doch von Manchen 
postulirt wird. 

Es ist Gaiffe’s Verdienst, diesem Postulate nachgekommeu zu 
sein. Gaiffe hatte bereits im Jahre 1874 Galvanometer construirt, die 
nicht in Kreisgrade, sondern empirisch in absolute 
Intensitätseinheiten getheilt waren, so dass man direct die 
Stromstärken ablesen kann, ohne dass erst die Bestimmung des Reduc- 
tionsfactors und weitere Rechnungen nöthig wären. 

Bekanntlich ist die Intensität des Stromes der elektromotorischen 

E 

Kraft direct und dem Gesammtwiderstande indirect proportionirt. J. = - - 

Da für E uud W von verschiedenen Physikern und Gesell¬ 
schaften verschiedene Einheiten angenommen wurden, so folgt daraus, 
dass auch für J verschiedenwerthige Einheiten existiren. Die British 
Association hat folgende Einheiten acceptirt. 

Einheit der elektromotorisc hen Kraft: Sie ist dargestellt 
durch jene elektromotorische Kraft, die nöthig ist, um durch die Wider¬ 
standseinheit (Ohm = Ohmad) die nöthige Elektricität zu treiben, um 
durch Elektrolyse von Wasser in 1 Secuude 0*1146 Ccm. Wasserstoff 
(bei einer Temperatur von 0° und einem Barometerstände von 760 Mm.) 
frei zu machen. Diese elektromotorische Kraft heisst Volt 
(Volta). (Bei uns wird ein Daniell als Einheit angenommen, was so 
ungefähr einem Volt gleichkommt.) 

Widerstands-Einheit: Sie ist gleich 10,000.000 absoluten 
elektromagnetischen W-Einheiten und entspricht jenem W., den eine 
Quecksilbersäule von 1*0486 Meter Höhe und 10Mm. Querschnitte dar¬ 
bietet. Sie wird Ohm (Ohmad) genannt. (Wir rechnen gewöhnlich 
nach Siemens’ W E — jenem W, den eine Quecksilbersäule von 
1 Meter Höhe und lQMm. Querschnitt liefert.) 

Intensitäts-Einheit: Sie ist respräsentirt durch jene Strom¬ 
stärke, welche unter dem Einflüsse der elektromotorischen Kraft von 
einem Volt durch einen Widerstand von einem Ohm kreist. Diese 

Intensitäts-Einheit heisst Weber. 1 Weber = } -- - 


*) Ofr. E. Remak: Ueber modificirende Wirkungen galvanischer Ströme 
auf die Erregbarkeit motorischer Nerven etc. Deutsches Arch. f. kl. Medicin, 
Bd. XVHI, pag. 278 und 279. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Diese absolute Einheit hat Oaiffe der Graduirung seiner Galvano¬ 
meter zu Grunde gelegt, und zwar machte er die Eintheilung, da der 
Weber wegen seiner bedeutenden Grösse für medizinische Zwecke ab 
Einheit nicht verwendbar ist, nach Bruchtheilen von Weber und zwar 
nach lQ l gfi die Scala wurde selbstverständlich empirisch angefertigt 
Jeder Theilstrich bedeutet —~ Weber. 

Gaiffe hat auch neuestens seine Galvanometer mit Millimeter¬ 
weberskalen (Weber) versehen. 

Verf. bedient sich seit längerer Zeit in klin. Vorlesungen und 
Demonstrationen neben des Hirschmann’schen ausschliesslich des 
Gaiffsehen absoluten Galvanometers. Dasselbe zeigt sich sehr empfindlich 
und gibt bei ein und derselben Stromstärke stets vollkommen gleiche 
Nadelausschläge nach rechts und links. 

Was dasselbe aber noch empfiehlt und für praktische medicinische 
Zwecke geeignet macht, das ist die grosse Raschheit, mit der die Magnet¬ 
nadel zur Ruhe kommt. Gaiffe hat nämlich für seine Milliwebergal¬ 
vanometer ein massives kupfernes Gehäuse gewählt und unmittelbar 
unterhalb der Magnetnadel eine Kupferplatte angebracht, die einen mäch¬ 
tigen Dämpfer darstellt, in dem bekanntlich durch die Bewegung der 
Magnetnadel ihr selbst entgegengesetzt gerichtete magneto elektrische 
Ströme entstehen, die die Bewegung der Nadel rasch dämpfen und letztere 
schnell zur Ruhe bringen. Aus diesem Grunde ist das Ablesen der Nadel¬ 
ausschläge stets in rascher Weise ohne Zeitverlust ermöglicht, ein gewiss 
nicht zu unterschätzender Vortheil. 

Ein Punkt über die allgemeine Brauchbarkeit der absoluten Gal¬ 
vanometer bedarf aber noch einer ganz besonderen Hervorhebung und 
dies umsomehr, da derselbe von v. Hesse, sowie auch von Bernhardt 
gar nicht berührt ist, und der, wenn nicht berücksichtigt, unter der 
Maske einer anscheinend absolut physikalischen und strenge wissenschaft¬ 
lichen Strommessungsmethode den grössten Fehlerquellen Thür und Thor 
öffnet. 


Die in absolute Strom einheiten resp. Bruchtheile 
ge theilten Hör izontal - Gal van ometer sind nur für den 
Ort richtig, wo sie angefertigt wurden und für jene Punkte 
derErdoberfläche, die mit ersterem eine gleiche Intensität 
der horizontalen Componente des Erdmagnetismus haben. 
Bei Horizontal-Galvanometern kommt die Nadel unter gleichzeitiger und 
einander entgegengesetzter Einwirkung der ablenkenden Kraft des 
Stromsund der richtenden Kraft der horizontalen Compo¬ 
nente des Erdmagnetismus zur Ruhe. Es hängt also der Nadel¬ 
ausschlag von zwei Factoren ab, von denen der letztere mit zunehmendem 
Breitegrade immer mehr und mehr abnimmt, um am magnetischen Erd-Pol 
endlich Null zu werden. Daraus folgt mit Naturnothwendigkeit, dass trotz 
gleich bleibender Stromstärke an verschiedenen Orten in ver¬ 
schiedenen Breitegraden dasselbe Galvanometer ganz verschie¬ 
dene Nadelausschläge geben wird. 

(Von den geringen zeitlichen Schwankungen und Aenderungen der 
horizontalen Intensität des Erdmagnetismus an einem und demselben Orte 
sei hier ganz abgesehen.) 

Man würde also grobe Fehler begehen, wollte man an einem z. B. 
in Paris construirten und empirisch nach Milliwebern graduirten Galvano¬ 
meter in Stockholm, Petersburg, Neapel, Cairo, Rio-Janeiro oder am Cap 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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der guten Hoffnung die Stromstärke in Milliwebern einfach ablesen. Es 
ist eben die Intensität der horizontalen Componente des Erdmagnetismus 
an diesen Orten gegenüber der von Paris zu different. Hingegen ist das¬ 
selbe Galvanometer ftlr Graz, München, Strassburg und Wien ganz gut 
brauchbar, da selbige so ziemlich die gleiche horizontale Intensität des 
Erdmagnetismus haben. Es kann also zufolge physikalischer Gründe kein 
nach absoluten Masseinheiten getheiltes Normalgalvanometer geben, das 
für alle Punkte der Erdoberfläche richtig ist. 

Bei der Anschaffung von horizontalen Milliweber-Galvanometem 
muss man daher wesentlich darauf Rücksicht nehmen, dass sie an Orten 
graduirt wurden, die mit den in Aussicht genommenen Aufstellungsorten 
eine möglichst gleiche Intensität des Erdmagnetismus haben. Selbstredend 
kann man sich auch selbst jederzeit ein absolutes Galvanometer auf leichte 
Weise herstellen. (Vergl. Bernhardt: Zur Galvanofrage, Erlen- 
meyer’s Centralblatt f. Nervenheilkunde 1. Mai 1880.) Die grossen 
Vortheile, die die Einführung solcher Galvanometer anstatt der bisherigen 
Galvanoskope in der Elektro-Diagnostik und Therapie bietet, sind in die 
Augen springend und bestehen kurz darin, dass es uns durch selbige voll¬ 
kommen ermöglicht wird, die Stromstärken in einfachen ganzen 
Zahlen auszudrücken, die von anderen Aerzten mittelst verschiedener 
Elemente gewonnenen Resultate zu vergleichen, darüber Controlversuche 
anzustellen und endlich die Elektricität zu therapeutischen Zwecken 
in einem den Aerzten der ganzen Welt bekannten oder doch verständ¬ 
lichen Masse soweit als überhaupt möglich zu dosiren. —sch. 

594. Lymphome in der Inguinalgegend geheilt mittelst Liquor 
arsenic. Fowleri. Von Corrado de Briganti. (Lo Sperimentale 
1880. März.) 

In einem an Prof. Marcacci gerichteten Brief erzählt der Verf. 
einen Fall von Lymphomen in der Leiste, welche dreimal recidivirten. 
Auf Anrathen Marcacci’s wurde die Tinct. Fowleri in steigender Dosis 
von 8 Tropfen bis 20 täglich angewendet Der Kranke war in einigen 
Tagen geheilt. —sch. 

595. Ueber die Wirkung von Carbolsäure, Tinct. Eucalypti und 
Chininum bimur. carbamidatum bei Tuberculose. Von Dr. Ritter v. 
Eisenstein und Dr. Rischawy. (Bericht der viert, med. Abtheilung 
des k. k. Krankenh. Wieden 1879. S. 27.) 

Verf. suchten hauptsächlich die Fiebererscheinungen durch die 
Medication zu massigen. Die bei Phthisikern angewendete Vorschrift für 
die Carbolsäure war: Arid . phenol. 020, Aqu . destilL 200'0, 
Spir . menth. pip. gtt . 2 — 3 , 2—4mal täglich 1 Esslöffel; wohl wurde 
in einzelnen Fällen nach dieser Medication ein Fieberabfall von 1—2*5 a 
beobachtet, allein die Remissionen waren so inconstant und schwankend, 
dass es fraglich scheinen muss, ob die Temperaturabnahme überhaupt mit 
der Aufnahme der Carbolsäure im Zusammenhang stand; steigerte man 
die oben angeführte Dosis, so stellten sich alsbald gastrische Beschwerden 
und Carbolharn ein. 

Mit der Tinctura Eucalypti glob. hatten die Verf. bei ein¬ 
zelnen Fällen von Intermittens wenigstens temporäre Erfolge erzielt, und 
dies veranlasste sie, das Präparat auch fiebernden Phthisikern zu verab¬ 
folgen. Die genauen Temperaturaufzeichnungen bei acht Individuen, denen 
Eucalyptustinctur durch mehrere Wochen in der Dosis von drei Kaffee¬ 
löffeln bis zu ebenso vielen Esslöffeln verabfolgt wurde, zeigen, dass 

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Medicinisch-cbirurgische Run dach an. 


bei zwei derselben mit starken Morgen-Exacerbationen bis 38*6° dieselben 
auf 37*2 und 36*9° herabsanken; dieser günstige Erfolg dauerte aber in 
dem einen Falle blos eine Woche, in dem anderen Falle zehn Tage an; 
in den übrigen Fällen ist eine Beeinflussung des Fiebers aus den Auf¬ 
zeichnungen nicht zu entnehmen. 

Die Mittheilung, dass ein im Wasser leicht lösliches Doppeisalz des 
Chinins, Chin. bimur. carbamid., gegen Wechselfieber in Form 
hypodermatischer Injectionen verlässliche Wirkungen erzielt hatte, (S. 
Med. chir. Rundschau 1879. Nr. 231.), veranlasste die Verf., auch dieses 
Präparat bei fiebernden Tuberculösen zu verwenden. 

Leider entsprach der Erfolg keineswegs den gehegten Erwartungen; 
zunächst war das Präparat nicht luftbeständig und musste stets in Lösung 
erhalten werden, diese Lösung aber reagirte in Folge eines Gehaltes an 
freiem HCl stark sauer und hatte zur Folge, dass alle Kranken bei den 
Injectionen mehr oder minder Schmerz empfanden, und dass in der aller- 
grössten Zahl der Fälle Infiltrate, Abscesse und circumscripte Gangrän 
entstanden, wiewohl die Injectionen mit aller nöthigen Vorsicht gemacht 
worden waren; die Temperaturaufzeichnungen erstrecken sich in Folge 
dessen nur auf wenige Tage und lassen keinen verlässlichen Schluss zu; 
nur in einem Falle, wo die Injectionen bei einem septischen Puerperal- 
processe gemacht wurden, sind durch neun Tage die Abfälle in dieser 
Febris continua äusserst geringe, nur wenige Zehntel betragend und 
nehmen erst gegen den präagonalen Collaps hin zu. Vielleicht Hesse sich 
durch Neutralisirung mit doppeltkohlensaurem Natron eine minder reizende 
Lösung für weitere Versuche gewinnen. 0. R. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 


596. Osteoplastische Resection des Ellbogengelenkes. Von 
Dr. 0. Völker (Braunschweig). (Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie von 
C. Hüter und A. Lücke, Bd. XII. 6. Heft.) 

Ein 13jähriger Schüler war vor l /a Jahre auf die ausgestreckte 
linke Hand gefallen und hatte sich hierdurch angebUch eine Luxation des 
Hnken Ellbogengelenkes zugezogen. Die damals sofort gemachten Reposi¬ 
tionsversuche sollen erfolglos gewesen sein. 

Verf.fand gegenwärtig eine veraltete unvollständigeLuxa- 
tion des 1. Ellbogengelenks nach aussen. Der Vorderarm im 
stumpfen Winkel zum Oberarm stehend; Beugung und Streckung fast 
gehemmt; auch keine Rotation des Vorderarmes mögUch (Inactivitäts- 
anchylose im unteren Radiulnargelenke). Ueberdies Sensibilitätsstörung 
im Bereiche des vom Ulnarnerven versorgten Antheiles der Hand; daneben 
auch musculäre Ulnaris-Parese. Durch das Hinausrttcken des Vorderarmes 
nach aussen war auch dieser Nerv mit hinausgezerrt und hierdurch in 
seiner Leitungsfäbigkeit geschädigt. Dieser Umstand insbesondere führte 
Verf. dazu, im vorliegenden Falle die fehlerhafte Stellung des Vorderarmes 
— eventuell operativ — zu beseitigen. 

Da nun Resectionen an anchylotiscben Ellbogengelenken bekanntlich 
zu den mühsamen Operationen gehören, so kam Verf. beim Erwägen 
seines Operationsplanes auf die Idee, durch temporäre Abtrennung 
des Olecranon (ähnHch wie Vo 1 kmann’s Resection des Kniegelenkes 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


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nach querer Durchschneidung der Patella) sich das Gelenk freizulegen. 
Gelang nach Abtrennung der Adhäsionen etc. etc. die Reposition bei 
intacter Erhaltung der Gelenkflächen, so war das höchste Ziel erreicht, 
das im obigen Falle angestrebt werden konnte. Falls aber die Gelenk¬ 
flächen der Gelenkkörper nicht zu erhalten sein würden, so war das Ge¬ 
lenk doch so weit eröffnet, um jede etwa nöthige Resection vornehmen 
lassen zu können. Nur das Olecranon und die Ulna mussten hierbei un¬ 
bedingt intact bleiben. 

Selbstverständlich war ein gutes Endresultat dieses Operationsplanes 
nur unter dem Schutze einer völlig gelungenen Antiseptik zu erwarten. 

Es wurde nun folgendermassen operirt: Unter Sprayschutz ward 
der erste Schnitt geführt auf den Condyl. extern., beginnend in der Höhe 
der Spitze des Olecranon und bis auf die Gelenkfläche des Radius der 
Längsachse des Armes entlang herabsteigend; von hier quer bis an den 
Innenrand des Olecranon ziehend und an diesem empor bis an die Spitze 
des Olecranon ansteigend. Die Schnitte drangen sofort bis auf den Knochen 
ein. Das Periost des Olecranon ward in der Schnittlinie so weit gelöst, 
dass die Stichsäge arbeiten konnte und sodann das Olecranon von der 
Radialseite her (im Niveau der Gelenkfläche des Radius) durchsägt. Nach¬ 
dem dies geschehen war, klaffte doch weder das Gelenk, noch wurde das 
Olecranon von der Tricepssehne nach oben gezogen. Der Grund hiervon 
lag in den vielfachen Adhäsionen zwischen den Gelenkkörpern, und nach¬ 
dem jene exstirpirt worden waren, klaffte das Gelenk zur Genüge auf. 

Man konnte jetzt das Gelenkinnere übersehen und die mit dem 
Ulnarrande der Trochlea verwachsene Kapsel mit den Fingern loslösen; 
hierbei fand man in der Gelenkskapsel- und Narbensubstanz, ganz dicht 
am Nerv, ulnaris 2 kleine Knochenstückchen (wie sich später erwies, 
abgebrochene Stücke vom Epicondyl. intern.). Jetzt gelang es, den Vorder¬ 
arm in seine normale Lage zu bringen, doch konnte er in derselben erst 
dann fixirt werden, wenn das Olecranon wieder mit der Ulna vereinigt 
war. Das Olecranon liess sich aber nicht in die Fovea humeri poster. 
hineindrücken, u. z. wie die weitere Untersuchung zeigte, weil ein Knochen¬ 
stückchen in der gen. Fovea durch periostale Auflagerungen eingewachsen 
war (gleichfalls ein Splitter vom gebrochenen Epicondyl. intern.). Erst 
nachdem dieses entfernt worden war — zugleich wurden die zwei Splitter 
in der Kapsel excidirt — liess sich das Olecranon an seine normale Stelle 
reponiren. 

Zur jetzt folgenden Naht des Olecranon benutzte Verf. eine starke 
Nadel der Singer-Nähmaschine, welche er in das Heft eines Kehlkopf¬ 
spiegels einschraubte; die Nähte Hessen sich hiermit sehr gut anlegen: 
Erst Durchstechung des Knochens, dann Einfädelung eines Seiden¬ 
fadens (Silkworm-gut) an der geöhrten Nadelspitze; Rtickziehen 
der Nadel. Es wurden zwei solche Fäden eingeftihrt, von denen der eine 
nahe der Gelenkfläche, der andere nahe der Rückfläche des Olecranons 
(resp. der Ulna) durchüef. 

Die Fäden wurden bei incompieter Strecksteilung des Armes geknotet, 
die Fädenenden kurz abgeschnitten (der Einheilung überlassen). Auch 
jetzt noch zeigte der reponirte Vorderarm die Neigung, die pathologische 
Stellung wieder einzunehmen; das Radiusköpfchen, an die Eminentia capitat. 
stossend, drängte den Vorderarm vom Humerus ab und die abnormen 
Spannungsverhältnisse der Kapsel und der das Gelenk umgebenden sonstigen 
Weichtheile bedingten das Zurtickweichen des Vorderarmes in seine alte 
Stellung. Die Abtragung der Radius-Gelenkfläche beseitigte diesen Fehler. 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


Es folgte schliesslich die Naht der Weicbtheile: complete Vernähung Ins 
auf eine Stelle an der Ulnarseite der Olecranonbasis, wo ein Drainrohr 
in’s Gelenk eingelegt wurde. 

Sehr günstiger Wundheilungsverlauf (bis auf eine kleine Gangrin 
der Hautschnittränder.) 

Vier Wochen nach der Operation passive und active Gymnastik des 
Armes, um das Gelenk beweglich zu machen. Die Verwachsung des de- 
cranon erwies sich hierbei als absolut fest; Reiben im Humero-Radial- 
gelenke. Nach mehreren Wochen konnte der Arm activ fast ganz gestreckt 
und so weit über den rechten Winkel hinausgebeugt werden, dass Pat 
alle im Leben nöthigen Manipulationen an Kopf und Hals gut verrichten 
konnte. Die Rotation des Vorderarmes ist ganz frei; das Reiben im 
Humero-Radialgelenke noch immer fühlbar. Die Function des N. nlnaris 
ist complet wieder hergestellt; sensitive und motorische Störungen ge¬ 
schwunden. Das Gelenk hat — bis auf eine leichte Knickung des Ole- 
cranon ulnarwärts — ein ganz normales Aussehen. 

Aus den epikritischen Bemerkungen des Verf. heben wir Nachfol¬ 
gendes hervor: 

So günstig das im obigen Falle erreichte Operationsresultat gewesen, 
obschon mehr als durch eine gewöhnliche typische Resection erreicht 
wurde, so seien doch zwei Momente dabei als fehlerhaft und die erreich¬ 
bare Function des Armes beeinträchtigend zu betrachten, d. i. die Ver¬ 
flachung der Fovea poster. humeri und die Lappengangrän. 

Erstere sei durch letztere bedingt worden, denn hätte man mit der 
Gymnastik des Armes früher beginnen können, so würde eine wenn auch 
nur theilweise Wiederausfüllung der Fovea post. hum. mit knöcherner 
Substanz verhindert worden sein. 

An der Lappengangrän trage wenigstens zum Theile die Esmarch* 
sehe Methode, die ja bekanntlich zu Lappengangrän disponire, Schuld. | 
Verf. würde es künftighin vorziehen, die ohnehin wenig blutige Operation 
ohne locale Anämisirung der Extremität vorzunehmen. 

Das Hauptstreben bei Ausführung der vom Verf. geübten Resections- 
methode liege darin, den Zusammenhang der Strecksehne mit 
dem Vorderarme zu erhalten, was durch die temporäre Durch- 
schneidung des Olecranon angestrebt werde; bei gelungener Antisepsis sei 
die Wiederanheilung des Olecranon ganz gesichert. 

Unbedingt nöthig sei aber die Gewissheit, dass das Ole¬ 
cranon gesund sei; nur unter dieser Vorausetzung sei die 
Operation gestattet. Hauptsächlich werden es daher die Resectionen 
„wegen Trauma“ sein, wobei des Verf. Methode verwerthbar sein werde; 
sehr selten wohl bei den Resectionen wegen Caries. 

Besonders empfehle sich die Methode für frische und veraltete Luxa¬ 
tionen ; auch bei eingedrungenen Fremdkörpern, sowie auch bei Gelenk- 
mäusen werde das Verfahren von Nutzen sein. 

Fr. Steiner (Marburg). 


597. De la eureradicale des hernies par Oscar Delbastaille, 
Assistant ä l’universite de Liege. Extrait des Annales de la Soctete mädico- 
chirurgicale de Liege 1880. Impr. de H. Vaillant-Carmanne. 


Capitel 1: In diesem geschichtlichen Theile erfahren wir, dass das 
Operationsverfahren zum Zwecke der Radicalcur der Hernie, welches 
jetzt eingehalten wird (nach dem Vorschläge Czerny’s), eigentlich nur 
dadurch von dem H e 1 i o d o r’s abweiche, dass wir den Bruchsackhals nicht 


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Medicinisch-.chirurgische Rundschau. 


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abdrehen, sondern unterbinden. Die weiteren, der Vollständigkeit wegen 
angeführten Operationsmethoden glaube ich übergehen zu können, da 
sie in jedem chirurgischen Lehrbuch bis in die letzten Jahre nachge¬ 
schlagen werden können und erwähne nur, dass die Versuche eine gründ¬ 
liche Heilung der Hernie zu erlangen, von der Mehrzahl der Chirurgen 
auf Grund der ungünstigen Berichte Gerdy’s und Wurtzer’s aufgegeben 
wurden. 

Wie mit vielen anderen, zum Theil proseribirten Operationsmethoden 
— über die Radicaloperation der Hernie sprach Boy er das Verdammungs- 
urtheil — geschah es auch hier, dass unter dem Schutze des antiseptischen 
Apparats Listers neuerdings Versuche gewagt wurden, die Menschheit 
von dem lästigen Leiden zu befreien. Diese neuen Versuche wurden 
inaugurirt durch Ch. Steele (1874), Nussbaum (1877) und hauptsäch¬ 
lich durch Czerny (1877, Wien. med. Wochenschr. Nr. 21—24). 

Im II. Cap. begegnet Verf. dem Vorwurfe der Gefährlichkeit der 
Operation durch den Hinweis auf das Resultat der statistischen Zusam¬ 
menstellung, und dem der Unsicherheit des Erfolges und des Eintretens 
der Recidiven durch die Frage, wie viele Operationen von diesem Stand¬ 
punkte aus als unzulässig gestrichen werden mussten? Die Indicationen 
der Operation werden dahin präcisirt, dass unser Einschreiten in jenen 
Fällen, wo die Grösse der Geschwulst Arbeitsunfähigkeit bedingt oder 
früher gut zurückgehaltene Hernien durch verschiedene Einflüsse oder 
rasche Abmagerung eine bedeutendeVergrösserung erfahren haben, wohl 
berechtigt ist, indem es stets wenigstens eine Erleichterung eines so 
schweren Leidens zur Folge hat. Den reizenden Einspritzungen in den 
Bruchsack zieht der Verf. die Czerny’sche Radicalcur vor, indem er 
jene für gefährlich, langwierig .und den Erfolg für zufällig erklärt. Verf. 
möchte den Versuch der Radicalcur stets mit der Operation des einge¬ 
klemmten Bruches verbunden, bei Kindern dann ausgeftlbrt sehen, wenn 
das Tragen eines Bandes erfolglos bleibt, dagegen unterlassen, wenn 
die Geschwulst klein, reponirbar, leicht zurückzubalten ist und weder 
Beschwerden noch Arbeitsunfähigkeit bedingt. 

Cap. HI. Das Czerny’sche Operationsverfahren setzt Ref. als 
bekannt voraus, auch dessen Ersatz des Catguts durch carbolisirte Seide.*) 
Manche Operateure fassen in die Naht der Pfeiler auch den Sack, in 
der Hoffnung, dadurch eine festere Obturation des Canals zu erzielen. 
Andere, z. B. So ein, verzichten auf die Naht des Leistenringes. Verf, 
meint, die Naht der Pfeiler eigne sich nur für weniger ausgedehnte 
Canäle, und auch dann ist der Nutzen der Naht problematisch, da der 
Samenstrang bei den Leistenbrüchen ein Hinderniss für die Annäherung 
der aponeurotischen Ränder abgibt und es bisher gar nicht erwiesen ist, 
dass man durch die Naht die Verwachsung zweier Aponeuroscn er¬ 
reichen könnte. 

Cap. IV. Die Narbe soll nach der Operation ein Hinderniss für 
das Heraustreten der Darmschlingen bilden; und sie ist meistens dieser 

*) Nach dem Verf. soll bereits Vaullegeard 1848 die Meinung ausge¬ 
sprochen haben, man könne Seidenfäden in den Wunden „den absorbirenden 
Eigenschaften der Gefftsse“ überlassen. Dagegen stellte Gussenbauer am 
20. Febr. 1880 im Verein deutscher Aerzte in Prag einen Mann vor, der vor 
l'/s Jahren linkerseits (von Weil) mit Anwendung von carbol. Seide operirt 
wurde. Nach einigen Monaten trat ein Abscess in der Narbe auf, aus dem die 
Seidenligatur entfernt wurde. Gussenbauer operirte rechterseits und hatte 
mit Benützung von Catgut vorläufig completen Erfolg, so dass er dieses jener 
vorzieht. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Aufgabe auch gewachsen. Man kann zwar wegen der kurzen Beobach¬ 
tungsdauer nicht aussagen, ob die Operirten, die bis jetzt ohne Recidive 
sind, auch geheilt bleiben; doch gestatte eine 2jährige Beobachtung 
einigermassen die Beurtheilung des Werthes der Operation. — Auf 67 
Operationen (4 aus der 8. Wiiii warte r’schen Klinik in Lüttich und 63 
aus sonstigen Publikationen gesammelt) zählt Verf. 3 Todesfälle (einer 
durch Gangrän des Scrotums, ein zweiter durch Darmperforation, der 
dritte wurde auf Carboisäurevergiftung bezogen). Diese günstigen stati¬ 
stischen Angaben sind ftlr den Yerf. eine Aufmunterung zu neuen Ver¬ 
suchen , doch legt er dabei, mehr als bei jeder anderen Operation grosses 
Gewicht auf die scrupulöse Beobachtung und auf die Methodik aller 
antiseptischen Vorsichtsmassregeln. 

Cap. V. bringt uns die bisher nicht veröffentlichten Krankenge¬ 
schichten der vier Kranken der Lütticher Klinik. Wir heben davon Fol¬ 
gendes hervor: 

1. Fall. Recht88eitige inguinale Hernie, bestehende Incarcerationserschei- 
nungen, welche von einem Volvalas der vorgefallenen Darmschlingen herrühren. 
Der linke unvollständig herabgestiegene Testikel wird für eine Hernie gehalten, 
da die grosse rechtsseitige unempfindlich und weich ist; er wird auch blossgelegt, 
doch wird die Wunde nach gewonnener Ueberzeugung, dass die Incar ceration 
nicht da ihren Sitz habe, wieder zugenäht und links die Kelotomie ausgefahrt, 
welche zur Entdeckung des Volvulus führt. Reduction der Schlingen t Naht des 
Bruchsackhalses. Nach einem Monat Recidive nach aussen von der Narbe; Ban¬ 
dage ist nicht snzulegen, da der Druck auf den durch die Kelotomie emporge¬ 
zogenen Hoden nicht vertragen wird. Radikaloperation: Im Niveau des Halses 
bildet sich ein Divertikel des früheren Brachsacks. Seiden-Ligatur des Halses, 
Durchtrennung des Samenstrangs, Exstirpation des Brachsacks nnd Hodens. Der 
unterbundene Hals und das centrale Ende des Samenstrangs werden in die Bauch¬ 
höhle reponirt, die Pfeiler der Leistenöffnung durch Seidennähte genähert. Ia 
22 Tagen complete Heilung. Die Hernie hat sich nicht wieder gezeigt, als der 
Patient kürzlich (wie lang nach der Operation?) untersucht wurde. 

2. Fall. Rechtsseitige eingeklemmte Inguinoscrotalhernie, Operation (27. Jans.) 
derselben und Naht des Bruchringes (mit Catgat) ohne Eröffnung des Brachsacks. 
In 21 Tagen complete Heilung, Hernie aber recidivirt; der Kranke wird wegen 
acut-anämischen Zustandes auf die interne Klinik transferirt, woher er nach 
einigen Tagen mit abermaliger Einklemmung zurückkehrt; Reduction der Hernie 
in der Narcose; doch bleibt der Bauch empfindlich und die Stühle sind graulich 
und fadenförmig; Temp. 39*4°. Am 14. März geht eine membranöse Rohre ab, 
von 12 Ctm. Länge, welche mikroskopisch als das abgestossene Intussusceptom 
des Darmes erkannt wird. Die herniöse Geschwulst machte wegen ihrer Grösse 
das Anlegen eines Bandes unmöglich und man versuchte auf dringendes Verlangen 
des Kranken die Radicalcur. In dem eröffneten alten Bruchsack fand man keine 
Darmschlinge, keine Communication mit der Bauchhöhle, dennoch Ligatur des 
Halses mit nicht gekochter Seide und paitielle Exstirpation des Sacks; Annähe¬ 
rung der Pfeiler der Brucbpforte, indem man auch den Brachstiel in die Naht 
mitfasst. In 24 Tagen Heilung bis auf eine kleine Fistel. Der Operirte trägt kein 
Band, beim Husten ist der Anprall beiderseits gleich. Der Finger kann nicht in 
die rechtsseitige Leistenöffnung eindringen. 

3. Fall. Hernia ingninoscrot. sin. incarc. (Epiplocele) Reduction nach meh¬ 
reren Versuchen und Benutzung eines Bandes mit Erfolg. Nach einiger Zeit 
Wiederauftreten der Hernie, welche schmerzhaft ist, sonst keine Incarcerations- 
erscheinangen. Radicaioperation: Das vorgefallene lipomatös degenerirte Netz¬ 
stück wird in 6 Partien abgebunden, abgetragen; die Ligaturen von nicht ge¬ 
kochter Seide werden nach aussen geführt und fallen später ab. Der Ring mit 
dem Netzpfropf vernäht. Am 2. Tage acute Hydrocele. In ca. 20 Tagen Heilung; 
Bruchband wird einige Zeit noch getragen; keine Recidive. 

4. Fall. Hern. ing. d. Circa vor 7 Monaten plötzliche Zunahme des angeborenen 
Leidens. Bruchband hält die Hernie nicht mehr zurück. Radicaioperation: Er¬ 
öffnung des Sacks, Reduction der Schlingen, Leistenöffnung für mehrere Finger 
durchgängig; Bruchsack wird vom Halse abwärts 5 Ctm. weit vernäht, um die 
vagino-peritoneale Communication so viel als möglich zu verkleinern; die Pforten¬ 
pfeiler werden mit carbolisirter Seide vernäht; Drainage mit decalcinirten Knochen- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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röhren (Eamarch-Neuber), am 6. Tage erster Verbandswechsel, Drainröhren 
resorbirt; leichte Eiterung, am 15. Tage Heilnng vollständig. Patient trägt kein 
Band; Darmanprall beiderseits gleich. 

Cap. VI. Folgerungen: Die Unterbindung des Bruchsackhalses 
und dessen Abtragung unter der Ligatur bilden Hauptpunkte der Radi- 
caloperadon. Der bis zum Orif. int. zurtickgeschobene Stiel bildet durch 
seine Anheftungen ein Hinderniss für den ' Austritt der Dannschlingen; 
die Anwendung des Catguts begünstigt die Erreichung dieses Zweckes. 
Wenn der Hals nicht ganz abgebunden werden kann, so führe man die 
transversale Naht des Sacks, aber auf eine längere Strecke (4 F.) aus. 
Die Escision des Sacks, total und partiell, vermindert durch Bildung von 
Narbengewebe die Möglichkeit der Recidive. 

Die Naht der Bruchpfortenpfeiler für sich ist werthlos; doch führe 
man sie immer (und zwar mit Czerny’scher Seide, nicht mit Catgut, 
wegen seiner raschen Resorption) aus, da sie die Consolidation der An¬ 
heftungen zwischen Stiel und Orif. int. fördert, indem sie einige Zeit 
dem abermaligen Vorfälle der Därme Widerstand leistet. 

Die Anwendung der Esmarch’schen Drainröhren ist anzurathen, 
da sie die Bildung von Fisteln, und daher von weniger widerstands¬ 
fähigen Stellen verhindern. M. 

598. Grosses Fibrom der Bauchdecken, Exstirpation mit Eröffnung 
der Bauchhöhle. Heilung. Aus der chirurgischen Universitäts-Klinik des 
Prof. Dr. C. R. v. Rzehaczek in Graz. Von Dr. Ludwig Ebner. 
(Sep.-Abdr. der Berl. klin. Wochenschr. 1880, Nr. 37.) 

Die Zahl der bisher mitgetheilten Fälle von Exstirpationen binde¬ 
gewebiger Neubildungen der Bauchdecken ist eine relativ geringe. Johanna 
S., 25 J., kam Ende März 1879 auf die chirurgische Klinik zur Aufnahme. 
Vor 5 Jahren normale Geburt. Vor beiläufig einem halben Jahre hat 
Pat. nach ihrer Angabe sich aufrecht stehend schwere Mehlsäcke auf ihre 
Schultern laden lassen, wobei sie plötzlich in der Mitte der vorderen 
Bauchwand einen brennenden Schmerz fühlte, ohne aber denselben weiter 
zu beachten. Bald darauf bemerkte sie beiläufig eine Hand breit unter 
dem Nabel in der Medianlinie des Bauches einen harten, unter der Haut 
leicht verschiebbaren Knoten. Gegen Ende Jänner 1879 fühlte Pat. wieder, 
jedoch ohne besondere Veranlassung, einen brennenden Schmerz in der 
Gegend jener Geschwulst. Darauf hin wuchs der Tumor rasch und ver¬ 
ursachte ihr Schmerz und Druck. 

Pat. sieht gut aus. Eine Hand breit unter dem Nabel und ebenso 
weit von der Symphyse entfernt, ein 15 Ctm. breiter und 19 Ctm. hoher 
Tumor in der vorderen Bauchwand sitzend, wird durch die Linea alba 
in zwei fast gleich grosse Hälften getheilt, doch liegt die etwas grössere 
Partie links von der weissen Linie. Der Tumor ist unter der allgemeinen 
Decke verschiebbar und zwar nach rechts derart, dass die Linea alba 
eine Tangente zum linken Rande des fast kreisförmigen Umfanges der 
Geschwulst bildet, während längs der Medianlinie des Körpers die Bewegung 
eine behinderte ist. Die diastasirenden Musculi recti begrenzen links und 
rechts den hart anzuftihlenden Tumor, der jedoch bei Druck nicht 
empfindlich ist. Der linke M. rectus folgt der Bewegung des Tumors, 
dessen Rand nur schwer umfasst werden kann, einigermassen nach rechts. 
Der Percussionsschall über der Geschwulst ist gedämpft mit einem schwachen 
tympanischen Beiklang, geht aber an der Grenze derselben allenthalben 
I in den hellen, vollen tympanitischen Schall über. 

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Medicini8ch-chirargigche Randschau 


Prof. v. Rzehaczek stellte somit die Diagnose: Fibröser Tumor 
der Bauchdecken und zwar der tieferen Schichten derselben, entweder von 
der hinteren rechten Rectusscheide oder von der Fascia transversa ent¬ 
springend. Da bei der Ausdehnung und der Dicke der Geschwulst eine 
innige Verwachsung mit dem Peritoneum als höchst wahrscheinlich 
angenommen werden musste, sowie auch eine etwaige Verwachsung mit 
dem Netze nicht unbedingt ausgeschlossen werden konnte, wurden die 
Vorbereitungen zur Exstirpation, ähnlich wie zur Ovariotomie getroffen. 

Am 4. April 1879 führte Prof. v. Rzehaczek die Exstirpation 
des Tumors unter Anwendung der strengsten Antiseptik aus. Ein 
beiläufig 17 Ctm. langer Hautschnitt in der Linea alba bringt alsbald 
die glatte, harte Oberfläche des Tumors zu Gesicht. Nun werden die 
lockeren Verbindungen der Haut mit der Geschwulst stumpf getrennt, 
sodann beide ohnehin stark diastasirenden Mm. recti mit stumpfen Haken 
über die grösste Peripherie der Geschwulst gedrängt und die innige 
Verbindung des linken Randes der Geschwulst mit dem linken Recte* 
mittelst des Messers getrennt, so dass einige Muskelbündel an der Geschwulst 
haften bleiben. An die hintere Fläche der Geschwulst gelangt, wird ein 
kurzer Versuch gemacht, dieselbe von ihrer dünnen Unterlage abzupräpa 
riren, wobei ein Riss im Peritoneum entsteht, durch den sich Dünndarm¬ 
schlingen mit Gewalt hervordrängen. Während nun wohldesinficirte Hände 
die Gedärme zurückschieben, wird die Geschwulst leise emporgezogen 
und rasch mit zwei halbkreisförmigen Schnitten sammt ihrem Peritoneal- 
überzuge entfernt. Da weder aus den Wundrändern, noch aus der 
Geschwulst selbst eine nennenswerthe Blutung stattfand, wurde nach kurzer 
Inspection der Bauchhöhle, die Bauchnaht in der Weise angelegt, dass 
das Peritoneum mit in die Schlingen gefasst wurde, was trotz des Ab¬ 
ganges einer Peritonealfläche von beiläufig 150 Qu.-Ctm. bei der ziemlich 
grossen Schlaffheit der Bauchdecken leicht gelang, worauf ein Li st er- 
scher Verband angelegt wurde. 

Die zunächst eingeschlagene Therapie bestand in Verabreichungen 
von Eispillen und mässigen Quantitäten Opium. 

Der weitere Verlauf war ein günstiger. Am 11. Mai verliess Pat. 
mit einer elastischen Bauchbinde, die mit einer Pelotte versehen war, 
das Krankenhaus. Bei ihrem Austritte aus der Anstalt wurde ihr ern- 
geschärft , sich am Jahrestage der Operation wieder vorzustellen oder 
wenigstens ein schriftliches Lebenszeichen von sich zu geben. Obwohl 
dieser Aufforderung nur in wenigen Fällen Folge geleistet wird, stellte 
sich Pat. schon im November wieder vor. Sie erfreute sich des besten 
Wohlseins, nur war die Diastase der Recti eine beträchtliche und drängten 
sich beim Ablegen der Binde eine ziemliche Menge der Dünndärme vor. 
Die Narbe war schön eingezogen und zeigte eine Länge von 16 Ctm. 
Die Menses waren 3 Monate nach der Operation in ihrer früheren Regel¬ 
mässigkeit wieder eingetreten. 

Die mikroskopische Diagnose der Geschwulst (Prof. Kund rat; 
ergab Fibroma simplex. 

Verf. bespricht noch mehrere der obigen Beobachtung ähnliche Fälle 
anderer Autoren, bezüglich welcher wir auf das Original verweisen. 

Zum Schlüsse macht Verf. auf ein bisher nicht beobachtetes ätio¬ 
logisches Moment aufmerksam. In dem hier geschilderten Falle fühlte 
nämlich die Kranke beim Aufladen einer grossen Last in aufrechter 
Stellung einen brennenden Schmerz in der Mittellinie des Bauches, welche 
nach Verf. Meinung durch einen Einriss oder durch eine bedeutende 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Zerrang der aufs ftusserste gespannten Recti abdominis und ihrer Scheide 
hervorgebracht worden war. Derartige Zerrungen und Einrisse mögen 
auch während des Verarbeitens der Wehen Vorkommen, denn thatsächüch 
hatten in fast allen mitgetheilten Fällen die Franen nicht allzu lange 
vor Entdeckung der Geschwulst entbunden. Auch Suadicani (Ueber 
Geschwülste in den Bauchdecken und deren Exstirpation. Inaug.-Dissert., 
Kiel 1875) fällt es auf, dass alle Frauen, bei denen Tumoren in den 
Baachdecken beobachtet wurden, häufiger geboren hatten, und meint, dass 
wohl die Dehnung und Zerrung, welche die Bauchdecken während der 
Schwangerschaft erfahren, als eine Entstehungsursache angesehen werden 
können. Gr ätz er (Inaug.-Dissert., Breslau 1879) hingegen findet diese 
Ansicht hinfällig, da doch auch Mädchen, welche noch nicht geboren 
haben, sowie Männer von diesen Tumoren ergriffen werden. — Nun 
könnten in den letztgenannten Fällen, sowohl bei Mädchen, wie anch bei 
Männern, ähnliche Momente eingewirkt haben , wie bei diesem Falle, 
und ebenso brauchte bei Weibern, welche geboren haben, auch 
nicht der schwangere Uterus ein Trauma vollbracht zu haben, sondern 
die Spannung der Recti und ihrer Scheiden während des Geburtsactes 
konnte immerhin eine Zerrung, vielleicht sogar einen Einriss derselben 
veranlasst haben. Es soll hiermit nicht gesagt sein, dass die von 
Grätzer vertheidigte Conheim’sche Hypothese von der embryonalen 
Anlage nicht ihre volle Berechtigung haben könne. 0. R. 


599. Chirurgische Erfahrungen zur Empyem-Operation. Von Dr. 
Starke. (Charitä-Annalen, Bd. V. Ctrlbl. f. Chir. 1880. 55.) 


Verf. gibt in kurzen Zügen einen interessanten Ueberblick über den 
heutigen Stand der chirurgischen Empyembehandlung mit kritischer Be¬ 
leuchtung der verschiedenen Behandlungsweisen an der Hand eigener 
Erfahrungen. Er steht auf dem Standpunkt der strengsten Antisepsis. 
Die jetzt von den Chirurgen allgemein anerkannten Grundsätze bei der 
Empyembehandlung: Entleerung des Eiters und ausgiebige Drainage der 
Pleurahöhle zur Vermeidung jeder Secretstagnation, sind natürlich die 
Cardinalpunkte, die Verf. fordert. 

Zur Sicherung der Diagnose wird die Probepunction mit der 
Pravaz’schen Spritze empfohlen. Ist die Function an der hinteren Seite 
erfolglos, was bei aufgelagerten Pseudomembranen sehr häufig sich 
ereignet, so darf dies nicht, wenn überhaupt Empyem constatirt ist, von 
der Incision an dieser Stelle abhalten. Diese muss immer auf der Rücken¬ 
seite gemacht werden. Auch etwa vorhandenes Oedem darf für die Wahl 
des Einstichs nicht massgebend sein. Dasselbe deutet wohl auf Empyem, 
schwindet aber nach der Entlastung und erfordert keine Behandlung. 
Extrahirt man wider Erwarten seröse Flüssigkeit, so unterlasse man nicht, 
an mehreren Stellen und namentlich an tiefer gelegenen, zu exploriren, 
denn, wie die serös-hämorrhagischen und serös-eitrigen Exsudate sich nach 
der Entleerung in einem Glascylinder schichtweise sondern in einen oberen 
serösen und unteren blutigen, resp. eitrigen Theil, so kann auch die 
Lagerung in der Brusthöhle in gleicher Weise stattfinden. 

Bezüglich des Fiebers als diagnostischen Hilfsmittels weist Verf. 
darauf hin, dass bei heruntergekommenen Pat. die Temperaturbewegung 
in den für Gesunde normalen Grenzen oft die Dignität pathologischer 
Steigerung hat, dass hier oft der Abfall in die subnormalen Linien 
erst die Norm bedeutet. 

Ist Empyem constatirt, so muss möglichst bald operirt werden. 


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Medicinisch-chinirgische Rundschau. 


Vielleicht darf man bei Kindern in frischen Fällen den Versuch machen, 
durch Aspiration zu heilen; für Erwachsene ist diese zu verwerfen und 
die Eröffnung durch den Schnitt das allein rettende Verfahren. Man 
gebrauche dreist Chloroform; es genügen meist kleine Mengen. Zur 
Operation empfiehlt sich ein einfaches Messer, mit dem man auch den 
Ausfluss des Exsudates in der Weise zweckmässig reguliren kann, dass 
man die Klinge durch Drehen in grösserem oder kleinerem Winkel inr 
Schnittrichtung stellt und dadurch die Wunde mehr oder weniger klaffen 
macht. 

Wo soll man incidiren? Die dauernde Entleerung wird am besten 
von der Rückseite bewirkt. Hier will St. principiell incidiren. Nur wenn 
bei sehr grossen Exsudaten jede Bewegung gefährlich werden könnte, will 
er eine provisorische Oeffnung an der Brustseite machen, zur schnellen 
Entlastung, und darauf die Rückenwunde anlegen. Also Entlastung an der 
vorderen Seite, dauernde Behandlung von der Rückseite. Die Oeffnung 
muss an der abhängigsten Stelle des Rückens liegen. Küster, der immer 
die Doppelincision macht, bestimmt den tiefsten Punkt durch eine in die 
vordere Oeffnung eingeführte lange Sonde. Dies soll nach St. manchmal wegen 
der schnellen Ausdehnung der Lunge nicht möglich sein. Für ihn ist der 
Stand des Zwerchfelles entscheidend. Der Intercostalraum, der zunächst 
über der Schallgrenze liegt, ist der zu eröffnende. Auch darf der abhängige 
Punkt nicht am sitzenden, sondern am liegenden Pat. beurtheilt werden. 
Der Schnitt muss die Richtung des Intercostalraumes haben und bei 
gesenktem Arm angelegt werden. Die Entleerung des Exsudates muss 
langsam vor sich gehen, in Rücksicht auf die wahrscheinlichen Adhärenzen 
mit ihren zarten Gefässen und auf die langsame Entfaltung der Lunge, 
vor Allem aber wegen der Gefahr der Loslösung wandständiger Gerinnsel 
aus dem Herzen. Die enormen Volumina der entleerten Empyeme lehren, 
dass die Druckdifferenz an und für sich nicht gefährlich ist, sondern nur 
die rasche Verminderung der Belastung. 

Wann soll man eine Rippe reseciren? Verf. ist nicht für die 
principielle Rippenresection. Für ihn ist die Beschaffenheit des Exsudates 
und die Grösse der durch Schnitt erhaltenen Oeffnung massgebend. Sero¬ 
purulente, serosanguinolente, geruchlose, homogene eitrige Flüssigkeiten 
finden auch durch kleinere Oeflnungen genügenden Abfluss. Sind dem 
Exsudate putride Fetzen, Gerinnsel etc. beigemengt, so vermeide man die 
Gefahr des Zurückbleibens solcher Infectionsträger, schaffe eine grosse 
Oeffnung, resecire eine Rippe. Nach der Resection folgt die Untersuchung 
der Wundöffnung und der Thoraxhöhle. Man suche namentlich an der 
Rückenwand nach Auflagerungen, Fibringerinnseln, Lungenfetzen, im 
Kriegsfall nach fremden Körpern. (Ref. führte wiederholt ein Milchglas- 
speculum in die Wunde, durch welches sich mit Hilfe eines Reflectore die 
ganze Pleurahöhle bequem absuchen liess, und entfernte massige Ge¬ 
rinnselauflagerungen mit dem langen Simon ’schen scharfen Löffel.) 
Solche Beimengungen kommen namentlich vor bei Pleuropneumonie und 
bei Exsudaten, welche sich an pyämische und putride Processe der Pleura 
und der Lungen anschliessen. Sie erfordern eine energischere Desinfectkm 
als die homogenen Exsudate. 

Mit welcher Flüssigkeit soll man die Empyemhöhle ausspülen? St. 
wendet die gut antiseptisch wirkenden und doch reizlosen Borsäurelösungen 
zur Ausspülung und zum Spray an. Er nimmt eine zehnpercentige warme 
Lösung, der er noch eine Kochsalzlösung, bei putriden Exsudaten von 
10 Percent, bei aseptischen von 2 , / a —5 Percent zusetzt. Durch diesen 

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Medicixrisch-chirurgische Rundschau. 


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Zusatz erhöht er nicht nur die antiseptiBche Wirkung, sondern auch das 
specifische Gewicht der Flüssigkeit zu dem Zwecke, die in den tiefsten 
Recessus und Falten der Complementärräume restirenden Eitermassen und 
etwaige Gerinnsel leichter zu heben. Eiter hat ein specifisches Gewicht 
von circa 1033, eine zehnpercentige Na Cl-Lösung ein solches von 1075. 

Der Pleuraraum muss gut ausgespült werden. Die Spülflüssigkeit 
muss durch entsprechende Bewegungen des Thorax nach seitwärts, rttck- 
und vorwärts alle Eiterreste und Fetzen in Bewegung setzen und fort- 
schwemmen. 

Zur Offenhaltung der Incisionswunde benützt St. eine 5 Ctm. lange, 
fingerdicke, zinnerne Canüle, welche durch ein handgrosses Zinnschild 
gesteckt ist, an dem sie niit einer Binde um den Thorax befestigt wird. 
0ummidrain8 werden oft comprimirt oder durch die Hustenstösse heraus¬ 
geschleudert, fallen auch gelegentlich einmal in den Pleuraraum hinein. 
Das Durchziehen eines langen Drains bei Doppelincision wird wider- 
rathen, weil dadurch die Lunge irritirt werden könne. 

Beim Verbände widerräth St. die feste Compression, namentlich 
mit Gummibinden wegen der dadurch entstehenden Athembeschwerden. 
In den ersten Tagen ist der Kranke genau in Bezug auf die Durch¬ 
gängigkeit der Canüle zu überwachen. Meist hört man durch den Verband 
die Luft ein- und austreten. Verschwindet das Geräusch, so controlire 
man den Verband. 

Eine Ausspülung ist nur zu wiederholen, wenn Fieber eintritt, 
besonders bei den mit Gerinnseln und Fetzen vermischten Exsudaten. 
Hier nähere man sich mit den häufigen Verbänden der Methode der 
permanenten Irrigation, dem bei putriden Processen wirksamsten Mittel. 

Die Lagerung ist so zu bewirken, dass die Operationswunde stets 
dem tiefsten Punkte des Rückens entspricht. Dem Wunsche, hoch zu 
liegen, entspricht man am besten durch eine Nackenrolle, während der 
Rücken annähernd wagrecht liegen bleiben kann. Es wird König’s 
Rath empfohlen, den Kranken öfter, namentlich Nachts, am Becken zu 
erheben, um das Secret ausfliessen zu lassen. Es darf nicht ein Ess¬ 
löffel Eiter restiren. Bleibt derselbe, so ist die Oeffnung nicht richtig 
localisirt. Lieber den Schnitt erweitern oder anderwärts anbringen, als 
immer wieder ausspülen. 

Nach Heilung der Wunde erreicht man bei jungen Leuten bezüglich 
Wiederausdehnung der Lungen und des Thorax vorzügliche Resultate mit 
der bekannten Lungengymnastik, bei älteren begnüge man sich mit der 
Heilung der Wunde. 

600. Ueber das Lichenoide der Zunge. Von Dr. Vanlair. 
(Revue mensuelle dem^decineet de Chirurgie 1880. Nr. 1 u. 3. Centralbl. 
f. Chir. 1880. 36.) 

Als Lichenoide lingual bespricht Verf. eine vor Kurzem von 
Gubler zuerst beschriebene, noch wenig bekannte Affection der Zunge 
und theilt 3 eigene einschlägige Beobachtungen mit. Die in Rede stehende 
Krankheit charakterisirt sich durch das Auftreten verschieden grosser, 
isolirter oder mit einander confluirender rundlicher Flecke von lebhaft 
rother Färbung; sie sind von einem mehr breiten als hohen, sich deutlich 
von der Umgebung abhebenden, festen Wulst von mattweisser Farbe 
begrenzt. Im Bereiche dieser Flecke sind die Papillae filiformes ver¬ 
schwunden, die Papillae fungiformes erhalten; in Folge dessen ist der 
Grund derselben im Ganzen leicht eingesunken, jedoch mit abgerundeten, 

Med.-chir. Rundschau. 1880 . Digitized by Google 



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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


platten Erhabenheiten besetzt. Die Krankheit beginnt an der Spitze oder 
der Basis der Zunge und verbreitet sich von da bald langsamer, bald 
rascher über fast die ganze Rückenfläche, in einzelnen Fällen kann sie 
auch auf die untere Fläche der Zunge übergreifen. Daselbst ändern die 
Flecke ihr Ansehen; ihr Grund nimmt eine bläuliche, der begrenzende . 
Wulst eine lebhaft rothe Färbung an. Der Verlauf der Krankheit ist 
äusserst hartnäckig. Während an einzelnen Stellen der Process zur Heilung 
sich anschickt, schreitet er an anderen Stellen vor. 

Auf Grund der beobachteten Fälle und auf Grund histologischer 
Untersuchung (die, da die Kranken eine Excision befallener Partien der 
Zunge nicht gestatteten, sich allerdings auf kleine, abgeschabte Stückchen 
beschränken musste) erklärt Verf. die Affection für eine subacute Ent¬ 
zündung der Papillen, besonders der P. filiform, mit consecutiver Atrophie 
derselben. Mikroorganismen spielen nach Verf. bei dem Processe keine 
active Rolle, wenngleich sie in Form des Leptothrix buccalis zahlreich 
in den abgeschabten Stücken gefunden werden. Der Lichen linguae macht 
nur geringe subjective Symptome. Das Tast- und Geschmackgefühl ist 
gewöhnlich vollständig intact; Schmerzgefühl fehlt bald vollständig, bald 
ist es als leichtes Brennen etc. vorhanden. Die ätiologischen Momente 
sind wenig bekannt; nur das scheint aus den wenigen Beobachtungen 
hervorzugehen, dass das weibliche Geschlecht für die Erkrankung prä* 
disponirt ist. Von den übrigen Erkrankungen der Zunge, z. B. der Psoriasis, 
den Plaques muqueuses, dem Epitheliom etc., unterscheidet sich der Lichen 
linguae zur Genüge durch die charakteristische Beschaffenheit der Flecke, 
das Beschränktbleiben auf die Zunge etc. 

Die Behandlung des Uebels (localerweichende und adstringirende 
Mittel, leichte Aetzung, innerlich Ferr. prodojoduret., Arsenik etc. etc.) 
hat in den bisher beobachteten Fällen nur eine Besserung, nie eine, 
Heilung erzielt. Einmal erlosch das Leiden in wenigen Wochen spontan, 
vielleicht Hessen sich durch mehr energische Mittel (Abkratzung, Aetzung) 
bessere Erfolge erzielen. 5 

601. Ueber Cephalocele. Von Dr. E. Röchelt. (Wr. med. 
Wochenschr. 1880. 39). 

Im November 1878 wurde Verf. zu einem neugeborenen Kinde 
gerufen, mit der Bitte, eine am Kopfe desselben aufsitzende Geschwulst 
zu entfernen. Er fand ein ziemUch kräftiges, sonst normal entwickelte^ 
Kind (Mädchen), an dessen Hinterhaupte sich eine Geschwulst von fast 
derselben Grösse wie der Kopf selbst befand. Der Occipitofrontalumfang del 
Kopfes betrug 30 Ctm., der gerade Kopfdurchmesser 10 Ctm., der grösste" 
Umfang der Geschwulst in der Sagittalebene 28 Ctm., der Längsdurch¬ 
messer derselben von vorn genommen 10 1 / 2 Ctm. 

Die Geschwulst war von rundlicher Form, sass am Hinterkopfe in der 
Gegend der Fontanelle mit einem Stiele anf und war von normal gefärbter, falt¬ 
barer, nur im vorderen Antheile mit spärlichem Haarwuchs versehener Haut 
bedeckt. Sie zeigte überall deutliche Flnctuation, war im durchfallenden Lichte 
deutlich durchscheinend, zeigte keine Pulsation, vergrösserte auch ihr Volumen 
nicht merklich beim Schreien. An dem Stiele, welcher die Verbindung mit dem 
Kopfe herstellte, war die Consistenz teigig-weich, man konnte an dieser Stelle mit 
den Fingern eine von glatten Knochenrfindern begrenzte, fast ovale Knochenlücke 
tonchiren, welche der hinteren Fontanelle entsprach und sich auf Kosten des 
Hinterhaupttheiles (Hyrtl) des Os occipitis bis nahe zur Protuberantia occipiiis 
herab erstreckte. Das Kind zeigte keine besondere Unruhe, nahm die Brust und 
befand sich sichtlich wohl. Wenn man die Geschwulst umfasste, liess sich durch 
leisen Druck ihr Umfang um ein Geringes verkleinern; das Kind wurde dabei 
unruhig und schrie, doch zeigte sich kein Zeichen starken Hirndruckes. 


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Mediciniach-chirorgiache Rundschau. 


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Yerf. stellte die Diagnose Hydrencephaloeele, erklärte den Eltern, dass 
man bei diesem Zustande rationell leider nichts thun könne, und verschaffte einen 
die Geschwulst umfassenden, sehr gut mit Watta gepolsterten Schutz verband aus 
Pappendeckel, durch längere Zeit stellten sich keinerlei Störungen der Gehirn« 
functionen ein, das Kind gedieh körperlich sehr gut, aber auch die Hydrencephaloeele 
vergrÖ84erte sich ständig. Die Oberhaut war mittlerweile am hintersten Antheile 
der Geschwulst glänzend und geröthet geworden, und da Verf. einen Aufbruch 
befürchtete, legte er einen Lister’schen Verband unter die Schutzkappe. Als 
ein Aufbruch jedoch unvermeidlich schien, und die Eltern immer wieder auf eine 
Operation drangen, war B. bereit, eine Operation zu wagen, doch während einer 
achttägigen Abwesenheit des Yerf. hatten die Eltern dasselbe zu einem Ope¬ 
rateur im äusserBten Süden Tirols gebracht und dieser unternahm die Operation, 
er band die Geschwulst ab; das Kind starb. 

Aus einer Bchriltlichen Mittheilnng des Operateurs entnimmt Yerf., dass 
die Geschwulst am 3. Tage nach Anlegung der Ligatur abgefallen sei und dass 
das Band in Folge Blutung aus dem Stiele (?) gestorben sei. In der Ge¬ 
schwulst selbst fand sich zum grössten Theile Liquor cerebrospinalis nnd nur ein 
ganz kleiner Antheil von Grosshirn. Die Lücke im Schädel war ungefähr 1 Zoll 
im Durchmesser. 

Es ist noch nicht lange her, dass der operativen Chirurgie durch 
die colossalen Erfolge der Lister’schen Heilmethode Gebiete zugänglich 
gemacht wurden, die derselben von jeher verschlossen gewesen waren. 
Die Arthrotomien, die Spaltung der Ganglien, Eröffnung der Sehnen¬ 
scheiden, die Laparotomien etc. etc., sie alle sind Bereicherungen, die 
uns die neueste Zeit gebracht und die zum grossen Theile auf der Prä¬ 
misse beruhen, dass es dem Operateur möglich ist, eine gesetzte Wunde 
ohne Eiterung und geschützt gegen jede septische Infection zur Heilung 
zu bringen. Yerf. spricht sich daher aus, dass auch die Hydrencephalocelen 
nunmehr mit in das Gebiet der operativen Chirurgie fallen und dass er 
eine Operation hiebei unter folgenden Umständen fllr vollkommen 
gerechtfertigt halte: 

1. Wenn die Hydrencephaloeele gross ist. Der Schutz verband ver¬ 
mag bei grösseren Hydrencephalocelen nicht absoluten Schutz gegen alle 
Insulten zu bieten, das Individuum schwebt in steter Lebensgefahr und 
in der Regel kommt es zu einem Aufbruche der Geschwulst, den der 
Kranke nur in den seltenen Fällen übersteht. 

2. Wenn die Geschwulst eine Meningocele oder Hydrencephaloeele 
ist, d. h. wenn ihr Inhalt blos aus Cerebrospinalflüssigkeit oder zum 
grösseren Theile aus dieser und einem kleineren hineinragenden Gehirn- 
antheile besteht. Erfahrungsgemäss erreichen ferner wahre Encephalocelen 
nicht die Grösse, die bei Meningo- und Hydrencephalocelen gewöhnlich 
ist. Letztere Formen kommen in besonderer Häufigkeit am Hinterhaupt (Fon¬ 
tanelle) Tor, ihre Compression ruft in der Regel nicht jene starken Symptome 
von Hirndruck hervor, die bei Druck auf reine Encephalocelen aufzutreten 
pflegen. Je mehr Gehirn in der Cephalocele vorgelagert ist, desto kleiner 
ist auch im Allgemeinen der Schädel (Rokitansky), man kann daher, 
wenn die Grösse des Kopfes dem Alter des Individuums entspricht, fast 
mit Sicherheit das Vorhandensein einer grösseren Menge Liquor cerebro¬ 
spinalis annehmen. Freilich wäre auch noch wichtig, zu entscheiden, 
ob, wenn eine Hydrencephaloeele angenommen wird, ein hydrocephalisch 
erweiterter Ventrikel, umspült von etwas Liquor cerebrospinalis, vorlagere, 
oder ob ein normal entwickelter Hirnantheil in diese hineinrage. Diese 
Differentialdiagnose dürfte jedoch, ausser man hat Grund, einen allge¬ 
meinen Hydrocephalus anzunehmen oder auszuschliessen, vor Eröffnung der 
Geschwulst kaum mit Sicherheit zu stellen sein. 

3. Hängt die Möglichkeit, durch eine Radicaloperation eine Heilung 
der Hydrencephaloeele herbeizuftihren, ab von der Grösse der Knoclien- 

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Medicinißcb-chimrgiscbe RandBchan. 


lücke. Ist diese sehr gross, wird es schwer sein, die reponirte Hirnmasse 
(wenn es sich nicht um eine reine Meningocele handelt) zurückzuhalten, 
ist sie klein, wird vielleicht die Reposition nach der Operation auch nach 
Abfluss des im Schädelraume befindlichen Liquor cerebrospinalis nicht 
gleich und leicht gelingen, aber die Retention ist jedenfals gesicherter. 
Ferner ist jedenfalls das Alter des Individuums von grosser Wichtigkeit. 
Bei einem Kinde, bei welchem die Nähte des Schädels noch nicht ver¬ 
knöchert sind, wo also eine gewisse Ausdehnung des Schädelraumes 
noch leicht erzielbar ist, sind die Chancen einer definitiven Heilung 
jedenfalls grösser, als bei Erwachsenen, wo der Schädel ein festes, unnach¬ 
giebiges Gehäuse vorstellt. 

Verf. schildert die Operation selbst, wie er sich selbe für den oben 
angeführten Fall ausgedacht und sie wohl auch zur Ausführung gebracht 
hätte, wenn das Kind in Meran verblieben wäre. „Ich würde zuerst 
durch eine unter Spray vorgenommene Punction die freie Cerebrospinal* 
fltissigkeit entleeren. Bevor man etwas Weiteres unternehme, würde man 
dann sofort über die Menge der vorgelagerten Hirnmasse einen sicheren 
Aufschluss bekommen. Es wäre auch denkbar, dass schon jetzt, da die 
im Schädelraume befindliche Cerebrospinalflüssigkeit mit ausfliessen kann, 
der vorgelagerte Hirntheil in das Schädelcavum reponirbar ist, ja viel¬ 
leicht von selbst hineingleitet. Dann würde ich bei strenger Beobachtung 
der Lister’schen Cautelen die weichen Schädeldecken gespalten haben, 
hierauf ebenso die den Bruchsack bildende Dura mater, würde dann noch 
etwa vorliegende, leicht reponirbare Antheile des Hirns durch die Knochen¬ 
lücke zurückzuführen suchen und hierauf die Dura nach etwaiger Excision 
eines halbmondförmigen Stückes von beiden Seiten der Wände mit Catgut 
vernähen, ein Drainagerohr einlegen, die weichen Schädeldecken ebenfalls 
adaptiren, eventuell ein Stück excidiren, vernähen und listerisch verbinden/ 

Bei der Radicalheilung durch Ligatur des Tumors weiss man 
nicht, welchen Gehirnantheil man mit in die Ligatur fasst Die Punc¬ 
tion, wenn sie günstig verlief, gewährte keine Radicalheilung, weil der 
ausgeflossene Liquor cerebrospinalis sich häufig rasch wieder ersetzte und 
der alte Zustand auftrat. Die Spaltung des Sackes aber war wegen der 
eintretenden Eiterung und der regelmässig folgenden eitrigen Meningitis 
verrufen. Bei der Anwendung des Lis ter’schen Wund verfahrene kann 
jedoch der Operateur die Eiterung der Wunde absolut sicher hintanhalten. 
Durch das Drainagerohr wird die in den ersten Tagen noch vermehrte 
Cerebrospinalflüssigkeit, sowie das Wundsecret abgeleitet werden. 

Was die Blutung betrifft, die bei Durchschneidung der Dura mater 
eintreten dürfte, so ist vor Allem zu berücksichtigen, dass die Dura 
mater bei allen Hydrencephalocelen grösseren Umfanges stark ausgedehnt 
und verdünnt ist, es werden kaum jemals die am Schädeldach adhärenten 
Sinus in die Geschwulst sich hineinstrecken. 

„Es dürfte somit diese Operation, bei der man genau die anatomi¬ 
schen Verhältnisse überblicken kann und durch welche es, voraussichtlich 
ohne zu bedeutende Gefahr möglich sein dürfte, ein Leiden zu beheben, 
welchem die meisten Individuen, die damit behaftet sind, in frühem Alter 
erliegen, gerechtfertigt sein. Im ungünstigeren Falle, wenn der mit vor¬ 
liegende Antheil des Gehirnes nicht reponibel ist, mache ich aus der 
Hydrencephalocele eine Encephalocele, ein Vorgang, der, nur mit bedeutend 
grösserer Gefahr, durch spontanen Aufbruch der Geschwulst sich hie und 
da ereignet. Die Encephalocele selbst ist natürlich ein Noli me tangere; 
sie ist aber nicht von solcher Grösse, kann leichter durch einen Schutz- 


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Mediciniach-chirurgisdie Rundschau. 


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verband gedeckt werden und die damit behafteten Individuen erreichen 
hie und da, wie ein in der Münchener anatomischen Sammlung aufbe- 
wahrtes diesbezügliches Präparat beweist, ein höheres Alter.“ 


602. Ein neuer Nabelverband. Von R. Dohrn in Marburg. 
(Gynfik. Centrlbl. 1880. Nr. 14. Origmtthlg.) 

Professor Dohrn in Marburg macht einen neuen Vorschlag, 
wie man den zurückbleibenden Nabelschnurrest zu behandeln habe, der 
wohl alle Anerkennung verdienen würde, wenn ihm nicht ein kleiner 
Fehler anhängen möchte, nämlich der, dass er in den grossen Gebär¬ 
häusern , geschweige die Praxis, in welcher die Besorgung der Neugebornen 
vollkommen in die Hände der Hebamme gelegt ist, absolut undurch¬ 
führbar ist. Um einer bei dem hänfigen nothwendigen Wechsel des Ver¬ 
bandes möglichen Infection der Nabelwunde vorzubeugen, soll der Nabel- 
8chnurrest, sowie die Umgebung des Nabels mit einer 2 1 / a °/ 0 igen Carbol- 
lösung abgewaschen werden. Dann soll die Nabelschnur mit einem 
Bändchen, welches längere Zeit in Carbolsäure gelegen, fest unterbunden 
und das überflüssige Stück des Nabelschnurrestes mit der noch daran 
sitzenden früheren Ligatur abgeschnitten werden. Auf und um den Nabel¬ 
schnurrest so 11 eine Lage von Carbolwatte und hierüber ein handgrosses, 
fest anschliessendes Stück Heftpflaster zu liegen kommen. Dieser Verband 
bleibt 7 Tage hindurch unberührt. Entfernt man ihn nach dieser Zeit, 
so findet man den Nabelschnurrest nahezu oder ganz abgelöst. Im 
orsteren Fall schneidet man den noch anhaftenden Verbindungsstrang 
einfach mit der Scheere durch. Eine Nabelbinde braucht man, wenn das 
Pflaster gut haftet, weiter nicht. 

Unter unseren Verhältnissen, wo die Besorgung einer naturgemässen 
Geburt immer der Hebamme überlassen bleibt, hielten wir es für sehr 
bedenklich, eine derartige Besorgung des Nabelstranges einem ungebildeten 
Individuum anzuvertrauen. In gewissen Gebäranstalten mit 6—8 und 
mehr Geburten im Verlaufe nur einer Nacht verbietet sich eine derartige Be¬ 
sorgung wegen der grossen Umständlichkeiten hierbei von selbst. Eher 
zu empfehlen ist dagegen das Verfahren Aerzten, welche selbst mit Kindern 
bescheert werden. Kleinwächter, Innsbruck. 


603. Ein ungünstig verlaufener Fall von Kaiserschnitt nach 
Porro. (Exstirpation des Uterus.) Von Aly in Barmen. (Gyn. Ctbltt. 
1880. 7. Orig.-Aufsatz.) 

Bei einer 22jährigen Erstgebärenden wurde im 9. Monate der 
Schwangerschaft 48 Stunden nach abgeflossenen Fruchtwässern der Kaiser¬ 
schnitt mit Exstirpation des Uterus vorgenommen. Die Person, 140 Ctm. 
hoch, war rhachitisch, das Becken hochgradig verengt, die Conjugata vera 
mass nur 5 Ctm. Der Kopf stand über dem kleinen Becken auf dem 
linken Darmbeine. Die Operation wurde unter dem Karbolspray gemacht. 
Der Bauchschnitt wurde bis unter den Nabel gemacht. Da sich der Uterus 
aus der Bauchwunde nicht herauswälzen liess, musste der Bauchschnitt 
noch um einige Centimeter nach oben verlängert werden. Nun wurde 
der Uterus herausgehoben und ein starker Kupferdraht an einem Mais- 
soneur’schen Constrictor ungefähr in der Höhe des Orificium internum 
herumgelegt, so dass Ovarien und Tuben oberhalb der Schlinge zu liegen 
kamen. Nach mässigem Anziehen des Drahtes wurde der Uterus incidirt 
und ein 45 Ctm. langer, 2900 Grm. schwerer, bereits faultodter Knabe 
mit Nabelschnur und Placenta entfernt. Hierbei floss etwas vom Blute 
und vom sehr übelriechenden Uterusinhalte in die Bauchhöhle. Dann 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


wurde der Draht stärker augezogen, die Blutung stand, und etwa 2 Ctra. 
oberhalb des Drahtes der Uterus sammt Tuben und Ovarien abgetrennt 
Beim Versuche, die Schlinge noch fester anzuziehen, riss der Draht, 
worauf ein kolossaler Blutstrom aus Stumpfe hervorschoss. Trotzdem 
der Stumpf sofort digital comprimirt wurde und die Hauptge&sse zugleich 
mit 10 Klemmpincetten geschlossen wurden, gelang es doch erst nach 
Umlegung einer starken Catgutschlinge, die Blutung ganz zum Stehen zu 
bringen. Jetzt wurde mit dem Schlingenschnürer starker Silberdraht um 
den Stumpf fest angelegt, die provisorische Catgutligatur entfernt und je 
eine starke Catgutligatur um die noch blutenden Stellen der Ligamenta 
lata gelegt. Hierauf wurde die Toilette der Abdominalhöhle mit einer 
3percentigen Carbollösung vorgenommen. Bei Verschluss der Wunde 
wurden 3 Drainröhren eingelegt. Die sehr collabirte Kranke erholte sich 
wohl vorübergehend, starb aber am 3. Tage post operationem. Die 
Section ergab eine septische Peritonitis. Den Tod glaubt A. auf die 
bereits bestandene Endometritis septica, das Einfiiessen des jauchigen 
Uterusinhaltes in die Bauchhöhle und das Reissen der Drahtschlinge zurück- 
ftihren zu müssen. Um das Einfiiessen des jauchigen Uterusinhaltes in 
die Bauchhöhle zu verhindern, räth A. an, in einem solchen Falle die 
Bauchwunde nach Herauswälzen des Uterus mit Zapfennähten zu schlossen, 
um das Austreten von Darmschlingen zu verhindern, alsdann die Patientin 
auf die Seite zu legen und in dieser Lage den Uterus zu ligiren, inci- 
diren und abzutragen. Der Stumpf sei dann mit dem scharfen Löffel 
auszukratzen, mit 5percentiger Carbollösung auszuwaschen und in den 
unteren Wundwinkel zu befestigen. Eine Kupferdrahtschlinge ist nicht 
zu benützen, da sie leicht bricht, wie es auch Braun und Breiskv 
geschah. Kleinwächter, Innsbruck. 


604 Die Adhäsionen zwischen Uterus und den Bauchdecken 
und zwischen dem Uterus, sowie seinen Adnexen und den benach¬ 
barten Organen als Folgen überstandener Ovariotomie in Rücksieht 
auf später eintretende Schwangerschaft und Geburt. Von Robert P. 
Harris in Philadelphia. (Amer. Journ. of Obstetr. 1880. Juli. p. 487.) 


S. berührt einen Punkt, welcher merkwürdiger Weise von den 
Geburtshelfern bisher nahezu gänzlich unbeachtet blieb, die Störungen 
während der Schwangerschaft und Geburt, hervorgerufen durch Adhä¬ 
sionen des Uterus in Folge früher glücklich tiberstandener Ovariotomien. 
Anlass zur Ventilirung dieser Frage gab ihm ein einschlägiger Geburts¬ 
fall, welchen er beobachtete. Er wurde im Beginne des Jahres 1880 zn 
einer Gebärenden gerufen, welche im Juni des Jahres 1875 an einer 
Ovariencyste operirt worden war und binnen 16 Tagen genas. Der Tumor 
wog 9 Pfund und gehörte dem linken Ovarium an. Der kurze Stiel 
musste extraperitoneal versorgt werden, in Folge dessen bildete sich eine 
kleine nach aussen mündende Fistel des Uterus, aus der sich jeden Monat 
zur Menstruationszeit etwas Blut entleerte. Ein Jahr später heiratete die 
Person, wurde aber erst 3 Jahre darnach schwanger. Die Geburt war 
eine ungemein schwierige. Die Person kreisste vergeblich 3 Tage hindurch. 
Der auf einen Zoll im Durchmesser eröffnete Muttermund erweiterte sich 
nicht. Trotz aller Mühen, trotzdem dass die Zange und späterhin gar 
noch der Hebel zur Hand genommen wurde, gelang es nicht die sich in 
der Schädellage präsentirende Frucht zu entwickeln. Die Person starb 
unentbunden, nachdem früher noch eine heftige Blutung eingetreten war. 
Da die Frucht während der Geburt abgestorben war, wurde die Vor- 


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Medi cinisch-chirnr gische Rundschau. 


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nähme des Kaiserschnittes unterlassen. Der Uterus war um ein Viertel 
um seine Längsachse gedreht und durch einen fingerdicken Strang mit 
der alten Operationsnarbe fixirt. Die frisch abgestorbene Frucht wog ll 1 /* 
(amerikanische) Pfund. H. meint, dass der fingerdicke kurze, unnachgiebige 
Strang, welcher von der Bauchnarbe zum linken Uterushorne zog, den 
Ausstossungsact, die Contraction des gesammten Hohlmuskels unmöglich 
gemacht hatte. John L. Attee von Lancaster (Pennsylvania), der die 
Ovariotomie über 50mal ausgefilhrt, weiss nichts von einer Distocie nach 
überstandener Ovariotomie. Das gleiche gilt von Edmund R. Peastee 
aus New - York und T. Spencer Wells und anderen bekannten 
Operateuren. 

Matheus Duncan erwähnt zwei einschlägige Fälle, doch mangelt 
ihnen die anatomische Sicherstellung. In einem Falle, in welchem gleichzeitig 
ein hochgradiges Hydramnion bestand, zerriss nach Abfluss der Wässer 
und nach längerem vergeblichen Kreissen die Adhäsion zwischen dem 
Uterus und der vorderen Bauchwand spontan, worauf der Uterus herab¬ 
trat und die Geburt vor sich ging. Im zweiten Fall trat bei nach vorne 
und oben fixirtem Uterus eine Frühgeburt im 3. Monate ein. Er meint, 
derlei Adhäsionen kämen durchaus nicht so selten vor, sehr häufig würden 
dieselben bei später eintretender Schwangerschaft, wenn sich der Uterus 
allmälig vergrössere, resorbirt, zerrissen oder so ausgedehnt, dass die 
Geburt und das Wochenbett keine Störung erleide. In manchen Fällen 
aber sei dieser Vorgang mit bedeutenden Beschwerden, Schmerzen, 
Blutungen u dgl. m. verbunden. Seien die Adhäsionen sehr fest und dabei 
mehrseitig, so käme es zur spontanen, frühzeitigen Ausstossung der 
Frucht, wie die Madame Boivin von einem derartigen Falle berichte. 
H. glaubt, dass, wenn Verbindungsstränge zwischen dem Uterus und dem 
Netze oder den Därmen da seien, Erbrechen, Schmerz, ja selbst Strangu¬ 
lation des Darmes erfolgen könne, abgesehen davon, dass sich ein solcher 
Uterus nicht in seiner Totalität contrahiren könne, wodurch die Wehen- 
thätigkeit eine abnorme werde. Eine weitere Gefahr unter solchen Ver¬ 
hältnissen liegt in dem Umstande, dass sich ein derartig fhcirter Uterus 
post partum nicht gehörig contrahiren kann, wodurch es leicht zu sehr 
heftigen, nicht zu stillenden Blutungen kommt. 

Kleinwächter, Innsbruck. 


605. Die prophylactisehe Dilatation der Vaginalmündung im 
Verlaufe der Geburt als Dammschutz. Von B. E. Mossman. (Amer. 
Journ. of Obstetr. 1880. Jul. p. 563.) 

Eine neue Dammschutzmethode gibt M. an. Sie besteht darin, dass 
er, sobald der Kopf gegen den Beckenboden herabtritt, die äusseren Geni¬ 
talien, so wie die Vagina mit einer Belladonna-Salbe stark einfettet, dann 
die Finger in die Scheide einftlhrt und deren Mündung nach vorne und 
unten dilatirt. Sobald das Perineum durch den vortretenden Kopf vor¬ 
gewölbt wird und die Wehen wirken, führt er die Finger aus der Vagina 
und legt zwei derselben in das Rectum, während der Daumen dem Os 
occiput. aufruht. Der aussen befindliche Daumen schiebt das Perineum 
über den Kopf, die im Rectum liegenden Finger zwingen das Hinterhaupt 
sich der Symphyse enge anzuschmiegen. In der Wehenpause wird wieder 
die Vaginalmündung dilatirt. Späterhin haben die im Rectum liegenden 
Finger den Kopf während der Wehe zurückzuhalten und ihn zu zwingen, 
möglichst langsam hervorzutreten. Dieses Verfahren ist strenge genommen 
nur eine Modification des sog. Ritgen’schen Dammschutzverfahrens, 
„Entbindung durch Druck“. Kleinwächter, Innsbruck. 

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Mediciniach-chirorgische Rundschau. 


606. Ein sicheres Zeichen der Schwangerschaft während der 
ersten drei Monate. Von J. H. Carsten. (Detroit Lancet 1880. 
September.) 

Verf. betont die Verlässlichkeit eines Zeichens zur Erkennung des 
schwangeren Zustandes in den ersten drei Monaten, welches schon früher 
von Jacquemier und Kluege angegeben wurde, jedoch in den 
gewöhnlichen Handbüchern nicht erwähnt wird. Es ist dies die purpur- 
blaue, oder besser tief violette Färbung der Schleimhaut der Vagina und 
des Cervix. Verf. demonstrirte diese eigentümliche Färbung häufig seinen 
Schülern — und es zeigte sich, dass die in Folge derselben gestellte 
Diagnose eine richtige war. Allerdings ist auch bei verschiedenen patho¬ 
logischen Zuständen die Schleimhaut ähnlich verfärbt, doch ist sie entweder 
tiefer blau oder mehr scharlachrot, auch mehr gefleckt. Verf. betont das 
eigentümliche Violett während der Schwangerschaft, welches man stets 
wiedererkennen wird, wenn man es einmal gesehen hat; hiezu kommt noch 
die weiche, sammtartige Beschaffenheit der zu Tage liegenden Membranen. 

—r. 

607. Ein Fall von Selbstwendung. Von Prof. Th^denas. 
(Archives de gyn^cologie 1880. — Prag. med. Wochenschr. 1880. 36.) 

Der mitgetheilte Fall, vom Verf. und von Prof. Laroy enne 
beobachtet, ereignete sich bei einer Erstgebärenden von 24 Jahren mit 
einem Uterus bilocularis infra simplex, 8 Stunden nach Abfluss des 
Fruchtwassers bei noch lebendem Kinde. Bei der ersten Untersuchung 
wurde Schulterlage, Kopf r., Rücken nach vorne constatirt. Keine Wehen. 
Während der Vorbereitung des Geburtsbettes tritt eine kräftige lang¬ 
dauernde Wehe ein, welche jedoch blos die linke Uterushälfte betrifft, 
während die rechte schlaff bleibt. Man constatirt äusserlich, dass der 
Kopf in die Höhe gestiegen, innerlich, dass die Schulter leicht ihre Lage 
verändert hat. Nun folgte eine Contraction der r. Hälfte, wobei der 
Kopf noch weiter in die Höhe rückt. So folgten 6—7 abwechselnde 
Contractionen der Uterushälften, welche in ungefähr 20 Minuten die Um¬ 
wandlung der Quer- in Beckenendlage zu Stande brachten, worauf nach 
einer Stunde ein lebender Knabe von 3200 Gramm Gewicht geboren 
wurde. Die Placenta wurde im rechten Horn, durch eine ringförmige 
Contraction an der Basis desselben retinirt und konnte nach Erschlaffung 
desselben leicht entfernt werden. Verf. citirt eine analoge Beobachtung 
von Geneuil 1876, bei welcher die Selbstwendung 19 Stunden nach 
Abfluss des Fruchtwassers und vorgefallenem Arm zu Stande kam durch 
alleinige Contractionen der Unken Uterushälfte. Der FaU bestätigt zunächst, 
dass unvollständige Bicornität zu Querlagen disponirt, und bietet ausser 
dem geburtshilflichen noch ein physiologisches Interesse, indem er zeigt, 
dass die Innervation beider Hälften des Uterus ziemlich unabhängig von 
einander geschieht. Endlich ist von Interesse die Retention der Placenta 
in dem einen Horn durch Contraction der Ringmuskulatur an seiner Basis, 
ein Vorkommen, das bereits Kussmaul beschrieben hat. 

608. Ueber verschiedene Entzündungen der Schamgegend. Von 
J. Matthews Duncan. (Med. Times and Gaz. 1880. Schmidts 
Jahrb. 180. 6. Ref. Kormann.) 

Die hierher gehörigen Krankheiten werden oft als Entzündungen 
der Vulva oder des Vestibulum angeführt. Intrauterine Entzündung der Labien 
ist sicher die Ursache einer Form der Atresie bei kleinen Mädchen, deren 
grosse Labien aneinander haften. Ferner können die letzteren bei Kindern 

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Medicinifich-chirargfeche Rundschau. 


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von Noma befallen werden, was jedoch Verf. nie beobachtet hat. Dagegen 
ist Erysipelas der Schamgegend nicht selten, welches meist tödtlich endet ; 
in einem Falle mit extensiver Destrnction der Schamtheile sah jedoch 
Verf. Genesung eintreten. Es kann hier zu completem oder partiellem 
Narbenverschluss der Vagina kommen, besonders im Wochenbett von 
Erstgebärenden. Charakteristisch füi; die Kindheit ist die Vulvitis (nicht 
Vaginitis, die erst nach der Pubertät auftritt). Im erwachsenen Alter 
ausschliesslich beobachtet man acute Entzündung der Labien, der 
Cowper’schen Drüsen und ihrer Ausführungsgänge (nie bei Kindern und 
im Greisenalter). Während der Schwangerschaft und im Wochenbett 
kommen Hypertrophien und ödematöse Zustände der Labien nicht selten 
vor. Im Greisenalter gibt es dagegen wieder eine Reihe von Entzündungen, 
die durch die Symptome von Pruritus charakterisirt sind, chronische 
Entzündungen der Haut und Schleimhaut, die zu Erythem und Dermatitis, 
meist mit Hypertrophie, oft mit Ausschlägen, führen. 

Zwei Krankheiten aber lassen sich ihrer Seltenheit wegen nicht als 
einem bestimmten Lebensalter eigenthümlich betrachten: die progressive 
Gangrän und die progressive Vereiterung. Verf. zweifelt nicht, dass beide 
Krankheitsformen zwei verschiedenen Bacterienformen ihren Ursprung 
verdanken. Progressive Gangrän sah derselbe nur einmal während des 
Verlaufs einer chron. mit Eiterung verbundenen Perimetritis auftreten, so 
dass man dieselbe für einen Zwischenfall während des Verlaufs der letzteren 
halten konnte. Pat. genas. Dieselben gangränösen Processe treffen wir um 
das Rectum oder im Nacken an unter dem Namen Areolar-Entzttndung 
und Verschorfung, entzündliches Oedem oder verschorfende Zellgewebs¬ 
entzündung. — Progressive Vereiterung ist eine häufigere Störung im 
hohen und mittleren Lebensalter. Bei jungen Mädchen sah sie Verf. nie. Es 
handelt sich hier um einen kalten Abscess, oder besser um eine fast 
endlose Reihe kalter Abscesse. Ehe der eine geschlossen ist oder kurz nachher 
erscheint ein anderer. Dies dauert Monate lang, bis der Körper hoch¬ 
gradig erschöpft ist. Tod trat in Verfs. Fällen nie ein. Die beste Behand¬ 
lungsweise bestand im Einreiben von grauer Salbe. 

Als hauptsächliche Symptome der Vulvitis der Kindheit nennt Verf. 
Schwellung der sonst gesunden Schamtheile mit Röthung, zuweilen mit 
impetiginösem, zuweilen mit rothem, papulösem Ausschlag und schleimiger 
Eiterabsonderung, der die Oberfläche bedeckt. Nie ist Vaginitis zugegen, 
die Inguinaldrüsen sind ein wenig geschwellt. Nur einmal sah Verf. diese 
Vulvitis neben virulenter Blennorrhoe bei einem ungefähr I6jähr. Mädchen. 
Ist Verdacht auf stattgehabte Nothzucht vorhanden , so ist nach Sperma 
an dem Kinde oder der Leibwäsche zu forschen. Die gewöhnliche Vul¬ 
vitis der Kinder ist eine Folge der Erkältung oder Unreinlichkeit. Als 
Folge übergrosser Wärme oder von Würmern kann sie Verfasser nicht 
ansdien. 

Eine wichtige Erkrankung des mittlern Lebensalters ist der acute 
Abscess der Vulva als Folge einer traumatischen Einwirkung. Ebenso 
wichtig sind die Erkrankungen der Vulvovaginaldrüsen. Abscesse um den 
AusfÜhrungsgang der Cowper’schen Drüsen haben dieselben Kenn¬ 
zeichen wie Cysten des Ausftihrungsganges. Auch Entzündungen der 
Drüsen selbst sind nicht selten, auch chronische Entzündung mit oder 
ohne Vergrösserung der Drüsen selbst. Zuweilen bildet sich daraus ein 
Abscess der Co wper’schen Drüse, der von den meisten Autoren mit dem 
Abscess des Ausftihrungsganges dieser Drüse verwechselt wird. In den 
2 Fällen von Drüsenabscessen, die Verf. sah, war Schwellung und Defor- 


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Medidnisch-chirurgische Rundschau. 


mität zwischen dem hinteren Theile des Labium und dem zugehörigen 
Tuber ischii vorhanden, sie kamen bei gesunden Jungfrauen zur Beob¬ 
achtung; in dem einen Falle war die Krankheit durch starke Erkältung 
zur Winterszeit entstanden. In beiden Fällen genügten Incisionen nicht 
zur Heilung, sondern es musste nachträglich der Ausführungsgang, der 
in beiden Fällen obliterirt war, incidirt werden. Von Blennorrhoe des 
Ausführungsganges der Cowper’schen Drüsen sah Verf. drei Fälle und 
nur in einem derselben war es zweifelhaft, ob die Affection durch specifische 
Infection entstanden war. In allen drei Fällen bestand die Blennorrhoe 
des Ausführungsganges nach Heilung der Vaginitis fort. In einem dieser 
Fälle machte Verf. Injectionen mit einer Höllensteinlösung in den Aus¬ 
führungsgang. 

In der Schwangerschaft ist die Vulva der Sitz von Congestion, 
Hypertrophie, Entzündung oder Induration oder Oedem der grossen Scham¬ 
lippe. Bei Wöchnerinnen geben Epidennisverluste von den Nymphen oder 
in der Umgebung des Orificium urethrae Veranlassung zu Blasenreizung, 
deren Ursache häufig verkannt wird. 

Der Pruritus im höheren Alter, der die Nachtruhe so empfindlich 
stört, ist mit sehr verschiedenen Zuständen vergesellschaftet. Stets ist 
Hypertrophie der Labia majora und minora und der Carunculae myrti- 
forme8 vorhanden; häufig ist auch die Vagina selbst mitergriffen. Die 
Haut ist geröthet, von pergamentähnlichem Ansehen in Folge der Reibungen, 
welche die Kr. zur Erleichterung des Juckens vornehmen. Zuweilen ist 
die Oberfläche schuppig, mehr wie bei Ichthyosis als wie bei Psoriasis, 
meist als Folge eines Erythem oder einer Dermatitis. Häufig ist die 
Krankheit Folge von Ausflüssen aus der Vagina oder von Diabetes, nicht 
selten finden sich dabei herpetische Eruptionen als Beweis des nervösen 
Charakters der Affection. — Ebenso wie bei Kindern kann auch bei 
ältern Leuten Vulvitis durch Unreinlichkeit entstehen. Die chronischen 
Entzündungen bei alten Frauen sind sehr schwierig zu behandeln und 
erfordern ausser der localen Behandlung stets genaue Beachtung und wo¬ 
möglich Beseitigung der ursächlichen Zustände. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie. 


609. Zur Casuistik der unglücklichen Zufälle bei der Tracheo¬ 
tomie. Von Dr. Carl Elias in Breslau. (Monatsschr. f. Ohrenhk. etc. 
1880. 8.) 

In der „D. ra. Wochenschr.“ Nr. 45, 1878 hat Verf. in einem 
Aufsatze „Zur Tracheotomie im ersten Lebensjahre“ auf Grund vielfacher 
Beobachtungen bei Tracheotomien kleiner Kinder vorgeschlagen: möglichst 
kurze (3—3,3 Cm.), oval gefensterte Canttlen mit kleinem Krümmungs¬ 
radius zu benutzen, da die jetzt gebräuchlichen längeren die Schleimhaut 
der Trachea unnöthig reizen. Diese Cantilen mit gefenstertem äusseren 
Rohre gestatten ausserdem, ohne Herausnahme der ganzen Doppel-Canüle 
sehr leicht, die Operirten schon einige Tage nach der Operation durch 
den Mund athmen zu lassen, und zwar nach Entfernung des inneren Rohres 
dadurch, dass man die Mündung des äusseren verstopft. — Diese früh¬ 
zeitigen Kehlkopf-Athmungsversuche, mögen sie anfangs noch so kurz 
ausfallen, haben den grossen Vortheil, dass die kleinen Operirten sieh in 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


763 


wenigen Tagen daran gewöhnen, dnrch den Mund zu athmen und dass 
sie sicher vor der Gefahr schützen, die Halscanüie Monate und Jahre 
lang liegen lassen zu müssen, oft ohne Aussicht, dieses Uebel überhaupt 
beseitigen zu können. Da die gebräuchlichsten silbernen Doppel-Cantilen 
nach dem L ti e r’schen Modell kein seitliches ovales Fenster im äusseren 
Rohre besitzen, so bedient sich Verf. seit mehreren Jahren nur solcher 
von Hartgummi, die sich auch nach Bedürfniss leicht und schnell ver¬ 
kürzen lassen. Leider zeigte ein unglücklicher Zufall, dass das Einlegen 
dieser doch unter Umständen für dieOperirten von grösster Lebensgefahr 
sein kann. 

E. F. ans Kleinbarg, 3 J., erkrankte am 18. April d. J. mit Heiserkeit, 
Husten, Fieber. Am folgenden Tage fand Verf. das zarte, schwächliche Kind mit 
heisser Hant, geröthetem Gesicht, frequentem Puls, starker Heiserkeit und Zeichen 
beginnender Laryngostenose. Die Inspection des Mundes ergab Rüthung des Rachens 
and der Mandeln; die Untersuchung der Lungen — Katarrh. — Ein Emeticum 
aus Cupr. sulphur. und heisse Fomente um den Hals hatten wenig Erfolg. Um 
4 Uhr Nachmittags bereits vollständige Aphonie, bedeutende Laryngostenose, lauter 
Stridor; Sternum wird stark eingezogen, Puls ist klein, frequent; die Respi¬ 
ration mühsam. Da die Tracheotomie vorläafig inhibirt wird, werden die Fomente 
fortgesetzt und grosse Sinapismen auf die Brust applicirt, dabei möglichst viel 
Wein eingezwungen. — Es trat hierauf eine kleine Besserung ein. Gegen Morgen 
des 20. April ein neuer Erstickungsanfall. Um 9 Uhr Früh bereits starker Collaps, 
Cyanose des Gesichts, enorme Athemnoth, frequenter, kaum fühlbarer Puls, beträcht¬ 
liche Kehlkopfsverengemng. 

Es wird croupöse Laryngitis angenommen und die Tracheotomia 
superior sofort gemacht. Von der Durchtrennung der Cartil. cricoid. und 
dreier Trachealringe trat starke venöse Blutung auf. Nach Einlegen der 
Hartgummi-Doppel-Cantile expectorirt die Kleine durch heftige Husten- 
stösse viel Schleim mit schaumigem Blut, erholte sich nach längerer 
Apnoe bald und athmete dann ruhig. Durch öftere Hustenanfälle und 
reichlichen Schleimauswurf verengte sich das Lumen der inneren Canüle, 
die nun behufs Reinigung entfernt wird, wobei das Kind sehr heftige 
Bewegungen mit dem Kopfe macht. In dem Moment der Herausnahme 
der inneren Canüle hörte die ruhige, regelmässige Respiration plötzlich 
auf und man vernahm nur ein schwaches Luftzischen aus der Tiefe der 
Halswunde. Man glaubte, das plötzliche Respirationshinderniss in einer 
Verstopfung der Canüle durch vorlagemde grössere croupöse Membranen 
suchen zu müssen, dies umsomehr, als sich an derOeffnung derCanülen- 
platte blutige Gewebstheile zeigten. Sofort ging Verf. mit Hakenpincette 
in dieselbe ein, erfasste aber nur adhärentes Gewebe und konnte das 
Lumen der Canüle nicht auffinden. Diese hatte sich von der Platte abge¬ 
löst, woran sie sonst durch ein Schraubengewinde befestigt ist. Nach 
Hinwegnahme der Halsplatte sah man auch die abgebrochene Canüle 
nicht; sie hatte sich in die Tiefe gesenkt und ihre äussere Oeffnung war 
durch die Weichtheile der grösstentheils vernähten Wunde vollkommen 
verdeckt. Schnell wurden Nähte entfernt, die Wundränder auseinander 
gezogen und es gelang, die Canüle, welche zum allergrössten Theile 
bereits in der Trachea steckte, zu erfassen und bis in das Niveau der 
Haut hervorzuziehen, worauf nach einigen künstlichen Respirationsversuchen 
sich natürliches Athmen einstellte und das fast erloschene Leben des 
Kindes wiederkehrte. Gleich darauf wird eine silberne Doppel-Canüle 
leicht eingelegt, die am 4. Tage durch eine oval gefenterte ersetzt 
worden ist. In den folgenden Tagen mässige Temperaturerhöhung, nicht 
über 38*6; starker Husten und Schleimauswurf. Am 27. April werden 


die ersten Respirätionsversuche durch Verstopfüng der Canülenplatten- 
öflnung gemacht. Das Kind wurde sofort dyspnoetisch und vertrug sie 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


anfangs nie länger« als 2 Minuten; nach 8 Tagen fast den ganzen Tag. 
Am 6. Mai wird die ganze Doppel-Canille entfernt; am 13. Mai war die 
Wunde geschlossen und vernarbt. 

Hueter (Pitba und Billroth, Tracheotomie und Laryngotomie) 
erwähnt zweier Fälle von Walter undSpetfce, in denen sich metallene 
tracheotomische Canttlen von der Halsspalte durch Verrostung ablösten 
und auf die Bifurcation, respective in einen Bronchus herabfielen. Beide 
Male wurden sie extrahirt. Nach einer Beobachtung von Masing 
(„Petersb. med. Zeitschrift“ 1870) fand derselbe bei einer Obduction einer 
linksseitigen Pneumonie in einem Bronchus der rechten gesunden Lunge 
eine 5 Ctm. lange Canüle, ohne dass diese locale Entzündungserschei* 
nungen hervorgerufen hätte. Wie lange sie dort gelegen, Hess sich nicht 
eruiren. Vier Jahre vorher war eine Tracheotomie gemacht worden: 
seitdem beständige Respiration durch eine Trachealfistel. 

Die nachträgliche Besichtigung der defecten Canttle in dem vom 
Verf. geschilderten Falle ergab, dass die Platte, woran die äussere Canüle 
befestigt ist, bei einer Dicke von 2 Mm. als Schraubenmutter nur 2 l f , 
geringe, feine, circuläre Vertiefungen besitzt, in die die Schrauben Windungen 
der Canüle hineinpassen. Schraubenmutter und Schraubengewinde waren 
an einzelnen Stellen in Folge heftiger Bewegungen bei der grossen Sprödig¬ 
keit des Hartgummis schadhaft geworden und lösten sich natürhch sofort 
von einander. Verf. will von der weiteren Benutzung der Hartgummi- 
Doppel-Canülen bei der Tracheotomie abstehen. 0. R. 

810. Ueber den Nutzen der Mineralwässer bei Behandlung der 
Ohrenkrankheiten. Von Dr. Ladreit de Lacharriöre. (Ann. des 
malad, de Toreille 1879. 3.) 

Verf. stellt sich die Frage, warum bei zufälligen, vorübergehenden 
krankheitserregenden Einwirkungen auf das Hörorgan der Krankheits- 
process nicht einen entsprechend kurzen Verlauf nimmt und glaubt, dass 
dies davon herrtihrt, dass die zuerst locale Erkrankung sich mit der 
vorhandenen Diathese complicirt. In diesem Falle wäre eine reine locale 
Behandlung immer ungenügend. Bei jeder Erkrankung von bestimmter 
Dauer soll nach der zu Grunde liegenden Diathese geforscht werden: 
Scrophulose, Gicht, Rheumatismus, Herpetismus und Syphilis. Die hierauf 
gerichteten Medicatiouen sollen von wunderbarer Wirkung sein, am meisten 
die Mineralwässer. Bei der Hydrotherapie muss Alles vermieden werden, 
was zu Congestion der tiefen Organe führt. Bei kalten Bädern sowie bei 
Meerbädem verschümmern sich Labyrinthleiden und katarrhalische Affee- 
tionen. Dieselben dürfen nur dann angewandt werden, wenn die Reaction 
eine genügende ist. Bei kurzen Bädern oder Douchen mit nachfolgenden 
Abreibungen besteht keine Gefahr. Die starken Schwefelquellen werden 
besonders empfohlen bei scrophulösen oder syphilitischen Otorrhöen mit 
Knochenerkrankung und werden mehrere Fälle mitgetheilt, in welchen 
Baröges Wunder that. Ist der Knochen nicht erkrankt, so genügen auch 
die leichteren Schwefelthermen. Die arsenikhaltigen Kochsalzquellen Bour- 
boule und andere sollen sich vorteilhaft erweisen bei scrophulösen Leiden, 
bei welchen die Schleimhäute und das Lymphdrüsensystem erkrankt sind. 
Die alkalischen Kochsalzquellen haben Verf. grosse Dienste geleistet bei 
Mittelohrleiden, welche nach seiner Ansicht von gichtischer Diathese 
abhängen. Diese Diathese soll sich nach Lacharriöre in einer liyperämi- 
schen Schwellung der Kette der Gehörknöchelchen äussern, welche am 
Hammergriff ersichtlich ist, bei sonst normalem Trommelfell. Später ver- 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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schwindet die Hyperämie und erscheint der Hammer in fibröses Gewebe 
eingehüllt. Auch in diesem Stadium soll Besserung durch den Gebrauch 
der Quellen eintreten. 


611. Ueber Nasenblennorrhoe (Ozaena). Von Dr. Edgar Kurz in 
Florenz. (Sep.-Abdr. aus Memorab. 1880. 8.) 

Ein Aufsatz von Dr. Ziem (Nr. 4 der Monatschrift für Ohren¬ 
heilkunde) veranlasst Verf. seinen früheren Mittheilungen (s. Memorab. 
1879, 1. Heft) einige weitere Beobachtungen folgen zu lassen. Verf. 
stimmt Ziem bei, den nach einem einzigen Symptom — dem Gestanke — 
gewählten Namen Ozaena fallen zu lassen und daftir durch den Namen: 
Blennorrhoe der Nasenschleimhaut mit Hypertrophie oder Atrophie den 
pathologischen Process selbst zu bezeichnen. Dieser beginnt wohl stets 
mit Schwellung der Nasenschleimhaut, und die Atrophie folgt wie bei 
anderen Katarrhen nach längerer Dauer, wobei sich der schlechte Geruch, 
der seine Ursache hauptsächlich in Zersetzungsvorgängen innerhalb der 
Nebenhöhlen der Nase habpn wird, bald früher — schon während des 
Stadiums der Schwellung —, bald später — wenn bereits Atrophie der 
Schleimhaut und der Muscheln sich entwickelt hat — einstellen kann. 
Die Zersetzung des Secrets wird jedenfalls durch die Stagnation erleich¬ 
tert. Da das anatomische Bild der Blennorrhoe an verschiedenen Stellen 
der Nasenschleimhaut in einem und demselben Falle ein ganz verschiedenes 
sein kann, da z. B. die Schleimhaut der Nase selbst im Zustand 
bedeutender Atrophie sich befinden kann, während die der Highmorshöhle 
oder der Stirnhöhle stark geschwellt ist (Zuckerkandl hat bei seinen 
zahlreichen und sorgfältigen Sectionen die allerwechselndsten Combinationen 
dieser Art vorgefunden), so ist es wohl möglich, dass auch bei Erwei¬ 
terung der Nasengänge der Fötor doch hauptsächlich durch die Stauung 
des Secrets in den mit geschwellter Schleimhaut bekleideten Nebenhöhlen 
unterhalten wird, während diese Thatsache andererseits nach Ziem auch 
darin ihre Erklärung findet, dass im Stadium der Atrophie durch Veiv 
minderang der Reibung des inspiratorischen Luftstroms und durch Degene¬ 
ration der Flimmerepithelien die Elimination des Secrets erschwert ist. 
In einem Fall von Atrophie hat Verf. übrigens den Fötor bei Weitem 
nicht so penetrant gefunden als in den mit Hypertrophie oder Schwellung 
verbundenen Fällen. Dass es sich in all diesen Fällen (ganz abgesehen 
natürlich von Syphilis und andern destructiven Processen, wie Caries etc.) 
stets nur um verschiedene Stadien derselben Krankheit handelt, geht 
schon daraus hervor, dass diejenigen, bei denen Schwellung gefunden 
wird, relativ frische Fälle sind, die mit Atrophie verbundenen dagegen 
schon viel längere Zeit gedauert haben. 

Verf. theilt nun 3 Fälle mit, von denen wir den dritten im Auszug 
folgen lassen. 

Eine 45jährige Dame, die 20 Jahre in Spanien gelebt, hatte in der Jagend 
einen heftigen Stoss gegen die Nase erlitten mit einer leichten Knochen Verletzung, 
— geringe Deviation der Nase nach links. Pat. litt immer viel an Schnupfen. 
Constitution kräftig und gesund. Vor 6 Jahren nun sonderte sich eines Tages plötzlich 
ans dem linken Nasenloch eine dicke, grünliche, den Honigwaben ähnliche Masse 
ab. Diese Absonderung kehrte dann Jahre lang in kleinern oder in grossem 
Intervallen — doch selten länger als von 8 zu 8 Tagen — wieder und wurde 
von Pat. nicht weiter beachtet, bis sie häufig — nicht immer — einen üblen eiter- 
artigen Geruch annahm, und sowohl der Nasenrücken als auch die Stirn über 
der Nase und über dem linken Auge hie und da zu schmerzen begann. 

Wasserein&pritzungen wurden längere Zeit ohne allen Erfolg gebraucht 
Das Uebel nahm allmälig zu, namentlich stellten sich häufig heftige Kopfschmerzen 
ein. Höllensteinefnspritzungen, die wahnsinniges Kopfweh verursachten, und 


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Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


Schwefelbäder wurden ganz vergeblich gebraucht. Eine einmal in Deutschland 
begonnene locale Behandlung (Aetzungen) wurde durch zu frühe Rückkehr nach 
Spanien bald unterbrochen. Dort geschah nichts, ausser dass ab und zu mit 
einer kleinen Spritze Carbollösung in die Nase gespritzt wurde, eine Manipulation, 
die stets heftige Kopfschmerzen hervorrief. Die Absonderung hatte allmilig den 
consistenten Charakter verloren. Es bestand ohne Unterbrechung ein schleimig- 
eitriger, grünlicher, bald mehr bald weniger übelriechender Ausfluss, der Pat. 
täglich sechs und mehr Taschentücher kostete und mit häufigem Stirnkopfscbmerz 
und fast fortwährendem Thränen des linken Auges verbunden war. 

Anfang September 1879 kam Pat. nach Florenz in Verf.’s Behandlung. 
Die Untersuchung ergab: linkes Nasenbein und Thränenbein, sowie die Gegend 
der Stirnhöhle auf Druck ziemlich empfindlich. Die rechte Nasenhöhle zeigt ganz 
normale Verhältnisse. Die Einführung des zweiklappigen Voltolini’schen Nasen¬ 
spiegels gelingt mit einiger Gewalt, ruft Schmerz und heftiges Niesen hervor. 
Im linken Nasenloch lässt sich der Spiegel sehr leicht einführen, er gleitet 
gewissermassen von selbst hinein und lässt sich fast bis zum Maximum dilatiren, 
ohne Schmerz oder Reiz zum Niesen zu veranlassen. Die unteren Partien der 
Schleimhaut sind blass, die untere (in geringerem Grade auch die mittlere) Muschel 
atrophisch. (Beim Durchschnauben hört man deutlich, dass die Luft links eines 
viel weiteren Canal passirt als rechts.) Von der mittleren Muschel an nach 
aufwärts ist die Schleimhaut intensiv geröthet, mit zähem Secret bedeckt. Am 
Dach der Nasenhöhle findet sich eine erbsengrosse, rundliche, intensiv rothe Vege¬ 
tation, die auf ihrer Höhe eine kleine Erosion zeigt. Die leiseste Berührung 
desselben mit der Sonde ist sehr schmerzhaft und veranlasst eine Blutung. Es 
besteht ausserdem eine granulöse Pharyngitis, die Brennen und Trockenheit im 
Hals verursacht. 


Zunächst wurden nur Salzwasserdouchen angewandt (ca. 2 Löffel Meem’z 
auf 2 Liter warmen Wassers 3mal täglich). Schon nach 3 Tagen war der Aus¬ 
fluss (der zwar noch grünlich war und im Wasser zu Boden sank) nicht mehr so 
profus. Mitte September war er geruchlos, rein schleimig, schwamm auf dem 
Wasser, und Pat. brauchte nur noch zwei Taschentücher pro Tag. Es wurden non 
auch tägliche Inhalationen von zerstäubtem Salzwasser mit Zusatz von etwas Jod- 
tinctur vorgenommen. Ende September war die Röthung der oberen Schleimhaut- 
partien entschieden geringer geworden. Der Ausfluss war bei täglich zweimaligem 
Douchen spärlich. Die Empfindlichkeit der Nase sowie der Kopfschmerz war 
verschwunden. Der kleine Tumor war derselbe, nur war seine Berührung nickt 
mehr so schmerzhaft; die Erosion blutete nicht mehr so leicht. Anfang October 
wurde eine galvanocaustische Aetzung der Vegetation mit dem Jacob y's<hen In¬ 
strument vorgenommen. Dieselbe verursachte keine weitere Reaction. Douchen etc. 
wie früher. Mitte October zeigte sich der Tumor um die Hälfte kleiner; Ober¬ 
fläche geschwürig. Nochmalige energische galvanocaustische Aetzung (von ein- 
ständigem Kopfweh gefolgt). Das Befinden war nun gut, bis Pat. eine kleine 
Reise unternahm, während deren die Medication unterblieb (abgesehen von der 
Einführung von Salicylwattetampons, die gar nichts nützten). Der Ausfluss wurde 
wieder stärker und zeigte sogar manchmal wieder etwas üblen Geruch. Die 
Untersuchung Ende October ergab starke Röthung der oberen Schleimhaut¬ 
partien, besonders am Dach der Nasenhöhle, wo der kleine Tumor übrigens nur 
noch als leichte Vorwölbung der Schleimhaut zu erkennen war. Zuvörderst wurden 
die Salzwasserdouchen wieder begonnen, worauf die Symptome sich sogleich 
besserten. An einem der nächsten Tage wurde das Dach der Nasenhöhle mittelst 
eines kleinen, in Jodtinctur getauchten Wattetampons geätzt. 

Anfang November liess Verf. neben dem Fortgebrauch der Douchen und 
der Inhalationen täglich mehrmals Wattetampons in Borsäure 5*0 auf 15 0 Gly¬ 
cerin getränkt in die Nase einführen, nicht um den Lufteintritt abzuhalten, 
sondern um die normale Thätigkeit der Schleimhaut anzuregen. Pat. gab nach 
einigen Tagen an, dass mit der Anwendung derselben ein gewisses krankhaftes 
Gefühl in der Nase nachgelassen, dass sich eine mehr normale Empfindung wie 
auf der gesunden Seite eingestellt habe. Die Secretion verhielt sich jetzt wie bei 
einer gesunden Nase. Am 10. November fand sich bei der Untersuchung: 
Schleimhaut in den unteren Partien blass, in den oberen mässig geröthet, feucht, 
aber nicht mit einer Secretschichte überzogen. Von der Vegetation nichts mehr 
zu sehen. Nasenhöhle von gleicher Weite wie früher. Kopfschmerzen und Thränen 
des linken Auges vollständig verschwunden. Mehrtägiges Aussetzen aller Behand¬ 
lung verursachte keine Verschlimmerung. Doch liess Verf. die Borsäuretampons, 
die Salzwasserdouchen und die Inhalationen noch einige Wochen decrescendo 


fort gebrauchen. Pat. kehrte nach Spanien zurück und blieb von ihrem sechsjährigen 
Leiden vollständig befreit. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


767 

Im Juli 1880 hatte Verf. Gelegenheit, wieder eine Untersuchung vorzu- 
nehmen: Die Nase und ihre Nachbarschaft ist auf Druck nicht im Mindesten 
empfindlich. Die linke Nasenhöhle ist immer noch weiter als die rechte, aber 
lang nicht mehr in dem Grad wie früher. Der Yoltolini’sche Spiegel lässt sich 
nicht mehr so tief einfähren und nicht mehr so weit aufklappen. Dabei verursacht 
die Manipulation dieselbe schmerzhafte Empfindung und denselben Reiz znm 
Niesen wie in der rechten Nasenhöhle. Die Schleimhaut ist fencht und zeigt ein 
normales Aussehen, an der unteren Muschel ist sie etwas blässer. (Die Schleim¬ 
haut des Pharynx verhält sich normal.) — Dieser Befund beweist, dass auch die 
mit Schleimhautatrophie verbundene Blennorrhoe der Nase heilbar ist, indem das 
Gewebe der Schleimhaut im Laufe der Zeit bei geeigneter Behandlung wieder 
eine mehr normale Beschaffenheit gewinnen kann. 

Was die Therapie der Ozaena betrifft, so muss Verf. auch nach 
diesen Erfahrungen wieder der consequenten Anwendung der Nasendouche 
(warmes Salzwasser mit Zusatz einiger Tropfen Jodtinctur; Meerwasser, 
wo solches zu haben ist) nachdrücklich das Wort reden. Nicht nur, dass 
durch sie eine vollständige Reinigung der ganzen Nasenhöhle erzielt 
wird, in einer Weise, wie dies durch systematisches Athmen und durch 
Inhalationen nicht erreicht werden kann; sondern es ist auch das Chlor¬ 
natrium in hohem Grade geeignet, die Secretion der Schleimhäute zu 
beschränken, wie dies auch bei anderen Schleimhautkatarrhen vielfach 
beobachtet ist (cfr. die auffallend günstige Wirkung der Seebäder und 
der Seelnft auf frische und alte Katarrhe aller Art). — In vielen Fällen 
mag diese Behandlung allein zum Ziele führen. Jedenfalls erfordert sie 
Geduld und Consequenz und muss, auch wenn die Untersuchung der 
Nasenhöhle gar nichts Abnormes mehr ergibt, noch längere Zeit fort¬ 
gesetzt werden, da die Nebenhöhlen meist auch ergriffen sind und ihre 
Schleimhaut nach den Untersuchungen von Zuckerkandl am spätesten 
zur Norm zurückkehrt. 

Dass die von Ziem empfohlene methodische Inspiration frischer 
Luft die Heilung wesentlich unterstützen muss, ist einleuchtend. Doch 
kann Verf. nicht zugeben, dass in einem von ihm beobachteten Fall, in 
dem ohne örtliche Behandlung blos durch den Aufenthalt am Mittelmeer 
Heilung eintrat, dieselbe nur auf Rechnung der Nasenventilation zu 
setzen ist. Denn einmal waren durchaus keine methodischen Inspirationen 
vorgenommen werden und dann hatte die betreffende Patientin vorher 
lange Zeit in vollständig gesunder frischer Luft (auf einer Villa mit 
grossem Garten) gelebt, ohne dass eine Besserung der Krankheit ein¬ 
getreten wäre. Daher will er die am Mittelmeere erfolgte Heilung nur der 
Salzwirkung zuschreiben, die bei dem starken Wellenschlag und dem 
reichen Salzgehalt der Luft gewiss keine geringere ist als die künstlicher 
Salzinhalationen. 

Uebrigens muss bei der Behandlung dieser Nasenkatarrhe stets die 
Verschiedenheit des localen Befundes, sowie die sonstige Individualität des 
Falles Berücksichtigung finden. So wird man bei Vorhandensein von Vege¬ 
tationen oder mehr diffusen Schleimhauthyperplasien nicht abwarten, ob 
dieselben vielleicht durch Douchen oder Inhalationen im Laufe der Zeit 
schwinden, sondern man wird sie, da sie einen Reizzustand unterhalten, 
durch Abtragen oder Aetzen zur Heilung bringen; und hier verdient 
gewiss die Galvanocaustik für gewöhnlich den Vorzug vor allen anderen 
Methoden. — HiefÜr empfiehlt Verf. die kleine und doch sehr wirksame, 
leicht transportable Batterie von Voltolini. Nur dürften die Leitungs- 
schnüre etwas weniger voluminös und weniger starr sein, wodurch bei 
subtilen Operationen die Application der Iüstrumente gewiss erleichtert 
würde. 


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768 


Medicinitch-chirargiaohe Rnndacban. 


Dermatologie und Syphilis. 


612. Ueber den Gebrauch des Schwefels and seiner Verbindung«* 
bei Hautkrankheiten. Von Dr. Duncan Bnlkley. (Archives of 
Dermatology. Juli 1880.) 

Der Schwefel verdankt seine Popularität als „gut gegen Hautkrank¬ 
heiten“ den bedeutenden Erfolgen seines Gebrauches bei der Krätze. Die 
innere Anwendung desselben folgte der äusserlichen, der Ruf seiner Wirk¬ 
samkeit wurde dann so Übertrieben, dass er uns heute beinahe lächerlich 
scheint. 

Reiner Schwefel wird intern selten allein, meistens im Hinblick auf 
seine Wirkung als Laxans gegeben. B. hat sehr grosse Erfolge erzielt in 
Fällen von Eczem des Anus und der Genitalgegend, insbesondere bei deren 
so häufiger Complication mit Verstopfungen und Hämorrhoiden. Er gibt 
präcipitirten Schwefel mit der gleichen Menge doppeltweinsauren Kalis 
ein bis zwei gehäufte Theelöffel voll in etwas Wasser gerührt am Abend. 
Zusatz von Syrup beeinträchtigt den Werth des Medicamentes. Ueber den 
Grund der Wirkung kann er ebensowenig aussagen, als über die Wirkung 
bei anderen Hautkrankheiten. 

Das in letzter Zeit zu grossem Rufe gelangte Schwefelcalcium ist 
von sehr grossem Nutzen bei sehr vielen Fällen von Acne, Hordeolum, 
Furunculosis und Anthrax. Sehr günstige Wirkungen wurden von B. bei 
nicht parasitischer Sykosis und von ihm und Dr. Otis bei vereiternden 
Bubonen erzielt. Bei Acne rosacea ist es kaum von Erfolg. Die gewöhnliche 
Dose ist ein Viertel-Gran, dreimal täglich bei nüchternem Magen zu 
nehmen. Pillen davon müssen frisch gemacht werden. In Gelatinhüllen ist 
es ganz verlässlich. Kindern wird es in Suspension mit Wasser und ein 
wenig Glycerin gegeben, in kleiner Dose, etwa ein Zehntel-Gramm, vier- 
bis fünfmal täglich. 

Von dem Schwefelkalium, welches in derselben Weise gegeben 
wird, hat B. keine persönlichen Erfahrungen. Es kann kaum ein Zweifel 
sein, dass bei diesen Präparaten der Schwefel wirkt, ähnlich wie bei dem 
gleichfalls erprobten schweflig- und unterschwefligsaurem Natron und der 
Schwefelsäure. Es ist hier auch zu erwähnen, dass der Grund, weshalb 
die schwefelsauren Verbindungen der verschiedenen Stoffe zu den besten 
Arzneiformen gehören, vermutlich der sei, dass die betreffenden Stoffe 
schon mit einem der Körperbestandtheile combinirt seien. 

Als Beispiel einer sehr wirksamen Composition von Schwefelverbin- 
dungen wird Startin’s Mixtur angeführt: Rp.: Magnes. mlphat . unc. 1; 
ferri snlphat. drachm. 1; Acid. sulfuric. dtl. unc . II; tinct. gent . 
unc. 1; aquae unc . III . M. S. Theelöffel voll nach dem Essen. Bei 
dieser Composition, welche sich bei Erythema multiforme, erythematösem 
Eczem und Urticaria sehr nützlich erweist, ist gewiss weder die Magnesia, 
noch das Eisen oder die Gentiana der wirksame Bestandteil, sondern 
die Vereinigung aller, und es ist kaum zu zweifeln, dass der Schwefel 
dabei eine bedeutende Rolle spielt. Auch die Schwefel-Mineralwässer 
äussern bei internem Gebrauch nicht nur Nutzen auf Leber und Ein¬ 
geweide, sowie bei rheumatischer und gichtischer Constitution, sondern 
auch bei chronischem Eczem und Acne, sowie bei Urticaria. 

Leider fehlen darüber noch verlässliche Informationen, da man sich 
doch nicht auf die Reclamen der Hotels und ebensowenig auf die unwill¬ 
kürlich parteilichen Aussagen der betreffenden Badeärzte verlassen kann. 


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Mediciniseh-chirurgi8che Rundschau. 


769 


Was den äusserlichen Gebrauch des Schwefels betrifft, so verdient 
die erste Stelle, die Behandlung der Scabies. Nur ist immer im Auge zu 
behalten, dass der Schwefel, wenn er auf erodirte Partien applicirt oder 
auch sehr intensiv in gesunde Haut eingerieben wird, ein Irritans dar- 
ötellt. — Die Schwefelsalbe der Pharmakopöe (1 Schwefel zu 2 Fett), ist 
för viele Individuen zu stark; B. verwendet sie deshalb nur selten, 
sondern lässt sie, je nach dem individuellen Fall, gewöhnlich etwa zwei 
Drachmen auf die Unze, mit einem Zusatz von 1—2 Drachmen Storax 
machen. 

Präcipitirter Schwefel hat grossen Werth bei Acne wie in folgenden 
Formeln : Rp.: Sulph. praecip. drachm. 1; aetheris sulph. drachm. 
IV; Spir. ein. rectif. unc. Ill und Rp. : Sulph, praecip . drachm. 1 ; 
tinct, Camph. drachm, II; Glycerin, drachm, II; Aqu. tos. unc. III. 
Auch die Schwefelverbindungen sind bei Acne sehr wirksam, wie der 
von englischen Aerzten so hoch gepriesene Unterchlorschwefel (1—2 
Drachmen auf die Unze Fett). Ebenso und vielleicht etwas schwächer 
wirkt Schwefeljodid. 

Alle diese Applicationen sind etwas reizend und es muss darauf 
Rücksicht genommen werden. Ein milderes Recept ist folgendes : Rp.: 
Potass. sulphuret., Zinc. mlphat. aa. drachm. 1; Aqu. ros, unc. IV. Jedes 
der Ingredienzien wird in der Hälfte des Wassers gelöst; beide klare 
Lösungen sodann gemischt. Der sich bildende weisse Niederschlag wird 
beim Gebrauch aufgeschüttelt und auf dem Gesicht eintrocknen gelassen. 
Einen nicht unbedeutenden Werth hat Schwefel und seine Verbindungen 
auf pflanzliche und thierische parasitäre Krankheiten. Gegen die ersteren 
gebraucht er mit Vorliebe schwefelige Säure. Das Auflösen in Wasser 
ist unnöthig und vermindert den Effect und muss immer frische Säure 
verwendet werden. Auch schweflig- und unterschwefligsaures Natron 
(in Lösung 2—4 Drachmen auf die Unze) können, obwohl mit geringerem 
Nutzen als die Säure selbst, gegeben werden. Die letztere wirkt auch 
in Form der Schwefeldampfbäder, bei denen zu bemerken ist, dass sie 
noch eine Zeitlang nach dem Verschwiuden der Eruption fortzusetzen sind. 
Er warnt übrigens vor den Gebrauch derselben ohne genaue Auswahl 
der Fälle. 

Bei pflanzlich parasitischen Affectionen, bei Scabies, allenfalls bei 
hartnäckigen chronischen Eczemen gewisser Art sehr nützlich, bei Psoriasis 
mitunter von Vortheil, schaden sie bei der grossen Mehrzahl der Eczeme, 
bei Urticaria, Herpes, Pemphigus etc. Paschkis. 


613. Ueber Natrium aethylat Von H. S. Purdon. (Archives of 
Dennatology. Juli 1880.) 


P. verwendet das Mittel seit der Publication Richardson’s 
(Pharmaceutical Journal) etwa 1 1 / i Jahre im Hospital für Hautkrankheiten. 
Er gibt es in Lösung mit der gleichen Menge Wassers oder Alkohols; 
bei beiden Lupusarten, Scrofuloderma, Hautkrebs, Naevus, bei allen gut¬ 
artigen Neubildungen der Haut; es ist nicht nur nützlich, sondern es 
heilt auch, und zwar gewöhnlich ohne Zerstörung oder Deformation der 
Haut. Richardson fand, dass das Präparat in Contact mit feuchtem 
lebendem Gewebe zersetzt und dass dabei caustisches Alkali und Aethyl- 
alkohol gebildet w r ird. Demgemäss sind die Resultate bei der Anwendung 
desselben 1. Entziehung des Wassers der Gewebe ; 2. zerstörende (ätzende) 
Wirkung durch das gebildete Aetznatron ; 3. coagulirende Wirkung durch 
den entstandenen Alkohol. Paschkis. 


Med.-chir. Rundschau. 18SO. 


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770 


Hedicwisch-chiror gische Btmdschan. 


614. Neue Methode, Tripper rasoh zu heilen. Von W. Watson 
Cheyne. (The Brit. med. Journ. Nr. 1021, 1880. — Pester med.- 
chir. Presse Nr. 36. 1880.) 

Verf. hält sich nach seinen eigenen (1879) und Neisser’s Unter¬ 
suchungen im Zusammenhalte mit seiner ganzen Geschichte berechtigt 
den Tripper für eine parasitäre Erkrankung anzusehen und darnach seine 
Behandlung zu richten; die deshalb zur Anwendung kommenden Anti* 
septica sollen die Micrococcen tödten, ohne jedoch die entzündete und 
sehr empfindliche Schleimhaut zu reizen, und diesen Bedingungen ent¬ 
sprechen Jodoform und Oleum Eucalypti. Er lässt aus je 5 Gran 
(0*3 G.) Jodoform und 10 Minims. (0*5—0*6 G.) 01. Eucalypti mit Cacao- 
butter, Bougies im Gewichte von 40 Gran (2*4 G.) formen, 4—6 Zoll 
engl, lang mit einem Durchmesser von 9—10 engl. (Katheder, um die 
Falten der Schleimhaut auszugleichen und alle Theile in Contact mit dem 
Medicamente zu bringen) und an einem Ende sich verjüngend herstellen: 
diese Bougies werden nach Entleerung der Blase in Rückenlage, einge¬ 
taucht in Ol. Euc. oder Carbolöl (1 : 2), eingeführt und das Ortätium 
uretlirae dann verklebt. 4 bis 5 Stunden darf kein Harn gelassen werden. 
In schweren ältereren Fällen werden dann eine, zwei und drei Bougies 
eingeführt. Dann folgen Injectionen mit einer Emulsion von 01. Eucalypti 
(01. Euc. 30 G., Gummi arab. 30 G., Wasser 600—1200 G.), oder 
mit einer saturirten Borsäurelösung 4—5 Mal täglich, bis das Secret 
schleimig geworden ist, gewöhnlich nach 3 bis 4 Tagen, dann Injectionen 
von Zinc. sulphur. 0*12:30*00 Wasser. Der Schmerz beim Wasserlassen 
ist nach 24—48 Stunden verschwunden, die Heilung in 8—10 Tagen 
vollendet. — Ungefähr 40 Fälle wurden bis jetzt so behandelt Vorsicht 
natürlich beim Trinken, nur alcaiische, diluirende Getränke sind erlaubt 


615. Ueber die Behandlung der Syphilis mit suboutan appli- 
cirten Quecksilberpraparaten. Von Prof. C. B. Mesterton. (Upsala 
läkarefören. förhandl. XV. 6. S. 421. Schmidts Jahrb. Bd. 186. 
6. 1880.) 

Nach Verf. sind die reizenden Eigenschaften des Quecksilbers auf 
die organischen Gewebe ein Hinderniss für die subcutane Anwendung der 
Quecksilberpräparate. Ehe das Quecksilber resorbirt und die Blutmasae 
aufgenommen werden kann, muss es sich mit Eiweiss zu einem Albuminat 
vereinigen. In so grosser Menge und so concentrirt, wie es die subcutane 
Anwendung verlangt, in das Parenchym eingeführt, muss es auf einem 
ganz kleinen Umkreise das dazu erforderliche Eiweiss suchen; es nimmt 
es, wo es sich zunächst findet, d. h. in den Elementen des lebenden 
organischen Gewebes; diese werden dadurch zerstört, sie necrotisiren, 
dadurch wird Entzündung und, wenn Nervenfasern von dem feindlichen 
Stoffe getroffen werden, heftiger Schmerz hervorgerufen. Bei der Räucherung 
und bei der Schmierern* wird das Quecksilber auf eine grosse Fliehe 
vertheilt, es dringt langsam, allmälig in die Haut unter die Epidermis 
ein und versieht sich wahrscheinlich schon in den äussersten Lagen der 
Haut mit dem erforderlichen Eiweiss; die locale Reaction ist hier minimal, 
unmerklich. Auch wenn das Quecksilber per os eingefübrt wird, kommt 
es mit der Schleimhaut der Verdauungswege in Berührung und findet 
das Eiweiss bereits an der Oberfläehe, vielleicht auch in dem freien 
Inhalt der Höhlen, und die Resorption wird über eine kolossale Flache 
vertheilt im Vergleiche mit den Verhältnissen bei der subcutanen Iiyection. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


771 


Eine solche allgemeine Verbreitung, wie z. B. die Inunctionscur 
gefunden hat, ist deshalb für die subcutane Anwendung des Quecksilbers 
wohl kaum möglich, aber trotzdem muss man die Methode als einen 
ganz werthvollen Beitrag zur Therapie der Syphilis anerkennen. Durch 
ein geeignetes Präparat, sorgfältige Wahl der Injectionsstelle und andere 
Vorsichtsmassregeln kann man die locale Reaction vermindern und auch 
andere Nachtheile recht gut vermeiden. Die Erfahrungen der meisten 
unparteiischen Beobachter scheinen es an die Hand zu geben, dass 
eigentlich die zeitigen leichteren Exantheme für diese Methode sich am 
meisten eignen, während die Symptome der späteren Perioden sich hart¬ 
näckig zeigen. Gegen die erwähnten Symptome muss demnach die 
subcutane Quecksilberinjection ihre Anwendung finden, ihre Vortheile 
liegen in der raschen Wirkung, der Reinlichkeit der Inunctionscur 
gegenüber, der Schonung der Verdauung und der Bequemlichkeit der 
Anwendung. 


616. Ueber Lupus und seine Behandlung. Von Jonathan Hutchin¬ 
son. — Behandlung des Lupus erythematodes mit Jodamylum. Von 
Mc. Call Anderson. — Behandlung des Lupus mit linearer Scari- 
fication. Von Balm anno Squire. (Vorträge in der Section für Derma¬ 
tologie, Congress der Brit. med. Assoc. Aug. 1879. The Brit. med. Journ. 
Nr. 1009. 1880. Münch, ärztl. Intellgbl. 1880. 35.) 


Hutchinson: Das Wesen des Lupus besteht in einer serpiginös 
den perivasculären Räumen folgenden Zellenwucherung mit den gewöhnlichen 
Erscheinungen der Entzündung, beschränkt auf das Gewebe der Haut und 
Schleimhaut und nur zufällig tiefer greifend; den Anstoss zu derselben 
gibt wie zur gewöhnlichen Entzündung eine leichte Verletzung oder 
Reizung; ihre Eigentümlichkeit beruht auf individueller Besonderheit der 
Zellenernährung und Disposition. Lupus steht in keiner Beziehung zu 
Syphilis, letztere gibt nur den Anstoss zum Hervortreten der latenten 
Disposition und trägt dann der Lupus deutlich die Merkmale der Syphilis. 
Dagegen steht Lupus in inniger Beziehung zu drei pathologischen Zu¬ 
ständen, nämlich zur Scrophulose, zu einer constitutioneilen Anomalie, 
ausgezeichnet durch recidivirende, symmetrische Hauterkrankungen vom 
Psoriasistypus und zu jenem Zustande schwacher Circulation, welcher das 
Auftreten von Frostbeulen begünstigt, und zwar trägt die grössere Anzahl 
der Lupusfälle den scrophulösen Charakter, in zweiter Linie kommt 
Schwäche der Circulation und in dritter die Disposition zur Psoriasis. 
Die zwei ersten Dispositionen sind sehr verwandt, viele andere strumöse 
Erkrankungen beruhen auf angeborner Schwäche der Circulation und in 
gewissem Sinne sind vielleicht auch die Frostbeulen strumös; man kann 
sagen: Lupus ist eine scrophulöse Erkrankung, mehr weniger raodificirt 
durch andere individuelle Dispositionen. Die Unterscheidung in Lupus 
exedens und non exedens ist verlassen, eraterer hat seinen Sitz immer 
an der Nase, welche zerstört wird, letzterer an den ebenen Theilen und 
zwar ohne tiefere Zerstörung. Hutchinson unterscheidet 2 Formen: 
1. Lupus erythematosus; Eigentümlichkeit: symmetrisches Auftreten 
zuerst an der Nase, fortschreitend auf den Wangen, Ohren, Handrücken, 
dadurch verwandt mit Psoriasis und Erfrierungen, mehr noch mit letzteren. 
Varietäten: Lupus sebaceus, häufig ohne Erythem, und Lupus haemorrhagicus 
mit intensivem Erythem und Blutungsneigung. 2. Lupus vulgaris; Varietäten: 
je nach Zahl der erkrankten Stellen, eine oder mehrere; Lupus exulcerans 
mit sehr heftiger Entzündung und frühzeitiger l’lceration; dann Acne- 


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772 


Medlcinisch-chirorgiBche Rundschau. 


Lupus, Eczema-Lupus und Lupus marginatus. Lupus an den Schleim¬ 
häuten mit Ausnahme des Zahnfleisches selten. Behandlung: Sie richtet 
sich nach den Constitutionsanomalien, daher Hebung der Ernährung: 
Tonica, gute Nahrung, frische Luft, Leberthran und mässige Darreichung 
von Stimulantien; mit Vortheil dazu Arsenik, das Specificum gegen 
Psoriasis. Bei Disposition zu Erfrierungen Aufenthalt in wannen Klimaten 
oder möglichste Beschränkung auf das Zimmer im Winter. Fernhalten 
aller schwächenden Einflüsse und Medicamente wie Jod, Mercur. Local 
wegen der Selbstinfection, des Umsichgreifens, Zerstörung der Zell Wuche¬ 
rung, mit Caustica, dem Cauterium actuale oder durch die V o 1 k m a n n ? - 
sche Ausschabung. Caustica: Zinkchlorid, saures Mercurnitrat, sehr gut 
aber schmerzhaft, rasche Granulation. Cauterium actuale: weniger 
schmerzhaft, Heilung aber manchmal sehr langsam. Am besten und 
sichersten ist die Anwendung des scharfen Löffels. Lupus erythematosus 
heilt oft leicht unter Anwendung von Theer- und Bleilösungen und inner¬ 
licher Darreichung von Arsenik. Mc. Call Anderson: Das Jodamylum 
wurde von Dr. Andrew Buchanan (London med. Gal. Vol. XVIII, 
pg. 515 und Vol. XIX, pg. 41 und 80) eingeftlhrt und von C o 11 i g a n zuerst 
bei Lupus erythematodes gegeben. Es wird dargestellt durch Verreibung 
von 24 Gr. = 1.44 Gr. Jod mit ein wenig Wasser und langsamem Zusatz 
von 1 Unze = SO g Stärkemehl unter beständigem Verreiben, bis die 
Masse tiefblau geworden ist; Aufbewahren in festgeschlossenem Glase, 
nachdem die Masse bei geringer Wärme getrocknet worden. Dosis: ein 
gehäufter Theelöffel voll in einem Schlucke Wasser oder dünnen Mehl¬ 
brei dreimal täglich; die Dosis kann bis auf 30 Gr. ohne Gefahr gesteigert 
werden, doch genügt zumeist die erste Dosis. Balmanno Squire: Die 
multiple punktförmige Scarification nach D u b i n i und später V o 1 k m a n n 
änderte Squire in die lineare, welche ihm ausgezeichnete Erfolge ergab; 
durch die Durchschneidung der Capillaren nimmt die Hyperämie ab und 
zugleich verschwinden unter der gesetzten traumatischen Entzündung die 
Zell Wucherungen. Die Lupuszellen wandeln sich nach den mikroskopischen 
Untersuchungen Vidal’s in fibröses Gewebe um, so dass sich die 
Substanzverluste fast vollkommen ersetzen, ein nicht zu unterschätzender 
Vortheil gegenüber den anderen Methoden. Squire nimmt die Operation 
nach localer Aetheranästhesie mittels seines multiple linear 8carifier, aus 
einer Anzahl in gleichen Abständen fixirter Messßrchen bestehend, vor, 
welchen er bei Wiederholung immer in anderer Richtung durch den Lupus 
führt. Die Schnitte heilen innerhalb einer Woche und lassen schliesslich 
keine sichtbare Spur zurück. 


617. Der Salbenmullverband. Von Dr. P. G. Unna, Hamburg. 
(Berl. klin. Wochensehr. 1880. 35.) 

Verf. wendet seit längerer Zeit den Salbenmull verband an: bei 
allen Eczemen des behaarten Kopfes, der Ohren, des Gesichtes und 
Halses, der männlichen und weiblichen Genitalien, der Unterschenkel und 
Hände, also bei den Eczemen aller derjenigen beschränkten Localitäten, 
die, sei es durch die Art der Bekleidung, fortwährenden Insulten aus¬ 
gesetzt sind (Genitalien, Hals), sei es durch den Beruf, groben Schädigungen 
unterliegen (Hände, Unterschenkel), Bei es ihrer Form wegen, mit gewöhnli¬ 
chen Zeugen nur ungenügend bedeckt werden können (behaarter Kopf, 
Gesicht, Ohren, Genitalien, Afterspalte, Hände). Er verwendet einfachen, 
ungestärkten Mull als Grundlage der Zeuge, die nach ihrer Grösse in 
Binden von 2, 3, 4 Ctm. Breite und 1 Meter Länge , und ganze Stücke 


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Medicinisch-chirnrgiache Rundschau. 


773 


von 10 und 20 Ctm. Breite und V,—l 1 /* Meter Länge zerfallen. Der 
unter dem Namen Hydrophile oder Verbandmull bekannte, gereinigte 
Stoff hat den doppelten Nachtheil des viel höheren Preises und der 
Schwierigkeit, ihn in Binden zu zerreissen, ohne erst einen Faden aus 
dem Gewebe zu entfernen. Aus diesen Gründen wird von dem gereinigten 
Mull kein Gebrauch gemacht. Diese Mullstücke und Binden werden nun 
durch geschmolzene Salbenmassen gezogen, welche in ihrer Zusammen¬ 
setzung die bewährtesten Salben nachahmen, welche bei Eczem in Frage 
kommen, nur dass die Massen sämmtlich einen ^eit höheren Schmelz¬ 
punkt besitzen. Es wird das auf die einfachste Weise erreicht, indem 
statt des gebräuchlichen Schweineschmalzes und Olivenöles schwer schmel¬ 
zende Fette, vor allem der Hammeltalg den different wirkenden Stoffen 
zugesetzt werden. 

Unter diesen Salbengemischen ist die Hebra’sche Salbe vertreten 
durch ein Gemisch aus Bleipflaster und Talg zu gleichen Theilen, die 
W i 1 s o n’sche Zinkbenzoösalbe durch eine Masse, welche der W i 1 s o n’schen 
Vorschrift genau entspricht, nur dass statt des Schweineschmalzes ebenfalls 
Talg eingeführt ist. Die Mullstücke werden aus der warmen Flotte 
gehoben, abgestrichen, getrocknet und können dann direct in Gebrauch 
gezogen werden. Die Theeröle, der Perubalsam und die balsamischen 
Stoffe überhaupt mischen sich nicht in genügender Weise mit dem Talge 
und würden sich nach dem Erkalten auf dem Zeuge sehr bald wieder 
ausscheiden. Verf. lässt daher Stücke und Binden von Theer- und Peru¬ 
balsammull anfertigen, welche auf 10 Theile Bleipflastertalg 1 Theil 
Theer, resp. Balsam enthalten. Die Quecksilbersalben, nämlich die weisse 
und rothe Präcipitatsalbe und die graue Salbe, Anden hinwiederum ein 
höchst angenehmes und praktisches Constituens in dem Zinkbenzoetalge 
(1 : 10), obwohl sie auch mit gewöhnlichem Talge eine brauchbare Flotte 
zur Tränkung des Mulls abgeben. — Es versteht sich von selbst, dass 
die Zahl dieser Salbenmullpräparate sich beliebig je nach den vorliegenden 
Indicationen vermehren lässt ^so wurde Mull auch mit Bortalg, Campher- 
talg präparirt). 

Die Anwendung dieses Materials ist eine vielfältige, z. B. bei 
Eczema ani et scroti, es sei aus welcher Ursache immer entsprungen, 
ist das nächste eine sorfältige Reinigung und Trockenlegung nach dem 
Stuhlgang, am besten in der Weise, dass mit einem wenig aufgefeuchteten 
Schwamme alle lose anhaftenden Schuppen und Exsudatreste entfernt, die- 
ganze Fläche unter Anspannung mit einem Bäuschchen abgetupft, dann 
mit einem beliebigen Puder (Reismehl, Talk, weisser Bolus) eingestreut 
und noch einmal abgetupft wird. Sodann schneidet sich der Pat. von dem 
20 Ctm. breiten Bleipflaster- oder Zinkbenzoömull ein je nach der Aus¬ 
dehnung des Eozems 20, 30 bis 40 Ctm. langes Stück ab, legt es sanft 
auf und streicht es der ganzen Länge der Afterspalte nach so tief wie 
möglich in dieselbe ein, und schlägt den vorderen Theil des Lappens um 
den Hoden herum. Sind die Inguinalfalten besonders aflficirt, so genügt 
ein Längsschlitz im vorderen Theil des Lappens, um denselben in beide 
Inguinalfalten fest hineinstreichen zu können ; ist der Penis mitbetheiligt, 
so wird der Lappen noch 5—10 Ctm. länger genommen, an der Wurzel 
des Penis ein Querschlitz eingeschnitten, durch welchen derselbe gesteckt 
und dann vom vorderen Rest des Lappens, den man herunterschlägt, 
vollständig dicht bedeckt wird. Auf dem Salbenmull kommt sodann eine 
vierfache Leinencompresse von derselben Ausdehnung, welche jedoch der 


Afterspalte nur anliegt, ohne sie auszufüllen. 


Sie hat den Zweck, 

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den 

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MediciniBeh'Chinirgische Rundschau. 


Salbenmall überall fest angedrückt za erhalten, und wird selbst gehalten 
von einem Suspensorium, welches aus einem leinenen Bauchgurt und 
einem länglich dreieckigen, umsäumten Stücke Tricot besteht. Der hintere 
Zipfel dieses Stückes geht über der Afterspalte in ein Gummiband über, 
welches, mit mehreren Schlitzen versehen, hinten in der Mitte am Bauch¬ 
gurt angeknöpft wird; an den vorderen beiden Enden sind, den Ingunial- 
falten entsprechend, ebenfalls zwei Gummibänder befestigt, die in beliebiger 
Höhe am Bauch gurt angeknöpft werden können. Dicht hinter dem 
vorderen Rande des Tricotdreiecks ist ein umsäumter Querschlitz zum 
Durchlässen des Gliedes, falls dieses nicht mit afficirt ist. Die grosse 
Elasticität des Tricots und der Gummibänder bewirkt einen bei allen 
Bewegungen der Beine genau bleibenden Anschluss der Leinencompresse 
und des Salbenmulls, zwischen welche beiden man bei Individuen, die 
eine grössere Wärme vertragen (Pruritus Anämischer), Guttaperchapapier 
zur Schonung einschieben kann. Dies Suspensorium befriedigt die hier 
vorliegenden Bedürfnisse vollkommen, genauen Contact der Salben- und 
Hautfläche, Befreiung der Beinbewegung von Mitbewegung der Genitalien, 
sanften, überall gleichmässigen Druck, Vermeidung übermässiger Wärme 
durch den Verband. Es ist ein Mittelding zwischen gewöhnlichem Sus¬ 
pensorium und T-binde, und ähnelt dem neuerdings von Frankreich aus 
empfohlenen Suspensorium, von dem es sich nur durch einen breiteren 
Tricottheil für After und Damm unterscheidet, indem die vordere drei¬ 
eckige Platte sich nach hinten nur langsam zuspitzt. In Eczemföllen mit 
spärlicher Absonderung (wie sie am After meist Vorkommen), genügt ein 
einziger solcher Verband ftlr 24 Stunden, wenn er nach dem Stuhlgang 
mit äusserster Sorgfalt angelegt ist. 0. R. 

618. Ueber Pigmentsyphilis. Von E. Schwimmer: (Wiener 
med. Blätter Nr. 17, 18 u. 20, 1880. — Centralbl. Nr. 29, 1880). 

Durch den Umstand veranlasst, dass in der deutschen Literatur 
weniger, als in der französischen, die zuweilen im Verlaufe der Syphilis 
auftretenden Hautverfärbungen Erwähnung gefunden haben, berichtet Verf. 
über 2 Fälle von Syphilis pigmentosa: Bei einem vordem arg vernach¬ 
lässigten Syphilitiker traten, nachdem er eine 30tägige Injectionscur mit 
Erfolg durchgemacht, nach Aussetzen der Quecksilber- und nachherigen 
Jodkaliumbehandlung, neben zahlreichen linsen- bis daumennagelgrossen, 
dunkel gerötheten Flecken des Stammes und Gesichts ausserdem einzelne 
schmutzigbraune, unregelmässige Flecke an der rechten Thoraxhälfte auf, 
die keine vorausgegangenen erythematösen Veränderungen an denselben 
Stellen erkennen Hessen. Allmälig nahmen — unter fortgesetztem Gebrauch 
von Jodkalium — auch die rothen Flecken dieselbe schmutzigbraune Färbung 
an, so dass ganze Hautpartien gleichmässig von letzterer eingenommen 
waren. Nach einer vierwöchentlichen Injectionscur trat sichtbare Ent¬ 
färbung an den meisten Stellen auf. 

Im 2. Falle trat bei einer 35jährigen Frauensperson von dunklem 
Hautcolorit die Pigraentsyphilis, gleichfalls als Recidiv, nach vorhergegan¬ 
gener specifischer Our (Inunction) auf. Neben einem ausgebreiteten Erythem 
und Jdeinen röthlichen und bräunlichen Flecken zeigten sich Wangen- 
und Lippengegend ganz dunkel, die Kinngegend ungleichmässig verfärbt. 
Innerhalb 14 Tagen erschienen in Nacken-, Brust- und Bauchgegend, 
sowie am Rücken weitere Colorationen von gleichmässigem, schmutzigem 
Braun, zwischen dem die normale Hautnarbe an netz- und inselförmigen 
Streifen sich abhob. Nirgends fand sich eine Spur von Erythem oder 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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Hyperämie an den rasch braun gewordenen Stellen. Zu gleicher Zeit 
hatten sich Drüsenschwellungen und spec. Angiom entwickelt. Die Pig- 
mentation ging auch hier nach einer längeren Einreibungscur zurück. 

619. AcutesEczem des Gesichtes nach Neuralgie. Von J. Cavafy. 
(The Brit. med. Journ. 1880. 1021. — Aerztl. Intelligbl. 1880. 38.) 

Ein 38jähriger Pastetenbäcker litt seit 5 Tagen an heftiger Neuralgie 
der linken Gesichtsseite, oberhalb der Augenhöhle, an Wange und Unter¬ 
kiefer, geringer ober und hinter dem Ohre; schmerzhafte Punkte fanden 
sich zahlreich am Kopfe und Halse, am deutlichsten über der Augenbraue 
und dicht hinter dem Ohre. Der rasende Schmerz begann nach dem Auf¬ 
stehen Morgens und dauerte bis 6 Uhr Abends. Leichte Injection der 
Conjunctiva und Thränenträufeln links, die Haut normal, keine Ursache 
der Neuralgie zu finden. Chinin brachte keine Erleichterung; nach vier 
Tagen hörte die Neuralgie Abends wie gewöhnlich auf, um nicht wieder¬ 
zukehren ; dagegen war die linke Seite des Gesichtes Morgens geschwollen 
und entwickelte sich nach weiteren drei Tagen ein acutes Eczem an den 
von der Neuralgie früher ergriffenen Stellen, aber ohne eine Empfindung 
von Brennen und Jucken, ohne Fieber. Locale Behandlung beseitigte bald 
das Eczem, ohne dass die Neuralgie wiederkehrte. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 

medic. Chemie. 

620. Ueber einen Tuberkel der Medulla oblongata. Von Dr. 
Zemann. (Aus der Sitzung der k. k. Gesellsch. der Aerzte vom 
4. Juni 1880.) 

Vortr. demonstrirte einen Tuberkel in der Medulla oblongata, der 
sich bei einem auf der Klinik des Prof. Leidesdorf verstorbenen 
37jähr. Manne vorfand. Der Tuberkel stellte eine haselnussgrosse, aus 
einer periphern, 1 Mm. breiten, weisslich-röthlichen und einer centralen, 
blassgelblichen, trockenen, brüchigen Partie bestehende Geschwulst dar, 
welche ihrem Hauptantheile nach, also ungefähr zu zwei Drittel, nach 
rechts von der Medianlinie, vorzugsweise in der rechten Pyramide und in 
der rechten Olive gelegen war, nach links hin noch in die linke Pyramide 
hinreichte. Rechte Pyramide und rechte Olive waren leicht vorgewölbt 
und der zwischen beiden liegende Sulcus lateralis anterior nahezu voll¬ 
ständig verstrichen. In der rechten Pyramide trat der Tuberkel bis dicht 
unter die Oberfläche, an einer stecknadelkopfgrossen Stelle war die Lage 
der Pyramidensubstanz so dünn, dass der Tuberkel blassgraulich durch¬ 
schimmerte. Weder die den Tuberkel umgrenzenden Partien der Medulla 
oblongata, noch die derselben anfliegenden Meningen zeigen mikroskopisch 
irgend eine pathologische Veränderung. 

An der Leiche fand sich sonst rechtsseitige tuberculöse Pleuritis 
mit 2 Litern serös-hämorrhagischen Exsudates und Compression der rechten 
Lunge ; circumscripte Schwiele in der rechten Lungenspitze; chronische 
Tuberculöse der bronchialen Lymphdrtise; tuberculöse Peritonitis mit einem 
Liter hämorrhagischen Exsudates; ausgeheilte Fractur am linken Ober¬ 
schenkel. 


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Medicinisclw Ururgische Rundschau. 


Nach der Angabe des Prof. Leidesdorf bot der betreffende 
Patient intra vitam nur die gewöhnlichen Symptome einer progressiven 
Paralyse dar. 

621. Zur Frage der Wiederbelebung erfrierender Thiere. Von 
F. F. Lapschinski (Klinik des Prof. Manassein. Wratsch 1880. 
5—7. Ctrbl. f. Chirurgie 1880. 15.) 

Während die Kliniker fast ausnahmslos Anhänger einer sehr 
allmäligen Erwärmung sind, sprechen sich die Experimentatoren (Beck, 
Horwat, Jacoby) für ein rasches Erwärmen aus. Zur Entscheidung 
dieser Frage wurden Versuche an den Hunden angestellt. Es wurden zu 
jedem der 20 Versuche je 3 Hunde von gleicher Gattung, Alter und 
Gewicht verwendet. Eines der Versuchstiere wurde nach der Congelation 
sofort in einem Bade von 37° R. erwärmt, das zweite in einem auf 
22—24° R. erwärmten Zimmer, das dritte zunächst in einem kalten Raum 
von 0° und hernach, je nach dem Auftreten von Lebenserscheinungen 
und bei steigender Temperatur im Rectum, in eine wärmer temperirte 
Umgebung gebracht. In allen 3 Fällen wurden Abreibungen mit Börsten 
und rauhen Tüchern vorgenommen. Als Wärme entziehendes Medium 
wurde verwandt zunächst kalte Luft (— 17° C.), hernach Kältemischungen 
von — 13—15° C., in welche die Thiere eingepackt wurden. Mit Bezug 
auf die Intensität der Wärmeentziehung können drei Reihen von Versuchen 
unterschieden werden: Abkühlung: 1. bis zum vollständigen Aufhören 
der Respiration und nur noch ziemlich deutlich auscultatorisch wahrnehm¬ 
barer Herzaction, 2. bis zur kaum merkbaren oberflächlichen Respiration 
und noch gut hörbaren Herztönen und 3. bei noch deutlicher Respiration 
und Herzaction. 

Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind folgende: 

1. Hunde werden nach der bis zu einem gewissen Grade gesteigerten 
(im Rectum gemessenen) Wärmeentziehung am raschesten Storch rasches 
Erwärmen, am besten durch ein heisses Bad wieder in ihren normalen 
Zustand zurttckgebracht. 

2. Auch in denjenigen höchsten Graden der Congelation, wo Be¬ 
lebungsversuche durch langsames und allmäliges Erwärmen absolut 
resultatlos sind, wirkt rasches Erwärmen durch ein sofortiges heisses Bad 
noch lebensrettend. 

3. Hunde, welche durch rasches Erwärmen, am besten durch ein 
heisses Bad, belebt werden, bieten nachträglich geringere Fiebererschei¬ 
nungen dar als Thiere, bei welchen allmälige Erwärmung vorge¬ 
nommen wird. 

4. Im Blute, welches während der Congelation den Thieren ent¬ 
nommen war, hatten die Blutkörperchen die allerverschiedensten Formen 
angenommen; dabei waren viele derselben vollkommen farblos. Das Blut¬ 
plasma hatte öfter eine gelblich-rothe Farbe, was offenbar auf ein Austreten 
des Blutfarbstoffes aus den Blutkörperchen hinwies (Böttcher). Blut, 
welches während des Erwärmens entnommen wurde, zeigte unter dem 
Mikroskop dasselbe Bild, jedoch in weit geringerem Grade. Waren 
Thiere nach der künstlichen Erwärmung trotz höherer Temperaturen im 
Rectum zu Grunde gegangen, so fand man in einigen Fällen im Blut gar 
keine Veränderungen. 

5. In der Beschaffenheit der Muskeln fanden sich nur Verände¬ 
rungen an den peripherischen Theilen derselben, welche einer besonders 
starken Kälteeinwirkung ausgesetzt waren. Einige zeigten Trübung, 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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andere hatten die Querstreifung verloren, bei anderen hatten sieh varicöse 
Anschwellungen gebildet. 

Bei der alltnäligen Erwärmung im kalten Raum sauk trotz aller 
Wiederbelebungsversuche die Temperatur im Rectum um 2—3 Grade. 
Da nun die Temperatur im Rectum nicht unter 18° C. sinken darf, wenn das 
Thier sich noch erholen soll, so war der Tod des Thieres, wenn die 
Wärmeentziehung bis zu einer Temperatur von 18° C. im Rectum ge¬ 
steigert war, mit Sicherheit vorausznsagen. Dieser Misserfolg der allmä- 
ligen Erwärmungsmethode erklärt sich nach Verf. daraus, dass zunächst 
das Thier noch weiterer Wärmeentziehung ausgesetzt bleibt, die Ab¬ 
reibungen aber zur Steigerung der Temperatur nicht hinreichen. 

Wurde dagegen ein Thier mit einer Temperatur von 18—19° C. 
im Rectum sofort in ein heisses Bad gebracht, so hei zunächst die 
Schnelligkeit auf, mit der alle Functionen sich wiederum einstellten, wie 
Verf. glaubt in Folge der raschen und allgemeinen Erwärmung des 
Blutes, da warmes Blut eines der besten Excitantien für das Herz 
(Tarchanow, Cyon) bildet und Verf. an zu Grunde gegangenen 
Thieren nicht Gehirnhyperämie (F lo ur e n s, G r o m o w), sondern Gehirn- 
anämie beobachtete. Gleich rasch stellte sich im heissen Bade auch die 
Reflexthätigkeit wiederum ein, die ja durch Wärme (Tarchanow) 
überhaupt gesteigert wird. 

Dem entsprechend gingen von den 20 Versuchsthiereu, bei welchen 
die allmälige Wiederbelebung im kalten Raum vorgenommen wurde, 
14 zu Grunde, von den 20 sofort in ein warmes Zimmer gebrachten 
8 und von den 20 sofort in heissem Wasser gebadeten keines. 


622. Ueber antiseptisclie Wirkung der Säuren. Von N. Sieber. 
(Journ. f. prakt. Chemie. Bd. 19, H. 2. — Correspondbl. f. Schweiz. 
Aerzte 1880. 18.) 


Die Beobachtungen, dass bei Milch- und Buttersäuregährung die saure 
Reaction der gährenden Flüssigkeit eine ungünstige Wirkung auf den 
Verlauf der Gährung ausübt, und dass im Dickdarme Fäulnissorganismen an 
der Zersetzung des Speisebreies wesentlich mitbethätigt sind, während der 
Magen unter normalen Verhältnissen von Fäulnissprocessen vollkommen 
verschont bleibt, gaben der Verfasserin vorliegender Untersuchungen die 
Veranlassung, verschiedene mineralische und organische Säuren auf ihre 
antiseptische Kraft zu prüfen; ferner den Säuregrad zu bestimmen, der 
einer Flüssigkeit zukommen muss, damit sie antiseptisch wirke, um mit¬ 
telst dieser letzteren Bestimmung dann die Frage zu lösen, ob das Fehlen 
aller Fäulnissprocesse bei gesunder Magen Verdauung erklärlich sei einzig 
aus dem Gehalt des Magensaftes an freier Salzsäure, der nach C. 8 c h m i d t 
0*3 °/ 0 , nach Heidenhain 0*52 °/ 0 beim Hunde, nach Rieh et beim 
Menschen = 1*3 pro Liter und in dem mit Nahrungsmitteln vermischten 
Magensaft = 1*7 pro Liter beträgt. — Als fäulnissföhige Substanzen 
wurden Fleisch und Ochsenpankreas geprüft. Die geprüften Säuren 
waren: Salz-, Schwefel-, Phosphor-, Essig-, Butter-, Milch-, Bor- und 
Carbolsäure. — Die Versuche ergaben, dass in der That sämmtlichen 
untersuchten Säuren antiseptische Eigenschaften zukommen, und zwar 
genügt von Mineralsäuren und von Essig- und Buttersäure schon ein 
Gehalt von 0*5°/ 0 , um die Fäulniss vollkommen zu verhindern; weniger 
intensiv wirken Milch- und Borsäure, während ein O*5 0 / 0 iger Gehalt an 
Phenol bereits antiseptisch wirkt. — Da ferner der mittlere Gehalt an 
freier HCl ira Magensaft nach den Bestimmungen von Schmidt, Rabu- 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


teau und Rieh et = O*25°/ 0 beträgt und Fleisch und Pankreas in 
0-25° 0 iger H CI nach den vorliegenden Untersuchungen mehrere Tage lang 
der Fäulniss widerstehen, so ist erwiesen, dass in der That der Mangel 
an Fäulnisserscheinungen bei gesunder Magenverdauung einzig zu Gunsten 
der im Magensaft enthaltenen freien Salzsäure gesetzt werden kann, 
obgleich dazu zweifellos noch andere Momente (stete Erneuerung der 
Säure, peristaltische Magenbewegung, fortwährende Fortschaffung der älteren 
fäulnissfähigen Masse) beitragen. 

623. Zur Lehre von den Wirkungen des Blitzes auf den thie* 
rischen Körper. Klinisches und Experimentelles. Von Prof. Dr. H. 
Nothnagel. (Virchows Archiv Bd. LXXX. p. 327. CtrlbL f. Chir. 
1880. 38.) 

Ein 30jähriger Mann wurde vom Blitze getroffen, blieb 5 Stunden 
lang bewusstlos und erwachte dann mit einer Anästhesie und Lähmung 
der rechten Hand; diese Störungen gingen (unter elektrischer Behandlung 
nach zehnwöchentlichem Bestehen plötzlich innerhalb zweier Tage zurück. 
Nach sechs Jahren kehrte die gleiche Lähmung und Anästhesie plötzlich 
wieder ohne jede Veranlassung; sie bestanden wiederum mehrere Monate 
unverändert. Man constatirt dann in der Klinik eine erhebliche Atrophie 
der Interossei und Daumenmuskeln; die Bewegungen der Hand sind 
beschränkt, die der Finger und des Daumens fast aufgehoben; ausserdem 
ist die rechte Hand total gefühllos; die Anästhesie schneidet am Ueber- 
gange in den Vorderarm scharf ab. Eine mehrtägige elektrische Behand¬ 
lung änderte gar nichts; dagegen trat unter der täglich mehrere Stunden 
währenden Application eines grossen Hufeisenmagneten in wenigen Tagen 
eine vollständige Wiederherstellung der Motilität und Sensibilität ein; 
bald ging auch die Atrophie der Muskeln zurück. 

Verf. stellte nun mehrere Versuchsreihen bei Kaninchen an, die er 
mit starken Entladungsschlägen einer grossen Leydener Flasche behandelte; 
der Entladungsschlag führte locale Anästhesien herbei, deren Grad und 
Ausbreitung von der Stärke des Schlages und von der Oertlichkeit der 
Ein- und Aussprungsstellen abhing. Besonders an Partien mit geringem 
Querschnitt, an den Enden der Extremitäten und am Schwanz traten die 
Anästhesien am leichtesten ein, was aus bekannten physikalischen Gründen 
sehr leicht zu verstehen ist. Die Anästhesien gingen nach sehr kurzer 
Zeit stets vollkommen zurück. 

Kräftige Entladungsschläge bewirkten auch motorische Lähmungen 
an den Extremitäten, welche ebenfalls sehr rasch vollkommen zurück¬ 
gingen. 


624. Ueber den Einfluss der Coronar-Arterien-Verschliessuug 
auf die Herzaction. Von B. Samuelson. (Zeitschr. f. klin. Med., Bd.2, 
Hft. 1. — Allg. med. Central-Ztg. 1880. 70.) 


Die Störungen der Herzthätigkeit nach Verschluss der Kranzarterien 
sollten (Referat Finkler’s im Centralbl. f. klin. Med. Nr. 25, 1880) 
vorwiegend ihren Grund darin haben, dass die Zufuhr des Sauerstofe 
zum Herzmuskel unterbrochen wurde (Ludwig, Virchow). Gegen 
Virchow hatte Pan um gefunden, dass eine Verstopfung der Kranz¬ 
arterien keineswegs augenblicklichen Stillstand des Herzens bedingt, da 
das Herz noch stundenlang seine rhythmischen Contractionen fortsetzen 
kann. Als möglicher Grund für die Angina pectoris oder Stenocardie ist 
Verengerung und Verknöcherung der Coronar-Arterien anerkannt. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Verf. wurde durch die Beobachtung eines Falles von tödtlichem 
Collapsus nach einfacher Indigestion bei einem herzkranken Manne ver¬ 
anlasst, die Frage über den Einfluss der Verschliessung der Coronar- 
Arterien experimentell zu entscheiden. 

Es betraf einen robusten Mann, der schon öfter scheinbar asthma¬ 
tische Anfälle durchgemacht hatte. Da kein Emphysem vorhanden, noch 
sich ausbildete und Herzaffection objectiv nicht nachweisbar war, wurde 
der Grund der Angina pectoris auf Fettherz geschoben. Nach einer 
Ueberladung des Magens und reichlichem Weingenuss verfiel Pat. in einen 
Collaps, in welchem bei kühlen Extremitäten, höchstem Unwohlsein und 
angestrengter Athmung die Zahl der Pulse auf 35 herabging. Excitantien 
vermochten dieselbe nur vorübergehend auf 39 zu steigern Der Collaps 
war nicht zu heben und führte in 5 Stunden zum Tode. Als Ursache 
fand sich bei der Section bei beginnender Sclerose der Aorta ein sclero- 
tischer Process beider Coronar-Arterien, die sich wie dünne, aber harte 
bindfadenartige Stränge anfühlten. 

Zur Entscheidung der Frage, ob die Verschliessung der Coronar- 
Arterien Ursache der Verlangsamung des Rhythmus sei, wurde bei Thieren 
Kaninchen) die Arter, coron. sinistra abgeklemmt. Das Resultat der 
Versuche war: 

„1. in einigen Fällen bei schwachen Thieren alsbaldiger Stillstand 
des Herzens; 

2. bei kräftigeren Thieren eine Abschwächung des linken Ventrikels, 
welche sich nur in geringem Maasse der rechten Herzhälfte mittheilt; 

3. in der Mehrzahl der letzteren Fälle zugleich eine Verminderung 
der Geschwindigkeit der rhythmischen Herzcontractionen; 

4. als Folge der herabgesetzten Contractionskraft des linken Ven¬ 
trikels eine Stauung, Ueberfüllung und sehliesslicher Stillstand des linken 
Vorhofs (Angina pectoris); 

5. eine Restitutio in integrum erfolgt mehrmals nach einer Ver¬ 
schliessung von 2 Minuten, einmal sogar von 4 Minuten Dauer; darüber 
hinausgehende Verschliessung hat Stillstand des Herzens und Tod zur Folge. u 

Auch die Intensität der Herzenscontractionen nimmt ab mit der 
Verminderung ihrer Anzahl. Ein wichtiges Ergebniss ist ausserdem die 
Anschwellung des Vorhofs nach Klemmung der Coronaria sinistra. Dies 
erfolgt namentlich, wenn bei herabgesetzter Contractionskraft des linken 
Ventrikels der rechte Vorhof und rechte Ventrikel munter fortarbeiten. 
„Die linke Herzkammer ist in ihrer Zusammenziehung geschwächt, der 
Blutdruck in derselben vermindert; zur selben Zeit contrahirt sich das 
normal gefüllte rechte Herz (Vorhof und Kammer) in regelmässigem 
Tempo mit ungeschwächter Kraft und treibt seinen Inhalt ununterbrochen 
zu den Lungen und von hier aus zum linken Vorhof. Die Stauung ist 
also dadurch erfolgt, dass der in seiner Contractionsfühigkeit herabgesetzte 
linke Ventrikel die Masse des ihm zuströmenden Blutes nicht bewältigen 
kann.“ Man wird jetzt begreifen, weshalb die sogenannte Verknöcherung 
der Kranzarterien kein nothwendiges Correlat für Angina pectoris ist. 
Alle auf Schwäche des linken Ventrikels beruhenden Krankheitszustände, 
gleichviel, ob dieselben durch Fettherz, Muskelschwund, Sclerose der 
Aorta und der Arterien bedingt sind, finden auf die einfachste Weise 
ihre Erklärung. „Die schnell vorübergehenden Anfälle von Palpitation, 
Beklemmung, Dyspnoe und Orthopnoe beruhen auf beginnenden Stauungen 
im kleinen Kreislauf, welche sich alsbald verlieren, wenn der linke Ven¬ 
trikel sich schnell genug erholt, um den linken Vorhof und die linken 


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Medioinigch-chirnrgische Rundschau. 


Lungen von ihrer Ueberfüllung zu befreien. Hält die Schwäche des 
Ventrikels länger an, so kommt es zu blutig-schaumigem Sputum, wie 
wir es in den leichteren Anginaanfällen nicht selten finden. Dauert sie 
noch länger, oder kommt es gar zu vorübergehendem Stillstand des 
linken Ventrikels, so ist acutes Lungenödem, event. der Tod die unver¬ 
meidliche Folge.“ 

Für den beobachteten Sterbefall wird angenommen, dass 'di$ 
Abschwächung beide Herzhälften gleichmässig betraf; „es waren deshalb 
die Erscheinungen des Collapses vorherrschend, das Krankheitsbild nicht 
dasjenige der gewöhnlichen Angina pectoris, bei welcher eine ungleiche 
Thätigkeit beider Herzhälften die Regel ist. 

625. Ueber die Resultate und die Bedeutung der Gudd en’sehen 
Exstirpatiousmethode in der Anatomie und Physiologie des Central 
nervensystems. Von Prof. Dr. A. Forel. Nach dem Vortrag gehalten 
in der medic.-chirurg. Gesellsch. des Cantons Zürich. (Correspbl. f. Schweiz. 
Aerzte 1880. 19.) 

Bis vor nicht sehr vielen Jahren galt in der Regel das Gehirn, 
sowohl bei den Anatomen, als bei den Physiologen, als eine Terra ineo* 
gnita, wo man nur einige grössere unklar begrenzte Abtheilungen unter¬ 
schied und in welche man sich am besten nicht wagen sollte. In den 
letzten Jahren hat sich dieses gewaltig geändert; die Anatomie und die 
Physiologie des Gehirnes gehören jetzt zu den Gebieten, wo am meisten 
gearbeitet wird. Die grössten Fortschritte der neueren Zeit verdanken 
wir nicht nur der reinen histologischen und directen physiologischen 
(Hitzig, Munck etc.), sondern gewissen combinirten Methoden, wie 
dem Studium der secundären Degenerationen (W a 11 e r, T ü r c k, C h a r c o t), 
der verschiedenzeitigen Entwicklung des Nervenmarks bei Fötus (Flechsig), 
der G u d d e n’schen Methode. 

Letztere besteht darin, dass dem neugeborenen Thiere (Kaninchen, 
Hund) gewisse Theile des centralen oder peripheren Nervensystems abge¬ 
tragen werden. Das Thier lässt man dann gross werden und stadirt 
sowohl den Ausfall an den Functionen, als die secundäre Inactivitäts- 
atrophie, welche die von dem exstirpirten Theile functioneil abhängigen 
Gebilde erleiden. — Dadurch sind sehr wichtige Thatsachen festgestellt 
worden. Der Vortr. hebt darunter folgeude hervor: 

1. Abtragung eines motorischen Nerven, z. B. Ausreissung des 
Facialis (Mayser, Arch. f. Psychiatrie 1877). Beim erwachsenen Thier 
findet man eine vollständige Atrophie sämmtlicher Facialisfasern, sowie 
aller grossen Ganglienzellen des sogenannten unteren Facialiskernes der¬ 
selben Seite, sonst nichts. Sowohl vom Nervenmark, als vom Axencylinder 
der Fasern und von den grossen polygonalen Zellen des Kernes bleibt 
bei der prachtvollsten Färbung und grösster Feinheit der Schnitte absolut 
nichts mehr sichtbar. 

Durch dieses Experiment Gudden’s, das sich bei den anderen 
motorischen Nerven vollkommen bestätigt, wird bewiesen: a) dass es nur 
einen Facialiskern gibt, der untere von M e y n e r t; b) dass sämmtliche 
Fasern des Nervus facialis in die Zellen des Kernes derselben Seite über¬ 
gehen, also keine Kreuzung peripher von den Kernzellen; c) dass, wie 
bis jetzt auch angenommen worden war, wenn auch nur aus partiellen 
Beweisen (Zusammenhang einzelner Zellen mit Fasern), die Fasern der 
peripheren Nerven einzig und allein in dem Protoplasma der grossen 
polygonalen Ganglienzellen, ihrer sogenannten Ursprungskerne, sowohl im 
Hirn, als im Rückenmark, ihren Ursprung nehmen. 

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Medicinißch-chirurgißche Rundschau. 


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Ferner wird die Theorie des trophischen Centrnms der motorischen 
Nervenfaser, welches angeblich in der Urspmngszelle sein soll, weil das 
centrale Ende einer durchgeschnittenen motorischen Nervenfaser beim 
erwachsenen Thiere nicht, das periphere dagegen wohl degenerirt, nicht 
wenig erschüttert. Denn durch dieses Experiment zeigt sich, dass, wenn 
man das junge Thier angreift, das centrale Ende auch atrophirt, mit- 
sanimt der Ursprungszelle. 

Dieselben Erfolge hat man bei Abreissung der motorischen Wurzeln 
des Rückenmarks, sowie der Augenmuskelnerven etc. Hiebei erweisen 
sich eine totale Kreuzung der N. N. trochleares, eine partielle der N. N. 
oculomotorii, gar keine beim N. abducens, dessen Kern der sogenannte 
Facialis-Abducenskern oder oberer Facialiskern Meynert’s ist (der mit 
dem Facialis nichts zu thun hat). 

2. Bei der Exstirpation von sensiblen Nerven ist das Resultat etwas 
anders. Die Fasern atrophiren genau so wie die motorischen. Doch sind 
die Verhältnisse in dem aus feinsten Zellen bestehenden Kerne dunkler. 
Derselbe ist allgemein stark reducirt, doch nicht ganz weg, und enthält 
in seinem reducirten Massstabe, wie es scheint, dieselben Elemente wie 
vorher, a) Opticus (Gudden, v. Gräfe’s Archiv für Ophthalmologie, 
Bd. XXI bis XXV versch. Artikel). Es zeigt sich dabei zunächst die 
partielle Kreuzung des Chiasma bei den Säugethieren, die jedoch bei den 
niedereren (Kaninchen) nahezu total ist. Das ungekreuzte Bündel liegt 
lateral und versorgt einen mehr oder weniger grossen lateralen Antheil 
der Retina. Als atrophirende Centren zeigen sich die Rindenschichten des 
oberen Zweihügels und das Corpus geniculatum externum, sonst keine. 
Von der Atrophie verschont bleiben anatomisch mit dem sogenannten 
Tractus opticus theilweise verschmolzene, physiologisch aber ganz ver¬ 
schiedene Commissuren beider Thalami und Corp. genicul. interna, die 
früher nie vom Opticus unterschieden worden waren, b) Sensible Wurzeln 
des Rückenmarks. Es atrophiren hier, sowie bei der aufsteigenden (sen¬ 
siblen) Quintuswurzel, die subst. gelatinosa Rolandi partiell, die Wurzel¬ 
fasern total, auch diejenigen, die im lateralen Theile des Hinterstrangs 
längere Zeit longitudinal verlaufen, c) Bei Exstirpation der N. olfactorii 
atrophiren der Bulbus und der Tractus olfactorius, der Lobus nicht. 
(Gudden, Archiv für Psychiatrie, Bd. II.) 


3. Centrale Theile. a) Die Exstirpation der motorischen Rinden- 
centren H i t z i g’s beim j ungen Hunde und beim jungen Kaninchen haben 
zur Folge den vollständigen Schwund aller Fasern (Mark und Achsencylinder) 
der Pyramide der Oblongata auf der anderen Seite, und ihrer Fortsetzung 
abwärts als Pyramidenbahn im Rückenmark, sowie aufwärts im medialen 
Theile des Pedunculus, in der inneren Kapsel und im Stabkranze. Die 
Corpora striata (Linsenkem und Nucl. caudatus) bleiben von der Atrophie 
vollständig verschont. Dadurch ist bewiesen, dass die Pyramidenfasem 
(psychomotorische Bahn) direct von den motorischen Rindencentren bis 
zum Rückenmark ohne Unterbrechung durch die Corp. striata (wie es 
Meynert annahm) verlaufen. Dies wurde schon von Gudden in diesem 
Correspondenzblatte (1872) bei Anlass eines Vortrags über Dem. paralytica 
kurz erwähnt, ferner in Kussmaul (Störungen der Sprache) und bei 
May ser (1. c. und Arch. f. Psychiatrie Bd. IX, Heft 1) weiter ausgefiihrt 
und abgebildet, von Wer nicke dagegen (Verh. d. Physiol. Ges. Berlin 
12, XII, 1879) sehr auffallender Weise übergangen. Diese höchst wichtige 
Thatsaclie, welche zuerst durch das G u d d e n’sche Experiment festgestellt 


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liediciniBch-chirargische Rundschau. 


wurde, bestätigt sich jetzt von allen Seiten, wenn auch die anderen 
Beweise nur partielle oder unvollkommene sind. 

b) Die Exstirpation der Hirnrinde der einen Seite bringt also keine 
Atrophie des Corpus Striatum, wohl aber eine partielle Atrophie des Thalamus 
derselben Seite hervor. 

c) Exstirpation des einen Bulbus olfactorius allein hat zur Folge 
nicht nur die Atrophie des entsprechenden Tractus olfactorius, sondern 
den vollständigen Schwund des sogenannten Olfactoriusantheils der Coro- 
missura anterior cerebri beiderseits (Ganser, Archiv f. Psychiatrie, Bd.IX. 
Heft 2). Es ist also die Com. ant. cerebri kein Chiasma nerv, oifact., 
wie Meynert vermuthete, sondern sie besteht aus zwei Commissoren: 
die eine zwischen beiden Bulbi olfactorii, die andere zwischen beiden 
Schläfenlappen der Hemisphären. 

d) Der sogenannte aufsteigende Gewölbschenkel hat mit dem soge¬ 
nannten absteigenden nichts zu thun. Der eine hat mit dem Gewölbe 
nichts zu thun. Der andere, der allein vom Gewölbe (F o r n i x) herrflhrt. 
hat andere Verbindungen nach hinten etc. (F o r e 1, Archiv für Psyehia 
trie, Band VII, Anm.) 

Im Allgemeinen sieht man, dass die von einander durchaus abhän¬ 
gigen Theile secundär atrophiren, während einfach associirte, respeetive 
noch anderweitig functionirende Theile, wie verschiedene Theile der Firn 
rinde, Corp. striata (auch der Hemisphärenblase angehörig) inbegriffen, 
nicht oder kaum secundär atrophiren. So sieht man auch, dass die voll¬ 
ständige Pyramidenatrophie die Ursprungszellen der motorischen Nerven 
nicht beeinflusst, weil dieselben nach Reflexen von den sensiblen Rücken 
markscentren aus functioniren, während die Wegnahme des peripheren 
Nerven sie vollständig nutzlos macht, wenn auch die centrale Innervation 
von der Hirnrinde aus fortbestehen könnte. 

Zwischen den Centren wenigstens der motorischen Rückenmark*- 
und Hirnnerven im centralen Höhlengrau und in der Hirnrinde gibt es 
keine Intemodien. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 

626. Fall von Selbstmord unter bemerkenswerthen Verhältnissen. 
Von Districtsarzt N. C. Heerfordt. (Ugeckr. f. Läger 3 R. XXVHL 
19, 1879. Ref. in Schmidt’s Jahrb. 184. Bd., Heft 11, Jahrg. 1879, 
pag. 170.) 

Ein 30jähr. Schiffer hat sich am 25. Juni mit seinem Boote entfernt, 
dasselbe an einer ungewöhnlichen Stelle befestigt und sich in folgender 
Weise ermordet: Um den Hals schlang er sich einen Strick in fhnf 
Touren, machte dieselben durch Knoten fest und band an das längere 
freie Ende einen schweren Stein; ferner band er sich die an den Hand¬ 
gelenken kreuzweise tibereinandergelegten Hände mit zwei Touren einer 
Schnur und befestigte diese wieder mit Knoten; ferner band er sich eine 
Schnur um die Fussgelenke und endlich band er sich mit einem Tan, 
das er um seinen Leib schlang, an das Bugspriet seines Bootes, warf 
dieses ins Wasser und ertränkte sich dann. Die Frage, ob Mord oder 
Selbstmord, war in diesem Falle zu erörtern nicht nothwendig, da ein 
Mörder gewiss unterlassen hätte, die Leiche an das Bugspriet zu binden, 
und so zur leichten Auffindung derselben beizutragen; übrigens fehlten 


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Me dicinisch-chirurgische Rundschau. 


783 


alle Merkmale geleisteter Gegenwehr — und war der Verstorbene hereditär 
geisteskrank — Melancholiker — gewesen. 


627. Zur gerichtlichen Geburtshilfe. (Schmidt’s Jahrb., Bd. 184, 
Jahrg. 1879, Heft 12, pag. 268.) 


Dr. Cauchois berichtet in den Ann. d. Hyg. 3. Ser., Heft II, 
pag. 258 über folgenden Fall, in welchem ein Mädchen von 25 Jahren 
der Herbeiführung der Fehlgeburt angeklagt war. Dieselbe hatte bereits 
einmal geboren und sich wissentlich seit 6 Monaten schwanger gefühlt. 

Sie gestand zu, 3 Tage lang sehr strenge, nur aus festen Speisen 
bestehende Diät beobachtet, währenddem auch täglich einen Kaffeeaufguss 
von 125 Gr. Kaffeebohnen genossen, täglich drei heisse mit Asche ver¬ 
setzte Sitzbäder genommen und endlich, während dieser Zeit schwere 
Erntearbeiten verrichtet zu haben. Der Abortus war nach 4—5 Tagen 
erfolgt. — Die Angeklagte hatte während der drei Tage profuse Schweisse, 
wiederholtes Nasenbluten, Polyurie mit Ischurie und ist demnach wahr¬ 
scheinlich, dass sich die erzeugte GefÜssaufregung bis auf den Uterus 
erstreckt habe und in der Weise der Abortus bewirkt wurde. 

Dr. T. Gallard — ebenda pag. 371 — bespricht die Indicien 
für Verheimlichung der Geburt, welche aus der Untersuchung der Geni¬ 
talien der Mutter und der Haare des Kindes entnommen werden können. 

Veranlassung zu Studien in dieser Richtung wurde dem Verfasser 
dadurch geboten, dass zwei Wäscherinnen, die früher in gutem Einver¬ 
nehmen lebten, sich gegenseitig der Abtreibung der Leibesfrucht resp. des 
Kindesmordes beschuldigten. 

Aus den vielen sich widersprechenden Angaben und Behauptungen 
ergab sich nur, dass eine vor zwei Jahren schwanger war und geboren 
oder abortirt hatte, während die andere die Beseitigung der Frucht oder 
des Kindes bewerkstelligte. 

Ueber die erste Frage des Richters — den angeblich vor zwei Jahren 
stattgehabten Abortus, resp. die zu jener Zeit vor sich gegangene Geburt 
betreffend, konnte der Gerichtsarzt keinen Aufschluss geben; dafür aber 
waren die Umstände des Falles für die Beantwortung der zweiten Frage: 
„Ob die Inculpatin, wie sie angab, im 3. Monate oder, wie ihre Anklägerin 
behauptete, später als im 7. Monate abortirt, beziehungsweise geboren 
habe M — günstiger. 

Die jetzt feindlich gesinnte Freundin hatte nämlich zugestandener- 
massen die Frucht resp. das Kind in der Weise beseitigt, dass sie 
mit der kleinen Leiche vom gemeinsamen Aufenthaltsorte wegfuhr 
und dieselbe; fern vom heimatlichen Wohnort, auf einem Felde, in leinene 
Lappen gewickelt, wegwarf. 

Dortselbst am Felde wurde das Packet gefunden und bei Gericht 
deponirt. Auf die an jene Behörde ergangene Anfrage erfolgte die Zu¬ 
stellung des noch in Gerichtsverwahrung behaltenen Packetes und konnte 
selbes dem Gerichtsarzt zur Untersuchung vorgelegt werden. — Derselbe 
fand auf den zwei Leinwandstucken; welche es enthielt, mehrere verschieden 
grosse Flecken mit hie und da eingestreuten Punkten. Die Untersuchung 
mittelst des Mikroskopes zeigte, dass sie aus vertrockneten, vielfach ver¬ 
knitterten Blutkörperchen und Fettkügelchen bestehen. Es liessen sich 
am Spectroskope die Absorptionsstreifen und mittelst Kochsalz und Eis¬ 
essig Hämatinkrystalle nachweisen. (Nach 2 Jahren.) — Weiter aber 
fanden sich Haare an diesen Leinwandstücken, die alle Charaktere von 
Milchhaaren an sich trugen und an der Hand dieser Befunde konnte der 


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784 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


untersuchende Gerichtsarzt aussagen, dass au der zur Untersuchung 
übergebenen Leinwand Merkmale gefunden wurden, welche darauf schliessen 
lassen, dass mit derselben eine menschliche Frucht vom sechsten Schwanger¬ 
schaftsmonate bis zum neugebornen Kind in Berührung war. Ob diese 
Frucht reif, oder der Reife nahe war, ob sie lebend oder todt mit 
den untersuchten Lappen in Berührung gewesen war, lasse sich nicht 
ermitteln. —r. 

628. Ueber den Einfluss des Tabaks auf die Schwangerschaft 

Von H. Delaunay und Goyard. (Prager med. Wochenschrift 1880, 30.) 

In der Gesellschaft für öffentl. Medicin und Gewerbehygiene zu 
Paris wurden in der Sitzung vom 25. Febr. 1880 von D. und G. Mit¬ 
theilungen gemacht, die den schädlichen Einfluss des Tabaks auf die 
Schwangerschaft darthun sollen : Die Arbeiterinnen in den Cigarrenfabrikeu 
disponiren ungewöhnlich häufig zum Abortus, und drängen sich viele 
ledige Schwangere, denen dieser Umstand bekannt ist, um Aufnahme in 
dieselben. Aber auch die lebend geborenen Kinder dieser Cigarren¬ 
arbeiterinnen sollen sehr schlecht genährt sein und einem frühzeitigen 
Tode verfallen. Diesen Mittheilungen wurde von Decaisne und The* 
venot eingewendet, dass die Richtigkeit derselben erst nach ausgedehn¬ 
teren und gründlicheren statistischen Ermittelungen über diesen Gegentand 
sich herau86tellen könne. 

629. Vergiftung durch Oxalsäure. Von Ch. Fair fax Nursey. 
(Lancet 1880, May, p. 680. Schmidt’s Jahrbücher, Bd. 186. 6.) 

Eine dem Trünke in hohem Grade ergebene Frau, dem Delirium 
tremens nahe, hatte sich V* Unze (ca. 15 Gramm) Oxalsäure zu ver¬ 
schaffen gewusst, sie in Wasser gelöst und getrunken. Unmittelbar darauf 
war Erbrechen erfolgt, das sich fortwährend wiederholte. Ueber 3 Stunden 
nach der Einführung des Giftes wurde die Kr., dem Tode nahe, auf¬ 
gefunden und man gab ihr sofort kohlensaure Magnesia in Wasser. 
N. fand die Kr. genau 4 Stunden nach der Einführung des Giftes im 
Collap8us, fast pulslos, mit heftigem Brennen im Mund und Hals; das 
Erbrechen dauerte noch fort, dem Erbrochenen war Blut beigemiscbt; 
ausserdem bestanden Starre, Taubsein mit leichten krampfhaften Zuckungen 
in den Gliedern. Die Schleimhaut des Mundes und Rachens war in Folge 
der ätzenden Wirkung des Giftes durchaus weiss belegt, schlingen konnte 
aber die Kranke. N. liess noch eine Zeit lang kohlensaure Magnesia 
fort gebrauchen und gab dann Kalkwasser mit Milch in reichlichen Mengen. 
Das Erbrechen dauerte fort, aber es trat Reaction ein; der vorher kalte 
Körper wurde warm, der Puls wurde fühlbar und die Wangen begannen 
sich zu färben. Heftiger Schmerz im Epigastrium und im Unterleibe be- 
Btand fortwährend, aber die Starre liess allmälig nach. Elf Stunden nach 
Einführung des Giftes liess N. kein Kalkwasser mehr nehmen, und alle 
halbe Stunden 1 Unze (circa 30 Gramm) Mixtura tragacanthae compos. 
in Milch. Am anderen Morgen war die Kr. ausser Gefahr und nach 3 
bis 4 Tagen konnte sie wieder ausgehen. 

In Anbetracht dessen, dass der Magen der Kr. leer und in Folge 
des starken Trinkens in entzündetem Zustande war, als sie die starke 
Gabe des Giftes zu sich nahm, dass ferner ziemlich 4 Stunden vergingen, 
ehe ein Gegenmittel gereicht wurde, muss es wunderbar erscheinen, dass 
der Tod nicht schon eingetreten ist, ehe die Kr. aufgefunden wurde. 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 7gg 

630. Ein Fall von Vergiftung durch Leuchtgas. VonDr. C. Biot 
in Mäcon. (Bull, de Ther. 1880. 15.) 

Der folgende Fall ist besonders in Bezug auf die Ursache der 
Entstehung und den Weg, den das Gas ausströmte, von Interesse. Am 
21. Dec. 1879 Vormittags wurde B. eilig zu einer Frau gerufen, die 
ohne vorhergehende Krankheit, plötzlich bewusstlos, fast ohne Respiration 
im Bett aufgefunden worden war. Das Gesicht war blass, die Lippen 
waren cyanotisch, die Pupillen, verengt, von gleicher Weite, reagirten 
nicht auf Lichtreiz. Die Respiration war äusserst schwierig, der Puls 
regelmässig, aber sehr frequent (116 Schläge in der Minute). Contracturen 
an den Gliedern bestanden nicht, aber auch nicht die absolute Schlaffheit, 
wie bei Hirnhämorrhagie. Ein auffälliger Geruch war im Zimmer nicht 
wahrzunehmen. Schon 3 Tage früher war die Kranke und ihr Mann, die 
allein ein aus 2 Stockwerken bestehendes, höchstens 80 Mtr. von einer 
Gasanstalt entferntes Häuschen bewohnten, früh mit dumpfer Benommenheit 
des Kopfes und sonstigem Unwohlsein erwacht, im Laufe des Tages hatten 
sich aber die Erscheinungen wieder verloren. Am nächsten Morgen 
bemerkte der Mann nichts Besonderes ausser etwas Appetitlosigkeit, die 
Frau aber hatte Hitze im Kopfe und Uebelkeit; in der Nacht vor dem 
21. Dec. hörte der Mann, dass seine Frau, wider ihre Gewohnheit, sehr 
stark schnarchte; er selbst fiel, als er früh das Bett verlassen hatte, in 
Folge von sehr heftigem Kopfschmerz um, er wollte das Fenster Öffnen, 
fiel aber von Neuem um, legte sich dann wieder in das Bett und schlief 
wieder ein. Als es aufgefallen wat, dass die beiden Leute so lange ver¬ 
schwunden blieben, wurde ein Fenster eingeschlagen; der Mann hatte 
noch so viel Kraft, dass er aufstehen und die Thüre öffhen konnte, die 
Frau aber war nicht zu erwecken, trotz Oeffnen der Fenster und Thüren 
und Auflegen von Essig auf den Kopf. B. machte eine subcutane Injection von 
Aether, liess die Kranke Ammoniak einathmen und Senfteige auf die 
Waden legen, wonach die Kranke bald zu sich kam und nach Verlauf 
von einer Stunde ausser Gefahr war. 

Genaue Nachforschung ergab, dass Gas aus dem Keller ausströmte. 
Dieser hatte gar keine gemauerten Wände, sondern seine Wände bestanden 
nur aus dem Erdboden, den Durchtritt des Gases gestattend, das bei 
starkem, tief in den Boden gedrungenem Froste nicht nach oben aus dem 
Boden austreten konnte. Die ursprüngliche Quelle der Gasemanation liess 
sich nicht ermitteln. Es kostete Mühe, die Leute zu bewegen, ihr zu 
ebener Erde gelegenes Schlafgemach aufzugeben und im ersten Stock zu 
schlafen. In der Nacht vom 23. zum 24. Dec. wollte der Mann mit 
einem brennenden Lichte in den Keller gehen, er hatte aber kaum den 
Oberstock verlassen, als eine furchtbare Explosion erfolgte, die ihn rück¬ 
wärts schleuderte und grosse Verwüstungen im Hause anrichtete. Die 
Frau hatte von dieser Explosion keine Verletzung erlitten, der Mann hatte 
aber mehrere Verbrennungen davongetragen. 


Recensionen. 

631. System der Hautkrankheiten. Von Dr. Heinrich Auspitz. 
Wien, Braumüller 1881. 

Noch vor der Lectüre, schon bei dem blossen Ansehen des Titelblattes 
dieses neuen Werkes sind wenigstens beim Schreiber dieser Zeilen Bedenken rege 
geworden, die derselbe nicht gerade gegen die vorliegende Publication, sondern 

Med.-chlr. ßundachau. 188 «. Digitized by Go&gk 



786 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


gegen die Gattung überhaupt, nicht als Tadel selbst, sondern als Entschuldigung 
für den Tadel hier voransetzen will. Ein System der Hautkrankheiten! Ist ein 
System für ein verhältnissmässig so beschränktes Feld der menschlichen Pathologie 
in der That nothwendig ? Nothwendig für das Yerständniss der Dermatologie oder 
für das Studium derselben oder etwa gar Pur die Therapie der Hantkrankheiten? 
Ungerechnet die kleineren Verbesserungen finden sich am Schlüsse des obgenannten 
Werkes nicht weniger als 35 Systeme, darunter der hervorragendsten Forscher, 
aufgezählt. Wir fragen sämmtliche Dermatologen: haben uns alle diese Systeme 
auch nur einen Schritt in der Wissenschaft selbst weiter gebracht? Nicht zwei 
derselben decken sich vollkommen: Quot capita, tot sensus. Wir sind weit ent¬ 
fernt davon, behaupten zu wollen, als wäre des gelehrten Autors System schlechter 
als ein anderes. Aber seine mühe- und geistvolle Arbeit ist zum grossen Theile 
wenigstens eine vergebliche gewesen. Die Dermatologie hat vorläufig noch andere 
Aufgaben zu erfüllen. Wenn erst das indagare causis et sedibus morborum auch 
in diesem Zweige der Medicin erfüllt ist, dann baut sich das System von selbst 
auf, dann fallen die einzelnen Unterabtheilungen von selbst in ihre Kategorien. 

Es ist ganz falsch, sich in dieser Hinsicht auf Rokitansky zu berufen. 

Erstens hat dieser grosse Meister zuerst erforscht und dann eingetheilt, 
und zweitens ist das System, oder wenn man lieber will das Schema Roki tansky’s 
eigentlich Nebensache. Nehmen wir Alles in Allem, wir könnten und wollten 
sehr zufrieden sein, wenn wir alle Dermatonosen nur ganz einfach, aber voll¬ 
kommen erkannt und erforscht neben einander zu stellen im Stande wären. Fällt 
es irgend einem Kliniker ein die Krankheiten der Lunge in ein besonderes System 
zu bringen? Tuberculose, Pneumonie, Entzündung der serösen Umhüllung, mit 
allen verschiedenen Arten derselben werden ruhig nach einander abgehandelt und 
es geschieht auch recht, denn sonst kämen wir noch dazu, die Entzündungen der 
einzelnen Lungenlappen, vielleicht auch noch der Lungenbläschen als Ordines, 
Subordines oder Tribus und Subtribus ä la de Candolle zu tractiren. 

Die Eintheilungen der Hautkrankheiten in Ordnungen und Familien von 
den ältesten Autoren bis zu den neuesten kranken nach der richtigen Ansicht 
des Autors an vielen Uebeln. Die sogenannten natürlichen Systeme an dem 
mangelhaften Wissen, die künstlichen eben an ihrer Künstlichkeit. Das System 
Hebra’s ist tbeils ein künstliches, tbeila ein rein natürliches, also ein nach dem 
Eintheilungsprincip gemischtes. Es ist hier sogleich zu bemerken, dass man mH 
den ausserordentlich geistreichen Ausführungen des Autors auch schon im all¬ 
gemeinen Theil nicht durchwegs übereinstimmen kann. Wenn A. sagt, das 
He brauche System sei kein pathologisch-anatomisches, so wird ihm wohl kein 
vernünftiger Mediciner widersprechen, gerade so wenig als es sich der Mühe 
lohnen würde, der v. Bärensprun g’schen Behauptung entgegenzutreten, als bitte 
Hebra ganz einfach ein pathol.-anatomisches Schema Rokitansky’s ausgefullt. 
Dagegen ist ebenso unzweifelhaft richtig, dass das System Heb ra's auf pathologisch- 
anatomischen Grundlagen aufgebaut sei und dass, indem Hebra Rokitansky 
nicht gerade in dem Eintheilungsschema für die Abnormitäten der äusseren Haut, 
sondern vielmehr seinem Vorgang in der ganzen übrigen pathologischen Anatomie 
folgte, dieser in der That im Ganzen und Grossen (mit geringen Ausnahmen) ein 
natürliches System schuf. — Die Anforderungen, die A. an ein gutes natürliches 
System der Hautkrankheiten stellt, sind formaler und essentieller Art. Die der 
ersteren bestehen in dem Verlangen eines consequent festzuhaltenden Eintheilungs- 
momentes; es ist zuzugeben, dass das Hebra’sche System in den Unterabtheilungen 
in dieser Richtung Manches zu wünschen übrig lässt. Die der zweiten bestehen 
darin, dass kein einziges Merkmal als Eintheilungsgrund für die Hauptgruppen 
willkürlich gebraucht werde. Man kann sich auch hiemit vollständig einverstanden 
erklären, und meinen wir, dass der Nachdruck in dem ausgesprochenen Satze auf 
„willkürlich - zu legen sei, oder mit anderen Worten: Das Haupterforderniss eines 
solchen Systemes sei ein spontan sofort in die Augen springender, allen Individuen 
gemeinsamer Eintheilungsgrund. Welches ist dieser? Kein Symptom, sondern offenbar 
die pathologische Anatomie, wohl gemerkt immer nur als H a u p t eintheilungsgrund. 
Dass, wie der Autor bemerkt, die Aetiologie, die Morphologie und Localisation 
etc. etc. jede für sich keinen solchen abgeben können ist klar, aber dass ein 
System, bei welchem alle diese Factoren zusammen berücksichtigt werden sollen, 
(etwa wie ein botanisches System, in welchem nebst den gebräuchlichen Merk¬ 
malen auch die Farbe, der Geruch, etc. verwendet würden) nur geringen 
Anspruch auf Klarheit und auf Natürlichkeit machen kann, ist ebenso selbst¬ 
verständlich , als der Umstand, dass der Autor von diesen von ihm selbst 
ausgesprochenen Principien abweicht, theils eben wegen der inneren Schwierigkeiten, 
theils auch weil unsere Kenntnisse in der Dermatologie, wenn auch in den letzten 


,GöogIe 



Medicinisch-chirurgische Rundschau. 787 


Jahren bedeutend vermehrt, doch noch immer Löcken auf «reisen, die eben eine 
vollkommen logisch-natürliche Eintheilung unmöglich machen. 

Das System von Auspits hat folgende neun dessen: 1. Einfache Ent- 
zündungsprocesse der Haut. 2. Angioneurotische Dermatosen. 3. Neuritische 
Dermatosen. 4. Stauungsdermatosen. 5. Hämorrhagische Dermatosen. 6. Idio« 
neurosen der Haut. 7. Epidermidosen. 8. Chorioblastosen. 9. Dermatomykosen. 
Die erste Classe hat zwei Ordnungen: Hautkatarrhe und Hautphlegmonen. Was 
der Verf. (S. 44) über den Katarrh der Schleimhäute mittheilt, ist vollständig 
richtig und es ist — nicht einmal mit vielem Zwang — recht gut möglich, 
manche Processe in der Haut mit Schleimhautkatarrhen zn vergleichen. Dessen¬ 
ungeachtet aber möchten wir uns entschieden gegen diese Vernewerung der 
Nomenclatur verwahren, denn wenn wir auch von der noch nicht ganz irrelevanten 
Differenz zwischen Mucin- und Hornmetarmophose absehen und eine verm ehrte (!) 
8eröseitrige Exsudation an die Oberfläche der Haut (!) gelten lassen wollten, so ist 
doch gegen die in Rede stehende Bezeichnung der gewichtige Einwand zu erheben, 
dass schon seit geraumer Zeit her unter derselben eben ein eigentümlicher Pro- 
cess an der Schleimhaut und nur an dieser verstanden wird. 

Eine üble Consequenz dieses gesuchten Namens zeigt sich sofort in der 
«weiten Familie derselben Ordnung, sie führt den Titel „Erosive Hautkatarrhe" 
(Stigmatosen). Es gehören zu ihr alle Erosionen, ob durch Parasiten oder Traumen 
bewirkt. Wir möchten uns hiebei nur die einzige Frage erlauben, ob z. B. Ver¬ 
letzungen an der Mund- und Wangenschleimhaut jemals als Katarrhe oder 
traumatische Katarrhe bezeichnet worden sind? 

Die zweite Ordnung der ersten Classe umfasst die Hautphlegmonen; der 
Verfasser selbst stellt den Anthrax, sowie die Aleppobeule nur vorläufig in diese 
Reihe. Die in der dritten Familie befindlichen sind Phlebitis und Lymphangoitis. 
Beide können wohl nur als Ursachen einer Phlegmone betrachtet werden; die 
letztere hat vielleicht überhaupt keinen Platz in dem System, da die Lymph- 
gefässen'zündungen der Haut zum überwiegenden Theile nur begleitende oder 
FolgeBymptome von anderen Krankheiten (Infection etc.) sind. 

Ueber das Erysipel, welches in derselben Familie erscheint, sind die Acten, 
auch wenn es nicht gerade das Wunderysipel ist, noch nicht geschlossen und die 
einfache Einreihung desselben unter die Stauungsphlegmonen der Haut ist 
mindestens ein wenig willkürlich. Die zweite Classe wird definirt als Dermatosen 
mit dem Charakter einer ausgedehnten Störung des Gefässtonus neben mehr oder 
weniger ausgeprägter Wallung an der Hautoberfläche. Die drei Familien: infectiöse, 
toxische und essentielle Angioneurosen, erscheinen, wenn man die nach nnserer 
Meinung überhaupt nicht in ein System der Hautkrankheiten gehörigen Roseolen 
(ex Typho Cholera etc.) ausnimmt, logisch und glücklich zusammengestellt. Als 
neu tiitt die Benennung Erythaothema für Erythema multiforme und nodosum 
sammt Verwandten und die richtigere Benennung Erythema angiectaticum für 
Acne rosacea auf. 

Der Name der dritten Classe, neuritische Dermatosen, erklärt sich selbst. 
In der vierten Classe, den Stauungs-Dermatosen, finden wir die markanten Er¬ 
scheinungen der Hypertrophie und Atrophie des Bindegewebes der Haut als 
Elephantiasis und Sklerem angeführt. Durch diese Placirung, welche nur auf 
einem ganz weithergeholten und vielleicht — wir können darüber nicht entscheiden 
— auch ziemlich nebensächlichem Grunde beruht, zeigt der Verfasser ganz 
eminent das nicht Natürliche seines Systems, welches eine Cardinaleigenschaft 
(und zugleich ein ganz classisches und specifischsichtbares Bild) wie Hypertrophie 
und Atrophie erst in die dritte (?) Linie vorsetzt. 

Die fünfte Classe sind die hämorrhagischen Dermatosen, Dermatosen in 
Folge (?) gesteigerten Durchtrittes rother Blutkörperchen durch die Gefässwände 
der Haut. 

Zu den Functionsanomalien der cntanen Nervenausbreitungen ohne tro- 
phische Veränderung der Haut (sechste Classe) rechnet der Autor auch die Prurigo, 
indem er die auftretenden Knötchen als durch eine der Cutis anserina gleiche Moti- 
litätsneurose (Krampfcontractur der Arrectores pilorum) entstanden erklärt. 

Bei den Wachsthumsanomalien der Oberhaut und ihrer Anhangsgebilde 
(siebente Classe) können wir der Einreihung der Secretionsanomalien in dieselbe 
nicht zustimmen. Es ist jedenfalls richtig, dass die Drüsenfollikel in ihrem 
anatomischen Bau der Haut sehr nahe und durch die ihnen zukommende Aufgabe 
mit derselben in engem Connex stehen, dessenungeachtet glauben wir, es hiesse 
zu weit gehen, wollte man die Secretion der Drüsen mit der Verhornung der 
Epithelien, zwei ohnehin schon chemisch vollständig verschiedene Dinge, in einp 
Linie stellen. Die Secretion ist immer etwas ganz Besonderes und wegen der 


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788 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Eigentümlichkeit ihrer Organe sowie wegen der Wichtigkeit, der physiologischen 
Functionen der letzteren sollte man die Erkrankungen derselben, also die 
Secretionsanomalien in eine eigene Reihe bringen. Mit der Einreihung der Chro- 
matosen sowie der Akanthosen (Anomalien der Stachelschicht der Epidermis) mit 
der Familie Panakanthosen (Epitheliom ond Carcinom) kann man sich einver¬ 
standen erklären. , 

Die Choriobla8tosen (achte Classe), Wachsthumsanomalien des Lederhaut- 
nnd des snbcutanen Bindegewebes der Haut führen als zweite Ordnung die 
Panendesmosen auf. Diese sind nun plötzlich auf die so viel verschmähte patho¬ 
logisch-anatomische Grundlage gestellt, die erste Familie sind die Granulations¬ 
geschwülste, die zweite die Desmome. Ob es nicht vielleicht doch passender 
gewesen wäre, dem in der Einleitung des vorliegenden Buches ausgesprochenen 
Grundsätze, erst auf Grund aller wichtigen Einzelmomente die Classification 
vorzunehmen, gerade hier bei den Granulomen zu folgen? Denn es sind ja trotz der 
vielen Gemeinschaftlichkeiten, die etwa Lnpos, Syphilis, Scrophulose bieten mögen, 
dieselben wenigstens nach dem gegenwärtigen Standpunkte unseres Wissens zu 
heterogen, um sie — nicht parallel — sondern mit einander zu betrachten. Und 
gerade die Eintheilung dieser Erkrankungen in das besprochene System war es, 
welche die im Eingang dieser Zeilen erwähnten Bedenken ganz besonders in uns 
geweckt hatte. 

Sehen wir auf dem Gebiete der zuletzt besprochenen Granulome nur die 
Syphilis an. Jeder Autor weist ihr einen anderen Platz an; die meisten zerreissen 
sie, ihrer mannigfaltigen Formen wegen , in unendlich viele Theile und schieben 
jeden dieser letzteren in ein anderes Fach ihres Systems. Und es wird noch Jeder, 
der sich einigermansen eingehend mit dem Studiam dieser schweren Krankheit 
beschäftigt hat, zugeben müssen, dass dieselbe eigentlich nichts weniger als eine 
Hautkrankheit ist, dass die ihr eigentümlichen Exantheme zum grössten Theile 
nur Symptome, wenn auch bedeutende und gewichtige Symptome sind. Unser 
Autor hat dieselben wenigstens nicht getrennt, wenn er sie auch einseitig in eioe 
Classe ein gereiht hat. 

Ueber die letzte Classe, die Pilz-Krankheiten der Haut und ihrer Anhänge, 
ist nichts Weiteres zu bemerken. 

Der Autor hat an die Begründung seines Systems synoptische Tabellen 
der verschiedenen Systeme der Hautkrankheiten angereiht und so dem Leser ein 
Übersichtliches und verständliches Bild derselben geboten. Paschkis. 

632. Jahrbuch der praktischen Medioin. Unter Mitwirkung von 
Baginsky, Bardeleben (Jena), Bresgen, Buchwald, Ewald, 
Frerichs (Breslau), Frölich, Grtltzner, Guttman, Hart¬ 
mann, Horstmann, Jacobi, Kolaezek, Weisser, Pusch¬ 
mann, Reimer, Rosenbach, Spitz, Unverricht, Voigt und 
Wiener. Herausgegeben von Dr. Paul Börner. Jahrgang 1880. Stutt¬ 
gart. Verlag von Ferdinand Enke. 731 S. 8°. 

Der Versuch, den deutschen Aerzten ein „Jahrbuch der praktischen 
Medicin** zu bieten, hat mit diesem Bande seine zweite Wiederholung erfahren. 
Sowohl die Namen der Mitarbeiter, als die des Herausgebers, der als Leiter und 
Mitarbeiter eines der besten deutschen medicinischen Fachblätter sich eines unge¬ 
schmälerten Rufes erfreut, bürgen dafür, dass die Referate richtig und correct 
sind, womit gewissermassen die wichtigste Bedingung eines solchen Unternehmens 
gedeckt ist. Da der Herausgeber dem Jahrbuch die Aufgabe stellt, den Fortschritt 
auf allen Gebieten der praktischen Medicin zu registriren, hätten wir a priori 
nichts dagegen einzuwenden, dass der vorliegende Band so voluminös geworden, 
wenn nur alles „Fortschritt wäre, was in demselben enthalten ist. Für alle Fälle 
hat der Arzt ein plastisches Bild der einzelnen Doctrinen und, was wir 
betonen müssen, auch jener wichtigen Agenden, welche das Standesinteresse des 
Arztes berühren. Wir begrüssen die in der Einleitung enthaltenen Rubriken über 
„medizinische Vorbildung und das Studium der Medicin“, ferner die „Arztverein« 
und die Organisation des ärztlichen Standes“ und stimmen dem sub „die Presse“ 
Gesagten vollkommen bei. Dass die öffentliche Gesundheitspflege und gerichtliche 
Medicin ebenfalls eine eingehende Berücksichtigung erfahren, ist bei den bekannten 
Tendenzen des Herausgebers selbstverständlich. Was wir an dem „Jahrbuch“ *n 
tadeln hätten, dass Vieles referirt wurde, was des Referates nicht würdig ist und 
Manches zu breit gegeben erscheint, ohne Hinweglassung des Unwesentlichen, 
verspricht der Herausgeber in der Vorrede bei den folgenden Jahrgängen zu ver¬ 
meiden, „denn über Unbedeutendes zu referiren.ist nicht die Sache eines 


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Werkes, welches ein Bild der in stetem Flusse befindlichen Wissenschaft geben will.“ 
Das am Schlosse angebrachte Sach- and Antoren-Register erhöht die Brauchbar¬ 
keit des von dem Verleger mit möglichster Sorgfalt ansgestatteten Baches. 

633. Grundlagen zur Beurtheilung des Trinkwassers, zugleich 
mit Berücksichtigung der Brauchbarkeit für gewerbliche Zwecke und der 
Reinigung von Abfallwasser nebst Anleitung zur Prüfung des Wassers. 
Für Behörden, Aerzte, Apotheker und Techniker veröffentlicht von Dr. 
E. Reichardt, Professor in Jena. Vierte, sehr vermehrte und ergänzte 
Auflage. Mit 34 Holzschnitten und 2 lithogr. Tafeln. Halle a. S. Verlag 
der Buchhandlung des Waisenhauses 1880. 170 S. 8°. 

Die vorliegende Arbeit entwickelte sich ans dem Gutachten, welches Verf. 
behufs der Untersnchang von Fluss-, Quell- und Triebwasser im Grossherzogthume 
Weimar ausarbeitete. Es handelte sich dabei um die möglichste Vereinfachung 
der chemischen Untersuchung, wie sie durch die Feststellung von Grenzwerthen 
zur Beurtheilung der Qualität des Wassers einerseits erreichbar ist, andererseits 
nm die Darstellung der Bedeutung der einzelnen Bestandteile des Wassers ent¬ 
sprechend den Zwecken, denen es dienstbar gemacht werden soll. Der Umstand, 
dass die Arbeit in kurzer Zeit die 4 Auflage erlebte, ferner die bekannten 
Leistungen des Verfassers auf analytischem Gebiete würden nns der Mühe ent¬ 
heben, Weiteres zur Empfehlung dieser Schrift anzuführen, doch wollen wir auch 
noch die äusserst praktische Darstellungsmethode hervorhebeo. welche durch ihre 
Klarheit dem Experten rasch dio Grundsätze kennen lehrt, die bei Benrtheilang 
des Wassers angewendet werden sollen, und ausserdem selbst dem mit ähnlichen 
Untersuchungen nicht vertrauten Chemiker eine sichere Anleitung znr Ausführung 
derselben an die Hand gibt. Die mikroskopische Prüfung des Wassere 
welche bisher in den gangbaren Anleitungen zur Untersuchung des Wassere nicht 
berücksichtigt wurde, ferner die Capitel: Verunreinigungen der Pumpbrunnen 
durch Todesacker, Wärme der Quellen, Reinigung des Abfallwassers sind besondere 
den Sanitätsbehörden erwünscht, welche ein wichtiges Urtheil über diese Fragen 
sonst nur mit grossen Opfern an Zeit und — Büchermateriale schöpfen konnten. 
Druck und Ausstattung sind lobenswerth, — sch. 

634. Psychiatrie und psychiatrischer Unterricht. Rede gehalten 
zur Feier des Stiftungstages der militärärztlichen Bildungsanstalten am 
2. August 1880 von Prof. Dr. C. Westphal. (Berlin. Hirsch¬ 
wald. 1880.) 

Die vorliegende Rede enthält so viel interessante nnd vom grossen Theile 
des ärztlichen Pablicums unbeachtet gelassene Gesichtspunkte für die Betrachtung 
nnd WerthBchätznng der wissenschaftlichen Psychiatrie, dass mit dringender An¬ 
empfehlung des Originales eine kurze Inhaltswiedergabe an dieser Stelle berechtigt 
erscheint. 

Die relativ späte Entwicklung der Psychiatrie, deren Zurückbleiben gegen¬ 
über andereiKbisciplinen der medicinischen Wissenschaft, findet seine Begründung 
in verschiedenen Umständen, namentlich jedoch in den grossen Schwierigkeiten, 
welche das anatomische Object derselben, das Gehirn, der Untersuchung entgegen¬ 
setzt durch die Complicirtheit seines Baues nnd die daraus folgende Mannig¬ 
faltigkeit seiner Lebensäussernngen im gesunden nnd kranken Zustande; um nur 
die gröbsten Irrthümer zu vermeiden, ist die grösste Genauigkeit bei allen auf 
das Gehirn und seine Functionen Bezug habenden Beobachtungen unumgänglich 
erforderlich*. Die Schwierigkeiten der anatomischen Untersuchung wachsen da, wo 
keine mikroskopischen Veränderungen wahrnehmbar nnd die mikroskopische Durch¬ 
forschung berbeigezogen werden muss zum Zwecke der Erklärung und Aufhebung 
beobachteter klinischer Symptome; erst durch das Mikrotom wurde die mikro- • 
skopisebe Gehirn Untersuchung recht möglich, bleibt aber immer ungeheuer zeit¬ 
raubend und mühevoll. 

Am weitesten zurück blieb die Forechnng bezüglich der allgemeinen Neurosen 
and Psychosen, so zwar, dass bis in die neueste Zeit vielfach derartige Erkran¬ 
kungen gar nicht erkannt und die damit Behafteten in Gefängnissen nnd Arbeits¬ 
häusern untergebracht waren. 

Das Licht einer besseren Zeit für die Psychiatrie nnd ihr Object ging in 
Pinel auf, dessen humanitäre Bestrebungen ein Ergeboiss seiner wissenschaft¬ 
lichen Ueberzeugung waren, dass die bislang übliche Behandlung der Geisteskranken 
dem Heilzwecke schädlich sei, eine Heilung geradezu unmöglich mache. Leider 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


wurde die Weiterentwicklung des P ine rachen Gedankens durch die Anwendung 
neuer Heilmethoden und Mittel , welche einer gut eingerichteten Heilanstalt bald 
das Aussehen einer Folterkammer gaben, lange gehindert, bis der Engländer John 
Conolly mit seiner unter dem Namen Non-restraint bekannt gewordenen Heil¬ 
methode die besten Erfolge erzielte. In der engl. Anstalt zu Hanwell war dieses 
System 1839 bereits vollständig durchgeführt. Wie wenig rasch es jedoch in 
Deutschland Eingang fand , geht ans der Schilderung hervor, welche der Vor¬ 
tragende macht von dem Zustande der Charit6-Irrenabtheilung 4 im Jahre 1858. Den 
Werth des Cono lly'sehen Systems bezeichnen die Worte : „Die Irrenabtheilnngen 
gewannen einen ganz anderen Charakter, Erregungszustände traten weit seltener 
auf, erreichten nie die Intensität wie früher und gingen bei weitem schneller 
vorüber; zugleich wurde das Verhältnis der Kranken zu den Wärtern und 
Aerzten ein viel freundlicheres und Vertrauens volleres." Auf einen besonders hoch 
anzuschlagenden Werth des C.-Systems macht Vort aufmerksam, es ist das merk¬ 
liche Schwinden der früher gewiss berechtigten Scheu des Publicums vor den 
Anstalten und die daraus resultirende rechtzeitige Überführung der Kranken in 
die Anstalt. Ein weiterer Vortheil ist die Gewährung von früher undenkbaren 
Freiheiten an die Kranken; sie finden bis jetzt ihren schönsten Ausdruck in der 
Einführung von Ackerbaucolonien und tragen die Gewähr noch viel weiterer Aus¬ 
dehnung in sich. Mit Recht ist zu hoffen, dass durch die fortschreitende Kenntniss 
der Geisteskrankheiten und die damit zusammenhängende Verbesserung der Heil¬ 
anstalten vielen Kranken der Muth gegeben werden wird, rechtzeitig die Hilfe 
des Arztes, resp. der Anstalt, aufznsnchen. 

Ein weiteres wichtiges Hemmniss für die Entwicklung der wissenschaft¬ 
lichen Psychiatrie war der Mangel von Lehrstühlen an den Universitäten, dem 
erst in neuester Zeit allmälig abgeholfen wurde. P.-ychiatrisches Wissen muss 
ein integrirender Bestandtheil der ärztlichen Bildung werden. Die Psychiatrie 
kann unmöglich aufgefasst werden als eine Specialität im Sinne etwa der Ophthal¬ 
mologie, im Gegentheile gehört die Bekanntschaft mit ihr zur allgemeinen ärzt¬ 
lichen Ausbildung; durch sie wird der Arzt mit wesentlich neuen, eigenartigen 
Krankheitsbildern bekannt gemacht; selbst die Methode der Beobachtung bietet 
vieles von allen anderen klinischen Beobacbtungsmethoden gänzlich Verschiedenes 
und muss eigens erlernt werden. Es darf das Wissensgebiet der Psychiatrie, 
welches gerade heutzutage eines der interessantesten und wichtigsten der ge- 
sammten Medicin darstellt, nicht länger den Studirenden vorenthalten werden 
und soll im Zusammenhänge mit den übrigen Nervenkrankheiten dargestellt 
werden. 

Die landläufige Vorstellung, als ob es sieh in Geisteskrankheiten blos ntn 
psychische Störungen handelte, ist irrthümlich; ebenso wichtig sind Störungen im 
Gebiete der Sinne, der motorischen und sensiblen Sphäre der Nerven. Die ein¬ 
gehende Beobachtung macht uns die Gesetzmässigkeit des psychischen Mechanismus 
klar und führt uns von der falschen Ansicht zurück, als ob es sich bei den 
Geisteskrankheiten um ein phantastisch ungeordnetes Spiel der Vorstellungen, 
Gefühle und Willenserregungen handelte. Unter Hinweis auf die neueren Arbeiten 
(Munk, Hitzig etc.) wird der Zusammenhang zwischen Physiologie, Experi- 
ment&lpathologie und Psychiatrie hervorgehoben; noch reicher und mannigfaltiger 
sind die Beziehungen zwischen Nervenpathologie und Psychiatrie und interessant 
die Uebergänge von einem in's andere Gebiet. 

Zum Schlüsse wird die Wichtigkeit psychiatrischer Kenntnisse speciell für 
Gerichts- und Militärärzte noch ganz besonders hervorgehoben. 

Der Vortrag sei wiederholt allen Aerzten aufs Wärmste empfohlen. 

Schno pfhagen 

635. Die Bewegung der Bevölkerung in Wien im Jahre 1879. 
MittheilungeD des städtischen statistischen Bureaus. Wieu 1880. Verlag 
des Wiener Magistrates. 

Es ist ein sehr schätzbares und namentlich auch für den Vergleich mit 
den Verhältnissen anderer grosser Städte wichtiges Material, das in dem vor¬ 
liegenden Werkchen geboten wird. — Ueber die erste Abtheilung, die Trauungen 
betreffend, können wir nns kurz fassen, da dieselben für den Medicin&lstatistiker 
von untergeordnetem Interesse sind. Bios das Factum sei constatirt, dass 1879 
(wie im Vorjahre) die Zahl der Trauungen in Wien wieder gestiegen ist, während 
seit dem wirtschaftlichen Niedergange die Zahl der Eheschliessnngen sich in 
stetiger Abnahme befunden hat 

Bei den Geburten (39 Lebendgeborne auf 1000 Einwohner) ist ein Über¬ 
schuss von 13 7 per Mille über die Verstorbenen hervorzuheben. Wien hat in 




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dieser Hinsicht ähnliche Verhältnisse wie London, Berlin und Hamburg. Die Zahl 
der unehelichen Geburten ist, wie überall in Oesterreich, wo Findelanstalten be¬ 
stehen, sehr bedeutend und gibt häufig zu pharisäischen Bemerkungen über unsere 
Moralität Anlass. Es kommen nämlich in Wien wie in Prag auf 100 Lebendgeborne 
41 uneheliche Kinder. Indess ist für den Unkundigen hervorzubeben, dass ein 
grosser Theil der auf das Kerbholz von Wien und Prag geschriebenen Unehelichen, 
nicht in diesen Städten, sondern am flachen Lande empfangen worden ist, und 
dass die betreffenden Mütter blos wegen Unterbringung ihrer Sprösslinge in einer 
Landesflndelanstalt, die Gebärhäuser der genannten Hauptstädte aufgesucht haben. 
Referent hat für Prag ermittelt, dass nach Ausschluss der fremden Provenienzen 
die unehelichen Kinder in Prag blos 28°/ 0 der Lebendgebomen ausmachen, und 
Aehniiches dürfte auch in Wien der Fall sein. 

Ausserhalb des Gebärhauses kommen in Wien blos 13 von 100 Unehelichen 
sur Welt. 

Was nun die Sterblickeit betrifft, so beziffert sich die Rohzahl mit 28 auf 
1000 Einwohner, wobei jedoch Civil nnd Militär confundirt ist. Nach Abzug der 
Ortsfremden erhält man eine Sterbeziffer von 24*8 per Mille. 

In Hinsicht der Altersverhältnisse soll nur angeführt werden, dass unter 
100 Verstorbenen sich durchschnittlich 25—26 Säuglinge befinden und dass das 
Durchschnittsalter beim Tode (mit Ausschluss des ersten Quinquenniums berechnet) 
43 Jahre ist. 

Bemerkenswerth ist die Abnahme der durch acute Infertionskrankheiten 
bewirkten Todesfälle. Die Zahl derselben ist nämlich gegen das Vorjahr um 147 0 
surückgegangen. Ebenso zeigt sich bei der Tuberculose eine Abnahme von 6'9°/ 0 . 

Die Zahl der Todesfälle betrag bei: 

ac. Infectionskrankh. beim 

überhaupt Darmtypbus 


1875 . 2266 524 

1876 . 3330 288 

1877 . 2383 384 

1878 . 2596 233 

1879 . 2187 194 


Am meisten Typhen und Diphtheritis hat der 11. Stadtbezirk in Wien, 
während in Bezug auf allgemeine Sterblichkeit der X. Bezirk (starke Arbeiter¬ 
bevölkerung) obenan steht. Die relativ geringste Sterblichkeit hat die innere 
Stadt (I. Bezirk). 

Die mitgetheilten Daten sind nur ein kleiner Theil der in dem besprochenen 
Buche niedergelegten bemerkenswerthen Thatsachen, und es sollen dadurch nur 
die Interessenten auf das Original aafmerksam gemacht werden. Popper. 


636. Grundriss der Desinfectionslehre. Auf kritischer und expe¬ 
rimenteller Basis bearbeitet von Dr. A. Wern ich in Berlin. Mit 15 in 
den Text gedruckten Illustrationen. Wien, Urban und Schwarzenberg, 
gr. 8. 254 S. 

Der Autor hat sich die Aufgabe gestellt, eine Bearbeitung des Desinfectious- 
Themas von Grund aus vorznnehmen, und behält besonders im Auge, wie unbe¬ 
friedigend gewöhnlich Discussionen über den mit wachsendem Interesse behan¬ 
delten Gegenstand ausfallen, wenn man den Grundbegriff der lnfectionen als 
einen einfach gegebenen ansieht. W. hält es deshalb vor Allem für geboten, vom 
epidemiologischen und pathologischen Standpunkte klarzulegen, was eigentlich 
Infection ist und was wir mit der Desinfection bezwecken. Wir müssten tief in 
Details eindringen, wenn wir mit dem Verf. darüber rechten wollten, ob nicht 
die Anschauung von der absoluten Specificität der Krankheitsgifte und von ihrem 
absoluten Constantbleiben, wie sie z. B. von Kleb8 vertreten wird, die in vieler 
Beziehung bequemere und wahrscheinlichere ist. So viel aber ist sicher, dass W s 
Auffassung der Ansteckungen und besonders der in Epidemien gehäuften, ganz 
neue Gesichtspunkte für die Abwehr der Infectionskrankheiten eröffnet Wenn 
die Kraft und Selbstständigkeit der Stoffe durch die Ausreifüng derselben im 
Menschen von Stufe zn Stufe gesteigert wird, muss es in der That erfolgreich 
sein, diesen Entwicklungsgang an verschiedenen Punkten zu unterbrechen und so 
der Ausartung der Epidemien vorzubeugen. 

Sehen wir von dieser Grundfrage, für deren Bejahung Verf. die ihm zu 
Gebote stehendeu Beweise mit grosser Klarheit vorträgt, ab, so gipfelt der Werth 
des Buches hauptsächlich in zwei Abschnitten. In dem Capital „Feststellung der 
Desinfectionsbedurftigkeit“ ist eine Besprechung der diagnostischen Fingerzeige mit 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


einer Uebersicht der hygienischen Untersuchungsmethoden recht glücklich com- 
binirt Freilich würde mancher Leser die letztere ausführlicher wünschen; bedenkt 
man jedoch f dass es sich bei der Desinfection nicht um Schädlichkeiten im All* 
gemeinen, sondern um wirklich nachweisbare Infectionsmaterien handelt, 
so wird man die Kürze der Behandlung dem reell in dieser Hinsicht Festge- 
stellten nur angemessen finden. 

Die „Methodik und Ausführung der Desinfection a wird eröffnet mit einer 
Darlegung der Kriterien, welche wir über Leben und Todtsein der Bacterien be¬ 
sitzen — eine, wie uns scheint, in diesem Umfange und mit dieser Schärfe noch 
nirgends in der Literatur gelieferte Arbeit. Durch diesen Abschnitt gibt W. eine 
höchst erwünschte Ergänzung zu den Forschungen Nägeli’s, um so dankens¬ 
werter, als überall die nüchternste Beurteilung durchgeführt ist. Die prak¬ 
tischen Desinfectionsmethoden sind auf Grund bekannter Errungenschaften dar¬ 
gestellt, wobei mit einer vielleicht etwas weit getriebenen Geringschätzung den 
„Desodorisationen“ nur ein bescheidener Anteil reservirt ist. Die „Luft“ ist auf 
der Basis eigener Versuche besonders ausführlich dargestellt, ebenso die Des¬ 
infection von Effecten sowohl mittelst chemisch wirkender Mittel als durch 
trockene Hitze. 

Wir hoffen durch die einfache Wiedergabe des Gedankenganges unseren 
Lesern die „Desinfectionslehre“ als ein in jeder Beziehung beachtenswertes Werk 
empfohlen zu haben. Nicht dadurch sollte es dem praktischen Gebrauch dienstbar 
werden, dass es an jeder Stelle ein Becept für das populäre Desinfectionsbestreben 
enthält, sondern dadurch, dass der denkende Arzt überall schnell orientirt wird, 
wie viel Macht er besitzt, am eine drohende Infectionsgefahr noch im Keime zu 
ersticken und in bewusster Weise epidemischen Greueln vorzubeugen. 

Schliesslich können wir nicht unerwähnt lassen, dass die Ausstattung des 
Buches eine vorzügliche ist, während der Preis desselben als massig bezeichnet 
werden kann. F. C. 


Kleine Mittheilungen. 

637. Zur Frage der paternen Infection bei hereditärer Syphilis. 

Von A. Wolff (Strassburg i. E). Strassburg 1879. 

Eine Reihe klinischer Beobachtungen hat dem Verf. folgende Resultate 
ergeben : 1. Mutter gesund, Vater syphilitisch oder zeigt noch Merkmale uber- 

standener Syphilis. Die längere Zeit nach der Geburt beobachteten Kinder bleiben 
absolut gesund. Infection in Folge der Conception hat er nie gesehen. 2. Matter 
syphilitisch, die Kinder natürlich auch. 3. Frauen, die nach der Conception infi- 
cirt werden, gebären syphilitische Kinder, walche mehr Chancen haben am Leben 
zu bleiben, als wenn die Infection vor der Conception stattgefunden hätte. Verf. 
schliesst aus seinen Erfahrungen, dass die Uebertragung der Lues vom Vater aaf 
das Kind nnr durch Ansteckung der Mutter erfolgen könne, demnach die Mutter, 
welche ein syphilitisches Kind gebäre, ausnahmslos in allen Fällen syphilitisch 
sei oder es gewesen sei. 

638. Vergiftungen von Thieren durch Oleandrin, ein giftiges Al- 
caloid des gemeinen Oleander, Rosenlorbeer (Nerium Oleander, Familie 
der Apocyneen). Von Dr. Kohlmann. (Der prakt. Arzt 1880. 5.) 

Eine Knh und eine Ziege hatten von den abgeschnittenen Blättern eines 
in diesem Winter erfrorenen Oleanderbanmes, die zufällig durch den Wind auf 
das alltägliche Futter getrieben waren, gefressen. Nachdem die bisher gesunden 
Thiere um 11 Uhr Vormittags von dem Eigentbümer selbst ihr Fatter bekommen 
hatten, frassen sie nach einer Stunde nichts mehr. Bei beiden blähte sich der 
Leib trommelartig auf; der Kopf wnrde kalt, ebenso die Füsse bis an die Kniee. 
Aus Mund und Nase floss eine kalte Flüssigkeit. Gegen Abend fingen die Hinter- 
theile (Kreuzgegend und Hinterbeine) au zu zittern und fuhren die Thiere dann 
zeitweise krampfartig zusammen. Ungefähr 10 Standen nach der Fütterung stürzte 
die Ziege zasammen und verendete; ebenso die Kuh 24 Stunden nach dem Fressen 
der Oleanderblätter. Der Eigenthnmer liess dann beiden Thieren den Magen auf¬ 
schneiden und fanden sich bei der Kuh acht Oleanderblätter, bei der Ziege ein 
Blatt im Magen; den Darminhalt hat man leider nicht geprüft. 

Bei der Hänfigkeit der genannten Zierpflanzen in nassren Häusern ist die 
Kenntniss ihres Giftstoffes von Interesse and ist es auffallend, dass bei dem ver- 


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lockenden Aussehen ihrer ßltttbe nicht mehr Vergiftungsfälle bei den Kindern 
Vorkommen. Noch wenige sind in der Literatur verzeichnnt nnd hat diese Binz 
(Prof, zn Bonn) in seinem Lehrbache der Kinderkrankheiten (Intoxicationen 
pag. 430» 31 ff.) zasammengestellt. 

639. Ein Fall von erblicher Fragilit&s ossium. Von R. W. Gree- 
nish. (The Brit. med. Journ. Nr. 1017. 1880. Mttnch. Aferztl. Intellbl. 
1880. 34.) 

Im Huddersfield-Spitale wurde im Jahre 1878 ein 18jähriger Mensch mit 
ungeheilter Fractur des linken Femur aufgenommen, welcher bereits eine ganze 
Reihe von Fracturen erlitten hatte: mit 12 Jahren Bruch des rechten Femur, 
zum zweiten Male nach ein paar Jahren, beide Male fest und in normaler Zeit 
geheilt; beide Vorderarme je dreimal; in der Kindheit Bruch des linken Femur, 
Heilung ; nochmals vor drei Jahren, Heilung erst nach einem Jahre; nach ein 
paar Monaten zeigte sich die Bruchstelle wieder lose, um bald darauf wieder 
fest zu werden; vor sechs Monaten wieder gebrochen, ohne dass bis jetzt knö¬ 
cherne Vereinigung eicgetreten wäre. 1879 wurde er nochmals mit Fractur des 
linken Femur aufgenommen, die diesmal gut heilte. Im gleichen Jahre wurde ein 
Vetter des vorigen mit Oberschenkelbruch aufgenommen; dieser hatte bereits drei 
Knochenbrüche erlitten. Ueber ihre Familie machten sie folgende Angaben: Gross¬ 
vater nach zahlreichen Fracturen ein Krüppel; von seinen drei Söhnen hatte der 
erste einen Knochenbruch, von seinen Kindern eines 13, ein anderes 2 erlitten; 
der zweite Sohn zwei Knochenbrüche, von seinen Kindern hatten drei je vier, 
eines acht und ein verstorbenes drei Brüche; der dritte Sohn und zwei Töchter 
sowie ihre Kinder sind frei. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 

640. Prof. Dr. V. Stoffella: Ueber Epilepsie und ihre Differential- 
Diagnose von der Hysteroepilepsie. Sitzung der k. k. Gesellschaft 
der Aerzte in Wien vom 21. Mai 1880. 


Die Bezeichnung „Epilepsie“ ist ein Collectivausdruck für eine Summe 
gewisser Symptome. Man versteht unter Epilepsie keinen anatomischen, sondern 
einen symptomatologischen Begriff. Das WeBen der Epilepsie besteht nach Noth¬ 
nagel in einer vermehrten Reizbarkeit gewisser Gehirntheile, namentlich des 
Pons und der Medulla oblongata, in Folge deren die in letzteren Theilen einge¬ 
betteten vasomotorischen Centreu, sowie das Centrum für die Muskeln schon auf 
die geringsten Reize reagiren und dadurch den epileptischen Anfall anslösen. 
Ein für die Diagnose unendlich wichtiges Merkmal der Epilepsie ist der Verlust 
des Bewusstseins während des Anfalls; die Krämpfe dagegen können fehlen, wie 
dies die sogenannten kleinen Anfälle (le petit mal) beweisen. 

Trous8eau spricht zwar auch von Fällen von Epilepsie, wo das Bewusst¬ 
sein nicht gestört sei. In derlei Fällen soll die Aura von irgend einem Theile 
des Körpers ausgehen, jedoch dabei auf die einmal eingenommene Stelle beschränkt 
bleiben oder doch nie bis zum Gehirn sich fortpflanzen, ln diesen Fällen bleibt 
also nach Trousseau’s Ausspruch das Bewusstsein erhalten und kommt es nur 
im Bereiche des Terrains der Aura zu convulsivischen Zuständen und manchmal 
auch zu äusBerst heftigen Schmerzen an der betreffenden Stelle. Trousseau 
bezeichnet derlei Fälle als partielle Epilepsie und rechnete auch manche Fälle 
von Angina hieher, da er beobachtete, dass mitunter wahre Epilepsie den steno- 
cardisehen Fällen voransgeht, oder umgekehrt, die stenocardischen Anfälle als 
Vorläufer von Epilepsie auftreten. Indess kein anderer Kliniker acceptirte Trous¬ 
seau’s diesbezügliche Ansichten. 

Ein weiteres Anzeichen der Epilepsie ist der chronische Charakter dieser 
Krankheit. Epileptiforme Anfälle, welche durch irgend einen Reiz hervorgerufen, 
ein oder einige Male auftreten, um, wenn jener Reiz einzuwirken aufgehört hat, 
nicht mehr wiederzukehren, dürfen nicht als Epilepsie gedeutet werden. Es fehlt 
in solchen Fällen, wie Nothnagel hervorgehoben hat, die dauernde epileptische 
Veränderung im Pons uod der Medulla oblongata, wenngleich functioneil sie sich 
in nichts von den wahren epileptischen Vorgängen unterscheiden. 

Auch die, die verschiedensten Hirnkrankheiten nicht selten begleitenden 
epileptiformen Anfälle dürfen bei dem heutigen Standpunkte der Wissenschaft 
nur ausnahmsweise als epileptische Anfälle bezeichnet werden. Abgesehen davon, 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


dass die epileptiformen Anfälle bei Gehirnkrankheiten in der Hegel mehr oder 
weniger von dem Typus der Anfälle der wahren Epilepsie abweichen, könnet 
dieselben im Allgemeinen auch deshalb nicht als wahre Epilepsie angesproehen 
werden, weil man heutzutage weiss, dass bei der Epilepsie man gelegentlich der 
Autopsie entweder gar keine oder doch keine gröberen Veränderungen im Gehirne 
erfindet. Am öftesten hat man Erweiterung der Capillaren, körnige, -albuminöte 
Exsudation, Körnchaozellen und Corpuscnla amylacea in. Pons und Medulla oblon* 
gata gefunden, aber da fragt es sich, ob diese mikroskopischen Verändernngea 
nicht vielmehr in Folge der durch die epileptischen Anfälle zu Stande gekommenen 
Hyperämie des Gehirns aufgetreten sind, als dass sie etwa die Ursache der Epi¬ 
lepsie waren. 

Hierauf ging Stoffella an die Besprechung der Differential-Diagnose 
zwischen Epilepsie und Hysterie. 

Bis vor Kurzem galt als wichtigstes Moment in dieser Beziehung, dam 
man ernire , ob die Patientinnen während des Anfalles bei Bewusstsein bleiben 
oder nicht. In ersterem Falle diagnosticirte man, dass es sich um einen hyste¬ 
rischen, im letzteren Falle, dass es sich um einen epileptischen Anfall handelte. 
Die neue Medicin konnte indess dieses Unterscheidungsmoment zwischen Epilepsie 
und Hysterie nicht mehr als richtig gelten lassen, indem sich herausstellte, dass 
es zweifellose Fälle von Hysterie gibt, wo bei den betreffenden Anfällen das Be¬ 
wusstsein getrübt, oder sogar gänzlich aufgehoben ist. 

Namentlich die französischen Aerzte, und zwar vorzüglich Trousseaa 
und C har cot haben sich um die Differential-Diagnose zwischen Epilepsie und 
Hysterie grosse Verdienste erworben. Sie heben hervor, dass die Aura schon 
gewisse Verschiedenheiten zeige, je nachdem es sich um Epilepsie oder Hysterie 
handle. Die Aura der Epilepsie besteht in einem Gefühle von Wind oder Luft, 
bei der Hysterie dagegen in dem Gefühle einer Kugel, welche vom Epigastrium 
gegen den Hals aufwärts steigt. Erstere ist von einer äusserst kurzen „blitz¬ 
artigen“ Dauer, letztere dauert ungleich länger. Der hysterische Anfall ist über 
weit mehr Mnskelgruppen ausgebreitet im Gegensätze zum epileptischen, welcher 
nicht selten blos eine Körperhälfte betrifft; jener ist viel geräuschvoller und endet 
nicht selten endlich in einen Wein- oder Lachkrampf. Der Epileptiker hingegen 
lässt nach dem ersten Schrei, womit der Anfall gewöhnlich beginnt, keinen 
Laut mehr hören. 

Höchst interessant sind Charcot’s Beobachtungen über die Temperatur 
bei hysterischen und epileptischen Anfällen. Wiederholen sich die Anfälle, so 
dass 10 bis 15 oder 20 Anfälle hintereinander auftreten, dann steigt die Tem¬ 
peratur , sobald es sich um wahre Epilepsie handelt, bis 41° oder noch höher; 
sind die bezüglichen Anfälle jedoch keine epileptischen, sondern vielmehr als der 
Ausdruck von Hysterie (Hysteroepilepsie) aufzufassen, dann zeigt die Temperatur, 
mögen sich die Anfälle auch noch so rasch und noch so zahlreich hinter einander 
einstellen, entweder keine oder doch nur eine ganz geringe Steigerung — etwa 
bis 38° oder 38° und einige Zehntheile 

Zum Schlüsse macht Stoffella noch auf ein Symptom aufmerksam, welches 
seines Wissens nach von keinem Autor erwähnt wurde, ln den ihm bekannten 
Bearbeitungen der Nervenkrankheiten fand er wenigstens dasselbe nicht angegeben. 
Stoffella fand nämlich in vier Fällen von Epilepsie, welche ihm in letzterer 
Zeit nntergekommen sind, ein abnormes Verhalten der Pupille, darin bestehend, 
dass dieselbe entweder sehr lange oder sehr weit war und gegen Lichtreiz sehr 
träge reagirte. Sehstörung war mit dieser Erscheinung nicht verbunden und ging 
dieselbe unter dem innerlichen Gebrauche von Bromkalium sehr bald entweder 
gänzlich oder nahezu gänzlich zurück. 

Stoffella meint, dass dieses abnorme Verhalten der Pupille etwa durch 
Ernährungsstörungen bedingt sei, welche im Vierhügel in Folge der während der 
epileptischen Anfälle im Gehirne auftretenden CirculationBStörungen leicht zu Stande 
kommen können, in welchem Falle dann auch die Innervation des mit dem Vier¬ 
hügel in inniger Verbindung stehenden Nerv. oculomotorius, resp. der Fasern dieses 
Nerven, welche den Spbincter iridis versorgen, eine Alteration erleiden kann. 
Vor Allem, meint jedoch Stoffella, müssen erst weitere Beobachtungen lehren, 
ob jenes von ihm in vier Fällen von Epilepsie beobachtete abnorme Verhallen 
der Pupille nicht ein etwa zufälliges Vorkommnis war, sondern in der That als 
eine mit der Epilepsie im innigen ursächlichen Zusammenhänge stehende Erschei¬ 
nung aufgefasst werden muss. Im letzteren Falle könnte dann der Nachweis einer 
abnorm weiten oder engen Pupille unter Umständen auch seine Verwerthung bei 
der Differential-Diagnose zwischen Epilepsie und Hysterie (Hysteroepilepsie) finden. 


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Das Comit4 des siebenten „internationalen mediciniscben 
Congresses u in London versendet folgendes Circular: 


Geehrter Herr College! 


Wir beehren uns Ihnen mitzutheilen, dass, in Folge des auf dem letzten inter¬ 
nationalen mediciniscben Congress zu Amsterdam allgemein ausgedrückten Wun¬ 
sches, die siebente Sitzung möge in England stattfinden, sich ein Organisations- 
Comitö zu diesem Behuf« hierselbst constituirt hat. Mit Berücksichtigung eines 
allgemeinen Wunsches hat dasselbe London zum Sitze des Congresses erwählt 
und folgende Comitös ernannt: 

' Executiv-Comitd: 

Dr. Risdon Benne tt, P. R. C. P., F. R. S., Präsident. 


Mr. William Bowman, F. R. S. 

Dr. Alfred Carpenter. 

Dr. Andrew Clark. 

Dr. Matthews Duncan. 

Mr. Erichsen, P. R. C. S. t F. R. S. 
Sir William Gull, Bart., F. R. S. 
Mr. Prescott H e w e 11, F. R. S. 

Mr. Luther Holden. 

Mr. J. Hutchinson. 

8ir W. Jenner, Bart., F. R. S. 

Prof, Lister, F. R S. 


Mr. William Mac Cormac. 

Mr. A. 0. Mackellar. 

Sir James Paget, Bart., F. R S. 
Mr. George Pollock. 

Dr. Pit man. 

Dr. Shepherd. 

Dr. Sieveking. 

Dr. Py e-Sm i t h. 

Sir Henry Thompson. 

Dr. Hermann Weber. 


Empfangs-Comitö: 

Mr. Prescott Hewett. F. R. S.. Präsident. 


Dr. Chepmell. 

Dr. Andrew Clark. 

Dr. Farquhar8on, M.P 
Mr. J. Cooper Förster. 

Dr. Philipp Frank. 

Dr. Grigg. 

Mr. Ernest Hart. 

Mr. Mitchell Henry, F. R. C. S., M. P. 
Dr. George Johnson, F. R. S. 
SirTrewor Lawrence, Bart., M.R.C.S. 
M.P. 


Mr. Lyon s, M. P. 

Dr. John Mar sh all, F. R. 8. 
Dr. Monro. 

Dr. W. 0. Pristley. 

Dr. Owen Rees, F. R. S. 

Sir Henry Thompson. 

Dr. A. Vintras. 

Dr. Samuel West, Secretär. 
Dr. Sharkey, Secretär. 


Am Dienstag Abend, den 2. August, 1881 wird die Eröffnungsfeier statt¬ 
finden. Am Mittwoch den 3. August werden die Sitzungen des Vereins eröffnet, 
and am 9. August wird der Congress geschlossen werden. 

Die officiellen Sprachen werden die deutsche, die französische und die 
englische sein. 

Es ist mit Grund anzunehmen, dass wir die Freude haben werden, eine 
grosse Anzahl der ausgezeichnetsten Aerzte aller Länder bei uns zu sehen, nnd 
wird es uns eine angenehme Aufgabe sein, unseren geehrten Gästen herzlich ent¬ 
gegenzukommen. Sie werden Gelegenheit haben, zahlreiche Vertreter der eng¬ 
lischen Wissenschaft kennen zu lernen, da nicht nur ans allen Theilen des ver¬ 
einigten Königreiches, sondern auch aus Indien und den Colonien die lebhafteste 
Teilnahme mit Bestimmtheit erwartet werden darf. 

Ihre Majestät die Königin hat uns einen neuen Beweis Ihres Wohlwollens 
nnd Ihrer unveränderlichen Sympathie mit unseren Bestrebungen gegeben, indem 
Sie gnädigst eingewilligt hat, das Patronat des Congresses zu übernehmen. 

Dieselbe Gunst ist uns seitens Seiner königl. Hoheit des Prinzen von 
Wales zu Theil geworden, welcher auch bei dieser Gelegenheit sein lebhaftes 
Interesse für den Fortschritt unserer Wissenschaft zu bethätigen wünscht. 

Der Congress wird seine Arbeiten, abgesehen von denen der allgemeinen 
Sitzungen, in 15 Sectionen eintheilen. 

Für die Dauer des Congresses wird ein Museum eröffnet, in welchem Gegen¬ 
stände von Interesse für die verschiedensten Zweige unserer Wissenschaft Platz 
finden werden. 

Endlich hoffen wir unseren Gästen auch in socialer Beziehung den Aufent¬ 
halt bei uns so angenehm wie möglich zu machen. 

Zur Eröffnungsfeier und zu den geselligen Zusammenkünften werden Damen 
Zutritt haben , jedoch nicht zu den wissenschaftlichen Sitzungen des Congresses. 


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796 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Die Statuten werden bald festgestellt. Die provisorische Liste der betreffenden 
Präsidenten, Vicepräsidenten und Secretäre folgt anbei. 

London, August 1880. 

Im Namen des Comitö’s: 

J. Risdon Brennet, Präsident desComite'a 
William Mac Cormac, Generalsecretär. 

Das Comitd wird das Programm am 30. April 1881 definitiv feststellen. 
Es ist daher sehr wünschenswerth, dass alle auf den Congress bezüglichen Mit¬ 
theilungen sowie Auszüge der für den Congress bestimmten Vorträge, behufs Ein¬ 
tragung in die Tagesordnung, vor diesem Tage eingesandt werden an Herrn Mae 
Cormac, Generalsecretär, 13, Harley Street, London, W. 

Der Redaction eingesendete neu erschienene Bücher und Schriften. 

Bergmann Dr. E. von, Professor: Die Lehre von den Kopfverletzungen. 
Mit 55 Holzschnitten und 2 lithographirten Tafeln Lieferung 30 von * Deutsche 
Chirurgie“ von Billroth und Lu ecke. Stuttgart. Verlag von Ferdinand 
Enke. 1880. 

Eisenstein Ritt. v. Dr. Robert, Primararzt, und Rischawy Dr. W., em. erster 
Secundarzt: Bericht der vierten medicinischen Abtheilung dei 
k. k. Krankenhauses Wieden pro 1879. Wien. Selbstverlag der Ver¬ 
fasser. 1880. 

Fromm Dr. B., königl. Sanitätsrath: Systematisches Lehrbuch der Bal¬ 
neotherapie einschliesslich derKlimatotherapiederPhthisis. 
Vierte umgearbeitete Auflage. Herausgegeben von Dr. Julius Braun. 

Gad Dr. Johannes: Ueber Apnoe und über die in der Lehre von der 
Regulirung der Athemthätigkeit angewandte Terminologie. 
Zwei Vorlesungen, gehalten an der königl. Friedrich Wilhelm-Universität zu 
Berlin. Würzburg. Druck und Verlag der Stahel’schen Buch- und Kunst¬ 
handlung. 1880. 

Godeffroy Dr. Richard: Compendium der Pharmacia. Chemisch- 
pharmaceutische Präparatenkunde. Mit Berücksichtigung der Pharmacopoea 
austriaca, hnngarica, germanica und der österreichischen Militair-Pharmakopöe. 
Wien 1880. Verlag von Moriz Perles. 5. n. 6. Heft. 

Hirt Dr. Ludwig, Professoren der Universität Breslau: System der Gesund¬ 
heitspflege. Für die Universität und die ärztliche Praxis bearbeitet 
Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 95 Illustrationen. Breslau. 
Maruschke und Berendt. 1880. 

Kunigk M. Dr. Ferd.: Vademecnm für Kliniker und Aerzte. Zweite 
vermehrte und verbesserte Auflage. Leipzig. Verlag von Ambr. Abel. 1880. 
Lotz Dr. Th., Physicus in Basel. Pocken und Vaccination. Bericht über 
die Impffrage, erstattet im Namen der schweizerischen Sanitätscommission an 
den schweizerischen Bundesrath. Mit 6 Tafeln. Basel. Benno Schwabe, Ver¬ 
lagsbuchhandlung 1880. 

Mensinger Dr. in Flensburg: Giftige Luft in Schule und Haus. Die 
chronische Blutvergiftung mit Kohlensäure bei unseren Kindern. Populärer 
Vortrag. Flensburg. Auwald’sche Buchhandlung. 1878. 

-Praktische Vereinfachungen des gynäkologischen Instrumen¬ 
tariums. (Separatabzug aus den „Mitteilungen“ des Vereins schleswig¬ 
holsteinischer Aerzte.) 

Oesterreichischer Medicina 1-Schematismus für 1881. Nach amt¬ 
lichen Quellen herausgegeben von Christian Ludwig Prät orins, Arzt 
und Chef des „Med.-cbir. Central-Blatt“ etc. Als Anhang: Sanitäts- 
Gesetze für Oesterreich-Ungarn. Wien 1881. Druck und Verlag des 
Herausgebers. 

Prätorius Christian Ludwig, Arzt und Chef des „Med.-chir. Central-Bl&tt*; 
Me dicinal-Kalender für Oesterreich-Ungarn 1881. Wien. Druck 
und Verlag des Herausgebers. 

8&mmtliohe hier angeführte Büoher sind zu beziehen dureh 
die Baohhandlnng Urban ft Sohwarxenberg In Wien, I., Maxi- 
mllianstrasse 4. 


Verantwortlicher Redacteur: Dr. Vincenz Fink. 

Einsendungen an die Redaction sind zu richten: Wien, I., Maximilianstrasse 4. 


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Mediciuisch-chirnrgiBche Rundschau. 


797 



KOHLENSAURES MINERAL-WASSER. 
Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen. 


Direction des K. K. Krankenhauses, 

266 D, 1879.) 


NOTE. 


“Wieden.” 


{Prot. Z, 


M Der Apollinaris-Säuerling wurde währenddes Sommers 1879 im K. K. Krankenhause 
Wieden auf den medicinischen Abtheilungen der Herren Doctorcn Ritter von Eisenstein 
und Oetinger, und auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Pr. Mosetig 
Ritter von Moorhof und des Herrn Dr. Kurnar an gnuend et. Aus den diesfalls eingesen - 
deten Beruhten dieser Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollinaris-Wasser 
sich durch seine Reinheit und seinen Wohlgeschmack, insbesondere aber 
durch seinen ausserordentlichen Gehalt an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällen den Vorzug 
verdiene, in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
Wasser hat sich insbesotidere als kühlendes, erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften acuten Erkrankungen erwiesen, und wurde bei catarrhalischen 
Affectionen der Athmungs-, der Verdauungs- und Harnorgane mit gutem 
Erfolge angezvendet. Wien, am 29. Dezember 1879. 

Dr. F. W. Lorinser. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen.* 

Hofrath Univ.-Prof.Dr. Carl Ritter von Braun-Fern wald, 

Wien : “ Ich bestätige hiermit, dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Kohlensäure ist, und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für Gesunde, und 
sehr kräftigend für Reconvalescenten mit geschwächter Verdauung sich 
mir erwiesen hat . 26. Januar 1880.” 

Hofrath Univ.-Prov. Dr. Ad. Duch6k f Wien: “ Das Apollinaris- 

Wasser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher bei allen jenen 
Krankheiten Anwendung fimien, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind. 26. Januar 
1880.” 


Prof. Dr. Josef Seegren, Wien: «• Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 

bei Neuenahr ist seiner Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Uebersättigung mit aus der Quelle gewonnener Kohlensäure steht es den 
Sodawässern nahe, und ist diesen als hygien isches Getränk vorzutiehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure. Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlen¬ 
säuregehalt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spaeth, Wien : “ Das Apollinaris-Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohlensäurereicher Natronsäuerling, von jedem Nebengeschmäcke frei, 
und bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: ** Das natürliche 

Apollinaris-Wasser eignet sich ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
und wird auch bei Sc hwäc he der Verdauung sehr gut vertragen. 20. Juli i 879 * ,< 


Cen.-Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. V. Nussbaum, München: 

“Äusserst erquickendes und auch nützliches Getränk, weshalb ich es bestem empfehlen 
ka*m. n 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: “Als erfrischendes 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt es unter den Mineralwässern sicherlich 
den erstett Rang ein. 16. März 1879.” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: “Sein angenehmer 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vorthetlhaft aus. 24. Dezember 1878.” 


Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc 

DIE APOLLINARIS COMPANY, LIMITED; 

Zweig-Comptoir, Remagen a. Rhein. 


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798 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


VERLAG VON 

URBAN & SCHWARZENBERG, 

Wien, Maximiilanstrasse 4. 


Soeben erschien: 

GRUNDRISS 

der 

DESINFECTIONSLEHRE. 

Zum praktischen Gebrauch 

auf kritischer und experimenteller Grundlage bearbeitet 
von 

Dr. A. WEBNICH, 

Dozent für specielle Pathologie und Epidemiologie in Berlin. 

■It 15 in den Text aedruokten Illustrationen. 

Preis broschirt 6 Mark = 3 fl. 60 kr. ö. W.; eleg. gebunden 7 Mk. 50 Pf. 
= 4 fl. 50 k. ö. W. 

Das für Aerzte und Sanitätsbeamte hochwichtige Thema ist 
in vorliegendem Buohe — zum erstenmale auf wissenschaftlicher 
Grundlage — von dem als Autorität anerkannten Verfasser allseitig 
dargestellt. 


LEHRBUCH 

der 

CHIRURGIE und OPER ATIONSLEHRE. 

Vorlesungen für praktische Aerzte und Studirende 

von 

Dr. EDUARD ALBERT, 

o. ö. Professor an der Universität Innsbruck. 

Zweite «gearbeitete ui rernekrte Aiflage. 

Mit zahlreichen Abbildungen. — Heft 1 und 2 (Bogen I—8). 

Erscheint in ca. 36 Heften & 3—4 Bogen. 

= Preis per Heft 1 Mark = 60 kr. ö. W. = 

Die erste, sehr starke Anflage dieses ausgezeichneten 
Werkes war durch Subscription vergriffen, ehe dasselbe 
vollendet war. 

Urban & Schwarzenberg 
in Wien, 

I., Maximilianstrasse 4. 


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Medicinisch-chimrgische Rundschau. 


799 



Echter and vorzüglicher 

MALAGA-WEIN 

(Jahrgang 1845) 

für Kranke und Beconralescente. 

Durch Vermittlung der Administration der Wiener Medizinischen Presse 
ln Wien, Maximilianstrasse 4« ist unverfälschter alter Malaga - Wein, tarn 
Preise von fl. 8 pro Bouteille, za beziehen. Für vorzüglichste Qualität 
wird garsmtirt. Versandung gegen Einsendung des Betrages oder Nach¬ 
nahme desselben, — Emballageberechnnng zum Selbstkostenpreise. Bei grös¬ 
seren Aufträgen — insbesondere durch die Herren Aerzte — wird entspre¬ 
chender Nsohlass gewährt. 




Privat-Heilanstalt 


Gemüths- und Nervenkranke 


Oberdöbling, Hiriohengane 7L 


Verlag von 

URBAN & SCHWARZENBERG, 

Wien, X«, XizlmilUmtrMie Nr. 4. 

Anleitung zur Harn-Analyse 

für 

praktische Aerzte, Apotheker nnd Studirende. 


Dr. W. F. LOEBISCH, 

Professor für angewandte medlclnische Chemie an der k. k. Universität Innsbruck. 
238 Seiten. Mit 26 Holzschnitten. — Preis 2 fl. 50 kr. ö. W. = 5 M. 

Elegant gebunden 3 fl. 30 kr. = 6 M. 60 Pf. 

Diese .Anleitung“ wird sich unter dem ln der Ueberschrift genannten Publikum 
sicherlich viele Freunde erwerben, denn sie gibt in klarer nnd übersichtlicher Form 
und überall auf dem Boden der neuesten Untersuchungen stehend, nicht nur alles Wissens- 
werthe betreffe der praktischen Ausführung der Harnanalyse, von der physikalischen 
zur chemischen Untersuchung fortschreitend, sondern hat vor ähnlichen Lehrbüchern, 
z. B. Neubauer und Vogel’s Anleitung zur Harnanalyse, das voraus, dass die ein- 


und Papier sind vorzüglich und auf die Strapazen eines Laboratorium-Aufenth&ltei 
berechnet; die eingestrenten Holzschnitte sauber nnd correct in der Darstellung. 

(„Berliner klinische Wochenschrift“ 1878, Nr. 8.) 


Google^ lfc _ 








800 


Medicinisch-dürargische Rundschau. 


Böhmens Schatz! 

Püllna’er Natur - Bitterwasser. 

Die altberiihmtü Krone der Bitterwässer. 

Preisgekrönt: 

Philadelphia 1876, Paris 1878 und Sydney (Australien) 1879. 

Seit 100 Jahren bewährt. 

Die Gemeinde-Bitterwasser-Direction zu Pällna. 
Anton Ulbrich, Sohn des Gründen. 





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und gewöhnliche 

ärztl. Thermometer 

zur Bestimmung der Körpertemperatur. 

Urometer nach Dr. Holler, Bade- nnd Krankenzimmer- 
Thermometer etc., sowie alle Arten Thermometer, Baro¬ 
meter nnd Aräometer. 

MT Ftir Spitäler besondere Begünstigungen. - *! 

Heinrich Kappeller jun., 

WIEN, is* 

V., KttUnbriokesitiie Nr. 9. 
Illiutrirte Preisverzeichnisse stehen gratis zur Verfügung. 


Der für 1881 sooben erschienene vlorto Jahrgang 1 dos 
„Besept-Tasohenbuoh und Kalender der Wiener Medlzinisohen 
Fresse“ zeichnet eioh abermals dnroh namhafte Zusätze nnd Ver¬ 
besserungen ans, wovon wir nur folgende hervorheben wollen: 

Der therapeutische Theil ist durchgehende einer genauen 
Revision unterzogen nnd dnroh zahlreiche Rezepte vermehrt 
worden, wobei insbesondere auoh die neuesten Arzneimittel 
Berücksichtigung fanden. 

Ferner bringt unser Tasohenbuoh pro 1881, ausser den 
früheren Tabellen nnd Abhandlungen, nooh: 

1. Antidota. 

2. Antiseptisoher Wundverband des praktisohen Arztes. 

Eine willkommene Neuerung dürfte sohliesslioh den vielen 

Freunden dieses beliebten Jahrbuohes anoh dadurch geboten 
worden sein, dass dasselbe mit Draht geheftet wurde. Der Ein¬ 
band hat daduroh nioht nur bedeutend an Festigkeit gewonnen, 
sondern es verhindert diese neue Methode anoh das X>ooker» 
werden einzelner Bogen. 

Format nnd Umfang sind, trotz vermehrten Inhalts, fast un¬ 
verändert geblieben, ohne dass der Drnok weniger leserlioh wflre. 

Der Freie des Jahrganges 1881 ist ungeaohtet aller vor¬ 
genommenen Verbesserungen nnd Vermehrungen derselbe (II. 1.60 
mit Franoo-Znsendnsg) geblieben, nnd glaubt die Verlagshandlung 
sloh der Hoffaung hingeben zu dürfen, dass unser Kalender stob 
in der Gunst der praktisohen Aerste dauernd behaupten werde. 


Druck von G. Gistel & Co. 


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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 

641. Zur Tabes: 1. Anomalien der Muskeliiritabilität bei Tabes¬ 
kranken. 2. Zur Goinoidenz der Herzfehler mit Tabes. VonDr. Anjel 
in Zuckmantel. (Berl. med. Wochenschr. 1880. 41.) 

Das Volumen eines arbeitenden Muskels pflegt eine Vergrösserung 
zu erfahren, welcher nach kürzerer oder längerer Zeit wieder dem Normal - 
volumen weicht. 

Den Durchschnittszuwachs der Vergrösserung bestimmte Verfasser 
zuerst durch Messungen der Wadenmuskulatur Gesunder. Morgens, vor 
dem Aufstehen wurde der Umfang des Wadenkegels dicht unter der Spina 
tibiae gemessen und behufs späterer Messungen unmittelbar unter dem 
Messbande ein schwarzer Strich gemacht. Der gefundene Umfang wurde 
notirt und dem Untersuchten ein einstttndiger, mässig rascher Marseh 
aufgegeben. Bei der Rückkunft wurde der Umfang wieder gemessen und 
die Zunahme notirt. Es zeigten sich folgende Resultate: 

1. Bei gesunden, kräftigen Personen nimmt nach einem anstrengen¬ 
den Marsche der Umfang des Wadenkegels zu. Bei 100 untersuchten 
Personen zeigte sich nach einstündigem Spaziergange ihr jeden Centi- 
meter Wadenumfang vor der Arbeitsleistung eine durchschnittliche Zu¬ 
nahme von etwa 14 Decimillimetern nach derselben. Fortgesetzte Arbeits¬ 
leistung hatte eine fernere Volumszunahme nicht zur Folge, nur dauerte 
dann die Rückkehr zum normalen Volumen etwas länger als sonst. 

2. Diese Zunahme ist bei derselben Person keine constante Grösse, 
sondern steht mit dem Allgemeingefühl in einem gewissen Verhältnisse» 
An Tagen, an welchen sich die Person behaglich fühlte und der Weg 
nicht anstrengte, war die Volumszunahme geringer, als wenn der Gang 
nach eiüer schlecht durchschlafenen Nacht und mit dem Gefühl der Ueber- 
müdung gemacht wurde. 

3. Nachdem die Personen nach zurückgelegtem Wege eine halbe 
Stunde geruht haben, ergibt die Messung wieder den Morgens vor dem 
Aufstehen gefundenen Werth. 

Mit diesen an Gesunden ermittelten Resultaten wurden die an 72 
Tabetikern gefundenen verglichen. 

Auch bei diesen wurde die erste Messung früh Morgens im Bette 
vorgenommen, der Umfang des Wadenkegels wo die Messung stattfand, 
markirt und dann der Spaziergang gemacht. Die von den Kranken zu 
gehende Strecke , circa 140 Schritte, war genau vorgeschrieben und für 
jeden Einzelnen am Tage der Messung gleich gross, damit die gefundenen 

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Med-chir. Rundschau. 1880. 51 



802 


Medicinisch-: Lirurgische Rundschau. 


Wertbe umso leichter miteinander verglichen werden konnten. Nach ge 
macktem Spaziergange wurde der Umfang des Wadenkegels an der früher 
markirten Stelle wieder gemessen. 

Die Resultate sind folgende : 

1. Bei 32 Kranken fand nach einer nur mittelmässigen Arbeits¬ 
leistung eine relativ grosse Yolumszunahme statt und selbe brauchte bis 
zur Rückkehr des Normalvolumens 3—4—5 Stunden. 

2. 11 Kranke boten keinen nachweisbaren Unterschied vor und 
nach dem Spaziergange. Diese Fälle waren ausgezeichnet durch die io 
den letzten Wochen der Krankheit beobachtete Abwesenheit der bei Tabes 
eigentümlichen, lancinirenden Schmerzen bei massiger Ataxie und hoch¬ 
gradiger Blasenschwäche. 

3. Der Rest von 29 Beobachtungen bot kein einheitliches Bild. Je 

nach dem relativ besseren oder schlechteren Befinden, oft auch ohne 
wahrnehmbare Veränderungen im Gesammtbetinden schwankten die Werthc 
der jeweiligen Vulumszunahme. Wurde zuweilen bei Einzelnen eine 
grössere Volumszunahme beobachtet, so fiel diese in der Regel mit der 
Exacerbation der lancinirenden Schmerzen überein. Die Volumszunahme 
selbst erscheint als Folge eines reflectorischen Krampfzustandes der Waden 
muskulatur; die leichte Auslösbarkeit dieses Krampfzustandes, sowie die 
relativ lange Persistenz desselben bei mehr als 50 Percent der unter 
suchten Tabeskranken, sowie das vollständige Fehlen dieser Erscheinung 
bei einer kleinen Zahl dieser Kranken spricht für eine alienirte reflec- 
torische Muskelirritabilität bei dieser Erkrankung. Dieses abnorme Ver¬ 
halten der willkürlichen Muskeln scheint begleitet von einem analogen 
Verhalten des Herzmuskels. Wenigstens konnte Verfasser bei Tabetikern 
zuweilen diastolische Geräusche hören, welche nach mehrstündiger Ruhe 
wieder schwanden. Rokitansky. 

642. Diphtheritis und Scharlach. Von Dr. J. H. Thompson. 
(The Medical Record 1880. 9.) 

Es gibt kaum 2 Krankheitsformen, bei welchen man auf so untrüg- 
bare Beziehungen zu einander stossen würde wie bei diesen. Die 
Uebergänge von der einen zu der andern sind oft so unmittelbar, dass, 
während man es mit einer von beiden zu thun zu haben glaubt, oft 
genug beide in demselben Individuum zur selben Zeit zur Beobachtung 
verliegen, oder zum mindesten die Differential-Diagnose erschweren, ln 
sporadischen Fällen lässt sich die Richtigkeit dieser Beobachtung am aller¬ 
ehesten bestätigen. Von all den Symptomen, die für die Unterscheidung 
beider Krankheiten angegeben werden, ist nicht ein einziges geeignet, 
für alle Fälle als pathognomisch hingestellt zu werden. 

Als übereinstimmend für beide Krankheiten gibt Verfasser an: 
den epidemischen Charakter, die Höhe und den Verlauf des Fiebers, die 
Localisation, Haut, Pharynx, die Aetiologie, da eine und dieselbe Scbäd 
lichkeit einmal Diphtheritis, ein andersmal Scarlatina zur Folge haben 
kann. Die Nachkrankheiten beider zeigen auch Uebereinstimmung: Suppu- 
ration der Lymphdrüsen, Gelenksaffectionen mit Herzerkrankung; Nieren¬ 
leiden, Albuminurie, Hydrops; allgemeine oder örtliche Lähmungen. 

Allerdings gibt der Verfasser zu, dass die Verschiedenheit in den 
Folgekrankheiten oft sehr mannigfaltig und gross ist. In weiterei 
Auseinandersetzung neigt der Verf. zu der Ansicht, dass Diphtherie 
durch Scharlach bedingt werden könne, nicht aber vice versa. In Scharlach 
Epidemien mit diphtheritischen Erscheinungen sind letztere nur als Compli 

1 v Google | 



Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


803 


cation, nickt aber als selbstständige Krankheit aufzufassen. Als weiteres 
ätiologisches Unterscheidungs - Symptom wird angeführt: die geringere 
Contagiosität der Diphtheritis und deren häufigere Veranlassung durch 
locale Ursachen, wenngleich dieselbe Schädlichkeit auch Searlatina zu 
produciren im Stande ist. Andererseits ist die Verbreitung durch per¬ 
sönliche Uebertragung bei Scharlach unzweifelhaft, häufiger als bei 
Diphtheritis. Die Jahreszeiten üben einen ungleich verschiedenen Einfluss 
auf beide Krankheiten aus; die Thatsache, dass Scharlach vorwiegend 
im Spätherbst und Frühwinter auftritt, während Diphtheritis zu allen 
Jahreszeiten beobachtet wird, spricht für diese Anschauung. 

Für Scharlach ist der Hautausschlag von grösster Bedeutung, er 
fehlt nie und ist nicht undeutlich. Bei Dypktheritis fehlt derselbe zumeist, 
wenn auch nicht immer, und tritt erst später, gewöhnlich in der 3. Woche, 
auf Albuminurie tritt bei Diphtheritis oft schon am 3. Tage der Er¬ 
krankung auf, bei Scharlach erst zur Zeit der beginnenden Nieren¬ 
desquamation. Der Angriffspunkt bei der Diphtheritis ist in den verschiedenen 
Epidemien ein verschiedener; oft werden der Larynx, die Bronchien eben 
so angegriffen wie der Schlund, während bei Scharlach constant nur der 
Larynx angegriffen wird. Ferner bietet eine überstandene Diphtheritis 
keine Immunität für eine nächste Erkrankung, während Searlatina selten 
ein zweites Mal bei demselben Individuum zur Beobachtung gelangt. 

Verf. will in seiner weiteren Auseinandersetzung nicht untersuchen, 
ob Diphtheritis im Beginne eine Localerkrankung ist, um im weiteren 
Verlaufe eine constitutioneile Krankheit zu werden; doch nimmt er keinen 
Anstand zu erklären, dass er die Diphtheritis von einem lebenden Con- 
tagium abhängig macht, welches, im Organismus durch Invasion auf¬ 
genommen, auf Kosten der thierischen Flüssigkeit sich vermehrt. Diese 
lebenden Contagien seien die von Bueter und Pertl in der Diphtheritis 
mikroskopisch nachgewiesenen Micrococcen. Mikrococcen - Colonien wurden 
auch durch andere Forscher in den diphtheritischen Membranen, im Blute, 
im Gehirn und in anderen Organen bei Diphtheritis nachgewiesen. 

Nach allem, was nun vorliegt, glaubt der Verf., dürfe man Diphtheritis 
und Scharlach nicht als identisch auffassen, so nahe auch die Berührungs¬ 
punkte beider zu einander seien. Sterk. 

643. Ueber Psychosen beim Militär. Von Dr. Frölich. (AUg. 
Ztsclir. f. Psychiatrie XXXVI. 2 u. 3. p. 303. 1879. Schmidt’s Jahrb. 
1880. 6.) 

Als entferntere oder nähere Ursachen des Irrseins, welche gerade 
durch das Militärleben gegeben sind, nennt Verf.: körperliche Anstren¬ 
gungen jeglicher Art, klimatische und atmosphärische Einflüsse, Sturz 
oder Fall vom Pferde etc., Hitzschlag, «die verschiedensten psychischen 
Aufregungen (gekränkter Ehrgeiz, Zurücksetzung, Zorn, häusliche 
Sorgen etc.), Excesse in Baccho et Venere, Onanie, Syphilis, übermässiges 
Tabakrauehen. Durch den Krieg treten noch weitere Gelegenheitsursachen 
.hinzu: Gefahren, Entbehrungen, Niederlagen, Entfesselung aller Leiden¬ 
schaften etc., woher es dann sich erklärt, dass nach Kriegen und grossen 
Volksereignissen die Psychosen besonders häufig auftreten. Bei erblich 
belasteten Individuen erfolgt unter sonst gleichen Umständen der Ausbruch 
der Psychose früher. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass Psychosen 
zwischen dem 16. und 28. Lebensjahre überhaupt am häufigsten sind, 
also gerade in dem Alter, welches das grösste Contingent zum Militär stellt. 

Nach Bertillon nimmt die Disposition des Soldaten zum Irrsein 

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804 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


mit der Dauer der Dienstzeit zu (bei Civilisten umgekehrt); bei Offieieren 
sind Psychosen 4mal so häufig als bei der Mannschaft. Dufour hält 
Seelenstörungen beimMilitair für häufiger als beim Civil, am häufigsten 
kommt nach ihm Manie mit günstiger, und Melancholie mit ungünstiger 
Prognose vor. Alle Formen der Geisteskrankheit sind beim Soldaten¬ 
stande vertreten. Dies, sowie die schon erwähnte Häufigkeit der Psy¬ 
chosen beim Heere legt den Wunsch nahe, dass nach dem Vorgänge 
Russlands, Englands und Oesterreichs auch in anderen Ländern Militär- 
Irrenheilanstalten, in denen Militärärzte psychiatrische Kenntnisse sammeln 
können, errichtet werden. 

Was nun zuerst die Melancholie betrifft, so liegt ihr oft Nostalgie 
zu Grunde, welche ja schon an sich in naher Beziehung zur Psychose 
steht. Die Schwermuth veranlasst ein Drittel aller Selbstmorde beim 
Militär. — Verhältnissmässig am häufigsten trifft man progressive Paralyse 
besonders bei Berufssoldaten, aus verschiedenen Ursachen. Mit über¬ 
wiegender Häufigkeit werden davon Individuen mit Mangel der Willens¬ 
energie und der psychischen Reactionskraft betroffen. — Die sog. Manu 
transitoria kommt bei Soldaten im Allgemeinen verhältnissmässig häufig 
vor; hin und wieder bei Unterofficieren die Folie raisonnante, nach 
Brierre de Boismont charakterisirt durch verständiges Reden und 
contrastirendes verkehrtes Handeln, meist in schädlicher Richtung. Am 
allerseltensten kommen beim Militär die sogenannten Querulanten vor: 
viel wichtiger sind die epileptischen Irrseinformen, welche dann schwer 
erkennbar sind, wenn deutliche Krampfanfälle nicht beobachtet oder ver¬ 
kannt werden. —Verbrecherwahnsinn findet sich in Festungsgefängnissen; 
alkoholistisches Irrsein ist anscheinend am häufigsten in der englischen 
und französischen Armee. — Ferner werden Fälle von traumatischem 
Irraein, besonders im Kriege, beobachtet, selten Formen von Hirnsyphilk 
oder Syphilidophobie. — Auch nach acut fieberhaften Erkrankungen 
(Typhus, Variola, Intermittens, Terminalstadium der Tuberkulose, acutem 
Gelenkrheumatismus, Insolation) können sich Psychosen anschliessen. — 
Seniler Blödsinn findet sich endlich classisch in den Invalidenhäusem 
vertreten. 

Von Zuständen, die mit den Geisteskrankheiten mehr oder minder 
im Zusammenhang stehen, sind zu erwähnen: Morphinismus, Schlafwandeln, 
Traumzustände und Fälle von Schlaftrunkenheit, Alpdrücken während des 
Schlafes, conträre Sexualempfindungen, perverse Triebe. Sie alle werden 
im Soldatenstande beobachtet, dagegen dürfte notorische Simulation von 
Geisteskrankheiten wohl kaum je Vorkommen. 


644. Pleuritis haemorrhagica. Ausgang in Genesung mit starker 
Thoraxeinziehnng. Aus der. Klinik des Prof, von Ziemssen, mit- 
getheilt von Dr. J. Freudenberger. (Aerztl. Intelligbl. 1880. 35.) 


8., 17 Jahre, Lehrling, befindet sich seit 7 Wochen im Spital. 
Er trat mit einem grossen Pleuraexsudat ein, welches die rechte Thorax- 
hälfte vollständig füllte und, wie die Probepunction ergab, von hämor¬ 
rhagischer Beschaffenheit war. Der letztere Umstand, sowie die schwäch¬ 
liche Constitution, eine hereditäre Belastung, eine, wenn auch geringfügige 
Spitzeninduration, das remittirende Fieber, der frequente Puls, die Anämie 
legten den Verdacht einer Tuberculose der Pleura nahe. 

Das Exsudat wurde zunächst theilweise (1500 Ccm.) durch Punetion 
mit Aspiration entleert und dieser Eingriff wurde in der Folge wegen 
Wiederansteigens des Exsudats mehrmals wiederholt. Hierbei zeigte sich. 

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dass die Wiederausdehnung der comprimirten Lunge eine sehr beschränkte 
blieb. Der nach der 4. Punction restirende Exsudatrest resorbirte sich 
allmälig unter starkem Einsinken des Thorax und heute bietet der Kranke 
das ausgesprochene Bild des R6tr6cissement thoracique dar. Der Thorax 
ist in allen Durchmessern verkleinert. Die rechte Schulter steht bedeutend 
tiefer als die linke. Der Tiefendurchmesser der rechten Thoraxhälfte 
bedeutend verkleinert, das Zwerchfell mit der Leber rechts hoch hinauf¬ 
gedrängt, das Sternum aus dem Loth nach links abgewichen, die Wirbel¬ 
säule schwach verbogen, die respiratorischen Excursionen der rechten 
Thoraxhälfte äusserst gering, die der linken sehr energisch. Die Rippen 
fest aufeinander liegend. Das noch athmungsfähige Lungengewebe um¬ 
fasst den oberen Theil der Lunge vorne etwa bis zur 5. Rippe, hinten 
bis zum Angulus scapulae, seitlich den obersten Theil der Achselhöhle. 

Patient ist seit Wochen fieberlos, bei gutem Appetit, nimmt an 
Farbe und Gewicht zu und soll demnächst entlassen werden, um aufs 
Land zu gehen. 

Ziemssen betont, dass die jetzt allgemein übliche operative Be¬ 
handlung stabiler, seröser Pleuraergüsse den Ausgang der Pleuritis in 
der oben geschilderten Weise immer seltener werden lässt. Es kommt 
darauf an, der lang dauernden Lungencompression und der dadurch be¬ 
dingten Obsolenz der Alveolen vorzubeugen, und dieses geschieht allein 
dadurch, dass man pleuritische Exsudate, welche keine Tendenz zur Re¬ 
sorption zeigen, am Anfang der 4. Woche punctirt und durch Aspiration 
einen grossen Theil der Flüssigkeit entfernt. Er bedient sich in den 
letzten Jahren ausschliesslich des Apparates von Potain, welchem nach 
seiner Erfahrung in jeder Hinsicht der Vorzug vor den Instrumenten von 
Dieulafoy, Fraentzel u. A. gebührt Diese Operation wird wieder¬ 
holt, wenn das Exsudat wieder ansteigt. Letzteres ist aber durchaus 
nicht so häufig, als man früher annahm; vielmehr kommt bei der Mehr¬ 
zahl der Fälle nach der ersten Punction die Resorption des zurück¬ 
gelassenen Exsudates in flotten Gang und die Expansion der Lunge geht 
ohne Anstand vor sich. So bei reinen serös-fibrinösen Exsudaten! 

Bei hämorrhagischen Ergüssen ist der Erfolg der Punction in den 
weitaus meisten Fällen nur ein palliativer, weil entweder Tuberculose der 
Pleura vorliegt (wie dies leider meistenteils der Fall ist), oder weil die 
Pleuritis haemorrhagica eine Complication anderer schwerer Erkrankungen 
des Herzens, der Nieren, der Gesammternährung u. s. w. ist. Trotzdem 
räth Z., auch bei hämorrhagischen Exsudaten von Erheblichkeit nie die 
Punction zu unterlassen, da in Einzelfällen, die oft noch schlimmer ge¬ 
lagert sind, wie der vorliegende, wider Erwarten ein günstiger Ausgang 
erreicht wird. 

Auch in dem vorliegenden Falle sprach die ganze Constellation der 
Symptome für eine tuberculöse Basis des Exsudates, allein der Ausgang 
lehrte etwas Anderes. Wenn es in diesem Falle nicht gelang, das 
R6tr6cissement zu verhüten, so lag der Grund nur darin, dass das Ex¬ 
sudat beim Eintritt des Kranken schon sehr lange bestand und die Lunge 
grdsstentheils obsolet gemacht hatte. Den Grund der hämorrhagischen 
Beschaffenheit des Exsudates kann man, da für die Annahme einer all¬ 
gemein hämorrhagischen Diathese jeder Anhaltspunkt fehlt, wohl in Pleura- 
Eotzündung8-Recidiven suchen, welche auch die bereits gebildeten, jungen, 
reichlich vascularisirten Adhäsions-Membranen betrafen, bei welchen in 
solchem Falle ja bekanntlich Capillar-Rupturen so häufig sind. 

Die Therapie hat sich in Fällen wie der vorliegende vorzüglich auf 


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Medicinisch-chirnrgisclie Rundschau. 


eine Besserung der Gesammternährung sowie auf eine vorsichtige Lungen¬ 
gymnastik zu erstrecken. Beiden Zwecken entspricht am besten ein mehr¬ 
monatlicher Aufenthalt im Gebirge an einem geschlitzten Orte je nach 
der Jahreszeit an den nördlichen oder südlichen Abhängen der Alpen mit 
vorsichtigem methodisch geregeltem Bergsteigen, gymnastischen Uebungen, 
Anwendung der pneumatischen Apparate u. s. w. Die Steigerung der 
Vitalcapacität, welche auf diese Weise theils durch nachträgliche Aus¬ 
dehnung comprimirter Lungentheile, theils durch vicariirende Ausdehnung 
der gesunden Lunge erzielt wird, ist oft sehr beträchtlich; die besten 
Resultate werden bei diesen Zuständen im Kindesalter erzielt. 


645. Ueber selbstständige Hypertrophie lind Dilatation des 
Herzens. Von N. Sassezky. Aus der propädeutischen Klinik des Prof. 
W. A. Manassein. (St. Petersb. med. Wochenscbr. 1880. 33.) 

Schon lange sind in der Literatur Beobachtungen und Hypothesen 
erschienen über die Möglichkeit der Entwicklung einer Herzhypertrophie, 
und unter Umständen einer Erweiterung ohne Hypertrophie, allein in 
Folge von andauernd verstärkter Herzthätigkeit, ohne andere Ursachen 
— mochte diese verstärkte Thätigkeit nun hervorgegangen sein aus 
angestrengter Muskelarbeit, oder aus heftigen Gemttthsaffectionen, oder 
aus Missbrauch spirituöser Getränke. Ein bedeutender Theii der Literatur 
über die zu behandelnde Frage findet sich in den Arbeiten von Thomas 
Clifford Allbutt, J. M. Da-Costa, Arthur B. R. Myers, Johannes 
Seitz (die Ueberanstrengung des Herzens) und W. Thurn, erschienen 
im Jahre 1875. Aus den vollständigen Oitaten des Verf. reproduciren 
wir die interessantesten Angaben: 

Zuerst richteten, wie es scheint, englische Autoren die Aufmerksamkeit 
auf die Vergrösserung des Herzens in Folge verstärkter Function. Dr. Hope 
sagt, er habe Herzerweiterung in Folge angestrengter Function beobachtet, 
z. B. bei Ruderern. Dr. Hunter und Dr. Nicholson wandten die Auf¬ 
merksamkeit auf die Häufigkeit von Erkrankungen des Herzens bei Soldaten 
in der Armee, nach grossen physischen Anstrengungen. B oui 11 au d erkennt 
die Möglichkeit der Entwicklung von Hypertrophie und Erweiterung des 
Herzens in Folge verstärkter Function an, und führt eine derartige, 
durch die Section bestätigte Beobachtung an, wo unter dem Einfluss 
solcher verstärkten Function allgemeine Herzhypertrophie sich entwickelt 
hatte. Fothergill spricht von einem Fall von Erweiterung des rechten 
Ventrikels und Vorhofs bei einem Läufer. Aldridge erzählt von der 
Beobachtung bei einer Geisteskranken, die so heftigen Anfällen von 
Raserei unterworfen war, dass sie dem Ersticken nahe kam; nach dem 
Tode fand man bei der Section starke Erweiterung und Verdünnung 
(wie Papier) des rechten Ventrikels. Friedreich drückt sich in seinem 
Werke über die Herzkrankheiten folgendermassen über die selbstständige 
idiopathische Hypertrophie des Herzens aus: Ich kenne keinen Fall 
idiopathischer Hypertrophie des rechten Ventrikels, welche man, wenn 
auch selten, am linken Ventrikel beobachten kann; aber dafür erreicht 
in diesen Fällen die Hypertrophie solche Grade, wie man sie kaum bei 
consecutiven Hypertrophien findet. Die idiopathische Hypertrophie des 
linken Ventrikels ohne Klappenfehler und ohne andere mechanische 
Hindernisse findet man, wie es scheint, vorzüglich bei Männern der 
arbeitenden Classe in Folge übermässiger Körperanstrengungen, andauernder 
psychischer Erregungen und Leidenschaften und in Folge gewohnheite- 
mäs8igen übermässigen Gebrauches erhitzender Getränke; in Folge aller 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


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dieser Umstände tritt immer beschleunigte Herzthätigkeit und verstärkte 
Ernährung desselben auf, was nichts Auffallendes hat nach Analogie mit 
den Hypertrophien anderer Muskeln, deren Thätigkeit verstärkt wurde. 
J. M. D a - C o s t a beobachtete eine enorme Zahl von Fällen von excessiver 
Erregbarkeit des Herzens bei Soldaten im Verlaufe erschöpfender und 
andauernder Arbeit derselben, — und als Folge dieser Erregbarkeit eine 
Hypertrophie des Herzens; Erweiterung des Herzens beobachtete er 
dagegen sehr selten. Interessante Facta über Herzkrankheiten bei Soldaten 
findet man im Werke von Arthur B. R. Myers: „Ueber die Häufigkeit 
und die Uraachen der Herzkrankheiten bei Soldaten 44 , wo unter Anderem 
der Autor von den Muskeltibungen, von den Kriegsübungen und Anderem 
spricht, als von der Ursache der Häufigkeit von Herzkrankheiten in der 
Armee. 

Cohnheim in seinei allgemeinen Pathologie äussert sich folgender- 
massen über die selbstständige Hypertrophie des Herzens: „Wenn eiu 
Muskel, der, obgleich nicht fortwährend, so doch oft gesteigerte Arbeit 
verrichtet, in seiner Masse zunimmt, wie wir uns täglich an den Armen 
der Schmiede oder Böttcher überzeugen können, so kann man meiner 
Ansicht nach die Möglichkeit nicht ableugnen, dass ähnliche Anstrengungen 
des Herzens, wenn sie sich oft wiederholen, zuletzt zu wahrer Hypertrophie 
des Herzmuskels führen. 44 Als Beweis für diese Ansicht weist Cohn hei m 
auf die nicht selten zu constatirende Hypertrophie des Herzens bei Morb. 
Basedowii hin, sowie auf die oft zu beobachtende Hypertrophie des 
Herzens bei Leuten, die sich schweren Muskelanstrengungen unterziehen. 
Warum in Folge übermässiger physischer Anspannungen in einer Anzahl 
von Fällen Hypertrophie des Herzens sich entwickelt, in einer anderen 
Anzahl Erweiterung ohne Hypertrophie, — das erklärt Cohnheim 
dadurch, dass die Leistungsfähigkeit der Herzmuskulatur auch ihre Grenzen 
hat, und wenn diese überschritten werden, so tritt, wie in den anderen 
Muskeln des Organismus, nicht Vermehrung der Masse ein, sondern Er¬ 
schöpfung. Die Erregbarkeit nimmt ab und das Herz wird einem solchen 
ähnlich, welches Einbusse an seiner Contractionskraft erlitten hat. 

Resumirt man Alles, was in Bezug auf diese Frage geschrieben 
ist, kann man zu dem Schlüsse kommen, dass die Hypertrophie des 
Herzens und seine Erweiterungen Vorkommen können bei in anderer 
Beziehung gesunden Menschen, ohne irgend eine der Untersuchung 
zugängliche Erkrankung des Herzens und des Gefässsystems, und dass 
die verstärkte Thätigkeit des Herzens als ätiologisches Moment dieser 
Hypertrophie möglich und wahrscheinlich ist; aber kein einziges Factum 
existirt, auf Grundlage dessen man dieses ätiologische Moment mit voller 
Ueberzeugung für die unzweifelhafte Ursache der Hypertrophie oder 
Erweiterung des Herzens erklären könnte. Dass diese letzteren in directer 
Abhängigkeit von der verstärkten Thätigkeit des Herzens stehen, daa 
ist eine Frage, die mit Sicherheit nur auf dem Wege des Experimentes 
erwiesen werden kann, nicht auf dem Wege der Beobachtung. 

Um sich nun dnreh das Experiment zu überzeugen, wie die ver¬ 
stärkte Thätigkeit des Herzens auf dasselbe einwirkt, hat Verf. daher 
folgende Versuche ausgefhhrt: 

Ans dem Fröhlingswurf einer und derselben Katze wurden 4 Kätzchen 
genommen, die zuerst vollkommen gleich erzogen wurden und volle Freiheit 
genossen. Daranf, als sie herangewachsen waren, und zwar vom 14 Juni an, 
worden zwei Katzen täglich 2 Mal (Morgens und Abends), jedesmal l l /i—£ 
Stunden in einem grossen geräumigen Zimmer nmhergejagt. Die beiden anderem 
wurden nicht nmhergejagt. In Betreff alles Uebrigen lebten die 4 Katzen eia 


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Medicinisch-chirurgische Rundscüau. 


völlig gleichartiges Leben in voller Freiheit. Am 14. Juni (dem Tage des Be¬ 
ginnes des Experimentes) und am 14. jeden folgenden Monates wurden die Katzen 
des Morgens nüchtern auf einer Decimalwage gewogen. So ging es fort bis snm 
14. December, es worden also genau ein halbes Jahr lang zwei Katzen umher- 
gejagt, die beiden anderen nicht Am 14. December worden alle 4 Katzen getödtet 
indem man ihnen die Kehle dnrchschnitt, und secirt. Bei der Section wurden 
folgende Daten gesammelt: 1. Länge und Breite des Herzens (in Millimetern), 
2. Dicke der Wand des rechten und linken Vorhofes, sowie der Ventrikel (in 
Millimetern), 3. Gewicht des Herzens (in Grammen), 4. Breite der Aorta und 
Lungenarterie beim Austritte aus dem Herzen (in Millimetern), 5. die mit Hilfe 
mikrometrischer Messung gefundene Breite der Muskelfasern des rechten und linken 
Vorhofes und der Ventrikel (in Millimetern) und 6 Gewicht folgender innerer 
Organe: Lungen, Leber, Milz, Nieren, Magen mit Gedärmen und Gehirn. Indea 
Verf. am Schlüsse dieser Arbeit das allmonatliche Gewicht der Katzen und das 
Protokoll der Section beilegt, gibt er jetzt das Resumö des erhaltenen Resultates. 

1. Alle 4 Katzen hatten an Gewicht zugenommen, seit dem 14. Juni ab» 
ganz verschieden: die umhergejagten Katzen nämlich weit weniger, als die 
anderen, so dass am 14. Jnni diejenige Katze des ersten Paares, die umhergejagt 
wurde, um 80 Grm. schwerer war, als die nicht umhergejagte, — am 14. December 
aber letztere die erstere um volle 220 Grm. überwog. Ebenso war am 14. Juni 
vom zweiten Paare die umhergejagte Katze um 10 Grm. schwerer gewesen, als 
die andere, aber am 14. December wog letztere um 50 Grm. mehr. 2. Länge des 
Herzens bei den umhergejagten Katzen grösser als bei den anderen (beim ersten 
Paare um 9 Millimeter, beim zweiten um 5 Millimeter). Breite des Herzens ziemlich 
die gleiche (vielleicht um 1 Millimeter breiter bei der umhergejagten Katze des 
zweiten Paares, als bei der nicht umhergejagten desselben Paares). 3. Das Hen 
der umhergejagten Katzen wiegt weniger, als das der anderen (bei beiden Paaren 
um 0*04°/ o ). 4. Die Wand des rechten Ventrikels ist bei den umhergejagten Katzen 
dicker, als bei den anderen (beim ersten Paare um 0*5 Millimeter, beim zweiten 
um 1 Millimeter). Die Wand des linken Ventrikels ist bei den umhergejagten 
Katzen dünner, als bei den anderen (bei beiden Paaren um 1*5 Millimeter). Die 
Wand des rechten Vorhofes ist bei den umhergejagten Katzen dicker, als bei den 
anderen (bei beiden Paaren um 1 Mm.). Die Wand des linken Vorhofes ist bei den 
umbergejagten Katzen dünner, als bei den anderen v beim ersten Paare um 
0*5 Millimeter, beim zweiten um 1 Millimeter). 5. Breite der Aorta und ihres 
Austrittes aus dem Herzen bei den umhergejagten Katzen grösser als bei den 
anderen (beim ersten Paare um 2*6 Millimeter, beim zweiten um 2 Millimeter). Breite 
der Art. pulm. bei ihrem Austritte aus dem Herzen ist bei den umhergejagten und 
bei den anderen gleich. 6. Breite der Muskelfasern des linken Ventrikels und linken 
Vorhofes bei den umhergejagten Katzen geringer, als bei den anderen (im Ventrikel 
beim ersten Paare um 0*0096 Millimeter, beim zweiten um 0*0036 Millimeter; im 
Vorhofe beim ersten Paare um 0*0030 Millimeter, beim zweiten Paare um 
0*0006 Millimeter). Breite der Muskelfasern des rechten Ventrikels und rechten 
Vorhofes ist bei den umhergejagten Katzen grösser, als bei den anderen (im 
Ventrikel beim ersten Paare um 0*0014 Millimeter, beim zweiten um 00006 Milli¬ 
meter; im Vorhofe beim ersteh Paare um 00010 Millimeter, beim zweiten Paare 
um 0 0024 Millimeter). 7. Wägung der Leber, Nieren, des Magens mit den Därmen 
gibt kein Resultat. Gewicht der Lungen, Milz, und des Gehirns ist bei den umher¬ 
gejagten Katzen geringer, als bei den anderen. (Der Unterschied im Gewicht der 
Lungen beim ersten Paare beträgt 0*15°/ 0 , beim zweiten Paare 0*09°/»; Unterschied 
im Gewicht der Milz beim ersten Paare 0 ll°/ 0 , beim zweiten Paare 003%. 
Unterschied im Gewicht des Gehirns beim ersten Paare 0*25°/ 0 , beim zweiten 
016%.) 

Es hat also die täglich 2 Mal im Laufe eines halben Jahres über¬ 
mässig verstärkte Thätigkeit des Herzens als Resultat eine Umfangs- 
vergrösserung des Herzens ergeben mit Verdickung der Wandungen des 
rechten Herzens, und mit Verdünnung der Wandungen des linken Herzens; 
mit vergrösserter Breite der Muskelfasern des rechten Herzens, und mit 
verminderter Breite derjenigen des linken Herzens. Soweit diese Facta 
das Herz betreffen, muss man sie aller Wahrscheinlichkeit nach folgender- 
massen erklären: zuerst bildete sich Hypertrophie des linken.Ventrikels 
aus, später trat wegen zu starker Ausdehnung Verdünnung der Wandungen 
ein; in der Folge hypertrophirte das rechte Herz und die Section erfolgte 
zu einer Zeit, wo dessen Wandungen noch nicht sich hatten verdünnen 


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können; so ist es erklärlich, weshalb die Breite der Muskelfasern im 
rechten Herz vergrössert, im linken verringert ist. 

Im Originale folgt die Tabelle des allmonatlichen Gewichts der 
Katzen und die Ziffern, die bei der Section gewonnen wurden. 

646. Hemiplegia sympathica malarica. Von Prof. Dr. E. Poor. 
(Gyögyäszat XIX. 1879. 1.) 

Es ist bekannt, dass durch malarische Infection Innervations¬ 
störungen des cerebrospinalen und vasomotorischen Nervensystems auf- 
treten können, und Aerzte in malarischen Gegenden haben oft Gelegenheit, 
intermittirende Lähmungen, Krämpfe, ja sogar intermittirende entzündliche 
Vorgänge als Febris intermitteus larvata zu beobachten. Jedoch finden 
wir nichts aufgezeichnet von malarischer Hemiplegie und ist darum nach¬ 
stehender Fall gewiss werth, mitgetheilt zu werden. 

Die Mittheilnng ist um so werthvoller, da der Fall vom Verf. an 
sich selbst beobachtet wurde und wir so die Erscheinungen ganz genau 
und glaubenswürdig geschildert bekommen. 

P. begab sich 1878 des Sommers allabendlich auf sein Landgut, 
wo er, nachdem er an Magenkatarrh und Kopfschmerzen erkrankte, eines 
Morgens während des Schlafes von einem einige Minuten währenden 
starren Krampfe seines linken Wadens befallen wurde, worüber er auf¬ 
wachte und in unarticulirten Lauten um Hilfe rief. Unterdessen trat auf 
der ganzen linken Seite seines Körpers eine solch gradige Bewegungs¬ 
unfähigkeit auf, dass er sich nicht rühren konnte; die Lähmung erstreckte 
sich sogar auf die linke Gesichtshälfte und die Rachenmuskulatur. Sensi¬ 
bilität flberall normal. Nach l / A Stunde wurde P. von Frost befallen, 
unter welcher Zeit seine Temperatur auf 37*8 stieg. Im Verlauf von 
2 Stunden erwärmte sich sein Körper und fing seine Haut zu transpiriren 
an; auch kehrte zur selben Zeit die willkürliche Beweglichkeit der 
Zunge, der Extremitäten etc. wieder zurück. Der hemiplegische Anfall 
währte hiemit 2 Stunden; das dem Frost folgende Stadium des Schweisses 
angeblich 8 Stunden. 

P. erkannte in den Erscheinungen eine malarische Infection und 
nahm aus diesem Grunde zur Verhütung eines neuen Anfalles von Hemi¬ 
plegie stündlich 2 Decigrm. Chinin. Er verbrauchte im Ganzen 3 Grm. 
und ging dann zur Nachcur nach Gastein. Zur Bekräftigung der Diagnose 
erwähnt Verf., dass er in einer malarischen Gegend aufgewachsen, fast 
jedes Jahr seiner Kindheit vom Wechselfieber befallen wurde; er machte 
ein malarisches Eczema (?) durch, wurde seit seinen Studienjahren von 
typischen Kopfschmerzen gequält, gegen die er noch bis jetzt gezwungen 
ist, jedes Frühjahr und jeden Herbst 10—30 Grm. Chinin zu nehmen, 
und leidet an einem veralteten Milztumor. 

Er wurde schon 1861 während eines seiner Vorträge von einem 
ähnlichen linksseitigen hemiplegischen Anfalle heimgesucht, gegen den er 
das von seinem ihn behandelnden Arzte, weil. Prof. Sauer, ordinirte 
„Vinum stibiat. Huxhami“ vergeblich gebrauchte; P. erkannte jedoch in 
den damals dreitäglich wiederkehrenden Lähmungserscheinungen schon 
den malarischen Charakter seines Leidens und nahm dagegen Chinin, auf 
das in einer Woche schon die Paroxysmen gänzlich sistirten. 

Er nennt diese Hemiplegie eine sympathische und sucht sie folgender- 
massen zu erklären: Bekanntlich bekundet sich die vermehrte oder ver¬ 
minderte Erregbarkeit der Ganglien des N. symp. nicht nur in den Ver¬ 
änderungen der von denselben innervirten Organen (Blutkreislauf, Intestinal- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


tractus, Lungen etc.), sondern es können auch in den peripherischen 
Organen reflectorischer Weise Lähmungen auftreten; es können also die 
durch Nieren, Magen, Intestinal- und Sexualerkrankungen auf den Symp. 
wirkenden Reize reflectorisch auf die Extremitäten Einfluss üben und so 
deren Lähmungen verursachen (Romberg). Ebenso wie z. B. bei Blei 
Vergiftung können nun auch bei malarischer Infection die den Symp. 
treffenden Reize reflectorisch auf das cerebrospinale Nervensystem über¬ 
tragen werden und Lähmung: arscheinungen verursachen, die durch ein 
paroxysmenartiges Auftreten ihre malarische Herkunft bald verratben. 

Dr. L. Fanzier. 

647. Ueber weibliche Nervosität, ihre Beziehungen zu den Krank¬ 
heiten der Generationsorgane und ihre Allgemeinbehandlung. Von 
Dr. August Rheinstaedter (Cöln). (Volkmanns Samml. klin. Vor¬ 
träge. 188.) 

Von dem Bilde der Nervosität, welches Verf. als allgemein bekannt 
voraussetzt, lässt sich nach dessen Auffassung die Hypochondrie nnd 
Hysterie nicht trennen. Beide Zustände bilden nur eine specielle Form, 
respective Complication der Nervosität. Hypochonder und Hysterische sind 
immer nervös, dagegen brauchen Nervöse durchaus nicht hypochondrisch 
oder hysterisch zu werden. 

Die Zunahme der weiblichen Nervosität beruht zum grossen Theile 
auf der Erhöhung der Ansprüche, welche an die Thätigkeit des Weibes 
gestellt werden. Bei den Frauen der besseren Stände beziehen sich die 
erhöhten Ansprüche auf die geistige Ausbildung; sie sind von Haus aas 
sensiblerer Art als die Frauen des Volkes, sind viel häufiger mit erb¬ 
licher Anlage*) zur Nervosität belastet und stellen daher auch das 
grösste Contingent zur Zahl der Nervösen. 

„Es würde mich zu weit führen, wenn ich hier den Nachweis liefern 
wollte, wie durch die Erhöhung der Ansprüche an die Gehirnthätigkeit 
des Weibes auch die Lebensweise eine weniger gesundheitsgemässe, und 
die Entwickelung der Nervosität begünstigt wird. Ich bescheide mich 
damit, auf den jüngst erschienenen Vortrag von Finkelnburg zu ver¬ 
weisen, welcher dieses Thema in geistvoller Weise bespricht. w Nächst 
der angeborenen Anlage legt Verf. den psychischen Einflüssen bei der 
Entwickelung der Nervosität die grösste Bedeutung bei. 

Auch bei den Frauen der ärmeren Classen ist die Zunahme der 
Nervosität zweifellos, sie entsteht aber bei ihnen häufiger auf somati¬ 
schem Wege. 

Das sociale Elend zwingt heute die Frauen zu körperlichen Beschäfti¬ 
gungen, die in früheren Zeiten nur dem männlichen Geschlechte zuge- 
muthet wurden. 

Wenn man im Allgemeinen die Zunahme der sogenannten Unter- 
leibskrankheiten als Ursache der immer mehr sieh verbreitenden Nervo¬ 
sität bei den Frauen anschuldigt, so kann Verf. dies nur insofeme zu¬ 
geben, als die eben angeführten Schädlichkeiten, wie der Mangel der 
Pflege und Schonung in der dem Geschlechtsgenusse gewidmeten Lebeas- 


*) In neuester Zeit sind bei Sectionen an intercurrenten Leiden gestorbener, 
hochgradig nervöser Individuen Defecte an gewissen Stellen der Centralorgane 
(Clarke’sche Säulen der Medulla) mikroskopisch nachgewiesen und ist hiemit 
der Anfang einer pathol. - anatomischen Fixirung des bisher in der Luft schwe¬ 
benden Begriffes der „Anomalie des Nervensystems“, welche der Nervosität an 
Grunde liegt, gemacht worden. 


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Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


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zeit, bei den Armen jetzt häufiger zur Geltung kommen; im Uebrigen 
ist die Zunahme der Krankheiten der weiblichen Generationsorgane eine 
nur scheinbare, durch die ausserordentlich rasch poussirte Ausbildung der 
Gynäkologie, die verfeinerte Diagnostik und Therapie hervorgerufene. 

Nun hat sich aber leider aus der früheren Scheu der Frauen vor 
der Genitaluntersuchung und dem laisser aller, welches die Aerzte den 
gynäkologischen Erkrankungen gegenüber beobachteten, eine wahre Hystero- 
manie, ein Furor uterinus in dem Sinne herausgebildet, dass jede Frau, 
die an Migräne, an Magenkrampf oder an Palpitationen leidet, uterinkrank 
zu sein glaubt und auch Aerzte findet, die sieh zur Behandlung ihres 
vermeintlichen Uterusleidens herbeilassen. Die geringste Epithelabschilfe¬ 
rung an der Portio wird unter der erschreckenden Bezeichnung „Geschwür“ 
in Behandlung genommen; normal auf die vordere Fläche gebogene Gebär¬ 
mütter werden mit Sonde und Stiften monate-. ja jahrelang tractirt und 
im günstigsten Falle wird nichts dadurch geschadet, aber der bona fide 
handelnde Arzt und die vertrauensselige Patientin warten vergeblich auf 
die Heilung der nervösen Beschwerden. 

Verf. wirft daher die Frage auf: „Welche Erkrankungsformen der 
weiblichen Generationsorgane können denn mit Fug und Recht beschuldigt 
werden, Nervosität hervorzubringen? 

„Im Allgemeinen dürfen wir diese Frage dahin beantworten, dass, 
je depotenzirender eine sexuelle Krankheit auf die Constitution einer Frau 
ein wirkt, um so eher Nervosität sich entwickelt. Erbliche Belastung und 
schwache Constitution wirken als disponirende Momente. u 

Vor allen Dingen kommen die mit profusen Blutungen einhergehenden 
Gebärmutterkrankheiten in Betracht, die durch ihren anämisirenden Ein¬ 
fluss die Constitution untergraben. 

Für die Krankheiten der Ovarien hat jedoch dieser Satz keine 
Giltigkeit; hier können Neuralgien und chronische Oophoritiden, die ja 
an und für sich keine consumirenden Krankheiten darstellen, den Grund 
zu den schwersten universellen Neurosen legen. Das häufige Vorkommen 
der vom Ovarium ausgehenden Reflexneurosen findet seine anatomisch¬ 
physiologische Erklärung in der Thatsache, dass in den die Ovarien ver¬ 
sorgenden, aus den Plexus spermatici des N. sympathicus entspringenden 
Nervi spermatici eine beträchtliche Menge sensibler Fasern verläuft. 
8. Röhrig in Virchow’s Archiv 76. Bd. 1879. In den aus den Plexus 
hypogastrici inferiores N. sympathici stammenden Nervi uterini und den 
ebenfalls den Uterus versorgenden Nervi sacrales (3. u. 4.) scheinen 
die motorischen Fasern vor den sensibeln das Uebergewicht zu haben. 
Hiefür sprechen ausser den Muskelleistungen des Uterus auch die Un¬ 
empfindlichkeit desselben. 

Die centrale Innervation des Uterus wird durch das Lendenmark 
vom 10. Brustwirbel abwärts vermittelt, und Röhrig 1. c. fasst die im 
oberen Theil der Vagina und in der Cervix nachgewiesenen Ganglienzellen 
ab peripherische Gefässganglien zur Regulirung der Blutcirculation auf. 

Bei den mannigfaltigen Verbindungen, welche nach dem Gesagten 
die Nerven der Generationsorgane mit dem sympathischen und cerebro¬ 
spinalen Nervensysteme eingehen, ist die Möglichkeit der Uebertragung 
von in der Sexualsphäre bestehenden Reizen auf die entferntesten Nenren- 
gebiete des Organismus leicht verständlich, und es ist das bei den meisten 
weiblichen Individuen vor und während der Menses sich einstellende Un¬ 
wohlsein gewissermassen als physiologischer Beweis dieser Rückwirkung 
anzusehen. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Die Hysteralgie wird wohl mit der fortschreitenden Vervollkomm¬ 
nung der Diagnostik als für sich bestehendes Leiden verschwinden; dem 
Verf. ist eine reine Neurose des Uterus ohne nachweisbares pathologisches 
Substrat noch nicht zur Beobachtung gekommen. 

Mangel des Uterus bei Vorhandensein eines oder beider Ovarien 
kann erhebliche Molimina menstrualia, Congestionen zu anderen Organen, 
die mannigfaltigsten Reflexneurosen und allgemeine Nervosität bewirken. 
Die localen Schmerzen und die allgemeinen nervösen Beschwerden sind 
manchesmal so hochgradig, dass die Castration indicirt erscheinen kann. 
In ähnlicher Weise wirkt die mangelhafte Entwickelung des Uterus, mit 
welcher häufig Indolenz beim Coitus, verspätetes Eintreten, verfrühtes 
Aufhören oder gänzlicher Mangel der Menses und gewöhnlich Unfrucht¬ 
barkeit verbunden ist. Sterilität führt an und für sich leicht zu allge¬ 
meiner Nervosität, denn wenn auch die meist nachweisbaren ursächlichen 
Krankheiten die Frauen nicht nervös machen, so thun es die in kinder¬ 
losen Ehen niemals ausbleibenden Disharmonien auf psychischem Wege. 

Die Stenosen des Cervicalcanals, mögen sie für sich bestehen oder 
durch Flexionen bedingt sein, behindern den Abfluss der Secrete und des 
Menstrualblutes, führen leicht zu Circulationsstörungen im Uterus, zu An¬ 
schoppungen desselben und namentlich zu Dysmenorrhoe, welche sich in 
tagelang anhaltenden Schmerzen oberhalb der Symphyse und im Kreuze, 
allgemeiner Abgeschlagenheit, Migräne, Erbrechen lind Muskelkrämpfen 
äussern und so hochgradig werden kann, dass sie in öfterer Wiederholung 
allgemeine Nervosität verursacht. Vor Allem aber sind, wie bereits ange¬ 
deutet wurde, jene Uteruskrankheiten als Ursache der Nervosität anzu- 
klagen, welche mit profusen Blutungen und Ausflüssen verbunden zu sein 
pflegen: die Subinvolutio uteri, die chronische Endometritis und Metrifls, 
die Myome und Polypen, in geringerem Grade die Sarkome und Car- 
cinome. 

Bei den Retroflexionen und denjenigen Geschwülsten des Uterus, die 
im kleinen Becken eingekeilt sind, kann ausser dem Blutverluste auch 
noch der Druck auf die Beckengefässe und Beckennerven als Ursache 
allgemeiner nervöser Beschwerden in Mitwirkung kommen. Von Lage¬ 
veränderungen des Uterus möge hier noch der Descensus und Prolaps 
Erwähnung finden, welche nicht allein durch ihre unangenehmen Folge¬ 
zustände (chronische Metritis, Zerrung und Dislocation der Nachbarorgane), 
sondern auch durch ihren psychisch deprimirenden Einfluss Nervosität zu 
erzeugen im Stande sind. 

Während die Krankheiten des relativ insensiblen Uterus meist auf 
indirectem Wege zur Nervosität führen, kommt es nicht selten vor, dass 
die Ovarien der unmittelbare Ausgangspunkt heftiger Neuralgien und 
allgemeiner Nervosität werden. Die Schmerzen entstehen bei der Ovarial- 
neuralgie gewöhnlich ohne jede Veranlassung, strahlen nach anderen 
Nervengebieten aus und endigen manchmal mit jenen epileptiformen An¬ 
fällen, denen Charcot den Namen Hystero-Epilepsie beigelegt hat. 
Bimanuelle Palpation des afficirten Ovarium vermag derartige Seenen 
hervorzurufen, während eine starke Compression den Anfall coupirt. 

Ausser den eigentlichen Neuralgien des Ovarium geben die chro¬ 
nischen Oophoritiden häufig die Veranlassung zum Ausbruche der schwersten 
Formen der hysterischen Nervosität, so dass diese beiden Eierstockerkran¬ 
kungen in der neueren Zeit mit an der Spitze der Indicationen für die 
Gastration aufgezählt werden. 

Aber auch die Dislocation eines Ovarium, sei es im Douglas- 


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Medicinisch-cliinirgisclie Bond schau. 


813 


sehen Baume oder sei es in einer Hernie gelagert, kann die Ursache der 
mannigfaltigsten nervösen Beschwerden werden. Gar nicht selten haben 
ferner Beckenexsudate und kleine, im Becken eingekeilte Ovarialtumoren 
Nervosität im Gefolge; die durch dieselben bedingten Circulationsstörungen 
in den Beckengefüssen und der Druck auf die Beckennerven führen viel 
eher zu erheblichen nervösen Beschwerden, als dies durch grosse, in die 
Bauchhöhle hinaufgestiegene Tumoren geschieht, obschon letztere auf 
den allgemeinen Kräftezustand einen so eminent verderblichen Einfluss 
aosüben. 

Von den Krankheiten der Scheide und der Vulva sind der Vagi¬ 
nismus und der Pruritus als diejenigen hervorzuheben, welche in beson¬ 
derer Beziehung, so zu sagen in genetischer Wechselbeziehung zur 
Nervosität stehen, denn beide Affectionen kommen hauptsächlich bei Ner¬ 
vösen vor, und es erscheint manchmal zweifelhaft, ob die Nervosität als 
das primäre oder als das secundäre Leiden anzusehen ist. In einzelnen 
Fällen aber entsteht der Vaginismus und Pruritus bei vorher ganz ge¬ 
sunden, nicht nervösen Frauen. So findet man den Vaginismus, der ja 
durch die verschiedenartigsten Läsionen des Scheideneinganges und seiner 
Umgebung hervorgerufen werden kann, relativ häufig in den Fällen, wo 
neu vermählte Ehemänner durch alte Tripperresiduen bei ihren gesunden, 
virginalen Frauen eine frische Colpitis gonorrhoica erzeugen. 

Der Ausdruck Pruritus ist bekanntlich eine Collectivbezeichnung für 
alle jene Erkrankungen der Vulva, welche mit heftigem Jucken ver¬ 
bunden sind; die verderblichste Folge des Pruritus ist die Onanie, die 
auch ohne die Complication des Pruritus fast immer zur Nervosität führt. 
Der Pruritus kann allerdings als selbstständige Neurose auftreten, ohne 
dass eine krankhafte Gewebsveränderung nachweisbar ist; häufiger aber 
entsteht er in Folge von Exanthemen, Prurigo, Herpes, Eczem und von 
Erythemen und Erosionen, die durch diabetischen Harn oder ätzende 
Ausflüsse aus Scheide und Uterus (Colpitis granulosa) unterhalten werden. 
Auch pflanzliche Parasiten kommen bei den den Pruritus bedingenden 
Krankheiten zur Beobachtung, welche die Hartnäckigkeit des Uebels ver¬ 
mehren. 

Auf diese Weise kann also der „weisse Fluss M , auch abgesehen 
von den ihn veranlassenden uterinen und vaginalen Erkrankungen, even¬ 
tuell einmal zu Nervosität führen. Wie oft aber wird er unschuldiger 
Weise als Ursache der Nervosität angeklagt! Frauen und Mädchen klagen 
so leicht über weissen Fluss, dass die Frage, ob auch Ausfluss bestehe, 
sehr selten verneint wird, ob aber die Quantität des Uterus- und Scheiden- 
secrets in der That krankhaft vermehrt sei, das unterliegt ja ganz allein 
der subjectiven Schätzung des Arztes. Jede Schleimhaut bringt ein Secret 
zu Tage, die Indagation führt schon eine geringe Vermehrung des Secretes 
der Scheide und der Drüsen der Vulva herbei, untersucht man aber kurz 
vor oder kurz nach den Menses, so wird man stets Fluor albus finden. 

Verf. macht darauf aufmerksam, dass andererseits bei keiner der 
besprochenen Krankheiten die Entwickelung der Nervosität eine absolut 
nothwendige Folge ist. Die gynäkologischen Affectionen, welche am 
meisten dazu angethan sind, bei längerem Bestände auch nicht prädis- 
ponirte Frauen nervös zu machen, sind die chronische Metritis, die Retro- 
flexio uteri und der Pruritus vulvae. 

Schliesslich fasst Verf. seine Ansicht über den Zusammenhang der 
weiblichen Nervosität mit den Erkrankungen der Generationsorgane in 
folgenden Sätzen zusammen: 


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814 


Medicinisch-chirurgiscbe Rundschau. 


1. Nicht alle Frauen, die an chronischen sexuellen Krankheiten leiden, 
werden nervös. 

2. Bei vielen nervösen Frauen ist mit dem besten Willen kein gynä¬ 
kologisches Leiden zu entdecken. 

3. In der Mehrzahl der Fälle, wo ein solches bei nervösen Frauen 
vorhanden ist, kann die Nervosität demselben nicht — wenigstens nicht 
allein — zur Last gelegt werden, da eine genauere Nachfrage sehr oft 
ergibt, dass vor dem Auftreten der Genitalerkrankung schon nervöse Be 
schwerden bestanden haben, und da letztere auch nach Heilung der Genital¬ 
erkrankung durchaus nicht immer verschwinden. 

4. Träten die sexuellen Krankheiten als Ursache der weiblichen 
Nervosität so sehr in den Vordergrund, so müssten die unbemittelten Stände 
ein grösseres Contingent Nervöser stellen, als die Bemittelten, während 
factisch doch das umgekehrte Verhältniss stattfindet 

5. Die angeborene Anlage, die Lebensweise, die Erziehung und 
psychische Einflüsse (geistige Ueberanstrengung, Schrecken, Sorgen und 
Kummer) sind für die Entstehung der weiblichen Nervosität von viel 
grösserer Bedeutung, als die Erkrankungen der Generationsorgane. 

In Betreflf der Therapie muss der Arzt, wenn er bei einer ner 
vösen Frau ein gynäkologisches Leiden vorfindet, der Behandlung des¬ 
selben seine besondere Aufmerksamkeit zuwenden. 

In einzelnen Fällen aber verschlimmert die Behandlung des gynä¬ 
kologischen Leidens geradezu die Nervosität. 

Bemerkt dies der Arzt, so thut er am besten, die locale Behand¬ 
lung ganz zu sistiren und unter allgemein diätetischen, auf Beruhigung 
des erregten Nervensystems hinzielenden Verordnungen einen günstigeren 
Zeitmoment für die Behandlung der Genitalerkrankung abzuwarten. 

Verf. schildert nun die Allgemeinbehandlung der Nervosität. 

Die socialen Verhältnisse der Kranken und die Persönlichkeit des 
Arztes sind hier von wesentlichster Bedeutung für die Prognose. 8oll die 
Behandlung der Nervosität von Erfolg gekrönt sein, so ist es vor Allem 
nöthig, dass der Arzt individualisire. • 


Medicamentöse Verordnungen sind bei der Allgemeinbehandlung der 
Nervosität soviel als möglich zu vermeiden und auf die „acuten Anfälle“ 
zu beschränken. So wird man bei neuralgischen Paroxysmen und Krampf¬ 
zuständen, die ja die Nervosität und Hysterie in allen erdenklichen Formen, 
mit und ohne Verlust des Bewusstseins producirt, die narkotischen und 
calmirenden Medicamente, unter welchen Bromkali, Morphium, Opium und 
Chloralhydrat noch die zuverlässigsten sind, sei es in innerlicher, sub* 
cutaner oder rectaler Application, nicht ganz entbehren können; so lange 
es aber nur eben angeht, spare man mit den Narcoticis, da sie, abge¬ 
sehen von den störenden Nebenwirkungen (Stuhlverstopfung, Magen- 
verderbniss) bei längerer Anwendung den Dienst versagen und die Erreg¬ 
barkeit des Nervensystems entschieden verschlimmern. Man wird ferner 
bei Dyspnoö, Beklemmung und Angstgefühlen, Zuständen, wie sie so oft 
bei Nervösen in Folge von Emportreibung des Zwerchfells durch Flatuleni 
(Vapeurs) sich einstellen, Brausepulver und Spiritus aethereus, bei vor¬ 
wiegenden Herzpalpitationen Monobromcampher geben und bei Gehirn¬ 
anämie mit ohnmachtähnlichen Anfällen zu den Excitantien greifen. 

Das einzige Medicament, welches in der Allgemeinbehandlung der 
Nervosität einiges Vertrauen verdient und bei längerem Gebrauche zuweilen 
auch anhaltenden Nutzen schafft, ist das Eisen. Die ganze Kunst des 
Eisenversclireibens beruht darauf, dass man die Stuhlentleerung der Beach- 


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Medicinisch-chirarg! Rnndschan. 


815 


tung würdigt; sobald Stuhl Verstopfung beim Eisengebrauehe eintritt, kommt 
der ganze Verdauungsapparat in Unordnung, und das Eisen bringt dann 
eher Schaden als Nutzen. Verf. verordnet ausschliesslich Ferrum lacticum 8*0 
auf 120 Pillen 3mal täglich 2—3 Pillen zu nehmen und lässt der Pillen¬ 
masse 2—12 Grm. Pulv. Rhei zusetzen, d h. so viel, als im gegebenen 
Falle zu einer zweimaligen breiigen Stuhlentleerang pro Tag sich erfor¬ 
derlich erweist. Anämisch-Nervöse neigen fast immer zur Obstruction; 
ist diese so hochgradig, dass auch die angegebene höchste Dosis Rbeum 
zur Regulirung des Stuhlganges nicht hinreicht, lässt Verf.' lieber durch 
regelmässige Kaltwasserreinigungen nachhelfen, als dass er zu stärkeren 
purgirenden Zusätzen, die für die Dauer die träge Darmthätigkeit noch 
mehr schwächen würden, greift. Ist dagegen Neigung zu chronischer 
Diarrhoe vorhanden, was nur in seltenen Ausnahmeftillen bei Nervösen 
vorkommt, lässt er die adstringirende Wirkung der Eisenpillen zur Geltung 
kommen, indem er jeden Rheumzusatz vermeidet. 

Eisenwässer, curgemäss im Sommer gebraucht, werden meist gut 
vertragen. Zum häuslichen Gebrauche, besonders im Winter, passen die 
Eisenwässer nicht, denn die Resorption der minimalen Dosis Eisen, die 
in dem grösstmöglichen täglich zu consumivenden Quantum eines kräftigen 
Mineralwassers enthalten ist, wird in der Regel nur mit Verdauungs¬ 
beschwerden und Verminderung des Appetits erkauft. Verf. gibt den 
obigen Pillen zum häuslichen Gebrauche den Vorzug vor den Mineral¬ 
wässern auf Grundlage der auf mehrere Hunderte von vergleichenden Ver¬ 
suchen basirten Wahrnehmung, dass erstere viel besser vom Magen ver¬ 
tragen werden, und dass darnach der angestrebte Erfolg viel rascher und 
augenscheinlicher hervortritt. 

Besonderer Vorsicht in der Wahl der Nahrungs- und Genussmittel 
bedarf es beim Gebrauche der Pillen nicht, es empfiehlt sich im Allge¬ 
meinen kräftige, aber reizlose und leicht verdauliche Kost, nach Bedürfniss 
Öfters im Tage kleinere Imbisse. Lässt man diesen Collationen jedesmal 
ein Glas Wein hinzufügen, so verhütet man am besten jene Ohnmachts¬ 
anwandlungen, welche Nervöse so häufig befallen. Ueberhaupt plaidirt 
Verf. für den Alkoholgenuss der nervösen Patientinnen. Nach dem Mittags¬ 
essen eine halbe Stunde Schlaf. 

Alle körperlichen und geistigen Anstrengungen sind zu vermeiden, 
und auch robust aussehende nervöse Frauen müssen sich stets als schonungs¬ 
bedürftige Individuen behandeln. Der möglichst beständige Aufenthalt in 
der frischen Luft ist das naturgemässeste und beste Nervinum und Verf. 
legt hierauf viel mehr Gewicht, als auf die mit dem Spazierengehen ver¬ 
bundene Körperbewegung. 

Verf. betont im Weiteren die geistige Schonung durch Fernhalten 
aller schädlichen psychischen Einflüsse von den Patienten. 

In der Allgemeinbehandlung der Nervosität spielen von jeher die¬ 
jenigen Proceduren eine wichtige Rolle, welche sich auf die Belebung 
der Hautthätigkeit beziehen. Eine Wirkung von wesentlichster Bedeutung 
ftir die Behandlung der Nervosität ist jedenfalls die durch derartige Cur- 
methoden, Hydrotherapie, vermittelte Regulirung der Blutcirculation. 

Es können hier zwar alle möglichen Badeorte und Badeformen, je 
nach dem Vorwiegen specieller Indicationen, in Betracht kommen, auch 
solche, die mit Trinkeuren verbunden werden — so wird man dickleibige 
und vollsaftige nervöse Frauen nach Karlsbad oder Marienbad, anämische 
nach Schwalbach oder Pyrmont schicken dürfen, wenn Lähmungen, 
Anästhesien und Neuralgien in den Vordergrund treten, die Moorbäder 

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816 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


von Fr&nzensb&d, wenn es sich um Resorption von Beckenexsudaten 
handelt, die Soolbäder von Kreuznach empfehlen — hauptsächlich aber 
concurriren bei Behandlung der allgemeinen Nervosität die Kaltwasser¬ 
heilanstalten und das Seebad. 

Beide dflrfen, selbst bei anscheinend kräftigen Constitutionen, nur 
in den mildesten Formen zur Anwendung kommen. 

Von den hydropathischen Methoden ist die nasskalte Abreibung, 
der Neptun8gttrtel, die Brause, das ktthle Sitzbad oder Vollbad je nach 
der Reactionsfähigkeit des Organismus höchstens bis zu 16° R. abwärts 
anwendbar; bei vorwiegender Schlaflosigkeit empfiehlt Verf. statt dessen 
laue 1 / a 8tttndige Vollbäder von 27—28° R. oder hydropathische Ent¬ 
wickelungen; von den amerikanischerseits als beruhigendes Mittel an¬ 
gepriesenen warmen Scheidenirrigationen (4 Liter von 28° R.) kann 
Verf. die behauptete Wirkung nicht bestätigen. Das Seebad soll von 
Nervösen niemals ohne ärztliche Ueberwachung benutzt werden. 

Für den häuslichen Gebrauch passen von den hydropathischen 
Curen am besten die allmorgendlich zu machenden nasskalten Abreibungen 
(im Winter im geheizten Zimmer). 

Manifestirt sich die leichte Erregbarkeit des Centralnervenapparates 
durch häufige Krampfanfälle, so empfiehlt sich die Application der mit 
Eiswasser gefällten Chapmanschen Schläuche auf die Wirbelsäule. 

Die Elektricität und in jüngster Zeit die Metalloskopie haben in 
der Bekämpfung einzelner Symptome der Nervosität, besonders der 
Neuralgien, Spasmen, Paresen und Anästhesien grosse Erfolge aufzu¬ 
weisen. In manchen Fällen von temporärer oder auch andauernder Heilung 
ist gewiss der bei diesen Proceduren mitwirkende psychische Einfluss als 
das heilende Agens anznsehen. In allerneuester Zeit will man auch durch 
hypnotische Experimente an nervösen Individuen — die wohl als Medien 
meist gut zu verwenden sein werden — günstige Erfolge bei Functions¬ 
störungen im Bereiche einzelner Nerven (Anästhesien) erzielt haben. Wie 
hoch aber bei Nervösen der psychische Einfluss aller therapeutischen 
Massnahmen anzuscblagen ist, lehrt ein von Dr. James Israel (Berliner 
klinische Wochenschrift 1880, Nr. 17) mitgetheilter Fall von Heilung 
einer an Ovarialneuralgie und unstillbarem Erbrechen leidenden Hysteri¬ 
schen, welche in die Castration als letztes Rettungsmittel eingewilligt 
hatte. Nach Einleitung der Chloroformnarkose machte Israel nur einen 
kleinen Hautschnitt, der nun alle Tage sorgfältigst verbunden wurde. 
Die Patientin wurde durch diese Scbeinoperation von ihrem 6jährigen 
schweren Leiden befreit. Verf. schliesst seinen für den praktischen Arzt 
höchst lehrreichen Vortrag, dessen nähere Details im Originale nachzu- 
seben sind, mit der Aufforderung zur Prophylaxe der Nervosität durch, 
passende Berufswahl, körperliche und geistige Erziehung. 0. R. 


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Medicini8ch-chirurgische Rundschau. 


817 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 

648. Zur Kenntnis» der antifebrilen Wirkung der Dihydroxyl- 
benzole. Von Dr. L. Brieger. (Centralbl. f. d. med. Wissenschaft, 
1880. 37.) 

Wie in jeder Chemie zu lesen, gibt es drei isomere Dihydroxyl- 
benzole , diese heissen Hydrochinon, Resorcin und Brenzcatechin. Allen 
diesen drei Körpern kommen sowohl antifermentative als tonische Eigen¬ 
schaften zu. Auf die temperaturherabsetzende Wirkung des Resorcins 
machte Lichtheim aufmerksam (ehr. Rundschau 1. J. 8), Verf. veröffent¬ 
licht nun seine Erfahrungen über die temperaturherabsetzende Wirkung 
des Resorcins und Hydrochinons, das Brenzcatechin wurde seiner stark 
toxischen Eigenschaften wegen therapeutisch nicht versucht. Die Beob¬ 
achtungen an der Berliner Klinik erstrecken sich auf Fälle von Pneu¬ 
monie, Unterleibstyphus und Phthisis pulmonum mit hektischem Fieber. 
Bezüglich des Resorcins zeigen sie im Wesentlichen Uebereinstimmung 
mit denen Lichtheim’s. Eine antifebrile Wirkung dieses Mittels sah 
Verf. bei Dosen von 1*5 Grm. angefangen. Zu je grösseren Gaben man 
greift, desto stärker gestaltet sich das Sinken der Temperatur. Die 
höchste zulässige Dosis dürfte nach B. nicht 3 Grm. überschreiten. 
Auch die Beobachtungen Lichtheim’s bezüglich der kurzen Dauer des 
Temperaturabfalls bestätigt der Verf. In zwei, spätestens in drei Stunden 
ist die ursprüngliche hohe Temperatur wieder erreicht; dagegen con- 
statirt er im Widerspruche mit L., dass das Allgemeinbefinden des 
Kranken trotz des Herabdrückens der Temperatur nicht verbessert war. 
Die Somnolenz der Typhuskranken, die Unruhe der Pneumoniker und 
der verfallene Zustand der hektischen Fieberkranken hielt während der 
kurzen Dauer des Temperaturabfalles noch an. Besonderes Gewicht legt 
Verf. auf die übrigens auch von L. hervorgehobenen Collapserscheinungen 
im Gefolge wirksamer Resorcingaben. Der Collaps nahm mit der Intensität 
der Entfieberung zu, so dass häufig zu starken Excitantien gegriffen 
werden musste. Von einer specifischen Wirkung des Resorcins auf die 
genannten Krankheiten durch Abkürzung des Verlaufs derselben oder 
Minderung ihrer schweren Symptome habe er sich in keinem Falle mit 
Sicherheit überzeugen können. 

Ein gleich promptes Niedergehen der Temperatur, wie es zuerst 
durch grössere Gaben von Resorcin gelang, wurde schon durch kleinere 
Gaben Hydrochinon erzielt. Schon 0*2 Grm. Hydrochinon in Lösung be¬ 
wirken vielfach ein Sinken um 0*5° C. Sicher war ein Herabgehen der 
Temperatur und der Pulsfrequenz bei 0*4 bis 0*6 Grm. Hydrochinon in 
Lösung ohne begleitende Excitationserscheinungen und einhergehend mit 
m&ssiger Transspiration. Bei höheren Dosen, 0*8 bis 1*0 Grm., waren 
häufig dieselben Erscheinungen, wie sie bei den wirksamen Dosen von 
Resorcin beschrieben worden sind, zu beobachten. Da aber in der über¬ 
wiegenden Anzahl von Fällen zur Herabsetzung der Temperatur geringere 
Mengen Hydrochinon, die keine besondere Nebenwirkung hervorrufen, 
erforderlich sind, so dürfte hierin ein Vortheil desselben vor dem Resorcin 
begründet sein. Auch dem Hydrochinon haftet aber der Nachtheil an, 
dass die antifebrile Wirkung eine kurze ist. Dieselbe tritt prompt und 
stark ein, ist aber leider in "kurzer Zeit rauschartig verflogen. 

Rund«chau. 1880 . DigitizedbyG 52 'Ic 


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Mediciirisch-chirurgische Rundschau. 


Ala ganz besonderen Vortheil des Hydrochinon betont Yerf., dass 
es durch seine leichte Löslichkeit und den Mangel von ätzender Eigen¬ 
schaft zur subcutanen Injection in hohem Grade geeignet ist. Es ist dies 
um so wichtiger, als uns zur Zeit gerade Mittel fehlen, welche bei hoch¬ 
fieberhaften, benommenen Kranken, die weder schlucken noch Klystiere 
Zurückbalten, subcutan angewendet werden könnten. Subcutane Ein¬ 
spritzungen von Hydrochinon schmerzen nicht mehr als jede Wasser- 
einspritzung. Nachfolgende Abscedirung wurde nicht beobachtet. Yerf. 
empfiehlt lOproc. Lösungen und spritzt davon zwei Pravaz’sche Spritzen 
ein. Die Temperatur sinkt darauf innerhalb einer Stunde unter mässigem 
Schweissausbruch bis um 2° C., die Pulsfrequenz geht bis auf 1 / 3 herunter. 

649. Elektricität bei Colica saturnina. Von Dr. C. G. Rothe. 
(Memorabil. 1880. 8.) 

Da bekanntlich bei acuter Bieikolik die quälenden Erscheinungen 
sofort aufhören, sobald eine reichliche Stuhlentleerung erfolgt, so ergibt 
sich als Hauptindication die Herbeiführung dieser, und die übrigen in 
Betracht kommenden Mittel zu Krampf- und Schmerzstiilungen haben nur 
einen palliativen Werth. In Altenburg kommt diese Erkrankung häufig 
bei StrohhutfÄrbem und Schriftgiessern vor, und gewöhnlich hat Yerf. 
seinen Zweck durch eine Emulsio olei ricini 120*00 mit 01. crotonis 
gtt. 10, stündlich 1 Esslöffel, in 2—4 Tagen erreicht. Zuweilen jedoch 
ist in Folge des Krampfes der Magen trotz subcutaner Morphium - Injec- 
tionen so reizbar, dass jedes Medicament sofort ausgebrochen und die 
Genesung dadurch wesentlich verzögert wird. 

Ein solcher Fall kam dem Verf. kürzlich zur Behandlung. Ein 
Schriftgiesser hatte schon seit drei Tagen an absoluter Verstopfung und 
heftigen Kolikschmerzen gelitten. Abführmittel waren ohne Wirkung 
geblieben. Der heftigen Schmerzen wegen eine Morphiuminjection, die 
obige Emulsion. Am nächsten Morgen nach schlafloser Nacht keine 
Besserung und kein Stuhlgang. Da die letzten Löffel der Emulsion schon 
erbrochen worden waren, gab R. ein starkes Decoctum cort. rhamni 
frangalae mit Natr. sulph. esslöffelweis stündlich, welches früher oft gute 
Dienste geleistet hatte, aber mit gleich negativem Erfolge. Copiöse Injee- 
tionen von warmem Seifenwasser ins Colon hatten am dritten Tage ebenso 
wenig den gewünschten Erfolg , und da auch das Erbrechen fortdauerte, 
beschloss Verf. am Nachmittag, durch den faradischen Strom den Krampf 
zu lösen, und die Peristaltik anzuregen. Er führte die eine Elektrode in 
Form eines mit einem olivenförmigen Knöpfchen versehenen, bis an 
letzteres mit isolirendem Lack überzogenen Messingdrahtes hoch ins Colon 
ein, setzte die andere mit breitem, feuchtem Schwamme armirte labil 
auf die Bauchdecken und die Lendenwirbel und liess einen starken 
Strom etwa 8—10 Minuten durchgehen. Es erfolgten fortwährend kräftige 
Contractionen der Bauchmuskeln und Patient klagte wiederholt über 
heftige Schmerzen. Letztere waren nach Oeffnung des Stromes sofort 
verschwunden und R. verliess den Kranken mit der Weisung, später 
noch ein Klystier zu versuchen. Wenige Minuten nach dessen Fortgang 
war eine enorme Ausleerung unter vollständiger Erleichterung aller Be¬ 
schwerden erfolgt. Schmerz und Erbrechen kehrten nicht wieder, und 
Pat. war am nächsten Tage in seinem Geschäfte mit der Instruction, 
sich Watte vor Mund und Nase zu binden und häufig Baumöl zu nehmen. 


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' Mediciniscb-chfrargische Rnndschan. 


819 


650. Das Chloralhydrat, in Substanz local angewandt gegen 
Odontalgie und Prosopalgie. Von C. Spörer. (St. Petersb. med. Wochen¬ 
schrift 1880. 35.) 

Seit der Empfehlung des Chloralhydrats durch Liebreich hat Verf. 
nicht selten davon Gebrauch gemacht, zuerst bei sich selbst, gegen eine 
heftige Ischias rheumatica, innerlich. Nach mehrere Tage und Nächte 
anhaltendem Schmerze bewirkte schon eine einzige Dosis von 0*9 neun¬ 
stündigen ruhigen Schlaf und vom nächsten Tage ab fünf Jahre lang 
Befreiung vom Schmerz. — Später hat er das Mittel auch bei anderen 
Patienten, in der ersten Zeit auch nur innerlich angewandt; — in der 
Folge aber auch äusserlich — in Ol. Amygdal. dule. aufgelöst, zu Ein¬ 
reibungen gegen heftige rheumatische Schmerzen und Neuralgien, oft mit 
gutem Erfolge. Endlich versuchte *Verf., vor ungefähr fünf bis sechs 
Jahren, neben den Einreibungen dieser Chloral-Oelmischung, bei uner¬ 
träglichem Zahn- und halbseitigem Kopfschmerz, diese Einreibung auch 
in die schmerzhafte Hälfte des Kopfes und Gesichts zu machen und ein 
damit oder mit einer Solutio aquosa des Chlorais getränktes Pfröpfchen 
Watte in die Aushöhlung des cariösen Zahnes zu legen und dasselbe 
darin liegen zu lassen. In der That wurden danach Kopf- und Zahn¬ 
schmerz erheblich gelinder und schwiegen bei einigen Individuen für 
längere Zeit gänzlich. In der Regel verordnete Verf. damals Chloral- 
hydrat 0*25—2*0 in Aqu. dest. und Glycerin aa. 8-0 und liess einen 
damit getränkten kleinen Tampon aus Watte in den hohlen Zahn thun. — 
Weil aber die Flüssigkeit in der Mundhöhle sich verbreitet und daselbst 
eine — wenn auch bald vorübergehende — Reizung, ja selbst eine 
leichte Aetzung und, bei längerem Verbleiben, eine oberflächliche Ver¬ 
schorfung der Wangenschleimhaut verursacht, — so hat Verf., auf An¬ 
rathen eines Apothehers, seit vier Jahren das Chloralhydrat stets in 
Substanz auf folgende einfache Weise angewandt: 

Man nimmt drei bis vier gröbere Körnchen (Krystallchen) — circa 
V a bis höchstens 1 Gran — Chloralhydrat, wickelt diese in ein kleines 
Pfröpfchen Watte — (nur um die Körnchen beisammenzuhalten), thut 
diesen Tampon mit seinem Inhalt in die Höhle des cariösen Zahnes und 
lässt ihn da liegen, bis das Chloral aufgelöst ist, wobei man den sich 
ansammelnden Speichel ausspuckt. 

Bei cariösen Zähnen des Oberkiefers lässt Verf. den Tampon so 
lange mit der Fingerspitze in loco affecto fixiren, bis das Chloral auf¬ 
gelöst ist, wo dann auch jedes Mal, nach wenigen Minuten, der heftigste 
Zahnschmerz complet geschwunden war. Dieser Anwendungs-Modus ist 
jedenfalls der zweckmässigste, schon weil er zu jeder Zeit, auf Reisen 
und an allen Orten, leicht ausführbar ist. Die mitgetheilten Kranken¬ 
geschichten illustriren die Angaben des Verfassers. 


651. Ein Fall von. erfolgreicher intravenöser Milchinjeotlon. 
Von Meldon, Arzt am Jerwis - Street - Hospital, Dublin. (The Lancet 
1880. 14.) 

Ein 40jähriger Mann hatte 2 Jahre lang an Erscheinungen von 
Phthisis gelitten, die sich so sehr steigerten, dass seine Angehörigen seinen 
Tod befürchteten und ihn deshalb ins Hospital brachten, wo ihm Verf. 
eine intravenöse Einspritzung von 100 Grm. Milch machte. Die ohne 
Beeinträchtigung der Respiration stattgehabte Operation gewährte sofortige 
Linderung, Rückkehr des Appetits, des Schlafes und der Kraft. Kurze 
Zeit darauf konnte der Kranke in’s Reconvalescentenhospital geschickt 


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820 


Medicinisch-cMrurgische Rundschau. 


werden, wo derselbe sich innerhalb 6 Wochen derart erholte, dass er 
einer leichten Beschäftigung sich unterziehen konnte. Während der Sommer¬ 
monate fühlte er sich wohl und nahm bedeutend an Gewicht zu. Als im 
November eine Lungenentzündung eintrat, zeigten sich wiederum die phthi- 
sischen Symptome, so dass der Kranke von Neuem das Hospital auf¬ 
suchte. 

Bei seiner Aufnahme ergab die Untersuchung die Erkrankung beider 
Lungenhälften, sowie beständige Diarrhoe. Der Husten war unablässig, 
die Schwäche excessiv, die Nahrungsaufnahme spärlich. Alle Versuche 
mit Medicamenten blieben erfolglos und Verf. schritt daher abermals zur 
Milchinjection. Am 13. Jänner d. J. injicirte er dem Kranken in An¬ 
wesenheit vieler Studenten und der DDr. Crany, Stoker und Kelly 
100 Grm. erwärmter Milch in eine der Venen des rechten Armes. Die 
MUch war vorher durch kohlensaures Ammoniak alkalisch gemacht und 
die Ziege am Bett des Kranken gemolken worden. Während der Operation 
klagte der Operirte über Kälte und Schmerz im Rücken, gab jedoch an, 
weder Schmerz, noch Beschwerden beim Athmen zu fühlen. Bald nach 
der Operation war die Temperatur von 99 auf 104 gestiegen, die Respi¬ 
ration etwas beschleunigter geworden, Dämpfung an den Lungen eben¬ 
sowenig vorhanden, wie in den anderen derartig behandelten Fällen. 
Schmerz und Kälte im Rücken hielten noch einige Stunden an, der Kranke 
schlief jedoch die Nacht darauf sehr gut, erwachte dann körperlich ge¬ 
stärkt und voller Hoffnung auf Besserung. Die Diarrhoe war, wie in den 
anderen Fällen, durch die Operation zum Stillstand gebracht worden. In 
einigen Tagen Hess auch der Husten nach, der Appetit kehrte zurück, 
die Besserung machte langsame, jedoch stetige Fortschritte. 

Epikrisis. Die von Amerika aus empfohlene intravenöse Milch¬ 
injection, in Europa mit Misstrauen aufgenommen, in New-York mehrfach 
mit zweifelhaftem Erfolge versucht, scheint auch dort wieder in Vergessen¬ 
heit gekommen zu sein. Verf. hat bereits lOmal die Operation in den 
verzweifeltesten Fällen, jedoch mit den grössten Cautelen vorgenommen 
und hat alle Ursache, mit dem Erfolg zufrieden zu sein. Bis jetzt habe 
er die Operation nur da vorgenommen, wo die Stunden der Kranken 
gezählt waren, und mehrfach das Leben verlängert, viele Kranke sogar 
geheilt. Zwei Punkte seien bei einer von Gefahr frei bleibenden Milch¬ 
transfusion besonders in’s Auge zu fassen, erstens, dass die Milch von 
alkalischer warmer Beschaffenheit ist, 2. dass nur 100 Gramm etwa mit 
einem Male injicirt werden. 

Aus drei Gesichtspunkten wurde diese Operation in jüngster Zeit 
bekämpft. Erstens, sagte man, sei dieselbe theoretisch falsch. Zweitens 
sprächen Experimente bei Thieren dagegen, drittens seien die Milch¬ 
kügelchen so gross, dass sie nicht die Capiliaren passiren können. Der 
erste und dritte Einwand erledigen sich durch die erfolgreichen Thatsachen 
der Injection, und in keinem Falle, wo die Operation mit Berücksichtigung 
der von Meldon hervorgehobenen Cautelen gemacht wurde, seien Ge¬ 
fahren für den Kranken eingetreten. 

Was die Experimente an Thieren betrifft, so habe man darin einen 
Fehler begangen, dass man gesunde Hunde zu Versuchen wählte und zu 
grosse Portionen Milch injicirte. Meldon meint, dass, wenn man einem kräf¬ 
tigen Mann vom Lande 1200 Gramm Milch in die Venen einspritzen 
würde, nicht mindere Gefahren und Nachtheile entstehen würden, wie 
dies bei den Experimenten an Hunden der Fall war, woraus dann falsche 
Schlüsse gezogen wurden. Die Fälle, in denen Meldon Heilung durch 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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intravenöse Milchinjectiou erhielt, waren solche von perniciöser Anämie, 
und findet Verf. es leicht begreiflich, dass bei solcher Krankheit eine 
kleine Quantität einer die verloren gegangenen Blutkörperchen ersetzenden, 
Körperchen enthaltenden Flüssigkeit die Blutbeschaffenheit wieder ver¬ 
besserte und Heilung bewirken konnte. 


652. Ueber ein neues Brod ffir Diabetiker. Von Dr. Dahmen. 
(Berl. klin. Wochenschr. 1880. 39.) 


Bei dem täglichen Nahrungsbedarf des Diabetikers macht sich 
namentlich das lebhafte Verlangen nach einem Ersatzmittel für das ver¬ 
botene Schwarz- oder Weissbrod geltend. Und wie viel man auch seit 
Decennien darüber experimentirt hat, ein entsprechendes Surrogat zu 
Jiefern, bis jetzt ist diese Frage nicht gelöst worden. Das Kleberbrod 
von Bouchardat schmeckt schlecht und ist sehr stärkemehlhaltig, das 
Kleienbrod von Prout schmeckt ebenfalls schlecht, enthält viel Cellulose 
und viel Stärke. Das Mandelbrod von Pavy ist sehr theuer und durch 
seinen reichen Oelgehalt schwer verdaulich, ln letzterer Zeit wird in 
Mannheim ein Kleberbrod fabrikmässig hergestellt, das gegen die oben¬ 
genannten Brodsurrogate gewisse Vortheile besitzt. Dasselbe ist geschmacklos, 
sehr locker und spröde, lässt sich schlecht schneiden und kann nur bei 
vielem Butterzusatz die Kehle passiren. Doch scheint es leicht verdaulich 
zu sein und können die Kranken bei einigem guten Willen es eine kurze 
Zeit gemessen. Obschon mit dem Vermerk stärkemehlfrei in den Handel 
gebracht, enthält dasselbe doch nach der Analyse von Birnbaum 
10*53 Pereent Kohlehydrate, ein allerdings sehr günstiges Resultat im 
Vergleich zu den Pariser Kleberbroden, die nach einer Analyse desselben 
Autors nahezu 30 Percent und nach früheren Analysen von Boussin- 
gault weit mehr, über 40 bis 50 Percent Kohlehydrate enthielten. Die 
Kleberbrode von Carlsbad, sowie die in Neuenahr hergestellten Kleien- 
brode leiden an demselben Fehler, zu viel Stärkemehl zu besitzen. 

Es hat an verschiedenen Umständen gelegen, warum man bis jetzt 
in dieser Brodangelegenheit so wenig reussirt hat. Mehl, resp. Stärke, 
oin sehr gutes Bindemittel und das beste Material zur Brodbereitung, darf 
nicht benutzt werden oder doch nur in geringer Menge. Kleber, der als 
Nebenproduct bei der Weizenstärkefabrikation gewonnen wird, und mit 
dem vorzugsweise viel nach dieser Richtung bin versucht worden ist, 
eignet sich wegen seiner physikalischen BescHaffenheit schlecht als alleinige 
Grundmasse zum gedachten Zwecke, selbst mit etwas Beigabe von Mehl 
und Eiern. Das hieraus gewonnene Fabrikat ist schwammig, äusserst locker 
und von spröder Beschaffenheit. 

Beim Brodgenusse wird gerade eine consistente, compacte Masse 
beliebt, die zugleich ein Füllungsmaterial für den hungrigen Magen des 
Diabetikers abgibt und ihm dabei das Gefühl der Sättigung und Be¬ 
friedigung zurücklässt. 

Diesen Anforderungen entspricht in gewissem Grade das aus Weizen¬ 
kleie gemachte Brod. Dieser Umstand, sowie die Erwägung, dass letztere 
sehr werthvolle Nährstoffe enthält, haben jedenfalls die Veranlassung zu 
dessen Benutzung und Verwerthung als Brodsurrogat gegeben. Hierbei 
ist vielfach ausser Acht gelassen worden, dass das Kleienmehl durch 
seinen Reichthum an groben, unverdaulichen Hülsen ein gutes Stuhlmittel 
ist und als solches die Assimilation der eingeftlhrten Nahrung hindert. 

Diese nachtheiligen Eigenschaften finden sich in weit geringerem 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


Grade im Weizengries, ja es lassen sich dieselben fast ganz beseitigen. 
Nahrreich wie die Kleie enthält derselbe fast ebenso viel Kleber (10 bis 
14 Percent) und den Zellstoff (Cellulose) in geringerer Masse, ist weit 
weniger grobzeilig und in mehr fein vertheiltem Zustande als erstere und 
wirkt daher minder reizend auf Magen und Darmtractus. Wir haben 
deshalb letzteren vorzugsweise zum Ausgangspunkte unserer Versuche 
gemacht und benutzen hierzu feinen Weizengries mit etwas Beimengung 
von grobem, aus einer hiesigen Vorschussmühle bezogen, dem durch vor¬ 
heriges Sieben über ein feines Mehlsieb ein Theil der Stärke schon ent¬ 
nommen ist. 

Letzterer Punkt, die Trennung und vollständige Entfernung des 
Amylum von den übrigen Bestandtheilen des Grieses macht sehr viele 
Arbeit und ist unzweifelhaft eine der wichtigsten Proceduren bei der hier 
in Betracht kommenden Brodherstellung. Bei den früheren Präparaten, 
sowohl den Kleber- wie Kleienbroden ist diese Aufgabe in sehr ungenügen¬ 
der Weise gelöst worden. Es liegt dies theils daran, dass die Stärke 
in dem Weizen und dessen Producten in grossem Percentverhältnisse vor¬ 
handen, vorzugsweise aber, weil dieselbe von schwer trennbaren Kleber¬ 
schichten umgeben ist. Dieses lässt sich zwar umgehen, wenn man die 
Masse der sauren Gährnng überlässt, wodurch der Kleber gelöst und von 
den Stärkekömehen entfernt wird. Hierbei geht indess der Kleber 
grösstentheils verloren und mit ihm der Hauptnahrstoff und das geeignete 
Bindemittel für das zellenreiche Stratum des Weizengrieses. Es bleibt 
demnach nichts anderes übrig, als die Entfernung des Amylum durch 
mechanische Mittel zu erreichen. 

Zu dem Ende lässt man den Weizengries über ein feines Haarsieb 
ca. l 1 / 3 Stunden unter öfterem Umrühren in kaltem Wasser stehen. Durch 
diese längere Wasserimbibition löst sich allmälig ein Theil der Stärke¬ 
körner von ihrer Umgebung und filtrirten durch. Der übrige Theil der 
Masse wird auf derselben Unterlage bei fortwährendem Bespritzen mit 
kaltem Wasser, am besten aus einer kleinen Giesskanne, so lange mit 
den Fingern gepresst und geknetet, bis das zuletzt abfliessende Wasser 
nicht mehr trüb weisslich, sondern klar wie reines Wasser aussieht. Dies 
erfordert mindestens eine Stunde Arbeit. Das abfliessende Wasser enthält 
die Stärke suspendirt, Glycose und Dextrin gelöst. Der feuchte, vom 
Stärkemehl befreite Rückstand wird nun langsam getrocknet und in einem 
Mörser gründlich zerrieben, um ein feinkörniges, der Verdauung leichter 
zugängliches Präparat zu erhalten. 

Von letzterem nimmt man beim Backprocesse ca. 165 Grm., ver¬ 
mengt dies innig mit einer entsprechenden Menge Wasser und setzt unter 
stetem Umrtthren 125 Grm. geschmolzene Butter, 10 Eier, etwas Sak 
und schliesslich geringe Mengen Hirschhornsalz oder Horsford’scbes 
Backpulver hinzu. Nachdem die Masse Teigconsistenz erhalten, wird 
dieselbe in eine mit geschmolzener Butter bestrichene Form gebracht und 
in einem gut geheizten Ofen gar gebacken. 

Die ersten halbwegs gelungenen Brodbackversuche wurden in der 
Wohnung von Diabeteskranken angestellt, und ergab die chemische Unter¬ 
suchung einzelner Proben einen mässigen Gehalt an Kohlehydraten (nahezu 
20 Percent in der Trockensubstanz), die letzten Fabrikate, die nach An¬ 
leitung des* Verfassers von einem Conditor mit grösster Sorgfalt und Ge¬ 
wissenhaftigkeit, namentlich bezüglich der Entfernung des Amylum gemacht 
wurden, zeigten im lufttrockenen Zustande nur 5 Percent Kohlehydrat, 
ein gewiss äusserst befriedigendes Resultat! 


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Medicinisch-chirtirgische Rundschau. 


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Nur ein Fehler machte sich bald bei dem Genüsse dieses Brodes 
bemerklieh, und das war eine etwas bröckliche, krümliche Beschaffenheit 
des Gebäckes, deshalb konnten von 6 Diabeteskranken, die zu gleicher 
Zeit in des Verf.’s Behandlung standen, nur die Hälfte dasselbe ziemlich 
gut nehmen, die übrigen drei verschmähten es, weil bei der trockenen 
Beschaffenheit ihrer Mundschleimhaut die einzelnen Bissen sich schlecht 
hinunterschlucken liessen. 

Dies veranlasste Verf., zu weiteren Versuchen tiberzugehen, und 
es wurde dieser Uebelstand schliesslich dadurch beseitigt, dass bei der 
Teigmengung statt Wasser über 2 Tage alte Milch, also dicke Milch 
(saure Milch), verwendet wurde, im Uebrigen wurde an dem oben ge¬ 
schilderten Backverfahren nichts geändert. Die etwaigen Bedenken gegen 
die Zulassung eines solchen Materials bei dem Brodbacken für Diabetiker 
werden beseitigt durch den Hinweis, dass in der sauren Milch der grösste 
Theil des Milchzuckers in Milchsäure tibergeftthrt ist, und durch letztere 
ausserdem das restirende Quantum an Milchzucker leichter assimilirt wird; 
zudem ist das zur oben angegebenen Backmasse erforderliche Quantum 
dicke Milch unbedeutend, etwa 1 / 3 Liter. 

Dieses Brod ist schmackhaft, nahrhaft und verdaulich und wird, 
wie Brod überhaupt, am besten mit Butter genossen. Bei geeigneter 
Aufbewahrung hält es sich im Sommer mindestens 5 bis 6 Tage frisch, 
bei kflhlcr Jahreszeit länger. 0. R. 


653. Ein Beitrag zur Casuistik der Vergiftungen mit chlor- 
saurem Kali. Von Dr. J. Hofmeier. (Deutsche medic. Wochenschr. 
1880. 38 und 39.) 


Verf. schildert einen in diesem Jahre im Berliner Elisabeth-Kranken - 
hause beobachteten Fall. Es handelte sich um eine 28jährige Frau, welche 
wegen Angina tonsillaris in l l l 2 Tagen circa 40*0 Kali chloricum — 
nur ungefähre Schätzung war möglich, da die Pat. das als Schachtel¬ 
pulver in grösserer Menge verschriebene Medicament selbst dispensirt 
hatte — vergurgelt und zum grössten Theil verschluckt hatte. Dieselbe 
bot bei ihrer Aufnahme im Wesentlichen die von Marchand geschil¬ 
derten Krankheitserschemungen: beschleunigtes Athmen, frequenter Puls, 
erhöhte Temperatur, icterische Färbung der Haut, ausserdem aber an den 
Wangen und einem Theil der Umgebung derselben tiefe dunkelblaue Ver¬ 
färbung, welche auf Druck nicht schwindet. Harn wird in sehr geringer 
Menge gelassen, er ist trübe, filtrirt dunkelschwarz; das Sediment ergibt 
Blutkörperchen, welche zum grössten Theile zerstört sind, und gelbe, 
bräunliche, amorphe Schollen. Eine am nächsten Tage vorgenommene 
spectroskopische Untersuchung des dauernd dunkelbraunen, sehr spärlichen 
Harns zeigte — ebenfalls in Uebereinstimmnng mit Marchand’s An¬ 
gaben — ein deutliches Methämoglobinspectrum; neben den beiden 
undeutlichen schwarzen Streifen des Hämoglobin im Grün einen deutlichen 
schwarzen Streifen im Roth. Das an demselben Tage mittelst Nadelstich 
dem Finger entnommene Blut war dunkel, fast schwarz, zeigte übrigens 
mikroskopisch keine Abnormitäten; aus der blaugefärbten Wange entleerte 
sich durch den Stich sparsam eine röthliche, seröse Flüssigkeit mit ganz 
spärlichen röthlichen Blutkörperchen. Der Tod erfolgte in der zweiten 
Nacht, nach circa 26stündigem Aufenthalt im Krankenhause, bei immer 
kleiner werdendem Puls und frequenter werdender Athmung schliesslich 
unter Lungenödem; von Seiten des Hirns waren ausser grosser Apathie 
keine besonderen Erscheinungen vorangegangen. Aus den Sectionsergeb- 


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Medicinisch-chirurgiache RundachaiL 


niesen sind besonders die Veränderungen der Nieren hervorzuheben. Beide 
Nieren sind vergrössert, von braunröthlicher, wasserchoeoladenartiger Fär¬ 
bung , zeigen einen eigentümlichen bräunlichen Durchschnitt Mikro¬ 
skopisch erweisen sieh die geraden und gewundenen Harncanälehen mit 
intensiv rothbraunen Oylindern gefällt, welche aus Fragmenten von rothen 
Blutkörperchen zusammengesetzt sind. Die Harnblase ist ganz leer, con- 
trahirt, entsprechend dem Umstande, dass 6 Stunden vor dem Tode gar 
kein Urin mehr mittelst Katheter entleert werden konnte. Bemerkens¬ 
werth ist und zum ersten Mal in diesem Falle — durch den gerichtliches 
Obducenten Dr. Lesser nachgewiesen — dass auch das Knochenmark, 
wenigstens in der oberen Hälfte des einer bezüglichen Untersuchung unter¬ 
worfenen rechten Oberschenkels, die braune Färbung zeigte, ebenso wie 
übrigens auch die Milz. Die Rachenaffection erweist sich als ganz unbe¬ 
deutend. Im Wesentlichen entspricht also der Sectionsbefund den von 
Marchand angegebenen Leichenveränderungen. Therapeutisch würde 
sich noch in diesen Vergiftungsfällen die Transfusion als rationelles Mittel 
empfehlen; zum Zweck des Ersatzes, respective Anregung der Nieren- 
thätigkeit würden Diaphoretica, Drastica und Diuretica zweckmässig er¬ 
scheinen. Der sehr ausführlichen Zusammenstellung und Besprechung der 
bisher veröffentlichten Literatur fügt Verf. noch drei ihm mündlich berich¬ 
tete Fälle aus der Praxis Berliner Collegen bei, welche ähnliche Erschei¬ 
nungen wie die geschilderten darboten. Fälle, wie die letzterwähnten, 
werden, wenn weder Anamnese, noch Section ganz sichere Anhaltspunkte 
für Vergiftung mit dem Medicamente geben, so lange noch nicht ein 
grösseres, durchaus unzweideutiges und unanfechtbares Material vorliegt, 
stets zu Zweifeln über ihre Entstehung gerechten Anlass bieten, indess 
sind sie geeignet, die Aufmerksamkeit der Collegen auf die bei so rätsel¬ 
haften Erkrankungen bis vor Kurzem noch ganz ausser Acht gelassene 
Möglichkeit der Vergiftung durch chlorsaures Kali zu lenken. 


654. Ueber den Einfluss des Alkohols auf den Stoffwechsel des 
Menschen. Von Dr. L. Riese. (Aus der innern Abtheilung des städti¬ 
schen allgem. Krankenhauses in Berlin. Ztschr. für klin. Medic. Bd. H. 
Heft I. Der prakt. Arzt 1830. 8.) 


Die altbekannte Eigenschaft alkoholreicher Getränke, den mensch¬ 
lichen Körper leistungsfähiger und gegen Anstrengungen und Entbehrungen 
widerstandsfähiger zu machen, ist man seit längerer Zeit gewöhnt, auf 
eine Verlangsamung und Herabsetzung des Stoffumsatzes, welche der 
Alkohol im Organismus hervorbringen soll, zurückzuführen. Einen be¬ 
sonderen Anstoss zur erneuten und exacteren Untersuchung dieses Ein¬ 
flusses des Alkohols auf den thierischen Stoffwechsel gab die Einführung 
der alkoholischen Getränke in die Therapie der fieberhaften Krankheiten, 
wie sie von England aus während der zwei letzten Decennien auch in 
der deutschen Medicin sich einbürgerte, und bei der man sich davon 
überzeugte, dass der Alkohol, anstatt, wie man früher annahm, das 
Fieber zu steigern, auf den Verlauf fieberhafter Leiden einen günstigen 
Einfluss ausüben könne. Ein grosser Theil der bei diesen Untersuchungen 
constatirten Thatsachen und angestellten Experimente hat nun jene An¬ 
nahme einer stoffwechselhemmenden Wirkung des Alkohols bestätigt; 
abgesehen davon, dass durch eine Reihe von Untersuchungen die Ver¬ 
brennung des Alkohols im Organismus sichergestellt ist, haben mannig¬ 
fache Mittheilungen eine unter dem Alkoholeinfluss auftretende Verminde¬ 
rung der Körperausscheidungen, sowie der Körpertemperatur angegeben. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Im Hinblick auf diese Angaben stellt denn auch die jüngste, den Alkohol 
betreffende Veröffentlichung die Herabsetzung des thierischen Stoffwechsels 
durch denselben als nach allen Richtungen unzweifelhaft bewiesen hin. 

Doch bedürfen die Thatsachen und Versuche, auf welche sich diese 
Anschauung stützt, noch in mancher Hinsicht der Bestätigung und Er¬ 
gänzung. Die Temperaturabnahme, besonders bei fieberlosen Individuen 
und nicht toxischen Gaben des Alkohols, ist eine so geringe, dass nur 
ein kleiner Theil der Alkoholwirkung auf diesem Wege erklärt werden 
kann. Der Einfluss des Alkohols auf die Kohlensäure - Ausscheidung 
wechselt je nach der Menge des Alkohols, so dass nach kleinen Gaben 
eine Verminderung, nach grossen eine Vermehrung der Kohlensäure- 
Abgabe statthat. « 

Vor Allem aber bedürfen die Angaben in Bezug auf die Harnaus¬ 
scheidung, besonders die Stickstoffausfuhr durch dieselbe, der Ergänzung. 
Es wurden zu dem Zwecke zwei Männer, welche ihrem Stoffwechsel nach 
als Gesunde zählten, beide an Alkoholgenuss gewöhnt, bei reichlicher 
Diät unter strengster Olausur gehalten. Sie erhielten täglich 80—160 
und 160—320 Cm. Alkohol absolut, mit Wasser vermischt (40perc.), 
entsprechend Mengen von 130—500 Grmm. eines 50perc. Branntweins. 
Die Stoffwechsel-Untersuchungen bezogen sich auf die durch den Harn 
ausgeschiedenen Hauptproducte, Harnstoff, Harnsäure, Chlornatrium, Phos¬ 
phorsäure und Schwefelsäure. 

Für beide Fälle wurde nach den genauesten Beobachtungen überein¬ 
stimmend eine beträchtliche Abnahme der Harnstoffausscheidung während 
der Tage, an denen Alkohol in den Organismus eingeführt wurde, con- 
statirt. Gleichzeitig vermindern sich, theils in stärkerem, theils in 
schwächerem Grade, die Harnbestandtheile, die wir beim gesunden Menschen 
in der Regel mit dem Harnstoff schwanken zu sehen pflegen, nämlich die 
Harnsäure, das Kochsalz, die Phosphorsäure und die Schwefelsäure. Da 
beide Individuen in strengster Gleichmässigkeit während der Beobachtungs¬ 
zeit gehalten und ernährt wurden, ausser der Alkoholeinfuhr also über¬ 
haupt kein auf ihren Körper einwirkender Einfluss sich änderte, so kann 
das Schwanken der Harnausscheidung nur durch die Wirkung des Alkohols, 
und zwar durch eine Alteration des Stoffumsatzes in Folge seiner Ver¬ 
brennung im Körper erklärt werden. 

Den Harnstoff und die Harnsäure werden wir ohne grosses Bedenken 
als den Werth der Stickstoffausscheidungen ansehen können. Der N-Gehalt 
der Fäces kann bei beiden Personen, die dauernd gleiche Diät genossen 
und regelmässigste Verdauung zeigten (im zweiten Falle bis zu fast con- 
stantem Tagesgewicht der Fäces), nur in kleinen Grenzen geschwankt haben. 

Der Erfolg einer solchen Herabsetzung des Eiweissumsatzes zeigte 
sich im zweiten Falle deutlich in der im Verhältniss zur Kürze der Zeit 
bedeutenden Zunahme des Körpergewichtes während der Alkobolperiode. 

Die Gaben des Alkohols, welche verabreicht wurden, müssen als sehr 
grosse bezeichnet werden. Zwar ist die Empfindlichkeit der Menschen 
gegen den Alkohol natürlich eine sehr wechselnde, und in den vorliegenden 
Fällen wurden die beiden Versuchspersonen durch ihre massige Alkohol- 
gewöhnung verhindert, auf die eiugeführten Mengen so zu reagiren, wie 
vielleicht enthaltsame Individuen gethan hätten. Immerhin sind die abso¬ 
luten Quantitäten hier so hoch gewesen, dass die in diätetischer und 
medicamentöser Absicht zu verabreichenden Alkoholgaben sie selten er¬ 
reichen oder übersteigen werden. 

Die Versuche beweisen demnach den vermindernden Einfluss, den 


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Medicinisch-chirurffische Rundschau. 


der Alkohol, auch in grossen Gaben, beim Menschen auf den Stoffiimsstz 
äossert, und der sich in beträchtlicher Abnahme der N-Aosfuhr, sowie 
der hauptsächlichen anorganischen Salze im Urin zeigt. Es ist bei 
solchem Einflüsse unzweifelhaft, dass der Alkohol, indem durch seine Ver¬ 
brennung im Organismus ein gewisser Theil des Stoffwechsels erspart 
wird, als Nahrungsmittel aufzufassen ist, und dass der günstige Einfluss, 
den wir von den alkoholischen Getränken sowohl auf die Leistungsfähig¬ 
keit des gesunden, wie auf die Erhaltung der Kräfte des kranken Mensches 
sehen, neben der excitirenden Wirkung des Alkokols auf diese seine er¬ 
nährende Eigenschaft zurückgefilhrt werden muss. 

655. Die Behandlung der Morbillen-Pneumonien und MorbiUen- 
Capillärbronchitiden in der Districts-Klinik und Kinder-Klinik zu 
Jena. Epidemie von 1879—80. Von Prof. P. Fürbringer. (Thüring. 
Corresp.-Bl. XL 5. Der prakt. Arzt 1880. 5.) 

Wenn ich, sagt Prof. Für bring er, die von mir in Sonderheit 
bei Gelegenheit unserer Epidemie veranlasste Behandlung der das Kindes¬ 
alter so hoch gefährdenden Capillärbronchitiden und Katarrhalpneumonien, 
den Schwerpunkt der ärztlichen Thätigkeit bei Morbillen überhaupt, hier 
mit besonderem Nachdruck betone, so geschieht es vorwiegend aus Anlass 
eigener Beobachtung einer noch heute nicht wenigen Aerzten eigenen 
Scheu vor der Behandlung der genannten Affectionen mit kaltem Wasser, 
sei es in der Form der bereits vor 20 Jahren von Bartels eingef&hrten 
Einwicklungen, sei es unter der Form kühler Bäder (v. Ziemssen) oder 
lauer Bäder mit kalten Uebergiessungen (Jttrgensen) trotz der drin¬ 
genden Empfehlung dieser Methoden in unseren Lehrbüchern für Kinder¬ 
heilkunde (Bohn, Gerhardt, Thomas, Weil, Wyss u. A.). 

Verf. glaubt, so manchem Herrn Collegen einen Dienst zu erweisen, 
wenn er hier über die Art der, soweit eine im Allgemeinen wenig intelli¬ 
gente und schwer lenksame Bevölkerung dies zugelassen, mit aller Energie 
methodisch durchgeführten Behandlung berichtet und will durch seine 
Mittheilung dazu beitragen, einer rationellen Therapie gegenüber der 
früheren, vorwiegend medicamentösen, schwer zu rechtfertigenden „Schui- 
behandlung u mehr und mehr Terrain zu verschaffen. 

Von Medicamenten wurde nur selten Gebrauch gemacht, Brechmittel 
nur bei massenhaftem und verbreitetem Rasseln zugelassen, von der Dar¬ 
reichung der sogenannten Expectorantien (Ipecac., Seneg., Salm., Apomorph., 
Antimonialien etc.) ganz abgesehen, als Reizmittel, nachdem grössere 
Dosen von Liq. Ammon, anis. als häufig durchfallerregend erkannt worden, 
nur Campher (neben viel Wein) gereicht, als Antipyreticum nur — selten 
— Chinin (niemals Digital., Veratrin., auch nicht Salicylsäure) und von 
Narcoticis nicht ein Milligramm zugelassen. Dagegen wurde, sobald die 
bekannten Erscheinungen ausgesprochener Atheminsufficienz sich ent¬ 
wickelten (und nicht erst, wenn Coma eingetreten, Husten und Puls ge¬ 
schwunden), zur Vornahme lauwarmer Bäder mit kalten Begiessungen 
geschritten, an deren Stelle man nur bei unüberwindlichem Widerstande 
seitens der Angehörigen die — meiner Meinung nach nicht in dem Masse 
wirksamen — kalten Einwicklungen und kühlen Bäder setzte. 

Die Menge des auf 25—28° temperirten Badewassers wurde um 
so reichlicher bemessen, je jünger das Kind (Säuglinge sassen bis fest 
an die Schultern im Bade), das kalte Wasser zu mehreren Litern in 
dünnem Strahl über Kopf und Oberkörper gegossen, in einigen Fällen 
auch auf den Jürgensen’schen Hinterhauptspunkt dirigirt, ohne dass 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


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ein merklich anderer Erfolg hervorgetreten. Frequenz der Bäder je nach 
Massgabe der drohenden Erscheinungen 4mal täglich bis 2stttndlich; in 
einem Falle (Pneumonie mit hohem Grad von Kohlensäurenarkose) wurden 
3 Tage und 3 Nächte hindurch die Bäder stündlich (über 70 in einer 
halben Woche!) gegeben — das anscheinend hoffnungslos erkrankte rhachi- 
tische, s / 4 jährige Kind genas. 

Die Wirkung dieser Procedur gipfelt in der Auslösung energischer 
Reflexbewegungen der gesammten Respirationsmuskulatur (die sich häufig 
mit kräftigem Schreien und Husten verbinden); im tiefen Einathmen muss 
der mächtigste Feind gegen die Atelectase als Grundlage der pneumo¬ 
nischen Infiltration, gegen das Darniederliegen des Gaswechsels und mithin 
gegen drohende Lähmung der Respirationsmuskulatur erblickt werden, wie 
sich sehr wohl an dem Verhalten der Herzthätigkeit, der Athmung, dem 
Schwunde der Somnolenz nach erfolgter Begiessung nach weisen lässt. 
Aach der antipyretische Effect ist selbst bei einer ursprünglichen Wasser¬ 
temperatur von 28° ein annehmbarer. Stets wurde vor und nach dem 
Bade mit dreisten Dosen starken Weines (Marsala) zur Verhütung des 
Oollapses gereizt. Letzterer wurde als unmittelbare Folge des Bades 
2mal gemeldet (lmal letal), gerade in diesen Fällen offenbar wegen zu 
geringer Menge und zu niedriger Temperatur des Badewassers, sowie 
ungenügender Weinzufuhr. Sobald übrigens die Angehörigen ein dank¬ 
bares Verständniss für die Effecte dieser Behandlung gewonnen, wurde 
sie mit Präcision und Pünktlichkeit geübt. Nur in einigen wenigen Fällen 
scheiterte die methodische Fortsetzung an falschen Vorurtheilen. 

Die Behandlung ist nicht unfehlbar: Es wurden trotz derselben, 
sieht man ab von den 5 genannten, durch hinzugetretene Diphtherie, 
Phlegmone etc. herbeigeftlhrten Todesfällen und einem 6. Kinde, das man 
moribund angetroffen (ein noch mögliches Bad ohne Wirkung), 4 Kinder 
verloren. Aber diesen 4 Fällen stehen (ganz abgesehen von der Zahl 
der nicht durch Morbillen bedingten Pneumonien) 12 genesene gegenüber 
(darunter 3 unter dem 1. und 2 unter dem 2. Lebensjahre), die sämmt- 
lich schwer verliefen. Vergleicht man diese Zahlen mit früheren Stati¬ 
stiken der Morbillenpneumonie-Mortaiität (Bartels sah alle Kinder unter 
1 Jahr sterben, Trousseau von seinen 22 Fällen überhaupt nicht einen 
genesen), so wird das unbefangene Urtheil wirkliche Erfolge gewiss nicht 
von der Hand weisen. 


656. Ueber die Wirkungen der Condurangorinde. Von Dr. H ä g 1 e r. 
(Nach einem zu Basel den 18. März 1880 gehaltenen Vortrage. Corre- 
spondenzbl. f. Schweizer Aerzte 1880. 14. 15.) 


Die Pflanze, welche zuerst vom Gesandten von Ecuador dem ameri¬ 
kanischen State-Departement zur Prüfung übergeben wurde, gehört zu 
den Asclepiadeen und ist ein milchsaftführendes holziges Schlinggewächs 
(Equatoria Garciana). Die Urtheile über die Wirksamkeit des Mittels 
waren sehr verschieden, meist ungünstig. Ungleich günstiger und von 
Jahr zu Jahr mehr übereinstimmend lauteten dagegen die Berichte aus 
Dänemark, Deutschland und Russland, wohl deshalb, weil man vorsich¬ 
tiger in der Auswahl und der Bezugsquelle der Präparate vorging, be¬ 
sonders aber, weil man sich in der Anwendung auf Krebs der Verdauungs¬ 
organe, speciell des Magens beschränkte. Schon 1873 berichtet Jttr- 
gensen in Kopenhagen über einen auffallenden, leider aber nur kurz 
dauernden Erfolg bei weit vorgeschrittenem Zungenkrebs unter dem Ge¬ 
brauche von täglich 3—4 Kaffeelöffel des Extr. Condurango, indem die 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Uleeration, Salivation und der Gestank aufhörten und die Lymphdrfeen- 
geschWülste sich verkleinerten. In demselben Jahre beobachtete Fried¬ 
reich auf der Heidelberger Klinik seinen seither so berühmt gewordenen 
Fall. Derselbe betraf einen seit längerer Zeit an schweren Verdauungs¬ 
störungen leidenden, sehr heruntergekommenen 54jährigen Taglöhner. Im 
Epigastrium war ein harter knolliger Tumor deutlich tastbar und über 
demselben peritonitisches Reiben zu fühlen. In der L Fossa supraclav. 
sass ein Paquet geschwollener schmerzloser Lymphdrüsen. Die Diagnose 
wurde auf Carcinoma ventric. gestellt und, da andere Mittel nur kurze 
Linderung erzielten, Condurango verordnet (15 Grm. mit 360 Wasser 
12 Stunden m&cerirt und auf 180 eingekocht, davon 2mal, später 3mal 
täglich 1—V 2 Esslöffel). Schon nach 17 Tagen konnte völlige Rück¬ 
bildung der Drüsentumoren und deutliche Abnahme des epigastrischen 
Tumors constatirt werden. Unter fortwährender Abnahme der Beschwerden 
verschwand die Geschwulst im Epigastrium bis auf einen nussgrossen 
Rest. Pat. blieb noch lange in Beobachtung und befand sich wohl. 

Besonders wichtig für die Beurtheilung der Wirksamkeit der Con- 
durango sind 2 Krankengeschichten von Erichsen. 

I. Fall. 43jährige Frau mit den typischen Symptomen des Magenkrebse*, 
welche seit einem Jahre dauern. Fanstgrosse, derbe, höckrigc, fast unbewegliche 
Geschwulst im Epigastrium, horizontal von links nach rechts ziehend, anf Druck 
empfindlich. Taubeneigrosser Tumor in der Ileocöcalgegend. — Diät: Milch und 
Eier; Condurango in der von Friedreich empfohlenen Form. 

Unter Abnahme aller Symptome and Hebang des Allgemeinsastandes naha 
der Tnmor beständig ab, bis schliesslich nach 8—10 Wochen nnr noch eine etwas 
vermehrte Resistenz seinen früheren Sitz erkennen liess. Ebenso reducirte sich 
der lleocöcaltnmor. 3 Wochen nach dem Verschwinden der Geschwulst starb die 
der Genesung so nahe Kranke plötzlich unter heftigen Dnrchfällen und Collaps. 
— Die Section ergab: Leichte Dilatation des Magens; Serosa normal, ohne 
Höcker. Wandungen der Pars pylorica an der grossen Curvatur in handgrmser 
Ausdehnung verdickt, in der Nähe des Pylorus bis za 1 Ctm. Die Hypertrophie 
betrifft hauptsächlich die Muscularis und die Submucosa, welche ein breites, weiss- 
liches, fibröses Stratum bildet und gegen die Magenhöhle hin in zahlreiches 
papillomatösen Excrescenzen vorspringt; Pylorus leicht verengt. Die dem Coeetm 
zunächst liegende Mesenterialdrüse bildet einen wallnussgrossen derben Tnmor 
von lappigem, durch Faserzüge und eingesprengte mehr medulläre Partien be¬ 
dingtem Ban. Zahlreiche diphtheritische Geschwüre im Coecnm und Colon. — Die 
mikroskopische Untersuchung ergab, dass die Verdickung der Magenwand zum 
grössten Tbeile aus dichten Lagen lockiger Bindegewebszüge besteht t welche 
kleine alveoläre Zwischenräume einschliessen. In letzteren finden sich spärliche, 
in weit vorgeschrittener Fettdegeneration begriffene zellige Elemente neben Aggre¬ 
gaten von Fettkörnern. 

Das Ganze muss also als ein in Rückbildung begriffener Smrrfra? 
aufgefasst werden, namentlich da auch die carcinomatöse Degeneration 
der Mesenterialdrüse unzweifelhaft sicher gestellt wurde. 

Ganz ähnlich war der Verlauf im zweiten Falle; der Tumor ver¬ 
schwand mit den übrigen Symptomen in wenigen Wochen bis auf eine 
zurückbleibende geringe Resistenz und erst nach l 1 / 2 Jahren zeigten sich 
Anzeichen einer beginnenden Recidive. 

In Basel ist Condurango schon vielfach nnd zum Theil mit Erfolg 
angewendet worden. Ein frappant günstiger Erfolg wurde in einem Falle 
von Leberkrebs im vorigen Jahre beobachtet. 

Eine 43 Jahre alte Frau, welche von Prof. Bisch off 1876 von einem 
halbwallnassgrossen Carcinom der vorderen Muttermundh'ppe durch die Excision 
befreit worden war, erkrankte 2 1 /* Jahre später im Jänner 1879- Am 11. Hin 
wurde sie aufgenommen. Fahles, kachektische9 Aussehen, Abmagerung, welke Hast 
leichtes Oedem am die Knöchel, kein Fieber. Die hart anzufühleode, das recht« 
Hypochondrium vorwölbende Leber überragt den Rippenrand um fast eine Hand¬ 
breite. Zwischen Axillar- und Papillarlinie fühlt man in der vordem Leberfilche 


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MedicinUch-chirurgische Rundschau. 


829 


bis gegen den freien Band hin eine höckerige, mit der Leber bewegliche, bei Be¬ 
rührung sehr schmerzhafte Geschwulst von der Grösse eines halben Apfels nnd 
1 an eben nach innen und oben noch zwei kleinere, stark haselnussgrosse, prominente 
Knoten. Heftige dampfe und blitzartig lancinirende Schmerzen in der Geschwulst 
towie in der rechten Bückenseite, und von da in die rechte Schalter aasstrahleod. 
Weder Icterus, noch Ascites, noch Milzvergrösserang. Hartnäckige Verstopfung. 
Ordination: Calomel and Bheum; grosse Elystiere. 

Trotz ausgiebiger Darmentleerungen nahmen die Schmerzen immer mehr zu 
md konnten nar durch täglich zweimalige Morphiumeinspritzungen in steigender 
Dosis zeitweise gemildert werden. Diagnose: Garcinom der Leber. 

Am 22. März wurde die Behandlung mit C. begonnen und zwar diesmal 
mit dem Condurangofluidextract von Bliss, Eeene ft Cie. in New-York, von 
•reichem 4mal täglich 1 Theelöffel gereicht wurde. Schon am 5. April waren die 
Sehmerzen erträglicher und der Appetit besser geworden, die kleinen Tumoren 
varen nicht mehr zu fühlen. Heben Condurangoextract bekam Pat. täglich ein 
kleines Laxans; Vichywasser und die leider unentbehrlich gewordenen Ein¬ 
spritzungen von Morphium. Am 19. April wurde an dem grossen Tumor entschie¬ 
dene Verkleinerung und eine deutliche centrale Delle constatirt, welche bis zum 
40. April zu einer seichten, den Tumor halbirenden Furche wurde. Der Umfang 
ler Leber nahm stetig ab , das Aussehen wurde besser und der Tumor immer 
Sacher. Ende October überragte die Leber den Bippenbogen nicht mehr, ihr Band 
war noch etwas hart, aber keine Geschwulst mehr zu fühlen. Appetit und Aus¬ 
sehen der Kranken waren vortrefflich, die Schmerzen nur noch unbedeutend, 
namentlich seit im September der Morphinismus dauernd war überwunden worden. 
Bis Ende des Jahres wurde consequent Condurango weiter gebraucht, so dass die 
Pat. 10 Flaschen zu je 5G0 Grm. des Extractes, zwischen hinein auch Mace- 
rationsdecoct zu sich genommen hat. 

Die Frau ist bis zum Juli 1880 ohne Becidiv geblieben. Die Leber ist 
nicht mehr vergrössert. — 

Wenn auch die Condurangorinde in den meisten Fällen keine 
lauernde Heilung, sehr oft sogar kaum eine vorübergehende Besserung 
bewirkt, so darf sie doch als eine sehr werthvolle Bereicherung des 
Arzneischatzes betrachtet werden, da nun doch zahlreiche Erfahrungen 
für ihre bei zweckmässigem und consequentem Gebrauche erleichternde 
und temporäre Heilung bringende Wirkung in Fällen sprechen, wo' uns 
alle anderen Mittel im Stiche lassem Eine sicher gestellte positive Beob¬ 
achtung beweist viel mehr als ein Dutzend negativer. Nur consequent 
fortgesetzte Versuche können über den Werth des Mittels entscheiden. 

Die Anwendung der Condurangorinde geschieht meist als Decoct. 
12—20 Grm. der grob gestossenen oder fein zerschnittenen Rinde wird 
üe Nacht über mit einem Schoppen Wasser macerirt, am nächsten 
Morgen eine Stunde lang gekocht und dann ausgepresst; Morgens auf 
einmal oder auf 4mal des Tages vertheilt zu trinken. Bequemer ist die 
Verwendung des Fluidextracts (New-Yorker Präparat; täglich 4mal ein 
Theelöffel = dem Decoct von 15 Grm. Obgleich nach den bisherigen 
Erfahrungen Magen- und Leberkrebs als dem Mittel besonders zugänglich 
t>etrachtet werden müssen, so werden doch auch günstige Erfolge bei 
Carcinoma mammae von den dem Vortrage beiwohnenden Aerzten be¬ 
richtet. Dagegen hatten Andere, unter ihnen Prof. Immermann, gar 
seinen Erfolg. —r. 


657. Wasserkissen als Mittel zur Herabsetzung der Körper¬ 
temperatur. Von Dr. Howitz (Kopenhagen). (Gynäkologiske og ob- 
itetriciske Meddelelser Bd. H. p. 388. Centralbl. f. Gynaecol. 1880. 21.) 

Verf. verwendet grosse Wasserkissen von 30—36 Zoll Länge und 
24—28 Zoll Breite, welche ca. 23 Liter Wasser fassen können. Das 
Eissen wird gefüllt ins Bett gebracht, noch ehe die Pat. hinein gelegt 
worden ist. Um das Wasser leicht und'ohne Bewegungen von Seiten der 
Pat. wechseln zu können, wird ein Guttapercharohr von 2 l / a Fuss 


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830 


Mediciniach-chirurgische Rnndschan. 


Länge und 1V 2 Zoll Durchmesser in dieOeffnung des Kissens gefügt. Das 
Rohr wird durch eine inwendige Drahtspirale steif und offen gehalten, 
und trägt an seinem äusseren Ende eine kurze Metallbfichse mit Hahn 
und Schraubengang. An letzterer kann ein ganz ähnliches Guttapercha 
rohr von derselben Länge und Durchmesser angeschraubt werden, welches 
aussen in einen Guttaperchabaiion endet, der 3—4 Liter Wasser auf 
nehmen kann und von einem Netze von starken Faden umgeben ist 
Wenn nun die Temperatur des Wassers im Kissen herabgesetzt werde* 
soll, wird der leere Ballon gesenkt, etwa an den Fussboden gelegt, der 
Hahn geöffnet und so viel Wasser entleert, als erforderlich erachtet wird. 
Der Hahn wird dann wieder zugedreht, das Zusatzrohr wird abgeschranbt, 
und man kann dann den Ballon entleeren und die Temperatur des 
Wassers messen. Nach dem Füllen des Ballons mit kaltem Wasser wird 
das Zusatzrohr wieder zugeschraubt, der Hahn geöffnet und der Ballon 
hoch (2—3 Fusß) über die Ebene des Bettes gehalten, wodurch da? 
kalte Wasser in’s Kissen fliesst. Welche Temperatur das zuzuführende 
Wasser haben soll, um eine bestimmte Erniedrigung der Temperatur des 
Kissenwassers zu erzielen, wird von der Räumlichkeit des Ballons im 
Verhältnisse zu der des Kissens abhängen, kann übrigens ohne jede com 
plicirte Berechnung rein empirisch von jeder Krankenwärterin durch etwas 
Uebung gelernt werden. Gewöhnlich braucht Verf. eine Temperatur des 
Kissenwassers von 22—25° C., nie unter 19° C. Er lobt nach seiner 
Erfahrung sehr die Anwendung solcher Kissen, die für die Pat. sehr 
angenehm sind und zudem Decubitus verhindern. Collapä wegen zu plötz¬ 
lichen Temperatursinkens, wie dies bei einem Bade von entsprechender 
Temperatur mitunter beobachtet wird, tritt bei Verwendung des Kissens 
nie ein; die Körpertemperatur sinkt hier nur allmälig. Die Unkosten 
sind dabei auch nicht so sehr bedeutend, die Bedienung kann von einer 
einzigen Person besorgt werden. 

658. Ueber die Anwendung de? Ceriumoxalats zur Erleichterung 
des Hüstens. Von Dr. Cheesmann. (N. Y. Med. Rec., 1880 June. — 
Centralbl. f. klm. Med. 1880. 22.) 

In einer Sitzung der medicinischen Gesellschaft für die Provinz 
(County) New-York berichtete Verf. über die Resultate der Versuche, dir 
er mit diesem Mittel in dem St. Lake’s Hospital anstellte. Bei 28 Patienten, 
meistens Phthisikern, wurden 69 verschiedene Beobachtungen gemacht. 
Die Dauer eines jeden Versuches betrug wenigstens eine Woche, in der 
Mehrzahl der Fälle 2—3 Wochen. Während der ganzen Zeit (August 
bis November) fand sonst keine besondere Behandlung des Hustens statt, 
nur in einigen wenigen, sehr hartnäckigen Fällen wurden versuchsweise 
die gewöhnlichen Mittel in Anwendung gebracht. Auch die Behandlung 
(mit Opiaten und dergl.) lieferte keine besseren Resultate, als die mit 
dem Oxalat. Es wurden drei verschiedene Präparate geprüft; darunter 
eins von Merck. Man gab das Salz als Pulver in Dosen von 0’3—0*6. 
ausnahmsweise bis 1*2 — am besten nüchtern. Einige grössere Dosen 
sind häufigen kleineren vorzuziehen. Gefährliche, der Arznei zuzuschrei¬ 
bende Zufälle wurden nicht bemerkt. Einige Patienten klagten über 
Trockenheit des Mundes nach Gebrauch des Pulvers. In 50 Fällen trat 
Erleichterung des Hustens ein, nur 11 waren ganz erfolglos. Bei den 
letzteren war das Präparat zweifelhaft oder befanden sich die Patienten 
im letzten Stadium der Lungenphthise. Die grösste Erleichterung wurde 
bemerkt in den früheren Stadien der Phthise oder bei chronischer Bron¬ 


chitis. Verf. theilte 8 Fälle im Detail mit 

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, sowie mehrere Fälle 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


831 


der Privatpraxis anderer Aerzte, die ebenfalls den günstigen Erfolg 
dieses Medicamentes beobachtet hatten. — Bei Pertussis war der Erfolg 
zweifelhaft. 

Verf. fasst seine Meinung über die Anwendbarkeit des Cerium 
oxalatum gegen Husten also zusammen: 1. Man darf es in Dosen von 
0*6 oder mehr 3mal täglich geben und zwar während mehrerer Tage. 
2. Das einzige unangenehme Symptom bei einer solchen Dosirung ist 
eine geringe Trockenheit des Mundes während der ersten Tage. 3. Die 
Wirkung ist wahrscheinlich am günstigsten, wenn man das trockene 
Pulver nimmt. 4. Der Erfolg wird erst nach 2—3 Tagen deutlich und 
dauert der Einfluss des Mittels einige Tage fort, nachdem man den Ge¬ 
brauch desselben aufgegeben hat. 5. Gegen chronischen Husten ist es 
Morgens und Abends nüchtern zu nehmen. Im Nothfalle kann man einige 
Dosen den Tag über geben. Die Anfangsdosis für einen Erwachsenen 
Ist 0*3. 6. Es ist in den meisten Fällen ein brauchbares Hustenmittel, 
wenigstens während einiger Zeit. 7. Es übt keinen störenden Einfluss 
auf den Magen aus, auf Uebelkeit und schlechte Verdauung wirkt es 
im Gegentbeile sehr günstig. 8. Die käuflichen Präparate sind von 
ungleichem Werthe. 


Chirurgie, Geburtshülfe, Gynäkologie. 


659. Ueber die Behandlung hochgradiger Klumpfässe durch 
Besectionen der Fussgeruste. Von Dr. E. R i e d. Mit 1 Tafel Abbildungen. 
(Deutsche Zeitschrift für Chirurgie von C. H u e t e r und A. Lücke. Bd. XIÜ. 
1. und 2. Heft.) 

Den Indicationen für die Resection des Sprunggelenkes sind, nach 
des Verfassers Darlegung, auch jene Fälle von knöcherner Anchylose 
dieses Gelenkes (in Folge von eitriger Gelenkentzündung) einzureihen, 
wobei das Glied durch die abnorme Fussstellung gebrauchsunfähig 
geworden ist. 

Insbesondere berücksichtigt er hierbei die Auchylosen in Pes 
varo-equinus-Stellung, wie solche bei mangelhafter Behandlung des voran¬ 
gehenden eitrigen Entzündungsprocesses im Gelenke, spontan zu Stande 
kommen. 

Eine knöcherne Anchylose im Sprunggelenke in Equino-varus- 
Stellung sei ebenso wie die Anchylose in hochgradiger Valgusstellung 
des Fusses eine Indication zur Resection. Hieran schliesst Verf. die 
Mittheilung von zwei Krankengeschichten, aus denen wir hier nur die 
etwas modificirte Technik der Fussgelenkresection kurz wiedergeben wollen. 

Bei einer 43jährigen Dienstmagd war angeblich nach einer Erkältung 
eine Entzündung des linken Hand- und Fussgelenkes entstanden; letzteres 
blieb nach der Heilung in Equino-varus-Stellung anchylotisch. Die Anchylose 
erwies sich als knöchern, daher nur von einer Resection (Entfernung des 
grösseren Theiles des Talus) noch etwas zu erwarten war. 

Resection. Längsschnitt am unteren Ende der Fibula, circa 
3 Ctm. weit auf den Fussrücken hin verlängert; Loslösung der Weich- 
tbeile vom Knochen. 

Dieselbe Schnittführung und Loslösung der Weichtheile an der 
Innen- (Tibia-) Seite. Hierauf Durchbohrung der Tibia und Fibula von 
aussen her nach innen hin, circa 1 Ctm. über der Gelenklinie, mittelst 


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832 


Mddicmiflch-chirnrgteche Rundschau, 


Knochenbohrer, und Durchsägung beider Knochen von den Bohrlöchern 
aus mittelst der H a i m b a u d’schen Stichsäge (nach vorne und hinten), 
so zwar, dass Tibia und Fibula keilförmig zugespitzt erscheinen. 

Hierauf quere Durchbohrung des Talus vom unteren Rande des 
Malleol. intern, her, bis an den Malleol. extern., und Durchsägung des 
Talus vom Bohrloche aus nach vorne und hinten, so zwar, dass der 
Talus keilförmig ausgesägt erscheint (der stumpfe Winkel der Säge¬ 
fläche nach oben hin offen). Unter Extension und Contraextension wird nun 
das ganze resecirte anchylotische Knochenstuck von innen nach aussen 
herausbefördert. Nach Absägung eines kleinen Keiles vom vorderen Tibiarande 
liess sich endlich der Fuss zum Unterschenkel in rechten Winkel stellen. 

Blutung gering; die Wunden längs der Tibia und Fibula offen 
gelassen; Salbenverband; Lagerung des Fusses auf Spreukissen. Nach 
vier Wochen Contentivverband. Es ist schliesslich — nach 5—6 Monaten 
— complete Anchylose des resecirten Gelenkes eingetreten. Pat. hat den 
vollen Gebrauch der Extremität wieder erhalten. 

ln ähnlicher Weise wurde bei einer zweiten Patientin, einer 
44jährigen Handarbeiterin, operirt. Es war in diesem Falle in Folge 
einer complicirten Fractur der Fusswurzel- und Mittelfossknochen, bei 
mangelhafter Behandlung, eine wahre Anchylose des Fussgelenkes und der 
lntertarsalgelenke in hochgradiger Equino-varus-Stellung entstanden. — 
Auch in diesem Falle soll das Operationsresultat gttnstig gewesen sein. 

Yerf. knüpft hieran einige Bemerkungen über die Resectionstechuik 
in den zwei obigen Fällen. 

Er hebt hervor, dass obige Methode gewählt wurde, einerseits um 
einen möglichst geringen Substanzverlust im Knochen zu setzen, anderer¬ 
seits um eine möglichst feste (eventuell knöcherne) anchylotische Ver¬ 
bindung in verbesserter Winkelstellung herbeizuföhren. 

Es wurde daher das obere Knochenende (Tibia und Fibula) mittelst 
der Stichsäge stumpf keilförmig zugespitzt, der Körper des Talus 
aber stumpf keilförmig ausgesägt, so dass zwischen den resecirten 
Knochenenden eine Art von Charnierverbindung hergestellt wurde, wodurch 
bei festerer Einfügung der Resectionsenden in einander der Verschiebung 
derselben möglichst vorgebeugt ward. Die Richtung der oberwähnten Bohr¬ 
löcher, bemerkt Verf., müsse, je hochgradiger die Klumpfussstellung sei, 
um so mehr gegen die innere Fussseite hin zu einander convergiren, damit 
hierdurch die Aussägung eines an der äusseren Seite höheren Knochen¬ 
stückes aus dem Talus ermöglicht werde (zur Beseitigung der Supinations¬ 
stellung des Fusses). 

Im zweiten Theile seiner Abhandlung bespricht Verf. die moderne 
operative Behandlung des angeborenen hochgradigen 
Klumpfusses. 

Durch die genauere Kenntniss der Gestaltveränderungen beim ange¬ 
borenen Klumpfusse sei die operative Behandlung dieser Difformität bedeutend 
erweitert worden. Jolly soll zuerst (1857) das Os cuboid. behufs Correction 
des angeborenen Klumpfusses entfernt haben. Im Jahre 1877 berichtete 
D a v i e s - C o 11 ey über keilförmige Resection des Tarsus. 
Er operirte in der Weise, dass er einen drei Zoll langen Schnitt längs 
dem äusseren Fussrande machte, und einen zwei Zoll langen senkrechten 
Schnitt auf die Mitte des ersteren (Durchschneidung der Strecksehnen des 
Fusses); Os cuboid., Process. magnus oss. calcan., Theile der drei Ossa 
cuneiform., fast das ganze Kahnbein, ein Theil des Caput tali und die 
Gelenkknorpel des 4. und 5. Metatarsalknochens, entfernt. Heilung in 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


833 


circa zwei Monaten. Ein Vierteljahr später war die Wölbung der Sohle 
normal, Sprunggelenk gut functionirend; Pat. geht, springt, bewegt die 
Zehen normaler Weise; an der Stelle der entfernten Knochen keine Ein¬ 
ziehung vorhanden. 

Bryant operirte bei einem 12jährigen Knaben nach Davies- 
C o 11 e y’s Vorschrift, sägte jedoch nur einen 1 Zoll langen Knochenkeil 
aus dem Tarsus, dessen Spitze im Os navicul., dessen Basis im Os 
cuboid. lag. 

Hueter hält für das rationellste Verfahren die Aussägung eines 
mit der Basis nach aussen gerichteten Keils aus dem Collum tali. 

Verf. knüpft hieran die Mittbeilung von drei Operationsgeschichten 
aus der Jenaer Klinik, von drei Fällen hochgradigen Klumpfusses. (Das 
Detail dieser Mittheilungen siehe im Originalaufsatze.) Es war in allen 
drei Fällen beabsichtigt, die Entfernung des Talus vorzunehmen, was 
jedoch nur in zwei Fällen ausgeführt werden konnte, während in einem 
der Fälle knöcherne Verwachsungen zwischen Talus und Calcaneus sich 
zeigten, was zur Keilexcision aus dem Tarsus Anlass gab. 

In den epikritischen Bemerkungen gibt Verf. vor Allem der 
Meinung Ausdruck, dass obbescbriebene operative Eingriffe bei hoch¬ 
gradigen Klumpfüssen völlig berechtigt seien, wofür die Ungeffchrlichkeit 
des Verfahrens und die durchgehends günstigen Endresultate sprächen. 
Allerdings seien gegenwärtig die Operationsverfahren noch verschiedene; 
auch sei jetzt das statistische Material noch zu gering, um daraus 
erschliessen zu können, welches Operationsverfahren wohl das zweck- 
mässigere sei (die Keilexcision aus dem Tarsus oder die Exstirpation 
des Talus). 

Rücksichtlich der Keilexcision aus dem Tarsus, meint 
Verf., dränge sich doch die Frage auf, ob durch die Eröffnung ver¬ 
schiedener Fus8wurzelgelenke und die Wegnahme einzelner Knochentheile 
nicht eine Lockerung des Gewölbes des Tarsus entstehe, welche i n 
späterer Zeit den ersten (anfänglichen) Erfolg der Operation beein¬ 
trächtigen könnte? 

Weiters frage es sich, wie gross der zu entfernende Knochenkeil 
sein, und welche Knochen und Knochentheile er einschliessen soll? Jeden¬ 
falls müsse bei jeder Keilexcision der Defect im Tarsus so angelegt 
werden, dass ein grösserer oder geringerer Theil des Talus, nötigenfalls 
der vordere Rand des Calcaneus, der grösste Theil des Os cuboid. und 
ein schmaler Rand des Os navicular. die Grenzen bilden, so dass die 
Basis des Keiles an den äusseren Fussrand, die Spitze bis a n oder selbst 
in das Os navicular. zu liegen käme. 

Die Exstirpation des Talus (nach Lund’s Vorgang) jedoch 
in Verbindung mit der Resection des unteren Endes der 
Fibula hat nach Verf. manche Vorzüge vor der Keilexcision. Es 
werde, meint er, durch die Exstirpation des Talus allein, das Gewölbe 
des Fusses erhalten, eine Verkürzung und übermässige Verkleinerung des 
Fasses könne nicht eintreten; ferner höre die beim Klumpfuss fast stets 
vorhandene Rotation der Unterschenkelknochen um ihre Längsachse, 
wodurch das untere Ende der Fibula gegen den Fersenhöcker hin ver¬ 
schoben werde, nach der Talusexstirpation sofort auf (nicht so bei der 
Keilexcision); auch sei die Heilungsdauer eine kürzere, da eine knöcherne 
Vereinigung nicht abgewartet werden müsse. 

Rücksichtlich der Indicationen für die Operation möchte Verf. 
die Exstirpation des Talus mit Resection der Spitze der Fibula für hoch- 

Ued.-cblr. Rundschau, ins». D g t zed b/GoÖ^Ie 


834 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


gradige Klumpfüsse des kindlichen und jugendlichen Alters reserviren, 
während er die keilförmige Excision aus dem Tarsus für jene Fälle 
indicirt hält, wo sich eine Anchylose zwischen Talus und Calcaneus vor¬ 
findet, sowie beim hochgradigen Klumpfusse älterer Individuen. 

Bezüglich der Führung der Hautschnitte sei für die Exstir¬ 
pation des Talus mit Resection der Spitze der Fibula zu empfehlen: du 
Bogenschnitt vom unteren Rande des Malleol. extern, über den Talus weg 
bis zum äusseren Rande der Strecksehnen der Zehen (Ried sen.); für 
die Keilexcision aus dem Tarsus eigne sich am besten ein horizontaler 
Schnitt längs dem äusseren Fussrande bis zur Basis des fünften Metatarsal¬ 
knochens, mit einem auf der Mitte des ersteren senkrecht stehenden 
Schnitte, der über das Würfelbein weg bis auf den Taluskopf verläuft 
(wobei die Strecksehnen der Zehen zu schonen sind). 

Fr. Steiner, Marburg. 


000. Statistisches über Brustcarcinome. (Nach Correspbl. f. 
Schweizer Aerzte 1880. 18.) 

J. Oldencop referirt im Arch. f. klin. Chirurgie (XXIV, 3) über 
250 von Esmarch von 1850—1878 operirte Mammacarcinome. 

Von den 250 Fällen von Brustdrüsenkrebs waren: 


I. Nicht operirte Fälle.21 

H. Operirte Fälle 229, darunter: 

1. in Folge der Operation gestorben.23 

2. mit nachweisbaren Reoidiven noch lebend oder an Recidiv 

gestorben.109 

3. ohne Angaben über späteres Verhalten.54 

4. Lebend frei von Recidiv oder an intercurr. Krankheit, frei 

von Recidiv, gestorben.43 

Summa . . 250 


Die grösste Zahl der Erkrankungen füllt in die Lebensjahre 46—50, 
die Durchschnittszeit für das erste Auftreten des Carcinoms ist das 48*4 J. 
Es waren von den Patientinnen verheiratet 208, unverheiratet 30. — 
Von 103 Kranken, welche geboren hatten, haben 36 eine puerperale 
Mastitis durchgemacht. In neun Fällen hatte sich aus einem nach Mastitis 
zurückgebliebenen Knoten die Geschwulst entwickelt. — Ueber den Ein¬ 
fluss von Traumen sind Angaben unsicher. Der Sitz des Carcinoms war 
in 123 Fällen die rechte, in 102 Fällen die linke Mamma. Am häufigsten 
zeigte sich das Carcinom in der obern und äussera Hälfte der Drüse.— 
ln 11 Fällen war Heredität nachweisbar; 60mal konnte Heredität bestimmt 
ausgeschlossen werden. 31 Patientinnen ohne Drüsenerkrankung lebten 
nach der Operation durchschnittlich 45*1 Monate; recidivfreie Zeit 6*0 
Monate. 57 Patientinnen mit Drüsenerkrankung lebten nach der Operation 
durchschnittlich 34*8 Monate; recidivfreie Zeit 2*5 Monate. 

Die durchschnittliche Lebensdauer nach Beginn der Erkrankung 
ergab für Nichtoperirte 22*6, für Operirte 38*1 Monate. 

An 225 Patientinnen wurden 287 Operationen ausgeführt, es starben 
23 Patientinnen. — Von 184 vor Einführung der List er sehen Wund¬ 
behandlung ausgeführten Operationen starben 16 = 8*7°/ 0 Mortalität Bei 
77 nach Einführung der Liste r’schen Wundbehandlung ausgeführten 
Operationen kamen 7 Todesfälle = 9*l°/ 0 Mortalität vor. Die Heilungs¬ 
dauer, die früher durchschnittlich 5*2 Wochen in Anspruch nahm, sank 
nach Einführung der Li st ersehen Methode auf 4*6 Wochen herab. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


835 


Bei 409 °/ 0 der Kranken wnrde die ganze Mamma mit den Drüsen 
entfernt (13,O°/ 0 Mortalität). — Von den 23 gestorbenen kommen auf 
accidentelle Wundkrankheiten 12, Collaps und Nachblutung 4, Pneumonie 1, 
zweifelhafte Fälle 6. — Erysipelas kam 15mal zur Beobachtung (f 5). 

In 46,4% der Fälle trat das Recidiv in den ersten drei Monaten 
auf. Von da an wird die Häufigkeit stetig geringer und nach einem Jahre 
sind nur noch 18 Recidive — 16,0% — beobachtet worden. Das Auf¬ 
treten des Recidiv8 nach drei Jahren wurde nur in einem einzigen (nicht 
ganz sicheren) Falle beobachtet. Den Schluss des dritten Jahres kann man 
daher unbedenklich als den äussersten Termin für das Auftreten des 
Recidivs ansehen. Demnach stehen 0. nach seinen Tabellen 23 Fälle als 
definitiv vom Mammacarcinom geheilt zu Gebote. — Der Sitz des Recidivs 
war bei weitem häufiger local als in der Axilla bei der Wegnahme der 
Brust und Ausräumung der Achselhöhle. Hatte sich die Operation nur auf 
die Drüse selber beschränkt, so trat das Recidive gewöhnlich in der 
Achselhöhle auf. 

Settega st (Arch. f. klin. Chir. XXIV, 4) operirte von 1873—1876 
im Krankenhause Bethanien 39 (t 9) Mammacarcinome ohne und 84 
(+20) mit Achseldrtisenaffection und Exstirpation, Recidivoperationen 12 
(+0), Sarcome der Mamma 16 (fl), Fibrome und Adenome 31 (f 0), 
Cysten 2 (f 0). Offene Nachbehandlung, zuweilen Bedeckung der Wunde 
mit einer leichten Lage von Gaze. 

Aus der v. Dumrei cher’schen Klinik referirt Dr. Ed. Pritzl 
(Wien. med. Blätter Nr. 14): 

„Exstirpationen von Neubildungen der Brustdrüsen wurden vom 
October 1876 bis Juli 1879 ohne Listers Cautelen 66 ausgeführt, von 
welchen vier Fälle schon im Jahre 1877 veröffentlicht sind. 

16 Kranke waren im Alter von 25—39 Jahren, 

» < » » n n 40 49 „ 

n n r) r> ^0 59 „ 

18 „ „ „ n „ 60 68 „ 

Die rechte Brustdrüse war in 38 Fällen, die linke in 28 erkrankt. 
In 22 Fällen wurden mit der Brustdrüse gleichzeitig die Axillardrüsen 
entfernt. 

Die mittlere Heilungsdauer betrug 25 Tage. Von den 66 Operirten 
starben 5, mithin beträgt das Sterblichkeitsprocent sämratlicher Operirten 7*5. 
Von den 66 Fällen waren jedoch nur 55 Carcinome, 11 Fälle theilen 
sich in Cystosarcome, Sarcome und ein Fibromyom in dem Gewichte von 
6400 Grmm. Wenn man aber von den Operationen dieser 11 Fälle auch 
ganz absieht, so ergäbe sich bei 5 Todesfällen auf 55 Carcinomoperationen 
dasselbe Sterblichkeitsprocent von 9*1, welches Oldenkop von den 77 
an Carcinom mit L i s t e r’s Cautelen an E s m a r c h’s Klinik operirten und 
behandelten Kranken mit der durchschnittlichen Heilungsdauer von 34 
Tagen berichtet. 

Nach Prof. v.Dumreicher’s Ansicht haben aber diese statistischen 
Ergebnisse nur einen relativen Werth, indem die letalen Ausgänge nicht 
nnr von der Operationsmethode und der Nachbehandlung, sondern wesent¬ 
lich von der Individualität der Kranken, deren Alter, Kräftezustand und 
deren Blutmischung, endlich von der Dauer und dem Umfange des Leidens 
und davon abhängen, ob die Operation an einem recidiven Carcinome aus- 
geführt werden muss. Diese Verhältnisse wurden auch in der werthvollen 
Arbeit von Oldencop eingehend gewürdigt. Der Zufall, welcher Fälle, 
die eine günstige, oder Fälle, welche eine ungünstige Prognose an und 

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836 


Medicinisch-ch imrgische Rundschau. 


für sich bedingen, in grösserer Zahl einem Chirurgen zuführt, muss daher 
bei gleich entsprechender Operationsmethode und Nachbehandlung das 
Sterblichkeitsprocent wesentlich beeinflussen, um so mehr, wenn sich die 
Versuchsreihe nur auf ein paar hundert Fälle beschränkt. 

Aus diesen Gründen kann daher das Urtheil des erfahrenen Chirurgen 
über den Werth und den Einfluss einer bestimmten Wundbehandlung auf 
die Heilung nicht durch Schlüsse aus einer nicht massgebenden Statistik, 
sondern nur durch die genaue Beobachtung und den gewissenhaften Ver¬ 
gleich des Verlaufes annähernd gleicher Krankheitsfälle mit dem Verlaufe 
derselben bei anderer Wundbehandlung gewonnen werden. 

Erysipel mit Heilung der Kranken wurde in 7 Fällen beobachtet, 
in 2 Fällen trat Phlegmone mit letalem Ausgange ein, der in dem einen 
Falle am 6., im zweiten Falle am 13. Tage nach der Operation erfolgte. 

Die 5 Verstorbenen waren im Alter von 39, 51, 60, 63 und 
66 Jahren. 

Nach Prof. v. Dumreicher’s Methode der Wundbehandlung 
wurde, nachdem die blutenden Gefässe mit Catgut unterbunden waren, 
die Wundfläche mit 2 °/ 0 Carbollösung gereinigt, in den Fällen, in welchen 
die Vereinigung der Wunde möglich war, diese durch Hefte der Knopf¬ 
naht ausgeführt, an den Stellen, an welchen Hohlräume durch Compression 
nicht geschlossen werden konnten, wurden kurze Drainröhren, über die 
Wundränder in Wachs getränktes Seiden- oder Guttaperchapapier gelegt, 
in dem den Drainröhren entsprechende Oeffnungen ausgeschnitten wurden. 
Die genaue Vereinigung der Wundflächen wurde mit Schichten entfetteter 
Baumwolle, welche mit Binden befestigt und so comprimirt wurden, dass 
sich die Wundflächen in der Tiefe berühren mussten, angebahnt 

Von besonderer Wichtigkeit hält es Prof. v. Dumreicher, die 
absolute Hube der Wunde dadurch sicher zu stellen, dass der Arm der 
erkrankten Seite an den Stamm unbeweglich fixirt werde, um jede 
Bewegung der Brustmuskeln hintanzuhalten. Der Verlauf der Wundheilung 
bei dieser Wundbehandlung im Vergleiche mit der früher üblichen hat 
unbestreitbar Vorzüge erwiesen. Die Temperatursteigerung fand in einzelnen 
Fällen nicht, in der Mehrzahl der Fälle nur in einem geringen Grade an 
einem oder wenigen Tagen statt. 

In den Fällen, in welchen die Vereinigung der Wunde und der 
Wundflächen möglich war, erfolgte die Heilung des grössten Theiles der 
Wunde per primam intentionem, die Eiterung wurde jedenfalls beschränkt 
und die Heilung wesentlich beschleunigt. 

Die wenigen letalen Ausgänge waren durch die Individualität der 
Kranken bedingt. 

Fügen wir dieser lehrreichen Statistik noch eine schweizerische 
Arbeit bei. 

Dr. J. Kaeser (etude cliniquesur le cancer du sein. Dies, inaug., 
Bäle. 79 S.) referirt in einer vortrefflichen Arbeit über 70 von Professor 
So ein in Basel operirte Brustcarcinome. In hübscher Weise bespricht K. 
die Aetiologie unter instructivem Ausblick auf die Art der Statistik für 
solche Fälle (Frequenz der verschiedenen Altersstufen); Erblichkeit (schlechte 
Prognose), Allgemeinbefinden; Menstruation und Mastitis und Contusion 
(kein beweisender Einfluss nachweisbar); Sitz (Winiwarter und 
Oldencop öfter rechts, Velpe au und Kaeser öfter links); Ent¬ 
wicklung des Brustkrebses nach seinen verschiedenen Formen (in 40 
von 70 Fällen), geschwollene Achseldrüsen; Metastasen; nach Wini¬ 
warter und Oldencop beträgt die durch die Operation gewonnene 


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Mediciniscb-cMrurgische Rundschau. 


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grössere Lebensdauer 9, nach Paget 12, nach Sibley 21 Monate. 
Bei der Behandlung finden wir, dass 5 (7*6°/) Patientinnen an den 
Folgen der Operation starben (doppelseitige Pneumonie, Fettherz; Erysipel, 
Pleuropneumonie; Erysipel, Nachblutung; Lungenödem). In den letzten 
Jahren (34 Operirte) betrug die Mortalität nur noch 3 °/ 0 ; seit 7 Jahren 
kein Todesfall mehr durch Erysipel. Recidive wurden 43mal constatirt 
and zwar in der bekannten Weise, dass schon während des ersten Monates 
nach der Operation 19mal, vom zweiten bis und mit dem sechsten 18mal, 
vom siebenten bis zum Schlüsse des zwölften 4mal ein Recidiv auftrat 
(unbekannt wann 2mal); nach dem ersten Jahr ist der Rückfall sehr 
selten, nach dem dritten ganz aussergewöhnlick. 

So ein räth, die Achseldrüsen wenn immer möglich zu entfernen 
und zwar sie nicht zu enucleiren, sondern sie mit allem Fett, das sie 
umgibt, en masse zu exstirpiren. 

Zur Zeit der Publication lebten 4 Operirte ohne Recidiv seit noch 
nicht 3 Jahren und 5, operirt seit 5—13 Jahren, ohne Recidiv und bei 
gutem Allgemeinbefinden, also 7 , 5°/ 0 Heilungen (Oldencop 11,7, 
Winiwarter 4*7°/ 0 ). Heilung ist selbst dann noch möglich, wenn der 
Tumor an den Rippen adhärent und die Achseldrüsen infiltrirt sind 
(1 Fall So ein). 


661. Zur Behandlung von Orchitis und Epididymitis. Von 
Primararzt Prof. W e r t h e i m. (Ber. der k. k. Krankenanst. Rudolf- 
Stiftung in Wien 1879, S. 305.) 


Bekanntlich treten Orchitis und Epididymitis gewöhnlich in Beglei¬ 
tung oder als Folgezustand von Gonorrhoea auf. Ausnahmsweise entstehen 
sie auch spontan», sodann auch ex traumate, ferner auch manchmal von 
einem näher oder ferner gelegenen Entzündungsherde durch Vermittlung 
der zwischenliegenden Venen und Lymphgefässe durch Uebertragung. 

Bei Fällen minderer Heftigkeit wendet W. als Hauptmittel, nebst 
horizontaler Ruhelage des Körpers und Unterstützung des Hodensackes 
durch einen cylindrischen, zwischen die Oberschenkel geschobenen Polster, 
das Früh und Abends erneuerte, immer frisch aufgestrichene Empl. 
hydrargyri an, mit dem die kranke Hälfte des Hodensackes (denn gewöhnlich 
ist nur einer der beiden Hoden oder Nebenhoden ergriffen) ganz umfasst wird. 

Ist sehr starke Schwellung, Glanz und Faltenausgleichung der Hoden¬ 
haut und grosse Schmerzhaftigkeit vorhanden, so wird die Application 
des Pflasters verschoben und es werden dafür eiskalte Umschläge umge¬ 
legt (keine Eisbeutel!). Sind diese Symptome vorüber, so tritt sofort die 
Umhüllung mit dem Pflaster an ihre Stelle. 

Selbstverständlich ist in dem Falle, dass mit der Orchitis oder 
Epididymitis ein Abscess einhergeht, sei dieser zwischen allgemeiner Decke 
und Tunica vaginalis testis, oder im Cavum zwischen letzterer und dem 
Hoden selbst gelegen, dieser für sich besonders nach den Regeln der 
Chirurgie zu behandeln. Doch erklärt Verf., dass er sich hier der jetzt 
gangbaren Vorschrift nicht vollständig anschliesst. Die herrschende Uebung, 
nicht einen grossen, sondern statt dessen zwei kleine, nach Umständen 
mehr weniger von einander abstehende Einschnitte zur Eröffnung des 
Abscesses und Entleerung des Eiters auszuführen, lehnt er erfahrungs¬ 
geinäss ab und beschränkt sich auf einen ausgiebigen Einschnitt. 

Auch eine zweite Vorschrift, die von den Anhängern Listers 
leidenschaftlich empfohlen wird, nämlich die der dauernden Einlegung eines 
mehrfach mit Wandöffnungen versehenen Drainageröhrchens in die Abscess- 


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Medicinisch- chirurgische Rundschau. 


Öffnung, umgeht Verf. Der dauernd währende Aufenthalt dieses fremden 
Körpere in der Wundhöhle wird dem Patienten bald sehr lästig, ln 
dieser Beziehung macht W. aufmerksam, dass ein Chirurg wieDr. Cheine, 
seinerzeit Assistent vonLister, der gewiss eine grosse Erfahrung besitzt, 
schon im Jahre 1875 die Drainageröhrchen verlassen hat. 

Höchst wichtig ist die zweimal täglich wiederholte, sanft ausgeftlhrte 
Auspressung des in der Höhle angesammelten Eitere und die dann sofort 
unternommene Ausspritzung mit dem entsprechenden Wundwasser, die 
Aqua carbolica. — Wenn aber die Eiterung allzu profus ist, geht Verf. 
zur sehr verdünnten Sulfas cupri-Lösung über; 1 pro mille, selten über 
2 pro mille. Die Eiterung vermindert sich hiebei sehr auffällig. 

Mit dieser hier ausführlich geschilderten Abscessbehandlung verträgt 
sich übrigens ganz gut die gleichzeitige Umhüllung des ganzen Hoden- 
sackes mit dem oberwähnten aufgestrichenen Emplastr. hydrargyri. Man 
braucht nur in letzteres ein sogenanntes Fensterloch einzuschneiden, das 
der Stelle der Abscessöffnung entspricht, damit die Entleerung des Eite» 
und die Einspritzung ohne jedesmalige Entfernung des Pflasters vor sich 
gehen kann. Dieses kann 24 Stunden liegen, bevor es erneuert wird. 

Eine sehr empfehlenswerthe Vorsicht ist bei Orchitis das Trag» 
eines Suspensoriums bei Tag und Nacht. Verf. erklärt, dass alle gegen¬ 
wärtig in sämmtlichen Spitälern Wiens bis vor Kurzem ausnahmslos (siehe 
die weiter unten folgende zugehörige Mittheilung) üblichen Suspensorien 
unnöthig theuer sind und grosse Fehler an sich tragen. Die Fixirung 
des Gürtels mittelst einer Schnalle, sowie die Einheftung der Schenkel¬ 
bänder in festgenähte sogenannte Haftelmännchen ist höchst unbequem. 
Meistens stehen die Knopflöcher für die Schnallenstachel da, wo man m 
nicht braucht, und fehlen dort, wo sie der Träger nach seiner Leibet¬ 
beschaffenheit gern hätte. Dasselbe findet bezüglich der Lage und Stellung 
der oberwähnten Hafteln für die Schenkelbänder statt. 

Allen diesen Uebelständen begegnet das Suspensorium, das Prof. 
Zeissl im Jahresberichte des k. k. allgemeinen Krankenhauses für das 
Jahr 1878 (erschienen im Jahre 1879) beschreibt und empfiehlt Es ist 
das Suspensorium von Langlebert und Horand. Dasselbe ist aus 
gewöhnlicher fester Leinwand gefertigt ; der Sack für das Scrotum und 
die Oeffnung für den Penis sind fast genau so, wie bei dem bisherigen 
beschaffen, nur ist letztere zweckmässig so weit gemacht, dass bei Erection 
keine Einschnürung zu befürchten ist. Dagegen laufen vom oberen Rande 
des Sackes seitlich nach rechts und links je ein „übers Kreuz gear- 
beitetes“ Leinenband von 1*5 Ctm. Breite und lang genug, damit Jeder¬ 
mann an irgend einer ihm genehmen Stelle die beiden Bänder sich um 
den Leib schlagen und durch eine Masche verbinden kann, aus; des¬ 
gleichen von der Mitte des unteren Randes vom Sacke, der Raphe des 
Hodensackes gegenüber, zwei je 1 Ctm. breite Schenkelbänder, die lang 
genug sind, um an beliebiger Stelle um den Gürtel geschlagen und an 
selben mit einer einfachen Schleife fixirt zu werden. Die gegenwärtig 
in der Rudolf-Stiftung nach einem von W. vorgelegten Muster angefertigt» 
Suspensorien werden für 15 Kreuzer per Stück hergestellt. Die meisten 
Patienten konnten bald damit herumgehen und ihren Geschäften nachkommen. 
Auch Prof. Zeissl berichtet bereits über 250 ähnliche Erfahrungen. —r. 

662. Behandlung der Uterusblutungen post partum. Von Dr. 

F. E. Forest. (The Medical Ricord. 1880. 10.) 

Anknüpfend an einige äusserst hochgradige Uterusblutungen post 
partum, bei welchen die gebräuchlichsten therapeutischen Behelfe in An- 


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Medicinisch* chirurgische Rundschau. 


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Wendung gebracht wurden, unterwirft Verfasser dieselben einer kritischen 
Besprechung und gelangt zu folgender Anschauung: 

1. Die Einführung der Hand in die Uterushöhle und die Entfernung 
der Coagula ist von grösster Bedeutung in einem jeden einzelnen Falle. 
In vielen Fällen genügt dieser Vorgang in Verbindung eines entsprechenden 
Druckes mit der anderen Hand auf den Fundus uteri, in demselben er¬ 
giebige und ausdauernde Contractionen hervorzurufen und die Blutung zu 
stillen. In allen Fällen soll die Hand, bevor eine anderweitige intrauterine 
Behandlung eingeleitet wird, in den Uterus eingeführt, die Coagula ent¬ 
fernt werden. 

2. Die Anwendung des Barne’schen Dilatators hat dieselbe Be¬ 
deutung, wie der Gebrauch des Aether-Sprays oder des Faraday’schen 
8tromes. Hat sehr geringen praktischen Werth. 

3. Subcutane Ergotin-Injection ist ein werthvolles Mittel bei diesen 
Blutungen, und ist dessen Anwendung in Verbindung mit anderen Methoden 
zu empfehlen. 

4. Die Compression der Aorta abdominalis hat nur bei mageren 
Personen einen Werth mit gleichzeitiger Massage des Uterus. 

5. Eis und Eiswasser in die Uterushöhle zu bringen, wird in allen 
Lehrbüchern anempfohlen, doch ist diese Methode nur in manchen Fällen 
verwerthbar, aber auch in diesen muss die Wirkung eine rasche sein, da 
die Application der Kälte nicht lange fortgesetzt werden darf, ohne be¬ 
fürchten zu müssen, durch Lähmung der contractilen Elemente des Uterus 
eine noch profusere Blutung hervorzurufen. 

6. Heisses Wasser, in die Uterushöhle injicirt, ist ein vorzügliches 
Mittel, die Blutung zu stillen und zugleich stimulirend zu wirken. Das 
Wasser muss so heiss als möglich, schnell und in grösserer Quantität 
injicirt werden* ln vielen Fällen allerdings lässt auch dieses Mittel 
im Stiche. 

7. Einspritzen von Essig in die Uterushöhle war schon den älteren 
Geburtshelfern bekannt, doch mit dem Fortschritt unserer Kenntnisse 
wieder vergessen. Verfasser hat nun in jüngster Zeit mit dieser Anwen¬ 
dung gute Erfolge erzielt und glaubt, dass der Essig nicht so sehr durch 
seine styptische, als vielmehr durch stimulirende, Contractionen anregende 
Wirkung die Blutung zum Stillen bringe. Diese Anwendung hat ins¬ 
besondere den Vortheil, dass Essig, selbst der stärkste angewendet, keinen 
Schaden bringen kann, dass derselbe, in jedem Haushalte vorräthig, gleich 
zu verwerthen ist, was bei profusen Blutungen, wo die geringste Ver- 
zögerung die Gefahr nur steigert, von nicht hoch genug anzuschlagendem 
Werthe ist. 

8. Einspritzung von Jodtinctur ist nach Verfasser das sicherste und 
wirksamste Mittel gegen diese Blutungen; wo alle anderen Mittel versagten, 
führte Jodtinctur zum Ziele. Die Vortheile, die Verfasser der Jodtinctur nach¬ 
rühmen kann, sind: 1. dass die Jodtinctur die Blutung stille nicht durch 
Gerinnung des Blutes innerhalb der Uterushöhle, sondern durch Contrac¬ 
tionen desselben und hiedurch die Möglichkeit der septischen Zersetzung 
der vielleicht in der Uterushöhle zurückgebliebenen Coagula ausgeschlossen 
ist; 2. dass die Jodtinctur, auch wenn nicht verdünnt angewandt, keinen 
Schaden bringe, und 3. dass die Jodtinctur immer die Blutung stille. 

9. Die Injection von Eisenpräparaten hält Verfasser für am aller¬ 
nachtheiligsten; nicht nur, dass dieselben die Blutung nicht sicher stillen, 
geben sie in vielen Fällen, wie dies durch Sectionen erwiesen ist, durch 
Zurückbleiben von harten Coagulis, durch Thrombenbildung in den Uterinal- 


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Medicini8ch-chirorgiöche Rundschau. 


gewissen, durch Erosion der Schleimhaut, Veranlassung zu septischen Er¬ 
scheinungen , ja in vielen Fällen ist der Tod nur. der Anwendung der 
Eisenpräparate intrauterin zuzuschreiben. Stork. 

663. Zur Operation der Ranula. Von Dr. Krabbel in Witten. 
(Ctrlbl. f. Chir. 1880. 37.) 

Es gibt bekanntermassen viele Methoden die Ranula zu operiren; 
keine derselben, ausser der vollständigen Exstirpation, fährt sicher zum 
Ziele. Weder die einfache Punction, noch die Punction mit nachfolgender 
Einspritzung einer reizenden Flüssigkeit, noch die partielle Exstirpation 
mit oder ohne Aetzung des zurückbleibenden Theiles der Geschwulst, 
noch das Durchziehen eines Haarseils oder das Einlegen von Wieken 
u. dgl. schützt sicher vor Recidiven. Vor einigen Monaten beobachtete 
Verf. eine grosse Ranula, die aussen am Halse stark prominirte; er 
operirte dieselbe in einer der von Volkmann für die Radicaloperation 
der Hydrocelen angegebenen ähnlichen Weise. Die Geschwulst lag unter 
der Zunge zu beiden Seiten des Zungenbändchens, durch diese scharf in 
einen kleinern rechten und grossem linken Theil getrennt. Der linke 
Theil der Ranula reichte nach hinten bis zum letzten Backzahn und 
dehnte sich nach unten nach der linken Halsseite zu aus, wölbte hier 
die äussere Haut ziemlich stark vor. Von aussen war die Geschwulst 
grösser als ein Ei. Die Haut darüber war nicht stark gespannt, lies 
sich leicht in Falten legen; im Tumor war Fluctuation zu fühlen, die 
sich auf die Geschwulst im Munde fortsetzte. 

Anamnestisch wird bemerkt, dass Frau K., 21 Jahre alt, aas B. t vor einem 
Jahre zuerst eine kleine Anschwellung im Munde bemerkt«, die sie aber Anfangs 
wenig beachtete. Als dieselbe aber allmälig wuchs, cousultirte sie ihren Arzt, der 
dieselbe punctirte. Es entleerte sich gelbe, zähe Flüssigkeit; die Geschwulst ver¬ 
schwand ; aber schon auf dem Wege nach ihrer etwa */* Stunde entfernten 
Wohnung füllte sich die Anschwellung wieder von Neuem. Sie wurde nun noch 
mehrere Mal punctirt, ohne dass Heilung eiotrat; sie nahm vielmehr an Grösse 
zu. und es zeigte sich nachher auch au der Aussenseite des Halses eine kleine 
Anschwellung, die ailmälig zu der jetzigen Grösse anwnchs. 

Verf. machte die Operation nun in der Weise, dass er zuerst die 
Haut und das Platysma myoides über der Prominenz der Geschwulst in 
einer Länge von ca. 6 Ctm. spaltete, darauf aus dem blossliegenden 
Cystensack ein ovales Stück excidirte, dessen grösste Breite etwa 4 Ctm. 
betrug (es floss dann natürlich die colloide Flüssigkeit ab) und nun die 
Cystenwand ringsherum mit dor äusseren Haut durch Seidenligaturen ver¬ 
nähte. Im Munde excidirte er ebenfalls ein ovales Stück aus der non 
zusammengefallenen Geschwulst und vernähte die Ränder mit der Mund¬ 
schleimhaut durch Catgutsaturen. Darauf wurde ein kleinfiugerdickee 
Drainagerohr durchgelegt, das er im Munde mit einer Catgutnabt be¬ 
festigte und wodurch dann eine 3percentige Carbollösung gespritzt wurde. 
Zum Schlüsse bedeckte er die Halswunde mit einem Saücylwatteverbande. 
Die Ausspülungen mit derselben Lösung wurden täglich wiederholt, 
am 8. Tage Drainrohr und Seidenligaturen entfernt. Die Wunde schloss 
sich nun durch Eiterung innerhalb 8 Tagen vollständig und hinterliess 
nur eine kleine zusammengezogene Narbe. Die Geschwulstwände hatten 
sieb an einander gelegt und waren durch adhäsive Entzündung ver¬ 
wachsen. Auch im Munde ist nur eine feste, derbe Narbe zu fühlen, 
keine Spur von Flüssigkeitsansammlung mehr. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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664. Eine neue Methode zur Stillung der Blutung in der Nach¬ 
geburtsperiode. Von E. Baelz in Tokio, Japan. (Gyn. Centralbl. 1880. 
20. Originalmittheilung.) 

In jenen Fällen, in welchen der Arzt bei einer starken Blutung 
in der Nachgeburtsperiode aller sonst üblichen Mittel entblösst ist, empfiehlt 
Baelz folgendes manuale Verfahren. Die Vagina wird mit der Faust 
tamponirt, wobei die Schamlippen mit der anderen Hand manchettenartig 
fest um das Handgelenk zusammengepresst werden, so dass kein Tropfen 
Blut abfliessen kann. Der Uterus wird durch eine andere Person von 
aussen oberhalb der Symphyse comprimirt, oder, wenn man die Com- 
pression selbst besorgen will, lässt man sich die Schamlippen von einem 
Anderen um das Handgelenk zusammenpressen. Auf diese Weise gewinnt 
man im ungünstigsten Falle mindest Zeit, meist aber wird durch diese 
Art der Tamponade die Blutung ganz zum Stehen gebracht. Verf. wandte 
dieses Verfahren mit Erfolg in einem Geburtsfalle bei einer Japanerin an. 

Kleinwächter, Innsbruck. 


665. Ueber Atonie des Uterus im Wochenbette. Von Thiede in 
Lübeck. (Berl. klin. Wochenschr. 1880. 39.) 

Nach Breisky hat der Verschluss der starken Placentargefässe 
nach der Geburt durch die Contraction des Uterus, durch den Tonus der 
Muskelfasern stattzufinden, ein weit geringerer Antheil ist der Thromben¬ 
bildung zuzuweisen. Bei der Atonie des Uterus findet gerade das umge¬ 
kehrte Verhältnis in der Leistung dieser beiden Factoren statt. Die 
Atonie des Uterus ist nicht so selten, zuweilen schliesst sie sich direct 
an die normale Geburt an und lässt sich kaum beseitigen, selbst dann, 
wenn diese ganz normal verlief. Häufiger beobachtet man sie dagegen 
nach früherer zu starker Ausdehnung des Uterus, wie z. B. nach 
Hydramnion u. dgl. m. In solchen Fällen stagnirt der normale Inhalt 
im Cavum uteri, es bilden sich Gase und die Entstehung einer septischen 
Infection wird ungemein begünstigt. Zuweilen tritt die Atonie erst nach¬ 
träglich im Puerperium auf, wenn das Individuum puerperal erkrankt. 
Ob in diesen Fällen das hohe Fieber die Ursache dieser mangelhaften 
Innervation oder Contractionsfähigkeit ist, ob eine directe örtliche Be¬ 
theiligung durch seröse Durchfeuchtung daran Schuld trägt, lässt sich 
nicht genau entscheiden. In anderen Fällen endlich wird eine Erkrankung 
im Wochenbette dadurch herbeigeftlhrt, dass in Folge der schlechten 
Contractionsverhäitnisse des Uterus der Verschluss der Gefässe durch 
ausgedehntere Thrombenbildung als sonst stattfindet und sich diese 
Thromben nur ungenügend consolidiren. Die Thromben lockern sich 
auf, zerfallen theilweise und namentlich dann, wenn die Individuen 
das Bett verlassen, weil die Gefässe der Beckenorgane plötzlich unter 
hohen Druck gestellt werden. Es treten Blutungen auf, zurückgebliebene 
Partikeln werden resorbirt, kurz gesagt, nach 5—8tägigem Wohlbefinden 
treten post partum Fiebererscheinungen mit Blutungen, blutigen Ausflüssen 
ein und gleichzeitig erscheint der Uterus bedeutend erschlafft. Unter 
solchen Umständen ist die Therapie klar vorgezeichnet, es müssen 
energische Contractionen des Organes eingeleitet werden. Hasch schwindet 
dann das Fieber, sowie die Blutung, die Kranke wird bald gesund. Man 
wende Secale an und spüle den Uterus aus. Austastungen des Uterus, 
um zu erforschen, ob nicht etwa die Krankheit auf einer Retention von 
Placentarstückeri beruhe, können unter solchen Umständen gefährliche 
Folgen nach sich ziehen. Man zerdrückt brüchige Thromben, deren 


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Medicini8ch-chirurgi8che Rundschau. 


Partikeln in den Kreislauf gelangen und den Tod rasch herbeiführen. 
Am zweckmäs8igsten ist es, kräftige Contractionen sofort post partum 
herbeizuführen und selbe späterhin zu controliren, um derartigen Complici- 
tionen auszuweichen. Gibt man kräftige Ergotindosen, so beugt man 
nicht nur solchen Erkrankungen und Gefahren, sondern auch später 
eintretenden Lageveränderungen des Uterus vor, denn solche stellen sich 
nicht selten nach Verlassen des Lagers bei schlaffem Uterus ein. 

Kleinwächter, Innsbruck. 

666. Ueber Zufälle bei Scheidenirrigationen Kreissender. Von 
R. Frommei in Berlin. (Zeitschr. f. Geburtsh. und Gyn. Bd. V. 
pag. 224. 1880.) 

An der Berliner Klinik werden prophylaktisch bei jeder Kreissenden, 
welche innerlich untersucht wurde, Scheidenirrigationen mit einer 2°' J igen 
Carbollösung vorgenommen. Bei einer 38jährigen Secundipara traten nach 
einer solchen Einspritzung höchst bedrohliche Erscheinungen auf. Das 
Gesicht wurde blass, livid, dann stark cyanotisch, die Respiration mühsam, 
stertorös, und das Sensorium benommen, der Puls äusserst klein, jagend, 
über 150, einige Minuten fast nicht fühlbar. Gleichzeitig ergoss sich eine 
beträchtliche Menge schwarz-rothen Blutes. Allmälig besserte sich der 
Zustand, nur dass das Sensorium noch längere Zeit hindurch benommen 
blieb. Nach zwei Stunden kam die Kranke wieder völlig zu sich. Der 
Frucht kosteten diese bedrohlichen Erscheinungen das Leben, denn die 
Frequenz ihrer Herztöne sank auf 72, später noch weiter herab, bis 
das Herz vollkommen zu schlagen aufhörte. Damit übereinstimmend 
wurde auch später ein frisch abgestorbenes ausgetragenes Mädchen 
geboren. Die Section ergab den gewöhnlichen Befund des intrauterinen 
Erstickungstodes. Dieser Fall war nicht der erste, denn ein Jahr vorher 
ereignete sich auf derselben Klinik ein gleicher. Den Tod der Frucht 
bringt F. mit dem Umstande in Zusammenhang, dass bei der so alterirten 
mütterlichen Blutcirculation die Sauerstoffeufuhr zur Placenta aufgehoben 
wurde und die Frucht erstickte. Die gefährlichen Erscheinungen von 
Seite der Mutter glaubt F. auf zweifache Weise erklären zu können, ent¬ 
weder trat injicirte Flüssigkeit in die Uterusgefässe ein oder sind die 
Erscheinungen auf eine hochgradige Erregung der zahlreichen im Uterus 
befindlichen Nervenbahnen und dadurch hervorgerufene cerebrale Störungen 
zurückführen. Nach des Ref. Ansicht bandelte es sich um keinen Shok, 
sondern um nichts Anderes als um ein Einpumpen von Luft in die grossen 
mütterlichen Placentargefüsse. Dass die Flüssigkeit statt blos in die 
Vagina in den Uterus hineingetrieben wurde, gesteht F. selbst ein. Diese 
Fälle zeigen von Neuem, dass die Desinfectionsmassregeln, so zweckmässig 
sie auch sind, nicht übertrieben werden dürfen, und dass die Beobach¬ 
tungen F.’s die Folgen einer solchen Uebertreibung sind, sieht wohl auch 
der Unbefangenste ein. Kleinwächter, Innsbruck. 

667. Ein Fall von Echinococcen der Bauchhöhle geheilt darch 
Laparo-Echinococcotomie. Von Slawjansky in Petersburg. (Gyn. 
Centralbl. 1880. 20. Originalmittheilung.) 

Es handelt sich um eine 35jährige Frau, die niemals geboren und 
seit vier Jahren eine Geschwulst im Unterleibe bemerkte. Innerhalb dieser 
Jahre war die Menstruation unregelmässig. Die Geschwulst trat angeblich 
zuerst in der Region des Scrobiculus cordis auf. Bei der Aufnahme zeigte 
sich der Unterleib sehr stark ausgedehnt und fühlte man eine mehr als 
mannskopfgrosse Geschwulst mit glatter Oberfläche und undeutlicher 
Fluctuation im unteren Abschnitte des Abdomens. Der Tumor liess sich 4 

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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


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seitlich verschieben, man konnte ihn heben, doch ihn nicht ohne starke 
Schmerzen nach abwärts drängen. Der Uterus und das linke Ovarium 
erschienen normal, das rechte Ovarium war nicht nachzuweisen. Die Kranke 
klagte über constante Schmerzen. Die Diagnose wurde nicht mit Sicher¬ 
heit gestellt, sie schwankte zwischen einem Ovarientumor und einer 
Echinococcencyste. S. beschloss eine Proheincision vorzunehmen und je 
nach dem weiteren Befunde die Ovariotomie oder Echinococcotomie aus¬ 
zuführen. Nach Durchschneidung des Peritoneum präsentirte sich eine 
bindegewebige Membran, die mit dem Bauchfelle innigst verwachsen war. 
Bei dem Versuche, diese Membran zu separiren, stellte sich eine heftige 
parenchymatöse Blutung ein, so dass von weiteren Ablösungsversuchen 
Abstand genommen werden musste. In die Membran wurde ein Trokar 
eingestossen, worauf sich eine gallertige Flüssigkeit, welche Echinococcen- 
blasen enthielt, entleerte. Es wurden alle Blasen (circa 1000) entleert 
und entfernt und die Wände des entleerten, eröffneten, grossen Echino- 
coccencystensackes an die Wundränder der vorderen Bauchwand angenäht. 
Die Schnittwunde des Sackes wurde bis auf dem oberen und unteren 
Schnittwinkel verschlossen. In die Wundwinkel des Sackes kamen Drain- 
röhren zu liegen. Der Sack wurde täglich mit einer desinficirenden 
Flüssigkeit ausgespült. Die Heilung der Bauchwunde erfolgt per primam 
intentionem und die Echinococcussäcke verkleinerten sich sichtlich, als die 
Kranke am 47. Tage post operationem von einem Typhus exanthematicus 
ergriffen wurde. Der Typhus lief glücklich ah und die Kranke genas zur 
Gänze. Bei ihrem Austritte hatte sich die Wunde des Echinococcensackes 
geschlossen, letzterer selbst war vollständig geschwunden und nicht mehr 
zu fühlen. S. entnimmt aus dem Falle, dass der bindegewebige Sack der 
Ecbmococcusgeschwulst dem Organismus der Kranken angehört habe, 
daher eine Entfernung desselben nie vorgenommen werden dürfe. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

668. Der Probetampon, ein Mittel zur Erkennung der chronischen 
Endometritis. Von B. S. Schulze. (Centralbl. für Gynäkolog. Nr. 17.) 

Viele Fälle von chron. Endometritis bleiben unerkannt, weil die 
grosse Mehrzahl in der nicht gynäkologisohen Praxis vorkommt, die bisher 
angegebenen diagnostischen Merkmale oft im Stich lassen, die Kranken 
selbst von einer krankhaften Secretion nichts wissen, der Nicht-Specialist 
ungeübt ist in den Untersuchungsmethoden. Gerade für den letzteren ist 
daher eine Methode von Werth, die keine besondere Uebung und Ge¬ 
schicklichkeit erfordert. Verf. räth nun folgendes Verfahren an. Ein mit 
Glycerin angefeuchteter Tampon aus entfetteter Watte wird mit einer 
25percentigen Tannin-Glycerinlösung reichlich getränkt und exact der 
Vaginalportion angelegt. Nach 24stündigem Liegen findet man die 
geformten Elemente des Uterussecrets als Klümpchen zwischen Schleim¬ 
haut und Tampon. Das Charakteristische für endometritisches Secret sei 
nämlich der Gehalt an Eiter, welcher dem glasigen Cervixsecrete fehle. 
Der Tampon wird per Speculum entfernt, der Muttermund ist zu unter¬ 
suchen, da das Eiterklümpchen bisweilen an ihm, nicht am Tampon haften 
bleibt; die mikroskopische Untersuchung sichert dann die Diagnose. Ein 
einmaliges negatives Resultat beweist noch nicht, dass keine Endometritis 
vorhanden, denn nicht jeder endometritische Uterus liefert täglich Eiter, 
so namentlich wenn Stenose vorhanden, bei welcher die periodische Aus- 
stossung des angesammelten Secretes oft mit wehenartigen Schmerzen 
verbunden ist. Der dem Cervix entstammende Eiter bei katarrhal. Aflfec- 
tionen der Schleimhaut mischen sich innig mit dem gallertigen Cervical- 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


schleime, was bei dem dem Cavum uteri entstammenden Eiter nicht da* 
Fall sei. Bei einer grossen Anzahl von Kranken, die überhaupt nicht für 
genitalkrank gelten, bilde die Endometritis die Grundlage aller ihm 
Leiden, woraus allein schon die Wichtigkeit eines sicheren diagnostischen 
Hilfsmittels erwiesen werde. 


669. Bemerkungen zur Prognose der puerperalen Eklampsie. 
Von Löh lein und Schröder. (Aus d. Verhandlungen d. gynäkol 
Sect. auf der 53. Versammlung deutsch. Naturf. u. Aerzte in Danzig.) 

Die Mortalität der Eklampsie ist immer noch sehr hoch. Redner 
verfügt über 126 Fälle aus der Berliner Klinik mit einer Mortalität von 
32°/„. Die Berichte von Königsberg, Dresden und aus der Charite 
ergaben keine besseren Resultate. Die Prognose ist trotz aller neuen 
Mittel nicht besser geworden. Weder Chloral- noch Morphiumbehandhmg, 
weder die oft vorzüglichen und höchst rationellen von Jaquet (Berlin) 
empfohlenen Einwickelungen, noch Pilokarpin waren im Stande die Pro¬ 
gnose zu bessern. — Die Prognose ist um so schlimmer, je mehr aus¬ 
geprägt die Functionsstörung der Niere ist, darunter will Redner nicht 
etwa die pathologisch-anatomische Störung verstanden wissen. — Der 
Erklärung Spi eg elberg’s, welcher für Eklampsia sine albuminurii 
eine epileptogene Zone im Gebiete des Ischiadicus annimmt, kann Redner 
durchaus nicht beistimmen. Zunächst ist die Eklampsie ohne Albuminurie 
eine grosse Seltenheit. Redner sah nur 4 Fälle. Aber es kommen gewiss 
auch viele Fälle vor, wo der Urin erst in Folge der Anfälle Albumen 
enthält. Redner nimmt als ätiologisch wichtig Rückstauung durch Com- 
pression der Ureteren an. Nicht alle Fälle kann man so erklären, aber 
viele. — Je näher der Ausbruch der Eklampsie an das Ende der Geburt 
fällt, um so besser ist die Prognose. Auch für die Kinder gilt diese Be¬ 
hauptung, der Grund für diesen letzteren Umstand ist die geringe Zahl 
der Anfälle. Der Vortragende weist aus seiner Statistik nach, dass diese 
spät ausbrechenden Eklampsien im Ganzen ungefährlich sind. Es handelt 
sich um weniger entwickelte urämische Imoxicationen. Dagegen ist die 
Prognose sehr ungünstig (40-5 °/ 0 Todesfälle), wenn die Eklampsie in der 
Schwangerschaft beginnt. Aus diesem Unterschiede erklärt es sich, dass 
die Ansichten über den therapeutischen Werth der einen oder andern 
Methode sehr verschieden sind. Redner hält eine Prophylaxe für durch¬ 
aus möglich, nöthig und erfolgreich. Bei Albuminurie soll man schnelle 
Steigerung des abdominalen Druckes vermeiden. Ruhe, richtige Diät, 
Seitenbauchlage, Evacuantien sind zu empfehlen. Wo cerebrale Er¬ 
scheinungen eintreten: künstliche Frühgeburt. Wo es sich um Compression 
der Ureteren handelt, also neuralgische Beschwerden, Ziehen im Bauche, 
Schmerzen in der Nierengegend existiren, ist ebenfalls schleunige Ent¬ 
bindung anzurathen. 

Schröder (Berlin) ist davon überzeugt, dass Nephritis in der 
Schwangerschaft höchst gefährlich ist. Verläuft die Schwangerschaft bk 
zu Ende, so bleibt meistentheils eine tödtliche resp. unheilbare Nieren- 
krankheit übrig. Wenn aber die Schwangerschaft zeitig unterbrochen 
wird, so heilt die beginnende Nierenaffection aus. Redner will durchaas 
nicht auf den Grund eingehen, warum in der Schwangerschaft die Nephritis 
so grosse Fortschritte zum Schlechtem macht, er will nur erfahrungs- 
gemäss festgestellt haben, dass seinen Beobachtungen nach, thatsächlich 
in der Nephritis eine Indication, selbst zum künstlichen Abort besteht 
Das kindliche Leben komme nicht in Frage, wenn das mütterliche gerettet 
werden könnte. Mit sehr warmen Worten empfiehlt der Vortragende 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


845 


dringend bei Albuminurie sofort die Schwangerschaft zu unterbrechen. 
Diese Frauen können ganz gesund werden, und später gut gebären. 

Löhlein hat hauptsächlich die Eklampsie zum Thema seines Vor¬ 
trages gemacht, und deshalb die Frage der Complication der Nephritis 
und Schwangerschaft nicht in ihrem ganzen Umfange besprochen. 


670. Eine Päan’sche Hysterotomie mit nachfolgender Manie. 
Heilung. Von Lossen und Fürstner. (Berliner klin. Wochenschrift 
1880. Nr. 34 Centralbl. f. Gynäk. 1880. 20.) 

47jährige Frau; vor sechs Jahren zuletzt geboren; seit zwei 
Jahren wachsende Geschwulst im Abdomen; weder Blutungen noch 
Schmerzen, nur die Grösse des Tumor macht Beschwerden. Menses normal. 
Der Tumor theils cystisch, theils solid, füllt die ganze linke Bauchseite 
aus; er ist beweglich; der Uterus nach hinten und rechts verdrängt 
lässt keinen deutlichen Zusammenhang mit der Geschwulst erkennen. 
Diagnose: Ovarialtumor. Operation unter antiseptischen Cautelen. Es zeigte 
sich nun, dass der Tumor nicht vom Ovarium, sondern vom Uterus ausging, 
mit dessen linkem Horn er durch einen circa 5 Centimeter dicken, fleischigen 
sehr gefttesreichen Stiel zusammenhing. Nach sehr mühevoller Loslösung: 
Klammer, antiseptischer Verband. Operationsdauer 1V* Stunden. Tumor 
ein derbes, nur stellenweise cystisches Fibrom, wog 1 */a Kilogramm. Die 
Heilung der Bauchwunde erfolgte unter den gleich zu erwähnenden, er¬ 
schwerenden Umständen etwas verzögert, aber doch vollständig. 

Nachdem die Kranke schon am fünften und sechsten Tage nach 
der Operation ausserordentlich unruhig und aufgeregt war, entwickelte 
sich nun rasch eine vollständige Psychose unter dem BiUJc einer acuten 
Manie, so dass Patientin nach Solidirung der Narbe am 20. Tage in die 
Klinik des Prof. Fürstner transfenrt wurde. Die Psychose steigerte 
sich immer mehr, die hochgradige motorische Unruhe der Kranken, die 
jedem Verband, jeder Reinigung den heftigsten Widerstand entgegen¬ 
stellte und die vollständige Nahrungsverweigerung, die eine Sonden¬ 
ernährung bedingte, machten den Fall zu einem sehr schweren. Nach 
circa sechswöchentlicher Dauer trat fast plötzlich im Verlauf eines Tages 
Besserung und Heilung ein. Inzwischen hatte sich unter Fiebererscheinungen 
eine Lungenaffection mit fötidem Auswurf, aber sonst wenig hervortretenden 
physikalischen Symptomen ausgebildet, die sich aber auch so weit besserte, 
dass Patientin acht Wochen post operat. entlassen werden konnte. 

Hereditäre Disposition zur Psychose bestand nicht; Abusus spirituo- 
sorum ist ausgeschlossen; es ist daher die Operation als einzig wirk¬ 
sames causales Moment aufzufassen. Ueber die ätiologische Bedeutung 
operativer Eingriffe für die Genese von Psychose ist wenig bekannt: nur 
bei Augenoperationen sind einige Fälle constatirt. Während man auf 
Grund neuer Erfahrungen anzunehmen geneigt ist, dass durch das 
operative Ausschalten weiblicher Sexualorgane ein günstiger Einfluss auf 
bestehende Psychosen und Neurosen geübt werden könnte, würde in 
diesem Falle gerade das Gegentheil stattgefunden haben. Die Menstrua¬ 
tion löst bekanntlich nicht selten Psychosen und gerade solche mit acutem 
und schnellem Verlauf aus. Bei dieser Patientin wurde die bis dahin 
regelmässige Periode zu derselben Zeit erwartet, als die ersten psychischen 
Symptome sich kund gaben, und es scheint daher die Annahme nicht zu 
verwerfen, dass letztere in Zusammenhang mit cerebralen Circulations- 
störungen zu setzen seien, die durch die physiologisch gesteigerte Blut- 
zufuhr nach dem Unterleib, aus dem aber zwei grosse, für die Menstrua¬ 
tion wichtige Organe entfernt waren, bedingt wurden. 


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Medirinisch-chirrirgische Rundschau. 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie, I 

671. Ueber Schrift, Druck und uberhandnehmende Kurzsichtig 1 
keit. Von Prof. Cohn. (Nach dem Vortrage, gehalten in Danzig auf 1 
der 53. Versammlung deutscher Naturforscher.) I 

Das Wesen der Myopie ist bekanntlich die Verlängerung der! 
Augenachse. Es frägt sich nun: Wie entsteht diese? Sie ist bei denI 
allerwenigsten Menschen angeboren; fast niemals hat der Vortragende! 
sie bei Kindern unter 5 Jahren gesehen: sie entsteht vielmehr erwiesener I 
maasen durch Thätigkeit in der Nähe, besonders während der Schulzeit I 
Das Factum, dass viele Schüler der höheren Lehranstalten sich Brillen I 
anschafften, lenkte schon vor 40 Jahren die Aufmerksamkeit der Behörden I 
auf diesen wichtigen Gegenstand; man zog Erkundigungen ein, untersuchte I 
aber die Kinder nicht ärztlich. Eduard v. Jaeger in Wien gebohrt dul 
Verdienst, im Jahre 1861 zuerst 200 Kinder geaugenspiegelt au haben I 
aber die besagte Anzahl war, wie er selbst betonte, zn klein für allgemeine I 
Schlüsse. Im Jahre 1865 begann Cohn die Schulkinder seiner Vaterstadt I 
zu untersuchen nnd glaubte, nachdem über 10.000 Schüler mit Lese-1 
proben und Augenspiegel geprüft waren, folgende drei Sätze aufatelkc 
zu dürfen : 

1. ln den Dorfschulen existiren kaum Kurzsichtige; ihre Zahl nimmt 
aber mit den steigenden Ansprüchen, welche die Lehranstalten an das 
Auge stellen, von Schulkattqgorie zu Schulkategorie stetig zu und erreicht 
die höchste Höhe in den Gymnasien. 2. Die Anzahl der kurzsichtigen 
Schüler steigt von der untersten ^is zur obersten Classe fast stetig »n 
allen Anstalten. 3. Der Durchs&hmttsgrad der Myopie nimmt von 1 
Classe zu Classe zu, d. h. die Iturzsichtigen weiden immer kurz¬ 
sichtiger. Wir besitzen bereits über 3Ö sehr zuverlässige Mittheilungen 
von competenten Augenärzten, welche ®^ Resultate mühsamer Unter¬ 
suchungen von mehr als 40.000 Schülern jpthalten. Es ist nothwendig, 
dies zn betonen, da erst vor Kurzem im prdBßßischen Abgeordnetenhaus 
bezweifelt worden ist, dass wirklich die MySPi® 80 besorgnisserregeöd 
zunehme. Es wurden nun überall in den DorfBcflP len kaum 10 /o> » 
Elementarschulen 5 — 11 °/ 0 , in den TöchterschuRP 10—!24%, in den 
Realschulen 20—40% und in den Gymnasien zvJB 9 ® 11 ® 11 30 55# ^° 

Myopen gefunden. \ 

Die Studenten sind leider bisher nur in Breslau ^“tersucht worden. 
Im Jahre 1867 fand Cohn 60%, unter den Medici*® 111 8 P ecie11 56 ^ 
kurzsichtig; im Juli d. J. wiederholte er die UnterfP chun S bei den 
Medicinern und fand wieder 57%. Dass unter den Herr^P m don er ? tefl 
Semestern nur 52, unter den Klinicisten dagegen 64% Jpzyopisch sind, 
scheint ihm nicht das Spiel eines Zufalls, sondern vielmehr! d* 6 Fol S e der 
Arbeit zum Examen physicum. Er stellt eine bestimm r? Form n®* 
Examen-Myopie“ auf. Die Arbeiten zum Abiturienten - Flamen, tw 
Physicum, zum juristischen, philologischen und medicinischen\ Staatsexamen 
erzeugen und vermehren zweifellos die Myopie. Schon D o n c# 6 r 8 betonte, 
dass derartige Untersuchungen an Hochschulen sehr wünschenlß w ®rtb seien, 
aber es ist gar schwer, alle Herren Studirenden zu solchf en PrütoS 611 
zusammenzubekommen, und doch können sie für jene recht ntitj^ch werden ; 
so fand Cohn jüngst unter 108 Medicinern 11, welche positiv falsche 
Brillen trugen! Nur Dr. Gärtner in Tübingen gelang es, j»™ Laufe von 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


847 


fast 20 Jahren über 600 evangelische Theologen zu untersuchen, die 
freilich die sonst unerreichte Zahl von 79 ' / 0 Kurzsichtigen aufwiesen. 
Ein Blick auf die Concavbrillen in dieser gelehrten Versammlung zeigt 
übrigens, dass auch hier für die Statistik der Myopie eine reiche Aus¬ 
beute vorhanden ist. 

In ausserdeutschen Ländern sind noch zu wenig Schulkinder unter¬ 
sucht worden, als dass man zu dem sehr allgemein verbreiteten und 
immer wieder abgedruckten Satze berechtigt wäre, dass gerade in der 
deutschen Schuljugend die Krankheit ganz besonders grassire. C a 11 a n 
fand in den Negerschulen dasselbe Verhältniss wie in den europäischen 
Dorfschulen. Erismann in Petersburg fand mehr Deutsche als Russen, 
Reich in Tiflis mehr Armenier als Russen myopisch. Dagegen constatirte 
Pflüger in Bonn bei Prüfung der Schweizer Lehrer unter den Welsch- 
Schweizern nur 14, unter den Deutsch-S weizern aber 24°/ 0 . Derby, 
Agnew und Loring sahen nur 16—27°/ 0 der Schüler in den höheren 
Schulen Nordamerikas myopisch. Mau konnte beim internationalen Con- 
gress der Aerzte zu Paris getrost jeden Brillenträger deutsch anreden 
und erhielt eine deutsche Antwort. Möglich ist es also wohl, dass die 
Deutschen, bei denen der Schulzwang schon so lange Jahre besteht, bereits 
mehr zur Myopie disponirt sind; aber die Frage ist noch nicht spruchreif. 

Die vorliegenden Erhebungen zeigen, dass überall, wie in Breslau, 
die Zahl der Myopen von Classe zu Classe steigt und wahrhaft erschreckend 
und niederschmetternd sind die Zahlen in Secunda und Prima der Gym¬ 
nasien und Realschulen. Sie schwanken zwischen 35 und 60°/ 0 , steigen 
in Breslau auf 64, in Magdeburg auf 75, in Erlangen auf 88 und in 
Heidelberg sogar auf 100! 

Es gibt noch immer Personen, die zweifeln, dass wirklich die Schüler 
auf dem Gymnasium kurzsichtig werden. Cohn glaubt den Gegenbeweis 
positiv geliefert zu haben, indem er dieselben Schüler im Breslauer 
Friedrich-Gymnasium zwei Mal im Laufe von 3 Semestern prüfte und beim 
zweiten Male 17 der früher normalsichtigen bereits myopisch, und von 
den damals schon kurzsichtigen, bei der zweiten Untersuchung über die 
Hälfte noch kurzsichtiger fand. Die Myopie war also gewissennassen 
unter seinen Augen entstanden. Dasselbe Experiment machte später in noch 
ausgedehntererWeise, aber mit gleichem Erfolge Dr. v. Reuss in Wien, 
Dr. Seggl im Münchener Cadettencorps und Dr. Derby in Boston. 

Von Classe zu Classe treten stärkere Grade von Kurzsichtigkeit 
auf. Wir stehen also unleugbar vor einer ungeheuren Epidemie oder 
Endemie, vor einer nationalen Calamität. Wir dürfen uns die Augen nicht 
verbinden, wir dürfen die enormen Zahlen nicht beschönigen, sondern 
müssen Alles aufbieten, den Ursachen des Uebels nachzuforschen und sie 
zu beseitigen. 

Es ist etwas sehr Bequemes, die Verlängerung der Augenachse, 
welche der Myopie zu Grunde liegt, einer erblichen Disposition zuzu¬ 
schreiben. Redner hält dieselbe bis jetzt nicht für erwiesen; es gibt zu 
viele Familien, in denen trotz der Myopie der Eitern kein Kind kurz¬ 
sichtig ist, und wer kennt nicht eine grosse Zahl von myopischen Schülern, 
deren Eltern ganz normal sehen! Was bisher über Erblichkeit der Myopie 
geschrieben, seien Vermuthungen, beweisend würde nur eine grosse 
statistische Untersuchung sein, bei der einige tausend Kinder und ihre 
Eltern auf Kurzsichtigkeit geprüft würden. 

Sollte, was ja nach Darwin nicht unwahrscheinlich, die Erblich¬ 
keit, oder die erbliche Disposition exact nachgewiesen werden, so hätten 


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Medicinisch-chirurgische Randschau. 


wir ja erst recht doppelt die Verpflichtung, Alles aufzubieten, um die 
Ueberhandnahme dieses Leidens zu verhindern. 

Da nun zweifellos anhaltendes Sehen in die Nähe Ursache der 
Myopie ist, so muss der Kernpunkt aller unserer Bestrebungen darin 
liegen, dieses zu verhindern; daher müssen wir das Auflegen beim Schreiben 
und Lesen um jeden Preis zu verhüten suchen. Dieses Auflegen kann 
hervorgerufen werden durch schlechte Subsellien, durch schlechte Schrift 
und schlechten Druck und durch schlechte Beleuchtung. 

Betreffs des ersten Punktes genügen wenige Worte. Kein Arzt hat 
gegen die kleine, aber fundamentale Arbeit des leider zu früh verstorbenoi 
Dr. Fahrner in Zürich Widerspruch erheben, welcher vor 17 Jahren 
bereits nachwies, dass in den alten Subsellien ein grades 
Sitzen beim Schreiben schlechterdings unmöglich sei. 
Mit feiner Beobachtungsgabe fand er, dass die erste Bewegung des Kindes, 
mit der es die normale Stellung verlässt, ein Strecken des Kopfes nach 
vorn und links, und dass diese anscheinend unbedeutende Bewegung die 
Wurzel alles Uebels sei. Der Schwerpunkt des Kopfes wird dadurch 
nämlich über den vorderen Rand der Wirbelsäule geschoben und nun 
müssen ihn die Nackenmuskeln halten, während sie ihn bei grader 
Stellung leicht balancieren konnten; dadurch ermüden die Nacken¬ 
muskeln u. 8. w. u. 8. w. in der allbekannten Weise, bis nach 2—3 
Minuten der Kopf auf dem linken Arme und die Augen nur 8—10 Ctm. 
von der Schrift entfernt liegen. Alle Aerzte sind daher darüber 
einig, dass die horizontale Distanz von Tisch und Bank 
negativ, die Tischplat te etwas höher als der her ab hän- 
gendeEllenbogen, dass eineLehne angebracht, und dass 
die Subsellien d en G rössenverh ältnissen derSchüler ent¬ 
sprechend sein müssen. Die Technik hat die ärztlichen Forderungen 
längst vollkommen erfüllt, wie wir dies auf der Wiener und Pariser 
Weltausstellung an einer grossen Zahl von Modellen nachweisen konnten. 
Wenn trotzdem gerade in Preussen leider auf die Autorität des Schulratbes 
Bock hin officiell noch immer Tische mit horizontaler positiver Distanz 
eingeftihrt und wenn die Schüler nicht nach der Grösse placirt werden, 
so zeigt sich hierin eine vollkommene Unterschätzung der 
Bemühungen aller Aerzte, welche sich wissenschaftlich 
mit dieser Frage beschäftigt haben. Es sind und bleiben dies 
die alten schädlichen Subscllien, und mit Bedauern müssen wir bekennen, 
dass uns fast alle anderen Culturstaaten in dieser wichtigen Frage weit 
voraus sind. 

In den alten Subsellien müssen die Kinder schlecht sitzen, in den 
neuen können sie es auch, wenn der Lehrer nicht Achtung gibt. Da man 
nun stets der Neigung der Kinder begegnet, trotz richtiger Bänke sich 
der Schrift zu nähern, so muss wohl ein Theil der Scbriftrichtung zuge¬ 
schrieben werden. Zwei württembergische Aerzte haben in jüngster Zeit 
diese Frage besprochen; ihre Stimme ist aber leider verhallt, vermuthlich 
weil der Ton ihrer Schriften ein etwas erbitterter ist. Aber beide 
Männer haben ihre Einwürfe nicht am grünen Tische gemacht, sondern 
basiren ihre Vorschläge auf eigene Beobachtungen am Schultische. Es ( 
sind dies Dr. Ellinger in Stuttgart und Medicinalrath Gross in Eli- < 

wangen. Schon Fahrner hatte gesagt: „Man lasse die Kinder schief J 

werden, damit nur die Schrift hübsch schief liege.“ Prof. Hermann 

Meyer in Zürich hatte angedeutet, dass die Kinder den Kopf nach 

links drehen, um den Gang der Schreibfeder besser verfolgen zu könuen. 


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Medicimsch-chirurgische Rundschau. 


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Dr. Ellinger findet den Grund des Uebels darin, dass das Papier nicht 
vor den Schreibfedern, sondern etwas nach rechts hin geschoben wird; 
dabei befinden sich die Augenmuskeln in einer Zwangsstellung, da sie 
beständig nach rechts und unten blicken müssen; liegt das Buch aber 
gerade vor der Brust, so sind beide Augen von der Schrift gleich weit 
entfernt, und das Kind braucht nur gerade nach abwärts zu schauen; 
keine Gruppe der Augenmuskeln ermüdet dabei; auch steht dann die Ver¬ 
bindungslinie beider Augen parallel den Zeilen und nicht geneigt zu ihnen, 
wie bei schräg gehaltenem Blatte. Dr. Gross erklärt die heillose Haltung 
der Kinder wesentlich als eine Folge der Naturwidrigkeit unserer deut¬ 
schen Currentschrift und der vorgeschriebenen Lage des Schreibheftes; er 
beobachtete sehr richtig, dass die Kinder so lange gerade sitzen, als sie 
im Anfänge des Schreibunterricbtes gerade Striche machen, dass sie aber 
sofort zusammenfallen, wenn die Striche von rechts nach links schräg 
sein müssen. 

Es fehlt nicht an Bestimmungen über die Lage des Buches und 
der Hände beim Schreiben, aber auch darin herrscht keine Einigkeit, ln 
den preussischen Seminarien wird gelehrt, dass der linke Arm ganz 
wagerecht, dass das Buch dem Tischrande parallel liege, die rechte Hand 
nur auf den beiden letzten Fingern ruhe und das Gelenk frei bleibe; in 
den österreichischen Seminarien wird dagegen gelehrt, die obere linke 
Ecke des Buches soll nach links unten geneigt werden, der rechte Vorder¬ 
arm soll fast ganz aufliegen und die linke Hand nur oben bleiben, um 
das Papier festzuhalten. 

Redner habe sich jüngst in einer Volksschule in Steiermark davon 
überzeugt, dass Linksvorbeugen des Kopfes wesentlich eine Folge der 
schrägen Schrift ist. Sämmtliche Kinder sassen kerzengerade, wenn man 
ihnen befahl, was ihnen freilich sehr schmerzhaft erschien, ein Dictat 
senkrecht nachzuschreiben. Wie mit einem Zauberschlag aber 
stürzte die ganze Classe nach vorn, als wieder schräg 
geschrieben werden sollte. Cohn möchte aus seinen Beobachtungen 
in der Schule zu Aussee zunächst nur den Schluss ziehen, dass die Frage 
über die senkrechte Schrift wohl erwogen zu werden verdient, zumal bei 
derselben auch ältere Schultische von geringerer Schädlichkeit sein würden, 
und es scheint ihm empfehlenswerth, dass die Rundschrift, die mit 
senkrechter Federhaltung geschrieben wird, auch in Deutschland ein¬ 
geführt werde, wie dies bereits in den obersten Classen der österreichischen 
Volksschulen geschieht. 

Dass auch das Material nicht gleichgiltig, mit welchem geschrieben 
wird, hat Professor Horner in Zürich jüngst nachgewiesen, der auf 
Wunsch der Erziehungsdirection über diese Frage Versuche anstellte. Er 
zeigte, dass bei derselben Beleuchtung und bei derselben Sehschärfe die¬ 
selben Buchstaben mit Tinte geschrieben auf 4 Fuss, mit Schiefer¬ 
stift geschrieben aber nur auf 3 Fuss erkannt werden, selbst wenn der 
so störende Reflex der Schiefertafel vermieden und der Contrast zwischen 
Schrift und Tafel äusserst günstig ist; er ist der Ansicht, dass die Ent¬ 
fernung der Schiefertafel aus den Schulen die jeder neuen Generation 
stärker drohende Gefahr der Kurzsichtigkeit etwas vermindern wird. 

In Hamburg wurde in neuester Zeit von Dr. Stnhlmann die 
sogenannte stigmographische Methode empfohlen , durch welche es er¬ 
möglicht werden sollte, Kinder von 6—9 Jahren im Zeichnen zu unter¬ 
richten. Die Methode beruht auf einem Gewirr von Punkten und Netzen, 
deren Schädlichkeit, namentlich was die kleinen Stickmuster betrifft,. 

Med.-chir. Rundschau. 1880. 54 


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Mediciniscli-chinirgische Rundschau. 


eigentlich Jedermann a priori einleuchten müsste. Die Unterrichtsbehörde 
in Preussen denkt nun daran, diese angeblich „allseitig bewährte Methode^ 
trotz energischer Proteste des Vereins deutscher Zeichenlehrer in sämmt- 
lichen Volksschulen einzuführen. Der Verein hat nun von 22 Augen¬ 
ärzten , von denen keiner wusste, dass auch andere Urtheile eingezogen 
wurden, sich Gutachten über diese Methode erbeten, und wie die jetzt 
publicirte Zusammenstellung lehrt, sind die Collegen einmüthig darin, dass 
diese stigmographische Methode den Augen schädlich, und dass das Zeichnen 
so frühem Alter überhaupt ungesund ist. 

Da das viele Schreiben erfahrungsgemäss die Myopie befördert, so 
wäre es ein wesentlicher Fortschritt, wenn in den Schulen wenigstens 
von Tertia an, wo das Vielschreiben beginnt, die Stenographie obligatorisch 
gelehrt würde. 

Der Vortragende wendet sich sodann zum Drucke. 

Was zunächst die Grösse, die Dimonsionen der Buchstaben betrifft, 
«o sei es am besten, den typographischen Punkt als Einheit zu nehmen, 
derselbe misst in der französischen Nationaldruckerei 0*4 Mm. In Deutsch¬ 
land existirt leider die Einheit des Punktes nicht; annähernd entspricht 
die Petitschrift 8 Punkten. 

Da jedoch bei Betrachtung einer Schrift nicht die Typenkegel vor¬ 
liegen, deren Höhe man allerdings in Punkten messen könnte, sondern 
gedruckte Buchstaben, so schlägt er vor, einen kurzen Buchstaben, z. B. 
„n w auszumessen. Er habe gefunden, dass ein Antiqua „n“, dessen 
Grundstrich 1 Mm. hoch ist, etwa Nonparaille, 1*25 Mm. hoch Petit, 
1*5 Mm. Corpusschrift und 1*75 Mm. Ciceroschrift entspricht. 

Eine Corpusschrift von 1*5 Mm. Höhe ist keineswegs gross; so 
gross ist das „n u in der „Einladung“ zur Naturforscher-Versammlung. 
Freilich kann eine solche Schrift auf 1 Meter gesehen werden, auch viel 
kleinere Schrift kann man auf Armeslänge sehen; aber bei der Lectüre 
handelt es sich nicht darum, dass die Buchstaben sichtbar, sondern dass 
sie leicht lesbar sind, d. h. dass sie ohne Anstrengung, fliessend, auf die 
Dauer und bequem in einer Entfernung von l / 2 Meter gelesen werden 
können. Eine Schrift, die noch kleiner als 1*5 Millimeter, ist den Augen 
schädlich. 

Redner weist nach, wie wenige der gelesensten Journale sich mit 
dem niedrigsten zulässigsten Masse von 1'5 Mm. begnügen. Dagegen 
findet man in fast allen die augenverderbende Petitschrift von 1*25 Mm. 
Höhe, und zwar nicht blos fiir kurze Noten, sondern in Seiten langen 
Krankengeschichten , Experiment - Beschreibungen , Kritiken, Referaten. 
Sitzungsberichten u. s. f. Die augenärztlichen Zeitschriften, die doch mit 
gutem Beispiele vorangehen sollten, sind auch nicht alle frei von derselben: 
so findet man sie imKnapp-Hirschberg’sehen Archiv, in den Annales 
d’oeulistique, im Nagel’schen Jahresbericht; ja das grosse, vielgelesene 
Handbuch der Augenheilkunde von Graefe-Saemisch hat ganze Ab¬ 
schnitte mit Buchstaben von wenig mehr als 1 Mm. also fast Nonpareille¬ 
schrift. Die Corpusschrift nur ftir Originalartikel anzuwenden, ist gewiss 
unrichtig. Die Referate und Auszüge werden ja ungleich mehr gelesen, 
als die Originalartikel. Was nicht wichtig ist, drucke man lieber gar 
nicht! Was aber wichtig ist, drucke man mit einer die Augen nicht 
angreifenden Typenhöhe! 

Das ärztliche Vereinsblatt hat von Anfang bis zu Ende nur Buch¬ 
staben von 1-25 Mm.; die jetzt so beliebten Centralblätter gehen noch 
weiter; im chemischen, medicinischen, chirurgischen Centralblatt, in der 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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deutschen und Wiener medicinischen Wochenschrift finden sich ganze 
Artikel, deren „n u kaum eine Spur grösser ist, als 1 Mm. und in der 
Medical Times sind überhaupt nur 1 Mm. grosse Buchstaben zu finden. 
Das Unglaublichste freilich leistet das chemische Centralblatt, in dem 
stellenweise eine Schrift von weniger als 1 Mm. vorkommt. 

Die Aerzte und Naturforscher sollten doch darin Übereinkommen, 
dass sie kein Buch mehr drucken lassen und keines mehr kaufen, dessen 
Buchstaben weniger als 1*5 Mm. gross sind! 

Mit dem Millimeter-Massstabe in der Hand müssten die Behörden 
von jetzt ab jedes Schulbuch prüfen und es unnachsichtig auf den Index 
librorum prohibitorum setzen, wenn die Schrift kleiner als 1*5 Mm. ist. 

Ein ganz besonders wichtiger Punkt ist der, dass in den Schul¬ 
büchern der ABC-Schtitzen die Buchstaben so sehr schnell an Grösse ab¬ 
nehmen, noch ehe die Kinder sich die Bilder der Buchstaben so genau 
eingeprägt haben, dass sie sie leicht lesen können. Javal, der jüngst 
eine Reihe lesenswerther Artikel „über die Physiologie der Lectüre w in 
den Annales d’oculistique als Vorläufer eines grösseren Werkes veröffent¬ 
licht hat, schlägt mit Recht vor, durch Versuche festzustellen, wie gross 
der Druck in den verschiedenen Classen sein muss, damit kein einziges 
Kind trotz schlechter Beleuchtung sich der Schrift zu nähern braucht. 

Redner hebt ferner hervor, dass auch die Dicke der Schrift Be¬ 
achtung verdiene, ebenso die Form der Buchstaben und die Interlinage 
oder das Durchschiessen. Die Zwischendistanz der Zeilen solle nicht unter 
2*5 Mm. betragen. Nachdem er noch die Wichtigkeit einer guten Be¬ 
leuchtung in den Schulen betont und die Inangriffnahme dieser ganzen 
Frage als Angelegenheit des Reichsgesundheitsamtes bezeichnet, schliesst 
er seinen Vortrag mit folgenden Sätzen: 

„Es handelt sich, wenn wir den Schäden, die ja in Menge schon 
aufgedeckt sind, wirklich zu Leibe gehen wollen, um einen Beamten, der 
mit dictatorischer Gewalt ausgerüstet, alle schlecht beleuchteten Schul¬ 
locale schliessen, elendes Schulmobiliar cassiren und die Gemeinden zu 
sofortiger Anschaffung von körpergerechten Subsellien zwingen, Schul¬ 
bücher, die zu klein und zu eng gedruckt sind, beseitigen, den Lehrplan 
mit Rücksicht auf Ueberanstrengung mit zu bearbeiten, genug alle Schäd¬ 
lichkeiten mit fester Hand zu entfernen hat, die das Auge unserer Schul¬ 
jugend bedrohen, mit einem Worte: um den Schularzt. Derselbe müsste 
mit den grössten Machtvollkommenheiten ausgerüstet werden und hätte in 
mancher Stadt (Danzig macht freilich gewiss, wie in allen hygienischen 
Fragen, eine ruhmvolle Ausnahme) wahrlich reichlich zu thun. Ist es 
z. B. zu billigen, dass noch heut in Breslau in Schulen Unterricht ertheilt 
wird, die bereits vor fünfzehn Jahren von einer Commission von Aerzten 
und Pädagogen als zu finster bezeichnet wurden! Ist es z. B. zu billigen, 
dass im Elisabeth- und Magdalenen-Gymnasium zu Breslau, deren Primen 
und Secunden durch die Zahl ihrer Kurzsichtigen eine traurige Berühmt¬ 
heit erlangt haben, in einer Anzahl Classen im Winter mehrere Stunden 
am Tage Gas und noch dazu in offenen Flammen ohne Glocke und 
Cylinder gebrannt werden muss? 

Allerdings werden die neuen Gymnasien besser gebaut; aber immer 
wieder werden neue Generationen in die alten Schulhöhlen hineingezwungen! 
Und wir kennen wenigstens die Mehrzahl unserer Classen und haben die 
schlechten Öffentlich nominirt; aber wie viele unter den 60.000 Schulen 
in Deutschland existiren, die nie ein ärztlicher Fuss betreten hat? Wie 
wenige Lehrer können sich überhaupt erinnern, einen Arzt in ihrer Classe 

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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


gesehen zn haben? Es dürfte eine würdige Aufgabe für die hier ver¬ 
sammelten Aerzte und Naturforscher sein, in ihrer Heimat nach besten 
Kräften dazu beizutragen, dass das edelste Organ unserer Kinder mehr 
geschützt werde, und mitzuwirken, dass endlich Schulärzte nicht blos mit 
Sitz, sondern auch mit einflussreichster Stimme iu den Schuleollegien ihren 
Platz erhalten. Ich kann durchaus keinen zwingenden Grund einsehen, 
warum als nothwendiges Attribut der Gelehrsamkeit auch die Kurzsichtig¬ 
keit auf unseren Lehranstalten mit erzeugt werden müsse. Beherzigen 
wir das Wort von Donders: „Jedes kurzsichtige Auge ist ein krankes 
Auge! u und suchen wir gemeinsam einer Epidemie Einhalt zu thun, die 
über die Hälfte der Gelehrten ergriffen, und die viel mehr, als bisher 
geschehen, die ernsteste Aufmerksamkeit aller Eltern und Behörden 
verdient ! w 

672. Augenerkrankungen während der Schwangerschaft. Von 
Henry Porved in London. (The Lancet 1880. Mai 8, 15 und 29. 
Centralbl. f. Gynäk. 1880. 18.) 

Nach einer kurzen Skizze der physiologischen Veränderungen, die 
in der Schwangerschaft stattfinden, theilt Verf. die in der Schwanger¬ 
schaft vorkommenden krankhaften Veränderungen des Auges folgender- 
massen ein: 1. Affectionen, auf allgemeiner Anämie oder Erschöpfung 
beruhend. 2. Affectionen, die auf einer Läsion des Nervensystems beruhen. 
3. Affectionen im Gefolge der Albuminurie. 

Zur ersten Kategorie gehört das Ulcus corneae, das nicht selten 
in der Schwangerschaft vorkommt, gewöhnlich bei zarten, schwachen 
Frauen, die passendste Behandlung besteht in Ruhe und Tonica. Während 
der Lactation kann eine sehr schwere Comealentzündung als Resultat 
leichter Verletzung auftreten. Wenn hier nicht frühzeitige Behandlung 
eintritt, ist das Auge verloren. Ferner kommt in der Schwangerschaft 
als Folge der Erschöpfung ungleiches Accommodationsvermögen vor, das 
auf krankhafter Thätigkeit der Augenmuskeln beruht, besonders bei 
Hypermetropie. Kleine Strychnindosen haben hier einen ganz speciellen 
Einfluss. Mit Rückkehr der Kraft tritt auch Besserung ein. Vielleicht 
tragen, was aber nicht sicher bewiesen ist, häufige Schwangerschaften bei 
zarten Frauen zur Entwicklung des Cataracts bei. 

2. Nervöse Störungen können intra- oder extraocular sein, die 
ersteren beruhen wesentlich in Affectionen der Retina oder der peripheren 
Ausbreitung des Sehnerven; die letzteren betreffen die Sehnerven, das 
Chiasma, Centralganglien etc. Die erste Gruppe einschliesslich des hämor¬ 
rhagischen Glaukoms und miliarer Hämorrhagien findet sich gewöhnlich 
zusammen mit Albuminurie, zuweilen aber auch unabhängig davon. Die 
auf intracraniellen Ursachen beruhende Gruppe ist selten und man kann 
meist nur auf den Sitz einer solchen Affection rathen. 

Weisse Atrophie des Augenhintergrundes kann ophthalmoskopisch 
gefunden werden, oder findet sich einfach Verlust der Sehkraft ohne 
physikalische Zeichen, wodurch wir seiner Ursache nachspüren können. 

3. Fälle von Albuminurie müssen nicht nothwendig Abschwächung 
des Sehvermögens im Gefolge haben. Die charakteristischen Veränderungen 
der Retinitis bei Albuminurie gibt der Augenspiegel. Die Prognose hängt 
von der Ursache der Albuminurie ab. Bei Entartung der Niere ist sie 
schlechter, bei rein functioneller Albuminurie ist völlige Herstellung zu 
hoffen. 


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Medici nisch-chirnrgische Rundschau. 


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673. üeber einige Fälle von oongenitaler Blindheit, welche 
einige Zeit nach der Geburt spontan heilte. Von Dr. Ch. Aba die. 
(L’Union med. 1879. 85. Schmidt’s Jahrb. 1880. 4.) 

Verf. hatte bereits früher einen Fall von einem wohlgebildeten 
Kinde mitgetheilt, welches im vierten Monate keine nachweisbare Licht¬ 
empfindung besass, aber bis zum siebenten Monate so gut sehen lernte, 
wie man dies von Kindern dieses Alters überhaupt erwarten kann. Von 
den später beobachteten drei Fällen betrifft der erste ein Mädchen von 
6 Wochen, welches von einem noch syphilitischen Vater abstammte, zur 
Zeit keine Lichtempfindung zu besitzen schien, aber doch einen Monat später 
deutliche Zeichen von Sehvermögen zu erkennen gab und im Alter von 
einem Jahr ganz gut sah. Hier war die Mutter, welche das Kind selbst 
stillte, mit Jodkalium und Mercureinreibungen behandelt worden, da doch 
die Möglichkeit vorhanden war, dass hereditäre Syphilis die Ursache sei. 

In den beiden anderen Fällen handelt es sich um ein Geschwister¬ 
paar, einen Knaben von 9 und ein Mädchen von 5 Jahren. Beide waren 
„beinahe“ Albinos, stark myopisch und auch späterhin noch sehr schwach¬ 
sichtig. Beide sollen bis zum 9. Lebensmonat vollkommen blind gewesen 
sein. — Verf. ist der Meinung, dass das Fehlen des Pigments im Epithel¬ 
stratum der Aderhaut bei sehr blonden Kindern die Ursache der Blind¬ 
heit gewesen sei. ln dieser Schicht soll bekanntlich die Neuerzeugung 
des Sehroths vor sich gehen. Es liese sich dann erklären, dass, wenn 
nach der Geburt die Bildung dieses Pigments allmälig erfolgt, auch das 
Sehvermögen sich einstellt. 


674. Ueber Pharyngitis lateralis. Von Dr. med. Moriz Schmidt 
aus Frankfurt a. M. (Deutsches Arch. f. kiin. Med. Bd. XXVI. 3. und 
4. Heft. 1880.) 

Schmidt versteht unter obiger Affection eine Localisation der 
Pharyngitis granulosa an der Plica salpingopharyngea, der Seitenwand 
des Pharynx, welche in der Literatur noch keine oder nur geringe Beob¬ 
achtung erfuhr, aber von grosser praktischer Wichtigkeit ist, indem sie 
es ist, die oft bis zur Verzweiflung und Melancholie führende Unbequem¬ 
lichkeiten macht, so dass man zur Erklärung der Beschwerden in mehr 
oder weniger hochgradiger Hyperästhesie der Schlundnerven eine Neuralgia 
pharingis zog und in manchen Fällen auch annehmen muss. Sehr häufig 
entzieht sich die entzündete Seitenwand dem directen Anblick, weil sie 
sich hinter dem Arcus pharyngopalatinus verbirgt, und tritt nur beim 
Würgen hervor, das man zu diesem Zwecke künstlich hervorbringen muss. 
Diese Seitenwand enthält zahlreiche folliculäre Drüsen im entzündeten 
Zustand auf dem unteren Ende der Plica salpingopharyngea, im Bereiche 
des Constrictor pharyngis supremus und wechselt in Dicke von einer 
rosenkranzartig angeordneten Reihe wenig vorragender, einzelner Follikel 
Iris zur Dicke eines kleinen Fingers, meistens hat sie die Dicke eines 
Bleistiftes, setzt sich nach oben fort bis in den hinteren Tubenwulst, ist 
die Hauptursache der Beschwerden bei Pharyngitis granulosa, weil sie 
am meisten bei den Schlingbewegungen gepresst wird. Die Behandlung 
der Pharyngitis lateralis besteht in der Zerstörung der entzündeten Stellen 
und Schmidt benutzt dazu die Galvanocaustik und lässt nach der 
Aetzung mit Acid. carbol. cryst. 5*0, Spirit, vini 50*0, 01. menth. gtt. 50, 
1 — 2 Theelöffel oder Va Liter Wasser 3—4mal täglich gurgeln. 
Die Aetzschorfe haften 5—14 Tage. Nach 8 Tagen bestreicht Schmidt 
1—2 Mal wöchentlich den entzündeten Strang mit Lapis. Mitunter 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


dauert es acht Wochen, bis die Stränge verschwunden sind. Denjenigen, 
welche keine galvanocaustische Batterie haben, empfiehlt Schmidt eine 
rechtwinklig umgebogene Sonde mit angeschmolzenem Lapis als geeignetes 
Aetzmittel. Kali causticum ist nicht geeignet; dagegen findet Schmidt 
die Chromsäure auch für passend. 

Während der Cur wird Alles verboten, was die Stimme anstrengen 
und die Halsschleimhaut reizen könnte. Bei Schmerzen nach dem Aetzen 
sind Gurgeiungen mit kaltem Wasser, Eis, kalte Speisen u. dgl. 
anzuordnen. K n a u t h e. 


675. Die Kelilkopfschwindsucht und ihre Behandlung. Nach 
praktischen Beobachtungen. Von Dr. med. Moriz Schmidt in Frank¬ 
furt a. M. (Deutsches Arch. f. klin. Medicin. XXVI. 3. 4. 1880.) 

Verf. rechnet zur Kehlkopfschwindsucht alle die entzündlichen und 
geschwürigen Processe im Larynx, die ihrem Wesen nach auf gleicher 
Stufe mit der Lungenschwindsucht stehen und fast immer mit ihr gemein- 
sphaftlich Vorkommen (die einfache Chorditis bei Lungenphthise, die flachen 
und tiefen Geschwüre im Kehlkopf) und hält sie für heilbar. Nachdem 
er das klinische Bild der Krankheit entworfen und dabei seine speciellen 
Ansichten über das primäre Vorkommen der Kelilkopfschwindsucht im 
bejahenden Sinne und ferner über die Functionirung der Epiglottis dar- 
gethan hat, theilt er die von ihm geübte Behandlungsweise mit, welche 
darin besteht, dass Schmidt von einer 2percentigen Carboisäurelösung 
5 Esslöffel voll oder 10 Tropfen einer Mischung von Perubalsam (2 Theile) 
und Spiritus (1 Theil) in Va Liter Camilleninfusum oder in Wasser 
schütten, das Ganze kochend erhalten und die sich entwickelnden Dämpfe 
durch eine circa 1 / 8 Meter lange Papierdüte, die den Topf bedeckt, ein- 
athmen lässt. Bei blasser torpider Kehlkopfschleimhaut wird Camillen¬ 
infusum und Carbolsäure, bei stärker gerötheter Schleimhaut oder leichter 
Reizbarkeit derselben Wasser mit Perubalsam verordnet. Inhalirt wird 
täglich 3—4mal 5 Minuten lang Monate, selbst Jahre hindurch. Man 
kann auch den Dampfinhalationsapparat verwenden, muss den Kessel dann 
mit Camillenthee füllen und in das Gläschen Camillenthee mit 30 bis 
50 Tropfen von einer 6percentigen Carbolsäurelösung füllen, oder muss 
sich einen wässerigen Aufguss von Bals. peruv. (5 Grm. mit 200 Grm. 
kochenden Wassers übergossen, geschüttelt, Va Stunde stehen gelassen) 
bereiten und diesen inhaliren. — Verf. sah bei dieser Behandlung oft 
rasche Besserung des Schluckwehs mit und ohne sichtbare Besserung der 
Infiltration. Flache Geschwüre heilten bisweilen in einigen Wochen, tiefe 
sehr langsam. Hier glaubt Verf. von Einträufelungen mit Kreosotglycerin 
(1 : 40 Spir. und 60 Glycerin) viel erwarten zu können. Die Lösung 
ist entweder mit einer Ballonspritze einzutropfen oder zu 10—12 Tropfen 
auf dem Zungengrund bei vorgestreckter Zunge und zurückgebeugtem 
Kopfe zu tröpfeln, wobei der Kranke ruhig zu athmen hat, bis er das 
Medicament an der kranken Stelle fühlt. Die letztere Manipulation kann 
der Kranke selbst vornehmen und ist deshalb vorzuziehen. — Bei bedeu¬ 
tenden Schwellungen zwischen und an den Aryknorpeln und beim Ein¬ 
treten einer Epiglottidis nützt die angegebene Behandlung nichts und Verf. 
macht dann grosse Scarificationen und Durchschneidungen der hinteren 
Wand mit einem von ihm selbst construirten scheerartigen Instrument 
(zu haben bei Instrumentenmacher Steiner, Frankfurt a. M., Allerheiligen¬ 
strasse 58) und sah darauf meist rasches Schwinden der Infiltration. Die 
Operation wird gut und ohne Folgen ertragen. Auch die infiltrirte 


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Mediciniscli-chirurgische Rundschau. 


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Epiglottis scarificirt Schmidt mit einem von ihm besonders construirten 
Messer, allein hier sind die Schnitte schmerzhafter nnd heilen langsamer. 
Nur dieses Scarificiren ist also neu, denn die oben genannten Desinfec- 
tionsmittel (Carbolsäure, Perubalsam) werden schon längere Zeit auch von 
anderen Aerzten verordnet. Das Wirksame im Perubalsam ist die in der 
neueren Zeit zu viel gepriesene, jetzt zu sehr verachtete Benzoesäure. 
Dr. Knauthe in Meran theilt bei Besprechung der vorliegenden Arbeit 
in S c h m i d t’s Jahrbüchern mit, dass auch er Carboisäureinhalationen bei 
Kehlkopf- und Lungenphthise wohl mit günstigem, aber mit nie so wunder¬ 
barem Erfolge wie Schmidt anwendet und dass er auch seit s / 4 Jabren 
Kreosotinhalationen mit einer Mundmaske, wie sie der Meraner Apotheker 
Herr von Pernwerth, von welchem die Masken zu dem Preise von 
2 fl. 50 kr. inclusive Verpackung und franco bezogen werden können, 
für Inhalation anderer flüchtiger Mittel construirte, machen lässt, dass 
nach diesen Inhalationen, die während der Zeit des Stubenaufenthaltes ge¬ 
macht wurden, Husten und Auswurf oft sehr schnell nachlassen und sogar 
nach mehr oder weniger kurzer oder langer Zeit zuweilen ganz ver¬ 
schwinden, und meint, dass die Kreosotinhalationen auf die bronchitischen 
und katarrhalischen Affectionen, welche die zur Phthise führenden pneu¬ 
monischen Zustände begleiten, auf die Secretion der Cavernen, auf die 
Schwellung, und Secretion der Kehlkopfschleimhaut eine gauz unzweifelhaft 
günstige Einwirkung haben, konnte aber Heilung von Geschwüren und 
Infiltrationen im Kehlkopf darauf noch nicht beobachten. Einflussreiche 
Wirkungen verspricht sich Knauthe überhaupt erst von Monate, selbst 
Jahre langer Anwendung des Kreosotes. —x. 


Dermatologie und Syphilis. 


676. Harte Schanker an den Tonsillen. Von Dr. P. Schirajew 
(Moskau). (Med. Obosrenie. 1880. März. St. Petersb. med. Wochenschr. 
1880. 39.) 


Als locus infectioni8 sind in den letzten Jahren mannigfache Körper¬ 
stellen beschrieben, zu den am seltensten beobachteten gehören jedenfalls 
die Tonsillen. In der Literatur hat Verf. bis jetzt nur sieben Fälle 
(Ma rtelli^re, Spielmann, Hulot) beschrieben gefunden, denen er 
zwei aus seiner Praxis und aus dem Mjässnitzki-Hospital hinzufhgt. 1. Ein 
verheiratetes 28jähriges Stubenmädchen trat nach circa zweimonatlicher 
Krankheitsdauer in’s Hospital. Genitalsphäre vollkommen gesund, des¬ 
gleichen äusserlich nirgends Ulcerationen, dagegen beginnende indolente 
Drüsenschwellungen und Roseola. Die Gaumensegel und die linke Tonsille 
geschwellt und geröthet, auf letzterer ein grauweisser Belag. Patientin 
vollständig fieberfrei. Nach einigen Tagen tritt unter Fieber deutlich 
papulös maculöses Exanthem auf, und an der linken Tonsille hat der 
Belag einer oberflächlichen Ulceration Platz gemacht, während sich deut¬ 
liche Induration des Bodens nachweisen lässt. Die Anamnese ergab, dass 
ihre Dienstgenossin, eine Köchin, an Syphilis litt. Der weitere Krankheits¬ 
verlauf, mit Genesung endend, bot nichts Bemerkenswerthes. 2. In der 
Familie eines Collegen wurde ein sechsmonatliches Kind durch seine Amme 
mit Syphilis inficirt. Obgleich Verf. die Mutter, die gleichzeitig an 
folliculärer Angina litt, auf die Gefahr aufmerksam gemacht, erkrankte 


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Medidnisch-chirurgisclie Rundschau. 


sie nach l 1 / 9 Monaten angeblich an Diphtheritis, welche sich jedoch bei 
näherer Betrachtung ebenfalls als indurirter Schanker auf der linken 
Tonsille erwies, wie auch das bald darauf auftretende Exanthem 
bestätigte. 

Verf. meint, dass es wohl ähnliche Fälle gewesen sein müssen, 
die zur irrthttmlichen Annahme der Existenz einer Syphilis d’emble 
geführt hatten. P. 


677. Ueber den Verschluss der erweiterten Befasse bei der Acne 
ros&cea durch Elektrolyse. Von W. A. Hardaway. (Arch. of Dermatol. 
V. 4. 1879. — Schmidt’s Jahrb. 1880. 5.) 

Verf. bedient sich für den bezeichneten Zweck einer in einem 
Elektrodengriff befestigten feinen Nadel, die mit dem negativen Pol in 
Verbindung steht und etwas tief in das Innere des erweiterten Gefä&ses 
eingestochen wird, während die Elektrode des positiven Poles einen Schwamm 
trägt, den der Pat. während der Operation in die Hand nimmt. Die 
Zahl der erforderlichen Elemente hängt von der Empfindlichkeit des Pat. 
und dem Zustande der Batterie ab, im Allgemeinen jedoch sind 6 bis 
8 Elemente hinreichend. 

Wenige Secunden nach Einführung der Nadel wird die Umgebung 
des Einstichpunktes hell, die Blutsäule bewegt sich in dem GefÜsse nach 
aufwärts und tritt in Seitenäste, die hierdurch augenscheinlich weiter 
werden. Das Ausweichen des Blutes ist wahrscheinlich die Folge einer 
durch Zersetzung des Serum erzeugten Gasentwicklung. Ist das in Angriff 
genommene Gefäss lang und eine Einstichsöffnung zum vollkommenen 
Verschluss nicht hinreichend, so müssen mehrere im Verlauf desselben 
gemacht werden. Mit Hilfe einer Linse vön zwei Zoll Brennweite, deren 
sich Verf. bei seinen Operationen bedient, ist es in allen Fällen leicht, 
die Nadel gerade in das Lumen des GefÜsses zu bringen. Wendet man 
eine feine Nadel an, so zeigen die Theile nach der Operation nichts 
Abnormes; es ist für dieselbe weder eine so lange Zeit, noch ein so tiefer 
Einstich, wie zur Zerstörung der Haarpapillen durch das gleiche Ver¬ 
fahren, erforderlich. Ob diese Methode in allen Fällen anwendbar und 
ob die bisher erreichten Resultate dauernd sind, kann bei der geringen 
Zahl der behandelten Fälle und der Kürze der Beobachtungszeit noch 
nicht mit Bestimmtheit angegeben werden. 


678. Ueber den gegenwärtigen Stand der Lehre von der Ver¬ 
erbung der Syphilis. Von Dr. M. Kassowitz. (Nach dem Vortrag 
gehalten in der Sitzung der k. k. Gesellschaft der Arzte. Wiener med. 
Blätter 1880. 2. 3. 4. Ref. d. Vierteljahrschr. f. Denn, und §yph. 
1880. 34.) 


K. betont, dass er in seiner bekannten Arbeit nicht einfach die 
väterliche und mütterliche Vererbung einander gegenübergestellt, sondern 
ausdrücklich in Hinsicht auf die Vererbung der Syphilis auf den funda¬ 
mentalen Unterschied aufmerksam gemacht habe zwischen der Ueber- 
tragung einer Krankheit durch das Ovulum im Momente der Zeugung 
und zwischen einer Uebertragung eines Contagiums durch die placentare 
Saftströmung auf den bisher gesunden Fötus. Es handle sich nämlich 
darum, ob die Syphilis zu denjenigen Infectionskrankheiten gehöre, welche, 
wie die Variola und einige andere acute Exantheme, nur durch diese 
Saftströmung dem Fötus übermittelt werden und denselben im Verlaufe 
der Schwangerschaft krank machen können; oder ob dieselbe in der 


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Mediciniftch-chirargische Bundschau. 


857 


Weise vererbt werde, wie andere constitntionelle Krankheiten, oder wie 
Geisteskrankheiten, Epilepsie, deren Uebertragung offenbar nur durch die 
Spermazelle oder das mütterliche Ei stattfinde, und bei denen eine Über¬ 
tragung durch die placentare Saftströmung ausgeschlossen sei. 

Um zur, Entscheidung darüber zu gelangen, müsse vor Allem die 
ganz concrete Frage auf dem Wege der Beobachtung entschieden werden, 
ob es beobachtet wurde, dass Frauen, welche selbst frei von Syphilis 
sind, von einem syphilitischen Manne hereditär syphilitische Kinder gebären. 
Die Frage sei nun auf Grund vollbrachter eigener Beobachtungen und in 
Uebereinstimmung mit der Mehrzahl sämmtlicher anderer Beobachter zu 
bejahen. Namentlich in Findelanstalten sei es sehr häufig, dass die 
gesunden Mütter gleichzeitig mit ihren hereditär-syphilitischen Kindern 
durch längere Zeit beobachtet werden. Bednär habe in der Wiener 
Findelanstalt 99 Fälle beobachtet, in späteren Berichten derselben Anstalt 
finden sich 166 derartige Fälle verzeichnet. Dadurch sei also die Ueber- 
tragung der Syphilis vom Vater auf die Frucht auf dem Wege der 
inficirten Spermazelle sichergestellt, und auch die ovuläre Uebertragung 
von Seite einer kranken Mutter — unabhängig von der placentaren Infection 
— im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht. 

Es wird nun weiter die Frage aufgeworfen, ob solche Mütter auch 
späterhin gesund bleiben, oder ob sie dadurch, dass sie einen syphilitischen 
Fötus während der Schwangerschaft ernährt und mit ihm die Säfte aus¬ 
getauscht haben, das syphilitische Gift in sich aufhehmen und auf dem 
Wege der Retroinfection syphilitisch werden. 

K. constatirt nun, dass er, ebenso wie eine grosse Anzahl von 
anderen Beobachtern, durch jahrelange Controlirung des Gesundheits¬ 
zustandes solcher Mütter zu der Ueberzeugung gelangt sei, dass dieselben 
auch nach wiederholten syphilitischen Geburten dauernd frei von jedem 
syphilitischen Symptome geblieben seien. 

Ausserdem spreche ftlr die Gesundheit dieser Frauen auch der 
wichtige Umstand, dass dieselben, wenn die Vererbung von Seite ihres 
Gatten wegftült, sofort gesunde Kinder zur Welt bringen können, während 
Individuen, welche erst in den letzten Jahren syphilitisch geworden sind, 
wenn ihre Krankheit nicht durch energische Mercurialcuren bekämpft 
wurde, nicht nur unter allen Umständen syphilitische, sondern auch immer 
schwer aflicirte Kinder zur Welt bringen, welche ihrer Krankheit entweder 
schon im Mutterleibe erliegen, oder auch frühzeitig, lebend aber nicht 
lebensfähig geboren werden. Die nicht von aussen her inficirten Mütter 
syphilitischer Kinder gebären aber trotzdem gesunde Kinder: 1. wenn 
die Vererbungsfähigkeit des Gatten durch die lange Dauer der Krankheit 
aufhört; 2. wenn dieselbe durch eine energische Cur bei dem Gatten 
allein unterdrückt wurde; 3. wenn die Frauen eine zweite Ehe mit einem 
gesunden Manne eingegangen sind. Sie erweisen sich also auch in dieser 
Richtung als frei von Syphilis. 

Der Vortragende bespricht nun auch die Immunität solcher Frauen 
gegen eine äussere Infection mit Syphilis, welche sich namentlich durch 
die Unschädlichkeit des Säugens ihrer Kinder documentire, selbst wenn diese 
geschwürige Affectionen an den Lippen und an der Mundschleimhaut auf¬ 
weisen, und welche auch neuerdings durch einen erfolglosen Impfversuch 
bestätigt wurde, den Caspary an einer Mutter angestellt habe, welche, 
obwohl sie eine syphilitische Frucht geboren hatte, dennoch frei von allen 
syphilitischen Erscheinungen geblieben war. Eine solche Immunität scheine 
also wirklich vorhanden zu sein. Aber die Immunität gegen eine Infections- 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


krankheit ist noch nicht diese Infectionskrankheit selbst. Ein Vaccinirter 
z. B. ist einige Zeit hindurch immun gegen Variola, ohne jemals Variola 
gehabt zu haben. Es seien auch Fälle bekannt, wo die erfolgreiche 
Vaccinirung einer Schwangeren auch die Immunität der Kinder gegen 
Vaccine zur Folge gehabt habe (Anderhill 1874), undRickert habe 
sogar sämmtliche Lämmer von 700 Schafen, welche er mit Ovine während 
der Trächtigkeit geimpft habe, immun gegen die Ovine gefunden. Hier 
müsse sich also ein immun machendes Agens von der vaccinirten Mutter 
durch die placentare Saftströmung dem Fötus mitgetheilt haben, und 
dieser sei immun geworden, ohne selbst eine Vaccinepustel gehabt zu 
haben. Es sei also immerhin denkbar, dass sich von dem syphilitischen 
Fötus das immun machende Agens durch den placentaren Säfteaustausch 
den Säften der Mutter mitgetheilt und diese gegen die Syphilis immun 
gemacht habe, ohne dass das Gift selbst in den mütterlichen Organismus 
eingedrungen sei und diese krank gemacht habe. Denn da man an einem 
solchen Individiuum kein Symptom der Syphilis gefunden hat, und das¬ 
selbe auch gesunde Früchte zur Welt bringt, sobald die väterliche Ver¬ 
erbung wegfällt, so müsse es als nicht syphilitisch betrachtet werden: 
und da andererseits das Gift sicherlich im Fötus schon während der 
Schwangerschaft vorhanden sei, so müsse man annehmen, dass dieses Gift 
die Scheidewände zwischen dem fötalen und mütterlichen Gefässsysteme 
in der Richtung vom Fötus zur Mutter nicht überschreiten könne. 

Es fragt sich nun, ob das Gift diese Scheidewände in umgekehrter 
Richtung passire. Dies wäre der Fall, wenn constatirt wäre, dass beide 
Eltern zur Zeit der Conception noch gesund waren, die Frau im Verlaufe 
der Schwangerschaft syphilitisch wurde, und dennoch ein hereditär- 
syphilitisches Kind geboren wurde. K. erklärt nun, dass er in der ganzen 
Literatur keinen einzigen Fall gefunden habe, welcher allen Anforderungen 
entspreche, weil fast in allen diesen Fällen über den Zustand des Vaters 
zur Zeit der Geburt gar nichts bekannt sei, die Zeit der Infection der 
Mutter nur sehr selten wirklich bekannt, und häufig sogar die Syphilis 
der Kinder durchaus nicht sichergestellt gewesen sei. Dagegen war es 
zweifellos, dass in vielen solchen Fällen gesund bleibende Kinder geboren 
werden. Die meisten Autoren, welche die intrauterine Infection annehmen, 
geben ausdrücklich zu, dass in vielen Fällen auch von solchen, während 
der Schwangerschaft inficirten Frauen gesunde und gesund bleibende 
Kinder geboren werden (B e r t i n, Rosen, D i d a y). Directe Beobachtungen 
werden von Hennig und in grosser Zahl von Baerensprung mitge¬ 
theilt. Auch Pick und v. Ritter haben gefunden, dass Frauen mit 
frischen Formen allgemeiner Syphilis gesunde Kinder geboren haben. 
Daraus musste man nun schliessen, dass wenigstens in vielen Fällen das 
syphilitische Gift auch von der Mutter zum Fötus nicht übergehe, und es 
war der Schluss gestattet, dass die Syphilis überhaupt nur auf dem Wege 
der Vererbung durch die vergifteten Fortpflanzungszellen auf die Nach¬ 
kommen übergehe, und dass das Gift die Scheidewände zwischen dem 
fötalen und mütterlichen Kreisläufe nach keiner Richtung hin über¬ 
schreite. 

Damit stimmte auch die später bekannt gewordene Beobachtung 
Bollinger’s, dass die Milzbrandbacterien gleichfalls von dem trächtigen 
Thiere nicht in das Blut des Fötus übergehen, weil dieses weder Bacterien 
enthält, noch sich als giftig bei der Ueberimpfung erwies. 

Der Fall von Vajda, welcher die placentare Infection der Frucht 
erweisen soll, sei aus dem Grunde nicht verwendbar, weil die allgemeinen 


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Mediciniscb-chirurgische Randschau. 


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Erscheinungen der Syphilis bei der Mutter erst nach der Entbindung zum 
Vorschein kamen. Dagegen würde ein von Zeissl jun. mitgetheilter 
Fall (siehe oben) allerdings eine solche Infection beweisen, es sei dies 
aber bis jetzt der einzige solche Fall, und es sei daher nicht gestattet, 
aus demselben weitgehende Schlüsse zu ziehen. Vielmehr könnten diese 
ausserordentlich wichtigen Fragen nur durch systematische combinirte 
Beobachtungen an den Gebäranstalten, syphilitischen Abtheilungen und 
Findelhäusern endgiltig gelöst werden. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 

medic. Chemie. 


679. Zur Eenntniss der Albuminurie bei gesunden Nieren. Von 

Prof. Fürbringer. (Zeitschr. f. klin. Medic., Bd. I, Seite 340.) 

Bei einem 29jährigen, völlig gesunden Arzte fand F. während 
einer längeren Untersuchungsdauer mehrfach nach tiefen psychischen 
Alterationen den Urin deutlich eiweisshaltig (bis 0*6°/ 0 ) und sparsam; 
morphotische Elemente waren nicht nachzuweisen. War die Gemüths- 
stimmung wieder eine bessere, so verschwand unter Zunahme der Diurese 
der Eiweissgehalt völlig. Während reichliches Trinken und ebenso hastige, 
sehr ermüdende körperliche Thätigkeit stets Albuminurie hervorrief, war 
die Nahrungsaufnahme consistenter Speisen, sowie mässige Muskelthätigkeit 
ohne Einfluss auf das Zustandekommen der Eiweissausscheidung, die bis* 
weilen ohne nachweisbares ätiologisches Moment auftrat. Da der eiweiss- 
haltige Urin alle Zeichen des Stauungsurins zeigte, so hält F. die abnorme 
Secretion für eine Folge der durch die Gemüthsdepression bewirkten 
Erniedrigung des arteriellen Druckes, bei gleichzeitiger venöser Stase in 
den Gefässen des Abdomen, ln anderen Fällen von vorübergehender 
Albuminurie fand F., dass Körperbewegung verhältnissmässig selten von 
Einfluss auf die Eiweissausscheidung war. Von 61 (in einer Anstalt unter 
ziemlich gleichen Lebensbedingungen befindlichen) Kindern von 3—6 
Jahren hat F. während einer längeren Beobachtungsperiode bei 4 Kindern 
nur ein- bis zweimal Albumen im Urin gefunden, während bei 3 anderen 
sich öfter Eiweiss zeigte, in welchem Falle der Urin stets sparsamer und 
schwerer erschien als sonst. Bei den letztgenannten Individuen war die 
Eiweissausscheidung fast durchweg in den letzten Vormittagsstunden zu 
const&tiren, wenn die Kinder in fast nüchternem Zustande sich stark 
umhergetummelt hatten. — Zur Erklärung der pathologischen Secretion 
recurrirt F. auch hier auf die Verminderung des Druckes in den Glo- 
meruli, und meint, dass dieselbe in manchen Fällen durch ungenügende 
Wasseraufnahme bedingt sein könnte; bisweilen liegt vielleicht, — als 
Folge nervöser Einflüsse — eine gesteigerte Permeabilität der Filter¬ 
membranen vor. 


680. Ueber Idiotengehirne. Von Prof. Mierzejewski, Peters¬ 
burg. (Zeitschr. f. d. Idiotenwesen 1880. 1. Allgem. med. Central-Ztg. 
85. 1880.) 

Auf dem internationalen Congress zu Paris hielt Verf. einen Vortrag 
über Idiotismus und fasste seine Gesichtspunkte in folgenden Sätzen zu¬ 
sammen: 1. Das Gewicht ist nur von beschränktem Werthe, da es 
Idiotengehirne gibt, die an Gewicht dem der Vollsinnigen gleichkommen. 


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Medicinisch-chirorgische Rundschau. 


Doch ist unter einem gewissen Gewichte ein normales Geistedeben nicht 
mehr möglich. 2. Die Aehnlichkeit mit Thiergehirnen ist nur eine 
scheinbare und beruht auf ganz verschiedenen Entwicklungsvorgängen. 
3. Die Entwicklungshemmung ist meist nur eine morphologische, während 
die mikroskopische Structur sich normal entwickelt hat. 4. Diese Ent¬ 
wicklungshemmungen bilden nur einen Theil der Veränderungen der 
Idiotengehirne, meist haben wir es mit erworbenen Abnormitäten, mit 
pathologischen Processen zu thun. 5. Es besteht Hypertrophie und Atrophie 
der Windungen. 6. Anomalien nach Art der Affengehirne finden sieh 
auch bei Vollsinnigen. 7. Alle diese verschiedenen Zustände können sieh 
miteinander combiniren und diese Verbindungen kommen häufig vor. 
8. Aber auch ein und dasselbe Gehirn zeigt an verschiedenen Stellai 
eine verschiedene Entwicklung. Verf. will damit die kleinen Talente der 
Idioten in Verbindung bringen, die sogenannten „weissen Idioten“. 9. Von 
grösserem Werthe ist die histologische Untersuchung. Dieselbe ergibt zu¬ 
weilen eine grössere Stärke der grauen Substanz, bei histologischen Ab¬ 
normitäten. 10. Auf eine Classe von Idioten hat Hagen aufmerksam 
gemacht, wo das Gehirn normal gebildet, das Herz aber zu klein und 
schwach ist. 


681. Ueber die Bedeutung des Kalks für den thierischen Orga¬ 
nismus. Von Erwin Voit. (Zeitschr. f. Biolog. 16. Bd. 55. Deutsche 
med. Wochenschr. Ref. Th. Weyl. 1880. 37.) 

I. Versuche am wachsenden Thiere. I. Versuch (von F. Tuetzek 
angestellt). Drei Tauben (a, b, c) derselben Brut, drei Wochen alt. 
Taube a wurde gleich getödtet. Taube b erhielt Weizen in destillirtem 
Wasser abgeschwemmt, kalkreiches Brunnenwasser mit Mörtelstückcben. 
Taube c erhielt Weizen wie Taube b, ausserdem destillirtes Wasser. 
Taube b und c nahmen an Gewicht zu. Am 13. Versuchstage ging die 
mit Kalk gefütterte Taube b aus unbekannter Ursache zu Grunde, Taube c 
wurde am 34. Versuchstage durch Ersticken getödtet. Sie hatte zuletzt 
ihre Munterkeit verloren. Knochen schienen etwas weniger widerstands¬ 
fähig als normal. 

II. Versuch. Hund von 4 Wochen. Wurde mit den Fleischrück¬ 
ständen nach der Fleischextractbereitung gefüttert. Dasselbe enthält die 
Aschenbestandtheile in hinreichender Menge und geeigneter Mischung. 
Förster hatte gefunden, dass bei diesem Futter Ca abgegeben wurde. 
Ungefähr vom 85. Versuchstage an schien das Thier leidend. Gelenke 
der Extremitäten geschwollen, Extremitäten nach aussen gekrümmt. Beckes 
schmal. Am 153. Versuchstage konnte das Thier nicht mehr laufen. 
Am 162. Versuchstage durch Blausäure getödtet. Die Untersuchung der 
Knochen etc. rechtfertigt die Diagnose auf Rhachitis. 

IH. Versuch. Drei erst 10 Tage alte Hunde desselben Wurfes. 
Grosse Race (Doggen). Die Thiere erhielten 20 Tage lang die gleiche 
Menge Milch, dann 5 Tage lang Fleisch und Speck im Verhältniss 4:1. 
Dann wurde Hund A getödtet. Hund B und C erhielten das gleiche 
Futter weiter, C daneben destillirtes Wasser, B aber Brunnenwasser und 
Knochenasche. Am 29. Versuchstage wurden beide Hunde durch Ver¬ 
bluten getödtet. Hund B: normale Knochen. Hund C: Rhachitis. 

In den Versuchen I—III haben Thiere — auch die mit Ca-armem 
Futter ernährten — an Gewicht zugenommen. 

Bei dieser Nahrung wuchs das Knochensystem in allen seinen 
Dimensionen — auch bei den mit Ca-armem Futter gefütterten Thieren 


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Medicinisch-chirargische Randschau. 


861 


gleichmässig. Die beiden kalkarmen Tbiere zeigen ein niedrigeres Percent 
Trockengewicht und einen grösseren Wassergehalt des Skelettes als die 
normalen Thiere. Beim normalen Thiere nimmt mit dem Alter der Gehalt 
der Organe an Wasser und Asche ab. Sie enthalten mehr Fe und Ca 
als die Organe junger Thiere. Nur das Blut ist bei jungen Thieren 
reicher an Ca. 

Bei den kalkarmen Hunden findet sich Folgendes: Der Fe-Gehalt 
bei Hund C ist gesunken, ebenso der Ca-Gehalt. Dasselbe gilt auch für 
Hund n, Ca und Mg sind verringert. Nur in der Leber zeigt sich 
keine auffallende Differenz. Den Werthen, welche Verf. für den Ca- 
ßehalt der Knochen fand, legt derselbe wegen der angewandten Methode 
(mehrmonatliche Maceration der Knochen in destillirtem Wasser) keine 
Bedeutung bei. Es lässt sich aber berechnen (vergl. das Original), dass 
der Hund C (kalkarm) in seinen Knochen weniger Asche und Ca besass, 
als die mit kalkreichem Futter ernährten Hunde. 

Bei kalkarmem Futter nahmen alle Organe an dem Kalkmangel mehr 
oder minder Theil. Auch die Untersuchung des Skelettes und die Weichtheile 
der Tauben, welche Tuctzek ausführte, ergab ähnliche Resultate. 

682. Die Organismen in den Organen bei Typhus abdominalis. 
Von Dr. Eberth. (Virchow’s Arch., Bd. 81. — Centralbl. f. klin. Med. 
1880 . 22 .) 

Die bisherigen Beobachtungen über das Vorkommen von Mikro¬ 
organismen in den Lymphdrüsen und der Milz bei Typhus abdominalis 
waren widersprechend oder zu beschränkt. Verf. untersuchte daher von 
Neuem. Er legte Lymphdrüsen und Theile der Milz in fleissig erneuerten 
Alkohol und zwar jedes Stück für sich, und untersuchte nach der Härtung. 
Er fand nun Organismen theils nur in geringer Menge, theils so massen¬ 
haft, dass auf einen mikroskopischen Schnitt 2 und mehrere Coccenhaufen 
kommen. Die Präparate, mit Essigsäure aufgehellt, liessen bei schwacher 
Vergrösserung die Pilzmassen als graubraune Flecke erkennen. Die 
Colonien sind nicht scharf conturirt, sondern lösen sich in die Peripherie 
auf. Die Pilze liegen in den Lymphdrüsen zwischen den Lymphzellen, in 
der Milz zwischen den Pulpa-Elementen. 

Verf. traf unter 23 Fällen 12mal Organismen, und zwar immer 
in den Lymphdrüsen, 6mal in der Milz, in den ersteren immer reich¬ 
licher. Als Micrococcen kann man die fraglichen Pilze nicht eigentlich 
bezeichnen, da sie stäbchenartig sind, mit abgerundeten Enden. 

Aus den zusammengestellten 23 Fällen scheint hervorzugehen, dass 
mit der längeren Dauer der Krankheit die Zahl der Bacillen abnimmt, 
ferner dass letztere in der 2. Krankheitswoche häufiger sind. Dem Vor¬ 
würfe, dass die gefundenen Organismen nur entweder Fäulnissorganismen 
seien, oder doch mit dem Typhus nichts zu thun hätten, begegnet Veri. 
mit verschiedenen Punkten. Einmal liess er Leichen bis zu 50 Stunden 
und länger liegen und fand trotzdem in mehreren derselben keine Orga¬ 
nismen, obwohl durch das Vorhandensein von Geschwüren Gelegenheit 
zum Eindringen von Fäulnissorganismen gegeben war. Gegen letztere 
Eigenschaft spricht auch die Localisation, da sie nur in Lymphdrüsen 
und Milz sich finden. Ferner muss die geringe Färbbarkeit der Typhus- 
bacillen mit Bismarckbraun und Methylviolett gegenüber der Neigung der 
Fäulniss- und Diphtheritisorganismen zur Aufnahme des Farbstoffes her¬ 
vorgehoben werden. Somit müssen die Organismen wohl als zum Typbus 
in Beziehung stehend betrachtet werden. 


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862 


Medicinisch chirurgische Rundschau. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 


683. Farbenblindheit unter denAerzten. Von B. Joy Jeffries 
(Boston). (The Brit. med. Journ. Nr. 1022. Aerztliches Intelligenzblatt 
1880. 35.) 

J. hat gelegentlich der Congresse der Americ. med. Association und 
der Massachussets med. Society 465 Aerzte auf Farbenblindheit untersucht 
und darunter 22 Farbenblinde (14 für roth, 2 für grün und 6 unvoll¬ 
ständig) nach der Methode Holmg r en’s gefunden; im Ganzen hat er 
bis jetzt 17.327 Männer mit 724 Anomalien und 13.813 Frauen mit nur 
10 Anomalien nach Holmgren’s System untersucht; für Männer treffen 
also annähernd 4 Percent Farbenblinde. Das gleiche Verhältniss hätte 
sich auch für die Aerzte ergeben, allein er konnte nicht alle untersuchen 
und gerade die ihm als farbenblind bekannten blieben weg. Es ist be¬ 
absichtigt, die auf dem Congresse der British med. Association in Cam 
bridge dieses Jahr versammelten Aerzte auf Farbenblindheit zu prüfen. 


684. Ueber die an der Vulva durch die Defloration und Mastur¬ 
bation gesetzten Gestaltsveränderungen. Nach Prof. Martineau am 
Hop. de Lourcine mitgetheilt von Coudray. (L’Union 2, 4, 8, 9; 
Janvier 1880. Schmidt’s Jahrb. 1880. 6.) 

1. Zur Vulva rechnet man Schamspalte, grosse und kleine Scham¬ 
lippen, Hymen, Clitoris, Harnröhrenmündung, Vestibulum und Volvo 
Vaginal-Drüsen. — Die Vulva steht beim kleinen Mädchen vertical und 
öffnet sich gerade nach vorn. Der Spalt steht nach oben zu etwas offen 
und lässt Clitoris und Meatus urinarius sehen, nach unten dagegen ist er 
geschlossen. Bei mannbaren Mädchen und Frauen ist es umgekehrt. Die 
Vulva liegt schräg von oben nach unten und von vorn nach hinten. Die 
Lefzen liegen vom oben fast aneinander, so dass Clitoris und Meatu? 
nicht sichtbar sind, dagegen steht die Spalte hinten und unten etwas offen. 
Die die Vulva bekleidenden Schamhaare sind vom oben dichter, als hinten 
unten, wo sie gegen den After hin fast verschwinden. M. glaubt, dass 
reiche Entwicklung der Schamhaare gute Ausbildung der inneren Ge- 
schlechtstheile bedeute, während bei mangelhafter Entwicklung der Haare 
schlechte Entwicklung dieser Theile und Sterilität häufig beobachtet würden. 
Die grossen Schamlippen steigen als 2 längliche Wülste zur Seite der 
Schamspalte und, vom Schenkel durch die Plica genitocruralis getrennt 
vom Mons Veneris bis zur hinteren Commissur nach abwärts. Letztere 
bildet einen vorspringenden Saum, der bei der Jungfrau straff, bei der Frau, 
die geschlechtlichen Umgang gepflogen hat, schlaff und nach abwärts 
gedrückt, ja bisweilen durch Geburten eingerissen ist. Zwischen der 
Commissur und dem Hymen oder seinen Resten liegt die Fossa navicularis. 
welche eine grosse Rolle bei der Defloration spielt, sei sie erlaubt oder 
criminell. Die kleinen Schamlippen entspringen als Duplicatur der Schleim 
haut von der vorderen Hälfte der grossen und verlaufen bis zur Clitoris, 
welcher sie sich mützenförmig ansetzen. Sie sind meist von den grossen 
Lippen bedeckt, überragen sie aber zuweilen und ihr Hautüberzug gewinnt 
dann den Charakter der äusseren Haut. Die Clitoris ist erectil, setzt sieh 
aus zwei, vom Ramus descend. pub. entspringenden cavemösen Körpern 
zusammen, im Mittel 3 Ctm. lang. Zwischen Harnröhrenmündung, Clitoris 
und der Wurzel der kleinen Schamlippen befindet sich das Vestibulum, 
ein dreieckiger Raum, in welchem viele Drüsen münden. Die Hamröhrcn- 


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Medicinisch-cbirurgisehe Rundschau. 


863 


mündung, nach hinten von dem Knötchen begrenzt, welches das Ende 
der vorderen Faltensäule der Scheide bildet, stellt sich beim Kinde als 
gerade nach vom gerichteter Spalt dar, so dass der Ham nach vom aus¬ 
strahlt. Bei der Frau dagegen ist die Mündung ringförmig, oft offen, 
bildet einen kleinen Vorsprung und steht nach unten, weshalb manche 
Frauen Harn im Stehen lassen können, ohne sich zu durchnässen. Der 
ovale Scheideneingang wird von dem Bulbus vaginae, einem spongiösen 
Körper, bestimmt, den Penis einzuschliessen, und von dem Muse, cou- 
strictor gebildet; ein beim Kinde und der Jungfrau widerstandsfähiger 
Ring, der kaum den Finger einbringen lässt und nach Rieh et die 
Defloration vereiteln kann. Von hier aus ragt wie ein Zwerchfell das 
Hymen vor und bildet die Grenze zwischen Scheide und Vulva. Nach 
Tardieu zeigt das Hymen sehr verschiedene Gestalt. Er stellt sich dar: 
1. Lippenförmig, mit einem senkrechten Spalt; 2. sehr häufig als 
Diaphragma, im oberen Drittel durchbohrt, unregelmässig; 3. als regel¬ 
mässige Membran mit centralem Loche; 4. als vordere halbmondförmige 
Sichel, deren Schenkel sich nach hinten auf die kleinen Schamlippen 
stützen; 5. als einfaches kreisförmiges Bändchen, als Falte aus den 
kleinen Schamlippen entspringend. Von allen diesen Formen sind am 
eingerissenen Hymen Reste übrig, die Carunc. myrtiformes. — Endlich 
münden vor dem Hymen auf dem Bulbus die Bartolin’schen Drüsen, 
welche in der Länge von 1 x /a bis 2 Ctm. den Bulbus und den Muse, 
constrictor durchsetzen. 

Von dem bisher beschriebenen normalen Zustande der weiblichen 
Genitalien kommen Abweichungen vor, theils durch besonders schwere 
Defloration, theils durch lasterhafte Gewohnheiten, z. B. Sapphismus, 
Masturbation, Prostitution. 

Ein einzelner gewaltsamer Angriff auf die Scham, Nothzucht oder 
Nothzuchtsversuch bringt in gerichtlich medicinischer Beziehung wichtige, 
aber vorübergehende Modificationen zu Stande, während sanftere, allmälige, 
aber öfters wiederholte Deflorationsbemühungen tiefe unauslöschliche 
Spuren zurücklassen. Bei ganz jungen Individuen zwischen 6 und 15 
Jahren sind die Spuren der Gewalt am deutlichsten. Tardieu beob¬ 
achtete sie mit Toulmouche bei Mädchen unter 11 Jahren 59mal, von 
11—15 Jahren 32mal, zwischen 15—20 Jahren 4mal und lmal bei 
einem 41jährigen Mädchen. M. hat in seiner Klinik gefunden, dass 
sie in der Hälfte der Fälle bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren 
Vorkommen. Sie werden verursacht durch das Missverhältniss zwischen 
dem männlichen Gliede und dem Introitus vaginae, sei es durch die 
unverhältnissmässige Dicke des ersteren, sei es Enge, abnorme Resistenz, 
Rigidität der letzteren oder des Hymen, Atresie, Narbenstränge, fehler¬ 
hafte Stellung des Beckens zu den unteren Extremitäten. Tardieu sagt: 
Vor allen Dingen bemerkt man bei frühzeitig gemissbrauchten kleinen 
Mädchen vorzeitige Entwicklung der Geschlechtstheile und Frühreife, 
welche dem Alter, der Grösse und der Constitution weit vorausgeeilt 
sind. Mädchen von 10—11 Jahren tragen die Zeichen der Pubertät. Die 
grossen Schamlippen sind gewulstet, nach unten geöffnet, die Vulva steht 
weit offen, die kleinen Schamlippen sind zuweilen so verlängert, dass sie 
die grossen überragen, wie wenn oft an ihnen gezogen würde. Die Clitoris 
ist ungewöhnlich gross, zuweilen so, wie man sie bei Onanisten findet, 
roth, sehr bereit sich zu erigiren, und zum Theil entblösst. Hierzu kommt, 
dass, da die Enge der Theile und der Widerstand des Arcus pubis das 
Eindringen des Gliedes und die Zerstörung des Hymen hindern, letzterer 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


und die ganze Vulva nach oben eingebuchtet werden, wenn die Copulations- 
vereuche öfter wiederholt werden. Es bildet sich eine verschieden lange 
trichterartige Vertiefung auf Kosten der Scheide, die den Penis wohl auf¬ 
nehmen kann, wie beim Anus durch Päderastie. Tardieu hat me 
beobachtet, dass das Perineum an dieser Missbildung Theil genommen 
hat, wie Toulmouche und Boys de Loury behaupten, aber die 
hintere Commissur war oft eingedrückt und zuweilen ganz verschwunden. 

Im Fundus dieses Trichters liegt das Hymen, zuweilen als gefranster, 
in der Mitte offener Wulst, öfter verdünnt, zurückgezogen als ringförmige 
Falte, welche den Scheideneingang weit offen lässt. Diese Form scheint 
nicht sowohl die Wirkung von Zerreissung zu sein, obwohl zuweilen am 
freien Rande auch Einrisse Vorkommen, als vielmehr von Usur oder 
Atrophie durch den wiederholten Druck, dem die Membran ausgesetzt 
worden ist. 

Bei der Pubertät nahen Mädchen findet man bisweilen bedeutende 
Erweiterung der Scheide und davor das Hymen so schlaff, dass es den 
Eingang nicht mehr schützt. So ist erklärlich, wie bei erhaltenem Hymen 
Immissio penis und Schwangerschaft möglich sein können. 

Dieselben Veränderungen erhalten sich auch bei der Frau noch 
fort, bei der Untersuchung gelangt der Finger in die trichterartige, im 
Mittel 3—4 Ctm. lange, bisweilen noch viel längere Vertiefung und 
nachher erst in die Scheide. Mit dem Scheideneingange ist der Meatus 
urinarius nach oben bis unter die Symphyse verschoben, er steht in Folge 
seiner Umgebung mit erectilem Gewebe gewöhnlich offen (Guerin) und 
die dahinter gelegene Carunkel ist bisweilen so entwickelt, dass eine 
zweifache Mündung zu bestehen scheint. Man kann sie dann mit einem 
Harnröhrenpolypen verwechseln. 

Das Hymen ist fast immer durchbrochen, doch sind M. Fälle vor¬ 
gekommen, wo er im Grunde des Trichters das Hymen, halbmondförmig 
nach oben gewölbt und kaum an dem Rande eingerissen, erhalten fandL 
Die Copulation war in diesen Fällen unvollständig geblieben. 

Die beschriebenen Veränderungen gestatten hiernach dem Gerichts¬ 
arzte, zu beurtheilen, ob die Frau oder das Kind, welche ihm zur Unter¬ 
suchung gestellt wurden, gewohnheitsmässig cohabitiren. Der Praktiker 
aber erkennt daraus die Ursachen der Erschwerung, des Schmerzes, der 
Unmöglichkeit des Coitus und der daraus resultirenden Sterilität und kann 
danach seine Therapie richten. 

2. Missbildungen der Vulva durch Masturbation, Sapphismus nnd 
Prostitution kommen im Höpital de Lourcine häufig an den Prostituirten 
zur Beobachtung. Allein Frauen und Mädchen aller Stände fallen aus 
pathologischen Gründen gleichfalls der Masturbation anheim, z. B. durch 
Pruritus vulvae, durch Hyperästhesie, durch chronische, oft recidivirende 
Metritis etc. Masturbation geschieht durch Reiben der Clitoris, sei es 
mittelst der Hand, des Penis oder der Zunge. Im letzten Falle heisst 
sie Sapphismus, auch Tribatismus. Zuweilen wird sie auch durch starkes 
Pressen des einen Schenkels auf den andern ausgeübt. 

Die Missbildungen durch Masturbation beziehen sich auf die Clitoris 
und die kleinen Schamlippen, wo sie durch habituelle Blutcongestionen 
oder auch wiederholte Verletzungen bedingt sind. Die Clitoris ist stärker 
als gewöhnlich entwickelt und erreicht wohl das Doppelte ihrer gewöhn¬ 
lichen Länge von 3 Ctm., M. sah sogar eine Clitoris vom Umfange eines 
kleinen Fingers, Parent Duchatel eine solche von der Grösse des 
Zeigefingers, 8 Ctm. lang. Von der Hypertrophie abgesehen, zeigt sich 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau 


865 


die Clitoris geschwollen und geröthet, ihr Präputium besonders beweglich 
und schlaff, zuweilen ragt es über die Eichel hinweg, steht von ihr ab, 
faltet sich und lässt doch die Eichelspitze frei. 

Die kleinen Schamlippen zeigen sich gleicher Weise verlängert, 
grösser und überragen die grossen. Sie bilden schlaffe, grosse, dreiekige 
Zipfel wie Fledermausflügel mit gerunzelter, netzartiger Oberfläche, ihr 
Aussenwinkel erscheint wie ein Korkzieher umgewunden. Je weiter 
sie^aus der Vulva herausragen, um so mehr vertauscht ihre Haut den 
Charakter der Schleimhaut mit dem der äussern Haut. Ihre rosenrothe 
Farbe ist in Gelbbraun oder Graublau, mit mehr oder weniger dunklen 
Punkten untermischt, umgewandelt. Diese Pigmentirung findet sich in der 
Regel auf dem freien Rande und an der Aussenseite, zuweilen auf ihrer 
ganzen Oberfläche. Auf der Innenfläche, besonders längs einer Zone, die 
den freien Rand begrenzt, stehen eine Reihe gelber oder weisser, vor¬ 
ragender Punkte, wie Insecteneier, hypertrophische Drüsen. Diese Anomalie 
der kleinen Schamlippen ist für die Masturbation ganz charakteristisch. 

Die zeitweilige Erschlaffung und Furchung der grossen Schamlippen 
hat weniger symptomatischen Werth. Die Harnröhrenmündung steht 
gewöhnlich weit offen; die Erweiterung kann sich bis zum Blasenschliess- 
muskel erstrecken und es ist nicht unwahrscheinlich, dass Incontinentia 
urinae bei kleinen Mädchen und Frauen zuweilen auf Masturbation zurück¬ 
zuführen ist. Auch Vegetationen finden sich auf dem Meatus, sowie auf 
Präputium und Nymphen kleine weisse Narben, die von Nagelwunden 
übrig geblieben scheinen. Ausserdem leiden Kinder an hartnäckiger 
Leukorrhöe, die Scheide lässt den Finger leicht ein und nach Tardieu 
ist sogar die Copulation bei denselben möglich, ohne dass der Hymen 
einreisst. 

Bei Masturbation durch Aneinanderreiben der Schenkel sieht man 
das Präputium im Verhältniss zur Grösse der Clitoris wenig entwickelt 
und nicht so verlängert und faltig, wie bei Onanie mit der Hand, auch 
lange nicht so von der Clitoris abgelöst. Letztere aber ist hart, gross, 
ragt keulenförmig vor. Zwei von M/s Kr. standen nicht an, ihm zu 
zeigen, wie sie die Masturbation, der sie täglich öfters sich überliessen, 
ausführten. Die kleinen Schamlippen sind in diesem Falle wenig entwickelt 
und kaum verlängert. 

Sapphismus und Tribadismus finden sich heutzutage leider nicht 
blos bei Prostituirten, sondern unter Frauen aller Gesellschaftskreise sehr 
häufig. Wie die Manualisation, so erzeugt auch Sapphismus seine Wirkung 
auf die innern Genitalien und verursacht und unterhält chronische Metritis 
und ihre Recidive. Eine präcise Symptomatologie seiner Wirkung auf 
die äussern Genitalien kann M. noch nicht geben, theils weil das 
Krankenexamen schwierig ist, theils weil meist Masturbation* daneben 
betrieben wird. Gleichwohl ist er im Hospital sehr häufig. Bei Frauen¬ 
zimmern, welche des Sapphismus geständig waren, fand M. den freien 
Rand des Präputium wie bei der Manualisation hypertrophisch, auch die 
Glans schien etwas stärker entwickelt, ihre Keulenform näherte sich 
deijenigen bei Masturbation durch Reiben der Schenkel. Dies ist erklär¬ 
lich, denu wie beim Sapphismus die Glans angesaugt zu werden pflegt* 
so dürfte das Gleiche der Fall sein, wenn die Schenkel gegen einander 
reiben. An den Schamlippen etc. setzt der Sapphismus keiue Eigenthüm- 
lichkeiten. 

Darüber, ob die Prostitution an sich die Gestalt der äusseren 
Genitalien verändert, sind die Stimmen getheilt. Nach Parent- 

Med.-chir. Rundschau. 1880. 55 



866 


Medicinigcb-chirurgische Rundschau. 


Duchatelet unterscheidet sich die Vagina der Prostituirten nicht von 
der der verheirateten Frau, namentlich können Beide sehr enge oder sehr 
weite Vagina haben. Grosse Erweiterung sah M. sogar bei ganz jungen 
Mädchen. Auch Tardieu legt auf die Weite und Erschlaffung der 
Vagina kein Gewicht. Charpy fand unter 800 Prostituirten verschie¬ 
denen Alters bald Atrophie, bald Hypertrophie der grossen wie der kleinen 
Schamlippen; letztere ist häufiger. Die grossen Schamlippen sind dann 
wulstig nach vorn gedrängt, die kleinen besonders langlappig, gefurcht 
bräunlich (HottentottenschQrze). Am hinteren Ende bilden sich auch wohl 
eine rundliche Schwellung, Cyste einer Vulvo-vaginaldrftse, Aknepusteln, 
Herpesbläschen. Die Harnröhrenmündung steht oft sehr hoch, der wie 
bei der Masturbation vergrösserten Clitoris nahe. Daran tragen die 
Schwellung des Bulbus vaginalis und der Erethismus der Scheide über 
haupt Schuld, wodurch nun auch die Follikel sich chronisch entzünden 
und ein milchiges Secret aussondern, das aber nicht contagiös ist. Erstreckt 
sich die Folliculitis bis in das Innere der Harnröhre, so löst sich die 
anschwellende lose Schleimhaut leicht ab und bildet violette fungöse. 
leicht verschwärende Wucherungen, die schwer zu beseitigen sind. Da 
die Gewebe und der Constrictor cunni ihren Tonus einbtissen, steht der 
Scheideneingang offen und bei allen Prostituirten ist die Schleimhaut dick, 
wie gegerbt, gelblich trocken. So erleidet die Prostituirte nach Charpy 
auf zwei entgegengesetzten Wegen Deformation, durch Usur und Atrophie 
auf der anderen Seite durch Reizung und Hypertrophie. Dieses Verhalten 
ist indessen nicht für die Prostitution an sich charakteristisch. Alle diese 
Symptome kommen auch bei Masturbation, bei Sapphismus, bei erschwerter, 
langsamer Defloration vor. Gleichwohl lässt sich bei Mädchen und jungen 
Frauen eine Veränderung der Genitalien nach Missbrauch des Coitus 
constatiren. Bei einem 18jährigen Mädchen, welches vor 8 Monaten 
deflorirt, aber nicht schwanger geworden war, nie Syphilis gehabt hatte, 
fand M. die grossen Schamlippen ungemein vergrössert, schlaff, gefurcht, 
hängend, bläulich, die kleinen normal, die Clitoris wenig entwickelt, die 
Vulva offen. Es bestand Metritis. Das Mädchen trieb weder Masturbation 
noch Sapphismus. Da dieses Aussehen der Vulva viel mehr dem bei 
einer 40jährigen Frau, die mehrmals geboren hat, als bei einem 18jährigen 
Mädchen glich, befragte M. sie nach ihrer Lebensweise, worauf sie gestand, 
dass sie nach ihrer Defloration täglich nicht weniger als 3—4mal cohabitirt 
hatte. Dergleichen Beispiele von Mädchen zwischen 18—23 Jahren mit 
in gleicher Weise veränderten Genitalien sind gar nicht selten, weshalb 
M. das eigenthümliche Aussehen der Vulva, die Hypertrophie, Furchung. 
Erschlaffung der grossen Schamlippen, das Offenstehen des Introitu* 
vaginae für die Prostitution, oder aber wenigstens für den Abusus des 
Coitus als pathognostisch annimmt. 


hecensionen. 


685. Transposition dn coenr et des princip&nx viseeres ab- 
dominaux. Par le Dr. Adrien Sch mit. (Paris, Victor Rozier. 1880. 
32 p. 8°.) 


Als Stabsarzt in der französischen Armee fand Verf. im Militärspital zu 
Vichy, bei einem lebenden Officier Gelegenheit, eine Transposition des Herzens 
and der Baach-Eingeweide zu diagnosticiren. Wenn man auch bis nun in der 
Literatur 89 Fälle dieser Art kennt, so beansprucht die Mittheilnng solcher Falk 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


867 


immerhin ausser dem teratologischen Interesse anch ein praktisches, indem die 
Kenntiii88 derselben vor diagnostischen Irrthtimern schützen mag. Der Verf. 
schildert nnn den von ihm beobachteten Fall ansföhrlich, in welchem die Trans¬ 
position des Herzens, der Leber, des Magens, der Milz, deB Hodens and des Blind¬ 
darms am Lebenden constatirt wurde, hieran knüpft er eine Aufzählung sämmt- 
lieber bis jetzt beobachteter Fälle von Transposition der Eingeweide mit Angabe 
der Literatur, resumirt das Verhalten der einzelnen Eingeweide in dieser Beziehung, 
wobei wir ganz merkwürdige Dinge erfahren, so z. B. einen Fall, in welchem 
der Darmcanal in der Weise seine Richtung änderte, dass das Colon trans- 
versnm fehlte. Verf. widmet einige Winke der Diagnose der Transposition im 
Allgemeinen, und den Fehlern, die hiebei begangen werden können, woran sich 
ein Capitel anscbliesst, welches aus statistischen Ergebnissen die Unschädlichkeit 
dieser Anomalie darstellt. Die interessante Arbeit schliesst mit der Aufzählung 
der bis nun gangbaren Hypothesen über die Ursachen der Transposition der Ein¬ 
geweide, welche in 64 Fällen, wo das Geschlecht angegeben wurde, 40mal beim 
Manne und nur 24mal beim weiblichen Geschlechte auftrat. 0. R. 

686. System der Gesundheitspflege. Für die Universität und 
die ärztliche Praxis bearbeitet von Dr. Ludwig Hirt, Professor 
an der Universität Breslau, kgl. Bezirks-Physikus. II. verb. u. verm. 
Auflage. Mit 95 Illustrationen. Breslau. Maruschke & Berendt. 1880. 232 S. 

Die Gesundheitspflege ist eines der Stiefkinder medicinischer Doctrinen 
an den Hochschulen — wir kennen deren noch andere. Eine der Ursachen, warnm 
diese Doctrin vom Lehrplan so wenig begünstigt ist, findet man in der Antipathie, 
welche dem Mediciner gegen physikalische und chemische Stadien in Folge seines 
Bildungsganges überhaupt adhärirt. So wurde uns vor kurzer Zeit der Aussprach 
eines in seinem Fache bedeutenden Gelehrten überbracht, dahin lautend: die 
Hygiene gebt den Arzt nichts an — Wasserleitungen, VentilationsVorrichtungen 
u. s. w. sind Aufgaben für den Techniker. Solchen Ansichten halten wir die Frage 
gegenüber: SoU der Arzt in Unkenntnis» bleiben über die krankmachenden Agentien, 
denen der Mensch ausgesetzt ist, durch den Boden, den er bewohnt, durch die 
Luft, die er atbmet, durch das Wasser, das er trinkt, durch die Nahrung, die ihn 
erhalten soll, durch die Getränke, die ihn erfrischen sollen, durch den Beruf, 
der ihm die Mittel gewähren soll, sich und seine Familie za erhalten? — Wer 
will hier mit „Ja“ antworten. Bildet die Kenntnis» der krankmachenden Ursachen, 
der Vorbannng8mittel gegen die Ausbreitang von Volkskrankheiten nicht etwa 
die nothwendigste Grundlage einer erspriesslichen ärztlichen Thätigkeit? Wäre 
die Hygiene keine ärztliche Doctrin, weil sie znr Erreichung bestimmter Auf¬ 
gaben den Techniker in Ansprach nimmt, dann wäre es anch die Chirurgie nicht, 
weil sie einen Instrumentenmacher braucht, um ihren Aufgaben zu genügen. 

Ueberzeugt davon, dass ein gutes kurzes Compendium einer Doctrin ganz 
danach angethan ist, derselben Freunde zu erwerben, gewann nns das „System 
der Gesundheitspflege" zunächst durch die Bescheidenheit des Umfanges. Man 
kann nicht gedrängter die Hygiene zusammenfassen, wie es der Verf. in dieser 
zweiten „verbesserten and vermehrten" Auflage thnt, ja wir können die Be¬ 
merkung nicht unterdrücken, dass stellenweise wegen der za knappen Darstellung 
der Text lückenhaft ist, das heisst, es werden Dinge nicht gesagt, die nach 
onserer Ansicht selbst bei der knappsten Darstellung gesagt werden müssen. Auf 
S. 73 vermissen wir die Aufklärung darüber, warum die Gegenwart von salpetriger 
Säure und Ammoniak das Wasser gennssnnf&hig macht. Warum verdient die 
Menge Chlor und die der Salpetersäure bei der Pinfang des Wassers Beachtung? 
Auf die Beziehung zwischen Ammoniak, salpetriger Säure und Salpetersäure in 
den Flüssen (s. Fleck’s Untersuchungen hierüber) ist gar nicht eingegangen. 
Eine tabellarische Grenzwerthe-ZosammenBtellnng des trinkbaren Wassers wie sie 
die chemische Analyse liefert, ist in hohem Grade wünscuenswerth, Verf. hat 
dies nach seinen eigenen Untersuchungen für die mikroskopische Benrtheilung 
des Wassers anch thatsächlich ausgefübrt. S. 146 finden wir in der „Literatur" 
allerdings „Bunge" über die Bedeutung des Kochsalzes angeführt, es hätte sich 
aber die Wechselwirkung zwischen Kalinm- und Natrinmchlorid, wie sie Bange 
experimentell bewiesen und durch welche die Nothwendigkeit des Kochsalzes bei 
vegetabilischer Nahrang evident wurde, in einigen Zeilen darstellen lassen. Das 
Urtheil des Verf.' über die Möglichkeit des Nachweises von Verfälschungen in 
Bier und Wein, ist ein so vornehm absprechendes, dass wir fast der Ansicht 
wären, es habe derselbe dieses Capitel nie experimentell stndirt. Es wäre jedoch 
ein Leichtes gewesen, die diesbezüg’ichen Daten dem Entwerfe zn dem 

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868 


Medicinisch-chirurgische Rand schan. 


deutschen Reichsgesetze über Verfälschung der Lebens- und Gennssmittel zu 
entnehmen. — Wir haben mit diesen Winken nicht zurückgehalten f veil wir 
überzeugt sind, dass das praktische compendiöse Werkchen bald seine 3. Auflage 
erleben wird, da es den Vortheil für sich hat, die Frage des Lesers 
entweder kurz and richtig oder — gar nicht zn beantworten; — auch zeugen manche 
Abschnitte des Buches, wie die von der „Luft“, vom „Boden“, von „den zum 
Aufenthalt für Menschen bestimmten Binnenräumen“, in der hier vorliegenden 
prägnanten Fassung von der sorgfältigen Bearbeitung, welche ihnen der Verf. 
widmete. Druck und Ausstattung sind allen Anforderungen entsprechend. Z. 

687. Lezioni di clinica medica per Giulio Lepidi Chioti. 
Professor© pareggiato di Patologia spec. med. nella R. Universitä di 
Napoli. Napoli Dottor Leonardo Vallardi Editore 1880. 206 8. 8°. Ylli. 

Die vorliegende Arbeit ist den Anfängern des klinischen Studiums gewid¬ 
met, und dient Bestrebungen, welche von deutschen Professoren manchmal als 
wünschenswert bezeichnet werden, so z B. vonVirchow auf der Naturforscher- 
Versammlung in Amsterdam im Jahre 1879, für dessen Erreichen sie sbei 
äusserst wenig mitwirken — es sind dies Bestrebungen, welche die Hebung des 
medicinischen Unterrichtes zur Aufgabe haben. Während bie und da die Lemfreiheir, 
in die Freiheit Nichts zu lernen umzuschlagen droht, ist in Italien sowohl die 
oflicielle als nichtofficielle Fachpresse seit Jahren damit beschäftigt, den Stndiam- 
plan des Mediciners den Anforderungen der Neuzeit anzupassen. Um den Studi- 
renden der Medicin mit der Aufgabe und Richtang der klinischen ärztlichen 
Thätigkeit bekannt zu machen, schildert Verf. im allgemeinen Theile, gleichsam 
einleitend das Object der klinischen Thätigkeit, die Anamnese, Diagnose uod 
Therapie in ihrer Bedeutung für die Heilkunde nnd beschreibt im specielku 
Theile, welcher als „Casuistica clinica“ bezeichnet wird, 22 klinische Falle aus der 
inneren Medicin, in der Weise, wie sie sich dem klinischen Unterrichte in Neapel, 
dargeboten haben. Der Studirende erhält somit eine Auswahl von gut charakterisirtea 
klinischen Bildern, in analytischer Darstellnngsmethode, welche in jeder Richtung 
darnach angethan ist, demselben einen schätzenswerthen Wegweiser für da« 
klinische Studium zn bieten. Dentschen Lesern bietet das Buch einen interessanten 
Einblick in die Art nnd Weise der klinischen Methodik, wie sie gegenwärtig an 
der meistbesnchten medicinischen Schule Italiens geübt wird. —r. 

688. Schema znr forensischen Obdnction. Von Dr. Reh mann. 
Mit in den Text eingedruckten Holzstichen. Brannschweig. Druck und 
Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn. 1880. 18 S. 

Die kleine Broschüre gibt ein Schema zur gerichtlichen Obdnction ia 
Protokollform mit Orientirungsskizzen und dient somit dem praktischen Bedürf¬ 
nisse des Gerichtsarztes. So wichtig die Feststellung einer constanten Methode, wie 
sie in den Regulativen ihren Ausdruck findet, erscheint, muss immerhin die Eigen- 
thümlichkeit des Falles die Aufeinanderfolge in der Untersuchung zunächst 
bestimmen. Doch wird eine solche Abweichung nur bei voller Beherrschung der 
reichen Gliederung des umfassenden Materials gehandhabt werden können. Dnrcb 
den vom Verf. vorgelegten Rahmen, der für jedes Vorkommniss leicht modificirlnr 
ist und auch zum Markiren nnd Einzeichnen dienen kann, soll der selbstthidgen 
Gedanken- nnd Wissens-Arbeit des Einzelnen in keiner Weise vorgegriffen, eher 
noch die eigentliche Geistesbethätlgung durch die Entlastung des Gedächtniss- 
ballastes befreit werden. Man arbeitet leichter, rascher und sicherer an der Hand 
eines gegebenen Rahmens und scheidet klarer nnd übersichtlicher das Wesentliche 
vom Unwesentlichen. Die genauere Behandlung des SectiousVerfahrens beim Gehirn 
nnd Herzen, sowie die kurze Zusammenstellung derjenigen Momente, welche den 
Gerichtsarzt beim Neugeborenen interessiren, dürfte von Manchem als eine will¬ 
kommene Bereicherung empfunden werden. Als Grandlage desr Schemas benützte 
Verf. Vi rclio w’s Sections-Tecbnik und das Regulativ, Monographien von A. Ecke, 
die gerichtliche Medicin von Ed. Hofmann.J. Henle’s grosse Anatomie u. a. w. 

Auch den Phy8ikats*Candidateu wird das Schema ein erwünschtes Repe¬ 
titorium bilden. Für Druck und Ausstattung bürgt der Name der Verlagshandlung. 

—e. 


\ 


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Med icinisch-chirurgische Rundschau. 


809 


Kleine Mittheilungen. 


689. Ueber erfolgreiche Behandlung der Urethritis durch inneren 
Gebrauch von Kali chloricum. Von J. P. Zeitlin. (Wratsch 1880. 14.) 

Verf. hat in 14 Fällen von Urethritis, die nicht mit sonstigen Leiden com- 
plicirt waren, innerlich Kali chloricnm in der von Dochmann (Kars) empfohlenen 
Form (3‘0 pro die) angewandt, und zwar stets mit demselben günstigen Erfolg. 
Schon nach wenigen Dosen wurde der Ausfluss geringer und dünnflüssiger, 
Schmerz und Erectionen Hessen nach. Ueble Erscheinungen traten nie auf. —» 
Diese günstige Wirkung des Kali chloricum will Verf der raschen Ausscheidung 
desselben,durch den Urin in unveränderter Form (Köhler, Dybkowski) und 
dessen localer Wirkung anf die afflcirte Schleimhaut zu<chreiben. 

690. Faü von plötzlicher Erblindung nach innerlichem Gebrauch 
von salioylsaurem Natron. Von F. Gatti, Mailand. (Gazetta degli 
Ospit. 1880. Nr. 4.) 

Ein lfljähriges Mädchen erhielt wegen acutem Gelenksrheumatismus im 
Verlauf von 10 Stunden 8 Gr. salicylsaores Natron. Als es 3 Stunden nach 
der letzten Dosis aos dem Schlaf erwachte, war es total blind; ausserdem Be¬ 
nommenheit, -etwas Schlafsucht; bedeutende Mydriasis, keine Sensibilitfitsstörung 
der Conj. und Cornea. Im Angenhintergrund nichts Abnormes. Starke Schwer¬ 
hörigkeit; Herztöne schwach, Pulse etwas klein. Urin ohne SaHcylreaction, ohne 
Eiweiss. Nach 10 Stunden, beim Erwachen aus 2st findigem Schlaf, ist die 
Amaurose verschwunden, es bleibt Mydriasis und Taubheit noch für einige Zeit; 
am nächsten Tage Alles verschwunden. Urin stets ohue SaHcylreaction; ebenso 
der Speichel. Schweiss nicht untersucht. — Sehstörungen geringeren Grades 
beobachteten Buss, Fürbrioger und Schnitze. G. weist anf Gräfe's Be¬ 
obachtung hin, wo in 2 FäUen beim Gebrauch von 25 und 32 Gr. Chinin eben¬ 
falls Amaurose auftrat. 

691. Lebender Dipygus tetrapns parasiticns. Von Dr. Tare- 
netzky. (Russisches militärärztliches Journal 1880. April. Centralbl. 
f. Gynäkol. 21. 1880.) 

ln der südrussischen Stadt Krementschng zeigte der zur Aushebung an¬ 
wesende Kosak Kondrat Komata, 21 Jahre alt, die seltene Anomalie eines über¬ 
zähligen Beckens mit zwei gut ansgebildeten parasitären Extremitäten. Der 
Autosit war sonst sehr gut gebildet; nur befand sich der Penis hinter dem normal 
gestalteten, mit zwei Testikeln versehenen Scrotnm. Auf der rechten Seite des 
Perineom, mehr nach hinten und auf der unteren Fläche der Regio glutaea 
befindet sich das accessorische Becken. Mit dem Becken des Trägers ist dasselbe 
durch einen dicken , 35 Cm. im Umfang haltenden fleischigen Theil verbanden, 
in dem ein dicker, runder Knochen durchzufühlen ist, der sich mit dem Ramus 
descendens des rechten Os ischii am normalen ßeckeu beweglich verbindet. Am 
parasitären Becken befindet sich ein rudimentärer Penis ohne Harnröhre. Auch 
der After ist verschlossen Knochen und Muskeln des accessorischen Anhangs 
scheinen normal gebildet zu sein. Die Gelenke hingegen sind ankyiosirt. Die 
Temperatur des Anhangs ist geringer, als die der autositären Extremitäten. 
Schmerzgefühl ist in den accessorischen Gebilden vorhanden. Die Verrichtungen 
des jungen Mannes sind normal, nur die Defäkation etwas erschwert. Der Gang 
ist wankend. Das Subject setzt sich auf das accessorische Becken. Geschlechtliche 
Erregung war bis jetzt noch nicht aufgetreten. Die Missbildung war der Um¬ 
gebung verborgen geblieben, da Korouta die Extremitäten in die weiten Kosaken- 
puaphosen, ohne aofzufallen, mit hiueinstecken konnte. 

692. Ersatz einer verlorenen Nase darob Celluloid. Von 

Dr. V. Blumm in Bamberg. (Aerztl. IntelHgbl. 1880. 30.) 

N. K., geboren 1831, hatte im Alter von 13 -17 Jahren seine Nase durch 
Lupus verloren. Eine vor ca. 20 Jahren auf rhynoplastischem Wege hergestellte 
Nase war in Folge der mangelnden Nasenknorpel wieder so vollständig zusammen- 
gesnuken, dass K. seit Jahren wieder nasenlos ist Im December, als Verf. es 
unternahm, für K. eine könstHche Nase anzufertigen, war der Stat. folgender: 
Die beiden Nasenlöcher befanden sich als runde Oeffnungen, die nar durch ein¬ 
geschobene Federkiele offen and ihrem eigentlichen Zwecke dienHch erhalten 


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Medicinifscfe- chirurgische Rn 


werden konnten, in nicht ganz gleicher FUcib 
Stelle der früheren Nasenflügel an. während &r< 

sehr tief eingesanken war. Das ganze Gesicü r. w 
erinnernden Schorf flechenweise bedeckt.^ .Anco 1 

weise von Schorf bedeckt. Dass nnter diesen XJmsthn 
Rhinoplastik ans der Stirnhaot aussichtslos * _ ejn _ e i 
liehen Nase aber ebenso schwierig war, wie die rieht 
colorirten Gesichts haut, ergab sich auf den ersten ^ 
Verf. stellte vor Allem ein Gypsmodtzll der be 
Hess darauf von einem Bildhauer aus Modellirwaeks xi 
Nasen modelliren und nachdem er durch Anj^robiren di4 
stellte er dieselbe aus Celluloid her. An dieser Na^e 
Nasenlöcher zwei silberne Röhrchen von ^^ Cm. 1 
doppelten Zweck hatten , die Nasenlöcher statt der fj 
Athmuog uad Entfernung derSecrete offen, andererse/^5 
festzahalten. Der letztere Zweck wurde noch weiter dt 
Wurzel in das Ersatzstück eingelassenen Goldhaken erre 
der Augengläser eingehakt und nur hei genauer Besic\ 
Durch diesen Haken war einestheils erreicht, dass die Si 
ie Was© selbst zu tragen, sondern nur in ihrer Steilung- 1 
ass die Ränder der Ersatznase vermittelst der Brille fes 
Wesichtspartie angedrückt werden konnten. I>a durch Ceh 
, rfl atz8täckes des übrigen Gesichtes wenigstens annäbor 
Tn^h Wn al° der Zweck erreicht, dass Batie nt sich nu 

naher bL ichti|n C A ® n K s «- licbkeit bewe t 

Abnehmea der ^ t 8tÜck a,s solche» za erkennei 

gerinnst« s«h^ .T Irl ^ vou K. behufs Reinigung läglici 
Brsatxstücke aosgeführt und ist derselbe so befr 

meist auch Nachts dQ^c2, rfas8e,be - dl 


Sitzungsberichte ärztlicher fe 

Wernicke: _Ueh«. _ 


^-fV 

«93. Dr. Wernick© - tt Ä k 

,n der Psvch i o ♦ r, -^ er den wissenscbs/f/ich 
Natnrf. .. 1# « Vortrag gehalten vor der 53. 

H. V.! sie Tn “ DaMl *- 
Sprache *a erlernen, vT« schon in der La ge gewesen 

^® r ’.“•mlich verstehen nn H abon dabei erfahren, dass die Aafi 
** Ton einander, ‘‘rfordj.. sprechen zu lernen. Beides ist in l 
fü^silh ?h °“ iat >m Al]pem y ersc hiedene Fähigkeiten und Gradi 
Besitze ^ nen gewissen Absch 1 ) 11 * 11 das leichtere, wird xnerst eri 
® n T wir ^. er S P' a che. unser. 88 « da ea «»r viele Anforderung 
haben. Wi r ° ) er . 81 dann, wenn *" • **i* ter8 P racb ® ebensowohl, w/i 
kennen gelernt j°“ hier üiit einT^TT**! 886 zwei verschiedenen Fähi\ 
anf alle ander« denn wi ® wir aeh«^ Imer8 , Cbei<lDn,r von der h5chl 
zwei entspreche£ ei »tl^ eii Vo**o-a ** Wer< *®n , ist sie ebenso wie 
gegeben sind nd Ver «chi e ä eile ?• anw endbar, die8 berl] 

Es war ^ * Un ctionen auch in der Organisafc 

geführt hat, da«. ,? Pl on ren» 

grossen Gehirns j? I,e *«istig en v«!T°? cher den Nachweis durch dei 
liehen Gehirns »©h^T v °rdersten n« j 11 ®’ 6 aU88 chlie88lich an die Bt 

Gehirns gebnnden s^’^ bei “» Mensch« 4 * w,e Sie •» dieser Abbild™ 

verliert die Fähige f * nd - *>*s Thi~ “ aucb de « Sorten Abschtdl 
Intelligenz. 8keit ^*br Zane hmeA W * dchea dieses GebirnthÄ 

Verständnis« N «chw«.„ . *“ Wollen ° ai ^ ^ 


-e--. — "«nrznnehmlA ' cnes dieses Gehirnthc 

v—.SS “ °" d - 

isä. 0 *«*» siv'ny v »°»n b "“”r" 

Thierexperiim^ dtlr ch a / Ve r8chie<L«r 1118 grosse Förderung 
Leider wa ®n nta ; **t *f* Chl *s* HtneT der Forsch»»« 

Experiment Weit» ° u r ® n s* ^^ n ischen au ^ ^ em ^ 

dass innerhalb *ü kom Beob achtunr«^ Beobacht»»? von 
dle a«s o®® 6 ® , nicht selb st den Hoff»»» 

° r Sanes keine sie schei, 

weiteren Verschiedenheit. 
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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 871 

stattfinden, dass jeder Theil dem anderen gleichwerth and nar eine gewisse Masse 
davon zur Function erforderlich wäre. 

Diesen Standpunkt hat die Physiologie inne gehabt, bis es Fritsch and 
Hitzig im Jahre 1870 gelang, den experimentellen Gegenbeweis za führen. 

Schon vorher aber hatte die klinische Beobachtung zu der Anschauung 
geführt, dass bestimmte Theile der Hemisphären ihre besonderen, von den anderen 
verschiedenen Functionen haben müssten. Denn durch Bouillaud uud Broca 
wurde nachgewi^sen, dass die Fähigkeit der articolirten Sprache verloren ging, 
wenn bestimmte Theile, nach Broca sogar ein sehr kleiner Bezirk des Gehirns — 
die nach ihm sogenannte Broca’sche Windung — durch einen Krankheitsprocess 
zerstört waren , dass sie erhalten blieb, auch bei schwerer Beeinträchtigung der 
Intelligenz, wo diese Stelle verschont war. 

Das Krankheitsbild, das so entstand, und das sie Aphemie nannten, deckt 
sich vollständig mit dem Verluste des von uns unterschiedenen activen Theile» 
des Sprachvennögens. 

Diese Beobachtungen, die um so werthvoller waren, als sie sich direct auf 
den Menschen bezogen, wiesen darauf hin, nicht nur, dass die grossen Hemi¬ 
sphären eine Vielheit nervöser Apparate von verschiedener Bedeutung beherbergten, 
sondern auch, dass diese Apparate gesetzmässig, d. h. immer an derselben Stelle, 
gelagert sein mussten. 

Es kann nicht Wunder nehmen, dass die öffentliche Meinung nur schwer 
für diese Ansichten zu gewinnen war, welche sich in strictem Gegensätze zu 
Plonrens' damals noch unwiderlegten Versuchen befanden. Eb bedurfte des¬ 
wegen erst einer weiteren Klärung der Begriffe durch die anatomische Forschung, 
um sie zur allgemeinen Anerkennung zu bringen. 

Die Leitungen der Gehirnanatomie waren deshalb zurückgeblieben, weil 
es an ausreichenden Methoden der Untersuchung fehlte; eine solche gefunden und 
ihren Werth dargethan zu haben, ist des unsterblichen Still in g bleibendes 
Verdienst. Aber erst in Meynert's Händen erwies sie sich fähig, auch über die 
grossen Hemisphären, das Organ des Bewusstseins, wichtige Aufschlüsse zu geben. 
Sie sind in einem Vortrage von wunderbarer Gedankentiefe: „Zur Mechanik des 
Gehirnbaues tf , den Meynert im Jahre 1873 an dieser Stelle gehalten hat, auch 
für den Laien verständlich wiedergegeben und bestehen in dem Nachweis einer 
verhältnisBmässig einfachen Organisation, vermöge deren die Hemisphären zwei 
empfindenden, mit Nervenzellen ansgestatteten Hohlkugeln zu vergleichen sind, 
deren jede die Empfindungen einer Körperhälfte durch centrale Ausläufer der 
Nerven zugeleitet erhält, während sie gleichzeitig die Impulse aussendet, durch 
welche die Hälfte der gesammten Muskulatur im Dienste des Willens gelenkt 
wird. Für andere Mechanismen, als solche, die der Empfindung und Bewegung 
dienten, bot also der Bauplan des Gehirns keinen Raum. Die Hemisphären und 
zwar die Nervenzellen ihrer Rinde gewannen dadurch nur die Bedeutung centraler 
Rndstätten der empfindenden und bewegenden Nerven. 

Gestatten Sie mir nun durch diese Tafel das Problem, um dessen Lösung 
ea sich handelte, unserem Verständnis näher zu bringen. Sie stellt ein mensch¬ 
liches Gehirn mit seinen Furchen und Windungen in der Seitenansicht dar; auf 
demselben sind mit rother Farbe die Stellen bezeichnet, durch deren Verletzung 
Störungen des Sprachvermögeos herbeigeführt werden. 

Von diesen Stellen gehen Nervenfäden aus, Leitungsdrähten vergleichbar, 
welche sie mit bestimmten Organen des Körpers in Verbindung setzen. Die 
Kenntnisse, die wir durch Meynert von dem Gehirnbau gewonnen haben, ge¬ 
statten anzuoehmen, dass das ganze Gehirn wesentlich die Bedeutung einer 
Endstation von solchen Leitungsdrähten hat, dass seine verschiedenen Theile — 
abgesehen von den mannigfaltigen Verbindungen unter einander, auf die wir hier 
nicht einzugehen brauchen — durch diese Nervenfäden mit verschiedenen Theilen 
des Körpers in Verbindung gesetzt sind, und dass ihre Function nur davon 
abhängt, von welchen Theilen der Körperperipherie diese Drähte ausgehen. Ein 
Theil derselben satzt das Gehirn mit den verschiedenen Sinnesorganen, dem Auge 
oder Ohr z. B in Verbindung. Ein anderer Theil vermittelt die Verbindung des 
Gehirns mit der Muskulatur, er leitet in centrifugaler Richtung die Bewegungs- 
impulse, welche von den Nervenzellen des Gehirns ausgehen, und der Gehirntheil, 
von dem ans dies geschieht, hat die Bedeutung eines nervösen Centrums für die 
jeweilige ihm unterstehende Muskulatur Die Tbatsachen der Anatomie sowohl 
als die inzwischen von Fritsch und Hitzig angestellten Thierversucheiehrten, 
dass das ganze Gehirn in zwei Regionen von der eben gekennzeichneten, ver¬ 
schiedenen Bedeutung zerfällt. Aber etwas fehlt uns noch zu ihrer Kenntniss, 
was doch für das Folgende ganz unentbehrlich ist. Es ist nämlich eine Erfahrung, 


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872 


Medicinisch-chirorgische Bundschau. 


die jedem Einzelnen za Gebote steht, dass die Signale, welche diese Leitnnga^ 
drähte geben, nicht blos von momentaner Dauer sind; ein Sinneseindrnck bleibt, 
nachdem er wahrgenommen ist, noch im Gedächtniss zurück, and auch für «tie 
Bewegungen ist die Annahme einer Art von Gedächtniss nothwendig, wie die 
Möglichkeit der Uebung beweist. Der Ort im Gehirn, die Groppe von Nerven¬ 
zellen, in welcher ein empfindender Nerv, etwa der Hörnerv endigt, dient also 
nicht nar zur Wahrnehmung von Klängen and Geräaschen, sondern auch zur 
Erinnerung; man muss sich ihn grob materiell als eine Vorrathsstätte von Klang¬ 
bildern der früher wahrgenommenen Gehörseindrücke vorstellen. Diejenige Gehirn¬ 
stelle, welche mit bestimmten Muskelapparaten, beispielsweise denen der Zange, 
des Kehlkopfes, des Schlundes und der Athmung, welche alle znm Sprechen 
Zusammenwirken, durch Leitungsdrähte verbände^ ist, beherbergt ebenso das 
Gedächtniss für das complicirte Bewegungsspiel der Sprache, welches vom Kinde 
so mühsam erlernt werden muss, die Erinnerungsbilder dieser Bewegungen oder 
ihre Bewegungsvorstellungen. Wenn diese einfachsten Annahmen von der Ein¬ 
richtung des Gehirns richtig waren, so mussten sie sich auf das Zusammenwirken 
von Functionen, worin die Sprache besteht, erstrecken und sich bei ihrer Deutung 
bewähren Die räumliche Trennung der bewegenden und empfindenden Elemente 
innerhalb des Gehirns musste auch beim Sprachvorgang zor Geltung kommen, 
und man musste deshalb zwei verschiedene Sprachcentren erwarten, eines, welches 
«dem Sprechact vorsieht, soweit es aus Bewegungen besteht, und ein anderes, 
welches die Empfindungen, und zwar die des Gehörs, welche bei der Sprache in 
Betracht kommen, als Erinnerungsbilder bewahrt. Das eine Centram musste die 
oben erwähnten Sprachbewegungsvorstellungen, das andere die Klangbilder der 
vernommenen Sprache Anderer enthalten. Das erste ist, wie auf der T. fel ange¬ 
deutet ist, die Stelle des Gehirns, welche durch die leitenden Bahnen der Nervea 
mit der Sprechmusknlatnr in Verbindung steht, das andere ist die centrale 
Endigungsstätte des Hörnerven. Die Richtung der Leitang, welcher diese beiden 
Nervenbahnen dienen, ist dnrch Pfeile angedeutet. Sie sehen nun durch einen 
Blick auf die Tafel, dass die von Bonilland und Broca geschilderte und 
Aphemie genannte Sprachstörung genau dasjenige ist, was dur<h Ausfall des 
nervösen Centrums der Sprachbewegnngsvorstellungen entsteht, Unfähigkeit za 
sprechen oder Stummheit. 

Für das zweite Centrum, welches die Theorie erforderte, war der Nach¬ 
weis, dass es existirte, und an welchem Orte man es zu suchen hatte, noch za 
führen. Mir ist nnn das grosse Glück zu Theil geworden, im Jahre 1874 an zwei 
Fällen, welche zur Section kamen, diesen Nachweis führen zn können. Beide Male 
war der erkrankte Ort der, auf dieser Tafel dnrch rothe Farbe ausgezeichnete 
Gehirntheil, welchen man als erste Schläfewindnng unterscheidet. Seitdem sind 
'von anderen Seiten schon eine grosse Reihe von übereinstimmenden Erfahrungen 
beigebracht worden , so dass ich wohl berechtigt bin, es als eine sichere That- 
sache za betrachten, dass an dieser Stelle ein zweite» Sprechcentram von der 
angegebenen Bedeutung existirt. Die Erscheinungen, welche die Zerstörung dieses 
Gentrums macht, sind immer folgende. Obwohl im Besitz ihres Gehörs verstehen 
«lies© Kranken nicht, was zn ihnen gesprochen wird, sie verhalten sich den 
^Sprechenden gegenüber gerade so, wie wenn man eine fremde Sprache zu ihnen 
redete. Weil das Depositum der früher erworbenen Klangbilder vernichtet ist, 
findet nnn der Gehörsein druck an seiner Endignngsstätte im Gehirn nichts 
Bekanntes mehr vor, er wird nicht wieder erkannt and erscheint neu. Dabei ist, 
wenn die Zerstörang auf diesen Theil des Gehirns beschränkt ist, die Intelligenz 
sonst nicht beeinträchtigt und auch das active Sprach vermögen, d. h. die Fähig¬ 
keit, articulirt zn sprechen, erhalten. Um den inneren Zusammenhang dieser 
beiden so verschieden erscheinenden Sprechstörnngen in Namen auszndrücken, 
habe ich sie als motorische and sensorische Aphasie bezeichnet, wovon die erstem 
mit der Aphemie Broca’s identisch ist. 

Die Erfahrungen lehren also, dass die Eingangs gemachte Unterscheidung 
-zwischen einem activen nnd passiven Theile der Sprache keine willkürliche ist, 
sondern in der Natur selbst vorkommt und anf der räumlichen Trennung der 
empfindenden nnd bewegenden Elemente im Gehirn beruht Ueber die Natur dieser 
Elemente haben wir den Aufschluss gewonnen, dass sie in Erinnerungsbildern, 
einem ganz bestimmten psychologischen Begriffe, bestehen nnd dass die Erinne¬ 
rungsbilder der Bewegungen, die Bewegungsvorsteilangen zur Bewegung, die der 
Sinneseindrücke znm Verständniss dieser unerlässlich sind. Es war ein logisches 
Postulat, die Erfahrungen der Aphasie dahin zn verallgemeinern, dass wie die 
Sprachmuskulatur auch die des Armes und Beines ihre besonderen Centrcn haben 
müssten, von ihren Bewegungsvorstei Inn gen gebildet, dass ebenso wie für den 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


873 


Hörnerven auch für die übrigen Sinnesnerven je ein besonderes Gebiet existiren 
müsste, das ihre £rinnerungsbilder enthielt, die Gesichtsvorstellungen, Geschmacks¬ 
und GeruchsvorsteUangen. Die Analyse der Aphasie gibt uns daher das Paradigma 
für alle geistigen Vorgänge von concretem Inhalt, insofern als bestimmt gruppirte 
Erinnerungsbilder unseren ganzen geistigen Besitz, den ganzen Inhalt unseres 
Bewusstseins ausmachen. Es ist später Munk durch eine Reihe von bewunde¬ 
rungswürdigen Thierversnchen gelungen, fast die ganze Hirnrinde bezüglich ihrer 
Zugehörigkeit zur Muskulatur und den Sinnesnerven zu bestimmen. 

Diese Versuche gehören der allerneuesten Zeit an und führen uns durch 
die Exactheit ihrer Ergebnisse weit über alles hinaus, was die Theorie der 
Aphasie von Perspectiven für eine naturwissenschaftliche Psychologie eröffnete. 
So lange diese Versuche aber noch nicht Vorlagen, war man für die klinische 
Beobachtung auf die durch die Aphasie gewonnenen Gesichtspunkte an ge wiesen, 
und dieser Zeit entstammen die wenigen und dürftigen Beobachtuugen zur 
Psychologie der Geisteskranken, die ich mir erlauben will, Ihnen mitzutheilen. 

Der Vortr. skizzirt den Standpunkt, den die Psychiatrie bisher einge¬ 
nommen hat, so lange ihr diese physiologischen Unterlagen fehlten. 

Unterscheiden wir doch durchaus die praktischen Ziele der Psychiatrie 
von den wissenschaftlichen! So verdienstlich es ist, als praktischer Psychiater 
dem schweren Berufe, Geisteskranke zu behandeln, voll zu genügen, so ist doch 
die Psychiatrie auch ein Zweig der Naturwissenschaft und hat als solche Auf¬ 
gaben zu lösen, die ebenbürtig den grössten Aufgaben der Naturwissenschaft 
überhaupt zur Seite stehen. Denn sie hat nicht nur die Abweichungen vom 
gesunden Geistesleben zu beobachten und zu erklären, sondern auch aus diesen 
Abweichungen all den Nutzen zu ziehen, welchen die Krankheiten, diese von der 
Natur angestellten Experimente, für die Erkenntniss der normalen Function eines 
Organes zu haben pflegen. Zu dieser Aufgabe wird erst die moderne Physiologie 
des Gehirns uns befähigen. Kein einsichtiger Mensch hat je daran gezweifelt, 
dass bei der klinischen Beobachtung der Geisteskranken das psychologische 
Material alles Andere bei weitem überwiegt, dass die Veränderung der Psyche, 
nicht die des Pulses, der Temperatur, der Respiration, der Phosphorausscheidung 
und dergl. m. das Wesen der Krankheit ausmacht, und dass wir gerade diesen 
psychischen Aeusserungen kein naturwissenschaftliches, sondern höchstens ein 
philosophisches Verstände iss entgegenbringen konnten. 

Unsere Aufgabe wird darin besteben, das Verhalten der Erinnerungsbilder 
bei den Geisteskranken durch Beobachtung festzustellen und zum Verständniss 
ihres Geisteszustandes zu verwerthen. Ein geradezu überraschendes Licht fallt 
unter diesem Gesichtspunkte auf eine der häufigsten und unheilvollsten Geistes¬ 
krankheiten, die progressive Paralyse der Irren. Das eigentlichste Wesen derselben 
besteht in dem rapide fortschreitenden Verluste von Erinnerungsbildern. Der 
Paralytiker späterer Stadien versteht weder, was man zu ihm spricht, noch wird 
er durch das Geräusch des Wagens, der ihn zu überfahren droht, gewarnt, noch 
weiss er, dass die Mittagsglocke zur Mahlzeit ruft oder was Kanonendonner 
bedeutet. Im motorischem Gebiete sind seine Störungen auf keine Weise besser 
zu dqfiniren, als wenn man sie als Verlust von Bewegnogsvorstellungen bezeichnet, 
eine fortlaufende Kette von Bewegungsstörungen, die von leichter Unsicherheit 
der Bewegungen bis zu vollständiger Lähmung derselben gehen. Alle diese Er¬ 
scheinungen sind nicht etwa Folgen der Demenz, sondern sie sind die Einzel¬ 
erscheinungen, welche summirt die Demenz ausmachen. Da es eine Eigentümlich- 
keit des Krankheitsprocessee zu Bein scheint, dass er die verschiedenen Rinden¬ 
gebiete in verschiedenem Grade lädirt, wenn auch kein einziges ganz verschont, 
so bat man öfter Gelegenheit, die mannigfaltigsten Störungen, welche zufällig 
weiter vorgeschritten sind, bei Kranken zu beobachten, deren Intelligenz noch 
eine genauere Untersuchung gestattet. Solche Kranke sind plötzlich aphasisch 
geworden und zeigen non das charakteristische Bild der motorischen Aphasie; 
oder ein Anfall hat die Beweglichkeit eines Armes beeinträchtigt, und man findet, 
je nach der Stärke der Affection, die Reihenfolge von Sensibilitätsstörungeu, welche 
Hank in so ausgezeichneter Weise analysirt hat. Diese Fälle mit exquisiten 
sogenannten Herderscheinungen sind zwar die Ausnahme, sie sind aber gerade 
die geeignetsten, bei der zweifellosen sonstigen Identität des Krank heits Vorganges 
Aber das wirkliche Wesen desselben Klarheit zu verschaffen. In den meisten 
Fällen betrifft nämlich der Ausfall der Erinnerungsbilder die ganze Hirnrinde so 
gleichmäsrig, da*s es schwer hält und einer besonders daraofgerichteten Prüfung 
bedarf, um die einzelnen Defecte herauszufinden. Das Symptom, welches dann 
zwischen dem regen Ausdrucke der Intelligenzstöruug und dem präcisen Begriffe 
eines Ausfalls von Erinnerungsbildern vermittelt, ist die Abnahme des Gedächt- 


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874 


Medicinisch-chirurgische Bundschau. 


nisses, denn das Gedächtniss ist, wie wir gesehen haben, nichts für sich Be¬ 
stehendes, sondern immer an bestimmte concrete Erinnerungsbilder gebunden. 

Wie es ein allgemeines Gesetz ist, dass als Reiz auf die Nervensubstanz 
alle diejenigen Agentien wirken, welche mit einer gewissen Geschwindigkeit ihre 
Fanction verrichten, so kann es auch nicht Wunder nehmen, dass dem Verluste 
der Erinnerungsbilder vielfach Erregungszustände vorangehen. Im sensorischen 
Gebiete verrathen sieh diese durch die verschiedensten Hallucinationen, welche 
keineswegs, wie man immer gemeint hat, bei den Paralytikern vermisst werden. 
Im motorischen Gebiete begegnen wir dem nicht maniacalischen Bewegungs¬ 
drange, welcher den Paralytiker tobsüchtig erscheinen lässt, und der Reiszustand 
im Gebiete derjenigen Erinnerungsbilder, welche die Persönlichkeit constituiren, 
erzeugt den Grössenwahn und in ihm den Keim zur Vernichtung der Persön¬ 
lichkeit. 

Häufig werden wir im Grössenwahn oder den motorischen Erregungs¬ 
zuständen eine Quelle der gemüthlichen Erregung erblicken müssen. Häufig aber 
verläuft fast die ganze Krankheit ohne gemüthliche Erregung und lässt den charak¬ 
teristischen Defect in aller Reinheit, ungestört durch Nebenwirkungen, hervor¬ 
treten. Dieser Umstand ist im ersten Augenblick Überraschend; denn man müsste 
erwarten, dass der Verlust an Erinnerungsbildern für die geistige Persönlichkeit 
wahrnehmbar und Ausgangspunkt von kräftigen Gemütsbewegungen werden müsste. 
Aber wir werden diese Anforderung nur an eine gesunde geistige Persönlichkeit 
und bei rasch entstehendem Defect stellen können, Bedingungen, welche für den 
Paralytiker nur selten zu treffen dürften. 

Bei einer gewissen Erscheinungsweise der Paralyse begegnet man aber fast 
ausnahmslos energischen Gemütsbewegungen. Dies ist dann der Fall, wenn die 
Erinnerungsbilder des eigenen Leibes, der leiblichen Persönlichkeit von Anfang 
an vorwiegend von dem zerstörenden Processe betroffen werden. Das Vorhanden¬ 
sein einer solchen, in sich abgeschlossenen Gruppe ist schon bei Erwähnung des 
Grössenwahnes angedentet worden. Für das Gehirn kann nach unserer Auffassung 
der Leib nichts Anderes sein, als eine Gruppe von Erinnerungsbildern, die aber 
durch ihren gleichbleibenden, fest geordneten Inhalt und ihre stete Wiederkehr 
sich vor den Erinnerungsbildern, die die andere Aussen weit liefert, auszeichnea 
nnd so gewissermassen den festen Kern abgeben, an dem der übrige Bewusstflein¬ 
in halt sich ankrystallisiren muss. So erklären sich vielfach die eigentümlichen 
Delirien jener schweren Formen von Hypochondrie, welche man der progressiven 
Paralyse zuznrechnen pflegt. Die Kranken glauben, die Nase, die Angen, die 
Zunge oder das ganze Gesicht, oder irgend ein anderer Körperteil fehle ihnen 
oder sei im Begriff durch Fäulniss zu zerfallen. Hieran schliessen sich Fälle von 
Hypochondrie, welche im Uebrigen nicht das paralytische Gepräge haben. So 
sah ich eine offenbar eingebildete halbseitige Lähmung und Stummbeit nach 
langem Krankenlager mit dem Tode enden; dieser Kranke war zugleich ein be¬ 
harrlicher Nahrungsverweiaerer und schien die Vorstellung, er könnte den Mund 
öffnen und schlingen, verloren zu haben. Ein anderer Kranker klagte haupt¬ 
sächlich darüber, dass sein Kopf verkehrt stände, so dass das Gesicht nach hinten 
sähe; er machte die lebensgefährlichsten Sprünge, nm die Stellnnng des Körpers 
mit der des Gesichts in Einklang za bringen. 

Die Anfgabe, den Ausfall von Erinnerungsbildern zn constatiren und die 
Art nnd Ausdehnung des Defects zn bestimmen, war in den bisher erwähnten 
Fällen verhältnissmässig einfach, teils, weil eihebliche Gemütsbewegungen 
fehlten, fheile, weil sie ihrem Inhalt nach sofort den Defect, der sie erzeugte, 
erkennen liessen. Bei Weitem complicirter aber wird das Krankbeitsbild, wo 
heftige Gemütsbewegungen das Benehmen nnd die Aeusserungen des Kranken so 
verändern, dass von einer eigentlichen Untersuchung ihres Geisteszustandes Ab¬ 
stand genommen werden muss. 

So verhält es sich in den acuteren Formen des Wahnsinns oder, wie naa 
es jetzt zn nennen pflegt, der primären Verrücktheit. Es ist hier zu bemerken, 
dass bei diesen Erkrankungen nicht immer eine Vernichtung derjenigen ZeUen- 
elemente, die wir uns als die körperlichen Substrata der Erinnerungsbilder vorzu- 
stellen haben, vorliegt, sondern häufig nur eine krankhafte Veränderung derselben. 
Die Folge davon ist, dass die erforderliche Congruenz der Erinnerungsbilder Bit 
den altgewohnten Eindrücken der Anssenwelt nicht mehr vorhanden ist. Es gehört 
nämlich zu einem gesnnden Bewusstsein, dass die Erinnerungsbilder, auf welche 
Weise sie immer wachgerufen werden mögen, getren den Eindrücken, deren 
Residuum sie sind, entsprechen; sind sie durch irgend einen krankhaften Vor¬ 
gang verändert, gefälscht, so hat für die erkrankten Partien des Bewusstseins die 
Congruenz zwischen der Aussenwelt und dem Bilde, das von ihr im Gehirn 


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Medicinisch-chirurgische Randschau. 


875 


deponirt ist, auf gehört. Ist diese Veränderung rasch vor sich gegangen und ist 
ein grosser Theil des geistigen Besitzes noch unversehrt, so sind die heftigsten 
Gemüthsbewegnngen unausbleiblich und ebenso erklärlich, wie beim Gesunden, 
wenn er sich plötzlich in ganz fremde Situationen versetzt sieht. Was ist 
natürlicher, als dass ein Kranker, dem die nicht beachtete, weil gewohnte 
Umgebung das Medium, in dem er lebt, plötzlich verändert erscheint, oder sich 
unter seinen Blicken ändert, glaubt verzaubert, behext oder in eine andere Welt 
versetzt zu sein, Ausdrücke, denen man so oft begegnet. Seine Urtheilskraft 
scheint in überraschend kurzer Zeit getrübt worden zu sein: denn er glaubt 
nicht, d. h. er erkennt nicht, das9 er sich in einem Krankenbause befinde; die 
in Keihen stehenden Betten, die Kranken im Hospitalanzuge, die um sie be¬ 
schäftigten Wärter, der Arzt, der ihn behandelt, kurz, was jeden Geistesgesunden 
sofort Orientirt, dies Alles erscheint ihm rätbselhaft, geheimnissvoll, bald mit 
Überirdischem Lichte verklärt, bald grauenhaft drohend, immer Erklärungsversuche 
herausfordernd. Wie man sieht, handelt es sich hier um complicirte Situationen, 
um ganze Complexe zusammengehöriger Gesichtseiudrücke, die dennoch dem 
Gesunden nicht die geringste Schwierigkeit für das Verständniss bieten. Wie 
sehr aber nnter Umständen einzelne Erinnerungsbilder gefälscht sein können, 
geht aus Beispielen hervor, wie dem eines Kranken, der einen Wärter für seine 
erwachsene Schwester hielt, ihn Laura nannte und also augenscheinlich die 
Erinnerungsbilder für männliche und weibliche Kleidung verloren hatte , denn 
sonst hätte schon dieser auffällige Unterschied ihn eines andern belehren müssen. 
Derselbe Kranke hatte eine besondere Vorliebe für einen alten Sessel gefasst, er 
bemächtigte sich desselben, sobald es irgend anging, schwächeren Kranken gegen¬ 
über auch mit Gewalt; dann blieb er sitzen und verliess ihn nnr mit änsserstem 
'Widerstreben, sich anklammenid und der Gewalt weichend. Ohne Zweifel war 
dieses Erinnerungsbild weniger verändert, wie das aller andern ihn umgebenden 
Gegenstände, und so gewann für ihn der alte Sessel den Werth eines festen 
<Anhaltgpnnktes. wo alles um ihn hernmschwankte, mit Mißtrauen und Zweifel 
an der Zukunft erfüllte. Dass es sich so verhielt, ging ans dem Benehmen des 
Kranken und vor allem ans seinem Gesichtsausdrucke hervor. Es ist schwer, sich 
etwas Sprechenderes zu denken, als diesen Gesichtsansdrnck- Bald mehr dem 
Dachen, bald dem Weinen nahe, halb ängstlich, misstrauisch und erwartungsvoll 
war «r das typischste, mit Worten nicht wieder zu gebende Abbild der Verlegen¬ 
heit und Rathlosigkeit. Diese Gemüthsverfassung liess sich aus allen Aeusserungen 
entnehmen and machte alle, auch seine verkehrtesten Handlungen verständlich. 
Stellen wir uns vor, dass es möglich wäre, einen gesunden Menschen ihm unver¬ 
merkt eines grossen Theiles der Erinnernngsbilder, in welchem sich die Anssen- 
welt bei ihm wiederspiegelt, zu berauben oder ihren Inhalt zu verändern, so 
würden wir allerlei Verkehrtheiten, die ei in seiner Rathlosigkeit begeht, voll¬ 
ständig erklärlich finden. Der eigentümliche Gemütszustand solcher Kranken 
hat demnach dieselben Ursachen, beruht auf denselben Vorgängen im Vorstellnngs- 
leben, wie bei den Gesunden, nnd so scheint es mir überhaupt eine Frage von 
grosser Tragweite zu sein, die möglicherweise durch die klinische Beobachtung 
zu entscheiden sein wird, ob nicht die meisten Gemütsbewegungen der Geistes¬ 
kranken in derselben Weise motivirt sind, wie bei den Gesunden. Diese Frage 
hat selbst einen praktischen Werth, denn die Gemüthsbewegnngen pflegen sich in 
einer gesetzmässigen und vom Willen unabhängigen Weise in den Gesichtssägen 
wiederzuspiegeln; sie gestatten daher, auch wo der Kranke sich nicht mittheilen 
will, einen Schloss auf die zu Grunde liegenden Vorstellungen. 

Es sei dem, wie ihm wolle, so haben wir in der Ratlosigkeit einen 
Gemütszustand kennen gelernt, welcher für die meisten Fäll* frischer, acuter 
Seeleostörungen charakteristisch ist. Obwohl bei weitem complicirter als die so 
selten zutreffende, einfache, traurige oder heitere Verstimmung der alten Schale, 
dürfte es doch von unserem Standpunkte ans die allerverständlichste and ein¬ 
fachste Form der Gemütsbewegung sein. 

Die Ratlosigkeit ist die Gemütbslage, in welcher sich die meisten Geistes¬ 
kranken, so lange sie noch heilbar sind, befinden. Trotz nnd Wut, Angst und 
Verzweiflung, vielleicht auch einfach heitere und traurige Verstimmung können 
Folgen, Steigerungen oder verschiedene Ausdrucks weisen dieser einen dauernden, 
nur dem Grade nach schwankenden Gemüthsverfassung sein. Die komischsten und 
traurigsten Vorkommnisse, denen man in der IrrenanBtalt begegnet, können durch 
sie bedingt sein, und mir ist nicht zweifelhaft, dass oft der Selbstmord und 
gerade der fast unverhütbare, mit Schlauheit vorbereitete, der auch in der besten 
Anstalt seine Opfer fordert, nur als Mittel gewählt wird, dieser quälenden Rath¬ 
losigkeit zu entgehen. v 


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876 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Ich moB8 mich für jetzt darauf beschränken, durch diese wenigen Anden* 
tungen die Tragweite der neu gewonnenen physiologischen Grundlagen für die 
naturwissenschaftliche Seite der Psychiatrie dargethan zu haben. Erlaubte es die 
Zeit, das ganze Gebiet zu durchstreifen, so würden wir eine reiche Ausbeute an 
neuen Gesichtspunkten und Aufschlüssen zu erwarten haben; im Bereiche der 
allgemeinen Psychiatrie wird beispielsweise die Lehre von den Illusionen, in dem 
der speciellen Formenlehre die Auffassung der epileptischen Geistesstörungen eine 
totale Umgestaltung erfahren müssen. Der speciellen Durchführung unserer Ge¬ 
sichtspunkte gehört zweifellos die Zukunft, und zwar schon die nächste Zukunft 
der Psychiatrie. 

Für den Irrenarzt aber erwächst nunmehr die Pflicht, an die klinische 
Beobachtung mit bestimmten physiologischen Gesichtspunkten heranzutreten, nicht 
aufs Gerathewohl zu beobachten und allgemeine Eindrücke zu sammeln, sondern 
ein vorher gestecktes Ziel im Auge zu behalten und trotz der Schwierigkeiten, 
welche eine neue Aufgabe erfordert, zu ihm durchzudringen. Dann wird er 
erfahren, dass auch der praktische Lohn seiner Bemühungen nicht ausbleibt. 
Indem er in das Vorstellungsleben seiner Kranken tiefer eindringt und sie besser 
versteht, wird es ihm leichter werden, ihr Vertrauen zu gewinnen, sie nach 
seinem Willen zu lenken uud die richtigen Massnahmen zu treffen, sei es, um zu 
rechter Zeit Unglück zu verhüten, sei es, um durch geistige oder körperliche 
Einwirkungen den Verlauf der Krankheit im richtigen Augenblicke günstig zu 
beeinflussen. So wird sich hier wie überall bewähren, dass wissenschaftlicher 
Fortschritt und praktische Erfolge immer Hand in Hand zu gehen pflegen. 


Der Redaction eingesendete neu erschienene Bücher und Schriften. 

Peters Dr. med. Hermann, prakt. Arzt im Bad Elster: Die klimatischen 
Wi nter-Curorte Centraleuropas und Italiens. Praktischer Leit¬ 
faden bei Verordnung und beim Gebrauch klimatischer Winter-Curorte. Mit 
einer Karte. Leipzig. Verlag von Otto Wigand 1880. 

Rehmann R. Dr.: Schema zur forensischen Obduction. Mit in den Text 
eingedruckten Holzstichen. 18 S. XII. Braunschweig. Druck und Verlag 
von Fr. Vieweg und Sohn. 1880. 

Reichardt Dr. E., Professor in Jena: Grundlagen zur Beurtheilung des 
Trinkwassers zugleich mit Berücksichtigung der Brauchbarkeit für ge¬ 
werbliche Zwecke und der Reinigung von Abfallwasser nebst Anleitung 
zur Prüfung des Wassers. Für Behörden, Aerzte, Apotheker und 
Techniker veröffentlicht. Vierte sehr vermehrte und ergänzte Auflage mit 
35 Holzschnitten und 2 lithogr. Tafeln. Halle a. S. Verlag der Buchhand¬ 
lung des Waisenhauses. 

Schmit Dr. Adrien, Mödicin Aide-Major de 1. CI.: D e la transposition 
du coeur et des principaux viscöres abdominaux. Paris. Victor 
Rozier, Editeur. 1880. 

Tillmanns Dr H.: Ery sipelas. Mit 18 Holzschnitten und 1 lithograpüirtea 
Tafel. Lieferung 5 von „Deutsche Chirurgie“ von Billroth und Lnecke. 
Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 1880. 

Vogl Dr. A. E.: Die gegenwärtig am häufigsten vorkommenden 
Verfälschungen und Verunreinigungen des Mehles und deren 
Nach Weisung. Mit II Holzschnitten. Wien. Manz'sche k. k. Hof-Verlags- 
und Universitäts-Buchhandlung. 1880. 

Volkmann R.: Sammlung klinischer Vorträge in Verbindung mit 
deutschen Klinikern. Leipzig. Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel 
1880. — 183 —4. Martin A.: Ueber den Scheiden- und Gebär¬ 
muttervorfall. — 185. Raehlmann E.: Ueber die neuropatho- 

logische Bedeutung der Pupillenweite. 

Westphal Prof. Dr. C.: Psychiatrie und psychiatrischer Unter¬ 
richt. Rede gehalten zur Feier des Stiftungstages der militärärztlicben 
Bildungsanstalten. Am 2. August 1880. Berlin 1880. Verlag von Angnst 
Hirschwald. 

8&mmiliohe hier angeführte Bttoher sind in bestehen duroh 
die Bnohhandlung Urban ft Sohwarzenberg in Wien, I., Maxi- 
milianetraeee 4. 


Eigenthum und Verlag von Urban & Schwarzenberg, Wien, I., Maximilianstrasse 4. - 
Verantwortlicher Redacteur: Dr. Vincenz Pink. 

Einsendungen an die Redaction sind zu richten: Wien, I., Maximilianstrass* 4. 


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Mediciuisch-chirnrgiscbe Rundschau. 


877 



KOHLENSAURES MINERAL-WASSER. 

Apollinaris-Brunnen, Ahrthal, Rhein-Preussen, 

Direction des K. K. Krankenhauses, “Wieden.” (Prot.z, 

266 D, 1879.) v 

NOTE. 

“ Der Apollinaris-Säuerling wurde während des Sommers 1879 tm A”. K, Krankenhanse 
Wieden auf den medicinischen Abtheilungen der Herren Doctorcn Ritter von Eisenstein 
und Oetinger, und auf den chirurgischen Abtheilungen des Herrn Professors Dr. Mosetig 
Rittet von Moorhof und des Herrn Dr. Kumar angewemiet . Aus den diesfalls eingesen¬ 
deten Berichten dieser Herren Primarärzte geht hervor: dass das Apollinaris-Wasser 
sich durch seine Reinheit uttd seinen Wohlgeschmack, insbesondere aber 
durch seinen ausserordentlichen Gehall an Kohlensäure vor anderen Säuerlingen 
auszeichne, dass es somit vor anderen Säuerlingen in jenen Fällenden Vorzug 
verdiene , in welchen zunächst die Wirkung der Kohlensäure erwünscht ist. Dieses 
IVasscr hat sich insbesondere als kühlendes, erfrischendes Getränk in fieber¬ 
haften acuten £rkrankungen enviesen, und wurde bei catarrhalischen 
Affectionen der Athmungs-, der Verdauungs- und Harnorgane mit gutem 
E rfolge an gewendet. Wien, am 29. Dezember 1879. 

Dr. F. \V. Lorinser. 

An das Zweig-Comptoir der Apollinaris Company in Remagen.” 

Hofrath Univ.-Prof.Dr.Carl Ritter von Braun-Fernwald, 

Wien : “ Ich bestätige hiermit, dass das Apollinaris-Mineralwasser sehr reich an 
Kohlensäure ist , und dadurch als sehr erfrischendes Getränk für Gesunde, und 
sehr kräftigend für Reconvalescenten mit geschwächter Verdauung sich 
mir erwiesen hat . 26. Januar 1880.’’ 

Hofrath Univ.-Prov. Dr. Ad. Duchek, Wien: “Das Apollinaris- 

Wasser ist einer der kräftigsten Säuerlinge, und wird daher bei allen jenen 
Krankheiten Anwendung finden, wo Säuerlinge überhaupt angezeigt sind. 26. Januar 
1880.'* 

Prof. Dr. Josef Seegen, Wien: “ Das Wasser des Apollinaris-Brunnen 

bei Neuenahr ist seiner Zusammensetzung nach ein milder alkalischer Säuerling. 
Durch die Ueher Sättigung mit aus der Quelle gewonnener Kohlensäure steht es den 
Sodauässcm nahe, und ist diesen als hygien isches Getränk vorzusiehen wegen 
der Güte des Wassers und der Reinheit der Kohlensäure. Es wird auch thera¬ 
peutisch überall mit Nutzen verwendet werden, wo ein Wasser mit reichem Kohlen¬ 
säuregehalt angezeigt ist. 14. Februar 1880.” 

Prof. Dr. Jos. Spaeth, Wien : “ Das Apollinaris- Wasser ist ein ausseror¬ 
dentlich kohlensäurcreichcr Natronsäuerling, von jedem Nebengeschmäcke frei, 
und bestens zu empfehlen. August 1879.” 

Primararzt Dr. Josef Standthartner, Wien: “ Das natürliche 

Apollinaris-Wasser eignet sieh ganz vorzüglich zum diätetischen Gebrauche, 
und wird auch bei Schwäche der Verdauung sehr gut vertragen. 2a Juli 1879.” 

Gen.-Stabsarzt K. Univ.-Prof. D. V. Nussbaum, München: 

“ Äusserst erquickendes und auch nützliches Getränk , weshalb ich cs bestens empfehlen 
kann.” 

K. Univ.-Prof. Dr. M. J. Oertel, München: “ Als erfrischemies 

Getränke rein oder mit Wein gemischt, nimmt es unter den Ahnerahuässcm sicherlich 
den ersten Rang ein. 16. Miirz 1879.” 

Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Virchow, Berlin: “ Sein angenehmer 

Geschmack und sein hoher Gehalt an reiner Kohlensäure zeichnen es vor den anderen ähn¬ 
lichen zum Versandt kommenden Mineralwässern vortheilhaft aus. 24. Dezember 1878." 


Käuflich bei allen Mineralwasser-Händlern, Apothekern, etc 

DIE APOLLINARIS COMPANY. LIMITED; 

Zweig-Comptoir, Remagen a. Rhein. 


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78 


Medicinisch-chirurgiache R- alI tf*ckr. 


Im Unterzeichneten Verlage erscheint: 


REAL-ENCYCLOPÄDIE 


der 

GESAMMTEN HEILKUNDE. 

Medicinisch-chirurgisches 

Handwörterbnoh für praktische Aerite. 

UNTER MITWIRKUNG DER HERREN 

Prof. Dr. Adamkicwici , Krakau — Prof. Dr. Albert. Director der chir. Klinik, Innsbruck 

— Prof. Dr. Albrecht . Berlin — Prof. Dr. Arndt, Director der psychiatrischen Klinik, 
Greifswald — Prof. Dr. Auspitt, Director der allg. Poliklinik, Wien — Prof Dr. Banil, 
Wien — Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Bardeleben, Director der chir. Klinik, Berlin, — Dr. C. 
Behrend, Berlin. — Prof. Dr. Benedikt, Wien — Prof. Dr. Berger, Breslau — Reg.-Rath. Prof. 

Dr. Bematük, Wien — Prof. Dr. Bim , Director des pharmac. Instituts, Bonn — Med.-Rath 
Dr. Birch-Hirschfeld, Prosector am Stadt-Krankenhause, Dresden — Prof. Dr. Blume*- . 
stok, Krakau — Prof. Dr. Baehm, Director des Krankenhauses „Rudolf-Stiftung“, Wien — 

, Dr. ßcerner. Berlin — Dr. Bcettger, Redacteur der pharmac. Zeitung, Bunzlau — Prof. 

1 Dr. Busch, Berlin — Docent Dr. H. Chiari, Prosector des k. k Rudolf-Spitals, Wien —Prof. 

Dr. H. Cohn, Breslau — Dr. Ehrenhaus, Assistent der Kinderklinik und Poliklinik, Berlin 

— Prof. Dr. Eichhorst, Göttingen — Docent Dr. Englisch, Primararzt des Kranken¬ 
hauses „Rudolf-Stiftung“, Wien — Geh. San.-Rath Dr. M. Eulenburg. Berlin — Docent 
Dr. Ewald, Berlin — Docent Dr. Falk, Kreisphysikus, Berlin — San. Rath Docent Dr. 

B. Fr senket, Berlin — Prof. Dr. Geber, Klausenburg — Dr. Greulich, Berlin — 

Dr. Grünfeld, Wien — Prof. Dr. Gurlt, Berlin — Docent Dr. P. Güter bock, Berlin — 
Docent Dr. P. Guttmann, dirigirender Arzt des städtischen Baracken-Lazareths, Berlin 

— Prof. Dr. Hirschberu. Berlin — Docent Dr. Hock, Wien — Ober-San.-Rath Prof. Dr. 

E. Hofmann, Wien — Docent Dr. Hofmokl, Wien — Prof. Dr. Th. Husemann, Göttinnen 

— Prof. Dr. Kaposi, Wien — Med.-Rath Docent Dr. Kisch, Marienbad Prag — Prof. 

Dr. Klebs, Prag — Dr. S. Klein, Wien — Prof. Dr. Kleinwächter, Director der geburts- 
hülflichen Klinik, Innsbruck — Dr. Th. Knauthe, Meran — Kgl. Rath Prof. Dr. Fr. Korkern. 
Director der med. Klinik, Budapest — Prof. Dr. Krabler, Director der Kinder-Poliklinik, 
Greifswald — San.-Rath pror. Dr. Küster, dirig. Arzt am Augusta-Hospital, Berlin 

— Prof. Dr. Landols, Director des physiologischen Instituts, Greifswald — Dr. l^ersth. 
Bade-Inspector, Aachen — Prof. Dr. G. Lewin, Director der Klinik für syphilitische 
und Hautkrankheiten An der Universität, Berlin — Dr. L. Lewin, Assistent am , 
pharmacologischen Institute. Berlin — Prof. Dr. Lob bisch, Vorstand des Laboratoriums 1 
für med. Chemie an der Universität, Innsbruck — Dr. Löbker, Assistenzarzt der J 
Chirurg. Klinik, Greifswald — Prof. Dr. Lucio, Director der Poliklinik für Ohren¬ 
krankheiten , Berlin — Docent Dr. Marchond, Assistent am pathologisonen Institute, 
Breslau — Docent Dr. Mendel, Director der Privat-Irrenanstalt, Pankow-Berlin 
—- Dr. Jjothar Meyer , Arzt der städtischen Siechenanstalt, Berlin — Docent Dr. MouB, 
Wien — Prof. Dr. Mosler, Director der med. Klinik, Greifswald — Prof. Dr. Al. Müller, 
Berlin — Prof. Dr. Obemier, Arzt am Johannis-Hospital, Bonn — Dr. A. Oldendorf, 
Berlin — San.-Rath Docent Dr. Oser, Primararzt des Israelitenspitals, Wien — 
Docent Dr. Perl, Berlin — Geh. Med.-Rath Prof. Dr. Pemice, Director der 
reburtshülflichen Klinik, Greifswald — Docent Dr. A. Pick, Secundararzt der 
Landes-Irrenanstalt, Prag — Prof. Dr. A. Politter, Wien — Dooent Dr. Freiherr v. I 
Preuschen von und tu Liebenstein, Greifswald — Dooent Dr. Remak, Berlin — Geh. San.- I 
Rath Dr. Reumont, Aachen — Docent Dr. von Reuss, Wien — Docent Dr. L. Riess, Director 
des städtischen Krankenhauses, Berlin — Docent Dr. Rosenbach, Breslau — Prof. Dr. 

M. Rosenthal. Wien — Prof. Dr. Samuel . Königsberg — Docent Dr. W. Sander. Dirigent 
der städtischen Irren-Siechenanstalt, Berlin — Prof. Dr. Jichcuthaucr, Budapest — Fror. 
Dr. Schirmer, Director der ophthalmiatrischen Klinik, Greifswald — Prof. Dr. Schmidt- 
Rimpier, Director der ophthalmiatrischen Klinik. Marburg — Prof. Dr. Schnitiler, Wie® 

— Doc. Dr. H. Schult, Bonn — Dr. Schwabach, Berlin — Pro?. Dr. Schwimmer, Budapest — 
Docent Dr. Seeligmüller, Halle — Dr. Seligsohn, Berlin — Stabsarzt Dr. Settekorn, Stettin 

— Prof. Dr. O. Simon, Director der Klinik für syphilitische und Hautkrankheiten an 
der Universität, Breslau — Dooent Dr. Smoler, Krankenhaus-Director, Prag — Docent 
Dr. Soltmann, Breslau — Prof. Dr. Sommer, Prosector, Greifswald — Docent Dr. Soyka, 
Assistent am hygienischen Institute, München — Docent Dr. Steinauer, Berlin — Geh. 
San.-Rath Docent Dr. Tobold , Berlin — Docent Dr. Vittmann, Wien — Prof. Dr. Vogl. 
Director des pharmacognostischen Instituts, Wien — Prof. Dr. Vogt, Director der chir. 
Kinder-Poliklinik. Greifswald — Docent Dr. Weber-Liel, Berlin — Prof. Dr. Weioert, 
Assistent am pathologischen Institute, Leipzig — Docent Dr. Wemich, Berlin — Kais. 
Rath Docent Dr. Winiemitt, Wien — Docent Dr. J. Wolff, Berlin — Stabsarzt Dr. 

Woltendorf. Greifswald — Docent Dr. Zuelter , Berlin 
herausgegeben von 

Dr. ALBERT EULENBURG, 

ord. Professor au der Universität Greifswald. 

—Mit zahlreichen Illastrationen in Holzschnitt. —— 

Erscheint in circa 10 Bänden von je 46—5o Druckbogen. — Die Ausgabe findet In Heftes 
4 4—5 Drnokbogen etatt. Preis pro Heft l M. 60 Pf. = 90 kr. Ö. W. — Preis eines 
Bandes (10 Hefte) in eleg. Original-Einband 10 fl. 60 kr* = 17 M. 60 Pf. 


URBAN & SCHWARZENBERG, Mtdiciniscbß Verlagstochiianilliiiif 


in WIEN, I., Maximilianstrasse Nr 4. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


879 



,GoogI< 













880 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 



Böhmens Schatz! 

Püllna’er Natur - Bitterwasser 

Die altberühmte Krone der Bitterwässer. 

Preisgekrönt: 

Philadelphia 1876, Paris 1878 nnd Sydney (Australien) 1879. 

Salt 100 Jahrra bewährt. 

Die Gemeinde-Bitterwasser Direction Püllna. 

155 Anton Ulbrich, Sohn des Gründers. 




Druck von G. öistel & Co. 


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Interne Klinik, Pädiatrik, Psychiatrie. 


694. Zur Lehre von der Inhalationstuberkulose. Von H. Ber¬ 
the au. (Deutsch. Arch. für klin. Med. 1880. 26. Bd. 5. u. 6. Heft.) 


Nach einer übersichtlichen Darstellung der bisherigen Methoden, 
Infectionßstoffe in den Respirationstract zu bringen , bespricht Verf. die 
Versuche von Tappeiner und Schot telius und ist der Meinung, 
dass die Differenzen zwischen den beiden Autoren nicht in der ver¬ 
schiedenen Auffassung der miliaren Knötchen in pathologisch-anatomischer 
Hinsicht begründet sind, sondern dass sie unter verschiedenen Bedingungen 
experimentirt haben und daher auch zu verschiedenen Resultaten gelangt 
sind, dass also die Tappeiner’schen Tuberkel andere Gebilde, als die 
miliaren Knötchen von Schot telius sind. Um nun die Ursache der 
Differenzen zu eruiren, hat Verfasser die Inhalations versuche in etwas 
modificirter Form wiederholt. 

Als Versuchsraum diente ein Holzkasten von a / 3 Mtr. Breite und 
Höhe und 1 V a Mtr. Tiefe. Das Innere desselben ist durch einen mit 
weitmaschigem Draht beflochtenen Holzrahmen in einen hinteren grösseren 
und vorderen kleineren Raum getheilt; letzterer ist durch eine mit einer 
Glasscheibe versehenen Thttre verschlossen. Der hintere Raum diente 
dem Versuchsthiere zum Aufenthalte, im vorderen wurde der Zerstäuber 
aufgestellt. Die erste Versuchsreihe wurde in der Weise aufgestellt, dass 
den Versuchsthieren, 3 Hunden und 1 Ziege, mehrere Male durch den 
Dampfepray eine Flüssigkeit zugeftthrt wurde, welche tuberkulöse Massen, 
in feinster Vertheilung suspendirt, enthielt. Zum ersten Versuche dienten 
der Leiche entnommene verkäste Lymphdrüsen, zu den folgenden Sputa 
von Phthisikern. Die Inhalationsflüssigkeit wurde in der Weise darge 
stellt, dass die verkästen Lymphdrüsen , beziehungsweise die Sputa mit 
Wasser verrieben und hierauf durch gröbere, dann feinere Leinwand 
filtrirt wurden. Das trübe Filtrat enthielt feinkörnige , meist einkernige 
lymphoide Zellen, freie Kerne und kleinste Körnchen, welche theils als 
Detritus, theils als Bacterien anzusprechen sind. Die Menge der jedesmal 
verbrauchten Flüssigkeit betrug zwischen 150 und 250 Grm., zu deren 
Zerstäubung etwa 20 Minuten erforderlich waren. Nach geschehener 
Inhalation verweilten die Thiere noch eine Stunde im Versuchsraum, 
brachten aber die übrige Tageszeit im Freien zu. Als Resultat dieser 
Versuchsreihe zeigte sich in allen Fällen in den Lungen eine hmption 
Weiuster Knötchen, welche meist nahe der Oberfläche, doch auch im 
Innern ihr** Sitz hatten , und über alle Lappen gleichmässig vertheilt 


Med.-ohir. Rundschau. 1880. 


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882 


Modiciniseh-chirurgiache Rundscliam 


erschienen. Die kleinsten Knötchen sind interstitiell gelegene gefüsslose 
zeitige Infiltrationsherde, in denen man neben einem sehr zarten Reticnlnm 
kleinere lymphoide und grössere epitheloide Zellen unterscheiden kann. 
Durch Confluenz kleinster submiliarer Gebilde entstehen miliare Knötchen. 
In ihrer Umgebung sieht man eine leichte Zellwucherung in den Alveolar- 
septis und eine Alveolarinfiltration. Mehrere Knötchen zeigten im Centrum 
beginnende regressive Metamorphose. Berücksichtigt man den Bau, den 
Sitz und die übrigen Eigenschaften dieser Knötchen , so muss man sie 
als Tuberkel bezeichnen und sie den Tuberkelknötchen, denen man beim 
Menschen so häufig begegnet, vollkommen äquivalent erachten. Der Um¬ 
stand, dass es nicht mit Sicherheit gelang, in diesen Knötchen Riesen 
zellen nachzuweisen, hält Verf. für unwesentlich, da seiner Meinung nach 
die Ansicht, welche die Anwesenheit einer Riesenzelle als unumgängliches 
Postulat für einen Tuberkel hinstellt, durchaus ungerechtfertigt ist. Die 
auffallende Thatsache, dass in seinen Versuchen ausschliesslich die Lungen 
der Sitz der Erkrankung waren, während sich alle übrigen Organe voll 
kommen intact zeigten, erklärt Verf. dahin, dass bei denjenigen Thier 
species, welche eine grössere Disposition zur Tuberkulose besitzen, das 
Virus eine rasche, allgemeine Verbreitung im Körper findet, indessen bei 
Thieren, denen eine grosse Widerstandsfähigkeit gegen dieses Virus zu 
kommt, sich zwar in dem Organe, welches unmittelbar inficirt ist, eine 
locale Tuberkulose entwickelt, die Allgemein-Infection aber vom Organismus 
überwunden wird. 

Ausser diesen Versuchen stellte Verf. noch einige in der Weise 
an, dass die Thiere, ebenso wie in den früheren Experimenten, zerstäubte 
tuberkulöse Massen einathmeten, aber kurze Zeit nach den Inhalationen 
getödtet wurden. Es war zu eruiren, ob überhaupt die mit dem In¬ 
halationsstrom in die Lungen dringenden feinsten corpusculären Element* 
reizend wirkten und wie die Lungen dagegen reagiren. Der erste be 
zttgliche Versuch, mit einem Kaninchen vorgenommen, lieferte kein reines 
Resultat, da das Thier, welches in 36 Stunden viermal inhalirte und 
nach Ablauf von weiteren 36 Stunden getödtet wurde, in den letzten 
Momenten Blut aspirirte. Ein zweites Kaninchen, 24 Stunden nach den 
Inhalationen getödtet, bot keinerlei pathologische Veränderungen dar. 
Zwei weiteren Kaninchen, am fünften, respective sechsten Tage getödtet. 
zeigten ebenso wie eine Katze normale Verhältnisse. 

Aus diesen Versuchen schliesst Verf., dass die feinsten oorpus 
culären, mit dem Inhalationsstrome in die Lungen dringenden Elemente, in 
den Alveolen nicht als Entzündungsreiz wirken. Damit wäre auch aut 
experimentellem Wege der Nachweis erbracht, dass die Knötchen in den 
Lungen der ersten Versuchsthiere, nicht als Fremdkörper-Pneumonien, 
sondern als Product eines specifischen Virus anzusprechen sind. 

Um endlich auch die Frage von der Specificität der Tuberkulose 
zu prüfen, liess Verf. einen jungen Hund viermal in sechs Tagen ver 
riebene und zerstäubte pneumonische und katarrhalische Sputa inhaliren. 
Bei der nach fünf Wochen gemachten Section zeigten die Lungen 
makroskopisch normale Verhältnisse. Bei mikroskopischer Untersuchung 
zeigten sich an vereinzelten Stellen leichte Verdickungen einzelner 
Alveolarsepta und geringfügige Zellwucherung längs der Adventitia 
einzelner Bronchien. Diesen Befund hält Verf. für einen zufälligen, 
welcher seine Entstehung einem geringfügigen acuten Process verdankt. 
Jedenfalls spricht dieses Experiment zu Gunsten der Specificität der 
Tuberkulose. — Die Resultate dieser allerdings kleinen Versuchsreihen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


8S3 


scheinen die Angaben T a p p e i n e r’s zu bestätigen und lassen die 
Richtigkeit der Behauptung von Schottelius, dass die Frage von der 
Specifieität der Tuberkulose durch die Inhalationsversuche nicht ent¬ 
schieden werden könne, bezweifeln. 

Nachdem Verfasser zum Schlüsse noch die Frage vom Incubations- 
«tadium und von der Contagiosität kurz bespricht, gibt er als Gesammt- 
resultat seiner Untersuchungen folgende Sätze: 

1. Die Inhalation zerstäubter, tuberkulöse Substanzen enthaltender 
Flüssigkeit führt, wenn die oorpusculären Elemente in hinreichend feiner 
Verkeilung snspendirt sind, zunächst zu keinerlei Veränderungen in den 
Lungen. 

2. Erst nach Ablauf einer bestimmten Incubationszeit, welche bei 
Hunden etwa 14 Tage beträgt, entwickelt sich in den Luqgen eine 
Miliartuberkulose. 

3. Die Infection erfolgt sowohl nach Inhalation Leichen entnommener 
Tuberkelmassen, als auch nach Inhalation phthiskchen Sputums. 

v. Rokitansky. 


695. Die peristaltische Unruhe des Magens nebst Bemerkungen 
über Tiefstand und Erweiterung desselben, das Elatschgerftusch und 
Galle im Magen. Von Prof. Kussmaul. (Volkmann’s Sammlung klini¬ 
scher Vorträge Nr. 181.) 


Der Verf. versteht unter peristaltischer Unruhe des Magens 
eine bei manchen Personen vorkommende auffallend lebhafte peristaltische 
Bewegung des Magens, bei welcher sich grosse and mächtige Wellen¬ 
berge über den Magen hinbewegen und nur dann Ruhe eintritt, wenn 
der Magen von Speisen vollkommen leer, nur Luft enthält. Am gross- 
artigsten zeigt sich die Erscheinung an enorm erweiterten Magen mit 
hypertrophischer Muscularis bei narbiger Stenose des Pylorus oder Duo¬ 
denum. Die erwähnten Widerstände am Ausgange des Magens sind eben 
nur durch einen grösseren Kraftaufwand zu überwinden und so ist in 
allen diesen Fällen die peristaltische Unruhe nichts als der Ausdruck 
und die Wirkung grob mechanischer Störung. In jüngster Zeit 
gewann aber K. die Ueberzeugung, dass der Magen von peristaltischer 
Unruhe unter Umständen ergriffen werden kann, die es sehr unwahr¬ 
scheinlich machen, dass sie als ein grob mechanischer Effect aufgefasst 
werden dürfe, sondern als Motilitäts - Neurose anzusehen ist. 

Als Beispiel für eine derartige Neurose führt der Verf. eine 
Beobachtung auf, welche eine ältere, etwas nervöse, sonst aber gesunde 
Frau betrifft, bei der sich unter dem Einflüsse des Kummers Störungen 
im Wohlbefinden einstellten, wie sie als Wirkung deprimirender Affecte 
oft beobachtet werden: schlechter Appetit, träger Stuhl und 
in Folge verminderter Nahrungsaufnahme langsame Abmagerung. 
Dabei blieb es 2Va Jahre. Dann kam es in Folge des Miasbrauches 
von Purgantien zur eigentlichen Dyspepsie. Symptome von Ulcus waren 
nie vorhanden. In den letzten 6 Wochen vor der Aufnahme der Patientin 
auf der Klinik stellte sich ein beunruhigendes Wogen und Zusam¬ 
menziehen im Leibe ein, d. h. sie percipirte die ungewöhnlich 
heftigen peristaltisclien Bewegungen des Magens und Darmes. Die Unter¬ 
suchung des Magens ergab mehrere Anomalien desselben: 

1. Tiefstand des Magens mit subverticaler Stellung. 

2. Mässige Erweiterung des Magens, vermuthlich nur des 
Pylorustheües. 


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Medicinisch-cbinnxische Rundschau. 


3. Die als peristaltische Unruhe des Magens bezeichnet© 
Erscheinung. 

K. geht nun auf diese 3 Punkte näher ein und bespricht zuerst 
die verticale Stellung des Magens, wobei er hervorhebt, dass 
auch bei normalem Höhestande des Pylorus ein Magen von normalem 
Umfange in seinem tiefsten Theile weit unter den Nabel herabstehen kann, 
wodurch er die Gestalt einer Darmschlinge annimmt. Ein solcher 
Tiefstand des Magens führt namentlich dann häufig zu der unrichtigen 
Diagnose der Gastrektasie, wenn sogenannte Plätscher- Gurr- oder 
Klatschgeräusche vorhanden sind. Man darf aber diese Geräusche | 
nicht miteinander verwechseln oder sie als gleichbedeutend zusammen¬ 
werfen. 

Plätschergeräusche entstehen, indem Wasser und Luft 
durcheinandergeschüttelt werden, wenn der ganze Körper oder der Magen 
für sich geschüttelt wird. Gurr- und Klatchgeräusche entstehen 
am besten, wenn der Magen nur Luft enthält, indem die Bauchwand 
im Epigastrium kräftig rasch hintereinander durch eigene Muskelkraft 
eingezogen und vorgewölbt, oder vom Arzte rasch eingedrückt und 
wieder losgelassen wird. Die Gurr- und Klatschgeräusche berecb- 
tigen nicht zur Diagnose einer Magenerweiterung und selbst bei einem 
Plätschergeräusch unterhalb des Nabels darf eine Gastrektasie nnr 
angenommen werden, wenn der Tiefstand des Magens ausgeschlossen 
werden kann. Immerhin bildet aber die verticale Stellung des Magens ein I 
zur Erweiterung disponirendes Moment. 

In dem nun folgenden Abschnitte macht der Verf. einige inter¬ 
essante Mittheilungen über den Eintritt von Galle in den Magen. Man 
findet bei Ausspülungen des nüchternen Magens häufig das Spül | 
wasser gallig gefärbt, vorausgesetzt, dass der Pylorus und das Darmstüek 
zwischen Pylorus und Gallengang-Mündung nicht verengt ist. Es gibt | 
jedoch andere Personen, welche gleichfalls nur an nervöser oder katarrha 
lischer Dyspepsie leiden und deren Pylorus und Duodenum sicher nicht 
verengt sind, bei denen man Morgens nie Galle aus dem Magen herauf* 
holt. Der Grund, warum unter anscheinend gleichen Verhältnissen beim 
Einen Galle constant, beim Anderen nie in den leeren Magen einfliesst, 
liegt vermuthlich in der individuellen Verschiedenheit in Bau und Stellung I 
des Pylorus und Duodenums. Dass die Galle leichter in den leeren als | 
in den gefüllten Magen einfliesst, dürfte wohl darin seinen Grund haben, 
dass am leeren Magen die Ringmuskulatur des Pylorus in unthätiger 
Erschlaffung verharrt. Entwickelt man im nüchternen Magen aus 
Brausepulver Kohlensäure, so entweicht sie, falls nicht Pylorus oder 
Duodenum organisch verschlossen sind, rasch in die Därme. Diese 
Incontinenz des Pylorus ist rein physiologisch. (Ueber Incon¬ 
tinentia pylori, siehe Ebstein’s Vortrag in der medic.-chirurg. Rundschau, 
Jahrg. 1878, p. 796.) 

Die peristaltische Unruhe, welche K. bei seiner Patientin 
beobachtete, bestand im nüchternen, sowie im gesättigten Zustande; doch 
weiss der Verf. nicht anzugeben, ob die Bewegungen auch bei Nacht 
anhielten. Jedenfalls sind peristaltische Bewegungen des Magens im 
nüchternen Zustande als abnorm anzusehen und ebensowenig kommen sie 
am gesunden Menschen in der Regel zur bewussten Wahrnehmung, 
während bei der in Rede stehenden Patientin die Gefühle von 
Wühlen und Zusammenziehen hochgradig beängstigend waren. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Merkwürdig ist es, dass trotz der peristaltischen Unruhe Verstopfung 
bestand. Was die Gründe für die peristaltische Unruhe betrifft, so macht 
K. aufmerksam, dass er dieselbe vorwiegend bei solchen Fällen von 
Magenerweiterung fand, wo sich die erbrochenen Massen durch einen 
sehr hohen Säuregehalt auszeichneten. Dies legt den Gedanken 
nahe, dass die freien Säuren des flüssigen Mageninhaltes anregend auf 
die Peristaltik einwirken. Es handelte sich jedenfalls hier um eine nerv Öse 
Form der peristaltischen Unruhe, die ihren Grund hatte in einem unge¬ 
wöhnlichen Verhalten des Nervensystems, ähnlich wie dielästigen Darm¬ 
bewegungen Torminanervosa, an welchen Hypochonder und Hyste¬ 
rische so oft leiden. G1 a x. 


696. Ein FaU von Wanderleber. Von Dr. K. H o c h h a 11. 
(Gyögyäszat XIX. 1879. 41. 42.) 


H. A., eine 55jährige Frau, die in ihrer Jugend an Icterus, vor 
10 Jahren an Intermittens litt, hob vor einem Jahre einen schweren Sack, 
auf das im rechten Hypochondrium plötzlich heftiges Stechen auftrat 
und die Frau bewusstlos zu Boden sank. Seit jener Zeit spürt Patientin 
fortwährend eine fremde, ungewohnte Schwere, und eine die ganze rechte 
Hälfte des Bauches einnehmende, harte, bewegliche Geschwulst, die seit 
der Zeit ihrer Entstehung immer gleich geblieben. Die Geschwulst ver¬ 
ursachte ausser zeitweiligen Verdauungsstörungen und hartnäckigen Ver¬ 
stopfungen keine grösseren Beschwerden. 

Die Diagnose basirt auf folgenden Befund. Percussion der rechten 
Brusthälfte vorne bis zur 6. Hippe voll, hell, von hier bis zum Rippen¬ 
bogen hell tympanitisch; ebenso rückwärts von der 10. Rippe abwärts. 
Der rechte Rippenrand ist mit allen fünf Fingern leicht zu umgreifen, 
und ist so möglich fast bis zum Diaphragma zu gelangen. Bauchumfang 
grösser als normal. Bauchwände lax und nachgiebig. Auf der rechten 
Seite drei Querfinger unter dem Rippenrand ist eine mit gleichförmig 
glatt und convexer Oberfläche versehene consistente Geschwulst zu fühlen, 
die bis zur Spina ilei. und der Mittellinie des Bauches reicht, und deren 
unterer Rand etwas nach links eingekerbt ist. 

Die Geschwulst ist von der Grösse einer normalen Leber, auf 
Druck nicht empfindsam und so beweglich, dass bei linker Seitenlagerung 
der Pat. sich die Geschwulst auch nach links senkt, und durch äussere 
Handgriffe leicht in das rechte Hypochondrium zu heben ist. 

Die physikalische Untersuchung der übrigen Organe bietet normale 
Verhältnisse. 

Diagnose stellte Verfasser auf Wanderleber und zwar wegen Vor¬ 
handensein der vonCantani, Meissner, Winkler und Clivostek 
^gestellten Cardinalsymptorae: 

I. Die Leber ist physikalisch auf ihrem normalen Platz nicht 
nachzu weisen. 

2. Im Meso* oder Hypogastrium eine, der Form und Grösse nach 
der Leber entsprechende Geschwulst; (am unteren Rand die Fossa longitud., 
die Gallenblase, am oberen Rand das Lig. suspens.). 

3. Geschwulst beweglich. 

4. Reponirbar in das rechte Hypochondrium, ausser wenn durch 
entzündliche Producte fixirt. 

5. Laxe und nachgiebige Bauchwände. 

Ausser dem Vorhandensein all’ dieser Symptome ist noch beachtens- 
*erth die plötzliche Entstehung durch mechanische Einwirkung. 


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Medicinisch-chimrgisehe Rundschau. 


Da die Behandfong der Wanderleber nur in der Anwendung von 
zweckmässigen Bandagen beeteben kann , so Hess auch Verf. der Pit 
einen solchen Bandapparat tragen, und zwar nach K. Malier mit einer 
keilartigen Pelotte. Pat. duldete denselben ganz wohl. 

Dr. L. Fanzier. 

697. Zwei Fälle von Hernia pnlmonalis. (Gyögy&szat XIX. 
1879. 22. 28.) 

Dr. Török bespricht den Fall eines jungen Mannes, der zwischen 
der 10. und 11. Rippe unter dem linken Schulterblattwinkel einen 
Messersttoh erhalten. Der durch die penetrirende Brustwunde verfallende 
Lungentheil war von der Grösse einer Kinderfaust und so eingeklemmt 
dass man ihn nicht mehr reponiren konnte. Uebrigens war er auch 
schon infiltrirt und zum Zerfallen geneigt. Der Stiel wurde unterbunden, 
der Vorfall abgetragen, die Wunde mit in Carboiglycerin getauchten 
Läppchen gedeckt. Der Pat. blieb ruhig; in 4 Tagen wurden die Knopf¬ 
nähte, in einer Woche die Carlsbader-Nadel entfernt. Bei massiger 
Eiterung vernarbte die Wunde, ohne Pyothorax oder Pneumonie im 
Gefolge zu haben. 

Dr. Csurgay erzählt den Fall eines 70jährigen Mannes, der in 
die linke Brust einen sehr tiefen, penetrirenden Stich bekommen. Als 
Verf. gerufen wurde, fand er in der linken Axilla zwischen der 7. und 
8. Rippe eine apfelgrosse, mit Blut bedeckte Geschwulst, die durch einen, 
— in die 3 Cm. langen Schnittwunde eingeklemmten — Stiel mit der 
in der Brusthöhle befindlichen Lunge in Verbindung stand. Der als 
Lungenvorfall erkannte Theil konnte weder weiter vorgezogen, weder 
reponirt werden, er war incarcerirt. In einigen Tagen starb derselbe 
ab; sein Stiel wurde deshalb vom Verf. unterbunden, worauf der Vorfall 
entfernt werden konnte. Complicationen oder böse Nachfolgen traten 
auch hier keine auf. Dr. L. Fan zier. 

698. Ueber Nephritis bei acuten Infeotionskrankheiten. Von 
Kannenberg. (Zeitschr. f. clin. Med., I. — Centralbl. f. d. med. 
Wissensch. 1880. Nr. 44.) 

Verf. hat das Auftreten von Pilzen im Urin besonders bei den mit 
Nephritis complicirten acuten Infeotionskrankheiten verfolgt und gefundeu: 

1. Bei gesunden bezw. nicht fiebernden Personen gelingt es, im 
frisch gelassenen Urin bisweilen Pilze in der Form kleiner Kügelchen 
oder Biscuits (Mono- oder Diplococcus) nachzuweisen, seltener kleine 
Ketten oder Stäbchen. 2. In allen fieberhaften Krankheiten ist die Zahl J 
derselben vermehrt. 3. Besonders zahlreich fanden sie sich bei Infec- 
tionskrankheiten, zumal wenn diese mit Nephritis complicirt waren. Die 
Nephritis verlief nach Verf. isochron mit dem Auftreten der Pilze: 
besonders deutlich sprach sich dies bei der Nephritis bei Recurrens aus, 
hier schwammen die oben erwähnten Pilze theils frei im Urin herum, 
theils waren sie den Harncylindern eingelagert, aus denen sie deutlich 
hervortraten nach Behandlung von 1V 2 perc. Lösung von Kali causticmB 1 
oder durch Färbemethode (Auffangen des frisch gelassenen Urins m 1 
Kreosotwasser oder Thymollösung, Sedimentirung, Zusatz von Vjpcrc. 
Lösung von Kali caust. zur Aufhellung des Sediments und Färbung des¬ 
selben mit einigen Tropfen conc. Methylviolettlösung in Kreosot). D* e I 
Eigentümlichkeit der Recurrensnephritis, sich genau an die Anfälle aozu* I 
schliessen und mit jeder Krise prompt wieder zu verschwinden, deutet I 
darauf hin, dass dieselbe als die Folge eines Reizes angesehen werden .1 

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MedicinUch-chirurgische Rundschau. 


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müsse, als welcher aber nicht die Spirillen wirken, da diese nicht im 
Urin ansgesehieden werden, sondern die Micrococeen, welche möglicher¬ 
weise als 8poren derselben aufzufassen sind. Auch für Nephritis bei 
Typhus exaathematicus, Scharlach und croupöser Pneumonie nimmt Verf. 
die Micrococeen als Entzündungserreger an. Das Verkommen dieser 
Micrococeen im Urin, bei Nephritis im Gefolge von Tonsillarabscessen, 
nachdem die Temperatur bereits auf die Norm gesunken, spricht nach 
Verf. gegen die Annahme eines Zusammenhanges der Nephritis mit der 
Temperatursteigerung. 

Chinin in Dosen von 0*5—1*0 Grm. und Natron benzoic. 
10-0 —15 # 0 Grm. pro die in ihrer Eigenschaft als Antizymotica werden 
bei dergleichen Nephritiden vom Verf. empfohlen. 

699. Fuuctioneller Krampf und Tetanie bei einem Athleten. 

Von Revillot. (Gazette des höpitaux. 1880. 68. — St. Petersb. med. 
Wochenschr. 1880. 36.) 

R. beobachtete bei einem 21jährigen Manne, welcher als umher- 
vagirenden Acrobat sich mit der öffentlichen Production ausserordentlicher 
Kraftstücke abgab und in der That eine ungewöhnlich kräftig entwickelte 
Musculatur besass, einen eigenthümlichen Complex von Krankheitssym¬ 
ptomen, die ihn schliesslich zu seinem Gewerbe unfähig machten. Anfänglich 
stellten sich beim Heben einer schweren Last oder bei sonstigen Körper¬ 
anstrengungen in den angespannten Muskeln plötzlich circumscripta, 
krampfhafte Contracturen ein, welche steinharte Geschwülste bildeten 
und so schmerzhaft waren, dass die intendirte Muskelaction unter dem 
Gefühl plötzlicher Kraftlosigkeit unterbleiben musste. Diese Contracturen 
schwanden, sobald Pat. sich Ruhe Hess. Zwei Monate später, während 
welcher Pat. noch immer seinem Gewerbe oblag, trat plötzlich beim 
Heben zweier schwerer Hantelen, eine äusserst heftige und andauernde, 
schmerzhafte, allgemeine Contractur beider Bicipites, sowie der meisten 
Muskeln beider Arme und Schultern ein; dieser tonische Krampf liess 
nur sehr allmälig nach und kehrte mit der . Zeit immer häufiger und 
bei immer geringeren Anstrengungen wieder. Zugleich dehnte er sich auf 
immer weitere Muskelgruppen des Körpers aus und ergriff schliesslich 
die untern Extremitäten. Der Versuch die Arme zu heben oder einige 
Schritte zu gehen genügte, um den tetaniformen Krampfzustand in den 
betreffenden Extremitäten hervorzurufen, welcher übrigens auch reflectorisch 
durch mechanische Reize ausgelöst werden konnte. Wenn man den Muse, 
bieeps zusammenpresste, so sah man die Muskeln des Ober- und Unter¬ 
armes sich tonisch anspannen, und wegen des Uebergewichtes der 
Flexoren den Arm sich krümmen und die Hand sich hohl zusammen¬ 
biegen. Drückte man eine Wade, so traten analoge Erscheinungen im 
Bein auf, dasselbe streckte sich, und der Fuss nahm eine Equinusstellung 
an und verharrte tetanisch in derselben. Erkrankt waren vorzüglich 
diejenigen Muskeln, welche Patient bei seinen athletischen Kunststücken 
besonders hatte anstrengen müssen, und bei der häufigen Wiederkehr 
kam es schliesslich gar nicht mehr zu einer vollständigen Erschlaffung, 
sondern die Muskeln, namentlich die am frühesten erkrankten, geriethen 
in einen Zustand permanenter, wenn auch mässiger spastischer Contractur. 
Frei blieben nur die Respirationsmuskeln, sowie die Muskeln des Kopfes, 
der Augen, des Gesichts und des Halses. Der Zustand des Pat., dem 
auf diese Weise fast alle Bewegungen fast unmöglich wurden, war somit 
ein höchst elender. 


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Mediciniscb-chirurgische Rundschau. 


Die meisten Analogien dürfte diese Krankheit mit dem sogenannten 1 
Schreibekrampf besitzen. Hier wie dort war das ätiologische Moment : 
in der Üeberanstrengung der Muskeln zu suchen, und hier wie dort 
wurden die Krampfanfälle durch die intendirten Bewegungen hervor- ; 
gerufen. Was die Form des Krampfzustandes selbst anlangte, so hatte 
derselbe grosse Aehnlichkeit mit der sogenannten Tetanie der Extremitäten. 
Unter dem Gebrauch von Bromkalium und bei Vermeidung aller f 
Körperanstrengungen besserte sich der Zustand allmäiig, so dass das , 
Gehen und leichte Arbeit mit den Händen wieder möglich wurden. J 


Arzneimittellehre, Therapie, Balneologie, 
Toxikologie. 

700. Das Homatropin. Von Dr. H. Bertheau. (Berl. klin. 
Wochenschr. 1880. 41.) 

Verfasser hat mit Homatropin, einem dem Atropin verwandten 
Körper, an Fröschen und Warmblütern experimentirt und hiebei besonders 
das Verhalten der Organsysteme, welche von Atropin in charakteristischer 
Weise afßcirt werden , berücksichtigt. Zu den Versuchen diente au» 
schliesslich bromwasserstoffsaures Homatropin. Beim Frosche bewirkt 
H. in subcutanen Dosen von 2—4 Ctgrm. innerhalb einer Stunde motonsc e 
Lähmung, welche die gesammte Körpermuskulatur mit Einschluss \ er 
Athemmuskel befällt. Die Reflexerregbarkeit ist vorübergehend erhobt, 
erlischt aber bald nach Eintritt der Paralyse, die gelähmten Mus e 
reagiren auf den faradischen Strom. Die Rückkehr zum Normalznstan 
erfolgte nach 8 Stunden und später. Die Herzbewegungen wer en 
Dosen zu 2 Ctgrm. nicht beeinflusst, wohl aber zeigte sich das Herz es 
homatropinisirten Frosches unempfindlich gegen elektrische Reizung es 
Vagus und Hohlvenensinus. Grössere Dosen bis zu 4 Ctgrm. bewiren 
Verlangsamung der Herzbewegung, aber keine Herzparalyse- 

Bei Kaninchen traft nach Einführung kleiner Dosen bis zu 8^ 
vorübergehend eine Pulsverlangsamung etwa um 20 Schläge ein, c 
nach circa 20 Minuten Pulsbeschleunigung folgte. Grössere ° 
bewirkten sofortige Pulsbeschleunigung. Die elektrische Vagusre* 21 ^ 
ergab wechselnde Resultate. Bei manchen Thieren reagirte der 
nach Homatropinvergiftung auf elektrische Reizung gar nicht, bei an^ 
wechselte der Zustand der Lähmung und der Erregbarkeit, bei 
Kaninchen zeigte sich die elektrische Vaguserregbarkeit durch H. n 

afficirt. des 

Sowohl bei Allgemeinvergiftung, als auch bei Einträu ung 

Mittels in das Auge tritt Pupillenerweiterung ein. . e 

Während bei Kaninchen niemals Erscheinungen, welche r ^ 
Wirkung des H. auf die Centrainervenorgane sprechen, eintraten, 
sich bei Hunden, nach subcutaner Injection von 5—10 Ctgrm- 
Erbrechen geringe Störungen in der Motilitätssphäre. Uebngens ^ 
homatropinisirte Hunde im Allgemeinen dasselbe Symptomen i 
Kaninchen. Stets war die Mund- und Rachenschleimhaut troc en. ^ 
Pilocarpin folgte bei einem homatropinisirten Hunde absolut keine P el ^ 
secretion, indessen ein anderer gleich behandelter Hund etwas P ei 
absonderte. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Den Einfluss des H. auf die Schweisssecretion prüfte Verf. an einer 
Katze. Während auf Reizung des biossgelegten Ischiadicus vor der Ver¬ 
giftung die Zehenballen schwitzten, blieb die Pfote nach Einführung von 
5 Mgrm. H. trotz Pilocarpin trocken. 

Beim Menschen äusserten Dosen bis zu 5 Mgrm. keinen Einfluss* 
Grössere Dosen bewirkten grosse Schwäche in den Beinen, Schwindel 
und Mtidigkeitsgeftthl. Pupillenerweiterung trat erst bei Einführung von 
2 Ctgrm. ein. Kurze Zeit nach Einverleibung des H. werden die Herz¬ 
bewegungen verlangsamt. Grössere Dosen machen den Puls unregel¬ 
mässig und ungleich; die Mund- und Rachenhöhle wird sehr bald trocken. 

Gegen die Nachtschweisse der Phthisiker zeigten sich Dosen von 
4 Mgrm. wirkungslos, doch waren dies Fälle, bei denen auch 1 Mgrm. 
Atropin versagte. 

Als Gesammtresultat dieser Versuche ergibt sich, dass das H. im 
Grossen und Ganzen dieselben Eigenschaften wie das Atropin besitzt, 
sich aber dadurch unterscheidet, dass seine toxischen Wirkungen erst 
nach grösseren Gaben eintreten und rascher vorübergehen. Doch dürfte 
eben dieser Umstand, dass seine Wirkung von viel kürzerer Dauer ist, 
dasselbe für die praktische Medicin und speciell für die Diagnostik der 
Augenkrankheiten werthvoll machen. v. Rokitansky. 

•» 

701. Ueber zwei neue Anaesthetica. Von Dr. Ed. Tauber, 
Privatdoc, in Jena. (Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1880. 42. Allgein. 
med. Ctrl.-Ztg. 1880. 84.) 


Die praktische Anwendung der anästhesirenden Eigenschaft des 
Chloroforms durch Simpson (1847), sagt Verf., „sowie aber ganz 
besonders die in Folge der Anwendung in den ersten Jahren vorge¬ 
kommenen zahlreichen Todesfälle, veranlassten zuerst in England, dann 
auch in anderen Staaten mehrerer Forscher, Untersuchungen über die 
Wirkung der dem Chloroform nahestehenden Verbindungen anzustellen. 
Aus allen diesen Untersuchungen ergab sich die interessante Thatsache, 
dass die meisten Kohlenwasserstoffe und Derivate derselben aus der Fett¬ 
reihe eine mehr oder weniger anästhesirende Wirkung besitzen. Die 
wenigsten der nach dieser Richtung hin geprüften Substanzen haben 
aber bis jetzt eine nennenswerthe therapeutische Anwendung gefunden. 
Ganz besonders ist es das Chloralhydrat, welches sich einer solchen 
erfreut, und welches namentlich zur Erörterung einer Frage von höchster 
theoretischer Bedeutung Veranlassung gab. Liebreich ging bekannt¬ 
lich von der Anschauung aus, dass das Chloral, welches sich in 
alkalischen Flüssigkeiten in Chloroform und Ameisensäure spaltet, 
dieselbe Umsetzung auch im alkalischen Blute erleide und dadurch eine 
protrahirte Chloroformwirkung zu Stande kommen müsse. Gegen diese 
Anschauung sprachen sowohl die von Hammersten, Herrn an n- 
Tomaszewicz, Rajewsky und von Musculus und Mering 
Angestellten Untersuchungen, nach welchen man nicht im Stande war, 
weder im Blute, noch in der Exspirationsluft, noch im Harn chloralisirter 
Menschen und Thiere Chloroform nachzuweisen, als auch in theoretischer 
Beziehung die cblorürten Substitutionsverbindungen der Fettgruppe, welche 
alle eine chloroformähnliche Wirkung zu äussern im Stande sind, ohne 
sich in solches zu spalten. Zu dieser Auseinandersetzung fühlte ich mich 
veranlasst, weil Liebreich seine „Theorie der Componentenwirkung“ 
nicht nur für das Chloral, sondern für alle die Cl 3 -Gruppe, also den 
Chloroform-Componenten, enthaltenden Verbindungen aufstellte. w 


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Medicinisch-cbirurgische Rundschau. 


„In seiner Schrift: „Das Chloralhydrat ein neues Hypnoticum und 
Anaestheticom etc.“ (Berlin, 1871, 3. Auflage, pag. 23) heisst es: „Es " 

wird eine grosse Reihe von Körpern geben mOssen, welche den Cl s , also " 

den Chloroform-Componenten, enthalten und Chloroform im Organismus , 
abspalten;“ — weiter heisst es: — „Nur wenn die C-Atome im Molekül 
so lose zusammengehalten werden, dass eine Existenz der Verbindung in 
alkalischer Flflssigkeit unmöglich ist, werden solche die Cl 8 -Gruppen ent¬ 
haltenden Körper der Chloralwirkung ähnlich sein. — Werden in den 
Organismus Substanzen eingeführt, die ein complicirtes Molekül haben, 
so braucht, wenn eine Cl 8 -Gruppe vorhanden ist, diese sich gar nicht in 
ihrer Wirkung zu äussern. Wie unhaltbar diese „Theorie der Componenten- 
Wirkung von Liebreich, werden meine über die Wirkung des 
Methylchloroforms oder Monochloraethylidenchlorids und des isomeren 
Monochloraethylenchlorids angestellten Untersuchungen in klarster Weise 
darlegen. Die mit diesen beiden Körpern an Fröschen, Tauben, Meer¬ 
schweinchen, Kaninchen und Hunden angestellten Versuche werden im 
Kurzen in einer ausführlicheren Abhandlung erscheinen, heute wollte ich 
mir erlauben, an dieser Stelle eine vorläufige Mittheilung über die erhal¬ 
tenen Resultate abzustatten.“ 

Monochlor äthyliden chlorid (Methylchloroform). CH 3 —CCI 3 . 
Eine dem Chloroform ähnlich riechende Flüssigkeit von 1*362 sp. Gew. 
und 75° Siedepunkt. Regnault erhielt (1840) das Methylchloroform als 
zweites Product bei der Einwirkung des Chlors auf Chloraethyl. (Als 
erstes Product wird bekanntlich das Aethylidenchlorid erhalten.) 

Durch alkoholische Kalilauge wird das Methylchloroform nur sehr schwierig 
angegriffen, erst nach längerem starken Erhitzen mit demselben zerfällt es in 
essigsaures Kalium und Chlorkalium. — Diese Reaction zeigt, dass dem Mono- 
chloräthylidenchlorid die Constitution CH 8 zukommt. Die Essigsäure ist auch als 
methylirte Ameisensäure zu betrachten; wie nun Chloroform durch alkoholisches 
Kali in ameisensaures Kalium umgewandelt wird, so das Methylchloroform, Mono- 
chloräthylidenchlorid, in methylameisensanres — essigsaures Kalium. Was nun 
die Wirkung des Methylchloroforms auf den thierisohen Organismus anlangt, so 
liesR sich dieselbe aus seiner Constitution Vorhersagen, wie sie die von Verf. 
angestellten Versuche auch vollkommen bestätigen. Dass aber von einer „Com- 
ponenten-Wirkung“ dieses Körpers im Organismus keine Rede sein kann, zeigt 
nach Verf. sowohl seine grosse Beständigkeit den Alkalien gegenüber, als auch 
die Wirkungslosigkeit seiner „Spaltungsproducte“, der Essigsäure, und Salzsäure 
wenigstens in Bezug auf anästhesirende Wirkung. „Wir haben also hier," sagt Verf., 
„einen Körper vor uns, der die CP-Oruppe enthält, der 2 C-Atome enthält, welche 
in alkalischer Flüssigkeit sehr wohl bestehen können, der kein Chloroform ahspaltet, 
und der trotzdem eine ganz evident anästhesirende Wirkung aussuüben im 
Stande ist." 

Die an Fröschen angestellten Versuche zeigten, dass das Monochlor- 
äthylidenchlorid in einer Dosis von 5 Tropfen eine vollständige Anästhesie von 
12—19 Minuten Dauer, zu 10 Tropfen eine vollständige Anästhesie von 44—45 
Minuten Dauer h« rvorruft, und dass dasselbe keinen merklichen Einfluss auf die 
Pulsfrequenz beim Frosch ausübt. — Die an Kaninchen angestellten Versuche 
ergaben, dass diese Substanz in einer Dosis von 20 Tropfen in zwei Minuten 
vollständige Anästhesie erzeugt, welche 3— 4 Minuten andauert, und dass die 
Respiration in der tiefsten Narkose nicht wesentlich verlangsamt wird. — Der 
an einem Hunde von 5—6 Kilogrm. Körpergewicht an gestellte Versuch ergab, 
dass das Monochloräthylidenchlorid in einer Dosis von 40 bis 50 Tropfen 
(4—5 Grm.) eine vollständige Anästhesie von 19 Minuten Dauer hervorruft ; dass 
die Respirationsfrequenz in tiefster Narkose eine grössere ist, die Pulsfrequenz 
dagegen, sowohl beim Steigen, als beim Sinken derselben, geringere Schwan« 
kungen zeigt 

Um die subjectiven Symptome kennen zu lernen, stellte Verf. an 
sich selbst einen Versuch an, in dem Geh.-Rath v. Langenbeck die 
Narkose selbst leitete : . 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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Bis zur vollständigen Narkose waren 5*5 Minuten erforderlich. — Gosammt- 
daner =s 10 Miauten. Excitationsstadiuia war nicht vorhanden. Ruhige Athmang ; 
Puls 84, von guter Spannung, ohne Unregelmässigkeiten. Bei tiefen Nadelstichen, 
Quetschen der Finger, Ausreissen von Barthaaren erfolgten keine Reflexe. — 
Die verbrauchte Dosis war ca. 20 Grm. — Kurze Zeit nach dem Erwachen hatte 
Verf. Erbrechen, was aber jedenfalls davon herrührte, dass er etwa 2 Stunden 
vorher gefrühstückt hatte. Eine Mattigkeit von etwa 1 Stunde Dauer fühlte er 
nach, sonst aber gar keine Uebelkeiten oder andere Beschwerden. Um 6 Uhr 
Nachmittags konnte Verf. sein regelmässiges Diner einnehmen. 

Nach allen diesen Versuchen bezeichnet Verf. das Monochlor- 


äthylidenchlorid oder Methylchloroform, CH 3 —CC1 8 , als ein allgemeines 
Anästheticum, das in seiner Wirkung dem Chloroform ausserordentlich 
ähnlich ist und mit ihm die wesentlich günstigen Eigenschaften theilt. 

Verf. hebt jedoch hervor, dass er mit dem isomeren Körper, dem 
„Monochloräthylenchlorid“, bedeutend günstigere Resultate erzielt hat. 

Monochloräthylenchlorid. CH 2 C1—CHC1 9 . Eine gleichfalls 
dem Chloroform ähnlich riechende Flüssigkeit von 1*422 spec. Gew. und 
115° Siedepunkt. Regnanlt erhielt (1838) dasselbe durch Einwirkung 
von Chlor auf Aethylencblorid, C # H 4 Ci a , als auch bei der Einwirkung von 
Antimonperchlorid, SbCl R , auf Chlorvinyl, C 9 H ? C1. 

Das Monochloräthylencblorid wird durch alkoholische Kalilauge schon in 
der Kälte, unter Abspaltung von Chlorkalium und Dichloräthylen, eine bei 37° 
siedende Flüssigkeit, zerlegt. 

CH*C1- CHCl* + KOH = KCl + C*H*C1* + H f O. 

Die an Fröschen angestellten Versuche zeigten, dass das Monochlor- 
ätbylenchlorid, in einer Dosis von 5 Tropfen angewandt, in 7—9 Minuten eine 
vollständige Anästhesie von 18—48 Minuten Dauer, zu 10 Tropfen in 7 —12 Mi¬ 
nuten eine 4nästhesie von 53 Minuten bis 1 Stunde 4 Minuten Dauer her vorm ft; 
dass ferner dasselbe auf die Anzahl der Herzcontraction bei Fröschen einen nur 
unbedeutenden Einfluss ausübt. — Die an Tauben angestellten Versuche ergaben, 
dass nach einer Dosis von 5 Tropfen Monochloräthylenchlorid in 1*5—2 Minuten 
vollständige Anästhesie eintritt, die 4—4*5 Minuten andauert; dass die Respiration 
in tiefster Narkose nicht beträchtlich herabgesetzt wird. — Die an Meerschweinchen 
angestellten Versuche zeigten, dass nach einer Dosis von 10 Tropfen der Snbstanz 
eine vollständige Anästhesie in 3 — 3*5 Minuten eintritt und 4 — 5 Minuten andauert; 
dass ferner die Respirationsfrequenz in tiefster Narkose nur unbeträchtlich sinkt. 
— Die an Kaninchen angestellten Versuche zeigten, dass nach einer Dosis von 
20 Tropfen Monochlorätbylenchlorid vollständige Anästhesie in 2 Minuten eintritt 
und 8 — 17 Minuten andauert; dass die Respirationsfrequenz in tiefster Narkose 
nicht beträchtlich sinkt. — Die an Hunden von 5—7 Kilogrm. Körpergewicht 
angestellten Versuche ergaben, dass nach einer Dosis von 30—50 Tropfen 
(3—5 Grm.) Monochloräthylenchlorid vollständige Anästhesie in 3, 5—7 Minuten 
eintritt und 11—19 Minuten andauert. — Die Pulsfrequenz stieg in einem Falle 
ziemlich beträchtlich, während in 3 anderen Fällen nur unbedeutende Steigerung 
stattfand; in keinem Falle trat aber ein Sinken der Pulsfrequenz ein. — Die 
Respirationsfreqoenz wurde nur gesteigert und gar nicht oder sehr gering ver¬ 
mindert in der Monochloräthylenchlorid-Narkose. 

Schliesslich wurde an einem Hunde von 25 Kilogrm. Körpergewicht eine 
Blutdruckbestimmung ausgeführt, und ergaben die an einem Kymographion mit 
fortlaufender Papierabwicklung aufgezeichneten Curven, dass in der Monochlor- 
äthylenchlorid-Narkose keine bedeutende Druckvermlnderung stattgefunden hat. 

Dies sollte jedoch nnr ein vorläufiger Versuch sein, und gedenkt 
Verf. noch weitere Versuche mit dem Monochloräthylenchlorid, namentlich 
an Menschen, anzustellen. „Betrachtet mäta,“ schliesst Verf., „die physi¬ 
kalischen und chemischen Eigenschaften dieses letzten Körpers, nämlich 
den hoben Siedepunkt (115') und die so leichte Spaltbarkeit durch 
alkoholisches Kali, so wird man hier die so schnell eintretende und ver- 
hältnis8mässig rasch vorübergehende Wirkung dem sich abspaltenden, 
leicht flüchtigen (bei 37° siedenden) Dichloräthylen, C 2 H*Cl a , zuschreiben 
können. Diese beiden isomeren Verbindungen, das Monochloräthyliden- 
chlorid und das Monochloräthylenchlorid, liefern uns also das interessante 


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Medicimsch-chirnrgische Rundschau. 


Beispiel, dass gerade der Körper, der den Ci’-Componenten enthält, als 
solcher zur Wirkung kommt, während der andere, der an je einem 
C-Atome je ein und zwei Atome Chlor enthält, wahrscheinlich durch seine 
Spaltungsproducte zur Wirkung kommt. 

Verf. betont zum Schluss, mit Recht, „dass namentlich die letztere 
Substanz als ein Anästheticum zu betrachten ist, welches speciell das 
Interesse der Chirurgen besonders lebhaft in Anspruch nehmen muss.” 


702. Ueber Codeül. Von Dr. Budberg (Correspondenzbl. f. schw. 
Aerzte 1880. 22). 


Nachdem Eulenburg im Handbuch der allgem. Therapie von 
Ziemssen vor Kurzem das Codein als wenig benutzt bezeichnete, theili 
Verf. seine Erfahrungen über dieses Mittel mit. Sie betreffen in erster 
Reihe einen Fall von Bronchitis, in dem Morphium erst in Pulvern, dann 
subcutan gegen die Hustenanfalle gegeben wurde. Die Hustenanfälle 
wurden vermieden, aber der Schlaf verscheucht und Nausea erzeugt. Diese 
Nebenwirkung steigerte sich mit der Dauer des Gebrauchs. Starkes 
Rauchen mit Inhalation des Rauches und berufsmässige angestrengte 
Gehirnthätigkeit waren bei dem Patienten vielleicht im Causalnexns mit 
seiner Idiosyncrasie gegen Morphin. 

Bei einem Rückfall der Bronchitis wurde wieder Morphin (immer 
Morphium hydrochloricum) angewandt; die üblen Nebenwirkungen waren 
viel stärker, als früher: durch Controlinjectionen an anderen Personen 
wurde die Güte von Lösung, Spritze und Methode festgestellt. Erst 
nachdem dieses wohl constatirt war, wurde Co dein gegeben. Die Dosis 
von 0*01, Abends genommen, verschob den Hustenanfall um 4—5 Stunden; 
bei Beginn des Anfalles gegeben, erwies sich die Wirkung des Pulvers 
so unsicher und zögernd, dass bald zur subcutanen Injection gescliritten 
wurde, mit Ausschluss jeder andern Medication. Erst bei Beginn des 
Hustenanfalls, in der Nacht, wenn der Patient vom Hustenreiz erwachte, 
wurde die bereit gehaltene Lösung von 0*01 CodeYni hydrochlorici injicirt. 
Anfangs verschwand der Hustenreiz nach dieser Dosis binnen 3—5 Minuten, 
später waren 15—20 Milligrammes nöthig. Die Dauer der Wirkung 
war die gleiche, wie bei gleichen Dosen Morphin, während die unange¬ 
nehmen Nebenwirkungen desselben auch nach mehrwöchentlichem Gebrauch 
nicht auftraten. Eine geringe Darmträgheit, welche nach den grösseren 
Gaben sich zeigte, konnte durch seltene kleine Gaben Aloes (ein Centi- 
gramm pro dosi) beseitigt werden. Bei neuen Anfällen von Bronchitis 
wurden stets dieselben Resultate erzielt und meist genügten 0*01 Codein 
pro dosi. Die gleiche Dosis erwies sich auch vollkommen wirksam gegen 
Zahnschmerz bei demselben Patienten. CodeYn erzeugte in diesem Falle 
keinen Schlaf, sondern beseitigte nur das Hinderniss: Husten oder Schmerz. 
Bei Schlaflosigkeit aus nervösen Ursachen war 1*0 Chloral nöthig. Nach 
den ersten Versuchen in obigem Fall hat Verf. CodeYn sehr oft ange¬ 
wandt; niemals wurde als Nebenwirkung Aufregung oder Nausea 
beobachtet. 

Gegen heftige Schmerzen, wie in einem Falle von GaUensteinkolik, 
und gegen das Asthma der Emphysematiker erwiesen sich 50 Milli- 
grarames CodeYn weniger wirksam als 20 Milligrammes Morphin. Demnach 
scheint das CodeYn dem Morphin an Energie der Wirkung in der Regel 
naehzustehen. Doch gibt es Ausnahmen, wie der oben geschilderte Fall 
und der von Dr. A. Wynnefoot veröffentlichte: Frau mit Sarcom, 
deren Schmerzen dem CodeYn leichter wichen als dem Morphin. (Dublin 


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Mediciniseh-chirnrgigche Rundschau. 


893 


Joani. L. VI, pag. 184.) Die Initialerregung nach Godeln ist geringer 
als nach Morphin, meist uümerklich. Einfluss auf Puls und Respiration 
konnte nicht festgestellt werden, weil die Versuche nur Patienten betrafen 
und unter Umständen, welche ohnedem beschleunigend wirkten. Haut¬ 
jucken wurde einmal constatirt, aber geringer als caeteris paribus nach 
Morphin. Der Digestionstractus litt in keinem Falle, ausgenommen die 
geringe Verlangsamung des Stuhlgangs nach grösseren Dosen. Auf den 
Harnapparat kein deutlicher Einfluss. 

Nach obigen Erfahrungen zieht Verf. CodeYn vor, wo ein weniger 
energisches Narcoticum genügt. Ganz besonders indicirt ist es aber in 
den nicht ganz seltenen Fällen, wo der Tractus intestinalis gegen Morphin 
rebellirt und wo die Initialerregung nach Morphin, die Gehirnhyperämie 
zu stark auftritt. Ob in den Aufregungszuständen der Geisteskranken 
Morphin und Opium durch Codein ersetzt werden können, kann Verf. 
nach vereinzelten Versuchen nicht entscheiden, doch fielen diese günstig 
aus. Zur subcutanen Injection eignet sich Codeinum hydrochloricum in 
3—5°' 0 Lösung. 0. R. 

703. Untersuchungen über Wirkung und Verhalten des Tannins 
im Thierkörper. Von Dr. L. Lewin, Assist, am pharmacolog. Instit. 
in Berlin. (Virchow’s Archiv, 81. B. 8.74. Der prakt. Arzt 1880. 10.) 

Das officinelle Tannin ist ein farbloses oder gelblich weisses, im 
Wasser leicht lösliches Pulver, das durch Extraction der Galläpfel mit 
wässrigem Aether-Alkohol erhalten wird. Es enthält Gallussäure und 
Zucker in nicht unbeträchtlicher Menge. Die Löwe sehe Methode der 
Reindarstellung des Tannin basirt auf der Eigenschaft concentrirtester 
Kochsalzlösungen nur die Gerbsäure, nicht aber die Gallussäure zu 
fällen, und auf der Möglichkeit erstere mit Essigäther vom Chlornatrium 
zu trennen. 

Die Niederschläge, welche das Tannin mit Eiweiss und eiweiss¬ 
artigen Substanzen, Leim etc. bildet, sind im Wasser unlöslich, löslich 
dagegen in mässig concentrirter Essigsäure, ferner in einem Ueberschuss 
von Eiweiss- oder Leimlösung, ferner in verdünnter Milchsäure, und 
schliesslich in kohlens. und Aetzkalien. Der gleichen Einwirkung wie 
Eiweiss unterliegt das Pepsin, sowie in Wasser gelöstes Pepton beim 
Zusammenbringen mit Tannin. Dies Verhalten könnte für die Verdauung 
nachtheilig werden, wie man auch vielseitig angenommen hat, wenn 
nicht bei Gegenwart von nur wenig 0*1 percentiger Salzsäure das gefällte 
Eiweiss leicht wieder gelöst würde und in künstlichen Verdauungsversuchen 
die Peptonisirung des Eiweisses trotz Anwesenheit von Gerbesäure vor sich 
ginge, ohne dass dabei das Tannin in Zucker und Gallussäure zersetzt 
würde. 

Setzt man zu Blut oder Lymphe Tanninlösung, so entsteht zuerst 
ein Niederschlag, der aber so lange sofort wieder verschwindet, als beide 
Flüssigkeiten alkalisch bleiben. Setzt man aber so viel Tanninlösung zu, 
dass die Flüssigkeit statt der alkalischen eine sauere Reaction zeigt, so 
bleibt der Niederschlag und verschwindet erst wieder durch Zusatz von 
kohlensauren Alkalien oder mehr Blut resp. Lymphe. 

Aus dem Gemische einer Tanninlösung mit Blut lässt sich selbst 
nach langem Stehen bei einer Temperatur von 40° C. das Tannin durch 
Extraction mit Essigäther, Verjagen desselben, Aufnehmen des Rück¬ 
standes mit Wasser und abermalige Extraction mit Essigäther wieder 
gewinnen. 


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Medioinisch-ohirurgische Rundschau. 


Die antiputriden Eigenschaften des Tannin wurden lange desv 
bezweifelt, weil diese Substanz in Lösungen längere Zeit sich selbst 
lassen das Auftreten und die Fortentwicklung von Schimmelpilzen in 
gestattet. Dass aber dieses Verhalten gegen Schimmelpilze sich 
wohl einigt mit einer fäulnisswidrigen Wirkung, beweist namentlich 
Tannin. Fügt man eine Lösung desselben im Ueberschuss zu 1 
Blut oder einer fauligen Eiweisslösung, so verschwindet schon nach e 
Minuten der schlechte Geruch und die Mischung kann nunmehr ^ 
lang in einem offenen Geftlsse mit der Luft in Berührung bleiben, 
dass sich weitere Zersetznngsprocesse bemerkbar machen. 1 
hält sich aus reinem Eiweiss dargestelltes Tanninalbuminat 1 
lang intact. 

Bei der äusserlichen Application der Gerbesäurelösungen auf 8 
häute und Wundflächen wird die absolute Festigkeit derselben vergi 
das lockere Bindegewebe schrumpft zusammen, indem zuvor das an 
selben befindliche Eiweiss in wechselnder Tiefe gefällt wird. Am 
lichsten zeigt sich dies am Muskel. Der Verf. wies durch Anwendu 
Pflüge r’schen Myograpbion nach, dass nach Vergiftung eines Frosche 
Injection einer 10% igen Tanninlösung unter die Rückenhaut die > 
desselben in einen Zustand gerathen, der dem im Uebergange zur 
starre befindlicher Muskeln gleichkommt, d. h. sie werden weniger d 
aber bedeutend elastischer. Die Ursache dieser Veränderung der I 
liegt in der Sauerstoffentziehung durch das sich bildende Alkalita 

Auf dieser Veränderung der Muskeln beruhen diejenigen 
nungen der adstringirenden Wirkung des Tannin, zu deren Erkläni 
Verkleinerung von Gefässdurchmessern angenommen werden muss 
Verengerung hat der Verf. an den Arterien des Frosch-Mesei 
direct nachgewie6en. 

Die Einwirkung des Tannin auf Eiweiss, Pepton und Blut f 
Schlüssel zum Verständniss der Resorption desselben und erklärt 
die Möglichkeit seines Verweilens im Blute ohne Veränderung 
adstringirenden Wirkung, als Alkalitannat. Man hat die entfernt« 
kung des Tannin mit Vorliebe der Gallussäure, die sich im Blute 
Tannin bilden sollte, zugeschrieben, ohne zu bedenken, dass die 
säure kein Adstringens ist, sondern die pharmacologische Wirk 
Säuren hat. — Ob viel oder wenig Tannin in den Körper e. 
wird, ist hinsichtlich der Schnelligkeit und des Umfanges der Ui 
desselben ohne Belang, da stets in die Circulation nur so vie 
nommen wird, als von dem Säfte-Alkali in Alkalitannat üb< 
werden kann. 

Verf. hat nachgewiesen, dass ein Theil des eingefltthrten Tf 
Alkalitannat durch den Harn zur Ausscheidung gelangt und da 
Tannin umgewandelt die schwarzblaue Färbung bei Zusatz ^ 
oxydsalzen herverrnft, welche man früher einer Umwandlung 11 
säure zuschrieb. Es ist daher sehr wohl im Stande, entfernt 
kungen im Körper zu entfalten. Hierhin gehört die Verringei 
Harnausscheidung, die Verkleinerung der Milz, die Aufhebung diar 
Zustände der Darmschlehnhant, die Secretionsbeschränkung 9 
femterer Schleimhäute, die styptische Wirkung bei inneren B 

Was die Form der Tannindarreichung betrifft, so ist di 
form unter allen Umständen als eine unzweckmässige zu verban 
gebe es vielmehr in Form einer Lösung von Tanninalbumi 
in alkalischer Lösung, indem man die Tanninsolution mit kohl 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


895 


Natron bis zur alkalischen Reaction versetzt. Eine dritte rationelle Art 
der Tanninmedication besteht schliesslich darin, eine Tanninlösung durch 
Eiweiss zu fällen und die ganze Mischung in kohlensaurem Natron zu lösen. 


704 Ein therapeutischer Versuch über die Anwendung des 
Pilooarpin bei Diabetes. Von Dr. Ludwig v. Hoff er, Assistenten an 
der med. Klinik zu Graz. (Separat-Abdruck aus den Mittheilungen des 
Vereines der Aerzte in Steiermark 1880.) 

Leyden fand als erste und constante Wirkung des Pilocarpin eine 
deutliche und nicht unerhebliche Erweiterung der kleineren peripheren 
Arterien. Mit dieser Erweiterung steht nun die Veränderung des Pulses, 
welcher celer und dicrotisch wird, in Zusammenhang, ebenso die 
geringere Temperatursteigerung. Glax hat nun gezeigt, dass durch das 
Trinken von heissem Wasser (40—45° R.) allmälig eine Steigerung der 
Herzarbeit, eine Dilatation der Arterien, eine dadurch bedingte Steigerung 
des Turgor vitalis, Temperaturerhöhung und stärkere Schweisssecretion 
bewirkt wird. Vergleicht man nun diese von Leyden und Glax ge¬ 
wonnenen Resultate, so findet man, dass der Erfolg einer Pilocarpininjec- 
tion oder der des Trinkens von heissem Wasser ein ganz gleicher ist. 
Nun hat Glax durch das methodische Trinken heissen Wassers über¬ 
raschende Erfolge bei einigen Diabetespatienten verzeichnet und auch 
dadurch gleichzeitig gezeigt, dass Karlsbad, Vichy, Neuenahr ihren berühmt 
günstigen Einfluss in Bezug auf Diabetes mellitus grösstentheils der hohen 
Temperatur ihres Wassers zu verdanken haben. Es lag nun nahe, das 
Pilocarpinum muriaticum bei Diabetes mellitus in Anwendung zu bringen. 

Es wurde Jaborandi (Pilocarpus pinnatus), dessen Alkaloid bekanntlich 
Pilocarpin ist, von Cantini und Salkowski bei Diabetes mellitus an¬ 
gewendet. Ersterer fand auch im Harn, welcher während der Diaphoresis 
secernirt wurde, keinen Zucker, Salkowski hingegen constatirte nur 
einen negativen Erfolg. Von Laycock wurde nun in zwei Fällen von 
Diabetes insipidus, bei welchen er die Drogue therapeutisch versuchte, 
eine Abnahme der 24stündigen Urinmenge beobachtet. Ferner fand Yerf. 
eine kleine Mittheilung von Fürbringer, welcher bei einem Diabetes¬ 
patienten Pilocarpin subcutan durch zwei Tage in Anwendung brachte 
und einen zweifelhaften Erfolg constatirte. 

Jänner d. J. kam ein Diabeteskranker auf die med. Klinik. G. J., 
27 Jahre alt, Knecht, nie wesentlich erkrankt. Harnmenge in 24 Stunden 
6400 Kcm., spec. Gewicht 1*037, der Saccharometer zeigt 8 Percent 
Zucker. Temperatur 36*5 Gels., Puls 64, klein, schwach. Körpergewicht 
54*50 Kilogramm. 


Es wurde nun während der ersten 10 Tage, in welcher Zeit keine 
Medication eingeleitet wurde, die Flüssigkeitseinnahme, welche eine un¬ 
umschränkte war, so wie die Ausgabe genau gemessen, und es schwankte 
erstere von 5000 bis 6100 Kcm., letztere jedoch zwischen 6000—9700 
Kubikcentimeter. Es entspricht dies einer Zuckermenge von 480—786 Grm. 

Am 23. Jänner wurde versuchsweise subcutan 0*02 Pilocarp. muriat. 
verabfolgt. Am nächsten Tage sank die Einnahme auf 5000 Kcm. und 
die Ausgabe auf 5300 Kcm. herab; es trat eine reichliche Schweiss¬ 
secretion ein, so dass Patient förmlich in Schweiss gebadet war, ebenso 
stellte sich reichliche Salivation ein, die Menge des Speichels war 320 Kcm.; 
die Untersuchung des Speichels und Schweisses auf Zucker mittelst Sac¬ 
charometer und den gewöhnlichen Zuckerproben ergab ein negatives 
Resultat. In Folge dieser überaus günstigen Wirkung wurde die Behandlung 
mit Pilocarpinum muriat. beschlossen. Es wurden demnach nach kürzeren 

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Medicinisch-chirargische Randschau. 


und längeren Pausen Pilocarpininjectionen gemacht, deren nachhaltige 
Wirkung während derselben constatirt wurde. Im März drängte Pat. um 
Entlassung, da er sich nicht mehr krank fühle, es wurden daher innerhalb 
12 Tagen fünf Pilocarpininjectionen in der gewöhnlichen Stärke verabfolgt, 
und noch immer konnte man dieselbe günstige Wirkung beobachten, nur 
einmal trat ohne nachweisbare Ursache eine Steigerung der Ein- und 
Ausgabe ein. Die Schweisssecretion war ebenso intensiv, als bei den 
ersten Injectionen, jedoch wurde die Salivation geringer, es wurde nur 
170 Kcm. Speichel abgegeben. Die Ausgabe in 24 Stunden fiel auf 
3800 Kcm. herab, und wurde ein spec. Gewicht von 1 # 032 notirt. Die 
24stündige Zuckerabgabe betrug 224 Gramm. Das Körpergewicht fiel 
während der letzten fünf Injectionen um 900 Gramm. Pat. wurde am 
20. März d. J. entlassen und trat zu Fuss über eine 1734 Meter hohe 
Alpe seine Heimreise an. 

Während der ganzen Beobachtung wurde dem Verhalten des Pulses 
nach den Pilocarpininjectionen besondere Aufmerksamkeit zugewendet. 
Derselbe wurde mittelst Mare y’schen Sphygmographen vor und nach der 
Pilocarpininjection abgenommen. Curventab. s. im Orig. Verf. hat bei 
dem Patienten am Pulse dieselben Veränderungen erhalten, wie sie von 
Leyden beschrieben wurden, nämlich eine Zunahme der Höhe, der Ce- 
lerität, der Frequenz und endlich auch mehrfach sehr deutliche Dicrotie. 
Aehnliche Resultate fanden G1 ax und Klemensiewicz. Es zeigt sich 
also aus dieser therapeutischen Beobachtung nun der günstigste Einfluss 
von subcutanen Pilocarpininjectionen auf die diabetischen Hauptsymptome 
wie Polyurie und Glykosurie, indem entgegen der Mittheilung Fürbrin¬ 
ge rs die tägliche Zuckermenge in unserem Falle bis auf 224 Gramm 
gesunken ist, somit während der Behandlung um 562 Gr. in 24 Stunden 
abgenommen hat. Von auffallender Wirkung ist jedoch der Einfluss des 
Pilocarpin auf die Polyurie gewesen, indem die tägliche Ausgabe um 
5900 Kcm. abgenommen hat. Einige Autoren haben diese Wirkung des 
Pilocarpin bestritten und sogar angegeben, es komme nach einer Pilo¬ 
carpininjection zu einer vermehrten Harnausscheidung, was möglicher Weise 
im Momente der Einwirkung sein kann; die 24stündige Harnmenge, und 
dies ist das Massgebende, nimmt, wie dies Leyden ganz richtig bemerkt, 
nicht nur am Tage der Injection ab, sondern es dauert die verminderte 
Harnabgabe mehrere Tage an oder ist, wie im mitgetheilten Falle, bleibend. 
Verf. betont ferner, dass in seinem Falle immer zuerst Salivation und 
erst einige Minuten später Diaphorese eintrat, was wohl im Wesen der 
Krankheit liegt, da ja bei Diabetes vorzugsweise die Function der Schweiss* 
drüsen lahm gelegt ist. Als Hauptursache des ungünstigen Erfolges 
Fürbringer’s glaubt er die zu hoch gegriffene Dosirung ansehen zu 
müssen, er gab an zwei aufeinander folgenden Tagen 0*12 Gr. Pilocarpin, 
während Verf. im Laufe der ganzen Beobachtung nur 0 # 20 Gr. Pilocarpin 
in Anwendung brachte. Bei Fürbringer’s Patienten traten heftige 
Diarrhöen, Gewichtsabnahme um 2400 Gr. und nur eine ganz geringe 
Erniedrigung des Zuckergehaltes ein. Verf. verabfolgte jedoch nur 0*02 
Gramm Pilocarpin täglich, u. z. in Pausen von 2—12 Tagen, und nie konnte 
er eine ungünstige Wirkung wahrnehmen, nie Diarrhöen, nie eine Gewichts¬ 
abnahme; als er jedoch die letzten fünf Injectionen in kürzeren Zwischen¬ 
räumen (während 12 Tage) verabfolgte, so wurde eine Gewichtsabnahme von 
900 Gr. constatirt, jedoch Diarrhöen oder andere ungünstige Nebenwirkungen 
waren nichtvorhanden. Es ist somit wohl der Schluss erlaubt, dass man bei 
Diabetes mellitus Pilocarpin subcutan anwenden kann und dasselbe in kleinen 
Dqsen und in Intervallen von einigen Tagen geben soll. 0. ß. 

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Medicinisch-chirorgiscbe Rundschau. 897 

705. Püocarpinnm muriaticum bei Diphtherie. Von E. Lax. 
LVerztl. Int.-BI. 1880. 43. — Allg. med. Ctrl.-Ztg. 1880. 87.) 

In Folge der Mittheilung Guttmann's hat Verf. bei einer kleinen 
Diphtheritis-Epidemie Versuche mit Pilocarpinum muriaticum angestellt und 
damit so über alles Erwarten günstige Erfolge erzielt, dass er sich ver¬ 
anlasst sieht, weiteren Kreisen das Mittel angelegentlichst zu empfehlen. 
Im Ganzen waren in der Zeit vom 24. September bis zum 15. November 
von Diphtheritis befallen 16 Kinder verschiedenen Alters (1—16 Jahre). 
Die ersten 6 Kinder wurden mit Argt. nitr.-Solution (4 Perc.) gepinselt 
und erhielten eine Kal. chlor. Solution als Gurgelwasser, resp. 2 ganz 
junge Kinder eine Mixtur von Kal. chlor. Von diesen 6 Knaben genasen 
in kurzer Zeit 4, während 2, allerdings sehr schwere Fälle, starben. In 
den letzten 10 Fällen seit dem 5. October hat nun Verf. ausschliesslich 
das Pilocarp. mur. in Anwendung gebracht; 6 von ihnen waren sehr 
schwerer Art, in zweien derselben wurde das Ableben jede Nacht 
erwartet, und dennoch sind alle mit Pilocarpin behandelten Kinder voll¬ 
kommen genesen. Es trat vermehrte Schleim- und Speichelsecretion ein, 
und sowohl aus Mund wie Nase wurden grosse Massen diphtheritischer 
Fetzen herausbefördert; die Athmung ward freier, Rasseln war nicht 
mehr zu hören, das Fieber geschwunden, Appetit trat wieder ein. So 
genasen die Kinder zusehends in 3—5 Tagen, nachdem ein Herpes 
labialis den günstigen Ausgang in allen Fällen angezeigt hatte. Bereits 
am 3. Tage war jede Spur von Belag auf Mandeln und Gaumeubögen 
verschwunden. Je nach dem Alter verordnete Verf. 0*02— 0-04 Pilo¬ 
carp . muriatic., Peps . O'G — 0'8, mit etwa\s Zusatz von Salzsäure 
(gtt. ij — iij) auf 70 m 0 Aqu. destill. und gab davon lstündl. 1 Kaffee¬ 
löffel — 1 Esslöffel. Unterstützt wurde diese Behandlung durch Ver¬ 
abreichung von Tokayer-Wein (lstündl. 1 Kaffeelöffel — 1 Esslöffel) 
und durch Verordnung warmer Halsumschläge. 

706. Vergiftung durch Carbolsäure nach äusserer Anwendung 
derselben bei einem 14 Tage alten Kinde. Von Dr. Th. v. Genser. 
(Archiv f. Kinderhk. I. Bd. 12. Heft.) 

Ein am 31. Jänner geborener, am 10. Februar in die Findel¬ 
anstalt mit seiner Mutter aufgenommener Knabe zeigt in der rechten 
Axilla ein 20-Kreuzerstück grossen Substanzverlust der Haut, so dass das 
Unterhautzellgewebe daselbst blossliegt. Dasselbe ist mit einem röthlich 
braunen missfarbigen Belage bedeckt, die umgebende Hautpartie noch 
circa 1 Ctm. weit im Umfange stark geröthet. In der linken Achselhöhe 
ist die Haut geröthet, aber nur an einzelnen kleinen Stellen excoriirt. — 
Nabelschnurrest abgefallen; Nabel ein wenig nässend. Innere Organe 
normal. Es wurde am Tage der Aufnahme auf die necrotische Partie 
Charpie, welche mit einer 2 °/ 0 wässerigen Carboisäurelösung befeuchtet 
ist, aufgelegt. Am 13. Früh wurde eine 5 °/ 0 Lösung applicirt. Nachmittag 
eollabirte das Kind plötzlich und erbrach unaufhörlich. Fontanelle tief 
eingesunken; Athmen unregelmässig, Athraungsgeräusch vesiculär; Herz¬ 
töne matt; Windeln vom Urin violett gefärbt; Koth theils gelb, theils 
dunkelbraun; die erbrochene Flüssigkeit schleimig, gelb ohne specifischen 
Geruch. Der in wenigen Ccm. durch den Katheter entleerte Harn ist 
dunkelbraun gefärbt. Er wird in einem Glaskolben zur Destillation ge¬ 
bracht; das Destillat wird neutralisirt und demselben tropfenweise mit 
kohlens. Natr. neutralisirte Schwefels. Eisenoxydlösung zugesetzt, worauf 
die Lösung sich schön violett färbt. 

U«d ^hir. Rnndiir.hiui. lftSO. ^ ^ ltlzed byG^PÖglC 



898 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Man verordnet© eine Camphermixtur und ein Senfbad, später 
Xatr . sulfuricum in 2°l 0 Lösung als Antidot 2stündl. 1 Essloßel. 
Je nach der Zu- und Abnahme des Coilaps bekam das Kind Senfbäder, 
schwarzen Caffee, Einwicklung in warme nasse Tücher, Frottirungen etc. 

Am 14. zeigt sich zuerst bei dem sehr verfallenen Kinde eine 
eigenthtimlich schmutzig-bräunliche Färbung der Haut, ähnlich der bei 
acuten Theervergiftungen beobachteten sogenannte Theerfarbe. Um 1 Uhr 
Nachmittags, cc. 22 Stunden nach dem Auftreten der ersten Vergiftungs- 
erscheinungen, erfolgt der Tod. 

Bei der Obduction fanden sich die bei Carbolintoxicationen immer 
vorhandenen Erscheinungen, nämlich Hyperämie des Gehirns und seiner 
Häute, der Lunge, Leber und Milz; letztere vergrössert (bis zum drei¬ 
fachen). Der gewöhnlichen Angabe, dass die Coagulabilität des Blutes bei 
Carboivergiftung auffallend verringert sei, entgegen, waren überall lockere 
Blutgerinnsel vorhanden. Es erklärt sich dies aus der längeren Dauer der 
Vergiftung, indem man nach Zillner nur dann das Blut ganz flüssig 
in der Leiche findet, wenn der Tod rasch nach der Vergiftung eintritt. 

Ferner fanden sich Ecchymosen der Darmschleimhaut und im 
parietalen und visceralen Blatte des Peritoneum. 

Die klinischen Symptome stimmten mit den in anderen Fällen bei 
Kindern beobachteten überein: plötzlicher Coilaps, kühle Temperatur, 
Schwinden des Bewusstseins, unregelmässige und mühsame Respiration. 
Ebenso zeigt der Harn die charakteristische dunkle Färbung, welche 
nach Beobachtungen bei Erwachsenen auch fehlen kann. Das Erbrechen 
muss, nach Husemann nicht unbedingt auftreten; Convulsionen kommen 
nach demselben Autor nur ausnahmsweise beim Menschen vor, während 
sie bei Thieren das Hauptsymptom darstellen. 


Chirurgie, Geburtshulfe, Gynäkologie. 


707. Ueber einige fundamentale Fragen in der Lehre von den 
chirurgischen Infectionskrankheiten. Von Prof. Dr. J. Rosenbach 
(Göttingen). (Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie, von C. Hüter und A. 
Lücke. Bd. 3ÜH. 3. u. 4. Heft.) 

Der Umstand, dass die gegenwärtigen Anschauungen über die 
Genesis der chirurgische Infectionskrankheiten auf Lehren beruhen, welche 
hauptsächlich aus Hypothesen und Theorien und wenig sicheren Fun¬ 
damenten bestehen, mache, meint Verf., die Feststellung dieser Fundamente 
zu einem fühlbaren Bedürfnisse. 

Gestützt auf eine grosse Reihe von exact durchgeführten Unter¬ 
suchungen Prof. M e i s s n e r’s und mit dem Hinweise auf klin. Erfahrungen, 
sucht Verf. vorerst nachfolgende fundamentale Frage zu beantworten. 

I. Gibt es Spaltpilze oder deren Keime in den Ge¬ 
weben, im Blute, Lymphe und den ursprünglichen Secre- 
tionen gesunder, lebender Menschen und Thiere? 

Diese so wichtige Frage, obschon in letzter Zeit mehrfach bearbeitet, 
jedoch mit ganz entgegengesetzten Ergebnissen, sei als ein offene zu 
betrachten. 

Nachdem Verf. einen ziemlich ausführlichen Ueberblick über die 
bisher betreffs dieser Frage publicirten Arbeiten gegeben, gelangt er zu 
den äusserst interessanten Versuchen, welche Prof. Meissner angestellt. 


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Medicinisch-cliirorgische Rundschau. 


s v j9 

und mit dessen Erlaubniss Verf. Aber die Ergebnisse dieser Versuche vor¬ 
läufig Bericht erstattet. 

Bei allen Versuchen Meissners war principiell nichts von des- 
inficirenden Chemikalien angewendet, und nichts geschehen, was auf Tödtung 
von etwa in den thierischen Organen und Flüssigkeiten präexistircnden 
Keimen gerichtet gewesen wäre; es wurde nur (Ar die grösstmöglichste 
Reinlichkeit des Wassers, der Glasgeft&ssc und ihrer Verschlüsse, der 
Instrumente etc. etc. gesorgt. Indem wir rücksichtlich der vom Verf. aus¬ 
führlich mitgetheilten Cautelen, unter denen Meissner seine Versuche 
anstellte, auf den Originalaufsatz verweisen, wo auch die Mittheilung der 
wichtigsten Experimente nachzusehen, wollen wir hier nur die schliesslichen 
Ergebnisse dieser Fundamentalversuche anftihren. 

Es wird durch diese Versuche gezeigt, dass eine Generatio 
aequivoca nicht existirt, da sie ergeben, dass sie selbst unter den 
günstigsten Bedingungen in frischen, abgestorbenen thierischen Geweben 
nicht vorkommt. 

Eg wird weiters durch diese Versuche gezeigt, dass Fiiulniss 
nicht ohne Organismen Vermittlung zu Stande kommt, da 
auch die unter gewöhnlichen Verhältnissen nach dem Tode ihr verfallenen 
thierischen Gewebe gänzlich fäulnissfrei bleiben, sobald sie nur vor solchen 
Organismen oder deren Keimen geschützt sind. 

Schliesslich geben die Versuche dem Satze, dass in den Ge¬ 
weben, im Blute und den ursprünglichen Secretionen 
gesunder, lebender Thiere niedere Organismen (Spalt¬ 
pilze) oder deren Keime nicht existiren, eine sichere Grundlage. 

Verf. hebt hervor, dass allerdings die Resultate früherer Beobachter 
insbesondere dem letzten Satze ganz entgegengesetzt seien. Es komme 
aber, sagt er, Alles auf das Wie der Ausführung der Experimente und 
spezielle Umstände an. Auch Prof. Meissner sei erst nach vielfacher 
Uebung und langer Ausbildung der Methode zu den erwähnten Resultaten 
gelangt; es seien hierzu viele Versuche nöthig und eine Lehrzeit mit 
vielen Misserfolgen. 

Die meisten anderen Beobachter bedienten sich einer bestimmten, 
von der Meissnerischen ganz abweichenden Methode (indem sie den 
Schwerpunkt nicht auf die Fernhaltung von äusseren Fermenten, sondern 
auf die Zerstörung derselben, meist durch Verbrühung der Oberfläche mit 
heissein Paraffin, Metall etc. etc. legten), wobei unleugbar der Anlass zu 
Fehlerquellen sich oft darbiete. 

Andererseits seien aber allerdings klinische Thatsachen zu berück¬ 
sichtigen, aus denen das Vorhandensein von Bacterienkeimen in gesunden 
lebenden Geweben und Körperflüssigkeiten gefolgert wurde. Verf. meint 
vor Allem, dass es sich wohl auch hiebei meist um Einwanderung der 
Mikroorganismen von aussen her handle. So erkläre sich z. B. das \ or- 
kommen von Bacterien in völlig geschlossenen Entzündungsherden sicherlich 
oft durch den Umstand, dass diese Herde sehr häufig durch Fortleitung 
einer Entzündung von aussen (von einem Furunkel, einer Schrunde o. dgl.) 
veranlasst werden. In anderen Fällen hinwieder (vereiterte Blutergüsse, 
insbesondere die spontane acute Osteomyelitis etc.) sei es unzweifelhaft, 
dass der Infectionsstoff aus dem Blute stammen müsse. 

Verf. gibt zu, dass von der Lunge, dem Darme oder sonst woher 
ein gedrungene Bacterien im lebenden Menschen oder Thiere längere Zeit 
in fermentativ wirksamem Zustande schadlos vorhanden sein können, das» 

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900 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


andererseits diese Bacterien doch auch wieder gelegentlich ein Extravasat etc. 
inficiren und so eine Vereiterung bewirken können. 

Doch sei dies wohl nicht das normale, in jedem gesunden Körper 
bestehende Verhältnis; dies ergebe sich von klinischer Seite aus der 
grossen Seltenheit spontaner Zersetzung und Vereiterung von subcutanea 
Blutergüssen, Quetschungen, Knochenbrüchen, der grossen Masse der 
durch List er 8 Verband vor aller Zersetzung und Eiterung geschützten 
Operations wunden. 

' Hiernach sei also, schiiesst Verf., sicherlich ein der¬ 
artiges, wenn auch symptomenloses Vorkommen von 
Infectionskeimen im Blute, in den Geweben undSecreten 
auch nach klinischen Erfahrungen als pathologisch, d. h. 
als ein der imgestörten Norm der Gesundheit nicht angehöriger Zustand, 
als ein Accidens zu bezeichnen. Fr. Steiner (Marburg). 

708. Ueber die künstliche Blutleere bei der Transplantation 
von Hautstückchen Von Dr. E. Fischer. (Deutsche Zeitschrift für 
Chirurgie v. C. Hüter und A. Lücke. Bd. XIII. 1. u. 2. Heft.) 

Verf. machte die Beobachtung, dass die Chancen flir den Erfolg 
der Transplantation von Hautstücken grösser sind, wenn letztere vorher 
künstlich blutleer gemacht worden waren. Dies führte ihn zur Anstellung 
des Versuches, wie die Chancen sich gestalten, wenn die zu heilende 
Wunde (Ulcus cruris) gleichfalls zuvor blutleer gemacht würde. Die künst¬ 
liche Blutleere des Beines, an dem die Transplantation gemacht werden 
sollte, ward in der bekannten Weise hergestellt (wobei sehr auf das Ulcus 
cruris zu achten, dass es nicht blute), und die erzielten Erfolge waren 
noch besser als im ersten Falle. Es wurde zuweilen die ganze Wund¬ 
fläche mit Hautstücken bedeckt, und es trat prompte Anheilung aller 
Stücke ein. 

Die Hautstücke entnahm Verf. gewöhnlich einem eben amputirten 
Gliede (Unterschenkel z. B.), an dem die elastische Binde zuweilen schon 
eine Viertelstunde gelegen hatte, was von keinem Nachtheile war. Zuvor 
wusch Verf. die betreffende Hautstelle mit Seife und Bürste, dann mit 
bpercentiger Carbollösung und trocknete sie gut ab. Unter starker Span¬ 
nung der Haut excidirte er 2—3 Cm. breite Hautstreifen, wobei die 
Schnitte stets innerhalb der Cutis, nirgends aber im subcutanen Gewebe 
liegen dürfen; diese Hautstücke werden auf die vorher blutleer gemachte 
Wunde (der Schlauchconstrictor muss während des Actes der Transplan¬ 
tation an der Extremität, woran transpiantirt wird, continuirlich liegen 
bleiben) gelegt; darüber Protective, das mit Heftpflasterstreifen fixirt wird; 
darüber Muslin, Guttaperchapapier und eine Gazebinde gelegt. Dieser 
Verband bleibt mehrere Tage liegen. Bevor die Pat. das Bett verlassen, 
ist es, falls an den unteren Extremitäten transpiantirt wurde, empfehlens- 
werth, eine porös-elastische Binde zu appliciren, um Schwellung der Beine 
hintanzuhalten. 

Das Alter der Individuen — Verf. transplantirte bei Leuten von 
60 Jahren und mehr, mit Erfolg — bedarf hierbei keiner Berücksichtigung. 

Fr. Steiner (Marburg). 

709. Ueber Radicalbeilung des Krebses. Von Prof. Dr. Kocher 
(Bern). (Deutsche Zeitschrift f. Chirurgie v. C. Hüter und A. Lücke. 
Bd. XIII. 1. und 2. Heft.) 

Unter dem vielversprechenden Titel, welchen Verf. seiner Abbau * 
lung vorangesetzt, theilt er uns, auf Grundlage eines relativ kleinen 


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Medicinisch-chirargische Rundschau. 


901 


Materiales, die Methodik einiger Krebsoperationen mit, wobei er beson¬ 
ders günstige Resultate erzielte. Verf. berichtet über 5 Fälle von par¬ 
tieller Pharyngotomie, 14 Zangenexstirpationen and 10 Mastdarmexstir¬ 
pationen. Davon starben in Folge der Operation 4 (3 Sepsis, 1 Nach¬ 
blutung); von den übrigen 25 dürften 9 als radical geheilt za betrachten 
sein, wie Verf. meint. Er hebt hervor, dass das Princip ausgedehntester 
Exstirpation and gründlicher Entfernung der anliegenden Lymphdrüsen- 
paquete, wie dieses für den Mammakrebs empfohlen werde (Volkmann), 
in gleicher Weise für Krebse anderer Körperregionen anzuwenden sei. 

I. Exstirpatio pharyngis. Diese Operation, von v. Langen- 
beck angebahnt, sei erst in ihrer Entwickelung begriffen, und habe 
bisher noch wenig aufmunternde Resultate gegeben. Die grösste Gefahr 
drohe dabei von der Schluckpneumonie. Verf. schiebt die besseren Re¬ 
sultate, die er bei dieser Operation erzielt (nur 1 Exitus unter 5 Fällen) 
wesentlich zwei Umständen seiner Operationsmethode zu: erstlich, dem 
Eingehen mit den Hautschnitten stets von der Seite der erkrankten 
Drüsen her (den Abflüssen des Lymphstromes entgegen), und sodann der 
strengsten Durchführung des antiseptischen Occlusivverbandes (doch prin- 
cipiell jede Anstrebuug einer prima intentio vermeidend). 

Unumgänglich nothwendig als Einleitung der Pharyngotomie 
hebt Verf. die Tracheotomie (Crico-Tracheotomie) hervor, wobei 
jedoch die Tamponade der Trachea mit der Trendelenburgsehen Canüle 
nicht unbedingt erforderlich ist. In den meisten Fällen genüge, bemerkt 
Verf., die einfache Verschliessung des Aditus laryngis mittelst eines 
Schwammes, nachdem die Tracheotomie gemacht sei. 

Verf. beginnt mit einem Winkelschnitte, der am unteren Kiefer¬ 
rande (senkrecht unter dem Mundwinkel) beginnt, und bis ans Zungen¬ 
bein geht, von da nach hinten an den vordem Rand des M. sternocl. 
mast, und aufwärts bis in die Höhe des Ohrläppchens reicht; von diesem 
Schnitte aus dringt er schichtenweise weiter, wobei wir nur hervorheben 
wollen, dass die Ablösung im weichen Gaumen und innen am Kiefer, 
besser vom Munde aus gemacht werden könne. 

Von grosser Wichtigkeit sei die Nachbehandlung. Verf. hält 
die zur Trachea und zum Oesophagus führenden Oeffnungen vollständig 
verstopft (mit Krüllgaze in concentrirte Borlösung getaucht): diese beiden 
Tampons liegen unmittelbar auf Epiglottis und Zungenwurzel; der übrige 
Theil der Wundhöhle wird mit Carbolgaze ausgestopft und bedeckt 

Die Ernährung wird durch täglich 2malige Einführung der Schlund¬ 
sonde (beim Verbandwechsel) besorgt, stets unter Carbolnebel. In dieser 
Weise werde, meint Verf., sowohl die vollständige Antisepsis der Wunde 
erreicht, als auch der so drohenden Gefahr der Verschluckpneumonie 
(welche insbesondere durch Abfliessen von zersetztem Secret in den 
Larynx verursacht werde) möglichst vorgebeugt. 

II. Exstirpatio linguae. Von 14 Fällen, die Verf. operirte, 
war nur in einem Falle Exitus letal, eingetreten. In den übrigen 
13 Fällen trat 8mal Recidiv ein, 5 sind geheilt. 

Im Allgemeinen könne angenommen werden, sch liegst Verf. aus dem 
Verlauf seiner Fälle, dass ein Patient, welcher ein Jahr nach der Opera¬ 
tion eines Zungenkrebses kein Recidiv aufweise, als radical geheilt 
betrachtet werden dürfe. 

Die 5 geheilten Fälle seien allerdings relativ früh zur Operation 
gekommen (alle vor Miterkrankung der Drüsen); dennoch möchte Verf. 
das günstige Resultat hierbei auch zum Theile der Operationsmethode 


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902 


Medicmisch-chirurgische Rundschau. 


zuschreiben. Die Schnittftthrung, welche Verf. für die Excision der Zunge 
übt, ist vor Allem darauf angelegt, alle sichtbaren Drüsengeschwülste 
in der Richtung des Lymphabflusses entfernen zu können. Der erste 
Schnitt geht daher entlang der Vorderwand des M. stemo-cl. mast, bis 
auf das Muskelfleisch desselben; von der Mitte desselben im zweiten 
Schnitt in der Mundbodenhalsfalte zum Zungenbeinkörper und dem vor¬ 
deren Bauche des M. digastricus entlang bis an den Kiefer. Der so 
gebildete dreieckige Lappen (Spitze desselben nach hinten, unten) wird 
lospräparirt und nach oben geschlagen. Die complete Ausräumung der 
Fossa submandibularis und die Entfernung jedes irgendwie verdächtigen 
Knötchens in der Richtung gegen das Zungenbein, ist bei dieser Sehnitt- 
ftihrung leicht ausführbar. Verf. bezeichnet sonach diese Operationsweise 
als die „Methode der Zungenexstirpation von der Zungen- 
basis aus 44 , und schreibt derselben zum grossen Theile die von ihm 
erzielten Resultate zu. 

Die Nachbehandlung soll exact nach List er gemacht werden 
und gleicht im Wesentlichen jener bei Ausführung der Pharyngotomie 
(Tracheotomie, vollständiger Abschluss der Mund- und Nasenhöhle, 
antiseptischer Occlusivverband; Ernährung durch Schlundsonde unter 
Carboinebel). 

III. Exstirpatio recti. Von 10 Fällen, die Verf. operirt, 
seien 4 als definitiv geheilt zu betrachten; 3 RecidivfÜlle und 2 Exitus 
letal. Von den 5 erfolglosen Fällen seien 4 in abweichender Weise 
operirt worden (nämlich statt des Längsschnittes in der Gefässspalte 
ward die meist geübte Umschneidung des Anus und Auslösung des 
Rectums von unten her gemacht), gegenüber den 4 geheilten Fällen, 
wo Verf*. den Längsschnitt in der Gesässpalte machte. Es sei daher, 
meint Verf., der Operationsmethode sicherlich ein bedeutender Einfluss 
auf den Verlauf der Fälle zuzuschreiben. Verf. gibt übrigens zu, dass 
die Erfahrung lehre, dass selbst noch nach Jahren Recidive des operirten 
Mastdarmkrebses auftreten könne. 

Verf. plaidirt sodann für seine (i. e. die von ihm modificirte 
Simon’ sehe) Methode, für welche er die Bezeichnung „hinterer 
Längsschnitt 44 empfiehlt. Dabei handelt es sich nur, mit völliger 
Sicherheit die Aussen fläche des Rectums blosszulegen; das Rectum 
selbst soll nicht vom Längsschnitt mitgetroffen werden. Die Excision 
des Steissbeins, um den Schnitt nach hinten oben ausgedehnter zu machen, 
sei nur für sehr hochreichende Krebse nothwendig. Nach Excision des 
degenerirten Bectnmantheiles und exacter Blutstillung empfiehlt Verf. die 
Anlegung von Nähten zur Deckung der Wunde mit der Rectumschleim- 
haut lieber zu unterlassen. Die Nähte schneiden meist vor Anheilung 
durch und stören eher noch den Abfluss der Wundsecrete. Von viel 
grösserer Wichtigkeit sei die scrupulöseste Vorbereitung der Kranken 
vor der Operation (14 Tage vorher flüssige Diät und täglich Irrigationen 
des Darmes, die 3 letzten Tage mit Salicyl- oder Borwasser), die regel¬ 
rechte Antisepsis und die Sorge für Secretabfluss nach der Operation. 

Für nicht operirbare Fälle von Mastdarmcarcinom, empfiehlt Verf. 
schliesslich als beste palliative Behandlungsmethode, die Regelung der 
Diät und Sorge für weichen Stuhl. In letzter Linie bleibe für derartige 
Fälle die Colotomie übrig, welche ein zuverlässigeres (wenn auch unmittel¬ 
bar gefährlicheres) Erleichterungsmittel sei, als die nur scheinbar unge¬ 
fährlichen Behandlungsmethoden des Auskratzens und der Dilatation. 

Fr. Steiner, Marburg. 


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Medicinisch-chinirgische Ran dach an. 


903 


710. lieber Tripolithverbände. (Vortrag, gehalten in der Berliner 
medicinischen Gesellschaft am 7. November 1880.) Von B. v. Langen- 
beck. (Berl. klin. Wochenschr. 1880. 46.) 

Vortr. zeigt ein neues Verbandmaterial, welches vielleicht bestimmt 
ist, die bisher gebräuchlichen immobilisirenden Verbände, namentlich den 
Gypsverband, zu verdrängen. 

Das Tripolith, so genannt wegen seiner bedeutenden Härte 
und Widerstandsfähigkeit (dreifach Stein), ist von Herrn Bernhard von 
Schenk in Heidelberg erfanden, im verflossenen Sommer in den Gewerbe¬ 
ausstellungen zu Brüssel und Mannheim ausgestellt gewesen und prämiirt 
worden. Ursprünglich war das Tripolith zu Stuccatur-' und Decorations- 
Arbeiten bestimmt, für welche es sich wegen seiner grösseren Leichtigkeit 
und Wetterbeständigkeit besser eigneu soll als Gyps. Die Fabrikation 
des Tripoliths ist nicht bekannt; die Hauptbestandteile sind Calcium 
und Silicium, nebst kleineren Mengen von Eisenoxydul. Dasselbe bildet 
ein graues Pulver, welches feiner und weicher anzufühlen ist wie Gyps 
und von demselben Gewicht wie dieser ist. 

Zu der Verwendung des Tripoliths zu festen Verbänden gab ein 
unglücklicher Zufall in Berlin, die Veranlassung. Der Agent der Gebrüder 
v. Schenk, Herr Heinrich Cohn, zog sich einen Oberarmbruch zu 
und wurde von Herrn Professor K r Ö n l e i n mit Gypsverband behandelt. 
Bei der notwendig gewordenen Erneuerung des Verbandes äusserte 
Herr Kohn, dass es ein besseres Verbandmaterial gebe als Gyps, und 
es wurde nun ein Tripolithverband angelegt. Seitdem sind im königlichen 
Klinikum zahlreiche Tripolithverbände angelegt worden, und Vortr. hat 
auch in der Privatpraxis davon Gebrauch gemacht. 

Die Tripolithverbände werden ganz in derselben Weise angelegt 
wie die Gypsverbände. Nachdem die Extremität mit einer Flanellbinde 
umgeben worden, werden mit dem Tripolithpulver eingeriebene Gaze¬ 
binden in Wasser getaucht und angelegt. Darüber wird ein dünner 
Brei von Tripolith verrieben, der ebenso mit Wasser angerührt wird, 
wie der Gypsbrei. Die Tripolithbinden dürfen nicht zu lange im Wasser 
liegen, der Brei nicht mit zu vielem Wasser bereitet und nicht zu lange 
gerührt werden. 

Die Vortheile, die das Tripolith vor dem Gyps voraus haben dürfte, 
sind folgende: 1. Tripolith scheint aus der Luft weniger leicht Feuch¬ 
tigkeit aufzunehmen und seine bindende Eigenschaft nicht einzubüssen, 
wenn es länger mit der Luft in Berührung ist. Die erste Sendung, die 
wir aus Heidelberg erhielten, erfolgte in einen leinenen Sack, eine 
Verpackung, welche den Gyps unfehlbar der Verderbniss ausgesetzt 
haben würde. 

2. Die Tripolithverbände sind leichter und für den Kranken 
angenehmer. 

Es wog das gleiche Volumen gegossenen Gypses, frisch = 604 Grm. y 
gegossenen Tripoliths, frisch = 568 Giro. Nach 5 Wochen: Gyps = 470 Grm., 
Tripolith = 413 Grm. 

Vollständig trockenes, gegossenes Tripolith ist somit etwa 14°/ (> 
leichter, als dasselbe Volumen gegossenen und vollständig trockenen Gypses. 

3. Die Tripolithverbände erhärten schneller. Während ein Verband, 
mit bestem Gyps ausgeftihrt, in der Regel 10—15 Minuten gebraucht, 
bevor er ganz hart ist, bei feuchtem Wetter aber oft stundenlang weich 
bleibt, erhärtet der Tripolithverband in 3—5 Minuten vollständig. Dabei 

Die p-“ - ^.oogle 



904 


Medicinisch-chintrgische Randschau. 


gibt der Tripolithverband noch längere Zeit Wasser ab und ist nach 
24 Stunden noch feucht anzuftihlen. 

4. Einmal erhärtet und trocken, nimmt der Tripolith verband kein 
Wasser mehr auf. Ein Stück gegossenen und trockenen Tripoliths, in 
Wasser gelegt, verändert sich nicht. Es wird also möglich sein, mit 
einem erhärteten Tripolithverbande ohne weiteres baden zu lassen, voraus¬ 
gesetzt, dass man das Eindringen des Wassers unter den Verband durch 
Kautschukbinden verhindert, während wir bisher gezwungen waren, zu 
diesem Zweck den Gypsverband nach Vorschrift von A. Mitscherlich 
durch Tränken mit Dammarharz wasserfest zu machen. 

5. Tripolith ist (das Kilo etwa um 4 Pf.) billiger als Gyps. 

0. R. 

711. Die Resection des Kehlkopfes bei Stenose. Von Prof. Paul 
Bruns. (Berl. klin. Wochenschr. 1880. 38, 39. Med. chir. Centralbl. j 
1880. 24.) 

Verf. hat weniger jene leichteren Formen von Stricturen im Auge 
in denen die Verengerung des Kehlkopflumens entweder nur einen raässi 
gen Grad erreicht oder blos durch Bildung einer Narbenmembran bedingt 
ist. Vielmehr zieht B. die schweren und schwersten Formen in Betracht, 
die sogenannten röhrenförmigen Stricturen, in denen die Stenose eine sehr 
enge und gleichzeitig eine sehr ausgedehnte ist, indem sie sich über 
grössere Abschnitte oder das ganze Larynxrohr erstreckt. Sei auch in 
schweren Fällen durch das Schrö tter’sche Dilatationsverfahren eine 
allmälige Erweiterung der Strictur bis zu dem Grade zu erzielen, dass 
die Athmung bei geschlossener Canüle durch den Larynx möglich sei, 
so müsse die Behandlung doch als äusserst langwierig und mit grossen 
Beschwerden verknüpft bezeichnet werden. B. will deshalb die Dilatations¬ 
behandlung auf die relativ leichteren Formen der röhrenförmigen Stenosen 
beschränkt wissen. Bei schweren Fällen, wenn das Knorpelgerüst noch 
erhalten sei, habe die Laryngotomie stattzufinden, doch müsse gleich von 
vornherein ein Larynxrohr, über dem die Vernarbung der Wunde geschehe, 
eingelegt werden, wodurch die Athmung durch den Mund wieder her¬ 
gestellt werde. Ist das Knorpelgertist schon zusaramengesunken, in Folge 
von nekrotischer Ausstossung von Knorpeltheilen, so sei die Heine’sche 
subperichondrale Resection angezeigt, um das Einlegen eines Larynxrohres 
zu ermöglichen. Beschreibung der Operation im Originale. — Als beste 
Ganttle hat sich Verf. eine der Richet’schen Schornsteincanüle nach¬ 
gebildete Form bewährt. Auf das senkrechte Röhrenstück kann man einen 
Phonationsansatz aufstecken, um Sprechübungen anstellen zu lassen. Dieser 
Ansatz trägt an seinem oberen Ende zwei Kautschukmembranen, wodurch 
die hervorgebrachte Stimme eine grössere Aehnlichkeit mit der mensch¬ 
lichen besitze. Ferner gestattet eine an der Canttle angebrachte Vor¬ 
richtung, dass durch die äussere Oeffnung nur die Inspirationsluft den 
Durchtritt findet, während die Exspirationsluft durch das Phonationsrohr 
entweichen muss. — Wenn die Wunde geheilt ist und der Larynxcanai 
sich consolidirt hat, so wird eine dem Patienten bequemere Canüle an* 
gewendet. Hier wird zunächst die mit der Halsplatte verbundene Trachea!- 
canüle eingeftihrt, und hierauf durch eine Oeffnung in der oberen Wand 
derselben die Larynxcanüle eingelegt. Bei dieser Einrichtung lässt sich 
je nach Bedarf die Athmungs- oder Phonationscanüle leichter einlegen. 


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Medicinisch-chirnrgische Rundsch&n. 


905 


712. Die Exs&nguification grosser Fibrome des Uteras bei der 
Hystorectomie. Von L6on Labb6 in Paris. (Annales de Gynecologie. 
August 1880. p. 108.) 

Verfasser geht von der richtigen Ansicht aus, dass es bei so grossen 
Eingriffen, wie bei Exstirpationen von Uterusfibroiden mittels der Laparo¬ 
tomie nicht gleichgiltig sei, wenn dem Organismus plötzlich eine bedeu¬ 
tende Menge Blutes entzogen werde. Die Prognose der Operation wird 
durch diesen Umstand nicht wenig beeinflusst. In der Chirurgie ist diese 
Vorsorge bei grösseren blutigen Eingriffen, namentlich bei Amputationen 
von Extremitäten, dem Organismus möglich wenig Blut zu entziehen, längst 
bekannt. Bei herabgekommenen anämischen Individuen wird die abzu¬ 
setzende Extremität mit E s m a r c h’schen Binden umwickelt, wodurch der 
Blutverlust auf ein Minimum reducirt wird. Diesen Grundsatz überträgt 
L. auf die Exstirpation grosser Fibrome des Uterus und führte ihn in 
einem Falle auch aus. Bei einer anämischen Person, welche an grossen 
Fibroiden des Uterus litt, legte er, nachdem der Bauchschnitt gemacht 
und der Tumor freigelegt war, an den letzteren die Esmarch’sche 
Binde an. Nachdem auf diese Weise der Tumor blutleer gemacht war, 
legte er dann erst die Ligaturen am Stiele an und trennte letzteren ab. 
Um bequemer operiren zu können, entfernte er nach Unterbindung des 
Stieles, vor Durchtrennung desselben, die Esmarch’sche Binde. Wie 
viel Blut er auf diese Weise dem Organismus erhielt, kann er allerdings 
nicht mit Genauigkeit angeben, doch meint er, dass es etwa 1 Liter 
gewesen sein dürfte. Bei der Durchtrennung des Stieles floss nicht ein 
Tropfen Blut ab und der Tumor selbst war vollkommen anämisch. Die 
Operation verlief trotz dieser Vorsichtsmassregeln unglücklich, denn die 
Kranke starb am 5. Tage an einer Peritonitis. Bei Tumoren von 
unregelmässiger, stark höckeriger Form dürfte das Band keinen Halt 
haben. In einem solchen Falle müsste man nach L. durch den Tumor 
lange Nadeln stecken, deren herausragende Enden der Binde an verschie¬ 
denen Stellen einen Halt bieten würden. 

L.’s Vorschlag verdient alle Berücksichtigung, da die Exstirpation 
grosser Fibroide mittelst der Hysterotomie, abgesehen von anderweitigen 
Gefahren, gar häufig wegen der bedeutenden Blutverluste zu einer sehr 
bedenklichen Operation wird. Kleinwächter, Innsbruck. 


713. Ueber gravido-cardlacale Zufälle. Von Alphons Herrgot 
in Nancy. (Annales de Gynecologie. Juli-Heft 1880. p. 41.) 

Die Alterationen der Herzfunction während der Schwangerschaft 
sind noch wenig bekannt und noch weniger gewürdigt. Die Schwanger¬ 
schaft ruft, abgesehen von der Bildung der Frucht im Uterus, kolossale 
Umwälzungen im Gesaromtorganismus der Graviden hervor. An diesen 
nimmt das Blut nicht wenig Theil und folgegemäss dadurch auch das 
Herz. Das Blut wird qualitativ und quantitativ verändert. Dessen Wasser¬ 
menge und Fibrinmenge wird vermehrt. Dagegen vermindert sich die 
Zahl der Blutkörperchen. Die Dichtigkeit des Blutes wird herabgesetzt. 
Die Schwangere ist als eine Anämische und Chlorotische zu betrachten. 
Absolut ist wohl die Menge der Blutkügelchen gegen früher erhöht. 
Diese Plethora oder Hyperglobulie ist aber nur eine scheinbare, wenn 
man bedenkt, dass die Flüssigkeitsmenge, welche während der Schwanger¬ 
schaft in den Blutgefässen circulirt, eine weit grössere ist als im nicht- 
schwangeren Zustande. Das Serum der Schwangeren enthält mehr Phos¬ 
phate. Das gleiche Volum Blut enthält während der Schwangerschaft 


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906 


Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


weit mehr Kohlensäure als im nichtschwangeren Zustande. Die Zunahme 
der genannten Säure rührt von der grösseren Menge der Phosphate und 
der gesteigerten Verbrennung im Gesammtorganismus der Schwangeren 
her. Die Respiration wird durch den grossen Uterus behindert, das 
Gleiche findet bei der Circulation statt. Das Endresultat dieser Störung 
ist folgendes: Die Blutmenge ist vermehrt, die Zahl der Blutkörperchen 
vermindert, der Gehalt des Blutes an Sauerstoff ist gesunken, jener an 
Kohlensäure gestiegen. In Folge der vermehrten Blutmenge hat das Herz 
eine grössere Arbeit zu leisten und hypertrophirt. Man kann dies klinisch 
mittelst der Percussion nachweisen, man kann dies anatomisch sicher 
stellen. Das Gewicht des Herzens nimmt im Mittel um 50 Gnu. zu. 
Die Vermehrung der Blutmenge muss schon deshalb stattfinden, weil sich 
im Uterus zahlreiche grosse Gefässe bilden. 

Meist reichen diese Störungen nicht in das Gebiet der Pathologie 
hinein, wenn sie sich auch knapp an der Grenze zwischen Physiologie 
und Pathologie bewegen. 

Nach abgelaufener Geburt stellt sich bald wieder der Status ante 
quo her. Anders ist es dagegen, wenn das Herz von früher her erkrankt 
ist. Gar häufig bestehen nach früheren Endocarditiden als Folgen von 
acuten Gelenksrheumatismen Herzfehler, welche vollständig compendrt 
werden und keine Erscheinungen machen. Wird aber ein solches Weib 
schwanger, so kann dieses Herz der nun erhöhten Arbeitskraft nicht ent¬ 
sprechen und es treten gefährliche Störungen auf. Einen derartigen Fall, 
wo es in Folge einer Insufficienz der Bicuspidalklappe zu bedeutenden 
Störungen im kleinen Kreisläufe und zu einem beginnenden Lungenödem 
kam, beobachtete H. bei einer Schwangeren im 7. Monate. Durch Dar¬ 
reichung von Digitalis und Einleitung profuser Diarrhöen verloren sich 
die gefährlichen Zustände und die Person gebar am normalen Ende eine 
ausgetragene, lebende Frucht. Bei der Geburt beobachtete man ausser 
einer leichten Oppresion und einer Cyanose weiterhin keine Störungen 
von Seite des Herzens. Wie man sich in solchen Fällen, wenn eine 
eminente Lebensgefahr eintritt, verhalten soll, darüber scheint sich fl. 
nicht entschieden aussprechen zu wollen. Er meint wohl, man solle die 
Frühgeburt einleiten, wenn die Frucht lebensfähig ist, in früherer 
Schwangerschaftszeit dagegen hält er es für zweifelhaft, ob man das 
fötale Leben dem mütterlichen zuliebe opfern solle. Zum Glücke, 
meint er, steigen die gefahrdrohenden Zustände selten zu solcher Höhe 
an, dass man vor die erwähnten Eventualitäten zu stehen komme. 

(Nach Ansicht des Referenten ist ein expectatives Verhalten unter 
solchen Umständen immer am angezeigtesten. Die künstliche Unter¬ 
brechung der Schwangerschaft stellt immer eine sehr schwere Compli- 
cation des bestehenden Leidens dar, verschlechtert daher die Prognose 
um ein Bedeutendes. Abgesehen davon liegt zwischen der Einleitung und 
der Beendigung der Geburt ein so langer Termin, dass nahezu mit 
Gewissheit angenommen werden kann, die Frau werde ihr Leben inner¬ 
halb desselben verlieren, denn im Verlaufe dieser langen Zeit steigern, 
sich die Störungen der Circulation in Folge der Wehenthätigkeit zu einer 
noch bedenklicheren Höhe an.) Kleinwächter, Innsbruck. 

714. Zur intrauterinen Therapie. Prinoipien bei intrauterinen 
Injectionen und Erfahrungen über diese Behandlungsweise. Von 
E. Schwarz in Halle. (Archiv f. Gyn. Bd. XVI, H. 2.) 

Die locale Therapie des Uterus ist ungemein wichtig, bisher aber 
fürchtete man sich, energisch einzugreifen, namentlich mit flüssigen Mitteln. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


907 


tesige Mittel wandte man nur dann an, wenn man früher den Uterus 
hörig dilatirt hatte. Da andererseits aber auch die Dilatation der Cervix 
i nicht ungefährlich angesehen werden muss, so ist die Folge davon, 
ss die intrauterine Therapie bisher noch immer nicht Allgemeingut 
ler geworden ist. Die Dilatation des Uterus ist entweder eine brüsque, 
itramentale oder eine allmäiige mittelst langsam wirkender Quellmittel, 
e brüsque Dilatation mit instrumenteilen Dilatatorien oder dem Messer 
t wohl den Vortheil, dass man sie möglichst aseptisch vornehmen kann, 
ch gleicht der Eingriff nahezu völlig einer Operation, erfordert Assistent, 
irkose u. d. m., abgesehen davon, dass er in manchen Füllen direct 
ntraindicirt ist. Die Dilatation mittelst langsam quellender Mittel (Press- 
iwämme, Laminaria, Tupelo) hat den Uebelstand der Stunden und Tage 
igen Dauer und dadurch jenen der Infection. 8. geht in dieser Weise 
r, dass er die intrauterinen therapeutischen Eingriffe (eventuelle Abkratzuug 
r Mucosa mit der Cürette, die Einspritzung flüssiger Medicamente etc.) 
ne vorausgehende Dilatation des Uterus vornimmt. Zuerst führt er in 
n Uterus den Bozem an'sehen , von Fritsch modiücirten Uterus- 
theter ein und spült das Cavum mit einer 2*/2percentigen Lösung aus. 
*i Frauen, die geboren, lässt sich der Katheter leicht einführen. Auch 
i Nulliparis gelingt die Einführung meist ohne Schwierigkeiten, aus- 
nommen die Fälle von Stenosen des Cervixcenales mit hochgradiger 
irter Anteversio. Hierauf führte er eine dünne Sims sehe Cürette ein, 
d kratzt die erkrankte Mucosapartie ab. Dann wird der Uterus noch- 
»ls mit Carbolwasser ausgespült. Zum Schlüsse injicirt er mit der 
raun’schen Spritze (deren Oeffnung muss immer nach vorn oder nach 
nten sehen, nie nach der Seite zu, wegen der Gefahr des Uebertrittes 
n Flüssigkeiten in die Tuba), welche er bis zum Fundus einführt, Liquor 
rri sesquichlorati oder Jodtinctur bei allmäligem Herausziehen ein. Sämmt- 
he Manipulationen können bei eingeführtem Simon’schen Speculum 
^genommen werden , namentlich um die Vagina vor der ausfliessenden 
üssigkeit zu schützen. Lässt sich der Katheter nicht einführen, so legt 
zunächst eine dicke Sonde ein, lässt sie einige Minuten liegen und 
mmt dann die Einspritzung vor. Auf der Klinik müssen die Frauen 
fort zu Bett, ambulatorische Kranke können nach 30 Minuten beim- 
hen, müssen sich aber dann zu Hause 24 Stunden ruhig verhalten, 
ir Stillung profuser Blutungen, deren Grundursache nicht zu beseitigen 
wie z. B. bei Fibromyomen u. d m., bedient sich S. des unverdünnten 
quor fern sesqu. Bei eitrigen und blutig-wässerigen Ausflüssen, bei 
einer Uterushöhle und engem Canale nimmt er meist Jodtinctur. Sie 
irkt kräftiger und nachhaltiger auf die Mucosa und bildet nicht so leicht 
>agula. Die Injectionsflüssigkeit beträgt Vs—Va~ 1 (1 Kubikctm.) 
raun'sehe Spritze. Je nach der Intensität des Leidens werden die 
jectionen repetirt. Alleinige Contraindicationen sind acute und subacute 
itzündliche Affectionen des Uterus und seiner Adnexen, sowie die bevor- 
ehende Menstruation. Ueble Folgen nach dieser Behandlungsweise sah 
nie. Zuweilen treten allerdings krampfartige Schmerzen im Unterleibe 
n. Es sind dies nichts anderes als Nachwehen und ein Zeichen, dass 
ts Medicament seine Schuldigkeit thut. Zur Milderung kann man einen 
riessnitz’schen Umschlag geben, nie aber gebe man Morphium oder 
n anderes Narcoticum. Fieberhafte Erkrankung sah S. nur einmal folgen, 
trat eine Parametritis mit Exsudat ein. Und auch in diesem Falle 


aubt er die Erkrankung nur darauf zurückzufÜhren, dass er es unter¬ 
es, den Uterus vor der Injection auszuspülen und zu desinficiren. 

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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


S. meint, der grosse Vortheil die Intrauterininjectionen ungefährlich zi 
machen, bestehe darin, dass er eine Carbolinjection vorausschicke. Da 
durch werden Blut-, Schleimstücke u. d. m., die im Uterus liegen, dH 
fernt und ausserdem wird die Mucosa gründlich desinficirt und gegen ein 
zu starke Irritation des Medicamentes abgestumpft. Endlich werden de 
Cervicalcanal und der innere Muttermund so weit gedehnt, als dies fl 
den Ausfluss des etwa überschüssigen Medicamentes und für den stets 
wenn auch meist nur in geringem Grade, sich einstellenden serös-eitrig 
Ausfluss nöthig ist. Die bisher so gefürchtete Gefahr bei der Intrauterin 
injection besteht nach S. in der leichten Möglichkeit der Infecdon. Ect 
weder hatte das im Uteruscavum angesammelte Secret phlogogene Edge# 
schäften oder erhielt es dieselben durch die eingeführte Spritze. Ausser 
dem erzeugte die eingespritzte Flüssigkeit grössere Coagula, die leich 
faulten und ausserdem den Cervicalcanal verstopften. Kleine Verletzung« 
der Schleimhaut des Uterus wurden durch die Spritze oder die Sondi 
leicht gemacht und dadurch die Möglichkeiten einer septischen Infecti« 
gegeben. Die Furcht vor dem Uebertritte des flüssigen Medicamentes ii 
die Bauchhöhle ist übertrieben. Aber auch bei diesem gewiss bdchi 
seltenen Zwischenfalle glaubt S., dass geringe Mengen eingedrungenc 
Flüssigkeit (Eisentinct. oder Jodtinct.) keine allgemeine eitrige Peritoniti 
hervorzurufen vermögen. Die gehörige Reinigung und Desinfection verhinder 
das Zustandekommen der sonst heftigen und manchmal sehr bedrohlich« 
Uteruskoliken, weil sich keine Gerinnsel bilden können. Konnte er wegei 
Enge des Cervicalcanales das Uteruscavum zuweilen auch nicht ausspülea 
so sah er dennoch keine üblen Folgen und meint er, es rühre dies dar« 
her, dass in diesen Fällen sich stets nur weniges flüssiges, frisch ergossene 
Blut im Uterus befunden habe und keine Gerinnsel, zersetztes Blut odei 
Eiter, dass er stets früher eine Sonde einführte, und nur wenig Flüssig 
keit( l / 3 —V 2 Spritze) einspritzte. Die Instrumente müssen selbstverständlid 
stets gehörig desinficirt sein. 

Diese ungefährliche Behandlungsweise hat eingeleitet zu werden be 
Blutungen, serösen, eitrigen Ausflüssen, in Folge eines Katarrhes, ein« 
Hyperplasie, Hyperämie der Mucosa, in Folge einer Lageveränderung de 
Uterus, bei Tumoren des Uterus, zurückgebliebenen Eihautresten u. s. w 
Die Resultate dieser Therapie sind sehr günstig. Die Blutungen hörei 
bald auf, ausserdem tragen sie zur Involution des Uterus bei, die unt* 
Umständen die radicale Heilung herbeiführt (z. B. nach Aborten). Gleich 
zeitig wird man zuweilen bei dieser Therapie auch lange bestehende 
Erosionen Herr und schwinden eine Menge subjectiver Krankheitssymptome 
welche die Kranken früher stark belästigten. Auch bei Fibromyom« 
bewährt sich diese Behandlung. Zuweilen werden Menstruationsanonwliei 
durch eine einzige Injection beseitigt. Ein weiterer Vortheil dieser Method 
besteht auch in dem Umstande, dass sie ambulatorisch ausführbar ist 

Kleinwächter, Innsbruck. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


909 


Ophthalmologie, Otiatrik, Laryngoskopie, 


715. Experimentelle und histologische Untersuchungen über 
Bratoplastik. Von Dr. J. Neelson und Arnoldo Angelucci. (Klin. 
matsblätter f. Augenheilkunde. 1880. Jahrgang XVIII. Augustheft, 
236—321.) 

Ueber die Transplantation völlig vom Körper getrennter Hornhaut- 
Ickchen existirt bereits eine Reihe von Beobachtungen. Dieselben 
schuftigen sich jedoch besonders mit der Frage, ob und mit welchem 
drapeutischen Erfolge eine solche Transplantation beim Mensch en 
»glich ist. Von einer histologischen Kenntniss des Processes war bis 
zt wenig die Rede. Diese Lücke suchten die Verfasser durch eine 
fihe von experimentellen und histologischen Untersuchungen auszufüllen, 
a gelangten dabei zu folgendem Resultate: In der Mehrzahl der Fälle 
ht das transplantirte Comealsttickchen zum Theil zu Grunde; der 
wird in undurchsichtiges Narbengewebe eingeschlossen. Eine 
iheilung mit Erhaltung des Stückes ist nur möglich, wenn dasselbe 
cht nur vom Rande,* sondern auch von seiner innem Fläche aus durch 
liegendes altes oder neugebildetes Gewebe ernährt wird; es liegt 
$dann nach beendeter Heilung unter dem transplantirten Stück eine 
idurchsichtige Schicht, welche die eventuelle Durchsichtigkeit des 
ückes so beeinträchtigt, dass das Resultat mit dem einer misslungenen 
>eration tibereinstimmt. 


716. Ein Fall von bösartiger Parotis- und Trommelhöhlen- 
schwulst. Von H. Knapp in New-York. (Zeitschr. f. Ohrenheilk. 
’. Bd. 1. Heft. Monatsschr. f. Ohrenheilk. 1880. 9.) 

Ein 37jähriger Mann consultirte Verf. eines Tages wegen plötz- 
h aufgetretener Taubheit am rechten Ohre. Unter letzterem hatte er 
ic seit sieben Jahren bestehende, allmälig sich vergrössernde, hühner- 
rrosse Geschwulst, ohne Ausfluss aus dem Ohre. Am linken Ohre litt 
it. an chronischer Otorrhoe. Die Sprache wurde rechts auf 5', die 
Ir beim Anlegen vernommen. Paukenfell geröthet und geschwellt, „nach 
rne verschoben 44 , beim Sondiren resistent. Daraus, sowie aus dem 
S>tzlichen Eintritte der Taubheit, schloss Verf. auf eine Geschwulst 
fierhalb der Trommelhöhle, und erklärte sich das letztere Symptom 
.durch, dass die Geschwulst die Trommelhöhle gänzlich verlegte, oder 
»nigstens beide Fenster, gibt jedoch auch die Möglichkeit eines serösen 
er blutigen Ergusses in die Höhle zu. Verf. paracentesirte das 
•ommelfell und sah beim Auseinanderweichen der Schnittränder die 
ommelhöhle mit einer röthlichen Fleischmasse erfüllt. Verf. gelangte 
dem Schlüsse, dass die Geschwulst vor und unter dem Ohre das 
imäre sei, und sich dieselbe etwa durch die Glaserspalte ins Mittelohr 
rtgesetzt habe; ferner, dass sie ihrer Natur nach adeno-chondro- 
rcomatös, eine Mischgeschwulst wäre. Im weiteren Verlaufe wuchs nun 
e Geschwulst bis in den äusseren Gehörgang hinein; es entwickelte 
;h Entzündung und Schmerzhaftigkeit, schliesslich ein Abscess in dem- 
Iben, und es musste die in Aussicht genommene Exstirpation der 
?schwulst aufgeschoben werden. Es entleerte sich Eiter bei Druck auf 
n Tragus, während die Geschwulst bereits den ganzen äusseren 
:hörgang obturirte. 

Nun übernahm Prof. Sards die Behandlung, der die Parotis- 
schwulst exstirpirte, von welcher es sich nun heraustellte, dass sie 


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910 


Medicinisch-chirnrgiscbe Rundschau 


ein gestieltes Enchondrom und mit dem Tumor im Ohre nicht im 
Zusammenhänge sei. Von letzterem wurde nun soviel als möglich mit 
der Kornzange entfernt. Die Wunde am Halse heilte nach einigen 
Wochen fast gänzlich; während die Trommelhöhlengeschwulst wieder 
stetig zunahm und Pat. von derselben befreit zu werden wünschte. 
Dr. Buck entfernte einen grossen Theil derselben mit einem eigens 
angefertigten Scalpell. Den Rest wollte Buck mit einem Kratzeisen ent¬ 
fernen , musste aber den Versuch wegen heftiger Hämorrhagie aufgeben. 
Die mikroskopische Untersuchung ergab, dass in dem Gewebe, das atu 
mit Zellen erfüllten Alveolen und Zwischensubstanz bestand, viel Knorpel¬ 
zellen eingestreut waren. 

Nach einigen weiteren Versuchen, die Geschwulst zu verkleinern, 
die wegen der Blutungen misslangen, entwickelte sich unter dem Waraen- 
fortsatze ein grosser Abscess. Es traten Schmerzanfälle und Schlaflosigkeit 
auf, gegen die Morphium gereicht wurde. „Eine harte umschriebene 
Geschwulst entwickelte sich unter der Ohrmuschel und drängte in ihrem 
langsamen Wachsthume das Ohr zur Seite.“ Sie wurde faustgross , es 
entstanden Fistelgänge, aus denen dünner Eiter kam, und es trat 
Facialisparalyse auf. Verf. erklärte, da jetzt offenbar das Schläfebein 
ergriffen sei, eine Operation für unmöglich. Die Geschwulst wachs nach 
allen Richtungen, es entstanden indolente Geschwüre, die sich stetig 
vergrösserten und Pat. verlor durch Capillarhämorrhagien viel Blut. 
Auch grössere Gefässe bluteten häufig, wogegen adstringirende Pulver 
angewendet wurden. Pat. kam in der Ernährung immer mehr herunter 
und starb 15 Monate nach der ersten Operation an Erschöpfung. Die 
Geschwulst hatte in der letzten Zeit eine sehr beträchtliche Ausdehnung 
erlangt und war gelappt. Psychische Störungen waren nicht vorhanden. 

In den epikritischen Bemerkungen hält Verf. an seiner Ansicht 
fest, dass die Parotisgeschwulst das Primäre gewesen sei, und obgleich 
die Exstirpation derselben keinen macroskopischen Zusammenhang mit 
der Trommelhöhlengeschwulst nachweisen liess, derselbe vielleicht auf 
dem Wege durch das Bindegewebe stattgefunden habe, welches die 
Trommelhöhle mit der Parotisgegend durch die Glaserspalte und den 
H u g u i e r’schen Canal verbindet, in ähnlicher Weise, wie extra- und 
intraoculare Tumoren oft durch Zellstränge in Verbindung stehen. Man 
soll vor der radicalen Entfernung bösartiger Geschwülste von aussen ber 
nicht zurückschrecken, da man sich durch Abmeisseln des knöchernen 
Gehörganges und der äusseren Wand des Warzenfortsatzes genügenden 
Zugang verschaffen könne. 

717. Klinische und histologische Studien über Kehlkopfschwind- 
sucht. Von Dr. Ph. Schech, Docent und Specialarzt für Kehlkopf 
kranke in München. (Münch, ärztl. Intelligenzbl. XXVH. 41. 42. 1880./ 

Verf. bespricht in klinischer und histologischer Hinsicht die Kehl 
kopfschwindsuobt auf Grund seiner eigenen Erfahrungen und Forschungen 
und resumirt die Resultate derselben dahin, dass in der erdrückenden 
Mehrzahl der Fälle die Tuberculose der Schleimhaut als einziges ätiolo¬ 
gisches Moment der Kehlkopfschwindsucht zu betrachten ist und dass 
nur ein verschwindend kleiner Bruchtheil anderweitigen Ursachen seine 
Entstehung verdankt. — Hinsichtlich der Prognose und Therapie der 
Kehlkopfphthise scbliesst sich Schech denen an, welche die Krank¬ 
heit für fast uncurabel halten. In diagnostisch zweifelhaften Fällen g»bf 
er Jodkali und sah nie Nachtheile davon. Local behandelt er die 


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Medicinisch-chirurgische Randschan. 


911 


erkrankten Kehlköpfe desinficirend durch Insuffladonen von Borsäure, 
welcher er pro insuffl. 0*01 Morphium zusetzt. Die Geschwüre reinigen 
eich darauf sehr gut, es bilden sich Granulationen und die Kranken 
vertragen diese Behandlung sehr gut. Das Tonchiren mit Höllenstein 
verwirft Schech mit vollem Recht. Kn aut he, Meran. 


718. Beitrag zur Lehre von den Sensibiütätsnenrosen des 
Schlundes und des Kehlkopfes. Von Dr. med. Eugen Fränkel in 
Hamburg. (Breslauer ärztl. Zeitschr. II. 16. 1880.) 


Fränkel bespricht die genannten Neurosen auf Grund der Beob¬ 
achtung von 11 Fällen und unter Benützung des bis jetzt schon Bekannten. 
— Vorkommen: 7 seiner Kranken gehörten dem weiblichen Geschlecht 
an; unter den 4 männlichen Kranken befindet sich ein 13 Jahre alter 
Knabe; dem Alter nach gehörten von den übrigen Kranken 5 dem 
3. Decennium, 3 dem 4. Decennium an, ein Pat. war 41, einer 
60 Jahre alt. — Aetiologie: Bei 2 weiblichen Kranken war aus¬ 
gesprochene Hysterie nachzuweisen, bei einer derselben im Zusammen¬ 
hang mit chronischer Endometritis und ziemlich hochgradigem Scheiden¬ 
prolaps, bei der anderen mit Sterilität; ein männlicher Kranker war sog. 
Kehlkopfhypochonder; bei 2 Frauen entwickelte sich das Leiden mit 
Anschluss an längere Zeit bestehende heftige Menorrhagie mit consecutiver 
hochgradiger allgemeiner Anämie; bei einem Mädchen und bei einem 
Manne fehlte jede Ursache; ebenso erkrankte der erwähnte 13jährige 
Knabe plötzlich und ohne Ursache an dem Joux des aboyeurs. Bei 
einer ferneren Kranken war sicherlich der Lebeusberuf und Ueber 
anstrengung der Halsorgane Ursache des Leidens. Im Allgemeinen 
stimmt die Aetiologie der von Fränkel beobachteten Fälle mit dem 
bis jetzt darüber Bekannten tiberein. — Von Stork und Türk wurden 
als ätiologisches Moment der Neurose noch zuweilen Kehlkopfkatarrhe 
beobachtet, wo die Beschwerden in keinem Verhältnis zum Katarrh 
standen und diesen selbst überdauerten. —Erscheinungen. Bei den 
meisten der von Fränkel beobachteten Fälle handelte es sich um 
Störungen im Gemeingefühl (Parästhesien), die sich durch Brennen im 
Bereich des Kehlkopfes oder Schlundes, das sich auch zuweilen auf den harten 
Gaumen, die Zungenwurzel und die Zungenspitze ausbreitete. Bei einem 
Tbeil der Kranken traten die Beschwerden mit stundenlangen Pausen 
auf, bei manchen Kranken hielten sie Tag und Nacht an, exacerbirten 
selbst Nachts und raubten den Schlaf. Die abnormen Empfindungen 
bestanden bei einem Theil der Patienten noch in unangenehmen Druck- 
geftihl, in einem Gefühl von Rauhigkeit und Kratzen im Kehlkopf, 
und bestanden theils ununterbrochen theils periodenweise. Verbunden mit 
der letzteren Empfindung war ein die Umgebung belästigendes Räuspern 
ohne Expectoration. Bei dem 13jährigen Knaben bestand die Störung 
in einem an thierisches Gebrüll erinnernden, weithin hörbaren, mehrere 
Minuten anhaltenden Krampfhusten ohne Expectoration, der ganz plötzlich 
auftrat und periodenweise wiederkehrte. In den anfallsfreien Zeiten 
klagte der Kranke über keinerlei Beschwerden. Nachts traten die 
Hustenanfälle nie auf. Die als Sensibilitätsneurosen zu bezeichnenden 
Fälle sind selten, Fränkel erinnert sich aus seiner Studienzeit nur 
noch eines Falles, wo Tag und Nacht Husten mit kurzen Pausen vor¬ 
handen war, der ohne besonderen Timbre war, nie Schlaf und Er¬ 
nährung störte. — Der obj ective Befund bei den hier fraglichen 
Leiden ist meist negativ und gerade dieser Umstand führt bei den 


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912 


Medicinisch-chinirgisclie Rundschau. 


Vorhandensein der subjectiven Beschwerden zur Diagnose. Zuweilen findet 
sich Anämie, ein geringgradiger Katarrh im Rachen oder Larynx. Die 
Erkrankungen wurden aber immer nur bei acuter, durch Blutverlust 
erzeugter Anämie beobachtet, nicht bei Chlorose, perniciöser Anämie und 
Leukämie. Die Katarrhe stehen wiederum oft in gar keinem Zusammen- 
hang mit den Klagen der Patienten. Bei einzelnen der Fränkel’schen 
Patienten bestand auch eine enorme Hyperästhesie der Schleimhaut, vor- 
züglich des Rachens, weniger des Kehlkopfes, so dass die blosse An¬ 
näherung des Kehlkopfspiegels an den geöffneten Mund der Kranken 
oder der Versuch, die Zunge mit dem Spatel herunterzudrücken, heftige 
Würgbewegungen veranlassten. Niemals beobachtete Fränkel Anästhesie, 
wie sie Makenzie sah. — Fränkel bemerkte noch, dass objectiv 
bei den hier fragliche# Sensibilitätsneurosen, zuweilen noch Verlängerung 
der Uvula und sog. Schmerzenspunkte am Halse gefunden werden. Die 
verlängerte Uvula veranlasst ebenfalls zu ähnlichen Klagen, wie sie sich 
bei Sensibilitätsneurosen des Schlundes und Kehlkopfes finden, oder stei¬ 
gert mindestens die vorhandenen Beschwerden. Bei zwei der Frän- 
k e i’schen Kranken war die Uvula verlängert und die Verkürzung der¬ 
selben bewies bei dem einen Kranken, dass die verlängerte Uvula einen 
wesentlichen Antheil an den abnormen Sensationen im Halse hatte; denn 
sie wurden geringer und wichen mitunter ganz; bei dem anderen Kranken 
wurde durch die Verkürzung der Uvula keine Besserung erzielt. — 
Die Scbmerzpunkte am Halse, welche nicht durch Druck aber durch 
Application des constanten Stromes empfindlich waren, fanden sich bei 
zwei der F r ä n k e l’schen Kranken. Die Punkte correspondirten nicht 
mit den Stellen, an welchen die subjectiven Empfindungen waren. Die 
Punkte sind mehr gegen die negative als positive Elektrode empfindlich. 
Bei dem einen Kranken entsprach der point doulouroux der Gegend der 
linken Hälfte des Körpers und des linken grossen Horns vom Zungenbein, 
bei dem anderen Kranken war der Schmerzpunkt auf die Umschlags¬ 
stelle des N. subcutaneus colli med. und den M. sternocleidomastoideus 
localisirt. Fränkel räth auf Grund seiner Beobachtungen, den con¬ 
stanten Strom bei Personen, die an Sensibilitätsneurosen leiden, als 
diagnostisches Mittel zur Feststellung von Schmerzpunkten zu verwenden. 
— Verlauf und Dauer. 5 der Fränkel’sehen Fälle wurden geheilt, 

5 gebessert, einer blieb ungeheilt. Das Minimum der Heilungsdauer 
betrug 8, das Maximum 33 Tage; die gebesserten Fälle waren 1 Va—2 
Monate und länger in Behandlung. — Die Prognose ist also im 
Ganzen, wie auch v. Ziemssen sagt, nicht ganz günstig in Betreff 
der Heilung. Die Fälle, wo Schmerzpunkte zu finden sind, scheinen 
nach Fränkel günstiger zu verlaufen. Frische Fälle heilen eher als 
alte. — Therapie. Das Wirksamste ist der galvanische Strom. 
Fränkel applicirt ihn in der ersten Zeit und bei den inveterirten Fällen 
täglich. Die positive Elektrode wird an den Hals gesetzt, an die be¬ 
treffenden subjectiv empfindlichen Stellen oder, wo Schmerzpunkte sind, 
an diese. Die Kathode wird entweder auf eine indifferente Stelle oder 
auf die Halswirbelsäule gesetzt. Die Stromesdauer betrug durchschnitt¬ 
lich 4—5 Minuten. Von Aetzungen der Kehlkopfschleimhaut mit eon- 
centrirter Lapislösung (1:3) sah Fränkel nur vorübergehenden Erfolg. 
Ueber die Wirkung der von Schnitzler empfohlenen Chloroform* 
Morphiumlösung konnte Fränkel keine Erfahrungen sammeln. Vod 
dem in Pulverform, auf Rachen- und Larynxschleimhaut angewendeten 
Bromkalium, wie es Ziemssen empfiehlt, sah Fränkel keine Erfolge; 


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Medicinisch-cliirorgische Rundschau. 


913 


besser wirkte die innere Darreichung. Subcutane Injectionen von einer 
2 1 / 2 percentigen CarbolsäurelÖsung am Halse schafften vorübergehenden 
Nutzen. Vorübergehenden Effect sah Fr&nkel vom Auflegen in heisses 
Wasser getauchter Compressen, alle 1—2 Minuten gewechselt; in anderen 
Fällen schaffte wieder Eisapplication Erleichterung. Nachweisbare Katarrhe, 
Hysterie, Anämie wurden mit den üblichen Mitteln behandelt. Die Ab¬ 
tragung der verlängerten Uvula ist schon erwähnt. 

K n a u t h e, Meran. 


Dermatologie und Syphilis. 

719. Das multiple Keloid. Von Prof. Dr. Ernst Schwimmer 
in Budapest. (Vierteljahrschr. f. Dermat. u. Syph. VII. 1880. 243. Heft.) 

Verf. schildert zwei Fälle von multiplem Keloid. Der erste, der 
einer 35 Jahre alten gesunden Frau zeichnete sich durch die enorme 
Anzahl erbsen- bis daumengrosser Tumoren aus; es waren deren nämlich 
hundertftinf. Das Leiden war sechs Jahre alt und die Kranke eine Zeit 
lang mit antisyphilitischen Mitteln natürlich erfolglos behandelt worden. 

Der zweite Fall betraf ein 17jähriges kräftig gebautes Mädchen 
mit zahlreichen theils einzelstehenden, theils zusammenfliessenden Tumoren 
von Bohnen- bis Haselnussgrösse an der Vorderseite des Stammes; an 
der Rückseite waren dieselben zu einer Geschwulst von 10 Ctm. Länge 
und 8 Ctm. Breite mit zahlreichen Ausläufern zusammengetreten. Die 
Farbe war durchwegs röthlich (nicht mattweiss). Auf den freien Haut¬ 
stellen fanden sich zahlreiche weisse, flache, narbenähnliche Flecke. Ver¬ 
suche , einzelne Stellen mit dem scharfen Löffel oder Pyrogallussalbe 
(10 ö / 0 ) zu entfernen, misslangen und so wurde dann die ganze Rücken¬ 
geschwulst mit 1 Ctm. breitem gesunden Hautrand bis auf die Fascien 
in der Narcose exstirpirt und die Wunde antiseptisch behandelt. Nach 
5 Monaten war die Wunde # geheilt. In der rothen (wie eine Ver¬ 
brennungsnarbe aussehenden) Haut wurde keine Recidive beobachtet, aber 
am Rande zeigen sich Anschwellungen, die zu Befürchtungen in Bezug 
auf ein neuerliches Auftreten der Erkrankung Anlass geben. 

Paschkis. 

720. Zur Behandlung des Lupus. Von Dr. Eduard Schiff. 

(Vierteljahrschr. f. Dermat. u. Syph. 243, 1880. pag. 247 ff). 

Sch. hat die von Auspitz ausgeübte Verbindung der Stichelung 
mit der Aetzung bei Lupusknoten etwas modificirt. Das empfohlene 
Instrument besteht aus einer Gummipincette, die unten durch einen mit 
einer Injectionsnadel armirten Hartgummistöpsel verschlossen ist. Im 
Moment des Einstichs wird auch die Injection ausgeführt. An die Be¬ 
schreibung des Instrumentes schliessen sich die kurzen Krankengeschichten 
von fünf in dieser Weise behandelten Fällen. Paschkis. 

721. Zur Kenntniss der Dactylitis syphilitica. Von Dr. Franz 
Mracek. (Wr. Med. Presse Nr. 37, 1880.) 

M. schildert einen Fall, dessen Diagnose er als Periostitis gummosa 
phalangum subsequente carie phalangis tertiae digiti indicis sinistri be¬ 
zeichnet. Das gegenwärtige Leiden, welches seit einem Jahre besteht, 
ist die dritte Folge in den allgemeinen Erscheinungen der Syphilis, 
welche der Patient ver 4 Jahren acquirirte. Gleichzeitig ist gummöse 
Erkrankung der Zunge und des subcutanen Zellgewebes ^vorhanden. 

Med.-chir. Rundschau. 1880 . Digitized by VjOQglC 



914 


Medicinisch-cb irurgische Rundschau. 


Die Behandlung be3tand vorerst in der internen Darreichung von Jodoform 
(20*0 Grm.). Wegen des Auftretens neuer Nachschübe und schlechtem 
Allgemeinbefinden 18 Einreibungen von je 5*0 Grm. grauer Salbe. Local 
Jodoform und Handbäder von Jodbromsalz. Heilung ohne Ausführung der 
verlangten Amputation. Paschkis. 

722. Ein Beitrag zur Histologie des Keloids. Von Dr. Victor 
Babesiu. (Vierteljahrschr. f. Derm. u. Syph. 1880, 2. u. 3, pag. 237 ff.) 

Die exstirpirte Geschwulstmasse (vide vorhergehendes Referat) des 
zweiten Sch wimmer’schen Falles wurde von B. untersucht. Die Resultate 
derselben sind: exquisite Atrophie der Epidermis unter Bildung eigen- 
thttmlicher Bläschen und Kerne, gänzlicher Schwund der Papillen — 
erhaltene atrophische Haarwurzeln und Talgdrüsen; die Geschwulst selbst 
besteht aus dünnen, dichten mit der Oberfläche parallelen Fasern, welche 
denen der Sehnen nur ähnlich sind; Gefüsse spaltförmig, mit wucherndem 
Endothel ausgek leidet. Dieser Befand ist mit denen L angst ei n’s und 
Kaposis nicht identisch und rechtfertigt die Ansicht, dass Uebergänge 
zwischen dem idiopathischen und dem Narbenkeloid angenommen werden 
müssen und dass der histologische Befund eine Differentialdiagnose zwischen 
den beiden Keloidarten nicht immer zulässt. Paschkis. 

723. Ueber Coincidenz von Erkrankungen der Haut und der 
grauen Achse des Rückenmarkes. Von Dr. Adolf J arisch, Assist, 
a. d. Klinik ftlr Dermatologie in Wien. (Wr. med. Blätter. 36, 37, 38. 1880. 

Verf. weist darauf hin, dass die Fortschritte der Nerven pathologie 
gegenüber der Eigentümlichkeit bestimmter Localisationen von Haut' 
krankheiten und der bestimmten Verteilung der einzelnen Efflorescenzen 
den Gedanken nahe legen , dass viele Erkrankungen der Haut vielleicht 
nur Symptome innerer Processe oder Projectionen krankhafter Vorgänge 
im Centralnervensysteme darstellten, umsomehr, als eine Reihe bedeutender 
deutscher und französischer Forscher den Zusammenhang von Erkran¬ 
kungen der Haut mit krankhaften Vorgängen im Centralnervensysteme 
ausser allem Zweifel stellen. Von dieser Betrachtung ausgehend, nahm 
Verf. die Untersuchung des Rückenmarkes einer Kranken vor, welche 
auf der Klinik für Hautkranke unter der Diagnose Herpes Iris geführt 
wurde und nach dem Auftreten von Decubitus acutus über dem Kreuz 
beine und von Lungenentzündung gestorben war. 

Der in extenso mitgetheilten Krankengeschichte entnehmen wir, das* 
die im Jahre 1879 aufgenommene Kranke vor fünf Jahren im Gesichte 
und am Arme zerstreut „Blasen u hatte, welche damals spontan schwanden. 
Seit jener Zeit datirt eine gewisse Kränklichkeit der Pat. — Bei der 
Aufnahme klagt sie über Kopfschmerzen, Fieberbewegung und einen 
juckenden Ausschlag. 

Status praesens: 

Die Affection begrenzt sich in scharfer Weise am Rücken in der 
Höhe des zehnten Brustwirbels. Die Haut des Gesichtes und behaarten 
Kopfes erscheint geröthet, mächtig geschwellt, meistentheils mit Krusten 
oder mit, in Gruppen oder isolirt stehenden, blasigen Proruptionen, deren 
Basis dunkel blaujroth erscheint, besetzt. 

An der durchwegs entzündlich gerötheten Haut beider Vorder- und 
Oberarme finden sich theils eine grosse Zahl zumeist gruppirt stehender, 
hanfkorngrosser Knötchen oder Bläschen, theils haselnussgrosse Blasen 
oder Epidermidalelevationen in der Ausdehnung von über Thalergrösse 
der entzündeten Haut lose aufliegend. 

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915 


An der vorderen wie hinteren Fläche des Thorax ist die Oberhaut 
stellenweise in der Ausdehnung bis über Flachhandgrösse vollends abgängig, 
oder liegt an anderen Stellen als loses Häutchen ihrer Unterlage auf; 
überdies finden sich im ganzen Bereiche der Erkrankung dicht gesäete, 
oberflächlich gelagerte, von einem lebhaft rothen Entzündungshofe um¬ 
gebene, hirsekorngrosse Pustelchen. Die Haut der unteren Fläche 
beider Brustdrüsen, sowie der benachbarten Partien des Thorax ist in der 
Ausdehnung einer Flachhand, vollends intact. Am Bauche sind Gruppen 
dunkelblaurother, etwas schuppender Knötchen vorhanden; eben solche, 
jedoch vereinzelt stehend, finden sich über dem linken Knie. Die Epi¬ 
dermis beider Fusssohlen ist in deren ganzem Umfange in Form Einer 
Blase durch ein hämorrhagisches Exsudat abgehoben. Die Schleimhaut 
der Zunge ist getrocknet, die übrige Mundschleimhaut geschwellt, geröthet, 
stellenweise excoriirt. Am weichen Gaumen erscheinen scharf begrenzte, 
excoriirte, gelblichrothe Flecken. 

Die Kranke fiebert heftig und zeigt eine Temperatur von 40*0° C.: 
sie ist sehr schwach und hinfällig. Die Untersuchung der inneren Organe 
constatirte, ausser einer ziemlich beträchtlichen Milzschwellung keine 
abnormen Verhältnisse. 

Der Urin enthielt geringe Mengen Eiweiss, war aber von anderen 
abnormen Bestandtheilen frei; die Urate waren beträchtlich vermehrt. 

Die Patientin ging an einer intercurrenten Pneumonie zu Grunde. 
Seetionsergebniss: Morb. Brightii im 3. Stad, und Lobularpneumonie. 

Untersuchung des Rückenmarkes. Die makroskopische Inspection 
des im V l0 percentiger Chromsäurelösung und Alkohol gehärteten Rücken¬ 
markes liess wesentliche Veränderungen der grauen Achse erkennen. 
Die centralen und hinteren Partien beider Vorderhörner erschienen stellen¬ 
weise theils gelockert, theiis ausgefallen. Dem entsprechend wiesen 
auch die aus diesen Regionen angefertigten dünnen Scheiben symmetrisch 
gelagerte Lücken auf. Wirkliche Lücken aber waren nur an den ein¬ 
zelnen Scheibchen zu sehen. An anderen wurde man den Lücken ent¬ 
sprechende Herde gewahr, welche sich ohne jede weitere Präparation 

durch ihr lockeres Gefüge verriethen. Die Untersuchung hat Krank¬ 

heitsherde erkennen lassen, welche sich über einen bestimmten Theil 
der ganzen Achse erstreckten, und zwar in einer Längenausdehnung, 
welche in auffälliger Weise mit der Localisation der Hautkrankheit 

correspondirte. 

Die Erkrankung erstreckte sich zwar, wie der mikroskopische 

Befund lehrte, nicht continuirlich und gleichartig vom dritten Hals- bis 
achten Brustwirbel herab, es zeigte sich vielmehr, dass einzelne intensiver 
erkrankte Localitäten durch Brücken leichter erkrankten Gewebes ver¬ 
bunden waren. Immerhin betont Verf. die Erkrankung des Rücken¬ 
markes dehnte sich vom dritten Hals- bis achten Brustwirbel aus, während 
die Hauterkrankung vom Scheitel bis zur Nabelregion reichte. Betreffs 
der Ergebnisse der Mikroskop-Untersuchung, verweisen wir auf das 
nun folgende Resumß des Verf. 

Der Verf. hält die durch die mikroskopische Untersuchung gefundenen 
Veränderungen für Producte von Entzündungsvorgängen, die der Scleroso 
ähnlichen Erscheinungen möchte er mehr als Altersveränderungen, denn 
als Producte abgelaufener Entzündungen betrachten. „Welcher Meinung 
man sich übrigens auch über die Natur des Processcs hingeben mag. die 
vorgenommene Untersuchung hat mit Bestimmtheit eine Erkrankung der 
grauen Achse des Rückenmarkes und somit die Coincidenz mit der Haut- 

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Medicio isch-chirargische Rundschau. 


krankheit erwiesen. Die angetroffenen Veränderungen Hessen ihre grössten 
Intensitäten in den centralen, lateralen und hinteren Partien der Vorder¬ 
hörner erkennen. Es haben sich vornehnüich jene Stellen der grauen 
Achse des Rückenmarkes erkrankt gezeigt, in welche C har cot die 
sogenannten trophischen Centren für die Haut verlegt. 

In den bisher bekannt gewordenen Colncidenzen von Erkrankungen 
der Haut mit Läsionen des Rückenmarkes waren stets Erscheinungen von 
MotiUtäts- und Sensibilitätsstörungen vorhanden und diese mussten der 
Erkenn tniss der Beziehung der Rückenmarksaffection zur Erkrankung der 
Haut hinderlich im Wege stehen ; denn es liess sich nicht entscheiden, 
ob die gefundene Erkrankung des Rückenmarkes als Ursache der Haut¬ 
erkrankung anzusehen sei. Die Erkrankung des Rückenmarkes konnte 
die MotiUtät8störungen bewirken, während die Hauterkrankung aus anderen 
Ursachen selbstständig aufgetreten sein konnte. Der hier mitgetheilte Fall 
zeichnet sich jedoch durch das Fehlen aller, wenigstens auffälligen 
sogenannten Rückenmarkserscheinungen aus.“ 


724. Ueber die Behandlung des Favus. Von Dr. Hans Weber. 
Nach dem Vortrag, gehalten in der Sitzung der med.-chir. Ges. des 
Cantons Bern, den 3. JuH 1880. (Correspondenzbl. f. Schweizer Aerzte. 
1880. 17.) 


Die Favusbehandlung ist eine cantonale Angelegenheit geworden, 
seitdem im vorigen Jahrhundert (1765) die Berner Regierung sich um 
dieselbe zu kümmern bemtissigt fand und die Erwerbung von theilweise 
noch gegenwärtig gebrauchten Recepten zu diesem Zwecke sich eine fär 
die damalige Zeit beträchtliche Summe kosten liess. Es wurden von einem 
Albrecht Plüss folgende Vorschriften wider die Grindkrankheit erworben : 

1. Eine Lauge von Buchenasche mit Veronica officinalis, 2. eine 
Salbe, bestehend aus sauberstem Harzöl, Meisterwurzpulver, Pimpernellen- 
wurzpulver, gereinigter Schwefelblust, von jedem drei Loth und süssem 
Anken ein Pfand, 3. ein Pflaster von schönem Semmelmehl, schönem 
lauterem Harz und Wasser, von jedem so viel als nöthig zur Consistenz 
eines klebenden Pflasters. Dieses soll während 8—10 Stunden beständig 
umgerührt werden. Die nach diesen Angaben im Laufe der Zeit fest¬ 
gestellte lateinische Formel lautet: Rp. Amyli 60*0 , Farinae secalis 
120'0, coque cum Aq . 1800*0 ad ronsist . mucüagadde Colopkonü 
25 0*0, Terebinth . venet. 60*0 , F. L a. pasta. 

Für die drei Jahre 1877, 1878 und 1879 sind in den Berichten 
dieser Anstalt zusammen 68 Fälle notirt. Im Allgemeinen Krankenhause 
in Wien kamen im Laufe des 10jährigen Zeitraumes von 1865—1875 
nach Kaposi 56 Fälle vor. Das Verhältniss stellt sich auf 1 Jahr 
berechnet wie 22*7 zu 5*6, d. h. es werden im äuss. Krankenhause in 
Bern durchschnittlich viermal so viel Grindkranke behandelt als in der 
grossen Klinik für Hautkranke in Wien. Es dürften daher die an einem 
verhältnissmässig so zahlreichen Material gemachten Erfahrungen auch 
ein allgemeines Interesse beanspruchen. 

Im Anfänge seiner ärztlichen Thätigkeit liess Verf. durch Humani¬ 
tätsrücksichten bestimmt und an die Vorschriften der Wiener Schule sich 
haltend, die Enthaarung mittelst Zangen oder mit den blossen Fingern 
oder in der Weise vornehmen, dass die Haare büschelweise zwischen 
einem Spatel und den Fingern, resp. einem Daumen, durchgezogen wurden. 
Es erwies sich aber bald diese Art der Epilation ftir das an Zahl sehr 
beschränkte Wartpersonal als zu zeitraubend und überdies auch für die 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


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ärztliche Controlirung zu schwierig. Dann versuchte er zuerst in leich¬ 
teren oder ih der Heilung schon vorgerückteren Fällen, ob das Ausziehen 
ö.er ganzen Haare durch öfteres Rasiren vielleicht zweckmässig ersetzt 
werden könne. Es wurde zu diesem Behufe zweimal wöchentlich Schwefel* 
ealciura in Form der bekannten Paste angewendet, indessen ohne befriedi¬ 
genden Erfolg. 

Bald kam auch Verf. nothgedrungen dazu, das heutzutage fast all¬ 
gemein verpönte, nur in der Antiquaille in Lyon noch immer übliche 
Verfahren mit dem Harzpflaster wieder aufzunehmen. 

Das Pflaster, welches bei jedesmaliger Anwendung frisch bereitet 
werden muss, weil es sehr leicht schimmelt und sich zersetzt, wird auf 
Leinwandstreifen gestrichen und den kranken Stellen entsprechend applicirt. 
Bei Ausbreitung des Grindes über die ganze behaarte Kopfhaut muss man 
auf diese Weise eine förmliche Calotte bilden. Wenn gut präparirt, ist 
das Pflaster in 1—2 Tagen hart genug, dass es sich mit dem gewünschten 
Erfolg abziehen lässt. Die Streifen werden successive einzeln abgezogen; 
und hat man dabei nur genau darauf zu achten, dass man mit dem 
Daumen der linken Hand die Kopfhaut fest niederdrückt, um ein Abheben 
der Galea zu vermeiden, während man mit der rechten Hand jeweilen 
möglichst in der Richtung der Haare den Zug ausübt. Diese Procedur 
ist nicht so schmerzhaft, wie man glauben sollte, weil sie meistens nur 
kranke Haare betrifft, die locker sind und leicht mit ihren Wurzelscheiden 
sich ausziehen lassen. Einzelne Kinder halten sie aus ohne zu weinen; 
und die meisten ziehen dieses „summarische Verfahren“ denjenigen Me¬ 
thoden entschieden vor, bei welchen nur je ein Haar oder nur wenige 
auf einmal entfernt werden. Aetzungen von Lupuskranken im Gesicht 
z. B., wie solche in Wien zahlreich zweimal wöchentlich ohne Zuhilfe¬ 
nahme von Chloroform ausgeföhrt zu werden pflegen, sind sicherlich weitaus 
schmerzhafter. Freilich ist fast immer noch eine ergänzende Epilation 
mit Zangen oder den Fingern mehr oder weniger nöthig; weil das Pflaster 
selten durchaus alle kranken Haare mitnimmt. Da es aber die Haut 
vortrefflich erweicht und macerirt, so ermöglicht es, dass eine solche Epi¬ 
lation unmittelbar nach Entfernung desselben ganz auffallend leicht und 
schmerzlos sich bewerkstelligen lässt. 

Die Enthaarung ist und bleibt die Hauptsache; und es reicht voll¬ 
ständig zur Erzielung einer verhältnissmässig raschen Heilung hin, neben 
der öfter wiederholten Epilation Mittel anzuwenden, die gegen Haut¬ 
entzündung irgend welcher Art als wirksam bekannt sind. 

Eigentliche Reizmittel zur Erzeugung einer künstlichen Entzündung, 
welche die Elimination der parasitären Keime befördern soll, Terpentinöl, 
Crotonöl, Creosot, wie sie neuerdings namentlich in Frankreich empfohlen 
wurden, sind durchaus verwerflich. 

Die Jodtinctur scheint hauptsächlich für Fälle parasitärer Haut¬ 
erkrankungen zu passen, bei denen erhebliche Infiltrate, papilläre Wuche¬ 
rungen zu reduciren sind, oder fiir solche, bei denen es sich um kleinere, 
spärlichere, zerstreute Erkrankungsherde handelt. Schwefelsalben mit oder 
ohne Zusatz von ätherischen Oelen, gaben namentlich zum Schluss der 
Spital- und zur Nachbehandlung zu Hause ziemlich befriedigende Resultate. 

Das Verfahren, welches Verf. nach vielen Experimenten schliesslich 
definitiv adoptirte, besieht wesentlich in Folgendem: 

Die mit Borken bedeckten Stellen werden 1—2 Tage lang alle 
paar Stunden mit Olivenöl oder bei gleichzeitigem Vorhandensein thierischer 
Parasiten mit Petroleum mittelst eines festen Borstenpinsels tüchtig 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


imprägnirt; dann, während der Patient im Bade sich befindet, mit Schmier¬ 
seife eingerieben und durch energisches Waschen sauber gereinigt. Nun 
wird mit Schwefelcalcium rasirt, neuerdings öfters und reichlich Olivenöl 
applicirt; und schliesslich wendet man, wenn die Haare wieder 2—3 
Millimeter hoch emporgesprosst sind, die Pflasterstreifen in der beschrie¬ 
benen Weise an. Diese letztere Procedur wiederholt man nun wöchentlich 
alle 10, 14 Tage je einmal, wenn die Haare sogleich kräftig und reichlieh 
genug nachwachsen. In einzelnen ausnahmsweisen Fällen wird nämlieh 
eine häufige Epilation dadurch verhindert, dass nach dem gewaltsamen 
Ausreisen der Haare der Nachwuchs gestört wird, gerade so wie hie 
und da nach acuten Krankheiten entstandene Alopecie aussergewöhnlich 
lange fortbesteht. (Bei Herpes tonsurans der behaarten Kopfhaut ist das 
mangelhafte Nachwachsen der künstlich entfernten oder spontan aus¬ 
gefallenen Haare hauptsächlich daran Schuld, dass dieser zu seiner Heilung 
fast ebenso lange Zeit erfordert als der Favus.) Mit dem Abnehmen der 
entzündlichen Erscheinungen wird das Olivenöl durch weisse Präcipitat#- 
saibe ersetzt, oder es wird mit Cadinöl gemischt und zwar nach und nach 
mit immer grösseren Quantitäten, bis zuletzt pures Cadinöl oder Cadinöl 
mit Zusatz von gleich viel lOpercentiger Kalilösung (Theerkali) oder 
Cadinöl mit etwas Weingeist versetzt angewandt wird. 

In letzter Zeit wurde die gegen Psoriasis und Herpes tonsurans 
vorzüglich erprobte Ararobasalbe (1 zu 4 Vaseline und 0*2—0*5 Essig¬ 
säure) an Stelle des Theer auch gegen Favus sehr wirksam befunden. 
Mehr noch als andere Mittel scheint dieses Medicament nach einer oft 
momentan sehr eclatanten Wirkung sich zu erschöpfen. Zu starke örtliche 
Reizung verbietet hie und da seinen längern Gebrauch. Was die 
Waschungen mit Seife betrifft, so werden dieselben nur Anfangs häufiger 
ausgeftihrt, wenn die Entfernung der Borken nicht anders zu bewerk¬ 
stelligen ist; im weiteren Verlaufe der Behandlung werden sie nur zweimal 
wöchentlich unmittelbar vor der ärztlichen Visite und schliesslich noch 
seltener vorgenommen. 

Verf. bemerkt nebenbei, dass das Waschen mit Seife, resp. Seifen¬ 
geist, wie es von der Wiener Schule zu häufig empfohlen und von Un¬ 
kundigen nach halb verstandenen Vorschriften öfter missbraucht wird, bei 
Hauteruptionen überhaupt, namentlich aber solchen des behaarten Kopfes 
gar oft entschieden schadet. Dr. Ellinger in Stuttgart hat sicher voll¬ 
kommen Recht, wenn er bei der sogenannten Alopecia furfuracea die 
Waschungen mit Seifenwasser ftir unzweckmässig, oft für geradezu 
schädlich erklärt. 0. R. 


Anatomie, Physiologie, pathologische Anatomie, 
medic. Chemie. 

725. Ueber grünes Erbrechen. Von Friedr. Betz. (Memorabilien 
1880. 8.) 

Das grüne Erbrechen, Vomitus aeruginosus 8. V. massae herbaceae 
erklärt man gewöhnlich dadurch, dass der gelbe Gallenfarbstoff durch die 
freie Säure des Magensaftes grün gefärbt wird. Verf. hat seit längerer 
Zeit das grüne Erbrochene chemisch und mikroskopisch verfolgt und ist 
zu dem Resultat gekommen, dass es nicht immer Galle sein muss, welche 
dem Erbrochenen die grüne Farbe gibt. Bei der Beurtheilung des grünen 

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Medidniscli-chirnrgische Rundschau. 


919 


Erbrochenen muss man zuerst in Erwägung ziehen, ob die grüne Farbe 
nicht von zufälligen, von aussen kommenden Stoffen herrührt, oder doch 
mit ihnen gemischt ist, wie von dunklem Thee, den der Kranke getrunken, 
oder von einem Brechmittel aus Kupfervitriol, dessen grün färbende Eigen¬ 
schaft auf pflanzliche Substanzen bekannt ist, u. s. w. — ebenso, ob 
nicht wirklich Galle in Folge von Unwegsamkeit des Darmes oder durch 
die Heftigkeit der Brechacte dem Erbrochenen beigemischt ist. 

Die Farbe des grünen Erbrochenen ist verschieden, wie gelbgrün, 
graugrün, lauch- oder grasgrün, bisweilen dunkelgrün, je nach der Menge 
und Beschaffenheit der grünen Substanz und der beigemischten Stoffe. 

Wenn man grünes Erbrochenes in einem Gefäss eine Zeit lang 
stehen lässt, so senkt sich die grüne Hauptmasse zu Boden, ein kleinerer 
Theil schwimmt getragen von lufthaltigem Schleime und fettigen Stoffen 
mehr an der Oberfläche. Schüttet man Wasser hinzu, so sammelt sich 
die grüne Substanz mit Schleim und anderem spec. schwererem Magen¬ 
inhalt auf dem Boden an und über ihr steht schliesslich mehr weniger 
klar, also ohne sich mit der grünen Substanz gemischt zu haben, das 
Wasser. Die grüne Substanz des Erbrochenen ist also unlöslich im 
Wasser, und bleibt beim Filtriren des grünen Erbrochenen auf dem Filter 
zurück. Auch beim Schütteln des grünen Erbrochenen sieht man feine 
Fetzchen oder Flöckchen der grünen Substanz im Wasser suspendirt 
schwimmen. Wäre Galle der Grund der grünen Farbe, so müsste sie 
sich doch dem Wasser mittheilen, zumal Wasser und Galle sich leicht 
mischen. Schüttelt man Chloroform oder Aether mit dem grünen Er¬ 
brochenen, so gibt dieses keinen Farbstoff an jene ab, was doch geschehen 
sollte, wenn Galle der grünfärbende Stoff wäre. 

Um die grüne Substanz aus dem Erbrochenen zu isoliren, gibt es 
eine ganz einfache Methode. Man giesst eine Portion desselben in ein 
Reagensgläschen und schüttelt sie mit einer gleichen Menge Aether. Es 
bilden sich dadurch drei Schichten die scharf getrennt sind. Die oberste 
nimmt der Aether, die mittlere die grüne Substanz und die unterste der 
seröse Magenschleim, in dem die grüne Substanz suspendirt war, ein. 
Prüft man das Verhalten des grünen Erbrochenen zu den starken Mineral- 
säuren, so ergibt sich, dass die Schwefelsäure unter Luftentwicklung und 
Erhitzung des Erbrochenen die grüne Farbe carmoisinroth, und unter Bei¬ 
mischung anderer verkohlter Bestandteile schwärzlich-roth färbt. — Die 
Salpetersäure färbt das grüne Erbrochene gelblich mit einem Stich in’s 
Röthliche und die Salzsäure, wenn man sie nicht schüttelt mit dem grünen 
Erbrochenen, greift die Farbe wenig an. Die Gmelin’sche Gallenfarbstoff- 
Reaction bekommt man aber nie so schön, wie bei gallehaltigem Urin. 
Es findet eben eine Farbenumwandlung statt, wie sie auch das Blattgrün 
zeigt, gleichwohl mag diese Farbenumwandlung auch dazu beigetragen 
haben, das grüne Erbrochene für Galle anzusehen. Am besten erhält 
sich die Farbe des grünen Erbrochenen beim Zugiessen von concentrirter 
Essigsäure, ja diese scheint die grüne Farbe noch mehr zu erhöhen. — 
Concentrirte Kalilauge zerstört die grüne Farbe bei starker Zumischung, 
während caustisches Ammon sie weniger angreift. Jodtinctur erzeugt keine 
blaue, sondern eine gelbbraune Farbe. 

Das wichtigste Reagens auf das grüne Erbrochene ist der Wein¬ 
geist. Dieser löst den Farbstoff desselben sehr schön grün auf und lässt 
ihn auch beim Kochen nicht fahren. Ebenso bleibt er im Filtrate und 
gibt beim Zusatz von Schwefel- und Salpetersäure ein leichtes Farben¬ 
spiel. In dieser Beziehung gleicht die grüne Substanz des Erbrochenen 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


wieder dem Chlorophyll. Auch dieses tritt den Farbstoff äusserst leicht 
an den Weingeist ab und erleidet durch Zusatz von Schwefel- oder 
Salpetersäure beinahe dieselbe Farben Wandlung. Ein Umstand, der eine 
Verwandtschaft zwischen Chlorophyll und der grünen Substanz des 
Erbrochenen nahe legt, aber auch bei der Beurtheilung dieser als galle¬ 
haltigen Substanz wegen dieses analogen Verhaltens zur äussersten Vor¬ 
sicht mahnt. 

Bemerkenswerth ist auch, dass mau das grüne Erbrochene monate¬ 
lang während der heissesten Jahreszeit aufbewahren kann, ohne eine Spur 
von fauliger Zersetzung zu bekommen; auch reagirt das grüne Erbrochene, 
wenn auch gewöhnlich, so doch nicht immer sauer. Verf. hat es, wie 
auch den Magensaft bisweilen neutral und schwach alkalisch reagirend 
angetroffen, so dass in diesen Fällen nicht von einer Wirkung des sauren 
Magensaftes auf den subsummirten gelben Gallenfarbstoff die Rede sein 
konnte. 

Nach dem Mitgetheilten wird es kaum erlaubt sein, die gallige 
Natur — exceptis excipiendis — des grünen Erbrocheneu noch aufrecht 
zu erhalten, und da keine andere animalische Substanz als färbend in 
Frage kommen kann, so ergibt sich von selbst die vegetabilische Natur 
derselben und die Berechtigung der alten Benennung „Vomitus massae 
herbaceae w . 

Für die mikroskopische Untersuchung ist es zweckmässig, durch 
Auswaschen mit Wasser und nachfolgendem Stehenlassen die grüne Sub¬ 
stanz sich sedimentiren zu lassen. Unter dem Mikroskop erscheint die 
grüne Substanz als eine mehr oder weniger stark grünliche, fein punktirte 
Masse ohne weitere Structur und Organisation. Nach diesen chemischen 
und mikroskopischen Ergebnissen hält Verf. die grüne Substanz für einen 
Chlorococcus, eine Punktaige. Eine weitere Entwicklung, eine 
Sprossenbildung, konnte er au dem Chlorococcus nicht beobachten; auch 
scheint derselbe in keiner Verbindung mit anderen Mikrophyten des Magens, 
wie der Torula cerevisiae, der Sarcine, dem Oidium lactis zu stehen. Nur 
der auch im Magen vorkommende Lepthothrix scheint eine Ausnahme zu 
machen, da ihn Verf. in der Chlorococcusmasse wurzelnd fand. Es erinnert 
diese Beobachtung an den grünen Zahnbelag, der ebenfalls aus einer 
grünen Punktalge besteht und auch hier die Matrix für den Lepthothrix 
buccalis abgibt. 

Schon 1850 (s. Deutsche Klinik 49) untersuchte Clemens Er¬ 
brochenes, dessen grüne Farbe er einzig und allein den vorhandenen 
Fadenpilzen zuschreiben zu müssen glaubte, da das Erbrochene kaum 
eine Spur von Galle enthielt. Die Pilzsporen und Pilzfäden waren in 
jedem Tröpfchen in Masse vorhanden. Auch Verf. hat früher einen solchen 
Fall von Mycosis des Magens beobachtet, ohne jedoch damals zu einem 
befriedigenden Resulte gekommen zu sein. Auch die klinische Beob¬ 
achtung liefert Momente, welche in enger Verbindung mit diesem Thema 
stehen und deshalb einer kritischen Prüfung unterzogen werden sollen. 

Wenn man die erstaunliche Menge grüner Massen bedenkt, welche 
bisweilen durch das Erbrechen zu Tage gefördert werden, so ist die 
Frage gestattet, ob es möglich ist, dass solche Quantitäten Galle vor¬ 
handen sind und in den Magen entleert werden können. Ueber die 
Druckwirkung der Brechacte auf die Entleerung der Gallenblase sind 
Verf. keine Thierversuche bekannt, ebenso keine Beobachtungen an 
Menschen, die eine exacte Beweisführung hätten. Es bleibt also noch 
die Hypothese, dass bei Vomituritionen immer eine Entleerung oder 




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Medicinlfich-chirargische Rundschau 


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Austreibung von Galle nebenher gehe. Doch könnte in diesem Falle nur 
?ine mechanische Beimischung derselben mit dem Mageninhalt vor sich 
liehen. Eine solche mechanische Vermischung von Galle und Mageninhalt 
muss sich aber durch Auslaugung mit Wasser, Chloroform oder Aether 
erkennen lassen. Dieses ist nun nicht der Fall und damit ist auch die 
Annahme hinfällig, als ob durch Steigerung der Vomituritionen mehr Galle 
tn den Magen kommen könne. Wenn die grüne Substanz beim Erbrechen 
meist zuletzt erscheint, so rührt dieses daher, weil dieselbe vermöge ihrer 
spec. Schwere auf dem Grunde des Magens liegt und an den Wandungen 
lesseiben haftet. 

Eine andere, noch zu besprechende Erscheinung ist der bittere 
Geschmack, welchen das grüne Erbrochene hat. Der häufig vorkommende 
saure Beigeschmack wird der sauren Beschaffenheit des Mageninhaltes 
und der bittere Geschmack gemeinhin der Beimischung von Galle zuge¬ 
schrieben. Es ist diese Erklärung die naheliegendste, und da der Eintritt 
von Galle in den Magen unter gewissen, oben genannten, seltenen 
Umständen stattfindet, auch theilweise berechtigt. Allein man darf die 
Bitterkeit des grünen Erbrochenen nicht als Beweismittel benützen, dass 
das Erbrochene von Galle grün gefärbt sei oder mit Sicherheit Galle 
enthalte. Wie gezeigt wurde, concurrirt neben der Galle auch eine 
Schleimalge in dem grünen Erbrochenen. Nun ist bekannt, dass in vielen 
Pflanzen, besonders auch in Moosen, Pilzen, ein bitteres Princip vor¬ 
kommt, und zwar häufig in Gemeinschaft von Essigsäure, also mit saurer 
Reaction. 0. R. 

726. Die physiologische Wirkung der Sauerstoff-Inhalationen. 
Von Anne. (Th&se de Paris 1880. Gazette des höp. Nr. 86. St. Petersb. 
Med. Wochenschr. 1880. 41. 

Auf Vorschlag von Hayem hat der Verf. an sich selbst Beob¬ 
achtungen im Laufe von 4 Wochen angestellt, die erste Woche Tempe¬ 
ratur, Puls etc. controlirt, dann 14 Tage lang je 40—80 Liter 0. 
consumirt und die 4. Woche wiederum Controlbeobachtungen gemacht. 
Er kommt zu folgenden Resultaten: Die Sauerstoff-Inhalationen unter 
physiologischen Verhältnissen rufen keinerlei unangenehme Erscheinungen 
hervor, selbst wenn man die Quantität bis 100 Lit. pro die steigert, 
nur wird leichtes Gefühl von Berauschung und Ameisenkriechen in den 
Extremitäten hervorgerufen. — Der Appetit wird gesteigert und der 
Stoffwechsel beschleunigt, die Temperatur hebt sich etwas (ca. 0*3°), 
Respiration und Puls werden etwas beschleunigt. Die Zahl der rothen 
Blutkörperchen soll sich vermehren, sowie der Hämoglobingehalt der 
selben. Die Quantität der Harnabsonderung bleibt unverändert, desgleichen 
die Reaction und Zusammensetzung des Harns. Ebenso bleiben auch die 
weissen Blutkörperchen unbeeinflusst. — Auf Grund dieser Beobach¬ 
tungen empfiehlt Hayem die Sauerstoff-Inhalationen sehr bei Dyspepsie 
und Erbrechen, namentlich auch während der Gravidität. 

727. Ueber einige neuere Entdeckungen den Ursprung der Hirn- 
nerven betreffend. Von Prof. Dr. Obersteiner. (Vortrag geh. in der 
k. k. Ges. d. Aerzte in Wien. Anzeiger der k. k. Ges. d. Aerzte. 1880. 
Nr. 33.) 

Bekanntlich werden dem N. glossopharyngeus dreierlei Functionen 
zugeschrieben, er soll Geschmacks- und Tastempfindungen, sowie moto¬ 
rische Leistungen vermitteln. 0. sucht nun nachzuweisen, dass diesen 
dreierlei Functionen auch ein dreifacher Ursprung entspräche. Die Fasern 


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Medicinisch-chi rurgische Rundschau. 


für die Geschmacksempfindung stammen aus jenem Kerne, der sich nad 
vorne an den Vaguskern anschliesst. Die motorischen Fasern komm 
durch eine Umbeugung aus dem bekannten sogenannten motorisch« 
Glossopharyngeus Kern zwischen der Olive und der Glossopharyngew 
Wurzel. Ausserdem gehen die zur Raphe gewendeten Fasern der Wurw 
wahrscheinlich zu dem motorischen Kern der andern Seite. Die sensible) 
Fasern aber mögen aus dem Stilling’schen Solitärbündel stammen, da 
aus der Substantia gelatinosa der Medulla oblongata nach vorne zieht 
an den Vaguskern nur wenige Fasern abgibt, schliesslich aber in di 
Glossopharyngeus-Wurzel umbeugt. Dieses Bündel verhält sich also zw 
Glossopharyngeus ähnlich, wie die aufsteigende Trigeminus-Wurzel zw 
Trigeminus. 


Staatsarzneikunde, Hygiene. 

728. Ueber den Ersatz der Butter durch Margarin. Vo 
Dr. Riehe. (Sitzung der Acad. de m6d. 11. Mai 1880. Revue mü 
1880. 15. Mai.) 

Auf eine Anfrage des Ministeriums des Innern, ob in den ihi 
unterstehenden Sanitätsanstalten die Butter in den Küchen durch di 
Margarin ersetzt werden könne, hat die Acad. de m6d. eine Commissio 
mit dem Studium dieser Frage betraut, im Namen welcher Riehe de 
Bericht abgab. Dieser, als vor einigen Jahren M6ge das Margari 
zuerst darstellte, hatte demselben eine grosse Zukunft verheissen. Di 
Margarin, mit Milch geschlagen, kann ganz gut zur Bereitung der Speise 
verwendet werden, kommt billiger als Butter und kann dieser ftlgli« 
beigemengt werden. Aber das Margarin, wie es M6ge gewann, ist eil 
Mythe geworden. Was unter dem Namen Margarin heute circulirt, s< 
eigentlich Oleo-Margarin heissen und wird durch Destillation von Thierfel 
dem sogar Schweins- und Kalbsmagen oder Kuhzitzen beigemengt wir 
gewonnen. Paris allein fabricirt täglich weit mehr als 20.000 Ki 
dieser Substanz, von welcher umsomehr, und natürlich auf Kosten d 
Qualität, gewonnen wird, je gründlicher die Destillation vorgenomm< 
wird. Das so in den Handel gesetzte Margarin erstarrt ungemein ras« 
auf Geschirr, Gabel und sogar auf den Lippen der Consumenten. Um 
flüssiger zu erhalten und so die schlechte Eigenschaft des enthaltend« 
Stearin zu paralysiren, wird es mit Colza- oder Arachidöl versetzt, w 
wieder die Güte des Stoffes herabsetzt. Mehrere Commissionsmitglied 
hatten Küchen öffentlicher Sanitätsanstalten besucht und im Einklani 
mit deren Aerzten die Prüfung vorgenommen. Der Bericht lau! 
schliesslich dahin, dass gutes Margarin die Butter ganz und gar nie! 
ersetzt, aber wohl in sehr beschränktem Masse benützt werden kau 
wie z. B. zur Bereitung gewisser Ragouts und Gemüse — Kartet 
ausgenommen — zumal aber die Ersparniss dadurch nur eine gerin 
fügige ist, es also lieber völlig ausgeschieden werde. Die schädlici 
Wirkung des Margarins auf die Gesundheit erklärt sich durch d< 
grösseren Fettsäuregehalt desselben und aus der grossen Schwierig^ 
der Umwandlung in eine Emulsion, wodurch die Absorption des Fettl 
im Darme unvollkommen und die Gesundheit geschädigt wird. 


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Me dicinisch* chirurgische Rundschau. 923 

729. Sohnupftabakfälsolrnng. (Sanitary Record 208. Gesundheit 
1880. 18.) 

Das englische Gesetz in Bezug auf die Herstellung des Schnupf¬ 
tabaks hat unlängst einigd Veränderungen erfahren, welche namentlich 
den Zusatz von chromsauren Salzen und anderen schädlichen Salzen 
verbieten, und dem Zusatz von Kalk und Magnesia eine bestimmte 
Grenze ziehen, und jede Ueberschreitung dieser Grenze unter die 
Fälschungen verweisen. Artikel 15 des Gesetzes schreibt vor, dass vom 
1. October 1878 ab keine Salze und Alkalien (ausgenommen kohlensaure 
Potasche, Chlor-Natron oder Kali und schwefelsaures Natron oder Kali, 
sowie kohlensaures Ammoniak) bei der Tabakbereitung verwendet werden 
sollen; findet sich nach diesem Tage im Besitze eines Schnupftabak- 
Fabrikanten oder Händlers Schnupftabak vor, welcher, bei einer 
Temperatur von 100° C. getrocknet, mehr als 26°/ 0 solcher Salze, ein¬ 
schliesslich der im Tabak von Natur enthaltenen, aufweist, so kann der 
Händler wegen Verfälschung mit einer Geldstrafe bis zu 50 £ (1000 Mark) 
belegt werden. Ebenso ist es strafbar, wenn der Tabak nach dem 
Trocknen mehr als l3°/ 0 Kalk oder Magnesia enthält; der Zusatz von 
Kalk muss bei der Bereitung des Schnupftabaks auf l°/ 0 beschränkt 
werden. Endlich darf der Zusatz von Tonkabohnen, welche manchen 
Tabaksorten ihren eigenthtimlichen Geruch verleihen, nicht über 3°/ 0 
betragen und wird jeder Ueberschuss als Fälschung bestraft. 

730. üeber Fleischvergiftungen mit specieller Berücksichtigung 
der Typhusepidemie von Kloten. Von Dr. K. Huber. (Deutsches 
Arch. f. ciin. Med. 25. Bd., 1880. 2. u. 3. Heft.) 

Als Fleisch Vergiftungen bezeichnet Verf. eine Gruppe von 
Krankheiten, die zu den Infectionskrankheiten gehören, aber dadurch 
ausgezeichnet sind, dass 1. die Infection beim Menschen nur durch Auf¬ 
nahme thierischer Stoffe, hauptsächlich Fleisch, erfolgt; 2. dass sie in 
Folge der Uebertragung als Massenerkrankungen plötzlich auftreten. Das 
inficirende Gift ist specifischer Art, analog dem der Pocken, ist aber 
mit letzterem durchaus nicht identisch. Charakterisirt sind die Fleisch¬ 
vergiftungen durch folgenden Verlauf: Auf ein Incubationsstadium von 
verschiedener Dauer (wenige Stunden bis eine ganze Woche) mit hoch¬ 
gradiger Mattigkeit und häufigem Frösteln folgen: 1. Darmerscheinungen, 
Erbrechen, heftige Diarrhöe, dann Stuhl Verstopfung, fotider Geruch des 
Stuhls und Schmerzen im Unterleibe; 2. Nervenerscheinungen, namentlich 
Aufgeregtsein, Schlaflosigkeit und Delirien, Krämpfe, Palpitationen u. s. w.; 
3. Exantheme, theils roseolaartig, theils in der Art von Phlegmonen und 
Erysipelen mit Mitbetheiligung der benachbarten Lymphdrüsen; 4. Fieber 
von verschiedener Intensität mit plötzlichem Ansteigen auf 40—41° C. 
und mit oder ohne Remissionen und Collapsus. 

Die Reconvalescenz pflegt von langer Dauer zu sein. Dabei besteht 
eine Neigung zu, Recidiven. Pathologisch-anatomische Veränderungen 
finden sich namentlich im Darmtractus, und zwar im Magen, unteren 
Ileum, Coecum und Colon. Sämmtliche Veränderungen tragen einen 
hämorrhagischen Charakter und sind weit ausgedehnt. Auch die zuge¬ 
hörigen lymphatischen Apparate zeigen Schwellung, markige Infiltration, 
Hämorrhagien. Endlich sind Milztumor, trübe Schwellung von Leber und 
Nieren und Abscessbildung an beliebigen Körperstellen dabei häufig. 
Von Complicationen sind lobulare Pneumonien und eitrige Entzündungen 
der serösen Häute zu nennen. 


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924 


Medicinisch-chiriirgische Rundschau. 


Auf Grund dieser Thatsachen trennt Verf. die Erkrankung von 
den Typhen und findet mehr Uebereinstimmung mit Milzbrand, der 
intestinalen Mykose, der Septicämie und Pyämie, und zwar hat er bei 
der von ihm angenommenen Erkrankung die Epidemien von Andelfmgen, 
von Wurzen, von Werdau und von Kloten im Sinne. Die namentlich von 
Huguenin vertretene Ansicht, die Klotener Epidemie sei typhöser Art 
gewesen, sucht Verf. zu widerlegen. Auch um eine putride Vergiftung 
durch in gewöhnlicher Weise verfaultes Fleisch habe es sich nicht 
gehandelt. Von den auf den Menschen übertragbaren Zoonosen hat die 
Fleischvergiftung namentlich mit der intestinalen Mykose Aehnlichkeit, ja 
man kann sie geradezu selbst als eine Art intestinaler Mykose auffassen, 
insofern man darunter nicht ausschliesslich Milzbrand, sondern auch 
andere, mit diesem ähnliche, aber doch eine in sich vollkommen abge¬ 
schlossene Stellung einnehmende Krankheiten versteht. Daher besteht 
auch ein Abhängigkeitsverhältniss von den dabei vorkommenden Bacterien, 
vielleicht sogar in der Art, dass den verschiedenen Fleischvergiftungen 
verschiedene Bacterienformen zu Grunde liegen. 

731. Impfstoffe gegen epidemische Krankheiten. (Beilage z. Med. 
Ctrl.-Ztg. 71.) 

In Folge seiner Entdeckung hinsichtlich der Schutz impfung der 
Hühner-Cholera regte Pasteur zugleich die Idee an, auch für andere 
epidemische Ansteckungskrankheiten bei Thier und Mensch nach schützenden 
Impfstoffen zu forschen, und sprach die Hoffnung aus, dass der Tag 
kommen werde, wo man bei Epidemien jeder Ansteckung durch recht 
zeitige Inoculation entsprechender Schutzstoffe werde begegnen können, 
wie man der Blättern-Epidemie begegnet durch die Schutzpocken. Ein 
bedeutsamer Fortschritt in dieser Richtung wird nun aus Toulouse signa- 
lisirt: Herr H. Toussaint, Professor an der Thierarzneischule zu Toulouse, 
will seinerseits ein Impfinittel gefunden haben, welches zunächst die 
Schafe vor einer der grössten Landplagen, die oft das Hornvieh decimirt, 
bewahren soll, nämlich dem Milzbrand. — Es ist schon seit einigen Jahren 
bekannt, dass der Milzbrand der Schafe und die verwandten brandigen 
Krankheiten bei Thier und Mensch durch Uebertragung der Keime von 
mikroskopischen Spaltpilzen hervorgerufen werden. Insbesondere hat der 
unlängst verstorbene Botaniker und Orient-Reisende Carl Koch über die 
Entwickelung der zuerst stabförmigen Milzbrand-Bacterien (Bacillus an- 
thracis) zu fadenförmigen Gebilden, die man Bacteridien genannt hat, sowie 
über ihre rapide Fortpflanzung durch Zertheilung und durch Sporen (1876) 
eingehende Studien veröffentlicht. Pasteur seinerseits hat neuerlich 
nachgewiesen, dass das epidemische Auftreten der Krankheit auf der 
grossen Lebenszähigkeit der Sporen beruhe, welche beispielsweise aus an 
Milzbrand crepirten, nicht tief genug begrabenen Thieren, mittelst der ans 
der Grube aufwaebsenden Gräser wieder an die Oberfläche gelangen, das 
Futter der gesunden Thiere vergiften, und so ein plötzliches Wiederauf¬ 
leben der erloschenen Epidemie verursachen können. Man sieht mit Hilfe 
des Mikroskops neuen Tod aus den Gräbern buchstäblich emporwachsen. 
— Diese gefährliche Infectionskrankheit nun, welche in etwas veränderten 
Formen auch bei anderen Thieren und selbst bei Menschen als bösartiger 
Carbunkel und als Milzbrand-Krankheit auftritt, ist es, für die H. Tous¬ 
saint eine Schutz-Impfung gefunden haben will. Er nimmt einfach von 
einem am Milzbrand gestorbenen Thier inficirtes, d. h. mit Bacteridien 
volles Blut. Er entfasert dies Blut und unterwirft es 10 Minuten lang 


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Medicinisch*chirurgische Rundschau. 


925 


einer Temperatur von 55 Grad, welche genügt, um die Bacteridien zu 
tödten. Dies so seiner activen Organismen beraubte Blut soll ein wahr¬ 
haftes Impfmittel abgeben. Man inoculirt es mehrere Male den Schafen, und 
die der Operation unterzogenen Thiere sind der Krankheit nicht mehr 
zugänglich. Ohne Schaden kann man ihnen später krankes Blut, welches 
von Bacteridien voll ist, einführen. Bisher haben die Experimente stets 
günstige Resultate ergeben, sowohl bei Schafen als auch bei Hunden. Es 
fragt sich noch, ob die Immunität fortdauert, ob zum Beispiel noch nach 
Verlauf eines Jahres das Thier gegen jede Ansteckung gefeit ist ? Man 
hat bereits in Alfort mit dieser Schutz-Impfung Versuche in grösserem 
Massstabe begonnen. Wenn sie die ersten Experimente bestätigen, so 
eröffnen sich gewaltige Hoffnungen in Bezug auf die Behandlung epide¬ 
mischer Krankheiten im Allgemeinen. Der Gedanke P a s t e u r’s würde eine 
neue Aera der Heilkunde einleiten. Man würde von jeder Ansteckungskrankheit 
ihren besonderen Impfstoff* herstellen, und wir könnten uns schliesslich 
wirksam vertheidigen gegen alle jene grossen Epidemien dunklen Ursprungs, 
die alljährlich eine so grosse Zahl Opfer fordern. 


Recensionen. 

732. Dr. Julius Braun: Systematisches Lehrbuch der Balneo¬ 
therapie einschliesslich der Klimatotherapie der Phthisis. 4. um¬ 
gearbeitete Auflage von Dr. B. Fromm. Berlin 1880 bei Chr. Fr. Enslin. 

Dieses berühmte Lehrbuch der Heilquellenlehre wurde jetzt nach dem Tode 
des Verfassers von Dr. Fromm in vierter Auflage herausgegeben, wobei der 
klimatologische Theil eine vollständig neue Bearbeitung erfuhr, da L. Rhoden, 
welcher früher dieses Capitel bearbeitet hatte, diesmal seine Mitwirkung ver¬ 
sagte, indem er der Ansicht war, man werde alles Gute an dem Buche dem ur¬ 
sprünglichen Verfasser zuschreiben, für alles Andere den Herausgeber verant¬ 
wortlich machen. Wir können in der That in diesem Falle Rhoden nicht so 
ganz Unrecht geben; denn scheint es uns auch gerechtfertigt, dass F. das fünfte 
Buch der früheren Auflage, welches Lebensweise, Diät und Methode der baineo¬ 
therapeutischen Curen behandelt, zu Anfang des ganzen Werkes mit der allge¬ 
meinen Balneotheraphie vereinigte, so war es doch unnöthig, so vielfache Ver¬ 
schiebungen einzelner Capitel und kleinerer Abschnitte vorzunehmen. Ueberdies hat 
das Buch an Uebersichtlichkeit eingebüsst durch Weglassung der Randbemer¬ 
kungen, welche über den Inhalt der einzelnen Unterabtheilungen Aufschluss gaben. 
Die neuere Literatur wurde sowohl bei der allgemeinen als auch bei der spe- 
ciellen Balneotherapie so ziemlich berücksichtigt, doch wurden mehrere wichtige 
Arbeiten offenbar übersehen, so die Publicationen von Wolkenstein und Flei¬ 
scher über das Resorptionsvermögen der Haut, Quincke’s Arbeit über die 
diuretigehe Wirkung der Kohlensäure, Winternitz’ und des Referenten Unter¬ 
suchungen über die Temperaturswirkungen des Wassers bei innerlichem Gebrauche 
und mehrere andere. Im Allgemeinen ist das Capitel „Trinkcar* in Betreff der 
neueren Literatur im Vergleiche zur „Badecur“ etwas stiefmütterlich behandelt. 
Meisterhaft ist in der neuen Auflage die Schilderung des Seebades, was wohl 
seinen Grund darin hat, dass der Herausgeber in diesem Capitel seine eigenen 
reichen Erfahrungen verwerthen konnte. Ebenso dankenswerth ist die Besprechung 
der elektrischen Verhältnisse der Bäder, welche wir in der früheren Auflage ver¬ 
missten. 

Die specielle Balneotherapie behandelt leider die österreichischen Badeorte 
nicht ausführlich genug und haben sich Unrichtigkeiten der früheren Ausgaben 
wieder eingeschlichen; so wird z. B. Preblau in Kärnten nach Krain verlegt. 
Die neuesten Analysen finden sich jedoch ausnahmslos aufgenommen. Als eine 
wesentliche Verbesserung müssen wir die Beigabe der „klinischen Balneotherapie“ 
in einem eigenen Buche verzeichnen, da hiedurch namentlich dem Praktiker viele 
Mühe erspart wird. 


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926 


Medicinisch-chirurgische Rundscüan. 


Im Grossen und Ganzen ist die neue Auflage von ßr&nn's Lehrbaeh 
jedenfalls eine „vielfach verbesserte“ za nennen und können wir dieselbe altes ■ 
Jenen, welche sich auf dem Gebiete der Balneotherapie unterrichten wollen oferj 
ein zweckmässiges Nachschlagebuch bedürfen, bestens empfehlen. Glax. i 

733. Die Muskeln eine Quelle, Muskelarbeit ein Heilmittel' 
bei Diabetes. Von Dr. Carl Zimmer, prakt. Arzt in Carlsbad. Carlsbad 
1880. gr. 8. 76 Seiten. 

Der Verfasser der genannten Schrift beschäftigt sich damit aaf Grand 
der physiologisch-chemischen Thatsachen, dass Zucker resp. Glykogen nicht nur 
in der Leber, sondern auch in den Muskeln und dem Säftestrom aufmagazicirt 
wird und auf Grund seiner Erfahrungen, nach welchen Zucker nach Bewegung« 
ganz oder bis auf Spuren aus dem Harn schwindet, darzutbun, dass nicht allein 
die Leber, sondern auch die Muskeln die Quelle des Diabetes sind, dass es ato 
nicht nur einen hepatogenen, sondern auch einen muskulösen Diabetes gibt Er 
bespricht die hierauf bezüglichen Pnnkte nnd zwar, das* Muskelanstrengung oft¬ 
mals die Zockerausscheidnng bei Diabetes hebt,* dass Fleischnahrung in der 
leichten Form der Krankheit die gleiche Wirkung hat, da«s die Muskeln eiot 
unmittelbare Quelle des Zuckers im Blute sein können, dass die Glykogen bil¬ 
dende Function der Muskeln, ebenso wie die der Leber zerrüttet werden kann, 
ausführlicher nnd verbreitet sich weiter über einzelne Ursachen nnd die Behand¬ 
lung des Diabetes 

ln letzterem Capitel wird die Wirkung von Muskelarbeit in vielen Fällen 
von Diabetes für nachhaltiger erklärt als die Bollo’sche Fleisch- und Fettdiät 
Selbst bei lnsufficienz der Muskeln ist es nach Verf. noch möglich, die Glykogen 
bildende Function der Muskeln allmälig durch passive Muskelübung wieder her- 
znstellen und die sogenannten schweren Fälle von Diabetes in leichte überm* 
führen. Hepatogener Diabetes kann durch vorsichtige, auf alle grossen Muskel¬ 
gruppen sich erstreckende, consequente Muskelanstreugung in Verbindung mit 
reichli< her Fleischnahrung zur vollständigen Heilung gebracht werden, mindestens 
aber können dadurch die Kranken länger leistungsfähig erhalten werden. — Vor¬ 
übergehende günstige Wirkung des Morphium in mehreren schweren Fällen konnte 
Verf. beobachten, günstige Wirkung von Atropin in leichteren Fällen sah er nicht. 

Wir haben hiermit nur einige wenige Punkte ans dem Schriftchen mitge- 
theilt, welches eiu aufmerksames und eingehendes Studium erfordert und in hohem 
Grade verdient. Knauthe. 


734. Pocken und Vaccination. Bericht über die Impffrage etc. an 
den Schweiz. Bundesrath, von Dr. Th. Lotz. Basel, Benno Schwabe, 1880. 


Seitdem die grosse und mörderische Blatternepidemie zu Beginn unseres 
Jahrzehnte ganz Europa überschwemmte, ist die Literatur über die Impfung reich¬ 
lich vermehrt worden, und wenn die „Impffrage“ noch nicht zur Befriedigung 
Aller gelöst ist, so liegt die Schuld sicherlich nicht am Mangel darauf bezüg¬ 
licher Abhandlungen, sondern an den fehlerhaften Bausteinen, mit denen Impf* 
freunde und Impfgegner ihre Gebäude für oder wider die Impfung auffuhren 
Dieselben Tabellen — weil meist sehr unvollkommen, einseitig und mangelhaft — 
werden durch einiges Drehen nnd Wenden für oder wider die Impfung als brauchbar 
verwendet Die überall eingetretene Erkenntniss der Mangelhaftigkeit dieser 
Grundlagen wird hoffentlich die betreffenden Behörden dazu führen, wenigstens 
von jetzt an genaue Rechenschaft über Pockenkranke und Pockentodte in den 
verschiedenen Altersclassen und mit Berücksichtigung der anderes 
wichtigen Umstände zu hinterlegen, damit doch in der Zukunft alle Zweifel 
sich lösen. 

Am klarsten, ruhigsten und sachgexnässesten geschrieben fanden wir von 
allen Schriften, die uns über diese Frage bekannt sind, obengenanntes Bach. 
Wir wollen hier gleich beisetzen, das Lotz ein warmer Vertheidiger der Im- 
pfung ist. 

In der Einleitung nimmt er die Impffrage, soweit es sich um die Abgal ,e 
eines T gewissenhaften Gutachtens“ über die medicinische Grundlage, d. h. um die 
Darlegung dessen, was für den Werth der Impfang als wissenschaftlich fest¬ 
stehend zu betrachten ist, handelt, für die Aerzte in Anspruch, ohne den Laien, 
wo es sich um logische Beweisführung oder statistische Belege handelt, das Recht 
der Kritik zu bestreiten. An derselben Stelle macht er auch auf die vielfache 
Unverlässigkeit impfgegnerischer Angaben aufmerksam, was er durch Beispiele 
aus Kolb’s und Vogt’s Schriften erhärtet. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


927 


Im Werke selbst behandelt er in XVI Absätzen den Stoff folgendennassen: 
Natur des Contaginm and seine Verschleppbarkeit, sowie die Uebertragbarkeit 
durch Einimpfang des specittschen Giftes. Die Empfänglichkeit ist mit änsserst 
seltenen Aasnahmen zwar eine allgemeine; es gibt aber doch Unterschiede in der 
Disposition. Immun sind jene, welche die Blattern einmal überstanden t ohne 
dass dies wissenschaftlich erklärt ist. Aasnahmen der Immunität gibt es unter 
Geblätterten aucn und es kommt sogar mehrmalige Erkrankung vor, besonders 
in sehr heftigen Epidemien. Da jedes Alter für Blattern disponirt ist, und den 
einmal Geblätterten immun sind, so musste bei dem Auftreten der Seuche in 
kurzen Zeit räum-n dieselbe vorheirschend als eine Kinderkrankheit erscheinen 
während sie in Amerika nach Einschleppung durch die Spanier and Portugiesen 
Kinder und Erwachsene mit gleicher Wuth befiel. 

Die Einimpfang des Blatterngiftes (Variolation) gewährte bei durchscnnitt- 
lieb leichter Erkrankung der Variolirten dieselbe Immunität, wie sie die zufällig 
Geblätterten zeigten, trug aber bei allem Nutzen für die Variolirten vielfach zur 
Verbreitung der Blattern Dei. 

Aach bei den Hausthieren kommen den menschlichen Pocken ähnliche fieber¬ 
hafte Ausschläge vor, wie die Schafpocken, Knhpocken, Pferdepockea u. s. w. Dieses 
Pockengift (Vaccine) behält, auf den Menschen übertragen, Reinen ursprünglichen 
milden Charakter bei; es erfolgt fast ausnahmslos nur ein örtlicher Ausschlag, mit 
geringer oder ganz fehlender AllgemeinerkrHukung. Die „animale“ Lymphe hat 
vor der hnmanisirten mehrere Vortheile voraus. 

Die Vaccinirten sind den Menschenpocken gegenüber in ähnlicher W»*ise 
immun, wie Gepockte od^r Variolirte. Die Vaccination verbreitete sich nach der 
Erfindung Jenner's zwar sehr ra^ch, aber ihre Durchführung blieb in den 
meisten Ländern Europas sehr lückenhaft und ist es noch. 

Um den Einfluss der Impfung zu erforschen, mnss man das Auftreten der 
Pocken bei ungeimpiten Menschen und ungeimpften oder mangelhaft geimpften 
Bevölkerungen vergleichen mit dem Auftreten derselbeu bei wirklich geimpften 
Menschen oder Bevölkerungen. Die lmpfgeguer benützen häufig äusserst mangel¬ 
haft geimpfte Bevölkerungen, um auf schlechte Resultate hinzuweisen. 

Der Schutz, den die Impfung gegen Blattern gewährt, ist im Durchschnitte 
nicht so lange dauernd, wie der durch Variolation oder dnreh Ueberstehen der 
Blattern erworbene; er ist überhaupt so wenig als letzterer ein absoluter. Der 
Schutz darf im Durchschnitte auf wenigstens 10 Jahre geschätzt werdeu, in dem 
Sinne, dass auch vor diesem Termine, je weiter man sich vom Zeitpunkte der 
Impfung entfernt, Erkrankungen an Blattern (wenn auch nur ausnahmsweise 
tödtliche), auftreten können, dass aber auch weit über diesen Zeitraum hinaus 
sich noch ein relativer Schutz durch geringere Häufigkeit and leichteren Verlauf 
der Blattern beim Geimpften fühlbar macht. 

Die ausserordentliche Abnahme der Pockenmortalität in diesem Jahrhundert 
im Vergleiche mit dem vorigen trifft mit der Impfang zusammen, und ist durch 
diese bewirkt, 

Ueberall, wo die Impfung gut durebgeführt ist, haben die Pocken aufge¬ 
hört, eine Kinderkrankheit zu sein , nnd rufen nur im ersten Lebensjahre vor 
der Vollziehung der Impfung nnd unter dem Impfschutze wieder mehr oder 
weniger entwachsenen älteren Bevölkerung eine nennenswerthe Sterblichkeit hervor. 

Die Pockenepidemien im Beginne dieses Jahrzehnts zeigen die unvermin¬ 
derte Gefährlichkeit and Bösartigkeit der Pocken in Ländern mit mangelhafter 
Impfung. Die verhältnissmässig geringe Schädigung gut geimpfter Bevölkerungen, 
speciell in den zanächst auf die Impfang folgenden Altersclassen beweist den 
Nutzen einer allgemein und früh durchgeführten Impfang. Die Wiederholung der 
Impfung (Rev&ccination) erneuert bei denjenigen, welche wieder für Pocken 
empfänglich geworden sind, die Immunität auf eine Reihe von Jahren 

Zum Schlosse führt er noch eine Reihe von Impfschädigungen auf, nnd 
zeigt, dass dieselben im Verhältniss zur Zahl der Impfungen, wie zur Zahl der 
durch Impfang vor Erkrankung nnd Tod an Blattern Bewahrten selten und 
grösstentheils Folgen grober Fahrlässigkeit, nicht unvermeidliche Begleiter der 
Impfung überhaupt sind. 

Alle die hier angeführten Sätze führt er in klarer Weise weiter ans, and 
unterstützt dieselben mit zahlreichen Tabellen nnd reichem statistischen Materiale 
ans den meisten europäischen Ländern, wobei er recht oft Gelegenheit hat, auf 
fehlerhafte Verwendung dieses Materials in dem bekannten Buche: Für nnd 
wider die Kuhpockenimpfnng , von Prof. A. Vogt, hinzuweisen. Dass Lotz fast 
durchaus nur die Pockentodten berücksichtiget, macht sein» Tabellen zwar ein¬ 
facher, aber richtig erscheint es nns nicht, denn anch das Verhältniss der Pock»n- 


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Medicimsch*chirurgische Rundschau. 


kranken zu den Gesunden und zu den Pockentodten muss zur Klärung der Frage 
beitragen. 

Als besoders inßtrnctiv müssen wir noch die beigegebenen VI graphischen 
Tabellen erwähnen. Im Ganzen muss das Werk als ein sehr gelungenes betrachtet 
werden, und wer sich um die Impffrage kümmert kann es nicht ungelesen lassen. 

—ner. 

735. Lehrbuch der Geburtshülfe für Hebammen. Von Dr. 
Eduard Martin, weil. Geheimer Medicinalrath und Professor der 
Medicin und Gynaekologie in Berlin. Umgearbeitet und in vierter Auflage 
herausgegeben von Dr. A. Martin, Privatdocent der Gynaekologie in 
Berlin. Mit 26 Holzschnitten. Stuttgart. Verlag von Ferdinand Enke. 
1880. 8°. XIV. und 293 Seiten. 

In pietätvoller Verehrung des Andenkens seines Vaters, des vor wenigen 
Jahren verstorbenen Berliner Gynaekologen Martin, unterzog sich Dr. A. Martin, 
Privatdocent an der gleichen Hochschule, der Mühe, eine neue Auflage des 
bekannten Ed. Marti n’schen Hebammen-Lehrbnches herauszugeben. Jeder, der 
die früheren Auflagen dieses verbreiteten Lehrbuches kennt, weiss, dass es zu 
den besten zählt, die wir besitzen. Es ist fasslich geschrieben, enthält Alles, 
was eine Hebamme zu wissen braucht und verleugnet, trotz des nothwendiger 
Weise eingehaltenen populären Tones, nicht den wissenschaftlichen Standpunkt. 
Diesen seinen anerkannten Vorzügen verdankte das Lehrbuch seine grosse Ver¬ 
breitung und damit seine drei Auflagen, aber noch mehr als dies, selbst der Tod 
des Verfassers macht weiteren Auflagen kein Ende. Martin jun. war jedenfalls 
der Berufenste dazn, die Redaction der 4. Auflage zu übernehmen, leitete er doch 
selbst Hebammencurse nach diesem Buche, betheiligte er sich doch an der Her¬ 
stellung der 3. Auflage und kannte er doch, was am wichtigsten, die Intentionen 
und den Gedankengang des verstorbenen Verfassers am genauesten. 

Die Eintheilung der Stoffe ist selbstverständlich die gleiche wie in anderen 
derartigen Lehrbüchern, zuerst die Behandlung der Physiologie der Schwanger¬ 
schaft, der Geburt und des Wochenbettes und hierauf jene der Pathologie dieser 
drei Vorgänge. Den Schluss bildet die Besprechung einiger krankhafter Zustände 
der Neugeborenen und besonderer Hilfeleistungen der Hebammen, wie des Klystuv 
gebens, der Vagina 1-Injectionen, des Catheterisirens u. d. m. Der Antisepsis 
wendet A. Martin jun. seine Aufmerksamkeit zu. Die Reinigung * der Hände, 
Instrumente u. d. m. wird auf das Eingehendste besprochen. Dadurch namentlich 
unterscheidet sich diese Auflage von den früheren. Die Lehre der Desinfection 
ist unserer Ansicht nach ohnehin das Wichtigste in einem Hebammen-Lehrbuch. 
Der Gebrauch eines Lehrbuches, welches nicht das Schwergewicht auf die 
Desinfection und die Prophylaxis der Infection überhaupt legt, sollte vom Staate 
gar nicht gestattet sein. 

Bezüglich des operativen Theiles beschränkt sich Martin auf die Ent¬ 
wicklung der nachfolgenden Kopfes und bespricht die Wendung nicht. Wir 
stimmen ihm hierin vollkommen bei. Die Wendung mittelst innerer Handgriffe 
kann der Hebamme nicht überlassen werden. Bezüglich jener mittelst äusserer 
Manipulationen sind die' Ansichten getheilt, wir neigen unsere jener Ansicht 
zu, nach welcher diese Lageverbesserung der Hebamme zu überlassen ist, 
weil wir meinen, dass hier nicht leicht ein Unheil geschehen kann. Anders ist 
es bei der Entwicklung des Kopfes, wenn die Frucht bis zum Halse geboren 
ist, hier muss man wegen der momentanen Gefahr die Hebamme eingreifen lassen. 

Wir zweifeln nicht daran, dass die 4. Auflage ebenso ihren Absatz Qf&en 
wird, wie die früheren und können nicht anders, als Lehrern und Schülerinnen 
dieses ausgezeichnete Buch wärmstens anempfehlen. 

Kleinwächter, Innsbruck. 


736. Ueber Ernährung und Pflege des Kindes in den ersten 
zwei Lebensjahren. Von Dr. F. Wald ner, prakt. Arzt. Innsbruck. 
Verlag der Wagner’sehen Universitäts-Buchhandlung. 1880. 96 S. 12°, 

Wenn wir auch an Schriften, welche die Kinderpflege und Ernährung der 
Kinder in den ersten Jahren behandeln und sich die Belehrung der Mütter zur 
Aufgabe gestellt haben, keinen Mangel leiden, so wird sich die vorliegende kurze 
Publication doch nicht minder Freunde unter den Aerzten erwerben, insofer ne <y e 
bündige, knappe Darstellungsart, verbunden mit einer sorgfältigen Ausw a h] de« 
Wissenswerthen die Arbeit als solche erscheinen lassen dass sie als Ealehrung 


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Medicinisch-chirnrgische Rundschau. 


929 


den Müttern erfolgreich anempfohlen werden kann. — Verf. hat das Richtige 
getroffen, indem er als Einleitung eine Statistik der Kindermortalität in Innsbruck 
voranschickt, welche den leider grossen Procentsatz der im ersten Lebensjahre an 
'Verdauungskrankheiten gestorbenen, auch für diese sonst so günstig gelegene 
Stadt in drastischer Weise illustrirt. Die Ansichten des Verf. über die Ernährung 
des Kindes, in specie über die verschiedenen Surrogate der Muttermilch, welche 
zur künstlichen Ernährung desselben dienen, über das Zahnen, ferner über die 
Hautpflege und Bekleidung des Kindes sind correct und der Mutter gegenüber 
geschickt begründet. Druck und Ausstattung zeugen für die Sorgfalt der thätigen 
Verlagshandlung. sch—. 


737. Der sogenannte thierische Magnetismus. Physiologische 
Beobachtungen von Rudolf Heidenhain. 4. nach ferneren Beobachtungen 
von Heidenhain und Grützner theilweise umgearbeitete Auflage. 
Leipzig 1880 bei Breitkopf und Härtel. 

Die uns vorliegende 4. Auflage des Sensation erregenden Werkchens ent¬ 
hält ziemlich unverändert 1 die interessanten Experimente, welche der Verfasser 
am 19. Jänner 1880 in einem in der allgemeinen Sitzung der schlesischen Ge¬ 
sellschaft für vaterländische Cultur gehaltenen Vortrage mittheilte und welche 
Heidenhai n’s Assistent, Herr Dr. Grützne r, erst jüngst auf der Versammlung 
deutscher Naturforscher und Aerzte in Danzig demonstrirte. Die Erscheinungen 
des Hypnotismus sind heute schon ziemlich allgemein bekannt und wir wollen 
deshalb hier nor die neueren, von den Verfassern gesammelten Erfahrungen mit¬ 
theilen, welche dieselben der 4. Auflage der in Rede stehenden Broschüre als 
Anhang bei gefügt haben. 

Die hypnotischen Symptome entwickeln sich bekanntlich nicht bei jedem 
Individoum in gleicher Weise; bei Vielen besteht nur eine Unfähigkeit, die 
geschlossenen Augen wieder zu öffnen, bei anderen gelingt auch die Wieder- 
öffnung des geschlossenen Mundes schwer oder gar nicht, bei einigen endlich 
verbreitet sich ein krampfhafter Zustand auch auf weitere Körpert heile aus. 
Manche Menschen verfallen in mehr oder weniger tiefen Schlaf, welcher in der 
Regel von Analgesie begleitet ist Weit interessanter als die Fälle allgemeinen 
Hirnschlafes sind jene, in welchen mehr oder weniger ausgedehnte Theile des 
Gehirns von der Functionshemmung betroffen werden. Das Symptom dieses Zu- 
Btandes liegt darin, dass Einwirkungen auf die Sinnesorgane zu unbewusster 
Wahrnehmung gelangen und welche Bewegungen hervorrufen , zu denen sie in 
enger Associationsbeziehung stehen. Hierher gehört die Nachahmungs-Automatie, 
und Sprach-Automatic, welche in einer Nachahmung unbewusster Gesichts- und 
Gehörseindrücke besteht. Hierher gehört auch die Befehls-Automatie, welche jedoch 
bei einer geringeren Tiefe des hypnotischen Schlafes zu Stande kommt und wo¬ 
bei das „Medium* 1 allen Befehlen nachkommt. Die Erfahrungen Heidenhai n’s 
über eingeredete Träume (künstliche Hallucinationen) schliessen sich den von 
R i c h e t gegebenen Schilderungen vollständig an. Während bei der Nachahmongs-, 
Sprach- und Befehls-Automatie die Einwirkungen auf die Sinnesorgane der Ver¬ 
suchsperson Bewegungen hervorrufen, führen sie bei den Träumen und Hallu¬ 
cinationen zu Gesichts Vorstellungen und den mit diesen sich verknüpfenden 
Handlungen 

Die Störangen des Sensoriums können bestehen, ohne dass auffallende moto¬ 
rische Störungen sich damit verknüpfen. Das ist namentlich bei einfachem, 
tiefem, reactiooslosem Schlafe der Fall. Den Gegensatz zu diesen Personen bilden 
andere, bei welchen jeder Hypnoseversuch ohne Weiteres tonische und clonische 
Krämpfe hervorruft. Zwischen diesen beiden Extremen kommt eine Reihe von 
Fällen vor, bei welchen während der Hypnose kataleptische Starre eintritt und 
flexibilitas cerea eintritt und wo auf dem Wege des Reflexes von der Haut aus 
durch leises Bestreichen derselben, tonische Zusammenziehung der Muskeln hervor¬ 
gerufen wird. 

Um den hypnotischen Zustand herbeizuführen, empfiehlt H. das Anstarren 
eines facettirten flftasknopfes, zuerst bei möglichst convergenten Blicklinien während 
6—8 Minuten, doch genügt dies in der Regel nicht allein, sondern man muss 
nach der erwähnten Zeit mit warmen Händen von der Stirne über die Antlitzfläche 
streichen und dann im Bogen wieder nach der Stirne zurtickkchren, ohne jedoch 
die Haut unmittelbar za berühren. Dieses Verfahren muss meist mehrere Male 
wiederholt werden. Dass bei Herbeiführung des Hypnotismus ein psychisches 
Moment mitspielt, ist ganz ohne Frage. 

Ued.-cliir. Rundschau. 1880. 59 


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930 


Xedicinisch-chirurgische Rundschau. 


Des weiteren bespricht der Verf. die halbseitige Hypnose und wir ver¬ 
weisen diesbezüglich auf Hei den ha in und Grüt'zner’s Mittheilung in der 
Breslauer ärztlichen Zeitschrift (medic.-chirurg. Rundschau 1830, S. 210). 

Zum Schlosse wendet sich H. gegen die bezüglich der hypnotischen Ver¬ 
suche ausgesprochenen Bedenken, indem er nie Besorgniss erregende Synptome 
wahrgenommen. Dennoch räth Verf. zur grössten Vorsicht, namentlich bei Per¬ 
sonen, wo sieh Krampfanfälle • einstellen und soll ein einzelner Versuch nicht über 
einige Minuten ausgedehnt werden. — r. 


kleine Mittheilungen. 

738. Antisepis im Wochenbette. Von Pasteur in Paris» 
Annales de Gynecologie. 1880. Augustheft: p. 125. 

Pasteur empfiehlt als Desinficiens eine concentrirteLösung von Borsäure. 
Dieselbe zerstört alle pflanzlichen Keime und hat den grossen Vortheil, dass sie 
auf Schleimhäute und Wunden nicht reizend einwirkt. Pasteur gibt den Rath, 
sie im Wochenbette statt der Carbolsänre zu gebrauchen. 

Klein Wächter, Innsbruck. 

739. Ein Fall von Variola bei einem Neugeborenen. Von 

Dr. A. Vidal, Paris. (Gaz. med. de Paris Nr. 27. 1880.) 

Leon Lab 6 zeigt inVerf.’s Namen einen Fötos, der lebend auf die Welt 
gekommen war, bedeckt mit Pockenpusteln. Die Mutter, vaccinirt, hatte niemals 
Variola gehabt. Die Pusteln schienen bei der Geburt sieben oder acht Tage 
bestanden zu haben , sie waren grösser als gewöhnliche, doch mit deutlicher 
centraler Vertiefung, so dass es nur Variolae sein konnten. Das Kind starb nach 
einigen Stunden. Nach den Informationen, woraus Verf. keine Folgerung ziehen 
will, hatte die Conception Ende November oder Anfangs 1870 stattgefunden und 
war der Vater in den ersten Tagen vom December 1871 von Variolae semi-con- 
fluentes befallen gewesen. Die Mutter war in der Jugend vaccinirt gewesen und 
ihre Gesundheit war während und nach der Krankheit ihres Mannes immer gut. 

740. Ueber die Heilbarkeit der Tabes dorsalis. Von Caspari. 
(D. Medicin. Wochenschrift, 1880. 18.) 

Je höher der erkrankte Theil der Medulla gelegen ist, desto ungünstiger 
die Prognose, welche sich bessert, je früher Patient in Behandlung kommt. Con- 
stanter Strom in Verbindung mit scharfen kalten Kegenbrausen haben gute Resultate, 
warme Bäder über 25° R. und über 10 Minuten Dauer sind schädlich. Gute 
Erfolge hat die Kohlensäure im Wasserbade. Besonders Meinberg hervorgehoben 
wegen beliebig zu regulirender Zufuhr freier CO t . Gleichzeitig werden trockene 
CO, Gasbäder und der constante Strom daselbst methodisch angewandt. Das 
Facit aus mehreren 100 Fällen ist: der auf die untere Spinalhälfte beschränkte 
tabetische Process ist, wenn nicht schon Schwund und Erweichung eingetreten, 
heilbar, znm mindesten besserungsfähig. Erkrankung der oberen Spinalhälfte, die 
sogen. Tabes dolorifica nnd Paralysis agitans sind unheilbar. Doch bleiben die 
von der unteren Partie der Mednlla abhängigen Symptome, z. B. Blasenlähmung, 
besserungsfähig. Zwei Krankengeschichten sind beigefügt. 

741. Darf ein Chirurg oder Geburtshelfer Leichenöffnungen vor¬ 
nehmen ? Von Prof. R. Volkmann. (Ctrlbl. f. Chirurgie 1880. 26. 
Ctrlbl. f. Gynäkol. 20.) 

Die ihm von Collegen vorgelegte Frage, ob ein Chirurg, der mit Erfolg 
antiseptische Chirurgie treiben wolle, Leichenöffnungen vornehmen dürfe, beant¬ 
wortet Verf. entschieden mit ja. Seit der Zeit, wo auf seiner Klinik auch die 
kleinste Wunde nur mit desinficirten Händen und Instramenten berührt wird, 
sind die accidentellen Wnndkrankheiten auf derselben ganz verschwunden. V. 
selbst leitet im Sommer früh den Operationscurs, wo er 2 Stunden lang seine 


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Medicinisch-chirurgisohe Rundschau. 


931 


Bände mit theilweise faulen Leichen beschmiert; nach karser Panse operirt er 
dann in seiner Klinik and sur Desinfection wird die concentrirte Glycerinlösung 
der Csrbolsäare verwandt, die auf 5 Percent verdftnnt wird. Wechsel der Leib¬ 
wäsche ist dabei überflüssig; zweckmässig sind meist Leinwandröcke. Dadurch 
werden die rigorosen Bedingungen, die einxelne Gynäkologen den Zuschauern und 
Assistenten bei ihren Operationen stellen, überflüssig. Gewisse Vorsichtsmassregeln 
r sind allerdings nöthig; daher werden Operationen, bei denen die Gefahr der 
Jnfertion am grössten ist, zuerst aQBgefüjirt; solche, wo schon putrifte. Stoffe vor- 
ha den, zuletzt. Studenten und jungen Asiaten soll der Geburtshelfer nur dann 
erlauben bald nach der Beschäftigung auf der Anatomie Gebärende etc. zu unter¬ 
suchen, wenn er ihre Desinfection genau überwachen kann. Zum Handwerkszeug 
eines Arztes der jetzigen Zeit gehört ein Fläschchen Carboiglycerin. 

742. Ueber die Behandlung einer wenig gekannten Ursaohe der 
Sterilität — die sauere Beschaffenheit des Uterovaginäl-Sehleimes — 
mittelst Alkalien. Von 0harrier. (Bulletin general de Therapeuticjue 
1880. 11.) 

Manche Frauen, welche vollständig gesund, deren Genitalien vollständig 
normal, nnd welche mit gesunden Männern verheiratet sind , bleiben steriL Die 
Ursache davon ist häufig eine ssuere Beschaffenheit des uterinen nnd vaginalen 
SchleimeB, die man direct mittelst Lakmuspapier nach weisen kann. Dies ist nnu 
ein absolutes Hinderniss der Befruchtung, da die Spermatozoen sofort sterben. 
Reagirt also die Frau saner, so bleibt sie steril. Durch eine Behandlung mit 
Alkalien, alkalische Getränke nnd Bäder (Vichywasser) nnd alkalische Ein¬ 
spritzungen (1(X 0 0 Wasser, 95*0 Natr. phosph., 1 Eiweias) kann die Affection 
\ gehoben werden nnd Befrachtung eintreten. Dies erklärt die manohmal rä+hsel- 

. haften Erfolge der alkalischen Thermen bei Sterilen. Zwei Fälle werden genauer 

t mitgetheilt, in denen Verf. günstige Resultate erzielt hat. 

743. Ovariotomie im sechsten Monat der Schwangerschaft ohne 
Unterbrechung derselben. Von Gal ab in. (Brit. med. Journ. 1880. März.j 

i Bei einem Leibesumfänge, der stärker war als am normalen Ende der 

Schwangerschaft, ohne dass die Frau Kursbewegungen verspürte o ler die Dauer 
der möglicher Weise vorhandenen Schwangerschaft bestimmen konnte, stellte G. 
j die Wahrscheinlichkeitsdiagoose: Ovarialcyste mit Schwangerschaft im vierten bis 

1 fünften Monate. Wegen bedrohlicher peritonitischer Erscheinungen nnd starker 

' Dyspnoö bei znnebmenden Oedemen nnd Auftreten von Eiweiss im Harn worden 

[ durch Punktion 10 L. Flüssigkeit entleert, deren mikroskopische Untersuchung 

' Verdacht anf Malignität erweckte. Kindsbewegnngen wurden fühlbar und da nach 

1 14 Tagen sich wieder schon sehr viel Flüssigkeit angesammelt hatte, fo schritt 

r Verf. znr Ovariotomie unter CarboUpray. Hautschnitt sehr hoch, mit dem unteren 

' Ende bis zum Nabel reichend, die dem rechten Ovarinm an gehörige Cyste an der 

i Innenfläche von papillomatösen Wucherungen bedeckt, Blutstillung schwierig, viele 

I Adhäsionen, Silkwormnähte, keine Drainage. In den ersten Tagen wird reichlich 

! Morphium gegeben, am dritten Tage unbedeutende peritonitische Symptome, am 

I siebenten Tage Entfernung der Nähte aus der verbellten Wunde. Am fünfzehnten 

Tage schwere Phlebitis des linken Beines, die sich einige Wochen lang hinzieht, 
trotzdem Geburt zur rechten Zeit, von normalem Verlauf und ohne Störungen 
j im Wochenbett. — Ein seltener Fall, da in ähnlichen Fällen die Operation fast 
«tets Frühgeburt zur Folge gehabt hat. 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


Sitzungsberichte ärztlicher Vereine. 

744. Prof. Dr. Bauer: TJeber die Ernährung fiebernder Kranker. 
Nach dem Vortrag im Münchener Aerztlichen Bezirks-Verein am 7. October 
1880. (Aerztl. Intellig.-Blatt 1880. 44.) 

Die Anschauungen über die richtige Ernährungsweise fiebernder Kranker 
haben im Laufe der Zeit weniger häufig Wandlungen erfahren, als dies bei 
anderen Fragen der Heilkunde der Fall war; jedoch haben Theorie nnd System 
auch auf diese Frage zu gewissen Zeiten ihren Einfluss geltend gemacht. Im 
Allgemeinen blieben die einsichtsvollsten Aerzte aller Zeiten den Grundsätzen 
getreu, welche Hippokrates für die Ernährung in hitzigen Krankheiten auf¬ 
gestellt hatte und welche wir noch heutigen Tages als richtig anerkennen 
müssen. 

Die Diätetik war im medicinischen Alterthum durchweg ein hochgeachteter 
Zweig der Heilkunde, und es liesse sich eine Reihe von Aerzten namhaft machen, 
welche sich um die weitere Entwicklung dieser Doctrin die grössten Verdienste 
erworben haben. Was auf dem Wege reiner Erfahrung auf dem Gebiete der 

Krankendiätetik überhaupt geleistet werden konnte, das wurde im Alterthum 
aurh thatsächlich geschaffen. Um dieses zu beweisen, brauche ich mich nur auf 

die Schriften des Celsus oder des Aretaeus zu berufen. In der Zeit des 

wissenschaftlichen Verfalles , in den Händen der Galenisten und Arabisten artete 
auch die Lehre von der Diätetik aus; die spitzfindigen Anordnungen der 

damaligen Aerzte und die weitschweifigen Abhandlungen derselben, welchen fast 
ausschliesslich die Lehre von den Elementarqualitäten zur Grundlage diente, sind 
geradezu abgeschmackt und selbst für den Geschiehtsfreund völlig ungeniessbar. 

Von bedeutendem Einflüsse für die Diätetik bei fieberhaften Krankheiten 
wurde das System des Engländers John Brown und des von Brown vielfach 
beeinflussten Broussais Hauptsächlich von diesen beiden Aerzten stammt die 
Lehre, dass Fieber und Entzündung durch jede Nalirungszufnhr eine Steigerung 
erfahren, und die consequente Anwendung derselben führte zu jenem Ent¬ 
ziehungssystem, welches fiebernden Kranken Wochen lang jegliche Zuführ 
nährender Substanzen untersagte. Broussais wurde von einigen seiner Schüler 
in Bezug auf den Eifer, mit welchem die absolute Nahrungsentziehung durch¬ 
geführt wurde, noch übertroffen, und man darf wohl behaupten, dass diesen 
Grundsätzen mancher Kranke zum Opfer fallen und dem Hunger erliegen musste. 
Gegen diese extreme Richtung machte sich allerdings nach nicht allzulanger 
Zeit eine Reaction geltend: Chossat zeigte durch Versuche die Folgen der 
Inanition, und der Engländer Graves vertheidigte die Wichtigkeit der Nahrungs- 
zufuhr bei Fiebernden mit guten Gründen. Auch durch die Einsicht vieler 
anderer Aerzte wurde zwar den Lehren Broussais’s die Spitze abgebrochen, 
aber eine gewisse Nachwirkung machte sich noch bis in unsere Tage herein 
fühlbar. Man darf sagen, dass sich der vollständige Umschwung der Meinungen 
erst in der neuesten Zeit vollzogen hat, wobei die fortschreitende Erkenntniss 
über die Ernährungsvorgänge und über das Wesen des Fiebers wesentlich mit¬ 
gewirkt hat. 

Es ist eine längst beglaubigte Thatsache, dass bei Fiebernden die Auf¬ 
nahme von Nahrungsstoffen und die Verdauung mehr oder minder beeinträchtigt 
zu sein pflegen, und dass durch unzweckmässige Zufuhr von Nahrungsstoffen 
Fiebersteigerung und anderweitige schlimme Consequenzen herbeigeführt werden 
können. Auf der anderen Seite ist durch zahlreiche Untersuchungen dargethan, 
dass bei allen fieberhaften Krankheiten die Zersetzungsvorgänge im Körper 
gesteigert sind, dass insbesondere die eiweissartigen Substanzen der Organe 
einem raschen Zerfall unterliegen. 

Da schon bei einfachem Hunger in Folge des mangelnden Stoffersatzes die 
Leistungsfähigkeit der lebenswichtigen Organe fortwährend abnimmt, so ist klar, 
dass dies in erhöhtem Grade bei den fieberhaften Krankheiten der Fall sein 
wird, da der Consurn der Gewebe beträchtlich gesteigert ist und kein Ersatz 
durch Nahrungszufuhr stattfindet Bei den fieberhaften Kraukheiten werden aber 
an die lebenswichtigen Organe, insbesondere an das Herz in der Regel gesteigerte 
Anforderungen gestellt, so dass die Thatsache, dass ein Organismus mit normaler 
Temperatur erst nach geraumer Zeit dem Hunger zu erliegen pflegt, für die 
i * mg fiebernder Kranker Dicht massgebend sein kann. Es muss nothwendiger 
Wei.se von grosser Bedeutung sein, wenn es gelingt, durch Nahrungszufuhr den 


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Medicinisch?chirurgische Rundschau. 


933 

Consum der Gewebe wenigstens theilweise zu beschränken, vorausgesetzt, dass 
nicht, jede Nahrungszufuhr wirklich eine Fiebersteigerung bedingt; denn im 
letzteren Falle würde man nur Oel ins Feuer giessen. 

Der Nachweis, dass im Fieber die Zersetzungsproöesse im Körper ge¬ 
steigert sind, besagt, dass in gleichem Masse anch die Wärmeproduction erhöht 
sei. Allein man würde einen Fehler begehen, wollte man von der gesteigerten 
Wärmeproduction allein die Entstehung der Fieberhitze abhängig machen. Denn 
ein normaler Mensch kann nach einer sehr reichlichen Nahrangsaufnahme die 
gleiche Wärmemenge produciren wie ein Fiebernder, ohne dass dabei seine 
Eigenwärme ansteigt. Im normalen Zustande sorgen die Regulations-Vorrichtungen 
im Körper, dass jeder Ueberschuss vou Wärme sogleich nach aussen ab¬ 
gegeben wird. 

Die Centralorgane, welche unsere Körperwärme reguliren und constant 
erhalten, werden durch zahlreiche sensible Eindrücke von der Peripherie her und 
durch die Temperatur des umspülenden Blutes beständig in Kenntniss gesetzt, 
ob die Wärme8chleussen geöffnet oder geschlossen werden müssen. Durch Ver¬ 
mittlung des Nervensystems ist der Körper auch im Stande, die Wärmeproduction 
innerhalb gewisser Grenzen dem Wärmebedürfniss anzapassen, so dass in der 
Kälte mehr, in der Wärme weniger Wärme erzeugt wird. Die letztgenannte 
Fähigkeit des Körpers, sowie verschiedene regulirende Hilfseinrichtungen sind 
indessen für die Entstehung der febrilen Temperatursteigerung wahrscheinlich 
nur von untergeordnetem Belange. 

Im Fieber muss nothwendiger Weise eine Störung in der Wärmeregulirung 
bestehen, indessen geht aus verschiedenen Thatsachen hervor, dass es sich dabei 
nicht um völlige Unthätigkeit der betreffenden Apparate handelt; dieselben 
arbeiten wohl, aber ihre Thätigkeit ist auf einen höheren Temperaturgrad ein¬ 
gestellt. Man kann den menschlichen Körper mit einem Dampfkessel vergleichen 
und die Wärmeregulirungsapparate mit dem Sicherheitsventil desselben. Sobald 
die Spannung im Kessel einen gewissen Grad überschreitet, öffnet sich das 
Ventil nnd lässt Dampf ausströmen. In ähnlicher Weise wirken die Wärme¬ 
regulationsvorrichtungen im Körper, nnd zwar sind dieselben an der Norm auf 
37*5° eingestellt. Im Fieber bleibt die Einrichtung in Thätigkeit, aber der 
Temperaturgrad, bei welchem derselbe eingreift, ist ein höherer geworden, es 
handelt sich gewissermassen um eine herabgesetzte Erregbarkeit der betreffenden 
Centralorgane. Es ist so, als ob man das Sicherheitsventil eines Dampfkessels 
mit einem grösseren Gewichte belastet hätte, so dass eine höhere Spannung 
nothwendig ist, um dasselbe za öffnen. 

Wenn diese Vorstellungen richtig sind, so ist auch die Höhe der 
Temperatur im Fieber nicht direct von der Menge von Wärme abhängig, welche 
jeweilig im Körper erzeugt wird. Es wird ferner wahrscheinlich, dass die 
Zufuhr von Nahrung und eine dadurch bedingte Vermehrung der Wärmeproduction 
an sich beim Fiebernden keine weitere Steigerang der Eigenwärme hervorbringt. 
Es steht mir aber auch eine Anzahl von Beobachtungen zur Seite, weiche von 
mir speciell zur Beantwortung dieser Frage angestellt wurden and welche in 
gleichem Sinne sprechen. Es lässt sich freilich nicht leugnen, dass es schwierig 
ist, zu entscheiden, ob die Zufuhr von Nahrung bei einem Fiebernden von 
Einfluss auf die Temperaturböhe ist oder nicht; es ist indessen eine ziemlich 
grosse Anzahl von Fällen, bei welchen ich niemals eine Temperatursteigerung 
wahrnehmen konnte. 

Eine Steigerung der Zersetzungsvorgänge wird wahrscheinlich auch beim 
fiebernden Organismus durch die Zufuhr von Nahrangsstoffen nur dann hervor¬ 
gerufen, wenn unter den letzteren eine gewisse Menge von eiweissartigen Substanzen 
vertreten ist, während die stickstoftlosen Nahrungsstofle eher eine Verminderung 
des Stoffaerfalles bewirken werden. Diese Betrachtung ist zum Tbeil der Grund, 
dass gewichtige Stimmen eine reichlichere Zufuhr von Eiweissstoffen bei Fiebern¬ 
den für unzweckmässig erachten, weil dadnrch nicht nur eine gesteigerte Wärme- 
prodnction, sondern anch eine Steigerung des Consnms der KÖrpersnbstanzen 
herbeigeführt werde. Diese Anschauung wird anch durch den Hinweis auf die 
Erfahrung gestützt, indem die meisten Aerzte seit Hippokrates vorzugsweise 
an Kohlehydraten reiche Nahrangsmittel den fiebernden Kranken darznreichen 
pflegen. 

Darüber, dass eine ausschliessliche Darreichung von Albuminaten zur 
Ernährung fiebernder Kranker für längere Zeit nicht zweckmässig sein kann, dürfte 
bei unseren jetzigen Kenntnissen über die Wirkungsweise der Eiweissstoffe im 
Organismus kaum eine Meinungsverschiedenheit bestehen. Auf der anderen Seite 
ist zu bedenken, dass auch die Znfnhr von Kohlehydraten allein schwerlich 


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Medicinisch-chirurgische Rundschau. 


diejenige Wirkung im fiebernden Organismus hervorbringen kann, welche wir an¬ 
streben müssen; insbesondere ist daran zu erinnern, dass ei£ Organismus bei 
ausschliesslicher Zufuhr von Kohlehydraten fast ebenso rasch dufch Eiweissmangel 
zu Grande geht wie bei vollständiger Entziehung der Nahrung, 

Ich komme daher zu dem Schlüsse, dass auch für den Fiebernden di» 
Darreichung einer Mischung von stickstoffhaltigen und sticksiofflosen Nahrangs¬ 
stoffen nothwendig ist wie für den Gesunden. Es ist doroh Versuche dargethan^ 
dass bei Darreichung von Eiweissstoffen in Verbindung mit stickstofffreien Sub¬ 
stanzen allerdings eine Steigerung der Zersetzungsvorgänge eintritt, jedoch keines¬ 
wegs in dem Masse, dass nicht Eiweiss, d. h. Organbestandtheile vom Körper 
erspart würden. Wir sind in der That im Stande, durch Zufuhr von Albuminaten 
in Verbindung mit stickstofffreien Nahrungsstoffen den febrilen Consum der Organe 
zu beschranken. Damit ist jedoch die Frage noch nicht beantwortet, in welchem 
Verhältnisse Albuminate und stickstofffreie Nahrungsstoffe in dem Gemische ent¬ 
halten sein sollen, ein Umstand, welcher für die Wirkung der eingeführten Stoffe 
von grösstem Belange ist. Zum end gütigen Entscheide dieser Frage dürften 
unsere jetzigen Erfahrungen und Kenntnisse noch nicht ausreichend sein, indessen 
werde ich versuchen, zum Schlüsse meiner heutigen Besprechung meine eigen» 
Meinung durch einige Gründe zu stützen. 

Zunächst muss ich eines Vorschlages gedenken, nämlich an Stelle der 
Albuminate bei fiebernden Kranken leimartige Substanzen darzureichen, da diesen 
die Eigenschaft, die Zersetzungsvorgänge im Körper zu steigern, nicht wie den 
Eiweisskörpern zukommt. In der That vermag Leim das Eiweiss im Körper bis 
zu einem gewissen Grade zu ersetzen, und ich wüsste gegen die Anwendung des¬ 
selben bei Fiebernden nichts einznwenden, vorausgesetzt, dass die Leimspeise den 
Geschmacksorganen der Kranken zusagt. 

Ich habe Eingangs meiner heutigen Besprechung zugegeben, dass durch 
eine unzweckmässige Zufuhr von Nahrungsstoffen eine Steigerung des Fiebers and 
der übrigen Krankheitserscheinangen bedingt werden kann, um alsbald den Beweis 
zu versuchen, dass weder die eiweissartigen Substanzen noch die stickstofffreien 
Nahrnngsstoffe durch ihre Einverleibung bei einem fiebernden Organismus an sieb 
eine Temperatursteigerung bedingen. Diese beiden Sätze enthalten keineswegs 
einen Widerspruch, indem ich glaube, dass eine in Folge von Nahrungszufuhr 
auftretende Temperatureteigerung von dem Verdauungsgeschäfte, nicht aber von 
einer Steigerung der ZersetzungsVorgänge abhängig gemacht werden muss. So 
beobachtet man nicht selten, dass bei entfieberten Reconvalescenten vorübergehend 
eine Temp*raturSteigerung eintritt, wenn sie wiederum reichlichere Nahrung auf- 
nebmen. Derartige Temperaturerhöhungen pflegen häufig schon nach kurzer Zeit 
wieder abzusiuken, wenn die Verdauung vollständig beendet ist, während die 
Steigerung der Zersetzungen im Körper damit erst beginnt; es handelt sich in 
derartigen Fällen wirklich um ein Verdauungsfieber. 

Der Grund, warum die Ernährung im Fieber so sehr erschwert und mit 
grösster Vorsicht zu handhaben ist, liegt in der mangelnden Verdauungs- 
kraft des Fiebernden. Derselbe vermag in der Regel consistente und auch viele 
flüssige Nahrungsmittel nicht zu verdauen, welche alsdann mechanisch und in 
Folge fauliger Zersetzung eine Reizung der Verdauungsorgane und vielleicht auch 
noch anderweitige Störungen bedingen können. Wenn aber die Nabrungsstoff» 
einmal verflüssigt und in den Kreislauf aufgenommen sind, dann bringen sie ihren 
stofflichen Erfolg ohne schädliche Nebenwirkung hervor. Daraus ergibt sich der 
weitere Schloss, dass bei der Ernährung Fiebernder unendlich Vieles daranf 
ankommt, die Nahrnngsstoffe in geeigneter, vor Allem in flüssiger Form d&r- 
znreicben und zwar nie mehr, als voraussichtlich von den Verdauungsorganen 
bewältigt werden kann. 

Die Darreichung einer gewissen Menge von Nahrnngsstoffen ist demnach 
bei Fiebernden ohne schädliche Nebenwirkung möglich, vorausgesetzt, dass di» 
Form der Nahrungsmittel genügend berücksichtigt wird. Die Zufuhr von Nahrung 
bei Fiebernden erscheint aber auch geboten, um den Consnm der Körpsrbestand- 
theile zu beschränken und damit die Leistungsfähigkeit der lebenswichtigsten 
Orgaue möglichst zn erhalten. Zu diesem Zwecke dienen sowohl die Stickstoff- 
losen Nahrnngsstoffe, als auch der Leim und die ei weissartigen Substanzen. 

Ich gehe indessen einen Schritt weiter und glaube, dass auf die Zufuhr 
einer gewissen Menge von Albuminaten ein ganz besonderer Nachdruck zn legen 
ist Die Kost, welche seit einer Reihe von Jahren in unserem hiesigen Kranken¬ 
hause an fiebernde Kranke fast durchweg verabreicht wird, ist durch ihren relativ 
hohen Eiweissgehalt ausgezeichnet, und die Erfahrung, soweit dieselbe in diesen 
Fragen entscheidend sein kann, scheint eine derartige Ernährung Fiebernder zu 


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Medici nißch-chirurgische Rundschau. 


935 


reelltfertigen. Die ;bei uns übliche Fieberkost enthält 20*3 Gnn. Eiweiss, 17*7 Grm. 
"Fett und 23*5 Grm. Kohlehydrate pro Tag und wird in der Regel durch weitere 
Zathat von % Liter Milch und 1 Ei in der Regel auf 47*0 Grm. Eiweiss, 421) Grm. 
Fett und 44*5 Grm. Kohlehydrate erhöht, unter Umständen kann auch noch ein 
zweites Ei und Nachmittagskaffee mit Milch hinzugefügt werden. 

Ein derartig hoher EiweisBgehalt in der Kost für Fiebernde lässt sich aber 
mit dem Hinweis auf die bekannten Wirkungen der Eiweisskörper im normalen 
Organismus rechtfertigen Dieselben bedingen nicht nur die Intensität der Zer- 
8etznng8Yorgänge, sondern eine gewisse Menge derselben ist auch für den Bestand 
der thierischen Zellen und der Leistungsfähigkeit massgebend. Es ist nun sehr 
wahrscheinlich, dass gerade ein reichlicher Strom von ernährender Eiweissflüssig¬ 
keit den Eintritt jener parenchymatösen Degenerationen hindert, welche wir als die 
gefährlichsten Folgen febriler Processe kennen. 

Ich bin weit entfernt, alles Heil in der Fiebertherapie von der zweck¬ 
mässigen Ernährung zu erwarten, ich halte es auch nicht für geboten, bei kurz¬ 
dauernden fieberhaften Processen möglichst viele Nahrung in die Kranken hinein- 
zustopfen. Ich halte es indessen für wichtig, dass bei länger dauernden Fieber¬ 
zuständen eine gewisse Menge von Nahrnngsstoffen ein verleibt werde und zwar 
stickstoffhaltige und stickstofflose. Die erstgenannten Nahrungstoffe sollen nach 
meiner Meinung besonders dann in relativ grosser Menge vertreten sein, wenn 
nach reichlichen Blutverlusten u. dergl. Schwächeerscheinungen eintreten; auch 
die Neigung sehr fettreicher Organismen, frühzeitig adynamische Erscheinungen 
darzubieten, wird am besten durch Zufuhr von Albnminaten bekämpft. 

Bei chronischen Fieberzuständen, insbesondere mit dem hectischen Charakter, 
dürfte ein anderer Gesichtspunkt als der eben entwickelte für die Ernährung 
massgebend sein. Hiebei handelt es sich nicht mehr darum, durch Eiweisszufuhr 
die lebenswichtigen Organe für einige Zeit leistungsfähig zu erhalten und dem 
Körper möglichst viele lebendige Kraft für diese Zeit zur Verfügung zu stellen. 
Derartige Kranke sterben nicht an einer rasch eintretenden Insufficienz des Herzens 
mit allen ihren Folgen, sie erliegen vielmehr der allmäligen ConBumtion. Daraus 
erwächst die Aufgabe, den Verbrauch der Organmasse nach Kräften anfznhalten, 
was insbesondere durch die Darreichung stickstoffloser Nahrungstoffe erreicht wird. 


Der Redaction eingeeendete neu erechienene Bücher und Schriften. 

Bericht der k. k.Krankenanstalt Rudolf-Stiftung in Wien vom Jahre 1879. 
Wien 1880. Verlag der Anstalt. 

Biedert, Dr. Ph., Spital- und Kreisarzt zu Hagenau i. E.: Die Kinder¬ 
ernährung im Sftnglingsalter. Stuttgart. Verlag von Ferdinand 
Enke. 1880. 

Falck Ferd. Aug., Dr. med., Professor d Pharmakologie a. d. Universität za 
Kiel: Lehrbuch der praktischen Toxikologie für prakt. Aerzte und 
Stndirende. Mit Berücksichtigung der gerichtsärztlichen Seite des Faches 
bearbeitet. Stuttgart. Verlag von Ferd. Enke. 1880. 

Godeffroy Dr. Richard, Vorst, des chemischen Laboratoriums des allg. österr. 
Apotheker - Vereines: Compendium der Pharmacia. Mit Berück¬ 
sichtigung der Pbarmacopoea austriaca, hungarica, germanica u. d. österr. 
Militär-Pharmacopoe, Mit erläuternden Illustrationen. Wien 1880. Lfrg. 7—8. 

Hartmann, Professor Dr. Rob., a. d. Universität zu Berlin; Handbuch der 
Anatomie des Menschen für Stndirende und Aerzte. Mit 465 in den 
Text gedruckten, znm Theil farbigen Abbildungen, grossentheils nach 
Original-Aquarellen oder 4 deux Crayons - Zeichnungen des Verfassers. 
Strassburg, R. Schultz & Comp., 1881. 

Heckei, Dr. med., prakt. Arzt in München: Compendium der Unter¬ 
leibshernien. Stuttgart. Verlag von Ferd. Enke. 1880. 

Hering, Prof. Dr. Ewald, a. d. Universität Prag: Zur Erklärung der 
Farbenbl indheit. Prag, F. Tempsky's Verlag. 1880. 

Heydenreich, Dr. Theodor von d. G. kais. russisch. Stabsarzt in St. Peters¬ 
burg: Schuss Verletzungen der Hände and Finger. Eine kriegs¬ 
chirurgische Studie. Nach Beobachtungen in zwei Feldzügen. Mit 5 litho¬ 
graphischen Tafeln. Wien 1881, Wilhelm Braumüller. 

Hirt, Dr. Ludwig, Professor a d. Universität Breslau, kgl. Bezirks-Physikus: 
System der Gesundheitspflege. Für die Universität und die ärztliche 
Praxis bearbeitet. Zweite verbesserte und vermehrte Auflage. Mit 95 Illu¬ 
strationen. Breslau. Maruschke und Berendt. 1880. 


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»36 Medicinisch'cbirurgische Ründschau/ 

astschenko, Dr. P.: Ueber die Nervent hätig keit und deir Stoff¬ 
wechsel. Zweite veränderte nnd vermehrte Auflage. Moskau) 4880. Verlag 
von Alexander Lang. 

n o 11, Prof. Dr. Ph.: Ueber den Einfluss modificirter Athembewegungen auf 
den Puls des Menschen. Mit mehreren Holzstichen nnd zwei lithographischen 
Beilagen. Prag 1880. Verlag von F. Tempsky. 

— Ueber Myocarditis nnd die übrigen Folgen der Vagussection bei Tauben. 
Mit 2 lithographischen Tafeln. (Separat-Abdrnck ans der Zeitschrift für 
Heilkunde. Bd. I) Prag 1880. Verlag von F. Tempsky. 

rieberraann, Dr. Leo, Professor in Budapest: Grundzüge der Chemie 
des Menschen für Aerzte und Studirende. Stuttgart. Verlag von 
Ferdinand Enke. 1880 

orinser, Dr. Friedrich .Wilhelm, k. k. Sanitätsrath und Director des k. k. 
Krankenhauses Wieden. Die wichtigsten essbaren, verdächtigen und giftigen 
Schwämme mit * naturgetreuen Abbildungen derselben auf 12 Tafeln 
in Farbendruck zusammengestellt im Aufträge des k. k. niederösterreichischen 
Landes-Sanitätsräthes Wien. Verlag von Eduard Holzel, 
eters, Dr. medl TUrnAnn, prakt. Arzt in Bad Elster: Die klimatischen 
Winterctororfee* Central-Europas und Italiens. Praktischer Leit¬ 
faden bei Verordnung und beim Gebrauch klimatischer Wintercurorte. Mit 
einer Karte Leipzig. Verlag von Otto Wigand. 1880. 
amuel, Prof. Dr. S. in Königsberg: Compendium der allgemeinen 
Pathologie fti r S tu d ire nde nnd A erzte. Stattgart. Verlag von 
Ferdinand Enke. 1880. 

chiffer F. Dr., Assista-nl de la Clinique midie, de l’Universiti de Lüge: 
Hysterie, applications metallotherapentique s. L i i g e. Imprim erie 
H. Vaillant-Carmanne. 1880. 

chtlller, Prof. Dr. Max, Doc. d. .Chirurgie a. d. Universität zu Greifswald. 
Experimentelle u i*d -bis tolo giso he Un*te rsuch u ngen über die 
Entstehung und Ursacfrhtrd^r scrophulösen und tuberkulösen 
G ele n k lei den. Nebst Studi-u über die tuberculöse Infectiön nnd thera¬ 
peutischen Versuchen. Mit 1H) Abbildungen im Texte. Stuttgart. Verlag 
von Ferdinand Enke. 1880. % 

olkmann R.: Sammlung klii eher Vor träge. Leipzig. Breitkopf 
und Härtel. 1880. 

— 186. Berlin. Ueber den anatomischen Zusammenhang zwischen 
orbitalen nnd intracraniellen Entzündungen»^' 

— 187. Landau. L. Ueber Erweiterung» mit tel der Gebärmutter. 

— 188. Itheinstädter A. Ueber weibliche Nervosität. 

r ei ss, Dr. Albert, k. Regierungs- nnd Medicinalrath: DerRegierungsbezirk 
Stettin. Verwaltungsbericht über dessen Medicinal- und Veterinärwesen in 
den Jahren 1876 und 1877. Rudolstadt. J. Mitzlanf, fflrstl. priv. Hof¬ 
buchdruckerei. 

r ie 1, Med; Dr. Josef: Tisch für Magenkranke. Fünfte vermehrte und ver¬ 
besserte Auflage. Karlsbad. Verlag von Hans Feiler. 1880. 
immer Dr. Carl, prakt. Arzt in Carlsbad: Die Muskeln eine Quelle, 
Muskelarbeit ein Heilmittel bei Diabetes. Verlag von Haus 
Feiler. 

8&mmtliohe hier angeführte Büoher sind zu beziehen duroh. 
ie Baohhandlnng Urban & Sohwarzenberg in Wien, I., SSaxi- 
lilianstrasse 4. 


igenthum und Verlag vou Urban & Schwarzenberg, Wien. I. , Ifipximilianstrasse 4. — 
Vei antw. rtlu hor Redacteur : l)r. Vinzenz Fink. 

Einsendungen an d;e Redaktion sind zu richten: Wien, I., Maximilianatrasse 4. 

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